Das Bild der Mutter und das blonde Kind: Zwei Erzählungen [Die Vorlage enth. insgesamt 2 Werke. Reprint 2020 ed.] 9783111483566, 9783111116761

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Das Bild der Mutter und das blonde Kind: Zwei Erzählungen [Die Vorlage enth. insgesamt 2 Werke. Reprint 2020 ed.]
 9783111483566, 9783111116761

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Das Bild der Mutter und

das blonde Kind.

Zwei

Erzäh.lüngen

von

Chr. I. Contessa

C. W. Salice-Contessa.

Berlin,

181 6.

In der Rralschulbuchhandlung.

Das Bild der Mutter.

Erjkes Kapitel.

(£•6 war an einem Sonntage gegen Abend, als

Georg Haberland, der Maler, inüde und dur­

stig vor dem Wipthshaase zum

gotdnen Bock

anlangte. Im

Sottntagsschmuck, festliche Erwartung

auf den Gestchtern, zogen Männer, Weiber rind

Kinder in bunten Schaaren durch das weitgeöff­

nete Thor nach dein Hofraum.

Dor der Haus­

thür aber stand ein bepackter Nrufewagen, und

vor dem Wagen ein ältlicher Herr, der eben ei2t

.2 neu darin sitzenden Dame die Hand zum Auösteigen reichte.

»Unter zwei Stunden keine Pferde!« hörte

ihn

Georg

»Sie

sagen.

müssen

es sich

nun

schon so lange hier gefallen lassen, liebe Ikatalie!

Oer Zufall sorgt indeß für unsere Unterhaltung. Eine wandernde Truppe hat den Thespiskarren

in dieses Haus geschoben u^nd eröffnet heut eben

ihre Bühne.« Während dieser Worte hatte

seiner Be­

er

gleiterin den Arm geboten und führte sie lang­

sam nach dem Hause. herrliche Gestalt.

Es

war eine schlanke,

Ein Schleier entzog Georgen

ihr Gesicht. -- »Aber, lieber Onkel« sprach sie auf italienifch, indem sie an ihm

vorüber gin­

»lieber Onkel, Sie wissen doch — in einer

gen

solchen Stimmung---------« — »Mir zu Liebe!« unterbrach sie dieser

»Mir zu Liebe,

theure

Natalie, und sich selbst zum Besten!« Georg stand und sah ihnen nach.

Oie Stim­

me der Unbekannten hatte ihn auf eine seltfame

Weise berührt.

Noch nie, schien es ihm, hatte

sein

so

O.hr

eine

wunderliebliche

vernommen.

3

und dennoch dünkte sie ihm bekannt, vertraut. Eine dunkle Erinnerung regte sich träumend in

seinem Innern; all sein 9iacf)sinnen aber war vergebens;

er vermochte sie nicht zum klaren

Erwachen zu bringen. Als er endlich ins Haus trat, stellte sich ihm an dem Eingang zur Wirthsstube ein besonderer

Auftritt entgegen. Diesseits der Lhür stand ein tanger, hagerer

Mann mit kahlem Kopfe, in einem grünen, mit gol^^apiernen Streifen reich besetzten Kleide, wel­

cher eine jenseits besindtiche,

kleine,

breitschul­

trige Figur- in Hanöwursttracht beim Arm ge­ faßt hatte, und sich aus allen Kräften bemühte,

dieselbe theils mit Gewalt>

theils mit Bitten

und Versprechungen über die Schwelle zu ziehen. Oer Hanswurst aber stemmte den freien Arm

gegen die ^hürpfoste, und antwortete hartnäckig

auf alle Bltten, Ermahnungen und Verheißun­

gen nichts weiter^ als: »I will nit!« — und: »3 spiel nit! » Sey

5 doch kein Eset, himmlische Seele.'« fuhr er mit

sehr weicher Stimme fort. überall die Hauptrolle.

geschlagener Mann.

»Du spielst ja doch

Ohne dich wär' ich ein

Das nächsteniat sollst du

den Max spielen, ja den Tell, wenn du ihn ha­ ben

willst;

ich

verspreche cs

dir. — O mein

Schöpfer! Hörst du, wie die Hoch.- und. Höchstverel/rten da hinken schon trommeln vor Unge­

duld? Was begehrst du noch weiter? Was ver­

langst du? pfeife?

