Das eurasische Schachbrett - Amerikas neuer Kalter Krieg gegen Rußland [2. Auflage]
 978-3-89180-092-8

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
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Alain de Benoist
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Bernhard Rode
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Einleitung
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1 Allgemeines
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2 Die ideengeschichtliche Entwicklung geopolitischer Lehren der USA vor dem Hintergrund ihrer Expansionsgeschichte
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3 Zusammenfassung
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1 Die Grundelemente der sowjetischen Außenpolitik
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2 Die Außenpolitik der Russischen Föderation
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1 Die Ursprünge
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2 Die Ausgangslage 1945 - Amerikas Plan, die sowjetische Machtsphäre in die Neue Weltwirtschaftsordnung einzubinden, gelingt nicht
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3 Die Unterwerfungsstrategie der USA in der Zeit des Kalten Krieges
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1 Die Ausgangslage
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2 Die USA starten eine Neuauflage des Kalten Krieges gegen die UdSSR
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3 Die USA bestimmen wieder das Gesetz des Handelns
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1 Die US-Machtelite und der islamische Fundamentalismus - eine historische Partnerschaft gegen Eurasien
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2 Der >Bernard-Lewis-PlanKrisenbogensKhomeini-ProjektSajudis< durch die USA
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2 Die Aufforderung Zbigniew Brzezinskis zu einem »kontrollierten Zerfall« der UdSSR
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3 Die Russische Föderation unter Boris Jelzin als eigentlichem Totengräber der Union
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4 Die US-Unterwanderung der Ukraine
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5 Die USA unterminieren Gorbatschows Versuch zur Stärkung des Zentrums - Die UdSSR gerät in die Abhängigkeit des IWF
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1 Übersicht
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2 Die ökonomische Inbesitznahme des russischen Kernraumes
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3 Rußland in geopolitischen Plänen der USA nach der Einschätzung Wjatscheslaw Daschitschews
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4 Das neue >Great Game< - die Strategie der USA zur Kontrolle Zentralasiens, des Kaukasus und seiner Rohstoffe
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IX. Das Wiedererstarken Rußlands unter Wladimir W. Putin und die Fortsetzung der US-amerikanischen Destabilisierungsstrategie
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1 Die strategischen Voraussetzungen der USA unter George W. Bush - der 11. September als Katalysator für die Einbeziehung der US-Militärmacht im kaukasisch-zentralasiatischen Raum
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2 Der 11. September 2001 ermöglicht es den USA, einen kurzfristigen Sieg Moskaus im Pipelinepoker zu durchkreuzen
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3 Die Bedeutung des >Kampfes gegen den Terrorfarbiger Revolutionen< in den eurasischen »Rimlands«
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X. Die Konfrontationslinien des neuen Kalten Krieges zwischen dem transatlantischen Bündnis und der Russischen Föderation
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1 Der Westen strebt die >Liberalisierung< des russischen Energiemarktes an
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2 Der Erdgasstreit mit der Ukraine sowie Weißrußland und Polens Idee einer >Energie-NATONabucco< gegen >MitteIasien-ZentrumGas-OPECRegimewechsel< in Rußland
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6 Das Anlaufen des neuen Kalten Krieges
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XI. Die neue US-Agenda der militärischen Einkreisung Rußlands
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1 Die US-Strategie der globalen militärischen Überlegenheit
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2 Der Georgienkrieg im August 2008 - Amerikas erster Stellvertreterkrieg gegen Rußland
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XII. Grundlagen der US-Eurasienstrategie unter Barack Obama......Page 1005
1 Afghanistan und Pakistan als Ansatzpunkte für die Umsetzung der Eurasienstrategie der Obama-Administration
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2 Die Fortsetzung des Kampfes um die Pipelinekorridore: >South Stream< gegen >NabuccoFull Spectrum Dominance< und der Politik der >RegimewechselImperium Americanum

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Veröffentlichung der Stiftung KULTURKREIS 2000 Band XVIII

Bernhard Rode

Das Eurasische Schachbrett Amerikas neuer Kalter Krieg gegen Rußland

HOHENRAIN TÜBINGEN

Rode, Bernhard: Das Eurasische Schachbrett: Amerikas neuer Kalter Krieg gegen Rußland / Bernhard Rode.- Tübingen : Hohenrain-Verlag 2012 Veröffentlichung der Stiftung Kulturkreis 2000 ; Bd. 18 ISBN 978-3-89180-092-8 NE: Rode, Bernhard; Kulturkreis Zweitausend: Veröffentlichung des Kulturkreis... ISBN 978-3-89180-092-8 ISSN 0931-640X © 2. Auflage 2017 by Hohenrain-Verlag GmbH Postfach 1611, D-72006 Tübingen www.hohenrainverlag.de Gedruckt in Deutschland Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, Vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages sind Vervielfältigungen dieses Buches oder von Buchteilen auf fotomechani­ schem Weg (Fotokopie, Mikrokopie) nicht gestattet.

Inhaltsverzeichnis Vorwort Alain de Benoist - 19 Vorwort Bernhard Rode - 27 Einleitung 31 Kapitel 1

Die Grundlagen der anglo-amerikanischen Geopolitik. Der Gegensatz zwischen Land und Meer - 45 1 Allgemeines - 45 2 Die ideengeschichtliche Entwicklung geopolitischer Lehren der USA vor dem Hintergrund ihrer Expansionsgeschichte - 47 2.1 Die kontinentale Expansion und anschließende A usdehnung in die >westliche Hemisphäre< - 47 2.2 Der Eintritt in die Phase maritimer Expansion - 55 2.2.1 Homer Lea - 58 2.2.2 »The influence of sea-power on modern history«: Alfred Thayer Mahan, der Haupttheoretiker des angelsächsischen Navalismus - 63 2.2.3 »The Geopolitics Man« - Sir Halford Mackinder und sein Weltsystem 68 2.2.4 Freier Welthandel und Internationalismus - 75 2.2.5 Atlantismus - 79 2.3 Der Übergang zum Kalten Krieg - der eurasis che Raum rückt endgültig in den Fokus der amerikanischen Geopolitik - 81 2.4 Das Grundmodell der Nachkriegsordnu ng - die Strategie der Grand Area< - 83 2.5 Die geopolitische Doktrin des Kalten Kri eges - Nicholas Spykman und seine Konzeption des >Heartland and Rimland< - 86 2.6 Zusammenfassung - 92 2.7 »Eurasien als der Siegespokal der Auseinandersetzung zwischen Sowjetuni­ on/Rußland und den USA« - die geopolitische Konzeption Zbigniew Brzezinskis - 94 2.8 >No RivalsProject for The New American Century< - 123 2.9 The Pentagon‘s New Map - Thomas P. M. Barnett und A merikas Plan zur ökonomischen Rekolonialisierung der Welt - 130 3 Zusammenfassung - 139

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett Kapitel 2

Die Grundlagen der russischen Geopolitik seit dem Zerfall der Sowjetunion - 141 1 Die Grundelemente der sowjetischen Außenpolitik - 141 1.1 Kurze Darstellung der Entwicklung der außenpolitischen Doktrinen vor dem Hintergrund ihrer Herausforderungen durch die US-Welthegemonie 141 1.2 Zusammenfassung - 153 2 Die Außenpolitik der Russischen Föderation -155 2.1 Die Gründung der >Gemeinschaft unabhängiger Staaten< (GUS) - 157 2.1.1 Die Rolle Boris Jelzins bei der Auflösung der Sowjetunion und der Zersplitterung der Russischen Föderation in den Jahren 1990 und 1991 - 157 2.1.2 Die Auflösung der UdSSR und die Konstituierung der GUS - 164 2.1.3 Die Bedeutung der GUS für die amerikanische Machtelite - 169 2.2 Die Entwicklung der außenpolitischen Doktrinen der Russischen Föderation — 171 2.2.1 Bedingungslose Hinwendung zum Westen (1991-1992) - 172 2.2.2 Die außenpolitische Priorität des >Nahen Auslands< die Entwicklung einer eigenständigen russischen Geopolitik - 173 2.2.2.1 Schwerpunkte und Prioriäten russischer Geopolitik - 176 2.2.2.1.1 Sicherung der GUS als russischer Interessensphäre vor der Intervention raumfremder Mächte - 176 2.2.2.1.2 Die geopolitische Konzeption der Realisten die außenpolitische Konzeption des Sicherheitsrates vom April 1993 und die Militärdoktrin vom November 1993 - 182 2.2.2.1.3 Die Bedrohung der Russischen Föderation durch die Desintegration der GUS - die GUS als Einfallstor fremder Mächte - 183 2.2.2.1.4 Die Gegenmaßnahmen Moskaus zur Wiedergewin­ nung seines Einflusses in der GUS am Beispiel des aserbaidschanisch-armenischen Konflikts - 188 2.2.2.1.5 Die konkreten Ausgangspunkte und Ziele russischer Geopolitik - 194 2.22.2 Das geopolitische Theorienmodell hinter der Integrationspolitik der GUS - 203 2.2.2.2.1 Die eurasische Konzeption - 204 2.2.2.2.1.1 Der Eurasianismus als >Dritter Weg< zwischen Slawophilen und Westlern - die Bedeutung des Raumes für die kulturell­ politische Einheit Eurasiens - 205

Inhaltsverzeichnis 2.2.2.2.1.2 Eurasianismus als Alternative zum Universalanspruch des Westens raumgebundene Verortung versus westli­ cher Internationalismus - 207 2.2.2.2.1.3 Eurasianismus als geopolitisches Gegen­ modell auf der Grundlage der Ideengänge Carl Schmitts - 208 2.2.2.2.1.4 Zusammenfassung - 225 2.2.3 Der Einfluß des Eurasianismus auf die offiziellen Dokumente der russischen Außen- und Sicherheitspolitik - 227 2.2.3.1 Die >Primakow-Doktrin< - 228 2.2.3.1.1 Exkurs: Der US-amerikanisch organisierte wahabitischislamische Fundamentalismus als gemeinsame Bedro­ hung für die eurasischen Mächte Indien und China und als Grund ihrer Zusammenarbeit mit der Russi­ schen Föderation - 230 2.2.3.1.2 Die »NATO-Rußland-Akte« von 1997 - 232 2.2.3.2 >Anti-NATO< - das strategische Konzept des Vorsitzenden des Geopolitischen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Mitrofanow - 235 2.2.4 Der Eurasianismus in der Konzeption Wladimir W. Putins - 239 2.2.4.1 Putins Bekenntnis zum >starken Staat< und zur >russischen Idee< - 241 2.2.4.2 Die außenpolitische Konzeption Wladimir Putins - 247 2.2.4.2.1 Der US-Universalismus als erklärte Bedrohung für die Russische Föderation - die multipolare Weltordnung als Gegenmodell Putins - 248 2.2.4.2.2 Eine neue Strategie zur Integration der GUS als Grundbaustein der multipolaren Weltordnung - 250 2.2.4.2.3 Die Europäische Union als bedeutendster Bündnispart­ ner gegen die US-Hegemonie - 254 2.2.4.3 Zusammenfassung - 256 Kapitel 3

Die erste Auseinandersetzung um die Kontrolle Eurasiens. Der Erste Kalte Krieg der USA gegen die Sowjetunion - 261 1 Die Ursprünge - 261 1.1 Erste Pläne zur ökonomischen Unterwerfung Rußlands der Jaroschinski-Plan - 262 1.2 Pläne zur territorialen Aufteilung Rußlands - 263 1.3 Die stategischen Zielsetzungen der USA - 266

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

1.4 Das kaukasische Erdöl im Visier des anglo-amerikanischen Kapitals - die Gegenrevolution wird von den britischen Erdölkonzernen unterstützt - 268 1.5 Amerika finanziert und unterstützt die bolschewistische Oktober-Revoluti­ on - 270 2 Die Ausgangslage 1945 - Amerikas Plan, die sowjetische Machtsphäre in die Neue Weltwirtschaftsordnung einzubinden, gelingt nicht - 277 2.1. Die globale >Pax Americana< - Die amerikanische >Grand-AreaBloodstone< - 317 3.4.2.2 Durchführung terroristischer Aktivitäten in der UdSSR mit US-Hilfe- 320 3.4.2.3 Die Inszenierung einer milliardenschweren antisowjetischen Propagandakampagne - 324 3.5 Die Rüstungsspirale oder: Amerika läuft mit sich selbst um die Wette - 325 3.5.1 Die >Bomber-Lücke< - 327 3.5.2 Die >Raketen-Lücke< - 327 3.5.3 Die >Verteidigungausgaben-Lücke< - 329 3.5.4 Die Propagandathese von der >Überlegenheit< der Sowjets - 331 3.6 Die Auswirkungen der amerikanischen Rüstungspolitik auf die ökonomi­ sche Substanz der UdSSR - 332 3.7 Kalter Krieg und Rüstungspolitik als Voraussetzung für die wirtschaftliche Eroberung der UdSSR - 335

Inhaltsverzeichnis Kapitel 4

Die siebziger Jahre - den USA droht der Verlust ihrer unipolaren Hegemonialposition - 337 1 Die Ausgangslage - 337 1.1 Europa stellt die US-Herrschaft in Frage und wird eigentlicher Gewinner der Entspannungspolitik - 338 1.2 Die Gegenstrategien der US-Machtelite - 342 2 Die USA starten eine Neuauflage des Kalten Krieges gegen die UdSSR - 345 2.1 Die China-Karte - 345 2.2 Die offensive Atomkriegsstrategie dur ch Stationierung der Mittel­ streckenraketen - 348 3 Die USA bestimmen wieder das Gesetz des Handelns - 354 Kapitel 5

Der islamische Fundamentalismus als Schöpfung und Verbündeter des angelsächsischen Imperialismus. Die Afghanistan-Falle - 355 1 Die US-Machtelite und der islamische Fundamentalismus - eine historische Partnerschaft gegen Eurasien - 355 2 Der >Bernard-Lewis-PlanKrisenbogens< - 358 3 Das >Khomeini-Projekt< - 361 4 Das Pakistan-Afghanistan-Projekt - 363 4.1 Pakistan als fundamentalistischer antisowjetischer Einkreisungspartner der USA-364 4.2 Afghanistan - das Operationsfeld - 365 4.2.1 Der Putsch Mohammed Dauds im Jahre 1973 - 369 4.2.2 Die >Saur-Revolution< der Kommunisten im April 1978 - 370 4.2.3 Der Geheimplan Zbigniew Brzezinskis - 371 4.2.4 Die Umsetzung des Destabilisierungsplans - 374 4.2.5 Die weitere Entwicklung in Afghanistan - Die USA locken die UdSSR nach Afghanistan - 378 Kapitel 6

Die Reagan-Ära - die Sowjetunion wird in den Untergang getrieben - 385 1 Die strategischen Zielsetzungen der US-Machtelite unter der Präsidentschaft Reagans - 385 2 Die Aktualisierung Alfred Thayer Mahans - 386 3 Die neuen strategischen Richtlinien der Sowjetpolitik der USA - 389 3.1 Die Konzeption des antirussischen >Falken< Richard Pipes - 390 3.2 Das Complete Defence Guidance 1984-1988 - 391 4 Die Umsetzung der indirekten Strategie der Zerstörung der UdSSR - 394 4.1 Die >Strategische Verteidigungsinitiative< (SDI) - 394

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

4.1.1 Die konkreten Hintergründe zum Entschluß zur Verwirklichung des SDI-Programms - 396 4.1.2 Die katastrophale Auswirkung auf die sowjetische Wirtschaft - 398 4.1.3 Die UdSSR strebt eine umfassende Abrüstung an - der Gipfel von Reykjavik - 400 4.1.4 Die Bedeutung der Abrüstungsgespräche für die USA - 402 4.2 Die Schürung und Unterstützung des polnischen Separatismus - 403 4.3 Die verschärfte Unterstützung des >Heiligen Krieges< in Afghanistan - 409 4.3.1 Die USA tragen den islamischen Fundamentalismus in die Sowjetuni­ on - 410 4.3.2 Der islamische Fundamentalismus breitet sich in Sowjet-Zentralasien aus - 413 4.3.3 Die Versuche der UdSSR, den Konflikt zu beenden - 415 4.3.4 Die USA hintertreiben die sowjetischen Bemühungen und verstärken den Konflikt -415 4.3.5 Der Rückzug aus Afghanistan und die erzwungene Kapitulation von Genf - 417 4.3.6 Die Genfer Abkommen sichern den USA Afghanistan als strategisches Vorfeld für das neue >Great Game< und ermöglichen ihnen, die Desin­ tegration der UdSSR zu betreiben - 421 4.4 Die wirtschaftliche Blockade der Sowjetunion - 424 4.4.1 Die US-saudi-arabische Verschwörung zum Sturz des Erdölpreises - 424 4.4.2 Die Auswirkungen auf die sowjetische Wirtschaft: Die UdSSR wird in die Kreditabhängigkeit des Westens getrieben - 426 Kapitel 7

Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion - 429 1 Die heimliche Förderung der litauischen Unabhängigkeitsbewegung >Sajudis< durch die USA - 430 2 Die Aufforderung Zbigniew Brzezinskis zu einem >kontrollierten Zerfall< der UdSSR - 432 3 Die Russische Föderation unter Boris Jelzin als eigentlicher Totengräber der Union - 433 4 Die US-Unterwanderung der Ukraine - 436 5 Die USA unterminieren Gorbatschows Versuch zur Stärkung des Zentrums Die UdSSR gerät in die Abhängigkeit des IWF - 440 5.1 Die Schwierigkeiten bei den Bemühungen Gorbatschows, das Zentrum zu reorganisieren - 440 5.2 Die USA verstärken den Druck auf Gorbatschow - 442

Inhaltsverzeichnis 5.3 Der G-7-Gipfel von London: Die UdSS R wird in die Abhängigkeit des IWF gebracht - 444 5.4 Die US-Unterstützung neoliberaler Machteli ten in den Sowjetrepubliken - 447 5.5 Die >Soft Power< als strategische Waf fe der USA zur Unterwanderung der Sowjetunion - 448 5.6 Zusammenfassung - 450 Kapitel 8

Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren Einbindung und Förderung der Pluralisierung Eurasiens - 453 1 Übersicht - 453 2 Die ökonomische Inbesitznahme des russischen Kernraumes - 455 2.1 Der Börsenspekulant und Bankier George S oros als Wegbereiter - 456 2.2 Das Reformprogramm des Internationalen Währungsfonds - 458 2.3 Der Russischen Föderation wird das IWF-Reformprogramm aufgezwungen - 460 2.3.1 Der Stufenplan zur Enteignung der russischen Volkswirtschaft - 462 2.3.1.1 Die Inflationspolitik Jegor Gajdars, einer Marionette USamerikanischer Wirtschaftsberater - 462 2.3.1.2 Die Privatisierungspolitik Anatoli Tschubais‘ mit Rücken­ deckung des IWF - 464 2.3.1.3 Der IWF erzwingt die Liberalisierung des russischen Außenhandels - 466 2.3.1.4 Die Entstehung einer kriminellen Machtelite in Rußland mit westlicher Hilfe - 467 2.3.1.5 Der Aufstieg der >Oligarchen< und ihre Bedeutung für die US-amerikanischen Pläne - 469 2.3.1.5.1 Boris Beresowski - der Pate im Kreml - 472 2.3.1.5.2 Michail Chodorkowski - der Oligarch, der den USA den Zugriff auf das russische Erdöl einräumte - 476 2.3.1.6 Der IWF erzwingt die gewaltsame Machtübernahme Boris Jelzins gegen die russische Staatsduma - 485 2.3.1.6.1 Die Provokation eines Bürgerkrieges in Rußland durch den IWF - 485 2.3.1.6.2 Die Folgen des vom IWF gewünschten Staatsstreichs Jelzins: Rußland wird in die Abhängig­ keit internationaler Gläubiger getrieben - 488 2.3.1.7 Die IWF-Reformen fördern die Balkanisierung der Russischen Föderation - 490

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2.3.2 Die USA sorgen zusammen mit den Oligarchen für die Wiederwahl ihrer Marionette Boris Jelzin - 491 2.3.3 Die Folge des Wahlsieges Boris Jelzins 1996: Die Oligarchen ergreifen offiziell die Macht in Rußland und begünstigen den weiteren Ausver­ kauf Rußlands - 495 2.3.4 Die Währungskrise 1998 - der russische Schuldenberg wird zum Gegenstand westlicher Spekulanten - 501 2.3.5 Die Auswirkungen von IWF-Reformen und Währungskrise: die Auflö­ sung der wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit der Russischen Föderation - 503 3 Rußland in geopolitischen Plänen der USA nach der Einschätzung Wjatscheslaw Daschitschews - 505 4 Das neue >Great Game< - die Strategie der USA zur Kontrolle Zentralasiens, des Kaukasus und seiner Rohstoffe - 507 4.1 Die Ausgangssituation in Eurasien Anfang der neunziger Jahre: Rußlands Schwäche und die Stärkung der Randmächte - 507 4.2 Die Grundlagen der Eurasienstrategie der USA in den neunziger Jahren - 512 4.2.1 Der »Freedom Support Act« - 515 4.2.2 Regierungsdokumente über die Strategie der >Pluralisierung< Eurasi­ ens - 516 4.2.3 Der »Silk Road Strategy Act« - 517 4.2.4 Die Spaltung der GUS - Aufbau und Förderung des antirussischen Regionalbündnisses der GUUAM - 518 4.2.5 Die Militarisierung der >Neuen Seidenstraße< unter US- und NATOKommando - 521 4.2.6 Der Hintergrund der NATO-Südostexpansion: Die Verwirklichung der >Korridor VIIISchwarzmeer-Strategie< Bruce Jacksons - 527 4.2.6.1 Die Umsetzung der >Korridor VIIISchwarzmeerStrategie< - 534 4.2.7 Zusammenfassung 541 4.3 Die Bedeutung Zentralasiens für die US-Geopolitik - 546 4.3.1 Aserbaidschan und Usbekistan als antirussische - und antiiranische Bollwerke in der US-Geopolitik - 548 4.3.2 Sicherung des zentralasiatischen Erdöls zur Brechung des Preiskartells der OPEC - 555

Inhaltsverzeichnis

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4.3.3 US-Kontrolle Zentralasiens zur Verhinderung eines Wiederaufstiegs Rußlands - Die Pipeline-Frage als Ansatz für die geopolitische Desin­ tegration Eurasiens - 562 4.3.4 Die flankierenden Maßnahmen zur Desintegration Zentralasiens: die militärische Anbindung an die USA und der Start einer Neuauflage des >Bernard-Lewis-Plans< - 568 4.3.4.1 Die Anbindung der zentralasiatischen Staatenwelt an die USA 568 4.3.4.2 Der >Ralph-Peters-Plan< als Grundlage für die »kreative Zerstö­ rung« des Mittleren Ostens, Zentralasiens - und auch Rußlands -570 4.4 Die Vorgeschichte des aktuellen >Great GameGreat Game< im 19. Jahrhundert - 579 4.4.2 David Urquharts >Heiliger Krieg< im Dienste des britischen Empires 583 4.4.3 Das Bündnis des britischen Empires mit dem islamischen Fundamentalismus gegen Rußland in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts - 588 4.4.4 Das Ende des Ersten Weltkrieges: Großbritannien als vorübergehender Gewinner des >Great Game< - 590 4.5 Der indirekte Krieg der USA gegen Rußland um die Pipelinekorridore - Zentralasiens und des Kaukasus - 592 4.5.1 Aserbaidschan als das Zentrum der zentralasiatischen Erdölwirtschaft - 593 4.5.2 Die USA ziehen Aserbaidschan in ihre Hegemonialsphäre und erzwin­ gen die Beendigung des Berg-Karabach-Kofliktes, um Sicherheit für Investitionen herzustellen - 595 4.5.2.1 Der Einfluß der Armenier-Lobby verhindert die Anwendung des »Freedom Support Acts« - 596 4.5.2.2 Der Versuch Rußlands, eine geopolitische Abdrängung vom Kaukasus zu verhindern - 596 4.5.2.3 Die Schachzüge der USA, um Rußland von Aserbaidschan fernzuhalten - 598 4.5.3 Der >Jahrhundertvertrag< - Rußland wird unter Bruch bestehender Verträge aus der aserbaidschanischen Erdöl-Wirtschaft verdrängt - 600 4.5.4 Der Pipeline-Poker beginnt: Die USA planen, das russische Transport­ monopol zu brechen - 604

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett 4.5.4.1 Die bestehenden Pipelinesysteme begünstigen Rußlands Stellung im Pipeline-Poker - 604 4.5.4.2 Die USA entwickeln Gegenstrategien - Die Geburtsstunde der Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC) - 609 4.5.4.3 Die strategische Isolierung des Iran - 619 4.5.4.4 Das Pipelineprojekt Zentralasien-AfghanistanPakistan: ein weiterer Versuch der USA, Rußland und Iran zu isolieren -621 4.5.4.5 Afghanistan als Ausgangspunkt für die >Talibanisierung< und >Wahabisierung< Zentralasiens - 635 4.5.4.6 Die Tschetschenienkriege - die verborgene Agenda der USA -638 4.5.4.6.1 Das Jahr 1991: Rußland verliert die Kontrolle Kriminelle und Islamisten übernehmen die Macht 641 4.5.4.6.2 Die Gründe für den Einmarsch Rußlands in Tschetschenien - 644 4.5.4.6.3 Die verdeckte Unterstützung der tschetsche­ nischen Rebellion durch die USA - 646 4.5.4.6.4 Die ISI-Söldner Bassajew und al-Khattab erzwin­ gen das Abkommen von Khasavjurt und den Abzug der russischen Streitkräfte - 652 4.5.4.6.5 Die Entwicklung in den Jahren 1996-1999: Tschetschenien im Fokus von Mafiosi, Islamisten und der westlichen Finanzelite - 653 4.5.4.6.6 Der zweite Tschetschenienkrieg 1999 - Dagestan gerät in den Fokus von Islamisten und westlicher Hochfinanz - 657 4.5.4.6.7 US-amerikanische Think-Tanks als Förderer des tschetschenischen Separatismus - 666 Kapitel 9

Das Wiedererstarken Rußlands unter Wladimir W. Putin und die Fortsetzung der US-amerikanischen Destabilisierungsstrategie - 673 1 Die strategischen Voraussetzungen der USA unter George W. Bush - der 11. September als Katalysator für die Einbeziehung der US-Militärmacht im kauka­ sisch-zentralasiatischen Raum - 681 2 Der 11. September 2001 ermöglicht es den USA, einen kurzfristigen Sieg Mos­ kaus im Pipelinepoker zu durchkreuzen - 684 3 Die Bedeutung des >Kampfes gegen den Terror< - 695 4 Die USA hintertreiben die russischen Sicherheitsinteressen - 700 5 Der gezielte Aufbau Georgiens zu einem antirussischen Einkreisungspartner 703

Inhaltsverzeichnis 5.1 Die innere Schwäche und Zerrissenh eit Georgiens - 705 5.2 Der außenpolitische Kurs Georgiens: Zurückdrängung des russischen Einflusses vom Kaukasus und Einbindung der Kaukasusregion in EU- und NATO-Strukturen - 709 5.3 Der 11. S eptember ermöglicht es den USA, in Georgien militärisch Fuß zu fassen - 714 6 Die Gegenstrategien der Russischen Föderation unter Wladimir W. Putin: die Renationalisierung des Energiesektors und die Wiedergewinnung des Einflus­ ses in der GUS - 721 6.1 Putins Politik der Reintegration des postsowjetischen Raumes - 723 6.2 Die >Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit< (SCO) - 726 6.2.1 Das ungeschriebene Fundament der SCO: Begrenzung des US-Einflusses in Eurasien - 728 6.2.2 Die SCO als Fundament wirtschaftlicher - insbesonders energiepolitischer - Zusammenarbeit in Eurasien - 731 6.3 Die Renationalisierung und Zentralisierung des Energiesektors in Rußland - 733 6.3.1 Die Zerschlagung des Jukos-Konzerns und der Aufstieg von Gazprom - 736 6.3.2 Der energiepolitische Ausgriff Rußlands auf die GUS-Staaten: die Verschiebung der Machtverhältnisse zugunsten Rußlands - 741 7 Die Gegenstrategie der USA: die Inszenierung »farbiger Revolutionen< in den eurasischen >Rimlands< - 752 7.1 Die Geschichte der US-finanzierten >Non-Government-Organisations< (NGOs) - 757 7.2 Das Netzwerk der »Regimewechsler< in den Händen der US-Machtelite - 764 7.3 Das einheitliche >Drehbuch< der Regimestürze - 769 7.4 Die Beseitigung des Milosevic-Regimes als Muster für einen US-gesteuerten Regimesturz - 770 7.5 Die >Rosenrevolution< in Georgien: Die USA stürzen Schewardnadse und setzen ihren Wunschkandidaten Saakaschwili durch - 773 7.6 Die >Orangene Revolution in der Ukraine: Die USA sorgen für den Sturz Leonid Kutschmas und setzen ihrem Wunschkandidaten Viktor Juschtschenko durch - 785 7.7 Die >Tulpen-Revolution< in Kirgistan: Die USA stürzen den Machthaber Akajew - 802 7.8 Das geopolitische Konzept hinter der Strategie der >Regimewechsel< - 812 7.9 Rußlands Versuch einer Kehrtwende - Der SCO-Gipfel von Andischan Anfang Juli 2005 - 323

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett Kapitel 10

Die Konfrontationslinien des neuen Kalten Krieges zwischen dem transatlantischen Bündnis und der Russischen Föderation - 833 1 Der Westen strebt die >Liberalisierung< des russischen Energiemarktes an - 835 1.1 Die Energiepolitik der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen einer Partnerschaft mit Rußland und US-amerikanischer Domi­ nanz - 835 1.2 Die »Energie-Charta« als Mittel der Europäischen Union zum Aufbrechen des russischen Staatsmonopols - 844 2 Der Erdgasstreit mit der Ukraine sowie Weißrußland und Polens Idee einer >Energie-NATO< - 848 2.1 Die Motive der russischen Seite - 853 2.2 Der Erdgasstreit mit Weißrußland - 837 2.3 Der Wandel der russischen Energiegeopolitik - 861 2.4 Die westliche Gegenstrategie: die Diskussion um die Errichtung einer >Energie-NATO< - 867 3 Der neue Kampf um die Pipelinekorridore: >Nabucco< gegen >MittelasienZentrum< - 875 3.1 Das >NabuccoPluralisierung< Eurasiens gegen Rußland - 878 3.2 Rußlands und Gazproms Gegenstrategie - 880 4. Die Idee der >Gas-OPEC< - 889 5. US-Strategien für einen >Regimewechsel< in Rußland - 893 5.1 Die Vorschläge des Strategiepapiers »Russia‘s Wrong Direction. What the United States can and should do« - 894 5.2 Die Planungsansätze der US-Machtelite zu einem >sanften Regimewechsel< in Rußland - 896 6 Das Anlaufen des neuen Kalten Krieges - 903 Kapitel 11

Die neue US-Agenda der militärischen Einkreisung Rußlands: Raketenabwehrprogramm und Georgienkrieg - 907 1 Die US-Strategie der globalen militärischen Überlegenheit - 908 1.1 Die USA wollen den Atomkrieg wieder führbar machen - 909 1.2 Rußland im Blickfeld US-amerikanischer Nuklear- und Raketenabwehr­ strategie - 911 1.3 Das Raketenabwehrsystem als nationales US-Programm - 917 1.4 Die Gegenreaktionen Rußlands auf das US-Raketenabwehrprogramm 919 2 Der Georgienkrieg im August 2008 - Amerikas erster Stellvertreterkrieg gegen Rußland - 927

Inhaltsverzeichnis 2.1 Die heimliche Unterstützung der antirussisc hen Reunionspolitik Michail Saakaschwilis durch die USA und NATO seit der >Rosenrevolution< -929 2.1.1 Die >Wiedereingliederung< Adschariens - 932 2.1.2 Saakaschwilis Eskalationspolitik gegen Abchasien und Südossetien mit US-amerikanischer Rückendeckung - 933 2.1.3 Die russische Haltung - 939 2.2 Die Aufrüstung Georgiens durch die US A, EU und Israel - 944 2.3 Die Augustkrise 2008 - 946 2.4 Die Streitfrage nach der Urheberschaft des Krieges - 951 2.5 Der NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 als Kriegsbeschleuniger 955 2.6 Die heimliche Unterstützung des georgisc hen Militärschlags durch die USA - 959 2.7 Die russischen Motive - 964 2.8 Die energiepolitische Agenda des Georgi enkrieges - 972 2.9 Die Markierung der neuen geopolitischen Konfrontati onslinien durch den Georgienkrieg - 977 2.9.1 Die Bestrebungen der USA, Georgien nach dem Krieg weiter an den Westen zu binden - 978 2.9.2 Sarkozys umstrittenes Waffenstillstandsabkommen vom 12. August 2008 - 981 2.9.3 Osteuropa und das Schwarze Meer als Brennpunkte des neuen Kalten Krieges zwischen der Russischen Förderation und den USA - 989 Kapitel 12

Grundlagen der US-Eurasienstrategie unter Barack Obama - 1005 1 Afghanistan und Pakistan als Ansatzpunkte für die Umsetzung der Eurasien­ strategie der Obama-Administration - 1016 2 Die Fortsetzung des Kampfes um die Pipelinekorridore: >South Stream< gegen >Nabucco< - 1028 2.1 Rußland baut seine Marktstellung in Zentralasien aus und verdrängt das >NabuccoEU-Ostpartnerschaftspolitik< und der Plan des >südlichen Gas­ korridorsFull Spectrum Dominance< und der Politik der >Regimewechsel< - 1049 5 Frühjahr 2010: Rußland gelingt die Verbesserung seiner geopolitischen Position in Zentralasien, Ostmitteleuropa und der Schwarzmeerregion - 1066 5.1 Das Ende der >orangenen< Revolution - Kiews neuer Präsident Janukowitsch stoppt den antirussischen Kurs der Ukraine - 1066 5.2 Brandherd Kirgistan - Eine >umgekehrte< Tulpenrevolution? - 1072 5.3 Die Fortsetzung des Pipeline-Pokers: >North Stream< und >South Stream< im Vorsprung gegenüber >Nabucco< - 1088 Kapitel 12

Die Gefährdung des >Imperium Americanumungeliebten< Disziplin unter den Sozialwissenschaften. Man hat ihr sogar vorgeworfen, eine >deutsche Wissenschaft< zu sein, was nicht allzuviel besagte, außer daß sie einen Teil ihres ursprünglichen Aufschwungs den vom deutschen Geo­ graphen Friedrich Ratzel (1844-1904) dargelegten Grundlagen der politischen Geo­ graphie verdankt - wobei der Begriff >Geopolitik< zum ersten Mal 1889 vom schwe­ dischen Geographen Rudolf Kjéllen benutzt wurde. In seinem Buch Politische Geographie oder die Geographie der Staaten, des Verkehrs und des Krieges (1907) untersuchte Ratzel die Wechselbeziehung zwischen dem als Lebewesen aufgefaßten Staat und seiner Geographie bzw. seinem Raum. Zu seinen Schülern gehörte der bayerische General Karl Haushofer (1869-1946), der die Zeitschrift für Geopolitik gründete. Indem man den Raum im geopolitischen Sinne und den >Lebensraum< offensichtlich verwechsel­ te, hielt man Karl Haushofer eine gewisse Nähe zum Nationalsozialismus vor - zu Unrecht, nicht nur, weil Haushofer zu keinem Zeitpunkt ein Ideologe des Dritten Reichs war. Hitler empfand mehr Sympathie für die Angelsachsen als für die Sla­ wen. Er führte Krieg gegen Rußland, eine Kontinentalmacht, und hätte sich jederzeit gern mit der Seemacht England verbündet. Hätte er sich zu den Thesen der Geopoli­ tik bekannt, dann hätte er genau umgekehrt handeln müssen. Andere wiederum haben der Geopolitik einen gewissen Determinismus vorge­ worfen. Sie stützt sich nämlich auf eine gewisse Zahl von unveränderlichen Grö­ ßen, die mit dem >TerritoriumBodenlinks< v or allem mit Yves Lacoste, dem Gründer der Zeitschrift Hero­ dote, der die Geopolitik bezeichnet als »das Studium der Wechselbeziehungen zwischen dem Politischen und dem Territorium, den Rivalitäten oder Spannungen, die auf dem Territorium ihren Ursprung haben oder sich dort entwickeln« - oder mit Michel Korinman, dem wir die Übersetzung zahlreicher Texte von Karl Haushofer verdanken, als auch in >rechten Kreisen< vor allem mit A ymeric C hauprade. I nzwi­ schen gibt es ein französisches Institut für Geopolitik, das an der Universität SaintDenis untergebracht ist und von Beatrice Giblin-Delvallet geleitet wird. Von allen Begriffen, die der Geopolitik eigen sind, ist das dialektische Gegen­ satzpaar >Land und Meer< zweifelsohne der bezeichnendste. »Die Weltgeschich­ te«, schrieb Carl Schmitt, »ist eine Geschichte des Kampfes von Seemächten gegen Landmächte und von Landmächten gegen Seemächte.« Diese Ansicht teilten auch der Admiral Castex und viele andere Geopolitiker. Halford Mackinder, zum Bei­ spiel, definiert die britische Macht aufgrund der Beherrschung der Meere u nd Ozea­ ne. Er faßt die Erde als eine Einheit auf, die aus einem »Weltozean«, einer »Weltin­ sel«, die Eurasien sowie Afrika entspricht, und »Randinseln«, Amerika und Australien, besteht. Um die Welt zu beherrschen, müsse man sich der Weltinsel bemächtigen, insbesondere ihres >Herzensinsularen< Logik, die zunächst von England, später von den Vereinigten Staaten von Amerika verkörpert wurde. Carl Schmitt (Land und Meer, 1942) hatte es schon festgestellt: Durch die moderne Technik wur­ de das Meer verwandelt und durch den Raum abgelöst. Das Meer sei kein Element mehr, sondern genauso wie die Luft Raum geworden, »ein Kraftfeld menschlicher Energie, Aktivität und Leistung«. Wie gestern die britische, beruht die amerikani­ sche Vorherrschaft auf der weltweiten Beherrschung der Meere, ergänzt durch die Beherrschung der Luft, sowie auf der fehlenden Einheit des eurasischen Raums. Das sind gewiß alte Problematiken, die sich allerdings nunmehr in ganz anderen Dimensionen äußern. Amerika hat die britische Macht abgelöst. Ganz Eurasien nimmt die Bedeutung ein, die einst Deutschland und Rußland zuteil wurde. Gleich­ zeitig taucht das >Große Spiel< (great game) wieder auf, in dem sich gestern England und Rußland gegenüberstanden und dessen wichtigste Schachfiguren nach wie vor Zentralasien, Mesopotamien, der Iran und Afghanistan sind. Der Gegensatz von Land und Meer geht übrigens weit über die Perspektiven hinaus, die die Geopolitik eröffnet. Das Land ist ein Raum, der sich aus Territorien zusammensetzt, die durch Grenzen voneinander getrennt sind. Die Logik des Lan­ des stützt sich auf klare Unterschiede zwischen Krieg und Frieden, zwischen Kom­ battanten und Nichtkombattanten, zwischen Politik und Handel. Das Land ist schlechthin der Ort der Politik und der Geschichte. »Die politische Existenz ist von rein tellurischem Charakter.« (Adriano Scienca) Das Meer ist dagegen eine unifor­ me Weite, die Negierung der Unterschiede und der Grenzen. Es bildet einen Raum der Ununterscheidbarkeit, es ist die flüssige Entsprechung der Wüste. Da es keinen Mittelpunkt hat, kennt es nur Ebbe und Flut, nur Strömungen, und hierin ist es mit der postmodernen Globalisierung verwandt. Die gegenwärtige Welt ist nämlich eine »flüssige« Welt (Zygmunt Bauman), die dazu neigt, alles, was >geerdetma­ ritimen Logik< her: Der Monotheismus des Marktes folgt der >maritimen< Logik, und es ist kein Zufall, wenn der Kapitalismus vor allem die Züge der Seeräuberei trägt. * Mit den einzelnen Konflikten, die in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts ausbrachen, hat die Geopolitik ihre ganze Legitimität wiedergefunden. Die mei­

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sten dieser Konflikte wurden von den USA geführt. Seit ihren puritanischen Ur­ sprüngen von der Überzeugung geprägt, das >neue auserwählte Volk< zu sein, wollten die Amerikaner sich als universales Modell etablieren, das der ganzen Welt die >Wohltaten< des >American Way of Life< bringen würde, das heißt ein Modell der kommerziellen Zivilisation, das auf dem Vorrang der kommerziellen Werte und auf der Logik des Profits gründet. Diese planetarische Mission sei ihr >offen­ kundiges Schicksal< (Manifest Destinity). Die Geopolitik nun ist genau das Fach, das die Konstanten ihrer Außenpolitik zu erklären ermöglicht. Der Zusammenbruch des sowjetischen Systems, wodurch zugleich die Globali­ sierung ermöglicht wurde, bedeutete für die US-amerikanische Macht die Beseiti­ gung eines gefürchteten Wettstreiters, und sie war nun bemüht, eine unter ihrer Vorherrschaft stehende unipolare Welt zu formen (was man seinerzeit die >Neue WeltordnungR eich des Bösen< (empire of evil). Sie haben sich für den radikalen Islamismus entschieden, den sie allerdings in den Jahrzehnten davor ständig gefördert hatten. Doch in Wirklichkeit ist ihr Hauptziel das gleiche geblie­ ben. Es geht darum, überall auf der Welt das Auftauchen eines Herausforderers zu verhindern, der mit ihnen wettteifern könnte, und vor allem das >HeartlandWeltinselschillernden< farbigen Revolutionen in

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Serbien (2000), Georgien (2003), der Ukraine (2004) und Kirgistan erinnert, die kei­ neswegs spontanen Bewegungen entsprachen, sondern von außen mit der Unter­ stützung des >National Endowment for DemocracyWandschirm< des CIA, organisiert und gefördert wurden. Die Einrichtung eines >KrisenbogensKampfes gegen den Terrorismus< haben die US-Amerikaner Militärbasen in den ehemaligen Sowjetrepubliken Usbe­ kistan, Takistan und Kirgistan installiert (sie mußten allerdings Usbekistan im November 2005 räumen, nachdem das Land sich Moskau angenähert hatte). Das Hauptziel der US-Amerikaner läßt sich mit drei Wörtern zusammenfassen: ein­ kreisen, destabilisieren, balkanisieren. Gleichzeitig geht es darum, eine Erweiterung der NATO auf breiter Basis in Ost­ europa und auf dem Balkan bis zu den Grenzen Rußlands, also innerhalb der ehe­ maligen Sowjetunion, voranzutreiben. Die NATO, die bei der Unterzeichnung des Nordatlantikvertrags am 4. April 1949 gegründet wurde, und zwar zum Schutz Westeuropas gegen die damals als Gefahr angesehene sowjetrussische Macht, ist ein reines Produkt des Kalten Krie­ ges. Nach dem Fall der Berliner Mauer hätte sie aufgelöst werden müssen, wie der Warschauer Pakt aufgelöst wurde, und zwar aus einem ganz verständlichen Grund: Ein Bündnis überlebt nicht die Gründe, die zu seiner Entstehung geführt haben. Dem war aber nicht so, ganz im Gegenteil. Statt zusammen mit der Sowjetunion zu verschwinden, wurde die NATO mit einer neuen Ausdehnung weitergeführt. Die US-Amerikaner haben ohne jegliche Abstimmung oder eingehende Beratung mit ihren Verbündeten deren Mission neu definiert und ihren Zuständigkeitsbereich immer mehr erweitert, zunächst Richtung Mittel- und Osteuropa. Beim Krieg im ehemaligen Jugoslawien konnte man sehen, wie die Atlantische Allianz die militä­ rische Verwaltung der Krise und später die Kontrolle über die Umsetzung der Frie­ densvereinbarungen in die Hand nahm. Die NATO hat sich völlig verändert. Sie richtet mittlerweile Kräfte und Macht auf zuvor völlig ungangbare Bereiche (>out of areawestlichen Werte< und das immer wieder bekräftigte Postulat einer transatlantischen Interessengemeinschaft. Da das internationale Recht inzwi­ schen mehr oder weniger verschwunden ist, ist die NATO somit eine Art Weltpoli­ zei geworden, die im Dienst der amerikanischen Interessen den Zustand der >Ord­ nung< garantieren soll. Die Aufrechterhaltung der NATO hatte aber noch zwei Ziele. Zum einen die Europäische Union weiterhin davon abzubringen, eine gemeinsame und selbstän­ dige europäische Verteidigung aufzubauen. Die Amerikaner waren schon immer der Ansicht, daß sich die europäische Verteidigung darauf beschränke, einen »eu­ ropäischen Pfeiler< der NATO zu bilden. Der Krieg in Afghanistan hat bereits er­ möglicht, Westeuropa nach den Zielen der außenpolitischen Agenda der USA aus­ zurichten. Das zweite Ziel ist die Schwächung der Beziehungen zwischen Rußland und Westeuropa. Die USA haben dabei ganz besonders Deutschland im Visier, an­ gesichts des Ausmaßes der deutschen Verbindungen mit dem Kreml in den Berei­ chen Technologie, Energie, Wirtschaft und Handel. Zur Stärkung ihres >transatlan­ tischen leadership< auf dem europäischen Festland instrumentalisieren die USA den Begriff des >Neuen Europa< (dieses entspricht den proamerikanischen Staaten Mit­ tel- und Osteuropas), um das >Gespenst< eines deutsch-russischen Bündnisses aus­ zutreiben und jegliche Möglichkeit einer Achse Paris-Berlin-Moskau im Keim zu ersticken. In diesem Entwurf wird die Europäische Union zum bloßen amerikani­ schen Brückenkopf in Eurasien. Die USA haben leider bis jetzt von der Gefälligkeit der Europäer profitiert. Letz­ tere wollen keine europäische Verteidigung, die von der NATO unabhängig wäre, sie wollen ebensowenig eine Macht Europa, die sich außerhalb der atlantischen Bindungen aufbauen würde. Sie wollen nicht, was General de Gaulle am 23. Juli 1964 eine »unabhängige europäische Politik« nannte. Die Entscheidung Nicolas Sarkozys, die französischen Militärstrukturen wieder in die NATO einzugliedern, aus der General de Gaulle sie im Jahre 1966 herausgenommen hatte, ist ein gutes Beispiel für die Folgsamkeit der europäischen Vasallen. Parallel zur Einkreisung Rußlands und zur NATO-Erweiterung verstärken die USA ihre Beziehungen zu Australien, Neuseeland, Singapur, Japan und Südkorea - Länder, mit denen sie dank einer ganzen Reihe von militärischen und zwischen­ staatlichen Vereinbarungen verbunden sind. Das Militärbündnis zwischen Washing­ ton und Japan wurde zum Eckpfeiler der US-amerikanischen Sicherheitsstrategie

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im pazifischen A sienraum. Die Verstärkung der Beziehu ngen zu Australien ist eben­ falls Bestandteil einer Politik der Eindämmung (>containmentunfehlbaren< israelischen Verbündeten entwickeln die USA eine offensive Strategie, um die zunehmende Bedeutung des Iran zu unterlaufen, der sie beunruhigt wegen seines Energiereich­ tums, wegen seiner privilegierten Beziehungen zu China und Rußland und wegen seines wachsenden Einflusses im Irak und in den Golfstaaten, wo sich bedeutende schiitische Minderheiten befinden. Schließlich vollziehen die USA gegenwärtig eine spektakuläre Rückkehr in Schwarzafrika, sowohl um den dortigen Einfluß Chinas einzudämmen, als auch um der immer größeren Bedeutung des schwarzen Konti­ nents für die Energieversorgung der Welt Rechnung zu tragen. Um diese aggressive Politik zu entwickeln, fehlt es den USA nicht an technologi­ schen und finanziellen Mitteln. Trotz ihrer großen finanziellen Schwierigkeiten und ihrer ungeheuerlichen Defizite kam ihr ständig wachsender Militäretat im Jahre 2010 der Marke von 683 Milliarden Dollar nahe (gegen 316 Milliarden Dollar 2001!). Er dürfte 2011 708 Milliarden Dollar erreichen, ein kolossaler Betrag, der alle ande­ ren Militäretats der Welt zusammen übersteigt, auch den Etat, der während des Zweiten Weltkriegs, des Kalten Kriegs und der Korea- und Vietnamkriege unter­ halten wurde. Allein diese Zahl ermöglicht, den Grad der Militarisierung der USAußenpolitik zu ermessen. Es fragt sich dennoch, ob die USA nicht die Grenzen ihrer >imperialen< Expansi­ on erreicht haben. Ihre Schwierigkeiten im Inland verschärfen sich. Das DollarSystem, von dem sie soviel profitiert haben, wackelt. Die Weltfinanzkrise, die bei ihnen 2008 begann, haben sie mit voller Wucht zu spüren bekommen. Die Rating­ agenturen haben sie im August 2011 erstmals herabgestuft, indem sie ihnen die oberste Bonitätsnote entzogen haben. In Rußland hat Wladimir Putin, der die USAbsichten klar erkannt zu haben scheint, mit Boris Jelzins katastrophaler Ära, die die Allmacht der >Oligarchen< verankert und abgesichert hatte, eindeutig gebro­ chen. China ist in dem Prozeß seines Erwachens nicht zu bremsen. Die zunehmen­ de Bedeutung der >Schwellenländer< ist für die USA nicht günstig. Die eurasische Strategie der USA bewirkte eine vorhersehbare Annäherung zwi­ schen Rußland und China, die unter anderem im Rahmen der am 15. Juni 2001 gegründeten Shanghai Cooperation Organisation (SCO) konkretisiert wurde. Der SCO gehören außerdem vier zentralasiatische Staaten an, wobei der Iran einen Be­ obachterstatus hat. Bereits im Juli 2001, also zwei Monate vor den Ereignissen des 11. September, haben China und Rußland ein Freundschafts- und Kooperationsab­ kommen unterzeichnet, das eindeutig gegen die USA und das unter ihrer Kontrol­ le stehende asiatische Militärbündnis gerichtet ist. Im übrigen beabsichtigt Ruß­ land, ein neues Rüstungsprogramm im Wert von 650 Milliarden Dollar bis 2020 zu entwickeln, das über 600 Kampfflugzeuge und 20 U-Boote, davon 8 nuklear getrie­

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bene, vorsieht. In China beträgt der Verteidigungsetat für 201192,5 Milliarden Dol­ lar, das entspricht einer Steigerung von 12,7 Prozent gegenüber 2010. Ein jüngst erschienener Bericht der >Strategic Group< des >National Intelligence Council< rech­ net damit, daß China im Jahre 2020 die gleiche Stufe der militärischen Macht er­ reicht haben wird wie die USA. * In seinem monumentalen Werk hat Bernard Rode diese ganze Problematik hervor­ ragend dargelegt. Mit einer beeindruckenden Fülle von Einzelheiten stellt er die Grundlagen der anglo-amerikanischen Geopolitik und die Taktiken dar, die im­ mer wieder zur Einkreisung Rußlands und Chinas in Gang gesetzt wurden. Eben­ so genau beschreibt er die geopolitischen Strategien Rußlands seit der Auflösung des sowjetischen Systems. Er schildert in allen Einzelheiten die gesamte Geschichte dieses >Großen Spielsheiße Frieden< gefolgt ist. Seit dem Ende des sowjetischen Systems befinden wir uns in einem Interreg­ num, in einer Zwischen-Zeit. Der ehemalige Nomos der Erde (im Schmittschen Sinne einer Raumordnung) besteht nicht mehr, und doch lassen sich die Umrisse eines neuen Nomos lassen nur erahnen. Der heutige große Weltkonflikt stellt die konti­ nentale eurasische Macht und die amerikanische Thalassokratie gegeneinander. Es fragt sich nun vor allen Dingen, ob wir uns auf eine unipolare Welt, ein Universum, zubewegen oder auf eine multipolare, ein Pluriversum. Das Problem ist, daß die Europäer sich dessen sehr selten bewußt sind. Die Amerikaner haben zwar viele Fehler, aber eines kann man ihnen nicht absprechen, nämlich sich dessen bewußt zu sein, was global auf dem Spiel steht, und zu versuchen, die künftige Welt zu durchdenken. Auch in Rußland und China denkt man an die kommende Welt. Die Europäer ihrerseits denken - nichts. Sie kümmern sich nur um den gegenwärtigen Augenblick. Sie leben unter dem Horizont der Fatalität, der Unabwendbarkeit. In der Vergangenheit übte die Geopolitik ihre Zwänge hauptsächlich auf der Ebene der Staaten aus, die heutzutage, zumindest in der westlichen Hemisphäre, offensichtlich in eine unumkehrbare Krise geraten sind. Heute bringt die Geopoli­ tik kontinentale Logiken ans Licht, die die unkontrollierten Machenschaften der Staaten lange Zeit verdeckt haben, die aber in Zukunft grundlegender sind denn je. Sie hilft, nicht nur in den Kategorien der Staaten zu denken, sondern auch in denen der Kontinente (Jordis von Lohausen). >Meer gegen Land< - das bedeutet heute: USA gegen den >Rest der WeltWelt­ zentrumsneuen Kalten Krieges< immer mehr zutage. »Der Zerfall der Sowjetunion Ende 1991«, schreibt der ehemalige GorbatschowBerater Wjatscheslaw Daschitschew, »änderte von Grund auf die geopolitische und geostrategische Kräftekonstellation in der Welt«.1 In der Tat befindet sich der geo­ graphische Raum, den einstmals das Sowjetreich umfaßte, auch gut 20 Jahre nach dessen Ende nach wie vor in Bewegung. Die Russische Föderation selbst hat es geschafft, sich nach den chaotischen Verhältnissen der Jelzin-Ära in den neunziger Jahren, die den Staat in eine Agonie, ja gewissermaßen in eine neue >SmutaObervolta mit Atomwaffen« betrachtet worden war, haben Anfang des 21. Jahrhunderts unter der Präsident­ schaft Putins Erdgas und Erdöl die Voraussetzung für den Wiederaufstieg Ruß­ lands zur Weltmacht und zu einem fundamentalen geopolitischen Spieler geschaf­ fen. In den Brennpunkten des eurasischen Raumes, in der Kaukasusregion und Zentralasien, sind heute die Schlachtfelder des verdeckten indirekten Krieges zwi­ schen den USA und der Russischen Föderation zu orten. Was vordergründig wie zwischenethnische Konflikte und Sezessionskriege aussieht, entpuppt sich bei nä­ herem Hinsehen als >Stellvertreterkrieg< um die Kontrolle der Rohstoffe Eurasiens, und mit dem Vorwand der >Terrorismusbekämpfung« ist der US-Militärmacht der Vorstoß in den >weichen Unterleib< der ehemaligen Sowjetunion gelungen. Fragt man heute nach den Ursachen der Implosion der Sowjetunion, des dama­ ligen eurasischen Herausforderers der US-Hegemonie, wird sofort auf die politi­ sche Unfähigkeit und Widersprüchlichkeit des kommunistischen Systems und des­ sen ökonomische Unwirksamkeit hingewiesen, wodurch latente Konfliktherde lediglich dauerhaft unterdrückt worden seien, die sich nunmehr nach dem zwangs­ läufigen Zusammenbruch des Systems gewaltsam entladen würden. Diese Betrachtungsweise ist jedoch nur die halbe Wahrheit und läßt die Rolle der USA und ihrer Machtelite gänzlich außer Betracht, deren strategisches Ziel von Anfang an die Beseitigung des kontinental-eurasischen Gegenspielers war und ist, um ein globales, nach ihren ökonomischen und politischen Prinzipien konstruier­ tes Ordnungskonzept umsetzen zu können. Diesem Ziel aber stand ein möglicher

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Erfolg des Gegenspielers im Weg: »Die ganze Welt«, so erklärte US-Präsident Tru­ seinerzeit, »sollte daher das amerikanische System übernehmen.« Denn »das amerikanische System kann (selbst) in Amerika nur überleben, wenn es das System der ganzen Welt wird«.3 Mit anderen Worten: Wir Amerikaner müssen unser Sy­ stem der ganzen Welt auferlegen, oder wir werden zugrunde gehen. Die Herrschaft, die wir über die Welt ausüben, ist die Voraussetzung unserer eigenen Existenz. An diesem Ziel hat sich bis heute nichts geändert: »Wenn die Globalisierung funktio­ nieren soll, darf sich Amerika nicht davor fürchten, als die unüberwindliche Super­ macht zu handeln, die es in Wirklichkeit ist... Die unsichtbare Hand des Markts wird ohne sichtbare Faust nicht funktionieren. McDonald‘s kann nicht expandie­ ren ohne McDonnel Douglas, den Hersteller der F-15. Und die sichtbare Faust, die die globale Sicherheit der Technologie des Silicon Valley verbürgt, heißt US-Ar­ mee, US-Luftwaffe, US-Kriegsmarine und US-Marinekorps.«4 Derjenige, der das sagte, war nicht irgendein unbedeutender Zeitungsredakteur, sondern Thomas Friedman, ehemaliger Sonderberater der US-Außenministerin Madeleine Albright unter der Regierung Clinton. Dieses Ziel kann aber nicht er­ reicht werden ohne die ökonomische Inbesitznahme des eurasischen Kontinents, des >heartland< (Herzland), von dessen strategischem Besitz nach den Ansichten des englischen Geopolitikers Halford Mackinder die Weltherrschaft abhängt. Und um dieses Ziel zu erreichen, haben die USA unterschiedliche Anläufe gestartet: Sie finanzierten die Oktoberrevolution, mit deren Hilfe sich die amerikanische Indus­ trie den Zugriff auf die Bodenschätze dieses Raumes sichern wollte. Als sich aber das neue Regime von diesen Geldgebern loslöste (bekanntlich wurden die von den USA finanzierten Revolutionäre - wie z. B. Leo Trotzki - während der Stalin-Ära im Rahmen der großen Säuberungen liquidiert) und sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr in den Dachverband der neuen Weltordnung ein­ gliedern wollte, brachen die USA den Kalten Krieg gegen die Sowjetunion vom Zaun, und zwar - wie in diesem Buch aufgezeigt wird - mit offensiven Mitteln. Es waren »die Vertreter der Großbanken, der Großindustrie und des internationalen Handels«, die einen solchen Kurswechsel seit langem befürwortet hatten.5 Daß das kommunistische System weder ökonomisch noch politisch-militärisch geeignet war, die Integrität des Vielvölkerreiches und seinen Status als konkurrie­ rende Weltmacht aufrechtzuerhalten, hatten bereits hellsichtige Politikexperten früh­ zeitig erkannt.6 Diese systemimmanente Schwäche förderten die USA mit allen Mitteln, um dem Imperium den Todesstoß zu versetzen. Sie erzwangen einen Rüs­ tungswettlauf unter dem Vorwand, der Westen sei dem militärischen Potential des Ostens unterlegen, und versuchten, durch Organisation und Finanzierung waha­ bitisch-islamistischer Gotteskrieger an der südlichen Peripherie des Sowjetreiches einen Brandherd zu legen, um es zu einem zehnjährigen Abnutzungskrieg heraus­ zufordern, an dessen Konsequenzen das Land ökonomisch zusammenbrechen mußte. Damit war die Zeit reif für eine ökonomische Inbesitznahme und Unterwerfung

man

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des Landes. Hierbei spielten die Einrichtungen der westlichen Hochfinanz wie IWF und Weltbank eine überaus wichtige Rolle, deren Reformen das Sozialgefüge der russischen Gesellschaft zerstörten, mit der westlichen Hochfinanz liierte Mafiakräfte entstehen ließen, aber die volkwirtschaftliche Lähmung Rußlands verstärkten. Bei dieser Filetierung des eurasischen Raumes richtete sich das Augenmerk der USA auf die Region des Kaukasus und der Kaspischen Region mit ihrem auch heute noch nicht ganz ausgeloteten Erdöl- und Erdgasreservoir. Dem ökonomischen Vor­ stoß der USA in diese Region, der offiziell 1994 mit der Unterzeichnung des >Jahrhundertvertrages< zwischen Aserbaidschan und anglo-amerikanischen Erdölkon­ zemenbegann und mit der Verwirklichung von Pipelineprojekten, die die Isolierung und Abdrängung Rußlands vom zentralasiatischen Rohstoffmarkt zum Ziel ha­ ben, fortgesetzt wurde, folgte im Zuge der Ereignisse des 11. September 2001 unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung die militärische Einbeziehung der USMacht. Rußland versucht, durch diplomatischen und militärischen Druck und nicht zuletzt unter Einsatz der >EnergiewaffeGreat Game< (>Großen Spiel>) wird im US-Außenministerium höchste Aufmerksamkeit entgegengebracht, und jede Reaktion Rußlands, seine De­ fensivlage zu überwinden, wird dort empfindlich wahrgenommen. Schon im Jahre 2000 schrieb Peter Scholl-Latour, daß mit einem Wiedererstarken der russischen Stellung in der Region zwischen Kaspischem Meer und der chinesischen XinjiangProvinz es zu einer ökonomischen und strategischen Umschichtung kommen könn­ te, was in Washington helle Sorgen auslösen dürfte. »Noch vor einem Jahr glaubte jeder, es sei den großen amerikanischen Energiekonzernen gelungen, die Russen aus ihren Einflußzonen im Südkaukasus und Zentralasien zu verdrängen. Es schien, als hätten sie die Ausbeutung der gewaltigen Vorkommen an Erdöl und Erdgas dieser Region sowie deren Abtransport über nichtrussisches Territorium endgültig an sich gerissen.«7 Man befürchtete, daß sich Putin hier gegen die Allmacht der US-Konzerne durch­ setzen könnte. In dieser Region wird deutlich, daß zwischen den expansiv ausge­ richteten USA und dem nach strategischer und geopolitischer Selbstbehauptung strebenden Rußland der Kalte Krieg nicht beendet, sondern vielmehr seine Fortset­ zung gefunden hat. Der Wiederaufstieg Rußlands zur >Energiesupermacht< unter Putin hat die USMachtelite vor ernsthafte Herausforderungen gestellt: Man hatte erkannt, daß eine Einflußnahme auf die inneren Verhältnisse nicht ausreichend war, um den End­ kampf um die Kontrolle Eurasiens erfolgreich zum Abschluß bringen zu können. Zur Verwirklichung des Beherrschungskonzepts gehen die USA deshalb daran, durch Förderung der Loslösung der Randstaaten der 1991 neugegründeten Gemein­ schaft Unabhängiger Staaten (GUS) Rußland einzukreisen und in die Zange zu neh­ men. Die Ost- und Südostexpansion der NATO, die seit 1997 offensiv betrieben wird und mit der Errichtung eines antirussischen Regionalbündnisses der GUUAM

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1999 sowie dem Erweiterungsprozeß von Istanbul 2004 noch nicht abgeschlossen ist, spielt hierbei eine besondere Rolle und macht deutlich, daß das atlantische Bünd­ nis bereits von Anfang an als ein Instrumentarium amerikanischer Hegemonialbe­ strebungen aufgefaßt war mit dem Zweck, die USA - wie es US-Präsident George Bush 1990 formuliert hatte - als »europäische (eigentlich eurasische, der Verf.) Macht« zu errichten. Auch irreguläre >covert actions< stehen auf dieser Agenda - mit der Finanzie­ rung und Organisation prowestlicher Umstürze wie in der Ukraine und Georgien durch die westliche Hochfinanz wie der >Soros-Foundation< und verschiedener CIAgesteuerter >Non-Gouvernment-Organisations< wird die dauerhafte Ausschaltung des russischen Einflusses an neuralgischen geopolitischen Punkten der GUS ange­ strebt. Durch die Förderung großräumiger Pipelineprojekte wie der Transkauka­ sus-Erdölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan oder der Erdgaspipeline >Nabucco< sollen alternative Ost-West-Energiekorridore - militärisch durch die NATO abgesichert geschaffen werden, deren Absicht in der Abdrängung Rußlands in die strategische Isolation liegt. Notfalls schreckt die US-Machtelite auch vor der Inszenierung eines Stellvertreterkrieges - beispielsweise des Georgienkrieges im August/September 2008 - nicht zurück, um ihre geopolitischen Vorhaben zu beschleunigen. Rußland auf der anderen Seite ist bestrebt, diese Strategie der USA zu unterlau­ fen: Es fördert einerseits die Entstehung bündnispolitischer Gegengewichte wie der >Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit< (SCO), der eurasischen Vertrags­ organisation von Taschkent oder des wirtschaftspolitischen Konsultationsforums BRIC, bestehend aus den neuen aufsteigenden Wirtschaftmächten Brasilien, Ruß­ land, Indien und China. Ferner setzt Moskau auf den Machtfaktor Energie: Mit Hilfe seines >energiegeopolitischen Schwertesinformelles Impe­ rium< - zu durchkreuzen. Um die Hintergründe dieser Entwicklungen nachvollziehen zu können, wird es unvermeidbar sein, auf die Grundsätze kontinentaler und amerikanischer Geopolitik näher einzugehen. Sie liefern gewissermaßen die Blaupause, das Handlungskon­ zept der Mächte, ohne deren Kenntnis ihr Handeln nicht verstanden werden kann. Geopolitik ist - wie es in Webster's New Encyclopaedic Dictionary 1990 definiert wur­ de - »die Untersuchung des Einflusses von Faktoren wie Geographie, Ökonomie und Bevölkerungszahl auf die Politik, insbesondere die Außenpolitik eines Staa­ tes«, oder, um mit dem französischen Geopolitiker Yves Lacoste zu sprechen, die Lehre von der »Rivalität um Macht und Territorium«,8 auf die nunmehr einzuge­ hen ist. Dies gilt um so mehr für Deutschland, denn gerade dort hat man - so der Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Nikolas Busse - es versäumt, wieder geopolitisch zu denken, zu debattieren und zu handeln.

Einleitung Nach Ansicht sämtlicher US-amerikanischen Strategen wird die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts bestimmt sein durch den Gegensatz zwischen den USA und der Volksrepublik China. »Die Volksrepublik China...«, so die Strategen Richard Bern­ stein und Ross M. Munro,9 »und die Vereinigten Staaten von Amerika... haben sich zu globalen Gegnern entwickelt. Ihr Verhältnis ist angespannt, ihre Interessen widersprechen einander, und ihrer Beziehung stehen gefährliche Zeiten bevor. Etwa vor einem Jahrzehnt, Mitte der achtziger Jahre, betrachteten die beiden Großmäch­ te des Pazifiks einander als gegenwärtige und zukünftige strategische Partner, de­ ren Notgemeinschaft auf dem gemeinsamen Interesse, die Vorherrschaft der Sow­ jetunion in Asien zu verhindern, beruhte... Sollten China in seiner aggressiven und die Vereinigten Staaten in ihrer naiven Haltung verharren, könnte der sich zwischen den beiden Länden abzeichnende Konflikt sogar zu militärischen Ausei­ nandersetzungen führen.«10 Dabei heben die Autoren deutlich den Hintergrund dieses Konfliktes hervor: »Immerhin waren die Vereinigten Staaten im letzten halben Jahrhundert dreimal an bedeutenden Kriegen in Asien beteiligt, um stets aufs neue zu verhindern, daß ein einziges Land die Vorherrschaft in dieser Region der Welt erringt (Hervorhebung durch den Verf.). Und es besteht kaum ein Zweifel daran, daß China innerhalb der näch­ sten ein oder zwei Jahrzehnte an seiner Seite des Pazifiks zur dominanten Groß­ macht aufsteigen wird. Aber auch ohne einen echten Krieg wird die Rivalität zwi­ schen China und den USA der erste große weltweite Konflikt des 21. Jahrhunderts sein.« In ihrem Werk beschreiben Bernstein und Munro das strategische Ziel der USA in Asien über einen Zeitraum von zumindest 100 Jahren mit folgender Maxi­ me: die Vorherrschaft eines einzelnen Landes in dieser Region zu verhindern.11 Da im 21. Jahrhundert China diejenige Macht sei, die genau danach strebe, müßten seine Be­ strebungen und die amerikanischen Interessen zwangsläufig kollidieren. Damit scheint nach dem Zerfall der Sowjetunion China die Rolle des kontinenta­ len Gegenspielers der amerikanischen Thalassokratie (Seemacht) übernommen zu haben. Doch wie verhält es sich nunmehr mit der Rolle der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, insbesondere der Russischen Föderation, in dieser Phase geopoliti­ scher Neuorientierung und Neupositionierung? Spielen sie als strategische Fakto­ ren keine entscheidende Rolle mehr? Welche strategischen Interessen verfolgten die Vereinigten Staaten in bezug auf diesen Raum in der jüngeren Geschichte und insbesondere nach dem Zerfall der Sowjetunion? Von welchen Leitlinien wird die Eurasienpolitik der USA bestimmt, und wie und mit welchen Konzepten definiert demgegenüber die Russische Föderation ihre Position? In diesem Buch wird auf­ zuzeigen sein, mit welchen Mitteln die Vereinigten Staaten ihre Zielsetzung, die Vorherrschaft einer einzigen Macht auf dem eurasischen Kontinent zu verhindern, sicherzustellen bestrebt waren und immer noch sind. Insbesondere wird auch die

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Rolle der NATO zu untersuchen sein, die in den vergangenen 20 Jahren seit ihrem Gipfel in Rom im Jahre 1990 eine Umwandlung zu einem globalen neoimperialisti­ schen Interventionsbündnis erlebt. Zur Zeiten des Kalten Krieges, so meint der französische geopolitische Schrift­ steller Yves Lacoste, Herausgeber des politisch-geographischen Magazins Herodo­ te, hätte man geopolitische Faktoren ohne weiteres in den >Eisschrank< legen kön­ nen. In Deutschland war die geopolitische Wissenschaft als Erklärungsmodell weltpolitischer Vorgänge und des diplomatisch-militärisch-ökonomischen Handelns von Großmächten ohnehin zur einer vergessenen Disziplin geworden. Seit dem Fall der Berliner Mauer und der Implosion des Sowjetreichs aber gewinnt diese Dimension erneut an Bedeutung. Insoweit - so Lacoste - sei nunmehr von einer Wiedergeburt der Geopolitik zu sprechen12 - die sich mittlerweile bereits in außer­ ordentlichem Maß zur (alleinigen) Handlungsmaxime der großen Mächte entwi­ ckelt hat. Sichtbar wird dies nicht nur in dem oben beschriebenen sino-amerikanischen Gegensatz, sondern auch in den Entwicklungen im übrigen eurasischen Raum, in dem sich gerade die Russische Föderation nach der Sezession ihrer Peripherien an mehreren Fronten neu behaupten muß. Ohne Berücksichtigung fundamentaler ge­ opolitischer Grundsätze können die Vorgänge in Eurasien und das diplomatisch­ militärische Verhalten der Russischen Föderation und ihres Gegenspielers, der USA, nicht begriffen werden. Allein durch das Verständnis geopolitischer Konzeptionen wird überhaupt erst nachvollziehbar, warum die Weltpolitik auch des 21. Jahrhun­ derts von einem amerikanisch-eurasischen Gegensatz bestimmt sein muß: »Cha­ rakteristisch für geopolitisch geprägte Weltbilder ist es, daß zwischen den wie auch immer definierten regionalen Einheiten eine zumindest latente Konkurrenz ange­ nommen wird. Unter diesem Blickwinkel erscheinen globale Wandlungsprozesse ... als Ergebnis der Auseinandersetzung zwischen verschiedenen regional veran­ kerten Kräften: zwischen Land- und Seemächten, zwischen der >freien< und der >unfreien< Welt, zwischen religiösen und kulturellen Strömungen oder zwischen wirtschaftlichen Wachstumspolen. Geopolitische Weltbilder sind daher auf Dyna­ mik angelegt.«13 Wie kann aber die gegenwärtige sicherheitspolitische Lage Rußlands beschrie­ ben werden? Mit oder ohne die übrigen Staaten der 1991 gegründeten Gemeinschaft Unab­ hängiger Staaten (GUS) wird Rußland aufgrund seiner Fläche, Bevölkerung und Streitkräfte den Status einer Großmacht von globalem Gewicht behalten und ne­ ben China nach wie vor ein entscheidender Spieler auf dem eurasischen Schach­ brett bleiben. Allerdings ist sich die Russische Föderation mit der Sezession der Randstaaten 1991 ihrer nachteiligen geopolitischen Lage bewußt geworden. Ruß­ land wurde gewissermaßen zurückgedrängt in die Isolation des eurasischen Kern­ raumes. Die Beschränkung des Zugangs zur Ostsee auf St. Petersburg und der Re­ gion Nordostpreußen mit Königsberg, die mit der Unabhängigkeit der baltischen

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Staatenwelt eingetreten ist, der Verlust der Schwarzmeerküste bis auf einen schma­ len Küstenstreifen zwischen der Mündung des Don und der von Georgien bean­ spruchten Provinz Abchasien, das Ausfransen des Kaukasus und das Vorrücken des wahabitisch-islamischen Fundamentalismus in der kaspisch-zentralasiatischen Region sowie die ökonomisch-demographische Abdrängung in Ostsibirien und der Amurregion durch China unterstreichen dies. Verschärft wird diese Konfliktsitua­ tion weiterhin mit den Verlust von Einflußzonen durch das Vordringen des westli­ chen Militärbündnisses in jene Region, die Rußland für sich als das >Nahe Aus­ land< als strategische Pufferzone beansprucht. Zum realistischen Verständnis des außenpolitischen Verhaltens Rußlands weist der geopolitische Schrifsteller Alfred Zänker darauf hin, daß nicht vergessen wer­ den dürfe, daß das russische Staatswesen in einem langen Kampf gegen äußere Invasoren entstanden sei: gegen Tataren, Schweden, Polen, gegen Napoleon und Hitler. In seiner wechselvollen Geschichte habe sich Rußland oftmals in die Defen­ sive begeben müssen mit raschen Rückzügen in den russischen Kernraum, passi­ vem Widerstand in Zeiten äußerer Bedrohungen und innerer Schwäche, um später zum Gegenschlag ausholen zu können und verlorenen Boden zurückzugewinnen.14 Vor diesem Hintergrund ist die Außen- und Sicherheitspolitik sowohl der Zaren als auch der kommunistischen Machthaber auszulegen: Es kommt darauf an, den Kernraum, der aufgrund seiner Zentrallage stets Einkreisungsgefahren ausgesetzt ist, und dessen langgezogene, offene Grenzen im Osten, Westen und Süden mit einem Glacis,15 einer weit ausgedehnten Pufferzone auszustatten. Der Besitz von derartigen Vorfeldern ist das Anliegen aller Staaten, die sich in einer exponierten Zentrallage befinden und wegen des Fehlens natürlicher Bastionen wie Flüsse und Gebirge gegen potentielle Invasoren einer extremen territorialen Verwundbarkeit ausgesetzt sind. Die Sicherung des Glacis sowie idealerweise auch natürlicher Bar­ rieren bildet deshalb den Idealfall einer kontinentalen Verteidigung, denn erst sol­ che Vorfelder machen das Zentralland zu einer vollendeten Festung und somit zu einer strategischen Insel.16 Die Weite des eurasischen Kontinents, die fehlenden natürlichen Grenzen und der ebensogroße Mangel an einem Zugang zum offenen Meer waren (und sind) deshalb prägende Faktoren für die Entwicklung des russischen Staatswesens,17 des­ sen geostrategisches Kernstück innerhalb des großen Dreiecks Moskau im Westen, Omsk in Sibirien sowie Baku an der Küste des Kaspischen Meeres angesiedelt ist.18 Die Vorfelder, die um dieses strategische Zentrum herum angesiedelt sind, lassen sich in zwei Einflußbereiche einteilen: zum einen den slawischen und baltischen Bereich im Wes ten u nd Nordwesten, zu dem Estland , Lettland, Litauen sow ie Weiß­ rußland und die Ukraine gehören, und zum anderen die Regionen, die heute der übrigen Gemeinschaft Unabhängiger Staaten im Kaukasus und Mittelasien entspre­ chen.19 Die großen Entfernungen, durch die der russische Kernraum von den Auf­ marschräumen etwaiger Invasoren getrennt ist, verbessern mit der Kontrolle die­ ser Peripherien die sicherheitspolitischen Interessen Rußlands erheblich: Das

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ostmitteleuropäische Vorfeld im Westen, die kalte Klimazone im Norden, die sibi­ rische Taiga im Osten sowie die Wüsten und Gebirge in Zentralasien bilden zu­ sammen einen äußeren Verteidigungsring von großer Tiefe, die einem Angreifer zu Land nur wenig Möglichkeiten läßt.20 Aus diesem Grund zog die Sowjetunion - Heinz Brill zufolge - nach 1945 gerade vor dem Hintergrund der Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs auf ihrem Terri­ torium und der Tatsache, daß zuvor schon die imperialistischen Siegermächte des Ersten Weltkrieges die durch Bürgerkrieg hervorgerufene Schwäche des russischen Reiches ausnutzten, um sich der Rohstofflager dieses Raumes zu bemächtigen und die Region zu zerstückeln, den Schluß, zwei geostrategische Maximen zu verwirk­ lichen: 1. Die Staatenwelt Ostmitteleuropas, die in den Pariser Vorortverträgen 1919 sowohl als antideutscher wie auch als antirussischer Cordon sanitaire konstruiert und bündnispolitisch zur sogenannten >Kleinen Entente< zusammengefaßt wur­ de,21 dem eigenen Einflußbereich einzuverleiben und 2. auf einem Machtzuwachs zu beharren, der der Sowjetunion die Kontrolle über die östlichen Teile Deutschlands gestattete und so den alten Sicherheitsgürtel um einige hundert Kilometer nach Westen vorverlegte.22 Die Durchdringung der Staatenwelt des >Cordon sanitaire< durch die jeweiligen kommunistischen Bewegungen, die von Moskau auch nach Kräften gefördert wur­ den, hatte dabei nur den Zweck, eine ideologische Klammer zwischen Zentrum und Peripherie herzustellen. Zum gleichen Zweck trug die Sowjetunion auch Sor­ ge dafür, daß der ideologische Kurs in den kommunistischen Bewegungen Ostmit­ teleuropas in Moskau definiert wurde und nationale abweichlerische Bestrebun­ gen innerhalb des Blocks keinen politischen Einfluß bekamen.23 Die Durchsetzung dieser Kriegsziele hatte der Sowjetunion insbesondere im mittel- und osteuropäischen Raum durch eine kontrollierte innere Linie erhebliche strategische Vorteile gebracht. »Das Vorfeld zwischen der Ostsee und dem Schwar­ zen Meer erfüllte für die Sowjetunion eine doppelte Funktion: Einmal bildete es einen >Cordon sanitaireAbschneidung< vom Meer muß man ebenfalls sprechen, wenn ein Staat zwar Küstenbesitz aufweist, der aber von der Natur allzu stiefmütterlich be­ dacht ist. Rußland ist seit etwa 1600 mit der größten Festlandsküste ausgestattet, die jemals ein Land der Erde besessen hat. Die Gesamtlänge seiner Kontineritalkü­ ste betrug in Luftlinie 13000, mit allen Buchten 49000 km, aber dieser gesamte un­ geheure Küstenbesitz konnte dennoch nicht verhindern, daß Rußland sich - mit vollem Recht - vom Meere >abgeschnitten< fühlte. An nicht weniger als sieben Mee­ re grenzt der russische Staatskörper an, und dennoch ist sein Drang nach dem Meer nicht gestillt, denn jene sieben Meeresküsten (Ostsee, Weißes Meer, Eismeer, Schwar­ zes Meer, Kaspisches Meer, Stiller Ozean, Japanisches Meer) müssen in der Tat

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zumeist als unzureichend bezeichnet werden. Das Moskowiterreich der Zaren, vorher ein reiner Binnenlandstaat, hatte bereits im 16. Jahrhundert am Weißen Meer eine eigene Seeküste erlangt. Peter der Grosse eroberte dann mit den bezeichnen­ den Worten, >Ich suche nicht Land, ich suche Wasser< die schwedisch-baltischen Ostseeprovinzen. Vorher schon (1696) hatte er sein Reich südwärts bis ans Schwar­ ze Meer ausgedehnt. Aber Rußlands Meeresverlangen war nicht gestillt. Alle Hä­ fen waren alljährlich monatelang durch Eis gesperrt; das dauernd benutzbare, das >warme< Meer hatte es nicht erreicht! Zudem waren die neuen russischen Häfen politisch aufs stärkste entwertet, da sowohl an der Ostsee wie am Schwarzen Meer die russischen Schiffe... gefangen waren und nur durch schlauchartig enge Zu­ gänge, die leicht zu überwachen und zu sperren waren, mit dem offenen Weltmeer Verbindung hatten. Auch die Erwerbung Finnlands im Frieden von Frederikshamm (17. September 1809) führte nicht weiter. Am Schwarzen Meer erwirkte die engli­ sche Eifersucht sogar eigene Staatsverträge, die den russischen Kriegsschiffen die Ausfahrt durch den Bosporus ausdrücklich verboten (Londoner Abkommen vom 13. Juli 1841, Pariser Friede vom 30. März 1856, Berliner Kongreßakte vom 13. Juli 1878). Erst seit 1936 hat Rußland durch die neuen Abmachungen von Montreux für seine Schiffe in Friedenszeiten die nahezu ungehinderte Durchfahrt durch die Meer­ engen erlangt... Das dritte große Meer Rußlands, das Kaspische, steht mit dem Weltmeer über­ haupt nicht in Verbindung. Als es dem Zarenreich endlich 1860 gelang, in Ostasien an die besser schiffbaren Meere heranzukommen und Wladiwostok, die >Herrin des Ostenspachtete< Rußland von China die Kwangtung-Halbinsel mit Port Arthur. Um die Jahrhundertwende stand Rußland, wenn auch nur mit einem vorgeschobenen Posten, am warmen Meer. Aber dieser hing nur durch einen einzigen, leicht abzuschneidenden Schienenstrang, die Nordmandschurische Bahn, über chinesisches Gebiet mit dem Mutterland zu­ sammen. Überdies entriß schon 1905 das siegreiche Japan dem Zarenreich den heiß­ begehrten Küstenbesitz wieder... Der Kriegsausgang (1918, der Verf.) hat dann Rußland auch noch seine relativ eisfreiesten Häfen an der Ostsee genommen (Li­ bau, Windau, Riga, Pernau, Baltischport, Reval, Wiborg, Helsingfors, Abo) und ihm nur Petersburg-Leningrad als einzigen Ostseehafen gelassen, der jährlich vier Mo­ nate lang vereist ist.«28 Die Bedeutung der See für die russische Kontinentalmacht wurde auch zu Sowjet­

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zeiten weiterhin diskutiert. Der Schöpfer der sowjetischen Kriegsflotte, Sergej G. Gortschkow, erkannte die ungeheure Bedeutung der Weltmeere für den Anspruch der Sowjetunion, eine den USA ebenbürtige Weltmacht zu sein. Er spottete über das »Märchen von der Landgebundenheit der russischen Nation und aller sowjeti­ schen Menschen«. Vielmehr habe die industrielle und die waffentechnische Ent­ wicklung den klassischen Unterschied zwischen Landmacht und Seemacht aufge­ hoben, wodurch Rußlands traditionelle Rolle als Verkörperung einer reinen Kontinentalmacht beseitigt sei. Die Wendung zur See vollzog sich in der Sowjetunion in dem Augenblick, da man in Moskau erkannt hatte, daß im 20. Jahrhundert ein Großstaat, der sich nur auf den kontinentalen Raum stützt, unfähig sei, Weltpolitik als Weltmacht zu be­ treiben, daß Weltmacht also nichts anderes heiße als Seemacht. Admiral Gortsch­ kow erschien es unerläßlich, die sowjetische Flotte in eine reale Kraft zu verwan­ deln, die die staatlichen Interessen der Sowjetunion auf den Weltmeeren vertrete und ebenso jene der gesamten sozialistischen Staatengemeinschaft.29 »Die Bedeutung der Meere für die Entwicklung der Produktivkräfte und die Anhäufung von Reichtümern durch die Staaten«, so schreibt Admiral G ortschkow,30 »läßt sich nicht hoch genug einschätzen... Staaten mit einer seefahrenden Bevölke­ rung haben es früher als andere zu wirtschaftlicher Macht gebracht. In einer be­ stimmten Phase der Geschichte der Menschheit wurde es dann dringend notwen­ dig, die großen Weiten der Meere und ihre Reichtümer zu nutzen. Je größer die Möglichkeiten zur Nutzung dieser Reichtümer wurden, desto deutlicher traten die Voraussetzungen für die Entstehung und Entwicklung der Kategorie >Seemacht des Staates< zutage, die in einem bestimmten Maße die wirtschaftliche und militä­ rische Macht des Staates und folglich auch seine Rolle in der Welt charakterisiert.« Gortschkow definierte somit die See als elementaren Faktor für die wirtschaftli­ che Macht eines Staates und erkannte den Zusammenhang zwischen Wirtschaftsund Militärmacht, was seiner Einschätzung nach durch den Zugang zur See be­ stimmt ist: »Die Seemacht muß vor allem als die Fähigkeit des Staates betrachtet werden, alle Schätze der Weltmeere und alle Möglichkeiten, die die Weltmeere bieten, dem Menschen dienstbar zu machen und in vollem Umfang zur Entwick­ lung der Wirtschaft zu nutzen; durch den Stand der Wirtschaft werden nämlich letztlich alle Lebensbereiche unseres Landes bestimmt, auch die Verteidigungsfä­ higkeit. Der Begriff Seemacht läßt sich in dieser Hinsicht bis zu einem gewissen Grade mit dem Begriff der wirtschaftlichen Macht des Staates gleichsetzen. So ge­ sehen kann die Seemacht als ein Bestandteil der wirtschaftlichen Macht betrachtet werden. Ebenso wie letztere für die militärische Macht bestimmend ist, besitzt auch die Seemacht, die von der Wirtschaft des Staates abhängig ist und ihrerseits einen Einfluß auf sie ausübt, eine wirtschaftliche und eine militärische Grundlage.« Flottenadmiral Gortschkow hatte die See aber auch als einen für die Sowjetuni­ on fundamentalen sicherheitspolitischen Faktor erkannt. Im Zeitalter des Kalten Krieges konnte als Faustformel für das militärische Kräfteverhältnis gelten, daß

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der sowjetischen Überlegenheit in der konventionellen Rüstung zu Lande die ame­ rikanische Überlegenheit zur See gegenüberstand. Die Vereinigten Staaten stan­ den den russischen Territorialstreitkräften mit einem sehr großen Flottenbestand gegenüber, der trotz des Einmottens zahlreicher Schiffe in einer unverhältnismäßi­ gen Form auf den Weltmeeren präsent blieb.31 Admiral Gortschkow kam zu dem Schluß, daß die USA ihre maritime Überlegenheit nunmehr dazu zu verwenden schienen, von der See aus allseitig den sowjetischen Raum zu bedrohen: »Die See­ macht bleibt... nicht mehr auf die großen Weiten der Weltmeere beschränkt, son­ dern erstreckt sich jetzt auch über die Landmassen der Kontinente, wobei sie die Militärmacht ergänzt und sogar ersetzt, deren Stand vor allem durch die Fähigkeit bestimmt wird, mit Atomschlägen Landziele zu bekämpfen, die sich in der Tiefe des gegnerischen Territoriums befinden, und zwar in jedem Teil der Erde.«32 Die amerikanischen Streitkräfte wurden den Analysen Gortschkows zufolge in einer Form umgerüstet, daß in einem Krieg die Hauptaufgaben auf jeden Fall durch die Führung starker Schläge von See her gelöst werden sollten, und zwar mit Hilfe der drei Grundelemente der Seestreitkräfte: der ballistischen Raketen, der atomar be­ triebenen U-Bootflotte, der bordgeschützten Fliegerkräfte und der Streitkräfte der Marineinfanterie. Mit dieser maritimen Konzeption der USA ist die Abhängigkeit der Flotten von der Lage der strategischen Positionen auf den Meeren und See­ kriegsschauplätzen und von der geographischen Lage ihrer Stützpunkte verrin­ gert. Vielmehr sind den USA damit alle Möglichkeiten eröffnet, »die Sphäre der aggressiven Bestrebungen auf neue Gebiete der Weltmeere auszudehnen«.33 Zur Verdeutlichung dieser Strategie zitiert Gortschkow den US-Admiral C. Ri­ cketts34 mit den Worten: »Das Territorium der USA wäre außerordentlich gefähr­ det, wenn es die einzige Basis für den Einsatz moderner (sprich atomarer, der Verf.) Waffen wäre. Der Gegner würde in diesem Fall die gesamte geballte Kraft seiner Waffen gegen das Territorium der USA richten. Die Seestreitkräfte schaffen wirk­ lich hervorragende Alternativmöglichkeiten. Sie ermöglichen es uns, die Weltmee­ re als Stützpunkte für Waffensysteme zu nutzen, wobei das Territorium des Geg­ ners im Wirkungsbereich dieser Systeme bleibt. Die Vorteile der Marinewaffensysteme wird nur das Land nutzen können, das die hervorragenden Eigenschaften der Meere und Ozeane erkennt und das lernt, diese zu nutzen.« Die Vorherrschaft zur See bedeutet für die USA damit die Verfügungsgewalt über globale, flexibel dislozierbare Abschußbasen, mit denen die raumgebundene Landmacht Sowjetrußland allseitig bedroht und im Ernstfall auch vernichtet wer­ den kann. »In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre traten einschneidende und prinzipielle Änderungen in den Ansichten über die Rolle und den Stellenwert der Seestreitkräfte im Krieg und über die Bedeutung der Seekriegsschau plätze ein. Unter Berücksichtigung des Kräfteverhältnisses in der Welt und der begrenzten Möglich­ keiten der sowjetischen Seestreitkräfte verwiesen die Amerikaner ihr traditionelles Problem, den Schutz der Seeverbindungen, das ihnen fast ein Jahrhundert lang Sorge bereitet hatte, in ihren Überlegungen auf den zweiten Platz... Die Ozeane

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und Meere wurden nicht mehr als Gebiete betrachtet, in denen der Kampf um die Seeverbindungen stattfindet, sondern als riesige Räume für den Abschuß von Ein­ satzmitteln verschiedener Art für strategische Atomwaffen, die wichtige Ziele auf dem Territorium des Gegners vernichten sollten.«35 Moderne Seemacht in diesem Sinne hatte deshalb für die Globalstrategie der USA den Zweck, die gesamte Kraft ihrer Flottenverbände auf die gegnerische Küs­ te zu konzentrieren und das Gebiet des Gegners von allen Seiten her - ohne an spezifische fixe Ausgangsbasen und Stützpunkte gebunden zu sein - flexibel und von global beweglichen Abschußbasen aus bedrohen zu können. Auf der anderen Seite bedeutete für die Sowjetunion dagegen der Begriff >SeemachtVorwärts-Dislokation< von sich wegzudrängen, ihn zu durchbrechen und der neuen >ozeanischen Strategie< der Vereinigten Staaten durch eigene Seestreitkräfte zu begegnen. Dazu wurde die So­ wjetunion buchstäblich gezwungen, denn die ozeanische Strategie< verlagerte die entscheidende Schlagkraft der strategischen Offensivwaffen auf die Meere der Welt.«36 Das Bestreben, Seemacht zu sein, ist für die eurasische Landmacht deshalb nicht nur eine Voraussetzung zur Umsetzung ihres Anspruchs, Weltmacht zu sein, son­ dern wurzelt ebenso wie die Sicherung territorialer strategischer Vorfelder in ele­ mentaren existentiellen Sicherheitsinteressen, um Aggressionen von See her be­ gegnen zu können. Die Verwirklichung einer solchen maritimen Sicherheitsstrategie verlangt allerdings die Sicherstellung eines Zugangs zum Meer. Die Verfügung über schiffahrtstaugliche warme Küsten mit ausbaufähigen Tiefseehäfen erst er­ möglicht es der russischen Landmacht, ein entsprechendes maritimes Potential auszubauen und die Sicherung ihres Gebiets auch vom Meer her zu gewährleisten. Der Zerfall der Sowjetunion, die Abtrennung ihrer Randzonen, deren Überfüh­ rung in das westliche Bündnissystem von den USA eindringlich gefördert wird, ist deshalb nicht nur einfach ein territorialer Verlust; diese Entwicklung - vom dama­ ligen russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin nicht ohne Grund als »größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts« bezeichnet - stellt viel­ mehr einen Verlust elementarer Sicherheitspositionen und eine Abdrängung Ruß­ lands in die räumliche Defensive dar. Die geographischen Veränderungen hatten für Rußland katastrophale Folgen. Dreihundert Jahre russischer Expansionsbestre­ bungen und des Ausbaus einer russischen Weltmachtposition wurden mit einer Unterschrift - der Verfügung über die Auflösung der Sowjetunion - gewisserma­

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ßen gegenstandlos oder, besser gesagt, annuliert. Seine Grenzen schrumpften un­ gefähr auf den Stand Mitte des 18. Jahrhunderts, innerhalb des europäischen Teils sogar auf den Stand von 1613, das Land verlor schätzungsweise 50 Millionen Men­ schen, die Russisch als ihre Muttersprache betrachteten. Beim Zerfall der Sowjetunion - so schildert es der Rußland-Experte Michael Thu­ mann - hat sich Rußland gewissermaßen in den Grenzen des 17. Jahrhunderts neu definiert.37 In der Tat genügt ein einfacher Blick auf die Landkarte, um zu erken­ nen, daß das Land zu den Grenzen des vorpetrinischen Rußland zurückgekehrt ist. Smolensk ist wieder wie vor 300 Jahren der westliche Vorposten des Staates. Das Problem des Zugangs zu den Weltmeeren ist erneut aktuell für Rußland wie auch das Problem sicherer Wege nach Westen. »Die geopolitischen Positionen Rußlands«, so formulierte es Wladimir Lukin, ehemals Vorsitzender des auswärtigen Ausschus­ ses in der Staatsduma, im Jahre 1994, »haben außerordentliche Veränderungen er­ fahren. Rußland steht jetzt nicht mehr drohend über den westlichen und südlichen Ausläufern Eurasiens. Es ist in die Wälder und Steppen zurückgedrängt, zur Gren­ ze des Dauerfrosts im Nordosten, zum Wolgabecken im Südwesten. Die früheren Freunde, von Bulgarien bis Polen, streben in das andere Lager. Die angrenzenden Gebiete haben sich zu Partnern gewandelt, die sich selbst behaupten, mit einer Band­ breite der strategischen Orientierung von Neutralität bis zu recht amorphen For­ men der militärischen und politischen Zusammenarbeit mit der NATO. 70 Prozent der Grenzen Rußlands sind unsicher. Es gibt jetzt dreimal mehr angrenzende Staa­ ten als noch vor fünf Jahren. Rußland ist immer noch ein großes europäisches Land, aber sein >Druck< auf Eu ropa i st praktisch nicht m ehr sp ürbar, und s eine Präsenz in Europa hat sich beträchtlich verringert. Entsprechend ist die relative Bedeutung der asiatischen Komponente gestiegen. Das unerschlossene, riesige Sibirien wird im­ mer mehr zum geopolitischen Zentrum des Staates (Hervorhebung durch den Verf.). Ich möchte daran erinnern, daß Rußland, das nicht durch ein natürliches geogra­ phisches Relief geschützt ist, historisch die ständige geopolitische Angreifbarkeit als unumstößlichen Faktor seines Schicksals spürt. Angreifbarkeit vom Westen, vom Süden, vom Osten. Im historischen Gedächtnis des Landes ist diese Furcht, die Angst vor gegnerischen Koalitionen an den weiten, verletzbaren Grenzen lebendig.« Durch die Entwicklungen nach 1991 ist aber nicht nur das Bedrohungspotential an den Außengrenzen der Russischen Föderation gewachsen, auch deren Staat­ lichkeit selbst ist in Frage gestellt. Die Frage nach dem inneren Zusammenhalt Ruß­ lands gehört seitdem zu den heikelsten im Lande. Der Feind, den die russische Politik zusätzlich fürchten muß, steht im Innern des Landes selbst: Sabotageakte, die Erosion der Staatsstrukturen, Terrorismus und Separatismus. Aus diesem Grund ist es für die russische Staatsführung unerläßlich, dafür Sorge zu tragen, daß sich Russen und Tataren, Jakuten und Tschetschenen gemeinsam als ein >russländisches Volk< (rossijskij narod) fühlen, um damit die Einheit und staatliche Integration der Russischen Föderation zu bewahren. Insbesondere die - wie noch zu zeigen wird, von den USA geschürte und organi­

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sierte - Ausbreitung des wahabitisch geprägten islamischen Fundamentalismus stellt das Staatswesen der Russischen Förderation vor einer Zerreißprobe. 1999, als der tschetschenische Guerillaführer Schamil Bassajew von Tschetschenien aus die russische Teilrepublik Dagestan überfiel, formulierte der damalige russische Ge­ neralstabschef Leonid Iwaschow in einer Pressekonferenz, daß Rußland heute von Süden her bedroht sei, denn in Tadschikistan an der afghanischen Grenze, im Kau­ kasus nördlich des Terek und an der inneren Front bedrohe der heranbrandende islamische Extremismus Rußland.38 In der Tat fürchtet die russische Politik, daß der Implosion der Sowjetunion die Zersplitterung der Russischen Föderation folgen könnte. Immerhin leben auf ih­ rem Territorium je nach Zählweise mindestens 84 oder bis zu 172 verschiedene Völker und ethnische Gruppen, die fast allen Weltreligionen angehören. 1990 er­ klärten viele autonome Republiken der - damals genannten - Russischen Sozialis­ tischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) ihre Souveränität, doch sie spalteten sich nicht ab. Das Ergebnis langwieriger Verhandlungen und zahlloser Kompro­ misse zwischen den Regionen und dem Zentrum war die Geburt der Russischen Föderation 1991. Die Unabhängigkeitserklärung der Republik Tatarstan am 30. August 1990 rund 800 Kilometer östlich von Moskau, die in ihrer Verfassung von 1992 erklärte, daß sie nicht zu Rußland gehöre, sondern sich nur als mit Rußland assoziiert betrachte, scheint die Russische Föderation sogar noch auf die Zeit vor der Krönung des Zaren Iwans IV. zurückgeworfen zu haben, der im Jahre 1552 die tatarischen Khanate Kasan und Astrachan eroberte. Insgesamt erscheint nach Einschätzung der Rußland-Experten Eberhard Schnei­ der und Heinrich Vogel die Gefahr recht groß, ob nicht eines Tages die Streitigkei­ ten zwischen den sogenannten >Förderationssubjekten< innerhalb der Russischen Förderation und ihre Eigeninteressen einmal so beherrschend werden, daß sie von Moskau nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden können.39 Fasse man die drei Risikofaktoren Geopolitik, Nationalität und Wirtschaft zu einer Komponente zu­ sammen, so ergäben sich drei Desintegrationsregionen: der Nordkaukasus mit dem Kern Tschetschenien, die Föderationssubjekte an der Wolga und im Ural mit dem De-facto-Führer Tatarstan sowie die Föderationssubjekte im südlichen Sibirien mit der Anführerschaft der Republik Tuwa.40 Mittelfristig - so die Vermutung von Si­ cherheitsexperten - ist mit einem endgültigen Ausscheiden Tschetscheniens sowie der von Moskau aus kaum noch zu kontrollierenden übrigen kaukasischen Repub­ liken Adygeja, Inguschetien, Dagestan, Kabardino-Balkarien sowie KaratschaischTscherkessien zu rechnen.41 Ein Zerfall der Russischen Föderation in mehrere Teile kann vor diesem Hinter­ grund deshalb nicht mehr völlig ausgeschlossen werden, sollten sich die Spreng­ sätze der angespannten sozioökonomischen Lage, der Finanzkrise und der in den Regionen vorhandenen Gefährdungspotentiale noch verstärken.42 Gerade der Kau­ kasus ist für Moskau mittlerweile zum Sicherheitsproblem ersten Ranges gewor­ den. Terroristische Aktivitäten islamisch-fundamentalistischer Separatisten in Da­

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gestan, Tschetschenien und Inguschetien, die für ein grenzübergreifendes Kalifat im Zeichen der Scharia kämpfen, stellen nach Ansicht russischer Sicherheits-Ex­ perten den Kreml vor ernsthafte Herausforderungen: Allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2009 gab es dort mehr als 300 Anschläge. »In der Region töten Untergrundkämpfer Vertreter der Staatsmacht inzwischen im Tagestakt, und Mos­ kau schlägt mit ebensolcher Brutalität zurück«, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel.43 Löst sich der Kaukasus, dann hätte dies nicht nur eine Signalwirkung für andere (islamische) Teilrepubliken der Russischen Föderation, sondern würde auch den endgültigen Verlust der Einflußmöglichkeiten Moskaus auf den Südkaukasus und seine Energietransportkorridore bedeuten. Moskau wäre dann - wie von den USA auch gewünscht - endgültig aus dem Energiepoker am Kaspischen Meer ausge­ schieden. Eine solche Entwicklung droht sich zwischenzeitlich abzuzeichnen: »Der restliche Südkaukasus mit seinen Rohstoffen und Energiekorridoren geht meist ei­ gene Wege - während im Nordkaukasus von Tag zu Tag mehr die Gesetzlosigkeit um sich greift.«44 Und in der Tat ist es nicht ausgeschlossen, daß der Kreml alsbald die Kaukasusregion fallen lassen muß, so wie dereinst auch Charles de Gaulle Al­ gerien in die Unabhängigkeit entlassen mußte. Der finanzielle und militärische Aufwand zur Aufrechterhaltung seiner Stellung in der Region strapaziert den Haus ­ halt des Kreml in außerordentlichem Maße; er alimentiert den Kaukasus mit Milli­ arden, allein Dagestan zahlt er 80 Prozent des Budgets. Der Kaukasus ist sein Ar­ menhaus.45 Dabei nehmen auch die Schwierigkeiten Moskaus zu, seine Faustpfänder in der Region - Abchasien und Südossetien - zu kontrollieren. Armenien, der letz­ te Verbündete Moskaus im Kaukasus, ist seit dem Georgienkrieg 2008 und durch die transatlantische Orientierung Tiflis' in eine strategische Isolation geraten und versucht, diese durch eine Annäherung an den Erzfeind Türkei auszugleichen was die Situation für Moskau noch unsicherer gestaltet. Der bereits zitierte russische Geopolitiker Wladimir Lukin hat seinerzeit - im Jahre 1994 - bereits erkannt, daß der Westen diese katastrophale Lage zu seinen Gunsten ausnutzt. »Er verdrängt nicht nur den Einfluß Rußlands aus Osteuropa, sondern ist auch bestrebt, die Einbeziehung der früheren Verbündeten Rußlands in seinen Block organisatorisch zu sichern. Daher das Problem der Ost-Erweite­ rung der NATO.« Wie in einem späteren Kapitel noch aufzuzeigen sein wird, kann man hier aber nicht nur von einem bloßen »Ausnutzen der Situation« vonseiten der USA und ihres Bündnissystems sprechen. Auch eine Einstufung der geschilderten Bedro­ hungsszenarien als ledigliche Folge innerer Entwicklungen ist nur eine vordergrün­ dige Wahrheit. Tatsächlich spielte die Rußlandpolitik der US-amerkanischen Macht­ elite bei der inneren Frakturierung Rußlands eine nicht unerhebliche Rolle. Die der Russischen Föderation durch den US-dominierten IWF aufgezwungenen Reformen wie auch die >covert actions< CIA-finanzierter NGOs hatten an der Balkanisierung des eurasischen Raumes einen gewichtigen Anteil. Diese US-Strategie, auf die im

Einleitung

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einzelnen noch einzugehen sein wird, ist aber keinesfalls ein Zufallsprodukt einer post-cold-war-Lage, sondern vielmehr Bestandteil eines langfristig geplanten Welt­ ordnungskonzepts amerikanischer Think-tanks, der die Wiederauferstehung einer konkurrierenden eurasischen Kontinentalmacht dauerhaft verhindern soll. Daß mit der Auflösung der Sowjetunion 1991 der Kalte Krieg, den die neokon­ servativen Vordenker der US-Außenpolitik auch als den dritten Weltkrieg bezeich­ nen, ein Ende gefunden haben soll, ist deshalb auch nur eine Legende. »Man kann es« - so der deutsche Rußland-Experte und Putin-Berater Wolfgang Seiffert - »auch so formulieren: Der Kalte Krieg wurde mit dem Zerfall der UdSSR, des Warschau­ er Pakts und des Comecon nicht als beendet angesehen, sondern mit anderen Mit­ teln fortgeführt.« An anderer Stelle weist Seiffert auch darauf hin, daß die Ruß­ landpolitik der USA nach 1990 dafür verantwortlich sein dürfte, daß das Land wirtschaftpolitisch, militärisch und politisch schwächer ist denn je.46 Konkret verfolgt die US-Außenpolitik den Analysen Emmanuel Todds zufolge in der russischen Frage zwei Zielsetzungen: Das erste Ziel ist die Auflösung Ruß­ lands, die die USA durch eine Förderung der Unabhängigkeitsbestrebungen im Kaukasus und durch eine amerikanische Militärpräsenz in Mittelasien zu beschleu­ nigen gedenken. Diese Demonstration militärisch-politischer Stärke soll die sepa­ ratistischen Kräfte innerhalb der Russischen Föderation stärken. Das zweite Ziel: Mit der Aufrechterhaltung eines gewissen Spannungsverhältnisses zwischen den Vereinigten Staaten und Rußland soll die Annäherung zwischen Europa und Ruß­ land - die Wiedervereinigung des Westteils von Eurasien - verhindert und auf diese Weise der Gegensatz, wie er aus den Zeiten des Kalten Krieges bekannt war, möglichst lange am Leben gehalten werden,47 damit sich hier kein konkurrierender Kontinentalblock auf der Grundlage der Vereinigung von russisch-europäischem Industriepotential und russischen Bodenschätzen herausbilden kann. Im Jahre 2001 hat Rußland mit den Vereinigten Staaten Güter im Wert von 10 Milliarden Euro ausgetauscht, im Handel mit der Europäischen Union hingegen betrug das Volumen 75 Milliarden, also das 7,5fache. Rußland kommt ökonomisch also ohne weiteres gut ohne die USA aus, nicht hingegen ohne die Europäische Union. Auch auf militärischer Ebene bietet sich Rußland für Europa als Gegenge­ wicht zum amerikanischen Einfluß an und ermöglicht dem Kontinent eine gesi­ cherte Energieversorgung.48 Diese Option, die den amerikanischen Einfluß auf die Politik der europäischen Staaten erheblich verringern würde, erscheint in den Au­ gen der US-Strategen geradezu als ein Alptraum. Nicht umsonst haben die ameri­ kanischen Politikwissenschaftler Stephen G. Brooks und William C. Wohlforth in der Ausgabe der Foreign Affairs vom Juli 2002 vor einem strategischen Zusammen­ schluß von Rußland, China, Japan und Deutschland gewarnt, da allein eine solche Bündniskonstellation imstande wäre, die globale Vormachtstellung der USA zu gefährden.49 Es liegt deshalb im Interesse der USA, daß Rußland dauerhaft in seiner strategi­ schen Isolation verbleibt. »Eine der größten Herausforderungen an die Beziehun­

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gen der atlantischen Nationen zu Rußland ist die Frage, ob Rußland dazu gebracht werden kann, von seiner traditionellen Definition der Sicherheit abzugehen«, schluß­ folgert Henry Kissinger, der nach w ie v or erh eblichen Ei nfluß auf die Definition der außenpolitischen Zielsetzungen der USA besitzt.50 Es muß seiner Ansicht nach da­ für Sorge getragen werden, daß Rußland keinen Einfluß mehr auf seine (seit 1991 abgespaltenen) Nachbarstaaten ausübt. Statt dessen sollten die Vereinigten Staa­ ten Rußland dazu bringen, sich an den Verlust seines Reiches zu gewöhnen,51 und es darauf verweisen, im Inneren Strukturen eines »historisch ungewohnten« politi­ schen Pluralismus und einer liberalkapitalistischen Marktwirtschaft aufzubauen. »Doch wenn die Reform ein gestärktes Rußland hervorbringt, das zu einer Politik der Hegemonie zurückkehrt..., so würde es unweigerlich wieder zu Spannungen nach Art des Kalten Krieges kommen.«52 Der NATO sei deshalb auch die Rolle zuzuweisen, »als Absicherung gegen eine Reimperialisierung Rußlands« zu wir­ ken.53

Kapitel 1

Die Grundlagen der anglo-amerikanischen Geopolitik. Der Gegensatz zwischen Land und Meer 1 Allgemeines Mit dem Ende des Jahres 1991 schien mit dem Zerfall der Sowjetunion der univer­ sale Hegemonialanspruch der USA verwirklicht zu sein. Der Zusammenbruch der Sowjetunion hinterließ, so Charles K rauthammer, einer der Chefideologen der Neo­ konservativen, einen »unipolaren Augenblick«, der von den USA nunmehr auszu­ nutzen sei, um sich wie einst das Imperium Romanum als globale unantastbare Ordnungsmacht zu positionieren. »Tatsache ist«, so schreibt dieser Vordenker, »daß seit dem späten Imperium Romanum kein Land in der Geschichte mehr kulturell, ökonomisch, technologisch und militärisch so dominant war.«54 Und ein weiterer Vordenker, Robert Kaplan, meint: »Der Sieg Roms im Zweiten Punischen Krieg, so wie der Amerikas im Zweiten Weltkrieg, machte es zur Weltmacht.« Amerika solle dem Beispiel Roms folgen, unerschrocken die »Politik des Kriegers« entwickeln und die Augen offen halten.55 Der neuen globalen Machtverteilung entsprachen - wie in diesen Worten eines der Vordenker heutiger amerikanischer Außenpolitik erkennbar ist - die Selbstein­ schätzung und der sich daraus ergebende weltweite Führungsanspruch der USA, welcher sich auch in zahlreichen Verlautbarungen der amerikanischen Regierung äußerte. In seinem Bericht zur Lage der Nation vom 28. Januar 1992 feierte Präsi­ dent George Bush im Rückblick auf das Jahr 1991 die Veränderungen in der Welt von geradezu »biblischem Ausmaß«: Der Kommunismus sei in diesem Jahr gestor­ ben, Amerika habe durch die Gnade Gottes den Kalten Krieg gewonnen. »Eine einstmals in zwei bewaffnete Lager geteilte Welt erkennt heute eine einzige und überragende Macht an: die Vereinigten Staaten von Amerika«. Die USA seien von der »Führungsmacht des Westens« zur »Führungsmacht der Welt« geworden, sei­ en die »unbestrittene Führungsmacht dieses Zeitalters«. Bushs Nachfolger hat dieses Selbstverständnis wiederholt bestätigt. Die USA seien, so Präsident Clinton, »die herausragende Weltmacht« (A National Security Strategy of Engagement and Enlargement, Juli 1994), die »amerikanische Führungsrol­ le« sei »unerläßlich«, »weil zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand außer uns das­ selbe für die Förderung von Frieden, Freiheit und Demokratie leisten« könne (Rede des Präsidenten vom 5. August 1996); eine »weltweite Führungsrolle« müsse von dieser »unerläßlichen Nation« ausgeübt werden (Bericht zur Lage der Nation vom 4. Februar 1997).56 Der Politologe Werner Link faßt die säkularen Ziele der Wel tfüh­ rungsmacht USA wie folgt zusammen: Erhaltung der Spitzenposition der USA, Verhinderung einer den USA feindlich gegenüberstehenden Hegemonie auf dem europäischen Kontinent oder im asiatisch-pazifischen Raum, Ausbreitung des west­

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lichen Demokratie- und des amerikanischen Wertesystems, Öffnung und Siche­ rung der Märkte für amerikanische Kapitalinvestitionen, Waren und Informatio­ nen.57 Es sind damit zwei Faktoren, durch die die amerikanische Außenpolitik bestimmt ist: Messianismus - der Anspruch, eine Weltordnung nach amerikanischen Grund­ sätzen aufzubauen - und globale Hegemonie, die keinen Konkurrenten zuläßt. Die Wurzeln dieses politischen Denkens liegen im Wesen der USA als Seemacht begründet, zu der sie durch ihre Geographie bestimmt sind. Der amerikanische Kontinent ist »ringsum von Meeren umgeben, deren Seewege ihn auf dem nördli­ chen Globus nach Osten hin mit den Gegenküsten des europäischen Kontinents und im Westen mit der pazifischen Insel- und Kontinentalwelt (Australien) sowie den ostasiatischen Gegenküsten verbinden«.58 Diese Lage bedeutet einerseits Isola­ tionismus, auf der anderen Seite aber auch maritime Bewegungsfreiheit, die dazu führt, daß dem »Seemacht-Denken« in der US-Außen- und Sicherheitspolitik eine hohe Priorität eingeräumt wird.59 »Seemacht«, so erklärt der britische Historiker Sir Herbert Richmond, »ist die Form nationaler Stärke, die dem, der sie besitzt, die Möglichkeit gibt, seine Truppen und seinen Handel über die Randmeere und Oze­ ane hinweg, zwischen dem eigenen Land oder den Ländern der Verbündeten und den Territorien, zu denen er im Kriegsfall Zugang haben muß, sicher verkehren zu lassen, und den Gegner daran zu hindern, das Gleiche zu tun.«60 Wenn es einer Nation gelingt, ihren Verkehr und ihren Handel auf diesen Pfa­ den zu sichern und diese einem Konkurrenten zu verwehren, dann besitzt sie also eine tatsächliche Seeherrschaft: Ihr Handel blüht, ihre überseeischen Verbindun­ gen bleiben erhalten, und ihre Truppen können ungehindert über See an jeden be­ liebigen Ort der Welt gebracht werden. Die Befähigung einer Nation zur Seemacht setzt also zum einen die Fähigkeit zur Kontrolle des Handelsverkehrs und der Han­ delsstraßen zur See voraus, die gegebenenfalls durch ein weltweites Netzwerk von Stützpunkten abzusichern sind. Zum anderen verlangt sie die Fähigkeit, einen Kon­ kurrenten daran zu hindern, diese Stützpunkte einzunehmen und gleichfalls einen Zugang zum Meer zu erlangen. Ein solcher Konkurrent kann Raymond Aron zu­ folge die unipolare Stellung einer Seemacht nur dann bedrohen, wenn er zwei Ge­ sichtspunkte berücksichtigt: Erstens durch das Gesetz der großen Zahl, denn eine Seemacht kann trotz der Qualität ihrer Flotte und der Kampfkraft ihrer Seeleute nicht überleben, wenn sie sich einem Rivalen gegenübersieht, der allzu überlegene materielle und menschliche Hilfsquellen besitzt. Zweites kann eine Seemacht so­ wohl vom Land als auch vom Meer her unter der Voraussetzung besiegt werden, wenn es dem Rivalen gelingen sollte, sich aller Stützpunkte zu bemächtigen, denn dann gibt es für die Seemacht keinen Raum mehr. Das Meer ist dann ein geschlos­ senes Meer, und die Seemacht sieht sich gewissermaßen einer Einkreisung ausge­ setzt.61

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2 Die ideengeschichtliche Entwicklung geopolitischer Lehren der USA vor dem Hintergrund ihrer Expansionsgeschichte Vor diesem Hintergrund sollen nunmehr die ideengeschichtlichen Entwicklungen der amerikanischen Geopolitik und Geostrategie insbesondere unter Berücksichti­ gung des wechselseitigen Einflusses von Kontinent und Meer dargestellt werden. Auf diese Weise erst werden diejenigen Zusammenhänge erkennbar, die die Glo­ balpolitik der USA gerade heute noch in ihrem Kern kennzeichnen: Die Erde gilt als ihr ureigenster Entfaltungsraum, und zur Absicherung ihrer Interessen bedient sie sich globaler Strategien, wobei sie sich zu deren Verwirklichung die hierfür er­ forderlichen ökonomischen Grundlagen sichert, wie zum Beispiel den freien Zu­ gang zu sogenannten strategischen Rohstoffen.62

2.1 Die kontinentale Expansi on und anschließende Ausdehnung in die >westliche Hemisphäre< Zunächst allerdings gilt es festzuhalten, daß die maritime Ausrichtung amerikani­ scher Geopolitik nicht von vornherein feststand. Vielmehr stimmen Inhalt und Ziel­ setzung der geopolitischen Interessen der USA mit dem jeweiligen Entwicklungs­ stadium ihrer Expansion überein, so daß die amerikanische Geschichte - Stefan Fröhlich zufolge bis Anfang des 20. Jahrhunderts - hier insgesamt vier Denkschu­ len aufweist: kontinentaler oder hemisphärischer Isolationismus, global ausgerich­ teter Navalismus, Atlantizismus und fernöstlich ausgerichtete Weltpolitik.63 Die Zeit nach der Gründung der Vereinigten Staaten war geprägt von einer aus­ schließlich kontinentalen Ausrichtung, einer reinen pan-amerikanischen Binnen­ expansion, deren Hauptverfechter seinerzeit Thomas Jefferson war. Er formulierte recht früh die Idee der westlichen Hemisphäre, wobei er auch schon eine Vorherr­ schaft der USA über den gesamten Kontinent unter gleichzeitiger Beseitigung euro­ päischer kolonialer Herrschaft ins Auge faßte. »Erst zu dem Zeitpunkt, da die nord­ amerikanische Bevölkerung in der Lage sei, den mittleren und südlichen Teil des Doppelkontinents Stück für Stück zu >übernehmenfrontier< und des >Manifest De­ stinyAntiEuropas< verband sich bereits in den Anfängen mit einem messianischen Sendungs­ bewußtsein, das sich gegen Europa selbst richtete: In seinem Parteiorgan National Gazette stellte Thomas Jefferson einen Artikel heraus, der es als die Sendung der Vereinigten Staaten bezeichnete, freie Institutionen nach amerikanischem Vorbild in Europa errichten zu helfen.65 Der weitere ideologische Gesichtspunkt, mit dem die amerikanische Kontinen­ talexpansion gerechtfertigt wurde, wurde mit dem Begriff des >Manifest Destiny< umschrieben, einer >offenbaren Bestimmung< der Vereinigten Staaten, den gesam­ ten nordamerikanischen Kontinent zu unterwerfen und zu beherrschen. »Unter dem Schlagwort Manifest Destiny sammelten sich Mitte der vierziger Jahre des vorigen (des 19., der Verf.) Jahrhunderts die amerikanischen Expansionisten. Im nördlichen Mittelwesten gab es Gruppen, die immer noch nicht die Hoffnung auf eine Einbe­ ziehung Kanadas in die USA aufgegeben hatten... Im fernen Westen begann 1843 die große transkontinentale Wanderungsbewegung ins südliche Oregon, wo jähr­ lich Tausende neuer Siedler den amerikanischen Anspruch auf dieses noch mit Groß­ britannien gemeinsam beherrschte Gebiet bekräftigten. Auch in die mexikanische Provinz Kalifornien wanderten nun vereinzelte Siedlergruppen und Abenteurer aus den USA ein. Die erfolgreiche Rebellion in Texas und die Eingliederung dieses Staates in die Union erhitzte die politische Phantasie im ganzen Land. Das Erbe der amerikanischen Revolution, die vage, immer noch im Volk lebendig gebliebene Vorstellung eines besonderen amerikanischen Sendungsauftrags, der eine neue, bessere Welt in der westlichen Hemisphäre zum Ziel haben sollte, verband sich mit dem selbstsicheren Nationalismus der wachsenden amerikanischen Republik. In den Forderungen nach mehr Land und immer größerer Ausdehnung der USA über die bisherigen Grenzen hinweg schien sich ein reales politisches Programm für die Anhänger solcher Gedanken anzubieten. Tief überzeugt vom Fortschrittsglauben der Zeit..., konnten die Expansionisten dem schnellen Bevölkerungswachstum und den frühen Erfolgen ihres Landes nur eine Deutung geben: Es mußte die Bestim­ mung der Vereinigten Staaten sein, den ganzen nordamerikanischen Kontinent zu beherrschen und mit den freien Institutionen ihrer Verfassung zu versehen. So sa­ hen sie die große zivilisatorische Aufgabe ihrer Nation.«66 Es war der Journalist John O'Sullivan, der als erster den Begriff des >Manifest Destiny< in die politische Diskussion einwarf und schrieb, »es sei der natürliche Llauf der Dinge«, daß die USA Oregon, Kalifornien, weite Teile Nordmexikos und sogar Kanada und Kuba annektieren müßten.67 Diese Bestimmung der USA, sich den amerikanischen Kontinent zu unterwer­ fen, verband sich mit einer antieuropäischen Zielsetzung: Mit ihrem Machtanspruch war die Existenz europäischer Kolonialmächte auf dem amerikanischen Doppel­ kontinent und, damit verbunden, deren Mitsprache in dessen Angelegenheiten nicht vereinbar. Im Gegenteil: Die Beseitigung noch bestehender Elemente europäischer Kolonialherrschaft war überhaupt Voraussetzung für die Verwirklichung des >Ma­

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nifest DestinyHeiligen Allianz< von 1815 die restaurierten europäischen Monarchien sich wechselseitig verpflichteten, revolutionären Bestrebungen Einhalt zu gebieten. In der Tat ver­ suchte deshalb Frankreich, das seebeherrschende Großbritannien zu einer militäri­ schen Intervention in Lateinamerika zu überreden. Doch dieses verweigerte sich, schließlich wollte es den Zugriff auf den lateinamerikanischen Markt, dessen Öff­ nung mit dem Niedergang des spanischen Kolonialreichs einherging, nicht wieder verlieren, so daß es an einer Wiederherstellung der spanischen Herrschaft nicht interessiert sein konnte. Im Gegenteil: In dieser Situation bildete sich zum ersten Mal der Versuch einer gemeinsamen angelsächsischen Koalition gegen kontinen­ taleuropäische Interessen heraus. Der britische Außenminister George Canning fühlte bei dem US-amerikanischen Botschafter in London vor, ob die Vereinigten Staaten bereit seien, mit Großbritannien in einer gemeinsamen Erklärung gegen jede kontinentaleuropäische Intervention zur Wiederherstellung der Kolonialherr­ schaft Spaniens oder anderer Nationen vorzugehen.69 Dies lehnten die USA aller­ dings ab, da sie ihrerseits fürchteten, daß anstelle der spanischen nunmehr die bri­ tische Kolonialherrschaft treten könnte. Dem US-amerikanischen Vorhaben, sich im Sinne des >Manifest Destiny< den ame­ rikanischen Kontinent zu unterwerfen, trat zudem eine weitere Bedrohung durch den Vorstoß Rußlands auf den amerikanischen Kontinent entgegen. Dieses aber hatte seine Gebietsansprüche zunächst auf den Küstenstreifen nördlich des 55. Brei­ tengrades beschränkt. Ein Erlaß des Zaren aus dem Jahre 1821 jedoch erweiterte ohne Berücksichtigung der Ansprüche anderer Nationen den russischen Anspruch an der Pazifikküste nach Süden bis zum 51. Breitengrad. Die russischen Ansprüche standen - so Klaus S choenthal - damit im direkten Widerspruch zu den von Großbritannien und den USA gemeinsam formulierten Interessen in bezug auf das Oregongebiet. Diese Interessenkollision der Mächte bildete die Grundlage für eine geopoliti­ sche Doktrin der USA, die - wenn auch in abgewandelten Formen - bis heute das

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Verhältnis der USA zum amerikanischen Doppelkontinent prägt. Es handelt sich um eine raumgebundene kontinentale Abgrenzung von Interessensphären mit wechselseitigen Einmischungsverboten. Präsident Adams nahm den russischen Vorstoß zum Anlaß, dem russischen Gesandten in Washington zu erklären, daß die amerikanischen Kontinente nicht mehr Gegenstand irgendwelcher neuen euro­ päischen Kolonialisierungsversuche seien. Diesen Anspruch formulierte er auch gegenüber Großbritannien. Erst der Nachfolger Adams‘, James Monroe, machte das Interventions- und Kolonisierungsverbot zum Kernpunkt seiner Regierungserklä­ rung vom 2. Dezember 1823. M onroe selbst stellte sich an die Spitze der CLAYschen Vision des >Amerikanischen SystemsMonroe-DoktrinPlattAmendment< für Kuba von 1904, das sich nach dem amerikanisch-spanischen Krieg und seiner Unabhängigkeit von Spanien verpflichten mußte, eine in jeder Hinsicht US-freundliche Politik zu betreiben und gegebenenfalls eine US-Intervention zu akzeptieren, wenn die USA ihre Interessen bedroht sahen. »Aus einem zunächst rein defensiven Prinzip zur Abgrenzung der Erdteile wurde ein imperialistisches Offensivinstrument erster Ordnung.«71 Die Monroe-Doktrin enthält aber ein entscheidendes Moment: Es bildete sich nunmehr offiziell eine klare raumgebundene Hemisphären- und Erdteilpolitik der USA heraus. Die Monroe-Doktrin verkörperte - so Giselher Wirsing - in ihrem ursprünglichen Wesen zunächst einen auf einen Erdteil beschränkten Regionalis­ mus und formulierte einen Gegensatz zum britischen Universalprinzip, das in ei­ ner Allgegenwart in allen Erdteilen mit einer Vielzahl von Einflußzonen in allen

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Ecken und Enden der Welt sichtbar war. »Mit der Aufstellung dieses raumgebun­ denen außenpolitischen Prinzips ist damals unversehens eine der großen Wende­ punkte der Politik der großen Mächte erreicht worden.«72 Der bekannte deutsche Staatslehrer Carl Schmitt sollte sie rund 100 Jahre später als eine »völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte« bezeichnen. In der Tat beinhaltete die M onroe-Doktrin eine genau bestimmte raum- und kon­ tinentalgebundene Abgrenzung von Interessensphären mit wechselseitigem Ein­ mischungsverbot. Sie führte weiterhin aus, daß die USA im Hinblick auf die latein­ amerikanischen Staaten, »die ihre Unabhängigkeit erklärt und aufrechterhalten haben und deren Unabhängigkeit wir nach gründlicher Erwägung und aus Grün­ den der Gerechtigkeit anerkannt haben,... ein irgendwie geartetes Eingreifen ei­ ner europäischen Macht, um sie zu unterjochen oder sonstwie Gewalt über ihr Schicksal zu erlangen, nur als den Beweis einer unfreundlichen Einstellung gegen die Vereinigten Staaten ansehen« können.73 Die Politik gegenüber Europa wird dann schließlich folgendermaßen umrissen: »Unsere Politik Europa gegenüber... bleibt dieselbe, nämlich: Jede Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines seiner Staaten zu vermeiden, die jeweilige de-facto-Regierung als die für uns legitime anzusehen, freundliche Beziehungen zu ihr zu pflegen und diese Beziehungen d urch eine freimütige, feste und mannhafte Politik dauernd zu gestalten...«74 Das Moderne und Zukunftsweisende an der Monroe-Doktrin - so schreibt Gisel­ her Wirsing - war nicht etwa, daß durch diese Lehre überhaupt hätten Kriege ver­ hindert werden können, wohl aber - und das ist das Entscheidende -, daß mit ihrer Aufstellung und der stillschweigenden Billigung durch die Großmächte für einen langen Zeitraum Kontinentalkriege ausgeschaltet worden waren, die sonst wohl unvermeidlich entstanden wären. »Der südamerikanische Raum hätte ohne Mon­ ROE-Doktrin zum Schlachtfeld der aufeinanderstoßenden Interessen der verschie­ denen europäischen Großmachtsvölker wie auch der Vereinigten Staaten und so zum Keimboden für Weltkriege werden können. Der positive Gehalt der MonroeDoktrin war also, der ursprünglichen Idee ihrer Urheber nach, eine Abgrenzung der Erdteile und ihrer politischen Einflußsphären. Sie widersprach damit der uni­ versalistischen Theorie der Engländer, deren entgegengesetztes Prinzip es war, daß England in allen Weltteilen >Interessenzonen< errichtete, die dazu dienten, daß England überall, sei es in Asien, sei es in Europa oder in Amerika, den Anspruch erhob, auf die politische Gestaltung der verschiedenen Räume einzuwirken und sie besonderen britischen Zwecken dienstbar zu machen.«75 Konkret beruhte die Monroe-Doktrin also darauf, daß die Vereinigten Staaten jegliche Intervention einer europäischen Macht in die amerikanische Sphäre ab­ lehnten und als Angriff auf ihre eigene Staatshoheit betrachteten, während sie umgekehrt versprachen, ihre eigene Machtsphäre nicht in fremde Räume auszu­ dehnen, sich der Einmischung in die außenpolitischen Streitigkeiten und in die In­ nenpolitik der europäischen Staaten zu enthalten und die jeweils tatsächlich herr­ schende Regierung als legitim anzuerkennen. Zusammengefaßt ist für die gesamte

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amerikanische Sphäre die Monroe-Doktrin von vornherein »nichts anderes als eine politisch-völkerrechtliche Umschreibung der Unantastbarkeit des amerikanischen Lebensraumes, aus der die Vereinigten Staaten allerdings das Recht ableiteten, die Ordnung der gesamten amerikanischen Welt selbst verantwortlich in die Hand zu nehmen. Nach außen beruhte das Prinzip auf der von den Vereinigten Staaten ver­ sprochenen Gegenseitigkeit der Nichteinmischung«.76 In diesem Sinne verbarg sich hinter dieser raumgebundenen Hemisphärendoktrin - wie es Karl Haushofer tref­ fend erkannt hatte - »reine Geopolitik«.77 Diese Doktrin sollte knapp vierzig Jahre nach ihrer Verkündung ihrer erste Er­ probung erfolgreich bestehen. Nach dem Ende des amerikanischen Bürgerkrieges versuchte der französische Kaiser Napoleon III. in Mexiko eine von ihm abhängige Vasallenmonarchie unter dem österreichischen Erzherzog Maximilian zu errich­ ten. Die USA entsandten jedoch Truppen an die Grenze zu Mexiko und zwangen Napoleon III. 1867 durch ein Ultimatum, sein Expeditionskorps zurückzuziehen. »Zum erstenmal hatten die Vereinigten Staaten die Befolgung der Monroe-Doktrin unter Gewaltandrohung erzwungen. Zum erstenmal hatte sich eine europäische Großmacht vor einer solchen Drohung zurückziehen müssen. Die Vereinigten Staa­ ten hatten damit einen weiteren Schritt auf dem Weg zur Vormachtstellung in der westlichen Hemisphäre zurückgelegt.«78 Allerdings sollte sich schon alsbald zeigen, daß die Monroe-Doktrin mit der un­ aufhaltsamen Expansion der USA einem Wandel von einem - wie oben dargestellt - rein defensiven Prinzip zur Abgrenzung der Erdteile und kontinentaler Einfluß­ sphären zu einem imperialistischen Offensivinstrument erster Ordnung unterwor­ fen wurde. Diese Wandlung - oder besser gesagt Verfälschung79 - erfuhr diese Lehre durch den unter den Präsidenten Abraham Lincoln und dessen Nachfolger An­ drew Johnson als US-Außenminister tätigen William H. Seward. Dieser »war nicht nur bestrebt, die Monroe-Doktrin vor aller Welt zur Geltung zu bringen, er war auch ein ehrgeiziger Expansionist«,80 dessen bekannteste außenpolitische Aktion der Erwerb Alaskas vom Russischen Reich im Jahre 1867 darstellte. Seward ver­ kündete eine erweiterte Form des >Manifest DestinyManifest Destiny< den Inhalt gab, daß es nunmehr Aufgabe der angelsächsischen Rasse sein müsse, ein globales, von angelsächsischen Institutio­ nen beherrschtes Empire zu schaffen: »Die Arbeit, die die englische Rasse mit der Kolonisation Nordamerikas begann, ist mit dem Ziel fortzusetzen, bis jedes Land auf der Erdoberfläche, das nicht von einer alten Zivilisation besiedelt ist, Englisch wird in seiner Sprache, seiner Religion, seiner politischen Ordnung und Traditi­ on...«86 Vor diesem ideologischen Hintergrund kannten John Fiskes Expansions­ vorstellungen »mit Ausnahme der nördlichen und südlichen Polarregionen keine Grenzen. Der Vision eines dem Angelsachsentum von Gott zugewiesenen Weltauf­ trages entsprach eine unverhüllt sozialdarwinistische, an den Begriffen Höherran­ gigkeit, Beherrschung und Ausbeutung ausgerichete Tendenz«.87 Eine noch größere Bedeutung hatte in diesem Zusammenhang der Schriftsteller und Pfarrer Josiah Strong, der in der energischen kolonialen Ausdehungspolitik der Vereinigten Staaten einen Auftrag Gottes sah. In seinem Buch Our country so­ wie in zahllosen Predigten und Vorträgen verbreitete Strong eine aus christlichem Missionseifer und sozialem Darwinismus gemischte Populartheologie. Der Angel­ sachse, so verkündete er, habe »die göttliche Mission, seines Bruders Hüter zu sein«.

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Er prophezeite, daß »diese unvergleichlich energische Rasse sich über die Erde ver­ breiten wird. Wenn ich nicht fehlgehe, dann wird diese machtvolle Rasse sich über Mexiko ausbreiten, über Zentral- und Südamerika, über die Inseln der Meere, über Afrika und noch darüber hinaus. Wer könnte daran zweifeln, daß das Ergebnis dieses Wettstreits der Rassen das Überleben der Tüchtigsten... sein wird«.88 Wie oben bereits angedeutet, erfuhr in dieser Zeit die Monroe-Doktrin ihre in­ haltliche Verfälschung von einem rein defensiven Prinzip der Abgrenzung von erd­ teilgebundenen Interessensphären zu einem imperialistischen Offensivinstrument erster Ordnung. Unter dem Vorwand, Lateinamerika zu schützen - in Wirklichkeit ging es um die Sicherung von Handelsmonopolen - instrumentalisierten die USA diese Doktrin zur Vertreibung ihrer europäischen Konkurrenten aus diesem Raum. Zu den ersten Persönlichkeiten der Diplomatiegeschichte der Vereinigten Staaten, die dieses Prinzip gezielt in die Praxis umzusetzen verstanden, gehörte James G. Blaine, der unter der Präsidentschaft Harrisons Außenminister war. Zu dieser Zeit war Großbritannien die wirtschaftlich und politische einflußreichste Macht in La­ teinamerika. Ihre Herrschaft mußte also beseitigt werden, wollten doch die USA ihrerseits dort politisch sowie ökonomisch Einfluß und Kontrolle übernehmen. Die lateinamerikanische Staatenwelt befand sich in regelmäßigen Grenzkonflikten (wie z.B. der Salpeterkrieg zwischen Chile, Bolivien und Peru), und das lieferte den USA die Möglichkeit, die Funktion eines Schlichters zu übernehmen. Dies sollte im Wege der Errichtung einer Panamerikanischen Union geschehen, in der den USA die Funktion eingeräumt werden sollte, Richter in inneramerikanischen Streitigkeiten zu sein. Parallel dazu sollte eine panamerikanische Zollunion geschaffen werden. Blaines Panamerikanismus unter gleichzeitiger Zuhilfenahme der Monroe-Dokt­ rin diente dazu, den Herrschaftsanspruch der USA über Lateinamerika durchzu­ setzen und die von Seward so genannten »unguten« Reste europäischer Kolonial­ herrschaft zu beseitigen. Dies gelang auch in der Zukunft hervorragend: Als es im Jahre 1895 zwischen der britischen Kolonie Britisch-Guayana und Venezuela zu einem Grenzstreit um Bodenschätze kam, bat Venezuela die USA, den Streit zu schlichten, was diese an­ nahmen, das britische Empire aber ablehnte. Daraufhin entsandte der US-Außen­ minister Richard Olney eine Protestnote an die Briten, die - so Klaus Schoenthal in außergewöhnlich scharfer Form den Vormachtanspruch der USA in der westlichen Hemisphäre geltend machte. Eine friedliche Schlichtung des Grenzkon­ flikts durch die Vereinigten Staaten wurde als der einzige Weg hingestellt, den Konflikt zu beseitigen. Der britische Druck auf Venezuela wurde als Verletzung der Monroe-Doktrin bezeichnet. Konkret formulierte Olney weiter: »Heute sind die Vereinigten Staaten praktisch der Souverän auf diesem Kontinent, und ihr Machtspruch ist Gesetz für seine Bewohner... das ist so, weil neben allen anderen Gründen ihre unbeschränkten Hilfsquellen und ihre isolierte Position sie zum Herrn der Lage und praktisch unverwundbar gemacht haben gegen jede einzelne oder alle anderen Mächte zusammen.«89

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Damit war gewissermaßen die zweite Phase des amerikanischen Imperialismus abgeschlossen (die erste Phase stellte die kontinentale Expansion mit dem Ergebnis der staatlichen Festigung dar), nämlich die Sicherung des Anspruchs auf Kontrolle des amerikanischen Doppelkontinents und seiner Küsten. In diesem geschichtli­ chen Abschnitt erfuhr ein weiteres Element der amerikanischen Geopolitik seine inhaltliche Bestimmung, nämlich die Lehre von der westlichen Hemisphäre. Diese, so der Historiker Charles Beard, forderte, daß diese Hemisphäre, der Sitz der ame­ rikanischen Macht, unabhängig und frei von Einmischung europäischer Mächte sein sollte, wobei die Sicherung und die Ausbreitung der amerikanischen Macht in dieser kontinentalen Sphäre als das vorrangige Ziel der Außenpolitik der USA auch in ihren Beziehungen zu auswärtigen Mächten bestimmt wurde. Wie sich aber später zeigen sollte, war die Lehre von der >westlichen Hemisphä­ re< ein ideologisches Werkzeug, um die anschließende Phase der außenpolitischen Geschichte der USA, nämlich die der maritimen Expansion, zu rechtfertigen.

2.2 Der Eintritt in die Phase maritimer Expansion Erst ab 1890 begann, so Charles Beard, eine Neudefinition der bisherigen vorran­ gig kontinental ausgerichteten Expansionspolitik, die auf eine aktive Intervention in fernöstlich-asiatische und europäische Angelegenheiten ausgerichtet war und die Umwandlung der USA in eine große Weltmacht zum Ziel hatte. Begleitet oder bes­ ser gesagt ausgelöst wurde diese Entwicklung von wirtschaftlichen Umwälzun­ gen, die die USA massiv erschütterten. Anfang der neunziger Jahre des 19. Jahr­ hunderts wurde das Land von einer schweren Wirtschaftskrise erfaßt, die »in merkwürdiger Weise mit stürmischer industrieller Expansion« gekoppelt war.90 Diese Krise verstärkte - Erich A ngermann (Die Vereinigten Staaten von Amerika, S. 12) zufolge - die kräftige Tendenz zur Kapitalkonzentration und zur Festigung ganzer Industriezweige in monopol- oder oligopolartigen »Mammutunternehmen, die ge­ rade damals in zunehmendem Maß unter die Kontrolle der Hochfinanz gerieten«.91 Diese wirtschaftlichen Umstände verlangten nunmehr einen Ausgriff in die Welt. Der Historiker Frederick Jackson Turner, ein Studienfreund des US-Präsidenten Woodrow Wilson, wies in diesem Zusammenhang auf die Notwendigkeit einer Neubestimmung der >frontier< hin, welche als Auffangbecken der überschüssigen ökonomischen Kräfte dienen sollte. Sollte etwa, so fragte er sich, die einzigartige amerikanische Entwicklung, auf die man stolz war, nun vorbei sein? Wohin mit den überschüssigen Kräften, die der >Manifest Destiny< zugute gekommen waren, der »offenbaren Bestimmung«, sich über den gesamten amerikanischen Kontinent auszudehnen? Sollten die USA innerhalb ihrer Grenzen zu ersticken drohen? Charles A. Conant, ein bekannter Wirtschaftspublizist jener Zeit, forderte vor diesem Hintergrund die Hinwendung zu einer aktiven Weltmachtpolitik sowie die Annexion der Philippinen als Ausgangspunkt für ein amerikanisches Ausgreifen in Richtung der ostasiatischen Märkte.92 Wolle man nicht, so die Vertreter dieser

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Denkschule, im eigenen Überfluß ersticken und wolle man für die expansive Er­ zeugung auf Dauer die preiswerte Zufuhr wichtiger Rohstoffe sichern, so müsse der amerikanische Außenhandel si ch gegen die immer härtere Konkurrenz der euro­ päischen Mächte und gegen die Tendenz zur Aufteilung der Welt in Einflußzonen zur Wehr setzen und den Vereinigten Staaten einen angemessen Anteil am Welt­ handel sichern. Die Ausdehnung des Außenhandels wurde als Voraussetzung für die wachsende amerikanische Wirtschaft eingestuft.93 Dieser Wandel war mit einer neuen Doktrin verknüpft, die die amerikanische Außenpolitik seit dem US -Präsidenten McKinley und dem Außenminister Jo hn H ay bestimmen sollte, nämlich die sogenannte >Open-door-PolicyPolitik der Offe­ nen Tür< - so Erich Angermann - bildete die Möglichkeit zum Ausbau eines we­ sentlich auf wirtschaftlicher Durchdringung statt politischer Beherrschung beru­ henden »formlosen Weltreichs«94 und beinhaltete folgendes: »Formell lediglich die Forderung nach völliger Gleichberechtigung aller Han­ delspartner auch in den besonderen Interessensphären, die sich einzelne Mächte in China oder anderwärts gesichert hatten. Dahinter stand ganz bewußt die Überzeu­ gung, daß sich amerikanisches Kapital und Wirtschaftskraft bei solcher ungehin­ derter Konkurrenz denen anderer Nationen als überlegen erweisen würden, also auf die Dauer mit einer Ausweitung amerikanischen Handels und amerikanischen Einflusses zu rechnen sei. Unter dieser Voraussetzung war in der Tat die Offene Tür das beste, was sich für eine Expansion der amerikanischen Außenwirtschaft erreichen ließ, zumal in einer Welt, die bereits weitgehend in Interessensphären und koloniale Besitzungen aufgeteilt war, wo also ohne machtpolitischen Konflikt nicht mehr allzuviel zu holen war. Nun war man sich durchaus darüber klar, daß in wirtschaftlich unentwickelten Regionen erst die Voraussetzungen für einen aus­ gedehnten Handel geschaffen werden mußten, daß dazu Investitionen..., Ausbau des Verkehrswesens..., vor allem aber eine Gestaltung des Rechtslebens und der politischen Herrschaft gehörten, die dem amerikanischen Kapital und Handel Si­ cherheit und Stabilität gewährleisteten. Hier war dem Sendungsbewußtsein des ame­ rikanischen Volkes und dem Missionseifer seiner Reformer ein weites Feld eröffnet, wobei man... von der Vorbildlichkeit amerikanischer Ideen und Institutionen aus­ ging und diese auf ganz andersgeartete Gesellschaften zu übertragen versuchte.«95 Diesem zunächst auf China bezogenen, dann aber allgemein in der Weltpolitik vertretenen Prinzip der >Offenen Tür< wurde seitdem, so der Historiker William A. Williams, die gleiche grundlegende Bedeutung für die amerikanische Außenpoli­ tik des 20. Jahrhunderts zugemessen wie der Monroe-Doktrin im 19. Jahrhundert. Diese Überlegungen waren logischerweise mit einem geopolitischen Prämissen­ wandel verbunden: Die Fixierung auf den amerikanischen Doppelkontinent und das in der M onroe-Doktrin verkörperte Prinzip der Abgrenzung kontinentaler Inter­ essensphären mit wechselseitigen Nichteinmischungsverboten trat zusehends in den Hintergrund. In den Mittelpunkt US-amerikanischer Imperialpolitik rückte statt dessen die See. »Seit Ende der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts«, schreibt der

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Amerika-Experte Stefan Fröhlich, »wurden dann auch die Weltmeere weniger als natürlicher Schutzschild denn als Tor zur Welt empfunden.« Diesen Wandel be­ schrieb vor Beginn des amerikanisch-spanischen Krieges 1898 der US-Senator Be­ veridge mit folgenden Worten: »Die Vorsehung hat uns unsere Politik vorgeschrieben; der Handel der Welt muß und wird unser sein... Wir werden in der ganzen Welt Handelsniederlassungen als Verteilerzentren für amerikanische Erzeugnisse einrichten... Wir werden eine Kriegsmarine aufbauen, die unserer Größe entspricht. Große Kolonien, die sich selbst verwalten, unsere Fahne führen und mit uns Handel treiben, werden aus unseren Handelsniederlassungen erwachsen. Auf den Flügeln unserer Wirtschaft wird un­ sere Lebensweise unserem Handel folgen. Und amerikanisches Gesetz, amerikani­ sche Ordnung, amerikanische Zivilisation und die amerikanische Flagge werden sich an Küsten entfalten, die, so lange von Verdammnis und Dunkel umfangen, hinfort durch diese Werkzeuge Gottes schön und hell sein werden.« Und im gleichen Sinne rief Senator Cabot Lodge am 7. Januar 1901 aus: »Man kann den Vormarsch der USA nicht abstoppen. Das amerikanische Volk und die ökonomischen Kräfte, die allem zugrunde liegen, tragen uns vorwärts zur ökono­ mischen Suprematie über die Welt.«96 Damit war die imperialistische Zielsetzung eindeutig: die Erringung der Welt­ herrschaft auf dem Wege der Expansion und Aggression, um damit ein >informel­ les Imperium ohne Grenzen< zu errichten, in dem auch der universale Messianis­ mus der USA offenbar wird, der noch in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts vom amerikanischen Historiker William Cullan D ennis so beschrieben wurde: »Aus­ gehend von dem Glauben, daß uns Gott bevorzugt hat, haben wir das Recht, dar­ auf zu dringen, daß sich andere Nationen unserem Willen unterwerfen.«97 Zur Umsetzung dieser Weltherrschaftspläne war die Schaffung einer mächtigen Flotte notwendig, die unter dem Präsidenten Harrison und seinem Außenminister James Gillespie Blaine in den Jahren 1888 bis 1893 geradezu übertrieben verwirklicht wurde. Damit wurde die See zum Sprungbrett einer offensiven, ja aggressiven Weltpolitik gedeutet. Mit dieser Entwicklung wurden auch in der amerikanischen Geopolitik Denk­ ansätze zur Definition des Verhältnisses zwischen Landmacht und Seemacht ent­ wickelt, da man bei dem Versuch, sich im Pazifik und auf dem ostasiatischen Kon­ tinent festzusetzen, nicht nur auf die Konkurrenz der europäischen Kolonialmächte, sondern auch auf die Kontinentalmacht Rußland traf, die im Begriff war, in Nord­ china und die Mandschurei vorzustoßen. Tatsächlich wurde das Verhältnis' zwi­ schen Landmacht und Seemacht als Gegensatz wahrgenommen. So lehrt schon der deutsche Staatsdenker Carl Schmitt, daß es zum ältesten Bestand menschlicher Geschichtsdeutung gehöre, »in dem Gegensatz zwischen See- und Landmächten eine Urtatsache, einen Motor und Hauptinhalt der Weltgeschichte zu sehen: La mer contre la terre. Populäre Vergleiche sprechen vom Kampf des Walfisches mit dem Bären, mythische Bilder von dem des Leviathan mit dem Behemoth«.

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Die große geschichtliche Entscheidung, so Carl Schmitt, gipfele in der heutigen Zeit in der Alternative zwischen der Welt des Meeres und der Welt des Landes, und zwar in einer Form, wie sie in ihrer Gegensätzlichkeit und Tiefe bislang noch nicht dagewesen sei. Denn der Gegensatz von Land und Meer erscheine jetzt zum ersten Mal in der Weltgeschichte nicht mehr in dem Gesichtspunkt des Kampfes um ein Meeresbecken, sondern in dem gewaltigen Horizont des planetarischen Bil­ des der Erde und der Weltozeane. Es sei das Wesen einer Seemacht, den Globus nicht als Pluriversum verschiedener raumgebundener souveräner Einheiten und voneinander abgegrenzter Einflußsphären mit gegenseitigen Einmischungsverbo­ ten anzusehen, sondern als eine Art >global villagepresence offorce< permanent zu stabilisierenden Welt­ gleichgewichts zu interpretieren«.111 >Sea-Power< im Mahanschen Sinne bedeutet die Sicherstel lung einer absoluten Vormach tstellung zur See, »die des Feindes Flagge von ihr vertreibt oder nur zur flüchtigen Erscheinung werden läßt, und die durch

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Beherrschung der weiten See die Straßen sperrt, über die der Handel zu und von des Feindes Küsten fließt«.112 Entscheidend ist damit nach Mahan nicht allein die Fähigkeit einer Nation, Truppen über See zu schicken. Vielmehr - und in noch hö­ herem Maße - gehört hierzu die Fähigkeit zur Kontrolle des Handelsverkehrs und der Handelsstraßen. Mahan stellte in seinen genannten Werken dar, wie sich der Seemachtsgedanke seit dem 17. Jahrhundert derart entwickelt und ausgedehnt hatte, daß dessen Förderung und Schutz als äußerst wichtig für das nationale Wohl ange­ sehen wurde. Durch überseeische Entdeckungsreisen und die Errichtung von Handelsniederlassungen und Kolonien in Amerika und Asien w urde Europas Wohl­ stand in steigendem Maße von der See abhängig. All dies hatte zur Folge, daß die Nationalstaaten Kriegsflotten bauten und ständig unterhielten. Bei seiner Analyse der Seeherrschaft kam Mahan zu dem Ergebnis, daß sechs Grundbedingungen vorhanden sein müsssen, um die bestmögliche Entfaltung von Seemacht zu gewährleisten: 1. geographische Lage, 2. physikalische Beschaffen­ heit, 3. Größe des Machtbereichs, 4. Bevölkerungszahl, 5. Nationalcharakter, 6. Charakter und Politik der Regierungen. Zusammengefaßt bedeutete dies nach Mahan, daß »ein Staat, der sich zu Lande weder verteidigen noch ausdehnen mußte, sehr viel günstigere Voraussetzungen hatte, sich auf das Wachsen seiner Seemacht zu konzentrieren, als ein Staat, der gezwungen war, sich gegen seine Landnachbarn gerüstet zu halten«.113 Des weiteren hieß das, daß »eine günstige Lage an den Hochsee-Handelsstraßen einen weiteren wesentlichen Vorteil brachte, ebenso wie gute Häfen und eine Küste, die nicht zu hohe Anforderungen an die Verteidigungsaufwendungen des Landes stellte und nicht... auf zwei Seegebiete aufgeteilt war«.114 Als weiteres begründendes Element einer Seemacht betrachtete Mahan die klimatische Beschaffenheit des Landes: Kar­ ger Boden und ungünstiges Klima waren oft Anlaß, sich überseeischen Gebieten zuzuwenden, während die Bewohner eines wohlhabenden Landes weniger geneigt waren, dies zu tun. Mit dem >Nationalcharakter< meinte Mahan die generelle Be­ reitschaft, »alles, was die See bietet, zu nutzen: einträglichen Handel, stetiges Ge­ schäft, überseeische Kolonien - eine Nation unternehmender Handels- und Ge­ schäftsleute, die auch bereit und in der Lage sind, ausreichende Mittel in die Verteidigung der See zu investieren, um ihre Interessen auf und über See zu schüt­ zen«.115 Dabei wies Mahan auch der Regierung eines Staates eine entscheidende Rolle zu: »Durch Förderung des Flotten- und Handelspotentials des Landes in Frie­ denszeiten und durch geschickte Nutzung der Seemacht in Kriegszeiten konnte sie dafür sorgen, daß die Aussichten für einen Sieg - und somit eine weitere Verbesse­ rung der Position des Landes in der Welt - günstig waren.«116 Mahans Studien kamen zu der Schlußfolgerung, daß Weltmacht grundsätzlich identisch sei mit Seemacht. Derjenige Staat also, der die Seeherrschaft besitzt, hält damit die Mittel einer globalen Herrschaft überhaupt in der Hand und nimmt be­ stimmend auf den Verlauf der Geschichte Einfluß. Schließlich sei es auch die See gewesen, die bei der Verbreitung der Zivilisation eine führende Rolle gespielt habe:

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»Trotz der bekannten und unbekannten Gefahren der See sind Reisen und Waren­ transport zu Wasser stets leichter und billiger als zu Lande... Wer will daran Vor­ beigehen, daß die Macht, über die die englische Regierung während des Siebenjäh­ rigen Krieges in ihrem kleinen und an Rohstoffen armen Lande verfügte, unmittelbar auf der See beruhte? Die richtige Nutzung und Beherrschung der See ist nur ein Glied in der Kette des Handelsverkehrs, durch den ein Land zu Wohlstand ge­ langt. Aber es ist das bestimmende Glied, das die anderen Nationen zum Nutzen derer, die die See beherrschen, in Pflicht nimmt und das - wie die Geschichte zu beweisen scheint - mehr als alles andere und am sichersten zu Reichtum führt... In diesen drei Dingen - Produktion, die zwangsläufig zum Handel mit Produkten führt, Schiffahrt, durch die der Handel erfolgt, und Kolonien, die die Schiffahrt erleichtern, ihren Aktionsradius erweitern und in hohem Maße zu ihrer Sicherheit beitragen - liegt zu einem wesentlichen Teil der Schlüssel für die Geschichte und die Politik der an die See angrenzenden Nationen.«117 Diese Elemente besaßen für Mahan nicht nur universale Gültigkeit, vielmehr waren (und sind) diese Gedanken auch Handlungsanweisungen für den mariti­ men Hochimperialismus der USA. Der Politikwissenschaftler Tilman Meyer schreibt hierzu treffend: »Zuvor hatte bereits der amerikanische Admiral Alfred Thayer Mahan die Bedeutung der Seemächte hervorgehoben, und zwar im engeren Sinne als überlegene Kriegsflotten, vor allem aber als Mächte, die Überseehandel mit dem Erwerb von Stützpunkten und entsprechend weitläufigen, seegestützten Kontrol­ len von Weltrouten und Küstenstreifen verbanden. Man könnte sagen, daß die USA bis heute navalistisch geblieben sind. Mehr noch, diese Seemachtspolitik ist heute auch dafür verantwortlich, daß der Globalisierungsprozeß abgesichert werden kann. Die weltweite Präsenz der USA in der Tradition des britischen und später des ame­ rikanischen Stützpunktdenkens sichert den globalen Kapitalismus, ja macht ihn überhaupt erst möglich. Mahans expansionistisches Denken war mit der Empfeh­ lung zur Bildung von Kolonien, Überseemärkten und Handelsflotten klar in den britischen imperialen Traditionen eingebettet. Er dachte in der Tradition von See­ mächten: >In any Operation, under all circumstances, a decisive naval superiority is to be considered as a fundamental principle, and the basis upon which every hope of success must ultimately depend.Wohlstandes< und nationaler >Größegelbe Gefahr< aus China

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(mit letzterer bezeichneten die imperialistischen Mächte das Streben Chinas nach Unabhängigkeit) abzudrängen. Die Fernhaltung Rußlands war für Mahan eine Voraussetzung für die oben geschilderte Offenhaltung des amerikanischen Prin­ zips der >Offenen TürHeartland< wiederum ist umgeben von Randgebieten (>marginal regionsPivot area< umschließende »inner or marginal crescent« (innerer Halbmond, zu dem Skandinavien, Westeuropa einschließlich Spanien und Italien, die Balkanhalb­ insel und die peripheren Staaten Nordafrikas, des Nahen Ostens und Ostasiens, einschließlich Indien und China gehören) hat seine geopolitische Bedeutung darin, daß sie die Kontaktzone zwischen dem >Heartland< und den Meeren darstellt. Die­ ser >innere Halbmond< ist seinerseits von einem >outer crescent< (äußeren Halb­ mond) umgeben, der aus Großbritannien, dem amerikanischen Doppelkontinent, dem südlichen Afrika, Australien und Japan besteht. Die Verbindung von dem >mar­ ginal or inner crescent< und dem >heartland< bildet für Mackinder die sogenannte >World Island< (Weltinsel).140 Aus diesem geographischen Weltbild heraus entwickelte Mackinder eine andau­ ernde Konfliktkonstellation zwischen der Seemacht, die auf dem >äußeren Halb­

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Halford Mackinder. Alfred ThayerMayan.

Das Heartland und das eurasische Reich nach Mackinder.

Mackinders Weltinsel ur >Pivot Area
inneren Halbmond< kontrolliert, und der Kontinentalmacht, die das >Herzland< beherrscht. Die Bedro­ hung für die Seemacht sah Mackinder in einem sich modernisierenden Rußland, das sich anschickte, unter Mobilisierung seines strategischen Potentials zur Küste vorzustoßen und eine Flotte aufzubauen. Die Beherrschung des >inneren Halbmon­ des< durch die Macht des Kernraumes würde aber schließlich auf kurz oder lang zu einer Eroberung des >äußeren Halbmondesinneren Halbmondes< hängt damit also die Stellung der See­ macht als Weltmacht ab. Deshalb ist, so Mackinder, nicht nur die territoriale Aus­ breitung Rußlands insbesondere nach Süden und Westen eine Gefahr für die See­ macht, sondern auch ein Bündnis zwischen Deutschland und Rußland. Im Jahre 1919 konnte Mackinder seine Thesen vervollkommnen und aktualisie­ ren. Vor dem Hintergrund der Bestrebungen der Sieger des Ersten Weltkrieges, das unterlegene Deutsche Reich weitgehend zu isolieren und insbesondere von ei­ ner Zusammenarbeit mit Rußland abzuhalten, die vor allem Frankreich als Vor­ aussetzung für die Revision der von ihm in den Pariser Vorortverträgen diktierten Neuordnung ansah, kamen Mackinders Ansätze zum Tragen. In seinem Werk aus dem Jahre 1919, Democratic Ideals and Reality, heißt es: »Die Bedingung der Stabilität der territorialen Neuordnung Osteuropas ist, daß die Teilung in drei Staatensysteme erfolgen soll, und nicht in zwei Staatensysteme. Es ist eine vitale Notwendigkeit, daß eine ganze Reihe von unabhängigen Staaten zwischen Deutschland und Ruß­ land entstehe...«141 Mackinder warnte hier vor einem aufstrebenden Deutschland, »das eine schwache, an den Folgen des Krieges und der Revolution leidende So­ wjetunion erobern könnte, um zur führenden Landmacht aufzusteigen. Oder aber es werde zum deutsch-sowjetischen Bündnis kommen, um Rußlands enorme Natur­ schätze und seine starke strategische Stellung mit der beruflich hochqualifizierten und gut organisierten deutschen Bevölkerung zu vereinen und Englands Vorherr­ schaft zu brechen. Mackinder plädierte für... eine Pufferzone unabhängiger, zum Teil neugeschaffener Staaten von Finnland bis zum Schwarzen Meer mit dem Ziel, Berlin und Moskau, >den germanischen und den slawischen Giganten zu tren­ nen«.142 Damit wurde zum erstenmal die Idee eines sowohl gegen Deutschland als auch gegen Rußland gerichteten Cordon sanitaire dargelegt. Dieser Staatengürtel Ostmit­ teleuropas - also der westliche Teil des >inneren Halbmondes< - wurde damit die Funktion zugewiesen, Deutschland und Rußland voneinander fernzuhalten, um eine Verschmelzung der Potentiale beider Nationen zu verhindern. In diesem Zu­ sammenhang prägte Mackinder auch die berühmten Sätze: »Wer Osteuropa be­ herrscht, beherrscht den Kernraum. Wer den Kernraum beherrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer die Weltinsel beherrscht, beherrscht die Welt.« Mit einer Herrschaft über Ostmitteleuropa hat Rußland schließlich ein strategisches Vorfeld, einen Brü­ ckenkopf Richtung See (ein solcher Zugang aber ist Mackinder zufolge für Rußland zu versperren), während umgekehrt die strategische Kontrolle der atlantischen See­

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macht über das ostmitteleuropäische Territorium Rußland den Weg zum Meer ab­ schneidet, womit die Weltmachtposition der Seemacht gewahrt bliebe. Erstmalig wurde damit die Bedeutung der osteuropäischen Staatenwelt, die aus der Sicht der Vereinigten Staaten den Worten des früheren US-Verteidigungsmi­ nisters Rumsfeld zufolge das »Neue Europa - sprich einen aktualisierten proatlan­ tischen Cordon sanitaire - darstellt, für die anglo-amerikanische Geopolitik hervor­ gehoben. Wer diese Theorien Mackinders berücksichtigt, wird sich deshalb auch der Sprengkraft bewußt sein, die in der gegenwärtigen NATO-Osterweiterung und in der Aufstellung eines US-Raketenabwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik liegt. Bei diesen strategischen Maßnahmen der USA geht es nicht um bloße regionale Sicherheitsfragen; es geht - wie Mackinder es formuliert - hierbei um die von den USA offensiv durchgesetzten Bestrebungen zur Beherrschung der Weltin­ sel, was von der Russischen Föderation heute auch als solches erkannt wird. Hierin liegt die Aktualität Mackinders. Die oft zitierte Formel, daß die Herrschaft über Eurasien von der Herrschaft über Osteuropa abhängt, ergibt sich nach Mackinder auch aufgrund einer gründlichen geographischen Betrachtung des eurasischen Raumes: »Das Heartland ist die größte natürliche Festung auf der Welt«, schrieb er, die durch folgende geographische Faktoren bewacht sei: Zum einen durch das Polarmeer im Norden, durch die Sümpfe und Wälder Ostsibiriens im Osten sowie durch die Wüsten und Berglandschaften Zentralasiens im Süden. Die einzige Schwachstelle befinde sich im Westen, in je­ nem Landstreifen zwischen der Ostsee und dem Schwarzen Meer. Wer dieses Glacis kontrolliere, mache die Einschließung und damit die Isolation und Handlungsun­ fähigkeit der Macht des >Heartland< perfekt. Während des Zweiten Weltkrieges begann man in den Vereinigten Staaten die Bedeutung Mackinders für die Entwicklung einer eigenen Strategie gegenüber der Sowjetunion zu erkennen. In dieser Zeit »wuchs gerade in den USA das Interesse an Mackinders Theorien in dem Maße, wie die Sowjetunion sich anschickte, in der Nachkriegszeit eben jenes Gebiet zu kontrollieren, welches sich mit dem Herzland Mackinders deckte«.143 Parallel sah sich Mackinder veranlaßt, sein geopolitisches Programm zu verändern, und fügte 1943 seinen ursprünglichen Theorien ein wei­ teres geopolitisches Konzept bei, das auf die Errichtung eines angemessenen Gegen­ gewichts zum >pivot state< ausgerichtet war und das Stefan Fröhlich zufolge dann tatsächlich die Gestaltung der Nachkriegsordnung beeinflussen sollte: Mackinder sprach von einem »Midland Ocean«, einem Westeuropa, Großbritannien, den At­ lantik und den östlichen Teil Nordamerikas umfassenden Verteidigungsring zwi­ schen dem >heartland< und dem >outer crescentatlantische Sicher­ heitszone< bezeichnet werden kann. Entwickelt wurde diese vierte Komponente in Anbetracht des dynamischen Vor­ stoßes der Sowjetunion nach Osteuropa und der Tatsache, daß diese im Begriff

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war, durch die Besetzung der Staatenwelt des >inneren Halbmondes< das Kräfte­ gewicht zu Lasten der angelsächsischen Seemächte zu verschieben. Damit mußte, um das Kräfteverhältnis zugunsten der angelsächsischen Seemächte wiederherzu­ stellen, das geopolitische Element des >Midland Ocean< hinzugefügt werden. Das Hauptmotiv des >Midland OceanBalance of Power< auf der eurasischen Landmasse zugun­ sten der UdSSR.144 Dabei setzte Mackinder das >Heartland< mit dem Territorium der Sowjetunion gleich. Insoweit erwies sich dieser britische Gelehrte bereits als Vordenker des nordatlantischen Bündnisses, dessen Funktion - wie noch gezeigt wird - in der Umsetzung nicht nur der Mackinderschen Vorstellungen, sondern auch der weiterer amerikanischer Geopolitiker zu sehen ist. In seinem Aufsatz »The Round World and the Winning of the Peace«, erschienen in den Foreign Affairs vom Juli 1943, beschrieb Mackinder sein Konzept wie folgt: »Der >Midland Oceaninneren HalbmondesIso­ lationismus< also, sondern dieser unter der Ernüchterung und der Vorherrschaft der großen Geschäftsinteressen nach dem Krieg besonders deutlich hervortretende nationale Egoismus ist der Schlüssel zum Verständnis der amerikanischen Außen­ politik in den beiden Jahrzehnten zwischen den Weltkriegen.«151 Die Politik der >Offenen TürOffenen Tür< verletzten. Einher ging dies mit einem Bruch der Grundsätze der Monroe-Doktrin. Das sollte sich am Beispiel der japanischen Expansion in China zeigen: »Der Ferne Osten gab denn auch nach dem Kriege den nächsten Anlaß zu einem abermaligen Bruch mit den Prinzipien der M onroe-Doktrin,155 der im letzten Jahre der Präsidentschaft Hoo­ vers durch den Staatssekretär Henry Stimson erfolgte. Die Monroe-Doktrin sieht ausdrücklich die Anerkennung der de facto-Regierungen in Europa als Grundprin­ zip der amerikanischen Außenpolitik vor. Der Ferne Osten ist in ihr naturgemäß nicht erwähnt, weil er um 1823 als weltpolitisches Problem noch gar nicht existierte. Als Staatssekretär Stimson nach der Eroberung der Mandschurei durch Japan am 7. Januar 1932 in einer Note an die japanische und chinesische Regierung, die später als die >Stimson-Doktrin< bekanntgeworden ist, mitteilte, die Vereinigten Staaten würden Gebietsveränderungen, die sich aufgrund kriegerischer Ereignisse erge­ ben hätten, nicht anerkennen, war damit ohne allen Zweifel das Prinzip der Mon­ roe-Doktrin der Nichteinmischung ebenso grundsätzlich durchbrochen wie durch den Kriegseintritt von 1917. Entsprechend dem weltweiten Einfluß, den der Dollar­ imperalismus des größten Tributgläubigers sich erworben hatte, konnte dieser Schritt nur bedeuten, daß die Vereinigten Staaten in Zukunft die gegenüber den südamerikanischen Ländern geübte Oberherrschaft nun auf wichtige andere Ge­ biete der Welt jenseits der westlichen Hemisphäre zu übertragen beabsichtigen. Die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer Regierung hatte sich... zu einer der wichtigsten Waffen der amerikanischen Außenpolitik in der westlichen Hemi­ sphäre entwickelt... Die Stimson-Doktrin stellt daher den Übergang der Vereinig­ ten Staaten vom imperialistischen Isolationismus der Zeit nach dem Weltkrieg zu einem neuen expansiven Imperialismus dar, der in der Epoche Franklin Roosevelts sich dann voll entfalten sollte.«156 Denn die Stimson-Doktrin räumte den USA den Rang eines Schiedsrichters über jeden Streitfall in der ganzen Welt ein. Ein weiteres Instrument, das den USA die Legitimation zu weltweiten Interven­ tionen eröffnete, war der sogenannte >Briand-Kellogg-Pakt< von 1928. Dieser war wie der Historiker Dirk Bavendamm erklärt - ein völkerrechtliches Unikum: kein Vertrag im eigentlichen Sinne, sondern eine Erklärung zur Ächtung des Krieges »als Werkzeug nationaler Politik«. Die Besonderheit dieser Abmachung lag darin, daß sie den Krieg zwar als Mittel der nationalen Politik abschaffte, jedoch nicht als Mittel der internationalen Politik, also der von den USA bevorzugten Politik der kollek­ tiven Sicherheit. Problematisch war in diesem Pakt ferner, daß er nicht definierte,

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was ein verbotener nationaler Krieg und ein erlaubter internationaler Krieg waren. »Dies sollte... von Fall zu Fall entschieden werden mit der stillschweigend erwar­ teten Folge, daß die Vereinigten Staaten dann ihre Neutralität aufheben und in den gerechten Krieg gegen den nicht gerechtfertigten Aggressor eintreten würden... Auf jeden Fall war der diskriminierende Unterschied zwischen einem ungerechten >nationalen Krieg< und einem gerechten internationalem Krieg jetzt festgeschrie­ ben, und es lag fortan faktisch in der Hand der Vereinigten Staaten, welchen Staat der Bannstrahl des Aggressionsvorwurfs im Fall eines Konflikts treffen würde.«157 Der Sinn dieser beiden Instrumente lag darin, jegliche territoriale Veränderung, die den ökonomischen Einfluß der USA in irgendeiner Form hätte schmälern kön­ nen, von vornherein zu unterbinden, gegebenenfalls auch mit militärischer Inter­ vention. »Durch die Dollardiplomatie waren ungeheure Gebiete der Welt außer­ halb der westlichen Hemisphäre praktisch dem amerikanischen Finanzdiktat unterworfen. Auch vom amerikanischen Gesichtspunkt aus war die Welt >endgül­ tig< verteilt. An dieser Weltordnung sollte nicht mehr gerüttelt werden. Der Kel­ logg-Pakt wie die Stimson-Doktrin waren der Ausdruck dieser politischen Macht­ theorie. Mit der tatsächlichen Verbannung des Krieges hatten sie nichts zu tun, da die Nutznießer der bestehenden Weltordnung sich weder in Asien noch in Europa Mühe gaben, vorsorglich die Ursachen und Gründe für etwa zu befü rchtende Kriege durch eine gerechte Verteilung der Weltrohstoffe... zu beseitigen. Zugrunde lag also mit einem Wort der Versuch, die großen zivilisierten Nationen in Völker erster und zweiter Klasse einzuteilen und mit allen Mitteln zu verhindern, daß die Völker zweiter Klasse an den Vorrechten der Völker erster Klasse teilhaben konnten«, so beurteilte der Amerika-Kenner Giselher Wirsing Sinn und Zweck der Stimson-Dok­ trin und des Kellogg-Paktes. Tatsächlich blieb die Sicherung des Zugangs zu den Weltmärkten oberstes Leitprinzip der amerikanischen Außenpolitik, und nichts fürchteten die USA so sehr, als daß anstelle des globalen Freihandelsregimes unter Führung der Vereinigten Staaten nunmehr sich ein multipolares System geschlos­ sener wirtschaftlicher Großraumeinheiten entwickeln würde. Die Handels- und Expansionspolitik des Dritten Reiches wie auch des japani­ schen Kaiserreiches verfolgte aber genau eine solche Richtung, so daß sich die USA ihrerseits zu einer Intervention gezwungen sahen. Henry Wallace stellte in seinem Buch The American Choice folgerichtig fest, daß es den USA durch d ie Methode Hitler­ deutschlands, den Welthandel zu kontrollieren und zu beschneiden, unmöglich geworden sei, »ein adäquates Exportvolumen zu erreichen... Ein politischer Ein­ griff der Regierung wird immer unvermeidlicher«.158 Nach dem Scheitern der Roo­ seveltschen Wirtschaf tspolitik des >New Deal< - so Lloyd C. Gaydner - gewann die Machtelite in den USA immer mehr die Überzeugung, daß die weltweite Wieder­ herstellung offener Märkte viel erfolgversprechender sein werde als die Reglemen­ tierung und Abschließung des amerikanischen Binnenmarktes. »Amerikas Frontstellung gegen Japan im Fernen Osten resultierte aus der OpenDoor-Politik. Der Versuch Japans, dort eine für das eigene Land ertragreiche Ein­

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flußsphäre zu schaffen, war das deutlichste Beispiel für jene Strategie, die versuchte, bestimmte Gebiete abzugrenzen und in feudaler Abhängigkeit zu halten - Gebiete, die Amerika immer als zum eigenen äußersten Einflußbereich gehörend betrachtet hatte. Ganz ähnlich stellte der Verlust bedeutender Handelsgebiete an Deutsch­ land eine doppelte Gefahr dar. Der Berater... von Außenminister Stimson, John J. McCloy, stellte diese doppelte Herausforderung gegen Ende einer seiner Reden dar: >Wenn man sich ansieht, wie Deutschland die Käufe in Europa kontrolliert und qua Regierungsgewalt zudem fast den ganzen Handel in der Kontrolle hat, so kann man sich ganz gut vorstellen, daß Deutschland durchaus in der Lage wäre, den ganzen Handel (der USA, der Verf.) mit Europa, Südamerika und dem Fernen Osten zu unterbindencivilized union of the nationsworld communityGleichgewichts der Mächte< beseiti­ gen. An deren Stelle forderte Walter Lippman eine angelsächsische »Community of Power« - ähnlich wie sie bereits US-Admiral Mahan vorgedacht hatte - unter der Weltführungsrolle der USA.165 Um dieses Ordnungsmodell durchsetzen zu kön­ nen, forderte Lippman auch den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg, denn ein möglicher Sieg Deutschlands »gefährdete die britische Seemacht und damit jene

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für die Sicherheit der Atlantikrouten entscheidende anglo-amerikanische Seealli­ anz«. Amerika habe deshalb nur die Wahl gehabt, das passive Opfer internationa­ ler Unordnung zu werden oder den Entschluß zu fassen, aktiv und führend den Krieg zu beenden.166 Lippmans Vorstellung von einer »Atlantic community« sollte überdies darauf ausgerichtet sein, den westlichen Machterhalt in Asien sicherzustel­ len und die Entstehung eines kontinentalen Gegenspielers verhindern zu helfen. Genau dieser Ansatz fand sich schließlich auch in der außenpolitischen Konzep­ tion des Präsidenten Franklin D. Roosevelt wieder. In seinen Augen war die Er­ richtung einer anglo-amerikanischen Gemeinschaft im Sinne Walter Lippmans er­ forderlich, um die Ausbreitung einer konkurrierenden Macht auf dem eurasischen Kontinent einzudämmen. Roosevelt übernahm hier das >Midland-Ocean-Konzept< Mackinders. Vor diesem Hi ntergrund stellt Stefan F röhlich fest, daß seit der R oose­ veltschen Quarantäne-Rede in Chicago 1937, spätestens aber seit 1939 der eurasi­ sche Kontinent in einer Form in den Fokus der amerikanischen Politik geriet, »wie sie zumindest einem der zentralen Punkte des Mackinderschen >heartlandCommu­ nityworldisland< eine Bedrohung für die Sicherheitsinteressen der Seemacht USA sei. Gerade in den Kreisen des amerikanischen Militärs wurden diese Gedanken weiterentwi­ ckelt. Zwar glaubten einige Kreise - die auch erheblichen Einfluß auf die Nachkriegs­ vorstellungen Roosevelts hatten -, daß eine dauerhafte Zusammenarbeit mit der Sowjetunion im Sinne einer amerikanisch-sowjetischen Weltpolizei möglich sei, doch stand im wesentlichen schon eine Weitsicht im Vordergrund, daß dem amerikani­ schen Weltführungsanspruch durch die Sowjetunion ein kontinentaler Konkurrent entgegentreten könne: George Lincoln beispielsweise, Mitglied der 1942 gegrün­ deten >Operations Divisioninneren Halbmondes< zur Aufrechterhaltung der transatlantischen Sicherheit aus­ reichend sei. Zur Eindämmung einer eurasischen Machtkonzentration empfahl er die Errichtung eines Systems regionaler Staatenbündnisse, die auf dem Prinzip auf­ gebaut werden sollten, daß der jeweiligen Vormacht »die quasi-Kontrolle über eine bestimmte >strategische Zone< eingeräumt wurde, während die Einmischung in die inneren Angelegenheiten eines Staates in einer anderen Zone einen flagranten Ver­ stoß gegen das Nichteinmischungsprinzip bedeutete«.174 Neben der Atlantischen Gemeinschaft sollten zu einem solchen Bündnissystem eine chinesische Einflußsphäre gehören, die Indochina, Korea, Burma, Thailand und Malaya umfaßte, sowie ver­ gleichbare Bündnisse in der hinduistischen wie auch in der islamischen Welt. Diese Denkansätze Lippmans sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie we­ sentliche Elemente der künftigen Nachkriegs-Weltordnung der USA vorwegneh­ men. Der anti-eurasische Containment-Gedanke, der in der Einforderung von re­ gionalen Bündnissystemen auf dem eurasischen Kontinent zum Ausdruck kommt, findet sich in der Gründung von Bündnissen wie der NATO, der SEATO oder dem Bagdad-Pakt nach dem Zweiten Weltkrieg wieder. Insoweit hat die Lippmansche Gedankenwelt vor diesem Hintergrund einen nicht zu unterschätzenden Einfluß auf die Planungen der amerikanischen Machtelite, der auch bis heute anhält. So läßt sich beispielsweise die Schaffung des gegen den russischen Einfluß gerichteten osteuropäisch-zentralasiatischen Bündnisses der GUUAM, auf das später noch ein­ zugehen ist, ohne weiteres auf den Lippmanschen Gedanken zurückführen.

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2.4 Das Grundmodell der Nachkriegsordnung die Strategie der >Grand Area< Wie die Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg nach den Vorstellungen der amerikanischen Machtelite aussehen sollte, wurde im sogenannten >Politbüro des internationalen KapitalismusCouncil on Foreign RelationsGrand Area< entstehen sollte. Basis der >Grand Area< war also »ein großes Restgebiet, das potentiell uns zur Verfügung steht und auf dessen Grundlage die amerikanische Au­ ßenpolitik entworfen werden kann« (so die Denkschrift E-B 19).176 »Zu diesem geopoli­ tischen Großraum gehörten die westliche Hemisphäre, das ehemalige britische Em­ pire und der Ferne Osten. Als die Niederlage Deutschlands sich abzuzeichnen begann, wurden diese Pläne auch auf Eurasien ausgedehnt.« (Hervorhebung durch den Verfasser)177 Grundlage des >Grand AreaWirtschaft und Finanzen< des >Council on Foreign Relations< war der >Großraum< für die USA »nicht wünschenswerter als eine Weltwirtschaft, er ist auch kein völlig zufriedenstellender Ersatz dafür«. Die Arbeitsgruppe schlug in diesem Zusammenhang vor, »die Pläne für eine Integration des bestehenden Groß­ raums unter amerikanischer Führung als kurzfristige Kriegs- und Verteidigungs­ maßnahme zu betreiben. Dieser Raum könnte dann als organisierter Kern für den Aufbau einer integrierten Weltwirtschaft nach dem Krieg dienen. Der nächste notwendige Schritt war die Entscheidung über die Mittel, mit denen dieser bestehen­ de Raum ökonomisch vereinigt werden konnte«.181 Das Großraumkonzept beruhte auf der Überlegung, daß die »Wirtschaft der USA auf den Export gewisser Fertigwaren und Agrarprodukte und den Import zahlrei­ cher Rohstoffe und Nahrungsmitt el eingestellt ist« (so das weiterführende Dokument E-B 34). Man befand, eine autarke Wirtschaft der USA und des amerikanischen Kontinents sei unmöglich ohne große Veränderungen des amerikanischen Wirt­ schaftssystems. »Um diese Veränderungen am amerikanischen Wirtschaftssystem zu vermeiden, hatte der CFR (Council on Foreign Relations, der Verf.)... >die Ell­ bogenfreiheit zu bestimmen versucht, die die amerikanische Wirtschaft braucht, um ohne größere Veränderungen zu überlebenmöglichst wenig inneren Konfliktstoff wie übergroße Exportüberschüsse oder gravierende Mängel an Verkaufsgütern enthalten, was zu seinem Auseinanderbre­ chen führen könnteEllbogenraum< benötigen würden. Dieser Raum bestand in seinen endgültigen Dimensionen aus den amerikanischen Kontinenten, Großbritannien, dem Rest des britischen Weltreiches, Holländisch-Ostindien und schließlich Japan. Die Empfehlung erklärte, daß bei einem Scheitern der militäri­ schen Verteidigung und der wirtschaftlichen Integration dieses Gebietes die ame­ rikanische Wirtschaft ernsthaft unter Druck käme, sei es durch Abschneiden le­ benswichtiger Einfuhren wie Gummi, Zinn, Jute und pflanzlicher Öle, sei es, daß der normale Export von Überschüssen behindert würde... Die militärische Vertei­ digung des Großraums machte es nötig, der doppelten Gefahr Deutschland/Japan entgegenzutreten. Da die unter deutscher Kontrolle stehende Zone ein hohes Maß an Autarkie besaß und nicht durch Blockade in die Knie zu zwingen war, wurde

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sie langfristig als Hauptbedrohung der anglo-amerikanischen Region betrachtet. Dokument E-B 54 riet, Deutschland daran zu hindern, die Kontrolle über Nordafri­ ka, den Nahen Osten und die Sowjetunion zu gewinnen und seine eigenen ökono­ mischen Gewinne in Europa zu festigen. Die Studien der Gruppe Wirtschaft und Finanzen hatten gezeigt, wie gefährlich ein vereintes Europa - ob unter Nazi-Herr­ schaft oder nicht - den Vereinigten Staaten werden würde. Fish Amstrong wies Mitte Juni 1941 darauf hin, die Entwicklung eines vereinigten Europas könne nicht zugelassen werden, da seine Stärke zu einer konkreten Gefahr für den amerikani­ schen Großraum würde. Ein vereinigtes Europa wurde als grundlegend unverein­ bar mit dem amerikanischen Wirtschaftssystem angesehen.«182 Wie bereits angedeutet, war dieser Großraum keine statische feststehende Grö­ ße, sondern nur das Grundmodell einer nach amerikanischen Grundsätzen defi­ nierten und organisierten Weltwirtschaftsordnung, das einer dauerhaften dynami­ schen Expansion unterworfen war: »Im Falle eines amerikanisch-britischen Sieges müßte viel für eine Neuordnung der Welt getan werden, besonders in Europa. Dabei sollte sich der Großraum als nützlich erweisen. Während einer Übergangsperiode der Anpassung und des Wiederaufbaus könnte der Großraum ein wichtiger Stabi­ lisator der Weltwirtschaft sein. Die für die Integration des Großraums entwickel­ ten Institutionen könnten sehr wahrscheinlich nützliche Erfahrungen zur Bewälti­ gung europäischer Probleme liefern; vielleicht wäre es sogar möglich, die europäischen Ökonomien in die des Großraums einzuflechten.« (so das Dokument E-B 34)183 Demnach galt der Großraum also als Kernregion, die jederzeit um weitere Län­ der vergrößert werden konnte. L. Viner, Berater des Finanzministeriums und Mit­ berichterstatter der Gruppe Wirtschaft und Finanzen, führte im Mai 1941 aus: »Es wäre das Ziel amerikanischer Politik, das Gebiet des Großraums zu erweitern.« Auch Gruppenmitglied Riefler betont »den dynamischen Charakter des Raumes und den Nutzen, den er als organisierter Kern für die Weltwirtschaft der Nach­ kriegszeit hätte«.184 Damit sollte ein großräumiger Absatzmarkt für die US-Wirt­ schaft geschaffen werden, denn nach den Analysen des >Council on Foreign Relati­ ons< konnte die US-Wirtschaft in ihrer bestehenden Form nur überleben, wenn die westliche Hemisphäre, das britische Empire und der Ferne Osten zum besagten >Großraum< einbezogen würden.185 Gegen Ende des Krieges wurden diese Pläne schließlich konkreter. Der bereits erwähnte Geopolitiker Isaiah Bowman erklärte, daß die USA nunmehr in die Lage versetzt seien, »die Organisation der Welt ganz neu zu überdenken. So wie die USA das Arsenal der Demokratien sind, werden sie das letzte Arsenal im Augen­ blick des Sieges sein. Wir können den Gehalt dieses Arsenals nicht einfach weg­ werfen. Wir müssen die Weltverantwortung akzeptieren... Der Gradmesser unseres Sieges wird der Grad unserer Herrschaft nach dem Sieg sein.« Notwendig sei eine Definition eines erweiterten Konzeptes der amerikanischen Interessen, um sich mit den Gebieten auseinandersetzen zu können, »die strategisch für die Weltherrschaft

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notwendig sind«.186 Der Präsident des >Council on Foreign RelationsHeartland and Rimland< Am Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen des Zweiten Weltkrieges blie­ ben die Seemacht USA und die Kontinentalmacht Sowjetunion als globale Kontra­ henten übrig. Die USA sahen sich nunmehr in die Lage versetzt, den im vorherigen Kapitel dargelegten Weltführungsanspruch gegen den eurasischen Konkurrenten, der seinen Einfluß nach 1945 gleichfalls erheblich ausweiten konnte, erfolgreich durchsetzen zu müssen. Hier gewannen die Ideen Mackinders und seine Theorien vom Gegensatz zwischen Landmacht und Seemacht wieder an Aktualität. Es blieb

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allerdings einem anderen Geopolitiker vorbehalten, dieses Denkmodell wieder aufzugreifen und den aktuellen Bedürfnissen am Ende des Zweiten Weltkrieges neu anzupassen, nämlich dem aus den Niederlanden stammenden Politikwissen­ schaftler Nicholas Spykman. Spykman kritisierte hierbei vor allem die Festlegung Mackinders auf den als grundlegend angesehenen Gegensatz von Land- und See­ macht und kehrte Mackinders Formeln von der Abhängigkeit der Weltherrschaft von der Beherrschung des Herzlandes und Osteuropas um. Mackinder definierte die zw eikontinentale Lan dmasse Euras ien-Afrika als »Welt­ insel« und sah in Eurasien eine für Seemächte unzugängliche Kernzone, die er »Herzland« nannte und genau mit dem Gebiet Rußlands bzw. der Sowjetunion gleichsetzte. Als Gegensatz zu dieser Kernzone betrachtete Mackinder die geogra­ phische Region des >äußeren Halbmondes< (amerikanischer Doppelkontinent, süd­ liches Afrika und Australien), die nach seiner Auffassung gegen einen direkten Einfluß der Kontinentalmacht unverwundbar war. Zwischen Herzland und dem äußeren Halbmond lag der >innere Halbmond< (bestehend aus Europa, der Mittel­ meerregion, dem Nahen und Mittleren Osten, dem indischen Subkontinent sowie der südostasiatischen Region). Die Verbindung von >innerem Halbmond< und dem >Herzland< bildet die Weltinsel. Aus dieser Betrachtungsweise leitete Mackinder seine Formel ab, daß die Weltherrschaft von der Beherrschung der Weltinsel und diese wiederum von der Herrschaft über das Herzland und Osteuropa abhängig sei. In seinem Hauptwerk America's Strategy legte Spykman seine Überlegungen zur amerikanischen Strategie der Weltherrschaft dar. Er ging dabei »von drei globalen Machtzentren aus: den atlantischen Küstenregionen Nordamerikas, dem europäi­ schen Littoral (Küstenregion) und dem fernöstlichen Küstenstreifen Eurasiens. Er übernahm Mackinders Weltbild von einem eurasischen Block, dessen Mittelstück (heartland) im Norden (Rußland) lag. Auch anerkannte er die beherrschende Posi­ tion Rußlands in dieser von Mackinder als geographischer Angelpunkt Eurasiens (>pivot areaHerzlandinneren Halbmond< ausgehen sah - also Mackinders »inner crescent«, den Spykman über den gesamten europäischen Kontinent westlich der Landverbindung zwischen Ostsee und Schwar­ zem Meer, die innerasiatischen Hochlande und China ausdehnte und dem er den Namen »Rimland« gab.194 In diesem »Rimland« erblickte er »die aufgrund von Be­ völkerungen, Ressourcen, Industriepotentialen und der direkten Verbindungen zu den umliegenden Weltmeeren weitaus besseren Voraussetzungen für künftiges welt­ politisches Gewicht - vorausgesetzt, es unterhielt sowohl ausreichende See- als auch Landstreitkräfte, um sich in beide >Richtungen< verteidigen zu können«.195 Dieses »Rimland« stellt nach Spykman die Pufferzone zwischen dem Zentrum der eurasi­ schen Landmasse und den dieses umgebenden Meeresrouten dar, die West- und Zentraleuropa, die Länder des Nahen Ostens, die Türkei, den Iran und Afghani­ stan, Tibet, China und Ostsibirien sowie die drei Halbinseln von Arabien, Indien und Thailand umfaßt. In dem Weltbild Spykmans lagen jenseits der das >R imland< umgebenden Seewege die sogenannten >off-shore-islandsäußeren Halbmond< zugehörig zählte und die nach Spykman Bestandteil des amerikanischen Machtbereichs sein sollte.196 Im Gegensatz zu Mackinder sah Spykman den Schlüssel nicht in der Kontrolle des >HerzlandesRimlandHerzland< hat seiner Einschätzung nach aufgrund des Klimas und der Bevölkerungs­ stärke nicht die notwendige Voraussetzung für eine beherrschende Stellung. Das >Rimland< hingegen weist die notwendige Mobilität und Industrialisierung auf, um sowohl für die Landmacht als auch die Seemacht eine verwundbare Pufferzone und eine entscheidende Einflußzone darzustellen: »Das >Rimland< der Eurasischen Landmasse muß als eine Zwischenregion angesehen werden, eingekeilt zwischen dem Herzland und dem Meer. Seine Funktion liegt darin, Pufferzone in einer Aus­ einandersetzung zwischen See- und Landmacht zu sein. In beide Richtungen bli­ ckend, muß es gewissermaßen amphibisch funktionieren und sich selbst sowohl auf dem Land als auch zur See verteidigen können. In der Vergangenheit hatte es ge­ gen die Landmacht des Herzlandes und gegen die Seemacht der >Off-shore-islands< Großbritannien und Japan zu kämpfen. Sein amphibischer Charakter ist sein grund­ legendes Sicherheitsproblem.«197 Dieses Sicherheitsproblem äußert sich Spykmans Ansicht nach darin, daß sich Bündnisse entweder zwischen Land- und Seemacht gegen eine >RimlandRimlands< und dem Herzland gegen andere Staaten des >Rimlands< im Bündnis mit der Seemacht bildeten: In der Geschichte »hat es niemals einen bloßen Landmacht-Seemacht-Gegensatz gegeben. Die Bündnisse in der Geschichte

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Nicholas Spykman.

In der Mitte des eurasi­ schen Kontinents befindet sich das >Heartland< nach der Auffassung von Hodson (gestrichelte Linie) und D. S. Meinig.

Nicholas Spykmans Rimland (1944).

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waren immer derart gestaltet, daß einige Mitglieder der Rimland-Staaten mit Groß­ britannien gegen andere Mitglieder der Rimland-Staatenwelt mit Rußland, oder Großbritannien und Rußland zusammen gegen eine beherrschende Rimland-Macht verbündet waren«.198 Aus diesen Überlegungen heraus kehrte Spykman die Formel Mackinders gewissermaßen um: »Wer das Rimland kontrolliert, beherrscht Eura­ sien; wer Eurasien beherrscht, kontrolliert die Geschicke der Welt.«199 Nach Spykman bedeutet dies, daß die Herrschaft über das Rimland durch einen Staat oder eine Staatenkoalition eine politische und strategische Einkreisung der USA darstellt. Vor diesem Hintergrund liegt »die erste Verteidigunglinie der Ver­ einigten Staaten in der Aufrechterhaltung einer balance of power in Europa und Asien«.200 Diese geopolitische Logik muß sich Spykman zufolge auch auf die Roh­ stoffpolitik der USA auswirken: Da die USA in wachsendem Maße rohstoffimport­ abhängig sind und diese Rohstoffe hauptsächlich auf den >Rimlands< gelegen sind, müssen die USA darauf achten, daß diese Staatenwelt nicht in einen geschlossenen funktionsfähigen eurasischen Wirtschaftskreislauf eingebunden wird.201 Das bedeu­ tet also, daß die globale Vorherrschaftsstellung der USA abhängig ist von der Un­ einigkeit und Desintegration des eurasischen Raumes im Sinne einer eurasischen balance of power. Für die Sicherung des seit dem amerikanisch-spanischen Krieg erlangten Welt­ machtstatus der USA leitet Spykman ab, daß die bloße Verteidigung einer wie auch immer definierten >westlichen Hemisphäre< oder des amerikanischen Doppelkon­ tinents nicht ausreichend ist. Nicht zuletzt aufgrund der wachsenden Rohstoffab­ hängigkeit der USA von der Welt und der Tatsache, daß die Ozeane keine wirklich trennende Funktion mehr darstellen, haben die USA dafür Sorge zu tragen, daß eine konkurrierende eurasische Landmacht nicht die Kontrolle über die Staaten­ welt des Rimlands - mithin der eurasischen Gegenküste - erhält: »Der Grund da­ für, daß die USA in den l etzten dreißig J ahre zweimal in den Kri eg g egangen sind..., war die Möglichkeit, daß die Rimlandregionen der eurasischen Landmasse von einer einzigen Macht beherrscht werden könnten... Ihre hauptsächliche Pflicht muß es deshalb in ihrem eigenen Interesse sowohl in Friedens- als auch in Kriegszeiten sein, die Vereinigung der Machtzentren der Alten Welt zu einer feindlichen Koali­ tion zu verhindern... Ein Gleichgewicht der Kräfte auf dem eurasischen Kontinent sicherzustellen ist eine der Aufgaben, für die wir kämpfen werden, und die Errich­ tung eines solchen Gleichgewichts und seine Bewahrung werden unser Ziel sein, wenn der Kampf gewonnen ist.«202 Stefan Fröhlich spricht hier von Spykmans »Ide­ albild eines fragmentierten Europas«.203 Um ein solches »Equilibrium of Powers« auf der eurasischen Gegenküste auch sicherstellen zu können, sollten regionale Sicherheitsbündnisse unter maßgeblicher Beteiligung der USA abgeschlossen werden, da nach S pykmans Ansicht nur auf diese Weise eine Ordnung kollektiver Sicherheit aufrechterhalten werden kann. Mit die­ ser Strategie regionaler Mächtegruppierungen unter maßgeblicher amerikanischer Beteiligung hat Spykman bereits die Konzeption der NATO vorweggenommen. In

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Anlehnung an die Theorien des amerikanischen Navalisten Alfred Thayer Mahan sah Spykman aber ein System von Stützpunkten um den eurasischen Kontinent her­ um, um der Sowjetunion den Zugang zur europäisch-afrikanischen Transatlantik­ zone, zum Nahen und Mittleren Osten sowie zur Pazifikregion zu versperren, nicht mehr als ausreichend an.204 Bündnisse mit anderen Seemächten zur Sicherstellung der Kontrolle über die maritimen Handelsrouten mußten S pykman zufolge durch ein e ständige Präsenz US-amerikanischer Streitkräfte in Europa ergänzt werden. Entschei­ dend war also eine militärische Machtprojektion in die Tiefe des eurasischen Raums. »Dazu bedurfte es der permanenten amerikanischen Präsenz durch die Besetzung strategischer Schlüsselpositionen auf dem europäischen Kontinent und eines von moralischen und legalistischen Scheinargumenten freien, entschlossenen Interven­ tionismus in die europäische Kontinentalpolitik.«205 Spykman kann deshalb neben Mackinder als der Vater einer anti-eurasischen Eindämmungspolitik angesehen werden. Sein Denkansatz ist gewissermaßen die Grundlage für eine Politik, die Staatenwelt an der eurasischen Peripherie als anti­ russische Bollwerke aufzubauen und damit der eurasischen Randregion eine ent­ scheidende geostrategische Bedeutung einzuräumen. Spykmans Pläne in bezug auf Europa sahen die USA als Schutzmacht »im Sinne der unbedingten Kontrolle über den westlichen Teil des Kontinents« vor.206 Die Besonderheit Spykmans liegt darin, daß er zur Formulierung einer derarti­ gen Containment-Politik die Ideen Mackinders und Mahans miteinander verband. Wie diese beiden Denker sah er die Welt als ein geschlossenes System wechselseiti­ ger Abhängigkeiten an, die es den USA verbietet, eine isolationistische Politik zu betreiben, wobei eine existentielle Gefahr für die atlantische Seemacht sowohl nach Mackinder als auch nach Spykman von Eurasien ausgeht. Spykman übernahm zwar den Grundsatz Mackinders von dem ewigen Gegensatz zwischen Seemacht und Kontinentalmacht, dessen Bedeutung allerdings relativierte er: »>Inner Crescent< und >coastlands< faßte er zu einer neuen Kategorie, dem >rimlandOu­ ter Crescent< ersetzte er durch die sogenannten >offshore continentsoffshore islandsRimland< schien ihm aus Sicht der Seemacht die passendere Definition für den eurasischen Littoral zu sein auf­ grund der direkten Verbindung zu den Randgewässern und dem Mittelmeerraum, welche es von den Weltmeeren trennen. Neben dem Konflikt zwischen Land- und Seemacht sah Spykman einen zweiten zwischen der Neuen und der Alten Welt in­ klusive ihrer >offshore continentsRimlandsSee- und Landmacht< nun die Unter­

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scheidung Alte und Neue Welt ein, wobei die Neue Welt von der Alten Welt einge­ kreist werde. Da nur die Staaten des Rimlands in der Lage seien, die USA einzukrei­ sen, geht für Spykman keinerlei Gefahr von eurasischen Heartland für Amerika aus, sondern nur von Rimland-Staaten... Ziel einer US-Strategie muß für ihn sein, unab­ hängige Mächte auf dem Rimland zu verhindern. Er sieht wie Mackinder in dem Konzept der Balance of power die geeignete Vorgehensweise.«208 Dabei folgt Spykman der Ansicht, daß die Einkreisung der USA nur durch sich gegenseitig ausbalancie­ rende Machtverhältnisse der Alten Welt verhindert werden kann.209 Vor diesem Hintergrund hat die geopolitische Doktrin Spykmans eine eindeutig antieuropäische Stoßrichtung. Mit Blick auf die USA galt seine Sorge einer mögli­ chen Einkreisung der USA durch die Verschiebung des Kräftegleichgewichts in Europa oder Asien. Ein geeintes eurasisches >Rimland< wäre den USA ungeachtet der eigenen Stärke in jedem Fall überlegen. Die Gefahr einer Einkreisung der atlan­ tischen Seemacht ginge also vom >RimlandContainmentCode< gingen die geopolitischen Annahmen sowohl Mackinders als auch S pykmans ein... Erstens, Amerikas Sicherheit ist stark gefährdet, wenn ein Teil oder ganz Eurasien politisch von einer feindlichen Macht oder einer Koalition feindlicher Staa­ ten dominiert würde. Diese Sorge wird sowohl von Mahan, Mackinder als auch von Spykman formuliert...«212 Damit aber war eine (Selbst-)Beschränkung des USamerikanischen Machteinflusses, wie sie die M onroe-Doktrin vorgesehen hatte, nicht

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mehr vereinbar: »Neu an den geopolitischen Denkern ist, daß sie sich generell für eine internationalistische Politik der USA einsetzen. Isolationismus ist nicht mehr denkbar, denn die Welt wird als ein interdependentes, geschlossenes System be­ trachtet. Zweitens hat der Staat, der das eurasische Hearttand kontrolliert, die größte Chance auf eine Herrschaft über ganz Eurasien (M ackinder). Die Sowjetunion wurde somit als der Aspirant für eine Ausdehnung über das eurasische Heartland hinaus beurteilt... Zur Umsetzung der Containmentpolitik wurden weltweit Allianzsy­ steme geschaffen, um dem Druck der Sowjetunion auf das Rimland Eurasiens ent­ gegenzuwirken. Damit wird zwar der These Spykmans Rechnung getragen, daß eine Macht, die das Rimland dominiert, die Welt kontrollieren könnte, und deshalb von den USA verhindert werden müsse. Allerdings wird die Gefahr nicht in den Staaten des Rimlands gesehen, sondern in der expansionistischen Heartland-Macht, der Sowjetunion. An dieser Stelle wird deutlich, daß Mackinders Konzept, das die Gefahr von der Heartland-Macht ausgehend interpretiert, in diesem Zusammen­ hang stärker zu wirken schien... Der Containment-Code als strategische Grundorien­ tierung der USA hatte eine globale und interventionistische Politik der USA zur Folge, die mit einem klaren Feindbild operierte.«213 Diese Denkansätze verloren auch im Atomzeitalter nicht an Bedeutung: »Colin S. Gray... wendet, stark beeinflußt von Mackinder und Spykman, als einer der er­ sten eine geopolitische Analyse auf den Konflikt der USA und der UdSSR im nu­ klearen Zeitalter an. Gerade wegen der Entwicklung von Nuklearwaffen, die auf­ grund technologischer Verbesserungen ohne geographische Beschränkungen global einsatzfähig waren, war ein Rückgang am Interesse einer klassischen geopolitischen Analyse gesehen worden. Denn Nuklearwaffen von kontinentaler Reichweite schie­ nen geopolitische Betrachtungen zwischen Land- und Seemacht unnötig zu ma­ chen... Gray diagnostiziert..., die USA und die Sowjetunion befänden sich in ei­ nem >permanent struggleBarbaren< be­ trachteten. »Bis zu einem gewissen Grad lassen sich diese anachronistischen Be­ griffe durchaus auf einige Staaten anwenden, die sich gegenwärtig innerhalb des amerikanischen Orbit befinden... Wie in der Vergangenheit beruht auch die impe­ riale Macht Amerikas in hohem Maße auf der überlegen en Organi sation u nd auf der Fähigkeit, riesige wirtschaftliche und technologische Ressourcen umgehend für mili­ tärische Zwecke einzusetzen, auf dem nicht genauer bestimmbaren, aber erhebli­ chen kulturellen Reiz des American Way of Life sowie auf der Dynamik und dem ihr innewohnenden Wettbewerbsgeist der Führungskräfte in Gesellschaft und Politik.« Für das Funktionieren einer Weltordnung ist die Weltführung der USA deshalb nach Brzezinski eine unerläßliche Notwendigkeit. Ein anderer sehr bekannter Geo­ politiker der USA, Samuel Huntington, der mit B rzezinski programmatisch-ideolo­ gisch eng verbunden ist, beschreibt dieses Erfordernis wie folgt: »Eine Welt ohne amerikanische Führung wird eine Welt mit mehr Gewalt, Unordnung und weniger Demokratie und Wirtschaftswachstum sein als eine Welt, in der die USA fortfah­ ren, mehr Einfluß auf das Weltgeschehen zu nehmen als irgendeine andere Nation. Die Fortdauer der amerikanischen Vorherrschaft ist sowohl für das Wohlergehen und die Sicherheit der Amerikaner als auch für die Zukunft von Freiheit, Demo­ kratie, freier Marktwirtschaft und internationaler Ordnung in der Welt von zentra­ ler Bedeutung.«221 Ein Rückzug der USA würde diese Ordnung zerstören, ebenso wie auch das Auftreten eines erfolgreichen Gegners. Die USA sind somit die »un­ verzichtbare Nation«, weniger für das eigene Wohlergehen als vielmehr für den internationalen Frieden, deren Macht vor der Geschichte zum gegenwärtigen Zeit­ punkt einzigartig zu sein scheint: »Nicht nur beherrschen die Vereinigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere, sie verfügen mittlerweile auch über die militärischen Mittel, die Küsten mit Amphibienfahrzeugen unter Kontrolle zu halten, mit denen sie bis ins Innere eines Landes vorstoßen und ihrer Macht politisch Geltung ver­ schaffen können. Amerikanische Armeeverbände stehen an den westlichen und östlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persischen Golf.«

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Diesem globalen Führungsanspruch mißt Brzezinski zudem eine moralische Kom­ ponente bei: Das weltpolitische Engagement der USA sei nicht das Ergebnis ihrer nationalen Interessen, sondern ihnen v on der überg eordneten I nstanz, der ges chicht­ lichen Vorsehung, geradezu zugewiesen worden. »Weltpolitisches Engagement ist für die USA folglich keine Verfolgung nationaler Interessen, sondern die Akzep­ tanz einer historischen Verpflichtung. Die Voraussetzungen, ihre einzigartige Posi­ tion und ihre Machtfülle legen den USA die moralische Pflicht auf, eine globale Verantwortung zu übernehmen.«222 Brzezinski formuliert hier - wenn man es denn so nennen will - eine Aktualisierung des >Manifest Destiny< - einer offenkundigen Bestimmung der USA, mit ihrem Aufstieg zur Weltmacht seit dem amerikanisch­ spanischen Krieg 1898 die Welt zu führen und ihr eine Ordnung aufzuerlegen. Ein weiteres zentrales Element der geopolitischen Konzeption Brzezinskis ist die Deutung der Geschichte als eines ewigen Gegensatzes zwischen Kontinentalmacht und Seemacht. Seiner Einschätzung zufolge muß auch jede Strategie der USA in der Überzeugung verwurzelt sein, daß die strategische Beziehung zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion/Rußland im wesentlichen gegensätzlich ist: »Die amerikanisch-sowjetische Auseinandersetzung ist nicht ein zeitweiliger Irrweg, sondern ein lang andauernder geschichtlicher Gegensatz globalen Ausma­ ßes, jedoch mit klaren geopolitischen Prioritäten; und wenn die Vereinigten Staa­ ten ihn bestehen wollen, müssen sie den Kampf auf der Basis einer folgerichtigen und breit angelegten strategischen Perspektive führen.«223 Brzezinski geht dementsprechend also von einem ewigen Gegensatz zwischen Land und Meer aus: »Auch wenn der Konflikt zwischen neuen Parteien ausgetra­ gen wird, ist er dennoch der Legatar jenes alten, weitgehend traditionellen und sicherlich geopolitischen Zusammenstoßes zwischen den großen Seemächten und den beherrschenden Landmächten. In dieser Hinsicht waren die Vereinigten Staa­ ten der Nachfolger Großbritanniens (und noch früher Spaniens oder Hollands), und die Sowjetunion der des Dritten Reiches (und des Deutschen Kaiserreiches oder des napoleonischen Frankreich). Die seefahrenden Nationen übten ihre Macht in der Weise aus, daß sie die zugänglichen Seewege nutzten, um transozeanische Exklaven politischen und wirtschaftlichen Einflusses zu errichten. Die Landmächte ihrerseits strebten nach kontinentaler Vorherrschaft, um so die Hegemonie des von See her kommenden Eindringlings herausfordern zu können.«224 Vor diesem Hintergrund erkannte Brzezinski, daß die Frage, welche Macht nun­ mehr zur Ausübung der Weltherrschaft imstande ist, von der Fähigkeit zur Beherr­ schung des eurasischen Raumes abhängt: »Wer Eurasien kontrollierte, dominierte den Globus.«225 In seinem Buch Planspiel, in dem Brzezinski sich zum ersten Mal noch zu Zeiten des Kalten Krieges - ausführlich mit der Bedeutung Eurasiens für die amerikanische Globalhegemonie beschäftigt, nennt er daher auch folgerichtig Eurasien das zentrale Objekt des Konfliktes zwischen den USA und der Sowjetunion oder Rußland: »Der amerikanisch-sowjetische Konflikt ist zwar global, doch liegt Eurasien eindeutig im geopolitischen Brennpunkt der Auseinandersetzung und ist

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deren geopolitischer Siegespreis.«226 Auch nach dem Zusammenbruch der Sowjet­ union ändert sich für Brzezinski an dieser strategischen Voraussetzung nichts. In seinem Werk, The Grand Chessboard - American Primacy and its geostrategic Imperati­ ves (deutsch: Die Einzige Weltmacht - Amerikas Strategie der Vorherrschaft), in dem er den amerikanischen Plan zur Unterwerfung Eurasiens für die Zeit nach 1990 im einzelnen entwickelt, heißt es: »Amerikas geopolitischer Hauptgewinn ist Eurasien. Ein halbes Jahrhundert lang haben europäische und asiatische Mächte und Völker in dem Ringen um die regionale Vorherrschaft und dem Streben nach Weltmacht die Weltgeschichte bestimmt. Nun gibt dort eine nichteurasische Macht den Ton an - und der Fortbestand der globalen Vormachtstellung Amerikas hängt unmittelbar davon ab, wie lange und wie effektiv es sich in Eurasien behaupten kann.«227 Die geopolitische Bedeutung des eurasischen Großraumes für die Weltherrschaft begründet Brzezinski wie folgt: - Eurasien ist der größte Kontinent der Erde; - 75 Prozent der Weltbevölkerung leben auf dem eurasischen Kontinent; - Zwei der drei weltweit am weitesten fortgeschrittenen und wirtschaftlich pro­ duktivsten Regionen sind in Eurasien, nämlich Westeuropa und Japan; - In Eurasien werden 60 Prozent des Weltbruttosozialproduktes erwirtschaftet; - Ungefähr drei Viertel aller bekannten Ressourcen der Welt liegen in Eurasien; - Auf dem eurasischen Kontinent befinden sich außerdem die politisch maß­ geblichen und dynamischen Staaten (nach den USA die sechs größten Wirtschafts­ nationen mit den höchsten Rüstungsausgaben); - Mit einer Ausnahme liegen alle Atommächte und alle Staaten, die über heim­ liche Nuklearwaffenpotentiale verfügen, in Eurasien; - Die beiden bevölkerungsreichsten Anwärter auf eine regionale Vormachtstel­ lung und weltweiten Einfluß befinden sich auf diesem Kontinent (China und Indi­ en); - Alle potentiellen Herausforderer der USA auf politischem und/oder wirtschaft­ lichem Gebiet sind ausnahmslos eurasische Staaten; - Wegen seiner geographischen Lage auf dem Globus zieht die Herrschaft über Eurasien den Einfluß auf Afrika nach sich und drängt damit die westliche Hemis­ phäre, also Nord-, Mittel- und Südamerika sowie Ozeanien an den Rand des Welt­ geschehens.228 Die Sicherstellung der globalen Vorherrschaftsstellung liegt für die USA demzu­ folge auf dem eurasischen Kontinent und verpflichtet diese dazu, sich selbst auch als eurasische Macht einzuführen: »Wie die Sowjetunion, so mußten sich auch die USA den geopolitischen Notwendigkeiten stellen. Denn wer die Macht über Eurasien hatte, beherrschte auch die Erde.229 Wenn die Sowjetunion die Peripherie dieser Landmasse - Westeuropa, den Fernen Osten und Südasien - in die Hand bekäme, würde sie nicht nur gewaltige menschliche, wirtschaftliche und militärische Res­ sourcen gewinnen, sondern auch die geostrategischen Zugänge zur westlichen He­ misphäre, nämlich den Atlantik und den Pazifik. Die geostrategischen Linien sind

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kein geschichtlicher Zufall. So wie die Kremlführer die amerikanische Anwesen­ heit auf dem eurasischen Kontinent als Haupthindernis für das Erreichen ihrer geo­ politischen Ziele betrachten, so sind für die Vereinigten Staaten ihre transozeani­ schen Stellungen die vordere Verteidigungslinie, die sie davor bewahrt, sich in Nordamerika selbst verteidigen zu müssen.«230 In diesem Denkansatz spiegeln sich die klassischen Theorien der anglo-amerikanischen Geopolitik wider, wie sie durch Mackinder und Spykman entwickelt und von Brzezinski erweitert und aktualisiert worden sind. Brzezinski selbst sieht die größte Gefahr für die Weltherrschaftsstellung der USA in einer Integration, in einem Zusammenschluß des eurasischen Raumes, gleich­ gültig ob politischer, militärischer oder auch wirtschaftlicher Art: »Als Ganzes ge­ nommen, stellt das Machtpotential dieses Kontinents das der USA weit in den Schat­ ten. Zum Glück für Amerika ist Eurasien zu groß, um eine politische Einheit zu bilden. Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft auch in Zukunft ausgetragen wird.«231 (Hervorhebung durch den Verfasser) Vor diesem Hinter­ grund muß eine amerikanische Gesamtstrategie für Eurasien nach Brzezinski des­ halb auf eine politische und ökonomische Zersplitterung und Lähmung des eurasi­ schen Raumes abzielen: »Kurzfristig ist es in Amerikas Interesse, den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben. Dies erfordert ein hohes Maß an Taktieren und Manipulieren, damit keine gegnerische Koalition zustande kommt, die schließlich Amerikas Vorrangstellung in Frage stellen könnte... Zunächst be­ steht die Aufgabe darin, sicherzustellen, daß kein Staat oder keine Gruppe von Staaten die Fähigkeit erlangt, die Vereinigten Staaten aus Eurasien zu vertreiben oder auch nur deren Schiedsrichterrolle entscheidend zu beeinträchtigen.«232 (Hervorhebung durch den Ver­ fasser) »Eurasische Geostrategie« bedeutet demnach heute für die USA, so Brze­ zinski, »die drei großen Imperative imperialer Geostrategie« zu beherzigen: Ab­ sprachen zwischen den Vasallen zu verhindern und ihre Abhängigkeit in Fragen der Sicherheit zu bewahren, die tributpflichtigen Staaten fügsam zu halten, zu schüt­ zen und dafür zu sorgen, daß sich die eurasischen >Barbarenvölker< nicht zusam­ menschließen. Eine Strategie zur Auflösung des sowjetischen Machtblocks hatte Brzezinski be­ reits in seinem Buch Planspiel entwickelt. Der Kampf gegen Eurasien wird seiner Einschätzung zufolge an drei strategischen Hauptfronten geführt: 1. in Westeuropa einschließlich des Balkans, 2. im ost- und südostasiatischen Raum und 3. im Nahen und Mittleren Osten. »Das politische Ergebnis der Auseinandersetzung wird an jeder der drei strate­ gischen Hauptfronten wahrscheinlich davon bestimmt, wer über verschiedene Län­ der, die eine Schlüsselrolle in ihrer jeweiligen Region gewonnen haben, die Kon­ trolle erlangt oder behält. Ein Schlüsselstaat ist ein Staat, der aus sich heraus schon eine besondere Bedeutung besitzt und außerdem in gewisser Hinsicht >auf dem Präsentierteller< liegt. Das Gewicht eines Schlüsselstaates kann von seiner geopoli­

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tischen Position herrühren, durch die er einen regionalen politischen und/oder wirt­ schaftlichen Einfluß ausübt, oder auch von seiner geostrategischen Lage, die ihn militärisch bedeutsam macht. Durch seine Verwundbarkeit ist er anfällig für Ver­ führung oder Machtübernahme, wobei letztere sich wiederum auf seine bestehen­ den äußeren Bindungen auswirkt.«233 Anschließend analysiert Brzezinski ausführlich diese Schlüsselstaaten und ihre geopolitische Bedeutung in bezug auf die Sowjetunion: »Diese Schlüsselstaaten sind Polen und Deutschland an der westlichen, Südkorea und die Philippinen an der fernöstlichen und entweder der Iran oder Afghanistan zusammen mit Pakistan an der südwestlichen Front. Die sowjetische Herrschaft über Polen ist für Moskaus Kontrolle über Osteuropa von zentraler Bedeutung, und eine Unterordnung oder Verführung Westdeutschlands würde die Waage in Europa zugunsten Rußlands neigen. Die Herrschaft der Sowjets über Südkorea und die Philippinen würde zu einer Einkreisung Chinas führen, von Korea aus die Sicherheit Japans unmittelbar bedrohen und von den Philippinen aus Japans lebenswichtigen Hauptseeweg ge­ fährden. Eine sowjetische Herrschaft entweder über den Iran oder über Afghani­ stan und Pakistan würde Moskau die Kontrolle über den Zugang zum Persischen Golf oder eine Präsenz im Indischen Ozean ermöglichen, von wo aus die sowjeti­ sche Macht in verwundbare Gebiete nach Südwesten und Südosten vorgeschoben werden könnte. Wird andererseits zumindest Westdeutschland der Sowjetunion verwehrt, so bleibt damit die Unabhängigkeit Westeuropas gesichert, während eine Verringerung der Kontrolle Moskaus über Polen letztlich auf eine Schwächung der Sowjet­ herrschaft über Osteuropa hinausliefe.234 Der Zugang zu Südkorea und den Philippi­ nen ermöglicht es den Vereinigten Staaten, am fernöstlichen Rand des eurasischen Festlandes militärisch und politisch präsent zu sein, was Japan sichert und breiten Zugang zu China erlaubt. Werden der Iran beziehungsweise Afghanistan und Paki­ stan der Sowjetunion verwehrt, so wird Moskau daran gehindert, seine alten strate­ gischen Ziele >südlich von Batum und Baku< zu erreichen, so werden dadurch der Persische Golf und der Nahe Osten gegen eine militärische und politische Präsenz in unmittelbarer Nachbarschaft abgeschirmt.«235 Polen spielt eine entscheidende Rolle in dem geopolitischen Handlungsplan B rze­ zinskis. Er erkennt, daß eine Unabhängigkeit dieses Staates entscheidende Auswir­ kung auf die staatliche Integrität der Sowjetunion selbst hat. In diesem Staat ist der geostrategische Hebel zu finden, mit dem nicht nur die russische Kontrolle über das osteuropäische Glacis, sondern das russische Staatswesen selbst aufgebrochen werden kann: »Moskaus Herrschaft über Polen erleichtert auch die Kontrolle der Tschechoslowakei und Ungarns und riegelt die westlich orientierten nichtrussi­ schen Völker der Sowjetunion vor westlichem Einfluß ab. Ein Polen mit mehr Selb­ ständigkeit würde zwangsläufig das Ende der sowjetischen Gewalt über Litauen und die Ukraine herbeiführen. Zwischen Polen und diesen Ländern bestehen tiefe geschichtliche und religiöse Bindungen, und ein von Moskaus Herrschaft freies Polen würde wahrscheinlich Loslösungsbestrebungen zum Schaden der großrussi­

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schen Vorherrschaft wecken... Polen ist ein ruheloser Besitz, kostspielig für Moskau, ihn zu beherrschen, aber noch kostspieliger, ihn aufzugeben.«236 In den achtziger Jahren haben die amerikanischen Strategen diese ungeheure strategische Bedeu­ tung Polens auch treffend erkannt, als sie über geheimdienstliche Kanäle die Unab­ hängigkeitsbewegung >Solidarnosc< aufbauen und unterstützen halfen, worauf in einem späteren Kapitel noch genauer einzugehen sein wird. Als geopolitischen Gewinn von gewaltigen Ausmaßen sieht Brzezinski ferner die Staaten Afghanistan, Pakistan und Iran, den Schlüsselstaaten der dritten strategi­ schen Hauptfront, an. Gerade beim Iran geht es »hier um ein Land mit reichen Erdölvorkommen, das die gesamte Nordostküste des Persischen Golfes kontrol­ liert und in unmittelbarer Nähe zu einer Reihe von Golfstaaten liegt, deren politi­ sche Stabilität unsicher und deren militärische Kräfte verhältnismäßig schwach sind. Der geopolitische Gewinn wäre gewaltig. Ein Erfolg der Sowjets im Iran würde viel bedeutsamer sein als alles, was die UdSSR in Afghanistan oder selbst in Paki­ stan erreichen könnte«.237 Dennoch sind auch Afghanistan und Pakistan von entscheidender geopolitischer Bedeutung für die Eurasienstrategie: Würde die Sowjetunion »diese beiden Staa­ ten zusammen unter ihre Kontrolle bringen, hätte dies genauso schwerwiegende geopolitische Folgen. Die Sowjetunion würde breiten Zugang zum Indischen Oze­ an erlangen, und, was noch wichtiger ist, sie würde einen Ausgangspunkt für die Entwicklung größeren politischen Einflusses an den Küsten des Arabischen Meeres und des Indischen Ozeans gewinnen. Eine Festigung der sowjetischen Herrschaft über Afghanistan würde sowohl den Iran als auch Pakistan entlang einer ausge­ dehnten Front dem sowjetischen Druck aussetzen, und eine dauernde Kontrolle Afghanistans durch die Sowjetunion würde auch innerhalb Pakistans zu enormen Spannungen führen. Dieses Land, das zusammen mit den Vereinigten Staaten und China den afghanischen Widerstand gegen die sowjetische Besetzung unterstützt, fühlt sich seit langem durch Indiens Wünsche in dieser Region bedroht. Eine fortdau­ ernde sowjetische Präsenz an der Nordwestgrenze Pakistans, mit der eine anhalten­ de Bedrohung durch Indien einherginge, würde Pakistan... in eine strategische Zwangslage bringen. Dadurch ergäben sich ein unüberwindliches Sicherheitspro­ blem und wahrscheinlich auch zunehmend innere Spannungen. Unter diesen Um­ ständen könnte eine widerstrebende Anpassung an die regionale Vorherrschaft Moskaus zur einzigen Möglichkeit werden, ein Auseinanderbrechen des Staates zu vermeiden... Eine grundlegende Umorientierung des Iran oder Pakistans, die entweder einen oder beide Staaten in den Bereich der strategischen Vorherrschaft Moskaus brächte, wäre mehr als ein regionaler Erfolg und Durchbruch der Sowjets an der dritten strategischen Hauptfront«.238 Brzezinski weist diesen Staaten der dritten strategischen Hauptfront ein »kataly­ satorisches Potential« zu, das weit über ihren regionalen geopolitischen Umkreis hinausgeht, wobei er darauf hinweist, daß diese Katalysatorfunktion der genannten Staaten auch gegen die Sowjetunion und ihren moslemischen »weichen Unterleib«

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selbst gerichtet ist. Die Staaten Afghanistan und Pakistan sollten in der Agenda der amerikanischen Geopolitik, wie noch zu schildern sein wird, die Funktion über­ nehmen, ein »Ausfransen« des moslemischen Unterleibes durch Förderung von wahabitisch-islamistischen Bewegungen herbeizuführen, und damit Destablilisie­ rungsprozesse im südlichen sowjetischen Machtraum in Gang setzen, die letztlich auf die Herbeiführung eines Zusammenbruchs der Sowjetunion selbst abzielte. Einen weiteren Ansatz zur Destabilisierung des eurasischen Herausforderers sieht Brzezinski im inneren Gefüge des sowjetischen Staates an sich. Für ihn ist die So­ wjetunion lediglich ein »eindimensionaler Rivale«, das heißt, sie ist lediglich in der militärischen Machtdimension imstande, die USA zu übertreffen, während sie nach Brzezinskis Einschätzung aber nicht über die wirtschaftliche und kulturelle Macht­ dimension vergleichbarer Imperien der Geschichte verfügt. Die Schwäche der So­ wjetunion sieht er in ihrer sozio-ökonomischen Rückständigkeit, zudem belastet durch einen gewaltigen Militärhaushalt, und der fehlenden kulturell-ideologischen Integrationskraft des politischen Systems, s o daß nach Brzezinskis Ansicht die UdSSR im Vergleich zu den Imperien der Geschichte gar nicht »weltmachtfähig« ist. Den Kommunismus in Rußland bezeichnet Brzezinski deshalb sogar als einen Glücks­ fall für Amerika, da er die Entstehung eines strategischen kontinentalen Rivalen verhinderte: »Paradoxerweise ist für Amerika der Kommunismus in Rußland ein Segen der Geschichte, denn der Kommunismus hat dieses hochbegabte und gedul­ dige russische Volk in ein System gezwungen, in dem seine großen Fähigkeiten unterdrückt, verschwendet und gar geopfert werden.«239 Deshalb ist für ihn die Sowjetunion auch kein wirklicher ebenbürtiger Rivale, sondern lediglich ein Störenfried einer von den Vereinigten Staaten geschaffenen und erhaltenen globalen Ordnung, der auch »nur eine militärische Herausforde­ rung« darstellt.240 »Die Einzigartigkeit der globalen Herausforderung der Sowjet­ union besteht im wesentlichen darin, daß sie nachweislich nicht in der Lage ist, eine konstruktive und dauerhafte Führung zu bieten, falls es ihr einmal gelingen sollte, mit Hilfe ihrer militärischen Stärke die Vereinigten Staaten vom Platz der Weltführungsmacht zu verdrängen. Die Sowjetunion kann in der Welt nicht die finanzielle Führungsrolle übernehmen. Ihre Wirtschaft kann nicht Lokomotive für eine globale wirtschaftliche Entwicklung und eine technologische Erneuerung sein. Ihre Massenkultur besitzt keine größere Anziehungskraft, und immer wieder ver­ lassen sowjetische Künstler und Intellektuelle ihre Heimat. Einem globalen Macht­ verlust Amerikas kann kein globaler Machtgewinn der Sowjetunion folgen.«241 Gerade der Vielvölkercharakter der Sowjetunion ist nach Brzezinski ein wesent­ licher Faktor, der im Zusammenspiel mit dem wirtschaftlichen Niedergang einen Auflösungsprozeß begünstigen könnte: »Ein Reich dezentralisieren heißt es auflö­ sen. Die russische Elite fühlt ganz instinktiv, daß jede wirkliche Dezentralisierung, auch wenn sie anfänglich nur auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt wäre, die separatistischen Bestrebungen der nichtrussischen Völkerschaften der Sowjet­ union bestärken würde. Wirtschaftliche Dezentralisierung würde unvermeidlich

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Der Vater der antirussischen US-Geopolitik: Zbigniew Brzezin­ Oben bei einem Vortrag als >Former National Security Advisor< ski.

Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schuf das US-Regionalkommando Central Command (CENTCOM), das neben dem Mittleren Osten, einschließlich der arabischen Halbinsel, zusätzlich die Räume des Nahen Ostens, umfaßt. Schließlich geht es hierbei auch um die Zuständigkeit für die Gegenküste des Roten Meeres, damit Ägypten, Somalia und Kenia zusammen mit dem Iran, dem Kaukasus, Mittelasien, Afghanistan sowie Pakistan kontrolliert werden können.

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zu politischer Dezentralisierung führen und damit zur ersten Stufe auf dem Weg zur nationalen Emanzipation. Die russischen Sorgen werden durch die demogra­ phische Entwicklung noch verstärkt. Sie deuten auf einen Rückgang der Vormacht­ stellung der Großrussen. Während der 70er Jahre verloren die Russen die Majorität unter den Sowjetvölkern, und ein weiterer Rückgang ist unvermeidlich. 1980 waren von den 18 Jahre alten Einwohnern der Sowjetunion 48 % Russen, 19 % andere Sla­ wen, 13 % Moslems und 2 % >andereandere< sein. Die politischen Ansprü­ che der Nichtrussen bilden auf lange Sicht die Achillesferse der Sowjetunion.«242 Brzezinski setzte deshalb auf die Desintegrationstendenzen der nichtrussischen Völker: »Schon die Existenz dieser nichtrussischen Völker verhindert eine positive Ent­ wicklung der Sowjetunion in Richtung auf ein moderneres System. Und mit der Zeit könn­ ten die Nichtrussen politisch aktiver werden, besonders, wenn sie dazu von außen ermutigt würden. Auf die Moslems wirkt heute die Existenz unabhängiger islamischer Staaten, von denen einige von tiefgreifender religiöser Erneuerung geprägt sind, auf die Dauer anste­ ckend.243 Für die 50 Millionen Ukrainer, die, wenn sie frei wären, unter den europäi­ schen Völkern einen hohen Rang einnähmen, stellt die fortdauernde Unterwerfung unter Moskau eine Quelle wachsender Frustration dar... Und was hieße außer­ dem >nur wirtschaftliche< Dezentralisierung für die Politik der Sowjetunion? Sie beinhaltete einen größeren Grad an Autonomie für die Nichtrussen, die dann in der Lage wären, eine größere wirtschaftliche Selbstbestimmung in eine zunehmende politische Selbstbestimmung umzuwandeln. Für die meisten Großrussen ist dies eine bedrohliche Aussicht. Jede nachhaltige nationale Selbstbehauptung vonseiten der Nichtrussen bedeutet eine Herausforderung an die russische territoriale Über­ legenheit und möglicherweise sogar eine biologische Gefahr für das Überleben des großrussischen Volkes. Wo würde eine wirkliche Dezentralisierung enden, oder die Einführung mehr demokratischer Normen, oder schließlich die Institutionali­ sierung des Pluralismus? Wo könnte man denn nach der Vermischung der letzten Jahrzehnte zutreffende Grenzlinien zwischen den Großrussen und den anderen Völkerschaften ziehen? Die Spannungen würden sich nur steigern. In verschiedenen Gegenden könnte es sogar zu unmittelbaren Auseinandersetzungen kommen, zum Beispiel in den baltischen Republiken, die von den wenig geliebten Großrussen nachhaltig besiedelt werden, oder in dem kulturell mit der Ukraine verbundenen Gebiet von Weißrußland, und sicherlich an den Grenzen der kaukasischen und zentralasiatischen Republiken. «244 Tatsächlich liest sich Brzezinskis Buch Planspiel wie ein amerikanischer Hand­ lungsleitfaden zur Destabilisierung und Unterwerfung der Sowjetunion unter die US-beherrschte Weltordnung. Tatsächlich beschreibt Brzezinski selbst sein Buch als einen wertneutralen »practical guide to action« (praktischen Führer zum Handeln), der folgende Schachzüge vorschlägt: - Förderung von nationalen Unabhängigkeitsbestrebungen in den Schlüsselstaa­ ten der drei strategischen Hauptfronten, wobei Polen, Pakistan und Afghanistan

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eine entscheidende Funktion haben. Die Mobilisierung der nationalen politischen und religiösen Kräfte dieser Staaten werden Ausstrahlungskräfte auf das Staatsge­ füge der Sowjetunion selbst in der Form entfachen, daß sie an den Peripherien se­ paratistische Kräfte wachrufen, die zwingend zu einem Verlust der sowjetischen Machtstellung in Osteuropa sowie im Mittleren Osten und Zentralasien führen. - Ermutigung der nichtrussischen Völker, sich von Moskau loszulösen und einen Weg eines von Rußland unabhängigen wirtschaftlichen und politischen Kurses zu wählen. Amerika muß »den vom Streben nach größerer Vielfalt und Toleranz aus­ gehenden inneren Druck in den sowjetisch beherrschten Staaten Osteuropas und sogar in der Sowjetunion selbst noch verstärken. Doch um eine Überdehnung zu vermeiden, werden die Vereinigten Staaten ihren Einfluß umsichtig gebrauchen müssen. In Europa sollte sich Amerika vorwiegend auf der politischen Ebene be­ mühen und die Bedeutung seines militärischen Schwerpunktes etwas zurückneh­ men. Im Fernen Osten sollte es vor allem die Wirtschaft zur Festigung von Bezie­ hungen nutzen, die auch strategisch sehr bedeutsam sind. In Südwestasien sollte es seine Anstrengungen verstärken und erkennen, daß hier militärisch defensiv und politisch offensiv gehandelt werden muß. Für die Beeinflussung des Sowjetblocks sollte Amerika nachdrücklich die moderne Kommunikationstechnik als Hauptmit­ tel zur Herbeiführung eines positiven Wandels nutzen«.245 Mit dieser Politik soll die politische Macht Moskaus im wesentlichen untermi­ niert werden: »Die unterdrückten Hoffnungen der osteuropäischen Nationen und die inneren Widersprüche im heutigen Großrussischen Reich sind Ausgangsbasis für das Streben nach zwei zentralen und zusammenhängenden Zielen. Das erste besteht darin, die Offensivfähigkeit des Kremls durch Vergrößerung seiner inner­ staatlichen Probleme zu binden, das zweite, durch vorsichtige Ermutigung natio­ nalen Selbstbewußtseins die Pluralisierung des Sowjetblocks und schließlich der Sowjetunion selbst zu fördern... Bei einer Schwächung der imperialen Macht Mos­ kaus steht naturgemäß Osteuropa im Brennpunkt. Die politische Grundformel, die vor einem Vierteljahrhundert im Foreign Affairs von William Griffith und dem Ver­ fasser dieses Buches (also Zbigniew Brzezinski, der Verf.) vorgetragen wurde, bleibt allgemein gültig:... Die Vereinigten Staaten sollten eine Politik verfolgen, die als friedliche Einmischung in Osteuropa bezeichnet werden könnte. Diese Politik sollte 1. auf größere Vielfalt im kommunistischen Block hinarbeiten, wodurch 2. die Wahr­ scheinlichkeit zunimmt, daß die osteuropäischen Staaten ein größeres Maß an poli­ tischer Unabhängigkeit von der sowjetischen Herrschaft erlangen können, was 3. letztlich zur Schaffung eines neutralen Gürtels von Staaten führt, die in inneren Angelegenheiten echte und allgemeine Entscheidungsfreiheit besitzen, während sie der Sowjetunion nicht feindlich gegenüberstehen und westlichen Militärbünd­ nissen nicht angehören.«246 Warum Osteuropa im Brennpunkt der amerikanischen Politik stehen soll, wird verständlich, wenn man sich noch einmal die von Halford Mackinder geprägte Fundamentalformel zur Unterwerfung Eurasiens vergegenwärtigt: »Wer Osteuropa

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beherrscht, beherrscht das Herzland; wer über das Herzland herrscht, beherrscht die Weltinsel; wer über die Weltinsel herrscht, beherrscht die Welt.« Brzezinski scheint insoweit die Schriften Mackinders sehr gut gelesen zu haben und liefert hier mit seinen Planspiel-Gedanken eine überzeugende Aktualisierung dieser geo­ politischen Theorie. - Erzwingung eines Rüstungswettlaufes, der die wirtschaftliche Schwäche Ruß­ lands und die Ineffizienz des kommunistischen Systems noch verstärkt und die politische Führung wiederum zu wirtschaftlichen Reformen und Dezentralisierun­ gen gezwungen wird, was zwangsläufig zum Ende des russischen Reiches führt, denn - wie bereits ausgeführt - führt jede Dezentralisierung, auch eine wirtschaft­ liche, zur Auflösung eines Reiches. B rzezinski hat hierfür die Bedeutung der militär­ technologischen Überlegenheit der USA zur Erreichung dieses Ziels durchaus er­ kannt. Er betont die Notwendigkeit, daß die Vereinigten Staaten ihren Hauptvorteil, die technologische Überlegenheit, nutzen und bewahren müssen. »Diese hat bisher die Sowjetunion um die Früchte ihrer massiven Militärausgaben und der der eige­ nen Bevölkerung abgepreßten Opfer gebracht. Ohne die technologische Überlegen­ heit Amerikas besäße die Sowjetunion inzwischen wahrscheinlich einen entschei­ denden strategischen und konventionellen Vorsprung, mit all seinen weitreichenden geopolitischen Folgen.«247 - Unterstützung der islamischen Staaten Afghanistan und Pakistan; Aufbau ei­ ner amerikanischen >Rapid ForcesowjetisiertHeilige Krieg< gegen die Sowjets in Afghanistan, die fundamen­ talistische Revolution im Iran, die starke Unterstürzung für die afghanischen Mud­ schahedin und die Einsetzung des Islamischen Rechts in Pakistan, sie alle spiegeln ein ähnliches Phänomen wider: das breite Erwachen einer selbstbewußteren, auf Volkszugehörigkeit und den islamischen Glauben begründeten Orientierung. Diese neue Einstellung kollidierte nun mit dem sowjetischen Expansionismus. Zunächst reagierten die sowjetischen Moslems auf den Zusammenstoß zwiespältig, doch in­ zwischen wächst die Ablehnung. Die Vereinigten Staaten können diese Allianz der Feindschaft durch mit höherer Leistung nach Sowjetisch-Zentralasien ausgestrahlte Rundfunksendungen beschleunigen. Die Führung im Kreml wird eher Zurückhal­ tung üben, wenn sie zu der Überzeugung gelangt, daß die regionale Unruhe zwangs­ läufig auf die Sowjetunion selbst übergreifen wird.«249 Hiermit entlarvt sich Brzezinski selbst als der eigentliche Inspirator einer Strate­ gie, deren Folgen die heutige Weltpolitik mit dem Phänomen >Al Qaida< verbindet und die in der Schaffung eines islamistischen Krisenbogens als Instrumentarium zur Aufbrechung und Unterwerfung des russischen Machtbereiches besteht. Mit seinem Buch The Grand Chessboard - American Primacy and its geostrategic Im­ peratives entwickelt Brzezinski seine Strategie zur Unterwerfung Eurasiens für die Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion weiter und überarbeitet seine Gedanken, die er in dem Buch Planspiel dargelegt hatte: Die eingetretene politischstaatliche Pluralisierung des eurasischen Raumes, deren Herbeiführung im Plan­ spiel beschrieben worden ist, gilt es nunmehr dauerhaft zu erhalten und die Entste­ hung eines Rivalen sowie einer eurasischen Kontinentalkoalition gegen Amerika zu verhindern. Um aber die Herrschaft über Eurasien zu gewinnen, sind nach wie vor - wie auch schon zu Zeiten des Kalten Krieges, wie im Planspiel beschrieben - die strate­ gischen Schachzüge in bestimmten Regionen an der Peripherie von entscheidender Bedeutung. Nach dem Zusammenfall der Sowjetunion ist ein direkter Herausfor­ derer der globalen amerikanischen Machtstellung auf absehbare Zeit nicht in Sicht. Dennoch behalten die Peripherien Eurasiens - vor allem der Westen und der Osten - weiterhin ihre Bedeutung. Mit dem Zerfall der Sowjetunion ist auch das Zentrum des eurasischen Kontinents für die amerikanische Politik und Einflußnahme offe­ ner als bisher. Brzezinski teilt das eurasische Schachbrett nach der Bipolarität auf in »Middle Space, »West«, »South« und »East«.«250 »Das riesige merkwürdig geformte eurasische Schachbrett - das sich von Lissa­ bon bis Wladiwostok erstreckt - ist der Schauplatz des globalen Spiels.«251 Im Wes­ ten und Osten Eurasiens liegen die bevölkerungsreichsten und wirtschaftlich am meisten entwickelten Regionen. Der Einfluß der USA ist im Westen am größten, der deshalb als »demokratischer Brückenkopf« auch das Hauptgebiet für die Auf­

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rechterhaltung der amerikanischen Machtstellung darstellt. Deutschland und Frank­ reich sind hier die maßgeblichen Akteure, während im Osten Japan gewisserma­ ßen als Statthalter der amerikanischen Macht wirkt. In dieser Region entwickelt sich auch gleichzeitig China als ein von den USA unabhängiger Staat, der im Be­ griff ist, eine fernöstliche Regionalmacht zu werden. Der Süden hingegen, die »po­ litisch anarchische, aber an Energievorräten reiche Region, die sowohl für die euro­ päischen als auch die ostasiatischen Staaten wichtig werden könnte«, bildet eine »global zone of percolating violence«. In dieser Region fehlt es an einem maßgebli­ chen Akteur. Im Zentrum wiederum dehnt sich ein gewaltiger dünnbesiedelter und nach der Auflösung der Sowjetunion politisch instabiler und in organisatorischer Auflösung begriffener Raum aus. Als größte Bedrohung für die Vormachtstellung der USA sieht Brzezinski eine immer dynamischer werdende eurasische Entwicklungsallianz zwischen Rußland, China und dem Iran (gegebenenfalls auch unter Einschluß Indiens) an: »Das ge­ fährlichste Szenario wäre möglicherweise eine große Koalition zwischen China, Rußland und vielleicht dem Iran, ein nicht durch Ideologie, sondern durch die tief­ sitzende Unzufriedenheit aller Beteiligten geeintes anti-hegemoniales Bündnis.«252 Demzufolge sieht Brzezinski nach wie vor Rußland als den wesentlichen Heraus­ forderer des amerikanischen Hegemonialanspruchs an, dessen geopolitische Er­ neuerung es zu verhindern gelte. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion, so Brzezinski, sei ein »schwarzes Loch«, ein Vakuum entstanden, und die geopolitischen Erschütterungen Anfang der neunziger Jahre hätten zu einem sehr bedeutsamen Wandel im Status des Kas­ pischen Meeres wie auch Zentralasiens geführt. Nunmehr, nach dem Zerfall der Sowjetunion, muß alles daran gesetzt werden, daß sich ein unabhängiges Eurasien unter russischer Führung nicht wieder aufbauen kann und statt dessen eine euroatlantische Ordnung unter amerikanischer Führung entwickelt wird, in welche Rußland einzubinden ist: »Als langfristige Aufgabe jedoch bleibt das Problem zu lösen, wie man... das erneute Entstehen eines eurasischen Imperiums vermeiden kann, das Amerika an der Verwirklichung seines geostrategischen Ziels hindern könnte, ein größeres euroatlantisches System zu entwerfen, in welches sich dann Rußland dauerhaft und sicher integrieren läßt.«253 Entscheidend für die Eindämmung Rußlands als Haupt­ ziel der amerikanischen Geopolitik ist deshalb der sogenannte »Eurasische Balkan«, der geprägt ist von einem »ethnischen Hexenkessel« und der von den künftigen Trans­ portwegen, die zwischen den reichsten und produktivsten westlichen und östlichen Randzonen Eurasiens bessere Verbindungen hersteilen sollen, durchzogen wird.254 Für die Frage, wie eine Erneuerung der Vorherrschaft Rußlands im Kaukasus oder Zentralasien verhindert und somit sein Einfluß in Eurasien vermindert wer­ den kann, ist nach Brzezinski also der »Eurasische Balkan« der entscheidende Fak­ tor: »Rußlands Verlust seiner beherrschenden Position an der Ostsee fand sein Pen­ dant am Schwarzen Meer, zum einen wegen der Unabhängigkeit der Ukraine, zum

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anderen, weil die jetzt unabhängigen Staaten - Georgien, Armenien und Aserbaid­ schan - die Möglichkeiten der Türkei verbesserten, ihren verlorengegangenen Ein­ fluß in der Region aufs neue geltend zu machen... Mitte der neunziger Jahre ver­ fügte Rußland nur noch über einen schmalen Küstenstreifen am Schwarzen Meer und war mit der Ukraine in einen ungelösten Streit um die Stützpunkterechte auf der Krim für die Reste der sowjetischen Schwarzmeerflotte verstrickt, während es mit offenkundiger Verärgerung zusah, wie NATO- und ukrainische Streitkräfte gemeinsam See- und Landemanöver durchführten und der türkische Einfluß in der Schwarzmeerregion wuchs. Außerdem verdächtigte Rußland die Türkei, den tschetschenischen Widerstand mit Hilfslieferungen unterstützt zu haben.«255 Mit der Unabhängigkeit der kaspisch-zentralasiatischen Region würde sich Brze­ zinski zufolge die dortige Staatenwelt zu einem ernsthaften Konkurrenten Rußlands um die Energieressourcen entwickeln, wobei er die kaspisch-zentralasiatischen Staa­ ten als wichtige Schachbrettfiguren zur langfristigen Verdrängung Rußlands an­ sieht: »Weiter nach Südosten hin führt die geopolitische Erschütterung einen ähn­ lich bedeutsamen Wandel im Status des Kaspischen Beckens und Zentralasiens herbei. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion war das Kaspische Meer... ein nahezu rein russisches Gewässer gewesen. Als nun ein unabhängiges und stark nationalistisches Aserbaidschan entstand - gestärkt durch den Zustrom geschäfts­ tüchtiger Ölinvestoren aus dem Westen - und auch Kasachstan und Turkmenistan als unabhängige Staaten auftraten, meldeten plötzlich außer Rußland weitere vier Länder Ansprüche auf die Reichtümer des Kaspischen Beckens an. Rußland konnte nicht mehr selbstverständlich von der alleinigen Verfügungsgewalt über diese Bo­ denschätze ausgehen. Mit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten hatte sich Rußlands südöstliche Grenze an einigen Stellen um mehr als tausend Meilen nach Norden verschoben... Da sie von der Türkei, dem Iran, Pakistan und SaudiArabien unterstützt wurden, waren die zentralasiatischen Staaten entgegen russi­ schen Hoffnungen nicht geneigt, ihre neue politische Souveränität gegen eine selbst gnädige wirtschaftliche Integration mit Rußland zu tauschen... Für die Russen muß das Gespenst eines möglichen Konflikts mit den islamischen Staaten entlang der gesamten Südflanke Rußlands (die zusammen mit der Türkei, dem Iran und Paki­ stan mehr als 300 Millionen Menschen aufbieten) Anlaß zur ernster Besorgnis sein.«256 Um die Wiedergeburt eines unabhängigen russischen Rivalen, der sich der ge­ planten Einbindung in euroatlantische Bündnisstrukturen unter amerikanischer Vorherrschaft entziehen kann, zu verhindern, spricht sich Brzezinski konsequenter­ weise dann auch für die Unterstützung und Förderung der kaukasischen und zentralasiatischen Staatenwelt und insbesondere auch der Ukraine aus: »Die politi­ sche und wirtschaftliche Stabilisierung der jungen postsowjetischen Staaten ist ein wesentlicher Faktor, um Rußland zu einem historisch neuen Selbstverständnis zu nötigen. Somit muß die Rückendeckung für die neuen postsowjetischen Staaten für einen geopolitischen Pluralismus im Raum der früheren Sowjetmacht - ein inte­

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graler Bestandteil einer Politik sein, die Rußland dazu bringen soll, seine europäische Option (sprich die Einbindung in die militärischen und wirtschaftlichen Bündnis­ systeme des Westens und der USA, der Verf.) ohne Wenn und Aber auszuüben. Drei dieser Staaten fallen geopolitisch besonders ins Gewicht, nämlich Aserbaid­ schan, Usbekistan und die Ukraine. Ein unabhängiges Aserbaidschan kann dem Westen den Zugang zu dem an Ölquellen reichen Kaspischen Becken und Zentral­ asien eröffnen. Umgekehrt würde ein unterworfenes Aserbaidschan bedeuten, daß Zentralasien von der Außenwelt abgeriegelt wird und somit politisch dem russi­ schen Druck nach einer Wiedereingliederung ausgesetzt sein könnte. Usbekistan, volksmäßig der vitalste und am dichtesten besiedelte zentralasiatische Staat, stellt ein Haupthindernis für jede neuerliche Kontrolle Rußlands über die Region dar. Seine Unabhängigkeit ist von entscheidender Bedeutung für das Überleben der an­ deren zentralasiatischen Staaten, und es versteht sich, des russischen Drucks noch am besten zu erwehren. Am wichtigsten allerdings ist die Ukraine. Da die EU und die NATO sich nach Osten ausdehnen, wird die Ukraine schließlich vor der Wahl stehen, ob sie Teil einer dieser Organisationen werden möchte.«257 Brzezinski geht davon aus, daß die NATO-Osterweiterung dereinst auch die Ukraine umfassen wird, was seiner Einschätzung nach für diese auch von entschei­ dender Bedeutung ist, wenn sie ihre Unabhängigkeit behalten will. Damit jedoch werde auch auf Rußland Druck dahingehend ausgeübt werden, sich in die euroat­ lantischen Strukturen zu integrieren: »Doch wenn die Ukraine als unabhängiger Staat überleben soll, wird sie eher mit Mitteleuropa als mit Eurasien zusammenge­ hen müssen. Soll sie zu Mitteleuropa gehören, wird sie an den Bindungen Mitteleuro­ pas zur NATO und der Europäischen Union voll teilhaben müssen. Akzeptiert Rußland diese Bindungen, dann legt es sich damit in seiner Entscheidung fest, s elbst Teil von Europa zu werden. Rußlands Weigerung wäre gleichbedeutend mit dem Eingeständnis, daß es Europa zugunsten einer eurasischen Identität und Existenz den Rücken kehrt.«258 In der Förderung der Unabhängigkeit der Ukraine sieht Brzezinski deshalb eine grundlegende Voraussetzung, Rußland vor die Wahl zu stellen, sich entweder in die Isolation des eurasischen Kernraumes zurückzuziehen oder eingebunden zu werden in das System der Europäischen Union. Diese europäische Variante - nach Brzezinski die für Rußland einzig in Frage kommende Option - wird aber nicht verstanden als Idee einer vom amerikanischen Universalanspruch unabhängigen eurasischen Union, sondern lediglich als transatlantische Institution, bestehend aus einer erweiterten Europäischen Union und einer ebenso erweiterten NATO. Und »wenn sich Rußland in der Folge dieser Ausrichtung zu einem demokratischen und zunehmend europäischen Staat entwickelt, kann auch eine engere russische Einbin­ dung in die Europäische Union und die NATO erfolgen. Der engere Kreis des Ameri­ can global Systems kann dann um ein verwestlichtes Rußland ergänzt werden«.259 Für eine solche Strategie bildet die Ukraine in der geopolitischen Konzeption Brzezinskis die Rolle eines Schlüsselstaates: »Ohne die Ukraine kann Rußland nicht

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zu Europa gehören, wohingegen die Ukraine ohne Rußland durchaus Teil von Euro­ pa sein kann. Sollte Rußland beschließen, sich mit Europa zusammenzutun (natür­ lich nur im Sinne einer transatlantischen Option, der Verf.), liegt es letztendlich in seinem ureigenen Interesse, daß die Ukraine in ein größer werdendes europäisches Haus aufgenommen wird. Tatsächlich könnte die Beziehung der Ukraine zu Europa der Wendepunkt für Rußland selbst sein. Das heißt aber, daß der Zeitpunkt, an dem Rußland über sein Verhältnis zu Europa entscheidet, noch nicht in Sicht ist entscheidet in dem Sinne, daß die Wahl der Ukraine zugunsten Europas auch Ruß­ land zu einer Entscheidung drängt, wie es mit ihm weitergehen soll: ob es ein Teil von Europa oder ein eurasischer Außenseiter werden will, der im Grunde weder zu Europa noch zu Asien gehört und aus seinen Konflikten mit dem nahen Aus­ land nicht mehr herausfindet.«260 Für die USA ist Rußland Brzezinski zufolge kein gleichberechtigter Partner, denn dazu ist es viel zu schwach, aber um Amerikas »Patient« zu werden, ist es einfach zu stark. Deshalb ist es für die Eurasienstrategie der Vereinigten Staaten von ent­ scheidender Bedeutung, einen geopolitischen Rahmen zu schaffen, der Rußland gewissermaßen dazu zwingt, bereitwillig die Einbindung in die westlichen trans­ atlantischen Bündnissysteme auf sich zu nehmen. Auf diese Weise soll Rußland davon abgehalten werden, eine territioriale Rekonstruktion seines Reichs vorzu­ nehmen. »Wenn sich Rußland für den Wiederaufbau seines Imperiums entschei­ det, votiert es automatisch gegen eine demokratische und damit europäische Iden­ tität. Denn die Entscheidung für die eine Möglichkeit bedingt den Ausschluß der anderen.«261 Als strategische Handlungsmaxime formuliert Brzezinski infolgedes­ sen: »Wie schnell dieser Prozeß (in Richtung Westen, der Verf.) vonstattengehen wird, läßt sich nicht vorhersagen, aber eines ist sicher: Er wird sich beschleunigen, wenn ein geopolitischer Kontext geschaffen ist, der Rußland in diese Richtung treibt und zugleich andere Versuchungen ausschließt.«262 Welche Bedeutung diese transatlantische Gemeinschaft, in die Rußland einge­ bunden werden soll, für die amerikanische Geopolitik hat, beschreibt Brzezinski sehr genau: Um die Vorherrschaft Amerikas in Eurasien zu sichern, muß Europa und in zunehmendem Maße auch Mitteleuropa ein amerikanisches Protektorat blei­ ben, »dessen alliierte Staaten an Vasallen und Tributpflichtige von einst erinnern«.263 Europa ist deshalb, wie Brzezinski es ausdrücklich auch darlegt, »Amerikas unver­ zichtbarer geopolitischer Brückenkopf auf dem eurasischen Kontinent. Die Alte Welt ist für die USA von enormem geostrategischen Interesse. Anders als die Bindungen an Japan verankert das Atlantische Bündnis den politischen Einfluß und die militä­ rische Macht Amerikas unmittelbar auf dem eurasischen Festland. Beim derzeiti­ gen Stand der amerikanisch-europäischen Beziehungen, da die verbündeten euro­ päischen Nationen immer noch stark auf den Sicherheitsschild der USA angewiesen sind, erweitert sich mit jeder Ausdehnung des europäischen Geltungsbereichs auto­ matisch auch die direkte Einflußsphäre der Vereinigten Staaten. Umgekehrt wäre ohne diese engen transatlantischen Bindungen Amerikas Vormachtstellung in Eu­

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rasien schnell dahin. Seine Kontrolle über den Atlantischen Ozean und die Fähig­ keit, Einfluß und Macht tiefer in den euroasiatischen Raum hinein geltend zu ma­ chen, wären dann äußerst begrenzt«.264 Die Kontrolle Eurasiens setzt somit die Kontrolle Europas voraus. Nur durch eine transatlantische Partnerschaft - so Sabine Feiner - kann der »Brückenkopf der USA auf dem eurasischen Kontinent so gefestigt werden, daß ein wachsendes Euro­ pa ein brauchbares Sprungbrett werden kann, von dem aus sich eine internationale Ordnung der Demokratie und Zusammenarbeit nach Eurasien hinein ausbreiten läßt«. Daraus folgt, daß ein größeres Europa und eine erweiterte NATO den kurzund längerfristigen Zielen der US-Politik ohne weiteres ent gegenkommt: »Ein größe­ res Europa wird den Einflußbereich Amerikas erweitern - und mit der Aufnahme neuer Mitglieder aus Mitteleuropa in den Gremien der Europäischen Union auch die Zahl der Staaten erhöhen, die den USA zuneigen -, ohne daß ein politisch der­ art geschlossenes Europa entsteht, das bald schon die Vereinigten Staaten in für sie bedeutsamen geopolitischen Belangen anderswo, insbesondere im Nahen Osten, herausfordern könnte. Ein politisch klar definiertes Europa ist nicht zuletzt für die fortschreitende Einbindung Rußlands in ein System globaler Zusammenarbeit un­ verzichtbar.« (Sabine Feiner) EU und NATO haben nach der Vorstellung Brzezin­ skis für die USA also ausschließlich transatlantische Brückenfunktion, die sowohl den europäischen Kontinent als auch Rußland in die transatlantischen Systeme ein­ binden und gleichzeitig verhindern sollen, daß sich in diesem Großraum geopoliti­ sche Konkurrenten und Herausforderer bilden können. Diese Bedeutung Europas stellte Brzezinski in einem Artikel der neokonservati­ ven Zeitschrift The National Interest im Sommer 2000 unter dem Titel »Leben mit dem neuen Europa« näher dar. In der Herbstausgabe desselben Jahres schloß sich ein weiterer Artikel unter dem Titel »Leben mit Rußland« an. Diese Aufsatzreihe wurde unter dem Titel Geostrategic Triad: Living with China, Europe and Russia im Jahre 2001 in Buchform veröffentlicht.265 In diesem Buch - zusammengefaßt in der EIRNA-Studie 11. September - Die Lüge aus Staatsräson und ihre verhängnisvollen Konsequenzen - wird die Rolle Europas wie folgt beschrieben: »Die transatlantische Allianz ist das Sprungbrett für das globale Engagement der USA und gibt Amerika die Möglichkeit, seine Rolle als Schieds­ richter in Eurasien, der zentralen Arena der Macht, wahrzunehmen.« Trotz seiner wirtschaftlichen Stärke bleibe Europa ein »Protektorat der USA«. »Es ist nicht nur eine Tatsache«, so Brzezinski, »daß das Bündnis zwischen Amerika und Europa ungleich ist, es ist auch wahr, daß sich die vorhandene Asymmetrie zwischen den beiden wahrscheinlich noch zugunsten Amerikas ausweiten wird.« Schließlich sei das vereinte Europa auch nicht imstande, mit dem »Wirtschaftsboom und der tech­ nologischen Innovation« in den USA Schritt zu halten. Aus diesem Grund »werden die USA wahrscheinlich noch für mindestens eine Generation die einzige wirkliche globale Macht« und »die dominierende Macht der transatlantischen Allianz im er­ sten Viertel des 21. Jahrhunderts« bleiben. Europa wird deshalb aus amerikani­

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scher Sichtweise nach Brzezinski infolgedessen als »Satrapie« bezeichnet: Ideal für die USA wäre ein politisch vereinigtes Europa, das als NATO-Mitglied bereit sei, Einsätze der NATO »out of Area« mitzutragen, um die globale politische Last Ame­ rikas zu verringern und »Amerikas geopolitische Interessen in bezug auf Rußland und den Nahen Osten zu unterstützen«, so Brzezinski266. Einen Aufstieg Europas als geopolitischen Konkurrenten fürchtet er in diesem Zusammenhang nicht: »Wie das Dilemma im Kosovo deutlich gemacht habe, seien die politisch-militärischen Kapazitäten Europas äußerst begrenzt; Europa sei nicht einmal in einem schwachen Land in der Lage, eine Friedensmission durchzuste­ hen. Dies mache erneut deutlich, daß Europa >kein unabhängiger Akteur auf der internationalen Bühne werden kanngeographischen Nähe< zu den die Stabilität bedrohenden (>Schurkeneinbinden< zu lassen. Die Einbeziehung Rußlands in die transatlantische Gemeinschaft sei >not­ wendiger Stützpfeiler jeder langfristigen amerikanischen Strategie, um die Stabili­ tät auf dem eurasischen Mega-Kontinent zu konsolidierenwelche die Russen davon über­ zeugen, daß es in Rußlands Selbstinteresse liegt, ein wahrhaft demokratischer und europäischer postimperialer Nationalstaat zu werden - ein Staat, der eng mit der transatlantischen Gemeinschaft verbunden istneuen Eurasischen Union< aufzubauen.«270 Um zu verhindern, daß aus solchen russischen Plänen Wirklichkeit wird, setzt Brzezinski auf die Entfachung von Krisenherden an der russischen Peripherie: »Ein von allen Seiten >belagertes< Rußland, das sich insbesondere neu aufflammenden >islamischen< Konflikten im Süden gegenübersehe, werde >jedoch implodierenzwingenDie ernst zu nehmende Möglichkeit, daß sich Konflikte wie Buschfeuer in Zentralasien ausbreiten, könnte Rußlands ablehnende Haltung gegenüber einem größeren west­ lichen Engagement in der Region entschärfen. Moskau könnte dann nicht nur stär­ keren westlichen Wirtschaftsaktivitäten in der Region positiv gegenüberstehen, sondern auch einer größeren Rolle friedenserhaltender Maßnahmen der OSZE und vielleicht sogar auch der NATO zustimmenSiegermächte< unterworfen worden. Der Westen, vor allem die USA, so rät Brze­ zinski, sollte seine Beziehungen zum >offiziellen Rußland< abbauen und sich statt dessen auf die >nächste Führungsgeneration< in Rußland konzentrieren, die nur noch >eine vage Erinnerung< daran haben dürfte, was Rußland einmal war. Dies schließe die systematische finanzielle Förderung von Nichtregierungsorganisatio­ nen... und die gezielte Vergabe von Studienstipendien ein, mit deren Hilfe junge Leute in den USA >mit den Werten der Demokratie< vertraut gemacht werden soll­ ten.«276 Abschließend hebt Brzezinski hervor, was das Hauptziel der US-amerikanischen Geopolitik sein müsse: »Der Westen müsse ein Umfeld schaffen, das >jeden russi­ schen Versuch, die geopolitische Uhr zurückzustellen, entmutigt< und Illusionen und Nostalgie über den früheren Supermachtstatus verhindere. Zusammen mit

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Europa sollten die USA Rußland gegenüber klar machen, daß die einzige Chance für die Zukunft eine Mitgliedschaft in der EU und NATO sein wird. Zukünftige NATO-Beitritte dürften nicht von einer Zustimmung Rußlands abhängig gemacht werden, erklärt Brzezinski kategorisch. >Viele europäische Länder - vor allem die baltischen Staaten - wollen und haben das Recht, Teil der EU und NATO zu sein.< Der nächste Präsident der USA sollte deshalb, so rät Brzezinski, die Verbündeten drängen, die Aufnahme jedes demokratischen europäischen Staates, der die Kriteri­ en für eine NATO-Mitgliedschaft erfülle, noch vor dem Jahr 2002 voranzutreiben.«277 Endziel ist dabei die Verwirklichung eines »von Vancouver bis Wladiwostok reichenden Sicherheitssystems, wobei neben der OSZE-Struktur die >NATO eines Tages Kernelement eines transkontinentalen Sicherheitssystems werden< könne. >Somit könnte sich eine geostrategische Lage herausbilden, in der die russische Elite selbst erkennt, daß Rußlands einzige Option die beste Option ist: nämlich wahrhaft demokratisch und ein postimperialer Staat zu werden, der bereit ist, sich in die transatlantische Gemeinschaft 'einbinden' zu lassenNo RivalsNeocons< (den >Neokonservativengroßen StrategieDefense Planning Guidan­ ce (Fiscal Years 1994-1999)Zone des Friedensto discourage themto aspirePolizisten< der Welt werden, indem sie die Verantwortung dafür übernehmen, jeden Mißstand zu beheben (>righting every wrongNational Defence Planning Guidance< den Fokus auf die Verhältnisse auf dem (postsowjeti­ schen) eurasischen Kontinent, der für die damaligen Pentagon-Strategen der geo­ politische Ort ist, wo der jetzigen unipolaren Weltmacht USA ein strategischer Ri­ vale entstehen könnte. Aus diesem Grund fordert das Strategiepapier die USA auf, Maßnahmen zu entwickeln, die die macht politische Lähmung d es eurasischen Groß­ raums verewigt und von vornherein etwaige Herausforderer daran hindert, einen Weg zu beschreiten, der den Status quo ante wiederherstellen könnte. Um eine Ausweitung des Machteinflusses eines potentiellen eurasischen Rivalen einzudäm­ men, sind die USA aufgefordert, die strategischen Rohstoffquellen der Welt, gleich, wo sie sich befinden, unter ihre Kontrolle zu bringen. Bestandteil dieser Eindäm­ mungsstrategie ist hierbei auch die Erweiterung des Atlantischen Bündnisses Rich­ tung Osteuropa, für das die USA eine sicherheitspolitische Patenschaft überneh­ men sollen. Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, daß nicht nur Rußland als das >Heartland< Eurasiens, sondern vor allem auch die >Rimlands< Deutschland und Japan in der Weltordnungsvorstellung der Vereinigten Staaten nach dem Kalten Krieg als strategische Rivalen angesehen werden. Damit wird in diesem Konzeptpapier ersichtlich, welchen Einfluß die anglo-amerikanischen Geo­ politiker Mackinder und Spykman auf das Denken der amerikanischen Machtelite nach wie vor besitzen, deren Doktrinen sich hier widerspiegeln. Ganz eindeutig stehen die USA einem militärstrategisch und ökonomisch unab­ hängigen Europa mit äußerster Feindseligkeit gegenüber. Die NATO hat deshalb

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die Aufgabe, den Status der USA als einer >europäischen Macht< zu gewährleisten und damit ein Mitspracherecht der USA in europäischen Fragen sicherzustellen. Der Politologe Werner Link weist deshalb auch zutreffend darauf hin, daß die NATO-Politik der USA nach dem Zerfall der Sowjetunion der beschriebenen hege­ monialen Gesamtkonzeption folgt, worüber die europäischen Rivalen auch zu kei­ nem Zeitpunkt außer Zweifel gelassen wurden. In einer diplomatischen Demarche vom 21. Februar 1991 wurden sie mit ziemlich deutlichen Worten gewarnt: »Das Bestreben, einen europäischen Pfeiler dadurch zu bilden, daß die Rolle der NATO umdefiniert und begrenzt, die NATO-Struktur geschwächt und ein monolithischer Block von gewissen Mitgliedern geschaffen wird, wäre aus unserer Sicht eine fehl­ geleitete Politik. Wir möchten hoffen, daß solchen Bestrebungen standhaft und ent­ schlossen widerstanden wird.«280 Diese harsche diplomatische Note deckt sich mit der Aufforderung der >Defence Planning Guidance for Fiscal Years 1994 to 1999partnership in leadership< als bloße Augenwi­ scherei, die ohnehin nur die Funktion haben sollte, die Unterstützung der Bundes­ republik Deutschland für das Vorherrschaftskonzept der USA zu ködern. Tatsäch­ lich aber waren die USA von vornherein keinesfalls gewillt, ihren europäischen Partnern und insbesondere Deutschland auch nur in irgendeiner Form größeren außen- und sicherheitspolitischen Handlungsspielraum zuzugestehen. Nachdem es den Vereinigten Staaten gelungen war, eine unabhängig von der NATO existierende selbständige europäische Verteidigungsstruktur zu zerschla­ gen, boten sie der Bundesrepublik Deutschland an, eine »euro-atlantische Gemein­ schaft von Vancouver bis Wladiwostok« (so der damalige US-Außenminister Baker) zu schaffen. Im Oktober 1991 verständigten sich US-Außenminister Baker und der deutsche Außenminister Genscher auf die »Bildung eines neuen Systems koopera­ tiver Sicherheit in Europa«, das die »unverzichtbare Rolle der NATO« nicht schmä­ lern, sondern ergänzen sollte. Diese euro-atlantische Gemeinschaft fand ihren Aus­ druck in der Gründung des >Nordatlantischen KooperationsratesMächte­ gleichgewichts< und somit eine innere Zersplitterung Europas zum Ziel hatte. »Zwei­ mal im Zeitraum von nur einer Generation«, so schrieb Henry A. Kissinger seiner­ zeit folgerichtig, »führte Amerika Kriege, weil amerikanische Staatsführer davon überzeugt waren, daß die Vorherrschaft einer einzelnen feindseligen Macht in Eu­ ropa eine Bedrohung der amerikanischen Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen darstellte. An dieser Realität hat sich nichts geändert. Auch wenn es heute schein­ bar keine für die Vereinigten Staaten feindlichen Mächte in Europa mehr gibt, könnte die Entstehung einer neuen hegemonialen Mächtekonstellation schnell als feind­ lich angesehen werden.«289 Derartige Herausforderungen für die USA könnten sich nach Kissinger neben den Konflikten auf dem Territorium der ehemaligen Sowjet­ union und Osteuropas insbesondere aus »der Neudefinition der Ro lle D eutschlands« ergeben.290 Deshalb müsse Amerika heute mehr denn je an der Herstellung eines »innereuropäischen Gleichgewichts« arbeiten: »Dies gilt heute sogar in verstärk­ tem Maß. Deutschland ist so stark geworden, daß die existierenden europäischen Institutionen allein nicht mehr ausreichen, um ein Gleichgewicht zwischen Deutsch­ land und seinen Partnern und noch weniger zwischen Deutschland und der ehe­

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maligen Sowjetunion zu gewährleisten. Es kann in niemandes Interesse liegen, wenn sich Deutschland und Rußland gegenseitig als Hauptverbündete betrachten. Wenn sich beide Mächte zu nahe kommen sollten, besteht die Gefahr der Hegemonie...«291 Kissinger sah in der NATO das notwendige Instrument, um derartigen Entwick­ lungen vorzubeugen, die Rolle der USA als mitbestimmende Macht in Europa zu zementieren und mit einer Neutralisierung des deutschen Machtzuwachses das innereuropäische Mächtegleichgewicht wiederherzustellen. »Die Einigung Euro­ pas darf nicht auf Kosten der NATO erfolgen«, lautete deshalb folgerichtig seine Mahnung. Daß die NATO-Osterweiterung auch dem Ziel der USA diente zu verhindern, daß Deutschland in Ostmitteleuropa ein autonomes wirtschaftliches und militäri­ sches Glacis errichten und auf diese Weise zu einer geopolitischen Verselbständi­ gung Europas beitragen konnte, wurde in einer Studie der Rand-Corporation, ab­ gedruckt in der Zeitschrift Foreign Affairs, deutlich: »Eine Situation, in der ein Land wie Deutschland Polens Sicherheit mittels der Westeuropäischen Union zu sichern verspricht, nicht aber mittels der NATO, könnte die atlantische Allianz sprengen.«292 Jürgen Elsässer zufolge konnten die USA auf dem NATO-Gipfel im Januar 1994 die Kontrolle über die Ostexpansion an sich reißen. Anstelle der WEU und der OSZE trat die von Washington initiierte >Partnership for Peace< (Partnerschaft für den Frieden), mit der die USA eine militärische Einflußnahme auf die postsowjetische Sphäre sicherstellen konnten. So sahen sich die USA »im Erweiterungsprozeß in einer klaren Führungsrolle«.293 Indem sich Deutschland wieder in die von Was­ hington bestimmte Richtung bewegte, war aber auch ein Bruch Europas, beson­ ders Deutschlands, mit Moskau unvermeidlich. Mit diesen Schachzügen war es den USA gelungen, die schon von Mackinder befürchtete Achse Berlin-Moskau zu beseitigen.

2.8.2 Die Aktualisierung durch das >Project for The New American Century< Wie sich in Zukunft zeigen sollte, war das >No-RivalsProjekt for The New American Century< (PTNAC). Die Initiative zur Gründung dieser Ein­ richtung ging von William Kristol aus, dem Hauptschriftleiter des neokonservati­ ven Blattes Weekly Standard und ehemaligem Stabschef von Dan Quayle, dem Vize­ präsidenten von George B ush sen. Diese Einrichtung »ist nicht irgendeines der vielen politischen Komitees in den USA. Das zeigt sich an den Personen, die diesem Kreis angehören. Dazu zählt zum Beispiel Jeb Bush, der Gouverneur von Florida und Bruder des jetzigen Präsidenten... Dann findet man dort namhafte Personen aus

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der Regierung von Bush I, die in der Regierung von Bush II wieder eine wichtige Rolle übernehmen sollten, wie der jetzige Vizepräsident Dick C heney, Verteidigungs­ minister Donald Rumsfeld, sein Stellvertreter Paul Wolfowitz und Lewis Libby, Stabs­ chef und Chefberater des Vizepräsidenten. Hinzu kamen andere einflußreiche Leute wie der durch sein Buch Ende der Geschichte berüchtigte Francis Fukuyama oder Eliott Abrams, der in der Regierung Bush II eine führende Rolle im Nationalen Si­ cherheitsrat (NSC) übernahm, oder Zalmay Khalilzad, ein Mitarbeiter Wolfowitz', der nach 2001 Sonderbeauftragter der Bush-Regierung für Afghanistan und Irak wurde«.294 Ideologisch wurzelt die PTNAC in den Theorien von Robert Strausz-Hupe und Leo Strauss. Strausz-Hupe gilt als einer der führenden Persönlichkeiten der ameri­ kanischen Geopolitik, hatte wichtige diplomatische Funktionen inne und hatte »au­ ßerordentlichen Einfluß sowohl auf die Welt der amerikanischen Denkfabriken als auch auf Teile des amerikanischen Militärs«.295 1957 rief er das Journal Orbis - A Journal of World Affairs ins Leben, »das seither als Sprachrohr der schärferen impe­ rialistischen Töne amerikanischer Strategen in Erscheinung getreten ist. Zu den ersten Redakteuren des Blattes gehörten damals der Harward-Professor William Yandell Elliott, Mentor der führenden Köpfe amerikanischer Utopisten wie Kis­ singer, Huntington, Brzezinski und McGeorge Bundy, sowie Henry Kissinger selbst«. In der ersten Ausgabe schrieb S trausz-Hupe: »Die Aufgabe, vor der die Vereinig­ ten Staaten stehen, ist die Vereinigung der Welt unter ihrer Führung innerhalb die­ ser Generation... Diese Aufgabe muß wegen zweier vordringlicher Überlegungen in naher Zukunft erreicht werden: 1. Das politische Erscheinen der asiatischen Völ­ ker verändert zusammen mit ihrem ungeheuren Bevölkerungswachstum das inter­ nationale und regionale Gleichgewicht der Mächte tiefgreifend und kündigt regio­ nale und internationale Konflikte und Kriege an. 2. Innerhalb absehbarer Zukunft werden eine Reihe von Ländern außerhalb der Vereinigten Staaten, der Sowjetunion und Großbritanniens in den Besitz von Nuklearwaffen und anderen Massenver­ nichtungsmitteln gelangen... Die Errichtung einer solchen universellen Ordnung ist nun zur einzigen Alternative zu Anarchie und Zerstörung geworden, die der Mensch angerichtet hat, seit seine Vorfahren die Höhlen verließen. Die alleinige Frage bleibt daher, welches Volk es sein wird, das die Weltordnung nach seinem Bilde und unter seiner Herrschaft gestalten wird... Wird die kommende Weltord­ nung ein amerikanisches Weltreich? Es muß so sein ... Die kommende Ordnung wird die letzte Phase in einem historischen Übergang markieren... Die Mission des amerikanischen Volkes besteht darin, die Nationalstaaten zu begraben, ihre hinterbliebenen Völker in größeren Bündnissen zu vereinigen und mit seiner Macht mögliche Saboteure der neuen Weltordnung niederzudrücken... In den nächsten etwa 50 Jahren gehört die Zukunft Amerika. Das amerikanische Imperium und die Menschheit werden nicht Gegensätze sein, sondern eher zwei Namen für die uni­ verselle Ordnung in Frieden und Glück.«296 Leo Strauss wiederum war ein Theoretiker der Macht und stand in der Tradition

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des englischen Staatsphilosophen Thomas Hobbes, der in seinem Buch Leviathan darstellte, daß jede Schaffung einer Rechtsordnung von der Gewalt dessen abhängt, der sie auch durchzusetzen vermag (»Non veritas, sic auctoritas facit legem« - Nicht die Wahrheit, sondern die Gewalt schafft Recht). Diese Gedankenwelt Hobbes' über­ trug Strauss auf die internationale zwischenstaatliche Ordnung. In dem Gründungspapier vom 3. Juni 1997 fordern die Gründer dieser Projekt­ gruppe ein aggressives und offensives Eingreifen Amerikas in die Weltpolitik: »Heu­ tige Konservative lassen sich leicht von der charmanten alten Metapher über die Vereinigten Staaten als der >Stadt auf dem Hügel< verführen. Sie beziehen sich auf die Mahnung John Quincy Adams, Amerika solle nicht ausziehen, >um Monster zu vernichtenauf dem Hügel< zu sitzen und durch sein Beispiel zu wirken, in der Praxis zu einer Politik der Feigheit und Ehrlosigkeit.«297 Die Stabilität der internationalen Ordnung hängt nach Einschätzung der Vor­ denker der PTNAC damit von der Stärke Amerikas ab. Amerika sei als unverzicht­ bare Nation verpflichtet, ohne Beschränkung durch Konkurrenten oder internatio­ nale Organisationen oder multilaterale Gremien eine Weltordnung zu schaffen, weshalb der Fokus der Außen- und Militärpolitik der USA auf eine ständige Inter­ ventionsbereitschaft ausgerichtet sein müsse. »Eine internationale Ordnung kann aus amerikanischer Sicht nur ein Zentrum haben: die USA, und nicht den UN-Si­ cherheitsrat«, erklärte Robert Kagan, einer der Chefideologen der PTNAC. Als ihre Hauptaufgabe bezeichnet es die PTNAC, die weltumspannende Führerschaft der USA zu fördern (»to promote the American global leadership«), wie es im Grund­ satzprogramm der Organisation heißt. Eine solche Führung sei sowohl für Amerika als auch für die ganze Welt gut. Um dieser Wohltat willen bedürfe es militärischer Kraft, diplomatischer Energie und fester moralischer Grundsätze (»that American leadership is good both for America and the world and that such leadership requires military strength, diplomatic energy and commitment to moral principles«). Voraussetzung dafür, daß Amerikas einzigartige Rolle zur Aufrechterhaltung einer internationalen Ordnung (»America's unique role in preserving and exten­ ding an international order«) umgesetzt werden kann, ist eine Erhöhung der Ver­ teidigungshaushaltes (»increase defense spending«). Gary Schmitt, geschäftsfüh­ render PTNAC-Direktor, erklärte noch schärfer: »Die USA haben das Recht, über alle wichtigen Sicherheitsfragen zu entscheiden, w eil sie als einzige zivilisierte Macht über di e Du rchsetzungskraft und den Willen dazu verfügen.«298 In dem Gründungs­

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manifest der PTNAC wird dann auch der Anspruch der USA deutlich, eine mora­ lische, politische und militärische Weltführerschaft miteinander zu verbinden und durchzusetzen: »Wir brauchen einen deutlichen Anstieg der Verteidigungsausga­ ben, wenn wir unserer globalen Verantwortung heute gerecht werden und unsere Streitkräfte für die Zukunft modernisieren wollen. Wir müssen unsere Bindungen zu demokratischen Verbündeten stärken und Regime herausfordern, die unseren Interessen und Werten gegenüber feindlich eingestellt sind. Wir müssen das Ziel der politischen und wirtschaftlichen Freiheit im Ausland fördern. Wir haben die Verantwortung für Amerikas einmalige Rolle bei der Aufrechterhaltung und Aus­ dehnung einer internationalen Ordnung zu akzeptieren, die unserer Sicherheit, unserem Wohlstand und unseren Prinzipien gegenüber freundlich gesinnt ist.«299 Das bedeutet also, daß nach diesen Konzeptionen die gesamte Welt unter Inter­ ventionsvorbehalt der USA steht; die USA also per se zur - gegebenenfalls auch militärischen - Einmischung verpflichtet sind, sofern sich in einem Winkel der Welt ein politisches Regime etablieren sollte, dessen gesellschaftliche und ökonomische Ordnung oder außenpolitische Konzeption mit dem Interesse der USA nicht über­ einstimmt. Das Prinzip der staatlichen Souveränität - das auch die Definition eige­ ner Interessen beinhaltet - erfährt damit eine grundlegende Einschränkung: Sie wird von der einzig verbliebenen Weltmacht nur so lange beachtet, wie der jewei­ lige Staat sich in die von Washington diktierte Weltordnung einfügt. Tritt hingegen eine Interessenkollision ein, verliert der Staat seine Existenzberechtigung. Treffend formulierte Henry Kissinger daher, daß diese Doktrinen das Ende der »westfäli­ schen Ordnung« bedeuten würden - in Anlehnung an den Westfälischen Frieden 1648, in dem die Anerkennung der staatlichen Souveränität zum völkerrechtlichen Prinzip erhoben wurde. Diese neokonservative US-Machtelite macht endgültig Schluß mit der Berück­ sichtigung auswärtiger Staatsinteressen. Vielmehr werden Verbündete wie Geg­ ner als dem strategischen Besitzstand der USA zugehörig erklärt und eingemein­ det, womit klargestellt werden soll, daß sie der Kontrolle und Vorherrschaft der USA unterlegen sind. Wie genau diese neokonservative außenpolitische Ausrichtung aussehen sollte, haben Wiliam Kristol und Robert Kagan im Sommer 1996 in einem Aufsatz in den Foreign Affairs mit dem Titel »Towards a Neo-Reaganite Foreign Policy« (»Für eine Neo-Reaganistische Außenpolitik«) hervorgehoben, in dem sie die neue Rolle der USA in der Weltpolitik nach dem Untergang der Sowjetunion darstellten: Es gehe um die Herstellung einer »wohlwollenden globalen Hegemonie« der Vereinigten Staaten. »Amerika erfreue sich jetzt, im Jahre 1996, schon fünf Jahre lang der allei­ nigen strategischen und ideologischen Vorherrschaft. Deshalb müsse das vorran­ gige Ziel der amerikanischen Außenpolitik lauten: >Erhalt und Ausbau dieser Vor­ machtstellung durch die Stärkung der Sicherheit Amerikas, Unterstützung seiner Freunde, Förderung seiner Interessen und Einstehen für seine Prinzipien auf der ganzen WeltDefense Policy Guidance< (DPG), die Anfang 1992 entworfen wurde, war die Blaupause dafür, wie die Vorherrschaft der USA aufrechterhalten, der Aufstieg eines Großmacht-Rivalen ausgeschlossen und eine internationale Sicherheitsordnung gestaltet werden kann, die amerikani­ schen Prinzipien und Interessen entspricht. Nachdem dieses Dokument damals, bevor es formell in Kraft gesetzt werden konnte, den Medien zugespielt worden war, wurde es als der Versuch >Kalter Krieger< abgetan, trotz des Zusammenbruchs der Sowjetunion die Rüstungsausgaben hoch und den Truppenabbau niedrig zu halten. Es überrascht kaum, daß das Dokument (DPG) danach von der neuen Clin­ TON-Administration begraben worden ist... Obgleich die Erfahrungen der vergan­ genen acht Jahre unser Verständnis von einzelnen militärischen Anforderungen zur Umsetzung dieser Strategie verändert haben, sind die Grundaussagen der DPG nach unserer Auffassung weiterhin gültig. Und was Verteidigungsminister Cheney damals den Kritikern der DPG entgegenhielt, bleibt auch heute noch richtig: Wir können entweder die erforderliche Streitmacht beibehalten und damit in der Posi­ tion bleiben mitzuhelfen, um die Dinge zum Besseren zu wenden, oder wir können diese Vorteile verspielen. Dann aber wird sich um so schneller der Tag nähern, an dem wir vor größeren Bedrohungen, höheren Kosten und höheren Risiken für ame­ rikanische Leben stehen.«302 In diesem Bericht wurde Verbitterung über die Clinton-Ära zum Ausdruck ge­ bracht, da dort »so viel Zeit vergeudet wurde, in der die USA sich nicht dem Ziel verschrieben hatten, zu der uneinholbar hochgerüsteten, uneingeschränkt domi­ nierenden Weltmacht zu werden«.303 Es wird statt dessen eine massive Aufrüstung gefordert, die die globale Vorherrschaft der USA und die Errichtung einer Welt­ ordnung nach amerikanischen Prinzipien absichern sollte: »Zur Zeit haben die Vereinigten Staaten keinen globalen Konkurrenten. Amerikas langfristige Strate­ gie sollte darauf gerichtet sein, diese vorteilhafte Position zu bewahren und so weit wie möglich in die Zukunft auszudehnen.«304 Dieses Ziel aber könne nur dann er­ reicht werden, wenn die amerikanischen Streitkräfte »heute und in Zukunft« über »die weltweit überragendsten militärischen Fähigkeiten verfügen«.305 Die Welt des 21. Jahrhunderts sei - »im Augenblick jedenfalls - eindeutig unipolar, mit Amerika als der einzigen Supermacht auf der Welt«. Jetzt müßten »Zonen des demokrati­

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schen Friedens« in der Welt geschaffen werden, neue weltmachtpolitische Kon­ kurrenten seien von ihren Bestrebungen »abzuschrecken«. Dazu müßten internatio­ nale Abrüstungsverträge ad acta gelegt und ein neues nukleares Aufrüstungspro­ gramm eingeleitet werden, denn »die nukleare Überlegenheit der USA ist nichts, wofür man sich schämen muß, sie wird ein wesentliches Element bei der Aufrechter­ haltung der amerikanischen Führungsrolle in einer komplexeren und chaotischeren Welt sein«.306 Außenpolitik, strategische Sicherheit, Streitkräfteplanung und Vertei­ digungsausgaben müßten wieder zu einer organisch abgestimmten Einheit werden. »Die Herausforderung im neuen Jahrhundert ist es, diesen >amerikanischen Frie­ den< zu bewahren und zu verbessern.«307 Diese Forderungen der Projektgruppe für das Neue Amerikanische Jahrhundert, die mit der Etablierung der Regierung George W. Bush die Chance sah, diese Kon­ zeption von 1992 nunmehr endlich umzusetzen, fand dann auch Eingang in das Programm des politischen Establishments. In die Richtung der genannten Strate­ giepapiere geht dann auch die von George W. Bush verkündete »Nationale Sicher­ heitsstrategie 2002«, die er am 20. September 2002 dem Kongreß vorlegte. Dieses Dokument muß gewissermaßen als »geschichtsphilosophisches Traktat und als geostrategisches Grundlagenreferat für das 21. Jahrhundert«308 verstanden werden. »Vieles spricht dafür, daß die jetzt veröffentlichte neue Sicherheitsstrategie von weitreichender, vielleicht epochaler Bedeutung sein wird«, so die Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. »Jedenfalls wird in der Einleitung und den neun Kapiteln des Papiers jeweils in epochalen Kategorien gedacht. Es geht um nichts Geringeres, als die Epochenschwelle, die das >annus mirabilis< 1989 mit den demo­ kratischen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa sowie dem daraus folgenden Zerfall der Sowjetunion markiert, in welthistorischer Perspektive abschließend zu deuten. Aus amerikanischer Sicht muß das vergangene >Katastrophenjahrhundert< als eine Reihe von Triumphen erscheinen. Nicht nur haben die Vereinigten Staaten zu den Siegern beider Weltkriege gehört, sie haben auch den Kalten Krieg gewon­ nen und stehen zu Beginn des 21. Jahrhunderts als unangefochtenes Imperium da politisch, wirtschaftlich, militärisch. Ohne den Einsatz der globalen Ordnungsmacht Amerika ist im Nahen Osten, in Mittelasien, zwischen Indien und Pakistan und wohl auch in Afrika kein Friedensschub in Sicht. Wenn die ökonomische Dynamik der Vereinigten Staaten eine Verschnaufpause einlegt, kriegt die Weltwirtschaft Atemnot. Und der globalen Schlagkraft und technologischen Raffinesse des ameri­ kanischen Militärs kommt weltweit niemand auch nur annähernd gleich.«309 Diesem geschichtsphilosophischen Abriß wird nunmehr die Aufforderung an­ geschlossen, dieses aus amerikanischer Sicht »unipolare Moment« (Charles Kraut­ hammer) auch zu erhalten und die amerikanische Führungsrolle durch verstärkte Aufrüstung abzusichern: »Der Präsident wird es nicht zulassen, daß irgendeine fremde Macht den großen Abstand aufholen wird, der sich seit dem Zerfall der Sowjetunion vor mehr als einem Jahrzehnt gebildet hat.«310 Die Bewahrung und der Ausbau der eigenen Vormachtstellung sind somit der Anker der künftigen Si­

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cherheitsstrategie der USA. Dabei müßten und würden die Vereinigten Staaten »die Fähigkeit bewahren, jeden Versuch eines Staates oder eines nichtstaatlichen Ak­ teurs, den Vereinigten Staaten, ihren Verbündeten oder Freunden seinen Willen aufzuzwingen, zurückzuschlagen«. Dazu aber müßten die amerikanischen Streit­ kräfte »stark genug sein, um jeden potentiellen militärischen Gegner von dem Ver­ such abzubringen, durch Aufrüstung den Vereinigten Staaten gleichzukommen oder sie zu überflügeln«.311 Wie die New York Times treffend berichtete, erklärte George W. Bush mit dieser Sicherheitsstrategie die Politik der Abschreckung und Eindämmung offiziell für tot. Statt dessen wird nun auf militärische Präventivschläge als Vorbeugung gegen etwaige feindliche Angriffe gesetzt. Dabei wird der Wille, gegebenenfalls auch al­ lein ohne Zögern zu handeln und das »Recht auf Selbstverteidigung durch Vor­ beugung« in Anspruch zu nehmen, deutlich hervorgehoben: Angesichts einer ver­ änderten Welt sei es unmöglich, jene abzuschrecken, die die USA hassen und alles, was die USA verkörpern. Die USA müßten fähig sein, »Schurkenstaaten« und die von diesen unterstützten Terroristen »zu stoppen, bevor sie die USA, unsere Ver­ bündeten und Freunde mit Massenvernichtungswaffen bedrohen oder angreifen können«. Nach den Maßgaben des Strategiepapiers reicht Amerika künftig schon der bloße Verdacht aus, daß ein anderes Land einen Angriff plant, um militärisch vorzugehen - »auch wenn Unsicherheit über Ort und Zeit des Angriffs besteht«.312 Internationalen Verträgen zur Rüstungsbegrenzung und zum Verbot der Weiter­ gabe von Massenvernichtungswaffen wird in diesem Zusammenhang wenig Be­ deutung beigemessen. Statt dessen werden nicht näher bezeichnete »aktive Maß­ nahmen« zur Durchsetzung der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen befürwortet. Umgesetzt wurden diese Konzepte in dem vom US-Generalstab ver­ faßten Grundsatzdokument Joint Vision 2010, in dem eine »Full-Spectrum Domi­ nance« eingefordert wurde: »Vor dem Hintergrund unserer Interessen und Ver­ pflichtungen müssen die Vereinigten Staaten die Präsenz ihrer Streitkräfte in Übersee aufrechterhalten sowie die Fähigkeit zu einer raschen weltweiten Machtprojektion wahren, um eine allumfassende Dominanz zu sichern.«313 Dem Willen, künftig keinen auch nur annährend gleich starken Konkurrenten zuzulassen und sich gegen Bedrohungen vorbeugend zur Wehr zu setzen, »liegt neben einem gesunden Eigeninteresse auch eine Art missionarischer Eifer zugrun­ de«.314 Amerika sei das Erfolgsmodell für eine Gesellschaft auf der Grundlage von »Freiheit, Demokratie und freiem Unternehmertum«. Wenn die Welt ein besserer Ort für alle ihre Bewohner werden wolle, müsse sie diesem Beispiel folgen, denn die »Prinzipien von Freiheit und Gerechtigkeit sind für alle und überall richtig und wahr«. Dazu wollen die Vereinigten Staaten ihre politische, militärische und auch wirtschaftliche Macht einsetzen. In einem eigenen Kapitel ist von einer »Neuen Ära des globalen Wirtschaftswachstums durch freie Märkte und freien Handel« die Rede, in dem die Sicherung des freien Kapitalflusses und von offenen Märkten als elementare Notwendigkeit betont wird.

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In dieser Sicherheitsstrategie findet sich wiederum das seit dem spanisch-ame­ rikanischen Krieg von 1898 immer wiederkehrende Konzept der Durchsetzung ei­ nes globalen Freihandelsregimes zur Sicherung von Absatzmärkten und Rohstoffen für die amerikanische Wirtschaft, das es von den USA, wenn erforderlich, mit mili­ tärischer Gewalt durchzusetzen und aufrechtzuerhalten gilt. Mit diesem Ziel ver­ trägt sich natürlich nicht der Aufstieg eines geostrategischen Rivalen, dessen mili­ tärische und ökonomische Kraft es erlauben würde, den Einfluß der USA zu beschneiden und ihnen Absatzmärkte sowie die Verfügungsgewalt über strategi­ sche Rohstoffe zu entreißen.

2.9 The Pentagon's New Map - Thomas P. M. Barnett und Amerikas Plan zur ökonomischen Rekolonialisierung der Welt Vor diesem Hintergrund muß auch die ökonomische Globalisierung als Fortset­ zung jener Strategie der >Grand Area< vom Vorabend des Zweiten Weltkrieges be­ griffen werden, die die ganze Welt respektive den eurasischen Raum dem ökono­ mischen Diktat der USA unterwerfen sollte. Ab der Jahreswende 1989/1990 sollte diese >Grand AreaReich der Freiheit< nicht nur virtuell aus, sondern sucht auch Vergrößerung und Erweiterung auf der Erde, wirtschaftlich und durch Ver­ größerung und Erweiterung der Demokratien. Thomas Friedman hat dazu erklärt: >Wenn man vor hundert Jahren einem visionären Geoarchitekten gesagt hätte, die Welt werde im Jahre 2000 von einem Globalisierung genannten System bestimmt und er solle doch ein Land ersinnen, das in dieser Welt konkurrieren und gewin­ nen könne, dann hätte er ein Gebilde entworfen, das den Vereinigten Staaten von Amerika verdammt ähnlich gesehen hätte.Stabilitätsexport< und >Nation-Building< auf die dauerhafte Besetzung und radikale Umgestaltung sogenannter >failured states< (gescheiterter Staaten) vor. »Dabei zeigt sich zunehmend, daß der >Krieg gegen den Terror< zugleich als ein Mittel zur globalen Durchsetzung einer neoliberalen Wirtschaftsordnung instrumentalisiert wird, die immer mehr Züge eines klassi­ schen Kolonialismus annimmt.«322 Das Defence Science Board, das wissenschaftliche Beratergremium des US-Außenministeriums, kam in diesem Zusammenhang in einer Studie zu dem Ergebnis, daß die Wahrscheinlichkeit sehr groß sei, »daß die USA in Stabilisierungs- und Wiederaufbaumissionen involviert werden... Geschei­ terte und scheiternde Staaten sind ideale Brutstätten und Trainingsorte für Terrori­ sten«. Aufgrund dessen, so die Studie, seien die USA alternativlos zu einer impe­ rialen Mission verpflichtet: »Vom Sudan über Afghanistan und Sierra Leone und Somalia: Wenn solche Machtvakuen in der Vergangenheit Großmächte gefährdeten, hatten diese eine schnelle Lösung parat: Imperialismus... Die Logik des Neoimpe­ ralismus ist für die Bush-Regierung zu überzeugend, um ihr zu widerstehen. Das Chaos in der Welt ist zu gefährlich, um ignoriert zu werden.«323 Stephen Krasner, Leiter der Politischen Planungsabteilung im US-Außenmini­ sterium, fügt hinzu: »Das Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenhei­ ten funktioniert nicht mehr... Mächtige Staaten können das Phänomen prekärer Staaten nicht ignorieren, denn deren Sicherheits- und wirtschaftliche Interessen sind durch diese Staaten gefährdet. Die beste Lösung ist (deshalb) die Errichtung einer

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Thomas P. M. Barnett, geboren 1962, einer der führenden Geostrategen in den USA. Er war von 1998 bis 2004 Forscher am US Naval College in Newport, Rhode Island. Präsentationsschema f ür Thomas P. M. Barnetts Buch The Pentagon‘s New Map: die Einteilung der Welt in CORE und GAP.

Mitte: Thomas P. M. Barnetts erstes Buch: The Pentagon‘s New Map: War and Pace in the TwentyFirst Centrury, erschienen 2004. Barnetts Buch ist die Ausarbeitung und Vertiefung eines ein Jahr zuvor im Esquire Magazine erschienenen Aufsatzes: »The Pentagon's New Map«. Unten: Barnetts zweites Buch: Blue Print fort Action: A Future Worth Creation, erschienen 2005. Unten rechts: Präsentationsschema für Thomas P. M. Barnetts Buch Blue Print for Action: die Neuen Spielregeln.

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de-facto-Treuhandschaft oder eines Protektorats.« Damit erweist sich die Globali­ sierung gleichzeitig als ein Instrument zur Entstaatlichung und Entsouveränisie­ rung, durch das faktisch jeder Staat der Erde im Verhältnis zu den USA einem nahezu kolonialen Protektoratsstatus unterworfen werden kann. Das einflußreiche >Council on Foreign Relations< verbindet dieses mit der Terrorismusbekämpfung gerechtfertigte Vorgehen offen mit einem >RegimewechselStabilitätsexport< und >Nation Building< die Wirtschaftsordnungen periphe­ rer Staaten in einer Art militärischem Strukturanpassungsprogramm neoliberal umstrukturiert werden.«326 »Protektorate sind in«, erläutert Carlo Masala vom >NATO Defence Collegeeroberten< Gebiete in Protektorate umgewandelt, und die westliche Staatengemeinschaft ist darum bemüht, liberale politische Systeme, Rechtsstaatlichkeit und freie Marktwirtschaft in diesen Gebieten einzuführen.«327 Der maßgebliche Vordenker einer solchen »neoliberalen Geopolitik« (so der Amerika-Experte Jürgen Wagner) dürfte wohl der Pentagonberater Thomas P. M. Barnett sein. Barnett zufolge haben die USA die Aufgabe, als »Bodyguard der Globalisierung«328 die Weltwirtschaftsordnung nicht nur abzusichern, sondern bis in den letzten Winkel der Welt auszudehnen. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß in Gebieten, die »vorübergehend abgekoppelt von der globalen Ökonomie« und deren »Spielregeln« seien, Staaten zerfallen und damit auch Terrorismus ent­ stünde. »Es ist diese Isolierung, die eine Gefährdung definiert... Somit ist die Aus­

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merzung dieser Abkoppelung die zentrale sicherheitspolitische Aufgabe unserer Zeit«. Dabei stellt Barnett unmißverständlich klar, daß die globale Ökonomie neolibe­ ralen Spielregeln zu folgen hat, die Vereinigten Staaten mithin die »Rolle als Sy­ stemadministrator hinsichtlich der ökonomischen Globalisierung« wahrzunehmen haben: »Damit meine ich, daß Amerika die Führung bei der Verkündung des um­ fassenden ökonomischen Regelsystems übernommen hat, das den Fortschritt der Globalisierung seit den 90er Jahren anleitet und unter dem Begriff des Washington Konsensus bekannt ist... Amerika muß nun einen Gang zulegen und eine ähnliche Rolle als Systemadministrator im Bereich der Sicherheit spielen.«329 Barnett teilt die Welt in zwei Blöcke auf: Es existiert eine Staatenwelt, in der die wirtschaftliche Globalisierung funktioniert und die er als den »Funktionierenden Kern« dieser Weltordnung bezeichnet. Dieser stellt er jene Staaten entgegen, die sich nicht in die von den USA definierte und gestaltete Weltwirtschaftsordnung eingebunden haben. Diese Staatenwelt nennt er die »nichtintegrierte Lücke«: »Zei­ gen Sie mir, wo die Globalisierung reich ist an Netzwerk-Verbindungen, finanziel­ len Transaktionen, wo es liberale Medien gibt und kollektive Sicherheit herrscht, und ich werde Ihnen Regionen mit stabilen Regierungen und steigendem Lebens­ standard zeigen, wo die Zahl der Suizid-Toten diejenige der Mordopfer übersteigt. Diese Teile der Welt nenne ich den >funktionierenden Kern< (Functioning Core), kurz >KernNichtintegrierte Lücke< (Non-Integrating Gap), kurz >LückeOffice for Force Transformation< ernannt und damit mit der Umstrukturierung des US-Militärs für die »Aufgaben des 21. Jahrhunderts« betraut wurde. »Da Cebrowski selbst angab, die gegenwärti­ ge Transformation des US-Militärs beziehe sich primär auf Barnetts Analysen, überrascht es nicht weiter, daß sich ihre Ausführungen wie ein Ei dem anderen gleichen: >Es gibt viele Nationen, die innerhalb der Globalisierung funktionieren. Das sind die Staaten, die die Regeln akzeptierenWer die Globali­ sierung bekämpft, wer die Regeln zurückweist,... wird möglicherweise das Inter­ esse des amerikanischen Verteidigungsministeriums auf sich ziehen.< Für ihn muß das US-Militär folgerichtig künftig als >Systemadministrator< der Globalisierung fungieren«.333 Tatsächlich sind Globalisierung und globale Militärintervention als zwei Säulen einer Strategie zur Schaffung eines globalen »informellen Imperiums« der USA zu verstehen: »Denn während die neoliberale Globalisierung zu einer dramatischen Verarmung weiter Teile der Weltbevölkerung führt, sind die Vereinigten Staaten zugleich wichtigster Antreiber und Profiteur dieses Prozesses.«334 Das bedeutet also: Mit der Durchsetzung neoliberaler Wirtschaftsreformen nach den Grundsätzen des sogenannten »Washington Consensus« (Deregulierung, Liberalisierung, Privatisie­ rung), die die USA mittels des Internationalen Währungsfonds jedem Land der Welt aufzwingen können, setzen die USA erst Prozesse der sozialökonomischen Zerrüttung und gegebenenfalls auch ethnischer Separatismen in Gang, die dann als Vorwand für militärische Interventionen und anschließender politisch-ökono­ mischer Kolonialisierung dienen: Die Zerschlagung Jugoslawiens ist ein Beispiel dafür und - wie noch aufzuzeigen wird - auch der Zerfall der Sowjetunion und später der Russischen Föderation. Da sich aber innerstaatliche Konflikte als Folge dieser Strukturanpassungsprogramme negativ auf Kapitalinvestitionen und die da­ mit verbundenen Profitmöglichkeiten auswirken, die im Rahmen des Globalisie­ rungsprozesses massiv angewachsen sind, ist den westlichen Konzernen an der

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>Befriedung< geopolitisch und wirtschaftlich interessanter Gebiete gelegen.335 »Die unter der Führung der internationalen Wirtschaftsinstitutionen vorangetriebene >Globalisierung< hat dem Finanzkapital neue Horizonte eröffnet, doch macht sie auch den Schutz und die Sicherheit der >Eigentumsrechte< auf natürliche Ressour­ cen, auf Land, aber auch der Finanztitel (Aktien, Obligationen, Schuldtitel) not­ wendig.«336 Schon 1992 erklärte der damalige US-Verteidigungsminister Dick Che­ ney, weshalb eine militärische Befriedung instabiler Regionen für das ökonomische Wohl der USA notwendig ist: »Kurz gesagt, der Weltmarkt, von dem wir ein Teil sind, kann dort nicht florieren, wo regionale Gewalt, Instabilität und Aggression ihn gefährden. Unser ökonomisches Wohlergehen und unsere Sicherheit bedürfen einer stabilen Welt, in der die Gemeinschaft friedlicher, demokratischer Staaten weiter wächst.«337 Der ehemalige Sonderberater der Ex-Außenministerin Albright, Thomas Fried­ man, stellte den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Globalisierung und glo­ balem Militärinterventionismus wie folgt dar: Für ihn beruht die Globalisierung »auf der Macht der USA und ihrer Bereitschaft, sie gegen jene einzusetzen, die das globalisierte System bedrohen - vom Irak bis Nordkorea. Die unsichtbare Hand des Marktes kann ohne eine unsichtbare Faust nicht arbeiten. McDonald's kann nicht gedeihen ohne McDonnel Douglas, die für die US-Air-Force die F-15 bauen. Die unsichtbare Faust, die dafür sorgt, daß die Technologie des Silicon Valley blüht, besteht aus dem Heer, der Luftwaffe, der Marine und der Marineinfanterie der Vereinigten Staaten«.338 Dabei geht es - so stellt Jürgen Wagner fest - nicht mehr nur um die Profitinter­ essen einzelner Großkonzerne, sondern vielmehr darum, eine imperiale, US-domi­ nierte Weltwirtschaftsordnung militärisch abzusichern: »Das Freihandelssystem des 19. Jahrhunderts wurde von der Royal Navy geschützt und ausgeweitet. Die einzige Macht, die in der Lage ist, heute eine vergleichbare Rolle zu spielen, sind die Verei­ nigten Staaten von Amerika.« Wirtschaftliche Globalisierung und globale Militari­ sierung sind somit zwei Seiten einer Medaille: »Das Problem einer eher auf ökono­ mische als militärische Überlegenheit gestützten Imperiumsbildung besteht freilich darin, daß sie bei der Sicherung der neu erschlossenen Wirtschaftsräume auf mili­ tärische Präsenz nicht verzichten kann. Solange hierfür der Einsatz kleinerer Kon­ tingente ausreicht, bereitet das keine ernsten Schwierigkeiten... Das ändert sich, wenn Aufstände ausbrechen und sich Unruhen ausbreiten, die eine langfristige Ent­ sendung größerer Truppeneinheiten erforderlich machen.«339 Den Analysen Jürgen Wagners zufolge fanden diese Überlegungen auch eins zu eins Eingang in die Neufassung der >Nationalen Sicherheitsstrategie< der USA vom März 2006 und bilden eines ihrer Kernelemente: »Weil Demokratien die verant­ wortungsvollsten Mitglieder des internationalen Systems sind, ist die Förderung der Demokratie die effektivste langfristige Maßnahme zur... Bekämpfung des Ter­ rorismus.«340 Dabei wird aber Demokratie im wesentlichen auf die Akzeptanz der freien Marktwirtschaft und die Einbindung in die neoliberale Weltwirtschaftsord­

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nung reduziert: »Ökonomische Freiheit ist ein moralischer Imperativ. Die Freiheit, Eigentum zu schaffen, zu kaufen oder zu verkaufen und zu besitzen ist ein funda­ mentales Element der menschlichen Natur und die Grundlage für eine freie Gesell­ schaft... Amerikas nationale Interessen und seine moralischen Werte drängen uns in dieselbe Richtung: den Armen der Welt dabei zu helfen, sich in die globale Öko­ nomie, zu integrieren.«341 Aus diesem Grund, so die >Nationale Sicherheitsstrategie 2006Nationalen Sicherheitsstrategie 2002< verbirgt, in deren Vorwort es heißt, es gebe nur »ein einziges haltbares Modell für nationalen Erfolg: Freiheit, Demokratie und freies Unternehmertum«. Edward Rohdes, einem Analytiker dieser Strategie, zu­ folge gibt es daher »nur eine Wahrheit, die der USA. Alternative Modelle sozialer und politischer Organisation sind nicht nur moralisch falsch, sondern auch eine unzureichende Basis der Weiterentwicklung... Die spezielle Interpretation der li­ beralen Religion, die der Präsident befürwortet, ist eine kreuzzüglerische. Die mo­ ralische Pflicht, den Liberalismus zu verteidigen und auszuweiten, kennt keine Grenzen. Staatliche Souveränität bietet keine Sicherheit oder Ausrede. Gesellschaf­ ten und Staaten sind nicht berechtigt, sich dem Liberalismus zu verweigern. Tat­ sächlich haben Staaten die moralische Pflicht, nicht nur selber den Liberalismus zu befürworten, sondern ihn ihren Nachbarn aufzuzwingen«.343 Deutet man diese Pläne vor dem Hintergrund der Geschichte der geopolitischen Ideen der US-Machtelite, so bedeutet dies, daß die USA nunmehr planen, ihre Stra­ tegie der >Grand Area< über den ganzen Globus zu erstrecken. Mit Hilfe militäri­ scher Machtprojektion soll ein globales Freihandelsregime durchgesetzt werden. Staaten, die sich dem verweigern, werden mit gewaltsamer Entmachtung ihrer Regierungen und mit langfristiger Quasi-Kolonialisierung im Sinne des neolibera­ len >Washington Consensus< unter US-amerikanischer Militäraufsicht zu rechnen haben.

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3 Zusammenfassung Mit der Betrachtung dieser verschiedenen Elemente der amerikanischen Geopoli­ tik - Navalismus, globaler Freihandel, Anspruch auf globale Vorherrschaft - unter Ausschluß eines jeglichen Rivalen - werden diejenigen Zusammenhänge offenge­ legt, die die Außenpolitik bzw. die Weltpolitik der USA im gesamten 20. Jahrhun­ dert und auch im beginnenden 21. Jahrhundert kennzeichnen: Der gesamte Globus wird als Entfaltungsraum einer Supermacht beansprucht, die sich zur Absicherung ihrer Interessen einer globalen Interventionspolitik bedient und sich dabei auch die Zugriffsmöglichkeiten auf alle verfügbaren strategischen Rohstoffe offenhalten will. Die Sicherstellung eines globalen Freihandelsregimes zur Sicherung von Roh­ stoffquellen sowie Absatzmärkten ist dabei ein wesentliches Kernelement, das den strategischen Planern der USA zufolge auch eine ständige militärische Interventi­ onsbereitschaft voraussetzt. Zur Vollendung dieses globalen Weltordnungskonzepts wird der eurasische Raum als Schlüsselraum erkannt, von dessen Kontrolle und Beeinflussung letztlich die Weltmachtstellung der Seemacht USA abhängt. Wie oben dargestellt, ist der >Anti-Eurasianismus< eine in der Entwicklungsgeschichte angelsächsischer Geopo­ litik feststehende Größe, die sich von Halford Mackinder und Homer Lea über Nicholas S pykman bis hin zu Zbigniew B rzezinski hinzieht. Hierbei spielen energie­ politische Überlegungen - nämlich der Zugriff auf die Erdöl- und Erdgasreserven des Nahen und Mittleren Ostens sowie Zentralasiens und des Kaukasus - ebenso eine Rolle wie der Umstand, daß eine eurasische Kontinentalmacht, der es gelingen sollte, eine Integration des eurasischen Großraumes herzustellen, auf diese Weise unter Mobilisierung sämtlicher ökonomischen und menschlichen Ressourcen im­ stande wäre, die Weltmachtstellung der USA ernstlich herauszufordern. Um die Entstehung eines solchen kontinentalen Rivalen von vornherein zu unterbinden, ist es für die USA von entscheidender Bedeutung zu verhindern, daß das eurasi­ sche Herzland - sprich Rußland - Zugang zu den Weltozeanen und den Rohstoff­ reservoirs Eurasiens erhält. Rußland muß deshalb in die Isolation des eurasischen Kernraumes zurückgedrängt werden, damit es seine Kräfte nicht entfalten kann und sein Einfluß weitgehend gering bleibt. Hierbei bedienen sich die USA folgender Instrumentarien: - Sicherstellung eines staatlichen und ethnischen Pluralismus im eurasischen Raum durch Förderung von ethnisch-nationalem Separatismus in den Randberei­ chen des russischen Machtbereiches, und zwar im osteuropäischen Raum wie auch im muslimischen >soft underbelly< (weichen Unterleib) der russischen Machtsphäre, also in Zentralasien und dem Kaukasus. Diese Strategie wurde nicht nur nach 1990, sondern - wie in einem späteren Kapitel noch aufgezeigt wird - bereits zu Beginn des Kalten Krieges und insbesondere während der Präsidentschaft Ronald Rea­ gans praktiziert. - Schaffung eines Einkreisungsszenarios rund um die russische Machtsphäre durch

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Abschluß regionaler Sicherheitsbündnisse der >Rimlands< in West- und Mitteleu­ ropa, dem Nahen und Mittleren Osten sowie in Süd- und Südostasien, welche eine eindeutig antirussische Ausrichtung haben. - Ausdehnung der US-dominierten NATO Richtung Osteuropa und Kaukasus, deren Staatenwelt die >Rimlands< des eurasischen Raumes bilden; Unterstützung von gegen Rußland gerichteten Staatenkoalitionen auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion wie der GUUAM (ein Bündnis zwischen Georgien, Usbekistan, der Ukraine, Aserbaidschan sowie Moldawiens), die mit dem westlichen Militärbünd­ nis assoziiert sind. Diese Strategie, die auf den Gedankengängen Mackinders und Spykmans beruht, wurde von Zbigniew Brzezinski deutlich beschrieben und stellt gewissermaßen die Blaupause der amerikanischen Geopolitik in bezug auf Eurasien dar. Die Unterwerfung Eurasiens soll sich aber auch auf wirtschaftlichem Gebiet vollziehen. Unter Fortsetzung der >Grand AreaRimlandsHeartland< Rußland selbst - in die Strukturen der Weltwirtschaftsord­ nung des Westens einzubeziehen. Dadurch soll den US-amerikanischen Konzer­ nen die Ausbeutung der eurasischen Rohstoffe ermöglicht und ihnen ein Absatz­ markt gewaltigen Ausmaßes eingeräumt werden. Festzuhalten bleibt damit, daß der Schwerpunkt der amerikanischen Außenpo­ litik eindeutig auf Eurasien ausgerichtet ist. Die Beherrschung dieses Raumes, so hatte Brzezinski es ja schon treffend beschrieben, ist und bleibt der Siegespokal im Kampf um die Weltherrschaft, die die USA für sich beanspruchen.