Wähle!

Fordere!

Meine Türken»

Meine rothe Ptüschweste, die du so oft

concupiäcirt?

Nimm ste hin, Satanas!

schenke ste dir, wenn

Ich

sie dich glücklich macht,

Geliebter!«

Da jener indeß allzeit bei seiner Weigerung

verharrte, so stieß ihn endlich der Alte zurück,

drang selbst in die Stube und rief, stch auf ei­ nen Stuhl werfend, nach Wein. — »Sic erat

in fatis!« sprach ec leise in gänzlicher Erschö­

pfung.

>» Ich ergebe mich!

Es ist aus!

Fahr

hin! Mag nun tragiren und dirigiren wer will: mein Stündlein ist gekommen! An einem Hans­

wurst sollt' ich

sterben: Ainsi seit - il! «

Er

6 schenkte ekn und reichte dem andern daS volle

Glas hin: rascal, trink! stoß.

Trink, nequam!

Guter Junge,

Ich danke dir für deinen Todes­

BalS ists vorüber und der Erde geb' ich,

der ew'gen Sonne die 2ftome wieder,

die stch zu Schmerz und Lust in mir gefügt, und von diem mächt'gen Talbot, dec die Welt

mit feinem Kriegsrubin füllte, bleibt nichts übrig,

als eine Hand voll leichten Staubs! — So geht

der NIensch zu Ende. « Hanswurst ergriff das dürgebotene Glas und leerte es aqf einen Zug, indem sich fein Gesicht

dabei auf eine höchst possierliche Art zum Wei­ nen verzog.

Oer Alte reichte ihm schnell ein

zweites, Ulid legte dann den Kopf über die Rück­ lehne feines Stuhls zurück. —

»Hinauf! hin«

auf! « rief er —? >» Wie wird mir? Leichte Mol­

ken ■*- apropos? du sollst fortan O^ekror seyn, ich will es: dem DTnrrenFönig gebürt die Welt.' « —

Oie hellen Thränen liefen dem Harlequin über

die Backen. Er schenkte sich schluchzend das dritte

Glas selber ein,

stürzte es ans,

ergriff dann

schluchzend des Direktors Arm und schrie ihm

jnS Ohr: «Ihr hobt gemeint,

3 spiel! 'S kann angeh!

will nit spiele?

«Und mit zwei gro­

ßen Sprüngen warmer aus dem Zimmer.

Oer Alte richtete sich empor,

drata!«

sprach er,

»Bestia qua-

setzte die Flasche an

den

Mund nnd trank den Rest aus. — « Sehen Sie,

Hochgeschätztester« — er wandte stch an Georg, welcher dieser Scene mit großem Behagen zuge­

sehen hatte —' » dieser Mensch hat stch entetirt, durchaus die ersten Liebhaber- und Heldenrollen

spielen zu wollen, und setzt mir auf porgelegene

Weise bei jedem neuen Stücke Oaumschrauben

an.

O Schöpfer! ich verstchre Sie, verehrter

Herr, ohne die feste Hoffnung, daß jedem Schau­ spieldirektor jenseits der Himmel werden muffe, da ihm der liebe Gott auf Erden schon die Hölle zugewiesen, — ich nehme jedoch ausdrücklich die

Oirektores von Hundekomödien aus, welche hie-

nieden die wahrhaft paradisifche Wonne genie­ ßen, ihre malveillanten Akteurs mit der Peitsche zu korrigiren, während ich die meinigen nicht

einmal ein wenig ausschimpfen darf, als etwa

auf lateinisch oder englisch, was sie nicht ver-,

8 stehen,

ohne jene Hoffnung,

gkauben Sie

mir, Weither, hätte ich schon längst nicht allein

dis Schauspielkunst an

den Ilagel gehangen,

sondern auch mich selber mit.

Aber das hält

mich aufrecht! Nunc iogens iterabimus aequor!«

Er sprang auf: »Sie werden uns doch auch

beehren, Jhro Gnaden?'

Ich darf Jbro Gna­

den etwas mehr als Gewöhnliches versprechen. JNein erster Liebhaber, welcher der Verfaffer deauch a!s Schauspielen seine-

Stücks ist, sucht

Gleichen, und ich hoffe, daß alles zu einer emi­

nenten

Rekreation

und- Satisfaktion

höchster

Standespersonen prosperiren wird," 'Er neigte stch bei diesen Worten abermals gegen den Ma­ ler

und schritt

mit

vieler Würde

zur Thür

hinaus. Georg folgte ahm, nachdem er von dem Wirth erfahren hatte, daß die fremde eben angelangre Herrschaft gleichfalls nach dem Theater sich be­

geben.

Es war in einer geräumigen Scheune

hinten im Hofe aufgefchla-gen. Das Glück wollte Georgen so wohl,

daß er

auf einer Bank, dicht hinter dem Stuhl der Un-

9 bekannten

noch eln Plätzchen fand.

Indem er

sich setzte, wandte sich die letztei-e. nach ihm um;

sie hatte den Soleier zur ungeschlagen.'

Georg

schaute in ein jugendliches, aber bleiche^ Gesicht

voll Milde und Hoheit, wie in den klaren Him«

met einer stillen Mainacht.

E-n Blick aus den

dunkeln Augen begegnete dem seinigen, Herz bebte.

und sein

Ach, er kannte dieses Auge wohl;

er kannte diese

siegenden Strahlen, die so be­

scheiden sich in die langen, schwarzen Wimpern hüllten; er kannte diese schönen Züge, er mußte

sie kennen!

er war dessen

so gewiß,

und doch

konnte ec sich nicht erinnern, wo, noch wann er

sie gesehen! Oie schöne unbekannte Bekannte saß zwischen

ihrem Oheiin und einer ältlichen Frau, die gleich­ falls zu ihr zu gehören schien. — »Ich bin doch ein recht leichtsinniges Kind« —-

sprach

sie nach einer Weile — ?, daß ich mich

von Ihnen hieher führen lasse, um ein Trauer­

spiel zu sehen!

der

Trauer

Als hätte ich nichr schon überall

genug!«



»»Lassen Sie sich nur

durch den Namen nicht angst machen!«

siel je-

IO ner ein.

»Ich hoffe diese- Trauerspiel soll uns

blos ein recht ergötzliches Spiel mit der Tpauer

und nicht wenig zu lachen geben. schlimmer^' entgegnete ste.

Desto

»Ein solches Spiel

hat für mich etwas Unangenehmes und wirklich

Trauriges, ja Herzzerschneidendes, t« Indem fingen die zwei pder drei Violinen des Orchesters an zu knarren; eine Flöte, die einen

halben Ton zu tief stand und Hörbarlich am

Asthma litt, wehklagte darein; unwillig grunzte

dec Daß; zwei Oboen wimmerten jämmerlich, und eine aufgebrachte Trompete sprang

niederschmetternd durch

alles

die höllische Harmonie.

Endlich rollte der Vorhang in die Höhe, und

nachdem Hanswurst als Prologus sein Publi­ kum in behagliche Stimmung gesetzt und selbst

in dem Maler eine günstige Erwartung erregt hatte, begann das Stück, ruhig, klar, in kräf­

tigen Zügen auseinander setzend, dann rascher fortschreitend, mit sich fortreißend in die Ver­

wicklung.

Das Intereste wuchs mit jeder Scene;

immer gewaltiger regte fich dec Sturm des Le­ bens; wie eine dunkle Gewitterwolke, aus Wels

II

cher einzelne Blitze zuckten, zog die bange Ah­ nung

einer ungeheuern That herauf,

und die

kunstreich ssingewebten Scherze der lustigen Per­

son hoben nur um so kräftiger den furchtbaren

Ernst.

Ja. sogar die armfeelige, zusamuicuge*

flickte Kleidung des größern Theils des Darstel­ lenden,

so

der fchneideride Contra st ihres

Spiels-mit den Worten, die aus ihkem Munde gingen, schienen fast der Wirkung dey Ganzen

beförderlich zu seyn, U)id dienten wenigstens da­ zu, das vollste Licht auf die Heldin des Stücks, den alten Direktor und einen jungen Schauspie­

ler zu werfen, die ihre Rollen in stberraschendey Vollendung gaben, Oie Unbekannte war nicht minder von dem Inhalte des Ststcks und der Darstellung sicht­

lich bewegt;

doch schien ihre Theilnahme

sehr

bald sich in eine heftige Unruhe zu verwandeln, die immer höhep stieg, je weiter das Spiel sei­

ner Entwicklung entgegen ging, «Was ist das?

führt?