Kapitel 2

Die Grundlagen der russischen Geopolitik seit dem Zerfall der Sowjetunion Die Außenpolitik der Sowjetunion und der Russischen Föderation steht - wie oben beschrieben - unter dem Zwang, den die Geographie diesem Staat aufzwingt und ihm eine eindeutig kontinentale Rolle zuweist. Der Rußland-Experte Boris Meissner weist darauf hin, daß gerade im Falle Rußlands die Geographie eine besondere Auswirkung auf die Staatsbildung und Außenpolitik hat. »Die Entwicklung des russischen Staates ist durch die grenzenlose Weite des eurasischen Kontinents ohne natürliche Grenzen und durch den fehlenden Zugang zum offenen Meer wesent­ lich beeinflußt worden. Aus dieser kontinentalen Lage leitete sich das Streben Ruß­ lands nach den offenen Weltmeeren und der niemals ruhende Drang zur erobern­ den und kolonisierenden Expansion ab. Bei der räumlichen Ausdehnung, die aufgrund dieser geographischen Gegebenheiten erzielt wurde, handelte es sich den­ noch um die Ergebnisse einer großräumigen, aber regional begrenzten Strategie. Trotz des gewaltigen Gebietszuwachses blieb Rußland eine Kontinentalmacht. Vom nördlichen Polarmeer abgesehen, ist Rußland unter zaristischer Herrschaft der ent­ scheidende Durchbruch zu den Weltmeeren versagt geblieben. Daran hat sich auch unter bolschewistischer, d. h. kommunistischer Herrschaft bisher nichts geändert. Der Unterschied zwischen der russischen Landmacht und den angelsächsischen Seemächten, insbesondere zu den Vereinigten Staaten, besteht trotz aller Verände­ rungen der militärischen Technik weiter fort.«344

1 Die Grundelemente der sowjetischen Außenpolitik Grundsätzlich bestand die sowjetische Außenpolitik aus zwei Elementen, und zwar zum einen aus einer kontinental-eurasischen Großraumpolitik und zum anderen aus einer in ferne Räume ausgreifende Weltpolitik. »Die kontinentale Strategie geht dabei von einer bestimmten räumlichen Beschränkung aus und konzentriert sich auf die Sowjetunion und Osteuropa. Sie strebt eine Konsolidierung und Stärkung der Sowjetmacht durch eine beschleunigte Integration des engeren sowjetischen Hegemonialbereichs an. Die globale Strategie ist dagegen durch das Weltmacht­ streben der Sowjetunion, das auf eine Vergrößerung des sowjetischen Einflußbe­ reichs gerichtet ist, bestimmt.«345

1.1 Kurze Darstellung der Entwicklung der außenpolitischen Doktrinen vor dem Hintergrund ihrer Herausforderungen durch die USWeltherrschaft Die kontinental-eurasische Ausrichtung der sowjetischen Außenpolitik hatte, wor­ auf Boris Meissner hinweist, einen eher konservativen Charakter und ähnelte hier

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sehr dem Zarenreich. »Das zaristische Rußland, soweit es eine expansive Politik betrieb, strebte eine dominierende Stellung im europäischen Mächtekonzert, dage­ gen nicht eine weltweite Hegemonie an. Als konservative Großmacht war das zari­ stische Rußland an der Erhaltung und Festigung des bestehenden Staatensystems interessiert. Hinter dieser Grundeinstellung traten die imperialen Bestrebungen zurück.«346 An dieser Zielsetzung der kontinental-eurasischen Ausrichtung hat sich auch zu Sowjetzeiten nichts geändert: »Die kontinentale außenpolitische Strategie der So­ wjetunion ist in erster Linie auf die Sicherung und verstärkte Integration ihres enge­ ren eurasischen Machtbereichs gerichtet. In zweiter Linie strebt sie eine Ausdeh­ nung des sowjetischen Einflusses auf die angrenzenden Räume in Europa und Asien an.«347 Hintergrund für diese Doktrin war für die Sowjetunion die Tendenz zum Polyzentrismus im osteuropäisch-eurasischen Machtbereich,348 die durch den Kon­ flikt zwischen Peking und Moskau wesentlichen Auftrieb erhalten hat, sowie durch die wirtschaftliche Integration Westeuropas im Rahmen der EG und dessen enge Einbindung in das von den USA beherrschte Militärbündnis der NATO. Diese Entwicklung, die von der Kremlführung als Einkreisung und damit als unmittelbare Bedrohung der nach dem Zweiten Weltkrieg errungenen geopolitischen Stellung aufgefaßt werden mußte, veranlaßte diese nunmehr, die Integration des sowjeti­ schen Vorherrschaftsbereichs entscheidender voranzutreiben. Diese Integration wurde auf zweierlei Wegen verwirklicht, und zwar auf wirtschaftlichem wie auch auf militärischem Wege. 1962 entwickelte Staats- und Parteichef Chruschtschow den Plan, die verschie­ denen nationalen Volkswirtschaften des Ostblocks zu einem »einheitlichen Pro­ duktionsorganismus« zusammenzufassen: »Das sozialistische Weltsystem hat ei­ nen solchen Punkt erreicht, daß es schon nicht mehr möglich ist, die Perspektiven seiner Entwicklung auf der Grundlage einfacher mechanischer Summierung der nationalen Wirtschaften richtig festzulegen. Vor uns steht die Aufgabe, mit allen Mitteln die nationale Wirtschaft eines jeden Landes zu festigen, die Verbindungen zwischen ihnen zu entwickeln und allmählich die Schaffung eines solchen einheit­ lichen Wirtschafts-Organismus im Rahmen des gesamten Systems zu fördern...« Diese wirtschaftliche Integration des sowjetischen Machtbereichs fand ihre Orga­ nisationsplattform im >Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe< (RGW). Darüber hin­ aus plante Chruschtschow, die Koordinierung der Außenpolitik im Rahmen des sowjetischen Hegemonialverbandes durch Schaffung eines gemeinsamen außen­ politischen Organs zu verbessern, was allerdings am Widerstand der osteuropäi­ schen Staaten, insbesondere Rumäniens, scheiterte. Was C hruschtschow auf wirtschaftlichem Wege lediglich halbwegs gelang, sollte unter seinem Nachfolger Leonid Breschnew auf militärischem Wege durchgeführt werden. »Von den Nachfolgern Chruschtschows legte Breschnew den Hauptnach­ druck auf die militärische Integration durch Vervollkommnung der Organisation des Warschauer Paktes, während Kossygin die wirtschaftliche Integration mit Hilfe

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des RGW voranzutreiben suchte.«349 Begleitet war diese militärische Integration von einer Formel, die als >Breschnew-Doktrin< Bekanntheit erlangen sollte, nämlich die Doktrin von der Einschränkung der Souveränität der sozialistischen Staaten durch das >Prinzip des proletarisch-sozialistischen InternationalismusDritten Welt< einzubetten und zum anderen die Interessensphäre der Sowjetunion schrittweise und in geographischer Konti­ nuität zu erweitern. Aber auch die weltpolitische Ausrichtung dieser Strategie muß bei genauerem Hinsehen als Reaktion auf den Weltmachtanspruch der USA ver­ standen werden: »Die 1949 gegründete NATO entwickelte sich... in den 50er Jahren zum Kern eines Systems weltweiter militärischer Einkesselung der UdSSR und der VR China. 1955 wurde ergänzend der sogenannte Bagdad-Pakt gegründet, dem (1959 nach dem Austri tt Iraks in CENTO-Pakt umbenannt) die USA, Großbritannien, die Türkei, Pakistan und der Iran angehörten. Allein im Iran wurden im Laufe der Zeit über 30 US-amerikanische Militärbasen aufgebaut - also in einem an die UdSSR unmittelbar angrenzenden Land. Die CENTO funktionierte als Mittelstück zwi­ schen NATO und SEATO (South East Asia Treaty Organisation), die 1954 auf An­ regung von John Foster Dulles zur >Eindämmung< der VR China unter Beteiligung der USA, Großbritanniens, Australiens, Neuseelands, Thailands, der Philippinen, Frankreichs (1967 ausgetreten) und Pakistans (1972 ausgetreten) gegründet wur­ de.«351 Dieser Einkreisungsring durch mit den USA verbundene regionale Sicherheits­ systeme war auch die Voraussetzung für ein globales Militärstützpunktsystem der USA: »Damit war der organisatorische Überbau und Rückhalt zu dem bereits in den Jahren nach 1945 gelegten Netz weltweiter amerikanischer Militärstützpunkte geschaffen. >1946 verteilten sich die amerikanischen Truppen in einer Stärke von über 1 Millionen Mann auf 56 Länder auf jeden Kontinent. Bis 1949 errichteten sie 400 Flotten- und Luftstützpunkteden Ring der Luftstützpunkte um Rußland zu schließen und ihn dabei so lange immer kleiner und enger zu machen, bis die Rus­ sen ersticken. Dies bedeutet, daß diese Stützpunkte immer näher an das Herz der russischen Gebiete heranzuschieben sind und sie sodann... zur pausenlosen Bom­ bardierung und zur Beschießung mit Lenkgeschossen zu benutzenSowjetimperialismus< als einziger Triebkraft zu sprechen wäre eine einseitige und fehlerhafte Auslegung des außenpolitischen Verhaltens

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der UdSSR. Treffend deutet Boris M eissner die zweite Strategie der UdSSR wie folgt: »Die Bemühungen der Sowjetunion, ihren Einfluß auf Afrika und Asien zu verstär­ ken und über Kuba hinaus im karibischen Raum Fuß zu fassen, sind in erster Linie gegen die amerikanische Weltmacht gerichtet gewesen. Die Verlagerung des Schwerpunktes der sowjetischen Aktivitäten von Afrika nach Asien und vor allem die Unterstützung der Hegemoniebestrebungen Vietnams in Südostasien waren dagegen - vom Nahen Osten abgesehen - als eine gegen die Volksrepublik China gerichtete Politik anzusehen«,355 zumal die Volksrepublik China nach der Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit den Vereinigten Staaten im Frühjahr 1972 und vor dem Hintergrund der sino-sowjetischen Grenzstreitigkeiten am Ussuri Ende der sechziger Jahre als antirussischer Einkreisungspartner der USA angesehen wer­ den mußte. Das Erfordernis für die UdSSR, eine eigenständige Globalpolitik zu definieren, lag, wie oben bereits dargestellt, in der räumlichen Enge des eurasischen Konti­ nents und der damit verbundenen ungünstigen strategischen Defensivlage begrün­ det. Herausgefordert wurde die UdSSR durch die Seemachtpolitik der USA, die darauf ausgerichtet war, die Weltmeere als globale Aufmarschbasis gegen die So­ wjetunion zu verwenden. Ihren strategischen Plänen in den siebziger Jahren zufolge sollten die US-Streitkräfte in der Lage sein, gleichzeitig und mit Erfolg einen gro­ ßen Krieg in Europa und in Asien zu führen und sich gleichzeitig an einem unbe­ deutenden Konflikt in irgendeinem Teil der Welt zu beteiligen. In dieser Strategie spielte die »strategische Beweglichkeit« der US-Streitkräfte eine wichtige Rolle, das heißt, es wurde von diesen verlangt, daß sie schnell zu überseeischen Konflikther­ den verlegt werden können. »Die Forderung nach >strategischer Beweglichkeit< ergibt sich aus dem globalen Charakter der militärischen und politischen Ziele der USA und wird als wichtigste Voraussetzung zur Realisierung der Strategie der >re­ alistischen Abschreckung< angesehen.«356 Der sowjetische Admiral Gortschkow sah in der global ausgerichteten »ozeani­ schen Strategie« der US-Marine eine ernsthafte Herausforderung der sowjetischen Sicherheitsbelange: »Bei der Ausarbeitung der Strategie und der Militärpolitik für die siebziger Jahre legte die amerikanische Führung besonderes Gewicht auf die sogenannte ozeanische Strategie als wichtigen Bestandteil der Strategie der >reali­ stischen Abschreckungozeanischen Strategie< besteht darin, daß die Hauptschlagkraft der strategischen Angriffskräfte auf die Weiten der Weltmeere verlegt wird. Zu diesem Zweck werden die Anstrengungen vor allem auf den Aus­ bau der Allgemeinen Seestreitkräfte, auf eine Erhöhung des Anteils der atomge­ triebenen FK-U-Boote im Rahmen der strategischen Angriffskräfte sowie darauf konzentriert, die Stärke zur See als wichtigstes Mittel zur militärischen Unterstüt­ zung des politischen Kurses des US-Imperialismus einzusetzen, was letztlich die Erringung der Seeherrschaft im Verlauf eines Krieges gewährleisten soll. Der Übergang zur ozeanischen Strategie< wird wie folgt begründet:

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- Strategische atomare Angriffswaffen, die auf See stationiert sind, ermöglichen es, ein dezentralisiertes Kräftesystem zu schaffen, das in der Lage ist, das Territori­ um der Staaten der sozialistischen Gemeinschaft praktisch aus allen Richtungen mit Atomwaffen anzugreifen. - Bei Verlagerung des Abschusses der Interkontinentalraketen auf die Weltmeere brauchen sich die Abschußvorrichtungen für diese Raketen nicht mehr auf dem Gebiet der USA zu befinden, wodurch sich nach Auffassung des Pentagons die Zahl der Objekte, di e als Ziele für feindliche (d. h . so wjetische, der V erf.) Flugkö rper in Frage kommen, und folglich auch die Zahl der Atomschläge, denen das Territo­ rium der USA unmittelbar ausgesetzt wäre, beträchtlich verringern würde. - Die Atom-U-Boot-gestützten FK-Waffensysteme mit Atomgefechtskopf haben eine größere Überlebensfähigkeit, sie sind beweglicher und schwerer zu orten als ähnliche Systeme, die auf dem Festland stationiert sind. - Die Dislozierung des Gros der strategischen Kräfte auf See führt zu einer er­ heblichen Zersplitterung der Schläge des (sowjetischen, d. Verf.) Gegners mit Atom­ raketen, da er sie auf die riesigen Weiten der Weltmeere verteilen muß. Wenn wei­ ter berücksichtigt wird, daß die FK-U-Boote relativ unverwundbar sind und vor dem ersten Atomschlag nur schwer geortet werden können, ist anzunehmen, daß ein erheblicher Teil des gegnerischen (sowjetischen, d. Verf.) Atomraketenpotentials unnütz vertan wird, während der Hauptteil der Atomraketen der strategischen Kräfte der USA erhalten bleibt.«357 Hiermit beschreibt der sowjetische Flottenadmiral G ortschkow eindeutig die stra­ tegisch nachteilige Position der Sowjetunion gegenüber der Seemacht USA in den siebziger und in den achtziger Jahren, die sich daraus ergibt, daß die USA es ver­ standen haben, den strategischen Wert der Weltmeere zur flexiblen Dislozierung von Streitkräften und ebenso flexiblen Bildung von (gegebenenfalls allseitigen) An­ griffsschwerpunkten zu erkennen und für die eigenen Zielsetzungen dienstbar zu machen. Wenn die Sowjetunion angesichts dieser Lage ihre strategische Handlungs­ fähigkeit bewahren wollte, so war auch sie gezwungen, ihrerseits eine globale Au­ ßenpolitik zu definieren und sich an den strategischen Schlüsselzonen festzuset­ zen, die ihrerseits für die USA und das westliche Militärbündnis von strategischer Bedeutung waren. So, wie die Amerikaner im Rahmen ihrer >ozeanischen Strate­ gie< bestrebt waren, umfangreiche Allgemeine Seestreitkräfte »zur Überwachung von strategisch wichtigen Seegebieten« einzusetzen, sah sich die UdSSR ihrerseits in die Notwendigkeit versetzt, durch Förderung revolutionärer Bewegungen in al­ len Teilen der Welt ihren weltpolitischen Einfluß zu verbessern, ihren militärischen Optionsradius zu vergrößern und auf diese Weise der Einkreisung von See her zu begegnen. Kurz gesagt, war die >globale Strategie< Moskaus kein >Sowjetimperia­ lismusindi­ rekte Strategie< (Förderung revolutionärer Bewegungen) zu neutralisieren. Flottenadmiral Gortschkow beschreibt dies wie folgt: »In den Nachkriegsjahren entfesselten die Imperialisten den Kalten Krieg und begannen, sich fieberhaft auf

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einen neuen Weltkrieg vorzubereiten. Die Bedrohung unseres Landes von See her trat immer deutlicher zutage. Konnte sich die Sowjetunion angesichts dieser Be­ drohung mit der ständigen Seeherrschaft der westlichen Seemächte abfinden, ins­ besondere dann, als riesige Bereiche der Weltmeere zu Abschußräumen für Atom­ raketen wurden? Natürlich nicht! In dieser Lage konnte die einzig richtige Lösung der Sicherheitsprobleme unseres Landes nur darin bestehen, eine Situation zu schaf­ fen, welche die militaristischen Kreise des Westens mit den gleichen Problemen konfrontierte, mit denen sie uns konfrontieren wollten. Vor allen Dingen mußten wir das Pentagon zu der Erkenntnis zwingen, daß der Ozean, der früher den ameri­ kanischen Kontinent vor Gegenschlägen der Opfer der amerikanischen Aggression geschützt hatte, seine Rolle als Schutzbarriere völlig verloren hat und daß der ame­ rikanische Imperialismus, wenn er einen Krieg vom Zaun brechen sollte, ständig der furchtbaren Gefahr von Gegenschlägen als Vergeltung für seine Aggression ausgesetzt sein wird.«358 Angesichts dieser (für die Sowjetunion nachteiligen) strategischen Ausgangs­ position sah sich Staats- und Parteichef Leonid Breschnew gezwungen, die konti­ nentale Strategie, die auf eine verstärkte Integration der sowjetischen Vorherrschafts­ sphäre im weiteren Sinne gerichtet war, und eine globale Strategie als Antwort auf die oben beschriebenen Herausforderungen gleichzeitig zu betreiben.359 Doch »diese Doppelstrategie hat die Kräfte der Sowjetunion in zunehmendem Maße überfor­ dert«.360 Überdies hielten sich, wie Ernst-Otto Czempiel feststellte, die Erfolge der Bemühungen um Ausweitung des sowjetischen Einflusses durchaus in Grenzen: »Der afrikanische Nationalismus war überhaupt nicht daran interessiert, westli­ chen Einfluß gegen den der sowjetischen Großmacht einzutauschen; sein Anti-Im­ perialismus richtete sich gegen jeden europäischen Einfluß... Die Häfen Berbera und Kismayu (Somalia) waren seit dem Vertrag über Freundschaft und Zusam­ menarbeit von 1974 wichtige sowjetische Stützpunkte an der westlichen Gegen­ küste des Indischen Ozeans geworden; sie gingen 1977 wieder verloren. 1976 hatte der Sudan die Sowjetunion aus dem Land gewiesen. Der Abschluß eines Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit mit Mosambik 1977 war da nur ein schwa­ cher Trost. Er räumte den Sowjets politischen Einfluß ein; da er aber nicht durch entsprechend große Wirtschaftshilfe untermauert wurde, verlor er rasch an Bedeu­ tung. 1978 schon entschloß sich Präsident Samora Machel zu erneuter Westorien­ tierung. Im Nahen Osten, dem strategischen und politischen Kernbereich der >Zone der nationalen BefreiungHinterhof< der USA auch der kleinste sowjetische Vorteil einen besonderen Wert besaß. Die Sowjetunion verhielt sich hier in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre relativ zurückhaltend, verlegte sich auf Diplomatie und Handel.«361 Gleichermaßen sah sich die Sowjetunion einer zunehmenden Bedrohungslage im strategischen Umfeld ausgesetzt: Zu dieser gehörten der Abschluß des Friedens­ und Freundschaftsvertrages zwischen der Volksrepublik China und Japan, der mit der Kündigung des sowjetisch-chinesischen Bündnisvertrages von 1950 verbun­ den war, die Annäherung zwischen Peking und Washington, das verstärkte ameri­ kanische Engagement im Bereich des Persischen Golfs und des Indischen Ozeans sowie Fortschritte in der Integration Westeuropas.362 Eine besondere Bedeutung kommt hierbei vor allem dem Afghanistan-Konflikt zu, auf dessen Hintergründe und Verlauf später noch einzugehen sein wird und der deshalb hier nicht weiter vertieft werden soll. Auch die Ablehnung der Ratifizierung des SALT-II-Vertrages363 durch den USKongreß gestaltete die Lage der Sowjetunion nicht gerade günstig (als offizieller Grund für die Ablehnung der Ratifizierung wurde von der amerikanischen Macht­ elite seinerzeit der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan angegeben, was aber bei Betrachtung der Hintergründe des Afghanistan-Konflikts als bloße Heu­ chelei angesehen werden muß, da dieser von den USA selbst provoziert worden ist). Das gilt auch für den NATO-Doppelbeschluß, als der NATO-Rat am 12. De­ zember 1979 die Stationierung von 464 amerikanischen Cruise Missiles und 108 Pershing-II-Raketen in Europa ankündigte. Zu diesen außenpolitischen Problemen kam noch hinzu, daß die sowjetische Wirtschaft die Stellung der UdSSR als militä­ rischer Supermacht nicht mehr mittragen konnte: »Die entscheidende Schranke (für die Außen- und Militärpolitik der Sowjetunion, der Verf.) ist in der Diskrepanz zu sehen, die zwischen der Stellung der Sowjetunion als einer militärischen Supermacht und ihrem im Verhältnis zu den Vereinigten Staaten viel zu geringen wirtschaftlichen Potential besteht. Der sich daraus erge­ bende Widerspruch macht sich in verstärktem Maße bemerkbar, seitdem die wirt­ schaftliche Entwicklung der Sowjetunion durch zunehmende Wachstumsschwie­

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rigkeiten gekennzeichnet ist. Die sowjetische Wirtschaft kann zwar trotz ständig abnehmenden Wachstums den Anforderungen, die mit der wirtschaftlichen Zu­ sammenarbeit und Integration im Sowjetblock verbunden sind, insbesondere auf dem Energiesektor, entsprechen. Für die volle Wahrnehmung eines Weltmachtan­ spruchs ist aber die vorhandene wirtschaftliche Basis der Sowjetunion viel zu schmal. Daher sind die Schwierigkeiten, die sich aus der gleichzeitigen Durchführung ei­ ner kontinentalen und globalen Außenpolitik ergeben, am Ausgang der BreschnewÄra deutlich hervorgetreten.«364 Unter den Breschnew-Nachfolgern Andropow und Tschernenko sollte es vor dem Hintergrund der Erkenntnis, daß die wirtschaftliche Basis für die Betonung welt­ politischer Interessen nicht ausreichend war, erneut zu einer Akzentverschiebung im Hinblick auf die außenpolitische Doppelstrategie kommen: »In der Außenpoli­ tik hat Andropow eindeutig der kontinentalen, auf den eurasischen Großraum be­ zogenen Strategie mit dem Schwerpunkt Osteuropa den Vorzug gegeben. Gor­ batschow hat diese Linie noch entschiedener und vorurteilsfreier fortgesetzt.«365 Der Vorrang der kontinentalen außenpolitischen Strategie kam bei Andropow einer­ seits in der Betonung der auf den engeren sowjetischen Machtbereich gerichteten Integrationspolitik und andererseits in der Absage an einen »Export der Revoluti­ on« zum Ausdruck. In seiner Rede vor dem Zentralkomitee der KPdSU vom 14. Juni 1983 unterstrich Andropow, daß der Hauptschwerpunkt der außenpolitischen Tätigkeit der Sowjetunion »in der Festigung der Einheit und der Geschlossenheit der sozialistischen Länder und ihrer gegenseitigen Zusammenarbeit« in der sowje­ tischen Machtsphäre liege. Um dies bewerkstelligen zu können, sollten die politi­ sche Integration im Rahmen des Warschauer Paktes und die wirtschaftliche Inte­ gration im Rahmen des RGW auf »einem qualitativ neuen Niveau« verstärkt werden, was freilich nicht gelang, da durch den polnischen Separatismus die Zentrifugal­ kräfte im sowjetischen Machtbereich immer stärker wurden. Nachfolger Tschernenko versuchte, diese Politik fortzusetzen. In dessen Regie­ rungserklärung hieß es, daß die Sowjetführung ihre Aufmerksamkeit »auf die Pro­ bleme der Stärkung des politischen und Verteidigungsbündnisses der Mitglied­ staaten des Warschauer Vertrages, auf die Ausweitung und Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen den RGW-Mitgliedsstaaten richten werde«. Wesentliche Schritte zur Verwirklichung dieser Zielsetzung waren unter Tschernenko aber infolge der anhaltenden Wachstumsschwierigkeiten der Sowjet­ wirtschaft und zunehmenden wirtschaftlichen Eigenständigkeitsbestrebungen der Staaten der sowjetischen Vorherrschaftssphäre, vor allem Ungarns und der DDR, nicht erfolgt.366 Die gesamte Kontinentalpolitik der Sowjetunion von Breschnew bis Tschernen­ ko war somit »vorwiegend defensiv und auf die Bewahrung des Status quo hin angelegt, damit aber auf die weitere Befestigung der sowjetrussischen Hegemonie über den Osten und der Teilung Europas, wie sie von den Westmächten schließlich in der Nachkriegszeit schließlich de facto als System von Jalta anerkannt worden

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war«.367 Der weltpolitische Aktivismus der Sowjetunion war gleichfalls »in eine Konsolidierungsphase eingetreten..., die zwar die bestehenden Engagements nicht auflöste, aber keine neuen einging... In der Praxis aber hat sie stärkere Zurückhal­ tung geübt und dabei vor allem Rücksicht auf die Gestaltung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten genommen«.368 Auch Gorbatschow betonte die Priorität zu den verbündeten Staaten der sowje­ tischen Hegemonialsphäre. In seinen Erklärungen bei der Erneuerung des War­ schauer Pakets am 26. April 1985 und auf der außerordentlichen Ratssitzung des RGW am 17./18. Dezember 1985 brachte er »sein Bestreben, die wirtschaftliche Integration im Kernbestand des sowjetischen Hegemonialverbandes entschiedener als bisher voranzutreiben«, klar zum Ausdruck.369 Um dies allerdings sicherstellen zu können, war ein umfassender Umbau der sowjetischen Wirtschaft notwendig, die insbesondere eine Abkehr vom stalinistischen System beinhalten sollte. Insbe­ sondere sollte auch der Abstand in der technologischen Entwicklung geschlossen werden, wobei die Aufrüstungspolitik unter US-Präsident Reagan entscheidenden Druck auf die Sowjetunion ausübte: Die Befürchtung, daß das amerikanische Weltraumabwehrprogramm (SDI) zu einem gewaltigen Technologieschub führen könne, durch den sich die technologische Lücke zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten weiter vergrößern würde, hatte dabei eine entscheidende Rolle gespielt. Vor diesem Hintergrund sollte sich auch ein Wandel der sowjetischen Außen­ politik vollziehen: »Die innere und äußere Situation der Sowjetunion läßt sich kurz und bündig als eine allseitige Krise des Systems kennzeichnen, aus der die Reform­ politik Gorbatschows die Sowjetunion herausführen soll. Die Sowjetunion bedarf darum einer neuen außenpolitischen Strategie, die ein ruhiges Umfeld, internatio­ nale Zusammenarbeit und eine Öffnung gegenüber dem Westen sichern soll, um ihren ökonomischen und technologischen Rückstand gegenüber den westlichen Industriestaaten wenigstens einigermaßen aufzuholen.«370 Diese außenpolitische Linie, die auf eine Verminderung der Spannungen zwischen Ost und West gerich­ tet war, hatte Gorbatschow entscheidend durchgesetzt. In seiner Rede vor briti­ schen Parlamentariern am 18. Dezember 1984 gab er zu erkennen, daß er haupt­ sächlich aus innenpolitischen Gründen eine flexiblere Außenpolitik benötigen werde. »Er sagte, daß die Sowjetunion zur Verwirklichung der >grandiosen schöp­ ferischen PläneFrieden< und Zusammenarbeit zwischen Ost und West brauche.«371 Diese Außenpolitik Gorbatschows sollte dabei auf folgenden Grundlagen beru­ hen: 1. Fortsetzung der Verhandlungen über Rüstungsbegrenzung und Abrüstung, 2. Förderung einer multipolaren Weltordnung, die den Spannungsdruck auf die Außengrenzen des sowjetischen Territoriums mindern sollte, und 3. Reduzierung des weltpolitischen Engagements der UdSSR. Die Abrüstungsvorschläge Gorbatschows sollten dabei nicht nur die strategi­ schen Langstreckenwaffen, sondern gleichermaßen auch Raketen mittlerer und

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kurzer Reichweite sowie die konventionellen Waffensysteme umfassen. Eingebun­ den waren darin gleichzeitig Pläne für den Abzug aus Afghanistan. Diese Abrü­ stungspläne wollte Gorbatschow verknüpft wissen mit amerikanischen Zugeständ­ nissen im SDI-Programm (letzteres stellte ohnehin einen Verstoß gegen den ABM-Vertrag von 1972 dar), was auf dem Gipfeltreffen in Reykjavik im Jahre 1985 am Widerstand des US-Präsidenten Reagan scheiterte. Gleichwohl blieb die Ab­ rüstungsbereitschaft Gorbatschows bestehen. Mit seiner Erklärung vom 28. Februar 1987 wurde das Junktim »Abrüstung sowjetischer Lang- und Mittelstreckenrake­ ten gegen Reduzierung des amerikanischen SDI-Programms« von Gorbatschow aufgegeben. Neben der Abrüstung befürwortete Gorbartschow den Übergang zu einer multi­ polaren Weltordnung: Er betonte eine eigenständige Rolle Westeuropas für die Au­ ßenpolitik der Sowjetunion. »Sein Ausspruch >Europa - unser gemeinsames Hausgrößten asiatischen Mächte< be­ zeichnete. Gorbatschow trug damit der Tatsache Rechnung, daß sich fünf Sechstel des Territoriums der Sowjetunion in Asien befinden und daß sie als eine eurasische Macht... auf zwei Flanken zu achten habe.«372 Auch die Förderung des KSZE-Prozesses stand auf der außenpolitischen Agen­ da Gorbatschows mit dem Ziel, ein »allumfassendes System der internationalen Sicherheit« zu schaffen, das Gorbatschow auf dem 27. Parteitag der KPdSU als ei­ nes der Hauptziele der sowjetischen Außenpolitik darstellte. Darüber hinaus sollte eine Annäherung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem RGW herge­ stellt werden. In der Politik gegenüber der Dritten Welt orientierte sich die UdSSR an der (neuen) Tendenz zur weltpolitischen Multipolarität: »Auf der einen Seite werden revolutionäre Entwicklungen, wie in Nicaragua, in enger Verbindung mit Kuba gefördert. Auf der anderen Seite konzentriert sich die sowjetische Außen­ politik im Einklang mit der multipolaren Tendenz, die in ihr neuerdings festzustel­ len ist, neben Mexiko auf Argentinien und Brasilien. Sie sieht in ihnen aufkommende neue Machtzentren, die ebenso wie Westeuropa und Japan mit den USA konkur­ rieren. Für das Verhältnis der Sowjetunion zur >Dritten WeltfiletierenRimlandspower projection< besaß die Sowjetunion ohnehin nicht...; über Flugzeugträ­ ger, die als schwimmende Stützpunkte für die >power projection< unentbehrlich sind, verfügte sie nicht. Während sie, wie Afghanistan zeigte, Militäroperationen auf der euro-asiatischen Landmasse leicht und gut durchführen konnte, bildeten die Ozeane für sie nach wie vor unüberwindliche Hindernisse.«381 Die amerikanische m aritime Überlegenheit, di e V oraussetzung fü r die Au frechter­ haltung einer globalen Vorherrschaftsstellung von entscheidender Bedeutung ist, stand niemals in Frage. Durch die Aufstockung des Rüstungsbudgets unter Rea­ gan, die vornehmlich der Marine zugute kam, verschlechterten sich die sowjeti­ schen Chancen zusehends. Hatte die amerikanische Marine 1980 kritisiert, daß sie

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drei Ozeane kontrollieren sollte mit einer Marine, die bestenfalls für eineinhalb Ozeane ausreichte, so stellte sie schon 1985 fest, daß der Rüstungswettlauf »zu un­ seren Gunsten verläuft«. Am Ende der achtziger Jahre erwarteten die Vereinigten Staaten wieder die uneingeschränkte Überlegenheit zur See.382 Aus der Gesamtschau der sowjetischen Außenpolitik ergibt sich deshalb, daß es sich bei der UdSSR im wesentlichen um eine konservative Großmacht handelte, deren Handeln auf den Erhalt ihrer Stellung im eurasischen Großraum ausgerich­ tet und deren Aktionsradius kontinental begrenzt war. Trotz einiger Versuche hatte sie niemals das Potential entwickeln können, eine Parität zur globalen Hegemonial­ macht USA zu erreichen, sondern war dieser im Grunde genommen immer unter­ legen gewesen. Die Geographie und ihr Potential wiesen der Außen- und Geopolitik der Sowjetunion trotz aller Rhetorik vom >proletarisch-marxistischen Internationa­ lismus< daher einen eindeutig eurasisch-kontinentalen und damit raumbegrenzten Charakter zu. Diese Grundaussage ist als Folge ihrer siebzigjährigen Geschichte zu begreifen, vor deren Hintergrund auch die nachmals entstandene Russische Föde­ ration ihre geopolitische Identität neu definieren mußte bzw. immer noch muß.

2 Die Außenpolitik der Russischen Föderation Durch den Zerfall der Sowjetunion wurde Rußland, das heißt nunmehr die Russi­ sche Föderation, vor gänzlich neue sicherheitspolitische Herausforderungen ge­ stellt, welche ohne Beleuchtung der Hintergründe zunächst einmal nur beispiel­ haft dargestellt werden sollen. Als existentiell bedrohlich erwiesen sich jetzt separatistische Bewegungen in den Sowjetrepubliken und blutige ethnische Kon­ flikte auf dem (post)sowjetischen Gebiet, die sich bereits im Jahre 1988/1989 zwi­ schen Armenien und Aserbaidschan um die in Aserbaidschan gelegene armeni­ sche Enklave Berg-Karabach in einem Krieg entluden. Als im Frühjahr 1988 der Gebietssowjet von Berg-Karabach mit den Stimmen der armenischen Abgeordne­ ten den Anschluß an Armenien forderte, kam es in Eriwan, der Hauptstadt Arme­ niens, zu Solidarisierungsbekundungen. In Aserbaidschan hingegen machten sich anti-armenische Pogrome breit. Dieser Krieg, so vermutet Wolfgang Leonhardt, hatte wohl mehreren tausend Armeniern und Aseris das Leben gekostet.383 Ein weiterer Konfliktherd, der sich in dieser Zeit entlud, war Georgien, das ge­ genwärtig - worauf noch einzugehen sein wird - eine wichtige Schachfigur in der antirussischen Geopolitik der USA darstellt. Dennoch sollen hier kurz die Konflikt­ konstellationen dieser Region dargestellt werden: Im wesentlichen geht es um den Versuch Georgiens, den Zusammenhalt seines Territoriums durch Beschneidung der verfassungsmäßig garantierten Autonomierechte der Osseten und Abchasen gewaltsam aufrechtzuerhalten. Noch zu Sowjetzeiten war das überwiegend von iranischsprechenden Osseten bevölkerte Gebiet geteilt worden, wobei Nordossetien der Russischen Föderation und Südossetien Georgien zugeschlagen wurde. Der Autonomiestatus Südossetiens wurde im Dezember 1990 vom georgischen Parla­

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ment aufgehoben, mit der Folge bewaffneter Auseinandersetzungen, die noch da­ durch verschärft wurden, daß das südossetische Parlament 1991 den Anschluß an Nordossetien und damit an die Russische Föderation erklärte (siehe Wolfgang Le­ onhard, Spiel mit dem Feuer, S. 166). Ähnlich gespannt ist das Verhältnis zwischen Georgien und Abchasien, einem im Mittelalter unabhängigen Königreich, das unter osmanischer Herrschaft teil­ weise islamisiert worden ist. Auch Abchasien genoß zu Sowjetzeiten einen Auto­ nomiestatus. Am 25. August 1990 erklärte Abchasien seine Unabhängigkeit und verlangte den Anschluß an die Russische Föderation. Tiflis seinerseits setzte seine alte Verfassung von 1921 wieder in Kraft und erkannte der Region den Autono­ miestatus wieder ab. Es folgten gleichfalls militärische Auseinandersetzungen. Auch in Moldawien gärte es. Den Bestrebungen dieser Republik zur Vereini­ gung mit Rumänien standen Bestrebungen der Gagausen und Transnistrier gegen­ über, die ihre Autonomie verteidigen wollten. Die Russische Föderation zeigte sich hier - zur Sicherung ihrer Einflußmöglichkeiten in der von ethnischer Zerrissen­ heit geprägten Peripherie des sowjetischen Territoriums - als Schutzmacht dieser Minderheiten: »Um die befürchtete Rumänisierung Moldaviens zu verhindern, wurde am 3. September 1990 auf Initiative des Russen Igor Smirnow... die DnjestrRepublik gegründet und damit faktisch die Abspaltung Transnistriens von Molda­ wien vollzogen.«384 Zu ergänzen ist noch, daß zum Schutz der Rechte Transnistriens in den neunziger Jahren eine russische Armee unter General Alexander Lebed in der Dnjestr-Region stationiert blieb. In dieser Situation wurde 1990/91 in Moskau versucht, über einen erneuerten Unionsvertrag die UdSSR in veränderter Form zu retten, bis der Oberste Sowjet der UdSSR im Januar 1991 beschloß, ein Referendum über eine erneuerte Föderation durchzuführen. »Aber der Beschluß und das Referendum kamen viel zu spät. Die Volksbefragung vom 17. März 1991... beschränkte sich auf eine einzige Frage: >Hal­ ten Sie es für notwendig, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als erneu­ erte Föderation von gleichberechtigten souveränen Republiken, in der die Rechte und Freiheiten der Menschen jeder Nationalität in vollem Maße garantiert werden, zu erhalten?< Insgesamt 76 Prozent votierten mit Ja, in den zentralasiatischen Re­ publiken waren es sogar über 95 Prozent... Allerdings nahmen weder die balti­ schen Republiken noch Armenien, Georgien oder Moldawien an dem Referendum teil. Mehr noch: Am 31. März 1991 entschieden sich 98,8 Prozent der Georgier für staatliche Unabhängigkeit. Der Wille zu nationaler Souveränität bestimmte das Jahr 1991. Im Spätsommer und Herbst erklärten immer mehr frühere Unionsrepubliken ihre Unabhängigkeit: Weißrußland, Moldawien, Aserbaidschan, Kirgisien, Usbe­ kistan, Tadschikistan, Armenien und schließlich Turkmenistan und Kasachstan. Am 1. Dezember 1991 befürworteten dann noch 90 Prozent der Ukrainer die Unab­ hängigkeit ihres Landes. Damit waren auch die letzten Hoffnungen auf eine >er­ neuerte Union< zunichte gemacht.«385

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2.1 Die Gründung der >Gemeinschaft unabhängiger Staaten< (GUS) Nach dem Zerfall der Sowjetunion erbte die Russische Föderation von der UdSSR wesentliche geopolitische Merkmale zum Beispiel im Hinblick auf die Größe, die Einwohnerzahl und -dichte sowie die Ressourcenausstattung. Gleichzeitig - so Lothar Rühl - waren damit für Moskau tiefgreifende Veränderungen und wirt­ schaftliche wie geostrategische Nachteile wie Grenzverschiebungen, Verlust von territorialen Vorfeldern, Verlust wichtiger Exporthäfen und Transportwege ver­ bunden. Mit dem Sowjetimperium hat Rußland zahlreiche Verbündete und das geostrategische Vorfeld eingebüßt. Die Grenze Rußlands in Asien ist im Süden ex­ poniert; es sind rund 6000 Kilometer Landgrenze in Zentralasien zu sichern (den Nordkaukasus mit muslimischen Völkern in autonomen Republiken inbegriffen). Die Unabhängigkeit der Ukraine, Weißrußlands und der drei baltischen Staaten hat Rußland neben früher wertvollen Agrar- und Industriegebieten mit dem Do­ nez-Bergbaurevier auch einen Großteil der Infrastruktur für Verteidigung und Aufmarsch in Europa gegenüber der NATO gekostet: >Vorwärtsverteidigung< nach Westen muß künftig internationale Grenzen überschreiten, wenn die Militärgren­ ze nicht wieder vorverlegt werden kann. Die Westgrenze Rußlands ist zwischen 600 Kilometer im Norden und 1300 Kilometer im Süden auf die Moskowiens Ende des 16. Jahrhunderts zurückgefallen. Alle späteren Gebietsgewinne gingen nach dem Ende der UdSSR verloren.386 Gleichzeitig beeinträchtigten die Autonomietendenzen der Föderationssubjekte die zentrale Steuerung aus Moskau; die große geographische Ausdehnung wurde durch kleinere Einheiten durchbrochen und gefährdet. Gerade Regionen mit ei­ nem hohen Potential an strategischen Rohstoffen strebten eine wirtschaftliche und politische Trennung von Moskau und eine dezentrale Regional- und Außenwirt­ schaftspolitik an und befürworteten ein schwaches Föderationszentrum mit gleich­ berechtigten Föderationssubjekten. Damit standen 1990/91 der Bestand und die Integrität der Russischen Föderation selbst auf dem Prüfstand, die durch den da­ maligen Vorsitzenden des russischen Obersten Sowjets und späteren Staatspräsi­ denten der Russischen Föderation, Boris Jelzin, der tatkräftige Förderung durch die westliche Machtelite genoß, selbst beeinträchtigt wurde. Er selbst war nicht nur treibende Kraft bei der Auflösung der Sowjetunion, sondern betrieb auch aktiv die Zersplitterung der Russischen Föderation selbst und förderte, worauf Michael Thu­ mann387 hinweist, die Verringerung des Machteinflusses Moskaus durch den Auf­ ruf an die Föderationssubjekte der Russischen Föderation, sich so viel Souveränität zu nehmen, wie sie vertragen könnten.

2.1.1 Die Rolle Boris Jelzins bei der Auflösung der Sowjetunion und der Zersplitterung der Russischen Föderation in den Jahren 1990 und 1991 Im Machtkampf gegen Gorbatschow war Boris Jelzin, der am 29. Mai 1990 zum Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Russischen Föderation gewählt wurde, be­

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reit, die Existenz der Sowjetunion in Frage zu stellen. »Als höchster Repräsentant der russischen Sowjetrepublik geriet er automatisch in eine Art Konkurrenzsituati­ on zu seinem ehemaligen Mentor G orbatschow. J elzin zögerte nicht, die Mißhellig­ keiten alsbald zu verschärfen«, so beschrieb Rußland-Experte Michael Thumann die Politik Jelzins.388 Inwieweit er dabei die Unterstützung der USA erfahren hat, läßt sich nicht ganz nachweisen. Tatsache allerdings ist, daß Jelzin bei seinem aller­ ersten Besuch in den Vereinigten Staaten im September 1989 inoffiziell mit dem US-Präsidenten zusammentraf. »Alle meine Vorstellungen über den Kapitalismus, die Vereinigten Staaten und die Amerikaner... habe ich in den anderthalb Tagen meines Hierseins um hundertachtzig Grad revidiert«, sagte Jelzin auf seiner ersten Pressekonferenz in New York. Während der einwöchigen Reise wollte Jelzin auch Präsident Bush treffen, um dadurch als Oppositionsführer Anerkennung zu fin­ den. Offiziell allerdings wollte Washington den Eindruck vermeiden, Gorbatschow zu demontieren, »schließlich kam aber doch eine fünfzehnminütige Begegnung mit Bush zustande - inoffiziell, nicht im Oval Office und ohne Photographen«.389 Dabei gab es in den USA durchaus einflußreiche Kreise, die der ablehnenden Haltung Jelzins gegen Gorbatschow wohlwollend gegenüberstanden: Der Senator Bill Bradley, der sich bereits 1987 heftig gegen die Vergabe ungebundener Kredite an Moskau auflehnte, verlangte, daß Kredite nur im Gegenzug zu systemverän­ dernden Reformen vergeben werden sollten,390 und sah deshalb in Jelzin eine Al­ ternative zu Gorbatschow. Daß Jelzin in dieser Zeit Unterstützung durch die west­ liche Machtelite gewonnen haben muß, zeigte sich auch in dessen öffentlichen Auftritten, die »seit Anfang 1991 konkrete Regieanweisungen westlicher PR-Bera­ ter erkennen ließen«391. Jelzin war klargeworden, daß sein Weg zur Macht nicht durch die Einrichtun­ gen des Sowjetstaates, sondern durch die der Russischen Föderation führen mußte. Durch das Ausspielen der russischen Karte war G orbatschow als politischer Macht­ faktor ernsthaft gefährdet: »Der Generalsekretär mußte um die Dominanz der KPd­ SU im politischen System und als Präsident der UdSSR um die Einheit des Landes fürchten.«392 Im Mai 1990 stellte Jelzin in einem Aufruf konsequenterweise die Exi­ stenz der Sowjetunion selbst in Frage: »Wir müssen uns dem Diktat des Zentrums widersetzen und unseren Mann stehen. Wenn wir dies tun und das Zentrum uns in den nächsten hundert Tagen nicht stürzt, dann können wir uns auf die Deklaration der Souveränität berufen, und Rußland wird in allem unabhängig sein. Russische Gesetze werden über denen der Union stehen.«393 Auf sein Betreiben hin verab­ schiedete der Oberste Sowjet der Russischen Föderation am 12. Juni 1990 eine Souveränitätserklärung, die sich aber nicht nur für die Sowjetunion, sondern viel­ mehr auch für die territoriale und staatliche Integrität der Russischen Föderation als äußerst bedrohlich erwies: »Die Deklaration wurde zum Vorbild für viele andere Souveränitäts-Erklärungen auf dem Territorium Rußlands, was Jelzin später er­ hebliche Schwierigkeiten bereiten und noch Präsident Putin ein Dorn im Auge sein sollte... Zwei Artikel waren entscheidend. Artikel fünf reservierte dem russischen

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Volk das >exklusive Recht auf Besitz, Nutzen und Verteilung der nationalen Reich­ tümer Rußlandsfreie Entfaltung, den Gebrauch der eigenen Sprache, und jedem Volk das Recht auf Selbstbestimmung in nationalstaatlichen und nationalkulturellen Formen sei­ ner WahlNehmt Euch so viel Unabhängigkeit wie ihr könnt. Eure Entscheidung wird endgültig sein.< Den Menschen in der be­ nachbarten autonomen Republik Baschkirien empfahl er, >so viel Macht zu ergrei­ fen, wie ihr schlucken könntStaatsko­ mitee für den AusnahmezustandUnzeit< - das Heft aus der Hand gegeben, in der stillen Hoffnung, dadurch Aktionen zu provozieren, die ihm dann einen Ausweg aus der Sackgasse seiner Politik hätte eröffnen können.«399 Maria Huber zufolge schließen Beobachter nicht aus, daß Gorbatschow die Augustkrise >aussit­ zen< wollte, um sich später auf die Seite des Siegers zu stellen.400 Tatsächlich sagte Gorbatschow selbst über seine Rolle bei dem >Putschdemokratischen Widerstand< gegen die Putschisten angeht: Das Gesamtbild der Ereignisse, so Maria Huber, spreche eher für die Putschisten, und von einem Widerstand mit Massenwirkung könne in diesem Zusammenhang nicht gesprochen werden: »Im Oktober 1991 kam die Kon­ trollverwaltung des russischen Präsidenten zu dem Ergebnis, daß über 70 Prozent der Gebiete, Kreise und alle autonomen Republiken in der RSFSR den Widerstand der russischen Führung (also Jelzins, der Verf.) gegen den versuchten Staatsstreich nicht unterstützten, sondern direkt oder indirekt für die Putschisten eintraten. Von den fünfzehn Unionsrepubliken lehnten nur Estland, Lettland, Litauen und Mol­ dawien den Versuch der Konservativen ab, die Macht zu übernehmen. Die Füh­ rungen Armeniens und der Ukraine distanzierten sich mit einiger Verzögerung und vorsichtig von den Putschisten; in Aserbaidschan und Georgien schwieg man. Vor dem Weißen Haus in Moskau hatten sich zu keiner Zeit mehr als 50000 bis 70000 Demonstranten versammelt. Eine breite Massenbasis hatte der Widerstand also nicht.«401

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Dieser Putsch jedenfalls bot für Jelzin die willkommene Möglichkeit, zum ent­ scheidenden Schlag gegen die Union auszuholen. Er verwandelte, so Michael Thu­ mann, den Staatsstreich der Putschisten in seine Machtübernahme:402 »Die staatli­ chen Organe auf russischem Boden unterstellte er entschlossen seiner Befehlsgewalt. Systematisch beraubte Jelzin das sowjetische Zentrum der verbliebenen Macht­ instrumente. Mitte September (1991, der Verf.) nationalisierte er alle Kraftwerke auf dem Territorium seiner Republik und nahm der Union damit eine wichtige Einkommensquelle... Im November 1991 reklamierte er die Ausbeutung wertvol­ ler Metalle und Steine für Rußland. Die Führer der autonomen Republiken auf rus­ sischem Boden beobachteten ihn aufmerksam - und sollten wenig später seinem Vorbild folgen.«403 Jelzins Politik wurde hierbei lediglich von einer kleinen Minderheit unterstützt. »Den entscheidenden organisatorischen und finanziellen Beitrag leisteten die >neuen Russenspontanen< Privatisierung, von Geschäften in einem faktisch rechtsfreien Raum und von der globalen Ökonomie bereits erheblich profitiert hat­ ten.«404 So zeichnete sich bereits 1991 ab, was sich bei der Präsidentschaftswahl 1996 deutlich offenbaren sollte: Boris Jelzin erwies sich als Vollstrecker der Interessen sowohl der westlichen Machtelite als auch der neuen russischen Elite der Oligar­ chen, die Rußland der ökonomischen Globalisierung und dem Ausverkauf seiner Wirtschaft und Bodenschätze unter dem Deckmantel einer kriminellen Privatisie­ rung auslieferten. Der Grundstein für eine Interessenkoalition zwischen der west­ lichen Machtelite und der kriminellen Elite russischer Oligarchen zur wirtschaftli­ chen Inbesitznahme des eurasischen Zentrums war somit in den Augusttagen 1991 geboren. Die Beseitigung Gorbatschows und die Liquidierung der UdSSR durch Boris Jelzin waren die wesentliche Voraussetzung für die geplante wirtschaftliche Eroberung Eurasiens. Doch zurück zu den Augusttagen 1991. Das Scheitern des Putsches, um die Union zu retten, war also nicht auf irgendeinen >demokratischen Widerstand< zurückzu­ führen, sondern vielmehr auf Unentschlossenheit und Zaudern der Putschisten, notfalls auch bis zum Äußersten zu gehen: »Als Pawel G ratschow, dessen Luftlande­ truppen das Weiße Haus abriegeln sollten, dafür Verstärkung forderte, tauchten Bedenken auf. Es werde ein riesiges Blutbad geben, befürchteten auch die Kom­ mandeure, die in Zivil die Lage vor Ort geprüft hatten. Die operative Vorbereitung für den Einsatz ging dennoch weiter, aber gegen Mitternacht gab es noch immer keine Entscheidung.«405 Aber auch die Putschisten selbst schienen hinsichtlich ihres weiteren Vorgehens unschlüssig zu sein. »Schließlich setzten Krjutschkow und Jasow aus Rücksicht auf die Zivilbevölkerung wie auch wegen der Weigerung einiger KGB-Kommandeure den Plan zur Besetzung des Weißen Hauses schließlich aus. Diesen Ablauf rekon­ struierte jedenfalls Wjatscheslaw Keworkow, ein KGB-Generalmajor, anhand der für Außenstehende nur schwer zugänglichen Verhörprotokolle in seinem Buch Moskauer Operette. Keworkow war im August 1991 stellvertretender Generaldirek­

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tor der sowjetischen Nachrichtenagentur TASS und von 1992 bis 1997 Chef des TASS-Büros in Bonn... Das Fazit seiner mit schriftstellerischen Einschüben aufge­ lockerten Chronik ist, daß Krjutschkow und Jasow ernsthaft und entschlossen ver­ sucht hätten, den drohenden Zerfall des Landes abzuwenden. Als diese Rettungs­ aktion jedoch massive Gewaltanwendung unvermeidbar machte, habe das >Menschliche< gesiegt.«406 Damit war der Putsch und somit der letzte Versuch, die Integrität der Sowjetunion zu bewahren, gescheitert.

2.1.2 Die Auflösung der UdSSR und die Konstituierung der GUS Historisch betrachtet, war es allerdings nicht der Augustputsch der KGB-Offiziere, sondern vielmehr die Gründung der >Gemeinschaft Unabhängiger StaatenGemeinschaft Unabhängiger Staaten< zu vollziehen. Die Westen war daran interessiert, sich Eur­ asiens zunächst wirtschaftlich zu bemächtigen, eine Zersplitterung des eurasischen Großraums im Sinne eines >Teile und herrsche< lag deshalb, wie oben dargelegt, in seinem Interesse. Aus russischer Sicht galt es jedoch, eine unkontrollierte Anarchi­

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Jelzin förderte überall regionale ethnische Unabhängigkeitsbestrebun­ gen. So kam es in mehreren Republiken zu schmutzigen kleinen Kriegen, so in Moldawien, wo die große russische Minderheit bei Rußland bleiben, die Moldawier sich dagegen Rumänien anschließen wollten.

Auch in der zentral­ asiatischen Republik Tadschikistan kam es zu Unruhen. Hier russsiche Soldaten, die die aufrühreri­ schen Gruppen in derr Hauptstadt Duschanbe zu mäßigen suchten, bei einer Pause.

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Die GUS (Gemeinschaft Unab­ hängiger Staaten). Am 8. Dezember 1991 bildeten die Staatsoberhäupter von Rußland, der Ukraine und Weißrußland die GUS und erklärten die Sowjetunion für aufgelöst. Im selben Monat kamen die fünf zentralasiatischen Republiken Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und Kirgisien, die beiden KaukasusRepubliken Armenien und Aserbaidschan sowie Moldawien hinzu.

Armenien kämpfte ebenfalls für die Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Hier ein Demon­ strant vor Soldaten in Jerewan.

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sierung dieses geopolitischen Raumes mit endlosen Bürgerkriegsszenarien zu ver­ hindern. Am 8. Dezember 1991 verkündeten die Führer der drei slawischen Repu­ bliken Rußland, Weißrußland und der Ukraine in der Nähe von Minsk dann auch eine Art östliches Commonwealth. Diese drei Staaten stellten 73 Prozent der Bevöl­ kerung der Sowjetunion, 58 Prozent ihres Industriepotentials und annähernd ihren gesamten militärisch-industriellen Komplex. Der Zusammenschluß dies er Nachfolge­ staaten hatte zunächst ausschließlich die Funktion, einen unkontrollierten Zerfall der UdSSR zu verhüten und einen Modus vivendi zwischen den einzelnen Repu­ bliken zu begründen. Die Sowjetunion, so heißt es im Abkommen über die Grün­ dung der >Gemeinschaft Unabhängiger Staaten< vom 8. Dezember 1991, habe als »Subjekt des Völkerrechts und der geopolitischen Realität aufgehört zu existieren«. Die Vertragspartner sicherten zu, Verträge und Abkommen der früheren Sowjet­ union zu erfüllen, und verpflichteten sich zu einer einheitlichen Kontrolle der Atom­ waffen. Neben den Schutz nationaler Minderheiten und der Achtung vor der terri­ torialen Integrität wurde eine Zusammenarbeit in wesentlichen Politikbereichen wie Außenpolitik, Entwicklung eines gemeinsamen Wirtschaftsraumes, Umwelt­ politik und Kampf gegen die organisierte Kriminalität getroffen. »Die Absichtser­ klärungen des slawischen Dreibundes entsprachen zumindest auf dem Papier genau dem, was der Westen als Willenskundgebung gegen Krieg und Chaos erwartete: Unverletzbarkeit der Grenzen und militärische wie wirtschaftliche Zusammenar­ beit«, beschreibt Maria Huber die Bedeutung dieses Schrittes für die westliche Macht­ elite.414 Am 21. Dezember 1991 kam es in Alma-Ata zu einer Erweiterung der GUS: Zu den drei slawischen Gründungsstaaten kamen nun die fünf zentralasiatischen Re­ publiken Turkmenistan, Usbekistan, Tadschikistan, Kasachstan und Kirgisien, die beiden Kaukasus-Republiken Armenien und Aserbaidschan sowie Moldawien hin­ zu. »Die gemeinsame Deklaration der Regierungschefs der GUS-Staaten hält fest, daß alle Regierungsorgane und Behörden der früheren Sowjetunion einschließlich des Innenministeriums und des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten auf­ gelöst seien - mit der Gründung der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten habe die Sowjetunion aufgehört zu existieren.«415 Diese Gründung der GUS war der eigentliche Staatsstreich Jelzins gegen die Sowjetunion, was auch der Einschätzung des Gorbatschow-Beraters, Georgij Schachnasarow, entsprach. Der sowjetische Präsident Gorbatschow wurde bei die­ sen Vorgängen einfach übergangen; er fand mit keinem Wort Erwähnung. Dieser trat denn auch am 25. Dezember 1991 zurück. Damit war das Ende der Sowjetunion auch formell eingeleitet. Mit dieser Schilderung der inneren Vorgänge in der Sowjetunion und der Russi­ schen Föderation bleibt jedoch die Frage nach der Verantwortung für diesen wohl einmaligen Zusammenbruch eines Imperiums offen. Allzu oft wird zur Klärung dieser Frage auf das Schicksal vergleichbarer Imperien der Geschichte wie des Os­ manischen oder des Habsburgischen Reichs verwiesen, denen eine zwangsläufige

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Tendenz zum Zerfall innegewohnt habe: »Die Beherrschung eines Vielvölkerimpe­ riums von einem starken, in Jahrhunderten gewachsenen traditionellen Zentrum aus hat sich in der neueren europäischen Geschichte nirgendwo durchhalten lassen. Volkssouveränität und nationale Selbstbestimmung waren die stärkeren Kräfte.«416 Allerdings - so auch die Osteuropaexpertin Mária Huber - gibt es in einer solchen deterministischen Betrachtungsweise »keinen Platz für Fragen nach Fehlern und äußerer Einmischung«,417 Fragen, die allerdings zwingend zu stellen sind. Die Rolle der westlichen Machtelite, insbesondere der USA, bei der Förderung Boris Jelzins, des Hauptverantwortlichen für den Zerfall der UdSSR, ist in diesem Kapitel, in dem es um die Veränderung der außenpolitischen Ausrichtung Rußlands vor dem Hintergrund des Zerfalls der Sowjetunion geht, lediglich angedeutet worden und wird später noch wesentlich vertieft werden. Ähnlich wie im Falle Jugoslawiens dem Staatszerfall finanzielle Erpressungsmanöver des Westens und der USA vor­ angingen, so verhielt es sich auch im Fall des Zusammenbruchs der Sowjetunion, wobei das geopolitische Intrigenspiel der USA in letzterem Fall noch wesentlich perfider war, da sie die UdSSR selbst an den Rand des Bankrotts trieben und dann durch wirtschaftlich-finanzielle Erpressung das sowjetische Staatswesen selbst zur Aufgabe zwangen.

2.1.3 Die Bedeutung der GUS für die amerikanische Machtelite Das Interesse der amerikanischen Machtelite gegenüber dem eurasischen Raum besteht - wie bereits analysiert - darin, »den derzeit herrschenden Pluralismus auf der Landkarte Eurasiens zu festigen und fortzuschreiben« (Z. Brzezinski). Mußte dann die Gründung der GUS nicht als Widerspruch zu den US-Machtinteressen gesehen werden? Waren die Ereignisse von Minsk und wenig später von Alma-Ata nicht der Versuch einer Reintegration des eurasischen Raumes? Bei genauerem Hin­ sehen war die Gründung der GUS keine wirkliche Herausforderung für die ameri­ kanischen Interessen und Ziele in Eurasien, da die GUS wesentliche Institutionen zur Zusammenarbeit bis heute nicht besitzt. Wie Wolfgang Leonhardt schreibt, ist die GUS nichts anderes als ein loser Staatenbund, dem es an Organen mit umfas­ senden Kompetenzen fehlt, deren Einsetzung aber notwendig gewesen wäre, um eine gemeinsame Politik zu entwickeln und durchzusetzen. »Vor allem fehlt ein... Integrationskonzept, das die Zielsetzung, die Stationen zum Erreichen dieser Ziel­ setzung und entsprechende Fristen fixiert.«418 Überdies kann von einer fortschreitenden politischen, wirtschaftlichen und mili­ tärischen Integration nicht gesprochen werden. Bilaterale Verträge besitzen meist nur deklaratorischen Charakter und werden von den GUS-Mitgliedsstaaten in der Praxis höchst unterschiedlich ausgelegt. Die institutionelle Schwäche der GUS zeigt sich insbesondere darin, daß die Mitgliederfluktuation sehr hoch ist; eine echte Kontinuität blieb aus. »So trat Georgien der GUS erst am 9. Dezember 1993 bei, nachdem Rußland im Konflikt mit Abchasien Unterstützung gewährt hatte. Aser­ baidschan, das zu den Gründungsmitgliedern der erweiterten GUS gehört hatte,

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verließ den Staatenbund am 7. Oktober 1992 und kehrte - nach zwei Jahren im Beobachterstatus - erst am 24. September 1994 wieder in die Gemeinschaft Unab­ hängiger Staaten zurück. Moldawien unterzeichnete zwar das Gründungsabkom­ men der Gemeinschaft, das Parlament verweigerte dem Vertrag jedoch seine Zu­ stimmung. Erst mehr als drei Jahre später, anläßlich des GUS-Gipfeltreffens am 15. April, 1994 in Moskau, vollzog Moldawien endgültig den Eintritt in die GUS; die Gründe dafür sind in der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Rußland und der rus­ sischen Hilfe bei der Lösung des Transnistrien-Konflikts zu suchen.«419 Gerade auf wirtschaftlichem Gebiet erwies sich die GUS eher als ein Instrument, das der ökonomischen Zergliederung des sowjetischen Wirtschaftsgebietes und der Durchsetzung neoliberaler Marktreformen erheblichen Vorschub leistete, was den amerikanischen Zielsetzungen natürlich sehr entgegenkam. »Einen Damm gegen den wirtschaftlichen Niedergang errichtete die GUS aber nicht. Der Zerfall des so­ wjetischen Binnenmarktes, das Ende der arbeitsteiligen Produktion und die Errich­ tung von Zollgrenzen, die den Verlust zuvor sicherer Absatzmöglichkeiten brach­ ten, führten zu einem wirtschaftlichen Schock und in eine lange Rezession. Die russische Finanzkrise 1998 stürzte die Nachbarn in zusätzliche Schwierigkeiten, bei deren Überwindung sie allein blieben. Dies förderte andererseits aber auch die Bereitschaft zur Modernisierung der Wirtschaften und zur Integration in den Welt­ markt. Marktwirtschaftliche Reformen, die in der Sowjetunion nicht möglich wa­ ren, wurden nun auf nationaler Ebene endlich angegangen.«420 Durch die wirtschaftliche Zersplitterung ist auch die Herausbildung eines konti­ nentalen ökonomischen Gravitationszentrums unterbunden worden. Der post­ sowjetische Raum ist gewissermaßen in einem Zustand ökonomischer Erstarrung verblieben, dem es nicht gelungen ist, sein Potential entscheidend zu entfalten und somit zu einem ernsthaften Konkurrenten und Gegenpol für den wirtschaftli­ chen Weltführungsanspruch der USA zu werden: »Die Mehrheit der GUS-Länder hat jedoch bis heute noch nicht wieder das - auf die einzelnen Sowjetrepubliken hochgerechnete - Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 1990 erreicht. Nach Untersuchun­ gen im Moskauer Institut für Energetik und Finanzen ist es lediglich den rohstoff­ reichen Ländern Kasachstan, Turkmenistan, Aserbaidschan und Usbekistan, und zwar erst im vergangenen Jahr, gelungen, den Wert des BIP von 1990 zu über­ schreiten. Auch Weißrußland ist dies gelungen, aber wohl nur, weil es aus Rußland Gas und Öl zum niedrigen Binnenmarktpreis erhielt und durch Weiterverkauf der Energieträger und den Export weiterverarbeiteter Produkte eine hohe Wertschöp­ fung verbuchen konnte. Rußland selbst hat das BIP von vor fünfzehn Jahren noch nicht wieder erreicht. Länder wie Tadschikistan oder Georgien, das 1993 auf Druck Moskaus der GUS beitrat, die Ukraine oder Moldau sind weit davon entfernt... Versuche einer wirtschaftlichen Integration in der GUS unter Moskauer Führung sind deshalb Stückwerk geblieben...«421 Das gleiche gilt auch für die Ebene der militärischen Zusammenarbeit, die als faktisch gescheitert angesehen werden kann: »Auch die ursprüngliche Absicht, die

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GUS zur Verteidigungsgemeinschaft auszubauen, wurde nur zum kleinen Teil ver­ wirklicht. Rußland unternimmt zwar Anstrengungen, in Zentralasien eine multi­ nationale schnelle Eingreiftruppe aufzubauen. Diese gilt allerdings vor allem als Vorkehrung für den Fall bewaffneter Auseinandersetzungen, die ihren Ursprung im afghanischen Krisengebiet haben könnten.«422 Statt eine Wiedervereinigung des postsowjetischen eurasischen Raumes zu be­ wirken, scheint die GUS vielmehr Möglichkeiten zu einer Einkreisung Rußlands und zur Schaffung von Gegengewichten zu Rußland zu eröffnen. »Eine freiwillige engere Integration politischer und wirtschaftlicher Art im postsowjetischen GUSRaum sei aber nur denkbar, wenn es eine Gruppe sich rasch und stabil entwickeln­ der Staaten gebe, die halbwegs ein Gegengewicht zu Rußland bilden könne, meint der Chefredakteur von Russia in Global Affairs, Fedor Lukjanow. Kasachstan, dessen Präsident N asarbajew sich eine Integration nach dem Muster der EU vorstellen kann, sieht Lukjanow als ein Land, das gemeinsam mit der Ukraine, aber auch mit Weiß­ rußland theoretisch eine solche Rolle spielen könnte. Kasachstan besitze große Roh­ stoffvorkommen, befolge, anders als Rußland, konsequent eine durchdachte Ent­ wicklungsstrategie und könne womöglich irgendwann einmal zum Konkurrenten Rußlands in Sachen Reintegration werden... Nachdem aber Moskaus Versuch fehl­ geschlagen war, die ukrainische Präsidentenwahl zum Vorteil des als rußlandfreund­ lich geltenden Kandidaten J anukowitsch zu beeinflussen, schien Rußland dazu ver­ urteilt, in der GUS zum geop olitischen Zuschauer zu werden , während Europäischer Union und NATO wachsender Einfluß in der Region v orhergesagt w urde. Vor all em die Ukraine und Georgien orientierten sich immer stärker nach Westen.«423 Damit erweist sich die GUS eher als ein »Instrument zum Vollzug einer zivili­ sierten Scheidung von Moskau«, wie Wolfgang Leonhardt sagt, und liegt mit ihrer Konstruktion und Organisation deshalb vollständig auf der Linie der eurasischen Geopolitik der USA. Dies sollte sich in den späteren Jahren bestätigen: »Seit Ende 1995/Anfang 1996 spaltet sich die GUS zunehmend in zwei Gruppen: eine, in deren Mittelpunkt Rußland steht und zu der Belarus, Kasachstan sowie Kirgisien gehören, und eine andere, bestehend aus den übrigen Mitgliedsstaaten der GUS, die durch Distanz zu Rußland ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu bewahren suchen. So blieb die GUS bis zur Gegenwart trotz aller bilateralen und multilateralen Abkom­ men, trotz der Vielzahl der Kontrollmechanismen und Organe ein loser Bund von Staaten, für die nicht die Vertiefung der Gemeinschaft, sondern nationale Interes­ sen im Vordergrund stehen.«424

2.2 Die Entwicklu ng der außenpolitischen Doktrinen der Russischen Föderation Mit dem Zusammenbruch der UdSSR und der Gründung der GUS sah sich die Russische Föderation in einer Phase vollständiger Neuorientierung. »Der Zerfall des politischen Systems der Sowjetunion erfolgte so unerwartet und rasant«, so schreibt der ehemalige russische Außenminister Igor Iwanow, »daß die Staatsfüh­

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rung und erst recht die russische Gesellschaft keine fest gefügte Vorstellung von den künftigen Entwicklungswegen des Landes und seinen außenpolitischen Prio­ ritäten hatten, sie gar nicht haben konnten. Direkt und offen sprach das 1992 der erste Präsident Rußlands, Boris Jelzin, in einer Rede vor dem Obersten Sowjet an: >Die höchst problematische Übergangssituation Rußlands macht es vorläufig un­ möglich, sich ein klares Bild von seiner bleibenden und zugleich von seiner neuen Gestalt zu machen, eindeutige Antworten zu erhalten auf die Fragen: Was gehört für uns der Vergangenheit an? Was wollen wir erhalten? Was zu neuem Leben erwecken und neu erschaffen?Neuen Politischen Denkens < festgelegt. Außen­ minister Andrej Kosyrew verfolgte in dieser Zeit im Einklang mit der radikalen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verwestlichungspolitik Jegor Gajdars ei­ nen »universalistischen und prowestlichen Kurs«.426 Ein wichtiges außenpolitisches Ziel bestand in der Förderung des Systemwechsels durch die Eingliederung eines nach den Grundsätzen amerikanischer Marktwirtschaft umgestalteten Rußlands in die westlichen >euro-atlantischen< Strukturen. Mit dieser Ausrichtung der Poli­ tik versuchte die neue russische Führung, den Westen davon zu überzeugen, daß nur durch die rasche, umfassende Einbindung Rußlands in die westlichen Bündnis­ systeme Marktwirtschaft und ein liberalistisches System fest in Rußland verankert werden könnten. Günstige Rahmenbedingungen sollten dabei durch Abrüstung geschaffen werden. Die westliche Machtelite hingegen förderte diese Bestrebungen. Sie sah aller­ dings eine erfolgreiche politisch-ökonomische Systemtransformation der Russischen Föderation als Voraussetzung für eine Einbindung Rußlands in den euro-atlanti­ schen Raum an. Um diesen außenpolitischen Kurs Rußlands auch sicherzustellen, wurde es 1992 in den Internationalen Währungsfonds und in die Weltbank aufge­ nommen: Einrichtungen, die - wie noch aufzuzeigen ist - mit ihrem Reformdiktat die wirtschaftliche und soziale Substanz Rußlands zerstören und die Inbesitznahme seiner Rohstoffe durch westliche Konzerne sicherstellen sollten. Durch ein enges europäisch-amerikanisches Zusammenwirken wurde ein internationales Hilfspaket für neoliberale Reformen in Rußland in Höhe von 28 Milliarden US-Dollar bereit­ gestellt.427

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Allerdings schien sich die Unterwürfigkeit der neuen politischen Elite Rußlands gegenüber dem Westen nicht auszuzahlen: »Symptomatisch ist in dieser Hinsicht«, so kritisiert Igor Iwanow den seinerzeitigen politischen Kurs, »wie zu Beginn der neunziger Jahre auf die forcierte Integration Rußlands in die euro-atlantischen Struk­ turen gesetzt wurde. Unrealistische Aufgaben wurden in die Debatte geworfen: die Herstellung von >BündnisSiegers im Kalten Krieg< erlegen, im demokratischen Rußland keinen gleichberechtigten Bundesgenossen; man billigte ihm bestenfalls die Rolle eines Juniorpartners zu. Jegliches Anzeichen selbständigen Handelns und des Bestrebens, seine Positionen zu behaupten, wurde als Rückfall in die >imperiale< Sowjetpolitik gewertet. Die von den USA und der NATO angegangene Ausdehnung der Allianz bis zu den Grenzen Rußlands, die ganz eindeutig die Interessen unseres Staates ignorierte, war in dieser Hinsicht das ernüchterndste Signal.«428 Ex-Außenminister Igor Iwanow wertet diesen außenpolitischen Kurs Rußlands in der Anfangszeit als von einer oberflächlichen »prowestlichen Schieflage« be­ herrscht, der den tatsächlichen nationalen Interessen Rußlands und seiner geopoli­ tischen Lage nicht gerecht worden sei, diese sogar gröblichst vernachlässigt habe. Überdies, so Iwanow, sei diese Ausrichtung ausschließlich ideologisch und weni­ ger von Pragmatismus, der sich an konkrete geopolitisch Vorgaben ausrichte, be­ stimmt gewesen: »Die ziemlich eindeutige >prowestliche Schieflage< der Außen­ politik Rußlands war in ihrer Oberflächlichkeit jedoch nicht von langer Dauer, und die russische Diplomatie zog hieraus verhältnismäßig rasch die nötigen Lehren. Das Leben selbst zwang sie dazu, da die neue russische Außenpolitik nicht in theo­ retischen Debatten auf den Weg gebracht wurde, sondern durch die Suche nach Lösungen für konkrete und höchst komplexe internationale Probleme, die die natio­ nalen Interessen Rußlands tangierten. Nach dem Zerfall der UdSSR galt es, den von ihr hinterlassenen geopolitischen Raum neu zu >organisierenNahen Auslands< die Entwicklung einer eigenständigen russischen Geopolitik Im Sommer 1992 kam es innerhalb der politischen Elite Rußlands zu erheblichen Kontroversen über den bedingungslosen Proatlantismus des ersten Jahres der Jel­ zin-Ära. Dieser Streit endete schließlich in einem sogenannten >patriotischen Kon­

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sensdie gesamte Politik Rußlands früher oder später zwangsläufig die durch diesen Umstand diktierte Richtung einschlagen wirdfaschistischimperialistischreaktionär< usw. zurückgewie­

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sen. Wo aber kann eine >RenaissanceWiedergeburtberuhigendes< strategisches Vorfeld für die Verteidigung. Hinzu kam der Umstand, daß allmählich die Anzahl der NATO-Staaten um Länder wuchs, die vorher zum eigenen Paktsystem oder gar zum eigenen Staatswesen gehört hatten. Die NATO schob sich damit immer mehr an die russischen Staatsgrenzen heran. Auch das war ein Grund tiefer Beunruhi­ gung und bedurfte einer geopolitischen Analyse. Wie in anderen Staaten der Welt besteht auch in Rußland eine enge Wechselbeziehung zwischen Geopolitik und Sicherheitspolitik. Einerseits liefert die Geopolitik wichtige Argumente für die zu

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wählende Sicherheitspolitik, und andererseits wirken Gesichtspunkte der militäri­ schen Sicherheit auf die Formulierung der Geopolitik zurück«.434

2.2.2.1 Schwerpunkte und Prioriäten russischer Geopolitik Auf der Grundlage der neuen geopolitischen Lage nach dem Zerfall der UdSSR so die Analyse von Horst Grossmann zur Entwicklung der Geopolitik in der Russi­ schen Föderation - formulierte Sergej Rogow, Direktor des USA/Kanada-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, bereits 1994 in den Papieren des >Clubs der Realisten< folgende Schwerpunkte der Geopolitik, welche seit 1992 dann auch Eingang in die russische Außen- und Sicherheitspolitik fanden: 1. Der Vorrang gehört den ehemaligen sowjetischen Republiken (>Nahem Aus­ landnahen Auslandfernen Auslandnahen Auslandnahen< und >fernen< Auslands, setzt Moskau auf die >Strategie der zwei Grenzeninneren< (zwischen den GUSMitgliedern) und der >äußeren< Grenzen (also Grenzen von GUS-Ländern mit Staa­ ten, die nicht ebenfalls der GUS angehören). Damit sieht Rußland zwei Grenzen unterschiedlicher Qualität: Es möchte die Grenzsicherheit so weit wie möglich an der Außengrenze der GUS und nicht an den Grenzen der Russischen Föderation zu den früheren Sowjetrepubliken organisieren. Rußland betrachtet die Außengren­ zen d er GUS als >g emeinsame Grenzen< (des jeweiligen GUS-Staates und Rußlands),

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die daher auch so weit wie möglich gemeinsam, also auch durch Stationierung rus­ sischer Grenzsoldaten, bewacht werden müßten.436 Die GUS sollte in dieser Vorstellung ein Instrument der Russischen Föderation werden, mit dessen Hilfe sie die Integrität des ehemaligen sowjetischen Macht­ bereiches au frechterhalten will. »Rußland beansprucht die GUS als >besondere Inter­ essenzoneabgestimmte Politik< in den Bereichen internationale Sicherheit, Abrüstung und Rüstungskontrolle sowie Streitkräfteaufbau oft an er­ ster Stelle. In der Praxis hat Rußland immer wieder versucht, die anderen GUSStaaten auf eine >gemeinsame< - also seine - außen- und sicherheitspolitische Linie zu verpflichten.«437 Diese geopolitische Priorität, die die Russische Föderation dem ehemaligen Staatsgebiet der Sowjetunion einräumt, ist darauf zurückzuführen, daß die GUS inzwischen als eine Region angesehen wird, in der sich russische und westliche Einflüsse überschneiden und miteinander konkurrieren. Vor dem Hinter­ grund, daß die USA in den neunziger Jahren damit begonnen haben, ihre Macht in zunehmendem Maße in diesen Raum zu projizieren, möchte sich Rußland seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluß möglichst nicht von westeuropäischen und euro-atlantischen Organisationen relativieren lassen. »Die GUS-Länder sollen sich konkret von der NATO fernhalten und sich statt dessen politisch und militärisch auf Moskau orientieren - sowohl im Rahmen der >Integration< in der GUS als auch in einer bilateralen Kooperation mit Rußland. Zudem sollen die ehemaligen So­ wjetrepubliken auch wirtschaftlich auf Rußland und die GUS fixiert bleiben und etwa russischem Kapital bevorzugte Bedingungen bei der Privatisierung einräu­ men.«438 Diesen Führungsanspruch, dessen Ursachen in der zu Beginn dieses Buches ge­ schilderten bedrohlichen Defensivlage der Russischen Förderation seit 1991 und ihrem drohenden Zerfall zu suchen sind, wollte Rußland auch von auswärtigen raumfremden Mächten anerkannt wissen. Auch diese Strategie wurde von Ruß­ land vor dem Hintergrund, daß infolge der Konfliktszenarien in den GUS-Republi­ ken eine Intervention des euro-atlantischen Bündnissystems wahrscheinlich wer­ den könnte mit der Folge einer Verdrängung des russischen Einflusses, in die Diskussion geworfen. Unberechtigt waren die russischen Bedenken hinsichtlich der Zielsetzungen des Westens nicht. Über die Einrichtung des >Nordatlantischen Ko­ operationsrates< gelang es der NATO bereits Anfang der neunziger Jahre, ihren Einfluß auf Osteuropa und die GUS auszudehnen. »Die konkrete Idee dafür geht auf einen entsprechenden Vorschlag der Außenminister der USA (James Baker) und der Bundesrepublik Deutschland (Hans-Dietrich Genscher) vom 3. Oktober 1991 zurück und wurde beim Gipfeltreffen in Rom vom 7. bis 8. November 1991 offiziell präsentiert. Die konstituierende Sitzung fand am 20. Dezember 1991 in Brüssel statt; 25 Staaten waren dort offiziell repräsentiert. Am 10. März 1992 wur­ den neue Staaten aus dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion im Nordatlantischen

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Kooperationsrat willkommen geheißen. Bis Oktober 1994 haben 38 Staaten die for­ melle Willensdeklaration abgegeben, an den Sitzungen des Nordatlantischen Ko­ operationsrates teilzunehmen. Als Zielbereiche der Zusammenarbeit waren be­ stimmte sicherheitspolitisch bedeutsame Bereiche geplant, wie zum Beispiel Luftverteidigungsplanung, Rüstungskontrolle und Umwandlung der Rüstungs­ industrie sowie friedenserhaltende Missionen, Austausch von sensiblen Informa­ tionen« und dergleichen mehr.439 Daß Rußland sich durch diese Entwicklungen alarmiert sah, versteht sich von selbst, und es versuchte, nunmehr selbst das Heft der Konfliktbewältigung in der GUS in die Hand zu nehmen. »Ziel dieser Initiative war es, von der UNO ein um­ fassendes Mandat zur Friedenssicherung auf dem Territorium der GUS zu bekom­ men.«440 Unterstrichen wurde dieser Anspruch durch die Erklärung des russischen Außenministers Andrej Kosyrew vor der UNO im Herbst 1993: »Kosyrew bewertete Moskaus friedenssichernde Maßnahmen als unverzichtba­ res Instrument zur Verhütung von Blutvergießen und Menschenrechtsverletzun­ gen. Ihre Stationierung erfolge nur auf dringliche Aufforderung der Nachbarstaa­ ten und basiere auf vertraglicher Grundlage im Einklang mit dem Völkerrecht. Sie seien der Praxis anderer Staaten vergleichbar. Auf dem Gebiet der GUS könne keine andere Macht oder Organisation diese Aufgabe so wirksam erfüllen wie Rußland... Ein Zusammenhang zwischen dem Einsatz von russischen Friedenstruppen und der Sicherung von Einflußsphären wurde nicht geleugnet, vielmehr zunehmend unterstrichen. Rußland könnte Positionen verlieren, die es in Jahrhunderten aufge­ baut habe. Es stehe vor der Wahl, in einer Region seiner traditionellen geopoliti­ schen Interessen Einfluß an Konkurrenten oder gar potentielle Feinde zu verlieren. Das Ausland müsse, so Außenminister Kosyrew, damit einverstanden sein, daß Rußland in seinem >Hinterhof< unternehme, was es für sinnvoll halte. Wenn der Westen in diesem Zusammenhang von hegemonialen Ambitionen Rußlands spre­ che, so sei er >altem Denken< verhaftet.«441 Dieser Vorstoß Rußlands wurde aber abschlägig beschieden: UNO und KSZE bzw. OSZE haben der Russischen Föderation die gewünschten Mandate ebenso verweigert wie eine Finanzierung ihrer friedenssichernden Einsätze. Als Reaktion auf diese Verweigerungshaltung des Westens versuchte Rußland statt dessen, die Einrichtung der GUS selbst als ein Instrument kollektiver Sicherheit mit UNO-un­ abhängigen Befugnissen zur Friedenssicherung zu definieren. »Im Frühjahr 1994 wurde die Kampagne um eine russische Sonderrolle bei der Friedenssicherung in der GUS zunächst um die Forderung nach einer Anerkennung der GUS als interna­ tionaler bzw. regionaler Organisation erweitert. Damit versuchte Rußland, die Hürde des Mandats zur Legitimation seiner friedenssichernden Einsätze zu umge­ hen.«442 Am 14. Februar stellte der russische Vertreter im Ständigen Komitee der KSZE, Vladimir S chustow, diese Neudefinition der Rolle der GUS durch Rußland wie folgt dar: »Die GUS braucht kein Mandat von UNO oder KSZE. Ihre friedenssichernden

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Aktivitäten sind legitim, denn sie entsprechen den völkerrechtlichen Standards. Artikel 52 der UN-Charta, wonach die Verantwortung für friedenssichernde Ope­ rationen bei der Organisation liegt, die sie durchführt, gibt der GUS das Recht zur Friedenssicherung.«443 Aus diesem Grund sollte die KSZE darauf hinarbeiten, ihre Maßnahmen bei der Friedenserhaltung auch auf Drittparteistreitkräfte zu erwei­ tern. Doch sollten diese Hoffnungen Rußlands nicht in Erfüllung gehen. Es konnte nicht erreichen, daß die GUS als ein autonomes System kollektiver Sicherheit mit russischen Befugnissen zur Einfluß- und Stabilitätssicherung anerkannt wurde. Auch die KSZE und später die OSZE, auf die sich Rußland bei der Durchsetzung seiner Interessen stützte, wurden in der Folgezeit gegenstandslos. Im Dezember 1994 mußte sie sich eingestehen, »daß es nicht gelungen ist, die KSZE-Prinzipien und -Verpflichtungen umzusetzen«.444 Statt dessen sollte sich die NATO schließ­ lich in dieser Region festsetzen und den russischen Anspruch unterlaufen. Zumindest verbal versuchte Rußland, seinen Anspruch in der GUS auch weiter­ hin aufrechtzuerhalten. In Jelzins grundlegendem Erlaß Der strategische Kurs Ruß­ lands gegenüber den Teilnehmerstaaten der GUS aus dem Jahre 1995 heißt es, daß »im Zusammenwirken mit dritten Ländern und internationalen Organisationen von ihrer Seite Verständnis erreicht werden« solle, »daß diese Region (d.h. die GUS, der Verf.) vor allem Interessenzone Rußlands ist«. Daher dürfe es in den GUS-Staa­ ten keine ihm feindlich gegenüberstehenden Regierungen geben.445 Den geplanten Vorstoß der NATO in den GUS-Raum versuchte Rußland mit einer Verstärkung der militärischen Integration der GUS zu beantworten. »In ei­ nem der ersten GUS-Abkommen übernahmen die Vertragsparteien die Verpflich­ tung, bei der Sicherung des Friedens und der Sicherheit eng zusammenzuarbeiten und den gemeinsamen militärstrategischen Raum, d.h. die frühere UdSSR, unter vereinigtem Kommando (einschließlich der einheitlichen Kontrolle über die Kern­ waffen) zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wurde am 14.2.1992 ein Beschluß über die Bildung von Militärorganen der GUS, und zwar des Rates der Verteidigungsmi­ nister, des Oberkommandos und des Stabes der Vereinigten Streitkräfte der GUS, gefaßt. Die Zweckmäßigkeit der Errichtung solcher Organe wurde durch die Un­ terfertigung des GUS-Vertrages über kollektive Sicherheit am 14.5.1992 in Taschkent (Usbekistan) bestätigt. Dieser Vertrag, dem sich zunächst Rußland, Usbekistan, Ka­ sachstan, Armenien, Kirgisien und Tadschikistan, später auch Belarus, Georgien und Aserbaidschan angeschlossen haben, und Dokumente, die zu seiner Weiterentwick­ lung beschlossen wurden, bildeten das Fundament für die militärpolitische Integra­ tion in der GUS. Demgegenüber haben die Ukraine, Moldova und Turkmenien kei­ nen Wunsch bekundet, sich dem Vertrag über kollektive Sicherheit anzuschließen.«446 Doch über bloße vertragliche Absprachen kam die militärische Integration nicht hinaus,447 und die 1994 von den USA ins Leben gerufene NATO-Initiative >Partner­ schaft für den FriedenPartnerschaft für den Frieden< und später das antirussische Regionalbündnis der GUUAM treten und somit eine geopolitische Teilung der GUS in einen prorussischen und proamerikanischen Block herbeiführen: »Während die Integrationsdynamik von innen heraus in den letzten Jahren kaum vorwärtskam, dürften die Bestrebungen zu einer NATO-Osterweiterung eine Blockbildung im Rahmen des Taschkenter Systems stimulieren.«449 Da Rußland mit seiner Idee eines eurasischen Systems kollektiver Sicherheit nicht durchdringen konnte, konzentrierte es sich auf eine bilaterale sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit verschiedenen GUS-Republiken. Dabei diente die militär­ politische Zusammenarbeit sowohl der Einfluß- wie auch der Stabilitätssicherung. Den oftmals geäußerten Vorwurf, die russischen Friedenstruppen würden in den jeweiligen Krisenregionen parteiisch agieren, sieht Sicherheitsexperte Viktor Rykin kritisch: Einerseits wird zwar »kein Zweifel daran gelassen, daß z.B. das russische Kontingent in Tadschikistan, die 201. motorisierte Schützendivision und Grenz­ truppen, die prorussische Führung in Duschanbe unterstützen«.450 Auf der ande­ ren Seite jedoch handeln die russischen Kräfte »vorwiegend unter der Ägide von internationalen Organisationen oder im Zusammenwirken mit diesen und liefern daher - im Gegensatz zu früher - keinen ernsthaften Grund, sie als eine real am Konflikt beteiligte Partei wahrzunehmen. Sie sollen heute in mehreren Krisenzonen, in denen die direkte militärische Konfrontation beendet wurde, eine deutlich aus­ geprägte Präventivrolle spielen«.451 Tatsächlich hatte sich die Beteiligung von russischen Friedenstruppen - insbe­ sondere im Kaukaus, wo die politischen, ethnischen, religiösen oder wirtschaftli­

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chen Widersprüche noch größer, die Probleme noch tiefergehender als auf dem Balkan452 sind - als stabilitätsfördernd ausgewirkt. Dies gilt auch für den Konflikt­ herd Moldawien: »Die ehemalige (seinerzeit von General Alexander Lebed kom­ mandierte) 14. Russische Armee im Dnjestr-Gebiet (Moldova) übt zwar keine un­ mittelbaren Peacekeeping-Funktionen aus, wird jedoch von vielen real als eine Kraft eingeschätzt, ohne die die Wahrscheinlichkeit für einen neuerlichen Konflikt zwi­ schen den beiden Landesteilen recht hoch wäre.«453 Insgesamt - so Rykin - ist die »Nutzung von Konflikten in der GUS als Mittel zur Verstärkung des Einflusses Rußlands... durch ein anderes strategisches Ziel er­ setzt worden: Nun geht es um die Errichtung gutnachbarschaftlicher Beziehungen an Rußlands Grenzen und einen gemeinsamen Sicherheitsraum in der GUS. In der Praxis bedeutet das eine Steigerung des Friedensstiftungspotentials Rußlands«.454 In der Tat verstand es Rußland, mit seinen Interventionen zweierlei zu erreichen, und zwar zum einen Stabilitätssicherung und zum anderen - nicht weniger be­ deutsam - Einflußsicherung. In den Konfliktherden Moldawien, Aserbaidschan und Georgien hatte Moskau »diese Konflikte nicht ausgelöst, aber in Verfolgung seiner Interessen zweifellos instrumentalisiert: Moldowa, Georgien und Aserbaidschan sahen sich 1993/94 veranlaßt, in die GUS einzutreten bzw. zurückzukehren, und Moskau konnte zwischen den Konfliktparteien - d.h. der jeweiligen Zentralmacht und den durchwegs prorussischen Separatisten, die bis heute jeweils bedeutende Teile des Staatsgebiets kontrollieren, >vermittelnFriedenstruppenStatus quo< (und damit die Existenz der dortigen separatistischen Re­ gimes) zu sichern, bei Bedarf Druck auf Moldowa und Georgien auszuüben sowie aus seiner Sicht strategisch wichtige Gebiete (so vor allem das Dnjestr-Gebiet und die abchasische Schwarzmeerküste) zu kontrollieren.«456 Unbestritten jedoch dürfte sein, daß durch diese Politik Rußlands die GUS dazu beigetragen hat, ein >jugosla­ wisches Szenario< in postsowjetischen - und damit sehr viel größeren - Maßstäben zu verhindern.

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2.2.2.1.2 Die geopolitische Konzeption der Realisten die außenpolitische Konzeption des Sicherheitsrates vom April 1993 und die Militärdoktrin vom November 1993 Die neue realistische Linie der russischen Außenpolitik, die die sogenannte >ro­ mantische Phase< des Proatlantismus ablöste, sah vor, daß Rußland aufgrund sei­ ner geopolitischen Lage das Ziel einer aktiven und gleichberechtigten Teilnahme an d en i nternationalen Beziehungen auf der Grundlage seiner lebenswichtigen Inter­ essen wahrnehmen sollte. Diese setzten sich zusammen aus der Bewahrung der staatlichen Souveränität und der territorialen Integrität, der Verhütung von Des­ integration, der Verteidigung gegen äußere Aggression, der Überwindung der inne­ ren Krise und Erl angung von Stabilität, der Entwicklung der Wirtschaft, der Priorität der Beziehungen zum >nahen Ausland< sowie aus dem Schutz der russischen Min­ derheiten.457 Gegenüber dem >fernen Ausland< erhob Rußland den Anspruch, in allen Fragen mit Respekt behandelt und gleichberechtigt einbezogen zu werden. Als hauptsächliches Bedrohungsszenario sahen die Dokumente die Entwicklung in der unmittelbaren Nachbarschaft der Russischen Föderation. Angriffe auf die territoriale Integrität, territoriale Vorbehalte, ungeregelte Grenzfragen und Insta­ bilität im angrenzenden Ausland waren demnach die entscheidenden Gefahren, denen sich die Sicherheitspolitik der Russischen Föderation stellen mußte. »Die Sicherheit Rußlands hängt demnach zwar primär von der inneren Entwicklung ab, eine besondere Gefahr geht jedoch von bewaffneten Konflikten in den >unmittelbar benachbarten Staaten< aus. Als Bedrohungen gelten die Unterdrückung von russi­ schen Minderheiten im Ausland, der Überfall auf russische Streitkräfte in anderen Staaten sowie auf Streitkräfte von Verbündeten, territoriale und Grenzkonflikte sowie bewaffnete Provokationen, die Verstärkung von Truppen an der russischen Grenze, der Unterhalt von bewaffneten Gruppen auf dem Territorium anderer Staa­ ten, die zur Verlegung auf das Territorium der Russischen Föderation bestimmt sind, der Einmarsch ausländischer Truppen auf das Territorium angrenzender Staa­ ten (außer bei multilateraler Abstimmung), lokale Kriege in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen, Versuche einer Einmischung in die inneren Angelegenhei­ ten Rußlands und die Destabilisierung der innenpolitischen Lage Rußlands von außen.«458 Was die Reichweite der russischen Interessen anbelangt, so wurde eine deutliche Unterscheidung zwischen den GUS- und den mittelosteuropäischen Staa­ ten gemacht: Zu letzteren strebt man lediglich gegenseitig vorteilhafte Beziehun­ gen an. Diese Bedrohungsanalyse für die Russische Föderation war auch nicht aus der Luft gegriffen. Ethnische Konflikte und Vertreibungen waren in dieser Zeit eine nicht unerhebliche Belastung auch für die Russische Föderation selbst. »Die letzten zehn Jahre haben der UdSSR bzw. GUS mehr als 30 innere Zusammenstöße, Kon­ flikte geringerer Intensität und Kriege mit insgesamt rund 4 Mio. Flüchtlingen und fast 200000 Gefallenen gebracht. In den Kämpfen um Berg-Karabach sind auf bei­ den Seiten seit 1988 13000 Personen umgekommen, im Bürgerkrieg im mittelasiati­

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schen Tadschikistan 50000 (vorwiegend Zivilisten); im zu Moldova gehörenden Dnjestr-Gebiet gab es 1992 3000 Tote und 5000 Verwundete. Der Konflikt zwischen der Zentralregierung Georgiens und der um Abspaltung bemühten autonomen Republik Abchasien forderte 1992/93 20000 Tote... Nach Angaben des russischen Föderalen Migrationsdienstes wurden in Rußland 1,3 Mio. Flüchtlinge registriert, doch nach Schätzungen unabhängiger Experten hat die Zahl der Flüchtlinge be­ reits 4 Mio. erreicht. Der Karabach-Konflikt machte 1,2 Mio. Armenier und Aser­ baidschaner zu Flüchtlingen. 523000 Menschen verließen Tadschikistan, und 297000 Personen (v. a. Georgier) verließen freiwillig oder unfreiwillig Abchasien.«459 Russische Experten weisen in diesem Zusammenhang auch auf die Bedeutung der organisierten Kriminalität hin, die bei ethnischen Konflikten in der GUS eine entscheidende Rolle spielt. »Enrid Alajew, Professor am Institut für Ökonomie der Akademie der Wissenschaften Rußlands, vertritt den Standpunkt, daß es noch eine... Kraft gibt, die an Konfliktsituationen interessiert sei, nämlich das organi­ sierte Verbrechen. Tatsächlich haben Kriminelle am schnellsten jene Möglichkeiten erkannt, die sich aus den Konflikten ergeben, und konsequent hat die Kriminalität in Konfliktzonen drastisch zugenommen. Es steht fest, daß sich irreguläre bewaff­ nete Formationen auch aus Verbrechern rekrutieren.«460 Vor dem Hintergrund dieser Konfliktherde verlangte die >Konzeption der Nati­ onalen Sicherheit< Rußlands eine Vertiefung der Zusammenarbeit der GUS, da man auf diese Weise hoffte, ethnische Konflikte zu unterbinden, separatistische Ten­ denzen im Keim zu ersticken und Stabilität an den Grenzen der Russischen Föde­ ration zu schaffen.

2.2.2.1.3 Die Bedrohung der Russischen Föderation durch die Desintegration der GUS - die GUS als Einfallstor fremder Mächte Um diesem Krisenszenario jedoch Herr zu werden, erwies sich die GUS als voll­ kommen untaugliche Organisation. Gründe für das Scheitern der GUS als Instru­ ment der kollektiven Sicherheit waren hauptsächlich der durch die westliche Macht­ elite geförderte nationale Egoismus der postsowjetischen Republiken und das Bestreben ihrer neuen politischen Führung, zum einen Anschluß an die westlichen Bündnissysteme zu finden und zum anderen den russischen Einfluß selbst weitge­ hend zu schmälern. »Die Zusammenarbeit innerhalb der GUS wurde bald durch eine dominante nationale Interessenpolitik behindert... Entsprechend den neuen nationalen Interessenlagen kristallisierten sich in den ersten Jahren auf dem Terri­ torium der FSU (früheren Sowjetunion) drei regionale Orientierungen (Westen, Transkaukasus, Osten) heraus. In den Anfangsjahren dominierte in der GUS daher eine selektive Partizipation der einzelnen Mitglieder an Abkommen und führte zu einer Differenzierung und Regionalisierung der zwischenstaatlichen Beziehungen«, mit der Folge, daß in dieses Machtvakuum Nachbarstaaten und regionale Vormächte vorstoßen konnten.461 »Wegen der divergierenden nationalen Interessen haben die GUS-Abkommen in der Regel keine einheitliche Basis. Sie konnten daher ihre Funk­

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tion, den Zerfallsprozeß zu steuern oder einen neuen Integrationsrahmen zu schaf­ fen, nicht erfüllen.«462 Damit bot die GUS aufgrund ihrer inneren Gegensätze für benachbarte Mächte, aber insbesondere für die USA, die Möglichkeit, ein Einfallstor in das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion zu bilden, und zwar nicht nur in Richtung Osteuropa, sondern vor allem in das rohstoffpolitisch hochinteressante Zentralasien. Russi­ sche Geopolitiker sehen die zentralasiatische Region als ein Gebiet an, dem es an geopolitischer Autarkie fehlt. Zwar ist das Gebiet die größte Landmasse der Welt, hat aber keinen Zugang zum Meer und liegt abseits der globalen Handelsrouten. Dieses nachteilige geopolitische Potential, »das Schutz und Hilfe von außen erfor­ dert, erklärt das strategische Interesse, das externe Mächte von nah und fern an dieser Region haben. Der Interessenzusammenstoß zwischen globalen und regio­ nalen Mächten in diesem Teil Asiens erzeugt dort eine gefährliche Spannung«.463 Der russische Sicherheitsexperte Leonid L. Fituni beschreibt Zentralasien als eine Schnittfläche voneinander abweichender Interessen benachbarter Mächte, weshalb die Region auch als ein geopolitisches Spannungsfeld ersten Ranges angesehen werden muß: So gehen zum Beispiel »einige Beobachter davon aus, daß Pakistan Zentralasien in dieser Hinsicht als strategisches Bollwerk der islamischen Welt an­ sieht. Andererseits versuchen aber auch Iran und die Türkei, ihren Anteil am Ku­ chen abzubekommen. Moskau versucht zu verhindern, daß sich der Einfluß so­ wohl des türkischen Panturkismus als auch des iranischen Fundamentalismus weiter ausbreitet. Israel verfolgt, gestützt durch die große jüdische Gemeinde Bukharas, eine Politik präventiver Gespräche und Verhandlungen mit den zentralasiatischen Staa­ ten, um dem Einfluß des - wie Israel es nennt - muslimischen Fundamentalismus entgegenzuwirken. Die Aussicht, daß Israel - ähnlich wie in der Türkei - in Aser­ baidschan und Georgien eine Einflußzone in Zentralasien aufbauen könnte, beun­ ruhigt Teheran aufs äußerste. Rußland, die USA und China - die drei traditionellen Großmächte - engagieren sich alle in dieser Region. Diese ist bereits dabei, Rußland als größtem Handelspartner Pekings im zentralasiatischen Raum den Rang abzulau­ fen. Die strategischen Ziele Rußlands und Chinas in dieser Region sind ähnlich: Beide Mächte versuchen zu verhindern, daß sich der islamische Fundamentalismus und das Gedankengut des Panturkismus ausbreiten und zu einer realen Bedrohung für Sicherheit und Integrität dieser in Rußland beziehungsweise China von Moslems und Völkern türkischer Herkunft bewohnten inneren Regionen entwickeln«.464 Diese Entwicklungen kamen der US-amerikanischen Machtelite aber keinesfalls ungelegen, da diese durch die Desintegration der südlichen Peripherie der GUS längst die Chancen einer machtpolitischen Infiltration Zentralasiens erkannt hat. Leonid Fituni sieht dabei die Gefahr, daß die USA durch Instrumentalisierung des islamischen Fundamentalismus diese Durchdringung der russischen Interessens­ phäre wahrnehmen könnten. In diesem Zusammenhang verweist er auf die Aus­ führungen Zbigniew Brzezinskis, des Hauptvordenkers der antirussischen Geopo­ litik der USA, in seinem Buch Out of Control:465

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»Eine ganz signifikante Gewalt ist ein weiteres Potential in den erst seit kurzem emanzipierten muslimischen Ländern Zentralasiens... Genauso wahrscheinlich, und wohl noch wesentlich explosiver, ist die Möglichkeit ethnischer Grenzkonflikte und Unruhen in den Grenzgebieten unter den erst seit kurzem unabhängigen zentral­ asiatischen Staaten... Genauso wie die Natur das Vakuum verabscheut, ist es bereits jetzt ganz offensichtlich, daß auch ausländische Mächte, besonders die benachbarten islamischen Staaten, bestimmt bald versuchen werden, diese durch den Zusammen­ bruch der russischen Imperialmacht entstandene geopolitische Lücke zu füllen.« Eine solche Einflußnahme durch islamische Staaten ließe sich dann auch durch die USA steuern, um mit deren Hilfe Zugriff auf das zentralasiatische Erdöl und Erdgas zu nehmen, wie das Beispiel Afghanistan zeigt: »Trotz des vollständigen Abzuges der sowjetischen Truppen aus Afghanistan und der Spaltung der Sowjet­ union, die sich danach ereignete, werden militante Gruppen in Afghanistan nach wie vor, wie in den 80er Jahren, von Rivalen und Feinden Moskaus mit modernen Waffen und Munition versorgt. Die weitere Verstärkung des Einflusses solcher Kräfte stellt nicht nur für die zentralasiatischen Republiken, sondern auch für Ruß­ land... eine ernst zu nehmende Bedrohung dar. Dadurch läuft Moskau Gefahr, in unnötige Konflikte hineingezogen zu werden und seine ohnehin knappen Ressour­ cen zu verschwenden.«466 Fituni hebt dabei die hintergründige Rolle der USA und ihre Absichten hervor: »Strategen in Amerika sind der Auffassung, daß Afghanistan weiterhin ihre Haupt­ front gegen Rußland von Süden her sein könnte. Durch eine umfassende Kontrolle über das afghanische Gebiet könnten der Bau und der Betrieb von Öl- und Gas­ pipelines von den zentralasiatischen Republiken nach Süden und weiter auf die Weltmärkte ermöglicht werden, wodurch diese Staaten bei ihren Hauptexporten von Rußland unabhängig würden. Sollte sich in Afghanistan ein pro-amerikani­ sches Regime halten, könnte Washington ohne weiteres die Schaffung und Auf­ rechterhaltung ähnlicher Regime in den zentralasiatischen Republiken unterstüt­ zen. Stärkerer amerikanischer Einfluß in Zentralasien würde es den USA erlauben, Druck nicht nur auf Rußland, sondern auch auf andere Staaten auszuüben, die mit Moskau Zusammenarbeiten oder freundschaftliche Beziehungen unterhalten - In­ dien, China, Iran.«467 Solche Entwicklungen wiederum, so Leonid L. Fituni, eröffneten der amerikani­ schen Geopolitik die Möglichkeiten einer endgültigen Aufteilung des russischen Territoriums: »Dadurch würden weitere strategische Ziele erreicht werden, und zwar: - Sollten die Verbündeten der USA in Afghanistan und den nördlichen Teilen Südasiens die Oberhand gewinnen, könnte der Unruhegürtel weiter nach Norden ins Gebiet der ehemaligen Sowjetunion verschoben werden (was in Tadschikistan bereits teilweise erreicht ist). Moskau würde dann zumindest einen Teil seiner Aufmerksamkeit und Ressourcen von Europa, Transkaukasien und den Fern- und Nahostgebieten Rußlands nach Zentralasien lenken müssen.

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- Rußland wird völlig von Südasien und (mit einer zusätzlichen Anstrengung in Transkaukasien) vom Nahen Osten getrennt, Rußland verliert dadurch auf Dauer sein historisches Wirtschafts- und Verteidigungspotential in Zentralasien und Trans­ kaukasien. - Durch die Etablierung pro-amerikanischer Regime in den zentralasiatischen Republiken ergeben sich neue Möglichkeiten, verstärkt Einfluß auf die muslimi­ schen Republiken und die Regionen innerhalb der Russischen Föderation zu neh­ men, besonders im geopolitisch wichtigen Kernland entlang der Wolga (den Repu­ bliken Tatarstan und Baschkortostan) und im nördlichen Kaukasus. Dadurch wird der Weg geebnet für deren mögliche Aufgabe, Verletzung der territorialen Integrität und die endgültige Aufteilung des russischen Staates.«468 Diese Einschätzung Fitunis deckt sich mit den Analysen Brzezinskis, auf dessen Ausführungen er verweist. Der amerikanische Geopolitiker sieht nämlich vor dem Hintergrund einer derartigen Desintegration der GUS und dem dadurch ausgelö­ sten Vorstoß benachbarter islamischer Staaten in dieses Vakuum eine Chance zur Auflösung der russischen Staatlichkeit und einer Errichtung mehrer rußländischer Teilstaaten: »Darüber hinaus sollte auch die Möglichkeit bedacht werden, daß ein demokratisches Rußland der Auffassung ist, daß seine Machtbestrebungen selbst die Ursache für weiteren Zerfall sein könnten. Ein demokratisches Rußland würde, allein wegen der äußerst unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedin­ gungen in seinem sich über mehrere Kontinente ausdehnenden Staatsgebiet, eine ausgeprägte Dezentralisierung akzeptieren müssen. Das Beispiel der erfolgreichen Loslösung der nicht-russischen Nationen könnte einige Russen der oben genann­ ten Gebiete zu der Überlegung veranlassen, warum es nicht mehr als einen oder gar zwei russischsprachige Staaten geben sollte, genauso wie es ja auch mehr als einen deutschsprachigen oder einen englischsprachigen Staat gibt.«469 Dieses Bedrohungsszenario verstärkte sich noch dadurch, daß der Westen die Abtrennung des »weichen Unterleibes« der ehemaligen Sowjetunion aktiv unter­ stützte: »Der Westen förderte die Loslösung Zentralasiens von Rußland, indem er seine Hilfe abhängig machte von der völligen Trennung der Staaten sowohl unter­ einander als auch von anderen GUS-Staaten und der Schaffung einer kompletten Bandbreite unabhängiger Institutionen sowie unabhängiger monetärer, wirtschaft­ licher und politischer Systeme.«470 Dabei spielten die USA eine Vorreiterrolle, de­ ren Zielsetzungen - neben der langfristigen Auflösung des territorialen Zusam­ menhalts der Russischen Föderation - Leonid Fituni wie folgt beschreibt: »Die Interessen der USA in dieser Region umfassen: - Versuche, die zentralasiatischen Staaten vom verbliebenen russischen Einfluß abzutrennen, - viele Zonen von Instabilität im weichen russischen Unterbauch zu schaffen einem Krisenherd, der, falls erforderlich, Moskau vor viele Probleme stellen könn­ te -, um Moskau von seinen Aktivitäten in Europa abzulenken, - den Einfluß des Iran in dieser Region einzuschränken, dabei allerdings nicht

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zu verhindern, daß andere Kräfte des islamischen Fundamentalismus (z.B. die Ta­ liban) dort Fuß fassen können, die atomare Aufrüstung in dieser Region zu stop­ pen, um sich selbst die Möglichkeit offenzuhalten, die eigenen Interessen dort auch in Zukunft durchsetzen zu können.«471 Ein derartiges Machtvakuum in der GUS war deshalb für den Bestand der Rus­ sischen Föderation selbst eine unmittelbare Bedrohung. Wollte sie also die ihr dro­ hende territoriale Zersplitterung verhindern, so war sie selbst gegebenenfalls auch zu einer militärischen Intervention gezwungen. Aufgrund dieser Entwicklungen schließlich relativierte sich nämlich der Wert der von Rußland angeregten Abkom­ men zur militärischen Zusammenarbeit, »und es entstand Raum für machtvollere russische Interessenpolitik«,472 die aber aus Gründen der Existenzerhaltung auch notwendig war. Anstelle von gemeinsamen GUS-Verteidigungsabkommen gelang es Rußland schließlich - wenn auch mit erheblichen Abstrichen -, über bilaterale Abkommen mit einzelnen GUS-Republiken den Grenzschutz zu übernehmen. »Im Juli 1992 wurde ein Rat der GUS-Grenztruppenkommandeure ins Leben gerufen. Die Schaf­ fung dieses Organs war gleichbedeutend mit einem Verzicht auf die ursprüngliche Konzeption einheitlicher GUS-Grenztruppen. Die Entwicklung war in Moskaus Sinne. Im Gegensatz zu den anderen GUS-Staaten hatte die Russische Föderation nach dem Zerfall der UdSSR keine Gren zanlagen an ihren A ußengrenzen. Die hohen Kosten zur Errichtung solcher Anlagen und die nationalen Sicherheitsinteressen veranlaßten es, die Sicherung der GUS-Außengrenzen mit dem jeweiligen GUSNachbarn über eine Serie bilateraler Abkommen zu regeln.«473 Die Umsetzung die­ ser Abkommen aber gestaltete sich recht problematisch, und so kam es dazu, daß im Mai 1995 nur sieben Staaten das >Abkommen über Leitlinien zum Schutz der GUS-Außengrenzen< unterzeichneten.474 Ein weiteres Instrument war die Stationierung russischer Truppen auf dem Ge­ biet anderer GUS-Republiken: »Der russische Generalstabschef Michail Kolesni­ kov teilte am 28. Februar 1994 mit, daß Rußland auf der Grundlage von bilateralen Verträgen über 30 Militärstützpunkte auf dem Gebiet anderer GUS-Staaten mit Ausnahme der Ukraine und der baltischen Staaten errichten werde. Ende April 1994 erließ Präsident Jelzin eine entsprechende Direktive zum Aufbau einer >Zone der StabilitätSchachbrettfigur der USA< nicht verwirklichen konnte. Den Verzicht auf einen militäri­ schen Schlag gegen Armenien »begründete der türkische Premierminister Demirel, indem er darauf verwies, daß die Türkei in Armenien nicht auf Amerikaner..., sondern auf Rußland und die Rote Armee trifftAusfransen< des für die Einflußsicherung im Kaukasus strategisch wichtigen Aserbaidschan zu verhindern und sich - wenn auch unter dem Dachverband von GUS-Streitkräften - dort einen Stützpunkt zu verschaffen. Wie der Kaukasus-Experte Aschot Manutscharjan dar­ legt, trugen diese dazu bei, Aserbaidschan fester an Rußland zu binden.

2.2.2.1.5 Die konkreten Ausgangspunkte und Ziele russischer Geopolitik Das Beispiel dieses Konfliktherdes zeigt, daß es nicht >neoimperialistische< Absich­ ten waren, die Rußland zu Interventionen in GUS-Konflikten veranlaßten. »Ein wichtiger Faktor für die Reaktivierung der Großmachtpolitik Moskaus war das aktive Eingreifen äußerer Kräfte in der Region wie z.B. der USA, der Türkei und des Iran, die das von Moskau hinterlassene Vakuum ausfüllen wollten. Diese Be­

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Strebungen, die die Loslösung des Kaukasus von Rußland zum Ziel hatten, alar­ mierten die politische und militärische Führung in Moskau und nötigten sie, dem Kaukasus erhöhte Aufmerksamkeit zu schenken.«504 Vorher hatte die politische Führung keine konkreten politischen Pläne in bezug auf den Kaukasus, von einer aktiven Interessenpolitik konnte bis dahin nicht gesprochen werden. »Im ersten Jahr nach dem Zerfall der Sowjetunion existierte in Moskau kein politisches Kon­ zept, aus dem hätte hervorgehen können, welche Bedeutung Rußland dem Trans­ kaukasus in Zukunft beimessen will. Die Regierung in Moskau war nach der ruß­ ländischen Unabhängigkeitserklärung und der Installierung der GUS mit eigenen innen- und außenpolitischen Problemen beschäftigt, denen zunächst höchste Prio­ rität eingeräumt wurde. Dies erklärt, warum Moskau lange Zeit nicht direkt auf das Geschehen im Transkaukasus und in Mittelasien reagierte.«505 Durch die Versuche der USA und ihrer Verbündeten in der nah- und mittelöstli­ chen Region, in Zentralasien Fuß zu fassen und diese Region ihrer Vormachtsphäre einzugliedern, war Rußland gezwungen, eine Grundsatzentscheidung darüber herbeizuführen, »ob der Transkaukasus auch in Zukunft zur Sphäre der >lebens­ wichtigen Interessen< Rußlands gehören sollte oder nicht. Es stellte sich also mit anderen Worten die Frage, ob Rußland seine zweihundertjährige Herrschaft über diese Region als historisches Relikt ad acta legen und sich endgültig aus der Region zurückziehen sollte«.506 Vor diesem Hintergrund sollte sich auch nunmehr ein Wandel der geopoliti­ schen Prioritäten der Russischen Föderation vollziehen. Der damalige Außenmi­ nister Andrej Kosyrew begründete diesen Wandel »mit den lebenswichtigen Inter­ essen seines Landes, die vor allem vom >nahen Ausland< aus bedroht würden. Des weiteren wies Kosyrew darauf hin, daß es für Rußland sehr gefährlich sei, >ein Va­ kuum in dieser wichtigen Region zu hinterlassen, das zudem Rußland nicht freund­ lich gesinnte Kräfte< auszufüllen suchten«.507 Damit gewannen in zunehmendem Maß die Ideen eines geopolitischen Realismus an Boden, womit »die Grundlinien russischer Sicherheitspolitik klarer und weniger widersprüchlich« wurden.508 Das zentrale Ziel war ein starker Staat mit einer besonderen Rolle in der GUS,509 die so aussehen sollte, daß Rußland die Herstellung und dauerhafte Gewährleistung sta­ biler Verhältnisse im postsowjetischen Raum wahrnehmen wollte. »Konkret sollte diese Politik die maximale wirtschaftliche Zusammenarbeit der ehemaligen sowje­ tischen Republiken mit der militärischen Sicherung ihrer Außengrenzen verbin­ den.«510 Rußlands Rolle als Stabilitätsfaktor im postsowjetischen Raum würde dabei in einer Schutzmachtfunktion für die nationale und territoriale Autonomie der unab­ hängigen Republiken, also dem >nahen AuslandEinflußsphä­ ren< sind ein offenkundiger Anachronismus in der Weltpolitik und lediglich dazu angetan, die internationalen Beziehungen zusätzlich mit Spannung und Mißtrauen zu belasten.«521 Damit spricht Iwanow - ohne diese beim Namen zu nennen - die Strategie der USA und der NATO an, sich in der westlichen und südlichen Sphäre der GUS fest­ zusetzen. Bereits 1993 wurde die Idee erörtert, eine Ausweitung des transatlanti­ schen Bündnisses auf die Staaten Ostmitteleuropas und des Baltikums vorzuneh­ men. Ausgelöst wurde diese Debatte durch eine Rede des US-Präsidenten Clinton im April 1993, und »in der zweiten Jahreshälfte begann die Auseinandersetzung über die NATO-Osterweiterung in Europa. Im Oktober 1993 stellte US-Verteidi­ gungsminister Perry bei einem Treffen der NATO-Verteidigungsminister in Trave­ münde das Konzept der >Partnerschaft für den Frieden< als Vorstufe einer Integra­ tion respektive engen Zusammenarbeit der fraglichen Länder mit dem Atlantischen Bündnis vor. Bis Ende 1994 traten dieser >Partnerschaft< 23 Staaten Mittel-, Ostund Südosteuropas bei«.522 Diesem Vordringen des amerikanischen und des NATO-Einflusses stand auf breiter Front ein Rückzug Rußlands aus seiner traditionellen Hegemonialsphäre ge­ genüber. Insbesondere an der Peripherie der Russischen Föderation bildeten sich Bündnisse, deren Funktion in der Eindämmung russischen Einflusses zu sehen ist: »Während die GUS von Auflösungserscheinungen betroffen ist«, so Rußland-Ex­ perte Hannes Adomeit, »entstehen neue Strukturen politischer und in Ansätzen auch militärischer Zusammenarbeit. Ein wichtiges Beispiel hierfür ist die 1996 von Geor­ gien, Aserbaidschan und der Ukraine gegründete Union der Drei und deren Aus­ weitung 1997 - unter Einschluß Moldovas - zur GUAM und schließlich im April 1999, nach dem Beitritt Usbekistans, zur GUUAM.«523 Schon sehr frühr erlitt Rußland erhebliche strategische Einbußen im Baltikum: »Nach der Schließung der strategischen Frühwarn-Radarstation in Skrunda sind nun sämtliche militärischen Installationen Rußlands in den Baltischen Staaten auf­ gelöst und die russischen Truppen aus diesen Ländern abgezogen worden.«524 Am Ende dieser Entwicklung stand die NATO-Mitgliedschaft des Baltikums. Im westli­ chen Vorfeld unterhält Rußland praktisch nur mit Weißrußland Sonderbeziehun­ gen, deren langfristiges Ziel die Gründung eines Unionsstaates ist. Hoffnungen auf eine Reintegration der Ukraine jedoch dürften sich dauerhaft erledigt haben: »Wäh­

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rend eine Wiedereingliederung Weißrußlands in einen gemeinsamen Staatsverband zumindest denkbar ist, ist die Unabhängigkeit der Ukraine ein Faktum, an dem nicht mehr zu rütteln ist. Das hat sogar die Duma eingesehen, als sie im Dezember 1998 den >Vertrag über Freundschaft, Zusammenarbeit und Partnerschaft< ratifizierte. In dem Vertrag erkennt Rußland die Souveränität und territoriale Integrität der Ukrai­ ne an und gibt seine Ansprüche auf die Krim auf - ein wichtiges Zugeständnis, das auch in den Abkommen zur Aufteilung der Schwarzmeerflotte und der Pacht und Nutzung von Anlagen in Sewastopol (bei Wahrung ukrainischer Souveränität) sei­ nen Ausdruck findet. Damit ist Moskau von Vorstellungen abgerückt, einen Militär­ block unter Kontrolle Rußlands als Gegengewicht zur NATO zu schmieden.«525 Auch in Zentralasien war eine Verschiebung der Gewichte zu Lasten Rußlands eingetreten. Vor allem Usbekistan, der geopolitisch bedeutendste Staat der Region, strebte in den neunziger Jahren hier die Bildung von Gegengewichten zur Verrin­ gerung des russischen Einflusses an. Am deutlichsten aber hat sich Hannes Adomeit zufolge die geostrategische Lage Rußlands im Kaukasus verschlechtert. »Dies betrifft sowohl den Georgien, Aser­ baidschan und Armenien umfassenden Transkaukasus als auch den der Russischen Föderation zugehörenden Nordkaukasus. Über Tschetschenien hat Moskau praktisch die Kontrolle verloren, und von dort aus werden von islamischen Extremisten wie Schamil Bassajew und Salman Radujew die Errichtung einer Islamischen Republik Dagestan und die Befreiung des gesamten Nordkaukasus von der russischen >Fremdherrschaft< betrieben. Obwohl es grundlegende Unterschiede zwischen Tschetschenien und Dagestan gibt und die Wahrscheinlichkeit gering ist, daß es den Wahabiten gelingen könnte, einen eigenen Staat in Dagestan gegen russischen Wider­ stand durchzusetzen, wäre eine Destabilisierung dieses russischen Föderationsmit­ glieds ein empfindlicher Rückschlag für Moskau. Da nach dem Ende des Krieges in Tschetschenien Öl-Pipelines und Landtransportwege über Dagestan umgeleitet wur­ den, wären die Folgen für Moskau dramatisch, auch was die Verkehrsverbindungen in den Transkaukasus anbelangt.«526 Dabei hatte sich die geopolitische Situation auch in der transkaukasischen Region zuungunsten Rußlands entwickelt. Die USA überließen es zunächst ihrem wich­ tigsten Verbündeten in der Region, der Türkei, dieses Vakuum zu füllen und si­ cherheitspolitische Aufgaben in der kaukasisch-zentralasiatischen Großregion wahr­ zunehmen. Aber seit »Frühjahr 1997 hat die amerikanische Regierung wiederholt klargestellt, daß sie di e transkau kasische Region als zu r Sph äre des natio nalen Inter­ esses der USA gehörend betrachte. Um dieses Interesse zu unterstreichen, stattete der amerikanische Verteidigungsminister, William Cohen, Tiflis im August 1999 einen Besuch ab, in dessen Verlauf er den Beitritt Georgiens zur NATO für die Zukunft nicht ausschloß«.527 Diesen allmählichen Vorstoß des US-amerikanischen Einflusses insbesondere in den Schlüsselstaaten des Transkaukasus wie Georgien und Aserbaidschan hatte Moskau sehr wohl registriert, und tatsächlich zeichnete sich in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine amerikanisch-georgisch-ukrai­

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nische Zusammenarbeit ab, die eindeutig auf eine Schwächung der russischen Stel­ lungen ausgerichtet war. Alarmierend für Rußland war zum einen die von dem georgischen Staatspräsidenten wiederholt vorgetragene Forderung nach Beseiti­ gung der russischen Militärbasen im Lande und nach Übergabe der Grenzeinrich­ tungen an Georgien, obgleich Tiflis sich nicht imstande gezeigt hatte, die Sezessions ­ konflikte mit Abchasien und Südossetien dauerhaft beizulegen. Entscheidend war ferner »der Ausbau militärischer und sicherheitspolitischer Zusammenarbeit zwi­ schen Tiflis und Kiew bis hin zur ukrainischen Unterstützung des georgischen An­ spruchs auf einen Teil der Schwarzmeerflotte und der Übergabe eines Schnellbootes aus diesem Bestand an die georgische Marine sowie der Ausbildung georgischer Offiziere in der Ukraine« verbunden mit der Ausweitung der militärpolitischen Zusammenarbeit dieser beiden Staaten im Rahmen der GUUAM.528 Der deutsche Militärexperte Lothar Rühl bestätigt, daß das Vordringen der USA in den >weichen Unterleib< der ehemaligen Sowjetunion früher oder später zu ei­ nem Zusammenstoß mit russischen Interessen führen müsse. Insgesamt sei Ruß­ land an allen drei Fronten seiner strategischen Lage in Eurasien - Europa, dem Nahen und Mittleren Osten einschließlich Zentralasiens und Ostasien - in der Ver­ teidigung. Gerade die südliche Peripherie Rußlands zwischen Pakistan und der Türkei, die große Region des >weiteren Mittleren OstensRußland< bezeichnet«.537 Im Duma-Beschluß vom 15. März 1996 hob das Parla­ ment auf Initiative der kommunistischen Fraktion die am 12. Dezember 1991 vom Obersten Sowjet beschlossene Auflösung der Sowjetunion auf: Alle Beschlüsse, die aus der Auflösung der Sowjetunion folgten, sollten »in dem Maße korrigiert wer­ den, wie die Brudervölker auf dem Weg der Integration und der Einigung voran­ schreiten«. Der Präsident der Russischen Föderation wurde aufgefordert, sich für eine Vertiefung der Integration von Rußland, Belarus und weiteren GUS-Ländern einzusetzen.538 Auch wenn diesem Duma-Beschluß keine völkerrechtliche Verbind­ lichkeit und Wirksamkeit beigemessen werden kann (so der Völkerrechtler Theo­ dor Schweisfurth), so sollte doch in Betracht gezogen werden, daß bei dem von Gorbatschow am 17. März 1991 veranstalteten Referendum in den drei slawischen, den zentralasiatischen Unionsrepubliken sowie in Aserbaidschan 76 Prozent der Befragten sich für den Erhalt der UdSSR ausgesprochen hatten.

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Tatsächlich konnte Moskau im Wege von b ilateralen Verträgen in manchen Punk­ ten eine Verbesserung der Integration erreichen. »Die Moskauer Führung stützte ihre GUS-Politik durch ein Netz von bilateralen Verträgen mit den Einzelstaaten... Unter der Devise einer Integration nach unterschiedlichen Geschwindigkeiten wurden zwei neue Stufen der Annährerung geschaffen. Am 29. März 1996 schlos­ sen sich die Russische Föderation, Belarus, Kasachstan und Kirgistan zu einer Ge­ meinschaft Integrierter Staaten (GIS) zusammen, und am 2. April 1996 vereinten sich die Nachbarstaaten Belarus und Rußland in einer höheren Integrationsform zur Union der Gemeinschaft Souveräner Republiken.«539 Dabei ging es der Russi­ schen Föderation nicht darum, die Rechte der postsowjetischen Republiken in ir­ gendeiner Form zu beschneiden. Vielmehr hatte sie das Ziel, vor dem Hintergrund der obengenannten Bedrohungsszenarien einen einheitlichen militärstrategischen Raum aufrechtzuerhalten, wobei »nationale Interessensicherung und ihre Kontrolle für Moskau... im Vordergrund« standen.540

2.2.2.2 Das geopolitische Theorienmodell hinter der Integrationspolitik der GUS Dem Rußland-Experten Boris Meissner zufolge entwickelten sich nach 1991 grund­ sätzlich zwei Linien in der russischen Außenpolitik heraus.541 Zum einen handelt es sich um den bereits beschriebenen Proatlantismus, die sogenannte >romantische< Phase der russischen Außenpolitik. Nach dem frühzeitigen Ende dieser Epoche begann, wie ausgeführt, eine deutliche Bestimmung der geopolitischen Prioritäten dieses Staates, die von einem vom Westen unabhängigen russischen Sonderweg geprägt ist und sich über die konkrete geopolitische Lage Rußlands bestimmt. In diesem geopolitischen Denken wird der russische Staat nicht dem Westen oder dem Osten zugeordnet, vielmehr wird die russische Idee als eine von diesen Polen unabhängige Staatsidee eigener Art bestimmt, die sich >Eurasianismus< nennt. Atlantismus und Eurasianismus waren nunmehr die beiden Pole, zwischen de­ nen sich die Außenpolitik der Russischen Föderation entscheiden mußte. »Daher ist es zutreffend, wenn S. B. Stankewitsch, der politische Berater Jelzins, von zwei Linien in der russischen Außenpolitik - der atlantischen, die am Westen orientiert ist, und der eurasischen - gesprochen hat.«542 Die Linie des Eurasianismus sollte sich aber mit der Hinwendung zum geopolitischen Realismus ab dem Sommer 1992 durchsetzen. Wie oben dargestellt, kam es im Sommer 1992 »im Zeichen innen­ politischer Kräfteverschiebungen zu Kontroversen um den atlantistischen Kurs. Un­ ter den außenpolitischen Eliten etablierten sich allmählich der Neo-Eurasismus und der geopolitische Realismus als konkurrierende Konzepte«.543 Die Verbindung zwischen dem neuen geopolitischen Realismus und dem Eurasianismus ergibt sich daraus, daß beiden Denkrichtungen zufolge nicht Ideologie, sondern die konkrete geographische Lage eines Staates Maßstab für seine außenpolitische Richtungsbe­ stimmung sein müsse. Beiden Denkschulen war zudem gemein, daß eine Zusam­ menarbeit mit dem Westen grundsätzlich nicht abgelehnt wird. Vielmehr jedoch

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müsse auch die östliche Ausrichtung angestrebt werden, um ein neues Gleichge­ wicht zwischen Ost und West zu erreichen.

2.2.2.2.1 Die eurasische Konzeption Aufgrund ihrer überaus starken Bedeutung f ür die Definition der russischen Außen­ politik soll die Konzeption des Eurasianismus in ihren Grundlagen und Doktrinen vorgestellt werden. Die Ursprünge der Theorie des Eurasianismus liegen in dem Streit der Slawo­ philen mit den westlich ausgerichteten Geisteswissenschaftlern. Entstanden ist sie als geistesgeschichtliche und politische Konzeption in den zwanziger Jahren in den Kreisen der vor dem Bolschewismus geflohenen russischen Intelligenz. Als Entste­ hungszeitpunkt des Eurasianismus gilt das Jahr 1921, in dem in Sofia der program­ matische Sammelband Aufbruch nach Osten erschien. »Er enthielt Beiträge von den vier Gründungsmitgliedern der Gruppierung, die sich für kurze Zeit im bulgari­ schen Exil zusammengefunden haben.«544 Petr N. Sawizki, Petr P. Sywtschinskij, Georgij, Florovski und Nikolaj S. Trubetzkoj waren ihre Hauptvertreter. Mit ihrem Buch Aufbruch nach Osten haben sie den Versuch unternommen, ein Modell der russischen Identität zu enwickeln, »mit dem sie Rußland vor dem Bolschewismus ebenso wie vor dem Diktat des westlichen Universalismus retten wollten. Das eur­ asianische Bild von Rußland grenzt dieses doppelt von Europa ab: Es zeigt Ruß­ land als kulturhistorisch von Westeuropa verschieden und im Gegensatz zu einem individualistischen und nationalistischen Europa als die eindeutig bessere Alter­ native«.545 Der Platz Rußlands in der Weltordnung - kulturell wie (geo)politisch - war zwi­ schen den Koordinaten Ost und West zu finden, wobei die Besonderheit der russi­ schen geistigen Kultur besonders hervorgehoben wurde. Sawizki zum Beispiel ent­ warf ein neues geographisches und historisches Verständnis Rußlands: Rußland war als Kern Eurasiens zu bestimmen. »Der Begriff >Eurasien< sei >geographischer< Herkunft. Dort, wo die bisherige Geographie zwei Kontinente sah - Europa und Asien -, unterschieden die Eurasier noch einen dritten, einen mittleren Kontinent Eurasien, dessen Zentrum von Rußland eingenommen wird. Eurasien sei aber nicht nur ein geographischer Begriff. So wie wir Europa und Asien eine besondere Kul­ tur zuschreiben, besäße auch Eurasien und damit auch Rußland eine eigenständige Kultur, in die Elemente verschiedener Kulturen eingehen: die byzantinische Kul­ tur, asiatische Elemente (z.B. der Mongolen und Turkvölker) und natürlich auch die europäische Kultur, die die russische beeinflußt hat. Es entstand eine eigen­ ständige Kultur, die nicht auf ein Element - z.B. die europäische Kultur - reduziert werden darf.«546 Damit kommt der eurasischen Kultur eine eigenständige, von den Volks- und Nationalkulturen von Ost und West losgelöste Identität zu. In Übereinstimmung mit den Doktrinen des britischen Geopolitikers Halford Mackinder wird Eurasien als das »Herzland« angesehen, als eine »besondere Kul­ turzone, die auf der Verbindung der Ostslawen mit den >TuraniernKosmopolitismus< mit seinem universalistischen Anspruch, der auf eine Beein­ flussung des russischen Volkes gerichtet ist, ist für Graf T rubezkoj nur ein >gemein­ samer romanisch-germanischer ChauvinismusDritter Weg< zwischen Slawophilen und Westlern - die Bedeutung des Raumes für die kulturell-politische Einheit Eurasiens Prägend für den Eurasianismus war dabei die Auseinandersetzung über das Zu­ sammenspiel von Kultur und Raum in der russischen Geschichte, was wiederum die Bedeutung des Eurasianismus für die russische Geopolitik unterstreicht. Die Westler, als deren erster Vordenker Petr Caadaev angesehen werden muß, betrach­ teten die Weite des russischen Raumes als hinderlich für die Entwicklung einer russischen Kultur. In ihren Augen galt die russische Kultur als nicht verwurzelt, als schwankend und flüssig, vergleichbar mit der der asiatisch-skytischen Noma­ denwelt. Rußland wurde von den Westlern als kuturelle »Leerstelle« angesehen, die dem »gemeinsamen Gesicht« der europäischen Kulturwelt gegenüberstünde. In diesem Zusammenhang kommt Caadaev auch auf den Zusammenhang zwi­ schen Kultur und territorialer Expansion zu sprechen: »Damit man uns überhaupt bemerkte, mußten wir uns ausdehnen von der Beringstraße bis zur Oder.« Das sei der einzige Grund, warum Rußland doch noch in die Geschichte eingehen konnte: »Es gibt ein Faktum, das unseren Marsch durch die Jahrhunderte beherrscht das unsere gesamte Geschichte durchzieht, das... ein wesentliches Element unserer Größe darstellt und zugleich der Grund unserer geistigen Machtlosigkeit ist: Es ist das geographische Faktum.« In die gleiche Richtung ging ein weiterer Vertreter der Westler, Sergej Solowjew. Auch er sah in dem »Überfluß« an Raum ein Grundproblem der russischen Ge­ schichte: »Die Möglichkeit, gesellschaftliche Probleme >räumlich< zu lösen, das heißt

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durch bloße Verlagerung vor ihnen zu fliehen, hemme den Fortschritt der Zivilisa­ tion in Rußland, wohingegen dieser im Westen durch räumliche... Enge beschleu­ nigt werde.«550 Die Slawophilen wiederum verkleinerten die Bedeutung des Raumes und der Geographie zugunsten der Kultur. Ihrem Denkansatz zufolge lag die Zukunft der Weltkultur bei den historisch und kulturell »jungen« orthodoxen Slawen, deren zentraler kultureller Wert mit dem Begriff >sobornost< beschrieben wird, einem Auf­ gehen des Individuums im Kollektiv, das in der Gesellschaftsordnung zum Bei­ spiel der >ObschtschinaEuropa< sei kein geographischer, vielmehr ein kultur­ historischer, und in der Frage nach der Zugehörigkeit Rußlands zu Europa komme der Geographie nicht die geringste Bedeutung zu.551 Bei den Geistesströmungen ist gemeinsam, daß sie von einem Gegensatz zwi­ schen Kultur und Raum ausgehen oder die Wechselwirkung zwischen beiden Fak­ toren für die Entwicklung einer eigenen kulturellen und auch geopolitischen Iden­ tität Rußlands verkennen. Wie Susanne K. Frank treffend schildert, gingen die Eurasier im Vergleich zu den Slawophilen eine entgegengesetzte Richtung, indem sie die kulturelle Einheit Eurasiens geographisch begründeten, wofür man den Be­ griff >Geokultur< ins Feld führen könnte. Aus eurasischer Sicht schließlich ist der Raum selbst der Motor der Geschichte: Sawizki »erklärte die Grenzziehung zwi­ schen Europa und Asien am Ural aus geographischer Sicht für nichtig. Der Ural stelle keine >natürliche< Grenze dar. Vielmehr gebe es eine klimatische und botani­ sche kontinentale Einheit Eurasien, die durch ein in Nord-Süd-Richtung angeord­ netes Zonensystem gegliedert sei. Diese Einheit, die für ihn mit Rossija, dem Russi­ schen Reich, identisch ist, stellt er mithilfe des Kriteriums der Vegetationszonen als >besondere geographische WeltSam­ meln der Länder< bezeichneten Eroberung der tatarischen Khanate und der folgen­ den Kolonisation Sibiriens den Grundstein für das von den Eurasiern bezeichnete »Rußland-Eurasien« gelegt habe.554

2.2.2.2.1.2 Eurasianismus als Alternative zum Universalanspruch des Westens - raumgebundede Verortung gegen westlichen Internationalismus »Im Gegensatz zu früheren... Gruppierungen«, so Susanne K. Frank, »begann der Eurasianismus die Darstellung eines von >Europa< differenten Rußlands mit einer ganz speziellen Kritik des Westens - mit einer Kritik der westlichen Perspektive auf die Welt...«555 In seinem 1920 erschienenen Buch Europa und die Menschheit kritisierte Trubetzkoj »den >Europazentrismus< etwa der europäischen Geschichts­ philosophie, die eine lineare Entwicklung aller Kulturen der Welt entlang eines von ihr festgesetzen Fortschrittsmaßstabes annahm und danach die europäische Zivilisation als höchste evolutionäre Stufe ansah«. Infolgedessen wurde auch die Verwestlichung Rußlands durch die Reformpolitik Peters des Grossen als Selbst­ entfremdung durch Selbstkolonisation abgelehnt. Dieser Prozeß habe eine russi­ sche Selbsterkenntnis verhindert. »Diese sei jedoch nötig, um zu gewährleisten, was Trubetzkoj als höchsten kulturellen Wert veranschlagte: die Originalität jeder einzelnen Nationalkultur, deren freie Entfaltung gegen jeden fremdkulturellen Hegemonieanspruch gerichtet werden müsse. Kosmopolitismus oder Internatio­ nalismus verurteilte Trubetzkoj daher als chauvinistische Versuche insbesondere der europäischen Kultur, Herrschaft über andere zu gewinnen und fremde National­ kulturen auszulöschen.«556 Gemeinsam war den Vertretern der eurasianischen Denkschule die Ablehnung des eindimensionalen westlichen Forschrittsdenkens. Sie setzten ihm ein Alternativ­ modell entgegen, das von der geographischen Gebundenheit und Bedingtheit von Kultur ausgeht, wobei jeder Kultur eine schöpferische Individualität innewohne. Trubetzkoj sprach hier von einem »Gesetz der Parikularisierung« als Ursache einer grundsätzlichen Vielzahl von Kulturen. Trubetzkoj »klagt den westlichen Univer­ salismus, das Streben nach einer >allgemein menschlichen Kulturturanische Sprachbundgroßen Rei­ chen< kopieren wollten, indem sie nach staatlicher Unabhängigkeit strebten. Dies habe nur einen an die Grenzen des >Lächerlichen< gehenden - um einen heutigen Begriff zu verwenden - Sezessionismus zur Folge, in dem die kleinen Ethnien eben­ falls ihre Originalität verlören.«559 Trubetzkoj stellt diesem die Idee eines sogenannten »wahren« Nationalismus gegenüber, »der prinzipiell friedliebend und tolerant gegenüber der nationalen Eigenständigkeit der anderen Nationen sowie gegenüber der ethnischen Eigenart anderer Mitglieder der eigenen Nation sei, der auf Erkenntnis der eigenen nationa­ len Besonderheit ausgerichtet sei und niemand anderen imitieren wolle. Nur so werde ein friedliches Zusammenleben und ein echter Austausch kultureller Werte unter der Bedingung geg enseitiger Anerkennung möglich. S eit P eter dem G rossen... habe Rußland, mit dem Westen wetteifernd, auch dessen Nationalismus nachge­ ahmt. Eine Folge dessen sei auch die russische Kolonialpolitik mit ihren Russifizie­ rungsbestrebungen gewesen. In der Absicht, die europäische Zivilisierungsmission auf dem Gebiet des Russischen Reichs voranzutreiben, habe Rußland neben seiner eigenen kulturellen Originalität auch die der zu Rußland »gehörendem kleinen Völker unterdrückt«.560 Dieses Modell Trubetzkojs - von Susanne K. Frank als »imperialer Nationalis­ mus« bezeichnet - besteht also im wesentlichen darin, die politische Einheit Eura­ siens auf der Grundlage der Originalität einer jeden Ethnie als programmatisches Gegenmodell zum Universalanspruch des Westens zu sichern. Allerdings hatte Tru­ betzkoj keine konkreten Pläne für den Aufbau eines eurasischen Staates geliefert. An diese Überlegungen knüpfte die eurasische Denkschule nach dem Zusam­ menbruch der Sowjetunion wieder an. J. Malaschenko formulierte hier beispiels­ weise die Ansicht, daß Rußland nie ganz europäisch werden könne, weil es nicht bloß ein Land, sondern ein ganzer »ethnokultureller Kontinent« sei. »Die Schaf­ fung von nationalen Staaten nach europäischem Vorbild wäre verhängnisvoll, schon wegen der außerhalb der Grenzen ihrer Republiken lebenden Menschen, beson­

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ders der Russen. Das Ziel müßte ei ne >po lyethnische Gemeinschaft< sein, die >Eura­ sische Gemeinschaft< genannt werden könnte.«561 Wesentliches Element des Eurasianismus ist der Versuch, insgesamt ein Gegen­ modell zum westlichen Universalanspruch zu konstruieren, das Raumgebunden­ heit, raumpolitische Einheit und Bewahrung der Originalität der Kulturen dieses Raumes miteinander in Übereinstimmung bringen möchte. Gerade im Zeitalter der Globalisierung, in der westliche Geopolitiker wie Samuel Huntington eine Zwei­ teilung der Weltordnung im Sinne von >the West versus the Rest< zu erkennen glau­ ben und in der das westlich-atlantische Gesellschafts-, Staats- und insbesondere Wirtschaftsmodell zum planetarischen Ordnungsprinzip erhoben werden soll, scheint in einflußreichen russischen Denkfabriken die Entwicklung eines kontinen­ talen Gegenmodells heute das Gebot der Zeit zu sein. Deshalb »erlebt der Eurasianis­ mus seit einigen Jahren in Rußland eine... Renaissance als defensive geopolitische Ideologie, die Rußland durch Allianzen mit sämtlichen Agenten eines kulturellen >Ostens< wieder zum wichtigsten Kontrahenten des >Westens< machen will«.562

2.2.2.2.1.3 Eurasianismus als geopolitisches Gegenmodell auf der Grundlage der Ideengänge Carl Schmitts Die urspünglichen Eurasier wie Trubetzkoj oder Sawizki haben Eurasien nicht aus­ drücklich als geopolitischen Begriff behandelt. Dies blieb zunächst allein den Theo­ retikern des angelsächsischen Weltherrschaftsmodells vorbehalten. Hier war es wie oben ausführlich dargestellt worden ist - der britische Gelehrte Halford Ma­ ckinder, der sich der geopolitischen Bedeutung des Begriffs >Eurasien< annahm. In dem eurasischen Manifest Aufbruch nach Osten war es lediglich Sawizki gewesen, der die geopolitische Diskussion des Westens aufnahm und diese für die Denk­ schule der Eurasianer fruchtbar zu machen versuchte. In seinem Beitrag KontinentOzean. Rußland und der Weltmarkt legte er dar, daß sich der eurasische Kontinental­ raum als zweiter in sich geschlossener wirtschaftlicher Tauschzirkel als Welt neben dem maritimen Weltmarkt gründen solle. Weitere geopolitische Analysen und Schlußfolgerungen wurden aber nicht getroffen: »Bei aller Nähe in Hinblick auf die Festsetzung geographischer und geokultureller Einheiten stellen geopolitische Über­ legungen für die Eurasianer offensichtlich ein Tabu dar.«563 Sawizki und die ande­ ren Eurasianer der ersten Stunde »konzentrierten sich ausschließlich auf RußlandEurasien als >besondere/einzigartige geographische Welt< und dachten so gut wie nie über seine Grenzen hinaus«.564

2.2.2.2.1.3a Die Bestimmung des Hauptfeindes zur Definition der eigenen politischen Identität Rußlands Erst nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und angesichts der Bestrebungen der USA, das >unipolare M oment< au szunutzen, um sich als globale Führungsmacht in Stellung zu bringen, wurde in der Außenpolitik der Russischen Föderation der

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Eurasianismus erstmals als geopolitische Größe bestimmt und als Gegenmodell dem angelsächsischen Universalanspruch entgegengesetzt. Die Neuentwicklung einer eurasischen Geopolitik nach dem Ende der Sowjet­ union setzte zunächst einmal die Erkenntnis voraus, welche Bedeutung die Ent­ wicklung seit 1990 für Rußland selbst haben sollte. George F. Kennan trifft durch­ aus den Punkt, wenn er schreibt, »daß der Zusammenbruch des Sowjetsystems auf die bedingungslose Kapitulation hinausläuft, die wir ins Auge faßten, freilich eine - wenn man so will - unbeabsichtigte, aber dennoch eine veritable Kapitulation«,565 und zwar eine Kapitulation vor der universalistischen Seemacht USA. Der Vater der antirussischen US-Geopolitik, Zbigniew Brzezinski, beschreibt diese Beurteilung noch ausführlicher: »Dies ist ein Ergebnis, das historisch nicht weniger einschneidend ist als die Niederlage des napoleonischen Frankreich im Jahre 1815 oder die des global ambitionierten deutschen Kaiserreichs von 1918. Im Unterschied zum Westfälischen Frieden, der 1648 den Dreißigjährigen Krieg mit dem konfessio­ nellen Kompromiß >cuius regio - eius religio< beendete, zeitigte es kein solches Resultat; eher gleicht das Ende (der Sowjetunion, der Verf.) den Entscheidungen von 1815 oder 1945, zumal unter dem Gesichtspunkt doktrinärer Kämpfe, denn gerade auch die Ideologie der unterlegenen Seite wurde in der Wende von 1989 verworfen. Geopolitisch gemahnt dieser Ausgang an 1918, insofern auch das wil­ helminische Kaiserreich nach seiner Bitte um Waffenstillstand in einen rasanten Prozeß des Zusammenbruchs geraten war. Wie bei der damaligen Beendigung des Krieges gab es auch 1989 ff. ein Moment von Kapitulation, gefolgt von innenpoliti­ schen Umbrüchen im unterlegenen Staat bzw. System. Dieses Moment trat am 19. November 1990 unübersehbar zutage, als auf einer Pariser Geheimsitzung... der letzte Sowjetführer, Michail Gorbatschow, die Bedingungen der Sieger des Kalten Krieges akzeptierte. In elegant kaschierenden Wendungen beschrieb er die Rekon­ struktion Deutschlands und machte sich diesbezüglich die Bewertung des Westens zu eigen, indem er sie als >ein bedeutendes geschichtliches Ereignis< würdigte. Dies war das funktionale Äquivalent zu den kapitulationsartigen Verhandlungen in jenem Zug­ abteil im Wald von Compiègne, wo das Hohenzollernreich 1918 die Waffen streckte, ver­ gleichbar auch dem Kapitulationsakt auf dem Deck des Schlachtschiffs >Missouri< im Au­ gust 1945, als das japanische Imperium sich zur bedingungslosen Kapitulation bereitfand.«566 Es stellte sich für Rußland die Frage, ob es sich den USA und der von ihnen ange­ regten und durchgesetzten >Neuen Weltordnung< unterwerfen oder statt dessen versuchen sollte, die Krise zu nutzen, einen eigenen Weg zu definieren und diesen auch durchzusetzen. Genau dieses »zunehmende Konfrontiertsein Rußlands mit den Zumutungen dieser westlich-liberalen >Neuen Weltordnung< hat dort zu einer lebhaften Rich­ tungsdebatte über den zukünftigen Weg Moskaus geführt«.567 Hierbei waren es vor allem Denker wie J. M alaschenko, E. Posdnjakow und insbesondere Alexander Dugin, welche sich die Lehren der Geopolitiker Friedrich Ratzel, Rudof Kjellen, Halford Mackinder, Nicholas Spykman, Zbigniew Brzezinski und vor allem auch

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des deutschen Staats- und Völkerrechtlers Carl Schmitt zueigen machten und auf deren Grundlagen ein Gegenkonzept zur >Neuen Weltordnung< unter dem Diktat Washingtons entwickelten. Kurz gesagt, es kam für Rußland darauf an, eine - um einmal die berühmt gewordene Formel Carl Schmitts zur Umschreibung des >Be­ griffs des Politische< zu gebrauchen - Unterscheidung von Freund und Feind zu treffen. Die Bedeutung der Ideengänge des Staatsdenkers Carl Schmitt für die gegen­ wärtige Lage Rußlands beschreibt der Vordenker des Neo-Eurasianismus in Ruß­ land, Alexander Dugin, wie folgt: »Für Rußland ist das Denken Carl Schmitts von besonderem Interesse und größter Bedeutung, in erster Linie hinsichtlich seiner herausragenden Analyse des Staatsnotstandes bzw. der Ausnahmezustände, als auch im Hinblick auf unsere derzeitige Situation, näherhin die Notwendigkeit, zu einer Entscheidung zu kommen, auf welche Weise der Fortbestand unseres Volkes, der russischen Nation, gesichert werden kann. Politische Existenzform hat ein Volk nur, insofern es sich als unabhängige politische Gemeinschaft willentlich konstitu­ iert und in der konkreten Umsetzung seines Entschlusses als eine solche struktu­ riert. Dabei ist es unvermeidlich, daß es anderen politischen Entitäten gegenüber­ tritt, um die (kulturelle) Besonderheit des eigenen Gemeinwesens zu wahren.«568 Als Grundmodell hierfür sollten nach den Theorien Dugins die Lehren Carl Schmitts vom Ausnahmezustand und vom Begriff des Politischem dienen, denn die russische Nation befand sich »in einer Notstandsperiode, die nach einem ge­ meinsamen existentiellen Wahlakt verlangt, nach einer grundlegenden Entschei­ dung«569 über die künftige Existenz Rußlands. Gerade vor dem Hintergrund der von den USA diktierten >Neuen WeltordungNation-Building< auch realisiert werden soll,570 fordern die Neo-Eurasianer unter Berufung auf Carl Schmitt als Gegenmodell die Anerken­ nung einer jeden politischen Einheit als eigenständigen Wert, der sich gerade aus ihrer Existenz selbst ergibt: »Jede existierende politische Einheit hat ihren Wert und ihre >Existenzberechtigung< nicht in der Richtigkeit oder Brauchbarkeit von Nor­ men, sondern in ihrer Existenz. Was als politische Größe existiert, ist, juristisch be­ trachtet, wert, daß es existiert. Daher ist ihr >Recht auf Selbsterhaltung< die Voraus­ setzung aller weiteren Erörterungen; sie sucht sich vor allem in ihrer Existenz zu erhalten, >in suo esse perseverare< (S pinoza); sie schützt >ihre Existenz, ihre Integri­ tät, ihre Sicherheit und ihre Verfassung< - alles existentielle Werte.«571 Schmitt führt weiter aus: »Solange ein Volk in der Sphäre des Politischen exi­ stiert, muß es... die Unterscheidung von Freund und Feind selber bestimmen. Darin liegt das Wesen seiner politischen Existenz. Hat es nicht mehr die Fähigkeit oder den Willen zu dieser Unterscheidung, so hört es auf, politisch zu existieren. Läßt es sich von einem Fremden vorschreiben, wer sein Feind ist und gegen wen es kämp­ fen darf oder nicht, so ist es kein politisch freies Volk mehr und in einem anderen

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politischen System ein- oder untergeordnet... Dadurch, daß ein Volk nicht mehr die Kraft oder den Willen hat, sich in der Sphäre des Politischen zu halten, ver­ schwindet das Politische nicht aus der Welt. Es verschwindet nur ein schwaches Volk... Wenn ein Staat sich unwillig oder unfähig erweist, im Ausnahmezustand diese Entscheidung zu treffen, läuft er unvermeidlich Gefahr, daß andere Mächte sie an seiner statt fällen und ihre eigenen Normen durchsetzen.«572 Schmitt schlußfolgert denn auch, daß ein Gemeinwesen, das zur Definition der eigenen Identität und im Ernstfall ihrer Verteidigung nicht mehr willens ist, Ge­ fahr läuft, zu einem Protektorat einer anderen Macht zu werden, die dieses Vaku­ um füllt: »Wen n ein Vol k die Mühen oder d as Risiko der politischen Existenz fürch­ tet, so wird sich eben ein anderes Volk finden, das ihm diese Mühen abnimmt, indem es seinen >Schutz gegen äußere Feinde< und damit die politische Herrschaft übernimmt; der Schutzherr bestimmt dann den Feind, kraft des ewigen Zusam­ menhangs von Schutz und Gehorsam.«573 Aufgrund der Tatsache, daß das Wesen des Politischen Carl Schmitt zufolge in dem höchsten Intensitätsgrad einer Assoziation und Dissoziation, einer Verbindung und Trennung von Menschen liegt, ist die Welt zwangsläufig als ein Pluriversum souveräner politischer Einheiten zu definieren: »Aus dem Begriffsmerkmal des Politischen folgt der Pluralismus der Staatenwelt. Die politische Einheit setzt die reale Möglichkeit des Feindes und damit eine andere, koexistierende, politische Einheit voraus. Es gibt deshalb auf der Erde, solange es überhaupt einen Staat gibt, immer mehrere Staaten und kann keinen die ganze Erde und ganze Menschheit umfassenden Welt>staat< geben. Die politische Welt ist ein Pluriversum, kein Uni­ versum.«574 Gerade vor dem Hintergrund, daß die US-amerikanische Machtelite den Zusam­ menbruch der Sowjetunion als eine bedingungslose Kapitulation vor dem univer­ salen amerikanischen Machtanspruch auslegt, fordert Alexander Dugin nunmehr, daß diese Erkenntnisse Carl Schmitts über das Wesen des Politischen für die Stan d­ ortbestimmung des russischen Volkes dienstbar gemacht werden: »Nur wenn das russische Volk sich selbst bejaht und in diesem dramatischen Abschnitt seine historische Wahl trifft, nur wenn es zu eigener Freund-Feind-Un­ terscheidung fähig sein wird, indem es seine politische Selbstbejahung aus einem genuin russischen Geschichtsbild gewinnt, nur dann wird diese wichtigste Grund­ entscheidung eine authentische, historisch folgerichtige und für seine Fortexistenz fruchtbare sein. Sie stünde doch dann in der Kontinuität der tausendjährigen Ge­ schichte des russischen Volkes bzw. seiner staatlichen Verfaßtheit. Würde andern­ falls die politische Entscheidung von fremden Faktoren dominiert, so z.B. durch die USA in der Verkleidung jener dubiosen Ideologie eines Pseudo-Universalis­ mus, den man nordamerikanischerseits mit Macht als einzige legitime Weltanschau­ ung zu verbreiten sucht, um die >Neue Welt-Ordnung< plausibel zu machen, so könnte von einer Zukunft Rußlands keine Rede mehr sein, es gäbe eine solche nicht mehr. Volk, Staat und Nation wären in Frage gestellt, die autochthone Deutung der

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Von links: Graf Nikolai S. Trubetzkoi, Carl Schmitt und der Theoretiker des Eurasianismus, Alexander Dugin.

Jewgeni Maximo­ witsch Primakow. Der in Kiew ge­ borene promo­ vierte Orientalist wurde 1989 Mit­ glied des Zentral­ komitees der KPdSU. Unter Jelzin stieg er zum Außenmini­ ster auf, bevor er im September 1998 zum russi­ schen Minister­ präsidenten beru­ fen wurde. J. Primakow war sogar als Staats­ oberhaupt im Gespräch.

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Vergangenheit verlöre ihre Überzeugungskraft: das Drama der russischen Geschich­ te verwandelte sich nach der Ära der Blockkonfrontation im Kalten Krieg in eine Tragödie der Willfährigkeit gegenüber den Ansprüchen der US-amerikanischen NWO (Neue Welt-Ordnung, der Verf.), in das Trauerspiel der Verunmöglichung einer selbstbestimmten Zukunft Rußlands.«575 Der Gegensatz zwischen einem Pluriversum selbstbestimmter souveräner poli­ tischer Einheiten und dem atlantischen Universalismus ist nach Dugin das Span­ nungsfeld, dessen sich die russische Nation bewußt sein muß, wenn sie ihre politi­ sche Identität bestimmen will. Hierbei handelt es sich für sie um eine existentielle Schicksalsfrage, zumal sich immer deutlicher erweist, daß die US-amerikanische Neue Weltordnung eine Ordnung der Entsouveränisierung und Entstaatlichung darstellt: In den Planungsstäben der USA wird mittlerweile laut über »Alternati­ ven zur Souveränität« nachgedacht. So spricht der bereits erwähnte Stephen D. Krasner, Professor für Internationale Beziehungen und seit Februar 2005 >Director of Policy Planning< im State Department, davon, daß das Prinzip der Nichteinmi­ schung in innere Angelegenheiten der Nationalstaaten nicht mehr funktioniere. Deshalb müsse die bisherige politische Ordnung, die auf dem Prinzip der Souverä­ nität der Staaten aufbaue, beseitigt werden: »Der herkömmliche Souveränitätsbe­ griff setzt eine Welt selbständiger, international anerkannter und stabil regierter Staaten voraus. Die grundlegenden Regelungen der konventionellen Souveränität - Anerkennung rechtlich unabhängiger territorialer Einheiten und Nichteinmi­ schung in die inneren Angelegenheiten - werden nur selten in Frage gestellt, ob­ wohl in der Praxis häufig gegen sie verstoßen wurde. Doch diese Regeln funktio­ nieren nicht mehr, ihre Unzulänglichkeiten haben eine Reihe negativer Konsequenzen.«576 Damit sich die Neue Weltordnung unter amerikanischer Führung vollkommen verwirklichen lasse, sei gegebenenfalls ein >Aussetzen< des Souveränitätsprinzips erforderlich. Schließlich komme dann den USA die Rolle zu, in unbotmäßigen, >ge­ scheiterten< Staaten einzugreifen, eine geeignete Regierung auszusuchen, einzu­ setzen und nach allen Kräften zu unterstützen, damit diese Staaten dann in das amerikanische Weltordnungssystem eingegliedert werden können: »Soll in geschei­ terten, scheiternden und besetzten Staaten eine ordentliche Regierungsgewalt ab­ gesichert werden, sind neue institutionelle Formen notwendig, welche die Prinzi­ pien der Westfälischen Souveränität für einen unbegrenzten Zeitraum einschränken. Geteilte Souveränität als Vereinbarung, wonach Einzelpersonen, die von internatio­ nalen Organisationen, mächtigeren Staaten oder ad-hoc-Gebilden ausgewählt wur­ den, sich mit nationalen Kräften die Entscheidungsgewalt über einige Aspekte der inneren Souveränität teilen, wären eine nützliche Ergänzung des politischen Re­ pertoires.«577 Krasner spricht sich sogar für die Errichtung neokolonialer Strukturen aus: »In anderen Fällen könnten internationale Vermittler zu dem Schluß kommen, daß die beste Lösung in der Einrichtung einer De-facto-Treuhandschaft oder eines Protek­

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torats besteht.«578 Hintergrund dieser Zielsetzungen ist die Sicherung der globalen Wirtschaftsinteressen der USA, denn »mächtige Staaten können das Phänomen prekärer Staaten nicht ignorieren, denn deren Sicherheits- und wirtschaftliche Inter­ essen sind durch diese Staaten gefährdet«.579 Damit diese Gefahr gebannt bleibt und die Prinzipien eines globalen Kapitalismus durchgesetzt werden können, ist eine Beteiligung von ausländischen Treuhändern (d. h. insbesondere der USA) an der Regierung dieser Staaten zwingend erforderlich: »Geteilte Souveränität bein­ haltet die Beteiligung ausländischer Akteure an den inneren Machtstrukturen für einen unbegrenzten Zeitraum«,580 wobei Krasner ausdrücklich darauf hinweist, daß die Funktion der ausländischen Akteure gerade darin besteht, den internationalen Kapitalmärkten den Zugang zu den betreffenden Staaten zu öffnen.581 Diese global-interventionistischen und imperialistischen Zielsetzungen der USMachtelite unterstreichen Dugin zufolge noch einmal deutlich die Aktualität Carl Schmitts für die russische Nation: Will Rußland als politische Einheit existieren, muß es, so Dugin, die USA und die von ihr diktierte Weltordnung als den politi­ schen Feind im Schmittschen Sinne definieren, oder es wird dazu verurteilt sein, ein Anhängsel dieser Neuen Weltordung im Sinne einer Rohstoffkolonie des We­ stens zu werden. Wenn Rußland also nicht bereit sein sollte, sich als Nation neu zu begründen und eine eigenständige geopolitische Identität zu definieren, wird es andernfalls der Gefahr ausgesetzt sein, daß sein politisches Geschick von den USA bestimmt werden wird. »Die Bestimmung der politischen Existenzform der russischen Nation wird in einer Zeit tiefgreifender Desintegration aktuell, in einer Periode der äußeren, ins­ besondere aber inneren Gefährdung, die das Bewußtsein dafür schärft, der Not­ wendigkeit zur Entscheidung unterstellt zu sein, die freilich konkret Gestalt an­ nehmen muß. Das Begreifen der Rolle Rußlands in der gegenwärtigen Welt verleiht, zumal nach Auflösung der Sowjetunion, Kraft zur Realisierung von Seinsmöglich­ keiten der Nation: die verlangt nicht nur die Sichtung nationaler Bestände im Inter­ esse ihrer Bewahrung und des Fortbestehens ihrer Authentizität, sondern auch die Erhellung der Herkunft einer womöglich fremdbestimmten Existenzweise. Dies setzt die Identifizierung des Feindes voraus... Es geht daher bei der Entscheidung zum Selbst auch darum, dem Feind entgegenzutreten, um durch diese Handlung äußerster Sammlung der Nation zu einer im eigentlichen Sinn »politischem zu wer­ den.«582

2.2.2.2.1.3b Der Gegensatz zwischen Land und Meer - die eurasische Kontinentalmacht Rußland gegen den maritimen Universalismus der USA - Das russische Gegenkonzept einer Pax Eurasiatica Ganz in der Tradition der Neo-Eurasier nimmt Alexander Dugin die Bestimmung der Identität Rußlands geopolitisch vor. In Anlehnung an die angelsächsischen Theo­ retiker sieht Dugin den geschichtlichen und politischen Verlauf von einem ewigen Gegensatz zwischen Land- und Seemächten bestimmt, den auch Carl Schmitt als

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für die weltgeschichtliche Dynamik wesentlich ansieht. Von diesem geopolitischen Gegensatz wiederum leitet sich auch ein kulturell-zivilisatorischer Gegensatz ab, der sich auch in einer gegenteiligen Auffassung von Staat und raumpolitischer Ord­ nung niederschlägt: Der »Begriff des souveränen Staates war, unter den Gesichts­ punkten einer Raumordnung gesehen, eine land- und erdgebundene Vorstellung. Es war ein kontinentalstaatlicher Begriff«.583 Dem raumbegrenzten Ordnungsbegriff entgegen stand ein universalistisches Modell, das vom Blickwinkel der See aus gedacht wird: »Hier, von der Meeresseite her, erscheint das Gegenteil der spezifisch staatlichen, geschlossenen und begrenz­ ten Raumvorstellung. Hier wird das freie, d.h. das von einer staatlichen Raumord­ nung freie, nicht von staatlichen Grenzen durchzogene Meer die maßgebliche Raum­ vorstellung der Weltpolitik und des Völkerrechts.«584 Aus dieser Dynamik des Gegensatzes von Land und Meer entwickeln sich nach Schmitt (und gleichfalls Dugin, der sich auf S chmitt bezieht) zwei Staats - und Völ­ kerrechtsordnungen: »Zwei derartig verschiedenen Raumvorstellungen von Land und Meer müssen zwei völlig verschiedene Völkerrechtsordnungen entsprechen, ein Völkerrecht des Meeres und ein ganz anderes des Landes. Jedes hat einen eige­ nen, von dem des anderen völlig verschiedenen Kriegs- und Feindbegriff... Der Gegensatz zweier Völkerrechtsordnungen ist aber nur ein Ausdruck des Gegensat­ zes zweier verschiedener Gesamthaltungen, denen verschiedene Geschichtbilder, verschiedene Entwicklungsvorstellungen, verschiedene Humanitätsbegriffe und ideale entsprechen... Es gehört zum ältesten Bestand menschlicher Geschichtsdeu­ tung, in dem Gegensatz von See- und Landmächten eine Urtatsache, einen Motor und Hauptinhalt der Weltgeschichte zu sehen: la mer contre la terre.«535 Aus diesem Gegensatz leiten sich Carl Schmitt zufolge zwei Weltordnungsmo­ delle ab: Der Raumgebundenheit des Territorialstaates und der damit verbunde­ nen territorialen Begrenztheit seiner Macht steht ein planetarischer, universaler Ord­ nungs- und Führungsanspruch gegenüber. Denn vom Meer her gesehen ist das Land ein Teil des Meeres, und nicht etwa umgekehrt, vom Land her betrachtet, das Meer ein Teil des Landes. Da das Meer jedoch >entgrenztLand< nicht mit kontinentaler Weite und Tiefe gleich­ setzt, sondern in erster Linie als Küste mit Hinterland begreift und den Raum nicht terran, sondern landübergreifend, also maritim, versteht. Technik und Industriali­ sierung, die Eroberung der Luft und der Atmosphäre als dritter Dimension haben die Ausdehnung und Erweiterung des einstmals terranen Raumbegriffs zugunsten eines planetarischen Raumverständnisses beschleunigt.«586 Aufgrund dieser Grundthese stehen auch Strategie und Krieg bei einer Konti­ nentalmacht und bei einer Seemacht in vollem Gegensatz zueinander: »Eine der Folgen ist auch die Gegensätzlichkeit der Kriegs- und Feindbegriffe. Der reine, be­ grenzte Staatenkrieg organisierter Armeen, der... nicht gegen Zivilbevölkerung

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und Privateigentum gerichtet ist, ist etwas grundsätzlich anderes als der Seekrieg, der nicht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterscheidet. Letzte­ rer bezieht durch Blockaden die Gesamtexistenz des feindlichen Volkes, Wirtschaft und Handel... mit ein und setzt in der Regel einen totalen Feindbegriff voraus.«587 Ferner werden indirekte Herrschaftsmethodik und indirekte Strategie zu kennzeich­ nenden Mitteln der atlantischen Seemächte zur Durchsetzung ihres Herrschaftsan­ spruchs. »Nicht durch territoriale Expansionsversuche des Staates, sondern durch die Expansion ideeller, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Kräfte im freien Welt­ handel, durch weltweites Agieren in Zwischenlagen von Krieg und Frieden, durch Mittel wirtschaftlicher Beeinflussung und Sanktionen, durch Handelsembargos oder Blockaden, ökonomische und finanzielle Maßnahmen, also durch die Mittel und Methoden indirekter Machtausübung konnten nach Carl Schmitt die großen See­ mächte der Moderne - England und die USA - weltweit strategische Ziele errei­ chen. Die Grundlage hierfür aber ist letztlich ein neuer, maritimer Raumordnungs­ begriff, der den terranen, territorialen Ordnungsbegriff überwand.«588 Bei seiner Analyse greift Alexander Dugin, wie oben angedeutet, auf die Lehren Mackinders und Mahans zurück, um mit deren Hilfe den Gegensatz zwischen raum­ gebundener eurasischer Kontinentalmacht und universalistisch ausgerichteter at­ lantischer Seemacht konkret begründen zu können. »Um den historischen Hinter­ grund des Konflikts zwischen atlantischem und eurasischem Raum sowie Dugins Analyse der US-amerikanischen >NWO< (Neue Weltordnung, der Verf.) als dem endgültigen Griff nach der unumschränkten Weltherrschaft adäquat verstehen zu können«, so Nikolaj-Klaus von Kreitor, »ist ein kurzer Blick auf die wichtigsten geopolitischen Modelle hilfreich«: Für Mackinder stelle Eurasien das Herzland, die politisch-militärisch-wirtschaftliche Achse der Welt, dar; daher werde jede diese Region kontrollierende Macht eo ipso zu einer Bedrohung der dominierenden See­ macht, die ihrerseits Kontrolle über die Weltinsel ausüben könne. Der US-amerika­ nische Geopolitiker Alfred Mahan habe ein Modell erarbeitet, dem zufolge die See­ mächte ihre Hegemonie nur dann behaupten können, wenn ihnen die Kontrolle über den eurasischen Kontinent gelingt, und zwar durch einen Gürtel militärischer Stützpunkte, mit dem jener einzukreisen sei. Maritime Mächte seien auf Dauer nur dann zur Dominanz fähig, wenn sie die vorherrschende Landmacht auf diese Weise einschlössen. Nicholas Spykman habe diese Ansätze weiter entwickelt, indem er den Schwerpunkt auf die Kontrolle der eurasischen Küstenregionen lege, die er als >Rimland< bezeichne. Seiner Auffassung nach sollten die USA danach streben, die Kontrolle des Herzlandes über den Weg einer Kontrolle des >Rimlands< zu gewin­ nen (siehe Nikolaj-Klaus von Kreitor, in: ETAPPE, Heft 12/Juni 1996, S. 27 ff.) Diesem atlantischen Universalismus stellt A lexander Dugin ein kontin ental-raum­ gebundenes Ordnungsmodell gegenüber, das man getrost bezeichnen kann als eine »Konzeption eines neuen europäischen Großraums, der Pax Eurasiatica, die in Kon­ kurrenz steht zur Pax Americana und von einer Koalition Rußlands mit den zen­ traleuropäischen Mächten Deutschland und Frankreich gewahrt werden wird. Im

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wesentlichen läßt sich dieser Entwurf als eine Art >Monroe-Doktrin für Europa< cha­ rakterisieren, die der nordamerikanischen Intervention in europäische Angelegen­ heiten eine Absage erteilt, die Auflösung des transatlantischen Militärbündnisses NATO fordert sowie den Abzug der gesamten US-Militärpräsenz von europäischem Boden«.589 Gleichfalls auf Carl Schmitt und seine Werke Völkerrechtliche Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte sowie Großraum gegen Universalismus Rückgriff nehmend, geht Dugin davon aus, daß das künftig grundlegende geopoli­ tische Ordnungsprinzip das des >Großraums< sein wird,590 das dem atlantischen Universalanspruch entgegenzustellen ist. Letzterer ist die denklogische Folge des westlich-liberalistischen Menschenbildes. Carl Schmitt weist in diesem Zusammen­ hang darauf hin, daß die »Verbindung zwischen liberalem Individualismus und völkerrechtlichem Universalismus«591 die »beiden Pole derselben Weltanschau­ ung«592 (nämlich der atlantisch-angelsächsischen) sind, und betont, daß die »indi­ vidualistische liberal-demokratische Weltanschauung« die Vorrangstellung einer universalen internationalen Rechtsordnung anerkennen muß, da sie - von der Rea­ lität des Individuums als umfassenden Ganzen ausgehend - nur eine civitas maxi­ ma kennt.593 Aus diesem Universalismus, wie er der atlantisch-angelsächsischen Ordnung eigen ist, leitet sich nach Schmitt für die angelsächsische Seemacht ein Anspruch auf universale Einmischung (Paninterventionismus) ab, der »jede ver­ nünftige Abgrenzung« zerstört. Insbesondere sind es nach Carl Schmitt die »ideologischen Gedanken der libera­ len Demokratie« und die »mit ihr zusammenhängenden Vorstellungen, insbeson­ dere des freien Welthandels und freien Weltmarktes«,594 die eine vernünftige raum­ begrenzte kontinentale Ordnungsform von vornherein unmöglich machen. Im Gegenteil ist diese spezifisch angelsächsische Ideologie die geistige Voraussetzung des modernen Imperialismus der atlantischen Führungsmacht, deren »indirekte Herrschaft« auf der Grundlage eines Netzwerkes verschleierter Interventions- und Kontrollrechte sowie getarnter wirtschaftlich-finanzieller Bindungen funktioniert. Die Notwendigkeit der Schaffung eines Großraumkonzepts begründet Carl Schmitt ähnlich wie der Eurasier Trubetzkoj. Dieser lehnte eine Übertragung des auf dem Prinzip von Souveränität und Unabhängigkeit beruhenden europäischen Staatsmodells auf den eurasischen Raum ab, da dies zu einer endlosen Kette eines ethnischen Sezessionismus mit unzähligen Konflikten führen würde (Trubetzkoj nannte dies den »falschen Nationalismus«). Einen ähnlichen Ansatz wählt auch Carl Schmitt: Die Ausbreitung des europäischen Prinzips staatlicher Souveränität, des »Jus publicum Europaeum«, über den ganzen Erdball hat anstelle einer kon­ kreten Ordnung ein »raum- und systemloses Durch- und Nebeneinander faktischer Beziehungen, ein ungeordnetes, räumlich und geistig zusammenhangloses Durchund Nebeneinander von über fünfzig heterogenen, angeblich gleichberechtigten, gleich-souveränen Staaten und ihren verstreuten Besitzungen« geschaffen, »ein strukturloses Chaos, das keiner gemeinsamen Hegung des Krieges mehr fähig war

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und für das schließlich nicht einmal mehr der Begriff >Zivilisation< als Substanz einer gewissen Homogenität gelten konnte«.595 Dabei erkannte Carl Schmitt seinerzeit schon, daß dieses System des >Jus Publi­ cum EuropaeumDirector of Policy Planning< im State Department, Stephen D. Krasner, zeigt. Vor diesem Hintergrund gilt es Carl Schmitt zufolge, das bisherige Völkerrecht, ohne es aufzulösen und seine organisatorischen und territorial-ordnenden Elemente zu beseitigen, in neue Formen umzugießen. Die Formel staatlicher Souveränität müsse demnach um die räumlich-geographischen Tatsachen ergänzt werden. Wie Alexander Dugin selbst sagt, »beruht die nationale Souveränität eines Landes nicht nur auf militärischer Macht, technologischem Entwicklungsgrad und wirtschaftli­ cher Produktivität, sondern nicht minder auf seinen territorialen Ressourcen und geographischen Lagebedingungen; sie hängt insofern von seinem geopolitischen Handlungsrahmen ab, d.h. insbesondere unter modernen Bedingungen, vom Res­ sourcenreichtum seiner externen Einflußzone«.598 Die Sicherung einer derartigen Souveränität verlange schließlich »ein außen­ politisches Konzept auf der Basis selbstbestimmter Raumverfügung«, das sich frem­ de Einmischungen strikt verbittet.599 Es geht Carl Schmitt also um eine räumlich­ territoriale Verortung des Völkerrechts, die den Souveränitätsbegriff um den des Großraums ergänzt. Großraum in diesem Sinne ist »jenes Gebiet, das von einer Macht dominiert wird, die ihre bestimmte politische Idee vertritt. Dieser >Nomos< wird stets mit einer spezifischen geistigen Stoßrichtung gebildet und ausformuliert, wes­ halb Freund-Feind-Unterscheidungen wesentlich von diesen partikularen politi­ schen Ideen bestimmt werden. Als Exempel dient Schmitt die Monroe-Doktrin mit ihrem Prinzip der Ablehnung jeglicher Intervention seitens fremder Mächte in den amerikanischen Raum«.600 Wie oben bereits dargestellt, liegt der Monroe-Doktrin die Idee einer räumlich und kontinental bestimmten Abgrenzung von Interessen- und Einflußzonen zu­ grunde. Die ursprüngliche Monroe-Doktrin »enthält drei einfache Gedanken: Un­ abhängigkeit der amerikanischen Staaten, Nichtkolonisation in diesem Raum, Nicht­ einmischung außeramerikanischer Mächte in diesen Raum, verbunden 'mit Nichteinmischung Amerikas in den außeramerikanischen Raum«.601 Das Wesen dieser Idee liegt in dem Gedanken eines konkret bestimmten Großraumes, in den raumfremde Mächte sich nicht einmischen dürften.602 Mit diesem Konzept verbin­ det sich eine Neuordnung und Neuaufteilung der Welt, die das Zeitalter übersee­ ischer Imperien, auch das des »informellen Imperiums« der USA, und des freien Welthandels beenden würde. Voraussetzung hierfür aber wäre die Übertragung

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des Prinzips der Monroe-Doktrin auch auf andere Regionen der Welt, also auch auf den eurasischen Raum. Die Folge der weltweiten Anwendung des Prinzips der Monroe-Doktrin ist nach Carl Schmitt die Neuordnung der Welt in einen »Pluralismus in sich geordneter, koexistierender Großräume, Interventionssphären und Kulturkreise«,603 der dann das »neue Völkerrecht« bestimmen würde. Bei der Monroe-Doktrin handle es sich nicht allein um einen nur geographisch begründeten Anspruch auf eine Interessen­ sphäre. Mit dem Großraum Amerika werde in der Monroe-Doktrin vielmehr auch eine politische Idee verbunden: das Verbot der Einmischung des vom monarchisch­ dynastischen Legitimitätsprinzips beherrschten europäischen Systems in das zum Selbstbewußtsein erwachte Amerika durch eine Bedrohung der Unabhängigkeit der amerikanischen Staaten oder durch Kolonisation weiteren amerikanischen Gebiets. Die Qualität des Politischen erhalte die Idee des Großraums dadurch, daß sie einen bestimmten Gegner ins Auge fasse, also eine »Gegendoktrin« sei. Die Verbindung von drei Elementen, »nämlich die Verbindung von politisch erwachtem Volk, poli­ tischer Idee und politisch von dieser Idee beherrschtem, fremde Interventionen aus­ schließendem Großraum«, machen Schmitt zufolge die Monroe-Doktrin zu einem »echten Großraumprinzip«. Der originäre Kerngedanke der urspünglichen Mon­ roe-Doktrin, den Carl Schmitt auf andere Räume für übertragbar und als Rechts­ prinzip für das Völkerrecht brauchbar hält, ist also die Idee »der völkerrechtlichen Unzulässigkeit von Interventionen raumfremder Mächte in einen von einem Ord­ nungsprinzip beherrschten Großraum«.604 Den Großraum selbst sieht Schmitt dabei organisiert als einen »Mehrvölker-Le­ bensraum«, der die wirtschaftspolitische Konsolidierung wie auch die politisch­ strategische Isolierung des gemeinsamen Lebensraumes mehrerer Völker umfasse. Voraussetzung für die Bildung eines Großraums in diesem Sinne sei der Begriff des >ReichesNew World Order< sind ein Schlag gegen das eurasische Ordnungsmodell eines integrierten Konti­ nentalblocks und damit gegen eine zur Selbstbestimmung führende Zukunft der eurasischen Länder. Wenn Rußland nicht unverzüglich mit der umfassenden Wieder­ herstellung seiner angestammten Einflußzone (übrigens in Übereinstimmung und nach Maßgabe des vo n Ost wie West begrüßten Helsinki-Abkommens) beginnt, dürfte dies zu katastrophalen Konsequenzen nicht bloß für Moskau, sondern aller Völker der >Welt-Insel< fü hren... Das derzeitige Rußland, im Herzen des eurasischen Konti­ nents gelegen, steht in heutiger geopolitischer Perspektive für Europa als Kontinen­ talblock, weshalb die wohlverstandenen Interessen des Kreml und die des westli­ chen Europas sich nicht nur ähneln, sondern mittlerweile identisch geworden sind.«611 Ganz an Carl Schmitt und die Tradition der Eurasier anknüpfend, sieht Dugin einen grundsätzlichen zivilisatorischen Gegensatz zwischen Atlantismus und Eu­ rasianismus, aus dem sich dann logischerweise unterschiedliche politische Ord­ nungsmodelle ableiten lassen: »Für Dugin stellen atlantischer Großraum und der entsprechende Atlantizismus sowie eurasischer Großraum und der ihm entspre­ chende Kontinentalismus zwei unterschiedliche Paradigmen sozialer Organisation dar, die nicht miteinander in Einklang zu bringen sind. Halford Mackinders geo­ politisches Konzept bildet den theoretischen Rahmen dieser Auffassung wie auch Carl Schmitts Werk Land und Meer aus dem Jahre 1942 und in geringerem Maße auch Oswald Spenglers Preußentum und Sozialismus; weiterhin hebt Dugin zwei Formen von Zivilisationen voneinander ab - die maritim orientierte atlantische und die landorientierte kontinental-eurasische. Er prognostiziert eine künftige Annä­ herung zwischen Rußland und den westlichen Ländern Europas, und zwar auf der Grundlage eines Prinzips, das er Kontinentalismus bzw. Eurasianismus nennt und dem anglo-amerikanischen Atlantismus gegenüberstellt.«612

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Dabei stellt Dugin den ideologischen Gegensatz zwischen Atlantizismus und Eurasianismus, den Unterschied zwischen seefahrenden und »landtretenden« Zi­ vilisationen heraus: »Den Atlantizismus, wie er derzeit in England und den USA in Erscheinung tritt, charakterisiert ein ausgeprägter Handelsgeist zugunsten des Pro­ fits, sein Wertekanon beruht auf ökonomischen Tauschprozessen und einem ab­ strakten Kosmopolitismus. Der Kontinentalismus hingegen, wie er sich in Gestalt des deutschen Kaiser- bzw. russischen Zarenreichs realisierte, hebt die organisch gewachsene Einheit des Volkes hervor, das spirituelle Bande mit seinem Terrain fest verbinden, zu denen in der Moderne vorrangig die jeweilige nationale Überlie­ ferung gehört.«613 Dieser Gegensatz spiegelt sich Dugin zufolge dann auch in der politisch-gesell­ schaftlichen Kultur der Land- und Seemächte wider. Dies habe sich in der Vergan­ genheit bereits im Gegensatz zwischen der Seemacht Karthago und der konkurrie­ renden Landmacht Rom gezeigt. In der Neuzeit seien Großbritannien und nachfolgend die USA die Symbole für eine auf maritimer Kultur beruhende poli­ tisch-militärische Herrschaft, deren Machtausübung und Zielsetzung sich grund­ legend von den europäischen und eurasischen Kontinentalmächten unterscheiden würden: »Wie in der Vergangenheit schon Phönizier und Karthager, nutzte England in erster Linie Geldgeschäft, überseeischen Warenhandel und Kolonialwirtschaft als Mittel zur Begründung und Sicherung seiner hegemonialen Stellung; das geopoli­ tische Paradigma der angelsächsischen Kultivierung von Seemacht schuf eine auf die Tauschbedürfnisse des kapitalistischen Marktes zugeschnittene Zivilisation, die materiell auf individuellen Wirtschaftsinteressen und ideell auf den Prinzipien des Liberalismus beruhte: >Trotz historischer Nuancen brachte diese am meisten ver­ breitete Spielart maritimer Zivilisation ihre grundlegende Maxime, den Primat der Ökonomie über die Politik, zum Ausdruck; Mackinder machte deutlich, daß wäh­ rend der neuzeitlich-modernen Geschichtsperiode See-Orientierung konzeptionell Atlantizismus bedeutet, für den derzeit USA und England als maritime Großmächte angelsächsischen Zuschnitts stehen. Ihnen opponierte bislang die landorientierte eurasische Kultur, wie sie als charakteristisch für Deutschland und Rußland ange­ sehen werden kann. Deshalb stellen sich beide Länder bewußt in Opposition zur Ideologie und geopolitischen Interessenlage der Atlantizisten und ihres derzeiti­ gen nordamerikanischen Vorreiters, der USA. Während der Atlantizismus mit kon­ sumistischem Liberalismus und ökonomisch motiviertem Imperialismus identisch ist, meint >Eurasianismus< ein gemeinschaftsgebundenes Verantwortungsdenken, dem es um soziale Wohlfahrt, wirtschaftliche Mitbestimmung, Vorrang des Allge­ meinwohls vor profitorientierten Einzelinteressen, Prioriät des gesellschaftlichen Ganzen vor den Teilen geht, letztlich um den Primat der Politik über die Wirt­ schafthostis humani generisIntegration< in die NWO... mit daraus folgendem Souveränitätsverzicht/-Verlust oder aber Bildung eines kontinentaleurasischen Großraums, dessen Ressourcen den USA entgegenzutreten vermöch­ ten, um staatliche Souveränität und kulturelle Autonomie wahren zu können.«616 Folgerichtig sieht auch E. Posdnjakow die Aufgabe Rußlands darin, ein Gegen­ gewicht zu den USA zu bilden und das verlorengegangene geopolitische Gleichge­ wicht in der Welt wiederherzustellen.617 »Es wäre vollkommen normal, wenn Ruß­ land eine streng symmetrische geopolitische Konzeption aufstellen und zur Bildung einer Eurasischen Union antreten würde, die in sich die ehemaligen Unionsrepu­ bliken (vielleicht mit Ausnahme der baltischen), auch einige osteuropäische Staa­ ten (Rumänien, Bulgarien, Serbien) und außerdem einige asiatische Länder (Iran, Indien) einschließen würde. Zweifellos wäre es ein konkurrenzfähiges geopoliti­ sches Projekt, was nicht bedeutet, daß es automatisch aggressiv wäre... Nichts der­ gleichen, es ist nur die gerade Anwendung jener geopolitischen Konzeption, an der die USA und andere mit ihnen solidarische westliche Mächte konsequent festhal­ ten, auf die russischen (weiter gefaßt: eurasischen) geographischen und historischen Realitäten. Doch ein solches Projekt muß das Ziel, die Orientierung, der perspek­ tivische Plan sein. Heute stellt sich die Frage enger: Wie ist auf die >Erweiterung der NATO< zu antworten?«618 Dabei kommt Dugin zufolge dem eurasischen Block eine Befreiermission zu: »... auf der heutigen Entwicklungsstufe kann Rußland in Europa die strategischen Part­ ner finden, die an der Wiederherstellung ihrer früheren politischen Gewalt interes­ siert sind. Das eurasische Rußland muß in der Rolle des Befreiers Europas auftre­

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ten, diesmal von der amerikanischen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Okkupation.«619 Damit nimmt nach den Theorien der Neo-Eurasier Rußland, im Idealfall in Zusammenarbeit mit Deutschland und Frankreich, die Rolle des >Rei­ ches< im Sinne der Diktion Carl Schmitts ein, dem die Aufgabe zukommt, die poli­ tische Integrationsidee des (eurasischen) Großraumes zu formulieren und zu ver­ körpern. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung seines Konzepts einer eurasischen Groß­ raumordnung mit Einmischungsverbot für raumfremde Mächte verweist Alexander Dugin auf die Mitteleuropakonzeption des deutschen Nationalliberalen Friedrich Naumann und auf die verteidigungspolitische Emanzipationspolitik Charles de Gaulles.620 »Als Konklusion folgt aus der Revitalisierung des Mitteleuropa-Konzeptes ein antiwestlich orientiertes Europa, wobei Dugin die Bezeichnung >Westen< als ein nordamerikanisch geprägtes, Europa übergestülptes ideologisches Konstrukt des Kalten Blockkrieges bewertet. Die Entscheidung de Gaulles von 1966, sich aus der NATO-Kommandostruktur zurückzuziehen, die Frankreich seiner Souveränität beraubte, stellte einen ersten Schritt zur Behauptung der eigenständigen europäi­ schen Identität dar, sie war die erste anti-atlantizistische Manifestation eines euro­ päischen Landes in der US-Einflußsphäre... Mit Blick auf den stets aggressiver werdenden Atlantizismus suchte de Gaulle nach Wegen, der US-Hegemonie über Europa zu widerstehen: >Es gab zwei Optionen - er konnte entweder unilateral versuchen, die nordamerikanische Vorherrschaft herauszufordern, oder aber nach Partnern suchen, mit dem gemeinsamen Interesse an der Eliminierung solch hege­ monialer KontrolleMitteleuropa< ergab sich für Nau­

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aus der Erkenntnis, daß wirtschaftliche Autarkie nur wenigen Mächten be­ schieden sein könne und die Anarchie des Völkerrechts am ehesten durch Bildung von Staatengruppen, -gemeinschaften, -verbänden nach der Gemeinsamkeit der Interessen einzugrenzen sei. »Die Souveränität«, so schrieb Naumann seinerzeit, »die früher ein sehr verbreitetes Besitztum irdischer Staatsgebilde war, sammelt sich... an ganz wenigen Stellen.«624 Will also die mitteleuropäische Staatenwelt unabhängig von anderen Mächten autark existieren, so ist sie Naumann zufolge zum organisatorischen Zusammen­ schluß verpflichtet, wobei Wirtschaft und Handelsströme hier schon die Richtung gewiesen hätten. »Sie haben in der Tat nur die Wahl zwischen Isoliertheit oder Anschluß, und da ihnen die Isoliertheit schon in einem Menschenalter... kaum mehr ertragbar sein wird, so müssen sie früher oder später sich irgendwie ent­ schließen, mit welchem Verbande sie nach Geographie, Produktion und Geistes­ richtung gehen wollen oder können. Das ist ein harter Zwang, ein schweres Schick­ sal, aber es ist der übermächtige Zug der Zeit, der kategorische Imperativ der Menschheitsentwicklung. Nachdem einmal zwischen Territorial- und Nationalstaa­ ten einerseits und Menschheit andererseits sich die mächtigen Zwischenformen einschieben, hilft kein Sträuben und Klagen... Kleinstaaten, die keinen Zollkrieg durchführen können, die aber täglich Einfuhr und Ausfuhr brauchen, müssen in Zukunft bei einer der großen Weltfirmen eingeschrieben sein, sobald die Oberfir­ men selbst sich gegenseitig noch viel mehr als vor dem Kriege voneinander ab­ schließen.«625 Naumann begründet die Notwendigkeit des Großraums somit von den Zwän­ gen der Ökonomie her, welche Staaten mit gemeinsamer geopolitischer Lage zur Zusammenarbeit und Vereinigung zwinge. mann

2.2.2.2.1.4 Zusammenfassung Dugin nimmt aus der Geschichte der politischen Theorienwelt Deutschlands im wesentlichen zwei Persönlichkeiten heraus, deren Ansätze zur Bestimmung einer geopolitischen Identität der Russischen Föderation seiner Ansicht nach hilfreich sind: Carl Schmitt und Friedrich Naumann. Diese beiden Denker erkannten zu­ nächst einmal übereinstimmend, daß anstelle der Anarchie einer unorganisierten Kleinstaatenwelt nur Großräume wirkliche Souveränität besitzen - sowohl aus stra­ tegischer als auch aus ökonomischer S icht, worauf Friedrich N aumann deutlich hin­ gewiesen hatte. Die Integrität dieses Großraumes wird dabei durch einen Zentral­ staat begründet, der gewissermaßen die politische Einigungsidee des Großraums verkörpert und von dessen Existenz die Souveränität und Handlungsfähigkeit des Großraums in der internationalen Politik abhängen. Das Erfordernis einer Neuein­ teilung der internationalen Ordnung in Großräume, um die das Prinzip der national­ staatlichen Souveränität ergänzt werden müsse, ergebe sich wiederum aus dem Gegensatz zwischen territorial begrenzter Souveränität (dem Prinzip der kontinen­ talen Ordnung) und dem maritimen Universalismus (das Prinzip der anglo-ameri­

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kanischen Ordnung) - ein Dualismus, der wiederum im Gegensatz zwischen Land­ macht und Seemacht begründet liege. Carl Schmitt geht noch einen Schritt weiter: Bei der völkerrechtstheoretischen Begründung des Ordnungsmodells >Großraum< greift er auf eine politische Dok­ trin zurück, die in der Geschichte der Staatenwelt erstmalig ein Prinzip der wechsel­ seitigen Abgrenzung kontinentaler Einflußsphären zum Ausdruck brachte, näm­ lich die Monroe-Doktrin. Diese gilt als das Grundmodell einer völkerrechtlichen Großraumordnung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte. Bei diesem Prinzip handelt es sich - da es raumfremden Einmischungen per se eine Absage erteilt - um ein antihegemoniales Konzept, das angesichts der universalistischen Vorherrschafts­ bestrebungen der USA und ihrer Bemühungen, sich des eurasischen Kontinents zu bemächtigen, von großer Aktualität ist. Der konkrete >Feind< im Sinne der Diktion Carl Schmitts liegt für Eurasien in dem universalen Hegemonialanspruch der USA, deren Vordenker wie Zbigniew Brzezinski in der Kontrolle der eurasischen Land­ masse den Siegespreis der Weltherrschaft erblicken. Die Erhebung der Monroe-Doktrin zu einem tragenden Prinzip der internatio­ nalen Ordnung dürfte jedoch letztlich zu einer Neutralisierung des globalen >infor­ mellen< Imperiums USA führen, gerade weil das Prinzip der Monroe-Doktrin eine Einmischung äußerer Mächte in die inneren Angelegenheiten eines Großraums also auch des eurasischen Raumes - untersagt. Folge dieses Ordnungsmodells ist, daß sich die Welt neu gliedern würde in ein >Pluriversum< geopolitisch in sich ge­ schlossener Großräume, die in einem globalen Gleichgewichtsverhältnis zueinan­ der stehen, mithin also eine multipolare Weltordnung formen würden. Da es frem­ de Interventionen ausschließt, erweist sich das Großraumprinzip zudem auch als friedenssichernd: Der Amerika-Experte Giselher Wirsing hat bereits darauf hinge­ wiesen, daß mit der Monroe-Doktrin für einen langen Zeitraum Kontinentalkriege ausgeschaltet worden seien, die sonst wohl unvermeidlich entstanden wären. Der südamerikanische Raum wäre seinerzeit ohne Monroe-Doktrin zum Schlachtfeld der aufeinanderstoßenden Interessen der verschiedenen europäischen Großmächte wie auch der Vereinigten Staaten geworden.626 Dies ließe sich den Eurasiern zufolge auch ohne weiteres auf den eurasischen Kontinent übertragen, denn mit der Verwirklichung dieses Prinzips wären Ruß­ land, der Nahe und Mittlerer Osten sowie Zentralasien als »Objekt der Gier«627 dem Zugriff der USA entzogen. So wie die Monroe-Doktrin seinerzeit »dem britischen Universalismus, dem Anspruch auf Rechte und Vorrechte überall in der Welt, als raumgebundener, auf einen Erdteil beschränkter Regionalismus« entgegentrat,628 so würde heute die Idee der eurasischen Monroe-Doktrin dem US-amerikanischen Universalismus als eurasischer Regionalismus entgegentreten mit der Funktion wie sie E. Posdnjakow beschrieben hat -, ein Gegengewicht gegenüber den USA zu bilden und das verlorengegangene Gleichgewicht in der Welt wiederherzustellen, und zwar im Sinne einer antihegemonialen Weltordnung.

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2.2.3 Der Einfluß des Eurasianismus auf die offiziellen Dokumente der russischen Außen- und Sicherheitspolitik Der Eurasianismus blieb jedoch nicht auf einen Zirkel von Intellektuellen beschränkt. Er fand - insbesondere, nachdem die Außenpolitik der Russischen Föderation zu einem geopolitischen Realismus zurückgekehrt war - auch Eingang in die Gedanken­ welt der Gestalter der russischen Außenpolitik. Deutlich wurde dies an dem neuen Konzept zur Außenpolitik Rußlands, das das Mitglied des Präsidentenstabes An­ dranik Migranjan im März 1994 ausgearbeitet hatte und in einem Artikel in der Nezavisimaja Gazeta vorstellte. Hier wurde zum ersten Mal eine zentrale Idee for­ muliert, »die in der Folge als Grundidee für das Verständnis der Rolle und des Ranges Rußlands im postsowjetischen Raum bei allen führenden Politikern Ruß­ lands von Präsident Jelzin bis zu Außenminister Kosyrew bezeichnet werden kann. Demnach soll das gesamte geopolitische Gebiet der ehemaligen Sowjetunion eine Sphäre der besonderen, lebenswichtigen Interessen Rußlands sein. Damit keine Zweifel auftreten, um welche lebenswichtigen Interessen es sich handelt, wurde eine Parallele zur >Monroe-Doktrin< hergestellt. In gewissem Sinne versucht Mig­ ranjan, eine russische Monroe-Doktrin für die gegenwärtige Situation nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zu formulieren«.629 Diese Idee einer russischen Monroe-Doktrin lag - so Daschitschew - auch der Konzeption der Außenpolitik Andrej Kosyrews zugrunde, der den Raum der GUS als spezielles Interessengebiet der Russischen Föderation beschrieb und Rußland als Motor der Integration des eurasischen Raumes definierte. Die Rolle eines >Rei­ ches< als Integrationsquelle des Großraums im Sinne der Diktion Carl Schmitts zu entwickeln, erreichte die Russischen Föderation allerdings nicht. Im militärischen Bereich gelang die Erreichung einer Zusammenarbeit, wie oben dargestellt, nur teilweise: Das Taschkenter System ließ sich nicht umsetzen. Auch institutionell wur­ den Versuche Rußlands, die GUS zu einem gemeinschaftlichen System kollektiver Sicherheit auszubauen - verbunden mit einer Ausschlußwirkung gegenüber aus­ wärtigen raumfremden Mächten - schon im Ansatz unterbunden: Auf dem achten Gipfeltreffen der GUS am 22. Januar 1993 in Minsk wurde im Rahmen des >GUSGrundlagenvertrages< der Rechtscharakter der Gemeinschaft Unabhängiger Staa­ ten als Staatenbund und die Gewährleistung der kollektiven Sicherheit durch die GUS festgeschrieben. Zur wirksamen Koordinierung der Außen-, Sicherheits-, Verteidigungs- und Finanzpolitik sollte die Gemeinschaft übernationale Organe mit entsprechenden Kompetenzen erhalten. »Bereits dieser erste Versuch der institutio­ nellen Ausstattung der GUS stieß auf Widerstand: Die Ukraine, Moldawien und Turkmenistan lehnten das Abkommen ab, da sie eine Beeinträchtigung ihrer natio­ nalen Souveränitätsrechte befürchteten.«630

2.2.3.1 Die >Primakow-Doktrin< Neben dem Versuch, ein eurasisches Großraummodell zu entwickeln, wurde dem Eurasianismus auch noch ein anderes Element entlehnt und zum Kernbestandteil

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der russischen Außenpolitik gemacht: der Grundsatz der multipolaren Weltordnung. Der Vorstoß der USA in den Raum der GUS wurde von den geopolitischen Reali­ sten als unmittelbare Bedrohung russischer Interessen erkannt, der es auch bündnis­ politisch entgegenzutreten galt: »Zusammenarbeit mit dem Westen bei der strate­ gischen Abrüstung und der Transformation des Wirtschaftssystems schafft ihrer Ansicht nach Voraussetzungen für einen Ausverkauf russischer Interessen. Um dem entgegenzuwirken, gilt es, die USA durch ein Bündnis mit Westeuropa und Asien zu bekämpfen. Deutschland kommt dabei im Westen, dem Irak im Süden und China im Osten eine besondere Rolle zu.«631 Das Bestreben, für die Schaffung einer multipolaren Weltordnung einzutreten, ist mit der Person Jewgenij Primakows verbunden, der am 5. Januar 1995 das Amt des russischen Außenministers antrat. Mit Jewgenij Primakow »wurde der konzep­ tionell bereits eingeleitete Kurswechsel personell nachvollzogen«.632 Im Gegensatz zu Kosyrew, der als Vertreter eines Proatlantismus galt, war Primakow, ehemals Leiter des russischen Auslandsgeheimdienstes, >Zentrist< und geopolitischer Rea­ list und versuchte, »die internationale Politik nach den Erfordernissen eines geopo­ litisch ausgewogenen Gleichgewichts zu gestalten«.633 Die >Primakow-Doktrin< sah die USA zwar in vielerlei Hinsicht als gegenwärtig mächtigsten Staat in der Welt an, aber nicht als das Zentrum, um das herum die maßgeblichen Prozesse und Ereignisse der internationalen Politik kreisten. Die vorherrschende Tendenz sei vielmehr in der Gegenwart der Übergang von der konfrontativen zweipoligen zu einer multipolaren Welt. Den Euroatlantikern, die sich um jeden Preis an d en Wes ten annähern wollten, hielt P rimakow entgegen, daß Rußland auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zu gleichberechtigten part­ nerschaftlichen Beziehungen zu allen Staaten kommen müsse.634 Die Grundpfeiler der Primakow-Doktrin sahen wie folgt aus: - Trotz des geopolitischen Zusammenbruchs Eurasiens im Jahre 1991 ist Ruß­ land nach wie als Großmacht in der Weltpolitik existent. »Welchen Weg Rußland auch immer geht, sein strategisches Hauptinteresse wird die Wiederherstellung einer erneuerten Großmacht, eines mächtigen russischen Staates sein.«635 Moskau erhebt denn auch nach wie vor und immer wieder Anspruch auf globales Mitspra­ cherecht. So meinte Außenminister Jewgenij Primakow bei seiner Bilanz des Jahres 1997, daß »nicht eine einzige bedeutende Maßnahme in der Welt ohne die Teilnah­ me Rußlands durchgeführt« werde.636 Moskau läßt keinen Zweifel daran, daß es sich »keinesfalls... mit der Rolle eines Zweit- oder Drittklasselandes zufriedenge­ ben« werde.637 - Darüber hinaus wird der Zerfall der UdSSR als unhistorisch und widernatür­ lich angesehen. Auch wenn die Wiederherstellung der Sowjetunion nicht als reali­ sierbar erscheint, so muß Rußland dennoch die euro-asiatische Führungsmacht auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion bleiben.638 Dabei soll die territoriale Integrität Rußlands durch eine vorteilhafte Außenpolitik auch nach außen hin ab­ gesichert werden.639

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- Demgegenüber steht die unipolare Stellung der USA in der internationalen Politik, welche auch bestrebt sind, diese zu erhalten. Daraus aber ergeben sich Ge­ gensätze zu anderen >Polen< der Weltpolitik. - Aus diesem Widerstreit ergibt sich zwangläufig die Herstellung einer »poly­ zentristischen« oder »vielpoligen Welt« mit zumindest den USA, der EU, China und natürlich auch Rußland; hinzuzufügen sind noch China und Indien. Rußland muß dabei einen der Pole dieser neuen multipolaren Welt bilden. Um dieses ver­ wirklichen zu können, muß es sich nach neuen Partnern in Asien und im Nahen und Mittleren Osten umsehen. Die Beziehungen zu China und Indien sollten aus­ gebaut werden. Dem Iran und Irak müßte geholfen werden, aus der internationa­ len Isolation herauszukommen.640 - Mit den USA und amerikanischen Verbündeten bestehen Konkurrenzverhält­ nisse insbesondere in Zentralasien, im Kaukasus und auf dem Balkan. Russische und amerikanische Interessen sind eben nicht identisch. Rußland muß nachdrück­ lich seine eigenen nationalen Interessen gegenüber den USA und ihren Verbünde­ ten durchsetzen.641 Seine praktische Umgestaltung erfuhr dieses Konzept mit einer Annäherung an China. Trotz mancher Konkurrenzsituationen sehen beide Staaten in der welthege­ monialen Stellung der USA die Hauptgefahr für die internationale Ordnung. Diese Gefahr äußert sich für beide Mächte in den Plänen zur NATO-Osterweiterung so­ wie in der Verlängerung der Sicherheitsverträge der USA mit Japan und Australien. In den drei Fällen handele es sich um »Grenzüberschreitungen« der USA mit dem Ziel einer neuen Blockbildung.642 Mit der Hinwendung zu China, so Primakow, hat Rußland seine internationalen Beziehungen diversifiziert. Damit sei das anfängliche Übergewicht in Richtung Westen korrigiert worden, denn eine »Macht wie Ruß­ land kann nicht nur auf einem westlichen Bein gehen«. Die multipolare Welt be­ steht nach übereinstimmender Analyse beider Mächte aus »gleichberechtigten Part­ nern«, die weder gewillt, noch danach geartet sind, sich einer Hegemonie zu beugen. Bereits am 25. April 1996 unterzeichneten Jelzin und Jiang Z emin eine gemeinsa­ me Erklärung, in der sie die Notwendigkeit bekundeten, den unipolaren Bestre­ bungen der USA einen Riegel vorzuschieben. Beide Mächte, so heißt es dort, stre­ ben eine »strategische Partnerschaft der Gleichberechtigung... und der Zusammenarbeit in Hinblick auf das 21. Jahrhundert an«. Moskaus Ablehnung der NATO-Osterweiterung wolle Peking »fest« unterstützen. Tschetschenien, Taiwan und Tibet gelten als jeweils »innere Angelegenheiten«. Am 26. April 1996 kam es in Shanghai zur Unterzeichnung eines Fünf-LänderAbkommens zwischen China, Rußland, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan, das »der Herstellung einer Sphäre der Sicherheit und der Vertrauensbildung« die­ nen sollte. Der Rußland-Experte Wolfgang Leonhardt bezeichnet die Bemühungen Rußlands, die Beziehungen zu China zu stärken, als »von nicht zu unterschätzen­ der Bedeutung«,643 was durch eine »Reihe offizieller Besuche und diplomatischer Gesten« unterstrichen wurde. »So reiste Präsident Jelzin im Dezember 1992 in die

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Volksrepublik China, und das Jahr 1994 wurde in Rußland gar zum >Jahr Chinas< erklärt: Höhepunkt war der Moskau-Besuch des chinesischen Präsidenten Jiang Zemin im September. Bald darauf, im Mai 1995, nahm Jiang auf Einladung Jelzins an den Feiern zum 50. Jahrestag des Kriegsendes teil; einen Monat später folgte ein Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Peng in der russischen Hauptstadt. Die Bedeutung, die Moskau den Beziehungen zu China auch im sicherheitspoliti­ schen Bereich beimißt, zeigte vor allem ein Staatsbesuch in China von Präsident Jelzin, der am 24. April 1996 begann und bei dem ein Thema beherrschend war: die bevorstehende Unterzeichnung eines Abkommens über militärische Vertrauens­ bildung zwischen der Russischen Föderation, China, Kasachstan, Kirgisien und Tadshikistan.«644 Dieses Abkommen schließlich sollte als Grundlage für die sogenannte >Shang­ haier Organisation für Zusammenarbeit< (SCO) von wichtiger geopolitischer Be­ deutung sein, da durch sie die Voraussetzungen für eine sicherheitspolitische Ab­ rundung des eurasischen Raumes geschaffen wurden - als Gegengewicht zur Einbeziehung von US- und NATO-Streitkräften in Zentralasien, worauf später noch einzugehen sein wird. Tatsächlich ist die Verstärkung einer Zusammenarbeit zwi­ schen den beiden eurasischen Mächten insofern bemerkenswert, als durch sie deut­ lich zutage tritt, daß »China die USA nicht mehr als Balance-Partner gegen Ruß­ land benötigt. Der Weg zur konfliktfreien russisch-chinesischen Beziehung ist geebnet«.645 Auch die Wiederbelebung der Beziehungen zu Indien lag auf der außenpoliti­ schen Agenda der Ära Primakow, welche aber weniger durch die US-Intervention in Eurasien als vielmehr durch die Bedrohung durch den wahabitisch-islamischen Fundamentalismus bestimmt war. »Am 30. und 31. März 1996 besuchte Jewgenij Primakow den Subkontinent. Er bekräftigte das Ziel, die >strategischen Beziehun­ gen< wiederzubeleben, und brachte zum Ausdruck, daß Indien zu denjenigen Län­ dern gehöre, die für Moskau zukünftig Priorität hätten. Zu den Schwerpunkten der Gespräche gehörte unter anderem der gemeinsame Kampf gegen Terrorismus und religiösen Fundamentalismus - ein Thema, an dem Rußland vor allem im Hinblick auf die mittelasiatischen moslemischen GUS-Staaten besonderes Interesse hat.«646

2.2.3.1.1 Exkurs: Der US-amerikanisch organisierte wahabitischislamische Fundamentalismus als gemeinsame Bedrohung für die eurasischen Mächte Indien und China und als Grund ihrer Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation Ein entscheidender Grund, warum die Russische Föderation und die asiatischen Mächte China und Indien trotz bestehender Rivalitäten eine Zusammenarbeit su­ chen, ist, daß alle drei Staaten - neben dem militärischen Vorstoß der USA in Eura­ sien - einer Bedrohung durch den wahabitisch-islamischen Fundamentalismus ausgesetzt sind (dies geht schließlich auch aus den Dokumenten hervor), dessen Förderung - wie noch zu zeigen sein wird - Kernbestandteil der antieurasischen

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Geostrategie der USA ist, die diese in Zusammenarbeit mit dem pakistanischen Geheimdienst ISI umgesetzt hat: »Parallel zu diesen verdeckten Operationen auf dem Balkan und in der ehemali­ gen Sowjetunion förderte der pakistanische Geheimdienst ISI seit den 80er Jahren mehrere islamische Aufstände im indischen Kaschmir. Obwohl offiziell von Wa­ shington verurteilt, fanden auch diese Operationen des ISI mit stillschweigender Billigung der US-Regierung statt. Zeitgleich mit dem Genfer Friedensabkommen und dem sowjetischen Rückzug aus Afghanistan half der ISI bei der Gründung der militanten Hisbollah-Mudschaheddin im indischen Bundesstaat Jammu und Kasch­ mir.«647 Auch die Terrorakte vom Dezember 2001 auf das indische Parlament, so Globa­ lisierungsexperte Michel Chossudovsky, seien von zwei von Pakistan aus operie­ renden Rebellengruppen durchgeführt worden, und zwar von der Lashkar-e-Taiba (Armee der Reinen) und Jaish-e-Mohammed, die beide vom ISI gefördert würden. »Es muß nicht eigens erwähnt werden, daß die vom ISI unterstützten islamischen Aufstände den geopolitischen Interessen der USA dienen, da sie zur Schwächung und Spaltung der Einheit Indiens beitragen.«648 Auch China ist dieser amerikanisch-pakistanischen Destabilisierungspolitik aus­ gesetzt: »Ebenfalls bedeutsam für das Verständnis von Amerikas neuem Krieg ist die Unterstützung des ISI für islamische Aufstände an der chinesischen Westgrenze zu Afghanistan und Pakistan«, so Michel Chossudovsky. »Tatsächlich stehen diverse islamische Bewegungen in den muslimischen Republiken der ehemaligen Sowjet­ union in engem Kontakt mit den Bewegungen der Turkmenen und Uiguren in der Uigurischen Autonomen Region Sinkiang.«649 Diese Separatistengruppen in den islamischen Regionen der Volksrepublik China werden Chossudovsky zufolge vom pakistanischen Geheimdienst unterstützt. Dabei sei das erklärte Ziel dieser islami­ schen Aufständischen die Errichtung eines islamischen Kalifats in der Region, das die territoriale Integrität Chinas in Frage stellen würde. »Die Ziele der separatisti­ schen Bewegungen an Chinas Westgrenze, die auch Gelder von verschiedenen wahabitischen Stiftungen aus den Golfstaaten erhalten, decken sich mit den strate­ gischen Interessen der USA in Zentralasien.«650 Michel C hossudovsky zufolge sind die separatistischen Bestrebungen im islamisch geprägten Westteil Chinas daher auch Bestandteil einer verdeckten Kriegführung der USA gegen die Volksrepublik: »Durch die verdeckte Förderung der Abspal­ tung der Uigurischen Autonomen Region Sinkiang mithilfe des pakistanischen Geheimdienstes verfolgt Washington das Ziel, die Volksrepublik China auf breiter Front politisch zu destabilisieren und territorial aufzubrechen. Diesem Ziel dienen auch die Militärstützpunkte, die die USA in Afghanistan und verschiendenen ehe­ maligen Sowjetrepubliken direkt an der Westgrenze Chinas errichtet haben, sowie die Militarisierung des Südchinesischen Meeres und der Formosastraße.«651

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2.2.3.1.2 Die »NATO-Rußland-Akte« von 1997 Primakow versuchte dort, wo Rußland neue Bündnisse, die seinen nationalen Inter­ essen zuwiderliefen, in der internationalen Politik nicht verhindern konnte, von den USA und der NATO zumindest ansatzweise Zugeständnisse und Ausgleiche zu erhalten, deren Wert aber bei genauer Betrachtung gering war. Es gelang Rußland nicht, die NATO-Konferenz in Madrid im Jahre 1997, auf der die Aufnahme der ehemaligen Warschauer-Pakt-Staaten Polen, Ungarn und Tschechische Republik beschlossen wurde, zu verhindern. Mit der Auflösung des Warschauer-Pakt-Sy­ stems trat eine Umwandlung der NATO dahingehend ein, daß nicht mehr der ver­ teidigungspolitische Gesichtspunkt des Artikels 5 des NATO-Vertrages im Vor­ dergrund stand, sondern ein sogenannter >Stabilitätsexport< an die Peripherie des Bündnisses, und zwar nicht nur militärisch, sondern auch sozial und wirtschaft­ lich, da sich auf diese Weise die Rahmenbedingungen für Auslandsinvestitionen verbessern und die Handelsbeziehungen zum Westen vertiefen würden (so eine Stellungnahme des ungarischen Verteidigungsministeriums).652 Die NATO sollte somit zum militärpolitischen Rahmen einer westlich-neolibe­ ralen Globalisierung werden, um die Expansion der westlichen Ökonomien Rich­ tung Eu rasien abzusichern. Tatsächlich bedeutet, wie schon Halford M ackinder und Zbigniew Bzezinski darstellten, die Kontrolle über Ostmitteleuropa die Vorausset­ zung für die Herrschaft über Eurasien (»Wer Osteuropa beherrscht, beherrscht den Kernraum. Wer den Kernraum beherrscht, beherrscht die Weltinsel. Wer die Welt­ insel beherrscht, beherrscht die Welt«). Dessen waren sich die US-Strategen auch bewußt, und demzufolge war und ist die NATO-Osterweiterung zwangsläufig eine gezielt gegen Rußland gerichtete Strategie mit dem langfristigen Ziel der Unter­ werfung Rußlands (»Die transatlantische Allianz ist das Sprungbrett für das globale Engagement der USA und gibt Amerika die Möglichkeit, seine Rolle als Schieds­ richter in Eurasien, der zentralen Arena der Macht, wahrzunehmen«, so Z. Brzezin­ ski).653 Bereits früh wurde in der Russischen Föderation deshalb ein Vorstoß der NATO Richtung Ostmitteleuropa als unmittelbare Bedrohung russischer Interessensphä­ ren erkannt. Ende September 1993 richtete Präsident Jelzin einen Brief an einige NATO-Staaten, in dem er sich ausdrücklich gegen eine Erweiterung des westli­ chen Militärbündnisses nach Osten aussprach und vor einer Isolierung Rußlands warnte. Etwa zeitgleich, am 26. September 1993, erklärte Außenminister Kosyrew, daß bei einer NATO-Osterweiterung »simplifiziertes, überstürztes Herangehen« vermieden werden müsse. Vor allem dürfe die NATO keine Militärstützpunkte nach Osten verlagern und müsse auf die Stationierung von Atomwaffen in mittelund osteuropäischen Ländern verzichten. Jewgenij Primakow, seinerzeit noch Chef des russischen Auslandsgeheimdienstes, versuchte statt dessen ein Gegenmodell für eine gesamteuropäische Sicherheitsordnung zu entwickeln, das die NATO erset­ zen sollte. Die NATO, so Primakow, sei noch in Kategorien des Blockdenkens ver­

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haftet. Da sich die NATO in der Vergangenheit nachweislich gegen Rußland ge­ richtet habe, komme es darauf an, ein Sicherheitssystem für alle europäischen Staa­ ten nach dem Vorbild der KSZE bzw. der OSZE zu errichten, in dem auch Rußland ein Mitspracherecht habe. Rußland hatte der OSZE dabei die Funktion zugewie­ sen, »den Schaden für die nationalen Interessen Rußlands von der NATO-Oster­ weiterung zu mildern«.654 Dieser Vorschlag Rußlands zur NATO-Reform aber wurde vom Westen rund­ weg abgelehnt. »Die KSZE-Gipfelkonferenz im Dezember 1994 machte unmißver­ ständlich deutlich, daß Rußland kein Mitspracherecht, geschweige denn ein Veto­ recht bei der NATO-Osterweiterung haben würde.«655 Dabei waren es vor allem die neuen NATO-Mitgliedsstaaten, die vor einer »OSZEisierung« der NATO und einer Relativierung der Sicherheitsgarantie nach Artikel 5 des NATO-Vertrages warnten.656 Die Versuche Rußlands, die OSZE gegen die NATO aufzuwerten, schei­ terten somit. Mit dieser unumstößlichen Haltung des Westens blieb Rußland in der Frage der Osterweiterung nur noch die Wahl zwischen Unterwerfung oder Kon­ frontation. Rußland erkannte damit, daß es in Sachen NATO-Osterweiterung kei­ nerlei Mitspracherecht mehr hatte - seine Stellung wurde vom Westen als eine zu vernachlässigende Größe betrachtet, da man gedachte, die Osterweiterung ultimativ durchzusetzen - gleichgültig ob mit oder gegen den Willen Rußlands. Die militärische und außenpolitische Elite der Russischen Föderation sah hierin sogar einen Schritt, der möglicherweise einen Krieg auslösen könnte. Hierbei war es nach Wolfgang Leonhardt gerade diese Haltung des transatlantischen Bündnis­ ses, die die Ablehnung der Russischen Föderation in dieser Frage verschärfte. »Die russische Ablehnung verschärfte sich daraufhin merklich.«657 In der »Konzeption der nationalen Sicherheit der Russischen Föderation« vom 17. Dezember 1997 hieß es daher auch folgerichtig: »Eine Bedrohung für die nationale Sicherheit Rußlands im Verteidigungsbereich bleibt die Erhaltung oder Schaffung von starken Grup­ pierungen von Streitkräften in an Rußland angrenzenden Regionen. Sogar beim Fehlen von aggressiven Absichten gegenüber Rußland stellen solche Gruppierun­ gen eine potentielle militärische Bedrohung dar.«658 Gleichwohl aber, so Wolfgang Leonhardt, war die russische Führung trotzdem bereit, mit der NATO über Son­ derbeziehungen zwischen dem Atlantischen Bündnis und Rußland zu verhandeln.659 »Bei der Ausarbeitung der eigenen Position zur NATO-Osterweiterung gab es für Rußland zwei Wege«, sagte Boris Jelzin am 19. Mai 1997. »Der erste Weg bestand darin, sich auf den Protest und die Erklärung zu beschränken, daß die Erweiterung der Allianz abgelehnt wird. Der zweite Weg bestand darin, die Folgen der NATOOsterweiterung auf ein Minimum zu beschränken.« Diesen Weg habe Rußland be­ schritten.660 Vor diesem Hintergrund kam es am 27. Mai 1997 in Paris zur Unterzeichnung der »Grundsatzakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicher­ heit zwischen der Russischen Föderation und der NATO«. Durch dieses Dokument hatte Rußland es zumindest erreicht, daß die NATO in den neuen Mitgliedsstaaten

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weder ständige Truppenkontingente noch Atomwaffen stationiert. Der Wert die­ ser Zusicherung ist allerdings zweifelhaft angesichts des Umstandes, daß Truppen in einigen Stunden verlegt werden können. 661 Darüber hinaus heißt es in der Grund­ akte, daß sie der NATO und Rußland keinerlei Vetorecht in Angelegenheiten der jeweils anderen Seite einräumt und die jeweiligen Rechte auf unabhängige Ent­ scheidungsfindung und unabhängiges Handeln nicht beeinträchtigt.662 Insgesamt beinhaltet die Grundakte - worauf Martin Malek hinweist - in der Tat »mehrere nicht näher bestimmte bzw. dehnbare Formulierungen«.663 Mit der Formel »keinerlei Vetorecht in Angelegenheiten der jeweils anderen Seite« verbin­ det sich je nach Lesart ohne weiteres die Möglichkeit, Rußland ein Mitspracherecht in der NATO-Expansionspolitik zu entziehen. Nach der hier vertretenen These handelt es sich bei dieser Grundakte lediglich um eine völkerrechtliche Bestäti­ gung des Status quo, die Rußland mit seiner Unterschrift auch sanktioniert hat. Als Boris Jelzin nämlich nach der Unterzeichnung der Grundakte erklärte, daß Ruß­ land ü ber das Gremium des >NATO-Rußland-Rates< nunmehr die Mö glichkeit habe, jede Entscheidung der NATO in Sachen Expansion, mit der es nicht einverstanden sei, blockieren könne, wurde dies von NATO-Generalsekretär Solana, US-Präsi­ dent Bill Clinton und seiner Außenministerin Albright umgehend bestritten.664 Damit war klar, daß die westliche Machtelite bestrebt war, die Vereinbarungen der Grundakte möglichst eng auszulegen. Welche Bedeutung sie der Vereinbarung tatsächlich beimaß, sollte sich schon zwei Jahre später - im März 1999 - zeigen, als die NATO ihren vo m U N-Sicherheits­ rat gerade nicht sanktionierten Überfall auf die Bundesrepublik Jugoslawien startete. Bei diesem unilateralen Vorgehen der NATO handelte es sich um einen offenkundi­ gen Verstoß gegen den Geist der Grundakte: Die Grundakte sollte schließlich gerade nicht die Hauptverantwortung des UN-Sicherheitsrates für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit beschneiden. Vielmehr - so die Grundakte - würden die NATO und Rußland ihre Verpflichtungen aus dem Völker­ recht und aus internationalen Übereinkünften einschließlich der UN-Charta erhal­ ten.665 Mit dieser Vereinbarung verband Rußland die Hoffnung, daß »jegliche Aktivi­ täten der NATO, darunter Aktionen mit Elementen des Zwangs und militärischer Gewalt, nur auf der Grundlage eines Mandats des UNO-Sicherheitsrates durchge­ führt werden können. Daher habe Rußland als ständiges Mitglied des UNO-Sicher­ heitsrates die Möglichkeit, die Einhaltung der Normen des Völkerrechts zu sichern«.666 Diese Hoffnung wurde von den USA und der NATO allerdings hintertrieben. Wolfgang Seiffert, Rußlandexperte und Berater des russischen Präsidenten Wladi­ mir Putin, beschreibt die Auswirkungen des (völkerrechtswidrigen) NATO-Über­ falls auf die Haltung Rußlands wie folgt: »Die Hoffnung, die Jelzin und Primakow an die >Partnerschaft für den Frieden< geknüpft hatten, nämlich gleichrangiger Part­ ner des Westens zu sein, wurde bitter enttäuscht. Denn statt dessen erlebte Ruß­ land mit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien am 24. März 1999 eine beispiellose Demütigung und Bloßstellung seiner Schwäche. Sie gipfelte nach Ansicht russi­

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scher Medien in dem Anspruch der USA, eine neue Weltordnung zu etablieren, die nicht mehr auf den völkerrechtlichen Prinzipien der UNO beruhe, sondern auf den von der NATO ausgegebenen Direktiven.«667 Damit zeigte sich, daß die Grundakte nicht das wert war, was sich die russische Führung von ihr versprach, nämlich auch eine Abgrenzung von Interessensphären im Sinne einer multipolaren Weltordnung. Die russischen Politologen erhofften sich von der Grundakte schließlich, daß nunmehr alle Fragen der NATO-Expansion und NATO-Aktivitäten >out of area< mit Rußland abgestimmt werden müßten. Eine Aufwertung der Russischen Föderation als ein geopolitisches Gravitationszentrum in einer vielpoligen Welt war mit der Grundakte nur formell verbunden. Ein tat­ sächliches Mitspracherecht Rußlands bei der Ausdehnung der NATO in die post­ sowjetische Vorherrschaftssphäre blieb jedoch ausgeschlossen. Man liegt deshalb nicht ganz falsch, in der Grundakte lediglich ein Stillhalteabkommen für Rußland zu sehen, mit der die westliche Machtelite dessen Bereitschaft zur Anerkennung der NATO-Expansion in den postsowjetischen Raum erreichen wollte. »Auch manche westliche Beobachter fanden, daß die zahlreichen westlichen Funktionäre, die mit der russischen Seite Gespräche führten, vor allem ein Ziel hat­ ten: >Wenn irgend möglich, will man der gefallenen Weltmacht jeden Wunsch er­ füllen, der sie die Schmach leichter ertragen läßt, daß sich die NATO ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten einverleiben wirdBestechung< bezeichnen kann: »Tatsächlich machte der IWF zwei Tage nach der Einigung auf die >Grundakte< einen langer­ warteten Großkredit von umgerechnet 8,5 Mrd. Schilling flüssig. Insgesamt soll Rußland, das mit Auslandsverbindlichkeiten von 127,4 Mrd. Dollar der... welt­ weit drittgrößte Schuldner ist, bis zum Jahr 2000 IWF-Kredite von umgerechnet 120 Mrd. Schilling erhalten.«669 Die Zustimmung der Russischen Föderation zur NATO-Expansion wurde damit also erkauft.

2.2.3.2 >Anti-NATO< - das strategische Konzept des Vorsitzenden des Geopolitischen Ausschusses der Staatsduma, Alexej Mitrofanow In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre war der Vorstoß der NATO in den post­ sowjetischen Raum das zentrale Thema und eine der wichtigsten Herausforderun­ gen für die Außenpolitik der Russischen Föderation. Das mit der Osterweiterung des nordatlantischen Bündnisses geschaffene Bedrohungs- und Einkreisungssze­ nario - nach Zbigniew Brzezinski von der amerikanischen Machtelite auch als sol­ ches gedacht - führte bei russischen Geopolitikern zwangsläufig zur Entwicklung von Gegenstrategien. Einer der wichtigsten Vordenker in diese Richtung war zu dieser Zeit der Vorsitzende des Geopolitischen Ausschusses der Staatsduma, Ale­ xej Mitrofanow. Dieser h atte am 18. Februar 1997 unter dem Titel Anti-NATO - Ein neuer Gedanke für russische Geopolitik. Taktik und Strategie für die heutige Zeit eine Grundsatzrede gehalten, die für das geopolitische Denken in der Russischen Fö­ deration einerseits exemplarisch ist, auf der anderen Seite in bezug auf die deutsch­

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russischen Beziehungen geradezu revolutionäre Bedeutung gehabt hätte, wäre sie so umgesetzt worden, wie von Mitrofanow geäußert. Ausgangspunkt seiner Rede war zunächst einmal eine Analyse des Endes der Nachkriegszeit und ihrer Auswirkungen auf die Russische Föderation. Der Zusam­ menbruch des weltweiten Kräftesystems, das die Ordnung von Jalta und Potsdam mit sich gebracht habe, sei unwiderruflich und stelle Rußland vor gänzlich neue Herausforderungen. »Es hängt nun von uns allein ab, ob wir dieser Prüfung stand­ halten und den Feind zurückwerfen, oder ob der Feind uns über die Wolga zurück­ wirft. Eines ist vollkommen klar: Alle heutigen Entwicklungen führen zu Rußlands Lostrennung von Europa, zur Sc haffung ei nes Q uarantänegürtels vo n uns unfreund­ lich gesinnten Staaten in Verbund mit den USA und deren Verbündeten, beide ver­ einigt in einem an unseren Bereich grenzenden Militärblock. Das führt weiter zu einer fortgesetzten Schwächung, zu zentrifugalen Tendenzen und schließlich zum Zerfall unseres Landes, wonach etwa 10 bis 15 Vasallenstaaten sich bilden, die völ­ lig von ihren Oberherren abhängig wären.«670 Aus diesem Grunde müsse man der »Idee der russischen nationalen Selbstverwirklichung« zum Durchbruch verhel­ fen. Um gegen diese neuen Herausforderungen gewappnet zu sein, müsse sich Rußland technologisch neu definieren. Die sowjetische Führung schließlich habe zu sehr »auf die alten Faktoren der Weltgeltung - Rohstoffe und Stahl als Grund­ lage der Rüstung - vertraut« und damit den allgemeinen technologischen Wandel hin zur Informationsgesellschaft schlichtweg verschlafen. Als Hauptfeind für die Russische Föderation erkennt M itrofanow die USA. Dem­ zufolge tadelt er auch die »blinde Amerikahörigkeit der russischen Führung«. Die im Kalten Krieg siegreichen USA hätten keineswegs »ihr geostrategisches Interesse am postsowjetischen Raum verloren«. Die NATO werde »mit aller Kraft nach Os­ ten erweitert«, und Brzezinski habe bereits 1994 erklärt: »Ohne die Ukraine wird Rußland nie wieder eine Weltmacht werden.«671 In Anlehnung an die Aussage Carl Schmitts stellt Mitrofanow dann fest, daß die Russische Föderation zur Bestim­ mung ihrer politischen Identität ihren Feind genau kennen müsse: »Wenn wir den schmerzlichen und für unser Land so schädlichen Pro-Amerikanismus überwin­ den wollen, dann müssen wir hier und nach draußen die volle Wahrheit verkün­ den: Unter den heutigen Bedingungen sind die Vereinigten Staaten der Hauptfeind unseres Landes. Alle unsere Handlungen gegenüber den USA müssen von dieser Voraussetzung ausgehen. Wir müssen unseren Feind kennen und dürfen nicht fürch­ ten, ihn beim Namen zu nennen. Großbritannien hat schon lange vergessen, was unabhängige Außenpolitik bedeutet. Es folgt mit hängendem Kopf der amerikani­ schen Führung. So ist auch Großbritannien ein Feind, und natürlich auch die Tür­ kei. Ein Feind ohne Zweifel ist der gesamte aggressive NATO-Block. Es ist der Grundge­ danke unserer neuen geopolitischen Doktrin, unsere Feinde zu bekämpfen oder sie als Verbündete zu gewinnen, auf welche Weise auch immer, und dabei unseren Freunden Liebe und rücksichtsvolle Behandlung zu erweisen. Das sind die Grund­ gedanken unserer neuen geopolitischen Doktrin.«

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Rußland selbst sollte aus der GUS austreten und statt dessen mit diesen Ländern bilaterale Beziehungen pflegen mit dem langfristigen Ziel der Verwirklichung ei­ nes eurasischen Großraumes, innerhalb dessen Rußland die integrierende Reichs­ idee verkörpert: »Sobald eine neue Generation von GUS-Führern heranwächst, frei von blinder Verehrung amerikanischer Zigaretten und billiger türkischer Textil­ waren, wird auch der Reichsgedanke, der Gedanke eines russischen Commonwealth, wieder lebendig.«672 Dem Atlantismus setzt Mitrofanow eine gesamteurasische Zusammenarbeit entgegen, die die Machtposition der NATO in Eurasien ablösen wird und welche durch eine Achse Berlin-Moskau-Tokio begründet wird: »Eine Analyse der gegen­ wärtigen politischen Weltlage beweist, daß heute, vor der Jahrhundert- und Jahr­ tausendwende, Deutschland und Japan unsere natürlichen Verbündeten werden müssen. Unsere Feinde, allen voran Großbritannien, die Türkei und die USA, ver­ stehen das sehr wohl und verhindern mit allen Mitteln unseren Zusammenschluß. Sie scheuen auch nicht davor zurück, uns mit schmutzigen Tricks gegeneinander auszuspielen - bestes Beispiel ist die Kurilenfrage, die von Amerika durch Intrigen aufgeheizt wird.« Im Anschluß daran beschreibt Mitrofanow, wie Eurasien nach dem unwiderruf­ lichen Ende der Nachkriegszeit und ihrer Bündnissysteme unter diesen Vorzei­ chen neu organisiert werden könnte: »Stellen Sie sich vor, wie die Welt aussähe, wenn Rußland die Initiative ergreift, die sich aus einem vertragslosen Zustand (nach der Kündigung aller Nachkriegsverträge) ergibt: - Bildung einer militärpolitischen Allianz zwischen Deutschland, Rußland und Japan. - Diese Achse wird im Süden gedeckt durch den russisch-chinesisch-indischen Block, der für China den Weg freimacht für eine räumliche Erweiterung nach We­ sten, über Süd-Kasachstan und den Iran in Richtung Türkei und der ein Garant ist für Indiens führende Rolle auf dem hindustanischen Subkontinent. - Schaffung gemeinsamer deutsch-russisch-japanischer Einflußsphären. Deutsch­ land und Japan nähern sich gegenwärtig der Wachstumsgrenze für rein ökonomi­ sche Ausdehnung. Der Gegensatz zwischen ihnen und den USA ist unvermeidlich erbitterter geworden. 673 In den letzten Jahren sind diese Länder zu neuen und macht­ vollen Zentren geworden, nicht nur von regionaler, sondern von Weltbedeutung.«674 Die Zusammenarbeit zwischen den Staaten der Achse ergibt sich, so Mitrofanow, allein schon aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten, da alle drei Länder füreinander wechselseitige Ergänzungsräume darstellen: »Ihre weitere Entwicklung wird aber behindert durch den Mangel an Rohstoffen und hochentwickelter Rüstungstech­ nologie und durch den Fortbestand inzwischen bedeutungslos gewordener inter­ nationaler Verträge (die wir kündigen würden). Die nationale Demütigung des deutschen und japanischen Volkes infolge des Kriegsausganges ist durch die fort­ bestehende amerikanische Militärpräsenz noch vertieft worden. Wir rufen das deut­ sche und das japanische Volk auf, ihre erniedrigenden Verfassungen zu zerreißen,

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welche ihre Möglichkeiten in der Innen- und Außenpolitik einschränken. Rußland kann diesen Ländern heute geben, was sie am meisten brauchen. Erinnern Sie sich: In den späten 20er Jahren dieses Jahrhunderts, als Deutschland in einer weitaus schlechteren Lage war als heute, begann die deutsche Wehrmacht damit, ihr Offi­ zierskorps in der UdSSR zu schulen. Es war ein Unglück für unsere beiden Länder, daß es den Mächten der Weltverschwörung gelang, unsere Partnerschaft aufzu­ lösen und die Kraft der deutschen Wehrmacht gegen ihren natürlichen Verbünde­ ten zu lenken, die UdSSR, anstatt daß sich diese gegen den wirklichen Feind des deutschen Volkes gerichtet hätte, die internationale Finanzoligarchie.«675 Mit einem solchen Schritt würde der asiatische Raum nicht nur von amerikani­ schen Interventionen befreit werden; eine Kooperation der genannten Staaten ei­ ner solchen eurasischen Achse würde ferner auch ein ungeheures wirtschaftliches Potential entfalten: »Im gesamten asiatisch-pazifischen Raum gäbe es dann keine amerikanische Militärbasis mehr. Alle amerikanischen Landerwerbungen in die­ ser Region würden rückgängig gemacht. Die Völker würden sich für Freiheit und Selbstbestimmung entscheiden und gegen den erniedrigenden Status als amerika­ nisches Mandats- oder Übersee-Territorium... Die Achse Berlin-Moskau-Tokio, flankiert vom russisch-chinesisch-indischen Block, würde einen unvergleichlichen Markt darstellen, mit der Hälfte der Weltbevölkerung, mit Bodenschätzen aller Art, mit Energiereserven, einer stark industrialisierten Landwirtschaft usw.; kurz, die­ ser Markt wäre autark. Fügt man die japanischen Fortschritte auf dem Gebiet der Elektronik und russische mathematische Begabungen zusammen, könnte Rußland seinen Rückstand auf dem Gebiet der Informatik aufholen und seinerseits den Ja­ panern und anderen Ländern helfen, sich von der Abhängigkeit von den USA auf dem Gebiet der Software zu befreien. Die größten Zivilisationen der Welt - die europäische, slawische, japanische, chinesische und indische - würden nebenein­ ander bestehen in einem geordneten Raum, der ruhige Sicherheit mit volklicher und kultureller Vielfalt verbindet.«676 Mitrofanow entwirft hier als Gegenmodell eine wirtschafts- und sicherheitspoli­ tische Einigung des eurasischen Raumes gegen das »informelle« Imperium der USA und deren »außenpolitisches Konzept der Unipolarität«, welche sich gezielt in Geg­ nerschaft zur anti-eurasischen Geostrategie eines Zbigniew Brzezinski setzt. Des­ halb muß nach Mitrofanow die amerikanisch geprägte Nachkriegsordnung, die mit der Wende 1989/1990 unwiderruflich ihr Ende gefunden habe, ersetzt werden durch »neue und wahrhaft demokratische, unparteiische internationale Organisa­ tionen..., die das Interesse der Nationen verteidigen und ausdrücken, aber nicht das von Finanzzentren«.677 In diesem Zusammenhang ist interessant, daß Mitrofanow das heutige Polen als amerikanischen - gegen Deutschland und Rußland gerichteten - Einkreisungspart­ ner erkennt. Der Umstand, so Mitrofanow, daß Polen nunmehr nach der Auflö­ sung des Warschauer Paktes auf die Seite des atlantischen Feindes gewechselt habe, mache eine territoriale Revision der mitteleuropäischen Grenzziehungen erforder­

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lich: »Der 2. Weltkrieg brach in Polen aus, und der Hauptschlag gegen die UdSSR erfolgte von polnischem Territorium aus. Alle nachfolgenden territorialen Erwer­ bungen Polens standen unter dem Vorbehalt freundlicher Beziehungen zur UdSSR. Deren Rechtsnachfolger ist Rußland. Die Schlußfolgerung für uns ist: Wir erklären, daß das neue, Rußland feindlich gesonnene Polen alle Territorien zurückgeben muß, die früher weißrussisch oder deutsch waren (einschließlich des polnisch verwalte­ ten Teils von Ostpreußen) und die Polen zugeschlagen wurden. Es ist ein Gebot der Vernunft, Gespräche zwischen Rußland und Deutschland über die Frage des rus­ sisch verwalteten Teils von Ostpreußen aufzunehmen.«678 Die Revision der Grenz­ ziehungen, wie sie auf den Konferenzen von Teheran, Jalta und Potsdam im Zuge des Zweiten Weltkrieges erfolgt sind, sieht Mitrofanow als Grundvoraussetzung für eine Neudefinition deutsch-russischer Beziehungen an. Sollten die Visionen Mitrofanows tatsächlich Gestalt annehmen, dann wäre da­ mit der universale Herrschaftsanspruch der USA beseitigt, da doch nach der Diktion Brzezinskis »eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent noch heute die Voraussetzung für globale Vormachtstellung ist«. Die Herrschaft der USA als eurasische Macht beruht darauf, daß »ihre Truppen an drei Randgebieten des eu­ rasischen Kontinents präsent« sind, mit denen sie wiederum »einen massiven Ein­ fluß auf die im eurasischen Hinterland ansässigen Staaten ausüben«. »Aber das weltweit wichtigste Spielfeld - Eurasien - ist der Ort, auf dem Amerika irgend­ wann ein potentieller Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte«679 - mit der Umsetzung des geopolitischen Konzepts Mitrofanows würde in der Tat ein Gravitationszentrum entstehen, das die USA zum Abzug ihrer Truppen von den Randgebieten Eurasiens zwingen könnte und somit die heute noch bestehende weltweite Vorherrschaft der USA austrocknen würde.

2.2.4 Der Eurasianismus in der Konzeption Wladimir W. Putins Am 9. August 1999 wurde nach der Entlassung Stepaschins Wladimir W. Putin zum Ministerpräsidenten der Russischen Föderation ernannt. Am 26. März 2000 bestritt er erfolgreich die Präsidentschaftswahl. Mit diesem personellen Wechsel sollten eine grundsätzliche wirtschaftliche Erneuerung Rußlands und seine Posi­ tionierung als geopolitischer Machtfaktor verbunden werden, der imstande sein sollte, den gegenüber der globalen Führungsmacht USA verlorengegangenen Bo­ den wiederzuerlangen. »Hat für Rußland die Zeit der Demütigung und der Schwä­ che... mit der Machtergreifung Wladimir Putins ein Ende gefunden?« fragte Peter Scholl-Latour680 und gab auch gleich die Antwort: Der Machtantritt Wladimir Pu­ tins sollte für Rußland ähnliche Bedeutung haben wie der seinerzeitige Regierungs­ antritt Peters des Grossen. »Bricht nunmehr für Rußland ein neues >petrinisches< Zeitalter an? Fast scheint es, als wolle Wladimir Putin in die Fußstapfen Peters des G rossen treten.« 681 Damit verbunden wäre dann aber auch ein endgültiger Bruch mit allen proatlantischen Strömungen innerhalb der russischen Außenpolitik. Vielmehr würde Rußland jetzt

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endgültig die Rolle übernehmen, im Sinne der multipolaren Weltordnung, wie sie von Außenminister (und zwischenzeitlichen Ministerpräsidenten) Jewgenij Prima­ kow vorgedacht war, »den Hegemonial-Anspruch der USA mit allen Mitteln, not­ falls auch im Verbund mit China, einzudämmen. Dieses neue Selbstbewußtsein könnte es für den Westen höchst riskant machen, die Einflußzone von Altlantik­ pakt und Europäischer U nion über die Grenzen Polens in Richtung Baltikum, Ukrai­ ne oder gar Kaukasus auszuweiten«.682 Sehr wohl um den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leistungsfähig­ keit und politisch-militärischer Macht wissend, ging es Putin zunächst einmal dar­ um, Rußland wirtschaftlich zu erneuern, um anschließend die Herausforderung durch die atlantische Universalmacht annehmen zu können: »Putin erachtet die ökonomische Erneuerung als conditio sine qua non [unerläßliche Bedingung] für den Wiederaufstieg des Landes zur Großmacht und ersetzte hegemonistische Schutz­ bekundungen durch einen an der Modernisierung Rußlands orientierten Pragma­ tismus. Moskaus außenpolitische Maxime lautete fortan schlicht: >An der Schwelle zum 21. Jahrhundert ist Rußlands Aufgabe Rußland, und nicht die WeltAnti-Ballistic-MissileSchurkenstaaten< zu schützen, versucht Washington, das jahrzehnte­ lang bestehende Gleichgewicht der >Verwundbarkeit< zwischen den beiden Atomweltmächten zu seinen Gunsten zu beseitigen. Damit untergraben die USA »weltweit die Struktur der strategischen Stabilität und provozieren ein neues Wett­ rüsten«684 unter gleichzeitiger Herausforderung russischer Sicherheitsinteressen. Dem Sicherheitsexperten Emst-Otto Czempiel zufolge »können Rußland und China nicht tatenlos zusehen, daß die USA sich in eine uneinnehmbare Festung verwan­ deln. Sie werden neue Raketen entwickeln, um den Schutzschild zu überwinden«.685 Schließlich ist nach wie vor davon auszugehen, daß mit diesem Vertragsbruch ge­ gebenenfalls auch ein offensives Vorgehen der USA gegen Rußland abgedeckt wer­ den soll. »Denn Bushs Pläne richten sich letztlich nicht gegen irgendwelche Schurken­ staaten. Sie dienen dazu, den offensiven Weltführungsanspruch der USA defensiv abzusichern.«686 Darüber hinaus wäre mit dem Bruch des ABM-Vertrages durch die

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USA auch die machtpolitische Stellung der Russischen Föderation in der Weltpoli­ tik gefährdet: »Der ABM-Vertrag gehört zu den letzten Insignien russischer Welt­ machtstellung, nachdem der First-Class-Sessel im UN-Sicherheitsrat durch den Kosovo-Krieg an Wert verloren hat. Wo sonst, wenn nicht bei ABM, reden die eura­ sische Regionalmacht und der atlantische Riese noch von Gleich zu Gleich?«687 - die Nichtratifizierung des Atomteststoppvertrages im amerikanischen Kon­ greß, womit die USA das Nichtverbreitungsregime für Massenvernichtungswaf­ fen verhindern; - die vom Westen unterstützte Desintegration der GUS. »Der Westen pocht auf dem Prinzip des geopolitischen Pluralismus als Grundlage der Beziehungen Ruß­ lands zu den ehemaligen Republiken der UdSSR... In der zweiten Amtszeit Jelzins wehrte sich das wirtschaftlich strauchelnde und nach dem verlorenen ersten Tschet­ schenienkrieg auch militärisch geschwächte Rußland kaum mehr gegen die erneut einsetzende Desintegration auf postsowjetischem Territorium. Gegen Ende der neunziger Jahre entstand im Süden der GUS ein alternatives strategisches Bündnis, die GUUAM, benannt nach den Anfangsbuchstaben der Mitgliedsstaaten Geor­ gien, Ukraine, Usbekistan, Aserbaidschan und Moldawien. Nachdem Rußland schon Anfang der neunziger Jahre die Luftkontrolle über das Baltikum verloren hatte, erfuhr es in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine Schwächung seiner Vertei­ digungskapazitäten im Kaspischen Raum.«688

2.2.4.1 Putins Bekenntnis zum »starken Staate und zur »russischen ldee< In seiner programmatischen Rede vom 29. Dezember 1999 legte Putin die Erneue­ rung Rußlands auf der Grundlage einer »russischen Idee« und eines »starken Staa­ tes« dar. Nach Wolfgang Seiffert war diese Rede insofern revolutionär, als bislang »in keiner Rede oder keinem Artikel eines russischen Politikers in den letzten zehn Jahren... sich eine solche Aussage« finden läßt,689 womit deutlich wurde, daß der Amtsantritt Putins als eine wirkliche Wende, als eine tatsächliche Rückkehr Ruß­ lands zu sich selbst begriffen werden mußte. Nicht mehr die westlich-neoliberale Forderung nach einer >Bürgergesellschaftrussische Ideedaß der Prozeß der Herausbildung Rußlands sich mit einer Akzentuierung des Staates ent­ wickelte, die in diesem Maße für die europäischen Länder untypisch ist, unserer gesamten Geschichte aber einen besonderen Charakter verleihtSouveränitätAbgasabgabe für TransitverkehrFöderationssubjekten< innerhalb der Russischen Förderation und ihren Eigeninteressen einmal so groß würden, daß sie von Moskau nicht mehr unter Kontrolle gehalten werden könnten. Hierbei traten gerade die Regionen des Nordkaukasus mit dem Kern Tschet­ schenien, die Föderationssubjekte an der Wolga und im Ural unter der Führung Tatarstan sowie die von der Republik Tuwa angeführten Föderationssubjekte im südlichen Sibirien als separatistische Faktoren besonders hervor. Sicherheitsexper­ ten gingen gerade im vom Moskau kaum noch zu kontrollierenden Kaukasus mit den Republiken Inguschetien, Dagestan, Kabardino-Balkarien sowie Karatschaisch-

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Tscherkessien von endlosen Sezessionskonflikten aus. »Ein Zerfall der Russischen Förderation in mehrere Teile«, so die seinerzeitige Einschätzung, »könnte vor die­ sem Hintergrund deshalb nicht mehr völlig ausgeschlossen werden, sollten sich die Sprengsätze der angespannten sozioökonomischen Situation, der Finanzkrise und der in den Regionen vorhandenen Gefährdungspotentiale noch verstärken.«696 Diesen Zentrifugalkräften galt es zunächst einmal den Riegel vorzuschieben. P utin strebte deshalb danach, im Sinne einer »Diktatur der Gesetze« des russischen Zen­ tralstaates eine Föderalismusreform anzustreben, die die »Machtvertikale« in Mos­ kau stärkte. Diese Föderalreform bestand aus fünf Teilen: 1. Die Gouvereure wurden geschwächt und aus dem Föderationsrat hinauskomplimen­ tiert. »Die Herren der Provinz verloren ihre Immunität und überhaupt ihre unter Jelzin entwickelte Unantastbarkeit. Falls Landesgesetze gegen föderale Gesetze oder die Verfassung verstießen, hatte der Präsident fortan das Recht, die vom Volk ge­ wählten Lokalfürsten abzusetzen«.697 Durch das >Gesetz über den Föderationsrat< (der Föderationsrat ist mit der Länderkammer westlicher Parlamente vergleich­ bar) verloren die Gouverneure ihren Mitgliedsstatus. Dadurch verwandelte sich der Föderationsrat »in ein Haus von geschwind ernannten und jederzeit abrufba­ ren Bürokraten«,698 das durch den Zentralstaat besser zu steuern war. 2. Der Präsident kontrolliert die Regionen durch sieben neue Statthalter in sieben Bezir­ ken. Dazu wurde die Russische Föderation in sieben föderale Bezirke - Zentralruß­ land, den Nordwesten einschließlich Kaliningrads, den Nordkaukasus, die Wolga­ region, den Ural, Sibirien und den fernen Osten - eingeteilt, mit dem Ziel, die Regionen besser zu kontrollieren und an das Zentrum zu binden. 3. Bei Regionalwahlen versuchte der Kreml, seinen Kandidaten durchzuboxen und die Parteienzersplitterung zu begrenzen. Die Duma verabschiedete im Juni 2000 ein Ge­ setz, das jede Partei verpflichtete, in mindestens der Hälfte aller russischen Regio­ nen Filialen mit wenigstens 100 Aktivisten zu unterhalten. In ganz Rußland sollte eine Partei mindestens 10000 Mitglieder haben. Diese Anforderungen konnte keine der lokalen und regionalen Bewegungen erfüllen: Sie mußten sich auflösen oder sich einer der großen Moskauer Parteien anschließen. »Die Präsidialadministra­ tion schuf sich ein zentral gesteuertes System, das die Zahl der Parteien in ganz Rußland auf drei bis vier begrenzen sollte.«699 Damit wurde die Einflußnahme Mos­ kaus auf das politische Geschehen in den Regionen erheblich erleichtert. 4. Forderung der Angleichung aller Regionalgesetze an föderales Recht und an die Ver­ fassung von 1993. »Wladimir Putin wollte die Einheit des russischen Rechtsraumes wiederherstellen. Im Frühling 2000 unterzeichnete er ein gutes Dutzend Dekrete, in denen er Republiken und Regionen ultimativ aufforderte, einen erheblichen Teil ihrer Gesetze zu streichen oder sie der russischen Verfassung und den Föderal­ gesetzen anzupassen.«700 Auch das russische Verfassungsgericht leistete hierbei wichtige Unterstützung: »Koordiniert mit dem Angriff der Duma auf die Gouver­ neure, holten die Richter am 27. Juni 2000 zum Schlag gegen die >Souveränität< der

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Republiken aus. Sie verurteilten die >Souveränitätserklärungen< von Tatarstan, Baschkortostan und drei anderen Republiken als verfassungswidrig. Die >Souverä­ nität der Russischen Föderation< dulde keine anderen Souveränen Gebilde< auf ihrem Territorium. Zugleich bestritten die Verfassungsrichter den Republiken das Recht, sich weiter auf die mit Jelzin ausgehandelten Grundlagenverträge berufen zu können.«701 Während der Jelzin-Ära war das Verhältnis zwischen Moskau und den Föderationssubjekten durch ebensolche >Grundlagenverträge< geregelt, mit denen letztere ihre Privilegien gegenüber dem Moskauer Zentrum zu sichern such­ ten. Diese Verträge sollten nunmehr einer grundsätzlichen Revision unterworfen werden, wozu Putin Ende Juni 2000 eine Kommission beauftragte: »Damit zielte er auf das Fundament von Jelzins Vertragsföderalismus. Wladimir Putin und seine Beamten hielten mit ihren Absichten nicht hinter dem Berg: Die Abkommen sollten formal weiterexistieren, doch ihre Bedeutung verlieren. Putin lehnte es ab, ethni­ schen Republiken Sonderrechte einzuräumen. Zukünftig sollten Regionen und Republiken gleiche Rechte und Pflichten haben, festgeschrieben in föderalen Ge­ setzen, und nicht in Einzelverträgen.«702 5. Die Umverteilung der Steuern. Ein wichtiges Mittel, die Regionen wieder stär­ ker an das Zentrum zu binden, lag auf der finanziellen E bene. »An ders als Deu tsch­ land kennt Rußland keinen direkten Finanzausgleich zwischen den Provinzen. Die meisten Regionen hängen ganz von den Almosen des Zentrums ab.«703 Bis zum Jahr 2000 konnten die meisten Regionen mehr als fünfzig Prozent der Steuerein­ nahmen für sich behalten. »In separaten Verträgen hatten sich einige Republiken, darunter... auch Tatarstan, Baschkortostan und Sacha (Jakutien), noch höhere Quoten für ihre Haushalte gesichert. Mit diesen Sonderrechten war es nun vorbei. Die föderale Regierung beanspruchte fortan weit mehr als die Hälfte der Steuern. Ministerpräsident Michail Kassjanow sprach Ende Mai 2001 von 55 Prozent für das Zentrum und 45 Prozent für die Regionen.«704 Infolge dieser Neuordnung der Fi­ nanzverteilung wurden viele Regionen an den Rand des Bankrotts getrieben, was diese dazu zwang, ihr >TafelsilberMachtvertikale< stärker an das Moskauer Zentrum zu binden, indem ihnen in Aussicht gestellt wird, bei Unbotmäßigkeit jederzeit entlassen zu werden. »Im er­ sten Amtsjahr vermittelte Putin noch den Eindruck, als wolle er die Provinzfürsten entmachten. Doch bald lief alles auf eine neue, ungeschriebene Vereinbarung zwi­ schen Moskau und den Regionen hinaus. Strikter als Jelzin fordert der neue Präsi­ dent bundespolitische Enthaltsamkeit und Gehorsam in allen Fragen, die das Zen­ trum betreffen... Im Gegenzug dürfen die Gouverneure und Präsidenten in ihren Regionen aber weiter unumschränkt regieren... Im Sinne der >Machtvertikale< er­ hielten die Provinzfürsten ihrerseits gegenüber den lokalen Behörden und Gremi­ en deutlich stärkere Vollmachten, genauso wie Putin selbst jetzt die Gouverneure praktisch mit etwas juristischer Finesse entlassen darf...«709 Selbst wenn also mit der Föderalreform ein wirklicher Zentralismus in Rußland nicht durchgesetzt und die Macht der Regionalgouverneure nicht wirklich voll­ ständig beseitigt worden ist, so bleibt dennoch mit Viktor Timtschenko als Erg ebnis festzuhalten, daß sich das politische Gewicht des Kreml doch deutlich verstärkt hat und grundlegende Rahmenbedingungen für die Wiedervereinigung Rußlands ge­ schaffen worden sind. Bei dieser Föderalreform handelte es sich zudem nur vordergründig um ein rein innerrussisches Problem. Tatsächlich ist diese Streitfrage ein Bestandteil des von den USA geführten Kampfes um das eurasische Schachbrett. Nach den Plänen der US-Machtelite wird, wie bereits dargestellt, fieberhaft an einer Dezentralisierung Rußlands selbst gearbeitet, weil damit die Gefahr der Entstehung eines kontinenta­

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Wladimir Putin. Seine Politik zeichnet sich vor allem durch eine Renationalisierung und Zentralisierung des Energiesektors (unten: Pipeline-Bau am Nördlichen Eismeer) aus.

II. Die Grundlagen der russischen Geopolitik 247 len Gegenspielers für den Weltherrschaftsanspruch der USA gebannt wäre. Brze­ selbst schreibt, daß »ein dezentralisierteres Rußland weniger anfällig für im­ perialistische Propaganda« sei.710 Zu diesem Zweck schlägt er auch eine Dreitei­ lung der Russischen Föderation vor, bestehend aus einem europäischen Teil, einer sibirischen Republik und einer fernöstlichen Republik. Jede dieser Republiken sollte mit ihrer jeweiligen Randzone enge wirtschaftliche Beziehungen eingehen: der euro­ päische Teil mit Europa, der sibirische Teil mit Zentralasien und die fernöstliche Republik mit der Staatenwelt Ostasiens.711 Genau diese Entwicklung drohte mit dem soeben geschilderten Staatszerfall Rußlands unter Jelzin Wirklichkeit zu wer­ den. Die von Jelzin zu verantwortende Zersplitterung des einheitlichen russischen Wirtschafts-, Rechts- und Staatsgebietes lag deshalb voll auf der Linie der amerika­ nischen Geopolitik. Putins Staatsreform ist vor diesem Hintergrund mehr als eine bloß innerrussi­ sche Neuordnung: Sie bedeutete darüber hinaus nichts anderes, als daß durch sie den US-amerikanischen Plänen zur Teilung der Russischen Föderation einstweilen ein Strich durch die Rechnung gemacht worden ist. Sie ist als ein Schachzug Putins zu werten mit dem Ziel, der von den USA angestrebten Pluralisierung Eurasiens zunächst innerhalb der Russischen Föderation ein Ende zu bereiten. zinski

2.2.4.2 Die außenpolitische Konzeption Wladimir Putins Der Rußland-Experte und Putin-Berater Wolfgang Seiffert sieht die außenpoliti­ sche Konzeption Wladimir Putins in Zusammenhang mit dessen Idee vom >star­ ken Staat< und der >russischen Ideerussi­ schen Idee< bringt außenpolitische Konsequenzen mit sich.«712 Von den »zwei Grundlinien der russischen Außenpolitik« nach dem Ende der Sowjetunion, die Boris Meissner analysiert hatte, nämlich Proatlantismus einerseits und Eurasianis­ mus andererseits, stützt sich Putin nach Einschätzung von Wolfgang Seiffert auf die »eurasische Konzeption«, die Teil der »russischen Idee« ist.713 Grundsätzlich scheint die russische Geschichtsphilosophie in Gestalt das NeoEurasianismus nach Einschätzung vieler Beobachter in der gegenwärtigen Politik Rußlands eine nicht unerhebliche, ja sogar eine herausragende Rolle zu spielen.714 Nach der Auskunft der Moskowskije Nowosti liegt die Politik Präsident Putins, im Gegensatz zu der seines Vorgängers, auf der Linie der neu-eurasischen Strömung, wie sie derzeit insbesondere durch Michail Deljagin, den Leiter des Moskauer >In­ stituts für Probleme der GlobalisierungPax America­ na< entgegenzustellen gedenke. Auch nach Sonja Margolina bietet die neo-eurasi­ sche Doktrin Putin die Möglichkeit, ein Alternativkonzept zum universalen Macht­ anspruch der USA zu entwickeln: Sie lege »geopolitisch den Zusammenschluß eurasischer Staaten zu einem eigenständigen antiwestlichen Block nahe, verfolge

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gesellschaftlich ein etatistisch-kollektivistisches Konzept, setze wirtschaftlich auf einen >dritten Weg< zwischen Sozialismus und Kapitalismus und strebe eine Alli­ anz mit den traditionellen >eurasischen Konfessionenvielpoligen Welt< läßt sich als russischer Versuch interpretieren, der offenkundigen Asymmetrie gegenüber den in den Bereichen Wirtschaft und konventionelle Streitkräfte überlegenen USA ideologisch zu kon­ tern... Mit diesem Konzept will Moskau auch seine Eigenständigkeit betonen. Pri­ makow meinte, daß sich Rußland als eigener >Pol< anderen >Polen< nicht anschließen könne und dürfe. Das... korrespondiert... mit der in Eliten wie Gesellschaft Ruß­ lands dominierenden Auffassung, daß das Land einen eigenen, spezifisch >russischen< und von sämtlichen westlichen Modellen unabhängigen Weg gehen sollte.«720

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In dem Strategiedokument vom 10. Januar 2000 heißt es daher auch folgerichtig, daß die Weltordnung gegenwärtig von zwei »sich gegenseitig ausschließenden Tendenzen« geprägt sei: »Es verstärkt sich die Tendenz zur Herausbildung einer monopolaren Weltstruktur bei wirtschaftlicher und militärischer Dominanz der USA«, die »auf einseitige, vor allem militärische und gewaltsame Lösungen von Schlüsselproblemen der Weltpolitik unter Umgehung der grundlegenden Normen des Völkerrechts ausgerichtet« sei.721 »Bei der Lösung prinzipieller Fragen der in­ ternationalen Sicherheit setzt man auf westliche Institutionen und Foren im be­ grenzten Bestand, auf die Schwächung der Rolle des UN-Sicherheitsrates.«722 Auch die Expansion der NATO und ihre Verwandlung zu einem neoimperalisti­ schen Interventionsbündnis stelle sich nicht nur als eine unmittelbare Bedrohung der Russischen Föderation dar, sondern bewirke gleichzeitig eine Gefährdung der internationalen Stabilität: »Der Übergang der NATO zur Praxis der gewaltsamen (militärischen) Aktivitäten außerhalb der Verantwortungszone des Blocks und ohne Billigung des Sicherheitsrats der UN, die in den Rang einer strategischen Doktrin erhoben wurde, hat die Gefahr der Destabilisierung der gesamten strategischen Situation in der Welt zur Folge.«723 Demgegenüber steht die multipolare Welt, de­ ren Herausbildung Rußland unterstützt. »Rußland«, meint Horst G rossmann (Geopo­ litik in der russischen Föderation), »wird die Herausbildung eines multipolaren Systems der internationalen Beziehungen zu erreichen suchen, das adäquat die Vielschichtig­ keit der gegenwärtigen Welt mit der Vielfalt ihrer Interessen widerspiegelt.« Im folgenden wird das Strategiepapier deutlicher. Ohne sie direkt beim Namen zu nennen, wirft das Strategiepapier den USA und der NATO vor, die gezielte Destabilisierung der Russischen Föderation zu betreiben: »Gleichzeitig verstärken sich die Bemühungen einiger Staaten, die auf die Schwächung der Position Ruß­ lands in politischen, wirtschaftlichen, mitlitärischen und anderen Bereichen abzie­ len.«724 Begleitet wird dies, so das Strategiepapier, von einer Entmachtung von In­ stitutionen kollektiver Sicherheit und gleichzeitigem Aufbau der von den USA dominierten Bündnissysteme: Bedrohlich sind »die Bestrebungen einzelner Staa­ ten und zwischenstaatlicher Vereinigungen, die Rolle der bestehenden Mechanis­ men zur Gewährleistung internationaler Sicherheit, vor allem UN und OSZE, zu schmälern, sowie die Festigung der militärpolitischen Blöcke und Unionen, vor al­ lem die Erweiterung der NATO nach Osten«.725 Das Bedrohungsszenario für die Russische Föderation liegt dem Strategiepapier zufolge zusammengefaßt in folgenden Punkten: - dem Bestreben einzelner Staaten und zwischenstaatlicher Vereinigungen, die Rolle der existierenden Mechanismen zur Gewährleistung der internationalen Si­ cherheit, vor allem die der UNO und der OSZE, zu verringern, - der Gefahr der Schwächung des politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einflusses Rußlands in der Welt, - der Verfestigung der militärisch-politischen Blöcke und Bündnisse, vor allem die Osterweiterung der NATO,

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- der Möglichkeit des Auftauchens ausländischer Militärbasen und großer mili­ tärischer Kontingente in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen, - der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermit­ teln, - der Abschwächung des Integrationsprozessses in der Gemeinschaft Unabhän­ giger Staaten, - dem Entstehen und der Eskalation von Konflikten in der Nähe der Staatsgren­ zen der Russischen Föderation und der äußeren Grenzen der Teilnehmerstaaten der Gemeinschaft unabhängiger Staaten, - territorialen Ansprüchen an die Russische Föderation. Die russische Sicherheitspolitik hat daher - zusammengefaßt - zwei Schwerpunk­ te: erstens die Bedrohung vonseiten einer sich abzeichnenden monopolaren Welt­ struktur, gegen die sich Rußland stellen müsse, dem nunmehr die Aufgabe zufalle, die Einrichtung einer multipolaren Weltordnung zu unterstützen. Zum zweiten wird deutlich die Notwendigkeit hervorgehoben, die Desintegration der GUS rück­ gängig zu machen. Ausgelöst wurde diese Strategie durch das völkerrechtswidrige Vorgehen der USA und der NATO gegen die Bunderepublik Jugoslawien im März/April 1999, wodurch der Westen zeigte, daß er ohne weiteres bereit war, Gewalt anzuwenden, um einen neuralgischen Punkt der stategischen Ellipse, die sich vom Donaubecken bis zum Hindukusch hinzieht, unter seine Kontrolle zu bekommen. Der KosovoKrieg war von der NATO schließlich auch als Modell für eine künftige militärische Intervention in die ehemaligen Sowjetrepubliken gedacht.726 »Der Kosovo-Krieg der NATO wird zwar nicht ausdrücklich im Konzept erwähnt, aber er zieht sich unausgesprochen wie ein roter Faden durch die Aufzählung außen- und sicher­ heitspolitischer Bedrohungen. «727

2.2.4.2.2 Eine neue Strategie zur Integration der GUS als Grundbaustein der multipolaren Weltordnung Da also die Errichtung einer monopolaren amerikanischen Weltordnung von der Desintegration Eurasiens, der GUS und nicht zuletzt auch der Russischen Födera­ tion selbst abhängt, besteht Rußlands Aufgabe im Sinne der Schaffung der multi­ polaren Weltordnung darin, die Integration der GUS wiederherzustellen. Ange­ sichts der Gründung des antirussischen Regionalbündnisses der GUUAM möchte »der neue Präsident Putin... jetzt versuchen, die Integration der GUS auf eine qua­ litativ neue Stufe zu stellen«.728 Die Notwendigkeit dieser Politik wird dabei noch durch den Vorstoß des (von den USA geförderten) wahabitisch-islamischen Fun­ damentalismus verstärkt. »Putin begutachtet die Weltpolitik heute noch mit den Augen eines Geheimdienstagenten. In seiner Autobiographie schilderte er ausführ­ lich, wie der radikale Islam versucht, sich vom Nahen und Mittleren Osten her auf das südliche Gebiet der GUS auszubreiten und - über die Eroberung des Nord­

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kaukasus - auch in Richtung des Wolgabeckens zu orientieren. Entlang der Wolga, wo sich die wichtigsten russischen strategischen Ölreserven befinden, lebt der Groß­ teil der russischen-islamischen Bevölkerung - in Tatarstan und Baschkyrtostan. Wenn extremistische islamische Kräfte diese Gegenden unter ihren Einfluß brin­ gen und bis zum Ural vorstoßen würden, wäre - so Putin - eine Aufspaltung Ruß­ lands in einen europäischen und einen asiatischen Teil besiegelt. Rußland würde seine Staatlichkeit verlieren.«729 Um ein derartiges >Ausfransen< oder gar eine Zerstückelung der Russischen Fö­ deration zu verhindern, ist die Beziehung Rußlands zu den GUS-Staaten ein vor­ rangiges Problem russischer Geopolitik. Unter den regionalen Prioritäten steht sie in der außenpolitischen Konzeption der Russischen Föderation an ers ter Stelle. »Ein e vorrangige Richtung der Außenpolitik Rußlands ist die Gewährleistung der Über­ einstimmung der zwei- und mehrseitigen Zusammenarbeit mit den Teilnehmer­ staaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) mit den Aufgaben der natio­ nalen Sicherheit des Landes...« Als erstrangige Aufgabe »wird die Festigung der Union Belarus und Rußland genannt - als die in der gegebenen Etappe höchste Integrationsform zweier souveräner Staaten. Im Bereich des Kaspischen Meers ist ein Status anzustreben, der es den Anliegerstaaten ermöglicht, eine gegenseitig vorteilhafte Zusammenarbeit bei der Verwertung der Ressourcen der Region zu entfalten, auf gerechter Grundlage und mit gegenseitiger Beachtung der legitimen Interessen«.730 Putins Zielsetzung, die Politik gegenüber der GUS auf eine qualitativ höhere Stufe zu stellen, erfolgt vor allem aufgrund der Erkenntnis, daß sich die GUS als unbrauchbares Instrumentarium der Integration des eurasischen Raumes erwie­ sen hat. Deshalb sollte nunmehr eine neue Strategie eingeleitet werden, um die Zusammenarbeit und den Einfluß Rußlands auf die GUS-Republiken insbesondere in Zentralasien zu sichern. »Putin hat aus der Organisationsschwäche der GUS Konsequenzen gezogen und setzt Hebel zur Erweiterung des russischen Einflusses jetzt hauptsächlich auf bilateraler und subregionaler Ebene an.«731 Eine wichtige Rolle sollte dabei die Wirtschaft spielen: »Er (Putin, der Verf.) lockt die ehemaligen Sowjetrepubliken mit der Öffnung des russischen Marktes an und will die Expan­ sion des russischen Wirtschaftskapitals in diese Länder politisch mit unterstützen.« 732 Putins Reintegrationspolitik des postsowjetischen Raumes soll dabei nach einem wenn man es so nennen will - Plan unterschiedlicher Integrationsstufen erfolgen: Zunächst einmal soll sich ein Integrationskern von Staaten bilden, »die gewillt waren, sich zu einem höheren Niveau der Zusammenarbeit emporzuschwingen, an das die übrigen Teilnehmer der Gemeinschaft zu späterer Zeit Anschluß suchen konn­ ten«.733 Grundmodell für einen solchen Integrationskern soll die von Putin vorangetrie­ bene (bislang lediglich vertragliche) Vereinigung zwischen Weißrußland und der Russischen Föderation sein. Bereits am 2. April 1996 wurde zwischen diesen bei­ den Staaten ein Vertrag geschlossen, der auf die Bildung einer weißrussisch-russi­

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schen Union ausgerichtet war und die Errichtung gemeinsamer Exekutivorgane, eines gemeinsamen Staatshaushaltes, einer Währungsunion wie auch die Anglei­ chung beider Rechtssysteme vorsah, wobei aber die staatliche Souveränität und die territoriale Integrität der beiden Staaten zunächst erhalten bleiben sollte.34 Die­ ser Vertrag wurde am 8. Dezember 1999 qualitativ erweitert d urch den Vertrag zwi­ schen der Ru ssischen Föderation u nd der Rep ublik Weißru ßland über die Gründung eines Unionsstaates. Diesem Unionsmodell als Voraussetzung für weitere Einigungs­ prozesse innerhalb der GUS wird infolgedessen auch in dem außenpolitischen Kon­ zept Putins höchste Priorität eingeräumt, denn dort »heißt es, daß die Stärkung der >Union< mit Belarus >erstrangige Bedeutung< habe; dieses Gebilde repräsentiere >in der gegenwärtigen Etappe die höchste Form der Integration zweier souveräner Staa­ tenFünf< plus Armenien entwi­ ckeln ihre militärische und politische Zusammenarbeit auf der Grundlage des Ver­ trages über kollektive Sicherheit (von Taschkent im Jahre 1992, der Verf.). Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan und Usbekistan gründeten die Mittelasiati­ sche Wirtschaftsgemeinschaft. Rußland hat hier einen Beobachterstatus.«736 Der ehemalige Außenminister der Russischen Föderation, Igor Iwanow, faßte diese russische Integrationspolitik der »unterschiedlichen Geschwindigkeiten« mit folgenden Worten zusammen: »Mit Anbruch des 21. Jahrhunderts nahm eine neue Phase in der Gestaltung der russischen Politik gegenüber der GUS ihren Anfang. Zum Ausgangspunkt wurde die Erkenntnis der Notwendigkeit, die Aussichten, aus der Gemeinschaft eine funktionsfähige Integrationsvereinigung zu machen, realistischer einzuschätzen.«737 Mit anderen Worten: Die GUS war als Integrations­ modell gescheitert - im Gegenteil, ihre Entwicklung brachte sogar eine Bedrohung russischer Lebensinteressen mit sich, so daß nunmehr ein Wandel in der GUS-Poli­ tik erforderlich war: »Rußland stand vor einem Dilemma: Sollte es die Integration als höchstes Gut betrachten, für das es sich lohnte, jeden Preis und jegliche Konzes­ sionen an die Partner in Kauf zu nehmen, oder einen pragmatischeren Kurs ein­ schlagen, der sich in erster Linie an den ureigensten Interessen der nationalen Si­ cherheit und der wirtschaftlichen Entwicklung des Landes orientierte? Schließlich entschieden wir uns für die Vertiefung der zweiseitigen Beziehungen mit den Mit­ gliedsländern der GUS als notwendige Voraussetzung für die weitere Entwicklung der Integrationsprozesse. Die Beziehungen zu jedem dieser Staaten sollen fortan in Abhängigkeit von seinem Interesse an der Zusammenarbeit und seiner Bereitschaft

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gestaltet werden, den Interessen Rußlands Rechnung zu tragen, auch was seine Sicherheit und die Respektierung der Rechte unserer Landsleute betrifft... Die Entwicklung der zweiseitigen Beziehungen zu den GUS-Ländern betrachtet Ruß­ land als notwendige Etappe auf dem Weg der Vertiefung des multilateralen inte­ grativen Zusammenwirkens.«738 Den Einigungsbemühungen Putins sind jedoch insbesondere im Transkaukasus und Zentralasien Grenzen gesetzt. Diese Region ist nämlich für die Imperialmacht USA der entscheidende Ansatzpunkt, jegliche Bemühungen Putins, den russischen Einfluß in Eurasien wieder zu verstärken, zu durchkreuzen, selbst wenn es Ruß­ land gelingen sollte, in Transkaukasien kurzfristig an Einfluß zu gewinnen. »Die inneren und grenzüberschreitenden Konflikte in dieser Region - in und zwischen Inguschetien und Nordossetien, in Dagestan, Karbadino-Balkarien und weiter süd­ lich zwischen Georgien und dem separatistischen Abchasien sowie zwischen Aser­ baidschan und Armenien (um Berg-Karabach) - eröffnen Rußland immer wieder Möglichkeiten, Einfluß auf die Geschicke der betreffenden Republiken und Staaten auszuüben. Andererseits ist dieser Einfluß keineswegs stabil; Erfolge werden von Rückschlägen abgelöst... Ein Mittel, um Moskaus Einfluß zu bewahren, war der Druck, den es auf Tiflis und Baku ausgeübt hat, sich aktiver bei der >Terroristenbe­ kämpfung< im Nordkaukasus zu beteiligen und russischen Truppen zu gestatten, von ihren Basen in Georgien aus nach Norden zu marschieren, um die tschetsche­ nischen Guerillakämpfer von beiden Seiten der tschetschenisch-georgischen Grenze in die Zange zu nehmen und ihnen die Nachschubwege über Aserbaidschan und Dagestan abzuschneiden. Der Druck hat zwar Tiflis und Baku aufgeschreckt, aber keine wesentliche Änderung ihrer auf größere Unabhängigkeit von Moskau ge­ richteten Politik bewirkt.«739 Dank der heimlichen Unterstützung der USA für die Randländer der GUS ent­ wickeln sich die Wiedervereinigungsbemühungen Rußlands als schwierig, und ins­ besondere das auf Initiative Washington mitbegründete Regionalbündnis der GU­ UAM sorgt hier für eine Begrenzung russischen Einflusses. Es sind vor allem die Energieinteressen der USA, die eine Eindämmung der Bestrebungen Rußlands in der kaspisch-zentralasiatischen Region einfordern: »Eingeschränkt wird der russi­ sche Einfluß im Kaukasus auch durch die amerikanische Politik. Nach der Auflö­ sung der Sowjetunion galt Zentralasien - vor allem im Vergleich zu den baltischen Staaten und der Ukraine - in Washington als weniger wichtig. Der Türkei wurden infolgedessen gewissermaßen stellvertretend für die USA sicherheits- und ordnungs­ politische Aufgaben in der kaukasisch-zentralasiatischen Großregion eingeräumt. 1997 hat Washington allerdings klargestellt, daß es diese Region als zur Sphäre der >nationalen Interessen< der USA gehörend betrachtet. Die Öl- und Gasvorkommen der Region hatten und haben damit viel zu tun. Nicht zuletzt aufgrund von Einwir­ kung und Einfluß der USA hat Moskau eine wichtige Runde in den Auseinander­ setzungen über die Führung der Hauptausfuhrleitung (Main Export Pipeline) für das Erdöl des kaukasischen Kontinentalsockels verloren: Am Rande der OSZE-Gip­

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felkonferenz in Istanbul im November 1999 unterzeichneten die Präsidenten der Türkei, Aserbaidschans, Georgiens und Turkmenistans ein Abkommen, das eine Trassenführung für den Export des kaspischen Öls von Baku über Aserbaidschan und Georgien zum osttürkischen Mittelmeerhafen Ceyhan vorsieht. Die Verwirkli­ chung dieses Projekts würde vermutlich dazu beitragen, die Wirtschaft und politi­ sche Unabhängigkeit der beteiligten Staaten zu stärken und Moskaus Einfluß zu verringern«,740 so schätzt Hannes Adomeit die geopolitische Lage Moskaus beim Machtantritt Putins ein.

2.2.4.2.3 Die Europäische Union als bedeutendster Bündnispartner gegen die US-Vorherrschaft Ein wichtiger Partner Rußlands für die Strategie, eine multipolare Weltordnung zu schaffen, ist nach Putin die Europäische Union, die nach seiner Einschätzung als »strategisch wichtiger Partner«741 anzusehen ist. Die Europapolitik Putins besteht darin, die Idee einer europäischen Verteidigungsidentität, die sich im Rahmen der sich seit 1999 vollziehenden gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU herausbildet, mitzugestalten, um zu verhindern, daß sich hier ein weiterer feindli­ cher Militärblock bildet, der den antirussischen Einkreisungsring abschließen wür­ de. »Moskau befürchtet, nach der NATO-Osterweiterung und der Stärkung trans­ atlantischer Strukturen auf dem Balkan und im Kaspischen Raum nun auch von den Integrationsprozessen innerhalb der EU isoliert zu werden«,742 was nicht nur eine geopolitisch-militärische, sondern auch eine geoökonomische Abschnürung Eurasiens zur Folge hätte. Rußland geht es infolgedessen darum, den Transatlantismus - die sicherheitsund militärpolitische Bindung Europas an die USA - zu neutralisieren, indem es die EU auffordert, eine eigene sicherheitspolitische Identität zu definieren, damit diese nicht als Glacis für den amerikanischen Aufmarsch gegen Eurasien den anti­ russischen Einkreisungsring vervollkommnen kann. Der Politologe Hannes Ado­ meit schreibt daher auch, daß »die Zusammenarbeit Rußlands mit der EU nicht als Vorstufe oder Teil einer euroatlantischen Sicherheitspartnerschaft gewertet wer­ den dürfe. Die Absichten lassen sich vielmehr traditionellen sowjetischen Bemü­ hungen zuordnen, Europa von Amerika zu trennen...«743 Infolgedessen sollen die Europäer - worauf auch das bereits zitierte Strategiedokument aus dem Jahre 2000 hinweist - selbst ihre Sicherheit gewährleisten, »ohne die Vereinigten Staaten und NATO zu isolieren, aber auch, ohne ihnen eine Monopolstellung auf dem Konti­ nent« einzuräumen. Mit einer strategischen Partnerschaft zur EU verbindet P utin daher auch die Schaf­ fung eines kontinentaleuropäischen Gegengewichtes zur transatlantischen NATO. Vor diesem Hintergrund müsse Rußland »politische und militärische Kontakte mit der WEU als einem integralen Bestandteil der EU entwickeln..., was unter ande­ rem dazu beitragen könnte, ein Gegengewicht zum NATO-Zentrismus in Europa« zu bilden.

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Damit ist die EU »einer der wichtigsten strategischen Partner«, die Zusammen­ arbeit mit den Staaten Westeuropas sei eine »wichtige Ressource für die Verfol­ gung russischer Nationalinteressen«.744 Gleichwohl aber strebt Putin mit seiner EUStrategie keine Einbindung Rußlands in die EU-Strukturen an. Vielmehr soll die Europäische Union zu einem strategischen Partner aufgewertet werden mit dem Ziel eines Gleichgewichts zweier Integrationsmodelle - einerseits die EU, anderer­ seits die GUS unter Führung Rußlands - auf dem eurasischen Kontinent. Infolge­ dessen plant Moskau auch nicht die Integration in die EU im westlichen Sinn als freiwillige Abgabe von Souveränität an supranationale Institutionen: Rußland, so heißt es in der »Mittelfristigen Strategie« »muß die Freiheit behalten, seine Innenund Außenpolitik zu bestimmen und auszuführen« sowie die »Unabhängigkeit seiner Positionen und Aktivitäten in internationalen Organisationen« und »seinen Status und Vorteile als euroasiatischer Staat und größtes Land der GUS« zu wah­ ren. Dabei geht es Putin auch nicht um eine übergreifende Integration von GUS und EU, sondern darum, »die positive Integrationserfahrung der EU für die Stär­ kung und Entwicklung von Integrationsprozessen im GUS-Raum zu nutzen«.745 Darüber hinaus verbindet sich mit der strategischen Partnerschaft zur EU für Rußland auch die Hoffnung, die US-amerikanische Strategie zur Abdrängung Ruß­ lands vom kaukasischen Energiepoker und von den Pipelinekorridoren Richtung Zentralasien und Kaukasus zu neutralisieren. »Europäische Energiegesellschaften sollen durch lukrative Konzessionen auf den russischen Markt gelockt werden, der Euro soll den Dollar als ausländische Währungsreserve ersetzen. Rußland offeriert der EU die Zusammenarbeit beim Aufbau eines paneuropäischen Transportnetz­ werkes und gemeinsamer Öl- und Gaspipelines. Rußland befürchtet, durch die gegenwärtige Errichtung der eurasischen Transport- und Kommunikationskorri­ dore durch den Kaspischen Raum von wichtigen Handelsströmen abgeschnitten zu werden.«746 Die Hoffnungen auf ein tieferes Zusammengehen zwischen Rußland und den beiden europäischen Zentralmächten Deutschland und Frankreich im Sinne einer eurasischen Troika, die im März 1998 anläßlich eines Gipfeltreffens der Staatschefs dieser drei Mächte in Moskau von russischen Geopolitikern gedacht war, blieben aber schon von Anfang an begrenzt. Insbesondere die von der Machtelite der Bundes ­ republik Deutschland zur Staatsdoktrin erhobene >WestbindungKon­ zerts der Mächte< in Europa zerstörte russische Hoffnungen auf eine Wiederho­ lung der >Rapallo-Politik< der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts. Deutsch­ land weigerte sich beharrlich, mit Rußland hinter dem Rücken der Amerikaner und Mittelosteuropäer über die künftige Sicherheitsstruktur Europas zu sprechen... Die Europäer blieben noch mit den USA verheiratet. An eine Scheidung war nicht zu denken.«747

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Darüber hinaus leidet eine Zusammenarbeit zwischen Rußland und der Euro­ päischen Union, wie sie sich Putin vorstellt, schon an dem grundsätzlichen Dogma westlicher Geopolitik, es nie wieder zum Aufstieg eines russischen Rivalen mit Welt­ machtformat kommen zu lassen. Während Putin auf die Idee einer strategischen Partnerschaft auf der Grundlage zweier einander gleichberechtigter Großräume setzt, fordert die westliche Machtelite nämlich eine direkte Eingliederung Rußlands in ihr politisch-wirtschaftliches Ordnungssystem, in dem für Rußland kein Raum bleibt, eigene politische und wirtschaftliche Schwerpunkte zu setzen. »Erstens will die EU mit Hilfe ihrer >Gemeinsamen Strategie< grundlegende Strukturverände­ rungen in Rußland bewerkstelligen und ein >stabiles, demokratisches und prospe­ rierendes Rußland schaffen, das fest in einem geeinten Europa ohne neue Trennli­ nien verankert istMittelfristigen Strategie< Moskaus auf gleichberechtigter Zusammenarbeit... Zweitens gibt es ein Problem bei der Funktion, die dem Staat beigemessen wird: Während sich durch die EUStrategie unübersehbar die Vorstellung zieht, daß demokratische und marktwirt­ schaftliche Strukturen >von unten nach oben< entwickelt und autonomen Prozes­ sen zwischengesellschaftlicher Integration großer Spielraum eingeräumt werden müßten, wird in der russischen Reaktion die Rolle des Staates sowohl für die innere Entwicklung als auch bei der Gestaltung der Beziehungen Rußland-EU hervorge­ hoben.«748

2.2.4.3 Zusammenfassung Nach der kurzfristigen >romantischen< Episode der russischen Außenpolitik wurde sich Rußland seiner eigentlichen geopolitischen Lage und Funktion als eigenstän­ dige eurasische Macht wieder bewußt. Der russische Geopolitiker W. P. Gulin be­ tont dies in seiner Analyse Geopolitik des russischen Volkes als Schlußfolgerung: »Ruß­ land des 21. Jahrhunderts muß eine selbständige Zivilisation bleiben, gestützt auf den Status einer großen eurasischen Macht, groß durch seine ökonomischen, sozi­ alen und geistigen Errungenschaften«. Dabei sei diese historische Rolle Rußlands durch objektive Faktoren bestimmt, wie die einmalige geopolitische Lage des Lan­ des, das nach seiner territorialen Ausbreitung einen großen Teil des eurasischen Raumes einnehme, wie die Tatsache, daß auf dem russischen Territorium strategi­ sche Rohstoffe vorhanden seien, die für die Entwicklung sowohl Europas als auch Asiens Bedeutung hätten, und nicht zuletzt durch den Umstand, daß Rußland nach wie vor eine Raketen- und Kernwaffenmacht sei.749 Rußlands Aufgabe liegt nach den Doktinen der Eurasier darin, als Integrations­ knoten zwischen Europa und Asien zu wirken. »Europa und Asien würden zum doppelten Fundament der ökonomischen und geistigen Entwicklung. Sie befinden sich auf dem gewaltigen einheitlichen Kontinent, wo sich das geopolitische Zen­ trum der Welt befindet. Die bedeutendsten Kommunikationslinien, auf dem Land, dem Meer und in der Luft, die die sich rasch entwickelnden Länder der atlanti­ schen und pazifischen Küste verbinden, gehen durch den Raum Osteuropas und

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das westliche Asien. Die Kontrolle dieses Raumes hat lebenswichtige Bedeutung, die die ganze Welt betrifft. Das geopolitische Privileg Rußlands besteht darin, daß es als Staat diesen Raum einnimmt und eine Eurasische Brücke darstellt. Die kluge Ausnutzung dieses geopolitischen Status kann zu Resultaten großer historischer Bedeutung führen.«750 Genau auf dieser Linie bewegt sich auch die Außenpolitik Wladimir Putins mit dem Ziel eines »starken Rußlands«, »das als Integrationsknoten im Gesamtzusam­ menhang einer multipolaren Weltordnung stabilisiert und integriert werden müs­ se«.751 Rußland-Experte Kai Ehlers weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Prozeß der Selbstfindung Rußlands eine logische Konsequenz der amerikani­ schen Machtpolitik der »einzigen Weltmacht« (Z. Brzezinski) ist. »Die seit 1991 statt­ findende Einkreisung Rußlands durch die USA und NATO, die auf eine Minimie­ rung des Landes, eine (von den USA bewußt und systematisch geschürte) pluralistische Zersplitterung statt auf eine notwendige konföderative Neugestal­ tung des eurasischen Herzlandes hinausläuft, hat aber die Kräfte der Restauration mit dem Ziel der Rezentralisierung autoritärer Strukturen auf dem Plan gerufen.«752 Ähnlich sieht es auch der von der Zeitung Le Monde diplomatique herausgegebe­ ne Atlas der Globalisierung: »Rußland rechnete damals mit einer radikalen Kürzung der westlichen Militärausgaben und einer Unterstützung in Höhe der Beihilfen, die Westeuropa 1948 im Rahmen des Marshallplans erhalten hatte. Es hoffte auch, daß auf die Auflösung des Warschauer Paktes die der NATO folgen würde und daß außerdem die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) gestärkt aus dem Prozeß hervo rgehen würde. Da die USA ihre hohen Militär­ ausgaben beibehielten, vergrößerte sich ihr Vorsprung gegenüber Rußland unwei­ gerlich. Die NATO nahm eine interventionistische Ausrichtung an und forderte die ehemals von Rußland dominierten Länder zum Beitritt auf. Dies und vor allem der Kosovokrieg 1999 verärgerten und verbitterten die Russen.«753 Nach 1999 stan­ den sich Kai Ehlers (Domino im Kaukasus) zufolge schließlich grundsätzlich zwei Weltordnungen gegenüber: - Zum einen die in den siebziger Jahren schon von China definierte Politik der multipolaren Weltordnung verschiedener geopolitischer Gravitationszentren. Diese Strategie wurde von Gorbatschow, vom russischen Außenminister Primakow und schließlich auch von Putin wiederaufgegriffen. In diesem Ordnungskonzept sollte eine eurasische Konföderation ein >Pol< neben anderen >Polen< sein. - Demgegenüber steht die von den USA ausgehende Konzeption eines globalen Imperiums der »einzig verbliebenen Weltmacht«, die die Ausbreitung einer unein­ geschränkten Vorherrschaft der USA und die systematische Niederhaltung mögli­ cher Konkurrenten vorsieht. Diese Strategie wird, nachdem sie schon 1994 von B rze­ zinski öffentlich formuliert worden war, dann von den Neokonservativen unter George W. Bush verfolgt.

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Im Kampf um die Neuaufteilung der Welt, in der nach den amerikanischen Dok­ trinen Eurasien das Zentrum der Auseinandersetzungen um die Weltherrschaft ist, ist Putins Kurs der Wiedervereinigung der GUS die »einzig mögliche Position, die Rußland zwischen Asien und Europa im globalen Kräfteringen... einnehmen kann«.754 Dieser Kurs beinhaltet - so Kai Ehlers - folgende Kernelemente: - Wiederannäherung an die GUS, Annäherung an China, Aufbau des Shanghai­ er Bündnisses in Fernost, womit Rußland seine fernöstliche Flanke stärkt. - Bemühen um eine Wiederherstellung des früheren Einflußgebietes durch eine Wirtschafts- und Zollunion Rußlands mit der Ukraine, Weißrußland, Kasachstans und Moldawiens, mit der Rußland der NATO- und der EU-Erweiterung Grenzen aufzeigt. - Neudefinition Rußlands als Integrationsknoten zwischen Asien und Europa, daß heißt, Putin setzt der Einkreisung Rußlands durch die NATO- und EU-Erwei­ terung eine Politik der Bündnisse nach Osten (Annäherung an China, Ausbau der >Shanghaier Organisation für ZusammenarbeitRimlands< her­ auszubilden, die der Atlas der Globalisierung folgendermaßen beschreibt: »Dabei sind zwei entgegengesetzte Entwicklungen zu beobachten: Einerseits bil­ dete sich unter dem Einfluß der USA am Rande von OECD- und NATO-Tagungen eine kritische Front, die sich 1997 mit der Gründung der GUAM (Georgien, Ukrai­ ne, Aserbaidschan, Moldawien, während der kurzzeitigen Mitgliedschaft Usbekis­ tans auch GUUAM genannt) institutionalisiert hat. Diese Staaten kritisieren das undurchsichtige Spiel Moskaus bei Konflikten (Transnistrien, Krim, Abchasien, Karabach etc.). Sie werfen Moskau vor, die Abhängigkeit der Staaten von russi­ schen Energielieferungen auszunutzen, um deren Souveränität zu schwächen, und haben am südlichen Rand Rußlands Initiativen gestartet, um sich in so zentralen Fragen wie Erdölversorgung und Sicherheit unabhängig zu machen. Sie lehnen russische S tützpunkte und Grenzposten ab und engagieren sich für eine Zusammen­ arbeit mit der NATO bzw. für die Stationierung von US-Soldaten. Auf der anderen Seite formierte sich eine enge Zusammenarbeit einzelner Staaten mit Moskau in­ nerhalb einer Zollunion, die sich 2000 zur Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft weiterentwickelte. Harter Kern dieses Bündnisses ist die Union Rußland-Weißruß­ land, die demnächst über ein gemeinsames Parlament und eine gemeinsame Wäh­ rung verfügen wird. Hinzu kommt die Erneuerung des Abkommens über kollektive Sicherheit, das auch Armenien unterzeichnet hat, sowie die Gründung der >Schang­ hai-Gruppe< - ein Bündnis mit China im Kampf gegen den islamischen Terroris­ mus (mittlerweile trägt sie den Namen >Schanghaier Organisation für Zusammen­ arbeit, ihre Mitglieder sind: China, Kasachstan, Kirgisistan, Rußland, Tadschikistan und Usbekistan).«760 Mit diesen Entwicklungen sowie »durch die Errichtung von US-Militärstützpunk­ ten in Zentralasien und im Kaukasus ist das ohnehin fragile Gleichgewicht ins Wanken geraten«,761 und zwar zu Lasten der Russischen Föderation, für die die Aufrechterhaltung der Einheit Eurasiens mit Ausschluß einer Intervention raum­ fremder imperialer Seemächte eine Existenzfrage ist. »Moskau fühlt sich durch das Erstarken der Amerikaner im ölreichen Zentralasien, die US-Ausrichtung Georgi­ ens, die Erweiterungen von EU- und NATO... in die Defensive gedrängt. Das hat der russische Abgeordnete Wiktor Alksnis, ein früherer Luftwaffen-Offizier, gera­ de besonders plastisch auf den Punkt gebracht: >Als Mann des Militärs sehe ich: Rußland ist umzingeltRußland wurde in seinen Bemühungen, den Krieg fortzusetzen, vollkommen ab­ hängig von Großbritannien.< Tatsächlich gingen von englischer Seite zwischen 1914 und 1917 Kriegsmaterialien im Werte von 568 Millionen Pfund an Rußland. Dafür stellte Rußland den Zentralmächten aber mehr Soldaten entgegen als die übrigen Alliierten zusammen. Allein schon diese Sachverhalte mußten Rußland zum mög­ lichen Ziel einer Intervention der Ententemächte machen.«768 Um nach dem Ende des Ersten Weltkrieges einen wirtschaftlichen Einfluß Deutschlands auf das durch Kriegwirren und Revolution zerrüttete Rußland zu verhindern, entwickelte der damalige Erste Lord der britischen Admiralität Chur­ chill, der als Vater der anglo-amerikanischen Intervention in das russische Bürger­ kriegsgeschehen gilt,769 mit dem russisch-polnischen Bankier Jaroschinski im Som­ mer 1919 den nach letzterem benannten >Jaroschinski-PlanRussischen Bank für AußenhandelRetrograder InternationalBank< und anderen Banken aufkaufte. Dafür hatte sich die britische Regierung un­ ter anderem das Recht eingehandelt, die Hälfte der Verwaltungsratsmitglieder dieser Banken zu ernennen..., um auf diese Weise die Bankenpolitik kontrollieren zu können... Jaroschinski schlug nun im Juli 1919 vor, diese vor einem Jahr begon­ nene Politik, >nämlich die Kontrolle der russischen Banken zu sichern, diese dem deutschen Einfluß zu entziehen und an England zu übertragenJaroschinski-Plan< bezeichneten Memorandum, das am 5. Juli 1919 von Jaroschinskis Mittelsmann, John Picton Bagge, vorgestellt wurde: »Auf der Grundlage gegenseitigen Vorteils der beiden Länder schlage ich die Lösung des vorliegenden Problems vor, daß Großbritannien sich die Kontrolle über die Großbanken, Transportgesellschaften und Versicherungskompanien Ruß­ lands sichern soll... Das angestrebte Ziel aber ist noch weit imperialer. Die Kon­

III. Die erste Auseinandersetzung um die Kontrolle Eurasiens

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trolle der Banken würde die wirtschaftliche und politische Kontrolle Rußlands be­ deuten... Ich schlage vor, daß britische Staatsbürger Senioren- und Juniorenposten in allen Banken und ihren abhängigen Unternehmen erhalten sollen. Ich brauche kaum darauf hinzuweisen, wie wichtig es für das britische Empire in bezug auf politischen und wirtschaftlichen Nachrichtendienst sein würde, ein Netz von briti­ schen Bürgern über ganz Rußland verstreut zu haben... Als Folge würden der bri­ tischen Regierung nicht nur von vielen Seiten politische Nachrichten zugänglich sein, sondern man könnte auch jeden Schritt beobachten, den unsere Konkurrenten auf dem russischen Markt unternehmen... Zusätzlich zu diesem über die Zentral­ bank organisierten Nachrichtendienst könnte auch eine Kontrolle über die Presse gesichert und unterhalten werden. Zudem könnte ein Propagandadienst eingerichtet werden.«771 Um dieses Ziel zu verwirklichen, wurden von England die antibolschewistischen Kräfte unter Koltschak und Denikin unterstützt, verbunden mit einer eigenen mi­ litärischen Intervention. Insbesondere vor dem Hintergrund einer möglichen deutsch-russischen Zusammenarbeit, die es mit allen Mitteln zu verhindern galt, »bildeten wirtschaftliche Überlegungen eine wichtige Rolle in der Fortsetzung der Intervention.772... Die militärische Intervention (der Entente, der Verf.) in Rußland war immer auch eine wirtschaftliche Intervention, im Baltikum so gut wie in Sibiri­ en«.773 Im Juli 1919 erklärte US-Präsident Wilson dem Vorsitzenden des Senates, »daß der Zweck des Verbleibens amerikanischer Truppen in Sibirien es sei, daß wir... eine notwendige Handelsstraße offen halten...«774 Insbesondere die antikommunistischen Generale Denikin und Koltschak hatten hier für die anglo-amerikanische Hochfinanz und deren Konzerne die Funktion, den russischen Markt militärisch zu erobern und einen Einfluß der Deutschen auf wirtschaftlichem Gebiet zu beseitigen. Am 2. Juli 1919 begründete Churchill die von ihm geforderte Unterstützung Denikins mit der Erklärung, »daß sich für Man­ chester, Sheffield, Leicester und andere britische Industriezentren eine enorme Ge­ legenheit biete, sich auf Generationen hinaus einen Millionenmarkt zu sichern«.775 Ferner führte Churchill aus: »Die Fortschritte an General Denikins Front sind ge­ waltig... Seine Truppen kontrollieren Gebiete mit mindestens dreißig Millionen europäischer Russen und beherbergen die dritt-, viert- und fünftgrößte Stadt Ruß­ lands. Diese Regionen sind dem britischen und französischen Handel zugänglich... Als Ergebnis unseres Handelns steht es uns nun frei..., eine höchst profitable Zu­ kunft für den britischen Handel vor uns zu haben.«776 Neben Denikin fand auch Koltschak großzügige Unterstützung; britische und amerikanische Banken gewähr­ ten ihm eine 50 Millionen-Dollar-Anleihe.777

1.2 Pläne zur territorialen Aufteilung Rußlands Neben der geplanten wirtschaftlichen Kontrolle Rußlands befaßte sich Winston Churchill auch mit einer territorialen Neugliederung Rußlands. Entscheidend kam

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es für das britische Empire darauf an, daß sich aus einem territorial geschlossenen russischen Raum niemals mehr eine Kontinentalkonkurrenz für die angelsächsi­ sche Seemacht entwickeln konnte. Ein geeintes Rußland war daher nur so weit zu­ gelassen, wie es dazu dienen konnte, als verbündeter Einkreisungspartner gegen das Deutsche Reich zu dienen. Auch von diesen Überlegungen wurde die britische Hilfe für die antikommunistischen Kräfte abhängig gemacht: Am 2. August 1919 erklärte Churchill dem kommandierenden General der britischen Interventions­ truppen in Archangelsk, daß die britische Unterstützung für die Weißen noch sechs Monate andauern könne, danach müsse sie eingestellt werden: »In sechs Monaten sehe die Situation in Rußland entweder so aus, daß die Bol­ schewiki oder Koltschak und Denikin gewonnen haben würden oder aber die bei­ den Kontrahenten sich wie jetzt als etwa gleich stark gegenüberstünden. Eine Vor­ herrschaft der Bolschewiki würde zu einer Germanisierung Rußlands führen, zu einer russisch-deutschen Weltmacht, die die britischen Besitzungen im Osten be­ drohen würde. Ein Sieg der Weißen würde ein geeintes Rußland mit sich bringen, das potentiell eine Bedrohung darstellen könnte, aber, da mit britischer Hilfe ge­ schaffen, gegen Deutschland eingestellt sein würde. Die dritte Möglichkeit eines Patts würde wahrscheinlich zu einer Zerstückelung Rußlands mit drei separaten und halb unabhängigen Staaten führen: einem Kosakenstaat unter Denikin in Süd­ rußland und an der Wolga, einem sibirischen Staat unter Koltschak mit dem Ural als Westgrenze und einem bolschewistischen Staat in Zentral- und Nordrußland, der Petrograd und Moskau einschlösse.«778 Durchgeführt werden sollte eine territoriale Aufteilung Rußlands von den Rand­ staaten her. Churchill beschrieb diese Strategie mit folgenden Worten: »Natürlich folgte daraus, daß wir trachten würden, alle dem Bolschewismus feindlich gesinn­ ten Randstaaten in ein kriegerisches und diplomatisches System zusammenzufas­ sen und auch alle anderen Verbündeten zur äußersten Beihilfe zu bewegen. So war die Politik beschaffen, die wir übereinstimmend verfolgten - und so weit war sie begrenzt.«779 Der Historiker Alex P. Schmid bezeichnete diese Strategie als Instrumentalisierung der aus der Zerfallsmasse des Habsburger und des Zarenreiches entstandenen Nach­ folgestaaten zur Intervention in den Russischen Bürgerkrieg.780 Eine wichtige Rolle sollte dabei neben Finnland, Rumänien und der Tschechoslowakei insbesondere Po­ len spielen, das als imperialistische Macht »von einem konföderierten Osteuropa unter polnischer Vorherrschaft träumte«781 und dem deshalb dem strategischen Ziel der Einkreisung und Aufteilung Rußlands nicht ganz ungelegen kam. Churchills Alli­ anzdiplomatie im sibirisch-ostasiatischen Raum sollte den Kreis um Sowjetrußland schließen. Im Mittelstück zwischen Kaukasus und China hatte der britische Außen­ minister Curzon durch ein Abkommen mit Persien und durch den Friedensschluß mit Afghanistan im August 1919 den Einkreisungsring vervollständigt. Der bolschewistische Verteidigungskommissar Trotzki erkannte diese Einkrei­ sungsgefahr: »Gewissen Anzeichen zufolge könnte der Waffenstillstand zwischen

III. Die erste Auseinandersetzung um die Kontrolle Eurasiens

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Afghanistan und England sich voll gegen uns auswirken. Nach den Berichten un­ serer Leute in Turkestan ist England damit beschäftigt, Persien, Buchara, Khiwa und Afghanistan gegen sowjetisch Turkestan zu vereinen. Es wäre unglaublich, wenn es dies nicht tun würde. England ist gegenwärtig dabei, eine Kette von Staa­ ten im Osten zu bilden, geradeso, wie es dies auch an unserer Westgrenze getan hat...«782 Auch die japanische Expansionspolitik sollte in diese antirussische Ge­ samtstrategie eingebunden werden, mit der Japan - so der seinerzeitige britische Botschafter in China - geradezu auf das Ziel seiner imperialen Wünsche hinge­ führt werde: »Ein halb abhängiges Ostsibirien von Irkutsk bis Wladiwostok, abge­ rundet durch den Einschluß der Mandschurei und der Mongolei.«783 Churchills Vorstellung von der Gestaltung Rußlands sah so aus, daß es ledig­ lich fomell geeint, tatsächlich aber dezentralisiert blieb. Dieser Gedanke lag dem Plan zugrunde, daß die russischen Provinzen mit den Randstaaten, den Instrumen­ tarien der antirussischen Einkreisung, dann eine militärische Zusammenarbeit ge­ gen das Zentrum eingehen konnten: »Churchills Betonung des föderativen Prin­ zips entsprang vor allem seinem Wunsch nach einer militärischen Kooperation der Randstaaten bei der Intervention.«784 Insgesamt stand die britische Außenpolitik einem geeinten Rußland sehr zwie­ spältig bis ablehnend gegenüber, wobei vor allem auch die Frage einer deutsch­ russischen Zusammenarbeit im Vordergrund der Überlegungen stand, die es unter allen Umständen zu verhindern galt. In seinem Memorandum vom 12. September 1919 erhob der britische Außenminister Curzon »schwere Bedenken gegen ein star­ kes Rußland, würde dies die Macht doch wieder in die Hände der >Imperialisten von jenem Schlag, der Rußland vor der Revolution beherrschtePrinzip der Offenen Türdann dürfte klar sein, daß uns eine sehr schwere Zeit bevor­ steht, was die wirtschaftliche und soziale Lage des Landes betrifft. Wir können nicht noch einmal solch ein Jahrzehnt wie Ende der 1920er und Anfang der 1930er Jahre durchmachen, ohne daß wir die weitreichendsten Konsequenzen für unser wirtschaftliches und soziales System tragen müßten... Wenn wir dieses Problem ins Auge fassendann läßt sich feststellen, daß es eine Frage der Märkte ist. Wir müssen dafür sorgen, daß das, was das Land produziert, unter fi­ nanziellen Bedingungen verwendet und verkauft wird, welche die Produktion erst

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ermöglichen.< Über die Lösung, erklärte Acheson den Kongreß-Abgeordneten, be­ stünde kein Zweifel: >Wir müssen nach ausländischen Märkten suchen... Vor al­ lem möchte ich zum Ausdruck bringen, daß wir diese Märkte für die Produktion der Vereinigten Staaten benötigenNew DealWir müssen große Mengen an Maschinen, Transportmitteln und Geräten ins Ausland verkaufen, wenn wir die Schließung zahlreicher Industriebetriebe verhindern wollen.< Arbeiter- und Bauernführer unterstützten zusammen mit Wirtschaftsvertretern und Regierungs­ funktionären diese These: >Wir können unmöglich eine ausgelastete Produktion und Vollbeschäftigung aufrechterhaltenwenn wir nicht auf ein Weltreservoir an freien, wohlhabenden Konsumenten zu­ rückgreifen können.< >Der Außenhandelkann zur Trennlinie zwischen dem Sturz ins wirtschaftliche Chaos und einer stetig expan­ dierenden Wirtschaft werden.< Edward O'Neal, der Präsident der American Farm Bureau Federation, vertrat einen ähnlich vehementen Standpunkt. Die landwirt­ schaftlichen Überschüsse >werden unsere Wirtschaft ruinieren, wenn wir nicht aus­ reichende Absatzmöglichkeiten auf ausländischen Märkten finden, die es uns er­ möglichen, den Umfang unserer Produktion aufrechtzuerhalten.< Seiner Ansicht nach war der >beste< politische Vorschlag Wilsons alte Idee, die Monroe-Doktrin auf die ganze Welt auszudehnen. >Wir sollten sie überall anwendenschlecht geführt, schlecht ausgebildet, schlecht motiviert, schlecht behandelt, und sogar schlecht ausgerüstetWashington Consensus< neben anderen Ländern auch der Sowjetunion und der Russischen Föderation diktiert werden. Die USA versprachen sich also eine Wiederherstellung der Lage wie nach dem Zweiten Weltkrieg - allerdings mit einer Zeitverzögerung von vierzig Jahren, da in den Jahrzehnten des Kalten Krieges gerade wegen der nuklearen Nachrüstung der UdSSR amerikanische Erpressungsmanöver nicht wirklich erfolgversprechend waren. Erst mit der wirtschaftlichen Beherrschung des eurasischen >Heartland< schließlich kann die Stellung der USA als globale Führungsmacht den Theorien angelsächsischer Geopolitiker zufolge als vollendet angesehen werden. Der endgültige Todesstoß gegen die UdSSR sollte aber erst Ende der siebziger Jahre und erst recht in den achtziger Jahren unter der Reagan-Administration er­ folgen. Doch in den siebziger Jahren drohten die USA, ihre Rolle als Weltführungs­ macht zu verlieren: Anstelle des von den USA dominierten Weltmarktes entstan­ den mehrere wirtschaftliche Kraftzentren, Westeuropa begann, sich wirtschaftlich von den USA allmählich zu lösen, und drohte, als Gewinner einer >Entspannungs­ politik< durch wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der UdSSR die amerikanischen Zielsetzungen endgültig zu gefährden. Die USA sahen sich also gezwungen gegen­ zusteuern: Europa mußte wieder auf den amerikanischen Kurs gebracht und die UdSSR in eine erneute Bedrohungssituation gestoßen werden, damit sie ihre Res­ sourcen nicht in einen produktiven Wirtschaftskreislauf investieren konnte. Die Sowjetunion sollte also - neben der dauernden Rüstungmaschinerie - auch durch eine Politik der Nadelstiche an ihrer empfindlichsten Peripherie zu einer weiteren Ressourcenverschwendung getrieben werden, damit sie die materiellen Grundlagen ihrer außen- und weltpolitischen Stellung endgültig verlor.

Kapitel 4

Die siebziger Jahre - den USA droht der Verlust ihrer unipolaren Vormachtstellung 1 Die Ausgangslage Die siebziger Jahre waren mit einem >relativen Weltmachtverlust< der USA ver­ bunden, der sich auf verschiedenen Ebenen vollzog. Zum Ausdruck kam dieser Verlust vor allem in der Tatsache, daß ein globales Freihandelsregime und eine einzige Weltmarktordnung unter Führung der USA nicht mehr aufrechtzuerhalten waren, was gerade in diesem Jahrzehnt besonders deutlich zutage trat. In der Zeit von 1950 bis 1970 war der Anteil der USA am Weltexport von 16,7 % auf 13,7 % gesunken, während der Anteil der Europäischen Gemeinschaft von 15,4 % auf 28,8 % gestiegen war. Und 1970 besaßen die USA nur noch 15,7 % der Weltwährungsre­ serven gegenüber 49,8 % im Jahre 1950. Demgegenüber stieg der Anteil der euro­ päischen Länder daran von 6,1 % auf 32,5 %.1129 Der US-Anteil an den Goldreser­ ven der Welt schrumpfte ebenfalls unerbittlich, von 68 Prozent im Jahr 1950 auf nur noch 27 Prozent 1973.1130 Insgesamt war der Anteil der USA an der Industrieproduktion der westlichen Welt von 48,7 % auf knapp 36 % im Jahre 1978 zurückgegangen. Von 1950 bis 1976 war der EG-Außenhandel um das Zweieinhalbfache des US-Außenhandels gestie­ gen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihres Rückzugs aus dem Vietnamkrieg mußten die USA - so Paul Kennedy - erkennen, daß die Welt vor allem im wirt­ schaftlichen Bereich multipolarer geworden war.1131 Auch der damalige US-Außen­ minister Henry Kissinger kam nicht umhin, zu diagnostizieren, daß sich in wirtschaft­ licher Beziehung mindestens fünf größere Gruppierungen herauskristallisiert hätten, politisch hätten sich noch mehr Einflußzentren herausgebildet. Kissinger identifi­ zierte fünf wichtige Regionen: die Vereinigten Staaten, die UdSSR, China, Japan und Westeuropa.1132 Maßgeblich jedoch war die Herausbildung von drei ökonomischen Zentren: USA, Westeuropa und Japan. Innerhalb dieser Triade zeigten sich »in einer Reihe wichti­ ger Fragen erhebliche Interessendivergenzen«.1133 Deutlich werden sollte dies darin, daß die von den USA bestimmte Weltwirt­ schaftsordnung - das System von Bretton Woods von 1944 - nicht mehr zu halten war. Durch dieses Abkommen wurde der Dollar zur Leitwährung des internatio­ nalen Handels erhoben, und seine Deckung sollte durch Gold gesichert sein. Durch die rigorose Ausgabenpolitik Washingtons in den sechziger Jahren wurden aller­ dings derartige Dollarmengen in die Finanzmärkte gepumpt, daß die europäischen Notenbanken von den USA gezwungen wurden, Dollars aufzukaufen und so das amerikanische Zahlungsbilanzdefizit zu decken. Das von den USA bestimmte Welt­ finanzsystem geriet also in eine empfindliche Schieflage. »Die Dollar- und Wäh­

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

rungskrise förderte die Machterosion der USA. Sie verschärfte zugleich die Labili­ tät des gesamten westlichen Währungssystems. Die Grundlagen, auf die dieses System mit dem Abkommen von Bretton-Woods 1944 gestellt wurde und die unter den günstigen Bedingungen der Nachkriegsprosperität funktionierten - zum Vor­ teil der USA - brach nun zusammen«1134 - insbesondere aufgrund des Widerstan­ des des französischen Präsidenten de Gaulle. »Da das ganze internationale Zahlungssystem unter diesen Problemkomplexen in die Knie zu gehen drohte und durch de G aulles zornige Angriffe auf das, was er den amerikanischen >Export der Inflation< nannte, weiter geschwächt wurde, blieb der Nixon-Regierung nicht viel anderes übrig, als die Goldbindung des Dollars auf den privatwirtschaftlichen Märkten aufzugeben und den Dollar gegen die anderen Währungen >floaten< zu lassen. Das Bretton-Woods-System, das in hohem Maße eine Schöpfung der Zeit darstellte, als die Vereinigten Staaten finanziell übermäch­ tig waren, brach zusammen, als seine wichtigte Säule die Belastung nicht mehr zu tragen vermochte.«1135 Die US-amerikanische Währungskrise verkörperte einen in ihrer Geschichte wohl einmaligen Machtverlust gegenüber Europa, der derart groß war, »daß die europäischen Regierungen und Zentralbanken an einem gewissen Punkt die USA zu einer politisch-militärischen Kursänderung zu zwingen in der Lage waren. Das ist historisch ohne Beispiel und stellt ein dramatisches Indiz für die veränderten inter-atlantischen Machtverhältnisse dar. Es war nicht nur die sog. >Tet-Offensive< 1968 in Vietnam, sondern nicht zuletzt der faktische Zusammen­ bruch der Golddeckung des Dollars im März desselben Jahres, der zu der Entschei­ dung führte, das Vietnam-Unternehmen aufzugeben - wie das Wall Street Journal am 4. April 1968 schrieb: >Die europäischen Finanziers zwingen uns zum Frieden. Zum erstenmal in der amerikanischen Geschichte haben die europäischen Gläubi­ ger einen amerikanischen Präsidenten zum Rücktritt gezwungennicht mehr ungehörig, dar­ über zu spekulieren, ob nicht Amerika einen schweren Fehler begangen habe, als es in den sechziger Jahren die Schaffung der Wirtschaftsgemeinschaft ermutigt habe, beziehungsweise sogar vorzuschlagen, wir sollten unsere Politik danach ausrich­ ten, die europäische Einheit zu schwächen, anstatt sie zu stärkenEntspannungspolitik< der siebziger Jahre war. Diese Entspan­ nungspolitik aber war im Kern nichts anderes als eine »Fortsetzung des Kalten Krieges mit anderen Mitteln«,1141 die ein damaliges Mitglied der US-Machtelite, George Ball, folgendermaßen beschrieb: »Koordinierte Einflußnahme der NATOStaaten könnte magnetische Eigenschaften auslösen, die die starke Anziehungs­ kraft der westlichen Werte nicht nur auf jene osteuropäischen Völker, die gegen­ wärtig hinter dem Eisernen Vorgang gefangen sind, sondern schließlich auch auf die Sowjetunion selbst, erhöhen.«1142 Ausgehend von der Voraussetzung, daß die USA keine Einflußsphären und kei­ ne Hegemonialansprüche akzeptieren,1143 sollte also eine allmähliche Herauslösung der osteuropäischen Staaten und ihre Umwandlung in das westlich-ökonomische Modell des atlantischen Bündnisses herbeigeführt werden, bei einem gleichzeiti­ gen Systemwandel in der UdSSR, mit dem Ziel ihrer ökonomischen Öffnung. Mit dieser Politik würde nach Ansicht der Entspannungstheoretiker »die erhoffte Los­ lösung der Länder Osteuropas von der Sowjetunion durch innenpolitische Diffen­

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zierungen vorangetrieben, die im Rahmen des >Brückenschlags< lediglich politisch unterstützt werden sollten«.1144 Der außenpolitische Experte Bernd Greiner beschreibt diese indirekte Strategie, die unter dem Begriff >Entspannung< vermittelt wurde, wie folgt: »Hinsichtlich der Ostpolitik der USA (und Osteuropas als Einflußsphäre der UdSSRNicht-Aner­ kennung von Einflußsphären< mit der Forderung des >free accessfreien Zu­ tritts< zu Osteuropa. >Free access< ist eine direkte Fortführung der regierungsoffiziell als >Open-Door-Politik< bezeichneten imperialen Expansionspolitik der USA im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts... Mit dem >free access< soll die >Isolation< in den Gebieten durchbrochen werden, wo militärische Intervention bzw. politische Oberhoheit... ausgeschlossen sind.«1145 Greiner bezeichnete diese Politik daher auch als eine Kombination der klassischen Eindämmung mit indirekter, nicht zuletzt ökonomischer Einflußnahme mit dem Ziel, eine Erosion des sowjetischen Hegemo­ nialsystems herbeizuführen.1146 Tatsächlich entwickelte sich diese Politik genau ins Gegenteil: Die mit dieser Entspannungspolitik »verknüpften amerikanischen Hoffnungen auf dem sowjeti­ schen und osteuropäischen Markt wurden jedoch nicht erfüllt«1147 oder wie Alfred R. Wentworth, damaliger Präsident der Chase Mahattan Bank, zu jener Zeit sagen sollte: »Die Sowjetunion ist der letzte große, noch nicht entwickelte Markt für die Vereinigten Staaten.«1148 Anders aber für Westeuropa und die Bundesrepublik: Für sie hat sich die Entspannungspolitik wirtschaftlich gelohnt. »Seit 1980 hat Westeu­ ropa ein größeres ökonomisches Interesse am sowjetischen Markt als die USA... Die Bundesrepublik Deutschland ist der wichtigste Handelspartner des Ostblocks geworden. Für Chemie-Produkte stellt dieses Land derzeit 50 Prozent des EG-Ost­ handels und 35 Prozent des Handels aller OECD-Staaten mit dem RGW (Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, die Wirtschaftsgemeinschaft des sowjetischen Macht­ bereichs, der Verf.).«1149 Aus diesem Grund mußten die USA darauf hinarbeiten, die Entspannungspolitik, von der sie sich eine Erschließung Osteuropas und der Sowjetunion selbst durch das amerikanische Kapital versprachen, zu beenden, denn keinesfalls konnte ihnen an einer Emanzipation Europas durch wirtschaftliche Zu­ sammenarbeit mit der Sowjetunion gelegen sein. Schließlich würde sich auf diese Weise eine geopolitische Multipolarisierung der Welt entwickeln oder gar verfesti­ gen können, wozu die Entspannungspolitik aber keinesfalls gedacht war. Die US-Machtelite sah sich also gezwungen gegenzusteuern: Anstelle der wirt­ schaftlichen Zusammenarbeit mußte die UdSSR wieder in eine Politik der Kon­ frontation gestoßen werden. Damit wäre dann auch die wirtschaftliche Konkur­ renz Westeuropas erledigt. »Eine Verschlechterung der Ost-West-Beziehungen würde darum Westeuropa stärker treffen als die USA. Unter dem Aspekt der euro­ päisch-amerikanischen Konkurrenz und Rivalität haben die USA sogar ein ökono­ misches Interesse am Ende der für Westeuropa günstigen Entspannungspolitik.«1150 Deutlich zutage jedoch trat der europäisch-amerikanische Gegensatz den Auto­

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ren Ekkehart Krippenhoff und Michael L ucas zufolge am Beispiel des westdeutsch ­ sowjetischen Projektes einer 5000-km-Pipeline zur Lieferung sowjetischen Natur­ gases von Sibirien nach Westeuropa. Insgesamt handelte es sich bei diesem Plan um ein deutsch-sowjetisch-iranisches Vorhaben. Im April 1975 hatte die deutsche Bundesregierung unter Helmut Schmidt mit dem Generalsekretär der KPdSU Bre­ schnew und Schah Reza Pahlewi ein bemerkenswertes Dreiecksgeschäft ausgehan­ delt. »Es sah vor, das sonst abgefackelte Erdgas der Felder Bebehan und Gachsaran über eine Pipeline nach Kasachstan und Isfahan im Süden der Sowjetunion zu lei­ ten. Dort gab es größere Energieversorgungsprobleme. Dafür wollte die Sowjet­ union Erdgas aus Sibirien nach Westdeutschland leiten. Als Entgelt würden deut­ sche Firmen die Röhren für die Pipeline und ein Stahlwerk in Isfahan bauen, während die Sowjetunion an den Iran Industriegüter im Wert von einer Milliarde Rubel schicken würde.«1151 Auch die bereits zitierten Autoren Krippenhof und Lucas bestätigen die riesige Bedeutung dieses Projekts für die beteiligten Partner: »Es ist dies das größte je dis­ kutierte Ost-West-Geschäft und stellt einen wichtigen Teil des neuen sowjetischen Fünfjahresplanes dar. Die Gesamtkosten dieser enormen Konstruktion würden sich auf 20 Mrd. DM belaufen; ab Mitte der achtziger Jahre würde die Sowjetunion jähr­ lich 40 Mrd. m 3 Naturgas nach Westeuropa liefern, davon 12 Mrd. m3 in die Bundes­ republik, den Rest nach Frankreich, Belgien, Holland, Österreich und Italien. Das Großprojekt würde von 14 westdeutschen Banken finanziert werden. Das sowjeti­ sche Interesse besteht darin, mit Hilfe westeuropäischen bzw. westdeutschen Ka­ pitals und westlicher Technologien die eigenen Energiequellen zu erschließen, um der Energienachfrage im Lande selbst und bei den RGW-Mitgliedern nachzukom­ men sowie harte Devisen aus dem Öl- und Erdgasgeschäft mit dem Westen zu beziehen.«1152 Dieses Erdgasröhrengeschäft stellte eine geostrategische Herausforderung für die US-Vorherrschaft - insbesondere des nach dem Ende des Goldstandards 1972 geschaffenen Petrodollar-Währungssystems - dar. Europa käme im Wege einer bi­ lateralen Warenverrechnung - Energieträger gegen technische Ausrüstungsgegen­ stände - mit der UdSSR direkt in den Genuß von Erdöl- und Erdgaslieferungen, ohne Umweg einer Dollar-Nachfrage auf den Finanzmärkten (1975 wurde unter Anleitung der USA auf einem OPEC-Treffen durchgesetzt, daß die OPEC-Länder nur noch Dollar als Zahlungsmittel zu akzeptieren hätten. Durch diese Regelung wurde der weiterhin rapid e an Wert verlierende Dollar wieder stabilisi ert. Die ganze Welt war nämlich gezwungen, in riesigen Mengen US-Dollar aufzukaufen, um damit die Energieversorgung sicherzustellen).1153 Dies hätte langfristig sowohl eine wäh­ rungs- als auch eine energiepolitische Autarkisierung Europas zur Folge gehabt; die Desintegration des Weltmarktes wäre dadurch verfestigt worden. Mehr noch: Die militärische Kontrolle des Nahen und Mittleren Ostens durch die USA wäre mit dem Erdgasröhrengeschäft auf kurz oder lang ebenfalls gegenstandslos gewor­ den, denn mit der Kontrolle der dortigen Ölfelder verbanden die USA eine indirek­

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te Kontrolle über die Wirtschaftskonkurrenten Westeuropa und Japan, die von den Energielieferungen aus dieser Region abhängig waren und nach wie vor sind.1154 Wie die Autoren Ekkehart Krippenhoff und Michael Lucas darstellen, war der Nahe und Mittlere Osten »seit Mitte der siebziger Jahre die europäische Achilles­ ferse bzw. der Punkt, über den die USA Westeuropa unter Druck setzen konnten und das auch taten«.1155 Europa wäre mit dem deutsch-sowjetischen Handelsab­ kommen auf lange Sicht also nur eingeschränkt von den USA (als Garantiemacht für sichere Erdöllieferungen) erpreßbar gewesen. »Für die Bundesrepublik... sind engere Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion und den RGW-Staaten nicht nur ein wichtiges ökonomisches Moment, sondern auch ein Mittel, sich der einsei­ tigen Abhängigkeit von den USA und ihrer Strategie des neuen Kalten Krieges zu entziehen. Die Abhängigkeit von den (noch immer weitgehend amerikanisch kon­ trollierten) Energiequellen des Mittleren Ostens würde verringert, und neue Markt­ chancen für die westeuropäische bzw. westdeutsche Industrie könnten sich erge­ ben.«1156 Deshalb hatten die USA ein zwingendes Interesse daran, das Erdgasröhren­ geschäft zu Fall zu bringen. »Die USA... unternehmen derzeit erhebliche diploma­ tische Anstrengungen in Westdeutschland und Westeuropa, um dieses Erdgas-Ge­ schäft zu verhindern. Die Gründe dafür sind im Kontext der amerikanischen Außenpolitik durchaus einleuchtend: Das Gasgeschäft würde die Sowjetunion und Westeuropa ökonomisch und damit auch politisch enger zusammenbringen und damit den amerikanischen Einfluß schwächen. Außerdem stellt dieser Handel eine wirtschaftliche Niederlage für amerikanische Unternehmen dar und würde einen Präzendenzfall schaffen, in Zukunft amerikanische Firmen von ähnlichen Geschäf­ ten auszuschließen.«1157 Damit lief die gesamtwirtschaftliche und politische Entwicklung der Welt zuun­ gunsten des amerikanischen Imperiums, so daß dieses nunmehr gezwungen war gegenzusteuern, insbesondere eine Abhängigkeit Westeuropas von den USA wiederherzustellen und die UdSSR wieder in ihre Schranken zu verweisen. Wie Henry Kissinger formulierte, waren die USA »auf solch grundsätzlichen Wandel von absoluter Vorherrschaft zur relativen Stärke... nicht vorbereitet«,1158 und wei­ ter: »Es droht der Niedergang der amerikanischen Macht, die Gefährdung lebens­ notwendiger Wirtschaftsströme..., die unkontrollierte Vermehrung feindlicher Kräfte, schließlich der Verfall freundlich gesinnter Regime.« Die Aufgabe sei es, »die widrigen Machtverschiebungen umzukehren«. Das erfordere außerordentli­ che Kraftanstrengungen und natürlich Aufrüstung, denn »es ist allerhöchste Zeit, daß wir den gefährlichen Trend... korrigieren«.1159

1.2 Die Gegenstrategien der US-Machtelite Schon 1973 unternahm die US-Machtelite im Rahmen einer >Bilderberger-Konfe­ renz< im schwedischen Sattsjöbaden einen ersten Anlauf zur Wiederherstellung einer einheitlichen Weltwirtschaftsordnung unter US-Führung. »Oberstes Ziel da­

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bei war, die ins Wanken geratene Vormachtstellung der anglo-amerikanischen Fi­ nanzinteressen wieder zu festigen und ihnen die Kontrolle über die weltweiten Geldströme zurückzugeben.«1160 Zu den Gründungsmitgliedern dieser Konferenz gehörten George W. Ball, David Rockefeller von der Chase Manhattan Bank und nicht zuletzt Zbigniew Brzezinski.1161 Um ein Auseinanderfallen des Weltmarktes in multipolare, womöglich auch noch autarke Machtzentren zu verhindern, muß­ ten nunmehr Strategien und Institutionen entwickelt werden, mit deren Hilfe die Wiederherstellung des einen Weltmarktes unter Einschluß der Konkurrenten West­ europas und Japans gelingen sollte - im Sinne einer >Trilateralen WeltIf you can't beat them, join them< zu verfahren. Wenn schon eine direkte Bekämpfung der Kon­ kurrenz nicht möglich war, so sollte sie doch zumindest auf ein gemei nsames »part­ nerschaftliches« Ziel in Zusammenarbeit mit den USA verpflichtet werden. Das Ziel war - wie die Autoren Shoup und Minter schreiben - »ein glo bales System«.1162 Nach der zugrunde zu legenden Konzeption sollten »die Regeln, Zielsetzungen und Verfahren, nach denen die entwickelten Länder ihre Wirtschaftsbeziehungen ordnen,... auch die Normen des Weltsystems werden. Mit anderen Worten, die unter den entwickelten Ländern geltenden Wirtschaftsprinzipien wären der zen­ trale Kern des weiteren Systems; andere Länder müßten sich bei Zeiten diesem Kern anschließen«.1163 Dieses System der globalen wechselseitigen Abhängigkeit sollte nach dem Wil­ len der US-Machtelite aber nicht ohne amerikanische Führung auskommen: Eine »globale Außenpolitik« einer >multipolaren Welt< hatte sich - so Brzezinski - von der Einsicht in die Notwendigkeit leiten zu lassen, daß »wir... uns in einer histori­ schen Etappe (befinden), in der die USA einen schöpferischen Prozeß zum Aufbau eines neuen Weltsystems einleiten müssen«.1164 Insoweit gingen die Architekten des Trilate­ ralismus davon aus, daß eine stabile Ordnung internationaler Beziehungen auf die Wiederherstellung amerikanischer Führungsmacht und damit auf die allseitige Stär­ kung amerikanischer Macht angewiesen sei.1165 Wie die Machtverteilung innerhalb des trilateralen Modells aussehen sollte, hatte Henry Kissinger seinerseits bereits in seiner berüchtigten >Osterbotschaft< von 1973 deutlich gemacht: In dieser hatte er die regionalen Interessen der Europäer von den globalen Interessen der USA abge­ grenzt und den Europäern empfohlen, »sich in das amerikanische Weltmachtkon­ zept einzufügen«.1166 Nach diesen Grundsätzen sollten Einrichtungen für die Koor­ dinierung der Politik der trilateralen Mächte geschaffen werden. Wenn diese geschaffen sind, so die Hoffnung der Machtelite, »wird die vereinigte kapitalisti­ sche Welt wirtschaftlich so stark sein, daß der Rest sich ihrer Sogwirkung kaum entziehen könne. Da haben wir dann eine Weltwirtschaft mit den trilateralen Län­ dern im Zentrum«.1167

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Diese Politik sollte auch auf die sowjetische Vorherrschaftssphäre Ausstrahlung haben - bewirkt werden sollte eine Umwandlung des dortigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems, um die osteuropäischen Staaten und anschließend auch die Sowjetunion selbst in das kapitalistische Weltmodell des Trilateralismus einzubin­ den. Henry Kissinger wies darauf hin, »daß es der Zweck der amerikanischen Poli­ tik ist, eine günstige Evolution der sowjetischen Gesellschaft zu ermutigen. Es darf nicht vergessen werden, daß es der ursprüngliche Zweck der Politik der Eindäm­ mung war, einen innenpolitischen Wandel in der Sowjetunion zu bewirken«.1168 Ein­ dämmung und Regimewechsel blieben daher die Konstanten der US-Außenpolitik in bezug auf die Sowjetunion und sollten diesesmal mit anderen Mitteln herbeige­ führt werden. Eine gesellschaftlich-ökonomische Umwandlung in den osteuropäi­ schen Staaten würde nach den Plänen der US-Machtelite einem Wandel in der So­ wjetunion selbst vorausgehen oder könnte diesen gar erzwingen, das heißt die Staaten Osteuropas wurden Bzrezinski zufolge als »Transmissionsriemen« gegenü­ ber der UdSSR verstanden.1169 Auch dieses Konzept erkannte sowjetische Sicher­ heitsinteressen nicht an, sowjetische Vorherrschaft in Osteuropa sollte durch ein Osteuropa ersetzt werden, das dem kapitalistischen Weltsystem einzugliedern war. Ergänzt werden sollte dieses Konzept durch eine Containment-Strategie auf drei Ebenen: »... erstens, Wiederherstellung eines Mächtegleichgewichts in Gebieten, die von sowjetischem Expansionismus bedroht sind; zweitens, Reduzierung des Einflusses der Sowjetunion außerhalb ihrer Grenzen durch die vorsichtige Ausnut­ zung von Streitigkeiten zwischen Moskau und der internationalen kommunisti­ schen Bewegung; und drittens, als langfristiges Ziel, eine Änderung des sowjeti­ schen Konzepts internationaler Beziehungen.«1170 Dieses Langzeitziel sollte durch einen verstärkten äußeren Druck auf die UdSSR erreicht werden, wovon man sich eine Unterbrechung der seit Mitte der siebziger Jahre anlaufenden europäisch-sowjetischen Zusammenarbeit versprach. Europa soll­ te nicht mehr der Ort einer geopolitischen Zusammenarbeit mit Eurasien sein, son­ dern - wie es die Väter angelsächsischer Geopolitik vorsahen - der Ort der geopo­ litischen Konfro ntation im Sinne S pykmans und Mackinders, die Rußland wieder in die Isolation treiben sollte. Dazu mußte aber die gerade geschaffene Zusammenar­ beit wieder beseitigt werden. Verbunden werden sollte dies mit einem verstärkten militärischen Drohpotential gegen die Sowjetunion, die dieses mit militärischen Gegenmaßnahmen beantworten sollte. Mit einer solchen konfrontativen Politik woll­ ten die USA ferner erreichen, daß das wirtschaftliche Potential der europäischen Staaten in die Rüstung investiert würde, was wiederum ein riesiges Geschäft für die US-Rüstungsindustrie bedeutet hätte. »Zunehmende Aufwendungen für Rü­ stung in Europa bedeuten Mehraufträge für die amerikanische Rüstungsindustrie, die den Weltmarkt dominiert, und damit bessere Chancen für den amerikanischen Export, für den Rüstungsgüter zunehmend an Bedeutung gewinnen. Mit Hilfe des Rüstungsexports läßt sich nicht nur die amerikanische Zahlungsbilanz verbessern, sondern es ist zugleich dafür Sorge getragen, daß ein zunehmender Teil der euro­

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päischen, vor allem der deutschen Staatsausgaben >verschwendet< wird - Ausga­ ben, die andernfalls für konsumptive oder produktive Sozialstaatszwecke... ver­ wendet werden könnten.«1171 Mit einer Neuauflage einer Konfrontation gegen die UdSSR und einer Intensi­ vierung der Aufrüstungen sollte die Konkurrenzfähigkeit der USA gegenüber Eu­ ropa in doppelter Weise verbessert werden: »Zum einen würde die amerikanische Wirtschaft entlastet, zum anderen würde die Dynamik der europäischen Wirtschaf­ ten dadurch eingeschränkt, daß sie einen größeren Anteil ihres Sozialprodukts in unproduktive Aufwendungen stecken müßten.«1172 Durch die Erzwingung einer erneuten Rüstungsspirale sollte also die europäische Wirtschaftskraft aufgesogen werden, womit die USA gleichzeitig auch ihre europäische Konkurrenz neutrali­ siert hätten. Ergänzt werden sollte die Rüstungspolitik durch einen Einkreisungs­ druck gegen die Sowjetunion und eine subversive Einflußnahme auf den >weichen Unterleib< der UdSSR.

2 Die USA starten eine Neuauflage des Kalten Krieges gegen die UdSSR Eine Neuauflage, besser gesagt eine Verstärkung des Kalten Krieges und die Insze­ nierung einer erneuten antirussischen Konfrontationspolitik waren daher für die US-Machtelite das Gebot der Stunde, um drei grundlegende Ziele zu erreichen, nämlich zum einen Europa wieder in die Abhängigkeit der USA zu bringen, des weiteren die geplante europäisch-russische Zusammenarbeit zunichte zu machen, und zum anderen die UdSSR niederzuringen und in ein neu zu schaffendes USbeherrschtes kapitalistisches Weltsystem einzugliedern.