Wohin haben Sie mich ge­

Welche Stimme!«

hörte sie Georg "auf

italienisch zu ihrem Begleiter sagen, dessen am

sangliche

Heiterkeit

gleichfalls

»Oie Stimme«

sprach

schien.



ben

»ja, Sie haben Recht!

sicht doch

verschwunden

er verle­

Aber im Ge­

gar keine Ähnlichkeit?« — Georg

merkte, daß diese Worte auf den jungen Schau­ spieler sich bezogen.

Auch auf ihn hatte seine

Erscheinung einen besondern Eindruck gemacht,

und es ward ihm endlich klar, daß er an Ge­

stalt, Stimme und Bewegung, die größte Ähn­ lichkeit mit einem Offizier an fich trug, der ihm

in Rom einen sehr wichtigen Dienst erzeigt, ja

dem er beinah das Leben zu verdanken hatte. Indeß dringend,

büt der Oheim Ratalien mehrmals

fich

mit ihm zu entfernen.

Allein^

wider Willen an ihren Platz gefesselt, saß Ratalie, die Augen

unverwandt auf die Bühne

heftend; ihr Busen hob und senkte fich in stür-

/mischer Bewegung.

Sie sah die verbrecherische

Liebe der beiden Brüder zu ihrer Stiefmutter in immer wilderer.Glut gegeneinander streitend fich

erheben, sie sah die entsetzlichen Flammen fich

endlich drohend nach dem Leben des Vaters strekfen, und zwischen ihnen die unglückliche Hilde-

i3 gunde im Kampfe mit der eignen

strafbaren

Neigung: Georg bemerkte, Paß ste zitterte; ihre

Hand faßte mehrmals ängstlich ivrch Yem Arm ihres VeglciterS.

Es ward Nacht auf der Bühne.

Oer alte

Fürst lag im Hintergründe auf einem Ruhebette schlummernd.

Oer Narr, der ihn mit 9Nähr--

chen in den Schlaf gelullt hatte, saß zu seinen

Füßen auf der Erde; vor ihm lag der umge
die sind so roth. Und was sie sprechen, das bringt dir 2l?oth.

Und der Nachtwind kam von der Haide herüber und wimmerte:

Schlaf nit, schlaf nit, du alter Mann, Ick schau zwei Männer, die schleichen heran.

Ich lchau ihre Hände, von Blut so roth. Und was sie sprechen, das ist dein Tod.

Aber der Alte horte nichts und schlief ruhig

fort.« Und indem der Narr dieses sein Sprüchlein

zum zweitenmal gesprochen hatte, und ihm der Kopf wieder auf die Brust hinnb Nickte, da öst'-

nete sich leise die Thür, Und der jüngste Sohn

des ollen Fürsten trat, von seinem blutdürstigen Wahnsinn getrieben,

bleich, mit wildem Blick

herein, tinb trat an das Ruhebett; und als ec

des Vaters ehrwürdige Züge und

sein greises

Haupt erblickte, bebte er schaudernd zurück, und

es war andem, daß er sich wendete zur Flucht:^ in dem Augenblick aber stürzte Hildegunde, von einem entsetzlichen Traum aufgeschreckt,

in daS

Gemach; bei ihrem Anblick rafft die rasende Lei­ denschaft sich von neuem empor: er umschlingt die Geliebte,

sie ist sein, nichts wird sie ihm

entreißender schaudert vor keinem Verbrechen mehr; den Himmel hat er aufgegeben, der Hölle

will er dienen um solchen Preis; und von der

eigenen Neigung bedrängt,

entzündet

von der

wilden Glut des Jünglings, wankt Hildegunde; der gräßliche Augenblick ist nahe, wo sie erlie­ gen wird; dazwischen stammelt der Narr wieder

sein: Schlaf nit, schlaf nit, du alter Mann!

der Dolch

blinkt

in

des Sohnes

Hand;

schwarzem Fittich rauscht der Mord über

Bühne;

halb fortgerissen,

mit

die

halb dem Jüngling

folgend schwankt Hildegunde mit ihm nach dem Ruhebette hin. —

i6

DTdfa»

Ein dumpfer Schrei rdng lienö Drust;

bewußtlos

sank

hintenüber-.

Georg sing sie auf; mit starkem Arme hob er

sie empor und trug sie durch das^ Gedränge,

über den Hof weg,

nach

ihrem Zimmer.

In

höchster Bestürzung folgte der Oheim.

Unter den Bemühungen ihrer Frauen schlug Natalie bald, die Augen wieder auf. 'Oer Oheim

faßte des Malers Hand und sprach mit leiser

Stimme: »Wir sind Ihnen großen Dank schul­

dig, junger Mann; doch vergeben Sie es wohl der Verwirrung des Augenblicks, wenn ich Sie bitte, sich jetzt zu entfernen/«

Er fragte nach feineni Namen, Und als ec ihn vernommen, rief er. ihni die Hand reichend:

„Georg Haberland?

Oer Mater?

Nun dann

sehn wir ja recht bald uns wieder!«

Georg schlich wie ein Träumender nach sei­ nem Zimmer. Er hörte das Ätappern der Pferde,

die vor den Wa^cn gelegt wurden, und riß das Fenster auf.

Natalie trat, auf ihre Frauen ge­

stützt, aus deni Hause und stieg ein. Das Post­ horn

I? I

Horn schmetterte, und in der seltsamsten Bewe­

gung schaute Georg,

an das Fenster gelehnt,

dem dahin rollenden Wagen nach hinaus in den dämmernden Abend.

Zweites Kapitel.

Georg fand am andern Morgen, als er, im

Begriff seinen

Stab weiter zu

setzen,

in

die

Wirthsstube trat, den alten Schauspieldirektoc schon beim Becher.

»^Jch wünsche Ihnen Gluck zu dem gestrigen

Abentheuer!«

rief ihm dieser sogleich entgegen.

»Eine schönere Last hat wohl nicht leicht eines.

Mannes Arm getragen, obwohl ich mich fast getraue zu behaupten, daß die Grastn Mathilde,

ihre Schwester, sie an Schönheit noch übertrifft.«

Sie kennen sie? rief Georg hastig. $> Allerdings! « entgegnete jener. B

» Es war

I? I

Horn schmetterte, und in der seltsamsten Bewe­

gung schaute Georg,

an das Fenster gelehnt,

dem dahin rollenden Wagen nach hinaus in den dämmernden Abend.

Zweites Kapitel.

Georg fand am andern Morgen, als er, im

Begriff seinen

Stab weiter zu

setzen,

in

die

Wirthsstube trat, den alten Schauspieldirektoc schon beim Becher.

»^Jch wünsche Ihnen Gluck zu dem gestrigen

Abentheuer!«

rief ihm dieser sogleich entgegen.

»Eine schönere Last hat wohl nicht leicht eines.

Mannes Arm getragen, obwohl ich mich fast getraue zu behaupten, daß die Grastn Mathilde,

ihre Schwester, sie an Schönheit noch übertrifft.«

Sie kennen sie? rief Georg hastig. $> Allerdings! « entgegnete jener. B

» Es war

18

die junge Gräfin Roseneck mit ihrem Onkel dem Daron Freileben, dem edlen Mären jeder edlen

Kunst.« Höchst überrascht und nicht ohne Herzklopfen

vernahm Georg den letzten Atomen. dieser Daron Freileben,

der

ihn

Denn eben

nach

seinem

neuerbauten Schlosse beschieden, war^ ja die Ur­

sach seiner jetzigen Reise.

Eine leise Hoffnung,

Natalien tvieder zu sehn, ließ ihn nicht länger rasten.

Er grüßte den Alten

freundlich zum

Abschied und wandte sich npch der Thür,

als

dieser von seinem Tisch aufspringend ihm in den Weg trat.

» Sia licet Felix ubicunque mavis, et memor nostri vivas! « rief er aus.

» Sie (in& zu etwas Hohem beru­

fen, verehrter Herr, wenn mich diese Linemente nicht trügen, und ich fühle mich versucht, mich

im voraus Dero Gnade zu recommandiren. Oer

Himmel und

der gute Genius der Kunst sey

mit Ihnen.