2.1 Die China-Karte Bereits zu Beginn der siebziger Jahre begannen die USA, die Einkreisungspolitik gegen die UdSSR wieder zu verstärken, und zwar durch einen geradezu revolutio­ nären außenpolitischen Akt, nämlich die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Volksrepublik China im Jahre 1972. Während man bislang jeglicher diplomati­ scher Anerkennung der Volksrepublik China eine kategorische Absage erteilt hatte, eröffnete sich mit einem derartigen Kurswechsel in der amerikanischen China-Po­ litik für die USA die Möglichkeit, »die UdSSR nicht allein vermittels der >indirek­ ten Strategie< und westlicher Bündnispolitik >einzudämmenChina-Karte< Präsident Carters, weil sie die neu entstehenden, noch zerbrechlichen deutsch-sowjetischen Beziehungen ge­ fährde. In Moskau werde dadurch der Eindruck geweckt, die NATO kehre zu ihrer aggressiven und feindseligen Einkreisungspolitik aus der Zeit des Kalten Krieges zurück.«1183

2.2 Die offensive Atomkriegsstrategie durch Stationierung der Mittelstreckenraketen Allerdings sollte es bei einer Einkreisungspolitik nicht bleiben. Vielmehr sollte die UdSSR auch noch atomar direkt bedroht werden, und zwar von europäischem Bo­ den aus. Schon immer waren die US-Strategen darauf bedacht, es zwischen den Su­ permächten niemals zu einem Gleichgewicht in der atomaren Rüstung kommen zu lassen. Einer der Strategen einer atomaren Offensivstrategie gegen die UdSSR, Colin S. G ray, erkl ärte hierzu: »Wenn die Vereinigten Staaten nicht fähig wären, einen Es­ kalationsprozeß zu beherrschen, um der UdSSR unseren Willen aufzuzwingen«, dann könnte dieser nicht eingeleitet, das heißt, es kann k ein Krieg gewagt werden. Darum »dürfen die USA und die NATO kein wirklich ausgewogenes Abkommen über Mit­ telstrecken- und strategische Waffen mit der UdSSR anstreben, das die Überlegen­ heit (der USA) ausschlösse. Das wäre der Weg in die Handlungsunfähigkeit«.1184 Hinter den Kulissen versuchte deshalb die US-Machtelite auch alles daran zu setzen, daß das strategische Übergewicht der USA erhalten blieb, und arbeitete eifrig bemüht daran, das geplante SALT-II-Rüstungsbegrenzungsabkommen zu Fall zu bringen. Zu diesem Zweck wurde, wie bereits erwähnt, das >Committee on the Present Danger< eingerichtet, das mit gefälschtem oder falsch berechnetem Daten­ material eine militärische Bedrohung durch die UdSSR behaupten sollte, um so die Notwendigkeit einer Hochrüstungspolitik begründen zu können. US-Präsident Car­ ter, wie Engdahl beschreibt, eine Marionette und Schöpfung der Trilaterialisten um Zbigniew Brzezinski,1185 erfüllte seinen Zweck und unterzeichnete die berüch­ tigte Präsidentendirektive PD-59 am 25. Juli 1980. Da Carter außenpolitisch völlig unerfahren war, war es Brzezinski als Planer einer antirussischen Geopolitik ohne weiteres möglich, den außenpolitischen Kurs der USA zu bestimmen - eine Rolle, die er als Leiter des Nationalen Sicherheitsrates, in dem die wichtigen Weichenstel­ lungen der Globalstrategie der USA gestellt werden, problemlos ausüben konn­ te.1186 So trug auch, wie Rüstungsexperte Jürgen B ruhn schreibt, die PD-59 eindeutig die Handschrift Brzezinskis.1187 PD-59 war eine Anweisung mit Vorgaben für die Entwicklung einer neuen ato­ maren Strategie gegen die UdSSR. Diese forderte von den USA die Erlangung der Fähigkeit, einen »begrenzten« wie einen »länger andauernden Atomkrieg mit der UdSSR« führen zu können. Mit treffsicheren Raketen, so die Vorgabe, sollte ein »Enthauptungssschlag« gegen die UdSSR geführt werden; die sowjetischen Kom­ mandozentralen und Raketenstellungen sollten ausgeschaltet werden, damit ein

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Gegenangriff nicht mehr möglich oder aber ungefährlich würde (es sollte »die so­ genannte Enthauptung, d. h. Schläge gegen die politische und militärische Führung« erfolgen mit dem Ziel, »die gesamte sowjetische militärische und politische Macht­ struktur auszuschalten«). PD-59 beinhaltete damit »alle Optionen für begrenzte atomare Entwaffnungsschläge mit zielgenauen Präzisionswaffen gegen spezifische militär-strategische Ziele in der UdSSR, die nun auch Kommando-, Kontroll- und Kommunikationszentren des Gegners einschlossen«.1188 Diese neue Kriegführungsstrategie und die diesbezüglichen Waffensysteme hat­ ten daher einen doppelten Zweck zu erfüllen: Zum einen sollten sie die USA in die Lage versetzen, offensiv einen Entwaffnungs- und Enthauptungsschlag gegen die Sowjetunion zu führen. Der andere Teil der Aufgabe bestand darin, damit einen Vergeltungsschlag der Sowjetunion unmöglich oder so weit wie möglich unwirk­ sam, unschädlich zu machen.1189 Diese Absichten entsprachen der aggressiven Ziel­ setzung, die Carter im Jahre 1977 kundtat: »Meine persönliche Neigung ist..., die Sowjetunion... aggressiv herauszufordern, auf friedliche Weise natürlich, um Ein­ fluß in solchen Zonen der Welt zu erlangen, die nach unserer Meinung heute ent­ scheidend für uns sind oder dies möglicherweise in 15 oder 20 Jahren werden kön­ nen. Dies schließt Gegenden ein wie Vietnam und Gegenden wie Irak und Somalia und Algerien und Gegenden wie die Volksrepublik China und sogar Kuba.«1190 Natürlich lagen die Wurzeln dieser Ziele in den Planungen der US-Machtelite. Einer der Vordenker dieser offensiven Atomkriegsstrategie der USA, der bereits erwähnte Colin S. Gray, spricht sich in seinem Aufsatz Sieg ist möglich für eine be­ grenzte Atomkriegführung gegen die UdSSR aus, die Bestandteil einer konventio­ nellen Kriegführung sein sollte. Dabei sollten die Vereinigten Staaten planen, »die Sowjetunion zu besiegen, und dies zu einem Preis, der eine Erholung der USA er­ lauben würde. Washington sollte Kriegsziele festlegen, die letztlich die Zerstörung der politischen Macht der Sowjets und das Entstehen einer Nachkriegs-Weltord­ nung, die den westlichen Wertvorstellungen entspricht, in Betracht ziehen«.1191 Mit der Schaffung der Möglichkeit, den Atomkrieg begrenzt, das heißt vom eu­ ropäischen Boden aus, führbar zu machen, war eine Zerstörung der staatlichen In­ tegrität der UdSSR beabsichtigt: Durch die »chirurgischen Schläge« gegen die staat­ lich-militärischen Einrichtungen »könnte die UdSSR sich in eine Anarchie auflösen«.1192 Colin S. Gray hebt deshalb auch den politisch-administrativen Appa­ rat der UdSSR als Ziel der Atomschläge hervor, da von ihm die Handlungsfähig­ keit, ja die Integrität des sowjetischen Staatswesens abhing (Gray spricht davon, daß die Zernierung dieses Apparates »für das Land revolutionäre Folgen haben« könnte). Wie Robert C. Aldridge darstellt, ging der PD-59 eine 18monatige Unter­ suchung voraus, die deutlich die Handschrift Brzezinskis trug. Aus dieser Untersu­ chung ergab sich nämlich, was es eigentlich mit den chirurgischen Atomschlägen auf sich hatte: Umgesetzt werden sollte nämlich die traditionelle Zielsetzung der Rußlandpolitik B zrezinskis, und zwar die ethnisch-politische Zersplitterung des rus­ sisch-sowjetischen Machtbereichs. Demnach sollte eine Nuklearstrategie bestimmt

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werden, die die UdSSR als eine funktionsfähige staatliche Einheit auslöschen würde. Ferner sollte untersucht werden, wie der Separatismus gefördert werden könne, indem man solche Gebiete in der Sowjetunion zerstört, in denen die gegenwärtige sowjetische Regierung über Rückhalt verfügt. Abschließend sollten die Ziele iden­ tifiziert werden, deren Zerstörung die Sowjetregierung durch die Vernichtung der Führungsgruppe »paralysieren, spalten und zerstückeln« würde.1193 Auch Colin S. Gray unterstrich wiederholt, daß es bei der Zielplanung darauf ankomme, den so­ wjetischen Staat so umsichtig wie möglich in einen Gegensatz zum russischen Volk zu bringen.1194 Pikanterweise schloß die Atomkriegführung der USA dabei auch eine ethnische Zielsetzung ein. Es kam darauf an - wie Thomas Powers die Atompolitik Brzezins­ kis deutet -, die ethnischen Russen weitestgehend zu vernichten, um auf diese Weise die Desintegration der UdSSR zu beschleunigen: »Russen beherrschen die Sowjet­ union, die Russen sind der Feind. Wenn man den Krieg verhindern wolle, müsse man die Russen abschrecken. Wenn die Abschreckung versage, müßte man vor al­ lem Russen töten. Wenn man Russen qua (als, d. Hrsg.) Russen tötete, würde man das Auseinanderbrechen des russischen Imperiums beschleunigen.« 1195 In die gleiche Rich­ tung argumentiert auch Gary L. Guertner: »Die Implikationen sind klar: im Falle eines atomaren Angriffs würden die sowjetischen Minderheiten weitaus bessere Überlebenschancen haben als die ethnischen Russen, weil es in ihren Gebieten we­ niger strategische und wirtschaftliche Ziele gibt. Selbst ein begrenzter Atomangriff auf die Zentren der russischen Macht könnte das Signal zur politischen Desintegration der UdSSR geben. Und selbst wenn das Sowjetregime nicht politisch handlungsun­ fähig geworden wäre und nationalistischen oder ethnischen Herausforderungen der Zentralregierung wirksam begegnen könnte, welche Probleme könnten ihm von den Chinesen oder seinen >Verbündeten< in Osteuropa gemacht werden?«1196 Vor diesem Hintergrund vollzog sich dann auch der NATO->NachrüstungsForward Based SystemsForward Based Systems< konnte man »von europäischen Gewässern aus sowjetisches Territorium bis zum UralGebirge und weit darüber hinaus bestreichen bzw. westsowjetisches Gebiet... an­

Bodengestützte Marschflugkörper (Cruise Missiles) vom Typ BGM-109G Gryphon GroundLaunched Cruise Missile (GLCM) mit transporter-erector-launcher (TEL) und Fahrzeug M-1014 MAN, Aufnahme August 1987

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greifen«.1199 Zu bemerken ist dabei, daß die USA keinesfalls - wie von der UdSSR gewollt - bereit waren, diese Waffensysteme in die SALT-II-Verhandlungen (mit dem SALT-II-Vertrag sollte das strategische Nuklearpotential beider Seiten begrenzt werden, also jene Waffensysteme, mit denen das Territorium der USA und der UdSSR vernichtet werden konnte) miteinzubeziehen1200 - kein Wunder, denn an­ dernfalls hätten sie die Fähigkeit zur Führung eines (auf Europa) begrenzten Atom­ krieges verloren. Kein Geringerer als Colin S. Gray gab selbst zu, daß die Stationie­ rung der US-Mittelstreckenraketen nichts mit der sowjetischen SS-20 zu tun gehabt hatte: »Bei dem NATO-Plan, 108 Pershing-II und 464 bodengestützte Marschflug­ körper zu stationieren, geht es nicht darum, ein Gleichgewicht oder ein Gegenge­ wicht gegenüber der sowjetischen SS-20-Stationierung zu schaffen;... die NATO braucht eine beträchtliche Anzahl dieser 572 Systeme..., gleichgültig, ob die sowjeti­ sche SS-20-Stationierung auf Null reduziert wird oder nicht.«1201 Damit war alles gesagt. Die USA schufen sich mit der Mittelstreckenstationie­ rung ein neues Instrument, das sie als Speerspitze eines vorbeugenden Angriffs gegen die UdSSR1202 zur Zerschlagung ihrer staatlichen Integrität einsetzen wollten, ohne jedoch selbst einem sowjetischen Vergeltungsschlag ausgesetzt sein. Colin S. Gray faßte diese Politik in seinem Aufsatz Sieg ist möglich mit folgenden Worten zusammen: »Die erschreckenste Bedrohung für die Sowjetunion wäre die Zerstörung oder schwere Schädigung ihres politischen Systems. Deshalb sollten die USA imstande sein, wesentliche Führungskader, deren Nachrichtenverbindungen sowie einige ihrer internen Kontrollinstrumente zu vernichten. Die Sowjetunion mit ihrem über­ zentralisierten Machtgefüge und ihrer riesigen Bürokratie in Moskau wäre durch einen solchen Angriff höchst verwundbar. Die Sowjetunion könnte aufhören zu funktionieren... Wenn die Moskauer Bürokratie ausgeschaltet, beschädigt oder iso­ liert würde, könnte die Sowjetunion in Anarchie auseinanderbrechen... Wohl­ überlegte Zielplanung durch die USA und die Beschaffung entsprechender Waffen könnten der Sowjetunion die Gewißheit ihres politischen Überlebens rauben.«1203 Um einem solchen Vernichtungsschlag zu entgehen, war die UdSSR gezwungen, die Mittelstreckenraketen auf europäischem Boden vorbeugend zu vernichten. Die USA hatten mit dieser Aggressionspolitik das Risiko eines sowjetischen Präventiv- oder Vergeltungsschlags auf Europa verlagert, ohne selbst in das Fadenkreuz zu geraten. Um dies zu erreichen, griffen die USA zu einem hinterlistigen diplomatischen Trick: Sie gaben sowohl den Europäern als auch den Sowjets vor, auch die >Forward Based Systems< zum Gegenstand der SALT-II-Gespräche zu machen - was sie allerdings niemals ernstlich in Erwägung gezogen hatten. Wäre dies aber wirklich der Fall ge­ wesen, so hätte sich mit diesem >Disengagement< der USA eine Sicherheitslücke aus­ schließlich zu Lasten der Europäer ergeben. Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte befürchtet, daß sich infolge der damit verbundenen Neutralisierung des strategischen Nuklearpotentials der USA wie auch der UdSSR eine Dis parität zu L asten der Eu ro­ päer auf nukleartaktischem und konventionellem Gebiet ergeben würde. Folgt man

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den Darstellungen Jürgen B ruhns, wurde Helmut S chmidt gleichzeitig von amerika­ nischen Nuklearwaffenexperten und von Mitgliedern des >Committee on the P resent Dangen dem »intensivsten Druck ausgesetzt, den man sich vorstellen kann«.1204 Eines der Mitglieder dieser Machtelite, Fred Ikle, machte Schmidt klar, daß Eu­ ropa nicht mehr auf den Schutz der amerikanischen >Forward Based Systems< ver­ trauen könne, da diese unter die Regelungen des geplanten SALT-II-Vertrages fal­ len würden. Aus diesem Grunde müßten die Europäer ihr eigenes Raketenpotential zur Verfügung haben. Das war der Hintergrund, der Helmut Schmidt zu seiner berüchtigten Londoner Rede 1977 veranlaßte, in der er genau dies forderte. Die USA waren somit in der günstigen Stellung, die Verantwortung für die Stationie­ rung der Mittelstreckenraketen den Europäern zuzuschieben. Insgesamt handelte es sich bei dem Vorgehen der USA um eine glatte Lüge, denn die USA waren niemals bereit, die >Forward Based Systems< zum Gegenstand eines Abrüstungsvertrages zu machen. Erwartungsgemäß wurde infolge des Einflusses der neokonservativen Kräfte der SALT-II-Vertrag im US-Kongreß auch nicht ratifi­ ziert, womit der Vertrag von Anfang an gegenstandslos war. Gewinner waren mit diesem Trick die USA, denn sie gewannen beides: Zum einen blieben die >Forward Based Systems< bestehen, womit das SS-20-Potential der UdSSR neutralisiert war; zusätzlich bekamen sie - freilich unter amerikanischem Kommando - die Statio­ nierung der Mittelstreckenraketen. Durch dieses Vorgehen - so Jürgen Bruhn konnte die US-Machtelite endlich ihren langgehegten Plan - nämlich die Stationie­ rung von nichtstrategischen Präzisionsraketen, mit denen man die UdSSR von Eu­ ropa aus nadelstichartig angreifen und enthaupten könnte - verwirklichen.1205 Gleichzeitig hatten die USA damit das Risiko eines atomaren Gegen- bzw. Präven­ tivschlages der UdSSR zu Lasten Europas verschoben, denn wollte die UdSSR im Falle einer militärischen Eskalation das Funktionieren ihres Staatsapparates sicher­ stellen, war sie gezwungen, als erstes das US-Mittelstreckenraketenarsenal in Eu­ ropa, besonders in Deutschland, auszuschalten. Damit wäre Europa endgültig zum atomaren Schlachtfeld geworden. Interessanterweise erfolgte die Mittelstreckenraketen->NachCouncil on Fo­ reign Relations< - eine Studie unter dem Titel Die Sicherheit des Westens - Neue Di­ mensionen und Neue Aufgaben vorlegten, »in der eine beträchtliche wirtschaftliche Machtverschiebung zugunsten Europas und zum Nachteil der USA« festgestellt wurde. Die EG habe sich dieser Studie zufolge auf dem Weltmarkt als konkurrenz­ fähiger als die USA erwiesen; ferner sei die Neigung der Europäer stärker gewor­ den, ihre Interessen gegenüber den Amerikanern kräftiger zu vertreten.1206 Diese Konkurrenz konnten die USA nunmehr loswerden, indem sie sie zum Glacis einer offensiven Atomkriegsstrategie bzw. gleichzeitig zum Gegenstand eines sowjeti­ schen Präventivschlags machten und auf diese Weise die sich anbahnende europä­ isch- - respektive deutsch- - sowjetische Zusammenarbeit im Außenhandel und bei der Erschließung von Energiefeldern unterminierten.

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett 3 Die USA bestimmen wieder das Gesetz des Handelns

Mit diesen Maßnahmen gelang es den USA, das Auseinanderdriften der von ihnen bestimmten Weltordnung zu verhindern und sich wieder zur bestimmenden Macht in Europa und auch gegenüber der UdSSR zu positionieren. Durch die China-Karte und die Stationierung der Mittelstreckenraketen in Europa haben sie die Sowjet­ union wieder in die Enge getrieben und das Bedrohungsszenario erweitert. Mit der diplomatischen Anerkennung der Volksrepublik China und der Stationierung der Mittelstreckenraketen hatten die USA in Europa wie in Asien günstige Ausgangs­ bedingungen geschaffen, um dann - gewissermaßen als zweiten Akt - zum Todes­ stoß gegen die Sowjetunion ausholen zu können. Diese war nunmehr eingekreist; die USA hatten es in der Hand, sowohl im Europa als auch in Ostasien Druck auf die UdSSR auszuüben, wie es Henry Kissinger mit seiner China-Politik ja auch vor­ gesehen hatte. Mit der Stationierung der Mittelstreckenraketen war das militäri­ sche Drohpotential an der sowjetischen Westgrenze gesteigert worden. Die UdSSR hatte somit keine oder nur noch wenig Handlungsfreiheit, eine Steigerung ihres militärischen Potentials konnte sie wirtschaftlich gar nicht oder nur noch unter größ­ ten Anstrengungen bewirken. Europa wurde wieder zum »natürlichen Spannungs­ feld«1207 zwischen der Seemacht USA und der Kontinentalmacht Sowjetunion. Die europäisch-russische Zusammenarbeit wurde aufgrund des von den USA in Europa stationierten Drohpotentials nicht verwirklicht. Statt dessen war Europa wieder an die Kandare genommen, indem es wieder in die Abhängigkeit der ato­ maren Rüstungspolitik der USA geriet. Die sich in den siebziger Jahren abzeich­ nende geopolitische Multipolarisierung auch innerhalb des westlichen Militärbünd­ nisses konnte wieder umgekehrt werden zu einem pentagonalen System zwischen USA, Westeuropa, China, UdSSR und Japan, in dem die USA das Gesetz des Han­ delns bestimmen konnten - eine Konstellation genau nach der Vorstellung von Zbi­ gniew Brzezinski, der die Notwendigkeit einer amerikanisch-chinesisch-westeuro­ päisch-japanischen Kooperation betonte, um die UdSSR »auszubalancieren« (sprich einzukreisen) und die >Pax Americana< zu erhalten.1208 Dabei aber sollte es nicht bleiben. Zugleich sah die US-Machtelite in den - von ihnen im wesentlichen her­ vorgerufenen und mitgestalteten - Entwicklungen im Mittleren Osten auch die Möglichkeit, ihre aus den fünfziger Jahren stammende Politik der Unterminierung der Sowjetunion aufzunehmen und wirkungsvoll in die Tat umzusetzen.

Kapitel 5

Der islamische Fundamentalismus als Schöpfung und Verbündeter des angelsächsischen Imperialismus. Die Afghanistan-Falle 1 Die US-Machtelite und der islamische Fundamentalismus eine historische Partnerschaft gegen Eurasien In seinem Essayband Kriege gegen Europa. Bosnien - Kosovo - Tschetschenien1209 wirft der französische Geopolitiker Alexandre del Valle den USA vor, selbst vor einem Bündnis mit dem islamischen Fundamentalismus nicht zurückzuschrecken, um ihr strategisches Ziel, die Degradierung Europas zum US-Vasallen und die Unterwer­ fung Eurasiens, zu erreichen. »Im Wissen darum«, so schreibt del Valle, »daß ein starkes und unabhängiges Europa imstande wäre, Amerika in allen Bereichen der Macht, vor allem im wirtschaftlichen, zu übertreffen, wollen die amerikanischen Strategen um jeden Preis jegliche europäische Autonomie im Keim ersticken, um zu verhindern, daß klarblickende führende Leute versuchen, ein kontinentales GroßEuropa zu errichten, indem sie >die zwei LungenDritten Weges< in enger Kooperation mit Westdeutschland, Frankreich, dem Iran des Schahs und Kö­ nig Feisals Saudi-Arabien«,1223 die die USA zu ihrer wohl größten und teuersten subversiven Geheimdienstoperation veranlaßten: Man mobilisierte verschiedene islamisch-fundamentalistische Organisationen. Tatsächlich hatte sich die US-Machtelite diese Möglichkeit - gewissermaßen als strategische Reserve - bereits in den sechziger Jahren geschaffen, als man an der Universität Princeton und am Center for Strategic and International Studies an der Universität Georgetown um 1965 herum am sogenannten >Khomeini-Projekt< - der Förderung einer schiitischen Revolution im Iran - gearbeitet hatte. Eine führende Rolle spielten dabei der damalige Außenminister und Drahtzieher Khomeinis, Ibra­ him Yazdi, und vor allem der Oxford-Stipendiat Bernard Lewis.1224 Bernard Lewis gilt unter den heute noch lebenden Orientexperten der britischen Geheimdienste bei weitem als der renommierteste. »Seit er 1974 in die Vereinigten Staaten geschickt wurde, übte er prägenden Einfluß auf Zbigniew Brzezinski und Samuel P. Hun­ tington aus«,1225 insbesondere in bezug auf deren Bemühungen, die USA in ein >Großes Spiel< in Zentralasien hineinzuziehen. Sowohl Bzezinskis Politik des »Krisen­ bogens«, auf die noch einzugehen sein wird, als auch Huntingtons Theorie vom »Zusammenprall der Kulturen« stammten ursprünglich von Bernard Lewis und sind im Grunde lediglich als neuere Versionen des altbekannten >Großen Spiels< der Geopolitik anzusehen. Die gesamte Politik der Carter-Administration gegen­ über dem Persischen Golf, Afghanistan und dem südlichen Teil der Sowjetunion

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waren in ihren Ursprüngen Entwürfe von Bernard Lewis. Die Unterstützung der Carter-Administration für den Sturz des Schahs im Iran und die Installierung des Khomeini-Regimes waren wesentliche Bestandteile des sogenannten >Bernard-Le­ wis-PlanesCommittee on the Present DangerHudson Institute< und des >Institute for Contemporary Studies< im Mai 1982 die Complete Defence Guidance 1984-1988 er­ stellt, die im August 1982 von US-Präsident Reagan und seinem Verteidigungsmi­ nister W einberger unterzeichnet wurde.1370 »Damit wurde sie offizielle Strategie und Politik der Reagan-Administration bis zu ihrem Ende im Januar 1989.«1371 Peter Schweitzer zufolge, der sich ausführlich mit den Hintergründen der Reaganschen Politik befaßt hatte, handelte es sich dabei um die »geheimste und maßgeblichste Stellungnahme zur Pentagon-Strategie, Ressourcenplanung, Programmentwicklung und Streitkräfteplanung. In der Tat ist das Dokument so sensibel, daß es noch zwan­ zig Jahre lang geheim blieb«.1372 Diesem Dokument zufolge gehört es zu den natio­ nalen Interessen der USA, die UdSSR an allen Fronten der Weltpolitik systematisch zurückzudrängen. Im einzelnen heißt es in diesem Dokument: - »Zurückdrängung der geographischen Expansion der sowjetischen Kontrolle und Militärpräsenz in der ganzen Welt, insbesondere dort, wo eine solche Präsenz die geostrategische Position der Vereinigten Staaten bedroht« und - »Ermutigung von langfristigem politischem und militärischem Wandel inner­ halb des Sowjetimperiums, was die Errichtung einer sichereren und friedfertigeren Weltordnung erleichtern wird«.1373 Dieses Leitlinien-Dokument stellte die gesamte Konzeption einer irregulären >schmutzigen< Kriegführung gegen die UdSSR dar, welche letztlich nichts anderes

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als die Liquidierung des sowjetischen Staatswesens zum Gegenstand hatte. Um dieses Ziel erreichen zu können, hatte die US-Rüstungspolitik dafür Sorge zu tra­ gen, »daß die konventionellen Streitkräfte der Vereinigten Staaten in Verbindung mit denen unserer Verbündeten in der Lage sein sollten, es für die Sowjetunion riskant zu machen, ihre Interessen zu verfolgen, und zwar auch innerhalb des sowje­ tischen Kernlandes«.1374 Es sollte alles darangesetzt werden, daß die Sowjetunion nicht mehr fähig sei, in Bedrohungssituationen ihre territoriale Integrität zu sichern. Das Leitliniendokument sah darüber hinaus vor, genau ein solches Bedrohungs­ szenario zu schaffen. Demzufolge sollten, »um politische, wirtschaftliche und miltäri­ sche Schwächen innerhalb des Warschauer Paktes auszunutzen und Operationen im feind­ lichen Hinterland zu zerschlagen, Spezialeinheiten Operationen in Osteuropa sowie im nördlichen und südlichen NATO-Gebiet durchführen«, heißt es in dem Doku­ ment. Mit besonderer Aufmerksamkeit sollte daher das Ziel verfolgt werden, die Un­ terstützung zu untergraben, die der Sowjetunion in ihrem osteuropäischen Ein­ flußbereich zuteil wird.1375 Zusätzlich forderte das Dokument, »daß wir unsere Spe­ zialeinheiten neu beleben und verstärken müssen, um die Macht der Vereinigten Staaten dort wirksam werden zu lassen, wo der Einsatz konventioneller Truppen verfrüht, unpassend oder undurchführbar wäre«, insbesondere in Osteuropa. Un­ ter »Spezialeinheiten« verstanden die US-Strategen in der Regel Guerillas, Sabo­ teure, Kommandotruppen und ähnliche irreguläre Streitkräfte.1376 Ziel sollte es nach einer Direktive des Nationalen Sicherheitsrates sein, »das sowjetische Allianzsystem zu schwächen, indem es gezwungen wird, die Hauptlast seiner wirtschaftlichen Unzulänglichkeiten zu tragen, und langfristig Liberalisierungs- und nationalisti­ sche Tendenzen innerhalb der Sowjetunion und ihrer verbündeten Länder zu er­ mutigen«.1377 »In jedem Fall«, so beschreibt Ernst-Otto Czempiel diese Strategie, »sollte die So­ wjetunion mit allen verfügbaren militärischen Mitteln, eingeschlossen der des Gue­ rilla-Krieges, der Sabotage und anderer spezieller Aktionen aus der Welt zurück­ gedrängt werden. Die wichtigste Rolle dabei sollte die Rapid Deployment Force spielen. Von Präsident Carter entwickelt, wurde sie von Präsident Reagan in eine ganz andere, nämlich globale Größenordnung gehoben.«1378 Begleitet werden sollte dies von einer wirtschaftlichen Kriegführung gegen die UdSSR. Wie Peter Schweitzer darstellt, war sich die Machtelite um Ronald Reagan darüber im klaren, daß die Achillesferse der Sowjetunion ihre schwache Wirtschaft war,1379 eine Schwäche, die es durch Ingangsetzung eines erneuten Rüstungswett­ laufes auszunutzen galt. »Darüber hinaus sollte der Sowjetunion ein Rüstungswett­ lauf aufgezwungen werden, den sie verlieren, dem sie aber zuerst alle anderen wirtschaftlichen Ziele opfern mußte.« 1380 Das war auch das Kernelement des Strategie­ dokumentes. Dieses erklärte, daß es an der Zeit sei, »die dauerhaften ökonomi­ schen Vorteile des Westens auszunutzen sowie eine Vielzahl von Systemen zu ent­ wickeln, die es den Sowjets schwer machen zu erwidern, die ihr unverhältnismäßig

VI. Die Reagan-Ära - die Sowjetunion wird in den Untergang getrieben

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hohe Kosten aufzwingen, die neue Felder überlegener militärischer Fähigkeiten eröffnen und vorangegangene sowjetische Investitionen abnutzen«.1381 Der Schlüssel, um die UdSSR niederzuringen, bestand also darin, »sowjetische Schwächen in einem Rüstungswettlauf auszunutzen«.1382 In dem Leitliniendokument wird daher auch ergänzend eine Technologiestrategie gefordert. Diese »sollte In­ vestitionen auf Waffensysteme konzentrieren, die die vorhandenen sowjetischen Rüstungsbestände wertlos machen«. Sie sollte »den Sowjets dadurch höhere Ko­ sten auferlegen, daß sie bei ihnen Unsicherheit hervorruft, ob sie noch in der Lage sind, einige ihrer vordringlichsten Aufträge zu erfüllen«.1383 Wie Peter Schweitzer schildert, ging es bei dieser Strategie weniger um die Restauration amerikanischer militärischer Stärke als vielmehr um eine Form der wirtschaftlichen Kriegführung gegen die Sowjets.1384 Das Leitliniendokument fordert schließlich auch, daß die USA Vorteile aus der Schwäche des Feindes ziehen.1385 Daher sollte »schon zu Friedenszei­ ten« versucht werden, »verstärkten Druck auf die sowjetische Wirtschaft auszuüben«, und zwar durch Embargos, Entzug strategischer Rohmaterialien und Technologien, umfassende industrielle Mobilisierung der eigenen Wirtschaft, beschleunigte Ent­ wicklung neuer Waffensysteme und »ständige Ausweitung der eigenen Rüstungs­ ausgaben«, bei denen die Sowjets schließlich nicht mehr mithalten konnten. Des weiteren sollte »schon zu Friedenszeiten« versucht werden, durch »Aufstän­ de«, die man »anzetteln oder ausnutzen« kann, und durch »mögliche Gegenoffen­ siven gegen Kuba, Nicaragua, Vietnam, Libyen, Nordkorea, Angola und am Persi­ schen Golf die Sowjetunion von ihren Verbündeten und Freunden abzutrennen und >westliche Wirtschaftsordnungen< in diesen Gebieten wiederherzustellen«.1386 Bei diesem Plan des indirekten Wirtschaftskrieges gegen die Sowjetunion war die Handschrift Richard Pipes' deutlich zu erkennen, der schon in den siebziger Jahren die Ansicht vertrat, daß ein wirkliches Wettrüsten »den Kollaps des Sozialismus und eine Restauration des Kapitalismus in unserem Lande bringen« würde. 1387 Wort­ wörtlich heißt es daher auch in der Verteidigungs-Leitlinie: »Als Ergänzung der Militärstrategie in Friedenszeiten sollten... die Vereinigten Staaten und ihre Ver­ bündeten faktisch der Sowjetunion wirtschaftlich und technisch den Krieg erklären.«1388 Durchzogen war dieses Strategiedokument also von dem Gedanken, einen Ver­ nichtungskrieg gegen die UdSSR sowohl auf konventioneller als auch auf atomarer Ebene durchführ- und gewinnbar zu machen. Fast wortwörtlich wurde die Kon­ zeption Grays und Paynes zu den chirurgischen >Enthauptungssch lägen< gegen die UdSSR übernommen, deren Endzweck es sein sollte, die »amerikanische atomare Macht in den Stand zu setzen, die Sowjets zur frühestmöglichen Beendigung der Feindseligkeiten zu zwingen, und zwar zu den für die USA günstigen Bedingun­ gen«.1389 Damit sollten die USA in die Lage versetzt werden, der >enthaupteten< Sowjetunion jederzeit ihre Bedingungen aufzwingen zu können. Egon Bahr, der Architekt der neuen deutschen Ostpolitik, hatte den aggressiven Charakter dieser Konzeption treffend erkannt: »Es ist ein modifiziertes Konzept«, so schrieb er, »darauf angelegt, eine Strategie zum Zusammenbruch der Sowjetuni­

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on durchzuführen. Es enthält eine Hochrüstung, die Moskau in eine ähnliche wirt­ schaftliche Anstrengung zwingen will, und die Gleichzeitigkeit eines Wirtschafts­ und Handelskrieges, der ihr dafür die Mittel möglichst beschneiden will.« Es han­ delt sich Bahr zufolge um »ein geschlossenes, durchdachtes Konzept. Es bedeutet den Versuch, die Sowjetunion geographisch, wirtschaftlich und politisch zu zernie­ ren, einzuklammern, einzudämmen und gleichzeitig oppositionelle Tendenzen in­ nerhalb des Blocks, seien es Dissidenten oder Solidarnosc, zu benutzen, bis zu der Linie, deren Überschreitung den bewaffneten Konflikt, also die eigene Gefährdung bedeuten könnte«1390 - kurz gesagt, also die Fortsetzung einer indirekten Strategie.

4 Die Umsetzung der indirekten Strategie der Zerstörung der UdSSR Anhand dieser Pläne ging die US-Machtelite nunmehr planmäßig daran, die UdSSR auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig in die Enge zu treiben. Zum einen wurde anhand der Strategischen Verteidigungsinitiative (>Krieg der SterneFaß ohne Boden< investierte. Des weiteren griff die Reagan-Administration zu einem Wirtschaftkrieg auf der Ebene des Rohstoffhan­ dels sowie der Blockade auf dem Weltmarkt, der zu einem massiven Verlust an Devisenimporten führte, von dem sich die Sowjetunion nicht mehr erholen sollte. Auch die klassische Strategie der Schürung von Unruhen innerhalb des sowjeti­ schen Machtbereiches blieb nicht unberücksichtigt; die Entwicklungen in Polen wie auch die Verstärkung der irregulären Zusammenarbeit mit den Mudschaheddin in Afghanistan zeigten, daß gezielt auf die Karte der irregulären, schmutzigen Krieg­ führung gesetzt wurde. Diese Elemente jedenfalls sollten schließlich zum Ende der Sowjetunion führen.

4.1 Die >Strategische Verteidigungsinitiative< (SDI) Wie Henry Kissinger in einer Besprechung seines Buches Diplomacy es ausdrückte, hatte die Reagan-Administration mit ihrer Superrüstung, für die sie von 1981 bis 1989 rund 2,5 Billionen Dollar ausgegeben hatte, »der Sowjetunion den Todesstoß versetzt«.1391 »Reagans grundlegendste Kampfansage an die Sowjetunion war seine militärische Aufrüstung.«1392 Tatsächlich, so der Amerika-Experte Wilhelm Dietl, verdoppelte sich in der ersten Amtszeit Reagans »der ohnehin schon aufgeblähte Verteidigungshaushalt der USA auf über 300 Milliarden Dollar. Das Pentagon wurde zum Schlaraffenland der Militärs... Geld spielte keine Rolle, und deshalb inve­ stierten die Falken im Weißen Haus auch in Großprojekte... Das betraf zum Bei­ spiel den B-1 Bomber und die Hochrüstung zur See. Die Marine wartete auf 62 neue Kriegsschiffe und 22 weitere U-Boote. Die Zahl der Flugzeugträger sollte in­ nerhalb weniger Jahre von 13 auf 15 steigen«.1393

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Unter Ronald Reagan gaben die USA die astronomische Summe von 2,5 Billionen Dollar für Rüstungszwecke aus! Einen größeren Posten verschlang die Entwicklung des SDI-Systems, das feindliche ballistische Raketen möglichst in großer Höhe oder gar bereits in der Startphase zerstören sollte. Das Foto zeigt das auf Lasertechnik beruhende Ortung und Steuerungsgerät. (Foto: AP)

Ronald Reagan.

Der strategische Langstreckenbomber B-1 (Erstflug 1974).

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Ansatzpunkt für die Umsetzung der Strategie, die UdSSR durch Ingangsetzung eines Rüstungswettlaufs in den Untergang zu treiben, war die Konzeption der Rea­ gan-Administration, den Weltraum für eine Rüstungskampagne gegen die Sowjet­ union auszunutzen. Folglich wurde neben dem konventionellen Rüstungsschub auch die Nuklearrüstung verstärkt. Das gesamte Leitliniendokument forderte ne­ ben der beschleunigten Aufstellung neuer interkontinentaler Präzisionswaffen »die Entwicklung, Produktion und Stationierung neuer Weltraum-Abwehrwaffen«, unter anderem von Anti-Satellitenwaffen, kinetischen und Laserwaffen. Diesen damals noch weitgehend im Forschungsstadium befindlichen Weltraumwaffen - in den >Verteidigungsrichtlinien< als »prototype development of space based weapon Sy­ stems« benannt - wurde die Funktion zugewiesen, den USA »die Überlegenheit im Weltraum (zu) sichern«, um diese »unangreifbar« zu machen und das von Reagan so genannte »Fenster der Verwundbarkeit« zu schließen.1394 Wie auch schon bei den Aufrüstungskampagnen zuvor, so hat auch in dieser Lage eine Verwundbarkeit der USA niemals vorgelegen. Statt dessen arbeitete man wie gehabt mit einer beispiellosen Desinformationskampagne über die angebliche sowjetische Bedrohung. Wie Ernst-Otto Czempiel enthüllte, war aber vielmehr Tat­ sache, »daß die Sowjetunion einen großen Rückstand aufzuholen hatte, wenn sie mit den USA gleichziehen wollte... 1983 spätestens wußte die CIA auch, daß die von ihr seit 1976 benutzten Zahlen über die sowjetische Rüstung unrichtig waren. Die sowjetischen Waffenbeschaffungsprogramme waren seitdem nicht mehr erhöht worden«.1395 Außerdem habe die Reagan-Administration bei ihren Streitkräftevergleichen außer acht gelassen, daß die Sowjetunion es nicht nur mit den Vereinigten Staaten, sondern auch mit China zu tun habe. Übersehen habe sie ferner die gewaltigen Unterschiede zwischen dem Militärpotential der westeuropäischen NATO-Alliier­ ten und den osteuropäischen Mitgliedern des Warschauer Paktes. »Hätte sie die Verteidigungsausgaben der beiden Paktsysteme miteinander verglichen«, so Czem­ piel, »so hätte sich ein Vorsprung der NATO von 29 % ergeben, sogar einer von 49 %, wenn man die sowjetischen Verteidigungsausgaben gegenüber China mitbe­ rücksichtigte. Im strategischen Bereich war die Zweitschlagskapazität der Verei­ nigten Staaten zu keiner Zeit gefährdet. Das berühmte >Fenster der Verwundbar­ keit hatte offensichtlich, wie zuvor die >Raketen-Lücke< des Kandidaten Kennedy, mehr dem Wahlsieg als der Wahrheit genützt.«1396 Der Rüstungsexperte Ernst-Otto Czempiel kommt denn auch zu dem Ergebnis, daß »von einem wirklich definierten Sicherheitsbedarf... also kaum die Rede sein« konnte.1397

4.1.1 Die konkreten Hintergründe zum Entschluß zur Verwirklichung des SDI-Programms Die sowjetische Führung war sich bewußt, daß ein erneuter Rüstungswettlauf zumal in den Ausmaßen, wie die Rüstung von der Reagan-Administration geplant war - ihre wirtschaftlichen Kräfte überstrapazieren würde, und regte deshalb nach

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Breschnews Tod eine Abrüstungsinitiati ve an. »Der neue Kremlchef Juri Andropow sprach über die Reduzierung der SS-20, über atomwaffenfreie Zonen in Europa und Beschränkungen von Rüstungsverkäufen an Länder der Dritten Welt. Schließ­ lich bot er bei einer Gipfelkonferenz des Warschauer Paktes sogar einen Gewalt­ verzichtsvertrag an.«1398 Das paßte den Strategen im Weißen Haus gar nicht ins Konzept, denn ein durch Abrüstung begünstigter Aufschwung der sowjetischen Wirtschaft lag keinesfalls im Interesse der US-Machtelite um Präsident Reagan.1399 »Diese Position teilten der zum Kabinett-Mitglied beförderte CIA-Direktor, Wil­ liam Casey, und dessen Stellvertreter Robert Michael Gates...«1400 Aus diesem Grund waren die US-Geheimdienste damit befaßt, Daten über die wirtschaftliche Entwicklung der Sowjetunion zu sammeln, um anhand des gewon­ nenen Materials dann die Strategie des Wirtschaftskrieges gegen die UdSSR ent­ wickeln zu können. »Die amerikanische Regierung investierte jährlich einige hun­ dert Millionen Dollar, um präzisere Angaben über die Wirtschaftskraft des Rivalen zu gewinnen. Der Hauptzweck der Operation war, die Höhe der sowjetischen Mi­ litärausgaben herauszufinden und diese in Relation zu der wirtschaftlichen Ge­ samtleistung zu setzen. Der prozentuale Anteil der Verteidigungskosten am Brutto­ sozialprodukt sollte Rückschlüsse auf die Überlebenschancen des sowjetischen Imperiums ermöglichen.«1401 CIA-Analysten wollten auf diese Weise konkret bestimmen, wie hoch die Rü­ stungslast der UdSSR sein mußte, um deren wirtschaftliches Gleichgewicht zu ge­ fährden, ökonomische Verteilungskämpfe zu erzeugen und so das gesamte System zu destabilisieren. »Von der Entwicklung der sowjetischen Militärausgaben konn­ ten also die Expertenteams der CIA auf die Grenzen der Handlungsmöglichkeiten Moskaus schließen. Der Befund legte letztlich auch die Schlußfolgerung nahe, die Sowjets durch eine neue Etappe des Rüstungswettlaufs in die Knie zu zwingen«, so Maria Huber.1402 Das war schließlich die Geburtsstunde des SDI-Programms. Um die Sowjets wirtschaftlich niederzuringen, »legte Ronald Reagan noch eins drauf und brachte seine Strategische Verteidigungsinitiative, kurz SDI (Strategic Defence Initiative, der Verf.), in die Diskussion«.1403 Dieses allerdings schuf für die UdSSR ein weiteres Sicherheitsrisiko, da es gegen den Grundgedanken des ABM-(Anti-Ballistic-Missile-)Vertrags von 1972, »der ja raumgestützte Verteidigungssysteme verbot«,1404 verstieß. »SDI«, so Ernst-Otto Czempiel, »mußte notwendig auch den ABM-Vertrag zerstören und damit den Auf­ takt bilden zu einem Rüstungswettlauf im Weltraum, zu einem Ersatz der Rüstungs­ kontrolle durch eigene weitere Aufrüstung.«1405 Das mit dem ABM-Vertrag geschaf­ fene Prinzip der wechselseitig garantierten Vernichtung, das beide Kontrahenten vom Einsatz ihres Atomwaffenarsenals abhalten sollte, wurde auf diese Weise er­ setzt durch eine Strategie einseitiger amerikanischer Überlegenheit. Durch SDI schließlich wurden die zu dieser Zeit in Westeuropa stationierten Mittelstrecken­ raketen »jetzt zu Offensivwaffen..., die die Vereinigten Staaten gegen die Sowjet­ union einsetzen konnten, ohne daß der dann in Europa stattfindende Nuklearkrieg

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das Mutterland der USA mit einbezog. Zog man schließlich noch in Betracht, daß die Sowjetunion dem Aufbau eines amerikanischen SDI nicht tatenlos zusehen, sondern nachfolgen würde, so zeigte sich sofort die Zukunft eines neuen, den Welt­ raum mit einbeziehenden Rüstungswettlaufs. Er würde die Rüstungskontrolle end­ gültig zunichte machen«.1406 Genau dies war auch das Ziel der R eagan-Administration, denn diese »lehnte die Rüstungskontrolle rundweg ab«,1407 da sie einer machtvollen Durchsetzung einer »power projection« zur Niederringung der UdSSR im Wege stand. Ernst-Otto Czem­ piel führt in diesem Zusammenhang aus, daß es der Reagan-Administration auch erfolgreich gelungen ist, Rüstungskontrollfortschritte zu verhindern. »Die Strate­ gie dabei war stets die gleiche. Sie verzögerte zunächst den Beginn der Verhand­ lungen und stattete sie sodann mit Vorschlägen aus, die von der anderen Seite nur abgelehnt werden konnten.«1408 Mit SDI jedenfalls wären die USA in der Lage ge­ wesen, das Nuklearpotential der UdSSR bereits im Vorfeld zu beseitigen; sie hätten dann einen Krieg mit nuklearen Waffensystemen gegen die Sowjetunion führen können, ohne einen Vergeltungsschlag fürchten zu müssen. Folglich war die Rea­ gan-Administration auch nicht bereit, SDI zum Gegenstand von Abrüstungs­ gesprächen, die von der Sowjetunion initiiert wurden, zu machen. Als der neue Generalsekretär Gorbatschow als Gegenleistung für einen SDI-Verzicht die Statio­ nierung der SS-20 unterbrach, ein einseitiges Moratorium der Kernwaffenversuche verkündete und bei den Abrüstungsverhandlungen in Genf im November 1985 die Halbierung der strategischen Offensivwaffen anbot, waren die USA keinesfalls be­ reit, an ihrem Ziel der militärischen Überlegenheit zu rütteln und auf die Verwirk­ lichung des SDI-Programms zu verzichten. Im Gegenteil, die Reagan-Administration wollte ihre Militärmacht nach wie vor dafür einsetzen, »die Sowjetunion zum Rück­ zug aus der Welt und zur Reformierung ihres Herrschaftssystems zu zwingen«.1409 Insgesamt betrachtet führte sie im konventionellen wie auch im nuklearen Bereich »opulente Rüstungsprogamme durch, die sich verteidigungsstrategisch nicht be­ gründen ließen, aber die Grundlage einer riesigen außenpolitischen Machtentfal­ tung bilden sollten«.1410

4.1.2 Die katastrophale Auswirkung auf die sowjetische Wirtschaft Während Reagan an der Aufrüstung der USA unerschütterlich festhielt und in Sa­ chen Rüstungskontrolle es bei Lippenbekenntnissen bewenden lassen wollte,1411 erkannte die sowjetische Machtelite um G orbatschow, daß eine weitere Aufrüstungs­ spirale für sie wirtschaftlich nicht mehr tragbar war. Sie sah sich wirtschaftlich wie militärisch überfordert, und genau darauf hatte die US-Machtelite um Ronald Rea­ gan ja gesetzt. Der deutsche Rüstungsexperte Adalbert Bärwolf bestätigt dies in seiner Studie Die Geheimfabrik - Amerikas Sieg im technologischen Krieg: »Die Sowjet­ union hatte im technologischen Krieg, bei der Investition Amerikas von mehreren Trillionen Dollar (nach amerikanischer Rechnung) über die Jahrzehnte, jetzt unter Reagans eingeleiteter extremeren Hochrüstung, keine Chance mehr, diesen lautlo­

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sen Krieg in den Laboratorien und an den Produktionsbändern zu gewinnen... Die fast parallel laufende B-1-Produktion und B-2-Entwicklung (hierbei handelt es sich um US-Tarnkappenbomber, der Verf.) war für die sowjetische Abwehrplanung - ganz abgesehen von der von Reagan gleichzeitig gestarteten Raketenabwehr-In­ itiative SDI - schlicht zuviel.«1412 Die Sowjets hatten einem solchen Raketenabwehrsystem nichts entgegenzuset­ zen, was Bärwolf zufolge im wesentlichen darin begründet lag, daß sie nicht über die hierfür erforderliche Spitzentechnologie verfügten, die sich neben Atom- und Lasertechnologie vor allem auf Mikroelektronik stützte.1413 Und genau hier waren die Sowjets den Amerikanern hoffnungslos unterlegen: »Zudem waren die sowje­ tischen Computer-Systeme noch so primitiv, daß sie anfliegende US-Raketen kaum von einem Schwarm anfliegender Gänse hätten unterscheiden können.«1414 Tatsäch­ lich war die Sowjetunion beim Amtsantritt Gorbatschows wirtschaftlich auch nicht mehr in der Lage, diese Lücke aufzuholen. Jochen Hippler spricht von einer »struk­ turellen Schwäche der sowjetischen Weltmacht«, die darin bestand, daß die Welt­ machtrolle »immer nur unter großer ökonomischer und politischer Anspannung erreicht und gesichert werden konnte. Die Konzentration übergroßer Ressourcen im Rüstungs- und Militärsektor... mit einer entsprechenden Verformung und Schwächung der Volkswirtschaft... waren der Preis, den die sowjetische Bevölke­ rung für die Weltmachtrolle ihres Landes zu entrichten hatte.«1415 Die Außenhan­ delsstruktur der UdSSR habe eher an Dritte-Welt-Länder als an eine Supermacht erinnert.1416 Auch die Osteuropa-Expertin Maria Huber kommt zu ähnlichen Ergebnissen: »Zwischen 1965 und 1985 sanken die Wachstumsraten von Fünf jahresplan zu F ünf­ jahresplan... In der Sowjetunion... hatte sich... ein stetiger Abwärtstrend einge­ stellt. In den Jahren 1978/79 und 1982 gab es in den wichtigsten Branchen gar kein Wachstum mehr.«1417 Dieser katastrophale Zustand spiegelte sich auch in der tech­ nologischen Entwicklung wider. Die UdSSR war den Analysen Mária Hubers zu­ folge Ende der siebziger Jahre in der Computer- und Kommunikationsbranche erst so weit wie der US-Technologiekonzern IBM schon Mitte der sechziger Jahre. Für die Finanzierung von entwicklungspolitischen Aufgaben wie von Forschung und Technik hätten sowohl die entsprechenden Mittel im sowjetischen Staatshaushalt als auch ein wirksames Steuerungsinstrumentarium gefehlt.1418 Zusammengefaßt läßt sich also sagen, daß der hohe Finanzbedarf für die äußere Sicherheit der Sowjetunion bei stetig sinkenden Wachstumsraten deren innere Schwäche gesteigert hat.1419 Für Reagans Kreuzzug gegen die UdSSR erwies sich diese Entwicklung als ausgesprochen günstig: Die Politik, die zugleich für Kano­ nen, Butter und Wachstum sorgen sollte, sei für die Sowjets nicht länger durchzu­ halten, schrieb der amerikanische Sowjetologe Seweryn Bialer.1420 Die Hauptprobleme der Sowjetunion beim Amtsantritt Gorbatschows, so Jochen Hippler, waren also »die Existenz einer verrotteten Volkswirtschaft und eines ver­ knöcherten politisch-administrativen Systems. Beide Probleme wurden durch die

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Belastungen einer Außen- und Rüstungspolitik, die sich an der Sicherung des Welt­ machtstatus orientierte, verschärft«.1421 Die Sowjetunion befand sich gewisserma­ ßen in einem Spannungsfeld zwischen einem drohenden wirtschaftlichen Kollaps im Innern und einer militärisch-geostrategischen Überdehnung nach außen. Für die neue sowjetische Führung unter Gorbatschow kam es daher darauf an, die au­ ßen- und militärpolitischen Belastungen den begrenzten wirtschaftlichen Möglich­ keiten anzupassen. Dies aber - so Jochen Hippler - setzte voraus, daß die sowjeti­ sche Volkswirtschaft vom äußeren Druck und von einer rüstungspolitischen Ressourcenverschwendung befreit wurde. Aus diesem Grund strebte Gorbatschow mit aller Macht eine wirtschaftliche Umgestaltung und Modernisierung der UdSSR an und versuchte, die Rüstungsspirale zurückzudrehen. Um aber die Finanz-, Pro­ duktionsmittel und Rohstoffressourcen des Landes endlich für die Modernisierung und Umgestaltung freimachen und umleiten zu können, brauchte die Sowjetunion Abrüstung bei allen Waffenkategorien und Abbau der Bedrohungen an ihren Gren­ zen im Rahmen des Konzepts einer »gemeinsamen Sicherheit im Europäischen Haus«.1422 »1988 legte Michail Gorbatschow dem Obersten Sowjet einen Plan vor, nach dem er bis 1995 60 Prozent der Rüstungsindustrie auf zivile Produktion kon­ vertieren und die Rüstungsausgaben erheblich, nämlich um 40 Prozent, senken woll­ te.«1423

4.1.3 Die UdSSR strebt eine umfassende Abrüstung an der Gipfel von Reykjavik Was die UdSSR zur wirtschaftlichen Erneuerung brauchte, war also die Schaffung eines sicheren strategischen Umfeldes; der Teufelskreis von amerikanischer Vor­ rüstung und sowjetischer Nachrüstung mußte also durchbrochen werden. »So kam es Ende der 80er Jahre zu einem neuen Gegensatz der beiden Großmächte. Die Sowjets wollten auf der ganzen Bandbreite alte Waffensysteme abrüsten und auch nicht neu- oder Umrüsten. Die Amerikaner waren willens, ihre alten Waffensysteme abzurüsten, aber über ihre neuen, insbesondere über SDI, wollten sie nicht verhan­ deln.«1424 Es war daher auch die UdSSR, die den Startschuß für Abrüstungsver­ handlungen abgab. Auch »die Gipfelkonferenz in Reykjavik am 11. und 12. Oktober 1986 war und blieb eine sowjetische Initiative«.1425 Gorbatschow bot nicht nur eine Halbierung aller strategischen Offensivwaffen beider Seiten an, auch sollten alle Mittelstreckenraketen aus Europa verbannt werden. Dabei wurde aber schon sehr bald klar, daß der eigentliche Gewinner dieser Abrüstungsverhandlungen die USA waren, denn »die Sowjetunion war auf ihre Forderungen eingeschwenkt«,1426 und mit einer Halbierung der strategischen Offensivwaffen »verlor die Sowjetunion ihre numerischen Vorteile, während die USA von ihrer qualitativen Überlegenheit pro­ fitierten«.1427 Wie Ernst-Otto Czempiel darstellt, legte die sowjetische Seite hier wie auch spä­ ter beim an die Reykjavik-Vereinbarungen anschließenden INF-Vertrag zum Ab­ bau der Mittelstreckenraketen eine unermüdliche Konzessionsbereitschaft an den

VI. Die Reagan-Ära - die Sowjetunion wird in den Untergang getrieben 401 Tag und hatte so gut wie jede amerikanische Forderung erfüllt.1428 Daß die ReaganAdministration zu einer Verringerung des nuklearen Offensivwaffenpotentials grundsätzlich bereit war, lag daran, daß sich hinter dieser Bereitschaft ein Umrü­ stungsinteresse verbarg. Schon vor den Verhandlungen von Reykjavik hatte Ri­ chard Perle, Sicherheitsberater des US-Präsidenten Reagan, darauf hingewiesen, daß die Zukunft der Abschreckung sehr viel besser bei den luft- und seegestützten Marschflugkörpern aufgehoben sei als bei den ballistischen Raketen. Erstgenannte sollten umgehend einer Modernisierung unterworfen werden. »Die Reichweiten­ vergrößerung und Verbesserung der Zielgenauigkeit von Marschflugkörpern macht es in Zukunft möglich, den Abstand zwischen dem Ziel und dem Trägersystem erheblich zu vergrößern.«1429 Andererseits aber hielten sich die USA nicht an die Vereinbarungen von Reykjavik, denn »das strategische Aufrüstungsprogramm der USA für 1988/89 ließ keine Halbierungstendenz erkennen. Seine Größenordnung wies unmißverständlich aus, daß an Abrüstung, oder auch nur substantielle Ver­ ringerung der Rüstung nicht gedacht war... Die strategischen Offensivwaffen soll­ ten also 1989 und danach kräftig vermehrt und verbessert werden, ein Reflex der fortschreitenden Abrüstungsgespräche ließ sich nicht erkennen«.1430 Die gleichfalls vereinbarte Abrüstung des nuklearen Mittelstreckenraketen­ potentials gestaltete die militärische Lage der USA ebenfalls günstig. Mit ihrem massiven konventionellen Aufrüstungsprogramm und mit der begrenzten nuklea­ ren Abrüstung wurde der amerikanische Unilateralismus vom Ballast eines nukle­ arlastigen Strategiekonzepts befreit, das die USA bislang daran hinderte, den Kon­ flikt mit der Sowjetunion auf der ganzen Breite voll aufzunehmen.1431 Auch wenn es paradox klingen mag, aber durch die Verringerung der nuklear bestückten Mittel­ streckenraketen und durch eine Halbierung der strategischen Offensivwaffen ver­

Gipfel von Reykjavik mit Reagan und Gorbatschow. Rechts: Die entsprechende Titelseite des Nachrichten­ magazins Der Spiegel vom 6. Oktober 1986.

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besserten die USA ihre Angriffsmöglichkeiten gegen die UdSSR, denen diese nichts oder nichts Passendes entgegenzusetzen hatte. »Verschwanden die Mittelstreckenraketen aus der Welt und reduzierten sich die strategischen Offensivwaffen um die Hälfte, so verschwand - oder halbierte sich die einschlägige sowjetische Parität. Im gleichen Maße gewannen die konventio­ nellen, Waffen an Gewicht und mit ihnen die bei den >smart weapons< bestehende technologische Überlegenheit der Vereinigten Staaten... Je stärker die Bedeutung der nuklearen Parität durch die Abrüstung der Kernwaffen reduziert wurde, um so deutlicher trat die Superiorität der Vereinigten Staaten auf dem Gebiet der kon­ ventionellen Rüstung wieder in Erscheinung«, so die Einschätzung von Ernst-Otto Czempiel.1432 Vor diesem Hintergrund hatten Angehörige der Reagan-Administra­ tion auch immer wieder gefordert, daß die USA die Sowjetunion auf solchen Ge­ bieten herausfordern sollten, auf denen sie eine »Marge der Überlegenheit« besa­ ßen, und zu diesem Zweck wurde immer wieder die Modernisierung der konventionellen US-Streitkräfte und insbesondere der US-Kriegsmarine gefor­ dert.1433

4.1.4 Die Bedeutung der Abrüstungsgespräche für die USA Ronald Reagan hatte mit seiner beispiellosen Aufrüstungspolitik erreicht, die So­ wjetunion strategisch mattzusetzen. Damit wurden zugleich die Voraussetzungen dafür geschaffen, sie schließlich in die wirtschaftlich-finanzielle Abhängigkeit des Westens zu treiben. Mit der wirtschaftlichen Aushöhlung der Sowjetunion sollten innerhalb ihres Systems Verteilungskämpfe zwischen Zentrum und Peripherie her­ vorgerufen werden. Diese riefen letztlich Zentrifugalkräfte wach, die die staatlich­ territoriale Integrität der UdSSR direkt bedrohten. So war es von den US-Strategen ja auch beabsichtigt. Im Verteidigungs-Leitliniendokument war angemerkt, daß die UdSSR in eine Situation gebracht werden solle, in der sie selbst innerhalb ihres Herrschaftsbereichs nicht mehr gefahrlos ihre Macht aufrechterhalten könne. Die amerikanische Vorrüstung im nuklearen wie auch im konventionellen Bereich zer­ störte die wirtschaftliche Substanz der UdSSR und zwang sie dazu, jeden Versuch aufzugeben, durch ein eigenes Rüstungsprogramm ihre Sicherheit aufrechtzuer­ halten. Die Sowjetunion wurde in die Lage versetzt, zu amerikanischen Bedingun­ gen rüstungsmäßig zu kapitulieren und die verbesserte strategische Position der USA anzuerkennen. Genau dies war bei der Abrüstung der offensiven Kernwaffen der Fall gewesen. Diese »vergrößerte also nicht nur die Handlungsfreiheit der Vereinigten Staaten und ihre Sicherheit; sie vergrößerte auch die technologische Distanz zwischen ih­ nen und der Sowjetunion und gab ihnen damit... die militärische Überlegenheit zurück, die auf dem Gebiet der Kernwaffen nicht wiederzuerlangen war«1434 (wel­ che im übrigen niemals durch die UdSSR ernsthaft gefährdet war, der Verf.). Damit gelang es den USA mit Hilfe der Abrüstungsabkommen, gegenüber der

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Sowjetunion weitgehend uneingeschränkte militärische Handlungsfreiheit zu er­ halten und eine militärische Auseinandersetzung auf der gesamten Breite zu füh­ ren, da sie einen nuklearen Vergeltungsschlag der UdSSR nicht mehr zu fürchten hatten, zumal SDI jeden sowjetischen Gegenschlag mit Marschflugkörpern neutra­ lisieren sollte. Dabei hatten die USA dafür gesorgt, daß SDI aus den Abrüstungs­ verhandlungen ausgeklammert wurde. Das von Reagan erwähnte »Fenster der Ver­ wundbarkeit« hatte sich durch diese Schachzüge der USA sehr weit für die Sowjetunion geöffnet, während die USA zweierlei gewannen: zum einen den wirt­ schaftlich-finanziellen Ruin ihres strategischen Konkurrenten durch den erzwun­ genen Rüstungswettlauf und zum zweiten die Neutralisierung des sowjetischen nuklearen Abwehrpotentials, wodurch es den USA möglich wurde, auf konventio­ nellem Gebiet - geschützt durch den Raketenabwehrschutzschild im Weltall - gegen die UdSSR vorgehen zu können. Durch die - von der UdSSR erbetene - Abrüstung wurde somit die vollständige amerikanische Überlegenheit wiederhergestellt.1435 Begünstigt wurde dies auch noch dadurch, daß die UdSSR im Vorfeld der Abrü­ stungsverhandlungen mit »einseitigen Abrüstungsmaßnahmen«1436 begann: um 500000 Soldaten, 10000 Panzer, 8500 Geschütze und 800 Kampfflugzeuge wurden »die sowjetischen Streitkräfte einseitig reduziert. Diese Maßnahmen trafen einen Sektor, der bisher die einzige Stütze sowjetischer Weltmachtgeltung war: das Mili­ tär«.1437

4.2 Die Schürung und Unterstützung des polnischen Separatismus Allein in der Rüstung erschöpfte sich die antirussische Strategie der Reagan-Admi­ nistration nicht. Das Leitliniendokument forderte ja zusätzlich eine Strategie ein, mit dem Ziel, die Unterstützung zu untergraben, die der Sowjetunion in ihrem ost­ europäischen Einflußbereich zuteil wurde. Ansatzpunkt für eine solche Strategie sollten die separatistischen Bestrebungen in der Volksrepublik Polen sein. Wie Zbi­ gniew B rzezinski in seinem Buc h Planspiel darstellt, war neben Pakistan und Afgha­ nistan im Südwesten hauptsächlich Polen im Westen der Schlüsselstaat, von dem aus die Desintegration des sowjetischen Machtbereichs betrieben werden konnte. Eine Verringerung der Kontrolle Moskaus über Polen lief Brzezinski zufolge auf eine Schwächung der Sowjetherrschaft in Osteuropa hinaus.1438 Hier hatten die USA ein heimtückisches Doppelspiel eingefädelt, das jenem, das sie in Afghanistan spielten, nicht unähnlich war: Sie brachten Polen zunächst in eine wirtschaftliche Zwangslage, die Versorgungsengpässe hervorrief, die allge­ mein als die Ursache für die Revolte und die durch sie ausgelösten weiteren Ent­ wicklungen angesehen wurden. Dabei wurden dann in Gestalt d er i ndirekten Kri eg­ führung die Organisationen des antirussischen Widerstandes unterstützt, mit dem Ziel, durch Schaffung wirtschaftlicher Abhängigkeiten den sowjetischen Machtbe­ reich in die westlich-amerikanische Vorherrschaftssphäre überzuführen. Folgt man den Darstellungen der Osteuropaexpertin Mária Huber, sollte Polen das Modell einer US-Außenwirtschaftspolitik sein, wie US-amerikanische Blocka­

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den und Sanktionen in einem sowjetischen Satellitenstaat Unruhen hervorrufen konnten, die dann einen Dominoeffekt für das gesamte sowjetische Paktsystem auslösen sollten.1439 US-amerikanische Sowjetologen gingen davon aus, »daß der explosionsartige Anstieg der Kreditaufnahme zur direkten Abhängigkeit Polens vom Westen und zu den Forderungen nach Demokratie geführt habe«.1440 Hintergrund war, daß der polnische Staatschef Edward Gierek durch einen mas­ siven Import westlicher Produktionsgüter Polens Wirtschaft zu modernisieren und den dortigen Lebensstandard zu erhöhen plante. Finanziert werden sollte dies durch den Export polnischer Güter nach Westen. Allerdings waren deren Absatzchancen dort sehr gering. »Die Finanzierungslücke wurde deshalb immer größer und muß­ te durch die Aufnahme von Krediten geschlossen werden. Polens Außenschulden in harter Währung stiegen von zwei Milliarden US-Dollar im Jahr 1973 auf knapp 20 Milliarden im Jahr 1979. Die polnische Regierung sah sich gezwungen, die Fleisch­ preise doch zu erhöhen, was zu Streiks gegen die Regierung und zu Legitimitäts­ einbußen für die Arbeiterpartei führte.«1441 Im Kreise US-amerikanischer Sowjeto­ logen wußte man, »daß sich eine ähnliche Abhängigkeit vom Westen auch im Falle der Sowjetunion abzeichnete und durch eine geschickte Politik der USA weiter verstärkt werden könnte«.1442 Der US-Sowjetologe Marshall Goldman - so Mária Huber - plante dabei, genau ein solches Strategiemodell auch auf die Sowjetunion anzuwenden. Diese so geschaffenen Unruhen galt es nunmehr auszunutzen. In Polen, so Fer­ dinand Kroh,1443 »hatte Reagan gegen die Sowjets eine zweite Front im Wendema­ növer in Europa eröffnet: Erzbischof Wojtylas Wahl zum Papst am 16. Oktober 1978 war eine Sensation. Was niemand damals ahnte: Die Entscheidung der katho­ lischen Kirche für einen polnischen Papst war eng mit dem Kurswechsel der ame­ rikanischen Außenpolitik gegenüber der Sowjetunion in der Endphase der Regie­ rung von Jimmy Carter verbunden gewesen«. Wie Kroh berichtet, stand Wojtyla schon als Erzbischof von Krakau in einem engen Briefwechsel mit Zbigniew Brze­ zinski, bekanntermaßen Sicherheitsberater von Carter. Brzezinski, der als offiziel­ ler amerikanischer Vertreter zur Beerdigung von Wojtylas Vorgänger angereist war, hielt sich dann 1978 während der gesamten Papstwahl, die zur Ernennung Wojtylas führte, in Rom auf.1444 Es scheint also nicht ausgeschlossen, daß vor dem Hintergrund einer antisowjetischen Langzeitstrategie die Entscheidung des Vati­ kans für den neuen Papst auch auf amerikanische Einflußnahme zurückzuführen sein könnte. Tatsache ist jedenfalls, daß Papst J ohannes Paul II. für die R eagan-Administration eine entscheidende Rolle zur Niederringung der sowjetischen Herrschaft in Ost­ europa spielen sollte.1445 Tatsächlich wurde in dieser Zeit die Zusammenarbeit zwi­ schen Vatikan und den USA weiter verstärkt, so daß der amerikanische Botschafter beim dem Vatikan, James Nicholson, von einer »strategischen Allianz« zwischen Vatikan und Washington gegen die Sowjetunion sprach.1446 Auch Reagan selbst verfolgte die Entwicklungen in Polen mit größter Aufmerksamkeit.1447 Während

VI. Die Reagan-Ära - die Sowjetunion wird in den Untergang getrieben 405 die Sowjetunion fürchtete, daß die Unruhen in Polen auch auf andere Länder des Warschauer Paktes übergreifen könnten, sogar auf die Sowjetunion selbst, sorgten die USA dafür, daß diese Befürchtungen nicht zu Unrecht bestehen sollten. Nach Angaben des sowjetischen Kommandanten der Spionageabwehr für den baltischen Militärdistrikt zeigten sich im Baltikum schließlich bei vielen Militärangehörigen »feindselige und nationalistische Gefühle« und sogar die Absicht, »verräterische und andere feindliche Akte zu begehen«,1448 so daß die Sowjetunion ernsthafte Be­ fürchtungen haben mußte, daß die Unruhen sich letztlich auch innerhalb ihres ei­ genen Gebiets fortsetzen könnten. Auf der anderen Seite arbeiteten Ronald Reagan wie auch sein CIA-Chef Wil­ liam Casey daran, Polen - wie von Brzezinski vorgesehen - aus der sowjetischen Vorherrschaftssphäre herauszubrechen, denn »das Ergebnis der Ereignisse in die­ sem Land könnte das Schicksal des gesamten kommunistischen Systems bestim­ men«.1449 Über einen Spion im polnischen Offizierskorps, Oberst Ryszard Kuklin­ ski, blieben sowohl Reagan als auch Casey über die Entwicklungen in Polen unterrichtet. Am 4. Dezember 1981 erhielt Casey von seinem Stellvertreter Robert Gates eine geheime Denkschrift »über das Bedürfnis, das Solidarnosc-Experiment am Leben zu erhalten. Eine Fortsetzung des polnischen Experiments zu sehen war in amerikanischem Interesse. Da gab es Anzeichen, daß es sich auf andere Länder des Sowjeblocks ausdehnen würde. >Ich glaube, daß man nicht zu weit geht, wenn man sagt, daß eine erfolgreiche Einsetzung des Pluralismus in Polen das Ende des sowjetischen Totalitarismus in Osteuropa darstellen würde, mit außerordentlicher Bedeutung für ganz Europa und die UdSSR selbst.Roll-back< war. Es arbeitete darauf hin, den Krieg in Afghanistan zu schüren.

Hinter der Wahl Karol Wojtylas zum Papst stehen Fragen. Als Papst Johannes Paul II. empfing er Gewerkschaftsführer Lech Walesa im Januar 1981 im Vatikan.

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Neben dem traditionellen geopolitischen Plan spielte aber noch ein ganz ande­ rer Gesichtspunkt eine wesentliche Rolle, und »zwar das Schicksal dessen, was so­ wjetische Offizielle gewöhnlich als >Deal des Jahrhunderts< bezeichneten«. 1452 Es ging nämlich um das bereits erwähnte Pipelinegeschäft, das die sowjetischen Erdgasfel­ der in Sibirien mit den westeuropäischen Ländern verbinden sollte. Wie bereits ausgeführt, war dieses Geschäft sowohl für die US-Wirtschaft als auch für die USVorherrschaft in Europa eine ernste Herausforderung. Osteuropa - insbesondere Polen - sollte dabei den Knotenpunkt des geplanten Pipelinekorridors bilden. Wollte man dieses Pipelineprojekt unterbinden - und die USA hatten, wie geschildert, ein außerordentliches Interesse daran, daß dieses Erdgasgeschäft scheiterte -, so mußte die amerikanische Verhinderungsstrategie den Hebel an Polen ansetzen. Insoweit wäre einerseits eine energiepolitische Autarkie Westeuropas verhindert worden, zum anderen wäre die UdSSR, wenn der >Jahrhundertdeal< unterblieb, nicht in den Genuß von westlichen Devisen gekommen. Damit war die US-Strategie gleicher­ maßen ein Bestandteil der US-Blockade gegen die UdSSR, denn die US-Machtelite war sich darüber im klaren, daß Erdöl- und Erdgasexporte von den Sowjets benö­ tigt wurden, um ihre ohnehin schwache Wirtschaft aufrechtzuerhalten.1453 Reagan versuchte mit diplomatischem Druck - nicht zuletzt unter Androhung rechtlicher Maßnahmen gegen europäische Firmen, die an dem Erdgasröhren­ geschäft beteiligt waren - das Geschäft mit Moskau zu Fall zu bringen. Schließlich gab er dem europäischen - insbesondere dem deutsch-französischen, Widerstand gegen die Haltung Washingtons nach. Die erhebliche Verzögerung brachte Mos­ kau um den Zufluß weiterer wichtiger Devisen und trug dazu bei, die Finanzlage des Kreml zu verschärfen. Auf Umwegen - nämlich über die Einschaltung des Vatikans und der Katholi­ schen Kirche, die bei den polnischen Unruhen eine herausragende Rolle spielten erfolgte eine Einflußnahme der CIA auf die weiteren Entwicklungen in Polen. Den Recherchen der Journalisten Carl Bernstein und Marco Politi zufolge, die ein Buch über die Geheimdiplomatie des Vatikans verfaßt haben, trafen CIA-Direktor Willi­ am Casey und der ehemalige stellvertretende CIA-Direktor Vernon Walters seit 1981 regelmäßig zu vertraulichen Gesprächen mit Papst Johannes Paul II. zusam­ men. Hauptthema sei die finanzielle und logistische Unterstützung der freien Ge­ werkschaftsbewegung Solidarnosc gewesen, die 1980 auf der Danziger Lenin-Werft gegründet worden war, um gegen die Preiserhöhungen der Regierung Gierek (die durch die US-Außenwirtschaftspolitik im wesentlichen mitverursacht wurde) zu kämpfen.1454 »Daraufhin«, so Mária Huber, »erhielt die unabhängige polnische Ge­ werkschaft Solidarnosc, die den ersten Nagel in den Sarg des Sowjetimperiums schlug, erhebliche Summen, technische Ausrüstung und medienwirksamen mora­ lischen Beistand vom Vatikan.«1455 Zbigniew Brzezinski zufolge wurde die politische Opposition in Polen so umfas­ send wie möglich von Washington gefördert. »Er verglich dabei die amerikanische Einflußnahme auf die Entwicklung in Europa mit dem Engagement in Afghani­

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stan.«1456 Papst Johannes P aul II. füllte dabei die ihm zugedachte Rolle als Kollabo­ rateur der amerikanischen Geopolitik gut aus. »Um sicherzustellen, daß das kom­ munistische Regime gewaltlos gestürzt wurde, setzte er sich in der polnischen Ar­ beiterschaft für eine gemäßigte Führung ein«, so Ferdinand Kroh. »Er wurde dabei von der CIA und dem amerikanischen Gewerkschaftsbund AFL-CIO unterstützt, der eng mit dem US-Geheimdienst und dem US-Außenministerium zusammenar­ beitete. Mindestens 50 Millionen Dollar flossen über die CIA zum Vatikan für seine Wühlarbeit. Johannes Paul II. traf sich regelmäßig mit den katholischen Chefs der CIA zu Audienzen. Auf dieser Grundlage ergriff die katholische Kirche offen Par­ tei für Solidarnosc. Keine acht Monate nach seiner Ernennung unternahm der neue Papst seine erste >Pilgerreise< nach Polen, der 1983 und 1987 zwei weitere folgten, und er gewährte einer Delegation von Solidarnosc gleich zu Anfang unter Leitung von Lech Walesa eine Audienz.«1457 Diese Zusammenarbeit zwischen Vatikan und CIA beruhte darauf, daß die ka­ tholische Kirche in Polen über ein gut funktionierendes Netzwerk von Diözesen verfügte, die den Untergrund unterstützten.1458 Auch CIA-Direktor William Casey verstärkte seine Aktivitäten bei der Unterstützung von Solidarnosc. Peter Schweit­ zer spricht von einem »ständigen Fluß von CIA-Geldern, seit Mitte des Jahres 1982 beginnend«, die über private Hilfsorganisationen nach Polen geschleust wurden. Der seinerzeitige polnische Innenminister Kiszczak gab zu, daß diese Gelder so umfangreich gewesen sein müssen, daß von ihnen die Aktionsfähigkeit der oppo­ sitionellen Gruppen abhängig war. »Wir erkannten«, so sagte er, »daß ein erfolg­ reicher Kampf gegen die Untergrundstrukturen nur möglich war, wenn wir die westliche Hilfe in Form von Hilfsgeldern, Druckausrüstung, Tinte und Papier be­ grenzen konnten.«1459 Erwähnenswert ist bei diesem Thema, daß der Mord an dem Chef der Mailänder >Banco Ambrosianoreligiösen Weg< gesetzt hatte, den Kommunismus zurückzu­ rollen«.1462 Noch eine Ergänzung zur dubiosen Beziehung zwischen Vatikan und USA wäh­ rend der Reagan-Ära: Folgt man den Ermittlungen der Korrespondentin des Nach­ richtenmagazins Der Spiegel, Valeska von Roques, so sind auch die Hintermänner des Attentates auf den polnischen Papst Johannes Paul II. im Mai 1981 in den Zir­ keln der damaligen US-Machtelite zu suchen. »Der Ursprung des Komplotts liegt in den USA, wenn auch nicht bei der CIA«, so die Autorin.1463 Valeska von Roques zusammenfassend: »Das Attentat auf den Papst war der schmutzigste aller schmut­ zigen Tricks, die der Propagandakrieg zwischen der kapitalistischen und der kom­ munistischen Welt im Westen hervorgebracht hat; es war die dreisteste aller >co­ vert operationsReich des Bösen< aus dem Kreis der zivilisierten Staaten zu verbannen, die sich anbahnende Entspannung zu boykottieren und die labile Situation in Po­ len zu destabilisieren, wenn möglich bis hin zu einer Intervention der Sowjets. Es war ein diabolischer Plan.«1464 Die Autorin beschreibt in diesem Zusammenhang ein Netzwerk von Mafia, west­ lichen Geheimdiensten, Waffenhändlern und der irregulären NATO-Geheimarmee >GladioGladio< angehörten. Viel spricht dafür, daß man mit einem solchen Attentat Polen - die Ernennung des polnischen Bischofs Karol Wojtyla zum Papst hatte das polnische Selbstbewußtsein enorm gesteigert - zu einer offenen Rebellion gegen Moskau bewegen wollte, um so die Lage im gesamten Ostblock zu destabilisieren. Hierzu lenkten - den Ermittlungen Valeska von Roques zufolge US-amerikanische Journalisten, die der CIA nahestanden, sofort nach dem Atten­ tat den Verdacht auf den bulgarischen Geheimdienst und den Kreml - eine These, die sich im nachhinein als falsch herausstellte, wie die beiden amerikanischen Poli­ tologen Edward Herman und Frank B rodhead in ihrem Buch The Rise and Toll of the Bulgarian Connection 1986 nachwiesen.1466 Mit diesen irregulären Kampagnen gelang es, den polnischen Schlüsselstaat aus der sowjetischen Vorherrschaftssphäre herauszubrechen, was letztlich das Ende der sowjetischen Kontrolle über Ostmitteleuropa einleitete. Damit wurde unter Re­ agan mit dem Polen-Experiment die Strategie erfolgreich umgesetzt, die in den verschiedenen NSC-Memoranden der fünfziger Jahre eingefordert wurde, näm­ lich Voraussetzungen zu schaffen, die die Loyalität der Satellitenstaaten gegenüber Moskau aufheben sollten.

4.3 Die verschärfte Unterstützung des >Heiligen Krieges< in Afghanistan Neben Polen sollte aber hauptsächlich Afghanistan die Achillesferse der Sowjet­ union werden, in dessen Konfliktherd die US-Machtelite die Sowjets erfolgreich hineingelockt hatte. Das beschriebene Leitliniendokument sah schließlich auch ein Vorgehen gegen die UdSSR unter anderem in Form eines Guerillakrieges vor, und Afghanistan sollte sich hierfür als das ideale Schlachtfeld erweisen. »Das politische Konzept der USA sah vor, Regionalkrisen als Waffe im Kalten Krieg zu verwen­ den, wie 1986 ein hoher Beamter des Pentagons... bezüglich Afghanistan erklärte: >Es ist nicht unbedingt unser Interesse, daß die Sowjetunion aus Afghanistan ab­ zieht. Natürlich werden wir immer laut den Abzug fordern. Aber unser Interesse besteht vielmehr darin, die Sowjetunion in Afghanistan festzunageln und dort aus­ bluten zu lassen. Das schwächt sie am meisten... Wir kämpfen bis zum letzten Afghanen.«ein Joint Venture zwischen den Saudis, der Moslembruderschaft und der Jamaat-eIslami, zusammengestellt vom ISIHeiligen Krie­ ges< erhöht werden könne.1479 Wie Robert Dreyfuss darstellt, wurden ägyptische Dschihadis sogar von U.S. Special Forces für ihren Einsatz in Afghanistan ausgebil­ det und trai niert.1480 »Afghanische Mudschaheddin wurden auch innerhalb der USA, beginnend 1980 unter Aufsicht von Brzezinski, an verschiedenen US-Einrichtungen an der Ostküste von Green Berets und U.S. Navy Seals ausgebildet.«1481 Rekrutierungsbüros wurden von Moslemgemeinden ebenfalls in den USA ge­ gründet, die mit Geldern der Muslim World League, der Tablighi Jamaat und an­ deren aus Pakistan stammenden Organisationen finanziert wurden, wie zum Bei­ spiel das Al Kifah Afghan Refugee Center in Brooklyn. In diesem Zusammenhang muß festgehalten werden, daß fast die gesamte Führungselite der al-Qaida in diesen Rekrutierungsanstrengungen der USA wurzelt. Mit diesen Instrumentarien erhoffte sich die US-Machtelite, allen voran CIA-Chef William Casey, den afghanischen Dschihad nach Zentralasien auszudehnen. In der Absicht, den Kalten Krieg zu gewinnen, glaubte Casey, zu diesem Zweck eine eng zusammenarbeitende Allianz zwischen den Ländern schaffen zu können, die auf

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Brzezinskis >Krisenbogen< angesiedelt waren - einschließlich Ägyptens, Pakistans und Saudi-Arabiens.1482 Dabei glaubte Casey, daß die Macht der Religionen geeig­ net sei, den Kommunismus zu zersprengen, und aus diesem Grunde forderte er auch, daß millitanter Islam und militantes Christentum im gemeinsamen Sinne zu­ sammenarbeiten sollten.1483 Folgt man den Recherchen Robert Dreyfuss‘, so übte Casey ab 1984 Druck auf die saudisch-pakistanische Allianz aus, um eine wesent­ lich explosivere Strategie in Angriff zu nehmen, nämlich islamistische Propaganda, Sabotageakte und Guerillaaktivitäten über den Amu Daria in die moslemischen Republiken der Sowjetunion hineinzutragen. Dabei griff Casey auf einen >Covert actionCovert Actions< beschränkten sich zunächst darauf, daß islamistische Pro­ paganda nach Sowjet-Zentralasien geschmuggelt wurde, mit dem Ziel, dort ein Erwachen des islamischen Fundamentalismus herbeizuführen. »Während der acht­ ziger Jahre wurden Tausende von Koranausgaben in zentralasiatischen Sprachen gedruckt und auf geheimen Wegen über die afghanische Grenze gebracht. Einige der Koranausgaben wurden in Saudi-Arabien, andere vom CIA selbst gedruckt, indem man Verbindungen zu Moslem-Organisationen in Westeuropa nutzte.«1487 Afghanische Mudschaheddin brachten sie dann in Gummibooten über den Amu Darja in die Sowjetunion. Doch es sollte nicht nur bei solchen Operationen bleiben. Mohammed Yousaf, der Koordinator des ISI für den afghanischen Widerstand, schrieb, daß die USA ab 1984 für die folgenden drei Jahre eine weitere Eskalation des Krieges in Gang ge­ setzt hätten, die in mehreren Überfällen auf sowjetisches Gebiet und Sabotageaktio­ nen nördlich des Amu Darja zum Ausdruck gekommen seien. In dieser Zeit, so Yousaf, seien Hunderte von Mudschaheddin 25 km tief in das sowjetische Territo­

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rium gesandt worden. Dies seien die geheimsten Operationen dieses Krieges ge­ wesen.1488 Yousaf gab zu, daß sich die Sowjetunion daraufhin ernsthafte Sorgen über die Ausbreitung des islamischen Fundamentalismus in Zentralasien machte. Unter Anleitung des ISI wurden Mannschaften über den Amu Darja geschickt, um Raketenangriffe durchzuführen, Minen zu legen und Züge zum Entgleisen zu bringen.1489 Diese irregulären Operationen werden auch von Peter Schweitzer be­ stätigt: »Anfang 1985 begannen afghanische Widerstandskämpfer, nachdem sie von der CIA ausgebildet und ausgerüstet worden waren, anhaltende militärische Ope­ rationen innerhalb der Sowjetunion auszuführen. Bei einer Gelegenheit griffen drei­ ßig Kämpfer zwei hydroelektrische Kraftwerke in Tadschikistan an. In einem an­ deren Fall gab es einen Raketenangriff auf einen sowjetischen Militärflughafen. Im ganzen gab es Dutzende solcher Hinterhalte.«1490 Craig Unger zufolge »begann die CIA die Mudschaheddin durch nachrichtendienstliche Aufklärung, Ausbildungs­ maßnahmen und militärisches Gerät zu unterstützen, was es den Glaubenskrie­ gern ermöglichte, bei vereinzelten Vorstößen auch Fabriken, Militäreinrichtungen oder Depots auf sowjetischem Territorium anzugreifen. Sie ließ den islamischen Rebellen Informationen aus der Satellitenaufklärung und dem abgehörten Funk­ verkehr des sowjetischen Militärs zukommen und belieferte sie mit ScharfschützenGewehren, Zeitzündern für C-4-Sprengstoff, der sich besonders für Sabotageakte in Städten eignet, panzerbrechenden Waffen und anderem modernen Gerät«.1491 Insgesamt, so Craig Unger, stellten die USA ab 1987, während der zweiten Amts­ zeit der Reagan-Bush-Administration, den Rebellen jährlich Militärhilfe im Wert von fast 700 Millionen Dollar zur Verfügung.1492 Die sowjetischen Sicherheitsbehörden registrierten auch tatsächlich derartige CIAISI-gesteuerte Angriffe auf die zentralasiatischen Republiken der UdSSR und er­ kannten die daraus sich ergebende Bedrohungslage. 1986 hielt der Vorsitzende des Staatssicherheits-Komitees der Tadschikischen Sozialistischen Sowjetrepublik, V. V. Petkel, eine Rede, in der er diese Übergriffe scharf anprangerte: »Imperialisti­ sche Zirkel, ihre Sonderdienste und Banditen-Organisationen strengen sich an, das Netz der Widersprüchlichkeit auszunutzen, um ihre subversiven Aktivitäten ge­ gen die Sowjetunion auszuweiten. Zu diesem Zweck haben die Dushman-Banden ihre Aktivitäten in den Provinzen, die an die Sowjetunion grenzen, erhöht. Der Feind ist bemüht, Formen des bewaffneten Kampfes in das sowjetische Territorium zu trag en.«1493 Mit dieser Aussage wu rde zum ersten Mal von offizieller sowjetischer Seite bestätigt, daß die Mudschaheddin imstande waren, über Afghanistan hinaus auf sowjetisch-zentralasiatischem Gebiet zu agieren sowie die dortige Bevölkerung durch Verbreitung religiöser Literatur und Propaganda zu beeinflussen.1494

4.3.2 Der islamische Fundamentalismus breitet sich in SowjetZentralasien aus Diese irregulären Operationen der CIA und des ISI sollten auch nicht ohne Erfolg bleiben. Wolfgang von Erffa, Journalist und ehemaliger stellvertretender Leiter des

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Büros für außenpolitische Beziehungen der CDU, der dem Krieg der afghanischen Mudschaheddin positiv gegenübersteht, schildert, daß es in dieser Zeit zu einem starken Erwachen eines islamischen Bewußtseins in den zentralasiatischen Sowjet­ republiken gekommen sei, das sich in einer eindeutig feindseligen Haltung gegen­ über Moskau dokumentiert habe. Von Erffa zitiert den bedeutenden sowjetischen Islam-Experten I. Beliaev, dessen Analysen zufolge sich in den zentralasiatischen Republiken der UdSSR in jener Zeit eine gut durchorganisierte, islamische Infra­ struktur herausbilden konnte, die ihre Wurzeln in den Sufi-Bruderschaften hatte, welche nach Ansicht Alexander Bennigsens ja eine »Achse der Unruhe« für die So­ wjetunion selbst darstellten.1495 Folgt man den Darstellungen Wolfgang von Erffas, so war das islamische Erwachen in Zentralasien auf die schiitisch-islamische Revo­ lution im Iran zurückzuführen, die von der US-Machtelite, wie beschrieben, mit einer antisowjetischen Stoßrichtung gefördert wurde. Eine solche sollte sich auch bestätigen: »Die islamische Revolution im Iran hatte einen tiefgreifenden Einfluß auf die sowjetischen Muslime. Insbesondere für die Muslime aus dem Kaukasus bildet die islamische Revolution Ayatollah Khomeinis ein Vorbild. Der Iran hat im­ mer wieder größere Freiheit für die sowjetischen Muslime verlangt.«1496 Verstärkt wurde diese Entwicklung dann durch die Entwicklungen in Afghani­ stan. »Verschiedene sowjetische Kommentatoren sehen heute in den afghanischen Mujahedin eine ernst zu nehmende Bedrohung, die zu einer Destabilisierung auf­ grund der Infiltration mit islamischer Propaganda führen könnte... Als ebenfalls gefährlich werden die syrischen und ägyptischen Muslimbrüder und verschiedene turkestanische und kaukasische Emigrantengruppen, wie schließlich die iranischen Fundamentalisten selbst eingestuft.«1497 Wolfgang von Erffa bestätigt ferner einen wachsenden Einfluß der beiden fundamentalistischen Gruppen des afghanischen Widerstandes, Hezb-i-Islami und Jamiat-e-Islami, in Zentralasien, die damit began­ nen, religiöse Literatur auf russisch zu veröffentlichen und in das sowjetische Zen­ tralasien einzuschleusen. Die sowjetischen Behörten gestanden ein, daß diese Litera­ tur 1984 in Kirgisien, in Samarkand, Taschkent und Buchara aufgetaucht war.1498 Das aus diesen Entwicklungen langsam wachsende Bedrohungsszenario für die Sowjetunion und für ihren territorialen Zusammenhalt bestand von Erffa zufolge in einer zunehmenden Hinwendung der sowjetischen Muslime zu den spirituellen Führern des Iran und Afghanistans: »Heute soll es in der UdSSR vier Millionen Schiiten geben, die über eine zentralisierte Hierarchie verfügen und in Ayatollah Khomeini ihren eigentlichen spirituellen Führer sehen. Weiterhin existieren in der Sowjetunion die großen Sufi-Orden, d.h. Quadiriya und Nakshbandiya, welche bereits im 14. Jahrhundert in der Geschichte Afghanistans und Bucharas eine wich­ tige Rolle spielten... Schließlich gibt es in der Pamir-Region unmitttelbar an der Grenze Afghanistans 60000-100000 Ismailiten der Nizariten-Sekte. Sie sollen ille­ gale Kontakte mit ismailitischen geistlichen Zentren in Indien unterhalten.«1499 Wolfgang von Erffa zufolge sei dieser (von außen gesteuerte) islamische Funda­ mentalismus Voraussetzung für die späteren Separationsbestrebungen in Zentral­

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asien Ende der achtziger Jahre gewesen. »Der aufbrausende Unwillen der musli­ mischen Bevölkerung richtete sich immer deutlicher gegen die russische Bevor­ mundung.«1500

4.3.3 Die Versuche der UdSSR, den Konflikt zu beenden Die sowjetische Führung wurde sich darüber allmählich klar, daß sie den Krieg in Afghanistan nicht g ewinnen konnte. A uf dem Rückflug von der Genfer Abrüstungs­ konferenz im Herbst 1985 erklärte Reagan, er sei davon überzeugt, daß Gorbatschow den Afghanistan-Konflikt auf diplomatischem Weg lösen wolle. »Wenig später gab der afghanische Außenminister Dost dem UN-Vermittler Diego Cordovez Einblick in einen Kabuler Plan für den vollständigen Truppenabzug. Tatsächlich hatte das Politbüro die von Gorbatschow am 17. Oktober 1985 eingebrachten Vorschläge be­ reits fünf Wochen vor dem Genfer Gipfel an Kabul geschickt.«1501 Darin kam die Absicht der Sowjets eindeutig zum Ausdruck, aus dem Land abzuziehen. Die Mos­ kauer Pläne »liefen darauf hinaus, daß die afghanische Führung bis zum Sommer 1986 in der Lage sein müßte, sich selbst zu verteidigen. Kurz zuvor hatte ein gehei­ mes Treffen zwischen G orbatschow und Babrak K armal stattgefunden. Dabei hatte der Kremlchef dem Generalsekretär der Demokratischen Partei Afghanistans eine verfehlte Politik vorgehalten: Wenn er und seine Leute politisch überleben wollten, müßten sie ihre Machtgrundlage erweitern, den islamischen Gesetzen wieder Gül­ tigkeit verschaffen, die Bräuche achten und dem Volk zeigen, daß die Revolution spürbare Verbesserungen bringe. Moskau würde den >Freunden< weiter mit Waf­ fen helfen, aber die eigenen Truppen nicht mehr verstärken.«1502 Diesen Plan jedoch lehnte Karmal ab, der sich nach Einschätzung von Maria Huber grundsätzlich ge­ gen eine Lösung zu sträuben schien, die von neuen geopolitischen Interessen des Kreml bestimmt war.1503

4.3.4 Die USA hintertreiben die sowjetischen Bemühungen und verstärken den Konflikt Diese Verhandlungsbemühungen mußten die USA aufschrecken. Eine erfolgreiche Umsetzung der sowjetischen Vorschläge zur Beilegung des Konfliktherdes hätte die Pläne der USA, die Sowjets einerseits in Afghanistan festzunageln und ausbluten zu lassen und zum anderen den islamischen Fundamentalismus nach Zentralasien zu exportieren, zunichte gemacht. Die grundsätzliche Entscheidung des Kreml für den frühestmöglichen Zeitpunkt zum Abzug aus Afghanistan fiel den UN-Dokumen­ ten zufolge am 17. Oktober 1985. Die Öffentlichkeit wurde von Gorbatschow erst in einer Rede am 25. Februar 1986 vor den Delegierten und Gästen des XXVII. Partei­ tages informiert.1504 Dies war jedoch für die US-Machtelite der entscheidende Anlaß, den schmutzi­ gen Krieg gegen die Sowjets zu verstärken. Genau »einen Tag später gab in Wa­ shington das Inter Agency Subcommittee dem Druck der Falken nach, die afghani­

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schen Rebellen mit Stinger-Raketen auszurüsten«.1505 Gefördert wurden diese Über­ legungen durch einen CIA-Bericht von 1985, der deutlich machte, daß sich die CIAStrategie des Ausblutens der Sowjetunion als erfolgreich erwies. In diesem Bericht stellte die CIA fest, »daß im Verlauf des Krieges bereits mehr als 92000 sowjetische und afghanische Regierungssoldaten gefallen waren - mehr als doppelt so viele wie bei den Rebellen - und daß die Sowjetunion >von der Erreichung ihrer Ziele noch genauso weit entfernt ist wie 1979unwahrscheinlichRoll-back< war, erkannte, daß er »die Sowjetunion noch weiter in die Enge treiben konnte, wenn er den Krieg massiv schürte«.1507 Aus diesem Grund sorgten die USA Craig Unger zufolge für eine Eskalation des Krieges, was in Liefe­ rungen moderner Waffensysteme zum Ausdruck kam. »Besonders begehrt waren die Stinger-Raketen, tragbare Flugabwehrraketen mit Infrarotsuchköpfen, die von der Schulter abgefeuert werden und zum Abschuß niedrig fliegender Hubschrau­ ber und Flugzeuge eingesetzt werden können. Diese Waffe war so ausgereift, >daß auch ein kurzsichtiger, ungebildeter Afghane damit sowjetische Flugzeuge im Wert von ein paar Millionen Dollar vom Himmel holen konnteStinger< Flugabwehrrakete mit Infrarotsuchköpfen, die von jedem afghanischen Kämpfer gegen die Sowjets leicht zu bedie­ nen war, erwies sich als besonders wirkungsvoll zum Abschießen von niedrig fliegenden Hubschraubern.

Afghanische Truppen mit sowjetrussischen Panzern im Raum Kabul. Sie konnten gegen die von den USA unterstützten Mujdschahiddin nichts ausrichten.

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Russische Soldaten tragen die Särge von Kameraden, die in Afghanistan gefallen sind.

Abzug der Sowjetarmee aus Afghanistan 1989. Die Kriegskosten beliefen sich für die Sowjet­ union auf 45 Milliarden Rubel - ein riesiger Aderlaß, von dem sich die Wirtschaft der Sowjet­ union nicht erholen konnte. Das Scheitern des Afghanistan-Unternehmens drückte die Moral. Nach dem Abzug der russischen Truppen aus Afghanistan bröckelte die Position der Sowjetunion in ganz Osteuropa.

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Gesichtspunkte an: Zum einen durfte der Rückzug nicht nach einer Kapitulation aus­ sehen mit der Folge eines weiteren Verlusts an internationaler Glaubwürdigkeit für die Sowjetunion. Zum anderen mußte sichergestellt sein, daß sich Afghanistan nicht zu einem amerikanischen Aufmarschfeld und Einkreisungspartner gegen die Sowjetunion entwickelte. Gorbatschow-Berater Anatoli Tschernajew berichtet in seinen Erinnerungen von einer Politbürositzung im November 1986, in der Gor­ batschow genau diese Voraussetzungen unterstrich. Zu den sowjetischen Zielen erklärte er in dieser Sitzung: »Wir wollen dort ja keinen Sozialismus. Wir wollen nur vermeiden, daß die Vereinigten Staaten dort Stützpunkte errichten. Solange dort weder Flughäfen noch Stützpunkte oder Garnisonen entstehen, können die Afghanen sich dort einrichten, wie es ihnen gefällt... Das strategische Ziel lautet: Innerhalb von einem, maximal zwei Jahren ist alles abzuschließen, und die Trup­ pen sind abzuziehen.«1518 Im Rahmen der Genfer Verhandlungen, die im April 1988 zu einer Unterzei­ chung einer Reihe von Dokumenten durch die Regierungen Afghanistans, Pakistans, der Sowjetunion und der USA führen sollten, kamen die USA der Sowjetunion nur insofern entgegen, als ihnen ein Abzug ohne Gesichtsverlust zugestanden wurde. Die vier Genfer Abkommen waren gerade »keine Friedensverträge, sie regelten nur einige internationale Aspekte des Krieges«,1519 die vor allem den vollständigen Abzug der sowjetischen Truppen zum Gegenstand hatten. Folgt man der Deutung Jochen Hipplers, so stellen die Genfer Abkommen »keine Regelung mit gegenseiti­ gem Geben und Nehmen dar, keinen Vertrag zwischen gleichen Partnern, sondern eine mildere Form der Kapitulation, mit Gesichtswahrung für die Sowjetunion. Es ging der Sowjetunion aus außen- und innenpolitischen, aus wirtschaftlichen und militärischen Gründen darum, sich möglichst schnell und um fast jeden Preis aus Afghanistan zurückzuziehen. Das Genfer Vertragswerk bildete für diesen eigent­ lich einseitigen Wunsch nur den multilateral-politischen Rahmen. Der Vorteil für die Sowjetunion war ausschließlich politisch, der Vertrag diente ihr nur zur Ver­ meidung einer überstürzten und nach Kapitulation aussehenden Räumung. Mate­ riell erhielt die Sowjetunion nichts«.1520 Keinesfalls aber waren die USA bereit, die zweite von den Russen gestellte Vor­ aussetzung für einen Truppenabzug zu garantieren, nämlich die Neutralisierung Afghanistans. Die Genfer Vereinbarungen sahen neben der Verpflichtung der So­ wjetunion zum Truppenabzug ferner eine wechselseitige Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans und Pakistans vor. »Dies schloß das Verbot einer Unterstützung bewaffneter Gruppen oder Aufständischer (also der Mudja­ hedin) ein, sowie das Verbot, >jegliche andere Handlungen zu unternehmen oder zu dulden, die als Einmischung und Intervention angesehen werden könntendaß es im Einklang mit unseren Verpflich­ tungen als Garantiemacht unser Recht ist, dem Widerstand militärische Hilfe zukommen zu lassem. Die von den USA garantierten Abkommen sahen allerdings genau das Gegenteil vor.«1522 Auch nach der Darstellung von Mostafa Danesch (Wer Allahs Wort mißbraucht, Hamburg 2002, S. 211) gingen die USA gerade nach dem Abzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan daran, die militärische Unterstützung der Mudschahed­ din gegen das prosowjetische Regime Nadschibullah in Kabul noch weiter auszu­ bauen. »Dennoch, gerade zwischen Februar und September 1989, als die Sowjets das Land bereits verlassen hatten, verstärkten die USA die Lieferung von StingerRaketen, die eine Wende im Afghanistan-Konflikt einleiteten.« Aufgrund der Umstände blieb der UdSSR nichts anderes übrig, als diesem Bruch der Genfer Abkommen durch die Vertragspartner Pakistan und USA zuzustim­ men. »Inhaltlich wurde damit einer der beiden Hauptpunkte des Vertragswerkes beseitigt, das einzige amerikanische Zugeständnis an die Sowjetunion im Vertrag mußte nicht umgesetzt werden.«1523 Damit waren die USA in die für sie äußerst günstige Lage versetzt worden, ihren Krieg in Afghanistan fortzusetzen, um das prosowjetische Regime Nadschibullah zu stürzen und statt dessen am Hindukusch ein von ihnen, Pakistan und Saudi-Arabien unterstütztes wahabitisch-islamistisches Satellitenregime zu errichten.

4.3.6 Die Genfer Abkommen sichern den USA Afghanistan als strategisches Vorfeld für das neue >Great Game< und ermöglichen ihnen, die Auflösung der UdSSR zu betreiben Warum aber waren die USA an einer solchen Möglichkeit der Kriegsfortsetzung interessiert? Wie Nafeez M. Ahmed schreibt, gab es in der US-Machtelite im Jahre 1989 strategische und wirtschaftliche Überlegungen, denen zufolge Afghanistan als das Tor zu Zentralasien und zur kaspischen Region angesehen wurde.1524 Rai­ ner Rupp zufolge muß der von den USA inszenierte Afghanistan-Krieg bereits als Vorbereitung des neuen >Great Game< der neunziger Jahre - des Kampfes um die Kontrolle Zentralasiens und seiner Rohstoffe - gesehen werden, denn seit den acht­ ziger Jahren geriet das sowjetische Erdöl in das Fadenkreuz der US-Öllobby.1525 Ein mit den USA verbündetes Pakistan und ein von Pakistan wiederum kontrolliertes Afghanistan sollten es dann den US-Erdölkonzernen ermöglichen, Pipelinestränge direkt von Zentralasien zu pakistanischen Tiefseehäfen am Indischen Ozean (der von der US-Kriegsflotte durch den Stützpunkt auf der Insel Diego Garcia kontrol­ liert wird) zu errichten, um sich auf diese Weise ein amerikanisches Monopol auf die Ausbeutung zentralasiatischer Erdöl- und Erdgasfelder unter vollständiger Ab­ drängung Rußlands zu sichern.

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Folglich wurde im militärisch-industriellen Komplex der USA mindestens ein Jahrzehnt lang über eine umfassende und langfristige militärische Intervention in Zentralasien nachgedacht. Bereits 1991, unmittelbar nach dem Golfkrieg, brachte die Zeitschrift Newsweek unter der Überschrift »Operation Steppe Shield?« einen Bericht zu Vorbereitungen der amerikanischen Streitkräfte für eine Operation in Kasachstan.1526 Um eine amerikanische >Power Projection< in Richtung Zentralasien durchführen zu können, konnte es den USA nicht gleichgültig sein, welche Fraktion in Kabul die Macht übernimmt, da Afghanistan die strategische Drehscheibe dieser Region bildet. Folglich blieb auch nach dem Genfer Abkommen die konspirative Zusammenarbeit zwischen der CIA und dem pakistischen ISI bestehen, um weiter­ hin auf die Entwicklungen in Afghanistan und damit gleichzeitig in Zentralasien Einfluß nehmen zu können. Vielmehr unterstützte die CIA »von Pakistan aus wei­ ter den islamischen Dschihad. Man begann mit neuen Geheimoperationen in Zentral­ asien, dem Kaukasus und auf dem Balkan. Der ISI >diente als Katalysator für die Auflösung der Sowjetunion und die Entstehung von sechs neuen muslimischen Republiken in Zentralasienwei­ chen Unterleibes< der UdSSR gesichert hatten. Damit hatten sich die USA eine gün­ stige Ausgangslage für die Durchführung des neuen >Great Game< in den neunziger Jahren, den Kampf um den Einfluß in Zentralasien, geschaffen. Auf der anderen Seite war die UdSSR der große Verlierer: Zum einen konnten durch das Übergrei­ fen des islamischen Fundamentalismus auf Sowjet-Zentralasien die Pläne der USMachtelite (Brzezinski-Bennigsen-Konzept, Bernard-Lewis-Plan) konkrete Gestalt an­ nehmen; der Keim des Zerfalls der Sowjetunion war damit gepflanzt. Zweitens wurde die wirtschaftliche Substanz der UdSSR durch den Krieg weiter zerstört: Das Mißverhältnis zwischen ökonomischer Leistungsfähigkeit und militärischer Machtentfaltung wurde immer größer, so daß der Prozeß der >imperialen Über­ dehnung< immer deutlicher zutage trat. Mostafa Danesch meint zusammenfassend: »Ohne die Einmischung ausländi­ scher Mächte hätte Najibullah vielleicht Erfolg haben können, und mit dem Abzug der Roten Armee war dem nationalistischen Eifer der Afghanen Genüge getan... International jedoch nahm niemand den politisch hundertmal totgesagten Präsi­ denten ernst. Die USA hatten andere Interessen. Mit dem Ende der Besatzung war ihr Bestreben - der Sturz des Sowjetsystems sowie die Destabilisierung Zentral­ asiens mit seinen damals fünfzig Millionen Muslimen - noch längst nicht erreicht. Schon lange schielten sie nach dem gewaltigen Öl- und Gasvorkommen in Zentral­ asien.« (Wer Allahs Wort mißbraucht, aaO., S. 225) Der Afghanistan-Krieg, so Mostafa Danesch, hatte allerdings mit einem Mal die Möglichkeit, Zugriff auf diese Lagerstätte zu bekommen, in greifbare Nähe gerückt. »Doch dazu mußte Zentralasien - wie auch immer - aus dem Verband der Sowjet­ republiken herausgelöst werden. Und dazu bedurfte es eines fundamentalistisch orientierten Afghanistan als Operationsbasis für die Mujahedin und die islamischen Rebellen aus den zentralasiatischen Republiken. Auch Amerikas Hauptverbündeter in der Region, Zia ul-Haq, hatte während seiner elfjährigen Herrschaft nie einen Hehl darauf gemacht, daß sein eigentliches Ziel Zentralasien war und auch Paki­ stan vom kaspischen Öl profitierten sollte. Daher schürten die USA den Afghani­ stan-Krieg nach dem Abzug der Sowjets erst recht. Sie intensivierten die Waffenlie­ ferungen, da ihnen ein Sieg der Mujahedin in greifbare Nähe gerückt schien.« (ebenda, S. 226)

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4.4 Die wirtschaftliche Blockade der Sowjetunion Ein weiteres Feld der irregulären Kriegführung der USA gegen die Sowjetunion war die wirtschaftlich-finanzielle Blockade der UdSSR. Diese war gewissermaßen eine flankierende Maßnahme zur Erreichung des wirtschaftlichen und damit auch poli­ tischen Ruins der Sowjetunion, der im wesentlichen schon durch den Rüstungs­ wettlauf, den Krieg gegen den >weichen Unterleib< der UdSSR und durch irregulä­ re Unterstützung separatistischer Bestrebungen im Ostblock gefördert wurde. Durch eine zusätzliche Politik der Exportbeschränkungen gegenüber der UdSSR in bezug auf Waren und Technologie sollte eine wirtschaftliche Stärkung der Sowjetunion verhindert werden. Wie Mária Huber darstellt, spielte aber »die Befürchtung, die Sowjetunion könnte ihre Exporteinnahmen zur Modernisierung des militärischindustriellen Komplexes nutzen, eher eine Nebenrolle. Das Hauptziel war es, zu verhindern, daß der Westhandel der Sowjetunion zu mehr Wachstum verhalf. Dies lag eindeutig nicht in amerikanischem Interesse, das seit Beginn des Kalten Krieges auf die Überwindung des sowjetischen Wirtschaftssystems gerichtet war, da es den eigenen Wertvorstellungen und expansiven Geschäftsinteressen im Wege stand. >Der Außenhandel hat es der UdSSR ermöglichtzwei dringend notwendige Wirtschaftsziele zu erreichen - die Erhöhung der Produktivität ihrer Ressourcen und die Erhöhung des Lebensstandards -, ohne daß sie gezwungen worden wäre, Wirtschaftsreformen zu unternehmen, um diese Ziele von innen her zu erreichenGrand Area< - eines expansiven globalen Freihandels­ regimes - keinesfalls eintreten. Wie Henry Kissinger schrieb, lag ja das Ziel des Kalten Krieges und der Eindämmungspolitik gerade darin, einen Wandel inner­ halb der Sowjetunion herbeizuführen,1532 mit dem Ziel, sie in das von den USA bestimmte Weltwirtschaftsregime einzugliedern. Die Reagan-Administration zog hieraus die Folgen, und sie setzte verstärkt auf Embargo-Maßnahmen als Instrument der Eindämmungspolitik.1533 Man wollte die Strategie, die bereits in Polen erfolgreich praktiziert worden war, nun auch auf die Sowjetunion übertragen. Wie im Falle Polens, so werde sich eine ähnliche wirt­ schaftlich-finanzielle Abhängigkeit vom Westen auch bei der Sowjetunion abzeich­ nen und könne durch eine geschickte Politik der USA weiter verstärkt werden,1534 so analysiert Mária Huber die Absicht der US-Strategen.

4.4.1 Die US-Saudi-arabische Verschwörung zum Sturz des Erdölpreises Ein Instrumentarium hierfür war das sogenannte »Jackson-Vanik-Amendment«, ein Außenhandelsgesetz, durch das die Gewährung von nichtdiskriminierender Behandlung im Handel, der Meistbegünstigung, von der Bereitschaft der Sowjet­ union abhängig gemacht wurde, sowjetische Juden nach Israel ausreisen zu lassen. Dieses Gesetz kam im wesentlichen auf Druck der Israel-Lobby zustande, zu der

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auch der Initiator dieses Gesetzes, Henry Martin Jackson, gehörte.1535 Mit diesem Gesetz wurden die bislang bestehenden amerikanisch-sowjetischen Handelsver­ träge zu Fall gebracht.1536 Die sowjetische Führung bewertete dieses Gesetz nicht zu Unrecht als eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten der UdSSR. Was aber noch schwerer wog, war die Tatsache, daß der Sowjetunion auch der Zugang zu US-Exportkrediten versperrt wurde, und dies zu einer Zeit, als der Importbedarf an westlicher Technologie ständig zunahm und der Sowjetunion für die Erneue­ rung ihrer technologisch-ökonomischen Infrastruktur gewissermaßen der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Genau darauf aber zielte dieses Gesetz auch ab. »Die Urheber der Restriktionen rechneten längerfristig mit einem steigenden Kreditbedarf der UdSSR. Im Laufe der siebziger Jahre stiegen die sowjetischen Ausgaben für Investitionsgüter und Technologie aus dem Westen um das Sechs­ fache. Zwischen 1976 und 1978 importierte die Sowjetunion Kapitalgüter und Kno whow aus den OECD-Ländern im Wert von rund 5,4 Milliarden US-Dollar pro Jahr.«1537 Diese Importabhängigkeit stellte für die Sowjetunion aber insoweit keine Schwie­ rigkeiten dar, da sie die Importe mit Devisen aus ihren Erdöllieferungen bezahlen konnte. »Seit 1973 war die Preisentwicklung auf den Erdölmärkten für die Sowjet­ union sehr günstig. Während ein Barrel Rohöl 1970 noch weniger als zwei US-Dol­ lar gekostet hatte, lag der Preis 1974 bereits bei fast 12 US-Dollar und kletterte bis zur zweiten Ölkrise im Jahre 1979 auf 18 US-Dollar. Die Führung in Moskau konnte außerdem auf neue Kreditangebote westeuropäischer Regierungen und Privatban­ ken zurückgreifen.«1538 Vor diesem Hintergrund befand sich die Sowjetunion also aufgrund ihrer Devisen­ einnahmen aus dem Erdölgeschäft in einer äußerst günstigen Position, was die Fi­ nanzierung des Importes westlicher Technologien anging. Von diesem war Gor­ batschow auch abhängig, als er seine Wirtschaftsreformen und Wachstumspolitik ins Auge faßte. »Die Erdöl- und Goldpreissteigerungen hatten in den siebziger Jah­ ren und Anfang der achtziger Jahre der Sowjetunion erhebliche Zusatzeinnahmen beschert.«1539 Den Amerikanern war damit klar, daß sie den Hebel an den Erdöl­ preisen ansetzen mußten, wenn sie die Finanzkraft der Sowjetunion erheblich schä­ digen und eine Kreditabhängigkeit der UdSSR vom Westen hersteilen wollten. Eine Manipulation des Erdölpreises war also das Gebot der Stunde. John P. Hardt von der Forschungsabteilung des amerikanischen Kongresses, hatte sogleich Untersu­ chungen darüber angestellt, wie die sowjetische Wirtschaft am wirksamsten ge­ schädigt werden könnte: »Jeder Dollar, um den der Ölpreis fiel, kostete die Sowjet­ union 550 Millionen Dollar im Jahr.«1540 Im Sinne der US-Strategie mußte also ein Verfall der Ölpreise die Sowjetunion empfindlich treffen, da der Rückgang der Ex­ porteinnahmen den Kreditbedarf Moskaus erhöhte und so Washington die Mög­ lichkeit gab, die UdSSR zu Reformen zu zwingen, die das sozialistische System weiter untergraben würden.1541

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Ein solcher Verfall des Erdölpreises wurde auch durch eine gemeinsame ameri­ kanisch-saudi-arabische Verschwörung eingeleitet. Schließt man sich Peter Schweit­ zer an, so kam die durchschlagendste wirtschaftliche Waffe, die Reagan gegen die Sowjetunion zum Einsatz bringen wollte, nicht aus Washington, sondern aus SaudiArabien.1542 Wie der Chef des CIA-Büros in Riad, Alan Fiers, seinerzeit sagte, waren die Saudis die wichtigste Komponente in Reagans antirussischer Strategie,1543 nicht nur wegen ihrer Unterstützung und Finanzierung der islamisch-wahabitischen Rebellen in Afghanistan und Zentralasien, sondern auch aufgrund ihrer grund­ legenden Rolle als >Swing producer< auf dem internationalen Erdölmarkt. Mit die­ sem Begriff ist gemeint, daß die Saudis durch Senkung oder Erhöhung der Förder­ quoten jederzeit den internationalen Erdölpreis steigen oder fallen lassen konnten. Hinzu kam aber noch ein weiterer Gesichtspunkt: Während für die amerikani­ sche Wirtschaft niedrige Erdölpreise ein Segen waren (und sind), waren sie hingegen für die Sowjets ein herber Verlust. Im Februar 1985 kam es daher auch zu einem geheimen Treffen zwischen Ronald Reagan und König Fahd von Saudi-Arabien, in dem Reagan den Wunsch der Amerikaner nach einer massiven Absenkung des Erdölpreises deutlich ansprach. Wie Peter S chweitzer schreibt, ging die hauptsächli­ che Lobbyarbeit für eine Senkung der Erdölpreise von CIA-Direktor William Casey aus, »der regelmäßige geheime Treffen mit Fahd bezüglich der sowjetischen Be­ drohung und seiner geheimen Kriege gegen das Sowjetimperiums hatte. Er sprach mit Fahd ebenfalls über Ölpreise.«1544 CIA-Mitarbeiter Herb Meyer bestätigte die Rolle Caseys als treibende Kraft bei diesen US-saudischen Erdölpreisverhandlun­ gen: »Bill spielte eine Schlüsselrolle bei der Bearbeitung der Saudis, um den Öl­ preis herabzusenken.«1545 Hinter den Kulissen jedenfalls zeichnete sich das Zustandekommen einer gehei­ men Absprache zwischen der US-Machtelite und der saudischen Aristokratie da­ hingehend ab, daß die Saudis den Amerikanern als Gegenleistung für Waffenliefe­ rungen eine drastische Verringerung des Erdölpreises bescherten. Fünf Monate nach dem Geheimtreffen zwischen Reagan und Fahd ließen die Saudis die Amerikaner wissen, daß sie »eine dramatische Zunahme der Ölproduktion und einen massiven Fall der Weltölpreise erwarten sollten«.1546 Im August 1985 kam es dann auch zu einer massiven Erhöhung der Erdölförderquoten. »In den ersten Wochen sprang die tägliche Produktion von weniger als zwei Millionen auf fast 6 Millionen Bar­ rel.«1547

4.4.2 Die Auswirkungen auf die sowjetische Wirtschaft: Die UdSSR wird in die Kreditabhängigkeit des Westens getrieben Aufgrund dieser amerikanisch-saudischen Verschwörung sank der Erdölpreis von 30 Dollar pro Barrel im November 1985 auf 12 Dollar fünf Monate später. »Als die Preise fielen, begann der Kreml Milliarden von dringend benötigten Devisen zu verlieren.«1548 Wie Mária Huber beschreibt, wies die Handelsbilanz der UdSSR in­

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folge dieser Manipulation bereits 1986 einen Fehlbetrag von fast fünf Milliarden Dollar auf. »Der Kursverlust des Dollars gegenüber den wichtigsten Währungen verschärfte die kritische Entwicklung weiter, da Moskau für den größten Teil sei­ ner Exporte US-Dollar erhielt, die meisten Westeinfuhren aber in europäischen Währungen zu begleichen hatte. Die Importe aus OECD-Ländern wurden also er­ heblich teurer. Der Wert einer Tonne sowjetischen Erdöls... sank zwischen An­ fang 1985 und Mitte 1986 auf 25 Prozent und erhöhte sich 1987 leicht auf 40 Pro­ zent. Um die dringend benötigten Technologieimporte aus dem Westen auch nur auf dem alten Stand zu halten, brauchte Moskau nach Schätzungen des mit der CIA eng kooperierenden PlanEcon in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre Kredi­ te in einer Gesamthöhe von 50 Milliarden D-Mark.«1549 Damit hatten die USA eine weitere Voraussetzung geschaffen, die UdSSR in die finanzielle Abhängigkeit des Westens zu treiben. Mit Hilfe der von den USA be­ herrschten Einrichtungen des IWF und der Weltbank hätte die US-Machtelite im Falle eines Beitritts der UdSSR zu diesen Einrichtungen dann die Möglichkeit ge­ habt, ihr Wirtschaftsreformen aufzuzwingen, die dem US-Kapital den Zugang zum sowjetischen Markt und insbesondere zu den russischen Rohstoffen erlaubt hätte. Gleichzeitig hätten die USA mit Hilfe der Kreditabhängigkeit der UdSSR dann auch ein Instrument in die Hand bekommen zu verhindern, daß sich der eurasische Kon­ kurrent jemals wieder zu einem Rivalen hätte entwickeln können. Denn eine Kr edit­ gewährung des IWF wäre dann von der Erfüllung von Strukturreformen abhängig gewesen, die die Macht der Moskauer Zentrale entscheidend eingeschränkt hätten. Dies aber hätte wiederum zu einer Abspaltung der Peripherien von Moskau ge­ führt - die von der US-Machtelite gewünschte Pluralisierung des eurasischen Rau­ mes wäre dann Wirklichkeit geworden. Genau in diese Richtung schien sich - wie von der US-Machtelite auch gewollt - die sowjetische Politik zu entwickeln: »Der wachsende Finanzmittelbedarf zwang Gorbatschow, sich den internatio­ nalen Finanzinstituten zu nähern, damit die Sowjetunion sich für Kredite qualifi­ zieren konnte. Moskau wollte dem Internationalen Währungsfonds (IWF) beitre­ ten, und der Ministerkonferenz des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommen (GATT) lag im September 1986 ein Antrag der Sowjetunion auf Teilnahme an der 1987 startenden neuen Welthandelsrunde vor. Die Annäherung an die internatio­ nalen Organisationen zog eine schrittweise Dezentralisierung und Liberalisierung der sowjetischen Außenwirtschaft nach sich. Einzelne Ministerien und große Pro­ duktionsunternehmen erhielten vom 1. Januar 1987 an Lizenzen, die ihnen erlaub­ ten, mit ausländischen Firmen eigenständig Handel zu treiben.«1550 Überdies verlor Moskau durch diese Manipulation des Erdölpreises den Verlust seiner Energie­ absatzmärkte. Folgt man Viktor Timtschenko, führte das Abrutschen des Erdölprei­ ses »zum Einbruch der Erdölförderung und zur Implosion der sowjetischen Erdöl­ industrie. Das war ohne Zweifel ein letzter Nagel im Sarg der Sowjetunion, des Sozialismus und des Warschauer Paktes, und dementsprechend ein historisches Ereignis. Die Saudis haben nicht lange gefeiert, sondern schnell russische Märkte

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kassiert. In ihren besten Zeiten förderte die Sowjetunion 12,5 Millionen Barrel pro Tag, 1996 gewannen alle Nachfolgestaaten der UdSSR zusammen sieben Millio­ nen Barrel pro Tag. Die Differenz ging vorwiegend auf das Konto der Saudis«.1551 Damit war - zusammengefaßt - die finanzielle Schwächung des eurasischen Zen­ trums erreicht, aus der sich die Sowjetunion aus eigener Kraft nicht mehr befreien konnte. Um ihr langgehegtes Ziel zu erreichen, brauchte die US-Machtelite nur noch diesen wirtschaftlichen Kollaps auszunutzen, was sie während des allmählich ein­ getretenen Zerfallsprozesses der UdSSR hinter den Kulissen auch tat.

Kapitel 7

Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion Wie die Osteuropa-Expertin Mária Huber darstellt, bestand das Hauptproblem der UdSSR vor allem darin, Ungleichheiten zwischen den wirtschaftlich stärkeren und schwächeren Unionsrepubliken nicht weiter sich verschärfen zu lassen.1552 Der Mos­ kauer Zentrale fehlte es allerdings an den hierfür erforderlichen Finanzmitteln bedingt durch die amerikanische Politik, die gerade darauf abzielte, Moskau von sämtlichen Finanzquellen abzuschneiden. Gorbatschows Reformpolitik bestand nun darin, das zentralistische Plansystem durch einen mit Marktelementen verfeinerten Wirtschaftsmechanismus zu erset­ zen.1553 Dadurch sollten die Betriebe und vor allem die Regionen größere Selbständig­ keit erhalten. Ohne es zu wissen, verstärkte Gorbatschow damit die fast autonome Interessenpolitik regionaler Machthaber, die diese bereits in den vorangegangenen Jahrzehnten betrieben hatten. »Hinter der Fassade der zentralen Lenkung konnten die regionalen Machteliten jahrzehntelang eine quasi-autonome Interessenpolitik betreiben. Die leitenden Partei- und Wirtschaftsfunktionäre bildeten auf regionaler Ebene eine Art >Großfamilieandereandere< sein.«1556 Nachdem man die UdSSR in den finanziellen Bankrott getrieben hatte, wußte die US-Machtelite gleichfalls, wo der Hebel anzusetzen war, um die Zersplitterung der UdSSR endgültig zu erreichen. Neben der Ausnutzung der ökonomischen und de­ mographischen Ungleichheiten innerhalb der Sowjetunion kam es vor allem dar­ auf an, eine finanzielle wie politische Stärkung des Zentrums zu verhindern und alles daran zu setzen, statt dessen den Unabhängigkeitswillen der Peripherien zu stärken und insgeheim bereits im Vorfeld Maßnahmen sicherzustellen, durch die diese Peripherien in das Weltwirtschaftssystem der USA überführt werden konnten. Die Bedingungen innerhalb des sowjetischen Systems erwiesen sich hierfür als ausgesprochen günstig. In seiner Studie über Aufstieg und Untergang des Russi­ schen Reiches bestätigt Lothar Rühl, daß die Entscheidung über die Auflösung der Sowjetunion »zuvor im Kollaps der Volkswirtschaft gefallen« ist.1557 Tatsächlich zeichnete sich von 1989 bis 1990 ein zunehmender Niedergang in der Wirtschaft ab - so wie es die amerikanische Langzeitstrategie auch vorgesehen hatte. »Unter solchen Bedingungen mußte die Desintegration der Union unter der Fliehkraft der nationalen Separatismen und dem Druck der Krise sich fortsetzen, weil alle Repu­ bliken ihr wirtschaftliches Heil in selbständigen Beziehungen zum Ausland mit einem eigenen Außenhandel und eigenen Zöllen, in eigenen Währungen und in nationaler Güterbewirtschaftung einschließlich Tauschhandel mit den anderen ehe­ maligen Sowjetrepubliken suchten.«1558 Die Dynamik dieser Unabhängigkeits­ bewegungen wurde von der Dynamik der staatlichen und volkwirtschaftlichen Auf­ lösung der Sowjetunion angetrieben.1559

1 Die heimliche Förderung der litauischen Unabhängigkeitsbewegung >Sajudis< durch die USA Wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß die Politik der USA nicht nur die Voraussetzung für die Auflösungstendenzen schuf, sondern diese von ihr selbst im Hintergrund unterstützt wurden - insbesondere mit Logistik. Ange­ spornt von der Reformpolitik Gorbatschows, waren es zunächst die baltischen Staa­ ten, die sich aus dem Verband der UdSSR lösten. In Litauen war es die Unabhän­ gigkeitsbewegung >Sajudis< des späteren Ministerpräsidenten Landsbergis, die in den Genuß der Förderung der litauischen Diaspora in den USA kam. »Dutzende Politiker reisten in den Westen, suchten Kontakte und Kapital - vor allem in den Kreisen der Emigranten. Umgekehrt machten sich US-Bürger und Kanadier litaui­ scher Abstammung auf den Weg in die Heimat ihrer Vorfahren und boten ihre Dienste an... Die Diaspora bezahlte zahlreiche Berater für Sajudis, schickte Com­ puter und Kommunikationstechnologie nach Vilnius. Der Korrespondent von The Washington Post beobachtete im Sommer 1989, daß aus dem mit PCs, Satellitentele­

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 431 fonen und Faxgeräten ausgestatteten Sajudis-Büro in Vilnius alle Nachrichtenagen­ turen der Welt über die bevorstehende Massendemonstration zum 50. Jahrestag des Hitler-Stalin-Paktes vorab informiert wurden. Von einem so modernen Kom­ munikationssystem konnte man in sowjetischen Büros nur träumen.«1560 Begleitet war dies von umfangreichen Spenden litauischer Emigrantenkreise, unter anderem auch zur Finanzierung der Unabhängigkeitsbewegung: »1989 und 1990 erhielt Sajudis von der litauisch-amerikanischen Gemeinde die beachtliche Summe von 268000 US-Dollar«, so Mária Huber. »Ein Viertel davon diente der Ausstattung mit Kommunikationstechnologie. Auf die Verwendung des größeren Teils der Spende geht die sonst akribische Studie des litauisch-amerikanischen Wissenschaftlers Alfred Erich Senn nicht ein. Zu vermuten ist aber, daß damit An­ fang 1990 der Wahlkampf von Sajudis mitfinanziert wurde. Am 24. Februar ge­ wann Sajudis unter der Führung des Musikwissenschaftlers Vytautas Landsbergis 94 der 141 Mandate im Obersten Sowjet.«1561 Zwar kam die direkte Unterstützung der Unabhängigkeitsbewegung von der litauischen Diaspora in den USA. Zu be­ rücksichtigen ist aber - worauf der bereits ausführlich zitierte Journalist Christo­ pher Simpson in seinem Buch Der amerikanische Bumerang deutlich hingewiesen hatte -, daß die Förderung und Ausrüstung osteuropäischer Emigrantenkreise Kernbe­ standteil der antisowjetischen subversiven Strategie des CIA während des Kalten Krieges gewesen ist. Landsbergis' Strategie war, so Maria Huber, »darauf au sgerichtet, d ie Feindschaft zu Moskau zu schüren«. Als Gorbatschow zur Verhinderung des Auseinanderfal­ lens der UdSSR durch eine Änderung der sowjetischen Verfassung die Exekutive zu stärken versuchte, begann Landsbergis, die Unterstützung der USA zu suchen. Litauische Emigrantenkreise in den USA sollten das US-Außenministerium - nicht zuletzt unter Einschaltung von Ronald Reagan, der zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr Präsident war - entsprechend beeinflussen. Am 11. März 1990 jeden­ falls erklärte das neu gewählte litauische Parlament einseitig die staatliche Unab­ hängigkeit. Dies geschah aber nicht ohne die Unterstützung der USA aus dem Hintergrund, die offiziell zunächst jede Anerkennung der Unabhängigkeit vermied, allerdings hinter den Kulissen die Fäden zog, um die litauische Wirtschaft aus dem sowjetischen Verband in das westliche Marktsystem zu überführen. Der selbstbewußte Ton, den Landsbergis in Wirtschaftsfragen anschlug, »legt die Vermutung nahe, daß ihm westliche Ökonomen das Drehbuch geschrieben hatten. Zu den Besuchern, die sich Anfang 1990 in Vilnius aufhielten, gehörte auch der neoliberale Wirtschaftswissenschaftler Lawrence A. Summers. Der spätere Chefvölks­ wirt der Weltbank redete den Litauern sogar ein, wegen des im Vergleich zu Finn­ land niedrigen Lebensstandards Schadenersatzforderungen gegenüber Moskau zu stellen«.1562 Mit amerikanischer Rückendeckung kam es in der Folge dann auch zur Gründung einer eigenen litauischen Staatsbank, und »Bankfachleute aus den Ver­ einigten Staaten bereiteten längst die Einführung einer litauischen Währung vor«.1563 Während die litauisch-sowjetischen Wirtschaftsbeziehungen immer schlechter

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wurden, richteten sich die Hoffnungen der neuen litauischen Führung auf die USA, welche ihr »klarmachten, daß nur ein nicht-kommunistisches Litauen auf Aner­ kennung und finanzielle Unterstützung hoffen konnte«1564 - eine klare Aufforde­ rung also, den Bruch mit Moskau nunmehr offen zu vollziehen, was in der Folge­ zeit auch in die Tat umgesetzt wurde.

2 Die Aufforderung Zbigniew Brzezinskis zu einem »kontrollierten Zerfall« der UdSSR Daß die USA im Hintergrund eine Unterstützung des Auflösungsprozesses kon­ kret unterstützten, sprach kein Geringerer als Zbigniew Brzezinski in jenen Tagen offen aus. Ende 1989 erklärte er, daß die Auflösung der Sowjetunion in geordneten Bahnen erfolgen müsse. »Dafür stünden verschiedene Modelle zwischen Konföde­ ration und Commonwealth zur Verfügung. Um den gefährlichen Herausforderun­ gen eines post-kommunistischen Nationalismus der nichtrussischen Völker zu be­ gegnen, forderte Brzezinski die Auflösung des unionsweiten Machtmonopols der KPdSU und die Unterstützung >demokratischer Nationalbewegungen in der So­ wjetunion< durch den Westen.«1565 Mit dieser Aufforderung nahm Brzezinski Ende 1989 bereits das vorweg, was er fast sieben Jahre später in seinem Buch The Grand Chessboard näher einfordern sollte, nämlich eine Strategie zur Aufrechterhaltung eines zersplitterten Staatenpluralismus in Eurasien unter Zurückdrängung Ruß­ lands auf den Zustand der vor-petrinischen Ära. Die Konzepte Halford Mackin­ ders und Spykmans zur Instrumentalisierung des Gegensatzes zwischen >Heartland< und >Rimland< konnten nunmehr in die Tat umgesetzt werden. Der Geheimdienst-Experte Klaus Eichner beschreibt in diesem Zusammenhang, daß vom Übergang von der Reagan- zur Bush-Administration eine neue >Grand Strategy< in den USA zur offensiven Niederringung der UdSSR eingeleitet wurde. Demzufolge sollte über die Eindämmungspolitik hinausgegangen und unter Aus­ nutzung der Erosionsprozesse im Ostblock als >Türöffner< offensiv die Ausdeh­ nung des Einflusses des westlichen Bündnisses nach Osteuropa hin betrieben wer­ den. Ziel war es, zunächst die europäischen Partner der westlichen Allianz zu disziplinieren und auf eine einheitliche Linie zu bringen. Darüber hinaus galt es, unter Führung der USA, die Anstrengungen auf eine politisch-ökonomische Libe­ ralisierung Ostmitteleuropas in den Mittelpunkt zu stellen mit dem Ziel, die Unab­ hängigkeit dieser Staaten von der Führung durch die Sowjetunion zu erreichen.1566 Eichner wörtlich: »In den Analysen für den amtierenden Präsidenten (George Bush sen., der Verf.) formulierten die Sowjetexperten, daß die amerikanische Politik nicht auf Unter­ stützung des Generalsekretärs der KPdSU, Michail Gorbatschow, orientiert sein dürfe, sondern daß diese Politik die Sowjets herausfordern müsse, um sie zu zwin­ gen, ihrer Politik eine Richtung zu geben, die den Interessen der USA diente.«1567 Keinesfalls sollte die US-Politik auf die Erhaltung des Status quo ausgerichtet sein;

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 433 vielmehr sollte ein ständiges Entgegenkommen der UdSSR nach den Interessen und nach dem Diktat der USA erzwungen werden.1568 Endziel war die gesellschaft­ lich-politische Umgestaltung in der sowjetischen Machtsphäre mit dem Ziel ihrer Eingliederung in die von US-Präsident George Bush seinerzeit verkündeten >Neuen WeltordnungRussischen Sozialisti­ schen Föderativen Sowjetrepublik< (RSFSR), wo - wie bereits dargestellt - mit dem Machtantritt von Boris Jelzin am 29. Mai 1990 der Machtkampf zwischen diesem und Gorbatschow stattfand. Bei diesem Machtkampf ging es um nichts weniger als um die Auseinandersetzung um den Zusammenhalt der Union. Während Gor­ batschow bemüht war, die Integ rität der Union zu sic hern, war Jelzin mit dis kreter Unterstützung der US-Machtelite bestrebt, die Russische Föderation - in Zusammen­ arbeit mit anderen separatistischen Republiken - aus dem Unionsverband herauszu­ lösen und so das Ende der Sowjetunion einzuleiten. Jelzins Politik lag daher voll auf der Linie der Bestrebungen der USA, wie sie von Brzezinski vorgezeichnet waren. Mit der von Jelzin betriebenen Souveränitätserklärung der RSFSR am 12. Juni 1990 jedenfalls wurde ein weiteres Kapitel zur Untergrabung der Sowjetunion eingeleitet. Das zeigte sich darin, daß Jelzin jegliche Bemühungen zur Aufrechterhaltung des Zusammenhalts der Union unterlief. So unterstützte er die separatistischen Bestrebungen der baltischen Sowjetrepubliken. Dabei hatte er »Maßnahmen unter­ stützt, die Landsbergis geholfen hatten, gegenüber Moskau hart zu bleiben. Die Sa­ judis-Führung hatte diese Gelegenheit genutzt und ihrerseits auf die radikalen Kräfte unter den russischen Demokraten gesetzt«.1570 Gleichermaßen schloß Jelzin - ge­ wissermaßen an der Union und ihren Institutionen vorbei - eigenmächtig separate Kooperationsabkommen mit anderen separatistischen Sowjetrepubliken ab, wo­ durch die Autorität der Union weiter geschwächt wurde. »Die russische Führung demonstrierte damit, daß sie zum sowjetischen Zentrum auf Distanz ging. Ende Juli (1990) besiegelten die RSFSR, Estland, Lettland und Litauen die gegenseitige Anerkennung ihrer Souveränität.«1571 Als die sowjetische Führung um die Jahres­ wende 1990/1991 versuchte, die Unruhen in Litauen mit militärischen Mitteln nieder­ zuwerfen, veranlaßte Jelzin die Initiative eines Beistandspaktes zwischen den bal­ tischen Staaten und der RSFSR, in dem sich diese Staaten einander konkrete Unterstützung bei jedem Angriff auf ihre Autonomie zusagten.1572 Doch der Todesstoß, den Jelzin der Union versetzte, sollte noch weitergehen. Mit einem Dekret vom Juli 1990 entzog er der Union die Zuständigkeit für den

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Außenhandel mit russischen Gütern und strategischen Rohstoffen und stellte diese unter ausschließliche Kontrolle durch die russische Regierung. Folgt man Lothar Rühl, wurde damit die wirtschaftliche Grundlage der Union weiter untergraben und das Unabhängigkeitsstreben der übrigen Sowjetrepubliken bestärkt,1573 denn »tatsächlich ebnete das russische Beispiel den übrigen Völkern, Nationalitäten und Sowjetrepubliken einen Weg zum Ausbruch aus dem um Rußland geschaffenen historischen Reichsverband, dessen letzte Staatsform die UdSSR war«,1574 Lothar Rühl zufolge bewirkte somit »die Verselbständigung Rußlands gegenüber der zer­ fallenden Union zugleich auch den Erfolg der Sezession aller nichtrussischen Na­ tionen und damit die de facto-Auflösung der Union noch vor dem förmlichen Akt der drei slawischen Republiken im Dezember in Minsk und im Vertrag von BrestLitowsk«.1575 Damit aber wurde Jelzin auch zum wichtigsten Verbündeten der USA im Machtspiel um den Zerfall - besser gesagt der Unterminierung - der Sowjetuni­ on, dessen Bestrebungen aus Sicht der US-Machtelite also zu fördern waren. Ansatz hierfür war - ebenso wie im Baltikum - die Förderung einer ökonomi­ schen Sezession der Russischen Republik. Auch in der Frage der Wirtschaft ver­ banden sich die Interessen J elzins, G orbatschow und die Unionsgewalt zu entmach­ ten, mit den geopolitischen Zielen der USA, die wirtschaftlichen Verbindungsstränge Eurasiens zu zerschneiden. Jelzins Vision dabei »sah eine fast vollständige Ent­ machtung der Zentralregierung vor«.1576 Durch eine eigene Zentralbank sowie neue Vereinbarungen mit anderen Republiken über Warenlieferungen sollte der Union die Wirtschaftskraft entzogen werden. »Jelzin und sein Regierungschef Silajew waren sich in di esen Pu nkten einig und beriefen junge Fachleute in Schlüsselposi tio­ nen der Regierung. Ihnen stand >ein brain-trust aus Wirtschaftsexperten zur Seite, die zum Teil außerhalb der Sowjetunion lebten und im Bedarfsfall hinzugezogen werden konntenstrategischen Rohstoffe< auf dem Gebiet der RSFSR war der erste Akt allgemeiner Bedeutung für alle Sowjetrepubliken mit dem Ziel, die Unionsgewalt in die Schranken zu weisen. Er hatte aber auch die Wir­ kung, nationale Monopole zu begründen und der Sowjetregierung Grenzen inner­ halb der Sowjetunion für Güterverkehr und Außenhandel, Energieversorgung und Industriepolitik entgegenzusetzen. Damit war ein großer Schritt... zur Abtrennung der einzelnen Sowjetrepubliken voneinander mit der Folge einer Zertrennung der Zusammenhänge entgegen den bestehenden Abhängigkeiten getan... Die übrigen Sowjetrepubliken wurden vom russischen Beispiel in ihren partikularistischen Ver­ suchungen ermutigt und in ihren separatistischen Tendenzen gestärkt.«1582 Vor diesem Hintergrund ist es nicht zuviel gesagt, Jelzin als wichtigste Schach­ figur in den Händen der US-Machtelite zu bezeichnen, der die Funktion zukam, die Visionen Mackinders, S pykmans und vor allem Zbigniew B rzezinskis in die Tat umzusetzen. Ohne Jelzin und seine Politik wären die Entwicklungen in den Jahren 1989 bis 1991, die die Zerstückelung, Anarchisierung und Lähmung des eurasi­ schen Blocks zur Folge hatten, gar nicht denkbar gewesen. Daher sollte Jelzin auch in der Folgezeit für die USA eine wichtige Rolle spielen: Er war in den neunziger Jahren auch das Werkzeug, mit dessen Hilfe amerikanische Banken und Konzerne unter Beihilfe der sogenannten Oligarchen - der neuen proamerikanischen krimi­ nellen Machtelite in Rußland - Übernahmeangriffe auf die russische Wirtschaft und Rohstoffindustrie durchführen konnten.

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett 4 Die US-Unterwanderung der Ukraine

Beispielhaft dafür, wie es den USA gelang, in der Zeit von 1990 bis 1993 den eura­ sischen Raum zu unterwandern und zu >filetierenGUSGUS< zu einer effektiven internationalen Organisation... scheiter­ ten vor allem am Widerstand der Ukraine.«1590 Dieses Interesse deckte sich gleichfalls mit den geopolitischen Zielen der USA, und folglich fand die Ukraine auch in der unmittelbaren Folgezeit nach 1991 die Unterstützung der US-Machtelite. Federführend hierbei war das 1994 ins Leben gerufene >American-Ukrainian Advisory Committee< (AUAC), das unter der Leitung keines Geringeren als Zbi­ gniew Brzezinski stand. Die Aufgabe dieses Gremiums lag darin, die ukrainische Politik im amerikanischen Sinne zu steuern und zu beeinflussen. Seine ungeheure Bedeutung zeigte sich bereits in der Mitgliederliste, die sich wie ein >Who is who< der Elite amerikanischer Geopolitik und Hochfinanz las: Führend im AUAC tätig waren Henry Kissinger, Frank Carlucci (Verteidigungsminister unter Ronald Rea­ gan) sowie der Bankier George Soros.1591 Seit seiner Gründung sollte dieses Gremi­ um regelmäßige Treffen entweder in der Ukraine oder in den USA abhalten. Dabei hatte diese Denkfabrik enge Verbindung mit der ukrainischen Führung, deren Mit­ glieder ebenfalls dem AUAC angehörten, darunter Leonid Krawtschuk selbst und sein Wirtschaftsberater Bohdan Hawrylyschyn, dessen Neffe Olech Hawrylyschyn in seiner Funktion als stellvertretender ukrainischer Finanzminister auf der Ge­ haltsliste der Soros-Foundation stand. 1592 Diese Soros-Stiftung sollte auch dafür sor­ gen, daß die Ukraine in Zukunft den Kurs einer strikten Abgrenzung von Rußland hielt. Dies zeigte sich im Jahre 1993. In jenem Jahr gipfelten die Auseinandersetzun­ gen zwischen der Ukraine und der Russischen Föderation zum offenen Konflikt in den strittigen Fragen des Nuklearwaffenarsenals, der Aufteilung der Schwarzmeer­ flotte sowie der Zugehörigkeit der Krim. Um in diesen Fragen ukrainisches Wohl­ verhalten zu erzwingen, kürzte Moskau die russischen Erdgaslieferungen um die Hälfte. Auf dem russisch-ukrainischen Gipfeltreffen im September 1993 in Mas­ sandra schließlich kam es zu einem »vorläufigen Einlenken der ukrainischen Füh­ rung«.1593 Diese war sogar zu einer engen Zusammenarbeit mit der GUS auf wirt­ schaftlichem Gebiet einverstanden.1594 Das aber paßte der US-Machtelite keinesfalls ins Konzept, es mußte gegengesteuert werden, gegebenenfalls sogar durch ein Aus­ wechseln der politischen Führung der Ukraine. Dies geschah auch bei den Präsi­ dentschaftswahlen 1994, als Krawtschuk durch Leonid Kutschma ersetzt wurde. Letzterer stand während seines Wahlkampfes in Kontakt mit dem Bankier Soros.

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Dabei unterstützte die Soros-Foundation >unabhängige< Rundfunk- und Fernseh­ stationen in der Ukraine, die Wahlkampf für Kutschma machten, mit einem Betrag von 363100 US-Dollar. Diese Zusammenhänge »können nur als ein Netzwerk von Intrigen beschreiben werden«.1595 Auch auf wirtschaftlichem Gebiet sorgte die westliche Hochfinanz dafür, daß die Ukraine in den US-dominierten Weltmarkt eingebunden wurde und keine An­ stalten machen konnte, zusammen mit Rußland einen eurasischen Gegenpol zu bilden. Dabei sollte das eng mit der CIA verbundene >Center for International Pri­ vate Enterprise< (CIPE) eine Rolle spielen, dessen Funktion darin bestand, verschie­ dene prowestliche Denkfabriken, die neoliberale Marktreformen anstrebten, zu fi­ nanzieren. Von CIPE unterstützt wurde das in Kiew angesiedelte >International Center for Political Studies< (ICPS). Diese Einrichtung hatte es sich zur Aufgabe gemacht, eine Gruppe von lokalen Wirtschaftsfachleuten mit dem Auftrag zu ver­ sehen, mit der Unterstützung durch die Weltbank eine Blaupause makroökonomi­ scher Reformen zu entwickeln.1596 Einer dieser Wirtschaftsfachleute war Viktor Juschtschenko, der 1993 zum Chef der neugegründeten ukrainischen Nationalbank ernannt wurde. Als Wunschkan­ didat der westlichen Hochfinanz gehörte er zu den Hauptverantwortlichen »der tödlichen Medizin des IWF, welche dazu diente, die Ukraine zu schwächen und ihre Ökonomie zu zerstören«.1597 Nach der Ernennung Juschtschenkos zum Chef der ukrainischen Nationalbank erreichte die Ukraine 1994 eine historische Über­ einkunft mit dem IWF, an deren Zustandekommen Juschtschenko einen maßgebli­ chen Anteil hatte. Diese Übereinkunft verlangte von der ukrainischen Regierung einen Verzicht auf Kontrolle des Wechselkurses und der Preise. Diese Preisderegu­ lierung - ein Kernbestandteil des sogenannten >Washington Consensus< - führte zu einer galoppierenden Inflation im Land.1598 Gleichzeitig wurde dem Land eine Handelsliberalisierung aufgezwungen, wodurch der ukrainische Agrarmarkt mit US-Getreideüberschüssen überschwemmt wurde. Damit wurde aber einer der größ­ ten und produktivsten Getreideökonomien der Welt destabilisiert,1599 was sich mit einem Absturz der Getreideproduktion um fast die Hälfte äußerte. Was wurde mit dem wirtschaftlichen Niedergang der Ukraine erreicht? Einer­ seits wurde die von der US-Machtelite geschützte und hochsubventionierte ameri­ kanische Landwirtschaft von einem gefährlichen Konkurrenten befreit. Entschei­ dend war allerdings ein anderer - nämlich geopolitischer - Umstand: Die ukrainische Führung hatte in der ersten Zeit ihrer Unabhängigkeit den Plan, die Erdöl- und Erdgaslieferungen aus Rußland mit Deviseneinnahmen aus dem Wei­ zenhandel zu bezahlen. Die Abhängigkeit der ukrainischen Exportwirtschaft vom russischen Markt und der nahezu 100%ige Importbedarf an russischem Erdöl und Erdgas1600 hätten günstige Voraussetzungen für eine ökonomische Wiedereinglie­ derung beider Staaten geboten. Durch Getreideverkauf hätte die Ukraine die Mög­ lichkeit gehabt, ihren Rohstoffbedarf zu bezahlen, und damit wäre ein Grund für die russisch-ukrainischen Zwistigkeiten, nämlich die ukrainischen Schulden an

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 439 Rußland für Energielieferungen, weggefallen. Mit dem vom IWF aufgezwungenen Reformprogramm - Kredite gegen Handels- und Preisliberalisierung - aber war die Ukraine vollständig in die Abhängigkeit der westlichen Hochfinanz geraten. Eine Kontrolle durch westliche Banken und Geldgeber war damit sichergestellt, denen es nunmehr freigestellt war, sich Rosinen aus dem ukrainischen Kuchen zu picken und die noch verbliebenen Herzstücke der Industrie zu Ramschpreisen auf­ zukaufen.1601 Die Ukraine als Schlüsselfeld im großen eurasischen Schachbrett blieb auf diese Weise im Fadenkreuz der US-Machtstrategen, und genau dieser Gesichtspunkt er­ klärt auch den Aufwand, den diese betreiben, um eine Wiedereingliederung der Ukraine in ein eurasisches System zu verhindern. Denn mit einer >Unabhängig­ keit< der Ukraine, das heißt ihrer Einbindung in ein westliches Bündnisystem, wird auch gleichzeitig Rußland geschwächt. »Das Auftreten eines unabhängigen ukrai­ nischen Staates zwang nicht nur alle Russen, das Wesen ihrer eigenen politischen und ethnischen Identität neu zu überdenken, sondern stellte auch für den russi­ schen Staat ein schwerwiegendes geopolitisches Hindernis dar. Da mehr als drei­ hundert Jahre russischer Reichsgeschichte plötzlich gegenstandslos wurden, be­ deutete das den Verlust einer potentiell reichen industriellen und agrarischen Wirtschaft sowie von 52 Millionen Menschen, die den Russen ethnisch und religiös nahe genug standen, um Rußland zu einem wirklich großen und selbstsicheren imperialen Staat zu machen. Die Unabhängigkeit der Ukraine beraubte Rußland zudem seiner beherrschenden Position am Schwarzen Meer, wo Odessa das uner­ setzliche Tor für den Handel mit dem Mittelmeerraum und der Welt jenseits davon war. Unter geopolitischem Aspekt stellte der Abfall der Ukraine einen zentralen Verlust dar, denn er beschnitt Rußlands geostrategische Optionen drastisch.«1602 Folgt man Brzezinski, wird aufgrund dieser geopolitischen Umstände in den USA der Beziehung zur Ukraine sowie der Förderung ihrer Unabhängigkeit höchste Prioriät beigemessen,1603 denn »ohne die Ukraine (ist) eine imperiale Restauration (Rußlands), sei es auf der Basis der GUS, sei es auf der einer paneurasischen Iden­ tität, keine realistische Option«.1604 Auf der anderen Seite aber wären die USA der Gewinner einer ukrainischen Unabhängigkeit, da diese es ihnen ermöglichen würde, Zugriff auf das kaukasisch-zentralasiatische Erdöl zu nehmen. Über die Ukraine als Schlüsselstaat läßt sich schließlich ein Cordon sanitaire rußlandfeindlicher Staaten schaffen, der Rußland von den Erdöl- und Erdgasquellen des Kaukasus abschnei­ det, es jedoch den USA erlaubt, hier einen strategischen Korridor Richtung Zen­ tralasien zu schaffen. »Für die Ukraine geht es um den zukünftigen Charakter der GUS und einen freieren Zugang zu Energiequellen, die ihre Abhängigkeit von Rußland vermin­ dern würden. Unter diesem Aspekt rücken für Kiew engere Beziehungen zu Aser­ baidschan, Turkmenistan und Usbekistan in den Vordergrund. Auch die Rücken­ deckung, die die Ukraine den nach größerer Unabhängigkeit strebenden Staaten gibt, verfolgt den Zweck, die eigene Unabhängigkeit gegenüber Moskau zu stär­

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ken. So hat die Ukraine die Anstrengungen Georgiens unterstützt, aserische Öl­ exporte über sein Gebiet zu leiten. Darüber hinaus tat sie sich mit der Türkei zu­ sammen, um den russischen Einfluß am Schwarzen Meer zu schwächen, und un­ terstützte die türkischen Bemühungen, Erdöl von Zentralasien in türkische Terminals zu leiten.«1605 Brzezinski zeichnet hier genau die Funktion vor, die die Ukraine in der Eurasienstrategie der USA haben soll, nämlich zum einen als Kon­ kurrent zur Russischen Föderation zu wirken, um diese in die Isolation abzudrän­ gen, und zweitens, als Ausgangspunkt eines (Energie-)Korridors zu wirken, der sich über die Staaten Türkei, Georgien und Aserbaidschan erstreckt und dem eine antirussische Einkreisungsfunktion zukommt, verbunden mit einer Ost-West-Pipe­ lineoption, von der Rußland ausgeschlossen wäre.

5 Die USA unterminieren Gorbatschows Versuch zur Stärkung des Zentrums - Die UdSSR gerät in die Abhängigkeit des IWF Zunächst kam die Reformpolitik Gorbatschows der US-Machtelite nicht ungele­ gen, da sie in erheblichem Maße zur Zersetzung der Macht des Moskauer Zen­ trums und zur Erweckung separatistischer Tendenzen in den Peripherien führte. In einem Interview am 2. April 1989 erklärte Zbigniew Brzezinski, daß das histori­ sche Verdienst Gorbatschows als Politiker darin bestanden habe, mit Glasnost und Perestroika eine Systemkrise in der Sowjetunion eingeleitet zu haben, auf die man in Washington lange hingearbeitet habe.1606 Folgt man Mária Huber, hatte die USMachtelite auch gezielt bei Gorbatschow den Eindruck zu vermitteln versucht, als stehe sie hinter seinen Bemühungen und bereit sei, ihn zu unterstützen. »Die Auf­ merksamkeit gegenüber der Sowjetunion und die Anerkennung, die Gorbatschow als Führer einer Supermacht insbesondere nach seiner Rede vor der UNO zuteil geworden war, hatten den Generalsekretär der KPdSU in seiner Fehleinschätzung bestärkt, er könne die Systemkonfrontation abbauen und gleichzeitig den Sozialis­ mus beibehalten.«1607

5.1 Die Schwierigkeiten bei den Bemühungen Gorbatschows, das Zentrum zu reorganisieren Tatsächlich sollte es hierbei um eine Täuschung handeln, was für Gorbatschow aber erst dann deutlich wurde, als er die Westmächte um finanzielle Unterstüt­ zung seines Reformprogrammes ersuchte. Um sein Vorhaben durchzuführen, setzte Gorbatschow angesichts der zunehmend zutage tretenden separatistischen Unru­ hen und blutiger ethnischer Konflikte insbesondere im Kaukasus auf eine Stärkung des Zentrums. Zu diesem Zweck setzte er Oktober 1988 eine Änderung der sowje­ tischen Verfassung durch, die die Macht der Exekutive stärkte - und nicht nur das: »Einige der neuen Vollmachten für das künftige höchste Staatsorgan der UdSSR, den Kongreß der Volkdeputierten, liefen auf eine noch größere Zentralisierung hin­ aus.«1608 Dadurch sahen sich die Republiken in ihrem politischen und wirtschaftli­

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 441 chen Handlungsspielraum eingeschränkt und setzten diesen Bemühungen Gor­ batschows massiven Widerstand entgegen. »Besonderen Anstoß erregte Artikel 108, dessen zweiter Absatz ausschließlich den Kongreß der Volksdeputierten ermäch­ tigte, >Entscheidungen zu Fragen des nationalstaatlichen Aufbaus der UdSSR< zu treffen.«1609 Darüber hinaus wurde durch den Verfassungsentwurf das Präsidium des Obersten Sowjets ermächtigt, im Interesse der Verteidigung der UdSSR nötigen­ falls den Kriegs- und Ausnahmezustand für einzelne Gebiete oder für das gesamte Land zu erklären, was auf eine Einschränkung der Souveränität der Sowjetrepubli­ ken hinauslief. Jedenfalls führte das Bekanntwerden des Verfassungsentwurfs in weiten Teilen der Sowjetunion, allen voran im Baltikum, in Georgien und auch in Aserbaidschan, zu massiven Protesten und zur Verstärkung separatistischer Be­ strebungen. In dieser Situation trat die Diskrepanz zwischen dem Anspruch Moskaus, die Macht der Zentrale wieder zu stärken, und ihren tatsächlichen - vor allem finanzi­ ellen - Möglichkeiten offen zutage. Es war im Grunde keine wirtschaftliche Sub­ stanz mehr vorhanden, die es hätte ermöglichen können, das Spannungsverhältnis zwischen Zentrum und Peripherie auszugleichen. »Der Direktor der Abteilung für Sowjetunionanalysen der CIA, George Kolt, trug im Mai 1991 vor einem Kongreß­ ausschuß eine vernichtende Bestandsaufnahme des Zustandes der sowjetischen Volkswirtschaft vor. Seinen Angaben zufolge berichten offizielle sowjetische Sta­ tistiken für 1990 zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg von einem realen Rückgang der sowjetischen Produktion. »Obwohl es heute schwieriger als jemals zuvor ist, Schätzungen über die sowjetische Wirtschaft abzugeben, glauben wir, daß das sowjetische Bruttosozialprodukt (BSP) im letzten Jahr um 4-5 Prozent ge­ fallen ist. Offizielle sowjetische Statistiken zeigen, daß sich der Niedergang im er­ sten Quartal 1991 gegenüber dem Vorjahreszeitraum wesentlich beschleunigt hat.kontrollier­ ten< Destabilisierung und Desintegration«. 1619 Mit Blick auf den Weltwirtschaftsgipfel

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 443 der G-7 in London Mitte Juli 1991, auf dem die Frage der finanziellen Unterstüt­ zung der Sowjetunion erörtert werden sollte, stellten sie dar, worauf es der USMachtelite wirklich ankam: »Was auch immer Gorbatschow zwischen 1985 und 1991 im Interesse des Westens geleistet haben mochte, die aktuelle Politik der USA gegenüber der Sowjetunion könne nicht mit Moskaus früheren Verdiensten begrün­ det werden. Sie müsse sich vielmehr an der Frage orientieren, welche wichtigen US-Interessen betroffen seien. Als Grundregel postulierten Allison und Blackwill: Die amerikanische Politik gegenüber der UdSSR habe künftig ebenso hart und sub­ til zu sein wie während des Kalten Krieges.«1620 Konkret formuliert, hatten die USA es somit in der Hand, das langgehegte Ziel der Zersplitterung und einer ökonomischen Übernahme des eurasischen Raumes endlich in die Tat umzusetzen. Damit aber war eine Unterstützung der Bestrebun­ gen der sowjetischen Zentralregierung, das Auseinanderfallen der Union zu ver­ hindern, nicht zu vereinbaren. Der Politik Gorbatschows mußte d aher der (finanzi­ elle) Boden weiterhin entzogen werden. Diese Position der USA wird auch von Jochen Hippler bestätigt, dem zufolge sich die USA keinesfalls bereit fanden, der UdSSR irgendwelche Hilfsangebote zu machen. Vielmehr konzentrierte man sich statt dessen auf die Formulierung zusätzlicher Bedingungen wie Abspaltung der Peripherie, unter anderem des Baltikums, Übernahme des westlichen Wirtschafts­ modells und weitere einseitige Abrüstung.1621 Die US-Machtelite plante also auf diese Weise eine Fortführung des Kalten Krie­ ges, wie es der Nationale Sicherheitsberater des US-Präsidenten George Bush, Brent Scowcroft, auch in einem Interview zum Ausdruck brachte: »Der Kalte Krieg ist nicht vorbei«,1622 und der damalige Abteilungsleiter im US-Außenministerium, Paul Wolfowitz, erklärte einen Monat nach der Öffnung der Berliner Mauer, daß die USA sich noch auf lange Sicht in einem Konkurrenzverhältnis zur Sowjetunion befänden, wenn auch auf einer anderen Intensitätsstufe.1623 Insgesamt stand - so Maria Huber - die US-Machtelite jeglichem strategischen Entgegenkommen der UdSSR feindselig gegenüber; sie war vielmehr bestrebt, die althergebrachte Propa­ gandathese von der sowjetischen Bedrohung weiter am Leben zu halten. Gorbatschow mußte erkennen, daß die einseitige Aufgabe strategischer Postitio­ nen die USA von ihrem Langzeitziel der Auflösung des eurasischen Reiches nicht abbringen konnte: »G orbatschow hoffte, daß seine Ankündigung vor der UNO Ende 1988, die Rote Armee um eine halbe Million Mann zu reduzieren und einen Teil der Truppen aus der DDR, der Tschechoslowakei und aus Ungarn abzuziehen, den Westen bewegen würde, die Demilitarisierung und Transformation der Sowjetwirt­ schaft zu unterstützen. Aber weder mit einseitigen Gesten noch mit internationa­ len Abrüstungsvereinbarungen konnte er die amerikanische Roll-back-Politik über­ winden. Von der CIA wurde jeder sowjetische Vorschlag als hinterhältig abgetan. Nach Auffassung des stellvertretenden und geschäftsführenden CIA-Direktors, Robert Michael Gates, nutzte Moskau das Thema Abrüstung nur aus, um den We­ sten zu schwächen.«1624

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Vielmehr setzten die verteidigungspolitischen Vertreter der US-Machtelite dar­ auf, daß eine weitere Blockadehaltung die Position der sowjetischen Zentralregie­ rung weiterhin schwächen und den Erosionsprozeß der Sowjetunion noch weiter fördern würde: Deren Strategie zufolge gab es »gar keinen Grund, warum der Westen helfen sollte, die sowjetische Wirtschaft zu retten. Gorbatschows Verhand­ lungsbasis schrumpfte noch weiter, als in Osteuropa ein Regime nach dem anderen stürzte. Im Westen rechnete man damit, daß die nationalistischen Bewegungen in­ nerhalb der Sowjetunion einen großen Auftrieb erhielten«.1625 Als Gorbatschow in dieser Zwangslage versuchte, separatistische Bestrebungen, wie zum Beispiel im Baltikum, mit militärischer Gewalt niederzuringen, nahmen die USA dies zum Anlaß, der UdSSR materielle Hilfen zu verweigern: »Der USSenat forderte Präsident George Bush umgehend auf, alle ökonomischen Vergün­ stigungen für die Sowjetunion zu überprüfen. Die Pläne für eine Mitgliedschaft Moskaus im Internationalen Währungsfonds, in der Weltbank und im GATT soll­ ten überdacht und die europäischen Verbündeten für Sanktionen gewonnen wer­ den.«1626 Mit einer solchen Haltung wollten die USA zu einer ähnlichen Situation zurück­ kehren, wie sie sich im Jahre 1945 am Ende des Zweiten Weltkriegs dargeboten hatte: Eine wirtschaftlich am Boden liegende Sowjetunion, abhängig von westli­ chen Kreditzuflüssen, sollte in die >Grand Area< eines US-dominierten Weltwirt­ schaftsraumes eingegliedert werden, wodurch das >informelle Imperium< der USA auf Eurasien ausgedehnt werden sollte. Dieses Ziel hatten die USA mit Hilfe einer Langzeitstrategie über einen zeitlichen Umweg von knapp 45 Jahren erreicht. Folgt man Mária Huber, »unterschied sich die Politik Washingtons (in den Jahren 1990/ 1991, der Verf.) gegenüber Moskaus Kreditwünschen am Ende des Kalten Krieges nicht grundlegend von jener der Truman-Administration zu dessen Beginn«.1627

5.3 Der G-7-Gipfel von London: Die UdSSR wird in die Abhängigkeit des IWF gebracht Dies zeigte sich schließlich auf dem G-7-Weltwirtschaftsgipfel in London am 7. Juli 1991, auf dem die Frage der finanziellen Unterstützung der UdSSR erörtert werden sollte. Hier waren es die USA, die jeder Kreditgewährung grundsätzlich ablehnend gegenüberstanden. Genauso wie die Truman-Administration 45 Jahre zuvor machte auch die Bush-Administration diese von der Bereitschaft der UdSSR abhängig, das westliche Wirtschaftsmodell zu übernehmen und den sowjetischen Markt für die US-Wirtschaft zu öffnen - kurzum, es ging um nichts anderes als um die Ergän­ zung der amerikanischen >Grand Area< durch Eurasien. »Für Gorbatschow wurde damit der G-7-Gipfel in London am 17. Juli 1991 zur Endstation Hoffnung«, so Maria Huber. »Seit Mai konfrontierte er fast alle ausländischen Gesprächspartner mit der Frage, warum der Westen für den Golfkrieg 100 Milliarden US-Dollar aufbringen könne, bei der Unterstützung seiner Reformpolitik hingegen so geizig sei. Polen und Ägypten erließ die internationale Gemeinschaft großzügig Schulden. In Wa­

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 445 shington warb der deutsche Wirtschaftsminister Möllemann für eine massive Fi­ nanzhilfe des Westens an die Sowjetunion, doch er stieß auf taube Ohren. Bush bekannte im engsten Beraterkreis, er könne Gorbatschows ständiges Drängen auf Wirtschaftshilfe nicht mehr hören: >The guy doesn't seem to get it.den Sowjets< blieb ungebrochen.«1628 Bei der westlichen Machtelite jedenfalls war bekannt, daß G orbatschows Perestroika ohne tiefgreifende Änderungen in der Wirtschaft und ohne finanzielle Unterstützung scheitern mußte. Die USA verlangten von der sowjetischen Führung bedingungslos die Durchset­ zung neoliberaler Wirtschaftsreformen, deren Grundlage die Öffnung des sowjeti­ schen Marktes für die US-Wirtschaft sein sollte. Die Politik der >Offenen Tür< nach William A. Williams ja eine Grundkonstante der US-Außenpolitik - sollte auf die UdSSR ausgedehnt werden. In der Wendezeit 1990/1991 befanden sich die USA selber in einer Wirtschaftskrise; ihr Haushaltsdefizit betrug 300 Milliarden Dollar. »Abhilfe versprachen sie sich von einer weiteren Liberalisierung des Welthandels. Auf der Londoner Gipfel-Show ging es also darum, Zugänge zu einem potentiell riesigen Markt zu erschließen.«1629 Dies machte die US-Führung auch im Vorfeld des Londoner Gipfels deutlich: In vorangegangenen Telefongesprächen forderte George Bush von Gorbatschow die Durchführung marktwirtschaftlicher Reformen ohne Wenn und Aber. Innerhalb kürzester Zeit wurde T schernajew zufolge von Gor­ batschows Wirtschaftsberatern ein neoliberales Wirtschaftsprogramm zusammenge­

Kurz nach dem G7-Gipfel in London am 7. Juli 1991 wurde das Abrüstungsabkommen START I von George Bush und Michail Gorbatschow in Moskau am 31. Juli unterzeichnet. Erst nach dem Ende der Sowjetunion ist START I am 5. Dezember 1994 in Kraft getreten.

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stellt. Dieses Programm sah »jetzt harte M aßnahmen geg en d ie Inflation, A nreize für das Unternehmertum und die Beschleunigung der Privatisierung vor«.1630 »Das alles konnte Bush nicht überzeugen. In diesem Gespräch zeigte sich sehr deutlich die Herangehensweise der Amerikaner (im Gegensatz zu den Europäern, die unsere Problematik besser verstanden): Für sie war Marktwirtschaft >amerikanische< Wirtschaft. Wenn zu einer anderen Wirtschaftsform noch das Mißtrauen gegenüber dem, was bis vor kurzem kommunistisch gewesen war, hinzukam, wa­ ren sie nicht zu Maßnahmen bereit, die Gorbatschow hätten wirklich helfen kön­ nen.«1631 Noch vor dem eigentlichen Gipfel machte US-Präsident Bush deutlich, daß Gorbatschow nur dann mit Unterstützung rechnen konnte, wenn er sich den ame­ rikanischen Grundsätzen bedingungslos unterwarf: »Wenn Sie überzeugt sind, daß die Marktwirtschaft die Lösung Ihrer Probleme bedeutet, dann werden wir Ihnen bei dem Aufbau eines marktwirtschaftlichen Systems in der Sowjetunion helfen. Wenn Sie jedoch immer noch den Eindruck haben, daß ein rascher Übergang zur Marktwirtschaft zu riskant ist und es aus diesem Grunde notwendig erscheint, für eine bestimmte Zeit die administrative Kontrolle weiter aufrechtzuerhalten, dann wird es uns schwerfallen, Ihnen Hilfe zukommen zu lassen.«1632 Für den Fall, daß Gorbatschow sich »vorbehaltlos für die Einführung der Markt­ wirtschaft entscheide«, sah die US-Machtelite den besten Weg zu diesem Ziel in einer »unmittelbaren Zusammenarbeit mit dem IWF und der Weltbank«.1633 In den Vorgesprächen machte Bush Gorbatschow gegenüber klar, wie die US-Machtelite die Sowjetunion sehen wollte: »Wir wollen, daß sie ein demokratischer Staat mit Marktwirtschaft ist, der in die westliche Wirtschaft integriert wird..., daß die Frage der Föderation zwischen Zentrum und Republiken erfolgreich entschieden wird...«1634 Damit konnten sich die USA durchsetzen. Das Treffen der G-7 endete daher auch mit dem Vorschlag, der Sowjetunion einen besonderen assoziierten Status im IWF und in der Weltbank zu verleihen,1635 die ihr »beim Übergang zur Marktwirtschaft beratend« zur Seite stehen sollten. Die USA hatten über die Gewährung eines sol­ chen Sonderstatusz der UdSSR in diesen Gremien die Möglichkeit, bestimmend auf die Wirtschaftspolitik der UdSSR Einfluß zu nehmen; Kreditgewährungen konn­ ten jederzeit von der Erfüllung von Auflagen im amerikanischen Sinne abhängig gemacht werden. Mit der Sonderstellung Moskaus im IWF und in der Weltbank konnte die US-Regierung zudem alle sich aus einer Vollmitgliedschaft der Sowjet­ union ergebenden Ansprüche auf Beistandsleistungen abwehren.1636 Tatsächlich war und ist der IWF ein Instrumentarium der USA zur Disziplinie­ rung und Reglementierung der Volkwirtschaften seiner Mitglieder im amerikani­ schen Sinn. Das wiederum liegt in der inneren Struktur des IWF begründet, die den USA eine Vorherrschaft garantiert. »Im IWF gilt das Prinzip >Ein Land - eine Stim­ me< nicht. Hier ist die Macht entsprechend den finanziellen Möglichkeiten verteilt - nach dem Motto: Je reicher, desto mehr Stimmengewicht. Entsprechend ist die Vormachtstellung der USA; sie wird durch einen Stimmrechtsanteil von rund 20

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 447 Prozent abgesichert. Eine weitere Sicherung im US-Interesse ist eingebaut: Es gibt keine ähnliche Körperschaft, die bei entscheidenden Abstimmungen eine Mehrheit von 85 Prozent der Stimmen vorschreibt. Damit ist das Vetorecht der USA ver­ ewigt - ohne Washington läuft nichts.«1637 Wie Mária Huber schreibt, stand das Er­ gebnis der IWF-Assoziation Moskaus aber schon von vornherein fest: Bereits vor dem Londoner Gipfel ließ der stellvertretende US-Finanzminister verlauten, daß die Sowjetunion mit der Mitgliedschaft im IWF »Zugang zu Expertenwissen« er­ halten werde, was bedeutsamer sei als jede Finanzspritze. Was das bedeutete, zeichnete sich gleichfalls im Vorfeld des Gipfels ab. Tscher­ najew zufolge wurde der Wirtschaftsberater Gorbatschows, Jawlinskij, in die USA geschickt, versehen mit der Aufgabe, mit amerikanischen Experten ein Programm auszuarbeiten, das die Anpassung der sowjetischen Wirtschaftsreformen an die Weltwirtschaft vorbereiten sollte. Bei den Experten, die Jawlinskij von den USA zur Seite gestellt wurden, handelte es sich um die Harvard-Professoren Jeffrey Sachs und Graham Allison, beides Vordenker neoliberaler Strukturprogramme.1638 »Schließlich unterschrieb kein Geringerer als Präsident Gorbatschow zusammen mit dem Generaldirektor des IWF Camdessus das Eintrittsprotokoll der Sowjetunion in den Internationalen Währungsfonds.« So beschrieb Gorbatschow-Berater Ana­ toli Tschernajew das Ergebnis der G-7-Verhandlungen in London.

5.4 Die US-Unterstützung neoliberaler Machteliten in den Sowjetrepubliken Damit allerdings war für die UdSSR der Zugang zu Krediten davon abhängig, in­ wieweit sie Wirtschaftsreformen nach amerikanischen Maßstäben durchsetzte. Dies aber schwächte die Position der Zentralgewalt der Union weiterhin erheblich. Auf der anderen Seite etablierte sich in den Republiken eine neue neoliberale Machteli­ te, die um so stärker auf der Linie amerikanischer Umgestaltungsbestrebungen lag und daher die Förderung amerikanischer Think-Tanks genoß. Diese neue Macht­ elite war es, die die USA dazu aufforderte, die Bestrebungen Gorbatschows zur Reform der Union als Vergangenheit zu behandeln und statt dessen auf die neuen Republiken zu setzen. Die Osteuropa-Expertin Mária Huber führt hierbei das Bei­ spiel des Chefökonomen der ukrainischen Nationalbewegung Ruch an: »Oleksan­ der S avchenko, dessen Beitrag im neoliberalen Weltblatt amerikan ischer Wirtschafts­ kreise auf einem Vortrag basierte, den er kurz zuvor im rechtskonservativen Cato Institute in Washington gehalten hatte, plädierte im Namen der Freiheit gegen ei­ nen Marshall-Plan der G-7 für di e Sowjetunion: >Während Gorbatschow für massi­ ve westliche Hilfe wirbt, um die UdSSR zusammenzuhalten, treiben die demokra­ tischen Führungen mehrerer Sowjetrepubliken die Wirtschaftsreformen voran. Deren Pläne werden die Steuerzahler im Westen nicht 250 Milliarden US-Dollar kosten - im Gegensatz zum Rettungsprojekt Gorbatschows.< Der Jungliberale aus Kiew machte sich die amerikanischen Vorbehalte gegen Gorbatschows Stabilisie­ rungs- und Reformpläne geschickt zunutze. Denn trotz aller Konkurrenz zwischen

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den amerikanischen außenpolitischen Akteuren herrschte in Washington Konsens darüber, Hilfe zwar nicht schroff zu verweigern, aber auf >Beratung< zu reduzieren und von der Annäherung an das amerikanische Marktwirtschaftsmodell abhängig zu machen.«1639 Diese Pläne der neuen Machelite in den postsowjetischen Republiken lagen auch voll auf der Linie, wie sie die Harvard-Wirtschaftsexperten Graham Allison und Robert Blackwill mit ihrer Strategie der >kontrollierten< Destabilisierung und Des­ integration der Sowjeunion vertraten. Ihren Plänen zufolge sollten sowohl in den Sowjetrepubliken als auch im Zentrum selbst für die Führung Anreize geschaffen werden, um »einen Weg einzuschlagen, der im Einklang mit unseren gemeinsa­ men Interessen steht«.1640 Osteuropa-Expertin Mária Huber deutet an, daß bei der Schaffung dieser Anreize auch die amerikanischen Geheimdienste eine Rolle ge­ spielt haben: »Robert Gates von der CIA saß seit 1989 im National Security Coun­ cil, in dem bis September 1990 auch Robert Blackwill als UdSSR-Experte gearbei­ tet hatte. Das akademische Netzwerk der CIA konnte Interessenten aus dem Osten unauffällig mit Einladungen, Stipendien (für Kinder und Enkelkinder) und Aufträ­ gen versorgen.«1641 Diese neue Machtelite beschreibt Mária Huber wie folgt: »Zu ihnen gehörte die kapitalistische Koalition unter den sowjetischen Reformern, Ölmultis, Nichtregie­ rungsorganisationen und Privatpersonen aus dem Westen.«1642 Diese »schafften massive Anreize für die Demontage des zentralisierten Produktions- und Finanz­ systems, indem sie nicht zuletzt den Opportunismus von Sowjetfunktionären in­ strumentalisierten«.1643

5.5 Die >Soft Power< als strategische Waffe der USA zur Unterwanderung der Sowjetunion Insgesamt kann der Kalte Krieg Washingtons gegen die Sowjetunion - und nach­ folgend gegen die Russische Föderation - als eine erfolgreiche Anwendung der Strategie der >Soft Power< bezeichnet werden, wie sie vom englischen Militärstra­ tegen Basil Liddell Hart als »strategy of indirect approach« - als S trategie der indi­ rekten Einwirkung - beschrieben wurde. Krieg wird demnach nicht mehr im klas­ sischen Sinne rein militärisch definiert, sondern wird auch mit nichtmilitärischen Mitteln, also vielmehr mit denen der Psychologie und der Informations- und Sozial­ wissenschaft, geführt. Der Autor Peter Bachmaier vergleicht in seiner Analyse Soft Power - der kulturelle Krieg der USA gegen Rußland 1991-2010. Die neue Strategie und ihre Zentren1644 die US-Kampagne gegen die UdSSR und nachfolgend gegen die Russische Föderation mit den Methoden, die US-amerikanische Institute mit der >reeducationRussian Research Projekt< in Harward, das von Raymond Bau­

VII. Die verborgene Rolle der USA beim Zerfallsprozeß der Sowjetunion 449 und Alex Inkeles geführt wurde und ein gemeinsames Projekt der CIA, der US Air Force und der Carnegie Cooperation war. »Nach dem Ende des Krieges (des Zweiten Weltkrieges, der Verf.) gründeten die CIA und das Verteidigungsministerium nach dem Vorbild des Tavistock Insti­ tute of Human Relations, eines spezialisierten Instituts für den psychologischen Krieg in England, Denkfabriken (Think-Tanks) wie die RAND Corporation, das Hundson Institute von Herman Kahn, und andere, die in erster Linie gegen die Sowjetunion gerichtet waren.«1645 Hauptbestandteil ihrer irregulären Strategie war die gezielte Unterwanderung des sowjetischen Systems mittels des Einsatzes eines Rundfunksystems. Peter Bachmaier konkret: »Der Sieg über die Sowjetunion wurde vor allem mit Hilfe dieser nichtmilitärischen Methoden erreicht. Die Strategie, die als Ziel keine Koexistenz mit der Sowjetunion, sondern eine >Demontage< des so­ wjetischen Systems vorsah, wurde von der Reagan-Administration 1982 ausgear­ beitet. Der Plan umfaßte sieben strategische Initiativen, darunter als Punkt 4: Psy­ chologischer Krieg, gerichtet auf die Erzeugung von Angst, Unsicherheit, Verlust der Orientierung sowohl bei der Nomenklatura als auch bei der Bevölkerung. Die­ ser Krieg wurde nicht nur gegen den Kommunismus, sondern gegen Rußland ge­ führt, wie die direkten Aussagen Brzezinski bezeugen: >Wir haben die UdSSR zer­ stört, wir werden auch Rußland zerstörenRußland ist überhaupt ein überflüssiger StaatDie Orthodoxie ist der Hauptfeind Amerikas. Rußland ist ein besiegtes Land. Es wird aufgeteilt und unter Vormundschaft gestellt werden.Center for Strategic and International StudiesCommission on Smart Power< (von Joseph Nye und Richard Armitage geleitet), die 2009 ein Memorandum A smarter, more secure America vor­ legte, in dem das Ziel vorgestellt wurde, Amerikas Einfluß in der Welt mit wei­ chen« Mitteln durchzusetzen.1647 »Zum ersten Mal wurden diese neuen Methoden als Strategie in der Perestrojka eingesetzt, als Michail G orbatschow an die Macht kam«, so Peter B achmaier. Seiner Einschätzung nach - und dabei beruft er sich auf die Recherchen des schon zitier­ ten US-amerikanischen Publizisten Peter Schweitzer - bedeutete die Perestrojka auch eine massive Einflußnahme des Westens auf das Sowjetsystem. Schon recht früh war dabei die Umgestaltung des Sowjetsystems mittels einer Auswahl neuer Eliten durch amerikanische Gremien und Denkfabriken vorbereitet worden. »Der eigentliche Architekt der Perestrojka war Alexander Jakowlew, seit 1985 Sekretär des ZK der KPdSU für Ideologie, der in den 50er Jahren in Washington studiert hatte und seit damals ein überzeugter Anhänger des Neoliberalismus war... Zu er

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seinem Netzwerk gehörten Leute wie Jegor Gajdar, Grigorij Jawlinskij, Boris Nem­ zow, Viktor Tschernomyrdin, German Gref und Anatolij Tschubajs. Jakowlew schuf mit ihnen in der UdSSR eine fünfte Kolonne des Westens, die bis heute im Hinter­ grund die Fäden zieht. Auch Boris Jelzin war ein Mann der Amerikaner, der im September 1989 auf Einladung des Esalen-Instituts in Kalifornien, das seit 1979 ein amerikanisch-sowjetisches Austauschprogramm unterhielt, bei einem Besuch in Washington direkt im amerikanischen Kongreß angeworben wurde und 1991 mit ihrer Hilfe die Macht übernehmen konnte.«1648 Vorbereitende Maßnahme war überdies die Durchsetzung der Zulassung west­ licher Organisationen und Stiftungen in Rußland Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre, von denen eine der wichtigsten die >Open SocietyOffene Gesellschaft< abhing«.1649 Peter Bach­ maier zusammenfassend: »Das Ziel der amerikanischen Strategie ist der Transfer des westlichen Wertesystems auf die russische Gesellschaft.«1650

5.6 Zusammenfassung Die Ergebnisse des G-7-Gipfels von London im Juli 1991 - die Mitgliedschaft der UdSSR im IWF - waren somit gewissermaßen die erste Siegesetappe der amerika­ nischen Langzeitstrategie. Durch sie wurde die am Vorabend des Zweiten Welt­ kriegs entwickelte >Grand Areacovert actions< US-amerikanischer Geheimdienste; - Schaffung eines islamisch-fundamentalistischen >Krisenbogens< an der Süd­ flanke der UdSSR, mit dessen Hilfe der >weiche Unterleib< des sowjetischen Staates aufgerissen weden sollte; - Schaffung eines globalen Einkreisungsringes verbunden mit gesteigertem mi­ litärischen Druck; - Einsatz der >soft power< als indirekte Strategie zur gesellschaftskulturellen De­ stabilisierung und Unterwanderung im Sinne einer Umwandlung des Sowjetsys­ tems. Auf diesem Wege gelangten die visionären Ziele Mackinders, Spykmans und Brze­ zinskis zur Verwirklichung. Das >Heartland< war staatlich-politisch pluralisiert, die Peripherien standen am Beginn einer Infiltration durch die US-Seemacht, und das Zentrum selbst war in deren wirtschaftliche Abhängigkeit geraten. Nun konnten die USA herangehen, Eurasien strategisch-ökonomisch aufzurollen und sich seines strategischen Potentials, insbesondere seiner Rohstoffe, bemächtigen. »Mit der Schwäche der Sowjetunion war endlich jene neue Weltordnung in greifbare Nähe gerückt, die bereits 1944 bei der Gründung der Bretton Woods-Institutionen, IWF und Weltbank, ins Auge gefaßt worden war und den ungehinderten Zugang zu Rohstoffen und Absatzmärkten garantieren sollte«, so Mária Huber.1651 Mit der Wende 1990/1991 konnte Brzezinski triumphieren: »Zum ersten Mal in der Geschichte trat ein außereurasischer Staat nicht nur als der Schiedsrichter eura­ sischer Machtverhältnisse, sondern als die überragende Weltmacht schlechthin hervor. Mit dem Scheitern und dem Zusammenbruch der Sowjetunion stieg ein Land der westlichen Hemisphäre, nämlich die Vereinigten Staaten, zur einzigen und im Grunde ersten wirklichen Weltmacht auf... Inwieweit die USA ihre globa­ le Vormachtstellung geltend machen können, hängt aber davon ab, wie ein welt­ weit engagiertes Amerika mit den komplexen Machtverhältnissen auf dem eurasi­ schen Kontinent fertig wird - und ob es dort das Aufkommen einer dominierenden, gegnerischen Macht verhindern kann.«1652

Kapitel 8

Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren Einbindung und Förderung der Pluralisierung Eurasiens 1 Übersicht Die neunziger Jahre waren bestimmt von einer Strategie der USA, nunmehr die Besetzung des eurasischen Raumes zu vollziehen. Dem Energie-Experten F. Willi­ am E ngdahl zufolge sollte die weitere Demontage der Sowjetunion und ihrer Nach­ folgestaaten Vorrang haben. »Nur wenige durchschauten damals, Anfang der neun­ ziger Jahre, wie eiskalt berechnend die politischen Entscheidungsträger in der Bush-Administration hinsichtlich der Zukunft Rußlands und seiner ehemaligen Sa­ tellitenstaaten vorgingen. Rußland mußte unbedingt in den Einflußbereich US-ame­ rikanischer Wirtschaftsinteressen gebracht werden - natürlich durch >Marktrefor­ mendollarisiert< werden, doch wie das bewerkstelligt werden sollte, war recht kompliziert und differenziert. Im Endeffekt sollten jedoch die USA als einzig verbliebene Supermacht und alleiniger Emittent der Weltreserve­ währung, des Dollars, aus dem Ganzen hervorgehen, wobei Washingtons Unter­ stützungsleistungen den alten Feind aus Zeiten des Kalten Krieges von den USA noch abhängiger machen sollten. Das Instrument für diese neue Rußland-Politik Washingtons sollte der Internationale Währungsfonds sein.«1653 Diese Strategie des ökonomischen Aufrollens des russischen Kernraumes war aber nur eine Seite der Okkupationsstrategie. Daneben wurde die Politik der Ein­ kreisung und der Förderung der Abspaltung der Peripherien fortgesetzt, und zwar genau in der Form, wie sie Halford Mackinder vorgezeichnet hatte. »Gleichzeitig sollte Rußland systematisch von einem Ring US-amerikanischer und NATO-Mili­ tärbasen umschlossen werden, und eine NATO-Erweiterung nach Osten, so die Planung, könnte - wenn sie einmal abgeschlossen wäre - jegliche zukünftige stra­ tegische Allianz zwischen den russischen und kontinentaleuropäischen Machtblö­ cken, die Amerikas Vormachtstellung potentiell herausfordern könnten, verhin­ dern.«1654 Kurz gesagt, läßt sich daher mit den Worten des Rußland-Experten Wolfgang Seiffert ausdrücken, daß der Kalte Krieg mit dem Zerfall der UdSSR, des Warschauer Pakts und des Comecon nicht als beendet angesehen werden durfte, sondern daß er mit anderen Mitteln fortgeführt wurde. Auch der Amerika-Experte Christian Hacke unterscheidet zwischen zwei Stu­ fen der amerikanischen Rußlandpolitik. Die erste Stufe war die Strategie wirtschaft­ licher Einflußnahme auf die Russische Föderation. Am Vorabend seines ersten Gip­ feltreffens mit J elzin sprach sich U S-Präsident C linton »für ein strategisches Bündnis mit den russischen Reformern und für Investitionen, Privatisierung der Staatsbe­ triebe, Entnuklearisierung, Festigung von Demokratie, Marktwirtschaft und bür­

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gerlichen Freiheiten«1655 aus. Kernstück dieser Politik war das Ziel, Rußland dem Regiment des IWF, in dem die USA, wie ausgeführt, maßgeblichen Einfluß hatten, zu unterwerfen. »Washington ermutigte amerikanische Investoren, um Rußlands Integration in die Weltwirtschaft zu erleichtern«.1656 Ferner setzte sich Präsident Clinton »bei den G-7/8-Staaten und beim IWF für Wirtschaftshilfe ein, um Ruß­ lands politische und wirtschaftliche Umgestaltung zu fördern«. Das weitere geo­ politische Ziel der US-Machtelite war es, Rußland in das amerikanische Weltord­ nungskonzept als Juniorpartner einzubinden. Hierzu sollte die Bildung einer prowestlichen Machtelite in Rußland gefördert werden, die mit amerikanischen Subsidien unterstützt wurde. Auf diese Weise sollte ein derartig kolonisiertes Ruß­ land der Durchsetzung von strategischen Interessen der USA in Eurasien dienen. Deswegen mußte »ein autokratisches, nationalistisches, imperialistisches oder sla­ wophiles Wiedererwachen von Machtambitionen verhindert werden«.1657 Eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Umgestaltung Rußlands in amerika­ nischem Sinne war daher das Hauptziel der Clinton-Administration. Diese »wollte also nicht nur die außenpolitische Zusammenarbeit verbessern, sondern direkt die innere Entwicklung beeinflussen, um Rußland zum Juniorpartner der Weltpolitik zu machen«.1658 Parallel dazu sorgten die USA auch dafür, daß ein autonomer poli­ tischer Handlungsspielraum Rußlands erst gar nicht entstehen konnte. Es sollte ganz zu einem Satrapen der US-Globalstrategie umstrukturiert werden. »Nach der Ökonomisierung wurde auch die Strategie der militärischen Eindämmung durch die der Erweiterung der Zone demokratischer Staaten vorangetrieben. Rußland sollte zum strategischen Brückenkopf, zum Dreh- und Angelpunkt, >zur größten strategischen Herausforderung unserer Zeit< werden (so Außenminister Warren Christopher am 22. März 1993 in Stanford).«1659 Nachdem aber für Rußland deutlich wurde, daß der bedingungslose Proatlan­ tismus der russischen Außenpolitik zum einen die strategische Position der Russi­ schen Föderation durch die NATO-Osterweiterung schwächte und zum anderen die sozialen Auswirkungen der durch den Westen erzwungenen wirtschaftlichen Umgestaltung deutlich zutage traten, vollzog sich auch ein Wandel in der außen­ politischen Ausrichtung Rußlands. Dem rücksichtslosen Vordringen der USA Rich­ tung Osteuropa sowie nach Zentralasien sollten nach dem Willen eurasisch orien­ tierter russischer Strategen Grenzen gesetzt werden; Rußland bemühte sich, verlorengegangene Stellungen zurückzugewinnen. Dies wiederum führte auch in der US-Rußlandpolitik zu einer Neuausrichtung: Statt auf Rußland setzte die Clin­ ton-Administration jetzt auf die ehemaligen sowjetischen Republiken, insbesondere auf die Ukraine und den Kaukasus. Gezielt wurde nunmehr die traditionelle Stra­ tegie der Zurückdrängung und Isolierung Rußlands kompromißlos fortgesetzt. Ins­ besondere sollten der Kaukasus und die zentralasiatische Staatenwelt nicht zuletzt aus rohstoffpolitischen Gründen in die amerikanische Einflußsphäre eingegliedert werden. »Im Juli 1997 wurden die NATO-Ukraine-Charta und Aktivitäten im Rahmen

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des PfP-Programms (des NATO-Programms >Partnership for Peaceroll back< im Sinne von John Foster Dulles, unübersehbar.«1660 Dabei nutzten die USA die Schwäche Rußlands zur Gewinnung strategischer Vorteile aus. Denn »Rußland war jetzt zu schwach, um die Region von amerikanischem Einfluß abzuschirmen, und zu arm, um das Gebiet allein politisch weiter zu be­ herrschen. Deshalb bauen die USA ein neues Netz von Beziehungen auf, mit dem die jungen Staaten aus Rußlands Einfluß herausgelöst und in den Einflußbereich der USA gezogen werden sollen«.1661 Hintergrund war dabei die Durchsetzung energiepolitischer Interessen, die neue strategische Bündnisse mit den Staaten an der Peripherie der Russischen Föderation schufen: »Im Zuge dieser Entwicklung wertete Clinton die Türkei als Partner auf, um die Nervenstränge des Industriezeitalters, die Ölpipelines, zu verstärken und Iran sowie Rußland zu isolieren. Dies geschah durch die Unterzeichnung des Ver­ trages über den Bau einer Pipeline von Baku zum türkischen Mittelmeerhafen Zey­ han am 18. November 1999 in Istanbul im Beisein von Präsident Clinton auf dem OSZE-Gipfel... Zwar sind die USA in der Region militärisch nicht direkt präsent, aber die NATO dient als verlängerter Arm amerikanischer Interessen. Die Einbin­ dung der kaspischen Region im Namen der PfP der NATO verweist auf entspre­ chende Überlegungen, wie auch der Besuch des Präsidenten von Aserbaidschan im Juli 1997 in Washington, um ein Gegengewicht zu Armenien zu bilden, das von Rußland unterstützt wird. Die USA verfolgen strategische und rohstoffpolitische Ziele und drängen russischen, aber auch iranischen Einfluß zurück. Dazu dient vor allem der Ausbau der strategischen Partnerschaft mit der Türkei. Folglich beob­ achten die Russen mißtrauisch die amerikanischen Pläne - auch die für ein Raketen­ abwehrsystem«,1662 so schildert Christian Hacke den Wandel der Voraussetzungen in der US-Außenpolitik der neunziger Jahre in bezug auf Rußland. Die Rußlandpolitik der US-Machtelite in den neunziger Jahren stellte sich daher als eine Mischung von ökonomischer Einbindung, Fortsetzung der Eindämmung und Einkreisung des >Heartland< sowie als allmähliche Überführung der postso­ wjetischen >Rimlands< in die US-Hegemonialsphäre dar. Wie der Energie-Experte F. William E ngdahl schreibt, hatte die US-Außenpolitik auf diese Weise die Mackin­ derschen Strategien und Ziele zur Verwirklichung gebracht.

2 Die ökonomische Inbesitznahme des russischen Kernraumes Die von der US-Machtelite Anfang der neunziger Jahre eingeleitete ökonomische Infiltration des russichen Kernraums war die Fortsetzung jener >indirekten Strate­ gieInstituten< auf, deren ideologisch-politisches Ziel darin besteht, der >Offenen Gesellschaft< in allen Lebensbereichen zum Durchbruch zu verhelfen1664. Tatsächlich ist das Netzwerk der Soros-Institute wie der >Soros-Foundation< oder des >Quantum-Funds< »eine geschickte Tarnung für die handfesten Interessen von Finanzgruppen, die einer­ seits mit Großspekulationen gigantische Gewinne machen, andererseits das politi­ sche Ziel der >offenen Gesellschaft< verwirklichen wollen«.1665 Diese Soros-Institute spielten eine bedeutsame Rolle bei der Unterminierung der sowjetischen Einflußsphäre. Soros selber gab zu: »Ich war aktiv an der Revolution beteiligt, die das Sowjetsystem hinwegfegte.«1666 Die Süddeutsche Zeitung enthüllte hierzu: »Soros tat, was man mit Geld eben tun konnte. Er half den tschechischen Dissidenten der oppositionellen >Charta 77Solidarnosc< sowie dem russischen Wissenschaftler und Regimegegner Andrej Sacharow... Nach Ungarn schaffte er Fotokopierer, und anderswo unterstützte er mit Geld und Sachspenden gezielt jene jungen Leute, die demokratische Bewegun­ gen aufbauten, Demonstrationen organisierten und dann in Jugoslawien, der Ukrai­ ne oder Georgien den Sturz der autoritären Regime erreichten. Heute findet man in fast allen Hauptstädten des einstigen kommunistischen >Kosmos< ein schmuckes, mit bezahlten jungen Wissenschaftlern besetztes Büro des Open-Society-Institute, das hier die Korruption untersucht, dort Gesundheitsprogramme fördert und an­ derswo die Lage der Frauen zu verbessern sucht. Russische Provinz-Universitäten erhielten 100 Millionen Dollar, um sich einen Internet-Anschluß zu verschaffen. Das Netzwerk, das der politische Mäzen sich Jahr für Jahr etwa 450 Millionen Dol­ lar kosten läßt, umfaßt mittlerweile Dependancen in mehr als 60 Ländern, auch in Afrika, Asien und Lateinamerika. Es ist deshalb gar nicht so verkehrt, George Soros einen Staatsmann ohne Staat< zu nennen, wie dies der mazedonische Präsident Branko Crvenkovski einmal getan hat.«1667 Insoweit ist die Vorgehensweise George Soros‘ ein Beispiel für die Okkupation und Umwandlung von Staaten durch internationale Bankiers. Auch der Journalist Alexander Barti beschreibt, wie durch diesen Bankier das damals kommunistische Osteuropa aufgerollt wurde: »Erstes Zielgebiet wurde der bereits bröckelnde Ost­ block. Die OS-(Open-Society, der Verf.)-Stiftung finanzierte zahlreiche Aktionen in Polen, unter anderem auch die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc. In seiner Heimat Ungarn brachte er es bis zu Verhandlungen mit dem Diktator János Kádár. Infolge dieser Gespräche wurde eine etwas >unabhängigere< Soros-Stiftung inner­

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halb der Ungarischen Akademie der Wissenschaften gegründet, die innerhalb kür­ zester Zeit die Büchereien mit systemkritischer Literatur versorgte. Noch wichti­ ger waren die mehreren hundert Kopierer, die an zahlreiche Institute verschenkt wurden. Die Liste der Tätigkeiten im ehemaligen Ostblock ist schier unüberschau­ bar. Sachspenden, Fördergelder, Umschulungen, Lehrgänge - es gibt nichts, was Soros über seine immer professioneller arbeitende Stifung nicht im Angebot hätte. Hunderte von Millionen Dollar wurden dafür ausgegeben, immer mit dem Ziel vor Augen, eine Gesellschaft nach seinen speziellen Vorstellungen zu gestalten.« In seinem Buch Die Vorherrschaft der USA - eine Seifenblase beschreibt Soros selbst ausführlich seine Unterminierungsarbeit: »Im Jahr 1984 habe ich die erste nationale Stiftung im damals noch kommunistischen Ungarn gegründet, der nationale Stif­ tungen in 32 weiteren Staaten sowie eine Vielzahl regionaler und globaler Initiati­ ven folgten. Diese Stiftungen... verfügten in den letzten zehn Jahren über durch­ schnittliche Jahresetats von 450 Millionen Dollar... Meine Stiftungen trugen zu den demokratischen Regimewechseln in der Slowakei (1998), Kroatien (1999) und Ju­ goslawien (2000) bei und mobilisierten die Zivilgesellschaft, um Wladimir Meciar, Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic aus ihren Ämtern zu vertreiben... Die Aufgabe meiner Stifungen bestand darin, den Übergang von geschlossenen zu of­ fenen Gesellschaften zu begleiten und zu fördern... Hilfe ist ein politisches Werk­ zeug. Sie kann dazu dienen, Regierungen zu stärken, die sich in die gewünschte Richtung entwickeln, und durch die Einstellung der Unterstützung kann man Re­ gierungen entmutigen oder bestrafen, die bestimmte Standards nicht erfüllen.«1668 In diesen Worten George Soroś wird die Macht internationaler Bankiers deutlich, nicht willfährige Regime zu stürzen und Gesellschaftsysteme nach ihren Vorstel­ lungen umzuwandeln. Worum es dabei geht, wird deutlich, wenn man sich die Finanziers und Strip­ penzieher der Open-Society-Institute einmal ansieht. David Lux, der sich mit die­ sem Thema eingehend beschäftigt hatte, schreibt hierzu: »Unter den Verwaltungs­ rat-Mitgliedern des >Quantum Fonds< fiel uns Richard Katz auf, der als Chef der Rothschild S.p.A. in Mailand auch im Aufsichtsrat der Londoner Handelsbank N.M. Rothschild & Sons sitzt. Ein anderes Quantum-Mitglied, Nils O. Taube, ist für die Londoner Gruppe St. James Place Capital tätig. Edgar D. de Picciotto, ein Freund von Carlo de Bendetti (Olivetti, Mafia-Geldgeber), sitzt als Chef der Genfer Privat­ bank CBI-TDB Union Bancaire Prive im Soros-Fonds. Weitere diskrete QuantumHerrschaften, die als Privatbankiers auch schmutzige Gelder waschen, sind Isodoro Albertini, Boß der Mailänder Börsenmaklerfirma Albertino & Co., Beat Notz von der Genfer Privatbank Banque Worms, und Alberto Foglie, Chef der Luganer Banca del Ceresio.«1669 Demnach geht also um nichts anderes, als durch die Umgestaltung von Gesell­ schaftssystemen die Machtergreifung und den Einfluß von Bankiers durchzuset­ zen. Nach der planmäßigen Zerschlagung der Sowjetunion stand ihnen nunmehr der gesamte eurasische Raum zur schleichenden Inbesitznahme zur Verfügung. In

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diesem Zusammenhang sollte man sich noch einmal in Erinnerung rufen, was der Vater des US-Großindustriellen Averell Harriman Anfang der 20er Jahre sagte: »Der riesige russische Markt muß mit Beschlag belegt und in eine technologische Kolo­ nie verwandelt werden, die ausschließlich von einer kleinen Gruppe mächtiger amerikanischer Finanzleute und unter ihrer Kontrolle stehender Gesellschaften auszubeuten ist.«1670 Diese Ziele konnten jetzt in den neunziger Jahren umgesetzt werden.

2.2 Das Reformprogramm des Internationalen Währungsfonds Die Weltwirtschaft der neunziger Jahre war durch den Konsens des Neoliberalis­ mus getragen. »Unter der Schirmherrschaft von IWF, Weltbank und WTO«, so der Ökonom Michel Chossudovsky, »schaffen die marktliberalen Reformen günstige Be­ dingungen für global operierende Banken und multinationale Konzerne.«1671 In den Blickpunkt der Transformationspolitik dieser Einrichtungen waren seit dem Lon­ doner G-7-Gipfel auch die Sowjetunion und ihre Nachfolgestaatenwelt geraten, die nunmehr für Investitionen und Ausbeutung vonseiten anglo-amerikanischer Ban­ ken und Konzerne vorbereitet werden sollten, wobei IWF und Weltbank die Auf­ gabe zukam, genau diese >Vorbereitungsarbeit< zu leisten. Hinter den 1944 in Bretton Woods geschaffenen Einrichtungen des IWF und der Weltbank schließlich »stehen Wall-Street-Banker und die Chefs der weltgrößten Wirtschaftskonzerne. An ihren Treffen und Konsultationen hinter verschlossenen Türen nehmen außerdem die Repräsentanten mächtiger globaler Wirtschaftslob­ bys teil, darunter der Internationalen Handelskammer (ICC), des Trans Atlantic Business Dialogue (TABD) - die bei ihren jährlichen Zusammenkünften die größ­ ten westlichen Konzerne mit Politikern und WTO-Vertretern zusammenbringen -, des United States Council for International Business (USCIB), des Internationalen Wirtschaftsforums in Davos..., des in Washington beheimateten Institute of Inter­ national Finance (HF), das die größten Banken und Finanzorganisationen der Welt repräsentiert, sowie anderer Organisationen. Weitere, halb verdeckt arbeitende Or­ ganisationen, die eine wichtige Rolle bei der Formung der Institutionen der Neuen Weltordnung spielen, sind z.B. die Trilaterale Kommission, die Bilderberg-Gruppe und der Council on Foreign Relations (CFR)«.1672 Doch sind IWF und Weltbank nicht nur Vollstrecker der Interessen internationa­ ler Konzerne und Banken, sondern auch Instrumente der amerikanischen Politik. Wie Chalmers Johnson schreibt, sind IWF und Weltbank im Grunde genommen Stellvertreterorganisationen des US-Finanzministeriums.1673 Folgt man Johnson weiter, so waren diese Institutionen Hilfsmittel, »um unseren Firmen zu helfen, ausländische Märkte zu knacken«.1674 Wie dies vonstatten geht, beschreibt Johnson wie folgt: »In den frühen 1980er Jahren übertrugen die Vereinigten Staaten dem IWF und der Weltbank die Verantwortung für das Schuldenproblem der Dritten Welt und gaben ihnen dabei, etwas vereinfachend gesagt, zwei Anweisungen mit auf den Weg: Sorgt erstens dafür, daß die Schuldnerländer ihre Kredite zumindest

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teilweise bedienen und sie nicht offiziell Zahlungsunfähigkeit erklären müssen, und zweitens preßt so viel Geld wie nur möglich aus ihnen heraus. Die beiden mori­ bunden Institutionen griffen begeistert zu, hoch erfreut, als Geldeintreiber für Ban­ ken, die faule Kredite vergeben hatten, eine neue Funktion gefunden zu haben. Dies war die Geburtsstunde der >strukturellen Anpassungskredite< der Weltbank und der >strukturellen Anpassungsprogramme< des IWF. Die strukturellen Anpas­ sungskredite der Weltbank sind dazu gedacht, einem Schuldnerland zumindest formell die weitere Bedienung seiner Kredite zu ermöglichen. Die Kreditvergabe ist jedoch zumeist an die Umsetzung einer vom IWF in Übereinstimmung mit der neoliberalen Agenda entwickelten, grundlegenden sozioökonomischen Umgestal­ tung des Landes geknüpft. Weigert sich ein Schuldnerland, diese Bedingungen zu akzeptieren, wird es vom Zugang zum internationalen Kapital ausgeschlossen, was zwangsläufig zur wirtschaftlichen Destabilisierung des Landes führt (und damit einem von der CIA inszenierten Staatsstreich den Weg bereiten könnte).«1675 Die Auflagen, die IWF und Weltbank an die Kreditvergabe knüpften, sehen im Grunde genommen nichts anderes vor als die schrankenlose Öffnung des betref­ fenden Landes für ausländisches (sprich: amerikanisches) Kapital, verbunden mit einer von den Einrichtungen dieses Staates unbeschränkten Gewinnabführungs­ freiheit. Das ist die Quintessenz des von John Williamson, ehemals Chefökonom und Vizepräsident der Weltbank, 1989 formulierten >Washington ConsensusLiberalisierung< des Handels, sprich die Aufhebung aller Beschränkungen, die Ausländern den Zugang zu seiner Volks­ wirtschaft verwehren. Darüber hinaus muß das Land üblicherweise seine Ausga­ ben für Sozialprogramme... kürzen, um Haushaltsmittel für die Rückzahlung der Schulden bei ausländischen Banken freizusetzen... Der IWF wird verlangen, daß sämtliche nationalen Kapitalkontrollen aufgehoben werden und ausländische In­ vestoren und Unternehmen das Recht erhalten, staatliche Betriebe wie Versorgungs­ unternehmen, Telefon- und Transportgesellschaften und Rohstoffunternehmen zu erwerben«.1677 Chalmers Johnson zufolge liegt der wichtigste Bestandteil der Struktur­ anpassung in folgendem Punkt: »Will ein Staat einen Kredit von der Weltbank er­ halten, muß er die Konvertibilität seiner Währung gewährleisten. Der Staat wird also gezwungen, ungeachtet des Wechselkurses seine Währung gegen Devisen zu verkaufen und sie dadurch zum Gegenstand von Spekulationen über ihre künftige Wertentwicklung zu machen.«1678 Folge dieser >Reformen< aber war in der Ver­ gangenheit stets der endgültige Ruin der betreffenden Volkwirtschaft. »Diese Mix­ tur an >Reformen< beschert den betroffenen Ländern zumeist weder wirtschaftli­

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che Erholung noch langfristiges Wachstum oder Stabilität. Im Gegenteil, zumeist schwächen solche Programme das betroffene Land so sehr, daß es zu einer Klepto­ kratie verkommt, von periodischen Wirtschaftskrisen erschüttert wird, denen wil­ de Spekulationen vorausgehen... Zudem gerät der Arbeitsmarkt in die Abhängig­ keit von westlichen Konzernen, die praktisch den gesamten Konsumgüter- und häufig sogar den öffentlichen Dienstleistungssektor unter sich aufgeteilt haben.«1679 Wie Chalmers Johnson betont, sind Architekten und Hauptnutznießer dieser Politik die Vereinigten Staaten selbst,1680 die mit Hilfe dieser Instrumentarien jegli­ che Volkwirtschaft nach ihren Vorstellungen kolonialisieren können: »Die makro­ ökonomischen Reformen und die fortwährend radikalisierte Handelsliberalisie­ rung... fördern die >friedliche< Rekolonialisierung von Ländern durch bewußte Manipulation der Marktkräfte.«1681 Chossudovsky zufolge »stellt die rücksichtslose Durchsetzung dieser Wirtschaftsreformen... eine Form der Kriegführung dar«1682 - eine Kriegführung, mit der sich in alternativer Form die geopolitischen Zielset­ zungen der USA verwirklichen lassen. »Die makroökonomische Umstrukturierung von Volkswirtschaften nach dem Kalten Krieg diente den geopolitischen Interes­ sen des Westens. Strukturanpassung wurde zu einem Mittel, um die Wirtschaften des ehemaligen Ostblocks zu unterminieren und das System der Staatsbetriebe zu zerstören. Seit den späten 80er Jahren verabreichten IWF und Weltbank ihre >bittere Medizin< zur vermeintlichen Gesundung der Wirtschaft ganz Osteuropa, Jugosla­ wien und der ehemaligen Sowjetunion - mit vernichtenden wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen.«1683

2.3 Der Russischen Föderation wird das IWF-Reformprogramm aufgezwungen Einem derartigen Neokolonialismus sollten seit der Mitgliedschaft der UdSSR im IWF auch die Russische Föderation und die übrigen postsowjetischen Staaten unter­ worfen werden. Wie der Ökonom Michel Chossudovsky bekundet, zielten die Re­ formen in der ehemaligen Sowjetunion auf die Neutralisierung des ehemaligen Feindes ab. »Sie sollen verhindern, daß sich Rußland zu einer großen kapitalisti­ schen Macht entwickelt.«1684 Kurzum, die IWF-Reformen erwiesen sich also als eine Fortsetzung des Kalten Krieges, die es den USA erlauben sollten, die russischen Industrien und Rohstofflager auszubeuten und - wie es das >No-Rivals-Konzept< des Defence-Planning-Guidance 1992-1999 vorsah - den Wiederaufstieg des eurasi­ schen Rivalen zu verhindern. Selbst Joseph Stiglitz, ehemaliger IWF-Präsident, folgt dieser Ansicht: Die Frage »Wer hat Rußland zugrunde gerichtet?« beantwortet er mit der Feststellung, daß die westlichen Berater, allen voran die aus den Vereinig­ ten Staaten und des IWF, die schon bald zur Stelle waren, um das Evangelium der Marktwirtschaft zu predigen«,1685 eine erhebliche Mitverantwortung treffe. Auf dem Treffen der G-7-Staaten 1990 in Houston, Texas, waren es nach den Ermittlungen F. William Engdahls die USA, die gegenüber ihren G-7-Verbündeten durchsetzten, daß der IWF bei der Reform der sowjetischen Wirtschaft die Haupt­

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rolle spielen sollte. Im Abschlußkommunique hieß es dann auch: »Wir sind über­ eingekommen, den IWF aufzufordern,... eine detaillierte Studie der sowjetischen Wirtschaft anzufertigen,... um Empfehlungen für ihre Reform auszusprechen.«1686 Tatsächlich sollten sich hier die »nachdrücklich vom US-Finanzministerium und vom IWF unterstützten Schocktherapeuten« durchsetzen.1687 Folgt man F. William Engdahl, war Sinn und Zweck dieses Reformprogramms unter anderem auch die Zerstückelung des eurasischen Wirtschaftsraumes: Es sollte »die wirtschaftlichen Bindungen Moskaus zu jedem Teil der früheren Sowjetunion, von Usbekistan bis Kasachstan, von Georgien bis Aserbaidschan, von Estland bis Polen, Bulgarien oder Ungarn zerschlagen. Obwohl es nie offen ausgesprochen wurde, zielte die IWFSchocktherapie doch darauf ab, an der Peripherie Rußlands systematisch schwa­ che, instabile Volkswirtschaften aufzureihen, die für ihr Überleben von westlichem Kapital und dem Zustrom von Dollars abhängig wären - eine Form von Neo-Kolo­ nialismus«.1688 Auch Michel Chossudovsky bestätigt diese Zielsetzung: »Das IWF-Programm ziel­ te... darauf, die Rubelzone abzuschaffen und den Handel zwischen den ehemali­ gen Sowjetrepubliken zu unterminieren. Die neuen Staaten wurden von Anfang an dazu ermutigt, mit technischer Hilfe des IWF eigene Währungen und Zentralban­ ken einzuführen. Dieses Vorgehen förderte die wirtschaftliche Balkanisierung: Mit dem Zusammenbruch der Rubelzone entwickelten sich kleinere Wirtschaftsmächte, die einseitig den engen Interessen lokaler Tyconns und Bürokraten dienten. Zwi­ schen Rußland und der Ukraine entwickelten sich bittere Finanz- und Handels­ streitigkeiten. Obwohl der Außenhandel mit dem Westen liberalisiert wurde, bau­ ten beide Länder zwischen sich die Grenzen aus, die die freie Bewegung von Waren und Menschen innerhalb der GUS verhindern.«1689 Neben der Zerstückelung des eurasischen Wirtschaftsraumes bewirkte das neoliberale Reformdiktat in Rußland zudem die Herausbildung einer neuen kriminellen Machtelite. Die Marktreformen begünstigten schließlich die Zunahme illegaler Aktivitäten sowie die Internationa­ lisierung der Organisierten Kriminalität und ihrer Schattenwirtschaft. »In Latein­ amerika und Osteuropa konnten kriminelle Syndikate durch die von der Weltbank geförderten Privatisierungsprogramme illegale Mittel in den Erwerb von Staatsei­ gentum investieren.«1690 Michel C hossudovsky zufolge ging es bei der Entwicklung des Reformprogramms offensichtlich um die Frage: Wie zähmt und unterwirft man den russischen Bären, wie schöpft man die Kompetenzen, die Wissenschaftler, die Techonologie ab, wie kauft man das Humankapital auf, wie eignet man sich das geistige Eigentum an? »Die Schockbehandlung im Stil des IWF, die im Januar 1992 in Rußland einsetzte, war von Anfang an darauf abgestellt, den Übergang zu einem nationalen Kapitalis­ mus zu verhindern - d.h. zu einer kapitalistischen Volkswirtschaft, die von einer einheimischen Unternehmerklasse kontrolliert und... vom Staat wirtschafts- und sozialpolitisch abgesichert wird.«1691 Hinzu kam ein entscheidender geopolitischer Aspekt, nämlich die Ausbreitung der >Zone demokratischer StaatenGrand AreaLiquidität aufzusaugen. Die Kaufkraft war zu großAufbau des Kapitalismus in Rußland< gemausert« hatte. Allerdings gibt es konkrete Hinweise auf eine entsprechende Einwirkung der USBerater auf Jelzin: »In gut informierten Kreisen Moskaus, die speziell mit dem Stu­ dium des Westens befaßt sind, gilt es inzwischen als offenes Geheimnis, daß Jelzins

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US-amerikanische Berater mehr oder weniger zufällig (bei einer internationalen Konferenz) ein Auge auf Gajdar geworfen und ihn Jelzin als künftigen Premier Rußlands empfohlen hätten.«1700 Der russische Journalist Belotserkovsky weist dabei noch deutlicher darauf hin, daß es sich bei diesen US-amerikanischen Beratern um Anhänger der Schockthera­ pie aus den Büros des Internationalen Währungsfonds und der neoliberalen, mo­ netaristischen Konzeption handelte.1701 Diese forderten schließlich, daß russisches Öl und Erdgas, Aluminium, Mangan und andere Rohstoffe zu Preisen verkauft werden sollten, die auf dem Weltmarkt üblich wären; daß die staatliche Subvention von Lebensmitteln, des Gesundheitssystems und anderer lebenswichtiger Güter ein Ende haben und die russische Industrie >privatisiert< werden sollte.1702 1992 forderte der IWF, daß der russische Rubel als erster Teil der >marktorien­ tierten< Reformen frei gefloatet werden sollte,1703 und auf dieses Diktat hin setzten Jelzin und Gajdar am 2. Januar 1992 ihre Reform ins Werk, die mit einer Freigabe der Preise begann - wohl wissend, »daß eine Freigabe der Preise, solange das Pro­ blem des Rubel-Überhangs nicht gelöst war, eine Hyperinflation in Gang setzen würde«1704. Wie Michel Chossudovsky schreibt, entschied sich die Jelzin-GajdarRegierung mit diesem Schritt für »einen möglichst großen >KnallRaubtierkapitalismus< in Rußland und für die Ausplünderung des Landes geschaffen.1724 Das Außenhan­ delsmonopol war für den russischen Staat deshalb von großer Bedeutung, da sich der Staat auf diese Weise Einnahmen von harten Devisen sichern konnte. Dieses System »arbeitete außerordentlich effizient und ließ harte Devisen in die Moskauer Schatzkammer strömen. Ein erheblicher Teil der Einnahmen der sowjetischen Re­ gierung stammte aus der Differenz zwischen dem Preis der Waren und Rohstoffe im Landesinneren und dem Preis, zu dem sie exportiert wurden«.1725 Dieses Staats­ monopol war westlichen Investoren natürlich ein Dorn im Auge. Es mußte also beseitigt werden. Eine entsprechende Intervention des IWF ließ auch nicht lange

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auf sich warten: »Auf den Druck von Funktionären des Internationalen Währungs­ fonds und anderen westlichen Regierungsberatern hin beschlossen Jelzins junge Reformer.. daß der Staat sich aus dem Außenhandel ganz zurückziehen müsse. Sie schafften die Barrieren ab, die verhinderten, daß Privathändler Rohstoffe zum Binnenpreis einkauften und im Ausland verkauften. Schon nach wenigen Monaten liefen 30 Prozent von Rußland Ölexporten und über 70 Prozent der Metallexporte an den staatlichen Handelsorganisationen vorbei. Im Jahre 1994 wurde bereits über die Hälfte des russischen Außenhandels von privaten Handelsgesellschaften abge­ wickelt.«1726 Paul Klebnikow zitiert in diesem Zusammenhang den Mitarbeiter im staatlichen Außenhandel Oleg Dawydow: »Wir zerschlugen alles. Wir begannen eine Liberali­ sierung ohne jegliche Kontrollinstanz. Und als ausländische Unternehmer, in der Mehrzahl Ganoven, daherkamen und unseren Unternehmern sagten, wie sie es anfangen sollten, da war nicht mehr die Rede von einem Prozent (Provision für den Handel), sondern von Dutzenden von Prozenten.«1727 Auf diese Weise entstanden private Außenhandelsgesellschaften mit internationaler Verflechtung, die gewisser­ maßen am Staat vorbei ihre Gewinne außer Landes schaffen konnten. Tatsächlich wurde auch durch diese vom IWF erzwungenen Maßnahmen eine Kapitalflucht aus Rußland in bislang noch nie gekannten Ausmaßen hervorgerufen. »Die neuen Außenhandelsgesellschaften versteckten in der Regel ihre Gewinne im Ausland. Die Höhe der Kapitalflucht aus Rußland in jenen Jahren wurde auf 15 bis 20 Milli­ arden Dollar jährlich geschätzt, als Gangsterbosse, korrupte Beamte und Fabrik­ direktoren Konten in der Schweiz, in Luxemburg, Österreich, Deutschland, Groß­ britannien, Israel, in den Vereinigten Staaten und in der Karibik eröffneten.«1728

2.3.1.4 Die Entstehung einer kriminellen Machtelite in Rußland mit westlicher Hilfe Diese rücksichtslose Liberalisierungspolitik führte dazu, daß sich sowohl auslän­ dische Unternehmen als auch die Organisierte Kriminalität, oftmals in enger Ver­ bindung, auf die russischen Rohstoffe stürzten. Dabei wurden die größten Han­ delsgewinne mit Erdöl, Rußlands wichtigstem Exportartikel, erzielt. »Rußlands Banden des organisierten Verbrechens waren entschlossen, ihren Fuß in die Tür zu diesem einträglichen Geschäft zu bringen. Als erstes nutzten sie sogenannten Sonder­ exportfirmen, Handelsgesellschaften, mit der Lizenz, strategische Materialien wie Erdöl und Metalle zu exportieren. Wie die Pilze schossen solche Firmen aus dem Boden, und bis Ende 1993 lief die Hälfte des russischen Ölexportes über sie... Die Ölindustrie war... zum Haupttummelplatz des russischen organisierten Verbre­ chens geworden.«1729 Die schlagartige Liberalisierung des Handels machte es jedenfalls möglich, daß Rußlands Reichtum an Bodenschätzen von einer Gruppe von Insidern geraubt wurde. Diese Insider waren die Vertreter einer neuen Form internationaler organi­ sierter Kriminalität, der sogenannten »Mafiya« (so Mafia-Experte Jürgen Roth).

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Diese war »das Ergebnis des Systemwandels in den postkommunistischen Län­ dern vom planwirtschaftlichen Einparteiensystem mit kommunistischen Besitzver­ hältnissen zu einem anarchistisch-kapitalistischen Wirtschaftssystem mit dünner Rechtsgrundlage und noch nicht gefestigten demokratischen Strukturen. Personell rekrutierten sich die Mitglieder dieser Mafiya fast durchweg aus der ehemaligen roten Bourgeoisie der Sowjetunion. Es war jenes privilegierte Bürokratenmilieu, das mit dem Zerfall der alten Strukturen in die Lage versetzt wurde, das riesige Imperium zu privatisieren. Dabei war es keiner rechtlichen Kontrolle unterworfen. Dieser Privatisierungsprozeß wurde in der Regel mit Gewaltanwendung..., Kor­ ruption wirtschaftlicher Entscheidungsträger, der Jusitz und Polizei, durchgesetzt. Hinzu kamen noch Steuerhinterziehung, Aktenfälschung, Veruntreuung und Be­ trug. Unterstützt wurde dieser Prozeß von außen, d. h. vom Westen, und zwar durch die Bannerträger des Neoliberalismus. Die jubelten, weil es neue Märkte zu erobern galt, und sie kooperierten skrupellos mit den neuen Machthabern«.1730 Folgt man dieser Darstellung des Mafia-Experten Jürgen Roth, so ist von einer Interessenkoalition zwischen westlichen Konzernen und Banksystemen und der neuen kriminellen Elite in Rußland auszugehen, die auf die Ausplünderung Ruß­ lands ausgerichtet war. Zu den gleichen Ergebnissen kommt auch Wirtschaftsex­ perte Michel Chossudovsky: »Das Privatisierungsprogramm mit seiner Plünderung des Staatseigentums begünstigte Geldwäsche, Kapitalflucht und die allgemeine Kriminalisierung der Wirtschaftstätigkeit. Das organisierte Verbrechen durchdringt den ganzen Staatsapparat und stellt eine machtvolle Lobby dar, die Jelzins makro­ ökonomische Reformen auf breiter Linie unterstützte. Einer jüngsten Schätzung zufolge war die Hälfte der russischen Geschäftsbanken bis 1993 unter die Kontrolle lokaler Mafias geraten. Die Hälfte des Immobilienbesitzes in der Moskauer Innen­ stadt war dem organisierten Verbrechen anheimgefallen.«1731 Dabei war es gerade die Liberalisierung des Außenhandels gewesen, die den Aufstieg der kriminellen Machtelite begünstigt hatte. Durch die Privatisierungs­ politik T schubajs' konnte diese kriminelle Elite Rohstoffe u nd Firmen zu einem Spott­ preis aufkaufen und beipielsweise Erdöl dann - dank des dualen Preissystems (hohe Preise für den Weltmarkt und niedrige Preise für den Binnenmarkt) - teuer an das

Einige der Oligarchen, die von der schlagartigen Liberalisierung des Handels in Rußland profitierten; von links: Michail Chodorkowski, Michail Friedman, Wladimir Potanin, Wladimir Gussinski, Platon Lebedew.

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Ausland verkaufen. »Der Gewinn solcher Transaktionen floß entweder in - impor­ tierte - Luxusgüter oder auf ein Bankdepot in einer Steueroase. Obwohl offiziell illegal, wurden Kapitalflucht und Geldwäsche durch die Deregulierung des Devisen­ marktes und die Reformen des Bankensystems erleichtert. Die Kapitalflucht aus der Russischen Föderation wurde während der ersten Phase der IWF-Reformen auf über eine Milliarde Dollar im Monat geschätzt.«1732 Dabei waren es auch jene Politiker um Jelzin, die von der von ihnen vorangetriebenen Liberalisierungs- und Privatisierungspolitik erheblich profitierten. »Von Wiktor T schernomyrdin, Minister­ präsident von 1992 bis 1998, wurde allgemein angenommen, er habe von der Privati­ sierung des Erdgasmonopolisten Gazprom und von zahllosen Öl- und Gasexportge­ schäften profitiert. Nach einer Schätzung der CIA hatte T schernomyrdin bis zum Jahr 1996 ein Privatvermögen von fünf Milliarden Dollar zusammengerafft.«1733 Auch der von den USA unterstützte Anatoli Tschubajs »verdiente sich ebenfalls eine Stange Geld nebenbei, nicht immer mit moralisch einwandfreien Methoden«.1734

2.3.1.5 Der Aufstieg der >Oligarchen< und ihre Bedeutung für die USamerikanischen Pläne Mit tatkräftiger Hilfe skrupelloser Geschäftemacher und politischer Entscheidungs­ träger, nicht nur in der ehemaligen UdSSR, sondern auch in Europa und vor allem in den USA, wurden die Reichtümer der ehemaligen UdSSR auf diese Weise ver­ scherbelt. Die ehemalige Sowjetunion wurde »vermutlich weltweit die zurzeit größte staatliche Räuberhöhle, in der Oligarchen und Mafiyakapitalisten im Verbund mit den Politikern den Ton angeben«.1735 Diese Strukturen hatten sich bereits in der Sowjetära unter Breschnew gebildet. Unter korrupten Parteifunktionären kam es »zu großen und größten Entwendungen staatlichen Eigentums, und es entwickel­ ten sich Gruppen, die in ihren Händen gesetzwidrig gewaltige Geldsummen und Wertgegenstände konzentrierten und diese in die illegale Produktion investierten. Auf diese Weise wurde der kriminelle Teil der Schattenwirtschaft gestärkt«.1736 Füh­ renden russischen Mafia-Experten zufolge wurde auf diese Weise die gesamte so­ wjetische Wirtschaft von Schwarzmarktbeziehungen durchdrungen,1737 ja, diese wurden sogar zum bestimmenden Faktor der Sowjetwirtschaft. Folgt man dem Mafia-Experten Werner Raith, sorgten diese Mafia-Kräfte mit ihrem Einfluß auch dafür, daß Gorbatschow zum Parteisekretär ernannt wurde, dessen Aufgabe »die offizielle Machtinvestitur der bereits herrschenden Schatten­ wirtschaft« sein sollte.1738 G orbatschows Wirtschaftsreformen legalisierten gewisser­ maßen diese Schattenwirtschaft. Die gesetzlich erlaubten Kooperativen und >Joint ventures< mit ausländischen Investoren ermöglichten die Gründung eines flächen­ deckenden Systems schwerreicher Krimineller, die mit den Entscheidungsträgern des Staates eng verflochten waren.1739 Auf diesem Weg kam es zu einer kriminell organisierten Umverteilung des Nationaleinkommens.1740 Legalisiert wurde diese Verbindung zwischen kriminellem spekulativen Kapital, internationalen Investo­ ren und dem Staatsapparat in der Jelzin-Ära. »Alles, was die nun an die Macht

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gekommene Jelzin-Regierung an Privatisierung von Großunternehmen einleitet«, so der russische Mafia-Experte Ljew Timofejew, »kommt heute vor allem Kräften zugute, die bereits im alten System auf kriminelle Weise große Kapitalien ange­ sammelt haben.«1741 Die auf westlichen Druck durchgesetzte Wirtschaftsliberalisierung ermöglichte dann einen Prozeß, den Paul Klebnikow als die große Ausplünderung Rußlands bezeichnet und den Aufstieg einer kriminellen Kaste, der sogenannten >OligarchenAktien gegen Kredit< ermög­ licht. Mit diesem Programm sollten besonders einträgliche Schlüsselindustrien pri­ vatisiert werden. Die Idee bestand darin, der in Zahlungsschwierigkeiten befind­ lichen russischen Regierung einen Kredit einzuräumen, der durch Beteiligung der von den Oligarchen kontrollierten Banken an den Staatsbetrieben gedeckt werden sollte. »Oneximbankchef Wladimir Potanin organisierte im Namen einiger Oligar­ chen unter Ausschaltung jeglichen Wettbewerbs einen Kredit in Höhe von zwei Milliarden Dollar im Austausch gegen die Aktien der zu privatisierenden Betriebe. Beresowskij und Smolenski erlangten auf diese Weise den Mehrheitsanteil von Ruß­ lands größter Ölgesellschaft Sibneft. Nach der Durchführung dieses Privatisierungs­ programms gehörte ein Löwenanteil der Firmen den beiden Oligarchen.«1745 Oligarchen und westliche Investoren arbeiteten mitunter zusammen, wenn es um die Aufteilung des russischen Reichtums an Bodenschätzen und Unternehmen ging. Es war der US-amerikanische Investmentbanker Boris Jordan, dem seinerzeit die Verantwortung für die Kapitalbeteiligungen der US-Bank CS First Boston an russischen Firmen oblag, der zusammen mit einem der Oligarchen, dem bereits

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erwähnten Wladimir Potanin, genau dieses >Schulden-gegen-KapitalbeteiligungsProgramm< entwickelte, mit dem insbesondere auch sichergestellt werden sollte, daß die Banken die Kapitalbeteiligungen behielten, bis die Unternehmen in einer für 1997 geplanten zweiten Runde privatisiert würden.1746 Damit gewannen die von den Oligarchen begründeten Privatbanken insgesamt die Kontrolle über die Roh­ stoffwirtschaft der Russischen Föderation. Wie dieser Mechanismus funktionierte, beschreibt Klebnikow wie folgt: »Ironi­ scherweise stammte das Vermögen, mit dem Beresowski und die anderen Oligar­ chen ihre ersteigerten Firmenanteile bezahlten, von der Regierung selbst. In der Anfangsphase des Gajdar-Tschubais-Kapitalismusexperiments hatte die Jelzin-Re­ gierung alles getan, um eine Handvoll bevorzugter Banken zu fördern. So beka­ men diese Geldinstitute von der Zentralbank Anleihen zu festen, negativen Zins­ sätzen; die Regierung legte beträchtliche Staatsgelder unter dem Marktzinssatz bei ihnen an; die Banken konnten sich die Profite aus Rußlands Handelsunternehmen aneignen, ohne daß sie für diese unverhofften Gewinne Steuern zahlen mußten; und schließlich durften sie am Handel der exklusiven Staatsobligationen teilhaben, wobei sie 100 Prozent, wenn nicht mehr verdienten, und zwar in Dollar. Bei derart horrend hohen Zinsraten auf die Inlandsschulden ging der russische Staat unauf­ haltsam bankrott, während Banken mit entsprechenden Beziehungen wie Onexim, Menatep und Stolitschny sich an den Profiten, die ihnen in den Schoß fielen, eine goldene Nase verdienten.«1747 Wie Klebnikow hervorhebt, waren diese Maßnahmen »nichts als ein weiterer Schritt in der Strategie des Jelzin-Regimes, die Interessen des Landes einer Hand­ voll betrügerischer Kapitalisten zu opfern«.1748 Doch nicht nur das: Mit dem Ak­ tien-gegen-Kredit-Gesetz, das der Privatisierungschef Anatoli Tschubajs zu verant­ worten hatte, wurde der Staat gewissermaßen zum Vasallen jener Privatbanken, hinter denen die kriminelle Machtelite der Oligarchen vom Schlage eines Boris Be­ resowski, Wladimir Potanin oder Michail Chodorkowski stand. Der Staat wurde gewissermaßen zum Spekulationsobjekt dieser kriminellen Bankiers; der Handel mit Staatsanleihen wurde für sie zum größten und einträglichsten Geschäft, und mit staatlichen Geldern erzielten sie an Waren- und Devisenbörsen ungeheure Spe­ kulationsgewinne.1749 Für den russischen Staat jedenfalls »erwiesen sich die Aktien-gegen-Kredit-Auk­ tionen als wahre Katastrophe. Auf einen Schlag verlor die Regierung einen bedeu­ tenden Teil ihrer Einnahmequellen«.1750 Durch den wachsenden Einfluß und die mafiose Verflechtung zwischen Wirt­ schaftskriminalität und der neuen Machtelite wurden die Oligarchen zu einer Art Schattenregierung, der es in Zukunft auch gelingen sollte, maßgeblichen Einfluß auf die politische Entwicklung in Rußland zu nehmen, den sie dazu nutzte, Ruß­ land gnadenlos auszubeuten. Ein Bericht, den das in Washington ansässige >Center for International Policy< am 3. Februar 2003 veröffentlichte, befaßte sich in diesem Zusammenhang mit der Rolle der Oligarchen: »Schmutziges Geld« habe »in den

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letzten Jahren Hunderte von Milliarden Dollar aus Rußland herausgeschafft. Ruß­ land hat den wohl größten Rohstoff-Diebstahl erlitten, der sich jemals in einer kur­ zen Zeit ereignet hat. Der während der 90er Jahren entstandene Schaden beläuft sich auf 200 bis 500 Milliarden Dollar.« Der Bericht hob hervor, auf welche Weise sich die Oligarchen an den russischen Bodenschätzen bereicherten, beispielsweise am Erdölhandel: »Einige Oligarchen kauften das russische Öl im Inland für zehn Dollar pro metrische Tonne ein und verkauften es zum ungefähr gleichen Preis an ihre eigenen Strohfirmen im Ausland. Erst dann verkauften sie das Öl für 120 Dol­ lar pro Tonne an fremde Käufer. In vielen Fällen verblieben die gesamten Einkünfte aus solchen Exporten auf ausländischen Bankkonten. Rußland hat nichts davon erhalten« - Steuerhinterziehung also in Milliardenhöhe.1751 Wie Mafia-Experte Jür­ gen Roth hervorhebt, genossen all diese Oligarchen den Segen der USA, der Welt­ bank und des Internationalen Währungsfonds.1752

2.3.1.5.1 Boris Beresowski - der Pate im Kreml Der bedeutendste dieser Oligarchen war Boris Beresowski, der als >Pate des Kreml< erheblichen Einfluß auf die Jelzin-Regierung gewann und hinter den Kulissen die Politik der Russischen Föderation im Sinne seiner Geschäftsinteressen mitbestim­ men sollte. Unter Ausnutzung von Gorbatschows Reformprogramm gelang es ihm, einem mittellosen Mathematiker, im Autohandel Fuß zu fassen, der traditionell von Mafiagruppen beherrscht und kontrolliert wurde.1753 Mit dem georgischen Paten Badri Paterkatschwili gründete er die Autovertriebsfirma Logovaz. Fo lgt man Paul Klebnikow, der sich mit dem Aufstieg des Kreml-Paten beschäftigt hatte, arbeitete Beresowski wohl auch mit tschetschenischen Gangsterbanden zusammen, denen es nach dem Zerfall der Sowjetunion innerhalb kürzester Zeit gelang, die Kontrolle über sämtliche privaten und kriminellen Wirtschaftszweige zu erlangen, zu denen auch der Autohandel gehörte.1754 Der Aufstieg Beresowskis war jedenfalls untrennbar verbunden mit der Ausbrei­ tung des Mafia-Systems und des Gangsterbanden-Unwesens über Rußland: »Wie es schien, zog es ihn zu den gewalttätigsten Winkeln Rußlands - dem Autohandel, der Aluminiumindustrie, der Lösegelderpressung in Tschetschenien. Viele seiner Geschäfte - von der Übernahme des Öffentlichen Russischen Fernsehens bis zur Übernahme der Omsker Ölraffinerie - waren von der Ermordung oder dem zufäl­ ligen Tod seiner jeweiligen Kontrahenten überschattet«,1755 wobei Beresowski eine Mittäterschaft im einzelnen jedoch nie nachgewiesen werden konnte. Den krimi­ nalpolizeilichen Ermittlungen in der Schweiz, dem Ausgangspunkt für die Ermitt­ lungen gegen Beresowski,1756 zufolge ist jedoch der kriminelle Charakter der Ge­ schäfte Beresowskis bestätigt: »Wir stellen fest«, so heißt es in einer Dokumentation des Bundesamtes für Polizeiwesen in Bern, »daß Boris Beresowski sein persönliches Vermögen und sein Wirtschaftsimperium auf einer kriminellen Grundlage erschaf­ fen hat.«1757 In Bern glaubt man zu wissen, daß Beresowski Anfang der neunziger Jahre dank direkter Zusammenarbeit mit dem organisierten Verbrechen in Ruß­

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land Macht gewonnen habe. Die Verbindungen zur tschetschenischen Mafia hät­ ten ihm später einen entscheidenden Vorteil verschafft, das schmutzige Geld in die legale Wirtschaft zu investieren und so zu waschen.1758 Sehr hilfreich beim Aufbau seines kriminellen Wirtschaftsimperiums waren jene russischen Politiker, die den Ausverkauf der russischen Wirtschaft vorangetrieben hatten: Zu seinen Freunden gehörten Jegor Gajdar, Anatoli Sobtschak, Anatoli Tschubajs, Pjotr Aven, der unter Jelzin Minister für auswärtigen Handel wurde, und der Oligarch Michail Chodorkowksi, damals stellvertretender Minister für Öl und Energie und Chef der mit illegalen Geldern gegründeten Menatep-Bank, dem es gelingen sollte, unter nicht ganz legalen Umständen den Yukos-Erdölkonzern zu erwerben1759. Seine Freundschaft zum Chef der Leibwächter Boris Jelzins, Alex­ ander Korjakow, eröffnete ihm die Türen ins Zentrum der politischen Macht in der Russischen Föderation. In enge Beziehung zu m P räsidenten Jelzin trat B eresowski, als er die Heraus gabe von dessen autorisierter Biographie finanzierte. Tatsächlich liegen Hinweise vor, daß es Beresowski gelang, den J elzin-Clan in seine finanzielle Abhängigkeit zu brin­ gen. Folgt man Frederic F. C lairmont, so hat B eresowski dazu beigetragen, das Ver­ mögen der Jelzin-Tochter, Tatjana Djatschenko, zu vervielfachen.1760 Diese war es im übrigen auch, die den Kern der >Familie< bilden sollte, wie die korrupte Verbin­ dung zwischen dem Jelzin-Clan und der kriminellen Elite der Oligarchen genannt wurde. Auch dem Mafia-Experten Jürgen Roth zufolge wird es »für möglich ge­ halten, daß der frühere Präsident Boris Jelzin und seine Familie von Beresowski abhängig waren, von seinen Zuschüssen und seinem finanziellen Netzwerk, das der Familie erlaubt habe, auf diskrete Art an große Geldsummen zu kommen«.1761 Der politische Einfluß sollte auch nicht lange auf sich warten lassen: Wie in ei­ nem folgenden Kapitel noch aufzuzeigen sein wird, war Boris Beresowski der Haupt­ sponsor und Organisator des Präsidentschaftswahlkampfes Boris Jelzins gegen dessen Herausforderer, den Nationalkommunisten Gennadi Sjuganow, mit schwar­ zen Geldern. Im Gegenzug stieg Beresowski in höchste politische Ämter auf: Im Oktober 1996 erhielt er den Posten des Vizepräsidenten des Nationalen Sicherheits­ rates. Doch dabei blieb es nicht: »Zwischen 1996 bis 1999 erreichte sein Einfluß nicht nur in Rußland, sondern auch in anderen Ländern der GUS, seinen Höhe­ punkt«,1762 als er das Amt eines Exekutiv-Sekretärs der GUS-Staaten erhielt. »Unter Ausnutzung seiner Position als Exekutiv-Sekretär der GUS-Staaten hat er seine wirtschaftliche Macht auf alle Bereiche des Wirtschaftslebens ausdehnen können: Medien, Immobilien, Energie, Banken und Finanzdienstleistungen, Versicherun­ gen, Automobile, Nahrungsmittelimporte, Groß- und Einzelhandel, Hoch- und Tief­ bau usw.«1763 Diese Machtstellung beutete Beresowski gewissenlos zur Durchsetzung seiner Profitinteressen aus, selbst um den Preis verheerender Folgen für Rußland selbst. »Der Zerfall Rußlands bot Beresowki eine einmalige Chance, seine Pläne im großen Umfang zu verwirklichen, und während er immer mächtiger wurde, siechte das

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Land zusehends dahin.«1764 Bis heute liegen starke Anzeichen dafür vor, daß Bere­ sowski hinter den Kulissen als Strippenzieher des tschetschenischen Separatismus fungierte, wobei ihm seine Beziehungen zu den Tschetschenien-Gangs Anfang der neunziger Jahre dienlich waren. Nach dem Zerfall der Sowjetunion setzte sich in Tschetschenien ein halbkriminelles Regime durch, in dem Drogengeschäfte und Entführungen zum Alltag gehörten.1765 Diese Republik schien daher ideal geeignet für die kriminellen Geschäfte Beresowskis. »Als rechtsfreier Raum eignete sich die Kaukasus-Republik auf beiden Seiten hervorragend für illegale Geschäfte. Am rus­ sischen Zoll vorbei konnten Import- und Export-Deals abgewickelt werden...«1766 In Beresowskis Zuständigkeitsbereich innerhalb des Sicherheitsrates fielen die Beziehungen zu Tschetschenien, so daß sich ihm äußerst günstige Voraussetzun­ gen zur Abwicklung krimineller Geschäfte boten. Wie Rußland-Experte Boris Reit­ schuster schreibt, ist unbestr itten, daß Beresowski »gute Kontakte zu einflußreichen Tschetschenen hatte, die zum Teil noch aus der Zeit nach seiner Ernennung zum Vize-Chef des russischen Sicherheitsrates im Oktober 1996 stammten - einer Funk­ tion, in der er für die Zusammenarbeit mit der unabhängigen Kaukasusrepublik zuständig war«.1767 Insbesondere pflegte Beresowski intensive Kontakte zu den isla­ mistischen Terroristenführern Schamil Bassajew und Salman Radujew. Folgt man den Recherchen Klebnikows, ging es hierbei um die Absicht Beresowskis, auf das tschetschenische Erdöl und die Pipeline Baku-Noworossijsk Zugriff zu nehmen.1768 Aus diesem Grund versuchte Beresowski auch, das 1996 vom russischen General Alexander Lebed ausgehandelte Waffenstillstandsabkommen zu hintertreiben.1769 Um eine Stabilisierung der Region zu verhindern, hatte sich der Beresowski-Ver­ traute Woloschin im Juli 1999 an der Cöte d'Azur mit dem tschetschenischen Ter­ roristenführer Bassajew getroffen und eine Aktion besprochen, die wenige Wochen später große Wellen schlug.1770 Gegenstand dieser Besprechung war der Plan Bas­ sajews, seinen >Heiligen Krieg< auf die russische Teilrepublik Dagestan auszudeh­

Der Milliardär Boris Beresowski (mit Familie) in England, wo er sich 2003 absetzte und politisches Asyl erhielt. Mit Hilfe seiner Medien trug er zu Jelzins Wieder­ wahl 1996 wesent­ lich bei. Foto: Hopkins, in: Spiegel 45/2003.

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nen, um so ein >Ausfransen< des Kaukasus von der Kontrolle Moskaus zu bewir­ ken, womit Beresowski zusammen mit tschetschenischen Mafiagruppen, zu denen er vor, während und nach den Tschetschenienkriegen Kontakt behielt,1771 einen zen­ tralen Pipelinekorridor im Ringen um das kaukasische Erdöl zu kontrollieren plante. Insgesamt bildete sich auf diese Weise ein korruptes System aus einem bestechli­ chen Präsidenten, der aufgrund seiner Alkohol- und Herzprobleme streckenweise arbeitsunfähig war,1772 einer vom Westen unterstützten neuen Politikerkaste, die den Ausverkauf des Landes betrieb, ohne allerdings zu vergessen, sich selbst zu bereichern, und einer mafiosen Oligarchenschicht als Strippenzieher im Hinter­ grund. Diese Oligarchen im Hintergrund waren die Finanziers dieses Mafiasystems. »Die Regierung bereicherte gezielt eine Handvoll Personen als Gegenleistung für deren politische Unterstützung... Von diesen Machenschaften profitierte niemand so sehr wie Beresowski, der sich seines Geschicks gar nicht genug rühmen konnte. So erklärte er etwa gegenüber der Financial Times, er und sechs andere Finanziers kontrollierten 50 Prozent der russischen Wirtschaft und hätten für Jelzins Wieder­ wahl gesorgt.«1773 Das Jelzin-Regime war daher im Grunde nichts mehr als eine Marionette in den Händen dieser kriminellen Machtelite - Paul Klebnikow bescheinigte dieser die »Fähigkeit, die Regierung Jelzin offenbar nach Belieben zu beeinflussen«1774 - und diese sorgte auch dafür, daß die politischen Verhältnisse so verblieben, daß deren Machtstellung unangetastet blieb. Dabei war die Kontrolle Beresowskis über die Medien ein wichtiger Faktor. »Beresowski nutzte immer wieder seine Medien, um seine Interessen und die der Jelzin-Family durchzusetzen. Grundlage dafür war die Kontrolle über den größten russischen Sender ORT, der als einziger TV-Sender landesweit zu empfangen war. Der Staat privatisierte Teile des Senders, behielt jedoch die Kontrollmehrheit von 51 Prozent. Nichtsdestotrotz war der größte pri­ vate Aktionär Beresowski der eigentliche starke Mann. Durch Plazierung von Ge­ folgsleuten beherrschte er den ORT-Sender.«1775 Falls Medienkampagnen nicht ausreichten, gelang es Beresowski hinter den Ku­ lissen auch, mißliebige Politiker bei Bedarf aus ihren Ämtern zu entfernen. »Auf dem Höhepunkt seiner Macht in den Jahren 1998 und 1999 betrieb Beresowski die Entlassung von drei aufeinander folgenden Ministerpräsidenten - Sergej Kirijenko, Jewgeni Primakow und Sergej Stepaschin -, weil sie seine Interessen nicht hinrei­ chend berücksichtigten.«1776 Insbesondere Kirijenko und Primakow sollten sich als besonders gefährlich für die Interessen der Oligarchen erweisen: »Unter dem neuen Premierminister K irijenko und besonders unter seinem Nachfolger Primakow wurde das über die Jahre gewachsene Geflecht zwischen Oligarchen und Politik ernsthaft gestört. Primakow, ein ehemaliger Spionagechef, bildete einen starken Gegenpol gegen die Jelzin-Familie. Kirijenko versuchte erstmals konsequent, Steuerschulden der großen Konzerne einzutreiben. Mithilfe der großen Öl- und Gaskonzerne konnte die >Familie< dies noch verhindern, und Kirijenko mußte auf dem Höhepunkt der großen Wirtschaftskrise gehen. Sein Nachfolger Primakow übergab die Befugnisse

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für die Wirtschaftspolitik an das KP-Mitglied Juri Masljukow, der letzter Vorsit­ zender der sowjetischen Obersten Planungsbehörde Gosplan gewesen war. Mas­ ljukow galt als Mann des militärisch-industriellen Komplexes und war ein erklär­ ter Gegner des Ausverkaufs der russischen Wirtschaft an die Oligarchen.«1777 Die endgültige Entmachtung Beresowskis sollte aber durch den neuen russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin betrieben werden. Dessen Machtantritt wurde in erheblichen Maße von B eresowski unterstützt, und Beresowski hoffte, P utin eben­ so kaufen zu können, wie es ihm mit Jelzin gelang. »Nachdem B eresowski die Wahl eines Putin wohlgesinnten Parlaments finanziert und inszeniert hatte, wurde zu seiner Genugtuung Putin im März 2000 zum Präsidenten gewählt. Nun schien die Zukunft des Tycoons gesichert. Doch bereits zwei Monate später wandte sich der neue russische Präsident gegen seinen politischen Gönner... Die Ursache des Kon­ flikts wurzelte in Beresowskis geschäftlichen Interessen. Der Großindustrielle for­ derte von Putin eine Amnestie für alle während der Privatisierung von Staatsver­ mögen begangenen Verbrechen. Aber anstatt den Anspruch von Rußlands Oligarchen auf ihre neu erworbenen Reichtümer abzusegnen, zog Putin gegen sie zu Felde.«1778 Den Ermittlungen entzog sich Beresowski durch Flucht nach London, von wo aus er seitdem - mit Rückendeckung der westlichen Machtelite - hinter den Kulissen an einen Sturz der Regierung Putin arbeitet.

2.3.1.5.2 Michail Chodorkowski - der Oligarch, der den USA den Zugriff auf das russische Erdöl einräumte Ausländische Multis hatten sich über die Privatisierungs- und Deregulierungsmaß­ nahmen ganze Wirtschaftsbereiche der ehemaligen Sowjetunion angeeignet. Dies galt nicht nur für die zentralasiatischen Erdölreserven, sondern auch für die Roh­ stoffvorkommen in der Russischen Föderation. »Rußland selbst wurde vom inter­ nationalen Kapital auf den Rang eines simplen Rohstofflieferanten zurückgestuft, der den ausländischen Firmen unbeschränkten Zugriff auf seine erdöl- und erd­ gasproduzierende Industrie einräumen muß. Die US-amerikanische Doktrin der >Offenen Türvon einer Gruppe kleiner ausländischer Finanzgesell­ schaften mit Sitz in Zürich, Genf, Wien, London und New YorkAktien-gegen-KreditJoint Ventures< bereits Zugang zu den kaspischen Ölreserven der ehemaligen Sowjetrepubliken im Süden Rußlands verschafft hatten. Nun bliesen sie zum Sturm auf die riesigen russischen Ölreserven und bedienten sich dabei des Yukos-Chefs Mikhail Chodor­ kovski. Der kontrollierte mit dem Yukos-Konzern den inzwischen bedeutendsten russischen Ölproduzenten, einen der größten Öllieferanten der Welt, dessen Wert auf über 40 Milliarden Dollar geschätzt wurde.«1791 Tatsächlich hatten sich - wie sich nach der Verhaftung Chodorkowskis 2003 her­ ausstellte - im Laufe der Jahre sehr enge Beziehungen zwischen ihm und dem USEstablishment der Neokonservativen entwickelt. Es bildete sich eine Interessen­ gemeinschaft heraus, die auf eine erweiterte liberalkapitalistische Umgestaltung

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Rußlands hinarbeitete. »Als Berater der Carlyle Group, eines regierungsnahen Risi­ kokapital-Unternehmens, dem auch Ex-Außenminister James Baker, der britische Ex-Premier John Major und George Bush sen. zur Seite stehen, hatte sich Chodor­ kowski tief in das Milieu der amerikanischen Meinungs- und Millionenmacher vor­ gearbeitet... Ein Milieu, in dem es einem dann sogar gelingen kann, den Ex-Vize­ finanzminister Stuart Eizenstat zu gewinnen für eine Rolle im internationalen Beirat der Menatep Group - des Gibraltar-Ablegers der berüchtigten Firma, mit deren Hilfe Chodorkowski sein Vermögen aufgebaut hat.«1792 Westlichen Medien wie der International Herald Tribune zufolge versuchte Cho­ dorkowki mit viel Geld, sich Zutritt zu den geschlossenen Zirkeln Washingtons zu verschaffen. Dafür hatte er seit 2001 jedes Jahr 50 Millionen Dollar für die CarnegieStiftung gespendet. Er verteilte zudem großzügige Spenden an neokonservative US-Institutionen.1793 Wie die übrigen Olig archen strebte auch Chodorkowki auf diese Weise eine Öffnung in Richtung USA und Westeuropa an, um die russische Öko­ nomie in die Weltwirtschaft zu integrieren.1794 Aus diesem Grunde finanzierte er auch die wirtschaftsliberalen Parteien >Jabloko< und die >Union rechter Kräfte< in einem Ausmaß, das deutlich über jenes der anderen Oligarchen hinausging1795 wobei er den ungeschriebenen Pakt gebrochen hatte, den der russische Präsident Putin im Jahre 2000 mit den Oligarchen geschlossen hatte: Solange diese sich aus der Politik heraushielten, sollten ihre ungesetzlichen und unkontrollierten Priva­ tisierungsaktionen strafrechtlich nicht weiter untersucht werden. Die Oligarchen sollten weiterhin Gewinne erwirtschaften können, doch sie sollten Steuern zahlen und sich aus der Politik heraushalten. Dies hingegen reichte Chodorkowki, der sich der Unterstützung durch die USMachtelite sicher war, nicht aus - er strebte nach politischem Einfluß und nach einer weiteren liberalkapitalistischen Umgestaltung des Landes. Chodorkowki brü­ stete sich damit, er habe in der Duma Gesetzesentwürfe blockieren können, die seinen Interessen zuwiderliefen. Als die Regierung die Rohstoffförderung stärker besteuern wollte, um die Klein- und Mittelbetriebe sowie die Landwirtschaft und die Rüstungsindustrie zu unterstützen, versuchte Chodorkowksy mit Spenden an sämtliche Oppositionsgruppen, das Gesetzesvorhaben im Keim zu ersticken. Doch die Oligarchen - so die Beurteilung der Le Monde diplomatique - wollten nicht nur das Parlament privatisieren, sondern auch die öffentlichen Versorgungseinrichtun­ gen. Statt Steuern abzuführen, finanzierten sie lieber nach eigenem Gutdünken Krankenhäuser, Schulen oder Verkehrsbetriebe.1796 Außerdem wurde aus Kreisen des Geheimdienstes FSB bekannt, daß von Chodorkowki und den Oligarchen sogar eine Art Staatsstreich geplant war, um die von Putin wiederhergestellte Macht­ vertikale wieder zu beseitigen. Laut einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik hatte ein sogenannter >Rat für nationale StrategieZivilgesellschaft< in Rußland als Garant für die Umwandlung des Landes erhebliche Gelder zur Verfügung stellte, was nicht nur in der Finanzierung von kremlfeindlichen >Non-Gouvernment-Or­ ganisations< zum Ausdruck kam. Chodorkowksy versuchte zudem auch Einfluß auf die Medien zu nehmen. Er »kaufte die populäre Zeitung Moskowskije novosti (Moskauer Neuigkeiten) und setzte den im Kreml unliebsamen ehemaligen NTVChef Jewgenij Kisseljow als Chefredakteur ein«.1798 Ferner gründete er zum Zweck der Umgestaltung Rußlands im westlichen Sinne nach dem Vorbild der >Open SocietyOffenes RußlandOpen Russia Foundation< wirkte seit ih­ rer Gründung im Jahre 2001 von den USA aus als >Pressure Group< und hatte sich zum Wohlgefallen Washingtons die wirtschaftliche Öffnung Rußlands auf die Fah­ nen geschrieben - die von der Bush-Regierung mit Blick auf die Ausweitung des US-amerikanischen Wirtschaftsimperiums auch auf Rußland schon lange gefordert worden war.1800 Daß sich Chodorkowski vor diesem Hintergrund als Gefah r f ür die strategische Sicherheit Rußlands erwies, liegt auf der Hand, und die Einleitung von Ermittlungsverfahren gegen ihn auf Initiative des Kreml ließ auch nicht lange auf sich warten. Damit erwies sich Chodorkowki als der ideale Kandidat der US-Machtelite, die ihre strategischen und energiepolitischen Ziele mit seiner Hilfe in Rußland zum Durchbruch gelangen lassen wollte. Welche Bedeutung Chodorkowski in diesem Zusammenhang wirklich hatte, beschreibt der Energie-Experte F. William Engdahl wie folgt: »Die Verhaftung Chodorkowskis kam vier Wochen vor einer entschei­ denden Wahl zur russischen Duma, dem russischen Unterhaus, bei der Chodor­ kowski unter Ausnutzung seines erheblichen Vermögens die Mehrheit der Stim­ men gekauft hatte. Die Kontrolle der Duma war der erste Schritt in Chodorkowskis Plan, im folgenden Jahr als Präsidentschaftskandidat gegen Putin anzutreten. Der Sieg in der Duma hätte es ihm ermöglicht, die Wahlgesetze zu seinen Gunsten zu ändern, ebenso wie ein kontroverses Gesetz, das damals in der Duma erarbeitet wurde, das >Gesetz über unterirdische RessourcenaufgerüstetWeißen Haus< (dem russischen Parlaments­ gebäude). Am 4. Oktober 1993 stürmten regierungstreue Truppen das Gebäude und kämpften die Opposition nieder - eine Operation auf Druck der internationa­ len Bankiers, die nach offiziellen Angaben 92 Menschen das Leben kostete.1828

2.3.1.6.2 Die Folgen des vom IWF gewünschten Staatsstreichs Jelzins: Rußland wird in die Abhängigkeit internationaler Gläubiger getrieben Mit diesem Gewaltstreich wurde die Machtstellung des Präsidenten Jelzin gefes­ tigt. Mit einem landesweiten Volksentscheid vom Dezember 1993, zwei Monate nach dem blutigen Staatsstreich, wurde eine Verfassung verabschiedet, die dem Präsidenten umfassende Machtbefugnisse verlieh; das Parlament hingegen »hatte praktisch keine Möglichkeit, etwas gegen den Präsidenten zu unternehmen«.1829 Wie Paul Klebnikow schreibt, konnte beim Verfassungsreferendum allerdings der Ver­ dacht von Fälschungen nicht ausgeräumt werden. Es gab wohl Anzeichen dafür, daß die Zahlen über die Wahlbeteiligung in den Provinzen gefälscht worden wa­ ren, um das erforderliche Quorum zu erreichen.1830 Der russische Journalist Vadim Belotserkovsky spricht von eindeutigen Beweisen für eine Fälschung des Ergebnis­ ses der Volksabstimmung.1831 Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist es daher nicht zuviel gesagt, wenn man Jelzin als Marionette nicht nur der Oligarchen, sondern auch des Internationa­ len Währungsfonds bezeichnet. Letzterer war es schließlich, der in den Jahren 1992/ 1993 eine Bürgerkriegssituation in Rußland hervorrief und in Jelzin die Marionette fand, die wunschgemäß im Auftrag der US-Machtelite die wirtschaftliche Umwand­ lung des Landes nunmehr autoritär-diktatorisch durchsetzen konnte. »Jetzt war der Weg für Reformen nach dem Muster des IWF frei«,1832 die in der Folgezeit mit den bereits erwähnten Privatisierungskampagnen Anatoli Tschubais‘ auch radikal umgesetzt wurden. Wie Michel Chossudovsky schreibt, folgte dem Präsidentener­ laß vom 21. September 1993 umgehend eine Flut von weiteren Präsidialerlassen zur Beschleunigung der Wirtschaftsreformen und zur Erfüllung der IWF-Kredit­ bedingungen, die die russische Regierung im Mai 1993 unterzeichnet hatte: »Die

VIII. Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren 489 Kredite an die Staatsunternehmen wurden umgehend beschränkt, die Zinsen er­ höht und die Privatisierungen und Handelsliberalisierung beschleunigt.«1833 Vieles spricht dafür, daß der Gewaltstreich Jelzins gegen das Parlament zuvor mit den westlichen Gläubigerstaaten abgesprochen wurde. »Die G-7-Staaten unter­ stützten Jelzins Dekret zur Auflösung beider Häuser des Parlaments im voraus. Ihre Botschaften waren informiert.«1834 Michel Chossudovsky zufolge war der Zeit­ punkt für das gewaltsame Vorgehen Jelzins äußerst günstig gewählt: »Sein Finanz­ minister sollte am 25. September bei einem Treffen der G-7-Finanzminister Bericht erstatten; Außenminister Andrej Kosyrew weilte gerade in Washington, wo er mit Clinton zusammentraf; die Jahreskonferenz von IWF und Weltbank sollte am 28. September in Washington beginnen; und schließlich war der 1. Oktober der Stichtag für eine Entscheidung über einen IWF-Sofortkredit vor einem Treffen des Londoner Clubs der Gläubigerbanken unter Vorsitz der Deutschen Bank am 8. Oktober.«1835 Nach dem Vorgehen Jelzins kam es bei den Regierungen der westlichen Staaten allerdings nicht zu Protesten oder zu Mahnungen wegen des undemokratischen Vorgehens. Vielmehr drückten die G-7-Staaten nach der Auflösung des Parlaments »ihre große Hoffnung aus, daß die jüngsten Entwicklungen Rußland helfen wer­ den, einen entscheidenden Durchbruch auf dem Weg zu Marktreformen zu erzie­ len«.1836 J elzin wurde ermahnt, er müsse nunmehr deutlich machen, daß er die Wirt­ schaftsreformen fortsetzen werde, da er andernfalls die internationale Finanzhilfe verlieren werde. IWF-Direktor Michel Camdessus machte in diesem Zusammenhang seine Hoffnung deutlich, daß die politischen Entwicklungen in Rußland zur Beschleu­ nigung des Prozesses der marktwirtschaftlichen Reformen beitragen würden.1837 Die vom IWF erzwungenen Reformen sollten schließlich verheerende Auswir­ kungen für Rußland selbst haben. Die Kaufkraft des russischen Volkes wurde er­ neut aufgesogen. Durch die erzwungenen Einsparungen wurde der Zahlungsver­ kehr zwischen Zentrum und Peripherie eingestellt, so daß das Gefälle hier immer größer wurde und Balkanisierungstendenzen unaufhaltsam waren. »Die Entschei­ dungen, die Energiepreise weiter zu liberalisieren und die Zinsen anzuheben, dien­ ten dem Ziel, große Sektoren der russischen Industrie rasch in den Bankrott zu treiben. Als Mitte Oktober 1993 Roskhlebprodukt, das staatliche Getreidehandels­ unternehmen, dereguliert wurde, stiegen die Brotpreise über Nacht von 100 auf 300 Rubel. Und diese zweite Welle der Verarmung brach über das russische Volk herein, nachdem es bereits im Vorjahr mit einem geschätzten Kaufkraftverlust von 86 Prozent hatte fertig werden müssen! Da alle Subventionen aus der Staatskasse finanziert worden waren, konnte das eingesparte Geld, wie vom IWF verlangt, in die Bedienung der russischen Auslandsschulden umgelenkt werden.«1838 Tatsächlich wurde im Zuge dieser Entwicklungen das Abdriften Rußlands in die Schuldknechtschaft des IWF weiter verstärkt. Bis 1993 hatte Rußland bereits einen massiven Kapitalabfluß hinnehmen müssen, der das Land finanziell emp­ findlich austrocknete. Die nun vom IWF gewährten >Finanzhilfen< aber sollten kei­ nesfalls dazu dienen, Rußland beim Aufbau einer nationalen Volkswirtschaft zu

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helfen. Vielmehr dienten die Kredite »dem nützlichen Zweck, Rußlands Auslands­ schulden zu vergrößern - zu jener Zeit etwa 80 Mrd. Dollar - und den westlichen Gläubigern einen noch besseren Zugriff auf die russische Wirtschaft zu verschaf­ fen«.1839 Nicht nur das: Die Gewährung von Krediten an Rußland sollte den USA einen zusätzlichen Absatzmarkt verschaffen - durch die Kredite sollte Rußland in die Lage versetzt werden, amerikanische Produkte zu kaufen, wie es die >Grand-AreaReformen< erzwingen zu können. Auch Joseph Stiglitz bestätigte, daß hinter den Wirtschaftsempfehlungen des IWF sowie der US-Admi­ nistration nichts anderes als US-Finanz- und Handelsinteressen standen.1842

2.3.1.7 Die IWF-Reformen fördern die Balkanisierung der Russischen Föderation Darüber hinaus hatte der IWF ebenfalls eine Reform der Haushaltsstruktur einge­ fordert, mit dem Ziel einer weiteren Schwächung der Zentralgewalt und der Zer­ splitterung der Russischen Föderation. Diese Haushaltsreform »forderte die >Fi­ nanzautonomie< der Teilrepubliken und der diversen politischen Instanzen durch die Kürzung der Transferleistungen der Zentralregierung und die Umlenkung der staatlichen Finanzressourcen in den Schuldendienst. Die Folge war der Zusammen­ bruch der Staatsfinanzen, die wirtschaftliche und politische Balkanisierung und die Ausweitung der Kontrolle westlichen und japanischen Kapitals über die Wirt­ schaft der russischen Regionen«.1843 Wie Rußland-Experte Michael Thumann schreibt, kam es im Zuge der Auseinan­ dersetzung zwischen Regierung und Parlament zu staatsgefährdenden Streitigkei­ ten zwischen Moskau und den Regionen, die sich in der Folge in sezessionistischen Bestrebungen äußerten. Die Einheit der Russischen Föderation als Staat stand auf dem Spiel. »An beunruhigenden Anzeichen fehlte es nicht. Die Regionen von Swerd­ lowsk bis Wologda erklärten sich plötzlich zu Republiken mit allen Rechten. Fünf Regionen unter Führung von Jekatarinburg wollten eine vergrößerte Uralrepublik

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gründen. In Nowosibirsk drohten fünfzehn sibirische Parlamentspräsidenten mit der Gründung einer >Sibirischen RepublikRimlands< in engere wirtschaftliche Beziehungen eintreten sollten - eine Option, die die Einheit des eu­ rasischen >Heartlands< dauerhaft zerstören sollte. Wie Michael Thumann hervor­ hebt, waren es insbesondere die Regierungen der Republiken und Regionen, die von der Privatisierungskampagne profitierten.1845 Damit schien das westliche Re­ formprogramm der Balkanisierung der Russischen Föderation erheblichen Vorschub zu leisten. Jelzin, der im Land nicht mehr über allzugroßen Rückhalt verfügte, mußte den Republiken entgegenkommen, um die Russische Föderation als handlungsfähige staatliche Einheit noch irgendwie retten zu können. Das Ergebnis war eine Art Grundlagenvertrag, der das Verhältnis zwischen Zentrum und Republiken regeln sollte. Nach diesem Vertrag, der zunächst mit der Republik Tatarstan geschlossen wurde, dem sich dann aber weitere Teilrepubliken anschlossen, erhielten die Re­ publiken das Recht, Außenbeziehungen zu pflegen, eine eigene Verfassung zu ha­ ben, eigene Steuern zu erheben und eine eigene Art Staatsbürgerschaft zu verlei­ hen.1846 Damit hatte Jelzin »den einheitlichen Rechtsraum des Landes Schritt für Schritt preisgegeben«.1847 Der Vertrag war eine Kompromißlösung, um das staatliche Auseinanderfallen der Russischen Föderation zu verhindern. Tatsächlich behielten die Teilrepubliken aber noch erheblichen Spielraum: In dieses Vakuum konnten Thu­ mann zufolge die ehrgeizigen regionalen Machthaber problemlos vorstoßen, so daß die rechtliche Einheit der Russischen Föderation lediglich auf dem Papier bestand.

2.3.2 Die USA sorgen zusammen mit den Oligarchen für die Wiederwahl ihrer Marionette Boris Jelzin Im Jahre 1996 standen in Rußland Präsidentschaftswahlen vor der Tür - einem Jahr, in dem Jelzins Popularität sich nach wie vor auf dem Tiefpunkt befand. Neben den westlichen Banken und Konzernen drohte auch den Oligarchen ein abruptes Ende ihrer halbkriminellen Geschäftsaktivitäten beim Ausverkauf der russischen Wirt­ schaft: »Ihr Förderer Jelzin stand wegen der wirtschaftlichen Unzufriedenheit im Land vor einer Wahlniederlage gegen die wiedererstarkten Kommunisten unter ihrem Chef Sjuganow. Der Stab des oft kranken und alkoholisierten Präsidenten dachte sogar an die Inhaftierung politischer Gegner, um einen Sieg der Kommunis­ ten zu verhindern.«1848

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Demnach war die Lage für die Machtelite der Oligarchen äußerst unsicher, sie mußten also für die Kontinuität der Machtverhältnisse Sorge tragen. Das JelzinTschubais-Regime mußte unbedingt am Leben gehalten werden; befürchtete man in den Kreisen der Oligarchen doch, daß die kommunistischen Kräfte im Falle ei­ nes Sieges ihres - weitaus populäreren - Kandidaten Gennadi Sjuganow die Priva­ tisierungsgeschäfte wieder rückgängig machen würden. Wie Klebnikow hervor­ hebt, hatte sich T schubais für die neue russische Wirtsc haftselite als ein wahrer Segen erwiesen: Er hatte es ihnen ermöglicht, unvorstellbar reich zu werden.1849 »Anfang 1996 lockten die Früchte des Kredite-gegen-Aktien-Schwindels, doch es war klar, daß sie nur dann geerntet werden konnten, wenn Jelzin einen zweiten Wahlsieg errang. Er hatte seinen Teil der Abmachung erfüllt, und nun war es an den Oligar­ chen, ihm die versprochene politische, finanzielle und strategische Unterstützung für seine Wiederwahl zu leisten.«1850 Auf dem Weltwirtschaftgipfel in Davos 1996 kamen die führenden Oligarchen unter Führung von Boris Beresowski - weiterhin Wladimir Gussinksi, Michail Cho­ dorkowki, Wladimir Potanin und Michail Friedman - mit Anatoli Tschubais über­ ein, Jelzins Wahlkampf nach Kräften zu unterstützen. »Beresowski wußte, daß die führenden russischen Unternehmer sich hinter Jelzin stellen mußten«,1851 wobei Tschubais eine entscheidende Rolle spielen sollte,1852 denn er »war den Oligarchen gegenüber loyal und hatte das Vertrauen des Westens. Sowohl die Chefs der mul­ tinationalen Konzerne wie auch die westlichen Regierungsbeamten betrachteten Tschubais als ihren Favoriten in Rußland.«1853 Auch Joseph Stiglitz bestätigt die enge Bindung zwischen Tschubais und der US-Machtelite: »In Rußland entstand nicht zu Unrecht der Eindruck, die US-Regie­ rung habe sich mit der Korruption verbündet. Als öffentliche Geste der Unterstüt­ zung lud der stellvertretende Finanzminister Lawrence Summers den in seiner Hei­ mat verständlicherweise äußerst unpopulären Anatoli Tschubais, der in der russischen Regierung für die Privatisierung zuständig war und den >loans-for-sharedemocracy building< in Gestalt von Wahlkampfinterventionen Kernbestandteil der globalen Strategie der US-Außen­ politik, um enge politische, militärische und ökonomische Bindungen der US-Macht­ elite mit einem von ihr gewünschten Polit-Establishment in strategisch wichtigen Regionen herzustellen.1857 Clinton-Berater wie Steven Moore, Richard Dresner und Dick Morris wirkten als enge PR-Manager von Boris Jelzin. Offiziell jedoch wurde jegliche Bindung zwischen Washington und der russischen Wahlkampagne geleugnet.1858 Drahtzie­ herin der Wahlkampagne war die Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko, die in sehr engem Kontakt mit den US-amerikanischen Wahlkampfberatern stand. Begleitet war dies von einer beispiellosen antikommunistischen Diffamierungskampagne ge­ gen den KP-Chef Sjuganow: »Die Amerikaner schlugen so schmutzige Tricks vor wie S juganow mit so genannten >Wahrheitseinheiten< zu verfolgen, die ihn so lange provozieren sollten, bis er die Nerven verlor.«1859 Russische Werbeberater, die zu­ vor in den USA ausgebildet worden waren, wurden mit der Erstellung von Wahl­ kampfspots nach US-amerikanischem Vorbild beauftragt.1860 Den Wahlkampf ihres Wunschkandidaten unterstützte die US-Machtelite aber nicht nur logistisch, sondern auch mit umfassenden finanziellen Mitteln. Die kri­ minelle Machtelite um Boris Jelzin scheute sich dabei nicht, Devisenreserven und ausländische Kredite anzuzapfen.1861 Auch das Waschen krimineller Gelder schien in diesem Zusammenhang keine untergeordnete Rolle gespielt zu haben, was im Herbst 1999 vom amerikanischen FBI gemeldet wurde.1862 Jedenfalls wurde von­ seiten der US-Machtelite alles daran getan, zu verhindern, daß die geheime Kom­ plizenschaft zwischen US-Banken und den Oligarchen aufgedeckt wurde: »Insbe­ sondere die US-Regierung läßt keinen Versuch aus, ihre gesammelten Erkenntnisse unter den Teppich zu kehren. Aus außenpolitischen und geostrategischen Grün­ den, lancieren US-Kongreßabgeordnete«.1863 Tatsächlich ging es um Geldwäsche in Höhe von mehreren Milliarden Dollar, Gelder unter anderem auch des IWF.1864 Wie Mafia-Experte Jürgen Roth nachweist, war ein großer Teil dieser Schwarzgelder auf ein Konto der Jelzin-Tochter Tatjana Djatschenko geflossen,1865 die, wie bereits erwähnt, als Zentralfigur der Jelzinschen >Family< wirkte. Folgt man Jürgen Roth weiter, waren diese Geschäfte aller Wahr­ scheinlichkeit nach im Zusammenhang mit Jelzins Wahlkampf zu sehen. In der Tat waren die Zahlungen des IWF an Rußland im Jahre 1996 erstaunlich hoch. »Zu

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Jelzins Glück hatte der IWF Rußland im Frühjahr 1996 den bislang höchsten Kredit gewährt: 10,2 Milliarden Dollar, auf drei Jahre verteilt.«1866 Diese Subsidien (Hilfsgelder) wurden von der kriminellen Machtelite schamlos zur Finanzierung des Jelzinschen Wahlkampfes eingesetzt, wobei man sich auch nicht scheute, die dringend notwendigen Devisenreserven des Landes anzuzap­ fen. »Das Geld war rasch aufgezehrt. Trotz der Finanzsspritze nahmen die Devisen­ reserven der russischen Schatzkammer in der ersten Hälfte des Jahres 1996 von 20 Milliarden auf 12,5 Milliarden Dollar ab. Die russische Regierung gab also in die­ sem Zeitraum wenigstens neun Milliarden Dollar an ausländischen Devisen aus«,1867 wobei Klebnikow darauf hinweist, daß ein Teil des Geldes an Jelzins Wahlkampf­ kasse sowie ein weiterer Teil an Geschäftsleute und Regierungsbeamte mit guten Beziehungen geflossen war. Das geheime Wahlkampfhauptquartier war das Gebäude von Beresowskis halb­ kriminellem Autokonzern Logowaz, wo sich der >Bund der 13Aktien gegen Kredite< ausgedacht hatten«.1869 Zusammenfassend stellt Rußland-Experte Alexander Rahr hierzu fest: »Die Finanzeliten bezahlten nicht nur die Wahlkampagne Jelzins, sie gaben ihm auch ihre Beraterstäbe und stellten ihm ihre administrativen Kapazitäten zur Seite.«1870 Beresowski, der >Pate des KremlHarvard Shock Therapywiederbelebten Präsidentschaft und einem wirt­ schaftlichen Dream Team führenOnexim­ bank< des Oligarchen P otanin den Fernmeldemo nopolisten >Swjazinwest< »teilweise mit ausländischem Kapital des amerikanischen Multimilliardärs George Soros, des russischen Emigranten Boris Jordan von der MFK-Bank und der Deutsche-BankTochter >Morgan Greenfellge­ fügiger< zu machen«.1903 Dadurch vergrößerte sich jedoch - wie von der Hoch­ finanzelite des Westens auch gewollt - die Verschuldung und die Zinsknechtschaft Rußlands rasch. »In immer dichterer Folge mußte Rußland um Stundung und

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Umstrukturierung der Tilgungsleistungen ersuchen, immer häufiger neue Kredite aufnehmen, um alte zu bezahlen... Innerhalb weniger Jahre wuchs so... die russi­ sche Auslandsschuld von etwa 30 Milliarden US-Dollar 1990 bei Auflösung der Sowjetunion auf 130 Milliarden US-Dollar.«1904 Wie Michel Chossudovsky schreibt, dienten die IWF-Kredite lediglich »dem nützlichen Zweck, Rußlands Auslands­ schulden zu vergrößern... und den westlichen Gläubigern einen noch besseren Zugriff auf die russische Wirtschaft zu verschaffen«.1905

2.3.4 Die Währungskrise 1998 - der russische Schuldenberg wird zum Gegenstand westlicher Spekulanten Der westlichen Hochfinanz gelang es indessen, den russischen Schuldenstand selbst zum Gegenstand von Währungsspekulationen zu machen, das heißt durch den Handel mit russischen Schuldverschreibungen auf den Finanzmärkten selbst Ge­ winne zu erwirtschaften. Aufgrund der Tatsache jedoch, daß dem gigantischen Schuldenberg keine Aktiva gegenüberstanden, entstand hier eine ebenso giganti­ sche Spekulationsblase, bei deren Zustandekommen gleichfalls der IWF seine Hände im Spiel hatte. Die Gesamtverschuldung Rußlands belief sich 1998 auf insgesamt 200 Milliar­ den US-Dollar, wobei die Schuldentilgung schon ein Drittel des Staatshaushaltes in Anspruch nahm. »Um neues Kapital zu akquirieren und Investoren anzulocken, hatte die russische Regierung... lukrative kurzfristige Staatsobligationen (GKO) herausgegeben, die riesige Zinsen abwarfen. Als sich die Krise zuspitzte, erhöhte die Zentralbank die Zinsen auf GKO-Wertpapiere zeitweilig auf 150 Prozent, um die Kapitalflucht aufzuhalten. Die hohen Zinszahlungen wurden aber zu einer untrag­ baren Belastung für den russischen Staatshaushalt. Bald überstiegen sie das tat­ sächliche Steueraufkommen des Staates um das Doppelte. Die Gold- und Wäh­ rungsreserven des Landes schrumpften in sechs Monaten von 23 auf 15 Milliarden US-Dollar.«1906 Gleichzeitig ordnete der IWF an - um den Rubel für Spekulanten der westlichen Hochfinanz attraktiv zu halten -, daß Rußland die Überbewertung der Währung und des Wechselkurses unbedingt aufrechterhalten müsse.1907 Auf Druck des IWF wurde der Rubel an den Dollar gekoppelt - mit folgenschweren Auswirkungen für die russische Volkwirtschaft. »Danach würde der Wert der russischen Währung steigen, wenn der des Greenback stieg, und wenn der Dollar durchhing, würde auch der Kurs des Rubels fallen. Eine fatale Entscheidung mit schweren Folgen für das Land, aber glänzenden Aussichten für die Banken. Denn damit wurde zwar die Inflation gebremst, aber gleichzeitig auch die Wirtschaftsentwicklung abge­ würgt. Wegen der hohen Zinsen konnten die russischen Firmen keine Kredite mehr aufnehmen und daher auch nicht mehr investieren oder ihre Produktion aufrecht erhalten. Viele Betriebe konnten nicht einmal mehr die Löhne zahlen. Die Wirt­ schaft sank in eine tiefe Rezession.« 1908 Hintergrund der vom IWF geforderten Hoch­ zinspolitik und der Überbewertung des Rubels war nichts anderes als das Interesse

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westlicher Banken, durch Investitionen in den Rubel große Zinserträge zu erwirt­ schaften, wobei die Zinsforderungen, wie oben dargestellt, zu Lasten des Staats­ haushalts gingen. »Dabei kamen in Rußland vor allem die amerikanischen Invest­ mentbanken Goldman Sachs, Merrill Lynch und Salomon Brothers zum Zuge.«1909 Den ganz großen Reibach - so Banken-Expertin Christiane Oppermann - aber machten die US-Investmentbanken mit den Staatsanleihen auf Rubelbasis. Aufgrund der übermäßig hohen Zinsen jedoch waren diese »ein höchst lukratives, aber eben­ so riskantes Geschäft. Denn die Chancen, daß die russische Regierung diese Anlei­ hen je würde bedienen können, ohne neue Schulden aufzunehmen, waren gleich null«.1910 Da den horrenden Zinsversprechungen der russischen Staatsbank und dem auf Druck des IWF künstlich überbewerteten Rubel kein realwirtschaftliches Fun­ dament zugrunde lag, stellte sich das Ganze als eine gigantische virtuelle Finanzund Spekulationsblase dar. Dafür hatten schließlich schon die IWF-Reformprogram­ me gesorgt. Denen zufolge »mußten die Märkte für ausländische Investoren geöff­ net und alle Einfuhrzölle sowie die Preiskontrollen abgeschafft werden«.1911 Nach den Analysen Joseph Stiglitz‘ wurde Rußland dadurch »von Importen förm­ lich überschwemmt, und die inländischen Erzeuger waren kaum konkurrenzfä­ hig«.1912 Investitionen waren zum Erliegen gekommen, und es wurden keine Kon­ sumgüter hergestellt. Die vom IWF erzwungene Überbewertung des Rubels »hatte - zusammen mit den anderen wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die der IWF dem Land aufgezwungen hatte - die Wirtschaft abgewürgt«.1913 Der Finanzblase fehlte damit ein realwirtschaftliches Wachstum als Stütze. Obwohl es Stiglitz zufolge für ein Wachstum der russischen Realwirtschaft er­ forderlich gewesen wäre, 1914 stellte sich der IWF aber jedem Vorschlag zur Währungs­ abwertung entgegen und gewährte statt dessen insgesamt 23 Milliarden Dollar zur Stützung des Wechselkurses, natürlich nur, um die westlichen Kapitalinteressen zu sichern.1915 Folgt man Stiglitz, führten genau diese Stützungskredite zum Zu­ sammenbruch der russischen Wirtschaft.1916 Allmählich trat die Spekulationsblase immer deutlicher zutage, und »Investoren, vor allem Börsenspekulanten, verlie­ ßen fluchtartig den russischen Markt«.1917 Was dann hinter den Kulissen der Hochfinanz folgte, macht deutlich, wie durch Spekulationsgeschäfte die russische Wirtschaft weiter in den Ruin getrieben wur­ de. »Zwischen der US-Investmentbank Goldman Sachs..., dem IWF und der russi­ schen Regierung wurde ein Deal über das >Umrubelnretten< und außer Landes zu fliehen.« 1922 Rußland mußte die bittere Erfahrung machen, daß zwei Drittel des ausländischen Investitionskapi­ tals, das 1997 in größeren Mengen ins Land geflossen war, nicht der Ankurbelung der Produktion diente, sondern ausschließlich zu spekulativen Zwecken eingesetzt worden war.1923

2.3.5 Die Auswirkungen von IWF-Reformen und Währungskrise: die Auflösung der wirtschaftlichen und rechtlichen Einheit der Russischen Föderation Die IWF-Reformen und die von der westlichen Hochfinanz inszenierte Rubelkrise sollten schließlich auch genau das bewirken, was die US-Machtelite seit langem geplant hatte, nämlich die Auflösung Rußlands als einheitlichen Staats. »Die Fi­ nanzkrise«, so Michael Thumann, »setzte eine Erosion der zentralen Staatsmaschi­ nerie in Gang: Rußland, das zuvor schon kein einheitlicher Rechtsraum mehr war, hörte auf, als einheitliches Wirtschaftsgebiet zu existieren. Die Hauptstadt verlor in der Not vorübergehend ihre führende Rolle als Schnittstelle der Geldströme... Denn die Moskauer Regierung war ausgeblutet im Crash der Kreditspekulationen und des Rubelverfalls... Entsprechend weniger hatte der Kreml an föderalen Trinkgel­ dern auszuteilen. Die Dynamik wirtschaftlichen und politischen Handelns ging auf die Regionen über.«1924 Tatsächlich machten sich in den Föderationssubjekten allmählich separatistische Tendenzen breit. Deutlich sichtbar wurde dies darin, daß verschiedene Republi­ ken begannen, unabhängig von Moskau eine eigene Außenpolitik zu entwickeln und mit den benachbarten Mächten wirtschaftliche Kooperationen einzugehen. »Tatarstan unterhielt 1998 Vertretungen in 16 Ländern... Der jakutische Präsident

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Michail Nikolajew unternahm im Oktober 1998 einen Ausflug in die >nähere< Um­ gebung seiner kolossalen Republik: Er lotete in Japan die Chancen engerer Han­ delsbeziehungen aus. Manche Republiken schlossen Verträge mit ausländischen Staaten. Kabardino-Balkarien am Kaukasus beschloß zum Befremden Moskaus, ausgerechnet mit der Slowakei die Wirtschaftsbeziehungen per Vertrag zu vertie­ fen. Weniger überraschend war ein Abkommen Burjatiens mit der Mongolei vom März 1999: die Republik verbanden mit dem Nachbarstaat nicht nur die gemeinsa­ me Grenze, sondern kulturelle und sprachliche Verwandtschaften... Im April 1997 besuchten Vertreter von sieben russischen Republiken, die sich auf ihre türkischen Wurzeln berufen, ein >Treffen der Freundschaft, Brüderlichkeit und Zusammenar­ beit türkischer Staaten und Gemeinden< in Istanbul.«1925 Den Beobachtungen Mi­ chael Thumanns zufolge hatte sich die Wirtschafts- und Finanzkrise als Katalysator der Auflösung der Russischen Föderation erwiesen: »Die Provinzen gewannen ge­ genüber dem siechen Zentrum mit jedem Krisenmonat an Selbstbewußtsein«.1926

Silvester 1999. Der sichtlich gesundheitlich angeschlagene Jelzin verabschiedete sich von der Politik und erklärte zu seinem Rücktritt: »Ich möchte euch um Vergebung bitten, denn viele unserer Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Wir dachten, es würde leicht werden, aber es stellte sich als äußerst schwierig heraus. Ich bitte euch, mir zu vergeben, daß ich die Hoffnungen der Menschen nicht erfüllt habe, die geglaubt haben, daß wir in einem Schritt von einer grauen, stagnierenden, totalitären Vergangenheit in eine viel versprechende, reiche und zivilisierte Zukunft gehen können. Heute, am letzten Tag des Jahrhunderts, setzte ich mich zur Ruhe.«

VIII. Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren

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3 Rußland in geopolitischen Plänen der USA nach der Einschätzung Wjatscheslaw Daschitschews Insgesamt betrachtet, wurde die Russische Föderation Ende der neunziger Jahre in eine existentielle Krise gedrängt. Es ging um nichts mehr als um die Frage ihrer Existenz als Staat selbst - eine Frage, deren Ursache in den von der US-Machtelite erzwungenen neoliberalen Reformen zu suchen ist. Wie von dieser schon lange angestrebt, begann sich die geopolitische Einheit des eurasischen Herzlands all­ mählich aufzulösen, wobei die neue Herrschaftsclique in Rußland eng mit den In­ teressen der US-Machtelite verbunden war. Das, was in Rußlancl in den neunziger Jahren ablief, entsprach, worauf Wjatscheslaw Daschitschew in seinem Aufsatz Rußland in geopolitischen Plänen der USA1927 hinweist, genau den Zielsetzungen der >Neuen Eindämmungspolitik< der Clinton-Administration. »Nach dem Zerfall der Sowjetunion setzten sich die herrschenden amerikani­ schen Kreise zum Ziel, ihre globale Alleinherrschaft, eine unipolare Weltordnung zu errichten. Das beinhaltete unter anderem die Beseitigung Rußlands als atomarer Weltmacht und die maximal mögliche Schwächung seiner Rolle in der Weltpolitik. Die damit zusammenhängenden Vorhaben wurden in der unter Präsident Bill Clin­ ton ausgearbeiteten Strategie der >Neuen Eindämmung Rußlands< (The New Con­ tainment Policy of Russia) ins Visier gefaßt und konsequent durchgeführt.« Da­ schitschew zufolge wurde diese neue Eindämmungspolitik »ab Anfang der 90er Jahre unter Ausnutzung der neuen proamerikanischen Nomenklatura, die sich um Jelzin gruppierte, mit Erfolg durchgeführt. Angewandt wurde die >Strategie der indirekten Einwirkung< (Liddell Hart). Sie erwies sich als viel effektiver im Ver­ gleich zum klassischen Krieg«. Daschitschew spricht hier von einem »unerklärten Krieg gegen Rußland ohne Gewaltanwendung und ohne Besetzung des Territoriums«. Auf diesem Weg gelang den USA die Unterwerfung Rußlands unter den politi­ schen Willen Washingtons und der US-Interessen im Wege einer »stillen Erobe­ rung« des Landes von innen her. Dies ist nicht als bloße Verschwörungstheorie abzutun, denn, so Daschitschew, »die unwiderlegbaren Tatsachen liegen auf der Hand: Die politischen und wirt­ schaftlichen Prozesse in Rußland wurden in den neunziger Jahren in die für die USA gewünschte Richtung durch eine >unsichtbare< Hand gelenkt. Eingesetzt wur­ den vorwiegend wirtschaftliche und finanzielle Mittel, die Schaffung eines verzweig­ ten Netzes der amerikanischen Lobby, die Bestechung oder die Erpressung der Politiker, der Vertreter des Großbusiness und sogar der Personen aus dem russi­ schen Geheimdienst usw.« Daschitschew beschreibt, daß diese Strategie auf zwei Wegen umgesetzt wurde: »Der Schwerpunkt der >Neuen Eindämmungspolitik< wurde in der ersten Etappe auf die innere Schwächung Rußlands gelegt. Entscheidend dafür war es, neue Kreise, die fähig waren, die amerikanischen Interessen in Rußland zu vertreten und durch­ zusetzen, an die Macht zu bringen.« Dabei schätzt Daschitschew Boris Jelzin als

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amerikanischen Vasallen ein, der nur mit Hilfe der USA an die Macht gekommen sei. »Ein willfähriges Werkzeug für diesen Zweck fanden die Amerikaner in der Figur Jelzins. Macht- und Habgier, Trunksucht, spärliche Ausbildung, intellektuelle Nichtigkeit, Skrupellosigkeit, vollständige Mißachtung der nationalen Interessen und der Notlage des Volkes - das waren Wesenszüge dieses Mannes. Um seine Macht zu bewahren, war Jelzin auf die Unterstützung der Amerikaner sehr stark angewiesen. Noch vor dem Staatsstreich im Dezember 1991 hat er sich beim ameri­ kanischen Präsidenten Bush rückversichert und die Bewilligung des Umsturzes erhalten. Washington nutzte diese rare Gelegenheit in vollem Maße. In den engen Kreis um Jelzin wurde solche politischen Gauner wie Beresowski, G usinski, G aidar, Tschubais, Nemzow, Tschernomyrdin und ihresgleichen eingeführt.« Dabei wertet Daschitschew die von der US-Machtelite und dem IWF aufgezwungene >Schock­ therapie< als eine perfide, von US-Geheimdienstlern mitgesteuerte Strategie, »um Rußland auszuplündern und seine Wirtschaft, vor allem strategisch wichtige Zwei­ ge, ruinieren zu können. Als Berater der Jelzin-Führung, besonders der Privatisie­ rungsbehörde von Tschubais, fungierten einige hundert Amerikaner. Die Haupt­ rolle spielten dabei die Mitarbeiter der Geheimdienste der USA«. Neben der Fortsetzung der Politik der inneren Schwächung Rußlands wurde nach der Analyse Daschitschews »im außenpolitischen Bereich die Einkreisung Rußlands intensiviert. Die NATO verwirklichte ihren >Drang nach Osten< bis an die >Schmerzzone< Rußlands, indem die baltischen Staaten und Polen in dieses Militärbündnis schon hineingezogen wurden, die Ukraine und Georgien unmittel­ bar davor stehen«. Besonderen Wert legt die US-Machtelite dabei »auf die Stär­ kung der amerikanischen Positionen am Unterleib Rußlands - im Kaukasus und in Mittelasien, wo die reichen Erdölvorkommen und die strategischen Pipelines für Energieressourcen sind. Die Bestandteile dieser Strategie sind, 1) die Aktivitäten, die darauf gerichtet sind, Rußland vom Kaukasus zu verdrängen, und 2) den stra­ tegischen Bogen der USA vom Nahen und Mittleren Osten über Iran und Afgha­ nistan nach Mittelasien zu erweitern. Die USA-Eliten schmieden die Pläne, einen >cordon sanitaire< gegen Rußland zu schaffen, das sich über die baltischen Staaten, Polen, Weißrußland, die Ukraine, Georgien und Aserbaidschan bis an die mittelasiatischen Republiken erstreckt«. Unterwanderung der Russischen Föderation im Sinne einer >indirekten Strate­ gie< nach Liddell Hart sowie geopolitische Einkreisung sind daher nach Daschit­ schew die Konstanten amerikanischer Rußlandpolitik der neunziger Jahre. Durch deren Politik und die tatkräftige Unterstützung der proamerikanischen neuen rus­ sischen Nomenklatura der neunziger Jahre wurden die Staatlichkeit und die Wirt­ schaft des Landes an den Rand des Zerfalls gebracht. Flankiert wurde diese US-Politik der stillen Okkupation Rußlands durch den Ausgriff auf Eurasien, durch einen Vorstoß auf die Mackindersche >Weltinsel< zur Verwirklichung der Zielsetzungen Mackinders, Spykmans und Brzezinskis.

VIII. Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren

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4 Das neue >Great Game< - die Strategie der USA zur Kontrolle Zentralasiens, des Kaukasus und seiner Rohstoffe Im folgenden sollen die Schachzüge der USA, sich des mit dem Zerfall der UdSSR entstandenen geopolitischen Vakuums in Eurasien zu bemächtigen, dargestellt werden. In diesem bis heute andauernden Machtspiel geht es entscheidend »um politischen Einfluß, um Militärbündnisse und die Parameter des Regierens und der Nationenbildung sowie um den Verlauf der Erdöl- und Erdgaspipelines. Die Hauptakteure sind... Rußland, China, die USA und die fünf mehr oder minder despotischen postsowjetischen Regimes vor Ort, sowie in den Nebenrollen die Tür­ kei, Iran, Pakistan und die Europäische Union«.1928 Schon von vornherein stand aber fest, daß die US-Machtelite die treibende Kraft bei der Umgestaltung der geopolitischen Macht- und Einflußverteilung in Eurasien war. Diese setzte schließlich »den Kalten Krieg gegen Rußland auch nach 1992 fort. Das fand seinen Niederschlag in der Politik des >neo-containmentTrilaterale Kommis­ sioninneren Halbmondes< bzw. der >Rimlands< ins Visier fassen, um Einfluß auf diese neue »dynamischere Randzone zu nehmen«. Westliche Geopolitiker sprechen hier von einer »Umkehrung der Polarität« in Eurasien, die vom Verlust der Rolle Ruß­ lands, als regionaler Vormacht ausgelöst und bestimmt war. Statt dessen bauten »die die globalen Geschicke bestimmenden kapitalistischen Industriestaaten - die USA und die der EU - ... ihre Vormachtstellung auf dem eurasischen Kontinent aus, wobei die USA als führende Weltmacht ihre Position in diesem Prozeß un­ nachgiebig festigen. Die NATO ist zum allein dominierenden Weltbündnis aufge­ stiegen, sie dehnt sich aus und ordnet die Welt nach ihrem eigenen Gutdünken«.1933 Ausgangspunkt für die drohende Neugestaltung der Machtverhältnisse in Eu­ rasien war in den neunziger Jahren also die Schwäche Rußlands, durch die der Aufstieg und die Einflußnahme der Randmächte oder - um bei den Begriffen der US-Geopolitik zu bleiben - der >Rimlands< und der Vorstoß der USA überhaupt vorangetrieben werden konnten. »Rußland ist seit der Zarenzeit die beherrschende Kraft in Zentralasien gewesen. Unter allen Mächten ist es diejenige, die durch die Unabhängigkeit der Staaten in der Region am stärksten zu Anpassungen gezwun­ gen wurde, da diese Unabhängigkeit an sich ein Zeichen schwindenden Einflusses ist.«1934 So war in den neunziger Jahren ein beschleunigter Niedergang der Militär­ präsenz und des Einflusses Moskaus in der Region zu beobachten. »Dieser Nieder­ gang zeigte sich am Kollaps des Vertrages von Taschkent über kollektive Sicher­ heit, als sich Usbekistan, Georgien und Kasachstan förmlich aus einem Sicherheitsregime zurückzogen, von dem zuvor schon klar war, daß es zum Schei­ tern verurteilt war. Die russischen Grenztruppen in Kirgistan werden schrittweise abgezogen. Die Truppen Rußlands in Tadschikistan... sind in den unteren Rängen weitgehend durch Einheimische ersetzt worden...«1935 Der Schwäche der Russischen Föderation stand dabei ein Machtzuwachs der angrenzenden Regionalmächte (oder der >Rimlandsstrategisches Hinterlandbefriedetes< Afghani­ stan nach Pakistan Iran auch in Zentralasien energiestrategisch zu umgehen.1945 Da­ mit sollten die Pläne Teherans, den Iran zum wichtigsten Transitland zwischen Zentralasien und dem offenen Meer im Süden zu machen, durchkreuzt werden. Mit diesen Bestrebungen der USA stimmten die geopolitischen Ziele Pakistans in den neunziger Jahren überein, die darin bestanden, sich Zentralasien als islami­ sches Bollwerk zu sichern1946 als Voraussetzung für die Schaffung eines sunnitisch­ muslimischen Großraums zwischen dem >ungläubigen< Hindustan (Indien), dem >ketzerischen< (weil schiitischen) Iran und dem >christlichen< Rußland.1947 Seit den Tagen Zia ul-Haqs will Pakistan damit zum Führer eines sunnitisch-islamischen Nationenblocks im postsowjetischen Zentralasien werden. Eine gewichtige Rolle bei der Machtverschiebung auf dem eurasischen Schach­ brett spielt nach wie vor die Türkei. Diese »erwischte einen besonders schnellen Start in der Region und ist weiterhin der Träger der >Turkgipfelneo­

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containmentPanturanismus< (oder >PantürkismusPantürkischen Versammlung< in Alma-Ata... und dem Vorhaben, einen >Koordinationsrat< der Turk-Regionen zu bilden, waren 1991/92 die ersten soliden Indizien dafür, daß ein muslimischer Bundesstaat Turkestan entstehen, auf die Turkvölker auch in Ruß­ land selbst eine Anziehungskraft ausüben und damit als Faktor der Desintegration des größeren Rußland wirken könnte.«1956 Diese Umstände machen verständlich, warum die Türkei in der nah- und mittelöstlichen US-Geopolitik eine Vorrangstel­ lung einnimmt. Schließlich ist als weiterer Mitbewerber um den Einfluß in Eurasien auch die Europäische Union zu nennen, deren vorrangiges Interesse an der Stabilität in der Region in der Sicherung von Erdöl- und Erdgaslieferungen besteht. »Die EU ist freilich auch an der Sicherung ihrer Energiezufuhr aus dem Persischen Golf sowie an der Diversifizierung ihrer Energieimporte durch die Erschließung der kaspi­ schen Erdöl- und Erdgasreserven sowie an der Entwicklung von Absatzmärkten interessiert. Ein euro-asiatischer Transportkorridor soll über Aserbaidschan, Ar­ menien und Georgien nach Europa führen, eine kostengünstige Versorgung ermög­ lichen und es gestatten, die einzelnen Lieferländer besser gegeneinander ausspie­ len zu können. Die bisherigen Transportverbindungen waren in erster Linie für den Handel innerhalb der früheren Sowjetunion geschaffen worden. Der Zusam­ menbruch dieses Handels bedeutete, daß die frisch unabhängigen Staaten neue Märkte für ihre Exportprodukte und neue Quellen von Importmaterialien finden mußten.«1957 Eine wichtige Rolle spielt hierbei der sogenannte >Euro-asiatische Transportkor­ ridor< (TRACECA): Dieses Schlüsselkonzept der Zentralasienstrategie der EU soll durch ein Netzwerk neuer Pipelines, Straßen und Eisenbahnen Turkmenistan, Aser­ baidschan, Usbekistan, Georgien und die Ukraine unter Umgehung Rußlands mit­ einander verbinden.1958 Hier geht es um die Konzeption einer >Neuen Seidenstra­ ßeHerzland< ausgehen, sondern vom >inneren Halbmondinneren Halbmond< bzw. die >Rim­ landsRimlands< setzen, will sie die Kontrolle Eurasiens sicherstellen. Die geopolitische Bedeutung der >Rimlands< - der EU, Chinas, der Türkei, des Iran und Pakistans - war infolge des mit dem Zusammenbruch der UdSSR, des >Herzlandesdemokratischen Brückenkopfs< von Europa nach Eurasien, denn mit der Ausbreitung des Einflusses eines von den USA kontrollierten Europa geht zwangsläufig eine Expansion des US-Einflusses einher. Nach dieser Maßgabe sollte Eurasien nunmehr Bestandteil der amerikanischen Weltordnungsvorstellungen werden. Diese Pläne wurden schon gegen Ende der Präsidentschaft von George Bush sen. ins Auge gefaßt. Bush und seine Mitarbeiter ließen keinen Zweifel daran, daß sie eine wirtschaftliche Dezentralisierung der UdSSR unterstützten und ein geschwächtes Rußland in ihre Vorherrschaftssphäre einzugliedern trachteten. Dabei sollte ein umgestaltetes Rußland, das sich von sei­ nem Weltmachtstatus verabschiedet hatte, »als Juniorpartner für die Umsetzung amerikanischer Weltordnungsvorstellungen« gewonnen werden.1963 Gleichzeitig sollte ein unkontrollierter Zerfallsprozeß der UdSSR verhindert werden. Dies war nach der Einschätzung des Politikwissenschaftlers Stephan Bierling eine Horror­ vision der Bush-Administration. Nach der Auflösung der Sowjetunion im Dezem­ ber 1991 erklärte es die US-Regierung zu ihrem langfristigen Ziel, die Nachfolge­ staaten der UdSSR in die »euro-atlantische Gemeinschaft und das demokratische Commonwealth der Nationen« aufzunehmen.1964 Brzezinski zufolge ist ein solches »demokratisches Commonwealth der Natio­ nen« oder - wie er es nennt - ein derartiger »demokratischer Brückenkopf« nichts anderes als »ein Eckpfeiler einer unter amerikanischer Schirmherrschaft stehenden größeren eurasischen Sicherheits- und Kooperationsstruktur«.1965 Mit Hilfe dieses »demokratischen Brückenkopfs« soll schließlich der steuernde Einfluß der USA über Europa in Richtung Eurasien ausgedehnt werden, denn mit jeder Expansion des europäischen Geltungsbereichs erweitert sich automatisch auch die direkte Ein­ flußsphäre der Vereinigten Staaten.1966 Auch die Clinton-Administration beschrift diese Strategie; auch ihr ging es um die »Erweiterung der Zone demokratischer Staaten«1967 mit dem Ziel der ökono­ misch-gesellschaftlichen Umgestaltung des Großraums in Richtung liberalkapita­ listischer Marktwirtschaft. Tatsächlich bedeutete dies eine Fortsetzung der >Grand AreaGrand-AreaNordatlan­ tische Kooperationsrat< gegründet, dem auch einige postsowjetische Republiken beitraten. Dieser Prozeß der NATO-Erweiterung wurde dann 1994 durch die In­ itiative >Partnership for Peace< ergänzt. Flankiert wurde die NATO-Ausdehnung durch eine Stärkung der Unabhängig­ keit der ehemaligen sowjetischen Republiken. Mitte der neunziger Jahre begann die Clinton-Administration, ihre Aufmerksamkeit verstärkt auf die Ukraine und die Kaukasusregion zu richten. »Zunehmend setzte sich in Washington die Erkennt­ nis durch, daß der Ukraine eine Schlüsselrolle bei der Stabilisierung der künftigen Ostgrenze der NATO zukommt.«1973 Begleitet war dies auch von einer Annähe­ rung der NATO an die Ukraine. »Im Juli 1997 schloß die Allianz die >NATO-Ukrai­ ne-ChartaRussia-firstNeoContainmenta major priority in our foreign policy< und die Unabhängigkeit und Souveränität seiner Staaten ein zentrales Ziel. NATOGeneralsekretär Solana erklärte sogar, Europa werde nicht völlig sicher sein, wenn die Länder des Kaukasus außerhalb des europäischen Sicherheitssystems blieben.

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So unterstützt Washington massiv einen Neubau von Pipelines, durch die aser­ baidschanisches und turkmenisches Gas und Öl von Baku über Georgien an den türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan fließen soll.«1976

4.2.1 Der »Freedom Support Act« Die Förderung der Unabhängigkeit der postsowjetischen Republiken war seit der Implosion der UdSSR von Anfang an Kernbestandteil der Agenda der US-Eurasien­ politik: »Die amerikanische Politik eines breiteren Engagements in der Region hat ihre Wurzeln in der alten Bush-Administration. Präsident George Bush und sein außenpolitischer Stab trafen die grundlegenden Entscheidungen zugunsten der Anerkennung der neuen Staaten und der offiziellen Aufnahme diplomatischer Be­ ziehungen«,1977 wobei insbesondere die Rohstoffvorkommen dieser Region eine grundlegende Rolle spielten. Das Entstehen einer wirklichen Regionalstrategie auf breiter Grundlage jedoch ergab sich erst aus einer politischen Neubestimmung im Jahre 1997, in der insbe­ sondere d ie Staaten der kaspischen Region deutlicher betrachtet wurden. Aber hinter den Kulissen finanzierten die USA die Unabhängigkeitsbestrebungen durch den sogenannten »Freedom Support Act«, mit dessen Verabschiedung »ein wichtiger Schritt gegenüber den neuen unabhängigen Staaten, welcher staatliche Hilfen für die Stärkung der Unabhängigkeit dieser Republiken vorsah«,1978 vorgenommen wurde. Sinn und Zweck dieses »Freedom Support Act« war dabei in der Ausbrei­ tung der >Grand Area... internationale Bedingungen dafür zu schaffen, daß das amerikanische System überleben und gedeihen kann< (Planungspapier NSC 68 aus dem Jahre 1950). Dementsprechend trachten die USA, ihre globale politische, wirt­ schaftliche und militärische Führungsposition langfristig zu erhalten, den Aufstieg und die Ausbreitung von Marktwirtschaft und Demokratie zu fördern und den freien Welthandel zu sichern«.1981 Kein Geringerer als Henry Kissinger selbst beschrieb diesen Gesichtspunkt als das wesentliche Element der US-Globalpolitik in den neunziger Jahren, die - so seinerzeit Clinton in einer Rede vor der Vollversammlung der UN - darauf ausge­ richtet war, die »Weltgemeinschaft der marktwirtschaftlich orientierten Demokrati­

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en auszuweiten und zu stärken«.1982 K issinger spricht davon, daß mit dem Ende des Kalten Krieges die Lehren Wilsons - jenes Verfechters eines globalen US-amerika­ nisch beherrschten Freihandelsmodells - gesiegt hätten: »Zum dritten Mal in die­ sem Jahrhundert verkündete Amerika seine Absicht, durch Übertragung seiner Werte auf die Welt als Ganzes eine neue Weltordnung zu schaffen.«1983 Der bereits zitierte US-Politologe Chalmers Johnson stellt dies noch deutlicher heraus: »Die Amerikaner suchen ihre Macht bis in jeden Winkel der Erde auszu­ dehnen und benutzen dabei ihr Kapital dazu, ein Weltwirtschaftssystem nach ih­ rem Gusto durchzusetzen, was das auch immer die jeweiligen Länder kosten mag... Globalisierung ist eine amerikanische Ideologie. Sie steht für Ausdehnung zu unse­ ren Bedingungen und für Freihandel, solange der uns nützt.«1984 Vor diesem Hin­ tergrund, so Sherman W. Garnett, zielt die US-Politik auch darauf ab, »Anreize für die Integration der Staaten des Kaspischen Beckens in die Weltwirtschaft und die internationale Gemeinschaft zu geben. Zbigniew Brzezinski beschrieb die Rolle der USA im Prinzip als eine doppelte: >die Unabhängigkeit der neuen Staaten zu be­ wahren und die Chance für ihre Einbeziehung in das Weltwirtschaftssystem und in eine Art von rudimentärer Struktur internationaler Sicherheit zu maximierenPluralisierung< Eurasiens »Der Kalte Krieg«, so Henry Kissinger, »hat etwas hervorgebracht, was Beobachter eine >unipolare< oder >one superpowerpolitische und wirtschaftliche Liberalisierung< der betreffenden Länder zu f ördern - unter anderem durch >Marktreformen< unter Aufsicht von IWF, Weltbank und WTO um so Anreize für internationale private Investitionen zu schaffen und den Handel und andere Formen wirtschaftlichen Austausches zu er­ höhen.«1995 Ziel der Seidenstraßen-Strategie ist es laut Chossudovsky, in einer vom Schwarzen Meer bis an die chinesische Grenze reichenden Region eine von den USA reglementierte und beaufsichtigte >Freihandelszone< aus acht ehemaligen So­ wjetrepubliken aufzubauen. »Dieser ausgedehnte Korridor - der bis vor kurzem zur wirtschaftlichen und geopolitischen Sphäre Moskaus gehörte - würde schließ­ lich die gesamte Region in einen Flickenteppich amerikanischer Protektorate ver­ wandeln.«1996 Folgerichtig sieht Chossudovsky in der >Seidenstraßen-Strategie< eine Fortset­ zung der US-Außenpolitik während des Kalten Krieges.1997 Gemeinhin wird der »Silk Road Strategy Act« als der erste Versuch der USA bezeichnet, eine einheitli­ che Politik gegenüber allen Staaten des Südkaukasus und Zentralasiens zu gestal­ ten.1998 Vor diesem Hintergrund unterstützt die US-Machtelite auch die TRACE­ CA- und INOGATE-Programme der Europäischen Union.1999 »Die neue Seidenstraße des 21. Jahrhunderts - wie das Projekt seit 1996 auch genannt wird - soll ein Trans­ portkorridor sein, der auf einer Westachse von Europa über das Schwarze Meer durch den Kaukasus und das Kaspische Meer nach Zentralasien führt. Asien soll erneut durch Straßen, Eisenbahnen, Glasfasernetze, Öl- und Gaspipelines mit Eu­ ropa verbunden werden. Diese Verbindungen werden die neue Seidenstraße zum Super-Highway des 21. Jahrhunderts machen. Das Ziel ist, die zentralasiatischen Länder auf dem kürzesten, billigsten und schnellsten Weg mit Hochseehäfen zu verbinden, um ihnen den Weltmarkt zugänglich zu machen.«2000 Damit ist beabsichtigt, die russischen Pipelinerouten zu umgehen, ihre Bedeu­ tung zu relativieren und Rußland gefügig zu machen: »Zbigniew Brzezinski, der ehemalige Berater von Jimmy Carter, bemerkte zynisch, daß Rußland für sein ei­ genes Heil geschwächt werden müsse. Die Stärkung der Souveränität der neuen, unabhängigen Staaten und die Öffnung der Öl- und Gasressourcen für die multi­ nationalen Firmen sollen eine neoimperiale Hegemonie Rußlands in dieser Region verhindern und Rußland in einen verantwortlichen Partner, der seine regionale Rolle auf der Weltbühne spielt, transformieren.«2001

4.2.4 Die Spaltung der GUS - Aufbau und Förderung des antirussischen Regionalbündnisses der GUUAM Wie oben bereits dargelegt, konnte die Russische Föderation es nicht erreichen, über die Gründung der GUS eine Wiedervereinigung des eurasischen Raumes zu erreichen. Vielmehr bot die innere institutioneile Schwäche der GUS Raum für die Bildung antirussischer Regionalbündnisse. So zeichnete sich in den neunziger Jah­ ren eine Spaltung der GUS in einen prorussischen und in einen proatlantischen Block ab - so, wie es den Vorstellungen der führenden US-Geopolitiker entsprach.

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Der proatlantische Block bildete sich zunächst unter dem Namen GUAM (entspre­ chend den Anfangsbuchstaben ihrer Gründungsmitglieder Georgien, Ukraine, Aser­ baidschan und Moldavien). Gegründet wurde die GUAM am 10. Oktober 1997 im Rahmen eines Gipfeltreffens des Europarates in Straßburg, wo auch die Präsiden­ ten von Aserbaidschan, Georgien, Moldavien und der Ukraine zugegen waren. Ge­ genstand dieses Treffens war die Entwicklung einer sicherheitspolitischen und wirt­ schaftlichen Zusammenarbeit dieser Staaten mit der Europäischen Union. Wie aus dem gemeinsamen Kommunique der Präsidenten dieser Staaten hervorgeht, stand die Gründung der GUAM in engem Zusammenhang mit dem von der Europäi­ schen Union und den USA bevorzugten TRACECA-Programm: Hervorgehoben wurde die Bedeutung der Zusammenarbeit dieser Nationen »für die Errichtung eines eurasischen Trans-Kaukasus-Transportkorridors«2002 von Europa über den Kaukasus bis nach Zentralasien nach den Grundsätzen des Freihandels.2003 Am 24. April 1999 wurde das Bündnis durch den Beitritt Usbekistans zur GUUAM erwei­ tert. Die GUUAM ist in zweifacher Hinsicht ein gegen Rußland gerichtetes Regional­ bündnis: Zum einen wird durch dieses ein strategischer Korridor von der Europä­ ischen Union über Südosteuropa in Richtung des Schwarzen Meeres geschaffen, der Rußland vom Transkaukasus und dem dortigen Erdöl- und Erdgaspotential abschneiden soll, andererseits ist es - was die Dokumente auch hervorheben - das Ziel der GUUAM seit ihrer Gründung, die Unabhängigkeit der Staaten gegenüber dem russischen Nachbarn Rußland zu stärken und ein Gegengewicht zu diesem aufzubauen. »Ursprünglich eine informelle, konsultative Organisation mit offiziell rein ökonomischen Zielen..., hat GUUAM eine eindeutige sicherheitspolitische Ausrichtung erhalten, wenngleich noch ohne vertragliche Grundlage. Sie ist als Gegengewicht zur russischen Militärpräsenz in der Region und als langfristige Per­ spektive eines Sicherheitskonzepts außerhalb von GUS-Strukturen konzipiert. Be­ sonders die Partnerschaft zwischen Georgien und Aserbaidschan möchte die Inte­ gration beider Länder und des Kaukasus in europäische Sicherheitsstrukturen vorantreiben. Man hofft, ein ähnlich spezielles Verhältnis zu EU und NATO zu bekommen wie die baltischen Staaten.«2004 Die antirussische Tendenz dieses Bündnisses wird überdies dadurch deutlich, daß Usbekistan, Aserbaidschan und Georgien ihre Mitgliedschaft im Kollektiven Sicherheitsvertrag der GUS von Taschkent aus dem Jahre 1992 gekündigt hatten,2005 mit dem die Russische Föderation ja versucht hatte, einen einheitlichen eurasischen Verteidigungsraum zu entwerfen, um unter anderem auch das Vordringen raum­ fremder atlantischer Mächte zu verhindern. Auf dem Weg einer Zusammenarbeit wollen die Staaten Georgien, Aserbaidschan und Moldawien den Einfluß der Rus­ sischen Föderation zurückdrängen, den diese durch verdeckte Teilnahme an den Sezessionskonflikten jener Staaten ausübt: »Ein ganz wesentlicher Faktor (für die Zusammenarbeit, der Verf.) ist die äußerst fragwürdige Rolle, die Rußland gegen­ über diesen Sezessionskonflikten spielt.«2006 Hierbei geht es um »die Unterstützung

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separatistischer Kräfte seitens Rußlands gegenüber Staaten wie Moldova, Geor­ gien und teilweise auch Aserbaidschan im Karabach-Konflikt. Das hat die Staaten vor allem zusammengeführt. Hier sahen sich diese Staaten am stärksten von Ruß­ land herausgefordert und gefährdet«.2007 Dieses Eingreifen Rußlands erfolgte vor dem Hintergrund des strategischen Ziels der Russischen Föderation, den postsowjetischen Raum im Sinne einer angepaßten Monroe-Doktrin gegen äußere Einflüsse zu verteidigen und mit Hilfe verschiede­ ner wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Kooperationen unter russischer Füh­ rung wieder zu vereinigen - als Reaktion der Desintegrationspolitik des Westens. Wie der russische Sicherheitsexperte Leonid L. Fituni anmerkt, bestand die Politik des Westens in der Förderung der Loslösung Zentralasiens von Rußland, indem er seine Hilfe abhängig machte von der völligen Trennung der Staaten sowohl unter­ einander als auch von anderen GUS-Staaten und der Schaffung einer kompletten Bandbreite unabhängiger Einrichtungen sowie unabhängiger monetärer, wirtschaft­ licher und politischer Systeme.2009 Genau diese beiden Ziele - nämlich die Zurückdrängung Rußlands und der Vor­ stoß der USA in den Transkaukasus - sollten schließlich mit der GUUAM bewerk­ stelligt werden. Nach Einschätzung des Zentralasienexperten Rainer Freitag-Wir­ minghaus gewann dieser strategische Gesichtspunkt in zunehmendem Maße an Bedeutung.2010 Wie Uwe Halbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik her­ vorhebt, ist der Impuls für den Staatenbund der GUUAM vor allem von den USA ausgegangen, die in der Region grundlegende geostrategische und wirtschaftliche Ziele verfolgen.2011 GUUAM - so Savas Genc - unterhält enge Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, und ihre Mitgliedsstaaten machen kein Geheimnis aus ihrem Argwohn gegenüber Rußland und ihrer Hinwendung zu westlichen Partnern wie den USA, der EU und der NATO.2012 »Blickt man hinter die offiziellen Verlaut­ barungen, so ers cheint d ie gemeinsame Opposition gegenüber R ußland al s der größ­ te gemeinsame Nenner und GUUAM vorrangig als ein >anti-Russian geopolitical constructinformelle Imperium< der USA vorbereiten sollte, dient Michel Chossudovs­ ky zufolge das Militärbündnis GUUAM der »Kooperation« im Verteidigungsbereich, mit dem Ziel der Stationierung von US-Truppen in ehemaligen Sowjetrepubliken.2017 Genauso sieht es auch Rainer F reitag-Wirminghaus: »Vorgesehen sind ein gemeinsa­ mes kaspisch-mitteleuropäisches Öltransportprojekt, eine joint peacekeeping Operation in Abchasien unter der Ägide der OSZE oder der UN und die Expansion gemeinsa­ mer militärischer Ausbildungs- und Versorgungsprogramme, letztere besonders wichtig für Georgien im Hinblick auf Kooperation mit der Ukraine im Marinebe­ reich.«2018 Mit der Gründung der GUUAM ist es der westlichen Machtelite gelungen, wie oben bereits angedeutet, die GUS zu spalten. »Der GUUAM-Vertrag - unter dem Schirm der NATO und finanziert mit westlicher Militärhilfe - zielt darauf ab, die GUS weiter zu zerstückeln, im Dienste britisch-amerikanischer Erdölinteressen Rußland von den Öl- und Gasvorkommen der kaspischen Region auszuschließen und Moskau politisch zu isolieren.«2019 Auch Zentralasien-Experte F reitag-Wirming­ haus spricht davon, daß mit der GUUAM die Spaltung der GUS in zwei Gruppen gelungen ist: sechs Länder (Rußland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Weißruß­ land und Tadschikistan), die weiterhin durch den Vertrag von Taschkent gebun­ den sind, und die fünf GUUAM-Staaten, die sich außerhalb der GUS nach Westen und in Richtung NATO orientieren.2020

4.2.5 Die Militarisierung der »Neuen Seidenstraße< unter US- und NATOKommando Insgesamt begann mit der Einbeziehung der GUUAM in die NATO-Pläne eine all­ mähliche Militarisierung der >Neuen Seidenstraße< unter US-Kommando, wobei diese Allianz auch von der EU über den >Euroasiatischen Transportkorridor< (TRA­ CECA - Transport Corridor Europe-Caucasia-Asia) unterstützt wird, durch den Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidschan, Georgien und die Ukraine ebenfalls über neue Pipelines, Straßen und Eisenbahnen im Rahmen einer >OstWest-Achse< mit der EU verbunden werden sollen. 2021 Diese Programme laufen stra­ tegisch auf eine Isolation Rußlands hinaus: »Zwar ist Rußland nicht ausdrücklich ausgeschlossen, doch läuft dieses Konzept auf eine Umgehung Rußlands hinaus.«2022 Die GUUAM hat dabei zum Ziel, diesen geplanten Ost-West-Transportkorridor

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militärisch abzusichern: »Wichtig ist diese Konzeption einer >Neuen Seidenstraße< auch für die Sicherheit zukünftiger Pipelines. Im Gegensatz zur GUS verbinden die GUUAM-Mitglieder tatsächliche gemeinsame Interessen. Während Aserbaidschan, später auch Usbekistan, Öl und Gas liefern, können Georgien, die Ukraine und Moldawien Exportrouten anbieten. So hat zur Zeit der gemeinsame Schutz des Euro­ asiatischen Transportkorridors Vorrang in den Plänen der GUUAM-Staaten. Im April 1999 führten Georgien, Aserbaidschan und die Ukraine gemeinsame Manö­ ver zum Schutz der neuen Pipeline Baku-Supsa im Rahmen des NATO-Programms der >Partnerschaft für den Frieden< durch. Mit Hilfe der NATO soll ab 2001 eine georgische Friedenstruppe gebildet werden. Anfang August (1999) fand in der Ukraine ein gemeinsames Manöver der NATO mit den GUUAM-Staaten statt, bei dem ihre Verteidigungsminister ein gemeinsames Protokoll unterzeichneten«2023so eine Darstellung von Rainer Freitag-Wirminghaus aus dem Jahre 1999. Hierbei erf üllte auch der wichtigste Statthalter der US -Interessen im Nahen Osten, die Türkei, eine wichtige Rolle: »Zwangsläufig ergibt sich aus der Interessenlage dieser Allianz auch eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Türkei, so daß die russische Furcht, daß GUUAM für die türkischen Interessen ein trojanisches Pferd in der GUS sei, nicht ohne Grundlage ist. Während Georgien die militärische Koo­ peration mit der Türkei ausbaut, reformiert Baku seine Armee mit türkischer Hilfe und nach türkischem Standard und spekuliert sogar auf Militärstützpunkte. An­ fang 1999 schlug Aliyevs Präsidentschaftsberater Guluzade öffentlich die Einrich­ tung von Militärstützpunkten mit US-, NATO- oder türkischen Kräften auf der Apscheron-Halbinsel vor.«2024 Allerdings w ar der militärische Vorstoß von USA und NATO nicht erst eine Folge des Abschlusses des GUUAM-Vertrages. Vielmehr erfolgte schon im zeitlichen Vorfeld in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine enge Zusammenarbeit mit den postsowjetischen Republiken Zentralasiens und der Ukraine. »Die umfang­ reichsten Programme für militärische Kontakte und Sicherheitskooperation zwischen den USA und den Staaten des Kaspischen Beckens bestehen mit Georgien, Usbeki­ stan, Kasachstan und... mit Aserbaidschan. Diese Staaten werden zusammen mit der Ukraine von leitenden Vertretern des Verteidigungsministeriums als Schlüssel­ staaten für eine Politik der ausgeweiteten Sicherheitszusammenarbeit auf dem ge­ samten Gebiet der ehemaligen Sowjetunion betrachtet«, so Sherman W. Garnett. Verbunden war dies mit einer Ausdehnung des militärischen Kommandobereichs der US-Streitkräfte auf die Region des Transkaukasus sowie Zentralasiens: »Die zentralasiatischen Staaten sind unlängst vom Operationsraum des US European Command in den des Central Command überführt worden, das für den Persischen Golf und andere Teile des Nahen Ostens zuständig ist. Drei zentralasiatische Staa­ ten - Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan - wurden dazu ermuntert, ein gemein­ sames Peacekeeping-Bataillon aufzustellen. Die ersten Manöver unter Beteiligung dieses Bataillions wurden im Herbst 1997 auf Übungsplätzen in Kasachstan und Usbekistan abgehalten. Eine Einheit der amerikanischen 82. Fallschirmjägerdivision

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Karte der neuen Seidenstraße.

nahm an dieser Übung teil, ebenso wie Truppen aus der Türkei, Georgien, Rußland und Lettland. Die jüngste Übung fand im September 2000 in Kasachstan statt, er­ neut mit Soldaten der 82. Fallschirmjägerdivision sowie Truppen aus der Türkei, Georgien, Rußland, Aserbaidschan, der Mongolei und Großbritannien.«2025 Auch die US-Militärexpertin Rachel Bronson hebt die Bedeutung dieser NATO-Übun­ gen im Rahmen der >Partnership for Peace< (PfP) hervor: »Das spektakulärste Bei­ spiel der NATO-Einbindung war die Übung am 15. September 1997, die 500 USFallschirmjäger von der 82. Airborne einschloß, welche über Zentralasien absprangen. Dieser Sprung, unter der PfP organisiert, schloß über 800 Teilnehmer der Vereinigten Staaten, der Türkei, Rußlands, Kasachstans, Kirgistans und Usbe­ kistans ein. US-Truppen flogen 7700 Meilen von Fort Bragg, North Carolina, den längsten Nonstop-Lufteinsatz in der US-Geschichte.«2026 Mit der Auflösung des Warschauer Paktes vollzog sich seit dem Gipfeltreffen in Rom im Jahre 1991 eine strategische Schwerpunktverlagerung des nordatlantischen Bündnisses. Als Siegermacht des Kalten Krieges sieht sich die NATO seitdem beru­ fen, als Dachverband einer neuen Weltordnung zukünftig auch geographisch über ihr unmittelbares Vertragsgebiet hinaus die Interessen ihrer Mitgliedsstaaten of­ fensiv-militärpolitisch wahrzunehmen. Mit der Formel vom >erweiterten Sicher­ heitsbegriff< wurde im Kommuniqué des Rom-Gipfels erklärt, »daß die Sicherheit des Bündnisses im globalen Zusammenhang gesehen werden muß«.2027 Anstelle der Konfliktlinie in Mitteleuropa geriet seitdem der »Krisenbogen von Casablanca bis Kasachstan« (Michael Stürmer) in den Mittelpunkt des strategischen Interesses. Dem >Alliance Strategie Concept< von 1991 zufolge geht es künftig weniger darum, einen >kalkulierten Angriff< auf das Bündnisgebiet abzuwehren, als um die Kon­ trolle von Risiken und Instabilitäten, die aus den wirtschaftlichen, sozialen und

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politischen Konflikten der postsowjetischen Staatenwelt erwachsen können, wobei unter dem erweiterten Sicherheitsbegriff inbesondere die »Unterbrechungen der lebenswichtigen wirtschaftlichen Verbindungslinien der NATO-Staaten« und die »Unterbrechungen der Ressourcenzufuhr« fallen.2028 Folgerichtig »begann die Verlagerung des NATO-Schwerpunktes vom Mittelab­ schnitt zur Südflanke. Die im Norden funktionslos gewordene NATO-Streitmacht wurde teilweise nach Süden verlegt bzw. nach Süden ausgerichtet«.2029 Durch die Einrichtung der >Combined Joint Task Forces< (CJTF) wurde in diesem Zusammen­ hang die Möglichkeit der Beteiligung von Nichtmitgliedstreitkräften an multinatio­ nalen Verbänden geschaffen, womit der NATO-Einfluß auf all jene Länder ausge­ dehnt wurde, die zwar im Augenblick nicht NATO-Mitglied werden wollten oder konnten, aber an einer Zusammenarbeit interessiert waren. Damit wurde di e NATO Erweiterung Richtung Zentralasien eingeleitet. »In diese Kategorie fallen auch die Staaten der kaspischen Region. Sie gehört zu den Konfliktzonen an der Südflanke der NATO. Der Oberkommandierende des Regionalkommandos Süd (AF-SOUTH), US-Admiral T. Joseph Lopez, verwies dabei auf die Instabilitäten im Kaukasus und auf die großen Ölreserven am Kaspischen Meer. Beides zusammen berge ein gro­ ßes Konfliktpotential in sich. Das Regionalkommando Süd der NATO konzentriert sich daher auf ein frühzeitiges Engagement. Dies soll dazu beitragen, die äußere Umgebung entsprechend den allgemeinen politischen Zielen und Prinzipien der NATO zu beeinflussen.«2030 Der erste Schritt der NATO-Erweiterung nach Osten und in Richtung der Süd­ flanke der Russischen Föderation war die Gründung des Nordatlantischen Koope­ rationsrates am 20. Dezember 1991, der die Mitglieder der NATO und des War­ schauer Paktes umfaßte. Ergänzt wurde diese Erweiterung im Januar 1994 auf dem Brüsseler NATO-Gipfel durch die dort verabschiedete Initiative >Partnerschaft für den Frieden< (PfP). Mit dieser sollte die Beziehung der NATO zu den postsowjeti­ schen Staaten gestärkt »sowie die gleichzeitig beschlossene NATO-Erweiterung als evolutionärer Prozeß gefördert werden«.2031 Durch die PfP bietet die NATO »allen aktiven PfP-Staaten Konsultationen für den Fall an, daß ein Partner sich einer di­ rekten Bedrohung seiner territorialen Integrität, politischen Unabhängigkeit oder Sicherheit ausgesetzt sieht«.2032 Damit sollte das Prinzip >Partnerschaft für den Frie­ den< der Entwicklung einer staatlichen Pluralisierung des postsowjetischen Macht­ bereichs dienen. Die selbstgestellte Aufgabe der Initiative, die staatliche Unabhän­ gigkeit der Staaten der ehemaligen Sowjetunion zu schützen, war - obwohl es nicht offen ausgesprochen wurde - gegen Rußland und seine Wiedervereinigungspoli­ tik gerichtet. Begleitet wurde dies durch ein weiteres Ziel der PfP, nämlich die postsowjeti­ sche Staatenwelt an NATO-Standards heranzuführen: Langfristig ging es um die Herstellung der »Befähigung zu gemeinsamen Operationen durch Angleichung der Führungsgrundlagen und Herstellung von Interoperabilität«.2033 In der kaspischen Region haben mit Ausnahme Tadschikistans alle Staaten das Rahmendokument

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der PfP unterzeichnet. Die Grundlage der praktischen Zusammenarbeit bildet da­ bei das Partnerschaftsarbeitsprogramm, eine aus 21 Bereichen bestehende >Menü­ listeProduct-SharingSchwarzmeer-Strategie< Bruce Jacksons Die Gründung der GUUAM diente nicht nur der Spaltung der GUS, sie war viel­ mehr Bestandteil einer größeren Strategie, die darin bestand, einen US-Korridor von Mitteleuropa über den Balkan bis zum Schwarzen Meer hin zu schaffen. Hier­ bei geht es um ein von der US-Machtelite in den neunziger Jahren entwickeltes strategisches Gesamtprojekt namens »Korridor VIIIKorridor VlllKorridor VIIIKorridor VIIIschützensehr hochkarätig besetzt< gewe­ sen sei, >was sich schon aus der Anwesenheit zahlreicher Ministerpräsidenten so­ wie Außen- und Verteidigungsminister aus der Region< ergeben hätte.«2055 Unter anderem wurde auf dieser Konferenz der Grund für die amerikanische Intervention in Jugoslawien erörtert. Deutlich wurde hervorgehoben, daß es dabei darum ging, »eine Fehlentscheidung von General Eisenhower aus dem 2. Weltkrieg zu revidieren. Eine Stationierung von US-Soldaten habe aus strategischen Grün­ den dort nachgeholt werden müssen«.2056 Während des Zweiten Weltkrieges hat­ ten die anglo-amerikanischen Mächte auf Betreiben des britischen Doppelagenten James Klugman den von ihnen geförderten General Draza Mihailovic fallengelas­ sen und statt dessen auf den bis dahin völlig unbekannten Tito gesetzt, der nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges Jugoslawien sowohl der sowjetischen als auch der westlich-amerikanischen Vorherrschaftssphäre entzogen hatte und eine eigen­ ständige sozialistische Wirtschafts- und Gesellschaftordnung aufzubauen gedach­ te. »Wegen der strategischen und wirtschaftlichen Bedeutung des industriell rela­ tiv weit entwickelten und volkreichen Serbien blockierte das Festhalten der Jugoslawen an Resten sozialistischer Politik die neoliberale Neuordnung des ge­ samten Balkans entlang amerikanischer und westeuropäischer Vorstellungen. Das alles ist auf den >strategischen Fehler Eisenhowers< zurückzuführen, der General Mihailovic zu einem kritischen Zeitpunkt in der Geschichte des Balkans fallenge­ lassen hatte. Dies war wohl >der FehlerNeuen Stra­ tegischen Konzept< offenbar wurde: »Außer den territorialen Grenzen der Mitglieds­ staaten >verteidigt< nun die >neue< NATO unscharf definierte Sicherheitsinteressen aller Art, die allerdings auch explizit >den Zugang zu Rohstoffen< umfassen. Diese >Interessen< werden offensiv außerhalb des traditionellen Zuständigkeitsbereichs der NATO im euro-atlantischen Raum verteidigt. Dieser Raum erstreckt sich vom Kaspischen Meer über den Persischen Golf, über Nordafrika und den Atlantik. Dabei nimmt sich die NATO das Recht heraus, wie im Fall Kosovo, sich selbst das Man­ dat zu militärischen Interventionen zu erteilen, um sich unter dem Mantel >huma­

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nitärer Interventionen< den gar nicht so humanitären >Zugang zu Rohstoffen< zu sichern, wie im Artikel 24 des >Neuen Strategischen Konzeptes< nachzulesen ist.«2058 Hintergrund war dabei - wie die spanische Zeitung El Mundo am 25. April 1999 unter der Überschrift »NATO maßt sich das Recht an, auch in den ehemaligen So­ wjetrepubliken einzugreifen« berichtete - die NATO auf Expansionen in den kas­ pischen Raum und Zentralasien vorzubereiten: »Die Allianz beschloß damit ein Strategiekonzept, dem zufolge sie bei zukünftigen Einsätzen ohne expressives Man­ dat des Sicherheitsrates der UNO tätig werden kann - um mögliche Vetos Ruß­ lands und Chinas zu vermeiden, ihre Interessenzone auszuweiten. Durch das Veto Frankreichs wird sich die NATO allerdings nicht in einen Weltpolizisten verwan­ deln, wie es die USA wollten, vielmehr genehmigte sie ein Handlungsschema, das absichtlich zweifach auslegbar ist und zur Folge haben kann, daß der Militärein­ satz der NATO außerhalb ihrer eigentlichen Einflußzone im Kosovo ohne Mandat der UNO sich zukünftig auch im Kaukasus, am Kaspischen Meer und sogar in den ehemaligen sowjetischen Republiken bis an die Grenze von China wiederholen kann.« Deutlich wurde auf der Bratislawa-Konferenz auch das Erfordernis der NATOExpansion in die russische Interessensphäre hervorgehoben: »Es gelte, bei der jetzt anstehenden NATO-Erweiterung die räumliche Situation zwischen der Ostsee und Anatolien so wiederherzustellen, wie es in der Hochzeit der römischen Ausdehnung gewesen ist. Dazu müsse Polen nach Norden und Sü­ den mit demokratischen Staaten als Nachbarn umgeben werden, Rumänien und Bulgarien die Landverbindung zur Türkei sicherstellen, Serbien... auf Dauer aus der europäischen Entwicklung ausgeklammert werden. Nördlich von Polen gelte es, die vollständige Kontrolle über den Zugang aus St. Petersburg zur Ostsee zu erhalten.«2059 Damit hatte die US-Machtelite deutlich den Zusammenhang zwischen den USInterventionen in den Jugoslawienkriegen, der NATO-Erweiterung und ihren In­ teressen an der kaspischen Region und Zentralasien hergestellt. Es geht um nichts anderes als um die Schaffung eines militarisierten strategischen Korridors von Zentraleuropa über einen von den USA kontrollierten Balkan und die Türkei nach Zentralasien, kurzum um die militärische Umsetzung der >Korridor VIIIKorridor VIIIMemoranda of Understanding< (MOU) unter­ zeichnet, welche diesen Ländern die nationale Souveränität über die Pipeline- und Transportkorridore durch die Einräumung >exklusiver Rechte< an das anglo-ame­ rikanische Konsortium entziehen: >(Das MOU) stellt fest, daß nur AMBO die ge­ plante Burgas-Vlora-Ölpipeline bauen darf. Genauer, es gibt AMBO das ausschließ­ liche Recht, mit Investoren und Geldgebern für das Projekt zu verhandeln. Es verpflichtet... (die Regierungen Bulgariens, Mazedoniens und Albaniens) außer­ dem dazu, bestimmte vertrauliche Informationen über das Pipelineprojekt nicht weiterzugeben.Corridor-8< von unmittelbar von der TDA finanzierten US-Gesellschaften durch­ geführt. Anders gesagt, Washington scheint die Übernahme des Verkehrs- und Kommunikationswesens dieser Staaten vorbereitet zu haben. Amerikanische Kon­ zerne wie Bechtel, Enron und General Electric konkurrieren, mit finanzieller Rücken­ deckung durch die US-Regierung, mit Unternehmen aus der EU. Washington möchte den gesamten Korridor im >wirtschaftlichen Hinterhof< der EU, wo die Macht der D-Mark bisher tendenziell größer als die des US-Dollars ist, für die US-Multis öff­ nen.«2068 Die strategische Kontrolle der USA über diesen Pipeline-Korridor soll also die Rolle der EU schwächen und konkurrierende europäische Geschäftsinteressen auf Distanz halten. »Washingtons Plan ist es, den gesamten achten Korridor für die amerikanischen multinationalen Firmen zu öffnen, d.h. den amerikanischen Multis den ökonomischen Hinterhof Deutschlands, wo noch die D-Mark über den USDollar dominiert, zugänglich zu machen.«2069 Die USA zeigen ein deutliches Interesse, den strategischen Knoten der Trans­ portkorridore auf dem Balkan, der durch die Korridore VIII, X und IV gebildet wird und mitten im Kosovo liegt, zu beherrschen. Aus diesem Grunde sorgten sie

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auch dafür, daß Alternativentwürfe sich nicht durchsetzen konnten. »Sie verboten ein Projekt, das durch Serbien verlief, und sie boten Rumänien 100 Millionen Dol­ lar, wenn sie die Route der geplanten SEEL-Pipeline (South-Eastern-European Line) weiter nach Norden, also nach Ungarn, verschieben würden. Die italienische Fir­ ma ENI hatte dieses Pipeline-Projekt unter Verwendung bereits bestehender Pipe­ line-Infrastruktur in Slowenien, Kroatien und Serbien geplant.«2070 Westliche Strategen haben in den neunziger Jahren verschiedene Pipelinetras­ sen durch den Balkan diskutiert, die Europa mit Zentralasien verbinden sollten. »Die möglichen Routen für Pipelines über den Balkan verlaufen natürlich entspre­ chend den Interessen der zukünftigen Nutznießer: 1. Variante: Burgas-Alexandropolis (LukOil zusammen mit Griechenland, rus­ sische Interessen); 2. Variante: Burgas-Vlore (amerikanisches Konsortium AMBO, Halliburton, amerikanische Interessen); 3. Variante: Constanta-Omisalj-Trieste via Rumänien, Serbien und Kroatien (SEEL, italienische Firma ENI, EU-Interessen).«2071 Tatsächlich hatten sich die USA Ende der neunziger Jahre mit dem AMBO-Pro­ jekt gegenüber anderen Varianten und Konkurrenten durchgesetzt. »Mit der Wahl des Hafens Vlore als Endpunkt ihrer Pipeline haben die USA die volle Kontrolle über die Versorgung der europäischen Länder mit kaspischem Öl. Die Analytiker für europäische Angelegenheiten weisen darauf hin, daß Griechenland ein EU-Land ist und die USA daher eine Pipeline von Burgas nach Thessaloniki nicht kontrollie­ ren können. Durch die Erzeugung eines Krisenherdes in Kosovo kontrollierten die USA Albanien und damit auch die geplante AMBO-Pipeline.«2072 Vor diesem Hintergrund mußte sich dann auch die Südostausrichtung der NATOErweiterung vollziehen. Der britische General J ackson, Kommandeur der Kfor-Trup­ pen in Mazedonien und später auch im Kosovo, erklärte in diesem Zusammen­ hang: »... heute ist es unbedingt erforderlich, die Stabilität Mazedoniens und seinen Beitritt zur NATO zu garantieren. Aber wir werden sicherlich eine lange Zeit hier­ bleiben, um die Sicherheit der Energiekorridore, die durch dieses Land führen, zu garantieren.«2073 Damit ist klar, daß sich Jackson auf den achten Korridor bezog, also auf die Ost-West-Achse, auf der eine Pipeline die Energieressourcen Zentral­ asiens vom Schwarzen Meer zur Adria bringen soll.