Wir sehen uns bald wieder, hoff

ich!«

Georg reichte ihm lächelnd die Hand, die je-

19 ner

init einer tiefen Verbeugung an den Finger­

spitzen ergriff sie leise drückend, und machte sich dann mit raschen Schritten auf den Weg.

Hoff­

nung und Verlangen begleiteten ihn, mit man­ chem

bunten Feenschloß den 97ebeloorhang

Zukunft ausschniüekend^

der

und die Prophezeiung

des wunderlichen Alten ging, wie er nicht ohne Lächeln über sich selbst

bemerkte, jenen beiden

bei dieser Arbeit gar hülfreich Und geschickt zur Hand.

Der dritte Äbend, seitdem er das Äirthshaus

zum gotdnen Bock verlassen, fing schon an diS Wipfel der Bäume um.ihn her und die Wolken

über seinem Haupte zu

vergolden,

als er auS

dem Walde, durch den ihn sein Weg einen gro­ ßen Theil des Tages geführt, wieder ins Freie

gelangte»

Ein heiteteS Thal lag zu feineri Füßen. Jen­ seits des breiten Wiesenteppichs, der den Vorder­ grund der unmuthigen Landschaft bildete,

auf einem

fiachen Hügel

ein

hohes

ragte

Gebäude

mit vier Thürmen an den Ecken hell im Abendlicht empor.

Oie Straße schien hart daran oor-

über zu leiten, und Georg schritt mit einem selt­

samen Gesüht daraus zu.

Denn

je näher er

kam, desto lebhafter sprach in seiner Seele eine

dunkle Erinnerung, daß er das wunderliche Gebäu und seine Umgebungen schon sonst gesehen.

Es war

ihm fast zu Muth wie einem irren

Wanderer bei Nacht, dem plötzlich der Mond, zwischen

finstern Gewitterwolken

heraustretend

und wieder verschwindend, bald hier, bald dort einen Gegenstand aus

der dunkeln Landschaft

klar hervorhebt, ohne ihm jeddch ein deutliches Bild der Gegend zu gewähren und ihm auf den rechten Weg zu helfen.

In der Nähendes Schlosses trabte ihm aus

einem Seitenwege von einem Bedienten beglei­ tet, ein Reiter entgegen, in welchem er alobatd

den Daron Freileben erkannte.

Auch dieser ge­

wahrte ihn, hielt an, «nd indem er ihn freund­ lich begrüßte, lud er ihn zur Einkehr auf dem

Schloste seines Schwagers ein. res Ereigniß«

hieher zurück.

sprach er,

»Ein besonde­

» ruft mich plötzlich

Morgen Host ich Sie nach Frei­

leben zu führen.

Sie finden indeß hier noch

eine Person, die Sie kennen, und die sich freuen

wird.

Ihnen

selbst ihren

können.«

abtragen zu

Dank

I

Durch einen dunkeln Lindengang

niedergelassene Zugbrücke gelangten

über

eine

sie auf ei­

nen geräumigen Hef. — Kein Diener kam ih­ nen weder hier, noch auf dem schallenden Haus­

flur entgegen.

»> Was bedeutet das?

rief dec

Daron verwundert, und stieg hastig die Trespe

hinan.

Georg folgte ihm.

Eie schritten flüchtig hin durch mehrere Ge» macher und gewölbte Sale, alle mit Gemälden,

Schnitzwerk und kostbaren Tapeten zwar ganz, altmodisch aber sehr reich verziert.

reichten

sie

ein Zimmer,

dessen

Endlich er­

Fenster durch

grünseidne Vorhänge dicht verhüllt waren. Durch die halboffne Thür eines angränzenden schimmerte ihnen Kerzenlicht

entgegen.

Der Daron

trat

schnell hinein. Der Thür gegenüber stand ein Dett mit ro­ then Gardinen, bei welchem die gesummte Die­ nerschaft des Hauses

sich versammelt zu haben

schien, und traurig schweigend umherstand.

Dor

den Herein tret enden öffnete sich ehrerbietig der

Halbkreis: starr,

Georg sah eine Frau,

hleich

pnd

dem Anschein nach todt auf dem Vette

liegen,

Oep Baroy schlug

voll

Entsetzen die

Hände zusanimen und blieb von dem Anblick ver- i steinert lange ohne Regung stehen.

Diener näherte

stch

ihm

Ein alter

endlich "besorgt

und

sprach: »Wir haben alles versucht, Wiewohl ver­

geblich, doch hoff ich immer noch, daß es nur

eine tiefe Ohnmacht ist; der Arzt, nach dem ich gleich geschickt^ muß nun bald kommen.«

Oer

Daron ergriff seine Hand - und ging mit ihm

nach deni Fenster,

sprachen.

p>p sie leise

mit einander

'

Indem Georg mit den Augen ihnen folgte^

bemerkte er jetzt erst einen alten Mann, der in

Schlafrock und Nachtmütze auf einem großen,

mit gtünem Tuch beschlagenen Sopha saß, und unbekümmert, wie es schien, um alles, was um ihn her vorging, lediglich daniit beschäftigt war,

weiße und gelbe Stecknadeln, die er in einem Kästchen neben sich stehen hatte, mit künstleri­

scher Wahl und Überlegung in den Sopha zu

stecken, und so der grünen Fläche einen Garten der seltsamsten araheskenarti'gen Zeichen und Fi­

Seine Blicke waren

guren entblühen zu lassen.

unverwandt auf die Arbeit gerichtet; und wenn

er von Zeit zu Zeit mit etwas zuruckgelegtem Oberleibe und seitwärts

geneigtem Kopse sein dann flog ein

Werk überschauend

betrachtete,

höchst zufriedenes,

seeliges Lächeln

über das ohnehin

sehr

freundlich

verklärend gutmüthige

Gesichts Georg stand schwankend zwischen Erstaunen

und wehmüthiger Rührung.

Oie Frage beschäf­

tigte ihn lebhaft, ob er hier wirklich Nataliens Eltern vor stch sehe; unwillkührlich näherte er

stch dem Vette, und aus den Zügen der darauf

Ruhenden trat ihm, wenigstens in Hinsicht der .Mutter, die Antwort sogleich deutlich entgegen,

denn die Ähnlichkeit mit Natalien war auffal­ lend groß; zugleich aber, wie er so in das blei­ che Antlitz niederschaute, von dessen milder Ho­

heit im Leben selbst der SoD

noch spracht da

stieg ihm ein schmerzlich süßes Gefühl an das Herz; er sah keine Unbekannte mehr vor sich

-4 es war ihm, der nie eine Mutter ge­

liegen,

kannt, jetzt auf einmal, als hätte er die geliebte, so oft vermißte Mutter e»tdlich gefunden; heiße Thränep füllten fssinf Augen, er streckte die Arme

voll Sehnsucht nach ihr aus; sein Herzblut hätt' er hingegeben, sich nur einmal noch Sohn nen­

nen zu Horen

von

diesen freundlichen Sippen,

die nun doch vielleicht auf ewig sich geschlossen

hatten!

Ohne der Umstehenden zu achten, kniete

er an dem Bette nieder, und faßte leise, sie mit die kalte Hand, die

seinen Thränen benetzend,

einst, so kam es ihm vor, seine. Kindheit lieb­ reich gepflegt und geleitet.

Als er sich empor .richtete, sah er ll^atalien neben sich stehn, deren Blicke mir Verwunderung

auf ihm ruhten.

Sie schien ihn sogleich zu er­

kennen; ein fluchtiges Roth überlief ihre Wan­

gen.

Georg stand auf,

und von der Empfin­

dung des Augenblicks hingerissen ergriff er gleich­ falls ihre Hand und führte sie an seine Lippen.

Ratalie zog sie nicht zurück. — In diesem Au­ genblick rasselte ein Wagen Marchese!«

in den Hof.

rief der Baron

hastig,

und

»Her

eilte

nach der Thür.

Natalie erschrack sichtlich und

ließ sich erbleichend auf einen Stuhl am Bette nieder. Oie Thür öffnete sich mit Geräusch; von dem

Daron begleitet trat ein ältlicher Mann

üoji

ho­

hen: Wuchs und edlem Anstand rasch herein und ging ernst und feierlich grade auf das Bett ^u.

Georg wich unwillkührlich auf die Seite; auch Natalie stand auf und trat etwas zurück.