4.2.6.3 Das Ziel: die Umsetzung von Bruce Jacksons >SchwarzmeerStrategie< Klar wird damit aber auch der Hintergrund der Balkanstrategie der USA, zu der auch die angesprochene Südostexpansion der NATO gehört: Der achte Korridor bildet in der US-Geopolitik den Zuweg zum Schwarzen Meer, dem entscheiden­ den Ziel der USA. Dem Energie-Experten F. William Engdahl zufolge muß diese Vorgehensweise der USA im Zusammenhang mit ihrer eigentlichen Absicht gese­

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hen werden, nämlich der Zerstückelung oder Zerschlagung Rußlands und der wirk­ samen Kontrolle über dessen riesige Öl- und Gasvorkommen.2074 Dieses Ziel kann aber ohne Sicherstellung der Kontrolle über die dorthin führenden Korridore nicht erreicht werden. Aus diesem Grund gingen die USA Mitte der neunziger Jahre »systematisch daran, alle früheren Satellitenstaaten der Sowjetunion nicht nur in die Europäische Union, sondern auch in die von Washington dominierte NATO zu führen. Bis 2004 waren Polen, Tschechien, Ungarn, Estland, Lettland, Litauen, Bul­ garien, Rumänien, die Slowakei und Slowenien sämtlich in die NATO aufgenom­ men worden, und die Republik Georgien wurde auf den Beitritt vorbereitet. Die Ausdehnung der NATO auf frühere Staaten der Sowjetunion oder des Warschauer Paktes rund um Rußland war für das PNAC (Project for the New American Century, siehe oben, der Verf.) eine wichtige Voraussetzung«.2075 Eine bedeutende Rolle für die Ausdehnung der NATO spielte dabei das PNACMitglied und ein enger Freund Richard Cheneys, Bruce Jackson. Dieser »verfügte als ehemaliger Offizier des amerikanischen Militärgeheimdienstes über sehr gute Kontakte zu den neuen osteuropäischen NATO-Staaten, verkaufte als Vorstands­ mitglied des Rüstungskonzerns Lockheed-Martin dessen breite Produktpalette an Ungarn, Tschechien, Polen und weitere ehemalige Warschauer-Pakt-Staaten, war zwischen 1986 und 1990 ein enger Mitarbeiter des damaligen Verteidigungsmini­ sters Cheney sowie der leitenden Pentagonfalken Wolfowitz und Perle, gehörte dem Projekt für das Neue Amerikanische Jahrhundert an und zählte als Vorstands­ vorsitzender der Lobbygruppierungen >US-Committee on NatoProject on Trans­ national Democraties< und >Committee for the Liberation of Iraq< zu den treiben­ den Kräften einer aggressiven Expansion der amerikanischen Sicherheitsinteressen. Dieser Cheflobbyist auf dem Capitol Hill, der gleichzeitig für die NATO-Osterwei­ terung wie für den Lockheed-Martin-Konzern Politik machte, hatte an allen wichti­ gen Gipfeltreffen der ost- und südosteuropäischen Staaten der vergangenen sechs Jahre teilgenommen - protokollarisch gleichberechtigt mit dem polnischen Staats­ präsidenten Aleksander K wasniewski, Tschechiens Präsident Vaclav H avel oder dem ungarischen Ministerpräsidenten«.2076 Bruce Jackson war auch Koordinator der sogenannten >Vilnius-GruppeVilnius-GruppeUS-Committee on NATOGreater Middle East Initiative< in der Forderung nach einer »Strate­ gie für den Schwarzmeer-Raum«,2080 deren Zweck es sein soll, die Staatenwelt der Schwarzmeer-Region und ihre Ressourcen in die transatlantische Vorherrschafts­ sphäre einzugliedern. Bruce Jackson stellt heraus, daß in den neunziger Jahren die Schwarzmeer-Region und die umliegenden Staaten Bulgarien, Rumänien, Moldau, Ukraine, Rußland, Georgien, Armenien, Aserbaidschan und die Türkei »von der Pe­ ripherie in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit des Westens gerückt« seien: 2081 »Der erfolgreiche Abschluß der Verankerung und der Integration der mittel- und osteuro­ päischen Länder vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer in die transatlantische Ge­ meinschaft kennzeichnet die Vollendung des großen historischen Projekts der neun­ ziger Jahre, das nach dem Ende des Kalten Krieges in die Wege geleitet wurde.«2082 Jackson wirft jedoch der transatlantischen Gemeinschaft vor, sie habe es an einer grundlegenden Strategie missen lassen, »um die Länder der Region für den We­ sten zu begeistern und sie dort zu verankern, geschweige denn ihnen dabei zu hel­ fen, sich selbst in vollwertige Partner und vielleicht irgendwann in der Zukunft in vollwertige Mitglieder der wichtigsten transatlantischen Institutionen zu wandeln«. Jetzt jedoch, »da es dem Westen gelungen ist, seine Agenda der neunziger Jahre umzusetzen, kann er es sich nun leisten, seinen geopolitischen Horizont auszuwei­ ten und über Herausforderungen nachzudenken, die weit in der Ferne liegen. Das erfolgreiche Beispiel des >Big Bang< der Erweiterung von NATO und EU hat dazu beigetragen, in der Schwarzmeer-Region Erwartungen zu wecken. Heute äußert eine neue Generation von demokratischen Politikern in der Region offen den Wunsch, ihre Länder näher an die transatlantische Gemeinschaft heranzuführen und sich ihr möglicherweise einmal anzuschließen. Nachdem es ihnen gelungen ist, Mitglieder der NATO zu werden, versuchen Länder wie Bulgarien und Rumä­ nien gemeinsam mit der Türkei, dem Westen klarzumachen, daß er diesen Vorstel­ lungen eine größere strategische Priorität zuweisen solle. Nachdem der Westen das Schwarze Meer in den vergangenen zehn Jahren weitgehend ignoriert hat, scheint er nun aufzuwachen und sich der Notwendigkeit bewußt zu w erden, daß es sich lohnt, darüber nachzudenken, was genau das Ziel und die Strategie sein sollten«.2083 Jackson beschreibt die Schwarzmeer-Region als Drehscheibe eurasischer und at­ lantischer Mächte, die bereits im 19. Jahrhundert der Austragungsort des >Great Game< war. Heute, so Jackson, ist sie als Bestandteil eines größeren euro-asiati­ schen Korridors zu sehen. »Zum ersten Mal seit dem >Großen Spielkalten Konflikten< ent­ lang des nordöstlichen Bogens und den Zugang zu den großen Handelsströmen erfordern würde, die in das Schwarze Meer, die Donau und den Djnestr fließen.«2084 Angesichts dieser geopolitischen Daten sei »das Entstehen eines voll funktions­ fähigen geopolitischen Systems im Schwarzmeer-Raum« vonnöten mit dem End­ ziel, »daß das Schwarze Meer dabei ist, eine transatlantische Region zu werden. Daraus folgt, daß die transatlantischen Staaten ein Interesse daran haben und daß sie über eine Strategie für eine so wichtige und potentiell positive Entwicklung verfügen sollten«.2085 Der Schwarzmeer-Wirtschaftsrat und die GUUAM werden von Jackson als positive Ansätze gewertet, die auch notwendigerweise durch eine Südosterweiterung der NATO flankiert werden müßten: »Die Formulierung der sogenannten >südlichen Dimension< der europäischen Sicherheit im Jahr 2001 und der Beitritt Rumäniens und Bulgariens zur NATO im April 2004 bekräftigten, daß sich die drei wichtigsten Staaten der Schwarzmeer-Region einig waren, einem ein­ zigen Sicherheitssystem anzugehören, das vollkommen integriert ist in das umfas­ sendere transatlantische System. Im Hinblick auf den bevorstehenden NATO-Gip­ fel im Juni 2004 in Istanbul streben sowohl die Ukraine als auch Georgien eine Mitgliedschaft in der NATO an, was den Schluß zuläßt, daß auch diese Staaten ihre Zukunft unter dem Aspekt gemeinsamer Sicherheit und Zusammenarbeit in der Schwarzmeer-Region sehen.«2086 Jackson hebt die außerordentliche strategische Bedeutung der SchwarzmeerRegion für das transatlantische Vorherrschaftssystem hervor: »Die SchwarzmeerRegion ist das Epizentrum der großen strategischen Herausforderung, die darin besteht, Stabilität in einen großeuropäischen Raum und darüber hinaus in den »Wei­ teren Nahen Ostern zu tragen zu versuchen. Während die NATO ihre Rolle in Af­ ghanistan ausweitet und sich dort auf eine langfristige Mission vorbereitet und während sie darüber nachdenkt, zusätzliche Verantwortung im Irak zu überneh­ men, wird die Schwarzmeer-Region allmählich mit anderen Augen gesehen: Sie erscheint nicht mehr als ein Punkt an der Peripherie der europäischen Landmasse, sondern man sieht in ihr zunehmend ein Kernelement des strategischen Hinterlan­ des des Westens. Kurz gesagt, verläuft die Nahtstelle zwischen der transatlanti­ schen Gemeinschaft und dem >Weiteren Nahen Osten< entlang dem Schwarzen Meer... Die Generationenaufgabe, Stabilität in den >Weiteren Nahen Osten< zu

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bringen, würde durch eine stabile und erfolgreich verankerte Schwarzmeer-Region wesentlich erleichtert... Wir haben ein grundsätzliches Interesse daran, daß sich diese Länder selbst erfolgreich zu jener Form von demokratischen und stabilen Gesellschaften verwandeln, die dann als Plattform dienen können, um westliche Werte weiter in Richtung Osten und Süden zu verbreiten. Die Fähigkeit Aserbaid­ schans, sich selbst in eine erfolgreiche muslimische Demokratie zu verwandeln, ist wahrscheinlich ebenso wichtig wie unsere Fähigkeit, den Krieg gegen den Terror zu gewinnen oder Zugang zu Militärbasen auf dem Boden Aserbaidschans zu er­ langen. Was aus diesen Ländern wird, ist möglicherweise genauso wichtig wie ihre geographische Lage.«2087 Deutlich unterstreicht Jackson in diesem Zusammenhang, daß »die Einbezie­ hung der Schwarzmeer-Region in das transatlantische System... sowohl die Grund­ festen dieses Systems stärken und es auch sicherer machen (würde) angesichts der vielen künftigen Bedrohungen von Frieden und Stabilität, die die größten Sorgen bereiten«.2088 Als wesentlicher Faktor ist Jackson zufolge der energiepolitische Ge­ sichtspunkt anzusehen, der für die westliche Hegemonialordnung gerade von be­ sonderer Bedeutung ist: »Zu guter Letzt gibt es im strategischen Bereich eine Über­ legung, die sich auf die euro-asiatischen Energievorräte bezieht und auf ihre Bedeutung für die Energiesicherheit Europas sowie auf die Umweltqualität im trans­ atlantischen Raum. Gegenwärtig importiert Europa ungefähr 50 Prozent seiner Energie über schwierige und oftmals gefährliche Routen durch den Bosporus und den Ärmelkanal. Um das Jahr 2020 wird Europa 70 Prozent seiner Energie aus Quel­ len außerhalb des Kontinents beziehen.«2089 Dabei läßt Jackson nicht unerwähnt, worum es dabei eigentlich geht, nämlich den russischen und saudi-arabischen Einfluß auf die internationale Energiewirt­ schaft zu neutralisieren: »In dem Maße, wie wir in westlichen Hauptstädten politi­ sche Befürchtungen über russischen oder saudischen Einfluß... haben, sollten wir ernsthaft prüfen, was ein stabiles und sicheres Schwarzmeer-System an Alternati­ ven zu bieten hat. Die Schwarzmeer-Region umfaßt und beherrscht den gesamten euroasiatischen Energiekorridor, von den transukrainischen Öl- und Gaspipelines, die auf die Märkte im Norden Europas führen, bis zu der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipe­ line, die ins Mittelmeer führt. Eine neue, auf die Anbindung und Stabilisierung der Region gerichtete transatlantische Strategie könnte dazu dienen, die riesigen Ener­ giereserven des kaspischen Beckens und Zentralasiens auf vielfältigen, sicheren und umweltverträglichen Routen auf europäische Märkte zu bringen. Diese Ener­ gievorräte werden nicht nur den Wohlstand eines politisch unabhängigen Europas auf Jahrzehnte hinaus sichern, sondern die Schaffung und Erhaltung dieser Routen wird den Volkswirtschaften, die in der Revolution des Jahres 1989 auf der Strecke geblieben sind, einen wichtigen wirtschaftlichen Anstoß geben.«2090 Damit ist offen ausgesprochen, worum es der US-Machtelite bei ihrer >Schwarz­ meer-Strategie< geht. Die kaspische Region soll aus dem russischen Einflußbereich herausgeschnitten und in die transatlantische Interessensphäre im Wege vielfälti­

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ger Suborganisationen (GUUAM, Schwarzmeer-Wirtschaftsrat) eingegliedert wer­ den. Dafür sollte nicht nur die Entwicklung von Ost-West-Pipelinekorridorprogram­ men dienlich sein. Zur militärischen Abschirmung dieser Strategie fordert Jackson eine führende Rolle der NATO ein: »Für die NATO ist es Zeit, auf ihrem bevorste­ henden Gipfel in Istanbul einen... Schritt zu tun, indem sie das strategische Inter­ esse anerkennt, die das Bündnis in dieser Region hat. Eine solche Anerkennung sollte verbunden werden mit einem Stufenplan für umfassende bilaterale sowie regionale Zusammenarbeit. Verschiedene westliche Länder können sich entschlie­ ßen - wie es sich in Mittel- und Osteuropa als effektiv erwiesen hat -, eine Füh­ rungsrolle zu übernehmen und mit jedem der Schwarzmeer-Staaten auf bilateraler oder multilateraler Ebene Zusammenarbeiten. Das Handwerkszeug für ein solches Bündel erweiterter militärischer Zusammenarbeit ist im Rahmen der >Partnerschafts­ programme< der NATO bereits vorhanden... So wie die NATO auf die veränder­ ten geopolitischen Verhältnisse der Visegrád- und Wilna-Staaten reagiert hat, muß sie eine in sich schlüssige Schwarzmeer-Strategie entwickeln, die die politischen Ziele der Europäischen Union ergänzt.«2091 Eine solche Politik hat natürlich auch zum Ziel, die eurasische Kontinentalmacht als potentiellen Konkurrenten aus dieser Interessensphäre zu verdrängen: »Schließ­ lich müssen sich Nordamerika und Europa aufraffen und mittels der OSZE und der Vereinten Nationen eine konzertierte Anstrengung unternehmen, um die ver­ härteten Konflikte zu lösen, die die Region immer noch belasten, und damit den Weg bereiten für einen Rückzug der russischen Truppen, die seit dem Ende des Kalten Krieges verblieben sind.«2092 Die russischen Truppen werden vielmehr als Quelle der Instabilität angesehen, weshalb sie nach Jacksons Ansicht verschwin­ den müssen: »Anstatt eines gemeinsamen regionalen Bemühens um eine Sicher­ heitskooperation haben die russischen Militärbasen nur die Verbreitung von Waf­ fen, ein Klima der Einschüchterung und Schutzgelderpressung begünstigt. 15 Jahre nach dem Fall der Mauer ist es an der Zeit, die Beilegung der schwelenden Konflikte von Transnistrien bis Berg-Karabach zu einem Hauptthema unserer Diplomatie und in unseren Beziehungen zu Moskau zu machen.«2093 Worum es Bruce Jackson - stellvertretend für die US-Machtelite - eigentlich geht, formuliert er deutlich: Es geht um die Vollendung eines >größeren Europa< als fe­ sten Bestandteils und Brückenkopfs einer transatlantischen Hegemonialsphäre, die sich der geopolitischen Schlüsselstellungen Eurasiens bemächtigt, was in den neun­ ziger Jahren in drei Phasen erfolgt ist: »Die erste Phase hat sich auf die Anbindung Polens und der Visegrád-Länder konzentriert. Die zweite Phase erweiterte unsere Vision eines größeren Europas durch die Einbeziehung der neuen Demokratien vom Baltikum bis zum westlichen Rand des Schwarzen Meeres. Heute sehen wir uns der Herausforderung gegenüber, unsere Strategie auszudehnen, damit sie ein Europa umfaßt, das von Weißrußland im Norden bis zum östlichen Rand der Schwarzmeer-Region im Süden reicht.«2094 Noch deutlicher im Hinblick auf die Schwarzmeer-Strategie der USA wird ein

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Strategiepapier der neokonservativen >Heritage Foundation< unter dem Titel U.S. Strategy in the Black Sea Region von Ariel Cohen und Conway Irwin.2095 In diesem Papier wird die Bedeutung der Schwarzmeer-Region als Energielieferant des west­ lichen Hegemons deutlich hervorgehoben, deren Kontrolle es erlaube, von den Erd­ öl- und Erdgasreserven Rußlands unabhängig zu werden. Aus diesem Grunde sei es sowohl für die USA, die NATO als auch für die Europäische Union vonnöten, ein eigenständiges - von Rußland unabhängiges - Schwarzmeersystem zu schaffen, wobei die Türkei eine besonders wichtige strategische Rolle spiele. »Das Schwarze Meer ist ein bedeutender Korridor für den Transport von Erdöl und Erdgas vom Mittleren Osten und Zentralasien nach Europa..., und die Türkei tritt als Schlüssel für die Diversifizierung von Energie-Transitrouten zwischen energieerzeugenden und energiekonsumierenden Staaten in Erscheinung.«2096 Pipeline-Programme wie die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline, die Baku-Tiflis-Erzerum-Pipeline oder das Na­ bucco-Projekt dienen dieser Studie zufolge dazu, die kaspische Region und Zen­ tralasien mit dem »größeren« (sprich transatlantischen) Europa zu verbinden und »das Transitmonopol Rußlands zu brechen und seine bereits übermäßige Markt­ macht zu verringern«.2097 Schließlich sei die Kontrolle über den Öl- und Gastransit nicht nur eine Frage der Wirtschaft, sondern auch eine der Geopolitik. »Kontrolle über die Produktion und Verteilung einer der wichtigsten Ressourcen der Welt gibt ihren Inhabern einen größeren Zugewinn an Macht in der internationalen Arena.«2098 In diesem Zusam­ menhang definiert die Studie Rußland auch als den natürlichen Feind der amerika­ nisch-transatlantischen Schwarzmeer-Strategie. Rußland sei im Begriff, sich sämt­ licher Erdgas- und Erdöllager der ehemaligen Sowjetunion zu bemächtigen und sich als Mittler zwischen den billigen zentralasiatischen Erdöl- und Erdgasreser­ voirs einerseits und den energiehungrigen Ländern Westeuropas zu positionieren. Je stärker Rußland die Kontrolle über den Erdöl- und Erdgastransitmarkt gewinne, desto stärker müsse der Westen versuchen, eine Diversifizierung seines Energie­ importes zu erreichen. Insoweit wird Rußland als Faktor der Instabilität im ener­ giereichen Eurasien angesehen, weil es versuche, seine Einflußsphäre, insbesonde­ re im Süden, wieder zurückzugewinnen. Insoweit gilt dieser Studie zufolge die russische Position in der kaspischen und Kaukasus-Region als hinderlich für die Interessen der transatlantischen Staaten­ gemeinschaft, die Energieressourcen der Region in Besitz zu nehmen. Die Siche­ rung der Energiekorridore nach Westen wird dem Dokument zufolge durch die eth­ nischen Konflikte im Kaukasus bedroht, die die Integrität der strategisch wichtigen prowestlichen Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres wie Georgien, Ukraine oder Moldawien in Frage stellten. Als konfliktverschärfende Macht im Hintergrund sieht das Dokument Rußland an, das beispielsweise im Fall Georgiens die sezessionisti­ schen Kräfte Abchasiens und Südossetiens und in Moldawien die Dnjestr-Region militärisch und finanziell unterstützt. Aus diesem Grund fordert das Strategiepa­ pier die US-Machtelite auf, die NATO-Zusammenarbeit »mit Nicht-NATO-Ländern

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durch die Partnership for Peace mit Angeboten technischer und Trainings-Unter­ stützung in Sicherheitsfeldern auszubauen«. Gleichzeitig sollen die Küstenstaaten des Schwarzen Meeres, insbesondere die NATO-Mitglieder Rumänien und Bulga­ rien, aufgefordert werden, die Führung in der Errichtung von Schwarzmeer-Bünd­ nissystemen wie der Schwarzmeer-Wirtschaftsgemeinschaft zu übernehmen. Dabei sollte den USA im Hintergrund eine steuernde Rolle zukommen: »Wo es zweckdienlich ist, sollten die USA um einen Mitglieds- oder Beobachterstatus er­ suchen«,2099 um existierende Sicherheitssysteme entweder als Mitglied oder als Be­ obachter zu unterstützen. »Diese Strukturen könnten auch in Militärmanöver der NATO... eingebunden werden.«2100 Dabei sollten US-Bündnisse mit Bulgarien und Rumänien, den »Ankern für die USA am Schwarzen Meer«,2101 verstärkt werden. Dies sollte dem Strategiepapier zufolge durch militärische Ausrüstung und Trai­ ning erfolgen, um die bulgarischen und rumänischen Streitkräfte für Missionen vorzubereiten, die für die US-Präsenz in dieser Region bedeutsam sind. Als weiterer wichtiger Verbündeter der USA in der Schwarzmeer-Region wird auch Georgien erklärt, und das Strategiedokument fordert diesbezüglich die USFührung auf, Rußland darauf zu drängen, die Sanktionen gegen Georgien aufzu­ heben. Gleichfalls sollten die USA dafür Sorge tragen, daß in den Krisenherden Südossetien und Abchasien die russischen und GUS-Friedenstruppen durch inter­ nationale Streitkräfte abgelöst werden. Diese Forderung ist natürlich mit dem Hinter­ gedanken verbunden, daß die USA hier die Führung übernehmen sollten. Als Sieges­ preis sieht das Dokument den Abschluß von Handelsverträgen mit den Schwarzmeerstaaten vor, die Investionen in die Transportinfrastruktur vorsahen, um den Erdöl- und Erdgastransport nach Westen sicherzustellen.2102 »Die USA soll­ ten auch anfangen, das Fundament für eine regionale Freihandelszone mit den Vereinigten Staaten zu legen.«2103 In den Plänen Bruce Jacksons sowie im Strategiedokument der >Heritage Foun­ dation< wird damit die Absicht der USA deutlich, die Schwarzmeer- und kaspische Region in eine US-amerikanische Interessensphäre zu verwandeln und diese in die transatlantischen militärischen und ökonomischen Strukturen einzugliedern, so wie es in den strategischen Ideengängen Brzezinskis und Mackinders vorgesehen war.

4.2.7 Zusammenfassung Insgesamt bestand die Eurasienpolitik der USA in den neunziger Jahren, nach dem Zusammenbruch der UdSSR, aus folgenden Elementen: 1. Verstärkung der Unabhängigkeit und Gewährleistung der territorialen Inte­ grität der neuen unabhängigen Staaten, insbesondere jener in Zentralasien und des Kaukasus. »Die Vereinigten Staaten haben sich... lange bemüht, eine unabhängige Entwicklung und die Souveränität der nichtrussischen ehemaligen Sowjetrepubli­ ken zu fördern. Denn sie haben die Integration dieser Staaten in die internationale Gemeinschaft und die internationale Wirtschaft unterstützt, um ihr Abgleiten in eine erneute Abhängigkeit von Rußland zu verhindern. Darin spiegelt sich das

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grundlegende Interesse, wie es Zbigniew Brzezinski einst ausgedrückt hat, >sicher­ zustellen, daß keine einzelne Macht die Kontrolle über diesen geopolitischen Raum gewinntIm Bereich von Wirtschaft und Handel, insbesondere was den Zugang zu Exportmärkten und die Energie- und Mineralressourcen der Region angeht, stehen die Interessen einzelner westlicher Länder eher im Wettbewerb mit­ einander, als daß sie sich ergänzen.VIII. Korril­ dorpolitischen Erdbebengürtels< angesehen, den es unter USRegie zu kontrollieren gilt. In den Denkfabriken der US-Außenpolitik kursiert seit langem das Schlagwort vom »Erdbebengürtel«, der vom Balkan über den Kauka­ sus bis an die Grenzen Chinas reiche. »Diese Zone müsse im Interesse des Weltfrie­ dens und des Handels >stabilisiert< werden.«2110 Aus diesem Grund hat Washing­ ton den Nachfolgestaaten Ex-Jugoslawiens - den Recherchen der Frankfurter Rundschau zufolge - nach den ersten Kriegsschäden den Wiederaufbau nach einer Art Mar­ shall-Plan unter US-Regie angeboten. Die gesamte Region sollte in das liberale Welthandelssystem eingebunden werden. Praktisch könnte so auch die Osterwei­ terung der NATO abgerundet werden. In Albanien, Mazedonien und Bosnien-Her­ zegowina stehen jetzt US-Truppen mit Panzern und Kampfhubschraubern. Wie Pierre Simonitsch in der Frankfurter Rundschau anläßlich einer Diskussion um die Hintergründe des Kosovo-Krieges enthüllt hat, muß die Balkanstrategie der USA als Teil ihrer Gesamt-Eurasienstrategie betrachtet werden: »Besonders umworben und umkämpft ist der frühere >weiche Unterleib< der Sowjetunion mit seinen Roh­ stoffen. Zum Mißfallen Moskaus bereiste NATO-Generalsekretär Solana... Mol­ dawien, Armenien, Georgien und Aserbaidschan. In Aserbaidschan beuten zehn westliche Gesellschaften die Ölvorkommen aus. Laut New York Times sind US-Fir­ men mit 44 Prozent an dem Konsortium beteiligt.«2111 Dabei geht Simonitsch auch auf die Rolle der afghanischen Taliban in dem ge­ samtstrategischen Konzept der USA ein: »Die den Großteil Afghanistans beherr­ schenden Taliban sind eine Schöpfung des pakistanischen Geheimdienstes ISI und deren US-Berater. Der Sachkenner Mostafa Danesch schrieb 1997 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung: >Hinter Pakistan ziehen die USA die Fäden in Afghanistan. In Peschawar sitzen 50 CIA-Agenten, die die Afghanistan-Politik des ISI anleiten.< Die USA helfen den Taliban, weil sie von ihnen eine Befriedung Afghanistans er­ hoffen... Ein Konsortium amerikanischer und saudi-arabischer Ölfirmen hat mit ihnen einen Vertrag ausgearbeitet, der es nach dem Ende des Krieges erlauben wür­ de, eine Öl- und Erdgasleitung von Turkmenistan quer durch Afghanistan bis zum pakistanischen Hafen Karatschi zu bauen.« Auch die Türkei hat nach der Analyse von Pierre Simonitsch für die USA eine strategische Schlüsselfunktion: Ihr falle die Aufgabe zu, den Einfluß Rußlands und des Iran zurückzudrängen. Als Gegenlei­ stung unterstütze Washington die repressive türkische Kurdenpolitik. Dabei wurde der eurasische Pipelinepoker verschärft: »Am 17. April (1999) weihten die Präsi­

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denten der Ukraine, Georgiens und Aserbaidschans an der georgischen Schwarz­ meerküste eine vom Kaspischen Meer ausgehende Ölpipeline ein. Unbeachtet von der Weltöffentlichkeit wurde damit ein an Rußland vorbeiführender Zugang zum westlichen Markt geschaffen, stellt die Wochenzeitung Moskowskije Nowosti fest. Die Staatschefs der Ukraine, Georgiens und Aserbaidschans sowie Armeniens nah­ men am NATO-Gipfel teil, der von Rußland boykottiert wurde.«2112 In diesem Zusammenhang beschreibt Pierre Simonitsch die Schachzüge der USA auf dem Balkan im Rahmen des neuen >Great Game< um die Pipelinekorridore: »Auf dem Balkan verriegelt Serbien die Transitwege der Donau und zum griechi­ schen Hafen Saloniki. Die USA und ihre europäischen Verbündeten haben mehre­ re Versuche unternommen, diesen Riegel friedlich zu sprengen. 1992 wurde ein kalifornischer Industrieller serbischer Abstammung namens Milan Panic als Pre­ mier Rest-Jugoslawiens nach Belgrad katapultiert. Panic versprach freie Marktwirt­ schaft und US-Investitionen, gab aber nach einem Jahr auf... 1996 lancierten die USA die >Southeast-European Coo perative Initiative< (Seci). Ein Sonderberater C lin­ tons, Botschafter Richard Schifter, versucht seither die früheren Teilrepubliken Jugoslawiens und deren Nachbarn für eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu gewinnen. Die Ziele des von der Seci unterstützten Programms für den Aufschwung der Donau« sind laut der UN-Wirtschaftskommission für Europa: die Integration aller Donauanrainer in die Marktwirtschaft, Vertrauensbildung, Konfliktverhütung, Sicherheit und Stabilität der Region. Die Weltbank machte für dieses Programm Kredite locker, doch Serbien blieb störrisch und wurde von der Seci ausgeschlos­ sen.«2113 Sehr schnell wird klar, worum es der US-Machtelite bei dieser Strategie ging, nämlich um die Sicherung des Donaukorridors als Zugang zum Schwarzen Meer und zur kaspischen Region. »Der Donauraum ist nach Ansicht der französischen Tageszeitung Le Monde ein >echter geostrategischer Korridor< - besonders seit der Eröffnung des Main-Donau-Kanals im Jahre 1992. Sieben Staaten säumen den zweit­ längsten Strom Europas. Die Schiffe können von der Nordsee bis zum Schwarzen Meer fahren. Über diese Wasserstraße wurden die Linzer Stahlwerke mit Eisenerz aus Rußland und der Ukraine versorgt. Flußabwärts lieferte Ungarn Getreide an die Türkei.«2114 Der Kosovo-Krieg sollte vor diesem Hintergrund zweierlei strategi­ schen Zielen dienen: Zum einen wurde die Entwicklung einer autarken europäi­ schen Verbindungslinie mit Eurasien unterbrochen; zum zweiten eröffnete der Balkan­ krieg den USA - wie mit dem oben beschriebenen AMBO-Projekt - die Möglichkeit der Inbesitznahme des gesamten Balkans und seiner Infrastruktur, um den VIII. Korridor der Donau-Schwarzmeerregion als eine ausschließliche Domäne der USA neu aufzubauen. Erinnert sei in diesem Zusammenhang daran, daß die Zerstörung des Donau­ korridors schon immer eine Konstante angelsächsischer Europapolitik war, da sich durch die Verwirklichung eines solchen Konzeptes das herauskristallisieren könnte, wovor der britische Geopolitiker Halford Mackinder 1919 in seinem Werk Demo­

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cratic Ideals and Reality gewarnt hatte, nämlich die Verbindung von Mitteleuropa und Eurasien mit dem Ergebnis eines von den angelsächsischen Seemächten unab­ hängigen Kontinentalraums. Der belgische geopolitische Schriftsteller Robert Steuk­ kers faßt dies wie folgt zusammen: »Die in Paris erscheinende, fast offizielle Zeit­ schrift Géopolitique erinnerte unlängst an den britischen Willen, den Flußverkehr auf der Donau und die Verwirklichung der Rhein-Main-Donau-Verbindung zu verhindern. Géopolitique veröffentlichte dabei eine Karte, die damals 1942 in der Londoner Presse gedruckt wurde. Deutschland sei gefährlich, nicht weil seine poli­ tische Regierungsform >undemokratisch< sei, sondern weil dieses Regime in der Lage gewesen sei, den Plan Karls des Grossen und das Testament des preußischen Königs Friedrich des Zweiten zu verwirklichen, das heißt eine inländische konti­ nentale Flußverbindung zu verwirklichen, die die kontinentalen Mächte unabhän­ gig und ohne umfangreiche Flotte kontrollieren konnten, was demzufolge die briti­ sche Kontrolle über das Mittelmeer strategisch stark einschränkte. Um von der Atlantikküste zu den Kornfeldern der Krim und des Dnjestr-, Dnjepr- und Donbe­ ckens oder nach Ägypten zu fahren, brauchte man nicht mehr unbedingt die Frach­ ter der von England finanzierten Reedereien. Das Schwarze Meer wurde auch so direkt mit Mitteleuropa und dem Rheingebiet verbunden. Eine solche geopoliti­ sche, geostrategische und geoökonomische >Sinfonie< wollten die Seemächte eben vermeiden, da sie sonst ihre Bedeutung eingebüßt hätten. Die geopolitischen Visio­ nen des von England ferngeleiteten französischen Geopolitikers André Cheradame, der die Zerstückelung Mitteleuropas und des Donau-Beckens für das Versailler Diktat vorbereitete, zielten ebenfalls darauf ab, so viele künstliche, kaum lebensfä­ hige und miteinander verfeindete Staaten im Donau-Gebiet zu schaffen, daß von Wien bis zum Schwarzen Meer kein wirtschaftlich dynamischer Ergänzungsraum und kein reichisch strukturierter Raum mehr entstehen konnten. Das Ziel, den Fluß­ verkehr zu verhindern, wurde von den späteren Ereignissen des Kalten Krieges befestigt. Die Elbe (Achse Prag-Hamburg) und die Donau als Flußadern wurden durch den Eisernen Vorhang verriegelt. Der Kalte Krieg verfolgte das Ziel, diese Spaltung zu verewigen. Die Bombardierung der Donau-Brücken um Belgrad 1999 verfolgte kein anderes Ziel.«2115 Genau die gleiche Sprache sprechen die Denkschriften des US-Außenministers Robert Lansing, die dieser während der Versailler Vertragsverhandlungen 1919 für den US-Präsidenten Wilson anfertigte: »Die Alldeutschen«, so hieß es in diesen, »finden jetzt im zertrümmerten und machtlosen Rußland Gelegenheit, eine Alter­ native oder ein Ersatzprojekt für ihr >Mitteleuropa< zu entwickeln. Die deutsche Herrschaft über Südrußland würde einen ebenso vorteilhaften, wenn nicht gar vor­ teilhafteren Weg zum Persischen Golf darbieten, als jener durch die unruhigen Bal­ kanländer und die unverläßliche Türkei ist. Könnten beide Wege, nördlich und südlich vom Schwarzen Meer beherrscht werden, dann hätten die Alldeutschen mehr gewonnen, als sie jemals zu erhalten geträumt haben... Der Friedensvertrag darf Deutschland nicht in unmittelbarem oder mittelbarem Besitz eines dieser Wege

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nach dem Orient lassen. Es müssen territoriale Schranken errichtet werden, um dieses Reich zu verhindern, durch politische oder wirtschaftliche Durchdringung jemals in diesen Gebieten die Herrschaft zu erlangen.«2116

4.3 Die Bedeutung Zentralasiens für die US-Geopolitik In der angelsächsischen Geopolitik kommt Zentralasien und der Kaukasusregion eine eigenständige geopolitische Bedeutung zu, die durch die mit dem Zusammen­ bruch der Sowjetunion einhergehenden Umwälzungen noch verstärkt wurde. In den neuen geopolitischen Konstellationen wird der Raum Zentralasien und Süd­ kaukasus zum einen durch die geographische Lage am Kreuzungspunkt von wich­ tigen Nord-Süd- und Ost-West-Transportkorridoren als eine Schlüsselregion be­ griffen. Die daraus abgeleitete geostrategische Wichtigkeit der Region wird ferner durch den Reichtum an fossilen Energieressourcen und ihre Bedeutung für die Welt­ energieversorgung erhöht.2117 Der zentralasiatische Raum ist eine Region, der es wie es der russische Sicherheitsexperte Leonid L. Fituni formuliert - an geopoliti­ scher Autarkie fehlt. »Zwar ist das Gebiet die größte Landmasse der Welt, hat aber keinen Zugang zum Meer und liegt abseits der globalen Handelsrouten.«2118 Vor diesem Hintergrund bestimmt seine geopolitische Lage Zentralasien zum Austragungsort des Kampfes zwischen Landmacht und Seemacht. »Geographisch gesehen ist Zentralasien durch seine weite Entfernung vom Meer und seinen Ein­ flüssen gekennzeichnet... Seine Geschichte... ist durch die Isolierung von den gro­ ßen Bewegungen der maritimen Entdeckungen, der damit zusammenhängenden politischen Expansion und des Seehandels geprägt... Als Herzstück der eurasi­ schen Landmasse hat Zentralasien in der Geschichte zwei bestimmte, einander widersprechende Funktionen erfüllt. Als Folge seiner ungeheuren Ausdehnung, seiner überwiegenden Trockenheit und des Fehlens natürlicher Verbindungswege hat es einerseits dahin gewirkt, die Kulturen an seiner Peripherie voneinander ge­ trennt zu halten. Zum andern hat es... einen schmalen, jedoch fast nie unterbro­ chenen Verbindungsweg zwischen eben jenen Randkulturen geschaffen. Dies lag in seiner zentralen Lage begründet: Zentralasien bot sich nicht nur als ideales Ter­ rain für Völkerwanderungen an, sondern auch als Achse der großen Handelsstra­ ßen, die besonders für den chinesischen Seidenhandel mit dem Westen von we­ sentlicher Bedeutung waren.«2119 Mit dem Zusammenbruch der UdSSR entstand in der Region ein Machtvakuum, und damit wurde die Region automatisch zum Interessenobjekt externer Mächte, um die fehlende geopolitische Autarkie auszugleichen, denn die Eingliederung dieser Region in die Hegemonialsphäre einer externen Macht begründet gleicher­ maßen einen Anschluß an die globalen Handelswege und offenbart einen Zugang zum Meer. »Aufgrund der strategischen Bedeutung, die ihr aus ihrer geographi­ schen Lage zukommt, wird die Kaukasus-Mittelasien-Region als >goldene BrückeDrehtürKreuzungszone der Kulturen und RegionenSchnittstelle< und >Schar­ nier zwischen Europa, dem Nahen und Mittleren Osten< bezeichnet.«2120

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Bereits der britische Geopolitiker Halford Mackinder erkannte die Bedeutung Zentralasiens für die Auseinandersetzung zwischen der angelsächsischen Seemacht und der eurasischen Kontinentalmacht. Seiner Interpretation der geopolitischen Weltordnung zufolge wird das eurasische >Heartland< ja von vier Peripherien um­ rahmt. »Eine von ihnen, die die Eigenschaften besitzt, sich neben der eurasischen Kante und dem >Heartland< zu befinden, liegt zwischen den fünf Meeren Mittel­ meer, Schwarzem Meer, Kaspischem Meer, Rotem Meer und Persischem Golf. Diese von Sir Mackinder als Fünfmeerraum (land of the Live Seas) geschilderte und heute als Nah er O sten bekan nte Region machen >Go lfe und dem Ozean zufließende Flüsse ... offen für die Offensive der maritimen Staaten und ermöglichen, von hier aus Herrschaft auszuübenland of the five seas< mit­ enthalten und erscheinen als sehr verletzlich für Angriffe von außen. Diese Fünf­ eckregion gilt als ein Schlüsselraum für die Verwirklichung der territorial-ökono­ mischen und politischen Kontrolle über Eurasien«,2122 die Brzezinski zufolge für die USA der geostrategische Mittelpunkt und der geopolitische Pokal der Rivalität dar­ stellt. Insoweit stellt die kaukasische Region »in diesem Sinne einen gewissen Tran­ sitkorridor für das Eindringen in Mittelasien dar. Denn eben von hier aus kann man eine Kontrolle über Rußland, Iran, China, Indien usw.... ausüben«.2123 Zur Erinnerung: Während des (ersten) Kalten Krieges bezeichnete Brzezinski die kaukasische und zentralasiatische Region als die südliche der drei Hauptfronten gegen die Sowjetunion. Die Südfront, der »soft underbelly« (der weiche Unterleib), war für die US-Geopolitik während des ersten Kalten Krieges auch die wichtigste Front, weil sich von hier aus - wie oben bereits ausführlich geschildert - durch die Mobilisierung des islamischen Untergrundes die russische Machtsphäre von Sü­ den her aufreißen und zurückdrängen läßt. Auch der deutsche Geopolitiker Heinz Brill bewertete zur Zeit des Kalten Krieges die Gebiete zwischen Moskau, Baku und Omsk als das geopolitische Kernland der UdSSR.2124 Die Kontrolle über die Südfront, den >Bogen der InstabilitätSüdfront< für die westliche Geo­ politik: »Die südlichen Randgebiete Asiens - der Iran, Pakistan und Afghanistan bilden eine Region der Welt, die Amerikanern fern und fremd erscheinen mag, und doch liegt hier ein Brennpunkt der Sicherheit der Welt. Wenige Jahre nach meiner 1973 dorthin unternommenen Reise wurde dieses Gebiet von großen Umwälzun­ gen heimgesucht. Von der Revolution im Iran bis zum sowjetischen Einfall in Af­ ghanistan und dem iranisch-irakischen Krieg beweisen die Ereignisse in dramati­ scher Weise die Verwundbarkeit des Persischen Golfs - der den Westen mit dem lebenswichtigen Öl versorgte. Die vitale Bedeutung dieser Region war schon seit langem ein Thema der klugen Strategen, die ich jetzt besuchen wollte, Mao TseTungs und Tschou En-lais.«2126

4.3.1 Aserbaidschan und Usbekistan als antirussische - und antiiranische - Bollwerke in der US-Geopolitik In der politischen Konstellation, wie sie sich nach dem Ende des ersten Kalten Krie­ ges darstellte, zählte Brzezinski Zentralasien neben dem »demokratischen Brücken­ kopf« Europa, Rußland und Ostasien zu den vier Schlüsselregionen Eurasiens, je­ ner »Projektionsfläche amerikanischer globaler Politik«, die von Lissabon bis Wladiwostok reicht. Für Brzezinski stellte der Zusammenbruch der UdSSR ja ein »unipolares geopolitisches Moment« dar, das es zugunsten der USA im Wege einer »Strategy of Predominance« auszubauen galt: »Nicht nur beherrschen die Verei­ nigten Staaten sämtliche Ozeane und Meere, sie verfügen mittlerweile auch über die militärischen Mittel, die Küsten mit Amphibienfahrzeugen unter Kontrolle zu halten... Amerikanische Armeeverbände stehen in den westlichen und östlichen Randgebieten des eurasischen Kontinents und kontrollieren außerdem den Persi­ schen Golf.«2127 Wie oben beschrieben, ist in dem Weltmodell Brzezinskis Eurasien das Schach­ brett, auf dem sich auch in Zukunft der Kampf um die globale Vorherrschaft ab­ spielen wird.2128 Eine Dominanz auf dem gesamten eurasischen Kontinent ist dem­ nach noch heute die Vorbedingung für globale Vormachtstellung; es ist außerdem der Ort, wo Amerika irgendwann ein potentieller Nebenbuhler um die Weltmacht erwachsen könnte.2129 Darum stellt Brzezinski für die US-Globalpolitik die Aufgabe, im Hinblick auf Eurasien eine umfassende und in sich geschlossene Geostategie zu entwerfen.2130 Diese soll im wesentlichen aus zwei Elementen bestehen, nämlich zum einen aus einer eurasischen >Balance of Power< und zum anderen aus einer strategischen Isolation Rußlands. Die US-Außenpolitik muß »ihren Einfluß in Eu­ rasien so einsetzen, daß ein stabiles kontinentales Gleichgewicht mit den Vereinig­ ten Staaten als politischem Schiedsrichter entsteht«.2131 Der Hauptgegner ist dabei nach wie vor Rußland. Dieses habe, so Brzezinski, seinen Platz in der neuen Welt­ ordnung noch nicht gefunden. In seiner augenblicklichen Lage habe es noch nicht die Kraft, erneut zur Weltmacht aufzusteigen. Ihm sei zu empfehlen, seine Groß­

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machtphantasien aufzugeben und sich statt dessen ganz bewußt auf eine Moderni­ sierung, Europäisierung und Demokratisierung im westlichen Sinne zuzubewe­ gen.2132 Allerdings bestehe die Gefahr, daß es entweder durch ein Bündnis mit Eu­ ropa oder durch die Unterwerfung der selbständig gewordenen mittelasiatischen Staaten neue Weltmachtbestrebungen entwickelt. Beide Möglichkeiten müßten da­ her abgeschnitten werden. Der russische Weg nach Europa verläuft geographisch und politisch über die Ukraine. Entscheidender Punkt ist dabei: Ohne die Ukraine kann Rußland nicht zu Europa gehören, wohingegen die Ukraine ohne Rußland durchaus ein Teil von Europa sein kann.2133 Durch die Westbindung der Ukraine ist Rußland also dauer­ haft von Europa zu trennen. Dabei sollten die USA langfristig auf eine deutsch­ französisch-polnisch-ukrainische Partnerschaft2134 unter amerikanischer Oberhoheit hinarbeiten. Darin eingeschlossen ist auch der »NATO-Beitritt der Ukraine«.2135 Besondere Aufmerksamkeit sollte Brzezinski zufolge die US-Außenpolitik der Südfront zukommen lassen. Für das Verhältnis Rußlands zu Mittelasien nämlich bilden Aserbaidschan und Usbekistan geopolitische Dreh- und Angelpunkte und verdienen daher Amerikas stärkste geopolitische Unterstützung.2136 Usbekistan, volksmäßig der vitalste und am dichtesten besiedelte zentralasiatische Staat, stellt ein Haupthindernis für jede neuerliche Kontrolle Rußlands über die Region dar. Seine Unabhängigkeit ist von entscheidender Bedeutung für das Überleben der anderen zentralasiatischen Staaten. Dabei ist es vor allem der strikt antirussische Kurs der usbekischen Außenpolitik, die sich in den Augen Brzezinskis als beson­ ders förderungswürdig darstellt. »Die stark nationalistische Haltung der usbeki­ schen Führung hatte in der russischen Presse bereits scharfe Verurteilungen ausge­ löst wegen Usbekistans strikt prowestlicher Orientierung in der Wirtschaft, harscher Invektiven gegen die Integrationsverträge innerhalb der GUS, entschiedener Ab­ lehnung, selbst der Zollunion beizutreten, und wegen einer methodisch antirussi­ schen Nationalitätenpolitik... Für die Vereinigten Staaten, die in Asien eine Politik der Schwächung Rußlands verfolgen, ist diese Politik ungemein attraktiv.«2137 Us­ bekistan ist in den Augen Brzezinskis daher »die Seele des nationalen Erwachens der verschiedenen Völker in der Region«.2138 Aserbaidschan ist aufgrund seiner geographischen Lage zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer der Sperrriegel auf dem Weg nach Süden, zum Iran und an den Persischen Golf. Außerdem ist es der Schlüssel zum Öl: »Ein unabhängiges Aserbaidschan kann dem Westen den Zugang zu dem an Ölquellen reichen Kaspi­ schen Becken und Zentralasien eröffnen.«2139 Die zentralasiatische Region und das Kaspische Becken verfügen nach Einschätzung Brzezinskis über Erdgas- und Erd­ ölvorräte, die jene Kuwaits, des Golfs von Mexiko oder der Nordsee in den Schat­ ten stellen.2140 Aserbaidschan ist damit der geopolitische Dreh- und Angelpunkt der Region. »Es ist gewissermaßen der lebenswichtige Korken, der den Zugang zur Flasche mit den Bodenschätzen des Kaspischen Beckens und Zentralasiens kon­ trolliert. Ein unabhängiges, Türkisch sprechendes Aserbaidschan mit Pipelines, die

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Das erdgas und -ölreiche Aserbaid­ schan soll in den Plänen der USStrategen eine antirus­ sische Bollwerkfunkti­ on übernehmen. Usbekistan spielt im Rahmen des Projekts >Neue Seidenstraße< eine große Rolle. Für das Verhältnis Ruß­ lands zu Mittelasien bildet Usbekistan nämlich einen geopolitischen Drehund Angelpunkt. Plakat des usbeki­ schen Präsidenten Islom Karimow.

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es mit der ethnisch verwandten und politisch als Stütze agierenden Türkei verbin­ den, verwehrte Rußland eine Monopolstellung im Zugang zur Region und beraubte es damit seines entscheidenden politischen Druckmittels auf die Politik der neuen zentralasiatischen Staaten.«2141 Auch Zentralasien-Experte Rainer Freitag-Wirminghaus bestätigt, daß Aserbaid­ schan in den Plänen der US-Machtelite eine geostrategische Drehscheiben- und antirussische Bollwerkfunktion zugewiesen wird, und zwar sowohl wegen seiner Erdölvorkommen als auch wegen seiner geographischen Lage: »Schon durch die Anzahl der Vertragsabschlüsse ist Baku als Metropole des Kaspischen Meeres zum Zentrum der Öldiplomatie geworden.2142 Die Verträge mit den westlichen Ölfir­ men haben Aserbaidschans außenpolitischer Orientierung eine deutliche Richtung gegeben. Aserbaidschan gehört zu den Ländern, die nach westlicher Auffassung dem russischen Hegemonialanspruch und dem iranischen Einfluß in der Region entgegentreten sollten. Außerdem wirken die geknüpften Verbindungen zu Israel als eine Erweiterung der Achse Washington-Ankara-Tel-Aviv... Baku wird seit­ dem von Washington wie auch von London als strategischer Partner bezeichnet. Im Zuge der sich entwickelnden amerikanisch-russischen Rivalität im Kaukasus ist nach amerikanischer Vorstellung Aserbaidschan neben der Türkei eine entschei­ dende Rolle zur Festigung der Region zugedacht. Nach der einseitigen protürki­ schen Ausrichtung des Präsidenten Elibey hat man von seinem Nachfolger Alijev nach seiner Machtübernahme 1993 eine prorussische Politik erwartet. Doch sowohl die Enttäuschung über die anhaltenden armenischen Eroberungen auch nach Ba­ kus GUS-Beitritt als auch russische Forderungen nach Militärstützpunkten führten zu einer deutlichen Hinwendung zum Westen als Garant der Unabhängigkeit.«2143 Was aber einer aktiven pro-aserbaidschanischen Politik der USA im Wege stand, war der Umstand, daß Anfang der neunziger Jahre aufgrund des starken Einflus­ ses der Armenierlobby wegen des Berg-Karabach-Konfliktes Aserbaidschan eher unterdurchschnittlich unterstützt wurde. »Diese... armenische Gruppe konnte so­ mit die wesentlichen Linien amerikanischer Politik im Transkaukausus definie­ ren«,2144 was den eigentlichen Interessen der US-Machtelite äußerst zuwiderlief: »Der innenpolitische Druck der armenischen Lobby auf die amerikanische Politik steht im Widerspruch zu den amerikanischen Interessen in der Region, also auch der Sicherstellung des Zugangs zu den aserbaidschanischen Energieressourcen... Die amerikanisch-aserbaidschanischen Beziehungen wurden erheblich beeinträchtigt durch die nach aserbaidschanischer Lesart diskriminierende Politik der USA ge­ genüber dem zentralasiatischen Land.«2145 In der Folgezeit gelang es aber der an den Erdölressourcen interessierten USMachtelite, diese Haltung gegenüber Aserbaidschan zu neutralisieren, was im we­ sentlichen auf den Einfluß der Öl-Lobby zurückzuführen ist. Der Sohn von Zbi­ gniew Brzezinski, Mark Brzezinski, der für die Anwaltskanzlei Hogan & Hartson arbeitet, welche nach eigenen Angaben im Erdöl- und Erdgasgeschäft am Kaspi­ schen Becken engagiert ist, stellte in einem von ihm verfaßten Artikel in der Wa­

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shington Post vom 18. Mai 1999 dar, warum die US-Geopolitik Aserbaidschan als antirussisches Bollwerk ausbauen sollte und daher die Sanktionen gegen Aserbaid­ schan aufgehoben werden sollten. In dem Artikel beklagt er, daß die USA den vier Millionen Armeniern 600 Mio. Dollar an Hilfe zahlten, aber den acht Millionen Aseris nur 100 Mio. Dollar, obwohl das Erdöl- und Erdgas doch in Aserbaidschan sei. Trotz der Sanktionen, so Brzezinski jun., sei Präsident Alijew proamerikanisch, weil er darauf baue, daß ihn die USA vor dem Druck von Rußland im Norden und von dem Iran im Süden schützten. Weiter schreibt er: »Kontrollierte Rußland Aserbaidschan, könnte es das Land im Westen von Zentralasien, besonders von der Türkei, abriegeln und so die russi­ sche Kontrolle der erdölreichen zentralasiatischen Staaten verstärken. Eine russi­ sche Dominanz über Aserbaidschan sicherte auch die russische Vorherrschaft über andere Kaukasusstaaten, vor allem Armenien und Georgien. Seine Lage macht Aserbaidschan zu einem lebenswichtigen Verkehrskorridor, der den Zugang zum Kaspischen Becken und nach Zentralasien kontrolliert. Ein starkes und autonomes Aserbaidschan, mit Pipelines, die bis zur Türkei reichen, garantierte dem Westen einen Zugang zur Region und würde Rußland und dem Iran entscheidende politi­ sche Druckmittel gegenüber der Politik der neuen zentralasiatischen Staaten aus der Hand nehmen.«2146 In die gleiche Richtung argumentiert auch Brzezinski sen. in seinem Buch The Grand Chessboard: »Moskau muß sein Augenmerk vor allen Dingen auf Aserbaid­ schan richten. Würde es sich dem Kreml unterordnen, ließe sich Zentralasien ge­ gen den Westen, vornehmlich gegenüber der Türkei, abschotten. Dadurch könnte Rußland seinen Druck auf das widerspenstige Usbekistan und das nicht minder aufsässige Turkmenistan verstärken. So dient die taktische Zusammenarbeit mit dem Iran in strittigen Angelegenheiten wie der Verteilung der Konzessionen für Tiefseebohrungen im Kaspischen Meer dem wichtigen Ziel, Baku zu zwingen, sich Moskaus Wünschen anzupassen. Ein unterwürfiges Aserbaidschan würde es Mos­ kau außerdem erleichtern, seine beherrschende Position in Georgien und Armeni­ en zu festigen.«2147 Das aber bedeutet im Umkehrschluß: Mit einer Förderung der Unabhängigkeit Aserbaidschans hätte sich auch die russische Vorherrschaft in Zentralasien und im Kaukasus erledigt. Brzezinski bezeichnet Aserbaidschan - neben Kasachstan - da­ her auch als den »geographischen Schild«, den Rußland durchbrechen müsse, um eine erfolgreiche Gegenoffensive zur Sicherung der Kontrolle über Zentralasien wiederaufzunehmen. Folgerichtig ließ die US-Außenpolitik daher auch von ihrer anfangs proarmenischen Haltung ab und trug in internationalen Gremien Entschei­ dungen mit, die die territoriale Integrität Aserbaidschans (trotz des Brennpunktes der armenischen Enklave Berg-Karabach) schützten. »Auch die Beschränkung öf­ fentlicher Mittel zur Unterstützung Aserbaidschans wurde gelockert... Regierungs­ vertreter forderten immer deutlicher eine Aufhebung von Absatz 907 des Freedom Support Act, der rechtlichen Basis für die Diskriminierung Aserbaidschans.«2148

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Im Vorgriff auf die kommenden Ereignisse sollte die Bedeutung Aserbaidschans für die US-Geopolitik in Eurasien noch weiter zunehmen, wie die Süddeutsche Zei­ tung enthüllte: »Doch wichtiger dürfte das strategische Interesse der Amerikaner an dem kleinen Aserbaidschan sein. Nachdem sich viele Jahre US-Unternehmen in dem rohstoffreichen Land engagiert hatten, wird nun seit einigen Monaten Öl aus dem Kaspischen Meer durch eine neue Pipeline gepumpt. Die Röhre beginnt in Baku und verläuft über georgisches Gebiet bis in das türkische Ceyhan, von dort wird der begehrte Rohstoff bald schon in die westliche Welt gebracht werden. Das ist ganz im Sinne der Amerikaner, die großen Wert auf Alternativen für ihre Energie­ importe legen. Aserbaidschan hat sich in diesem Geschäft als zuverlässiger Partner der USA erwiesen, denn die Route umgeht sowohl Rußland im Norden wie auch Iran im Süden.«2149 Aber auch für das von der US-Machtelite in Angriff genommene strategische >Grand Design< im Sinne der >Greater Middle East Initiativeinformelle Imperium< der USA eingeglie­ dert werden soll, spielt Aserbaidschan eine wichtige Rolle, nämlich als Ausgangs­ punkt für Operationen im Irak und in Afghanistan sowie für eine irreguläre Krieg­ führung im Wege geheimdienstlicher >Covert-Actions< gegen den Iran: »Seit geraumer Zeit ist das Land zudem am Wiederaufbau des Irak und Afghanistans beteiligt, und auch dies wird in Washington goutiert [gutgeheißen]... Nun aber hat sich die Lage der Amerikaner in Zentralasien und am Golf verändert und da­ mit die Bedeutung Aserbaidschans weiter erhöht. Seitdem die USA ihre Stützpunkte in Usbekistan aufgeben mußten, ist Aserbaidschan als Transitland für AfghanistanEinsätze und mögliche Militärbasis noch wichtiger geworden. Und auch im Atom­ konflikt mit Iran spielt das kaukasische Land eine immer größere Rolle. Der irani­ sche Chefunterhändler im Atomstreit, Ali Laridschani, beschuldigte die USA nun, daß sie bereits Geheimdienstmitarbeiter nach Aserbaidschan geschleust hätten, um einen möglichen Militärschlag gegen Iran vorzubereiten. >Für di esen Fall aber könn­ ten wir die Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline angreifen oder Öllager in AserbaidschanSüd-AserbaidschanSüd-AserbaidschanSieben Schwesterninformel­ le Imperium< USA gilt, ist die Sicherung von strategischen Rohstoffen. Die Mög­ lichkeiten eines Staates, Machtmittel - und nicht zuletzt militärische Gewalt - zu entfalten, hängt von der Fähigkeit der zugrunde liegenden Wirtschaftsordnung zur Bereitstellung der hierfür benötigten wirtschaftlichen und finanziellen Mittel ab. Wie Paul K ennedy - wie o ben berei ts erwähnt - treffend analysiert hat, hat die wirt­ schaftliche Leistungsfähigkeit eine im wahrsten Sinne des Wortes grundlegende Bedeutung für die politisch-militärische Macht eines Staates. »Die wirtschaftliche Stärke eines Gemeinwesens hängt jedoch unter anderem auch von der Verfügbar­ keit von Rohstoffen ab, soweit diese eine kritische Rolle bei den Produktionsmög­ lichkeiten der entsprechenden Volkswirtschaften spielen.«2156 Eine solche Rolle nimmt das Erdöl ein, was sich aus folgenden Gesichtspunkten ergibt: - Erstens ist der Zugriff auf Erdöl entscheidend für die Entfaltung eines mächti­ gen Militärpotentials, das schließlich auf dessen ungehinderter und gesicherter Versorgung gründet;2157 - zweitens benötigen die modernen kapitalistischen Ökonomien den stetigen, ununterbrochenen Fluß billigen Öls. Jeder größeren Rezession in den Vereinigten Staaten gingen Ölpreiserhöhungen voraus.2158 Ölexperte Daniel Yergin schreibt daher auch zutreffend: »Die Kontrolle des Öls oder zumindest der Zugang zu ihm war immer ein großes strategisches Ziel. Das Öl erlaubt den Nationen, Besitz anzusammeln, ihre Wirtschaft anzutreiben, Güter zu produzieren und zu verkaufen, Waffen zu kaufen oder herzustellen, Kriege zu gewinnen.«2159 Ebenso deutlich formulierte es eine Vertreterin der US-Machtelite, die ehemalige Energie-Expertin im Nationalen Sicherheitsrat unter Bill Clinton, Sheila Heslin: »Die Welt dreht sich um Öl und Gas, und diejenigen, die sie kontrol­ lieren, verfügen über ökonomische und militärische Macht.«2160 Folgerichtig wird in den offiziellen Strategiepapieren der US-Machtelite seit den achtziger Jahren der Zugang zu strategischen Rohstoffen, zu Öl und Erdgas, regelmäßig als »vitales In­ teresse der USA« benannt.2161

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Bereits mit der berüchtigten Doktrin des US-Präsidenten Jimmy Carter vom 23. Januar 1980 wurde der Anspruch der USA auf Kontrolle des Zentrums der interna­ tionalen Erdölproduktion, nämlich des Persischen Golfes, deutlich hervorgehoben: »Der Versuch irgendeiner außenstehenden Macht, die Kontrolle über die Region des Persischen Golfes zu erlangen, wird als Angriff auf die vitalen Interessen der Vereinigten Staaten betrachtet und mit allen notwendigen, inklusive militärischen Mitteln zurückgeschlagen werden.« Damit, insbesondere aber auch durch die kurz danach aufgestellte >Rapid Reaction ForceSicherheitsmarge< - die Spanne zwischen Nachfrage und Förderkapazität - wurde immer schmaler, so daß der Markt für Konflikte und Störungen anfällig wurde.«2164 Daniel Yergin weist Anfang der neunziger Jahre darauf hin, daß in dieser Kon­ stellation wachsenden Erdölimportbedarfs das Rohstoffreservoir der Sowjetunion

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bzw. ihrer Nachfolgestaaten eine fundamentale Rolle für die Erdölpolitik der neun­ ziger Jahre haben werde. »Die politische Entwicklung in der Sowjetunion könnte durchaus bedeutende Konsequenzen für die Energieversorgung der Welt in den unmittelbar vor uns liegenden Jahren haben. Die UdSSR ist der größte Ölprodu­ zent der Welt, ihr Ausstoß war 1989 doppelt so hoch wie der von Saudi-Arabien. Wieder und wieder hat in der Vergangenheit das Schicksal des russischen Öls signi­ fikante globale Auswirkungen gehabt.«2165 Dieser Entwicklung war und ist sich die US-Machtelite auch bewußt. »Nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) in Paris beginnt ab dem Jahr 2005 die Förderquote der derzeit weltweit erschlossenen Erdölvorkommen um zwei bis vier Prozent pro Jahr zurückzugehen. Gleichzeitig wird die globale Nachfrage nach Erdöl durchschnittlich um 1,5 bis 2 Prozent im Jahr ansteigen. Die dann ent­ stehende jährliche Differenz zwischen den globalen Förder- und Verbrauchsmen­ gen von 3,5 bis 6 Prozent wird stark anwachsende Versorgungsprobleme zeitigen und die Abhängigkeit der westlichen Industrieländer von den fünf Golfstaaten Saudi-Arabien, Irak, Iran, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Kuweit stei­ gern. Zum Beispiel werden die USA in zwölf Jahren 60 Prozent ihres Erdölbedarfs importieren müssen. Daß die USA nicht imstande sind, ihre Energieversorgung unabhängig von anderen Staaten zu gewährleisten, wurde im Jahre 2001 auch in zwei Strategiepapieren eingeräumt. Im Bericht über Strategic Energy Policy - Chal­ lenges for the 21st Century (April 2001) einer unabhängigen Expertengruppe und im Report über National Energy Policy (Mai 2001), der unter Vorsitz des amtierenden Vize-Präsidenten der USA, Dick Cheney, erstellt wurde, wird >zur erneuten Bewer­ tung der Rolle der Energie in der Außenpolitik der USA< aufgefordert. Konkret ist damit >die Überwindung der politischen Hindernisse auf dem Weltenergiemarkt< sowie >die Erleichterung des Zuganges zu neuen Erdöl- und Erdgasquellen< ge­ meint.«2166 Für die nächsten zwei Jahrzehnte sieht das US-Energieministerium einen An­ stieg des Verbrauchs an E rdöl um 33 % und an E rdgas um mehr als 50 % voraus.2167 Um den wachsenden Bedarf ausgleichen zu können, müßte der Importanteil bis 2020 auf 70 % steigen.2168 Gleichzeitig machte sich bereits Ende der neunziger Jahre bemerkbar, daß sich die OPEC auf den internationalen Ölmärkten wieder als preis­ bestimmendes Gewicht positionieren konnte. »Da viele Nicht-OPEC-Quellen all­ mählich versiegen und sie bereits heute am Limit produzieren, scheint sich nun aber das Blatt zu wenden. Heute verfügen einzig die OPEC-Länder über zusätzli­ che Förderkapazitäten. Friedemann Müller von der SPD-nahen Stiftung Wissen­ schaft und Politik weist auf die Folgen für den Ölpreis hin: >Im März 1999 wurde sich die OPEC bewußt, daß die Nicht-OPEC-Produzenten über keine Produktions­ reserven verfügten, eine Mengenbegrenzung der OPEC daher nicht durch die Über­ nahme von Marktanteilen durch andere aufgefangen würde. Das Instrument der Mengenbegrenzung griff wieder. Der Preis stieg im Jahr 2000 auf über 30 $... Die

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in den 80er und 90er Jahren verlorene Herrschaft über die Ölpreissteuerung hat die OPEC 1999 im Prinzip zurückgewonnen.Triade< USA-Japan-EU. Die Gegenstrategie wurde maßgeb­ lich vom damaligen US-Außenminister Kissinger bestimmt. Sie bestand darin, unabhängig von der OPEC eine dauerhaft störungsfreie Ölversorgung auf Billig­ preisniveau - auch unter Einsatz militärischer Mittel - sicherzustellen. Sie setzte auf eine Steigerung des Angebots der Energieträger Öl, Gas, Kohle und die Atom­ energie. Dafür wurde auf die Förderung von Energierohstoffen in allen Weltregio­ nen außerhalb der OPEC-Staaten gesetzt. Das Konzept ist aufgegangen und leitete zugleich die Schwächung und Spaltung der OPEC ein.«2171 Rizvan N abiyev bestätigt in diesem Zusammenhang, daß in der Zukunft der OPEC eine wachsende Rolle bei der Erdölproduktion zukommen wird: »Nach einer Ana­ lyse der OPEC könnte ihr Anteil an der Weltölförderung von 39,5 % im Jahre 2000 auf 50,5 % 2020 steigen. Zahlreiche Experten und Studien schätzen, daß der OPECAnteil an der Weltölförderung bis zum Jahre 2020 vielleicht sogar den historischen Höchststand von 1973 (52%) übertreffen wird... Die Organisation der Arabischen Erdölproduzentenländer (OAPEC) prognostiziert, daß der Anteil der OPEC bei der Weltölversorgung von 41,5% im Jahre 2000 auf 48,5% 2010 und 57,3% 2020 anstei­ gen wird... Der unproportionale Anstieg der OPEC- und darunter der Golf-OPECAnteile an der Welölförderung stellt eine aus ökonomischen, politischen und öko­ logischen Gesichtspunkten durchaus gefährliche Tendenz bei der Entwicklung der Weltenergieversorgung und der internationalen Politik dar.«2172 Nicht zuletzt auch aus diesen energiewirtschaftlichen Gründen geriet die Regi­ on Zentralasiens und des Kaspischen Meeres in den Blickpunkt der US-Strategen. Der Zusammenbruch der UdSSR eröffnete den USA die Gelegenheit, die Kontrolle über eine Region zu erlangen, die die größten unerschlossenen fossilen Brennstoff­ vorräte der Welt besitzt.2173 Das US-Energieministerium schätzte die Vorkommen im April 2000 auf 125 Mrd. Barrel; die offizielle Lageeinschätzung des Weißen Hau­ ses geht sogar von 160 Mrd. Barrel aus, was in etwa den zusammengenommenen Vorräten des Iran und Kuweits entspräche.2174 Vor diesem Hintergrund erklärte die Clinton-Administration die Region zu einer Zone, in der lebenswichtige ame­ rikanische Interessen betroffen sind.2175 US-Außenministerin Madeleine Albright

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erhob folgerichtig die gesamte Region von Transkaukasien 1997 zur »geostrategi­ schen Interessenzone der USA«.2176 Wie Matin Baraki hervorhebt, wird der Raum Mittelasien und das Kaspische Meer »sehr wahrscheinlich eine der bedeutendsten Konfliktregionen des 21. Jahr­ hunderts werden. Die USA verfolgen mit großem Interesse die Rohstoffentwick­ lung in diesem Raum. Der Staatssekretär im State Department Stuart Eizenstat aus der Regierungszeit des US-Präsidenten Bill Clinton (1993-2001) hob vor dem USKongreß hervor, daß >das Kaspische Meer potentiell eine der wichtigsten neuen energieproduzierenden Regionen der Welt< sei«.2177 Die US-Machtelite erhoffte, daß mit Hilfe einer US-Zentralasienstrategie das Erdölmonopol Saudi-Arabiens, das, wie bereits ausgeführt, in der internationalen Erdölwirtschaft die Rolle des >Swing producers< - eines Produzenten, der Produktionsengpässe ausgleicht - einnimmt, aufgebrochen werden kann: Da die politische Lage in Saudi-Arabien instabil ist, »muß aus US-Sicht Zentralasiens Energiereichtum als Alternative unter Kontrolle gebracht werden«.2178 S. Neil MacFarlane bezeichnet Zentralasien und den Raum des Kaspischen Mee­ res als »eine der sehr wenigen vielversprechenden Regionen zur Ausbeutung von Erdöl und Erdgas. Darüber hinaus herrschen in dieser Region liberalere Bedingun­ gen für multinationale Unternehmensbeteiligungen bei der Energiegewinnung als in den besser ausgebauten Produktionsgebieten Saudi-Arabiens. In dem Maße, in dem die USA die wachsende Abhängigkeit des Weltenergiemarkts vom Nahen Osten verringern möchten, steigt ihr Interesse daran, die Entwicklung einer unab­ hängigen Energiequelle zu stützen und die effektive Belieferung der Weltmärkte zu sichern. So stellte Wallace Hays jüngst fest: >Die kaspische Region ist für die Vereinigten Staaten wichtig, weil es sich um die wahrscheinlich letzten noch nicht angezapften Ölreserven in der Welt handelt und sie den USA die seltene Chance bietet, die Weltölversorgung zu diversifizieren. Darum könnte die Region des Kas­ pischen Meeres eines der wichtigsten Gebiete amerikanischer Außenpolitik wer­ den. Foreign Assistance Act< von 1961 und um notwendige Hilfe zur Unter­ stützung der wirtschaftlichen und politischen Unabhängigkeit der Länder im südlichen Kaukasus und in Zentralasien festzulegen«.2182 Im Protokoll des US-Kon­ gresses heißt es: »Die aus dem südlichen Kaukasus und Zentralasien bestehende Region könnte genügend Öl und Erdgas produzieren, um die Abhängigkeit der Vereinigten Staaten von Energie aus der instabilen Region am Persischen Golf zu verringern.«2183 Dementsprechend sei auch eines der grundsätzlichen Ziele der USPolitik »die Unterstützung der amerikanischen Wirtschaftsinteressen und Investi­ tionen in der Region«.2184 Auch Brzezinski selbst hebt diese geoökonomische Bedeutung der kaspischen Region für das US-Imperium hervor: »Viel wichtiger aber ist der eurasische Bal­ kan, weil er sich zu einem ökonomischen Filetstück entwickeln könnte, konzentrie­ ren sich in dieser Region doch ungeheuere Erdgas- und Erdölvorkommen, von wichtigen Mineralien einschließlich Gold ganz zu schweigen. Der weltweite Ener­ gieverbrauch wird sich in den nächsten zwei oder drei Jahrzehnten sehr stark erhö­ hen. Schätzungen des US-Department of Energy zufolge steigt die globale Nach­ frage zwischen 1993 und 2015 um voraussichtlich um mehr als 50 Prozent, und dabei dürfte der Feme Osten die bedeutendste Zunahme verzeichnen. Schon jetzt ruft der wirtschaftliche Aufschwung in Asien einen massiven Ansturm auf die Er­ forschung und Ausbeutung neuer Energievorkommen hervor, und es ist bekannt, daß die zentralasiatische Region und das kaspische Becken über Erdgas- und Erd­ ölvorräte verfügen, die jene Kuwaits, des Golfs von Mexiko oder der Nordsee in den Schatten stellen.«2185 Die praktische Folgerung aus dieser Analyse zog im Sommer 1998 der damalige stellvertretende Direktor im Büro des Staatssekretärs im US-Verteidigungsmini­ sterium, David Tucker, zuständig für Sonderoperationen und Konflikte unterhalb der Schwelle des Krieges: »In einem richtungsweisenden Beitrag in der Zeitung einer amerikanischen Kriegsschule macht er deutlich, daß es für die USA eigentlich nur eine Region gibt, für die es sich wirklich lohnt zu kämpfen, nämlich >das Gebiet vom Persischen Golf nördlich bis zum Kaspischen Meer und östlich bis nach Zen­ tralasien. Dies ist eine sehr bedeutende Region - ungefähr von der Größe der USA -, die etwa 75 Prozent der Weltölreserven und 33 Prozent der Erdgasreserven be­ herbergt.«2186

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In ihrem Buch Strategic Geography and the Changing Mittle East sehen G. Kemp und R. E. Harkavy die kaspische Region und den Persischen Golf als einen einheitlichen strategischen Raum an, der als strategische Energie-Ellipse zu bezeichnen sei. »Die >strategische Energie-Ellipse< verbindet den kaspischen Raum neben dem Persi­ schen Golf auch mit dem Indischen Ozean und umfaßt 16 Staaten - nahezu das ganze Territorium von Iran, einen Teil des Territoriums jeweils von Rußland, Ka­ sachstan, Turkmenistan, Usbekistan, Oman, Saudi-Arabien, Irak, der Türkei und von Georgien sowie das gesamte Territorium von Aserbaidschan, den VA Emira­ ten, Kuwait, Bahrain, Katar und von Armenien.«2187 Durch eine Kontrolle der kaspischen Region jedenfalls gelänge es den USA, diese strategische Energie-Ellipse aufzuspalten und zu verhindern, daß auch die kaspi­ sche Region in das Preiskartell der OPEC eingebunden wird. Gelänge eine Einbin­ dung der postsowjetischen kaukasischen und zentralasiatischen Republiken in das System der OPEC, so würde sich deren Marktmacht gewaltig verstärken, was schon dadurch deutlich wird, daß auf dem Territorium der OPEC-Staaten gegenwärtig rund 78% der Weltölreserven liegen.2188 Demgegenüber ist der kaspische Raum die einzige Region, die mit über 10 Prozent aller möglichen Erdölreserven und 14 Pro­ zent allen Erdgases, dreimal mehr als in der Nordsee, langfristig eine wesentliche Ergänzung (wenngleich keinen Ersatz) zu den Rohstoffen am Golf liefern könn­ te.2189 Vor diesem Hintergrund ließe sich mit der Herrschaft über das kaspische Öl die Macht der OPEC - was ja Ziel der USA ist - brechen: »Denn in den letzten Jahrzehnten sind die amerikanischen OPEC-Importe dramatisch angestiegen, was die US-Energieversorgung besonders verwundbar gegenüber auftretenden Insta­ bilitäten oder aggressiven Preispolitiken der OPEC-Staaten macht.«2190 Brenda Shaffner kommt daher in ihrer Studie U.S. Policy toward t he C aspian R egi­ on: Recommendations for the Bush Administration zu der Schlußfolgerung, daß das kaspische Öl »das OPEC-Monopol schwächen, größeren Einfluß auf die Preispoli­ tiken von Saudi-Arabien und anderen OPEC-Staaten ermöglichen und somit letzt­ lich zu niedrigeren Weltölpreisen beitragen«2191 könnte. Zum gleichen Ergebnis kommt auch Rizvan Nabiyev: »Die Erdölreserven des kaspischen Beckens könnten eventuell im Laufe der zweiten und dritten Dekade des 21. Jahrhunderts eine ähn­ liche Rolle übernehmen, wie sie die Reserven des Mexikanischen Golfs und der Nordsee in den 70er und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts bei der Dämp­ fung der Erdölpreisschocks gespielt haben. Z.b. betrug das Defizit auf dem Weltöl­ markt im Zuge der islamischen Revolution im Iran nicht mehr als 4 bis 5 %. Doch dieser >winzige Mangel< beim Angebot führte zu einem Preisanstieg von 150%. Oder der tiefe Erdölpreisfall 1998 erfolgte erst dann, als die OPEC die Erhöhung ihrer Erdölproduktion um 3% bekannt gegeben hatte.«2192 Angesichts dieser Daten kommt der kaspischen Region für die US-Ölstrategie zur Sicherung des billigen Ölzuflusses eine enorme Bedeutung zu. »Daher könnte die geplante Steigerung der Ölproduktion im kaspischen Becken zwischen 2008/

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2010 und 2020/2025, die, gemessen an der weltweiten Produktion, 4 bis 8 % aus­ machen wird, ein wichtiges Instrument bei der Preisgestaltung auf dem Weltöl­ markt sein. Neben der Rolle eines Preisregulators könnten die Hydrokarbonreser­ ven des Kaspischen Meeres im globalen Maßstab hinsichtlich des >Anstiegs der Welterdölreserven< und >der Diversifizierung der Energiebezugsquellen< eine be­ trächtliche Rolle spielen.«2193 Michel Chossudovsky faßt daher treffend die energiepolitische Bedeutung der kaspischen Region für das informelle Imperium der USA zusammen: »Die Öl- und Gasreserven des eurasischen Korridors sind beträchtlich, mindestens von der Grö­ ße der Vorkommen im Persischen Golf, und folglich dazu angetan, die Abhängig­ keit der USA von der unruhigen Golfregion zu reduzieren.«2194

4.3.3 US-Kontrolle Zentralasiens zur Verhinderung eines Wiederaufstiegs Rußlands - Die Pipeline-Frage als Ansatz für die geopolitische Aufspaltung Eurasiens Mit der Kontrolle über die kaspische Region geht es der US-Machtelite aber nicht nur um die Sicherstellung des eigenen wachsenden Energiebedarfs. Vielmehr sind die politischen Pläne der USA in Zentralasien in einen umfassenden imperialisti­ schen Zusammenhang eingebettet.2195 Man rufe sich noch einmal den Defense Plan­ ning Guidance (Fiscal Years 1994-1999) ins Gedächtnis, der die Blaupause für die Strategie der USA nach dem Zerfall der Sowjetunion darstellt. Jenes Dokument hielt bekanntlich fest, daß es aus der Sicht der USA »das wichtigste Ziel« sei, »das Auftauchen eines neuen Rivalen zu verhindern«. Dabei kommt es den USA insbe­ sondere darauf an, »versuchen zu verhindern, daß irgendeine feindliche Macht eine Region dominiert, deren Ressourcen - unter gefestigter Kontrolle - ausreichen würden, eine Weltmachtposition zu schaffen. Solche Regionen sind Westeuropa, Ostasien, das Gebiet der ehemaligen Sowjetunion und Südwestasien« - also auch der Kaukasus und Zentralasien. Diese Strategie dient zum einen dazu, »potentielle Konkurrenten davon zu überzeugen, daß sie nicht nach einer bedeutenderen Rolle zu streben oder eine aggressivere Haltung einzunehmen brauchen, um ihre be­ rechtigten Interessen zu schützen«, und zum anderen, die konkurrierenden mo­ dernen Industriestaaten davon abzuhalten, »einen Umsturz in der bestehenden po­ litischen und wirtschaftlichen Ordnung anzustreben«. Insbesondere geht es dabei auch um eine konkrete antirussische Zielsetzung. Wie Winfried Wolf schreibt, wurde in den neunziger Jahren in diesem Rahmen »eine US-Politik für die zentralasiatische Region entwickelt, die im wesentlichen drei Ziele verfolgte: Die Unabhängigkeit der neuen südlichen GUS-Staaten sollte gefördert, insbesondere sollten diese zu mehr Distanz zu Rußland >ermutigt< wer­ den. Zweitens sollte Rußlands Monopol auf die Transportwege der Energieressour­ cen in dieser Region gebrochen und damit Transportrouten gefunden und insbe­ sondere Pipelines gebaut werden, die keinen russischen Boden berühren. Im Kern

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ging es darum, d aß >der Wes tenGorilla< schaffen, der auf den Weltenergiemärkten nicht ignoriert werden kann«.2200 Das bedeutet: Das kaspische Öl darf nicht unter russische Kontrolle geraten, da ansonsten das Ziel der US-Machtelite - die geopolitische Pluralisierung Eurasiens und die Schwächung oder gar die Auflösung Rußlands - wieder gegenstandslos würden. »Wenn das geschätzte Potential auch nur annähernd ausgebeutet Wird, könnten die zusätzlichen Mengen der kaspischen Region Rußland und seine Ver­ bündeten in den neuen unabhängigen Staaten (NUS), was Ölreichtum anbelangt, auf eine Ebene mit dem Persischen Golf bringen und sie so zu einer Energie-Super­ macht machen. Nicht einmal auf dem Höhepunkt ihrer Macht kam die Sowjetunion auch nur in die Nähe dessen. Aber Moskaus Energiepolitik ist nicht auf das kaspi­

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sche Gebiet begrenzt. Statt dessen hat Rußland zunehmend versucht, in den Persi­ schen Golf vorzudringen und seine Energiekontrolle dort ebenfalls zu konsolidieren. Deshalb hat es erheblich im Iran investiert... Kombiniert mit den eigenen Reserven (etwa 50 Mrd. Barrel Rohöl) und kaspischen Vorräten, könnte die Beherrschung des Golföls es Moskau praktisch erlauben, Energiefragen nicht nur den NUS und Europa, sondern ebenso Washington zu diktieren.«2201 Daher fürchtet die US-Machtelite nicht nur eine russische Kontrolle des Golfes, sondern auch ein anti-amerikanisches Bündnis zwischen Rußland und den Golf­ ländern, die ihre Energieressourcen als Druckmittel gegen die USA einsetzen könn­ ten.2202 »Die Kontrolle über die ehemaligen Sowjetstaaten«, so faßt Jürgen Wagner zusammen, »ist nach Auffassung amerikanischer Geopolitiker für Moskau die not­ wendige Bedingung für die Wiedererlangung eines Großmachtstatus. Aufgrund der strategischen Prioritäten Washingtons muß deshalb jeglicher Einflußgewinn Moskaus auf die kaukasischen und zentralasiatischen Republiken verhindert wer­ den. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger stellte h ierzu fest: >Sollte es Moskau gelingen, die Oberherrschaft am Kaspischen Meer zu erlangen, so wäre dieser Sieg vielleicht bedeutsamer als die NATO-Erweiterung für den Westen.< Genau dieser Sachverhalt spielt in der US-Diskussion um die Bedeutung der Region deshalb eine entscheidende Rolle. Hinter den Forderungen, die Unab­ hängigkeit und Stabilität der ehemaligen Sowjetstaaten müßten unter allen Um­ ständen gewahrt werden, steht entsprechend der Versuch, die Region der russi­ schen Kontrolle zu entziehen.«2203 Folgerichtig heißt es daher auch in einem offiziellen Sitzungsprotokoll des Un­ terausschusses Asien und Pazifik des US-amerikanischen Repräsentantenhauses aus dem Jahre 2000, in dem die geopolitischen Zielsetzungen der USA noch einmal klar dargestellt werden: »Die fünf Länder, die Zentralasien ausmachen..., erlang­ ten ihre Unabhängigkeit 1991. Sie haben einmal mehr die weltweite Aufmerksam­ keit auf sich gezogen durch die phantastischen Öl- und Erdgasvorräte, die in der Region lagern... Die erklärten energiepolitischen Ziele der USA für diese Region umfassen: die Stärkung der Unabhängigkeit dieser Staaten und ihrer Bindungen an den Westen; die Brechung des russischen Monopols über die Transportwege für Öl und Gas; das Betreiben einer Ost-West-Pipeline, die nicht durch den Iran führt; die Sicherung der Energieversorgung des Westens durch eine Vervielfältigung der Anbieter... Darüber hinaus wollen die USA verhindern, daß ein einzelnes Land die Kontrolle über diese Region erlangt.«2204 Die Bildung eines einheitlichen »eura­ sischen Energieraumes« muß somit verhindert werden. Da die Politik der Russi­ schen Föderation gerade auf die Zusammenführung des postsowjetischen Raumes gerichtet und das wichtigste Instrument dieser Politik Rußlands Monopol bei den Energieträgern ist,2205 müssen die USA verstärkt auf die Abtrennung der Peripherien setzen. Das Drehbuch dieser US-Politik hatte Zbigniew Brzezinski in seinem Buch The

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Grand Chessboard« verfaßt. Rußland sollte in das »Dilemma der einzigen Alternati­ ve«2206 gezwungen werden, das darin besteht, daß Rußland einerseits sich dem geo­ politischen Pluralismus anpaßt, welcher sich in dem Gebiet der früheren Sowjet­ union durchgesetzt hat,2207 und sich auf der anderen Seite an »Europa« angliedert, und zwar - wie Brzezinski ausdrücklich hervorhebt - nicht an irgendein Europa, sondern an das transatlantische Europa einer erweiterten EU und NATO, das eng mit Amerika verbunden ist. 2208 Deshalb fordert B rzezinski die USA dazu auf, ein stra­ tegisches Umfeld zu schaffen, durch das Rußland gezwungen wird, »seiner impe­ rialen Vergangenheit klar und deutlich abzuschwören«.2209 »Für den Westen und vor allem für Amerika«, so B rzezinski, »gilt es derweil, eine Politik zu verfolgen, die das Dilemma der einzigen Alternative fortschreibt. Die politische und wirtschaftli­ che Stabilität der jungen postsowjetischen Staaten ist ein wesentlicher Faktor, um Rußland zu einem historisch neuen Selbstverständnis zu nötigen. Somit muß die Rückendeckung für die neuen postsowjetischen Staaten - für einen geopolitischen Pluralismus im Raum der früheren Sowjetmacht - ein integraler Bestandteil einer Politik sein, die Rußland dazu bringen soll, seine europäische Option ohne Wenn und Aber auszuüben.«2210 Eine Gefahr für die Erhaltung des geopolitischen Pluralismus in Eurasien liegt jedoch für die US-Machtelite in dem Bestreben Rußlands, wieder Zugang zur kas­ pischen Region und ihrer Rohstoffvorkommen zu bekommen. Ein entscheidendes Konfliktfeld zwischen dem Westen bzw. den USA und Rußland sieht Brzezinski deshalb in dem »Zugang zur Region, über den bis zum Zusammenbruch der So­ wjetunion Moskau allein verfügen konnte. Alle Bahntransporte, Erdgas- und Erd­ ölpipelines und sogar der Flugverkehr wurden über das Zentrum geleitet. Die rus­ sischen Geopolitiker sähen es natürlich lieber, wenn es so bliebe, da sie genau wissen, daß, wer den Zugang zur Region unter Kontrolle oder unter seiner Herrschaft hat, aller Wahrscheinlichkeit nach auch den geopolitischen und ökonomischen Gewinn einheimst«.2211 Brzezinski zufolge drängt Rußland in bezug auf die postsowjetischen Republiken »auf ein zentral gesteuertes Kontrollsystem über die Außengrenzen der GUS, auf engere militärische Integration innerhalb eines gemeinsamen außen­ politischen Rahmens und auf die Ausdehnung des bestehenden (ursprünglich so­ wjetischen) Pipelinenetzes, um den Bau neuer Ölleitungen, die Rußland umgehen könnten, zu verhindern... Moskaus Politik stellt anscheinend noch immer darauf ab, daß sein postimperiales Beziehungsgeflecht mit Zentralasien die neuen, noch schwachen Staaten allmählich um ihre Souveränität bringen und der Kommando­ zentrale der integrierten GUS unterordnen wird. Um dieses Ziel zu erreichen, rät Rußland den dortigen Regierungen ab,... enge Bindungen nach außen zu pflegen und neue Pipelines zu den Häfen am Arabischen oder am Mittelmeer auszubauen. Sollte dieser Politik Erfolg beschieden sein, könnte Rußland die Beziehungen die­ ser Länder zum Ausland diktieren und über die Verteilung der Einkünfte entschei­ den«.2212

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Dabei ist Rußlands Augenmerk Brzezinski zufolge hauptsächlich auf Aserbaid­ schan und Kasachstan gerichtet. Gelänge es Moskau, diese beiden Staaten wieder in seinen Einflußbereich einzugliedern, dann hätte der Westen so gut wie keine Möglichkeiten mehr, seinerseits Einfluß auf Eurasien zu nehmen: »Moskau muß sein Augenmerk vor allen Dingen auf Aserbaidschan richten. Würde es sich dem Kreml unterordnen, ließe sich Zentralasien gegen den Westen... abschotten. Da­ durch könnte Rußland seinen Druck auf das widerspenstige Usbekistan und das nicht minder aufsässige Turkmenistan verstärken. So dient die taktische Zusam­ menarbeit mit dem Iran in strittigen Angelegenheiten wie der Verteilung der Kon­ zessionen für Tiefseebohrungen im Kaspischen Meer dem wichtigen Ziel, Baku zu zwingen, sich Moskaus Wünschen anzupassen. Ein unterwürfiges Aserbaidschan würde es Moskau außerdem erleichtern, seine beherrschende Position in Georgien und Armenien zu festigen... Würde sich Kasachstan nach und nach dem russi­ schen Druck beugen, gerieten Kirgistan und Tadschikistan fast automatisch in die Einflußsphäre Moskaus, das dann sowohl Usbekistan als auch Turkmenistan stär­ ker unter Druck setzen könnte.«2213 Um eine derartige Wiedereingliederung des postsowjetischen Zentralraums zu verhindern, muß in den Augen der US-Machtelite alles darangesetzt werden, die fehlende geopolitische Autarkie der kaspischen Region durch Anbindung an alter­ native Transportkorridore auszugleichen, um deren Abhängigkeit vom russischen Transportmonopol zu neutralisieren. Seit ihrer Unabhängigkeit hatten die Repu­ bliken Zentralasiens vergebens darauf gehofft, ihren Gas- und Ölreichtum auf die internationalen Märkte zu bringen. »Als Binnenstaaten und umgeben von neidi­ schen, feindseligen Mächten - Rußland, Iran, Afghanistan und Usbekistan -, haben sich die zentralasiatischen Staaten intensiv um Pipelines bemüht, die ihrer Isolie­ rung ein Ende setzen und sie von der wirtschaftlichen Abhängigkeit Rußlands be­ freien würden... 70 Jahre lang waren alle Verbindungen - Straßen, Zugstrecken und Pipelines - Richtung Rußland gebaut worden. Jetzt wollten sie Verbindungen zum Arabischen Meer, Indischen Ozean, Mittelmeer und nach China schaffen.«2214 In diesem Zusammenhang bemerkt Brzezinski, daß »genau diese Überlegung... der Pipeline-Frage für die Zukunft des kaspischen Beckens und Zentralasiens eine so zentrale Bedeutung verliehen«2215 hat: »Falls die wichtigsten Ölleitungen in die Region weiterhin durch russisches Territorium zum russischen Absatzmarkt am Schwarzen Meer in Noworossijsk verlaufen, werden sich die politischen Konse­ quenzen, auch ohne daß die Russen die Muskeln spielen lassen, bemerkbar ma­ chen. Die Region wird eine politische Dependance bleiben und Moskau darüber entscheiden können, wie der neue Reichtum der Region verteilt werden soll. Wenn jedoch umgekehrt eine andere Pipeline übers Kaspische Meer nach Aserbaidschan verläuft und von dort durch die Türkei zum Mittelmeer und eine weitere durch den Iran zum Arabischen Meer führt, wird kein Staat das Monopol über den Zu­ gang haben.«2216

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Damit ist die Frage der Pipelinekorridore der entscheidende Ansatzpunkt für die US-Machtelite, Rußland in das »Dilemma der einzigen Alternative« zu zwin­ gen. James Dorian schreibt zum Beispiel in Oil & Gas International'. »Wer die Öltransportwege aus Zentralasien heraus beherrscht, wird alle zukünftigen Trans­ portwege und -mengen beeinflussen und ebenso die Verteilung der Einkünfte aus der neuen Produktion.«2217 Und Frederick Starr, Leiter des Kaukasus-Institutes an der amerikanischen John-Hopkins-Universität in Baltimore, erklärte: »Wer bestim­ men kann, wie die Pipeline-Karte aussieht, wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestimmen.«2218 In einem Artikel im Tages-Anzeiger enthüllte Hans Brandt die näheren Hinter­ gründe der US-Strategie. Brandt zitiert in seinem Artikel den damaligen stellver­ tretenden US-Energieminister Robert Gee bei einer Anhörung des Kongresses 1998: »Exporte aus der kaspischen Region würden das Energieangebot weltweit diversi­ fizieren und damit eine zu große Abhängigkeit vom Persischen Golf vermeiden.« Die Staaten Zentralasiens sollten nicht unter den »unnatürlichen Einfluß regiona­ ler Mächte« geraten, sagte Gee und meinte damit Rußland und Iran. Der alte Rivale Rußland hatte bisher strategische Vorteile, weil das Land über ein großes Leitungs­ netz verfügt. Und der Iran eignet sich für die Pipeline gut, weil es der kürzeste und damit billigste Weg zum Meer wäre.2219 »Strategisches Ziel der USA wie auch der mittelasiatischen Staaten und denen des Kaukasus ist es, das Transportmonopol Rußlands um jeden Preis zu brechen. Rußland soll dauerhaft aus der gesamten Region des Nahen und Mittleren Ostens verdrängt und jede Neuauflage einer So­ wjetunion verhindert werden. Das russische Transportmonopol kann aber nur mit zusätzlichen Pipelines gebrochen werden, weil die kaspische Region keinen natür­ lichen Zugang zu den Weltmeeren hat... Es ging immer darum, Rußland von den Ölquellen am Kaspischen Meer abzuschneiden und seine strategisch wichtige Öl­ pipeline lahmzulegen, die von Baku über Grosny nach Noworossijsk am Schwar­ zen Meer führt.«2220 Strategischer Ausgangspunkt, um Rußland zurückzudrängen und amerikani­ sche Erdölinteressen durchzusetzen, ist für die USA also die Beseitigung des beste­ henden Pipelinemonopols Rußlands. »Das kann nur mit Pipelines erreicht werden, die das Öl und Gas ungehindert an Rußland vorbeiführen und auf die Weltmärkte bringen können... Neben der Rohstoffsicherung zielen die USA auf die regionale Stabilisierung Zentralasiens sowie auf die Erweiterung einer Ost-West-Energie- und Transportverbindung. Das Ziel ist die Zurückdrängung des russischen Einflusses und in zweiter Linie die Wiederherstellung der dortigen Staaten.«2221 Damit soll die Strategie Brzezinskis verwirklicht werden, nämlich zu verhindern, »daß Rußland diesen geopolitischen Raum (d.h. Eurasien, der Verf.) allein be­ herrscht«:2222 »Amerikas primäres Interesse muß folglich sein, mit dafür zu sorgen, daß keine einzelne Macht die Kontrolle über dieses Gebiet erlangt und daß die Weltgemeinschaft ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugang zu ihr

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hat. Geopolitischer Pluralismus wird nur dann zu einer dauerhaften Realität wer­ den, wenn ein Netz von Pipeline- und Transportrouten die Region direkt mit den großen Wirtschaftsknotenpunkten der Welt verbindet, über das Mittelmeer und das Arabische Meer ebenso wie auf dem Landweg. Somit kann das Bemühen Ruß­ lands, allein über den Zugang zu bestimmen, nicht hingenommen werden, da es der regionalen Stabilität abträglich ist.«2223

4.3.4 Die flankierenden Maßnahmen zur Desintegration Zentralasiens: die militärische Anbindung an die USA und der Start einer Neuauflage des >Bernard-Lewis-Plans< Die Schaffung alternativer Pipelinekorridore ist nur ein Weg, um die zentralasiati­ schen Staaten aus der russischen Einflußsphäre herauszulösen und sie in das >in­ formelle Imperium< der USA einzugliedern. Gesichert wird diese Strategie durch eine verstärkte militärische Anbindung der zentralasiatischen Staaten an die USA, um auf diese Weise jegliche Einflußnahme möglicher Konkurrenten im Sinne des >No-Rivals-Konzepts< von 1992 auszuschließen. Stephen Blank, der US-Vordenker der Interessenpolitik der USA in Eurasien, forderte in einer Studie, daß Rußland, die EU und China insgesamt von den Ländern des Balkans und Zentralasiens fern­ gehalten werden. Aus diesem Grund fordert Blank eine Strategie, die eine schlei­ chende militärische Inbesitznahme dieser Region durch die USA vorbereitet. »Stephen Blanks Argumentation legt nahe, daß derzeit unter dem Deckmantel von Friedensmissionen eine raffinierte Methode zur Durchsetzung der amerikani­ schen Hegemonialansprüche verfolgt wird. Eine offene, von der Armee abgesicherte diplomatische Konfrontation mit Rivalen der USA wie etwa Rußland, China oder anderen bleibt nach wie vor gefährlich und erscheint deshalb nicht angemessen. Die amerikanische Politik muß deshalb Mittel und Wege finden, um das >funktio­ nale Äquivalent..., (das heißt) also: Friedensoperationen< auf den Weg zu bringen. Deshalb gibt es gute Gründe für die Behauptung, das US-Engagement in Zentral­ asien, obwohl offiziell als humanitär motivierte Friedens- und Sicherheitsoperation angepriesen, diene in Wirklichkeit der Sicherung wirtschaftlicher und strategischer Interessen.«2224

4.3.4.1 Die Anbindung der zentralasiatischen Staatenwelt an die USA Auch die Transformation der NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Rom 1991 zu einem neoimperialen Interventionsbündnis, das auch auf die Umsetzung des >No-RivalsKonzepts< des Defense Planning Guidance for the Fiscal Years 1994-1999 abzielte, hat daher eine antirussische Funktion, nämlich einen russischen Zugriff auf die strate­ gischen Rohstoffe Zentralasiens zu verhindern. In der Erklärung von Rom über Si­ cherheit und Zusammenarbeit ließ die NATO über ihr Neues Strategisches Konzept verlauten, daß »Sicherheitsinteressen des Bündnisses durch andere Risiken wie die

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Unterbrechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen... berührt werden kön­ nen«.2225 Wie diese Formel auszulegen war, sollte sich Jahre später erweisen: »Die NATO muß folglich militärischen Druck ausüben und die Rolle des Beschützers westli­ cher Interessen in ausgewählten Zielregionen spielen«, so der Politologe Nafeez M. Ahmed. »Ist von >Sicherheit< die Rede, bezieht sich das folglich auf diese Interessen, die in erster Linie wirtschaftlicher Natur sind. Verschiedene Beispiele zeigen, daß sich diese Interessen in erster Linie an strategischen und wirtschaftlichen Zielen orientieren, etwa am Zugang zu den Ressourcen der jeweiligen Region und an Maßnahmen, die gegen die Konkurrenten der USA gerichtet sind. Ein Beispiel da­ für war ein Treffen amerikanischer Experten für Zentralasien, die im NATO-Haupt­ quartier zusammenkamen, aber nicht, um einen drohenden Konflikt zu erörtern, sondern vielmehr, um über das große amerikanische Interesse an den Erdöl- und Erdgasvorkommen im kaspischen Becken zu sprechen. Javier Solana, der wäh­ rend der Konflikte auf dem Balkan Generalsekretär der NATO, später dann EUGeneralsekretär und Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheits­ politik der EU wurde, erklärte bei einer Konferenz zur NATO-Osterweiterung in Washington, daß Europa nicht wirklich sicher sein könne, wenn der Kaukasus nicht in seine Sicherheitszone einbezogen werde.«2226 Nafeez M. Ahmed verweist in die­ sem Zusammenhang auf den US-Botschafter Nathan Niemitz, der hier noch deutli­ cher wurde und weiterführende Angaben zur künftigen Strategie US-amerikani­ scher Machtpolitik machte: Er zog die Schlußfolgerung, daß ganz Eurasien unter die militärische und wirtschaftliche Vorherrschaft der USA gebracht werden müsse: »Eine Pax NATO ist die einzige, logisch zwingende Regierungsform, unter der Si­ cherheit in der traditionellen Bedeutung noch fortbestehen kann... Die NATO muß die Notwendigkeit zur Ausdehnung ihres stabilisierenden Einflusses in die angren­ zenden Gebiete erkennen. Das gilt besonders für Südosteuropa, die Staaten am Schwarzen Meer (natürlich in Abstimmung mit den regionalen Mächten) und rings um den Arabisch-Persischen Golf. Die Vereinigten Staaten müssen in diesem Si­ cherheitssystem auch künftig die dominierende Rolle spielen.«2227 Diese Überlegungen waren in den neunziger Jahren längst Gegenstand verschie­ dener Maßnahmen des Pentagons, die eine allmähliche militärische Unter­ wanderung Zentralasiens durch US-Streitkräfte bedeuteten. »1996 unterzeichne­ ten die USA erst mit Usbekistan, dann mit Kasachstan und Kirgisistan das >Central Asia BataillionsRalph-Peters-Plan< als Grundlage für die »kreative Zerstörung« des Mittleren Ostens, Zentralasiens - und auch Rußlands Zusätzlich greift die US-Machtelite zur Sicherung ihrer Vorherrschaft in dieser Region auf ein Konzept zurück, das, wie beschrieben, schon in den siebziger Jahren zur Destabilisierung der erdölproduzierenden arabischen Staaten und zur Auflö­ sung der UdSSR eingesetzt wurde, nämlich die Förderung separatistischer und is­ lamisch-fundamentalistischer Bestrebungen, die auch in den neunziger Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts in der Mittelost- und Zentralasienstrategie der USA eine wichtige Rolle spielen sollte. Es geht hier um nichts anderes als um die Neu­ auflage des >Bernard-Lewis-PlansGrand Design< eine Aktualisierung. Im Sinne einer Politik der »kreativen Zerstörung«, wie sie der neokonservative Vordenker Michael Ledeen formulierte, wird auf eine direkte militärische Kontrolle und Zerstückelung der Region gesetzt:2231 »Unser Name heißt kreative Zerstörung«, schreibt Ledeen, »sowohl in unserer eigenen Gesellschaft als auch im Ausland. Wir reißen jeden Tag die alte Ordnung nieder... Unsere Feinde haben schon immer diesen Wirbelwind an Energie und Kreativität gehaßt, der ihre Traditionen (was auch immer diese sein mögen) bedroht.«2232 Laut Professor Mark Lewine würden »die neoliberalen Globalisierer, die Neo­ konservativen und letzlich die Bush-Administration sich an den Begriff der kreati­ ven Zerstörung klammern, weil er am besten den Prozeß beschreibt, mit dem sie ihre neue Weltordnung herzustellen hoffen«. Lewine zitiert auch Michael Ledeen mit den Worten: »Für die Anhänger der kreativen Zerstörung sind die USA >eine großartige revolutionäre KraftRoad Map< den Zugang zu Zentralasien über den Nahen Osten zu suchen. Der Nahe Osten, Afghanistan und Pakistan sind Zwischenschritte für eine Ausdehnung des US-Einflusses in die ehemalige Sowjetunion und die ehe­ maligen zentralasiatischen Republiken hinein. In gewisser Weise ist der Nahe Osten der südliche Gürtel Zentralasiens. Zentralasien wiederum wird auch als Rußlands >südlicher Gürtel< oder als das >nahe Ausland< Rußlands bezeichnet. Viele russi­ sche und zentralasiatische Wissenschaftler, Militärplaner, Strategen, Sicherheits­ berater, Ökonomen und Politiker betrachten Zentralasien (>Rußlands südlicher Gürtelkreative Zerstörung< des Na­ hen und Mittleren Ostens vorangehen. Genau darum geht es schließlich der USMachtelite. Wie der schon zitierte russische Sicherheitsexperte Leonid Fituni schreibt, besteht das Interesse der USA darin, »viele Zonen von Instabilität im weichen rus­ sischen Unterbauch zu schaffen - einem Krisenherd, der, falls erforderlich, Mos­ kau vor viele Probleme stellen könnte«.2236 Dabei hat Fituni zufolge ein Schlüssel­ staat des »eurasischen Balkans« eine besondere Katalysatorfunktion, nämlich Afghanistan: »Sollten die Verbündeten der USA in Afghanistan und den nördli­ chen Teilen Südasiens (die islamistischen Kräfte, der Verf.) die Oberhand gewin­ nen, könnte der Unruhegürtel weiter nach Norden ins Gebiet der ehemaligen Sowjet­ union geschoben werden (was in Tadschikistan bereits teilweise erreicht ist)« mit der Folge, daß »Rußland... völlig von Südasien und (mit einer zusätzlichen An­ strengung in Transkaukasien) vom Nahen Osten getrennt (wird), Rußland..'. da­ durch auf Dauer sein historisches Wirtschafts- und Verteidigungspotential in Zentral­ asien und Transkaukasien (verliert)«.2237 Dies aber würde letztlich den Zerfall der Russischen Föderation selbst begünsti­ gen: »Durch die Etablierung pro-amerikanischer Regime in den zentralasiatischen Republiken ergeben sich neue Möglichkeiten, verstärkt Einfluß auf die muslimi­

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schen Republiken und die Regionen innerhalb der russischen Föderation zu neh­ men, besonders im geopolitisch wichtigen Kernland entlang der Wolga (den Repu­ bliken Tatarstan und Baschkortostan) und im nördlichen Kaukasus. Dadurch wird der Weg geebnet für deren mögliche Aufgabe, Verletzung der territorialen Integri­ tät und die endgültige Aufteilung des russischen Staates.«2238 Ein solcher Plan zur Auflösung des >Greater Middle East< kursiert seit M itte 2006 in Strategie-, Regierungs,- NATO- und Militärkreisen der US-Machtelite, und sein Gegenstand ist eine Karte eines neugezeichneten und umstrukturierten Nahen Ostens, der als »Neuer Naher Osten« bezeichnet wird. Entwickelt wurde dieser Plan von Oberstleutnant Ralph Peters und wurde im Juni 2006 im Armed Forces Journal veröffentlicht. Peters selbst ist pensionierter Offizier der U.S. National War Academy. »Obwohl die Karte nicht offiziell die Doktrin des Pentagon wiedergibt, wurde sie in einem Trainingsprogramm im >Defense College< der NATO für rangho­ he Offiziere verwendet. Diese Karte, wie auch andere ähnliche Karten, ist höchstwahrscheinlich an der National War Academy und in anderen militärischen Planungszirkeln verwendet worden.«2239 Peters »tritt für die großangelegte Balka­ nisierung der Gesamtregion und deren vollständige ethnische Parzellierung ein. Ginge es nach seinen Vorstellungen, würden US-Klienten beträchtliche territoriale Zugewinne verzeichnen, während renitente Länder wie der Iran und Saudi-Arabi­ en große Teile ihrer Gebiete abgeben müßten«.2240 Wie der französische Historiker Pierre Hillard schreibt, geht es bei diesem Plan der ethnischen Parzellierung des Nahen und Mittleren Ostens darum, »daß man eine vollständige Umgestaltung der politischen, wirtschaftlichen und religiösen Institutionen der Länder des »Großen Mittleren Ostens< will, um sie fest an die euro-atlantische Achse zu schweißen«.2241 Die Karte selbst war ein Schlüsselelement in Peters‘ Buch Never Quit the Fight (Gib den Kampf nicht auf), das im Juli 2006 erschien. Ebenso wurde die Karte unter dem Titel »Blutgrenzen - Wie ein besserer Naher Osten aussehen würde« im Ar­ med Forces Journal vom Juni 2006 veröffentlicht. Zu beachten ist in diesem Zusam­ menhang auch, daß Oberstleutnant Ralph Peters zuletzt den Posten eines stellver­ tretenden Stabschefs für Geheimdienstfragen im US-Verteidigungsministerium innehatte, einer der führenden Autoren des Pentagon war und für Militärzeitschrif­ ten zahlreiche Aufsätze über Strategie und US-Außenpolitik verfaßt hatte.2242 Da­ her liegt der Verdacht sehr nahe, daß es sich bei diesen Plänen um eine Wiedergabe der Gedankengänge handelt, wie sie von der US-Machtelite entwickelt worden sind. Was besagt der >Peters-Plan< im einzelnen? Im Kern geht es hierbei um nichts anderes, als die bestehenden Staaten aufzulösen und eine territoriale Neuordnung nach ethnischen und religiösen Motiven anzustreben - gewissermaßen eine Fort­ entwicklung des >Bernard-Lewis-Plans< aus den siebziger Jahren. »Internationale Grenzen«, so schreibt Peters einleitend, »sind niemals völlig gerecht. Aber der Grad an Ungerechtigkeit, die sie denen zufügen, die durch Grenzen getrennt oder zum Zusammenleben gezwungen sind, bildet einen großen Unterschied - zwischen Frei­

VIII. Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren 2007 erschien von Ralph Peters Wars of Blood and Faith. Unten: Der RalphPeters-Plan.

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heit und Unterdrückung, Toleranz und Greuel, dem Gesetz und dem Terrorismus oder gar zwischen Frieden und Krieg. Die willkürlichsten und verzerrtesten Gren­ zen auf der Welt gibt es in Afrika und im Nahen Osten. Gezogen von Europäern im eigenen Interesse ..., führen die Grenzen Afrikas weiterhin zum Tod von Millio­ nen von lokalen Einwohnern. Aber die ungerechten Grenzen im Nahen Osten - in Anlehnung an Churchill - erzeugen mehr Probleme, als die Region verkraften kann. Obwohl der Nahe Osten viel mehr Probleme als nur nicht funktionierende Gren­ zen hat - von kultureller Stagnation über skandalöse Ungleichheit bis hin zu tödli­ chem religiösen Extremismus -, ist das größte Tabu bei allen Versuchen, das umfas­ sende Versagen der Region zu begreifen, nicht der Islam, sondern die schrecklichen, aber unantastbaren internationalen Grenzen, denen von unseren eigenen Diplo­ maten gehuldigt wird.«2243 Im einzelnen sieht der >Peters-Plan< eine Dreiteilung des Irak in einen sunniti­ schen, einen schiitischen und einen kurdischen Staat vor, wobei die Kurden unter Abtretung türkischer, iranischer und syrischer Gebiete zu einem einzigen Staat >Frei­ es Kurdistan< zusammengefaßt werden sollen. Eine vollständige Auflösung erfährt Saudi-Arabien: Die Regionen von Mekka und Medina bilden die Grundlage eines >Heiligen Islamischen StaatesArabischen Schiitenstaat< zusammengeschlossen, so daß ein Rumpf­ staat übrig bleibt, den Peters als >Saudi Homelands Independent Territories< bezeichnet. Neben dem Iran erfahren auch Pakistan und Afghanistan eine massive territoriale Amputation: Aus Teilen ihrer Gebiete wird ein Staat >Freies Belutschistan< geformt. Auf diese Weise sollen die »unnatürlichen Staaten«, wie Peters die beste­ hende Staatenordnung des Mittleren Ostens bezeichnet, verschwinden. »Diese Strategie«, so Jürgen Wagner, »setzt darauf, die Region in kleine Einhei­ ten zu zerlegen, von denen keine US-amerikanischen Interessen im Wege stehen kann.«2244 Peters sieht diese Karte als exemplarisch für eine vollständige Neugestal­ tung des Raumes zwischen Bosporus und Indus an. Er mißt ihr eine Katalysator­ funktion bei mit dem Ziel, überall in dieser Region »unnatürliche« Staaten und Grenzen zu beseitigen: »Selbst die, denen das Ansinnen, Grenzen zu verändern, fremd ist, wären gut beraten, an einer Übung teilzunehmen, die eine fairere, wenn auch nicht perfekte neue Grenzziehung zwischen dem Bosporus und dem Indus in Angriff nimmt. Auch wenn man akzeptiert, daß die internationale Staatskunst nie­ mals effektive Werkzeuge - außer dem Krieg - entwickelt hat, fehlerhafte Grenzen zu justieren, wird uns die geistige Übung, die organischen Grenzen des Nahen Ostens zu erfassen, trotzdem helfen, das Ausmaß der Schwierigkeiten, denen wir jetzt und in Zukunft gegenüberstehen, zu verstehen. Wir haben mit kolossalen, von Menschen gemachten Deformierungen zu tun, die so lange nicht aufhören werden, Haß und Gewalt zu produzieren, bis sie korrigiert werden.«2245 Daß es sich bei diesem Plan nicht um eine Idee eines Einzelnen handelt, sondern

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daß er vielmehr längst Gegenstand der verdeckten Agenda der US-Imperialpolitik ist, nach der jetzt das strategische >Grand Design< in Angriff genommen wird, wird an zwei Beispielen deutlich: So hatte Leslie H. Gelb, Ex-Vorsitzender des >Council on Foreign Relationshochwertige Ziele< und die Unterstützung sunnitischer Dissidentengruppen wie Ahwazi Arab und Baluchi im Süden des Lan­ des.«2247 Der Exiliraner und Hochschullehrer am St. Andrews College, Ali Ansari, führte im Juni 2006 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung zu dieser Frage aus: »Es scheint, daß es eine Gruppe in der amerikanischen Regierung gibt, die meint, das eigentliche Problem sei die Existenz Irans... Die einzig langfristige Lösung ist des­ halb, das letzte mittelöstliche Imperium in seine ethnischen Bestandteile zu zerle­ gen.«2248 Den Enthüllungen des Geheimdienst-Experten Erich Schmidt-Eenboom zufolge haben die US-Geheimdienst- und Militärkreise bereits umfassende Vorbe­ reitungen getroffen: »Zur Vorbereitung dieser Teile- und Herrsche-Option gab der Nachrichtendienst der US-Marines, die Marine Corps Intelligence Activity, im Juni 2005 bei dem Sicherheitsunternehmen Hicks & Associates eine detaillierte Studie über ethnische Minderheiten im Iran in Auftrag. Die Ergebnisse bieten einen er­ folgversprechenden Ansatz: Nur etwa die Hälfte der achtundsechzig Millionen Ira­ ner gehört der schiitischen Mehrheit an. Die Minderheiten der sunnitischen Araber im Südwesten, die Aseris, die allein vierundzwanzig Prozent der Gesamtbevölke­ rung ausmachen, im Norden und Kurden im Nordwesten - daneben andere Mino­ ritäten von sunnitischen Belutschen an der Grenze zu Pakistan bis zu den Gilaken am Kaspischen Meer - machen nicht nur die andere Hälfte der Einwohner aus, sie werden im schiitischen Gottesstaat auch sozial benachteiligt und politisch unter­ drückt.«2249 Dabei scheint die US-Militär- und Geheimdienstelite gezielt auf ethnische Span­ nungen innerhalb des Iran zu setzen und diese zu schüren: »Während sich der Zorn der Aseris gegen den >persischen Chauvinismus< in Straßendemonstrationen ent­ lädt, greift der iranische Arm der Kurdenorganisation PKK immer häufiger zum bewaffneten Widerstand. Der iranische Innenminister Mustafa Pur-Mohammadi warf im Mai 2006 in einer Rede vor leitenden Polizeioffizieren drei ausländischen Nach­ richtendiensten vor, in den iranischen Provinzen, die an Afghanistan, den Irak und Pakistan grenzen, Unruhen zu schüren. Auslöser war ein Massaker, das eine kleine

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sunnitische Gruppe namens Jundallah am 14. Mai verübt hatte und das in der Pro­ vinz Kerman zwölf Menschenleben gekostet hatte. Seit einem Jahr etwa beklagten die iranischen Sicherheitskräfte da bereits eine wachsende Anzahl von Angriffen auf Einrichtungen der Armee und Polizeipatrouillen in den Regionen, die von Ase­ ris, Belutschen und Kurden bewohnt werden. Die Anschläge häuften sich in der an den Irak grenzenden Provinz Khusistan, wo mehr als die Hälfte der Bevölkerung arabischer Abstammung ist. Dort knüpfen die angelsächsischen Dienste an eine lange Tradition subversiver Aktivitäten an. Der britische Auslandsnachrichtendienst MI 6 und die Anglo-Iranian Oil Company, der Vorläufer des Mineralölkonzerns BP, hatten sich bereits 1945/46 und zwischen 1951 und 1953 mit den Stämmen der Provinz gegen die Zentralmacht in Teheran verbündet. Bei den damaligen Krisen im Verhältnis zwischen Großbritannien und dem Iran hatte London die Araber zu Aufständen aufgewiegelt. Als wichtigsten Drahtzieher beschuldigt Teheran heute nicht ohne Grund die USA. Die Defense Intelligence Agency treibt ihre Bemühun­ gen voran, Offiziere und Soldaten in den iranischen Streitkräften und bei den Re­ volutionsgarden zu rekrutieren, um ein Potential für Sabotageoperationen aufzu­ bauen.«2250 Seymour Hersh bestätigt diese Verdachtsmomente iranischer Sicherheitsbehör­ den. Seinen Recherchen zufolge stützen sich die US-Geheimdienste bei dieser Bal­ kanisierungs- und Destabilisierungsstrategie hauptsächlich auf die Volksmudscha­ heddin, die »jetzt im Auftrag der CIA sunnitische Gebiete an der Grenze zum Irak (infiltrieren) und... einen Krieg der kleinen Nadelstiche gegen Teheran« führen,2251 und auf die belutschische Organisation >JundallahJundallah< zu denjenigen Gruppen im Iran, die von der USUnterstützung profitieren.2254 Mit dieser Politik will die US-Machtelite eine weitere Schlüsselregion auf dem eurasischen Schachbrett zur Erosion bringen. »Die Aus­ weitung zum Guerillakrieg an allen ethnischen Fronten«, so Erich Schmidt-Een­ boom, »steht in Washington... auf der Tagesordnung«,2255 in der Hoffnung, daß jener Zerfall des Iran eintritt, den der französische Militärschriftsteller Ferdinand Otto Miksche schon vor vielen Jahren vorausgesagt hat: »Das Entstehen verschie­ dener >FreiheitsbewegungenBalkanisierungs-Politik< zu bezeichnen«.2257 Folgt man Brzezinskis Darstel­ lungen über die Kaukasusregion und Zentralasien, die er als »eurasischen Balkan« bezeichnet, so liegt der Verdacht sehr nahe, daß die US-Machtelite einen ethni­ schen Zerfall auch dieser Region im Sinne der Teile- und Herrsche-Politik ins Auge faßt, die letztlich den Zerfall der Russischen Föderation als Fernziel begünstigen soll. Schließlich ähnelt Brzezinskis Analyse der des Oberstleutnants Ralph Peters: »Der eurasische Balkan ist ein ethnisches Mosaik. In den zwanziger und dreißi­ ger Jahren des 20. Jahrhunderts haben sowjetische Kartographen die Grenzen der damals formal gegründeten Sowjetrepubliken ganz willkürlich gezogen... Zwar hatte man sich bei der Grenzziehung weitgehend von ethnischen Gesichtspunkten leiten lassen, doch sie spiegelte zugleich das Interesse des Kreml wider, im südli­ chen Teil des russischen Imperiums keinen Zusammenschlüssen einzelner Volks­ gruppen Vorschub zu leisten, die womöglich gegen die Zentralregierung aufbe­ gehrt hätten.« Diesem ethnischen Spannungsfeld sind Brzezinskis Analyse zufolge mehr oder weniger alle Staaten Zentralasiens ausgeliefert, das zudem noch durch eine wachsende Islamisierung verstärkt wird. Eine solche Entwicklung hat aber nach Brzezinski eine im Sinne der US-Strategie günstige Auswirkung auf die Ein­ dämmung, ja den Zerfall Rußlands selbst: »Es ist jedoch anzunehmen, daß ihre Bevölkerungen (die der zentralasiatischen Staaten, der Verf.) ebenso... verstärkt ein islamisches Bewußtsein entwickeln wer­ den. Eine islamische Wiedererweckung, die bereits von außen her vom Iran, aber auch von Saudi-Arabien Unterstützung erfährt, wird wahrscheinlich aggressive Nationalismen beflügeln, die jeglicher Reintegration unter russischer - und mithin ungläubiger - Herrschaft entschiedenen Widerstand entgegensetzen. Genauer ge­ sagt, dürfte der Prozeß der Islamisierung auch die innerhalb Rußlands verbliebe­ nen Muslime anstecken. Ihre Zahl beläuft sich auf etwa 20 Millionen und über­ steigt jene der nunmehr unter fremder Herrschaft in den unabhängigen zentralasiatischen Staaten lebenden Russen (ca. 9,5 Millionen) um das Doppelte. Die russischen Muslime machen mithin etwa 13 Prozent der russischen Bevölke­ rung aus, und es ist beinahe unvermeidlich, daß sie ihre Rechte auf eine eigenstän­ dige religiöse und politische Identität selbstbewußter einklagen werden. Auch wenn dieser Anspruch nicht die Form einer Forderung nach absoluter Unabhängigkeit wie in Tschetschenien annimmt, wird er sich mit den unlösbaren Problemen über­ schneiden, denen sich Rußland... in dieser Region weiterhin wird stellen müssen«2258 - mit den Folgen, die der russische Sicherheits-Experte Fituni im Hinblick auf eine Spaltung der Föderation beschrieben hat. Dem englischen Sicherheitsexperten Walter Laqueur zufolge wird der Islamisie­ rungsprozeß eine Verstärkung von Autonomiebestrebungen in den muslimischen

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Teilrepubliken, die entlang der Wolga gelegen sind, wie Tatarstan und Baschkorto­ stan, herbeiführen.2259 Die geopolitischen Folgen einer solchen Entwicklung hatte kein Geringerer als Wladimir Putin bereits vor seinem Amtsantritt als Staatschef deutlich erkannt, indem er beschrieb, »wie der radikale Islam versucht, sich vom Nahen und Mittleren Osten her auf das südliche Gebiet der GUS auszubreiten und - über die Eroberung des Nordkaukasus - auch in Richtung des Wolgabeckens zu orientieren. Entlang der Wolga, wo sich die wichtigsten russischen strategischen Ölreserven befinden, lebt der Großteil der russischen-islamischen Bevölkerung in Tatarstan und Baschkyrtostan. Wenn extremistische islamische Kräfte diese Ge­ genden unter ihren Einfluß bringen und bis zum Ural verstoßen würden, wäre - so Putin - eine Aufspaltung Rußlands in einen europäischen und einen asiatischen Teil besiegelt. Rußland würde seine Staatlichkeit verlieren«.2260 Eine solche Entwicklung aber paßt ganz genau in das strategische Konzept der USA: Durch das Vorantreiben eines islamistischen Keils im Wege der Balkanisie­ rungsstrategie ist es dem Zentrum des russischen Staates, nämlich dem europäi­ schen Teil mit der Hauptstadt Moskau, nicht mehr möglich, die Kontrolle über Si­ birien und dessen Rohstoffe auszuüben; Sibirien wäre auf diese Weise von der Russischen Föderation abgespalten. US-amerikanische Konzerne hätten damit ohne weiteres die Möglichkeit, mit Rückendeckung der US-Administration eine eigen­ ständige Russisch-sibirische Republik ins Leben zu rufen, die den US-Bergbaukon­ zernen ungehinderten Zugriff auf die dortigen Rohstoffvorkommen einräumen würde. Diese Pläne hatte es, wie oben schon beschrieben, bereits nach Ende des Ersten Weltkrieges gegeben, und die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright hatte offen ausgesprochen, daß derartige Pläne in den Köpfen der USMachtelite bestehen: »E s ist ni cht g erecht, daß S ibirien nur Rußland gehört.« 2261 Des ­ wegen, so meint Zbigniew Brzezinski, muß Rußland in drei Teile zerstückelt wer­ den: eine russische Republik bis zum Ural, eine westsibirische Republik und eine fernöstliche Republik.

4.4 Die Vorgeschichte des aktuellen >Great GameGreat Game< im 19. Jahrhundert Auf der anderen Seite erwuchs dem britischen Empire in Rußland auch ein gefähr­ licher Rivale, der durch sein Vorrücken an die Ostseeküste sowie an das Schwarze Meer und das Mittelmeer die englische Seestellung gefährden konnte, eine Ent­ wicklung, die der britische Geopolitiker Halford Mackinder als besondere Gefahr für die angelsächsische Seeherrschaft erachtete. Rußland dehnte sich bereits im 16. Jahrhundert in den Kaukasus aus, aber die Unterwerfung der Region war erst Mitte des 19. Jahrhunderts abgeschlossen. Der Großteil der Region bestand aus sich be­ fehdenden Emiraten, die entweder zum Osmanischen oder zum Persischen Reich gehörten. Nur Georgien hatte sich eine gewisse Unabhängigkeit bewahrt. 1763 beherrschte Rußland fast die gesamte Nordflanke der kaukasischen Berg­ kette sowie den strategisch wichtigen Daryal Gorge, den Durchgang nach Georgien und dem gesamten Transkaukasus. Rußland besetzte 1783 fast ganz Georgien und annektierte es in den Jahren 1805-1810. In den achtziger Jahren des 18. Jahrhun­ derts zerschlug Rußland eine Revolte der Bergvölker im Kaukasus. Durch den Frie­ den von Kütschük-Kainardij mit dem Osmanischen Reich erhielt es 1774 endgültig einen Zugang zur Schwarzmeerküste. Rußland begann, eine Rolle in Südosteuropa

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zu spielen, die Meerengenfrage um die Dardanellen/Bosporus wurde aktuell. Nach dem russisch-osmanischen Krieg 1787-1791 festigte Rußland seine Herrschaft über die Nordostküste des Schwarzen Meeres. 1796 kontrollierte es fast die gesamte Küste des Kaspischen Meeres und annektierte dieses Gebiet formell im Jahre 1805. Am Ende der Napoleonischen Kriege 1815 beherrschte das Zarenreich endgültig die Schwarzmeerküste, und nach dem russisch-osmanischen Krieg 1828-29 zwang es die Türken, sämtliche kaukasischen Gebiete aufzugeben. 1830 nahm Rußland die gesamte Region in Besitz. Diese Entwicklung betrachtete das britische Empire mit äußerstem Argwohn. In der britischen Außenpolitik und Diplomatie trat eine rußlandfeindliche Haltung immer deutlicher zutage. Der Grund hierfür bestand darin, daß Großbritannien die Landbrücke zwischen Mittelmeer und Indien als seine Interessensphäre betrach­ tete und es keiner anderen europäischen Macht gestattete, in diesen Raum vorzu­ stoßen.2265 Lord Curzon, Unterstaatssekretär im Foreign Office und später britischer Außenminister, hatte beschrieben, daß das strategische Interesse Englands darin bestand, »eine Kette von Vasallenstaaten zu schaffen, die sich vom Mittelmeer bis zum Hochland von Pamir erstrecken und nicht nur die indischen Grenzen, son­ dern auch Englands Verbindung mit den entlegenen Teilen des Empire schützen sollten«2266. Damit war in eine klare Formel gegossen, was schon geraume Zeit Leit­ satz der britischen Politik im Vorderen Orient gewesen war. Ihr Ziel war immer ein »Middle Eastern Imperium«2267 - eine Strategie, die Rußland als natürlichen Feind definieren mußte. In der Tat gehen daher nicht wenige Historiker davon aus, daß eine unterschwellige Feindseligkeit Rußland gegenüber Wesensbestandteil der bri­ tischen Diplomatie war. »Die Abneigung gegenüber Rußland, und dies hat der Er­ forscher der russischen Diplomatie Anatol Ignatiew in mehreren Untersuchungen gut herausgearbeitet, war für die englische Außenpolitik der letzten rund 200 Jahre kennzeichnend.«2268 Der amerikanische Historiker David L. Hoggan führt hierzu aus: »Man braucht sich gar nicht zu wundern, daß die britischen balance-of-powerImperialisten Rußland nach dem Sturz Napoleons als ihren Feind ansahen. Vorher hatte der jüngere Pitt bereits versucht, das britische Empire zu einem Überra­ schungsangriff gegen Rußland anzustacheln, nachdem die Russen die letzte türki­ sche Festung von Orchakow in der Ukraine erobert hatten.«2269 Mit der zunehmenden Schwäche des Osmanischen Reiches ging der sich ver­ stärkende Machteinfluß Rußlands einher: »Rußland drang in Persien ein, sicherte sich 1828 durch den Frieden von Turkmantschaj die Provinzen Eriwan und Nachit­ schewan. Da auf Grund des Eingreifens in Griechenland der Sultan auch Rußland den Krieg erklärt hatte, konnte es durch den Frieden von Adrianopel seine Macht bis zum Donaudelta ausdehnen, sich freie Durchfahrt durch Dardanellen und Bos­ porus sichern. 1833 bekam Rußland sogar das Recht, sich jederzeit als Beschützer der Türkei zu betrachten... Unversehens war aus Englands Verbündetem ein ge­ fährlicher Gegner geworden.«2270

VIII. Die Rußlandpolitik der USA in den neunziger Jahren

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Wie Lothar Rühl deutlich macht, war die russische Politik gegenüber dem Os­ manischen Reich aber nicht von einem Kontinentalimperialismus geleitet. Vielmehr waren die russisch-türkischen Absprachen 1833 hinsichtlich der Meerengen rein defensiv und hatten »den Zweck, beide Partner auf Gegenseitigkeit vor Drohun­ gen aus dem Mittelmeer zu schützen, das heißt vor England und Frankreich. Ruß­ land betrieb zu jener Zeit keine aktive Mittelmeerpolitik, geschweige denn eine Strategie maritimer Machtentfaltung im Mittelmeer. Es wollte seine empfindliche Südflanke im Schwarzen Meer abdecken - wie nötig dies war, zeigte zwei Jahr­ zehnte später der Krimkrieg«.2271 Tatsächlich muß die russische Politik jener Zeit vor dem Hintergrund ihrer äu­ ßerst ungünstigen geopolitischen Lage gesehen werden: »In Wirklichkeit war Ruß­ lands strategische Position alles andere als eine militärische Vormachtstellung über Europa: Die russischen Armeen hatten lange Landfronten am Kaukasus und an der Donau zu decken. Die polnische Westgrenze mußte gegenüber Österreich und Preu­ ßen geschützt werden, die Ostseeküste gegen die britische Flotte und Schweden. Die Schwarzmeerküste war in unmittelbarer Reichweite feindlicher Flotten und Landungstruppen. Finnland und St. Petersburg waren einem Angriff ebenso aus­ gesetzt wie die Krim. Rußland verfügte über gute Flotten und Seefestungen, doch war es im Verhältnis zu England noch keine Seemacht, ja es konnte nicht einmal seine Küsten wirksam schützen« 2272 - Umstände, die also einen kontinentalen Flanken­ schutz erforderlich machten, den Rußland über das Osmanische Reich, die Siche­ rung der Meerengen und des Balkans zu erreichen suchte. 1841 verlor Rußland auf englischen Druck die Kontrolle über die Meerengen, was die Sicherheitslage Ruß­ lands erheblich gefährdete: »Rußland war vor eine riskante Alternative gestellt: Im Kriegsfall war der Sultan frei, eine fremde Flotte ins Marmarameer und in das Schwarze Meer zu rufen, um seine Küste zu schützen. Rußland mußte also eine starke Flotte im Schwarzen Meer unterhalten, die es mit den vereinigten türkisch­ englischen oder französischen Flotten aufnehmen könnte, um die russischen Kü­ sten zu verteidigen.« 2273 Zar N ikolaus I. erklärte sich angesichts des britischen Drucks bereit, auf weitere Expansion Richtung Meerengen und Balkan zu verzichten. »Er machte Österreich und England in den Jahren von 1843 bis 1844 Zusagen in diesem Sinne, erreichte aber keine bindenden Verständigungen mit den beiden Mächten.«2274 Das britische Empire antwortete auf die Machtentfaltung Rußlands mit der für die angelsächsische Kriegführung typischen Form der >indirekten Strategiec Bei den Polenaufständen gegen Rußland im Jahre 1830 »hatten englisches Geld und englische Propaganda keine geringe Rolle gespielt. Jetzt wurden systematisch die revolutionären Bewegungen unterstützt«.2275 Bemühungen des Zaren Nikolaus I., die Orientfrage in friedlichem Einvernehmen mit England zu lösen, wurden ausge­ schlagen oder blieben unbeantwortet. England statt dessen »hetzte den Sultan auf... Es drängte die Türkei so lange, bis diese am 1. Oktober 1853 Rußland den Krieg erklärte«,2276 der mit einer demütigenden Niederlage Rußlands endete. Dieses

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mußte alle Befestigungen an der Schwarzmeerküsten von Odessa bis nach Asow und zum Kaukasus schleifen und durfte keine Kriegsflotte im Schwarzen Meer unterhalten. Der britische Osteuropa-Experte Hugh Seton-Watson beurteilte die Bedeutung des Krimkriegs für Rußland wie folgt: »Der Krimkrieg reduzierte Rußland auf das Maß einer unter mehreren Großmächten. In den folgenden Jahren waren Frank­ reich und sogar Österreich ihm ebenbürtig. Nach 1870 war ihm das neue Deutsche Reich überlegen. Solange noch ein Zar in St. Petersburg herrschte, sollte Rußland nie wieder die hervorragende Stellung von 1815 einnehmen.«2277 Gewinner dieser Lage war das britische Empire, das seit 1815 bis zum Ende des 19. Jahrhunderts eine gezielt antirussische Politik betrieb. Es vermochte, sich den Balkan und das Osmanische Reich als >Rimland< zu sichern und plante darüber hinaus auch den Raum zwischen Persien und Hindukusch seiner Machsphäre einzuverleiben. Abzuzeichnen begann sich damit eine grundlegende, geopolitisch und strate­ gisch bedingte Rivalität zwischen Großbritannien und Rußland, wobei es haupt­ sächlich das britische Empire war, das entweder durch subversive Aktivitäten oder durch Stellvertreterkriege Rußland in die Isolation abzudrängen trachtete. Diese Rivalität sollte sich in den Folgejahren insbesondere in Zentralasien herauskristal­ lisieren und in der historischen Literatur als >Great GameGreat Game< muß der Vorstoß des britischen Em­ pires in Richtung Afghanistan gesehen werden. Dabei war der Kolonialerwerb von Indien durch England nur die Grundlage weiterer Expansionen: »Die Ausweitung der englischen Machtsphäre in Indien selbst mußte zur Annexion neuer Territorien führen«,2278 und zwar in Richtung jener Gebiete, die den Zugangsweg nach Afgha­ nistan und Zentralasien darstellten und die vereinzelt schon durch Schutzverträge mit England verbunden waren.2279 »Großbritannien versuchte, mit seiner gut aus­ gerüsteten Marine und mit Hilfe von großem Kapitaleinsatz über die Handelsfirma Britische Ost-Indien-Gesellschaft seine Absatzmärkte zu erweitern und sie sogar über Afghanistan hinaus in den zentralasiatischen Raum auszudehnen. So expan­ dierte das britische Imperium allmählich in die Südgebiete des zaristischen Ruß­ lands, welchen Peter I. bereits am Anfang des 18. Jahrhunderts für die Kommuni­ kation mit der Außenwelt strategische Bedeutung beimaß.«2280 Drei Versuche unternahmen die Briten, Afghanistan zu erobern, »bis sie einsahen, daß die un­ nachgiebigen Afghanen eher zu kaufen als zu besiegen waren. Die Briten boten Subventionen an, manipulierten die Stammesoberhäupter und schafften es, Afgha­ nistan in eine Abhängigkeit zu bringen. Daraufhin folgte >The Great GameHeiliger Krieg< im Dienste des britischen Empires Das britische Empire war sich der geopolitischen Bedeutung Zentralasiens natür­ lich bewußt: »Noch im 19. Jahrhundert nannte Sir Halford Mackinder, der Begrün­ der der modernen Geopolitik, Zentralasien das politische Zentrum der Welt, weil es mehr Grenzen umfaßte als jede andere Region. Wer immer Zentralasien unter seiner Kontrolle hatte, übte eine gewaltige Macht aus: >Es ist die größte natürliche Festung der Welt, verteidigt von Eiskappen an den Polen, Wüsten, dürren Hoche­ benen und Gebirgsketten.indirekte Strategie< ein, um ein allmähliches >Ausfransen< der Transkaukasusregion aus der russischen Herrschaftssphäre herbeizuführen. Diese Strategie setzte schon recht früh ein, als Rußland die Schwarzmeerzone als seine Sicherheitssphäre zu entdecken begann. Eine wichtige Rolle sollte hierbei ein gewisser David Urquhart spielen. Dieser war 1834 vom britischen Geheimdienst mit einer Sondermission in den Kaukasus geschickt worden. »Urquhart war ein politischer Zögling Jeremy Benthams, des Begründers und Chefs des nach der amerikanischen Revolution neu organisierten

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britischen Geheimdienstes. Als er 1833 in das Osmanische Reich abkommandiert wurde, war Urquhart direkt Sir Herbert Taylor, dem Privatsekretär König Wil­ liams IV., sowie Außenminister Lord Palmerston unterstellt. Anlaß für Urquharts erste Türkeireise war der russisch-türkische Vertrag von 1833, durch den Rußland praktisch die Kontrolle über die strategisch wichtigen Dardanellen erlangte.«2287 Ur­ quhart besuchte im Juli und August 1834, als Geschäftsmann getarnt, die Ostküste des von Rußland kontrollierten Schwarzen Meeres. Bei der Festung Anapa traf er sich mit 15 tscherkessischen Beys und 200 Dorfältesten und bot ihnen Waffen sowie die volle britische Unterstützung für eine Revolte gegen Rußland an. Dies war die Wurzel des kaukasischen Aufstandes, der im Jahre 1840 begann und 1864 von Ruß­ land endgültig niedergerungen werden konnte. Die Zeitung Neue Solidarität enthüllte, wie dieser Aufstand vom britischen Empire unterstützt wurde: »1840 mündeten die tscherkessischen Guerrilla-Aktionen ge­ gen die russischen Streitkräfte schließlich in einen allgemeinen Aufstand aller Berg­ völker - Tschetschenen, Inguschen, Dagestaner und Kabardiner. Anführer des Aufstands war Scheich Shamil von Dagestan, der... aus dem Sufi-Orden der Naqshbandi kam. Shamil gründete ein Imanat, das die Region mit eiserner Faust regierte. Während des Krim-Kriegs zwischen Rußland und Britannien 1853-56 wurde in London überlegt, die kaukasische Schwarzmeerküste mit Hilfe der Tscherkessen zu erobern, aber man verwarf diese Möglichkeit. 1856 bei der Friedenskonferenz in Paris scheiterte London mit seinem Vorstoß, einen tscherkessischen Pufferstaat zwischen Rußland und der Türkei zu schaffen. Selbst nach dem Krim-Krieg unter­ stützte London weiter die kaukasische Rebellion. Tscherkessische Führer reisten nach Istanbul, um sich mit dem britischen Botschafter Sir Henry Bulwer zur Pla­ nung weiterer Operationen zu treffen. Aber die russische Reaktion auf die Rebellion wurde zunehmend brutaler. Als die Revolte 1864 schließlich zusammenbrach, wa­ ren über eine Million Tscherkessen getötet oder ins Osmanische Reich vertrieben worden.«2288 Erkennbar ist damit, daß Aufbau und Unterstützung des islamischen Funda­ mentalismus eine klassische Waffe des angelsächsischen Imperialismus schon zu Zeiten des britischen Empires war, um die rivalisierende eurasische Kontinen­ talmacht zu verdrängen. Darüber hinaus treten Parallelen zur US-amerikanischen Eurasienstrategie erkennbar zutage, die in der Politik des britischen Empires ihre Wurzeln zu haben scheint, was auch in den weiteren Entwicklungen deutlich wird. Diese Politik der subversiven Förderung panislamistischer Bewegungen sollte sich in der Folgezeit noch ausweiten. Unter der Anleitung David Urquharts grün­ dete sich in der britischen Außenpolitik eine Denkschule, die darauf abzielte, das Osmanische Reich und die islamisch-fundamentalistischen Bewegungen unter bri­ tische Obhut zu stellen, um sie gezielt gegen Rußland einsetzen zu können. Das von Urquhart gegründete >Foreign Affairs Committee< und ihr Organ Portfolio hatten dabei die Aufgabe, die Öffentlichkeit für einen Krieg gegen Rußland zu ge­

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winnen. Die Zeitschrift Portfolio veröffentlichte sogar während des Schamil-Auf­ standes eine tscherkessische Unabhängigkeitserklärung.2289 Auch Wolfgang Günter Lerch (Der Kaukasus, Hamburg-Wien 2000, S. 10) bestä­ tigt die Unterstützung des Schamil-Aufstandes durch London. Er bezeichnete den Muriden-Führer Schamil sogar als »Bundesgenossen der Regierung in Whitehall«, dessen indirekter Förderung durch die britische Regierung »ganz handfeste politi­ sche und strategische Gründe« zugrunde gelegt hätten. Wichtiger Ansatzpunkt des britischen Empires, um Rußland aufzubrechen, war das Osmanische Reich. »U rquhart wollte das Osmanische Reich zu einem Protekto­ rat Londons machen und das Osmanische und das Russische Reich sich gegenseitig zerstören lassen.«2290 Wie weit Englands Rolle reichte, das Osmanische Reich gegen Rußland in Stellung zu bringen, wird durch die Akten des Kaiserlichen Haus-, Hofund Staatsarchivs in Wien bestätigt: »Tatsächlich war England also... auch der Staat, welcher zuerst die Türkei in der Absicht bestärkte, der russischen Expansion mit den Waffen entgegenzutreten. Der Gewinn eines solchen Kampfes war Eng­ lands Gewinn - im großen Rahmen sowohl wie in den kleineren Verhältnissen des türkischen Territoriums. Denn daß viele Engländer damals daran dachten, nach einem türkisch-russischen Kriege mit englischer Unterstützung... das während des Krieges besetzte türkische Gebiet nicht wieder zu räumen, darüber kann kein Zweifel bestehen. Die Akten im Österreichischen Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien... erweisen ganz deutlich nicht nur die führende Rolle Englands bei der Entstehung des Krieges,2291 sondern auch seine territorialen Ambitionen in der Türkei.«2292 Um das Osmanische Reich wirkungsvoll als Waffe gegen die russische Stellung im Schwarzen Meer, im Kaukasus sowie in Zentralasien in Stellung bringen zu können, mußte England eine umfassende Reform des türkischen Staatswesens in Angriff nehmen. Die Zeitschrift Neue Solidarität enthüllt hierzu: »Um die Türkei gegen Rußland mobil zu machen, bedurfte es einer umfassenden Reform der alten osmanischen Staatsbürokratie, einer Modernisierung der Armee sowie einer neuen imperialen, antirussischen Ideologie. Lord Palmerston leitete in den 40er Jahren persönlich die osmanische Reformbewegung und den Aufbau einer zivilen Ver­ waltungsschicht, die in Paris und London ausgebildet und indoktriniert wurde.«2293 Auch die Akten des Österreichischen Staatsarchivs belegen, daß England »durch Unterstützung sogenannter Reformer zum Förderer aller revolutionären Kräfte wurde. Der englische Gesandte in Konstantinopel, Lord Stratford, war das über­ aus tätige und bedachtsame Haupt aller dieser Bemühungen. >Englands Ziel ist, Rußland zu schwächen und in Europa zu herrschen im Bunde mit der Revolutionund die Alleinherrschaft Englands in Euro­

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Der historische Konflikt zwischen Großbritannien und Rußland um die Vorherrschaft in Zentralasien (das sogenann­ te >Great GameIn seiner Eigenschaft als türkische Dynastie hätte das Haus Osman aus den verschiedenarti­ gen Elementen, mit denen es durch das Band gemeinsamer Sprache, Religion und Geschichte verbunden ist, ein Reich von der adriatischen Küste bis weit nach China hinein gründen können, mächtiger als das, welches der große Romanow aus den zwiespältigsten, heterogensten Bestandteilen mit Gewalt und List geschaffen hatte. Anatolier, Aserbaidschaner, Turkmenen, Usbeken, Kirgisen und Tataren sind die Mitglieder, aus denen ein türkischer Koloß hätte entstehen können, der bestimmt geeigneter gewesen wäre, s ich mit seinem g roßen Konkurrenten aus dem Norden zu messen als die Türkei, wie sie sich uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt darstelltGeburtsanzeige< der panislamischen Bewegung erschien 1869 in Hürriyet. Das Osmanische Reich wurde dort wegen seiner Unentschlossenheit gegenüber den von den Russen be­ drängten zentralasiatischen Khanaten angegriffen. Aber diesmal wurde nicht an die ethnische Solidarität appelliert, sondern erklärt, der Sultan sei als Kalif - Be­ schützer des Glaubens - dafür verantwortlich, Zentralasien zu verteidigen.«2303

4.4.3 Das Bündnis des britischen Empires mit dem islamischen Fundamentalismus gegen Rußland in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts Der weitere organisierte Aufbau mittelöstlicher und zentralasiatischer islamisti­ scher Bewegungen durch England trat ein, als Rußland sich anschickte, sich weite Gebiete Zentralasiens einzuverleiben. Zwischen den Jahren 1869 und 1876 hatte Rußland regelmäßig in Zentralasien eingegriffen, die Khanate Buchara, Chiwa und Kokand annektiert oder in Abhängigkeit gebracht und sich dabei allmählich auf Afghanistan und Britisch-Indien zubewegt. »1876 entwarf London seine Gegen­ strategie. Premierminister Benjamin Disraeli berief Lord Lytton zum Vizekönig von Indien, und damit begann eine Offensivstrategie zur Einnahme des südlichen Afghanistan. Im gleichen Jahr schickte Disraeli auch Austen Henry Layard nach Istanbul, der den Sultan dazu bewegen sollte, sich mit England gegen den russi­ schen Vorstoß zusammenzutun.«2304 Layard berichtete Disraeli, er habe den Sultan dazu gebracht, einen Gesandten nach Afghanistan zu schicken, um die russische Strategie zu durchkreuzen und die Politik Englands zu fördern. Weiter hieß es in dem Bericht: »Die türkische Regierung versucht zweifellos, eine Art mohammeda­ nische Liga oder Staatenbund zur Verteidigung des Islam und gegen Rußland zu gründen.«2305 In einem Folgekommunique stellte Layard die Hintergründe für ein britischosmanisches Zusammengehen gegen das Zarenreich näher dar: »Der Sultan übt in der mohammedanischen Welt noch einen sehr großen Einfluß aus, und es ist von großem Interesse für eine Regierung mit 40 oder 50 Millionen mohammedanischen Untertanen, sich gut mit ihm zu stellen. Es sollte uns nicht schwerfallen, ihm zu verstehen zu geben, daß wir in Zentralasien gemeinsame Interessen haben und in ihm einen sehr nützlichen und wertvollen Verbündeten sehen.« Rußland jedoch erfuhr alsbald von dieser geheimen Verschwörung zwischen dem Islam und Großbritannien, deren Ziel die Schaffung einer türkisch-osteuropäisch­

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transkaukasischen Allianz gegen Rußland war,2306 und aus diesem Grund prote­ stierte die russische Regierung beim britischen Botschafter in St. Petersburg, Lord Loftus, und warf ihm vor, »daß Britannien anscheinend die Absicht habe, einen religiösen Kreuzzug der muslimischen Bevölkerung Zentralasiens gegen Rußland zu organisieren«.2307 Russische Strategen jener Zeit beschrieben Englands subversive Politik in Zentralasien und deren gefährliche Folgen für das Zarenreich wie folgt: »Wenn es beispielsweise einem Individuum möglich wäre, sich an die Spitze einer mohammedanischen Konföderation zu stellen, so ist ein solches Individuum allein in der Person des Sultans der Türkei zu sehen, und das bestehende Bündnis und das herzliche Einvernehmen, welche die Türkei und England unauflöslich verbin­ den, machen ein Protektorat dieser Mächte zu einer ernsten Bedrohung für Ruß­ land.«2308 Die Aktivitäten zur Umsetzung dieser gegen Rußland gerichteten Unterminie­ rungsstrategie wurden allerdings in Ägypten eingeleitet. Hier ist es erwähnens­ wert, weil im Zusammenhang nicht ohne Bedeutung, daß die politische Freimau­ rerei und Geheimbündelei gerade in Ägypten seit dem 19. Jahrhundert besonders wirksam waren. Nicht weniger als acht Logen der Britischen Großloge arbeiteten in Ägypten, darunter eine der Schottischen Großloge und die Grand Lodge of Mark Master Masons. Diese Logen - folgt man E. R. Carmin - bauten im Hintergrund islamistische Organisationen auf.2309 Genau aus diesem Umfeld wurde Jamal adDeen al-Afghani rekrutiert, der enge Beziehungen zum britischen Vizekonsul in Ägypten, Raphael Borg, unterhielt, der ihn in Kairo in die Loge Östlicher Stern, einen Zweig der Vereinigten Großloge von England, einführte.2310 1877 richtete Al-Afghani in britischem Auftrag ein Schreiben an den osmani­ schen Sultan, in dem er sich anbot, in Zentralasien eine Revolte gegen Rußland vom Zaun zu brechen: Er - Al-Afghani - werde »Rußlands Ziele deutlich machen und redegewandt zum Ausdruck bringen, daß wenn - was Gott verhüten möge der osmanischen Regierung ein Unglück zustößt, weder Mekkas Dauer noch Me­ dinas Majestät weiterbestünde, ja nicht einmal der Name des Islam oder auch nur ein Ritus des Glaubens überleben werde... Ich werde sie zur Rache auffordern und an den Stolz ihrer türkischen Rasse appellieren, ich werde das Banner der Ein­ heit des Islam auf meiner Schulter auch in diese Gegenden tragen und zu einem Religionskrieg aufrufen, und werde wie üblich keinen Trick und keine Kriegslist auslassen, ihnen den Samen glühenden Eifers einpflanzen und dabei immer mit dem weisesten Ulema Zusammenarbeiten. Ich zweifle nicht daran, daß alle Mos­ lems voller Begeisterung die Russen angreifen werden«.2311 Die Zeitschrift Neue Solidarität enthüllt die weitere Rolle Al-Afghanis in der Ge­ samtkonzeption des »Großen Spiels« des britischen Empires gegen Rußland: »Nur ein Jahr nach seinem Angebot an das Osmanische Reich wurde Al-Afghani Groß­ meister des Östlichen Sterns. 1883 kam er auf die Gehaltsliste von Wilfred Scawen Blunt, d em Leiter des >Arabienbüroseine islamische revolu­ tionäre Allianz mit dem britischen Empire organisierteSie brauchen eine Allianz mit dem Islam, mit den Afghanen, den Persern, den Türken, den Ägyptern, den Arabern; Sie müssen Rußland aus Merw zurückdrängen bis zum Kaspischen Meer... Sie sollten sie (die Russen) nicht von Afghanistan, sondern von der ande­ ren Seite (d.h. Persien) her angreifen; dann würden die Mullahs einen Dschihad predigen, um sich mit Ihnen gegen die Russen zu verbünden.< Churchill war ein­ verstanden, und Al-Afghani wurde abkommandiert, Sir Henry Drummond Wolff auf einer Sondermission in die Türkei zu begleiten. Dort sollte er, wie Blunt schreibt, >seinen Einfluß auf die panislamische Umgebung (Sultan) Abdul Hamids für eine Vereinbarung geltend machen, welche die Evakuierung Ägyptens und eine engli­ sche Allianz gegen Rußland mit der Türkei, Persien und Afghanistan enthalten sollteGreat Game< Wie oben bereits dargestellt, geriet Rußland gegen Ende des Ersten Weltkrieges in den Brennpunkt der anglo-amerikanischen Finanzoligarchie, die schon frühzeitig Pläne zur wirtschaftlichen Vereinnahmung Rußlands wie den Jaroschinski-Plan ent­ wickelt hatte. Großbritannien konnte - wenn auch nur für einen Augenblick - das >Great Game< zu seinen Gunsten beenden, indem es ihm gelang, die zentralasiati­ sche Staatenwelt durch Unterstützung der gegenrevolutionären Kräfte für wenige Jahre aus der Moskauer Zentralgewalt zu lösen. Der Erste Weltkrieg eröffnete Großbritannien die Gelegenheit, erneut und dies­ mal ganz unverhüllt, im Kaukasus einzugreifen. Nach der Revolution 1917 erklärten sich Armenien, Aserbaidschan und Georgien für unabhängig von Moskau und der russischen Herrschaft. Auch die Tschetschenen, Dagestaner und andere Bergstäm­ me erklärten ihre Unabhängigkeit und bildeten eine Republik der Bergvölker.2313 Aber diese Unabhängigkeit war nicht von langer Dauer, denn schon im November 1918 drang eine 23 000 Mann starke britische Expeditionsarmee unter General Wil­ liam Thomson von Persien her in die Kaukasus-Region ein. »Sie brachte die Bahn­ strecke Batumi-Baku und andere strategisch wichtige Punkte unter ihre Kontrolle und setzte in Batumi, Baku und anderen Gebieten in Geo rgien, Arm enien und Aser­ baidschan Militärgouverneure ein.«2314 Bei dieser Politik spielte das zentralasiatisch­ kaukasische Erdöl eine entscheidende Rolle. Die Gebiete blieben bis zur Wiederer­ oberung durch Rußland im Jahre 1920 unter direkter militärischer Kontrolle britischer Streitkräfte, und mit dieser Ausgangslage »schienen für einen kurzen

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Zeitraum der Weltgeschichte auch Rußlands Felder reif für eine amerikanische oder britische >EinflußnahmeBe­ sitz< in der Anglo-Caucasian Oil Co. zusammen...«2315 Flankiert wurde diese Inbesitz­ nahme des Kaukasus durch die Bewaffnung der weißrussischen Armeen General Denikins und Wrangels, deren Funktion darin bestand, die Wirtschaftsinteressen des anglo-amerikanischen Kapitals militärisch abzusichern (vgl. oben). Zunächst schien die Rechnung auch aufzugehen: »Während der bolschewisti­ schen Revolution waren sofort große Teile des Landes wieder von Rußland abge­ fallen, und eine autonome Regierung, die Terek-Daghestan-Regierung, war gebil­ det worden. Im Frühjahr 1919 hatte die aus dem Dongebiet vorrückende Armee Denikins ganz Nordk aukasien besetzt, S üdkaukasien war seit dem Abzu g der Deut­ schen und Türken in der Hand der Engländer: Die Ölquellen schienen der Macht der Sowjets entzogen.«2316 Die Briten favorisierten nunmehr einen Plan, einen mus­ limischen Pufferstaat zwischen Britisch-Indien und dem britisch besetzten Nahen Osten zu schaffen. Als ideologische Grundlage für einen solchen Pufferstaat diente die panislamistische Bewegung. Unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg griff der britische Hochkommissar in Transkaukasien, Col. Claude Stokes, diese schon aus dem 19. Jahrhundert stammende Idee mit stillschweigender Unterstützung des Außenministers Lord Curzon wieder auf.2317 Dieser Staat, so behauptet er, »würde sich an Großbritannien anlehnen und als Puffer zwischen Rußland und den briti­ schen Asienbesitzungen dienen«.2318 Dabei reifte in den Köpfen der englischen Stra­ tegen auch die Idee eines kaukasischen Bergstaates heran, der Rußland vom Trans­ kaukasus und dem Nahen Osten abtrennte. Dies war ja schon die Vision des britischen Agenten David Urquhart im 19. Jahrhundert, der den tschetschenischen Aufstand des Imam Schamil organisierte und förderte. Auch diese Idee fand die Unterstützung des britischen Außenministers Curzon.2319 Den Bolschewiki jedoch gelang es 1920, die Generale Denikin und Wrangel zu schlagen, so daß den Kaukasusplänen des britischen Empires zunächst einmal ein Strich durch die Rechnung gemacht wurde. 1924, mit dem Tod des Diktators Lenin, hoffte man aber, einen erneuten Zugriff auf den Kaukasus nehmen zu können: »Erst nach dem Tode Lenins, während der Streitigkeiten um seine Nachfolge, schien eine neue Gelegenheit gekommen, Kaukasien zur >Freiheit< zu verhelfen«,2320 und so kam es denn auch 1924 zu einem Aufstand im Kaukasus. Ausgangspunkt dieses Aufstandes 1924 war Georgien, und vieles spricht dafür, daß dieser Aufstand von London angezettelt wurde. »1924 erinnerte man sich in London daran, daß Georgien unter David II., der seit dem Jahre 1100 ungefähr über

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den ganzen Kaukasus herrschte, ein mächtiges Königreich gewesen war. 1907, nach russischen Ausschreitungen, hatten die Georgier sich >an die Staaten der zivilisier­ ten Welt, vertreten auf der Haager FriedenskonferenzGreat Game< Großbritanniens gegen Rußland gekom­ men. An dessen Stelle setzten nunmehr die USA diese Politik mit vergleichbaren Mitteln fort, die jedoch erst in den neunziger Jahren vollständig zum Einsatz gelan­ gen konnte.

4.5 Der indirekte Krieg der USA gegen Rußland um die Pipelinekorridore Zentralasiens und des Kaukasus Der Kampf um die Kontrolle der kaspischen Region sowie Zentralasiens machte so der Kaukasus-Experte Rainer Freitag-Wirminghaus - eine »Rückkehr der Geo­ politik« erkennbar. Im Kaukasus stießen geopolitische Interessen der Regionalmäch­ te aufeinander wie Rußlands, der Türkei und des Iran sowie der globalen Hegemonial­ macht USA, die 1997 offiziell diese Region zu ihrer vitalen Interessensphäre erklärt hatte. Der Konkurrenzkampf hat nach Ansicht von Experten im Grunde zwei sich kreuzende - und sich damit widerstreitende - strategische Achsen entstehen las­ sen: Die vertikale Achse verläuft von Rußland über Armenien nach Iran, die hori­ zontale Achse von Zentralasien über Aserbaidschan, die Türkei bzw. die Ukraine in den Westen.2322 Mit den Worten von Freitag-Wirminghaus lassen sich die beiden gegensätzlichen Interessenachsen bezeichnen als »Moskau-Eriwan-Teheran« (die eurasische Achse) versus »Washington-Ankara-Baku-Tiflis« (die von den USA be­ vorzugte Ost-West-Seidenstraßenachse). Erkennbar wird bei dieser Achsenbildung schon das strategische Interesse der USA, Rußland und den Iran von der kaspischen Region, dem Kaukasus und Zen­ tralasien fernzuhalten. Zu beachten ist dabei die schon bereits erwähnte fehlende geopolitische Autarkie der Staatenwelt des Kaukasus und Zentralasiens, »d.h., sie brauchen Verbindungs- und Handelswege, um am globalen Handel zu partizipie­ ren«.2323 Alle Spieler des neuen >Great Game< sind mit dem Problem konfrontiert, daß die Ölfelder der landumschlossenen kaspischen Region Tausende Kilometer von Hochseehäfen entfernt liegen, von wo Tanker das Öl zu den Märkten der in­ dustrialisierten Welt bringen könnten. Also müssen Pipelines gebaut werden. Die dazu notwendige Sicherheit der Pipelinekorridore kann nur durch zunehmende

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Zusammenarbeit zwischen der kaspischen Region und jenen Mächten hervorgeru­ fen werden, die daran interessiert sind, den Kaukasus und Zentralasien ihrer je­ weiligen Vorherrschaftssphäre einzugliedern. Genau in diesem Spannungsfeld rich­ tet sich dann auch die Außenpolitik der kaspischen und zentralasiatischen Staaten aus: Die Außenbeziehungen dieser Länder - so Kaukasus-Experte Uwe Halbach werden in diesem Zusammenhang bestimmt von den alten Verbindungen zu Ruß­ land und zur GUS, von regionalen zentralasiatischen Integrationsansätzen, von den rivalisierenden Interessen der südlichen Nachbarn Iran und Pakistan, dem damit in Verbindung stehenden Konflikt zwischen dem Iran und den USA sowie einer zunehmenden russisch-amerikanischen Rivalität.2324 Daraus ergibt sich schließlich, daß sich genau anhand dieser Achsen, die dem jeweiligen geostrategischen Interesse der beteiligten Mächte entsprechen, in den neunziger Jahren auch die Planung der Pipelinekorridore vollzog. »Ölwirtschaftli­ che und geopolitische Interessen vermischen sich in der Region«, so schreibt Detlef Bimboes.2325 Mit dem Zerfall der Sowjetunion gewannen »der Kaukasus und die kas­ pische Region ihre einst zu Zeiten der Seidenstraße so wichtige Rolle wieder zu­ rück. Es geht diesmal allerdings um Erdöl und Erdgas, und die Handelswege sind riesige Pipelinenetze«.2326 Und um den Verlauf der konkurrierenden Pipelinepro­ jekte gibt es im Kaukasus und in Zentralasien Konflikte und Kriege - kurz gesagt, man kann hier ohne weiteres von einer »Geopolitisierung« der Frage der Pipeline­ korridore sprechen, denn: »Wer die Pipelines besitzt, wird im 21. Jahrhundert auch die Macht über die Lieferländer haben, aber ebenso über die Verbraucherländer. Die Pipelines werden die Nabelschnüre der Industriegesellschaft sein, mit all ihrer Verletzlichkeit, insbesondere im Erdgasbereich, wo die Flexibilität beim Ausfall der Versorgung... relativ gering ist.«2327

4.5.1 Aserbaidschan als das Zentrum der zentralasiatischen Erdölwirtschaft Wie oben ausführlich dargelegt, ist für die Eurasienpolitik der USA entscheidend, daß es keiner konkurrierenden Macht gelingt, Kontrolle über Zentralasien und seine Rohstoffe zu erlangen. Vor diesem Hintergrund hatte die US-Außenpolitik bereits Anfang der neunziger Jahre ein wachsames Auge darauf, daß es weder Rußland noch dem Iran gelingen sollte, eine enge Zusammenarbeit mit den postsowjetischen kaspischen und zentralasiatischen Staaten im Energiesektor einzugehen. Die geo­ politische Bedeutung der kaspischen und zentralasiatischen Region führte dazu, daß seit der Auflösung der UdSSR Angelegenheiten, die mit der politischen und wirtschaftlichen Entwicklung im kaspischen Raum in Verbindung stehen, für der US-Außenpolitik ein zunehmendes Gewicht bekommen haben.2328 Wie Nafeez M. Ahmed nachweist, gab es Planungen der USA zur strategischen Inbesitznahme Zentralasiens schon seit Ende der achtziger Jahre, und zwar in Zu­ sammenhang mit dem Bürgerkrieg in Afghanistan. Im militär-industriellen Kom­

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plex der USA - so Nafeez M. Ahmed - wurde mindestens ein Jahrzehnt lang über eine umfassende und langfristige militärische Intervention in Zentralasien nach­ gedacht. Die Zeitschrift Newsweek erörterte dabei Planungen des US-Militärs zur Errichtung von Stützpunkten in der Region und für eine etwaige Operation in Ka­ sachstan.2329 Dabei sollte Afghanistan als Ausgangspunkt für eine Ausdehnung des US-Einflusses in Zentralasien in Besitz genommen werden: »Die genauere Analyse ergibt, daß der amerikanische Invasionsplan für Afghanistan seine Wurzeln in strate­ gischen und wirtschaftlichen Überlegungen hat, die bis ins Jahr 1989 zurückreichen. Viele Mitarbeiter im amerikanischen Regierungsapparat sehen Afghanistan als Tor für Zentralasien und die kaspische Region und folglich als Tor zur weltweiten He­ gemonie der USA.«2330 Diesen militärischen Planungen gingen Verhandlungen anglo-amerikanischer Erdölkonzerne mit der sowjetischen Führung und später mit den politischen Füh­ rungen der unabhängigen Staaten Zentralasiens zur Erschließung der dortigen Erd­ ölfelder voraus. So verhandelte der US-Ölkonzern Chevron bereits 1988 wegen der Erschließung des weltgrößten unerschlossenen Tengiz-Erdölfeldes in Kasachstan. Die durch die US-Strategie während der achtziger Jahre hervorgerufene wachsende Kreditabhängigkeit der Sowjetunion veranlaßte diese, sich nach ausländischen In­ vestoren umzusehen. Wie oben dargestellt, lag dem ja eine indirekte Strategie des US-Establishments zugrunde, um die Sowjetunion dazu zu zwingen, ihr Rohstoff­ reservoir dem Zugriff ausländischer - respektive amerikanischer - Konzerne zu eröffnen. »Solche Investitionen wurden hauptsächlich von westlichen Energiekon­ zernen angeboten. In der Sowjetunion mit ihrer geschlossenen Staats- und Wirt­ schaftsordnung waren jedoch die strategischen Wirtschaftsbereiche, darunter die Erdöl- und Erdgasbranche, für die westlichen Konzerne lange Jahre nicht zugäng­ lich. Erst der vom Staatschef M. Gorbatschow im April 1985 erklärte >PerestrojkaCouncil on Foreign Relations< und James A. Baker Institute for Public Policy< gehen in ihrem gemeinsamen Bericht Strategic Energy Poicy: Challenges for the 21st Century vom April 2001 davon aus, daß Rußland und die Länder im kaspischen Becken zusammen mehr als 27% der weltweit vermuteten Ölressourcen besitzen.2333 Diese Quote macht die ungeheure Bedeutung der Region für die oben aufgezeigten strategischen Pla­ nungen der USA deutlich. Nach der Bekanntgabe der staatlichen Souveränität Aserbaidschans im Septem­

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ber 1989 und der wirtschaftlichen Unabhängigkeit im Mai 1990 ging die Kompe­ tenz, frei über Förderung und Vermarktung der eigenen Bodenschätze zu entschei­ den, an die Regierung in Baku. »Die USA«, so Rizvan Nabijew, »interessierten sich schon zur sowjetischen Zeit für aserbaidschanisches Erdöl. Bereits in den achtziger Jahren kam der damalige Mitarbeiter der US-Botschaft in Moskau Berls, später Prä­ sidialberater für Energiefragen in der Administration von Clinton, öfter nach Baku. Er unterrichtete seine Regierung regelmäßig über das kaspische Erdöl und über den Stand der Erdölindustrie in Aserbaidschan. Später sprach er als einer der ersten über die geopolitische Bedeutung der Region im Zusammenhang mit den Hydro­ karbonreserven im Kaspischen Meer... Ende der 80er Jahre legten die Nachrich­ tendienste der USA ein Dossier vor über die Lagerung wichtiger Ölvorkommen im Nordteil des Kaspischen Meeres...«2334 Mit Hilfe der Aktivitäten ihrer Ölkonzerne beabsichtigten die USA, schließlich ihren geopolitischen Wirkungskreis in Zentralasien und im Kaukasus auszudeh­ nen.2335 So sprach sich der Washingtoner Berater der Ölgesellschaft AMOCO, Aliriza Bülent, 1995 deutlich für eine aktive Teilnahme der amerikanischen Ölmultis am Wirtschaftsleben des kaspischen Raumes aus: Ölpumpen aus Aserbaidschan wür­ den es den USA ermöglichen, »die westlichen Interessen direkt in das Staatensy­ stem der früheren Sowjetunion auszudehnen. Verbunden damit sind die Ziele, den Iran zu isolieren und die Energieressourcen zu sichern - auch vor China«.2336

4.5.2 Die USA ziehen Aserbaidschan in ihre Vorherrschaftssphäre und erzwingen die Beendigung des Berg-Karabach-Konfliktes, um Sicherheit für Investitionen herzustellen Um Verhandlungsaktivitäten von US-Ölkonzernen in Kasachstan und Aserbaid­ schan einen sicherheitspolitischen Rahmen zu geben, sorgten die USA für die Si­ cherung der Unabhängigkeit dieser Staaten vor russischem Einfluß. Dies wurde durch den »Freedom Support Act« vom 24. Oktober 1992 bewerkstelligt, der die US-amerikanische Unterstützung dieser Staaten in ihrem Bemühen um eine unab­ hängige nationalstaatliche Entwicklung regelte.2337 Nachdem die großen Ölfelder wie das Chirag-Feld entdeckt worden waren, er­ kannten die USA die energiepolitische Schlüsselstellung Aserbaidschans.2338 Aller­ dings standen der US-Machtelite zunächst zwei Hindernisse im Weg, die die Ein­ gliederung Aserbaidschans in die amerikanische Vorherrschaftssphäre erheblich behinderten. Einerseits war es die Armenierlobby und zweites der Versuch Ruß­ lands, nicht vom Kaukasus abgeschnitten zu werden und seinen Einfluß in der Region zu behalten.

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4.5.2.1 Der Einfluß der Armenier-Lobby verhindert die Anwendung des »Freedom Support Acts« »Noch kurz vor den ersten Bohrungen im Chirag-Feld, während des Karabachkrie­ ges, setzte die armenische Lobby in den USA - sie hat laut Kamalia Beutel2339 eine Schlüsselstellung in den Bundesstaaten Kalifornien, New Jersey und New York ein vom US-Kongreß einstimmig angenommenes Strafgesetz gegen Aserbaidschan durch«.2340 Durch den Abschnitt 907 des »Freedom Support Acts« wurde schließ­ lich die Entwicklungshilfezahlung an Aserbaidschan drastisch verringert, und dies, obwohl Aserbaidschan als ein energiereiches Land, das laufend Aufträge an Inve­ storen zu vergeben hat und mit dem Transport seiner Energieressourcen Einfluß auf die Machtbalance der Region ausübt, wirtschaftlich und geopolitisch viel inter­ essanter für die USA ist als Armenien.2341 Aus diesem Grund hatte die ClintonAdministration den Kongreß zur Rücknahme des Abschnitts 907 aufgefordert. Das Verfahren zur Rücknahme ist im Herbst 1998 eingeleitet worden, aber bisher nicht zu einem erfolgreichen Abschluß gelangt.2342

4.5.2.2 Der Versuch Rußlands, eine geopolitische Abdrängung vom Kaukasus zu verhindern Noch wesentlich größere Schwierigkeiten bereitete der US-Machtelite das außenund sicherheitspolitische Umfeld Aserbaidschans, insbesondere im Hinblick auf den Berg-Karabach-Konflikt. Die Hintergründe und die Rolle der beteiligten Mächte wurden oben bereits ausführlich dargestellt und sollen deshalb zur Veranschauli­ chung nur noch einmal kurz und stichpunktartig wiedergegeben werden: Nach der hier vertretenen Einschätzung war es die Politik der USA hinter den Kulissen gewesen, die Aserbaidschan mit Hilfe der Türkei gegen Armenien und Rußland zu unterstützen versuchte - mit dem Ziel, eine erneute Einflußnahme Moskaus auf den Kaukasus zu verhindern. Und diese Politik der USA war es denn auch, die Rußland zur Entwicklung einer eigenständigen Kaukasuspolitik veranlaßte (siehe oben). Ausgelöst wurden die Schachzüge durch den Sturz des rußlandfreundlichen aserbaidschanischen Präsidenten Ajaz Mutalibov, der am 7. Juni 1992 durch den gewählten Führers der Volksfront, Albufaz Eltschibey, abgelöst wurde. Unter die­ sem wurde ein gänzlicher außenpolitischer Kurswechsel Aserbaidschans vollzogen. Die aserbaidschanische Außenpolitik richtete sich radikal an die Türkei und den Westen aus: »Eine westorientierte Außenpolitik unter Anlehnung an die Türkei bildete den Kernpunkt der außenpolitischen Strategie von Eltschibey.«2343 Die ent­ schlossene Politik Eltschibeys, den Konflikt mit Armenien um die armenische En­ klave Berg-Karabach mit militärischer Gewalt auszutreten, fand die Unterstützung der Türkei und der USA (vgl. oben), denn die innenpolitische Instabilität und die Tatsache, daß die Armenier anfänglich militärische Erfolge erzielen konnten, ge­

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fährdeten die Investitionsvorhaben anglo-amerikanischer Ölkonzerne.2344 Gleich­ zeitig setzten die USA Armenien unter erheblichen diplomatischen Druck, wäh­ rend ihr wichtigster Vasall in der Region, die Türkei, mit militärischen Drohungen sowie mit einer Wirtschaftsblockade gegen Armenien vorging. Was vordergründig wie ein Regionalkonflikt aussah, muß aber tatsächlich als ein Versuch der USA und ihres Vasallen, der Türkei, angesehen werden, über den Karabach-Konflikt Rußland aus Aserbaidschan zu verdrängen. »Die USA«, so Anna Kreikemeyer, »spielen im Konflikt um Nagornyj-Karabach eine nicht zu unterschät­ zende Rolle«,2345 was um so verständlicher wird, wenn man sich noch einmal ver­ gegenwärtigt, welche Bedeutung Aserbaidschan für die US-amerikanische Geopo­ litik nach den Worten Brzezinskis hat (Aserbaidschan als der »Flaschenhals« des Kaukasus, der den Weg Rußlands zum Kaukasus und nach Zentralasien versperrt). Folgerichtig unterstützten die USA »den Bündnispartner Türkei sowie Aserbaid­ schan gegen die Bemühungen Moskaus um Reintegration und regionale Koopera­ tion«.2346 Ebenso versuchten die USA, eine Stationierung russischer Truppen auf aserbaidschanischem Boden zur Stabilitätssicherung zu verhindern: Sie »rieten Aserbaidschan, nicht zuletzt zur Absicherung des Erdölgeschäftes, sich einer Sta­ tionierung von russischen/GUS-Friedenstruppen zu widersetzen... Einen Allein­ gang Rußlands ohne Koordinierung mit KSZE und UNO lehnte Washington ab. Die multi-nationale Blauhelmtruppe der OSZE wurde nicht zuletzt auf amerikani­ schen Druck hin vorbereitet. Im Falle einer Stationierung von GUS-Friedenstruppen fordern die USA Kontrolle durch internationale Beobachter«.2347 Es war dieses Vorg ehen der USA und ihrer Verbündeten, das Rußland veranlaßte, seine eher passive Haltung gegenüber dem Kaukasus aufzugeben und statt dessen eine aktive Interessenpolitik in dieser Region zu betreiben, die darauf ausgerichtet war, Einfluß in der Region zu behalten, um nicht verdrängt zu werden, wie auch der Rußlandkenner Aschot Manutscharjan bestätigt: »Ein wichtiger Faktor für die Reaktivierung der Großmachtpolitik Moskaus war das aktive Eingreifen äußerer Kräfte in der Region, etwa der USA, der Türkei und des Iran, die das von Moskau hinterlassene Vakuum ausfüllen wollten. Diese Bestrebungen, die die Loslösung des Kaukasus von Rußland zum Ziel hatten, alarmierten die politische und militä­ rische Führung in Moskau und nötigten sie, dem Kaukasus erhöhte Aufmerksam­ keit zu schenken.«2348 Dabei war es die proamerikanische bzw. protürkische und gleichzeitig antirussische Ausrichtung der Politik Eltschibeys, die Rußland alar­ mierte: »Der Richtungswechsel reaktivierte wiederum die bis dahin eher passive rußländische Politik im Transkaukasus.«2349 Gleichwohl aber war es Rußland gelungen, in Aserbaidschan unter dem neuen Präsidenten Hajdar Alijew zumindest partiellen Einfluß zu behalten. »Im Gegen­ satz zu seinem Vorgänger Eltschibey war Alijew zeitweise bereit, Moskau gewisse Konzessionen zu machen.«2350 Moskau versuchte, durch Entsendung von Friedens­ truppen nach Berg-Karabach militärisch nach Aserbaidschan zurückzukehren und

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gleichzeitig einen hohen Anteil an Erdölvorkommen zu erlangen. Auf der anderen Seite hatte Baku die westlichen Ölkonzerne bei den Verhandlungen um die Schürf­ rechte in aserbaidschanischen Erdölfeldern hingehalten. »Baku erhoffte sich da­ durch eine neutrale Rolle Rußlands bei einer Wiedereroberung der von den Arme­ niern Karabachs besetzten Gebiete. Doch deren Eroberungen hielten an, sogar nachdem Aserbaidschan Mitglied der GUS geworden war. Die Enttäuschung dar­ über und die Drohung der westlichen Partner, sich zurückzuziehen, resultierte in einem erneuten Schwenk der aserbaidschanischen Politik mit einer deutlichen Hin­ wendung zum Westen und zur Türkei. Die Formel >Anteile im Ölgeschäft gegen Rückgabe der besetzten Gebiete< scheiterte an den russischen Forderungen nach Militärstützpunkten und Grenztruppen, Forderungen, die nicht selten von gleich­ zeitigen armenischen Offensiven begleitet waren. Nach Angaben Aliyevs hat Mos­ kau wiederholt vorgeschlagen, im Austausch mit Militärbasen in Aserbaidschan die besetzten Gebiete zu befreien.«2351

4.5.2.3 Die Schachzüge der USA, um Rußland von Aserbaidschan fernzuhalten In dieser Lage sahen sich die USA gezwungen zu handeln, noch bevor Rußland eine sichere Stellung in dem strategisch wichtigen Aserbaidschan erhalten konnte. Wie die US-amerikanischen Kaukasus-Experten Neil MacFarlane und Stephen Blank ausführen, bestehen die geopolitischen Interessen der USA im Kaukasus im wesentlichen aus drei Hauptpunkten: (1) Unterstützung der Souveränität der ehema­ ligen Sowjetrepubliken, vor allem der potentiellen Erdöl- und Erdgasexporteure, (2) Beteiligung an den Rohstoffen und Kontrolle der Transportwege, (3) Zurückdrän­ gung und Eindämmung des Iran und seiner schiitisch-fundamentalistischen Staats­ ideologie, Unterbindung nuklearer Interessen des Iran und des Transports kaspi­ schen Erdöls durch iranische Pipelines.2352 Insgesamt wird in der US-Geopolitik Aserbaidschan die Rolle eines antirussischen und antiiranischen Bollwerks zuge­ wiesen: »Aserbaidschan gehört zu den Ländern, die nach westlicher Auffassung dem russischen Hegemonialanspruch und dem iranischen Einfluß in der Region entgegentreten sollten... Baku wird seitdem von Washington wie auch von Lon­ don als strategischer Partner bezeichnet. Im Zuge der sich entwickelnden amerika­ nisch-russischen Rivalität im Kaukasus ist nach amerikanischer Vorstellung Aser­ baidschan neben der Türkei eine entscheidende Rolle zur Konsolidierung der Region zugedacht.«2353 Die wichtigsten Instrumente der Anbindung Aserbaidschans an den Westen soll­ ten das 1994 in Brüssel auf dem NATO-Gipfel ins Leben gerufene >Partnership-forPeacePartnership-forPeaceRimlands< zu ei­ nem eigenständigen antirussischen Block im Sinne der Vorgaben Mackinders und Spykmans zusammenzuführen, durch die Europäische Union: Von dieser wird die Allianz Aserbaidschan-Georgien-Ukraine »durch das Projekt des >Euroasiatischen Transportkorridors< (TRACECA) unterstützt, das durch neue Pipelines, Straßen und Eisenbahnen Usbekistan, Turkmenistan, Aserbaidschan, Georgien und die Ukraine unter Umgehung Rußlands verbinden soll. Die >Neue Seidenstraße< nimmt damit konkrete Formen an. Wichtig ist diese Konzeption auch für die Sicherheit der zu­ künftigen Pipelines. In diesem Zusammenhang steigt die Bedeutung Georgiens, das keine nennenswerten Vorräte an Öl und Gas besitzt, als Transitland. Die Partner­

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schaft zwischen Georgien und Aserbaidschan, die sich beide als europäische Länder begreifen, hat das Ziel, durch Kooperation mit dem Westen die Integration beider Länder und des Kaukasus in europäische Sicherheitsstrukturen voranzutreiben... Die USA gewähren Hilfe bei der Ausbildung der aserbaidschanischen Armee«.2356 Beide Staaten - Georgien und Aserbaidschan - haben das Konzept eines soge­ nannten »Friedenskaukasus« im Auge mit dem Ziel eines Kaukasischen Common­ wealth einschließlich eines Kaukasischen Parlaments. Zur Unterstützung dieses Vorhabens wurden die US-Verbündeten Türkei und Israel einbezogen. Insbeson­ dere die Türkei hatte unter dem damaligen Präsidenten Süleyman Demirel einen »Stabilitätsplan« entwickelt, der Georgien und Aserbaidschan »mit einem Wirt­ schafts- und Sicherheitsbündnis umarmen (soll), das sich dann nach Zentralasien ausweiten würde. Der türkische Plan ignoriert Rußland und Iran demonstrativ«2357 - genauso, wie es die US-Geopolitik für Zentralasien auch vorsieht. Georgien und Aserbaidschan »sehen in der Zusammenarbeit mit der Türkei nicht nur die Koope­ ration im Energiebereich, sondern auch in einer Sicherheitspartnerschaft«. Die drei Staaten sind sich »einig in der Absicht, ebenfalls eine >peacekeeping force< zu bil­ den. Gemeinsame Manöver von Türkei und Georgien an der georgischen Küste, Militärabkommen Ankaras mit Georgien und Aserbaidschan unterstützen gleich­ lautende US-Bestrebungen. Dies ist auch zu sehen vor dem Hintergrund des Aus­ baus der Beziehungen zu Israel, sowohl von Ankara als auch von Baku«.2358 Tel Aviv hofft nämlich, einen Anteil der aserbaidschanischen Ölförderung zu erhalten. Für Georgien wiederum ist die Türkei ein Gegengewicht zu Rußland, eine Trans­ portbrücke nach Europa und inzwischen auch der größte Handelspartner. Kaukasus-Experte F reitag-Wirminghaus erkennt auch die Folgen einer derartigen Achsenbildung: »Ein Ausbau der Achse Baku-Tiflis-Kiew würde Auswirkungen auf die gesamte GUS-Struktur haben, sie würde statt Kooperation die Konkurrenz fördern«2359 - mit anderen Worten: Durch sie würde eine Spaltung der GUS, ver­ bunden mit einer Abtrennung des Transkaukasus von Rußland, herbeigeführt, wie von der US-Machtelite auch gewünscht, und die Entstehung eurasisch-kontinentaler Gegenachsen hervorgerufen.

4.5.3 Der >Jahrhundertvertrag< - Rußland wird unter Bruch bestehender Verträge aus der aserbaidschanischen Erdölwirtschaft verdrängt Die oben genannten geopolitischen Entwicklungen bildeten den Rahmen für ein Ereignis, das von Energieexperten als die Grundlage des Einstiegs anglo-amerika­ nischer Erdölkonzerne in die kaspische Region angesehen wird. In Baku wurde am 20. September 1994 das vom aserbaidschanischen Präsidenten Hajdar Alijew ge­ nannte »Jahrhundertgeschäft« abgeschlossen. Dieser >Jahrhundertvertrag< kann gewissermaßen als erster Siegespreis des USA nach ihrer Destabilisierungsstrategie gegenüber der UdSSR angesehen werden. Den USA ist es ja bekanntlich gelungen, die UdSSR in den achtziger Jahren in eine Schuldenfalle sowie in eine wirtschaftliche

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Katastrophe zu stürzen, so daß der UdSSR - wie von der US-Machtelite auch ge­ wünscht - nichts anderes übrig blieb, auch ihre Erdölwirtschaft ausländischen Kon­ zernen zu öffnen. Zu diesem Zweck wurde 1991 eine Ausschreibung über die Erd­ ölförderung aus den Lagerstätten Azeri, Chirag und Gunashli, die in Aserbaidschan am Kaspischen Meer gelegen sind, unter Beteiligung ausländischer Konzerne ver­ einbart. Der US-Konzern Amoco gewann die Ausschreibung. Auf diese Wei se »wur­ den den amerikanischen Konzernen im kaspischen Becken die legalen Grundlagen für ihre Tätigkeiten geschaffen. Die Gründe für die Bevorzugung von US-amerika­ nischen Firmen sind nicht zuletzt in den damaligen internationalen politischen Kon­ stellationen zu suchen«,2360 denn die Sowjetunion war damals an einer Annähe­ rung an die westlichen Staaten, vor allem an die USA, interessiert. »Mit der Schaffung einer günstigen Basis für die Tätigkeiten amerikanischer Unternehmen in strate­ gisch wichtigen Wirtschaftsbereichen, die lange Jahre für westliche Firmen nicht zugänglich waren, wollte sich die Sowjetführung das Image eines zuverlässigen reformorientierten Partners schaffen.«2361 Nach der Unabhängigkeitserklärung Aserbaidschans wurden die Verhandlun­ gen zwischen der 1992 gegründeten aserbaidschanischen staatlichen Ölgesellschaft SOCAR und einem Konsortium aus zwölf amerikanischen, europäischen und aser­ baidschanischen Konzernen und auch dem russischen Ölkonzern LukOil (AIOC Azerbaijan International Operating Company) fortgesetzt. Trotz einer russischen Beteiligung war dieses Konsortium im wesentlichen anglo-amerikanisch dominiert: »Konsortialführer wurde... British Petroleum mit einem 17%-Anteil, während USFirmen zusammen 44% Anteile besitzen. Es ist der amerikanischen Regierung ferner gelungen, entgegen der ursprünglichen Absicht Aserbaidschans, iranische Firmen aus dem Geschäft herauszuhalten, jedoch der Turkish Petroleum zunächst 6,8%, später 10% Anteile am Konsortium zukommen zu lassen.«2362 Auch Rizvan Nabiyev bestätigt die Dominanz anglo-amerikanischer Konzerne in diesem Konsortium: »Die US-amerikanischen Firmen erhielten insgesamt mehr als 38% und zusammen mit den britischen 58% der Anteile... Nach mehrmaligen Anteilswechseln stiegen die Anteile der britisch-amerikanischen Firmen auf 60 %.«2363 Damit entsprach die Anteilsverteilung im Konsortium genau den geopolitischen Vorstellungen der USA: Rußland war weitgehend marginalisiert, der Iran war gänz­ lich außen vor gehalten. Gegenstand der Vertragsverhandlungen war die gemein­ same Ersc hließung von drei Offshore-Ölfeldern - Azeri, Chirag und dem Tiefwasser­ teil von Gunashli - im aserbaidschanischen Sektor des Kaspischen Meeres innerhalb von 30 Jahren.2364 Hauptstreitpunkt bei den Verhandlungen, die von Mitte Juli bis September 1994 in Houston/USA fortgesetzt wurden, war der sowohl von der aserbaidschanischen Regierung als auch den Ölkonzernen behauptete ungeklärte Status des Kaspischen Meeres. Um eine feste Sicherheit für ihre Investitionen zu erhalten, forderten die Ölkonzerne, daß der Vertrag erst nach verbindlicher Klärung des Status des Kaspi­

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schen Meeres in Kraft treten sollte, was hingegen von der aserbaidschanischen Regie­ rung abgelehnt wurde. Denn die Statusfrage konnte von Rußland als Druckmit­ tel gegen Aserbaidschan ins Feld geführt werden, was das Ende des Vertrages be­ deutet hätte, noch bevor er überhaupt unterzeichnet worden wäre. In dieser verfahrenen Situation schaltete sich die US-Regierung direkt ein, die Druck auf die Parteien ausübte und eine Vertragsunterzeichung forderte, noch bevor es zu einer Klärung der Statusfrage gekommen war, bei der Rußland ebenfalls hätte angehört werden müssen. Eine Vertragsunterzeichnung ohne Klärung der Statusfrage des Kaspischen Meeres jedenfalls bedeutete eine Sicherung der Rechte der anglo-amerikanischen Ölkonzerne im Vorfeld vor allen weiteren Auseinandersetzungen, und nur so ist die Eile zu verstehen, die die USA an den Tag legten, um den Vertrag zum Ab­ schluß zu bringen: »Erst nach einem Treffen zwischen dem Ersten Vize-Präsidenten von SOCAR, Ilham Alijew, dem Sohn des Staatspräsidenten, und dem stellvertre­ tenden Energieminister der USA, Bill Laif, in Washington und der darauffolgen­ den Intervention der US-Regierung konnte der Konflikt beigelegt werden, indem die Erdölkonzerne auf diese Knebeloption (Inkrafttreten des Vertrages nach ver­ bindlicher Festlegung des Status des Kaspischen Meeres, der Verf.) verzichteten... Die USA zeigten großes Interesse am schnellen Abschluß des auch politisch bedeu­ tenden Ölvertrages. Bei Treffen von Präsident Alijew und der damaligen Ständigen Vertreterin der USA bei der UNO, Frau Albright, in Baku und mit Vize-Präsident Gore in Kairo wurde Anfang September 1994 vereinbart, daß der Ölvertrag bis Mitte September unterschrieben werden solle.«2365 Zu dieser Vertragsunterzeich­ nung kam es dann auch am 20. September 1994 in Baku. Vieles spricht jedoch dafür, daß der >Jahrhundertvertrag< mit früheren, aber nach wie vor gültigen Verträgen bezüglich des Status des Kaspischen Meeres nicht ganz in Übereinstimmung zu bringen ist, worauf Rußland während der Vertragsver­ handlungen auch hinwies. Rußland hielt die Formel »aserbaidschanischer Sektor des Kaspischen Meeres« juristisch für ungültig, weil es keine Aufteilung in Sekto­ ren unter den Anrainerstaaten gebe, und daher besitze Aserbaidschan kein Recht und erst recht keine Verfügungsgewalt bezüglich des Schelfs des Kaspischen Meers.2366 Tatsächlich schienen die Einwände Rußlands einiges für sich zu haben: »In den ersten bekannten Vertragswerken von 1729 zwischen Rußland und Persien wurde das Kaspische Meer schon als Staatsgrenze festgelegt. Alle Verträge bis zum Zusammenbruch der UdSSR sahen das Kaspische Meer als gemeinsames Ei­ gentum von Rußland (Sowjetunion) und Persien (Iran) an. Doch seit 1991 kommt es zum offenen Streit um den rechtlichen Status des Kas­ pischen Meeres und seines Rohstoffvermögens von über einer Billion US-Dollar. Vereinfacht dargestellt gibt es drei unterschiedliche Auffassungen über den Status des Kaspischen Meeres, und zwei Streitparteien. Rußland und Iran - beide haben direkt vor ihrem Küstenstreifen die geringsten Öl- und Gasvorkommen aller An­

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rainerstaaten -, bestehen darauf, daß, basierend auf ihren Verträgen aus den Jah­ ren 1921 und 1940, das Kaspische Meer ein Binnensee ist. So gesehen, gelte die sonst für Meere gültige internationale Seerechtskonvention von 1982 nicht. Diese regelt neben einer 12 Meilen-Hoheitszone (Art. 3) vor der Küste auch eine 200 Mei­ len-Wirtschaftszone (Art. 57) - eine Zone mit exklusiven Wirtschaftsrechten für den angrenzenden Staat. Bei einem Binnensee bestünde dagegen die Möglichkeit der gemeinsamen Nutzung aller Ressourcen. Man spricht hier vom Prinzip des Kondominismus. Diese... Forderung der Anerkennung als Binnensee beinhaltet im russisch-iranischen Selbstverständnis ein Förderrecht im gesamten Gebiet und ein Mitsprache- und Vetorecht über alle Ölförderentscheidungen Kasachstans und Aserbaidschans.«2367 Für diese Position Rußlands spricht zudem der Umstand, daß ein Gewässer nur dann unter die Seerechtskonvention fallen kann, wenn es einen Zugang zum Weltmeer besitzt, was beim Kaspischen Meer nicht der Fall ist. Folgte man also der Auffassung Rußlands und des Iran, hätte Aserbaidschan bei Abschluß des >Jahrhundertvertrages< sich vorher die Zustimmung dieser Mächte einholen müssen - der Vertrag in der Form, wie er geschlossen wurde, wäre also als >schwe­ bend unwirksam< zu bezeichnen. Vor diesem Hintergrund waren Proteste der Russischen Föderation zu erwar­ ten. Als der >Jahrhundertvertrag< unterzeichnungsreif war, richtete Rußland am 12. September 1994 Protestnoten an Aserbaidschan und Turkmenistan und am 16. September 1994 an Kasachstan mit dem Ziel, die Tätigkeit ausländischer Firmen am Kaspischen Meer zu verhindern.2368 Im Oktober 1994 kam es zum Versuch Ruß­ lands, durch ein an die Generalversammlung der Vereinten Nationen gerichtetes Schreiben den >Jahrhundertvertrag< für ungültig zu erklären.2369 Gleichzeitig ver­ suchte Rußland, durch die geheime Präsidentendirektive Nr. 369 »On Protecting the Interests of the RF in the Capian Sea« vom 17. Juli 1994 Gegenstrategien zu entwickeln,2370 um einer Abdrängung Rußlands entgegenzuwirken. Nach allgemeiner Ansicht gilt dieser Vertag als Modell und »politisch als epo­ chemachend«,2371 und zwar dahingehend, daß Rußland vom Kaspischen Meer all­ mählich verdrängt wurde, was auch Energie- und Kaukasus-Experte Friedemann Müller bestätigt: »Rußland wurden die Grenzen seiner Einflußnahme in der Region aufgezeigt. Seine Rechtsvorstellung, daß das Kaspische Meer und seine Bodenschät­ ze gemeinsam (unter besonderem russischem Einfluß) verwaltet und erschlossen werden, wurde durch einen faktenschaffenden Vertrag übergangen, wobei Ruß­ land in den folgenden Jahren nichts (anderes) übrig blieb, als sich immer stärker der Rechtsauffassung des kleinen Aserbaidschan zu nähern, um damit überhaupt noch als Partner an Transit-Geschäften beteiligt zu sein und seinen Firmen eine Beteiligung an der Erschließung zu ermöglichen.« 2372 Der Abschluß des >Jahrhundert­ vertrages< muß daher im Ganzen als eine strategische Niederlage Rußlands im Kaukasus angesehen werden. »Während westliche Experten von einer >Verzah­ nung der Interessen der beteiligten Firmen und Staaten mit der Kaukasusregion
gemeinsamen aserbaidschanisch-westlichen Interesse an Stabilität in der Region< sprachen, schätzte ihn eine Moskauer Zeitung als >geopolitischen und öko­ nomischen Verlust< für Rußland ein.«2373 Nicht nur in Aserbaidschan gelang es den anglo-amerikanischen Ölkonzernen Fuß zu fassen: Der US-Ölkonzern Chevron hatte im April 1993 einen Vertrag mit dem Staat Kasachstan zur Erschließung des Tengiz-Feldes abgeschlossen, das am Nordostufer des Kaspischen Meeres gelegen ist. Hierbei stellt sich die Frage, welche Zusammenhänge zwischen den US-Konzer­ nen und der politischen US-Machtelite bestehen. Hierbei ist eine enge Verbindung zwischen US-Geopolitikern und dem Wirken der anglo-amerikanischen Konzerne festzustellen. Insbesondere Zbigniew Brzezinski ist als Berater weiterhin aktiv in der US-amerikanischen Regierung eingebunden. »Vor allem aber werden seine Zielsetzungen längst von denen verfolgt, die tatsächliche Weltmacht ausüben. So schlossen sich 1995 die großen US-amerikanischen Ölfirmen in Washington zu ei­ ner eigenen Lobby, der Foreign-Oil-Companies-Group, zusammen, um ihre Inter­ essen in der kaspischen Region zu fördern und um Einfluß auf die Entscheidungen der US-Regierung zu nehmen. Sie gewannen eine Reihe ehemaliger prominenter US-Politiker als Berater für ihre Öllobby, so den erwähnten Zbigniew Brzezinski, den ehemaligen stellvertretenden US-Verteidigungsminister Richard Armitage, den früheren Stabschef der US-Armee John Sonunu sowie die ehemaligen US-Außen­ minister Lawrence Eagleburger und Henry Kissinger.«2374 Zbigniew Brzezinski steht bei der amerikanischen Ölfirma Amoco unter Vertrag, während Eagleburger, Ho­ ward Baker und Brent Scowcroft bei Pennzoil tätig sind.

4.5.4 Der Pipeline-Poker beginnt: Die USA planen, das russische Transportmonopol zu brechen Mit dem >Jahrhundertvertrag< begann Rußland, seinen Einfluß in der kaspischen Region allmählich zu verlieren, und mit dem internationalen - eigentlich angloamerikanischen - Konzern AIOC hatte »sich eine Kraft etabliert, die als ein wichti­ ger Gegenspieler in dem geopolitischen Bemühen der staatlichen Mächte um Ein­ flußsphären gilt«.2375

4.5.4.1 Die bestehenden Pipelinesysteme begünstigen Rußlands Stellung im Pipeline-Poker Rußland verfügte jedoch noch über einen Trumpf, mit dem es noch ein wichtiger Faktor im Konkurrenzkampf um das kaspische Öl bleiben konnte. In dem sich nun abzeichnenden Konflikt ging es jetzt »nicht nur um die eigentlichen Ressourcen, sondern... auch um die Macht, die aus der Kontrolle der Transportwege entspringt. Rußland besitzt derzeit über 80% der Pipelinekapazitäten in der kaspischen Region, und wegen ausreichender militärischer Mittel auch genügend Sicherheitsange­ bot«.2376 Genauso sieht es auch Kaukasus-Experte Freitag-Wirminghaus: »Im Rin­

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gen um die Hauptpipeline für das aserbaidschanische Öl besitzt Rußland durch seine militärische Position im Kaukasus, sein vorhandenes Pipelinesystem und die Aktivitäten seiner Konzerne einen Vorteil.«2377 Insgesamt hatte Rußland also bei den Verhandlungen um den Transport des kaspischen Meeröls aufgrund seines bereits gebauten Pipelinenetzes einen großen Vorteil2378 - eine Situation, die den USA keinesfalls ins strategische Konzept paßte, kommt es für die US-Machtelite doch gerade darauf an, die kaspische Region, den Kaukasus und Zentralasien mitsamt seiner Ressourcen von Rußland abzutrennen, um ein Wiedererstarken der eurasischen Kontinentalmacht ein für allemal zu unter­ binden. Wie Mortimer B. Zuckerman schreibt, besteht der strategische Ausgangs­ punkt, um Rußland zurückzudrängen und amerikanische Erdölinteressen durch­ zusetzen, darin, das bisherige Pipelinemonopol Rußlands zu brechen.2379 Neben der Rohstoffsicherung zielten die USA nunmehr auf die Errichtung eines Ost-WestEnergie- und Transportkorridors, dessen Ziel die Zurückdrängung des russischen Einflusses ist.2380 Zum Zeitpunkt des >Jahrhundertvertrages< jedenfalls war die Stellung Rußlands in der Frage der Transportkorridore ausgesprochen günstig: Die US-Erdölkonzer­ ne verfügten zwar seit April 1993 über Förderrechte an der kasachischen Küste des Schwarzen Meeres (Tengiz) und seit September 1994 an den aserbaidschanischen Offshore-Feldern. Jedoch verfügten sie nicht über eigene Transportrouten, so daß man zunächst auf Rußland angewiesen war: »Die Routen von Baku bzw. Tengiz nach Noworossijsk sind für den Transport des aserbaidschanischen und kasachi­ schen Öls die bisher einzigen, die funktionieren (Baku-Noworossijsk) bzw. schnelle Aussicht auf Realisierung haben (Tengiz-Noworossijsk). Sowohl Aserbaidschan als auch Kasachstan arbeiten jedoch unter Unterstützung der USA mit Hochdruck daran, ihre einseitige Abhängigkeit von Rußland auf diesem Gebiet zu verringern. Erweisen sich die rußländischen Routen als zuverlässig und billig, könnte es Mos­ kau jedoch mittelfristig gelingen, die Stellung >seiner< Routen als Haupttransport­ adern zu behaupten.«2381 Bis zu diesem Zeitpunkt jedenfalls erlaubte die von der UdSSR ererbte Transportinfrastruktur nur, das Erdöl und Erdgas der kaspischen Region nach Rußland zu befördern.2382 Verwendungstauglich waren zum Zeitpunkt Ende der neunziger Jahre folgende Pipelinerouten: - Die Route von Baku zum rußländischen Schwarzmeerhafen Noworossijsk war derzeit die bislang einzige funktionierende Pipeline für das aserbaidschanische Öl. Diese Pipeline war bis dahin auch die einzige, die wirtschaftlich attraktiv war. Diese Pipeline verläuft über eine Strecke von 153 km durch den kaukasischen Unruhe­ herd Tschetschenien, und zwar über Grosny, die Hauptstadt der tschetschenischen Teilrepublik. Problematisch war in diesem Zusammenhang der tschetschenische Separatismus, der die Sicherheit der Ölleitung erheblich gefährdete. Am 23. De­ zember 1996 unterzeichneten der russische Ministerpräsident Tschernomyrdin und der tschetschenische Präsident Aslan Maschadow ein Abkommen über die Sicher­

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heit der Pipeline Baku-Grosny-Noworossijsk. Dabei blieb die Frage der Transit­ gebühren zunächst offen, was später zu heftigen politischen Auseinandersetzun­ gen zwischen Rußland und Tschetschenien führen sollte.2383 Diese bestanden in For­ derungen Tschetscheniens gegen Rußland nach höheren Transitgebühren. Diese Auseinandersetzungen waren für das Kräfteverhältnis, insbesondere für den rus­ sischen Einfluß im Kaukasus, nicht ohne Bedeutung: Tschetschenien blieb ein stän­ diger Unruheherd und konnte »z.B. über mögliche Terroranschläge - die Trans­ portwege auf rußländischem Territorium behindern. Der tschetschenische Feldkommandeur Salman Raduev machte dies in einem Fernsehinterview deutlich, in dem er erklärte, daß es >keine Pipeline für Rußland geben werdeJahrhundertvertrag< beteiligten Ölfirmen, die das aserbaidschanische Öl auf dem südeuropäischen Markt plazieren wollen«.2387 Problematisch bei dieser Trassenführung war die Tatsache, daß diese Pipeline durch Georgien führte, dessen innere Stabilität durch die Sezessionsbestrebungen der Abchasen und Südosseten in Frage gestellt war und nach wie vor ist. Der wei­ tere Nachteil dieser Pipeline bestand in ihrer geringen Transportkapazität, so daß sie für die Ölkonzerne als alleinige Route nicht in Frage kam.2388 Außerdem stellte sich das Problem, daß das Erdöl dann von Supsa mit Öltankern noch durch den Bosporus transportiert werden mußte; die Türkei jedoch hatte den Tankerverkehr aus ökologischen Gründen seit 1994 erheblich eingeschränkt und lehnte es ab, »daß sich die Meerengen in eine Ölpipeline verwandeln«.2389 Die US-Geopolitik war daher folgenden - für sie ungünstigen - Problemen aus­ gesetzt: Funktionstüchtig und auslastungsfähig waren nur die russischen Pipelines. Die bis dahin einzig in Frage kommende Alternativpipeline Baku-Supsa, die dem geopolitischen Interesse der USA am nächsten kam (weil sie Rußland umgeht), reichte für die künftigen Transportpläne nicht aus, bestenfalls ließ sich über sie das soge­

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nannte >early Oil< transportieren, nicht aber die erwarteten großen Fördermengen; ungeachtet der Tatsache, daß sich die Türkei gegen einen Transport des Erdöls mit Öltankern durch den Bosporus sperrte. Daher war es wichtig, »die Möglichkeiten von alternativen Transportrouten, und zwar am Bosporus vorbei, für den Transport der kaspischen fossilen Energiereserven zu untersuchen«.2390 In diesem Zusammenhang enthüllte am 4. Oktober 1998 die Washington Post die genauen Hintergründe des Aserbaidschan-Deals: Demzufolge hätten die westli­ chen Ölkonzerne nach anfänglicher Skepsis, ob vielleicht Moskau hinter Alijews Putsch stecke, bald erkannt, daß Alijew genau der Präsident sei, auf den sie gewar­ tet hätten. Alijew einigte sich bald mit dem amerikanischen Erdölkonzern Amoco und machte seinen Sohn Ilham Alijew zum Vizepräsidenten der staatlichen aser­ baidschanischen Ölgesellschaft SOCAR. Dabei wirkte kein Geringerer als Zbigniew Brzezinski als Berater im Hintergrund, um Strategien für die Verlegung der Pipe­ lines zu entwickeln. Vertreter der Lobby-Organisation >Foreign Oil Companies< (gegründet von in Aserbaidschan engagierten US-Ölkonzernen) kamen im Som­ mer 1995 mit der Energieexpertin des Nationalen Sicherheitsrates Sheila Heslin und dann mit einem Ausschuß unter Leitung von US-Sicherheitsberater Sandy Ber­ ger zusammen. Dieser hatte schon längst ein Regierungskomitee zur Gestaltung der US-Politik in der kaspischen Region gegründet, dem Vertreter aus verschiede­ nen Regierungsressorts und der CIA angehörten.2391 Es ging um die Routen der Erdölpipelines aus Aserbaidschan und dem Kaspi­ schen Meer. Es existierte ja die Pipeline Baku-Noworossijsk, die auch mit gerin­ gem Aufwand hätte modernisiert werden können. »Aber dann hätte Rußland in den Augen Brzezinskis und einiger Vertreter der Regierung Clinton zu großen Ein­ fluß auf die Geschäfte der AIOC.«2392 Wie die Washington Post weiter enthüllte, traf sich Sicherheitsberater Sandy Berger zweimal mit Vertretern der AIOC-Firmen und überzeugte den AIOC-Präsidenten Terry Adams von BP von der Notwendigkeit, die 250 Mio. Dollar teure neue Pipeline außerhalb russischer Kontrolle von Baku zum georgischen Hafen Suspa zu bauen. BP hatte ursprünglich die billigere Lösung bevorzugt, die russische Pipeline zu modernisieren.2393 Im September 1995 - so die Enthüllungen der Washington Post, wiedergegeben in der Zeitschrift Neue Solidari­ tät - entschied sich die AIOC dann für die Doppellösung, die russische Pipeline zu nutzen und auch weiter westlich eine neue Pipeline zu bauen. »Wenig später fragte Clintons Sicherheitsberater Anthony L ake Brzezinski privat, ob er A lijew einen Brief Clintons überbringen könnte. In dem Schreiben hieß es, die USA wollten zwei Pipe­ lines und wären bereit, als Gegenleistung bei der Beilegung des Konflikts zwischen Aserbaidschan und Armenien über Berg-Karabach zu helfen. Brzezinski, der kurze Zeit später Berater für Amoco wurde, erklärte, er habe zugestimmt, weil er über die russischen Absichten im Transkaukasus besorgt gewesen sei. Er überbrachte Alijew den Brief und führte dann noch mehrere Tage ausführliche Gespräche. Er erfuhr, die Russen hätten gefordert, alles Erdöl aus Aserbaidschan solle durch rus­

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sische Pipelines laufen, und zudem sollten russische Soldaten in Aserbaidschan stationiert werden. Der Eurasien-Direktor von Amoco, Don Stacy, gewann Präsi­ dent Clinton für die Zwei-Pipelines-Politik, und im Oktober 1995 warb Clinton telefonisch bei Alijew für den Plan; eine Woche später stimmte Alijew zu. (Laut Washington Post versprach Clinton Alijew, die Sanktionen nach >Abschnitt 907< gegen Aserbaidschan aufzuheben...) Anfang 1996 kamen die Russen zu dem Schluß, daß die Kontrolle über eine von zwei Pipelines besser wäre als gar nichts, und lenkten ein.«2394 Die US-Politik erlitt in jener Zeit aber noch einen entscheidenden Rückschlag, und zwar bei dem Versuch, einen Pipelinekorridor für das kasachische Öl aus der Region Tengiz im Nordosten des Kaspischen Meeres festzulegen. Dem US-Kon­ zern Chevron gelang es ja, die Förderrechte am Tengiz-Feld zu erwerben, und zwar unter Ausschluß Rußlands. »Bereits vor Abschluß der Verhandlungen zwischen Kasachstan und Chevron über die Erschließung des Tengiz-Feldes wurde 1992 das Caspian Pipeline Consortium (CPC) gegründet, um eine Pipeline zum Transport des Tengiz-Öls nach Noworossijsk zu errichten. Teilhaber an CPC waren die Staaten Rußland, Kasachstan und Oman, letzterer als möglicher Investor. Chevron ist es nicht gelungen, einen für die Firma wünschenswerten Anteil zu bekommen; es hat damit keinen Einfluß auf die Politik des Konsortiums«, so Friedemann Müller.2395 Hier schien es Rußland zu gelingen, die US-amerikanische Konkurrenz in die Schranken zu weisen. »Die Alternative einer Pipeline von Tengiz durch Turkme­ nistan und Iran zum Persischen Golf, wie vom kasachischen Präsidenten Nazarbajev gewünscht und mit Iran als Absicht vereinbart, wurde Nazarbajev anläßlich eines Besuches im Weißen Haus im Frühjahr 1994 ausgeredet. Damit gab es für den Trans­ port des Tengiz-Öls zu Rußland keine Alternative. Diese Monopolposition hat Ruß­ land jahrelang genutzt, um sich zum einen dafür zu revanchieren, daß es bei der Erschließung des Tengiz-Feldes nicht berücksichtigt wurde, und zum anderen, um sich des kasachischen Konkurrenten auf dem internationalen Ölmarkt zu entledi­ gen. So wurde die CPC-Pipeline nicht nur nicht gebaut und Tengiz-Öl nur in ganz geringem Maße über das existierende russische Netz geleitet, auch die Planung der Pipeline wurde nicht vorangetrieben.«2396 So hatte Rußland den Transport des kasachischen Tengiz-Öls weitgehend blo­ ckieren k önnen. Doch in der Folgezeit gelang es Rußland, sich mit seinen Transport­ monopolbestrebungen hier durchzusetzen. Im Frühsommer 2001 konnte eine ent­ sprechende Pipeline schließlich doch eröffnet werden, »und zwar ausgerechnet eine Transportader, die auf der >falschen< Trasse verläuft: Die Tengiz-NoworossijskPipeline... verbindet die Ölvorkommen von der kasachischen Stadt Tengiz, führt dann in einem Bogen um die kasachische und dann russische Nordküste des Kas­ pischen Meers und verbleibt im folgenden ausschließlich auf russischem Terrain mit dem Endpunkt Schwarzmeerhafen Noworossijsk... Die Frankfurter Allgemeine Zeitung kommentierte das erfolgreiche CPC-Projekt kaum verhohlen hämisch mit

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dem Verweis, hier handle es sich um >einen Sieg der wirtschaftlichen Überlegun­ gen folgenden Politik Rußlands über die politisch unglücklich taktierenden Verei­ nigten StaatenEarly Oil< transportieren dürfen; der Hauptteil sollte aber durch eine Ost-West-Pipeline gepumpt werden, die Rußland umgeht. Im Kern ging es, wie Friedemann Müller schreibt, »um eine Monopolisierung des Baku-Öls«,2401 und zwar sowohl der Förderung selbst als auch der Transportrouten in den Händen von US-Konzernen. Dabei sollte sichergestellt werden, »Rußland bei allen Pipe­ lineprojekten auszuschalten, um die Weltmacht von einst möglichst lange von ei­ ner wirtschaftlichen Renaissance auszuschließen«.2402 Diese Auffassung bestätigt auch Putin-Kenner Viktor Timtschenko: »Für die USPolitik in Zentralasien wurde ein Konzept mit folgenden Hauptzielen entwickelt: die Staaten in dieser Region in ihrer Unabhängigkeit von den Nachbarn, vor allem von Rußland, zu stärken; gleichzeitig ihre Bindungen an den Westen zu festigen;

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das russische Monopol über die Öl- und Gas-Transportwege aus der Region zu brechen. Diese Zielsetzung wurde im Jahr 2000 vom zuständigen Unterausschuß des US-Repräsentantenhauses bestätigt.«2403 Aus diesen Gründen begann die US-Politik ihren Schwerpunkt in der Region auf eine Hauptpipeline zum offenen Meer zu legen. »Zur Diskussion stehen vier Optionen, die russische, georgische, türkische und iranische Option. Die russische und die georgische Option sehen Pipelines entlang der vorhandenen Routen für early oil vor..., die iranische Option bietet eine wenige hundert Kilometer lange Verbindungsstrecke als Anbindung an das gut ausgebaute iranische Netz an. Die türkische Option bedeutete eine Streckenführung entlang der georgischen Pipeline ganz oder beinahe bis Supsa, von dort nach Süden zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan. Diese letzte Variante bevorzugt die US-Regierung, mit der Begründung: Iran darf nicht in die kaspische Infrastruktur integriert, sondern muß isoliert werden. Rußland darf nicht neben dem Tengiz-Öl auch noch das Baku-Öl transportieren. Die Türkei muß als regionale Macht aufgebaut werden. Der Hafen Ceyhan muß dafür entschädigt werden, daß das irakische Öl, das durch eine Pipeline mit Ceyhan verbunden ist, wegen der Sanktionen nur noch spärlich fließt.«2404 Ergebnis der Er­ örterungen war der Plan zum Bau einer 1750 km langen Ölleitung, die in Baku beginnen, in nordwestlicher Richtung verlaufen und Aserbaidschan nördlich der unruhigen armenischen Enklave Nagorni-Karabach passieren sollte. Durch Geor­ gien sollte die Ölleitung zum Schwarzmeerhafen Batumi und dann weiter in süd­ westlicher Richtung durch das türkische Kurdengebiet zu dem für große Tanker geeigneten Hafen Ceyhan am Mittelmeer verlaufen.2405 Chalmers Johnson erwähnt auch den Grund, warum diese sehr aufwendige und teure Route von den USA nachdrücklich gewünscht und gefördert wurde: »Die USA bevorzugen dieses Projekt, weil dadurch Rußland und der Iran sowie die Meerengen am Bosporus und den Dardanellen umgangen werden können.«2406 Es handelt sich mithin um einen Pipelinekorridor, der ausschließlich geopolitisch und weniger wirtschaftlich begründet ist, weshalb die Ölkonzerne dem Korridor BakuTiflis-Ceyhan eher kritisch gegenüberstanden, hingegen die US-Regierung aber massiven Druck ausübte, um die Verwirklichung dieses Pipelineprojekts möglichst schnell herbeizuführen.2407 »Die seit 1997 intensivierte Kampagne Washingtons für Ceyhan ist der deutlichste Ausdruck der gemeinsamen Interessenlage der USA und der neuen unabhängigen Staaten... Die US-Regierung denkt in strategischen Kate­ gorien, die Öl-Gesellschaften denken wirtschaftlich und favorisieren den georgi­ schen Hafen Supsa mit einem Weitertransport durch den Bosporus oder eine Kom­ bination, bei der Rußland, Georgien und Iran beteiligt sind. Der niedrige Ölpreis und die Ungewißheit über den tatsächlichen Umfang der Vorräte und zukünftiger Produktion lassen sie von Investitionen in großangelegte und kostspielige Projekte Abstand nehmen«, so Rainer Freitag-Wirminghaus.2408 Er stellt auch klar heraus, worum es den USA eigentlich geht: »Washington be­

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harrt auf der Pipeline Baku-Ceyhan als Teil und Ergänzung des eurasischen Ener­ gietransportkorridors entlang der Ost-West-Achse. Eine weitere Konzentration von Energieträgern im Persischen Golf soll verhindert werden. Letzteres wäre durch eine Pipeline nach Iran gegeben, wie sie einige US-Gesellschaften fordern. Eine Pipe­ line Baku-Ceyhan wäre also in erster Linie eine politische und strategische Pipe­ line, die man auch bauen würde, wenn sie ökonomisch nicht rentabel ist. Die USA wollen den Energiestrom an Rußland vorbeilenken und mit Hilfe der kaspischen Energieressourcen die Türkei zum Stabilitätsanker in der Region machen, ihr wirt­ schaftliches Wachstum fördern und durch die Route Baku-Ceyhan Aserbaidschan, Georgien und die Türkei an den Westen binden.«2409 Dieser Pipelinekorridor entsprach schließlich auch der in den neunziger Jahren eingetretenen Umschichtung geopolitischer Machtverhältnisse: »Während der rus­ sische und iranische Einfluß allmählich zurückging, nahm der US-amerikanische und türkische Einfluß bedeutend zu«,2410 und mit dieser Pipeline sollten die betei­ ligten Staaten Aserbaidschan, Georgien und Türkei ganz im Sinne der geopoliti­ schen Interessen der USA in die Lage versetzt werden, »Gegengewichte« zum rus­ sischen Transportmonopol zu schaffen. Daher ist es nicht zuviel gesagt, diese Pipeline als ein strategisches Projekt zu bezeichnen, das »die Geopolitik der Region ändert«2411 - und zwar zugunsten der USA. Mit der Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan (BTC) sollen die beteiligten Staaten Aser­ baidschan, Türkei und Georgien in der Region die geopolitische Aufgabe ausüben, die ihnen die US-Geopolitiker zugewiesen hatten. Sie sollen gleichzeitig als anti­ russischer Sperrriegel wie auch als Ost-West-Korridor dienen, um die kaspischen Energieressourcen von Rußland abzutrennen. Deutlich spricht dies Chalmers John­ son aus: Auch seiner Einschätzung nach haben die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan und die ab Mitte der neunziger Jahre eingeleitete enge militärische Zusammenar­ beit dieser Staaten mit den USA das Ziel, »einen Keil zwischen die neuen zentral­ asiatischen Republiken und Rußland zu treiben«.2412

Pipeline BakuTiflisCeyhan (BTC)

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Der Transport des aserbaidschanischen >Hauptöls< und des Erdgases über Geor­ gien zum Weltmarkt verstärkt die Rolle dieses Kaukasusstaates als Transitland zwi­ schen Zentralasien und Ost- wie Westeuropa, und während Aserbaidschan als Schlüsselland für den Zugang nach Mittelasien betrachtet wird - so Rizvan Nabi­ yev erfüllt Georgien als strategisches Zentrum des Kaukasus für den Westen die Funktion eines Durchgangstores zur kaspischen Region und zur Seidenstraße.2413 In diesem Sinne will sich Georgien nicht nur auf die bloße Transitfunktion zwi­ schen Aserbaidschan und Mittelmeer beschränken, sondern möchte diese Rolle auch für den Raum zwischen Mittelasien und der Türkei übernehmen. Aus diesem Grun­ de ist es auch an einem stabilen Aserbaidschan als >Drehtür< am Kaspischen Meer interessiert, da Tiflis diese geopolitischen Pläne nur mit Unterstützung Bakus reali­ sieren kann.2414 Vor diesem Hintergrund erfüllt Georgien für die US-Geopolitik im Transkauka­ sus eine äußerst wichtige Drehscheibenfunktion. »Mit der Beförderung der kaspi­ schen Energieressourcen über sein Territorium verwandelt sich Georgien in einen bedeutenden Verkehrsknotenpunkt am Schwarzen Meer«.2415 Mit dem Pipelinepro­ jekt mit Georgien als Zentrum - so Rizvan Nabiyev - werden die südlichen Postso­ wjetrepubliken nicht nur politisch und ökonomisch enger miteinander verbunden, durch dieses Projekt könnten sie auch, wie von den USA auch beabsichtigt, enger an das westliche Marktwirtschaftssystem angegliedert werden.2416 Verbunden wer­ den sollte mit dieser Pipeline eine wirtschaftliche Stärkung der Staaten Georgien und Aserbaidschan, damit diese sich von Rußland abkoppeln können. Eröffnet wurde die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan am 25. Mai 2005. Die Süddeut­ sche Zeitung enthüllte hierzu: »Der wichtigste Geburtshelfer des Projekts waren die USA, denen es im wesentlichen um mehr Unabhängigkeit von nahöstlichen Ener­ giequellen ging. Das >Geschäft des JahrhundertsRußland bleibt nur noch die Rolle als ZaungastKorridor VIIIAnkara-Erklärung< zwischen den Regierungs­

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chefs dieser Staaten und dem neuen US-Energieminister Richardson. Es gelang so­ gar, auch Kasachstan mit einzubeziehen, um auch hier die russischen Pipelines zu neutralisieren. Kasachstan strebte an, sein Öl aus den Tengiz- und Kashagan-Fel­ dern in die BTC-Pipeline einzuspeisen, und es wurde sogar über eine Verlänge­ rung der BTC-Pipeline bis nach Kasachstan nachgedacht. Nach der Verabschie­ dung der Ankara-Erklärung jedenfalls »zeigte auch Kasachstan offiziell sein Interesse für BTC. Im Dezember 1998 unterschrieb das kasachische staatliche Erd­ ölunternehmen mit Chevron, Mobil und Shell ein Abkommen zur Ausarbeitung der technisch-ökonomischen Grundlagen der Verlegung von Erdöl- und Erdgas­ pipelines aus Aktau über den Grund des Kaspischen Meeres und dann über Aser­ baidschan und Georgien in die Türkei. Im Dezember 1998 erklärte auch Israel wäh­ rend des Besuchs des georgischen Parlamentspräsidenten in Tel Aviv seine Unterstützung für... Baku-Ceyhan. Israel ist am Import kaspischen Erdöls über die Türkei und das Mittelmeer strategisch interessiert«.2426 Um die Ölkonzerne für die Finanzierung der geopolitisch begründeten BTC-Pipe­ line zu gewinnen, sagte die US-Führung den militärischen Schutz der Pipeline zu, und dies nicht nur im Wege einer Stationierung von US-Streitkräften, sondern auch irregulärer CIA-Operationen. 1999 erklärte die aserbaidschanische Führung, daß sie die Halbinsel Apscheron, auf der Baku und die meisten Erdöl- und Erdgasfel­ der des Landes liegen, zum Schutz der Erdölvorkommen und der Transportwege für die Stationierung von US-Luftwaffenbasen anbieten würde. »Damit zeigte Aser­ baidschan seine Bereitschaft, für die Sicherheit seiner Ölreserven und deren Ex­ portwege, was für die Energiekonzerne von großer Bedeutung ist, die Unterstüt­ zung der größten Militärmacht der Welt zu akzeptieren.«2427 Die militärischen Kontakte zwischen den USA und den beteiligten Staaten wurden in der Folgezeit noch verstärkt. Im Oktober 1999 besuchte der damalige Vize-Staatssekretär der US A, Strobe Talbott, die beteiligten südkaukasischen Staaten. Neben Pipelinefragen waren die Sicherheitsfragen und die Beilegung der regionalen Konflikte Kernpunkte seiner Verhandlungen, wobei es insbesondere auch um die Beilegung des arme­ nisch-aserbaidschanischen Konfliktes ging, was jedoch erfolglos blieb.2428 Mit der Eröffnung der Pipeline im Jahre 2005 verstärkte sich die Stationierung von US-Streitkräften in Aserbaidschan. US-Verteidigungsminister Rumsfeld ging heran, um eine sogenannte >Lily-Pads-Strategy< umzusetzen, das heißt, die gesamte Region mit Militärbasen wie Seerosen auf einem Teich zu bestücken. Mitte April 2005 besuchte er Baku bereits zum dritten Mal innerhalb eines Jahres mit dem Ziel, Aserbaidschan die endgültige Zustimmung zur Überlassung einer US-Militärbasis abzuringen. Und mit dem Unternehmen >Caspian Guard< (Kaspische Wache) will das Pentagon die BTC-Pipeline vor Sabotageakten schützen. Dazu, so das Wall­ street Journal unter Berufung auf den Chef der US-Streitkräfte in Europa, General James Jones, sollen in den nächsten Jahren 100 Millionen Dollar ausgegeben wer­ den.2429

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Zu den Bedenken der Ölkonzerne trug außerdem der Umstand bei, daß die BTCPipeline in der Osttürkei mitten durch das Kurdengebiet führte, wo die kurdische Separatistenorganisation PKK unter ihrem Führer Abdullah Öcalan den türkischen Streitkräften ständige bewaffnete Auseinandersetzungen lieferte. 1999 kam es je­ doch im Rahmen einer spektulären Geheimdienstoperation vermutlich unter Mihilfe von CIA und Mossad zur Festnahme des kurdischen Rebellenführers, »und im Herbst gab seine Partei die Einstellung ihrer militärischen Tätigkeiten be­ kannt«,2430 so daß der kurdische Krisenherd der Pipelinetrasse nicht mehr im Wege stand. Die US-Regierung ging sogar noch weiter, wie Rainer Rupp enthüllte: »Aus stra­ tegischen Gründen hatte sich bereits vor 13 Jahren die US-Regierung unter William Clinton mit Nachdruck gegen Pläne gewandt, eine weniger als halb so teure und darum von den US-Konzernen bevorzugte Pipelinetrasse von Baku über Rußland nach Westeuropa zu bauen. Um Rußland keinerlei Mitspracherecht über den Öl­ transport aus dem Kaspischen Meer in den Westen zu geben, war die US-Regie­ rung schließlich sogar bereit, dem Konsortium der Energiekonzerne einen guten Teil der Preisdifferenz beim Bau der 1770 Kilometer langen BTC-Pipeline zu erstat­ ten.«2431 Nach längerem Tauziehen gelang es der US-Regierung schließlich doch, sich gegenüber den Ölkonzernen durchzusetzen. Am Rande des OSZE-Gipfels in Istan­ bul wurde das Abkommen über die BTC-Pipeline am 20. November 1999 von den drei Staatsoberhäuptern Alijew (Aserbaidschan), Schewardnadse (Georgien) und Demirel (Türkei) in Anwesenheit des US-Präsidenten Clinton unterschrieben. Nach der Eröffnung am 25. Mai 2005 kam es am 4. Juni 2006 zur Inbetriebnahme der BTC-Pipeline. Zu unterstreichen ist, daß es sich bei der BTC-Pipeline weniger um eine ökono­ misch rationelle, sondern vielmehr um eine geopolitische - von den Interessen der USA diktierte - Pipeline handelt. Der ehemalige US-Energieminister Bill Richard­ son erklärte am 18. November 1999, daß diese Pipeline den strategischen Rahmen darstelle, der das nationale Interesse der USA in der Region vorantreibe,2432 und bestätigt damit, daß die BTC-Pipeline also in erster Linie eine politische und strate­ gische Pipeline ist, die man auch gebaut hätte, wenn sie unwirtschaftlich wäre. Die­ se Auffassung wird auch von Christoph Weber vom Lehrstuhl für Energiewirtschaft an der Universität Duisburg-Essen geteilt: »Die BTC ist Teil der gesamten Mittel­ ost-Politik der USA. Sie zielt darauf ab, Iran zu isolieren und den russischen Ein­ fluß zurückzudrängen.« Auch Metthew Yeomans, Verfasser des Buches Oil: Anatomy of an Industry er­ klärt: »Um es klar zu sagen: Diese Pipeline hätte nicht gebaut werden müssen.« Dabei verweist er auf das bereits bestehende Pipelinesystem: »Iran hat eine sehr gute Leistungsstruktur, und auch ins russische Netz hätte man das Öl einspeisen können.« Daher stand die US-Machtelite auch vollständig hinter diesem Projekt,

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gerade um die strategischen Konkurrenten Rußland und Iran im kaukasischen Öl­ poker mattzusetzen: »Bereits seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 verfolgten ver­ schiedene US-Regierungen beharrlich das strategische Ziel, die rohstoffreichen Re­ gionen im Kaukasus und in Zentralasien mit den Weltmärkten zu verbinden - und sich gleichzeitig aus der Gefangenschaft des russischen Pipelinemonopols zu lö­ sen.«2433 Der damalige US-Präsident Bill Clinton ließ es sich nicht nehmen, 1997 den er­ sten Spatenstich für den Bau der Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline (BTC) zu setzen. »Die Anwaltskanzlei von Exaußenminister James Baker beriet das von BP angeführte BTC-Konsortium.«2434 Dabei sind die von der US-Machtelite gewünschten geopoli­ tischen Folgen für Rußland unübersehbar. »Wenn diese Rohrleitung Öl aus Aser­ baidschan und Kasachstan transportieren und dabei das Gebiet von Rußland aus­ schließen wird, verliert Rußland sowohl eine beträchtliche Einkommensquelle als auch die wirtschaftliche Kontrolle über diese ölreichen Staaten.«2435 Dabei war es das strategische Ziel Rußlands, Aserbaidschan und Kasachstan dazu zu bewegen, ihr Öl über eine Rohrleitung in den Hafen von Noworossijsk am Schwarzen Meer auszuführen.2436 Die Süddeutsche Zeitung schrieb hierzu, daß die BTC-Pipeline weit mehr als eine technisch aufwendige Ölleitung sei. »Sie war bis zuletzt ein strategi­ sches Objekt im Machtkampf zwischen den USA und Rußland um den Zugriff auf die Energiereserven des Kaspischen Meeres. Und Rußland hat diesen Kampf ver­ loren.«2437 Kaukasus-Experte Rizvan Nabiyev faßt die geopolitischen Interessen der USA, die mit der Errichtung der BTC-Pipeline verbunden sind, in vier entscheidenden Gesichtspunkte zusammen:2438 - Die Verwirklichung eines Ost-West-Energiekorridors, der an den strategischen Hauptrivalen der USA in der Region, Rußland und Iran, vorbeiführt, verschafft Washington direkte Kontrollmöglichkeiten über die Erdöl- und Erdgasreserven des kaspischen Raumes und deren Export. - Die wirtschaftliche und energiepolitische Vorherrschaft der USA könnte eine Sprungbrettfunktion für die Herstellung ihrer politischen Vorherrschaft im kauka­ sisch-zentralasiatischen Raum erfüllen. - Mit ihrer politischen, wirtschaftlichen und auch militärischen Niederlassung in der kaukasisch-zentralasiatischen Region versuchen die USA, Einfluß auf die Außenpolitik der Staaten dieser Region in der Form auszuüben, daß diese dauer­ haft mit dem Westen verbunden bleiben. Die häufigen Regimewechsel in den neun­ ziger Jahren, die oftmals auch mit einem prorussischen Schwenk einhergegangen sind, stellten in den Augen der USA die prowestliche Kontinuität der kaukasisch­ zentralasiatischen Staaten in Frage, was Washington vor dem Hintergrund seiner Ziele mit Sorge betrachtete. Die Ausrichtung dieser Staaten nach Westen sollte jetzt über die BTC-Pipeline garantiert werden. Die BTC-Pipeline schafft nunmehr eine ökonomische Anbindung der kaspischen Staaten an den Westen, die von einer Sta­

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tionierung von US-Streitkräften begleitet ist, um auf diese Weise einen prorussi­ schen oder proiranischen Regierungswechsel von vornherein zu unterbinden. - Die USA versuchen, mit Hilfe dieser strategischen Pipeline vom Kaspischen Meer zu den Weltenergiemärkten die globale Preisgestaltung des Erdölmarktes zu beeinflussen. Die langfristige US-Strategie, durch den Zugriff auf das kaspische Erdöl das OPEC-Kartell zu brechen, soll hierdurch in Erfüllung gehen. »Eine Pipe­ line am Territorium eines OPEC-Mitglieds (Iran) oder eines unabhängigen großen Erdölexporteurs (Rußland) vorbei«, so Rizvan Nabiyev, »könnte einen Beitrag zur Verwirklichung dieses Ziels leisten.« Auch weitere Ziele der USA, wie sie in den verschiedenen Strategiepapieren dargestellt sind, sollen mit der BTC-Pipeline erreicht werden. Sie »ermöglicht es den zentralasiatischen Staaten, sich der wachsenden Dominanz Rußlands zu ent­ ziehen«.2439 Die anfallenden Durchlaufgebühren für die Pipeline könnten zum Bei­ spiel die zerrüttete georgische Wirtschaft stabilisieren und so das Land auch wirt­ schaftlich aus der Abhängigkeit Rußlands lösen. Für Rußland wurde jedenfalls erkennbar, daß die BTC-Pipeline nicht nur einen wirtschaftlichen Nachteil bedeu­ tete. Sie schuf - wie die Süddeutsche Zeitung darstellt - »auch neue politische Allian­ zen, die Moskau gar nicht goutiert. Georgien, das als Transitland von der Pipeline massiv profitiert, ist spätestens seit dem Amtsantritt des westorientierten Präsi­ denten Michail Saakaschwili ein strategischer Freund der USA. Für Tiflis ist die Ölund Gasleitung ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur energiepolitischen Emanzi­ pation von Moskau. Und für Washington ist Tiflis loyaler Partner im kaspischen Raum; der von Georgien angestrebte und von den USA unterstützte Nato-Beitritt würde das Bündnis festigen. Auch Aserbaidschan hat ein schwieriges Verhältnis zu den Russen, und ein gutes zu den Amerikanern. Der autoritäre Staatschef Ilham Alijew repräsentiert zwar genau jene Art von undemokratischen Herrschaftsregi­ men, die US-Präsident George Bush mit Worten massiv bekämpft. Alijew aber läßt nicht nur zu, daß in seinem Land Wahlen manipuliert und die demokratische Op­ position unterdrückt wird - er hat den Amerikanern in Form von Rohstoffen und der zentralen Lage eben auch etwas zu bieten. Erst kürzlich war er wieder einmal gern gesehener Besucher im Weißen Haus... Ähnliches gilt für Kasachstan, das vor wenigen Wochen der amerikanische Vizepräsident Dick Cheney persönlich auf­ gesucht hat, um wichtige Wirtschaftsverträge voranzutreiben. Washington hat sich vehement dafür eingesetzt, daß sich Kasachstan, Herrscher über das KaschaganFeld mit bis zu 40 Milliarden Barrel Öl, der Pipeline anschließt. Rußland hat viel getan, um das Projekt zu hintertreiben. Immer wieder versuchte Moskau, militäri­ sche Scharmützel in den Unruhegebieten Südossetien und Abchasien zu nutzen, um Georgien im Westen als unsicheres Transitland darzustellen. Verhindern konnte es die Strecke am Ende nicht«.2440 Damit konnten durch die BTC-Pipeline grundlegende geopolitische Ziele der USA umgesetzt werden, nicht zuletzt die Abspaltung der kaspischen Region vom

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Einfluß Rußlands schien Washington gelungen zu sein. Damit konnte diese Pipe­ line zu Recht als ein Katalysator zur Umwälzung der geopolitischen Verhältnisse zu Lasten Rußlands und des Iran - aber zugunsten der USA und ihrer Verbündeten angesehen werden.

4.5.4.3 Die strategische Isolierung des Iran Geopolitisch betrachtet hätte der Iran die Drehscheibe für den Transport des zen­ tralasiatisch-kaspischen Erdöls und Erdgases bilden können. »Der Iran ist ein Schlüs­ selakteur in der Konkurrenz um die Rohrleitungsstrecken, weil seine Golfhäfen am Indischen Ozean die kürzesten Rohrleitungsstrecken vom Kaspischen Meerbecken anbieten«, so Savas Genc.2441 Zudem ist unter rein ökonomischen Gesichtspunkten die iranische Option von allen anderen Pipelineprojekten die preisgünstigste und kürzeste. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR wurde sich auch die politische Führung des Iran der neuen geopolitischen Lage bewußt und begann Strategien zu entwickeln, das neu entstandene Vakuum auszufüllen. Daher verzichtete Teheran auch auf einen schiitischen Revolutionsexport, sondern betrieb eher eine pragmati­ sche Außenpolitik. »Der Iran hat es von Anfang an vermieden, in ideologischer Weise die islamische Karte in Zentralasien auszuspielen... Die Politik des Iran ge­ genüber der kaspischen Region wird... von Pragmatismus statt von Ideologie dik­ tiert«2442 - und strebte seit den neunziger Jahren statt dessen eine regionale Zusam­ menarbeit in der Form an, daß Teheran sich als strategischer Brückenkopf und Drehscheibe zwischen Zentralasien, der kaspischen Region und dem Persischen Golf darbot. »Der Iran will sein Pipelinenetz, moderne Hafeninfrastruktur am Per­ sischen Golf und seine langjährige Erfahrung zur Verfügung stellen.«2443 Dabei war es das Hauptziel des Iran, die Vormachtstellung der USA und deren türkischen und saudischen Verbündeten in der Region zu verhindern, die nach dem Zusammenbruch der UdSSR ebenfalls in diesem Machtvakuum auftauchten. So bildete sich ein strategisches Bündnis zwischen Iran und Rußland gegen den US-amerikanischen und türkischen Einfluß heraus; eine Achse, die schließlich auch Armenien miteinbezog. Auf der anderen Seite arbeiteten die Türkei und Israel zu­ sammen, um den Machtbereich des Iran einzudämmen.2444 Dabei kristallisierte sich eine Achsenbildung Rußland-Armenien-Iran gegen USA-Türkei-AserbaidschanIsrael heraus. Diese Achse sollte im Kampf um eine Alternativpipeline durch Af­ ghanistan deutlich hervortreten. Insgesamt haben Rußland und Iran »ein gemein­ sames Interesse daran, den amerikanischen Einfluß in Zentralasien und dem Kaukasus zurückzudrängen, aber auch, sich gegen die amerikanischen Bestrebun­ gen eines unipolaren internationalen Systems zu wehren. Irans Partnerschaft mit Rußland und Armenien ist so die strategische Antwort auf die Versuche Amerikas, durch ihre Verbindungen zu der Türkei, Aserbaidschan und Usbekistan Einfluß in der Region zu gewinnen«.2445 Infolge seiner geopolitischen Lage nach dem Zusam­

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menbruch der UdSSR und der Zusammenarbeit mit Rußland, die die von den USA durchgesetzte internationale Blockade des Iran überwand, galt der Iran »indirekt als Gewinner im >Great Game< u m Z entralasien«.2446 Schon nach dem zweiten Golf­ krieg 1991 stieg der Iran wieder zur Vormacht am Persischen Golf auf.2447 Durch die Gründung der >Organisation Wirtschaftlicher Koordination< (OEC) versuchte der Iran, sich beispielsweise als wirtschaftliche Führungsmacht und Drehscheibe zwi­ schen den südasiatischen Staaten, der Golfregion und den zentralasiatischen Staaten zu positionieren. Ein strategischer Gewinn des Iran war natürlich mit der Eindämmungspolitik der USA gegen diesen Staat nicht zu vereinbaren. Die US-Machtelite griff folglich zu Strategien, die verhindern sollten, daß der mit dem Zusammenbruch der UdSSR einhergehende geopolitische Epochenwechsel nicht zum Aufstieg des Iran zu einer zentralen Regionalmacht in Mittelasien führt. Folgt man Friedemann Müller, war dies zunächst der Grund dafür, daß die USA in Zentralasien einzugreifen began­ nen: »Erst die Erkenntnis, daß Iran in eine sich neu bildende Infrastruktur einbezo­ gen werden könnte, hat die Alarmglocken in Washington läuten lassen. Sowohl Kasachstan, das 1993 mit der amerikanischen Firma Chevron einen Vertrag zur Erschließung des Tengiz-Feldes, am Nordostufer des Kaspischen Meeres, abge­ schlossen hat, wie auch Aserbaidschan, dessen >Jahrhundertgeschäftearly oil< in zwei auszubauenden Pipelines zu dem georgischen Schwarzmeerhafen Supsa und dem russischen Hafen Noworossijsk zu leiten und die Entscheidung für die Hauptex­ port-Pipeline um mehrere Jahre zu verschieben«2448 - in der Hoffnung, daß Clinton eine Führung der Hauptpipeline über die Türkei durchsetzen konnte (was durch die BTC-Pipeline verwirklicht wurde). Die USA setzten daher alles daran, die Pipeline-Infrastruktur von Zentralasien in Richtung Südosten zu beeinflussen, wie am Beispiel Afghanistans im folgenden Kapitel dargestellt wird, so daß es dem Iran auch nicht gelungen war, sich im grö­ ßeren Umfang mit den kaspischen und zentralasiatischen Staaten zu vernetzen. Zwar wurde 1996 eine erste Eisenbahnlinie, die den Iran mit seinem Nachbarn Turk­ menistan verbindet, eingeweiht. »Doch die damit verbundenen Hoffnungen auf eine intensive wirtschaftliche Verknüpfung des mittelöstlichen mit dem zentral­ asiatischen Raum erfüllten sich nicht. Die Erdgas-Pipeline, die zwischen Turkme­ nistan und Iran gebaut und 1996 in Betrieb genommen wurde, kann nur Erdgas zwischen zwei Staaten transportieren, die beide mehr produzieren, als sie verbrau­

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chen, und gern mehr Erdgas exportieren würden.«2449 Insgesamt konnte die Politik der USA zur Isolierung des Iran als ziemlich erfolgreich betrachtet werden2450.

4.5.4.4 Das Pipelineprojekt Zentralasien-Afghanistan-Pakistan: ein weiterer Versuch der USA, Rußland und den Iran zu isolieren In der Folgezeit waren die Schachzüge der USA in Zentralasien von einer gezielt antirussischen Stoßrichtung bestimmt, was auch die seinerzeitige Energieexpertin des Nationalen Sicherheitsrates der USA, Sheila Heslin, bestätigte: »Die US-Politik sollte den raschen Abbau kaspischer Energie fördern... Das taten wir insbesonde­ re, um die Unabhängigkeit dieser ölreichen Länder voranzutreiben und um Ruß­ lands Monopol auf den Öltransport aus der Region zu brechen; offen gestanden aber auch, um durch Diversifikation eine sichere Energieversorgung für den We­ sten zu schaffen.«2451 In diesem Zusammenhang wurde den zentralasiatischen Schlüsselstaaten eine jeweilige besondere strategische Funktion zugewiesen. Die US-Strategie, so Rainer Freitag-Wirminghaus, hatte dabei Aserbaidschan als Ö lpro­ duzenten und Turkmenistan hauptsächlich als Gasversorger festzulegen versucht.2452 Eine unter amerikanischer Obhut beschlossene transkaspische Gasleitung von Turk­ menistan sollte über Baku in die Türkei laufen, und zwar parallel zur Ölpipeline Baku-Ceyhan. Insbesondere Usbekistan sollte - wie es Brzezinski ja auch schon vorgegeben hatte - zu einer Art antirussischem Bollwerk in Zentralasien aufgebaut werden. »Ohne Usbekistan konnten die USA keine strategische Schlagkraft in Zen­ tralasien entwickeln, denn es war der größte und mächtigste Staat und der einzige, der sich gegen Rußland auflehnen konnte. Vorsichtig umwarben beide einander. Karimov unterstützte die Pläne über ein NATO-Bataillon in Zentralasien, dem sich Rußland vehement widersetzte... US-Firmen fanden Interesse an Usbekistans Mi­ neralvorkommen, und der Handel zwischen beiden Ländern blühte plötzlich auf und steigerte sich zwischen 1995 und 1997 auf das Achtfache. Im Juni 1996 unter­ nahm Karimov seine erste Reise nach Washington. >Ende 1995 hatte der Westen, insbesondere die USA, sich eindeutig für Usbekistan als das einzige brauchbare Gegengewicht zur erneuerten russischen Hegemonie und zu Irans Einfluß entschie­ denTalibanisierung< Afghanistans eine entscheidende Katalysatorfunktion für den Zusammenbruch der UdSSR gehabt, und eine Sicherstellung der US-Kontrolle über dieses Land ermög­ lichte gleichermaßen eine Einflußnahme auf den gesamten zentralasisatischen Raum. Elie Krakowski, ehemaliger Mitarbeiter des US-Verteidigungsministeriums, gab zu, daß auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR Afghanistan für die USA eine unveränderte geopolitische Bedeutung habe, denn das Land »liegt zwischen dem (nach der Formulierung Halford Mackinders) >Herzland der Geschichte< und

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dem indischen Subkontinent. Diese Bedeutung verdankt es seiner geographischen Lage«2459 und der Tatsache, daß es den Schnittpunkt wichtiger Verkehrswege bildet. »Es ist ein Grenzgebiet zwischen Land- und Seemächten und deshalb auch ein Ort, an dem widerstreitende Kräfte aufeinander treffen, die stärker sind als das Land selbst. A lexander der Grosse wie auch die Mogulherrscher nutzten e s bei ihren Eroberungszügen als Einfallstor. Im 19. Jahrhundert diente Afghanistan als Zank­ apfel zwischen dem britischen Empire und dem Zarenreich, im 20. Jahrhundert war das Land Anlaß für Kontroversen zwischen den Supermächten USA und UdSSR. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde es für die neu entstan­ denen, vom Festland umschlossenen Staaten Zentralasiens zu einem wichtigen potentiellen Zugang zum Meer. Die riesigen Öl- und Erdgasvorräte Zentralasiens haben eine große Anziehungskraft auf andere Länder und auf multinationale Unter­ nehmen ausgeübt... Afghanistan ist eine bedeutende strategische Drehscheibe: Was dort geschieht, betrifft auch den Rest der Welt.«2460 Von den zentralasiatischen Staaten war es daher auch insbesondere Turkmenis­ tan, das die Bedeutung Afghanistans für seine Pläne, sein Erdgas zum Indischen Ozean zu befördern, erkannte. Aufgrund seiner geostrategisch isolierten Lage war es von den russischen Pipelinerouten abhängig. »Turkmenistans Dilemma ist seine geopolitische Lage: Es liegt eingeklemmt zwischen dem Iran, der als Pipelineroute für die USA nicht in Frage kommt, Afghanistan, wo der Bürgerkrieg tobt, und Ruß­ land, dem eher an einer Beschränkung des turkmenischen Gasexports in den We­ sten gelegen ist, da es das eigene Gas aus Sibirien verkaufen will. 1992 weigerten sich die Ukraine, Armenien und dann sogar auch Rußland, für ihre Gasimporte aus Turkmenistan zu zahlen. Da das gesamte Gas aus Turkmenistan durch das frühere sowjetische Pipelinenetz gepumpt wurde, hielt Moskau einfach die Hand darauf.« 2461 Um sich aus der Abhängigkeit vom Netz russischer Pipelines zu lösen, hofierte Turkmenistan die US-Ölkonzerne. Auf Druck der US-Regierung, die keinesfalls wollte, daß Zentralasien von Rußland abhängig blieb und der Iran eine Schlüssel­ positition im Pipelinepoker gewann, wurde 1999 zwischen Turkmenistan und ei­ nem US-Konsortium ein Vertrag über den Bau einer Pipeline von Turkmenistan in die Türkei, die unter dem Kaspischen Meer nach Aserbaidschan führen sollte und so den Iran und auch Rußland umging, geschlossen.2462 Bereits zuvor hatte Turk­ menistan aber auch Afghanistan ins Visier genommen, und so kam es am 16. März 1995 zur Unterzeichnung eines Abkommens zwischen Turkmenistan und Pakistan hinsichtlich der Genehmigung einer Durchführbarkeitsstudie für den Bau einer Pipe­ line durch Afghanistan.2463 Diese Vereinbarung hatten beide Staaten mit dem argentinischen Edölkonzern Bridas geschlossen. Schließlich kam es in der Folgezeit zu Auseinandersetzungen zwischen turkmenischen Vertretern und dem argentinischen Erdölkonzern. Bridas versuchte seinerseits, den kalifornischen Erdölkonzern Unocal für seine Pläne zu gewinnen. Dieser sah jedoch die Möglichkeit, ohne Bridas ins Erdöl- und Erdgas­

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geschäft Zentralasiens zu kommen. Hierzu versuchte er, den saudischen Erdölkon­ zern Delta Oil Company zu gewinnen, und tatsächlich gelang es Unocal, Bridas ins Abseits zu drängen. Turkmenistan, das sich mit Bridas überworfen hatte, suchte seinerseits nunmehr die Unterstützung der US-Diplomatie für die Verwirklichung seines mit Pakistan vereinbarten Projekts zum Bau einer Pipeline durch Afghani­ stan, und so kam es schließlich in New York am 21. Oktober 1995 zur Unterzeich­ nung eines Abkommens zwischen Turkmenistan mit Unocal und dessen saudischem Partner Delta Oil Company, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauen. Dieser Unterzeichnungszeremonie wohnte der frühere US-Außenminister Henry Kissin­ ger, der seinerzeit Berater von Unocal war, bei. »Unocal«, so Ahmed R ashid, »schlug eine Gas-Pipeline von Daulatabad nach Multan in Pakistan vor mit einer Gasreser­ ve von 70 Milliarden Kubikmetern. Unocal gründete das CentGas-Konsortium mit einem Anteil von 70 Prozent, das 15 Prozent an Delta, zehn Prozent an den russi­ schen Staatsbetrieb Gazprom und fünf Prozent an den Staatsbetrieb Turkmenrosgaz abgab. Unocal unterzeichnete ein zweites, sogar noch ehrgeizigeres Abkommen mit großem Anreiz für die ganze Region. Unocals Central Asian Oil Pipeline Pro­ ject (CAOPP) plante eine 1050 Meilen lange Öl-Pipeline von Chardzhou in Turk­ menistan zu einem Terminal an der Küste Pakistans, die eine Million Barrel pro Tag für den Export lieferte.« (siehe Ahmed Rashid, Taliban, aaO., S. 265 f.) Diese Pläne aber setzten zunächst eine Befriedung und Kontrolle Afghanistans voraus. Hierbei - so der Afghanistan-Experte Matin Baraki - waren es die USA, die zusammen mit ihrem Verbündeten, dem pakistanischen Geheimdienst ISI, hinter den Kulissen in Afghanistan auch nach dem Zusammenbruch der UdSSR die Fä­ den zogen. Im Jahre 1994 wurden die Führer der rivalisierenden Mudschaheddin vom Auswärtigen Ausschuß des US-Kongresses nach Washington zitiert. »Ihnen wurde ein Plan vorgelegt zur Durchführung eines Pipelineprojektes von den in der Welt drittgrößten Reserven an Öl und Gas in Mittelasien durch Afghanistan zum Indischen Ozean. Das ihnen abgenommene Versprechen, sich so bald wie möglich zu verständigen und den Afghanistan-Konflikt friedlich zu beenden, wurde nie eingelöst.«2464 Das war die Geburtsstunde der Taliban. Scheinbar aus dem Nichts entstandene, gutorganisierte militärische Einheiten dieser Organisation überfielen von Pakistan aus im September 1994 die afghanische Stadt Quandahar. Damit traten die Taliban zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung. Tatsächlich jedoch - so der ehemalige Chef des pakistanischen Generalstabs Aslam Beg - wurden sie schon 1985 im Nord­ osten Afghanistans als kleinere Kampftruppe aufgestellt, und zwar unter Anlei­ tung und Organisation des pakistanischen Geheimdienstes. »Rekrutiert wurden die Taliban u.a. aus den Reihen der Waisenkinder Afghanistans in den Flüchtlings­ lagern in Pakistan. Sie wurden unter dem unmittelbaren Kommando des Geheim­ dienstes ISI je nach Bedarf bei den verschiedenen Mudjaheddin-Gruppen einge­ setzt.«2465 General Beg zufolge waren die Koranschulen, in denen die Taliban

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religiös-fundamentalistisch und militärisch ausgebildet wurden, »großzügig von den Regierungen Pakistans und Saudi-Arabiens und vielleicht der USA finanziert worden«.2466 Die historische Mission der Taliban, so Matin Baraki, wurde darin gesehen, ganz Afghanistan zu besetzen, um die Bedingungen für die Verwirklichung der ökono­ mischen, politischen und ideologischen Projekte der USA, Pakistans und SaudiArabiens zu schaffen. Ein pakistanischer Stratege beschrieb Pakistans Interesse an Afghanistan wie folgt: »Am liebsten wäre uns eine Marionettenregierung in Kabul, die das ganze Land kontrolliert und gegenüber Pakistan freundlich eingestellt ist.« Der mittelasiatische Markt galt als wichtiges Exportfeld für pakistanische Erzeug­ nisse; der einzige Transitweg dahin führt über afghanisches Territorium. Nach ei­ nem Treffen mit Vertretern saudi-arabischer und US-amerikanischer Ölgesellschaf­ ten forderte der damalige pakistanische Ministerpräsident Nawaz Sharif die T aliban ultimativ auf, die Besetzung ganz Afghanistans bis Ende des Sommers 1997 abzu­ schließen.2467 Mit Hilfe eines von den Taliban kontrollierten Afghanistan wollten die USA schließlich einen alternativen Pipelinekorridor von Turkmenistan Rich­ tung Pakistan und Indischem Ozean errichten. »Je erfolgreicher die Taliban waren und Provinz nach Provinz eroberten, desto optimistischer wurden die US-Energie­ unternehmen«, so die Einschätzung von Winfried Wolf zur Interessenlage der USA. »Als die afghanische Hauptstadt Kabul 1996 erobert und dort sofort die Scharia verhängt war, verkündete Chris Taggert, der führende Manager des am PipelineProjekt maßgeblich interessierten US-Konzerns Unocal, jetzt würde dieses Projekt schnell durchführbar sein. Das US-Außenministerium ließ verlauten, die USA wür­ den nunmehr diplomatische Beziehungen zu den Taliban aufnehmen, eine Erklä­ rung, die dann allerdings wieder zurückgezogen wurde. US-Senator Hank Brown, ein Befürworter des Unocal-Projektes, sagte: >Das Gute an all dem ist, daß endlich eine der Gruppierungen in Afghanistan im Stande zu sein scheint, eine Regierung zu bilden.< In einer Meldung der Nachrichtenagentur Reuters vom 1. Oktober 1996 wurde die Interessenlage auf den Punkt gebracht: >Sicherlich sind die Taliban der US-Politik dienlich, weil sie eine feste sunnitische Pufferzone an Irans Grenze bil­ den und potentielle Sicherheit für die Handelsrouten und Pipelines bieten, die Irans Monopol auf Zentralasiens südlichen Handelsstrecken brechen würde.< Tatsäch­ lich kam es am 23. Juli 1997 in Islamabad zur Unterzeichnung eines Vertrags über den Bau einer 1500 Kilometer langen Erdgasleitung von Dauletabad in Turkmeni­ stan über das afghanische Kandahar nach Quetta und Multan in Pakistan. Der Weiter­ bau der Pipeline nach Neu-Delhi wurde als Option vereinbart. Vertragspartner waren die Regierungen Pakistans und Turkmenistans, der US-Konzern Unocal und das saudi-arabische Energieunternehmen Delta Corp. Die afghanische Regierung war außen vor. Doch die Vertragsparteien gaben der Hoffnung Ausdruck, daß es bis Baubeginn im Jahr 1998 in Afghanistan >stabile politische Verhältnisse< geben würde.«2468

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P. Stobdan, ein wissenschaftlicher Mitarbeiter des >Instituts für Verteidigungs­ studien und Analysen< in Neu Delhi, faßte die Situation in der Institutszeitschrift Strategic Analysis wie folgt zusammen: »Afghanistan ist im Zusammenhang mit der amerikanischen Politik zur Sicherung der benötigten Energieressourcen von großer Bedeutung. Das Unocal-Projekt zur Errichtung von Öl- und Gaspipelines von Turkmenistan über Afghanistan, das zum Ziel hatte, die Rohstoffe auf diesem Weg bi s zum i ndischen Subkon tinent zu exportieren, galt als wagemutigster Schach­ zug während des zentralasiatischen Ölbooms der Neunzigerjahre und sorgte für große Euphorie. Die US-Regierung unterstützte diese Planungen uneingeschränkt, denn sie hielt sie für eine nützliche Option, mit der man die zentralasiatischen Staa­ ten aus der russischen Umklammerung befreien und gleichzeitig verhindern konnte, daß sie sich dem Iran zu sehr annäherten. Das Projekt war außerdem auch als schnellste und billigste Strecke für den Export von turkmenischem Erdgas auf den rasch wach­ senden Energiemarkt Südasiens konzipiert. Als Werber für dieses Vorhaben enga­ gierte die Unocal Henry Kissinger, den prominenten ehemaligen Diplomaten und US-Außenminister, Robert Oakley, einen ehemaligen US-Botschafter in Pakistan, sowie John Maresca, einen Experten für die Kaukasusregion... Der Präsident von Unocal ging in seinen spekulativen Überlegungen sogar davon aus, daß die Bauko­ sten halbiert würden, wenn die Taliban siegen und eine Regierung für das ganze Land zu Stande kommen sollte.«2469 Mit Hilfe einer solchen Pipeline durch Afghanistan sollten schließlich - neben der strategisch wichtigen Umgehung Rußlands - gleichzeitig die an Rußland gren­ zenden zentralasiatischen Republiken der GUS für den von den USA kontrollierten weltweiten Markt geöffnet werden.2470 Die afghanische Lösung stellte deshalb »eine ideale Alternative zu einer Trasse durch Rußland oder den Iran dar; diese Lösung hätte direkte Verhandlungen der USA als >Bittsteller< mit Moskau oder Teheran erfordert - ein wahrer Alptraum für Washington, das doch darauf bedacht war, den Einfluß dieser Länder in Zentralasien einzudämmen«.2471 Folgerichtig erklär­ ten die russischen Journalisten Waleri Panjuschkin und Michail Sygar, daß den Taliban hier eine entschieden gegen die russische Energiegeopolitik gerichtete Aufgabe zugewiesen wurde. Sie sollten verhindern, daß Rußland sich ein Monopol auf die Förderung und den Transport des turkmenischen Erdgases sichert: »Den Taliban wurde eine bedeutende Mission übertragen - die Gasleitung zu schützen, durch die turkmenisches Gas in Umgehung von Gazprom exportiert werden sollte. Faktisch wurden die Taliban zu den wirksamsten Kämpfern gegen die Kontrolle der Energieressourcen Zentralasiens durch Gazprom.«2472 Ein Sieg der fundamentalistisch-islamistischen Taliban lag daher voll im Inter­ esse der US-Geopolitik, um Afghanistan als sicheres Transitland zu gewinnen, mit dem Rußland und der Iran im Pipelinepoker verdrängt werden konnten. Folge­ richtig kam es auch zur Unterstützung der Taliban-Bewegung durch die USA. Se­ lig Harrison, Experte für die US-Afghanistanpolitik, vertritt die Ansicht, die Ent­

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stehung der Taliban sei »vom pakistanischen Geheimdienst ISI und der CIA aktiv unterstützt« worden.2473 Wie die Agence France-Presse Anfang Oktober 2001 entüllte, drängte Washington daher auch Pakistan und Saudi-Arabien, seine wichtigsten Verbündeten in der Region, die Taliban-Milizen bei ihrem Griff nach der Macht zu unterstützen. »Ein Hauptgrund für das Interesse der USA an den Taliban war eine auf 4,5 Milliarden Dollar veranschlagte Öl- und Gas-Pipeline, die ein Ölkonsortium unter amerikanischer Führung durch das vom Krieg zerrüttete Afghanistan bauen wollte... Das (Öl-)Konsortium befürchtete, eine solche Pipeline könne nicht errichtet werden, solange das nach dem sowjetischen Abzug im Jahr 1989 vom Bürgerkrieg heimgesuchte Land unter verschiedene Kriegsherren aufgeteilt war. Die Taliban schienen Washington ein attraktiver Partner (zu sein)...«2474 - und zwar sowohl zwecks Ressourcensicherung als auch wegen der Durchsetzung der antirussischen und auch antiiranischen Containmentstrategie. Geriete Kabul unter die Kontrolle Teherans, so befände sich der Schlüssel zu Zentralasien in den Händen des Iran, eine Entwicklung, die weder Saudi-Arabien, noch Pakistan, noch Israel zulassen konnten. »Diese Auffassung teilte auch Washington. Seit 1979 und der Geiselnahme in der amerikanischen Botschaft von Teheran war es eines der Hauptziele des State Department, die islamische Republik des Iran zu schwächen. Also bedeutete die Unterstützung radikaler Sunniten wie der Taliban für die amerikanischen Sicher­ heitsberater eine Eindämmung des schiitischen Einflusses in diesem Teil der Welt.« 2475 Aus diesem Grund entwickelte sich - wie Afghanistan-Experte Ahmed Rashid darstellt - hinter den Kulissen eine verschwörerische Zusammenarbeit zwischen ISI, CIA und Mossad zur Unterstützung der Taliban.2476 Gerade die erprobte Zu­ sammenarbeit zwischen CIA und ISI in der Zeit des ersten Kalten Krieges zur Unter­ wanderung der Sowjetunion erwies sich hier als ausschlaggebend: »Ihren Sieg (d. h. die Errichtung des Taliban-Regimes, der Verf.) hatten die USA und Unocal nicht zuletzt Pakistan zu verdanken. Nach Auflösung der Bhutto-Regierung 1996 wurde Unocal vom neu gewählten Premierminister Nawaz Sharif, seinem Ölminister Chaudry Nisar Ali Khan, dem Militär und dem ISI voll unterstützt. Pakistan wollte mehr direkte US-Unterstützung für die Taliban und drängte Unocal, rasch mit dem Bau der Pipeline zu beginnen, was die Legitimierung der Taliban vorantreiben würde. Grundsätzlich richteten sich die US-Regierung und Unocal nach den Ana­ lysen und Zielsetzungen des ISI aus, wonach ein Sieg der Taliban in Afghanistan und ihre Anerkennung durch die USA Unocal den Job ziemlich erleichtern wür­ de.«2477 Zum damaligen Zeitpunkt war nach einem Bericht der New York Times die Clin­ ton-Regierung zu der Überzeugung gekommen, daß ein Sieg der Taliban für ein Gegengewicht zum Iran sorgen und neue Handelwege eröffnen könnte, die den russischen und iranischen Einfluß in der Region schwächen würden.2478 Schließlich unterstützte die US-Regierung auch den Plan von Unocal, die Öl- und Gaspipe­

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lines von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan zu bauen, um mit Hilfe dieser neuen Pipelines und Verkehrswege die ehemaligen Sowjetrepubliken an Rußlands Südgrenze dem US-dominierten Weltmarkt zu erschließen. In diesem Zusammenhang ist es erwähnenswert, daß die Taliban Schritt für Schritt ausge­ rechnet jene Teile Afghanistans unter Kontrolle nahmen, wo die Gasleitung aus Turkmenistan verlaufen sollte.2479 Tatsächlich fanden die Taliban innerhalb der engsten Zirkel der US-Machtelite grundlegende Unterstützung, was die Enthüllungsjournalisten Jean-Charles Bri­ sard und Guillaume Dasquié ausführlich dokumentierten: »Im Ausland wurde die Unterstützung der Fundamentalisten von angesehenen politischen Kreisen fortge­ setzt. Zwei der einflußreichsten amerikanischen Forschungsinstitute im Bereich der Außenpolitik setzten sich für sie ein. Es handelt sich um den angesehenen Council on Foreign Relations... und die Rand Corporation...«2480 Aus den Reihen der USMachtelite rekrutierte sich sogar eine Pro-Taliban-Lobby, die die US-Afghanistan­ politik nachhaltig beeinflussen sollte. Ihre Vertreterin war die Nichte des ehemali­ gen CIA-Direktors Richard Helms, Laila Helms. »Beeinflußt von der amerikanischen Politik in diesem Teil der Welt, unterstützte sie lange die islamischen Führer, die in der Gunst der US-Regierung standen. Ab 1995 gehörte sie zu den Interessenvertre­ tern der Taliban in Washington, die sich mit dem Segen und den Petro-Dollars Saudi-Arabiens und dem Wohlwollen des amerikanischen State Departments an­ schickten, die Macht in Kabul zu übernehmen.«2481 Tatsächlich entwickelten sich mit den zunehmenden militärischen Erfolgen der Taliban die Beziehungen zwischen der US-Machtelite und den Fundamentalisten immer enger. »Nach einer Meldung des Guardian gab es regelmäßig gegenseitige Besuche auf hoher Ebene. Mitte 1996 nahmen hochrangige Talibanführer an einer Konferenz in Washington teil. Kurz bevor die Taliban die Stadt Djalal Abad besetz­ ten, führten hohe Beamte des US-Außenministeriums Gespräche mit ihren Führern in Qandahar, wo sich ihr Hauptquartier befand... Wie die Washington Post meldete, haben sich Vertreter der USA und des Talibanregimes seit 1998 mindestens zwan­ zigmal geheim getroffen. Das letzte Treffen fand nur wenige Tage vor dem 11. Sep­ tember 2001 statt.«2482 Dieselben Vorgänge bestätigte auch die International Herald Tribune, der zufolge die Clinton-Regierung im Sommer 1998 mit den Taliban über potentielle Pipelinestrecken für Öl und Erdgas verhandelt habe, die von Turkme­ nistan über Afghanistan nach Pakistan zum Indischen Ozean führen sollten.2483 Wie Ahmed Rashid schreibt, erfolgte die Unterstützung der Taliban auf indirekte Art und Weise. »Es gab zwar kein CIA-Budget für Waffenlieferungen an die Tali­ ban, und auch Unocal gewährte ihnen keine militärische Unterstützung, aber die USA unterstützten die Taliban indirekt über ihre Verbündeten Pakistan und SaudiArabien...«2484 Dabei kam es auch zu Geldzahlungen an die Taliban, bei denen unter anderem der dubiose, mit der US-Machtelite eng verflochtene Konzern En­ ron eine zwielichtige Rolle spielte. Dieser Konzern arbeitete ebenfalls mit der CIA

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zusammen, als es darum ging, beim Pipelinebau in Afghanistan ins Geschäft zu kommen und in diesem Zusammenhang Enron Millionenzahlungen an die Taliban leistete.2485 Auch der Konzern Unocal sorgte durch die Verpflichtung von Zalmay Khalilzad und Hamid Karzai für die Herstellung enger Kontakte zwischen dem US-Establishment und den Taliban: »Darüber hinaus engagierte UNOCAL zwei Afghanen mit guten politischen Kontakten, um die Taliban im Sinne des Unterneh­ mens zu beeinflussen - Zalmay Khalilzad, einen Paschtunen, der in den USA stu­ diert hatte und die amerikanische Staatsbürgerschaft besaß, und Hamid Karzai, einen Paschtunen aus Kandahar, der über Verbindungen zum früheren afghani­ schen König Zahir Shah verfügte und damals in Quetta in Pakistan lebte. In den Jahren 1991 und 1992 war K halilzad im Verteidigungsministerium unter Paul W ol­ fowitz für Politische Planung zuständig gewesen.«2486 Der US-Kongreßabgeordnete Dana Rohrbacher hob im Rahmen einer Stellung­ nahme zu dem Thema »U.S. Policy Toward Afghanistan« vor dem außenpoliti­ schen Unterausschuß des Senats zu Südasien am 14. April 1999 einen Fall hervor, der deutlich machte, wie die USA auf diplomatischem Wege die Machtergreifung der Taliban förderten: »Der vielleicht krasseste Beweis für die stillschweigende Unter­ stützung der Taliban durch diese Regierung (Clinton, der Verf.) war der Vorstoß, den Mr. Inderfurth und UNO-Botschafter Bill Richardson im Frühjahr 1998 bei einem Besuch in Afghanistan unternahmen. Diese Vertreter der US-Regierung über­ redeten die Nordallianz, gegen die damals geschwächten und verwundbaren Tali­ ban nicht in die Offensive zu gehen. Statt dessen brachten sie die Anführer der Taliban-Gegner dazu, einem von Pakistan vorgeschlagenen Waffenstillstand zu­ zustimmen. Dieser bestand nur so lange, bis Pakistan die Taliban erneut aufgerü­ stet und reorganisiert hatte. Wenige Monate nach der von den USA unterstützten Verkündigung des >Ulemamilitärischen Möglichkeiten< gegen die Taliban, wenn diese nicht bereit wären, ihre Positionen zu ändern«. 2491 Wie Chalmers J ohnson hervorhebt, ging es den USA jetzt nicht mehr nur ums Geldverdienen, »sondern vielmehr darum, die Grundlage für die Präsenz der Vereinigten Staaten in Zentralasien zu schaffen«.2492 Die Zeitschrift Alexander‘s Gas and Oil Connections berichtete im Februar 2002: »Pläne zur Beseitigung der Taliban wurden schon mehrere Monate vor dem 11. September in diplomatischen und anderen Kreisen diskutiert. Im Mai 2001 gab es in Genf ein wichtiges Treffen von Vertretern des US-Außenministeriums mit Beamten der iranischen, der deut­ schen und der italienischen Regierung, bei dem es um eine Strategie zum Sturz der Taliban und der Ersetzung des theokratischen Regimes durch eine >Regierung auf breiter Grundlage< ging. Das Thema kam abermals zur Sprache auf dem G-8-Gipfeltreffen in Genua im Juli 2001, als Indien - das als Beobachter beim Gipfel anwesend war - seine eigenen Pläne vorstellte.«2493 Matin Baraki enthüllte, daß schon im Jahre 2000 der ehemalige Sondergesandte der USA für Afghanistan, P. Tomsen, für die Nach-Taliban-Ära einen Entwurf aus­ gearbeitet hatte, der dann fast buchstäblich auf der Petersberger Konferenz Ende 2001 übernommen worden ist.2494 Nach der Konferenz der G-8, so Chalmers John­ son, »gab es in Berlin weitere Treffen von Vertretern der USA, Rußlands, Deutsch­ lands und Pakistans, und gut informierte pakistanische Kreise berichteten von ei­ nem detaillierten amerikanischen Plan vom Juli 2001, der bis Mitte Oktober dieses Jahres Militärschläge gegen die Taliban von Basen in Usbekistan und Tadschiki­ stan aus vorsah. Erinnern wir uns in diesem Zusammenhang daran, daß >Bushs

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Lieblings-Afghane< Zalmay Khalilzad, am 23. Mai 2001 in den Nationalen Sicher­ heitsrat berufen worden war - gerade rechtzeitig, um einen operativen Plan für einen Angriff auf Afghanistan zu erarbeiten. Am 2. August 2001 absolvierte Chri­ stina Rocca, die im Außenministerium als Unterstaatssekretärin für Südasien zu­ ständig war, in Islamabad das letzte offizielle Treffen zwischen Vertretern der USA und der Taliban«.2495 Was aber war nun der Grund, warum die USA es so eilig hatten, die politischen Verhältnisse in Afghanistan zu ihren Gunsten zu beeinflussen? Die Ursache lag darin, daß sich um das Jahr 2000 die machtpolitischen Verhältnisse in Zentralasien umzukehren drohten. Während es den USA in den neunziger Jahren gelungen war, Rußland aus Zentralasien weitgehend zu verdrängen, drohte nunmehr eine Rück­ kehr des russischen und ebenso des chinesischen Einflusses in Zentralasien. »Mos­ kau und Peking schlossen zahlreiche Abkommen über den Bau von Pipelines ab, die das Öl aus Zentralasien befördern sollten, und vor allem war seit dem Sommer die russische Pipeline, die das Öl aus der kaspischen Region pumpte, in Betrieb genommen worden. Die amerikanische Pipeline, ihr Konkurrent auf der >Westpas­ sageRußland fast ein Monopol über Turkmenistans Gasexportrou­ tenökonomi­ schen Filetstückes< durch die USA. Angesichts dieser Entwicklungen darf man da­ von ausgehen, daß die Anschläge vom 11. September 2001 den USA eine willkom­ mene Gelegenheit boten, einseitig den Sturz der Taliban zu betreiben, ohne auf die Unterstützung durch Rußland, Indien oder anderer Länder zu warten.2502 Damit hat der Krieg gegen Afghanistan, den die USA im Oktober 2001 begannen und der bis heute noch nicht abgeschlossen ist, eine eindeutig antirussische Zielsetzung: Es geht um die Kontrolle dieses Landes, damit es seine Rolle als Transitland für zen­ tralasiatisches Erdöl und Erdgas erfüllen kann. Daher waren die USA auch bestrebt, die machtpolitischen Verhältnisse in Af­ ghanistan nach ihren Maßstäben zu bestimmen, was bereits während der Peters­ berger Konferenz vom 27. November bis zum 5. Dezember 2001 deutlich wurde. »Während die afghanischen Delegationen insgesamt 38 Personen umfaßten, prä­ sentierten sich die USA bei der Konferenz mit 20 >Beobachternder Eindruck entstandengeklärt< werden müssen. In seltener Offenheit war mit diesem Auftritt von Khalilzad die Einflußnahme Washingtons auf die politischen Geschicke in Kabul deutlich gewor­

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den... Während Khalilzad die US-Interessen in Afghanistan kaum diplomatisch verhüllt formuliert, soll Hamid Karzai diese umsetzen. Der bisherige Übergangs­ premier weiß, worauf er sich einläßt. Von Beginn an segelte er auf dem Ticket der USA, die ihn schließlich auch während der Petersberger Afghanistan-Konferenz im Dezember - mit Hilfe einer satellitengestützten Liveeinblendung vom afghani­ schen Kriegsschauplatz - als neuen Regierungschef durchsetzten.«2504 Über Zalmay Khalilzad und Hamid Karzai sicherten sich die USA damit ihren Einfluß in Kabul. »Beobachter sprechen bei Khalilzad bereits von einem afghani­ schen >VizekönigMann des ÖlsEnduring F reedom< die Funktion zu kommen, das KarzaiRegime im ganzen Land durchzusetzen. Hamid Karzai ist dabei - wie ein Perso­ nenporträt in der Zeitschrift Orient (Ausgabe 1/2002) enthüllt - praktisch als ein >Amerikaner< anzusehen, der in den achtziger Jahren eng mit dem CIA-Chef William Casey zusammengearbeitet hatte, der wirtschaftlich eng mit den USA verbunden ist (er unterhält dort Restaurantketten) und die Funktion eines Beraters von Unocal oder eines Verbindungsmanns dieses Konzerns zu den Taliban innehatte.2506 Vor diesem Hintergrund erscheint es kaum verwunderlich, daß die USA alsbald nach Installierung des Karzai-Regimes das Pipelineprojekt Turkmenistan-Afgha­ nistan-Pakistan wieder in Angriff nahmen. So reiste die stellvertretende Abtei­ lungsleiterin für Eurasien im amerikanischen Außenministerium Jones nach Turk­ menistan, um dort kundzutun, daß Washington den Bau einer Ölpipeline über Afghanistan unterstützen werde. Dieser Plan - so Udo Ulfkotte - wurde durch einflußreiche Lobbyisten unterstützt. Yousef Maiman, ein Israeli, der auch die turk­ menische Staatsbürgerschaft besitzt und dessen Unternehmen Merhav etwa 1,3 Milliarden Dollar in Turkmenistan investiert hatte, unterstützte nach Enthüllun­ gen des Wall Street Journal die geopolitischen Zielsetzungen der USA und Israels. Merhav hatte dabei den Enthüllungen Ulfkottes zufolge eine Kanzlei beauftragt, als Lobbyist in Washington für den Bau der gewünschten Trasse aufzutreten. Folg­ lich schlossen am 9. Februar 2002 Hamid Karzai und der pakistanische Präsident General Musharraf einen Vertrag über den Bau der Pipeline ab.2507 Dabei hatte Karzai zuvor auch mit Turkmenistan über dieses Vorhaben gesprochen. Die riesi­ gen turkmenischen Gasfelder auf pakistanische Häfen auszurichten, ist jedoch ein direkter Schlag ins Gesicht Rußlands.2508 »Die Pläne für die anvisierte Ölpipeline wurden rasch konkretisiert. Welche Be­

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deutung dem von der Bush-Administration beigemessen wird, zeigt sich daran, daß sowohl Außenminister Powell als auch Verteidigungminister Rumsfeld An­ fang Dezember 2001 Kasachstan besuchten. Dabei wurden vor allem Gespräche über den Bau der Ölpipeline von Kasachstan über Afghanistan nach Indien ge­ führt. Auch andere Länder wurden von höchsten US-Stellen zur Wiederaufnahme des Projektes gedrängt: >Die [pakistanische] US-Botschafterin Wendy Chamberlain traf sich im Oktober mit Pakistans Ölminister, um die Wiederaufnahme des UNOCAL-Projektes zu diskutieren. Talibanisierung< und >Wahabisierung< Zentralasiens Mit der Machtergreifung der Taliban in Afghanistan vollzogen sich - wie der Is­ lamismus-Experte Berndt Georg Thamm nachweist - gleichzeitig Islamisierungs­ prozesse in Zentralasien,2510 bei denen sowohl der pakistanische Geheimdienst ISI als auch Saudi-Arabien, beides Verbündete der USA, eine führende Rolle spielten. Nach dem Zusammenbruch der UdSSR begann sich in den postsowjetischen zen­ tralasiatischen Republiken die >Hizb-ut-Tharir< festzusetzen. Deren Vision ist es, ganz Zentralasien und die muslimischen Gebiete der Volksrepublik China zu ei­ nem >Kalifat Zentralasien< zu vereinen. Dieser schleichende Prozeß begann sich allmählich während der Perestroika-Ära zu entwickeln und setzte sich schnell mit dem Ende der UdSSR fort. »Nach dem Ende der Sowjetunion folgte eine Zeit der >Re-IslamisierungBernard-LewisBennigsenCouncil on Foreign Relations< Foreign Affairs: Demzufolge sei die ehemalige sowjetische Region Kaukasus-Zentralasien im Zuge einer >Libanonisierung< zerstört, führte er dort aus. »Wenn die Zentralmacht genug geschwächt ist«, sagte er vom früheren sowjeti­ schen Zentralasien, »gibt es keine wirklich zivile Gesellschaft, die das Gemeinwesen Zusammenhalten könnte, kein echtes Gefühl gemeinsamer nationaler Identität oder besonderer Neigung zum Nationalstaat. Dann zerfällt der Staat - wie es im Liba­ non geschah - in ein Chaos miteinander streitender, sich befehdender und bekämp­ fender Sekten, Stämme, Regionen und Parteien.«2515 Der bereits erwähnte Professor Alexander Bennigsen bezeichnete dieses Vorgehen als Kernbestandteil einer anti­ russischen Strategie. In seinem Buch Mystik und Kommissare: Der Sufismus in der Sowjetunion von 1985 schrieb er: »Die fast 50 Jahre dauernden Kaukasuskriege (des 19. Jahrhunderts) trugen wesentlich zum materiellen und moralischen Ruin des Zarenreiches bei und beschleunigten den Sturz der Romanow-Monarchie.« Bennig­ sen beschrieb ebenfalls den nahenden Zusammenbruch der UdSSR und befürworte­ te hierzu islamistische Aufstände als wirkungsvollste Waffe gegen Moskau: »Im besonderen Falle des Nordkaukasus gewannen Sufi-Orden die Kontrolle nicht nur über fundamentalistische Neigungen, sondern auch über alle nationalen Wider­ standsbewegungen vom späten 18. Jahrhundert bis zum heutigen Tag. Das tschet­ schenisch-inguschische Territorium und Dagestan gehörten zu den letzten Gebie­ ten, zu denen die Sufi-Bruderschaften Zugang gewannen. Doch sobald er etabliert war, spielte der Sufismus dort eine überragende Rolle. Heute ist es wahrscheinlich das Gebiet, wo die organisierten mystischen Bewegungen am dynamischsten und aktivsten in der ganzen islamischen Welt sind.«2516 Michel Chossudovsky zufolge stand hinter diesen Entwicklungen die bewährte Zusammenarbeit zwischen CIA und dem pakistanischen Geheimdienst ISI. Der ISI »diente als Katalysator für die Auflösung der Sowjetunion und die Entstehung von sechs neuen muslimischen Republiken in Zentralasien«,2517 und »in der Zwischen­ zeit missionierten Wahabiten in den muslimischen Republiken und der Russischen

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Föderation, um dort die säkularen staatlichen Institutionen zu unterwandern. Trotz seiner antiamerikanischen Ideologie diente der islamische Fundamentalismus vor allem den strategischen Interessen der USA in der ehemaligen Sowjetunion«.2518 Gleiches bestätigt auch Islam-Kenner Ostafa Danesch: Seinen Recherchen zufolge kam es in den zentralasiatischen Republiken »zu einer religiösen Renaissance, wur­ den Moscheen und Koranschulen in großer Zahl gegründet. Islamische Stiftungen, internationale Institutionen wie die >World Muslim Leaguetalibanisierte< Afghanistan das Epi­ zentrum, der Ausgangspunkt für die Ausbreitung des wahabitischen Islamismus in Zentralasien und insbesondere in Richtung Kaukasus und Tschetschenien,2519 wo es - wie im folgenden Kapitel zu untersuchen sein wird - enge Verbindungen zwischen dem al-Quaida-Dschihad und den tschetschenischen Terroristen mit Rückendeckung der USA und Pakistans gibt. Dieser Gesichtspunkt macht gleich­ falls deutlich, warum die US-Machtelite in den neunziger Jahren die Talibanisierung Afghanistans hinter den Kulissen entscheidend mit betrieb. Auch der bereits eingehend angeführte russische Sicherheitsexperte Leonid Fit­ uni hatte Afghanistan ja als den entscheidenden Ausgangspunkt für die US-Strate­ gie beschrieben, von dem aus ein muslimischer Keil in die Russische Föderation getrieben werden könne, um diese aufzuspalten. Das Machtvakuum in einem derart desintegrierten Zentalasien, in dem die Rolle Rußlands weitgehend marginalisiert ist, sollte nach dem Willen der US-Strategen von der Türkei ausgefüllt werden, wo sich Anfang der neunziger Jahre, wie oben schon angedeutet, ein Panturanismus mit antirussischer Ausrichtung ausbreitete. Die geopolitische Ausgangslage jeden­ falls war hierfür bereitet worden, wie auch Zentralasien-Experte Ahmed Rashid feststellte: In einem jetzt zugänglichen riesigen Gürtel, der von Istanbul über den

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Kaukasus und Zentralasien bis hin nach Xinijang in China reichte, sprach man tür­ kische Dialekte. In den Republiken Zentralasiens sah man die Türkei als ein Modell für die eigene wirtschaftliche Entwicklung an, während die Türkei danach strebte, ihren Einfluß in der Region zu erweitern und eine der bestimmenden Mächte in der Region zu werden.2520 Insbesondere am Bürgerkrieg in Tadschikistan sollte sich diese Destablisierungsstrategie zeigen. Tadschikistan gilt als »Außenposten Rußlands«2521 und ist die ein­ zige an Afghanistan angrenzende ehemalige Sowjetrepublik, die dem >Vertrag über kollektive Sicherheit< angehört. Zudem unterhält Rußland dort mit der 201. Motori­ sierten Schützendivision und mit Grenztruppen an der Grenze zu Afghanistan seine letzte umfangreiche Militärpräsenz in Mittelasien.2522 Das wirtschaftlich bettelarme Land ist von wesentlicher strategischer Bedeutung. »Die Republik Tadschikistan«, so schreibt Peter Scholl-Latour, »ist geradezu dafür prädestiniert, Schnittpunkt widerstreitender geostrategischer Interessen zu sein«2523 und ist der »brodelnde Kern nationalistischer und islamischer Auflehnung in einem neuralgischen Krisenzen­ trum, das an Afghanistan, an die Volksrepublik China und, nur durch den schma­ len Schlauch des Wakhan-Streifens getrennt, an Pakistan grenzt«.2524 Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, daß dieses Land 1992 bis 1997 Austragungs­ ort eines blutigen Bürgerkrieges zwischen einer prorussischen Regierung und ei­ ner islamischen Opposition war. Wie Ahmed Rashid und Berndt Georg Thamm über­ einstimmend berichten, operierten die Kämpfer der muslimischen Opposition von Afghanistan aus, wo sie ausgebildet und mit Waffen versorgt wurden.2525 Auch dieser Bürgerkrieg in Tadschikistan muß somit als indirekter Stellvertreterkrieg der USA gegen den noch bestehenden russischen Einfluß in dem Staat angesehen werden, der noch als russischer Außenposten in Zentralasien gilt.

4.5.4.6 Die Tschetschenienkriege - die verborgene Agenda der USA Eines der wichtigsten Spielfelder des eurasischen Schachbretts ist Tschetschenien. Lediglich vordergründig handelt es sich bei den Tschetschenienkriegen um eine militärische Maßnahme Rußlands gegen ein nach Unabhängigkeit und Selbstbe­ stimmung strebendes Volk, die schon in den neunziger Jahren im Westen als Wieder­ aufleben eines «vermeintlichen russischen >Neoimperialismus< ausgelegt wurde. Über die Gründe Rußlands, im Dezember 1994 gegen die seit 1991 abtrünnige tschet­ schenische Teilrepublik militärisch vorzugehen, ist viel spekuliert worden. »Die Spekulationen reichen von dem Argument, Jelzin wolle die Kriminalität im Kauka­ sus (Rauschgift- und Waffenhandel, Flugzeugentführungen, Geiselnahmen) ein­ dämmen, bis zu der Vorstellung, der russische Präsident müsse der Armee eine neue Aufgabe geben, damit sie ihr Ansehen wahre und - auch gegenüber dem Westen - zeigen könne, daß Rußland noch immer eine Großmacht sei, die nicht ungestraft mit sich spaßen lasse. Die Strafaktion gegen die Tschetschenen könne auch als Zeichen für andere muslimische Völker auf dem Gebiet der Russischen

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Föderation, aber auch für die Länder der GUS verstanden werden, daß man Sezes­ sion oder allzu große Unabhängigkeit nicht hinnehmen werde.«2526 Ein Blick hinter die Kulissen hingegen offenbart wesentlich vielschichtigere Zu­ sammenhänge, wobei auch die USA eine erhebliche Rolle gespielt haben und nach wie vor spielen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Schlachtfeld Tschetschenien um einen weiteren Bestandteil des indirekten Krieges der USA gegen die Russische Föderation, in dem es darum geht, einen Keil zwischen das russische Kernland und die energiereiche Schwarzmeer- und Kaspi-Region zu treiben. Insoweit müssen die Tschetschenienkriege im Zusammenhang gesehen werden mit dem >Great GameIsthmusAusfransen< des Kaukasus gleichbedeutend mit einer Zurückdrängung des russischen Einflus­ ses ist. »Die tschetschenische Unabhängigkeit hätte den ohnehin drohenden Ein­ flußverlust Moskaus in der Region vergrößert und Pipelineführungen außerhalb des russischen Territoriums begünstigt. Schließlich war die militärstrategische Be­ deutung des Nordkaukasus als Truppenstützpunkt mit Zugang zum Krisengebiet Transkaukasus und zur gesamten türkisch-iranischen Grenze von nicht zu unterschätzender Bedeutung.«2531 Ähnlich unterstreicht auch Paul Klebnikow die Bedeutung Tschetscheniens für Rußland: »Tschetschenien war ein wichtiger Knoten­ punkt im russischen Öl-Pipeline-System, denn es diente als Umschlagplatz sowohl für das aus Baku kommende Öl vom Kaspischen Meer als auch für das westsibiri­ sche Öl auf seinem Weg zum Hafen von Noworossijsk.«2532 Die Hintergründe der inneren Entwicklung in Tschetschenien Anfang der neun­ ziger Jahre bis zum Einmarsch der russischen Streitkräfte im Dezember 1994 wa­ ren komplexer, als vielfach angenommen. Insbesondere wird bei den Analysen in der Regel die Rolle raumfremder Mächte vollkommen außer acht gelassen. Was Tschetschenien besonders anfällig für eine Destabilisierungsstrategie macht, ist die eigentümliche Sozialstruktur dieses Volkes, die sich in einer Zersplitterung in Sip­ penverbänden (Taip) mit jeweils eigenen Normensystemen (dem Adat) äußert. »Eine Nationenbildung nach anderen als tribal-religiösen Kriterien konnte sich bislang nicht durchsetzen.«2533 Zudem spielt der überstaatlich, sunnitisch und sufitisch aus­ gerichtete Islam für die politische Identität der Tschetschenen eine wichtige Rol­ le.2534 Die Islamisierung Tschetscheniens wurde von dem mystischen Orden der >Muriden< durchgesetzt. Es bildeten sich religiöse Bruderschaften der >Naqschban­ dija< heraus, Geheimbünde, die in der Folgezeit bis in die Gegenwart die Zentren einer antirussischen islamistischen Rebellion bilden sollten. »Der mystische Orden der Muriden geht auf die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts zurück, als es zu er­ sten Zusammenstößen zwischen den Kosaken im Terek-Gebiet und den Bergvöl­ kern Daghestans kam. Die erste größere Erhebung gegen die Russen brach unter der Zarin Katharina II. aus. Sie wurde angeführt von Imam Mansur Uschuruma, einem tschetschenischen Hirten aus dem daghestanischen Dorf Alba, dessen Ruf

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noch heute bis in die ferne Türkei widerhallt. Er rief sich zum >Mahdi< aus, prokla­ mierte 1782 den Dschihad und belagerte im Jahre 1785 die beiden russischen Zwing­ burgen Kisljar und Mosdok in Daghestan. Bald hatte der Aufstand auch die westli­ chen Teile des Nordkaukasus erfaßt. Schließlich gelang es den Truppen der Zarin, Imam Mansur gefangenzunehmen und auf russisches Territorium zu bringen. Um seine Person rankte sich eine Art >Kyffhäuserwiedergekehrten Imam Mansur< erblickten.«2536 Wie oben ausgeführt, waren diese Unruhen im geheimen vom britischen Empire gefördert worden, und die beschriebenen soziologisch-kulturellen Besonderheiten ließen Tschetschenien für die Umsetzung des Brzezinski-Bennigsen-Konzepts der US-Machtelite als be­ sonders geeignet erscheinen.

4.5.4.6.1 Das Jahr 1991: Rußland verliert die Kontrolle - Kriminelle und Islamisten übernehmen die Macht Die ehemalige Autonome Republik Tschetscheno-Inguschetien erklärte am 27. No­ vember 1990 ihre Souveränität und steuerte umgehend einen strengen antirussi­ schen Unabhängigkeitskurs. Am 27. Oktober 1991 wurde Dschochar Dudajew bei illegal durchgeführten Präsidentschaftswahlen von einem überwiegenden Anteil der tschetschenischen Bevölkerung zum Präsidenten gewählt. Nachdem Moskau seine Wahl annuliert hatte, rief er zu einem Referendum über die Loslösung von Rußland auf und erklärte am 8. November 1991 einseitig die Unabhängigkeit.2537 Wenig bekannt aber ist, daß der radikale separatistische Kurs Dudajews in Tschet­ schenien selbst keinesfalls unumstritten war. Der innertschetschenische Machtkampf sollte jedoch erst in den Jahren 1993 und 1994 seinen Höhepunkt erreichen, als D uda­ jew im Frühjahr 1993 eine Volksabstimmung über eine neue Verfassung mit Sonder­ vollmachten für sich als Präsidenten ansetzte und im April 1993 das Parlament auflöste. Dudajew regierte zunehmend mit diktatorischen Mitteln und rief das Kriegsrecht aus, um die Opposition, die einen Ausgleich mit Rußland anstrebte, mit Gewalt zu brechen.2538 1993 hatte sich in Moskau das tschetschenische Oppositionsbündnis >Provisori­ scher Rat< unter dem Vorsitz von Umar Avturchanov gebildet, dessen Ziel darin bestand, einen Rücktritt Dudajews zu erreichen, Neuwahlen durchzuführen, eine

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neue Regierung zu bilden und vertraglich geregelte Beziehungen mit Rußland her­ zustellen.2539 Dudajew hingegen lehnte alle Gespräche mit der Opposition ab, und seit Juli 1994 eskalierte der Konflikt zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwi­ schen der Opposition und den Truppen Dudajews. Den Recherchen des Mafia-Ex­ perten Jürgen Roth zufolge wurde gleichzeitig durch die russische Mafia - mit der Dudajew Kontakt zwecks Verhandlungen über Waffenlieferungen aufnahm - und deren Kontakte zum russischen Nachrichtendienst eine Nachricht von Dudajew an Moskau vermittelt, daß dieser bereit sei, die Öl- und Gasleitungen in Tschetscheni­ en anzugreifen. »Für den Kreml war das die größte Bedro hung, und Dudajew wuß­ te das. Er glaubte, mit dieser Drohung Moskau erpressen zu können. Aber Jelzin bot keinen Kompromiß an: Er plante im Gegenzug die in Opposition zu Dudajew stehenden Militärs besser auszurüsten, in der Hoffnung, daß diese Dudajew stür­ zen würden und Moskau damit wieder das Sagen haben würde.«2540 Nach einem Ultimatum Moskaus für einen Waffenstillstand, auf das die Tschetschenen nicht eingingen, kam es zum bewaffneten Eingreifen regulärer russischer Streitkräfte am 7. Dezember 1994. Auch Kaukasus-Experte Aschot Manutscharjan bestätigte, daß die separatisti­ sche Politik Dudajews in Tschetschenien selbst wie auch in den umgebenden kau­ kasischen Teilrepubliken der Russischen Föderation sehr umstritten war. »Der Kampf für die Unabhängigkeit Tschetscheniens, der 1990/91 begann, wurde vor dem Hintergrund unterschiedlicher Interessenlagen nicht vom ganzen tschetsche­ nischen Volk unterstützt. Auch andere nordkaukasische Völker beobachteten die politische Entwicklung in Grosny mit Mißtrauen«,2541 und diese wehrten Versuche Dudajews erfolgreich ab, sie in den Krieg gegen Rußland hineinzuziehen. Maßgeb­ liche treibende Kraft bei der Separation im Hintergrund war, wie Paul Klebnikow nachweist, die tschetschenische Mafia, die Tschetschenien zur Drehscheibe der orga­ nisierten Kriminalität Eurasiens zu machen plante. Die tschetschenische Mafia machte sich schon in den achtziger Jahren in Rußland breit, und ihre geschlossene Clanstruk­ tur machte es der russischen Polizei kaum möglich, sie zu unterwandern, geschweige denn, gegen sie vorzugehen: »Sobald die Polizei das Netz um einen bestimmten tschet­ schenischen Gangsterboß enger zog, tauchte er in seiner Heimat unter.«2542 Klebnikow zufolge wurde Tschetschenien in den ersten drei Jahren der JelzinÄra zu einem rechtlichen Niemandsland, einem rechtsfreien Raum, der zur Dreh­ scheibe des internationalen Drogenhandels wurde: »Da das Land nach wie vor zu Rußland gehörte, profitierte es von russischen Subventionen und dem russischen Finanzsystem. Gleichzeitig war es jedoch dem Zugriff sowohl der Zollkontrolle wie auch der Strafverfolgungsbehörden Rußlands entzogen.«2543 Dabei zeigte sich eine enge Verbindung zwischen der tschetschenischen Machtelite und der tschet­ schenischen Mafia: »Eine der ersten Amtshandlungen der tschetschenischen Re­ gierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion bestand in einer Generalamne­ stie, bei der schätzungsweise 4000 Berufsverbrecher auf freien Fuß kamen. Etliche

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Gangsterbosse traten anschließend in die Regierung ein, was sie freilich nicht dar­ an hinderte, ihre Kontakte zu tschetschenischen Banden in Moskau und anderen russischen Städten aufrechtzuerhalten. Ein Großteil des dort ergaunerten Geldes floß nach Tschetschenien zurück. Der Flughafen von Grosny wurde zum Umschlag­ platz für Schmuggelware und Tschetschenien zur internationalen Drehscheibe im Heroinhandel. Eine der Schmuggelrouten begann im Goldenen Dreieck (Burma, Thailand, Laos). Von dort aus wurden Opium und Heroin zunächst zum russi­ schen Marinestützpunkt in Cam Ranh Bay (wo vietnamesische Drogenhändler es an die Russen verkauften) und dann zur Hafenstadt Nachodka im äußersten Osten Rußlands transportiert, wo tschetschenische und russische Banden das Rauschgift in Empfang nahmen und dafür sorgten, daß es per Flugzeug nach Grosny und an­ schließend (über Rußland, die Ukraine und die Türkei) auf die Märkte in Europa und Nordamerika gelangte. Ausgangspunkt einer anderen Schmuggelroute war der goldene Halbmond (Afghanistan, Pakistan, Iran); auf diesem Weg gelangten die Drogen über die zentralasiatischen Republiken oder Iran und Aserbaidschan nach Tschetschenien und von dort aus weiter in den Westen.«2544 Dem Mafia-Experten Jürgen Roth zufolge war die tschetschenische Mafia schon kurz nach der Unabhängigkeit eines der zentralen Standbeine des Wirtschaftssy­ stems Tschetscheniens.2545 Dieses Mafia-Unwesen ging eine enge Symbiose mit dem islamischen Fundamentalismus ein, der sich unter Dudajew in Tschetschenien aus­ zubreiten begann. Unter Dudajews Herrschaft war die Scharia, das religiöse Ge­ setz, wieder eingeführt worden; in den Dörfern der Tschetschenen und Inguschen baute man fleißig Moscheen.2546 Ähnliches stellte auch Berndt Georg Thamm fest: »Bis 1994 nahm der Islam in Tschetschenien einen nicht zu übersehenden Auf­ schwung. Hunderte von Moscheen wurden in ungezählten Dörfern errichtet. Du­ dajew beförderte sowohl die Wahl eines Großmuftis als auch den Bau einer Islami­ schen Universität in Grosny. Noch im November 1994 hatte er angekündigt, Tschetschenien in einen islamischen Staat umzuwandeln - die Verfassung auf der Grundlage des Korans (Scharia) war auf den Weg gebracht worden« 2547 - und T hamm zufolge war Dudajew selbst mit der tschetschenischen Mafia verflochten: »Im Jahr 1994 galt das Land - >Russisch-Sizilien< genannt - als Hochburg des organisierten Verbrechens. Dudajew selbst galt für die einen als Strohmann der Mafia, war für die anderen >Wohltäter der Tschetschenen-Mafia< und Drahtzieher zahlreicher Gei­ selnahmen.«2548 Aschot Manutscharjan beschreibt die Vernetzung zwischen gewaltbereiten isla­ mistischen Terroristen und der tschetschenischen Mafia wie folgt: »Im Unterschied zu anderen terroristischen Zellen verfügen sie nämlich über hervorragende Kon­ takte zur international agierenden Organisierten Kriminalität. Ihre Landsleute be­ teiligen sich am Heroinhandel, sie betreiben Geldwäsche, Autoschieberei und Waf­ fenhandel. Wegen ihrer Brutalität werden sie selbst von ihren kriminellen Konkurrenten gefürchtet. Entscheidend für dieses enge Band ist jedoch nicht nur

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die nationale Zugehörigkeit zum tschetschenischen Volk. Entscheidend ist vielmehr die Bindung an den gemeinsamen Teips (Stamm), der ein nahezu unzerstörbares Band zwischen den >Heiligen Kri egern< und ihren kriminellen Mafia-Brüdern s chafft. Gegenseitige Unterstützung ist >EhrensacheGreat Game< um den Kaukasus zu suchen ist. Welche Rolle Tschetschenien hier spielt, ist oben aus­ geführt worden. Energie-Experte Wolfgang Gründinger sieht den eigentlichen Anlaß für die rus­ sische Intervention im >JahrhundertvertragJahrhundertvertrags< von 1994 fielen dann auch russische Trup­ pen in Tschetschenien ein.«2551 Dieser Auffassung schließt sich auch der ehemalige Auslandskorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und der Neuen Zürcher Zeitung, Werner Adam, an. In seinem Buch Unheilige Kriege im Herzen Asiens stellt er dar, warum für Rußland Tschetschenien ein wichtiges Bindeglied zur Sicherung seiner Kontrolle über Erd­ öllieferungen vom Kaspischen Meer ist: »Ob es Zufall war oder nicht: Genau drei Monate vor Kriegsbeginn in Tschetschenien hatte Aserbaidschan zum Mißfallen Rußlands mit einem westlichen Konsortium einen sogenannten Jahrhundertver­ trag geschlossen. Darin wurde den ausländischen Unternehmen mit gewichtigen amerikanischen Gesellschaften an der Spitze gegen Investitionen von mehr als sie­

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ben Milliarden Dollar für die nächsten dreißig Jahre das Recht zur Erdölgewin­ nung auf den Feldern um die aserbaidschanische Hauptstadt Baku zugestanden. Wenngleich nachträglich auch der russische Energiekonzern Lukoil mit zehn Pro­ zent an dem Projekt beteiligt wurde, blieb Moskau äußerst mißtrauisch. Um seinen Einfluß auf die Nutzung der Erdöl- und Erdgasreserven im kaspischen Becken be­ sorgt, setzte Rußland fortan mehr denn je auf die seinerzeit einzige noch funktio­ nierende Pipeline, mit der das Erdöl aus den aserbaidschanischen Erdölgebieten in Richtung Westen gepumpt werden konnte - und die führte über Dagestan und die tschetschenische Hauptstadt Grosny zum russischen Schwarzmeerhafen Noworos­ sijsk.«2552 Adam hebt auch ausdrücklich hervor, daß die Befürchtungen Moskaus keines­ falls aus der Luft gegriffen waren: »Die erheblichen Öl- und Gasvorkommen so­ wohl auf der kaukasischen als auch auf der zentralasiatischen Seite des Kaspischen Meeres... hatten nach dem Untergang der Sowjetunion verstärktes westliches In­ teresse auf sich gezogen. Vor allem die Amerikaner gaben offen zu erkennen, die traditionelle russische Vorherrschaft in dieser Region eindämmen und ihre eigene Einflußzone über den Nahen und Mittleren Osten hinaus bis zur kaspischen Region ausweiten zu wollen. Unter Mitwirkung Georgiens und der Türkei wurden für den Energietransfer nach Westen neue Trassenführungen mit dem Ziel ins Auge ge­ faßt, russisches Territorium weitläufig zu umgehen.«2553 Für Rußland war die Öl­ transportroute von Baku über Tschetschenien nach Noworossijsk von entscheiden­ der Bedeutung: Zuvor hatte es westliche Ölgesellschaften bedrängt, sich für diese über russisches Territorium führende - Pipeline zu entscheiden; in der Hoffnung, entsprechend hohe Transitgebühren einzunehmen. Der Tschetschenienkrieg jedoch hatte Moskaus Monopolanspruch auf den Transport des aserbaidschanischen und kasachischen Öls entscheidend in Frage gestellt.2554 Klebnikow und Roth gehen aber auch noch von einem tieferliegenden Grund für die russische Intervention aus, der in einer Verbindung zwischen Mafiageschäften und dem >Great Game< liegt. »Der Krieg in Tschetschenien war ein Gangsterkrieg im Großen«, schreibt Klebnikow.2555 In Rußland selbst gab es genügend Publikatio­ nen, die die langjährigen Verbindungen zwischen der tschetschenischen Mafia, die auch in Moskau zu den wichtigsten kriminellen Organisationen gehörte, und ein­ flußreichen politischen Kreisen in Moskau beschreiben. Einer, der besonders enge Beziehungen zur tschetschenischen Mafia unterhielt, war der Oligarch Boris Be­ resowski, der allein durch sie überhaupt zu seinem Reichtum gekommen ist.2556 Wenig bekannt i st die Tatsache, daß D udajews Truppen w ährend des ers ten T schet­ schenienkrieges politisch und finanziell von Oligarchen unterstützt wurden, die eng mit dem Jelzin-Clan zusammenarbeiteten. Insbesondere »das Ölgeschäft ent­ wickelte sich zu einer einträglichen Einnahmequelle der tschetschenischen Clans«.2557 Die tschetschenische Republik konnte Klebnikow zufolge ihre Infrastruktur nur aufrechterhalten, indem sie Öl, Gas und Strom aus den Versorgungsnetzen abzapf­

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te: »Mit dem Verkauf des russischen Öls ins Ausland verdienten Dudajew und die Warlords und Gangster, die die tschetschenische Regierung kontrollierten, sowohl für die tschetschenische Finanzkasse als auch für sich selber Hunderte Millionen Dollars.«2558 An diesem Ölgeschäft waren die russischen Oligarchen, die, wie oben dargestellt, das Jelzin-Regime finanzierten und kontrollierten, erheblich beteiligt. »Denn die Erdölleitung vom Kaspischen Meer über Grosny wurde von tschetsche­ nischen Kriminellen, die mit russischen Oligarchen und ihren Mittelsleuten zusam­ menarbeiteten, angezapft.«2559 Wie Jürgen Roth enthüllte, planten die Oligarchen in Kollaboration mit dem von ihnen abhängigen Jelzin-Clan, aus Tschetschenien einen rechtsfreien Raum für kriminelle Geschäfte zu machen. »Der Plan gelang nicht, weil sich die Tschetschenen selbständig machen wollten. Die Folge war, so Ex-Ge­ neral Lebed, daß >der tschetschenische Volksheld Dudajew eines Tages befand, er sei groß und stark geworden, und er dachte nicht mehr daran, die Beute länger mit seinen Schirmherren in Moskau zu teilen. Zur Strafe schickte die russische Regie­ rung ihm die ArmeeTschetschenische Republik< als Vollmitglied in die Orga­

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nisation Nichtrepräsentierter Völker (UNPO) aufgenommen, der wichtigsten Nicht­ regierungsorganisation für britisch gelenkte Aufstände zur Zerschlagung großer Staaten. Im Oktober 1991 entsandte die UNPO ein Expertenteam, um die >Wahlen< in Tschetschenien zu überwachen. Der Bericht der Gruppe wurde in Broxups Cen­ tral Asian Survey in voller Länge abgedruckt.«2562 Die Zeitschrift Neue Solidarität enthüllte dabei, daß Dudajew Unterstützung von der damaligen britischen Premier­ ministerin Margaret Thatcher und dem führenden Finanzier der Tory-Partei Lord MacAlpine erhielt. Letzterer plante, über Tschetschenien einen »Kaukasischen Ge­ meinsamen Markt« zu schaffen,2563 der die Kaukasus- und Kaspi-Region von russi­ schem Einfluß abspalten sollte. Auch die USA lieferten Unterstützung für die tschetschenischen Rebellen, je­ doch lief diese - ähnlich wie im Falle der Taliban - nicht direkt, sondern auf Umwe­ gen, nämlich über ihre Verbündeten Pakistan und die Türkei. »Ende 1994 wurde eine Vereinbarung zwischen Usman Ismajew, dem Direktor der Nationalbank von Ichkeriya (Bezeichnung für Tschetschenien), mit Vertretern des türkischen Nach­ richtendienstes MIT abgeschlossen. Es ging um Waffenlieferungen nach Tschet­ schenien. Die Türkei verfügte über große Lagerbestände von Waffen und Munition aus der ehemaligen Sowjetunion, die aus Arsenalen der Ex-DDR stammten und von Deutschland in die Türkei geliefert worden waren. Um die Verschiffung dieser Waffen sicherzustellen, genehmigte das türkische Militär die Benutzung eines Stütz­ punktes in der Nähe der ostanatolischen Stadt Bitlis. Von dort flogen tschetscheni­ sche Transportmaschinen nach Chitral in Pakistan. Hier wurden Waffen und Dro­ gen eingeladen, die danach, nachts und in niedriger Flughöhe, zurück nach Tschetschenien geflogen wurden.«2564 Auch Kaukasus-Experte Aschot Manutscharjan bestätigt die Unterstützung der Tschetschenen gerade durch jene Staaten des Nahen und Mittleren Ostens, die aus­ nahmslos Verbündete der USA sind: »Finanzielle und moralische Unterstützung erhalten diese Gruppen aus dem islamischen Ausland, insbesondere aus SaudiArabien, Kuwait, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Pakistan. Aktiv geför­ dert werden sie außerdem von der islamischen Diaspora in Europa, von islami­ schen Stiftungen und Wohltätigkeitsorganisationen. Eine oft unterschätzte Rolle spielen ferner islamische Kreise der Türkei.«2565 Eine entscheidende Rolle bei der Unterstützung des tschetschenischen Separa­ tismus spielte allerdings Pakistan, wie Levon Sevunts von der kanadischen Zei­ tung The Gazette enthüllte. »Als die sowjetische Armee Ende der 80er Jahre aus Afghanistan abzog, verfügte die ISI über ein gewaltiges Heer von nunmehr unbe­ schäftigten religiösen Fanatikern aus aller Herren Länder. Deren weitere Verwen­ dung möglichst weit von Pakistan weg erwies sich als notwendig, um zu verhin­ dern, daß sie außer Kontrolle gerieten, gleichzeitig aber auch als nützlich, um Pakistans geostrategische Ziele zu fördern. Dabei handelt es sich - so Sevunts - um die Schaffung einer transasiatischen Achse von der Ostgrenze Chinas über die frü­

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heren asiatischen Sowjetrepubliken, die erdöl- und erdgasreiche Region des Kaspi­ schen Meeres über Afghanistan nach Pakistan. Nötig dafür ist nicht nur die volle Kontrolle über Afghanistan, sondern auch die Zerstörung des letzten russischen Einflusses in Zentralasien.«2566 Diese geopolitischen Zielsetzungen deckten sich mit denen der US-Machtelite, so daß sich hier ebenso wie zuvor im Fall Afghanistan eine Zusammenarbeit zwi­ schen CIA und ISI herausbildete. »Unmittelbar nach dem Ende des Kalten Krieges ermutigte Washington auf verschwiegene Weise die beiden wichtigsten Rebellen­ gruppen Tschetscheniens, ihre Republik von der Russischen Föderation loszusa­ gen... Die Belege deuten darauf hin, daß die CIA hinter den tschetschenischen Re­ bellen stand und sich den ISI als Vermittler zunutze machte. Washington ist interessiert daran, die Kontrolle der russischen Ölgesellschaften und des russischen Staates über die Pipelinerouten durch Tschetschenien und Dagestan zu schwächen. Wenn sich diese beiden Republiken von der Russischen Föderation abspalten wür­ den, ließe sich ein Großteil des Territoriums zwischen dem Kaspischen und dem Schwarzen Meer unter den >Schutz< des westlichen Militärbündnisses bringen und fielen so alle existierenden und geplanten Pipelinerouten und Transportwege die­ ser Region den britisch-amerikanischen Ölkonzernen zu.«2567 Auch Mafia- und Ter­ rorismus-Experte R oth geht davon aus, daß hinter den Kulissen die USA d en Tschet­ schenienkonflikt erheblich geschürt haben: »Moskaus Befürchtungen, daß die USA die Dschihad-Kämpfer benutzten, um mehr Einfluß im Kaukasus zu gewinnen, dürften nicht von der Hand zu weisen sein.«2568 Rußland-Experte Christian Neef deutet gleichfalls eine westliche Unterstützung der tschetschenischen Rebellen an: »Man mag eine westliche Verstrickung in den jüngsten Kaukasuskrieg für reine Spekulation halten. Doch der ständige Nachschub an Waffen und Geld, der die Tschetschenen-Armee immer kampffähig hielt, kann nicht nur über Rußland gelaufen sein.«2569 Moderne Flugabwehrraketen, Granaten und Minen seien über die aserbaidschanische Grenze in den Kaukasus geschmug­ gelt worden. Herkunftsländer seien Jordanien und die Türkei gewesen, »wo sich ein großer Teil der tschetschenischen Diaspora aufhält - Exminister aus dem Kabi­ nett Dudajew inklusive«.«2570 Bezeichnend sei überdies, daß die tschetschenischen Aufständischen ihre militärischen Aktionen immer dann gestartet hätten, »wenn entscheidende Verhandlungsphasen mit den westlichen Ölkonsortien in Baku be­ vorstanden«, bei denen es um eine Beteiligung Rußlands am großen Kaspi-Ölge­ schäft gegangen sei.2571 In diesem Zusammenhang verweist Christian Neef auf eine historische Parallele, die die These der westlichen Unterstützung des tschetscheni­ schen Separatismus untermauert: »Schon einmal -1924 - hatten ausländische Kon­ sortien einen Ölkrieg um Tschetschenien geschürt. Das Ziel bestand darin, die Kau­ kasusregion von der bürgerkriegsgeschwächten Sowjetunion abzutrennen und einen selbständigen Ölstaat zwischen Kaspisee und Schwarzem Meer auszurufen - unter dem Protektorat des Völkerbundes.«2572

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Tatsächlich wurden die wichtigsten Rebellenführer in Tschetschenien, Schamil B as­ und Emir A l-Khattab, in von der CIA finanzierten Camps in Afghanistan und Pakistan ausgebildet, wobei der ISI eine Schlüsselrolle bei Organisation und Ausbil­ dung spielte.2573 »(1994) sorgte der pakistanische Geheimdienst ISI dafür, daß Bas­ sajew und seine Vertrauensleute im Amir-Muawia-Camp in der afghanischen Pro­ vinz Khost - Anfang der 80er Jahre von der CIA und dem ISI eingerichtet und vom berühmten afghanischen Kriegsherrn Gulbuddin Hekmatyar geleitet - islamistisch indoktriniert und im Guerillakrieg ausgebildet wurden. Im Juli 1994 kam Bassajew dann in das Lager Markaz-i-Dawar in Pakistan, um sich weiter in Guerillataktik ausbilden zu lassen. Bassajew traf in Pakistan die höchstrangigen Militärs und Ge­ heimdienstler: Verteidigungsminister General Aftab Shabhan Mirani, Innenmini­ ster General Naserullah Babar und den Leiter der Abteilung des ISI für die Unter­ stützung islamischer Bewegungen, General Javed Ashraf... Solche Verbindungen zu höchsten Ebenen erwiesen sich für Bassajew bald als sehr nützlich.«2574 Darüber hinaus soll Pakistan auch Ausbilder direkt nach Tschetschenien geschickt haben. Einer von ihnen, Abu Abdullah Jaffa, soll dort US-amerikanischen und russi­ schen Quellen zufolge zusammen mit B assajew und dem jordanischen >AfghanistanVeteranen< Khattab eine >Terroristen-Akademie< leiten. Die Russen verdächtigen Pakistan auch, die tschetschenischen Rebellen mit Stinger-Boden-Luft-Raketen aus­ gerüstet zu haben.2575 Die Tschetschenen trafen sich auch mit General Hamid Gul, dem ehemaligen Chef des Nachrichtendienstes ISI, und dessen Stellvertreter Imam. In diesen Gesprächen ging es Jürgen Roth zufolge um die Finanzierung von Waffen­ käufen durch Drogen. Dabei hatten die beiden pakistanischen Geheimdienstoffi­ ziere wenig Skrupel, den Tschetschenen bei den geplanten Drogen- und Waffen­ schmuggeloperationen die erforderliche Unterstützung zu gewähren. Der pakistanische General Babar - so Jürgen Roth - intervenierte persönlich bei der Talibanführung Afghanistans, um den ungehinderten Drogenverkehr aus dem Hel­ mand-Tal sicherzustellen. »Die Taliban ließen sich überzeugen, so daß von nun an das Opium auf einen Flughafen nahe Chitral gebracht werden konnte, wo es zu­ sammen mit den tschetschenischen Kriegern und afghanischen Freiwilligen nach Tschetschenien geflogen wurde.«2576 Bassajews Organisation war dabei eng mit den Geschäften der organisierten Kriminalität verflochten, wie Drogenhandel, Anzap­ fen und Sabotage russischer Pipelines, Entführungen, Prostitution, Handel mit Dollarblüten, Schmuggel von Nuklearmaterial sowie Geldwäsche in großen Aus­ maßen. Die Erlöse aus den verschiedenen illegalen Aktivitäten flossen in die Rek­ rutierung von Söldnern und den Waffenkauf.2577 1995, nach der Ausbildung unter Aufsicht des ISI, kehrte Bassajew nach Grosny zurück und lud den Mudschahed­ din-Führer Al-Khattab ein, um einen Stützpunkt in Tschetschenien zwecks Aus­ bildung von Mudschaheddin aufzubauen. Bei der Finanzierung spielte hinter den Kulissen auch Saudi-Arabien eine wichtige Rolle: Der BBC zufolge wurde AlKhattabs Entsendung nach Tschetschenien »von der in Saudi-Arabien ansässigen sajew

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Tschetschenen demonstrieren 1994 vor dem tschetsche­ nischen Parlament in Grozny gegen den Einmarsch der Russen.

Ein russischer Soldat läuft an einem Massengrab entlang, in dem rund 200 tote Tschetschenen liegen.

Russischer Soldat in Grozny.

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International Islamic Relief Organisation arrangiert, einer von Moscheen und rei­ chen Individuen finanzierten militanten religiösen Organisation, die Mittel nach Tschetschenien schleuste«.2578

4.5.4.6.4 Die ISI-Söldner Bassajew und Al-Khattab erzwingen das Abkommen von Khasavjurt und den Abzug der russischen Streitkräfte Diese islamistische Unterstützung jedenfalls führte zur Entwicklung und Verlän­ gerung eines Abnutzungskrieges, der dazu dienen sollte, Rußland vom Kaukasus abzudrängen. »Ohne diese Unterstützung islamischer Söldner«, so Jürgen Roth, »wäre der Krieg wahrscheinlich schon lange zu Ende.«2579 Bassajews und AlKhattabs kriminelle Kriegführung in Form von Geiselnahmen sollte Rußland zum Abzug zwingen. »Der Krieg ist nicht vorbei, er nimmt nur andere Formen an«, drohte Dudajew in einem Interview schon im Juni 1995. »Rußlands Nachrichten­ dienste wußten, was der Präsident der abtrünnigen Republik meinte. Sie vermute­ ten, daß tschetschenische Kampftruppen bereits in ganz Rußland ein Netz von Terror­ basen, Munitions- und Sprengstofflagern, Waffen, Wohnungen und Geldvorräten angelegt hatten. Als letzte Waffe gegen die Militärübermacht Moskaus setzten Tschetschenen den Terror ein - und trugen ihn ins Kernland des Feindes, mitten in die Russische Föderation.«2580 Im Juni 1995 plante Bassajew, mit 150 handverlesenen Kämpfern dies auf russi­ schem Boden zu verwirklichen. In Budjonnowsk jedoch, 120 km nördlich der tschet­ schenischen Grenze, stoppte ihn die örtliche Polizei, doch die Freischärler erreich­ ten das örtliche Krankenhaus und nahmen 1500 Russen als Geiseln. Mit dieser Aktion jedenfalls erreichte es Bassajew zunächst einmal, der russischen Regierung seine Forderung aufzuzwingen: »Nach den vergeblichen Versuchen, das Krankenhaus zu stürmen, ging die russische Regierung auf die Forderungen der Rebellen ein und handelte einen Friedensvertrag aus. Dem Vertrag zufolge wurden ein sofortiges Ende der Militäraktionen, der Beginn von Friedensgesprächen und freier Abzug zugesichert. So ebbten die Kampfhandlungen auch für einige Zeit ab. Unter der Schirmherrschaft der OSZE... begannen erneut Verhandlungen, die zur Unterzeich­ nung eines Militärabkommens am 30. Juli 1995 führten. In dem Abkommen wurden die Forderungen von Budjonnovsk bekräftigt.«2581 Auch Terrorismus-Experte Berndt Georg Thamm bestätigt, daß durch die Geisel­ nahme Rußland zu Zugeständnissen gezwungen wurde: »Unter dem Druck der Geiselnehmer stellten die russischen Streitkräfte die Kampfhandlungen in Tschet­ schenien am 18. Juni ein. Zudem traf eine russische Delegation für Friedensgesprä­ che in Grosny ein und begann im OSZE-Gebäude mit den Verhandlungen.«2582 Die russische Regierung versuchte daraufhin, die politischen Verhältnisse in Tschet­ schenien zu normalisieren. Im Dezember 1995 erließ J elzin ein Dekret für die Durch­ führung von Wahlen in Tschetschenien. Diese zeitliche Lücke wurde allerdings von den Freischärlern ausgenutzt, als diese am 9. Januar 1996 in das Krankenhaus von

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Kosljar eindrangen und wenige Tage später das dagestanische Dorf Perwomaisko­ je besetzten. Seitdem begann - wie Anna Kreikemeyer schreibt - eine Zeit der Waf­ fenstillstände ohne Feuereinstellung,2583 mit gelegentlichen Waffenruhen insbesonde­ re in der Zeit des russischen Präsidentschaftswahlkampfes in den Monaten Juni und Juli 1996, wie es beispielsweise das Nasran-Waffenstillstandsabkommen vorsah. »Die Kriegszone im Süden war in den letzen Monaten der russischen Präsident­ schaftswahl (im Jahre 1996, der Verf.) ruhig geblieben, seit Dschochar Dudajew ge­ tötet worden war und die Tschetschenen einem Waffenstillstand zugestimmt hat­ ten. Nur wenige Tage nach der Stichwahl brachen aber in ganz Tschetschenien die Kämpfe von neuem aus. Die Rebellen hatten den Waffenstillstand genutzt, um neue Kräfte zu sammeln, und Kommandotruppen und Waffen in die wichtigsten tschet­ schenischen Städte eingeschleust. Am 6. August 1996 überrannte eine Rebellenar­ mee unter dem Befehlshaber Schamil Bassajew die Hauptstadt Grosny. Die russi­ sche Armee wurde, wie so oft, völlig überrumpelt. Über 500 russische Soldaten kamen ums Leben; Nachrichtensendungen strahlten Bilder von brennenden Pan­ zerwagen aus, die toten Fahrer lagen kreuz und quer auf den Straßen. Nach weni­ gen Tagen hatten die Russen die Schlacht verloren, rund 3000 noch in Grosny ver­ bliebene russische Soldaten saßen in ihren Kasernen fest.«2584 Rußland versuchte, mit dem Chef der tschetschenischen Übergangsregierung Asian Maschadow Dschochar Dudajew war am 21. April 1996 durch eine russische Rakete umgekom men -jetzt einen tragfähigen Frieden auszuhandeln. Am 12. August 1996 reiste der russische General Alexander Lebed zu Friedensverhandlungen in die Stadt Khasavjurt an der tschetschenischen Grenze. »Bis zum Ende des Monats hatten sich beide Seiten auf ein Abkommen geeinigt, und Rußland hatte eingewilligt, seine Soldaten abzuziehen. Der Republik wurde de facto die Unabhängigkeit gewährt, auch wenn die Frage des offiziellen Status für Tschetschenien bis 2001 verschoben wurde...«2585 Genau diese Stellung Tschetscheniens - die Quasi-Unabhängigkeit - sollte für die weitere Entwicklung von grundlegender Bedeutung sein.

4.5.4.6.5 Die Entwicklung in den Jahren 1996-1999: Tschetschenien im Brennpunkt von Mafiosi, Islamisten und der westlichen Finanzelite Die Zeit von 1996 bis 1999 war durch einen wachsenden Einfluß von Mafiosi und radikaler Islamisten auf das politische Leben in Tschetschenien geprägt. Zuneh­ mend bestimmten lokale kriminelle Potentaten das Land,2586 und Tschetschenien wurde zum Epizentrum einer regelrechten »Entführungsindustrie«.2587 Einher ging dies mit einer verstärkten Islamisierung. »Die Einführung der islamischen Gesetzge­ bung (Scharia) und die Proklamation der Islamischen Republik Itschkeria beschleu­ nigten die Zerstörung der ohnehin kaum funktionierenden staatlichen Institutio­ nen.«2588 Es war der Nachfolger Dudajews, Aslan Maschadow, der die Verantwortung für die Einführung der Scharia trug.2589 »Auch für diesen hatte der Aufbau eines islamischen Staates gesellschaftliche und politische Priorität.«2590

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Bereits unter Dudajew begann sich Tschetschenien an Saudi-Arabien anzuleh­ nen, so daß der saudische Wahabismus - eine radikale Variante des sunnitischen Islam - sich in den neunziger Jahren allmählich in Tschetschenien auszubreiten begann. Dudajews erste Auslandsreise war ein Besuch August 1992 in Saudi-Arabi­ en, und »vielleicht wurde hier bereits der Grundstein für die Verbindung in die arabische Welt gelegt«.2591 Zwar war Maschadow kein Anhänger des Wahabismus, trotzdem wurde unter seiner Regierung »die Wahabitenbewegung auch in Tschet­ schenien immer stärker und aggressiver«.2592 Ende 1997 - so die Recherchen Jürgen Roths - wurden noch einmal mehrere hundert Tschetschenen in den Ausbildungs­ lagern, die vom pakistanischen Geheimdienst ISI finanziert wurden, trainiert, um Nachschub für den Kampf in Tschetschenien liefern zu können. 250 von diesen Freischärlern erhielten eine Spezialausbildung für Geheimoperationen in einem Camp nahe Peshawar, das sowohl von ISI-Offizieren als auch von Terrorexperten aus Ägypten sowie dem Sudan geleitet wurde.2593 Diese Islamisierung sollte dazu dienen, den ganzen Kaukasus in Aufruhr gegen Rußland zu bringen, wie es der jordanische Söldner und Afghanistanveteran Ibn Al-Khattab formulierte: Er war Mitte der neunziger Jahre nach Tschetschenien ge­ kommen, um »gegen Rußland zu kämpfen, bis es jedes Stück islamischen Landes im Kaukasus und in Zentralasien aufgegeben habe«.2594 Wie Jürgen Roth hervor­ hebt, mußte es bei der Hilfe aus islamischen Ländern nicht verwundern, »daß spä­ testens ab 1997 nicht mehr nur die staatliche Unabhängigkeit von Rußland von den Politikern in Grosny gefordert wurde, sondern ein eigenständiger islamischer Staat mit dem erklärten Ziel, die islamische Revolution von Tschetschenien in andere Kaukasusstaaten zu exportieren«.2595 Gleiches bestätigt auch Aschot Manutschar­ jan: »Als nächstes Ziel hatten die tschetschenischen Krieger den Export des islami­ schen Gottesstaates in den Nordkaukasus auf ihre Fahnen geschrieben.«2596 Tschetschenien sollte hierbei eine Katalysatorfunktion spielen: »Die tschetsche­ nischen Menschen spielen heute eine zentrale Rolle im Prozeß der Entwicklung der Kaukasus-Region«, erklärte der tschetschenische Führer Zelimkhan Yandarbijew ganz offen.2597 So versuchten die tschetschenischen Rebellen, alle anderen separa­ tistischen und islamistischen Bewegungen in der gesamten Region zu einem ge­ meinsamen kaukasischen Dschihad zu vereinen, um einen weiteren bewaffneten Konflikt mit Rußland zu provozieren.2598 Unter Maschadow kamen Söldner aus verschiedenen islamischen Ländern nach Tschetschenien, wo sie unter Ibn AlKhattab in Ausbildungslagern im Nordkaukasus in der Nähe des Dorfes SerzhenYurt zum Kampf gegen Rußland ausgebildet wurden. Folgt man Jürgen Roth, so gewann A l-Khattab bestimmenden Einfluß auf die Politik Maschadows. »Der Ein­ fluß des >einarmigen Achmed< (das war der Nom de Guerre von Al-Khattab, der Verf.) auf den amtierenden Ministerpräsidenten Maschadow wuchs, und er be­ stimmte zeitweise weitgehend dessen Maximalpolitik eines vollkommen unabhän­ gigen tschetschenischen Staates gegenüber Moskau«, auch wenn Maschadow längst

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versuchte, sich von dem Mann zu lösen, mit dem er bisher so lange erfolgreich zusammengearbeitet hatte.2599 In dieser Zeit bildete sich auch eine enge Zusam­ menarbeit zwischen den tschetschenischen Rebellen und den afghanischen Taliban heraus. Islamismus-Experte Berndt Georg Thamm spricht hier von einer »TalibanConnection« der Tschetschenen, die darin bestand, daß tschetschenische Feldkom­ mandeure in Afghanistan religiös geschult und militärisch weiter ausgebildet wur­ den.2600 Auf diese Weise begann in den neunziger Jahren das Brzezinski-Bennigsen-Kon­ zept langsam zu wirken, und hier tritt die internationale geopolitische Dimension dieses vermeintlichen Lokalkonfliktes zutage. Tatsächlich arbeiteten hinter den Ku­ lissen einflußreiche angelsächsische Ölkonsortien und Finanzzentren daran, Tschet­ schenien zu einer Drehscheibe des Handels mit dem kaukasischen Erdöl- und Erd­ gas zu machen und Rußland aus dieser Region vollständig zu vertreiben. »Eine Vielzahl von Schachzügen ist in Vorbereitung. Zum einen die Bildung eines ge­ meinsamen kaukasischen Marktes, der insbesondere von den USA und England angestrebt wird. Gefördert wird dieser Plan von den wichtigsten westlichen ÖlMultis. Tschetschenien liegt im Gebiet wichtiger Erdölvorkommen und bildet einen Knotenpunkt für Pipelines und wirtschaftliche Infrastruktur. Für Moskau war es von strategischer Bedeutung, Tschetschenien und den Nordkaukasus als Inland zu besitzen, um nicht gänzlich vom Erdölgebiet Kaukasus abgeschnitten zu werden. Die Pipeline durch Grosny hatte manche Begehrlichkeiten geweckt. Russische Öl­ multis und die Oligarchen fürchteten, daß bei einer Unabhängigkeit von Tschet­ schenien ihr Monopol für den Transport von Öl verlorengehen würde.«2601 Die vor­ bereitenden Maßnahmen hierzu hatten die anglo-amerikanischen Ölkonzerne bereits getroffen: »Ihre Angst war nicht grundlos. Denn Georgien und Aserbaid­ schan, zwei unabhängig gewordene Sowjetrepubliken, verließen im April 1999 das Sicherheitsbündnis der GUS. In den Schubladen beider Regierungen sind Pläne, mitgeschrieben von US-Ölmultis (in deren Vorstand einst Manager mitbestimm­ ten, die heute in der US-Regierung sitzen), wonach der Ölexport aus Aserbaid­ schan künftig über die Türkei abgewickelt werden soll... Den internationalen Öl­ multis kam eine Destabilisierung des südrussischen Raumes durchaus gelegen.«2602 So hatte London bereits wichtige Kräfte an Ort und Stelle plaziert, darunter die Ableger der Firma Sir Robert McAlpine & Söhne sowie einen Vizepräsidenten der Europäischen Liga für wirtschaftliche Zusammenarbeit.2603 Robert MacAlpines Geschäftspartner war der stellvertretende tschetschenische Premierminister KhozhAhmed Nuchjajew, der 1998 zum Vorsitzenden einer >Kaukasisch-Amerikanischen Handelskammer< ernannt wurde. Nuchjajew war gleichzeitig Vorsitzender des kaukasischen Gemeinsamen MarktesKaukasischen Gemeinsamen Markt< waren wichtige Entschei­

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dungsträger Aserbaidschans, Tschetscheniens sowie Georgiens und Ossetiens be­ teiligt.2606 Nuchjajew bemühte sich 1997 um die Konzession für den tschetscheni­ schen Teil der Ölleitung Baku-Noworossijsk2607 und war den Recherchen der Isves­ tija vom 15. September 1999 zufolge als >Chefarchitekt< des mafiosen tschetschenischen Finanzierungssystems anzusehen. »Sein Einfluß sei so groß, daß selbst Kämpfer der aserbaidschanischen Armee seinen Befehlen gehorchen.«2608 Der Isvestija zufolge operierte Nuchjajew von aserbaidschanischem Territorium aus zu­ sammen mit wahabitischen Kämpfern, um Freischärler und Waffen nach Tschet­ schenien und Dagestan zu bringen.2609 MacAlpine und Nuchjajew waren somit die oligarchischen Schlüsselfiguren der >KrisenbogenEine neue Stadt, basierend auf den alten Traditionen mit den Strukturen der Clans und der Blutrachen«2610 1997 berichtete die Nesawissimaja Ga seta, daß die Geschäfte zwischen MacAlpine und Nuchjajew von einem gewissen >Mansur< Jachimczyk eingefädelt worden seien, dem Vizepräsidenten der Kauka­ sisch-Amerikanischen Internationalen Handelskammer, einem undurchsichtigen Geschäftemacher aus Polen, der sich in der Rolle des antirussischen Guerillafüh­ rers des 19. Jahrhunderts gefalle.2611 Tschetschenien kann daher als ein Paradebeispiel für die geheime Zusammenar­ beit westlicher Hochfinanz und Konzerne mit Mafiosi und Islamisten angesehen werden, um den letzten noch bestehenden russischen Einfluß in der geopolitisch bedeutsamen Region des Kaukasus zu beseitigen. Was es mit den Geschäftsplänen von M acAlpine und Nuchjajew von der >Kaukasisch-Amerikanischen Handelskam­ mer< auf sich hat, beschreibt Mafia-Experte Jürgen Roth sehr ausführlich: »Im Ok­ tober 1997 unterzeichnete eine Gruppe prominenter Konzernbosse und Politiker aus England, Pakistan und Hongkong eine Absichtserklärung. Gemeinsam wollten sie ein transkaukasisches Energieunternehmen gründen. An der Spitze sollte der tschetschenische Staatschef Aslan Maschadow stehen, wenn er denn Präsident ei­ nes anerkannten unabhängigen Staates werden sollte. Würde dieses Abkommen in Kraft treten, sollte der neue Staat an dem Projekt beteiligt werden. Es geht um die Pipeline Baku-Grosny-Noworossijsk am Schwarzen Meer.«2612 Tschetschenien sollte

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daher zu einer von Rußland unabhängigen Drehscheibe für das kaukasische Erdöl, zu einem eigenständigen, von Mafia, Islamisten und internationalen Bankiers und Ölmultis kontrollierten Staat umgewandelt werden - eine Entwicklung, die Ruß­ land zwangsläufig als Bedrohung erkennen mußte.

4.5.4.6.6 Der zweite Tschetschenienkrieg 1999 - Dagestan gerät in den Brennpunkt von Islamisten und westlicher Hochfinanz Die Entwicklungen in den Jahren 1996 bis 1999 lieferten gewissermaßen die Vor­ aussetzung für den zweiten Tschetschenienkrieg. Was in dieser Zeit in der abtrün­ nigen Kaukasusrepublik ablief, war ein Kalter Krieg gegen Rußland, gefördert von Mitgliedern der westlichen Finanzelite und Islamisten, die in der weiteren Entwick­ lung eine wichtige Rolle spielen sollten, um die Abspaltung der gesamten Kauka­ sus-Region zu erreichen. Der Ansatzpunkt hierfür sollte die russische Teilrepublik Dagestan sein. Hier sollte sich das Brzezinski-Bennigsen-Konzept nach dem gleichen Muster verwirkli­ chen wie in Afghanistan oder Tschetschenien. Wie bereits ausgeführt, hatten die tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew, Salman Radujew und Ibn AlKhattab ja nicht nur den tschetschenischen Separatismus, sondern auch die Mobi­ lisierung des gesamten Kaukasus zu einem Dschihad gegen Rußland auf ihre Fah­ nen geschrieben. Dagestan sollte für die islamischen Rebellenführer die Kernzelle einer islamischen Kaukasusrepublik bilden2613 - und auch in Dagestan deckten sich die Ziele der tschetschenischen Rebellen mit den Zielen angelsächsischer Geopoli­ tik: Eine Abspaltung der Republik Dagestan hätte Rußland weitgehend vom Kas­ pischen Meer und den dortigen Öl- und Gasvorräten abgeschnitten. »Zusätzlich würde eine Ölpipeline mit bislang hoher strategischer Bedeutung für die russische Außenwirtschaftspolitik verlorengehen, zumindest aber stark gefährdet.«2614 Da­ gestan war folglich wegen seiner Größe, seiner Lage am Kaspischen Meer und als potentielle Pipeline-Route von außerordentlicher geopolitischer Bedeutung, deren sich nicht nur Rußland, sondern auch die islamistischen Freischärler und die USamerikanischen Bankiers und Ölmultis bewußt waren. Yossef Bodansky, dem Direktor der vom US-Kongreß eingesetzten Spezialgruppe zur Terrorismusbekämpfung, zufolge wurde der Tschetschenienkrieg 1996 wäh­ rend eines geheimen Treffens von Hisbollah-Vertretern aus mehreren Ländern im somalischen Mogadischu geplant.2615 »An diesem Treffen nahmen Osama bin La­ den sowie hochrangige iranische und pakistanische Geheimdienstler teil. Die Ver­ strickung des pakistanischen Geheimdienstes in Tschetschenien geht folglich >weit über die Versorgung der Tschetschenen mit Waffen und Know-how hinaus: Tat­ sächlich haben der pakistanische Geheimdienst und seine radikalislamistischen Handlanger die Kontrolle über diesen KriegKongreß der Völker Tschetscheniens und DagestansRußland und Dagestan: Außer Kontrolle?< Dem Leser wird nahegelegt: >Man setze Dagestan auf die Liste der un­ regierbaren kleinen Staaten, die Rußlands Südrand aufzureißen drohen.Kriegsgewinner< seitdem sehr selbstbewußt. »So erhält der tschetschenische Erdölkonzern Junko 2,20 Dollar an Durchleitungsgebühr pro Tonne Erdöl. Ursprünglich wollten die Russen die Tschetschenen mit einer Pauschale von einer M illion Dollar abspeisen, die Tschet­ schenen forderten aber 265 Milliarden Dollar an Wiedergutmachung von Kriegs­ schäden ein... Nur unter diesen Bedingungen waren die Tschetschenen bereit, jene 150 Kilometer Pipeline, die sie im Krieg zerstört hatten, reparieren zu lassen.«2626 Hans Kronberger spricht in diesem Zusammenhang von einer Abhängigkeit Ruß­ lands von Tschetschenien, aus der Moskau sich zu befreien gedachte.2627 Zunächst erfolgte der Transport des aserbaidschanischen >early Oil< auch durch die Pipeline Noworossijsk zu tschetschenischen Bedingungen, entsprechend einem Abkommen zwischen dem stellvertretenden russischen Ministerpräsidenten und den Präsidenten der aserbaidschanischen und tschetschenischen Ölkonzerne vom 12. Juli 1997, doch sollte sich die Position Rußlands im kaukasischen Erdölpoker noch weiter ver­

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schlechtem. Anfang 1999 wurde die Pipeline Baku-Supsa eröffnet - jene Trasse, die »vor allem von den USA favorisiert«2628 wurde, weil sie Rußland vollständig um­ geht. Die Folge war, daß das Exportvolumen durch die Pipeline über Ts chetschenien ins russische Noworossijsk drastisch verringert wurde, was auf russischer Seite er­ heblichen Unmut auslöste.2629 Überdies sorgten tschetschenische Blockaden für eine weitere Verteuerung des Transits. In dieser Lage drohte Rußland den kaukasischen Ölpoker gänzlich zu verlieren - Moskau war also gezwungen, eine eigene Pipeline­ strategie zu entwickeln, die den tschetschenischen Krisenherd umging. Rußland begann, den schon im Februar 1998 eingeleiteten Bau einer Umleitungspipeline unter Umgehung von Tschetschenien über Dagestan und Stavropol zum Hafen Noworossijsk voranzutreiben. Wollten die westliche Finanzelite und die Ölmultis Rußland vollständig aus dem kaukasischen Geschäft vertreiben und ihre Vision vom >Kaukasischen Gemeinsa­ men Markt< verwirklichen, mußte also auch Dagestan destabilisiert werden, wofür die geopolitischen Grundlagen, wie oben beschrieben, ja schon geschaffen wurden. Gelang es, eine Vereinigung Tschetscheniens mit Dagestan zu verwirklichen, wie es die tschetschenischen Freischärler und ihre Hintermänner anstrebten, »dann hät­ ten die Russen überhaupt keinen direkten Zugang zu Baku mehr«, 2630 und das >Great Game< wäre für die US-Machtelite gewonnen. Wie der Kommersant Wlast vom 10. Februar 1998 darstellte, erreichte es die MacAlpine-Finanzgruppe schon Ende Oktober 1997, die Machtverhältnisse in der tschet­ schenischen Ölgesellschaft JUNKO zu ihren Gunsten zu manipulieren, um dem Ölabkommen zwischen Moskau und Tschetschenien vom Dezember 1996 den Bo­ den zu entziehen und die tschetschenische Erdölwirtschaft in anglo-amerikanische Hände zu überführen. Choschamed Jarichanow, Präsident von JUNKO, wurde ent­ lassen und anschließend die Gesellschaft als solche aufgelöst. Am 5. November 1997 veröffentlichte die Nesawissimaja Gaseta den Text eines britisch-tschetschenischen Vertrages.2631 Kommersant Wlast beleuchtete weiter die Geschichte des >Kaukasischen Gemeinsamen Marktes< und der Kaukasischen Investitionsbank und meinte, diese geschäftlichen Tätigkeiten fügten sich nahtlos in die irreguläre angelsächsische Krieg­ führung in der Region ein: »Ende November (1997) wurde der von den Briten ver­ sprochene Investitionsfonds in London vorgestellt. Am Vorabend dieses Ereignis­ ses hatte der Goldsmith-Erbe Lord MacAlpine Nuchajew bei Margaret Thatcher eingeführt... Die Gruppe um Goldsmith wollte ihre Aktivitäten nicht auf Tschet­ schenien beschränken. Das Spiel breitete sich nach Dagestan aus, wo eine neue Kraft, die Wahabiten, am Werk war.«2632 Im April 1998 kam es in Grosny zu einem Gipfeltreffen der Führer der nordkauka­ sischen Republiken der Russischen Föderation sowie der angrenzenden Territorien Stawropol und Krasnodar, auf dem sich der künftige Konflikt schon abzuzeichnen begann. Während sich der russische Vertreter »für einen Wirtschaftsaufbau und andere Maßnahmen zur Verhütung einer weiteren Zersplitterung der Region und

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ihrer Abtrennung von Moskau aussprach, meldete sich Nuchajew vom britisch ge­ lenkten Kaukasischen Gemeinsamen Markt zu Wort und hielt eine Rede, die zum Programm der ganzen Konferenz wurde.«2633 Unmittelbar nach dem Gipfel gab der tschetschenische Präsident Maschadow eine Erklärung ab, womit er in Nuchjajews Horn stieß: Tschetschenien habe sich praktisch schon von Rußland abgelöst und könne seine Wirtschaft ohne die Hilfe Rußlands wieder aufbauen. »Alle Nachbarn sind sich darüber im klaren«, sagte er, und »die Zukunft des Kaukasus liegt in einer Konföderation.«2634 Die Regierung Dagestans sperrte sich jedoch gegen diese Pläne Tschetscheniens und ihrer angelsächsischen Hintermänner. Aus einem Bericht der Moskowskije No­ wosti über das Treffen vom April 1998 geht hervor, daß Magomedali Magomadow, der Vorsitzende des dagestanischen Staatsrates, keineswegs Maschadows Meinung teilte, sondern offen erklärte: »Dagestan war, ist und bleibt Teil der Russischen Fö­ deration«, und nach dem oben erwähnten >Kongreß der Völker Tschetscheniens und Dagestans< kam es in Dagestan zu Anschlägen gegen antiseparatistische Re­ gierungsmitglieder.2635 In Tschetschenien selbst gelang es Schamil Bassajew, die Autorität des Interims­ regierungschefs Maschadow weiter zu untergraben. Zwar war ein Versuch der Is­ lamisten im Dezember 1998, über ein Scharia-Gericht das tschetschenische Parla­ ment aufzulösen und die Macht vollständig an sich zu reißen, gescheitert, jedoch wuchs der Einfluß S chamil Bassajews in di eser Zeit an .2636 Am 7. A ugust 1999 über­ fiel er mit einem aus rund 1200 Mann bestehenden Kommando von Tschetschenien aus die Republik Dagestan und rief dabei die im Untergrund aktiven wahabiti­ schen Gruppierungen zum offenen Aufstand auf.2637 Bei der schleichenden Islami­ sierung waren es Berndt Georg Thamm zufolge hauptsächlich arabische Söldner und ehemalige Afghanistankämpfer (also jene Kräfte, die vom pakistanischen ISI und dem CIA ausgebildet wurden), die mit einer in Richtung Gottesstaat gerichte­ ten aggressiven Missionsarbeit begannen, die insbesondere in Dagestan Früchte trug. Zwei Tage nach diesem Überfall traf sich eine geheime Versammlung (Schu­ ra) von dagestanischen Wahabiten, die einen >Islamischen Staat Dagestan< ausrief. »Schamil Bassajew wurde von der Schura zum Militäremir des >Islamischen Dage­ stansBesetzern< aus Rußland freizumachen, und an die Muslime in Tschetschenien app elliert, den Kampf gegen die Russen zu unter­ stützen.«2638 Bei ihrem Überfall auf Dagestan waren Bassajews Freischärler »bemerkenswert professionell ausgebildet, versorgt und bewaffnet. Sie verfügten über Stinger-2Raketen, die seitens der NATO nur ihren loyalsten Mitgliedsstaaten vorbehalten sind. Mit diesen Raketen zerstörten sie drei Hubschrauber vor laufenden Fernseh­

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kameras«.2639 Dies spricht ebenfalls für eine Unterstützung durch CIA und ISI, erin­ nert dieser Umstand doch an die Zeit, als die CIA ganz offen Stinger-Raketen an den afghanischen Widerstand gegen die sowjetischen Truppen geliefert hatte. Dar­ über hinaus wurde bekannt, daß von London aus auch eine Verstärkung des tschet­ schenischen Terrorismus erfolgte. Am 10. November 1999 überreichte die russi­ sche Regierung eine diplomatische Protestnote an die britische Regierung über den russischen Botschafter in London, die die Aktivitäten des Führers des politischen Flügels der Bin-Laden-Organisation >Al-MuhajiroonHeiligen Krieg< in Tschetschenien und unterhielt unbehelligt von den Behörden in der Londoner Vorstadt Lee Valley zwei Büros und ein Computercenter mit einer eigenen Internetfirma. Bakri gab zu, daß pensionierte Offiziere des briti­ schen Militärs einige Rekruten in Lee Valley ausgebildet hatten, bevor diese in die Ausbildungslager in Afghanistan oder Pakistan gesandt oder direkt nach Tschet­ schenien geschmuggelt wurden.2640 Am 8 und 16. September 1999 kam es zu terroristischen Anschlägen auf Wohn­ häuser in Moskau, Wolgodonsk und Bujnaksk. Über die Hintergründe dieser An­ schläge ist sehr viel spekuliert worden; nicht wenige hielten die Sprengstoffanschläge für eine konspirative Aktion des Geheimdienstes FSB und seines damaligen Chefs Wladimir Putin, um sich eine nachträgliche Legitimation für eine militärische Inter­ vention in Tschetschenien zu verschaffen. Ebenso wurde der Einfall Bassajews in Dagestan als Provokation des russischen Inlandsgeheimdienstes dargestellt. Die Quelle dieser Spekulationen entstammte dem Umfeld des Oligarchen Boris B eresow­ ski,2641 dem Intimfeind Wladimir Putins, der am 9. August 1999 das Amt des Mini­ sterpräsidenten antrat. Belege für eine solche Verwicklung des FSB und Putins aber ließen sich nicht finden. Vielmehr ist davon auszugehen, daß Beresowski - nach­ dem Putin Strafverfolgungsmaßnahmen gegen ihn eingeleitet hatte und er deshalb nach London geflohen war - bei den Londoner Behörden als >politische Verfolgter< Asyl beantragen und dafür mit spektakulären Enthüllungen aufwarten wollte.2642 Vieles spricht aber dafür, daß nicht Putin, sondern vielmehr Beresowski selbst hinter den Kulissen den Tschetschenienkonflikt angeheizt hatte. Boris Reitschuster verweist in diesem Zusammenhang auf Enthüllungen der französischen Zeitungen Le Monde und Le Figaro, denen zufolge sich im Juli 1999 der Beresowski-Vertraute Woloschin mit dem tschetschenischen Rebellenführer Schamil Bassajew getroffen und eine Aktion besprochen hätten, die wenige Wochen später große Wellen schla­ gen sollte2643 - gemeint war der Einfall Bassajews in Dagestan. Wie Klebnikow ent­ hüllte, hatte Beresowski ein großes Interesse an Tschetschenien - er hat Jür gen Roth zufolge Macht, Einfluß und Vermögen ja ausschließlich der tschetschenischen Ma­ fia zu verdanken - und insbesondere an den dortigen Erdölpipelines, was auch vom russischen General Alexander Lebed bestätigt wurde.2644 Auch kein Geringe­ rer als der tschetschenische Feldkommandant Salman Radujew, mit dem Beresow­

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ski geschäftlich verbunden war, erklärte: »Er (Beresowski) hat ein persönliches Inter­ esse an diesem Erdöl (der Pipeline Baku-Noworossijsk).«2645 Zur Verwirklichung seines Zieles, aus Tschetschenien einen auf Erdölschmuggel, Drogenhandel und Menschenraub beruhenden Mafiastaat zu machen, finanzierte Beresowski auch ver­ schiedene tschetschenische Gruppierungen; Geschäfts- und Gespächspartner von ihm waren Terroristenführer wie Schamil Bassajew und Salman Radujew oder isla­ mische Fundamentalisten wie Mowladi Udugow.2646 Am 28. September 1999 be­ richtete die Zeitung Le Monde, Beresowski habe Bassajew vor dem Einfall in Dage­ stan 30 Millionen Dollar zukommen lassen.2647 Doch es gibt noch einen weiteren Grund, der für die Inszenierung der Terroran­ schläge durch Beresowski sprechen könnte. Dieser lag in dem Machtkampf im Kreml Ende der neunziger Jahre. Jewgenij Primakow hatte während seiner Amtszeit als Ministerpräsident Anfang 1999 eine strafrechtliche Verfolgung gegen Beresowski eingeleitet. Diesem drohte der vollständige Verlust seines beherrschenden politi­ schen Einflusses. Es gelang Beresowski jedoch, Primakow zu stürzen, der daraufhin am 12. Mai 1999 entlassen wurde. Nachfolger wurde Sergej Stepaschin, unter dem es Beresowski wieder gelang, politisches Terrain zurückzuerobern. Auf der ande­ ren Seite aber wurden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegen ihn ver­ stärkt. »Mit anderen Worten, Stepaschin... lehnte es ab, die erforderlichen Schritte zu ergreifen, um die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Beresowski und andere Mitglieder von Jelzins Umgebung einzustellen.«2648 Stepaschin wurde daraufhin am 9. August 1999 entlassen, und Wladimir Putin trat an seine Stelle, wobei Beresowski hoffte, daß dieser eine willfährige Marionette in seinen Händen sein würde. Klebnikow mutmaßt, daß durch eine eigenmächtige Inszenierung von Attentaten gegen russische Bürger vonseiten Beresowskis dieser die Möglichkeit in die Hand bekommen wollte, Putin jederzeit zu erpressen - Er­ mittlungen gegen ihn wie unter Primakow oder S tepaschin wären dan n ni cht m ehr zu befürchten gewesen. Im September 1999 hatte Putin noch nicht alle Schalthebel der Macht in seinen Händen; er war einstweilen noch auf den J elzin-Clan und dessen Hintermann Beresowski angewiesen. »Einige russische Zeitungen mutmaßten, daß Beresowski womöglich hinter den Bombenanschlägen steckte. Wenn er tatsächlich die Terrorwelle im September arrangiert hatte, dann wäre Putin durch dieses Ver­ brechen für immer an ihn gebunden. Selbst wenn Putin gewußt hätte, wer hinter den Detonationen stand, hätte er das niemals sagen dürfen... Falls Beresowski also in irgendeiner Form in die Bombenanschläge verwickelt war, so würde Putin mit diesem Geheimnis wie mit einer eisernen Kette an Beresowski gefesselt sein.«2649 Belege für diese Theorie aber bestehen nicht. Klebnikow jedenfalls geht davon aus, daß die Terroranschläge im September 1999 tatsächlich von tschetschnischen Terroristen begangen wurden. »Höchstwahrschein­ lich sind die Anschläge tatsächlich von tschetschenischen Kämpfern oder islami­ schen Extremisten verübt worden, die im Namen ihrer kampfbereiten Glaubens­

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brüder handelten. Schamil Bassajew und auch andere Anführer wie Salman Radu­ jew hatten in der Vergangenheit mehrere Terroranschläge gegen die russische Zi­ vilbevölkerung verübt und sich ihrer Erfolge gerühmt, und Khattab, der Chef der Wahabiten, stand in Verbindung mit dem international gesuchten Terroristen Us­ sama bin Laden. Die tschetschenischen Krieger zeichneten sich durch eine mörderi­ sche Grausamkeit gegenüber ihren Feinden aus. Diese Männer richteten in aller Öffentlichkeit russische Kriegsgefangene und zivile Geiseln hin, indem sie ihnen mit ihren riesigen Jagdmessern den Kopf abschnitten und die Prozedur auf Video aufzeichneten. In den Katakomben der tschetschenischen Unterwelt würden sich mit Sicherheit unzählige Kandidaten finden, die zu derartigen Bombenanschlägen fähig wären.«2650 Die Nord­ kaukasusRepubliken. Karte: Der Spiegel, 43/ 2005. Unten: Zerstörte Häuser in Grosny während des zweiten Tschetsche­ nienkriegs.

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Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß sich die Ereignisse in Tschet­ schenien und Dagestan zeitlich betrachtet nahtlos an den Angriffskrieg der NATO gegen Jugoslawien anschlossen, der am 24. März 1999 begann. Hintergrund der US-Intervention auf dem Balkan war, wie oben dargestellt, die Schaffung und die militärische Absicherung des VIII. Transbalkan-Korridors als Grundlage für die AMBO-Pipeline vom bulgarischen Burgas bis zum albanischen Vlore. Es waren die amerikanischen Ölkonzerne Exxon/Mobil und Chevron/Texaco, die sich beson­ ders an diesem Projekt interessiert zeigten,2651 und der Vizepräsident des AMBOKonsortiums, Tascovic, erklärte, daß diese Pipeline eine Ergänzung der von den USA heftig durchgesetzten Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan darstellen sollte.2652 Bestä­ tigt wird dies auch durch den Direktor der >US Trade & Development Agency< (TDA), J. Joseph Grandmaison: »Der Wettbewerb um die Energieressourcen in der kaspischen Region wird zunehmend härter... Im letzten Jahr hat die TDA mehrere verschiedene Pipelines gefördert, die diese enormen Ressourcen mit den Märkten des Westens verbinden sollen.« Diese Pipeline bedeute »einen deutlichen Schritt vorwärts in Richtung dieser Politik und für die US -Handelsinteressen in der kaspischen Region«.2653 Bei der TDA handelt es sich um ein Unternehmen, das mit der Erstellung von Machbarkeitsstu­ dien von Pipelineprojekten befaßt ist, und 1999 stellte die TDA eine entsprechende technische Studie für die AMBO-Pipeline vor. Die energiegeopolitische Bedeutung des Balkenkriegs wurde auch vom britischen General Michael Jackson, dem Kom­ mandeur der KFOR-Truppen in Mazedonien während des NATO-Bombardements in Jugoslawien, unterstrichen, der gegenüber der italienischen Zeitung Sole 24 Ore erklärte: »Heute ist es absolut notwendig, die Stabilität von Mazedonien und sei­ nen Eintritt in die NATO zu garantieren. Aber wir werden hier noch für eine lange Zeit bleiben, so daß wir auch die Sicherheit der Energiekorridore garantieren kön­ nen, die dieses Land durchziehen.« Die Zeitung fügte hinzu: »Hierbei bezog sich Jackson eindeutig auf den 8. Korridor der Ost-West-Achse, die an die Pipeline an­ geschlossen werden soll, die die Energieressourcen von Zentralasien zu den Ter­ minals am Schwarzen Meer und an der Adria bringen und Europa mit Zentral­ asien verbinden soll. Das erklärt, warum die großen und mittleren Mächte, vor allem Rußland, nicht von dem Spiel ausgeschlossen werden wollen, das in den näch­ sten Monaten auf dem Balkan stattfinden wird.«2654 Für die Pläne der US-Machtelite mußte die Kontrolle des Balkans dann um die Kontrolle der kaspischen Region und des Schwarzen Meeres ergänzt werden. Ins­ besondere mußte alles daran gesetzt werden, daß der Hauptkonkurrent, die Russi­ sche Föderation, aus dieser Region verdrängt wird, ebenso vom Balkan. Dazu ließ sich der tschetschenisch-dagestanische Krisenherd hervorragend instrumentalisie­ ren. Dieser geopolitische Hintergrund erklärt auch, warum die USA Rußlands Po­ sition während des Kosovo-Konfliktes gänzlich beiseite geschoben hatten. Hier »er­ lebte Rußland mit dem NATO-Angriff auf Jugoslawien am 24. März 1999 eine

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beispiellose Demütigung und Bloßstellung seiner Schwäche. Sie gipfelte nach An­ sicht russischer Medien in dem Anspruch der USA, eine neue Weltordnung zu eta­ blieren, die nicht mehr auf den völkerrechtlichen Prinzipien der UNO beruhte, son­ dern auf den von der NATO ausgegebenen Direktiven. In dieser Situation konnte Rußland gar nicht anders, als auf eine Weise zu handeln, die nach innen und nach außen klarmacht: Die Großmacht Rußland weiß ihre territoriale Integrität sowie die innere Ordnung zu wahren und läßt sich von keiner anderen Großmacht eine neue Weltordnung aufzwingen. Mit anderen Worten: Ohne die Ungeduld der Tschetschenen, die Einmischung ausländischer Terroristen und die NATO-Militär­ aktion gegen Jugoslawien wäre es zu dem zweiten Tschetschenien-Krieg nicht ge­ kommen«.2655 Mit dem Plan, Dagestan - das Transitland für eine neue russische Pipeline - aus der Russischen Föderation herauszubrechen, sollten also auch die Voraussetzungen für die Errichtung der BTC-Pipeline geschaffen werden, und im November 1999 wurde ja schließlich ein internationales Abkommen über das BTCPipelineprojekt auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul, und zwar im Rahmen einer be­ sonderen Zeremonie, in Anwesenheit von US-Präsident Clinton unterzeichnet.

4.5.4.6.7 US-amerikanische Think-Tanks als Förderer des tschetschenischen Separatismus Was Pakistan, die von ihm ausgebildeten Freischärler, die angelsächsische Finanz­ elite und Ölfirmen vor Ort in die Tat umsetzten, wurde im Hintergrund von USamerikanischen Denkfabriken geplant, die das geopolitische Muster lieferten. Wie die Neue Solidarität Nr. 51/1999 enthüllte, fand am 8./9. Dezember 1999 in Washington eine Vortragsreihe unter dem Titel Die Geopolitik der Energie für das 21. Jahrhundert statt, die vom >Zentrum für strategische und internationale Studien< (CSIS) und der Zeitschrift Financial Times Energy veranstaltet wurde. Die Strategi­ sche Energie-Initiative< des CSIS war eines von vier Projekten des Zentrums im Rahmen eines größeren Programms für Energie und nationale Sicherheit (ENSP). Ein Projekt - so die Darstellung dieser Zeitung - umfaßte dabei die Studiengruppe für das Öl am Kaspischen Meer< mit dem Schwerpunkt auf - so die eigene Formu­ lierung - der »Entwicklung von Ölproduktion und -export in den Staaten am Kas­ pischen Meer durch ausländische Investoren unter Berücksichtigung des gegen­ wärtigen politischen und wirtschaftlichen Umfeldes«. Diese Gruppe war es auch, die im Hintergrund Werbung für den Bau der BTC-Pipeline machte. Leiter der Gruppe war den Enthüllungen der Neuen Solidarität zufolge Robert Ebel, der am 8. Dezember 1999 auf der Washingtoner Konferenz im Rahmen des Themenkreises Die Geopolitik und der Weltmarkt sprach. Ebel war ein früherer Mitarbeiter der CIA, des US-Innenministeriums und der US-Energiebehörde FEA. Schon seit den sech­ ziger Jahren vertritt er im Ausland amerikanische Ölinteressen und hat zum Bei­ spiel in Westsibirien Ölfelder untersucht. 1994 berief ihn die Energiebehörde in ein Expertenteam, das die langfristige Energiestrategie Rußlands erforschte, und 1997

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leitete er eine Gruppe zur Untersuchung der Öl- und Erdgaswirtschaft Turkmeni­ stans und Usbekistans.2656 Die entscheidende Rolle auf dieser Konferenz spielte jedoch kein Geringerer als Zbigniew B rzezinski, der in den neunziger Jahren als Berater des Ölkonzerns Amoco - der später von British Petroleum (BP) übernommen wurde - für die Region des Kaspischen Meeres tätig war und in dieser Funktion sowohl die aserbaidschani­ sche Regierung als auch das Ölkonsortium AIOC von dem höchst kostspieligen Pipelineprojekt Baku-Tiflis-Ceyhan überzeugte. Dieser formulierte auf dieser Kon­ ferenz die Notwendigkeit einer »neuen Carter-Doktrin«. Die Carter-Doktrin aus dem Jahre 1980 besagte folgendes: »Jeder von einer fremden Macht unternommene Versuch, Kontrolle über den Persischen Golf zu erlangen, wird als Angriff auf die lebenswichtigen Interessen der Vereinigten Staaten von Amerika gewertet. Ein sol­ cher Angriff wird mit allen erforderlichen Mitteln, einschließlich militärischer Ge­ walt, abgewehrt werden.«2657 Diese Politik wollte Brzezinski auch auf die kaspische und die Schwarzmeer-Region ausdehnen: »Die rohstoffreiche Region Kaukasus/ Zentralasien, insbesondere die Senke des Kaspischen Meeres, soll der >Persische Golf des 21. Jahrhunderts« werden. Der Westen müsse dort die Vorherrschaft errin­ gen, um seine Energieversorgung zu sichern«2658 - so die Analyse der Neuen Solida­ rität. Brzezinski argumentierte, daß mit einem Erf olg der russischen Offensive in Tschet­ schenien gleichzeitig auch der für die US-Strategie und die Errichtung der BTCPipeline bedeutende Schlüsselstaat Georgien unter russischen Einfluß geraten wer­ de. In diesem Zusammenhang hatte Brzezinski den Recherchen der Neuen Solidarität zufolge wiederholt erklärt, Tschetschenien sei nur der Vorbote für einen gegen USInteressen wirkenden >DominoeffektNeokolonialisten< könnten aus »Rache, Paranoia und Nostalgie für ein Weltreich« versuchen, die Hegemonie Mos­ kaus über den Transkaukasus, Zentralasien und das Kaspische Meer zurückzuge­ winnen. Diese These trug Brzezinski auch in seiner Rede vor der CSIS vor. Wenn die russische Offensive in Tschetschenien erfolgreich sei, wären die »neokolonia­ len Denker in Moskau« versucht, als nächstes Georgien zu destabilisieren. Und Georgien sei die Hauptverbindung für die beiden vorgeschlagenen Öl- und Gas­ pipelines vom Kaspischen Meer zur Türkei, mit denen man russisches Gebiet um­ gehen will. »Wenn Georgien unter den Einfluß Rußlands gerät, dann sind die Pipe­ lines und in der Folge der wirtschaftliche und politische Pluralismus Zentralasiens in Gefahr«, so Brzezinski.2659 Zwei Tage danach, so die Neue Solidarität, führte Brzezinski zum Problem Tschet­ schenien weiter aus: »Im weiteren Sinne kann der Konflikt (in Tschetschenien) den südlichen Kaukasus destabilisieren. Der Nordkaukasus ist bereits im Chaos, aber die Flüchtlingsströme und die damit verbundene Instabilität können sehr wahr­ scheinlich nach Georgien ausstrahlen. Ein militärischer Erfolg in Tschetschenien wird vermutlich die Moskauer Hardliner in Versuchung führen, Georgiens Präsi­

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denten Eduard Schewardnadse entweder zu unterwerfen oder auszuschalten und damit sein Land zu unterjochen... Das wären schlechte Nachrichten für die USA. Ein unterworfenes Georgien würde den Russen Zugang zu Armenien verschaffen, das bereits von Moskau abhängig ist, und damit Aserbaidschan (und Zentralasien) vom Westen trennen, während Moskau die Pipeline Baku-Supsa unter Kontrolle bekäme.«2660 Am 12. Dezember 1999 konkretisierte B rzezinski dies in einem Interview mit dem Fernsehsender C-Span näher. Auf die Frage, was Tschetschenien die Amerikaner angehe, antwortete er: »Erstens: Wenn der Kaukasus destabilisiert ist, dann geht jede Hoffnung darauf verloren, diese große, neue unabhängigere Region mit dem Kaspischen Meer und mit Zentralasien, wo es reichlich Energie gibt, zu integrieren. Es würde eine Krisenzone. Und zweitens entfesselt dieser Krieg in Rußland selbst... eine chauvinistische, nationalistische, imperiale Haltung, was ein Rückschlag für den Transformationsprozeß in Rußland ist.« Dann forderte er Wirtschaftssanktio­ nen gegen Rußland, damit Moskau weniger Geld für den Krieg habe.2661 Folgt man Brzezinski also, hat die Unabhängigkeit Tschetscheniens eine Katalysatorfunktion für die Verwirklichung der strategischen Interessen der USA: Zum einen wäre da­ mit die Abspaltung der kaukasischen und zentralasiatischen Region von Rußland garantiert, was die Durchsetzung der amerikanischen Pipelineprojekte erheblich erleichtern würde. Andererseits würde eine militärische Niederlage Moskaus im Kaukasus dieses zu einem Anschluß an die westlichen Bündnissysteme zwingen, womit der neoli­ berale Umwandlungsprozeß Rußlands im Sinne des Washington Consensus des IWF beschleunigt werden könnte. Zbigniew B rzezinski - so die Recherchen der Neuen Solidarität - »veröffentlichte am 10. November 1999 im Wall Street Journal und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung eine Stellungnahme gegen die >russischen Neoim­ perialistenBernard-Lewis-PlansFreedom HouseAmerican Committee for Peace in Chechnya< (ACPC). Finanzielle und logisti­ sche Basis dieser Organisation war die >Jamestown Foundation< aus Washington;

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eine Stiftung aus der Zeit des Kalten Krieges, die das Ziel verfolgt, sich innerhalb der »totalitärem Staaten für eine gesellschaftlich-ökonomische Umwandlung ein­ zusetzen.2664 Die >Jamestown Foundation< finanziert die Herausgabe des ACPCBlattes Chechnya Weekly und ähnliche Propagandablätter gegen China und andere eurasische Länder, die auf der Zielliste der Neokonservativen stehen.2665 Gründungsmitglieder des ACPC waren Zbigniew Brzezinski, Reagans Außen­ minister Alexander Haig und der Kongreßabgeordnete Stephen Solarz. Die Mit­ gliederliste liest sich wie ein Who ist Who der US-Neokonservativen. Zu den Mit­ gliedern gehören Richard Perle, Pentagonberater und schon während des Kalten Krieges Mitgründer des >Committee on the Present DangerIran-Contra-Affäre< ver­ strickt war; Kenneth Adelman, US-Botschafter bei den UN, der die Irak-Invasion unterstützte; Midge Decter, ehemaliger Direktor der >Heritage FoundationCentre for Security PolicyUS-Committee on NATOAmerican Enterprise InstituteBritish Helsinki Human Rights Watch Group< darlegt, stellen die ACPC-Mitglie­ der das Rückgrat des Establishments der US-Außenpolitik dar, und ihre Ansichten decken sich in der Tat mit denen der US-Administration.2667 Diese Zusammensetzung macht schon deutlich, worum es dem ACPC geht: »Das ACPC unterstützt und verbreitet die Idee, daß die tschetschenische Rebellion den undemokratischen Charakter von Putins Rußland zeige, unterstützt die tschetsche­ nische Sache durch ausdrückliche Hervorhebung von ernsthaften Menschenrechts­ verletzungen in der winzigen kaukasischen Republik. Es vergleicht die tschetsche­ nische Krise mit... Bosnien und dem Kosovo - um zu verstehen zu geben, daß allein eine internationale Intervention im Kaukasus die Situation dort stabilisieren könne.«2668 Das ACPC sorgt für die Verbreitung der These, daß die tschetschenische Rebel­ lion: 1. eine nationale Unabhängigkeitsbewegung ist, die es wert ist, unterstützt zu werden; 2. von Natur aus nicht terroristisch ist; 3. nicht islamistisch ist und keine Beziehungen zu ausländischen Dschihad-Gruppen unterhält und 4. den undemo­ kratischen Charakter der Regierung Putins hervorhebt.2669 Doch es blieb bei den Aktivitäten nicht nur auf propangandistische Aktionen im Sinne einer indirekten Kriegführung gegen Rußland beschränkt. Hinter den Kulis­ sen sorgte das ACPC im August 2004 auch dafür, daß Ilyas Akhmadow, ehemaliger Außenminister unter Maschadow und von Moskau als Terrorist beschrieben, in

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den USA Asyl erhielt - zur Ergänzung sei angefügt, daß einem weiteren tschet­ schenischen Separatistenführer - Achmed Zakayew - in London Asyl gewährt wurde. Beide, Zakayew und Akhmadow, hatten Jeffrey Steinberg zufolge enge Be­ ziehungen sowohl zu Aslan Maschadow als auch zu Schamil B assajew. Diese Maß­ nahmen Londons und Washingtons wurden von Rußlands Außenminister Sergej Lawrow übrigens als unfreundlicher Akt und als Unterstützung des tschetscheni­ schen Terrorismus gewertet.2670 Hierfür aber gab es noch weitere Hinweise: Als am 23. März 2004 der Feldkom­ mandant Rizvan Chitigov in Tschetschenien im Rahmen einer Polizeiaktion pro­ russischer Sicherheitskräfte und von Truppen der tschetschenischen Innenministe­ riums getötet wurde, berichteten die MosNews unter Verweis auf Informationen des russischen Geheimdienstes FSB, daß Chitigov Kontakte zu ausländischen Ge­ heimdiensten unterhalten habe und selbst ein CIA-Agent gewesen sei, wie der frü­ here FSB-Sprecher Aleksandr Zdanovich im April 2001 ausgeführt habe. Einigen Berichten zu folge s ei Chigitov im Bes itz einer >Green C ard< gewes en - einer dauer­ haften Aufenthaltsbefugnis in den USA.2671 Daß es dem ACPC tatsächlich um nichts anderes ging, als die Abspaltung Tschet­ scheniens von der Russischen Föderation durchzusetzen, wurde am 9. September 2004 durch einen Artikel des ACPC-Vorstandsmitglieds Richard Pipes in der New York Times mit der provokanten Überschrift »Give the Chechens a land of their own« deutlich. In diesem Artikel führte Pipes aus, daß die Geiselnahme durch tschet­ schenische Terroristen in Beslan im Jahre 2004 nicht mit den Ereignissen vom 11. September 2001 verglichen werden könne, und er warnte die russische Führung, daß der tschetschenische Terrorismus nicht stoppen werde, bis Rußland der ab­ trünnigen Region die volle Selbständigkeit gewähren werde. Pipes schrieb: »Die Russen sollten von den Franzosen lernen. Frankreich war dereinst auch in einen blutigen Kolonialkrieg verwickelt, in dem Tausende Opfer terroristischer Gewalt wurden. Der Algerienkrieg begann 1954 und zog sich hin, ohne daß ein Ende in Sicht war, bis Charles de Gaulle den Konflikt 1962 durch die Gewährung der Un­ abhängigkeit löste. Diese Entscheidung war sicherlich wesentlich schwerer als die Wahl, vor der Präsident Putin gestellt ist, weil Algerien wesentlich größer war, mehr zur Wirtschaft Frankreichs beitrug, als es Tschetschenien für Rußland tut, und Hunderttausende von französischen Staatbürgern dort lebten... Solange Ruß­ land nicht dem Beispiel Frankreichs folgt, wird die terroristische Gefahr nicht ge­ mildert... Rußland, das größte Land der Welt, kann sich den Weg einer winzigen kolonialen Unabhängigkeit leisten, und es sollte diesen Weg auch ohne Verzöge­ rung gehen.«2672 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang auch, daß US-amerikanische ThinkTanks jene Kräfte in Rußland unterstützen, die in Opposition zur Tschetschenien­ politik P utins stehen. Boris N emzow von der russischen >Union Rechter Kräfte< und der Liberale Wladimir Ryschkow beispielsweise, zwei Anhänger Jelzins und seiner

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Privatisierungspolitik, waren entschiedene Gegner von Putins Tschetschenienpoli­ tik. »Unterstützung erhalten sie von der Moskauer Filiale des Carnegie Endow­ ment for International Peace, einem Think-Tank in Stiftungsform, der mit der pri­ vaten Rand Corporation (USA) zusammenarbeitet. Von der Rand Corporation stammt der Plan zum >Greater Middle EastAusfransen< des Nordkaukasus das >Great Game< für die USA so gut wie gewonnen. Aufgrund der geopolitischen Bedeutung Tschetscheniens - es liegt auf der Landenge zwischen dem Kaspischen Meer und dem Schwarzen Meer am Nordrand des Kaukasus - hätten die USA das Tor zum Kaukasus und damit zu den Erdölfeldern in der Hand; Rußland hingegen würde nicht nur den Zugang zu dieser Region vollkommen verlieren; sogar seine territo­ riale Integrität als solche wäre in Frage gestellt, wie Friedensforscher Detlef Bimbo­ es schreibt: »Eine Abspaltung Tschetscheniens würde den Einfluß Rußlands in der Region weiter schwächen und zugleich seine territoriale Unverletzlichkeit in Frage stellen. Eine Ausbreitung der Konflikte auf den gesamten instabilen Nordkauka­ sus wäre dann nicht mehr ausgeschlossen. Für Rußland ist das sehr gefährlich, weil dadurch das zerbrechliche Miteinander der russischen Regionen mit ihren vielen Völkerschaften insgesamt ins Rutschen kommen könnte. Überdies besitzt der Nord­ kaukasus auch erhebliche militärstrategische Bedeutung als Truppenstützpunkt. Er ermöglicht den Zugang zum Südkaukasus und zur gesamten türkisch-iranischen Grenze.«2674 Kurz gesagt: Mit einer Abspaltung Tschetscheniens wären die Pläne Brzezinskis - nämlich die Teilung der Russischen Föderation auf lange Sicht - in greifbare Nähe gerückt, und genau dieser Umstand macht die geopolitische Bedeutung Tschet­ scheniens im globalen Konfliktfeld zwischen eurasischer Landmacht und atlanti­ scher Seemacht klar. Wie Afghanistan ist es gleichzeitig wichtiges Transitland für Pipelinekorridore und ebenso ein Katalysator für Destabilisierungsstrategien mit Hilfe der islamistischen Waffe gegen das eurasische >HerzlandGemeinschaft Unabhängi­ ger Staaten< und der >Vertrag über kollektive Sicherheit von Taschkent< von 1992 übernehmen. Wie oben bereits dargestellt, konnte jedoch keine dieser Einrichtun­ gen das russische Ziel einer vertieften Integration des postsowjetischen Raumes

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sicherstellen. Statt dessen kam es - nicht zuletzt befördert durch die US-Machtelite im Hintergrund - zu geopolitischen Differenzierungsprozessen, die gerade in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre immer deutlicher zutage traten und die sich so eine Studie von Andrea Schmitz von der Stiftung Wissenschaft und Politik unter dem Titel Partner aus Kalkül - Russische Politik in Zentralasien - gerade auch im geo­ politisch wichtigen Zentralasien abzeichneten. Dort - so Andrea Schmitz - sind die drei ressourcenreichsten Staaten Kasach­ stan, Usbekistan und Turkmenistan sowohl voneinander als auch von der Russi­ schen Förderation außenpolitisch auf Distanz gegangen. Kasachstan zum Beispiel hat laut Schmitz nach der Auflösung der UdSSR eine Außenpolitik betrieben, die auf weitestgehende Unabhängigkeit und Sicherung eines größtmöglichen Hand­ lungsspielraumes ausgerichtet gewesen ist. Demgegenüber hat sich Usbekistan zu Beginn seiner staatlichen Unabhängigkeit zunächst verstärkt an Rußland ausge­ richtet. »Dies hatte nicht zuletzt mit dem tadschikischen Bürgerkrieg (1992-1997) zu tun, in dem Rußland wie Usbekistan die Kriegspartei um den später zum Präsi­ denten gewählten Emomali Rahmonov unterstützten. Im Gefolge der seit 1993 ver­ stärkten militärischen Präsenz Rußlands in Tadschikistan und seines wachsenden Einflusses dort kühlten aber nicht nur die usbekischen Beziehungen zu Tadschiki­ stan, sondern auch die zu Rußland zunehmend ab.«2679 Andrea Schmitz zufolge löste sich Usbekistan ab 1995 dann aus den von Ruß­ land geprägten Strukturen und suchte statt dessen eine engere Anlehnung an den Westen, insbesondere an die USA. »Gegen Ende der neunziger Jahre zog sich das Land aus der militärischen Kooperation im Rahmen des - 1992 auf seine Initiative hin geschlossenen - >Vertrags über Kollektive Sicherheit< (CST) zurück und verließ die Organisation im April 1999 auch formell, indem es auf eine Vertragsverlänge­ rung verzichtete.«2680 Turkmenistan bemühte sich frühzeitig, sich russischen Bestrebungen zur Ein­ flußsicherung zu entziehen. Es »schlug schon früh einen Sonderweg ein und trat keinem der neuentstandenen multilateralen Bündnisse bei. Als einziger der fünf zentralasiatischen Staaten verzichtete Turkmenistan auch auf die sicherheitspoliti­ sche Zusammenarbeit innerhalb des CST und beendete 1993 die bilaterale Koope­ ration mit Rußland bei der Grenzsicherung. Im selben Jahr erklärte Turkmenistan seine >dauernde NeutralitätPartnership for Peacenahen Auslands< gen »weiten Westen«,2684 das die Sicher­ heitslage Rußlands erheblich verschlechtert habe: »Rußland ist nicht mehr durch den >Sanitätskordon< aus Verbündeten des Warschauer Paktes von den NATO-Staaten getrennt, und russisches Territorium kann nicht mehr nur mit Langstreckenraketen erreicht werden, sondern liegt gerade mal einen Steinwurf entfernt«2685 - eine pre­ käre Lage, die zudem noch dadurch verstärkt wurde, daß Georgien, Usbekistan, die Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien über die GUUAM ein regionales Bünd­ nis unter der Schirmherrschaft der NATO gegründet hatten. Die Sicherheitslage Rußlands wurde Ende der neunziger Jahre auch durch die Politik der Ukraine beeinträchtigt. Diese begann, sich zunehmend Richtung NATO auszurichten, und schlug alle russischen Vorschläge zu gemeinsamen Aktivitäten im außenpolitischen und im militärischen Bereich aus. Zudem hatte sie im Rahmen der GUS die wichtigste der gemeinsamen Vereinbarungen nicht unterzeichnet, nämlich die über die Koordination der außenpolitischen Tätigkeit, über die Regu­ lierung der Konflikte und die friedensstiftende Tätigkeit auf ihrem Territorium. Auch nahm sie am gemeinsamen Rat der Verteidigungsminister der GUS nicht teil und weigerte sich überdies, den Vertrag über die kollektive Sicherheit zu unter­ zeichnen. Die Abhängigkeit der Ukraine im Energiebereich von russischem Gas und Erdöl w urde d urch direkte Lieferungen aus Turkmenistan und anderen zentral­ asiatischen Staaten erheblich gelockert.2686 In Osteuropa war daher lediglich Weiß­ rußland als Verbündeter übriggeblieben. Wie der Sicherheits-Experte Harald Müller hervorhebt, war herausragendes Strukturmerkmal der Weltpolitik am Ende der neunziger Jahre und des beginnen­ den 21. Jahrhunderts daher die »Unipolarität«: Es gab nur eine einzige wirkliche Supermacht, die Vereinigten Staaten2687 - eine Konstellation, die für die geopoliti­ sche Lage Rußlands bedrohlich war: Neben verstärkten Rüstungsinvestitionen »ha­ ben die USA in Regionen, die für über hundert Jahre als legitimes und unbestrittenes russisches Einflußgebiet galten, nämlich im Kaukasus und in Zentralasien, unver­ mutet und zum Schreck der Moskauer Führung einen machtpolitischen Wettbe­ werb entfacht, der sich um die Kontrolle der dortigen Energievorkommen und die Transportwege für Erdgas und Erdöl dreht. Unter diesen Auspizien - ein ernster Konflikt um territoriale Fragen, die die Sicherheit und die vitalen Interessen Ruß­

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lands (nicht aber der USA) berühren - wirkten die amerikanischen Raketenabwehr­ und Weltraumpläne auch für die Russen bedrohlich...«.2688 Verschärft wurde diese Lage noch durch einen weiteren Umstand - die Ausbrei­ tung der NATO, verbunden mit einer globalen militärischen Eingreifbereitschaft des transatlantischen Bündnisses. Mit dem 1999 verabschiedeten >Neuen Strategi­ schen Konzept< hatten es die USA erreicht, eine Umgestaltung der NATO zu einer Hilfspolizei für weltweite Krisenherde mit dem Schwerpunkt auf dem >euro-atlan­ tischen Raum< durchzusetzen, ohne auf eine spezielle völkerrechtliche Ermächti­ gung durch den UN-Sicherheitsrat angewiesen zu sein. Der Weg hierzu wurde mit der Eskalationspolitik der NATO gegen Jugoslawien im Oktober 1998 mit der >Ac­ tivation Order< gebahnt, auf deren Grundlage militärische Einsätze unmittelbar durchgeführt werden konnten. Diese >Activation Order< sollte schließlich zur Grund­ lage künftiger NATO-Operationen werden: »Die NATO wird sich in ihrem neuen Strategischen Konzept nicht auf Formulierungen festlegen, die eine Einschränkung der militärischen Handlungsfreiheit des Bündnisses - sei es durch den Sicherheits­ rat der Vereinten Nationen oder durch die OSZE - bedeuten würden. Ein Mandat einer dieser beiden Organisationen wird deshalb eine zwar wünschenswerte, aber keine zwingende Voraussetzung für ein militärisches Engagement der NATO sein.«2689 Damit hatte sich das Nordatlantische Bündnis die Voraussetzungen zur Selbst­ mandatierung gegeben. Die USA als Hegemonialmacht innerhalb dieses Bündnis­ ses konnten daher - ohne Mitbestimmungsmöglichkeiten anderer Mächte - die Rich­ tung vorgeben. Der NATO-Gipfel in Washington vom April 1999 beförderte gleichermaßen auch eine territoriale Ausweitung des militärischen Aktionsradius der NATO. »Prominente Stimmen in Washington hatten schon seit längerem ge­ fordert, daß die NATO zur umfassenden Verteidigung amerikanischer und euro­ päischer Interessen in der Welt befähigt werden müsse und daß in der Diskussion über den >strategischen Zweck der NATO< auch Krisen am Golf oder in der Straße von Taiwan berücksichtigt werden sollten. Außenministerin Madeleine Albright machte bei den Ministertreffen im NATO-Rahmen immer wieder deutlich, daß die strategische Ausrichtung der NATO von der gemeinsamen Verteidigung des Ver­ tragsgebietes hin zum Prinzip der Verteidigung gemeinsamer Interessen geändert werden müsse...«2690 - womit eine globale Ausrichtung vorprogrammiert war. Folgerichtig beschrieb das NATO-Strategiepapier vom April 1999 auch die Risi­ ken, die eine Intervention des atlantischen Bündnisses begründen kann: »In den letzten zehn Jahren sind jedoch auch komplexe neue Risiken für euro-atlantischen Frieden und Stabilität aufgetreten, einschließlich Unterdrückung, ethnischer Kon­ flikte, wirtschaftlicher Not, des Zusammenbruchs politischer Ordnungen sowie der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen... Zu diesen Risiken gehören Unge­ wißheit und Instabilität im und um den euro-atlantischen Raum sowie die mögli­ che Entstehung nationaler Krisen an der Peripherie des Bündnisses, die sich rasch

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entwickeln könnten. Einige Länder im und um den euro-atlantischen Raum sehen sich ernsten wirtschaftlichen, sozialen und politischen Schwierigkeiten gegenüber. Ethnische und religiöse Rivalitäten, Gebietsstreitigkeiten, unzureichende oder fehl­ geschlagene Reformbemühungen, die Verletzungen von Menschenrechten und die Auflösung von Staaten können zu lokaler und selbst regionaler Instabilität führen. Die daraus resultierenden Spannungen können zu Krisen führen, die die euroatlantische Stabilität berühren, sowie zu menschlichem Leid und bewaffneten Kon­ flikten. Solche Konflikte könnten, indem sie auf benachbarte Staaten einschließlich NATO-Staaten übergreifen oder in anderer Weise, auch die Sicherheit des Bünd­ nisses oder anderer Staaten berühren... Sicherheitsinteressen des Bündnisses kön­ nen von anderen Risiken umfassenderer Natur berührt werden, einschließlich Akte des Terrorismus, der Sabotage und des organisierten Verbrechens sowie der Unter­ brechung der Zufuhr lebenswichtiger Ressourcen.«2691 Dieses beschriebene Krisenszenario paßt genau auf den kaukasischen und zen­ tralasiatischen Krisenherd, und deshalb spricht viel dafür, daß mit der NATOUmformung die Voraussetzungen für das Eingreifen in diese Region geschaffen werden sollten. Folgerichtig wurde von französischer Seite nicht zu Unrecht der Verdacht geäußert, »daß eine auf Interessenvertretung ausgerichtete NATO rasch zu einem bloßen Instrument der amerikanischen Globalstrategie verändert wer­ den könnte«.2692 Mit dieser Umgestaltung und dadurch, daß der NATO der ord­ nungspolitische Vorrang vor allen anderen Konkurrenzorganisationen eingeräumt wurde, war schließlich im Kern nichts anderes beabsichtigt, »als das Sprungbrett für die amerikanische Weltherrschaft herzustellen«.2693 Folgt man dem Sicherheitsexperten Ernst-Otto Czempiel, »hat d ie NAT O das ord­ nungspolitische Interregnum der neunziger Jahre mit ihrem Anspruch beendet, ihre Vorstellung von Weltordnung durchzusetzen... Insofern kommt dem Neuen Strategischen Konzept der NATO vom April 1999 sehr wohl die Bedeutung zu, mit der Bereitschaft zur gewaltsamen Durchsetzung die euro-atlantischen Interessen in den Rang einer Weltordnung zu erheben. Das Programm bildete sozusagen die kollektive Vorstufe der Entwicklung nach dem 11. September, in der die amerika­ nische Führungsmacht nun auch die NATO hinter sich ließ und die Herstellung einer Weltordnung mit der Verwirklichung amerikanischer Interessen gleichsetzte«. 2694 Außerdem waren es innerhalb des transatlantischen Bündnisses die USA, von deren Initiative oder zumindest doch Zustimmung der Erfolg dieser neuen Weltordnung abhängig war.2695 Wie Lothar Rühl hervorhebt, bewirkte das >Neue Strategische KonzeptPeripherie< gehören ehemalige Sowjetrepubliken in der Kaukasusregion wie Ar­ menien und vor allem Aserbaidschan. US-Multis möchten von den dortigen Ölvor­ kommen am Kaspischen Meer eine Pipeline zum türkischen Mittelmeerhafen Cey­ han verlegen. US-Truppen haben den Schutz dieser Ressourcen schon im Manöver geprobt - daheim in den USA.«2700 Zur gleichen Einschätzung kommt auch Lothar Rühl: Mit dem neuen Strategie­ konzept, dem Kosovo-Krieg und dem Umstand, daß die NATO-Aufnahme südost­ europäischer Staaten wie Bulgarien, Rumänien und Mazedonien auf die Bündnis­ agenda gesetzt wurde, »öffnete sich am Horizont der Jahrhundertwende die Schwarzmeer-Dimension der europäischen Sicherheit mit der verbündeten Türkei nicht länger nur als südöstlicher Eckpfeiler der NATO, sondern künftig im Zen­ trum der Krisenbeherrschung an der südlichen Peripherie Europas zwischen Bal­ kan, Ägäis, Levante und Kaukasus als dem größten Küstenland des Schwarzen Meeres, unverändert mit der Kontrolle der Meerengen und des Übergangs zum Mittleren Osten«.270 Mit dem NATO-Gipfel 1999 erhielten die Kaukasusstaaten Georgien, Kasachstan und Aserbaidschan sowie die zentralasiatischen Staaten Us­

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bekistan, Turkmenistan und Tadschikistan den Status von NATO-Partnerschafts­ ländern.2702 Diese Entwicklungen führten zur einer Verschiebung der geopolitischen Gewichte in Eurasien zu Lasten Rußlands. Die erste Etappe der NATO-Osterweiterung mit den Staaten Polen, Ungarn und Tschechische Republik auf dem Gipfel in Madrid, der eingeleitete >Stabilitätstransfer< in Richtung Südosteuropa, beginnend mit der militärischen Intervention der NATO in Jugoslawien und endend in einer quasi­ unabhängigen Autonomie des Kosovo unter einem internationalen Protektorat in militärischer NATO-Regie, konnte als eine Ausbreitung der euro-atlantischen Ein­ flußsphäre mit einer Zurückdrängung Rußlands begriffen werden.2703 Den Analy­ sen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge zeichnete sich auch genau das ab. Die Teilung der GUS und die Schaffung eines transatlantischen Sperrriegels, der von der Ukraine über Georgien, Aserbaidschan, Turkmenistan, Usbekistan und Kir­ gistan reichte, sollte eine Einkreisung Rußlands an dessen Südflanke bewirken. »Der Konflikt auf dem Balkan hat die Nachfolgestaaten der Sowjetunion, die in der GUS organisiert sind, endgültig in zwei Lager geteilt: Rußland, Belorußland und Ka­ sachstan sehen im Westen den selbsternannten Weltgendarmen, der keinerlei Rück­ sicht mehr auf Moskau nimmt. Andere GUS-Staaten haben das Vorgehen der NATO gegen Serben-Führer Milosevic begrüßt, meist nicht ganz uneigennützig. Sie hof­ fen auf westliche Hilfe, um sich vom übermächtigen Nachbarn Rußland lösen zu können - neben der Ukraine und Moldawien gehören die Kaukasus-Staaten Geor­ gien und Aserbaidschan zu dieser Gruppe und gleich drei der fünf zentralasiati­ schen Republiken: Usbekistan, Kirgisien und Turkmenistan. Moskau ist alarmiert. Rußlands südliche Anrainer würden von der NATO immer >enger umarmt< und versuchten >hartnäckig, die Tür ins westliche Militärbündnis< aufzustoßen, erregte sich die Nesawissimaja Gazeta. NATO-Emissäre hätten in den letzten Wochen (nach dem Kosovokrieg, der Verf.) fast alle Hauptstädte der Nachbarstaaten besucht vom georgischen Tiflis bis zum kirgisischen Bischkek. Russische Geostrategen sind davon überzeugt, daß unmittelbar vor der eigenen Haustür ein neuer Militärblock entstehen soll, auf den Moskau keinen Einfluß mehr hat. Wie ein Riegel würde er sich quer vor die Südflanke legen - vom Schwarzen Meer bis weit nach Asien hin­ ein, mitten durch eine Region, die politisch instabil, aber reich an Erdöl und wich­ tigen Transportrouten ist. Damit würde die einstige Großmacht Rußland einge­ schnürt und endgültig zum Papiertiger degradiert. Seit dem NATO-Gipfel Ende April in Washington sind das keine abstrakten Befürchtungen mehr«2704 - auf In­ itiative der USA wurde die GUUAM ins Leben gerufen, und infolgedessen traten Usbekistan und Georgien aus dem GUS-Verteidigungsbündnis, dem Vertragssystem von Taschkent, aus. Georgien begann umgehend mit der Schließung russischer Stützpunkte, die Moskau noch auf dem Territorium dieser Kaukasusrepublik unterhielt. »Wir müs­ sen uns dem Einfluß Rußlands entziehen«, bekräftigte der georgische Staatschef

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Eduard Schewardnadse. Seinem Sicherheitsrat befahl er zugleich, eine neue Mili­ tärkonzeption auszuarbeiten: Georgiens 33000 Mann starke Armee sollte moder­ nisiert und auf NATO-Standards festgelegt werden. Der georgische Verteidigungs­ minister David Tewsadse bestellte im Westen neue Waffen und Küstenschutzboote, georgische Offiziere wurden von Amerikanern und Deutschen geschult, Unifor­ men in England und der Türkei geschneidert.2705 Aserbaidschan beschleunigte weiterhin seinen proamerikanischen Kurs, den es in den neunziger Jahren ohnehin gesteuert hatte. Staatschef Alijew unterstützte den Luftkrieg gegen Serbien und bot Soldaten für die NATO-Friedenstruppe an. Das, so der seinerzeitige US-Botschafter Stanley Escudero gegenüber dem Parlament in Baku, »werde in Washington nicht ohne Aufmerksamkeit bleiben«. Vieles spricht dafür, daß Alijew hoffte, die NATO könne bei der Rückgewin­ nung der Provinz Berg-Karabach behilflich sein, die 1992 an Armenien verloren­ ging, und zwar durch die Stationierung einer NATO-Truppe wie im Kosovo. 2706 Aser­ baidschan sah »sich ermutigt durch den stellvertretenden NATO-Generalsekretär Klaus-Peter Klaiber, der jüngst in Baku von einer >außerordentlich wichtigen Rolle der Region in der künftigen globalen Sicherheitsarchitektur< sprach. Zum Gipfel der GUS-Verteidigungsminister Ende Mai (1999, der Verf.) im armenischen Eri­ wan schickte Aserbaidschan gar keinen Vertreter mehr, aus Tiflis reiste lediglich ein >Beobachter< an. Armenien, seit dem Karabach-Krieg erbitterter Gegner Aser­ baidschans, ist Moskaus letzter Verbündeter im Kaukasus«.2707 Um an der Grenze zur NATO überhaupt noch Präsenz zeigen zu können, bauten die Russen ihre militärischen Stützpunkte in Armenien aus und erweiterten dort ihr militärisches Potential. Sie verlegten MiG-Kampfjets sowie modernisierte Ab­ wehrraketen in den Süden und bauten Armenien - ihren einzigen noch verbliebenen Verbündeten im Kaukasus - in ihr Luftverteidigungssystem ein. Aber im Hinter­ grund versuchten nach Einschätzung russischer Beobachter die USA hier, die pro­ russische Regierung in Eriwan zu stürzen, indem sie die prowestliche Opposition förderten.2708 Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zusammenfaßte, war die unmittelbare Folge des NATO-Gipfels vom April 1999 ein Vorstoß des transatlan­ tischen Bündnisses Richtung Zentralasien: »Usbekistan rüstet konsequent auf ame­ rikanische Technik um - zum Leidwesen der russischen Waffenindustrie. Offiziere der 80000 Mann starken Armee besuchen US-Akademien, und als jüngst der Chef der amerikanischen Streitkräfte im Nahen Osten, General Anthony Zinni, Usbeki­ stan und das benachbarte Kirgisien bereiste, hieß es schon, die USA würden in Kü r­ ze Stützpunkte in Zentralasien errichten - vorerst wurde die Nachricht dementiert. Selbst in Turkmenistan, das lange einen Neutralitätskurs verfolgte, ist den Amerika­ nern der Einbruch gelungen: Staatsführer Saparmurad Nijasow will demnächst ein Kooperationsabkommen mit der NATO unterzeichnen. Den Vertrag mit Rußland über den gem einsamen Grenzschutz hat er bereits einseitig gekündigt - von Novem­ ber an sollen Turkmenen die Übergänge nach Iran und Afghanistan schützen.«2709

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Mit der Zeitung Nesawissimaja Gaseta ist damit festzuhalten, daß der KosovoKonflikt ein Katalysator für die Expansion der NATO Richtung Schwarzes Meer, Kaukasus und Zentralasien war. Doch die Vollendung der antirussischen Einkrei­ sungsstrategie sollte der Administration George W. Bushs vorbehalten sein.

1 Die strategischen Voraussetzungen der USA unter George W. Bush - der 11. September als Katalysator für die Einbeziehung der US-Militärmacht im kaukasisch-zentralasiatischen Raum Die strategischen Schachzüge der USA in den neunziger Jahren sind in der Rück­ schau als vorbereitende Maßnahme für die Entwicklungen anzusehen, die insbe­ sondere nach dem 11. September 2001 eintreten sollten. Die Zentralasien- und Ruß­ landpolitik der Administration George W. Bushs griff diejenige der neunziger Jahre nicht nur auf, sondern sollte diese noch ausweiten. »Strategisches Denken«, so Peter Rudolf, war das prägende Element der Bush-Administration,2710 mit dem Ziel der hinter Bush stehenden neokonservativen Machtelite der >Projektgruppe für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert< (PNAC), eine »strategy of Predominance« entsprechend dem Defence Policy Guidance 1992-1994 zu errichten. Deren Strategie­ papier Rebuilding America‘s Defenses erklärte einleitend: »Die Vereinigten Staaten sind die einzige Supermacht der Welt... Gegenwärtig steht den USA auf der Welt kein gleichrangiger Rivale gegenüber... Amerikas Hauptstrategie sollte darauf abzielen, diese vorteilhafte Position so weit in die Zu­ kunft wie möglich zu bewahren und auszubauen. Es existieren jedoch potentiell machtvolle Staaten, die mit der gegenwärtigen Situation unzufrieden und deswe­ gen bestrebt sind, sie zu ändern, wenn sie können...«2711 Was Präsident Clinton im Wege der wirtschaftlichen Durchdringung und einer Globalisierungsstrategie durchzusetzen gedachte, sollte durch die Bush-Admini­ stration militärisch erweitert werden, wie der Pentagon-Berater Thomas M. Bar­ nett vorgedacht hatte (vgl. oben). Die Verhinderung des Aufstiegs eines geopoliti­ schen Rivalen, der die Verfügungsgewalt über Rohstoffe erhalten könnte, die es ihm erlauben würden, den Status einer Großmacht zu erlangen, war ein Bestand­ teil der außenpolitischen Agenda der Bush-Administration ebenso wie die Durch­ setzung eines ökonomischen »leidenschaftlichen Neoliberalismus« (so Sicherheits­ experte Harald Müller), verbunden mit einer Strategie der >Regimewechselstra­ tegic communityRand Corporation< und bekleidete den Chefposten des internen Planungsstabes im Pentagon. Er gilt als »einer der gedan­ kenreichsten und unabhängigsten Denker der strategischen Profession«.2714 1999 ließ er Asiens Zukunft bis 2025 untersuchen und kam zu dem Ergebnis, daß die USA gerade auf dem asiatischen Kontinent eine verstärkte militärische Präsenz aufbauen müßten. Seine Grundannahme lautete: »Asien ist einer der am schnellsten wachsenden Energiemärkte, aber auch eine der energiereichsten Regionen der Erde. Von der Türkei und dem Transkaukasus über den Mittleren Osten bis hin nach Zentralasien oder auch Myanmar, dem ehe­ maligen Burma - die Konfliktpotenziale sind so umfangreich wie die Energie­ ressourcen. In Asien entstanden und entstehen neue Nuklear- und Raketenmäch­ te... Im Vergleich zu ihrem eigenen Anspruch weltweiter militärischer Hegemonie und Dominanz sind die Möglichkeiten amerikanischer militärischer Machtprojek­ tion hier jedoch vergleichsweise begrenzt. Im Gegensatz zu Europa fehlen feste, effiziente militärische Bündnisstrukturen, umfassende Stationierungsrechte und we­ sentliche Elemente militärischer Integration oder gar der militärischen Interopera­ bilität mit örtlichen Partnern. Die Entfernungen sind viel größer, so daß die Reich­ weite und Fähigkeiten vieler Waffensysteme, die für die Szenarien des Kalten Krieges in Europa entwickelt wurden, für eine effiziente militärische Machtprojek­ tion in Asien unzureichend erscheinen.«2715 Marshall ließ am Naval War College in einem Gedankenspiel Asiens Entwick­ lungsperspektiven und die Handlungsmöglichkeiten der USA bis zum Jahre 2025 vordenken. »Heute beeinflussen die Ergebnisse des Experiments die reale Strategie­ planung Washingtons.«2716 In Asien wird Marshall zufolge in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts unweigerlich eine umfassende Neuverteilung globaler Macht statt­ finden. Das gelte für Ost-, Süd-, Zentral- und auch für Südwestasien. In weiten Teilen Asiens seien die USA jedoch für eine solche Entwicklung schlecht gerüstet. »Heute sind die USA vor allem in Ost- und Nordostasien präsent - in Japan und auf der koreanischen Halbinsel. Künftig - so die Vorhersage - müssen die USA vor allem im Süden und Südwestasien sowie in Zentralasien engagiert sein. Denn dort befinden sich nicht nur die größten Energievorkommen, dort verlaufen künftig auch die wichtigsten Energieversorgungswege der Welt. Wenn Asiens Energieverbrauch so stark steigt, wie angenommen, dann verdient dies die besondere Aufmerksam­ keit der Vereinigten Staaten. Aufmerksamkeit meint vor allem auch militärische

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Präsenz. Diese bedingt erweiterte Stationierungsrechte, strategische Allianzen und veränderte Planungen für das Militär der USA... Neue Handlungs- und Stationie­ rungsmöglichkeiten für amerikanische Truppen in Asien zu schaffen, ist besonders wichtig.«2717 Neben Überlegungen zur Verlegung amerikanischer Streitkräfte nach Ostasien, Südwestasien und Südostasien formulierte Marshall auch ein >No-Rivalsearly oil< taugte, jedoch keine Kapazitäten für die größeren Ölmen­ gen besaß. Diesen Mangel wollte die US-Machtelite ja durch den Bau der BTCPipeline ausgleichen, die Rußland umgehen und energiestrategisch isolieren sollte. Doch schien es zu jener Zeit fraglich, ob dieses gigantische Pipelineprojekt über­ haupt verwirklicht werden konnte; die beteiligten Ölkonzerne lehnten dieses Vor­ haben aus Kostengründen zunächst rundweg ab. Diese Pattsituation wußte Ruß­ land umgehend in seinen strategischen Vorteil zu verwandeln, indem es eine Pipeline von Tengiz in Kasachstan über die nördliche Küste des Schwarzen Meeres auf russischem Gebiet nach Noworossijsk baute. Was dies für das Machtgefüge im Great Game am Kaspischen Meer bedeutete, enthüllte die Neue Zürcher Zeitung: »Zum einen bleibt Kasachstan damit abhängig von seinem nördlichen Nachbarn, zum anderen kann Rußland während der rund 40jährigen Lebensdauer der Pipe­ line mit Transitgebühren und Steuereinnahmen in der Höhe von über 20 Milliar­ den Dollar rechnen. Der Bau bedeutet zudem einen Schlag für das in M oskau unge­ liebte Projekt Baku-Ceyhan. Um rentabel zu werden, würde jene Pipeline neben aserbaidschanischem auch Erdöl aus anderen Quellen brauchen. Die Anhänger des Projekts hofften deshalb auf Ressourcen aus Kasachstan, die von dort per Schiff oder über eine Unterwasserleitung nach Baku transportiert würden. Kasachisches Öl steht jedoch auf absehbare Zeit nicht zur Verfügung: Mit der Pipeline nach No­ worossisk existiert nun ein viel kürzerer Weg. Geschickt hat Moskau seit der Macht­ übernahme Putins noch eine weitere Trumpfkarte ausgespielt und die Quote für

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kasachisches Öl, das in das übrige russische Pipelinenetz eingespeist werden darf, kontinuierlich auf über 17 Millionen Tonnen jährlich verdoppelt.«2729 Eine ähnliche Niederlage zeichnete sich für die USA auch im Erdgasbereich ab. Jahrelang setzte sich Washington dafür ein, daß Turkmenistan neue Optionen für den Export seiner Gasressourcen erhielt, damit es aus seiner Abhängigkeit vom russischen Transportmonopol gelöst werden konnte. Wie oben dargestellt, sollte hier Afghanistan als Transitland ins Spiel kommen, was allerdings am Widerstand der Taliban gegen die amerikanischen Forderungen scheiterte. Statt dessen sollte ähnlich wie die Erdölroute Baku-Ceyhan eine Erdgasverbindung TurkmenistanAserbaidschan-Georgien-Türkei einen Westkorridor und damit neue Realitäten in der kaspischen Region zugunsten der USA schaffen. Wie die Neue Zürcher Zei­ tung darstellte, sollte nun aber nicht diese Pipeline, sondern das russische Projekt >Blue StreamBlue Stream< wird diese Abhängigkeit noch weiter zunehmen.«2730 Insgesamt bleibt für die Zeit um 2000/2001 also festzuhalten, »daß die Regie­ rung der USA in der kaspischen Region eines ihrer wichtigsten Ziele verfehlt hat die Schaffung eines leistungsfähigen Westkorridors«2731 und die Abdrängung Ruß­ lands. Die US-Machtelite erkannte, daß jetzt nur noch eine militärische Intervention helfen konnte, um die in den neunziger Jahren entwickelten strategischen Ziele auf dem eurasischen Korridor bis an die chinesische Westgrenze zu verwirklichen. »Die erfolgreiche Umsetzung der Seidenstraßenstrategie«, so Michel Chossudovsky, »hat also die Militarisierung des eurasischen Korridors zur Voraussetzung, um die Kon­ trolle über die ausgedehnten Öl- und Gasvorkommen zu gewinnen und die Pipe­ lines zugunsten britisch-amerikanischer Ölkonzerne zu schützen.«2732 Alarmierend für die US-Machtelite war zudem der neue außenpolitische Kurs Rußlands innerhalb der GUS, der unter der Präsidentschaft Wladimir W. Putins eingeleitet wurde. Als Antwort auf den zunehmenden Einfluß der USA förderte Putin seit seinem Machtantritt die Stärkung der militärischen und wirtschaftlichen Zusammenarbeit innerhalb der GUS. Wie Rainer Freitag-Wirminghaus schreibt, war nach Jahren der Konzeptionslosigkeit in der russischen Kaukasus- und Zentral­ asienpolitik unter Jelzin »nach dem Machtantritt Putins eine politische Strategie erkennbar... Putin will sowohl den Südkaukasus und Zentralasien in den russi­ schen Einflußbereich reintegrieren als auch die wirtschaftlichen Möglichkeiten in Kooperation mit den Staaten am Kaspischen Meer und den westlichen Ölgesell­

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schaften nutzen. Die Politik Moskaus ist klarer und kohärenter geworden, wäh­ rend das Ziel, die Rückgewinnung der angestammten Einflußsphäre, das gleiche geblieben ist«.2733 Diese beiden Entwicklungen - die Rückkehr Moskaus im Energiepoker und die Bemühungen der neuen Regierung Putin, Rußland zum Integrationsknoten Eura­ siens neu zu formieren - machten für die US-Machtelite Gegenstrategien erforder­ lich. Der nach dem 11. September ausgerufene >Kampf gegen den Terrorismus< war daher der ideale Vorwand für die USA, militärische Stützpunkte in der Kri­ senregion Zentralasien und Kaukasus zu errichten, wo ethnischer und islamisch motivierter Irredentismus zum Bestandteil der politischen Kultur gehören. Diese Auffassung teilt auch Peter Pilz: »Auch für die Beherrschung des Ölbogens durch Zentralasien war der 11. September nur der Anlaß. Schon 1996 wurde mit CENT­ RASBAT der Grundstein gelegt. Zu >humanitären< Zwecken vereinbarten die USA mit Usbekistan, Kasachstan und Kirgistan militärische Zusammenarbeit. Seit 1997 werden vor allem usbekische Soldaten in Fort Bragg trainiert. Seit dieser Zeit las­ sen die drei Staaten ihre Militärs gemeinsam mit den USA in der Region üben. Alles folgt dem bewährten Muster: zu humanitären Zielen so lange ausbilden und üben, bis der regionale Partner ein verläßlicher Satellit ist.«2734 In die gleiche Richtung argumentierte auch die Wirtschaftswoche.2735 Auch ihrer Einschätzung zufolge war die Sicherstellung der Ölströme ein Kernbestandteil des >Kampfes gegen den TerrorBogen der Instabilität< be­ wirkte jedenfalls - wie beabsichtigt - eine Abspaltung der südlichen eurasischen Peripherie vom russischen Einfluß. Militärische und wirtschaftliche Hilfe des Wes­

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tens eröffnete den zentralasiatischen und kaukasischen Staaten neue Aussichten, die Abhängigkeit vom großen Nachbarn Rußland zu lösen. Diese Auffassung teilt auch Kaukasus-Experte Rainer Freitag-Wirminghaus. Demzufolge hatte der 11. Sep­ tember 2001 den Versuch Putins, die Kontrolle über Zentralasien und den Kauka­ sus zu stärken, zunichte gemacht und gleichzeitig den Staaten dieses Krisenbogens die Möglichkeit eröffnet, »ihre Bindung zum Westen zu intensivieren. Rußland hatte keine andere Wahl, als dies zu akzeptieren...«,2740 und seine Schwierigkeiten, ge­ genüber den US-Interessen eine vorherrschende Rolle in Zentralasien zu spielen, wuchsen seitdem. Auch Andrea Schmitz begreift den 11. September 2001 als die eigentliche Wende in den Beziehungen zwischen Rußland und Zentralasien,2741 und die geopolitische Situation in Zentralasien begann sich grundlegend zu Lasten Ruß­ lands zu verändern.2742 Schließlich war in der Folge der Ereignisse »genau das ein­ getreten, was die russische Regierung verhindern wollte: Die einzige Weltmacht USA nistet sich in Zentralasien, einem Gebiet, das Moskau als Hinterhof und als strategisch entscheidend betrachtet, militärisch ein. Damit wird der Iran eingekreist und China der Weg in den Westen versperrt. Vor allem aber richtet sich diese Poli­ tik gegen Rußland, dessen Einflußsphäre nun nicht mehr an die Region um den energiereichen Golf grenzt«.2743 Den Anstoß zu dieser Desintegrationspolitik erreichten die USA über die Statio­ nierung von Streitkräften in Usbekistan. »Daß Usbekistan von den zentralasiati­ schen Staaten am schnellsten und entschiedensten reagiert hat, bestätigt nur den Trend, der einige Jahre vor dem 11. September begonnen hatte. Die USA hatten immer die Unabhängigkeitsbestrebungen der zentralasiatischen Staaten unterstützt. Dabei hatte sich Usbekistan am weitesten vorgewagt. Es hat die ablehnende Hal­ tung gegenüber den russischen Integrationsbestrebungen angeführt und sich ge­ weigert, im Rahmen der GUS die politische oder militärische Kooperation weiter­ zuentwickeln.«2744 Statt dessen hatte es die Westorientierung besonders mit den USA ausgebaut. Putin war besorgt über die zunehmende Kooperationsbereitschaft der GUS-Staaten mit den USA und ermahnte sie, im Rahmen der GUS zu handeln und die GUS-Institutionen zu nutzen. Vergeblich hatte Moskau versucht, Usbeki­ stan und Kasachstan von ihrer Zusammenarbeit mit den USA zurückzuhalten. Am 14. September 2001 erklärte Verteidigungsminister Sergej Iwanow, daß Zentralasien ureigenste russische Einflußzone sei, für die nur die GUS und der Taschkenter Ver­ trag für kollektive Sicherheit zuständig seien.2745 Usbekistan, das sich der amerika­ nischen Rückendeckung sicher war, entgegnete darauf, es brauche seine Außenpo­ litik mit niemandem zu koordinieren und sei nicht auf Moskaus Erlaubnis angewiesen. Dabei hatten die USA die russischen Belange vollkommen außer acht gelassen. Am 18. September 2001 schickte Putin einen Beauftragten des Sicherheitsrates in die fünf zentralasiatischen Staaten, um die Führungsrolle der GUS zu unterstrei­ chen, was dazu führte, daß deren Präsidenten sich zumindest für einige Tage mit

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öffentlichen Äußerungen zurückhielten. Inzwischen hatte Washington allerdings »die zentralasiatischen Staaten direkt angesprochen und gleichzeitig Moskau klar­ gemacht, daß es russische Einwände gegen die Einbeziehung der Nachbarstaaten Afghanistans in die Antiterrorismus-Koalition übergehen werde. Schon am 16. Sep­ tember bot Taschkent die Nutzung seines Luftraumes an. Als Putin am 24. Septem­ ber sein Veto aufhob, hatten Usbekistan, Kasachstan und Kirgisistan bereits ihren eigenen Weg beschriften«.2746 Die US-Militärpräsenz sollte dabei stillschweigend und heimlich ausgeweitet werden. Nach Gesprächen zwischen der usbekischen Führung mit US-Verteidi­ gungsminister Donald Rumsfeld landeten am 7. Oktober 2001 amtlich US-Elitetrup­ pen in Usbekistan. Erste US-Truppenteile wurden aber bereits am 20. September 2001 gelandet, was von usbekischen Offiziellen noch am 5. Oktober bestritten wurde. Obwohl das US-Truppenmandat als zeitlich begrenzt erklärt wurde, war aber in der Erklärung zwischen Usbekistan und den USA vom 12. Oktober von Beschrän­ kungen dann nicht mehr die Rede; in ihr wurden den USA offiziell Basisrechte eingeräumt.2747 Usbekistan wurde daher zum wichtigsten Verbündeten der USA in Zentralasien. Schließlich war dieser Staat der geopolitisch bedeutsamste dieser Region; ohne Usbekistan konnten die USA keine strategische Schlagkraft in Zen­ tralasien entwickeln, denn es war der größte und mächtigste Staat Zentralasiens mit der Fähigkeit, ein Gegengewicht gegen Rußland zu bilden, was die USA der Zentralasienexpertin Shireen Hunter zufolge schon 1995 erkannt hatten.2748 Dieser Staat »hatte in den neunziger Jahren als einziger... der Region eine Annäherung an die USA versucht. Die Militärkooperation reicht zumindest bis 1995 zurück, als gemeinsame Ausbildungsmaßnahmen begannen; US-Soldaten nahmen seit 1996 an verschiedenen Übungen in Usbekistan teil«.2749 Usbekistan hatte schon 1999 das Sicherheitssystem Rußlands in Zentralasien, den Taschkenter Vertrag über kollektive Sicherheit von 1992, durch Weigerung der Vertragsverlängerung durchbrochen und wurde statt dessen Mitglied des antirus­ sischen Regionalbündnisses der GUUAM. Mindestens 3000 US-Soldaten wurden in Usbekistan stationiert, unterstützt durch 50 bis 60 F-15- und F-16-Kampfflugzeuge, Kampfhubschrauber und Transportflugzeuge. Für die Inbesitznahme des Luft­ waffenstützpunktes Chanabad waren die USA bereit, 150 Millionen Dollar als Ent­ wicklungshilfe zu investieren,2750 etwa dreimal so viel wie im Vorjahr 2001.2751 Zu beachten ist dabei, daß Chanabad mit drei Start- und Landebahnen sowie geräumi­ gen unterirdischen Hangars das größte Militärobjekt im Südosten der GUS ist. Durch diese Form der Zusammenarbeit übertrug Usbekistan den USA faktisch die Rolle eines Sicherheitsgaranten. »In dem Maße, wie sich die amerikanisch-usbekische Partnerschaft intensivierte, zog sich Usbekistan aus der sicherheitspolitischen Ko­ operation im Rahmen der GUS-Strukturen zürück.«2752 Zum zweiten Hauptverbündeten rückte das ölreiche Kasachstan auf, das den Enthüllungen des Focus zufolge die meis te E ntwicklungshilfe der US A erh alten hatte

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und dem von den USA wegen seiner Ölvorkommen ebenfalls eine geopolitische Schlüsselrolle zugewiesen wurde.2753 »Seit der Unabhängigkeit des Landes vor zehn Jahren haben US-Firmen mehr als fünf Milliarden Dollar investiert, vornehmlich ins Öl- und Gasgeschäft.« 2002 erkannte die US-Regierung Kasachstan sogar offizi­ ell als »Freie Marktwirtschaft« an, was Voraussetzung für den ungehinderten Han­ del ist. Nach inoffiziellen Angaben von US-Diplomaten war in den Kreisen der USMachtelite wohl geplant, daß K asachstan die Rolle der Go lfstaaten und insbesondere Saudi-Arabiens in der US-Ölpolitik übernehmen sollte,2754 und deshalb sollte die Militärpräsenz der USA ein erster Schritt zur allmählichen Herauslösung Kasachs­ tans aus dem russischen Einfluß sein. Wenn sich nämlich Rußland und Kasachstan in der Ölproduktion zusammenschließen würden, so könnten sie dem Zentralasien­ experten Lutz Klevemann zufolge ein Machtpotential entwickeln, das sogar die OPEC sprengen könnte.2755 Dies mußten die USA unterbinden, und deshalb ist Kasachstan für die US-Stra­ tegie äußerst wichtig. »Der 15-Millionen-Einwohner-Staat am Kaspischen Meer gilt als kommendes Öl-Dorado. Die großen Erdölfirmen beteiligen sich schon seit Jah­ ren am Poker um das schwarze Gold. Ende der 90er Jahre entdeckte ein internatio­ nales Konsortium neue Offshore-Vorkommen in der Nähe der Stadt Atyrau (Ka­ schagan-Ölfelder), deren Volumen Fachleute auf bis zu 40 Milliarden Barrell... schätzen.«2756 Es wurde damals eingeschätzt, daß Kasachstan - Ölfelder liegen auch in Tengis und Karatschaganak - bis zum Jahr 2010 zum weltweit sechstgrößten Erdölproduzenten mit einer Förderung von rund 100 Millionen Tonnen jährlich aufrücken könne. »Bisher fließt kasachisches Öl nur durch eine Pipeline über Ruß­ land gen Europa. Moskau gab sich bisher alle Mühe, andere Leitungen, die russi­ sches Territorium umgehen würden, zu verhindern.« Kasachstan erhoffte sich daher US-amerikanische Unterstützung für den Bau der an Rußland vorbeiführenden Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan2757 mit einer Verlänge­

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Kasachstans Präsident Nursultan Nasarbajew bei einem Treffen mit Kadetten. Der frühere Metallarbeiter hat das rohstoffreiche Land zum einzigen stabilen Staat Zentralasiens gemacht.

rung nach Kasachstan, so daß auch das kasachische Öl in die BTC-Pipeline einge­ speist werden könnte und Kasachstan auf diese Weise von russischen Pipelines unabhängig würde. Darüber hinaus strebte Kasachstan eine engere sicherheits­ politische Bindung an die USA an. Früher als alle anderen Führer der zentralasiati­ schen Staaten hatte der kasachische Präsident Nasarbajew verkündet, eventuelle Nachfragen Amerikas und der NATO zu einer militärischen Unterstützung wür­ den positiv beschieden.2758 Bereits 1997/98 fanden auf kasachischem Boden NATOManöver statt, und auch Kasachstan, so Rainer Freitag-Wirminghaus, »sucht einen Weg, unabhängig von Rußland die Verbindungen zum Westen zu stärken«.2759 Zur Vergrößerung der Unabhängigkeit von Rußland plante Kasachstan zunächst, eine zweite Pipeline entlang der BTC-Pipeline zu bauen, was sich jedoch als zu kostspielig erwies. Deshalb sprach sich der Pipeline-Chefplaner des kasachischen Präsidenten für einen Pipelinebau Richtung Afghanistan aus, und er begrüßte des­ halb die Stationierung von US-Streitkräften in Zentralasien, weil sie sowohl Ruß­ land als auch China fernhalten würden.2760 Noch bevor überhaupt eine Anfrage aus Washington vorlag, erklärte Nasarbajew im September 2001 seine Unterstützung der USA, und ohne Putin im Rahmen des Vertrages für kollektive Sicherheit einzu­ beziehen, erklärte er, daß Kasachstans nationale Entscheidungen nicht im Rahmen der GUS oder auf Empfehlung Moskaus getroffen worden seien. Anstelle einer Ein­ bindung von US-Streitkräften folgte jedoch eine enge Zusammenarbeit mit der Türkei, dem wichtigsten Verbündeten und Brückenkopf der USA im Nahen und Mittleren Osten: »Nach Gesprächen mit einer türkischen Militärdelegation (19.-21. September) wurde ein türkisches Angebot über die Ausbildung eines kasachischen

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antiterroristischen Elite-Bataillons in der Türkei als Sofortmaßnahme angenommen. Am 9. November wurde zwischen dem kasachischen Verteidigungsministerium und dem türkischen Generalstab ein Abkommen über militärische Unterstützung der Türkei geschlossen.«2761 Eine wichtige Rolle für die US-Strategie in Zentralasien spielt Kirgistan, wo es den USA gelang, durch eine finanzielle Beihilfe in Höhe von 105 Millionen USDollar das Land zu einem Stationierungsabkommen zu bewegen.2762 Nachdem das Abkommen am 6. Dezember 2001 geschlossen worden war, landeten US-Trans­ portflugzeuge am 8. Dezember nahe Bischkek auf dem Flughafen Manas, wo seit­ dem regelmäßig Flugtransporter vom Typ >Galaxy< und F-15-Kampfflugzeuge lan­ deten. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel enthüllte, erfolgte die Stationierung unter Mißachtung bestehender Absprachen mit Rußland: »Zwar darf das Land nach einer Vereinbarung mit Moskau keine fremden Militärbasen einrichten. Doch trick­ reiche Juristen fanden einen Ausweg: Die US-Soldaten gelten als Vertreter einer >besonderen diplomatischen MissionKampf gegen den Terro­ rismus< um einen Vorwand gehandelt hatte, um eine US-Militärpräsenz in Zentral­ asien auf lange Sicht durchzusetzen. »Die amerikanische Basis bei Bischkek«, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, »ist freilich kaum notwendig, um die letzten versprengten Taliban in Afghanistan aufzuspüren.«2764 Kein Geringerer als der da­ malige Vizeverteidigungsminister Paul Wolfowitz führte aus, US-Soldaten in Zen­ tralasien hätten »mehr eine politische als aktuell militärische Funktion«.2765 Gerade in Kirgistan zeigte sich, daß die Stationierung von US-Streitkräften einen geostrate­ gischen Zweck erfüllte. Vieles spricht dafür, daß sie gerade gegen China gerichtet war. Kirgistan nämlich ist der geographische Keil, der China von der kaspischen Region trennt. Ein US-Stützpunkt ermöglicht daher eine Einkreisung Chinas von dessen westlicher, seiner schwächsten Flanke her. Das energiehungrige Reich der Mitte würde auf diese Weise von den Rohstoffen der Kaspi-Region abgeschnitten. Daher kommt Kirgistan im Great Game Zentralasiens eine wichtige strategische Bedeutung zu. Zheng Chenghu, Manager des staatlichen chinesischen Ölkonzerns CNPC, der selber zwei Ölpipelines vom Kaspischen Meer quer durch Kasachstan bis in die westliche Region Xinijang bauen wollte, erklärte: »Nun werden die zen­ tralasiatischen Staaten noch eher dazu neigen, mit amerikanischen Ölfirmen Ver­ träge abzuschließen - und nicht mit uns. Die USA haben jetzt Truppen in Japan, in Taiwan, in Südkorea, in Pakistan und hier - China wird umzingelt.«2766 Aufgrund dieser strategischen Bedeutung wird auch verständlich, warum die USA den Flughafen von Manas gleich auf mehrere Jahre hin gepachtet hatten und der Stationierungsvertrag zwischen den USA und Kirgisien keinerlei Begrenzung

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für Art und Zahl von Kampfflugzeugen vorsah.2767 Dabei war es nach der Einschät­ zung von Zentralasien-Experten wohl hauptsächlich das US-Kapital, das die Ent­ scheidung der kirgisischen Führung beeinflußt hat: »Keine geringe Rolle bei der kirgisischen Entscheidung dürfte der Umstand gespielt haben, daß... das Land 7000 US-Dollar für jeden Start und jede Landung eines großen Flugzeuges erhalten wird.«2768 Auch in Tadschikistan, dem >Vorposten Rußlands< in Zentralasien, gelang es den USA, militärisch Fuß zu fassen, wobei deren Versuche, das bislang auf Moskau festlegte Land näher an sich zu binden, einer >Undercover-Aktion< ähnelten.2769 »Ohne Aufsehen besichtigte ein US-Expertenteam Ende Dezember den Flugplatz im südtadschikischen Kuljab, der einst der afghanischen Nordallianz für den Waffen­ umschlag diente. Bereits einen Monat zuvor hatte Washington mit der Regierung in Duschanbe ein Stationierungsabkommen unterzeichnet. Der Vertrag erlaubt den amerikanischen Militärs, zusammen mit Truppen auch >Ausrüstungs- und Versor­ gungsgegenstände< ins Land zu bringen - unbegrenzt und unkontrolliert. US-Di­ plomaten stellten den überraschten Tadschiken sogar in Aussicht, ihre Armee von russischem Material auf NATO-Gerät umzurüsten. Parallel dazu bemüht sich Washington gezielt um Spitzenvertreter der politischen Elite und lud etwa den Vize­ premier und altgedienten Islamistenführer Akbar Turadschonsoda zu einer DreiWochen-Tournee durch amerikanische Universitätsstädte ein.«2770 Rainer FreitagWirminghaus zufolge sollte die Einbindung von US-Streitkräften der Grundstein für eine wirtschaftliche Zuammenarbeit sein.2771 Damit gelang es den Amerikanern, einen mehr als dreitausend Kilometer lan­ gen Keil in Eurasien hineinzutreiben, der von Georgien am Schwarzen Meer bis nach Kirgistan an die chinesische Grenze reichte. Diese Kette von militärischen Stütz­ punkten entsprach dabei genau dem Verlauf des Ost-West-BTC-Transportkorridors als Rückgrat der >Neuen SeidenstraßenstrategieKampf gegen den islami­ schen Terrorismus< motiviert war, wird daran deutlich, daß schon im Juli 2001 pa­ kistanische Politiker darüber informiert waren, daß Pläne für einen US-Angriff auf Afghanistan fertig gewesen seien, die auch von Stützpunkten in den ehemaligen Sowjetrepubliken ausgehen sollten.2774 Damit liegt nahe, daß schon lange Zeit zu­ vor bereits Absprachen zwischen den USA und den zentralasiatischen Staaten vor­ gelegen haben müssen, die den US-Streitkräften eine dauerhafte Militärpräsenz ein­ räumen sollten. Diese Tatsache und die Zusammenarbeit, die sich zwischen den USA und den zentralasiatischen Staaten in den neunziger Jahren entwickelt hatte, sprechen für einen Plan der USA, die kaspische und zentralasiatische Region als einen geschlossenen Block vom Einfluß Moskaus abzutrennen, diesen militärpoli­ tisch gegen Rußland und China abzuriegeln und Pipelinekorridore durchzusetzen, die diese beiden Kontinentalmächte energiepolitisch isolieren und das bestehende Pipelinemonopol Rußlands bedeutungslos machen sollten. Die entscheidende Schlüsselrolle als Drehscheibe neuer Pipelinekorridore - ne­ ben dem Ost-West-Korridor - sollte dabei Afghanistan spielen. Daß dies eine ent­ scheidende Motivation für den Afghanistanfeldzug war, bestätigt indirekt auch Rai­ ner F reitag-Wirminghaus: »Zunächst einmal gilt es für die USA zu verhindern, daß der Großteil des Öls und Gases aus dem Kaspischen Becken über russische Pipe­ lines fließen wird«,2775 und nur die Afghanistan-Route ermöglichte es den USA, den Einfluß Rußlands oder Irans zurückzudrängen und eine mögliche geopoliti­ sche Koalition dieser Staaten, die Amerikas Vorherrschaft beeinträchtigen könnte, von vornherein aussichtslos zu machen.2776 Aufschlußreich in diesem Zusammen­ hang ist eine Rede des Vizepräsidenten von Unocal, John M. Maresca, die dieser am 12. Februar 1998 vor dem US-Kongreß hielt. »In dieser gratulierte er den Abge­ ordneten, da sie sich auf die Öl- und Gasvorkommen in Zentralasien konzentrier­ ten. Der einflußreiche Ölmanager stellte seinen Zuhörern drei Aufgaben: 1. Es müßten schnell Pipelines für die riesigen Öl- und Gasvorkommen im Kaukasus gebaut werden, 2. müßten die USA dafür sorgen, daß in der Region neue politische Strukturen entstehen, >einschließlich AfghanistansDer Markt der Zukunft... liegt in

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Asien, im Süden und Osten Zentralasiens. Deshalb müßten die Pipelines nach Sü­ den zum Indischen Ozean geführt werden. Da der Iran nicht kooperiert, ist die einzige andere Möglichkeit, eine Pipeline durch Afghanistan zu bauern.«2777 Damit spricht ein Vertreter der US-Machtelite aus, daß es den USA um ein stra­ tegisches >Grand Design< geht, das die Abtrennung der kaspischen Region und Zentralasiens vom >Heartland< zum Gegenstand hat und das durch eine Anbin­ dung dieser Region an den Westen durch Pipelines und durch Militärbasen abgesi­ chert werden soll. Das bestätigte auch der demokratische Senator Joseph Lieberman in einem Vortrag gegenüber tadschikischen Gesandten. Ihnen erklärte er, daß der Sinn der langfristigen US-Truppenstationierung in den zentralasiatischen Staaten darin liege, deren »Unabhängigkeit gegenüber größeren Nachbarländern zu schüt­ zen« - gemeint war dabei natürlich Rußland.2778 Wie Savas Genc schreibt, förderte der 11. September 2001 »diese längst eingeschlagene außenpolitische Richtung«2779 der zentralasiatisch-kaukasischen Staaten, nämlich eine verstärkte Sicherheitsko­ operation mit dem Westen einzugehen.

3 Die Bedeutung des >Kampfes gegen den Terror< Die Behauptung der US-Machtelite, daß es beim Feldzug in Afghanistan um die Beseitigung >islamistisch-terroristischer Strukturen< gehe, muß in diesem Zusam­ menhang als doppelzüngiger Zynismus angesehen werden. Schließlich waren Auf­ bau und Förderung dieser Strukturen Kernbestandteil einer antirussischen Eurasien­ strategie der USA auch in den neunziger Jahren gewesen, was die Beispiele Afghanistan und Tschetschenien deutlich machen. Wie der Terrorismusexperte Berndt Georg Thamm darstellt, war Afghanistan unter den von den USA und Paki­ stan geförderten Taliban zum Epizentrum wahabitisch-islamistischer Bewegungen geworden, die ganz Zentralasien zu einem Kalifat zusammenfassen wollten. Diese Entwicklung war die Folge der Brzezinski-Bennigsen-Strategie und lag voll auf der Linie der US-amerikanischen Zielsetzung zur Destabilisierung und Desintegration Eurasiens. »Das Inkrafttreten des islamischen Rechtssystems in den bisher weitest­ gehend säkularen muslimischen Gesellschaften der früheren UdSSR diente Ameri­ kas strategischen Interessen in dieser Region.«2780 Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung enthüllte, hatte der Westen sich gegenüber den Aufforderungen Moskaus zum gemeinsamen Kampf gegen den weltweiten islamistischen Terrorismus in der Vergangenheit stets zurückhaltend gezeigt.2781 Das unterstreicht ebenfalls, daß die Formel der Terrorismusbekämpfung nur ein Vorwand der US-Machtelite für die US-Truppenstationierung in Zentralasien ist. Hingegen war und ist der islamistisch-wahabitische Terrorismus eine Heraus­ forderung sowohl für die Russische Föderation als auch für die zentralasiatischen Republiken. »Neben dem Widerstand gegen eine Einflußnahme der USA und ei­ nen pan-türkischen Nationalismus unter Führung der Türkei bemüht sich Mos­

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kau... vor allem darum, das Übergreifen des islamischen Fundamentalismus vom Iran oder von Afghanistan über Zentralasien in Rußlands Grenzgebiete hinein zu verhindern. Schon mit dem Beginn des Bürgerkriegs in Tadschikistan 1992 richtete sich Rußlands Interesse gegen Süden, da es die Entwicklung eines islamischen Fun­ damentalismus in Zentralasien befürchtete. Dieses Szenario verwirklichte sich nicht, doch 1996 eroberten die fundamentalistischen Taliban Afghanistan. Besonders wurde das russische Bedrohungsgefühl durch einen islamistischen Extremismus jedoch in den neunziger Jahren durch die Erfahrungen in Tschetschenien ge­ prägt.«2782 Wie dargestellt, bestanden diese Befürchtungen Rußlands nicht zu Un­ recht, denn »eine Abspaltung Tschetscheniens würde den Einfluß in der Region weiter schwächen und parallel die territoriale Unverletzlichkeit Rußlands in Frage stellen. Eine Expansion der Konflikte auf den gesamten instabilen Nordkaukasus wäre dann nicht mehr ausgeschlossen«.2783 In einem Redebeitrag des russischen Verteidigungsministers Sergej B. Iwanow auf der 40. Münchener Sicherheitskonferenz vom 6. bis 8. Februar 2004 wurde die­ ses Gefährdungspotential für die Integrität Rußlands deutlich hervorgehoben: »Im Raum der GUS sind alle unsere lebenswichtigen Interessen in den Bereichen der Wirtschaft, der Verteidigung, der Sicherheit, der Gewährleistung der Bürgerrech­ te, der Unterstützung unserer Landsleute konzentriert. Rußland ist mit den GUSLändern durch eine gemeinsame Geschichte, feste wirtschaftliche, kulturelle und zivilisierte Beziehungen verbunden... Deswegen sind gutnachbarschaftliche Be­ ziehungen zu den GUS-Ländern keinesfalls ein Zeichen des russischen >Neoimpe­ rialismusIslamischen Befreiungs­ bewegung Usbekistans< (IBU) wurde. »Während die IBU die gewaltsame Beseiti­ gung des >gottlosen< Karimov-Regimes zu erkämpfen suchte, hatte eine zweite Be­ wegung, Hizb-ut-Tahrir - die weniger militant in Zellen im Untergrund (und im Exil in London und Beirut) agitiert - ein noch weiter reichendes Ziel, nämlich die Errichtung des Kalifats in ganz Zentralasien. Hizb-ut-Tahrir ist weiterhin im Un­ tergrund des verarmten, überbevölkerten Ferghana-Tals aktiv.«2785 Neben Tadschikistan, wo in den neunziger Jahren ein blutiger Machtkampf zwi­ schen rußlandtreuen Kräften und islamistischen Gruppierungen tobte, stand haupt­ sächlich Usbekistan im Mittelpunkt islamistisch-wahabitischer Umsturzbestrebun­ gen der IBU. Dabei stand die IBU in enger Beziehung zu den afghanischen Taliban, 2786 deren Kämpfer wurden teilweise in afghanischen Trainingslagern ausgebildet,2787

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und nach Angaben eines geheimdienstnahen russischen Analysedienstes drohte in Usbekistan die Zahl der Islamisten jeden Tag zu wachsen.278. Im Sommer des Jahres 1999 drangen Kämpfer der IBU von Tadschikistan aus in den kirgisischen Teil des Ferghanatals ein und entführten Angehörige der kirgisischen Grenztruppen. Diese Vorfälle führen zu einer Verschärfung der Spannungen zwischen den Staaten Us­ bekistan, Tadschikistan und Kirgistan.2789 Eine weitere Destabilisisierung Mittel­ asiens schien sich abzuzeichnen. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel beschreibt die Entwicklung des Islamismus in Zentralasien wie folgt: »Die >Befreiung sKalifat-Staat< ficht, in dem >alle Vorschriften des Islam geltem, hat ihre Hauptbasis im Fergana-Tal, der Islamisten-Hochburg im postsowjetischen Zentralasien. Ableger der streng konspirativen Organisation... schüren bereits Aufstandsstimmung in Tadschikistan und Kirgistan... In Tadschikistan wie in Usbekistan, wo die meisten Frauen vier bis fünf Kinder zur Welt bringen, sind fast 50 Prozent der Bevölkerung Jugendliche ohne Aussicht auf Jobs und Karriere - ein gewaltiges Potential für die Kämpfer unter dem grünen Banner des Propheten.«2790 Auch Zentralasien-Experte Rainer Freitag-Wirminghaus schätzt das islamistische Gefährdungspotential i n Zentralasien als recht hoch ein. Die Eskalation der Gewalt »durch Angriffe islamischer Rebellen im Ferganatal, dem Grenzgebiet von Usbekistan, Kirgistan und Tadschikistan, stellte mit dem zeitlichen Zusammenfallen des spektakulären Auftretens islamischer Re­ bellen im Kaukasus - Auslöser des zweiten Tschetschenienkrieges - eine neue Di­ mension der Bedrohung dar. Die usbekische Führung sprach von einer groß ange­ legten Verschwörung der IBU und der Existenz eines Netzwerkes radikaler Islamisten über ganz Zentralasien und dem Kaukasus. Die Angriffe auf Usbekistan und Kirgistan starteten vom Gebiet der Taliban aus, deren eigene Offensiven von der IBU unterstützt wurden«.2791 Die Süddeutsche Zeitung kommt daher zu dem Schluß, daß die Eiferer Afghanis­ tans eine »reale Bedrohung für die weltlichen Republiken aus dem Nachlaß der Sowjetunion« darstellten. »Seit einigen Jahren schon gewinnt auch dort der radikale Islam an Macht, nicht ohne Zutun der afghanischen Gotteskrieger.«2792 Bislang be­ stand zwar zwischen den südlichen GUS-Republiken und den Taliban noch eine Pufferzone, die von der afghanischen Nordallianz der Taliban-Gegner besetzten Gebiete im Norden Afghanistans. Doch wurde diese Allianz seit dem tödlichen At­ tentat auf deren Anführer Ahmed Schah Massud Anfang September 2001 geschwächt und drohte zu zerfallen mit der Folge, daß der südliche GUS-Raum kurz vor dem Verlust seiner Pufferzone stand. Vor diesem Hintergrund war es nicht nur der Vorstoß von USA und NATO in die kaspische Region, sondern auch die existentielle Bedrohung durch den isla­ misch-wahabitischen Fundamentalismus, der Rußland seit der Machtübernahme Putins im August 1999 dazu veranlaßte, sich wieder in verstärktem Maß dem Kau­ kasus und Zentralasien zuzuwenden. Insbesondere nach der Machtergreifung der

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Taliban konzentrierte sich Rußland auf die Bekämpfung des islamischen Extremis­ mus, der nach der Machtübernahme der Taliban auf Zentralasien übergegriffen hatte.2793 Dies war für Putin der entscheidende Ansatz für eine gemeinsame rus­ sisch-zentralasiatische Sicherheitspolitik und damit auch für eine Reintegration des angestammten Einflußgebietes; Moskau bekam über verschiedene Initiativen die Möglichkeit, den Kaukasus und Zentralasien wieder an sich zu binden und auch sicherheitspolitisch wieder an Einfluß zu gewinnen, nachdem es schon über die Pipeline von Kasachstan nach Noworossijsk energiepolitisch in Zentralasien hatte wieder Fuß fassen können. »Im Zuge dieser Ereignisse erklärte Rußland die Be­ kämpfung des Terrorismus zur höchsten Priorität in den Beziehungen zu den zentral­ asiatischen Staaten. Diese neue Schwerpunktsetzung markierte den Anfang einer verstärkten militärischen und sicherheitspolitischen Zusammenarbeit, sowohl im Rahmen der bestehenden Regionalorganisationen als auch auf bilateraler Ebene.«2794 Vor allem aber erfuhr das Sicherheitssystem von Taschkent (CST) wieder eine Aufwertung, das seit seiner Gründung 1992 keine wirkliche Bedeutung für die re­ gionale sicherheitspolitische Integration im GUS-Raum erlangt hatte.2795 »Nachdem im Sommer 2000 erneut Aktivisten der IBU von Tadschikistan aus nach Südkirgi­ stan und Usbekistan eingedrungen waren und sich Kämpfe mit den Grenztruppen geliefert hatten, wurde auf dem CST-Gipfeltreffen im Herbst die Gründung einer Schnellen Eingreiftruppe beschlossen. Im Mai 2001 setzte man die Vereinbarung dann in die Tat um.«2796 Rußland schien damit auch im Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik an Einfluß zu gewinnen. Daß der 11. September 2001 in diesem Zusammenhang für die US-Machtelite geradezu eine Notwendigkeit war, um Rußland nicht nur energie-, sondern auch sicherheitspolitisch zu verdrängen, wird auch dadurch deutlich, daß der Besuch des damaligen NATO-Generalsekretärs Robertson im Juli 2000 in den zentralasia­ tischen Republiken dort auf eher verhaltene Reaktionen stieß, als er diese dazu aufrief, ihre Beziehungen zur NATO und dem Westen als Gegengewicht zu Ruß­ land zu verstärken, um auf diese Weise besser auf die »veränderten Realitäten« seit dem Ende des Kalten Krieges zu reagieren. Vor dem Hintergrund der neuen russi­ schen Außenpolitik unter Wladimir Putin und seiner >Neuen Sicherheitspolitischen Doktrin< hatten sich die meisten zentralasiatischen Republiken darauf besonnen, daß die USA zwar mächtig, aber auch sehr weit entfernt sind, Rußland zwar ge­ schwächt sein mag, aber dafür sehr nahe und immer noch mächtig genug ist, um den Regierungen in der Region Schwierigkeiten zu bereiten.2797 Die Nachrichten­ agentur Reuters kommentierte den Besuch Robertsons mit den Worten: »Mit großer Beunruhigung mußte der Westen beobachten, wie die ölreichen Staaten in der Re­ gion zwischen Rußland, China und Iran sich langsam wieder Moskau zuwandten und zwar aus gemeinsamer Sorge wegen des zunehmenden religiösen Fundamen­ talismus entlang der Südflanke der ehemaligen Sowjetunion.«2798 Reuters räumte ein, daß es selbst der US-Außenministerin Albright bei ihrem Besuch in der Region,

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der kurz vor dem Besuch Robertsons stattfand, nicht gelungen sei, »dem schwin­ denden Einfluß Washingtons auf die zunehmend autokratischen Führer der Region entgegenzuwirken«. Selbst der usbekische Staatschef Karimow sagte ein Treffen mit dem NATO-Ge­ neralsekretär ab und flog stattdessen nach Duschanbe, wo zeitgleich das Treffen der >Shanghai-Fünf< zwischen Rußland, China, Tadschikistan, Kirgistan und Ka­ sachstan stattfand. Wie Rainer Rupp darstellte, versuchten die USA und die NATO nunmehr mit allen Mitteln, die zentralasiatischen Türen wieder weiter zu öffnen. Im kirgisischen Bischkek erklärte Robertson, daß die NATO nur darauf warte, den ehemaligen zentralasiatischen Sowjetrepubliken bei der Verbesserung der Sicher­ heit in der unsicheren Region zu helfen. »Ich möchte alle Länder Zentralasiens er­ mutigen, zusammenzuarbeiten, um die Region in eine Zone der Stabilität zu ver­ wandeln«, führte Robertson nach einem Gespräch mit dem kirgisischen Staatschef Akajew aus.2799 Dieser Druck der USA und der NATO auf Zentralasien schien aber letztlich nicht erfolglos geblieben zu sein, da eine engere Anbindung Zentralasiens an Rußland ausblieb. Neben einigen bilateralen Vereinbarungen zwischen Rußland und eini­ gen zentralasiatischen Staaten kam es zu einer weiteren sicherheitspolitischen In­ tegration schließlich nicht, da sich die zentralasiatischen Staaten weigerten, sich auf eine weitere militärpolitische Zusammenarbeit mit Rußland festzulegen. Hier­ bei war es vor allem Usbekistan, das sich einer weiteren Annäherung an Rußland verweigerte.2800 Mit Hilfe der Stationierung von US-Streitkräften sollte demnach der sicherheits­ politischen Einflußnahme Rußlands auf Zentralasien entgegengewirkt werden. Ins­ besondere Usbekistan hoffte, statt mit russischer nunmehr mit US-amerikanischer Militärhilfe die islamistische Bedrohung zu zerschlagen. Wie der Focus enthüllte, waren auch entsprechende Absprachen der Einrichtung von US-Militärstützpunk­ ten in Chanabad vorausgegangen: »Geheimen Absprachen zufolge sollen die USSoldaten der Basis Chanabad auch bei der endgültigen Zerschlagung der Islami­ schen Bewegung Usbekistans (IMU) helfen, die an der Seite der Taliban in Afghanistan kämpfte und den Dschihad nach ganz Zentralasien bringen will. >Die USA haben für Usbekistan das getan, was die Partner der Gemeinschaft unabhän­ giger Staaten (GUS) nicht tun konntenTerroris­ musbekämpfung< als ein passendes Mittel, um Rußland aus der zentralasiatischen Region zu verdrängen, an dessen Stelle sich die USA nunmehr festsetzen konnten.

4 Die USA hintertreiben die russischen Sicherheitsinteressen Zu dieser Zeit ist viel von einer neuen amerikanisch-russischen Zusammenarbeit gesprochen worden, die der 11. September 2001 und der >Kampf gegen den Terror< begründet hätten.2803 In der Tat entsprach der Feldzug der USA gegen die Taliban und deren Unterstützung der afghanischen Nordallianz durchaus russischen Inte­ ressen. Schließlich hatte Moskau die Gefahr, die von den Taliban für ganz Zentral­ asien und auch für die Russische Föderation selbst ausging, schon in den neunziger Jahren erkannt und hatte seit 1996 die Nordallianz mit über Tadschikistan laufen­ den Waffen- und Munitionslieferungen gegen die Taliban unterstützt.2804 Überdies gab es Hinweise für eine direkte Teilnahme von russischen Militärs an den Kämp­ fen der Nordallianz gegen die Taliban, die aber vom russischen Verteidigungsmi­ nisterium offiziell nie bestätigt wurden.2805 Aus dem Kreml waren im Frühjahr 2000 sogar Pläne zu vernehmen, Taliban-Stellungen für den Fall vorbeugend zu bom­ bardieren, daß sich in Zentralasien negative Szenarien entwickeln und die Taliban einen Druck auf Verbündete Rußlands, vor allem Tadschikistan und Kirgistan, ver­ stärken sollten.280. Demgegenüber hielten sich die USA mit der Unterstützung der Nordallianz zurück2807 und setzten bekanntlich auf die Taliban, da sie seinerzeit noch in die US-Planung paßten. Der US-Angriff auf Afghanistan als solcher jedenfalls kam Rußland nicht unge­ legen. Mit der Beseitigung des Talibanregimes wäre das Epizentrum für islamisti­ sche Revolten im russischen Hinterland und damit ein wichtiger Faktor der Desta­ bilisierung auch der Russischen Föderation ausgetilgt. Albrecht Rothacher beschreibt die Interessenlage so: »Aus Sicht Moskaus, Pekings und der zentralasia­ tischen Despoten war der US-amerikanische Sieg über die Taliban... ein großarti­ ger Triumph der eigenen Diplomatie und Staatskunst: Er hatte sie nichts gekostet und ihren Erzfeind von der Landkarte getilgt. Die Islamisten und Separatisten im eigenen Land hatten mit Afghanistan ihr subversives Hinterland, ihre Logistik und ihre Drogenfinanzierung verloren.«2808 Da Rußland durch die Unterstützung der russophilen Nordallianz den Destabilisierungsfaktor Taliban allein nicht beseiti­ gen konnte, bot sich eine kurzfristige Allianz mit den USA an. Allein vor diesem Hintergrund war Rußland zunächst bereit, den USA Militärstützpunkte in Zen­ tralasien zuzugestehen; »allerdings war die russische Führung davon ausgegan­ gen, daß das amerikanische Engagement in Afghanistan rasch beendet, die USPräsenz auf dem Territorium der früheren Sowjetunion somit nur von kurzer Dauer

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sein würde - allein unter dieser Bedingung hatte Putin die Zustimmung der russi­ schen Generalität erwirkt. Für ihn bedeutete die sich anbahnende russisch-ameri­ kanische Kooperation im Kampf gegen den Terrorismus eine willkommene Gele­ genheit zur Verwirklichung seines außenpolitischen Programms, wie es in den Folgejahren an Kontur gewann: Ziel war die Restauration der Rolle Rußlands als einer führenden Größe in der internationalen Politik. Die Festigung der Beziehun­ gen zu den Staaten des postsowjetischen Raumes, und hier besonders Zentralasi­ ens, war einer der Hauptbestandteile dieses Programms.«2809 Daß die US-Truppenstationierungen aber entgegen russischen Hoffnungen eine weitere Aufgabe in der Logik der US-Geopolitik besaßen als die bloße Vertreibung der Taliban, hatten Vertreter der US-Machtelite selbst zugegeben. Wie bereits er­ wähnt, hatte der demokratische US-Senator Joseph Lieberman, der auch schon als Präsidentschaftskandidat im Gespräch war, gegenüber tadschikischen Vertretern erklärt, die US-Truppen seien auch deswegen in den zentralasiatischen Republiken, um deren »Unabhängigkeit gegenüber größeren Nachbarländern zu schützen« womit er Rußland meinte.2810 Auch Tom Daschle, seinerzeit Führer der demokrati­ schen Senatsmehrheit, erklärte bei einem Besuch in Taschkent 2002, daß sich die USA nun »auf eine dauerhafte Präsenz« in Zentralasien einrichteten.2811 Der dama­ lige US-Außenminister Colin Powell führte vor dem Komitee für internationale Beziehungen des US-Kongresses am 6. Februar 2002 aus: »Amerika wird beständi­ ges Interesse und ständige Präsenz in Zentralasien haben in einer Weise, von der wir früher nur träumen konnten.«2812 Ähnliches war auch aus der >Projektgruppe für das Neue Amerikanische Jahr­ hundertSeidenstraße< mili­ tärpolitisch abzusichern. Im Fadenkreuz dieser Seidenstraße und des BTC-Pipe­ linekorridors liegt Georgien, dessen Bedeutung für die US-Machtelite um so mehr wuchs, als Rußland in den Jahren 2000/2001 begann, im Pipelinepoker wieder die Oberhand zu gewinnen. Daher mußten die USA den Ausbau ihres transkaukasi­ schen Ost-West-Pipelinekorridors von Aserbaidschan zur Türkei beschleunigen. In diesem Zusammenhang wuchs auch die Bedeutung Georgiens für die USA. Die geopolitische Funktion des Südkaukasus und besonders Georgiens für die Pläne der US-Machtelite wurde in einer Studie der neokonservativen >Heritage Foun­ dation< unter dem Titel Ethnic Conflicts threaten U.S. Interests in the Caucasus vom 25. September 1998, verf aßt von Ariel C ohen, näher dargelegt. Dem zufolge ist der Kau ­ kasus die Drehscheibe von Öl- und Gaspipelines in westlicher Richtung zum Schwar­ zen Meer und zum Mittelmeer. Ausdrücklich wird in diesem Zusammenhang der »Silk Road Strategy Act« hervorgehoben, in dessen Rahmen die Rolle des Kauka­ sus als Brückenkopf und integraler Kernbestandteil der >Neuen Seidenstraße< un­ terstrichen wird. Die Studie empfiehlt, daß die Vereinigten Staaten - die politische wie auch militärische Unterstützung für die BTC-Pipeline ver­ stärken sollten, da ansonsten eine Süd-Nord-Route es Rußland erlauben werde, einen größeren Anteil am Weltenergiemarkt zu kontrollieren, als es dies jetzt schon tue; - die sicherheitspolitische Zusammenarbeit mit Georgien verstärken sollten, da Georgien der »Schlüsselalliierte der USA in der Region« sei. Konkret fordert die

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Studie, daß die USA das georgische Militär stärken, Ausbilder für georgische Mili­ tärschulen rekrutieren, georgische Offiziere zum Studium an US-amerikanischen Militärakademien einladen und bei der Modernisierung militärischer Ausrüstung, Kommunikation und des Geheimdienstes helfen sollen. Damit sollten die USA die territoriale Integrität Georgiens absichern, was der Studie zufolge ein wesentliches Interesse der US-Kaukasuspolitik sein sollte; - die Sanktionen gegen Aserbaidschan nach Artikel 907 des »Freedom Support Acts« aufheben sollten; - die wirtschaftliche und finanzielle Schwäche Rußlands (die 1998 ja noch be­ stand) ausnutzen sollten, um dieses dazu zu zwingen, die Unterstützung Abcha­ siens und Südossetiens aufzugeben. Damit sollte einem »Wiederauftauchen des Russischen Imperialismus« im Kaukasus vorgebeugt werden; - die Unabhängigkeit Georgiens, Armeniens und Aserbaidschans fördern soll­ ten, verbunden mit der Durchsetzung marktwirtschaftlicher Reformen und dem Ausbau von Transportwegen mit dem Ziel, »eine lebensfähige Ost-West-Achse zu schaffen«. Kurz gesagt, ist Georgien ein Schlüsselstaat zur Abspaltung des südeurasischen Raumes von Rußland, der nach der Studie der >Heritage Foundation< von den USA zu einem Korridor, der Europa mit dem »Pacific rim« im Sinne der >Seidenstraßen­ strategie« verbindet, ausgebaut werden soll. Dieser Studie zufolge hat diese Strate­ gie notwendigerweise eine gegen Rußland gerichtete Zielsetzung: Zu den vitalen Interessen der USA gehört »eine Hinderung Rußlands und des Iran, sich in die strategische Kaukasusregion auszubreiten, die Sicherstellung des Energieflusses zu den globalen Märkten, die Beibehaltung des Zugangs von US-amerkanischen Konzernen in die kaspische und zentralasiatische Region und die Sicherstellung der Unabhängigkeit sowie der territorialen Integrität von Georgien, Armenien und Aserbaidschan«. Dabei hebt die Studie immer wieder hervor, daß die USA vor der Notwendigkeit gestellt seien, einer Ausweitung des russischen Einflusses auf die >Seidenstraße< zu verhindern. Der Schutz der Unabhängigkeit und territorialen In­ tegrität insbesondere der südlichen postsowjetischen Staaten sei eine oberste Maxi­ me der US-Politik, und diesem erklärten Ziel müßten dabei dringend Taten folgen. Die Studie faßt zusammen: »Die USA können es sich nicht leisten, ihre Verpflich­ tungen in ökonomisch und strategisch wichtigen Regionen der Welt zu vernachläs­ sigen. Der Kaukasus hat sich zu einer solchen geopolitischen Schlüsselregion ent­ wickelt. Die Unterstützung ihrer Freunde im Kaukasus wird es den Vereinigten Staaten erlauben, ihre künftigen Multimilliarden-Dollar-Investitionen in Energie­ ressourcen zu schützen, die für viele kommende Jahre notwendig werden. Dies wird den US-Konzernen erlauben, an der Errichtung der neuen Seidenstraße nach Zentralasien und in den Fernen Osten teilzunehmen, wodurch Jobs zu Hause und Absatzmärkte im Ausland für Milliarden von Dollar für amerikanische Güter und Dienstleistungen garantiert würden. Infrastrukturprojekte in der Region sind be­

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sonders lukraktiv für die US-Ausrüstungs-, Luftfahrt-, Transport-, Petrochemie- und Telekommunikationsindustrie. Eine solche Einbindung der USA in die Wirtschaft der Region wird Rußland und Iran von der Dominanz seiner kleineren prowestli­ chen Nachbarn abschrecken. Der US-Kongreß hatte den Weg mit dem Silk-RoadStrategy-Act gewiesen. Die Clinton-Administration sollte dasselbe tun, indem sie Sicherheit, marktwirtschaftliche Reformen und Demokratie im Kaukasus unterstützt und indem sie Rußland und Iran davon abhält, diese Region zu dominieren.«2821 Georgien wird dabei als der strategische Torweg zum Kaukasus (»Strategic gate­ way to the Caucasus«) bezeichnet, da sämtliche Öl- und Gaspipelines von Aser­ baidschan und - so die Studie - künftig auch von Kasachstan und Turkmenistan Georgien von Ost nach West kreuzen würden. »Da es einen strategischen Teil der Schwarzmeerküste kontrolliert, an die Türkei grenzt und Armenien vom Westen her über Land einschließt, ist Georgien das Tor zum Kaukasus und der westliche Brückenkopf zur kaspischen Region und zur Seidenstraße.« Nach dem US-Senator Sam Brownback, einem der Verfasser des »Silk Road Strategy Acts«, ist Georgien »ein NATO-Grenzland am Eingangspunkt zur wachsenden neuen Seidenstraße. Es ist ein Schlüsselalliierter unseres Partners Türkei und in vielerlei Hinsicht wich­ tig: strategisch, militärisch, kommerziell. Falls Georgien instabil würde, würde die gesamte Region in Gefahr gebracht... Das ehrgeizige Seidenstraßenprojekt wird Pipelines, Straßen und Eisenbahntrassen, Flughäfen und Kommunikationsnetzwer­ ke umfassen, ein Projekt, das von Zentraleuropa nach China reichen wird. Dieser Korridor wird die Politik und die Volkswirtschaften Eurasiens in einer Weise voll­ ständig ändern, die wir noch nicht vorhersehen können, aber welche sich mit USInteressen in vielen Punkten sicher überschneiden werden... Damit der Korridor funktionieren kann, ist Stabilität in diesen Staaten wichtig.«2822 2002 erklärte die damalige stellvertretende US-Außenministerin Lynn Pasco, die Bedeutung Georgiens für den Westen könne nicht überbewertet werden, da das Land ein Drehkreuz für Ost-West-Pipelines sei und am historischen Scheideweg zwischen verschiedenen Regionalmächten stehe. »Ein stabiles und demokratisches Georgien wird eine geostrategische Bedeutung für unsere internationalen Bezie­ hungen weit in die Zukunft hinein haben«.2823 Zur Zeit sind es zwei Korridore, die Georgiens Bedeutung als Transitland unterstreichen: Zum einen ist dies die im April 1999 eröffnete Baku-Supsa-Ölpipeline und der TRACECA (Transport Corridor Europe-Caucasia-Asia)-Transportkorridor. Von noch größerer Bedeutung aber ist die BTC-Pipeline, die von der US-Machtelite besonders favorisiert wird und die im Sommer 2006 ihren Betrieb aufgenommen hat.

5.1 Die innere Schwäche und Zerrissenheit Georgiens Seit seiner Unabhängigkeitserklärung vom März 1990 ist die Lage Georgiens be­ stimmt durch Abtrennungskonflikte. Der Kampf für die georgische Unabhängig­ keit, so Kaukasus-Experte Aschot Manutscharjan, ging einher »mit der Mißach­

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tung der nationalen Minderheitenrechte und dem Aufbrechen anti-rußländischer Stimmungen«.2824 Bestimmt war die Politik des ersten georgischen Präsidenten Swiad Gamsachurdia durch einen radikalen Nationalismus, der von einer völligen Mißachtung der Be­ lange der ethnischen Minderheiten der Abchasen, Südosseten und Adscharen be­ stimmt war.2825 »Ohne Rücksicht auf die Interessen der nationalen Minderheiten... und die Autonomen Republiken Abchasien, Adscharien und das Autonome Ge­ biet Südossetien startete er (Gamsachurdia, der Verf.) nach der Unabhängigkeit eine nationalistische Kampagne, um ganz Georgien, falls erforderlich, auch einer ge­ waltsamen >Georgisierung< zu unterziehen«, so Manutscharjan. Dieser militante Nationalismus wurde nach dem Wahlsieg Gamsachurdias im Oktober 1990 ohne Milderung fortgesetzt. »Nach dem Sieg des georgischen Natio­ nalismus bei den Parlamentswahlen im Oktober 1990 schraubte er seine nationalis­ tischen Ziele unter der Parole >Georgien den Georgiern< noch höher. Im Juli 1991 erklärte er, die Autonome Republik Abchasien solle sich mit einer kulturellen Au­ tonomie zufrieden geben. Diese Erklärung rief entsprechende Gegenreaktionen der Abchasen sowie der anderen nationalen und religiösen Minderheiten hervor, die eine Diskriminierung und eine Beschränkung ihrer Rechte in einem unabhängigen georgischen Staat nicht hinnehmen wollten. Einen Ausweg sahen diese Minderhei­ ten im Fortbestand der UdSSR oder im Austritt aus dem >kleinen Imperium< Geor­ gien und dem Anschluß an das >große Imperium< Sowjetunion bzw. der Rußländi­ schen Föderation. Nachdem Südossetien erklärt hatte, in der UdSSR bleiben zu wollen, rief es nach den georgischen Parlamentswahlen im Oktober 1990 einseitig die Südossetische Sowjetrepublik aus.«2826 Daraufhin beschloß die neugebildete Regierung unter Gamsachurdia im Dezember 1990 als eine ihrer ersten Amtshand­ lungen die Auflösung des Autonomen Gebiets Südossetien. Ein Jahr später, im Dezember 1991, wurde Gamsachurdia gestürzt, und Offiziere der Nationalgarde sowie verschiedener nationalistischer paramilitärischer Grup­ pen rissen die politische Gewalt in Tiflis an sich. Diese versuchten ihre Macht über die Einbindung ihrer Marionette Eduard Schewardnadse zu festigen, unter dem sich der nationalistisch-zentralistische Kurs verschärfen sollte. »Vielmehr verfolgte auch Schewardnadse den unter Gamsachurdia eingeleiteten Kurs... Mehr noch, Schewardnadse trug zu einer weiteren Verschärfung der Krise in Georgien bei, in­ dem er den aggressiven und militanten Charakter des modernen georgischen Natio­ nalismus weiter aktiv stützte.«2827 Manutscharjan zufolge war es das Ziel Scheward­ nadses, »Georgien konsequent in einen monoethnischen Staat umzuwandeln«.2828 Ausgang der Sezessionskonflikte war, daß Abchasien und Südossetien als Ge­ genreaktion auf den zentralistisch-nationalistischen georgischen Kurs ihre Aufwer­ tung zur Autonomen Republik forderten. Abchasien verlangte im August 1990 die Wiederherstellung seiner Souveränität auf der Grundlage der Verfassung von 1925; Südossetien erklärte im September 1990 seine eigene Souveränität und forderte den

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Anschluß an Nordossetien oder die Russische Föderation. Beide Bestrebungen be­ antwortete Tiflis ohne Verhandlungsbereitschaft mit Gewalt. Zum historischen Hintergrund: Bei den Abchasen handelt es sich um ein kauka­ sisches Volk mit sowohl christlichen als auch islamischen Wurzeln, das unter dau­ ernder georgischer Oberhoheit stand. 1921 wurde Abchasien eine der vier gleichbe­ rechtigten Sowjetrepubliken der transkaukasischen Föderation. 1931 erfolgte die Umwandlung in eine autonome Sozialistische Sowjetrepublik im Bestand Georgi­ ens. Die Osseten sind ein Volk iranisch-alanischer Abstammung und wurden 1774 dem Russischen Reich angegliedert. Nach der Revolution 1917 erhob der georgi­ sche Staat Anspruch auf südossetisches Gebiet, der mit einem blutigen georgischen Eroberungskrieg durchgesetzt werden sollte. Entsprechend der >Teile-und-HerrscheGreat GameAusfransen< und eine ethnische Zer­ splitterung des Südkaukasus zu verhindern, da eine solche Entwicklung leicht auf den russisch kontrollierten Nordkaukasus mit seinen ethnischen Spannungsher­ den übergreifen und damit den Bestand der Russischen Föderation als solche ge­ fährden könnte. »Eine Ausbreitung der Konflikte auf den gesamten instabilen Nord­ kaukasus wäre dann nicht m ehr au sgeschlossen. F ür Rußland ist das sehr gefährlich, weil dadurch das zerbrechliche Miteinander der russischen Regionen mit ihren vie­ len Völkerschaften insgesamt ins Rutschen kommen könnte.«2836 Dies war in den neunziger Jahren auch Maßstab der Georgienpolitik der Russi­ schen Föderation. »Vor dem Hintergrund der eigenen Betroffenheit«, so Aschot Manutscharjan, »hatte die rußländische Regierung mehrfach unterstrichen, daß sie für die territoriale Integrität Georgiens eintreten werde. Die Bestrebungen Ruß­ lands zielten also von Anfang an darauf ab, diese Konflikte einzudämmen.«2837 Dies kam auch im Verhalten Rußlands in den georgischen Sezessionskriegen zum Aus­ druck. Im Südossetienkonflikt hatten die südossetischen Separatisten mehrfach ver­ geblich versucht, Druck auf Moskau auszuüben, um die proklamierte südosseti­ sche autonome Republik doch anzuerkennen und sie in die Russische Föderation aufzunehmen. Dies blieb von Rußland jedoch unbeantwortet.2838 »Das russische Au­ ßenministerium wurde in einer Stellungnahme vom 22. März 1993 noch deutlicher: Es distanzierte sich von einer nordossetischen Parlamentsresolution vom 6. März 1993 über die offizielle Anerkennung eines unabhängigen und souveränen Süd­

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ossetischen Autonomen Gebietes.«2839 Darüber hinaus haben die russischen Frie­ denstruppen in Südossetien nach Auffassung internationaler Beobachter strikte Neu­ tralität gewahrt: »Nach Aussagen der KSZE-Beobachtermission wahrten die russi­ schen Militärs vor Ort durchaus militärische Neutralität. Von der südossetischen Seite wurde die Anwesenheit disziplinierter russischer Spezialeinheiten als unab­ dingbar angesehen. Selbst der georgische Staatschef Schewardnadse gestand zu, daß ohne die russischen Truppen ein dauerhafter Waffenstillstand nicht möglich gewesen wäre.«2840 Ähnlich neutral verhielt sich Rußland im Abchasienkonflikt. Auch dort »wahr­ ten die in Abchasien stationierten rußländischen Truppen strikte Neutralität«.2841 Vielmehr bestand auch hier die Gefahr, daß über die Einrichtung der »Konfödera­ tion der Bergvölker des Kaukasus« der Konflikt auf den russischen Nordkaukasus Übergriff, da diese Ko nföderation dessen Abspaltung von Rußland ford erte. I nfolge­ dessen v ersuchte die russische A rmee, eine Entsendung von Freiwilligen der Kauka­ sischen Föderation nach Abchasien zu verhindern. Parallel leitete das russische Ju­ stizministerium ein Verfahren gegen die selbsternannte Konföderation ein.2842 Vielmehr - so Manutscharjan - war es sowohl die georgische als auch die abchasische Seite, die jeweils bemüht waren, Rußland auf ihre Seite zu ziehen. »Jedoch hatte die ruß­ ländische Regierung g ute G ründe, s ich nach wie vor nicht in diesem Konflikt militä­ risch zu engagieren«, denn Moskau wollte nicht in einen Krieg hineingezogen wer­ den, der gegebenenfalls den gesamten Nordkaukasus erfassen könnte.2843 Überdies war es das russis che Militär, das verhinderte, daß die Abchasen nach dem Bruch des Waffenstillstandes vom September 1993 auf georgischem Boden weitere Gelände­ gewinne erzielen konnten. Besondere Brisanz erhielt der Konflikt für Rußland da­ durch, daß die Abchasen bilaterale Verträge mit den russischen Föderationssubjekten Tatarstan und Kabardino-Balkarien abschlossen und mit deren Behandlung als Völ­ kerrechtssubjekte einen Zerfallsprozeß der Russischen Föderation begünstigten.2844 Gerade vor dem Hintergrund des aufkeimenden Tschetschenienkonflikts vertrat Ruß­ land auch im Abchasienkonflikt gegenüber Georgien den Grundsatz der territoria­ len Integrität »mit wachsender Geschlossenheit und Vehemenz«.2845 Der georgisch-russische Grundlagenvertrag von 1994 machte deutlich, worum es Rußland im Südkaukasus ging: Vorrangiges Interesse Rußlands waren Sicher­ heit und Stabilität im Kaukasus und die Verhinderung des Übergreifens separatisti­ scher Bestrebungen auf die Russische Föderation selbst, weil dadurch deren Zerfall eingeleitet werden könnte. Gewährleistet werden sollte dies durch eine Einbindung Georgiens in der GUS, verbunden mit russischen Truppenstationierungen. Ruß­ land verfolgte konkret das Ziel, »über die Anerkennung der territorialen Integrität Georgiens eine fest umrissene Rechtsgrundlage für die Stationierung seiner Trup­ pen in der Kaukasus-Republik zu erhalten«.2846 In diesem Vertrag wurde Rußland auch das Recht eingeräumt, drei Militärstützpunkte auf georgischem Gebiet zu er­ richten. Insbesondere aufgrund der Tatsache, daß infolge mangelnder Kompromiß­

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bereitschaft beider Seiten eine Beilegung des georgisch-abchasischen Konflikts schei­ terte, waren sowohl Georgien als auch Abchasien mit der Stationierung russischer Truppen einverstanden.2847 Insoweit läßt sich in den neunziger Jahren von einer antigeorgischen Unterstüt­ zung der Separatisten durch Rußland nicht sprechen. Um Instabilitäten zu unter­ binden, war es der russischen Außenpolitik gelungen, »die Staaten des >nahen Auslands< mit Hilfe des dortigen Konfliktpotentials quasi offiziell der militärischen und politischen Kontrolle Moskaus zu unterstellen«.2848 Dieses Verhalten Rußlands hatte sich auch in der Folgezeit nicht geändert. »Seit Beginn des russischen Friedenseinsatzes vor zwölf Jahren in Abchasien kamen dort 112 russische Armeeangehörige ums Leben. Viele von ihren starben durch die Hand der abchasischen Kriminellen und Extremisten, die Abchasien endgültig von der georgischen Bevölkerung säubern wollten. Diese >Okkupanten< (d.h. die russischen Truppen, der Verf.) verhinderten eine Eskalation zwischen Abchasien und Georgien im Mai 1998 und im Herbst 2001. In die Gali-Region kehrten (laut Angaben der georgischen Offiziellen) etwa 60000 Flüchtlinge zurück. Viele von ihnen integrier­ ten sich in das abchasische Sozium und stimmten sogar für den abchasischen Präsi­ denten. Auch das ist ein Verdienst der russischen Friedenstruppen. Ihr weiterer Verdienst besteht darin, daß die georgische Bevölkerung Südossetiens... nicht ver­ trieben wurde und friedlich mit den Osseten zusammenlebt. Viele ethnische Geor­ gier nahmen sogar die russische Staatsbürgerschaft an. Hätten die russischen Friedens­ truppen damals nicht zugegriffen, dann hätten die abchasischen Formationen Megrelien einnehmen können, die Osseten hätten ihre Republik von georgischen Enklaven gesäubert. Wäre das passiert, so hätte Georgien noch mehr Probleme mit seiner territorialen Integrität gehabt.«2849 Auch weitere Stimmen in den russischen Medien schätzen die Politik Rußlands gegenüber Georgien so ein: »1994 hatten die bewaffneten Kräfte Abchasiens eine reale Möglichkeit, die georgische Stadt Poti einzunehmen. In diesem Fall wäre Tiflis in eine Wirtschaftsblockade geraten und hätte die Kontrolle über die Regionen ver­ loren. Um das zu verhindern, hat der damalige russische Präsident Boris Jelzin die Anweisung erteilt, Marineinfanteristen der Schwarzmeerflotte nach Poti zu ent­ senden, womit er faktisch die territoriale Integrität Georgiens rettete. Wäre Georgien damals zerfallen, hätten Abchasien und Südossetien längst eine Anerkennung ihrer Unabhängigkeit erlangt. Der Rest Georgiens wäre dann in eine Reihe von Autono­ mien zerfallen, so daß Georgien keine Bedrohung mehr für die Sicherheit Rußlands dargestellt hätte.«2850 Georgien indessen betrieb eine Außenpolitik, die auf eine Hinausdrängung Ruß­ lands aus dem Kaukasus ausgerichtet war. Kaukasus-Experte Aschot Manutschar­ jan bescheinigt Schewardnadse eine »antirußländische Haltung«.2851 Seine außen­ politischen Aktivitäten waren von einem »zwiespältigen Charakter« getragen, dem Rußland mißtrauen mußte. Offiziell behauptete Tiflis eine strikte Neutralitätspoli­

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tik, doch hinter den Kulissen war Schewardnadse bestrebt, Georgien enger an die NATO zu binden.2852 Während er einerseits Rußland um Hilfe im Kampf gegen die abtrünnigen Abchasen bat, verurteilte er öffentlich die Anwesenheit russischer Trup­ pen als »Okkupation« und forderte die NATO auf, sich in die Abtrennungskonflik­ te einzuschalten. »Schewardnadse gab die Hoffnung nicht auf, die Nordatlantische Allianz werde die geographischen Grenzen ihres Einsatzgebietes ausdehnen und eigene Truppen nach Abchasien entsenden.«2853 Dabei ist noch festzuhalten, daß sowohl die Ukraine als auch Aserbaidschan den antirussischen Kurs der georgischen Außenpolitik unterstützten2854 - die Grundzüge des späteren antirussischen Regionalbündnisses GUUAM schienen sich hier bereits abzuzeichnen. Georgiens außenpolitisches Ziel war nämlich die Errichtung eines gegen Rußland gerichteten Blocks kaukasischer Staaten, des sogenannten >Kaukasi­ schen HausesTranskaukasische< Haus sollte mit der NATO verbunden werden. »Zu­ dem erhofften sich die Protagonisten dieser Initiative eine aktive Unterstützung vonseiten der Türkei und der USA. Insbesondere in Tiflis träumten die Vertreter dieser Politik von einer Stellung Georgiens als regionaler Führungsmacht. In dem Zeitraum 1992/1993 war Aserbaidschan derjenige Verbündete, der Georgien in der Region die meisten Vorteile bot. In Tiflis glaubte man, ein gemeinsamer Block mit Baku werde angesichts der pro-türkischen Ausrichtung des aserbaidschanischen Präsidenten Abulfas Elcibey auch eine enge Verbindung zur NATO und zu den USA ermöglichen, so daß sich Georgien ein verlockender Ausweg aus der militär­ politischen Umklammerung durch Rußland zu eröffnen schien. Es war also kein Zufall, daß Schewardnadse in seinem Bestreben, das >Transkaukasische Haus< zu errichten, zuerst Aserbaidschan besuchte. Die aserbaidschanische Regierung wieder­ um begrüßte die anti-rußländische Ausrichtung Georgiens und gewährte Tiflis um­ fangreiche Hilfe in Form von Krediten und Öllieferungen.«2856 Bei diesen georgisch-aserbaidschanischen Verhandlungen spielte auch die Ver­ legung von künftigen Öl- und Gaspipelines von Baku unter Umgehung Rußlands nach Westen in die Türkei eine Rolle - die Grundlagen des späteren BTC-Pipeline­ korridors wurde hier vorweggenommen. »In diesem Zusammenhang bat Tiflis die aserbaidschanische Regierung zu prüfen, ob die geplanten Gaspipelines bis zu ei­

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nem georgischen Schwarzmeerhafen - Poti oder Batumi - verlängert oder ob sie über georgisches Territorium bis in die Türkei verlegt werden könnten.«2857 Auch Aserbaidschan strebte eine regionale Organisation unter dem Namen »Das inter­ nationale Forum - Kaukasisches Haus« an, die als Bündnis rein islamischer Repu­ bliken einschließlich Tschetscheniens und weiterer kaukasischer Völker geplant war. Wie Manutscharjan schreibt, versuchte Georgien, diesem Staatenbund beizutre­ ten mit dem Ziel, die Staaten dieser Region gegen Rußland einzunehmen.2858 Diese Maßnahmen im Kaukasus führten dazu, daß Rußland seine Aufmerksam­ keit dem Kaukasus zuwandte. Es erkannte die Gefahr der Bildung solcher regiona­ len Militärbündnisse, die zudem von der Türkei unterstützt wurde, und es gelang Moskau, die Gründung dieser kaukasischen Konföderationen zu verhindern und Aserbaidschan sowie Georgien zum Beitritt zur GUS zu bewegen. Festzuhalten ist, daß der Druck Rußlands, Georgien in die GUS einzubinden, eine Folge der antirussischen Außenpolitik dieses Kaukasusstaates und seines Be­ strebens war, den Kaukasus in die NATO einzugliedern. Die Möglichkeit einer Anwesenheit von NATO-Streitkräften an der russischen Südflanke ließ im russi­ schen Verteidigungsministerium alle Alarmglocken läuten und trug auch entschei­ dend zur Änderung der Moskauer Haltung im georgischen Abtrennungskonflikt bei. Nachdem Rußland zu der Überzeugung gelangt war, daß Georgien die russi­ schen Interessen in der Region nicht berücksichtigen würde, begann es, die Ab­ trennungskonflikte zu benutzen, »um eine Änderung des außenpolitischen Kurses der Regierung in Tiflis zu erreichen und Georgien wieder in den rußländischen Machtbereich einzugliedern« sowie die eigene Position in Georgien zu festigen.2859 Demgegenüber beschleunigte Georgien - was auch durch mehrere Stellungnah­ men Schewardnadses zum Ausdruck gebracht wurde - seinen außenpolitischen Kurs. Dieser sah »einerseits eine stärkere US-Präsenz in der südkaukasischen Region und andererseits die Integration in europäische politische, wirtschaftliche und si­ cherheitspolitische Strukturen mit dem Ziel der vollen Mitgliedschaft in der EU vor«.2860 Der Weg zur NATO-Mitgliedschaft wurde durch die Aufnahme Georgiens in das NATO-Programm >Partnership for Peace< gebahnt, was in der Folgezeit zum weiteren Zufluß von US-Militärhilfe führte, unter anderem von US-Helikoptern zur Grenzüberwachung, verbunden mit Manövern von georgischen und US-Boden­ truppen.2861 Ergänzend ist Georgien seit 1995 in die euro-atlantische Partnerschaft der NATO eingebunden. »Die Türkei sekundiert dabei den USA mit Trainingspro­ grammen in der Türkei und seit 1998 mit Hilfe von über zehn Mio. US-Dollar für die georgische Verteidigung.«2862 Darüber hinaus war Georgien die treibende Kraft bei der Errichtung der GUUAM, welche sich im April 1999 unter der Schirmherr­ schaft der NATO zu einem festen Sicherheitsbündnis konsolidierte und durch ge­ meinsame Manöver der Beteiligten mit den Streitkräften der USA und der Türkei gefestigt wurde. Seit dieser Zeit erkannte die US-Machtelite die Bedeutung Georgi­ ens für ihre transkaukasischen Pipelinepläne im Sinne der >SeidenstraßenstrategiePartnership-for-PeaceFeldkommandanten< Ruslan Gelajew an die Waffenstillstandslinie mit Abchasien trans­ portiert, von wo aus sie gemeinsam mit georgischen Guerilleros, die eine militärische Rückgewinnung der abtrünnigen Provinz anstreben, auf abchasisches Territorium eindrangen. Die Operation endete blutig. Abchasische Millizen rieben die Ein­ dringlinge mit russischer Hilfe auf. Es drohte ein Wiederaufleben des Bürgerkrieges unter direkter Beteiligung russischer Truppen, die in Abchasien als CIS-Friedens­ truppen stationiert sind. Danach konnte Schewardnadse die Anwesenheit tschet­ schenischer Rebellen in Georgien nicht mehr leugnen, und der Druck aus Moskau verschärfte sich.«2875 Folgt man Jürgen Roth, hatte sich sogar im Hintergrund eine Kollaboration zwi­ schen dem CIA und georgischen Kräften zur Unterstützung tschetschenischer Ter­ roristen gebildet: »Was jedoch nicht verschwiegen werden sollte: In Georgien unter­ hält die CIA ein Büro, von dem aus diese Tschetschenen in der Vergangenheit massiv unterstützt wurden.«2876 Tatsächlich hatten die Rebellen »in Georgien bisher ihr sicheres Rückzugsgebiet: Die grenznahe Pankisi-Schlucht wird von den georgischen Sicherheitskräften schon seit langem nicht mehr kontrolliert. So bildete die Schlucht... das ideale Versteck vor der russischen Armee und einen sicheren Ru­ heraum«.2877 Auch dieser Umstand spricht für die wohlwollende Unterstützung der georgi­ schen Führung für den tschetschenischen Separatismus. Rußland selbst bezeichne­ te das Pankisi-Tal vor diesem Hintergrund als »Mini-Afghanistan«2878 und sah es als Teil einer Terrorachse an, die von Afghanistan über das moslemische Aserbaid­

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schan ins nördliche Georgien und von dort nach Tschetschenien und KabardinoBalkarien führt. Die russische Reaktion folgte umgehend. Rußland forderte schon seit Monaten eine »Säuberungsaktion« im Pakisi-Tal und hatte mehrfach gedroht, die Region mit eigenen Truppen zu säubern, falls Georgien nicht geeignete Maßnahmen er­ greifen sollte.2879 Georgische Behauptungen über russische Luftangriffe auf das Pan­ kisi-Tal konnten nicht bestätigt werden.2880 Verdächtig - und auch dies stützt die These einer heimlichen Unterstützung der tschetschenischen Kämpfer durch Geor­ gien - war zudem die Tatsache, daß sich die georgischen Behörden weigerten, drei­ zehn festgenommene tschetschenische Kämpfer an Rußland auszuliefern.2881 Ruß­ land sah in dem Verhalten Georgiens einen Verstoß gegen die UNO-Resolution 1373, deren Unterzeichner sich verpflichtet hatten, auf ihrem Staatsgebiet terroristi­ sche Handlungen zu unterbinden. Sämtliche Vorschläge Rußlands, eine Militärak­ tion im Pankisi-Tal durchzuführen, lehnte Georgien strikt ab.2882 Statt dessen wollte Georgien in Anbetracht der russischen Drohungen, das Pan­ kisi-Problem gegebenenfalls durch einen einseitigen Militärschlag zu lösen, die militärische Zusammenarbeit mit den USA verstärken und insbesondere einen NATO-Beitritt beschleunigen. Bereits im Februar 2002 stationierte Washington 200 Elitesoldaten in Georgien, und US-Militärberater hatten in Tiflis Gespräche aufge­ nommen, um eine Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit Georgien, Aserbaidschan und Armenien vorzubereiten.2883 Offizieller Anlaß für diese Stationierung war eine angebliche Al-Qaida-Präsenz im Pankisi-Tal, für die es aber keine Beweise gab,2884 und die US-Soldaten sollten die georgische Armee im >Anti-Terror-Krieg< ausbil­ den. »In Wirklichkeit, so bestätigen es georgische Quellen, war es den Vereinigten Staaten und dem georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse darum gegan­ gen, einen Vorwand für die Aufnahme von US-Truppen in dem südkaukasischen Land zu finden. Georgien sucht die Aufnahme in die NATO, was Rußland vehe­ ment ablehnt. Die USA wiederum sehen in Georgien den Garant des ungestörten Exportes von Erdöl und Erdgas aus Zentralasien.«2885 Eine zusätzliche Aufgabe des US-Kontingents lag zudem darin, die Logistik zu den in der Folge des 11. September 2001 gewonnenen Militärbasen in Zentralasien zu sichern. Eine Versorgung der Stützpunkte in Kirgistan und Usbekistan war bis­ lang nur über Pakistan und Afghanistan möglich gewesen. Aufgrund von deren Instabilität kam es darauf an, nach einer zweiten Möglichkeit zu suchen, die Geor­ gien bilden sollte. Entscheidend für die Entsendung sollte aber die Kontrolle des Landes sein, da es ja die Drehscheibe der von den USA gewünschten Pipelinepro­ jekte Baku-Tiflis-Ceyhan und Baku-Supsa war. Zu diesem Zweck mußte das Land unter US-Regie stabilisiert werden, zumal es aufgrund der Sezessionskonflikte ja unter einer dauerhaften Zerreißprobe stand. »Um die Pipeline-Pläne realisieren zu können, ist es freilich notwendig, die Stabilität von Georgien selbst zu sichern... Die Ankunft der US-Soldaten wird Schewardnadses Position stärken und eine po­

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tentielle Ordnungsmacht etablieren, die ein weiteres Auseinanderfallen des Lan­ des verhindern könnte.«2886 In diesem Sinn begannen die USA im Mai 2002 das >Train and Equip Assistance Programm um die Fähigkeiten der georgischen Kräfte zu erhöhen, georgisches Ter­ ritorium zu kontrollieren. Durch das >Train and Equip Program< sowie das >Border Security and Law Enforcement Program< unterstützten die USA Ausrüstung, Trai­ ning und geheimdienstliche Aktivitäten, um georgische Grenzstreitkräfte, Zöllner, Verteidigungsministerium und auch die Küstenwache in die Lage zu versetzen, das georgische Territorium und seine Grenzen wirksam zu verteidigen.2887 Dabei ging es auch um den Aufbau von georgischen Spezialeinheiten, die die geplante BTC-Pipeline bewachen sollten. Der Auftrag der US-Streitkräfte in Georgien war dabei konkret Umrissen, wie Rizvan Nabiyev schreibt: »Die Gewährung der Sicher­ heit der Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan ist eine der wichtigsten Aufgaben der USamerikanischen Militärmission in Georgien.«2888 Mit Gesamtkosten von über 65 Mil­ lionen Dollar stellte das >Train and Equip Program< ein in Art und Umfang einmaliges Pilotprojekt auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion dar. Zum Ver­ gleich erhielten selbst Aserbaidschan und Armenien zusammen nur ein Fünftel der US-Militärhilfe, die Georgien erhielt.2889 Moskau selbst protestierte scharf gegen das georgische Verhalten in der PankisiKrise. Der damalige Vorsitzende des außenpolitischen Ausschusses der Staatsduma, Dimitri Rogosin, bezeichnete die geheime Zusammenarbeit der Regierung Sche­ wardadse mit den tschetschenischen Separatisten um Gelajew als einen gegen Ruß­ land gerichteten feindseligen Akt.2890 Vieles spricht dafür, daß Georgien durch diese Provokation gegen Rußland testen wollte, inwieweit die USA bereit waren, Geor­ gien zu verteidigen und russische Einflußnahme auf das Land zurückzuweisen. »Die Pankisi-Krise war ein Lackmustest, der die Verpflichtung der USA gegenüber der territorialen Integrität Georgiens nachdrücklich unter Beweis gestellt hat.«2891 Angesichts der russischen Drohungen, die Pankisi-Krise im Falle georgischer Untätigkeit eigenmächtig durch einen Militärschlag vorbeugend zu lösen, erfolgte auch prompt eine amerikanische Reaktion. »Zunächst von untergeordneter Stelle sagte der stellvertretende Sprecher des amerikanischen Außenministeriums, Phil­ lip Reeker, Ende Juli: >Wir wären sehr besorgt, wenn wir von Verletzungen der georgischen Souveränität erfahren würden.< Nachdem sich die Situation in der er­ sten Septemberhälfte dramatisch zugespitzt hatte und Putin in seiner Rede indi­ rekt die Gleichung >Irak gegen Georgien< aufstellte,2892 wurde diese Offerte dann auch von höherer Stelle abgelehnt. Zunächst hatte die Sprecherin des US-Außen­ ministeriums, Brenda Greenberg, Mitte September erklärt, Washington unterstütze die territoriale Integrität Georgiens und lehne >jede einseitige Militäraktion Ruß­ lands< ab. >Wir sprechen uns nachdrücklich gegen die Erklärung von Präsident P utin aus.< Etwas später sagte die Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice der Regierung in Tbilissi eine nachhaltige Unterstützung der georgischen Souveränität und terri­

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torialen Integrität zu. Schließlich äußerte sich Präsident Bush in einem Unterstüt­ zungsbrief für Georgien: >Die USA fahren fort in ihrer Loyalität und ihrer Verpflich­ tung, Georgien zu helfen. rote Linie< gezogen - was Schewardnadse auch erreichen wollte. Unterstrichen wurde dies durch die NATO-PfP-Übung >Cooperative Best Effort< im Juni 2002, an dem Militärpersonal aus 15 NATO-Mitglieds- und Partnerländern teilnahm. Gegenstand dieses Manövers war die Rückeroberung abtrünniger Terri­ torien: »Das Übungsszenario basierte auf einem UN-mandatierten und NATO-ge­ führten friedensunterstützenden Einsatz. Tedo Tschaparidse, der Vorsitzende des georgischen Nationalen Sicherheitsrates, sagte: >Es ist nicht ausgeschossen, daß die hier ausgebildeten multinationalen Truppen später in den Friedensprozeß in der georgisch-abchasischen Konfliktzone einbezogen werden.< Auch Simon Dunn, Gene­ ralsekretär der Parlamentarischen Versammlung der NATO, hatte seinerseits die Bereitschaft der Allianz angedeutet, eine aktive Rolle in der Lösung der Konflikte der Region zu spielen.«2894 Beschleunigt wurde infolge der georgischen Provokationen auch die Diskussion um den NATO-Beitritt Georgiens. »Vor dem Hintergrund der russischen Interven­ tionsdrohungen«, so die Analyse Sebastian Mayers, »kündigte Schewardnadse Anfang August 2002 an, bis zum 1. November solle auf Beschluß des nationalen Sicherheitsrates eine Sonderkommission der Regierung ein Programm zur Integra­ tion in die nordatlantische Organisation ausarbeiten. Auf dem Prager NATO-Gip­ fel im November 2002 stellte Schewardnadse dann einen offiziellen Beitrittsantrag. Otar Schalikaschwili, Berater des amerikanischen Verteidigungsministers, bezeich­ nete das Vorgehen als abgestimmt, das amerikanische Verteidigungsministerium beurteile die Aussichten auf eine NATO-Mitgliedschaft positiv. Auf dem Gipfel sagten Generalsekretär Lord Robertson in einer gesonderten Unterredung sowie der amerikanische Präsident Bush in einem inoffiziellen zehnminütigen Gespräch mit Schewardnadse Unterstützung für das Ziel einer Vollmitgliedschaft zu.«2895 Damit hatte Georgien in Zusammenarbeit mit den USA ein wichtiges Etappen­ ziel erreicht - vorbereitende Maßnahmen für eine NATO-Mitgliedschaft wurden eingeleitet. Das Schlußkommunique des Prager NATO-Gipfels sah schließlich für Staaten, die wie Georgien eine NATO-Mitgliedschaft wünschen, einen sogenannten >Membership Action Plan< (Aktionsplan zur Mitgliedschaft) vor. In diesem wurden Maßnahmen und Voraussetzungen benannt, die zur Erreichung einer Mitgliedschaft ergriffen und erreicht werden müssen, einschließlich sogenannter »individueller Aktionspläne zur Partnerschaft«, umfassende und für jeden NATO-Anwärter spe­ zifisch zugeschnittene Programme, die die Partnerländer auf die Erreichung politi­ scher und ökonomischer Ziele festlegen und sie dabei unterstützen.2896 In der NATOGipfelerklärung hieß es hierzu: »Wir ermutigen Partner, einschließlich der Länder in den strategisch wichtigen Regionen Kaukasus und Zentralasien, diese Mecha­

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nismen zu nutzen.«2897 Die georgische Regierung hatte angekündigt, ihre Beitritts­ aktivitäten zusammen mit Aserbaidschan und der Ukraine zu vereinbaren.2898 Georgien hatte es damit erreicht, die NATO und die USA als Schutz- und Garan­ tiemächte seines Staates festzulegen. Diese nunmehr endgültige US- und NATOAusrichtung Georgiens führte auf der anderen Seite zu einem Wandel in der russi­ schen Politik gegenüber diesem Kaukasusstaat: »In Rußland dominierte über lange Zeit das Konzept, eine Destabilisierung in den an Rußland grenzenden Staaten dürfe nicht zugelassen werden. Nun aber wird klar, daß gerade die jetzige Regierung in Georgien, die eine Rußland-feindliche Politik betreibt, eine Bedrohung für Ruß­ land darstellt. Gerade diese Regierung provoziert Spannungen in Abchasien und Südossetien. Auch ist sie bemüht, das Land unter die NATO-Flagge zu bringen. Somit ist eine starke zentralisierte Macht in Georgien für Rußland viel schädlicher als eine Zergliederung des Landes in mehrere Mini-Republiken.«2899 Spätestens seit diesem Zeitpunkt konnte Rußland nicht mehr auf eine Stabilisierung Georgiens im Rahmen der GUS setzen. Tiflis und Washington hatten in den neunziger Jahren russische Sicherheitsinteressen hintertrieben, indem man die schleichende Über­ führung dieses strategisch wichtigen Kaukasusstaates in das transatlantische He­ gemonialbündnis einleitete. Um sich noch Einflußmöglichkeiten im Südkaukasus zu sichern, setzte Rußland jetzt auf die abtrünnigen abchasischen und südosseti­ schen Sezessionisten und erklärte sich zu deren Schutzmacht vor dem georgischen Nationalismus. Sowohl in den USA wie auch in Georgien war man sich über die Bedeutung der Pankisi-Krise im klaren. Wie Jaba Devdariani, Chefredakteur der Internetzeitung Civil Georgia und Mitarbeiter des in London ansässigen >Instituts für Kriegs- und FriedensforschungSeidenstraße< konnte die US-Machtelite jetzt auch im Südkaukasus verwirklichen. Schon im Frühjahr 1997 hatte der ehemalige US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger erklärt, daß mit einem Versuch Rußlands, die Erschließung und den Transport des kaspischen Erdöls zu kontrollieren, die langjährigen US-Interessen aufs Spiel gesetzt seien.2901 Mit der strategischen Kontrolle Zentralasiens und des Südkaukasus - abgesichert durch die Stationierung von US-Streitkräften - war diese Gefahr nunmehr gebannt. Das Zerbrechen des russischen Pipelinemonopols und der russischen Kontrolle über den Transkaukasus ist, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, »die eigentliche

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Schlacht, die derzeit in Georgien geschlagen wird, und ein Grund dafür, daß Elite­ soldaten aus den Kampfeinheiten der in Nahost stationierten US-Truppen trotz des Irak-Kriegs durch die georgische Landschaft kriechen, um kaukasische Bauern­ burschen im Nahkampf zu schulen: Wer die Pipelines in Georgien kontrolliert, macht sich unabhängig von Transitländern wie Rußland und Iran«.2902

6 Die Gegenstrategien der Russischen Föderation unter Wladimir W. Putin: die Renationalisierung des Energiesektors und die Wiedergewinnung des Einflusses in der GUS Diese Entwicklungen wurden in Kreisen des russischen Militärs und der russischen Außenpolitik als geopolitische Niederlage erkannt. Der damalige Jelzin-Berater A. Migranjan bezeichnete die Stationierung von US-Streitkräften in Zentralasien als »dritten geopolitischen Rückzug« Rußlands nach seiner »vollständigen Niederlage auf dem Balkan« und der »Beerdigung der jeweiligen Hoffnungen auf die Reinte­ gration des postsowjetischen Raumes«.«2903 Migranjan zufolge würde der »zentral­ asiatische Brückenkopf als Aufmarschgebiet« nicht die »rote Linie« beim Eindrin­ gen der US A u nd des Westens nach Eurasien bild en, und er äußerte die Vermutung, daß künftig mit einer »milden Demontage Rußlands« seine Zerlegung und die Aufteilung seiner Ressourcen in Gang gesetzt würden.2904 Die russische Machtelite war sich dabei der Bedeutung der >indirekten Strate­ gie< der USA im Hintergrund bei der Destabilisierung Eurasiens durchaus bewußt. In einem Gespräch des damaligen Verteidigungsministers Igor Sergejew mit Ver­ tretern der russischen Oberkommandos im November 1999 erklärte dieser, daß beispielsweise der Konflikt in Tschetschenien von ausländischen Kräften provo­ ziert sei und den nationalen Interessen der USA diene. Er ergänzte, daß »die Politik des Westens eine Herausforderung Rußlands darstellt, mit dem Ziel, die interna­ tionale Position Rußlands zu schwächen und es von geostrategischen Regionen aus­ zuschließen«.2905 In den sicherheitspolitischen Grunddokumenten wie der >Konzeption für Natio­ nale Sicherheit< vom Januar 2000 und der >Neuen Militärdoktrin< vom April 2000 wurden schon Militärbasen und -kontingente anderer Staaten nahe der Grenzen Rußlands oder seiner Verbündeten offen als Bedrohung eingestuft.2906 In diesen Dokumenten unterstrich Moskau seine Absicht, den russischen Staat zu stärken, militärisch aufzurüsten und auch staatliche Kontrollen über ausländisches Kapital wieder einzuführen. In der >Nationalen Sicherheitsdoktrin< vom Januar 2000 wer­ den als Bedrohung Rußlands bezeichnet: die »Stärkung miltärischer Blöcke und Allianzen« (wie der GUUAM und der NATO), die »Osterweiterung der NATO« sowie die mögliche Einrichtung »ausländischer Militärstützpunkte und eine be­ deutende militärische Präsenz in unmittelbarer Nähe der russischen Grenzen«. Michel Chossudovsky schreibt hierzu: »Die USA wurden zwar nicht ausdrück­ lich erwähnt, aber das Dokument bezieht sich immerhin auf den >Ausbruch und

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die Eskalation von Konflikten nahe den Grenzen der Russischen Föderation und den Außengrenzen der Gemeinschaft Unabhängiger Staatender internationale Terrorismus eine offene Kampagne zur Destabilisie­ rung Rußlands< führe, und behält sich angemessene Aktionen vor, >um geheim­ dienstliche und subversive Aktivitäten ausländischer Staaten gegen die Russische Föderation abzuwehren und zu unterbindenNational Missile Defense< (NMD)-Pro­ gramm der Regierung Bush eine Bedrohung der Sicherheit Rußlands, stellte dieses doch eine Abkehr der USA vom ABM-Vertrag von 1972 dar, durch den seinerzeit sowohl die USA als auch die UdSSR vom Einsatz atomarer Waffen abgehalten werden sollten. Im ersten Amtsjahr Putins jedoch »scheiterten alle diplomatischen Versuche des russischen Präsidenten, die US-Regierung vom Programm für eine Nationale Raketenabwehr... abzubringen«.2910 Die Folge war eine Politik, der globalen US-Hegemonie entgegenzutreten und statt dessen entsprechend der Primakow-Doktrin für eine »multipolare Weltord­ nung« einzutreten. Dieses antihegemoniale Konzept zog eine verstärkte Zusam­ menarbeit Rußlands mit Indien, der Volksrepublik China, Nordkorea und auch der Islamischen Republik Iran nach sich, die in der Hauptsache von Waffenliefe­ rungen bestimmt war. Besonders die rüstungstechnische Zusammenarbeit mit dem Iran war als Reaktion auf das amerikanische NMD-Programm anzusehen, wobei Rußland auch den Bruch des Tschernomyrdin-Gore-Memorandums von 1995 in Kauf nahm, wodurch Moskau seinerzeit als Gegenleistung für Finanzhilfen der USA auf Rüstungslieferungen an den Iran verzichtete.2911

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Aschot Manutscharjan zufolge war mit dem 11. September 2001 sowie mit dem Irak-Krieg 2003 eine »globale geopolitische Revolution« eingetreten.2912 »Ursäch­ lich verantwortlich ist dafür nicht nur die Veränderung der Machtverhältnisse im Nahen und Mittleren Osten nach dem Irak-Krieg, sondern auch die neue sicher­ heitspolitische Lage im post-sowjetischen Raum... Ein Ergebnis dieses Prozesses ist die militärische Präsenz der USA in Zentralasien und im Kaukasus.«2913 Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der russischen Staatsduma, Andrej Ni­ kolajew, bezeichnete diese Entwicklung auch folgerichtig als eine »neue Auftei­ lung der Welt und als Kampf um Einflußsphären«. Putin erkannte, daß er dieser Entwicklung - der Eingliederung Eurasiens in das globale Hegemonialkonzept der USA - nicht viel entgegenzusetzen hatte: »Ohn­ mächtig verfolgt der Kreml seitdem die Errichtung von weiteren US-Militärstütz­ punkten an den russischen Südgrenzen. Hinzu kommt die verstärkte amerikani­ sche Militärpräsenz in den osteuropäischen und baltischen NATO-Mitgliedsstaaten. Washington denkt also nicht daran, den Druck auf Rußland zu reduzieren.«2914 Die Grenzen seiner eigenen Sicherheitspolitik wurden Putin hingegen schnell deutlich: Es war der Mangel an Geld. Mit rund 150 Milliarden US-Dollar stand Rußland bei ausländischen Gläubigern in der Kreide. Dadurch waren die Möglichkeiten Ruß­ lands, den USA rüstungspolitisch entgegenzutreten, nur sehr eingeschränkt. »Denn allein ein Vergleich des Bruttoinlandsprodukts (BIP) der Vereinigten Staaten und Rußlands zeigte, wer die >Materialschlacht< gewonnen hatte. So erreichte das BIP der USA im Jahre 2001 9825 Milliarden US Dollar, während Rußland gerade ein­ mal auf 260 Milliarden US Dollar kam. Allein für das Jahr 2004 hat der amerikani­ sche Kongreß den Militärhaushalt auf 401 Milliarden US Dollar auf gestockt.«2915 Damit zeigte sich, daß allein der US-Militärhaushalt fast doppelt so hoch wie das Gesamt-BIP der russischen Volkswirtschaft war. General Leonid I waschow, Mitglied des russischen Generalstabs, beschrieb die US-Politik gegenüber Rußland mit den Worten: »Gegenüber Rußland wird (von den USA, Anm. des Verf.) eine Strategie der Herabsetzung seiner Rolle in den internationalen Beziehungen, des Verdrän­ gens aus dem postsowjetischen Raum und der Umgebung mit Militärstützpunkten zur Verringerung seiner Möglichkeiten zum geopolitischen Manöver durchge­ führt.«2916

6.1 Putins Politik der Reintegration des postsowjetischen Raumes Im Juli 2007 führte Putin eine Bestandsaufnahme der russischen Außenpolitik durch, in der er deren Ausgangsvoraussetzungen und Ziele beschrieb. Darin stellte er ei­ nen wachsenden Gegensatz zwischen der Russischen Föderation und der globalen Hegemonialmacht USA fest, die durch folgende Faktoren bestimmt sei: - die NATO-Erweiterung in den Westteil des postsowjetischen Raumes, - die Diskussion um den möglichen NATO-Beitritt Georgiens und der Ukraine, - das einseitige Vorgehen der USA unter Mißachtung völkerrechtlicher Nor­

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men (Kosovo-Krieg, de-facto-Aufkündigung des ABM-Vertrages, der Angriff auf den Irak), - die US-Pläne zur Stationierung eines Raketenabwehrsystems in Polen und Tschechien und - nicht zuletzt die amerikanische Energiepolitik in Zentralasien.2917 Gerade im letzteren Bereich betreiben die USA entsprechend der Forderung des US-Energie- und Zentralasien-Experten Frederick Starr den Ausbau einer von Rußland unabhängigen Transportinfrastruktur für Erdöl und Erdgas und »treten offensiv für eine Restrukturierung des zentralasiatischen Elektrizitätsmarktes ein, was eine stärkere Integration der regionalen Ökonomien in den südasiatischen Raum zur Folge hätte«2918 - mit der Folge eines Ausschlusses Rußlands vom zentralasiati­ schen Öl- und Erdgasmarkt. Aufgrund dieser Entwicklungen, so die Bestandsaufnahme, hatte der postsowje­ tische Raum, besonders sein zentralasiatischer Teil, für die russische Außen- und Sicherheitspolitik erheblich an strategischem Gewicht gewonnen.2919 Das Strategie­ papier kam zu dem Schluß, daß der Schwerpunkt der russischen Außen- und Si­ cherheitspolitik im postsowjetischen Raum liegen müsse. Rußland hat demzufolge als »Integrationsknoten« Eurasiens die Aufgabe, eine Führungsrolle in der post­ sowjetischen Staatenwelt zu übernehmen und neben der sicherheitspolitischen vor allem auch die ökonomische Einbindung des eurasischen Raumes sicherzustellen. Folglich - so Andrea Schmitz - wurde in dem Dokument auch die wirtschaftliche Dimension hervorgehoben, die als Grundlage der Beziehungen zwischen Rußland und den Staaten des postsowjetischen Raumes und zugleich als Schwerpunkt der Zusammenarbeit gesehen wird. »Zentralasien wird mit Blick auf die regionalen Integrationsprozesse im postsowjetischen Raum eine Schlüsselrolle zugewiesen. Bemühungen der USA, die zentralasiatischen Ökonomien stärker nach Südasien auszurichten und sie damit dem russischen Orbit zu entfremden, werden als Be­ drohung der eigenen Interessen gewertet.«2920 Dmitri Trenin, Mitarbeiter am Carnegie Moskow Center, bestätigt diesen Inhalt der >Putin-DoktrinOperation GUS< bezeichnen. Ihr Ziel ist nicht die Wiederherstellung der Sowjetunion. Alle GUS-Staaten - mit der mög­ lichen Ausnahme Weißrußlands - werden ihre Souveränität behalten. Rußlands Transformation in einen wirtschaftlichen Anziehungspunkt für die GUS wird die wesentliche Kraft sein, die dem neu erstandenen strategischen Einfluß Rußlands zu Grunde liegt.«2921 Seiner Erkenntnis zufolge wird die Realpolitik Rußlands des 21. Jahrhunderts »in der Verschmelzung von Geopolitik und Geoökonomie, ergänzt durch militärische Macht« liegen. Putin erkannte, daß die hergebrachten Strukturen der GUS nicht geeignet wa­ ren, diese Reintegrationsstrategie zu fördern. Aus diesem Grund wurden hierzu

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neue Strukturen geschaffen, und zwar sowohl im sicherheitspolitischen als auch im ökonomischen Bereich, welche die »Wirtschaftskooperation der zentralasiati­ schen Staaten untereinander und mit dem Westteil des postsowjetischen Raumes vertiefen und sie auf diesem Wege stärker an Rußland binden sollten. Die wichtig­ sten regionalen Wirtschaftsorganisationen sind die im Jahr 2000 von Rußland, Bela­ rus, Kasachstan, Kirgistan und Tadschikistan gegründete >Eurasische Wirtschafts­ gemeinschaft< (EurasEC), der 2006 auch Usbekistan beitrat, und der 2003 geschaffene >Gemeinsame Wirtschaftsraum< (CES), dem neben Rußland, Kasachstan und Bela­ rus auch die Ukraine angehört und der nach Moskaus Vorstellungen als Integrations­ motor dienen soll. Im Oktober 2007 vereinbarten die EurasEC-Mitgliedsstaaten die Gründung einer Zollunion, die bis 2011 erfolgt sein soll. Diese würde jedoch zu­ nächst einmal auf Rußland, Belarus und Kasachstan beschränkt bleiben...«2922 Ins­ besondere der >Gemeinsame Wirtschaftsraum< sollte nach russischen Plänen zu ei­ nem Gravitationszentrum und Kristallisationskern eines »neuen, realistischen, wirtschaflichen und politischen Integrationsprozesses« werden.2923 Wie Christian Wipperfürth darstellt, ist Putin mit diesem Versuch, eine Art >Ost-EU< zu bilden, insbesondere am Widerstand der Ukraine gescheitert. Auf der anderen Seite aber begünstigten »die Bemühungen um regionale Integration die Geschäftstätigkeit russischer Unternehmen - sie konnten Einfluß auf die Politik der Mitgliedsstaaten nehmen und sich dadurch Wettbewerbsvorteile verschaffen«.2924 Die Integration wurde auch auf sicherheitspolitischem Gebiet intensiviert. Im Bemühen, dem drohenden Einflußverlust entgegenzuwirken, verstärkte Rußland die multilaterale sicherheitspolitische Zusammenarbeit im Rahmen des Vertrages für kollektive Sicherheit. »Als Antwort auf den zunehmenden Einfluß der USA«, so Rainer Freitag-Wirminghaus, »förderte Putin seit seinem Machtantritt die Stär­ kung der militärpolitischen Kooperation innerhalb der GUS.«2925 Vor diesem Hin­ tergrund wurde im Mai 2002 die Weiterentwicklung des Vertrages für kollektive Sicherheit von 1992 zur >Organisation des Vertrages über Kollektive Sicherheit< (CSTO) beschlossen, der als zentraler Mechanismus für die Koordination der Au­ ßen- und Sicherheitspolitik ihrer Mitglieder wirken soll. Laut Freitag-Wirminghaus ist es Rußland damit erstmalig gelungen, den Sicherheitsvertrag »zu einem ernst zu nehmenden Organ« auszubauen: »Darin sind die zentralasiatischen Staaten mit Ausnahme Usbekistans und des neutralen Turkmenistans - mit Weißrußland und Armenien zu einem festen GUS-Kern unter russischer Führung zusammenge­ schlossen.«2926 Die CSTO sollte als regionale Sicherheitsorganisation ausgebaut und von Ruß­ land gleichzeitig als Instrument einer verstärkten bilateralen Zusammenarbeit ein­ gesetzt werden. »So verpflichtet die CSTO ihre Mitglieder zum gegenseitigen Bei­ stand, falls einer der Unterzeichnerstaaten Bedarf anmelden sollte. Die Vertragspartner sind gehalten, einander über ihre sicherheitspolitischen Beziehun­ gen zu Drittstaaten zu informieren und militärische Aktivitäten von Drittstaaten

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auf dem eigenen Territorium nur nach wechselseitiger Absprache zuzulassen. Gleichzeitig nutzt Rußland die Organisation, um die zentralasiatischen Staaten durch den Transfer von Rüstungstechnologie und militärischem Know-how an sich zu binden. Moskau bietet den Mitgliedern der CSTO an, russische Waffen und Ausrüstung zum Inlandspreis zu kaufen und Truppenpersonal zur Aus- und Weiter­ bildung an die Militärakademien der Russischen Föderation zu schicken.«2927 Den Organen CSTO und EurasEC weist der oben genannte Rechenschaftsbe­ richt P utins über die russische Außenpolitik eine grundlegende Rolle bei der Reinte­ gration des eurasischen Raumes zu.

6.2 Die >Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) Die wichtigste Rolle bei der Umsetzung der Eurasienpolitik P utins spielte die >Shang­ haier Organisation für Zusammenarbeit (SCO), mit der die beiden Hauptelemente Putinscher Geopolitik - einerseits die Einbindung des postsowjetischen Raumes, andererseits die Schaffung einer antihegemonialen >multipolaren Weltordnung< miteinander verbunden werden sollten. Diese Organisation ging aus der >Shang­ hai-FünfVertrag über die Vertie­ fung des militärischen Vertrauens in den GrenzregionenVertrages über die Reduzierung der Streitkräfte in Grenz­ regionen< durch dieselben Staaten. Im Rahmen dieser Gespräche wurden zunächst die bestehenden Grenzstreitig­ keiten zwischen China und den Nachfolgestaaten der UdSSR beigelegt, wobei die chinesische Seite sich auch mit für sie unvorteilhaften Verhandlungsergebnissen zufrieden zeigte, da für sie Stabilität Vorrang besaß. »Die weitere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedern der Organisation sollte sich auf ein koordiniertes Vorge­ hen in gemeinsamen Sicherheitsfragen, wie der Terrorismusbekämpfung und der Abwehr eines militanten Islam, konzentrieren. Schwerpunkte bildeten die Themen: Taliban in Afghanistan, die Tschetschenienfrage und die Islamische Bewegung OstTurkestan. 1999 wurde die Agenda der Organisation auf die Bereiche wirtschaftli­ che Zusammenarbeit, Wahrung der Stabilität in der Region und Umweltbelange ausgeweitert. Daneben sollte auch gegen grenzüberschreitenden Drogen- und Waffenschmuggel vorgegangen werden. Die gemeinsame Bekämpfung der im chi­ nesischen Sprachgebrauch so bezeichneten >Drei KräfteShanghai-Fünf< vor dem Hintergrund des von den USA entfachten neuen >Great Gameweichen Unterleib des russi­ schen Bären< und gegen die von separatistischen Unruhen erschütterte Provinz Xinijang im Westen Chinas«2929 - eine Entwicklung, die zur Wiederbelebung des >Great Game< geführt hatte. Im Juni 2001 benannte sich diese Gruppierung in >Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit< um und nahm Usbekistan als weiteres Mitglied auf. Die Mitglie­ der unterzeichneten die >Shanghai Conventions on Combating Terrorism, Separa­ tism and Extremismdrei Kräfte< festschrieb. Die Begründung der SCO als völker­ rechtlicher Einrichtung erfolgte auf dem Gipfeltreffen im Juni 2002, auf dem die Charta der SCO unterzeichnet wurde, die die Ziele, Prinzipien, Struktur und Hand­ lungsweise der Organisation festlegte. Ebenfalls wurde auf diesem Gipfel die Ein­ richtung eines Antiterrorismus-Zentrums mit Sitz in Bischkek (Kirgistan) beschlos­ sen, dessen Hautaufgabe in der Entwicklung von Strategien gegen die >drei Kräfte< bestehen soll.2930

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6.2.1 Das ungeschriebene Fundament der SCO: Begrenzung des USEinflusses in Eurasien Auch wenn es in den SCO-Dokumenten niemals erwähnt wird und offiziell von den beteiligten Staaten unterstrichen wird, daß es sich bei der SCO nicht um eine >asiatische NATO< handelt, so ist mit der Gründung dieser Organisation doch das unausgesprochene Interesse der Mitgliedsstaaten verbunden, ein gewisses macht­ politisches Gegengewicht zur US-Vorherrschaft zu bilden.2931 So enthielt die Dekla­ ration des Gipfels vom Juni 2006 die Textstelle, daß die Organisation internationa­ len Allianzen nicht erlauben werde, ihr Territorium in einer Weise zu benutzen, die die Souveränität, Sicherheit und territoriale Integrität eines ihrer Mitgliedsstaaten untergräbt.2932 Diese Stelle war deutlich gegen die Stationierung der US-Streitkräfte in Mittelasien gerichtet. Insbesondere Rußland und China richten ihre Aufmerk­ samkeit auf die geopolitischen und großraumstrategischen Gesichtspunkte der Zusammenarbeit, wobei Rußland hauptsächlich den Schwerpunkt auf die Sicher­ heitsfrage legt, China hingegen sein Konzept einer multipolaren Weltordnung im Hinterkopf hat. Auch das SIPRI Policy Paper No. 17 mit dem Titel »The Shanghai Cooperation Organisation« hebt hervor, daß es Rußland bei der Mitgründung der SCO tatsäch­ lich darum ging, das Gewicht der USA und der NATO in Eurasien auszubalancie­ ren, da die GUS und der Vertrag über kollektive Sicherheit dies nicht oder nur sehr begrenzt bewerkstelligen konnten.2933 Deutlich wurde dies auf dem SCO-Gipfel in Astana im Juli 2005, als Rußland die zentralasiatischen Partner dazu aufforderte, den US-Streitkräfen eine zeitliche Grenze für die Nutzung der dortigen Militärba­ sen zu setzen und diese zum Rückzug aus den Ländern der SCO-Mitglieder zu bewegen. Insgesamt, so die SIPRI-Studie, strebe Rußland über die Gründung der SCO an, die Errichtung eines lebensfähigen eurasischen Integrationsmodells zu beweisen, welches unabhängig - und alternativ - zu den westlichen Modellen der EU und der NATO bestehen sollte. Die insgesamt bestehende Interessenlage beschreibt Rainer Rupp wie folgt: »Nach acht Jahren Jelzin-Regierung (1991-1999) hatte das wirtschaftlich und militärisch stark geschwächte Moskau bei der Gründung der SCO mit akuten Finanzproble­ men zu kämpfen, und es hätte sich z.B. gar nicht erlauben können, entlang der unendlich langen Grenze mit China starke Grenztruppen zu unterhalten. Die neuen zentralasiatischen Staaten befanden sich sogar in einer noch schlechteren Finanzlage und mußten sogar Rußland bitten, beim Schutz ihrer Grenzen zu helfen. Moskau kam das nicht ungelegen, konnte es doch so im Rahmen des neuen Abkommens im Einverständnis mit China im zentralasiatischen >nahen Ausland... etwas von sei­ nem alten Einfluß zurückerlangen. Die zentralasiatischen Regime versprachen sich von der SCO mehr russische Unterstützung gegen islamistische Bewegungen, ver­ bunden mit verstärkter Wirtschaftshilfe und mehr russischen und chinesischen In­ vestitionen. Insbesondere China hat in den letzten Jahren stark in Kasachstan, Tad­

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Sitzung der SCO in Asntana

Führer der Shanghai Cooperation Organization.

schikistan und Usbekistan investiert. China war seinerseits an Ruhe, Sicherheit und guten Beziehungen zu seinen zentralasiatischen Nachbarn und Rußland interes­ siert. Pekings wichtigstes Ziel bestand jedoch darin, einen Fuß in das Zugangstor zu den zentralasiatischen Energieressourcen und zu dessen Märkten für den Ab­ satz chinesischer Güter zu bekommen. Zugleich wollte sich das Land damit die Zusammenarbeit der Nachbarstaaten im Kampf gegen die muslimisch-extremisti­ schen Separatisten in Chinas >Wildem Westen< Xinijang sichern. Dort strebt eine radikalislamische Bewegung der Uiguren nach einer Abspaltung von China, wo­ durch das Reich der Mitte im schlimmsten Fall bis zu einem Sechstel seines Staatsge­ bietes verlieren könnte. Vor diesem Hintergrund hat Peking mit besonderer Sorge das Vordringen der USA nach Zentralasien verfolgt. Daraus folgt der russisch-chine­ sische Grundkonsens in der SCO, Washingtons wachsendem Einfluß in der Region Einhalt zu gebieten und diesen zurückzudrängen.«2934 Genau darin sieht auch Rainer Freitag-

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Wirminghaus die eigentliche Grundidee der SCO: »Sie sollte garantieren, daß nicht die USA als Stabilisator Zentralasiens auftreten.«2935 Die gemeinsamen sicherheitspolitischen Zielsetzungen insbesondere zwischen Rußland und China kamen auch in gemeinsamen Militärmanövern zum Ausdruck. »Die erste gemeinsame Militärübung wurde im Herbst 2003 in Kasachstan und China abgehalten. Rußland nahm daran nur in bescheidenem Umfang teil. Bereits im August 2005 organisierte die Russische Föderation jedoch gemeinsam mit China das erste großangelegte Manöver (>Friedensmission 2005Friedensmission 2005< als Signal für die wachsenden Ambitionen der SCO auf dem Gebiet der traditionel­ len Sicherheitspolitik. In den Folgejahren führte China auch mit einigen der zentral­ asiatischen SCO-Mitglieder gemeinsame Militärübungen durch, so 2006 mit Ka­ sachstan und Tadschikistan - ein Vorspiel zur >Friedensmission 2007Friedensmission 2005< auf der chinesischen Halbinsel Shandong sollte daher nach Ansicht internationaler Beobachter eine unübersehbare Signal­ wirkung, eine »unverhohlene Botschaft an die USA«,2939 zukommen: »Westliche Militärbeobachter in Moskau und des Pentagon sehen das Manöver als Beginn eines russisch-chinesischen Militärbündnisses und als Gegenmodell zur Vormachtstel­ lung der USA. Rußland will dabei mit einem späteren Großmanöver auch Indien einbinden. Putin und der chinesische Präsident Hu Jintao hatten kürzlich die fort­ schreitende Monopolisierung< der Erde durch Amerika gegeißelt und eine >multi­ polare Weltordnung< verlangt. Moskaus Rüstungsschmieden hatten den asiatischen Nachbarn bereits mit Kampfjets, Raketenabwehrsystemen, Fregatten und Marsch­ flugkörpern hochgerüstet. Zugleich versuchen Rußland und China im Rahmen des Schanghai-Sicherheitsbündnisses, das sie mit zentralasiatischen GUS-Staaten ver­ bindet, US-Militärbasen aus Mittelasien wegzubekommen.«2940 Auf dem SCO-Gipfel in Astana Juli 2005 unterzeicheten Putin und Hu Jintao eine Erklärung »zur Weltordnung im 21. Jahrhundert«, in der deutlich gemacht wurde, daß es in der Weltpolitik keinen Anspruch auf ein Monopol geben dürfe. »Obwohl das Verhältnis zwischen Peking und Moskau kompliziert ist, so sind sich beide doch in einem einig: Die Dominanz der USA ist weder im Interesse Chinas noch Rußlands«, erklärte Sergej Michejew, stellvertretender Direktor des Zentrums für politische Technologien in Moskau.2941

6.2.2 Die SCO als Fundament wirtschaftlicher - insbesonders energiepolitischer - Zusammenarbeit in Eurasien Mit der Gründung der SCO verband sich sowohl für China als auch für Rußland eine verstärkte wirtschafts- und energiepolitische Integration Eurasiens. Schon auf dem SCO-Gipfel 2002 hatte China angeregt, eine SCO-Freihandelszone zu schaf­ fen. Auf dem SCO-Gipfeltreffen in Astana 2005 wurde eine Wirtschafts-, Wissen­ schafts- und Technologiekooperation gerade in den Bereichen Energie und Trans­ portwesen beschlossen. Im darauffolgenden Jahr einigte man sich dann in Shanghai auf die Gründung eines Wirtschaftsrates und auf ein Aktionsprogramm zur Zu­ sammenarbeit im Bankenbereich im Rahmen der neugeschaffenen >Interbank As­ sociation< der SCO. Ergänzend dazu brachte Putin einen Vorschlag zur Gründung eines SCO-Energieclubs ein. Dieser sollte als Stelle zur gegenseitigen Verständi­ gung für die energiepolitische Abstimmung zwischen den Mitgliedsstaaten im En­ ergiesektor dienen.2942 Insbesondere China verbindet hiermit eine verstärkte Koope­ ration bei der Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern. Durch die Einbindung von Staaten wie Iran und Indien könnte eine ganze »Energie-Einheit« von Produktion, Trans­ port und Marketing gebildet werden, so die chinesische Vorstellung.2943 Auf dem

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Shanghai-Gipfel 2006 unterzeichneten die SCO sowie die EurasEC ein Memoran­ dum zur Verbesserung der Zusammenarbeit der Mitglieder im Bereich Energie und Transport. Für Rußland ist eine Zusammenarbeit mit China notwendig, um nicht langfristig aus Nordostasien verdrängt zu werden. »Die Lage an der chinesisch-russischen Gren­ ze spiegelt wie in einem Prisma die Kräfteverschiebung zwischen China und Ruß­ land wider. Schon heute ist das chinesische Bruttosozialprodukt viermal größer als das russische. Rußland ist Chinas achtgrößter, umgekehrt China Rußlands zweit­ größter Handelspartner. Die aufsteigende Großmacht China schickt sich an, das Vakuum zu füllen, das durch den Rückzug Rußlands als asiatischer Macht entstan­ den ist. Auch in Zentralasien, dem traditionellen Vorhof Rußlands, baut China seine Präsenz aus. Dazu dienen seine wirtschaftliche Magnetwirkung, die es mit einer aktiven Wirtschaftsdiplomatie flankiert, sowie sicherheitspolitisch die SchanghaiOrganisation für Zusammenarbeit. Hingegen schwindet... die Fähigkeit Rußlands, die zentralasiatischen Staaten an sich zu binden. Moskau gelingt es nicht mehr, durch die Bedienu ng klassischer Machthebel im Bereich der Militär- und der Energie­ politik den Prozeß der Absetzung von Moskau zu stoppen.«2944 Auf der anderen Seite jedoch stehen sich Moskau und Peking in Zentralasien nicht als Rivalen gegenüber, die Schnittmenge der gemeinsamen Interessen - die Bekämpfung des islamischen Fundamentalismus sowie die Zurückdrängung des US-amerikanischen Einflusses in Eurasien - ist nach wie vor sehr groß. Vor diesem Hintergrund fordern angesehene außenpolitische Strategen in Moskau eine stärkere Ausrichtung russischer Außenpolitik auf den Fernen Osten und China. Dmitri Tre­ nin von der Carnegie-Stiftung in Moskau sieht die Zukunft der territorialen Einheit und Lebensfähigkeit Rußlands daher weniger in Tschetschenien als vielmehr im Fernen Osten bedroht. Nur mit einem Ausbau der Beziehungen zu Japan, Südko­ rea und China, der Einbindung des russischen Fernen Ostens in die nordostasiati­ sche Wachstumsregion, verbunden mit einer geeigneten Energiestrategie und ei­ ner aktiven Einwanderungspolitik, könne es Rußland gelingen, einen Anschluß an die Weltwirtschaft zu behalten.2945 Alexander Lukin vom Moskauer Institut für internationale Beziehungen fordert eine klare China-Strategie für Rußland. Trotz aller bestehenden Zweifel, ob die SCO eine eurasische Integration überhaupt herstellen kann, kann jedoch festgehalten werden, daß die SCO als ein regionales Gegengewicht anzusehen ist, mit dem die USA und die NATO zu rechnen haben.2946 Jedenfalls ist die SCO ein geeignetes Forum, über das die beiden eurasischen Mächte China und Rußland ihre gemein­ samen Interessen definieren und vertiefen können. Beispielsweise »in der Energie­ politik sind die russisch-chinesischen Bande eng wie nie zuvor. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht China dürstet nach genau jenen Rohstoffen, über die Rußland reichlich verfügt. Vor allem im nahen Sibirien gibt es viel Öl und Gas. Gerade erst schloß Chinas staatliche Ölgesellschaft ein Abkommen mit dem russischen Kon­

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zern Rosneft über die gemeinsame Ausbeutung von Öl- und Gasfeldern auf der Insel Sachalin«.2947 Moskau seinerseits strebt im internationalen Machtgefüge nach mehr Balance, nach einem Gegengewicht zu den USA - und dazu braucht es China. Gudrun Wacker von der >Stiftung Wissenschaft und Politik< vertritt die Auffas­ sung, daß die Ursachen für die Gründung der SCO in dem amerikanischen Vorstoß der USA nach Osteuropa und Zentralasien - also in die eurasischen Kernräume zu suchen sind. »Zum Zeitpunkt des amerikanischen Militäreinsatzes in Afghani­ stan war die SOZ noch nicht arbeitsfähig... Man kann davon ausgehen, daß der 11. September und seine direkten Auswirkungen auf Zentralasien und die weitere Region als Katalysator für den Abschluß der Verhandlungen über die Grundsatz­ dokumente gewirkt haben. Dieser externe Stimulus findet seine Parallele in den beiden Abkommen der >Shanghaier-Fünf< - des Vorgängers der SOZ ohne Usbe­ kistan - über vertrauensbildende Maßnahmen (Shanghai 1996) und Abrüstung entlang der Grenzen (Moskau 1997): Sie hätten wohl ohne Osterweiterungspläne der NATO und Erneuerung der japanisch-amerikanischen Sicherheitsallianz noch geraume Zeit auf sich warten lassen.«2948 Vor diesem Hintergrund läßt sich ohne weiteres die These vertreten, daß die SCO im Kern eine Reaktion Rußlands und Chinas auf die US-amerikanischen Ein­ kreisungsbestrebungen war, denen die beiden eurasischen Hauptmächte ein kon­ tinentales Integrationsmodell im militärischen, wirtschaftlichen und energiepoliti­ schen Bereich entgegenstellen möchten. Für Rußland liegt dabei die Bedeutung der SCO auch darin, die energiepolitischen Aktivitäten Chinas in Zentralasien in ein gesamteurasisches Integrationskonzept einzubinden und eine mögliche Konkur­ renz zwischen beiden zu entschärfen bzw. das Entstehen einer solchen Situation von vornherein zu verhindern.2949 Deshalb strebt Rußland auch eine Verbindung zwischen SCO, CSTO und EurasEC an, um auf diese Weise eine sicherheitspoliti­ sche und eine energiepolitische Vernetzung unter Einschluß Zentralasiens und ge­ rade auch Chinas herzustellen. Der SCO sollte nach strategischen Plänen Rußlands demnach die Funktion zukommen, einerseits ein organisiertes eurasisches Gegen­ gewicht zur globalen Hegemonialmacht USA zu bilden und auf der anderen Seite Chinas und Rußlands Interessen in Eurasien auszubalancieren bzw. auszuglei­ chen.2950

6.3 Die Renationalisierung und Zentralisierung des Energiesektors in Rußland Begleitet war die eurasische Integrationspolitik Putins von einer allmählichen Renatio­ nalisierung und Zentralisierung des russischen Energiebereichs. Wie bereits aus­ geführt, begreift Dmitri Trenin die neue russische Geopolitik des 21. Jahrhunderts als eine Verbindung klassischer Geopolitik mit der Geoökonomie, ergänzt und ab­ gesichert durch militärische Macht. Dies kam auch in der oben erwähnten Außen­ politischen Bestandsaufnahme Putins von 2007 zum Ausdruck. Aus dieser wird die

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Einschätzung der neuen russischen Machtelite ersichtlich, »daß Rußlands Gestal­ tungskraft im regionalen und internationalen Umfeld in hohem Maße an die Fähig­ keit zur Projektion von wirtschaftlicher Macht gekoppelt ist. Das Papier selbst ist eine Reaktion auf diese Einsicht, ebenso wie die darin ausgesprochene Empfeh­ lung, der Ökonomie als Instrument der Außenpolitik ein adäquates Gewicht bei­ zumessen«.2951 Dies gründete sich auf der Erkenntnis Putins als Realpolitiker, daß er zu Beginn des 21. Jahrhunderts den globalen Hegemonialbestrebungen der USA militärisch nichts entgegensetzen konnte. Wie Aschot Manutscharjan in seiner Studie über die »Putin-Doktrin«2952 schreibt, blieben sämtliche diplomatischen Aktivitäten Mos­ kaus - sei es in der NMD-Frage, in der Afghanistan-, Irak- oder Nordkoreakrise, also Felder, die die Sicherheit Eurasiens betrafen - gänzlich unbeachtet, es wurde als eurasischer oder gar weltpolitischer Machtfaktor von der US-Machtelite gar nicht wahrgenommen. Rußland sah sich also gezwungen, die Umsetzung seiner strate­ gischen Ziele und Sicherheitsinteressen neu zu überdenken. »Im 20. Jahrhundert sei noch militärische Stärke die Währung der führenden Nationen gewesen, mittler­ weile aber bestimme der Zugang zu Öl und Gas die internationalen Kräfteverhält­ nisse, sagt Andrew Kuchins, Eurasiendirektor der Carnegie-Stiftung«.2953 Genau darauf begann Putin seine Strategie aufzubauen: Die Energiepolitik und der russische Rohstoffsektor sollten die Kernelemente seiner Strategie bilden, Ruß­ land wieder auf die Bühne der Supermächte zurückzubringen. Folgt man Andrea Schmitz, wurde dieser strategische Ansatz Putins angeregt durch die Politik der USA, den zentralasiatischen und kaukasischen Raum der eigenen Macht- und Ein­ flußsphäre einzugliedern. Die geostrategische Aufwertung der zentralasiatischen und kaukasischen Region seit dem Herbst 2001 »und die damit einhergehende ver­ stärkte Präsenz des westlichen Bündnisses zwangen Rußland... dazu, das außen­ politische Instrumentarium neu zu justieren, um seine Vormachtstellung in der Region zu wahren. Damit gewannen neben der Sicherheitspolitik auch andere Po­ litikfelder an Bedeutung. Vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit wurde seit dem Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin als Mittel der Außenpolitik aufge­ wertet«.2954 Seit Beginn des Jahres 2002 war diese Verschiebung des Schwerpunkts hin zu einer »offensiven Ökonomisierung der russischen Außenpolitik« erkennbar. Diese war Andrea Schmitz zufolge durch zwei Faktoren bestimmt: »Zum einen hatte sich Rußlands Wirtschaft von der Asienkrise erholt und verzeichnete hohe Wachstums­ raten, die sich vor allem dem seit 1999 stark gestiegenen Erdölpreis verdankten. Zum anderen wurde Moskau durch die Ereignisse im Gefolge des September 2001, insbesondere durch die militärische Präsenz der USA in Zentralasien, dazu gezwun­ gen, die eigene Rolle im regionalen und internationalen Umfeld neu zu bestim­ men«.2955 Diese Neudefinition russischer Außen- und Eurasienpolitik hat also nichts mit einem vermeintlichen russischen >Neoimperialismus< zu tun, vielmehr wurde

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sie durch Faktoren einer äußeren Bedrohung durch die Hegemonialmacht USA hervorgerufen. In seiner Jahresbotschaft vom April 2002 führte Putin die Gründe dieser neuen Außen- und Geopolitik näher aus. Er unterstrich, daß sich Rußland einer harten Konkurrenz »um Märkte und Investitionen, um politischen und wirtschaftlichen Einfluß« stellen müsse und dies eine starke Nation erfordere. Den Beziehungen zu den Staaten der GUS mißt Putin dabei höchste außenpolitische Priorität bei, nicht zuletzt deshalb, weil die Zusammenarbeit mit ihnen eine wichtige Voraussetzung dafür sei, daß Rußland auf den Energieweltmärkten Wettbewerbsvorteile erlangen könne.2956 Vor diesem Hintergrund leitete Rußland eine »dreidimensionale Energie­ strategie«2957 ein: Kontrolle der Gasreserven der Kaspischen Region, den Aufbau von Anteilen an der europäischen Gasversorgung sowie die Anlockung von aus­ ländischen Direktinvestitionen zum Aufbau der russischen Energieinfrastruktur.2958 Darauf sollte der Aufbau der »Energiesupermacht Rußland« durchgeführt werden. »Dazu müsse das Land, so Putin, die gesamte exportorientierte Rohstoffinfrastruk­ tur unter staatliche Kontrolle bekommen, autarke Rohstoffexportrouten aufbauen, die Diversifizierung von Abnehmern durchsetzen, die Expansion transnationaler Gesellschaften in strategisch wichtigen Regionen bremsen sowie die Kontrolle über Infrastrukturnetze im GUS-Raum übernehmen. Sobald die größten russischen Roh­ stoffkonzerne eine einheitliche Strategie zur Erschließung der Weltmärkte konzi­ pierten, werde die Energiesupermacht Realität.«2959 Um den US-amerikanischen Ölkonzernen die Stirn bieten zu können, setzte Pu­ tin zudem auf die Einbindung der Europäischen Union in das russische Energie­ wirtschaftssystem. »Seit Oktober 2000 verhandeln die EU und Rußland über ein Abkommen für eine strategische Energiepartnerschaft, das die Versorgung der EU auf lange Sicht sichern und Eckpfeiler einer gemeinsamen Strategie für nachhaltige Entwicklung werden soll. Das Abkommen beinhaltet garantierte Lieferungen von Energieträgern und -produkten zu kalkulierbaren Preisen über mindestens 20 Jahre. Im Gegenzug wird die EU in die russische Energiewirtschaft und -infrastruktur investieren sowie eine Pipeline bauen, die die EU direkt mit Rußland verbindet.«2960 Die Voraussetzungen für die Umsetzung dieser Politik waren jedenfalls gege­ ben: »Rußland besitzt über 130000 Ölquellen und etwa 2000 Öl- und Gasvorkom­ men, von denen mindestens 900 bisher noch nicht ausgebeutet werden. Seine Öl­ vorkommen werden auf 150 Milliarden Barrels geschätzt, die gleiche Menge wie im Irak. Sie könnten noch erheblich umfangreicher sein, wurden aber wegen der Schwierigkeit von Bohrungen in entlegenen Regionen der Arktis noch nicht abge­ baut... Derzeit gibt es drei Transportwege für das russische Öl in die ausländi­ schen Märkte: nach Westeuropa über die Ostsee und das Schwarze Meer; über die Nordroute; in den Fernen Osten nach China oder Japan und die ostasiatischen Märkte. An der Ostsee hat Rußland einen Ölterminal in St. Petersburg und einen erweiterten Ölterminal in Primorsk. Zu dem staatlichen russischen Netz von Erd­

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gaspipelines, das >GastransportverbundnetzFiletstück< nicht nur der russischen, sondern auch der internationalen Rohstoffwirtschaft. Rußlandkenner Kai Ehlers zufolge wurde Jukos »zum größten innerrussischen Mo­ nopolisten, der Staat und Regierung seine Bedingungen diktieren konnte, aber da­ bei blieb es nicht: Michail Chodorkowski setzte auch dazu an, gro ße Tei le des Kon­ zerns an den größten westlichen Öl-Multi Exxon zu verkaufen; von bis zu 40 % war die Rede. Auch ein zweiter Öl-Riese, die Chevron-Texaco-Corporation, war im Ge­ spräch«.2963 Vor dem Hintergrund weiterer US-Beteiligungen an anderen Gruppen hätte das bedeutet, daß russisches Öl und Gas nicht nur in privaten Händen gelegen hätten, sondern auf dem Umweg über Jukos tendenziell unter dem Zugriff von US-Firmen zu kommen drohte.2964 Tatsächlich wollte die US-Machtelite Chodorkowski benut­ zen, um über den Erwerb der Mehrheitsanteile des Jukos-Konzerns in den Besitz der russischen Erdgas- und Ölwirtschaft zu gelangen.2965 »Lange hatten die USA darauf hingearbeitet, über Jukos einen Fuß in die Tür zum immensen Rohstoff­ reichtum Rußlands zu setzen, nachdem sie sich über >Joint-Ventures< bereits Zu­ gang zu den kaspischen Ölreserven der ehemaligen Sowjetrepubliken im Süden Rußlands verschafft hatten.«2966 Über den Umweg der >Internationalisierung< des Jukos-Konzerns wollten die US-Konzerne dem russischen Staat die Verfügungsge­ walt über die strategischen Rohstoffe entreißen.2967 In der Tat hätte sich bei Erfolg dieses Manövers Rußland endgültig in die Abhängigkeit der USA begeben, wie Aschot Manutscharjan schreibt: Mit dem Ausverkauf von Jukos durch die Veräu­ ßerung eines großen Aktienpakets an US-Firmen »hätte Rußland die Kontrolle über einen zentralen strategischen Rohstoff verloren und wäre unmittelbar von den USA abhängig geworden«.2968

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Unter Chodorkowski waren die wichtigsten Management-Positionen bei Jukos mit Amerikanern besetzt worden.2969 Die USA planten jedoch, den Jukos-Konzern vollständig in ihre Hände zu bekommen, und gingen jetzt daran, sich ihres Werk­ zeugs Chodorkowski, der ihnen den Einstieg in den Konzern ermöglicht hatte, zu entledigen. Statt dessen sollte ein US-Amerikaner an dessen Stelle als Konzernchef gesetzt werden. Den Enthüllungen des Saar-Echos zufolge wurde der Sturz Chodor­ kowskis im wesentlichen durch westliche Geheimdienste, insbesondere des CIA unter Mithilfe des deutschen Bundesnachrichtendienstes, gesteuert. Den Ansatz hierfür boten die Statuten der Chodorkowski-Finanzgruppe Menatep, in der die Jukos-Eigner ihren Besitz organisiert hatten. Denen zufolge hatte Chodorkowski im Falle seines Todes, einer Entführung, Haftstrafe oder beim Verlust eines wichtigen Jukos-Teilbetriebes seine Rechte an den Jukos-Gesamtkonzern zurückzugeben. Das heißt also, daß im Falle einer Verurteilung Chodorkowskis der Konzern vollständig unter Kontrolle der USA gelangt wäre.2970 Da dem amerikanischen Management die Abtretungsklausel in den MenatepStatuten bekannt war, brauchte lediglich Chodorkowski belastendes Material den russischen Strafverfolgungsbehörden zugespielt werden, was zu seiner Verhaftung führen würde. Dann konnten sich US-amerikanische Manager die totale Kontrolle über den russischen Ölgiganten sichern und ihn der Kontrolle Rußlands vollstän­ dig entziehen. Diese Aufgabe übernahm der BND-Mitarbeiter Ernest Backes, der auf konspirativem Weg Einblick in bristante Jukos-Unterlagen nehmen konnte und diese dem Kreml zuspielte.2971 Die Verhaftung Chodorkowskis ließ nicht lange auf sich warten; sie erfolgte am 25. Oktober 2003, und jetzt übernahmen US-Manager, zunächst Simon Kukes und ein halbes Jahr später Steven Theede, ein >lupenreiner< Amerikaner aus dem US-Bundesstaat Kansas, die Spitze von Jukos. »Nun lenkten und kontrollierten Amerikaner den russischen Ölriesen.«2972 Doch hatten die USA die Rechnung ohne Putin gemacht. Dieser war sich der geopolitischen Bedeutung der amerikanischen Schachzüge durchaus bewußt und holte zum Gegenschlag aus. Die Steuerschulden von Jukos nahm Putin zum Anlaß, die Jukos-Öltochter Yuganskneftegas durch Zwangsversteigerung (über eine KremlTarnfirma Baikal-Finans-Group) und nach russischen Gesetzen formaljuristisch legal wieder in russischen Staatsbesitz zu überführen. Doch ohne Yuganskneftegas war der Jukos-Konzern nur noch eine leere Hülle; Yuganskneftegas erzeugte immerhin 60 Prozent des Jukos-Öls.2973 Wie oben dargestellt, wurde die Ersteigerung von Yuganskneftegas durch die Kreml-Tarnfirma >Baikal-Finans-Group< am 19. Dezem­ ber 2004 von China finanziert. Damit war der Jukos-Konzern faktisch zerschlagen. Die >Baikal-Finans-Group< wurde wenig später vom staatlichen Ölkonzern Ros­ neft ersteigert, wodurch dieser auch Yuganskneftegas in die Hand bekam. Jetzt trat der russische Gaskonzern Gazprom auf den Plan, der schon im September 2004 erklärt hatte, er wolle die staatliche Ölfirma Rosneft übernehmen. Gazprom, welt­ weit größter Erdgasproduzent, verfügte als Monopolist zwar über mehr als 150000

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km Gaspipelines in Rußland und damit über das weltweit größte Pipelinenetz, je­ doch fiel der Anteil von Gazprom am Erdölgeschäft eher bescheiden aus.2974 Putins Plan war, einen vertikal integrierten Energie-Superkonzern in Staatshand zu bilden.2975 »Bisher gehören dem Kreml nur etwa 38 Prozent von Gazprom. Etwas mehr als 50 Prozent teilen sich russische Privateigner. Ausländische Beteiligungen... kommen auf 11,5 Prozent. Der Zusammenschluß mit dem Staatskonzern Rosneft soll eine neue Balance bei Gazprom schaffen: Der Staat wird in Zukunft mit mehr als 50 Prozent das Sagen haben... Längst hatte sich Wladimir Putin genügend Einfluß auf beide Konzernzentralen gesichert. Bei Gazprom hält seit 2001 Alexej Miller, Putins loyaler Arbeitskollege aus den Jahren in Sankt Petersburg, d ie Position des Vorstands­ vorsitzenden. Ein anderer putinnaher Sankt Petersburger, Dmitrij Medwedjew, leitet dort den Aufsichtsrat, und bei Rosneft fungiert ein weiterer enger Vertrauter des Präsidenten, Igor Setschin..., seit Juli 2004 als Aufsichtsratsvorsitzender.«2976 Hinter den Kulissen jedoch versuchten die Amerikaner die Zerschlagung des Jukos-Konzerns zu verhindern; der Amerikaner Bruce Misamore, Finanzchef von Jukos, versuchte unter Einschaltung einer US-amerikanischen Anwaltskanzlei und US-amerikanischer Gerichte, die Versteigerung von Yuganskneftegas, dem Kern­ stück von Jukos, zu verhindern. Der US-Gerichtsbeschluß, die Zwangsversteige­ rung auszusetzen, blieb letztlich aber erfolglos, da dieser durch die russische Re­ gierung zurückgewiesen wurde. Dieser Versuch der Amerikaner, die Zerschlagung des Jukos-Konzerns zu verhindern, war Beobachtern zufolge auch Ausdruck einer systematischen US-Politik, die ihre Hand auf russisches Öl und Gas zu legen und dabei zugleich den Europäern den privilegierten Zugriff zu verwehren versucht. Dieses Vorhaben hatte Putin jedoch durchkreuzt: Auf der Basis eines Zusammen­ schlusses des Gasgiganten Gazprom und des staatlichen Ölkonzerns Rosneft war durch den Zukauf von Yuganskneftegas ein marktbeherrschender, vertikal inte­ grierter und staatlich kontrollierter Superenergiekonzern entstanden, der sowohl den russischen Öl- als auch den Gassektor nebst den dazugehörigen Pipelinenetzen kontrolliert2977 (der Staatskonzern Transneft besitzt dabei das Monopol auf das rus­ sische Erdölpipelinenetzwerk). Die Jukos-Zerschlagung ist damit in Verbindung mit einer Wiederverstaatlichung des bestimmenden Sektors der russischen Ölproduktion vollzogen worden, als dessen Ergebnis nunmehr Gazprom als quasi-staatlicher Energiesuperkonzern her­ vorging. Die Monopolisierung des russischen Ölmarktes durch Gazprom schritt aber noch weiter voran: Zeitgleich mit der Verurteilung Chodorkowskis wurde der Öl-Multi Sibneft an Gazprom verkauft. Ursprünglich hatte der Oligarch Roman Abramowitsch, der Eigner von Sibneft war, eine Fusionierung von Sibneft mit Ju­ kos vorgeschlagen - eine Entwicklung, die die Machtverteilung hinsichtlich der Verfügungsgewalt über die russischen Rohstoffe entschieden zu Lasten des russi­ schen Staates verschoben hätte. »Nach dem Vorbild der Übernahme der russischen TNK-Ölgesellschaft durch British Petroleum bemühten sich Chodorkowski und Ab­

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um eine Verschmelzung mit Royal Dutch Shell sowie Exxon Mobile. Dieser Schritt hätte den Ölbaronen einen westlichen Schutzschirm verpaßt: Russi­ sche Behörden hätten kaum noch gegen sie vorgehen können. Die neu geschaffene transnationale Energiegesellschaft unter Chodorkowskis Führung wäre in der Lage gewesen, 50 Prozent der russischen Inlandsversorgung mit Öl zu kontrollieren. Das gesamte sibirische Öl und womöglich die sibirische Wirtschaft wären der Oberauf­ sicht der russischen Regierung entglitten.«2978 Letzteres entsprach auch Plänen der CIA, die in ihrem Bericht Global Trends 2015 im April 2004 die Notwendigkeit betonte, daß die USA sich auch das sibirische Öl sichern müßten.2979 Folgt man Kai Ehlers, so konnte sich der Kreml gegenüber Ab­ ramowitsch, der neben den Jukos-Fusionsplänen auch einen Verkauf von Sibneft und dessen sibirischer Erdölfelder an britische und US-Ölkonzerne ins Auge faßte, durchsetzen, daß dieser Sibneft Gazprom überließ.2980 Sibnefts Hauptaktionäre sind seitdem Gazprom mit 55,99 Prozent sowie Gazprom Finance BV mit 16,67 Prozent. 2981 Diesen kalten russisch-amerikanischen Ölkrieg im Hintergrund der Jukos-Affäre hatte Rußland für sich gewonnen. Mit dem Zusammenschluß von Yugansknefte­ gaz, Rosneft und Gazprom wurde neben dem Erdgassektor auch der Ölsektor wie­ der in staatliche Hand überführt, denn mit der Übernahme von Rosneft durch Gas­ prom hatte der Staat die Mehrheitsanteile an Gazprom erhalten und konnte damit die Kontrolle über die Ölförderung ausbauen. Darüber hinaus hielt der russische Staat noch 75 Prozent des Aktienkapitals der Firma Transneft, der alle russischen Pipelines gehören, sowie 52 Prozent der Firma >United Energy Systemnahe Ausland< - insbesondere auf Zentralasien - nehmen konnte. Für den Aufbau der >Energiesupermacht Rußland< war eine Einflußnahme auf die zentral­ asiatischen Rohstoffe von unerläßlicher Bedeutung, und die staatliche Kontrolle über das Öl- und Gaspipelinenetz war hierfür von außerordentlicher Wichtigkeit. Dabei müssen Pipelines nicht nur als Transportmittel, sondern auch als ein Macht­ instrument begriffen werden, und Rußland begann sie im Umgang mit den Nach­ barstaaten zweckdienlich einzusetzen, so etwa im Streit um die Frage, wie der zen­ tralasiatische Ölreichtum auf die Märkte gebracht werden kann. Dessen war sich Putin durchaus bewußt. »Pipelines sind unmittelbarer Ausdruck von Machtver­ hältnissen. Wo und unter welch en rechtlichen und techn ischen Bedingungen sie ver­ laufen, bestimmen Politik, Sicherheit und Wirtschaftsinteressen.«2986 Oder, um mit dem US-Politologen Frederick Starr zu sprechen: »Wer bestimmen kann, wie die Pipeline-Karte aussieht, wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestim­ men.«2987 Für Rußland - so Andrea Schmitz - ist es ein Gebot ökonomischer Notwendig­ keit, seine strategische Position als Hauptdurchgangsland für Öl- und Gaslieferun­ gen aus dem kaspischen und zentralasiatischen Raum nach Westen zu behaupten, was besonders für das Erdgas gilt. »Dem steigenden Bedarf in der EU, dem Haupt­ abnehmer von russischem Gas, stehen möglicherweise stagnierende Förderkapa­ zitäten in Rußland gegenüber. Um eine künftige Unterversorgung des russischen Binnenmarktes zu vermeiden, die im Fall einer anhaltend hohen Inlandsnachfrage bei gleichbleibend niedrigen Gaspreisen eintreten könnte, muß der staatliche Erd­

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gaskonzern Gazprom dafür sorgen, daß die Lieferungen aus Zentralasien nicht nur kontinuierlich fließen, sondern auch gesteigert werden können und die Entstehung konkurrierender Exportwege verhindert wird.«2988 Zu dieser Zeit gab es für die zentralasiatischen Staaten für den Export ihres Erd­ öls und Erdgases keine andere Möglichkeit, als diese über russische Pipelines zu befördern. Die BTC-Pipeline war noch nicht fertiggestellt, und bis Mitte 2001 gelang es Moskau ja, im Pipelinepoker wieder die Oberhand zu erlangen. Beim Erdgas war Gazprom praktisch der einzige Abnehmer. Diese Stellung wußte Putin auch umgehend auszunutzen, und seit Putin hatte Moskau seine Aufmerksamkeit auf Zentralasien gestärkt, wobei Sicherheitspolitik mit den Interessen des russischen Energiekomplexes verknüpft wurde. 2989 Zudem wurde mit dem Vorrücken der NATO an die russischen Grenzen der Kaukasus und die kaspische Region vom strategi­ schen Gesichtspunkt her für Rußland immer wichtiger.2990 Auch Andrea S chmitz be­ stätigt, daß angesichts des Vorstoßes westlich-transatlantischer Bündnissysteme sich Rußland in zunehmendem Maße Zentralasien zuzuwenden begann. Ihr zufolge »ist der Versuch, die zentralasiatischen Staaten über ökonomische Integrationsprozesse stärker an si ch zu bi nden, auc h als Reak tion auf die schwindenden Gestaltungsmög­ lichkeiten Moskaus im Westteil des postsowjetischen Raumes... zu werten«.2991 Savas Genc bestätigt, daß Rußland dort günstige Voraussetzungen für die Ver­ wirklichung dieser Strategie vorfinden konnte: »Das russische Interesse an Zen­ tralasien ist besonders durch den Zugang zum Handel mit regionalen Rohstoffen motiviert... Als Instrument, die Region wirksam zu kontrollieren, dient das noch bestehende Monopol an Exportstrecken: Die Weiterleitung von Öl und Gas aus Mittelasien und dem Kaukasus auf die Weltmärkte ist bis heute in großem Umfang nur über russischen Boden möglich. Turkmenistans Gasexportrohrleitungen, Ka­ sachstans und Aserbaidschans Ölexportrohrleitungen müssen zur Zeit das russi­ sche Gebiet überqueren, um die internationalen Märkte zu erreichen. Dieses Mo­ nopol ist nicht beschränkt auf die Pipelines, sondern erstreckt sich auf die Eisenbahnen und sogar die Wasserstraßen wie den Wolga-Don-Kanal... Auf dem Energiesektor verknüpfen sich Rußlands strategische und ökonomische Interessen, und die russi­ sche Außenpolitik in der Region wird auch von Vertretern des Energiesektors aus­ geübt.«2992 Dabei bezog Rußland eine Zusammenarbeit mit der Europäischen Uni­ on und China mit ein, um dem Druck der USA besser begegnen zu können.2993 Putin hatte die russische Öl- und Erdgasgesellschaften ermutigt, sich aktiver im kaspischen Raum zu beteiligen und so den Fluß der dortigen Öl- und Gasvorräte durch russisches Gebiet zu sichern. So begann Rußland gezielt, eine ökonomische Ausbreitung auf den Energiemarkt Zentralasiens und der kaspischen Region mit dem Ziel seiner Kontrolle vorzunehmen. 2994 Dabei verstand es Rußland, selbst die energie­ reichen Staaten der zentralasiatischen Region in ein Abhängigkeitsverhältnis zu brin­ gen, indem es beispielsweise russische Unternehmen unterstützte, größtmögliche Anteile an kaspischen Energieunternehmen zu erlangen, oder indem es sicherstellte,

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daß der Hauptteil der kaspisch/zentralasiatischen Energie weiterhin über die russi­ sche Pipelineinfrastruktur exportiert und gleichzeitig alles daran gesetzt wurde, alter­ native - russisches Gebiet umgehende - Ausfuhrwege zu vereiteln.2995 So stellte Putin während einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates im April 2000, an der die großen russischen Energiekonzerne teilnahmen, die Aufgabe, güns­ tige Bedingungen für das »Eindringen der Energiekonzerne in die kaspische Zone« zu schaffen.2996 Grundlage dieser Politik war der am 11. April 2003 geschlossene Vertrag zwischen Gazprom und Turkmenistan, der Gazprom für die nächsten 25 Jahre insgesamt zwei Trillionen m3 Erdgas zusicherte - ein Vertrag, der von Beob­ achtern sogar schon als neuer >JahrhundertvertragMittelasien-Zentrum< abzuschließen, der nach Rußland führt.«3001 Das Leitungsnetz >Mittelasien-Zentrum< verläuft mit drei Strän­ gen von Turkmenistan über Usbekistan und Kasachstan nach Rußland, ein weite­ rer Strang umgeht Usbekistan und mündet in Kasachstan in das nach Rußland füh­ rende Hauptnetz ein.3002

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Zusammengefaßt - so die Analyse Roland Götz‘ - »konnte Turkmenistan bis­ lang keine Hauptexportpipeline Richtung Süden oder Westen verwirklichen. Grund war vor allem das geschickte Taktieren von Gazprom: Die russische Firma konnte sich mit der >Blue StreamMittelasien-Zentrum< unter dem Schirm von Gazprom wurde das turk­ menische Hauptgasfeld Dauletabad direkt mit Rußland verbunden. Zudem geht die Förderung in den großen westsibirischen Erdgasfeldern allmählich zurück, und aus diesem Grund würde das Gas aus Turkmenistan, wenn es direkt den russi­ schen Weg nimmt, eine Deckungslücke auf dem Inlandsmarkt füllen oder zur Wieder­ ausfuhr in die GUS-Staaten benutzt werden.3004 Mit dem Ausbau des Pipelinenetzes >Mittelasien-Zentrum< sollte Turkmenistan in die Lage versetzt werden, die vereinbarten Erdgasmengen aus dem Vertrag vom 11. April 2003 zu liefern, womit das Monopol Rußlands bzw. Gazproms auf das turkmenische Erdgas gesichert werden sollte. Die Ergebnisse des Gipfels von Turk­ menbaschi wurde von Beobachtern denn auch »als Sieg Rußlands im geopoliti­ schen Spiel um das Erdgas des kaspischen Raums interpretiert«, w eil d adurch Turk­ menistan dem Bau einer transkaspischen Ost-West-Pipeline von seinen Gasfeldern durch das Kaspische Meer über Aserbaidschan und Georgien in die Türkei eine Absage erteilt hatte. Usbekistan hatte sich schon in den neunziger Jahren und insbesondere seit dem 11. September 2004 sicherheitspolitisch den USA und der NATO angegliedert. Über den Umweg der Energiepolitik begann Rußland auch hier allmählich die Verhält­ nisse zu seinen Gunsten umzukehren. So hatte Gazprom mit der staatlichen usbe­ kischen Firma Uzbekneftegaz seit 2004 eine Reihe von Abkommen geschlossen, »die dem russischen Konzern die für den Export bestimmte Menge Erdgas... bis 2012 sichern, ihm die exklusive Nutzung der usbekischen Gastransportkapazitäten ga­ rantieren und die Beteiligung an der Erkundung, Förderung und Verarbeitung von Gas ermöglichen«.3005 Offiziell galten als Datum der außenpolitischen Umorientie­ rung Usbekistans Richtung Moskau die im wesentlichen noch ungeklärten Ereig­ nisse von Andischan am 12. und 13. Mai 2005, als usbekische Sicherheitskräfte isla­ mistische Unruhen mit Waffengewalt niederkämpften und die USA daraufhin die

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Einrichtung einer internationalen Untersuchungskommission forderten, die auf usbekischem Gebiet Ursachen und Ablauf der Ereignisse erforschen sollte. Wie im folgenden Kapitel dargestellt wird, hatten die USA zu dieser Zeit längst eine gesellschaftlich-ökonomische Umgestaltung der kaukasischen und zentralasi­ atischen Staaten ins Auge gefaßt, um diese in die transatlantische »Zone der Demo­ kratie« einzugliedern, zumal sich die autokratischen Regime verstärkt wieder Ruß­ land zuwandten. Statt der zentralasiatischen Autokraten begannen die USA jetzt oppositionelle Gruppen aufzubauen, über die sie die Veränderung durchführen wollten. Deshalb waren die autokratischen Regime nicht mehr von Nutzen. Eine Untersuchung unter US-Aufsicht lehnte Usbekistan ab, da es darin die Verletzung seiner Souveränitätsrechte und eine Bedrohung der bestehenden Machtverhältnisse sah. »Die georgische >Rosenrevolution< sorgte dann für eine wachsende Verunsi­ cherung zentralasiatischer Machteliten über eine westliche Politik der Demokratie­ förderung, die aus ihrer Sicht in die gezielte Förderung von Regimewechseln über­ ging.«3006 Damit begann Usbekistan seine Beziehung zum Westen abzubrechen. Statt dessen wurde eine Verstärkung eurasischer Partnerschaften eingeleitet. Usbekistan verlagerte den Schwerpunkt seiner sicherheitspolitischen Zusammenarbeit auf Ruß­ land, China und andere eurasische Partner.3007 Andischan wurde daher als eine »Verschiebung geopolitischer Koordinaten«3008 - und zwar zugunsten Rußlands angesehen, und Usbekistan ist der Schlüsselstaat zur Kontrolle Zentralasiens. Us­ bekistan kündigte seine Mitgliedschaft in der GUUAM auf und wurde im Januar 2006 statt dessen Mitglied der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft. Rußlands Gewicht in Zentralasien erhöhte sich dadurch sowohl auf sicherheits­ politischem als auch auf wirtschaftlich-energiepolitischem Gebiet. Durch diesen außenpolitischen Schwenk Usbekistans konnte Moskau auch seine eurasischen In­ tegrationspläne vorantreiben. »Denn in der Vergangenheit hatte Taschkent insbe­ sondere jene von Rußland dominierten multilateralen Bündnisse abgelehnt, die auf militärische Kooperation ausgerichtet waren. Nunmehr wurde erwartet, daß Us­ bekistan der >Organisation des Kollektiven SicherheitsvertragsShanghaier Organisation für ZusammenarbeitEnergiesupermacht< zum Dreh­ und Angelpunkt der eurasischen Zusammenarbeit im Energiesektor zu werden; es ist zu einem energiepolitischen >Integrationsknoten< Eurasiens geworden.3023 Da­ bei waren die russischen Schachzüge darauf ausgerichtet, genau jene von der west­ lichen Machtelite begünstigten Pipelinekorridore zu durchkreuzen, die Rußland isolieren und ihm den Zugriff auf die kaspischen und zentralasiatischen Rohstoffe entziehen sollten. Als der Plan für den Bau der Rußland umgehenden BTC-Pipe­ line bekannt wurde, »mobilisierte Rußland alle seine politischen Ressourcen, um zusätzliche Alternativleitungen zu bauen und damit die Verwirklichung der ge­ planten Gas- und Erdölpipelines zu verhindern«.3024 Es handelte mit der Türkei einen Vertrag über den Bau einer Pipeline aus, die Gazprom schon Anfang der neunziger Jahre plante, nämlich eine Pipeline, die von Rußland über den Grund des Schwarzen Meeres in die Türkei führte. Es handelt sich um das sogenannte »>Blue StreamBlue StreamFlüssiggas< ergibt, steht die Gazprom im Zentrum der russischen Bestrebungen, mit Energie aus Öl, Gas und nuklearen Quellen neue Wirtschaftspartner und Bündnisse in ganz Eura­ sien für das bevorstehende Duell mit den USA zu erschließen.«3028 Hierbei sollte auch das >South StreamEn­ ergiezentrale für den Balkan< transformiert werden. In diesem Zusammenhang wird 60 Kilometer nordöstlich von der nordserbischen Stadt Novi Sad ein unterirdisches Depot entstehen, das ein Fassungsvermögen von mindestens 300 Millionen Kubik­ metern Erdgas haben soll. Somit hat Moskau bereits einen Gutteil seiner Pipeline­ route mit den entsprechenden Transitstaaten vertraglich abgesichert.«3032 Der Kauf des serbischen Ölkonzerns NIS ist die Voraussetzung für den Bau der strategisch bedeutsamen >South StreamSeidenstraßenstrategie< der USMachtelite wie auch der EU, die auf eine Abspaltung des Korridors von Mitteleuro­ pa über den Balkan bis in den Mittleren Osten und den Hindukusch ausgerichtet ist, in wesentlichen Punkten zu durchkreuzen. Nicht nur in Zentralasien konnte es wieder an Einfluß gewinnen. Durch die beschriebenen Balkanvorhaben konnte Ruß­ land auch auf dem Balkan, seiner traditionellen Interessensphäre, wieder eine Macht­ stellung aufbauen. Dabei hatte die russische Geopolitik auch Serbien als Schlüssel­ staat des Balkans wiederentdeckt, und deshalb versucht Moskau, dieses über die Energiewirtschaft an sich zu binden. Vor diesem Hintergrund wird auch die Be­ deutung dieses Staates sowie seine politische Entwicklung sowohl für die westli­ che Machtelite als auch für Rußland deutlich. Wer den bestimmenden Einfluß auf diesen Staat hat, besitzt eine günstige strategische Ausgangsposition zur Kontrolle des Balkans, und aus diesem Grund sind auch die Europäische Union wie die NATO unbedingt an der Anbindung dieses Staates an ihre Machtsphäre interessiert. Um energiepolitische Vorteile weiter zu anzuhäufen, erweiterte Rußland auch schrittweise den Radius seiner Energie-Interessen, und zwar sogar bis nach SaudiArabien, Indien und in den Iran. »So hat Gazprom bereits seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, an der mit sieben Mrd. US-Dollar veranschlagten Pipeline >IranPakistan-Indien< (IPI) mitzuwirken, und auch der russische Staat wird sich an den Risiken des Projekts beteiligten. Ein weiteres Beispiel für den russischen Einflußzu­ wachs ist Saudi-Arabien, das sich jahrzehntelang ökonomisch und politisch an den USA orientierte. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 kühlten die Bezie­ hungen jedoch ab. Seitdem bemüht sich das Land, seine internationalen Beziehun­ gen auch in Richtung Rußland auszubauen. Die beiden Staaten sind die größten Erdölexporteure der Welt; von ihrer Koordination hängt die Preisstabilität auf dem Welterdölmarkt ab. Saudi-Arabien setzt sich deshalb für einen Beobachterstatus Moskaus in der OPEC ein.«3034 Dabei gelang es Rußland über die Gründung des Joint-Venture-Unternehmens >Luksar< - bestehend aus Lukoil und Aramco -, einen Einstieg in den saudi-arabi­

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schen Gasmarkt zu erhalten. Lukoil hält dabei 80 Prozent und Aramco im Gegen­ zug 20 Prozent der Anteile an dem in der saudi-arabischen Westprovinz angesie­ delten Unternehmen. Zusätzlich sorgte Gazprom auch für einen Ausbau der Energiebeziehungen zwi­ schen Rußland u nd China und l egte dam it das Fundament für eine Integration eines russisch-chinesischen Energiemarktes. Im März 2006, anläßlich eines Besuchs Putins in Peking, vereinbarten beide Mächte den Bau einer Gaspipeline von Sibirien nach China. Das Projekt bekam den Namen >AltaiOrgani­ sation für kollektive Sicherheit< (OKS), die als Weiterentwicklung des Taschkenter Vertrags von 1992 gelten soll. Den Statuten dieses Abkommens zufolge dürfen die Mitgliedsstaaten künftig Drittstaaten ohne die Erlaubnis der OKS keinen militäri­ schen Zugang mehr zu ihren Gebieten gewähren. Infolgedessen kam es auch zur Stationierung russischer Streitkräfte im kirgisischen Kant im Herbst 2003, die die erste neu errichtete militärische Auslandspräsenz Rußlands seit dem Ende der So­ wjetunion ist. Ebenso konnte Rußland seine Position in Tadschikistan sichern. Den USA war es zwar gelungen, dort im Gefolge des 11. September militärisch Fuß zu fassen, jedoch erhielt Rußland als Gegenleistung für einen Erlaß der tadschikischen

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Schuldenlast eine Verlängerung des Stationierungsvertrages über den Mai 2003 hinaus. Als Fazit dieser Entwicklungen bleibt also festzuhalten, daß Rußlands gezielte Energiegeopolitik, dessen Instrument der Quasi-Staatskonzern Gazprom ist, die Voraussetzungen einer energiepolitischen Arrondierung Eurasiens geschaffen hatte, die über die Integration der GUS hinausgeht. Rußland ist vor diesem Hintergrund nicht auf dem Weg zu einer militärischen, sondern zu einer Energiegroßmacht,3039 die Geopolitik und Geoökonomie zu verbinden weiß. Die energiepolitische Inte­ gration der strategischen Schlüsselstaaten insbesondere des zentralasiatischen post­ sowjetischen Raumes, der Ausbau der strategischen Beziehungen zu China, Indien und dem Iran sollten ein eurasisches Gegenbündnis gegen das global-hegemoniale amerikanisch geführte transatlantische Bündnis im Sinne des Projekts einer multi­ polaren Weltordnung bilden.3040 Dabei gewann die Asien-Dimension der russischen Außenpolitik deutlich an Gewicht, wobei China und Indien trotz bestehender Rivalitäten aufgrund der si­ cherheits- und geopolitischen Gemeinsamkeiten zu wichtigen Verbündeten Ruß­ lands wurden3041 - Bekämpfung des islamischen Fundamentalismus und Separa­ tismus, wachsender Energiebedarf und die Herausforderung durch den globalen Hegemon USA sind Schnittflächen eines gemeinsamen Interesses. Putin selbst hatte auf seinen Besuchen in Peking am 2. Dezember 2002 und in Neu-Delhi zwei Tage später das Element einer >multipolaren Weltordnung< hervorgehoben, dessen Grundlage die Partnerschaft zwischen Rußland, Indien und China sein sollte. Der russische sicherheitspolitische Analytiker Pawel F elgenhauer führte hierzu aus: »Die Doktrin von der >multipolaren Weltneuen östlichen Geopoli­ tik< beitrug. Hier spielte der Bau einer Energiebrücke nach China, Japan, Südkorea, die Gewinnung von Marktanteilen im Iran und Irak ebenso eine Rolle wie die Ein­ beziehung der >Seidenstraße< von Mitteleuropa über den Balkan bis in den Nahen und Mittleren Osten durch die Pipelineprojekte >Blue Stream< und >South Streamfarbiger Revolutionen< in den eurasischen »Rimlands« Mit der Politik der Reintegration des eurasischen Raumes auf energiepolitischem Wege h atte Putin gewissermaßen den »Alptraum Mackinders« (so F. William E ng­ dahl) verwirklicht. Putin verband über das Pipelinenetzwerk die eurasischen >Rim­ lands< mit dem >HeartlandProject on Transitional Democraties< aktiv, griff zusätzlich noch zu einem Antisemitismusvorwurf: »Seit Putin gewählt wurde, waren alle führenden Figuren, die wegen Wirtschaftsverbrechen exiliert oder arrestiert wurden, jüdisch. In Dollar gerechnet, sind wir Zeugen der größten illegalen Enteignung von jüdi­ schem Kapital seit der Nazi-Beschlagnahmung in den 30ern...« Und weiter zu Chodorkowski: »Die Inhaftierung eines Mannes hat uns das Sig­ nal gegeben, daß unsere gut gemeinte Rußland-Politik gescheitert ist. Wir müssen nun erkennen, daß eine massive Unterdrückung von Menschenrechten stattgefun­ den hat und die Errichtung einer Administration in Moskau vom Typ eines defacto kalten Krieges.« (Washington Post, 28. Oktober 2003).3049 Dem schloß sich am 28. September 2004 ein sogenannter Offener Brief an die Führungen von NATO und EU an, der unter anderem auch von einer Reihe bekannter Vertreter der neokon­ servativen US-Machtelite unterzeichnet wurde und zu Lasten Putins kaum beleg­ bare Anwürfe3050 enthielt. Unter Benutzung einer aggressiven Menschenrechtsrheto­ rik griff dieser Brief direkt in die russische Politik ein und forderte die Unterstützung der »demokratischen Kräfte« in Rußland. Worum es hier tatsächlich ging, war die Tatsache, daß die Renationalisierung des Energiebereichs in Rußland an fundamentalen Prinzipien der US-Geopolitik rüttelte, deren Grundlagen eingangs ausführlich dargestellt wurden. Die Oligar­ chen waren für die US-Machtelite ja wichtige Verbündete, um den US-Konzernen den Zugang zu russischen Rohstoffen zu ermöglichen und die hierzu erforderliche gesellschaftlich-ökonomische Umgestaltung Rußlands einzuleiten. Nach seinem Machtantritt begann Putin sich schließlich allmählich dieser kriminellen Machtelite zu entledigen. »Putins politisches Ziel ist es, von den Oligarchen unabhängig zu sein«.3051 Der Staat sollte nicht mehr ein bloßes Instrument in der Hand der größten Finanz- und Industriegruppen sein. Tatsächlich handelte Putin mit den Oligarchen einen Kompromiß aus, dem zufolge ihre Aktivitäten während der wilden Privati­ sierungen nicht überprüft werden sollten, solange sie sich aus der Politik heraus­ hielten. Als Gegengewicht zu den einflußreichen Oligarchen begann Putin, um seine Vision von einem starken Staat mit einer zentralisierten >Machtvertikalen< zu ver­ wirklichen, seine Regierungsmannschaft aus dem Kreis der Geheimdienstmitar­ beiter und des Militärs (den sogenannten >SilowikiRat für nationale Strategie< im Mai 2003 eine Studie mit dem Titel Staat und Oligarchen veröffentlicht wurde, in der von einem Staatsstreich der Oligarchen gegen Putin unter Führung von Chodor­ kowski die Rede war, sah sich Putin zum Losschlagen gezwungen. Die Folge war die beschriebene Nationalisierung des Erdöl- und Erdgassektors in der Hand des Staatskonzerns Gazprom. Diese Nationalisierungspolitik sollte einige Jahre später noch auf weitere strate­ gische Wirtschaftszweige ausgedehnt werden. Im Oktober 2006 hatte die russische Regierung erstmals eine Liste strategisch wichtiger Wirtschaftsbranchen erstellt, in die ausländische Investoren nur mit Genehmigung einsteigen dürfen. »Die Beschrän­ kungen sollen für die Rüstungs- und Raumfahrtindustrie, den Flugzeug- und Spe­ zialanlagenbau, in der Atomindustrie, Rohstoffindustrie sowie für Monopole von gesamtstaatlicher Bedeutung gelten... Unternehmen der genannten Art sollen ihre Aktien in Zukunft nur mit Erlaubnis der Regierung verkaufen dürfen.«3054 Putin hatte dabei schon in einem Erlaß vom Juli 2005 in einer Liste einige russische Unter­ nehmenzweige als strategische Unternehmen eingestuft, die nicht ohne weiteres privatisiert werden dürfen. Insbesondere im Rohstoffbereich sollten ausländische Beteiligungen »deutlichen Beschränkungen« unterliegen.3055 Die Entscheidung von Gazprom, das Shtokman-Erdgasfeld in der Barents-See ohne ausländische Beteili­ gung auszubeuten, gilt Beobachtern zufolge als Bekräftigung des Kurses, die Be­ deutung ausländischer Unternehmen für die Ausbeutung russischer Bodenschätze möglichst gering zu halten und statt dessen die Interessen des russischen Staates an der Ausbeutung von Rohstoffen stärker zu beachten. Darüber hinaus erwogen Rußland und China, den Warenverkehr zwischen beiden Ländern künftig nicht mehr in Dollar, sondern in Rubel oder Yuan zu verrechnen und den Rubel somit zu einer alternativen internationalen Reservewährung zu etablieren.3056 Mehr noch: Bereits im März 2004 berichtete die Iswestija, daß Putin nach seiner Wiederwahl zum Präsidenten geplant habe, die Bindung der russischen Währung an den US-Dollar gegen eine Bindung an den Euro zu verändern. Das erfolgte auch wenige Tage nach der Verkündung des Urteils gegen Chodorkowski, als sich Ruß­ land und die EU auf eine engere Zusammenarbeit einigten; Moskau sandte gleich­ zeitig ein entscheidendes Signal in Richtung EU: Rußland werde in Zukunft seine Devisenreserven in Dollar herunterfahren, dafür den Euro-Anteil zu einer Quote 50:50 erhöhen; vorher lag das Verhältnis bei 80:20.3057 Wie schon geschildert, liegt

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die Rolle des Dollars als Weltleitwährung in der Bindung des Ölhandels an den Dollar begründet, und seit dem Jahre 2000 wurde in mehreren Ländern eine Ab­ kopplung vom Dollar erörtert. Die devisenpolitische Entscheidung Putins jeden­ falls bedeutete eine Zuspitzung der Auseinandersetzung um die Ablösung des Dollars als Leit- und Ölwährung. Die US-Vorherrschaft wurde mit derartigen Plä­ nen, den Dollar zu entthronen, zunehmend bedroht. Wenn jetzt auch Rußland in diese Bewegung mit einstiege, dann hätte sich die Gefahr der Liquidierung des Dollars als Weltleitwährung gesteigert; bis dahin verhindert aber noch Saudi-Ara­ bien die Ablösung des Dollars in der OPEC. Neben dem Konflikt um den Zugriff auf russische Rohstoffe zeichnete sich nunmehr ein neuer russisch-amerikanischer Zusammenstoß ab, diesmal auf dem Gebiet der Finanzmärkte, der - wie später noch gezeigt wird - bis heute anhält. Die Energiegeopolitik Putins verdeutlicht somit, daß die russische Außenpolitik wieder eine eigene Kontur angenommen hat. Rußland begann, seine eigenen geo­ politischen Vorstellungen durchzusetzen. Gegen das globale Interventionsmuster der USA setzte Putin ein Konzept des multipolaren Pluralismus, der sowohl Asien als auch Europa einbezieht und Rußland als Integrationsknoten in einer multipola­ ren Weltordnung begreift. Die US-Machtelite jedenfalls hatte die geopolitische Bedeutung der Zerschlagung des Jukos-Konzerns treffend gedeutet. Sie erkannte, daß diese Maßnahme die Vor­ aussetzung für eine künftige russische Politik war, die Russische Föderation aus der >Grand-AreaDemokratisierung< und >Internatio­ nalisierung< der Öl- und Gasförderung wie auch des Öl- und Gashandels von sei­ nem aus Sowjetzeiten stammenden Monopol auf die eurasischen fossilen Energiequellen zu trennen. Mit der Auflösung der Sowjetunion war eine neue Welt­ lage entstanden, deren Kern, so Kai Ehlers - die Neuverteilung des Zugriffs auf die Weltressourcen an fossilen Rohstoffen ist. Achtzig Prozent dieser fossilen Rohstoffe konzentieren sich auf der >strategischen EllipseNeo-ContainmentRim­ lands< politische Transformationen in Gestalt von Regimewechseln durchführte, um diese dann in das transatlantische Bündnis zu integrieren und Rußland, das >Heartlandsanfte Staats­

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streiche< in Gestalt von inszenierten >demokratischen< Regimewechseln durchzu­ führen. »Amerika besitzt... neben seinen Streitkräften noch ein zweites Instrument zur En tmachtung von Diktatoren. Dieses ist q uer du rch die Parteien veran kert, nährt sich von Steuermitteln und arbeitet mit privaten Stiftungen, internationalen Orga­ nisationen und ausländischen Regierungen zusammen. Seine Aktivisten, etwa Jen­ nifer Windsor, die Exekutivdirektorin von Freedom House in Washington, weisen selbstbewußt auf die Überlegenheit ihrer gewaltfreien Methode hin: >Breite Kam­ pagnen auf ziviler Basis haben größere Aussicht, demokratische Ergebnisse zu er­ zeugen, als Militärinterventionen oder gewaltsame Aufstände. Außerdem kosten sie weniger.Projekt Übergang zur Demokratie< (Project on Transitional Democracies) trug. Sie wurde nach Jack­ sons eigenen Worten »organisiert... zur Nutzung der Möglichkeiten zur Beschleu­ nigung demokratischer Reformen und Integration, die unserer Meinung nach in der erweiterten europäisch-atlantischen Region im nächsten Jahrzehnt bestehen werden«.3065 Die Zielgebiete dieser Organisationen sollten aufgrund ihrer geopoli­ tischen Bedeutung Georgien, die Ukraine und Kirgistan sein.

7.1 Die Geschichte der US-finanzierten >Non-Government-Organisations< (NGOs) Im allgemeinen wird die Geburtsstunde der >Demokratieförderung< im US-ameri­ kanischen Interesse in der Reagan-Ära angesiedelt. US-Präsident Reagan hatte in seiner Westminster Speech vom 8. Juni 1982 in London zur Unterstützung weltweiter »demokratischer« Umstürze aufgerufen: »Wir müssen die Infrastruktur der De­ mokratie fördern, die freie Presse, Gewerkschaften, politische Parteien, Universitä­ ten, damit die Menschen ihren Weg frei wählen können.«3066 Diese Rede bezeichnet Anselm Weidner, der sich mit den Hintergründen der >Regimewechsel< in Osteu­ ropa beschäftigt hatte, als »Geburtsstunde der Demokratieförderung auf US-ame­ rikanische Art«, denn das, was bislang CIA und Geheimdiplomatie an pro­ amerikanischen Regimewechseln bewerkstelligt hätten, solle nun in aller Öffentlichkeit durch Demokratie-Offensiven erreicht werden.3067 In der Reagan-Ära sei daraufhin ein wahrer Gründungsboom von US-Organisationen für Demokra­ tieförderung ausgelöst worden. Als Pate habe dabei die Friedrich-Ebert-Stiftung gestanden, die in den siebziger Jahren dazu beigetragen habe, daß Spanien und Portugal den friedlichen Übergang von der Diktatur zur Demokratie auf der Basis einer entschiedenen Westbindung vollzogen hätten.3068 Tatsächlich reicht die Geschichte derartiger Institutionen zur Durchsetzung >sanf­ ter Regimewechsel< aber schon wesentlich weiter zurück. Schon 1941 wurde unter

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der Schirmherrschaft der Präsidentengattin Eleanor Roosevelt die Organisation >Freedom House< ins Leben gerufen, die für die Förderung »demokratischer Ver­ änderungen« zwecks »weltweiter Verbreitung von politischer und wirtschaftlicher Freiheit« steht. Ihre Grundidee war zum Zeitpunkt ihrer Gründung die Schaffung eines weltweiten Gegenwichts zur Ideologie des Nationalsozialismus. »Im Kalten Krieg wurde die Organisation auf einen neuen Feind gepolt, die Kommunisten Osteuropas - und dabei mit Millionen aus US-Regierungsfonds finanziert.«3069 Das strategische Konzept heißt »der zweite Weg« und zielt auf einen Machtwechsel von innen heraus. Und um dies zu erreichen, werden die aus den jeweiligen Gesell­ schaften heraus entstehenden Zivilgesellschaften mit logistischem Material ver­ sorgt.3070 Dabei scheinen die Initiatoren dieser Organisation sehr planvoll vorzugehen: In ihrem Hauptquartier befindet sich eine Karte mit verschiedenfarbigen Pins an der Wand, welche die Außenposten der Organisation markieren. Den »Vormarsch der Demokratie« hält die Organisation in einer jedes Jahr aktualisierten »Landkarte der Freiheit« fest. »Grün sind die Musterknaben, die USA... und Westeuropa. Violett sind die bösen Buben mit erheblichen Menschenrechtsdefiziten und ohne freigewählte Regierungen: Saudi-Arabien gehört ebenso dazu wie Pakistan, die Voksrepublik China und diverse zentralasiatische und afrikanische Staaten. Gelb kennzeichnet die Wackelkandidaten. Es geht voran auf der Welt, vertraut man dem Index: 1974 galten erst 41 Staaten als frei, heute sind es 89. Zu den schlimmsten gehörten vor einem Jahrzehnt 21, nach aktueller Einordnung bleiben 8 übrig. Die Freedom-House-Welt kennt allerdings auch Rückschläge: Rußland ist von gelb auf violett zurückgestuft worden.«3071 Zwar wird es in der Organisation offiziell geleugnet, aber dennoch ist bei nähe­ rem Hinsehen unverkennbar, daß Querverbindungen zwischen >Freedom House< und der CIA bestehen. Vorstandsvorsitzender war in der entscheidenden Zeit vom Januar 2003 bis September 2005 James Woolsey. »Die Daten seiner Karriere«, so Osteuropa-Expertin Mária Huber, »weisen jedoch vor allem auf eines hin, nämlich auf den fließenden Übergang zwischen militärischen, geschäftlichen und politischen Verpflichtungen. Der ehemalige Offizier der US-Armee war Stellvertreter des USMarineministers und von 1993 bis 1995 Direktor der CIA. Der Freedom-HouseChef zählt zu den Architekten der neuen atomaren Rüstungsstrategie der USA. Er ist in verschiedenen US-Firmen und Think-Tanks tätig, unter anderem im Commit­ tee on the Present Danger und im Project for the New American Century. Letzteres steht erklärtermaßen in der neokonservativen Tradition der Reaganschen Außen­ politik und fordert die Bekämpfung von Regimen, >die unseren Interessen schaden wollen und unsere Werte ablehnenVierten Weltkriegs< ansieht.«3072 Mit dieser personellen Verbindung der Organisation zur US-Machtelite wird deut­ lich, daß es sich bei >Freedom House< eher um eine CIA-gesteuerte Einrichtung

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handelt, mit der Funktion, mittels einer >indirekten Strategie< im Rahmen der USGeopolitik an neuralgischen Punkten mißliebige Regime zu beseitigen, ohne - wie noch zur Zeiten des Kalten Krieges - auf die Inszenierung gewalttätiger Staats­ streiche zurückgreifen zu müssen, wie es oftmals in Lateinamerika der Fall war. Das Selbstverständnis von >Freedom House< beschreibt die Programmdirektorin Paula Schriefer wie folgt: »Wir bringen der Welt nur bei, wie Demokratie funktio­ niert - und dokumentieren, wo sie fehlt, wie man sie fördern könnte.«3073 Dabei organisiert >Freedom House< Schulungen in den USA und im Ausland für >Ausbil­ derRevolutionen< zu organi­ sieren.3074 Zu deren Umsetzung hatte >Freedom House< bereits einheitliche Muster entwickelt, deren Grundlagen von einem weiteren Mitglied der Organisation, näm­ lich Samuel P. Huntington, entworfen wurden. Dieser veröffentlichte 1991 einen Leitfaden für den Umsturz autoritärer Regime. »An erster Stelle steht dabei die systematische Delegitimierung der Herrschen­ den durch Vorwürfe, die auf breite Popularität rechnen können, wie Brutalität im Umgang mit der Opposition und Korruption. In diesem Zusammenhang wird auch auf die Notwendigkeit von Kontakten zur Weltpresse und zu internationalen Or­ ganisationen hingewiesen. Von zentraler Bedeutung ist für Huntington die Mobili­ sierung von Unterstützung in den USA, wo Abgeordnete mit moralischen Missio­ nen die Regierung gerne unter Druck setzen, dazu aber mit dramatischem Material beliefert werden müssen. Es folgen Empfehlungen, die Opposition zu einigen, Ge­ schäftsleute und Generäle einzubinden und einen charismatischen Führer an die Spitze der Bewegung zu stellen. Jede Gelegenheit, um Opposition gegen das Re­ gime zum Ausdruck zu bringen, sollte ergriffen werden, insbesondere wenn dieses Wahlen organisiert. Dabei müsse für die Opposition Gewaltfreiheit oberstes Gebot sein, um Sympathien im In- und Ausland zu gewinnen.«3075 Wie Mária Huber darlegt, unterstützt >Freedom House< seinerseits die AlbertEinstein-Gesellschaft, die 1983 von dem Sozialwissenschaftler des >Center for Inter­ national Affairs< der Harvard-Universität Gene Sharp in Boston gegründet wurde. Dieser hatte ein Jahr nach Reagans Westminster-Rede eine Studie über die Mög­ lichkeiten zivilen Ungehorsams in Westeuropa angesichts einer möglichen Invasi­ on des Warschauer Paktes erstellt, die 1985 veröffentlicht wurde.3076 Das Ergebnis seiner Fragestellung, wie der militärische durch den gewaltlosen Kampf ersetzt werden könne, faßte er mit dem Begriff »Strategie Nonviolent Struggle« zusam­ men. Gene Sharp verfaßte mehrere Bände, in denen er seine »198 Methoden des gewaltfreien zivilen Widerstands« - angefangen von Streikposten und Boykott über Hungerstreiks bis hin zur Sabotage und Besetzung öffentlicher Einrichtungen - darstellte. Sein Hauptwerk From Dictatorship to Democracy - A Conceptual Frame­ work für Liberation (Von der Diktatur zur Demokratie - Ein konzeptioneller Rah­

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men für die Befreiung) wurde 1993, 2002 und 2003 als Handlungsleitfaden neu aufgelegt und liegt in Serbisch, Russisch, Ukrainisch und Spanisch (vorrangig ge­ gen Venezuela gerichtet), aber auch in Arabisch und Farsi vor. Dieser Leitfaden wurde im Frühjahr 1999 in Serbien verteilt; für die Ukraine wurde er in 12000 Ex­ emplaren gedruckt und außerdem ins Internet gestellt.3077 In diesem Werk heißt es: »Durch den gewaltlosen Kampf kann man Konflikte nicht lösen, aber einen Sieg erringen. Wir diskutieren in quasimilitärischen Begrif­ fen, doch unser Vorgehen ist unblutig - und zugleich sehr wirkungsvoll.«3078 Und weiter: »Meine Prinzipien haben nichts mit Pazifismus zu tun. Sie basieren auf der Analyse der Macht in einer Diktatur und wie sie gebrochen werden kann - nämlich dadurch, daß die Bürger auf allen Ebenen der Staatsmacht und ihren Institutionen den Gehorsam verweigern.«3079 Dieses Buch - so Anselm Weidner - kann als das Handbuch des gewaltlosen Widerstands aller >samtenen Revolutionen< und Farb­ revolutionen seit 1989 und als Bibel aller Farbrevolutionäre von Belgrad bis Beirut gelten.3080 Gene Sharp war den Recherchen von Anselm Weidner zufolge in den siebziger Jahren Berater antikommunistischer Bewegungen in Burma und China gewesen, und die von ihm entwickelten Theorien des gewaltlosen Kampfes wur­ den »neben dem neu angeheizten Rüstungswettlauf zu der neuen Waffe im Kalten Krieg«,3081 und die Albert-Einstein-Gesellschaft wurde ihrerseits zur wichtigsten Denkfabrik des gewaltlosen Widerstandes in den USA. Der Direktor der Albert-Einstein-Gesellschaft, Robert L. Helvey, arbeitete den Untersuchungen von Mária Huber zufolge jahrzehntelang für das Pentagon, wo er in der Defence Intelligence Agency (DIA), dem militärischen Geheimdienst, tätig war. »Er koordinierte Dissidentengruppen in Burma und trainierte 1989 Studenten­ führer aus Peking in Hongkong. Seine >einmalige Qualifikation< beruht laut Selbst­ darstellung der Albert-Einstein-Gesellschaft in der Erkenntnis der Parallelen zwi­ schen militärischer und gewaltfreier Strategie: klare Definition des Ziels, exakte Lagebeurteilung, operationale Planung. Im Frühjahr 2000 gab Oberst Helvey Semi­ nare in Budapest für oppositionelle Studentenführer in Serbien. Aus dieser Zusam­ menarbeit ging die Bewegung >Otpor< hervor - und eine den örtlichen Bedingun­ gen angepaßte Neufassung von Gene Sharps Leitfaden.«3082 Helvey war zudem Militärattache in Birma, später Dekan der Militärattache-Trainingsschule in Was­ hington und Experte für geheime Operationen.3083 Neben schriftlichen Leitfäden zum Regimewechsel werden auch entsprechende Schulungsfilme erstellt. Der bekannteste ist Bringing down a Dictator, eine Chrono­ logie des Sturzes von Milosevic aus amerikanischer Sicht, der die angewandten Techniken und Methoden des >gewaltfreien Widerstandes< beschreibt und damit eine Anleitung zum Handeln gibt. In diesem Film führt Helvey aus: »Ich erklärte ihnen, daß man sich den gewaltlosen Kampf als Krieg vorstellen muß, daß diesel­ ben Prinzipien gelten wie im Krieg: Ein Ziel ist zum Beispiel, die Kräfte, eine Masse von Menschen, rechtzeitig am entscheidenden Punkt zu haben, und man kann nur

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gewinnen, wenn man nicht in der Verteidigungsposition bleibt, sondern zum An­ griff übergeht. Das gilt für den gewaltlosen genauso wie für den bewaffneten Kampf.«3084 Dieser Streifen hat dabei die Funktion, eine »Brücke zwischen Enkeln des Sowjetreichs und Demokratiestrategen der amerikanischen Ostküste« zu schla­ gen.3085 Erstellt wurde der Film von Peter A ckerman, Leiter des Washingtoner inter­ nationalen Zentrums für gewaltfreie Konflikte< und Mitglied des Council on For­ eign Relations.3086 Gewaltloser Widerstand sei ein »Werkzeugkasten, eine Art Waffenarsenal«, erklärt Ackerman in aller Offenheit, das sich für strategische Ziele in »Schlüsselregionen, die US-Politiker beeinflussen wollen«, hervorragend eigne.3087 Ergänzt werden diese televisionären Kampagnen sogar durch interaktive Computer­ spiele. So sponsorte >Freedom House< ein Computerspiel A Force - more powerful mit Anleitungen für den zivilen Widerstand.3088 An der Finanzierung, Organisation sowie der Versorgung oppositioneller Grup­ pen mit modernen Kommunikationsmitteln ist neben >Freedom House< vor allem die >National Endowment for Democracy< (NED) beteiligt. Diese Einrichtung läßt sich dem Geheimdienstexperten Klaus Eichner zufolge als Dachorganisation der NGOS und ihrer >Zivilgesellschaften< einschätzen. Sie stand in den entscheiden­ den Jahren 2003-2005 unter der Leitung des ehemaligen NATO-Oberbefehlshabers Wesley Clark.3089 Die NED wurde 1983 gegründet, hat ihren Sitz in Washington und wird vorwiegend über das US-Außenministerium finanziert. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Hintergrund ihrer Entstehung: Die NED ist eine Schöpfung der Reagan-Ära. Wie Peter Schweitzer darlegt, hatte USPräsident Reagan im Rahmen seiner antisowjetischen Destabilisierungsstrategie im Sommer 1982 ein umfassendes CIA-Programm erstellen lassen, in dem es dar­ um ging, der polnischen Untergrundbewegung >Solidarnosc< Unterstützung zu­ kommen zu lassen, nachdem CIA-Chef Casey zu dem Schluß gekommen war, daß das Kriegsrecht wohl Erfolg gezeigt und die >Solidarnosc< an die Wand gedrängt habe. Der Berater des Weißen Hauses Ed Meese sowie der Professor der George­ town-Universität Allen C. Weinstein kamen dabei auf die Idee, diese Unterstüt­ zung einer privaten Organisation zu übertragen. Das war die Geburtsstunde der NED, die auch umgehend Unterstützung durch die damalige Machtelite um Ro­ nald Reagan erhielt. »Die NED«, so Peter Schweizer, »entwickelte sich zu einem bedeutsamen Werkzeug in den Bemühungen, die Sowjetmacht zu unterminie­ ren.«3090 Ihre Operationen hätten denen der CIA geglichen. NED-Mitbegründer A llen C. Weinstein formulierte es s o: »Vieles von dem , was wir heute tun, wurde 25 Jahre lang heimlich von der CIA getan.« 3091 Die Besonderheit der NED liegt in ihren Struk­ turen, in der weltweiten Anwesenheit ihrer Filialen und in der direkten aggressi­ ven politischen Einflußnahme bis hin zur Finanzierung und Inszenierung von >RegimewechselnInternatio­ nal Republican Institute< (IRI) sowie das >National Democratic Insitute< (NDI). Hinzu kommen die im Ausland wirkenden Filialen des Gewerkschaftsverbandes AFL­ CIO und der Unternehmerverbände >American Center for International Labor So­ lidarity< (ACILS) und das >Center for International Private Enterprise< (CIPE). Nach offiziellen Angaben dieser Einrichtungen besteht deren Funktion darin, in den in Aussicht genommenen Ländern den Aufbau oppositioneller Parteien und >unabhängiger< Medien zu finanzieren und zu organisieren. »Auf einer Vielzahl von Wegen«, so der Kenner der irregulären US-Außenpolitik William Blum, »mischt sich NED in die inneren Angelegenheiten anderer Länder ein, durch die Bereitstel­ lung von technischem Know-how, Training, Bildungsprogrammen, Computern, Fax- und Kopiergeräten, Fahrzeugen usw. für ausgewählte politische Gruppen und Organisationen, Arbeiter- und Dissidentenbewegungen, Studentengruppen, Buch­ verleger, Zeitschriften und andere Medien.«3093 Dadurch, daß der imperialistische Zweck der Organisation durch ein wohlwollendes Image verdeckt werde, so Blum, sei sie ein wesentlich wirksameres Element in der US-Außenpolitik, als es die CIA je gewesen sei. Tatsächlich reichen Macht und Einfluß der NED und ihrer Unteror­ ganisationen sehr weit, wie es in den Rechenschaftsberichten der Organisationen dargestellt wird: »So rühmt sich das IRI der Republikaner beispielsweise, im Jahr 1996 ein Bündnis der mongolischen Oppositionsparteien zustande gebracht zu ha­ ben, das dann bei den Parlamentswahlen erfolgreich war. Damit habe das IRI ent­ scheidend dazu beigetragen, >daß die Mongolei das erste ehemals kommunistische Land Asiens wurde, das von Demokraten regiert wirdtrainiertsozialistischen< Gegner gewann. Auch den Sieg der rechten Opposition bei den Parlamentswahlen 1997 schrieb sich IRI zu. In Albanien hat IRI, nach eigener Darstellung, in der ersten Hälfte der neunziger Jahre massiv in die Geschehnisse eingegriffen, um die Sozia­ listen zu stürzen und 1992 die Wahl von Sali Ram Berisha zum >ersten nichtkom­ munistischen Präsidenten< Albaniens zu ermöglichen. Berisha regierte mit Wahl­ fälschungen und Ausnahmezustand, bis er 1997 von den Sozialisten abgelöst wurde. Die Wahl vor zwei Wochen (im Juli 2005, der Verf.) gewann wieder Berisha - mit massiver US-amerikanischer Unterstützung.«3094 An diesen Beispielen wird deutlich, daß die Einflußnahme der US-Machtelite auf die politischen Prozesse in Osteuropa sehr viel weiter und tiefer reicht als bis­ lang angenommen. Dabei ist die NED, wie William Blum nachweist,3095 wohl das entscheidendste Instrumentarium der US-Machtelite, um durchzusetzen, daß bei Wahlen in einem geostrategisch wichtigen Land nur der Kandidat an die Macht gelangt, der auf der Favoritenliste der US-Machtelite steht. Zu diesem Zweck hat

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die NED ein Schattenimperium aufgebaut, wie zum Beispiel in den achtziger Jah­ ren Oliver Norths >Project Democracy< (finanziert durch die Iran-Contra-Affäre), das die US-Außenpolitik privatisiert, Kriege führt, Waffengeschäfte abwickelt und bei Bedarf auch im Drogenschmuggel aktiv ist.3096 Präsident der >Nati onal Endowment for Dem ocracy< ist seit 1984 Carl G ershman, der den Neokonservativen wie Paul Wolfowitz, Richard Perle, Frank Gaffey und Elliot Abrams nahesteht, und die politische Tradition, für die Gershman steht, »bil­ det einen wesentlichen Strang in der Entwicklung des amerikanischen Neokonser­ vatismus und auch einen Hintergrund für den missionarischen Eifer der NED«.3097 NED-Programme, so William Blum, vermitteln in der Regel die Philosophie, daß den Menschen am besten mit einer neoliberal strukturieren Wirtschaftsordnung gedient sei. Eine freie Marktwirtschaft wird mit Demokratie, Reform und Wachs­ tum gleichgesetzt, und die Verdienste ausländischer Investitionen in ihre Wirtschaft werden hervorgehoben.3098 So beschreibt ein NED-Programm aus den Jahren 1997/ 98 folgendes: »Es gilt, Barrieren für die Entwicklung des privaten Sektors auf der lokalen und Bundesebene... der Bundesrepublik Jugoslawien zu finden und Druck für gesetzliche Änderungen zu forcieren... (sowie) Strategien zum Wachstum des privaten Sektors zu entwickeln.«3099 Kurz gesagt, ist die Programmatik des NED auf die ökonomische Globalisierung der US-beherrschten >Neuen Weltordnung< ausgerichtet. Als Finanziers der Aktivitäten dieser NGOs stehen das >Open Society Institute< und die >International Renaissance Foundation< des Bankiers George Soros im Hintergrund, der wie oben dargestellt schon eine führende Rolle bei der Destabili­ sierung der sozialistischen Staatenwelt Osteuropas spielte. »Die Soros-Organisatio­ nen gehören zu den bedeutendsten Geldquellen der oppositionellen Bewegungen. Soros stellt seinen Einrichtungen die Aufgabe, die >Zivilgesellschaft und alle de­ mokratischen Ansätze in den ehemaligen Sowjetrepubliken zu unterstützenoffenen Ge­ sellschaft meint Soros die Beseitigung staatlicher Souveränität, die in einer neoli­ beral-globalisierten Weltordnung, einem »globalen kapitalistischen System«3102 seiner Einschätzung nach lediglich ein Hindernis ist, da sie Interventionen in die inneren Angelegenheiten von Staaten verhindert. »Die Welt, in der wir leben«, so Soros, »ist viel stärker von gegenseitigen Abhängigkeiten, also von einer Interde­ pendenz, geprägt als jemals zuvor, aber alle unsere politischen Abkommen basie­ ren immer noch auf der Souveränität der Staaten. Was innerhalb einzelner Länder geschieht, geht alle anderen Länder etwas an... Das Prinzip der Souveränität be­ hindert jedoch Interventionen in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten. Darin liegt das große, ungelöste Problem der heutigen Weltordnung.«3103 Um dieses »un­ gelöste Problem« aufzuheben, empfiehlt Soros einen Weg, den er selbst als »Soros-

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Doktrin« bezeichnet: Da ein »schlechter Standort« und eine »schlechte Regierung« die Hauptursachen für Krisen in der Welt seien und man sehr wohl etwas gegen »schlechte Regierungen« unternehmen könne, »besteht die wirksamste Form der Konfliktprävention darin, überall in der Welt die Entstehung offener Gesellschaf­ ten zu fördern. Dies wurde zum Leitprinzip meiner Stiftungen nach dem Zerfall des Sowjetimperiums: Man könnte es fast die Soros-Doktrin nennen.«3104 Diese fordert die Aufhebung der Idee des souveränen Staates: »Da zerfallene Staaten, repressive, korrupte und unfähige Regime oder innere Konflikte auch für Länder jenseits ihrer Staatsgrenzen eine Gefahr darstellen, liegt es im Interesse al­ ler demokratischen, offenen Gesellschaften, überall auf der Welt die Entwicklung offener Gesellschaften zu unterstützen und voranzutreiben.«3105 Um diese aufbau­ en zu können, sei oftmals eine Einmischung von außen die einzige Rettungsmög­ lichkeit, und genau darin sieht er die Aufgabe des Netzwerkes seiner Stiftungen. Dieses habe schon zum Sturz der kommunistischen Regime beigetragen »und da­ bei geholfen, die Gesellschaft auf die Demokratie vorzubereiten... Meine Stiftun­ gen trugen zu den demokratischen Regimewechseln in der Slowakei (1998), Kroa­ tien (1999) und Jugoslawien (2000) bei und mobilisierten die Zivilgesellschaft, um Wladimir Meciar, Franjo Tudjman und Slobodan Milosevic aus ihren Ämtern zu vertreiben«.3106

7.2 Das Netzwerk der >Regimewechsler< in den Händen der US-Machtelite Diese verschiedenen Organisationen stehen und agieren bei ihren Operationen aber nicht isoliert nebeneinander, es handelt sich vielmehr um ein Netzwerk, das nach einem einheitlichen strategischen Muster verfährt. Den Enthüllungen des Nach­ richtenmagazins Der Spiegel zufolge arbeitet Soros »mit Organisationen wie >Free­ dom House< zusammen, etwa in Jugoslawien und auch in Georgien«.3107 Ein ver­ netztes Vorgehen der beschriebenen NGOs bestätigt auch Konrad Schuller: Erkennbar sei »immerhin eine internationale Struktur, die darauf hinarbeitete, de­ mokratische Kräfte so zu stärken, daß sie de facto zu Helfern eines Regimewech­ sels werden konnten. Diese Struktur präsentiert sich zwar äußerlich eher als eine Gemengelage verschiedener Gruppen denn als militärisch durchorganisierte Ein­ satztruppe. Sieht man aber genauer hin, sind dennoch Linien der Willensbildung in ihr erkennbar... Alle Personen und Gruppen in diesem Netz bestehen auf Unab­ hängigkeit, die Existenz einer zentralen Führung wird bestritten. Dennoch sind ge­ wisse Akteure erkennbar, bei denen die Fäden zusammenlaufen. Zu ihnen gehören der frühere amerikanische Geheimdienstkoordinator James R. Woolsey als Vorsit­ zender von >Freedom HouseFreedom House< im >Board of Trustees< sitzt. Einige Personen dienen als Klammem zwischen mehreren Organisationen. Frau Albright (Madeleine Albright, unter US-Präsident

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Clinton US-Außenministerin, der Verf.) etwa führt das NED und gehört zugleich zum Aufsichtsrat der Eurasia Foundation. Präsident Reagans frühere UN-Botschaf­ terin Jane Kirkpatrick sitzt in den Führungsgremien des IRI ebenso wie in denen von >Freedom HouseFreedom House< als Spender ver­ bunden, während Lawrence Eagleburger, Außenminister unter Präsident Bush dem Älteren, in den Gremien des IRI und der Eurasia Foundation sitzt«.3108 Deutlich erkennbar wird damit, daß die Fäden dieser verschiedenen Organisati­ onen in den Händen der US-Machtelite zusammenlaufen, die mit diesen über ein nichtmilitärisches weltweites Netzwerk zur Beeinflussung des inneren Geschehens und der Machtverhältnisse anderer Staaten verfügt. Damit läßt sich von einem eli­ tären Personenverbund mit gemeinsamen Zielen und der Kontrolle über beträcht­ liche Finanzmittel sprechen. Doch nicht nur die personelle Vernetzung, sondern auch die >US-Agentur für Internationale Entwicklung< (USAID), die als weiterer Finanzier amerikanische Steuergelder an die NGOs leitet, sorgt für die zentralisier­ te Ausrichtung und Steuerung ihrer Aktivitäten im Sinne der Interessen der USMachtelite. »Ei ne Bewilligung (von Geldern , der Verf.) erfolgt stets am ehesten dann, wenn diese Steuergelder amerikanischen Interessen dienen... >Sicherstellen, daß die US-Unterstützung amerikanische Interessen fördertExit-Poll-Umfragen< finanziert. »Mit Hilfe einer selektiven Querschnittsbefragung in ausgewählten Wahllokalen können bereits kurz nach Schließung der Wahlloka­ le die Ergebnisse von Hochrechnungen bekanntgegeben werden, und zwar zeitlich weit vor der Bekanntgabe vorläufiger amtlicher Endergebnisse«, erklärte HansGeorg Wiek, Leiter der OSZE-Berater- und Beobachtergruppe in Minsk 1997 bis

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Der Milliardär und gebürti­ ge Ungar George Soros. Mit seinem Vermögen speist er Bürgerbewegun­ gen in der ganzen Welt und leitete bereits mehrere Revolutionen ein.

US-Organisationen zur >Förderung und Verbreitung der Demokratie< in der Welt

Freedom House 1941 gegründet

National Endowment for Democra­ cy 1983 gegründet

International Republican Institute 1983 gegründet

National Democratic Institute 1984 gegründet

Soros Foundation und Open Society Institute, 1984 und 1985 gegründet, mit Depen­ dancen in der ganzen Welt.

Oben: Propagandafilm »Bringing down a Dictator«. Links: Aktivisten der Gruppe Pora in einem Trai­ ningslager am Schwarzen Meer.

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2001, diese Methode, »da sie die Glaubwürdigkeit von amtlichen Ergebnissen früh in Frage stellen können«.3110 An der Finanzierung und Organisation dieser ExitPolls sowie an der Versorgung der oppositionellen Gruppen waren in Serbien, Ge­ orgien und der Ukraine hauptsächlich die NED sowie >Freedom House< beteiligt und waren damit in die Gesamtprogrammatik von USAID eingebunden. Eine wichtige Aufgabe bei der Steuerung der Aktivitäten der oppositionellen Kräfte< scheinen auch die US-amerikanischen Botschaften in den jeweiligen Län­ dern gespielt zu haben. In sämtlichen osteuropäischen Ländern der >farbigen Re­ volutionen< hielt sich zu den jeweiligen Ereignissen der US-Diplomat Richard Miles auf, der vom US-State-Department als »Lenkwaffe« bezeichnet und auch entspre­ chend eingesetzt wurde. »Als Missionschef in Bel grad«, so enthüllte das Nachrichten­ magazin Der Spiegel, »hat er bis 1999 den Aufbau der Anti-Milosevic-Bewegung unterstützt. Als Botschafter in Bulgarien >begleitete< er danach die Wandlung des Sozialisten Georgij Parwanow zum NATO-Befürworter und die Installierung des einstigen Zaren Simeon II. auf dem Posten des Premiers. Schon vor Amtsantritt in Tiflis hat der umtriebige Diplomat... bei seiner Anhörung vor dem US-Senat seine Ziele als künftiger Botschafter geschildert: Er strebe einen >friedlichen und demo­ kratischen Machtwechsel< bei der Wahl 2005 in Georgien an. Als es im Frühjahr 2003 erste Anzeichen gibt, Schewardnadse könnte es, schneller als erwartet, an den Kragen gehen, steht der US-Botschafter als Verbindungsmann zwischen den La­ gern der sich formierenden Regimegegner parat.«3111 Und im April 2003, dem Mo­ nat, in dem die georgische Oppositionsbewegung >Kmara< gegründet wurde, traf sich Miles mit dem damals führenden Oppositionspolitiker Surab Schwanija und leistete Unterstützungsarbeit im Hintergrund. In einem Interview gab Miles selbst an, daß »die internationale Gemeinschaft und die USA« sehr hart für die georgi­ sche Wahl gearbeitet und mehrere Millionen Dollar ausgegeben hätten3112. Durch diese zentrale Organisation und Steuerung konnte die US-Machtelite ein weltweites Netzwerk von geschulten >Regimewechslern< aufbauen, das bei Bedarf von Land zu Land eingesetzt werden kann. Grundlage hierfür sind zentrale Schu­ lungen nach einheitlichem Muster. In diesem Zusammenhang berichtete das Nach­ richtenmagazin Der Spiegel von einer von >Freedom House< organisierten und fi­ nanzierten Zusammenkunft zum >Tirana Actitivsm Festivah im Juni 2005 in der albanischen Hauptstadt, auf der eine zentrale Schulung und ein Erfahrungsaus­ tausch von oppositionellen Aktivisten aus sämtlichen postsowjetischen Staaten statt­ fanden. »Es ist ein Treffen, beobachtet von den wichtigsten Geheimdiensten, der amerikanischen CIA, dem britischen MI6 und dem russischen SWR. Sie wissen, daß hier Weichen gestellt werden. Und zumindest die Amerikaner wollen die Teilnehmer hinter den Kulissen auch beeinflussen - schließlich haben ihre Steuer­ zahler die Veranstaltung zu einem großen Teil finanziert. Alles dreht sich um das große Spiel der internationalen Politik: um Demokratisierung, um neue Freiheiten und damit auch um Interessensphären der Großmächte. Wie man am besten Ge­

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waltherrscher und Autokraten von Osteuropa bis Zentralasien und dem Nahen Osten aus dem Amt jagt. Wie sich gewaltlose Revolutionen anzetteln und organi­ sieren lassen. Welche Muster bei diesem Kampf immer wiederkehren. Besprochen werden soll vor allem, was die in einigen Ländern schon erfolgreichen Aktivisten den anderen in den Noch-Diktaturen beibringen können.«3113 Die Teilnehmer »gehören zur jugoslawischen Organisation >OtporKmaraPoraOt­ por< hervorgegangene >Zentrum für Gewaltfreien Widerstand< im April 2004 in Novi Sad ein Seminar für Aktivisten aus der Ukraine. Die Teilnehmer bekamen wirksame Instruktionen für die Praxis: Plakate kleben, Massen organisieren, mit den Medien arbeiten. Betont wurde die Notwendigkeit, diffuse oppositionelle Grup­ pen in eine lose Dachorganisation einzubinden, woraus nach serbischem Vorbild die ukrainische Jugendformation >Pora< hervorging. >OtporFreedom House< eineinhalb Jahre lang quer durch die Ukraine, zeigte Videofilme über »Otpor< und mahnte zur Gewaltlosigkeit...«3115 Die Schulung ukrainischer Aktivisten durch die Führungskräfte der oppositionellen serbischen Gruppierung >Otpor< wurde von der britischen Westminster-Stiftung bezahlt.3116 So konnte ein staatenübergreifendes Netzwerk von nach einheitlichem Muster aufgebauten und operierenden Organisationen etabliert werden - sei es >Otpor< (>WiderstandKmara< (>Es reicht!Pora< (>Es ist an der ZeitJungen Internationalen< gibt Amselm Weidner an, daß sie prowestlich und prokapitalistisch ausgerichtet sei.3118

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7.3 Das einheitliche >Drehbuch< der Regimestürze Vor diesem Hintergrund kamen die so organisierten >Farbrevolutionen< auch nur dann zum Einsatz, wenn dies in das geopolitische Konzept der USA paßte. »Am Anfang einer >Farbrevolution< steht immer eine machtpolitische Entscheidung... Es gibt Farbrevolutionen nur, und sie können nur erfolgreich sein, wenn Washing­ ton sie will.«3119 Wenn in der US-Machtelite die Entscheidung für einen Regime­ sturz gefallen ist, so steuert diese die weiteren Geschehnisse über die beschriebe­ nen Organisationen im Hintergrund. Externe >Regimewechsel< samt ihrer Finanzierung finden Weidner zufolge »im Halbdunkel von Kabinettsentscheidun­ gen, Absprachen mit Geheimdiensten, Militärs, von staatlichen und privaten Part­ nern, vor allem privaten Stiftungen, in sogenannten Public-Private-Partnerships statt, wie die Aktivitäten der US Agency for International Development (USAID) belegen: So wird über den Einsatz staatlicher Gelder für >democracy promotion< zwar in Washington vo m Kongreß im Rahmen sogenannter >Freedom Support Acts< (FSA‘s) entschieden, aber über die Verwendung dieser Gelder befindet die USAID, eine Abteilung des US State Department, die Projekte zur Förderung von Demo­ kratie und zur Stärkung der Zivilgesellschaft ausschreibt«.3120 Dies - so Weidner - erfolgt in Absprache und mittels Projektverträgen mit priva­ ten, aber größtenteils mit staatlichen Geldern finanzierten Stiftungen wie >Free­ dom HouseNational Demokrati Institute< (NDI, die politische Stiftung der Demokraten), dem >International Republican Institute< (IRI) der Republikaner, dem >German Marshall Fund of the United States< (GMFUS), der >Charles Stewart Mott Foundation< oder der >Rockefeller Brothers FoundationNational Endowment for Democracy< (NED). »In Europa agieren vor allem die vergleichsweise sehr viel unabhängigeren politischen Stiftungen, wie die Konrad-Adenauer- und die Friedrich-Ebert-Stiftung in der Bundesrepublik oder die Westminster Foundation in Großbritannien als Demokratieförderer. In sogenannten Geber-Konferenzen wer­ den die Projekte koordiniert. Sie stellen die informellen Schnittstellen der staatli­ chen und privaten Demokratieförderungspolitik dar.«3121 Sobald die US-Machtelite die Finanzierung gebilligt hat, geht es »in die akute Phase der Vorbereitung eines nichtmilitärischen prowestlichen Regimewechsels«. Die Schritte sind - so Weidner - immer dieselben: »Angesichts einer bevorstehen­ den Präsidentenwahl muß die meist zersplitterte politische Opposition geeint wer­ den - Strategie und Taktik von Kampagnen im Zusammenhang der Wahl werden entwickelt, Maßnahmen zur Sicherung der Wahlergebnisse vorbereitet und Metho­ den des gewaltlosen Kampfes trainiert. Dabei kommt ein ganzes Heer von größten­ teils aus den USA eingeflogenen politischen PR- und Marketing-Beratern zum Ein­ satz... Da Farbrevolutionen immer anläßlich von Wahlen, dem kritischen Moment des Legitimitätstests eines Regimes, stattfinden, sind Wahlbeobachtung und Siche­ rung des ungefälschten Wahlergebnisses von entscheidender Bedeutung.«3122

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Dabei dienen die beschriebenen Exit-Polls-Wählerbefragungen einer Manipula­ tion der Öffentlichkeit. Vor dem Ergebnis der offiziellen Stimmauszählung - so Anselm Weidner - wird das Ergebnis der Exit-Polls-Umfrage als das eigentlich kor­ rekte Wahlergebnis verbreitet. Die Diskrepanz zwischen den Exit-Polls-Befragungs­ ergebnissen und dem offiziellen Endergebnis wird dann als Wahlfälschung des herr­ schenden Regimes diskreditiert - was dann für öffentlichkeitswirksame Kampagnen instrumentalisiert wird. Dabei geht Anselm Weidner davon aus, daß die Durchset­ zung des Sieges des von den >Oppositionellen< (und der hinter ihnen stehenden USMachtelite) geförderten Wunschkandidaten wenig mit demokratischen Grundsät­ zen zu tun hat: »Allein die Tatsache, daß Exit-Polls von denselben Kräften finanziert werden, die die Kampange des Oppositionskandidaten steuern, ist mit demokrati­ schen Grundsätzen schwer vereinbar. Daher ist Skepsis angebracht, wenn bei einer Farbrevolution die Opposition den Sieg des eigenen Kandidaten verkündet.«3123 Insgesamt läßt sich daher festhalten, »daß Farbrevolutionen von Marketing-, PRund Kommunikationsspezialisten entwickelte, prokapitalistisch-nichtmilitärische Operationen sind, bei deren jugendlicher Vorhut es sich größtenteils um geschultes Personal vor allem US-amerikanischer Stiftungen der >democracy promotion< han­ delt. Und was auf den ersten Blick so unschuldig neutral als Förderung yon Demokratie daherkommt, erweist sich zumindest in den Vereinigten Staaten bei näherem Hinsehen als finanziell, personell und ideologisch eng mit dem militä­ risch-geheimdienstlichen Komplex verknüpft«.3124

7.4 Die Beseitigung des Milosevic-Regimes als Muster für einen USgesteuerten Regimesturz Thomas C arothers vom >Carnegie Endowment for International Peace< und der USamerikanische Experte der externen Demokratieförderungspolitik verfaßte im Mai 2001 einen Artikel mit der Überschrift »Wie man ausländische Herrscher los wird Lektionen aus Serbien«,3125 in dem er die Ereignisse in Belgrad im Jahre 2000, die zum Sturz von Milosevic führten, als Modell für eine Politik beschrieb, um unlieb­ same Herrscher zu stürzen. Zwar gab es schon vor den Farbrevolutionen nichtmi­ litärische Regimewechsel vornehmlich durch US-Einfluß und vorbereitet durch eine >democracy promotionChé GuevaraNational Endowment for Democracy< aus Washington fast drei Millionen Dollar erhalten haben, wird inzwischen kaum mehr bestritten; ebenso, daß Spenden in unbekannter Höhe von der Republikaner-Stiftung fließen - insge­ samt wohl 40 Millionen Dollar aus Amerika. Der pensionierte US-Oberst und ExMilitärgeheimdienstler Robert Helvey veranstaltet im Frühjahr 2000 ein Seminar mit 20 jugoslawischen Aktivisten >auf neutralem Boden< im Hilton von Budapest.« 3128 Darüber hinaus fanden in Novi Sad mehrere Lehrgänge durch PR-Spezialisten aus den USA statt, die von >Freedom House< finanziert und organisiert wurden.3129 Ein Teil des Personals, das im April 2000 nach Budapest geschickt wurde, um >OtporOtporOtpor< aus anderen ausländischen Quellen insgesamt bekam, ist von den serbischen Aktivisten nicht bekanntgegeben worden.3132 Von nicht geringer Bedeutung waren ebenso die logistische Unterstützung und die Schulung der serbischen Aktivisten durch die US-Organisationen. So berichtet das Nachrichtenmagazin Der Spiegel von »Vorträgen und Geschäftsbesprechungen in den USA«, wo der Anführer der serbischen Oppositionsgruppen, Ivan Marovic, geschult worden sei. Dieser hatte ferner »mit der Firma BeakAway Games - und wesentlich finanziert von der Stiftung >Freedom House< - ein interaktives Compu­ terspiel >A Force More Powerful< entwickelt«.3133 Auch die Auseinandersetzung um die Stichwahl zwischen dem Staatschef Milo­ sevic und dem von der Oppostion unterstützten Gegenkandidaten Vojislav Kostu­ nica lief dann unter Anleitung der US-Organisationen geradezu generalstabsmä­ ßig ab. »In Serbien wurde, wie bei allen folgenden Farbrevolutionen, die für den Meciar-Sturz 1998 entwickelte, inhaltlich und logistisch präzise abgestimmte Kam­ pagnen-Triade angewandt und ständig perfektioniert: von >educational campaigns< zur Aufklärung über Wahlen und Demokratie, über >get-out-to-vote-campaignspreventive cam­ paignsOtpor< in Methoden der Wahlkampffüh­ rung und mehr als 10000 Menschen für die Wahlbeobachtung trainiert. Hunderte serbische Nichtregierungsorganisationen seien von den USA unterstützt worden.3135 Der Sturz Milosevics im Oktober 2000 lieferte das Grundmodell und Drehbuch für das, was dann in Georgien und in der Ukraine geschah. Die Strategie, über ferngesteuerte Bürgerbewegungen mißliebige Regime zu beseitigen, schien also auf­ zugehen. »Keine Oppositionsgruppe war beim Kampf gegen das Regime so ent­ scheidend, für seinen Sturz so wichtig wie >OtporRosenrevolution< in Georgien: Die USA stürzen Schewardnadse und setzen ihren Wunschkandidaten Saakaschwili durch Wie oben dargestellt, hat Georgien für die US-Interessen im kaspischen Raum eine kaum zu überschätzende geopolitische Bedeutung, es liegt an einer geostrategisch wichtigen Stelle. Es ist zum einen das wichtigste Transitland für die drei Milliarden US-Dollar teure BTC-Pipeline, die den US-Konzernen ohne jegliche russische Einmi­ schungsmöglichkeit den Zugriff auf das kaspische Erdöl ermöglicht; zum anderen ist es der Sperrriegel, der den Zugang zum Südkaukasus und seinen Erdölquellen beherrscht. Für Rußland hingegen ist Georgien die Brücke zu seinem Verbündeten Armenien und damit gleichfalls entscheidend für die Kontrolle des Kaukasus. Schewardnadse war für die US-Machtelite der ideale Wunschpartner für das Amt des georgischen Staatschefs. Seine gegen Rußland gerichtete Außenpolitik, die darin bestand, den russischen Einfluß auf dem Kaukasus zurückzudrängen, und sein Streben nach einer Mitgliedschaft Georgiens in der NATO und der Eu­ ropäischen Union ließen ihn als treuen Vasallen der USA erscheinen3137; insbe­ sondere nach dem 11. September 2001 wurde der militärische und politische Ein­ fluß der USA auf Georgien, wie oben beschrieben, immer größer. Vor diesem Hintergrund verhielt sich Georgien unter Schewardnadse so, wie es die US-ame­ rikanischen Pläne vorsahen, so daß sich die Frage stellt, aus welchem Grund Sche­ wardnadse für die USA zu einem unbequemen Partner wurde und deshalb aus dem Weg geräumt werden mußte. Innenpolitisch stand das Regime Schewardnadse längst nicht mehr auf festem Boden, was darin begründet lag, daß sich unter seinem Regime Schattenwirtschaft und Korruption auszubreiten begannen. Darüber hinaus blieben die ethnischen Spannungen mit den Abchasen, Südosseten und den Adscharen nach wie vor be­ stehen. »Clanwirtschaft und Korruption prägen das zerfallende Land.«3138 Georgien befand sich internationalen Beobachtern zufolge am Rand des Zusammenbruchs, die Regionen Südossetien, Abchasien und Adscharien hatten sich de facto von der Hauptstadt losgesagt und widersetzten sich allen Zentralisierungsbemühungen.3139

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»Georgien ist, wie weite Teile Afrikas und anderer Weltgegenden, ein politisches Gemeinwesen, das über Familien- und Clanbeziehungen organisiert ist und in dem Patronage eine absolut zentrale Rolle spielt. Dieses System gedieh unter der sowje­ tischen Herrschaft, entspricht aber alten georgischen Traditionen. Als die Sowjet­ union zusammenbrach und Georgien die geschützten Sowjet-Märkte für seine Pro­ dukte verlor, brachen unglücklicherweise sowohl die georgische Wirtschaft als auch das georgische Patronage-System zusammen und trieben die Elite in eine Klepto­ kratie, in der sie plünderte, was immer als Geldquelle zur Hand war - westliche Hilfe, Energieimporte und die Steuern und Zölle ihres eigenen Landes.«3140 Unter Schewardnadse begann sich di eses M afia-System weiter au szubreiten, und es gab Hinweise dafür, daß er selbst mit seiner Familie in die Korruption verstrickt gewesen war.3141 Vor diesem Hintergrund war es kaum verwunderlich, daß das Land von sozialen Verwerfungen bestimmt war. Über die Hälfte der knapp fünf Millionen Georgier lebten unterhalb der Armutsgrenze mit weniger als einem Euro täglich, die Korruption verschärfte die allgemeine Armut nur noch; Gehälter wur­ den entweder gar nicht oder Monate verspätet ausgezahlt. Der übergroße Teil der Wirtschaft war die illegale Schattenwirtschaft, die von einzelnen Clans - zu denen eben auch Familienangehörige von Schewardnadse gehörten - beherrscht wurde.3142 Unzufrieden mit Schewardnadse waren vor allem die USA.3143 Eine Destabilisie­ rung des Regimes ihres Vasallen lag keinesfalls in ihrem Interesse, denn es ging darum, Georgien nicht wieder in den russischen Einflußbereich zu entlassen.3144 Schließlich hatten die USA viel in Georgien investiert: Für den Ausbau Georgiens als Transportkorridor für das kaspische Öl nach Westen investierten die USA jedes Jahr bis zu 150 Millionen Dollar in diesen Kaukasusstaat.3145 Für den Bau der BTCPipeline, mit der Rußland im Pipelinepoker aus dem Spiel gedrängt werden sollte, war Georgien aufgrund seiner Scharnierfunktion zwischen Kaspischem und Schwar­ zem Meer der Schlüsselstaat und Knotenpunkt; die Anwesenheit von 200 US-Mili­ tärinstrukteuren und einer geheim gehaltenen Zahl von CIA-Experten in Georgi­ en3146 unterstrichen dies. Georgien, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel zusammenfassend, sollte nach US-Plänen über die BTC-Pipeline der Garant dafür sein, daß im Westen das Öl nicht knapp wird. »Also haben die USA Marines als Ausbilder an den Südrand des Kaukasus geschickt, zum Aufbau einer georgischen Elitetruppe; von 1994 bis 2003 leisteten sie 1,5 Milliarden Dollar Aufbauhilfe und ermutigten Investoren, in Georgien zu bleiben.«3147 Um das Land aus der russischen Einflußzone herauszubrechen und stärker an die transatlantischen Organisationen zu binden, verlangten die USA eine ökono­ misch-gesellschaftliche Umgestaltung des Landes; Georgien wurde dazu den Vor­ gaben des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterworfen. Die um sich grei­ fende Korruption jedoch und die Tatsache, daß die verordneten Reformen nicht in Angriff genommen wurden, führten dazu, daß der IWF seine Finanzhilfen einstell­ te.3148 »Wir waren sehr unzufrieden mit dem Lauf der Reformen«, erklärte seiner­

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zeit der US-Botschafter in Tiflis, Richard Miles. »Vor allem die Korruption muß entschlossener bekämpft werden.«3149 Auf diese Weise setzten die USA Schewardnadse unter Druck, um endlich auf einen entschiedenen Reformkurs umzuschwenken, gegen die wuchernde Korrup­ tion im Lande vorzugehen und die gesellschaftlich-ökonomische Umwandlung im Lande vorzunehmen. Daher sorgten die USA mit einem »dringenden Rat« dafür, daß Schewardnadse einen seiner politischen Ziehsöhne aus der Garde der >jungen ReformerMaster of Law< und in Washington seinen Doktortitel absolviert. »Bei der New Yorker Rechtsanwalts­ kanzlei Patterson, Belknap, Webb & Tyler, die nicht zuletzt Investoren im Geschäft mit ehemaligen Sowjetstaaten berät und Experten für Fragen kaspischen Öls be­ schäftigt, war er Repräsentant - noch als Politiker in Tiflis«3155 - dieser Umstand legt den Verdacht nahe, daß Saakaschwili in der Regierung von Schewardnadse auch die Funktion hatte, die amerikanischen Ölinteressen in Georgien zu vertreten. Gegen die Versuche Saakaschwilis, Schewardnadse einen Reformkurs aufzuzwin­ gen und die Regierung von innen her zu reformieren,3156 setzte sich S chewardnadse zu Wehr. Dieser »war nicht bereit, seine Seilschaften zu kappen, die er mit den alten Parteileuten aus kommunistischer Zeit und den neuen Oligarchen pflegte, die ihn umgaben. Die Forderungen von Saakaschwili und Schwanija, die korrup­ ten Minister zu entlassen, lehnte Schewardnadse ab. Saakaschwili verließ nach weniger als einem Jahr im Amt die Regierung«.3157 Er trat zurück, indem er wäh­ rend einer Kabinettssitzung Fotos der kaum auf ehrliche Weise erworbenen Villen der Regierungsmitglieder in die Kameras hielt. Parlamentspräsident Schwanija trat im Herbst 2001 zurück, nachdem der damalige Geheimdienstminister einen Fern­ sehsender schloß, der über schmutzige Geschäfte der georgischen Machtelite mit tschetschenischen Rebellen berichtete und enthüllte, wie auf Geheiß des Geheim­ dienstministers tschetschenische Rebellen in das abtrünnige Abchasien gebracht wurden, die mit den dortigen Separatisten aufräumen sollten.3158 Der Versuch der USA, Schewardnadse durch Einschaltung von Saakaschwili zu

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den gewünschten Reformen zu zwingen, scheiterte somit, und »als klar wird, daß nichts wirklich fruchtet, und nach mannigfaltigen Visiten einflußreicher Amerika­ ner in Tiflis - von Ex-Außenminister James Baker bis Irak-Kriegs-Falke Senator John McCain - senkt sich der Daumen über S chewardnadse«.3159 Die 1,5 Mrd. US-Dollar, die die Amerikaner bis zum Umsturz in Georgien investiert hatten, waren unter Schewardnadse wie in einem schwarzen Loch verschwunden. Georgien drohte in Korruption und wirtschaftlichem Chaos zu versinken. Aber es waren nicht nur die innenpolitischen Instabilitäten, die die US-Machtelite dazu brachte, Schewardnadse fallenzulassen. Zu beachten ist, daß Georgien nach wie vor von russischen Gas- und Stromlieferungen abhängig war und keine Chance hatte, ohne stabile und billige Energieversorgung aus Rußland seine katastrophale Wirtschaftskrise zu überwinden,3160 und dieser Umstand führte dazu, daß Sche­ wardnadse sich in der Krisensituation wieder Rußland anzunähern versuchte.3161 »Schewardnadse hat aber eines nie vergessen: Amerika ist reich und mächtig, Ruß­ land aber nah und bedrohlich. Also versuchte Schewardnadse die Interessen Mos­ kaus im Kaukasus stets zu berücksichtigen«3162 - und dies geschah auf dem Gebiet der Energiepolitik: Im Sommer 2003 hatte Georgien zur Sicherung der Energiever­ sorgung, einschließlich der Reparatur von Produktionsanlagen und Verteilernet­ zen, das georgische Elektrizitätssystem und ungefähr das halbe Stromnetz des Lan­ des an den russischen Strommonopolisten RAO-EES verkauft.3163 Darüber hinaus verhandelte S chewardnadse mit dem russischen Erdgasmonopolisten Gazprom über eine durch Südgeorgien laufende Pipeline, um diese zu modernisieren und bis in die Türkei auszubauen.3164 Schewardnadse hatte sich also darauf eingelassen, den für die Erhaltung seines Landes notwendigen Bedarf an Energie und Strom wieder über die alten Beziehun­ gen mit Rußland zu regeln. Damit brachte er nicht nur die nationalistische Opposi­ tion gegen sich auf; mit seinen neuen energiepolitischen Beziehungen zu Rußland hatte Schewardnadse zudem ausdrücklich gegen den Willen der USA gehandelt: »Die USA haben ihre Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, was Steve Mann, Sonderbeauftragter der Regierung in Fragen der Energiepolitik im Kaspischen Be­ cken, neulich als sich ausdehnendes Monopol von Gazprom in der Region beschrie­ ben hat. Am 6. Juni drängte Mann die georgische Regierung dazu, jeden Schritt zu unterlassen, der sich auf die Pipeline im südlichen Kaukasus (die von den USA geplante Gas-Pipeline von Aserbaidschan in die Türkei) sowie auf ein anderes von den USA unterstütztes Projekt nachteilig auswirken könnte, den Bau einer Öltrasse zwischen Baku, Tiflis und dem türkischen Mittelmeer-Hafen Ceyhan.«3165 Damit hatte Schewardnadse die >rote Linie< übers chritten. Dies war der entschei­ dende Grund für die USA, ihren bisherigen kaukasischen Verbündeten aus dem Amt zu jagen, denn der US-Machtelite ging es schließlich darum, Georgien und die anderen Staaten der Region dem bestehenden Einfluß Rußlands zu entreißen, rus­ sische Ambitionen endgültig hinter die russischen Grenzen zurückzudrängen und

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sich selbst über loyale Partnerstaaten als alleinige Aufsichtsmacht im kaspischen Energiepoker einzusetzen. Noch im Juli 2003 schickte US-Präsident George W. Bush den ehemaligen US-Außenminister James Baker, nunmehr mit der Anwaltskanzlei Baker Botts Marktführer im Sektor von Öl- und Gasgeschäften rund um das kaspi­ sche Meer, nach Tiflis, um letztmalig zu versuchen, Schewardnadse auf Linie zu bringen, was aber scheiterte.3166 Da entschied sich die Bush-Regierung, daß Sche­ wardnadse gestürzt und statt dessen Michail Saakaschwili der nächste georgische Präsident werden sollte.3167 Auch in den amerikanischen Medien wurde berichtet, daß das Schicksal Sche­ wardnadses schon lange vor der Parlamentswahl 2003 durch die Abkehr Washing­ tons besiegelt gewesen sei. In einer Art Großmachtspiel habe Washingtons Bot­ schafter in Tiflis Richard Miles Michail Saakaschwili als Führer einer ungleichen Oppositionsbewegung und möglichen Nachfolger Schewardnadses aufgebaut.3168 Dieser war nach seinem Rücktritt als Justizminister zur Opposition übergelaufen und »zum Kämpfer gegen das Regime geworden«,3169 der mit einer Partei »Tiflis ohne Schewardnadse« großen Zulauf gewann.3170 Im Hintergrund wurde nunmehr geplant, die Parlamentswahlen im November 2003 zum Anlaß zu nehmen, um den Regimewechsel zu vollziehen. Die Vorausset­ zungen hierfür, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, waren nicht schlecht. Die Menschen waren wegen der Korruption und Mißwirtschaft im Land aufgebracht, und es fehlte in der Person Saakaschwilis auch nicht an einem populistischen Volks­ tribunen. Es mußte jetzt nur noch die notwendige Massen- und Protestbasis ge­ schaffen werden. Und so liefen schon seit März 2003 hinter den Kulissen die Vorbe­ reitungen für einen Regimesturz auf Hochtouren. Hierbei war es vor allem George Soros, der über die Tifliser Filiale seines >Open Society Institute< mit Hilfe von >Free­ dom House< die Fäden zog. 3171 S oros selbst brachte zum Ausdruck, daß das Regime Schewardnadses nicht in sein Konzept paßte: »Schewardnadse ist nicht interessiert an einer offenen Gesellschaft«. Was habe man ihm nicht alles nahegelegt, »nichts davon wurde realisiert«. Andere Wege müßten jetzt gewählt werden.3172 Und so entwickelte das >Open Society Institute< den Plan, eine oppositionelle Gruppe des von ihm selbst gegründeten >Freiheits-Instituts< in Tiflis zu fördern. Der Georgier Giga Bokeria, ein Mitbegründer dieses Instituts, wurde, mit USGeldern versehen, nach Belgrad geschickt, um dort von den >OtporOpen Society Institute« Kontakte der studentischen Jugend zur serbischen Studentenor­ ganisation >OtporOtporKmara!Warnschuß< für das sturmreife Regime.«3177 Auch gab er zu, daß die USA »sehr hart« für die georgi­ sche Wahl gearbeitet und mehrere Millionen Dollar ausgegeben hätten.3178 Die Par­ lamentswahl vom 2. November 2003 war schließlich begleitet von einem erbitter­ ten Machtkampf hinter den Kulissen zwischen Saakaschwili und Schewardnadse. Dem offiziellen Wahlergebnis zufolge lag S aakaschwilis Partei auf dem dritten Platz, deutlich hinter der Präsidentenpartei.3179 Saakaschwili sah sich jedoch um seinen Sieg betrogen, und um das offizielle Wahlergebnis schlecht zu machen, griffen die oppositionellen Kräfte entsprechend der eingeübten >Exit-PollsGlobal Strategy Group< entsprechende >Exit-PollsNatio­ nale Bewegung.3181 Saakaschwili jedenfalls plante, diesen Machtkampf durch den Druck der Straße zu entscheiden.3182 Hierzu wurden die >KmaraOtporTeile und Herrsche< zu verfahren, indem er den Ausgleich mit seinem einstigen Erzrivalen, dem Präsidenten der Teilrepu­ blik Adscharien, Aslan Abaschidse, anstrebte. Abaschidse jedoch wurde von Ruß­ land unterstützt, und Rußland selbst war nicht an einem Wahlsieg Saakaschwilis interessiert, der sich im Vorfeld schon mehrfach antirussisch geäußert hatte, wohl aber an einem abhängigen Schewardnadse.3186 Eine Beteiligung des prorussischen Abaschidse an einer neuen Regierung unter Schewardnadse jedenfalls hätte eine weitere verstärkte Anlehnung Georgiens an Rußland zur Folge gehabt. Überdies, so Kaukasus-Experte Aschot Manutscharjan, hätte dann sogar die Aussicht be­ standen, daß A baschidse bei der Präsidentschaftswahl 2005 gar Nachfolger von S che­ wardnadse geworden wäre. »Dies hätte wahrscheinlich das Ende der US-Militär­ präsenz in der Kaukasusrepublik bedeutet.«3187 Was eine Koalition zwischen Schewardnadse und Abaschidse geopolitisch be­ deutet hätte, schilderte Jürgen Elsässer 2003 wie folgt: »Für den Westen am gefähr­ lichsten ist aber, daß Abaschidse Georgien wieder an die Seite Rußlands führen will. Mit ihm als Partner wäre Schewardnadse... zu einer Kurskorrektur und zum Ausgleich mit Putin gezwungen. Undenkbar etwa, wenn infolgedessen Georgien den Bau der derzeit weltgrößten Pipeline storniert, mit der BP-Amoco ab 2006 aser­ baidschanisches Öl über die Türkei nach Westen liefern will und statt dessen in eine russische Alternativpipeline investiert.«3188 Aus Furcht vor einem derartigen Wechsel der außen- und geopolitischen Ausrichtung Georgiens hatte Washington nach Berichten internationaler, insbesondere russischer Beobachter die Notbremse gezogen und statt dessen den Protest der Opposition in einen Putsch umgewandelt.3189 Auch Elsässer zufolge hatte insbesondere die US-amerikanische SoROS-Stiftung, um ein solches Szenario zu verhindern, die Opposition während ihrer Protestkam­ pagne massiv unterstützt. Die Arbeit Saakaschwilis als Oppositionsführer, so die Süddeutsche Zeitung, »wurde mehr oder weniger offen von US-Fonds wie der So­ ros-Stiftung unterstützt. Bei der Steuerung der Proteste gegen Schewardnadse sol­ len ihn US-Diplomaten beraten haben. Daraus folgt, daß die USA mit Saakaschwili ihre Interessen in dem strategisch wichtigen Kaukasusland erfolgreich vertreten wissen«.3190 Tatsächlich hatte US-Bo tschafter Richard Miles hinter den Kulissen Saa­ kaschwili tatkräftig unterstützt. Bereits in der Woche nach den umstrittenen Parla­ mentswahlen am 2. November 2003 hatte die US-amerikanische Regierung Sche­ wardnadse signalisiert, daß er nicht länger mit der Unterstützung der USA rechnen könne. US-Botschafter Richard Miles traf sich, so die Enthüllungen der Frankfurter

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Allgemeinen Zeitung, regelmäßig mit den maßgeblichen Oppositionsführern, aber auch mit Schewardnadse.3191 Rußland blieb jedoch nicht untätig. Bereits eine Woche vor der Besetzung des Parlaments in Tiflis durch die Oppositionskräfte um Saakaschwili am 22. Novem­ ber 2003 hatte Rußland Schewardnadse auf dessen Ersuchen hin diesem Unterstüt­ zung zugesagt.3192 Jetzt griffen die USA - so Aschot Manutscharjan - zu einem »ungewöhnlichen Schritt«3193 mit dem Ziel, deutliche Klarheit in dem Machtkampf zu schaffen: Am 20. November brandmarkte das Washingtoner State Department in einer offiziellen Regierungserklärung die vermeintlichen »Unregelmäßigkeiten« bei der Parlamentswahl als »massiven Wählerbetrug«, der viele Bürger Georgiens ihres Verfassungsrechts beraubt hätte. Nach einem weiteren Treffen des US-Bot­ schafters Miles mit Schewardnadse erklärte der stellvertretende Außenamtsspre­ cher Adam Ereli in Washington: »Ich glaube, Präsident Schewardnadse versteht, wie tief wir besorgt sind, und er wird sich entsprechend verhalten«3194 - eine mehr oder weniger direkte Aufforderung an Schewardnadse zum Rücktritt. Vieles spricht dafür, daß diese »ungewöhnlich scharfe Erklärung des amerikani­ schen Außenministeriums«3195 der entscheidende Startschuß für die >Opposition< war, S chewardnadse zu stürzen: Am 22. November erfolgte die Besetzung des Par­ laments in Tiflis; am 23. November erklärte Schewardnadse seinen Rücktritt - wo­ bei auch hier hinter den Kulissen der US-Botschafter eine entscheidende Rolle als >Vermittler< gespielt hat.3196 Auslöser dafür, daß die USA mit der Erklärung vom 20. November offen Partei für Saakaschwili ergriffen hatten, war die verstärkte Anlehnung Schewardnadses an Rußland bzw. an den Moskau treu ergebenenen Präsidenten Adschariens. »Damit war das Schicksal des Auslaufmodells Scheward­ nadse nicht nur aus Washingtoner Sicht besiegelt. Folglich tolerierte die US-Regie­ rung den durchaus üblichen Wahlbetrug diesmal nicht, sondern nahm ihn zum Anlaß, eine für die globale US-Sicherheitspolitik unerwünschte Entwicklung zu verhindern.«3197 Am 4. Dezember 2004 wurde Saakaschwili bei den vorgezogenen Präsident­ schaftswahlen mit - wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel schreibt, »sowjetver­ dächtigen« - 96 Prozent zum neuen Staatsoberhaupt Georgiens gewählt,3198 wobei auch hier die USA maßgebliche Unterstützung leisteten.3199 Jedenfalls war damit das Machtspiel um Georgien zugunsten der USA ausgegangen; sie hatten ihren Wunschkandidaten durchgesetzt, der nunmehr ihre geopolitischen Interessen in der kaspischen R egion durchsetzen soll te. So erklärte Saakaschwili nach seiner Wahl zum Staatspräsident, daß Georgien »in den nächsten Jahren erst der NATO und dann der Europäischen Union beitreten« wolle,3200 und bezeichnete die USA als »einzigen Garanten für die Sicherheit« seines Landes3201 - damit sollte dann der von den USA geplante transantlantische eurasische Korridor im Sinne der >Seiden­ straßenstrategie< bis an den Hindukusch um den entscheidenden Schlüsselstaat Georgien ergänzt werden.

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Folgerichtig bekam das Land auch weitreichende Unterstützung aus dem Kreis der westlichen Hochfinanz. Am Rande des Weltwirtschaftsgipfels in Davos im Ja­ nuar 2004 handelte George Soros den Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung zu­ folge mit Saakaschwili ein Projekt aus, das eine umfassende finanzielle Unterstüt­ zung der neuen georgischen Regierung durch Soros selbst zum Gegenstand hatte. »Wie es hieß, wird Soros einen Teil des georgischen Staatshaushaltes für eine ge­ wisse Zeit fest übernehmen.«3202 Tatsächlich wurde auf diesem Wege eine Umge­ staltung Georgiens im Sinne der >Soros-Doktrin< eingeleitet, was sich nicht zuletzt in der Neubesetzung der politischen Ämter verdeutlichte: »Wer Praktika bei west­ lichen Finanzinstitutionen oder, wie allein vier der neuen Minister, eine Vergan­ genheit bei der US-Stiftung des Großspekulanten George Soros vorweisen kann, darf schon im Alter um die 30 auf höchste Ämter hoffen. Wirtschaftsminister Irakli Rechwiaschwili war nach einem anderthalbjährigen Gastspiel bei der Weltbank ins­ gesamt vier Jahre beim S oros-Fonds. Nun steht der 28jährige, der nie in einem Unter­ nehmen gearbeitet hat, vor der Aufgabe, die zerrüttete Ökonomie eines Landes zu sanieren, in dem das Sozialprodukt pro Kopf gerade mal 634 Dollar im Jahr be­ trägt.«3203 Auch die personelle Besetzung des Postens des georgischen Außenministers zeigte eine deutliche Abkehr von Rußland und eine Hinwendung in die transatlantische Richtung. Saakaschwili kürte die bisherige französische Botschafterin in Georgien, Salome Surabischwili, zur Außenministerin. Surabischwilis Familie stammt aus Tiflis und flüchtete 1921 vor der Roten Armee. »Die Diplomatin soll eine tiefe Skepsis gegen Moskau hegen. Auch die übrigen Minister sind sich offenbar über den West­ kurs einig, allen voran der... Wirtschaftsminister Irakli Rechwiaschwili, der zuvor bei der Weltbank tätig war.«3204 Dennoch konnte Rußland noch einige Trümpfe im Poker um Georgien behalten. Energiepolitisch war Georgien von Rußland nach wie vor abhängig. Der russische Strommonopolist hatte ja im Sommer 2003 ein Kontrollpaket am georgischen Elek­ trizitätssystem erworben, und die Belieferung Georgiens mit Gas wurde über Gaz­ prom sichergestellt. Außerdem stellten die abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, die sich an Rußland ausrichteten, noch einen Ansatzpunkt für Inter­ ventionsmöglichen Moskaus dar. Wie bereits dargestellt, setzte Rußland in seiner Georgienpolitik in zunehmendem Maße auf Abchasien und Südossetien, nachdem es erkannt hatte, daß ein transatlantisch eingebundenes Georgien eine Bedrohung seiner Sicherheitsinteressen im Kaukasus ist. Außerdem war der Präsident der ge­ orgischen Provinz Adscharien, Aslan Abaschidse, ein enger Verbündeter Rußlands. Deutlich wurde dies während des Machtkampfes in Tiflis: Als erkennbar wurde, daß die USA hinter den Kulissen die Machtergreifung Saakaschwilis durchsetzten, lud die russische Führung die Führer von Abchasien, Südossetien und Adscharien nach Moskau ein.3205 Eine weitere Rolle im Kalten Krieg um Georgien spielten die noch vorhandenen

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Demonstration in Georgien im Herbst 2003.

Links: Oppositionsführer Michail Saakaschwili; rechts: Eduard Schewardnadse mit US-Botschafter Miles. (Foto: AP)

Frankreichs Botschafterin in Geor­ gien Salome Surabischwilli. Die mit einem georgischen Ex-Dissidenten verheiratete Diplomatin wurde zur Außenministerin Georgiens abge­ worben. (Foto: Reuters)

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Erstürmung des georgischen Parlaments in Tiflis

Siegesfeier nach der Abdankung von Präsident Eduard Schewardnadse am 23. November 2003. (Foto: Reuters)

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zwei russischen Militärstützpunkte auf georgischem Territorium. Nach dem Zer­ fall der Sowjetunion hatte Rußland zunächst alle Stützpunkte in Georgien über­ nommen. Aufgrund des russisch-georgischen Abkommens von 1995 räumte Ruß­ land alle Stützpunkte bis auf vier. Auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 vereinbarten Moskau und Georgien die Schließung auch der letzten vier Stützpunk­ te. Zwei Basen wurden bis 2001 geräumt, über die verbliebenen zwei in Batumi und Achalkalaki entbrannte jedoch Streit; Rußland behauptete, hinsichtlich dieser Stützpunkte besage die Vereinbarung von 1999 lediglich, hier müsse noch ein Ab­ kommen geschlos sen werden, was bis lang jedoch noch nicht geschehen sei. 3206 Über­ dies erwartete Rußland von Georgien das Versprechen, auf seinem Territorium keine ausländischen Truppen zu stationieren.3207 In Betracht zu ziehen ist dabei die geopolitische Bedeutung der Stützpunkte. Einer liegt in Adscharien, dessen Präsident ja eng mit Rußland verbunden war, der andere liegt in einem hauptsächlich von Armeniern besiedelten Gebiet3208, und Rußland sah in Armenien als Reaktion auf die verstärkte Zusammenarbeit Aser­ baidschans mit den USA einen wichtigen Bündnispartner, mit dem es 1997 einen Freundschaftsvertrag mit weitreichender militärischer Zusammenarbeit schloß. Diese militärische Zusammenarbeit aber war im Grunde ein militärisches Bündnis. Ebenso war der in Angriff genommene Aufbau eines Flugabwehrsystems in Arme­ nien praktisch eine vorgeschobene Komponente der russischen Luftwaffe.3209 Da­ mit blieb Armenien noch der einzige Stützpunkt im Südkaukasus, wo Rußland noch Flagge zeigen konnte, und aus diesem Grund stärkten »die Russen ihren Einfluß in Armenien, das südlich der von den Amerikanern gebauten Pipeline (der BTC-Pipe­ line, der Verf.) liegt; kürzlich wurde dort der erste russisch-armenische Militärver­ band gebildet«.3210 Daß Rußland vor diesem Hintergrund und der Tatsache, daß Georgien trotz gegenlautender russischer Hoffnungen in die NATO eingebunden werden sollte, sich einstweilen weigerte, die Stützpunkte zu räumen, erschien zu­ mindest nachvollziehbar. Dabei waren es die USA, die Rußland immer wieder verschärft aufforderten, die Militärbasen zu schließen, und der Konflikt spitzte sich im Zuge des Machtwech­ sels in Georgien weiter zu. Auf der OSZE-Konferenz der Außenminister am 2. De­ zember 2003 in Maastricht kam es zu »einem regelrechten diplomatischen Schlag­ abtausch«.3211 »US-Außenminister Colin Powell forderte Rußland auf, seine Versprechungen, die es auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul (1999) gegeben hatte, zu halten und seine Truppen aus Moldawien und Georgien abzuziehen. Sonst wür­ den die USA und ihre Verbündeten den neuen Vertrag über Konventionelle Streit­ kräfte in Europa nicht ratifizieren. Nur mit einem Veto konnte die russische Delegation eine Schlußerklärung der Tagung in diesem Sinne verhindern. An eben diesem Thema scheiterte drei Tage später auch der NATO-Rußland-Rat in Brüssel. Dort wurden russische Forderun­ gen von den NATO-Staaten mit dem Hinweis abgelehnt, Moskau solle zuerst seine

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Truppen aus Moldawien und aus Georgien abziehen. Dem Außenminister Iwanow nützte auch der Hinweis nichts, daß 1999 nur eine Reduzierung der Truppen und Rahmenbedingungen für ihren Abzug vereinbart worden seien.«3212 Die USA ver­ suchten daraufhin, durch finanzielle Hilfen Rußland dazu zu bewegen, seine Stütz­ punkte aufgeben, was Moskau aber ablehnte. Insgesamt konnte als Fazit festgehalten werden, daß mit der >Rosen-Revolution< in Georgien »der Kreml die Schlacht um Georgien verloren hatte«.3213 Aschot Ma­ nutscharjan geht sogar so weit zu behaupten, daß damit »die Bedeutungslosigkeit Rußlands in der GUS noch klarer zutage« getreten sei.3214 Das Handelsblatt kam zu der gleichen Einschätzung: Mit der >Rosen-Revolution< »fügt sich Georgien in die Entwicklung der Südregion der Ex-Sowjetunion ein: Schritt für Schritt und nicht erst seit den Terroranschlägen vom 11. September verliert Moskau an politischem und militärischem Einfluß, im gleichen Maß setzten sich die USA im Kaukasus und in Zentralasien fest«.3215

7.6 Die >Orangene Revolution< in der Ukraine: Die USA sorgen für den Sturz Leonid Kutschmas und setzen ihrem Wunschkandidaten Viktor Juschtschenko durch Die Präsidentschaftswahlen in der Ukraine im November 2004 boten der US-Macht­ elite und ihren westeuropäischen Verbündeten eine weitere Möglichkeit, die Macht­ verhältnisse in einem strategisch hochwichtigen Land zu ihren Gunsten zu beein­ flussen und auf diese Weise die außen- und bündnispolitische Ausrichtung dieses Staates im Sinne der geopolitischen Pläne festzulegen. Die geopolitische Bedeutung der Ukraine ist oben bereits angedeutet worden. Brzezinski zufolge kommt ihr in der US-Geopolitik in Eurasien eine entscheidende Katalysatorfunktion zu. Dabei geht es weniger um die Ukraine als solche, vielmehr wird sie in ihrer strategischen Bedeutung für Rußland wahrgenommen. An der Frage, wem es gelingt, sich die Ukraine als strategischen Besitzstand zu sichern, entscheidet sich, ob Rußland die Möglichkeit hat, wieder eine eurasische Weltmacht zu werden oder ob ihm das dauerhaft verbaut wird, indem es (mit dem Verlust der Ukraine) in die geopolitische Isolation des eurasischen Kernraumes abgedrängt wird. Brzezinski hat die geopolitische Bedeutung der Ukraine mit folgender Formeln definiert: - »Man kann gar nicht genug betonen, daß Rußland ohne die Ukraine aufhört, ein Imperium zu sein, mit einer ihm untergeordneten und schließlich unterworfe­ nen Ukraine aber automatisch ein Imperium wird.«3216 - »Die Ukraine, ein neuer und wichtiger Raum auf dem eurasischen Schach­ brett, ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt, weil ihre bloße Existenz als un­ abhängiger Staat zur Umwandlung Rußlands beiträgt. Ohne die Ukraine ist Ruß­ land kein eurasisches Reich mehr.«3217

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- »Wenn Moskau allerdings die Herrschaft über die Ukraine mit ihren 52 Millio­ nen Menschen, bedeutenden Bodenschätzen und dem Zugang zum Schwarzen Meer wiedergewinnen sollte, erlangte Rußland automatisch die Mittel, ein mächtiges Europa und Asien umspannendes Reich zu werden.«3218 - »Die Staaten, die Amerikas stärkste geopolitische Unterstützung verdienen, sind Aserbaidschan, Usbekistan und (außerhalb dieser Region) die Ukraine, da alle drei geopolitische Dreh- und Angelpunkte darstellen. Die Rolle Kiews bestätigt fraglos die These, daß die Ukraine der kritische Punkt ist, wenn es um Rußlands eigene künftige Entwicklung geht.«3219 Da Grundkonstante der US-Geopolitik die Isolation, Zurückdrängung und Ver­ kleinerung Rußlands ist, ist genau diese Brzezinski-Formel bestimmend für das Verhältnis der US-Machtelite zur Ukraine. Der Verlust der Ukraine hat Brzezinski zufolge Rußlands geostrategische Optionen drastisch beschnitten.3220 Er führt zu einer drastischen Schwächung des slawischen Elements im russisch beherrschten eurasischen Raum, was aufgrund der schnellen demographischen Entwicklung der islamischen Bevölkerungsteile und der demographischen Schwäche der Russen langfristig zur Auflösung der Integrität dieses Raumes führen muß. Zudem ist mit dem Verlust der Ukraine auch gleichzeitig ein Verlust der vorherrschenden Stel­ lung Rußlands am Schwarzen Meer verbunden.3221 So war die Ukraine ein bedeutender Faktor im machtpolitischen Kalkül der USA. Sonja M argolina zufolge hatte Zbigniew Brzezinski bereits 1997 »angeregt, mit Hilfe von Polen und der Ukraine zu verhindern, daß Rußland wieder zu einer Welt­ macht heranwachse. In der Ukraine könnte nun die Strategie des Rollback gegen­ über Rußland auf den postsowjetischen Raum umgesetzt werden. Zugleich wäre sie gegen die französisch-deutsch beherrschte EU gerichtet. Die Idee, gewisserma­ ßen auf einen Streich Rußlands Großmachtpläne zu vereiteln und die EU von einer Vereinigung mit Rußland abzubringen, wäre ein geostrategisches Meisterwerk«,3222 für das die Ukraine eben von größter Wichtigkeit ist. Tatsächlich würde sich mit einer Verbindung Rußlands mit Europa der >Alptraum Mackinders< verwirklichen, was die US-Machtelite auf alle Fälle unterbinden mußte. »Wenn die europäische Integration Rußlands mit seinen Energie- und Rohstoffressourcen, die insbesondere von der deutschen Wirtschaft vorangetrieben wird, gelingen würde, könnte zu­ mindest die wirtschaftliche Dominanz der USA durch eine mit Rußland enger li­ ierte EU herausgefordert werden«.3223 Und die Nahtstelle, an der diese autarke »eu­ rasische Union« unterbrochen werden könnte, ist die Ukraine. Auch vor dem Hintergrund des Konkurrenzkampfes um die Pipelinekorridore ist die Ukraine von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Sie ist der entscheidende Transitkorridor, der den westeuropäischen Energiemarkt mit den eurasischen En­ ergiequellen sowohl Rußlands als auch Zentralasiens verbindet. Die Ukraine ist das wichtigste Transitland für russisches Erdgas nach Westeuropa, da zwischen 80

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und 90 Prozent der russischen Erdgasausfuhren ukrainisches Hoheitsgebiet durch­ queren. Das Haupttransitnetz der Ukraine besteht aus etwa 14000 km Erdgaslei­ tungen mit einer theoretischen Jahreskapazität von 170 Mrd m3. So steht die Ukrai­ ne gewissermaßen vermittelnd zwischen den europäischen und amerikanischen Vermarktern einerseits und den russischen Erdöl- und Erdgaslieferungen anderer­ seits. Auf der anderen Seite ist die Ukraine auch wichtig für das Ziel der US-ameri­ kanischen Energiegeopolitik, nämlich das russische Pipelinemonopol zu brechen, Rußland energiepolitisch zu isolieren und von den kaspischen bzw. zentralasiati­ schen Rohstoffquellen abzuschneiden. Die entscheidende Rolle spielt hier die Pipe­ line vom ukrainischen Hafen Odessa am Schwarzen Meer bis nach Brody, nahe der polnischen Grenze, welche im Jahre 2001 fertiggestellt wurde. Von dort aus soll das Erdöl dann über eine weitere Pipeline bis nach Danzig an der Ostsee geleitet wer­ den, wozu sich die ukrainische Regierung im April 2004 bereiterklärte. Diese Pipe­ line sollte als Ergänzung zur Pipeline Baku-Supsa gebaut werden3224 und wurde sowohl in Brüssel als auch in Washington sehr begrüßt.3225 Auf diese Weise wäre ein Korridor geschaffen, der unter vollständiger Umge­ hung Rußlands das Kaspische Meer mit dem Schwarzen Meer und dieses wieder­ um mit der Ostsee verbindet, und damit könnte kaspisches Öl unabhängig von Rußland von Baku über Supsa, Odessa und Brody nach Danzig in die EU geliefert werden.3226 Vor diesem Hintergrund trat die Ukraine im Karabach-Konflikt ver­ stärkt als Vermittler zugunsten des Erdölproduzenten Aserbaidschan auf; eine Sta­ bilisierung Aserbaidschans sollte schließlich die Ölströme sicherstellen. Wie Riz­ van Nabiyev schreibt, lag das Pipelinekonzept Odessa-Brody-Danzig auch direkt auf der Linie der US-Geopolitik: »Es paßt den geopolitischen Interessen der USA, wenn die Staaten rund um das Kaspische Meer ihre Verbindungen zur Ukraine aktivieren und Exportgüter über sie zum europäischen Markt gelangen werden.«3227 Dabei war sich die US-Machtelite auch bewußt, daß es sich bei dieser Pipeline um ein klar gegen Rußland gerichtetes Vorhaben handelte. Deren Bedeutung kom­ mentierte Ilan B erman vom >American Foreign Policy Council< wie folgt: »Der Krem l versteht sehr wohl, daß Odessa-Brody das Potential hat, dem gegenwärtigen russi­ schen Beinahe-Monopol über die kaspische Energie einen vernichtenden Schlag zu versetzen. Schlimmer noch aus russischer Perspektive wäre, daß das wirtschaftli­ che Interesse Europas und der USA die westlich gerichtete Flugbahn Kiews fest zementieren würde.« Die Pipeline nach Polen, so Berman, weiter, würde Polen au­ ßerdem zu einem Hauptumschlagplatz für nichtrussisches und nicht von der OPEC geliefertes Öl machen.3228 Jedenfalls wären die USA auch mit dieser Pipeline ihrem Ziel, die Öl- und Gasströme der kaspischen Region direkt zu kontrollieren und diese dem Zugriff Rußlands und Irans zu entziehen, ein weiteres Stück näherge­ rückt. Auch für die Ausdehnung der NATO nach Osten und Südosten erwies sich eine unabhängige Ukraine als außerordentlich wichtiger Flankenschutz. Die Garantie

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einer von Rußland unabhängigen, prowestlich orientierten Ukraine war daher für die zukünftigen Expansionspläne der NATO nach Einschätzung der außenpolitischen Elite der USA von entscheidender Voraussetzung. Wie die USA eine transatlantische Ausrichtung der Ukraine durch gezielte Plazierung einer neuen geschulten prowest­ lichen Elite kurz nach dem Zerfall der Sowjetunion sichergestellt hatten, w urde oben bereits beschrieben. Damit war auch die außenpolitische Ausrichtung der Ukraine festgelegt. 1994 beteiligte sich die Ukraine als erster postsowjetischer Staat an dem NATO-Programm >P artnership for PeaceNATOUkraine-Kommissiom. Diese Charta zwischen der Ukraine und der NATO wurde allgemein als außenpolitischer Erfolg der Ukraine gewertet, und Kutschma ver­ suchte, die Beziehungen zu den USA weiter auszubauen, die aus geopolitischen Gründen die Eigenstaatlichkeit und Selbständigkeit der Ukraine gegenüber Ruß­ land unterstützen. Mit der >NATO-Ukraine-Charta< zusammen mit der NATOOsterweiterung wurde nach den Worten des damaligen ukrainischen NATO-Bot­ schafters ein Sicherheitsvakuum geschlossen; sie habe der Ukraine ein stabiles Umfeld gegeben und ermögliche es ihr, sich auf die gesellschaftlich-ökonomische Umgestaltung des Landes zu konzentrieren.3231 Demzufolge wurde die Ukraine nach Israel und Ägypten zum bedeutendsten Empfänger US-amerikanischer Finanzhil­ fe.3232 Einflußreiche Teile der außenpolitischen Elite der USA hatten dabei die geo­ politische Bedeutung der Ukraine für die NATO-Expansion Richtung Osten her­ vorgehoben. In einem Report of an Independent Task Force des >Council on Foreign Relations< hieß es: »Als ein Land von 50 Mio. Einwohnern und strategisch bedeu­ tender Lage in Europa ist die Ukraine von wesentlicher Bedeutung für die NATO und die Beziehungen zwischen der Allianz und Rußland. Allein die Tatsache, daß die Ukraine unabhängig ist, hat die NATO-Erweiterung politisch vereinfacht und ihr militärische Ausgaben erspart. Zusammen mit der Befreiung Zentral- und Ost­

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europas hat die Unabhängigkeit der Ukraine dem Westen einen strategischen Spiel­ raum und eine verlängerte Warnzeit im Ernstfall einer Auseinandersetzung mit Rußland verschafft und die Integration der neuen Demokratien der Region in die EU und die NATO erleichtert. Die Unabhängigkeit der Ukraine ist einer der wich­ tigsten Gründe dafür, daß die NATO derzeit für die Entsendung von Nuklearwaf­ fen und fremden Kampftruppen substantiellen Umfangs in das Gebiet der neuen NATO-Mitglieder wenig Grund sieht. Sollte eine unabhängige Ukraine jedoch ver­ schwinden, würden sich auch die Prämissen der derzeitigen NATO-Verteidigungs­ planung ändern, wie auch die Parameter, innerhalb derer gegenwärtig Verteidi­ gungsabmachungen für eine erweiterte NATO getroffen werden.«3233 Bei der US-Machtelite herrschte weitgehend Einigkeit darüber, daß eine »unab­ hängige und reformierte Ukraine« eine Katalysatorfunktion auch für die Umge­ staltung Rußlands bilden sollte. Vor allem aber sollte sie »die GUS davor schützen, in eine von Rußland kontrollierte politisch-ökonomische Allianz verwandelt zu werden«3234 - was im Oktober 1996 auch durch den damaligen stellvertretenden US-Außenminister Strobe Talbott unterstrichen wurde. Nach den Vorstellungen der US-Machtelite sollte auch die Gestaltung der künftigen amerikanisch-russischen Beziehungen von der geopolitischen Bedeutung einer unabhängigen Ukraine ab­ hängig gemacht werden.3235 Dabei sollte die Formel, daß Rußland ohne die Ukraine niemals die Bedeutung erlangen könne, wie sie die einstige UdSSR besaß, der un­ geschriebene Maßstab sein. Auch die Energie- und Pipelinepolitik sollte sich an diesen Maßstäben ausrich­ ten. So war das Pipelineprojekt Odessa-Brody eingebunden in die Sicherheitskon­ zepte, die die USA in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre entwickelt haben. Hierbei handelt es sich um die GUAM (später durch den Beitritt Usbekistans 1999 in GUUAM umbenannt) und den »Silk Road Strategy Act«. Hinter der Gründung der GUAM im Jahre 1997 standen die USA. Unmittelbarer Anlaß für die Schaffung dieses Bündnisses war der Plan zum Bau dieser Pipeline. Im Herbst 1997 gründe­ ten die Ukraine, Georgien, Aserbaidschan und Moldawien »die regionale Organi­ sation GUAM, um ihre übereinstimmenden ökonomisch-politischen Ziele zusam­ men zu verwirklichen. Eine von den wichtigsten Aufgaben ist die Gründung eines Energiekorridors unter den Teilnehmerstaaten für den Transport kaspischen Erd­ öls durch alternierende Pipelines«.3236 In der GUUAM spielte neben Moldawien gerade auch die Ukraine eine entscheidende Rolle als Transitland zu den westeuro­ päischen Energiemärkten. Im Rahmen von GUUAM und dem >Silk Road Strategy Act< hatte Washington ja die Formation von US-Klientelstaaten entlang den vorge­ sehenen Pipelinekorridoren ermutigt, mit der verborgenen Absicht, Rußland von kaspischen Öl- und Gasfeldern abzuschneiden.3237 Dabei hatte die GUUAM, die seit dem NATO-Gipfel im April 1999 in Washington eng mit dem transatlantischen Bündnis verbunden ist, die Funktion der militärischen Absicherung der Baku-SupsaPipeline wie auch ihrer Fortsetzung, der Odessa-Brody-Pipeline.

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Während die GUUAM die militärische Anbindung an das transatlantische Bünd­ nis sicherstellte, sollte der >Silk Road Strategy Act< die ök onomische Transformation der betroffenen Länder, also vor allem auch der Ukraine, im Sinne des >Washing­ ton Consensus< des IWF sicherstellen. Sein Zweck sollte darin bestehen, »politische und ökonomische Liberalisierung einschließlich der Übernahme von >freien Markt­ wirtschaftsreformen< unter Aufsicht von IWF und Weltbank zu fördern«.3238 Wie oben schon dargestellt, sorgten die USA schon in den Jahren 1993/94 dafür, daß die ukrainische Wirtschaft dem Regelwerk des IWF unterworfen wurde. Eben­ so sorgten sie dafür, daß Viktor J uschtschenko zum Chef der neugeschaffenen ukrai­ nischen Nationalbank ernannt wurde. Michel Chossudovsky zufolge war es auch Juschtschenko, der 1994 für den Abschluß eines »historischen Abkommens« zwi­ schen der Ukraine und dem IWF verantwortlich war und als »Hauptarchitekt der tödlichen ökonomischen Medizin des IWF, die der Verarmung der Ukraine und der Zerstörung ihrer Wirtschaft diente«,3239 galt. Die von ihm zu verantwortende Preisfreigabe zog eine galoppierende Inflation nach sich und führte zur Verelen­ dung zahlloser Menschen; die aufgezwungene Außenhandelsliberalisierung rui­ nierte die ukrainische Landwirtschaft. Der ukrainische Staatspräsident Kutschma galt zu jener Zeit für die USA noch als Garant dieser Transformation der Ukraine, und so deckten die USA bei den ukrainischen Präsidentschaftswahlen 1999 auch dessen Wahlbetrug, vertrat doch sein Herausforderer, der Kommunist Symonenko, eine entschieden gegen die NATO und den IWF ausgerichtete Programmatik.3240 Doch ähnlich wie die Staatsduma in Rußland 1993, erwies sich auch das ukraini­ sche Parlament als Hindernis für die Durchführung der neoliberalen Marktrefor­ men.3241 Dennoch wurde der frühere Chef der Ukrainischen Nationalbank, Viktor Juschtschenko, Ende 1999 auf Druck der USA und gegen den Willen der Parla­ mentsmehrheit von Präsident Kutschma zum Ministerpräsidenten ernannt.3242 Hier­ bei mag auch eine Rolle gespielt haben, daß der IWF für den Fall der Ernennung Juschtschenkos zum Premierminister eine erneute Kreditgewährung in Aussicht gestellt hatte.3243 Umgehend nach seiner Ernennung setzte Juschtschenko das vom IWF geforderte Programm durch, das direkt gegen die ukrainische Industrie ge­ richtet war. Ferner versuchte er, den bisherigen bilateralen Öl- und Gashandel zwischen der Ukraine und Rußland auf Geheiß des IWF zu beseitigen, der auf ei­ nem bilateralen Tauschhandel beruhte, da der IWF (bzw. die USA als bestimmen­ de Macht) einen Öl- und Gashandel zwischen den Ländern auf der Grundlage des US-Dollar einforderte.3244 In den 17 Monaten seiner Amtszeit erhob Juschtschenko die Westintegration der Ukraine zum Ziel.3245 Die von Juschtschenko auf Anweisung des IWF durchgesetzten Reformen um­ faßten »Steuererhöhungen, die Unterbindung von Barterzahlungen, die Einstellung der Energieversorgung bei Nichtbezahlung, Betriebsschließungen und Zechenstill­ legungen - eine Art Generalangriff auf die ökonomische Basis des Staates und die Überlebenstechniken seiner Bevölkerung«.3246 Dies hatte katastrophale Auswirkun­

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gen auf die ukrainische Schwerindustrie: Allein im Donbass wurden seit der Staats­ gründung 110 von 279 Zechen geschlossen, die Beschäftigtenzahl sank dort von 1,2 Millionen auf 280000.3247 Hierbei war es hauptsächlich die Ostukraine, die traditio­ nell auf Rußland ausgerichtet ist,3248 die von den Stillegungsprogrammen am meis­ ten betroffen war. Auf deren Druck ersetzte Präsident Kutschma im November 2002 Premierminister Juschtschenko, der ja erklärtermaßen dem Westen zuneigte, durch den als prorussisch geltenden ostukrainischen Gouverneur Viktor Janukowitsch.3249 Verbunden war damit aber auch ein Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik der Ukrai­ ne. Als Gegengewicht zu den IWF-Direktiven suchte Janukowitsch auch eine Zu­ sammenarbeit mit Rußland, und hier boten sich für Moskau wichtige Ansatzpunkte, die für die Verwirklichung seiner neuen geopolitischen Doktrin der Energiegroß­ macht Eurasiens von entscheidender Wichtigkeit sind. Ohne eine Festigung des postsowjetischen Raumes kann Rußland seine Stellung als Großmacht in der Welt­ politik nicht wiedererlangen; es braucht daher Verbündete und verläßliche enge Wirtschaftspartner, und die Ukraine ist dabei der Schlüssel zum Gelingen oder Scheitern russischer Integrationsbemühungen.3250 Seit Sowjetzeiten verlaufen durch die Ukraine die Schlagadern des russischen Energieexports nach Westen. Der Südstrang der >DruschbaÜbernahme des Pipe­ linenetzes gegen Schuldenübernahme< verfuhr: »Im Unterschied zur westlichen Schuldenverwaltung unter der Regie des IWF, die eigentlich gar keine Alternative zur Stillegung einer unrentablen Nationalökonomie vorsieht, kann Rußland mit den Schulden, die die Ukraine bei ihm angesammelt hat, etwas anstellen: russische Oligarchen und Staatskonzerne kaufen sich damit in der Ukraine ein. Im Geschäft mit Rußland fallen für die Ukraine nicht nur Tantiemen für die Durchleitung von Gas und Öl ab. Rußland bietet Investitionen in das Pipelinenetz der Ukraine und eine Beteiligung des ukrainischen Energieversorgers Naftogas an neuen Strecken; auf dessen Probleme - er ist bei seinem russischen Lieferanten hoch verschuldet und deswegen umso mehr an langfristen Lieferverträgen interessiert - geht Ruß­ land mit dem Angebot ein, die Schulden in russische Beteiligungen umzuwandeln und auf der Grundlage dann langfristige Liefervereinbarungen zu treffen. Für die Ukraine bedeutet das ein Stück Sicherheit bei der Versorgung mit billiger Energie;

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im Gegenzug sichert sich Rußland mit diesen Vereinbarungen ebenso langfristig den Energietransfer durch die Ukraine nach Europa und den Einstieg in die ukrai­ nische Energiewirtschaft.«3252 In diesem Sinne gelang es Rußland sogar im September 2003, die Ukraine für den >Einheitlichen Wirtschaftsraum< zu gewinnen, der auch Kasachstan und Weiß­ rußland umfassen sollte, wobei sich die Ukraine aber vorbehielt, nur so weit im Rahmen des >Einheitlichen Wirtschaftsraums< zusammenzuarbeiten, wie dies mit den Gesetzen der Ukraine vereinbar war.3253 Noch im Spätsommer 2004 unterzeich­ nete Ministerpräsident Janukowitsch wichtige Dokumente zum >Einheitlichen Wirt­ schaftsraum< und auch zu einem Gaskonsortium mit Rußland. Im Rahmen dieser Verträge sollte eine Gaspipeline zwischen Bogorodtschnay und Uschgorod gebaut und dem russischen Gaskonzern Gazprom die Möglichkeit der Kontrolle über den Gasexport eröffnet werden. Das wiederum war für Gazprom von grundsätzlicher Bedeutung, weil das Unternehmen der Ukraine oft den Vorwurf machte, daß sie illegal Gas aus den Pipelines abzapfe, mithin das Gas nicht selten >verdunsten< würde.3254 Dabei hatte Kutschma nach langem Drängen Rußlands darauf verzich­ tet, zur Reparatur des maroden ukrainischen Gasleitungsnetzes auch westliche Investoren ins Land zu holen und damit die russische Kontrolle über die Röhren zu gefährden. Als die Ukraine schließlich die westlichen Bewerber ablehnte und das Modernisierungsvorhaben statt dessen im Januar 2003 einem Joint-Venture zwischen Gazprom und dem ukrainischen Konzern Naftogaz übergab, war - so Konrad S chul­ ler von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - Rußland am Ziel seiner Wünsche.3255 Entscheidend jedoch war aber, daß es Rußland gelungen war, das von der USMachtelite geförderte Ölpipelineprojekt Odessa-Brody-Danzig zu torpedieren. Die­ ses war ja dazu bestimmt, aserbaidschanisches Öl an Rußland vorbei nach West­ europa zu befördern. Den Bau dieser Pipeline begriff Rußland - Konrad Schuller zufolge - als eine gegen sich gerichtete Kriegserklärung. Rußland gelang es aller­ dings, dieses Szenario abzuwenden, die Pipeline gewissermaßen in ihr Gegenteil zu verkehren. Der ukrainische Pipelinebetreiber Ukrtransnafta erklärte sich im Juli 2004 bereit, in der Pipeline kurzerhand einfach die Fließrichtung zu ändern: Statt kaspisches Öl nach Europa transportierte sie fortan russisches Öl aus der >Drusch­ baBund der Regionen< unterstützten Viktor Janukowitsch zu fördern. Als Gegenkandidat trat Viktor Juschtschenko an - der im Hintergrund stillschweigend von den NGOs der USMachtelite aufgebaut wurde, wobei auch Zbigniew Brzezinski eine entscheidende Rolle spielte.3264 Die US-Machtelite maß der Präsidentschaftswahl in der Ukraine eine hohe Be­ deutung bei. Anders Aslund, Regionaldirektor der Carnegie-Stiftung, erklärte im US-Repräsentantenhaus: »Kein politisches Ereignis in Europa ist in diesem Jahr so wichtig wie die Präsidentenwahl in der Ukraine«, und er fügte auch sogleich den Grund an: Unter anderem stehe auch die geopolitische Orientierung des Landes in Richtung Rußland oder in Richtung Westen auf dem Spiel, und aufgrund ihres Einflusses könnten die USA »eine Menge tun, um diese Entscheidung zu beeinflus­ sen«.3265 Auch der Vertreter des US-Außenministeriums, Steve Pifer, formulierte eine »Vision der USA für die Ukraine« und unterstrich das Interesse der USA, das Land stärker in die europäischen und euro-atlantischen Strukturen einzubinden. Da eine faire und freie Wahl die Voraussetzung für die Westintegration der Ukrai­ ne sei, habe sich die US-Regierung bereits stark engagiert und weitere 10 Millionen US-Dollar als direkte Beihilfe zur Verfügung gestellt3266. Dabei wurde sehr schnell deutlich, was die US-Machtelite genau unter den Wahl­

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beihilfen verstand. Bereits im Jahre 2002 begannen die USA hinter den Kulissen allmählich mit Kampagnen, die darauf abzielten, das KuTSCHMA-Regime zu beseiti­ gen. Die frühere US-Außenministerin und Vorsitzende des >National Democratic Institutes Madeleine Albright, hatte auf einer Veranstaltung der >Soros-Foundation< in Kiew am 17. Februar 2002 die in der Ukraine tätigen NGOs aufgefordert, gegen die herrschende Regierung Front zu machen, weil diese zu sehr mit Rußland zusam­ menarbeite und auch die Privatisierung nicht hinreichend zugunsten westlicher Investoren betreibe. Aus diesem Grund sei »Demokratisierungshilfe« notwendig, um die Entwicklung der Ukraine von der geschlossenen zur offenen Gesellschaft voranzutreiben.3267 Diese Veranstaltung war gewissermaßen der Startschuß für die Vorbereitung des Regimesturzes, denn seit 2002 flössen beträchtliche Finanzhilfen zur Unterstüt­ zung der oppositionellen Kräfte. 65 Millionen US-Dollar, so das Nachrichtenmaga­ zin Der Spiegel, flössen seit 2002 allein vom US-Verteidigungministerium für die Wahl in der Ukraine über die NED und die Parteistiftungen NDI und IRI. »Wir wissen nicht genau, wie viele Millionen oder Dutzende Millionen Dollar die Regie­ rung der USA für die Präsidentenwahl in der Ukraine ausgegeben hat«, kritisierte der republikanische Kongreßabgeordnete Ron Paul in Washington. »Aber wir wis­ sen, daß der Großteil des Geldes zur Unterstützung eines bestimmten Kandidaten gedacht war« - und zwar Viktor Juschtschenko.3268 Dieser galt schließlich für die US-Machtelite als Garant für die Umsetzung der US-amerikanischen Pläne; im ukrai­ nischen Parlament wurde er bezichtigt, daß seine Politik die Auflagen und die Empfehlungen des IWF stärker berücksichtigt habe als die Interessen seines Lan­ des.3269 Dabei fehlte es natürlich nicht an anderweitigen Instrumenten, um auf Kiew Druck auszuüben. Die internationalen Finanzeinrichtungen IWF und Weltbank hatten deut­ lich gemacht, daß die Wiederaufnahme der Kreditzahlungen - diese waren nach der Entlassung Juschtschenkos als Premierminister einstweilen gesperrt worden vom Verbleib Juschtschenkos im Amt abhängig seien.3270 Der dam alige IWF-Direk­ tor Horst Köhler blieb, so Chossudovsky, in dieser Frage unnachg iebig und erklär­ te, daß Juschtschenko außerhalb der Ukraine sehr viel Glaubwürdigkeit erlangt habe, so daß er auch Unterstüzung innerhalb der Ukraine verdient habe. Natürlich achte der IWF das Recht der Ukraine, sich ihre Führer auszuwählen, jedoch müsse die Richtung der Reformen unbedingt beibehalten werden.3271 Einige Monate nach seiner Entlassung hielt sich Juschtschenko in Washington zu Gesprächen mit Mit­ gliedern der BusH-Administration auf. Unter der Schirmherrschaft des internatio­ nal Republican Institute< traf Juschtschenko Anfang 2003 abermals in Washington mit Vizepräsident Richard Cheney und dem stellvertretenden Außenminister Ri­ chard Armitage zusammen. Damit hatte die neokonservative US-Machtelite die Unter­ stützung ihres Wunschkandidaten unterstrichen und den Weg für seine Macht­ übernahme gebahnt.3272

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Demonstration in Kiew, der ukrainischen Hauptstadt, im November 2004.

Von links: Präsident Leonid Kutschma, Wladimir Putin und der von ihnen favorisierte Präsidentschaftskandidat Viktor Janukowitsch. (Foto: Reuters) Wiktor Juschtschenko bei seinem Wahlkampf in Kiew am 17. Oktober 2004, einen Monat nach der Giftattacke. (Foto: Tass)

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Um sich der Unterstützung durch die USA zu versichern, erklärte Viktor Jusch­ daß er im Falle eines Wahlsieges den von Rußland angeregten Plan für den euro-asiatischen Wirtschaftsraum umgehend begraben werde, und er erhob statt dessen die Westintegration des Landes zum Ziel.3273 Allerdings stellte sich her­ aus, so Mária Huber, daß die große Mehrheit der Bevölkerung keinesfalls nach Westen ausgerichtet war. Nur 30 Prozent stimmten für die EU, und nur ein Prozent mehr für die Marktwirtschaft.3274 Die USAID versuchte hier jedoch, die Bevölke­ rung für die Westintegration propagandistisch zu gewinnen: Unter dem Titel >Poland-America-Ukraine-Cooperation Initiative< stellte sie Millionenbeträge für polnische NGOs zur Verfügung mit dem Ziel, in der Ukraine die Grundlage der EU-Befürworter zu erweitern. Ganz auf dieser Li nie h andelte au ch die BATORY-Stiftung, die eine Schöpfung der Ford Foundation und des >Open Society Institute< des Spekulanten George Soros ist.3275 USAID war in der Zeit von 2000 bis 2005 in der Ukraine sehr aktiv, laut eigenen Angaben hatte sie zwei Milliarden US-Dollar für die Ukraine bereitgestellt; die USAID-Programme waren mit der US-Regierung und dem Nationalen Sicherheitsrat abgestimmt worden.3276 Dabei arbeitete die Organisation in der Ukraine eng mit der US-Botschaft zu­ sammen. Carlos Pascual, der in der Zeit vom Oktober 2000 bis August 2003 Bot­ schafter der USA in Kiew war, führte »die Aufsicht insbesondere über die amerika­ nische Politik zur Förderung jener ukrainischen Reformen, die der Integration des Landes in die euro-atlantischen Strukturen vorausgehen sollten. In seiner gegen­ wärtigen Position als Koordinator im Office of Reconstruction and Stabilization des Außenministeriums leitet der Diplomat sowohl das Bestreben, die Politik der Ukraine auf die Interessen der USA auszurichten, als auch das strategische Ziel, das Land in die Europäische Union zu integrieren«.3277 Entscheidend wirkte die USAID auch beim Aufbau eines Mediennetzwerkes mit, das die Kanditatur Jusch­ tschenkos unterstützte. »Gezielt intensivierte USAID die Unterstützung privater Medien in der kritischen Periode der ukrainischen Präsidentenwahl. Im Jahre 2003 nahmen 1700 Journalisten an Schulungen teil. Zwei in den Jahren zuvor mit ameri­ kanischer Hilfe ins Leben gerufene Verbände konnten ihre Position als Interessen­ vertreter festigen.«3278 George Soros finanzierte dabei ebenfalls die Internetseite Maidan als Konkurrenz zu den staatlichen Medien. Andere Publikationen, etwa die Zeitungsbeilage Deine Wahl, zu deren Finanzierung Soros und die amerikanische Botschaft gemeinsam beitrugen, wurden in Millionenauflage gedruckt und teilweise direkt unter den Demonstranten von Hand verteilt.3279 Ebenso leistete USAID wichtige Aufbauarbeit bei der Schulung von Parteireprä­ sentanten und Kandidaten der Opposition für ihre Tätigkeit in den Wahlkommis­ sionen. Die Wählerkomitees waren mit Unterstützung des NDI und anderer Orga­ nisationen aufgebaut worden. Mit Hilfe der >International Renaissance Foundation< des George Soros hatten sie zur Wahlüberwachung das Netzwerk >Neue Wahl 2004< gebildet, das von Madelaine Albright als Vorsitzende des NDI betreut wurde3280.

tschenko,

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Finanziert von >Freedom House< und der SoROS-Foundation sowie der Westmin­ ster Stiftung leisteten Aktivisten der serbischen >Otpor< Aufbau- und Schulungsar­ beiten bei der ukrainischen, Juschtschenko unterstützenden Organisation >PoraInternational Renaissance Foundation< und von 2002 bis 2005 als Wahl-Berater im >Open Society Institute< in Ki ew tätig - Einrichtungen, die beide von George Soros finanziert werden.3282 Durch diese ausländische Unterstützung konnte >Pora< Strukturen aufbauen, die das ganze Land umfaßten, verbunden mit einer einheitlichen Strategie, in der die >PoraFreedom House< Anfang August 2004 in ei­ nem einwöchigen Lehrgang in einem Sommerlager auf der Krim geschult wur­ den.3283 >Pora< war in diesem Zusammenhang nichts anderes als ein Ableger einer 1999 von der US-Botschaft, der Weltbank, NED und der SoROS-Foundation gegrün­ deten >WahlfreiheitsUnsere Ukraine< angeliefert worden.3285 Auch wurde bekannt, daß der US-Botschafter in Kiew, John Herbst, mit seinem Amtskol­ legen in Tiflis, Richard Miles, beim Aufbau der Opposition, insbesondere der Orga­ nisation >PoraExit-PollsExit-Polls< sowie der Versorgung der Oppositionsgrup­ pen mit modernen Kommu nikationsmitteln waren maßgeblich die NED sowie >Freedom House< beteiligt.3288 Bei der Stichwahl am 21. November erlangte J uschtschenko 46,61 Prozent, J anu­ kowitsch allerdings 49,46 Prozent der Stimmen. Sofort wurde von der Opposition der Verdacht der Wahlfälschung geäußert, was von Demonstrationen begleitet waren, die nach dem gleichen Muster wie in Belgrad und Tiflis organisiert und durchgeführt wurden. »Eine Schlüsselrolle bei diesem Medienspiel«, so F. William Engdahl, »kam der Behauptung zu, Juschtschenko habe gemäß den sogenannten >Exitpolls< gewonnen. Nicht erwähnt wurde, daß diese Umfragen... von Personen durchgeführt wurden, die von den USA ausgebildet und von einer Körperschaft

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namens >Freedom HouseFreedom House< schulte rund 1000 Wahlbeobachter, welche ei­ nen 11-Punkte-Vorsprung für Juschtschenko erklärten. Es waren diese Erklärun­ gen, die den Massenaufmarsch gegen Wahlbetrug auslösten.«3289 Von nicht unerheblicher Relevanz war auch, daß in den USA Zbigniew Brze­ zinski, Henry Kissinger und Colin Powell die Wahlergebnisse im November offen als Fälschung verurteilt hatten3290 Bei der Durchführung der >Revolte< hatten eben­ falls die beschriebenen NGOs ihre Finger im Spiel: »Die Rechenschafsberichte der »International Renaissance Foundation< sind voll von Beispielen für Strukturen, die eigentlich zur Wahlbeobachtung geschaffen wurden, nach der Wahl aber nahtlos als Keimzellen der Revolte Weiterarbeiten konnten.«3291 So hatte die Stiftung um­ fassende Beträge für »mobile Gruppen< ausgegeben, deren Aufgabe es war, bei Ge­ setzesverstößen an den Wahllokalen Rechtsberatung zu gewähren. Diese Gruppen standen damit im entscheidenden Augenblick zur Verfügung. Zugleich finanzierte Soros »Nachtwachen< an den Wahllokalen. Die Jugendorganisation »Pora< holte ihre verhafteten Aktivisten mit Hilfe von Anwälten aus dem Gefängnis, die ebenfalls von Soros mitfinanziert wurden, und hielt so ihre Organisation intakt.3292 Zur entscheidenden Stichwahl kam es dann am 26. Dezember 2004, in der Jusch­ tschenko mit 51,99 Prozent der Stimmen gewann. Die Auseinandersetzung um die Wahl war begleitet von heftigen Anklagen der US-Machtelite gegen Putin. Ihm wurde vorgehalten, einen Wahlfälscher unterstützt zu haben, und in der Tat gab es glaubwürdige Berichte, daß kremlnahe russische Unternehmen den Wahlkampf von Janukowitsch mit erheblichen Finanzmitteln alimentiert hatten.3293 Angesichts der schon jahrelang währenden verdeckten Einmischung der USA in die Ukraine, wo sie in der Wahlkampfphase besonders akut war, muß ein solcher Vorhalt als Heuchelei gesehen werden. Denn zusammenfassend betrachtet stand hinter der straff organisierten, disziplinierten und einfallsreichen Mobilisierung der Jusch­ tschenko-Anhänger aus der ganzen Ukraine die US-Regierung und die verschiede­ nen amerikanischen NGOs, verbunden mit den SoROS-Stiftungen als Finanziers.3294 Die Kampagne, so die britische Zeitung The Guardian, sei »eine amerikanische Schöp­ fung, ein komplexes und brillant realisiertes Erfinden einer Marke und dessen Mas­ senvermarktung, die in den letzten vier Jahren in vier Staaten versucht wurde, um die gefälschten Wahlen für den Umsturz unliebsamer Regime zu nutzen. Zuerst wurde die Aktion beim Sturz Milosevics erfolgreich umgesetzt. Die Belgrader Stu­ dentenorganisation »OtporHelsinki Watch Group < berichtete, habe sie mehr Unregelmäßigkeiten auf seiten der Opposition von Juschtschenko festgestellt als auf der Seite des auf Moskau ausgerichteten Ja­ nukowitsch.3298 Aufgrund der medialen Überlegenheit der Opposition wurde der Wahlbetrug Janukowitschs jedoch übertrieben herausgestellt. 3299 Michel C hossudov­ sky berichtet sogar, daß der Verbündete Juschtschenkos, der ehemalige ukraini­ sche Verteidigungsminister Marchuk, die Streitkräfte sowie die Polizei dazu auf­ gerufen haben soll, der Regierung Kutschma-Janukowitsch den Gehorsam zu verweigern, was Chossudovsky als Vorbereitung für einen »von den USA und der NATO gesponsorten Staatsstreich« bewertet.3300 Fazit war jedenfalls, daß Juschtschenko das Amt des ukrainischen Staatschefs übernahm. Ebenso wie der Wahlkampf in Georgien war auch der Wahlkampf in der Ukraine hinter den Kulissen ein kalter Krieg zwischen den USA und Rußland auf dem geopolitisch bedeutsamen Schachbrett der Ukraine, von dem die USA Rußland verdrängen wollten. In Form der bewährten >indirekten Strategie< sorg­ ten die USA für die Entfernung eines mißliebigen Machthabers und sorgten mit einem >sanften Staatsstreich« für die Einsetzung eines Kandidaten, der ihren geo­ politischen Interessen zweckdienlich war. Auch nach den Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung war es die ausländische Hilfe, die für den Erfolg der >orangenen< Revolution und damit für die Machtübernahme Juschtschenkos entscheidend war. Juschtschenko selbst hatte auch immer wieder darauf hingewiesen. Anfang April 2005 hatte er es sich deshalb auch nicht nehmen lassen, bei seinem Amtsantrittsbe­ such in Washington die Spender vom NDI und von der republikanischen Parallel­ organisation dnternational Republican Institute< (IRI) zu besuchen. »Mit Ihrer Hil­ fe, mit der Hilfe amerikanischer und internationaler Experten, mit der Hilfe des NDI und der IRI, ist es uns möglich geworden, freie und faire Wahlen zu errei­ chen«, sagte er damals.3301 Dabei paßte - wie Mária Huber enthüllte - die Art und Weise dieses Umsturzes ebenso wie der in Belgrad und Georgien ideal zu der im Oktober 2005 vorgestellen neuen Nationalen Geheimdienststrategie der USA, die

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neben der Terrorismusbekämpfung auch die Ausbreitung der Demokratie umfaßte - »mit eindeutiger Stoßrichtung auf den Umsturz unberechenbarer Regime in für die USA geostrategisch bedeutsamen Regionen«.3302 Die geopolitischen Auswirkungen dieses >Regimewechsels< im Sinne der USA wurden bereits sehr schnell erkennbar. Juschtschenko bot den USA bei seinem Antrittsbesuch im April 2005 eine »aufrichtige strategische Partnerschaft« an. Mit der Aufnahme der Ukraine in die NATO würde die transatlantische Allianz die Stabilität einer wichtigen Region, die sich von Warschau bis Tiflis und Baku er­ streckt, auf eine erheblich verbesserte Grundlage stellen.3303 »Dank der neuen ukrai­ nischen Führung«, so Mária Huber, »ist die NATO inzwischen in eine Phase des intensiven Dialogs eingetreten, um das Land auf eine Mitgliedschaft vorzuberei­ ten. Kiew muß dafür nicht nur wichtige Reformen in der Verteidigungs- und Si­ cherheitspolitik vornehmen - Präsident Juschtschenko ordnete bereits die Erhö­ hung der Verteidigungsausgaben an -, sondern auch die Unterstützung der Bevölkerung für den Kurs in Richtung NATO gewinnen... Man darf jedoch sicher sein, daß die amerikanischen Think-Tanks weder Kosten noch Mühen scheuen werden, um die erforderliche Zustimmung herzustellen.«3304 Mit der Einbindung der Ukraine in die NATO würden die USA auf Dauer zur bestimmenden Macht auf dem eurasischen Doppelkontinent. Für Rußland hinge­ gen bedeutete der Wahlsieg Juschtschenkos eine empfindliche außenpolitische Nie­ derlage3305 mit nicht unerheblichen sicherheitspolitischen Problemen: »Die West­ drift der Ukraine warf auch sicherheitspolitische Probleme für Rußland auf. Die russische Schwarzmeerflotte ist auf der ukrainischen Krim stationiert. Ein Vertrag sichert ihre Anwesenheit bis zum Jahre 2017, aber es besteht die Gefahr, daß ihr Kiew das Leben auch bis dahin schwer machen könnte. An der russischen Schwarz­ meerküste war auf absehbare Zeit keine gleichwertige Alternative verfügbar. In der Ukraine wurden zudem die Interkontinentalraketen für die sowjetischen Streit­ kräfte entworfen und hergestellt, die von der russischen Armee nach wie vor ver­ wendet werden. Für den Fall eines NATO-Beitritts der Ukraine würden somit rus­ sische Militärgeheimnisse dem daran hoch interessierten Westen zugänglich.«3306 Auch hatte J uschtschenko angekündigt, das unter Janukowitsch zugunsten Ruß­ lands ausgehandelte Pipelinegeschäft wieder zu ändern. »Bei der Öl-Pipeline Odes­ sa-Brody hat Juschtschenko angeregt, die Fließrichtung wieder nach Norden zu drehen, so daß - wie ursprünglich geplant - kaspisches Öl durch sie nach West­ europa fließen kann. Damit es dazu kommen kann, muß allerdings noch viel ge­ schehen. Vor allem ist das letzte Teilstück vom ukrainischen Brody über die polni­ sche Grenze noch nicht gebaut. Eine Investition an diesem Punkt könnte die strategische Lage der Region völlig verändern...«3307 - und zwar zu Lasten Ruß­ lands.

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7.7 Die >Tulpen-Revolution< in Kirgistan: Die USA stürzen den Machthaber Akajew In den Jahren 2003 und 2004 geriet Kirgistan ins Visier der US-Außenpolitik. Eben­ so wie im Fall der Ukraine oder Georgiens hing dies mit der geopolitischen Lage dieses Staates und seiner 2003/2004 eingetretenen außenpolitischen Neuausrich­ tung zusammen. Geopolitisch stellt Kirgistan den geographischen Keil dar, der China von Zentralasien abtrennt, und die Verwandlung Kirgistans in einen USamerikanischen Stützpunkt hätte eine Einkreisung Chinas vom Westen her ermög­ licht. Zudem grenzt Kirgistan direkt an die unruhige islamische Westprovinz Chi­ nas, Xinijang. Instabile Entwicklungen in Kirgistan können daher automatisch auf Chinas unruhigen Westen übergreifen. Politische Entwicklungen in Kirgistan können vor diesem geopolitischen Hinter­ grund auch ohne weiteres Auswirkungen auf Chinas Pipelinepläne in Zentralasien haben. Bereits 1997 wurde der Bau einer Pipeline zwischen dem chinesischen Xini­ jang und Kasachstan beschlossen; Peking erwarb auch 60 Prozent eines der größten kasachischen Erdölfelder.3308 Gerade die Energieimporte aus Kasachstan sind für China von besonderer Wichtigkeit. Im Jahre 2000 wurden auf einem Nationalen Volkskongreß< in Peking die Energiepläne Chinas enthüllt. Der Schwerpunkt war dabei der Bau eines 4200 Kilometer langen Netzwerks von Öl- und Gaspipelines, das von Chinas westlicher Provinz Xinijang bis zur Ostküstenmetropole Shanghai verlaufen sollte,3309 wobei eine Anknüpfung an die Erdgas- und Ölpipelines von Turkmenistan und Kasachstan, Rußland und vom Iran geplant war. Dieses Modell - so Savas Genc - ist als die >Panasiatische globale Energiebrücke< bezeichnet worden - ein eurasisches Netzwerk von Pipelines, die Energieressour­ cen des Nahen Ostens, Zentralasiens und Rußlands mit Chinas Pazifikküsten ver­ binden soll.3310 Sollte also eine Energiepartnerschaft zwischen China, Rußland und Zentralasien zustande kommen, »würde dies die Beziehungen in Zentral- und Ost­ asien dramatisch verändern. Sie würde den notwendigen politischen Rahmen für größere Investitionen in ein Pipelinenetz schaffen, das sich über Zentralasien und das russische Sibirien bis an Chinas Pazifikküste erstreckt«.3311 Sieht man sich die Landkarte Zentralasiens an, so wird erkennbar, daß Kirgistan gewissermaßen den Keil darstellt, der sich zwischen China einerseits sowie Kasachstan und Zentralasien andererseits schiebt. Wer diesen Staat kontrolliert, entscheidet darüber, ob die >Panasiatische globale Energiebrücke< und damit eine energiepolitische Arrondierung Eurasiens Wirklichkeit werden wird oder die Pluralisierung dieses Großraums auf­ rechterhalten bleibt. Diese geopolitischen Überlegungen standen auch - wie oben dargestellt - hinter der US-Truppenstationierung im Dezember 2001. Staatschef Askar Akajew begrüßte seinerseits die amerikanische Truppenstationierung, um den russischen Einfluß zurückzudrängen. Rußland versuchte, über seine Sicherheitssysteme Einfluß auf Kirgistan zurückzugewinnen, das in der Zerreißprobe zwischen einem autoritären

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Regime und einem von außen (über Usbekistan und Afghanistan) hineingetrage­ nen islamistischen Separatismus stand. Im Süd westen des Landes befindet sich das Fergana-Tal, das sich Kirgistan mit Usbekistan und Tadschikistan teilt. Diese Region gilt als das Epizentrum islamistisch-fundamentalistischer Bestrebungen. In den Jah­ ren 1999 und 2000 gab es im Fergana-Tal jeweils wochenlange Gefechte, nachdem islamistische Kämpfer aus Usbekistan auf kirgisisches Staatsgebiet vordrangen. Hierbei spielte neben der »Islamischen Bewegung Usbekistans< vor allem auch die >Hizb-ut-Tahrir< eine maßgebliche Rolle. Beide Gruppierungen standen in enger Beziehung zu den afghanischen Taliban und wurden von diesen logistisch unter­ stützt und ausgebildet. »Die Angriffe wirkten wie ein Schock und bewogen zen­ tralasiatische Staaten zu einer eingeren Kooperation mit Rußland.«3312 Um bei der Bekämpfung der pan-islamistischen Kalifatsstaatsbewegung nicht allein von Rußland abhängig zu sein, setzte Akajew zusätzlich auf die amerikani­ sche Karte. Auch Kirgistans Wirtschaft war größtenteils von Rußland abhängig, und deshalb ermutigten die USA IWF und Weltbank, Anleihen für die kirgisische Wirtschaft bereitzustellen. Die IWF-Unterstützung wiederum war entscheidend für Kirgistan, der erste Staat der zentralasiatischen Region zu werden, der die Rubel­ zone verließ.3313 Der 11. September 2001 ergänzte die wirtschaftliche Anbindung Kirgistans an den Westen durch die militärische, wobei Kirgistan aber bereits seit 1994 der NATO-Partnerschaft »Partnership for Peace< beigetreten war. Kirgistan als wichtiger Schlüsselstaat des »Bogens der Instabilität wurde in das militärische US-Stützpunktsystem eingegliedert. Akajew stellte den USA den größten Militär­ stützpunkt in der Region bei Manas in der Nähe der Hauptstadt Bischkek zur Ver­ fügung, wobei, wie oben dargestellt, die enormen Pachtzahlungen die entschei­ dende Rolle gespielt hatten. Da Rußland erkannte, welche weitergehende geopolitische Bedeutung mit der Errichtung von US-Militärbasen verbunden war - nämlich die Herauslösung der zentralasiatischen Staaten aus der russischen Einflußzone -, gelang es Putin, daß Kirgistan über die »Organisation des Vertrags von Taschkent wieder in sein Si­ cherheitssystem einbezogen werden konnte.3314 Schließlich stellte eine Destabilisie­ rung und religiöse Radikalisierung der islamischen »weichem Südflanke die größte Sicherheitsgefährdung Rußlands dar, und dieses hatte kein Interesse daran, daß sich gewaltbereite Islamisten in seiner südlichen Einflußzone breit machten. Parallel dazu standen Rußland und die USA im direkten Wettbewerb um Macht und Ein­ fluß in ganz Mittelasien.3315 Folglich handelte im September 2003 auch Rußland mit der kirgisischen Führung ein Abkommen aus: 500 russische Soldaten und etwa 20 Flugzeuge wurden auf dem Stützpunkt Kant stationiert, wenige Kilometer östlich von Bischkek gelegen. Kirgistan war von nicht unerheblicher geopolitischer Bedeutung für die Initiati­ ven Rußlands zur Integration des eurasischen Raumes. Nach den von USA betrie­ benen Regimewechseln in Georgien und in der Ukraine drohte eine erneute Tei­

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lung des GUS-Raumes in der Form, daß sich zwei widerstreitende Lager herausbil­ deten, und zwar das der revolutionären Westler< einerseits und das der an Ruß­ land ausgerichteten Kräfte andererseits.3316 Hätte sich dies weiterentwickelt, dann wäre - so die Zentralasien-Experten Uwe Halbach und Franz Eder - die Integrität der von Rußland geschaffenen Organisationen im postsowjetischen Eurasien ernst­ haft in Gefahr gewes en. Dab ei spiel te Kirgist an ein e Sch lüsselrolle: »Von einer Ku rs­ änderung in der Außenpolitik Kirgistans wären zum Beispiel regionale Institutio­ nen wie die >Schanghai-Organisation für Zusammenarbeit^ die Organisation des Kollektiven SicherheitsvertragsEurasische Wirtschaftsraum< betroffen. In allen diesen sich über­ lappenden wirtschafts- und sicherheitspolitischen Kooperationsformaten ist Kir­ gistan Mitglied.«3317 Mit einer außenpolitischen Neuausrichtung Kirgistans nach Washington würde sich - ganz im Sinne der US-Geopolitik - der eurasische Erosions­ prozeß fortsetzen, denn schon »mit dem Machtwechsel in der Ukraine wurde be­ reits eine von Rußland besonders geförderte Regionalstruktur, der Einheitliche WirtschaftsraumHizb-ut-Tharir< ihren Hauptsitz in London hat. 3322 Auch dieses Verdachtsmoment mag zu einer verstärkten Anlehnung Kirgistans an Ruß­ land beigetragen haben. Begleitet war die außenpolitische - nämlich eurasisch aus­ gerichtete - Neuorientierung Kirgistans auch von einer Anlehnung an China: Aka­ jew strebte eine Verbindung mit China im Rahmen einer >Seidenstraßendiplomatie< an, die sich auch in gemeinsamen Planungen zur Bekämpfung des islamistischen Separatismus wie im Fergana-Tal und auch in Xinjang nieder schlug.3323 China selbst sieht Zentralasien als Rückzugsgebiet und Epizentrum des islami­ schen Separatismus in seinen Westprovinzen und unterstützt deshalb eine gemein­ same eurasische Sicherheitsgemeinschaft unter Einbeziehung Rußlands und ganz

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Zentralasiens. Auch machte die Integration Kirgistans in das Vertragssystem für kollektive Sicherheit, verbunden mit dem Aufbau einer >schnellen EingreiftruppeBogen der Instabilität< als >Bogen der Stabilität< in die Transatlantische Gemeinschaft eingegliedert werden konnte. In den Jahren 2003 bis 2004 erhielt Kirgistan daher auch knapp 27 Millionen US-Dollar vom US-StateDepartment für »demokratische Reformen«.3328 Anlaß sollte die im März 2005 anfallende Parlamentswahl in Bischkek sein. Be­ reits im Vorfeld wurde der Aufbau von Oppositionskräften organisiert und finan­ ziert, wobei die auf dem ersten Blick vielfältig und unabhängig voneinander erschei­ nenden NGOs in Kirgistan einer zentralen Anleitung durch die US-Organisationen - insbesondere der USAID - unterworfen waren. »Praktisch alles, was die Zivilge­ sellschaft in Kirgistan erreichte, ist durch US-Stiftungen oder von der US-Agency for International Development (USAID) finanziert worden. Zuletzt wurden 170

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Nichtregierungsorganisationen... von den Amerikanern geschaffen oder gesponsort.«3329 Oppositionelle Medien, die vom herrschenden Regime in den finanziellen Ruin getrieben wurden, wurden von US-Organisationen unterstützt, wobei die NED und auch die S oros-Stiftung eine führende Ro lle spielten. 3330 »Bald fand Washington heraus, was der aufkeimenden Opposition gegen den Akajew-Clan besonders Not tat - und handelte«,3331 indem es Logistik und Geld bereitstellte. Die Folge war, daß die Opposition schließlich über die modernste Druckerei in Bischkek verfügte. »Ihr Glanzstück ist eine blankgewienerte Vierfarb-Offsetdruckmaschine schwedischen Fabrikats, auch die computergesteuerte Textübertragung hat höchstes Niveau.«3332 Tatsächlich wurde die Maschine vom US-amerikanischen State-Department bereit­ gestellt und an eine >Stiftung zur Unterstützung der Medien< in Kirgistan weiterge­ reicht. Dieser Stiftung steht der US-Senator und Ex-Präsidentschaftskandidat der Republikaner John McCain vor, Mitglied ist zudem Anthony Lake, Clintons ehe­ maliger Sicherheitsberater. »Damit das Regime auch begreife, daß sie es ernst mei­ nen mit ihrem Engagement, begaben sich McCain und zwei weitere republikani­ sche Senatoren zur Druckerei-Einweihung im November 2003 höchstselbst ins ferne Nomadenland. Auch Botschafter Stephen Young war zugegen, er hatte den Deal eingefädelt.«3333 In dieser Druckerei wurde nunmehr den Recherchen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel zufolge die Zeitschrift MSN, das wichtigste Oppositionsblatt, gedruckt, das regelmäßig Enthüllungen über Machenschaften des Akajew-Clans veröffent­ lichte.3334 Seit November 2003 wurde die oppositionelle Presse finanziell vom USState-Department sowie von >Freedom House< gefördert.3335 Beratung und Unter­ stützung erfolgte im Hintergrund durch die >National Endowment for DemocracyFreedom House< w ie auch durch die US-Botschaft in Bischkek3336. Im Vorfeld wurde bereits für die Ausbildung regionaler Eliten im Sinne westlich-neoliberaler Gesell­ schafts- und Wirtschaftsmodelle Sorge getragen, eine »Taktik der psychologischen Kriegführung aus der Zeit des Kalten Krieges«.3337 Eine wichtige Rolle dabei spielte in Kirgistan das >International Research and Exchanges Board< (IREX). Diese Einrichtung stellt die Ausbildungsschule für die Vertreter der Farbrevolutionen dar und wird im wesentlichen geleitet von Spezia­ listen für die Bereiche politisch-psychologische Kriegführung, Diplomatie und Pro­ paganda aus den Bereichen des US-Militärs und der Auslandsgeheimdienste der USA.3338 »IREX organisierte Konferenzen, Seminare, technische Beratung und Assi­ stenz sowie Austauschprogramme mit kirgisischen Eliten...«3339 Wie Steve Gutterman von der Associated Press enthüllte, begann die US-Unter­ stützung für Kirgistan bereits unmittelbar nach dem Zerfall der Sowjetunion. Ein Teil der Gelder floß dabei an Organisationen wie das >National Democratic Institute< und das >International Republican Institute< deren >Demokratieprogramme< in Kirgistan einer Darstellung des State-Departments zufolge die Errichtung einer »Zivilgesellschaft« und »unabhängiger Medien« zum Gegenstand hatten.3340 Im Jahre

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Sturm des Weißen Hauses in der Hauptstadt Kirgistans, Bischkek, am 24. März 2005. (Foto: DPA)

Links: Der frühere Präsident Kirgistans Aska Akajew. Rechts: Die Stiftung Freedom-House unterstützte jahrelang finanziell die kirgisische Opposition; hier Vertreter Mike Stone. Unten: Karte von Kirgistan.

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2004 hatten die USA rund zwölf Millionen Dollar als Stipendien oder Spenden nach Kirgistan gepumpt, um dem >demokratischen< Prozeß nachzuhelfen.3341 Die innenpolitischen Voraussetzungen für ein Erstarken oppositioneller Kräfte im Land waren aufgrund der wachsenden Korruption gegeben. Die Macht des Prä­ sidenten Akajew wandelte sich zur autoritären Herrschaft eines Familienclans, der sich Massenmedien und Wirtschaft unterwarf. »Endgültig«, so das Nachrichten­ magazin Der Spiegel, »überspannte der Machthaber den Bogen, als er Ende Februar (2005) Sohn Aidar, Tochter Bermet und weitere Verwandte ins Parlament wählen ließ. Oppositionelle bremste er mit juristischen Winkelzügen und Fälschungen aus - nur fünf Regimekritiker gewannen Mandate.«3342 In der Bevölkerung stieß gerade der Umstand, daß der Akajew-Clan politische und wirtschaftliche Macht miteinan­ der vernetzte, die einträglichsten Wirtschaftszweige und die wichtigsten Medien kontrollierte, auf erheblichen Protest. Die Anführer der Opposition - Kurmanbek Bakijew, Felix Kulow und Rosa Otun­ bajewa - waren aber bereits schon vorzeitig von den US-Einrichtungen für ihre neue Aufgabe - die politische Umwandlung Kirgistans, verbunden mit einer au­ ßen- und bündnispolitischen Neuorientierung des Landes - ausgebildet worden. Hierbei handelt es sich um Vertreter der kirgisischen Machtelite, die in der Vergan­ genheit hohe Posten in der Regierung und im diplomatischen Dienst bekleide­ ten3343 und aufgrund interner Machtrivalitäten ihrer Ämter enthoben wurden. »Ku­ manbek Bakijew von der Nationalen Bewegung von KirgistanOran­ genen Revolution< erhalten konnten.3346 Zur Unterstützung lokaler oppositioneller Aktivisten stellte die Organisation USAID einen Betrag von zwei Millionen USDollar zur Verfügung.3347 Die >Koalition für Demokratie und Zivilgesellschaft< (CDCS) und die >Zivilgesellschaft gegen Korruption< (CSAC), lokale NGO-Schlüs­ selpartner des >National Endowment for DemocracyFreedom House< und der Soros-Foundation zusammen, um Stromgeneratoren, Druckerpressen und Geld zur Verfügung zu stellen und auf diese Weise die Proteste gegen Akajew am Kochen zu halten.3348 Der Führer der CDCS, Edil Baisalov, erklärte in diesem Zu­

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sammenhang, daß die US-amerikanischen NGOs eine »sehr wichtige Rolle« bei der Schaffung einer Atmosphäre zum Regimewechsel gespielt hätten.3349 Ohne die koordinierten amerikanischen Bemühungen wäre der Aufstand gegen Akajew »ab­ solut unmöglich« gewesen.3350 Diese Gruppe kollaborierte bei der Beobachtung der Parlamentswahl m it dem >National Democratic InstituteFreedom House< in Bischkek wurden von ihm finanziert, zusätzlich insbesondere die Zentralasiatische Universität in Bischkek3351, und so wundert es auch nicht, daß Studentenorganisationen wie >AlikoNeues Kirgisien< und >Neues Jahrhundert< schon im Dezember 2004 offen mit massiven Protesten im Falle von Wahlfälschungen gedroht hatten.3352 Auch in Kirgistan kam der staatenübergreifende Austausch der Oppositions­ kräfte zum Tragen. Einige Führer kirgisischer Oppositionsgruppen hatten sich Ende Januar 2004 mit dem frischgewählten georgisch en Präsidenten Michail Saakaschwili getroffen und »ihre Bewunderung über das, was ihr georgisches Gegenüber er­ reicht hat, nicht verheimlicht«.3353 Zu den Teilnehmern des Treffens gehörten unter anderem Tolekan Ismailova von der >Civil Society against CorruptionRosenrevolution< miterlebte), erklärte, daß sie Kirgistan enger an die USA binden wolle. Im Februar 2005 hatte sie sich im kleinen Kreis zu den Partnern und Sponsoren der kirgisi­ schen Revolution bekannt, zu »unseren amerikanischen Freunden« von »Freedom House< und zum Spekulanten George Soros.3361 Mit dieser Neuausrichtung Kirgis­ tans, für die die Außenministerin Rosa Otunbajewa stand, drohten die von Ruß­ land geschaffenen Integrationsstrukturen zu zerbrechen. »Die GUS«, so das Nach­ richtenmagazin Der Spiegel, »... ist nach dem Umsturz von Bischkek endgültig tot«,3362 und Putin selbst bezeichnete in diesem Zusammenhang die Ereignisse in Kirgisien als eine »Unterspülung dieses geopolitischen Raumes«. Es bestand die Gefahr, daß die Entwicklungen auf weitere Staaten des >nahen Auslandes< über­ zugreifen drohten - was angesichts der Organisationsstruktur, der logistischen Un­ terstützung und Steuerung durch Einrichtungen der unipolaren Supermacht USA auch nicht unwahrscheinlich schien. Die Folge wäre dann eine endgültige Zurück­ drängung Rußlands auf die vorpetrinischen Grenzen gewesen, verbunden mit einer strategischen Isolation des Kernraumes im Sinne der Doktrinen Brzezinskis, und an dessen Ende möglicherweise sogar die Teilung der Russischen Föderation selbst. Daß allein die US-Machtelite darüber entscheidet, wann ein Regimewechsel in strategisch bedeutsamen Regionen stattfindet, zeigt sich am Beispiel Aserbaidschan. Hier gab es ähnliche soziale Voraussetzungen für eine Revolte, jedoch fügte sich das Akajew-Regime vollständig in die geopolitischen Päne d er US A ein, so daß d ie­ se in dieser Region keinen Handlungsbedarf sah. Wie oben dargestellt, ist Aserbaidschan ein Schlüsselstaat in der US-Eurasien­ politik. »Das Jahrhundertprojekt der Pipeline Baku-Ceyhan, durch die jetzt kaspi­ sches Öl ans Mittelmeer gepumpt wird für die Märkte im Westen, ist vom ehema­ ligen US-Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski angebahnt worden. In der einflußreichen Amerikanisch-Aserbaidschanischen Handelskammer drängelt sich

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bis heute die Vorhut der US-Globalstrategen: Kissinger, B aker, S cowcroft. Die USA überweisen jährlich 90 Millionen Dollar Hilfe nach Aserbaidschan. 100 weitere Mil­ lionen für eine sogenannte Caspian Guard zur Sicherung der Ölförderung hat das Pentagon zugesagt. Unverändert bilden amerikanische Experten die 41. Marine-Spe­ zialeinheit der aserbaidschanischen Armee aus, beraten das staatliche Fernsehen, schu­ len Kleinunternehmer und halten Kontakt zu den Oppositionsführern.«3363 Die Grundlage für die proamerikanische Ausrichtung hatte Gajdar Alijew durch die langfristigen Ölförderverträge vor allem zugunsten der USA gelegt. Diese Poli­ tik wurde von seinem Sohn Ilcham weitergeführt; Andeutungen für eine geopoliti­ sche Neuausrichtung Aserbaidschans hat es niemals gegeben. Gleichwohl aber gibt es hier die gleichen sozialen Spannungsverhältnisse wie in Georgien oder in Kir­ gistan.: »Trotz sprudelnder Ölquellen lebt fast jeder zweite Aserbaidschaner in Armut. Die Reichtümer des Landes füllen die Taschen einer Minderheit. In Sachen Korruption liegt Aserbaidschan unter 159 Staaten weltweit an sechster Stelle.«3364 Folglich gab es auch in Aserbaidschan eine starke Opposition, die im Hinblick auf die Parlamentswahl am 6. November 2005 die Öffentlichkeit zu mobilisieren versuchte. Es war auch bekannt, daß die Wahl dem Bericht der westlichen Beob­ achtermission zufolge »mehrere OSZE-Bedingungen und Standards des Europa­ rats für demokratische Wahlen nicht erfüllt« hatte.3365 Organisierte Massenprote­ ste wie in Belgrad, Tiflis, Kiew oder Bischkek blieben allerdings vollkommen aus, denn - so die Süddeutsche Zeitung - »wichtiger dürfte das strategische Interesse der Amerikaner an dem kleinen Aserbaidschan s ein«,3366 und dies nicht nur aus energie­ politischen Gründen. Seitdem die USA ihre Stützpunkte in Usbekistan 2005 aufge­ ben mußten, ist die Bedeutung Aserbaidschans als Transitland für AfghanistanEinsätze gewachsen; auch spielt Aserbaidschan für die US-amerikanische Destabilisierungspolitik gegenüber dem Iran eine entscheidende Rolle. Insoweit hatte sich die Lage der Amerikaner in Zentralasien und im Golf verändert, was die Bedeutung Aserbaidschans weiter erhöht hatte.3367 Auf der anderen Seite hatte sich auch Baku seit den neunziger Jahren erkennbar den USA angenähert3368 - und die­ ser politische Kurs wurde durch den Alijew-Clan garantiert. Aus diesem Grund waren die USA an einem Regimewechsel in Baku auch nicht interessiert, folgerichtig wurde die Unterstützung für die Opposition erheblich ver­ ringert. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hierzu enthüllte, waren bezüg­ lich der aserbaidschanischen Opposition »die Weichen... diesmal frühzeitig in eine andere Richtung gestellt. So hat die US-finanzierte Eurasia-Stiftung ausgerechnet im Wahljahr 2005 ihre direkten Zuwendungen für aserbaidschanische NGOs redu­ ziert - von ohnehin bereits bescheidenem Niveau aus. In den Donor-Charts, dem Barometer, das den internationalen Druck auf ein Regime anzeigt, liegt Aserbaid­ schan zurzeit weit hinten und Weißrußland in Front. Vor allem seit die US-Außen­ ministerin den Bannstrahl öffentlich auf das Lukaschenko-Regime in Minsk gerich­ tet hat«.3369

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7.8 Das geopolitische Konzept hinter der Strategie der >Regimewechsel< Hinter der Inszenierung der Regimewechsel stand natürlich auch ein konkretes geopolitisches Konzept. Unter George W. Bush erfuhren die Pläne Brzezinskis eine Aktualisierung durch eine Strategie mit dem Titel »Greater Middle East Project«. Ziel dieses Projekts ist es, »eine weiträumige ökonomische und militärische Kon­ trolle über die Erdölreserven und Transportwege des Nahen und Mittleren Ostens anzustreben. Diese Planung umfaßt die nordafrikanischen Länder der Mittelmeer­ küste von Marokko bis Ägypten, den arabischen Mittleren Osten einschließlich Is­ raels und der Türkei, den Kaukasus und die mittelasiatischen Republiken der frü­ heren Sowjetunion sowie den Iran und Afghanistan bis an die Grenzen Indiens und Chinas. Diese Strategie wird von speziellen Projekten zur Einflußnahme auf die Regionen am Schwarzen Meer flankiert«.3370 Gerade der Raum des Schwarzen Meeres sollte zum Schwerpunkt des US-ame­ rikanischen Vorgehens werden. Hier spielte im entscheidenden Maße der bereits erwähnte US-Stratege Bruce P. Jackson eine Rolle, der die Kerngedanken dieser Konzeption am 9. März 2005 in seiner Funktion als Präsident des >Project for De­ mocracies in Transition< vor dem Außenpolitischen Ausschuß des US-Senates vor­ getragen hatte. Jackson erklärte dazu: »Wenn wir Erfolg haben wollen mit unseren Bemühungen zur Unterstützung der Demokratisierung im Mittleren Osten, müs­ sen wir eine sichere, prosperierende und demokratische Region am Schwarzen Meer schaffen.«3371 Die Entwicklungen aus dem Irak-Krieg, so Jackson, ergäben erstens, daß die USA ohne Zusammenarbeit mit den Staaten am Schwarzen Meer schwer in den Norden des erweiterten Mittleren Ostens gelangen könnten. Zweitens unter­ strich Jackson die Bedeutung, die die Handelsverbindungen der Region für die USA haben. »Die Energiereserven aus Mittelasien (werden) immer wichtiger für unsere europäischen Verbündeten und für die Stabilität des Weltpreises für Öl. Gegenwärtig importieren die EU-Staaten ungefähr 50 Prozent ihres energetischen Bedarfs; bis 2020 werden die Importe 70 Prozent erreichen. Dieser Zuwachs kann durch Transportwege entlang des Schwarzen Meeres abgesichert werden.«3372 Hierbei jedoch ist davon auszugehen, daß es der US-Machtelite weniger um die Sorge der Energieversorgung der Europäischen Union - ihres möglichen strategi­ schen Konkurrenten - geht als vielmehr um die Absicht, selber die Kontrolle der Transportkorridore zu übernehmen und militärisch abzusichern, so wie es US-Kau­ kasus-Experte Frederick Starr formuliert hatte: Wer bestimmen kann, wie die Pipe­ line-Karte aussieht, wird die Zukunft eines riesigen Teils der Welt bestimmen. Aus diesem Grunde müßten Jackson zufolge - drittens - die USA berücksichti­ gen, daß die Region des Schwarzen Meeres in wachsendem Maße an die EU rückt. »Mit Ausnahme Kroatiens kommen alle Kandidaten-Länder für die EU aus der Region des Schwarzen Meeres«, womit Jackson Rumänien und Bulgarien sowie die Türkei meinte. »Die USA sehen sich veranlaßt, in den Ländern dieser Region aktiv zu werden, damit sie nicht völlig unter die Regie der EU fallen, sowohl hin­

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sichtlich des >Eingangstors< als auch in bezug auf die Kontrolle der Handelswe­ ge.«3373 Vor diesem Hintergrund unterstrich Jackson die Bedeutung der Farbrevo­ lutionen: »Sowohl die Rosenrevolution in Georgien als auch die orangefarbene Revolution in der Ukraine haben in Anliegerstaaten des Schwarzen Meeres stattge­ funden. Die von diesen Revolutionen geschaffenen Möglichkeiten haben die Poli­ tik in Minsk, Chisinau bis nach Alma Ata, Bishkek oder Beirut verändert.«3374 Da­ mit hob Jackson die Brückenkopffunktion dieser Staaten deutlich hervor. »Es geht darum, >stabile< Verhältnisse im Sinne der kapitalistischen Restauration zu schaf­ fen. Zugleich gilt es, die aus der Sicht der USA schon zu starke Position der EU zurückzudrängen.«3375 Unterstrichen wurde dabei die klar antirussische Zielsetzung dieser Strategie. Jackson stellte in seinen Ausführungen die »Bedrohung durch den neuen russi­ schen Imperialismus« heraus, den er auch als Grund für das US-amerikanische Ein­ greifen benannte. »Der negativste Ausdruck der Bestrebungen der russischen Au­ ßenpolitik manifestiert sich gegenwärtig an der nördlichen Küste des Schwarzen Meeres. Wenn wir die neuen Demokratien vor der ausländischen Einmischung schützen wollen oder einfach besorgt sind über die Auswirkungen der russischen Politik auf die eigenen Bürger, müssen wir unsere Aufmerksamkeit auf diese Regi­ on konzentrieren.« Dabei - so Jackson - werde eine Entwicklung im Sinne der USA in hohem Maße von der Entwicklung in der Ukraine bestimmt: »Ohne eine demo­ kratische Ukraine bleibt der Frieden in Moldawien unklar, und die Demokratien im Südkaukasus werden isoliert von Europa sein«, heißt es in der Begründung der US-amerikanischen Haltung zur Region des Schwarzen Meeres, die Jackson Ende Februar 2005 mit Rumänien, Bulgarien und Georgien abgestimmt hatte. Als Grundlage benannte Jackson das im Jahre 2004 erarbeitete Dokument A New Euro-Atlantic Strategy for the Black Sea Region, das unter der Federführung von >The German Marshall Fund of the United States< erarbeitet wurde.3376 »Mit diesem Pro­ gamm streben die USA sowohl die Einkreisung Rußlands als auch die Loslösung der >Randstaaten< von Rußland und die Kontrolle über die innenpolitische Ent­ wicklung in den ehemals zur Sowjetunion gehörenden Staaten an. Sie versuchen, möglichst viele frühere Sowjetrepubliken in ihre Manöver einzubeziehen und sie im Sinne ihrer Loslösung von Moskau zu beeinflussen. Darüber hinaus sollen der Zugang der USA zu den Energievorräten des Kaspischen Meeres und der Transfer der Energieträger in den Westen gesichert werden - aber weder über Rußland noch über den Iran.«3377 Verbunden war dies mit einer Aufwertung der GUUAM, die am 22. April 2005 im moldawischen Chisinau ein neues Gipfeltreffen abhielt, das Beobachtern zufolge als »Wiederbelebung dieser Organisation« angesehen wurde.3378 »Die 1996 als Alter­ native zur GUS gegründete Organisation war lange bedeutungslos, wurde aber nach den Revolutionen in Georgien und der Ukraine sowie dem Abrücken des moldawischen Präsidenten Wladimir Woronin vom Pakt mit dem Kreml neu be­

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lebt.«3379 Die Funktion der GUUAM besteht dabei gerade darin, ein Gegengewicht zu Rußland aufzubauen. Initiator dieses Gipfeltreffens war der neue ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko, und vieles spricht dafür, daß er zusammen mit den USA dafür sorgte, im Hintergrund die Wiederaufwertung der GUUAM voran­ zutreiben, um grundlegende geopolitische Ziele umzusetzen. Wie das Handelsblatt enthüllte, spielte hierbei der Kalte Krieg um die Transportkorridore eine entschei­ dende Rolle: »Tatsächlich suchen die USA Alternativkorridore für Energietrans­ porte aus der Region um das Kaspische Meer. Neben den im Bau befindlichen Erd­ öl- und Gas-Pipelines von Baku über Georgien an die türkische Mittelmeerküste soll Kaspi-Öl von Aserbaidschan und Georgien aus über das Schwarze Meer ver­ schifft und in die Pipeline vom ukrainischen Odessa nach Polen gelangen. Bislang wird die Pipeline Odessa-Brody für russisches Öl genutzt, Kiew will die Flußrich­ tung ändern und Kaspi-Öl nach Europa pumpen.«3380 Mit diesem Gipfeltreffen schien sich eine Spaltung des postsowjetischen Raumes zu verfestigen.3381 Abzuzeichnen begann sich eine Vertiefung des proamerikani­ schen Blocks der GUUAM in Bündnis mit den baltischen Staaten, der sich wie ein Einkreisungsring um den prorussischen Block - bestehend aus der Russischen Fö­ deration, Weißrußland, Armenien und auch Kasachstan - legte. Als Beobachter nahmen auf dem GUAAM-Gipfeltreffen die Präsidenten Lett­ lands und Rumäniens sowie der US-Botschafter Steven Mann und der OSZE-Ge­ neralsekretär Jan Kubis teil. Demonstrativ wurde Rußland allerdings nicht eingela­ den. Es war der ukrainische Präsident Juschtschenko als Hauptinitiator des Gipfels, dessen Ziel es war, mit der Ukraine als strategischem Schlüsselland der GUUAM eben dieses Bündnis als Gegenpol zu Rußland aufzubauen, die russischen Integra­ tionsmechanismen im postsowjetischen Raum zu neutralisieren und Pipelinekorri­ dore, die im Interesse der US-Machtelite liegen, bündnispolitisch abzusichern. »Da­ mit schürt Kiew die Auseinandersetzung mit Moskau weiter. Ohnehin strebt der ukrainische Präsident Viktor Juschtschenko in die Nato und die EU und sieht sein Land als treibende Kraft im GUUAM-Bündnis. Kiew will bereits in drei Jahren der nordatlantischen Allianz beitreten, sagte Außenminister Boris Tarasjuk in Vilnius beim Treffen mit seinen NATO-Amtskollegen.«3382 Juschtschenko fügte überdies in die ukrainische Verteidigungsdoktrin das Ziel der Mitgliedschaft in EU und NATO ein. Dieser Verweis war von Amtsvorgänger Leonid Kutschma 2004 aus dem Dokument gestrichen worden.3383 Jetzt sollte die GUUAM in der strategisch wichtigen Region des postsowjetschen Raumes die Aufgabe übernehmen, die bislang Rußland über seine Integrationsmechanismen auszuüben gedachte. Neben der Stärkung der politischen und wirtschaftlichen Sta­ bilität stand auf der Tagesordnung auch »die Lösung der langjährigen Konflikte im postsowjetischen Raum, nämlich Transnistrien, Berg Karabakh, Abchasien, SüdOssetien. Bislang hatte Rußland die führende Rolle bei der Lösung der Konflikte innegehabt. Die Initiative in den wichtigsten Fragen übernahm der ukrainische

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Präsident Viktor Juschtschenko. Er schlug einen >Sieben-Schritte-Plan< für die Lö­ sung des Konfliktes zwischen Moldawien und Transnistrien vor. Weiterhin wurde auf die Initiative Juschtschenkos beschlossen, aus der Staatsgemeinschaft GUUAM eine internationale Organisation mit entsprechenden Institutionen und eigenen Streitkräften zu machen, die als Garant und Grundlage für weitere demokratische Entwicklungen in der schwarzmeer-kaspischen Region gelten kann. Sie soll auf drei Säulen beruhen: Demokratie, wirtschaftliche Entwicklung und Sicherheit«.3384 Auch den Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge war mit dem GUUAM-Gipfel in Chisinau eine eindeutige Erneuerung dieses Bündnisses als ei­ nes gegen Rußland gerichteten Systems regionaler Sicherheit verbunden. Während das Bündnis zuvor kaum imstande gewesen sei, gemeinsame Initiativen zu entwi­ ckeln, sei nunmehr eine entscheidende Änderung eingetreten: Mit den Regimewech­ seln »besteht nach einer in jüngster Zeit häufig zu hörenden Ansicht nun aber die Chance, das Bündnis mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zu einem Instrument aufzuwerten, mit dem sich die Interessen gegenüber dem übermächtigen Moskau gemeinsam besser zur Geltung bringen lassen. >Ge­ gen die Status-quo-Allianz in der GUS bildet sich ein Gegenlager unter der Füh­ rung Georgiens, der Ukraine und MoldausEs wird zu einer Organisation neuer demokrati­ scher Staaten auf dem Territorium der ehemaligen SowjetunionWir haben unsere Feinde in Georgien, der Ukraine und Kirgistan besiegt. Und wir haben noch ein Land auf unserer Listefarbige Revolution< in Weißrußland begrüßt und mit allen Kräften unterstützt werde. Rußland wurde vonseiten des neuen georgischen Präsidenten aufgefordert, seine Truppen aus Ge­ orgien und Moldawien abzuziehen. Weiterhin wurde vereinbart, daß die GUUAM sich in ihren drei Säulen - Demokratie, Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung - an den USA und der EU orientieren soll. »Wenn es um GUUAM geht«, so der georgische Präsident Saakaschwili, »dann reden wir nicht nur über eine wirtschaft­ liche Organisation. GUUAM wird eine Organisation neuer demokratischer Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR, die - und das ist sehr wichtig - den Weg der europäischen Ausrichtung und Integration gehen.« Zum Ausdruck kam dies auch in den zwei Erklärungen, die am Ende des Gipfels unterzeichnet wurden: Für Demokratie, Stabilität und Entwicklung und Schaffung ei­

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ner Demokratie vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer.3387 Juschtschenko bezeichnete die GUUAM als »Bollwerk und Garant demokratischer Umgestaltung und Stabili­ tät in der Region zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer«. Mit der Aufstel­ lung eigener GUUAM-Militäreinheiten sollen russische Streitkräfte in den Krisen­ regionen der GUS wie in Moldawien/Transnistrien oder in Georgien abgelöst und ersetzt werden. Rußlands Bestrebungen, als Stabilitätsfaktor in den vier »eingefro­ renen Konflikten« der GUS - damit sind die vier selbsternannten »Republiken« gemeint, die in blutigen Bürgerkriegen nach dem Zerfall der Sowjetunion entstan­ den sind (Nagorni-Karabach, Abchasien, Süd-Ossetien, Transnistrien) - zu wirken, sollten auf diese Weise unterlaufen werden. Zu beachten ist in diesem Zusammen­ hang aber, daß diese >Republiken< von Kräften gehalten werden, die mit Rußland eng verbunden sind. Der auf diesem Gipfel ebenfalls proklamierte »Kampf gegen den Separatismus« erhielt somit eine eindeutig antirussische Stoßrichtung, was in einer gemeinsamen Erklärung, die den Rückzug der russischen Truppen aus Trans­ nistrien und Südossetien forderte, zum Ausdruck kam. Auch der Plan J uschtschen­ kos zur Lösung der Transnistrienkrise hatte den Abzug der russischen Truppen unter Vermittlung der OSZE zum Ziel.3388 Wie das Handelsblatt enthüllte, unterstützen die USA »die GUUAM im Hinter­ grund kräftig. Bruce Jackson, Chef des regierungsnahen Washingtoner >Project for Transitional Democracies< und ein Vertrauter der Falken in der US-Führung um Vizepräsident Dick Cheney hatte bereits für die Nato-Mitgliedschaft der Zentral­ europäer getrommelt und konzentriert sich jetzt auf die GUUAM-Länder. Nach seiner Meinung ist die Bedeutung der Anrainerstaaten des Schwarzen Meeres >stra­ tegisch herausragend für Europa und die USABündnispartnern< kontrolliert werden. Damit wäre auf dem Territorium der ehemaligen Sowjetunion eine internationale Organisation entstanden, die russischen Interessen widerspricht...«3394 Es kristallisierte sich damit eine Strategie der USA heraus, bei der die Ost- und Südostexpansion der NATO, die Inszenierung von Regimewechseln und die Bil­ dung von Regionalbündnissen wesentliche Bestandteile sind. Ziel ist es, erstens alternative, nämlich Rußland umgehende Pipelinekorridore von der kaspischen Region und Zentralasien nach Westen abzusichern und zweitens, Rußland einzu­ kreisen. Seit 1999 war der Vorstoß der NATO in den postsowjetischen Raum un­ übersehbar. »Mit der NATO-Erweiterung ging es um die Festlegung der neuen Machtverhältnisse in Europa«3395 - und zwar letztlich zu Lasten Rußlands. Im Mit­ telpunkt des Erweiterungsprozesses lagen ja schließlich zunächst Ostmittel- und Südosteuropa und als Fernziel die kaspische und zentralasiatische Region; die hier­ für bereitgestellten Mittel waren die >P artnership for Peace< und seit 1999 der >Mem­ bership Action PlanGreater Middle East In­ itiativeGreater Middle East< ist eine US-amerikanische Schöpfung, der durch die US-Politologen Kenneth Pollack und Ronald Asmus in einem Beitrag für die Zeitschrift Policy Review (Ausgabe 115/2002) geographisch näher festgelegt wurde. Gemäß Pollack und Asmus reicht der >Greater Middle East< von Marra­ kesch bis Bangladesh. Er umfaßt die kaukasischen und zentralasiatischen Nachfol­ gestaaten der Sowjetunion ebenso wie die Staaten am Nil oder am Horn von Afri­ ka.3397 Über diesen Krisengürtel soll nach den Plänen der US-Strategen die NATO als Ordnungsmacht eingesetzt werden. Zum Bestandteil des NATO-Konzepts wurden diese Pläne auf dem NATO-Gip­ feltreffen in Istanbul im Juni 2004. Nach den Vorgaben aus Washington sollte durch­ gesetzt werden, daß die NATO zum »Grundpfeiler eines langfristigen Engage­ ments« im Nahen und Mittleren Ostens wird.3398 Schließlich sahen die Pentagon-Planer nicht mehr Europa als möglichen Schauplatz großer militärischer Herausforderungen, vielmehr richtete sich ihre Aufmerksamkeit auf die >Zone der InstabilitätZone der Instabilität< wurde dann am 29. März 2004 erreicht. Hier wurde die bislang umfassendste Erweiterungsrunde der NATO im Weißen Haus in Washington unter der Schirmherrschaft von US-Präsident George W. Bush vollzogen. Durch den formellen Beitritt der vier neuen Mitgliedsstaaten Slowakei, Slowenien, Rumänien und Bulgarien in Südosteuropa sowie der drei bal­ tischen Staaten Estland, Lettland und Litauen an der Ostsee rückte die NATO bis an die Grenzen Rußlands heran. Die USA wirkten hierbei als Signatarmacht des NATO-Vertrages. Mit dieser größten Erweiterung in der Geschichte der NATO wurde vom geopo­ litischen Betrachtungswinkel her auch eine strategische Geschlossenheit des Bünd­ nisgebietes hergestellt. Durch die Erweiterung wurde das strategische Vorfeld Zentral­ europas ausgedehnt und zugleich eine Brücke zum Schwarzen Meer gebildet.3399 Politisch aber führte die Erweiterung zur weiteren Verringerung der Bedeutung der OSZE sowie zu einer Verschärfung des bestehenden eurozentristisch-euroatlan­ tischen Gegensatzes, denn die Neumitglieder unterhalten enge politische und rü­ stungstechnologische Beziehungen zu den USA.3400 Die geopolitische Bedeutung der Südosterweiterung der NATO beschreibt Erich Reiter, Beauftragter für Strate­ gische Studien des Bundesministeriums für Landesverteidigung in Wien, wie folgt: »Für die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens sprechen... politische und geo­ strategische Gründe. Dadurch würde der westliche Einfluß am Balkan abgesichert

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und der Rußlands praktisch ausgeschaltet. Durch die Mitgliedschaft dieser beiden Länder gibt es keine abgelegene Position von Griechenland und der Türkei, son­ dern ein zusammenhängendes großes NATO-Territorium im Bereich SüdosteuropaKleinasien. Die Schwarzmeerküste ist dann zu mehr als 50% im Besitz von NATOLändern«3401 - so wie es die geopolitischen Pläne Bruce Jacksons auch vorgesehen hatten. Das gewachsene Interesse der USA an Bulgarien und Rumänien ergibt sich dar­ aus, daß sich gerade von deren Küste aus über das Schwarze Meer eine direkte Machtprojektion bis tief in den asiatischen Raum, in das Gebiet des Nahen und Mittleren Ostens und nicht zuletzt auf russisches Territorium und auf das Territo­ rium ehemaliger Sowjetrepubliken im Süden Rußlands durchführen läßt. Es schließt sich damit der Ring von den baltischen Republiken über Mitteleuropa bis hin zum Kaukasus und nach Baku. Von Bulgarien und Rumänien aus können die USA den Ausgang des Schwarzen Meeres und alle Durchfahrten durch die Dardanellen kon­ trollieren. »Sie können z.B. alle Aktivitäten Rußlands, die in das Mittelmeer und deren Anrainerstaaten führen, ständig im Visier haben. Sie haben aber auch Kon­ trollmöglichkeiten über alle Aktivitäten der EU und ihrer Großmächte, die über die Strecke der ehemaligen >Bagdad-Bahn< führen. Alle wichtigen Transport- und Kommunikationswege von West-, Nord- und Mitteleuropa in den geostrategisch wichtigen Raum Vorderasiens und des Mittleren Ostens und von dort zurück nach Europa kreuzen diese Region, einschließlich der künftigen Ölpipelines nach Süd­ europa und darüber hinaus.«3402 Mit der Ost- und Südosterweiterung des transatlantischen Hegemonialbündnis­ ses aber wurden die osteuropäischen Staaten für die US-Eurasienpolitik immer bedeutsamer. In Ost- und Ostmitteleuropa war in dieser Zeit das geopolitische Großraumdenken wieder erwacht,3403 das sich in die Konzeption der USA gut ein­ fügt. Schon in seiner Rede zur NATO-Osterweiterung in Warschau im Juli 2001 sprach sich George W. Bush für die Einbeziehung der NATO »von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer« aus, und in den geopolitischen Schlüsselstaaten Ostmittel­ europas wie Polen und Litauen wurden historische geopolitische Vorhaben zum Gegenstand ihrer aktuellen Außen- und Sicherheitspolitik. »Seit der ukrainischen Revolution ist in Osteuropa unter der Führung von Kiew und Warschau ein geopo­ litisches Raumdenken wiedergekehrt, das an jahrhundertealte Traditionen zwischen Ostsee und Schwarzem Meer anknüpft und der Diskussion über die >Grenzen Euro­ pas< neue Dimensionen gibt... Die Ukraine und Georgien rücken näher zusammen, der polnische Außenminister Rotfeld besucht die von Separatismus und russischer Einflußnahme gelähmte Moldau, Polen verabredet militärische Zusammenarbeit mit Aserbaidschan sowie eine dreiseitige Parlamentszusammenarbeit mit Litauen und der Ukraine. Die Ukraine, Polen, Georgien und Aserbaidschan diskutieren über eine Pipelineverbindung für kaspisches Öl über den ukrainischen Schwarzmeer­ hafen Odessa und Polen bis an die Ostsee«.3404

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Insbesondere Polen entwickelte hier geopolitische Konzepte, deren Wurzeln weit in die Geschichte zurückreichen. »Die Idee des gemeinsamen Raumes von Polen bis Aserbaidschan hat mehrere Wurzeln... Alle diese Staaten suchen Bündnispart­ ner und Modelle der gegenseitigen Unterstützung. Einige unter ihnen, nämlich Polen, Litauen und die Ukraine, können dabei auf die historische Erfahrung ge­ meinsamer (wenn auch oft konfliktreicher) Staatlichkeit zurückgreifen: auf die Er­ innerung an die multiethnische polnisch-litauische Adelsrepublik der frühen Neu­ zeit, die nach der >Lubliner Union< von 1569 von Polen über Kiew bis zur Krim reichte, 1792 aber von Rußland, Preußen und Österreich restlos aufgesogen wurde. Allerdings greifen die Ordnungsideen von heute noch über diesen Raum hinaus bis in den Kaukasus. Kürzlich hat Kiew der georgischen Regierung angeboten, die russischen >Friedenstruppen< in der abtrünnigen (und von Moskau gestützten) Pro­ vinz Abchasien durch Ukrainer zu ersetzen.«3405 Hierbei war es insbesondere Polen, das für sich die Rolle des >Spiritus rector< eines solchen integrierten Regionalbündnisses von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer in Anspruch nahm. »Seit der Wiederherstellung der polnischen Staatlichkeit nach dem Ersten Weltkrieg ist deshalb das Streben nach östlichen Schutzbündnis­ sen eine Konstante der Warschauer Außenpolitik. Schon der Wiedergründer Po­ lens, Marschall Pilsudski, strebte vergeblich nach einer Föderation freier Staaten, die von der Ostsee bis Georgien reichen sollte.«3406 In der Zwischenkriegszeit strebte Polen die Schaffung eines >Dritten Europa< von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer an, dessen Kern ein unabhängiges Polen »als... Mittelpunkt aller östlichen Kraft­ ströme« sein sollte.3407 In der Zeit des Kalten Krieges war es die polnische Exilzei­ tung Kultura, die unter Jerzy Giedroyc den Gedanken an »Polens große Mission im Osten« weiterführte. Wie Konrad Schuller hervorhebt, besitzen die Gedankengänge Giedroyc‘ nach wie vor Einfluß auf das politische Denken der polnischen Elite. Giedroyc aktualisier­ te gewissermaßen die Idee der >Lubliner Union< und forderte einen Beitritt Polens zur Europäischen Union und zur NATO, um die Ausdehnung dieser Einrichtun­ gen nach Osten voranzutreiben.3408 Der Zusammenschluß im Osten in Anknüpfung an die alte >Rzeczpospolita< wurde als der Maßstab einer neuen polnischen Geopo­ litik gefunden. Dabei sollte dieser Auftrag nicht an der Ostgrenze der Ukraine auf­ hören; Polen hat heute ebenfalls längst die kaspischen Öl- und Gasvorräte im Vi­ sier, um die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern, und aus diesem Grunde spricht es sich für die NATO- und EU-Mitgliedschaft der kas­ pischen Region aus. Die gleiche Aufgabe in diesem Spiel nimmt auch Litauen ein. »Litauen ist gut ein Jahr nach seinen Beitritten zur Nato und zur EU im vergangenen Mai (2004) eine wichtige und treibende Kraft. Dabei geht es stets um die Beziehungen zu den süd­ lichen und östlichen Nachbarn wie Ukraine, Weißrußland, Rußland, aber auch zu Moldau und den Staaten des Südkaukasus wie Armenien und Georgien. Als Litau­

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en mit den Beitritten seine wichtigsten außenpolitischen Ziele erreicht hatte, kon­ zentrierte es sich auf drei neue Ziele: die Integration in die europäischen Demokra­ tien; die Rolle als Brückenbauer zwischen EU, Nato - und damit zwischen Europa und Amerika - und seinen östlichen Nachbarn; und den Ausbau einer Zone der Sicherheit und Stabilität nach Osten hin. Seine Vision eines Europa von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer sieht der größte und südlichste der baltischen Staaten vorerst stärker und rascher in der Nato als in der EU verwirklicht. Die Nato habe, sagen litauische Politiker und Diplomaten in Vilnius, eine deutlichere Perspektive für Mittel- und Osteuropa als die EU.«3409 Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung hervorhebt, dringt Litauen ebenso wie Polen auf eine stärkere Nachbarschaftspolitik der EU gegenüber der Ukraine, Weißrußland und Moldawien. Begründet wird diese geopolitische Ausrichtung mit der Sonderrolle »mit alten Bindungen des einst Ost­ mitteleuropa beherrschenden Großfürstentums Litauen, dessen Grenzen damals vom Schwarzen Meer bis zur Ostsee reichten: Mit Weißrußland, Polen und teils der Ukraine gebe es in manchem mehr Übereinstimmungen... als mit Lettland und Estland.«3410 Wie die strategische Studie der neokonservativen amerikanischen RAND-Cor­ poration NATO‘s Eastern Agenda in a New Strategic Era, verfaßt von F. Stephen Lar­ rabee, deutlich beschreibt, hat Polen in den Augen der US-Strategen vor dem oben beschriebenen Hintergrund eine überaus wichtige Rolle als wachsende Regional­ macht Ostmitteleuropas. Diese Studie bezeichnet Polen »als den stärksten Alliier­ ten der USA in Mitteleuropa«.3411 Insbeson dere der Umstand, d aß Polen eine NATOund EU-Mitgliedschaft der Ukraine stärke und überdies anstrebe, Träger eines pro­ westlichen Sicherheitssystems im Baltikum zu sein, macht Polen der Studie zufolge als strategischen Brückenkopf für die USA unerläßlich. Gerade eine NATO-Mit­ gliedschaft ermögliche es Polen, in diesem Sinn eine aktive Ostpolitik zu betreiben und seine Rolle als Regionalmacht nach Osten hin auszudehnen. Daher wird Polen auch als die aktive Drehscheibe für die Erweiterung von EU und insbesondere der NATO Richtung Osten definiert,3412 wie sie schließlich auf dem NATO-Gipfel in Prag im November 2002 eingeleitet wurde. Auch dem Baltikum wird der Studie zufolge eine entsprechende Brückenfunktion zugedacht. Während es den USA zunächst darum gegangen sei, den sicherheitspo­ litischen Einfluß der NATO im Ostsee- und im baltischen Raum sicherzustellen, müsse es nach der Mitgliedschaft der baltischen Staaten in der NATO darum ge­ hen, von dort aus »die unmittelbare Nachbarschaft zu stabilisieren«.3413 Die ent­ scheidenden Brennpunkte dieser »neuen Agenda« sollten Rußland, Kaliningrad, Weißrußland und die Ukraine sein. Dabei fordert die Studie dazu auf, die bereits bestehenden baltischen Kooperationsmechanismen auszunutzen, um über diese den NATO- und US-amerikanischen Einfluß weiter nach Osten auszudehnen. Die Be­ teiligung der USA in der Ostseeregion sollte dazu dienen, die baltischen Staaten dazu veranlassen, eine größere Rolle in der Schaffung eines breiteren sicherheitspoltitischen Umfeldes von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer zu spielen. Insbe­

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sondere sollten in den Augen der US-Machtelite die baltischen Staaten als Expor­ teur von Sicherheit im Kaukasus3414 und in der Ukraine3415 wirken, um deren Ein­ bindung in die euro-atlantischen Strukturen zu beschleunigen. Vor diesem Hintergrund verwundert es auch nicht, daß die US-Machtelite den Staaten Polen und Litauen eine maßgebliche Rolle bei der Inszenierung von Re­ gimewechseln in Osteuropa zugedacht hatte, die ja schließlich vorbereitende Vor­ aussetzung für die Einbindung dieses Raumes und seiner Staatenwelt in die >euroatlantische Zone< sein sollten. Während des Machtkampfes in der Ukraine unterstützte Polen den prowestlichen Präsidentschaftskandidaten Viktor Jusch­ tschenko und machte sich für eine Einbindung der Ukraine in die Europäische Union stark. Gerade der damalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski ver­ stand »sich seit langem als Anwalt der Ukraine im Westen. Die strategische Part­ nerschaft mit der Ukraine ist ein wesentliches Element der polnischen Außen- und Sicherheitspolitik. Warschau sieht eine starke und demokratische Ukraine auch als geostrategisches Gegengewicht zu Rußland. Eine stärkere Integration der Ukraine in europäische und transatlantische Strukturen würde Polens Sicherheit erhöhen, heißt es in Regierungskreisen«.3416 Dabei geht es Polen insbesondere auch um die Sicherung der Ukraine als Tran­ sitland für die dringend benötigten Gas- und Ölimporte aus der kaukasisch-zen­ tralasiatischen Region, wofür das Pipelinevorhaben Brody-Danzig als Verlänge­ rung der Pipeline Baku-Sups a das entscheidende Merkmal ist. Mit der Einflußnahme auf die Ukraine geht es Polen energiegeopolitisch darum, einen Korridor zu schaf­ fen, der das Zentrum der Energieförderung - das Kaspische Meer - über das Schwar­ ze Meer mit der Ostsee verbindet und mit dessen Einrichtung Rußland strategisch isoliert würde. Eine NATO-Mitgliedschaft der beteiligten Staaten jedenfalls würde diesen Korridor auch militärisch gegen Rußland absichern, und vor diesem Hinter­ grund wird sichtbar, warum die USA Polen als geopolitischen Stützpunkt und ent­ scheidenden Verbündeten in Zentraleuropa betrachten. Auch Litauen war (und ist) die Rolle eines Katalysators bei osteuropäischen Re­ gimewechseln zur Erweiterung des transatlantischen Einflusses zugedacht; sein geopolitischer Schwerpunkt richtet sich - so die Frankfurter Allgemeine Zeitung - auf Weißrußland. In Zusammenarbeit mit Polen und der Ukraine leistet Litauen hier Unterstützung für eine Opposition, um den Präsidenten Alexander Lukaschenko, der für eine Zusammenarbeit mit Rußland steht, zu stürzen. Beispielhaft hierfür ist die Errichtung der Weißrussischen Universität in Vilnius nach ihrem Verbot in Minsk oder die Errichtung eines Radiosenders.3417 »Die Vision einer Achse postsowjeti­ scher Demokratien betreibt Litauen mit seiner selbstbewußten Außenpolitik auf vielen Ebenen und mit jeweils angepaßten Strategien. Vilnius bringt Politiker oder Schriftsteller zusammen, unterstützt Nichtregierungsgruppen, erleichtert den Vi­ sumverkehr mit Weißrußland... oder nimmt teil an neuen Regionalgruppen«,3418 wobei eine enge Zusammenarbeit mit dem USA erfolgt: »Immer wieder bezieht

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Litauen Washington ein: So ist es kein Zufall, daß gegenüber Weißrußland die Ver­ einigten Staaten und die EU in enger Abstimmung Zusammenwirken. Und immer wieder fordert es regionale Bestrebungen Moskaus heraus. So warnte, unter Ver­ weis auf die litauische Rolle beim Umsturz in der Ukraine, der russische KGB die Duma, Vilnius sei dabei, eine Revolution nach Weißrußland zu exportierenfeindlichen< Kräften eingekreist wird. Auch wenn die NATO im Mo­ ment nicht aggressiv ist, so kann doch künftig eine Situation entstehen, daß Druck ausgeübt wird, um militärische Macht zu benützen oder um spezifische Ziele zu erreichen. Deshalb könnte die Situation des Kalten Krieges wiederkehren, denn Rußland würde nicht zögern, seine strategischen Ziele auch außer Landes zu ver­ teidigen (z.B. indem es Nuklearwaffen auf neue osteuropäische Mitglieder richtet oder im Abrüstungsbereich innehält).«3420 Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß der Anstoß zur NATO-Ost­ erweiterung damals von Deutschland ausging, wobei die USA dann aber diesen Kurs an sich genommen hatten, um eine sicherheitspolitische Verselbständigung des euro­ päischen Pfeilers des transatlantischen Bündnisses zu verhindern. »Zumindest in der Zeit unmittelbar nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation war die Oster­ weiterung der NATO auch prioritäres strategisches Interesse Deutschlands«, so Erich Reiter. »Nach dem Einbezug der ehemaligen DDR und Polens in die NATO

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konnte Deutschland aus der Randlage herauskommen. Bei großer Rücksichtnahme auf die russischen Empfindlichkeiten und durch geschickte Politik übernahm Deutschland in der Ära des Bundeskanzlers Kohl die Rolle des Anwaltes der mit­ tel- und osteuropäischen Beitrittskandidaten.«3421 Dann aber riß Washington die Initiative an sich und drängte die Europäer an den Rand: »Die USA sind 1994 auf die deutsche Linie eingeschwenkt und haben dann selbst die Führung in der NATO-Osterweiterungspolitik übernommen. Dies war eine Gegenstrategie zur europäischen Vorstellung der Europäisierung der eu­ ropäischen Sicherheit. Die USA verblieben mit Hilfe der Allianz weiterhin als Füh­ rungsmacht in Europa präsent... Neben der Verhinderung einer sicherheitspoliti­ schen Grauzone oder eines neuen Zwischeneuropas galt es, die Frontlinie der Allianz nach Osten zu verschieben und räumliche Tiefe zu schaffen.«3422 Wie der österrei­ chische Sicherheitsexperte Erich Reiter hervorhebt, war und ist die NATO-Oster­ weiterung dabei »auch ein Unternehmen, um die amerikanische Präsenz in Europa aufrechtzuerhalten«. Tatsächlich aber ist diese Ausbreitung des transatlantischen Bündnisses, die nach den Absichten der USA auch in der kaspischen Region ihre Fortsetzung finden soll, ein offenkundiger Bruch von Zusagen, die Rußland anläßlich des Abschlusses des 2+4-Vertrages, der den außenpolitischen Rahmen zur deutschen Wiedervereini­ gung bildete, gemacht wurden. Wolfgang L eonhardt zufolge machte G orbatschow bei der Diskussion um die NATO-Osterweiterung in Rußland einen bemerkens­ werten Hinweis: »Bei Abschluß des 2+4-Vertrages im Jahre 1990... habe Einigkeit darüber bestanden, auch nach dem Abzug der russischen Truppen aus der damali­ gen DDR auf eine NATO-Ausdehnung nach Osten zu verzichten.«3423 Bestätigt wird dies auch durch Philip Zelikow und Condoleezza Rice in ihrem maßgeblichen Werk Germany Unified and Europe transformed (deutscher Titel Stern­ stunden der Diplomatie), das aus US-amerikanischer Sicht die diplomatischen Schach­ züge auf dem Weg zur deutschen Wiedervereinigung enthüllt. Streitpunkt zwi­ schen den USA und der UdSSR war seinerzeit die Frage der NATO-Mitgliedschaft eines wiedervereinigten Deutschland: »Um die sowjetischen Sorgen zu zerstreuen, griff Baker (US-Außenminister, der Verf.) die von Genscher entwickelte Formel auf, wonach die NATO-Mitgliedschaft eines geeinten Deutschland von der Garan­ tie begleitet wäre, >daß die Zuständigkeit und die Streitkräfte der NATO nicht ost­ wärts verschoben werdendaß es keine Ausdehnung der gegenwärtigen NATOZuständigkeit nach Osten geben wirdWir werden bald ein Seminar mit unserer politischen Füh­ rung abh alten, um über all diese Optionen zu sp rechen.< Eines s ei jed och jetzt schon klar: >Jede Ausdehnung der NATO-Zuständigkeiten ist unannehmbar.< - >Einver­ standenindirekte Strategie< der Regime­ wechsel. Beobachtern zufolge war es insbesondere der usbekische Staatschef Kari­ mow, der diesen Gipfel veranlaßt und hier eine außen- und geopolitische Kehrt­ wende vollzogen hatte. »Nach der vehementen Kritik des Westens an der blutigen Niederschlagung des Aufstandes im ostusbekischen Andischan begann Karimow, sich außenpolitsch wieder an Rußland zu orientieren, und kritisierte Amerika, mit dem Usbekistan zuvor einen Vertrag über militärische Zusammenarbeit geschlos­ sen hatte. Moskau stärkte Kamirow den Rücken«3429 - und zwar aus den oben dar­ gestellten Gründen, denen zufolge Usbekistan der entscheidende Schlüsselstaat zur Kontrolle Zentralasiens ist. Sowohl Rußland als auch Usbekistan sahen die islami­ stischen Revolten in Andischan im Mai 2005 in Zusammenhang mit den Farbrevo­ lutionen in der Ukraine, Georgien und Kirgistan. »In Andischan sei nicht nur die Menge auf den Straßen der Akteur gewesen. Die Regisseure hätten vielmehr jene religiösen und extremistischen Kräfte benutzt, die sie zuvor als Terroristen und Extremisten verurteilt hätten und die sie in Afghanistan und im Irak bekämpfen würden. Wenn das Szenario geglückt wäre, sagte Karimow, dann wäre das gesamte Ferganatal in Brand gesteckt worden«3430 - mit anderen Worten, Karimow sah in

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der islamistischen Revolte ein Werk der US-amerikanischen NGOs und ihrer ge­ heimdienstlichen Ableger. Die Hintergründe und der Verlauf der Revolte sind bis heute noch im wesentlichen ungeklärt; Karimow bestand darauf, daß ein usbeki­ sches Gericht die Ereignisse untersuchen müsse, und nicht, wie es die USA forder­ ten, eine internationale Untersuchungskommission. Ganz von der Hand zu weisen sind die Vermutungen Karimows allerdings auch nicht. Das Ferganatal ist der historische, wirtschaftliche und religiöse Mittelpunkt Zentralasiens - und ein Pulverfaß dazu. 1999, 2000 und 2001 überfielen Kämpfer der Islamischen Bewegung Usbekistans (IMU), die eng mit den afghanischen Tali­ ban verbunden waren, das Tal und versuchten dort, Unruhen anzuzetteln. Ähnlich schätzt es auch die Süddeutsche Zeitung ein: »Tatsächlich ist der Islamismus in Us­ bekistan, wo sich etwa 90 Prozent der Menschen zum Islam bekennen, aber nicht nur ein Hirngepinst Karimows. Angesichts bitterer Armut suchen einige Usbeken ihr Heil im radikalen Islam. Über eine erhebliche Anhängerschaft verfügt offenbar die Hisb-ut-Tahrir, die >FreiheitsparteiDie islamische Gefahr ist real, man darf sie nicht als Hirn­ gespinst abtunfarbigen Revolutionenzivilgesellschaftlicher Strukturen< betei­ ligt sind.3435 Auch eine Erklärung des US-Präsidenten Bush verstärkt den Eindruck einer US-amerikanischen Rolle bei den Umstürzen in Usbekistan: »>In allen Län­ dern des Kaukasus und Zentralasiens wächst die Hoffnung auf VeränderungLily-Padwie Seerosen auf einem Teich< überziehen will, empfindlich getroffen. Bereits Anfang des Jahres (2005) hat sich der den USInteressen in Zentralasien zuwiderlaufende Trend immer deutlicher abgezeichnet. Zuletzt am 4. März (2005), als der Versuch der USA und NATO, das auf >militä­ risch-humanitäre Operationen< in Afghanistan beschränkte Nutzungsmandat der US-Luftwaffe für die kirgisische Manas-Basis auf AWACS-Spionageflüge gegen China und andere Länder der Region auszuweiten, von der Regierung Kirgisiens nach Beratungen mit SCO-Partnern abgelehnt worden war.«3449 Richtungsweisend war in diesem Zusammenhang auch das von Hu Jintao und Wladimir Putin unterzeichnete Strategiedokument für eine Neue Weltordnung im 21. Jahrhundert, in dem dem US-amerikanischen Unilateralismus und seiner globa­ len Interventionspolitik eine deutliche Absage erteilt und stattdessen die Idee der Multipolarität hervorgehoben wird. Rainer Rupp und Hilmar König zufolge könnte sich »aus diesem konstruktiven russisch-chinesischen Ansatz... eine neue strategi­ sche Architektur für Asien ergeben, die Washingtons Einfluß begrenzt. Die Schlie­ ßung der US-Militärstützpunkte wäre ein erster Schritt.«3450 Auch Zentralasien-Ex­ perte Uwe Halbach geht von einer geopolitischen Umschichtung in Zentralasien aus: »Nach Andishan ging der amerikanische Einfluß in der Region auf Kosten der Ausweitung des russischen und chinesischen Einflußes zurück.«3451 Wie oben dargestellt, verließ Usbekistan 2006 die GUUAM, um sich statt dessen Rußland anzunähern und Wirtschafts- sowie Sicherheitskooperationen mit Mos­ kau einzugehen. Kirgistan begann mit dem Wahlsieg Bakijews im Juli 2006 die Not­ wendigkeit der US-Militärbasis in seinem Land in Frage zu stellen und drängte auf Abzug der US-Truppen.3452 Dies stellte eine Kehrtwende der Machtverhältnisse in Zentralasien zugunsten Rußlands dar. Damit ist der strategische Partner der USA in Zentralasien nicht mehr Usbeki­ stan. Auch die Beziehungen Washingtons zu Kirgistan haben sich - aufgrund der Tatsache, daß der neue Präsident Bakijew der Aufforderung Rußlands, Chinas und Usbekistans gefolgt ist, die US-Stützpunkte auf seinem Staatsgebiet zu schließen verschlechtert. Dies aber zog wiederum einen Schwenk der US-Außenpolitik nach sich: »So tritt Kasachstan wieder in den Mittelpunkt amerikanischer Zentralasien­ politik.«3453 Das wurde durch den Besuch des US-Vizepräsidenten Cheney in Ka­ sachstan im Mai 2006 deutlich, bei dem es wieder einmal um die Forderung der USA ging, die Öl- und Gasexporte dieses Landes nach Westen auszurichten. Diese erneute Umwerbung Kasachstans nach dem Rauswurf aus Usbekistan stößt aller­

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dings mit der russischen Position in der Region zusammen, denn Kasachstan ist »auch für Rußland traditionell der wichtigste Partner in Zentralasien und sein eng­ ster Verbündeter bei der Förderung von Regionalorganisationen im postsowjeti­ schen Raum«.3454 Damit ist also das >Great Game< noch nicht entschieden, und vieles spricht da­ für, daß Kasachstan der neue Austragungsort um Macht und Einfluß in der Region werden könnte. Mit diesem Staat verfügt die US-Machtelite noch über einen Trumpf, den sie gegenüber Rußland ausspielen könnte. Kasachstan schließlich »ist seit län­ gerem bemüht, die Position einer Regionalmacht im kaspischen Raum zu erringen. Hierbei verfolgt Präsident Nasarbajew eine multipolare Politik, die vielfältige, enge Beziehungen mit Rußland, China und dem Westen beinhaltet. Insbesondere ge­ genüber Moskau pendelt die kasachische Politik zwischen Kooperation und Kon­ kurrenz. Mannigfaltige gemeinsame wirtschafts- und energiepolitische Projekte kontrastieren mit sicherheitspolitischen und strategischen Reibungspunkten«.3455 Demgegenüber versucht aber auch die NATO, sich in verstärktem Maße Ka­ sachstan zu nähern und diese zentralasiatische Republik an den transatlantischen Herrschaftsbereich zu binden: »Mit Besorgnis nimmt Moskau speziell die wach­ sende Präsenz der NATO in Kasachstan wahr. Am 31. Oktober (2007) machte schon zum zweiten Mal binnen eines Jahres der NATO-Sonderbeauftragte für den Kau­ kasus und Zentralasien, Robert Simmons, der kasachischen Regierung seine Auf­ wartung. Das kasachische Verteidigungsministerium betonte in einer Erklärung anläßlich dieser Visite die >beachtlichen Erfolge in einer Reihe von KooperationsbereichenGreater

IX. Das Wiedererstarken Rußlands unter Wladimir W. Putin

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Central Asia< vorsieht.3458 »Zu diesem Zweck wurde eine eigenständige Abteilung für Süd- und Zentralasien im State Department eingerichtet, und USAID legte ein Programm auf, das zentralasiatische Stromproduzenten wie Kirgistan und Tad­ schikistan mit Konsumenten wie Afghanistan und Pakistan verbinden will.«3459 Die Schaffung eines solchen geopolitischen Blocks >Greater Central Asia< ist auch der Grund für die Verstärkung des militärischen Eingreifens der USA in Afghanistan. Das Grundmuster des >Great Game< ist damit auch nach den Farbrevolutionen im wesentlichen erhalten geblieben. Durch die erfolgreichen >Regimewechsel< in der Ukraine und Georgien konnten die USA ihre strategische Stellung in Ostmittel­ europa und am Kaspischen Meer verbessern - die Voraussetzungen für die >Schwarzmeerstrategie< Bruce Jacksons im Sinne der Schaffung eines Korridors zwischen dem Kaspischen Meer und der Ostsee, von Baku bis nach Danzig, waren durch die angezettelten Machtwechsel in Tiflis wie auch in Kiew geschaffen. Offen aber ist die Lage in Zentralasien. Die zunächst erfolgreiche Tulpenrevolu­ tion in Bischkek konnte auf Druck von Rußland, China und Usbekistan auf dem SCO-Gipfel in Andischan im Juli 2005 wieder rückgängig gemacht werden, indem sich der neue Präsident Bakijew auf die Seite Moskaus und Pekings stellte und die Auflösung des amerikanischen Stützpunktes forderte. Folgt man Uwe Halbach, so hob sich Rußlands außenpolitische Bilanz des Jahres 2005 gerade in Zentralasien sehr positiv von der des Vorjahres ab. »Die strategischen Geländegewinne in Zen­ tralasien stehen in Zusammenhang mit einer neuen russischen Außenpolitik im postsowjetischen Raum, die Dmitrij Trenin folgendermaßen charakterisiert: >Von einer Politik aus der Position der Schwäche schwenkt Rußland zu gesteigertem Vertrauen in seine eigene, überwiegend ökonomische Stärke um. Die Expansion von Kapital ersetzt nun die bisherige Imitation von Integration.bunten Revolutionen< hat Rußland - Engdahl zufolge - begonnen, sehr vorsichtig seine strategische Karte zu spielen - sowohl bei Energieabkommen als auch beim Verkauf von Rüstungsmaterial - von Kernreaktoren und Rüstungsmaterial für den Iran, Venezuela und andere lateinamerikanische Länder und strategischen Koope­ rationsabkommen über Erdgas von Algerien bis Turkmenistan.

Kapitel 10

Die Konfrontationslinien des neuen Kalten Krieges zwischen dem transatlantischen Bündnis und der Russischen Föderation Diese Entwicklungen machen deutlich, worin die Konfliktlinien des neuen Kalten Krieges zwischen dem transatlantischen Bündnis und der US-Machtelite einerseits und der Russischen Förderation andererseits im 21. Jahrhundert liegen. Den Stra­ tegien der USA und der NATO, den russischen Machtbereich einzukreisen und schrittweise zu verkleinern, sich der Energiereserven Eurasiens zu bemächtigen, die begleitet waren von der Schaffung von militärisch abgesicherten Transportkor­ ridoren auf der Grundlage traditioneller geopolitischer Konzeptionen, steht ein Wiedererstarken Rußlands auf der Grundlage seiner Energiewirtschaft gegenüber. Dem russischen Energiekonzern Gazprom ist es gelungen, die Position anglo-ame­ rikanischer Energiekonzerne in wesentlichen Schlüsselstellungen zu durchkreuzen und Pipelinekonzeptionen der transatlantischen Mächte durch eigene Korridor­ planungen zu unterlaufen, und zwar sowohl in Zentralasien, im kaspischen Raum als auch auf dem Balkan. In diesen geopolitisch bedeutsamen Regionen gelang es Gazprom in den vergangenen Jahren, viele strategisch wichtige Industriezweige aufzukaufen.3461 Auf der anderen Seite hatte die US-Machtelite noch in ihrer Nationalen Sicher­ heitsstrategie vom März 2005 ihre Haltung zur globalen Machtentfaltung im Sinne einer >Full spectrum Dominance< präzisiert, in der der Erhalt der unangefochtenen militärischen Überlegenheit in allen strategischen Regionen, insbesondere in und um Eurasien, gefordert wird.3462 »Nach dem vorrangigen Ziel des Schutzes der USA vor einem direkten Angriff rangiert an zweiter Stelle der strategischen Zielstellun­ gen der USA bereits >die Sicherung des Zugangs zu strategischen Regionen und die Erhaltung der globalen HandlungsfreiheitNABUCCO< eine zentrale Rolle -, wird von Rußland erfolgreich durch die langfristige Anbin­

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dung der Rohstoffe Zentralasiens torpediert. Die Ambitionen, durch den Ausbau des Flüssiggasbereichs (LNG), Gas verschiffbar und damit zu einer globalen Han­ delsware zu machen, um sich so neue Quellen zu erschließen, beantwortet Moskau mit ersten Ansätzen zur Bildung einer Gas-OPEC, einer Allianz der Gasproduzen­ ten, die ähnlich wie ihr Ölpendant potentiell in der Lage wäre, den globalen Gas­ markt zu kontrollieren.«3464 Dem Westen geht es Wagner zufolge darum, die >Energiesupermacht< Rußland zu schwächen, um den Zufluß billigen Öls zu sichern: »Da sich die amerikanischen und europäischen Energiereserven - bei weltweit sinkenden Vorkommen und schnell steigendem Bedarf - dem Ende zuneigen, läßt sich bereits heute eine Macht­ verschiebung von den Energiekonsumenten zu den Produzenten feststellen. Wäh­ rend man westlicherseits versucht, kleinere rohstoffreiche Länder direkt oder indi­ rekt zu kontrollieren (Irak, Westafrika etc.), soll gleichzeitig auch der Einfluß des machtpolitisch erstarkenden Rußland auf dem globalen Energiemarkt massiv ge­ schwächt werden.«3465 Auch der Energie-Experte F. William Engdahl geht davon aus, daß alle militärischen Aktivitäten der USA im Rahmen ihrer >Greater Middle East Initiative< im Nahen und Mittleren Osten letztendlich auf die Schwächung Rußlands abzielten: »Ende 2004 war es Moskau klar, daß sich ein neuer Kalter Krieg massiv anbahnte, diesmal über die strategische Kontrolle der Energie und unilate­ rale nukleare Vormachtstellung. Aus dem unmißverständlichen Muster der Aktio­ nen von Washington seit der Auflösung der Sowjetunion 1991 war ebenso klar, daß das Endziel der amerikanischen Eurasienpolitik nicht China, nicht der Irak und nicht der Iran war. Das geopolitische >Endziel< war und ist für Washington die vollständige Zerschlagung Rußlands, des einzigen Staats in Eurasien, der in der Lage wäre, unter Einsatz seiner enormen Öl- und Gasvorkommen ein effektives Netz von Allianzen zu organisieren... Nach 2003 griffen Putin und die russische Außenpolitik, und besonders die Energiepolitik, wieder auf das geopolitische Kon­ zept des >Kernlands< von Sir Halford Mackinder zurück, das seit 1946 die Grund­ lage der sowjetischen Strategie während des Kalten Kriegs gebildet hatte. Putin ergriff eine Reihe von Defensivmaßnahmen, um angesichts der zunehmend ein­ deutigen US-Politik der Einkreisung und Schwächung Rußlands einen tragfähigen Ausgleich zu schaffen... Nachdem der Einsatz sich mittlerweile auf beiden Seiten - NATO und Rußland - erhöht hat, ist Putins Rußland zur Sicherung einer besse­ ren geopolitischen Position von der schlichten Defensive zu einer dynamischeren Offensive übergegangen, wobei es seine Energiereserven als Hebel einsetzt.«3466 Die Konfliktlinien folgten aber nicht nur den Energietransportkorridoren Eura­ siens; der westlichen Machtelite ging es auch darum, sich der Energiereserven Ruß­ lands selbst zu bemächtigen - ein Plan, der aber mit der Inhaftierung Chodorkowskis und der Zerschlagung des Jukos-Konzerns zunichte gemacht wurde. Die russische Staatsführung unter Putin verstaatlichte neben der russischen Energiewirtschaft auch sämtliche strategischen Schlüsselindustrien. Dies wurde von der US-Macht­

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elite, der es F. William Engdahl zufolge gerade darauf ankam, auf der Grundlage der Sicherung der direkten Kontrolle der globalen Energiereserven eine totale mi­ litärische globale Herrschaft zu errichten, mit einer untergründigen Feindseligkeit betrachtet. In einem Interview mit dem Handelsblatt erklärte Zbigniew Brzezinski, daß die Präsidentschaft Wladimir Putins »eine gewisse Ähnlichkeit mit dem italie­ nischen Mussolini-Faschismus der 30er Jahre« habe: »autoritärer Staat, nationalisti­ sche Rhetorik, große historische Mythen über die Vergangenheit sowie privates Unternehmertum unter staatlicher Kontrolle«.3467

1 Der Westen strebt die >Liberalisierung< des russischen Energiemarktes an Der Westen versucht, die Renationalisierung und Verstaatlichung des russischen Energiesektors durch Gegenstrategien wieder rückgängig zu machen, mit dem Ziel, große Anteile des russischen Öl-, Gas- und Transportsektors zu übernehmen.

1.1 Die Energiepolitik der Europäischen Union im Spannungsfeld zwischen einer Partnerschaft mit Rußland und US-amerikanischer Dominanz Eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Strategien zur Aufbrechung des russi­ schen Energiemarktes sollte die Europäische Union spielen. Hierbei gelang es der US-Machtelite, die EU geschickt in ihr Gesamtkonzept einzubinden. Anknüpfungs­ punkt hierbei sollte der wachsende Energieimportbedarf der EU in der nächsten Zukunft sein. Diese Abhängigkeit wurde in dem von der EU-Kommission in ihrem im Jahre 2006 verabschiedeten Grünbuch: Eine europäische Strategie für nachhaltige wettbewerbsfähige und sichere Energie deutlich hervorgehoben. Dort heißt es: »Unsere Importabhängigkeit nimmt zu. Wenn wir die heimische Energieerzeugung nicht wettbewerbsfähiger machen, wird der Energiebedarf der Union in den nächsten 20 bis 30 Jahren zu 70 % (statt wie derzeit zu 50 %) durch Importe gedeckt werden, wobei einige aus Regionen stammen, in denen unsichere Verhältnisse drohen.«3468 Der Erdgasimportbedarf beträgt zur Zeit rund die Hälfte des Gasbedarfs der Wirtschaft der EU; wiederum die Hälfte davon stammt aus Rußland.3469 »Erdgas«, so eine Studie der >Stiftung Wissenschaft und PolitikLiberalisierung< und Diversifizierung«.3474 Dabei ist in Betracht zu ziehen, daß die USA in bezug auf die Energiepolitik der Europäischen Union eine sehr zwiespältige Rolle spielen. Auf der einen Seite paßt die neue Energiestrategie der EU in bezug auf Rußland in Richtung >Liberalisie­ rung und Diversifizierung< gut in das geopolitische Eurasienkonzept der USA, denn eine Beendigung der Zentralisierung sowie Nationalisierung der russischen Ener­ giewirtschaft einerseits und die Einführung alternativer Pipelinekorridore ande­ rerseits unterstützen das Ziel der US-Machtelite, den Aufstieg eines russischen Ri­ valen zu verhindern, dessen Wiedererstarken ja gerade von der Verfügungsgewalt über die eurasischen Energieträger und dem Staatsmonopol über das eurasische Pipelinenetz abhängt. »Energieversorgungssicherheit für Europa hat auch eine euroatlantische Dimension. Die Sicherung der nordamerikanischen und die der euro­ päischen Energieversorgung sind zwei Seiten einer partnerschaftlichen, sehr inve­ stitionsintensiven Aufgabe, die gemeinsame geostrategische Interessen begründet. In den neunziger Jahren hatte die Clinton-Administration angeregt, den sogenann­ ten Ost-West-Energiekorridor einzurichten, über den kaspisches Öl und Gas unter Umgehung Rußlands (und Vermeidung Irans) direkt nach Europa gelangen sollte. 2001 wurde mit der Umsetzung im westkaspischen Raum begonnen: der Bau der Baku-Ceyhan-Erdöl- und der Baku-Erzurum-Erdgaspipeline. Letztere soll dann verbunden werden mit der kürzlich beschlossenen Nabucco-Leitung, die von An­ kara über Bulgarien und Rumänien Erdgas bis nach Österreich führen soll.«3475 Damit lag die EU-Energiekonzeption - die Suche nach alternativen Versorgungsquellen gut eingebettet in die US-Strategie, die seit dem Ende der UdSSR darauf drängte, einen Ost-West-Energiekorridor in Eurasien einzurichten. Auf der anderen Seite aber kommt es für die USA entscheidend darauf an, daß sich zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation keine auto­ nome Energiepartnerschaft entwickeln kann. »Bereits in den siebziger und achtzi­

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ger Jahren hatten die USA versucht, den Bau von Pipelines zwischen der damali­ gen Sowjetunion und Westeuropa zu verhindern und den damit verbundenen Trans­ fer von Technologie zu unterbinden.«3476 Genau eine solche europäisch-russische Zusammenarbeit drohte sich aber mit dem Beginn der Präsidentschaft Putins ab­ zuzeichnen, zu dessen außenpolitischer Programmatik im Sinne der Schaffung ei­ ner multipolaren Weltordnung gerade eine russisch-europäische Zusammenarbeit gehörte. Dies hob Putin in seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag am 25. Sep­ tember 2001 hervor: »Ich bin der Meinung, daß Europa seinen Ruf als mächtiger und selbständiger Mittelpunkt der Weltpolitik nur festigen wird, wenn es seine eigenen Möglichkeiten mit den russischen menschlichen, territorialen und Natur­ ressourcen sowie mit den Wirtschafts-, Kultur- und Verteidigungspotentialen Ruß­ lands vereinigen wird.«3477 Insbesondere die Bundesrepublik Deutschland begann unter der Kanzlerschaft Gerhard Schröders diesem Weg zu folgen, w obei es den Enthüllungen von Alexan­ der Rahr und Detlef Bimboes zufolge gerade die deutsche Wirtschaft war, die die bundesdeutsche Außenpolitik dazu drängte, eine verstärkte Zusammenarbeit Deutschlands mit Rußland einzugehen. Das Ergebnis war der Plan der sogenannten >OstseepipelineIm Frühjahr 2000 wurde der neue Kanzler von den führenden Kapitänen der deutschen Wirtschaft nach Ruß­ land >g etriebenWährend die USA i m Z uge der Jukos-Affäre u nd des Streits um den Irak-Krieg den Energiedialog und die Antiterrorkoalition mit Ruß­ land praktisch beendeten, erwarben deutsche Konzerne auf dem russischen Markt Auf Initiative der deutschen Wirtschaft leitete Bundeskanzler Gerhard Schröder eine enge Partnerschaft mit Rußland im Energiebereich ein.

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strategische Vorteile.< Sie mündeten in eine langfristig angelegte Zusammenarbeit im Gas- und Ölgeschäft zwischen Berlin und Moskau, die sich dann am 7. Septem­ ber 2005 - und 10 Tage vor der Bundestagswahl - im Vertrag zum Bau der Ostsee­ pipeline niederschlug.«3478 Zur Durchsetzung dieses Vorhabens hatten der deutsche Energiekonzern E.on, der nach der Übernahme von Ruhrgas eine Vormachtstellung auf dem deutschen Energiemarkt erworben hatte, der BASF-Tochterkonzern Wintershall AG und Gaz­ prom ein gemeinsames Konsortium, die >Nordeuropäische Gaspipeline< (NEGP), gegründet. Darüber hinaus wurde vereinbart, daß E.on an der Ausbeutung des in Westsibirien gelegenen Juschno-Russkoje-Erdgasfeldes beteiligt werden soll, das zu den zwanzig größten Vorkommen der Region gehört. Mit diesen Projekten ging es Rußland »um die Erschließung des Energiesektors mit ausländischer, aber aus­ drücklich nicht mit amerikanischer Hilfe«.3479 Die geopolitische Bedeutung des Ost­ see-Pipeline-Projekts lag darin, daß sich hier die »wirtschafts- und energiepoliti­ schen Vorstellungen Rußlands und Deutschlands durchgesetzt« hatten3480 und der staatliche russische Erdgaskonzern Gazprom erstmals eine ungestörte und direkte Verbindung zum europäischen Absatzmarkt haben wird. Mit dieser deutsch-russi­ schen Zusammenarbeit soll das Juschno-Russkoje-Erdgasfeld gemeinsam erschlos­ sen und das Erdgas auf die europäischen Energiemärkte gebracht werden. Bislang waren die russischen Gaslieferungen nach Deutschland und Westeuropa vom Transit über Weißrußland, Polen und die Ukraine abhängig; hier existierten zwei Hauptpipelines, über die mehr als 90 Prozent aller russischen Gasexporte von Gazprom nach Europa liefen. Die erste Route führt über Zentralrußland, die Ukrai­ ne, die Slowakei, die Tschechische Republik nach Deutschland und von dort in weitere EU-Länder. Die zweite Route führt über Zentralrußland, Weißrußland, Ukraine, Slowakei und die Tschechische Republik nach Deutschland. Mit der mehr als 1200 km langen Ostseepipeline werden diese Transitländer jedoch umgangen. Durch sie wird die russische Ostseeküste bei der Stadt Wyborg mit der deutschen Ostseeküste verbunden. Als vorläufiger Endpunkt ist die Region Greifswald vor­ gesehen, von wo aus dann das aus dem westsibirischen Erdgasfeld Juschno-Russ­ koje stammende Erdgas nach Deutschland und von dort in die EU geliefert werden kann. Dieses Pipelineprojekt stößt bis heute nach wie vor bei den mittelosteuropäi­ schen Staaten auf erheblichen Widerstand. Neben dem vordergründigen Argument hauptsächlich Polens, das den Protest anführt, mit der Ostseepipeline würde sich ein neuer deutsch-russischer Sonderweg gegen die mittelosteuropäischen Staaten in Gestalt einer Neuauflage des >Hitler-Stalin-Pakts< abzeichnen, ging es diesen Staaten bei ihrem Prostest in Wirklichkeit um einen Verlust ihrer geopolitischen Bedeutung, einen Keil zwischen Deutschland und Rußland zu treiben und die Ent­ wicklung einer russisch-europäischen Energiezusammenarbeit zu torpedieren. »Gazprom hat erstmals eine direkte und ungestörte Verbindung zum wachsenden

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Die Ostseepipeline oder >North Stream< hat eine Länge von 1223 km und wurde am 8. November 2011 eingeweiht.

europäischen Absatzmarkt. Transitgebühren - und damit geschmälerte Gewinne durch Landpipelines entfallen. Der Hebel Transitgebühren kann von ehemaligen Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts nicht mehr als politische und wirtschaftli­ che Waffe gegen Rußland eingesetzt werden.«3481 Erkennbar will Polen nämlich »durch Transitpipelines auf seinem Staatsgebiet Abhängigkeiten schaffen. Unabhängiger will man nur von Importen für den eige­ nen Verbrauch werden. Beim Transit hat Polen Interesse an möglichst hohen Gas­ mengen, denn sie sorgen für hohe Gebühreneinnahmen für den Staatshaushalt. Gleichzeitig kann und soll die Höhe der Transitgebühr auch als Druckmittel einge­ setzt werden. Außerdem, so die Auffassung, mindert sich das Versorgungsrisiko im Falle von politisch motivierten Lieferstopps, wenn die eigenen Verbrauchsmen­ gen gleich über die Transitpipeline mitgeliefert werden. Schließlich seien von sol­ chen Lieferstopps unmittelbar auch andere Länder betroffen. Damit werden die Motive deutlich, weshalb sich Polen von Anfang an gegen die Ostseepipeline wand­ te...«3482 Hinter den Kulissen wurde diese Haltung Polens durch die USA unterstützt würde sich doch durch dieses Ostseepipelineprojekt der Alptraum Mackinders, den dieser 1919 in seinem Werk Democratic Ideals and Reality darstellte, verwirkli­ chen. Mackinder warnte schließlich vor einer derartigen deutsch-russischen Ko­ operation und sprach sich deshalb für die Stärkung der mittelosteuropäischen Staa­ ten als >cordon sanitaire< zwischen Deutschland und Rußland aus. Genau nach diesem Muster verfuhren jetzt auch die Vereinigten Staaten. Wie Alexander Rahr darstellte, reagierten die USA auf das deutsch-russische Vorhaben mit den Plänen, die Einrichtung eines amerikanischen Raketenabwehrsystems in Polen zu beschleu­ nigen, die Einbindung der Ukraine in die NATO-Kooperationsstrukturen voran­ zutreiben und Rußland von seiner Marinebasis auf der Krim zu vertreiben.3483 Ins­

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besondere förderten die USA »indirekt die Gründung der neuen >Gemeinschaft Demokratische Wahl< - eines regionalen Bündnisses von westlich orientierten post­ sowjetischen Staaten wie der Ukraine und Georgien mit den Baltischen Ländern sowie einzelnen Balkanstaaten. Mittels dieser Organisation soll die von Moskau dominierte GUS geschwächt und das Feld für eine dritte NATO-Osterweiterung geebnet werden... Zusätzlich dient die Gemeinschaft Demokratische Wahl< aber noch einem weiteren wichtigen Zweck, nämlich dem Aufbau einer alternativen Energieallianz mit dem Westen unter Umgehung Rußlands«.3484 Aber es gab noch einen anderen Grund, weshalb der deutsch-russische Pipeline­ bau amerikanischen Interessen zuwiderläuft, den Rußland-Experte Kai Ehlers be­ nennt: »Die Gas-Lieferungen des Ostsee-Konsortiums sollen nämlich in Euro abgerech­ net werden. Das klingt harmlos, schließlich handelt es sich um ein deutsch-russisches Abkommen. Angesichts der Tatsache aber, daß nach wie vor der Dollar als die Währung gilt, in der Öl- und Gastransfers abgewickelt werden, erscheint die sich abzeichnende Praxis von strategischem Gewicht. Seit die USA im großen Deal um den Ölkonzern Jukos und Michail Chodorkowski Terrain verloren haben, beginnt sich der Wettbewerb um einen direkten Zugriff auf die russischen Ressourcen zu verlagern: Gleich nach dem Chodorkowski-Prozeß hatte die Regierung Putin ver­ kündet, sie gedenke, ab sofort ihre Währungsreserven vom Dollar schrittweise auf eine Parität zwischen Dollar und Euro umzustellen. Schon Ende 2005 soll ein Ver­ hältnis von 60 zu 40 erreicht sein - sehr bald von 50 zu 50. Zunächst blieb der Widerstand der USA gegen das Ostseepipeline-Projekt eher stillschweigend. Erst anläßlich des Georgienkrieges im August 2008, der verstärkte Eindämmungsbemühungen gegen Rußland nach sich zog, wurde die US-Diplo­ matie sehr deutlich. In einem Zeitungsartikel hatte der US-Botschafter in Schwe­ den, Michael M. Wood, die schwedische Regierung »ungewöhnlich offen aufgefor­ dert, das russisch-deutsche Projekt zu stoppen«.3486 Da die Gaspipeline zu einem großen Teil durch die schwedische Wirtschaftszone verlaufen soll, konnte also hier eine wirksame Unterbrechung des Projekts erfolgen. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel enthüllte, war der Georgienkrieg lediglich der Anlaß für das Verhalten der USA. Vielmehr habe die Washingtoner Diplomatie schon seit Monaten hinter den Kulissen gegen das Pipelineprojekt Stellung bezogen.3487 Als Argument wurde vonseiten der US-Diplomatie angegeben, daß sich Europa und die USA nicht von dem »unzuverlässigen Energielieferanten Rußland abhängig machen dürften«.3488 Tatsächlich aber war die Haltung der USA nicht von der Sorge um die europäi­ sche Energiesicherheit bestimmt; es ging vielmehr darum, einer Vertiefung einer europäisch-russischen Zusammenarbeit entgegenzuwirken, die sich gerade unter dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac und dem deutschen Bundes­ kanzler Gerhard Schröder entwickelt hatte. Hier war der Rohstoffsektor der Aus­ gangspunkt für eine Verstärkung dieser Zusammenarbeit.3489 Wie Jürgen Wagner analysierte, schien diese europäisch-russische Kooperation auch aufzugehen, und

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eine solche entwickelte sich auch im militärischen Bereich.3490 Angesichts der sich herausbildenden Achse >Paris-Berlin-MoskauHeritage Foundation< hieß es dann auch folgerichtig: »Solch eine Koalition könnte sich über den Irak hinaus als dauerhaft und kohärent erweisen... Zusammengenommen hat die französisch-deutsch-rus­ sische Kombination sämtliche Merkmale einer Großmacht, die fähig wäre, auf glo­ baler Ebene ein Gegengewicht zu den Vereinigten Staaten zu bilden. Frankreich liefert dabei die politische und ideologische Führung, Deutschland die ökonomi­ sche Macht und Rußland die militärischen Utensilien.«3491 Die Studie schlußfolgert daher: »Die Verhinderung einer dauerhaften französisch-deutsch-russischen Alli­ anz, die als Gegengewicht gegen die USA geplant ist, muß als ein vorrangiges ame­ rikanisches Sicherheitsinteresse angesehen werden.«3492 Insbesondere seit dem Irakkrieg traten in der US-Machtelite vermehrt einfluß­ reiche Stimmen auf, die in der Europäischen Union einen ernsthaften geopoliti­ schen Konkurrenten erblickten. So erklärte Joseph Nye, einer der Vordenker der US-Geopolitik: »Die einzige Einheit mit der Fähigkeit, die Vereinigten Staaten in der näheren Zukunft herauszufordern, ist die Europäische Union, falls sie eine enge Föderation mit großen militärischen Kapazitäten wird... Europa ist bereits heute im ökonomischen und transnationalen Bereich gut positioniert, ein strategisches Gegengewicht gegen die Vereinigten Staaten zu bilden.«3493 Richard Perle, unter George W. Bush Leiter des Beratergremiums des US-Präsidenten >National Defence BoardVilnius-Grupperobuste< NATO-Osterweiterung durchgesetzt werden sollte. Mit dieser Politik wiederum sollte der Vorrang der NATO mit der Führungsmacht USA im OSZE-Raum ge­ stärkt werden.3497 Jürgen Wagner weist in diesem Zusammenhang auf ein Grundsatzpapier des >Institute for Foreign Policy Analysis< hin, welches dieses Kalkül zum Prinzip der US-Osteuropapolitik erklärte: »Estland, Lettland und Litauen könnten den Teil ei­ nes Kerns ost- und zentraleuropäischer Staaten bilden, die als >neue Atlantiker< fungieren. Das sind Staaten, die ein zwingendes Interesse daran haben, die Verei­ nigten Staaten in europäische Sicherheitsangelegenheiten einzubinden. Die versi­ chern wollen, daß kollektive Verteidigung die raison d‘être der Allianz bleibt und die jede >Abwertung< der NATO in eine OSZE-ähnliche Organisation oder deren Zurücksetzung hinter die europäische Verteidigungsidentität ablehnen. Ein wich­ tiger Punkt, der manchmal übersehen wird, ist, daß durch eine Erweiterung der NATO, in der gleichgesinnte Staaten, die mit der US-Sichtweise der Allianz sym­ pathisieren, die Nützlichkeit der NATO für US-Interessen eher erhöht als gesenkt werden könnte.«3498 Die Pentagon-Beraterin Ruth Wedgewood stellte es noch deut­ licher heraus: »Die NATO-Erweiterung ist eine flankierende Maßnahme, um West­ europa einzudämmen.«3499 Mit der EU-Osterweiterung, die im Mai 2004 formell vollzogen wurde, endete also die Möglichkeit eines autonomen europäisch-russischen Blocks. Der europäi­ sche Umgang mit Rußland änderte sich aber endgültig mit dem Wechsel der politi­ schen Eliten in Frankreich und in Deutschland. »Während bis 2003 gaullistische Positionen dominierten, die für eine deutliche Distanzierung von Washington und die Bildung eines militarisierten Gegenblocks mit Rußland als untergeordnetem Verbündeten eintraten«, so Jürgen Wagner, »gewannen in der Folge die Atlantiker immer stärker die Oberhand. Sie plädieren für eine enge Partnerschaft mit den USA...«3500 Angela Merkel, die im Herbst 2005 die Wahlen zur Bundeskanzlerin gewann, hatte sich bereits in ihrer Zeit als Oppostionsführerin gegen Bundeskanz­ ler Schröder deutlich gegen eine enge Verbindung Deutschlands mit Rußland aus­ gesprochen,3501 und bezüglich des Chirac-Nachfolgers Nicolas Sarkozy liegen den Recherchen des französischen Enthüllungsjournalisten Thierry Meyssan zufolge viele Hinweise dafür vor, daß dessen politischer Aufstieg von der CIA gefördert wurde.3502 Die Abkühlung der Beziehungen zwischen Rußland und dem Westen wurde zudem noch verstärkt durch die Verhaftung des Oligarchen Michail Chodorkowski

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und die Zerschlagung des Jukos-Konzerns, die allgemein als Symbol einer begin­ nenden Renationalisierung der russischen Energiewirtschaft und damit als Wen­ depunkt der Beziehungen des Westens zu Rußland gesehen werden.3503 Die Ver­ schlechterung der russisch-europäischen Beziehungen förderten die USA ferner mit den Inszenierungen der >farbigen Revolutionenfarbigen Revolutionen< zu verhindern. Die EU wird nicht mehr ausschließlich als Partnerin, sondern als wichtigste Konkurrentin um Einfluß im postsowjetischen Raum wahrgenommen«.3504 Deutlich spricht Sabine Fischer von der Entwicklung einer »Integrationskonkur­ renz zwischen Moskau und Brüssel«, deren Austragungsort die westliche GUS sei.3505 Ähnlich sieht es auch Laurent Rucker von Le Monde diplomatique: »Im Vorfeld der EU-Osterweiterung war es häufig zu Spannungen zwischen Moskau und Brüssel gekommen. Die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) gegenüber den neuen Anrainerstaaten der Union (Weißrußland, Ukraine, Moldawien, Rußland und den Kaukasusstaaten) macht Moskau zunehmend nervös. Man sieht darin einen weite­ ren Angriff des Westens auf den russischen Einfluß in den postsowjetischen Staa­ ten.«3506 Auf diese Weise wurde die Europäische Union weitestgehend wieder auf einen anti-russischen Kurs gebracht3507 und konnte wieder als Schachfigur in die große US-Eurasienstrategie eingebunden werden, wie es auch die >Heritage Foundation< in ihrem Strategiepapier The North European Gas Pipeline Threatens Europe‘s Engergy Security in ihrer Zusammenfassung einfordert: »Es ist entscheidend, daß die Euro­ päische Union und die Vereinigten Staaten Zusammenarbeiten, um Wege und in­ novative Maßnahmen zur Reduzierung der Abhängigkeit von einem monopolisti­ schen Rußland zu finden und zu implementieren. Als Minimum sollten sie bei der Unterstützung neuer Transitstrecken Zusammenarbeiten, die Rußland umgehen.«3508 Insgesamt verlangt das Strategiepapier eine konzertierte Aktion von EU und USA, die russische Energiegeopolitik zu torpedieren; es sieht in einer energiepolitischen Zusammenarbeit von EU und Rußland aus US-Sicht eine »negative geopolitische Entwicklung«. Mit dem Vorwand, es gelte eine einseitige Energieabhängigkeit Euro­ pas von Rußland zu verhindern, war von der US-Machtelite also beabsichtigt, die politische Führung der Europäischen Union dazu zu bringen, auf die Konzeption der US-Geopolitik umzuschwenken, deren Ziel bekanntermaßen ja die Errichtung alternativer, Rußland umgehender und isolierender Energiekorridore, verbunden mit einer Aufbrechung des russischen Staatsmonopols im Energiesektor, ist. Damit

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wurde deutlich, daß die Eurasienstrategie der USA - die Einkreisung und Isolation Rußlands - letztlich auch die Entstehung einer energiepolitischen Union zwischen Europa und Rußland verhindern sollte. Die Einbettung der US-Vorherrschaft in Eurasien - von der NATO-Osterweite­ rung bis zur Anzettelung von prowestlichen Regimewechseln im >nahen Ausland< - forderte Rußland zu Gegenmaßnahmen heraus, die dann als Bedrohung Europas oder als Wiedererstarken einer vermeintlich aggressiven russischen Außenpolitik propagiert wurden und zur Legitimation einer antirussischen Geopolitik dienten. Bezeichnend hierfür ist die Stellungnahme eines ehemaligen Mitglieds des Planungs­ stabes des deutschen Auswärtigen Amtes: »Rußland ist wieder wer auf der welt­ politischen Bühne und will es allen zeigen... Das neue Selbstbewußtsein russischer Außenpolitik macht auch vor der EU nicht Halt - allen süßen deutschen Träumen von einer >Strategischen Partnerschaft< mit Rußland zum Trotz. (Es ist) höchste Zeit, alle Schönfärberei von Putins autokratischer Demokratie zu beenden.«3509 Auf die­ se Weise erreichten es die USA, daß ihre geopolitischen Vorstellungen wieder be­ stimmend für eine gemeinsame transatlantische Eurasienstrategie gegen Rußland wurden.

1.2 Die »Energie-Charta« als Mittel der Europäischen Union zum Aufbrechen des russischen Staatsmonopols Die Renationalisierungsbestrebungen im russischen Energiesektor versuchte die Europäische Union zunächst auf dem Wege eines internationalen Vertragswerkes zu unterlaufen, mit dem Ziel, daß europäische Energiekonzerne gleichgestellt mit dem russischen Energieriesen Gazprom und ohne jegliche Beschränkung durch rus­ sische Gesetze große Anteile an russischem Erdöl, Erdgas und Pipelinenetzen er­ werben konnten. Das entscheidende Werkzeug hierfür sollte die »Energie-Charta« sein. Angeregt wurde die Charta 1990 von den Niederlanden, um die Zusammen­ arbeit mit den ost- und mitteleuropäischen Staaten sowie der ehemaligen Sowjet­ union auf eine neue Grundlage zu stellen und die Sicherheit der Energieversor­ gung der EU zu verbessern. Die Verhandlungen darüber mündeten in einen internationalen Vertrag über die Energie-Charta, die am 17. Dezember 1994 in Lis­ sabon unterzeichnet wurde. Der Schwerpunkt der Charta liegt bis heute noch auf den europäischen Ost-West-Energiebeziehungen, doch immer stärker wurde auch der eurasische Raum in die Charta miteinbezogen. Rußland hatte zwar die Charta unterzeichnet, jedoch bislang nicht ratifiziert. Von dieser Energiecharta versprach sich die EU vor allem den Zugang westli­ cher Konzerne zum russischen Energiemarkt. Mit der Charta schließlich hatten sich die Unterzeichner verpflichtet, »transparente und stabile Bedingungen für auslän­ dische Investoren zu fördern. Diese dürften nicht schlechter behandelt werden als Investoren aus dem eigenen Land. Auf Basis dieser Regelung könnten somit etwa europäische Investoren gegen die Schritte der russischen Regierung in dem Streit

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über das Öl- und Gasprojekt auf der Insel Sachalin vorgehen. Der Kreml hatte die Betreiber des Projekts aufgeschreckt, als er die Fördererlaubnis zurückzog, weil es angeblich Zweifel an der Umweltverträglichkeit des Projekts gibt. Fachleute sehen darin den Versuch, dem russischen Staatskonzern Gazprom mehr Einfluß bei dem Projekt zu verschaffen. Auch die Abschottung strategisch wichtiger Wirtschafts­ branchen, zu denen auch die Rohstoffindustrie zählt, dürfte nicht im Einklang mit der Charta stehen«.3510 Jedenfalls wäre Rußland mit der Unterzeichnung der Charta die Möglichkeit genommen, im Bedarfsfall die Gaslieferungen als Druckmittel einzusetzen: »Auf jeden Fall wäre eine Unterbrechung der Gasversorgung, wie Rußland sie im Januar (2006) im Streit über die Gaspreise mit der Ukraine praktizierte, damit nicht mehr erlaubt.«3511 Darüber hinaus wäre Rußland mit der Energiecharta gleichfalls ver­ pflichtet, sein Pipelinesystem ausländischen Konzernen gleichberechtigt zur Ver­ fügung zu stellen: »Im sogenannten Transitprotokoll ist zudem ein gleichberech­ tigter Zugang von Konzernen und Drittländern zu russischen Pipelines vorgesehen. Dem widerspricht direkt der Beschluß der Duma, Gazprom zum einzigen Expor­ teur von russischem Gas zu machen«.3512 Genau auf diesen Punkt konzentriert sich schließlich auch die Kritik Rußlands an der Charta. Tatsächlich liegt die »Energie-Charta« auf der Linie der von der US-Machtelite während des Zweiten Weltkriegs ins Leben gerufenen >Grand-AreaEnergiesupermacht< begründet hatten. Vor diesem Hintergrund ist auch die Weigerung Rußlands nachvollziehbar, diese Charta zu ratifizieren. Viel­ mehr griff Moskau zu einer Gegenstrategie, um die Energiepolitik als Instrument der Erneuerung Rußlands als geopolitischen Integrationsfaktor Eurasiens wieder zur Geltung zu bringen. Diese bestand Jürgen Wagner zufolge aus folgenden Ele­ menten: verstärkte staatliche Kontrolle der eigenen Energieversorgungs- und Trans­ portunternehmen, Zurückdrängung in Rußland operierender westlicher Firmen sowie die schrittweise Übernahme osteuropäischer und zentralasiatischer Energieund Transportunternehmen.3516 So setzte Rußland zum einen seine Strategie fort, Energiekorridore zu schaffen, die russische Gas- und Ölvorkommen unter der Regie russischer Energiekonzerne direkt mit dem europäischen und ostasiatischen Markt verbanden. Als es für Ruß­ land klar wurde, daß Washington die baltischen Staaten in die NATO überführen wollte, so F. William Engdahl, trieb Putin den Bau eines großen Ölhafens in Pri­ morsk an der Ostsee voran. »Dieses Projekt, das Baltische Pipeline-System (BPS), verringert die Abhängigkeit der Exporte von Lettland, Litauen und Polen erheb­ lich. Das BPS ist Rußlands wichtigster Transportweg für den Ölexport, auf dem Rohöl aus Rußlands Ölprovinzen in Westsibirien und Timan-Pechora nach Westen zum Hafen von Primorsk im russischen Teil des Finnischen Meerbusens transpor­ tiert wird. Das BPS wurde im März 2006 fertiggestellt und kann pro Tag über 1,3 Millionen Barrels russisches Erdöl in die westlichen Märkte in Europa und darüber hinaus transportieren.«3517 Dieses Vorhaben kann als das Ölpipeline-Gegenstück zur Ostseepipeline betrachtet werden, die russisches Erdgas vom Gasfeld JuschnoRusskoje nach Westen liefern soll. Auch auf den ostasiatischen Energiemarkt plante die Regierung Putin, Fuß zu fassen. Das gelang ihr im April 2006 mit dem Bau der Ostsibirien-Pazifik-Ölpipe­ line (ESPO) von Taishet in der Region von Irkutsk in Ostsibirien an die russische Pazifikküste unter der Leitung der staatseigenen russischen Pipelinegesellschaft Transneft. D ie geopolitische Bedeutung der ESPO f aßt F . William E ngdahl wie folgt zusammen: »Nach ihrer Fertigstellung wird sie täglich bis zu 1,6 Millionen Barrels von Sibirien in den Fernen Osten Rußlands und von dort in die energiehungrige asiatisch-pazifische Region, hauptsächlich nach China, pumpen... Bisher kann si­ birisches Öl nur per Schiene an den Pazifik transportiert werden. Für Rußland bringt die Leitung von Taishet nach Perevoznaya den maximalen strategischen Nutzen und ermöglicht gleichzeitig Ölexporte nach China und Japan. In Zukunft kann das Land von dem Hafen von Nakhodka Öl direkt nach Japan exportieren. Das ölab­ hängige Japan sucht verzweifelt nach neuen sicheren Ölquellen außerhalb des in­ stabilen Mittleren Ostens. Die ESPO kann zudem sowohl Süd- als auch Nordkorea durch den Bau von Nebenpipelines von Wladiwostok in beide Länder und China über eine Nebenpipeline von Blagoveshchensk nach Daqing beliefern. Die Taishet-

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Pipeline bietet einen klaren Rahmen für die energiepolitische Zusammenarbeit zwi­ schen Rußland und China, Japan und anderen Ländern der asiatisch-pazifischen Region.«3518 Auf diese Weise ist es Rußland gelungen, energiepolitisch die Einbindung des ostasiatisch-pazifischen Raumes voranzutreiben und eine grundlegende Rolle bei der Gestaltung dieses geoökonomischen Schlüsselraumes zu spielen. Begleitet war diese Strategie von Maßnahmen, die den russischen Energiemarkt vor dem Zugriff westlicher Konzerne sichern sollte. Das oben bereits erwähnte Gesetz zum Schutz des russischen Energiebereichs vom Oktober 2006 sah vor, daß russische Unternehmen bei der Vergabe von Förderlizenzen zur Ausbeutung stra­ tegischer Öl-, Gas- und Metallagerstätten die Mehrheit halten müssen, was bei der proatlantischen Machtelite auch sogleich auf Kritik stieß. Einer Studie der KonradAdenauer-Stifung zufolge steht dieses Gesetz »ganz im Gegensatz zu Deregulie­ rung und marktwirtschaftlichen Mechanismen für eine Aufrechterhaltung der Kon­ trolle des Energiesektors durch die russische Regierung...«3519 Diesem Gesetz folgten auch alsbald Taten. So zog Gazprom - wie Jürgen Wag­ ner erwähnt - seinen urspünglichen Vorschlag, einen 49%igen Anteil am Shtok­ man-Erdgasfeld westlichen Konzernen zu verkaufen, wieder zurück, um die voll­ ständige Kontrolle über dieses größte Gasfeld zu behalten.3520 Eine Zügelung des westlichen >Big Oils< durch Rußland erfolgte - so F. William Engdahl - ferner im Streit um die Öl- und Gasförderung auf der Insel Sachalin. Geologen zufolge befinden sich dort rund 8 Milliarden Barrel Öl und erhebliche Gasmenge, und zur Erschließung dieses Gebiets hatte Jelzin in den neunziger Jah­ ren einem westlichen Ölkonsortium unter Shell und ExxonMobil großzügige Schürf­ rechte eingeräumt. Bei diesem Geschäft wurde eine sogenannte Produktionsquoten­ vereinbarung getroffen, der zufolge der russischen Regierung die Öl- und Gasrechte mit einem Anteil an dem schließlich geförderten Öl oder Gas vergütet werden soll­ ten, jedoch erst dann, wenn sich alle Produktionskosten amortisiert hätten.3521 Der US-Ölkonzern ExxonMobil kündigte jedoch eine Kostensteigerung von 30 Prozent an, womit ein etwaiger russischer Anteil an den Ölflüssen in weite Ferne rückte. Auf diese Ankündigung hin erklärte das russische Umweltministerium, daß das Förderprojekt des Konsortiums gegen Umweltauflagen verstoße.3522 Gleichzeitig verlangte die russische Regierung für Gazprom einen Anteil von 50 Prozent an dem Sachalin-Projekt.523 »Die eindeutigen Schritte der russischen Regierung gegen Ex­ xonMobil und Shell«, so F. William Engdahl, »wurden in der Branche als Versuch der Regierung Putin gewertet, die Kontrolle über die Öl- und Gasvorkommen wieder­ zuerlangen, die sie während der Jelzin-Ära abgegeben hatte. Im Rahmen von Pu­ tins neuer Energiestrategie wäre das nur stimmig.«3524

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2 Der Erdgasstreit mit der Ukraine sowie Weißrußland und Polens Idee einer >Energie-NATO< Ein weiterer Konfliktherd im russisch-transatlantischen Energiekrieg trat im Kon­ flikt zwischen Rußland und der Ukraine um die Erhöhung der Gaspreise zu Tage, der im März 2005 begann und erst im Januar 2006 beendet werden konnte. Das russische Vorgehen wurde in den westlichen Medien allgemein als ein russisches Erpressungsmanöver angesehen, das als Bestrafung für den prowestlichen Kurs der neuen ukrainischen Regierung Juschtschenko gedeutet wurde.3525 Tatsächlich aber waren die Hintergründe vielschichtiger, und der Vorwurf einer >Erpressung< sollte sich im größeren Vergleich der Gaspreisstrategie von Gazprom als übertrieben erweisen. Auseinandersetzungen zwischen der Ukraine und Ruß­ land um die Gaspreise und -lieferungen traten bereits kurze Zeit nach dem Zerfall der Sowjetunion auf, und auch die Ukraine nutzte ihre äußerst günstige strategi­ sche Stellung im Öl- und Gastransit nach Mittel- und Westeuropa bei den Verhand­ lungen mit Rußland aus, denn 95 Prozent der russischen Erdgas- und 50 Prozent der Erdölexporte laufen über ihr Gebiet.3526 Bis 1993 betrug der Preis, den die Uk­ raine zu entrichten hatte, 42 US-Dollar pro 1000 m3, und damit etwa die Hälfte dessen, was den westeuropäischen Kunden berechnet wurde.3527 Bereits Anfang der neunziger Jahre geriet die Ukraine mit der Bezahlung der Gasimporte in Ver­ zug, was wiederholt zu Lieferungskürzungen bei Gazprom führte. Hierbei beliefen sich die ukrainischen Gasschulden auf mehrere Milliarden Dollar.3528 Verantwortlich hierfür waren insbesondere auch kriminelle Geschäfte der ukra­ inischen Mafia im Transportsektor; und es war gerade die große Schattenwirtschaft in der ukrainischen Energiebranche, die zu einer Verschärfung des Problems bei­ trug. »Jedes Jahr wurden aus der Pipeline, die durch die Ukraine nach Westeuropa führt, große Mengen russischen Erdgases illegal abgezapft. Die gigantischen Ver­ mögen der ukrainischen Oligarchen - unter Kutschma die eigentlich Mächtigen in der Ukraine - sollen zu einem großen Teil so entstanden sein.«3529 Große Mengen preiswerten russischen Gases wurden so von mafiosen Strukturen, unter anderem auch innerhalb des staatlichen ukrainischen Gasversorgers Naftogaz Ukrainy, an Gesellschaften in Polen, der Slowakei und Ungarn gewinnbringend veräußert,3530 und Energieexperten zufolge bildete die ukrainische Gaswirtschaft »ein wenig durchschaubares Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Schattenwirtschaft bis hin zur organisierten Kriminalität«.3531 Um der Abhängigkeit vom ukrainischen Transportnetz zu entgehen und durch­ sichtige Lieferverhältnisse zwischen Rußland und Westeuropa zu schaffen, ergriff Rußland eine Reihe von Gegenstrategien. Eine davon war die Errichtung der >Ja­ malorangene Revolution< zu bestra­ fen - eine Beurteilung, die von Energiexperten jedoch als »eine voreilige und einsei­ tige Interpretation« eingeschätzt wird.3537 Denn im Grunde ging es den Parteien lediglich um eine marktwirtschaftliche Auseinandersetzung; und für das Verhalten der russischen Seite gibt es ökonomisch nachvollziehbare Gründe, wie auch Roland Götz darstellt. »Der Preis von 50 US-Dollar pro 1000 m3, den Gazprom der Ukraine bis dato berechnete, war Mitte der neunziger Jahre festgesetzt worden, als der eu­ ropäische Exportpreis bei 70 US-Dollar pro 1000 m3 lag... Angesichts des bis 2005 auf 220 bis 250 US-Dollar pro 1000 m3 gestiegenen >europäischen< Preises mußte er allerdings unterdessen als Subvention der ukrainischen Wirtschaft gelten, für die es aus Sicht von Gazprom keine Notwendigkeit gab«, 3538 zumal in der Ukraine durch die >orangene Revolution< prowestliche Potentaten an die Macht gekommen sind, für deren wirtschaftliche Subventionierung durch niedrige Vorzugspreise aus rus­ sischer Sicht kein Anlaß bestand.3539 Die Ukraine ihrerseits stellte sich nicht grundsätzlich gegen eine Anpassung des Erdgaspreises zu europäischen Bedingungen, sondern forderte vielmehr einen schrittweisen Preisanstieg.3540 Folgt man Christian W ipperfürth, so wollte die Ukraine mit dieser Forderung die Verhandlungen in Länge ziehen und Zeit gewinnen.3541 Vieles spricht dafür, daß jetzt bei der ukrainischen Führung geopolitische Überle­ gungen auf die Preisverhandlungen Einfluß nahmen. Viktor Juschtschenko plante schließlich die Loslösung der Ukraine von jeglichem russischen Einfluß und ihre

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Integration in transatlantische Bündnisstrukturen. Wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt, strebte Juschtschenko den Aufbau der Ukraine als regionaler Führungsmacht Ostmitteleuropas an, und zur Durchsetzung dieses Zieles diente einerseits die Gemeinschaft Demokratische Wahl< - das Regionalbündnis zwischen Estland, Lettland, Litauen, Georgien, Rumänien, Mazedonien, Moldawien und Slo­ wakei, bei dem es um einen »Methodentransfer von West nach Ost geht, der dem autoritären >russischen Modell< das Bild der europäischen Demokratie entgegen­ setzen soll«3542 - und andererseits die GUUAM.3543 Die in diesen beiden Bündnissy­ stemen integrierten Staaten »wollen die Dominanz Rußlands auf dem Markt für Erdöl und Erdgas schwächen« und »suchen seither neue Strukturen für die Region im Süden der ehemaligen Sowjetunion, die an die Stelle des russischen Einflusses treten soll. Die Ukraine, den größten Staat zwischen Ostsee, Schwarzem Meer und Kaspischem Meer, betrachten sie dabei als >natürliche FührungsmachtZeit­ gewinn< zu setzen, gelegen haben, und gleichzeitig versuchte die Ukraine, Ruß­ land verstärkt unter Druck zu setzen. Schließlich war in dieser Streitfrage eine wech­ selseitige Abhängigkeit der Parteien voneinander gegeben: Einerseits konnte die

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Ukraine durch Erhöhung der Transitgebühren die Gewinnmargen von Gazprom ohne weiteres schmälern, und ferner gab es noch geopolitische Einflußmöglichkeiten der Ukraine: »Die Gasversorgung Südrußlands ist außerdem von der Kooperation Kiews abhängig, denn die Gasleitung Moskau-Stawropol, durch die Südrußland versorgt wird, verläuft über ukrainisches Territorium. Rußland nutzt zudem Radar­ stationen in der Westukraine und der Krim, die den Luftraum in einem Radius von 2000 bis 3000 Kilometern überwachen. Ihr Ausfall würde ein riesiges Loch in die Luftsicherheit Rußlands reißen. Russische Medien berichteten, daß die ukrainische Führung offiziell angekündigt habe, den USA möglicherweise Zugang zu den Ein­ richtungen zu gewähren. Die Spekulationen erhielten durch den Besuch der USAußenministerin in Kiew zur selben Zeit weitere Nahrung. Es lag nahe, daß Kiew diese und andere Trümpfe in den Gaspreisverhandlungen nutzte.«3549 So drohte die Ukraine auch damit, die Miete für den Stützpunkt der russischen Schwarz­ meerflotte auf der Krim zu erhöhen.3550 Tatsächlich konnte im Januar 2006 dennoch ein Kompromiß erzielt werden, der allerdings auf einem sehr komplizierten Mechanismus beruhte und dessen Hinter­ gründe nach wie vor geheimnisvoll sind.3551 Der russisch-ukrainische Vertrag sah vor, »daß Gazprom russisches Gas für 230 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter an die Handelsgesellschaft >Rosukrenergo< verkauft, von der wiederum die Ukraine Gas für 95 US-Dollar erwerben kann. Rosukrenergo konnte preiswertes Gas aus Turk­ menistan in seine Mischkalkulation mit einbeziehen. Die Ukraine glich die von 50 auf 95 US-Dollar erhöhten Preise teilweise durch höhere Transiteinnahmen aus. Das Entgelt für den Transit wurde von 1,09 auf 1,60 US-Dollar erhöht und nicht mehr in Gas, sondern bar bezahlt. Die Ukraine zahlt Rußland für den Transport turkmeni­ schen Gases über das russische Netz lediglich 1,09 US-Dollar pro 100 km«. 3552 Angesichts dieser Regelung erscheint überhaupt fraglich, ob Rußland oder Gaz­ prom aufgrund dieser Regelung überhaupt als Gewinner des Streites bezeichnet werden können. »Wie Gazprom die erstrittenen hohen >Marktpreise< ... aus dem Verkauf an die Ukraine erzielen will, ohne daß die Tochtergesellschaft (RosUkrE­ nergo, der Verf.) hohe Verluste macht, bleibt allerdings vorläufig ein Rätsel«, erklärte in diesem Zusammenhang die Neue Zürcher Zeitung.3553 Auch Rußland-Experte Christian Wipperfürth stellt heraus, daß das Ergebnis offensichtlich gewesen sei, daß Gazprom keine 230 US-Dollar für das russische Gas erhalte und dementspre­ chend Gazprom nicht als Gewinner aus der Krise hervorgegangen sei. Überdies habe das russische Vorgehen in der Auseinandersetzung »ganz und gar nicht den Eindruck einer durchdachten Aktion« gemacht.3554 So fehlen »außer Gesichtswah­ rung und allenfalls verdeckten Interessen... nachvollziehbare Gründe dafür, wes­ halb Gazprom sein lukratives Geschäft an die bestenfalls zu 50 % kontrollierte Ros­ UkrEnergo abtreten sollte. Gazprom verweigerte zu entsprechenden Fragen... jeden Kommentar«.3555

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Rußland besitzt gewaltige Gasvorkommen. Hier Anlage der Gazprom, des >geopoliti­ schen Schwerts< des Kremls, in Astrachan. Die frühere Sowjetrepu­ blik Ukraine bekam wie alle anderen Republiken auch von Moskau Gas zu einem stark subven­ tionierten Spottpreis. Das änderte sich, als Rußland das Potential seiner Rohstoffe erkannte. In den ersten Januartagen 2006 war der Gasfluß durch die Pipelines in der Ukraine völlig unterbrochen. Foto: ddp Der ukrainisch-russische Erdgasstreit ist beigelegt. Friedens­ schluß zwischen Gazprom-Chef Alexej Miller und dem ukrainischen Chefmanager Alexej Iwtschenko. (Foto: DPA)

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2.1 Die Motive der russischen Seite Damit stellt sich die Frage, welche Absichten die russische Seite ihrer Forderung nach höheren Gaspreisen und ihrer Zustimmung zu diesem doch recht eigenarti­ gen Verhandlungsergebnis zugrunde legte. Nach einer sehr populären Ansicht sind es rein geopolitische Motive gewesen, die Rußlands Handeln im Gasstreit bestimmt hätten. Rußland-Experte Alexander Rahr zufolge ging es Rußland vor allem dar­ um, die Ukraine vor eine Wahl zu stellen: »Entweder kehrt die Ukraine, wie Weiß­ rußland, in den Einheitlichen Wirtschaftsraum zurück und sichert somit durch ei­ nen Freundschaftspreis ihre Gasversorgung, oder sie integriert sich in die Nato und die EU und muß dann, wie andere westliche Länder auch, Weltmarktpreise für Energie bezahlen.«3556 Bislang schien es so, daß der Vorstoß von EU und NATO in die ehemaligen Ein­ flußzonen Moskaus mehr oder weniger im Belieben des Westens gestanden habe, und tatsächlich wurden »die EU und Rußland immer mehr zu Rivalen, sowohl in Fragen der Sicherstellung künftiger Energielieferungen als auch bei der Einfluß­ sicherung im postsowjetischen Raum«. (Alexander Rahr) Als Gegenreaktion, so diese Auffassung, sei Rußland jetzt im Begriff, in Osteuropa als geostrategischem Aufmarschgebiet mit Hilfe der Instrumentalisierung seiner Energiereserven wie­ der an Einfluß zu gewinnen. Wie die Neue Zürcher Zeitung ausführt, ist der ameri­ kanische Geheimdienst CIA der Ansicht, daß Rußland sich in einer vorzüglichen Lage befinde, um seine enormen Vorräte an Öl und Gas zur Erringung dauerhafter innen- und außenpolitischer Vorteile einzusetzen. Es gehe mit Hilfe von Gazprom als dem »geopolitischen Schwert des Kreml«3557 darum, ex-sowjetische Republiken, die sich den transatlantischen Strukturen zuwenden, mit höheren Energiepreisen zu sanktionieren, während Staaten wie Weißrußland, die sich in die von Rußland initiierten Organisationen wie den Einheitlichen Eurasischen Wirtschaftsraum inte­ grierten, mit niedrigen Preisen - Weißrußland beispielsweise zahlt einen Preis von 48 US-Dollar- subventioniert würden. Ob diese geopolitischen Überlegungen die entscheidende Rolle für Rußland spiel­ ten, wird aber von nicht wenigen Rußland- und Energie-Experten bezweifelt. »Die populäre Auffassung, wonach Gazprom als williges Werkzeug einer neoimperia­ len Politik des Kremls agiert, dürfte nicht zutreffen«,3558 schreibt Roland Götz. Die Rückgewinnung von Einfluß auf die postsowjetische Sphäre schien bei dem rus­ sisch-ukrainischen Gasstreit lediglich ein günstiger Nebeneffekt gewesen zu sein.3559 Tatsächlich spricht sehr viel dafür, daß das russische Vorgehen im Gasstreit um die Ukraine im Zusammenhang mit der Herstellung Rußlands als >Energiesupermacht< steht, wobei der Gaskonzern Gazprom im Zentrum dieser neuen Strategie steht. »Putins Ziel ist es, Öl und Gas nur noch zu Weltmarktpreisen zu exportieren... Zudem sollen die vom Staat kontrollierten Unternehmen Gazprom (Gas und Öl) und Rosneft (Öl) durch zusätzliche Milliardeneinnahmen zu den weltgrößten En­

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ergiekonzernen aufsteigen.«3560 Auf seiner Hauptversammlung Ende Juni 2007 hat­ te Gazprom seine Strategie genauer vorgestellt: Einerseits will der Konzern seine beherrschende Stellung im Inland weiter ausbauen, andererseits seinen Hauptab­ satzmarkt Europa durch neue Pipelines sichern.3561 Als Voraussetzung hierfür wird die Sicherung einer marktbeherrschenden Stellung im eurasischen Energiemarkt so­ wie der Ausbau eines Pipelinemonopols im eurasischen Raum angesehen. Daher hatte Gazprom »seit 1991 sehr gezielt, zunächst in Ostmitteleuropa, versucht, durch Zu­ kauf von Verteilungsunternehmen eine marktbeherrschende Stellung aufzubauen und die Vertriebswege unter seine Kontrolle zu bringen. Von den baltischen Staaten bis nach Bulgarien ist dies auch bereits weitgehend gelungen«.3562 So sieht es auch Energie-Experte Roland Götz: »Die Strategie von Gazprom läuft darauf hinaus, Wettbewerb auf dem postsowjetischen Gasmarkt zu begrenzen und auf den Auslandsmärkten als alleiniger Anbieter von russischem Erdgas aufzutre­ ten. Diesem Ziel dient auch der Versuch, die Exportpipelines wieder zurückzuge­ winnen, die nach dem Ende der Sowjetunion in das Eigentum der Nachfolgestaaten der UdSSR gefallen waren.«3563 Es gibt nicht wenige Anzeichen dafür, daß hinter dem Streit mit der Ukraine die Absicht Rußlands gestanden hat, das dortige Pipe­ linesystem zu übernehmen, womit es dann eine Energie-Monopolstellung im ge­ samten eurasischen Raum innegehabt hätte: »Dann hielte Gazprom nicht nur die Kontrolle über die Quellen im gasreichsten Land der Erde, sondern über alle Liefer­ wege zu den wichtigsten Kunden. Das... Angebot Rußlands, die Ukraine könne Teile ihrer Gasrechnung in Aktien ukrainischer Energieversorger begleichen, deu­ tet in diese Richtung. Die Offerte war in Kiew zurückgewiesen worden.«3564 Anfangs hatte Gazprom den Gasexport nach Westeuropa als seine eigentliche Stammdomäne angesehen; die Belieferung der GUS-Staaten mit Erdgas hatte der Konzern den als nicht sehr transparent geltenden Zwischenhändlern wie ITERA und EuralTransGas überlassen. Dies sollte jetzt beendet werden; Gazprom verfolgt seitdem die Politik der Zentralisierung des Gashandels auch im GUS-Raum unter seiner Führung.3565 »In diesem Zusammenhang hatte Gazprom mit dem ukraini­ schen Staatskonzern >Naftogaz Ukraine< vereinbart, daß ab 2007 die gesamten ukrai­ nischen Gasimporte in den Händen von RosUkrEnergo liegen sollten...«3566 Bei RosUkrEnergo handelt es sich um einen neugeschaffenen, in der Schweiz ansässi­ gen Zwischenhändler, der zu 50 Prozent der Gazprom-Tochter Gazprombank und zu 50 Prozent der österreichischen Raiffeisen Investment AG in Wien gehört.3567 Wie Hintergrundkenner bekunden, stehen hinter der österreichischen Investment­ bank »eine Gruppe internationaler Investoren mit Erdgas-Know-how«.3568 Gerüch­ ten zufolge sind es russische und ukrainische Geschäftsleute aus dem Umfeld des ehemaligen ukrainischen Staatschefs Leonid Kutschma, die in diesem Unterneh­ men über großen Einfluß verfügen. Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zufolge liegen Hinweise dafür vor, daß in der österreichischen Investmentbank, dem zwei­ ten Anteilseigner der RosUkrEnergo, ebenfalls Mittelsmänner von Gazprom das

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Sagen hätten.3569 Vor diesem Hintergrund scheint auch der auf dem ersten Blick undurchschaubar erscheinende Gaskompromiß nachvollziehbar, dem zufolge Gaz­ prom die Energielieferung an die Ukraine nicht selbst übernahm, sondern diese dem Zwischenhändler übergab. Sämtliche Indizien sprechen dafür, daß RosUrkEnergo gewissermaßen eine Art Tarnvorhang für Gazprom ist, mit dem der Konzern Ein­ fluß auf die ukrainischen Transportnetze bekommen konnte. Damit jedenfalls ge­ dachte Gazprom, die korrupten Strukturen in der ukrainischen Energiewirtschaft, in denen immer wieder russische Gaslieferungen verlorengingen, zu umgehen. Auch der populären These, der zufolge Gazprom seine Preise zu erpresserischen Zwecken heraufgesetzt habe, wird von Energie-Experten widersprochen. Vielmehr handele es sich hier um eine konkrete Unternehmensstrategie. Roland Götz zufol­ ge dürfen »Lieferkürzungen oder -Unterbrechungen oder die Übernahme von En­ ergieinfrastruktureinrichtungen in GUS-Ländem durch russische Energiekonzerne... nicht ohne weiteres als außenpolitisch motiviert aufgefaßt werden, denn diesen Vorgängen können auch kommerzielle Überlegungen zugrunde gelegen haben... Russische Konzerne müssen sich, um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, wie die anderen auf dem Weltmarkt operierenden Unternehmen verhal­ ten. Wie diese müssen sie sich an den Zielen der Gewinnmaximierung und Markt­ beherrschung orientieren und daher Preise fordern, die am Markt erzielbar sind, sowie im Ausland expandieren... Somit ist die Frage berechtigt, ob die russische Politik, wenn sie es denn versucht hat, tatsächlich erfolgreich Energiebeziehungen als Mittel der Außenpolitik instrumentalisieren kann, denn die Erfahrung lehrt: Energie ist >eine stumpfe Waffe, schwer zu steuern, oft uneffektiv, und schädigt gewöhnlich denjenigen, der sie führt, genauso oder mehr als den, gegen den sie gebraucht wirdorangenen Revolution< steht auch die Tatsache, daß von der Gaspreiserhöhung im wesentlichen die energieintensive Schwerindustrie der Ost-

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ukraine betroffen war, die die Hausmacht des prorussischen Kandidaten Viktor Janukowitsch darstellte. Dieser begann auch, offiziell die russische Energiepreispo­ litik zu kritisieren3573. »Falls die politische Führung Rußlands den Gasstreit wirk­ lich bewußt zugespitzt haben sollte, um Janukowitsch zu unterstützen, so wäre sie damit gescheitert.«3574 Vieles spricht also statt dessen dafür, daß es Rußland viel­ mehr darum ging, die ökonomischen Grundlagen der >Energiesupermacht< zu ver­ bessern. Der Gazprom-Konzern, der Schlüssel dieses neuen Selbstverständnisses Rußlands, war wirtschaftlich kaum noch in der Lage, eine Politik von Sonderprei­ sen für bestimmte Abnehmer auf Dauer einzuführen, selbst wenn der Kreml dies wollte. »Gazprom muß steigende Gewinne erwirtschaften, um die Milliardenkosten für die Erschließung dringend benötigter neuer Erdgaslager tragen zu können und um kreditwürdig zu bleiben.«3575 Interessanterweise waren es die westlichen Handelsorganisationen selbst, die in der Vergangenheit sowohl die Russische Föderation als auch die übrigen postso­ wjetischen Staaten aufforderten, eine Erhöhung der Energiepreise vorzunehmen. Es war die WTO, die dies für zwingend hielt. Pascal Lamy, Generaldirektor der WTO, sagte, »diese Länder müssen mittelfristig für die Energie Marktpreise zah­ len, damit ihre Wirtschaft deutlich effizienter wird«.3576 Zu beachten ist, daß es bei­ spielsweise in den neunziger Jahren gerade der IWF gewesen ist, der von Rußland eine radikale Preisschocktherapie einforderte. Außerdem hatte Rußland geopolitisch betrachtet keine Veranlassung mehr, die Volkswirtschaften gerade der Moskau wenig freundlich gesinnten Republiken wie der Ukraine, Georgien oder der baltischen Staaten mit Gas zu >Freundschaftsprei­ sen< weiter milliardenschwer zu subventionieren. Eine Einbindung dieser Staaten in die von Moskau geschaffenen Kooperationssysteme wie den Einheitlichen Wirt­ schaftsraum hatte sich 2005 als Illusion herausgestellt, so daß es jetzt keinen Grund gab, in den energiepolitischen Beziehungen Rußlands zu diesen Staaten keine markt­ wirtschaftlichen Gesichtspunkte gelten zu lassen.3577 Gazprom verfolgte seitdem die Absicht, die Verhandlungsmacht der Transitstaaten Weißrußland, Ukraine und Moldawien zu schwächen und das Prinzip der europäischen Gaspreisbildung (d.h. die Bindung an den Ölpreis) auch auf den Binnenmärkten der GUS-Staaten durch­ zusetzen.3578 Insgesamt besteht die Gazprom-Politik Roland Götz zufolge aus zwei Elemen­ ten: Erstens verabschiedet sich der Energiekonzern von seiner bisherigen Politik der energiepreispolitischen Subventionierung der GUS-Staaten - ein Kurs, der sich seit den Farbrevolutionen im postsowjetischen Raum beschleunigt hatte. Da Gaz­ prom neben der Kontrolle des russischen Gasmarkts auch über ein Monopol auf die durch Rußland führenden Gaspipelines aus Zentralasien verfügt, strebt der Konzern - zweitens - danach, die unabhängigen russischen Gaserzeuger wie auch die zentralasiatischen Anbieter vom direkten Exportgeschäft fernhalten. Ausländi­ sche Konkurrenz auf dem GUS-Gasmarkt soll auf diese Weise weitgehend verhin­

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dert werden.3579 Zu diesem Zweck hatte sich Gazprom Mitte 2006 das exklusive Recht auf Gasexporte aus Rußland gesetzlich garantieren lassen.3580 Folgt man Roland Götz zusammenfassend, strebt Rußland, nachdem seine poli­ tische Vorherrschaft im GUS-Raum geschwunden ist, eine wirtschaftliche Einfluß­ nahme auf die GUS-Staaten an, wofür sich die Energiebeziehungen besonders zu eignen scheinen. Aus diesem Grund will es eine Monopolstellung in der Energie­ erzeugung und des Energieexportes aufbauen und sichern; aus diesem Grund lehnt es auch die Ratifizierung der »Energie-Charta« ab, die, wie beschrieben, Wett­ bewerbsverhältnisse und Gleichbehandlung aller Marktteilnehmer sowohl im GUSRaum als auch auf russischem Territorium selbst herbeiführen soll.3581 Denn sobald Rußland die Charta in Kraft setzen würde, wäre das Monopol des Gasriesen Gaz­ prom und der Ölpipeline-Gesellschaft Transneft in Gefahr.3582 Auf diese Weise will Rußland seine Exklusivstellung in der Energiewirtschaft im eurasischen Raum durchsetzen. Die Kontrolle der Energieerzeugung wie auch der Energieverteilungs­ netzwerke ist dabei die wesentliche Voraussetzung; jene Bereiche, die Rußland in den neunziger Jahren an US-Ölkonzerne verloren hatte. Somit ist die neue Energie­ außenpolitik Rußlands sowohl von ökonomischen als auch von politischen Interes­ sen angetrieben.3583

2.2 Der Erdgasstreit mit Weißrußland Diese Politik setzte Rußland auch gegenüber Weißrußland - an sich enger Verbün­ deter Moskaus - durch. Das Beispiel des Vorgehens Moskaus gegenüber Minsk zeigt außerdem, daß es Rußland gerade nicht darum ging, Regime zu erpressen, die sich den transatlantischen Strukuren zuwenden. Es geht vielmehr darum, ein Marktmonopol Gazproms im eurasischen Raum aufzubauen. »Dafür, daß dieses Ziel tatsächlich im Vordergrund stand, spricht auch, daß dem prorussischen Macht­ haber in Minsk, Alexander Lukaschenko, genau dasselbe widerfuhr.«3584 Auch in Weißrußland gab es im energiepolitischen Bereich die gleichen Voraus­ setzungen wie in der Ukraine. Seit 1991 hatte Weißrußland immer wieder Schwie­ rigkeiten, seine Gasrechnungen gegenüber Rußland zu begleichen. Beantwortet hatte Rußland dies mit der Kürzung von Gaslieferungen. Diese Auseinandersetzungen waren immer wieder von Vorschlägen Gazproms begleitet, gegen Garantie russi­ scher Erdgaslieferungen zum subventionierten Preis den weißrussischen Gas-Trans­ portmonopolisten Beitransgas zu übernehmen. In diesen Auseinandersetzungen konnte sich Minsk einstweilen durchsetzen. 1999 konnte Weißrußland erreichen, »daß für Gaslieferungen von Gazprom der (günstige subventionierte, der Verf.) russische Inlandspreis berechnet würde. Der russische Energieversorger mußte daraufhin den Preis von 40 US-Dollar pro 1000 m3 auf 30 US-Dollar reduzieren. Im gleichen Jahr nahm die Jamal-Pipeline ihren Betrieb auf, was Lukaschenkos Ver­ handlungsposition weiter stärkte, denn er konnte nun mit Verweis auf die für Gaz­ prom günstigen Transitgebühren einen niedrigen Gaspreis fordern«.3585

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2002 kam es aufgrund eines wiederholten Anstiegs weißrussischer Schulden zu einem erneuten Anlauf des Gazprom-Konzerns, als Gegenleistung für die Beliefe­ rung Weißrußlands zu günstigen Tarifen einen fünfzigprozentigen Anteil an Bel­ transgas zu erhalten, was allerdings scheiterte. Zu einer ernsthaften Auseinander­ setzung kam es allerdings im Laufe des Jahres 2003. Weiß russische S chulden führten zu einer Sperrung russischer Gaslieferungen; Gazprom wollte eine Neuverhand­ lung der Gaspreise und ihre Erhöhung auf 50 US-Dollar pro 1000 m3. Mitte 2004 kam es zu einer Einigung, die der Energie-Experte Roland G ötz wie folgt beschreibt: »Gazprom berechnete einen auf 47 US-Dollar pro 1000 m3 erhöhten Preis, gleichzei­ tig wurde die in Belarus geltende sehr niedrige Transitgebühr von 0,55 US-Dollar pro 100 km auf 0,75 US-Dollar erhöht. Gazprom gelang es lange nicht, gegenüber Beitransgas einen höheren als den kaum kostendeckenden russischen Inlandspreis durchzusetzen, weil Lukaschenko den Gasdisput erfolgreich auf eine politische Ebene verlagerte. Es gelang ihm, Fragen der Stationierung russischer Truppen, der Währungsunion mit Rußland, der Russisch-weißrussischen Union sowie des ge­ meinsamen Wirtschaftsraums mit ins Spiel zu bringen. Außerdem konnte Belarus den Bau der Jamal-Pipeline und den Gastransit durch diese bzw. die anderen nach Westen führenden Pipelines als Druckmittel einsetzen.«3586 Ende 2005 gelang es Gazprom allerdings, Weißrußland das Druckmittel der Ja­ mal-Pipeline aus der Hand zu nehmen. Das Unternehmen hatte die Kontrolle über die durch Weißrußland nach Mittel- und Westeuropa führende Gaspipeline über­ nommen und erwarb die Eigentümerschaft an dem 575 Kilometer langen weißrus­ sischen Abschnitt der Jamal-Europa-Pipeline.3587 Die Bestrebungen von Gazprom hingegen, zum Ausgleich für eine Vorzugsbehandlung von Weißrußland Anteile am weißrussischen Gastransportnetz von Beitransgas zu erhalten, blieben bis 2006 erfolglos.3588 Gleichzeitig wollte Gazprom die Subventionierung Weißrußlands, die für diesen Konzern ohnehin eher ein Verlustgeschäft war, nicht mehr fortsetzen. »Im April 2006 machte Gazprom jedoch klar, daß es auch Belarus, wie die anderen GUS-Staaten, nicht länger subventionieren wolle, und verlangte einen Gaspreis von 200 US-Dollar pro 1000 m3.«3589 Wie der Weißrußland-Experte Rainer Lindner hervorhebt, war das zentrale Mo­ tiv bei der Vorgehensweise die Kontrolle des Transitnetzes,3590 die den Enthüllun­ gen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge auch im Fall Weißrußlands im Zu­ sammenhang mit der neuen Energie- und Preisstrategie des Gaskonzerns stand: »Was Gazprom erreichen will, liegt auf der Hand. Gazprom, das über größere Gas­ reserven verfügt als jedes andere Unternehmen auf der Welt, aber im Inland Verlu­ ste macht, weil es aus politischen Gründen Gas zum >Sozialtarif< abgeben muß, verdient an Lieferungen ins Ausland. Dort kann es verlangen, was der Markt her­ gibt. In Weißrußland zahlte man bislang mit 46,68 Dollar je 1000 Kubikmeter den gleichen Preis wie in der Rußländischen Föderation. Gazprom fordert nun 105 Dol­ lar, wovon 75 Dollar in bar bezahlt und der Rest mit Aktien der staatlichen weiß­

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russischen Pipelinegesellschaft Beitransgas beglichen werden sollen. Teil der bis­ her bekanntgewordenen Absprachen war ebenfalls, daß das weißrussische Pipe­ linesystem - mit Ausnahme der Erdgasleitung Yamal-Europa, die den Russen oh­ nehin gehört - von einem Gemeinschaftsunternehmen übernommen werden soll, an dem Beitransgas und Gazprom jeweils 50 Prozent der Anteile halten. Gazprom käme damit seinem Ziel, die Transitleitungen unter Kontrolle zu bringen, ein er­ hebliches Stück näher.«3591 Die Auseinandersetzung zwischen der Russischen Föderation und Weißrußland begann damit, daß Gazprom ab Beginn des Jahres 2007 den Gaspreis für Weißruß­ land mehr als verdoppelt hatte. Darüber hinaus führte Rußland eine Gebühr in Höhe von 180 Dollar für jede nach Weißrußland exportierte Tonne Rohöl ein. Die Regierung in Minsk reagierte darauf mit einer Transitgebühr für Richtung Westen gepumptes russisches Öl. Der staatliche russische Konzern Transneft weigerte sich jedoch, diese Gebühr zu entrichten.3592 Im Rahmen dieser Auseinandersetzungen stoppte Rußland seine Öllieferungen. Hintergrund für die Einführung der Ölgebühr vonseiten Rußlands war der Umstand, daß Moskau nicht mehr gewillt war, die weißrussische Wirtschaft zu subventionieren. Experten zufolge gründeten sich bis zu 15 Prozent des weißrussi­ schen Inlandsprodukts auf die russischen Subventionen. Billigpreisen für Öl und Gas verdankte der weißrussische Staatschef Lukaschenko einen Teil seines Wahl­ siegs im Mai 2006.3593 »Der Leiter des Moskauer Instituts für Energiewirtschaft und Finanzen, Leonid Grigorjew, bestätigte unterdessen, was westliche Fachleute seit langem sagen: daß sich der wirtschaftliche Aufschwung Weißrußlands vor allem auf billiges Öl und Gas aus Rußland stütze. Weißrußland sei das einzige Land auf der Welt, das eine positive Bilanz im Handel mit Gas und Öl aufweise, ohne diese Rohstoffe selbst zu besitzen, s agte G rigorjew im ru ssischen Fernsehen. Weißrußland erhalte etwa 21 Milliarden Kubikmeter Gas und rund 20 Millionen Tonnen Öl aus Rußland im Jahr. Allein beim Reexp ort vo n R ohöl habe Weißrußland an jeder Tonne rund 100 Dollar verdient. Insgesamt habe das Land mehrere Milliarden Dollar Ge­ winne aus dem Geschäft mit russischem Gas und Öl gemacht. Die hohen Wachstums ­ raten der weißrussischen Wirtschaft von zehn bis elf Prozent in den vergangenen Jahren seien darauf zurückzuführen.«3594 Expertenangaben zufolge sollen weißrussische Raffinerien bis zu vier Milliar­ den Dollar jährlich verdienen, indem sie billiges russisches Öl verarbeiteten und zu Weltmarktpreisen weiterverkauften - dieses lukrative Geschäft sollte Weißrußland durch die Erhebung der Gebühr von 180 Dollar genommen werden.3595 Bestätigt wird dies auch durch den Weißrußland-Experten der >Stiftung Wissenschaft und PolitikNur wenn weiter Rohölprodukte zu hohen Preisen exportiert und günstiges Erdgas importiert werden kann, ist Lukaschenko in der Lage, sein >belarussisches Modell< am Leben und sich selbst an der Macht zu hal­ tern, schrieb der Weißrußland-Fachmann Rainer Lindner«.3596 Mit dieser Subventionierungspolitik der weißrussischen Wirtschaft wollte Mos­ kau nunmehr Schluß machen. Insbesondere mit der Ölabgabe wollte es verhin­ dern, daß Minsk weiterhin gewissermaßen auf russische Kosten Öl verarbeite und teuer Weiterverkaufe und die Gewinne einstreiche.3597 Die Beendigung der russi­ schen Subventionierungspolitik hatte durchaus einen geopolitischen Hintergrund: Am 8. Dezember 1999 hatten Rußland und Weißrußland einen Unionsvertrag un­ terzeichnet, dessen Ziel nach mehreren Etappen die Schaffung eines Unionsstaates sein sollte. Dieser wurde aber in erster Linie von Lukaschenko, der in der Schaf­ fung eines solchen Staates einen Verlust seiner Machtposition erblickte, bislang er­ folgreich hintertrieben, und so kam die Verwirklichung der Unionsidee über Ab­ sichtserklärungen nicht wirklich hinaus. Nach dem Unionsplan sollten beide Staaten ihre Souveränität behalten, dem Unionsstaat aber Vollmachten in den Bereichen Außenpolitik, Verteidigung, Ener­ gie sowie Haushalts- und Zollfragen übertragen werden. In die Tat umgesetzt wurde davon wenig, und auch die geplante Währungsunion wurde immer wieder ver­ schoben.3598 »Nachdem das bereits 2003 im Verfassungsentwurf der beiden Parla­ mente avisierte Projekt eines >einheitlichen Geld- und Kreditwesens< am Veto Lu­ kaschenkos gescheitert war, hat Rußland seinerseits jetzt de facto die Zollunion aufgekündigt.«3599 Folgt man dem Rußland-Experten Christian Wipperfürth, so war in den letzten Jahren das Verhältnis zwischen der Russischen Föderation und Weiß­ rußland durch Spannungen bestimmt.3600 und infolgedessen trat in der Folgezeit die Zerbrechlichkeit der Unionsstaatsidee immer deutlicher hervor.3601 Dabei war es wohl hauptsächlich auch die Eigenmächtigkeit Lukaschenkos gewesen, die für Verzögerungen bei den Verhandlungen um den Unionsstaat gesorgt hatte.3602 Vor diesem Hintergrund sah Rußland keinen Grund mehr, Weißrußland Erdgas und Erdöl zu den günstigen Inlandspreisen zu liefern und ihm im Falle des Erdöls sogar noch die Möglichkeit einzuräumen, das billige russische Öl zu veredeln und gewinnbringend weiterzuverkaufen. Folgt man dem Weißrußland-Experten Rain­ er Lindner, so war Weißrußland für Moskau zum Ausland geworden, was darin zum Ausdruck kam, daß Rußland sogar die russisch-weißrussische Zollunion das Herzstück des geplanten Unionsstaates - aufs Spiel setzte. Moskau distanzierte sich zunehmend von den bisherigen Plänen zur Einigung des eurasischen Rau­ mes,3603 bei denen die subventionierten Energiepreise bislang eine wichtige Rolle gespielt hatten. Statt dessen begann Moskau, den Energiehandel auch mit Weiß­ rußland zu den gleichen Bedingungen ablaufen zu lassen wie beispielsweise mit den westeuropäischen Handelspartnern. Rußland verfolgte seitdem das Ziel, alle

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bislang geltenden günstigen Tarife für frühere Sowjetrepubliken abzuschaffen. Darüber hinaus verlor es auch nicht sein Ziel aus den Augen, eine Beteiligung am weißrussischen Pipelinenetz zu erhalten. Anfang Januar 2007 konnte zwischen Moskau und Minsk eine Einigung erzielt werden. Folgerichtig war, daß Weißrußland sich von seinen Energievorrechten verab­ schieden mußte. Mit Beginn des Jahres 2007 muß Weißrußland nun einen mehr als doppelt so hohen Preis für russisches Gas zahlen, nämlich 100 US-Dollar pro 1000 m3 statt der bisherigen 47 US-Dollar. Gleichzeitig wurde die von Gazprom zu ent­ richtende Gebühr für die Durchleitung pro 1000 m3 Erdgas verdoppelt. Darüber hinaus sollte Moskau in Zukunft den größten Teil der Gewinne aus der Verarbei­ tung russischen Öls in Weißrußland erhalten. Wie bereits ausgeführt, war der zentra­ le Beweggrund für Gazprom im Gasstreit mit Minsk die Erlangung der Kontrolle über das weißrussische Pipelinenetz, das von sehr großer energiegeopolitischer Be­ deutung ist, denn »Weißrußland ist eines der wichtigsten Transitländer zwischen West und Ost. Über das Territorium laufen wichtige Öl- und Gasleitungen, Lebens­ adern für die europäische Wirtschaft. Deutschland deckt beispielsweise rund ein Drittel seines Erdölbedarfs aus Rußland. Die >DruschbaEnergiesupermacht< zum wichtigen energiegeopolitischen Faktor nicht nur im eurasischen Schachbrett, sondern in der gesamten internationalen Energiewirtschaft in Stellung zu bringen. Um dies ver­ wirklichen zu können, griff die neue russische Machtelite um Wladimir Putin, die im wesentlichen dem Umfeld von Gazprom zuzuordnen ist, zu zwei Strategien: Erstens mußten die russischen Energiekonzerne, um international wettbewerbs­ fähig zu sein, in die Lage versetzt werden, Gewinne zu erwirtschaften. Dazu mußte ihnen die Möglichkeit eingeräumt werden, Preise zu verlangen, wie sie auf den Märkten auch erzielt werden können. Das konnten sie allerdings nur, wenn sie sich von der Politik der Preisstützung, wie sie im russischen Inland gilt, gegenüber den postsowjetischen Republiken verabschiedeten. Für deren Subventionierung gab es aufgrund ihrer geopolitischen transatlantischen Umorientierung, die vom Westen im wesentlichen mitgesteuert wurde, ohnehin keinen Grund mehr. Genau hierin lag die >Zeitenwende< der russischen Energiegeopolitik. »Frühere ideologische Ver­ bindlichkeiten spielen keine Rolle mehr, Moskau setzt klar marktwirtschaftliche Prioritäten«, so Weißrußland-Experte Rainer L indner. »D er Kreml will die Gaspreise entpolitisieren«, bestätigte auch Osteuropa-Analyst Anders Aslund,3608 und vor die­ sem Hintergrund verfolgte Rußland das Ziel, alle bisherigen günstigen Tarife für die postsowjetischen Republiken abzuschaffen. Zu dieser Strategie gehört - zweitens - die Gewährleistung sicherer Lieferver­ hältnisse.3609 Analysten zufolge hat für Gazprom daher die Sicherheit der Leitungs­ systeme klaren Vorrang.3610 Um einerseits Lieferengpässe auszuschließen und zum anderen Erpressungen der Transitstaaten zu vermeiden - und Alexander Rahr zufolge hatten die Ukraine und Weißrußland ihr Transitmonopol für russische Energieexporte nach Westen für politische Zwecke instrumentalisiert3611 -, setzte Gazprom auf die Durchsetzung eines eurasischen Transportmonopols. »Gazprom strebt seit Jahren danach, sämtliche Transitleitungen zum west- und südeuropäi­ schen Markt unter seine Kontrolle zu bekommen.«3612 Das scheint dem Konzern nach dem Gasstreit mit der Ukraine und Weißrußland auch gelungen zu sein. »Der russische Energiekonzern Gazprom«, so das Handelsblatt, »hat mit dem erreichten Kompromiß im Streit mit Weißrußland um Gaslieferungen nach Ansicht von Ana­ lysten seine Monopolistenrolle weiter festigen können. Die Übereinkunft sieht die Übertragung der Hälfte der Aktien des weißrussischen Gasverteilers Beitransgas an Moskaus staatlich kontrollierten Gasexportmonopolisten vor. Zuvor hatte Gaz­ prom in der Preiserhöhungsrunde dieses Winters (2006/2007) für Rußlands GUSNachbarn seinen Einfluß in anderen Ländern ausgeweitet... So hatte sich Gazprom

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vor der Hälfte an Beitransgas die Mehrheit an den Gasnetzen in Armenien und Moldawien gesichert. In der Ukraine kontrolliert Gazprom über seine umstrittene Tochter Rosukrenergo die Hälfte des innerukrainischen Gasnetzes... Mit der Eta­ blierung von Rosukrenergo war es Gazprom vor einem Jahr (2005/2006) gelungen, auch das gesamte zentralasiatische Erdgas aufzukaufen und durch Rußland zu exportieren. Rosukrenergo liefert nun das Gas aus Turkmenistan an die Ukraine, obwohl Kiew eigene Lieferverträge mit Aschgabad hatte.«3613 Gerade Erdgas aus Zentralasien - vor allem aus Turkmenistan - kann nur durch Gazprom-Pipelines nach Europa gelangen. Das Monopol sichert den Preis und kontrolliert praktisch den Zugang des turkmenischen Gases zum Weltmarkt.3614 Gazprom setzte daher seitdem - so Roland Götz - auf eine Strategie der Markt­ beherrschung und der Durchsetzung eines Marktmonopols. Daraus ergab sich schließlich auch das Bestreben, sich das Monopol auf das zentralasiatische Gas zu sichern. »Neben Kasachstan und Usbekistan hätte vor allem Turkmenistan... das Potential, beim Gasexport zum Rivalen Rußlands... zu werden. Die Ukraine hat bereits mehrfach versucht, sich durch Direktbeziehungen mit Turkmenistan aus der russischen Dominanz beim Gasimport zu befreien, was vor allem am Fehlen einer Pipelineverbindung scheiterte, die Rußland umgeht. Für die EU wiederum wäre eine vom kaspischen Raum durch die Türkei nach Europa führende Gaspipe­ line... ein wichtiges diversifizierungsstrategisches Element zur Erhöhung ihrer Versorgungssicherheit. Diese Absichten wurden indes weitgehend durchkreuzt, als es einer von Putin angeführten Gazprom-Delegation im Mai 2007 gelang, mit den zentralasiatischen Regierungen ein langfristiges Abkommen über Erdgasliefe­ rungen und den Ausbau des Pipelinekorridors >Mittelasien-Zentrum< abzuschlie­ ßen, der nach Rußland führt.«3615 Roland Götz spricht in diesem Zusammenhang von einer »Doppelstrategie« des Gaskonzerns, die darauf abziele, sich das zentralasiatische Gas für den heimischen Markt zu sichern und die europäischen Abnehmer aus eigenen Vorkommen zu beliefern.3616 Damit versuche Gazprom einerseits, Märkte für sich zu sichern, und zum anderen, potentielle Gaslieferkonkurrenten wie Turkmenistan oder Iran dar­ an zu hindern, einen direkten - Rußland umgehenden - Versorgungskorridor Rich­ tung Europa zu finden. Diese Strategie setzt Gazprom Roland Götz zufolge auch bezüglich der Gasexporte nach Ostasien um: »Auch der Bau der Westsibirien-ChinaPipeline (>AltaiBlue StreamNorth StreamBlueStreamNorth Streamabhängig< würde..., wird Rußlands Anteil an den europäischen Importen von bisher zwei Dritteln auf unter die Hälfte absinken, was vor allem an den überproportional zunehmenden Importen Europas aus Afrika und dem Nahen Osten liegt.«3625 Presseberichten ließ sich entnehmen, daß diese Diversifizierungsstrategie Gazproms ferner dadurch ausgelöst wurde, daß vonseiten der EU verstärkt die Ratifizierung der EnergieCharta durch Moskau eingefordert wurde und die deutsche Bundeskanzlerin An­ gela Merkel auf die Gründung einer transatlantischen Freihandelszone zwischen den USA und der EU setzte. Insbesondere durch ein solches transatlantisches Konzept mußte die EU in den Augen der russischen Geopolitik als ein verlängerter Arm der US-Strategie in Eu­ rasien gesehen werden. Forderungen der EU nach einer Öffnung des russischen Energiemarktes für ausländische Konzerne beantwortete Moskau Anfang Juni 2006 mit einem Gesetz, durch das Gazprom das alleinige Recht erhalten soll, Erdgas auszuführen. Gleichfalls sollten durch dieses Gesetz Öl- und Gasvorkommen als >strategische Reserven< unter Staatskontrolle bleiben.3626 Wie die Frankfurter Rund­ schau darstellte, erwarb Gazprom durch dieses Gesetz »das alleinige Recht, russi­ sches Erdgas auf den Weltmarkt zu bringen. Auch die zentralasiatischen Förder­ staaten, die auf das russische Pipelinenetz angewiesen sind, werden davon betroffen sein: Gazprom würde als Zwischenhändler auftreten... Über das Liefermonopol hinaus sei vorgesehen, alle Gasvorkommen mit mehr als 75 Milliarden Kubikmeter und alle Erdölvorkommen über 50 Milliarden Tonnen als »strategisch wichtig< ein­ zustufen, berichtet die Zeitung Wedomosti. Damit würde jede ausländische Beteili­ gung an Erschließung und Förderung gesetzlich unmöglich«.3627 Die Frontenbildung verschärfte sich, als Gazprom seinerseits versuchte, auf dem westeuropäischen Markt Fuß zu fassen. Streitpunkt war, daß der größte deutsche Energieversorger E.on Gazprom keine Beteiligungen an seinen westeuropäischen Verteilertöchtern als Gegenleistung für eine E.on-Beteiligung an dem gigantischen sibirischen Gasfeld Juschno-Russkoje anbieten wollte. Gazprom hatte zuvor der BASF-Tochterfirma Wintershall 25 Prozent minus eine Aktie sowie zehn Prozent der Vorzugsaktien an diesem Gasfeld abgetreten. Während die deutsche Firma Wintershall als Gegenleistung für diese Förderbeteiligung aber Gazproms Beteili­ gung am gemeinsamen europäischen Gashändler Wingas von 35 auf knapp 50 Pro­ zent aufstockte, war E.on zu einem solchen Schritt nicht bereit.3628 Hinzu kam, daß

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Gazprom die Übernahme des größten britischen Gasversorgers Centrica erwog, was die britische Regierung mit Hilfe einer Gesetzesänderung verhindern woll­ te.3629 Diese Diskussion beschleunigte in der EU die Entwicklung von Strategien, von russischen Gaslieferungen unabhängiger zu werden und die Entwicklung al­ ternativer Pipelineprojekte voranzutreiben.3630 Putin wertete dies als eine doppelzüngige Haltung der EU: »Wenn jemand zu uns kommt, heißt es Investitionen und Globalisierung, und wenn wir irgendwohin gehen, ist das gleich Expansion?« fragte er.3631 Die zunehmende Diskussion um eine wachsende energiepolitische Abhängigkeit der EU von Rußland wurde in der rus­ sischen Energiewirtschaft als protektionistische Drohung aufgefaßt, russische Gas­ lieferungen einzuschränken, weshalb dort über die Erschließung alternativer Märkte nachgedacht wurde.3632 In der Tat sprachen europäische Vertreter in Bezug auf Rußland bereits von der »Ankündigung eines Kalten Krieges mit neuen Metho­ den«,3633 und die EU beabsichtigte wirklich, daß die Langfristverträge zwischen Gazprom und einigen Kunden abgeschafft werden sollten. Statt dessen wollte die EU durchsetzen, daß an der EU-Außengrenze Erdgas an einzelne miteinander kon­ kurrierende Händler verkauft wird.3634 Auf dem deutsch-russischen Gipfeltreffen in Tomsk Ende April 2006 konnte einst­ weilen eine Einigung erzielt werden, die vorsah, daß die BASF-Tochter Winters­ hall einen Anteil von 25 Prozent minus eine Aktie an der Gazprom-Tochter Se­ werneftegazprom (SNGP) erhielt. Zusätzlich erhielt Wintershall weitere zehn Prozent Aktienanteile, die aber nicht stimmberechti gt sind. SNGP besitzt die Fö rder­ lizenz für das Erdgasfeld Juschko-Russkoje mit seinen förderbaren Gasreserven von 600 Milliarden m3. Gazprom bekam dafür einen Anteil von 50 Prozent minus eine Aktie an der Wingas GmbH, die sich in Zukunft auf den Verkauf und den Vertrieb von Erdgas in Deutschland konzentrieren sollte.3635 Mit dem Kompromiß von Tomsk vom April 2006 konnte Gazprom einen weite­ ren Sieg im eurasischen Energiepoker verzeichnen und damit eine wichtige strate­ gische Stellung in Europa erlangen. Mit der Beteiligung an Wingas bekam Gaz­ prom erstmals Einfluß auf die gesamte Wertschöpfungskette, die von der Erforschung der Erdgasfelder in Westsibirien über den Transport durch die ge­ plante Ostseepipeline bis hin zur Distribution in Deutschland reicht.3636 Erkennbar ist damit eine Strategie des russischen Energiekonzerns: Er ist bemüht, Energieer­ zeugung, -transport und -absatzmärkte unter einem Dach zu vereinigen. Nach An­ sicht von Energieexperten hatte Gazprom damit eine Lehre gezogen aus der Ölpoli­ tik der OPEC-Staaten in den vergangenen Jahrzehnten. Diese - so zum Beispiel die Einschätzung von Stephan Heidbrink - seien mit ihren Versuchen, durch Manipu­ lation der Ölförderung Druck auf die Politik westlicher Staaten auszuüben, des­ halb erfolglos geblieben, weil Verarbeitung und Absatzmarktgestaltung in den Händen westlicher Firmen gelegen hätten. Dies wolle Gazprom durch Einflußnah­ me auf die gesamte Energiewertschöpfungskette umkehren.3637

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2.4 Die westliche Gegenstrategie: die Diskussion um die Errichtung einer >Energie-NATO< Mit diesen Entwicklungen begannen sich aber auch die geopolitischen Frontlinien zu verfestigen. »Heute«, so Rußland-Experte Alexander Rahr, »prallen in Eurasien wieder unterschiedliche geopolitische Konzeptionen aufeinander.«3638 Insbesonde­ re die USA entwickelten Strategien, um die Monopolisierungsstrategien Rußlands bzw. Gazproms zu unterlaufen. Diese liefen zum einen auf Planungen zu einer ver­ stärkten Einbindung der Ukraine und Georgiens in die NATO hinaus. NATO-Ge­ neralsekretär Jaap de Hoop Scheffer sagte diesen Staaten zu, daß ihnen auf dem NATO-Gipfeltreffen in Riga ein deutliches Signal für ihre NATO-Mitgliedschaft gesetzt werden sollte.3639 Im Mai 2006 verhandelten die EU und die Ukraine über eine gemeinsame Freihandelszone, die allerdings das Ende einer Zollunion mit Rußland3640 und somit auch das Ende des Einheitlichen Eurasischen Wirtschafts­ raumes bedeutet hätte. Folgerichtig beantwortete Rußland diese bündnispolitische Ausrichtung der Ukraine mit einer Beendigung der militärtechnischen Zusammen­ arbeit. Auf der anderen Seite wurde inoffiziell die NATO-Integration der Ukraine vorangetrieben. Mitte Juni 2006 fand in Kiew eine internationale Konferenz unter dem Motto »Die Transformation der Streitkräfte Tschechiens auf dem Weg zur NATO. Erfahrungen für die Ukraine« statt. Vorbereitet wurde zudem das gemein­ same NATO-Ukraine-Militärmanöver >Sea-Breeze< auf der Krim.3641 Ferner begannen die USA nach dem Ende des Gasstreites zwischen Rußland und der Ukraine sowie Weißrußland mit der Planung weiterer alternativer Öl- und Gaspipelines aus dem kaspischen Raum unter Umgehung Rußlands. »Kasachstan wurde aus dem Energieverbund mit Rußland herausgerissen und erklärte sich be­ reit, seine Öllieferungen über den Kaukasus und die Türkei nach Westen zu trans­ ferieren. Allerdings betonte Kasachstan, daß zunächst der Rechtsstatus des Kaspi­ schen Meeres geklärt werden müsse. Heute darf ohne Einwilligung aller Anrainerstaaten, also auch Rußlands und des Irans, keine Pipeline durch das Kas­ pische Meer gelegt werden. Aus den USA kamen Bestrebungen, die Nato auf Län­ der wie Georgien und die Ukraine auszudehnen.«3642 Insgesamt, so Alexander Rahr, habe sich wohl »in der US-Führung die Idee einer neuen Eindämmungspolitik ge­ genüber Rußland durchgesetzt - so, wie sie auch von manchen mittelosteuropäi­ schen Staaten vertreten wird«.3643 Begünstigt wurde dieser Prozeß dadurch, daß die südwestlichen Nachbarstaaten Rußlands - Georgien, Ukraine, Aserbaidschan und Moldawien - ja im Mai 2006 ein neues Bündnis, die Gemeinschaft Demokrati­ sche WahlGemeinschaft Demokratische WahlRimlands< Polen und die baltischen Staaten, von denen - mit US-amerikanischer Rückendeckung - Kampagnen gegen die energiepolitischen Bestrebungen Gazproms bzw. Rußlands ausgingen. »Da die Ostsee-Pipeline eine Schwächung der Verhandlungsposition der tatsächlichen und potentiellen Transitstaaten gegenüber Gazprom/Rußland bedeutet, versuchen die baltischen Staaten, Polen sowie andere Ostseeanrainerstaaten wie Finnland und Schweden dieses Projekt zu verzögern oder drängen darauf, es ganz aufzugeben.«3657 So plante Polen eine vertiefte Zusammenarbeit mit der Ukraine und den baltischen Staaten im Sinne einer >EnergiebrückeStiftung Wissenschaft und Politik< zufolge lag diesem Plan folgender Gedanke zugrunde: »Mitglieder eines kollektiven Verteidigungsbündnisses wie der NATO verpflichten sich individuell und gemeinsam, einem oder mehreren Mitgliedern gegen eine Bedrohung oder einen Angriff von außerhalb des Bündnisses zur Hilfe zu kommen. Grundlage des polnischen Vorschlages ist die Überzeugung, daß die Prinzipien kollektiver Verteidigung in Fragen der Energiesicherheitspolitik ange­ wandt werden sollten. Alle Mitglieder dieses europäischen >EnergiesicherheitsVertrages< sollen sich für den Fall, daß eines der Länder unverschuldet in Versor­ gungsschwierigkeiten geraten würde, zur Lieferhilfe verpflichten.«3668 Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedsstaaten eines solchen neuen Bündnisses eine gemeinsa­ me Transport- und Energiespeicher-Infrastruktur aufbauen; die Entwicklung von Pipelineprojekten sollte nur gemeinsam im Bündnis und nicht bilateral erfolgen eine deutliche Kampfansage an die >Ostsee-PipelineEnergie-NATO< im wesentli­ chen hervorgerufen worden durch einen »Trend zum Ressourcennationalismus in den Produzentenstaaten«,3672 wofür es in jüngster Zeit mehrere Beispiele gibt: »In Venezuela und Bolivien etwa die jüngsten Verstaatlichungen im Öl- und Gassektor sowie die Erhöhung der Lizenzgebühren und der Steuern auf Gewinne aus dem

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Ölgeschäft, oder in Rußland die Übernahme von Yuganskneftegaz durch die staat­ liche Rosneft bzw. der Sibneft durch Gazprom«3673 mit entsprechenden Folgen für die westlichen Rohstoffkonzerne: »Mit anderen Worten: Nichtstaatliche Akteure haben zu Reserven und Entwicklungskonsortien oftmals keinen Zugang mehr.«3674 Darüber hinaus - und dies hat die Idee der >Energie-NATO< gefördert - ist auch eine wachsende Marktmacht der OPEC für die Zukunft zu beobachten: Die bedeu­ tendsten Öl- und Gasreserven sind konzentriert in der >strategischen EllipseEnergie-NATOAmerican Enterprise Institute for Public-Policy ResearchEnergiewaffe< als kriegerischer Akt gewertet werden sollte;3688 die NATO solle daher den neuen Schwerpunkt ihrer Sicherheitspolitik darin sehen, mit Blick auf Rußland den Zugang des Westens zu den eurasischen Energiequellen sicherzustellen, die Entstehung von Staatsmonopolen zu verhindern und damit den ununterbrochenen Fluß von Erdöl und Erdgas aus Eurasien in den Westen zu ga­ rantieren. Folgerichtig hieß es auch in dem Abschlußdokument des NATO-Gipfels von Riga, daß »die Sicherheitsinteressen der Allianz durch eine Unterbrechung der Versorgung mit vitalen Ressourcen betroffen werden können«.3689 Nach den Vorstellungen US-amerikanischer Think-Tanks sollte die NATO des­ halb unterstützend tätig werden, um russische Pipelinevorhaben zu unterhöhlen. In Strategiepapieren wird dazu aufgerufen, die Ukraine und Rumänien dabei zu unterstützen und zu ermutigen, das russische Pipelineprojekt >South Stream< gründ­ lich in Frage zu stellen. Da diese Pipeline durch rumänische und ukrainische Wirt­ schaftszonen im Schwarzen Meer verlaufe, könnten - so entsprechende US-Doku­ mente -umweltschutzrechtliche Fragen zu diesem Zweck instrumentalisiert werden. In dieser Form sollte die NATO auch das Baltikum zur Sabotierung der >North StreamGrand Area< diese Erfolge Moskaus bzw. Gazproms wieder rückgängig zu machen. Was nunmehr als Gegenmaßnahme des Westens eingeleitet wurde, war eine Kom­ bination aus energie- und pipelinepolitischem »Neo-Containment«, verbunden mit Plänen zum Regimewechsel in Rußland und militärischer Konfrontation. Insbe­ sondere sollte nach den Plänen der US-Machtelite Europa als antirussischer Ein­ kreisungspartner eingespannt werden: »Schon lange«, so Jürgen Wagner, »versucht Washington über seine engen Verbündeten im >Neuen Europa< eine anti-russische Politik umzusetzen und gleichzeitig die zeitweise abtrünnigen Länder Frankreich

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und Deutschland dazu zu bringen, eine geschlossene Front gegen Rußland zu bil­ den.«3691 Dadurch, daß die Energiesicherheit zum Bestandteil des Verteidigungsauftra­ ges der NATO werden sollte, sollte schließlich auch die Einheit des transatlanti­ schen Bündnisses sichergestellt werden, so ein Strategiepapier des >American Enter­ prise Instituteverletzbaren< europäischen Staa­ ten wie Deutschland daran gehindert werden sollten, gegebenenfalls eigene auto­ nome Energiepartnerschaften mit Rußland einzugehen - eine Partnerschaft, die als >Alptraum Mackinders< unbedingt verhindert werden m uß. Gleichzeitig würde m it einer derartigen Erweiterung der NATO-Zuständigkeiten eine mögliche russisch­ europäische Energie-Zusammenarbeit von vornherein unterbunden, weil die Um­ setzung eines solchen NATO-Plans das Bedrohungspotential gegen Rußland erhö­ hen würde, da Moskau die EU zwangsläufig als US-Vasallen und somit als Gegner ansehen müßte. »Es ist keine Überraschung, daß Rußland durch diese Pläne verstärkter Energie­ sicherheit innerhalb der NATO stark erzürnt und entnervt war. Falls eine solche Doktrin von der NATO angenommen werden sollte, könnte sie als Rechtfertigung für die Durchsetzung von ökonomischen und politischen Sanktionen gegen Ruß­ land und andere energieproduzierende Länder dienen. Diese Klausel könnte eben­ so ein Mandat dafür schaffen, Rußland oder jedes and ere energieexportierende Land anzugreifen, einschließlich Iran, Turkmenistan, Libyen und Venezuela, mit der Möglichkeit, die Energie- und Naturressourcen solcher Länder zu beschlagnah­ men.«3693 Mit dieser Konfrontationspolitik schien die US-Machtelite auch Erfolg gehabt zu haben. Im April 2007 erklärte der EU-Handelskommissar Peter Mandel­ son, daß die Beziehungen zwischen Rußland und der EU auf den schlechtesten Stand seit dem Ende des Kalten Krieges angelangt seien3694 - sämtliche Pläne einer europäisch-russischen Energiezusammenarbeit waren damit torpediert.

3 Der neue Kampf um die Pipelinekorridore: >Nabucco< gegen >MitteIasien-Zentrum< Eine weitere Antwort des transatlantischen Bündnisses auf die Energiegeopolitik Rußlands war eine Fortsetzung der Diversifizierungsstrategie, die zum Ziel hatte, die Energieeinfuhren sowohl hinsichtlich der Rohstoffquellen als auch der Trans­ portwege weitgehend zu streuen,3695 um auf diese Weise die Monopolisierungsbe­ strebungen Gazproms zu neutralisieren. Dies war bereits seit langem Kernbestand­ teil der US-Pipelinestrategie in Eurasien: »Washington fordert in diesem Kontext schon seit langem explizit den Bau von Pipelinerouten zum Abtransport der im­ mensen kaukasischen und zentralasiatischen Energievorräte unter Umgehung Ruß­

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lands (und des Irans).«3696 Die starke Kritik der USA an der Energiepolitik der EU, diese würde auf eine zu starke Abhängigkeit von Rußland hinauslaufen,3697 sollte dabei als Forderung der USA an die EU verstanden werden, sich in die US-Strate­ gie einzufügen. Eine Katalysatorfunktion bildete auch hier der russisch-ukrainische Gasstreit, der die EU dazu veranlaßte, an einem Pipelinekonzept zu arbeiten, das Europa direkt mit Zentralasi en verbinden sollte. Diese Pipeline so llte dazu dienen, das Trans­ portmonopol Gazproms zu unterminieren. »Derzeit bezieht die EU Erdgas vor al­ lem aus folgenden Lieferstaaten: Rußland (40%), Algerien (30%) sowie Norwegen (25 %)... Drittanbieter aus Zentralasien werden gegenwärtig vom russischen Staats­ monopolisten Gazprom daran gehindert, Kunden in der EU direkt zu beliefern. Vielmehr kauft Gazprom selbst zentralasiatisches Gas günstig ein und verkauft es dank seines Netzmonopols zu deutlich höheren Preisen weiter. Versuche der EU, Rußland im Rahmen der Verhandlungen über ein neues Partnerschafts- und Ko­ operationsabkommen dazu zu bewegen, sein Leitungsnetz für Drittanbieter zu öff­ nen, sind bisher erfolglos geblieben. Darüber hinaus mehrten sich in den zurücklie­ genden Jahren Zweifel an der Verläßlichkeit Rußlands als Energielieferant... Vor diesem Hintergrund setzte in der EU eine Diskussion über die Notwendigkeit einer Diversifizierung der Energiequellen und der Transportwege ein. Neben einem Aus­ bau der Bezugsquellen aus Nordafrika konzentrieren sich die Überlegungen auf den ungehinderten Zugang zu den großen Gasvorräten am Kaspischen Meer und in Zentralasien, die nach Schätzungen achtmal so groß sind wie jene in Nordafrika und nur um ein Drittel kleiner als die Vorkommen Westsibiriens.«3698 Pläne der EU zur Diversifizierung ihrer Energielieferanten und der Versorgungs­ wege bestanden aber schon 2002. Es ging dabei um den Bau einer Erdgasleitung, die unter Umgehung Rußlands von der türkisch-georgischen oder der türkisch­ iranischen Grenze bis nach Österreich führen soll - ein Vorhaben, das unter dem Namen >NabuccoNabuccoNabuccoNabucco< soll ca. 3300 km lang werden, das ergibt eine Anzahl von rund 200000 Rohren aus 2 Mio. Tonnen Stahl.

Geplanter Verlauf der Pipeline >NabuccoZentralasien-Strategie< mit den Außenminis­ tern der fünf zentralasiatischen Staaten zu treffen. Für diese >Zentralasien-Strategie< der EU ist das >Nabucco-Projekt< von höchster Bedeutung. Die EU macht keinen Hehl daraus, daß sie die Pipeline ganz oben auf der Liste strategischer Energieprojekte ansiedelt. Nabucco sei das wichtigste In­ frastruktur-Vorhaben, sagte Energie-Kommissar Andris Piebalgs.3703 Folgerichtig hatte auch die EU-Kommission dem Projekt höchsten Vorrang eingeräumt und es in die Liste der >Trans-European Energy Networks< aufgenommen.3704 Dadurch, daß sich die EU im Sommer 2006 kurz vor dem G-8-Gipfel in St.-Petersburg eindeutig zu diesem Projekt bekannte, setzte sie ein deutliches Zeichen gegen Rußland: »Mit der neuen Pip eline könnte Europa sic h von Rußland emanzipieren«. 3705 Die hohe Bedeu ­ tung, die die EU dem Nabucco-Projekt beimißt, wird auch an der Finanzierung sicht­ bar: »Während das Betreiberkonsortium für ca. 30% der Gesamtkosten aufkom­ men soll, ist geplant, 70% über Fremdmittel zu finanzieren, wobei die Europäische Investitionsbank (EIB) und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwick­ lung (EBRD) den Löwenanteil, wenn nicht sogar alles übernehmen sollen: >Als ziem­ lich sicher gilt, daß die Nabucco am Geld nicht scheitern wird. Die EIB stehe voll und ganz hinter dem Projekt, sagte deren stellvertretender Vorstandsvorsitzender Wolfgang Roth.NabuccoPluralisierung< Eurasiens gegen Rußland Ebenfalls - so Jürgen Wagner - stellt das Einstehen der Bundesrepublik Deutsch­ land unter Merkel für das Nabucco-Projekt einen Schwenk Deutschlands auf die eurasische Geopolitik Washingtons dar und zeigt, wie es der US-Machtelite gelun­ gen ist, die Energiepolitik der EU auf einen antirussischen Kurs zu bringen: »Der Schwenk von schröderscher Ostseegaspipeline zu merkelscher Nabucco-Präferie­ rung symbolisiert damit auch die transatlantische Re-Orientierung der deutschen Außenpolitik, indem auf Washingtons anti-russische Linie eingeschenkt wird.«3707 Daß sich das Nabucco-Projekt voll und ganz in das gegen Rußland gerichtete geopolitische Eurasienkonzept der USA einfügt, wird auch daran ersichtlich, daß durch dieses Vorhaben die Pluralisierung Eurasiens im Sinne Zbigniew Brzezinskis befördert wird. Für die Länder des kaspischen Raumes wie Iran, Aserbaidschan oder Kasachstan gilt die Nabucco-Pipeline als ein attraktiver Verbindungsstrang zum europäischen Energiemarkt. Die gestiegene Nachfrage in Europa nach Gas ist für die zentralasiatischen Staaten eine große Chance, die Abhängigkeit von Ruß­ land weiter zu verringern.3708 Die in den vergangenen Jahren erfolgreich durchge­

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führte Strategie Gazproms, ein Monopol auf das zentralasiatische Erdgas und seine Transportwege zu errichten, könnte durch die Verwirklichung der Nabucco-Pipe­ line wieder in Frage gestellt werden: »Moskau muß also um seine Energiegeschäfte kämpfen: Denn der Westen sucht nach alternativen Quellen, und die Anrainer des Kaspischen Meeres stehen gern zur Verfügung. Und für China noch dazu.«3709 Die Verdrängung Rußlands aus der zentralasiatischen Region war Roland Götz zufolge auch beabsichtigt: »Von der >NabuccoNabuccoHeritage Foundation< mit dem Titel The North European Gas Pipeline Threatens Europa‘s Energy Security - auch einen ungeheuren Wert für die US-Geopolitik: »So­ wohl die Vereinigten Staaten als auch die Europäische Union haben sich für den Bau der Nabucco-Gas-Pipeline als eine Alternative zu russisch kontrollierten Pipe­ lines ausgesprochen... Ebenfalls erwogen wird der Bau einer Pipeline von Kasach­ stan, Turkmenistan oder Aserbaidschan, die mit Nabucco verbunden würde und damit die erste direkte Verbindung zwischen kaspischen und zentralasiatischen Gasproduzenten und den europäischen Märkten schaffen würde. Wenn die Ex­ portmöglichkeiten zunähmen, könnten sich die zentralasiatischen Staaten als un­ willig erweisen, weiterhin ihr Gas zu ein em D iscountpreis an R ußland zu verkaufen, wenn sie anderswo höhere Preise erzielen könnten.«3712 Genau dies machte sich zwischenzeitlich bereits bemerkbar: »Das ebenfalls mit reichlich Gas gesegnete Turkmenistan begehrt sogar selbstbewußt gegen den rus­ sischen Konzern Gazprom auf, der wesentliche Mengen aus Zentralasien bezieht. Für die zweite Jahreshälfte (2006) verlangt es eine Verdoppelung der Preise, an­ dernfalls werde Turkmenistan die Zufuhr stoppen.«3713 Viel spricht daher dafür, daß mit dem Nabucco-Projekt eine gemeinsame trans­ atlantische europäisch-amerikanische Energiestrategie gegen Rußland verwirklicht werden soll. »Energieversorgungssicherheit für Europa«, so Franz-Lothar Altmann, »hat auch eine euro-atlantische Dimension. Die Sicherung der nordamerikanischen und die der europäischen Energieversorgung sind zwei Seiten einer partnerschaft­ lichen... Aufgabe, die gemeinsame geostrategische Interessen begründet.«3714 Be­ reits in den neunziger Jahren habe die Clinton-Administration angeregt, den soge­ nannten Ost-West-Energiekorridor einzurichten, über den kaspisches Öl und Gas unter Umgehung Rußlands und des Iran direkt nach Europa gelangen solle. Dies sei zunächst mit der Baku-Tiflis-Ceyhan-Erdölpipeline sowie mit der Baku-Erzu­ rum-Pipeline erreicht worden. Zu deren Ergänzung - so die Planungen - sollte nunmehr die Nabucco-Pipeline hinzukommen. Die Baku-Erzurum-Erdgaspipeline

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»soll dann verbunden werden mit der kürzlich beschlossenen Nabucco-Leitung, die von Ankara über Bulgarien und Rumänien Erdgas bis nach Österreich führen soll. Damit wäre aber lediglich der westliche Teil der Kaspischen See direkt mit Europa verbunden. Das amerikanisch-europäische Projekt«, so Altmann, »muß jetzt in Richtung Ostseite der Kaspischen See weitergeführt werden, um die deutlich größeren Reserven an Erdöl in Kasachstan und an Erdgas in Turkmenistan in die Reichweite Europas zu bringen. Langfristig sind auch die zwischen Iran und Aser­ baidschan gelegenen Erdgasfelder in die Planung einzubeziehen. Für beide Teil­ projekte muß der Balkan als künftige Transitregion entsprechend vorbereitet und mit den notwendigen Anlagen und Leitungen ausgestattet werden.«3715 Insgesamt muß die Nabucco-Pipeline als ein transatlantisches Projekt angese­ hen werden mit dem Ziel, die Erfolge der russischen Geopolitik der letzten Jahre zu neutralisieren. Der Nabucco-Korridor ist deshalb als Gegenstück zum Erdgas­ transport zur BTC-Erdölpipeline zu bewerten, mit der das Kernelement der USGeopolitik in Eurasien - die Errichtung eines Ost-West-Transkaspischen Energie­ korridors, der um einen Trans-Balkan-Korridor ergänzt wird - fortgeführt werden soll. Wie Roland Götz schreibt, verfolgt die EU hier ähnliche Ziele wie die USA, will sich aber im Rahmen der >Neuen Nachbarschaft< vor allem um die ihr geogra­ phisch nahen GUS-Staaten kümmern.3716 Auch das Handelsblatt sieht die NabuccoPipeline als ein von USA und EU gleichermaßen gefördertes Projekt an, um die Energieversorgung Westeuropas zu diversifizieren.3717

3.2 Rußlands und Gazproms Gegenstrategie Daß Rußland das Nabucco-Konzept beunruhigt, dürfte außer Zweifel stehen, und so ließen russische Gegenstrategien nicht lange auf sich warten.3718 Als Reaktion auf die Pläne der EU zur Nabucco-Pipeline hatte Gazprom drei Projekte entwickelt: Zum einen handelt es sich um die Verlängerung der >Blue StreamSouth StreamMittelasien-Zentrum< voranzutreiben. Mit der >Blue StreamBlue StreamSouth European Gas Pipeline< (SEGP) bezeichnet - handelt es sich um eine mit Nabucco konkurrierende Parallel­ leitung, die ebenfalls von der Türkei (Ankara) über Bulgarien und Rumänien nach Ungarn führen soll.3720 Der Schachzug Gazproms bestand darin, daß es dem russi­ schen Konzern gelungen war, das ungarische Energieunternehmen MOL für dieses

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Vorhaben zu gewinnen, obgleich dieses auch Mitglied des Nabucco-Konsortiums ist.3721 Die ungarische Regierung soll Rußland signalisiert haben, daß sie - abwei­ chend von der EU, die ja das Nabucco-Projekt fördert - die SEGP-Alternative be­ vorzuge.3722 Nach Ansicht von Branchenkennern ging es Gazprom mit diesem Schachzug darum, das Nabucco-Konzept unmöglich zu machen.3723 Die ungarische Nachrich­ tenagentur MIT zitierte in diesem Zusammenhang auch einen kremlnahen Polito­ logen, dem zufolge es derartiger bilateraler Abkommen bedürfe, weil die Verwirk­ lichung gemeinsamer Lösungen zwischen der EU und Rußland »durch ideologische Kräfte behindert« werde, »die zumeist amerikanische Interessen vertreten«.3724 Zu beachten ist hierbei, daß der Einfluß von Gazprom auf die ungarische Energiewirt­ schaft dadurch gesteigert wurde, daß der deutsche Energiekonzern E.on seine An­ teile an MOL gegen eine Beteiligung am sibirischen Juschno-Russkoje-Erdgasfeld an Gazprom abgetreten hatte.3725 Unterstützt von der ungarischen Regierung, voll­ zog MOL mit der Hinwendung zum russischen SEGP-Projekt einen »drastischen Kurswechsel«:3726 »Ungarns Kuschelkurs mit Rußland könnte jetzt ein wichtiges Projekt der europäischen Energiepolitik verzögern oder gar zu Fall bringen. Die ungarische Regierung überlegt, aus dem Nabucco-Projekt einer Gaspipeline von der Türkei nach Westeuropa auszusteigen und statt dessen den russischen Kon­ kurrenzplan zu bevorzugen.«3727 Hierbei soll Gazprom Budapest ein äußerst lukrati­ ves Angebot hinsichtlich der Gaslieferungen unterbreitet haben, was den Kurswech­ sel Ungarns noch gefördert hatte.3728 Gazprom beabsichtigt, das SEGP-Vorhaben durch weitere Pipeline-Pläne auf dem Balkan zu ergänzen: »Mittlerweile hat Gaz­ prom auch mit Serbien und Kroatien Verträge über die Errichtung von Pipelines geschlossen.«3729 Aber Gazprom hatte noch ein weiteres Pipelinekonzept ins Auge gefaßt, um das >NabuccoSouth StreamBlue Stream< (>Blauer StromSouth Stream
Stabilitätspaktes für Südosteuropa< an sich zu binden. Mit diesem Athener Ver­ trag »wurde ein Rechtsrahmen für einen integrierten Energiemarkt in Südosteuropa geschaffen. Unterzeichner sind die Europäische Union und neun südosteuropäi­ sche Partner: Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, die ehe­ malige jugoslawische Republik Makedonien, Albanien, Rumänien, Bulgarien und die Übergangsverwaltung der Vereinten Nationen für das Kosovo, UNMIK. Mit der Türkei wird über einen späteren Beitritt zum Vertrag verhandelt«.3731 Ziel dieses Vertrages ist es, den Energiebinnenmarkt der EU auf die gesamte Bal­ kanhalbinsel auszudehnen3732 und vor allem die Grundlage für den Ausbau eines leistungsfähigen Erdöl- und Erdgasleitungsnetzes zu bilden, das künftige Lieferun­ gen aus Nahost, dem kaspischen Raum und aus Zentralasien transportieren soll.3733 Da Südosteuropa bislang nur bruchstückhaft mit Pipelinesystemen durchzogen ist, plant die EU, mit diesen Schritten den Ausbau eines Energiekorridors bis in die Kaspi-Region und Zentralasien voranzutreiben. Dies soll neben >Nabucco< auch durch eine >Zentral-Balkan-LeitungItalien-LeitungSouth-East-Eu­ ropean-LineSouth StreamBlue StreamNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoMittelasienZentrum< weiter ausgebaut werden. Dieses System beginnt in den Gasregionen Turkmenistans sowie Usbekistans und teilt sich im Kasachstan in einen Richtung Moskau sowie einen Richtung Ukraine führenden Arm. Mit diesem Pipelinesystem sollten die Erdgaslieferungen des 2003 zwischen Rußland und Turkmenistan ge­ schlossenen 25 Jahres-Vertrag verwirklicht werden.3744 Mit diesem Vertrag hatte sich Gazprom, wie oben bereits dargestellt, ein Mono­ pol auf das turkmenische Erdgas gesichert. Die geopolitische Bedeutung dieses Gipfeltreffens von Turkmenbaschi beschreibt die Süddeutsche Zeitung wie folgt: »Der Kremlchef will auf seiner fast einwöchigen Reise ans Kaspische Meer zeigen, daß trotz der gewachsenen Konkurrenz in der energiereichen Region Rußland noch immer die besten Karten hat. Und er scheint erfolgreich zu sein. Turkmenistan, Kasachstan und Rußland berieten am Freitag über den Bau einer Pipeline, durch die turkmenisches Gas über Kasachstan und Rußland nach Europa gepumpt wer­ den soll. Rußland bliebe dann einflußreiches Transitland und damit wichtigster Spieler bei der Gasversorgung des Westens. Für Europa und die USA wäre dies schmerzlich, denn sie haben bisher vergeblich für eine andere Idee geworben: eine Gasröhre von Zentralasien durch das Kaspische Meer, über den Kaukasus bis hin zur Türkei - ein verschlungener Pfad vorbei am mächtigen Rußland.«3745 Damit hatte Putin aber auch die amerikanische Eurasienstrategie durchkreuzt, denn »Amerika unterstützt alle Pläne, die zentralasiatischen Ressourcen dem We­ sten unter Umgehung Rußlands zugänglich zu machen«.3746 Die Frankfurter Allge­ meine Zeitung wertete diesen Schachzug Putins deshalb auch als einen Rückschlag für die EU und den Westen,3747 weil sich dadurch die Monopolstellung Gazproms und Rußlands bei der Förderung und des Transportes des turkmenischen Gases nach Westen verstärken konnte. Dabei war die Strategie Moskaus ganz einfach: »Moskau kauft den Europäern das Erdgas am Kaspischen Meer weg.«3748 Gerade Turkmenistan ist dabei für die russische Energiegeopolitik von außerordentlicher Bedeutung, und vonseiten des damaligen stellvertretenden russischen Energiemi­ nisters A ndrej Reus wurde s einerzeit un terstrichen, daß Z entralasien einer der wich­ tigsten Partner für die russische Energiepolitik sei und bleibe. »Von Turkmenistan... ist Rußland schon deshalb abhängig, weil das zentralasiatische Land über geschätzte drei Billionen Kubikmeter Erdgas verfügt. Moskau muß dort kräftig einkaufen, weil es sein eigenes Gas für den westlichen Markt benötigt. Mit dem früheren turkmeni­ schen Diktator Nijasow hat Rußland immer wieder über den Gaspreis gestritten,

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dagegen scheint sich Nijasows Nachfolger Gurbanguli Berdymuchamedow mit Pu­ bestens zu verstehen.«3749 Damit schien sich das >NabuccoNabucco< »keine Ressourcen und auch kein Gas«.3750 In die gleiche Richtung äußerte sich Gazprom-Exportchef Alexander Med­ wedjew, der angab, daß es >Nabucco< jetzt nur noch auf dem Papier gebe und das Projekt nun nicht mehr verwirklicht werde. 3751 Igor T omberg, führender wissenschaft­ licher Mitarbeiter des Zentrums für Energieforschung am Institut für Weltwirtschaft und internationale Beziehungen der Russischen Akademie für Wissenschaften, er­ klärte zu diesen Ereignissen zusammenfassend: »Es ist Moskau gelungen, bei der Promotion seiner Interessen als Gaslieferant für die europäischen Länder einen be­ trächtlichen Erfolg zu erreichen. Der praktische Wert des Kaspi-Projekts liegt heute eher auf der Ebene der globalen Strategie. Wichtig ist, daß die mittelasiatischen Gasströme nicht unter Umgehung Rußlands über die alternative Transkaspische Gasleitung aus Turkmenien nach Aserbaidschan und weiter über >Nabucco< gehen werden. Dazu wird das Gas einfach nicht reichen. Nicht von ungefähr nannte An­ dre Mernier, Generalsekretär des Sekretariats der Energie-Charta der Europäischen Union, das >Nabuccototgeborenes KindIn Kenntnis der Lage bei den Erdgasproduzenten in Zentralasi­ en meinen wir, daß heute kein freies Gas vorhanden ist, um eine solche Leitung mit dem Namen Nabucco mit Sicherheit füllen zu können.< Aserbaidschan, schon heute Lieferant der EU, hat allein zu wenige Ressourcen, um Nabucco ausreichend zu füllen. Experten haben daher Zweifel, ob überhaupt genügend Gasquellen ange­ zapft werden können, um ein schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro teures Röhren­ projekt rentabel zu machen. Und diese Zweifel sind zuletzt eher gewachsen. Den­ noch hält die EU-Kommission am Projekt ausdrücklich fest, schließlich war es erst im März (2007) von den EU-Staaten als zentrales Infrastrukturvorhaben ausgewie­ sen worden. Der Sprecher des EU-Energiekommissars, Piebalgs, sagt: >Nabucco könnte auch mit iranischem oder irakischem Gas gefüllt werden, sobald sich die geopolitische Lage dort insgesamt verbessert. Man darf nicht vergessen, Iran sitzt auf dem zweitgrößten Gasvorkommen nach Rußland. Nabucco ist viel mehr als nur Gaskauf bei Rußlands Nachbar.Störfeuer< gegen das »Nabucco«-Projekt kommt gegenwärtig auch aus der Tür­ kei. »Sie sieht offensichtlich in Nabucco ein Instrument, um ihre Mitgliedschaft in der Europäischen Union zu forcieren. So forderte der türkische Ministerpräsident Erdogan..., die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen, und brachte diese direkt mit dem Nabucco-Vorhaben in Verbindung. Im Falle des Scheiterns der Ge­ spräche sehe die Türkei das Projekt >gefährdetNabuccoSouth StreamNabuccoRWE hat keinen Zweifel daran, daß Nabucco kommen wirdNabucco< den Balkan von der Einflußnahme Gazproms unabhängig zu machen. Wie aber die Energiekarte Europas endgültig aussehen wird, ist aller­ dings bis heute offen, und es ist noch nicht entschieden, wer als Sieger aus dem >Great Game< um die eurasischen Energiekorridore letztlich hervorgehen wird. Beobachtern zufolge hatten sich die Beteiligten des >NabuccoGas-OPEC< Vonseiten der transatlantischen Machtelite ist aber neben dem >NabuccoGas-OPECGas-OPEC< gegenüber dem Sicherheitschef Wladi­ mir P utins, Igor Iwanow, vorgeschlagen, der diese mit nach Moskau nahm. 3773 P utin selbst bezeichnete die Idee eines solchen Gaskartells als »interessante Variante«.3774 Bislang jedoch begnügten sich die Gas erzeugenden Staaten mit dem locker organi­ sierten >Forum Gas exportierender Länder< (GECF), das - so die Darstellung der tageszeitung - den Eindruck eines desorganisierten Clubs mit fluktuierenden Mitglie­ dern und ungeklärter Zukunft machte und dem neben Rußland der Iran, Algerien, Libyen, Venezuela, Katar, Kasachstan, Usbekistan sowie Trinidad und Togo ange­ hörten.3775 Dies aber sollte sich auf dem GECF-Gipfeltreffen in Katar am 9. April 2007 än­ dern. Auf diesem Gipfel beabsichtigten die Gasförderstaaten, dem Forum ein ver­ bindlicheres Gefüge zu geben. Im Wege einer »engeren Abstimmung« der GECFLänder sollte Beobachtern zufolge eine Bündelung der Anbietermacht der Gasförderländer verwirklicht werden.3776 Tatsächlich besitzen GECF-Staaten 73 Pro­ zent der weltweiten Gasreserven und stellen 41 Prozent der globalen Produktion.

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Mit mehr als 21 Prozent ist Rußland größter Erzeuger. Zusammen verfügen Iran und Rußland über 40 Prozent der weltweit nachgewiesenen Reserven.3777 P utin selbst sprach sich für eine engere koordinierte Zusammenarbeit der Gas erzeugenden Staaten aus und wollte auch die Bildung eines Kartells nach dem Vorbild der OPEC nicht ausschließen: »Ob wir sie (die Gas-OPEC, der Verf.) brauchen, ob wir sie grün­ den werden, ist eine andere Frage. Aber wir Produzenten von Erdgas müssen in Zukunft unsere Handlungen besser koordinieren.«3778 Mit der Herausbildung einer solchen Kartells, das Fördermengen sowie Preise kontrolliert und gegebenenfalls nach Einschätzung von Beobachtern auch imstande wäre, Gaslieferungen als politisches Druckmittel einzusetzen,3779 würde das energie­ geopolitische Gewicht Rußlands wachsen, was sich auf dem Gipfel in Katar auch abzuzeichnen schien: »Schon am ersten Tag nach Beginn des Forums wurde klar, daß die Vorbereitungen auf die Bildung des Gaskartells bereits im Gange sind, ob­ wohl die Teilnehmer keine schriftlichen Vereinbarungen unterzeichneten. Rußlands Industrie- und Energieminister Viktor Christenko kündigte nach dem Forum die Gründung einer >Gruppe auf hoher Ebene< an, welche die Preisbildung auf dem Gasmarkt kontrollieren und koordinieren soll. Laut Christenko ist dies der erste Schritt zur Bildung einer Gas-OPEC... Rußland werde als Koordinator der Preis­ bildungs-Gruppe auftreten. Das bedeutet faktisch, daß Moskau an die Spitze des Bündnisses der Gasproduzenten tritt. Und das nicht zu Unrecht: Das politische Gewicht Rußlands verleiht dem entstehenden Bündnis die notwendige geopoliti­ sche Bedeutung.«3780 Wie der ehemalige russische Energieminister und Leiter des Instituts für Ener­ giepolitik in Moskau, Wl adimir M ilow, darstellt, ging es Rußland mit d iesem Schach­ zug trotz der Tatsache, daß zwischen Gazprom und den wichtigsten europäischen Abnehmerstaaten Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich langfristige Lief­ erverträge bestanden, darum, zu demonstrieren, daß es gegenüber der transatlan­ tischen Energiegeopolitik auch zu einer Politik der Stärke fähig sein kann.3781 Tat­ sächlich würde sich, wenn die Entstehung eines Gaskartells Wirklichkeit werden würde, die energiegeopolitische Situation der EU einstweilen erheblich verschlech­ tern. »Angesichts der hohen Importabhängigkeit Europas bei Gas - die 27 EU-Staa­ ten decken gegenwärtig 57 Prozent ihres Bedarfs durch Einfuhren - stünden die Europäer einer durch ein Kartell koordinierten Angebotspolitik zumindest kurzund mittelfristig machtlos gegenüber.«3782 Mit der Ausbildung des Flüssiggassektors jedoch würde sich dieser Prozeß ver­ stärken: »Erst wenn der Handel mit verflüssigtem Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG), dessen Anteil am weltweiten Gashandel gegenwärtig noch weniger als zehn Prozent ausmacht, erheblich zunimmt und LNG überall verfügbar sein wird, könnte daraus ein eigenständiger globaler Erdgasmarkt und damit das Wirkungsfeld für ein weltweites Preiskartell der Gasanbieter nach dem Vorbild der Opec entste­ hen.«3783 Rußland liegt jedoch bei der Entwicklung und Anwendung der kostenin­

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tensiven LNG-Technik weit zurück, so daß man sich die Frage stellen mag, welche Rolle Rußland in einem solchen Kartell spielen könnte. Doch viel spricht dafür, daß Moskau mit dieser Diskussion eine weitergehende Verbesserung seiner geopoliti­ schen Situation anstrebt: »Offenbar wird versucht, die Furcht der Verbraucherlän­ der in Europa vor einem Preiskartell als Trumpfkarte in einem politischen Spiel zu nutzen. Objekte für einen Handel gäbe es genug: beispielsweise den neu auszuhan­ delnden Partnerschaftsvertrag zwischen Rußland und der EU, die Festlegung der Bedingungen für Rußlands Beitritt zur Welthandelsorganisation, den Zugang Gaz­ proms zum Endkundengeschäft in Westeuropa oder die Zustimmung zur geplan­ ten Aufstellung amerikanischer Abfangraketen in EU-Staaten.«3784 Aber - so die Frankfurter Allgemeine Zeitung - auch ohne eine besondere staaten­ übergreifende Organisation scheint Gazprom schon im Wege bilateraler Zusam­ menarbeit mit Staatsunternehmen anderer gasproduzierender Länder eine Kartel­ lisierung des Erdgassektors herbeizuführen: »Zugleich wird im Schatten der Drohkulisse mit bilateralen Vereinbarungen, wie jüngst mit Algerien, schon daran gearbeitet, unterhalb der Schwelle eines weltweiten Preiskartells, auf der Ebene von Staatsunternehmen, den europäischen Gasmarkt zu kontrollieren oder Bestre­ bungen der Europäer zur Diversifizierung der Bezugsquellen zu unterlaufen. Da Rußland und Algerien zusammen vierzig Prozent der Gasimporte der EU abde­ cken, haben Gazprom und die algerische Sonatrach eine hinreichende Angebots­ macht.«3785 Auch nach Ansicht von Energie-Experten bedarf es keiner speziellen Kartell­ organisation oder gar einer Entwicklung einer spezifischen LNG-Technologie, um Rußland in die Lage zu versetzen, Einfluß auf die europäischen Energiemärkte zu nehmen: »Um die europäische Gasversorgung zu kontrollieren, würde es genü­ gen, wenn ausschließlich Rußland und Algerien kooperieren. Beide Länder decken gegenwärtig etwa 40 Prozent des Gasimports der 27 EU-Staaten ab, wobei Rußland mit 28 Prozent den Hauptanteil und Algerien immerhin 12 Prozent beiträgt. Eine solche Zusammenarbeit müßte dabei keinesfalls in einem zwischenstaatlich defi­ nierten Rahmen wie einer >Gas-Opec< stattfinden, sondern könnte wesentlich nied­ riger auf der Ebene der (Staats-)Unternehmen angesiedelt sein.«3786 Der Vertrag zw ischen Gazp rom und dem algerischen Gaskonzern Sonatrach weist bereits derartige Konturen auf: »In dem kürzlich geschlossenen Abkommen zwi­ schen der algerischen Sonatrach und der russischen Gazprom kamen die beiden Unternehmen überein, sich von der Förderung bis zur Vermarktung des Erdgases, auch hinsichtlich dritter Geschäftspartner, untereinander abzustimmen. Wenn sie gegenüber dem Abnehmer Europa bei ihrer Preis- und Vermarktungspolitik ko­ operieren, verfügen beide Produzenten über eine hinreichende Angebotsmacht, um den europäischen Markt oligopolistisch zu b edienen. Das Nachs ehen hätte der euro­ päische Verbraucher, der in diesem Fall keine Wahl zwischen mehreren potentiellen Anbietern hätte und zudem über keine weiteren Diversifizierungsmöglichkeiten

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verfügte. Für diese Strategie benötigen beide Unternehmen jedoch kein institutiona­ lisiertes Kartell«, so eine Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik.3787 Vor diesem Hintergrund war es kaum verwunderlich, daß diese Diskussionen um eine >Gas-OPEC< bei der transatlantischen Machtelite äußerst kritisch, ja gera­ dezu feindselig angesehen wurde. Jürgen Wagner zitiert in diesem Zusammen­ hang eine Stellungnahme des US-Außenministeriums, in der es hieß, man sei »über die mögliche Bildung eines Gaskartells besorgt, auch wenn Zweifel herrschen, daß eine Vereinigung in der näheren Zukunft erfolgen wird«.3788 US-Vizepräsident Ri­ chard C heney, so Jürgen Wagner, warnte davor, daß »>Öl und Gas zu Instrumenten der Einschüchterung und Erpressung werdenNOPEC-GesetzesGasOPEC< einmal Wirklichkeit werden - eine ähnliche Strategie zu ihrer Destabilisie­ rung und Torpedierung in die Wege leiten würde, wie sie es gegenüber der OPEC praktiziert hat und noch immer praktiziert. Jedenfalls würde eine Allianz zwischen Rußland, dem Mittleren Osten und den energiehungrigen wirtschaftlich starken Volkswirtschaften Ost- und Südostasiens nebst Indien von den USA als eine ernste Bedrohung gesehen3790 - und die US-amerikanische Geopolitik sähe sich gezwun­ gen, Strategien zu entwickeln, mit denen verhindert werden soll, daß sich das eu­ rasische Herzland im Sinne eines >Integrationsknotens< zu einem Gegenpol zum globalen Vorherrschaftskonzept der USA entwickeln kann.

5.

US-Strategien für einen >Regimewechsel< in Rußland

Tatsächlich wurden hinter den Kulissen der US-Machtelite bereits Pläne entwickelt, die auf eine Neubestimmung der US-amerikanischen Rußlandpolitik ausgerichtet waren. Die Senatoren John Edwards (Demokratische Partei) und Jack Kemp (Repu­ blikanische Partei) legten dem einflußreichen Council on Foreign Relations einen Bericht unter dem Titel Russia‘s Wrong Direction. What the United States can and should do (»Rußlands falsche Richtung. Was die Vereinigten Staaten tun können und soll­ tenselektiven Partnerschaft< und >selektiven Opposition< gefordert. Dieser strategische Wandel vollziehe sich vor dem Hintergrund zunehmender Konflikte zwischen westlich orientierten und prorussischen Kräften und Staaten im postsowjetischen Raum. Die Autoren warnen insbesondere vor dem >Energieimperium< Rußland und befürchten, daß Moskau mit seinen Energieressourcen ein großes Erpressungspotential gegenüber dem Westen aufbauen könnte. Diesen Gedanken greift der Hauptsponsor der >friedli­

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chen Revolutionen< der Milliardär George Soros, in der Financial Times auf, indem er den russischen Energiekonzern Gazprom als ein >machtvolles Instrument groß­ machtorientierter russischer Außenpolitik< charakterisiert.«3791

5.1 Die Vorschläge des Strategiepapiers Russia‘s Wrong Direction. What the United States can and should do Dieses Anfang März 2006 veröffentlichte Strategiedokument läßt sich ohne weiteres als das Planspiel zu einem neuen Kalten Krieg der USA gegen ein wiedererstarktes Rußland bezeichnen. Wie oben bereits dargestellt, hatte die neue Energiegeopolitik der neuen russischen Führung unter Putin bei der US-Machtelite feindselige Reak­ tionen ausgelöst, wurde durch sie doch der >Alptraum Mackinders< Wirklichkeit. Dieses Dokument sollte daher eine Antwort der US-Machtelite auf diese neue stra­ tegische Herausforderung sein. »Die Beziehungen zwischen den USA und Ruß­ land entwickeln sich eindeutig in die falsche Richtung«, so die Voraussetzung des Papiers. »Streitigkeiten verdrängen die Übereinstimmungen. Die ganze Idee einer >strategischen Partnerschaft< erscheint nicht mehr realistisch.«3792 Über viele Seiten wurde zunächst ausgeführt, in welche Weiser sich Rußland aus US-amerikanischer Sicht in die »falsche Richtung« entwickelt hatte. Zunächst wird dargelegt, daß in Rußland ein Prozeß der Ent-Demokratisierung stattfinde. »Während der Präsident der Vereinigten Staaten die Demokratie zum Ziel der ame­ rikanischen Außenpolitik gemacht hat, wird Rußlands politisches System immer autoritärer.« Als Folge verringere sich »Rußlands Fähigkeit, grundlegenden Sicher­ heitsinteressen der USA und ihrer Verbündeten Rechnung zu tragen... Viele Be­ reiche der Zusammenarbeit - von der Sicherung atomaren Materials bis zum Aus­ tausch zwischen den Geheimdiensten - sind untergraben.«3793 Geopolitisch versuche Rußland, den Zugriff der USA und der NATO auf Stützpunkte im postsowjeti­ schen Zentralasien einzuschränken. Das sei ein Zeichen für einen Rückzug Ruß­ lands von der Idee, »daß ein Erfolg in Afghanistan im gemeinsamen I nteresse liegt«. Als Beleg hierzu wird der diplomatische Druck angesehen, den Rußland und China auf die zentralasiatischen Staaten ausüben, um eine Schließung der dortigen USMilitärbasen zu erreichen. Darüber hinaus - so das Papier - verwende Rußland den Export von Erdöl und Erdgas als außenpolitische Waffe. Die Wiederverstaatli­ chung des russischen Energiebereichs wird von den Verfassern des Strategiepa­ piers als besonders besorgniserregend angesehen.3794 Das Strategiepapier enthält zahlreiche Handlungshinweise, wie mit dem russi­ schen Rivalen nunmehr umgegangen werden sollte. »Damit Rußland wieder auf den von den USA gewünschten Kurs zurückfinde, spricht sich die Studie für eine intensivere Anwendung des >Freedom Support Act< aus. Dieses Gesetz beinhaltet die Förderung und materielle Unterstützung von sogenannten Nichtregierungs­ organisationen beim >demokratischen Wandel< in den Staaten des früheren Ost­ blocks.«3795 Das Papier fordert, daß die Finanzmittel zur Förderung regierungs­

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kritischer russischer Organisationen erhöht statt gesenkt werden müßten, vor al­ lem mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2008. »Die US-Regierung plant bisher eine Mittelkürzung, weil sie die Ausgaben für Auslandspropaganda insgesamt von Osteuropa in den Nahen und Mittleren Osten umschichtet. Der Haushaltsentwurf sieht vor, die Ausgaben für das russische >Demokratie-Programm< von 44,2 auf 31,6 Millionen Dollar zu senken und die russischsprachigen Sendungen des Propa­ gandasenders Voice of America einzustellen. Es zeichnet sich ab, daß der Kongreß diese Kürzung ablehnen wird.«3796 Die russische Regierung müsse zu öffentlichen Erklärungen und konkreten Taten verpflichtet werden, daß die 2008 anstehenden Wahlen »offen, verfassungsgemäß und pluralistisch« verlaufen. Für entscheidend hält das Strategiedokument eine verstärkte Energiezusammen­ arbeit zwischen der EU und den USA gegen Rußland mit dem Ziel, wieder eine Liberalisierung und Wettbewerbsausrichtung des russischen Energieerzeugungs­ und Transportsektors zu erreichen. Gemeinsam müßten die USA und die EU Stra­ tegien zur Diversifizierung der Energielieferungen entwickeln und das Risiko ver­ mindern, daß »Rußland Energie als ein Mittel der Staatsmacht verwendet«.3797 Aus diesem Grund sollten die USA auch auf eine Ratifizierung der Energie-Charta durch Rußland drängen. Damit sollte dem russischen Staat die Kontrolle über die Energie­ ressourcen entzogen werden oder - wie es das Papier ausdrückt - »der Gebrauch der Öl- und Gasexporte als ein Instrument des Zwanges durch Rußland begrenzt werden«.3798 Dem Papier geht es hauptsächlich darum, die Renationalisierung und Verstaat­ lichung insbesondere des russischen Energiebereichs rückgängig zu machen. Hier­ bei sollten die Verhandlungen um die WTO-Mitgliedschaft Rußlands dazu benutzt werden, eine Liberalisierung der russischen Wirtschaft und eine »Akzeptanz Ruß­ lands für die internationalen Handelsregeln« zu erzwingen.3799 Darüber hinaus soll­ ten die USA auch das Jackson-Vanik-Amendmend aus den Zeiten des Kalten Krie­ ges nicht aus den Augen verlieren. Dieses Gesetz war ein Instrument, mit dem die USA Handelserleichterungen gegenüber der UdSSR abhängig machte von der Ge­ währung von Ausreiseerleicherungen für sowjetische Juden durch die russischen Behörden. Der Grundgedanke jenes Gesetzes sollte dem Papier zufolge auch auf das Rußland Putins angewendet werden; Handelserleichterungen sollten von der Liberalisierung und Entstaatlichung der russischen (Energie-)Wirtschaft abhängig gebracht werden. Entsprechend sollte auch das strategische Umfeld der Russischen Föderation vorbereitet werden: »Um Rußlands Druck auf die Nachbarstaaten zu verringern, sollten die USA die Integration dieser Staaten in den Westen beschleunigen. Post­ sowjetische Staaten, die Amerikas Einstellung zu den wichtigsten internationalen Problemen teilen und zu deren Lösung beitragen können, sollten mit größerer Un­ terstützung rechnen können.«3800 Darüber hinaus müsse nach einem voraussehbaren Scheitern der Verhandlungen mit Iran und dessen Nuklearprogramm Rußland dazu

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gezwungen werden, die gesamte atomare Zusammenarbeit mit dem Iran einzu­ stellen.3801 Insgesamt stellt das Strategiepapier Forderungen und Vorgehensweisen auf, wie sie schon während des (ersten) Kalten Krieges geplant waren. Deutlich geht aus dem Dokument hervor, daß im Zentrum der US-Strategie gegenüber der Russi­ schen Föderation die gesellschaftliche und ökonomische Umgestaltung des Landes steht, das heißt also die Rückgängigmachung der wiederhergestellten Machtverti­ kale und - ganz entscheidend - die Entstaatlichung des Energie- und Rohstoffbe­ reichs. Kurzum, es liegt das gesamte >System Putin< im Fadenkreuz der US-Macht­ elite, zu dessen Beseitigung das Dokument Handlungsempfehlungen darbietet. Ausdrücklich wird dort genannt, daß es sich bei der »Sorge um die Wiederkehr eines autoritären Staates« in Rußland und der Einforderung einer »Demokratisie­ rung« u nd »Liberalisierung« de s Landes nicht um eine bloß e Wertediskussion hand­ le, sondern mit dieser Frage grundlegende geopolitische Interessen der USA be­ troffen seien.3802 Dabei stellt das Papier mehr oder weniger deutlich heraus, daß die Weigerung Rußlands, sich in das transatlantische gesellschaftliche und ökonomi­ sche System einzufügen, und sein Beharren auf einen eigenen geopolitischen Stand­ punkt sowohl im Energiebereich als auch in seinem strategischen Umfeld als ein »falscher Weg« angesehen werden müsse, so daß die Formel von der »strategi­ schen Partnerschaft« nicht mehr realistisch sei.3803 Vielmehr müsse jetzt von einer »selektiven Konkurrenz« ausgegangen werden, um wichtige globale Zielsetzun­ gen zu verwirklichen.3804

5.2 Die Planungsansätze der US-Machtelite zu einem >sanften Regimewechsel< in Rußland Was die US-Machtelite im Council on Foreign Relations hinter den Kulissen plante, sollte in Rußland auch seine Umsetzung finden. Wie bei den >Farbrevolutionen< in der Ukraine, Georgien und Kirgistan auch, so sollte die Präsidentschaftswahl in Rußland im Jahr 2008 dazu instrumentalisiert werden, um einen Regimewechsel zu erzwingen, und zwar nach den gleichen Handlungsmustern. »Um Rußland in eine demokratische Richtung zu drängen«, so das Strategiepapier Russia‘s Wrong Direction, »muß mit größter Sorgfalt vorgegangen werden.«3805 Folgt man den Ent­ hüllungen der Schweizer Zeitung Zeit-Fragen, so hatte der Regionaldirektor der US-amerikanischen Carnegie-Stiftung, Anders Aslund, schon im August 2005 in einem >policy brief< die US-Regierung aufgefordert, ähnlich wie im Falle der Ukraine auch in Rußland Geld für einen >Regimewechsel< bereitzustellen. Ein geeigneter Kandidat sei zwar zu dem Zeitpunkt noch nicht vorhanden, jedoch würde Putins ehemaliger Premierminister Michail Kasjanow am ehesten hervortreten.3806 Dieser hatte enge Verbindungen zur Jelzin-Elite und war im März 2004 aufgrund von Korruptionsvorwürfen von Putin entlassen worden. Die Bedeutung dieses Aufrufs wird um so größer, je mehr man sich vergewis­

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sert, um wen es sich bei Anders A slund handelt. Er ist einer der wichtigsten Vertre ter der US-Machtelite und mit der Verwirklichung von >Regimewechseln< vertraut. »Wenn Aslund den Sturz Präsident Putins noch vor 2008 prognostiziert, muß man wohl annehmen, daß er weiß, wovon er schreibt. Bei der Auflösung der Sowjetuni­ on war er als neoliberaler Wirtschaftsprofessor einer der Hauptberater von Präsi­ dent Jelzin und neben Harvard-Professor Jeffrey Sachs maßgeblich für die verhee­ rende Wirtschafts- und Privatisierungspolitik der Perestroika verantwortlich. Aus seiner Beratertätigkeit besitzt er Kenntnisse über und Beziehungen zur russischen Elite. Aslund war auch Berater der früheren Regierungen in der Ukraine. Seit 1998 beriet er den kirgisischen Präsidenten Askar Akajev, der im März 2005 in der >Tul­ penrevolution< gestürzt wurde. Im Rahmen von Carnegie Endowment for Interna­ tional Peace (Washington D.C.) leitet er das >Russian and Eurasian ProgrammTulpenrevolution< unterstützte. Über das Carnegie-Institut floß ein Teil des Geldes, das von der US-Regierung zur Demokratieförderung in der Ukraine bereitgestellt wurde, in die Unterstützung der >Revolution in OrangeSamtrevolutionen< einen prominenten Platz einnehmen unter dem Titel >Umbau im postsowjetischen Raumpolicy brief< mit dem Titel Putins Dämmerung und Amerikas Antwort hieß es: »Die amerikanische Hilfe muß vor allem darauf gerichtet werden, eine Be­ obachtung der Wahlen zu gewährleisten. Erfahrungsgemäß sind dafür nichtstaat­ liche Organisationen am besten geeignet... Die Vereinigten Staaten können bei der Organisation unabhängiger Exit Polls am Tag der Abstimmung helfen. Besonders effektiv waren die Protestaktionen in den Ländern der Region unter Leitung von gesellschaftlichen Studentenorganisationen wie >Otpor< in Serbien, >Kmara< in Ge­ orgien, >Subr< in Weißrußland und >Pora!< in der Ukraine. Ihre Methoden sind gut bekannt. Diese Erfahrungen können und müssen auch in Rußland verbreitet wer­ den.«3808 Als Hintergrundinformation in diesem Zusammenhang ist es nicht unwichtig zu wissen, daß im Brüsseler Büro der Carnegie-Stiftung, einer der Hauptfinanziers eines prowestlichen Umsturzes in Rußland, Robert Kagan, sitzt, der Mitherausge­ ber der neokonservativen Zeitschrift Weekly Standard und Mitbegründer des >Pro­ ject for the New American Century< (PNAC). Den Enthüllungen der Zeitschrift Zeit-Fragen zufolge bewilligte der US-Kongreß im November 2005 für das Haushaltsjahr 2006 vier Millionen Dollar zwecks Ent­ wicklung politischer Parteien in Rußland. Hierzu heißt es in einem Bericht des USAußenministeriums:3809 »Die USA räumen den Bestrebungen der Verfechter von Demokratie und Menschenrechten in Europa und Eurasien, erfolgreich zu sein und deren Erfolge zu festigen, hohe Priorität ein. Die USA... wendeten ein Reihe von Instrumenten an, um die Demokratie und Menschenrechtsbemühungen im Jahre 2006 konkret zu unterstützen. Diese Instrumente reichten von Schulungen für Be­

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amte, Medien, demokratische Parteien und Vertreter von Nichtregierungsorgani­ sationen, über Wahlbeobachtungen und Beobachtungen von Strafjustizverfahren bis hin zur Möglichkeit, Gruppen der Zivilgesellschaft und Regierungsstrukturen aufzubauen. Darüber hinaus beinhalten diese Instrumente auch technische und rechtliche Unterstützung, Subventionen und die Erschließung von Märkten... Die USA förderten demokratisch-politische Prozesse und die Durchführung von fairen Wahlen, indem sie beispielsweise die Entwicklung politischer Parteien in Belarus unterstützten, die Wählergruppen in Serbien... stärken und indem sie Bemühun­ gen internationaler Wahlbeobachtungen in der Ukraine unterstützen. Zur Vorbe­ reitung der armenischen Wahlen im Jahre 2007 und 2008 unterstützten die USA Bestrebungen, das Wahlsystem zu verbessern, die Wählerlisten zu aktualisieren, die Öffentlichkeit über Abstimmungen und demokratische Prinzipien zu schulen und politische Parteien zu stärken. Eine ähnliche Unterstützung gewähren die USA, um freie und faire Wahlen in Rußland für die Duma im Dezember 2007 und für die Präsidentschaftswahlen im März 2008 zu fördern. Dies geschieht mittels Schulung politischer Parteien, Schulung von Vertretern der Massenmedien über die Bericht­ erstattung politischer Streitfragen und Schulung von Wählerinitiativen... Die USA leisteten ebenfalls technische Hilfe und unterstützten Gruppen der russischen Zi­ vilgesellschaft, Nichtregierungsorganisationen, Think-Tanks, Gewerkschaften und Watchdog-Organisationen, um deren aktive Beteiligung in der Gesellschaft zu stär­ ken... In Rußland wurden amerikanische Programme zur Förderung der Medien­ unabhängigkeit durch die Verbesserung professioneller Standards, Geschäftsprak­ tiken und sozial verantwortlichem Journalismus realisiert.«3810 Aufgrund dieser Pläne, die genauso wie in Serbien, Georgien, der Ukraine und Kirgistan auf einen verdeckten >sanften< Staatsstreich diesmal in Moskau hinaus­ liefen, war es kaum verwunderlich, daß die russische Staatsduma im März 2005 ein Gesetz zwecks besserer Kontrolle der Tätigkeiten von Nichtregierungsorganisatio­ nen erließ.3811 Der Wunschkandidat der USA war, wie oben erwähnt, Michail Kasjanow, der über enge Verbindungen zur Jelzin-Elite und vor allem auch zu Chodorkowski ver­ fügte. 2005 gab Kasjanow bekannt, daß er für die Präsidentschaftswahl im März 2008 kandidieren werde. Zu diesem Zweck gründete er eine eigene Partei »und verbündete sich mit der Vereinigten Bürgerfront des ehemaligen Schachweltmeis­ ters Garri Kasparow«.3812 Ziel der US-Machtelite war es, eine neue russische Regie­ rung ins Amt zu hieven, durch die eine Rückkehr zur Privatisierungspolitik der Jelzin-Ära gewährleistet war. Da jedoch - so die Analyse der Zeit-Fragen - die mei­ sten liberalen Politiker durch Korruption alles dafür getan hatten, sich beim Wäh­ ler unbeliebt zu machen, war Kasparow »in der prowestlichen putinfeindlichen Opposition die einzige Persönlichkeit mit landesweiter Popularität«.3813 Tatsächlich wurde Kasparow von den US-amerikanischen Organisationen, die schon hinter den osteuropäischen >Regimewechseln< standen, gezielt aufgebaut,

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und so wurde schnell bekannt, daß er über enge Kontakte zur neokonservativen Machtelite der USA verfügte: Den Enthüllungen der Zeit-Fragen zufolge ist Kaspa­ row Mitglied des >Beirats für Fragen der Nationalen Sicherheit< (National Security Advisory Council - NSAC) des von Frank Gaffney, einem Schützling des Neokon­ servativen Richard Perle, geleiteten militaristischen Think-Tanks >Center for Secu­ rity PolicyFreedom HouseBooz Allen Hamilton< (einer der größten Auftragnehmer der BusH-Administration) und von 1993 bis 1995 CI A-Chef.3814 Woolsey gehörte als Leiter von >Freedom HouseOrangenen Revolution< in der Ukraine. Kasparow und Kasjanow organisierten kurz vor dem G-8-Gipfel am 11. und 12. Juli 2006 in Moskau unter dem Namen >Anderes Rußland< eine Anti-Putin-Konfe­ renz, an der auch westliche Diplomaten und Vertreter einschlägig bekannter west­ licher Organisationen wie des Council on Foreign Relations, der >National Endow­ ment for Democracy< und des >Project on Transitional Democracies< teilnahmen. Mitorganisator war kein Geringerer als der US-Stratege Bruce Jackson, Lobbyist für die NATO-Erweiterung Richtung Schwarzes Meer.3815 Sponsor der Konferenz waren die >National Endowment for Democracy< und die Stiftungen des Spekulan­ ten George Soros. Zu den Teilnehmern der Konferenz gehörten neben Bruce Jack­ son auch der Präsident der >National Endowment for DemocracyCarnegie-Stiftung für Frieden< und von dem >Truman National Security ProjectProject on Transitional Democracies< seine Hauptaufgabe nach eigener Darstellung darin sieht, in den >Post 1989-Demokratien< in Osteuropa neue Eliten für eine gesellschaftspolitische Umgestaltung auszubilden.3818 In diesem solidari­ sierte er sich mit Kasparow und beklagte »Rußlands alarmierende Anzahl politi­ scher Gefangener, die Kontrolle des Kreml über die Medien, das gefährliche Wach­ sen der Korruption in der Regierung, die anhaltende Gewalt in Tschetschenien und die Rückkehr zu einem Einparteienstaat«.3819 Offen forderte er, daß die westlichen Staaten Druck auf Putin ausüben sollten, denn dieser müsse »zur Kenntnis neh­ men, daß Rußlands gegenwärtige Innen- und Außenpolitik für seine Nachbarn, für die internationale Gemeinschaft und für viele seiner Bürger unakzeptabel ist«. Als Beispiele dafür, daß sich Rußland in die »falsche Richtung« entwickele, nennt der Brief vor allem die Nationalisierung von Chodorkowskis Jukos-Konzern, die Ab­ schaffung der gewählten Provinzgouverneure, die staatliche Kontrolle über die Medien, das im November 2005 erlassene Gesetz zur Kontrolle der NGOs sowie die Unterstützung des Lukaschenko-Regimes in Weißrußland. Unterzeichner wa­ ren unter anderen sämtliche Vertreter der neokonservativen Machtelite wie Willi­ am K ristol, Robert K agan, Gary S chmitt, Randy S cheuneman, Carl G ershman, der Präsident der neokonservativen >Foundation for the Defence of Democraciesindirekten Strategie< zur Beseitigung des Putin-Systems. Tatsächlich aber blieb der Erfolg des Bündnisses Kasparow-Kasjanow aus. Folgt man der Analyse der Zeit-Fragen, lag dies im wesentlichen daran, daß es ihm nicht gelang, eine ausreichende Massenbasis bei der Wahlbevölkerung zu gewinnen. Bezeichnenderweise verweigerten andere Oppositionskräfte wie der >JablokoUnion rechter Kräfte< oder die kommunistische Partei der Russischen Föderation< diesem Bündnis die Gefolgschaft. So kam es, daß sich die Kasparow-Kasjanow>Opposition< auf recht dubiose Verbündete wie die >Nationalbolschewistischen Partei< (NBP), die Beobachtern zufolge ein fester Bestandteil der oppositionellen russischen Jugendkultur i st und in ihrer Symbolik au f faschistische wie kommu nisti­ sche Stilelemente zurückgreift, stützen mußte. Vieles spricht dafür, daß die Anzahl von Stalinisten und >NeonazisNationalbolschewistischen ParteiNeonazis< auf der Konferenz zeigt, wie vonseiten der USA daran gearbei­ tet wird, einen militanten Untergrund in der >Opposition< zu schaffen, der bei Bedarf zur Destabilisierung des Landes eingesetzt werden kann. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Darstellung der Washington Post über die geheime Koaliti­ on der US-Machtelite mit diesen Kräften: »Die Konferenz wurde teilweise von der Nationalen Stiftung für DemokratieUnsere größte Hoffnung ist, daß sie hilft, die russische Zivilgesellschaft voranzubringenDie überwältigende Mehr­ heit der Leute hier sind Leute, die schon immer für die Demokratie eingestanden sind, und wenn die hier sein können, dann ist das die beste Richtlinie für mich.Pate des KremlMenschenrechte< sind die westlichen Imperialisten höchst em­ pört... Offensichtlich haben im Kreml die nationalen Interessen Rußlands wieder Priorität, und damit gerät Moskau automatisch auf Kollisionskurs mit den globa­ len, imperialen Ambitionen Washingtons.«3832 Der US-Machtelite kommt es daher auf zwei entscheidende geopolitische Ziele an: Erstens gilt es, die unter Putin eingeleitete Renationalisierung des Energiebe­ reichs rückgängig zu machen, zweites kommt es darauf an, zu verhindern, daß es Rußland gelingt, das eurasische Energiepotential sowohl hinsichtlich der Erzeu­ gung als auch des Transports als Monopol in seine Hände zu bekommen. Um dies zu erreichen, werden in der US-Machtelite die traditionellen geopolitischen Muster angelsächsischer Schule bemüht und auf deren Grundlage alternative Pipelinetrans­ portkorridore entwickelt, die Rußland vom Energiemarkt der kaspischen und zen­ tralasiatischen Region fernhalten sollen. Darüber hinaus ist es der US-Machtelite gelungen, die Europäische Union auf einen proatlantischen, anti-russischen Kurs zu bringen, um diese als Instrument der eigenen Energiegeopolitik zum Einsatz zu bringen. Der Druck der EU auf Ruß­ land, die »Energiecharta« zu ratifizieren, sowie das von den USA im Hintergrund unterstützte europäische Pipelinekonzept >Nabucco< sind hier die wichtigsten Werk­ zeuge zur Verwirklichung einer gegen Rußland gerichteten gemeinsamen transat­ lantischen Energiegeopolitik. Wesensbestandteil dieses Handlungsplans ist überdies die Fortführung der be­ reits in der Ukraine, in Georgien und Kirgistan erfolgreich geübten Strategie der >sanften StaatsstreicheSouth StreamKosovo< sollte schließlich - so das Ergebnis der Konferenz des Ame­ rican Enterprise Instituts in Preßburg Ende April 2000 - der Schlußstrich unter eine von langer Hand vorbereitete geopolitische Strategie der USA gezogen werden, nämlich die Korrektur der Anfang 1945 in Jalta besprochenen Einflußsphären in Europa. Der Balkan sollte als Sprungbrett Richtung Kaspisches Meer und Zentral­ asien in das westliche Bündnissystem eingegliedert und zum Knotenpunkt alter­ nativer, Rußland umgehender Pipelinekorridore werden. Damit wäre dann ein Ein­ kreisungsring der >RimlandsSouth StreamMittelasien-Zentrum< sowie der Aufkauf des serbischen Energiekonzerns NIS durch Gazprom können nur vor diesem Hinter­ grund verstanden werden. Die Bedingungen des neuen Kalten Krieges zwischen der eurasischen Kontinen­ talmacht und der atlantischen Seemacht sind also am deutlichsten erkennbar auf den >Rimlands< der Transportkorridore zurückgekehrt. Die Energiefrage - so auch Jürgen Wagner - ist dabei das verbindende Element des transatlantischen Bünd­ nisses, um in die Frontstellung gegen ein wiedererstarkendes Rußland einzutreten. »Die Energiefrage bildet somit den Hintergrund für die sich abzeichnenden Kon­ turen des neuen Kalten Krieges«, und die Öl- und Gasfelder in Verbindung mit den sie erschließenden Transportkorridoren sind zu dem entscheidenden Schauplatz geworden, auf dem diese machtpolitische Auseinandersetzung derzeit ausgetra­ gen wird.3833 Auf diesen Grundlagen vollzieht sich nun auch die Machtprobe zwischen der global handelnden Seemacht USA einerseits und den kontinental gebundenen eu­ rasischen Mächten Rußland und China andererseits, die sich im Rahmen der SCO zu einem raumbegrenzten eurasischen Sicherheitsbündnis zusammengefunden haben. Der neokonservative Vordenker Robert Kagan spricht in diesem Zusam­ menhang von einer »Rückkehr der Geopolitik«, die er auch ideologisch auslegt. Er stellt eine Frontstellung zwischen »demokratischen« und »autoritären« Staaten fest: »Die Wiederkehr der Machtpolitik und Mächtekonkurrenz ist das erste Hauptmerk­ mal des 21. Jahrhunderts«, so eine Analyse der Wochenzeitung Die Zeit. »Darunter jedoch identifiziert Kagan ein tieferes, ideologisches Motiv: den Kampf zwischen

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Demokratie und Autokratie. China und Rußland sind nicht irgendwelche Mächte, sondern antiwestlich und antiliberal, selbst diktatorisch regiert und Schutzpatrone von Diktaturen wie Birma und Simbabwe.«3834 Militarismus-Experte Jürgen Wagner zitiert dabei eine Bedrohungsanalyse der Army Modernization Strategy vom Juni 2008: »Uns droht eine mögliche Rückkehr zu traditionellen Sicherheitsbedrohungen durch neu auftretende, fast ebenbürtige Mächte, und zwar jetzt, wo wir im weltweiten Wettstreit um knapper werdende Rohstoffe und Überseemärkte stehen.«3835 Hinzu kommt, daß die USA - so eine Studie des Zentrums der US-Geheimdienste National Intelligence Council - an politischem und wirtschaftlichem Einfluß innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte verlieren werden. Um ihr informelles Imperium aufrechterhalten zu können, sind die USA Jürgen Wagner zufolge bemüht, die NATO gegen ihre kontinentalen Her­ ausforderer Rußland und China in Stellung zu bringen und alle >Demokratien< für diese Strategie zu gewinnen. Aus diesem Grund ist geplant, die NATO zu einem unbegrenzten globalen Interventionsbündnis auszubauen, und in der Tat findet sich dieser Plan in den Stellungnahmen von Vertretern der US-Machtelite wieder. Will Marshall vom einflußreichen >Democratic Leadership Council< fordert, die NATO »von einem Nordamerikanisch-Europäischen Pakt in eine globale Allianz der freien Nationen« umzuwandeln. »Indem sie ihre Türen für Japan, Australien, Indien, Chile und eine Handvoll anderer stabiler Demokratien öffnet, würde die NATO sowohl ihre personellen als auch ihre finanziellen Ressourcen verbessern. Mehr noch, die NATO würde die politische Legitimität erhöhen, auf der globalen Bühne zu agieren.«3836 Die Ausweitung der NATO zu einer globalen Allianz wird auch von der NATOMilitärelite selbst als Ziel hervorgehoben. Jürgen Wagner zitiert aus einem Papier von fünf NATO-Generalen vom Januar 2008, in dem die »langfristige Vision einer Allianz der Demokratien von Alaska bis Finnland« unterstützt wurde.3837 Das Fun­ dament für diese Entwicklung wurde bereits auf dem NATO-Gipfeltreffen in Bu­ karest im April 2008 gelegt.3838 In der Abschlußerklärung des Gipfels hieß es, daß die Allianz großen Wert auf ihre »expandierenden und unterschiedlichen Bezie­ hungen mit Partnern um den gesamten Globus« lege. Die Ziele bei diesen Bezie­ hungen beinhalteten die Unterstützung für Operationen, Sicherheitskooperation und ein gemeinsames Verständnis über gemeinsame Sicherheitsinteressen und dar­ über hinaus, »die Förderung demokratischer Werte zu verbessern«.«3839 Wie eine Studie der >Stiftung Wissenschaft und Politik< darlegt, arbeiten die USA daran, mit Hilfe der NATO ein globales Eingreifsystem aufzubauen, das neben der Verdrängung der UN »die Möglichkeit bietet, die für die Stabilität des internatio­ nalen Systems als unverzichtbar geltende Vormachtrolle der USA in eine legitimie­ rende Struktur einzubetten«.3840 Die Formel von der »Allianz der Demokratien« soll der Auslegung Jürgen Wagners zufolge in diesem Zusammenhang dazu die­ nen, das westfälische Staatensystem, das auf dem Prinzip der Souveränität, der

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Unantastbarkeit und der Gleichheit aller Staaten beruht, allmählich durch ein neu­ es internationales hierarchisches System zu ersetzen, in dem die >Demokratien< das globale Deutungs- und Gewaltmonopol innehaben.3841 Dieses ideologische Gebilde dient somit auch dazu, autarke geschlossene Raum­ einheiten mit Interventionsverbot raumfremder Mächte, wie sie die SCO darstellt, um ihre Berechtigung zu bringen sowie politische und militärische Interventionen der USA einschließlich der indirekten Strategie der Regimewechsel in Eurasien zu rechtfertigen und dieser Imperialpolitik den institutioneilen Rahmen zu verleihen. Endziel soll es dabei sein, Rußland und gegebenenfalls auch China in die >Grand Area< des weltweit handelnden informellen transatlanischen Systems einzuglie­ dern.

Kapitel 11

Die neue US-Agenda der militärischen Einkreisung Rußlands: Raketenabwehrprogramm und Georgienkrieg Die US-Politik zur Erlangung der >Full Spectrum dominance< zielt darauf ab, die unangefochtene militärische Überlegenheit in allen strategischen Regionen, insbe­ sondere in Eurasien und seinem strategischen Umfeld, aufrechtzuerhalten und den Zugang zu strategischen Ressourcen zu sichern. Diese >Full spectrum dominance< sehen die US-Vertreter der Schule des >Neorealismus< in das Konzept des globalen amerikanischen >New Empire< eingebettet. »Ein neuer imperialer Moment ist ge­ kommen«, so die Foreign Affairs. »Das Chaos ist zu bedrohlich, um es zu ignorie­ ren.« Da alle bisherigen Ordnungskonzepte gescheitert seien, sei nunmehr eine glo­ bale amerikanisch-transatlantische Ordnungsmacht erforderlich.3842 Diese Schule »tritt für einen radikalen Wandel in der Weltordnung ein, in dem sich die amerika­ nische Allmacht und das >Ende der Geschichte< widerspiegeln sollen. Das amerika­ nische Modell der Demokratie soll - unter Einsatz der geeigneten Mittel und ohne Rücksicht auf die als überholt geltenden internationalen Instanzen - auf dem gan­ zen Globus verbreitet werden.«3843 Globale militärische Überlegenheit, verbunden mit einer messianischen Idee, sind die tragenden Säulen dieses neorealistischen Konzepts. Als Theorie der internationalen Politik wurde es nach dem Zweiten Weltkrieg »in den Vereinigten Staaten erfunden und gefördert von jenen, die der modernen Wirtschaftsmacht Amerika ihr Ges icht gegeben haben. Dazu zählen Ford-, Carnegie- und Rockefeller-Stiftung, das OSS (Office of Strategic Services, aus dem später die CIA wurde) und der Rat für Auswärtige Beziehungen (Council on Fo­ reign Relations, CFR), den man, zumindest in außenpolitischen Belangen, als Schatten­ regierung der USA bezeichnen könnte«.3844 Albert Wohlstetter, einer der Vordenker der neokonservativen Realisten, ver­ trat die Ansicht, daß eine Vormachtstellung der USA nur dann Sinn habe, wenn sie auch in den Dienst von offensiv vertretenen Werten gestellt werde.3845 In diese Weitsicht gehört die Aufteilung der internationalen Staatenwelt in Gut und Böse. Hier, so der französische Politologe Gilles Kepel, werde eine neue Verbindung zwi­ schen Militär und Politik geschaffen, die einen Sturz von Regimen, die als Teil einer >Achse des Bösen< oder als >Schurkenstaat< moralisch geächtet werden, legitimiert und die Förderung einer >guten< Zivilgesellschaft postuliert.3846 »Hinter dieser Stra­ tegie, die das Militär zum perfekt angepaßten und effizienten Instrument der Poli­ tik macht, steckt eine Weitsicht mit dem Anspruch, die universelle Moral an die Stelle der Realpolitik zu setzen und ihr zum Durchbruch zu verhelfen.«3847 Genau darin liegen K epel zufolge auch die Wurzeln des oben dargestellten Defense Planning Guidance (Fiscal Years 1994-1999), das 1992 von dem Wohlstetter-Schüler

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Paul Wolfowitz verfaßt wurde. Mit dem Zusammenbruch der UdSSR war nach der Auffassung der neokonservativen Realisten ein »Ende der Geschichte« einge­ treten, das die Möglichkeit geboten habe, das transatlantisch-amerikanische System zur letztverbindlichen moralischen und politischen Instanz der Welt zu erheben.3848 Vor diesem Hintergrund forderten die Neokonservativen eine Ausnutzung des ein­ getretenen »unipolaren Moments«, das mit dem »Ende der Geschichte« eingetre­ ten sei, um weltweit das Modell Amerikas zu fördern. »Die Zeit sei reif für jede Art von Offensive, mit der den höchsten Werten des Guten (die mit den richtig verstan­ denen Interessen der USA zusammenfallen) zum Durchbruch verholten werden könne.«3849 Verbunden war dies mit der Definition einer strategischen Feindschaft des transatlantischen Bündnisses gegenüber der islamischen, konfuzianischen und nicht zuletzt russisch-orthodoxen Welt, die mit Samuel Huntingtons Theorie vom »Kampf der Kulturen« begründet werden sollte.

1 Die US-Strategie der globalen militärischen Überlegenheit Die strategischen Folgen daraus zogen Bill Kristol und Robert Kagan in ihrem Aufsatz »Toward a Neo-Reaganite Foreign Policy«, der 1996 in den Foreign Affairs erschien: »Die USA müßten sich eine nicht zu übertreffende Militärkapazität zule­ gen und mindestens ein Viertel ihres nationalen Etats der Verteidigung widmen, um jeden möglichen Feind vor Angriffen abzuschrecken. In einer Weltordnung, in der jeder den großen amerikanischen Knüppel fürchte, solle so nicht nur der Frie­ den gesichert, sondern durch Druck auf die >Diktaturen von rechts und links< auch die Verbreitung demokratischer Ideale gefördert werden.«3850 Die USA hätten dem­ zufolge »die Pflicht, eine >wohlwollende Hegemonie< über die Welt auszuüben, in der Verhandlungen oder Kompromisse nicht wirklich Platz hätten. Die >zivilisier­ ten Nationen< unterstellten sich zum eigenen Wohl und dem der Menschheit Wa­ shingtons Führung. Die anderen, die Schurken, müßten eines Tages mit Sanktionen rechnen, wenn sie nicht bereuten und sich rehabilitierten.«3851 Dabei war sich die US-Machtelite darüber im klaren, daß die geopolitischen Herausforderer in Eurasien zu orten sind, was sowohl in dem Wolfowitz-Papier von 1992 als auch in den Veröffentlichungen Brzezinskis zum Ausdruck gekom­ men ist. Um das Aufkommen eines eurasischen Gegenspielers zu verhindern und damit die globale >Strategy of Predominance< abzusichern, forderten die Neokon­ servativen die Errichtung eines nationalen Schutzschildes, der die USA für feindli­ che Atommächte unangreifbar machen würde. Entsprechend hieß es auch in dem Dokument des »Project for the New American Century« mit dem Titel Rebuilding America‘s Defenses, daß »die Vereinigten Staaten eine globale Raketenabwehr ent­ wickeln und installieren müssen, um das amerikanische Heimatland und die ameri­ kanischen Alliierten zu verteidigen und um eine sichere Basis für die Beförderung amerikanischer Macht in alle Welt zu gewährleisten«, und zwar insbesondere ge­

XI. Die neue US-Agenda der militärischen Einkreisung Rußlands

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genüber den aufstrebenden eurasischen kontinentalen Konkurrenten Rußland und China. Dies wurde in diesem Strategiedokument auch deutlich gemacht: »Doch was letztlich die Größe und den Charakter unserer Nuklearstreitkräfte bestimmen sollte, ist nicht die numerische Parität mit russischen Kapazitäten, sondern die Bei­ behaltung amerikanischer strategischer Überlegenheit - und mit dieser Überlegen­ heit eine Möglichkeit zur Verhinderung einer Koalition feindlicher Nuklearmächte zu haben. US-amerikanische nukleare Überlegenheit ist nichts, dessen man sich schämen müßte; vielmehr wird sie ein wichtiges Element zur Bewahrung der ame­ rikanischen Führungsmacht in einer komplexeren und chaotischeren Welt sein.«3852

1.1 Die USA wollen den Atomkrieg wieder führbar machen Tatsächlich hatte das transatlantische Hegemonialbündnis nie Bereitschaft gezeigt, auf die nukleare Erstschlagsfähigkeit zu verzichten, was sowohl in dem Neuen Stra­ tegischen Konzept der NATO vom April 1999 als auch im Nuclear Posture Review der USA vom März 2002 zum Ausdruck kam. In dem NATO-Strategiekonzept war auch der Ersteinsatz von Nuklearwaffen vorgesehen, mit den Ziel, den Angreifer darüber im unklaren zu lassen, wie das Bündnis gegebenenfalls reagieren wür­ de.3853 Von zentraler Bedeutung für die US-Nuklearstrategie aber sollte die Penta­ gon-Studie Nuclear Posture Review (NPR) vom März 2002 sein, die zunächst geheim bleiben sollte, dann aber doch an die Öffentlichkeit gelangte. In diesem Bericht, der auch die Unterschrift des damaligen US-Verteidigungsministers Rumsfeld trug, wurden sieben Staaten zu >Schurkenstaaten< und zum möglichen Ziel eines atoma­ ren Erstschlages erklärt: Irak, Iran, Syrien Libyen, Nordkorea - und vor allem auch Rußland und China.3854 »Neben der Vergeltung für nukleare, biologische und che­ mische Attacken«, so das Nachrichtenmagazin Focus, »empfiehlt das Pentagon-Pa­ pier auch den >Offensiveinsatz< von Atomwaffen.«3855 Folgt man der Einschätzung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, so soll dieses Nuclear Posture Review dokumentieren, »daß die USA nach dem Ende des Kalten Kriegs dabei sind, die Zusammensetzung und die Einsatzbereiche ihres nuklearen Arsenals dem Ziel anzupassen, ihre Stellung als einzige verbliebene Supermacht auf Dauer zu zementieren. Die NPR zielt auf das Ende des bisherigen Abrüstungs­ prozesses, den Aufbau eines Schutzschildes gegen angreifende Nuklearraketen, die Entwicklung neuer Atomwaffen und eine fundamentale Erweiterung ihrer Einsatz­ bedingungen. Dafür sind die USA offenbar bereit, in Kauf zu nehmen, daß der Vertrag über die Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen ausgehöhlt wird«.3856 Russische Militärs wie auch der seinerzeitige russische Außenminister Igor Iwa­ now bezeichneten diese neue Nuklearstrategie der USA offen als eine neue Spielart des Kalten Krieges.3857 Das NPR sieht unter anderem auch den Einsatz von Atom­ waffen gegen solche Ziele vor, die Angriffe mit nichtnuklearen Waffen standhalten können, und das heißt, daß die USA bereit sind, Atomwaffen einzusetzen wie kon­ ventionelle Waffen auch. Damit ist aus der >Doktrin gegenseitig gesicherter Ver­

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nichtungunipolare Moment< im Sinne Charles Krauthammers auszunutzen, um die universale Vorherrschaft der USA zu sichern.

1.2 Rußland im Blickfeld US-amerikanischer Nuklear- und Raketenabwehrstrategie Daß Rußland und auch China im Blickfeld dieser US-Nuklear- und Raketenrüstung stehen, läßt sich den Strategiedokumenten der US-Machtelite unschwer entneh­ men. So hieß es in der Nationalen Sicherheitsstrategie vom September 2002: »Wir sind wachsam gegenüber einer erneuten Großmachtkonkurrenz.« Um diese von vorn­ herein zu unterbinden, müsse die Militärmacht der USA »groß genug sein, um mögliche Gegner davon abzuhalten, in der Hoffnung, die Macht der USA zu über­ treffen oder einzuholen, eine militärische Aufrüstung anzustreben«.3867 Ohne diese direkt zu nennen, waren Rußland und die aufstrebende Wel tmacht China die strate­ gischen Rivalen, die dieses Papier im Auge hatte. Deutlicher wurde eine Vorstudie zum Nuclear Posture Review, in der die Zielrich­ tung des nuklearen Aufrüstungsprogramms hervorgehoben wurde: »Washington kann heute nicht wissen, ob Rußland oder, was dies betrifft, auch China künftig neutral, freundlich oder Teil einer feindlichen Allianz sein werden. Aus diesem Grund ist es augenblicklich nicht vernünftig, den Charakter und die Qualität des amerikanischen strategischen Nukleararsenals auf eine annäherende Parität mit den russischen strategischen Nuklearkräften festzulegen.«3868 Aus diesem Grund bestehe für die USA die Notwendigkeit, sich einen Rüstungsvorsprung zu sichern. Demzufolge könne die Aufrechterhaltung einer zahlenmäßigen Überlegenheit »nützlich sein, um die US-Bereitschaft zu signalisieren, sich gegen jeden aggressi­ ven Rivalen zu behaupten... Eine große Zahl von Atomwaffen könnte v.a. gegen­ über einem feindlichen China oder Rußland - oder, noch schlimmer, einer sinorussischen Allianz - notwendig sein.«3869 Folgerichtig wurde Rußland in dem NPR dann auch als mögliches Ziel eines amerikanischen Nuklearschlages benannt und klar unterstrichen, daß die »USA für den Fall sich erheblich verschlechternder rus­ sisch-amerikanischer Beziehungen möglicherweise schnell in der Lage sein müs­ sen, ihre atomare Truppenstärke und Zusammensetzung zu verändern«.3870 Folgt man den Friedensforschern Thomas Mitsch und Jürgen Wagner, so würde sich mit dieser neuen Nuklearstrategie »die bisherige strategische Balance funda­ mental zuungunsten Rußlands verändern, wie das wichtigste wissenschaftliche Pentagon-Beratungsgremium, das >Defence Science BoardWenn die USA über eine solche (Erstschlags)Kapazität gegenüber irgendeinem Land verfü­ gen, dann behandeln wir dieses Land in derselben Kategorie wie ein mit Massen­

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vernichtungsmitteln bewaffneter Schurkenstaat - das bedeutet, ein Land, dessen Massenvernichtungsmittel die USA mit akzeptablen Risiken neutralisieren kann.< Mit an deren Wo rten, allein die Fäh igkeit, einen nuklearen Entwaffnungsschlag p lau­ sibel androhen zu können, könnte für Moskau zur Folge haben, daß es sich densel­ ben Erpressungen ausgesetzt sehen wird, wie sie in Washingtons Umgang mit >Schurkenstaaten< bereits heute die Normalität darstellen.«3871 Die strategische Unterlegenheit Rußlands spiegelt sich auch in den Rüstungs­ daten wieder. Thomas Mitsch und Jürgen Wagner zitieren in diesem Zusammen­ hang eine Berechnung des Bulletin for the Atomic Scientists, dem zufolge das russi­ sche Atomwaffenarsenal aufgrund schwerwiegender Finanzierungsprobleme noch weiter schrumpfen wird. Weitere US-Rüstungsexperten gehen davon aus, daß sich das russische Atomsprengkopfpotential von derzeit 3400 auf 400 bis 500 im Jahr 2020 reduzieren wird.3872 Demgegenüber scheinen die USA daran zu arbeiten, ihre nukleare Überlegenheit und Erstschlagsfähigkeit weiter auszubauen. Dazu - so Jürgen Wagner und Thomas Mitsch - paßt, daß sich die USA weigern, über das Jahr 2012 hinaus - also das Jahr, bis zu dem die Stationierung eines Raketenab­ wehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik abgeschlossen sein soll - eine Obergrenze für die strategischen Nuklearsprengköpfe und der Trägersysteme an­ zunehmen.3873 Des weiteren arbeiten die USA an einer Erhöhung der Zielgenauig­ keit des W-76-Sprengkopfes, mit dem die Fähigkeit zur Zerstörung russischer Ra­ ketensilos erheblich verbessert wird.3874 Jürgen Wagner zufolge ist auch der aktuelle nukleare Operationsplan der USA, der sogenannte >OPLAN 8044< vom Oktober 2003, gezielt auf die Zerstörung russischer und chinesischer Raketen, also auf eine Sicherung der Erstschlagskapazität, ausgerichtet.3875 Sämtliche Tatsachen und Umstände sprechen dafür, daß das in der Diskussion stehende Raketenabwehrprogramm den USA dazu dienen soll, das eigene Gebiet unverwundbar zu machen und die offensive Erstschlagsfähigkeit zur Verteidigung abzusichern. Das Element, das während des ersten Kalten Krieges die Supermächte davon abhielt, Atomwaffen gegeneinander einzusetzen, nämlich die wechselseitig garantierte VernichtungStrategy of Predominance< praktisch aufgekündigt, um im Bedarfsfall einen Krieg gegen Rußland unter Einschluß aller Waffensysteme uneingeschränkt führen zu können, ohne damit einen russischen Vergeltungsschlag befürchten zu müssen. So sieht es auch Rußland-Experte Kai Ehlers. Nach seiner Einschätzung ist das Raketenabwehrprogramm »der aktuelle Ausdruck einer seit dem Ende des Kalten Krieges seitens der USA betriebenen strategischen Umorientierung vom Gleichge­ wicht des Schreckens durch atomar bestückte Langstreckenraketen auf die Errei­

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chung einer atomaren Erstschlagkapazität durch ein Netz von Mittelstreckenrake­ ten. Die Raketen sollen in einem konventionellen Präventivschlag einen möglichen atomar bewaffneten Gegner so umfassend angreifen, daß er keine Gelegenheit mehr zum Einsatz seiner atomaren Abwehr findet«.3876 F. William Engdahl zufolge hatte der Direktor des Raketenabwehrprogrammes der US-Luftwaffe, Oberstleutnant Robert Bowman, das Raketenabwehrsystem daher au ch als das »fehlende Glied zum Erstschlag« bezeichnet. »Schaut man sich die Lokalisierung der Basen an«, so Kai Ehlers, »die wie ein Ring um Rußland gelegt sind, so bedarf es keiner langen Erklärung, gegen wen sie gerichtet sind. Schlag auf Schlag wurden seit Auflösung der Blockkonfrontation die neuen US-Basen implementiert: 1999, nach einer der neuen Lage gewidmeten gewissen Schamfrist, Camp Bondsteel an der Grenze zwischen Kosovo und Maze­ donien, Einsatzradius Mittlerer Osten, Kaspisches Meer, Rußland. In den Jahren darauf Stützpunkte in Ungarn, Bosnien, Albanien, Mazedonien, später Bulgarien. 2001 in Afghanistan, mit dem Einsatzbereich (neben China) Iran, Mittlerer Osten und wieder Rußland. Die Nato-Erweiterung nach Osteuropa, in den Kaukasus und nach Zentralasien hinein ist Teil dieser Strategie. Weitere Stützpunkte in Kirgistan, Usbekistan, Pakistan kamen hinzu, unmittelbares Einsatzgebiet wieder Rußland. Mit Japan wurde 2007 ein Kooperationsvertrag zur Raketenabwehr abgeschlossen. Einsatzraum China, aber auch Rußland. Japan gilt den USA als Brückenkopf nach Eurasien. Nachdem in Alaska bereits US-Radarstationen von den USA errichtet wurden, die den Norden Rußlands ausspähen, fürchten russische Militärs jetzt, daß in Zukunft auch der Süden Rußlands ausgespäht werden soll.«3877 Es geht hier also Kai Ehlers zufolge um nichts anderes als um eine militärische Einkreisung Rußlands: Im Zentrum dieses gewaltigen Netzes von Stützpunkten liege schließlich nicht Korea, nicht der Iran, nicht einmal hauptsächlich China, son­ dern unübersehbar Rußland. »Rußland ist die einzige Macht, die, gestützt auf ihre atomare Bewaffnung sowie auf ihre potentielle Autarkie als Herzland des rohstoff­ reichen Eurasiens und allen Schwächen ihrer Transformationskrise zum Trotz dem Weltherrschaftsanspruch der USA bisher nicht untergeordnet ist. Die aktuellen Vorstöße zur Stationierung von Raketen in Osteuropa und in der Ukraine wären geeignet, den Ring um Rußland endgültig zu schließen.«3878 Auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel beschreibt das US-Raketenabwehr­ programm als ein Mittel zur lückenlosen Erfassung aller militärischen Aktivitäten in Eurasien: »Es ist fürwahr keine Kleinigkeit, die die Amerikaner da planen. Der Raketenabwehrschirm, eine Fortsetzung der SDI-Pläne von Ronald Reagan, zählt zu den ambitioniertesten Rüstungsprojekten der Geschichte. Riesige Radarstatio­ nen in Alaska, Großbritannien und Kalifornien sollen jedes Projektil erfassen und mit Abwehrraketen zerstören. 16 US-Kriegsschiffe sind bereits umgerüstet, um bei der Jagd zu helfen. 54 Abfangraketen wollen die USA bis 2013 stationieren, 10 da­ von in Europa, denn hier, so Washington, klaffe eine riesige Lücke im Schirm, wes­

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halb vor allem die US-Ostküste nach amerikanischer Ansicht ungeschützt sei. Dieses Loch soll jetzt durch die Stationierung von Raketen in Polen geschlossen werden... In Tschechien würde ein bisher auf den Marshall-Inseln im Pazifischen Ozean in­ stalliertes Radar aufgestellt und weiterentwickelt werden.«3879 Ursprünglich geplant war, dieses Projekt bis zum Jahr 2012/13 fertigzustellen. Deutlich heben Keir A. L ieber und Daryl G. Press in der Zeitschrift Foreign Affairs vom März 2006 in ihrem Aufsatz »The Rise of U.S. Nuclear Primacy« hervor, wor­ um es dabei wirklich geht: »Streben die Vereinigten Staaten mit Absicht die nu­ kleare Dominanz an?... Die Natur der vorgenommenen Veränderungen bezüglich des Arsenals und der offiziellen Politik und Rhetorik stützen diese Schlußfolge­ rung... Mit anderen Worten, die gegenwärtigen und künftigen Nuklearstreitkräfte der USA scheinen dafür konzipiert zu sein, einen präemptiven Entwaffnungsschlag gegen Rußland oder China zu führen.«3880 Dieses Ziel wird dann weiter unterstri­ chen: »Zum ersten Mal in fast 50 Jahren stehen die Vereinigten Staaten an der Schwelle zur nuklearen Vormachtstellung. Vermutlich werden die Vereinigten Staaten bald in der Lage sein, Rußlands oder Chinas Arsenale nuklearer Langstreckenwaffen in einem Erstsc hlag zu zerstören. Diese dramatische Verlagerung des nuklearen Macht­ gleichgewichts ergibt sich aus einer Reihe von Verbesserungen in den Nuklear­ systemen der Vereinigten Staaten, dem ungeheuer raschen Verfall des russischen Arsenals und der eiszeitlichen Modernisierungsgeschwindigkeit der nuklearen Waf­ fensysteme Chinas. Wenn sich die Politik Washingtons nicht ändert und Moskau oder Peking keine Schritte unternehmen, die Größe und Bereitschaft ihrer Streit­ kräfte zu steigern, werden Rußland und China - und der Rest der Welt - noch viele Jahre im Schatten der nuklearen Vormachtstellung der USA leben.«3881 Darüber hinaus stellt der Artikel unverblümt klar, daß das Abwehrprogramm nichts mit einer etwaigen Verteidigungsstrategie zu tun hat, im Gegenteil: »Die Art von Raketenabwehr, die von den USA wahrscheinlich zum Einsatz gebracht wer­ den wird, wäre primär in einem offensiven Kontext sinnvoll - nicht in einem defen­ siven - als Ergänzung einer amerikanischen Erstschlagsfähigkeit, nicht als Schutz­ schild an sich. Wenn die Vereinigten Staaten einen Nuklearangriff gegen Rußland (oder China) führten, bliebe dem angegriffenen Land nur ein kleines Arsenal übrig - wenn überhaupt. Dann wäre sogar ein relativ bescheidenes oder wenig wirksa­ mes Raketenabwehrsystem zur Verteidigung gegen Vergeltungsschläge ausrei­ chend, denn der schwer angeschlagene Feind hätte nur noch wenige Sprengköpfe und Ablenkungsattrappen... Washingtons konsistente Weigerung, einen Erstschlag auszuschließen, und die Entwicklung einer begrenzten Fähigkeit zur Raketenab­ wehr bekommen so eine neue, möglicherweise weit bedrohlichere Bedeutung.«3882 Auch nach F. William Engdahl ist dieses Raketenabwehrprogramm Bestandteil der US-amerikanischen >Full Spectrum Dominance< in Eurasien. »Die Vollendung des europäischen Raketenabwehrsystems, die Militarisierung des gesamten Mitt­ leren Ostens, die Einkreisung Rußlands und Chinas, ausgehend von einem Ver­

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bund neuer US-Militärstützpunkte, von denen viele im Namen des Kriegs gegen den Terrorismus errichtet werden, all dies erscheint dem Kreml mittlerweile als Teil einer systematischen amerikanischen Strategie der >Full Spectrum DominanceEscalation Dominance360-Grad-Blick< in den Süden Rußlands hinein verschaffen könnten, so daß dann jede ballistische Aktivität russischer Streit­ kräfte im Visier der USA wäre.3888 Dabei mußten die Bekundungen der USA, daß dieses Raketenabwehrsystem gegen >Schurkenstaaten< wie Iran und Nordkorea gerichtet sei, als Täuschung be­ griffen werden. »Iran«, so die damalige Einschätzung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel, »ist für noch viele Jahre davon entfernt, weitreichende Raketen zu ent­ wickeln und mit Nuklearsprengköpfen zu bestücken. Und Nordkorea ist das Groß­ maul unter den Atomstaaten. Pjönjangs >Taepodong-2< wird auf eine Höchstreich­ weite von allenfalls 4300 Kilometer geschätzt. Als Nordkorea im vergangenen Juli (2006) zu Testzwecken eine Langstreckenrakete abfeuerte, befahl der US-Präsident die volle Alarmbereitschaft für Fort Greely - und ignorierte gleichzeitig die aufge­ regten Forderungen, die Startrampe zu bombardieren. Am Ende stürzte Kim Jong Ils Rakete nur 40 Sekunden nach dem Start in den Pazifik. Ob und wann die selbst­ erklärte Atommacht ihre wenig zuverlässigen Flugkörper mit einem Nuklearspreng­ kopf bestücken kann, gilt selbst unter Militärs als völlig offen. Iran hat bislang nur Raketen mit bis zu 1600 Kilometer Reichweite erprobt. Selbst sein angebliches Zu­ kunftsmodell vom Typ >Schahab-5Taepodongfünf Nein< an die russische Adresse - kein russisches >Veto< gegen Nato-Beitritte, kein russi­ sches >droit de regard< zu Nato-Friedensmissionen, keine privilegierten Beziehun­ gen Rußlands zur Nato, keine internationale Anerkennung russischer Interventi­ onsrechte im >ehemals sowjetischen RaumInteressensphären< in Europa wurden dem Moskauer Anspruch und der dort gezogenen >roten LinieSüdosteuropaErweiterung< nur noch von einer >Öffnung< der Nato für freiheitlich-demokrati­ sche Länder gesprochen. Clinton nahm nun für eine unbestimmte Zukunft auch eine Aufnahme der Ukraine und Georgiens in die Nato in Aussicht. Noch Ende 2000 machte er Georgien ein erstes Angebot. Bush setzte diese Politik fort. 2005 sprach er gegenüber dem Nato-Generalsekretär die Erwartung aus, daß die Ukraine noch während seiner Zeit im Weißen Haus Nato-Mitglied werde«.3904 Vor diesem Hintergrund, so Lothar R ühl, »wird die Stationierung neuer Raketen­ abwehrsysteme durch Amerika in Polen und Böhmen, die Anlage von Luftstütz­ punkten und Depots der amerikanischen Streitkräfte in Rumänien oder Bulgarien in Moskau als eine strategische Provokation Amerikas mit Hilfe der Nato angese­ hen. Die Nato erscheint in dieser Sicht als das Instrument einer Ausbreitung und Festigung amerikanischer Kontrolle über Europa zur Ausgrenzung Rußlands und zur militärischen Beherrschung des weiteren Mittleren Ostens von außen: aus dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer über den Kaukasus in das Kaspische Be­ cken«.3905 In seiner berühmten Rede auf der 43. Münchener Sicherheitskonferenz im Feb­ ruar 2007 warnte Putin vor den Folgen dieser Politik, in der er die universale Vor­ herrschaftspolitik der USA und insbesondere auch die NATO-Erweiterung als ern­ ste Bedrohung russischer Interessen sowie als einen Bruch von in den Jahren 1990/ 1991 gemachten Zusagen herausstellte. Deutlicher wurde er in seiner Rede zur Lage der Nation vom 26. April 2007, in der er dem Westen, insbesondere den USA, vor­ warf, sich nach Art von Kolonialmächten in die inneren Angelegenheiten Rußlands einzumischen. »Nicht allen sage die stabile Entwicklung Rußlands zu, sagte Putin... Die einen - das war auf die politischen Gegner im Inland und die >Oligarchen< gemünzt - strebten unter dem Deckmantel demokratischer Phrasen danach, das Land wie in der jüngsten Vergangenheit ungestraft ausplündern zu können. Den anderen - damit war der Westen gemeint - liege daran, Rußland die wirtschaftli­ che und politische Selbständigkeit zu nehmen. Unter dem Vorwand, Demokratie zu verbreiten, und unter Einsatz von Geld werde versucht, sich einseitige Vorteile zu verschaffen und die eigenen Interessen in Rußland abzusichern.«3906 Auch nach Einschätzung von Gernot Erler, Staatsminister im Auswärtigen Amt

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der Bundesrepublik Deutschland, ist diese Haltung Rußlands nur vor dem Hinter­ grund der transatlantischen Geopolitik in Eurasien zu verstehen. Auslöser seien, daß »sich westliche Staaten in regionalen Prozessen wie Georgien einmischen, die Nicht-Ratifizierung des KSE-Vertrages durch Nato-Staaten, die alte Phobie der Ein­ kreisung Rußlands, daß die Russen bei strategischen Fragen - wie dem Status des Kosovo - erst nach internen Beratungen des Westens einbezogen werden, und Moskaus neues Selbstbewußtsein. Das wird von der Kreml-Führung nicht mehr hingenommen«.3907 In der Tat sehen russische Strategen hinter dem Raketenabwehrprogramm eine verborgene strategische Agenda der USA, um Europa zu spalten, damit den Ein­ fluß der USA über Europa herzustellen und auf diese Weise den Einkreisungsring an der Westflanke Rußlands abzuschließen. Das US-Projekt »teilt... die EU in Vor­ zugspartner der USA (>neues Europaaltes Europaund eines hegemonialen Macht­ anspruchs Amerikas< auf die ganze Region, hat Rußland den Abzug seiner Militär­ einheiten verschoben. Mit einem Abzug der russischen Truppen aus dem Kauka­

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sus wäre die Tür für die Aufnahme von Georgien und Aserbaidschan in die NATO weit geöffnet.«3915 Auch nach Analysen der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung hatten die USA bereits im Vorfeld dazu beigetragen, die Auflösung des KSE-Ver­ trages einzuleiten: »Schon um die Jahrtausendwende war klar, daß Rußland aus seiner Sicht mit einer Verbesserung des Schutzes des eigenen Territoriums reagie­ ren würde, wenn die USA sich gegen feindliche Raketen sicherten. Daß damals noch von einem anderen Schutzschild, einem gegen die Geschosse der einstigen Sowjetunion, die Rede war, ändert für Moskau strukturell offenbar nichts. Hinzu kommt, daß die Nato Rußland seinerzeit versichert hatte, keine relevanten Trup­ pen in den neuen Mitgliedsstaaten Mittelosteuropas zu stationieren. Die USA verhal­ ten sich nun, als seien ihre... Systeme gegen iranische Projektile in diesem Sinne nicht relevant. Die russische Regierung sieht das anders, zumal Washington auch überlegt, seine Streitkräfte in Europa umzugruppieren und mehr im Osten Rich­ tung ru ssischer Grenze zu stationieren. Im Auswärtigen Amt in Berlin i st man daher wenig überrascht über Putins neuen Vorstoß. Moskau habe seine Beschwernisse wegen des KSE-Vertrags schon öfter geäußert, heißt es. Die Affäre hat noch eine weitere Pointe: Moskau hat die 1999er Variante des KSE-Vertrags ratifiziert - die Nato-Staaten nicht. Sie verlangen, daß Moskau zunächst seine Truppen aus Geor­ gien und Moldawien zurückzieht. Das geschieht bereits, räumen deutsche Diplo­ maten ebenfalls ein.«3916 b) Rußlands Antwort blieb aber nicht nur auf dem diplomatischen Sektor be­ schränkt, sondern es aktivierte gleichzeitig sein Rüstungspotential. So hat Rußland 2007 mit dem Stapellauf der >Jurij Dolgoruki< den Grundstein zur Modernisierung seiner Atom-U-Boot-Flotte gelegt. Hierbei handelt es sich um das erste einer gan­ zen Serie nuklearbetriebener Unterwasserschiffe der Borej-Klasse, die künftig an die Stelle des bisherigen BDRM-Typs treten wird. Diese sollen mit 16 der ebenfalls neu entwickelten Bulawa-Interkontinentalraketen bestückt werden, die 8000 km weit fliegen und zehn unabhängig voneinander lenkbare Gefechtsköpfe besitzen.3917 Die U-Boote der neuen Generation fügen sich ein in das im Februar 2007 verkünde­ te Programm zur Auf- und Umrüstung der russischen Streitkräfte zu Lande, in der Luft sowie auf und unter dem Wasser. Bis zum Jahr 2015 - so die Analyse der Tages­ zeitung Die Welt - stellt der Kreml dafür 145 Milliarden Euro bereit. »Für fast die Hälfte der Summe werden so viele neue Waffen angeschafft wie in der gesamten Zeit seit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 nicht. Verglichen mit den USMilitärausgaben, bleibt das freilich noch vergleichsweise bescheiden: Washington standen im vergangenen Jahr (2006) insgesamt 470 Milliarden Dollar (rund 362 Milliarden Euro) zur Verfügung.«3918 Zur Wiederherstellung des mit dem Raketenabwehrsystem gestörten strategi­ schen Gleichgewichts testete Rußland im Mai 2007 einen Typ der neuen Generation

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russischer Interkontinentalraketen, nämlich der RS-24, die imstande ist, zehn Spreng­ köpfe zu tragen. Mit dieser Rakete, so Putin, habe Rußland »eine Antwort auf die US-Pläne zum Aufbau einer Raketenabwehr in Europa« gegeben. Da die USA mit dieser Politik einen neuen Rüstungswettlauf in Gang gesetzt hätten, sei Rußland in die Zwangslage gesetzt worden, sein strategisches Potential zu stärken, »um die globale strategische Balance zu erhalten«.3919 Wie der stellvertretende russische Ministerpräsident Sergej Iwanow erklärte, handle es sich bei der RS-24 um eine neue Version der Topol-M, nur mit dem Unterschied, daß sie Mehrfachsprengköpfe tragen könne. Damit aber wäre nach Ansicht von Militärexperten das US-Raketen­ abwehrsystem neutralisiert: »Sollte die neue RS-24 tatsächlich dieselben Eigenschaf­ ten wie die Topol-M aufweisen, wäre selbst auf mittlere Sicht eine Abwehr gegen diese Klasse von ICBM3920 kaum denkbar. Die amerikanischen Abwehrraketen, die in Nordostpolen stationiert werden sollen, könnten theoretisch russische ICBM in einer Flughöhe von 50 bis 150 Kilometern noch über Rußland vernichten. Hierzu müßten US-Satelliten den Raketenstart möglichst schnell orten, in Sekundenbruch­ teilen die ballistische Flugbahn der ICBM berechnen und die Daten an die Abwehr­ raketenbasis senden, die einen entsprechenden Abfangkurs berechnen würde. Ge­ nau dieses Vorgehen wird bei einer Topol-M erschwert, da diese Rakete eine >semiballistische Flugbahn< einschlagen kann: Steuerflossen und kleine Triebwer­ ke am Raketenrumpf erzeugen zufällige Abweichungen von der ballistischen Flug­ bahn, die Berechnung des Abfangkurses für die Abwehrraketen wird so nahezu unmöglich gemacht. Rein theoretisch wäre eine Zerstörung des Topol-M-Gefechts­ kopfes beim Wiedereintritt in die Atmosphäre - also bereits über dem Zielgebiet am einfachsten zu bewerkstelligen, doch auch hier sind bei der Topol-M Gegen­ maßnahmen in Form von Täuschkörpern ergriffen worden. Zudem wäre es selbst auf lange Sicht unmöglich, gleichzeitig zehn Sprengköpfe abzufangen - selbst wenn sie sich nur auf einer ballistischen Flugbahn zum Ziel bewegen. Überdies testete das russische Militär... noch die neue R-500 Cruise Missile, eine voll manövrierfähige Flügelrakete mit einer Reichweite von 280 Kilometern. Nach Ansicht westlicher Mi­ litärexperten würde dieses System aus der Region um Kaliningrad die in Nordostpo­ len geplante Raketenbasis innerhalb weniger Minuten ausschalten können.«3921 Damit scheint Rußland wieder in der Lage zu sein, die von den USA bedrohte atomare Abschreckungsfähigkeit der russischen Streitkräfte wiederherstellen zu können. Ergänzt werden soll dies durch die Stationierung von Kurzstreckenraketen vom Typ >Iskanderunter dem Vorwand der Verletzung der Menschenrechte< und die Zulassung westlicher Unternehmen zu den Rohstoffquellen verlangen. Unter dem Eindruck von Militärschlägen könne gar der Einsatz von Friedenstruppen der Nato in Rußland, die Abtrennung der Region Kaliningrad, von Teilen des Nord­ kaukasus und der Kaspi-Region verlangt werden«3926 - ergänzt um mögliche ame­ rikanische Forderungen nach internationaler Kontrolle der russischen Öl- und Gas­ wirtschaft sowie die Beobachtung der russischen Nuklearstreitkräfte durch die NATO. Als Folgerung aus diesem Bedrohungsszenario fordern die Analysten ei­ nen »Wiederaufbau der Armee, der Rüstungsindustrie, der Schaffung neuer effek­ tiver Mittel des bewaffneten Kampfes«. Lediglich durch eine Wiederherstellung der Militärmacht könne Rußland wieder in die Lage versetzt werden, diesen Her­ ausforderungen zu begegnen. d) Auf dem G-8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 versuchte Putin durch einen klugen Schachzug herauszufinden, ob es den USA bei ihren Plänen zur Er­ richtung von Raketenabwehrsystemen in Polen und der Tschechischen Republik tatsächlich um die Abwehr etwaiger Bedrohungen aus dem Iran geht. Er schlug den USA vor, bei einem solchen Abfangsystem zusammenzuarbeiten. Konkret reg­ te Putin an, ein gemeinsames Raketenabwehrsystem mit den USA in Aserbaidschan aufzubauen, und zwar unter Nutzung der von Rußland in einem Vertrag mit Baku im Jahre 2002 gepachteten Frühwarnanlage Gabala.3927 Die Radaranlage in Gabala war 1985 als Teil des sowjetischen Frühwarnsystems gegen Raketenangriffe errich­

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tet worden. Mit diesem Horchposten können Militärbewegungen im Radius von 6000 Kilometern ausgespäht werden, und er soll in der Lage sein, Raketenstarts in den Ländern der südlichen Hemisphäre zu registrieren und die Flugbahn der Ra­ keten zu verfolgen. Von Gabala aus wird so der Luftraum und der Weltraum über Iran, Pakistan und der Türkei, Indien, Irak und eines Teils von China überwacht.3928 Auch nach der Einschätzung von Sascha Lange von der >Stiftung Wissenschaft und Politik< ist diese Anlage für den behaupteten Hauptzweck des Raketenabwehrsy­ stems recht günstig: Demzufolge läßt eine Anlage in Aserbaidschan selbst im Ver­ gleich zu Georgien noch eineinhalb Minuten mehr Zeit zum Reagieren. »Putins Angebot hat einen großen Vorteil: Es gäbe bei einem Abschuß aus Iran sehr früh sehr gute Daten über die Flugbahn der ballistischen Rakete. Entsprechend gut könnte man mit Abfangraketen reagieren.«3929 Als Gegenleistung forderte Putin die Aufgabe der US-amerikanischen Pläne in Osteuropa, mit denen die USA weniger den Iran beobachten können, sondern viel­ mehr einen genauen Einblick in die Tests von Langstreckenraketen in Zentralruß­ land und bei der russischen Nordmeerflotte erhalten würden.3930 Wie der russische General Nikolaj Besbodorow erklärte, ging es mit diesem Vorschlag Putins darum, herauszufinden, worum es den USA wirklich gehe.3931 Die USA jedoch hatten keiner­ lei Bereitschaft gezeigt, auf die Stationierung ihres Abwehrsystems in Polen und der Tschechischen Republik zu verzichten,3932 und in NATO-Kreisen sah man den Vorschlag Putins eher skeptisch. NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer äußerte Zweifel, da sich die von Putin vorgeschlagene Anlage »ein bißchen sehr nahe« an den >Schurkenstaaten< befinde.3933 Diese Haltung der USA und der NATO ist sehr aufschlußreich, zumal der Putinsche Vorschlag für beide Seiten Vorteile mit sich gebracht hätte. Zum einen hätte sich die sicherheitspolitische Lage Rußlands verbessert: »Der Aufbau von US-Rake­ tenstationen in Polen und Tschechien, selbst wenn es in Kooperation mit Rußland geschähe, liefe darauf hinaus, US-Präsenz in den anti-russischen Problemstreifen zwischen EU und Rußland zu holen und einen Dauerkonflikt zwischen EU und Rußland zu institutionalisieren; in Aserbaidschan dagegen befände man sich ge­ wissermaßen auf neutralem Gelände und zudem unmittelbar vor den Toren der Kräfte, die es nach übereinstimmenden Positionen von USA, Rußland und EU im Zaum zu halten gilt.«3934 Für diese Sicht - so Kai Ehlers - spreche auch, daß Aserbaidschans Präsident Alijew keine Probleme mit einer solchen Nutzung der schon bestehenden russi­ schen Station Gabala sehe. Gleichzeitig - so die Einschätzung der Süddeutschen Zei­ tung - wäre den geopolitischen Interessen der USA Rechnung getragen worden: »Für die Amerikaner muß das Angebot Putins schon deshalb interessant sein, weil es strategische Vorteile verspricht, wenn Washington es denn ernst meint mit sei­ ner Furcht vor iranischen Langstreckenraketen... Für die USA hätte eine Koopera­ tion mit Aserbaidschan einen weiteren Nutzen. Das Land am Kaspischen Meer gilt

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seit vielen Jahren als strategischer Partner der Amerikaner. Ausgestattet mit gro­ ßen Öl- und Gasreserven, ist Aserbaidschan ein begehrter Energielieferant, über dessen Gebiet zudem eine neue Pipeline verläuft, die Rußland umgeht. Dort eine Radaranlage zu betreiben - wenngleich gemeinsam mit Rußland - wäre für die USA verlockend, denn es würde ihren Einfluß in Baku deutlich stärken.«3935 Daß die USA dies nicht ausnutzten, unterstützt daher nur die These, daß es sich bei der angeblichen Bedrohung durch iranische Marschflugkörper lediglich um einen Vor­ wand handelt und es dagegen in Wirklichkeit darum geht, die US-Strategie der >Full Spectrum Dominance< in Eurasien zu verwirklichen, deren Vorbedingung die Zerstörung der russischen Zweitschlagkapazität ist. Damit läßt sich als Ergebnis festhalten, daß sich mit der Verwirklichung des USRaketenabwehrsystems die geostrategische Lage Rußlands weiterhin verschlechtern wird und weitere militärpolitische Gegenmaßnahmen Moskaus geradezu heraus­ fordern werden. Wie Lothar Rühl darstellt, hat Rußland mit der NATO-Erweite­ rung jegliche Interessensphäre in Europa verloren, und mit dieser Entwicklung ist eine westliche Anerkennung einer solchen auf dem Gebiet der >Gemeinschaft Un­ abhängiger Staaten< praktisch ausgeschlossen.3936 Im NATO-Rußland-Rat, der in­ folge des einseitigen Vorgehens der NATO im Kosovo-Krieg 1999 von Rußland auf Eis gelegt und nach 2001 wieder neu belebt wurde, hat Moskau lediglich ein Mitspracherecht, aber keinerlei Mitentscheidungsrecht, mit der Folge, daß jede Expansion der Zuständigkeiten des transatlantischen Bündnisses auch gegen rus­ sische Interessen vorangetrieben w erden k ann. M it d er Verwirklic hung des Raketen­ abwehrsystems würde Rußland zum Objekt der westlich-transatlantischen Politik herabgestuft; ohne vorbeugende Militärmaßnahme von seiner Seite aus würde es durch das geplante US-Raketenabwehrsystem und die offensive Nuklearstrategie Washingtons erpreßbar gemacht.

2 Der Georgienkrieg im August 2008 - Amerikas erster Stellvertreterkrieg gegen Rußland Will eine raumfremde Macht eine indirekte Strategie zur Destabilisierung der Rus­ sischen Föderation starten, so ist hierfür der Kaukasus der beste Ansatzpunkt. Wie oben bereits dargestellt, können separatistische Bewegungen im Transkaukasus einen Dominoeffekt über den Nordkaukasus bis in die Wolgaregion hervorrufen, an dessen Ende die Spaltung der Russischen Föderation stehen kann. Kurz gesagt, der Kaukasus ist der Ort, von dem aus ein geopolitischer Keil in die Föderation getrieben werden kann, um den europäischen Teil Rußlands vom rohstoffreichen zentralasiatisch-sibirischen Raum abzuspalten. Daß die US-Machtelite insgeheim auf diese Strategie setzt, ist oben am Beispiel Tschetschenien und Georgien aufge­ zeigt worden und wurde im August 2008 vom Präsidentschaftskandidaten der USRepublikaner John McCain bestätigt, als dieser angesichts islamistischer Abtren­ nungsbestrebungen in der kaukasischen Teilrepublik Inguschetien erklärte, man

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müsse jetzt über die »Unabhängigkeit Tschetscheniens und des russischen Nord­ kaukasus nachdenken«.3937 Des weiteren ist der Kaukasus der geopolitische Knotenpunkt der eurasischen Energiekorridore. Wer diesen Brückenkopf kontrolliert, bestimmt den Fluß der Erd­ öl- und Erdgasströme aus der zentralasiatischen Region. Dabei kommt Georgien als dem Schlüsselstaat des Kaukasus die maßgebliche Rolle beim stillen indirekten Krieg gegen Rußland zu, 3938 denn es stellt sowohl für die EU als auch für die NATOStaaten das zentrale geographische Gebiet dar, um Rußland vom Energieexport abzuschneiden.3939 Georgien ist das entscheidende Transitland des von der transat­ lantischen Machtelite ins Auge gefaßten Ost-West-Energiekorridors, der das kaspi­ sche und zentralasiatische Erdöl und Erdgas unter Umgehung Rußlands in den Westen transportieren soll. Geopolitik-Experte Thomas Immanuel Steinberg spricht hier gleichfalls von einer Schlüsselstellung Georgiens im westlich beherrschten Energietransportsystem.3940 Die maßgeblichen Projekte des transatlantischen Bündnisses sind hierbei die Baku-Tiflis-Ceyhan-(BTC)-Erdölpipeline sowie die >NabuccoSouth Stream< (russisch-italienische Gaspipeline durch das Schwarze Meer über Varna in Bulgarien) und >Blue Stream< (von Rußland durch das Schwarze Meer in die Türkei) versucht Rußland, hier entgegenzusteuern und über direkte Energieleitungen nach West- und Südeuropa einen ungestörten Energie­ export, ohne die Kontrolle von äußerst US-freundlichen ehemaligen Ostblockstaa­ ten, sicherzustellen. Insbesondere die USA hatten deshalb auf die georgische Karte gesetzt, mit dem Ziel, Rußlands politischen Einfluß in Europa zurückzudrängen sowie den Aufstieg Rußlands zur Industriemacht zu verhindern«.3941 Der Erfolg der antirussischen Containment-Politik der USA setzt daher ein in der NATO ein­ gebundenes zentralisiertes Georgien voraus, und daher müssen Georgiens unge­ löste Abtrennungskonflikte auch vor dem Hintergrund des Konkurrenzkampfes zwischen dem transatlantischen >NabuccoSouth StreamAbhängigkeit< Europas von rus­ sischen Gasimporten, die derzeit bei 40 % der Lieferungen liegt, vermindet werden. Die USA, so der europäische Pressedienst euractiv, bemühten >sich schon lange um die Errichtung von Öl- und Gaspipelines, die aus dem Kaspischen Meer an Ruß­ land vorbei führen und vor allem durch Georgien verlaufenRosenrevolution< Von der Einrichtung des Regimes von Michail Saakaschwili im Zuge der >Rosen­ revolution< 2003 versprachen sich die USA eine Umsetzung ihrer Strategie. Damit Georgien seine zugedachte Rolle als Stabilitätsanker zur Sicherung der energie­ politischen Interessen der transatlantischen Gemeinschaft auch ausfüllen konnte, kam es darauf an, den noch verbliebenen russischen Einfluß in der Region zu besei­ tigen. Aufgrund der noch ungelösten Separatistenkonflikte in Südossetien und Ab­ chasien waren noch im Rahmen der GUS russische Friedenstruppen stationiert. Ferner bestehen noch zwei russische Militärbasen. Der südossetisch-abchasischgeorgische Spannungsherd war bis zum August 2008 (und eigentlich auch darüber hinaus) lediglich >eingefroren< und nicht gelöst, und als erkennbar wurde, daß die

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georgische Zentralregierung den Kurs der Integration in die NATO immer deutli­ cher und zielstrebiger verfolgte, setzte Rußland seinerseits immer stärker auf die abchasischen und südossetischen Separatisten. Damit wollte es verhindern, daß sich über Georgien ein vor russischem Einfluß freier Korridor bilden kann, der die Erdölfelder Aserbaidschans und Zentralasiens mit der Türkei und die EU verbindet. Für die transatlantische Strategie hingegen wäre es besorgniserregend, wenn die separatistischen Gebiete Südossetien, Abchasien und Adscharien im Falle einer endgültigen Zuwendung zu Rußland den georgischen Korridor als Verbindung zwischen Europa und Zentralasien praktisch völlig unbrauchbar machen würden:3946 »Südossetisches Territorium ragt von der georgisch-russischen Grenze ca. 50 km weit nach Süden und >halbiert< somit den ohnehin schon engen Korridor. Zudem liegt... die geplante Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan in unmittelbarer Nähe der süd­ ossetischen Südgrenze! Ähnliches gilt für Abchasien. Eine fortdauernde Kontrolle Rußlands über die autonomen Gebiete Südossetien sowie Abchasien ist folglich aus westlicher Sicht nicht hinnehmbar, da sie eine dauerhafte wirtschaftliche Nut­ zung des georgischen Korridors unter politischer Hoheit der EU bzw. der USA verunmöglichen.«3947 Diese Situation wurde noch dadurch verschärft, daß Rußland als Reaktion auf die zunehmende Westeinbindung Georgiens im Sommer 2001 eine Visumpflicht für georgische Staatsbürger eingeführt hatte, von der aber die Bewohner Südosse­ tiens und Abchasiens ausgenommen wurden. Als Antwort auf die Ratifikation des >Vertrages zur Verteidigungskooperation< Georgiens mit den USA vom 21. März 2003, der US-Truppen den räumlich und zeitlich uneingeschränkten Zugang zu georgischem Territorium ohne Beschränkung von Truppenstärke und Bewaffnung einräumte,3948 lieferte Rußland seinerseits der südossetischen Armee umgehend Kampfpanzer und weitere Bewaffnung. Damit begann sich auf georgischem Terri­

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torium langsam ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Rußland um den kaukasischen Transportkorridor anzubahnen. Diesen Stellvertreterkrieg hatten die USA mit der Ernennung von Michail Saa­ kaschwili zum georgischen Staatspräsidenten zunächst gewonnen. Dieser entwi­ ckelte sich mit seinem Machtantritt im Januar 2004 zu einem »nationalistischen Hitz­ kopf«3949 und bekundete, eines der wichtigsten Ziele seiner Regierung sei es, die Kontrolle über alle Regionen des Landes wiederherzustellen.3950 Nach der Einschät­ zung des Kaukasus-Experten Rainer F reitag-Wirminghaus schien sich S aakaschwili von der Geschichte dazu berufen zu sehen, die Einheit Georgiens wiederherzustel­ len.3951 In seiner damaligen Einführungsrede beschwor Saakaschwili die Notwen­ digkeit, eine starke Armee aufzubauen, »um die Einheit Georgiens wiederherzu­ stellen«. Am 25. Mai 2004 veranstaltete Georgien die größte Militärparade in der Geschichte des Landes, während deren S aakaschwili erklärte: »Wenn man irgendei­ nen georgisch en Soldaten fragt, warum er in den Streitkräften dient, dann wird jeder von ihnen antworten: um Georgiens territoriale Integrität wiederherzustellen.«3952 Es war also von vornherein klar, daß die möglichst schnelle >Wiedervereinigung< Georgiens mit allen Mitteln, auch militärischen, der zentrale Punkt in Saakaschwilis Programm war. Dabei erhielt er Unterstützung von der US-Machtelite. S aakaschwili und seine Förderer in Washington übten seitdem verstärkt Druck auf Rußland aus, seine Truppen abzuziehen. Andererseits wurde die georgisch-amerikanische Zu­ sammenarbeit auf militärischem Gebiet, die eigentlich Ende 2003 auslaufen sollte, um weitere drei Jahre verlängert. Daß die USA die Wiedereingliederung Südosse­ tiens, Abchasiens und Adschariens in den georgischen Staatsverband unterstütz­ ten, ja sogar zu dieser aufriefen, weil damit jeglicher russischer Einfluß in Georgien beseitigt werden würde, läßt sich anhand von Stellungnahmen prominenter Vertre­ ter der US-Machtelite belegen: »Die internationale Gemeinschaft«, so der damalige US-Außenminister Colin Powell, »sollte alles tun, was möglich ist, um Georgiens territoriale Integrität während des Wahlprozesses und darüber hinaus zu unter­ stützen.«3953 Auch der seinerzeitige US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld erklärte bei seinem Besuch in Tiflis Anfang Dezember 2003, die drei Regionen Ad­ scharien, Abchasien und Südossetien stellten eine Bedrohung für die Stabilität des Landes dar, und gab damit dem neuen georgischen Präsidenten eine klare Orien­ tierung.3954 Unterstützt wurde dies durch das im April 2002 eingeleitete >Georgia Train and Equip Program< (GTEP) der USA. Unter dem Vorwand der Terrorismusbekämp­ fung bildeten rund 100 US-amerikanische Offiziere vier leichte Infanteriebataillone und eine Panzerkompanie der georgischen Armee aus, zusammen rund 2400 Eilte­ soldaten. Zum GTEP gehörte auch die Lieferung moderner Waffen und Ausrüs­ tung einschließlich neuer Hubschrauber.3955 Die hohe Bedeutung, die die USA dieser Ausrüstung beimaßen, wird auch an dem Zahlenverhältnis deutlich: »Mit Gesamt­ kosten von 65 Millionen Dollar stellte das GTEP ein in Art und Umfang absolut

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Russische Truppen in der georgi­ schen Provinz Südossetien.

einmaliges Pilotprojet auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion dar.«3956 Dies mußte Saakaschwili als indirekte Aufforderung der USA verstehen, jetzt die Ein­ heit Georgiens im Sinne der US-Geopolitik militärisch voranzutreiben.

2.1.1 Die >Wiedereingliederung< Adschariens Sich der US-amerikanischen Unterstützung sicher, ging Saakaschwili kurz nach seiner Machtübernahme daran, sich zunächst dem leichtesten Ziel, der abtrünnigen Provinz Adscharien, zuzuwenden. Im Mai 2004 wurde der dortige prorussische Machthaber Aslan A baschidse von der neuen georgischen Regierung entmachtet, und zwar nach dem Muster der >Rosen-Revolution< unter Einsatz von >oppositionellen< Demonstrationen und militärischer Besetzung. Nach den Enthüllungen von Knut Mellenthin war das Schicksal Abaschidses zu dem Zeitpunkt besiegelt, als immer mehr Angehörige der adscharischen Sicherheitskräfte der Aufforderung der georgi­ schen Regierung folgten, in Tiflis zu erscheinen. Offiziere der adscharischen Sicher­ heitskräfte sowie ein stellvertretender Innenminister sagten sich dort von A baschidse los, wobei nach Meldung der Nachrichtenagentur Civil Georgia Bestechungen eine wesentliche Rolle gespielt haben. 3957 Mellenthin wörtlich: »Im Wechselspiel von Ver­ handlungsangeboten, ökonomischer Erpressung und Androhung eines militärischen Vorgehens gelang es Saakaschwili, die Regierung in Batumi zu erschüttern. Entschei­ dend war in der letzten Phase, daß der mit hohen finanziellen Anreizen verbundene Aufruf an adscharische Beamte und Militärs zur Desertion erfolgreich war.«3958 Vieles spricht dafür, daß der Umsturz verdeckt von den USA gefördert wurde: Der US-Außenamtssprecher Richard Boucher sprach von einem »historischen Tag«; der Amtsverzicht und die Ausreise Abaschidses seien »ein wichtiger Schritt, um in Adscharien wieder Rechtsstaatlichkeit und eine demokratische Regierung herzu­ stellen«.3959 Damit hatten die USA einen ersten Schritt zur Verwirklichung ihres Ziels, Georgien zu ihrem geostrategischen Stützpunkt auszubauen, erreicht: »Aba­

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Von USAusbildern trainierte georgische Soldaten.

schidses

Abgang signalisiert auch den Abgesang Rußlands als Vormacht im Trans­ kaukasus. Es könnte gar die Ouvertüre zum Zerfall der russischen Großmacht in den kommenden Jahrzehnten sein«, kommentierte die taz diesen Vorgang.3960

2.1.2 Saakaschwilis Eskalationspolitik gegen Abchasien und Südossetien mit US-amerikanischer Rückendeckung Von diesem Erfolg ermutigt, erklärte S aakaschwili, daß mit dem Sturz A baschidses eine neue Ära eingeleitet worden sei, nämlich die »Wiedervereinigung Georgiens«, und er plante sogleich, auch Abchasien und Südossetien einzugliedern. Knut Mel­ lenthin spricht hier von einer konsequenten »Strategie der Spannung« vonseiten Saakaschwilis. Doch der Versuch, Südossetien unter dem Vorwand der Bekämp­ fung des Drogen- und Waffenschmuggels militärisch zu besetzen, scheiterte im Sommer 2004 nach monatelangen Gefechten, die schließlich zum Rückzug der geor­ gischen Streitkräfte führten. Die Niederlage der georgischen Armee gegen die südossetischen Streitkräfte im Sommer 2004 machte deutlich, daß sie für die Besetzung der autonomen prorussi­ schen Regionen, wie sie von Saakaschwili und seinen US-amerikanischen Förde­ rern ins Auge gefaßt wurde, noch nicht gerüstet war. Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel darstellt, war die georgische Armee »nicht einmal bedingt abwehrbe­ reit, geschweige denn angriffsfähig«.3961 Vermutlich aus diesem Grund - der man­ gelnden Fähigkeit der georgischen Streitkräfte, Blitzoperationen zur Besetzung der abtrünnigen Gebiete durchführen zu können - hat wohl die US-Regierung seiner­ zeit durch ihren Botschafter in Tiflis Druck auf Saakaschwili ausgeübt, um die Of­ fensive gegen Südossetien einzustellen. Der Zustand der georgischen Armee sollte sich jetzt aber mit US-amerikanischer Hilfe ändern, und seit 2003 wurde sie »mit Hilfe der Vereinigten Staaten rasch modernisiert und aufgerüstet«.3962 Verstärkt wurde die militärische Zusammenar­

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beit zwischen den USA und Georgien durch ein Sicherheitsabkommen vom März 2003, das den US-Militärs zahlreiche Vorrechte einräumte, wie visumfreie Ein- und Ausreise, unbeschränktes Stationierungsrecht für schwere Waffen der US-Armee auf georgischem Territorium sowie Immunität vor georgischen Gerichten.3963 »Da­ mit spricht das Abkommen amerikanischen Militärs weitaus mehr Rechte zu als den in der Region stationierten russischen Soldaten...«3964 Und so verwundert es nicht, daß die russische Staatsduma in diesem Abkommen eine Störung des Kräfte­ gleichgewichts in der Region in außerordentlichem Maße erblickte. Folgt man Ulrike Guska, so hatte diese militärische Zusammenarbeit zwischen der georgischen Re­ gierung und den USA die Spannungen zwischen der Zentralregierung und den abtrünnigen Regionen maßgeblich verstärkt, da der Verdacht nicht ausgeräumt werden konnte, daß die Ausbildung georgischer Elitetruppen im Rahmen des GTEP dazu dienen sollte, die Rückeroberung der abtrünnigen Gebiete vorzubereiten. Dies wiederum führte zu einer Verstärkung der Forderung Südossetiens und Abcha­ siens, in die Russische Föderation aufgenommen zu werden.3965 Mit den modernisierten georgischen Streitkräften setzte Saakaschwili im Som­ mer 2006 alles daran, seine »Strategie der Spannung« gegenüber Südossetien und Abchasien fortzusetzen. Die Atempause hatte Saakaschwili genutzt, hierfür in An­ lehnung an den Sprachgebrauch der US-Regierung eine »neue Roadmap« (so Saa­ kaschwili) zu entwickeln. Dieser Plan setzte sich aus zwei Punkten zusammen: Er­ stens sollte die >Entmilitarisierung< Südossetiens und Abchasiens durchgesetzt werden, daß heißt also praktisch ihre Entwaffnung, damit sie dann georgischen Angriffen wehrlos gegenüberstünden. Zweitens sollten die in beiden de-facto-Re­ publiken stationierten russischen Friedenstruppen durch >internationale Polizei­ truppen< ersetzt werden.3966 Bei diesen >Polizeitruppen< sollte es sich um Streitkräfte der mit der NATO ver­ bündeten GUUAM-Staaten handeln; Saakaschwili sprach hier von Truppen des Baltikums, der Ukraine, Aserbaidschans und Moldawiens.3967 Deren Außenmini­ ster hatten am 27. September 2006 vereinbart, in den Konfliktregionen der GUS russische Friedenstruppen durch entsprechende ausgebildete Kräfte der GUUAM zu ersetzen.3968 Nach Einschätzung von Knut Mellenthin erhoffte sich die Regie­ rung in Tiflis durch diesen Schritt, ein günstigeres Klima für die Annexion Südosse­ tiens und Abchasiens zu schaffen.3969 Bekräftigt wurde dieser Plan durch das geor­ gische Parlament in einer Entschließung vom Juli 2006, durch die die georgische Regierung aufgefordert wurde, den Abzug der russischen Truppen aus Abchasien und Südossetien durchzusetzen. Vieles spricht dafür, daß dieser Plan zuvor mit den USA abgesprochen wurde. Am 5. Juli 2006 nämlich traf sich Saakaschwili mit US-Präsident Bush im Weißen Haus in Washington. In der Pressemitteilung der US-Präsidialverwaltung wurde Georgien als »Schlüsselverbündeter in einer wichtigen Region« bezeichnet.3970 Eben­ falls offenbarte eine Auseinandersetzung zwischen den Vertretern der USA und

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Rußlands im Ständigen Rat der OSZE Anfang März 2006, daß es die USA waren, die allem Anschein nach jene Pläne mit beeinflußt hatten, die Saakaschwili als seine »neue Roadmap« vorstellte: »Der amerikanische Geschäftsträger Kyle Scott machte sich in bisher nicht gekannter Weise die offiziellen georgischen Positionen zu eigen. Unter anderem schloß sich S cott der Forderung nach einer >internationalen Überwachung< des Roki-Tunnels an. Dieser bildet die einzige Verbindung zwischen Südossetien und Rußland. Der Tunnel ist seit langem ein hochsensibler Streitpunkt. Hitzköpfe in der georgischen Regierung wie Verteidigungsminister Irakli Okrua­ schwili sprachen gelegentlich schon davon, das Objekt der Begierde im Handstreich durch georgische Fallschirmjäger besetzen zu lassen... Scott erhob auf der OSZERatssitzung auch die nicht näher erläuterte Forderung, russisches Militärpersonal und Ausrüstung, >die nicht in die Konfliktzone gehöreninternationale Polizeitruppe< die russischen Kräfte ersetzt hätte. Forderungen Südossetiens und Abchasiens, ein gegenseitiges Nichtangriffsabkom­ men zu unterzeichnen, wurde von georgischer Seite vor diesem Hintergrund rund­ weg abgelehnt.3972 Dabei war es vor allem auch die NATO, die Saakaschwilis Haltung in dieser Frage unterstützte. Seitens des NATO-Generalsekretärs Jaap de Hoop Scheffer wurde die Entscheidung des Militärbündnisses bekanntgegeben, mit Georgien einen sogenannten »intensivierten Dialog« (Intensified Dialogue) aufzunehmen. Das war ein weiterer formaler Schritt bei der Heranführung des Landes an d ie NATO. Näch ­ ste Station für die Aufnahme in das Bündnis wäre ein >Membership Action PlanLösung< seiner Territorialprobleme möglich sei3974 - ein Hinweis, der von Saakaschwili als unmißverständliche Aufforderung zur gewaltsamen Lösung der Sezessionsprobleme verstanden wurde. Dies mag auch wohl die Absicht der NATO gewesen sein, denn der Beschluß der NATO, mit Georgien den >intensivierten Dia­ log< aufzunehmen, erfolgte gerade zu dem Zeitpunkt, als die georgisch-abchasischsüdossetischen Spannungen zu eskalieren drohten.3975 Bei seiner Wiedervereinigungspolitik stützte sich Georgien jetzt darauf, mit Hil­ fe bewaffneten Drucks Marionettenregime in den abtrünnigen Provinzen einzuset­ zen. Für Abchasien hatte Tiflis seit den neunziger Jahren zielgerichtet eine Exil­

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regierung aufgebaut. Während des zweijährigen Bürgerkrieges 1992 bis 1994 hatte sich das abchasische Parlament gespalten, wobei die georgischen Deputierten nach Tiflis geflohen waren und dort unter dem ehemaligen abchasischen Finanzmini­ ster Malchas Akischbaja eine Exilregierung bildeten. »Die von Georgien kontrol­ lierte abchasische Exilregierung gilt als besonders unversöhnlich und hat sich stets für eine militärische Lösung des Konflikts stark gemacht.«3976 Wie die Neue Zürcher Zeitung enthüllte, hatte Georgien ähnliches auch für Süd­ ossetien geplant: »Tbilissi hat sich für eine >alternative Regierung< in Südossetien eingesetzt. Diese soll loyal zu Tbilissi sein und von Dmitri Sanakojew geführt wer­ den, um den zunehmend von Moskau abhängigen Führer und De-facto-Präsidenten von Südossetien, Eduard Kokoiti, zu isolieren.«3977 Die Auseinandersetzungen mit Abchasien wurden im Sommer 2006 durch ei­ nen Streit um das Kodori-Tal, die Grenze zwischen Kerngeorgien und der abchasi­ schen Provinz, ausgelöst. Dieses Tal wurde von dem Warlord Emsar Kwitziani kon­ trolliert, der sich weder der Regierung in Tiflis noch den abchasischen Behörden in Suchumi unterordnete. Dieser Warlord war 1998 vom damaligen georgischen Präsi­ denten Eduard Schewardnadse zum bevollmächtigten Vertreter der Regierung in Tiflis ernannt worden,3978 hatte sich aber Mitte Juli 2006 von Tiflis losgesagt3979. Kwitziani war den Wiedervereinigungsplänen Saakaschwilis schon seit längerem ein Dom im Auge. Schon im Sommer 2005 forderte Saakaschwili seine Entmachtung. 3980 Das soll­ te jetzt durch eine Militäraktion bewerkstelligt werden. Mit dem Vorwand, den War­ lord Kwitziani beseitigen zu wollen, schien Tiflis aber vielmehr die Besetzung des strategisch wichtigen Kodori-Tals ins Auge g efaßt zu haben, um sich eine strategisch günstige Ausgangsposition für eine geplante Annexion Abchasiens zu verschaffen. Dies jedoch wurde von russischer und abchasischer Seite als Bruch des Waffen­ stillstandsabkommens von 1994 gewertet, wonach das Kodori-Tal eine entmilitari­ sierte Sicherheitszone bilden sollte.3981 Mit dem Militärschlag Georgiens im Juli 2006 aber befand sich das Tal vollständig in georgischer Hand, und vieles schien dafür zu sprechen, daß jetzt Abchasien selbst nächstes Ziel sein sollte: »Durch die Ein­ nahme des oberen Kodori-Tals sind die georgischen Truppen der abchasischen Hauptstadt Suchumi gefährlich nahe gekommen. Im Kodori-Tal stehen sich jetzt abchasische und georgische Truppen direkt gegenüber.«3982 Ähnlich sah es auch der Abchasien-Bericht des UN-Generalsekretärs, der die Vermutung äußerte, Ge­ orgien plane eine neue Runde im Abchasienkonflikt und habe die Offensive nur gestartet, um Militär ins Zentrum Abchasiens schicken zu können.3983 Daß Georgien auf eine Verschärfung der Krise hinarbeitete, wurde auch durch eine zeitlich unmittelbar vorausgegangene Regierungsumbildung in Tiflis deut­ lich: Der bisher für die Konfliktregelung zuständige, als gemäßigt bekannte Minister für Staatssicherheit Batiaschwili wurde verhaftet und durch den >Falken< Irakli Okruaschwili ersetzt,3984 der für eine Auseinandersetzung mit Rußland und eine gewaltsame Lösung des Separatistenproblems stand. Das Kodori-Tal wurde jetzt von

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Tiflis in >Oberabchasien< umbenannt und zum Sitz der von Tiflis geförderten ab­ chasischen Satellitenregierung ausgebaut, wodurch der Anspruch Georgiens auf die Rückgewinnung Abchasiens unterstrichen werden sollte. Daß dieses Vorgehen die Unterstützung der USA fand, wurde ebenfalls durch eine Stellungnahme der US-Vertretung bei der OSZE deutlich: In dieser wurde die Besetzung des Kodori-Tals als »Durchsetzung der Herrschaft des Gesetzes« be­ grüßt und als wesentlich für die Konfliktlösung angesehen. Darüber hinaus wurde in der Stellungnahme der US-Vertretung gefordert, »internationale Polizeikräfte« in ganz Abchasien zu stationieren und den Roki-Tunnel - die einzige Verbindung zwischen Rußland und Südossetien - unter »internationale Überwachung« zu stel­ len.3985 Auch nach den Recherchen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung standen die USA hinter der Fo rderung n ach ei ner >I nternationalisierung< des Konflikts und nach einer Ablösung der russischen Truppen durch eine >internationale Polizeitruppedestruktive Politik< fortzusetzen, könnte dies zu einer Destabilisierung führen. Die Botschaft fand Gehör. Am 13. Oktober (2006) beschloß der UN-Sicherheitsrat einstimmig ei­ nen russischen Plan zur Lösung des georgisch-abchasischen Konflikts, gegen den sich die USA zuvor gesperrt hatten. In der Resolution wird der Vormarsch der ge­ orgischen Truppen verurteilt und ihr Rückzug aus dem Kodori-Tal gefordert. Die >bedeutende Rolle der (russischen) Friedenstruppen< in Abchasien wird in dem Beschluß eindeutig anerkannt.«3987 Hinter diesem diplomatischen Sieg Moskaus stand Beobachtern zufolge die Tatsache, daß Rußland im Gegenzug für eine Ent­ schließung zur Verurteilung eines nordkoreanischen Atomwaffentests gestimmt hatte: »Für Moskau war dabei sicher hilfreich, daß es den jüngsten Atomwaffentest Nordkoreas verurteilt hat.«3988 Gleichzeitig nahmen die Spannungen mit Südossetien zu, wobei auch hier die georgische Regierung die provozierende Kraft war und das Waffenstillstandsab­ kommen von 1994 brach. Schon 2004 kam es zu bewaffneten Auseinandersetzun­ gen, als die georgische Regierung Eliteeinheiten, die von den US-amerikanischen Offizieren ausgebildet wurden, innerhalb der Konfliktzone in Dörfern, die wie ein Riegel um die südossetische Hauptstadt Zchinwali gelegt sind, stationierte. Dort wurde ein militärisches Hauptquartier eingerichtet, das dem georgischen »Falken« Verteidigungsminister Irakli Okruaschwili direkt unterstand. Diese Vorgehensweise war ein auffälliger Bruch der Vereinbarungen von 1994, denn in der Konfliktzone durften sich dem Waffenstillstandsabkommen zufolge nur Soldaten der Friedenstruppe aufhalten.3989 Die darauffolgenden bewaffneten Auseinandersetzungen endeten mit einer Niederlage der georgischen Streitkräfte. Im Sommer 2006 eskalierte der Konflikt erneut, als von südossetischen Kräften ein

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Hubschrauber, in dem sich auch der georgische >Falke< Verteidigungsminister Okruaschwili befand, nach mehrfachen vergeblichen Warnungen abgeschossen wurde. Hierbei handelte es sich gleichfalls um eine Provokation Georgiens: »Nach südossetischen Angaben hat Georgien in den letzten fünf Monaten 240mal den Luftraum der Republik (Südossetien) verletzt. Das wird von georgischer Seite nicht bestritten. Dort stellt man sich auf den Standpunkt >Es gibt überhaupt keinen süd­ ossetischen LuftraumPea­ ce-Keepinginternationale Kräfte< - also GUUAM-Streitkräfte - weiterhin unterstützten, wurde im September 2006 deutlich, als Georgiens Außenminister mit seinen Amtskollegen aus Molda­ wien, Aserbaidschan und der Ukraine US-Staatssekretär David Kramer traf. »Offi­ zielles Thema: der Aufbau eigener Friedenstruppen. Vergangene Woche beantragte die republikanische Mehrheit im US-Senat weitere Gelder für Georgien und sprach sich für dessen schnelle Aufnahme in die NATO aus.«3997

2.1.3 Die russische Haltung Von einem objektiven Standpunkt aus betrachtet, war die amerikanische Diplomatie eine verdeckte Eskalationspolitik >short of war< - bis an d ie Grenze eines heißen Krie­ ges. Dies wurde von russischer Seite auch so betrachtet. S aakaschwilis Aktionen, so Alexej Makarkin, stellvertretender Generaldirektor des >Zentrums für politische Tech­ nologiennicht anerkannten Staaten< nimmt damit weiter zu. Etwaige friedli­ che Erklärungen, die aus Tiflis zu vernehmen sind, bedeuten lediglich, daß dieser mögliche Krieg als irgendeine antikriminelle Operation getarnt werden könnte... Der zweite Schluß besteht darin, daß derart harte Aktionen der georgischen Behör­ den kaum ohne Wissen der USA wahrgenommen werden konnten, die seit der >Rosenrevolution< 2003 faktisch als ei n S chutzpatron Geo rgiens agieren. Bemerkens­ wert ist die Kontinuität der in den letzten drei Monaten vorgenommenen Schritte. Saakaschwilis Washington-Besuch, Einmarsch der georgischen Truppen ins Kodo riTal, Verhaftung der prorussischen Oppositionspolitiker, der Beginn eines >intensi­ ven Dialogs< Georgiens und der NATO (eine der wichtigsten und obligatorischen Etappen einer atlantischen Integration des Landes) und nun die Verhaftung der russischen Offiziere. Hätten die USA den georgischen Präsidenten zur Vernunft gemahnt (etwa mit einer Verlangsamung der Integration Georgiens in die NATO), so hätte die Machtspitze in Tiflis ihre Position in den Beziehungen mit Rußland trotz

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aller innenpolitischen Überlegungen und trotz des Radikalismus des Vertei­ digungsministers gemildert. Die Ereignisse entwickelten sich aber in die direkt ent­ gegengesetzte Richtung: die Beschleunigung des Prozesses der NATO-Aufnahme Georgiens wurde in Tiflis eindeutig als eine Billigung des >Falken-Kurses< aufge­ nommen. Damit können die jetzigen Ereignisse in Georgien im Kontext der sich verstärkenden Konkurrenz im postsowjetischen Raum verstanden werden, die in der Periode der >bunten Revolutionen< besonders deutlich an den Tag getreten is t. Es kann sich um einen Versuch handeln, nicht nur die russischen Truppen vom Territo­ rium Georgiens zu verdrängen (sie müssen das Land sowieso 2008 verlassen), son­ dern auch die Friedenstruppen, die für Stabilität in Abchasien und Südossetien sor­ gen und kein neues Blutvergießen in diesen Regionen zulassen. In Zukunft könnte die militärische Präsenz in einem Land, über dessen Territorium die für die USA strategisch wichtige Ölpipeline Baku-Tiflis-Ceyhan verläuft, durch eine westliche Prä­ senz ersetzt werden - eben im Rahmen der atlantischen Integration Georgiens.«3998 Der von Georgien und den USA gegen Rußland erhobene Vorwurf, seine Politik würde auf die Abspaltung Abchasiens und Südossetiens und damit auf die Zerstö­ rung der territorialen Einheit Georgiens hinauslaufen, muß aufgrund dieser Tatsa­ chen als doppelzüngig betrachtet werden. Die Stiftung Wissenschaft und Politik spricht in diesem Zusammenhang zwar von einer russischen Politik der politischen und wirtschaftlichen Anbindung sowohl Abchasiens als auch Südossetiens mit Ruß­ land im Sinne einer »schleichenden Annexion«,3999 und in der Tat konnte Rußland in den abtrünnigen Provinzen entscheidenden wirtschaftlichen und politischen Einfluß ausbauen. Der Rubel ist offizielles Zahlungsmittel, und in den vergange­ nen Jahren hat Mos kau in Südossetien russische Pässe ausgeben lassen, so daß heute rund 90 Prozent der Südosseten russische Staatsbürger sind. Nach Auffassung des russischen Verteidigungsministers Sergej Iwanow erwächst Rußland daraus die Pflicht zum Schutz der Südosseten vor möglichen Aggressionsversuchen der geor­ gischen Zentrale.4000 Diese Maßnahmen lassen sich aber nur vor dem geopolitischen Hintergrund beurteilen, vor dem sie getroffen wurden: Michail Alexandrow, Leiter der Kauka­ sus-Abteilung des Instituts für GUS-Länder, erklärte hierzu, daß in Rußland lange Zeit die Auffassung vorgeherrscht habe, daß eine Destabilisierung der an Rußland grenzenden Staaten, also auch Georgiens, nicht zugelassen werden dürfe. »Nun aber wird klar, daß gerade die jetzige Regierung in Georgien, die eine rußland­ feindliche Politik betreibt, eine Bedrohung für Rußland darstellt. Gerade diese Re­ gierung provoziert Spannungen in Abchasien und Südossetien. Auch ist sie be­ müht, das Land unter die NATO-Flagge zu bringen. Somit ist eine starke zentralisierte Macht in Georgien für Rußland viel schädlicher als eine Zergliederung dieses Lan­ des in mehrere Mini-Republiken.«4001 Ähnlich kommentiert es auch Le Monde diplomatique: »Die USA möchten hier Veränderungen im Sinne ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen bewir­

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ken und vor allem militärische Stützpunkte installieren. Kein Wunder, daß sich Rußland wegen solcher Entwicklungen im benachbarten Ausland Sorgen macht... In Moskau sieht man die beschleunigten Verhandlungen über einen Beitritt zur Nato als ernste Bedrohung. Man will seinen Einfluß in den Nachbarstaaten nicht verlieren, wo man auch nach dem Ende der UdSSR präsent blieb, um dem >Grand Game< der USA und der Ausrichtung der Region nach Europa entgegenzutreten. In den Krisenregionen Abchasien und Südossetien kann sich die russische Füh­ rung nicht nur auf ihre dort stationierten Truppen verlassen: Die Mehrheit der Be­ völkerung soll mittlerweile die russische Staatsangehörigkeit angenommen haben. Im Fall neuer Kämpfe würde Georgien damit indirekt auch Rußland zum Gegner haben. Der russische Verteidigungsminister erklärte vor kurzem, man werde alle russischen Staatsbürger zu schützen wissen.«4002 Auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnet in diesen Zusammenhang die russische Militärpräsenz in Abchasien und Südossetien als einen militärischen und politischen Trumpf Rußlands in der Region, den es vollkommen verlöre, wenn Saa­ kaschwili seinen Plan der Ersetzung russischer Truppen durch eine internationale Truppe durchsetzen könnte.4003 Aus diesem Grund kann man von einer aktiven Kaukasuspolitik Rußlands zur Umschichtung der bestehenden Machtverhältnisse gar nicht sprechen, die GeorgienPolitik Moskaus erscheint vielmehr als eine Reaktion auf die Schachzüge der USA und der von ihnen installierten neuen georgischen Machtelite. Es geht Moskau eher um eine Politik, die auf Einflußsicherung, aber keinesfalls auf Zersplitterung des Kaukasus ausgerichtet ist. Von daher tritt die russische Politik sehr ambivalent zutage: Dem Kaukasus-Experten Uwe Halbach zufolge hat der Kreml auf der ei­ nen Seite kein Interesse an einem militärischen Konflikt. Die russischen Friedens­ truppen hatten nach seiner Einschätzung sogar erfolgreich zur Stabilisierung der Lage in der Region beigetragen. »Auf der anderen Seite hat die (russische) Regie­ rung aber auch kein echtes Interesse an einer grundsätzlichen Lösung, weil ihr dann ein mögliches Druckmittel gegenüber Georgien verlorenginge.«4004 Die Neue Zürcher Zeitung geht ebenfalls davon aus, daß es Rußland im wesentli­ chen darum geht, den bisherigen Zustand zu erhalten: »Moskau kommt der Status quo in Abchasien und Südossetien durchaus gelegen. In den innergeorgischen Kon­ flikten, die einst durch eine äußerst unkluge Politik der georgischen Regierung an­ geheizt worden waren, trieb es von Anfang an ein Doppelspiel. Dieses sichert ein beständiges Druckmittel gegenüber Tbilissi, das sich unter der Präsidentschaft des zuweilen hitzköpfigen Michail Saakaschwili betont von Moskau abgewandt hat. Georgiens Aufnahme in die Nato würde für Rußland den endgültigen Verlust ei­ nes traditionellen Brückenkopfes im Kaukasus bedeuten. Solange die Konflikte andauern, bleibt Tbilissi aber geschwächt.«4005 Als doppelzüngig jedoch erschien die Haltung des transatlantischen Bündnisses und der USA, was sich insbesondere während des Unabhängigkeitsreferendums

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in Südossetien Mitte November 2006 zeigte. Dort stimmten nach offiziellen Anga­ ben 99 Prozent der Südosseten für die staatliche Eigenständigkeit. Dieses Referen­ dum wurde von den USA nach offiziellen Verlautbarungen des US-Außenamts­ sprechers Sean McCormack aber nicht anerkannt. Vielmehr, so die Stellungnahme, unterstützten die USA die Souveränität und territoriale Integrität Georgiens, und es wurde auf die Formel verwiesen, daß die »Weltgemeinschaft« erklärt habe, Süd­ ossetien sei ein Teil Georgiens.4006 Eine gleichlautende Stellungsnahme gab auch der NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer ab. Während die USA und die NATO also nicht bereit waren, eine staatliche Unabhängigkeit Südossetiens an­ zuerkennen, betrieben sie aber gleichzeitig auf dem Balkan die Abtrennung des Kosovo v on der Republik S erbien, das nach dem Ahtissaari-Plan zu einem pseudo­ staatlichen Gebilde mit einer Quasi-Unabhängigkeit unter internationaler Aufsicht umgewandelt werden soll - unter Mißachtung der UN-Resolution 1244, die das Kosovo als integralen Bestandteil Serbiens anerkannt hatte. Die einseitig ausgeru­ fene Unabhängigkeit des Kosovo wurde am 17. Februar 2008 von den USA, Groß­ britannien und Frankreich anerkannt. Auf diese Doppelzüngigkeit verwies die russische Regierung mehrfach, indem sie erklärte, daß den Abchasen und Südosseten gleichfalls ein Recht auf staatliche Unab­ hängigkeit zustünde, sollte den Kosovo-Albanern ebenfalls ein solches eingeräumt werden. Gleichwohl aber kann diese Stellungnahme Moskaus nicht als Indiz dafür gewertet werden, daß es im Hintergrund heimlich die Annexion Südossetiens betrei­ ben w ollte. Z um e inen nämlic h si eht die russische Verfassung weder Aus- noch Ein­ tritte von Regionen vor. Außerdem würden unabhängige Zwergrepubliken den Kau­ kasus noch weiter destabilisieren. »Das weiß man auch in Rußland, wo man zudem fürchtet, mit der Anerkennung der Souveränität des georgischen Spaltprodukts er­ neut die mühsam abgewürgte Tschetschenien-Diskussion loszutreten.«4007 Daß Rußland dieses Referendum nicht provoziert hatte, zeigte sich in der Reak­ tion Moskaus, das zu diesem Zeitpunkt gleichfalls eine staatliche Unabhängigkeit Südossetiens nicht anerkannte. Auch »den Wunsch der beiden abtrünnigen Pro­ vinzen Abchasien und Südossetien, sich der Föderation als Mitglied oder, wie die Abchasen das wollen, als assoziiertes Mitglied anzuschließen, hat Präsident Putin ... abgelehnt«.4008 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung stellt in diesem Zusammen­ hang heraus, daß der Status quo den russischen Interessen am ehesten entgegen­ kam: »Praktisch ist die von Georgien abtrünnige Provinz ohnehin ein Protektorat der Russen, denen diese Lage erlaubt, ihren Einfluß in der Region zu behalten und auf Georgien politischen Druck auszuüben sowie dessen Integration in die wirt­ schaftlichen und sicherheitspolitischen Strukturen des Westens zu erschweren.«4009 Georgien hingegen sorgte als Reaktion auf das Unabhängigkeitsreferendum Süd­ ossetiens für die Unterstützung seiner Marionette Dmitri Sanakojew, der als »süd ossetischer Präsident« unter militärischem Schutz georgischer Streitkräfte auf dem Territorium Südossetiens Quartier bezog. Diese Politik fand gleichfalls die Unter­

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Stützung der USA: »Es wurde in Moskau als schlimmes Vorzeichen vermerkt, daß Condoleeza Rice bei ihrem Besuch in Tbilissi am 10. Juli (2008) zu einem öffentli­ chen Händedruck mit Sanakojew, den die US-Regierung bis dahin ignoriert hatte, zusammentraf. «4010 Trotz seines Ziels der Einflußsicherung aber läßt sich nicht davon sprechen, daß Rußland in den Abtrennungskonfliken eine zerstörerische Rolle gespielt hätte. Es war bereit, mit Georgien entsprechend den OSZE-Verpflichtungen vom Istanbuler Gipfel 1999 über eine Räumung der russischen Stützpunkte zu verhandeln, wobei es jedoch als Bedingung forderte, daß nach dem russischen Abzug »keine ausländi­ schen Basen« in Georgien errichtet würden. Es war dann aber die georgische Seite, die in einen intensiven Dialog mit den USA und der NATO eintrat in der Hoff­ nung, mit deren Hilfe die Sezessionskonflikte lösen zu können. Die USA hatten darauf positiv reagiert: »US-Stellen bestätigten, daß Washington eine aktivere Rolle bei der Beendigung der Konflikte spielen wolle.«4011 Dies wiederum nahm Saakaschwili zum Anlaß, die Krisen um Südossetien und Abchasien zuspitzen zu lassen. Folgt man Christian Wipperfürth, hatte Rußland hingegen seine Abzugspläne, als es nach der provokatorischen Verhaftung der rus­ sischen Offiziere durch georgische Polizisten im September 2006 zu einer Verschär­ fung der Krise kam, trotzdem anschließend wiederaufgenommen: »Rußland nahm den Abzug seiner Soldaten aus Georgien beschleunigt wieder auf, und Präsident Putin legte der Duma das Abkommen über die Auflösung der russischen Basen vor. Dieses wurde vom Parlament trotz erheblicher Kritik umgehend ratifiziert. Der stellvertretende Außenminister Rußlands Alexander Jakowenko wandte sich am 5. Oktober (2006) in geradezu bittendem Ton an Georgien: >Rußland will nicht provoziert werden, Rußland will respektiert werden. Rußland will, daß die anti­ russische Kampagne aufhört.Rosenrevolution< 2003 eine rasante Militarisierung Ge­ orgiens zu verzeichnen. »Die Ausgaben für die Verteidigung haben sich verzehn­ facht, seitdem Michail Saakaschwili die Macht übernommen hat«,4017 und mit Hilfe des amerikanischen >Train and Equip Program< wurde seit dem Machtantritt Saa­ kaschwilis die Umrüstung der georgischen Streitkräfte auf NATO-Niveau voran­ getrieben. Die Militärausgaben hatten sich von 2006 auf 2007 auf umgerechnet 920 Millionen Dollar fast verdoppelt.4018 Die Hauptlast der Ausbildung der georgischen Streitkräfte trugen die USA. Nach den Enthüllungen der New York Times waren die Vereinigten Staaten »auf der Ebene der Armeeführung... behilflich, die militäri­ sche Zielsetzung Georgiens neu zu definieren und seine Kommandeure und den Generalstab auszubilden. Auf der Ebene der Kampfverbände bildeten amerikani­ sche Marines und Soldaten die georgischen Soldaten in grundlegenden Kampf­ techniken aus«.4019 Seit 2004 stellte Washington nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums mehr als 460 Millionen Dollar (etwa 309 Millionen Euro) für Georgien bereit. Dafür waren 190 Millionen für Sicherheit und Militär bestimmt. 130 US-Armeeausbilder

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waren in Georgien stationiert. Darüber hinaus dokumentierte das renommierte Stockholmer Friedensinstitut SIPRI für die Zeit zwischen 2003 und 2007 Waffenim­ porte im Umfang von 183 Millionen Dollar in Georgien.4020 Zu diesen Lieferungen gehörten unter anderem auch zehn UH-l-Transporthelikopter.4021 Aber auch die EU und insbesondere die deutsche Bundeswehr spielten bei der Aufrüstung und Ausbildung georgischer Streitkräfte und Offiziere eine wichtige Rolle.4022 Offiziell wurde bekundet, daß es bei der Aufrüstung und Ausbildung der georgischen Soldaten darum gegangen sei, diese für den Einsatz im Irak zu trainie­ ren. Tatsächlich jedoch schien es dabei um etwas ganz anderes zu gehen: Nach Beobachtern ging es vielmehr darum, die Streitkräfte Georgiens, dem wichtigsten US-amerikanischen Vorposten im Kaukasus, auf NATO-Niveau zu bringen.4023 Des weiteren spricht viel dafür, daß mit dieser Aufrüstungskampagne und auch mit ihrem Einsatz im Irak die georgische Armee auf ihre eigentliche Funktion im Sinne der US- und NATO-Geopolitik vorbereitet werden sollte, nämlich die endgültige Annexion der abtrünnigen Provinzen und die Abriegelung des Landes gegen Ruß­ land: »Zur schnellen Modernisierung sollte auch die starke Beteiligung Georgiens an internationalen Militäreinsätzen beitragen. Die vor allem im Irak gewonnene Erfahrung dürfte nun auch in Südossetien hilfreich sein. Der Verdacht, diese Poli­ tik habe stets auch das Ziel gehabt, die georgische Armee in die Lage zu versetzen, die Konflikte um Südossetien und Abchasien gewaltsam zu lösen, ist ohnehin nicht aus der Luft gegriffen. So hat Präsident Saakaschwili... in einer Rede vor Reservi­ sten gesagt, die Aufstellung einer 100000 Mann starken Reservetruppe sei >eine klare Botschaft an alle, die Georgiens territoriale Integrität in Frage steilenGemeinsa­ men KontrollkommissionGeschäftsleute< tätig gewesen sein sollen - »was im postsowjetischen Sprachgebrauch ein äußerst schil­ lernder und vieldeutiger Begriff ist«.4045 Jedenfalls sprechen sämtliche Tatsachen dagegen, daß es das russische Außen- und Verteidigungsministerium gewesen sein soll, das K okoity hinterrücks in dieser Kon frontationshaltung bestärkt hat. Im Gegen­ teil, kein Geringerer als der georgische Präsident Saakaschwili selbst schilderte, russische Diplomaten hätten ihm mitgeteilt, daß sie die Kontrolle über die südosse­ tischen Kräfte verloren hätten.4046 In der Zusammenfassung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung stellen sich diese Entwicklungen so dar: »Den letzten Versuch, die Lage durch Verhandlungen zu entschärfen, machte der russische Sonderbeauftragte für Südossetien, Jurij Popow. Nachdem die Südosseten zunächst am 6. August [2008] zugestimmt hatten, sich am 7. August mit Popow und dem Georgier Jakobaschwili in Zchinwali zu treffen, teilten sie dem russischen Diplomaten wenige Stunden vor der geplanten Begeg­ nung mit, er solle nicht kommen, sie könnten nicht für seine Sicherheit garantieren - so jedenfalls sagt es Temur Jakobaschwili. Er und Popow hätten entschieden, trotz­ dem nach Zchinwali zu fahren... In Zchinwali, so Jakobaschwili, habe er ein >sehr detailliertes Gespräch< mit General Kulachmetow (dem russischen Kommandeur der Friedenstruppen, der Verf.) geführt, der ihm gesagt habe, daß die südosseti­ schen Milizen sich seiner Kontrolle entzögen. Auch er könne ihre Führer nicht er­ reichen.«4047 Der georgische Reintegrationsminister J akobaschwili erklärte: »Ich neige dazu, zu glauben, daß Popow und General Kulachmetow an diesem Tag ernsthaft versucht haben, eine Eskalation zu verhindern. Aber jemand anderes hatte wohl schon anders entschieden.«4048 Damit jedenfalls war eine Beilegung des Konflikts ohne Waffengang vom Tisch.

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2.4 Die Streitfrage nach der Urheberschaft des Krieges Damit stellt sich die Frage nach der Urheberschaft des nun beginnenden Krieges. »Die gegensätzliche Wahrnehmung des Krieges im Kaukaus in Rußland und im Westen speist sich wesentlich aus der Frage nach dien ersten Truppenbewegun­ gen«, so die Neue Zürcher Zeitung.4049 Eine starke Meinungsgruppe ist der Auffas­ sung, daß Georgien in eine russische Falle getappt sei. Diese hätte darin bestanden, daß Rußland die Präsidenten Südossetiens, Eduard Kokoity, und Abchasiens, Ser­ gej Bagapsch, immer wieder zu militärischen Provokationen gegen georgische Ein­ heiten angestachelt habe. Gleichzeitig sei die russische 58. Armee von Moskau in Alarmbereitschaft gehalten worden bzw. habe diese bereits in den Tagen zuvor den Roki-Tunnel - das einzige Verbindungsstück zwischen Südossetien und Ruß­ land-besetzt, um dann gegen eine zu erwartende georgische Militäroperation ein­ greifen zu können.4050 Fraglich ist jedoch, inwieweit diese Darstellung den Tatsachen standhält. Zum einen war insbesondere aus westlichen Geheimdienstkreisen bekannt, daß Saa­ kaschwili bereits im Jahre 2006 Pläne für einen Einmarsch in Südossetien erstellt hatte, »eine Art Blaupause für die spätere Operation, so heißt es, habe vorgesehen, in 15 Stunden alle wichtigen Stellungen zu erobern. Einen Plan B, für den Fall des Scheiterns, gibt es nicht«.4051 Damit ist also klar, daß Georgien schon längst eine militärische Besetzung Südossetiens ins Auge gefaßt hatte. Auch Rußland-Experte Christian Wipperfürth zufolge hatte Georgien schon für Oktober 2006 einen Mili­ tärschlag gegen Abchasien und Südossetien geplant.4052 Saakaschwili stellte die Vorgänge s o d ar, d aß er am 7. A ugust erst gegen 22 Uhr Berichte erhalten habe, daß 150 russische Panzer aus dem Norden durch den RokiTunnel nach Südossetien eingedrungen seien und er erst dann, als die russischen Einheiten bereits weiter nach Zchinwali eingerückt seien, die Entsendung von Bo den­ truppen befohlen habe.4053 Ob dieser Darstellung so gefolgt werden kann, erscheint fraglich, da mehrere befragte westliche Diplomaten diese Sichtweise nicht bestätigen konnten.4054 Schließlich, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel unter Berufung auf Angaben westlicher Geheimdienste, hatten bereits am Morgen des 7. August die Georgier nach Erkenntnissen westlicher Beobachter 12000 Soldaten und 75 Panzer bzw. gepanzerte Schützenwagen - also ein Drittel der georgischen Armee - an der Grenze zu Südossetien zusammengezogen. Gemäß dem Operationsplan vom April 2006 sollten sie in einem 15 Stunden-Blitzkrieg bis zum Roki-Tunnel vorstoßen, um ihn zu schließen. Damit sollten dann die rund um Zchinwali stationierten 500 rus­ sischen Soldaten und weitere 500 Kämpfer der südossetischen Miliz eingekesselt und niedergekämpft werden.4055 Der Kern der georgischen Darstellung, wonach Georgien nach Südossetien vor­ gestoßen sei, weil es verläßliche Informationen darüber gehabt habe, daß die Rus­ sen durch den Roki-Tunnel (der einzigen passierbaren Landverbindung zwischen Südossetien und Rußland) kämen, wurde aber selbst von NATO-Experten wider­

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legt. »In der Allianz liegen inzwischen genauere Erkenntnisse über den Hergang der Kampfhandlungen vor. Sie beruhen neben den Aussagen des georgischen Ge­ neralstabs auf der Aufklärung der Verbündeten und der Nato selbst.«4056 Deren Erkenntnissen zufolge begannen die georgischen Streitkräfte in der Nacht vom 7. auf den 8. August eine Operation zur Einnahme ganz Südossetiens. Sie rückten in Gestalt eines umgekehrten Dreiecks auf die südossetische Hauptstadt Zchinwali vor, mit ihrer 3. und 4. Brigade an den beiden vorderen Enden und Artillerie im Hintergrund. Ihre 2. Brigade blieb in Reserve. Die georgischen Streitkräfte nahmen Zchinwali ohne nennenswerte Schwierigkeiten ein und bewegten sich dann in Rich­ tung auf den Roki-Tunnel. Parallel dazu standen die Russen mit 8000 Mann der 58. Armee in Nordossetien, die gerade ihr sommerliches Routinemanöver in der Kau­ kasusregion abschloß. Das war Diplomatenberichten zufolge ein entscheidender logistischer Vorteil gewesen, weil deshalb die Fahrzeuge noch betankt und aufmunitioniert gewesen waren. Die Russen kamen durch den Tunnel, brachten die 3. Brigade der Georgier rasch zum Stehen und schlugen sie zurück, woraufhin die 3. Georgische Brigade unter Zurücklassung ihrer schweren Waffen auseinanderlief, während sich die 4. Brigade rückwärts in Richtung Gori bewegte. In der Nacht vom 8. auf den 9. Au­ gust unternahmen die Georgier noch einmal einen Gegenangriff, doch am Ende zogen sich ihre 4. und 2. Brigade ohne Zusammenhang nach Tiflis zurück. Am 9. August wurde mit amerikanischer Hilfe noch die 1. Brigade aus dem Irak eingeflo­ gen, was am Ausgang der Kämpfe aber nichts mehr änderte.4057 Von seiten der NATO-Experten wurde hervorgehoben, die Schwäche der Georgier habe darin gelegen, daß die Russen die Luftüberlegenheit gehabt und die georgische Luftwaf­ fe noch am Boden zerstört hätten. Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel zufolge war daher für die Brüsseler NATOOffiziere eines klar: »Die Georgier hätten angefangen, und zwar weniger aus Not­ wehr oder als Reaktion auf russische Provokationen, sondern aus eigenem Kalkül. Es sei eine kalkulierte Offensive gegen die südossetischen Stellungen gewesen, um vollendete Tatsachen zu schaffen; die Schußwechsel der vorhergehenden Tage wurden in Brüssel kühl als geringfügige Vorgänge eingestuft. Noch deutlicher: Im nachhinein seien sie keineswegs als Begründung für die georgische Kriegsvorbe­ reitung zu werten.«4058 Der georgische Angriff auf Zchinwali erfolgte noch eine Stun­ de vor der russischen Intervention: »Am 7. August, um 22.35 Uhr, also knapp eine Stunde vor dem von Saakaschwili behaupteten Einmarsch der russischen Panzer in den Roki-Tunnel, beginnt der georgische Artilleriebeschuß von Zchinwali.«4059 Überdies benennt das Nachrichtenmagazin Der Spiegel den Oberst im Generalstab und Leitenden Militärberater der deutschen OSZE-Mission Wolfgang Richter, der vor Ort in Tiflis war, als Zeugen, der bestätigte, daß die Georgier bereits im Juli 2008 an der Grenze zu Südossetien Truppen massiert hätten. In einer vertraulichen Sitzung des Außen- und Verteidigungsausschusses des deutschen Bundestags be­

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legte er, daß die Georgier teilweise über Truppenbewegungen »gelogen« hätten. Für Saakaschwilis Behauptung, die Russen seien in den Roki-Tunnel einmarschiert, bevor Tiflis den Angriffsbefehl gab, habe Richter keine Belege gefunden, so der Spiegel.4060 Den NATO-Unterlagen waren zudem Indizien zu entnehmen, die Aufschluß für den Grund des Einmarsches der russischen Streitkräfte gaben. Während der Be­ schießung Zchinwalis durch die georgischen Streitkräfte verfolgten die Geheim­ dienste im Äther die Hilferufe der eingeschlossenen russischen Friedenstruppen, »aber die 58. Armee, unter anderem in Nordossetien stationiert, scheint nicht ge­ fechtsbereit zu sein. Jedenfalls nicht in dieser Nacht... Nach den Erkenntnissen der Dienste feuert die russische Armee erst um 7.30 Uhr am 8. August - mit dem Ab­ schuß einer SS-21 auf die Stadt Borschomi, südwestlich von Gori, die Rakete soll Bunkerstellungen von Armee und Regierung treffen. Kurz darauf fliegen russische Kampfflugzeuge erste Angriffe auf die georgische Armee. Jetzt schwillt der Funk­ verkehr im Äther an, die russische Armee erwacht. Erst gegen elf Uhr ziehen ihre Truppen aus Nordossetien durch den Roki-Tunnel. Diese Zeitabfolge gilt inzwi­ schen als Beleg dafür, daß Moskau nicht offensiv gehandelt, sondern nur reagiert hat. Später werden weitere SS-21 nach Süden verlegt. Die Russen führen 5500 Sol­ daten bis nach Gori. An der georgisch-abchasischen Grenze sind 7000 Soldaten auf marschiert«.4061 Damit scheint wohl festzustehen, daß es die georgische Führung gewesen ist, die die Situation bewußt ausufern ließ. Allerdings gibt es hier auch Gegenstimmen die sich ausgerechnet auf eine russische Quelle berufen, die belegen soll, daß die russischen Streitkräfte nicht auf die georgische Aggression gegen Südossetien rea­ giert, sondern unabhängig davon sich bereits auf dem Vormarsch befunden hätten. Ein Hauptmann der 8. Russischen Armee hat demzufolge gegenüber der Militär­ zeitschrift Roter Stern dargelegt, daß seine Einheit bereits in der Nacht zum 8. Au­ gust von Nordossetien aus durch den Roki-Tunnel auf Zchinwali vorgerückt sei.4062 Fraglich ist allerdings, wie glaubhaft diese Quelle angesichts der von den Geheim­ diensten ermittelten Vorgänge ist. Die Zweifel vergrößern sich, weil der besagte russische Hauptmann in einer der folgenden Ausgaben des Roten Sterns seine Dar­ stellung widerrief und nun erklärte, seine Einheit sei nun doch etwas später, als zuerst angegeben, auf Zchinwali zumarschiert.4063 Damit wäre sich insgesamt der Einschätzung Michael Stürmers anzuschließen, der in einem Aufsatz in der Tageszeitung Die Welt analysierte, daß Saakaschwili in einem Akt von Größenwahn mit seinen Milizen das große Rußland gereizt habe.4064 Auch die Neue Zürcher Zeitung spricht hier von einem Hasardspiel Saakaschwilis: »Saakaschwili, der westliche Ausbildung und weitläufigen Charme mit traditio­ nell kaukasischer Abenteuerpolitik verbindet, suchte immer wieder die Provokati­ on. Er trägt maßgeblich Verantwortung dafür, daß die seit den Kriegen in den neun­ ziger Jahren eingefrorenen Konflikte mit Südossetien und dem ebenfalls von

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Georgien de facto unabhängigen Abchasien wieder an Schärfe zugenommen ha­ ben. Saakaschwili nutzte nie die Chance zum Neuanfang und zur Vertrauensbil­ dung, die der Sturz seines Vorgängers Schewardnadse bedeutete.«4065 Aufgrund dieser Politik Saakaschwilis kam es seit Juli 2008 immer wieder zu Zusammenstößen zwischen georgischen und südossetischen bewaffneten Kräften. »Es gab Schußwechsel, Tote, offenbar auch Morde im Umfeld der Scharmützel. Das alles hat im Westen niemanden allzu sehr aufgeregt, denn solche kleineren Gefechte gab es dort jeden Sommer.«4066 Folgt man Nikolas Busse, sollte sich dies aber Anfang August 2008 geändert haben. Denn »>da hat die georgische Seite of­ fenbar beschlossen, das Ganze nun militärisch lösen zu müssenIn­ dependent International Fact-Finding Mission< (IIFFMCG), der am 30. September 2009 veröffentlicht wurde, bestätigte auch folgerichtig, daß Georgien den Krieg um Südossetien begann. Dort heißt es: »Der Beschuß Zchinwalis durch die georgischen Streitkräfte in der Nacht vom 7. auf den 8. August 2008 war der Beginn des groß angelegten bewaffneten Konflikts in Georgien.« Bezüglich der Behauptungen der georgischen Führung, man habe nur auf eine russische Invasion reagiert, erklärte die Leiterin dieser Untersuchungskommission , die Schweizer Diplomatin Heidi T ag­ liavini, daß ni cht eine der Erkläru ngen der georgischen Behörden , die sie als juristi­ sche Rechtfertigungsgründe vorgebracht hätten, stichhaltig gewesen sei. Insbeson­ dere hätte keine groß angelegte russische Militärinvasion gedroht, die durch das georgische Militär hätte gestoppt werden müssen. Jedoch, so der Bericht, sei die militärische Reaktion Rußlands weit über die vernünftigen Grenzen der Verteidi­ gung hinausgegangen. Damit bestätigten die Ergebnisse dieser Untersuchung ei­ nen Ende 2008 erstellten Bericht der OSZE, der sich auf deren eigene Beobachter stützte und der inhaltlich der georgischen und amerikanischen Version der Dar­ stellung der Kriegsgründe widersprach.

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2.5 Der NATO-Gipfel in Bukarest im April 2008 als Kriegsbeschleuniger So muß man sich aber die Frage stellen, wieso Saakaschwili gerade zu jenem Zeit­ punkt eine militärische Blitzoffensive zur Schaffung vollendeter Tatsachen gestar­ tet hatte. Hierbei gilt es auch, die Frage zu stellen, ob Saakaschwili nicht durch andere Mächte Signale erhalten hatte, um diesen Schlag führen zu können. Auch Nikolas Busse von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung wirft hier mehrere Fragen auf: Möglicherweise habe Saakaschwili nicht mit einer Entschlossenheit Moskaus gerechnet, vielleicht habe er vom Westen Signale erhalten oder aber er sei in eine russische Falle geraten.4070 Eine Antwort gibt er jedoch nicht. Zu beachten ist jedoch in diesem Zusammenhang, daß Saakaschwilis außenpoli­ tischer Kurs darauf ausgerichtet ist, die GUS zu verlassen und vollwertiges Mit­ glied des transatlantischen Bündnisses zu werden. Während der Zuspitzung der russisch-georgischen Krise im Jahr 2006 kündigte Saakaschwili den Schritt, die GUS zu verlassen, deutlich an. Anlaß hierfür war das Embargo Rußlands gegen die Ein­ fuhr georgischer Weine und Lebensmittel, womit Rußland deutlich machen wollte, daß es nicht mehr gewillt war, die provokative Politik Georgiens in der Abchasienund Südossetienfrage länger hinzunehmen. Tatsächlich aber wurde die Aufkündi­ gung der GUS-Mitgliedschaft in Georgien schon länger diskutiert, und so wurde im Jahre 2006 erkennbar, daß die Ukraine und Georgien nach den Worten des ge­ orgischen Staatsministers für die euro-atlantische Integration, Giorgi B aramidse, die­ sen Schritt »mit größter Sicherheit« vollziehen würden.4071 Hierzu wurden die Ukrai­ ne und Georgien auch von dem US-Vizepräsidenden Richard Cheney auf dem Treffen in Vilnius im Mai 2006 ermutigt.4072 »Meine vorläufige Einschätzung ist, daß wir bei einem Austritt aus der GUS nicht viel zu verlieren haben«, erklärte Saakaschwili seinerzeit. Stattdessen »versucht er mit aller Macht, Georgien in die Nato zu führen sowie der EU näher zu bringen. Dabei hat er sich eng an die USA angelehnt«.4073 Dies erfolgte zu einer Zeit, als sich die russisch-amerikanischen Beziehungen auf dem Tiefpunkt befanden, was in den Angriffen des US-Vizepräsidenten Richard Cheney auf der im Mai 2006 stattgefundenen Außenministerkonferenz in Vilnius gegen die Energiepolitik Rußlands und dessen »Demokratiedefizite« deutlich wur­ de. Die Verstaatlichung des Energiesektors in Rußland war der US-Machtelite oh­ nehin ein Dorn im Auge, und aus diesem Grund begann diese seit einiger Zeit in aller Stille, das Verhältnis zu Rußland zu überdenken, wobei Cheney die treibende Kraft war. Seit Januar 2006 war er im Begriff, Rußland-Experten und Geheimdienste zu einer Strategierunde zusammenzuführen,4074 um Putins Absichten zu analysie­ ren und Gegenstrategien zu entwickeln. »Bereits seit längerem haben sich in den USA Politiker auf Rußland eingeschossen... Der Negativtrend gegenüber Moskau ist dabei nicht auf das konservative politische Spektrum in den USA beschränkt. In einem Bericht des einflußreichen Council on Foreign Relations... wurden die Pro­ bleme zwischen den USA und Rußland ausführlich analysiert.«4075 Neben den >De­

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mokratiedefiziten< und dem Einsatz der >Energiewaffe< wurde Rußland darin auch vorgeworfen, den Zugang zu den US-Basen in Zentralasien zu blockieren, und so kommt die Studie zu der Schlußfolgerung: »Die Idee einer strategischen Partner­ schaft ist nicht mehr realistisch.«4076 Michael McFaul, Rußland-Kenner vom ThinkTank >Hoover-InstitutionWeinkrieges< ziemlich genau mit einer Präsentation von Georgiens Nato-Vorbereitungen in Tiflis zusammen. Anfang Mai (2006) stellte die georgische Führung internationalen Beobachtern und Vertretern der NATO die Ergebnisse der bisherigen Militärreform sowie die künftigen Pläne zum Erreichen der NATO-Stan­ dards vor.«4081 In Tiflis rechnete man in öffentlichen Äußerungen damit, daß im Bündnis bis zum Ende des Jahres 2006 eine positive Entscheidung über einen >Mem­ bership Action Plan< für Georgien gefällt würde, was so gut wie ein Eintrittsbillet in die NATO gewesen wäre. Tatsächlich jedoch war Georgien bislang seinem Ziel nicht wesentlich nähergekommen. Die USA und Saakaschwili hofften jedoch, auf dem NATO-Gipfeltreffen in Bu­ karest im April 2008 eine Aufnahme Georgiens und der Ukraine in den >NATO-

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Membership Action Plan< durchsetzen zu können. Damit aber konnten die USA nicht durchdringen. »Als Präsident George W. Bush Georgien auf dem Nato-Gipfel in Bukarest in den >Action Plan for Membership< des westlichen Verteidigungs­ bündnisses aufnehmen wollte, eine Vorstufe zur NATO-Mitgliedschaft, verweigerten ihm zehn Mitgliedsländer die Gefolgschaft - darunter Deutschland, Frankreich und Italien.«4082 Wenn die Maximalforderung der USA nach Aufnahme der Ukraine und Georgi­ ens schon nicht durchzusetzen war, so wurde jedoch der Beitritt dieser Länder dort erstmals beschlossen.4083 Unter Ziffer 22 der Gipfelerklärung hieß es: »Wir haben uns gestern darauf geeinigt, daß diese Länder Mitglied der NATO werden.«4084 Damit hatten die USA zumindest noch einen wichtigen Etappensieg erzielen kön­ nen: Sie hatten die NATO auf das Ziel festgelegt, die geostrategischen Schlüssel­ staaten Eurasiens, Ukraine und Georgien, in das transatlantische Bündnis aufzu­ nehmen, wobei die endgültige Entscheidung über den >Membership Action Plan< auf Dezember 2008 verschoben wurde.4085 Dann sollten die Außenminister der NATO noch einmal darüber beraten, ob Georgien und die Ukraine mittlerweile die notwendige >Bündnisreife< besäßen und über die erforderlichen NATO-Beitritts­ kriterien verfügten. Nikolas Busse bezeichnete diese Formel als einen »in der Geschichte der NATO einmaligen Kompromiß«.4086 Nach Urteil der Frankfurter Rundschau war genau der Tag, an dem dies beschlossen wurde - der 4. April 2008 -, auch der »Beginn des Countdowns zum Krieg«4087, weil die NATO mit dieser Entscheidung direkt in die Sicherheitssphäre Rußlands vorrückte. An jenem Tag, so die Ausführungen der Zeitung, »empfing die Nato beim Gipfel in Bukarest als Gast Wladimir Putin, Ruß­ lands damaligen Präsidenten. Putin war wütend. Tags zuvor hatte die Nato den Ex-Sowjetrepubliken Ukraine und Georgien die Aufnahme in die Nato zugesagt wenn auch ohne festen Zeitplan. Beim Mittagessen mit den Staats- und Regierungs­ chefs kündigte Putin Rußlands Antwort an: So wie der Westen den Kosovo, werde Moskau Abchasien und Südossetien anerkennen und eine Pufferzone zwischen der Nato und seinen Grenzen schaffen, gab ein Nato-Delegationsmitglied Putins Worte der Moskauer Tageszeitung Kommersant weiter.«4088 Während Rußland diesen Beschluß des NATO-Gipfels als weiteres Element der US-amerikanischen Einkreisungspolitik erkannt hatte, ging er Georgien nicht weit genug. Der damalige georgische Außenminister David Bakradze bezeichnete ihn als Fehler.4089 Nach Beurteilung der georgischen Führung hätten die europäischen NATO-Mitglieder die Bedeutung des Kaukasus nicht erkannt und würden es da­ her versäumen, Georgien als wichtigen strategischen Faktor Europas in der Region die erforderliche sicherheits- und verteidigungspolitische Aufmerksamkeit zukom­ men zu lassen. Die europäischen NATO-Mitglieder begründeten ihre Weigerungs­ haltung damit, daß die Aufnahme der Georgier wegen der Konflikte in Abchasien und Südossetien problematisch und man daher nicht bereit sei, für Georgien in den

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Krieg zu ziehen, wenn laut Artikel 5 des NATO-Vertrages einmal der gemeinsame Verteidigungsfall - möglicherweise ausgelöst durch eine leichtfertige georgische Provokation - eintreten sollte.4090 Saakaschwili kritisierte diese Entscheidung mit den Worten, daß die Europäer endlich beweisen müßten, inwieweit sie für ihre Werte einstünden, denn am Kaukasus stehe die gesamte Sicherheitsordnung Euro­ pas au f dem Spiel.4091 Indirekt forderte Saakaschwili den Westen auf, eindeutig ge­ gen Rußland Stellung zu beziehen, denn: »Rußland betreibe eine Politik der Um­ verteilung, und Georgien sei nur der Anfang. >Morgen ist es die Ukraine, dann die baltischen Staaten, Polenterritoriale Integrität< zu verteidigen. Die Som­ merkrise 2008 erinnert insofern deutlich an die oben beschriebene Krise um die Pankisi-Schlucht im Jahre 2002, die seinerzeit Schewardnadse durch die heimliche Unterstützung eines tschetschenischen Warlords gezielt betrieb, um ebenfalls die Einsatzbereitschaft der USA für die Einheit Georgiens gegen etwaige russische Gegenmaßnahmen zu prüfen. Viel spricht dafür, daß Saakaschwili diese Strategie jetzt wiederholen wollte, um zwei Ziele zu erreichen: Einerseits die Unterstützung der NATO und der USA für eine gewaltsame Politik der Eingliederung Abchasiens und Südossetiens und zweitens, einen russischen Gegenangriff zu provozieren, der auch den europäischen NATO-Mitgliedsstaaten die Notwendigkeit einer NATOMitgliedschaft Georgiens vor Augen führen, ihnen ihre Bedenken dagegen neh­ men und somit den NATO-Beitritt des Kaukasusstaates beschleunigen soll. Tat­ sächlich - so auch das Nachrichtenmagazin Der Spiegel - nahmen seit dem Bukarester NATO-Gipfel die Spannungen im Kaukasus wieder zu.4093 Auch Saakaschwili war klar, daß Rußland einem gewaltsamen Übergriff auf Südossetien nicht tatenlos zusehen würde. Durch den Bukarester NATO-Beschluß nämlich fühlte sich Moskau in seiner bisherigen Position bestärkt und nahm sogar quasi-offizielle Beziehungen zu den abtrünnigen Regionen auf.4094 Genau darauf schien Saakaschwili nach Ansicht einiger Beobachter auch gesetzt zu haben: »Seine Berechnung ist kein Geheimnis: Er eröffnet den Krieg im Bewußtsein der Rücken­ deckung durch die USA und ihren NATO-Anhang, nimmt eine Eskalation der lo­ kalen Auseinandersetzung zu einem Konflikt der Großmächte nicht nur in Kauf, sondern setzt geradezu auf sie. Das russische Kontingent in der Friedenstruppe wird demonstrativ beschossen und dezimiert, die Hauptstadt der Südosseten ebenso demonstrativ in Schutt und Asche gelegt. Für die Rückgewinnung des Komman­ dos über einen von Tiflis abgefallenen Sprengel führt Saakaschwili seine Nation in einen Großkonflikt: Rußland soll mit den USA in Kollision kommen und sich vor die Frage gestellt sehen, ob es klein beigibt und Georgien gewähren läßt, oder ob

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ihm die Wahrung seiner Interessen im Südkaukasus im Zweifelsfall eine direkte Konfrontation mit der Supermacht wert ist.«4095 Rußland, so wohl die Absicht Saakaschwilis, sollte als Bedrohungsfaktor für die euro-atlantische Sicherheit - insbesondere der Energiesicherheit - vorgeführt wer­ den, und darauf baute seine Eskalationspolitik auf: »Saakaschwili schafft bestän­ dig Krisenlagen in der Berechnung, seinem Feind so die Herrschaft über die Lage im südlichen Kaukasus aus der Hand zu nehmen: Die militanten Provokationen und ständigen Herausforderungen an die russischen Friedenstruppen sind darauf angelegt, daß Rußland >zurückschießt< und sich damit als eigentlicher Krisenver­ ursacher und als Okkupations- statt Friedensmacht entlarvt. Damit lägen dann die nötigen Beweise für eine internationale Verurteilung des Kreml durch OSZE, UNO etc. vor, Rußland wäre in seiner Rolle als Garant des Waffenstillstands und Entsen­ der von Friedenstruppen delegitimiert und müßte durch eine wirklich überpartei­ liche Friedensmission... abgelöst werden.«4096 Folgt man den Analysen der tageszeitung, ist Saakaschwili - obschon es hierfür noch keine verläßlichen Beweise gibt - offensichtlich davon ausgegangen, daß die USA dafür Sorge tragen würden, »daß Rußland so lange stillhält, bis die von den USA aufgerüsteten und trainierten georgischen Truppen in Südossetien neue Fakten geschaffen haben«.4097 Mit einer blitzkriegartigen Operation sollten die Hindernisse beseitigt werden, die bislang gerade aus Sicht der europäischen NATO-Staaten ei­ ner NATO-Mitgliedschaft Georgiens im Wege standen. Dies mußte aber noch vor Ablauf des Zeitplanes geschehen sein, den sich die NATO gesetzt hatte, um erneut die Tauglichkeit Georgiens für den >Membership Action Plan< zu prüfen, was im Dezember 2008 erfolgen sollte. Bis dahin sollten Abchasien und Südossetien einge­ gliedert und der russische Einfluß durch Zernierung der dortigen Friedenstruppen aufgehoben sein. Dadurch, daß die USA offen für die NATO-Mitgliedschaft Geor­ giens geworben hatten, erhoffte sich Saakaschwili deren heimliche Unterstützung.

2.6 Die heimliche Unterstützung des georgischen Militärschlags durch die USA Damit stellt sich die Frage, inwieweit der Militärschlag Georgiens hinter den Kulis­ sen von den USA inszeniert und gefördert wurde. Tatsächlich liegen einige Anzei­ chen dafür vor, daß die US-Machtelite das Vorgehen der Georgier unterstützte. Schon allein vor dem Hintergrund der bestehenden engen militärischen Zusam­ menarbeit zwischen den USA und Georgien ist kaum glaubhaft, daß den USA die Pläne Georgiens nicht bekannt gewesen sein sollen. Die amerikanische Militäran­ wesenheit wurde zudem in den letzten Jahren zur Ausbildung der georgischen Streitkräfte nochmals ausgeweitet,4098 und die strategische Bedeutung Georgiens wurde in der jüngsten Vergangenheit von US-amerikanischen Militärs des öfteren hervorgehoben. So erklärte General Jones, damals Oberbefehlshaber der amerika­ nischen Streitkräfte in Europa: »Der Kaukasus wird für uns immer wichtiger. Sein

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Luftkorridor ist die Lebensader zwischen den Streitkräften in Afghanistan und unseren Nachschubbasen in Europa. Kaspisches Erdöl, das durch den Kaukasus fließt, kann bis zu einem Viertel des zusätzlichen Bedarfs an Öl decken.«4099 Im be­ nachbarten Zentralasien, so analysierte die Neue Zürcher Zeitung, »schlugen hinge­ gen die amerikanischen Versuche, dauerhaft Militärstützpunkte zu errichten, weit­ gehend fehl. Militär und Energie sind gute Gründe für das Interesse an Georgien. Es ist als Transportroute für kaspisches Öl und Gas unerläßlich, solange man nicht auf Pipelines über russisches oder iranisches Gebiet zurückgreifen will«.4100 Die außerordentliche geopolitische Bedeutung Georgiens spricht daher dafür, daß die USA auch über ein Informationssystem in Georgien verfügen, durch das sie über sämtliche Vorgänge in diesem Kaukasusstaat - sowohl politische als auch militärische - unterrichtet bleiben. Überdies ist zu beachten, daß selbst Militärbe­ obachter der OSZE durch abgehörte Telefonate der georgischen Führung in Erfah­ rung gebracht hatten, daß Saakaschwili Südossetien hatte angreifen lassen, bevor russische Panzer durch den Roki-Tunnel nach dorthin vorgedrungen waren.4101 Wenn also selbst die OSZE dazu imstande war, dürfte dies erst recht für die CIA gelten. Tatsächlich gab es auf amerikanischer Seite Stellungnahmen, die der US-Macht­ elite eine nicht geringe Schuld an der Eskalation zuwiesen. Charles Kupchan, unter US-Präsident Clinton hochrangiger Mitarbeiter im Nationalen Sicherheitsrat, ist der Auffassung, daß George W. B ush Michail Saakaschwili mit seinem Auftritt 2005 in Tiflis zum Übermut angestachelt habe.4102 Ähnliches war von Justin Logan vom Cato-Institute zu vernehmen. Er erklärte, es sei »unerklärlich und fahrlässig« ge­ wesen, Georgien eine Sicherheitsgarantie geben zu wollen, indem man seine Auf­ nahme in die NATO gefördert habe.4103 Völkerrechtsexperte Andreas Zumach geht sogar davon aus, daß sich Georgien vor dem Einmarsch in Südossetien die Erlaubnis der BusH-Administration einge­ holt habe, die von dieser auch erteilt worden sei. Dabei verweist er auch auf die Bedeutung des Bukarester NATO-Beschlusses.4104 »Zumindest hinter verschlosse­ nen Türen räumen Nato-Diplomaten inzwischen ein, daß der Beschluß des Buka­ rester Gipfels für eine Beitrittsperspektive Georgiens zu der Eskalation beigetra­ gen hat, die jetzt zum Krieg geführt hat. So habe der Beschluß den georgischen Präsidenten Michail Saakaschwili zu verschärfter Rhetorik gegenüber Moskau und den Führern der abtrünnigen Provinz Südossetien ermutigt und zu dem Versuch, diese Provinz mit militärischen Mitteln zurückzuerobern. Für dieses Vorgehen hat Saakaschwili nach Angaben von Nato-Diplomaten verschiedener west- wie osteu­ ropäischer Mitgliedsstaaten in den letzten Monaten zahlreiche Signale der Unter­ stützung aus Washington erhaltenWährend das Außenministerium alles ver­ suchte, um Saakaschwili zurückzuhalten, haben ihn seine Kumpel im Weißen Haus weiter angestacheltFackel der Freiheit< (George W. Bush) zu befeuern, hätten Rußlandexperten im Haus vor einem Konflikt mit Moskau gewarnt, in dem Washington realistisch betrachtet nichts gewinnen könne«.4107 Verschiedenen Beobachtern zufolge ist dies besonders während des Präsident­ schaftswahlkampfes zu Tage getreten, in dem an den Stellungnahmen der Präsi­ dentschaftskandidaten erkennbar war, daß einflußreiche Vertreter der US-Macht­ elite von Anfang an auf einen Konfrontationskurs gegen Rußland ausgerichtet waren. »Die Aspiranten für die Bush-Nachfolge, Barack Obama und John McCain, üben sich beide in Härte: Amerika müsse im UN-Sicherheitsrat eine neue Resolution durchsetzen, die eine unabhängige, also von russischen Truppen bereinigte Frie­ denstruppe im Kaukasus einsetze... Doch McCain geht noch einen Schritt weiter. Der Veteran steht unter dem Einfluß neokonservativer Vordenker wie Robert Ka­ gan, der die kaukasischen Ereignisse als Beginn einer neuen Ära deutet: >Historiker werden zur Einsicht gelangen, daß der 8. August 2008 ein Wendepunkt von nicht geringerer Bedeutung ist als der 9. November 1989, als die Berliner Mauer fielProject for the New American Century< (PNAC) sowie Chef des >Committee for the Liberation of Iraq< (CLI), das Propaganda für den Irakkrieg machte, zusammen mit John McCain und dem demokratischen Senator Joe Lieber­ man.4112 Die Lobbyfirma Scheunemanns, Scheunemann & Associates, vertrat neben verschiedenen Rüstungskonzernen auch die >Kaspische AllianzP räsidenten< S üdosse­ tiens. »Bis dahin hatte zwischen USA und EU Einigkeit bestanden, diese für Provo­ kationen und militärische Abenteuer aufgebaute Figur zu ignorieren.«4116 Zu die­

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sem Besuch in Tiflis berichtete das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, daß Condole­ ezza R ice S aakaschwili vor einem militärischen Konflikt mit Rußland gewarnt habe, jedoch gab »auch sie andere Signale, etwa bei einem Besuch in Tiflis im Juli (2008), als sie Saakaschwili versicherte, die USA würden sich für die Nato-Migliedschaft Georgiens einsetzen«.4117 Wenige Tage nach dem Besuch der US-Außenministerin, »bei dem vermutlich auch über die bevorstehende Aggression gesprochen wurde«,4118 fand in der Zeit vom 17. bis zum 31. Juli 2008 auf dem militärischen Übungsgelände um den Stütz­ punkt Vaziani bei Tiflis ein gemeinsames georgisch-amerikanisches Militärmanö­ ver unter dem Codenamen >Immediate Response< (>Direkte AntwortBe­ seitigung< der russischen Friedenstruppen, die durch eine internationale, womög­ lich von der NATO aufgebaute Beobachtertruppe ersetzt würden, ist gerade Vor­ aussetzung für die Verwirklichung dieser Einkreisungspolitik am Kaukasus. Da sich dabei transatlantische Geopolitik und Saakaschwilis nationalistisches Pro­ gramm deckten, spricht sehr viel dafür, hier von einem US-amerikanischen Stell­ vertreterkrieg zu sprechen.

2.7 Die russischen Motive Es stellt sich nunmehr die Frage, was R ußland bewogen, ak tiv an d er Seite S üdosse­ tiens seine 58. Armee zu mobilisieren und einmarschieren zu lassen. Offiziell be­ gründete der russische Staatschef Medwedjew diesen Schritt damit, es gehe darum, Leben und Würde russischer Staatsbürger zu schützen - an die Südosseten hatte Moskau in den vergangenen Jahren ja russische Pässe austeilen lassen. Von westli­ cher sowie georgischer Seite wurde von einem Rückfall Rußlands in einen Neoim­ perialismus des 19. Jahrhunderts gesprochen. Der Einmarsch in Georgien wurde als erstes Zeichen einer >revisionistischen Politik< ausgelegt, die darauf ausgerich­ tet sei, die >verlorenen Gebiete< der UdSSR wieder zu annektieren, und die im näch­ sten Schritt in der Ukraine und im Baltikum fortgesetzt werden solle. Zbigniew Brzezinski unterstellte Rußland in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt, daß es zur Erreichung dieses Ziels ähnlich vorgehe wie Stalin oder Hitler. Den russischen Einmarsch in Georgien vergleicht er mit dem Einmarsch Hitlers in das Sudetenland. Putin, so Brzezinski, habe einen Kurs einschlagen lassen, der nach »alter imperialistischer Denkweise« unter Anwendung von militärischer Gewalt auf die Zersplitterung Georgiens ausgerichtet sei. Es gehe Moskau dabei um »die Wiedereinverleibung alter sowjetischer Gebiete in die Kontrollsphäre des Kremls und das Abschneiden des Zugangs des Westens zum Kaspischen Meer und Zentral­ asien durch das Erlangen der Kontrolle über die Baku-Ceyhan-Pipeline, die durch Georgien verläuft«.4127

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Liegt also der russischen Außenpolitik ein derartiges restaurativ ausgerichtetes planvolles Handeln zugrunde? Folgt man dem Leiter des Instituts für politische und militärische Analyse in Moskau, Alexander Chramtschichin, so ist das Argu­ ment der NATO-Staaten, Rußland verfolge eine imperiale Strategie, als »lächer­ lich« zu bezeichnen. Vielmehr sei es so, daß Moskau über gar kein klares Konzept verfüge. C hramtschichin kommt in seiner Analyse - veröffentlicht im Handelsblatt4128 - zu dem Ergebnis, daß die heutige Politik in Moskau keinesfalls Folge weitrei­ chender strategischer imperialer Vorhaben ist. »Leider hat Rußland gar keine Stra­ tegie für die eigene Entwicklung, weder nach innen noch nach außen. Vielmehr ist es eine Mischung aus der Reaktion auf gegenwärtige Situationen, der Nachahmung von Handlungen des Westens, der Erkenntnis, daß der Westen heute auf Rußland nicht ernsthaft einwirken kann, und der Widerspiegelung von Prozessen, die ob­ jektiv im postsowjetischen Raum vor sich gehen. Rußland ist keineswegs eine Trieb­ kraft von Konflikten, denn alle postsowjetischen Konflikte bildeten sich heraus, als das gegenwärtige Rußland noch nicht bestand.«4129 Daß die Moskauer Politik mehr in pragmatischen Reaktionen auf vorgegebene Lagen bestand und von einem auf Langfristigkeit ausgerichteten Stufenplan zur Wiederherstellung der UdSSR nicht gesprochen werden kann, wird auch durch die Maßnahmen Rußlands bestätigt. Die These, daß Rußland langfristig eine Unter­ werfung Georgiens unter die Kontrolle des Kreml geplant habe, wird bereits da­ durch widerlegt, daß es in Erfüllung der Vereinbarung des Istanbuler OSZE-Gipfels von 1999 seine Stützpunkte in Georgien weitgehend geräumt und auch noch mit Saakaschwili eine entsprechende Vereinbarung getroffen hatte. Die Unterstützung Abchasiens und Südossetiens diente auch nicht einem etwaigen Plan zur Zerschla­ gung Georgiens - Putin selbst hatte eine Anerkennung der abtrünnigen Provinzen als unabhängiger Staaten abgelehnt, was auch bei dem Unabhängigkeitsreferen­ dum Südossetiens im November 2006 deutlich wurde -, sondern vielmehr der Si­ cherung des russischen Einflusses in dem geostrategisch wichtigen Land, von des­ sen Kontrolle gleichzeitig auch die Kontrolle des Kaukasus abhängt. Viele Beobachter sind sich darüber einig, daß die Entscheidung Rußlands zur offenen Unterstützung Abchasiens und Südossetiens und einer härteren Haltung gegenüber Georgien durch zwei wichtige Ereignisse veranlaßt wurde: die vom trans­ atlantischen Bündnis geförderte Unabhängigkeitserklärung des Kosovo am 17. Fe­ bruar 2008 und die Zusage der NATO auf ihrem Gipfeltreffen in Bukarest im April 2008, daß Georgien und die Ukraine der Allianz beitreten dürfen.4130 Diese Ereig­ nisse hatten für das russische Vorgehen eine entscheidende Katalysatorfunktion: »Daß für Rußlands Kaukasuspolitik das Beispiel Kosovo ausschlaggebend war«, so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel, »ist dagegen unstrittig. Erstmals seit der Unterzeichnung der Schlußakte von Helsinki 1975 wurde im Februar dieses Jahres ein Gebiet eines Staates gegen dessen Willen abgetrennt: Serbien verlor die abtrün­ nige Provinz Kosovo trotz eigener und russischer Proteste.«4131 Mit diesem Vorge­

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hen hatte das transatlantische Bündnis deutlich gemacht, daß es bereit war, gegen bestehendes Völkerrecht - den Grundsatz der Unantastbarkeit der staatlichen Un­ abhängigkeit - eine für die Kontrolle des Balkans entscheidende strategische Schlüsselregion abzutrennen und unter einen Status einer von ihr beaufsichtigten eingeschränkten Als-Ob-Unabhängigkeit zu stellen. Militarismus-Experte Jürgen Wagner bezeichnet das Kosovo als ein »Pilotpro­ jekt des neoliberalen Kolonialismus«,4132 und, wie oben schon dargestellt, hat die Balkanpolitik der transatlantischen Allianz zum Ziel, den >Fehler Eisenhowers< aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges zu berichtigen, also den Balkan in die westliche Vorherrschaftssphäre zu überführen. Nach Ansicht der Frankfurter Rundschau galt zudem die Entscheidung der NATO auf ihrem Gipfel in Bukarest als der eigentli­ che Beginn des jüngsten Kaukasuskrieges.4133 Von der russischen Staatsführung wurde dieses Vorgehen folgerichtig als flagranter Angriff auf russische Sicherheits­ interessen beurteilt. Der russische Außenminister Sergej Lawrow erklärte, daß Geor­ gien und die Ukraine »schamlos in die NATO gezerrt« würden; die USA versuch­ ten immer energischer, »das postsowjetische Territorium zu infiltrieren«.4134 Deutlicher wurde der russische Präsident Putin, als er erklärte, die Ausweitung der NATO werde »von Rußland als direkte Bedrohung der Sicherheit unseres Lan­ des aufgefaßt«.4135 Die Frankfurter Rundschau beleuchtete im Zusammenhang mit dieser Entscheidung des Bukarester Nato-Gipfels die Hintergründe der russischen Sichtweise: »Rußland empfand schon die im März 2004 vollzogene Ost-Erweite­ rung der Nato um die baltischen Länder, Rumänien, Bulgarien, Slowenien und Slo­ wakei als Betrug des Westens. Nicht ohne Grund. Als US-Außenminister James Baker bei KP-Generalsekretär Michail Gorbatschow am 8. Februar 1990 um dessen Zustimmung für den Verbleib des wiedervereinigten Deutschlands in der Nato warb, versicherte Baker, es werde >keine Ausweitung der gegenwärtigen Nato-Juris­ diktion nach Osten gebenIch stimme zu.rußländischen geopolitischen Raumes< - ein Begriff, den Sergej Breskun, Professor an der Akademie für Militärwissenschaften in Moskau, geprägt hatte. Dieser >rußländische geopolitische Raum< hatte sich Bres­ kun zufolge in den letzten 300 Jahren entwickelt und ist mit folgenden Grenzregio­ nen ausgestattet: im Westen durch den Küstensaum der Ostsee und die Regionen mit ethnisch überwiegend russo-slawischer Bevölkerung, im Südwesten durch die Ukraine und Bessarabien-Moldawien, im Süden und Südosten durch den Kauka­ sus, Transkaukasien, einschließlich des Kaspischen Meeres mit Turkestan und Mit­ telasien, im Osten durch die sibirischen und fernöstlichen Gebiete, einschließlich Sachalin, Kamtschatka und der Kurilen, und im Norden verlaufen die geopoliti­ schen Grenzen im Bereich des arktischen Eismeeres.4142 Die Stabilität dieses >ruß­ ländischen geopolitischen Raumes< sichert nach den Grundsätzen der russischen Geopolitik sowohl dem Kern (also Rußland selbst) als auch den Staaten an der Pe­ ripherie eine konstruktive politisch-historische Perspektive,4143 und so sieht Bres­

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»die außenpolitische Idee Rußlands... von der Aufgabe erfüllt, äußere Gefahren gegenüber diesem Raum entweder auszuschließen oder zu paralysieren, um es nach Möglichkeit nicht einmal zu einem Verteidigungskrieg kommen zu lassen«.4144 Genau hierin muß der Grund gesehen werden, warum Rußland als Antwort auf die Inaussichtstellung der NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine auf dem Gipfeltreffen der Allianz in Bukarest zu einer härteren Politik gegenüber Georgien und letztlich zu einer militärischen Intervention griff. Damit war seit April 2008 folgende Lage gegeben: Saakaschwili sah sich durch den NATO-Beschluß bestätigt, seinen Konfrontationskurs gegenüber Abchasien und Südossetien zu verschärfen, in der Hoffnung, die USA würden seine Bestrebungen unterstützen und letztlich mit der NATO-Mitgliedschaft honorieren. Andererseits sah sich Rußland alarmiert, da es mit einer NATO-Mitgliedschaft Georgiens seinen gesamten Einfluß im Transkaukasus verlieren würde, und setzte mit zunehmen­ der Deutlichkeit auf die abchasische und südossetische Karte. Aus diesem Grund gab auch Rußlands NATO-Botschafter Dimitri Rogosin deutlich zu verstehen, »daß Rußland die Territorialkonflikte zwischen der georgischen Zentralgewalt und den Separatisten in Abchasien und Südossetien, die ohne Rußland nicht zu lösen seien, als wichtigste Trumpfkarte in der Auseinandersetzung um die Erweiterung der Nato in den Kaukasus hinein betrachte. Schon damals befürchteten russische Beo­ bachter Zündeln im Südkaukasus und eine brenzlige Krise zwischen Rußland und Georgien, da im Dezember (2008) die Entscheidung der Nato anstehe, ob das Bünd­ nis Tiflis in das Vorbereitungsprogramm für die Nato-Mitgliedschaft (MAP) auf­ nehme«.4145 Auch die Süddeutsche Zeitung interpretiert das russische Vorgehen als defensiv und auf Einflußerhalt ausgerichtet: »Alles in allem verfolgte Rußland mit seiner Uneindeutigkeit ein simples Ziel: Sein Einfluß auf Georgien sollte gewahrt, seine Dominanz in der Region gesichert bleiben. Willfähriger Helfer russischer Interes­ sen war dabei Südossetiens Präsident Eduard Kokoity, der offen für eine Vereini­ gung von Nord- und Südossetien in einem russischen Staat eintritt.«4146 Die Süd­ deutsche Zeitung hebt dabei ebenfalls hervor, daß es der NATO-Gipfel in Bukarest war, der zur Eskalation des Krisenherdes führte, wobei die Rolle der USA herausge­ stellt wurde, die geopolitischen Einflußverhältnisse im Kaukasus zugunsten des transatlantischen Bündnisses und zu Lasten Rußlands zu verschieben: »Washington hätte gerne ein klares Signal der Unterstützung für Georgien ausgesandt und da­ mit Rußland dem onstriert, daß der Einfluß des Westens nu n in den Kaukasus reicht. Nun zeigen russische Panzer, wer das Land kontrolliert.«4147 Im Grunde entwickelte sich die Lage nach dem April 2008 so, daß die georgische Zentralregierung zunächst gegen Abchasien offensiv vorging, was dann von Ruß­ land mit Gegenmaßnahmen beantwortet wurde. Wie die tageszeitung darstellt, be­ kam der Spannungsherd durch die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo eine neue Dynamik: »Für die Bevölkerung in Abchasien und Südossetien war die Unabhän­

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gigkeit des Kosovo ein Zeichen dafür, daß auch für sie möglich sein müsse, was den Kosovaren erlaubt wurde - für Rußland waren die beiden Provinzen eine Re­ vanchemöglichkeit, um dem Westen zu zeigen, daß das Instrument der Selbstbe­ stimmung auch gegen westliche Interessen gerichtet werden kann... Michail Saa­ kaschwili sah zwar richtig, daß damit nach 15jährigem Stillstand das Endspiel um die zukünftigen Grenzen Georgiens begonnen hatte, doch er setzte auf die falsche Karte. Statt mit Rußland einen Deal auszuhandeln, schickte er seine Armee.«4148 Sich der US-amerikanischen Rückendeckung sicher, ging Saakaschwili zunächst gegen Abchasien vor, und Ende April bzw. Anfang Mai 2008 wurden georgische Truppen an der Waffenstillstandslinie zwischen Abchasien und Georgien zusam­ mengezogen,4149 insbesondere im Kodori-Tal, wo Tiflis die Installation einer will­ fährigen abchasischen Gegenregierung plante.4150 So berichtete ein in Georgien sta­ tionierter hochrangiger ausländischer Militär der Frankfurter Rundschau, daß die Georgier für Mitte April 2008 »eine Großoffensive zur Rückeroberung Abchasiens vorbereitet« hätten. Dafür, so die Frankfurter Rundschau, seien auf der 2006 in der Nähe Abchasiens eröffneten georgischen Militärbasis Senaki »bis zu 12000 Soldaten zusammengezogen und in Kampfbereitschaft versetzt worden, darunter Panzerund Artillerieeinheiten«.4151 Die Georgier schickten zu Spionagezwecken eine Aufklärungsdrohne in den abchasischen Luftraum, die dann von russischen Kampfflugzeugen abgeschossen wurde. Gleichzeitig sorgte Rußland - aber im Rahmen der vereinbarten Obergrenze - für eine Verstärkung seiner Friedenstruppen.4152 Dabei muß festgehalten werden, daß es sich bei der Drohne - der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti zufolge - bereits um das fünfte Aufklärungs-Flugobjekt gehandelt hatte, die die Georgier seit Beginn des Jahres 2008 über den abchasischen Luftraum gesandt hatten - Droh­ nen, die übrigens israelischer Herkunft waren.4153 Letztlich war es eine Machtdemonstration des russischen Militärs - die Entsen­ dung von zwei Artillerieeinheiten und von 500 Fallschirmjägern nach Abchasien Ende April -, die einen georgischen Militärschlag verhinderte. »Die Georgier ha­ ben die Offensive daraufhin abgeblasen.«4154 Nicht bestätigten Pressemeldungen zufolge soll es am Ende zu russisch-georgischen Gesprächen über einen Gebiets­ austausch gekommen sein, denen zufolge der westliche Teil Abchasiens wieder an Georgien angeschlossen werden, der verbleibende Teil unabhängig sein sollte. Diese Meldung ließ Saakaschwili aber umgehend dementieren. Der geplante Militärschlag gegen Abchasien »war offenbar nicht der einzige Angriffsplan der Georgier«.4155 Im Sommer 2008 kam es erneut zu einem Ausufern der georgisch-südossetischen Spannungen,4156 wobei sich nicht genau aufklären ließ, wer auf wen reagierte, »da es in Südossetien seit 2004 ein stetes Grundrauschen der Gewalt gab, in dem kriminelle und politische Vorfälle kaum voneinander zu tren­ nen waren... Verstöße gegen das Waffenstillstandsabkommen von 1992 gab es offen­ bar auf beiden Seiten«.4157 Als Mitte Juli bis Anfang August 2008 das gemeinsame

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amerikanisch-georgische Manöver >Immediate Response< durchgeführt wurde, bei dem die Bekämpfung russischer Freiwilliger in den Separatistenregionen geübt wurde, beantwortete Moskau dies seinerseits mit dem Militärmanöver >Kaukasus 2008Seidenstraßenzone< vom Bal­ kan bis an den Hindukusch künftig den entschlossenen Widerstand der eurasischen Kontinentalmacht zur Folge haben würde. Geopolitisch betrachtet, scheint Rußland mit dem Krieg um Südossetien und Abchasien vorerst seine Stellung im Kaukasus gefestigt und sein Faustpfand gegen­ über den NATO-Mitgliedschaftsplänen Georgiens gestärkt zu haben. »Georgien wollte seine territoriale Einheit unterstreichen, statt dessen gelingt es nun Moskau, seine Militärpräsenz in den völkerrechtlich noch immer zu Georgien gehörenden Gebieten zu zementieren... >Rußland hat versucht, das georgische Militär so zu schädigen, daß es sich nicht noch einmal in diesem Konflikt engagieren kannUnd die Existenz von separatistischen Enklaven hat sich als Garantie dafür erwiesen, daß die Nato Georgien keine Mitgliedschaft verspre­ chen kanneinen großen Fehler gemacht, indem sie den Kaukasus, der Tau­ sende Kilometer vom amerikanischen Kontinent entfernt liegt, zu einem Teil ihrer Interessensphäre erklärt habenOrganisation für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklung< nennen4166) im georgischen Batumi unter dem Vorsitz des georgischen Staatspräsidenten Saakaschwi­ li statt. Das Gipfeltreffen stand unter dem Motto »GUAM - Integrating Europe‘s East« und sollte die Entwicklung eines geopolitischen Korridors zwischen den GUAMStaaten des Schwarzen bzw. des Kaspischen Meeres und Osteuropa bzw. den Ost­ seestaaten vorantreiben - verbunden mit einer strategischen Isolation Rußlands. In Batumi trafen die Präsidenten Aserbaidschans, Georgiens und der Ukraine mit denen von Polen und Litauen zusammen. Wie Michel C hossudovsky beleuchtet, spielten die USA bei diesem Treffen im Hintergrund eine wichtige Rolle. Parallel zum offiziellen GUAM-Treffen fand ein geheimes >US-GUAM-Gipfeltreffen< statt, bei dem sich der US-Deputy-Assistant Secretary of State David Merkel mit den Vertretern der osteuropäischen und GUAM-Staaten trat.4167 Konkreter Gegenstand des Treffens war die Vereinbarung eines Baus einer Ölpipeline von Odessa über Brody nach Plotsk in Polen, die das zentralasiatische Erdöl unter Umgehung Ruß­ lands von Odessa in den Ostseeraum befördern soll. Mit dieser Pipeline soll die Absicht der USA verwirklicht werden, das russische System der Druschba-Pipe­ line (von Rußland über Weißrußland, wo diese Pipeline sich in zwei Arme spaltet, von denen einer über Polen nach Europa und ein anderer über die Westukraine, die Slowakei und die Tschechische Republik nach Europa führt) sowie das balti­ sche Pipelinesystem und seine Verbindung zu den europäischen Energiemärkten zu destabilisieren und zu torpedieren.4168 Das unter der Oberhoheit des russischen Staatskonzerns Transneft stehende bal­ tische Pipelinesystem verbindet über Samara und das russische Erdölterminal in Primorsk am Finnischen Meerbusen die westsibirischen Erdölfelder mit den west­ europäischen Energiemärkten. Dabei ist das baltische Pipelinesystem verbunden mit dem russisch-kasachischen >Caspian Pipeline Consortium< (CPC), dessen Pipe­ linesystem das kasachische Öl vom kasachischen Tengiz entlang der Nordküste des Kaspischen Meeres über russisches Territorium nach Noworossijsk am Schwar­ zen Meer führt. Eine Abzweigung der CPC-Pipeline - die >Atyrau-Samara-Pipe­ line< - führt vom kasachischen Aytrau nach Norden nach Samara und speist dort kasachisches Öl in das baltische Pipelinesystem. Den Recherchen Michel Chossu­ dovskys zufolge hatten Transneft und der kasachische Ölkonzern KazTransOil am

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10. Juli 2008 angekündigt, die Kapazität der Aytrau-Samara-Pipeline zu erweitern, wodurch Rußlands Position als Drehscheibe der Erdöllieferung von Zentralasien zum Ostseeraum gefestigt würde. Im Gegenzug zu diesem Ausbau des russischen Pipelinesystems behandelte der GUAM-Gipfel in Batumi die Entwicklung des >GUAM Transportation Corridors< (GTC), der als Ergänzung der amerikanischen Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan- ge­ dacht war.4169 Michel Chossudovsky bewertet die geopolitische Bedeutung dieses Korridors wie folgt: »Der GTC-Korridor würde die aserbaidschanische Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer mit den georgischen Häfen von Poti und Batumi am Schwarzen Meer verbinden, die dann mit dem ukrainischen Schwarzmeerhafen Odessa verknüpft würden«4170 - natürlich unter »totaler Umgehung des russischen Territoriums«. Die Agenda des Batumi-Gipfels der GUAM, so Chossudovsky, war also insgesamt darauf ausgerichtet, den russischen Einfluß im Kaukasus und Ost­ europa zu untergraben. Vieles spricht deshalb dafür, daß zwischen der Intensivierung der Pipelinevor­ haben auf russischer wie auch auf der transatlantischen Seite im Juli 2008 und der Augustkrise 2008 ein enger Zusammenhang besteht. Wie ausgeführt, kam dabei Georgien eine Schlüsselrolle zu. Kurz gesagt: Wer das >Rimland< Georgien kontrol­ liert, kontrolliert auch die Pipeline-Agenda des gesamten eurasischen Raumes. »Die Militarisierung dieser Korridore ist ein zentrales Merkmal der US- und NATOPläne. Die Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine in der NATO ist ein Teil der Agenda, die Energie- und Transportkorridore vom Becken des Kaspischen Meeres nach Westeuropa zu kontrollieren.«4171 Franz-Lothar Altmann, Mitglied des Präsidiums der Südeuropa-Gesellschaft und Professor an der Universität Bukarest, erklärte, daß Rußland mit seinem Eingreifen in Georgien ein klares energiegeopolitisches Ziel verfolge: »Hinter dem militäri­ schen Eingreifen Moskaus in den südossetischen Konflikt stecken eindeutige Moti­ ve: die Bloßstellung Georgiens als unsichere Region, aber auch die Klarstellung der russischen geopolitischen Interessen im Kaukasus.«4172 Die Bombardierung der ge­ orgischen Hafenstadt Poti, in der die Abzweigung der BTC-Pipeline ende, durch die russische Luftwaffe solle die Verletzbarkeit der europäischen Pipelineprojekte und die Grenzen des europäisch-amerikanischen Einflusses aufzeigen. »Moskaus Absichten scheinen klar: Der südliche Kaukasus, vor allem Georgien, soll seine Rolle als wichtige Energiedrehscheibe verlieren und damit auch im Interesse des We­ stens weniger Bedeutung finden.«4173 Auch die Süddeutsche Zeitung geht davon aus, daß das russische Eingreifen auch darauf abzielte, den Öltransport aus der kaspischen Region zu unterbinden.4174 Georgischen Angaben zufolge soll die russische Luftwaffe auch die Gelegenheit genutzt haben, die Pipeline Baku-Tiflis-Ceyhan anzugreifen. »Dann zerstörte Ruß­ land nach georgischen Angaben den Schwarzmeerhafen Poti am Westende der Baku-Supsa-Pipeline und demonstrierte so, daß sich der Krieg nicht nur gegen

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Georgien richtet, sondern auch gegen die Energie-Interessen des Westens.« Denn »kaum ein Energieprojekt ist für die EU u nd die USA s o bedeu tend wie d er Ausbau von Pipelines durch den Kaukasus«.4175 Wie bekannt, ist schließlich die BTC-Pipe­ line zusammen mit der Baku-Supsa-Röhre die einzige Pipeline aus der energierei­ chen kaspischen Region in den Westen, die nicht durch Rußland führt. Mit dem russischen Luftangriff auf die georgische Hafenstadt Poti, von der aus ein Teil der Öllieferungen aus der Baku-Supsa-Pipeline nach Westen verschifft wird, stellte Ge­ orgien schließlich seine gesamten Öllieferungen ein. Folgt man dieser Deutung, so wollte Rußland nicht nur die Attraktivität der BTCPipeline für den Westen untergraben, sondern auch das transatlantische >Nabuc­ coNabuccoNabuccoPipeline der Unabhängigkeit< dürfte - neben der ohnehin geostrategisch zentralen Bedeutung Georgiens - die georgische Regierung und ihre US-amerikanischen Lehensherren zum Überfall ermutigt haben.«4194

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Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß Rußland, das selbst mit >South Stream< eine Alternativpipeline in der Hand hat, zumindest als Nebenziel die Verläßlichkeit Georgiens als künftiges Transitland für kaspische Energieträger nachhaltig erschüt­ tern wollte. 4195 Laut einer in der Washington Post zitierten Aussage von Ed C how vom >Center for Strategic and International Studies< ist es Rußland zumindest gelungen, ernste Zweifel bei westlichen Kreditgebern und Investoren zu streuen, ob die >NabuccoNabuccoNabuccoGreat Game< um die Pipelinekorridore durch den Ge­ orgienkrieg aber nicht entschieden worden. Rußland hatte sich mit der Unterstüt­ zung Südossetiens ein Faustpfand sichern können, mit dem es zukünftig ein Ein­ spruchs- und Mitspracherecht über die geopolitische Ausrichtung des Kaukasus und dessen Pipelinekorridore besitzt. Auf der anderen Seite kündigten die USA und die EU eine Verstärkung ihres Einsatzes zugunsten Georgiens an, womit sie deut­ lich machten, das >Great Game< fortzuführen.

2.9 Die Markierung der neuen geopolitischen Konfrontationslinien durch den Georgienkrieg Es zeigte sich, daß es das Ziel der Politik der USA in Georgien war, einen neuen Kalten Krieg gegen Rußland in die Wege zu leiten. Dabei sollte auch die Europäische Union als Schachfigur in Stellung gebracht werden; die USA planten, die Georgien­ krise dahingehend zu benutzen, daß sich zwischen der Europäischen Union und Rußland kein neues partnerschaftliches Verhältnis entwickeln konnte. Ferner stellte der Georgienkrieg heraus, daß die Hauptkonfrontationslinie dieses neuen Kalten Krieges das Schwarze Meer und der Isthmus zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer sein werden - jene Region also, die der US-Stratege Bruce Jackson bereits als amerikanische Interessensphäre in Eurasien beschrieben hatte. Tatsächlich wirkte dieser Krieg wie ein Katalysator in der außenpolitischen Dis­ kussion der US-Machtelite, zu einer Konfrontation mit Moskau zu schreiten, was, wie bereits beschrieben, von einflußreichen Kräften in der US-Außenpolitik auch gewünscht war. Rußland konnte nunmehr endgültig als geopolitischer Feind be­ stimmt werden, was sich insbesondere während des US-Präsidentschaftswahlkamp­ fes zeigte. Während der republikanische Kandidat John McCain ohnehin bereits einen antirussischen Konfrontationskurs verfochten hatte und sogar den Einsatz von NATO-Truppen für Georgien einforderte,4197 nahm auch Barack Obama eine antirussische Wende vor. »McCains scharfer Ton hat sich durchgesetzt. Obama drängt - wie Bush -, die ehemaligen Sowjetrepubliken in die Nato aufzunehmen

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und den Raketenabwehrschirm in Polen zu installieren, der gegen iranische Rake­ ten schützen soll. Es gebe zur Bush-Politik gegenüber Putin keine Alternative, sagte Obamas außenpolitische Beraterin Susan Rice.«4198 Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel enthüllte dann auch, wie die geopolitische Konfrontation gegen Rußland wieder zum bestimmenden Element der US-Eurasi­ enpolitik der demokratischen Partei geworden ist: »Alle maßgeblichen Außenpoli­ tiker der Demokraten treten für das Ende der Kooperation der Nato mit Rußland ein - von Ex-Botschafter Holbrooke über Ex-Vize-Außenminister Strobe Talbott und Senator John Kerry bis zum ehemaligen Sicherheitsberater Carters, Zbigniew Brzezinski. Sie wollen Moskau aus den G-8-Treffen ausschließen und den Beitritt des Landes zur Welthandelsorganisation blockieren.«4199 Einer der wichtigsten und einflußreichsten Vordenker der Neokonservativen und McCain-Berater, Robert Ka­ gan, forderte in diesem Zusammenhang eine verstärkte Neo-Containmentpolitik der USA gegen Rußland. In Kagans geopolitischem Weltbild erscheint Georgien als heroischer Vorposten des >freien WestensDer 21. August 1968 liegt uns heute, zwei Wochen nach dem Beginn der russischen Aggression gegen Georgien, näher als vor 10 Jahren.< Die georgische Aggression wurde in eine russische umgedichtet.«4203

2.9.1 Die Bestrebungen der USA, Georgien nach dem Krieg weiter an den Westen zu binden Der damalige US-Vizepräsident Richard Cheney erklärte in einem Telefonat mit Saakaschwili am 10. August 2008, daß »Rußlands Aggression nicht unbeantwortet bleiben« dürfe.4204 Was Cheney mit dieser Formel zum Ausdruck bringen wollte, stellte die Tageszeitung Die Welt folgendermaßen klar: »Ex-Präsident George H.W. Bush benutzte 1990 die gleiche Formel, um den Überfall Saddam Husseins auf Ku­ wait zu kommentieren. Cheney war damals Verteidigungsminister. Das Signal an Moskau könnte kaum klarer sein.«4205 Es war die unverhohlene Warnung, wenn nötig, Rußland auch mit militärischer

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Gewalt zum Rückzug zu zwingen. Der außenpolitische Berater des Präsidentschafts­ kandidaten John McCain, Randy Scheunemann, der als offizieller Lobbyist für die georgische Regierung in Washington registriert war, griff seine schon seit langem erhobene Forderung nach einem Ausschluß Rußlands aus der G-8 erneut auf und forderte den »bedingungslosen Rückzug« Moskaus und die Kooperation von EU, KSZE und NATO. In einem Telefonat mit Saakaschwili führte er außerdem aus: »Seit vielen Jahren warne ich davor, daß Rußland die Souveränität seiner Nach­ barn zu untergraben versucht. Leider haben die jüngsten Ereignisse gezeigt, daß ich recht hatte.«4206 Anfang September 2008 unternahm Richard Cheney eine offizielle Reise nach Georgien und Aserbaidschan, um die US-amerikanische Unterstützung dieser Staa­ ten gegen Rußland zu unterstreichen. Dabei ging es - wie die Neue Zürcher Zeitung enthüllte - hauptsächlich darum, das Interesse der USA an der Stabilität des Pipe­ linekorridors Baku-Tiflis-Ceyhan zu unterstreichen. »In Baku würdigte der Vize­ präsident die aserbaidschanische Zusammenarbeit mit dem Westen im Energie­ sektor. Washington hatte genau beobachtet, ob die russische Armee während der kriegerischen Auseinandersetzung in Georgien die Pipeline Baku-Tbilissi-Ceyhan zur Umgehung Rußlands beschädigen würde. Cheney drückte aber auch das große Interesse der USA an Sicherheit, Stabilität und Frieden in der Region aus.«4207 Dieser Besuch Cheneys sollte zum Ausdruck bringen, daß die USA die geopoliti­ schen Schlüsselstaaten, die auch die Grundlage für die Rußland umgehenden Pipe­ linekorridore bilden sollten, vorbehaltlos zu unterstützen beabsichtigen. »Die USA haben klar unterstrichen, Georgien auch weiterhin uneingeschränkt zu unterstüt­ zen«, beurteilte das Handelsblatt das Treffen Cheneys mit Saakaschwili am 4. Sep­ tember 2008.4208 Ähnlich sieht es auch die Süddeutsche Zeitung: »Aufmerksamkeit hatten die Reisepläne Cheneys vor allem deshalb erregt, weil er in der Folge (nach dem Besuch in Baku, der Verf.) nach Georgien und in die Ukraine Weiterreisen w ill, um beiden Staaten in der Auseinandersetzung mit Rußland die Unterstützung Washingtons zuzusichern.«4209 Diese Reiseroute - so auch die Neue Zürcher Zeitung - mußte deshalb von Rußland au ch al s Affront gewertet w erden.4210 Cheney forderte offen die Unterstützung Georgiens durch die NATO-Staaten und darüber hinaus die Aufnahme des Landes in das transatlantische Bündnis: »Jetzt liegt es in der Verantwortung der freien Welt, sich an die Seite Georgiens zu stellen... Wie schon auf dem Nato-Gipfel in Bukarest erklärt, wird Georgien in unserer Allianz sein.«4211 Bei seinem Besuch in Tiflis stellte Cheney dem georgischen Präsidenten amerika­ nische Finanzhilfen in Höhe von rund einer Milliarde Dollar in Aussicht.4212 Ferner gelang es den USA auch, Druck auf den Internationalen Währungsfonds auszuü­ ben, um diesen dazu zu bewegen, Georgien Hilfen im Umfang von 750 Millionen Dollar in Aussicht zu stellen. »Das ist deshalb pikant, weil auch Rußland Mitglied des IWF ist, zugleich aber jede Zusammenarbeit mit Saakaschwili kategorisch ab­ lehnt.«4213 Grund für diese Hilfspakete, die im wesentlichen auf Druck der USA

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geschnürt werden sollten, war dabei hauptsächlich, das Vertrauen internationaler Investoren für die Stabilisierung Georgiens als fundamentaler Drehscheibe der OstWest-Pipeline- und Verkehrskorridore wiederzugewinnen. Nach Angaben des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) »leide das Land bis heute darunter, daß russische Truppen die Hauptversorgungsader vom Schwarz­ meerhafen Poti nach Tiflis sowie die parallele Eisenbahnverbindung und damit den Warenverkehr kontrollierten. Hinzu komme die Verunsicherung der Investo­ ren«.4214 Wegen der Verunsicherung durch die anhaltende Besetzung strategischer Teile Georgiens durch russische Truppen sind nach Berechnungen der Ratingagentur Fitch bereits 17 Prozent der Bankeinlagen von den Konten der Georgier geräumt worden. »Und laut der georgischen Nationalbank hat der Kursverfall der Landes­ währung Lari nun eingesetzt... Auch ein Ausgleich des Leistungsbilanzdefizits von bisher rund 20 Prozent des BIP durch Auslandsinvestitionen in Höhe von 19,7 Prozent des BIP sei wegen der Verunsicherung der Investoren kaum mehr mög­ lich. >Panzer verschrecken halt jeden Investorunglücklich< gewesen, daß der NATO-Gipfel im April dem Land keinen klaren Fahrplan in Richtung Bei­ tritt offeriert habe und somit gegenüber Rußland >Unentschlossenheit< signalisiert habe.«4222 Tatsächlich, so die Enthüllungen der Süddeutschen Zeitung, schienen seit dem Georgienkonflikt innerhalb der US-Machtelite wieder jene Kräfte an Einfluß zu gewinnen, die schon seit langem einen härteren Konfrontationskurs der USA gegen Rußland forderten: »Seit Tagen erschallt vor allem aus dem rechten politi­ schen Lager die Klage, Bush und Rice hätten Georgien, einen treuen Verbündeten, übel im Stich gelassen. Ein Editorial des Wall Street Journal hielt dem Präsidenten vor, er sei in seiner Einschätzung P utins einem >Fehlurteil< aufgesessen. Und, schlim­ mer noch, während Bushs Amtszeit sei die US-Rußlandpolitik >schwächlich wie unter Jimmy Carter< erschienen.«4223 Verschiedenen recht einflußreichen Vertretern der US-Machtelite gelang es, nun­ mehr den Konfrontationskurs gegen Rußland zu verschärfen. Diese Linie konnten die USA auch in der NATO während eines Krisentreffens der NATO-Außenmini­ ster in Brüssel am 19. August 2008 durchsetzen: Die Zusammenarbeit im NATORußland-Rat wurde einstweilen auf Eis gelegt.4224 Darüber hinaus wurde die Ein­ richtung einer >NATO-Georgien-Kommission< beschlossen, ein politisches Gremium, wie es bereits zwischen der NATO und der Ukraine besteht. »Das ist ein klares, vor allem an die Adresse Moskaus gerichtetes Signal, das das nordatlanti­ sche Bündnis in der leidigen Frage, wann Tbilissi die Einladung zur Mitgliedschaft erhalten solle, trotzdem in keiner Weise bindet«4225 - dem aber gleichwohl eine Kata­ lysatorfunktion für den gewünschten NATO-Beitritt beigemessen wird.4226 Den Beobachtungen der Neuen Zürcher Zeitung zufolge war an diesem Außenminister­ treffen auffällig, »wie sich der Ton des Nordatlantikpakts gegenüber Rußland ver­ schärft hat«.4227 Tatsächlich aber konnten die USA nicht alle NATO-Mitglieder auf ihren harten antirussischen Kurs bringen. Während die USA, hauptsächlich unterstützt von Großbritannien und den osteuropäischen NATO-Mitgliedern, in dem Konflikt ein­ deutig Partei für Georgien ergriffen hatten, bemühte sich die Europäische Union unter der Führung von Frankreich und Deutsc hland, in die Vermittlerrolle zu sc hlüp­ fen und eine Isolation Rußlands abzuwenden.4228 Damit im Zusammenhang zu se­ hen ist auch das Scheitern der USA und ihrer osteuropäischen Verbündeten auf

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dem NATO-Außenministertreffen vom August 2008, die NATO-Mitglieder darauf festzulegen, daß der Beschluß zur Aufnahme Georgiens und der Ukraine in den >Membership Action Plan< auf der NATO-Ratssitzung im Dezember 2008 erfolgen solle. Eine solche Festlegung wurde von einer Mehrheit der 26 NATO-Mitglied­ staaten abgelehnt.4229 Statt also den US-amerikanischen Kurs der Isolation Rußlands und die Unter­ stützung einer NATO-Mitgliedschaft Georgiens mitzutragen, unterbreitete die Europäische Union unter Führung des französischen Staatspräsidenten Nicolas Sar­ kozy am 12. August 2008 einen vermittelnden Waffenstillstand. Sarkozy reiste nach Moskau mit einem Plan, der zunächst vier Punkte enthielt. Auf einer Pressekonfe­ renz mit dem russischen Präsidenten Dmitrij Medwedjew hatte Sarkozy Verständnis dafür geäußert, daß »Rußland seine Interessen verteidigen möchte, ebenso wie die der Russen und russischsprachigen Menschen außerhalb Rußlands«,4230 was sowohl von Georgien als auch von den USA als einseitige Parteinahme zugunsten Ruß­ lands kritisiert wurde. Die vier Prinzipien, die Sarkozy vorschlug, lauteten 1. Kein Rückgriff auf Gewalt zwischen den Protagonisten, 2. endgültige Einstellung der Feindseligkeiten, 3. Gewährung freien Zugangs für humanitäre Hilfe und 4. Rück­ zug der Streitkräfte auf die Stellungen vor der Zeit der Kämpfe. Rußland jedoch beharrte auf die Aufnahme zweier zusätzlicher Punkte: Zwar stimmte auch Med­ wedjew grundsätzlich zu, daß sich die russischen Streitkräfte auf die Linien vor Beginn der Feindseligkeiten in Südossetien zurückziehen sollten, jedoch nur unter folgender Bedingung (Punkt 5): »Bis ein internationaler Mechanismus gefunden ist, werden die russischen Truppen zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.« Au­ ßerdem wurde als Punkt 6 vereinbart, eine »internationale Diskussion über die Mo­ dalitäten der Sicherheit und Stabilität in Abchasien und Südossetien« zu eröffnen. Allerdings bot der fünfte Punkt Anlaß für Mißverständnisse. »Zu Punkt 5 erläu­ terte Sarkozy, daß russische Friedenstruppen zunächst auch außerhalb der Gren­ zen Südossetiens patrouillieren dürfen. Dies betreffe aber >nur die unmittelbare Nähe Südossetiens und auf keinen Fall das gesamte Gebiet Georgiensunmittelbare Nähe< verläuft und wie lange sie besetzt gehalten werden darf, ist seither umstritten. Moskau spricht von einer Pufferzone, Sarkozy in einem Brief an Saakaschwili nur von Patrouillen russischer Friedenstruppen.«4231 Soweit die offiziellen Positionen. Was sich dann aber als Streit um den Rückzug Rußlands aus Georgien darstellte, schien sich hinter den Kulissen als ein diplomatisches Doppelspiel der Europäi­ schen Union zu entwickeln. Tatsächlich hatten sich die russischen Streitkräfte in der zweiten Augusthälfte weitgehend aus Georgien zurückgezogen. Danach aber entbrannte zwischen dem Westen und Moskau ein Streit um Pufferzonen und Kon­ trollpunkte. Unter Berufung auf das Waffenstillstandsabkommen blieben russische Truppen in einigen georgischen Städten und auf wichtigen Verkehrswegen statio­ niert. So nahm Rußland für sich in Anspruch, den Schwarzmeerhafen Poti zu kon­

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trollieren und Straßenkontrollen auf der Ost-West-Verbindung von Südossetien an die Schwarzmeerküste aufrechtzuerhalten. Außerdem wurden Kontrollpunkte nahe der Stadt Senaki errichtet.4232 Gerade die Straße von Poti bis nach Tiflis, die den östlichen mit dem westlichen Landesteil Georgiens verbindet, war für den russi­ schen Generalstab besonders wichtig.4233 Diplomatenberichten zufolge schickte sich Rußland an, eine Pufferzone entlang der südlichen südossetischen Verwaltungs­ grenze zu schaffen, die bis zu zwan zig Ki lometer nach Kerngeorgien hineinreicht.4234 Bei diesem Vorgehen berief sich Rußland ausdrücklich auf die Waffenstillstands­ vereinbarung, was von dem russischen Vertreter in Brüssel und Putin-Vertrauten Wladimir Tschischow auf einer Pressekonferenz auch bekräftigt wurde.4235 Was sich aber für Rußland als besonders nachteilig auswirkte und als außeror­ dentlich pikant darstellte, war der Umstand, daß der Originaltext des Waffenstill­ standsabkommens nicht vorgelegt werden konnte. »Der Originaltext des Abkom­ mens ist öffentlich nicht zugänglich, er liegt nicht einmal in den Außenministerien anderer EU-Staaten vor.«4236 Und da Frankreich den Wortlaut des in Moskau unter­ schriebenen Papiers streng geheim behandelte, waren die russischen Behauptun­ gen kaum nachprüfbar.4237 Offiziell - nach einem Treffen der EU-Außenminister am 13. August - hieß es in der Darstellung unter Punkt 5: »Die russischen Streit­ kräfte müssen sich auf die Linien zurückziehen, an denen sie sich vor dem Aus­ bruch der Feindseligkeiten befunden haben. Die russischen Friedenstruppen wer­ den zusätzliche Sicherheitsmaßnahmen durchführen, bis ein internationaler Mechanismus vereinbart ist.« Als problematisch bei den Verhandlungen erwies sich, daß sich der georgische Präsident Saakaschwili zunächst weigerte, das Waffenstillstandsabkommen zu unterzeichnen. Aus d iesem Grund schrieb Sarkozy an S aakaschwili am 14. August 2008 einen »erläuternden Brief«, in dem er festhielt, daß die »Maßnahmen« Ruß­ lands nur in der »unmittelbaren Nähe« Südossetiens vorgenommen werden könn­ ten, unter Ausschluß aller anderen Teile des georgischen Staatsgebietes. Diese Er­ läuterungen beschrieb die Frankfurter Allgemeine Zeitung: »Erläuternd fügt Sarkozy hinzu, es gehe um eine Zone von »einigen Kilometern< Tiefe, die urbane Zentren ausschließe: >Ich denke da besonders an die Stadt Gori.Maßnahmen< aus Patrouillen bestehen sollten, vorgenommen von den russischen Friedenstruppen, die auf dem Niveau der >bestehenden Vereinbarun­ gen< zu halten seien; alle anderen russischen Soldaten seien auf ihre Positionen vor dem 7. August zurückzuziehen. Es gibt allerdings noch drei weitere >Präzisierun­ gen< Sarkozys, die in einer undatierten >Erklärung des Präsidenten der Republik< bekanntgemacht wurden. Darin wird unter anderem das betroffene Gebiet als »un­ mittelbare Nähe der Konfliktzone< beschrieben, wie sie in >früheren Vereinbarun­ gen< festgelegt worden sei. Damit könnten Vereinbarungen zur Überwachung des Waffenstillstands von 1992 gemeint sein. Außerdem ist nun die Rede von einigen Kilometern Tiefe »um Zchinwali herum.«4238

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Bei dieser Präzisierung handelte es sich um eine einseitige Präzisierung Sarko­ um Saakaschwili dazu zu bewegen, das Waffenstillstandspapier zu unterzeichnen - eine Präzisierung, der Rußland allerdings nicht zugestimmt hatte.4239 Schließlich unterzeichnete Saakaschwili am 16. August ein Papier, allerdings, so die Süddeut­ sche Zeitung, »eine Fassung, der nicht nur >die Präambel fehltenahen Ausland< anerkenne.4249 Wie zu erwarten, kam heftige Kritik vor allem auch aus den USA: »Washington ist dem Vernehmen nach unzufrieden mit der von Präsi­ dent Nicolas Sarkozy vermittelten Waffenstillstandsvereinbarung, die Moskau >wei­ tere Sicherheitsmaßnahmen< in Georgien erlaubt«, so die Frankfurter Rundschau. »Die vage Klausel >erlaubt den Russen, fast alles zu tun«, ließ sich ein US-Beamter zitie­ ren.«4250 US-Außenministerin Condoleezza Rice erklärte mit Blick auf den Waffen­ stillstandsplan: »Dies ist nicht 1968 und die Invasion der Tschechoslowakei, wo Rußland einen Nachbarn bedrohen, eine Hauptstadt besetzen, eine Regierung stür­ zen kann und ungestraft davonkommt. Die Dinge haben sich geändert.«4251 Diese Umstände mögen dazu beigetragen haben, daß Rußland nunmehr begann, einseitige Maßnahmen zur Sicherung seiner Stellung im Transkaukasus zu ergrei­ fen. Bestärkt wurde Moskau in dieser Haltung dadurch, daß die USA und die NATO Georgien eindeutig unterstützten und sich jetzt mit Nachdruck für eine Einbin­ dung des Kaukasusstaates in das transatlantische Bündnis einsetzten. Alarmiert wurde Rußland ferner dadurch, daß Georgien erneut zu einer militärischen Eska­ lation bereit zu sein schien, nachdem sich das russische Militär weitgehend aus Georgien zurückgezogen hatte, wie die Frankfurter Rundschau enthüllte: »Georgiens Militär nimmt nun frühere Positionen wieder ein. Der FR-Korresponent sah in den vergangenen Tagen Hunderte Soldaten, die mit Jeeps oder auf Pickup-Trucks in den Westen Georgiens unterwegs waren. Auch Panzer fuhren Richtung Senaki. Am Samstag (23. August, der Verf.) wurde die Basis wieder offiziell von der geor­ gischen Armee übernommen. Seit Montag (25. August, der Verf.) kontrollieren ge­ orgische Polizisten 70 Kilometer vom südossetischen Zentrum Zchinwali entfernt wieder das südossetische Dorf Mosabruni. Auch beim Dorf Achalgori stehen sich wieder südossetische Milizen und georgische Polizisten kampfbereit gegenüber.«4252 Ermutigt durch die Haltung der USA und der NATO, schien die georgische Füh­

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rung bereit, es auf eine erneute Machtprobe ankommen zu lassen. »Trotz der schwe­ ren militärischen Niederlage und der faktischen Eingliederung Südossetiens und Abchasiens in das russische I mperium scheint Präsident Saakaschwili zu einer >Jetzt erst rechtWir werden (den Geor­ giern) beim Wiederaufbau helfen, weil sie unser Partner im Krieg gegen der Terror sindFriedenstruppen< aus den umstrittenen Pufferzonen entlang der Grenzen von Abchasien und Südossetien zurückziehen.«4263 Die Überwachung des Abkommens sollte durch EU-Militärbeo­ bachter sichergestellt werden, so daß sichtbar wurde, daß »Brüssel eine Schlüssel­ funktion in der Gewährleistung der Sicherheit in der Region« übernehmen woll­ te.4264 Nach der Einschätzung des Handelsblatts setzte mit diesem von der Europäischen Union, Rußland und Georgien erzielten Abkommen »erstmals seit dem GeorgienKrieg Anfang August eine Entspannung der Krise an«.4265 Auffällig war allerdings, daß die USA bei diesen Verhandlungen außen vor blieben, und es deutete sich an,

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daß sich vor dem Hintergrund des Waffenstillstandsabkommens eine erneute Ri­ valität zwischen den USA und der Europäischen Union entwickeln könnte. Eine separate Partnerschaft zwischen der Europäischen Union und Rußland war den USA aus bekannten geopolitischen Gründen ein Dorn im Auge, würde doch damit der geschilderte >Alptraum Mackinders< Wirklichkeit werden. Die Europäische Union und Rußland hatten erst Ende Juni 2008 Verhandlungen über ein neues Partner­ schaftsabkommen aufgenommen. »Es soll die Beziehungen auf eine neue, strategi­ sche Ebene heben und den seit Jahren schwelenden Streit um russische Gas- und Öllieferungen nach Europa beenden.«4266 Allerdings hatten Polen und Litauen ein solches Abkommen von der Haltung Rußlands in der Georgienfrage abhängig ge­ macht, und genau dort war ja der Streit eskaliert.4267 Damit gefährdete der Georgienkrieg die geplante Annäherung zwischen der Europäischen Union und Rußland,4268 was der US-Machtelite nicht ungelegen kam. Wohl auch auf Druck der USA hatte die Europäische Union die laufenden Ver­ handlungen über das Partnerschaftsabkommen mit Moskau ausgesetzt; jetzt aber sobald der ausgehandelte Waffenstillstand in Kraft getreten war - sollten die Ge­ spräche über ein neues EU-Rußland-Partnerschaftsabkommen neu ausgehandelt werden.4269 Daher begannen die USA mit der Inszenierung diplomatischer Störfeuer. So war es kein Zufall, daß unmittelbar nach der Aushandelung des Waffenstill­ standsabkommens die USA den Streit um die Ostseepipeline >Nord Stream< neu anheizten, die ab 2011 russisches Gas direkt nach Deutschland befördern soll. Am 10. September 2008 forderte der US-Botschafter in Schweden, Michael M. Wood, die schwedische Regierung i n ein em g anzseitigen A rtikel in der Tageszeitung Svens­ ka Dagbladet auf, den Bau der Pipeline zu verhindern, und erklärte, die KaukasusKrise zeige, daß sich Europa und die USA nicht von einem unzuverlässigen Energie­ lieferanten Rußland abhängig machen dürften.4270 Mit der plakativen Überschrift »Sagt Nein zu Rußlands unsicherer Energie« sollte indirekt das geplante EU-Ruß­ land-Partnerschaftsabkommen angegriffen werden. Der US-Diplomat erklärte, die Pipeline sei ein separates Abkommen zwischen Rußland und Deutschland, und forderte die EU zu einer gemeinsamen Linie auf, denn man dürfe nicht zulassen, »daß Rußland einen Keil zwischen die Länder in Europa treibt«.4271 Was die USA mit diesem Manöver planten, liegt auf der Hand: Bislang waren es Polen und Litauen, die sich einem erneuten EU-Rußland-Partnerschaftsabkommen widersetzten, und Polen und die drei baltischen Staaten sind es auch, die mit der Ostseepipeline umgangen werden.4272 Deren ablehnende Haltung gegenüber dem Partnerschaftsabkommen wie gegen die Ostseepipeline sollte nunmehr gegen die deutsch-französischen Pläne aktiviert werden, um eine einheitliche EU-Rußland­ politik auf der Grundlage der deutsch-französischen Pläne zu verhindern. Beab­ sichtigt war damit letztlich eine Spaltung der Europäischen Union in einen proat­ lantischen Block mittelosteuropäischer Staaten und einer eher Rußland zuneigenden deutsch-französischen Zusammenarbeit, was gemeinsame Abkommen der EU mit

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Rußland aber zu Makulatur werden ließ. Daß die USA Schweden als Ansatzpunkt gewählt hatten, ist kein Zufall, »denn die geplante Pipeline verläuft zu einem großen Teil durch die schwedische Wirtschaftszone. Deshalb kann nur gebaut werden, wenn Stockholm grünes Licht gibt«.4273 Ein weiteres Störmanöver der US-Diplomatie war die Reise des Nordatlantikra­ tes, des höchsten Gremiums der NATO, nach Georgien, »um Solidarität mit dem teilweise von Rußland besetzten Land zu zeigen«.4274 Das Handelsblatt notierte hier­ zu: »Nachdem die russische Führung in den vergangenen Tagen Kooperationsbereit­ schaft bekundet und die russischen Truppen aus Westgeorgien zurückgezogen hat, wird dies in Moskau als neue Provokation gewertet.«4275 Gegenstand des Treffens des NATO-Rates mit der georgischen Führung sollte die Gründung der >NATOGeorgien-Kommission< und die Aushandelung eines Fonds sein, in den NATOStaaten Geld zahlen wollen, um die militärischen Kapazitäten Georgiens zu stärken und Waffen zu liefern.4276 Der Direktor der »Stiftung Wissenschaft und PolitikDomino-Theorie< aus der Zeit des Kalten Krieges und gin­ gen davon aus, daß das russische Eingreifen in Georgien nur ein Teil einer imperia­ len Strategie der Moskauer Führung gewesen sei, um den ehemaligen Sowjetre­ publiken ihren Willen aufzuzwingen. »Wie damals Südvietnam soll Georgien gestützt werden, um zu vermeiden, daß eine Reihe anderer Staaten wie etwa die Ukraine wieder in die Einflußsphäre der Russen fällt.«4278 In seiner Studie über die Hintergründe des Georgienkrieges schreibt Martin Hantke folgerichtig: »Ziel der von den USA vorangetriebenen Politik in Georgien ist es, einen neuen Kalten Krieg gegen Rußland auf den Weg zu bringen. Mit NATO-Erweiterung und der Raketen­ stationierung in Polen und der Tschechischen Republik soll Rußland mittels einer Politik der Nadelstiche herausgefordert werden. Durch die Störung der Wirtschafts­ beziehungen mit Westeuropa will Washington Rußlands weltpolitischen Einfluß zurückdrängen und seinen Aufstieg zur neuen Industriemacht verhindern.«4279 Bemerkenswert schnell gingen die USA daher auch daran, die geopolitischen

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Schlüsselstaaten Eurasiens als ihre Interessensphäre militärisch zu markieren und deren Bestrebungen zur engen Zusammenarbeit mit der NATO und den USA mas­ siv zu fördern. Die Tageszeitung Die Welt spricht in diesem Zusammenhang von einer »Welle von >MaßnahmenRaketenabwehrprogramm< eher kritisch gegenüber, da dieses nach seiner Analyse die sichere Verschlechterung der polnisch-russischen Bezie­ hungen nach sich ziehen würde.4283 Daß es jetzt Mitte August ohne längere Verhandlungen zum Abschluß des Ver­ trages kam, macht um so deutlicher, daß das Raketenabwehrprogramm gegen Ruß­ land gerichtet war. »Offiziell geht es bei der Raketenabwehr nicht um Rußland, aber jeder weiß, daß Rußland in der Sache eine Rolle spielt«, erklärte hierzu der Vorsitzende der Warschauer Batory-Stiftung, Aleksander Smolar. »Die russische Intervention in Georgien habe beiden Seiten, Amerikanern wie Polen, klargemacht, daß sie Moskau gegenüber ein Zeichen setzen müssen.«4284 Einem Kommentar der New York Times zufolge war das Abkommen die »bislang stärkste Reaktion auf die russische Militäroperation in Georgien«.4285 Folgt man den Enthüllungen der tages­ zeitung, so führte der Georgienkrieg dazu, daß die USA Polen eine umfassende Sicherheitsgarantie erteilten und eine militärische Zusammenarbeit anboten, die weit über das hinausging, was jemals mit dem Raketenabwehrprogramm beab­

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sichtigt war: »Unter dem Eindruck der Georgienkrise sind die USA den Polen wei­ ter entgegengekommen, als ursprünglich beabsichtigt, indem sie Warschaus For­ derung nach einer Stationierung von Luftabwehrraketen zustimmen und eine enge militärische Zusammenarbeit im Fall einer Bedrohung garantieren.«4286 Die getrennte Erklärung über die strategische Zusammenarbeit zwischen den Verei­ nigten Staaten von Amerika und der Po lnischen Republik, die neben dem Stat ionierungs­ abkommen beschlossen wurde, sah vor, bis 2012 eine Batterie von zusätzlichen Abfangraketen des Typs >Patriot< in Polen zu stationieren, die auch von amerikani­ schen Soldaten bedient werden sollte.4287 Damit war den Recherchen der Frankfur­ ter Allgemeinen Zeitung zufolge auch eine substantielle Unterstützung der USA bei der Modernisierung der polnischen Streitkräfte verbunden. In dem Abkommens­ text hieß es: »Die Vereinigten Staaten betrachten die Sicherheit Polens und aller amerikanischen Einrichtungen auf polnischem Boden als Verpflichtung. Die Verei­ nigten Staaten und Polen werden Zusammenarbeiten, um entstehenden militäri­ schen und nichtmilitärischen Bedrohungen durch dritte Parteien zu begegnen und ihre Wirkungen zu minimieren.«4288 Wie oben dargestellt, hat das Raketenabwehrprogramm den Zweck, die USA in die Lage zu versetzen, eine atomare Erstschlagskapazität zu erlangen, also die Fähig­ keit, das russische Raketenarsenal in einem Überraschungsangriff zu vernichten und Rußland der Fähigkeit zu berauben, einen Vergeltungsschlag zu führen. Dies hatten die US-amerikanischen Strategen Keir A. Lieber und Daryl G. Press in ihrem Aufsatz in den Foreign Affairs mit dem Titel The Rise of U.S. Nuclear Primacy ja auch bestätigt. In Rahmen einer Computer-Modellrechnung kamen sie zu dem Ergeb­ nis, »daß die russischen Verteidigungskräfte weitgehend radarblind sind und selbst einen von U-Booten im Pazifik aus begonnenen Angriff wahrscheinlich erst bemer­ ken würden, wenn die ersten Raketen Moskau erreichten. Selbst wenn ein Überra­ schungsangriff der USA darauf verzichten würde, zuallererst die Radaranlagen und die Kommandozentralen auszuschalten, wären Lieber und Press zufolge die USA in der Lage, circa 99 Prozent der russischen Atomraketen im Erstschlag zu zerstören. Das eine Prozent der verbliebenen russischen Atomraketen, die Moskau in einem Zweitschlag noch abfeuern könnte, würde wahrscheinlich - so die Auto­ ren - durch den Raketenschild neutralisiert werden«.4289 Wenn die USA an Rußlands Grenzen aber eine Raketenabwehr stationieren kön­ nen und Rußland über keine derartigen Anlagen verfügt, dann haben die USA eine etwaige militärische Auseinandersetzung schon im Vorfeld gewonnen und wären daher in einer Lage, Rußland eine bedingungslose Kapitulation sowie die Bedin­ gungen seiner Zersplitterung und seiner völligen Auflösung diktieren zu können (so F. William Engdahl).4290 Mit dem Stationierungs- und Sicherheitsabkommen sollte Polen im Rahmen der Globalstrategie der USA zu einem uneingreifbaren, gegen Rußland gerichteten Horchposten und zu einer Abschußbasis zur Neutrali­ sierung des russischen Raketenabwehrsystems umgewandelt werden - Rußlands

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Einkreisung durch ein weltweit unangreifbares und nach dem Nuclear Posture Re­ view offensiv ausgerichtetes US-System von Marschflugkörpern wäre dann abge­ schlossen. Auch im Schwarzen Meer liefen Bemühungen an, Rußland dort allmählich mili­ tärisch abzudrängen. »Nach dem Krieg in Georgien scheint die neue Frontlinie zwischen Rußland und dem Westen das Schwarze Meer zu sein«, urteilt die tages­ zeitung.4291 Die Ukraine rich tete einen deutlichen Appell an die USA, ihr eine baldige NATO-Mitgliedschaft zu gewähren. Parallel kündigte die ukrainische Führung an, den Pachtvertrag für die russische Schwarzmeerflotte im Hafen von Sewastopol auf der Krim nicht zu verlängern. Moskau und Kiew hatten 1997 einen 20jährigen Pachtvertrag für die ehemalige Sowjet-Basis auf der Krim ausgehandelt. Als Reak­ tion darauf, daß die russische Flotte während des Krieges von der Krim-Basis aus russische Sicherheitsmaßnahmen in Abchasien gegen die georgische Zentralregie­ rung unterstützte, forderte der ukrainische Außenminister Wolidymyr Ogrysko die russische Schwarzmeerflotte auf, sich »ab sofort« auf ihren Abzug aus Sewastopol vorzubereiten und bis 2017 - also bis zum Auslaufen des Pachtvertrages - die Region zu verlassen. Er erklärte, er könne garantieren, daß nach 2017 keine russischen Schiffe mehr auf ukrainischem Hoheitsgebiet stationiert sein würden. Der ukrainische Präsident Juschtschenko versuchte überdies, den potentiellen Krisenherd Krim dazu zu instrumentalisieren, um die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu beschleunigen. Die Krim ist ethnisch hauptsächlich von Russen besie­ delt, seit die Halbinsel im Zuge der Türkenkriege 1783 an das Zarenreich gefallen war. 1954 wurde sie von Chruschtschow im Rahmen eines Gebietstausches an die Ukraine gegeben und gehört auch seit dem Zerfall der UdSSR zur nun unabhängi­ gen Ukraine. »Mit der zunehmenden Westorientierung Kiews, die unter Präsident Juschtschenko und wegen der von ihm angestrebten Nato-Mitgliedschaft pointierter geworden ist, ist die Gefahr separatistischer Tendenzen gewachsen.«4292 Die Ukraine befürchtet nunmehr, Moskau könnte diese Bestrebungen unterstützen, um erneut Einfluß auf die Ukraine zu gewinnen. Um diesem vorzubeugen, verstärkt Jusch­ tschenko seitdem die Bestrebungen zur Aufnahme des Landes in die NATO. Deut­ lich hatte er am 21. August 2008 den US-amerikanischen Senatoren Joe Lieberman und Lindsey Graham auseinandergesetzt, der Georgienkonflikt habe gezeigt, daß die Ukraine den Schutz der NATO brauche, um die eigene Unabhängigkeit zu ga­ rantieren. »Indirekt war dies ein neuerliches klares Votum für seine Absicht, die Ukraine zur NATO-Mitgliedschaft zu führen.«4293 Daß Rußland daher die Diskussi­ on um die Krim mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt, dürfte verständlich sein: Denn wenn die Regierungen in Kiew und Washington ihre Pläne verwirklichen, dann wird aus der Flottenbasis in Sewastopol ein NATO-Stützpunkt.4294 Einigen Beobachtern zufolge handelt es sich bei dem Georgienkonflikt daher auch nur um das Vorspiel zu einem weit größeren Konflikt, nämlich der Frage, wie es dem transatlantischen Bündnis gelingt, das Schwarze Meer in seine Hegemonial­

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Sphäre einzugliedern und Rußlands Einfluß auf diese Region zurückzudrängen. Daß das Schwarze Meer eine entscheidende Interessensphäre der USA und der NATO ist, hatte der US-Stratege Bruce Jackson bereits hinlänglich klargestellt. »Die Nato«, so Pierre Simonitsch, »breitet sich ums Schwarze Meer aus: Den Süden be­ herrscht die Türkei. In Rumänien und Bulgarien errichten die USA Militärstütz­ punkte. Wenn auch Georgien und die Ukraine der Nato beitreten, wird das Schwarze Meer fast zu einem Binnengewässer des westlichen Bündnisses. Den Russen blei­ ben etwa 400 Kilometer Küste.«4295 Hinter dem Georgienkonflikt scheint sich deshalb ein weitaus gefährlicherer Konflikt um die Ukraine zusammenzubrauen, und Moskau will verhindern, daß die beiden prowestlich regierten früheren Sowjetrepubliken Georgien und Ukraine dem Nordatlantikpakt beitreten.4296 Würde dies nämlich Wirklichkeit, so wäre Ruß­ land von einem Zugang zum Schwarzen Meer tatsächlich abgeriegelt: »Im Osten grenzt die Ukraine an die Meerenge von Kertsch, die das Asowsche m it dem Schwar­ zen Meer verbindet. Rußland und die Ukraine streiten um den Besitz einer Insel in diesem Flaschenhals. Die Nato wäre nach ihrer Ausweitung bis Kertsch in der Lage, eine wichtige russische Schiffahrtsroute zu sperren. Dies, nachdem sie durch den Beitritt Estlands bereits die Bucht von St. Petersburg kontrolliert. Aus russischer Sicht wären damit alle seit Peter dem Grossen unternommenen Bemühungen um Zugang zu den eisfreien Weltmeeren zunichte gemacht.«4297 Ähnlich sieht es auch das amerikanische Strategiemagazin Stratfor: Danach ist aus russischer Sicht die Straße von Kertsch - das Verbindungsstück zwischen Asow­ schem Meer und Schwarzem Meer - gewissermaßen die Verlängerung des russi­ schen Nordkaukasus zur Krim und damit zum Schwarzen Meer und deshalb eine strategische Schlüsselregion, in der viele Entscheidungsschlachten um die Kontrolle des Kaukasus erfolgt seien. Wenn sich also die Krim in der Hand eines NATOMitglieds Ukraine befinden würde, hätte die NATO alle militärischen Möglichkei­ ten, den russischen Nordkaukasus abzuriegeln. Mit der Sperrung der Straße von Kertsch wäre der nördliche Teil der russischen Küste (am Asowschen Meer) mit der Donmündung und der Hafenstadt Rostow abgeschlossen, während der russi­ sche Küstenanteil am Schwarzen Meer von der Krim aus blockiert werden kann. Damit treten die westlich-russischen Beziehungen in ihren Grundbedingungen in eine geopolitische Lage zurück, wie sie im 19. Jahrhundert vorgeherrscht und sich in den Jahren 1853-1856 im Krimkrieg militärisch entladen hatte. Wie heute den USA, ging es damals der Seemacht Großbritannien darum, eine Ausweitung des russischen Einflusses im Schwarzen Meer und auf die Meerengen des Bospo­ rus und der Dardanellen zu verhindern. Führt man sich vor Augen, daß die heuti­ gen Konfliktregionen Krim und die Dnjestr-Region Ursache für militärische Kon­ flikte zwischen dem Zarenreich und Großbritannien waren (vgl. oben), so wird die geopolitische Dimension dieses Krisenherdes deutlich: Der Kampf um die Kontrol­ le des Schwarzen Meeres ist neben Zentralasien und der Afghanistan-Pakistan-Pro­

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blematik das entscheidende Spannungsfeld zwischen Rußland und dem transat­ lantischen Bündnis. Vor diesem Hintergrund müssen der Georgienkrieg und der ukrainische Spannungsherd interpretiert werden. Viel spricht dafür, daß sich hinter der russischen Unterstützung für die abtrün­ nige Provinz Abchasien die Absicht Moskaus verbarg, langfristig einen Ersatz für den Flottenstützpunkt auf der Krim zu erhalten, um sich so noch eine maritime Stellung am Schwarzen Meer zu sichern. »Der Hauptsinn der Anerkennung Süd­ ossetiens und Abchasiens ist die Möglichkeit, Verträge über militärische Zusam­ menarbeit zu schließen und dann seine Truppen und Militärbasen auf dem Territo­ rium dieser Republiken zu stationieren«, so erklärte der Direktor des Moskauer Instituts für politische und militärische Analyse, Alexander Scharawin, das russi­ sche Vorgehen.4298 Tatsächlich hatte der russische Präsident Medwedjew unmittel­ bar nach der Anerkennung der abtrünnigen Provinzen den Abschluß mehrerer Verträge mit Abchasien befohlen. Schon am nächsten Tag nach der Anerkennung durch Rußland erklärte der abchasische de-facto-Präsident Sergej Bagapsch, daß »ein Freundschaftsvertrag und eine Übereinkunft über militärische Zusammenar­ beit in nächster Zeit unterschrieben« würden.4299 Insgesamt dürfte sich damit die militärische Stellung Rußlands am Schwarzen Meer verbessern, was auch die Frankfurter Rundschau vermutet: »Der militärisch wertvollere Preis ist Abchasien. Bisher waren russische Soldaten nur als maximal 2500 Mann starke >Friedenstruppen< zugelassen und mußten sich zudem Inspektio­ nen von Militärbeobachtern der UN-Mission Unomig unterziehen. Künftig wer­ den sie ebenso wie Tausende russischer Fallschirmspringer möglicherweise nicht mehr kontrolliert. Vor allem aber dürfte der Kreml in den Militärvertrag mit Ab­ chasien das Recht auf den Bau von Flottenbasen hineinschreiben.«4300 So sehen auch russische Strategen die neue Ausgangslage Rußlands am Schwar­ zen Meer durchaus als günstig an. Der bereits zitierte Direktor des Moskauer Insti­ tuts für politische und militärische Analyse, Alexander Scharawin, beurteilte die Lage wie folgt: »Rein militärisch gesehen, gewinnen wir viel. Wir haben jetzt einen Brückenkopf im Südkaukasus, der über den Roki-Tunnel mit Rußlands Nordkau­ kasus verbunden ist. Wir haben die abchasische Küste, an der wir neue Basen für unsere Schwarzmeerflotte bauen können, wenn wir die Krim nach 2017 verlassen müssen.«4301 Ebenso gelang es Rußland, seine Position in der Dnjestr-Region Transnistrien in Moldawien zu verbessern. Auch dort sind russische Friedenstruppen stationiert. Der Staatschef von Moldawien, Wladimir Woronin, plante ebenfalls eine Einbin­ dung seines Landes in westlich-transatlantische Strukturen und forderte noch 2007 die Ersetzung russischer Truppen durch internationale Friedenstruppen. Durch Wirtschaftssanktionen konnte Medwedjew mit Woronin auf einem Treffen in Sot­ schi Einzelheiten einer Wiedereingliederung der slawischen Republik Transnistrien in den moldawischen Staatsverband vereinbaren, die Stationierungsrechte russi­

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scher Truppen akzeptiert: »Transnistrien bekommt den Status einer Autonomen Republik, Moldawien schreibt seine militärische Neutralität und damit den Ver­ zicht auf eine Nato-Mitgliedschaft verbindlich fest - und erlaubt russische >Frie­ denstruppen< mindestens weitere zwanzig Jahre auf seinem Territorium.«4302 Deshalb läßt sich zusammenfassen, daß die sogenannten >eingefrorenen Kon­ flikte< in geopolitischen Schlüsselstaaten - Abchasien und Südossetien in Georgien, Transnistrien in Moldawien und die Krim in der Ukraine, wo jeweils russische Militärs stationiert sind - Rußland eine entscheidende Möglichkeit bieten, seine militärische Stellung im Schwarzen Meer zu sichern. Herausgefordert durch die Südostausbreitung der NATO, kommt daher für den Kreml der Instrumentalisie­ rung dieser >eingefrorenen Konflikte< die strategische Aufgabe zu, eine Verwand­ lung des Schwarzen Meeres - der Drehscheibe zwischen Mitteleuropa und Zen­ tralasien, Eurasien, dem Nahen und Mittleren Osten sowie dem Mittelmeerraum in ein Binnenmeer des transatlantischen Bündnisses zu verhindern. Gleichzeitig vollzog sich eine militärische Machtdemonstration der US-Kriegsma­ rine im Schwarzen Meer, die offiziell damit begründet wurde, zivile Hilfsgüter an Georgien zu liefern. Die USA entsandten drei Kriegsschiffe, den Zerstörer >USS McFaulDallas< sowie die >US S Mount WhitneyUSS McFaul< war das erste US-Kriegsschiff, das den georgischen Hafen Batumi anlief. Gefolgt wurde es von der »DallasDallas< rechtzeitig nach Batumi umgeleitet wurde.4303 Daß es sich bei diesen operativen Maßnahmen der US-Kriegsmarine um rein humanitäre Maßnahmen gehandelt haben soll, wird aber sowohl von russischen als auch von westlichen Militärs bezweifelt. Die tageszeitung sieht den eigentlichen Grund in einer »Demonstration amerikanischer Stärke«. 4304 Die russische Nachrichten­ agentur RIA Novosti berichtete unter Berufung auf Geheimdienstquellen, die NATOKriegsschiffe auf dem Schwarzen Meer hätten 100 >TomahawkHarpoon< an Bord.4305 Neben dem russischen Generalstab äußerte ebenso der russische Außenminister Lawrow Zweifel. Aber auch »westliche Verteidigungsfachleute deuten an, der amerikanische Zerstörer sei unter logistischen Gesichtspunkten wohl nicht das geeignetste Transportmittel für die Hilfslieferungen gewesen. Es wäre einfacher gewesen, die Güter einzufliegen, als sie über den mühsamen Landweg von Poti in den Osten des Landes zu ver­ schicken«.4306 Daher scheint einiges dafür zu sprechen, daß es den USA darum ging, zu zeigen, daß sie Georgien auch als Basis für eine maritime NATO-Präsenz im Schwarzen Meer betrachten und diesen Kaukasus-Staat in ihre maritime Verteidi­ gungssphäre einbeziehen wollen.

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Deutlich wird dies daran, daß die USA Kriegsschiffe genau derjenigen Gattung geschickt hatten, die imstande ist, amphibische Operationen durchzuführen und von See her eine feindliche Luftüberlegenheit zu zerstören. Dies bestätigt auch der Schweizer Militärexperte Albert A. Stahel vom Institut für Strategische Studien in Wädenswil: »Bei den ersten drei amerikanischen Kriegsschiffen... handelt es sich um drei kampfstarke Typen. Der US-Lenkwaffenzerstörer >USS McFaulUSS Mount Whitney< ist das Flaggschiff des Kommandanten der 6. Flotte der USA im Mittelmeer, Vizeadmiral Harry Ulrich. Mit diesem Schiff werden die Luftkriegs­ mittel einer Flotte und eine amphibische Landung koordiniert. Mit diesen beiden Kriegsschiffen im Schwarzmeer verfügen die Amerikaner bereits über einen Nuk­ leus für die Führung eines allfälligen Luftkrieges über Georgien. Am 27. August hat der Kutter >USCGC Dallas< der U.S. Coast Guard Batumi erreicht. Dieser Kut­ ter diente bisher der Bekämpfung des Drogenhandels in der Karibik. Mit diesem Kriegsschiff wollten offenbar die Amerikaner zuerst aufklären, ob die Russen die Benützung des georgischen Hafens Poti zulassen würden. Diese Spürhund-Missi­ on ist rückgängig gemacht worden, und die >Dallas< hat ihre Hilfsgüter im Hafen Batumi entladen.«4307 Die Übung einer NATO-Marinegruppe im Schwarzen Meer, die gleichzeitig er­ folgte, sollte ebenfalls gegenüber Rußland unterstreichen, daß das Schwarze Meer nunmehr als Interessensphäre des transatlantischen Bündnisses anzusehen ist. Zwar war dieses Marinemanöver schon vor dem Krieg geplant; daß es aber gerade zu diesem Zeitpunkt durchgeführt wurde, verlieh ihm eine besondere geostrategische Bedeutung, indem das Bündnis die Dislozierbarkeit und Flexibilität seines mariti­ men Potentials dokumentierte. »Das Manöver wird abgehalten von der >Standing Nato Maritime Group 1Lübeck< ein polnisches, ein s panisches u nd ein am erikanisches. Die Nato hält stän­ dig zwei dieser maritimen Reaktionsverbände bereit, die sicherstellen sollen, daß das Bündnis flexibel operieren könne, wie es bei der Marine heißt«4308 - beispiels­ weisweise auch zur Unterstützung eines kaukasischen NATO-Anwärters. Einer uneingeschränkten militärischen Machtentfaltung der USA und der NATO im Schwarzen Meer steht allerdings das Abkommen von Montreux aus dem Jahr 1936 entgegen. Durch dieses Abkommen wird nämlich die Zufahrt ins Schwarze Meer durch Bosporus und Dardanellen für Kriegsschiffe begrenzt und kontrolliert, und zwar durch die Türkei. Der Türkei ist durch diesen Vertrag die wesentliche Kontrolle über den Zugang zum Schwarzen Meer übertragen worden. Kriegsschiffe, die die Meerenge passieren wollen, müssen sich innerhalb einer Frist von acht Tagen

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bei der Türkei anmelden; Kriegsschiffe von Nichtanrainerstaaten dürfen sich nicht länger als 21 Tage im Schwarzen Meer aufhalten. Wenn Krieg herrscht und die Türkei beteiligt ist, stellt das Abkommen die Durchfahrt von Kriegsschiffen völlig in das Ermessen der türkischen Regierung.4309 Zudem dürfen die Kriegsschiffe eine gewisse Gesamttonnagezahl nicht überschreiten. Rußland hatte während des Krie­ ges angesichts der maritimen US-Präsenz im Schwarzen Meer mehrfach verstärkt angemahnt, dieses Abkommen zu respektieren. Das Abkommen verbesserte schließ­ lich schon während des Kalten Krieges die sicherheitspolitische Lage der Sowjet­ union, denn Mächte von jenseits des Schwarzen Meeres stellten demnach keine Bedrohung mehr für sie dar.4310 Tatsächlich sind in der Zeit vor dem Georgienkrieg die Türkei und die USA so­ wie die NATO mehrfach aneinandergeraten, weil die Türkei in Erfüllung des Ab­ kommens die Passage von Kriegsschiffen untersagt hatte. Einige Monate vor dem Georgienkrieg mußte ein Marineverband der NATO umkehren und andernorts üben, weil er eine rechtzeitige Anmeldung versäumt hatte. 4311 Ferner hatte die Türkei schon mehrfach amerikanischen Schiffen die Passage verweigert, weil die Gesamt­ tonnage überschritten war. »Dies brachte Ankara bereits Ärger mit Washington ein, weil die USA zur Demonstration ihrer Stärke zwei maritime Riesen losschicken wollten, die Türkei diesen jedoch die Durchfahrterlaubnis verweigerte.«4312 Viel spricht dafür, daß die USA jetzt herangehen wollen, dieses Abkommen zu neutralisieren oder zumindest zu umgehen, da das Abkommen von Montreux den NATO-Plänen widerspricht. Denn die Einbeziehung des Schwarzen Meeres in ein Glacis des transatlantischen Bündnisses zur Machtprojektion in den Kaukasus, die kaspische und zentralasiatische Region muß zwangläufig auch eine militärische Machtentfaltung von NATO und USA zulassen. Im Kampf um die Kontrolle dieser hochwichtigen geopolitischen Peripherie Rußlands kommt daher für die USA der Türkei eine herausragende Bedeutung zu, denn »wer im Schwarzen Meer und im Kaukasus militärisch operieren will, braucht Rückhalt in Anatolien und die Kon­ trolle der Meerengen. Dies ist die Lektion der Geschichte und die Evidenz der Geo­ graphie«.4313 Wie Sicherheitsexperte Lothar Rühl herausstellt, hatte sich die Türkei jedoch seit den achtziger Jahren »konfliktscheu und konfrontationsunwillig« gegenüber der russischen Macht gezeigt.4314 Aus diesem Grund scheinen die USA nunmehr eine Konstellation anzustreben, in der die Türkei automatisch in einen Konflikt im Kau­ kasus auch mit Rußland hineingezogen werden kann und deshalb gezwungen ist, ihre Wächterfunktion an den Meerengen zugunsten der USA und der NATO aus­ zuüben. Dies gelänge am ehesten durch eine NATO-Mitgliedschaft Georgiens. Denn in diesem Fall oder schon im Fall einer Sicherheitsgarantie des transatlantischen Bündnisses mit der Erklärung eines lebenswichtigen Interesses an der Sicherheit des Südkaukasus durch Washington oder die NATO könnte sich das Bündnis auf seinen Beistandspakt der kollektiven Verteidigung nach Artikel 5 des NATO-Ver­

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trages berufen, um Kriegsschiffe der NATO im Schwarzen Meer operieren zu las­ sen.4315 Die Türkei wäre dann nämlich durch den NATO-Vertrag verpflichtet, die Meerengen für US-amerikanische oder NATO-Kriegsschiffe zu öffnen. Außerdem »ist die Türkei der größte Schwarzmeeranrainer und im Besitz von Flottenstütz­ punkten an ihrer Schwarzmeerküste«,4316 zu deren Bereitstellung sie in einem Fall der militärischen Bedrohung eines NATO-Mitgliedes Georgien dann verpflichtet wäre. »Die NATO«, so Lothar Rühl, »hat deshalb kein politisches oder logistisches Problem, zudem auch Bulgarien und Rumänien auf der europäischen Seite für die Abstützung von Flottenpräsenz verfügbar sind. Es gibt also, wie im Baltikum und auf dem Balkan, für die NATO sicheren Zugang über das Meer und über Land, in diesem Falle über die Türkei, um eine militärische Sicherungspräsenz in Georgien zu unterhalten.«4317 Genau in diese Richtung scheinen die USA auch zu arbeiten. Am 9. Januar 2009 unterzeichneten die USA und Georgien ein Abkommen über eine gemeinsame >stra­ tegische Partnerschaftstrategischen Partnerschaft< unumkehrbar eine geopolitische Wende vollzogen hatte und nun­ mehr die USA als Sicherheitsgaranten ansieht. Dies ergibt sich auch aus Stellung­ nahmen während der Verhandlungen im Dezember 2008. Der Leiter des Ausschus­ ses für Verteidigung und Sicherheit im Tifliser Parlament, Giwi Targamadse, erklärte

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anläßlich eines Zusammentreffens mit dem amerikanischen Unterstaatssekretär im US-Außenministeriums Mathew Bryza, was das »Attraktivste und Wichtigste« des geplanten Abkommens sei: »Es (das geplante Abkommen, der Verf.) schließt auch die militärische Zusammenarbeit ein. Es schließt Themen ein, die mit zusätzlicher Ausrüstung und mit der Entwicklung unserer Streitkräfte zu tun haben, sowie mit - ich will es mit den Worten des Entwurfs sagen - allen Maßnahmen zur gemeinsa­ men Abwehr von Bedrohungen.«4321 Der Berichterstattung der New York Times zufolge ging den Verhandlungen eine geheime Untersuchung von US-Militärs im Oktober und November 2008 über den Zustand der georgischen Armee Anfang August voraus. In deren Bericht wurde das enttäuschende Ergebnis festgehalten, daß die georgischen Truppen selbst nach einem Jahrzehnt amerikanischer Ausbildung und Ausrüstung noch immer »unreif und schlecht vorbereitet« auf die Führung eines Krieges gewesen seien. Auf der Grundlage dieses Berichts will das Pentagon nunmehr eine umfassende Reform der georgischen Streitkräfte anstreben. »Neben einer Ersetzung der Ausrüstungs­ verluste durch den Krieg und einer Modernisierung auf Schlüsselgebieten - Luft­ abwehr, Panzerbekämpfung - wird es dabei auch um vom Pentagon direkt betreute >Reformen< der Führung, der Kommunikationswege und des Managements der Streitkräfte gehen. Auf diese Weise unterlaufen die USA, erforderlichenfalls auch im Alleingang, die halbherzigen Einwände einzelner NATO-Partner gegen das Vor­ antreiben der Integration Georgiens in das westliche Bündnis.«4322 Zur gleichen Zeit sorgten die USA dafür, daß auch die Ukraine auf transatlanti­ schem Kurs blieb. Am 3. September 2008 brach die Regierung des proamerikani­ schen Präsidenten Viktor Juschtschenko zusammen, als dessen Partei sich aus der Regierungskoalition zurückgezogen hatte. Diesem Schritt vorausgegangen war die Weigerung der Regierungschefin Julia Timoschenko, Juschtschenkos Politik der Unterstützung Georgiens und der Verurteilung Rußlands auch weiterhin zur Seite zu stehen.4323 Der tatsächliche Grund war aber wohl »die Verabschiedung neuer Gesetze, die Timoschenkos Partei in der De-facto-Koalition durchgesetzt hatte, mit denen dem Präsidenten das Vetorecht bei der Kandidatenauswahl für das Amt des Premierministers entzogen und ein Verfahren über eine Amtsenthebung des Präsi­ denten eingeführt wurde. Nach Angaben der russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti hat der ehemalige prorussische ukrainische Premierminister Viktor Januko­ witsch, der jetzt Chef der Partei der Regionen ist, erklärt, er schließe die Bildung einer parlamentarischen Mehrheit mit dem Block Julia Timoschenkos nicht aus.«4324 F. William Engdahl zufolge hätte ein solcher Schritt aber unübersehbare geopoli­ tische Konsequenzen, denn dieser »könnte möglicherweise die gesamte Frage eines NATO-Mitgliedsbegehrens der Ukraine vom Tis ch fegen«. 4325 Die Lage in der Ukrai­ ne drohte sich noch weiter zuzuspitzen, weil Ende 2008 der bisherige Liefervertrag zwischen dem russischen Gaskonzern Gazprom und dem ukrainischen Konzern Naftogaz auslief und eine neue Verhandlungsrunde über Lieferpreise, Liefermen­

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gen und Transitgebühren anstand. Eine besondere Brisanz erhielten die Verhand­ lungen noch dadurch, daß beide Länder durch die Finanzkrise stark angegriffen waren: Der Aktienkurs von Gazprom war um rund 80 Prozent gefallen; der Kon­ zern hatte einen ungeheuren Finanzbedarf, und die Ukraine stand praktisch am Rand des Staatsbankrotts. Gazprom hatte aufgrund seiner angespannten Finanzla­ ge ein Interesse daran, den Gaslieferpreis allmählich auf Weltmarktniveau anzuhe­ ben. Wenig bekannt ist in diesem Zusammenhang, daß sich Rußland und die U kraine bereits am 2. Oktober 2008 in einem Grundsatzmemorandum darauf geeinigt hat­ ten, daß Rußland seinen Preis für die Gaslieferungen an die Ukraine innerhalb der nächsten drei Jahre auf Weltmarktniveau anhebt.4326 Bei den darauffolgenden Verhandlungen - der bis dato gültige eigentliche Lief­ ervertrag lief ja Ende 2008 aus - war man vom Weltmarktniveau aber noch sehr weit entfernt, jedoch der nächste Schritt stand nunmehr an: Rußland wollte für 1000 Kubikmeter eine Erhöhung von 179,5 auf 250 Dollar. Die Ukraine hatte zwar nur 235 Dollar geboten, aber im Haushaltsgesetz der Ukraine für 2009 wurde be­ reits ein Gaspreis von 250 Dollar veranschlagt. Eine Einigung lag also nicht mehr fern.4327 Dabei muß berücksichtigt werden, daß Gazprom das an die Ukraine gelie­ ferte Gas selbst einführen mußte, und zwar aus zentralasiatischen Staaten zu ei­ nem Preis von 375 Dollar pro 1000 Kubikmeter, »was dazu führte, daß die russi­ schen Gaslieferungen an die Ukraine dem russischen Lieferanten allein im Jahr 2008 einige Milliarden US-Dollar Defizit bescherten«.4328 Wie später von einer ukrainischen parlamentarischen Untersuchungskommission festgestellt wurde, standen Gazprom und die ukrainische Naftogaz Ende Dezember 2008 tatsächlich kurz vor dem Abschluß eines neuen Vertrages über die künftigen Gaspreise für die Ukraine und die Durchleitung nach Europa. Dem ukrainischen Untersuchungsbericht zufolge wurde der Chef der Naftogaz, Oleg Dubina, aber kurz vor Unterzeichnung des Vertrages nach Kiew zurückbeordert. Hierzu erklärte die Vorsitzende der Untersuchungskommission, Inna Bogolowskaja: »Es ist bewiesen, daß die ukrainische Seite an dem koordinierten Vorgehen beteiligt war, die Gesprä­ che über den Vertrag zu sabotieren und einen Gaskonflikt zu provozieren.«4329 Damit stellt sich die Frage, was die Ukraine so plötzlich dazu veranlaßt haben konnte, einen derartigen provokanten Schritt zu unternehmen. Tatsächlich gibt es Hinweise dafür, daß es sich bei dem >Gasstreit< Ende 2008/Anfang 2009 um »eine vom ukrainischen Präsidenten Viktor Juschtschenko und, im Hintergrund, von der US-Regierung ausgehende wochenlange Provokation« gehandelt haben könnte.4330 Für diese Hypothese spricht zunächst einmal, daß seit dem Georgienkrieg die be­ dingungslose proatlantische Ausrichtung der Ukraine nicht mehr unbedingt ge­ währleistet war: Zwar bekräftigte Präsident Juschtschenko nach wie vor eine pro­ amerikanische Ausrichtung der ukrainischen Außenpolitik; der Zusammenbruch der prowestlichen Regierungskoalition in Kiew, die Annährerung der Premier­ ministerin Julia Timoschenko an den prorussischen Führer des ostukrainischen Bun­

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des der Regionen, Viktor Janukowitsch, und der sich abzeichnende Kompromiß bei den Gaspreisverhandlungen schienen jedoch Anzeichen für eine ukrainisch-russi­ sche Annäherung zu sein, die weder dem ukrainischen Präsidenten Juschtschenko noch der hinter ihm stehenden US-Machtelite ins geopolitische Konzept paßte. So mußten die USA gegensteuern, um sicherzustellen, daß die Ukraine in ihrer trans­ atlantischen Ausrichtung verankert blieb. Das Instrument hierzu war die am 19. Dezember 2008 zwischen der Ukraine und den USA geschlossene »Charta über Strategische Partnerschaft«. Zwei Klau­ seln dieser Charta sprechen dafür, daß es diese Vereinbarung war, die die Ukraine dazu bewogen haben könnte, die Gepräche mit Rußland abzubrechen. Bestandteil dieser Charta war nämlich auch eine enge Zusammenarbeit zwischen der Ukraine und den USA im Energiesektor. So hieß es im entsprechenden III. Abschnitt der Charta: »2. In Anerkennung der Bedeutung eines effizienten Energie-Sektors pla­ nen die Parteien den Wiederaufbau und die Modernisierung der ÜbertragungsKapazitäten der Infrastruktur, die Diversifizierung und die Sicherung ukrainischer Quellen von Kernbrennstoff sowie die Verringerung der Abhängigkeit der Ukraine von ausländischen Quellen von Kernbrennstoffen.« Unter Punkt 3 wurde vereinbart: »Die Entwicklung der >Road Map< hat Priorität bei der ukrainisch-amerikanischen Zusammenarbeit, die Ukraine und die USA werden bilaterale Arbeitsgruppen über Energie bilden. In Übereinstimmung mit der Erklärung des US-EU-Gipfels vom 10. Juni 2008 vertiefen die Ukraine und die USA den dreiseitigen Dialog mit der Europäischen Union für eine verbesserte Sicher­ heit der Energieversorgung.«4331 Mit der Vertragsformel, daß die USA der Ukraine dabei behilflich sein wollen, ihre Gasleitungen »wieder aufzubauen« und zu »mo­ dernisieren«, ist allerdings nichts anderes gesagt, als daß die USA Zugriff auf das ukrainische Gasnetzwerk nehmen wollen. Wie oben schon dargestellt, bemüht sich die ukrainische Regierung überdies schon seit ihrer Machtübernahme darum, ohne den Umweg über Gazprom direkt mit Turkmenistan ins Geschäft über Erdgasliefe­ rungen zu kommen - mit dem Ziel der Schaffung eines Rußland umgehenden En­ ergiekorridors, der von Zentralasien über die kaspische und Kaukasusregion in die Ukraine reichen soll. Das mußte natürlich das russisch-ukrainisch-amerikanische Spannungsverhält­ nis weiterhin verschärfen, denn Rußland bemüht sich bereits seit langem um Zu­ gang zum ukrainischen Pipelinenetz, um über dieses unterbrechungsfreie Gaslie­ ferungen nach Europa zu garantieren. Dazu hatte es mehrfach ein internationales Konsortium für die Wartung dieses Netzes vorgeschlagen.4332 Begleitet waren diese Absprachen zwischen der Ukraine und den USA auf energiepolitischem Gebiet von rüstungs- und bündnispolitischen Vereinbarungen: Der Vertiefung der Inte­ gration der Ukraine in die NATO wurde gegenseitig hohe Priorität beigemessen. »Wir planen die Durchführung eines Programms der verstärkten Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, die Erhöhung der (militärischen) Kapazitäten zur Verbesse­

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rung der Chancen für die Ukraine als Kandidat für die Mitgliedschaft in der NATO.« Beide Staaten »beabsichtigen, den Wirkungsbereich ihrer laufenden Programme zur Zusammenarbeit und zur Unterstützung im Verteidigungs- und Sicherheits­ bereich auszuweiten«. Das Ziel beider Staaten ist es, »ein Übereinkommen über einen strukturierten Plan zur Steigerung der Interoperabilität und der Koordinie­ rung der Kapazitäten zwischen der NATO und der Ukraine zu erreichen, einschließ­ lich verstärkter Ausbildung und Ausrüstung für die ukrainischen Streitkräfte«. Wie Knut Mellenthin urteilt, zeigten die USA mit dieser US-ukrainischen »C harta über strategische Partnerschaft«, daß sie wie im Fall Georgien gegen den Willen eines Teils der europäischen NATO-Staaten den Weg der Ukraine in die NATO so weit wie möglich erleichtern und beschleunigen wollen.4333 Die >strategischen Part­ nerschaftenSouth StreamGroßraum gegen Universalismus< verbindet sich der Kampf zwischen der eurasischen Koalition der Kontinentalmächte Rußland und der Volks­ republik China mit der transatlantischen Supermacht USA um Einflußzonen und Ressourcen. Der derzeitige [2011] US-Vizepräsident Joseph Biden brachte es auf den Punkt, worum es bei diesem Kampf geht: »Es geht um viel, um Hunderte von Milliarden Dollar Öl und Infrastruktur, den Wiederaufstieg Rußlands und die En­ ergiesicherheit Europas... Die Russen lieben Schach. Unsere strategische Antwort auf dem Schachbrett Zentralasiens muß es sein, eine Präsenz auf den Teilen des Bretts zu etablieren, die sie noch nicht kontrollieren. Das bedeutet, neue Pipelines zu verlegen, die Alternativen... zum russischen Monopol eröffnen.«4342 Die Anzettelung von >FarbrevolutionenCommittee on the Present DangerProject for the New American Century< begünstigt - jener Projektgruppe, die Clinton anklagte, den Ausbau der US-amerikanischen Militärmacht versäumt zu haben, und die nun für ein massives Aufrüstungsprojekt eintrat, um eine globale amerikanische Machtprojektion sowie eine US-Vorherrschaft insbesondere im Per­ sischen Golf und in Eurasien sicherzustellen. So stellt sich die Frage, welche Zirkel der US-Machtelite hinter Barack Obama stehen, und insbesondere, welche Zielsetzungen diese vertreten. Denn gerade »bei einem solchen Phänomen wie Obama gilt es deshalb zu fragen, wer die Macher dieses Medienprodukts sind - denn aus dem Nichts zum US-Präsidenten aufzu­ steigen, ist ohne Förderer in dieser Welt nicht möglich«.4345 Es ist den Recherchen des Historikers und Geheimdienst-Experten Webster Griffin Tarpley zu verdanken, daß jene Kreise der US-Machtelite hinter den Kulissen sicht­ bar gemacht wurden, die hinter O bama stehen. In seinem Buch The Postmodern Coup. Making of a Manchurian Candidate enthüllte er, daß kein Geringerer als Zbigniew

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Brzezinski der wichtigste Förderer Obamas und Hauptdrahtzieher der Obama-Kam­ pagne ist. Folgt man Tarpley, »können wir sagen, daß Obama eine Marionette des Finanzkapitals ist, der Trilateralen Kommission, der Bilderberger-Gruppe, des Coun­ cil on Foreign Relations, und sehr wichtig, der Ford-Foundation und anderer reak­ tionärer Machtzentren«.4346 Tarpley führt zahlreiche Beweise an, die Obama in der Tat als politischen Zög­ ling B rzezinskis erscheinen lassen. Anfang der achtziger Jahre studierte Obama Inter­ nationale Politik an der New Yorker Columbia-Universität; sein Spezialgebiet war die nukleare Rüstung. Zur gleichen Zeit war auch Brzezinski dort als führender Sowjetexperte tätig. Als Beweis dafür, daß in dieser Zeit die Grundlagen einer Förde­ rung O bamas durch Brzezinski gelegt worden sein müssen, mag die Tatsache stehen, daß nach den Beobachtungen des Londoner Economist Brzezinski während des USPräsidentschaftswahlkampfes hinter Obama als dessen >Hirn< stand4347 und so Be­ ziehungen zwischen dem demokratischen Präsidentschaftskandidaten und der politischen Denkfabrik um Brzezinski schon vorher bestanden haben müssen. Für diese These spricht auch folgende Begebenheit: »Nur kurz, nachdem Obama im Februar 2007 seine Bewerbung um die Präsidentschaft bekanntgegeben hatte, wartete der Washington-Post-Kolumnist David Ignatius mit der Nachricht auf, daß sich das gerade erschienene Buch Brzezinskis mit dem Titel Second Chance wie das >außenpolitische Manifest< eines künftigen Präsidenten Obama lese. In dem Buch empfiehlt Brzezinski, Amerika müsse weniger auf Waffenstärke setzen und statt­ dessen mittels Diplomatie und geschicktem Multilateralismus wieder die morali­ sche Führung der Welt übernehmen. Wenige Tage nach der Präsidentenwahl ließ Ignatius in seiner Washington-Post-Kolumne die Katze aus dem Sack. Ihm zufolge hat sich Obama im Juli 2007 mit Brzezinski getroffen, um sich von ihm beraten zu lassen. Was wollte O bama von dem alten Staatsmann wissen? Dazu schreibt I gnatius: ... es ging ihm nicht um die üblichen Positionspapiere oder Sprechblasen für den Wahlkampf. Obama dachte bereits in größeren Zusammenhängen. Was kann ein neuer Präsident in seinen ersten zwölf Monaten außenpolitisch erreichen, was er später nicht schafft? Das wollte Obama wissen. Wie sollte ein neuer Präsident seine nationale Sicherheitsmannschaft reorganisieren, damit die Struktur den Problemen des 21. Jahrhunderts gerecht wird? Spätestens von diesem Zeitpunkt an war Brze­ zinski Obamas Berater. Die Angaben Ignatius‘ sind deshalb von Bedeutung, weil dieser neben seinem Kollegen Bob W oodward als einer der Journalisten in Washing ­ ton mit besten Verbindungen zum Pentagon und zur CIA gilt.«4348 Auch die Hintergründe der Wahlkampffinanzierung machen deutlich, daß Oba­ ma einflußreiche Unterstützer haben mußte. Verschiedenen Beobachtern zufolge hatte Obama im Wahlkampf »Spenden in einer noch nie dagewesenen Höhe... ein­ treiben können«.4349 Nach offiziellen Angaben hatte Obama 745 Millionen Dollar an Spenden erhalten. Das war doppelt so viel wie sein republikanischer Konkurrent Senator John McCain und zugleich mehr als die 653 Millionen US-Dollar, die vier

XII. Grundlagen der US-Eurasienstrategie unter Barack Obama

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Jahre zuvor George Bush jr. und John Kerry zusammen aufgebracht hatten. Trotz gegenlautender Annahmen hatten die Spenden der >einfachen Leute< nur rund ein Viertel der gesamten Wahlkampfsumme ausgemacht. »Drei Viertel seiner Wahl­ kampfgelder bekam Obama nach Angaben des Campaign Finance Institute von Großspendern mit Verbindungen zur Industrie, insbesondere zum Finanzsektor. Nicht umsonst hat Obama seine Regierung mit Vertretern derjenigen Geldhäuser Goldman Sachs, Citigroup usw. - besetzt, deren dubiose Spekulationen in der USImmobilienbranche und im Bereich der Ramsch-Aktien die Welt in die schlimmste Wirtschaftskrise seit der großen Depression der dreißiger Jahre gestürzt haben.«4350 Auch anderen Quellen zufolge gehörten zu Obamas Hauptfinanziers die Invest­ mentbank Goldman Sachs, dahinter rangierten JP Morgan Chase Citigroup, UBS, Google und auch Microsoft.4351 Auch die Finanzchefin von Obamas Wahlkampagne gehörte der Elite der US-Hochfinanz an: Penny Pritzker ist Mitglied einer der Ban­ kiersfamilien der USA, die in den vergangenen Jahren durch den Handel mit Hypo ­ theken ungeheuren Reichtum erwarb. Nach Zynismus klingt es geradezu, wenn man sich vor Augen hält, daß es genau diejenigen Mitveranwortlichen für die ver­ heerende Finanzkrise sind, die zu Obamas Wirtschafts- und Finanzberatern aufge­ stiegen sind: »Einer seiner drei wirtschaftspolitischen Berater ist Robert Rubin, der unter Clin­ ton für die Aufhebung des Glass-Steagall-Acts verantwortlich war, jenes Gesetzes, das riskante Spekulationen von Großbanken bis dahin noch verhindert hatte. Ein weiterer Wirtschaftsberater von Obama ist Paul Volcker. Dieser war während der Reagan-Ära Vorstandsvorsitzender der Federal Reserve und spielte eine zentrale Rolle bei der Einführung der ersten Stufe der Finanzderegulierung, die zu Mas­ senbankrotten, Fusionen und Bankenaufkäufen beitrug und schließlich zur Finanz­ krise im Jahr 1987 führte. D er neue Finanzminister ist schließlich Ti mothy G eithner, Vorstandsvorsitzender der Zentralbank von New York, dem einflußreichsten pri­ vaten Finanzinstitut Amerikas. Stets handelte er im Namen der leistungsfähigen Fi­ nanziers, die hinter der New Yorker Zentralbank stehen. Auch beim IWF hatte er eine leitende Position inne«.4352 Und - natürlich - spielte der Bankier George Soros eine wichtige Rolle bei der Unterstützung Obamas.4353 Die Gründe, warum sich die US-Machtelite aus dem Umfeld der Trilateralen Kommission, der Bilderberger und des Council on Foreign Relations für Obama entschied, bescheibt Griffin wie folgt: »Es ist so, die Weltherrschaft von London und New York ist in einer großen Krise. Wir haben den Bankrott des Dollars, eine Hyperinflation, allgemeine Bankenpanik... wir haben zwei verlorene Kriege... und wir haben einen Imperialismus, der am Zusammenbrechen ist. Die trilateralen Ban­ ker haben jetzt entschieden, Obama muß diesen Imperialismus retten und Zusammen­ halten. Die Idee ist, wenn er an die Macht kommt, mit ihm eine aktivistische, sehr aggressive Außenpolitik zu fahren.«4354 Tarpley zufolge ist Zbigniew Brzezinski der eigentliche >schwarze Schatten< hin-

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ter Obama. »Als graue Eminenz unter den amerikanischen Geostrategen«, so Hau­ ke Ritz, »verkörpert er die Sichtweisen und Interessen eines ganzen Flügels der amerikanischen Elite. Aufgrund seines intellektuellen Ranges muß sein Einfluß als sehr hoch veranschlagt w erden. Unter einer Präsid entschaft O bamas werden höchst­ wahrscheinlich die geopolitischen Vorstellungen dieser >Brzezinski-Fraktion< zum Tragen kommen. Hinzu kommt noch, daß Zbigniew Brzezinskis Tochter, die Fern­ sehmoderatorin Mika Brzezinski, Obama unterstützt, während ihr Bruder Mark Brze­ zinski ebenfalls zu den Beratern Obamas gehört.«4355 Schließt man sich der Auffassung des Kolumnisten der Washington Post David Ignatius an, daß Brzezinskis aktuelles Buch Second Chance das »außenpolitische Manifest« Obamas sei, so scheint die Eurasien-Strategie auch des neuen US-Präsi­ denten auf eine neue Konfrontation mit Rußland hinauszulaufen. Brzezinskis Plan ist es, so Tarpley, Rußland und China, also die geopolitischen Hauptkonkurrenten der USA, gegeneinander auszuspielen und so als Machtfaktoren auszuschalten. »Für die Neocons ist Israel und der Nahe Osten das Zentrum der Welt und sehr wichtig. Brzezinski interessiert das nicht, er sagt, nein, die Machtzentren der Welt sind Ruß­ land und China, wenn wir mit denen fertig werden, dann haben wir die Weltherr­ schaft für das nächste Jahrhundert. Das setzt eine weltweite Strategie voraus«,4356 und Obamas Außenpolitik ziele zunächst darauf ab, die Chinesen aus Afrika zu jagen, damit sie kein Erdöl und andere strategische Mineralstoffe von dort bezie­ hen können. Deshalb auch der Konflikt im Sudan, denn von dort bekommt China schon 7 Prozent seines Erdöls. In seinem Buch Second Chance rechnet Brzezinski mit der Außenpolitik der USA unter George H.W. Bush, Bill Clinton und George W. Bush ab. Er erhebt den Vor­ wurf, diese Präsidenten hätten die Chance, nach dem Zusammenbruch der Sowjet­ union ein System dauerhafter US-Vorherschaft zu errichten, nicht ausreichend ge­ nutzt. Allerdings sieht Brzezinski eine »zweite Chance«, die darin besteht, die unilaterale Politik einzuschränken und verstärkt auf Zusammenarbeit und Abspra­ chen mit China und Europa zu setzen. Dabei sollten auch mit Syrien, Venezuela und dem Iran Verhandlungen aufgenommen werden. Hauptsächlich jedoch soll Rußland isoliert und möglicherweise auch destabilisiert werden.4357 Seit der Formulierung seiner Ziele in The Grand Chessboard haben die USA der Analyse Brzezinskis zufolge an geopolitischem Einfluß verloren. »In seinem jüng­ sten Buch Second Chance gibt Brzezinski offen zu, daß der Plan einer direkten militä­ rischen Besetzung einiger Länder des Nahen Ostens, wie sie den Neokonservati­ ven vorschwebte, gescheitert ist. Doch diese Niederlage ist für Brzezinski nicht so massiv, daß er die 1997 formulierten Pläne einer amerikanischen Vorherrschaft in Eurasien grundsätzlich aufgeben möchte. Das Scheitern der direkten militärischen Machtausdehnung im Süden Eurasiens bedeutet für ihn lediglich, daß nun die von Europa ausgehende Osterweiterung der NATO an Priorität gewinnt. Dies bedeu­ tet jedoch einen massiven Vorstoß in die russische Einflußsphäre. Damit würde

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nach dem Iran nun Rußland ins Fadenkreuz der amerikanischen Geopolitik gera­ ten.«4358 Bereits in der Vergangenheit hatte Brzezinski mehrfach dargelegt, daß EU- und NATO-Osterweiterung Instrumentarien sind, um den US-amerikanischen Einfluß in Eurasien auszuweiten. Brzezinski bezeichnet auch das Europa der EU als einen »Eckpfeiler einer unter amerikanischer Schirmherrschaft stehenden größeren eu­ rasischen Sicherheits- und Kooperationsstruktur«.4359 Die geopolitischen Folgen, die Brzezinski in einem solchen Prozeß sieht, stellt Hauke Ritz wie folgt dar: »Die USA streben an, ihren Einfluß auf dem asiatischen Kontinent immer weiter auszudeh­ nen. Dabei dient ihnen Europa als Sprungbrett auf den eurasischen Kontinent. Da jede Osterweiterung Europas unter den gegebenen Umständen zugleich auch den amerikanischen Einfluß ausdehnt, sollen durch eine Kombination aus EU-Oster­ weiterung und Expansion der NATO viele der ehemaligen Sowjetrepubliken - wie zum Beispiel Georgien, Aserbaidschan und Usbekistan - in die westliche Einfluß­ zone integriert werden.«4360 Damit ist es den USA möglich, ein Energiemonopol in Eurasien aufzubauen, welches zusammen mit der NATO-Osterweiterung und der Eingliederung des Mittleren Ostens in die westliche Hegemonialsphäre zu einer Schmälerung jegli­ chen russischen Einflußes führen soll: Wenn sich die eurasischen Neumitglieder von EU und NATO für westliches Kapital öffnen, »dann ist es westlichen Konzer­ nen möglich, sich die Rohstoffvorkommen zu sichern und über die Medien Einfluß auf die Öffentlichkeit eines Landes zu gewinnen. Da die Region um das Kaspische Meer über die zweitgrößten Öl- und Gasreserven verfügt und zudem militärstrate­ gisch von besonderer Bedeutung ist, könnte eine westliche Vormachtstellung in dieser Region die Position der USA auf dem eurasischen Kontinent massiv stärken. Zusammen mit der Kontrolle der US-Verbündeten OPEC-Staaten Kuwait, SaudiArabien, Vereinigte Arabische Emirate, Katar und den eroberten Staaten Irak und Afghanistan könnte so eine Vorherrschaft der USA über Zentralasien ihnen die nötige Autorität verleihen, um von dort schließlich ganz Eurasien, einschließlich Chinas und Rußlands, in eine von den USA entworfene überstaatliche Sicherheits­ struktur zu integrieren. Die von Europa ausgehende NATO-Osterweiterung und die von der Bush-Administration im Süden Eurasiens (Irak, Afghanistan) begonne­ nen militärischen Interventionen bilden zusammen gewissermaßen einen Keil, mit dem die USA in das Herz der eurasischen Landmasse vorstoßen.«4361 Konkret fordert Brzezinski in seinem neuen Buch Second Chance dazu auf, daß sich der Sch werpunkt amerikanischer Außenpolitik sc hleunigst aus den Verstri ckun­ gen im arabisch-islamischen Raum befreien und auf die aufstrebenden Mächte Rußland und China konzentrieren solle. Nach Brzezinskis Auffassung ist es an der Zeit, das russisch-zentralasiatisch-chinesische Bündnis der Shanghai Cooperation Organisation (SCO) dadurch zu sprengen, daß man China durch verlockende An­ gebote aus diesem hinauskatapultiert, um es gegen Rußland in Stellung zu brin­

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gen. Dasselbe gelte für Syrien und Iran, die man im Gegensatz zur Doktrin der Ära Bush nicht bekämpfen, sondern gleichfalls in ein Bündnis gegen Rußland einbin­ den müsse.4362 Ziel ist die Errichtung eines sogenannten »transeurasischen Sicher­ heitssystems«, das als Alternative zur UNO wirken soll. Voraussetzung für dessen Errichtung ist Brzezinski zufolge aber zunächst, daß der russische Einflußbereich zurückgedrängt und in einen amerikanischen umgewandelt wird.4363 Eine EU- und NATO-Mitgliedschaft Georgiens und der Ukraine sowie eine neue Zusammenarbeit der USA mit dem Iran, wie sie zu Zeiten des Kalten Krieges unter dem Schah Reza Pahlewi vorgeherrscht hatte, stellen, verbunden mit dem Raketen­ abwehrsystem in Polen und der Tschechischen Republik, die Mittel der USA zur Destabilisierung Rußlands dar: »So gesehen ist der von den USA projektierte Raketenschirm die beängstigend wirksame, weil einschüchternde flankierende Maß­ nahme zu den gegenwärtigen und kommenden Destabilisierungen auf dem von Brzezinski anspielungsreich genannten >Eurasischen BalkanCarnegie Endowment for International Peace< und als Kolumnist der Washington Post nicht unmaßgeblichen Einfluß auf den außenpolitischen Dis­ kurs der US-Machtelite aus. In seinem Essay widerlegte er die These des Politolo­ gen Francis Fukuyama, der Anfang der neunziger Jahre das »Ende der Geschichte« eintreten sah und den endgültigen Sieg des marktwirtschaflich-demokratischen Sy­ stems als globales Ordnungsmodell behauptete. Statt dessen erkennt Kagan eine »Rückkehr der Geschichte« und eine Wiederkehr des »Großmachtnationalismus«, wie er im 19. Jahrhundert vorgeherrscht habe: »Statt der neuen Weltordnung füh­ ren die widerstreitenden Interessen und Bestrebungen der Großmächte abermals zu den Allianzen, Gegenallianzen und kunstvollen Tänzen mit wechselnden Part­ nern, wie sie einem Diplomaten des neunzehnten Jahrhunderts auf Anhieb ver­ traut wären.«4365 In seiner Schrift sieht Kagan ein »neues Zeitalter der Geopolitik« heraufziehen, wenn es - man beachte hierbei den Erscheinungszeitpunkt des Essays Anfang 2008 - zu einem Militärkonflikt zwischen Moskau und Tiflis und infolgedessen zu einer Besetzung der Ukraine und Georgiens durch russisches Militär komme. Damit - so Kagan - würde dann eine völlig neue Weltordnung eintreten, die er als »die ge­ spaltene Welt« bezeichnet:4366 »Auch wenn die USA die einzige Supermacht sind, blüht die Konkurrenz zwischen den Großmächten wieder. Die Vereinigten Staa­ ten, Rußland, China, Europa, Japan, Indien, der Iran und andere wetteifern um

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eine regionale Vormachtstellung, um Ansehen, Rang und Einfluß. Wir erleben keine Zeit des Zusammenwachsens, sondern eine des Auseinanderrückens von Ideen und Ideologien.«4367 Kern seiner Schlußfolgerungen sind die »globalen Spaltungen zwi­ schen dem Club der Autokraten und der Achse der Demokratie«.4368 Kagan wört­ lich: »Die alte Konkurrenz zwischen Liberalismus und Absolutismus ist wieder ausgebrochen, und die Nationen der Welt ordnen sich zunehmend dem einen oder anderen Kraftfeld zu...«4369 Der Gegensatz zwischen Autokratie und Liberalismus, so Kagan, habe die USA und zumindest einen Teil Europas seit dem 18. bis Ende des 20. Jahrhunderts voneinander getrennt; mit dem Ende des Kalten Krieges habe sich die Hoffnung auf eine »wirklich neue Ära in der Menschheitsentwicklung« verbunden. Kagans Analyse zu folge s ind es Rußland und China, die sich diesem neuen Ord­ nungsmodell einer globalen marktwirtschaftlich-demokratischen >Pax americana< entgegenstellen: »China hat sich nicht liberalisiert, im Gegenteil, es hat seine auto­ kratische Regierung abgesichert. Rußland hat der unvollkommenen Liberalisierung den Rücken gekehrt und sich entschieden einer Autokratie zugewandt. Zwei der Großmächte, dazu noch - mit über einundeinhalb Milliarden Menschen -, zwei der bevölkerungsreichsten Länder der Welt suchen daher ihr Heil in einer autokrati­ schen Regierung, und, wie es aussieht, können sie, offenbar mit Zustimmung des Volkes, ihre Macht in der absehbaren Zukunft behaupten.«4370 Das Problem sieht Kagan dabei auch darin, daß es Rußland und China gelungen sei, Autokratie und Wirtschaftswachstum miteinander zu verbinden, und vor die­ sem Hintergrund stelle die russisch-chinesische Herausforderung die amerikani­ sche Weltpolitik und die Funktionsfähigkeit internationaler Organisationen ernst­ haft in Frage: »Von einer >internationalen Gemeinschaft< kann einfach keine Rede mehr sein. Der Ausdruck beinhaltet, daß man sich über internationale Verhaltens­ normen, eine internationale Moral, ja ein internationales Gewissen einig ist. Diese Vorstellung gewann an Boden in den neunziger Jahren, zu einer Zeit, als alle davon ausgingen, Rußlands und Chinas Öffnung gegenüber dem westlichen Liberalis­ mus würde weltweit eine gemeinsame Haltung in humanitären Fragen erzeu­ gen.«4371 Durch das Erstarken Rußlands und Chinas aber sei dies hinfällig gewor­ den; der Kosovo-Konflikt und die Darfur-Krise im Sudan hätten Gräben offenbart, die den »liberalen Westen von Rußland, China und vielen anderen nichteuropäi­ schen Nationen« trennten. Mit einem solchen Gegensatz sei dann folgerichtig die Außen- und Sanktionspolitik der USA gegenüber ihnen nicht genehmen Staaten blockiert: Er würde schließlich »die Anstrengungen Amerikas und seiner Verbün­ deten behindern, Nationen, die nach Nuklear- und anderen Massenvernichtungs­ waffen streben, unter Druck zu setzen und mit Sanktionen zu belegen, wie es be­ reits beim Iran und bei Nordkorea der Fall gewesen ist«.4372 Kagan geht davon aus, daß die Weltpolitik von morgen daher von »wachsenden Spannungen zwischen dem transatlantischen Bündnis und Rußland« bestimmt sein

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werde, die die Meinungsverschiedenheiten innerhalb der NATO in den Hinter­ grund treten lassen würden.4373 Angesichts dieser russisch-chinesischen Heraus­ forderung müsse sich die US-Außenpolitik »strategisch auf diese ideologisch schwer­ wiegenderen Unterschiede einstellen. Nur ein Narr würde erwarten, daß China dabei hilft, das menschenverachtende Regime in Khartum zu stürzen, oder sich darüber wundern, wenn Rußland gegenüber den prowestlichen Demokratien an seinen Grenzen mit dem Säbel rasselt. Die Autokratien dieser Welt werden ebenso wie die Demokratien näher zusammenrücken«.4374 Im einzelnen spricht sich Kagan für »ein globales Konzert oder einen Bund der Demokratien« aus mit dem »Ziel, die demokratischen Nationen zu regelmäßigen Treffen und Konsultationen über die jeweils aktuellen Themen zusammenzubrin­ gen«.4375 Der künftigen US-Außenpolitik empfiehlt er ein klares Konzept globaler Demokratieförderung sowie die Errichtung eines globalen Bündnissystems, das auf die Eindämmung russischen und chinesischen Einflusses ausgerichtet ist: »Aus all diesen Gründen sollten die Vereinigten Staaten eine Politik verfolgen, die dazu angetan ist, sowohl die Demokratie zu fördern als auch die Zusammenarbeit zwi­ schen den demokratischen Staaten zu stärken. Mit anderen Demokratien sollten sie neue internationale Institutionen schaffen, die über ihre gemeinsamen Grundsätze und Ziele nachdenken und sie festigen, und vielleicht sollten sie auch eine neue Liga der demokratischen Staaten ins Leben rufen, die sich regelmäßig trifft und über drängende Tagesfragen berät. Eine solche Institution könnte asiatische Staa­ ten wie Japan, Australien und Indien mit den europäischen Nationen zusammen­ bringen - zwei Gruppen von Demokratien, die jenseits ihrer Handels- und Finanz­ beziehungen verhältnismäßig wenig miteinander zu tun haben, und die die Vereinten Nationen, die G 8 und andere internationale Foren ergänzen, aber nicht ersetzen sollten.«4376 Diese beiden geopolitischen Planspiele - das Brzezinski-Konzept der Pluralisie­ rung Eurasiens, verbunden mit der Eindämmung Rußlands, und das neue Bipola­ riätsmodell Kagans - machen deutlich, daß nach dem Scheitern der Neo-Imperial­ politik George W. Bushs für die US-Machtelite die Zeit gekommen zu sein scheint, »die angeschlagene moralische Glaubwürdigkeit und die kräftezehrende Überdeh­ nung der Macht durch eine erneute vertiefte amerikanisch-europäische Zusammen­ arbeit auf Kosten des Kernlands Eurasiens, Rußland, zu kompensieren«.4377 Insbe­ sondere angesichts der verheerenden Weltfinanzkrise, deren Ausmaße bislang noch nicht abzusehen sind, scheint der Ausgriff nach Eurasien zum letzten Rettungsanker des >informellen Imperiums< der Vereinigten Staaten zu werden.4378 Diese Planspiele sind aber nicht auf einen kleinen Zirkel von US-Geostrategen begrenzt geblieben, sondern haben längst in Überlegungen der off iziellen U S-Macht­ elite Eingang gefunden. Wi e Peter Rudolf in einer Studie der >Stiftung Wissenschaft und Politik< mit dem Titel Ein »Bund der Demokratien«: Amerikas neuer globaler Mul­ tilateralismus4379 darstellt, wurde das >Princeton Project on National Security< als

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Grundmodell eines »Bundes der Demokraten« ins Leben gerufen. Hinter diesem stehen G. John I kenberry und Anne-Marie S laughter sowie Anthony L ake, ehema­ liger Sicherheitsberater unter US-Präsident Clinton und jetzt Berater von Barack Obama, außerdem George Shultz, ehemaliger Außenminister unter der Präsident­ schaft Reagans. Auch wirken zahlreiche außenpolitische Experten sowohl aus dem republikanischen als auch dem demokratischen Lager an diesem mit.4380 Grundge­ danke des >Princeton Projects< ist der Aufbau einer organisatorischen Basis, eines »Concert of Democracies«, in dem die mit den USA verbündeten Staaten informell Zusammenkommen und das auch weitere »demokratische Partn er« wie Indien, Süd­ afrika, Brasilien und Mexiko in eine »globale demokratische Ordnung« einbinden soll.4381 Einer der entscheidenden Ideengeber hierfür ist Ivo Daalder, Berater Oba­ mas in außen- und sicherheitspolitischen Fragen, der sich zusammen mit Robert Kagan in der Washington Post vom 6. August 2007 für die Bildung einer neuen glo­ balen Institution aussprach, die bei zukünftigen Militärinterventionen ein Höchst­ maß an Legitimation sicherstellen soll.4382 Tragendes Prinzip dieses Vorhabens ist unter anderem die sogenannte »Respon­ sibility to Protect«: Dieses Konzept beinhaltet eine Einschränkung der Souveräni­ tät solcher Staaten, die nicht imstande sind, im Falle einer sogenannten >humanitä­ ren Katastrophe< ihre Bevölkerung zu schützen, indem den Staaten des »Bundes der Demokratien« ein Recht zum Eingreifen gegenüber solchen Krisenländern ein­ geräumt wird. Praktisch soll diese neu zu schaffende Organisation dazu dienen, den USA die notwendige Legitimation zu militärischen Interventionen zu verschaf­ fen, falls sich der UN-Sicherheitsrat hierzu nicht bereitfinden sollte. Dann »sollte nach den Vorstellungen des >Princeton Project< die neue Organisation zu einer alter­ nativen Quelle der Legitimierung des Einsatzes militärischer Macht werden. Im Falle einer solchen Entwicklung werden Vereinbarungen vorgeschlagen, nach denen eine Supermehrheit von zwei Dritteln der Mitglieder über den Einsatz militärischer Macht entscheiden könnte, sofern sich eine Autorisierung durch den Sicherheitsrat der UN nicht erreichen ließe«.4383 In diesem Fall sollte dann der Beschluß des >Concert of Democracies< die gleiche Legitimation besitzen wie ein Beschluß des UN-Sicherheitsrates. Wie Peter Rudolf hervorhebt, scheint für einen Großteil der neokonservativen US-Machtelite »das Interesse an der neuen Organisation vor allem darin zu bestehen, daß sie neben der Aushebelung der UN d ie Möglichkeit bietet, di e für die Stabi lität des internationalen Systems als unverzichtbar geltende Vormachtrolle der USA in eine legitimierende Struktur einzubetten«.4384 US-Präsident Obama selbst scheint die Auffassung, den UN-Sicherheitsrat als Legitimationsquelle für eine militärische Intervention durch eine neue Organisation zu ersetzen, zu teilen, wie er in seiner Autobiographie Hoffnung wagen einräumt. So schreibt er, daß »der Weltsicherheitsrat, der durch seine Struktur und seine Regeln allzuoft in einer Zeitschleife des Kalten Krieges erstarrt zu sein scheint«, kein »Ve­

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torecht gegen unsere Maßnahmen haben sollte«.4385 Bei dem >Concert-of-Democra­ ciesBun­ des der Demokratien< eigentlich beabsichtigt ist: »Nun, ich mag die Idee einer Liga der Demokratien... Was ich daran mag, ist die versteckte Agenda. Es scheint so, als gehe es allein darum, Verbündeten zuzuhören und mit ihnen in Kontakt zu kommen, all den Krempel, den ein John K erry nennen würde, außer daß die eigent­ liche Idee, die McCain nicht ansprechen kann, aber ich, im wesentlichen darin be­ steht, die Vereinten Nationen zu ermorden.« 4386 Dies bes tätigt auch die führende Mit­ gestalterin des >Princeton ProjectBundes der Demokratien< zu ma­ chen. »Die Globalisierung der NATO«, so Peter Rudolf, »ihre Öffnung also für alle demokratischen Staaten auf der Welt, die die Nato-Verpflichtungen als verbind­ lich ansehen, wäre... eine Interimslösung auf dem Weg zu einem >Bund der De­ mokratienGemeinschaft der Demokratien< aufzu­ bauen.4390 Der Aufwertung der NATO zu einer >Allianz der Demokratien< haben sich die USA bereits seit geraumer Zeit verschrieben.4391 So erklärte im März 2006 der stell­ vertretende Leiter der Europaabteilung im US-Außenministerium, Kurt Volker, daß die »Neuaufnahme gleichgesinnter Demokratien« die NATO als »Kern unse­ rer globalen demokratischen Sicherheitsgemeinschaft« weiter stärken könne.4392 Während des NATO-Gipfels in Riga 2006 wurde ein Partnerschaftskonzept verab­ schiedet, das ausdrücklich die militärisch-politische Zusammenarbeit der NATO mit sogenannten >Contact Countries< wie Australien, Neuseeland, Südkorea, Japan vorsah - neben der >Partnership for Peace< und den Sonderbeziehungen zu ver­ schiedenen postsowjetischen Republiken wie der Ukraine ist dies die dritte Säule der NATO-Expansion.4393

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Daß in den NATO-Stäben bereits in diese Richtung gearbeitet wird, wird an dem Strategiepapier Towards a Grand Strategy for an Uncertain World deutlich, das von fünf ehemaligen hochrangigen NATO-Generälen verfaßt wurde. In diesem Papier heißt es unter anderem: »(Wir) schlagen vor, die langfristige Vision einer Allianz der Demokratien von Alaska bis Finnland anzustreben.«4394 Auf dem NATO-Gipfel in Bukarest vom April 2008 wurde deutlich, daß die NATO derartige Pläne ins Auge gefaßt hat und als wichtige Agenda ihrer Zukunft ansieht: Die Allianz lege großen Wert auf ihre expandierenden und unterschiedlichen Beziehungen mit Part­ nern um den gesamten Globus. »Unsere Ziele bei diesen Beziehungen umfassen die Unterstützung für Operationen, Sicherheitskooperation und ein gemeinsames Verständnis über gemeinsame Sicherheitsinteressen und darüber, die Förderung demokratischer Werte zu verbessern.«4395 Vieles spricht dafür, daß es den USA darum geht, mit dem Konzept der >Allianz der Demokratien< sich die Ressourcen der Verbündeten zu sichern, um ihren glo­ balen - letztlich gegen Rußland und China gerichteten - Vorherrschaftsplan ver­ wirklichen zu können. »Nach dem Willen Washingtons sollen sie (die Verbünde­ ten, der Verf.) auch die nötigen Fähigkeiten, Ressourcen und den politischen Willen für kommende Einsätze aufbauen. Derartige Verbündete außerhalb der NATO könnten damit leichter für US-geführte Missionen herangezogen werden. Der Umstand, daß die Partnerländer allesamt in der Großregion Asien-Pazifik behei­ matet sind, kommt der Ausrichtung amerikanischer Sicherheitspolitik im Hinblick auf mögliche Auseinandersetzungen mit China zusätzlich entgegen.«4396 Hierzu muß man sich vergegenwärtigen, daß selbst die US-Machtelite von einem relativen Macht­ verlust der USA in naher bis mittlerer Zukunft ausgeht. In einer Studie der USGeheimdienste unter dem Titel Global Trends 2025: A Transformed World vom No­ vember 2008 wird ein Rückgang des politischen und wirtschaftlichen Einflusses der Vereinigten Staaten prophezeit. »Gleichzeitig wird dort davon ausgegangen, daß sich der machtpolitische Aufstieg Chinas und Rußlands fortsetzen und deren >staatskapitalistisches Modell< als Vorbild für weitere Länder dienen wird.«4397 Der Geheimdienststudie zufolge zählt zu den wichtigsten Entwicklungen der kommenden Jahre eine »in der modernen Geschichte beispiellose« Machtverschie­ bung von West nach Ost. Einfluß und Vorherrschaft der USA nähmen ab; die Su­ permacht werde wahrscheinlich nur noch »einer unter mehreren wichtigen Akteu­ ren« sein. In der internationalen Politik spiele Washington dann nur noch eine »prominente«, aber »nicht eine entscheidende« Rolle wie in der Vergangenheit: »Die Handlungsfreiheit der USA werde zunehmend eingeschränkt. Internationale Allianzen, die die Welt seit Ende des Zweiten Weltkrieges dominiert hätten, wür­ den 2025 >fast nicht wiederzuerkennen< sein«.4398 Demgegenüber werde China nach dieser Prognose die globale Entwicklung stärker beeinflussen als jedes andere Land; wirtschaftlich und auch militärisch werde China ein bestimmender Faktor der Weltpoltik werden. Hinzu kämen aber noch weitere Herausforderer: »Andere Groß­

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mächte auf dem Vormarsch sind laut der Analyse Indien, Brasilien und Rußland. Während sich Reichtum und Wirtschaftskraft nach Osten verlagerten, entfielen nur drei Prozent des Bevölkerungswachstums bis 2025 auf westliche Staaten.«4399 Sehr düster äußert sich dabei die Studie zur Zukunft der Energieversorgung: Eine Abhängigkeit von fossilen Energieträgern bleibe bestehen, und »sollten ein­ zelne Staaten den Zugang zu Energiequellen als lebenswichtig betrachten, könnten um diese Konflikte ausbrechen«.4400 Vor diesem Hintergrund planen die USA nun­ mehr, ihr globales Hegemonialsystem auf eine erneuerte breitere Grundlage zu stellen. Angesichts des Machtzuwachses der Staaten Rußlands, China und auch Brasilien werden die USA in multilateren Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat nicht mehr die bestimmende Rolle einnehmen können. Da sie ihrer Hegemonialpolitik jedoch eine internationale Legitimation verleihen möchten - um sich einerseits materielle Ressourcen der Verbündeten zu sichern, andererseits auch, um die innen­ politische Unterstützung im eigenen Land zu gewährleisten -, soll nun ein neues globales Bündnis gewissermaßen als US-hörige Alternativ-UNO ins Leben gerufen werden. Lastenverteilung, so Militarismus-Experte Jürgen Wagner, »ist deshalb in Washington das Gebot der Stunde, denn die völlig überdehnten USA sind drin­ gend auf Unterstützung bei der Aufrechterhaltung der Weltordnung angewiesen, worüber man sich insbesondere im Umfeld Barack Obamas völlig im klaren ist. Nur vor diesem Hintergrund sind die US-Bestrebungen zu verstehen, die NATO gegen Rußland und China in Stellung zu bringen und alle >Demokratien< für diese Aufgabe zu gewinnen«.4401

1 Afghanistan und Pakistan als Ansatzpunkte für die Umsetzung der Eurasienstrategie der Obama-Administration Der Ansatzpunkt für die Umsetzung dieser Strategie sollte aber nach den Plänen der neuen Obama-Administration nicht eine der postsowjetischen Republiken oder gar die Russische Föderation selbst sein. Vielmehr soll sie an den Krisenherden Afghanistan und Pakistan, die von den US-Strategen nicht ohne Grund als einheit­ liches Problem gesehen werden, ihre Erprobung finden. Die geopolitische Rolle Afghanistans und Pakistans für die langfristige Kontrolle Eurasiens wurde oben bereits ausführlich dargestellt und soll deshalb nicht mehr weiter vertieft werden. Es dürfte klar sein, daß sich auch die Obama-Administration der Bedeutung dieser Länder bewußt ist. Schließlich hatte Obama schon während seines Wahlkampfes 2008 den Kampf um die Stabilität Afghanistans und Pakistans - im neuen Jargon der US-Strategen >AfPak< genannt - zur höchsten strategischen Priorität erklärt. Deutlich hob er dabei auch hervor, daß ohne die Kontrolle und Einbindung Pakis­ tans auch eine Kontrolle Afghanistans nicht möglich sei. »Deshalb befahl Obama die Entsendung von zusätzlichen amerikanischen Soldaten nach Afghanistan. Mindestens 17000 sollten zusätzlich in den Einsatz am Hindukusch geschickt wer­

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den, vor allem in jene Gebiete im Süden und im Osten des Landes, wo sich die Taliban in den vergangenen Monaten hatten regruppieren oder gar festsetzen kön­ nen.« Verstärktes militärisches Engagement sowie die Schaffung neuer strategischer Bündnisse sollten dabei der Schwerpunkt der neuen Strategie bilden, wie die Frank­ furter Allgemeine Zeitung beschreibt: »Zudem hielt Obama nicht nur an der Politik der Luftangriffe auf Trainingslager des Terrornetzes Al Quaida und auf Unterschlupfe von Taliban-Gruppen im Nordwesten Pakistans fest, die von unbemannten Drohnen des Auslandsgeheimdienstes CIA geflogen werden. Der Präsident befahl sogar eine Intensivierung der Raketenangriffe mit Drohnen. Schließlich ernannte Obama den krisen- und kriegserprobten Diplomaten Richard Holbrooke zum Sonderbeauftrag­ ten für Afghanistan und Pakistan, stellte der Regierung in Islamabad zusätzlich 1,5 Millarden Dollar jährliche Finanzhilfe in Aussicht und regte die Bildung einer in­ ternationalen Kontaktgruppe von Staaten wie China, Indien und Saudi-Arabien mit einem unmittelbaren Interesse an der Stabilisierung Pakistans an. Dies alles wurde als neue Strategie für Afghanistan und Pakistan ausgerufen.«4402 Doch was ist die geheime Agenda dieser Strategie, die die Obama-Administrati­ on so eifrig verfolgt und zu deren Verwirklichung sie auch eine verstärkte Unter­ stützung ihrer NATO-Verbündeten, insbesondere der Bundesrepublik Deutschland, fordert ? »Den führenden russischen Geostrategen ist klar«, so F. William Engdahl, »daß die von der Obama-Administration pressewirksam bekanntgegebene Entschei­ dung, das militärische Engagement der USA in Afghanistan zu erhöhen, nichts mit einem US-amerikanischen Wunsch zu tun hat, in diesem geostrategisch so wichti­ gen Land den Frieden zu erringen und die Voraussetzungen für eine stabile wirt­ schaftliche Entwicklung zu schaffen. Vielmehr geht es dabei vor allen Dingen um die Realisierung der Pentagon-Pläne, einen amerikanischen Brückenkopf in Zen­ tralasien - das die Planungschefs im Pentagon als >Groß-Zentralasien< (Greater Central Asia) bezeichnen - aufzubauen, der es den NATO-Truppen erlauben würde, eine gewisse militärische Kontrolle über Rußland und China auszuüben und eine engere Zusammenarbeit dieser beiden eurasischen Mächte zu verhindern.«4403 Da­ mit scheint es sich bei der Afghanistan-Strategie der US-Machtelite um einen im Grunde gegen Rußland und China gerichteten Plan zu handeln, der darin besteht, mit Hilfe Afghanistans und Pakistans den gesamten zentralasiatischen Raum aus der Einflußzone seines nördlichen Nachbarn herauszubrechen und zu einem auto­ nomen geopolitischen Block umzuwandeln, der über die südasiatischen Staaten und den indischen Subkontinent in den Weltmarkt eingebunden werden soll. Für diese Ansicht spricht einiges. In den Jahren 2005 und 2006 kam es nämlich in Zentrasien zu einer Umwälzung geopolitischer Machtverhältnisse zugunsten Ruß­ lands. Auf dem SCO-Gipfel in Astana im Juni 2005 setzten die SCO-Mitgliedsstaa­ ten auf Betreiben Rußlands und Chinas den USA eine Frist, ihre Militärstützpunkte in Zentralasien zu räumen, und der SCO-Gipfel von Peking vom Juni 2006 beschloß

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die Vertiefung der energiepolitischen Zusammenarbeit ihrer Mitglieder sowie die Verleihung eines SCO-Beobachterstatus für die Mongolei, den Iran, Pakistan und Indien. Es schienen sich Anzeichen einer energiepolitischen Integration Eurasiens zu entwickeln, verbunden mit einer allmählichen Verdrängung der USA aus dieser Region. »Der ultimative Alptraum für die US-Regionalpolitik (in Zentralasien, der Verf.) wäre es, wenn die SCO dem Iran, Pakistan und Indien eine volle Mitglied­ schaft gewähren würde«, so der indische Diplomat M. K. Bhadrakumar.4404 Ein Ausweg bot sich lediglich in einer »Südasienoption« für die Energieströme und Pipelinekorridore Zentralasiens. Die USA mußten also dafür Sorge tragen, daß die Erdöl- und Erdgasvorräte Zentralasiens nicht in das russische Energie- und Pipeline­ netzwerk integriert, sondern diese vielmehr durch neue Pipelinesysteme mit Süd­ asien und den Weltmeeren verbunden werden. Das strategische Zentrum dieser >Südasienoption< jedoch ist Afghanistan, und somit wird erkennbar, warum die USA jetzt so sehr auf eine >Stabilisierung< Afghanistans und Pakistans setzen: Es geht der US-Machtelite letztlich darum, die SCO als energiepolitischen Intergrations­ mechanismus Eurasiens zu torpedieren. Deutlich erörtert wurden diese Pläne während einer Anhörung vor dem USKongreß in Washigton am 25. und 26. April 2006 unter dem Motto »US-Politik in Zentralasien: Auszubalancierende Prioritäten«. Auf dieser Anhörung stellte Richard Boucher, stellvertretender Staatssekretär für das neugeschaffene Büro für süd- und zentralasiatische Angelegenheiten, die Pläne der USA in diesem Gesamtkonzept näher dar: Afghanistan sei im Begriff, einen Status zu erhalten, der es ihm ermögli­ che, als Brücke zwischen Zentral- und Südasien zu wirken. »Unsere Vision schließt neue Energierouten mit ein... Wir wollen Südasien Zugang zu den großen und rasch wachsenden Energieressourcen Zentralasiens verschaffen...«4405 Ergänzt wurde dies um eine von den USA angeregte Konferenz in Istanbul im Juni 2006 unter dem Titel »Elektrizität über Grenzen hinweg«, auf der Energiekooperationen zwischen Zentral- und Südasien erörtert wurden.4406 Vor diesem Hintergrund sind Indien und Afghanistan also Schlüsselstaaten für die US-Politik in Zentralasien. »Washington zählt offenkundig auf Neu Delhi und Kabul als seine kritischen Part­ ner in der >Great Central AsiaGreat Central AsiaCentral Asia and Caucasus Institute< in Washington. Er entwickelte auch die sogenannte >Greater Central Asia PartnershipCentral Asia and Caucasus Institute< hatte

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bereits 2001 in Zusammenarbeit mit dem >Atlantic Council of the United States< ein Strategiepapier mit dem Titel Strategic Assessment of Central Eurasia4410 herausgege­ ben, in dem Afghanistan als das wichtigste Sicherheitsproblem für die gesamte Region Zentralasiens hervorgehoben wurde.4411 Mit seiner >Greater Central Asia PartnershipKonferenz für Partnerschaft, Han­ del und Entwicklung im Größeren ZentralasienGreater Central Asia PartnershipTribal Areas< (der afghanisch-pakistanischen Grenzregion) ein de-facto-Regime aufzubau­ en, ist die Fortsetzung der Militäroperationen der US- und NATO-Streitkräfte am Hindukusch stark gefährdet. Ein Wegbrechen Pakistans schließlich hätte für die USA eine empfindliche stra­ tegische Folge, nämlich den Verlust des wichtigsten Nachschubweges: »Bislang werden an die 80 Prozent der für die Truppen bestimmten militärischen und zivi­ len Güter über Pakistan geliefert. Die Transporte führen von Karachi über zwei Routen nach Afghanistan: die kürzere über Quetta nach Kandahar, die längere über Peshawar und den Khyberpaß nach Kabul. Diese Nachschubwege werden aber immer häufiger angegriffen und unterbrochen.«4418 Dessen ist sich das US-Militär auch bewußt, und aus diesem Grund wird der GUS-Raum für die USA immer wich­ tiger: »Als Ergänzung zu dieser verletzlichen Versorgungslogistik rücken nun ver­ stärkt Transportverbindungen von Stützpunkten in Europa über den GUS-Raum ins Blickfeld«,4419 und hier scheinen die Pläne Beobachtern zufolge recht weit fort­ geschritten zu sein. »Dabei kommen zwei Landverbindungen in Frage: Routen über Rußland und Zentralasien nach Nordafghanistan oder ein Rußland umgehender Transportweg über den Südkaukasus und das Kaspische Meer nach Zentralasi­ en.«4420 Mit dieser prekären Lage der USA hatte Rußland aber die Möglichkeit, sein eige­ nes Gewicht im neuen >Great Game< in Zentralasien wieder geltend zu machen und gegenüber den USA seinen Anspruch auf Wahrung seiner Interessen in Zentral­ asien zum Ausdruck zu bringen. Zum einen hat Moskau ein Interesse an einer Ein­ dämmung des afghanischen Krisenherdes, der, wie oben beschrieben, ein Kataly­

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Die USA sind sich der ausgezeichne­ ten geopolitischen Lage Afghanistans bewußt, das ihnen sozusagen eine Militärbasis in Chinas Rücken bietet. Deshalb sind die US-Amerikaner auch bestrebt, die Herzen der Afgha­ nen zu erobern. Diese Strategie bedeutet aber, die Rechnung ohne den Wirt zu machen. Denn die Taliban werden sich nicht bremsen lassen, zumal die letzten Monate gezeigt haben, daß der Krieg im Afghani­ stan für die Ameri­ kaner und die internationale Schutztruppe nicht gerade gut läuft. Das untere Bild zeigt mit Hilfe Pakistans motori­ sierte TalibanKämpfer.

sator für islamisch-separatistisch motivierte Revolten in Zentralasien und auch in der Russischen Föderation selbst darstellt. So ist auch im Kreml »die Befürchtung groß, daß islamistische Terrornetzwerke nach Norden ausgreifen, falls die Nato weitere Rückschläge in Afghanistan erleidet. Deshalb hatte sich Rußland im Januar (2009) auch bereit erklärt, eine Nachschubroute für die Nato zu installieren«.4421 Schon 2005 kommentierte Rußlands Außenminister Sergej Lawrow den Besuch der US-Außenministerin Rice in Zentralasien mit den Worten, daß Rußland und die USA in bezug auf die Bekämpfung der Taliban ein gemeinsames Interesse hätten. Gleichwohl aber war ihm auch bewußt, daß die USA dabei die Sicherung des zen­ tralasiatischen Erdöls und Erdgases im Auge haben.422

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Gleichzeitig geht es Rußland wie der Volksrepublik China darum, eine Verfesti­ gung einer strategischen Schlüsselposition der USA in Zentralasien zu verhindern. Afghanistan nämlich »ist geostrategisch exzellent positioniert, um Rußland, China und den Iran beobachten, d.h. überwachen zu können. Mit der Besetzung Afgha­ nistans kann man die Integration und Kooperation der ehemaligen sowjetischen GUS-Staaten Eurasiens nach Kräften hintertreiben, wenn nicht sogar verhindern. Damit können die USA außerdem die Energielieferungen aus dem kaukasisch-kas­ pischen Raum und Zentralasien kontrollieren. Schließlich bietet Afghanistan jetzt der NATO eine Militärbasis in Chinas Rücken«.4423 Daß die USA mit ihrer Afghanistanpolitik derartige weitergehende strategische Ziele verfolgen, ist den russischen und chinesischen Militärstrategen natürlich klar. Deswegen verfolgen sie eine Politik, die einerseits die Unterstützung der NATOMilitärschläge gegen die aufständischen Taliban beinhaltet (um ein >Ausfransen< zentralasiatischer Staaten und der Russischen Föderation durch islamistischen Sepa­ ratismus zu verhindern), andererseits aber die militärische Anwesenheit von USA und NATO zeitlich, inhaltlich und terriorial begrenzt. Diesem Ziel - der Bekämp­ fung islamistisch-separatistischer Unruhen einerseits, der Zügelung der Ausbreitung des US-amerikanischen Einflusses in der zentralasiatischen Region andererseits dient schließlich auch die Einrichtung der >Shanghai Cooperation OrganisationGreat Game< verdrängt zu werden, gelang es Rußland, die Zwangslage der USA - ihren Bedarf an sicheren Transportkorridoren - auszunut­ zen und so nunmehr seinen geopolitischen Einfluß in die Waagschale zu werfen. Wie bekannt, hatten die USA ihre wichtige Militärbasis in Usbekistan, den Flughafen Karshi-Khanabad, im Sommer 2005 räumen müssen. »Dieser Rauswurf bedeutete das schlechteste aller möglichen Ergebnisse für die Vereinigten Staaten«, erklärte hierzu Professor Alexander Cooley vom Barnard College.4424 Seitdem wurde der Militärstützpunkt Manas in Kirgistan »die wichtigste Drehscheibe des Lufttrans­ ports nach Afghanistan«.4425 Rußland konnte hier aber Anfang 2009 seinen Einfluß geltend machen und eine Umkehrung der geopolitischen Verhältnisse zu Lasten der USA erreichen, indem es Kirgistan dazu bewegen konnte, sich außen- und wirt­ schaftspolitisch wieder an Moskau anzunähern. Ansatz hierfür war der riesige Finanzbedarf Kirgistans, der zu einem Streit mit den USA um das Stützpunktabkommen von 2001 führte. Die schlechte Finanzlage hatte Kirgistan dazu gezwungen, die Pacht für den Stützpunkt Manas zu erhöhen, worauf die USA aber nicht eingehen wollten.4426 Nach Einschätzung einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik waren es wohl auch tatsächlich ökonomische Gründe, die der Forderung Kirgistans nach einer Pachterhöhung zugrunde lagen.4427 In diesem Streit schaltete sich Rußland ein: Anläßlich eines Besuchs des kirgisi­ schen Präsidenten Bakijew Anfang Februar 2009 gewährte der russische Präsident

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Medwedjew den Kirgisen eine Finanzhilfe von m ehr als zwei Milliarden Dollar, davon 150 Millionen als nicht zurückzahlbares, zinsloses Darlehen und einen beträchtli­ chen Teil als direkte Zahlung in den kirgisischen Haushalt.4428 Dafür bot Kirgistan Moskau eine wertvolle geopolitische Gegengabe an: In Moskau teilte der kirgisi­ sche Staatschef Bakijew mit, seine Regierung habe vor wenigen Tagen beschlossen, die amerikanische Luftwaffenbasis Manas zu schließen. Damit aber schien sich ein geopolitischer Wandel vollzogen zu haben: Im Herbst 2008 gab es zunächst Anzei­ chen dafür, daß sich Kirgistan von Moskau distanzieren wollte, als es den Ausstieg aus der Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft bekanntgab4429. Jetzt aber schien es sich außen- wie auch wirtschaftspolitisch wieder in die Arme Rußlands geworfen zu haben, wie die Neue Zürcher Zeitung beschreibt.4430 Den Analysen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge spricht viel dafür, daß hinter dieser Entscheidung Kirgistans, sich wieder an Rußland auszurichten, der Druck der SCO und der dort führenden Mächte Rußland und China gestanden haben wird. »Vor allem aber hatte die Schanghai-Organisation für Zusammenar­ beit (SOC) Druck ausgeübt mit dem Ziel, die militärische Präsenz der Amerikaner in Zentralasien zu verringern, möglichst ganz zu beenden. Amerika wurde vorge­ worfen, die militärische Präsenz für politische Zwecke zu mißbrauchen. Der SOC gehören Rußland, China und vier zentralasiatische Staaten an. Anfang Juli 2005 wurde auf einem Gipfeltreffen beschlossen, die Amerikaner zum Abzug aufzufor­ dern. Aus der Umgebung des nach einer >bunten Revolution< gerade ins Amt ge­ kommenen Bakijew hieß es damals, dies sei auf Druck Chinas und Rußlands ge­ schehen, dem sich ein kleines Land wie Kirgistan nicht entziehen könne.«4431 Für die US-Militärstrategen war die Entscheidung Kirgistans, den amerikanisch-kirgi­ sischen Stationierungsvertrag und den Stützpunkt Manas zu kündigen, ein »harter Schlag. Sie verlieren damit nach dem Stützpunkt Chanabad in Usbekistan die letz­ te Versorgungsbasis in Zentralasien.«4432 Den Zeitpunkt hatte Rußland günstig gewählt: Anfang Februar 2009 kam es zur Sprengung einer strategisch wichtigen Brücke am Khyberpaß durch islamistische Aufständische, wodurch ein wichtiger Versorgungsweg unterbrochen wurde. Drei Viertel des Nachschubs für die NATO und das US-Militär werden von der pakista­ nischen Hafenstadt Karatschi über den Khyberpaß nach Afghanistan befördert,4433 und schon seit längerer Zeit war zu beobachten, daß die aufständischen Taliban ihre Aktionen in zunehmendem Maße auf die pakistanischen Transportwege ver­ lagerten. Daher prüfte die NATO schon seit Monaten alternative Transportwege.4434 Jetzt konnte Rußland deutlich machen, daß eine Lösung des Afghanistan-Problems nicht unter Umgehung des Kreml möglich sei und russischer Einfluß in der Region gewahrt bleiben müsse. Ähnlich sieht es auch die genannte Analyse der >Stiftung Wissenschaft und Poli­ tikReviermarkierung< ist in der Tat günstig, denn der Nato-Einsatz in Afghanistan droht nicht nur am Widerstand der Taliban zu

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scheitern, sondern wird auch von den afghanischen Eliten immer kritischer gese­ hen. Der in Afghanistan wachsende Unmut über den mangelnden Erfolg der mili­ tärischen Strategie der Nato spielt den russischen Interessen ebenso in die Hände wie die ökonomische Misere in Kirgisien und die zunehmende Unzufriedenheit mit der Po litik der Reg ierung Bakiews.«4435 Die Suche der USA und der NA TO nach alternativen Transportwegen eignet sich daher für Moskau als Druckmittel, um die USA dazu zu bewegen, sich bei den Planungen zur Stabilisierung Afghanistans mit Moskau abzustimmen.4436 Treffend bezeichnet die Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik Afghanistan auch als einen Joker für Rußland im außenpolitischen Spiel mit den USA und der NATO. Rußland - so das geopolitische Fazit - konnte damit einstweilen seinen Einfluß in Zentralasien wieder militärisch ausweiten.4437 Parallel erfolgte ein Ausbau der >Vertragsorganisation für kollektive Sicherheit< (ODKB), die eine Vertiefung des Vertrages über kollektive Sicherheit von Taschkent aus dem Jahre 1992 ist und der Rußland, Weißrußland, Armenien, Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan und Us­ bekistan angehören. Anfang Februar 2009 wurde der Aufbau einer >Schnellen Ein­ greiftruppe< beschlossen, deren Hauptaufgabe die Bekämpfung des islamistischen Separatismus sein soll. Auch dieser Beschluß hatte eine Signalwirkung: Mit der Gründung dieser Truppe strebt Moskau an, die Umgestaltung der ODKB von ei­ nem lockeren Zusammenschluß zu einem echten Militärbündnis voranzutreiben.4438 So sieht es auch F. William Engdahl: »Die Entscheidung, jetzt eine kollektive Ein­ greiftruppe mit permanenter Stationierung und einem einheitlichen Kommando zu bilden, würde diese Allianz auf eine höhere Stufe heben.«4439 Engdahl geht davon aus, daß Rußland mit der Vertiefung der militärischen Zu­ sammenarbeit in der ODKB auf den Beschluß der Obama-Administration reagiert hatte, das militärische Engagement der USA in Afghanistan zu erhöhen. Dieses hat seiner Einschätzung zufolge den Sinn, »einen eisernen Vorhang zwischen Rußland und China zu errichten, den beiden wichtigsten Mächten in Eurasien, die als einzige eine Herausforderung für die zukünftige weltweite Dominanz der USA darstellen. Sollten die beiden ehemaligen Rivalen ihre Zusammenarbeit nicht nur in den Be­ reichen Rohstoffe und wirtschaftliche Zusammenarbeit stärken, sondern auch auf dem Sektor der militärischen Kooperation, dann erwachse aus dieser Kombination, wie Obamas außenpolitischer Berater Zbigniew Brzezinski erklärt hat, eine große Gefahr für die globale Hegemonie Amerikas.«4440 Mit dem Verlust der Stützpunkte in Usbekistan und anschließend auch in Kirgistan war eine Lücke in Washingtons >Greater Central Asia PartnershipVertragsorganisation für kollektive Sicherheit< auszufüllen gedachte. Allerdings war dieser Schachzug nur vorübergehend erfolgreich, denn im Laufe des Jahres 2009 gelang es den Amerikanern, in das strategisch wichtige Kirgistan zurückzukehren: »Nach intensiven Verhandlungen Washingtons mit Präsident

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Kurmanbek Bakijew, in die sich immer wieder auch Präsident Barack Obama ein­ schaltete, revidierten Regierung und Parlament in Bischkek im Juni (2009) ihre Ent­ scheidung zur Schließung der Basis und stimmten einer Erneuerung des Nutzungs­ vertrages zu - freilich zu einem gewissen Preis: Statt auf bisher 17 Millionen Dollar belaufen sich die jährlichen Mietkosten nun auf 60 Millionen Dollar. Dazu kam ein amerikanisches Hilfspaket im Umfang von etwa 170 Millionen Dollar für die Ent­ wicklungszusammenarbeit, den Ausbau der technischen Einrichtungen des Flug­ hafens und den Kampf gegen den Terrorismus.«4441 Allein die Bereitschaft Wa­ shingtons, das Vielfache des ursprünglichen Mietpreises zu zahlen, macht deutlich, welche Bedeutung die USA den zentralasiatischen Staaten für ihre >große Strategie< in Eurasien beimißt: Um jeden Preis - so die Botschaft hinter dieser Vereinbarung wollen die USA sich dauerhaft in Zentralasien festsetzen und Stützpunkte sichern, um die >Greater Central Asia PartnershipNeuen Seidenstraße< die Rede. Es geht darum, Afghanistan als Transitland zwischen West-, Zentral- und Südasien in die Konzep­ te der jeweiligen Mächte einzufügen. Insbesondere ist die Aufmerksamkeit auf die Energiegeopolitik gerichtet, der Bau der für 2010 geplanten Pipeline von Turkme­ nistan über Afghanistan nach Pakistan konnte aufgrund der andauernden Kämpfe am Hindukusch noch nicht verwirklicht werden. Die beteiligten Staaten - so eine Analyse der Neuen Zürcher Zeitung - wissen, daß der Abzug der NATO und der amerikanischen Streitkräfte nur noch eine Frage der Zeit ist, und wollen für die nächste Runde im Großen Spiel vorbereitet sein. Der Iran schmiedet der Neuen Zürcher Zeitung zufolge mittlerweile an einer >Union der persischsprachigen Län­ derstrategische Tiefe< zu sichern. »Für Pakistan und dessen Militärführung ist die Lage im Ansatz die eines Zweifrontenkrieges: in Kaschmir gegenüber Indien, im Westen an der Grenze zu Afghanistan. Die Kräfte müssen geteilt werden, und Kaschmir ist die nationale Priorität. Die Taliban in Af­ ghanistan waren in dieser Situation eine entlastende Hilfskraft, die man auch nach dem Rückzug der Sowjetarmee aus Afghanistan unterstützte, wie man während der sowjetrussischen Intervention die Mudschaheddin unterstützt hatte.«4443 Wie der Afghanistan-Experte Ahmed Rashid mehrfach hervorgehoben hatte, betrachten nach wie vor einflußreiche Kreise im pakistanischen Militär- und Geheimdienstapparat die aufständischen Islamisten insgeheim als strategische Partner und als Faustpfand im Kampf um Einflußzonen am Hindukusch. Dies gilt um so mehr, als Islamabad der Auffassung ist, daß die US-Streitkräfte nicht ewig in Afghanistan bleiben wer­ den, so daß es deshalb nach Ansicht der dortigen Militärs von Pakistan abhängige Taliban braucht, um Afghanistan künftig beeinflussen zu können.4444 Hinzu kommt, daß sich der afghanische Präsident Karzai, der von Pakistan zu­ dem als indienfreundlich eingeschätzt wird,4445 zunehmend sowohl von den USA als auch von Pakistan verselbständigt. Er ist sich längst der Tatsache bewußt ge­ worden, daß er sein politisches Schicksal nur durch einen Ausgleich mit den auf­ ständischen Islamisten im Rahmen einer nationalen Verhandlungslösung retten kann und sich nicht mehr allein auf die Interventionstruppen der USA und der NATO stützen darf - zu deutlich dürfte ihm das Schicksal des von den Sowjets eingesetzten Staatschefs Nadschibullah in Erinnerung sein, der 1996 von den sieg­ reichen Taliban hingerichtet wurde. Daher bemüht sich Karzai zwischenzeitlich um Gespräche mit Vertretern der Talibanführung, was aber aber sowohl den USA als auch Pakistan mißfällt. »Beide wollen bei Friedensgesprächen das entscheiden­ de Wort haben, um ihre eigenen Interessen am Hindukusch zu wahren«,4446 und aus diesem Grund versuchen beide Mächte, eine von auswärtigen Faktoren unab­ hängige gesamtnationale Konfliktlösung in Afghanistan - wie sie Karzai nunmehr anzustreben scheint - zu unterbinden. Die Festnahme einer Reihe von Talibanführer durch das pakistanische Militär unter Beihilfe des US-Geheimdienstes CIA4447 im März

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2010 war daher Beobachtern zufolge gegen Karzai gerichtet. »Man vermutet, Pa­ kistan und die USA wollten Karzai so die Verhandlungshoheit wegschnappen«.4448 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, daß es sich bei den festgenomme­ nen Talibanführern gerade um jene handelte, die für eine Verhandlung mit Karzai im Rahmen einer Loya Jirga eintraten.4449 Sowohl Islamabad als auch Washington streben für Afghanistan eine Lösung an, die weitestgehend von ihren Interessen bestimmt ist. Dabei ist man sich darüber im klaren, daß ein militärischer Sieg über die Taliban nicht mehr errungen werden kann: »An einen Sieg am Hindukusch glaubt niemand mehr, auch Washington nicht.«4450 Viel spricht dafür, daß die USA nunmehr über Islamabad und von Pakistan gesteuerten und abhängigen Taliban, die eventuell in einer Regierung mit Karzai eingebunden werden könnten, die Ord­ nung am Hindukusch diktieren wollen. Deshalb arbeitet Washington hinter den Kulissen auch daran, jegliche Friedensbemühungen Karzais unabhängig von den USA zu sabotieren: »Afghanistans Präsident Hamid Karzai möchte gerne die Ver­ handlungen mit den Taliban anführen, aber auch die USA wollen die Friedensbe­ dingungen bestimmen, um ihre geopolitischen Interessen zu sichern.«4451 Vor diesem Hintergrund muß auch die jüngste NATO-Offensive in der TalibanHochburg Helmand, die Anfang Februar 2010 gestartet wurde, gesehen werden: Es spricht einiges dafür, daß sie - wie auch eine weitere geplante Eroberung der wohl wichtigsten Taliban-Hochburg Kandahar - dazu dienen soll, die Taliban mi­ litärisch hinreichend zu schwächen - als Voraussetzung für Friedensgespräche, die dann von den USA maßgeblich bestimmt werden können. Ähnlich schätzt auch die Frankfurter Rundschau die Lage ein: »Die Gerüchte überschlagen sich, wonach die USA spätestens nach der Kandahar-Offensive massiv auf eine Lösung am Verhand­ lungstisch drängen wollen.«4452 Das Hauptinteresse der USA ist es nach Einschät­ zung indischer Analysten, dauerhaft Militärbasen - nicht zuletzt auch als Drohung gegen den Iran - am Hindukusch einzurichten, ohne in weitere ressourcenzehrende Kämpfe mit den Taliban eingebunden zu werden.4453 Insgesamt, so eine Analyse der Frankfurter Rundschau, »steuern Pakistan und die USA auf Gegenkurs zu Karzai - und in Teilen zu Europa. Hinter den Kulissen kracht es. Ungeniert sabotierten Pakistan und die USA die Friedensinitiativen von Karzai und den UN mit den Taliban und schnappten ihnen die Verhandlungspartner weg. So nahmen der ISI und sein US-Couterpart CIA ausgerechnet den Taliban-Kom­ mandeur Mullah Baradar in Karachi fest. Die Nummer zwei der Taliban führte geheime Gespräche mit Karzai, den UN sowie europäischen Ländern. Der frühere UN-Sondergesandte für Afghanistan zeigte sich empört. >Die Gespräche sind ge­ stoppt.< Auch der deutsche Sondergesandte Bernd Mützelburg scheint sauer. In Delhi lieferte er sich bei einer Diskussion einen Schlagabtausch mit einem US-Vertreter. Vor allem Karzai sieht sich von den USA in die Schurkenrolle gedrängt. Sie haben den Paschtunen schon länger im Visier. Bei seiner sechsstündigen Stippvisite in Kabul behandelte US-Präsident Barack Obama seinen Amtskollegen fast rüde.«4454

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Deutlich wird, wie sich Afghanistan zwischenzeitlich zur Schnittfläche und Kon­ frontationslinie widerstreitender geopolitischer Interessen der beteiligten Mächte entwickelt hat: »Tatsächlich sind die geopolitischen Gewichte kräftig in Bewegung: Während die USA derzeit mit Pakistan an einem Strang ziehen, bandelt der be­ drängte K arzai mit Iran und China an. Auch in Indien ist man über die neue ameri­ kanisch-pakistanische Allianz verschnupft.«4455 Wie sich aber die geopolitischen Gewichte letztlich verteilen werden, bleibt nach wie vor offen. Sicher dürfte aber sein, daß China mittelfristig wohl der Gewinner des >Großen Spiels< sein dürfte. In Afghanistan hatte sich Peking bereits Förder­ rechte an Kupferminen gesichert; darüber hinaus plant die Volksrepublik, Afgha­ nistan als Transitland für ihre Erdgas- und Erdölversorgung aus dem Nahen Osten auszubauen. Zusätzlich will China durch die Zusammenarbeit mit Kabul den Ein­ fluß seines strategischen Rivalen Indien schwächen und dessen >Einkreisung< von Norden her vornehmen. »Die Volksrepublik China könnte sich zum eigentlichen Gewinner des neuen Great Game in Zentralasien entwickeln«, so eine Einschät­ zung des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. »Peking wird in der Region weder der religiösen Hetze verdächtigt wie die schiitischen Iraner noch militärpolitischer Machtspiele wie die Russen. Die Chinesen wollen nur eines: Handel treiben und Ressourcen sichern. Bei den Machthabern der Region verfügen sie über gute Karten ... Chinas Führung, so scheint es, hat als einzige eine Vision für Zentralasien: eine >neue SeidenstraßeLast Frontier< durch die Union Pacific quer über den amerikanischen Kontinent: der große Wurf im Großen Spiel.«4456

2 Die Fortsetzung des Kampfes um die Pipelinekorridore: >South Stream< gegen >Nabucco< Gleichzeitig setzt sich auch der Poker um die Pipelinekorridore fort. Konkret geht es um die Frage, ob sich das das von Rußland begünstigte Projekt >South StreamNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNord Stream< durch die Ostsee und >South Stream< zur Versorgung Südeuropas angesehen wird.4462 Mitte März 2009 erklärte der Gazprom-Vizevorstandschef Alexander Medwedjew zu diesem Vorschlag: »Vorrangig für Gazprom ist das Projekt South Stream, und die Holding hat alle Möglichkeiten für seine Realisierung... Im Unterschied zu >Nabucco< ha­ ben wir alles, damit das Projekt (South Stream) verwirklicht wird. Wir haben Gas, den Markt, Erfahrungen bei der Umsetzung komplizierter Projekte.«4463 Damit hatte Gazprom deutlich gemacht, daß es den Schwerpunkt seiner Ener­ giegeopolitik auf die Verwirklichung des >South StreamSouth StreamNabuccoSouth Stream< ist Turkmenistan von großer Bedeu­ tung: »Ohne Zugriff auf zentralasiatisches Gas fehlt Gazprom... ein ausreichendes Gasvolumen, um diese Exportroute auch bedienen zu können. Schon jetzt ist zen­ tralasiatisches Gas für die russischen Lieferverpflichtungen an die Ukraine von zentraler Bedeutung. Gazprom kann den Exportmarkt nur durch turkmenisches und kasachisches Erdgas bedienen, weil die Erdgasproduktion in Rußland nahezu stagniert: Die-Wachstumsrate im ersten Halbjahr 2008 lag unter 2 Prozent und wird auch noch einige Jahre so niedrig bleiben.«4467

2.1 Rußland baut seine Marktstellung in Zentralasien aus und verdrängt das >Nabuccogroße Strategie< zu verfolgen.4472 Worum geht es bei dieser >großen Strategie< des Kremls? Beobachtern zufolge geht es Moskau darum, in Zentralasien Monopolabnehmer von Erdgas zu wer­ den.4473 »Mit dem unprofitablen Vertrag von Ashgabat ist man dem Ziel ein ent­ scheidendes Stück näher gekommen. Beworben hatte sich nämlich bislang um das turkmenische Gas neben chinesischen Interessenten auch ein Konsortium aus Eur­ opa. Eine Pipeline sollte Gas von Turkmenistan durch das Kaspische Meer in die Türkei drücken. Dort würde es durch die für 2010 geplante Pipeline mit dem wohl­ klingenden Namen >Nabucco< über die Türkei, Bulgarien, Rumänien und Ungarn nach Österreich als Verteiler für Europa fließen.«4474 Rußlands Schachzüge zielen nunmehr darauf ab, dem europäisch-amerikanischen >NabuccoEnergie-Verhandlungsmechanismus< ins Le­ ben zu rufen.4475 Wie F. William Engdahl enthüllt, hatte China mit Turkmenistan ebenfalls ein langfristiges Gasliefer-Abkommen geschlossen, wonach Turkmenistan an China ab 2009 für 30 Jahre jeweils 30 Milliarden m3 Gas jährlich liefern soll. Im Sinne der Vereinbarungen von Ashgabat übernimmt Gazprom dabei das Gasexport­ geschäft, einschließlich der Lieferungen nach China.4476 Damit - so der indische Diplomat M. K. Bhadrakumar - war es Gazprom gelun­ gen, die Kontrolle Rußlands über die zentralasiatischen Gasexporte zu festigen. Gleichzeitig hatte Gazprom Aserbaidschan angeboten, dessen gesamtes Erdgas zu europäischen Preisen zu kaufen. Ein solches Geschäft kam Ende März 2009 zustan­ de: Gazprom hatte mit dem aserbaidschanischen Energiekonzern SOCAR verein­ bart, ab 2010 sämtliches aserbaidschanisches Erdgas aufzukaufen, um es nach Eu­ ropa auszuführen. Die Auswirkungen dieser russischen Schachzüge waren jedenfalls eine ernst­ hafte Gefährdung des europäisch-amerikanischen >NabuccoNabuccoNabucco< ergibt die gesamte Strategie der USA, die europäische Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu verringern, keinen Sinn«.4477

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2.2 April/Mai 2009: Die Wende im zentralasiatischen Energiepoker Im April und Mai 2009 schien sich allerdings eine Wende im zentralasiatischen Energiepoker abzuzeichnen. Die Gewichte begannen sich jetzt zugunsten des eu­ ropäischen-amerikanischen Projekts zu verschieben. Wie F. William Engdahl schreibt, hatten die USA hinter den Kulissen emsig daran gearbeitet, die EU zu bewegen, die >NabuccoMittelasienzentrums< am 9. April 2009 waren hierfür der willkommene Anlaß. Tatsächlich hatte die Finanz­ krise dem russischen Gasriesen einen empfindlichen Schlag versetzt. »Die Wirt­ schaftskrise hat Rußlands berühmtestes Unternehmen fest im Griff. Der Konzern, der in den Boomjahren Mühe hatte, den überall steigenden Bedarf zu bedienen, und daher Gas auch bei Ländern wie Turkmenistan zukaufte, bleibt plötzlich we­ gen rückläufiger Nachfrage auf seinem Gas sitzen.«4479 Insbesondere der Absatz­ einbruch in Europa infolge des starken Nachfragerückgangs stellte für den Kon­ zern eine »wirkliche Katastrophe« dar: Der Umsatz 2009 war im Vergleich zum Jahr 2008 um 45 Prozent eingebrochen, an der Börse ist Gazprom um zwei Drittel entwertet.4480 Das sollte sich auch auf d as Abnahmegeschäft des Konzerns mit Turk­ menistan auswirken. Am 7. April 2009 erklärte Gazprom den Turkmenen, daß man weniger Gas abnehmen und somit der Druck in der Leitung abfallen werde, und hatte daraufhin die Gasentnahme auf das vertragliche Minimum zurückgefahren. Zwei Tage später kam es zur Explosion der Mittelasienpipeline in deren turkmeni­ schem Abschnitt - ob durch Druckabfall, wie die Turkmenen behaupten, oder durch einen Defekt, ließ sich bislang nicht klären. Möglich (aber nicht bewiesen) ist aber auch, daß die turkmenische Seite die Leitung einfach explodieren ließ, denn trotz der Vorankündigung Gazproms, weniger Gas zu entnehmen, reduzierten die Turk­ menen die Gasmenge nicht.4481 In diesem Zusammenhang ist schließlich zu beach­ ten, daß Turkmenistan schon seit längerem danach strebt, unabhängiger von Ruß­ land zu werden4482 und daher für den Gasexport nicht länger auf Rußland angewiesen sein will. Statt dessen hält es schon seit geraumer Zeit nach anderen Exportwegen Ausschau.4483 Auch wenn vollkommen ungeklärt ist, wer oder was auch immer hinter der Ex­ plosion steckte - jedenfalls bewirkte diese eine Verschiebung der geopolitischen Verhältnisse, und zwar zu Lasten Rußlands. Folgt man der österreichischen Tages­ zeitung Der Standard, so drohte Rußland im Wettlauf um die geopolitisch wichti­ gen Energieressourcen in Zentralasien »seinen Vorsprung gegenüber Europa zu verlieren. Die zentralasiatischen Länder nutzen die momentane Schwäche des rus­ sischen Staatskonzerns Gazprom, der mit einem Exporteinbruch von 22 Prozent kämpft. Sie versuchen ihre Lieferungen zu diversifizieren. Für Turkmenistan und Aserbaidschan wird Europa als Abnehmer immer attraktiver«.4484 Diese Lücke wußte ein wichtiger Teilnehmer des >Nabuccogroße Strategie< durchkreuzt, denn wenn Gazprom seine zentrale Stellung auf dem europäischen Energiemarkt behalten will, muß der Zugriff des Nabucco-Konsortiums auf zentralasiatisches Gas unter allen Umständen unterbrochen werden.4487 Den Analysen des Standard zufolge waren durch das Abkommen zwischen dem turkmenischen Energiekon­ zern Turkmengas und RWE die Chancen für die Verwirklichung des NabuccoProjekts erheblich gestiegen, während das russische Konkurrenzprojekt >South St­ ream< zunehmend ins Hintertreffen zu geraten drohte. Michail Kortschemkin, Direktor der >East European Gas AnalysisSouth StreamNabuccoSouth Stream< das bessere Projekt sein soll.«4488 Mit der Verwirklichung der Nabucco-Pipeline aber würden sich schließlich auch die geopolitischen Kräfteverhältnisse wieder zugunsten Washingtons verschieben, und die Aktivitäten der US-Diplomatie im Vorderen Orient deuten darauf hin, daß es Washington jetzt darum geht, dieses Pipeline-Vorhaben voranzutreiben. Vor die­ sem Hintergrund wird auch ersichtlich, warum die neue US-Diplomatie verschärft daran arbeitet, das seit dem Irak-Krieg gespannte Verhältnis zu Ankara wieder zu verbessern. Unter der Eiszeit nach dem US-Einmarsch in den Irak 2003, dem sich Ankara verweigert hatte, hatten die wirtschaftlichen und strategischen Interessen beider Länder schwer gelitten, und der Besuch des US-Präsidenten Barack Obama in Ankara Anfang April 2009 wurde als spektakuläre Geste gewertet, die belaste­ ten Beziehungen wieder neu aufzubauen.4489 Die Türkei bildet die geopolitische Drehscheibe zwischen der kaspischen und zentralasiatischen Region einerseits und Südosteuropa auf der anderen Seite: Sie liegt im Zentrum des Nabucco-Korri­ dors. Dieser exponierten Lage ist sich Ankara auch bewußt, und die türkische Regie­ rung Erdogan ist im Begriff, das Nabucco-Projekt als Faustpfand zu verwenden, um die EU-Beitrittsverhandlungen zu beschleunigen und möglichst umfassende politische Vorteile für sich herauszuschlagen.4490 Dabei wird die Bedeutung der Türkei als geopolitischer Brückenkopf in der Re­ gion auch von der neuen US-Präsidentschaft erkannt. Obama hob bei seinem Be­

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such in der Türkei Anfang April 2009 folgerichtig die Aufgabe der Türkei in der Energiepolitik hervor, wo sie - so Obama - »eine zentrale Rolle als Ost-West-Korri­ dor für Öl und Gas« einnehme. 4491 Damit stimmte O bama mit der Auffass ung türki­ scher geopolitischer Experten überein, denen zufolge mit dem Machtantritt Obamas wieder eine Interessenübereinstimmung zwischen den USA und der Türkei zu ver­ zeichnen sei: »Im Nahen Osten, im Kaukasus und in Iran decken sich die strategi­ schen Ziele beider Länder.«4492 Gerade vor dem Hintergrund, daß die Türkei als Energiedrehscheibe zwischen Kaukasus und Europa ausgebaut werden soll, for­ derte Obama die Entwicklung einer »Modell-Partnerschaft« zwischen den USA und Ankara sowie eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union.4493 Deshalb hatte Obama auch eine Aufwertung der Türkei innerhalb des NATOBündnisses, verbunden mit der Besetzung von hochrangigen NATO-Posten durch türkische Amtsträger, unter der Voraussetzung signalisiert, daß Ankara seine histo­ risch gespannten Beziehungen zu Armenien normalisiert.4494 Schon in seiner Rede vor dem türkischen Parlament Anfang April 2009 hatte Obama nachdrücklich für eine Ö ffnung der seit 1993 gesc hlossenen türkisch-armen ischen Grenze geworben,4495 und in der Tat kam es auf einem anschließenden Gipfeltreffen der SchwarzmeerWirtschaftskooperation zu einer allmählichen Annäherung beider Staaten. Die Frank­ furter Allgemeine Zeitung nannte dabei auch gleich den Grund für die intensive USUnterstützung der türkisch-armenischen Annäherung: »Offenkundig wurde dabei auch das amerikanische Interesse an einer Einhegung der russischen Vormacht im Kaukasus, das seit dem russisch-georgischen Krieg noch dringlicher geworden ist.«4496 Mit einer türkisch-armenischen Annäherung - so wird in russischen Kreisen be­ fürchtet - droht der Einfluß Moskaus im Südkaukasus empfindlich geschmälert zu werden. Armenien gilt gemeinhin als einziger Verbündeten Rußlands in der Kau­ kasusregion. Anfang der neunziger Jahre hatte Armenien die zu Aserbaidschan gehörende, aber von Armeniern besiedelte Region Berg-Karabach besetzt. Gestützt auf russische Hilfe, ignorierte Armenien alle Aufforderungen zur Rückgabe des besetzten Gebietes. Mit der Lösung des Karabach-Konfliktes unter Einschaltung der Türkei, die ja Verbündeter Bakus ist, würden sich schließlich »der türkische und damit im Hintergrund der US-Einfluß verstärken. Und die Armenier wären nicht mehr einseitig auf Moskau angewiesen. Schon jetzt zeigen sie sich aufmüpfig und nehmen am Nato-Manöver in Georgien vom 6. Mai bis 1. Juni (2009) teil«.4497 Der Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zufolge spricht deshalb sehr viel dafür, daß die neue diplomatische Offensive der USA gegenüber der Türkei und die Förderung einer türkisch-armenischen Annäherung durch Washington ei­ nen klaren geopolitischen Zweck verfolgt, nämlich zum einen die Zurückdrängung Rußlands im Kaukasus, indem der einzige russische Verbündete Armenien in das türkische Lager und damit in die US-Interessensphäre einbezogen wird, und zwei­ tens, die Rußland umgehende >NabuccoNabuc­ coSouth StreamSouth Stream< ausgehandelt.4505

3 Die aktuelle Konfrontation zwischen EU und NATO mit der Russischen Föderation Die gegenwärtige Energie- und Wirtschaftsgeopolitik der Europäischen Union macht deutlich, daß es den USA gelungen war, Brüssel wieder auf die Linie Wa­ shingtons auszurichten, die gerade darin besteht, den >Mackinderschen AlptraumEU-Ostpartnerschaftspolitik< und der Plan des >südlichen GaskorridorsEU-OstpartnerschaftEU-Ostpartnerschaft< ein Ersatz für eine weitere NATO-Osterweiterung sein könnte.4508 Auch nach einer Analyse der »Stiftung Wissenschaft und Politik< vermittelte der Zusammenhang zwischen dem Vorantreiben der >Östlichen Partnerschaft< und der

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Verurteilung des russischen Vorgehens im Georgienkrieg im Schlußdokument der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates vom 1. September 2008 den »Eindruck, als sei die Initiative gegen Rußland gerichtet«.4509 Worum es bei dieser neuen Ost-Strategie der EU geht, wird in internen Papieren deutlich hervorgeho­ ben: »Ziel der Östlichen Partnerschaft ist es, die Energieversorgungssicherheit der EU und der Partner, d.h. eine langfristige Sicherung der Energieversorgung und des Energietransports, zu gewährleisten«, heißt es in der Information der EU-Kom­ mission an Rat und Europäisches Parlament.4510 Damit wird die Absicht deutlich, daß die Energiegeopolitik der Europäischen Union diejenige der USA ergänzen soll. Jene postsowjetischen Staaten, mit denen die EU die Ost-Partnerschaft abge­ schlossen hatte, bilden schließlich genau jene Rußland umgehenden Korridore, die bündnispolitisch in dem prowestlichen Bündnis GUAM zusammengeschlossen sind, lediglich ergänzt um Weißrußland und Armenien. Folgerichtig hatten EU-Ratsvorsitz und die EU-Kommission einige Pilotprojekte wie gemeinsame Gaspipelines, neue Freihandelszonen sowie bessere Transport­ wege vorgeschlagen.4511 »Offensichtlich will die EU gerade nach dem von Georgien angezettelten militärischen Konflikt um Abchasien und Südossetien Sicherheit in jener Frage (der Energielieferungen und des Energietransportes, der Verf.) gewin­ nen und neue, von Rußland unabhängige Versorgungswege für Öl und Gas vom Kaspischen Meer nach Europa schaffen. Dem soll auch die unmittelbar an den Gipfel anknüpfende Diskussion über einen >Südkorridor< für den Transport von Energie­ trägern dienen.«4512 Bei diesem >südlichen Korridor< geht es um die Schaffung einer Direktverbindung zwischen der EU und der Kaspischen Region über die Türkei und Südosteuropa als Grundlage für die >NabuccoNabuccosüdlichen Korridor< sollte die jüngsten Bemühungen Europas stär­ ken, sich weniger abhängig von russischen Gaslieferungen zu machen. Unter ande­ rem wurde vereinbart, bis Juni in der Türkei eine Regierungsvereinbarung zum Bau der Nabucco-Pipeline zu unterzeichnen.«4513 Der Auslegung der Frankfurter All­ gemeinen Zeitung zufolge lag die Bedeutung des Prager Energiegipfeltreffens der EU darin, die bislang von der Privatindustrie getragenen Pipelineprojekte nunmehr auf eine hohe politisch-staatliche Ebene anzusiedeln,4514 wodurch deutlich wird, daß die EU nunmehr ihre Pipelinepolitik als einen strategischen Faktor von höchs­ tem Rang ansieht, der nicht länger allein den Profitinteressen der Privatindustrie Vorbehalten bleiben darf. Geladene Gäste waren Aserbaidschan, Ägypten, Georgien, Kasachstan, die Türkei, Turkmenistan und Usbekistan, die als Liefer- oder Tran­ sitländer teilnahmen. Dabei war es vor allem Aserbaidschan, das als erster potentiel­ ler >NabuccoNabuccoSüdkorridorsNabuc­ coNabucco NabuccoNabuccosüdlichen KorridorNabucco< bis Ende Juni 2009 zu unterzeichnen. Ein solches Regierungsabkommen wurde schließlich wie unten noch weiter ausgeführt wird - im Juli 2009 unterzeichnet. Auf der anderen Seite gibt es aber noch einige Hindernisse, die der Verwirkli­ chung des Vorhabens im Weg stehen. So ist nach wie vor offen, wer als Gaslieferant in Betracht kommen soll. Selbst wenn Aserbaidschan als Lieferant gewonnen wer­ den kann, lasten dessen Gaslieferungen die >NabuccoDrittländerNabuccoNabucco< zu sichern. Hier konnte - so Tomasz Konicz - die EU »einen halben Sieg einfahren. Ein irakischer Regierungssprecher erklärte am 18. Mai [2009], daß die Belieferung der Leitung aus dem kurdischen Nordirak nicht in Frage komme. Allerdings könne eine Lieferung aus den Akkas-Gasfeldern in der Nähe Syriens in Erwägung g ezogen w erden, hieß es. All erdings s oll diese L agerstät­ te bereits ab 2014 erschöpft sein. Irak reagierte damit auf eine Initiative der Energiekonzerne OMV und MOL, die... das Projekt einer Pipeline präsentierten, die Erdgas aus dem kurdischen Autonomiegebiet Iraks an Nabucco liefern sollte. Die österrei­ chische OMV und die ungarische MOL sind Teil des Nabucco-Konsortiums«.4523 Auch wenn bis zur Verwirklichung des >Nabuccosüdlichen Korridors< auch über Energiefragen hinaus Zusammenarbeiten möchte. Bis Ende des Jahres 2009 sollte eine Machbarkeitsstudie über eine >kaspische Entwicklungszusammenarbeit< als Voraussetzung für eine >neue Seidenstraße< erstellt werden. Mit dieser Studie läßt die EU durchblicken, daß sie Rußland in dieser Region als Konkurrenz für die eige­ nen Vorhaben ansieht, wie die Süddeutsche Zeitung andeutet: »Denn in den Liefer­ ländern sieht sich die EU starker russischer Konkurrenz gegenüber. Der russische Staatskonzern Gazprom versucht schon seit langem, die Gasreserven am Kaspi­ schen Meer ganz unter seine Kontrolle zu bringen.«4524 Tomasz Konicz bezeichnete den Prager Energiegipfel insgesamt als »ein klar gegen Rußland gerichtetes energie­ politisches Bündnis. Im Rahmen eines >südlichen Gaskorridors< sollen die genann­ ten Staaten (Aserbaidschan, Türkei, Georgien, Turkmenistan und Kasachstan, der Verf.) für eine langfristige und zuverlässige Belieferung der von Brüssel beschleu­ nigten Nabucco-Pipeline gewonnen werden, die Erdgas an Rußland vorbei nach Europa befördern soll. Schneller und brutaler hätte man die Russische Föderation nicht auf das klare machtpolitische Kalkül hinter der Ost-Partnerschaftsinitiative der EU hinweisen können«.4525

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Insgesamt hatte sich die EU mit ihrer Energiegeopolitik und dem Konzept der EU-Ostpartnerschaft also in einen Gegensatz zu Rußland gesetzt. Die Süddeutsche Zeitung erklärt, daß sich die Europäer »damit einen neuen Konflikt mit Rußland eingehandelt« hätten.4526 Von russischer Seite aus wurde diese Politik der EU als eine Begleitung der NATO-Strategie der Einkreisung Rußlands angesehen, und sie betrachtet diese Entwicklung mit Sorge. Der russische Außenminister Sergej Law­ row hatte die Europäer vor dem Versuch gewarnt, neue Einflußzonen im Osten des Kontinents aufzubauen.4527 In der Tat scheint einiges dafür zu sprechen, daß die EU nunmehr zum Konkurrenten für Rußland im Energie- und Pipelinepoker in den geopolitisch wichtigen Schlüsselstaaten Ostmitteleuropas und der kaukasisch-zen­ tralasiatischen Region geworden ist. Ein Beispiel hierfür ist die Mitte März 2009 erfolgte Ankündigung der EU, der Ukraine bei der Modernisierung und dem Aus­ bau ihres Gasnetzwerkes zu helfen. Dies war um so mehr verwunderlich, als die Ukraine bislang jedem Versuch einer ausländischen Beteiligung an ihrem Gasnetz­ werk, das sich in Staatshand befindet, Widerstand entgegengesetzt hatte. So ist gerade auf Initiative von Gazprom in der Vergangenheit mehrfach angeregt wor­ den, ein trilaterales Konsortium - bestehend aus dem ukrainischen Pipelinemono­ polisten Ukrtransgas, dem russischen Gazprom-Konzern und westeuropäischen Gasversorgern - zu gründen, um die Modernisierung des veralteten ukrainischen Gasnetzes voranzutreiben. Dies ist aber immer wieder am Vorbehalt Kiews, die Kontrolle über das Gasnetz zu behalten, gescheitert.4528 Auf einer Investorenkonferenz Mitte März 2009 in Brüssel allerdings, an der Rußland nicht beteiligt war, einigten sich die Vertreter der Europäischen Union und die Ukraine darauf, daß die EU der Ukraine bei der Modernisierung ihres Pipeline­ systems Investitionen und Unterstützung leistet, die Ukraine hingegen sich zu durch­ greifenden Reformen verpflichtet. Viel spricht dafür, daß es hier um eine Verdrän­ gungsstrategie der EU im Bündnis mit den USA geht, die darauf ausgerichtet ist, jeglichen russischen Einfluß in der geopolitisch wichtigen Ukraine zu beseitigen. Der Ausgriff der EU auf das ukrainische Pipelinesystem muß daher im Zusammen­ hang mit der ukrainisch-amerikanischen »Charta über strategische Partnerschaft« vom 19. Dezember 2008 gesehen werden, in der, wie oben dargestellt, auch eine Modernisierung des ukrainischen Gasnetzwerkes durch das transatlantische Bünd­ nis vereinbart wurde. Daher wird an diesem Beispiel erkennbar, daß sich die Energie­ geopolitik der EU mittlerweile längst in die Eurasienstrategie der USA eingefügt hat, die EU mithin eine Schachfigur der US-Geopolitik in Eurasien geworden ist. Der Kreml ist sich dieser Tatsache längst bewußt geworden, und der russische En­ ergieminister Sergei Shmatko warf der EU auch vor, Rußland bei der geplanten Erneuerung der Netze in der Ukraine zu übergehen und dort weitergehende poli­ tische Ziele zu verfolgen.4529 Der Militarismus-Experte Jürgen W agner sieht in der EU-Ostpartnerschaft gleich­ falls einen gegen Rußland gerichteten Schachzug. Das Programm sei »auch und

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vor allem eine Kampfansage der EU, den postsowjetischen Raum unter ihre Kon­ trolle bringen und so endgültig aus Moskaus Einflußzone herauseisen zu wollen«.4530 Er sieht die >Östliche Partnerschaft< als Bestandteil der Lissabon-Strategie, die dar­ auf ausgerichtet sei, aus der EU eine eigenständige Großmacht zu machen. Wagner zufolge verfolgt die EU dabei das Expansionsziel, die Peripherieräume Mittelmeer, Osteuropa sowie den Transkaukasus allmählich an den EU-Kern heranzuführen, diese mit neoliberalen Reformen zu durchdringen und so eine Freihandelszone zu schaffen, die der EU umfassenden Zugang zu den Ökonomien, insbesondere zum Energiesektor der betroffenen Länder, verschaffen solle. Auch aus verschiedenen Strategiepapieren geht hervor, daß die EU Rußland als Konkurrenten um den post­ sowjetischen Raum begreift, den es zu verdrängen gelte. So heben Analysen des European Council on Foreign Relations hervor, daß Ostmitteleuropa und der Trans­ kaukasus Schauplatz sich verschärfender Auseinandersetzungen zwischen der EU und Moskau werden wird. Es habe sich »ein Wettkampf zwischen der Europäi­ schen Union und Rußland entwickelt, welche politischen Regeln die Nachbarschaft bestimmen sollen. (Deshalb) fordern wir, daß sich die EU darauf konzentriert, diese (Nachbarschafts-)Länder zu ermutigen, europäische Normen und Regulierungen zu übernehmen und sie so in das europ äische Projekt zu in tegrieren.«4531 Damit beg reift die EU Moskau nicht mehr als strategischen Partner, sondern als strategischen Konkur­ renten, was - wie oben dargestellt - Washington nicht ungelegen kommt. Daher wird auch ersichtlich, daß die USA hinter den Kulissen die EU-Osterweiterung heimlich unterstützt, da sie Spannungen zwischen der EU und Rußland schafft. Sich dieser Konkurrenzsituation bewußt, geht Rußland nunmehr daran, sein Pipe­ lineprojekt >South Stream< nach Kräften voranzutreiben. Am 15. Mai 2009 unter­ zeichnete Gazprom in Sotschi weiterführende Abkommen mit Energiefirmen aus Bulgarien, Serbien, Rumänien und Italien, den Transitländern von >South StreamNabuccoSouth Stream< ausgehandelt. In Sotschi nun hatte Bulgarien ein Ab­ kommen über den Bau einer Pipeline durch bulgarisches Gebiet unterzeichnet,4533 und so war es Rußland Mitte Mai 2009 wieder gelungen, auf der >Energiedrehscheibe< Bulgarien - die für die Verwirklichung sowohl von >South Stream< als auch von >Nabucco< von wesentlicher Bedeutung ist - Fuß zu fassen. Auch konnte Rußland in der Türkei seinen Einsatz zur Geltung bringen. Am 16. Mai 2009 kam der russische Ministerpräsident Putin mit dem türkischen Regie­ rungschef Erdogan zusammen, um die Zusammenarbeit beider Staaten im Hin­

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blick auf das gleichfalls bestehende Pipeline-Vorhaben >Blue Stream< voranzutrei­ ben. Die dabei von Rußland in Aussicht gestellten großzügigen Angebote zur Ener­ gie-Zusammenarbeit sollten nach Einschätzung von Beobachtern dazu dienen, Ankara von einer Teilnahme an der >NabuccoSouth StreamSouth StreamSüdlichen Korridors< der Energieinfrastruk­ tur, um kaspisches und irakisches Öl und Gas zur Türkei und nach Europa zu trans­ portieren.« Vor dem Hintergrund des Afghanistankrieges sei der Ost-West-Korri­ dor, der von der Türkei und dem Schwarzen Meer durch Georgien und Aserbaidschan und durch die kaspische Region führe, der strategische Luftkorri­ dor und die Lebenslinie nach Afghanistan, der es den USA und ihren Verbündeten erlaube, die >Operation Enduring Freedom< zu führen.4537 Dabei, so die obenge­ nannte Studie, habe Washingtons Strategie bezüglich Osteuropas, des Balkans, des Kaukasus sowie Zentralasiens nicht nur zum Zugriff auf die Energieträger der Re­ gion geführt, sondern auch zur Einkreisung Rußlands, verknüpft mit einer Kette militärischer und wirtschaftlicher Verbindungen zu den Staaten, die vom Baltikum über die ehemaligen sowjetischen Satellitenstaaten in Osteuropa, den Balkan, den Kaukasus und Zentralasien zu den Grenzen Chinas reichen.4538 Armenien, Aser­ baidschan und insbesondere Georgien bilden der genannten Studie zufolge dabei

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den strategischen Drehzapfen und Kern eines geostrategischen Feldzuges der USImperialmacht zum Ziel einer globalen Machtprojektion. Vor diesem Hintergrund haben sich auch nach dem Kaukasuskrieg vom August 2008 die Beziehungen zwischen den USA bzw. der NATO und Georgien weiter intensiviert, was durch die »Charta der strategischen Partnerschaft« zwischen den USA und Georgien im Januar 2009 zum Ausdruck kam. Seitdem verstärkte sich die militärische Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, insbesondere aufgrund der Tatsache, daß der Kaukasuskrieg gezeigt hatte, daß die georgischen Streitkräfte nicht imstande waren, umfassende militärische Operationen durchzuführen. Die Schlüsselfigur für die verstärkte US-georgische militärische Zusammenarbeit ist David Sikharulidze, der im Dezember 2008 von Saakaschwili zum neuen georgi­ schen Verteidigungsminister ernannt wurde. Dies geschah nicht zufällig: Sikharu­ lidze war ausgebildet worden an der U.S Navy Justice School, der NATO SHAPE (Supreme Headquarters Allied Powers Europe) School in Oberammergau sowie an dem NATO Defence College.4539 Damit war er vorbereitet worden, die Umge­ staltung der georgischen Streitkräfte auf NATO- und US-Standards durchzufüh­ ren. Dies hatte er auch in einem Dokument mit dem Titel The Defense Ministers Vision 2009 dargestellt, das am 17. Februar 2009 veröffentlicht wurde und die »An­ passung der georgischen Streitkräfte an NATO-Standards« zum Gegenstand hatte. Beraten wurde er dabei von hochrangigen US-amerikanischen Militärs wie Robert Simmons, dem Sonderberater des NATO-Generalsekretärs für den Kaukasus und Zentralasien, General James Mattis, dem Kommandeur des U.S. Joint Forces Com­ mand, und General James Cartwright, dem stellvertretenden Vorsitzenden des U.S. Joint Chiefs of Staff, mit denen der georgische Verteidigungsminister in Verbin­ dung stand.4540 Sinn und Zweck der Modernisierung der georgischen Armee sollte nach dem Willen der US-amerikanischen Hintermänner die Sicherstellung der »Verteidigungs­ fähigkeit Georgiens« auch im Falle einer Konfrontation mit einer »möglicherweise überlegeneren Streitmacht« sein,4541 womit nur Rußland gemeint sein konnte. Über­ dies sollte das georgische Militär in die Lage versetzt werden, seine »territoriale Integrität« zu verteidigen. Als Voraussetzung für die NATO-Einbindung ist Geor­ gien schließlich auferlegt worden, für die »Lösung der Territorialkonflikte« zu sor­ gen. Deutlich wird Georgien noch immer zu verstehen gegeben, daß die »Anwe­ senheit fremder (nicht-NATO-)Streitkräfte in Kandidatenländern« noch einer NATO-Mitgliedschaft entgegenstehe.4542 Bekräftigt wurde diese Haltung der NATO und der USA auf dem NATO-Gipfeltreffen in Straßburg Anfang April 2009. In einer Stellungnahme des Gipfels hieß es, daß die »NAT O mit der Unterstützung der terri­ torialen Integrität, Souveränität und Unabhängigkeit der südkaukasischen Länder und Moldawiens fortfahren wird«. Ferner »erklärt die NATO ihre tiefen Bedenken über die ungelösten Konflikte in den Ländern des Südkaukasus (Abchasien, Süd­ ossetien, und Nagorny-Karabach) und Moldawien (Transnistrien)«.4543 NATO-Spre­

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cher James Appathurai erklärte in diesem Zusammenhang, daß die transatlantische Allianz »Einflußsphären« im postsowjetischen Raum nicht tolerieren werde, und führte weiter aus: »Wir gehen davon aus, daß Südossetien und Abchasien integrale Teile von Georgien sind. Die Frage der territorialen Integrität ist ein sehr ernsthaftes Problem. Die NATO unterstützt immer die territoriale Integrität von Staaten.«4544 Mit diesen Stellungnahmen sollen Georgien und der gesamte Südkaukasus in einen Gegensatz zu Rußland gebracht werden. Deutlich fordern die USA und die NATO das Saakaschwili-Regime dazu auf, die Politik der Reconquista gegenüber Südossetien und Abchasien fortzusetzen und dabei im Er nstfall au ch vor Konfronta­ tionen mit Rußland nicht zurückzuschrecken. Unterstrichen wird dies auch durch das großangelegte NATO-Manöver >Cooperative Longbow/LancerVertragsorganisa­ tion über kollektive Sicherheit< angehört.4545 Rußland mußte daher dieses NATOManöver als einen Versuch des transatlantischen Bündnisses werten, den gesamten Südkaukasus in ihre Vorherrschaftssphäre zu überführen und Moskau aus dieser Region zu verdrängen. Das Manöver, so die Darstellung der Zeitung Neues Deutsch­ land, war »schon ein eindeutiges Signal Richtung Moskau: Der Nordatlantik-Pakt demonstriert hier militärisch das große geopolitische Interesse der wichtigsten westlichen Industriestaaten an der rohstoffreichen Region«.4546 Dabei arbeitete Saakaschwili auch eifrig weiter daran, die Frontstellung gegen Rußland zu verschärfen. Ein erneuter Anlaß dafür war das Gerücht um einen an­ geblichen Militärputsch, der Anfang Mai 2009, kurz vor Beginn des NATO-Manö­ vers, stattgefunden haben soll. Offiziell bekanntgeworden ist lediglich eine Meute­ rei von Soldaten in der Ortschaft Muchrowani, die angeblich auf Tiflis marschieren wollten, um Saakaschwili zu stürzen. Sofort erklärte Saakaschwili, daß Rußland eine Verschwörung ins Leben gerufen habe mit dem Plan, »eine breit angelegte Meuterei in Tiflis anzuzetteln und Schritte gegen die Souveränität Georgiens und die europäische und euro-atlantische Integration zu unternehmen« (so Saakaschwili in einer Fernsehansprache).4547 Saakaschwili präsentierte als Beweis auch ein mit versteckter Kamera gedrehtes Video, auf dem der mutmaßliche Drahtzieher, Gia Gwaladse, das Vorgehen und das Ziel des >Umsturzes< im einzelnen schilderte. Deutlich wurde in diesem Video herausgestellt, daß Rußland die treibende Kraft im Hintergrund gewesen sein soll.4548 Tatsächlich aber weisen Hintergründe und Umstände zahlreiche Ungereimthei­ ten aus. Selbst die georgische Opposition bezeichnete das Video als Fälschung. »Es sei >völlig absurdMeute­ rei< höchstselbst vorfuhr, um mit den Putschisten über deren bedingungslose Kapi­ tulation zu verhandeln, können sich die Georgier ebenfalls nicht zusammenrei­ men.«4551 Es gab noch weitere Ungereimtheiten: »Einer der Putschisten, so der frühere Verteidigungsminister Gia Karkaraschwili gegenüber einem oppositionellen Fern­ sehkanal, habe ihn in der Tat vor drei Wochen kontaktiert und in das Komplott eingeweiht. Er habe die Unterredung jedoch mitgeschnitten und sofort eine Kopie an Sicherheitsminister Gia Torgomadse geschickt. Auf dessen Antwort warte er bis heute.«4552 Deshalb spricht vieles dafür, daß es sich bei dem angeblichen Putsch um eine Inszenierung der Regierung Saakaschwili gehandelt hatte, die als Vorwand für die Verhängung des Ausnahmezustandes dienen sollte,4553 denn seit dem Krieg vom August 2008 hatte sich die innenpolitische Krise in Georgien massiv verschärft. Viele Anzeichen gibt es auch dafür, daß Saakaschwili mit den Putschgerüchten die Integration Georgiens in die NATO vorantreiben wollte und zu diesem Zweck eine vermeintliche russische Bedrohung inszenierte. Möglicherweise wollte er damit die NATO auffordern, seine Wiedervereinigungspolitik gegenüber Südossetien und Abchasien zu unterstützen. Für diese Annahme spricht, daß Rußland Ende April 2009 mit den abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien Abkommen zur Grenzsicherung geschlos­ sen und eigene Grenztruppen in die Gebiete entsandt hatte. Nicht nur Georgien, sondern auch der NATO ist ein Abkommen Rußlands mit Abchasien und Südosse­ tien ein Dorn im Auge, das den Schutz der Grenze der Regionen mit Georgien rus­ sischen Streitkräften überträgt. Dieser Umstand ließ sich gut instrumentalisieren, um eine Konfrontation zwischen Rußland und der NATO herbeizuführen. Dessen wird sich Saakaschwili auch bewußt gewesen sein. Bewußt, so Erossi Kizmarischwili - Bot­ schafter in Rußland, bis Tiflis im September 2008 die diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatte - »habe Saakaschwili den angeblichen Putsch auf den Tag vor dem Beginn von NATO-Manövern in Georgien datiert. Damit habe der Präsident der NATO wieder einmal die angeblich akute Bedrohung seines Landes vor Augen führen, dessen Beitritt zur Allianz erzwingen und dadurch auch seine eigene politi­ sche Zukunft retten wollen«.4554 Interessanterweise hieß es kurze Zeit später »aus Saakaschwilis Büro, es gebe keine Beweise für eine Verwicklung Rußlands«.4555

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Für die hier vertretene These, daß Saakaschwili mit diesem Vorgehen die Auf­ nahme Georgiens in die NATO beschleunigen wollte, spricht auch folgender Um­ stand: Ende November 2008 versuchte die Bush-Regierung, noch vor Ablauf ihrer Amtszeit den NATO-Beitritt von Georgien und der Ukraine zu beschleunigen. Den NATO-Verbündeten schlug die US-Regierung einen - so das Nachrichtenmagazin Der Spiegel - »drastischen Strategiewechsel« vor:4556 Auf dem Bukarester NATOGipfel hatte man vereinbart, daß Georgien und die Ukraine zwar NATO-Mitglie­ der werden sollten, doch hatten diese aber zunächst den >Membership Action Plan< (MAP) zu durchlaufen. Ganz zum Ärger Washingtons hatten die europäischen NATO-Mitglieder verhindert, daß die Aufnahme der beiden Staaten in den MAP schon auf diesem Gipfel erfolgte. Nun versuchten die USA, gegenüber den NATOVerbündeten durchzusetzen, daß jetzt ganz auf den Mechanismus des MAP ver­ zichtet und unabhängig vom MAP Beitrittsverhandlungen eingeleitet werden soll­ ten. Die amerikanische Seite hatte dabei durchblicken lassen, sie wollte nunmehr ein verbindlicheres Signal an die Adresse Georgiens und der Ukraine richten als jenes, das am NATO-Gipfel in Bukarest gegeben worden war.4557 Dabei wurde der antirussische Tenor dieser Politik von US-Diplomaten auch deutlich hervorgeho­ ben: »Wir dürfen es Rußland nicht gestatten, neue Trennlinien durch Europa zu ziehen. Die Nato-Erweiterung muß weitergehen«, erklärte US-Botschafter Kurt Vol­ ker gegenüber dem Handelsblatt.4558 Wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel enthüllte, ging die US-Diplomatie hinter den Kulissen dabei recht rabiat heran: »NATO-Botschafter erhielten spät abends Anrufe aus Washington, sie sollten gefälligst den Vorschlag akzeptieren.«4559 Insbe­ sondere das Auswärtige Amt der Bundesrepublik Deutschland wurde dabei mas­ siv unter Druck gesetzt: US-Außenministerin Rice drohte dabei, sofort die Ingang­ setzung des MAP einzufordern, wenn Deutschland nicht zustimmen sollte. Bei den europäischen NATO-Staaten unter Führung von Deutschland und Frankreich wurde das Ansinnen Washingtons, bei der Aufnahme Georgiens und der Ukraine auf den MAP zu verzichten, denn auch zutreffend als Versuch der USA gewertet, die Auf­ nahme der beiden Länder unbotmäßig zu beschleunigen.4560 Es wurde befürchtet, daß eine Annährung Georgiens und der Ukraine an die NATO nach der Maßgabe Washingtons derart weit voranschreiten könnte, ohne daß es den politischen In­ stanzen der NATO noch möglich gewesen wäre, Einfluß zu nehmen.4561 Die NATO-Außenministerkonferenz am 2. Dezember 2008, von der sich die USMachtelite erhoffte, die NATO-Partner zu einem einstimmigen Votum für die Auf­ nahme der beiden Staaten Georgien und Ukraine zu verpflichten, endete denn auch mit einer diplomatischen Niederlage der USA.4562 Die USA konnten sich nicht mit ihrem Plan durchsetzen. Vielmehr einigten sich die Außenminister darauf, die Abstimmung über die Aufnahme Georgiens und der Ukraine in den MAP auszu­ setzen und statt dessen die Arbeit in den Gremien >NATO-Georgien-Kommission< und >NATO-Ukraine-Kommission< auszuweiten, um auf diese Weise die Maßnah­

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men durchzusetzen, die ansonsten Teil des MAP gewesen wären.4563 Die Schluß­ erklärung des Gipfeltreffens hielt darüber hinaus fest, daß kein Weg zur NATO-Mit­ gliedschaft am MAP vorbeiführen könne.4564 Außerdem wurde unter Federführung Deutschlands bekräftigt, den Dialog der NATO mit Rußland, der seit dem Georgien­ krieg auf Eis gelegt war, wiederaufzunehmen.4565 Nach Einschätzung von F. William E ngdahl stellte dieser Kompromiß einen enor­ men Rückschlag für Washingtons Pläne zur Einkreisung Rußlands dar.4566 Der Ver­ such, auch die europäische Außen- und Verteidigungspolitik in die im Kern gegen Rußland gerichtete US-Globalstrategie einzubinden, ist Washington einstweilen mißlungen, und hinter den Kulissen wurde deutlich ausgesprochen, daß eine er­ neute russisch-europäische Annährung von den USA nicht gewünscht wird. Die US-Diplomatie brachte die Haltung insbesondere der Bundesrepublik Deutschland in der Georgien-Frage mit den Geschäftsbeziehungen zu Rußland in Verbindung und warf Berlin vor, es würde zu viel Rücksicht auf Moskau nehmen und bereit sein, »Europas Sicherheit für Gas aus Sibirien zu opfern«.4567 Der tatsächliche Grund für die ablehnende Haltung der europäischen Staaten zum US-Plan liegt aber darin begründet, daß sie die ungeheueren Risiken eines solchen Schrittes wohl erkannten. Die Aufnahme eines Staates wie Georgien mit seiner unberechenbaren nationalistischen Außenpolitik in die NATO könnte schließ­ lich Europa sehr leicht in eine militärische Konfrontation mit Rußland bringen. Möglicherweise war dies auch einer der Beweggründe der USA, jetzt die NATOMitgliedschaft Georgiens und der Ukraine voranzutreiben, galt (und gilt) es für sie doch, die Herausbildung einer europäisch-russischen Partnerschaft gerade im En­ ergiebereich zu unterbinden. Zu dieser Zeit tauchten schließlich auch immer wieder neue Dokumente und Zeugenberichte auf, aus denen hervorging, daß der Krieg vom August 2008 auf eine eindeutige Provokation Georgiens zurückzuführen war. So erklärte beispiels­ weise der ehemalige georgische Botschafter in Moskau, Erosi Kizmarischwili, vor einer Anhörung des georgischen Parlaments, daß georgische Vertreter ihm im April 2008 mitgeteilt hätten, sie planten einen Krieg in Abchasien und hätten dafür auch grünes Licht von Washington erhalten. Dabei führte Kizmarischwili weiter aus, die georgische Regierung habe weiterhin beschlossen, den Krieg in Südossetien zu be­ ginnen und dann auf Abchasien auszudehnen.4568 Auch der georgische General Mamuka Kuraschwili berichtete von einem >Befehl Nr. 2< vom 7. August 2008, in dem den georgischen Streitkräften befohlen wurde, »in der gesamten Region (Südossetien) die verfassungsmäßige Ordnung wieder­ herzustellen«.4569 Die georgische Regierung weigert sich jedoch bis heute, der EUKommission, die den Ablauf des Kaukasus-Krieges untersucht, dieses Dokument vorzulegen. »Dies sei ein Staatsgeheimnis, heißt es in Tiflis.«4570 Der russische Ge­ neralstabs-Vizechef Anatolij Nogowizyn bestätigte gegenüber der EU-Kommission die Existenz und den Inhalt dieses Befehls, der Saakaschwili stark in Bedrängnis

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bringen könnte. »Wäre der Befehl authentisch, den russische Geheimdienstler ab­ gefangen haben wollen, so wäre Saakaschwili als Lügner überführt.«4571 Ob die Niederlage der USA bei dem Versuch, die NATO-Mitgliedschaft Georgi­ ens und der Ukraine auch gegen den Willen der europäischen NATO-Mitglieder durchzusetzen, grundsätzlich als Beginn eines Niederganges der USA gewertet werden kann,4572 bleibt abzuwarten. Statt dessen bestehen viele Anzeichen dafür, daß die jetzige O bama-Administration ihre Eurasienpolitik weniger an den unmittel­ baren Frontstaaten verwirklichen will als vielmehr im Wege einer Umgehungs­ strategie, die darauf abzielt, im gesamten arabisch-islamischen Nahen und Mittle­ ren Osten - den eurasischen >Rimlands< an der Südflanke des >Herzlandes< - wieder an Einfluß zu gewinnen und auf diese Weise Rußland strategisch zu isolieren. Für diese These spricht die diplomatische Offensive, die von der Obama-Administration gegenüber der islamischen Welt und insbesondere gegenüber dem Iran eingeleitet wurde und als deren Symbol die Rede Obamas in der Kairoer Universität Anfang Juni 2009 gesehen werden muß. Dies muß vor dem Hintergrund betrachtet werden, daß durch die Politik der neokonservativen Bush-Administration die USA im Nahen und Mittleren Osten erheblich an Einfluß eingebüßt hatten. Nach Ansicht vieler Beobachter hatte kein US-Präsident zuvor »bei seinem Amtsantritt ein so zerrüttetes Verhältnis zum Is­ lam und zur arabischen Welt vorgefunden. Obamas Vorgänger, der wiedergeborene Christ George W. Bush, hat im Nahen und Mittleren Osten tiefe Wunden hinterlas­ sen. Militante Islamisten sind auf dem Vormarsch. Und der Iran ist in der Ära Bush zur einflußreichsten Macht zwischen Maghreb und Arabischem Golf aufgestie­ gen«.4573 Hinter dieser neuen >Charme-Offensive< Obamas aber stehen handfeste geopolitische Interessen der USA, die auf die Schaffung neuer Pipelinekorridore, die Rußland vom Energiepoker ausschließen sollen, gerichtet sind. Viel spricht dafür, daß es mit dieser neuen diplomatischen Offensive darum geht, Lieferanten für die transatlantische >NabuccoNabucco< speisen wird.4574 Der Iran seinerseits strebt ebenfalls an, zur Energie­ drehscheibe des Mittleren Ostens zu werden; er plant den Bau einer Pipeline zur Gasversorgung Südasiens über Pakistan und Indien (die sogenannte IPI-Friedens­ pipeline). In diesem Zusammenhang bemüht sich Teheran um den Zugang zu den Gasfeldern Turkmenistans, um dann selbst als Förderer und Vermittler von Erdgas ins Geschäft zu kommen.4575

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Hinzu kommt, daß sich Weihnachten 2008 unter Federführung Rußlands und des Iran nach dem Vorbild der OPEC ein Kartell erdgasexportierender Länder gebil­ det hatte, dem neben Rußland und dem Iran auch Algerien, Katar und Venezuela angehören. Rußland, Iran und Katar hatten sich bereits Ende Oktober 2008 zu einer Gas-Troika zusammengeschlossen. Sie haben die weltweit größten Gasreserven und kontrollieren mehr als die Hälfte der Gasvorkommen.4576 Damit scheint sich die Einrichtung eines geschlossenen eurasischen Energiekartells herauszubilden. Putin selbst hatte sich schon 2002 für die Gründung einer eurasischen Gasallianz ausge­ sprochen, deren wichtigster Verbündeter dabei die Islamische Republik Iran sein sollte. Die USA muß diesen Schritt als direkte Herausforderung ihrer eigenen energiegeopolitischen Interessen betrachten, und so wie sie schon seit Jahrzehnten Strategien zur Torpedierung der OPEC umgesetzt hatten, so wird die US-Machtelite jetzt herangehen, die Bildung eines ähnlichen Kartells im Erdgassektor von vorn­ herein zu verhindern. Als entscheidenden Ansatzpunkt zur Aufbrechung der >Erdgas-OPEC< scheint sich die neue Obama-Administration den Iran ausgewählt zu haben, um mit dessen Hilfe zum einen das eurasische Energiemonopol aufzubrechen und zum anderen den transatlantischen Energiekorridor >Nabucco< zu verwirklichen. Daher besteht also »Grund genug... für die USA und die Europäische Union, Iran plötzlich mit ganz anderen, weitaus verliebteren Augen wahrzunehmen. Wenn Iran Nabucco nicht füttern will, wird Nabucco rasch dahinscheiden, noch bevor es über die Phase der Planung hinausgekommen ist«.4577 Auch sollte sich alsbald zeigen, daß die Ins­ zenierung eines Regimewechsels in Teheran durch die US-Machtelite nach dem Vorbild der >Farbrevolutionen< wie in der Ukraine und in Georgien nicht ausge­ schlossen ist, um auf diese Weise wie zur Zeit des Schah-Regimes den Iran als ent­ scheidenden Stützpunkt einer mittelöstlichen US-Geopolitik auszubauen und Ruß­ land einzukreisen.

4 Die Grundlagen der Eurasienpolitik der Obama-Administration: Fortsetzung der >Full Spectrum Dominance< und der Politik der >Regimewechsel< Insgesamt ist die Eurasienpolitik der Obama-Administration als Fortsetzung der bisherigen US-Eurasienstrategie zu sehen. Sie unterscheidet sich lediglich in den Methoden ihrer Umsetzung: Anstelle der direkten - bei Bedarf auch militärischen Konfrontation werden subtilere und verdecktere Mittel eingesetzt, deren eigentli­ che Absicht nicht von vornherein ersichtlich ist. Beispielhaft hierfür ist der nukleare Abrüstungsvorschlag Obamas Anfang April 2009 in Prag, als er zur Schaffung einer »Welt ohne Atomwaffen« aufrief. Wie schon Knut Mellenthin analysierte, ist Obamas »Welt ohne Atomwaffen« bei näherem Hinsehen nichts anderes als eine Mogelpackung.4578 Tatsächlich scheint es bei der

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nuklearen Abrüstungskampagne Obamas darum zu gehen, die konventionellen militärischen Fähigkeiten der USA zu einer >Full Spectrum Dominance< auszubauen, indem Rußland mit der Verpflichtung zur Unterzeichung eines erneuerten Start-IAbkommens zum Abbau strategischer Nuklearwaffen seines wichtigsten Potenti­ als zur Neutralisierung des überlegenen Militärpotentials der USA beraubt wird. Dies hat man im Kreml längst erkannt. »Natürlich hat Obama nicht den Ehrgeiz aufgegeben, daß Amerika die führende Macht bleibt«, erklärte Jewgenij Bascha­ now von der Diplomatischen Akademie des russischen Außenministeriums.4579 Tatsächlich besitzen die USA ein hervorragend ausgebautes Arsenal von konventi­ onellen Waffen, das dem russischen seit dem Ende der UdSSR deutlich überlegen ist. »Diese Schwäche hat Moskau seither mit seiner höheren nuklearen Schlagkraft auszugleichen versucht. Ein weiterer Abbau der Atomwaffen würde diese Linie jedoch durchkreuzen.«4580 Ähnlich schätzt auch das Nachrichtenmagazin Der Spie­ gel die Hintergründe der Debatte ein: »Tiefere Einschnitte würden Moskau den letzten militärischen Trumpf nehmen, den es gegenüber Amerikanern und Chine­ sen noch besitzt - denn Washington ist bei konventionellen Waffen haushoch über­ legen, und Peking rüstet inzwischen vehement nach.«4581 Nach dem Willen Obamas sollen beide Seiten die Zahl ihrer Atomsprengköpfe auf 1000 bis 1500 verringern. Die Auswirkungen auf Rußlands Verteidigungs­ fähigkeit stellte Andrew Kutchins, Direktor beim Think-Tank CSIS in Washington, mit folgenden Worten dar: »Rußland treibt schlichtweg die Sorge um, daß eine atomwaffenfreie Welt die Dominanz der USA bei konventionellen Waffen fest­ schreibt. Wenn das alles weiter in diese Richtung läuft, dann würde das die Ab­ schreckungsmöglichkeiten Rußlands reduzieren und erodieren - und das kann Moskau nicht akzeptieren.«4582 Im Kreml ist allgemein anerkannt, daß Rußland nach seiner Niederlage im Kalten Krieg auch bei der Abrüstung den kürzeren gezogen hat, und von russischen Diplomaten wird Obamas Vision von der atomwaffenfrei­ en Welt daher auch als eine Falle gesehen, um Rußlands Einfluß in der Welt weiter zu schwächen,4583 Rußland seiner atomaren Vergeltungsschlagskapazität zu berau­ ben und damit die konventionelle Eingreiffähigkeit der US-Streitkräfte in Eurasien zu erhöhen. Folgerichtig knüpft der Kreml eine weitere nukleare Abrüstung denn auch daran, daß die USA die Raketenabwehrpläne für Polen und die Tschechische Republik aufgeben.4584 Der russische Oberst Wiktor Baranez riet daher dem russi­ schen Präsidenten Dimitij Medwedjew, den USA nur dann Zugeständnisse zu ma­ chen, wenn Rußland wirklich eine Gegenleistung bekommt. »Leider haben wir die Angewohnheit, immer etwas auf den Gabentisch zu legen, wenn hoher Besuch aus Washington kommt - und als Dank rückt dann die Nato näher an unsere Grenzen heran.«4585 Die Sicherstellung der militärischen >Full Spectrum Dominance< in Eurasien ist damit auch Wesensbestandteil der Eurasienpolitik der Obama-Administration, und sämtliche Vorzeichen sprechen dafür, daß die amerikanisch-russische Konfrontation

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Den USAmerikanern geht es um >Full Spec­ trum Dominanceprivilegierten Interessen< (Präsident Medwed­ jew).«4586 An dieser Einschätzung ändert auch die von der Obama-Administration kürz­ lich in die Diskussion gebrachte veränderte Variante des Raketenabwehrprojektes nichts. Aufgrund neuer Geheimdiensterkenntnisse, denen zufolge die gegenwärtige Reichweite iranischer Raketen lediglich auf den Mittelstreckenbereich beschränkt sei, sei das bisher geplante Modell derzeit nicht notwendig, so die Argumentation. Vor diesem Hintergrund wurde schließlich ein dreistufiges Abwehrsystem ins Le­ ben gerufen: Zunächst sollen ab 2011 Abfangsysteme auf Kriegsschiffen mit der neuen Abfangrakete SM-3 und mit Hilfe eines landgestützten mobilen Radarsy­ stems im Mittelmeerraum sowie im Nahen und Mittleren Osten stationiert wer­ den. In einem zweiten Schritt soll dann ab etwa 2015 eine leistungsstärkere Version der SM-3-Abfangrakete, verbunden mit besseren Aufklärungssensoren, hinzukom­ men. »Damit soll der Raum vergrößert werden, der gegen anfliegende Raketen ge­ schützt werden kann. Neben die seegestützte Version der SM-3 soll eine landge­ stützte, verlegbare Variante treten. Schrittweise soll ein Schutz für alle NATO-Länder in Europa entstehen.«4587 Anschließend soll ab 2018 eine neue Version der Abfangrakete SM-3 eingeführt werden, die imstande sein soll, Raketen großer Reichweite und sogar Interkonti­ nentalraketen abzuschießen. Jedoch bedeutete diese Entscheidung der Obama-Ad­ ministration keine Verbesserung der strategischen Position Rußlands in dieser Fra­ ge. Unterm Strich bedeutet dieser Schachzug nichts anderes, als daß die Verwirklichung der ballistischen >Full Spectrum Dominance< gegenüber Rußland nur zeitlich verschoben wird. In den ersten beiden Phasen wird die russische Zweit­

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Schlagsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Dies aber ändert sich mit der Verwirklichung der dritten Stufe, wie auch Otfried Nassauer analysiert: »Sollten ab 2020 leistungs­ gesteigerte SM-3-Raketen stationiert werden, die auch Langstreckenraketen abfangen können, so droht aufs neue die kontroverse Debatte der letzten Jahre. Zudem zeigen die Planungsdokumente der US-Raketenabwehragentur, daß die Entwick­ lung der bislang in Polen geplanten Zweistufen-Abfangrakete nicht gestoppt wird. Sie soll als Rückfalloption zur Verfügung stehen, falls technische Probleme bei der Umsetzung der neuen Planung auftreten.«4588 Auch eine Analyse in dem Magazin Internationale Politik geht davon aus, daß Obamas Raktenabwehr keine Abkehr von der >Full Spectrum Dominance< bedeutet: »Die USA planen dennoch auch in Zu­ kunft, ihr globales Raketenabwehrsystem weiterzuentwickeln und auszubauen.«4589 Damit stellt sich die Frage nach den eigentlichen Gründen der Obama-Adminis­ tration für dieses Vorgehen. Viel spricht dafür, daß es im Zusammenhang mit dem oben bereits angedeuteten allmählichen Niedergang der USA steht. Analysen west­ licher Geheimdienste warnen bereits vor einer Machtverschiebung weg vom trans­ atlantischen Raum in Richtung Asien. Eine Studie des Bundesnachrichtendienstes erwähnt hier ausdrücklich Rußland und China. Mittlerweile hat sich schon eine strategische und auch finanzielle Abhängigkeit Washingtons von diesen beiden eurasischen Mächten abgezeichnet. Die Diskussion um die Militärbasen in Kirgi­ stan machte deutlich, daß die USA ohne russische Unterstützung oder zumindest ohne eine Neutralität Moskaus in Afghanistan nicht mehr viel ausrichten können. Auch trägt Rußland - worauf unten noch näher eingegangen wird - zur Finanzie­ rung des enormen Haushaltsdefizits der USA bei. Diese Umstände verbieten daher eine direkte militärische Konfrontation Washingtons mit Moskau. Jedoch macht auch das Nuclear Posture Review der Obama-Administration vom April 2010 deutlich, daß sich an den atomaren Rüstungsplänen der USA nicht viel ändern wird: Die landgestützten Interkontinentalraketen bleiben in ihrer Zahl vor­ erst erhalten. Derzeit verfügen die USA über 450 Minuteman-III-Raketen mit je­ weils bis zu drei Sprengköpfen. Die Zahl der Sprengköpfe soll zwar bis auf einen je Rakete verringert werden, doch die Modernisierung der Raketen soll wie geplant fortgesetzt werden, so daß die Minuteman-III-Rakete bis 2030 im Dienst bleiben kann. Ferner laufen auch Vorarbeiten für eine Nachfolgerakete. Darüber hinaus werden auch die Sprengköpfe des Typs W-76 modernisiert, mit denen Trident-Ra­ keten auf U-Booten bestückt sind. Diese bilden schließlich auch das Rückgrat des strategischen US-Atomwaffenarsenals. Zusätzlich soll die Fähigkeit, Jagd- und schwere Bomber atomar zu bestücken, erhalten bleiben. Zudem ist beabsichtigt, die nukleare Rolle der strategischen Bomber vom Typ B-52 und B-2 grundsätzlich unangetastet zu lassen. Ähnliches gilt auch für die atomare Bewaffnung der strate­ gischen U-Boote der Ohio-Klasse. Deren Zahl soll zwar von 14 auf 12 reduziert werden, doch »diese Entscheidung beeinflußt aber nicht die Zahl der auf U-Booten stationierten Atomsprengköpfe«, heißt es in dem Dokument. Zudem wird die Ent­

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Wicklung eines neuen U-Boot-Typs vorangetrieben, der die Ohio-Klasse ab 2027 ablösen soll.4590 Dies macht deutlich, daß hinter der Obama-Administration eine Machtelite steht, der es dem Rüstungsexperten Otfried Nassauer zufolge darum geht, den Einstieg in die Modernisierung des Nuklearwaffenpotentials der USA zu erreichen, das Global-Strike-Programm weiter entwickeln zu können und keine neuen Beschrän­ kungen für das Raketenabwehrsystem einzugehen. »Starke Kräfte innerhalb und außerhalb der Administration wollen ihn (Obama, der Verf.) zu einer Festlegung auf die Modernisierung der Atomwaffen zwingen.«4591 Wichtigter Vertreter dieser Elite ist - so Nassauer - der Verteidigungsminister Robert Gates, der ein Befürwor­ ter der atomaren Modernisierung und federführend bei der Erarbeitung des Nu­ clear Posture Review ist. Die für die US-Atomwaffen zuständigen Ministerien »ha­ ben all ihre Wunschprojekte durchbekommen«, beurteilt Nassauer die neue Atomwaffendoktrin der USA.4592 Das Nachrichtenmagazin Spiegel online sagt hier­ zu: »Die neue Doktrin sieht zwar vor, daß die USA auf den Bau neuer Atomwaffen verzichten. Allerdings gibt es Schlupflöcher. Denn alte Waffen dürfen nach Anga­ ben der NNSA (National Nuclear Security Administration, der Verf.) in großem Umfang modernisiert werden.«4593 Darüber hinaus gibt es einige Anhaltspunkte dafür, daß auch unter der ObamaAdministration die Strategie der Anzettelung >samtener Revolutionen< in strate­ gisch wichtigen Regionen fortgesetzt wird, um den russischen Einfluß Stück für Stück zurückzudrängen. Die Unruhen in Moldawien Mitte April 2009 nach dem Wahlsieg des amtierenden Staatspräsidenten Woronin, die in den Medien als soge­ nannte »Zwitschernde Revolution« bezeichnet wurde, deuten darauf hin. Nach Einschätzung mancher Beobachter waren die Unruhen in diesem geopolitisch nicht unwichtigen Land vom NATO-Partner Rumänien angeheizt worden.4594 Auch die­ ser Staat verkörpert einen der >eingefrorenen Konflikte< der postsowjetischen Staa­ tenwelt. Geopolitisch betrachtet bildet er den Durchgangsweg zwischen dem Aus­ läufer der Karpaten und dem Schwarzen Meer; die strategische Kontrolle der Schwarzmeerregion bedingt die Kontrolle dieser Region, von deren Besitz auch die Fähigkeit abhängt, die Geschicke des Balkans zu bestimmen. Das Vorhaben jeder Seemacht, den Balkan als Korridor Richtung Schwarzmeerregion und Mittelasien auszubauen, kann nur dann erfolgreich sein, wenn es dieser gelingt, die DnjestrRegion zu kontrollieren. Nicht umsonst wurde auch der Krimkrieg 1851-1853 durch einen Streit zwischen der britischen Seemacht und der russischen Landmacht um diese Region ausge­ löst, was deren geopolitische Bedeutung unterstreicht. Als schließlich das rumä­ nisch sprechende Moldawien im Zuge des Zerfalls der UdSSR unabhängig wurde, spaltete s ich die slawisch besiedelte Dn jestr-Region Transnis trien ihrerseits von Mol­ dawien ab. Moldawiens Außenpolitik richtet sich seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend an das transatlantische Bündnis aus; es war Gründungsmitglied des

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mit der NATO liierten Bündnissystems GU(U)AM. Um seinen geopolitischen Ein­ fluß nicht zu verlieren, war Rußland bestrebt, die moldawisch-transnistrischen Spannungen auszunutzen und damit das Abdriften Moldawiens Richtung Westen zu verhindern. In Transnistrien blieb auch die 14. Russische Armee stationiert, mit deren verdeckter Hilfe Transnistrien seine Autonomie durchsetzen konnte. Ferner versuchte Moskau sich in dieser Region als »ehrlicher Makler«4595 einzubringen, indem es sich im Rahmen des von ihm entwickelten >Kosak-Plans< um die Entmili­ tarisierung des Spannungsherdes und um die Autonomie Transnistriens innerhalb des moldawischen Staates bemühte. Mit diesem Plan sollten nach der Absicht Moskaus die EU und die NATO aus dem Krisenherd herausgehalten werden, welche sich aber auf verschiedenen di­ plomatischen Wegen einmischten und Rußland dahingehend unter Druck setzten, seine in Transnistrien stationierten 1200 Soldaten abzuziehen. Der moldawische Präsident Woronin setzte auf eine prowestliche Außenpolitik und forderte Ende 2003, daß der Abzug der russischen Truppen »ohne Verzug« umgesetzt werde.4596 Im Mai 2005 verständigten sich die GUAM-Staaten und osteuropäische Neumit­ glieder von NATO und EU auf einen Neubeginn als >Organisation für Demokratie und wirtschaftliche Entwicklungzivilen Ungehorsams< angezweifelt und dadurch die kommunistische Regierung Woronin gestürzt werden. Ein gangbarer Weg hierfür sollte die Instrumentalisierung großrumänischer Nationalisten sein, die offen for­ derten, daß Moldawien - das ehemalige Bessarabien, das 1940 von der Sowjetuni­ on besetzt wurde - wieder mit Rumänien wiedervereinigt werde. Tatsächlich führ­ te ein nicht geringer Teil der Demonstranten auf der Straße rumänische Flaggen mit sich. Ferner deutete eine Studie des Centre for Research on Globalization mit dem Titel Who is behind Moldava's Twitter Revolution?4602 an, daß die US-Machtelite und die NATO an einem prowestlichen Machtwechsel in Moldawien interessiert seien, weil damit ein >Rollback< der russischen Militärpräsenz und eine weitere Verringe­ rung des russischen Einflusses in der postsowjetischen Sphäre verbunden werde. Erwiesen ist, daß Organisationen wie USAID im Rahmen eines >Moldava Citizen Participation Program< Maßnahmen zur Einleitung eines Regimesturzes im Wege des zivilen Protestes eingeleitet hatten.4603 Eine Beschreibung der >oppositionellen< Organisationen wie >ThinkMoldava< durch die Neue Zürcher Zeitung mit dem Titel »Gezwitscher der Unzufriedenheit in der Republik Moldau« macht deutlich, daß der Protest nach demselben organisierten Schema ablief wie in den Jahren zuvor in Georgien oder der Ukraine.4604 Damit sprechen einige Anzeichen für eine Steue­ rung der Entwicklungen in Moldawien durch externe Machtfaktoren. Am Rande sei bemerkt, daß Anhaltspunkte für eine Fälschung der Parlamentswahl nicht vor­ lagen. »OSZE-Beobachter hatten die Wahl im großen und ganzen als positiv be­ wertet.«4605 Die Protestbewegung konnte letztlich von der legitimen Woronin-Re­ gierung unter Kontrolle gebracht werden. Von wesentlich größerer Tragweite waren die Entwicklungen im Zuge der Prä­ sidentschaftswahlen im Iran im Juni 2009. Was von den Medien vordergründig als ein Aufstand der Reformer gegen die Machtelite der Mullahs dargestellt wurde, schien vielmehr ein Machtkampf innerhalb der iranischen Machtelite zu sein. Tat­ sächlich hat sich nach Ansicht von Iran-Experten dort ein Konfliktherd entwickelt, in dem sich auf der einen Seite der Oberste Revolutionsführer Ali Chamenei, der von diesem geförderte Staatspräsident Mahmut Ahmadinedschad im Bündnis mit den Revolutionsgarden und andererseits der einflußreiche Vorsitzende des soge­ nannten >Expertenrates< Ali Akbar Rafsandschani und der von ihm gestützte Op­

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positionsführer Mir Hussein Mussawi gegenüberstanden. Viel spricht dafür, daß Rafsandschani, einer der reichsten und politisch einflußreichsten Männer im Iran, hinter den Kulissen im inneriranischen Machtkampf die Fäden zog und durch den gezielten Aufbau von Mussawi zum Oppositionsführer einen Machtwechsel her­ beiführen wollte.4606 Nachgewiesen ist zudem, daß Rafsandschani und der amtie­ rende Staatspräsident Mahmut Ahmadinedschad »sich in herzlicher Abneigung zugetan« sind.4607 Für die geopolitischen Auswirkungen des Machtkampfes nicht uninteressant ist dabei, daß Rafsandschani Verfechter einer marktwirtschaftlichen Liberalisierungspolitik ist und zudem für eine >Öffnung< des Iran gegenüber den USA steht.4608 Es gibt einige Indizien für die These, daß die USA hinter den Kulissen des inner­ iranischen Machtkampfes eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Wie Paul Craig Roberts berichtet, sind die Unruhen im Iran als eine Fortsetzung der von der USMachtelite orchestrierten >Farbrevolutionen< anzusehen.4609 Tatsache ist - wie auch schon zuvor der US-Journalist Seymour Hersh enthüllte -, daß die USA bereits seit geraumer Zeit einen verdeckten Geheimdienstkrieg gegen den Iran führen, der unter anderem darin besteht, eine Revolte ethnischer Minderheiten wie der Belutschen und sunnitischer Extremisten zu entfachen.4610 Im New Yorker vom 29. Juni 2008 berichtete Hersh: »Laut Quellen aus dem militärischen Geheimdienst und dem Kongreß stimmte der Kongreß Ende letzten Jahres einem Antrag von Präsident Bush zu, eine umfassende Ausweitung von Geheimoperationen gegen Iran zu finan­ zieren. Diese Operationen, für die Präsident Bush 400 Millionen Dollar beantragte, wurden in einer von George W. Bush unterschriebenen präsidentiellen Weisung beschrieben und sind darauf angelegt, die religiöse Führung des Landes zu desta­ bilisieren.«4611 Ähnliches berichtete auch der London Telegraph vom 27. Mai 2007: »Mr. Bush hat ein offizielles Dokument unterzeichnet, das CIA-Pläne für eine Propaganda- und Desinformationskampagne befürwortet, die die theokratische Herrschaft der Mul­ lahs zu destabilisieren und schließlich zu stürzen beabsichtigen.«4612 Die Präsident­ schaftswahlen schienen nun den idealen Zeitpunkt für die Verwirklichung dieser Geheimpläne zu bieten. Wie in den vorangegangenen >Farbrevolutionen< kam es auch im Iran zunächst darauf an, den Wahlsieg des von den USA nicht gewünsch­ ten Wahlsiegers Ahmadinedschad zu delegitimieren und gleichzeitig einen Mas­ senprotest zu entfachen, der den unliebsamen Kandidaten als skrupellosen Wahl­ fälscher bloßstellen sollte. Inwieweit diese Kampagne einen Wahrheitsgehalt hatte, darf aber zumindest angezweifelt werden. Kaum bekannt ist nämlich, daß die ame­ rikanischen Meinungsforscher Ken Ballen vom >Center for Public Opinion< und Patrick Doherty von der >New America Fondation< vor der Wahl im Iran Umfra­ gen gestartet hatten und deren Ergebnisse in der Washington Post vom 15. Juni 2009 veröffentlichten. Diese lauteten: »Viele Experten behaupten, die Höhe des Sieges des amtierenden Präsidenten Mahmoud Ahmadinedschad sei das Ergebnis von Betrug

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oder Manipulation, aber unsere landesweite Meinungsumfrage unter den Iranern drei Wochen vor der Wahl zeigte, daß Ahmadinejad in einem Verhältnis von mehr als 2 zu 1 in Führung lag - klarer noch als die tatsächliche Höhe seines Sieges in den Wahlen. Während westliche Nachrichtenberichte aus Teheran in den Tagen vor der Wahl eine für Ahmadinejad Hauptopponenten, Mir-Hossein Moussavi, enthusiasti­ sche iranische Öffentlichkeit zeichneten, zeigten unsere wissenschaftlichen Stichpro­ ben, die wir in allen 30 Provinzen Irans nahmen, daß Ahmadinejad klar vorne lag.«4613 Außerdem spricht einiges dafür, daß die Kampagne des Ahmadinejad-Geg­ ners Mir-Hussein Mussawi im wesentlichen durch geheime US-amerikanische Hil­ fe gefördert wurde. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, daß Mussawi über Kontakte zur neokonservativen US-Machtelite verfügt. »Zumindest ist Mussawi seit Mitte der achtziger Jahre gut Freund mit dem radikalen US-Neokonservativen Mi­ chael Ledeen. 2001 hatte Ledeen die >Koalition für Demokratie im Iran< (CDI) ge­ gründet, um mit Ex-CIA-Direktor Woolsey auf einen >Regimewechsel< in Teheran hinzuarbeiten. Mussawi und Ledeen kennen sich seit der Iran-Contra-Affäre; beider Freund ist der frühere iranische Waffenhändler Manuchehr Ghorbanifar, Schlüs­ selfigur jener Affäre sowie Agent diverser Geheimdienste.«4614 Darüber hinaus schien Mussawi auch Unterstützung jener US-amerikanischer Einrichtungen erfahren zu haben, die die Regimewechsel in Georgien und der Ukraine hinter den Kulissen mitgestaltet hatten. »Das National Endowment for Democracy«, so der neokonser­ vative Publizist Kenneth Timmerman, »hat Millionen von Dollar ausgegeben, um >farbige< Revolutionen voranzutreiben... Ein Teil dieses Geldes scheint seinen Weg in die Hände der Pro-Mussawi-Gruppen gefunden zu haben, die Verbindungen zu Nicht-Regierungsorganisationen außerhalb des Iran haben, welche das National Endowment for Democracy finanziert.«4615 Auch erhielt die iranische Protestbewegung logistische Unterstützung aus den USA, wie der Nachrichtendienst Spiegel online am 17. Juni 2009 enthüllte: »Seit Be­ ginn der Proteste sind der von den USA finanzierte Sender Voice of America und der britische persischsprachige BBC-Kanal Hauptinformationsquelle vieler Iraner. Die vornehmlich aus den USA operierenden Online-Netzwerke Facebook und Twitter sind von immenser Bedeutung für den Protest. Die US-Regierung weiß um den Wert dieser Instrumente. Am 15. Juni (2009) erhielt Twitter-Gründer Jack Dor­ sey eine offizielle E-Mail aus dem Außenministerium. Darin seien die Twitter-Ma­ cher dazu aufgefordert worden, Wartungsarbeiten am System zu verschieben. Die Abschaltung von Twitter in Iran solle verh indert werden. Die New Yo rk Times sprach von einem Meilenstein in der Mediengeschichte. Die US-Regierung habe damit anerkannt, d aß ein Blog-Service, der no ch k eine v ier Jahre alt sei, d as Potential habe, in einem islamischen Land mit uralter Kultur den Kurs der Geschichte zu ändern.«4616 In diesem Zusammenhang hatte die venezolanische Rechtsanwältin Eva Golin­ ger enthüllt, daß das US-State Department seit geraumer Zeit mit der CIA über Technologien wie Facebook, Twitter und Blog-Services Strategien und Netzwerke

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entwickelt, die als Grundlage für etwaige Regimewechsel in wichtigen Ländern dienen sollen. »Die Schöpfer der erfolgreichen >High-techJundallahJundallahteils Drogenschmuggler, teils Taliban und teils Sunni-Aktivist sei. Er sei der US-Administration durchaus bekannt; vor allem beim Aufspüren von Al-Quaida-Mitgliedern in Pakistan habe der US-Geheimdienst die Unterstützung der Dschundallah in Anspruch genom­ men. Die CIA bestätigte diese Kooperation, obwohl bekannt war, daß Rigi >eine Truppe von mehreren hundert Guerillakämpfern [kommandiert], die grenzüber­

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greifende Angriffe in den Iran, auf iranische Militäroffiziere und Angehörige des Geheimdienstes ausführt, sie kidnappt und vor laufender Kamera hinrichtetIslamische Republik< operie­ renden Terrorgruppen«.4623 Viel spricht dafür, daß es den USA mit einem angezettelten Machtwechsel im Iran darum geht, die von Rußland ins Leben gerufene eurasische Energiestrategie zu durchkreuzen. Wie bereits dargestellt, ist der Iran ein wichtiger Partner für Moskaus Plan, eine eurasische >Gas-Opec< zu schaffen, deren Grundlagen bereits im Dezember 2008 gelegt wurden. Darüber hinaus hatte der Iran 2006 den Beob­ achterstatus in der SCO erhalten, so daß sich allmählich eine sicherheits- und ener­ giepolitische Integration Eurasiens unter Führung Rußlands, Chinas und des Iran abzuzeichnen beginnt. »Mit Iran verbindet Rußland das Interesse, Amerika und die Nato so weit wie möglich von der kaspischen Region fernzuhalten, ebenso Be­ mühungen, nach dem Vorbild der Ölstaaten ein Bündnis der Erdgasproduzenten (>Gas-OpecNabuccoNabuccoNabuccoNabucco< galt, scheint sich wieder energiepolitisch an Rußland auszurichten. Ende Juni 2009 vereinbarten Aserbaidschans Präsident Alijew und sein russischer Amtskollege Medwedjew, daß Aserbaidschan ab 2010 wieder Erdgas nach Rußland liefert. Gazprom konnte sich hier das Vorkaufsrecht für den Ausbau des Schah-Deniz-Feldes im Kaspischen Meer sichern. Der Irak ist aufgrund von dauernden Anschlägen auf die Energieinfra­ struktur ein sehr unsicheres Terrain; überdies ist die Verteilung der Einnahmen aus dem Öl- und Gasgeschäft noch immer nicht gesetzlich geregelt.4627 Ein unsicherer Kandidat ist ebenfalls Turkmenistan, das zwischen Moskau und dem Westen schwankt. Kasachstan und Turkmenistan, denen Brüssel urspünglich die tragende Rolle als Gaslieferant zuweisen wollte, hatten schon zu Anfang des neuen Jahrhunderts nahezu die gesamte Förderung der damals erschlossenen Gas­ felder in Verträgen mit bis zu 25 Jahren Laufzeit an Gazprom verkauft. Anfang 2009 gelang es Gazprom überdies, die gesamte Jahresförderung Usbekistans zu er­ werben, um damit eine Pipeline zu befüllen, welche am Ostufer des Kaspischen Meeres entlang nach Rußland führt.4628 Daher spricht einiges dafür, daß mit einem angezettelten Machtwechsel im Tehe­ ran der Iran aus der russischen Energiestrategie herausgelöst und statt dessen in einen sicheren Gaslieferaten für den Ost-West-Gaskorridor verwandelt werden soll. Mit diesem Korridor, so EU-Kommissionspräsident Barroso, soll »ein neues, enges Band zwischen Europa, der Türkei, dem Kaspischen Raum und Zentralasien« ge­ knüpft werden - dessen tieferer Sinn die Liquidierung der russisch-eurasischen Energieintegrationspläne ist. Inwieweit es Rußland in Zusammenarbeit mit dem italienischen Energiekonzern ENI gelingt, mit dem >South StreamNabuc­ co< zu unterlaufen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls zögerte Rußland nicht lange mit einer Reaktion auf das >NabuccoNabuccoSouth StreamSouth StreamBlue Stream< nach Syrien, Libanon, Israel und Zypern verlän­ gert werden. Zu den in Ankara unterzeichneten Energieabkommen gehörte darüber hinaus eine Vereinbarung über den Bau einer Ölpipeline vom türkischen Schwarz­ meerhafen Samsun zum Mittelmeerhafen Ceyhan, an der Rußland beteiligt wer­ den soll. Damit wird erkennbar, daß die Türkei sowohl für die transatlantischen Mächte als auch für Rußland zu einem entscheidenden Drehkreuz im energiegeopolitischen Schachspiel in Eurasien geworden ist. Sowohl >Nabucco< als auch >South Stream< »unterstreichen die wachsende Bedeutung der Türkei als Energie-Drehscheibe. Für Rußlands Energie-Exporte wird die Türkei als Transitland auch deshalb immer wichtiger, weil die neue bulgarische Regierung gerade angekündigt hat, alle von ihrer pro-russischen Vorgängerin unterzeichneten Energieabkommen zu überprü­ fen und gegebenenfalls zu stornieren. Das könnte auch den Ausstieg Bulgariens aus >South Stream< bedeuten und Rußland zwingen, die Route der Pipeline zu än­ dern. Eine Alternative wäre, die Leitung über die Türkei nach Westen zu führen«.4629 Mit diesen Abkommen erlangte Rußland zwei Vorteile im Energiepoker: Mit der Zustimmung Ankaras zum Bau der South Stream-Pipeline durch türkische Hoheitsgewässer des Schwarzen Meeres kann Moskau nunmehr seine Erdgasex­ porte unabhängig von den Plänen der unberechenbaren Regierung der Ukraine planen. Überdies verschafft sich Moskau »einen großen Vorteil gegenüber der von der Europäischen Union geförderten >NabuccoSouth Stream< zuvorzukommen und dem transatlantisch-eu­ ropäischen Pipelinevorhaben die wirtschaftliche Grundlage zu entziehen.4632 Letzt­ lich wollte Rußland - so auch die Frankfurter Allgemeine Zeitung - auf diese Weise den mit der Verwirklichung von >Nabucco< drohenden Bedeutungsverlust Mos­ kaus im eurasischen Energiepoker verhindern.4633 Energiegeopolitische Hintergründe stehen auch hinter den Uiguren-Unruhen in der westchinesischen Provinz Xinijang - eine Region, die »von höchster strategi­ scher Bedeutung für Chinas künftige Zusammenarbeit mit Rußland, Kasachstan

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und anderen zentralasiatischen Mitgliedsstaaten der Shanghai Cooperation Orga­ nization in den Bereichen Wirtschaft und Energie« ist.4634 Die Provinz Xinijang ist die Drehscheibe von chinesisch-kasachischen Pipelineprojekten, mit denen Erdöl vom kasachischen Ölfeld Kashagan am Nordufer des Kaspischen Meeres - dem größten Erdölfeld außerhalb des Mittleren Ostens - bis nach China befördert wer­ den soll. Chinas Erdölkonzern CNPC ist nach Angaben F. William Engdahls auch an anderen gemeinsamen Energie-Großprojekten mit Kasachstan beteiligt: »Sie alle verlaufen über das Gebiet der Region X inijang«,4635 wie beis pielsweise eine Gas pipe­ line von Turkmenistan über U sbekistan und Kasachstan nach Horgos in der chinesi­ schen Provinz Xinijang, die in einem Abkommen von 2007 beschlossen wurde. Im April 2009 befand sich der kasachische Staatschef Nasarbajew zu einem Staatsbesuch in Peking, der die Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit vor allem im En­ ergiebereich zum Gegenstand hatte.4636 Überdies hatte China Kasachstan jüngst ei­ nen Kredit zum Ausbau seines Erdöl- und Erdgassektors zur Verfügung gestellt. Ein derartiger energiepolitischer Zusammenschluß Eurasiens von Rußland über die zentralasiatischen Länder nach China ist - so F. William Engdahl - ein »geopo­ litischer Alptraum der USA«, und eine Instabilität in den chinesischen Randpro­ vinzen, die als Brücke Chinas zu seinen energiepolitischen Partnern wirken, »wäre für Washington ein idealer Weg, diesen wachsenden Zusammenhalt der Mitglieds­ staaten der Shanghai Cooperation Organization zu schwächen«.4637 Wie Engdahl enthüllt, spielte bei den Unruhen in der Xinijang-Provinz die in Washington ansäs­ sige Vereinigung Uyghur American Association wie auch der World Uyghur Con­ gress (WUC) unter Leitung von Rebiya Kadeer eine wichtige Rolle. Letzterer wird in den Vereinigten Staaten durch das >National Endowment for Democracy< (NED) und folglich indirekt von der US-Regierung unterstützt.4638 Wie schon ausgeführt, hatte Allen Weinstein, einer der Mitbegründer des National Endowment für De­ mocracy, über die Funktion dieser Organisation gesagt: »Vieles von dem, was wir heute tun, hat vor 25 Jahren heimlich die CIA erledigt.« Noch im Jahr 2008 hatte die NED zusammen mit dem WUC in Berlin ein Seminar zur »Führungsausbildung« veranstaltet, dessen genaue Inhalte aber unbekannt geblieben sind.4639 Daher spricht nicht wenig dafür, daß bei der logistischen Unterstützung der Uiguren-Unruhen im Sommer 2009 die USA eine nicht unerhebliche Rolle spielten. Insgesamt wird damit erkennbar, daß die USA auch unter Obama ihre Macht­ projektion in Eurasien verstärkt fortsetzen werden. Schien es sich noch kürzlich so darzustellen, daß die USA ihre Stützpunkte in Zentralasien verloren hatten, so war in der zweiten Hälfte des Jahres 2009 eine Rückkehr der USA in der zentralasiati­ schen Region zu verzeichnen. Von Februar bis Juli 2009 betrieben die USA eine aktive >PendeldiplomatieFull Spectrum Dominance< die Hauptbedrohung für Rußland. »Ameri­ ka habe nach weltweiter Vorherrschaft gestrebt; die militärische Präsenz der Ame­ rikaner und ihrer Bündnispartner von der Nato in der Nähe Rußlands sei ausgeweitet worden«, so der russische Verteidigungsminister Anatolij Serdjukow. »Amerika habe an die Ressourcen in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion heran­ kommen wollen und aktiv Entwicklungen unterstützt, Rußland aus dem Gebiet zu verdrängen. Der Überfall Georgiens auf Südossetien... habe darauf gezielt, den gesamten Kaukasus zu destabilisieren.«4642 Auf den Umstand, daß die NATO dar­ an festhalte, ihre militärische Infrastruktur in die Nähe der russischen Grenzen vorzuverlegen, müsse Rußland, so Staatspräsident Medwedjew, mit einer umfas­ senden Modernisierung seiner Streitkräfte reagieren. Insgesamt deutete Ende des Jahres 2009 einiges darauf hin, daß sich die Kon­ frontation zwischen der Russischen Föderation und der transatlantischen Organi­ sation sowohl in Osteuropa als auch in Zentralasien fortsetzte. So erfolgte Mitte November 2009 - gewissermaßen als Ersatz für die bislang gescheiterten amerika­ nischen Bemühungen um eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine - die Gründung einer gemeinsamen litauisch-polnisch-ukrainischen Brigade (LitPolUrkBrig). Die Besonderheit der Gründung dieser Brigade liegt darin, daß zwei NATO-Partner einem Nicht-NATO-Mitglied ihre NATO-Militärstrukturen zur Verfügung stellen, und nach Auffassung verschiedener Beobachter geht es hierbei darum, die militä­ rische Zusammenarbeit auf der operativen Ebene zu intensivieren und den ukrai­ nischen Streitkräften die Möglichkeit zu eröffnen, die Einfügung in die taktischen und logistischen Strukturen der NATO vorzubereiten4643 - ohne Umweg über den >Membership Action PlanEagle Guardian< trotz entgegenstehender Absprachen mit Rußland einen für Polen bestehenden militärischen Verteidigungsplan auch auf das Baltikum ausgedehnt hatte - obgleich die Obama-Administration wie auch der NATO-Generalsekretär Rasmussen noch auf dem NATO-Gipfel in Lissabon im November 2010 offiziell erklärt hatten, daß Rußland und die NATO füreinander keine Bedrohung seien. »Aus Drahtberichten der amerikanischen NATO-Vertre­ tung... geht hervor, daß die Allianz im Januar (2010) die Ausarbeitung eines Ver­ teidigungsplans zum Schutz des Baltikums vor einem möglichen russischen An­ griff gebilligt hat. Das hatte das Bündnis jahrelang vermieden, um seine Zusammenarbeit mit Moskau nicht zu belasten.«4645 Nach Mitteilungen amerikani­ scher Beamter des Pentagon besitzt der Plan unter dem Namen >Eagle Guardian< Gültigkeit. Dieser sieht vor, daß neun NATO-Divisionen - amerikanische, briti­ sche, deutsche und polnische - im Fall des Falles den Balten zu Hilfe eilen würden. Polnische und deutsche Häfen stünden dabei bereit für Kriegsschiffe aus Großbri­ tannien und den USA.4646 Aus den aufgedeckten Geheimdokumenten geht hervor, daß die NATO gegenüber Rußland ein doppelzüngiges Spiel spielt. Der Plan sollte streng geheim bleiben, denn »eine öffentliche Diskussion würde vermutlich zu ei­ nem unnötigen Anstieg der Spannungen mit Rußland führen, etwas, das wir ver­ meiden sollten«.4647 Den gut belegten Angaben aus US-Quellen zufolge wurde der Plan im Januar 2010 konkretisiert und vom NATO-Gipfel im November 2010 in Lissabon gebilligt. Auch der russische Präsident Medwedjew war aus Moskau zum NATO-Rußland-Gipfel nach Lissabon gereist, ohne aber etwas von den Geheim­ plänen auch nur zu ahnen. Aber auch Zentralasien bleibt, wie oben beschrieben, als Konfrontationslinie zwischen den transatlantischen und eurasischen Machtblöcken bestehen. Rußland und die USA werden auf absehbare Zeit ihre geostrategische Konkurrenz in die­ sem Raum fortsetzen. Kurzfristig erlangte geopolitische Vorteile, die Moskau mit dem Hinauswurf der Amerikaner aus Usbekistan im Jahre 2005 und aus Kirgistan im Februar 2009 erwirkt hatte, wurden mit einer Rückkehr Washingtons in der Region in der zweiten Jahreshälfte 2009 wieder gegenstandslos. »Der von Rußland und China vor einigen Jahren gemeinsam entfachte Druck auf die zentralasiati­ schen Staaten, den Abzug der Amerikaner aus Stützpunkten in der Region zu ver­ langen, gehört jedoch der Vergangenheit an«, so die Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.4648 Damit ist aber kein Rückzug Moskaus verbunden; Kirgi­ stan und insbesondere Tadschikistan suchen weiterhin die militärische Zusammen­ arbeit auch mit Rußland, und es ist insbesondere die Bedrohung der zentralasiati­

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schen Staaten durch i slamistische Kräfte (im Mai und Juli 2009 lieferten sich tadschi­ kische Regierungstruppen Feuergefechte mit islamistischen Gruppen), die diese Staa­ ten veranlassen, die militärische Zusammenarbeit mit Moskau zu suchen. Längst ist schließlich sowohl Rußland als auch den zentralasiatischen Republiken bekannt, daß Afghanistan Ausgangspunkt aller Destabilisierungen des zentralasiatischen Herzlandes - nicht zuletzt auch der Russischen Föderation selbst - ist, und das nutzt Rußland zu einer verstärkten militärischen Rückkehr in der Region aus: »Falls das zentralasiatische Pulverfaß explodiert, wäre Kirgistan den Gefahren allein si­ cherlich nicht gewachsen, und die militärische Anlehnung an Rußland wird ebendamit begründet. Rußland ist dabei, im Schatten und im Vorfeld Afghanistans wie­ der zur militärischen Ordnungsmacht in der Region zu werden.«4649 Faßt man die bisherigen Punkte der Eurasien-Politik der Obama-Administration zusammen, so ergab sich Ende 2009 folgendes Bild: 1. Durch die Verstärkung des militärischen Engagements in Afghanistan im Rahmen der >AfPakGreater Central Asia Partnership< verwirklicht werden mit dem Ziel, Zentralasien mit Afghanistan, Pakistan unter Einschluß Indiens zu einem Block zusammenzu­ fassen und Rußlands Einfluß in der Region zu beseitigen. 2. Die Verwirklichung der >NabuccoFull Spectrum Dominance< im konventionellen Bereich erhöhen, ohne daß Rußland imstande wäre, mit seinem Atomwaffenarsenal - zu dessen Abbau es verpflichtet werden soll - ein Gegengewicht zu bilden. Das von der Oba­ ma-Administration vorgelegte modifizierte Raketenabwehrprogramm ist dabei nach der hier vertretenen Ansicht lediglich als eine zeitliche Verzögerungstaktik zu wer­ ten, ohne daß das langfristige eigentliche Ziel - die Beseitigung der Zweitschlags­ kapazität Rußlands und Chinas - dabei aus den Augen verloren werden soll. So sieht Michel Chossudovsky in dieser Vorgehensweise den Sinn, den Raketenabwehr­ schild nun auf globaler Ebene in verschiedenen Regionen der Welt zu entwickeln.4650 4. Mit der Idee des >Bundes der Demokraten< soll die NATO zu einem globalen Bündnis ausgebaut werden, mit dem die USA über die europäischen Bündnispart­ ner sowie gewisse >Contact States< des transatlantischen Bündnisses eine Lasten­ verteilung erreichen wollen, um deren Ressourcen in die US-amerikanische Glo­ balstrategie einzuspannen. Dem >Bund der Demokraten< soll gleichzeitig die Aufgabe zukommen, die als >autoritär< diffamierten Schlüsselstaaten Eurasiens Ruß­ land, China, Iran und deren Verbündete einzukreisen oder Regimewechsel in Eu­ rasien zu fördern. Begleitet werden soll dies von einer ideologischen Offensive, um mißliebige Regime in Eurasien zu stürzen und russische Bündnis- und Integrations­

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Systeme (SCO, Eurasische Wirtschaftsgemeinschaft, Sicherheitsorganisation von Taschkent) aufzubrechen. 5. Die Konfrontation des transatlantischen und des eurasischen Blocks findet in Zentralasien und in Osteuropa seine Fortsetzung. Auf subtile Weise wird eine As­ soziation ehemaliger Sowjetrepubliken mit der NATO angestrebt, und in Zentral­ asien wurden kurzfristig erlangte geopolitische Vorteile Rußlands durch eine Rück­ kehr der Amerikaner und die Fortsetzung des Stützpunktsystems wieder annulliert.

5 Frühjahr 2010: Rußland gelingt die Verbesserung seiner geopolitischen Position in Zentralasien, Ostmitteleuropa und der Schwarzmeerregion Im Frühjahr 2010 gelang es Moskau allerdings, seine geopolitische Position sowohl in Zentralasien als auch in Ostmitteleuropa und der Schwarzmeerregion entschei­ dend zu verbessern. Dies hing zusammen mit den Entwicklungen in der Ukraine wie auch in Kirgistan - wie oben beschrieben, geopolitische Schlüsselstaaten, in denen Machtkämpfe nicht ohne Auswirkung auf die Lage Rußlands in der eurasi­ schen Landmasse bleiben.

5.1 Das Ende der >orangenen< Revolution - Kiews neuer Präsident Janukowitsch stoppt den antirussischen Kurs der Ukraine Entscheidend wurde mit dem Machtwechsel in Kiew zu Beginn des Jahres 2010 die Eurasienstrategie Washingtons torpediert, in deren Konzeption, wie oben darge­ stellt, der Ukraine ja eine Schlüsselrolle zukommt. Im Rahmen der Präsidentschafts­ wahl mußte Viktor Juschtschenko - der Wunschkandidat der USA, der die Einbin­ dung der Ukraine in die NATO und in die Europäische Union zum Kernbestandteil seiner Außenpolitik gemacht hatte - »nach Jahren von Kurswechseln, Günstlings­ wirtschaft und Privatfehden«4651 eine Niederlage einstecken. »Das Endergebnis der Wahl in der Ukraine Anfang 2010 zeigt, daß die Wähler Juschtschenko, den >Hel­ den< der Orangenen Revolution, mit überwältigender Mehrheit ablehnen: er er­ hielt kaum fünf Prozent der abgegebenen Stimmen. Nach fünf Jahren des wirtschaft­ lichen und politischen Chaos wünschen sich die Menschen in der Ukraine offensichtlich zumindest etwas Stabilität: Meinungsumfragen in der Ukraine haben ergeben, daß die Mehrheit den Beitritt zur NATO ablehnt.«4652 Damit war das Ende von >Orange< eingeleitet - mit allen geopolitischen Konse­ quenzen: »Zusammen mit Georgiens Präsident Michail Saakaschwili war er (J usch­ tschenko, der Verf.) zur Symbolfigur für Rußlands Machteinbußen im Ausland geworden; sie waren die Gladiatoren jenes kurzen Völkerfrühlings, der einen >re­ gime change< bedeuten konnte: die Verwandlung einer moskautreuen Autokratie in eine westorientierte Demokratie. Für den Kreml waren sie ein Albtraum.«4653 Doch nunmehr ist - so die Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - Juschtschen­ kos Vision, die Ukraine schnell in die NATO einzubinden, vorerst gescheitert.4654

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Wahlsieger war statt dessen der aus der Ostukraine stammende Viktor Januko­ der von den führenden Oligarchen der Schwerindustrie aus dem Ostteil des Landes unterstützt wurde. Damit aber sollte sich einstweilen auch der bedin­ gungslose Proatlantismus der ukrainischen Außenpolitik erledigt haben. »Janu­ kowitschs Ton ist antiwestlich«, urteilt in diesem Zusammenhang die Frankfurter Allgemeine Zeitung.4655 Er beabsichtigt eine Verstärkung der sicherheits- und vor allem wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit mit Rußland. So strebt er den Bei­ tritt der Ukraine zu dem von Moskau angeregten >Einheitlichen Wirtschaftsraum< an. Schwerwiegender aber sind die energiepolitischen Ziele des neuen Präsiden­ ten: »Auch dem wichtigsten Kooperationsprojekt der Regierung Timoschenko mit der EU, dem Plan, die maroden ukrainischen Transitleitungen für russisches Erd­ gas gemeinsam zu sanieren, steht Janukowitsch skeptisch gegenüber. Im Umfeld seiner Partei heißt es, er wolle hier Rußland als Dritten ins Boot holen. Dies ist keine Kleinigkeit. Seit Jahren greift Putin nach den ukrainischen Gasröhren, und die ge­ genseitigen bilateralen Pläne Kiews und Brüssels sind ihm ein Dorn im Auge.«4656 In Interviews mit ukrainischen Medien unterstrich Janukowitsch mehrfach, er be­ absichtige nicht, die Ukraine in die EU oder die NATO zu führen.4657 In den westlichen Medien ist Janukowitsch mehrfach unterstellt worden, er sei eine Marionette Moskaus. Dieser Einschätzung dürfte allerdings fehlgehen. So führte beispielswiese die Frankfurter Allgemeine Zeitung einschränkend aus, daß Januko­ witsch »nicht durch und durch antiwestlich« sei,4658 und im Vorfeld des Präsident­ schaftswahlkampfes schilderte die Süddeutsche Zeitung: »Selbst wenn ausgerechnet Janukowitsch, Rußlands Mann in der orangefarbenen Revolution, mit fünf Jahren Verspätung Präsident würde, wäre dies kein Erfolg russischer Außenpolitik. Es wäre - sollte es nicht zu drastischen Wahlfälschungen kommen - Ausdruck der ukrainischen Demokratie, wenn auch ein schwer verdaulicher.«4659 Vor diesem Hin­ tergrund sei auch der Janukowitsch-Gegner J uschtschenko »kein Opfer des Kreml. Er hat die Erwartungen seines Volkes nicht gerechtfertigt, nicht politisch, nicht wirtschaftlich. «4660 Überdies hat Janukowitsch Rücksicht zu nehmen auf die schwerindustriellen Oligarchen der Ostukraine, die ihn finanzieren und die ihre Fabriken und Banken nicht von russischen Konzernen schlucken lassen wollen. Diese Oligarchen wie­ derum sehen in einer verstärkten Kooperation mit der EU ein entscheidendes Ge­ gengewicht gegen russische Wirtschaftsbestrebungen.4661 Nach Einschätzung des Energie-Experten F. William Engdahl ist deshalb eher von einer Neutralisierung der Ukraine auszugehen. Janukowitsch selbst erklärte, daß er die Ukraine weniger als Teil des Westens denn als »Brücke« begreife - als ein Land, das gleiche Distanz gegenüber Moskau wie auch gegenüber Brüssel wah­ re.4662 Janukowitsch, so die Tageszeitung Die Welt zusammenfassend, »ist eindeutig und klar gegen einen Nato-Beitritt seines Landes, für eine Annäherung an die EU, für eine intensive Zusammenarbeit mit Rußland«.4663 Deutlich wurde diese neue witsch,

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multivektorale Außenpolitik Kiews auch daran, daß Janukowitsch seinen ersten Staatsbesuch in Brüssel vornahm und erst dann nach Moskau reiste. Das endgültige Aus von >Orange< erfolgte dann am 3. März 2010, als das ukrai­ nische Parlament der Regierung Julia Timoschenko, die mit allen Mitteln - nicht zuletzt mit dem Vorwurf der Wahlfälschung - J anukowitsch zu blockieren versuchte, das Mißtrauen aussprach. Damit, so F. William Engdahl, wurde der Orangenen Revolution engültig der Todesstoß versetzt. Neuer Regierungschef wurde der rus­ sischstämmige Mikola Asarow, der den multilateralen außenpolitischen Kurs Ja­ nukowitschs stützt: »Asarow trat bislang zwar für eine enge wirtschaftliche Zu­ sammenarbeit mit den russischen Nachbarn ein. Er hat aber, wie auch J anukowitsch, stets Moskauer Versuche abgewehrt, die Gaspipelines unter Kontrolle zu nehmen. Auch bei der Privatisierung der Schwerindustrie kamen in seiner früheren Amts­ zeit als Minister keineswegs russische Konzerne zum Zuge. Vielmehr wurden die eigenen Oligarchen bedacht, die auf enge Wirtschaftskontakte zu den Ländern der EU setzen.«4664 Im Kabinett der jetzigen Regierung nehmen Politiker Schlüsselstel­ lungen ein, die bereits vor der orangenen Revolution unter dem seinerzeitigen Prä­ sidenten Leonid Kutschma zur ersten Riege gehört hatten. »Somit«, so die Süddeut­ sche Zeitung, »hat Janukowitsch die orangenen Kräfte gänzlich ausgegrenzt.«4665 In Rußland selbst wurde der Wahlsieg Janukowitschs mit Erleicherung wahrge­ nommen. Der russische Botschafter Michail Surabow sagte nach der Wahl, er sei überzeugt, daß sich die russisch-ukrainische Zusammenarbeit nun rasch normali­ sieren werde.4666 Gleichwohl ist man sich aber auch im Kreml der Tatsache bewußt, daß Januko­ witsch sich keiner bedingungslosen prorussischen Politik unterwerfen wird. Den­ noch, so F. William Engdahl, kann Rußland aufgrund dieses Machtwechsels von einer Verbesserung seiner geopolitischen Stellung ausgehen: »Wenn man davon ausgeht, daß Janukowytsch jetzt in der Lage ist, das Land nach der Niederlage der Regierung Tymoschenko wie angekündigt zu stabilisieren, dann bedeutet das für Moskau eine deutliche Verschiebung der tektonischen Platten des Eurasischen Herzlands, selbst bei einer strikt neutralen Ukraine. Zunächst ist die strategische militärische Einkreisung Rußlands - über die versuchte Rekrutierung Georgiens und der Ukraine in die NATO - eindeutig blockiert und damit vom Tisch. Der russische Zugang zum Schwarzen Meer über die ukrainische Krim scheint eben­ falls gesichert. Tatsächlich bedeutet die Neutralisierung der Ukraine einen gewal­ tigen Rückschlag für Washingtons Strategie der völligen Einkreisung Rußlands. Der Bogen von aktuellen oder künftigen NATO-Mitgliedsländern an der Periphe­ rie Rußlands und dem noch immer engen Verbündeten Belarus - von Polen bis zur Ukraine und nach Georgien - ist durchbrochen.«4667 Diese Einschätzung sollte sich auch alsbald konkretisieren. Am 21. April 2010 hatte Janukowitsch mit Rußlands Präsidenten Medwedjew in Charkow eine schnell ausgehandelte Vereinbarung unterzeichnet, die den Interessen beider Länder för­

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derlich sein dürfte, insbesondere aber den strategischen Interessen Rußlands er­ hebliche Verbesserungen einbrachte: Demzufolge erhält Kiew künftig einen Preis­ nachlaß von 30 Prozent auf russische Erdgaslieferungen. Im Gegenzug erlaubt die Ukraine der russischen Schwarzmeerflotte, den ukrainischen Hafen Sewastopol auf der Halbinsel Krim bis mindestens 2042 zu nutzen. »Rußland stärkt seinen Einfluß in der Ukraine«, so beurteilt die Neue Zürcher Zeitung den geopolitischen Wert die­ ser Vereinbarung für Moskau.4668 Unter den Machthabern der Orangenen Revoluti­ on bestand schließlich noch Einigkeit darüber, daß der russisch-ukrainische Miet­ vertrag für die russische Schwarzmeerflotte aus dem Jahre 1997 über das Jahr 2017 nicht verlängert werden sollte. »Für Moskau ist die Verlängerung des Pachtver­ trags auf der Krim von großer Bedeutung«, so die Süddeutsche Zeitung. »So sichert es sich langfristig politischen Einfluß im Nachbarland, zugleich entfällt der Druck, einen alternativen Stützpunkt in Rußland aufzubauen.«4669 Die bisher eher zu Lasten Moskaus gehende geostrategische Entwicklung im Schwarzmeerraum konnte damit umgekehrt werden. So mußte Rußland bislang befürchten, vollständig aus dem Raum des Schwarzen Meeres verdrängt zu wer­ den: »Wenn die russische Schwarzmeerflotte von dort (der Krim, der Verf.) abzie­ hen müsse und an ihre Stelle womöglich Nato-Verbände träten, werde dadurch das strategische Gleichgewicht im ganzen Schwarzmeerraum zu Lasten Rußlands verändert. Zumal wenn auch noch Georgien in die Nato aufgenommen würde, wäre Rußland als größter Anrainer dann militärisch faktisch nicht mehr im Schwarzen Meer präsent, so die Argumentation Moskaus.«4670 Seit dem Georgienkrieg aber konnte Rußland seine geostrategische Stellung am Schwarzen Meer langsam ver­ bessern. Mit dem von Moskau praktisch abhängigen Abchasien hatte es seinerzeit etwa 140 Kilometer Küstenlinie und drei Häfen hinzugewonnen. Deshalb ist Ruß­ lands politische und militärische Stellung am Schwarzen Meer in den vergangenen eineinhalb Jahren ohnehin stärker geworden. Mit Hilfe des Vertrags von Charkow konnte es diesen Gewinn jetzt abrunden und sichern,4671 verbunden mit größeren Einwirkungsmöglichkeiten auf das politische Geschehen in der Ukraine: »Zu dem unmittelbaren militärischen Nutzen kommt nämlich noch ein politischer hinzu: Rußland zementiert die energiepolitische Abhängigkeit der Ukraine von russischem Gas und behält durch seine Präsenz auf der Krim einen Hebel, mit dem es auf die ukraninische Innenpolitik einwirken kann.«4672 Das aber bedeutet überdies, daß die USA eine Schlüsselstellung im ostmitteleu­ ropäischen und im Schwarzmeerraum verloren haben. Rußland hatte den von Washington sorgsam gelegten Einkreisungsring von der Ostsee über Polen, die Ukraine, das Schwarzmeerbecken, den Transkaukasus bis nach Zentralasien an ei­ ner entscheidenden Stelle durchbrochen. Gleichzeitig eröffnete sich für Rußland die Möglichkeit zur Vervollkommnung seiner Energiegeopolitik. Die vertragliche Annäherung zwischen Moskau und Kiew könnte Rußland künftig zum Anlaß neh­ men, um eine russisch-ukrainische Zusammenarbeit im Erdgasbereich zu verstär­

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ken. Gazprom würde es gegebenenfalls ermöglicht, im Rahmen eines multivekto­ ralen Abkommens zwischen Moskau, Kiew und eventuell auch der Europäischen Union zur Sanierung des ukrainischen Rohrleitungssystems die ukrainischen Pipe­ lines zu übernehmen. Inwieweit sich solche Pläne verwirklichen lassen, ist allerdings fraglich. Die Op­ position im Kiewer Parlament kritisierte den Vertrag von Charkow stark mit den Worten, Janukowitsch habe mit diesem einen großen Teil der ukrainischen Souve­ ränität preisgegeben. Deshalb dürften sich auch P utins Pläne bis auf weiteres schwer­ lich verwirklichen lassen, die darauf hinauslaufen, den ukrainischen Energiekon­ zern Naftogaz mit dem russischen Monopolisten Gazprom zu verschmelzen oder die Auto- und Luftfahrtindustrien beider Länder zusammenzuführen. Seitens des ukrainischen Premierministers Asarow ist in Reaktion auf die Vorschläge Putins deutlich gemacht worden, seine Regierung lege zwar größten Wert auf gute Bezie­ hungen zwischen Kiew und Moskau, die Zusammenarbeit kenne aber auch Gren­ zen.4673 Trotz dieser Fragen und Auseinandersetzungen befindet sich Moskau in einer günstigen Stellung, um Einfluß auf das Geschehen in Kiew ausüben zu können und die Ukraine wieder in eine eurasische Wirtschaftkooperation nach russischer Initiative zu überführen. Tatsache ist, daß die Ukraine im Zuge der Weltfinanzkri­ se an den Rand des Staatsbankrotts getrieben wurde, und der vereinbarte Preis­ nachlaß bei den Gaslieferungen wird aller Voraussicht nach massive Einsparungen im Staatshaushalt Kiews ermöglichen. »Man möge mir eine andere Methode nen­ nen, auf einen Schlag 30 Milliarden Dollar einzusparen«, sagte Janukowitsch mit Blick auf die von Rußland gewährten Preisnachlässe bei den Erdgaslieferungen. Beobachtern zufolge hat das Gasabkommen die Verabschiedung eines ukrainischen Staatshaushaltes ermöglicht, der wiederum die Voraussetzung für die Gewährung weiterer Kredite des Internationalen Währungsfonds gewesen ist. Damit scheint der Machtwechsel in der Ukraine nach dem gegenwärtigen Stand der Dinge einst­ weilen zu einer tektonischen Machtverschiebung in Ostmitteleuropa zugunsten Rußlands zu führen. Sicherheitspolitisch läßt sich dies auf alle Fälle bejahen. Rußland-Experte Ale­ xander Rahr bezeichnet die Wahl Viktor Janukowtischs zum Präsidenten der Uk­ raine als eine Zäsur, denn »eine NATO-Mitgliedschaft ist damit vom Tisch«.4674 Gleichwohl geht auch R ahr davon aus, daß der Machtantritt Janukowtischs keines­ falls eine Abkehr vom Westen und eine Rückkehr nach Rußland, womöglich noch im Rahmen eines Unionsmodells, bedeutet. Vielmehr sei die außenpolitische Aus­ richtung Kiews durch die noch immer bestehende Gefahr eines Staatsbankrotts diktiert, die den Handlungsspielraum Janukowtischs erheblich einschränke. »Eige­ ne Geldmittel stehen der rohstoffarmen Ukraine kaum zur Verfügung. J anukowitsch muß auf Unterstützung von außen hoffen - auf Rußland und die EU. Er wird, so steht zu erwarten, eine Schaukelpolitik zwischen den beiden großen Nachbarn in

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Ost und West betreiben, die seit dem Zerfall der Sowjetunion typisch für die Ukrai­ ne geworden ist. Auf reine Wohltaten seiner >strategischen Partner< wie in den frü­ heren Jahren kann er nicht hoffen. Die EU und Rußland werden der Ukraine je­ weils Bedingungen für weitere Kredite diktieren.«4675 Von dieser Ausgangslage wird auch die künftige Energiegeopolitik Kiews be­ stimmt werden. Während Juschtschenko versuchte, hier Konflikte mit Rußland zu provozieren, um sich als »Opfer« eines vermeintlichen >russischen Neoimperialis­ mus< zu präsentieren und so letztlich den Westen für die Modernisierung des ma­ roden ukrainischen Pipelinenetzes zu gewinnen, hat Janukowitsch erkannt, daß die Renovierung des Gasleitungssystems ohne russische Hilfe illusorisch ist. Als Reak­ tion auf die von Juschtschenko seinerzeit provozierten >Erdgaskriege< begann Mos­ kau schließlich zielstrebig mit der Errichtung von Pipelinekorridoren, die das ukrai­ nische Territorium umgehen - die Vorbereitungen für die Verlegung von >North Steam< in der Ostsee und >South Stream< durch das Schwarze Meer stehen mittler­ weile vor dem Abschluß. Janukowitsch hingegen hatte erkannt, daß »diese beiden neuen Pipelines einen herben Schlag gegen die ukrainischen Transitinteressen be­ deuten und damit gegen eine der Haupteinnahmequellen der Ukraine«.4676 Deswe­ gen schlug er vor, das ukrainische Gasleitungssystem in ein trilaterales Gaskonsor­ tium zu überführen, an dem neben ukrainischen auch europäische und vor allem russische Konzerne zu je 30 Prozent beteiligt werden sollen. Insgesamt ist daher mit Alexander Rahr festzuhalten: »Janukowitsch benötigt die Unterstützung Rußlands bei der Lösung eigener, hausgemachter Wirtschafts­ probleme. Da sind russische Investoren in der Ukraine natürlich wieder willkom­ men. Kein Wunder, daß Janukowitsch sich bemüht, auf russische politische Emp­ findlichkeiten Rücksicht zu nehmen.«4677 Damit also fügt sich die neue ukrainische Ausrichtung im großen und ganzen durchaus in die russische Energiegeopolitik ein. Auch der Einkreisungsdruck an der westlichen Peripherie der Russischen Fö­ deration würde zugunsten Moskaus genommen, wenn Janukowitsch erklärt, er unterstütze den Gedanken einer >multipolaren Welt< und möchte Sicherheitsga­ rantien vom Westen und von Rußland gleichermaßen erhalten.

5.2 Brandherd Kirgistan - Eine >umgekehrte< Tulpenrevolution? Eine ähnliche Umgruppierung von Machtverhältnissen scheint sich ebenfalls in Zentralasien abzuzeichnen. Wie bereits beschrieben, war es den Amerikanern ja in der zweiten Jahreshälfte 2009 gelungen, die von Rußland Anfang dieses Jahres ge­ wonnenen strategischen Vorteile in Kirgistan wieder aufzuheben. Washington er­ reichte es, durch massives finanzielles Eingreifen Bischkek zur Rücknahme der Vereinbarung zwischen Moskau und Kirgistan vom Februar 2009 - russische Kre­ dite gegen Schließung des amerikanischen Luftwaffenstützpunktes Manas - zu bewegen. Einiges spricht dafür, daß die USA in der Folgezeit einiges daransetzten, daß die politische Macht in den Händen des Bakijew-Clans vereinigt blieb. Dabei

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förderten sie auch die korrupten Geschäfte des Bakijew-Clans, der mit Hilfe der USA im Rahmen der >Tulpenrevolution< im März 2005 zur Macht kam. »Lange schon war es ein offenes Geheimnis«, so eine Enthüllung der Jungen Welt, »daß die wichtigste finanzielle Quelle zur Bereicherung des Bakijew-Clans und seiner Pala­ dine in Armee, Justiz und Verwaltung das US-Verteidigungsministerium war. Nur bewiesen werden konnte es bisher nicht. Ungewollt hat nun der Kongreß in Wa­ shington Hilfestellung bei der Aufklärung geleistet. Der Ausschuß für Kontrolle und Regierungsreform ist nämlich bei der Prüfung des Pentagon auf zwei Liefer­ verträge von Treibstoff für die US-Luftwaffenbasis Manas von zwei >mysteriösen< kirgisischen Firmen gestoßen«.4678 Diese Verträge seien ohne die sonst übliche Aus­ schreibung an die beiden Firmen, hinter denen der Bakijew-Clan stand, vergeben worden. Der Bakijew-Clan soll dabei rund acht Millionen Dollar im Monat mit Hil­ fe der Treifstofflieferungen abgeschöpft haben. Aus Kreisen des kirgisischen Gene­ ralstabs haben die besagten Firmen »dem Pentagon dazu gedient, auf indirekte Weise die regierenden Familien Kirgistans zu bestechen«.4679 So verwundert es auch nicht, daß anläßlich der Präsidentschaftswahl in Kirgis­ tan im Juli 2009 Kurmanbek Bakijew sehr hohe Summen zur Verfügung standen, um seinen Kampf um die Macht zu bestreiten, wie die Junge Welt enthüllte: »Letzt­ lich sorgten die überragenden materiellen Ressourcen Bakijews während des Wahl­ kampfs für dessen Omnipräsenz und dürften sogar ausschlaggebend für seinen Sieg gewesen sein. Laut Angaben US-amerikanischer Think-Tanks soll Bakijews Etat das Neunfache der Finanzmittel seines sozialdemokratischen Herausforderers aus­ gemacht haben.«4680 Der Präsidentensohn Maxim Bakijew, dem es gelang, die Kontrolle über die ge­ samte kirgisische Wirtschaft zu erhalten, schien überdies auch Geschäftspartner amerikanischer Kreise gewesen zu sein: »Im Verwaltungsrat einer Bank, als deren Hintermann Bakijew-Sohn Maxim galt, saßen gar amerikanische Ex-Senatoren wie Bob Dole.«4681 Darüber hinaus hatte sich die US-Außenpolitik durch wirtschaftli­ che Zusammenarbeit und finanzielle Anreize Einfluß auf die Politik des strategisch ungemein wichtigen Landes gesichert.4682 Kurmanbek Bakijew versuchte seinerseits, seine Position durch geopolitisches Lavieren zwischen dem russischen Nachbarn und der Interventionsmacht USA zu sichern. Unter seiner Präsidentschaft jedoch zeigte sich ein wirtschaftlicher Niedergang, verbunden mit hoher Arbeitslosigkeit, Massenelend, Korruption, Clan- und Vet­ ternwirtschaft. »So hatte die Familie Bakijew Zug um Zug die Kontrolle über alle profitablen Wirtschaftszweige an sich gerissen und deren Erlöse >privatisiertTulpenrevolution< im Jahre 2005 aber wurde die Revolte ge­ gen das Bakijew-Regime Anfang April 2010 nicht von den unruhigen, von ethni­ schen Spannungen und unter wachsendem islamistischen Einfluß der Hizb-ut-Tah­ rir stehenden Südprovinzen getragen, wo Bakijew immerhin seine politischen Wurzeln hatte. Einigen Informationen zufolge wollte Bakijew wohl von Dschalala­ bad aus den Kampf um die Macht erneut antreten, was aber einen Bürgerkrieg zur Folge gehabt hätte - und möglicherweise ein Auseinanderdriften des Landes in einen kirgisisch geprägten, wirtschaftlich weiter entwickelten Nordteil und einen südlichen Teilstaat mit einer starken usbekischen Bevölkerungsgruppe, die wegen höherer Geburtenrate schneller wächst als die kirgisische und weitgehend islamisch­ konservativ geprägt ist. Bakijew - so die Einschätzung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung - hatte wohl mit dem Gedanken gespielt, die südliche Karte zu spielen, um die neu gebildete Übergangsregierung unter Rosa Otunbajewa und Omurbek Teke­ bajew herauszufordern.4685 Otunbajewa war - wie oben dargestellt - einst führende Mitgestalterin der >Tulpenrevolution< und politische Gefährtin Bakijews, hatte sich dann aber mit diesem überworfen und sich daraufhin an die Spitze der Oppositi­ onsbewegung gestellt. Nach dem Sturz Bakijews hatte sie sich nunmehr selbst zur Chefin der Interimsregierung erklärt. Angesichts der großen geostrategischen Bedeutung des Landes stellt sich die Frage, welche Rolle die interessierten Mächte USA und Rußland in diesem KonDer gestürzte kirgisische Herrscher Kurmanbek Bakijew in Kasachstan.

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flikt spielten, denen der Machtkampf in Kirigistan natürlich nicht gleichgültig sein konnte. »In Moskau und Washington werden die Ereignisse aufmerksam verfolgt«, notierte hierzu die Süddeutsche Zeitung,4686 und die Neue Zürcher Zeitung wirft eben­ falls die Frage der Rolle der Großmächste auf: »Wenn in einem verarmten Klein­ staat mit nur etwas mehr als fünf Millionen Einwohnern ein Aufstand ausbricht, so erregt das in den Hauptstädten der Großmächte häufig wenig Aufsehen. Im Fall Kirgistans jedoch verfolgen die Regierungen in Washington und Moskau die Er­ eignisse genau. Sowohl die USA als auch Rußland verfügen in dem zentralasiati­ schen Land über je einen Militärstützpunkt, dem sie große strategische Bedeutung beimessen.«4687 Aus der geopolitischen Interessenlage der beiden Mächte hatte Bakijew versucht, den großen Nutzen für sich und seinen Clan zu ziehen. Jedoch, so die Neue Zürcher Zeitung, verfehlten seine Bemühungen, Amerikaner und Russen gegeneinander auszuspielen, letztlich ihr Ziel.4688 Vielfach ist angedeutet worden, daß möglicherweise Rußland hinter dem ge­ waltsamen Umsturz von Anfang April 2010 steckt. F. William Engdahl spricht in diesem Zusammenhang von einer »umgekehrten« Farbrevolution (ohne allerdings die Rolle Rußlands zu benennen). Tatsache ist schließlich, daß die neue Übergangs­ regierung die Nähe zu Moskau deu tlich betont hatte und die Regierung Putin-Med­ wedjew ihre Solidarität mit der neuen Regierung erklärt hatte. »Die russische Regie­ rung hatte von Anfang an gezeigt, auf wessen Seite ihre Sympathien liegen. Telefonisch sicherte Rußlands Premier Putin der neuen kirgisischen Regierungs­ chefin Rosa Otunbajewa Unterstützung zu.«4689 Der gestürzte Präsident Bakijew selbst vermutete, daß ausländische Kräfte hinter dem Umsturz steckten, und für die Mos­ kauer Tageszeitung Moskowskij Komsomolez spricht vieles dafür, daß er damit nur Rußland gemeint haben könnte. Neben eindeutigen Unterstützungszusagen für die neue Regierung war Rußland - ganz im Gegensatz zu den USA - auch sofort bereit, die neuen Verhältnisse in Bischkek anzuerkennen.4690 Der neue stellvertretende Mi­ nisterpräsident Tekebajew kündigte darüber hinaus »außenpolitische Kurskorrektu­ ren an, die ganz nach einem wärmeren Verhältnis zu M oskau aussehen. Dieses hatte unter Bakijews wiederholten Wortbrüchen arg gelitten, was erklären könnte, wes­ halb die russische Führung rasch die neuen Realitäten in Bischkek anerkannt hat«.4691 Was ist aber genau von der These zu halten, daß der Umsturz von Moskau ange­ zettelt worden sein könnte? »Das Wohlwollen Moskaus gegenüber dem Umsturz«, so die Neue Zürcher Zeitung, »nährte Spekulationen über eine mögliche russische Beteiligung an den Vorgängen... Rußland hat das bisher immer dementiert. Doch könnte es erneut signalisieren wollen, daß in Zentralasien ohne Moskaus Mitspra­ che nichts läuft.« Für die geopolitischen Interessen Moskaus in Zentralasien war die Schaukelpolitik Bakijews in der Tat eine Belastung, und Bakijews Schritte wur­ den in Moskau mit Argwohn beobachtet. Statt die US-Luftwaffenbasis Manas end­ gültig zu schließen, hatte Kirgistan die entsprechende Vereinbarung mit Moskau

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kurzerhand ignoriert und mit den Amerikanern ein neues Abkommen, verbunden mit mehr Mietzahlungen, geschlossen. Die Verbrüderung mit Rußland war daher nur von kurzer Dauer, seither hatten sich die Beziehungen zu Moskau verschlech­ tert. Bakijew begründete seinen proamerikanischen Schwenk unter anderem auch damit, daß die Luftwaffenbasis Manas als wichtigster Nachschubort für den Krieg in Afghanistan gilt, und von dort aus komme auch die Bedrohung Kirgistans durch islamistische Aufständische. Auch das angespannte Verhältnis zu Usbekistan we­ gen der ethnischen und territorialen Konflikte im Fergana-Tal hatte die amerika­ nisch-kirgisische Zusammenarbeit noch verstärkt. Überdies führte Bakijew Gesprä­ che mit Washington über den Aufbau eines Anti-Terror-Zentrums in Batgen, das im Südwesten Kirgistans in einem sicherheitspolitisch hochsensiblen Gebiet zwi­ schen Usbekistan und Tadschikistan liegt. »Für Rußland und Usbekistan«, so die Neue Zürcher Zeitung, dürfte dies einer Provokation gleichgekommen sein.«4692 Denn im August 2009 hatte sich Bakijew mit dem russischen Staatschef Medwedjew über die Errichtung einer vergleichba­ ren Einrichtung in der südkirgisischen Stadt Osch geeinigt. Gegen diese Vereinba­ rung hatte Usbekistan protestiert, und seitdem waren alle Fristen zur Konkretisie­ rung des Vorhabens ungenutzt verstrichen. Anstelle eines russisch-kirgisischen Zentrums für Terrorbekämpfung trat nunmehr die Schaffung einer amerikanisch­ kirgisischen Einrichtung. Ferner begann auch Usbekistan sich den USA wieder anzunähern.4693 Rußland seinerseits hatte die Auszahlung des Milliardenkredits, der Anfang Februar 2009 B ischkek versprochen wurde, aufgrund dieses außenpolitischen Kurses Kirgistans zurückgehalten. »Rußlands Versuch, sich als Führungsmacht in Zentralasien zurückzumelden«, so beurteilte die Neue Zürcher Zeitung die Situation in Zentralasien Anfang 2010, »scheint sich bereits überlebt zu haben.«4694 Der Sturz des Bakijew-Regimes kam daher russischen Interessen zweifelsohne entgegen. Deshalb scheint die Vermutung, daß Rußland bei den Ereignissen in Kirgistan seine Hände im Spiel hatte, auf dem ersten Blick nicht ganz abwegig zu sein. Je­ doch läßt sich dies nach dem derzeitigen Kenntnisstand nicht belegen. Vielmehr sprechen sämtliche Fakten dafür, daß Rußland die neue Situation für sich auszu­ nutzen verstand. »Daß Rußland den Aufstand gegen Bakijew mitorganisiert habe«, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, »läßt sich mit den bislang vorliegenden Indi­ zien indes nicht belegen. Die Gelegenheit, nach dem Aufstand seinen Einfluß in Kirgistan zu stärken, ergriff Rußland jedoch, ohne zu zögern - während die >ame­ rikanischen FreundeGreat Game< vergegenwärtigen: Mitte Juni 2010 sollte sich zeigen, wie prekär die Lage in der Region tatsächlich ist, als es in den südkirgisischen Regionen Osch und Dschalalabad zu bürgerkriegsartigen Aus­ schreitungen zwischen Kirgisen und Usbeken kam. Was vordergründig wie ein ethnischer Bürgerkrieg aussah, entpuppte sich beim näheren Hinsehen aber als eine von kriminellen Gruppierungen und dem Bakijew-Clan selbst gesteuerte Aktion, um die Region - die im übrigen die bedeutendste eurasische Route des Drogen­ transits aus Afghanistan nach Rußland, dem Balkan und Europa darstellt - zu de­ stabilisieren. »Die wahre Ursache der jüngsten Zusammenstöße (im Juni 2010, der Verf.)«, so das Nachrichtenmagazin Focus, »die offenbar gezielt provoziert wurden und rasch vor allem Gewalt von Jugendlichen entfachten, ist vermutlich ein politi­ scher Machtkampf. Interesse an einer Destabilisierung hat vor allem der im April gestürzte Präsident Kurmanbek Bakijew. Er floh ins weißrussische Exil. Sein Clan aber behielt in der für Drogenhandel berüchtigten Region nach wie vor politisch und wirtschaftlich das Sagen«.4702 In diesem Zusammenhang muß schließlich in Betracht gezogen werden, daß mit der Machtübernahme Bakijews im März 2005 kriminelle Drogensyndikate Kirgi­ stan unter ihre Kontrolle bekamen; die >Tulpenrevolution< soll im wesentlichen von den kriminellen Netzwerken finanziert worden sein.4703 Experten zufolge spielt der gesamte Bakijew-Clan selbst eine führende Rolle im Drogentransitgeschäft mit Af­ ghanistan.4704 Die Frankfurter Allgmeine Zeitung beschreibt die Mitglieder des Baki­ jew-Clans als Überpaten der organisierten Kriminalität im Drogengeschäft.4705 Zahl­ reiche Indizien sprechen dafür, daß diese Kreise nunmehr den Bürgerkrieg in Osch und Dschalalabad im Juni 2010 organisiert haben. So existiert beispielsweise ein Mitschnitt eines Telefonats zwischen dem Sohn Bakijews, Maxim Bakijew, und des­ sen Onkel Schanysch Bakijew (ebenfalls eine Größe im Drogengeschäft), in dem beide sich über Strategien unterhalten, wie man mit angeheuerten »Halsabschnei­ dern« die Lage in Kirgistan »unter Dampf halten« könne4706. Die Beurteilung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ist: »Beobachter in der Region vermuten, daß krimi­ nelle Gruppen einen großen Anteil an der Eskalation haben - Anfang vergangener Woche (d.h. Anfang Juni 2010, d. Verf.) wurde in Dschalalabad ein Mafia-Führer ermordet, der bei den Unruhen Mitte Mai eine bedeutende Rolle gespielt haben soll. In Kirgistan ist die Grenze zwischen Politik und organisierter Kriminalität in den fünf Jahren der Herrschaft Bakijews zunehmend verschwommen.«4707 Einer der Anführer der Unterwelt, die einem der Brüder Bakijews, Achmat Bakijew, bei der Kontrolle des Drogenschmuggels durch Kirgistan geholfen haben sollen, war der berüchtigte Verbrecher Ajbek Mirsidikow (bekannt als der >Schwarze AjbekIslamischen Bewegung Usbekistans< - die F. William Engdahl zufolge ebenfalls eine führende Rolle im zentralasiatischen Drogenhandel spielt - aufgenommen, um Unruhen zu entfesseln. »Die Familie des gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew hätte Islamisten 30 Millionen Dollar für die Entfesselung eines ethn ischen Konflikts versprochen. So habe sich Bakijews Sohn Maxim... schon im April in Dubai mit Vertretern der Islamischen Bewegung Usbe­ kistan (IBU) getroffen... Einen Monat später sei das Geschäft im afghanischen Ba­ dachschan zum Abschluß gebracht worden - im Beisein von Taliban und des tad­ schikischen Warlords Mullah Abdullah sowie von zwei Vertretern der Bakijew-Familie. 15 usbekische Sprengstoff- und Waffenexperten seien im selben Monat vom >Bund Islamischer Dschihad< aus Pakistan nach Kirgistan geschleust worden, unter der Mithilfe eines >großen Drogenbarons in TadschikistanCarnegie Russia and Eurasia ProgrammeFriedenssicherung< in der Region zu rechtfertigen. »Das Pentagon strebt die Vorherrschaft im wichtigen zentralasiatischen Raum an, um auf diesem Weg China, Rußland, Zentralasien und den Iran beherrschen zu können. Wie schon bei der CIA und den US-Streitkräften während des Vietnam­ kriegs Anfang der siebziger Jahre, so wird auch hier der illegale Drogenhandel zum geopolitischen Werkzeug, um Terror und Instabilität zu verbreiten und einen Vorwand für die verstärkte US-Truppenpräsenz zu schaffen, um >die Lage zu stabilisierenIslamische Bewegung Usbeki­

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stans< unterstützen, um über dieses Vehikel - wie auch über den afghanischen Dro­ genhandel - die NATO-Anwesenheit in der brisanten Region auszudehnen. So soll der US-Sonderbeauftragte für Afghanistan, Richard Holbrooke, im Rahmen seiner Rundreise in Zentralasien im Februar 2010 auch ein Treffen mit Vertretern der >Is­ lamischen Bewegung Usbekistans< auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Manas ge­ plant haben. Bei diesem Treffen auf dem Stützpunkt sollte angeblich über GuerillaSabotageoperationen gegen die kürzlich in Betrieb genommene Turkmenistan-Usbekistan-Kirgistan-China-Pipeline gesprochen werden.4715 »Wenn das zuträfe«, so Engdahl, »wäre es ein Hinweis auf das wirkliche geopolitische Ziel, das mit den US-Stützpunkten in Manas und in der Umgebung von Kirgisistan erreicht werden soll - nämlich die als >terroristische Angriffe< getarnte Sabotage des lebenswichtigen Energieflusses über chinesische und eurasische Pipelines.«4716 Nachgewiesen ist in diesem Zusammenhang, daß die USA mit der unter ihrer Besatzung aufgeblühten Drogenökonomie in Afghanistan Zusammenarbeiten. (Nach Angaben des Büros der Vereinten Nationen zur Drogen- und Verbrechensbekämp­ fung hat die Opiumernte unter der US- und NATO-Besatzung in Afghanistan das höchte je gemeldete Niveau erreicht.) Das Handelsblatt bezeichnet die US-Armee als den wichtigsten Verbündeten der afghanischen Drogenbarone4717 und erklärt: »Die Militär-Supermacht paktiert mit der Drogen-Supermacht.« Dabei laufen die Fäden des afghanischen Drogenhandels in den Händen des Karzai-Clans und sei­ ner Verbündeten zusammen: »Gut zwei Dutzend Männer beherrschen das Geschäft; ranghöchste Politiker ziehen im verborgenen die Fäden.«4718 Belegt wird dies da­ durch, daß beispielsweise der Bruder des amtierenden afghanischen Präsidenten Hamid Karzai, Ahmed Wali Karzai, der Gouverneur der größten Opiumprovinz Helmand, laut einer Meldung der New York Times der Drogenboß Afghanistans und vom CIA finanziell gefördert worden ist. Zudem bestätigt kein Geringerer als der ehemalige Chef des pakistanischen Geheimdienstes ISI, General Hamid Gul, die Beteiligung von US-Streitkräften am Drogenschmuggel, bei dem dem US-Luft­ waffenstützpunkt Manas eine entscheidende Rolle zukommt. In einem Interview vom August 2009 führte Hamid Gul aus: »Das Beunruhigendste aus meiner Sicht ist jedoch, daß auch Militärflugzeuge, amerikanische Militärflugzeuge, benutzt werden. Sie haben sehr richtig gesagt, daß die Drogenrouten in nördlicher Rich­ tung durch die zentralasiatischen Republiken, über Teile des russischen Territori­ ums verlaufen, und von dort weiter nach Europa und in andere Erdteile. Aber eini­ ges wird direkt transportiert, und zwar mit Militärflugzeugen.«4719 Als Grund für diese Kollaboration Washingtons mit den Drogenbossen gibt das Handelsblatt die Absicht der USA an, diese als Verbündete im Kampf gegen die aufständischen Taliban zu gewinnen. Jedoch werden bei diesem beschriebenen Vorgehen der USA Parallelen zu der irregulären amerikanischen Drogen-Geopoli­ tik in Südostasien in den sechziger Jahren sichtbar, als es darum ging, die dortigen Staaten durch Förderung und Bewaffnung von ethnischen Separatisten zu destabi­

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lisieren und so für eine US-Invasion gegen eine vermeintliche kommunistische Un­ terwanderung vorzubereiten. Auch hier war - wie Alfred McCoy in seiner Studie Die CIA und das Heroin nachweist - der Opiumhandel das »Schmiermittel der Geo­ politik«, über den die irregulären Verbündeten des Pentagon in Südostasien (in der Regel separatistische Bergstämme der Region) die Waffenlieferungen bezahlten. Die Enthüllungen von General Hamid Gul passen dabei sehr gut ins Bild. Seine Darstellung, daß amerikanische Militärmaschinen den Drogentransport über Zen­ tralasien übernehmen, erinnert sehr stark an die >Air-AmericaIslamische Bewegung Usbekistans< oder die >Hizb-ut-Tahrir< - ideale Voraus­ setzungen für eine umfassende Destabilisierungsstrategie also, bei der das Opium die Funktion eines Katalysators hätte. Tatsache ist ebenfalls, daß die katastropha­ len Folgen dieser geheimen US-Politik Rußland zu tragen hat. So erklärte Viktor Iwanow, Leiter des Dienstes für Drogenbekämpfung in Rußland und Vertrauter Wladimir Putins, es gebe »eine negative Folge der Instabilität in Afghanistan, die vor allem Rußland tragen muß und die für uns viel dringlicher ist als für die NatoMitgliedsstaaten: der Drogenhandel. Wie ein stiller Tsunami brach der HeroinMißbrauch in den vergangenen Jahren über Rußland herein. Wir sind inzwischen einer der weltweit größten Konsumenten dieser Droge«.4720 Iwanow stellt fest, daß Rußland dadurch der Verlust einer ganzen Generation drohe. Die Ursache hierfür sieht er in den Entwicklungen in Afghanistan sowie in der Unwilligkeit und Unfä­ higkeit der NATO, die dortige Drogenökonomie wirksam zu bekämpfen. Von daher war der vom Bakijew-Clan Mitte Juni 2010 angezettelte Bürgerkrieg in Südkirgistan - der im Grunde nichts anderes als ein Drogenkrieg um die Kon­ trolle des Opiumhandels in dem kleinen zentralasiatischen Staat war - eine ernst­ haft bedrohliche Herausforderung für Moskau und sein strategisches Umfeld in der Region. Dies hatte sich in der jüngsten Vergangenheit bereits dokumentiert: »Die Gefahr, die von den Unruhen in Kirgistan für die Nachbarstaaten und die gesamte Region ausgeht, besteht nicht nur darin, daß die Kämpfe von Kirgistan aus übergreifen oder daß Usbekistan... sich veranlaßt sehen könnte, militärisch zum Schutz der Usbeken in Kirgistan einzugreifen. Sowohl die islamische Befrei­ ungspartei Hizb ut-Tahrir al Island als auch bewaffnete Kämpfer der zu TalibanZeiten von Afghanistan aus operierenden Islamischen Bewegung Usbekistans (IBU) warten auf ihre Chance. IBU-Kämpfer waren bereits 1999 und 2000 über Tadschi­ kistan auf usbekisches und kirgisisches Gebiet im Ferganatal vorgedrungen. Es ging um die Destabilisierung Usbekistans unter dem Regime Karimows und um die

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Kontrolle der Rauschgiftroute. Im vergangenen Jahr (2009) kam es nach verschie­ denen Berichten zu Scharmützeln zwischen kirgisischen, usbekischen und tadschi­ kischen Sicherheitskräften mit aus Afghanistan eingedrungenen islamistischen Kämpfern und deren lokalen Bundesgenossen.«4721 Diese Kräfte sind am Untergang der bestehenden Staaten Zentralasiens interes­ siert; der politische Bankrott dieser Staaten, Instabilität und Chaos erst in Kirgistan und dann in den Nachbarländern der Region bilden dann den Nährboden für ei­ nen fundamentalistischen Kalifatsstaat sowie eine unkontrollierte Rauschgiftwirt­ schaft. Drogenökonomie und islamischer Fundamentalismus - so die Kommentie­ rung führender Tageszeitungen - hätten deshalb ein Eingreifen Rußlands in Kirgistan erforderlich gemacht, da ansonsten ein empfindlicher Einflußverlust Mos­ kaus drohen würde: »Hält es sich heraus«, so die tageszeitung, dürfte es an Einfluß verlieren. Langfristig würde die Destabilisierung, die vom Drogenhandel und dem islamischen Fundamentalismus ausgeht, den Süden Rußlands infizieren.«4722 Sollte also die von den USA geduldete Drogenwirtschaft und die von Engdahl angedeuteten Kontakte von US-Vertretern zu den zentralasiatischen islamischen Fundamentalisten möglicherweise dazu dienen, Rußland sogar zu einem militäri­ schen Eingreifen in Kirgistan geradezu herauszufordern, um ihm so ein weiteres Afghanistan zu bereiten? Belege hierfür lassen sich nicht anführen; die oben ge­ schilderten Indizien können einen solchen Verdacht aber auch nicht ganz ausräu­ men. Der russische Präsident Medwedjew selbst bezeichnete den kirgisischen Kri­ senherd als zweites Afghanistan. Nach Ansicht von Beobachtern hätte ein russisches Eingreifen die Lage für Moskau schließlich erheblich verschlechtern können. Die Russen, so eine Beurteilung der Neuen Zürcher Zeitung, hätten dann leicht zwischen die Fronten geraten oder bei einem solchen Vorgehen gar den Konflikt über Kirgis­ tan hinaus anheizen können.4723 Auch eine Beteiligung einer Eingreiftruppe der von Rußland aufgebauten >Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit< (OVKS) hätte die Lage Beobachtern zufolge ausufern lassen. Mitglied des OVKS ist schließ­ lich auch Usbekistan; »eine Beteiligung Usbekistans würde die Unruhen vermut­ lich nur verschärfen.«4724 Aber auch eine Beteiligung der anderen Teilnehmerstaaten dieses Vertrages hät­ te sich als Brandbeschleuniger ausgewirkt: Weißrußland hatte dem gestürzten Prä­ sidenten Bakijew Asyl gewährt; sein Eingreifen wäre daher aus kirgisischer Sicht als Parteinahme aufgefaßt worden. Tadschikistan und Kasachstan haben eigene Interessen in der Region.4725 Die Süddeutsche Zeitung zitiert den kirgisischen Polito­ logen Mars Sarijew, der erklärte, daß mit einem militärischen Eingreifen Rußland zwar zunächst seinen Einfluß in Zentralasien hätte ausdehnen können, dann aber langfristig in kräftezehrende Mikrokonflikte verstrickt sein würde. Der heimliche Gewinner einer solchen Situation wäre nach Ansicht Sarijews die USA: »Ein ge­ lähmtes Rußland würde wiederum Amerika in die Hände spielen, das in Kirgistan einen Nachschubstützpunkt für Afghanistan unterhält, meint Sarijew.«4726

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Rußland seinerseits schien dieses Dilemma erkannt zu haben: »Die russische Führung bewegt sich angesichts der brisanten Lage in Kirgistan mit äußerster Vor­ sicht und scheint nicht die Absicht zu haben, sich in den undurchsichtigen Konflikt in Zentralasien hineinziehen zu lassen.«4727 Zentralasien-Kenner Manfred Quiring weist darauf hin, daß es gerade die bitteren Erfahrungen Rußlands in der jüngsten Vergangenheit sind, die den Kreml von einem militärischen Schritt hatten Abstand nehmen lassen: »Die bittere Niederlage der Sowjets in Afghanistan ist noch nicht vergessen, und heute beansprucht der Krisenherd um Tschetschenien Moskaus Ressourcen ebenso wie die Unterstützung der abtrünnigen Republiken Abchasien und Südossetien...«4728 Grundsätzlich hätte also Rußland viel zu verlieren gehabt, wenn es sich auf ein »aufreibendes Abenteuer« eingelassen hätte, »dessen Ende schwer abzusehen ist«.4729 Daher konnte sich der Kreml auch keine Parteinahme leisten, wollte er nicht seinen Stützpunkt in Kant wieder verlieren, durch den er schließlich wieder zu einem militärischen Faktor im zentralasiatischen >Great Game< geworden ist. Vor diesem Hintergrund schien es Moskau für ratsamer erachtet zu haben, gegenüber dem Konflikt eine abwartende Rolle diplomatischer Neutralität einzunehmen. Sollte es sich bei den Bürgerkriegsausschreitungen in Südkirgistan Mitte Juni 2010 tatsäch­ lich um eine von den USA gelegte Falle gehandelt haben, so ist diese Strategie mit der Weigerung Moskaus, einzumarschieren, nicht aufgegangen. Die Moskauer Füh­ rung schien wohl die Risiken erkannt zu haben, die mit einem militärischen Schritt verbunden gewesen wären, und es sieht einstweilen so aus, daß die russische Hal­ tung letztlich deeskalierend wirkte. Einige Tage später hatte sich die Lage wieder etwas beruhigt, und im nachhinein zeigte sich Präsidentin Otunbajewa über die russische Weigerung erfreut.4730 Dies wiederum wird sich für die russisch-kirgisischen Beziehungen nicht negativ aus­ wirken, hatte doch die Zwischenregierung mehrfach erklärt, ihre künftige außen­ politische Orientierung werde russische Interessen berücksichtigen. Die weitere Entwicklung dürfte aber offen sein. Otunbajewa war es gelungen, ein Verfassungsreferendum durchzusetzen, durch das sie auch indirekt zur Über­ gangspräsidentin bestätigt wurde. Sie wird damit - so die Frankfurter Allgemeine Zeitung - offiziell »jene Vollmachten in Anspruch nehmen, die die alte Verfassung dem gestürzten Präsidenten Bakijew zugestanden hatte - zumindest auf dem Pa­ pier wird sie damit über große Macht verfügen«.4731 Der russische Präsident Med­ wedjew sieht die Entwicklung jedenfalls kritisch, wenn er andeutet, daß Kirgistan eine »starke, gut organisierte Kraft« brauche, um das Land zu stabilisieren, zumal die Gefahr groß sei, daß extremistische Gruppen die Macht erobern könnten. »Der­ weil sieht Rußland die Gefahr, daß Kirgistan auseinanderbricht«, so faßt die Zei­ tung Neues Deutschland die russische Einschätzung zusammen.4732 Insgesamt aber hat die gegenwärtige Situation Rußlands Lage im eurasischen »Dreh- und Angelpunkt« nicht verschlechert. Durch weitsichtiges politisches Ver­

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halten des Kreml gegenüber dem Krisenherd ist eine Eskalation vermieden wor­ den, die gegebenenfalls eine Einflußnahme von Kräften zur Folge gehabt hätte, die Rußlands geopolitische Stellung in Zentralasien beeinträchtigt hätten. Zumindest konnte durch das Verfassungsreferendum Ende 2010 die Präsidentin Otunbajewa im Amt bestätigt werden. Nach ihren bisherigen Verlautbarungen dürfte der au­ ßenpolitische Kurs Kirgistans nicht von einer Abtrennung vom russischen Orbit bestimmt sein. Das sollte sich auch in der Folgezeit zeigen. Es ist deutlich geworden, daß der US-Stützpunkt Manas in Kirgistan für die Operationen der US-Streitkräfte immer wichtiger geworden ist. Wie oben schon angedeutet, erfolgte bislang der überwie­ gende Teil der Versorgung über den Hafen von Karatschi und den pakistanischen Landweg nach Afghanistan. Die aufständischen Taliban hatten erkannt, daß diese Transportwege die verwundbare Stelle der US-Militäroperationen sind - sie füh­ ren immerhin über schwer passierbares Gelände und schmale, allerdings strate­ gisch wichtige Pässe (Khyber-Paß), die aufgrund ihrer Topographie leicht zu blo­ ckieren sind. Schon seit längerer Zeit k onzentrieren di e T aliban d aher in verstärktem Maße ihre Angriffe auf diese Konvois in der nordpakistanischen Grenzregion, den >Tribal Areaspositiven Neu­ tralitätNördliche Versorgungs­ netzwerks das über Europa und die GUS-Staaten läuft und in dem Zentralasien eine Schlüsselrolle zufällt, eine immer größere Bedeutung. »Aus dem amerikani­ schen Transportkommando hieß es jüngst, daß etwa die Hälfte der Versorgungs­ güter über Pakistan und etwa 30 Prozent über Zentralasien die amerikanischen Truppen in Afghanistan erreichten; etwa ein Fünftel würde auf dem Luftweg trans­ portiert. Nach einem Bericht des Londoner Internationalen Instituts für Strategi­ sche Studien wird die Treibstoffversorgung... mittlerweile bereits zu zwei Drit­ teln über die Nordroute durch Zentralasien abgewickelt. Die Diversifizierung der Transportwege war notwendig, weil es in der Vergangenheit wegen der Probleme auf der Route durch Pakistan zu Versorgungsengpässen kam, die bisweilen so gra­ vierend waren, daß Kampfoperationen in Afghanistan abgebrochen werden muß­ ten.«4734 Hierbei nimmt der US-Luftwaffenstützpunkt Manas eine entscheidende Schlüsselstellung für die US-Operationen ein; er bildet eine gigantische Tankstelle für die Flotte der dort stationierten KC-135-Flugzeuge zur Luftbetankung der im afghanischen Luftraum operierenden US-Kampfflugzeuge. Überdies bildet Manas einen Luftverschiebebahnhof für die amerikanischen Truppen auf ihrem Weg nach Afghanistan.4735 Nicht zu Unrecht spricht daher der US-amerikanische General Dwight C. Sones von Manas als dem »Kronjuwel in Zentralasien«.4736 Wie es Rußland auch im Jahr 2010 gelungen war, Einfluß auf die US-amerikani­ sche Afghanistanpolitik und die dortige Militärstrategie Washingtons zu nehmen, zeigte sich in einem Vorschlag der kirgisischen Zwischenpräsidentin Otunbajewa, die in Washington ein neues Modell für die Treibstofflieferungen an die US-Streit­ kräfte unterbreitete: Demzufolge soll das Kerosin von einem noch zu gründenden Gemeinschaftsunternehmen einer Staatsfirma ihres Landes und der Öltochter Gaz­ promneft des vom russischen Staat kontrollierten Erdgasmonopolisten Gazprom bezogen werden. In Amerika wurde kritisiert, daß Moskau dadurch einen wichti­ gen Hebel in die Hand bekomme, der es Rußland ermögliche, direkt auf die ameri­ kanische Afghanistanpolitik und amerikanische Militäroperationen in Afghanistan Einfluß zu nehmen.4737 Es dürfte sehr wenig wahrscheinlich sein, daß dieses Ange­ bot der kirgisischen Zwischenregierung nicht vorher mit Moskau abgesprochen wurde, und Beobachtern zufolge soll die Versorgung amerikanischer Flugzeuge schon in der Vergangenheit aus russischen Quellen erfolgt sein. Viel spricht dafür, daß Moskau hiermit unterstreichen will, daß ohne Beachtung seiner geopolitischen Interessen die US- und NATO-Streitkräfte noch weiter in eine verhängnisvolle stra­ tegische Isolation geraten könnten. Der Analyse der Frankfurter Allgemeinen Zeitung geht es Rußland ferner darum, mehr Einfluß auf die Entscheidungen der NATO - beispielsweise durch einen umgemodelten NATO-Rußland-Rat - zu erhalten.4738 Rußland seinerseits ist daran interessiert, ein sunnitisch-islamistisches Epizentrum in Afghanistan nicht entste­ hen zu lassen, da es fürchtet, daß von dort aus, wie schon ausgeführt, eine umfas­

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sende Destabilisierung Zentralasiens und letztlich auch der Russischen Föderation selbst eintreten könnte - Rußland selbst weist schließlich einen muslimischen Be­ völkerungsanteil von 20 Prozent auf. Daher unterstützt es auch unter der Hand das militärische Eingreifen der NATO. Auf der anderen Seite will es aber auch verhin­ dern, daß sich die USA und die NATO in der Region dauerhaft festsetzen und so einen antirussischen Einkreisungsring bilden können. Um dieses Dilemma zu lösen, versucht Moskau nunmehr durch eigene Initiati­ ven, durch Einbringen einer eigenen Sicherheitsarchitektur und durch kluges Aus­ nutzen prekärer Situationen wie des Versorgungsengpasses der amerikanischen Streitkräfte Einfluß auf NATO-Entscheidungen zu nehmen, um die Entstehung von für Moskau negativen geopolitischen Folgen zu vermeiden. Ähnlich sieht es auch der Militarismus-Experte Jürgen Wagner: »Dabei geht es Rußland vermutlich nicht primär darum, mit der Schließung von Manas den Einsatz in Afghanistan gegen die Wand fahren zu lassen. Vielmehr will Moskau die Kontrolle über die US-Trup­ penbewegungen erlangen - und damit einen erheblichen machtpolitischen Hebel, so jedenfalls die Einschätzung der Europäischen Union.«4739 Wörtlich heißt es dazu in einer EU-internen Stellungnahme: »Das Ziel des Kreml dürfte kaum darin beste­ hen, die Funktionsfähigkeit des Nördlichen Verteilungsnetzwerks (in Afghanistan) ernsthaft zu beeinträchtigen, sondern das Netzwerk und die damit zusammenhän­ gende US-Militärpräsenz unter seine volle Kontrolle zu bringen.«4740 Jedenfalls scheint nach Stand der Dinge - Oktober 2010 - die Zeit für Rußland zu arbeiten, und mittelfristig ist die Entstehung einer strategischen Abhängigkeit der USA von Moskau nicht unwahrscheinlich. Deutlich wurde dies durch das Ergebnis der Parlamentswahlen in Kirgistan Mitte Oktober 2010: Stärkste Kraft wurde die nationalistische Ata-Schurt-Partei, die die amerikanische Basis im Land ablehnt. Ebenfalls stark abgeschnitten hatte die Ar-Namis-Partei des prorussischen Ex-Prä­ sidenten Felix Kulow, die ebenfalls der US-Airbase kritisch gegenübersteht. Zwar hatte Zwischenpräsidentin Otunbajewa den USA noch eine automatische Verlän­ gerung der Miete über deren Ende im Juli 2010 hinaus zugesagt, doch »das Ergeb­ nis der Wahlen... hat die US-Planer wieder in Alarmstimmung versetzt«.4741 Da­ mit bilden im künftigen Parlament in Bischkek überwiegend Kräfte die Mehrheit, die die US-Anwesenheit ablehnen - was die strategische Lage der USA verkompli­ zieren dürfte. »Die Frage ist«, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, »wie das neu gewählte Parlament Kirgistans, das wegen der neuen Verfassung über bedeutend mehr Macht als jede Volksvertretung zuvor verfügt, sich in Sachen Manas und ge­ nerell ausländischer Militärpräsenz im Land verhält. Die kritischen Stimmen ge­ gen die Anwesenheit der Amerikaner dürften zunehmen.«4742 Wenig bekannt ist, daß die USA mit der Einrichtung des >Nördlichen VerteilernetzwerkesNorthern Distribution NetworkNorthern Distribution Networks< beschreibt der Publi­ zist Kai Ehlers wie folgt: »Gemeint sind damit zwei Versorgungsrouten durchs nördliche Eurasien. Seit 2006 waren sie in der Planung, seit dem georgischen Krieg werden sie im großen Stil realisiert. Eine der Routen führt von Riga über die balti­ schen Staaten durch das nördliche Rußland bis Usbekistan, wahlweise auch bis Kirgisistan oder Tadschikistan und von dort ins nördliche Afghanistan. Die andere führt durch Georgien, Aserbaidschan, über das Kaspische Meer entlang des in den Jahren seit Auflösung der Sowjetunion von den Westmächten geschaffenen >südli­ chen KorridorsNeue Seidenstraße< genannt. Die Route endet ebenfalls im Norden Afghanistans. Wegen der zweimaligen Umsetzung der Ladungen von Überlandlastern auf Schiffe, von diesen auf tadschikischer Seite wieder auf Trucks ist diese Route die weniger attraktive. Sie wird aber gehalten, um nicht allein auf die russische Route angewiesen zu sein. Zudem hofft man so einen gewissen Druck auf Rußland ausüben zu können. Die neuen Versorgungswege ersetzen die frühere südliche Route durch Pakistan, die nicht mehr genutzt werden kann, seit sich das nördliche Pakistan - nicht zuletzt entlang der Versorgungsrouten - zum Teil des afghanischen Kriegsgebietes entwickelt hat.«4744 Nach den Planungen der US-Strategen bildet das >Northern Distribution Net­ work< die Vorstufe für eine langfristige ökonomisch-politische Durchdringung des zentralasiatischen Raumes und dient der Vorbereitung für eine dauerhafte USAnwesenheit in der Region. In einer Darstellung des neokonservativen Centre for Strategic International Studies (CSIS) wird dies deutlich ausgesprochen: »Während der Impetus hinter der Schaffung der neuen Versorgungslinien in den unmittelba­ ren militärischen Anforderungen liegt, bietet ihr Aufbau desungeachtet eine einzig­ artige Möglichkeit für Washington, langfristige Ziele zu verfolgen. Sich in Afghani­ stan durchzusetzen, muß ökonomische und politische Entwicklung einschließen, die der Zukunft der Region verpflichtet ist. Die Obama-Administration ist sich dieser Erfordernisse bewußt und hat sie als Herzstücke in die neue Afghanistan- und Pakis­ tan-Strategie einbezogen. Das zweite Ziel besteht darin, sicherzugehen, daß die Ex­ pansion von Versorgungsrouten und das damit verbundene Anwachsen amerikani­ scher Präsenz Pläne für langfristige (im engl. Text: sustainable = nachhaltige!) ökonomische Aktivitäten durch Afghanistan und Zentralasien einschließen und daß dies zusammengeht mit einem erneuerten, langfristigen US-Engagement.«4745 Der neue Oberbefehlshaber der NATO-Streitkräfte in Afghanistan, General Da­ vid Petraeus, formulierte es noch deutlicher, als er sagte, daß das Verteilernetz­ werk die Vision von einem »Angelpunkt für einen trans-eurasischen Handel..., der Wohlstand und Stabilität nach Zentralasien bringt«, beinhalte.4746

XII. Grundlagen der US-Eurasienstrategie unter Barack Obama Gegen den Widerstand Moskaus aber dürfte diese geheime US-Agenda nicht zu verwirklichen sein, und im Kreml weiß man längst, welche weitgesteckten Ziele mit der US- und NATO-Intervention am Hindukusch verbunden sind. Folgt man den Darstellungen des Militarismus-Experten Jürgen Wagner, so markiert die Kir­ gistan-Krise vielmehr einen sich abzeichnenden Kollisionskurs zwischen NATO und SCO (Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit) in Zentralasien.4747 Ende September 2010 beschloß die SCO, in Kirgistan sicherheitspolitisch aktiv zu wer­ den mit dem Ziel, »bei der Gewährleistung von Sicherheit in den südlichen Gebie­ ten dieses zentralasiatischen Staates« Hilfe zu leisten. Einiges spricht deshalb für eine »grundlegende Weichenstellung« der SCO in Richtung verstärkter militärisch­ sicherheitspolitischer Aktivitäten im zentralasiatischen Raum.4748 Wie oben ausgeführt, hatte es Rußland trotz ausdrücklichen Ersuchens der kir­ gisischen Zwischenregierung seinerzeit abgelehnt, militärisch einzugreifen, um nicht in eine zweite Afghanistanfalle zu geraten. Dies bedeutete allerdings nicht, daß Moskau bereit war, hier ein sicherheitspolitisches Vakuum zurückzulassen, das möglicherweise von der NATO ausgefüllt werden könnte. Statt dessen bot sich nunmehr das sicherheitspolitische Forum Eurasiens, die SCO an, um im multilate­ ralen - aber eurasischen - Rahmen eine Stabilisierung und Eindämmung des Kri­ senherds sicherzustellen. Freilich wäre dies auch mit russischen Truppenstationie­ rungen verbunden, und es bestehen bereits Pläne fü r di e Erri chtung eines russischen Truppenstützpunktes in Osch im unruhigen Süden Kirgistans. Belegt wurde die »grundlegende Weichenstellung« der SCO - so Jürgen Wagner - auch durch das SCO-Militärmanöver >Friedensmission 2010Reifeprüfung< für die SOZ... Man muß allerdings begreifen, daß sehr vieles von der Bereitschaft ihrer Mitgliedsländer abhängt, schnellstmöglich alle Mittel, darunter auch militäri­ sche, zur Unterbindung der Gewalt einzusetzen. Andernfalls bleiben jegliche Übun­ gen eine Fiktion, die auf die Pflege des internationalen Images gerichtet ist, aber keinen richtigen Inhalt hat.«4749 Diese Entwicklungen deuten an, daß nunmehr die SCO ihrerseits bestrebt ist, ein militärisch-sicherheitspolitisches Gewicht in Eurasien zu bilden, um einer NATO-Expansion in der zentralasiatischen Region den Riegel vorzuschieben. Dies bedeutete aber mittelfristig eine Rückkehr Rußlands als militärstrategischen Mit­ spielers im >Großen Spiel< um Zentralasien und eine Umkehrung der Verhältnisse, wie sie die USA durch die Inszenierung der >Farbrevolutionen< geschaffen hatten, zugunsten Moskaus.

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5.3 Die Fortsetzung des Pipeline-Pokers: >North Stream< und >South Stream< im Vorsprung gegenüber >Nabucco< Parallel zu den Ereignissen in der Ukraine und in Kirgistan konnten die russischen Pläne im Wettlauf um die Energiekorridore einen Vorsprung erlangen. A nfang Apr il 2010 waren die Vorbereitungen für den Beginn des Baus der Ostseepipeline (>Nor­ th StreamNorth Stream< und der außenpolitischen Neupositi­ onierung der Ukraine hat Rußland nunmehr die Option einer stabilen und flexib­ len Energie-Geopolitik. In der Ukraine konnte Moskau die Pläne einer russisch-ukrainischen Energiefu­ sion bis dahin nicht verwirklichen. Allerdings konnte Rußland in einem anderen Punkt einen energiestrategischen Vorteil in der Ukraine erlangen: Der Staatskon­ zern Gazprom investiert nunmehr ins ukrainische Pipelinenetz.4750 »Da North St­ ream dann als wichtigste Lieferroute direkt von Rußland zu den wichtigsten Kun­ den in Deutschland verläuft und da ein stabiles Transitabkommen durch die Ukraine ausgehandelt worden ist, wird eine Unterbrechung der Gazprom-Lieferungen nach Nordeuropa sehr unwahrscheinlich. Durch North Stream wird Gazprom in die Lage versetzt, eine flexiblere Gas-Diplomatie zu betreiben, und Störungen der Lieferung, zu denen es in den vergangenen Jahren in der Ukraine wiederholt gekommen war, werden dann weniger Probleme bereiten«, so F. William Engdahl.4751 Mit der gleichen Stärke konnte Moskau sein >South StreamSouth Stream< seinen Betrieb Ende 2015 aufneh­ men. Die von der EU und den USA massiv geförderte >NabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNabuccoSouth-Stream< zu gewinnen. »Jetzt forcieren die Russen ihren Kampf gegen Nabucco«, so das Handelsblatt4759 und aus diesem Grund hat Gazprom Mitte Juli 2010 RWE ein Angebot unterbreitet, sich statt an Nabucco vielmehr an >South Stream< zu beteiligen. Den Zeitpunkt ist dabei geschickt gewählt worden, da sich das Na­ bucco-Projekt aufgrund fehlender Gaslieferanten derzeit in einer schwierigen Phase befindet. Das Handelsblatt faßt zusammen: »Dabei bemühen sich die Konsortialpartner (von

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Nabucco, der Verf.) schon seit Jahren mit Ländern wie Turkmenistan, Aserbaid­ schan oder dem Irak Lieferverträge zu schließen. Die Verhandlungen kommen al­ lerdings kaum voran. Eigentlich hatte RWE sich bis Ende Juni (2010) feste Zusagen aus Aserbaidschan und Turkmenistan erhofft. Die beiden Länder werden von rus­ sischer Seite allerdings unter Druck gesetzt, ihr Gas an Gazprom zu liefern. Solan­ ge es keine belastbaren Lieferzusagen gibt, ist die Rentabilität der geplanten Pipe­ line jedoch nicht gesichert«.«4760 Der Grund für diese Schachzüge Gazproms ist in der gegenwärtigen Lage auf den internationalen Gasmärkten zu sehen. »In den vergangenen Monaten wandelt sich der Gasmarkt wie nie zuvor«, schreibt das Handelsblatt.4761 Dieser Wandel besteht im wesentlichen aus einem ziemlichen Preis­ verfall, »wie das kaum jemand erwartet hätte«.4762 Branchenkenner rechnen damit, daß diese Phase noch bis zum Jahr 2014 andauern werde.4763 Hervorgerufen wurde dieser Wandel insbesondere d urch eine n eue E rdgasförder­ strategie der LISA, mit der diese nicht nur ihre eigene Erdgasimportabhängigkeit zu beseitigen, sondern auch das Erdgasmo nopol Rußlands im euro-asiatischen Raum zu brechen gedenken: US-Bergbauunternehmen war es zwischenzeitlich gelungen, das sogenannte >nicht-konventionelle< Gas in Nordamerika, das in Gesteinsforma­ tionen wie Schiefer eingelagert ist (sog. >Shale-GasNabuccoNabucco< wohl so gut wie gescheitert, so eine Einschätzung der Frankfurter Rundschau4765 Die gleiche Ausgangslage gilt aber ebenso für das >South StreamNabucco< und se­ hen derzeit kein anderes Projekt, was ähnlich sinnvoll ist.«4767 Beide Seiten sind sich der geopolitisch-strategischen Dimension ihrer Auseinan­ dersetzung bewußt, und so wundert es auch nicht, daß das >NabuccoNabuccoNabuccoNabuccoNabucco< gesprochen werden, obschon es Anfang August 2010 Gerüchte über einen Ausstieg von Gesellschaftern aus dem Vorhaben gab. Vielmehr ist zu erwarten, daß auf höchsten politischen Druck hin am Fortgang der Verhandlungen festgehalten wird. So ist es der Türkei zwischenzeitlich gelungen, ein Abkommen mit Aserbaidschan zu schließen, dem zufolge die Ausbeutung des aserbaidschanischen Shah Deniz-Erdgasfeldes erwei­ tert und die Türkei aus der erweiterten Förderung 6 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr beziehen wird. »Das Erdgas aus Aserbaidschan ist... der Schlüssel zum Bau von Nabucco«, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung.4772 Auch soll die autono­ me kurdische Provinz Nordiraks mit in das Lieferabkonmmen einbezogen wer­ den. Auf einer Konferenz in London im Juni 2010 soll deren Rohstoffminister ein Liefervolumen von 14 Milliarden Kubikmeter jährlich zugesagt haben - vorbehalt­ lich einer Zustimmung der Zentralregierung in Bagdad. Doch sollte diese Verein­ barung, die dem >NabuccoNabuccoNabucco< im Oktober 2010.4776 Um der Abhängigkeit von den Unwägbarkeiten der europäischen Erdgasstrate­ gie, die sich an den transatlantischen Vorgaben ausrichtet, zu entgehen, verstärkte Rußland statt dessen die eurasische Energiezusammenarbeit mit der Volksrepu­ blik China. Zum Ausdruck kam dies Ende September 2010, als Rußland und China anläßlich der Eröffnung einer neuen Erdölleitung von Ostsibirien zum nordchine­ sischen Daquing eine strategische Energiepartnerschaft beschlossen. Durch diese Pipeline soll von Januar 2011 an 20 Jahre lang russisches Öl nach China fließen; von 2015 an soll erstmals auch russisches Erdgas über eine neue »Altai-Pipeline« für 30 Jahre an die Volksrepublik geliefert werden. Im Gegenzug erhalten die russischen Gesellschaften Rosneft und Transneft von der Chinesischen Entwicklungsbank ei­ nen Kredit über 25 Milliarden Dollar. Für beide Seiten stellt dieses Abkommen eine natürliche energiegeopolitische Symbiose dar, denn Rußland und China streben danach, unabhängiger von ihren bisherigen Rohstofflieferanten und Abnehmern zu werden. »China ist einer der größten Energieverbraucher der Welt«, so die Be­ urteilung der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, »Rußland ein führender Lieferant. Moskau hat Interesse, seinen Export zu diversifizieren, da es in seinen Hauptmärk­ ten Ost- und Westeuropa Widerstände gegen die zunehmende Energieabhängig­ keit gibt. Auch setzt es auf chinesisches Geld für die Erschließung neuer Vorkom­ men und den Ausbau der Infrastruktur. Peking seinerseits will unabhängiger von seinem Hauptenergieträger Kohle werden und sieht Rußland als Verbündeten in den wirtschaftlichen Auseinandersetzungen mit Europa und den Vereinigten Staa­ ten.«4777 Deshalb ist für China diese Pipeline ein wichtiger Teil seiner Strategie, die Ener­ gieversorgung und neue Lieferwege für seine rasant wachsende Wirtschaft zu fin­ den. Eine Energiepartnerschaft ist daher für beide Seiten äußerst vorteilhaft; China

XII. Grundlagen der US-Eurasienstrategie unter Barack Obama

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ist imstande, seine Energieabhängigkeit von den Unwägbarkeiten der zentralasia­ tischen Lieferantenstaaten zu verringern und an deren Stelle in Rußland einen sta­ bilen Lieferanten zu finden, da Rußland genau das liefern kann, was das energie­ hungrige Reich der Mitte braucht. Zwar spielt der Gaslieferant Turkmenistan in diesem Großen Spiel nach wie vor eine entscheidende Rolle, und China hatte im Jahre 2009 eine Pipeline eingeweiht, die durch Usbekistan nach Turkmenistan führt. Allerdings bestehen Zweifel, inwieweit Turkmenistans Gasreserven ausreichen, die Interessen Rußlands, Chinas und auch der Europäischen Union zu befriedigen. Zudem wird Turkmenistan heftig von den USA und der Europäischen Union für das >NabuccoNabuccoImperium AmericanumPower Projection< in Gestalt amphibi­ scher Operationen an den >Rimlands< Eurasiens fähig, aber nicht zu einer wirkli­ chen kontinentalen Kriegführung imstande - das Beispiel des Korea-Krieges machte deutlich, daß sie die große militärische Auseinandersetzung mit einer Kontinental­ macht nicht bestehen können. Dessen ist sich die US-Machtelite auch bewußt; und aus diesem Grund ist sie bemüht, im Wege eines >burden sharing< (Lastenvertei­ lung) die Absicherung einer US-Hegemonie in Eurasien mit Hilfe einer globalisier­ ten NATO zu betreiben. Tatsache ist, daß die USA langfristig in den »neuen Ach­ sen der Macht« - nämlich China und Rußland - die Grenzen ihres informellen Imperiums< erblicken müssen. Die ökonomische Abhängigkeit der USA von ihrem strategischen Gegner der Zukunft, China, das den Hauptteil der Weltdollarreser­ ven hält, ist zu groß, um eine direkte Konfrontation zu wagen. Aus diesem Grund wählen die USA im Sinne Liddell Harts den Weg einer »in­ direkten Strategie« ähnlich wie am Beispiel Rußlands in den Fällen Georgiens, der Ukraine und auch des Kaukasus, um nunmehr auch China in die Knie zu zwingen - die gegenwärtigen Entwicklungen in Tibet und Xinijang sind, was sich an USamerikanischen Quellen und Büchern belegen läßt,4784 zu einem sehr großen Teil auch >black operations< der CIA. Das Ziel ist dabei die >Balkanisierung< Chinas unter Ausnutzung der wirtschaftlich-sozialen Spannungen, denen sich auch die Volksre­ publik im Zuge der Weltfinanzkrise ausgesetzt sieht. Auch die territoriale Auflösung Rußlands wird hinter den Kulissen vorangetrie­ ben. So bestätigte sich beispielsweise zwischenzeitlich auch, daß der schwelende

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Krisenherd Tschetschenien im wesentlichen durch die USA mitgestaltet wurde. Eine jüngste Dokumentation des Journalisten Anton Wernitski im russischen Fernsehen mit dem Titel Der Kaukasus-Plan deckte die massive westliche Unterstützung der tschetschenischen Rebellen auf. Dieser >Kaukasus-Plan< zielt den Recherchen Wer­ nitskis zufolge darauf ab, nach dem Zerfall der UdSSR nunmehr auch Rußland »in viele kleine Staatsgebilde zu zerschlagen«. In dem Dokumentarfilm wird mehre­ ren Westmächten vorgeworfen, der von Dschochar Dudajew Ende 1991 einseitig und ohne russische Anerkennung ausgerufenen >Tschetschenischen Republik Itschkeria< vielfältige Hilfe geleistet zu haben: »So soll die neue Währung der »Republik< in Deutschland gedruckt worden sein, während Frankreich die Herstellung der neuen tschetschenischen Reisepässe übernommen habe. Der Waffennachschub für Dudajews Kämpfer soll über Georgien organisiert worden sein. Die Sezessionis­ ten wurden laut der Dokumentation ebenfalls von den USA, Großbritannien, Sau­ di-Arabien und vor allem der Türkei unterstützt.«4785 Bezeugt wird dies durch den 1992 von Dudajew ernannten tschetschenischen Vize-Außenminister Berkan Yashar: »Er soll seit Dekaden auf der Gehaltsliste des amerikanischen Außenministeriums gestanden haben. Yashar, ein türkischer Staats­ bürger tschetschenischer Herkunft, soll ebenso über engste Kontakte zur türkischen Regierung verfügt haben... Yashars Vorgesetzter, der ehemalige tschetschenische Außenminister Shamseddin Yusuf, bestätigte das Engagement amerikanischer Ge­ heimdienste bei der Förderung der Sezessionisten: >Die CIA nahm uns sogar mit nach Londonspirituelle und finanzielle Unterstützung< gewährte. Zu beachten ist, daß Perle Mitglied des »Amerkanischen Komitees für Frieden in Tschetschenien< ist. Schon lange ist deutlich, wo die Achillesferse des >Imperium Americanum< liegt. Es ist das hohe Haushaltsdefizit der USA, das gleichzeitig die Voraussetzung und auch die Schwäche des >informellen Imperiums< der USA darstellt. Um ihre gewal­ tige Militärmaschinerie unterhalten und ausbauen zu können, haben die USA zu deren Finanzierung die Druckerpresse inganggesetzt, was im Laufe der Zeit zu einer Anhäufung der Staatsschulden geführt hat - Joseph Stiglitz hat dies am Bei­ spiel des Irakkrieges im einzelnen untersucht. Im Zuge der Finanzkrise war ihr Haushaltsdefizit im Jahre 2009 auf 1,1 Billionen Dollar gestiegen; insgesamt waren die USA 2009 bereits mit 11,5 Billionen Dollar verschuldet.4787 Der riesige Rüstungs­ bereich hatte in den vergangenen Jahrzehnten gewaltige materielle Ressourcen aus der Zivilwirtschaft vereinnahmt. »Die Folgen lassen sich am enormen Handelsbi­ lanzdefizit der USA beobachten, das sich allein im Jahr 2008 auf 706 Mrd. Dollar belief.«4788 Das US-Imperium erweist sich daher schon seit langem als ein Schulden­ imperium. »Es gab noch nie eine Supermacht, die gleichzeitig auch der größte Schuldner war - außer den USA«, erklärte Fred Bergsten, Chef des Peterson-Insti­

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
informelle Imperium< der USA funktionieren kann, ist es zwingend erforderlich, daß dessen Schulden vom Ausland finanziert werden. Das heißt konkret, daß die USA förmlich auf die Bereitschaft der internationalen Staa­ tenwelt angewiesen sind, Dollarreserven oder US-Staatsanleihen als Devisenreser­ ve aufzukaufen. In Washington ist man also »vom Zufluß ausländischen Kapitals zur Deckung des riesigen Staatsdefizits und der Staatsverschuldung abhängig. Wird dieser Zufluß unterbrochen, dann bricht der Dollar ein, und die US-Wirtschaft wird noch weiter kollabieren«.4790 Im Grunde genommen haben die USA in dieser Lage nur zwei Möglichkeiten, auf die Erosion ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu reagieren, wie Milita­ rismus-Experte Jürgen Wagner darstellt: »Entweder man kürzt radikal das Militär­ budget, was aber zur Folge hätte, daß die USA ihren Anspruch auf globale Vor­ herrschaft - das erklärtermaßen Ziel sämtlicher US-Strategiepapiere ist - aufgeben und somit den Aufstieg anderer Großmächte akzeptieren müßten, oder man be­ schließt, kriegerisch jeglichen antihegemonialen Tendenzen zu begegnen.«4791 Kurz gefaßt sind die USA - wollen sie ihre Weltherrschaft verteidigen - also gezwungen, eine globale Finanzarchitektur gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln auf­ rechtzuerhalten, in der die Funktion des Dollars als Weltleitwährung garantiert ist. Diese Notwendigkeit gilt insbesondere seit den siebziger Jahren, als der Dollar nach dem Zusammenbruch des seit Ende des Zweiten Weltkrieges bestehenden GoldDollar-Systems unter Druck geriet. Wie oben analysiert, hatten die USA im Zuge der Wirtschaftskrise in den siebzi­ ger Jahren und mit dem zunehmenden Verlust ihrer Hegemonialstellung jedoch ein Öl-Dollar-Tributsystem aufbauen können, das bis heute besteht. In dessen Zen­ trum steht die Abrechnung von Öl in Dollar, wodurch die Rolle des Dollars als Weltleitwährung sichergestellt ist. »Hierdurch wurde eine Art modernes Tributsy­ stem etabliert, in dem die Vasallen (Europa, Japan, China...) zur Finanzierung der US-Defizite gezwungen werden.«4792 Der Analyse Jürgen Wagners zufolge liegt der größte Vorteil dieses Systems darin, daß sich die USA beliebig verschulden kön­ nen, um ihr Imperium zu finanzieren, denn jeder Staat, der sich am Öl- und Gas­ handel beteiligen will, muß im umfangreichen Maße Dollarreserven einkaufen.4793 »Jeder akzeptiert Dollars, weil man mit ihnen Öl kaufen kann.«4794 Dabei ist es gerade der strategische Konkurrent China, der bei weitem die größ­ ten Dollarreserven hält; Experten gehen davon aus, daß China etwa zwei Drittel

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seiner Devisenreserven von ungefähr zweieinhalb Billionen Dollar in US-Staatsanleihen investiert hat.4795 Diese Zahlen machen deutlich, welche Bedeutung China für die Finanzierung des US-Außenhandelsdefizits hat - und welche Gefahren eine monetäre Umschichtung seitens der chinesischen Notenbank (z.B. zugunsten des Euro) für die US-Wirtschaft mit sich bringen würde: »Würden nun die Dollarbe­ stände (in Form von Staatsanleihen) in Euro umgetauscht, dann käme es zu einer Dollarkrise, wie wir sie noch nie erlebt haben. Man schätzt einen Kurseinbruch von bis zu 40 Prozent«, so schätzt Finanz-Experte F. William Engdahl die Lage ein.4796 Im Zuge der Weltfinanzkrise aber wurde deutlich, daß China gegenwärtig daran arbeitet, Umschichtungen innerhalb seiner Devisenreserven vorzunehmen. »Auf den Devisen- und Goldmärkten wird schon länger gemunkelt, ob die Volksrepu­ blik ihre Dollar-Reserven abstoßen und in Gold anlegen wolle... Chinas Währungs­ reserven vervielfachten sich seit dem Jahr 2000 um das Zehnfache. Dagegen schrumpften die Dollarreserven seitdem im Verhältnis aller monetären Reserven von 2,2 Prozent auf heute 1,6 Prozent.«4797 In China wird die aktuelle Finanzentwicklung in den USA mit großer Sorge be­ obachtet, und schon Mitte März 2009 hatte der chinesische Ministerpräsident Wen Jiabao angesichts der ausufernden US-Verschuldung seine Sorge über die Sicher­ heit der chinesischen Investitionen zum Ausdruck gebracht. »Das Problem: Mehr als anderswo auf der Welt bekämpft die US-Notenbank Fed die Rezession und die drohende Deflation mit billigem Geld. Die unschönen Begleiterscheinungen sind: ein ausuferndes Staatsdefizit, eine steigende Inflationsgefahr - und ein Dollar, der mehr und mehr an Attraktivität verliert.«4798 Und wenn der Dollar im Zuge der Weltfinanzkrise weiter an Wert verliert, gehen auch die Währungsreserven der Chinesen, immerhin rund zweieinhalb Billionen Dollar, in den Keller. Im März 2009 machten China und Rußland, die größten Gläubiger der USA,4799 vor diesem Hintergrund deutlich, daß sie nicht mehr bereit sind, das bestehende Tributsystem der USA weiter zu finanzieren. »Aufgrund der Rolle des US-Dollars als De-Facto-Leit- und Reservewährung der Welt war ein einziger Staat, die Verei­ nigten Staaten von Amerika, in der Lage, praktisch unbegrenzte Mengen seiner eigenen Währung zu drucken und damit seinen eigenen Finanzsektor auf Kosten aller übrigen Länder der Welt mit massiven Finanzspritzen zu versorgen - wo­ durch der Rest der Welt gezwungen ist, diese de facto inflationierten und zuneh­ mend wertlosen US-Dollars zu akzeptieren.«4800 Chinesische und russische Regierungsvertreter ließen die US-Regierung aber jetzt wissen, daß sie weniger amerikanische Staatsanleihen kaufen wollen.4801 Rußland hatte andere Staaten zudem dazu aufgerufen, eine Alternative zum US-Dollar zu entwickeln, und schlug die Prüfung einer supranationalen Reservewährung vor, die auf den sogenannten Sonderziehungsrechten des Internationalen Währungfonds - einer Kunstwährung, beruhend auf der Wertentwicklung von Dollar, Yen, Euro und britischem Pfund - als Ersatz für die bisherige Leitwährung wirken soll. Mit

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
BRICEines Tages wird der Westen aufwachen und feststellen, daß er eine historische Weichenstellung verschlafen hat.Imperium Americanum
Hinterhof< Mittel- und Südamerika, der in den vergangenen einhundert Jahren immer wieder Ziel einer irregulären amerikanischen Interventionspolitik gewesen ist, zeichnen sich Bestrebungen einiger Staaten unter Führung von Caracas ab, dem von den USA bestimmten Freihandelssystem NAFTA die ALBA, die >Bolivianische Alternative< des venezolanischen Staatschefs Hugo Chávez, entgegenzustellen. An dieser Gegenmachtbildung sind China und Rußland aktiv beteiligt. Südamerika wird - neben Eurasien selbst und auch Afrika - zu einem der wichtigen Schlüssel­ räume, in dem die Machtproben eines russisch-chinesischen Bündnisses (und ihrer südamerikanischen Bundesgenossen) mit der Hegemonialmacht USA stattfinden werden. »Daß die alten und neuen Supermächte den Schauplatz nun wiederent­ decken, ist kein Zufall. Hohe Rohs toffpreise machen Lateinamerika mit seinem Erdöl und Gas, all dem Kupfer, Gold und Nickel strategisch wichtig.«4828 Nach überein­ stimmenden Analysen haben die USA in diesem Raum seit geraumer Zeit an Ein­ fluß verloren, zumal die Staaten Bolivien und Venezuela mit ihrem ALBA-Bündnis, dem sich auch Ecuador - dessen Präsident Rafael Correa den Vertrag für die USMilitärbasis in Manta nicht verlängern will - wie Nicaragua angeschlossen haben, eine gezielt gegen den US-Imperialismus gerichtete Raumordnung durchsetzen wollen. Symbolhaft für die sich abzeichnende Loslösung Südamerikas von der US-ame­ rikanischen Herrschaft mag die Verweisung des US-amerikanischen Botschafters Philip Goldberg aus Bolivien im September 2008 sein, da er im dringenden Ver­

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
Hinterhofs der USA< umkehren. Tatsächlich kam es seit September 2008 zu einer Vertiefung der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Caracas, die von einer technisch-militärischen Kooperation bis zur energiepo­ litischen Zusammenarbeit reicht. Insbesondere ist eine engere Zusammenarbeit der Seestreitkräfte beider Länder ins Auge gefaßt worden, was Mitte November 2008 in einem gemeinsamen russisch-venezolanischen Flottenmanöver zum Ausdruck kam. Zudem vereinbarten der venezolanische Energiestaatskonzern PDVSA und Gazprom die Gründung eines gemeinsamen Energiekonsortiums. Diese Entwicklungen sind von nicht zu unterschätzender geopolitischer Brisanz. Rußland unterstreicht hiermit, daß es sehr wohl zu einer Machtprojektion imstan­ de ist, die über den begrenzten eurasischen Aktionsradius hinausgeht und den USA in ihrer eigenen Interessensphäre gegebenenfalls empfindliche Nadelstiche verset­ zen kann. Diese »Strategie der Spannung« (F. William Engdahl) muß dabei als Antwort Moskaus auf die Expansion der USA und der NATO in den eurasischen Raum begriffen werden: »Mit seinem Auftritt in der Nachbarschaft der USA rea­ giert der Kreml offensichtlich zugleich auf amerikanische Einmischung in seinem Einflußgebiet und auf Nato-Planspiele mit dem Ziel einer Aufnahme Georgiens.«4829 In seiner Gesamtstrategie hat Rußland vor diesem Hintergrund Venezuela und gewissermaßen ganz Lateinamerika eine besondere geopolitische Funktion zuge­ dacht: Der Kontinent soll - so Putin - zu einem »wichtigen Glied in der Kette der sich herausbildenden multipolaren Welt« werden.4830 Um dem globalen Vorherr­ schaftsstreben der USA - das in jüngsten russischen Strategiedokumenten als die schwerwiegendste Herausforderung russischer Sicherheitsinteressen betrachtet wird - begegnen zu können, benutzt Rußland nunmehr zielgerichtet das Vakuum, das die USA in den vergangenen Jahren in Lateinamerika zurückgelassen haben, um sich zum einen für die Ausdehnung der US-Einflußsphäre in Osteuropa zu revanchieren4831 und zum anderen, um südlich des Rio Grande wieder Fuß zu fas­ sen und ein paar Nadelstiche gegen Washington zu setzen. Auch China ist es gelungen, in Lateinamerika an Einfluß zu gewinnen. Die Volks­ republik nahm das Gipfeltreffen der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation im November 2008 zum Anlaß, die Beziehungen zu einzelnen Ländern auf dem rohstoffreichen und in den letzten Jahren wirtschaftlich aufstrebenden südameri­ kanischen Kontinent weiter auszubauen. Dabei geht es Peking vor allem um die Sicherung seines riesigen Rohstoffbedarfs; es ist bereits jetzt der führende Abneh­ mer lateinamerikanischer Ressourcen, und Experten zufolge wird der Ausgriff der Volksrepublik China nach Lateinamerika als Teil einer >größeren Strategie< betrach­ tet.4832

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Inwieweit es gelingt, die kontinentale Integration Südamerikas in Zusammenar­ beit mit Rußland und China zu einer Gegenmacht zur USA aufzubauen, hängt im wesentlichen von der südamerikanischen Führungsmacht Brasilien - der zehnt­ größten Industrienation der Welt - ab, welche im Begriff ist, in den Kreis der zehn reichsten Ölländer der Welt aufzusteigen. Hier sind es vor allem die USA, die sich aktiv um eine Kooperation mit Brasilien bemühen, insbesondere, um den Einfluß von Chavez einzudämmen. Aber auch Rußland hat den ungeheuren strategischen Wert dieses Staates bereits erkannt, und so kam es im November 2008 im Rahmen eines Staatsbesuches des russischen Präsidenten Medwedjew in Rio de Janeiro zu einem Abschluß mehrerer Abkommen über die Zusammenarbeit im Bereich Mili­ tär- und Raumfahrttechnik. Beide Staaten unterzeichneten einen Vertrag zur Zu­ sammenarbeit, der den Austausch von militärisch-technischem Wissen fördern soll. Die Staatschefs beider Länder hoben dabei die Notwendigkeit einer multipolaren Weltordnung hervor, die insbesondere die neuen aufstrebenden wirtschaftlichen und politischen Machtzentren mit einbezieht. Sie betonten überdies die Fortset­ zung der Zusammenarbeit mit den zwei weiteren aufstrebenden Mächten China und Indien im Rahmen der BRIC-Gruppe. Daß die USA diese Entwicklungen mit besonderer Aufmerksamkeit beobachten, liegt auf der Hand. »Mit Argwohn verfolgt Washington, wie Rußland zunehmend mit antiamerikanischen Staaten zusammenarbeitet«, beurteilt die Frankfurter Allge­ meine Zeitung die Haltung der USA,4833 und daß die Vereinigten Staaten Lateiname­ rika nach wie vor als ihre Interessensphäre betrachten, wird nunmehr durch die Reaktivierung der IV. US-Flotte unterstrichen, deren Einsatzgebiet Lateinamerika, Mittelamerika und die Karibik umfaßt. Da die gegenwärtige Außenpolitik Brasili­ as sich aber alle Möglichkeiten offenhält und gegenwärtig trotz aller Kooperations­ ansätze mit Rußland aber auch einer Zusammenarbeit mit Washington nicht ab­ lehnend gegenübersteht, scheint sich Südamerika gegenwärtig in zwei Blöcke aufzuteilen, und zwar zwischen der Achse USA-Kolumbien einerseits und einer sich um Venezuela gruppierenden Staatenorganisation (ALBA) andererseits, die mit Rußland und China Zusammenarbeit. Für den künftigen geopolitischen Weg Lateinamerikas aber wird die außenpolitische Ausrichtung Brasiliens die entschei­ dende Rolle spielen. Insgesamt zeichnet sich deutlich ab, daß die Entwürfe für eine neue Weltord­ nung nicht mehr ausschließlich in Washington, sondern vielmehr in Peking, Mos­ kau und Neu Delhi entwickelt werden. Folgerichtig lautete auch die Schlußfolge­ rung einer Analyse des CIA-Think-Tanks >National Intelligence Council< (NIC): »Die Globalisierung wird zunehmend ein nicht-westliches Gesicht bekommen«, und so wird in den Machtzirkeln der westlichen Welt bereits über eine Strategie­ entwicklung für ein post-amerikanisches Zeitalter von morgen nachgedacht: Im Laufe des Jahres 2009 kamen Inhalte einer geheimen Studie des Bundesnachrich­ tendienstes ans Tageslicht, in der drei mögliche Szenarien eines weiteren Verlaufs

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
USS George Washington< nicht nur ins Japanische Meer, sondern auch ins Gelbe Meer zu schicken«, so die Frankfurter Allgemeine Zeitung, »war die Empörung in Peking groß. Denn damit liege die Volksrepublik in dessen Reichweite, hieß es in Peking. >Provozierend< nannte das der Militärexperte Luo Yuan in einem Artikel für eine Armeezeitung. Den Amerikanern warf Luo Yuan Hegemonialstreben, Kanonen­ bootpolitik und Unilateralität vor. Parallel zu den amerikanisch-koreanischen Ma­ növern hat China auch eigene Übungen abgehalten. In chinesischen Fachkreisen ist man sich einig, daß es Amerika mit dem Manöver nicht nur um die Einschüchte­ rung Nordkoreas gehe, sondern um die Ausweitung seines Einflusses in Asien und

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
Eindämmung ChinasKerninteressenKerninteressenneuen chinesisch-indischen KondominiumsPerlenkettenstrategie< Stützpunkte entlang der Tankerrouten im Indischen Ozean gesichert. Hierzu hat es Verträge zur Nut­ zung von Seehäfen für seine Streitkräfte mit Myanmar, Bangladesh und Pakistan abgeschlossen. Aufgrund dieser zunehmenden Konkurrenz der Großmächte bei der Energie- und Ressourcensicherung spricht Friedbert Pflüger vom »Beginn ei­ ner Ära eines globalen Energie- und Rohstoffimperialismus«; der vorherrschende Konflikt der Weltpolitik im 21. Jahrhundert sei der Kampf um Energie, Rohstoffe und Wasser. »Nationalismus, Kolonialismus und Imperialismus des 19. Jahrhun­ derts kehren zurück... Ein neues großes Schachspiel hat begonnen«4848 - ein Schach­ spiel, das zu einer geopolitischen Umschichtung führen wird: »Der Westen hält sich immer noch für den Nabel der Welt und akzeptiert nur widerwillig, daß au­ ßerhalb seiner Sphäre neue Mächte heranwachsen, die ihm seine jahrhundertelan­ ge Dominanz streitig machen. Immerhin wittert der amerikanische GeheimdienstThink-Tank NIC Gefahr und Umbruch: >Die Welt wird nicht-westlicherImperium Americanum
Imperium Americanum
verlorene Jahrzehnt< wirtschaftlicher Malaise, das inzwischen deutlich ins zweite Jahrzehnt hineinreicht - ausgemacht.4866 Folgt man den Analy­ sen des amerikanischen Ostasienexperten Chalmers Johnson, so lag die geheime Agenda der USA darin, den wirtschaftlichen Aufstieg Ostasiens zu untergraben: »Am Ende des Kalten Krieges beschlossen die Vereinigten Staaten, daß sie (die Wirtschaft) Ost-Asiens zurückschrauben müßten, wenn sie ihre globale Hegemo­ nie behaupten wollten.«4867 Johnson weiter: »Die globale Wirtschaftskrise am Ende des Jahrhunderts (die Asienkrise 1997, der Verf.) hatte ihre Ursprünge in dem Ver­ such der USA, die Volkswirtschaften ihrer Satelliten und der von ihr abhängigen Länder in Ostasien für den Weltmarkt zu öffnen und auf eine neue Grundlage zu stellen. Sinn und Zweck war, sie zum einen als Konkurrenten in die Schranken zu verweisen, und zum anderen, den Anspruch der USA auf die Rolle der globalen Hegemonialmacht abzusichern... Unter eher engstirnigen Gesichtspunkten muß das als ein wichtiger imperialer Erfolg der USA gewertet werden.«4868 Der Verdacht liegt nahe, daß die USA die gleiche Strategie jetzt auch auf China anwenden wollen. Eine Aufwertung des Yuan hätte eine Zunahme der Nettokapi­ talabflüsse aus China zur Folge.4869 Ferner würde sie »das Wachstumsmodell zer­

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
Dollarstaubsauger< weg, so steht kein Retter für die Fi­ nanzierung des gigantischen US-Defizits mehr bereit. Zur Umschreibung des chinesisch-amerikanischen Abhängigkeitsverhältnisses prägte der britische Wirtschaftshistoriker Niall Ferguson den Begriff »Chimerica«. »China sei zum Bankier der USA geworden, doch von Amerikas Standpunkt aus hätte sich das fürs erste als der beste Weg erwiesen, die guten Zeiten der letzten Jahre fortzusetzen durch den Import billiger Waren aus China. Darüber hinaus hätten die US-Unternehmen durch das Outsourcing der Produktion an den Wohl­ taten billiger Arbeit teilhaben können. Entscheidend sei gewesen, daß die People‘s Bank of China durch ihre Milliardenanleihen den USA deutlich niedrigere Zinsen ermöglichten, als sie sonst zu erwarten gewesen wären. Statt eines American Em­ pire sei so ein neuartiges Gebilde entstanden«,4876 das der Wirtschaftshistoriker als »Chimerica« bezeichnte. Ferguson weiter: »Willkommen in dem wunderbaren Doppelland >Chimerica< - China und Ame­ rika - das über mehr als ein Zehntel der Erdfläche verfügt, ein Viertel ihrer Bevöl­ kerung umfaßt und für ein Drittel des Weltwirtschaftsprodukts und mehr als die Hälfte des globalen Wirtschaftswachstums in den letzten acht Jahren steht... Die Westchimerikaner machten die Ausgaben. Die chinesischen Importe hielten die Inflation in den USA niedrig. Die chinesischen Ersparnisse hielten die amerikani­ schen Zinsraten niedrig. Chinesische Arbeit hielt die amerikanischen Lohnkosten niedrig. Im Ergebnis war es bemerkenswert günstig, Geld zu leihen und bemer­ kenswert profitabel, ein Unternehmen zu führen.« Aber die wunderbaren Zeiten niedriger Realzinsen und hoher Unternehmensprofite hatten Ferguson zufolge auch eine Falle gestellt: Je mehr China bereit gewesen sei, den USA Geld zu leihen, desto mehr seien die Amerikaner bereit gewesen, Schulden zu machen. »Chimerika« sei so zur Grundlage der Blase von Bankkrediten, der Ausgabe von Staatsanleihen und neuer Derivate geworden.4877 Die Frankfurter Allgemeine Zeitung beschreibt das ame­ rikanisch-chinesische Verhältnis so: »Kritiker sagen: China exportiert zu viele Wa­

XIII. Die Gefährdung des >Imperium Americanum
Gegenkoalition< dermaßen stark, daß die ihr widerstehende Macht und das von ihr geführte Bündnis nicht imstande sind, dem militärischen und wirtschaftli­ chen Zweikampf standzuhalten. Folglich birgt jedes Hegemonialstreben in sich den Keim seiner eigenen Niederlage.«4885

Anmerkungen 1

Wjatscheslaw Daschitschew, Moskaus Griff nach der Weltmacht - Die bitteren Früchte hegemonialer Politik, Berlin-Bonn 2002/S. 509. 2 »Zeit der Wirren« - mit diesem Begriff werden all­ gemein die chaotischen Verhältnisse in Rußland nach dem Tod Iwans IV., des Schrecklichem, bezeichnet. 3 L. L. Matthias, Die Kehrseite der USA, Hamburg 1971, S. 126. 4 Zit. aus: Jean Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre globalen Widersacher, München 2005, S. 36. 5 L. L Matthias, aaO. (Anm. 3), S. 130. 6 So beispielsweise Emmanuel Todd, der in seinem Buch La Chute finale im Jahre 1976 den Untergang des Sowjetreiches voraussagte. 7 Peter S choll-Latour, Der Fluch des neuen Jahrtau­ sends, München 2002, Kapitel: »Putin lebt im Kalten Krieg«, S. 264-268 (S. 267). 8 Zit. aus: Heinz B rill, Geopolitik heute. Deutschlands Chance?, Berlin 1994, S. 20 f. 9 Richard Bernstein u. Ross M. Munro, Der kommen­ de Konflikt mit China - Das Reich der Mitte auf dem Weg zur neuen Weltmacht, München 1997. 10 Ebenda, S. 7 f. 11 Ebenda, S. 9. 12 Vgl. Alfred Zänker, Epoche der Entscheidungen Deutschland, Eurasien und die We lt von morgen, Asen­ dorf 1992, S. 13. 13 Heinz Brill, »Ausblick auf Raum und Zeit. Geo­ politik - eine erstaunliche Renaissance«, in: Das Par­ lament, Nr. 8/2002, 22. 2. 2002. 14 Alfred Zänker, Epoche der Entscheidungen, aaO. (Anm. 12), S. 27 f. 15 Nach Heinrich Jordis von L ohausen (Mut zur Macht - Denken in Kontinenten, Berg am See 1979, S. 207) stammt das Wort >Glacis< »aus der Befestigungsleh­ re und bezeichnet hier ein freies, dem Gegner keiner­ lei Deckung bietendes Schußfeld, in weiteren Sinne ein übersichtliches Gebiet vor der eigenen Landes­ grenze, entweder dazu ausersehen, die Annäherung des Feindes zu verzögern und seinen Aufmarsch sichtbar zu machen oder der Entfaltung eigener Angriffsarmeen Raum zu geben; also eine Art Nie­ mandsland zur eigenen Verfügung, ein Vorfeld von sowohl defensiver als auch offensiver Bedeutung.« 16 Heinrich Jordis von Lohausen, ebenda, S. 107. 17 Boris Meissner, »Die Konstanten und variablen Faktoren russischer Außenpolitik«, in: Boris Meissner u. Gotthold Rhode (Hg.), Die Grundfragen sowjetischer

Außenpolitik, Stuttgart-Berlin-Köln-Mainz 1970, S. 9 ff.; zit. in: Heinz Brill, aaO. (Anm. 8), S. 122. 18 Heinz Brill, ebenda, S. 122. 19 Emmanuel Todd, Weltmacht USA - Ein Nachruf, München-Zürich 2004, S. 198. 20 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 122. 21 Einer der Friedensmacher von 1919, der britische Premierminister David Lloyd-George, sprach davon, daß diesem Staatengürtel, insbesondere Polen, die Rolle zugewiesen wurde, »die russische Flut einzu­ dämmen und Deutschland in Schach zu halten«. 22 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO., (Anm. 8), S. 123. 23 Den Mechnismus dieser ideologisch-politischen Gleichschaltung stellt eindrucksvoll Wolfgang Leon­ hard in seinem Buch Eurokommunismus dar. Hierin beschreibt er auch, daß die Sowjetunion zur Herstel­ lung eines solchen einheitlichen Kurses innerhalb ihres Bündnissystems ein eigenes Forum schuf, näm­ lich das Kommunistische Infomationsbüro, das im September 1947 ins Leben gerufen wurde. Auf die­ ser Tagung legte der sowjetische Gesandte Shdanow fest, wie der Kurs der verbündeten kommunistischen Parteien auszusehen hätte: Die Welt sei nunmehr in zwei Lager gespalten, nämlich in das Lager des Im­ perialismus unter Führung der USA und in das La­ ger des Friedens und des Sozialismus unter Führung der Sowjetunion. Das bedeute, daß das Kriegsbünd­ nis der Sowjetunion mit den westlichen Alliierten beendet sei und deshalb alle kommunistischen Be­ wegungen Bündnisse mit bürgerlich-westlichen Par­ teien aufzukündigen hätten. Maßgeblich sei statt des­ sen ausschließlich der von Moskau vorgegebene Kurs. S hdanow forderte hier ein Prinzip ein, das S ta­ lin einmal wie folgt beschrieb: »Ein Revolutionär ist, der sich ohne Vorbehalt, bedingungslos, offen und ehrlich bereit ist, die UdSSR zu schützen und zu ver­ teidigen« (vgl. Leonhard, Eurokommunismus, wo?? wann??, S. 40). 24 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 126. 25 Heinz Brill, ebenda, S. 129. 26 Henning u. K örholz, Einführung in die Geopolitik, Leipzig-Berlin 1938, S. 59. 27 Ebenda. 28 So beschreiben Henning u. K örholz in ihrem Buch Einführung in die Geopolitik die Benachteilung des rus­ sischen Staates durch die See und seine Bestrebun­ gen, diese Nachteile zu kompensieren (vgl. ebenda, S. 60 f.).

1118 29

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Vgl. Hellmut D iwald, Seemachtpolitik im 20. Jahr­ hundert, München 1984, S. 11 f. 30 Flottenadmiral Sergej G. Gortschkow, Seemacht So­ wjetunion, Hamburg 1978, S. 9. 31 Hellmut Diwald, Seemachtpolitik..., aaO., (Anm. 29) S. 472. 32 Sergej G. G ortschkow, Seemacht Sowjetunion, aaO. (Anm. 30), S. 13 f. 33 Ebenda, S. 14. 34 Aus: U.S. Naval Institute P roceedings (USNIP), Vol. 89, 1963, H. 1, S. 33-39; (S. 39); zit. aus: Sergej G. Gortschkow, Seemacht Sowjetunion, ebenda, S. 14. 35 Ebenda, S. 234. 36 Hellmut Diwald, Seemachtpolitik. ., aaO., (Anm. 29) S. 473. 37 Michael Thumann, Das Lied von der russischen Erde - Moskaus Ringen um Einheit und Größe, StuttgartMünchen 2002, S. 20. 38 Ebenda, S. 12. 39 Eberhard Schneider u. Heinrich Vogel, »Struktur­ schwächen der russischen Innenpolitik«, in: Aus Po­ litik und Zeitgeschichte, B 42/99, S. 3-13 (S. 12). 40 Vgl. N.V. Petrov u. A. I. T reivish, »Risk Assesment of Russia‘s Regional Disintegration«, in: Klaus Seg­ bers u. Stephan de Spiegeleire (Hg.), Post-Sovjet Puz­ zle, Baden-Baden 1995, S. 145-176, aus: Eberhard Schneider u. Heinrich Vogel, ebenda, S. 12. 41 Vgl. Uwe Halbach, »Rußlands Bedrohung aus dem Süden, Teil I, Entwicklungen im Nordkaukasus«, in: Aktuelle Analysen des BIOst, 1998, S. 36, aus: Eber­ hard Schneider u. Heinrich Vogel, ebenda, S. 12. 42 Eberhard Schneider u. Heinrich Vogel, »Struktur­ schwächen in der russischen Innenpolitik«, in: eben­ da, S. 12. 43 »Kult der Stärke«, in: Der Spiegel, Nr. 32/2009, S. 82-86 (S. 82). 44 Ebenda, S. 86. 45 Ebenda, S. 84. 46 Zit. aus: Peter S choll-Latour, Der Fluch des neuen Jahrtausends, Kapitel: »Putin lebt im Kalten Krieg«, S. 264-268 (S. 266). 47 So die Einschätzung von Emmanuel Todd, Welt­ macht USA, aaO. (Anm. 19), S. 184. 48 Ebenda, S. 185. 49 Erwähnt in: Heinrich Wefing, »Das letzte Rom Die Hypermacht: Ist Amerika zu stark für diese Welt?« in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. 7. 2002. 50 Henry A. Kissinger, Die Herausforderung Amerikas - Weltpolitik im 21. Jahrhundert, Berlin 2003, S. 83. 51 Ebenda, S. 85.

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Ebenda, S. 83. Ebenda, S. 87. 54 Zit. aus: Michael Mann, Die ohnmächtige Supermacht - Warum die USA die Welt nicht regieren können, Frank­ furt/M. 2003, S. 22 f. 55 Ebenda, S. 23. 56 Zitate aus: Werner Link, Die Neuordnung der Welt­ politik - Grundprobleme globaler Politik an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, München 1999, S. 132. 57 Ebenda, S. 133. 58 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 54 f. 59 Ebenda, S. 55. 60 Zit. aus: Paul Kennedy, Aufstieg und Verfall der bri­ tischen Seemacht, Herford-Bonn 1978, S. 2. 61 Raymond Aron, Frieden und Krieg. Eine Theorie der Staatenwelt, Oldenburg 1963, S. 231. 62 Tilman Meyer, »Konfliktlinien in der Atlantischen Allianz«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 29-30/ 99, S. 22-29 (S. 23). 63 So Stefan F röhlich, Amerikanische Geopolitik - Von den Anfängen bis zum Zweiten Weltkrieg, Landsberg am Lech 1998, S. 21. 64 Ebenda, S. 22. 65 Klaus Schoenthal, Amerikanische Außenpolitik - Eine Einführung, Köln-Berlin 1964, S. 23. 66 Ebenda, S. 50 f. 67 Ebenda, S. 51. 68 Ebenda, S. 37. 69 Ebenda, S. 43. 70 Zit. aus: ebenda, S. 45. 71 Giselher Wirsing, Der maßlose Kontinent. Roosevelts Kampf um die Weltherrschaft, Jena 1943, S. 184. 72 Ebenda, S. 178. 73 Ebenda, S. 181. 74 Ebenda. 75 Ebenda, S. 182. 76 Ebenda, S. 183 f. 77 Die ausführliche Darstellung der Hintergründe wie auch der geopolitischen Bedeutung der MonroeDoktrin ist hier notwendig, da diese Doktrin auch heute noch in der geopolitischen Diskussion aller­ dings weniger in den USA als vielmehr in Rußland eine hohe Relevanz hat. Wie in einem späteren Ka­ pital zu zeigen wird, versuchen heute einflußreiche Vordenker einer russischen Geopolitik wie Alexan­ der D ugin und Alexeij M itrofanow den Inhalt dieser Lehre für Rußland fruchtbar zu machen. Mit der Lehre von einer völkerrechtlichen Großraumord­ nung mit Interventionsverbot für raumfremde Mächte wird der aggressive Vorstoß der USA und ihres 53

Anmerkungen 1. Kapitel (54—343) nordatlantischen Bündnissystems Richtung Ostmittel­ europa und Zentralasien als illegitim entlarvt und die Rekonstruktion Rußlands als »eurasischer Inte­ grationsknoten« begründet. 78 Klaus Schoenthal, aaO. (Anm. 65), S. 57 79 Der Amerika-Experte Giselher Wirsing formulier­ te treffend (aaO., Anm. 71, S. 184): »Wenn wir daher heute von der Monroe-Doktrin als von einem wich­ tigen Grundsatz einer künftigen Weltordnung spre­ chen, so ist damit nicht die universalistisch-imperia­ listische Verfälschung der Monroe-Doktrin gemeint, sondern jenes ursprüngliche Prinzip der Gegensei­ tigkeit der Nichteinmischung.« 80 Klaus Schoenthal, aaO. (Anm. 65), S. 57. 81 Charles A. u. Mary R. B eard, A Basic History of the United States, Philadelphia 1944, S. 338. 82 Zit. in: Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 23. 83 Ebenda. 84 Im Original zit. in: ebenda, Übersetzung durch den Verfasser. 85 »The Atlantic States, through their commercial, social and political affinities and sympathies, are steadily renovating the governments and the social constitutions of Europe and Africa. The Pacific States must necessarily perform the same sublime and be­ neficient functions in Asia. If, then, the American people shall remain an undivided nation, the ripe­ ning civilization of the West, after a Separation gro­ wing wider and wider for four thousand years, will, in its Circuit of the world, meet again and mingel with the declining civilization of the East on our own free soil, and a new and more perfect civilization will arise to bless the earth unter the sway of our own cherished and beneficient democratic instituti­ ons«, zit. aus: ebenda, S. 24. 86 Im Original zit. in: ebenda, S. 26; Übersetzung durch den Verfasser. 87 So beschreibt Stefan Fröhlich diese Denkschule, ebenda, S. 26. 88 Zit. aus: Klaus Schoenthal, aaO. (Anm. 65), S. 73. 89 Zit. aus: ebenda, S. 68 f. 90 Erich Angermann, Die Vereinigten Staaten von Ame­ rika seit 1917, München 1983, S. 13. 91 Ebenda, S. 14. 92 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 31. 93 Erich Angermann, aaO. (Anm. 90), S. 20. 94 So ebenda, S. 22. 95 Ebenda, S. 22 f. 96 Zit. aus: Karl-Heinz R öder (Hg.), Das politische Sy­ stem der USA - Geschichte und Gegenwart, Köln 1980, S. 110.

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Zit. aus: Hellmut Diwald, Seemachtpolitik..., aaO., (Anm. 29), S. 47. 98 Zit. aus: Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 33. 99 Homer Lea, Vergessene weltpolitische Einsichten (Deutsche Übersetzung von The day of the Saxori), Zürich 1980, S. 119 ff. 100 Ebenda, S. 132 f. 101 Ebenda, S. 150 f. 102 Homer Lea, The valor of ignorance, S. 76, zit. aus: Stefan Fröhlich, Amerikanische Geopolitik..., aaO. (Anm. 63), S. 34. 103 Homer Lea, Vergessene weltpolitische Einsichten, aaO. (Anm. 99), S. 152 f. 104 Ebenda, S. 168 f. 105 Ebenda, S. 169. 106 Homer Lea beschreibt deshalb auch einen deutli­ chen Unterschied zwischen der kontinentalen und der maritimen Kriegführung: »Zwischen der Krieg­ führung zur See und zu Land existieren einige na­ turgegebene Unterschiede, die trotz aller Fortschrit­ te der Technik sich nicht geändert haben. Ursache und Zweck von Kriegen, die relative Stärke und Schwäche der Gegner bestimmen den Kriegsschau­ platz, während wiederum die Besonderheiten die­ ses Kriegsschauplatzes Art und Durchführung des Kampfes selbst beeinflussen. In einem Krieg zwischen einer Inselmacht und einer Kontinentalmacht ist das Meer der erste Kriegsschau­ platz des Kampfes. Wird dabei der Inselstaat besiegt, dann ist der Krieg zu Ende, da die Landverteidigung eines Inselstaates gegen eine Kontinentalmacht, die das Meer beherrscht, eine politische, mitlitärische und wirtschaftliche Unmöglichkeit ist. Werden dagegen die Seestreitkräfte der Kontinen­ talmacht geschlagen, dann ergibt sich daraus nur eine Verlagerung des Kriegsschauplatzes von der See auf das Festland, von der Flotte zur Armee, da ein Kon­ tinentalstaat mit Landgrenzen wirtschaftlich unab­ hängig von der Seekontrolle des Inselstaates ist. Es müssen also zuerst seine Landstreitkräfte besiegt werden, bevor entweder seine innere Wirtschaftsla­ ge oder seine politische Lage so in Mitleidenschaft gezogen ist, daß er um Frieden ansuchen muß« (ebenda, S. 159). Die Kampfformenin einer militäri­ schen Auseinandersetzung sind deshalb nach Lea dreigeteilt: In einem Krieg zwischen zwei Seemäch­ ten stellt die Flotte das Hauptkampfmittel dar. In einem Krieg zwischen zwei Kontinentalmächten bil­ det die Armee das wichtigste Kampfmittel. In einem Kampf zwischen einer Seemacht und einer Konti­ nentalmacht muß eine überlegene Flotte, gepaart mit

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Baubeginn einer Eisenbahnlinie in der Mandschurei ausrückte. Im Februar 1904 griff die japanische Flot­ te russische Kriegsschiffe in Port Arthur an. Im sich entwickelnden russisch-japanischen Krieg versenk­ te im Mai 1905 die japanische Flotte die Hälfte der russischen Flotte bei Tschuschima. Darauf folgte der japanische Landangriff in der Mandschurei. Als es aber ganz danach aussah, daß die Japaner die Rus­ sen aus der Mandschurei hinauswerfen würden, protestierte US-Außenminister Hay. Dieser Angriff der Japaner verletze die Politik der Offenen Tür. Ja­ pan wurde den USA im Pazifik und auch auf dem asiatischen Kontinent zu mächtig. Japan mußte in seine Schranken zurückverwiesen werden, hatten die Amerikaner doch selbst große Interessen in Ostasi­ en. Deshalb vermittelte Präsident Theodore Roose­ velt den Frieden von Portsmouth, durch den Japan einen kleinen Teil der Mandschurei behalten durfte. 129 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 48, Fröhlich nimmt Bezug auf: Mahan, Problems of Asia, S. 67, und einen Brief Mahans an Roosevelt, 12. 3. 1901. 130 Ebenda, S. 49. Fröhlich nimmt Bezug auf: Ma­ han, Problems of Asia, S. 88,154 u. 163. 131 Mahan, Problems of Asia, S. 24; zit. in: Stefan Fröh­ lich, aaO. (Anm. 63), S. 49. 132 Ebenda, S. 54. Unter Hinweis auf einen gleichna­ migen Titel eines Artikels von Francis Sempa: »The Geopolitics Man«, in: The National Interest, 29 (Fall 1992), S. 96-102. 133 Die Darstellung seiner Werke zit. aus: Raymond Aron, Prieden und Krieg..., aaO. (Anm. 61), S. 229. 134 Zit. aus: Paul Kennedy, Aufstieg und Verfall der bri­ tischen Seemacht, aaO. (Anm. 112), S. 202. 135 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 56. 136 Paul Kennedy, Aufstieg und Verfall der britischen Seemacht, aaO. (Anm. 112), S. 203. 137 Halford Mackinder, Der geographische Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, zit. aus: ebenda. 138 Raymond Aron, Frieden und Krieg..., aaO. (Anm. 61), S. 231. 139 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 57. 140 Ebenda. 141 Zit. aus: Wenzel Jaksch, Europas Weg nach Pots­ dam, Köln 1970, S. 195. 142 Alfred Zänker, Epoche der Entscheidungen, aaO. (Anm. 12), S. 24 f. 143 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 58. 144 Ebenda, S. 59. 145 Im Original zit. in: ebenda; Übersetzung durch den Verfasser.

146 Alexandre del V alle, »A merikanische Strategie in Eurasien und Folgen des Kosovokrieges«, 5. 3. 2001, unter: http://www.alexandredelvalle.com/publications; dort im französischen Original, Übersetzung durch den Verfasser. 147 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 55. 148 Christopher J. Fettweis, »Sir Halford Mackinder, Geopolitics, and Policymaking in the 21. Century«, unter: http://www.carlisle.army.mil/usawc/Para­ meters/00summer/fettweis.htm 149 Carl Oglesby u. Richard Shaull, Amerikanische Ideo­ logie - Zwei Studien über Politik und Gesellschaft in den USA, Frankfurt/M. 1969, S. 70. 150 Zu diesem Thema siehe die hervorragende Ana­ lyse von Charles C. Tansill, Amerika geht in den Krieg, Selent 2001. 151 Erich Angermann, aaO. (Anm. 90), S. 57. 152 So ebenda, S. 59. 153 Zit. aus: Lawrence H. Shoup u. William Minter, Kulissenschieber e.V. - Der Council on Foreign Relati­ ons und die Außenpolitik der USA, Bremen 1981, S. 30. 154 Giselher Wirsing, Der maßlose Kontinent..., aaO. (Anm. 71), S. 188 f. 155 Nach dem Eintritt der USA in den Ersten Welt­ krieg. 156 Giselher Wirsing, Der maßlose Kontinent..., aaO. (Anm. 71), S. 189 f. 157 Dirk Bavendamm, Roosevelts Weg zum Krieg - Ame­ rikanische Politik von 1914 bis 1939, München-Berlin 1983, S. 101. 158 David Horowitz, Big Business und Kalter Krieg, Frankfurt/M. 1971, S. 114 f. 159 Ebenda, S. 116. 160 Ebenda. 161 Vgl.Thomas P. M. Barnett, The Pentagon‘s New Map - War and peace in the 21st. Century, New York 2004. 162 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 61. 163 So ebenda. 164 So George Louis B eer, »The War, the British Em­ pire and America« in: The Forum, 53 (1915), S. 565, zit. aus: Stefan Fröhlich, ebenda, S. 61. 165 Ebenda, S. 63. 166 Zit. aus: ebenda, S. 65. 167 Ebenda, S. 94 f. 168 Im Origninal zit. in: ebenda, S. 95. • 169 Ebenda, S. 98. 170 Ebenda, S. 115. 171 Ebenda, S. 118. 172 Ebenda, S. 124. 173 Ebenda, S. 125 f.

Anmerkungen 1. Kapitel (54r-343) 174 Ebenda,

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209 Ebenda, S. 178. S. 127. Noam C homsky, Hybris - Die endgültige Sicherung 210 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 149. der globalen Vormachtstellung der USA, Hamburg- 211 Zit. aus: Albert C. Wedemeyer, Der verwaltete Krieg, Wien 2003, S. 24. Düsseldorf 1960, S. 16. 176 Shoup/Minter, aaO. (Anm. 153), S. 95. 212 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 179. 177 Noam Chomsky, Hybris..., aaO. (Anm. 175), S. 24. 213 Ebenda, S. 179 f. 178 Zit. aus: Shoup/Minter, aaO. (Anm. 153), S. 95. 214 Ebenda, S. 181. 179 Ebenda, S. 96. 215 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 64. 216 Ernst-Otto Czempiel u. Carl-Christoph Schweizer, 180 Ebenda, S. 100. 181 Ebenda. Weltpolitik der USA nach 1945. Einführung und Doku­ 182 Ebenda, S. 100 f. mente, Bonn 1989, S. 320. 183 Zit. aus: ebenda, S. 101. 217 Ebenda. 184 Ebenda, S. 102. 218 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 62. 185 Ebenda. 219 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 65. 186 Ebenda, S. 119. 220 Ebenda, S. 109. 187 Ebenda. 221 Samuel P. Huntington, »Why International Pri­ 188 Ebenda. mary Matters«, in: International Security (Spring 189 Ebenda. 1993), S. 83; Übersetzung durch den Verfasser. 190 Ebenda, S. 119 f. 222 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 108. 191 L. L. M atthias, Die Kehrseite der USA, aaO. (Anm. 223 Zit. aus: Heinz B rill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 3), S. 126. 8), S. 63. 192 Stefan Fröhlich, aaO. (Anm. 63), S. 134 f. 224 Zbigniew Brzezinski, Planspiel - Das Ringen der 193 Nicholas Spykman, America‘s Strategy, S. 179, im Supermächte um die Welt, Erlangen-Bonn-Wien 1989, Original zit. in: Stefan F röhlich, ebenda, S. 135, Über­ S. 24. 225 Zit. aus: Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 202; setzung durch den Verfasser. 194 Ebenda. Übersetzung durch den Verfasser. 226 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), 195 Ebenda. 196 Ebenda, S. 136. S. 43. 197 Spykman, Geography of the Peace, S. 41, im Original 227 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, Frank­ zit. in: Stefan Fröhlich, ebenda, S. 136; Übersetzung furt/M. 1999, S. 53. 228 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208) S. 202. durch den Verfasser. 198 Ebenda, S. 137; Übersetzung durch den Verfasser. 229 Hervorhebung durch den Verfasser. 199 Spykman, America‘s Strategy, S. 179, im Original 230 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), zit. in: Stefan Fröhlich, ebenda, S. 137; Übersetzung S. 34 f. 231 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. durch den Verfasser. 200 Spykman, America‘s Strategy, S. 4, im Original zit. (Anm. 227), S. 57. in: Stefan Fröhlich, ebenda, S. 137; Übersetzung 232 Ebenda, S. 282 f. 233 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), durch den Verfasser. 201 Ebenda. S. 64. 234 Hervorhebung durch den Verfasser. 202 Spykman, Geography of the Peace, S. 138, im Origi­ 235 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), nal zit. in: Stefan Fröhlich, ebenda, S. 138; Überset­ zung durch den Verfasser. S. 64 f. 203 Stefan Fröhlich, ebenda, S. 139. 236 Ebenda, S. 67. 204 Ebenda, S. 141. 237 Ebenda, S. 76. 205 Ebenda. 238 Ebenda, S. 76 f. 239 Ebenda, S. 137 f. 206 Ebenda. 207 Ebenda, S. 145. 240 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 191. 208 Sabine Feiner, Weltordnung durch US-Leadership? 241 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), - Die Konzeption Zbigniew Brzezinskis, Wiesbaden S. 140 f. 242 Ebenda, S. 134. 2000, S. 178. 175

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Hervorhebung durch den Verfasser. Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), S. 134 f. 245 Ebenda, S. 207. 246 Ebenda, S. 243 f. 247 Ebenda, S. 194. 248 Ebenda, S. 236. 249 Ebenda, S. 238 f. 250 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 204. 251 Zbigniew Brzezinski, The Grand Chessboard. Ameri­ can Primacy and its geostrategic Imperatives, New York 1997, S. 35; Übersetzung durch den Verfasser. 252 Ebenda, S. 55; Übersetzung durch den Verfasser. 253 Ebenda S. 87; Übersetzung durch den Verfasser. 254 Ebenda, S. 123 ff. 255 Ebenda, S. 93; Übersetzung durch den Verfasser. 256 Ebenda, S. 93 ff. 257 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 177. 258 Ebenda, S. 178. 259 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 217. 260 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 178 f. 261 Sabine Feiner, aaO. (Anm. 208), S. 217. 262 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 179. 263 Ebenda, S. 92. 264 Ebenda, S. 91. 265 EIRNA-Studie: 11. September - Die Lüge aus Staats­ räson und ihre verhängnisvollen Konsequenzen, Wies­ baden 2003, Kapitel »Protektorat Europa und die zukünftige Rolle Rußlands«, S. 80. 266 Ebenda. 267 Ebenda. 268 Ebenda, S. 81. 269 Ebenda. 270 Ebenda. 271 Ebenda. 272 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 288. 273 Ebenda. 274 Ebenda, S. 289. 275 Ebenda, S. 289 f. 276 EIRNA-Studie: 11. September..., aaO. (Anm. 265), S. 81. 277 Ebenda. 278 Ebenda. 279 Werner B iermann u. Arno Klönne, The Big Stick Imperiale Strategie und globaler Militarismus - Die USA als Megamacht, Köln 2003, S. 73. 244

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Zit. aus: Werner Link, Die Neuordnung der Weltpo­ litik..., aaO. (Anm. 56), S. 133. 281 »Ein neuer Rivale?«, in: Der Spiegel 12/1992, S. 1821 (S. 18). 282 Ebenda, S. 19. 283 Ebenda, S. 19. 284 Jürgen Elsässer, Der deutsche Sonderweg, München 2003, S. 141. 285 Ebenda, S. 141. 286 Erich Schmidt-Eenboom, Schnüffler ohne Nase. Der BND - Die unheimliche Macht im Staate, DüsseldorfWien-New York-Moskau 1993, S. 422. 287 Ebenda, S. 427 f. 288 Christian Hacke, Die Außenpolitik der Bundesrepu­ blik Deutschland. Von Konrad Adenauer bis Gerhard Schröder, Frankfurt/M.-Berlin 2003, S. 426. 289 Henry A. Kissinger, Die sechs Säulen der Weltord­ nung, Berlin 1994, S. 45. 290 Ebenda. 291 Ebenda, S. 45 f. 292 Zit. aus: Jürgen Elsässer, »Der Dritte Weltkrieg. Von der Balkanintervention zur Weltwährungs­ schlacht«, in: Jürgen E lsässer (Hg.), Nie wieder Krieg ohne uns. Das Kosovo und die neue deutsche Geopolitik, Hamburg 1999, S. 95-113 (S. 105). 293 Jürgen Elsässer, Der Deutsche Sonderweg, aaO. (Anm. 284), S. 141. 294 H. Böitiger (Hg.), Die Neocons - Wer treibt die USA in die imperiale Falle?, Wiesbaden 2004, S. 56 f. 295 EIRNA-Studie, 11. September..., aaO. (Anm. 265), S. 64. 296 Ebenda, S. 66. 297 H. Böttiger, Die Neocons, aaO. (Anm. 294), S. 54 f. 298 Zit. aus: Markus Zimmermann, Die wahren Macht­ haber in Washington - Wer steckt hinter Bush u. Co.?, München 2004, S. 90. 299 Zit. aus: Clemens Verenkotte, Die Herren der Welt - Das amerikanische Imperium, München 2003, S. 79 f. 300 Ebenda, S. 66. 301 Zit. aus: ebenda, S. 67. 302 H. Böttiger, Die Neocons, aaO. (Anm. 294), S. 57 f. 303 Clemens Verenkoite, aaO. (Anm. 299), S. 88. 304 Zit. aus: ebenda. 305 Zit. aus: ebenda. 306 Zit. aus: ebenda, S. 89 f. • 307 Zit. aus: ebenda, S. 90. 308 Matthias Rüb, »Freiheit und Gerechtigkeit für alle. Die amerikanische Doktrin der vorbeugenden Selbst­ verteidigung«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23. 9. 2002.

Anmerkungen 2. Kapitel (344—764) 309 Ebenda. 310

Zit aus: »Bush verabschiedet alte Konzepte der Außenpolitik«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21 9. 2002. 311 Ebenda. 312 Nikolas Busse, »Die Bush-Doktrin - Amerika ver­ kündet eine neue Sicherheitspolitik«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26. 9. 2002. 313 Werner B iermann u. Arno K lönne, The Big Stick..., aaO. (Anm. 279), S. 72. 314 Matthias Rüb, »Freiheit und Gerechtigkeit für alle...«, aaO. (Anm. 308). 315 Christian Hacke, Zur Weltmacht verdammt, Die amerikanische Außenpolitik von John F. Kennedy bis G.W. Bush, München 2002, S. 541. 316 Ebenda, S. 542. 317 Ebenda, S. 543. 318 Ebenda, S. 584. 319 Ebenda, S. 595. 320 Gebhard S chweigler, »Globalisierung und Außen­ politik: Identität und Interdependenz«, in: Rudolf/ Wilzewski, Weltmacht ohne Gegner, S. 27; zit. aus: Christian Hacke, aaO. (Anm. 315), S. 595. 321 Ebenda, S. 595, 322 Jürgen Wagner, »Demokratischer Imperialismus - US-Geopolitik zur Rekolonialisierung der Welt«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 9/2006, S. 1097-1103 (S. 1097). 323 Sebastian Mallaby, »The Reluctant Imperialist: Terrorism, Failed States, and the Case for American Empire«, in: Foreign Affairs 2/2002, S. 2-7, hier S. 2, 6; zit aus: Jürgen Wagner, »Demokratischer Impe­ rialismus, ebenda, S. 1098. 324 Stephen D. Krasner, »Alternativen zur Souverä­ nität«, in: Internationale Politik 9/2005, S. 44-53, hier S. 44 ff.; Council on Foreign Relations (Hg.), A New National Security Strategy in an Age of Terrorists, Tyrants, an Weapons ofMass Destruction, New York 2003, S. 6, zit. aus: Jürgen Wagner, »Demokratischer Im­ perialismus, ebenda, S. 1098. 325 Zit. aus: Jürgen Wagner, »Neoliberaler Kolonia­ lismus - Die USA und die militärische Absicherung der Globalisierung«, unter: http://www. unikassel.de/fb5/frieden/regionenUSA/wagner.html 326 Ebenda. 327 Carlo Masala, »Managing Protectorates: Die ver­ gessene Dimension«, in: Politische Studien, Januar/ Februar 2007, S. 49-55, hier S. 49, zit. aus: Jürgen Wagner, »Neoliberaler Kolonialismus, ebenda. 328 Thomas P.M. Barnett u. Henry H. Gaffney jr.,

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»Globalization Gets a Bodyguard«, in: U.S. Naval Institute Proceedings, 127, no. 11/2001, S. 50-53, zit. aus: Jürgen Wagner, »Demokratischer Imperialis­ mus...«, aaO. (Anm. 322), S. 1098. 329 Thomas P. M. Barnett, The Pentagon‘s New Map, New York 2004, S. 8, 168, zit. aus: Jürgen Wagner, Demokratischer Imperialismus«, ebenda, S. 1098 f. 330 Zit. aus: Thomas P. M. Barnett, »Die neue Welt­ karte des Pentagon - Mit einer Liste künftiger Kon­ fliktherde und Interventionspunkte«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 5/2003, S. 554-564 (S. 555). 331 Hervorhebung durch den Verfasser. 332 Zit. aus: Thomas P. M. Barnett, »Die neue Welt­ karte des Pentagon...«, aaO. (Anm. 330), S. 556-560. 333 Zit. aus: Jürgen Wagner, »Neoliberaler Kolonia­ lismus...«, aaO. (Anm. 325). 334 Jürgen Wagner, »Demokratischer Imperialis­ mus...«, aaO. (Anm. 322), S. 1099. 335 Jürgen Wagner, »Neoliberaler Kolonialismus...«, aaO. (Anm. 325). 336 Claude Serfati, »Militarisierung - Der bewaffnete Arm der Globalisierung«, in: Christian Zeller (Hg.), Die globale Enteignungsökonomie, Münster 2004, S. 2159, S. 39, zit. aus: Jürgen Wagner, »Neoliberaler Ko­ lonialismus...«, aaO. (Anm. 325). 337 Jürgen Wagner, »Neoliberaler Kolonialismus...«, ebenda. 338 Ebenda. 339 Herfried Münkler, Imperien, Bonn 2005, S. 241. 340 »National Security Strategy of the United States«, March 2006, S. 3; zit. aus: Jürgen W agner, »Neolibe­ raler Kolonialismus...«, aaO. (Anm. 325). 341 Ebenda, S. 27 u. 32; zit. aus: Jürgen W agner, »Neo­ liberaler Kolonialismus...«, ebenda. 342 Zit. aus: ebenda, 343 Zit. aus: ebenda, 344 Boris Meissner, »Die Außenpolitik der Sowjetuni­ on - Grundlagen und Strategien«, in: Karl Kaiser u. Hans-Peter Schwarz (Hg.), Weltpolitik - StrukturenAkteure-Perspektiven, Bonn 1987, S. 435-460 (S. 438). 345 Ebenda, S. 439. 346 Ebenda, S. 439. 347 Ebenda, S. 443. 348 Es wird noch aufzuzeigen sein, daß diese >Ten­ denz zum Polyzentrismus< in der sowjetischen Machtsphäre wie auch in der Sowjetunion selbst bereits Ende der vierziger Jahre durch UndercoverAktionen der CIA massiv gefördert wurde. 349 Ebenda, S. 444.

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Ebenda, S. 446. Greiner, Amerikanische Außenpolitik von Tru­ man bis heute, Köln 1982, S. 38 352 Ebenda, S. 38 f. 353 Ebenda, S. 48. 354 Zit. aus: ebenda, S. 48. 355 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 448. 356 Flottenadmiral Sergej G. Gortschkow, Seemacht Sowjetunion, aaO. (Anm. 30), S. 242. 357 Ebenda, S. 242 f. 358 Zit. aus: Hellmut Diwald, Seemachtpolitik... aaO. (Anm. 29), S. 478 f. 359 In seinem Buch Machtprobe - Die USA und die So­ wjetunion in den achtziger Jahren (München 1989) stellt Ernst-Otto Czempiel die weltpolitische Ausrichtung der UdSSR wie folgt dar: »In der zweiten Hälfte der 70er Jahre... konzentrierte Moskau seine Politik und seine Hilfe nach wie vor auf die >Zone der nationa­ len Befreiung< die sich vom nördlichen Afrika an den Mittelmeerküsten entlang durch den Nahen Osten bis nach Süd- und Südostasien erstreckte, und stat­ tete sie wie bisher mit Wirtschafts- und Militärhilfe aus... 1975 führte die Sowjetunion erstmals groß­ angelegte Seemanöver unter dem Titel >Ozean 1975< im Nordatlantik, im westlichen Mittelmeer, im Schwarzen Meer und im westlichen Pazifik durch.« (S. 27) 360 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 449. 361 Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe..., aaO. (Anm. 359), S. 28 f. 362 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 449. 363 Durch diesen Vertrag sollte das Rüstungspotenti­ al nur in geringem Ausmaß abgebaut werden. Seine Hauptaufgabe war es, Rüstung zu begrenzen: Er setzte Höchstzahlen für alle strategischen Waffen beider Seiten fest: je 2250 Stück. Außerdem sollten beide Seiten darauf verzichten, noch größere Inter­ kontinentalraketen zu entwickeln und vorhandene Waffensysteme zu modernisieren. 364 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 449. 365 Ebenda, S. 450. 366 Ebenda, S. 451. 367 Lothar Rühl, Aufstieg und Niedergang des Russi­ schen Reiches, Stuttgart 1992, S. 529. 368 Ernst-Otto Czempiel, aaO. (Anm. 359), S. 228. 369 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 451. 370 Wolfgang Seiffert, Die Deutschen und Gorbartschow - Chancen für einen Interessenausgleich, ErlangenBonn-Wien 1989, S. 39. 371 Boris Meissner, aaO. (Anm. 344), S. 453.

Ebenda, S. 455 f. Ebenda, S. 458 f. 374 Ernst-Otto Czempiel, aaO. (Anm. 359), S. 234. 375 Ebenda, S. 231. 376 Ebenda, S. 232. 377 Ebenda, S. 235. 378 Deutschland-Brief Spezial, März 2002: »Die unheim­ liche Großmacht - Hinter den Kulissen der ameri­ kanischen Weltpolitik« 379 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 126129. 380 Ernst-Otto Czempiel, aaO. (Anm. 359), S. 30 f. 381 Ebenda S. 228 f. 382 Ebenda, S. 224. 383 Wolfgang Leonhardt, Spiel mit dem Teuer - Ruß­ lands schmerzhafter Weg zur Demokratie, BergischGladbach 1998, S. 166. 384 Ebenda, S. 168. 385 Ebenda, S. 168 f. 386 Lothar R ühl, »Die Rolle Rußlands für die Entwick­ lung der Europäischen Sicherheitsordnung«, in: Erich Reiter (Hg.), Österreich und die NATO, April 1998, unter: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/ Publikationen/14_sr2_08_Rühl.pdf 387 Michael Thumann, Das Lied von der russischen Erde, aaO. (Anm. 37), S. 67. 388 Ebenda, S. 65. 389 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985 - Die Auflö­ sung des sowjetischen Imperiums, München 2002, S. 192. 390 Ebenda, S. 192. 391 Ebenda, S. 262. 392 Ebenda, S. 193. 393 Michael Thumann, aaO. (Anm. 37), S. 65. 394 Ebenda, S. 66 f. 395 Ebenda, S. 67. 396 Ebenda, S. 68. 397 Ebenda, S. 68 f. 398 Ebenda, S. 69. 399 Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 252. 400 Ebenda, S. 256. 401 Ebenda, S. 254 f. 402 Michael Thumann, aaO. (Anm. 37), S. 70. 403 Ebenda, S. 70. 404 Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 255. 405 Ebenda, S. 258. 406 Ebenda. 407 Michael Thumann, aaO. (Anm. 37), S. 64. 408 Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 269. 409 Michael Thumann, aaO. (Anm. 37), S. 70.

Anmerkungen 2. Kapitel (344-764) 410

Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 267. Zit. aus: Wolfgang Strauss, Rußland wird leben Vom roten Stern zur Zarenfahne, München 1992, S. 95 f. 412 Ebenda, S. 96. 413 Zit. aus: Wolfgang Strauss, ebenda, S. 95 f. 414 Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 269 f. 415 Wolfgang Leonhardt, Spiel mit dem Feuer, aaO. (Anm. 383), S. 171. 416 Gerhard u. Nadja S imon, Verfall und Untergang des sowjetischen Imperiums, München 1993, S. 128; zit. aus: Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 274. 417 Mária Huber, ebenda, S. 274. 418 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 175. 419 Ebenda, S. 175 f. 420 Michael Ludwig, »Eine >zivilisierte Form< der Tren­ nung - Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten fünf­ zehn Jahre nach der Minsker Erklärung«, in: Frank­ furter Allgemeine Zeitung, 8. 12. 2006. 421 Ebenda. 422 Ebenda. 423 Ebenda. 424 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 176 f. 425 Igor Iwanow, Die neue russische Diplomatie - Rück­ blick und Visionen, München 2002, S. 22 f. 426 Anna K reikemeyer u. Andrej Z agorskij, Rußlands Politik in bewaffneten Konflikten der GUS, Baden-Ba­ den 1997, S. 50. 427 Informationen zur Politischen Bildung, Heft 281 »Rußland«, 4. Quartal 2003, Kapitel: »Rußland und die Welt« von Christian Meier, 54 f. 428 Igor Iwanow, aaO. (Anm. 425), S. 24 f. 429 Ebenda, S. 25. 430 Zit. aus: Martin Malek, »Rußlands Politik im »post­ sowjetischen Raum< - Aktuelle Entwicklungen und Szenarien künftiger Konflikte«, in: Erich Reiter (Hg.), Österreich und die NATO, April 1998, unter: http:// www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/ 14_sr2_23_malek.pdf 431 Igor Iwanow, aaO. (Anm. 425), S. 29 f. 432 Zit. aus: Horst Grossmann, »Geopolitik in der Russischen Föderation«, in: Geopolitisches und mili­ tärstrategisches Denken in der Russischen Föderation (= DSS-Arbeitspapiere, Heft 77), Dresden 2005, S. 6578; unter: http://www.sicherheitspolitik-dss.de/ person/groszmann/ap7705hg.htm 433 Ebenda. 434 Ebenda. 435 Ebenda. 436 Martin Malek, »Rußland - Eine Großmacht? Be­ standsaufnahmen und Zukunftsperspektiven«, in: 411

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Studien und Berichte zur Sicherheitspolitik 4/2003, S. 25, Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie Wien, unter: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/ Publikationen/stb4_03.pdf 437 Ebenda. 438 Ebenda, S. 26. 439 Andrzej Ziolkowski, Die NATO - Instrument der US-Politik in Europa, Münster 1999, S. 41 f. 440 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, Rußlands Politik... aaO. (Annm. 426), S. 70. 441 Ebenda, S. 71. 442 Ebenda, S. 72. 443 Ebenda. 444 Ebenda S. 73. 445 Martin Malek, »Rußlands Politik im >postsowjeti­ schen Raum< - Aktuelle Entwicklungen und Szena­ rien künftiger Konflikte«, aaO. (Anm. 430). 446 Viktor S. Rykin, »Konflikte in Rußland und der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) und Wege zu ihrer Vermeidung«, in: Erich Reiter (Hg.), Informationen zur Sicherheitspolitik Nr. 9 (August 1998): Die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten zwischen Konflikten und russischer Dominanz; unter:http:// www.bmlv.gv.at/pdf_pool/publikationen/01_ gus_02_krg.pdf 447 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij schildern, daß der Taschkenter Vertrag »bisher... jedoch kaum praktische Wirkung« hatte, aaO. (Anm. 426), S. 66. 448 Viktor S. Rykin, aaO. (Anm. 446). 449 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 67. 450 Viktor S. Rykin, aaO. (Anm. 446). 451 Ebenda. 452 Ebenda. 453 Ebenda. 454 Ebenda. 455 Martin Malek, »Rußlands Politik im >postsowjeti­ schen Raum< - Aktuelle Entwicklungen und Szena­ rien künftiger Konflikte«, aaO. (Anm. 430). 456 Ebenda. 457 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 54. 458 Ebenda, S. 55. 459 Viktor S. Rykin, aaO. (Anm. 446). 460 Viktor S. Rykin, ebenda. 461 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 62 f. 462 Ebenda. 463 Leonid L. Fituni, »Rußland und seine Interessen­ lage in Zentral- und Südasien«, in: Klaus Lange (Hg.),

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Sicherheit in Zentral- und Südasien - Determinanten eines Krisenherdes, München 1999, S. 43-50 (S. 43). 464 Ebenda, S. 43 f. 465 New York 1991, S. 158 f.; zit. aus: ebenda, S. 44, Fn. 3 466 Ebenda, S. 46. 467 Ebenda, S. 46 468 Ebenda, S. 47; Hervorhebung durch den Verfas­ ser. 469 Zbigniew. Brzezinski, Out of Control, S. 160; zit. aus: Leonid L. F ituni, Rußland und seine Interessenla­ ge..., aaO. (Anm. 463), S. 47, Fn. 4. 470 Ebenda, S. 45, 471 Ebenda, S. 44, 472 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 63. 473 Ebenda, S. 65. 474 Ebenda. 475 Ebenda, S. 65 f. 476 Hannes Adomeit, »Russische Außen- und Sicher­ heitspolitik zwischen Großmachtanspruch und Wirt­ schaftsmisere«, in: Erich Reiter (Hg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik, Dezember 2000, un­ ter: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool_Publikatio­ nen/03_jb00_27.pdf 477 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen (1991-1994)«, in: Karl Kaiser u. Hans-Peter Schwarz, Die Außenpolitik der neuen Republiken im östlichen Europa, Bonn 1994, S. 157-214 (S. 161). 478 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region. Ressourcen, Verträge, Transportfragen und machtpolitische Interessen, Berlin 2003, S. 111. 479 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 107. 480 Ebenda, S. 103. 481 Ebenda, S. 103. 482 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 167 f. 483 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 100 f. 484 Ebenda, S. 101. Ferner berichtete die Neue Zürcher Zeitung in ihrer Ausgabe vom 17. 6. 1992, daß aus den Arsenalen der NVA von der Bundesrepublik Deutschland Waffen an die Türkei geliefert worden sind, die diese wiederum Aserbaidschan zur Verfü­ gung stellte. 485 Ebenda, S. 102. 486 So ließ der türkische Präsident Turgut Özal 1993

verlauten: »Wir müssen Zähne zeigen. Die türkische Militärintervention in dem armenisch-aserbaidscha­ nischen Konflikt kann ein Beispiel für unseren Mut werden. Die Türkei demonstrierte das schon früher bei dem Problem Zypern«, zit. aus: Aschot Ma­ nutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 166. 487 Ebenda, S. 173. 488 Ebenda, S. 166. 489 Ebenda, S. 166 f. 490 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 96. 491 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 172. 492 Ebenda, S. 172. 493 Ebenda. 494 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 98 (Fn. 156). 495 Ebenda, S. 95. 496 Ebenda, S. 93. 497 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 175 f. 498 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 93 f. 499 Ebenda, S. 104. 500 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 176. 501 Ebenda, S. 176 f. 502 Ebenda, S. 166. 503 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 101. 504 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 199. 505 Ebenda, S. 198. 506 Ebenda, S. 200. 507 Ebenda, S. 202 f. 508 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 213. 509 Ebenda, S. 213. 510 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus...«, aaO. (Anm. 477), S. 203. 511 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 213. 512 Ebenda. 513 Igor Iwanow, Die neue russische Diplomatie, aaO. (Anm. 425), S. 122. 514 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 213. 515 Ebenda. 516 Eine Entwicklung übrigens, die von der konspi­

Anmerkungen 2. Kapitel (344-764) rativen Politik der USA und den Aktivitäten der CIA gefördert wurde. Der ehemalige Staatssekretär im Innenministerium der Bundesrepublik Deutschland, Andreas von Bülow, bezeichnete in seinem sehr le­ senswerten Buch Im Namen des Staates (München 1998) Rauschgift als das Schmiermittel amerikani­ scher Geopolitik. Die Waffenlieferungen der CIA an die wahabitischen Mudschaheddin Afghanistans wurde mit Opium bezahlt, das deren Warlords wie Gulbuddin Hekmatjar aus dem erzwungenen An­ bau von Mohn gewannen. 517 Peter Scholl-Latour, »Jelzin kämpft wie Boris Gudonow«, 16. Mai 1999, zit. aus: ders., Der Fluch des neuen Jahrtausends, aaO. (Anm. 46), S. 116 ff. (S. 117). 518 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 213. 519 Ebenda. 520 Igor Iwanow, aaO. (Anm. 425), S. 129. 521 Ebenda, S. 134. 522 Wolfgang L eonhardt, Spiel mit dem Feuer..., aaO. (Anm. 383), S. 248. 523 Hannes Adomeit, »Russische Außen- und Sicher­ heitspolitik zwischen Großmachtanspruch und Wirt­ schaftsmisere«, in: Erich Reiter (Hg.), Jahrbuch für internationale Sicherheitspolitik, Dezember 2000, unter:http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool_Publika­ tionen/ 03_jb00_27.pdf. 524 Ebenda. 525 Ebenda. 526 Ebenda. 527 Ebenda. 528 Ebenda. 529 Lothar R ühl, »Die Rolle Rußlands für die Entwick­ lung der Europäischen Sicherheitsordnung«, in: Erich Reiter (Hg.), Österreich und die NATO, April 1998, unter: http://www.bmlv.gv.at/pdf_pool/ Publikationen/14_sr2_08_Rühl.pdf 530 Ebenda. 531 Ebenda. 532 Martin Malek, »Rußland und die NATO vor der Osterweiterung: Konfrontation oder Kooperation?« in: Erich Reiter (Hg.), Jahrbuch für internationale Si­ cherheitspolitik, Dezember 1999, unter: http:// www.bmlv.gv.at/pdf_pool/ Publikationen/ 03_jb99_15.pdf 533 Karl-Ludwig Günsche, »Deutschland gilt nach den USA als Hauptfeind - Kreml-Falken prangern NATO-Osterweiterung und Abrüstung an - War­ nung Kosyrews«, in: Die Welt, 27. 10. 1995.

534

1127

Ebenda; Hervorhebung durch den Verfasser. Wolfgang Leonhardt, Spiel mit dem Feuer, aaO. (Anm. 383), S. 199. 536 Am 12. Dezember 1991 hatte der Oberste Sowjet Rußlands drei Beschlüsse gefaßt: Mit dem ersten ra­ tifizierte er das Abkommen über die Gründung der GUS, welches von den Präsidenten Rußlands, Weiß­ rußlands und der Ukraine vier Tage zuvor unter­ zeichnet worden war. Mit dem zweiten Beschluß kündigte der Oberste Sowjet den Vertrag über die Gründung der UdSSR vom 30. Dezember 1922, mit dem dritten schließlich berief er die Vertreter Ruß­ lands aus dem Obersten Sowjet der Sowjetunion ab. 537 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 206. 538 Ebenda. 539 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zargorskij, aaO. (Anm. 426), S. 63. 540 Ebenda, S. 64. 541 Boris Meissner, »Die zwei Grundlinien der Au­ ßenpolitik Rußlands«, in: Vom Sowjetimperium zum eurasischen Staatensystem - Die russische Außenpolitik im Wandel und in der Wechselbeziehung zur Innenpoli­ tik, Berlin 1995, S. 135-173 (im folgenden zit. als: Meissner II). 542 Meissner II, ebenda, S. 136, 543 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 51. 544 Susanne K. Frank, »Eurasianismus: Projekt eines russischen >dritten Weges< 1921 und heute«, in: Karl Kaser, Dagmar G ramshammer-Hohl u. Robert Pich­ ler, Europa und die Grenzen im Kopf (= Wieser Enzy­ klopädie des europäischen Ostens 11), Klagenfurt 2003, S. 197-224 (S. 199), unter: http://wwwg.uniklu.ac.at/eeo/Frank_eurasianismus.pdf 545 Ebenda, S. 200. 546 Horst Grossmann, Geopolitik in der Russischen Fö­ deration, aaO. (Anm. 432), S. 65-78. 547 Meissner II, aaO. (Anm. 541), S. 137. 548 Ebenda, S. 137. 549 Susanne K. Frank, aaO. (Anm. 544), S. 200. 550 Ebenda, S. 205 f. 551 Ebenda, S. 205. 552 Ebenda, S. 208. 553 Ebenda. 554 Ebenda. 555 Ebenda, S. 209. 556 Ebenda. 557 Ebenda, S. 211. 558 Ebenda. 559 Ebenda, S. 214 f. 535

1128

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

585 Ebenda, S. 98 f. Ebenda, S. 215. 586 Erich Vad, Strategie und Sicherheitspolitik. Perspek­ Meissner II, aaO. (Anm. 541), S. 138. 562 Susanne K. Frank, aaO. (Anm. 544), S. 197. tiven im Werk von Carl Schmitt, Opladen 1996, S. 38. 587 Ebenda, S. 39. 563 Ebenda, S. 213. 588 Ebenda, S. 40. 564 Ebenda, S. 213. 565 George F. Kennan, »The Failure of Our Success«, 589 Nikolaj-Klaus von Kreitor, aaO. (Anm. 565), S. 25 f. in: New York Times, 14.3.1992; zit. aus: Nikolaj-Klaus 590 Ebenda, S. 26. 591 Carl Schmitt, Die Wendung zum diskriminierenden von Kreitor, »Rußland, Europa und Washingtons Kriegsbegriff, Berlin 1988, unveränderter Nachdruck >Neue Weltordnung« - Das geopolitische Projekt ei­ ner Pax eurasiatica«, in: ETAPPE, Heft 12/Juni 1996, der ersten Auflage 1938, S. 19. 592 Ders., Völkerrechtliche Großraumordnung mit Inter­ S. 18-55 (S. 20). 566 Zbigniew Brzezinski, »The Cold War and his Af­ ventionsverbot für raumfremde Mächte, Berlin 1941, termath«, in : Foreign Affairs, New York (Fall 1992), S. 31. S. 21-45, hier S. 32; zit. aus: Nikolaj-Klaus von 593 Ders., Die Wendung zum diskriminierenden Kriegs­ Kreitor, »Rußland, Europa und Washingtons >Neue begriff, aaO. (Anm. 591), S. 10. 594 Ders., »Großraum gegen Universalismus - Der WeltordnungNeue Weltordnungmultipolare Welt< - Beide Staaten lehen jegli­ che Hegemonie ab - Doch mögliche, neue Allian­ zen erscheinen noch offen«, in: Die Welt, 8. 2. 1997. 643 Wolfgang Leonhardt, Spiel mit dem Feuer, aaO. (Anm. 383), S. 235. 644 Ebenda, S. 235 f. 645 Herbert Kremp, »Peking und Moskau pochen auf eine >multipolare WeltNeue Trennungslinien< oder >Export von Stabilität?« in: Erich Reiter (Hg.), Österreich und die NATO, April 1998, unter: http://www. bmlv.gv.at/pdf_pool/Publikationen/14_sr2_09_ malek.pdf 653 Vgl. das Kapitel »Eurasien als der Siegespokal der Auseinandersetzung zwischen Sowjetunion/Ruß­ land und den USA - Die geopolitische Konzeption Zbigniew Brzezinskis«. 654 Marin Malek, »Rußlands und die Osterweiterung der NATO - >Neue Trennungslinien< oder >Export von Stabilität?« aaO. (Anm. 652). 655 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 251.

633

1130 656

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Martin Malek, »Rußlands und die Osterweiterung der NATO«, aaO (Anm. 652). 657 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 251. 658 Zit. aus: Martin Malek, »Rußlands und die Oster­ weiterung der NATO«, aaO. (Anm. 652). 659 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 254. 660 Ebenda. 661 So die Bedenken Jewgenij Primakows, zit. nach der russischen Militärzeitschrift Krasnaja Swesda v. 26. 7.1996, in: Martin Malek, »Rußlands und die Oster­ weiterung der NATO«, aaO. (Anm. 652). 662 Ebenda. 663 Ebenda. 664 Ebenda. 665 Zit. aus: Internationale Politik 9/1997, S. 78, in: Martin Malek, »Rußlands und die Osterweiterung der NATO«, ebenda. 666 So die Interpretation des stellvertretenden russi­ schen Verteidigungministers Nikolaj Afanasjewkij, in: Orientir 8/1997, S. 17 f.; zit. aus: Martin Malek, »Rußlands und die Osterweiterung der NATO«, ebenda. 667 Wolfgang Seiffert, Wladimir W. Putin - Wiederge­ burt einer Weltmacht?, München 2000, S. 70. 668 Der Spiegel 10/1997, S. 22, in: Martin Malek, »Ruß­ lands und die Osterweiterung der NATO«, aaO. (Anm. 652). 669 Martin Malek, »Rußlands und die Osterweiterung der NATO«, ebenda. 670 Zit. aus: Rainer B ischoff, Entmachtung der Hochfi­ nanz, Süderbrarup 2002, S. 259. 671 Ebenda, S. 259 f. 672 Ebenda, S. 260, Hervorhebung durch den Verfas­ ser. 673 Diese Erkenntnis Mitrofanows deckt sich mit der Analyse von Jeffrey E. Garten, Der kalte Frieden. Amerika, Japan und Deutschland im Wettstreit um die Hegemonie, Frankfurt/M. 1995. 674 PHI-Deutschland-Dienst vom 25. Mai 1998, zit. aus: Joachim N olywaika, Die Abrechnung. Die inneren und äußeren Fei nde Deutschlands im Spiegel des 20. Jahr­ hunderts, Riesa 2000, S. 346. 675 Ebenda, S. 346 f. 676 Rainer Bischoff, aaO. (Anm. 672), S. 262. 677 Ebenda. 678 PHI-Deutschland-Dienst, 25. 5. 1998, zit. aus: Joa­ chim Nolywaika, Die Abrechnung, aaO. (Anm. 674), S. 345. 679 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 64.

680

Peter Scholl-Latour, Der Fluch des neuen Jahrtau­ sends.... aaO. (Anm. 46), S. 192 f. (S. 192). 681 Ebenda. 682 Ebenda, S. 193. 683 Alexander Warkotsch, »Rußlands Rolle in Zen­ tralasien«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 4/2006 »Zentralasien«, S. 19-25 (S. 20). 684 So die Einschätzung des damaligen Chefs des Si­ cherheitsrates (und späteren Verteidigungsministers) Sergej I wanow, zit. aus: Micha el T humann, Ab in die Regionalliga - Rußland hat Amerikas NMD-Programm nichts entgegenzusetzen, unter: http://www. zeit.de/ 2001/07/raketenabwehr 685 »Eine neue Rüstungsdynamik droht« - Interview mit Ernst Otto Czempiel, in: Handelsblatt, 3. 5. 2001. 686 Ebenda; Hervorhebung durch den Verfasser. 687 Michael Thumann, Ab in die Regionalliga, aaO. (Anm. 684). 688 Alexander R ahr, Wladimir Putin - Der >Deutsche< im Kreml, München 2000, S. 257 f. 689 Wolfgang Seiffert, Wladimir W. Putin, aaO. (Anm. 667), S. 84. 690 So der Neo-Eurasier E.A. Posdnjakow, »Rußland und die nationalstaatliche Idee«, in: Osteuropa-Ar­ chiv 6/1993, S. 294; zit. aus: Wolfgang S eiffert, Wla­ dimir W. Putin, ebenda, S. 84 f. 691 Ebenda, S. 84. 692 Ebenda, S. 78. 693 Ebenda, S. 71 f. 694 Michael Thumann, Das Lied von der Russischen Erde, aaO. (Anm. 37), S. 194 f. 695 Boris Rehschuster, Wladimir Putin - Wohin steuert er Rußland?, Berlin 2004, S. 217. 696 Eberhard S chneider u. Heinrich Vogel, »Struktur­ schwächen in der russischen Innenpolitik«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 42/99, S. 3-13 (S. 12). 697 Michael Thumann, Das Lied von der Russischen Erde, aaO. (Anm. 37), S. 199. 698 Ebenda. 699 Ebenda, S. 205. 700 Ebenda. 701 Ebenda, S. 206. 702 Ebenda. 703 Ebenda, S. 210 f. 704 Ebenda, S. 208. 705 Ebenda, S. 198. 706 Ebenda, S. 211. 707 Viktor Timtschenko, Putin und das neue Rußland, München 2003, S. 106. 708 Ebenda, S. 107.

Anmerkungen 2. Kapitel (344—764) 709 Boris

Reitschuster, aaO. (Anm. 695), S. 218 f.

710 Ebenda. 711 Ebenda,

S. 289. Wolfgang Seiffert, Wladimir W. Putin, aaO. (Anm. 667), S. 87. 713 Ebenda. 714 Vgl. Sonja Margolina, »Pax Eurasica - Die russi­ sche Idee nimmt Konturen an«, in: Frankfurter Allge­ meine Zeitung, 27. 6. 2001, S. 46. 715 Ebenda. 716 Hervorhebung durch den Verfasser. 717 Zit. aus: Horst G rossmann, »Geopolitik in der Rus­ sischen Föderation«, aaO. (Anm. 432). 718 Hannes Adomeit, »Russische Außen- und Sicher­ heitspolitik unter Putin«, aaO. (Anm. 476). 719 Ebenda. 720 Martin Malek, Rußland - eine Großmacht? Bestand­ aufnahme und Zukunftsperspektiven (= Studien und Berichte zur Sicherheitspolitik 4/2003), Schriftenrei­ he der Landesverteidigungsakademie; http://www. bmlv.at/pdf_pool/publikationen/stb4_03.pdf 721 Viktor Timtschenko, Putin und das neue Rußland, aaO. (Anm. 707), S. 249 722 Zit. aus: Horst G rossmann, »Geopolitik in der russi­ schen Föderation«, aaO. (Anm. 432). 723 Viktor Timtschenko, aaO. (Anm. 707), S. 249. 724 Ebenda. 725 Ebenda. 726 Die spanische Zeitung El Mundo berichtete am 25. April 1999 unter der Überschrift »NATO maßt sich das Recht an, auch in den ehemaligen Sowjetrepu­ bliken einzugreifen«: »In Anbetracht der Tatsache, daß alles, was auf der nördlichen Halbkugel passiert, die Interessen der Allianz berühren kann, gibt Ja­ vier Solana zu, daß die Allianz außerhalb ihrer ei­ genen Grenzen tätig werden könnte, auch wenn Jac­ ques Chirac sagt, daß die Unterstützung des Sicherheitsrates nötig sein wird. Nach Beendigung des Kalten Krieges hat die NATO im Kosovo eine Daseinsberechtigung gefunden und kündigte gestern an, daß sie sich in Zukunft der Verteidigung demo­ kratischer Werte in einer erweitern Zone widmen wird, die sich von Alaska bis Wladiwostok erstreckt und sogar die ehemaligen Sowjetrepubliken Zentral­ asiens umfaßt. >Es wird eine stärkere Allianz, Sicher­ heits- und Verteidigungsgarantie unserer Werte in Europa und weit über unsere Grenzen hinaus seindurch neue Einsätze und sogar bei der aktiven Prävention von Konflikten und durch aktives Engagement beim Krisenmangagement tä­ tig werdeneurasischen Schachbrett^ unter: http://www. uni-kassel.de/fb5/frieden/rat/2004/ehlers.html 752 Ebenda. 753 Le Monde diplomatique (Hg.), Atlas der Globalisie­ rung, Berlin 2003, S. 136. 754 Kai Ehlers, aaO. (Anm. 751). 755 Kai Ehlers, ebenda 756 Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung, aaO. (Anm. 753), S. 137. 757 Hans-Hermann Höhmann u. Hans-Hennig Schrö­ der (Hg.), Rußland unter neuer Führung - Politik, Wirt­ schaft und Gesellschaft am Beginn des 21. Jahrhunderts, Münster 2001, hier das Kapitel »Zurück zur Groß­ macht? Ziele und Handlungsoptionen der Außen­ politik« von Johannes Baur (S. 97-106, hier S. 106). 758 Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung, aaO. (Anm. 753), S. 138 f. 759 Ebenda, S. 139. 760 Ebenda. 761 Ebenda. 762 Daniel Brössler, »Umzingeltes Rußland - Präsi­ dent Putin möchte einiges von der alten Weltgeltung Moskaus zurückgewinnnen, doch seine Erfolgschan­ cen stehen schlecht«, in: Süddeutsche Zeitung vom 7. 12. 2004. 763 Le Monde diplomatique, Atlas der Globalisierung, aaO. (Anm. 753), S. 142 f. 764 Ebenda, S. 139. 765 L.L. M atthias, Die Kehrseite der USA, aaO. (Anm. 3), S. 84. 766 Gary Allen, Die Rockefeller-Papiere, Wiesbaden 1976, S. 132. 767 Alfred Zänker, Epoche der Entscheidungen, aaO. (Anm. 12), S. 24 f. 745

768

Alex P. Schmid, Churchills privater Krieg - Inter­ vention und Konterrevolution im russischen Bürgerkrieg November 1918-März 1920, Zürich-Freiburg i.Br. 1974, S. 13. 769 So die Interpretation Alex P. Schmids in seinem Buch Churchills privater Krieg, ebenda. 770 Ebenda, S. 204 f. 771 Ebenda, S. 205. 772 Ebenda, S. 200. 773 Ebenda, S. 201. 774 Ebenda. 775 Ebenda, S. 203. 776 Ebenda, S. 241. 777 Ebenda, S. 243. 778 Ebenda, S. 225. 779 Ebenda, S. 229. 780 Ebenda, S. 238. 781 Ebenda, S. 238 f. Gleichwohl aber wollten die Westalliierten keine polnische Oberherrschaft über Rußland, vielmehr sollte dieses Rußland nur mit ei­ nem Grenzkrieg beschäftigen, ohne zu weit vorzu­ stoßen. Vor dem Diktum Mackinders, daß diejenige Macht, die Osteuropa beherrscht, auch die Weltin­ sel und damit die Welt selbst beherrscht, war diese Haltung aus Sicht der britischen Geopolitik auch nur folgerichtig. 782 Ebenda, S. 242. 783 Ebenda, S. 245. 784 Ebenda, S. 248. 785 Ebenda. 786 Ebenda, S. 248 f. 787 Ebenda, S. 35; L. L. Matthias, Die Kehrseite der USA, aaO. (Anm. 191), S. 85. 788 George F. Kennan, Amerika und die Sowjetmacht Der Sieg der Revolution, Stuttgart 1956, S. 179. 789 Ebenda, S. 178. 790 Ebenda, S. 180. 791 L. L. Matthias, aaO., S. 86 792 George F. Kennan, aaO. (Anm. 788), S. 304. 793 Ebenda, S. 274 f. 794 Ebenda, S. 304. 795 Jürgen Bruhn, Schlachtfeld Europa..., aaO. (Anm. 125), S. 40. 796 So George F. Kennan, aaO. (Anm. 788), S. 282. 797 Ebenda, S. 305. 798 Ebenda. 799 Alex P. Schmid, aaO. (Anm. 768), S. 73. 800 Ebenda. 801 Ebenda, S. 73, Hervorhebung durch den Verfasser. 802 Vgl. A. Nevins u. Henry White, Thirty Years of Ame­

Anmerkungen 3. Kapitel (765-1128)

1133

836 Eric Laurent, aaO. (Anm. 814), S. 51. rican Diplomacy, New York 1930, S. 354; zit. aus: Ni­ 837 Gary Allen, Die Insider, aaO. (Anm. 825), S. 137. kolaj-Klaus von Kreitor, Rußland, Europa und Wa­ shingtons >Neue Welt-OrdnungRollbackSupermächte< von ihrem Bruttosozialprodukt für Vertei­ digungsausgaben zur Verfügung stellten. Dabei be­ hauptete man einfach, daß die UdSSR in den 70er Jahren im Durchschnitt >mehr als das Doppelte< für ihre Verteidigung augegeben hätte als die USA... Die Methode von TEAM-B, die Verteidigungsaus­ gaben prozentual auf das Bruttosozialprodukt (BSP) zu beziehen, diese Prozentzahlen dann einfach ge­ genüberzustellen und zu behaupten, die Sowjets gäben für die Rüstung >mehr als das Doppelte< aus (13%) als die USA (6%), hält keiner Überprüfung 1074 Ebenda,

1137

stand. Die Wahrheit ist, daß das inländische USBruttosozialprodukt im Durchschnitt der 70er Jahre rund dreimal so groß war als das der UdSSR. Stellt man einmal die BSP-Zahlen beider Länder aus dem Jahre 1980 gegenüber, so ergibt sich folgendes Bild: Im letzten Jahr der Carter-Administration, 1980, er­ wirtschafteten die USA ein inländisches Bruttosozi­ alprodukt im Gesamtwert von 2920 Milliarden Dol­ lar. Die UdSSR erwirtschaftete im gleichen Jahr ein nach westlichen UN-Quellen geschätztes Bruttosozi­ alprodukt zwischen 650 bis 800 Milliarden Rubel. Bei dem damaligen Umtauschwert von 1 Dollar = 0,657 Rubel und bei Zugrundelegung eines großzügigen mittleren sowjetischen BSP-Wertes von 725 Milliar­ den Rubel wären das rund 1100 Milliarden Dollar... Danach sind 6% vom US-BSP (1980) = über 170 Milli­ arden Dollar; 13% vom sowjetischen BSP (1980) = rund 130 Milliarden Dollar. Selbst bei dieser >neutralen< Rechnung - wenn man also die TEAM-B-Zahlen von 13% als korrekt hi nnimmt - ergibt sich also keine >Ver­ teidigungsausgaben-Lücke< zugunsten der Sowjetuni­ on, vielmehr eine >Verteidigungsausgaben-Lücke< zugunsten der USA von rund 40 Milliarden Dollar.« 1101 Tom Gervasi, aaO. (Anm. 1099), S. 141 f. 1102 Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 100 f. 1103 Ebenda, S. 101. 1104 Tom Gervasi, aaO. (Anm. 1099), S. 7. 1105 Ebenda, S. 7. 1106 Ebenda, S. 9 f. 1107 Ebenda, S. 11 f. 1108 Vgl. zum Thema »Die Sowjetunion hinkt hinter­ her« siehe die tabellarische Aufstellung in: Peter Koch, Wahnsinn Rüstung, Hamburg 1981, S. 98. 1109 Ebenda, S. 80 f. 1110 Ebenda, S. 81. 1111 Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 104. 1112 Winfried Wolf, Bombengeschäfte - Zur politischen Ökonomie des Kosovo-Krieges, Hamburg 1999, S. 7885. 1113 Rolf Winter, Gottes eigenes Land - Werte, Ziele und Realitäten der Vereinigten Staaten von Amerika, Ham­ burg 1991, S. 251-291, hier: S. 271. 1114Zit. aus: Winfried Wolf, aaO. (Anm. 1112), S. 60 f. 1115 Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 105. 1116 Ebenda, S. 111 f. 1117 Lothar Rühl, Aufstieg und Niedergang des Russi­ schen Reiches, aaO. (Anm. 367), S. 529.

1138 1118 Ebenda,

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

1145 Ebenda, S. 108 f. S. 530. 1146 Ebenda, S. 100 f. Lothar Rühl, aaO. (Anm. 367), S. 530 f. 1120 Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mäch­ 1147 Ekkehart Krippenhoff u. Michael Lucas, aaO. te, aaO. (Anm. 943), S. 736. (Anm. 1136), S. 23. 1121 Ebenda, S. 736 f. 1148 Gary Allen, Die Rockefeller-Papiere, aaO., S. 153. 1122Paul R. Gregory u. Robert C. Stuart, Soviet Econo­ 1149 Ekkehart Krippenhoff u. Michael Lucas, aaO. mic Structure an Perfromance, Harper & Row Pu- (Anm. 1136), S. 23. 1150 Ebenda. blishers, New York 1986, S. 140, 134 u. 324 f. 1123 Jochen Hippler, Die Neue Weltordnung, Hamburg 1151F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 1991, S. 25. aaO. (Anm. 807), S. 276 f. 1124 Ebenda. 1152 Ekkehart Krippenhoff u. Michael Lucas, aaO. 1125 Ebenda. (Anm. 1136), S. 24 f. 1126 Jürgen Nötzold, »Wirtschaftsprobleme der So­ 1153 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, wjetunion unter Gorbatschow als Ansatzpunkt für aaO. (Anm. 807), S. 239. Veränderungen im Ost-West-Verhältnis«, SWP-LN 1154 Mohssen Massarrat, »Britisch-amerikanischer Ölimperialismus und die Folgen für den Mittleren 2455, S. 3, zit. aus: Jochen Hippler, ebenda, S. 54. 1127 Jochen Hippler, ebenda, S. 55 f. und Nahen Osten«, in: Mohssen Massarat (Hg.), 1128 Ebenda, S. 56. Mittlerer und Naher Osten - Ge schichte und Gegenwart, 1129 Zahlen aus: Alfred Grosser, Das Bündnis - Die Münster 1996, S. 280-302 (S. 289). westeuropäischen Länder und die USA seit dem Krieg, 1155 Ekkehart Krippenhoff u. Michael Lucas, aaO. (Anm. 1136), S. 17. München 1978, S. 373. 1130 Paul K ennedy, Aufstieg und Fall der großen Mäc h­ 1156 Ebenda, S. 25. 1157 Ebenda, S. 25. te, aaO. (Anm. 943), S. 643. 1158 Der Spiegel, 19. 11. 1984; zit. aus: Hans-Jürgen 1131 Ebenda, S. 607. 1132 Ebenda. Schulz, Auf dem Weg zum Atomkrieg. US-amerikani­ 1133 Lorenz Knorr, NATO - Geschichte, Strategie, Atom­ sche Militärstrategie, isp-pocket 13, Frankfurt/M. kriegsplanung, Frankfurt/M. 1985, S. 149. 1985, S. 20. 1134 Ebenda. 1159 Die Zeit, 3. 8. 1979; zit. aus: Hans-Jürge n S chulz, 1135 Paul K ennedy, Aufstieg und Fall der großen Mäc h­ Auf dem Weg zum Atomkrieg, ebenda, S. 21. 1160 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, te, aaO. (Anm. 943), S. 643. 1136 Ekkehart Krippenhoff u. Michael Lucas, »>Eines aaO. (Anm. 807), S. 206 f. Tages werden wir Amerikaner über die Zerstörung 1161 Lawrence H. Shoup u. William Minter, aaO. Europas nachdenken müssen< - Die USA und West­ (Anm. 153), S. 168. europa«, in: Weltpolitk - Jahrbuch für Internationale 1162 Ebenda, S. 170. 1163 Ebenda. Beziehungen 1, Frankfurt/M. 1981, S. 10-29, hier S. 16. 1137 Zit. nach: Paul K ennedy, Aufstieg und Fall der gro­ 1164 Zbigniew B rzezinski, Interview mit: Die Welt wo­ ßen Mächte, aaO. (Anm. 943), S. 614. che, 8. 6. 1977, zit. aus: Bernd Greiner, aaO. (Anm. 1138 »>Eines Tages werden wir Amerikaner über die 351), S. 164. Zerstörung Europas nachdenken müssenLeitliniendokument< des Pentagon«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/1982, S. 1015; zit. in: Karl D. Bredthauer (Hg.), Sage niemand, er habe es nicht wissen können, aaO. (Anm. 1189), S. 77 f. 1375 Ebenda, S. 78. 1376 Ebenda. 1377 Zit. in: Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 154 f.; Übersetzung durch d. Verfasser. 1378 Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe, aaO. (Anm. 359), S. 141 f. 1379 Ebenda, S. 142. 1380 Ebenda. 1381 Zit. in: Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 142; Übersetzung durch d. Verfasser. 1382 Ebenda, S. 142; Übersetzung durch d. Verfasser 1383 »>Leitliniendokument< des Pentagon«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/1982, S. 1015; zit. in: Karl D. Bredthauer (Hg.), Sage niemand, er habe es nicht wissen können, aaO. (Anm. 1189), S. 78 f. 1384 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 142. 1385 Ebenda 1386 Jürgen B ruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 209. 1387 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 156. 1388 »>Leitliniendokument< des Pentagon«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 8/1982, S. 1015; zit. in: Karl D. B redthauer (Hg.), aaO. (Anm. 1189), S. 78. 1389 Zit. in: Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 207. 1390 Egon Bahr, in: Die neue Gesellschaft 2/1983, zit. aus: Klaus Bredthauer (Hg.), aaO. (Anm. 1189), S. 79. 1391 Zit. aus: Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 227. 1392 Henry K issinger, Die Vernunf t der Nationen, aaO. (Anm. 1139), S. 859. 1393 Wilhelm Dietl, Schwarzbuch Weißes Haus, aaO. (Anm. 1279), S. 185 f. 1394 Jürgen Bruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 208. 1395 Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe, aaO. (Anm. 359), S. 157. 1396 Ebenda, S. 157. 1397 Ebenda. 1398 Wilhelm Dietl, Schwarzbuch Weißes Haus, aaO. (Anm. 1279), S. 189.

Anmerkungen 6. Kapitel (1342-1551) 1399 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 54; auch: Wilhelm Dietl, Schwarzbuch Weißes Haus, aaO. (Anm. 1279), S. 190. 1400 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, ebenda, S. 54. 1401 Ebenda, S. 62. 1402 Ebenda. 1403 Wilhelm Dietl, Schwarzbuch Weißes Haus, aaO. (Anm. 1279), S. 190. 1404 Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe, aaO. (Anm. 359), S. 163. 1405 Ebenda, S. 164. 1406 Ebenda, S. 164 f. 1407 Ebenda, S. 165. 1408 Ebenda, S. 169. 1409 Ebenda, S. 262. 1410 Ebenda, S. 277. 1411 Ebenda, S. 279. 1412 Adalbert Bärwolf, Die Geheimfabrik-Amerikas Sieg im technologischen Krieg, München 1994, S. 118 u. 124. 1413 Ebenda, S. 213 u. 215. 1414 Jürgen B ruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 212. 1415 Jochen Hippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 56. 1416 Ebenda. 1417 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 57. 1418 Ebenda, S. 60 f. 1419 Christian Schmidt-Häuer, »Die Rüstung ver­ schlingt das Imperium«, in: Die Zeit, 1. 1. 1982, zit. in: Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 64. 1420 Ebenda. 1421 Jochen Hippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 60. 1422 Jürgen B ruhn, Der Kalte Krieg, aaO. (Anm. 911), S. 229. 1423 Ebenda, S. 229. 1424 Ebenda. 1425 Ernst-Otto Czempiel, Machtprobe, aaO. (Anm. 359), S. 282. 1426 Ebenda, S. 284. 1427 Ebenda. 1428 Ebenda, S. 289. 1429 Ebenda, S. 296. 1430 Ebenda, S. 294 f. 1431 Ebenda, S. 301. 1432 Ebenda, S. 301 f. 1433 Ebenda, S. 302. 1434 Ebenda.

1143

1435 Ebenda. 1436

Jochen H ippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 61. 1437 Ebenda. 1438 Zbigniew Brzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), S. 64 f. 1439 Mária Huber, Moskau 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 77. 1440 Ebenda. 1441 Ebenda, S. 77 f. 1442 Ebenda, S. 78. 1443 Ferdinand Kroh, Wendemanöver, München 1995, S. 28. 1444 Ebenda 1445 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 77. 1446 Ferdinand Kroh, Wendemanöver, aaO. (Anm. 1443), S. 29. 1447 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 162 f. 1448 Zit. in: Peter S chweitzer, ebenda, S. 162; Überset­ zung durch d. Verfasser. 1449 Ebenda, S. 164; Übersetzung durch d. Verfasser. 1450 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 1451 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 1452 Ebenda, S. 170; Übersetzung durch d. Verfasser. 1453 Ebenda. 1454 Ferdinand Kroh, aaO. (Anm. 1443), S. 29. 1455 Mária Huber, aaO. (Anm. 389), S. 77. 1456 Ebenda. 1457 Ferdinand Kroh, aaO. (Anm. 1443), S. 29 f. 1458 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 173. 1459 Ebenda, S. 177; Übersetzung durch d. Verfasser. 1460 Heribert Blondiau u. Udo Gümpel, Der Vatikan heiligt die Mittel. Mord am Bankier Gottes, Düsseldorf 1999, S. 9 f. 1461 Ebenda, S. 208. 1462 Ebenda, S. 209. 1463 Valeska von Roques, Verschwörung gegen den Papst. Warum Ali Agca auf Papst Johannes Paul IL schoß, München 2001, S. 230. 1464 Ebenda, S. 228. 1465 Ebenda, S. 202 ff. 1466 Ebenda, S. 18. 1467 Jochen H ippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 75. 1468 Bob Woodward, Reagan und die geheimen Kriege der CIA, München 1987, S. 168. 1469 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 231 f. 1470 Craig Unger, Die Bushs und die Sauds - Öl macht und Terror, München-Zürich 2004, S. 122

1144

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

1471 Michel Chossudowsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 359. 1472 »Chamäleon &. Co.«, in: Der Spiegel 39/2001, S. 14-19 (S. 16). 1473 Michel C hossudovsky, Global Brutal, aaO. (Anm. 647), S. 362. 1474 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 222. 1475 Ebenda. 1476 Ebenda, S. 222 f. 1477 Craig Unger, aaO. (Anm. 1477), S. 127. 1478 Ebenda. 1479 Robert Dreyfuss, aaO. (Anm. 1241), S. 280. 1480 Ebenda, S. 275. 1481 Ebenda, S. 277; Übersetzung durch d. Verfasser. 1482 Ebenda, S. 282. 1483 Ebenda, S. 283. 1484 Ebenda, S. 285. 1485 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 1486 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 234. 1487 Robert Dreyfuss, aaO. (Anm. 1241), S. 285. 1488 Ebenda, S. 286. 1489 Ebenda. 1490 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 235. 1491 Craig Unger, aaO. (Anm. 1477), S. 130. 1492 Ebenda. 1493 Zit. aus: Wolfgang von E rffa, Das Vermächtnis des Eiseren Emirs - Afghanistans Schicksal, Böblingen 1989, S. 130. 1494 Ebenda. 1495 Ebenda, S. 130 f. 1496 Ebenda, S. 124. 1497 Ebenda, S. 125. 1498 Ebenda, S. 125. 1499 Ebenda, S. 126. 1500 Ebenda, S. 132. 1501 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 55. 1502 Ebenda. 1503 Ebenda. 1504 Ebenda. 1505 Ebenda. 1506 Craig Unger, aaO. (Anm. 1477), S. 129. 1507 Ebenda. 1508 Ebenda, S. 130. 1509 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 361. 1510 Ebenda. 1511 Zit. aus: ebenda, S. 363. 1512 Jochen H ippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 59.

1513 Ebenda. 1514 Wolfgang

von Erffa, aaO. (Anm. 1493), S. 80. Hippler, aaO. (Anm. 1123), S. 54. 1516 Ebenda. 1517 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 236. 1518 Anatoli Tschernajew, Die letzten Jahre einer Welt­ macht - Der Kreml von innen, Stuttgart 1993, S. 113. 1519 Jochen Hippler, Die neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 76. 1520 Ebenda, S. 77 f. 1521 Ebenda, S. 77. 1522 Ebenda. 1523 Ebenda. 1524 Nafeez M. Ahmed, Geheimsache 09/11 - Hintergrün­ de über den 11. September und die Logik amerikanischer Machtpolitik, München 2003, S. 69. 1525 Rainer Rupp, B urchard B rentjes u. Siegwart-Horst Günther, Vor dem dritten Golfkrieg, Berlin 2002, S. 133. 1526 Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 69. 1527 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 365. 1528 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 58. 1529 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 366. 1530 Leonid L. Fituni, aaO. (Anm. 463), S. 46. 1531 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 75. 1532 Henry A. Kissinger, Amerikanische Außenpolitik, aaO. (Anm. 1168), S. 123. 1533 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 76. 1534 Ebenda, S. 78. 1535 Ebenda, S. 74. Mária Huber führt aus, daß Jack­ son »sich intensiv für die militärische Stärkung Isra­ els« engagierte. 1536 Ebenda. 1537 Ebenda, S. 75. 1538 Ebenda. 1539 Ebenda, S. 78. 1540 Ebenda. 1541 Ebenda, S. 79. 1542 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 238. 1543 Ebenda, S. 239. 1544 Ebenda, S. 240; Übersetzung durch d. Verfasser. 1545 Robert D reyfuss, aaO. (Anm. 1241), S. 282; Über­ setzung durch d. Verfasser. 1546 Peter Schweitzer, aaO. (Anm. 1362), S. 240 f.; Über­ setzung durch d. Verfasser. 1547 Ebenda, S. 241; Übersetzung durch d. Verfasser. 1548 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser.

1515 Jochen

Anmerkungen 7. Kapitel (1552-1652) 1549 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 79. 1550 Ebenda. 1551 Viktor Timtschenko, aaO. (Anm. 707), S. 159. 1552 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 61. 1553 Ebenda, S. 89. 1554 Ebenda, S. 275. 1555 Ebenda, S. 278. 1556 Zbigniew B rzezinski, Planspiel, aaO. (Anm. 224), S. 134. 1557 Lothar Rühl, Aufstieg und Untergang des Russi­ schen Reiches, aaO. (Anm. 367), S. 589. 1558 Ebenda, S. 589 f. 1559 Ebenda, S. 544. 1560 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 153. 1561 Ebenda. 1562 Ebenda, S. 156. 1563 Ebenda 1564 Ebenda, S. 159 1565 Zbigniew Brzezinski, »Post-Communist Nationa­ lism«, in: Foreign Affairs, Winter 1989/1990, S. 20 ff., zit. aus: Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, eben­ da, S. 164. 1566 Klaus Eichner, »Frontkader - Stippenzieher«, in: Junge Welt, 29. 6. 2010. 1567 Ebenda. 1568 Ebenda. 1569 Ebenda. 1570 Mária H uber, Moskau, 11. März 1989, aaO. (Anm. 389), S. 164 f. 1571 Ebenda, S. 164. 1572 Ebenda, S. 170. 1573 Lothar Rühl, Aufstieg und Niedergang des Russi­ schen Reiches, aaO. (Anm. 367), S. 590. 1574 Ebenda, S. 553. 1575 Ebenda, S. 572. 1576 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 197. 1577 Ebenda, S. 198. 1578 Ebenda. 1579 Ebenda. 1580 Ebenda, S. 203. 1581 Ebenda, S. 267. 1582 Lothar Rühl, Aufstieg und Niedergang des Russi­ schen Reiches, aaO. (Anm. 367), S. 554 f. 1583 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 263. 1584 Ebenda, S. 264.

1145

1585 Ebenda. 1586 Ebenda,

S. 263. Affairs, »Chronology 1991«, S. 204, zit. nach: Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, ebenda, S. 265. 1588 So bezeichnet der Historiker Günther Stöckl die Ukraine, in: Günther S töckl, Russische Geschichte, 6., erweiterte Auflage, Stuttgart 1997, S. 892. 1589 Alfred Mendes, Geopolitics of the Ukrainian Breadbasket, December 5, 2004, unter: http://www.globalresearch.ca/ index.php?context=va&aid=281 1590 Ole Diehl, »Kiew und Moskau«, in: Karl Kaiser u. Hans-Peter Schwarz (Hg.), Die Außenpolitik der Neuen Republiken im Östlichen Europa, Bonn 1994, S. 83-104, hier S. 87. 1591 Alfred Mendes, Geopolitics of the Ukrainian Breadbasket, December 5, 2004, unter: http://www.globalresearch.ca/ index.php?context=va&aid=281 1592 Ebenda. 1593 Ole Diehl, aaO. (Anm. 1590), S. 98. 1594 Ebenda, S. 99. 1595 Alfred M endes, Geopolitics of the Ukrainian Breadbasket, aaO. (Anm. 1591); Übersetzung durch d. Ver­ fasser. 1596 Michel Chossudovsky, IMF Sponsored >Democracy< in the Ukraine, November 28, 2004, unter: http:// www.globalresearch.ca/articles/CHO411D.html 1597 Ebenda; Übersetzung durch den Verfasser. 1598 Ebenda, 1599 Ebenda. 1600 Ole Diehl, aaO. (Anm. 1590), S. 98. 1601 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 2. erweiterte Auflage, Rottenburg 2006, S. 340. 1602 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, a aO. (Anm. 227), S. 136 f. 1603 Ebenda, S. 166. 1604 Ebenda. 1605 Ebenda, S. 202. 1606 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 130. 1607 Ebenda, S. 131. 1608 Ebenda, S. 110. 1609 Ebenda. 1610 Jochen Hippler, Die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 67. 1611 Paul Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mäch­ te, aaO. (Anm. 943), S. 756-758. 1612 Jochen Hippler, Die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 69. 1587 Foreign

1146 1613 Ebenda,

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

S. 68. Kennedy, Aufstieg und Fall der großen Mäch­ te, aaO. (Anm. 943), S. 758. 1615 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 278. 1616 Jochen Hippler, Die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 65. 1617 Ebenda, S. 64. 1618 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 279. 1619 Ebenda, S. 284. 1620 Graham A llison u. Robert B lackwill, »America‘s Stake in the Soviet Future«, in: Foreign Affairs 70, No. 3, S. 77 f. (S. 90); zit. aus: Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, ebenda, S. 279 f. 1621 Jochen Hippler, Die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 1123), S. 66. 1622 Zit. aus: ebenda, S. 96. 1623 Ebenda. 1624 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 278. 1625 Ebenda, S. 279. 1626 Ebenda. 1627 Ebenda. 1628 Ebenda, S. 281 f. 1629 Ebenda, S. 282 f. 1630 Anatoli Tschernajew, aaO. (Anm. 1518), S. 376. 1631 Ebenda, S. 376 f. 1632 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 283. 1633 Ebenda. 1634 Anatoli Tschernajew, aaO. (Anm. 1518), S. 383. 1635 Mária H uber, Moskau, 11. März 1985, a aO. (Anm. 389), S. 283. 1636 Ebenda. 1637 Roshan Dhunjibhoy u. Karl L. Hübener (Hg.), Un­ terwanderung - Die Destabilisierungsstrategie der USA von Angola bis Nicaragua, Wuppertal 1983, S. 12. 1638 Anatoli Tschernajew, aaO. (Anm. 1518), S. 377. 1639 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 281 f. 1640 Zit. aus: ebenda, S. 284. 1641 Ebenda. 1642 Ebenda, S. 285. 1643 Ebenda. 1644 Peter Bachmaier, »Soft Power - der kulturelle Krieg der USA gegen Rußland 1991-2010«, in: ZeitFragen Nr. 41, 19. 10. 2010. 1645 Ebenda. 1646 Ebenda; Zitate Brzezinskis unter: V. I. Jakunin, 1614 Paul

Bagdasarjan u. S. S. Sulakschin, Neue Technologien des Kampfes gegen den russischen Staat, Moskau 2009. 1647 Ebenda. 1648 Ebenda. 1649 Ebenda. 1650 Ebenda. 1651 Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, aaO. (Anm. 389), S. 288. 1652 Zbigniew B rzezinski, Die einzige Weltmacht, Ber­ lin 1997, S. 15, zit. aus: Mária Huber, Moskau, 11. März 1985, ebenda, S. 289 f. 1653 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, aaO. (Anm. 1601), S. 334 f. 1654 Ebenda, S. 335. 1655 Christian Hacke, Zur Weltmacht verdammt, aaO. (Anm. 315), S. 548. 1656 Ebenda. 1657 Ebenda. 1658 Ebenda. 1659 Ebenda. 1660 Ebenda, S. 550. 1661 Ebenda. 1662 Ebenda, S. 550 f. 1663 So die Wirtschaftswoche, 14. 10. 1993, S. 106. 1664 David Lux, Geld & Macht - George Soros, Karl Pop­ per und die >offene Gesellschaft, Wien 1994, S. 5. 1665 Ebenda, S. 31. 1666 Klaus Brill, »Der Milliardenzocker, dem der Ka­ pitalismus zu kalt ist - George Soros, bestverdienen­ der Marktwirtschaftskritiker des Erdballs, pumpt viel Geld in die Demokratisierung der Welt«, in: Süddeut­ sche Zeitung, 12. 2. 2008. 1667 Ebenda. 1668 George Soros, Die Vorherrschaft der USA - eine Seifenblase, München 2004, S. 134 f. u. 140. 1669 David Lux, aaO. (Anm. 1664), S. 37. 1670 Eric Laurent, aaO., S. 122. 1671 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 32. 1672 Ebenda, S. 33. 1673 Chalmers Johnson, Der Selbstmord der amerikani­ schen Demokratie, München 2004, S. 354. 1674 Ebenda, S. 357. 1675 Ebenda, S. 354 f. 1676Jean Ziegler, Die neuen Herrscher der Welt und ihre Widersacher, aaO. (Anm. 4), S. 51. 1677 Chalmers Johnson, aaO. (Anm. 1673), S. 355. 1678 Ebenda, S. 355 f. 1679 Ebenda, S. 356. 1680 Ebenda.

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674)

1147

1681 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1714 Ebenda, S. 156 f. 1715 Ebenda, S. 169. 647), S. 33. 1682 Ebenda. 1716 Vadim Belotserkovsky, Was geschieht mit Rußland?, 1683 Ebenda, S. 39 f. aaO. (Anm. 1698), S. 190. 1684 Ebenda, S. 261. 1717 Ebenda, S. 189. 1685 Joseph Stiglitz, Die Schatten der Globalisierung, 1718 Joseph Stiglitz, aaO. (Anm. 1685), S. 169. 1719 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 170. Berlin 2002, S. 158 1686 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 1720 Ebenda, S. 173 f. 1721 Ebenda, S. 181. aaO. (Anm. 1601), S. 337. 1687 Joseph Stiglitz, aaO. (Anm. 1685), S. 167. 1722 Ebenda, S. 174. 1688 F. William Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 1723 Ebenda. 1724 Ebenda, S. 131. aaO. (Anm. 1601), S. 337. 1689 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1725 Ebenda, S. 132. 1726 Ebenda, S. 133. 647), S. 271. 1690 Ebenda, S. 29. 1727 Ebenda. 1691 Ebenda, S. 261 f. 1728 Ebenda, S. 136. 1692 Stephan Bierling, »Weder Partner noch Gegner: 1729 Ebenda, S. 138 f. Die Rußlandpolitik der USA«, in: Peter Rudolf u. 1730 Jürgen Roth, Der Oligarch - Der ukrainische Fi­ Jürgen Wilzewski, Weltmacht ohne Gegner, Baden-Ba­ nanzmagnat Vadim Rabinovich bricht das Schweigen, den 2000, S. 125-147, hier S. 129. Hamburg 2002, S. 179. 1693 Ebenda. 1731 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1694 Joseph Stiglitz, aaO. (Anm. 1685), S. 197. 647), S. 266 f. 1695 Ebenda. 1732 Ebenda, S. 267. 1696 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO., S. 263. 1733 Paul K lebnikow, Der Pate des Kreml, aaO. (Anm. 1697 F. Wiliam Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 1704), S. 155. 1734 Ebenda, S. 156. aaO. (Anm. 1601), S. 337 f. 1698 Vadim Belotserkovsky (mit Friedrich Hitzer), Was 1735 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), geschieht mit Rußland? De mokraten gegen Kremldikta­ S. 272. 1736 Werner Raith, Das neue Mafia-Kartell - Wie die tur, Krieg und Chaos, Bergisch Gladbach 1996, S. 185. 1699 Ebenda, S. 185 f. Syndikate den Osten erobern, Hamburg 1996, S. 135. 1700 Ebenda, S. 186. 1737 Ebenda, S. 136. 1701 Ebenda. 1738 Ebenda, S. 155 f. 1702 F. Wiliam Engdahl, Mit der Ölwaffe zur Weltmacht, 1739 Ebenda, S. 136. 1740 Ebenda. aaO. (Anm. 1601), S. 338. 1703 Ebenda. 1741 Zit. aus: ebenda, S. 167. 1704 Paul Klebnikow, Der Pate des Kreml - Boris Beresow­ 1742 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), ski und die Macht der Oligarchen, München 2001, S. 112. S. 319. ‘ 1705 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1743 Ebenda. 1744 Frederic F. Clairmont, Die Internationale der Plün­ 647), S. 263. 1706 Vadim Belotserkovsky, Was geschieht mit Rußland?,derer, Sektion Rußland - Die globale Finanzkrise und aaO. (Anm. 1698), S. 193. wer davon profitiert, unter: http://www.eurozine. 1707 Ebenda, S. 193 f. com/articles/ 1999-04-13-clairmont-de.html 1708 Joseph Stiglitz, aaO. (Anm. 1685), S. 170 f. 1745 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), 1709 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 113. S. 319 f. 1710 Ebenda. 1746 Paul Klebnikow, aaO. aaO. (Anm. 1704), S. 255. 1711 Ebenda, S. 168. 1747 Ebenda, S. 271. 1712 des Staatskomitees für Eigentum, das von 1748 Ebenda. 1749 Ebenda, S. 51. Tschubais geleitet wurde und die Privatisierung ein­ 1750 Ebenda, S. 270. leiten sollte. 1713 Ebenda (Anm. 1711). 1751 Der Selbstbedienungsladen wird geschlossen,

1148

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

unter: http://www.Zeitschrift.com/magazin/41Rußland.ihtml 1752 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), S. 319. 1753 Boris Berezovski, the smuggler, unter: http:// www.voltairenet.org/article30030.html; Überset­ zung durch den Verfasser 1754 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 32; siehe auch: Boris Berezovski, the smuggler, ebenda. 1755 Ebenda, S. 15. 1756 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), S. 302. 1757 Zit. aus: ebenda. 1758 Ebenda. 1759 Boris Berezovski, the smuggler, aaO. (Anm. 1753), Übersetzung durch d. Verfasser. 1760 Frederic F. Clairmont, Die Internationale der Plün­ derer, aaO. (Anm. 1744). 1761 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), S. 302 f. 1762 Western Secret Serviceman of Putin‘s Main Rival, unter: http://www.axisglobe.com/article.asp?article =1176, 28.12. 2006; Übersetzung durch d. Verfasser. 1763 Frederic F. Clairmont, aaO. (Anm. 1744). 1764 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 16. 1765 Die Hintergründe des Tschetschenienkrieges werden in einem späteren Kapitel näher dargestellt. 1766 Boris Reitschuster, Wladimir Putin - Wohin steu­ ert er Rußland?, aaO. (Anm. 695), S. 63 f. 1767 Ebenda, S. 64. 1768 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 328. 1769 Ebenda. 1770 Boris Reitschuster, aaO. (Anm. 695), S. 64. 1771 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 329. 1772 Ebenda, S. 17. 1773 Ebenda, S. 16. 1774 Ebenda, S. 17. 1775 »Boris Beresowski«, unter: http:// www.netstudien.de/ Rußland/beresowski.htm 1776 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 17. 1777 »Jelzin und die Oligarchen«, unter: http:// www.netstudien.de/Rußland/jelzin.htm 1778 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 17 f. 1779 Frédéric F. Clairmont, Die Internationale der Plün­ derer, aaO. (Anm. 1744). 1780 Werner Raith, aaO. (Anm. 1736), S. 80. 1781 Ebenda. 1782 Ebenda, S. 81. 1783 Ebenda, S. 82. 1784 Ebenda, S. 83 f.

1785 Ebenda,

S. 84. »Von Clearstream bis Yukos (Teil III): War Yu­ kos wirklich heiße und kalte Kriege wert? Das USGroßkapital machte Rechnung ohne Wirt«, in: SaarEcho, 1. 2. 2005. 1787 »Triumph der Doppelmoral«, in: Der Spiegel 46/ 2003, S. 136-139 (S. 139). 1788 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 261. 1789 Ebenda, S. 262 f. 1790 »Duell um den Kreml«, in: Der Spiegel 45/2003, S. 130-145 (S. 135). 1791 »Von Clearstream bis Yukos (Teil II): Mikhail Chodorkovsky verlor gegen US-Amerika und die US-Profis unterlagen gegen Wladimir Putin«, in: Saar-Echo, 31. 1. 2005. 1792 »Triumph der Doppelmoral«, aaO. (Anm. 1787), S. 136-139 (S. 139). 1793 Nina Baschkatow, »Putin, Yukos und die Wah­ len in Rußland - Patrioten und Oligarchen«, in: Le Monde diplomatique, Dezember 2003, S. 12 f. (S. 13). 1794 Eberhard Schneider, Putin und die Oligarchen, Stu­ die der Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, September 2004, S. 12. 1795 Ebenda, S. 16. 1796 Nina Baschkatow, aaO. (Anm. 1793), S. 12. 1797 Eberhard Schneider, Putin und die Oligarchen, aaO. (Anm. 1794), S. 17. 1798 Ebenda, S. 18. 1799 Ebenda, S. 17. 1800 »Von Clearstream bis Yukos (Teil II), aaO. (Anm. 1791). 1801 F. William Engdahl, Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitsche Risiken von heute, Vortrag vor der Interpremeco Convention, München 13.-15. Okto­ ber 2006; unter: http://www.engdahl.oilgeopolitics. net/AufDeutsch/Rußland/Rußland.html 1802 Ebenda. 1803 »Von Clearstream bis Yukos (Teil III), aaO. (Anm. 1786). 1804 Ebenda. 1805 Ebenda. 1806 Nina Baschkatow, »Putin, Yukos und die Wah­ len in Rußland - Patrioten und Oligarchen«, aaO. (Anm. 1793), S.12. 1807 »Von Clearstream bis Yukos (Teil III), aaO. (Anm. 1786). 1808 Ebenda. 1809 Ebenda. 1810 Ebenda. 1811 Ebenda. 1786

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674) 1812

1149

1848 »Duell um den Kreml«, in: Der Spiegel 45/2003, »Von Clearstream bis Yukos (V): Gerät das kapi­ talistische Abenteuer Yukos zum Ausgangspunkt S. 130-145 (S. 135). einer geopolitischen Korrektur?« in: Saar-Echo, 3. 2. 1849 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 276. 1850 Dominic M idgley u. Chris H utchins, Der Milliar­ 2005. 1813 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 141. där aus dem Nichts - Roman Abramowitsch, Hamburg 1814 Ebenda, S. 141 f. 2005, S. 65. 1815 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1851 Paul Klebnikow, aaO., S. 274 1852 Dominic M idgley u. Chris Hutchins, a aO. (Anm. 647), S. 271. 1816 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 162. 1850), S. 65. 1817 Ebenda. 1853 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 275. 1818 Ebenda, S. 163. 1854 Joseph Stiglitz, aaO. (Anm. 1685), S. 200 f. 1819 Ebenda. 1855 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), 1820 Ebenda. S. 314. 1821 Ebenda, S. 168. 1856 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 290 f. 1822 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1857 Gerald Sussman, The Myths of >Democracy Assi647), S. 271. stancec U.S. Political Intervention in Post-Soviet La­ 1823 Ebenda, S. 272. stern Europe, unter: http://www.monthlyreview. 1824 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 164. org/ 1206sussman.htm 1858 Ebenda. 1825 Ebenda, S. 165. 1826 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1859 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 291. 1860 Ebenda, S. 292. 647), S. 272. 1827 Ebenda. 1861 Ebenda, S. 293. 1862 Man sprach dabei von einer Summe von 12 Milli­ 1828 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 166. 1829 Ebenda, S. 167. arden Dollar; und US-Regierungsvertreter sagten aus, 1830 Ebenda, S. 166 f. es habe sich hier um die größte Geldwaschangelegen­ 1831 Vadim Belotserkovsky, Was geschieht mit Rußland?,heit gehandelt, die das FBI je untersuchte (vgl. Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), S. 310 f.). aaO. (Anm. 1698), S. 133. 1832 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1863 Jürgen Roth, Der Oligarch, aaO. (Anm. 1730), 647), S. 273. S. 311. 1864 Ebenda. 1833 Ebenda. 1834 Ebenda. 1865 Ebenda, S. 312. 1835 Ebenda. 1866 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 293. 1836 Ebenda. 1867 Ebenda. 1837 Ebenda, S. 274. 1868 Ebenda, S. 283 f. 1838 Ebenda. 1869 ebenda, S. 284. 1870 Alexander R ahr, Wladimir Putin, aaO. (Anm. 688), 1839 Ebenda, S. 275. 1840 Stephan Bierling, »Weder Partner noch Gegner: S. 123. 1871 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 285. Die Rußlandpolitik der USA«, in: Peter Rudolf u. Jür­ gen Wilzewski, Weltmacht ohne Gegner, aaO. (Anm. 1872 Ebenda, S. 288 f. 1873 Ebenda, S. 290. 1692), S. 128. 1841 Ebenda, S. 131, ebenso Michel Chossudovsky, Glo­ 1874 Ebenda, S. 289. 1875 Alexander R ahr, Wladimir Putin, aaO. (Anm. 688), bal brutal, aaO. (Anm. 647), S. 275. 1842 Joseph Stiglitz, (Anm. 1685), aaO., S. 202. S. 125. 1843 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 1876 Ebenda, S. 123. 1877 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 289. 647), S. 274 f. 1844 Michael Thumann, Das Lied von der russischen Erde, 1878 »Duell um den Kreml«, in: Der Spiegel 45/2003, aaO. (Anm. 37), S. 94. S. 130-145 (S. 135). 1879 Alexander R ahr, Wladimir Putin, aaO. (Anm. 688), 1845 Ebenda, S. 101. 1846 Ebenda, S. 100 f. S. 124. 1847 Ebenda, S. 104. 1880 Ebenda, S. 126.

1150 1881 Ebenda,

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

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Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674) 1942

Johannes Reissner, »Iran: Beziehungen zu Zen­ tral- und Südasien«, in: Klaus Lange (Hg.) Sicher­ heit in Zentral- und Südasien, aaO. (Anm. 463), S. 58. 1943 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 263. 1944 Das Thema der geheimen Liaison zwischen der US-Machtelite und den Taliban wird geschildert in: Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244); JeanCharles B risard u. Guillaume Dasquié, Die verbotene Wahrheit - Die Verstrickungen der USA mit Osama bin Laden, Zürich-München 2001; Nafeez M. A hmed, Ge­ heimsache 09/11, aaO. (Anm. 1524). 1945 Johannes Reissner, »Iran: Beziehungen zu Zen­ tral- und Südasien«, in: Klaus Lange (Hg.) Sicherheit in Zentral- und Südasien, aaO. (Anm. 463), S. 58. 1946 Sh. T. Hunter, »Central Asia and the Middle East - Patterns of Interaction and Influence«, in: Central Asian Monitor, 1992, Nr. 6, S. 10-18 ff. 1947Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 315. 1948 Sherman W. Garnett, Alexander Rahr u. Koji Wa­ tanabe, aaO. (Anm. 1932), S. 31. 1949 Michael W. Weithmann, Atatürks Erben auf dem Weg nach Westen - Die Türkei im Spannungsfeld zwi­ schen Nahost und Europa, München 1997, S. 359. 1950 Albrecht Rothacher, aaO. (Anm. 1928), S. 104. 1951 Alexander Rahr, »Europa im neuen Zentralasien«, in: Sherman W. Garnett, Alexander Rahr u. Koji Wa­ tanabe, aaO. (Anm. 1932), S. 77-96 (S. 94). 1952 Michael W. Weithmann, aaO. (Anm. 1949), S. 348. 1953 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 87. 1954 Michael W. Weithmann, aaO. (Anm. 1949), S. 354. 1955 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 87. 1956 Lothar Rühl, Aufstieg und Niedergang des Russi­ schen Reiches, aaO. (Anm. 367), S. 577 f. 1957 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 164. 1958 Ebenda. 1959 Alexander Rahr, »Europa im neuen Zentralasien«, in: Sherman W. G arnett, Alexander Rahr, Koji Wa­ tanabe, aaO. (Anm. 1932), S. 77-96 (S. 84). 1960 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 164. 1961 Alexander Rahr, »Europa im neuen Zentralasien«, aaO., S. 84 1962 Albrecht Rothacher, aaO. (Anm. 1928), S. 104. 1963 Stephan Bierling, »Weder Partner noch Gegner: Die Rußlandpolitik der USA«, in: Peter Rudolf u. Jür­ gen Wilzewski, Weltmacht ohne Gegner, aaO. (Anm. 1692), S. 125 f. 1964 So der damalige Außenminister James Baker am 12. Dezember 1991 in einer Rede an der Princeton University, zit. aus: Stephan Bierling, ebenda, S. 126.

1151

1965 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, a aO. Anm. 227), S. 91. 1966 Ebenda. 1967 Stephan Bierling, aaO. (Anm. 1692), S. 129. 1968 Ebenda, S. 134. 1969 Sherman W. Garnett, »Die USA und das Kaspi­ sche Becken«, in: Sherman W. Garnett, Alexander Rahr u. K oji Watanabe, a aO. (Anm. 1932), S. 43-62 (S. 43). 1970 Ebenda, S. 44. 1971 Stephan Bierling, aaO. (Anm. 1692), S. 135. 1972 Ebenda, S. 136. 1973 Ebenda, S. 138. 1974 Ebenda, S. 139. 1975 Ebenda, S. 138. 1976 Ebenda, S. 139. 1977 Sherman W. Garnett, »Die USA und das Kaspi­ sche Becken«, aaO. (Anm. 1969), S. 45. 1978 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 348. 1979 Sherman W. Garnett, aaO. (Anm. 1969), S. 49 f. 1980 Ebenda, S. 50 1981 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 349. 1982 Zit. aus: Henry Kissinger, Die Vernunft der Natio­ nen, aaO. (Anm. 1139), S. 894. 1983 Ebenda. 1984 »Die Rolle eines Ersatz-Rom«, Interview mit Chal­ mers Johnson, in: Der Spiegel, Nr. 45/2000, S. 252256, zit. aus: Rizvan N abiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 350. 1985 Sherman W. Garnett, aaO. (Anm. 1969), S. 53. 1986 Ebenda, S. 54. 1987 Henry Kissinger, Die Vernunft der Nationen, aaO. (Anm. 1139), S. 899. 1988 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 350. 1989 Matthias George, »Geostrategische Interessen und Öl in Eurasien«, in: Zeit-Fragen, Nr. 81b, 2. 7. 2001. 1990 Ebenda. 1991 Michel C hossudovsky, Global Brutal, aaO. (Anm. 647), S. 391. 1992 US Kongress, Transcript of the House of Represen­ tatives, HR 1152,19. März 2001, zit. aus: Michel Chos­ sudovsky, Global Brutal, ebenda, S. 391 f. 1993 Anhörung über US-Interessen in den zentralasia­ tischen Republiken am 12. Februar 1998, House of Representatives, Subcommittee on Asia and the Pa­ cific, Committee on International Relations, zit. aus:

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), 2020 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ S. 392. lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 25. 1994 Ebenda, S. 392 f. 2021 Ebenda, S. 26. 1995 Ebenda, S. 393. 2022 Ebenda. 1996 Ebenda. 2023 Ebenda. 1997 Ebenda. 2024 Ebenda. 1998Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ 2025 Sherman W. Garnett, aaO. (Anm. 1969), S. 52. 2026 Rachel Bronson, »NATO‘s Expanding Presence pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 349. 1999 Matthias George, »Geostrategische Interessen und in the Caucasus and Central Asia«, in: Stephen J. Blank (Hg.), NATO after Enlargement: New Challen­ Öl in Eurasien«, aaO. (Anm. 1989). 2000 Ebenda. ges, New Missions, New forces, Carlisle, P.A.: Strate­ 2001 Ebenda. gic Studies Institute, U.S. Army War College, Sep­ 2002 http://www.globalsecurity.org/military/ tember 1998, S. 229-258 (S. 236); Übersetzung durch d. Verfasser. world/int/ guuam.htm 2003 Yalta GUUAM Charter, Yalta, 7. 6. 2001, unter: 2027 Zit. aus: Alfred Mechtersheimer, Friedensmacht http://www.guuam.org/doc/browse.html Deutschland, Frankfurt/M.-Berlin 1993, S. 324. 2004 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ 2028 Otfried Nassauer, »Neue NATO-Strategie«, in: lationen im Südkaukasus«, in: Aus Politik und Zeit­ Erich Schmidt-Eenboom u. Jo Angerer (Hg.), Sieger­ geschichte, B42/99, S. 21-31 (S. 25). macht NATO - Dachverband der neuen Weltordnung, 2005 Ebenda, S. 25. Berg am Starnberger See 1993, S. 37-114 (S. 48 f.); 2006 So Kaukasus-Experte Uwe Halbach, in: »Staaten­ vgl. auch: Alfred Mechtersheimer, ebenda, S. 324- 326. 2029 Alfred Mechtersheimer, ebenda, S. 326. bund GUUAM soll neu belebt werden«, unter: 2030 Hans-Georg Ehrhart u. Oliver Thränert, »Die http://www.dw-world.de/dw/article/ 0,1564,1560133,00.html Rolle von NATO, EU und OSZE in der Kaspischen 2007 Ebenda. Region«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte B 43-44/ 2008 Alexander Warkotsch, »Rußlands Rolle in Zen­ 98, S. 37-44 (S. 38). http://www.bundestag.de/cgi- 2031 Ebenda, S. 38. tralasien«, unter: 2032 Ebenda. bin/druck.pl?N=parlament 2033 Ebenda. 2009 Leonid L. Fituni, aaO. (Anm. 463), S. 45. 2010 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ 2034 Ebenda, S. 39. 2035 Ebenda. lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 25. 2011 »Staatenbund GUUAM soll neu belebt werden«, 2036 Rachel Bronson, »NATO‘s Expanding Presence aaO. (Anm. 2006. in the Caucasus and Central Asia«, aaO. (Anm. 2026), 2012 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 181. S. 235; Übersetzung durch d. Verfasser. 2013 Zit. nach Igor Tubarkov, »GUUAM‘s loss in 2037 Ebenda, S. 235; Übersetzung durch d. Verfasser. Russia‘s gain«, in: Eurasia Insight, 18. 4. 2001, http:// 2038 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 2039 Ebenda, S. 235 f.; Übersetzung durch d. Verfasser. www.eurasianet.org/departments/insight/articles/ 2040 Hans-Georg Ehrhart u. Oliver Thränert, aaO. eav041801.shtml, zit. aus: Savas Genc, ebenda, S. 182. 2014 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ (Anm. 2030), S. 39 f. 2041 Ebenda, S. 40. lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 25. 2015 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 2042 Ebenda, S. 39. 2043 http://www.bits.de/NRANEU/ 647), S. 390 f. 2016 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ RussiaCaucasus.html 2044 Rachel Bronson,’ »NATO‘s Expanding Presence lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 25. 2017 Michel C hossudovsky, Global Brutal, aaO. (Anm. in the Caucasus and Central Asia«, aaO. (Anm. 2026), 647), S. 393. S. 238; Übersetzung durch d. Verfasser. 2018 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ 2045 Ebenda, S. 240; Übersetzung durch d. Verfasser. 2046 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 25. 2019 Michel C hossudovsky, Global Brutal, aaO. (Anm. 2047 Zit. aus: Rachel Bronson, ebenda, S. 240; Überset­ 647), S. 391. zung durch d. Verfasser.

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674) 2048

Hannes H ofbauer, Balkankrieg - Zehn Jahre Zer­ störung Jugoslawiens, Wien 2001, S. 191. 2049 Michel Chossudovsky, »Die USA auf Kriegspfad in Mazedonien«, unter: http://www.zmag.de/ arikel.php?id=164 2050 Matthias George, »War Europa das Ziel bei der Bombardierung Serbiens?« in: Zeit-Fragen, 20.8.2001. 2051 Ebenda. 2052 Michel Chossudovsky, »Die USA auf Kriegspfad in Mazedonien«, unter: http://www.zmag.de/ arikel.php?id=164 2053 George Monbiot, »A Descreet Deal in the Pipe­ line«, The Guardian, 15. 2. 2001, zit aus: Michel C hos­ sudovsky, »Die USA auf Kriegspfad in Mazedoni­ en«, ebenda. 2054 Rainer Rupp, »NATO-Krieg gegen Jugoslawien sollte Fehlentscheidung Eisenhowers korrigieren«, in: Junge Welt, 23. 6. 2001. 2055 Ebenda. 2056 Ebenda. 2057 Ebenda. 2058 Ebenda. 2059 Ebenda. 2060 Matthias George, »War Europa das Ziel bei der Bombardierung Serbiens?« aaO. (Anm. 2050). 2061 Ebenda; ebenso: Matthias George, »Wo verläuft der VIII. Korridor? Die Paneuropäischen Netze (PAN) und die ökonomische Bedeutung Osteuropas und des Balkans«, in: Zeit-Fragen Nr. 32,13. 8. 2001. 2062 Ebenda. 2063 Ebenda. 2064 Ebenda. 2065 Ebenda. 2066 Michel Chossudovsky, »Die USA auf Kriegspfad in Mazedonien«, aaO. (Anm. 2052). 2067 Ebenda. 2068 Ebenda. 2069 Matthias George, »Wo verläuft der VIII. Korri­ dor?« aaO. (Anm. 2061). 2070 Ebenda. 2071 Ebenda. 2072 Ebenda. 2073 Zit. aus: ebenda. 2074 F. William Engdahl, Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitsche Risiken von heute, aaO. (Anm. 1801). 2075 Ebenda. 2076 Clemens Verenkotte, Die Herren der Welt - Das amerikanische Imperium, München 2003, S. 166 f. 2077 Ebenda, S. 341, Fn. 37. 2078 So der Radio-Kommentator von >Radio Free Eu­

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rope/Radio Liberty< Eugen Tomiuc vom 25. März 2002, nach Clemens Verenkotte, aaO. (Anm. 2076), S. 341, Fn. 37. 2079 Ebenda. 2080 Dieser Aufsatz ist erschienen in der Zeitschrift Internationale Politik 6/2004, S. 75-86. 2081 Ebenda, S. 75. 2082 Ebenda. 2083 Ebenda, S. 77. 2084 Ebenda, S. 78. 2085 Ebenda, S. 79. 2086 Ebenda, S. 78 f. 2087 Ebenda, S. 81. 2088 Ebenda, S. 80. 2089 Ebenda, S. 82. 2090 Ebenda. 2091 Ebenda, S. 85. 2092 Ebenda, S. 85. 2093 Ebenda, S. 85 f. 2094 Ebenda, S. 86. 2095 Erschienen in dem Magazin Backgrounder vom 13. 12. 2006; unter: http://www.heritage.org/research/RussiaandEurasia/bgl990.qm 2096 Ebenda, S. 3; Übersetzung durch d. Verfasser. 2097 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 2098 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 2099 Ebenda, S. 10; Übersetzung durch d. Verfasser. 2100 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 2101 Ebenda, S. 9; Übersetzung durch d. Verfasser. 2102 Ebenda, S. 11; Übersetzung durch d. Verfasser. 2103 Ebenda, S. 2; Übersetzung durch d. Verfasser. 2104 S. Neil Mac Farlane, »Amerikanische Politik in Zentralasien und im Transkaukaus«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. B-43-44/1998, S. 3-12 (S. 4). 2105 Ebenda, S. 4 f. 2106 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 351. 2107 S. Neil Mac Farlane, aaO. (Anm. 2104), S. 5 f. 2108 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 351. 2109 S. Neil Mac Farlane, aaO. (Anm. 2104), S. 4. 2110 Pierre S imonitsch, »Der Balkan als Teil eines poli­ tischen Erdbebengürtels - Für die Geostrategen wie für die Wirtschaft der USA ist ein stabiles Südosteu­ ropa wichtig, weshalb bereits ein Marshallplan offe­ riert wird«, in: Frankfurter Rundschau, 27. 4. 1999. 2111 Ebenda. 2112 Ebenda. 2113 Ebenda. 2114 Ebenda.

1154 2115

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Robert Steuckers, »Europa der Völker statt USGlobalisierung«, in: Kongreß-Protokoll der Gesellschaft für Freie Publizistik 2004 >Die neue Achse - Europas Chancen gegen Amerikas S. 65-92 (S. 73 f.). 2116 Robert Lansing, Die Versailler Friedensverhandlun­ gen, Berlin 1921, S. 144, zit. aus: Helmut S ündermann, Wie deutsch bleibt Österreich?, Leoni am Starnberger See 1970, S. 46. 2117 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 25. 2118 Leonid L. Fituni, aaO. (Anm. 463), S. 43 f. 2119 Zentralasien, Herausgegeben von Gavin Hambly (= Weltbild Weltgeschichte, Bd. 16), Augsburg 1998, S. 11 u. 15. 2120 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 25. 2121 Halford M ackinder, Democratic Ideals and Reality, New York 1962, S. 242 ff.; zit. aus: Rizvan Nabiyew, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region, eben­ da, S. 25 f. 2122 Ebenda, S. 26. 2123 Vgl. »Kaukasus im System der modernen Geo­ politik«, in: Institut für GUS-Länder, www.zatulin.ru, Februar 2002; zit. aus: Rizvan Na­ biyev, Erdöl- und Erdgaspoltik in der kaspischen Region, ebenda, S. 28. 2124 Heinz Brill, Geopolitik heute, aaO. (Anm. 8), S. 26. 2125 Mahdi Darius Nazemroaya, »America‘s »Long War«: The Legacy of the Iraq-Iran and Soviet-Afghan Wars«, unter: http://www.globalresearch.ca/PrintArticlephp? articleld=6687; Übersetzung durch d. Ver­ fasser. 2126 Henry A. Kissinger, Memoiren 1973-1974, Mün­ chen 1982, S. 795. 2127 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 41. 2128 Ebenda, S. 54. 2129 Ebenda, S. 64. 2130 Ebenda, S. 16. 2131 Ebenda. 2132 Ebenda, S. 174. 2133 Ebenda, S. 177 f. 2134 Ebenda, S. 127. 2135 Ebenda, S. 138 u. 178. 2136 Ebenda S. 216. 2137 Ebenda, S. 210 f. 2138 Ebenda, S. 189. 2139 Ebenda, S. 177. 2140 Ebenda, S. 182. 2141 Ebenda, S. 188.

2142

Bis April 1999 wurden 20 >production sharingölige Familiec Die Brze­ zinskis und das >Große Spiel< im Transkaukasus«, in: Neue Solidarität, 13. 10. 1999. 2147 Zbigniew B rzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 208 f. 2148 S. Neil Mac Farlane, aaO. (Anm. 2104), S. 9. 2149 Frank Nienhuysen, »Ein Despot am Ende seiner Träume - Aserbaidschans Präsident Alijew wird von Bush empfangen, sein Land ist strategisch wichtig«, in: Süddeutsche Zeitung, 27. 4. 2006. 2150 Ebenda. 2151 Udo Ulfkotte, »Wie israelische und amerikani­ sche Geheimdienste den Iran-Krieg vorbereiten«, un­ ter: http://www.kopp-verlag.de/news/wie-israelische-und-amerikanische-geheimdienste-den-irankrieg-vorbereiten.html vom 6. 7. 2008. 2152 Ebenda. 2153 Jack W heeler, »There is no Such Country as Iran«, unter: www.ToThePoint.com vom 1. 6. 2006; Über­ setzung durch d. Verfasser. 2154 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 2155 Zbigniew B rzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 189. 2156 Hanns W. Maull, Strategische Rohstoffe. Risiken für die wirtschaftliche Sicherheit des Westens, Olden­ burg 1988, S. 13. 2157 Jürgen Wagner, »Irak als Vorspiel - Die >Logik< der US-Ölstrategie«, unter: http://www.imi-online. de/download/oelstudie.pdf, S. 2. 2158 Ebenda; siehe auch: Catherine Hoffmann u. Win­ and von Petersdorf, »Die Tage des billigen Öls sind gezählt«, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Ausgabe 35/02. 2159 Daniel Yergin, Der Preis - Die Jagd nach Öl, Geld und Macht, Frankfurt/M. 1991, S. 964. 2160 Zit. aus: Jürgen Wagner, Das ewige Imperium Die US-Außenpolitik als Krisenfaktor, Hamburg 2002, S. 61. 2161 Ebenda, S. 61. 2162 Zit. aus: Jürgen Wagner, »Irak als Vorspiel - Die >Logik< der US-Ölstrategie«, aaO. (Anm. 2157), S. 6.

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674) 2163

Jürgen Wagner, »>Sehr guter Grund für einen Krieg< - Die US-Regierung arbeitet an einer neuen Welt(öl)ordnung/OPEC soll geschwächt werden«, in: Neues Deutschland, 1. 2. 2003; unter: http:// www.imi-online.de/2003.php3?id=410 2164 Daniel Yergin, Der Preis - Die Jagd nach Öl, Geld und Macht, aaO. (Anm. 2159), S. 945 f. 2165 Ebenda, S. 959. 2166 Rizvan Nabiyev, »Geopolitische Neuordnung im Kaukasus, im Mittleren Osten und in Zentralasien«, in: Eurasisches Magazin, 25.06.2003; unter: http.:// www.eurasischesmagazin.de/artikel/?thema= Eurasien&artikelID=60503 2167 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 78. 2168 Ebenda. 2169 Jürgen Wagner, »>Sehr guter Grund für einen KriegLogik< der US-Ölstrategie«, aaO. (Anm. 2157), S. 12. 2171 Detlef Bimboes, »Konfliktregion Kaspisches Meer - Der Kaukasus und Mittelasien - zwischen Erdöl, http://www.uniKrieg und Krisen«, unter: kassel.de/fb5/frieden/science/Kasp-Meer.html 2172 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 80 f. 2173 Jürgen W agner, Das ewige Imperium, aaO. (Anm. 2160), S. 64. 2174 Ebenda, Fn. 72. 2175 Ebenda, S. 65. 2176 Matin Baraki, »Interessenkonflikte um die reichen Erdöl- und Gasvorkommen am Kaspischen Meer«, unter: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/re­ gionen/Kaukaus/baraki.html 2177 Matin Baraki, Kampffeld Naher und Mittlerer Osten, aaO. (Anm. 1303), S. 52 f. 2178 Ebenda, S. 53. 2179 S. Neil Mac Farlane, aaO. (Anm. 2104), S. 5. 2180 Nafeez M. A hmed, Geheimsache 09/11, aaO. (Anm. 1524), S. 70. 2181 Zit. aus: ebenda, S. 71. 2182 Zit. aus: ebenda. 2183 Zit. aus: ebenda, S. 71 f. 2184 Zit. aus: ebenda, S. 72, »Silk Road Strategy Act«, 106. Kongress, unter: http://www.eurasianet.org/ resource/ regional/silkroad.html 2185 Zbigniew B rzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 182. 2186 Rainer Rupp, »>Das große Spiel< - Vor dem rus­ sisch-amerikanischen Gipfeltreffen: Im südlichen

1155

Kaukasus stehen >vitale strategische Interessen< der USA jenen Rußlands gegenüber. Der Konflikt um Öl und Geld ist im vollen Gange«, in: Die Tageszei­ tung, 3./4. 6. 2000. 2187 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 27. 2188 Ebenda, S. 51. 2189 Erich F ollath, »Jäger des Schwarzen Goldes«, in: Der Spiegel Nr. 52/2001, S. 148-159 (S. 150). 2190 Jürgen Wagner, Das ewige Imperium, aaO. (Anm. 2160), S. 65. 2191 Zit. aus: ebenda. 2192 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 69. 2193 Ebenda, S. 70 2194 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 394. 2195 Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 72. 2196 Winfried W olf, Afghanistan, der Krieg und die Neue Weltordnung, Hamburg 2002, S. 69. 2197 Zit. aus: Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 71. 2198 Ebenda, S. 74. 2199 Mortimer Z uckerman, »The big game gets bitter«, in: Jewish World Review, 4. 5. 1999, zit. aus: Jürgen Wagner, Das ewige Imperium, aaO. (Anm. 2160), S. 66. 2200 William Dowell, »Getting Ready for the Central Asian Oil Rush«, Global Beat Syndicate, 13. 5. 2002, zit. aus: Jürgen Wagner, Das ewige Imperium, eben­ da, S. 66. 2201 Ilan Berman, »Russia‘s Capian Power Grab«, in: Washington Times, 11. 7. 2001, zit. aus: Jürgen Wag­ ner, Das ewige Imperium, ebenda, S. 66. 2202 Mortimer Zuckerman, »The big game gets bigger«, aaO. (Anm. 2199), zit. aus: ebenda. 2203 Ebenda, S. 67. 2204 Winfried W olf, Afghanistan, der Krieg und die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 2196), S. 69 f. 2205 J. M. Nowakowsi, »Putins Politik des 19. Jahrhun­ derts«, in: Die Welt, 2. 8. 2001. 2206 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 173. 2207 Ebenda, S. 175. 2208 Ebenda, S. 173. 2209 Ebenda, S. 175. 2210 Ebenda, S. 177. 2211 Ebenda, S. 203. 2212 Ebenda, S. 207 f. 2213 Ebenda, S. 208 f. 2214 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 242.

1156 2215

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 203. 2216 Ebenda, S. 203 f. 2217 Zit. aus: Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 70. 2218 Zit. aus: Hans Brandt, »Brisante Pipelines am Kaspischen Meer«, in: Der Tages-Anzeiger, 19.4.2002. 2219 Ebenda. 2220 Detlef Bimboes, »Der Kaukasus und Mittelasien Zwischen Erdöl, Krieg und Krisen«, unter: http:// www.uni-kassel.de/fb5/frieden/science/KaspMeer.html 2221 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 107 f. 2222 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 203. 2223 Ebenda, S. 215 f. 2224 Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 74. 2225 Zit. aus: Wolfgang Gründinger, Die Energiefalle, München 2006, S. 151. 2226 Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 75 f. 2227 Zit. aus: ebenda, S. 76 2228 Wolfgang Gründinger, aaO. (Anm. 2225), S. 161. 2229 Chalmers J ohnson, Die Zerstörung der amerikani­ schen Demokratie, aaO., S. 235. 2230Zit. aus: Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 76. 2231 Jürgen Wagner, >Geburtswehen des Mittleren Ostens< - Die US-Strategie zur Transformation der Re­ gion (= IMI-Analyse Nr. 2007/018, 28. 4. 2007), un­ ter: http://www.imi-online.de 2232 Michael Ledeen, »The Real war... one more time «, in: National Review Online, 14. 8. 2006, zit. aus: Jür­ gen Elsässer, »Der kommende Weltkrieg«, in: ZeitFragen Nr. 40, 5. 10. 2006. 2233 Mahdi Darius Nazemroaya, »Die neuesten Töne des kriegführenden Monsters: >Kreative Zerstörung als revolutionäre KraftGeburtswehen des Mittleren

OstensGeburtswehen des Mittleren OstensRückkehr< Rußlands zum Kalten Krieg ist für Einfaltspinsel bestimmt«, unter http://www.zeitfragen.ch/ausgaben/2007/nr.28-vom-1672007 2262 Zit. aus: Hellmut Diwald, Der Kampf um die Welt­ meere, München-Zürich 1980, S. 302. 2263 Ferner auch: Anton Zischka, Englands Bündnisse, Leipzig 1940, S. 86-90.

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674) 2264David

L. Hoggan, Meine Anmerkungen zu Deutsch­ land - Der anglo-amerikanische Kreuzzugsgedanke im 20. Jahrhundert, Tübingen 1990, S. 216. 2265 Wilhelm Treue, Der Krimkrieg und seine Bedeutung für die Entstehung der modernen Flotten, Herford 1980, S. 15. 2266 Zit. aus: W. v. Lojewksi, Aufmarsch im Orient, Leip­ zig 1942, S. 5. 2267 Ebenda. 2268 David L. Hoggan, Meine Anmerkungen zu Deutsch­ land, aaO. (Anm. 2264), S. 217. 2269 David L. Hoggan, Der unnötige Krieg, Tübingen 1974, S. 87. 2270 Anton Zischka, aaO. (Anm. 2263), S. 98 f. 2271 Lothar Rühl, Rußlands Weg zur Weltmacht, aaO. (Anm. 877), S. 226. 2272 Ebenda, S. 233. 2273 Ebenda, S. 227 f. 2274 Ebenda, S. 228. 2275 Anton Zischka, aaO. (Anm. 2263), S. 99. 2276 Ebenda. 2277 Zit. aus: Lothar R ühl, Rußlands Aufstieg zur Welt­ macht, aaO. (Anm. 877), S. 236. 2278 Die Kolonialreiche seit dem 18. Jahrhundert (= Fi­ scher Weltgeschichte Bd. 29), Frankfurt/M. 1965, S. 159. 2279 Ebenda, S. 160. 2280 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 29. 2281 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 48. 2282 Lothar Rühl, Rußlands Aufstieg zur Weltmacht, aaO. (Anm. 877), S. 247. 2283 Ebenda, S. 246. 2284 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kas­ pischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 29. 2285 Lothar Rühl, Rußlands Aufstieg zur Weltmacht, aaO. (Anm. 877), S. 247. 2286 Ahmed Rashid, Heiliger Krieg am Hindukusch Der Kampf um Macht und Glauben in Zentralasien, München 2002, S. 232. 2287 »David Urquharts >Heiliger Krieg< - Zur Ge­ schichte des >Großen Spiels< der Briten im Kauka­ sus«, in: Neue Solidarität, Sonderdruck vom Dezem­ ber 1999, S. 1 ff. (S. 1). 2288 Ebenda, S. 3. 2289 Ebenda, S. 2. 2290 »David Urquharts osmanische Legionen - Zur Geschichte des >Großen Spiels< der Briten im Kau­ kasus«, in: Neue Solidarität, Sonderdruck vom De­ zember 1999, S. 6 . (S. 6). 2291 des Krimkrieges, der Verfasser.

2292 Wilhelm

1157

Treue, aaO. (Anm. 2265), S. 15 f. »David Urquharts osmanische Legionen«, aaO. (Anm. 2290), S. 6. 2294 der österreichische Gesandte in Konstantinopel. 2295 Wihelm Treue, aaO. (Anm. 2265), S. 16 f. 2296 Ebenda, S. 17. 2297 Ebenda. 2298 Ebenda. 2299 »David Urquharts osmanische Legionen«, aaO. (Anm. 2290), S. 6. 2300 Ebenda. 2301 Ebenda. 2302 Ebenda. 2303 Ebenda, S. 6 f. 2304 »Londons >Afghanzi< im 19. Jahrhundert - Die Panislamisten als Handlanger im Krieg gegen Ruß­ land«, in: Neue Solidarität, Sonderdruck, Dezember 1999, S. 9 f. 2305 Zit. aus: ebenda. 2306 »David Urquharts osmanische Legionen«, aaO. (Anm. 2290), S. 6. 2307 »Londons >Afghanzi< im 19. Jahrhundert«, aaO. (Anm. 2304), S. 10. 2308 Ebenda. 2309 E. R. Carmin, Das schwarze Reich, aaO., S. 489. 2310 »Londons >Afghanzi< im 19. Jahrhundert«, aaO. (Anm. 2304), S. 10. 2311 Zit. aus: ebenda. 2312 Ebenda. 2313 »General Thomson und der Kampf um Berg-Ka­ rabach - Wie der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan geschürt wurde«, in: Neue Solidari­ tät, Sonderdruck, Dezember 1999, S. 4 f. (S. 4). 2314 Ebenda. 2315 Anton Zischka, Weltmacht Öl, Essen 1966, S. 56 f. 2316 Ebenda, S. 59. 2317 »General Thomson und der Kampf um Berg-Ka­ rabach«, aaO. (Anm. 2313), S. 5. 2318 Ebenda. 2319 Ebenda. 2320 Anton Zischka, Weltmacht Öl, aaO. (Anm. 2315), S. 59. 2321 Ebenda, S. 59 f. 2322 So der ehemalige deutsche Verteidigungsmini­ ster Volker Rühe, zit. in: Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik in der kaspischen Region, aaO. (Anm. 478), S. 32. 2323 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 26. 2324 Uwe Halbach, Zentralasien: Eine Weltregion for­ miert sich neu, unter: http://www.fes.de/fulltext/ 2293

1158

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Stabsabteilung /00492toc .htm Detlef Bimboes, Von Kabul bis Baku und Skopje, aaO. (Anm. 1931). 2326 Tobias G reiff, »The >New< Great Game - Die kas­ pische Region, ein globaler Konfliktraum des 21. Jahrhunderts?« unter: http://www.politiklounge. de/essays/konflikt_kaspisches_oel.pdf 2327 Hans Kronberger, Blut für Öl, Wien 1998, S. 142 f. 2328 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 102. 2329 Nafeez M. Ahmed, aaO. (Anm. 1524), S. 69. 2330 Ebenda. 2331 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 107 f. 2332 Tobias Greiff, The >New< Great Game, aaO. (Anm. 2326). 2333 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 61. 2334 Ebenda, S. 108, Fn. 4. 2335 Ebenda, S. 176. 2336 Christian Schmidt-Häuer, »Willkommen im Kal­ ten Krieg«, in: Die Zeit, 2. 12. 1999, zit. aus: Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, ebenda, S. 177. 2337 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung: Die USA und Zentralasien«, in: Peter Ru­ dolf u. Jürgen Wilzewski, Weltmacht ohne Gegner, aaO. (Anm. 1692), S. 197-216, hier S. 198. 2338 Tobias Greiff, The >New< Great Game, aaO. (Anm. 2326). 2339 Kamalia Beutel, Ölpolitik in Aserbaidschan, Politi­ sche und wirtschaftliche Geschichte nach dem Zusam­ menbruch der UdSSR, Berlin 2004, S. 177-181. 2340 Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326) 2341 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 198. 2342 Ebenda, S. 198 f. 2343 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 111. 2344 Ebenda. 2345 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 103. 2346 Ebenda. 2347 Ebenda, S. 103 f. 2348 Aschot M anutscharjan, »Der Kaukasus in den in­ ternationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 199. 2349 Ebenda, S. 173. 2350 Rainer F reitag-Wirminghaus, »>Great Game< am Kaspischen Meer«, in: Internationale Politik und Ge­ sellschaft 4/98, S. 388-402 (S. 393 f.). 2351 Ebenda, S. 394. 2352 Kurzgefaßt von Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326). 2325 Vgl.

2353 Rainer

Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 23. 2354 Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326). 2355 Rainer Freitag-Wirminghaus, »>Great Game< am Kaspischen Meer«, aaO. (Anm. 2350), S. 395. 2356 Ebenda, S. 395. 2357 Alexander Rahr, »Europa im neuen Zentralasien«, in: Sherman W. Garneit, Alexander Rahr u. Koji Wa­ tanabe, aaO., S. 77-96 (S. 94). 2358 Rainer Freitag-Wirminghaus, »>Great Game< am Kaspischen Meer«, aaO. (Anm. 2350), S. 395. 2359 Ebenda, S. 396. 2360 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 109. 2361 Ebenda, S. 109 f. 2362 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 199. 2363 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 130 f. 2364 Ebenda, S. 129. 2365 Ebenda, S. 119 f. 2366 So die Protestnote Rußlands bei der britischen Botschaft am 27. April 1993, in: ebenda, S. 118 2367 Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326). 2368 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 120. 2369 Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326). 2370 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 120. 2371 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 199. 2372 Ebenda, S. 200. 2373 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 135. 2374Winfried Wolf, Afghanistan, der Krieg und die Neue Weltordnung, aaO. (Anm. 2196), S. 69. 2375 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 200. 2376 Tobias Greiff, aaO. (Anm. 2326). 2377 Rainer Freitag-Wirminghaus, »>Great Game< am Kaspischen Meer«, aaO. (Anm. 2350), S. 392. 2378 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 70. 2379 Mortimer B. Zuckerman, »T he big game gets bigger«, U.S. News & World Report Vol. 126, Issue 18 (10 May 1999), S. 76; zit. aus: Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 107. 2380 Ebenda, S. 107 f. 2381 Johannes Baur, Kampf ums Öl? - Wirtschaftliche und sicherheitspolitische Interessen im Kaspi-Raum (= Untersuchungen des FKKS 17/1998), Forschungs­

Anmerkungen 8. Kapitel (1653-2674)

1159

Schwerpunkt Konflikt- und Kooperationsstrukturen 2406 Ebenda, S. 234. 2407 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. in Osteuropa an der Universität Mannheim, Mann­ heim Juli 1998, S. 16, unter: http://www.uni- (Anm. 478), S. 190 f. 2408 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ mannheim.de/fkks/fkksl7.pdf 2382 Roland Götz, »Energiegroßmacht Rußland? lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 26. Erdöl und Erdgas - Ursachen neuer Krisenherde«, 2409 Ebenda. 2410 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 76. in: Internationale Politik 10/1998, S. 33-38 (S. 36). 2383 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. 2411 So der ehemalige aserbaidschanische Präsidial­ berater Guluzade in einem Interview, zit. aus: Riz­ (Anm. 478), S. 195. 2384 Johannes Baur, aaO. (Anm. 2381), S. 12. van Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 2385 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. 478), S. 240 f. 2412 Chalmers Johnson, aaO. (Anm. 1673), S. 234. (Anm. 478), S. 196. 2413 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. 2386 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 73. 2387 Johannes Baur, aaO. (Anm. 2381), S. 11. (Anm. 478), S. 241. 2388 Ebenda. 2414 Ebenda, S. 242. 2415 Ebenda, S. 202. 2389 So eine Stellungnahme des türkischen Staatsprä­ sidenten Sezer im Juni 2001, zit. in: Rizva n N abiyev, 2416 Ebenda. 2417 Daniel Brüssler, »Die Röhre der Unabhängigkeit aaO. (Anm. 478), S. 200. 2390 Ebenda. - Von diesem Mittwoch an kann die Erdöl von Aser­ 2391 Ahmed Rashid, Taliban, aaO. (Anm. 1244), S. 268. baidschan zum Mittelmeer fließen, vorbei an Ruß­ 2392 »Eine >ölige< Familie - Die Brzezinskis und das land und Iran - der Weltpolitik wegen«, in: Süddeut­ sche Zeitung, 25. 5. 2005. >Große Spiel< im Transkaukasus«, in: Neue Solidari­ 2418 Rainer Hermann, »Der Kampf um den Kaukasus tät, Sonderdruck Dezember 1999, S. 13-17 (S. 15). 2393 Ebenda, S. 15. - Die Vereinigten Staaten und Iran sind die wichtig­ 2394 Ebenda. sten Konkurrenten«, in: Frankfurter Allgemeine Zei­ 2395 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ tung, 31. 5. 2005. 2419 Ebenda. sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 201. 2420 Ebenda. 2396 Ebenda. 2397 Winfried Wolf, Afghanistan, der Krieg und die Neue 2421 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 78. 2422 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. Weltordnung, aaO. (Anm. 2196), S. 74. 2398 Chalmers Johnson, Der Selbstmord der amerikani­ (Anm. 478), S. 208. 2423 Ebenda, S. 190. schen Demokratie, aaO. (Anm. 1673), S. 232. 2424 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ 2399 Friedemann Müller, »Zugang und Ressourcen­ sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 202. sicherung«, aaO. (Anm. 2337), S. 202. 2400 Eine Zusammenfassung der Empfehlungen des 2425 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. U.S. State Department im Caspian Region Energy De­ (Anm. 478), S. 190. velopment Report, Washington D.C., April 1997, von 2426 Ebenda, S. 191. Z. Brzezinski, Rosemarie Forsythe (ehemalige US- 2427 Ebenda. 2428 Ebenda, S. 193. Diplomatin) u. Strobe Talbott; dargestellt in: Frie­ 2429 Rainer Rupp, »Rumsfelds >SeerosenSeeroseneurasischen Schachbrettschlafenden Scheich Mansur< - Der Krieg in Tschetschenien hat viele historische und politische Facetten«, in: Frankfurter Allgemeine Zei­ tung, 20. 12. 1994. 2527 Ebenda, Hervorhebung durch d. Verfasser. 2528 Michel C hossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 397. 2529 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 159. 2530 The NATO-Russia Archive - Russia and the Cauca­ sus, unter: http://www.bits.de/NRANEU/Russia Caucasus.html 2531 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 159. 2532 Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 63. 2533 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zagorskij, aaO. (Anm. 426), S. 157 f. 2534 Ebenda, S. 157. 2535 Wolfgang Günter Lerch, »Erdöl und die Ge­ schichte vom »schlafenden Scheich MansurGroße Spieleurasischen Schachbrett«: Rußland, Zentral­ asien und die USA nach dem 11. September 2001«, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B8/2002, S. 14-22 (S.15). 2750 »Eine dauerhafte Präsenz«, in: Der Spiegel 7/2002, S. 132-135; »Das große Spiel - Seit dem 11. Septem­ ber dehnen sich die USA militärisch und wirtschaft­ lich im ehemaligen Sowjetreich aus - möglicherwei­ se auf Dauer«, in: Focus 26/2002, S. 186-190. 2751 Markus Wehner, »Amerikaner im Bogen der In­ stabilität - Neuer Einfluß in einstigen Sowjetrepu­ bliken«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.4.2002. 2752 Andrea Schmitz, aaO. (Anm. 2678), S. 11. 2753 »Das große Spiel«, aaO. (Anm. 2750), S. 189. 2754 Ebenda, S. 190. 2755 Lutz K levemann, »Der Kampf ums Kaspische Öl, Teil 4: Pipeline-Poker in der kasachischen Steppe«, unter: http://www.Spiegel.de/politik/ausland/

1166

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

0,1518,211586,00.html »Das große Spiel«, aaO. (Anm. 2750), S. 189. 2757 »Eine dauerhafte Präsenz«, aaO. (Anm. 2750), S. 133 f. 2758 Markus Wehner, »Amerikaner im Bogen der In­ stabilität - Neuer Einfluß in einstigen Sowjetrepu­ bliken«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.4.2002. 2759 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September«, aaO. (Anm. 2733), S. 7. 2760 Lutz K levemann, »Der Kampf ums Kaspische Öl«, aaO. (Anm. 2755). 2761 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Zentralasien und der Kaukasus nach dem 11. September«, aaO. (Anm. 2733), S. 7. 2762 Ebenda; auch: »Eine dauerhafte Präsenz«, aaO. (Anm. 2750), S. 133. 2763 Ebenda. 2764 Ebenda, S. 133. 2765 Ebenda. 2766 Lutz K levemann, »Der Kampf ums Kaspische Öl, Teil 5: Pax Americana in Zentralasien«, unter: http:/ /www.Spiegel.de/politik/ausland/0,1518, 212468,00.html 2767 »Eine dauerhafte Präsenz«, aaO. (Anm. 2750), S. 133. 2768 Martin Malek, »Geopolitische Veränderungen auf dem >eurasischen SchachbrettEs handelt sich um einen gemeinsamen Feind< - Moskaus sieht sich in seinen Warnungen vor dem Islamismus bestätigt«, in: Frankfurter Allgemeine Zei­ tung, 14. 9. 2001. 2782 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 140. 2783 Ebenda, S. 141. 2784 zit. aus: ebenda, S. 140. 2785 Albrecht Rothacher, »Das neue >Große SpielGroße Spieleurasischen Schachbrett< aaO. (Anm. 2749), S. 19. 2805 Ebenda, S. 19. 2806 Ebenda, Fn. 16; siehe auch: »Krieg im Schatten«, in: Der Spiegel 40/2001, S. 152-168 (S. 156). 2807 »Die Scharaden der Gotteskrieger«, in: Der Spie­ gel 39/2001, S. 166-169 (S. 169). 2808 Albrecht Rothacher, »Das neue >Große Spieh, aaO. (Anm. 1928), S. 105. 2809 Andrea Schmitz, Partner aus Kalkül, aaO. (Anm. 2678), S. 11. 2810 »Eine dauerhafte Präsenz«, aaO. (Anm. 2750), S. 133. 2811 Ebenda, S. 134. 2812 Werner Biermann u. Arno Klönne, The Big Stick..., aaO. (Anm. 279), S. 96. 2813 Ebenda. 2814 Ebenda, S. 95. 2815 Ebenda, S. 83. 2816Alexander Warkotsch, »Zwischen Konfrontation und Kooperation - Die russische Zentralasienpoli­ tik«, in: Blätter f ür deutsche und internationale Politik, 9/2004, S. 1112-1122 (S. 1113). 2817 Ebenda, S. 1113 f. 2818 »Moskau rügt US-Besuch von führendem Tschet­ schenen«, in: Frankfurter Rundschau, 25. 1. 2002, zit. aus: Mansur Kahn, »Afghanistan im Kreuzfeuer der amerikanischen Kriegspolitik«, in: Alain de Benoist (Hg.), Die Welt nach dem 11. September - der globale Terrorismus als Herausforderung des Westens, Tübin­ gen 2002, S. 55-111 (S. 100 f.) 2819 Alexander Warkotsch, »Zwischen Konfrontati­ on und Kooperation«, aaO. (Anm. 2816), S. 1113. 2820 Alexander Rahr, »Der kalte Frieden, Putins Ruß­ land und der Westen«, in: Internationale Politik 3/ 2004, S. 1-10 (S. 2). 2821 Ariel Cohen, »Ethnie Interests Threaten U.S. In­ terests in the Caucasus«, unter: http://www. heritage.org/Research/RussiaandEurasia/BG1222. cfm, 25. 9. 1998; Übersetzung durch d. Verfasser. 2822 Ebenda, Übersetzung durch d. Verfasser. 2823 Zit. aus: Sebastian Mayer, »Tbilisi, Washington und die NATO«, in: Blätter für deutsche und interna­ tionale Politik, 6/2003, S. 706-713 (S. 708). 2824 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 177. 2803 So

2825 Ulrike

1167

Guska, Separatismus in Georgien, Arbeitspa­ pier 1/2005 der Forschungsstelle >Kriege, Rüstung und Entwicklung< der Universität Hamburg, S. 55. 2826 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 178 f. 2827 Ebenda, S. 180. 2828 Ebenda, S. 182. 2829 Ebenda. 2830 Ebenda, S. 183. 2831 Ebenda. 2832 Ebenda. 2833 Wolfgang Leonhardt, aaO. (Anm. 383), S. 179. 2834 Ulrike Guska, Separatismus in Georgien, aaO. (Anm. 2825), S. 29. 2835 Christoph Moeskes, »Sonderbare Bündnisse in Abchasien«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 10. 2001 2836 Detlef Bimboes, Von Kabul bis Baku und Skopije, aaO. (Anm. 1931). 2837 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 181. 2838 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zargorskij, aaO. (Anm. 426), S. 119. 2839 Ebenda. 2840 Ebenda, S. 121. 2841 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 183. 2842 Ebenda. 2843 Ebenda, S. 184. 2844 Anna Kreikemeyer u. Andrej Zargorskij, aaO. (Anm. 426), S. 127. 2845 Ebenda, S. 131. 2846 Aschot Manutscharjan, »Der Kaukasus in den internationalen Beziehungen«, aaO. (Anm. 477), S. 190. 2847 Ebenda, S. 191. 2848 Ebenda, S. 191 f. 2849 So Sergej Markedonow, Abteilungsleiter >Inter­ nationale Beziehungen< des Instituts für politische und militärische Analyse, RIA Novosti, 24. 7. 2006, unter: http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/re­ gionen / Moldawien / Rußland .html 2850 »>Gudokkriminelle Elemente< im Pankisi-Tal«, in: Frankfurter Allgemei­ ne Zeitung, 27. 8. 2002. 2883 »USA weiten Einfluß auf Kosten Moskaus aus«, in: Handelsblatt, 28. 2. 2002. 2884 Tornas Avenarius, »Verstärkung aus der PankisiSchlucht«, aaO. (Anm. 2872). 2885 Ebenda. 2886 Martin Ebbing, »Georgien als Brückenkopf«, aaO. (Anm. 2875), S. 397. 2887 »U.S. Assistance to Georgia - Fiscal Year 2002«, unter: http://www.state.gov/p/eur/rls/fs/11029. htm 2888 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 363. 2889 Knut Mellenthin, »Georgische Reconquista«, in: Junge Welt, 24. 7. 2004. 2890 Karl Grobe, »Moskaus georgischer Dominostein«, in: Frankfurter Rundschau, 29. 2. 2002. 2891 Sebastian Mayer, »Tbilisi, Washington und die NATO«, aaO. (Anm. 2823), S. 709. 2892 Putin ließ durchblicken, daß Rußland einer USIntervention im Irak zustimmen würde, wenn Ruß­ land seinerseits freie Hand im Kaukasus bekäme, vgl. Sebastian Mayer, ebenda, S. 709, Fn. 9. 2893 Sebastian Mayer, »Tbilisi, Washington und die NATO«, ebenda, S. 709 f. 2894 Ebda, S. 711. 2895 Ebenda. 2896 Ebenda, S. 711 f. 2897 zit. aus: ebenda, S. 712. 2898 Ebenda. 2899 »>Gudokeurasischen SchachbrettShanghaier Organisation für Zusammenarbeit< - Von Worten zu Taten?« (= SWP-Aktuell 22), Juni 2002, S. 7 2949 Andrea Schmitz zufolge ist China für Rußland nicht nur Partner, sondern auch der mächtigste Ri­ vale im Wettbewerb um den zentralasiatischen En­ ergiemarkt; und sie sieht die Funktion der SCO in einem Instrument zur Verwaltung von Chinas Ex­ pansions- und Integrationsschritten im postsowjeti­

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

schen Raum. Vgl. Partner aus Kalkül, aaO. (Anm. 2678), S. 24 f. 2950 So auch Andrea S chmitz, Partner aus Kalkül, eben­ da, S. 23 ff. 2951 Andrea Schmitz, Partner aus Kalkül, ebenda, S. 26. 2952 Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 4-34. 2953 Zit. aus: »Die neue, alte Großmacht«, in: Der Spie­ gel 28/2006, S. 84-97 (S. 86). 2954 Andrea Schmitz, Partner aus Kalkül, aaO. (Anm. 2678), S. 6. 2955 Ebenda, S. 14. 2956 Ebenda. 2957 Behrooz Abdolvand, Matthias Adolf u. Kaweh Sadegh-Zadeh, »Gas-Gigant Rußland - Garant der eu­ ropäischen Energiesicherheit?« in: Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2006, S. 469-482 (S. 473). 2958 Ebenda, S. 474. 2959 Ebenda. 2960 Ebenda. 2961 So F. William Engdahl: Öl, wirtschaftliche Sicher­ heit und geopolitische Risiken von heute, aaO. (Anm. 1801). 2962 So Paul Klebnikow, aaO. (Anm. 1704), S. 262. 2963 Kai Ehlers, »Wem gehört Rußland - und wer be­ nutzt Chodorkowski?« unter: http://www.unikassel.de/fb5/frieden/regionen/Rußland/jukos. html 2964 Ebenda. 2965 So die 15teilige Enthüllungsserie der Zeitung SaarEcho, 31. 1. 2005 bis zum 23. 5. 2005. 2966 »Von Clearstream bis Yukos (II): Mikahil Chodorkovsky verlor gegen US-Amerika«, aaO. (Anm. 1791). 2967 Kai Ehlers, »Ruf aus der >Matrosenstille< - Yu­ kos-Affäre in Rußland: Der Kreml holte sich zurück, was er an strategischen Ressourcen braucht«, in: Frei­ tag, 21. 10. 2005. 2968 Aschot Manutscharjan, »Die Putin-Doktrin«, aaO. (Anm. 2910), S. 18. 2969 »Von Clearstream bis Yukos (II): Mikhail Chodorkovsky verlor gegen US-Amerika«, aaO. (Anm. 1791). 2970 »Von Clearstrema bis Yukos: Eine Hinführung Der kalte russisch-amerikanische Ölkrieg«, in: SaarEcho, 31. 1. 2005. 2971 »Von Clearstream bis Yukos (II): Mikahil Cho­ dorkovsky verlor gegen US-Amerika«, aaO. (Anm. 1791). 2972 »Von Clearstream bis Yukos (III): War Yukos wirk­ lich heiße und kalte Kriege wert?« aaO. (Anm. 1786).

2973

Gemot Erler, Rußland kommt: Putins Staat - der Kampf um Macht und Modernisierung, Freiburg i. Br. 2005, S. 72. 2974 Ebenda, S. 74. 2975 Ebenda. 2976 Ebenda. 2977 Ebenda, S. 151. 2978 Alexander R ahr, Rußland gibt Gas, München 2008, S. 5f. 2979 Kai E hlers, Wem gehört Rußland - und wer benutzt Chodorkowski?, aaO. (Anm. 2963). 2980 Ders., »Ruf aus der >MatrosenstilleMatrosenstilleGreat GameErnste HerausforderungenJunge Internationale< als fünfte Kolonne?« in: Blätter für deutsche und interna­ tionale Politik 9/2007, S. 1088-1098 (S. 1095). 3067 Ebenda. 3068 Ebenda; vgl. auch: Willy Brandt, Erinnerungen, Berlin 1992, S. 348. 3069 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, in: Der Spiegel 46/2005, S. 178-198 (S. 182). 3070 Ebenda. 3071 Ebenda. 3072 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa: US-Strategien in der Ukraine«, in; Blätter für deut­ sche und internationale Politik, 12/2005, S. 1463-1472 (S. 1470). 3073 Klaus Eichner, »Wie Demokratie funktioniert. USStrategie für >bunte< (Konter-)Revolutionen, Teil II: Ihre Durchsetzung durch regierungsgesteuerte Nichtregierungsorganisationen«, in: Junge Welt, 23. 11. 2006. 3074 Ebenda. 3075 Samuel P. Huntington, »How Countries Demo­ cratize«, in: Political Science Quaterly, 4/1991, S. 579616 (S. 607 f.); zit aus: Mária Huber, Demokratieexport nach Osteuropa, aaO. (Anm. 3072), S. 1470 f. 3076 Anselm Weidner, »Diktatorensturz und Demo­ kratieexport«, aaO. (Anm. 3066), S. 1095. 3077 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1471. 3078 Zit. aus: Klaus Eichner, »Wie Demokratie funk­ tioniert«, aaO. (Anm. 3073). 3079 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 186. 3080 Anselm Weidner, »Diktatorensturz und Demo­ kratieexport«, aaO. (Anm. 3066), S. 1095. 3081 Ebenda, S. 1096. 3082 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1471. 3083 Anselm Weidner, (Anm. 3066), S. 1096. 3084 Zit. aus: ebenda. 3085 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 192.

Anmerkungen 9. Kapitel (2675-3460) 3086 Ebenda.

3112 Ebenda,

3087 Ebenda.

3113 Ebenda,

1173

S. 192. S. 198 f. 3088 Klaus Eichner, »Wie Demokratie funktioniert«, 3114 Ebenda, S. 199. 3115 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ aaO. (Anm. 3073). 3089 Ebenda. pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1469. 3090Peter Schweitzer, Reagan‘s War, aaO. (Anm. 1362), 3116 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. S. 186; Übersetzung durch d. Verfasser. 3069), S. 196. 3091 Ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 3117 Anselm Weidner, »Diktatorensturz und Demo­ 3092 Knut Mellenthin, »Imperialistische Zivilgesell­ kratieexport«, aaO. (Anm. 3066), S. 1089. schaft. National Endowment for Democracy - NED: 3118 Ebenda, S. 1090 f. Die Fortsetzung der CIA mit anderen Mitteln«, in: 3119 Ebenda, S. 1091. 3120 Ebenda, S. 1093. Junge Welt, 28. 7. 2005. 3093 Zit. aus: Gerald Sussman, »The Myths of »Demo­ 3121 Ebenda. cracy Assistancec U.S. political Intervention in Post- 3122 Ebenda, S. 1093 f. Soviet Eastern Europe«, unter: http://www. 3123 Ebenda, S. 1094. 3124 Ebenda, S. 1097. monthlyreview.org/1206sussman.htm; Überset­ 3125 Ebenda, S. 1091. zung durch d. Verfasser. 3126 Ebenda. 3094 Knut Mellenthin, »Imperialistische Zivilgesell­ 3127 Ebenda, S. 1092. schaft«, aaO. (Anm. 3092). 3095 William Blum, »Das Trojanische Pferd - >The 3128 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. National Endowment für Democracykaukasische 3106 Ebenda, S. 135. Fuchs< hat den eigenen Ruf und das ganze Land rui­ 3107 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. niert«, in: Süddeutsche Zeitung, 24. 11. 2003. 3139 »Das Volk übernimmt die Macht. Die >samtene 3069), S. 188. 3108 Konrad Schuller, »Der Westen und die Revoluti­ Revolution< von Prag als Vorbild: Wie die Oppositi­ on im Osten«, aaO. (Anm. 3064). on den Umsturz in Tiflis betrieb«, in: Süddeutsche 3109 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ Zeitung, 24. 11. 2003. 3140 Anatol Lieven, »The West had a different Georgia pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1466. 3110 So die Darstellung von Mária Huber, ebenda, on its mind«, in: International Herald Tribüne, 26. 11. S. 1468 f. Dort ist auch das Zitat von Hans-Georg 2003; zit. aus: »Imperialistische Konkurrenz um den Wieck zu finden südlichen Kaukasus und Zentralasien. Der Fall Ge­ 3111 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. orgien«, aaO. (Anm. 3137), S. 152. 3141 Markus Wehner, »Die Einsamkeit des Eduard 3069), S. 190.

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Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Schewardnadse. Vetternwirtschaft, Wahlfälschung und ausbleibende Reformen: Die Georgier sind von ihrem Präsidenten enttäuscht«, in: Frankfurter Allge­ meine Zeitung, 24. 11. 2003. 3142 »Von >Garten der UdSSR< zum Transitland für Öl«, in: Handelsblatt, 6. 1. 2004. 3143 Markus Wehner, »Die Einsamkeit des Eduard Schewardnadse«, aaO. (Anm. 3141). 3144 Ders., »Wie stabil wird Georgien? Washington, Moskau und das Ende der Ära Schewardnadse«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12. 11. 2003. 3145 Ders., »Die Einsamkeit des Eduard Schewardnad­ se«, aaO. (Anm. 3141). 3146 Thomas Urban, »Im Griff der Großmächte. Be­ gehrte Rohstoffe im Kaukasus«, in: Süddeutsche Zei­ tung, 24. 11. 2003. 3147 »Der Traum der Drachentöter«, in: Der Spiegel 49/2003, S. 136 f. (S. 137). 3148 »Bricht Georgien jetzt auseinander?« in: Handels­ blatt, 25. 11. 2003. 3149 Ebenda. 3150 Markus Wehner, »Die Einsamkeit des Eduard Schewardnadse«, aaO. (Anm. 3141); ebenfalls: »Im­ perialistische Konkurrenz um den südlichen Kau­ kasus und Zentralasien. Der Fall Georgien«, aaO. (Anm. 3137), S. 148. 3151 Ebenda. 3152 »Polyglotter Kindergarten«, in: Der Spiegel 13/ 2004, S. 140 f. (S. 140). 3153 »Saakaschwilis erste Wahl. Georgiens designier­ ter Präsident strebt Richtung Westen - noch aber ist er auf ein gutes Verhältnis zu Rußland angewiesen«, in: Süddeutsche Zeitung, 3./4. 1. 2004. 3154 »Georgien besteht Demokratietest«, in: Handels­ blatt, 6. 1. 2004. 3155 »Der Traum der Drachentöter«, in: Der Spiegel 49/2003, S. 136 f. (S. 137). 3156 Markus Wehner, »Die Einsamkeit des Eduard Schewardnadse«, aaO. (Anm. 3141). 3157 Ebenda. 3158 Ebenda. 3159 »Der Traum der Drachen toter«, in: Der Spiegel 49/2003, S. 136/137 (S. 137) 3160 Thomas Urban, »Im Griff der Großmächte«, aaO. (Anm. 3146). 3161 Ebda; ebenso: Tornas Avenarius, »Im georgischen Teufelskreis. Nach dem Machtwechsel sucht Tiflis die Nähe zu Washington - sehr zum russischen Miß­ fallen«, in: Süddeutsche Zeitung, 7. 1. 2004. 3162 Tornas A venarius, »Im georgischen Teufelskreis«, ebenda.

3163

Markus Wehner, »Wie stabil wird Georgien?« aaO. (Anm. 3144); Tornas Avenarius, »Im georgi­ schen Teufelskreis«, ebenda. 3164 »Imperialistische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien. Der Fall Georgien«, aaO. (Anm. 3137), S. 151. 3165 »Georgia: Smell of Russian Gas hangs over Elec­ tion Campaign«, RFE/RL., 13. 6. 2003; zit. aus: »Impe­ rialistische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien. Der Fall Georgien«, ebenda, S. 151. 3166 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 192. 3167 Amselm Weidner, »Diktatorensturz und Demo­ kratieexport«, aaO. (Anm. 3066), S. 1092. 3168 Matthias Rüb, »Großmachtspiel am Kaukasus«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 11. 2003. 3169 Markus Wehner, »Wie stabil wird Georgien?« aaO. (Anm. 3144). 3170 »Generationswechsel in Georgien«, in: Frankfur­ ter Allgemeine Zeitung, 6. 1. 2004. 3171 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 190. 3172 Zit. aus: ebenda, S. 190. 3173 Ebenda. 3174 Guardian Weekly, 3.-10. 1. 2004; zit. in: »Imperia­ listische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien. Der Fall Georgien«, aaO. (Anm. 3137), S. 147. 3175 »Imperialistische Konkurrenz um den südlichen Kaukasus und Zentralasien. Der Fall Georgien«, ebenda, S. 147, 3176 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 192. 3177 Ebenda, S. 190. 3178 Ebenda, S. 192. 3179 Markus Wehner, »Wie stabil wird Georgien?« aaO. (Anm. 3144). 3180 Ebenda. 3181 Jürgen Elsässer, »Putsch in Georgien«, in: Junge Welt, 24. 11. 2003. 3182 Markus Wehner, »Wie stabil wird Georgien?« aaO. (Anm. 3144). 3183 »Georgien besteht Demokratietest«, aaO. (Anm. 3154). 3184 Stefan Koch, »Die >Rosenrevolutionäre< festigen ihre Macht«, in: Frankfurter Rundschau, 30. 3. 2004. 3185 Jürgen Elsässer, »Putsch in Georgien«, aaO. (Anm. 3181). 3186 Markus Wehner, »Wie stabil wird Georgien?« aaO. (Anm. 3144).

Anmerkungen 9. Kapitel (2675-3460) 3187

Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 31. 3188 Jürgen Elsässer, »Putsch in Georgien«, aaO. (Anm. 3181). 3189 »Sanfter Putsch. Angeblich verhinderte Washing­ ton einen moskaufreundlichen Nachfolger Sche­ wardnadses«, in: Focus 49/2003, S. 246. 3190 Tornas A venarius, »Im georgischen Teufelskreis«, aaO. (Anm. 3161). 3191 Matthias Rüb, »Großmachtspiel am Kaukasus«, aaO. (Anm. 3168). 3192 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 29. 3193 Ebenda. 3194 Matthias Rüb, »Großmachtspiel am Kaukasus«, aaO. (Anm. 3168). 3195 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 30, 3196 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 194. 3197 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 31. 3198 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 194. 3199 Stefan Koch, »Die >Rosenrevolutionäre< festigen ihre Macht«, aaO. (Anm. 3184). 3200 »Georgien drängt in die EU und die Nato«, in: Handelsblatt, 2. 2. 2004. 3201 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 33. 3202 »Soros unterstützt Georgien. Amerikanischer Milliardär will neue Regierung teilweise finanzie­ ren«, in: Süddeutsche Zeitung, 23. 1. 2004. 3203 »Polyglotter Kindergarten«, in: Der Spiegel 13/ 2004, S. 140 f. (S. 141) 3204 Stefan Koch, »Die >Rosenrevolutionäre< festigen ihre Macht«, aaO. (Anm. 3184). 3205 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 33. 3206 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 96. 3207 Ebenda, S. 95. 3208 Ebenda, S. 96. 3209 Rainer Freitag-Wirminghaus, »Politische Konstel­ lationen im Südkaukasus«, aaO. (Anm. 2004), S. 26 f. 3210 Thomas U rban, »Im Griff der Großmächte«, aaO. (Anm. 3146). 3211 Aschot Manutscharjan, Die Putin-Doktrin, aaO. (Anm. 2910), S. 31. 3212 Ebenda, S. 31 f.

3213 So

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ebenda, S. 33. Ebenda. 3215 »Rußlands langer Arm reicht nicht bis Tiflis. Moskau verliert Einfluß im Kaukasus und Zentral­ asien«, in: Handelsblatt, 25. 11. 2003. 3216 So eine Darstellung Zbigniew Brzezinskis in der Neuen Zürcher Zeitung vom 29. 10. 1999. 3217 Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht, aaO. (Anm. 227), S. 74. 3218 Ebenda, S. 75. 3219 Ebenda, S. 216. 3220 Ebenda, S. 137. 3221 Ebenda, S. 136 u. 138. 3222 Sonja Margolina, »Das unsichtbare Dritte«, in: Internationale Politik, Januar 2005, S. 84-90 (S. 85 f.). 3223 Ebenda, S. 86. 3224 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 212. 3225 F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie und Geopolitik? Washingtons Interesse an der Ukrai­ ne«, unter: http://www.engdahl.oilgeopolitics.net/ print/Ukraine‘s%200range%20Revolution.htm 3226 Ebenda. 3227 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 214. 3228 Zit. aus: F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie und Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225). 3229 Ferdinand Christian Wehrschütz, »Die Ukraine und die NATO. Gedanken zu einer komplexen Part­ nerschaft«, unter: http://www.bmlv.gv.at/ pdf_pool/Publikationen/14_sr2_ll.werhr.pdf 3230 Ebenda. 3231 Ebenda. 3232 Ebenda. 3233 Zit. aus: ebenda. 3234 J. E. M roz u. O. P avlik, »Ukraine: Europa‘s Linch­ pin«, in: Foreign Affairs, Mai/Juni 1996, S. 52 ff.; in: Henryk Binkowski, »The Role and Position of Three Rimland States: Ukraine, Belarus and Slovakia«; unter: http: / /www.bmlv.gv.at/pdf_pool/Publika­ tionen/09_spd_07_bink.pdf; Übersetzung durch d. Verfasser. 3235 Henryk Binkowski, »The Role and Position of Three Rimland States: Ukraine, Belarus and Slovakia«, ebenda. 3236 Rizvan Nabiyev, Erdöl- und Erdgaspolitik, aaO. (Anm. 478), S. 212. 3237 Michel C hossudovsky, War and Globalisation, zit. aus: Larry Chin, »Cold War Crisis in the Ukraine. Control of oil: Key Grand Chessboard >Pivot< at sta­

3214

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ke«, unter: http://www.globalresearch.ca/Print Article.php?articleld=261 3238 Zit. aus: ebenda; Übersetzung durch d. Verfasser. 3239 Michel Chossudovsky, »IMF Sponsored >Democracy< in the Ukraine«, unter: http://www. globalresearch.ca/PrintArticle.php?articleId=208; Übersetzung durch den Verfasser. 3240 The Ukrainian Elections: A Dangerous Fairy-Tale, unter: http://www.globalresearch.ca/ PrintArticle.pho?articleId=322 3241 Michel Chossudovsky, »IMF Sponsored >Demo­ cracy< in the Ukraine«, aaO. (Anm. 3239). 3242 Ebenda, siehe auch: Mária Huber, »Demokratie­ export nach Osteuropa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1467. 3243 So eine Meldung der ITAR TASS-Agentur in Moskau vom 17. Dezember 1999 3244 Mi chel Chossudovsky, »IMF Sponsored >Demo­ cracy< in the Ukraine«, aaO. (Anm. 3239). 3245 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1467. 3246 »Eine Einführung in die ukrainische Demokratie. Die demokratische Wende in der Ukraine: Der OstWest-Gegensatz in seiner heutigen Fassung kommt voran«, in: Gegenstandpunkt 1/2005, S. 65-83 (S. 74). 3247 Ebenda. 3248 Vgl. hierzu: Samuel P. Huntington, Kampf der Kulturen, München-Wien 1996, S. 263-268. 3249 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 28. 3250 Alexander Rahr, »Putin fühlt sich vom Westen mißverstanden. Der russische Präsident sucht sein Heil verstärkt in der Zusammenarbeit mit dem >na­ hen Ausland< in: Die Welt, 26. 8. 2004. 3251 Konrad Schuller, »Ritt auf dem falschen Pferd. Welche Folgen die >orangene Revolution für das schwarze Gold hat«, in: Frankfurter Allgemeine Zei­ tung, 9. 5. 2005. 3252 »Eine Einführung in die ukrainische Demokra­ tie«, aaO. (Anm. 3246), S. 75. 3253 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 28 f. 3254 Anja Franke, »Ukrainische Katerstimmung«, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 11/2005, S. 1302-1305 (S. 1304). 3255 Konrad Schuller, »Ritt auf dem falschen Pferd«, aaO. (Anm. 3251). 3256 Ebenda; siehe auch: Alexander Rahr, »Putin fühlt sich vom Westen mißverstanden«, aaO. (Anm. 3250); F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie und Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225).

3257

Alexander Rahr, »Putin fühlt sich vom Westen mißverstanden«, ebenda. 3258 »Eine Einführung in die ukrainische Demokra­ tie«, aaO. (Anm. 3246), S. 76. 3259 So Margarita M. Balmaceda, Ukraine‘s Energy Po­ licy and U .S. Strategie Interests in Eurasia, Occasiona l Papers 291, Kennan Institute 2004, zit. aus: »Eine Einführung in die ukrainische Demokratie«, eben­ da, S. 81 f. 3260 Sreeram Chaulia, »Democratization, Colour Revolutions and the Role of the NGOs: Catalysts or Saboteurs?« unter: http://www.globalresearch.ca/ index.php?context=va&aid=1638 3261 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1467. 3262 »Moskau sichert sich Kiews Pipeline-Monopol«, in: Handelsblatt, 29. 11. 2004. 3263 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 30. 3264 F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie und Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225). 3265 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1465. 3266 Ebenda. 3267 Hans-J. Falkenhagen u. Brigitte Queck, »Die Ukraine - Kettenglied der >bunten Volkrevolutionen< einer erträumten US-Weltherrschaft«, in: Geheim 22 (2007) 3. S. 20-24 (S. 21). 3268 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 196. 3269 Vgl. Michel Chossudovsky, »IMF Sponsored >De­ mocracy< in the Ukraine«, aaO. (Anm. 3239). 3270 Ebenda. 3271 Financial Times, 27. 4. 2001, in: Michel Chossu­ dovsky, »IMF Sponsored >Democracy< in the Ukrai­ ne«, ebenda. 3272 Ebenda. 3273 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1467. 3274 Gerhard Simon, »Neubeginn in der Ukraine. Vom Schwanken zur Revolution in Orange«, in: Osteuro­ pa 1/2005, S. 16-33, hier S. 17; zit. aus: Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuropa: US-Strategien in der Ukraine«, ebenda, S. 1467. 3275 Ebenda. 3276 Ebenda, S. 1466. 3277 Ebenda. 3278 Ebenda, S. 1468. 3279 Konrad Schuller, »Der Westen und die Revoluti­ on im Osten«, aaO. (Anm. 3064).

Anmerkungen 9. Kapitel (2675-3460) 3280 Ebenda.

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3307 Konrad Schuller, »Ritt auf dem falschen Pferd«, aaO. (Anm. 3251). Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1469; »Die Revolutions- 3308 Savas Genc, aaO. (Anm. 1937), S. 157. 3309 Ebenda, S. 158. GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3069), S. 194. 3310 Ebenda. 3282 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ 3311 Ebenda, S. 154 f. pa«, ebenda, S. 1469. 3283 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. 3312 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 55. 3069), S. 196. 3313 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3284 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260). 3260). 3314 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUS3285 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 1, aaO. (Anm. Nachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 56. 3069), S. 196. 3315 »Die Supermächte Auge in Auge. In dem unwirt­ 3286 F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie lichen Gebirgsland halten Amerikaner und Russen und Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225). 3287 Konrad Schuller, »Der Westen und die R evoluti­ militärische Stützpunkte«, in: Süddeutsche Zeitung, on im Osten«, aaO. (Anm. 3064). 26./27./28. 3. 2005. 3316 Uwe Halbach u. Franz Eder, »Regimewechsel in 3288 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ Kirgistan und Umsturzängste im GUS-Raum«, in: pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1470. 3289 F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie SWP-Aktuell 15, Berlin, April 2005, S. 7. 3317 Ebenda. und Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225). 3318 Ebenda. 3290 Ebenda. 3291 Konrad Schuller, »Der Westen und die R evoluti­ 3319 »Die Supermächte Auge in Auge«, aaO. (Anm. on im Osten«, aaO. (Anm. 3064). 3315). 3320 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUS3292 Ebenda. 3293 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 57. 3321 Ebenda, S. 56. Nachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 33. 3322 Ebenda, S. 57. 3294 Sonja Margolina, »Das unsichtbare Dritte«, in: 3323 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. Internationale Politik Januar 2005, S. 84-90 (S. 84). 3295 The Guardian, 26. 11. 2004, zit. aus: Sonja M argo­ 3260). 3324 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSlina, ebenda, S. 84. 3296 Ebenda. Nachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 57. 3325 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3297 So John Laughland, »How the US and Britains are intervening in Ukraine‘s elections«, in: The Spec- 3260). 3326 M. B hadrakumar, »Anatomy of a Revolution«, in: tator, 28. 11. 2004. 3298 John Laughland, »How the US and Britains are The Hindu, 29. 3. 2005. intervening in Ukraine‘s elections«, ebenda; ebenso 3327S. Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260). F. William Engdahl, »Demokratie oder Energie und 3328 Ebenda. 3329 Pepe E scobar, »The Tulip Revolut ion takes Root«, Geopolitik?« aaO. (Anm. 3225). 3299 S. Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260). in: Asia Times online, 26. 3. 2005; unter: http:// 3300 Michel Chossudovsky, »IMF Sponsored >Demo­ www.atimes.com/atimes/Central_Asia/GC26Ag 03.html; Übersetzung durch d. Verfasser. cracy< in the Ukraine«, aaO. (Anm. 3239). 3330 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 2: »Traum vom 3301 Konrad Schuller, »Der Westen und die R evoluti­ Frühling«, in: Der Spiegel 47/2005, S. 184-194 (S. 185). on im Osten«, aaO. (Anm. 3064). 3302 Mária Huber, »Demokratieexport nach Osteuro­ 3331 Ebenda, S. 186. 3332 Ebenda. pa«, aaO. (Anm. 3072), S. 1471. 3333 Ebenda. 3303 Ebenda, S. 1472. 3334 Ebenda. 3304 Ebenda. 3335 Steve Gutterman, »U.S. Programs Aided Kyrgyz 3305So Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSOpposition«, Associated Press, 1.4. 2005, in: San Fran­ Nachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 37. 3306 Ebenda, S. 39 cisco Chronicle, 1. 4. 2005. 3281

1178 3336

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

»Die Revolutions-GmbH«, Teil 2, aaO. (Anm. 3330), S. 185-188. 3337 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260). 3338 Ebenda. 3339 Ebenda. 3340 Steve Gutterman, »U.S. Programs Aided Kyrgyz Opposition«, Associated Press, 1. 4. 2005. 3341 »Die Farbe der Nacht«, in: Der Spiegel 14/2005, S. 114-118 (S. 118). 3342 Ebenda S. 116. 3343 Uwe Halbach u. Franz Eder, »Regimewechsel in Kirgistan«, aaO. (Anm. 3316), S. 2. 3344 Sreeram Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260); Steve Gutterman, »U.S. Progr ams Aided Kyr­ gyz Opposition«, Associated Press, 1. 4. 2005; Über­ setzung durch d. Verfasser. 3345 Steve Gutterman, »U.S. Programs Aided Kyrgyz Opposition«, ebenda, Übersetzung durch d. Verfas­ ser. 3346 Sreeram Chaulia, Democratization, aaO. (Anm. 3260). 3347 Ebenda. 3348 Ebenda. 3349 Steve Gutterman, »U.S. Programs Aided Kyrgyz Opposition«, aaO. (Anm. 3344). 3350S. Chaulia, »Democratization«, aaO. (Anm. 3260). 3351 Jürgen E lsässer, »Soros und die Clans. Erhielt die kirgisische Opposition massive Unterstützung aus Washington?« in: Junge Welt, 29. 3. 2005. 3352 Ebenda. 3353 So das Soros-finanzierte Intemetportal Eurasianet, zit. aus Jürgen Elsässer, »Soros und die Clans«, ebenda. 3354 »Die Farbe der Nacht«, aaO. (Anm. 3341), S. 118. 3355 Uwe Halbach u. Franz Eder, »Regimewechsel in Kirgistan«, aaO. (Anm. 3316), S. 5. 3356 Ebenda, S. 5. 3357 »Die Farbe der Nacht«, aaO. (Anm. 3341), S. 116. 3358 Uwe Halbach u. Franz Eder, »Regimewechsel in Kirgistan«, aaO. (Anm. 3316), S. 3. 3359 »Die Farbe der Nacht«, aaO. (Anm. 3341), S. 116. 3360 Uwe Halbach u. Franz Eder, »Regimewechsel in Kirgistan«, aaO. (Anm. 3316), S. 3. 3361 »Die Farbe der Nacht«, aaO. (Anm. 3341), S. 118. 3362 Ebenda, S. 115 3363 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 2, aaO. (Anm. 3330), S. 189 f. 3364 Ebenda, S. 190. 3365 Ebenda.

3366

»Ein Despot am Ende seiner Träume. Aserbaid­ schans Präsident Alijew wird von Bush empfangen, sein Land ist strategisch wichtig«, in: Süddeutsche Zeitung, 27. 4. 2006. 3367 Ebenda. 3368 Christian Wipperfürth, Rußland und die GUS-Staa­ ten, aaO. (Anm. 2923), S. 86. 3369 »Die Revolutions-GmbH«, Teil 2, aaO. (Anm. 3330), S. 190. 3370 Klaus Eichner, »Kampfansage an Rußland. USStrategie für >bunte< (Konter-)Revolutionen. Teil I: Durchsetzung eines ungehinderten finanziellen und wirtschaftlichen Zugangs zu Eurasien«, in: Junge Welt, 22. 11. 2006. 3371 Zit. aus: ebenda. 3372 Zit. aus: Anton Latzo, »Teilen und Herrschen. Zu den Hintergründen der gegenwärtigen Konflikte in der Region am Schwarzen Meer. Ehemalige So­ wjetrepubliken im Visier von US- und EU-Strate­ gen«, in: Junge Welt, 17. 6. 2005. 3373 Ebenda. 3374 Zit. aus: ebenda. 3375 Ebenda. 3376 Ebenda. 3377 Ebenda. 3378 Michel Martens, »Interessenverband gegen Ruß­ land? Die Ukraine, Georgien, Aserbaidschan und Moldau wollen die GUUAM wiederbeleben«, in: Franfurter Allgemeine Zeitung, 22. 4. 2005. 3379 »Moskaus Dominanz in Eurasien gerät in Gefahr. Kiew treibt Bündnis mit US-Hilfe voran«, in: Han­ delsblatt, 22. 4. 2005. 3380 Ebenda 3381 Heinrich S chwabecher, »Die Krise der GUS: De­ mokratisierung versus russische Dominanz«, in: Analysen und Argumente der Konrad-Adenauer-Stif­ tung, 20/2005, Mai 2005, S. 2. 3382 »Moskaus Dominanz in Eurasien gerät in Ge­ fahr«, aaO. (Anm. 3379). 3383 Ebenda. 3384 Heinrich S chwabecher, »Die Krise der GUS«, aaO. (Anm. 3381), S. 3 f. 3385 Michel Martens, »Interessenverband gegen Ruß­ land?« aaO. (Anm. 3378). 3386 Ebenda. 3387 Heinrich S chwabecher, »Die Krise der GUS«, aaO. (Anm. 3381) S. 4. 3388 Tomasz Konicz, »Bündnis gegen Moskau. GU­ UAM-Staaten fordern Rückzug russischer Truppen«, in: Junge Welt, 26. 4. 2005.

Anmerkungen 9. Kapitel (2675-3460) 3389

»Moskaus Dominanz in Eurasien gerät in Ge­ fahr«, aaO. (Anm. 3379). 3390 »Staatenbund GUUAM soll neu belebt werden«, DW-Radio, 21. 4. 2005, Fokus Ost-Südost, unter: http://www.dw-world.de/Dw/articleZO,1564, 1560133,00.html 3391 Zit. in: Hans Springstein, »Kalter Krieg gegen Moskau. Geopolitischer Rollback in der Ukraine: Rußland soll die Rückkehr zu einer Großmachtrolle verwehrt werden«, in: Junge Welt, 24. 1. 2005. 3392 So Zbigniew Brzezinski, zit. aus: Hans Springst­ ein, »Kalter Krieg gegen Moskau«, ebenda. 3393 Anton Latzo, »Teilen und Herrschen«, aaO. (Anm. 3372). 3394 Ebenda. 3395 Erich Reiter, »Die zweite NATO-Osterweiterung«, in: Österreichische Militärzeitschrift 1/2003, unter: http:/ /www.bmlv.at/omz/ausgaben/ artikel.php?id=59 3396 Ebenda. 3397 Alexander Griesbach, »Hinein ins geopolitische Pulverfaß. Außenpolitik: Die NATO soll nach US-Plä­ nen zur Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten werden«, in: Junge Freiheit, 30. 1. 2004. 3398 »Neue Mission gesucht. Mit dem Ende des Kal­ ten Krieges hat das Verteidigungsbündnis den ge­ meinsamen Feind verloren. Amerikas Kampf gegen den Terror wollen nicht alle Europäer folgen«, in: Focus 27/2004, S. 176-179 (S. 178). 3399 »NATO-Erweiterung abgeschlossen«, in: IAPDienst, April 2004, S. 3. 3400 Ebenda. 3401 Erich R eiter, »Die zweite NATO-Osterweiterung«, aaO. (Anm. 3395). 3402 Anton Latzo, »EU-Osterweiterung und Kampf um Einflußzonen. Die osteuropäischen Länder: eine >proamerikanische kritische Masse in der EUWir befinden uns zwischen zwei Fronten< - Rußland und Usbekistan sind die US-Stützpunkte in Kirgisien eine Dorn im Auge«, in: Die Welt, 26. 7. 2005. 3440 Ebenda. 3441 Michael Ludwig, »Rußlands Rückkehr«, aaO. (Anm. 3429). 3442 Ebenda. 3443 Karl Grobe, »Keine Chance für Oppositionelle in Zentralasien. Mitgliedsländer der Schanghai-Grup­ pe wollen Regimegegner aus Partnerstaaten nicht dulden/Uiguren und Usbeken betroffen«, in: Frank­ furter Rundschau, 7. 7. 2005. 3444 Ebenda. 3445 Ebenda. 3446 Michel Chossudovsky, Global brutal, aaO. (Anm. 647), S. 388. 3447 Michael Ludwig, »Rußlands Rückkehr«, aaO. (Anm. 3429). 3448 Ebenda. 3449 Rainer Rupp u. Hilmar König, »Begrenzter Auf­ enthalt. US-Luftwaffenbasen sollen aus Zentralasien verschwinden. Taschkent verschärft Bedingungen für Militärflüge. Russisch-chinesische Initiative«, in: Junge Welt, 11. 7. 2005. 3450 Ebenda. 3451 Uwe H albach, Usbekistan als Herausforderung für westliche Zentralasienpolitik, aaO. (Anm. 3006), S. 30. 3452 »Kirgistan drängt auf Abzug von US-Truppen. Neuer Präsident stellt Militärbasis in Frage«, in: Han­ delsblatt, 12. 7. 2005. 3453 Uwe H albach, Usbekistan als Herausforderung für westliche Zentralasienpolitik, aaO. (Anm. 3006), S. 30. 3454 Ebenda, S. 29. 3455 Tomasz Konicz, »Nase vorn im Energiepoker«, aaO. (Anm. 3021). 3456 Ebenda. 3457 Ebenda. 3458 Uwe H albach, Usbekistan als Herausforderung für westliche Zentralasienpolitik, aaO. (Anm. 3006), S. 30. 3459 Ebenda. 3460 Ebenda, S. 27. 3461 Alexander Rahr, »Der kalte Frieden«, aaO. (Anm. 2820), S. 6.

3462

Klaus Eichner, »Kampfansage an Rußland«, aaO. (Anm. 3370). 3463 Ebenda. 3464 Jürgen Wagner, »Der Russisch-Europäische Erd­ gaskrieg. NABUCCO, die Gas-OPEC und die Kon­ turen des Neuen Kalten Krieges«, in: Studien zur Militarisierung Europas 30/2007, S. 1-20 (S. 2). 3465 Ebenda, S. 2. 3466 F. William E ngdahl: Öl, wirtschaftliche Sicherheit und geopolitische Risiken von heute, aaO. (Anm. 1801). 3467 »>Beziehung zum Kreml abkühlenFreundschaftFreundschaftFreundschaftFreundschaftDruschba I< und 3585 Roland G ötz, Energietransit von Rußland durch die >Druschba II< beginnen westlich des Ural-Gebirges Ukraine und Belarus, aaO. (Anm. 3527), S. 27. im europäischen Teil Rußlands, wo mehrere Leitun­ 3586 Ebenda, S. 28. gen aus verschiedenen Teilen des Landes zusammen­ 3587 »Rußland weitet Kontrolle über Gaslieferungen gefaßt werden. Ein Leitungsabzweig in Weißrußland aus«, aaO. (Anm. 3564). führt über die Ukraine nach Ungarn sowie in die 3588 Roland G ötz, Energietransit von Rußland durch die Slowakei und die Tschechische Republik. Der ande­ Ukraine und Belarus, aaO. (Anm. 3527), S. 28. re Arm führt von Weißrußland über Polen bis nach 3589 Ebenda. Schwedt, wo das Erdöl an das Petrochemische Kom­ 3590 Rainer Lindner, »Blockaden der >FreundschaftFreundschaftZeitenwende< zwischen Mos­ 3608 Stefanie Bolzen, »>Zeitenwende< zwischen Mos­ kau und Minsk. Die Beteiligung von Gazprom am kau und Minsk«, aaO. (Anm. 3793). 3609 Werner Sturbeck, »Gazprom kann sich keinen weißrussischen Leitungssystem beeinträchtigen Lu­ kaschenkos Macht«, in: Die Welt, 3. 1. 2007. Ruf als unsicherer Kantonist leisten«, aaO. (Anm. 3594 »Minsk und Moskau einigen sich in letzter Mi­ 3571). 3610 Stefanie Bolzen, »>Zeitenwende< zwischen Mos­ nute«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 2. 1. 2007. 3595 »Druck auf Minsk öffnet die Pipeline«, in: Die kau und Minsk«, aaO. (Anm. 3793).

1184 3611

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

Alexander Rahr, »Rivale der EU«, in: Die Welt, 10. 1. 2007. 3612 »Minsk und Moskau einigen sich in letzter Mi­ nute«, aaO. (Anm. 3594). 3613 Mathias B rüggmann, »Gazprom festigt seine Mo­ nopolisten-Rolle. Rußland wird zum harten Gegen­ spieler bei Europas Plänen zur Diversifizierung«, in: Handelsblatt, 2. 1. 2007. 3614 Karl Grobe, »Die politische Waffe des Kreml«, aaO. (Anm. 3582). 3615 Roland Götz, Gazproms Zukunftsstrategie, aaO. (Anm. 3000), S. 2. 3616 Ebenda, S. 3. 3617 Ebenda. 3618 Roland Götz, Gazproms Diversifizierungsstrategie der Exportpipelines und Exportrichtungen, SWP-Dis­ kussionspapier, Berlin, Mai 2007, S. 1. 3619 So ebenda, S. 4 f. 3620 Ebda, S. 5. 3621 Ebenda, S. 5 f. 3622 Ebenda, S. 3. 3623 Franz-Lothar Altmann, Südosteuropa und die Si­ cherung der Energieversorgung der EU, aaO. (Anm. 3469), S. 8. 3624 Reinhard Veser, »In die andere Richtung. Nach Gazprom droht nun auch die russische Ölindustrie den Europäern«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25. 4. 2006. 3625 So Roland Götz, Gazproms Diversifizierungsstra­ tegie, aaO. (Anm. 3618), S. 7. 3626 »Gazprom will alleine bestimmen. Ausländische Investoren sollen von Pipelines und Förderung aus­ geschlossen werden«, in: Frankfurter Rundschau, 8. 6. 2006. 3627 Ebenda. 3628 »Putin dringt auf Gazprom-Expansion. E.on droht bei Einstieg in Gasfeld zu scheitern«, in: Handelsblatt, 11. 5. 2006. 3629 »EU fordert offene Märkte. Kritik an Expansions­ plänen von Gazprom wegen Abschottung in Ruß­ land«, in: Handelsblatt, 24. 4. 2006. 3630 »EU will unabhängiger von russischem Gas wer­ den«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22. 4. 2006. 3631 »Merkel betont Differenzen«, in: Handelsblatt, 28./ 29./30. 4. 2006. 3632 »Merkels und Putins strategische Partnerschaft«, in: Neue Zürcher Zeitung, 28. 4. 2006. 3633 so der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok, vgl.: »EU fordert offene Märkte. Kritik an Expansionsplä­ nen von Gazprom wegen Abschottung in Rußland«, in: Handelsblatt, 24. 4. 2006.

3634

Jens H artmann, »Energieriese Gazprom beeinflußt die gesamte Wertschöpfungskette«, in: Die Welt, 28. 4. 2006. 3635 »Schwierige Konsultationen in Sibirien. Merkel und Putin tragen Meinungsverschiedenheiten aus BASF-Konzern wird an großem russischem Erdgas­ feld beteiligt«, in: Die Welt, 28. 4. 2006. 3636 Jens H artmann, »Energieriese Gazprom beeinflußt die gesamte Wertschöpfungskette«, aaO. (Anm. 3634). 3637 Stephan Heidbrink, Europas weiche Geopolitik im russischen Hinterhof, aaO. (Anm. 3027). 3638 Alexander Rahr, »Die Angst geht um vor einem unberechenbaren Rußland«, in: Die Welt, 28. 6. 2006. 3639 Christian Wipperfürth, Rußland und seine GUSNachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 156. 3640 Ebenda, S. 157. 3641 Tomasz Konicz, »Stolpersteine für Kiew. Trotz der Ablehnung durch die Bevölkerung und anderer Rückschläge halten NATO und ukrainische Führung am Integrationskurs fest«, in: Junge Welt, 22. 6. 2006. Das Szenario des Manövers war eindeutig gegen Rußland gerichtet: Eine totalitäre, NATO-feindliche Macht destabilisiert ein demokratisches Nachbarland und läßt Terrorakte verüben, was von der Weltge­ meinschaft zunächst ignoriert wird. Die Bewohner einer Halbinsel, die früher ein Teil des totalitären Landes gewesen ist, fordern die Vereinigung mit ihrem alten Mutterland und nehmen Angehörige von NATO-Staaten als Geiseln. Truppen unter NATOFührung stellen die Ordnung wieder her - so Chri­ stian W ipperfürth, Rußland und seine GUS-Nachbarn, aaO. (Anm. 2923), S. 159. 3642 Alexander Rahr, »Die Angst geht um vor einem unberechenbaren Rußland«, aaO. (Anm. 3638). 3643 Ebenda. 3644 Ebenda. 3645 Wolfgang Pomrehn, »Öl ist nicht alles. In Chinas Hauptstadt wurde bei der Tagung der Shanghai Co­ operation Organisation über die wirtschaftliche Zu­ kunft Zentralasiens verhandelt«, in: Junge Welt, 17. 6. 2006. 3646 »Ahmadinedschad wirbt mit Öl«, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16. 6. 2006. 3647 Irine Wolkowa, »Ahmadinedschad spricht in Shanghai. Sechs-Staaten-Bündnis begeht Jubiläum«, in; Neues Deutschland, 15. 6. 2006. 3648 Ebenda. 3649 »>Kein Gegenstück zur NATO< - Steht Erweite­ rungsrunde bevor?« unter: http://www.unikassel.de/fb5/frieden/regionen/Asien/soz.html

Anmerkungen 10. Kapitel (3461-3841) 3650

1185

Andrej G olowanow, »Zuwachs für die Shanghai­ gen. Die polnischen Vorschläge für eine >EnergieNATO< finden in Berlin keine Zustimmung«, in: er Organisation. Indien, Pakistan, Iran und die Mon­ golei als Beobachter bei Gipfeltreffen in Moskau«, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8. 3. 2006. 3670 Ebenda. in: Moskauer Deutsche Zeitung, 8. 11. 2005. 3651 »Iran strebt in Rußlands Energie-Club. Präsident 3671 Ebenda. Ahmadinedschad wirbt auf Schanghai-Gipfel um 3672 Oliver G eden, Andreas Goldthau u. Timo N oet­ Partner in Asien und bietet China mehr Öllieferun­ zel, >Energie-NATO< und >Energie-KSZEKommersantEnergie-NATO< und >Energie-KSZEOpecEnergie-NATO< und >Energie-KSZE< - Instrumen­ Beziehungen, Think-Tank Update der Konrad-Ade­ nauer-Stiftung Washington D.C., März 2007, S. 1. te der Versorgungssicherheit?, SWP-Diskussionspa­ 3688 Jürgen Wagner, »Der russisch-europäische Erd­ pier, Berlin, Mai 2007, S. 4. 3668 Ebenda. gaskrieg«, aaO. (Anm. 3464), S. 16. 3669 Johannes L eithäuser, »Entgegengesetzte Richtun­ 3689 Zit. aus: ebenda, S. 16; Ida Garibaldi, NATO and

1186

Bernhard Rode - Das Eurasische Schachbrett

European Energy Security, American Enterprise Insitute for Public Policy Research, No. 1, March 2008, S. 4 3690 Ebenda, S. 5 3691 Jürgen Wagner, »Der russisch-europäische Erd­ gaskrieg«, aaO. (Anm. 3464), S. 17. 3692 Ida Garibaldi, NATO and European Energy Securi­ ty, aaO. (Anm. 3681), S. 4. 3693 Mahdi Darius Nazemroaya, »The Globalization of Military Power: NATO Expansion«, unter: http://www.globalresearch.caPrintArticle.php? articleld=5677; Übersetzung durch d. Verfasser. 3694 Ebenda. 3695 Jürgen Wagner, »Der russisch-europäische Erd­ gaskrieg«, aaO. (Anm. 3464), S. 10. 3696 Ebenda, S. 10. 3697 Energiesicherheit und die amerikanisch-russischen Beziehungen, aaO. (Anm. 3687), S. 2. 3698 Die >NabuccoNabuc­ co