We­

nige Schritte von dem Bett blieb der Freinde

stehen, streckte den ?lrm mit ausgespreizten Fin­ gern nach der Liegenden aus, und heftete unver­ wandt seine starren Blicke auf sie.

Ringsum

war alles still; kaum wagte ein halbunterdrück­

ter Athemzug sich leise aus einer Brust.

Selbst

der Daron stand sehr ernst erwartungsvoll dem Treiben des Fremden zuschauend. Mit den mannigfachen Regungen seines In­

nern beschäftigt, nahm Georg erst wenig wahr

von dem, waö um ihn her vorging; eine dumpfe

Bewegung jedoch, die mit halblauten Ausrufun­

gen und leisem Gesiister durch den Kreis der Um­ stehenden lief, zog

bald seine Aufmerksamkeit

26

Er sah alle Gesichter voll

wieder nach außen.

freudiger Erwartung nach dein Bette gerichtet,-

und o(e er hinblickte, bemerkte er, daß das Ge­ sicht der darauf Liegenden nicht mehr wie eines

Todten.

wie eines Schlummernden er­

fonDi'rn

Die bleichen Wangen belebten sich; um

schien.

den Mund zuckte ein inildes Lächeln; nach ei­ ner Weile beioegte sie die Lippen, als ob sie

sprechen wollte.

Oer Marchese hob, Etille ge­

bietend, die Hand auf.

leiser Stimme an;

Endlich

sing

|re mit

»»Seyd hur ganz ruhig, lie­

ben Kinder, eS wird alles gut.

Jetzt liegt al­

Auch meinen armem Georg

les klar vor mir.

hab' ich gesehen, den armen zweimal Verlornen. Er lebt.

Habt nur Geduld; ich' bring' ihn sei­

nem Vater wieder. Georgs Blicke

sielen indem auf seinen I7achbar- und er be­ merkte- daß der alte Mann dort drüben bitter­ lich weinte.

Immer schneller und unzusammenhängendec

durcheinander jagten sich indeß die Scenen auf dem großen Theater unten.

Es erschien ein un­

geheurer Spiegel ihm gegenüber, und als er hineinschaute, trat ihm statt seines eigenen Abbildes der junge Schauspieler, den er kürzlich gesehen,

drohend mit gezücktem Dolche daraus entgegen; darauf sah ec sich in einem Wäldchen am Ufer

eines Sees, OTatalie lag in seinen Armen, aus ihren Augen strahlte ihm das Morgenroth eines

neuen Lebens, aus der Holdseeligen Knospe ihres

Mundes brach das süße Geständni'ß ihrer Liebe; plötzlich wieder baute sich aus Wolken eine ge­ waltige Staffeley> er hatte ipinset und Palette in der Hand,

warf aber beides mit Entsetzen

von ffch, als er tvahrnahm, daß an der Stelle von Natalieilü Portrait, welches er malen wollte,

eine abscheuliche Fratze unter seinem Pinsel ffch auf der Leinwand gestaltete: darüber erhob der häßliche Äffe auf der Gletschetgallerie von neuem

sein widerliches Gelächter- unter ihm aber er­

scholl eine Stitnme herauf, die er alsbald für

die Stimme des

alten Schaufpieldirektorü er­

kannte, und die zornig rief: »Hier lacht man

nicht!«

— Indeß

hatte ffch der Schauplatz

schon wieder verändert.

Wie der alte Fürst irt

dem Trauerspiel, welches ^Georg vor wenig Tägen gesehen, lag der Marchese schlummernd auf einem Ruhebette; dieselbe weibliche Gestalt,' die vorhin als Braut vor dem Altare ständ, trat herein von deni jungen Schauspieler begleitet, dieselbe Scene aus dem Trauerspiel wiederholte

ffch, der Jüngling trat an das Bett und zielte mit dem

blinkenden

Dolche

nach

62

dem

Her-

3o

)

zen des Vaters.

Darüber entstand in dem un­

sichtbaren Parterre ein entsetzlicher Tumult; tau­

send Stimmen schrien durcheinander, doch lauter als alle schrie der Schauspietdircktor: »Gewalt!

Mord! Feuer! Laßt den Vorhang nieder! Löscht die Lichter aus!« — Heulend fuhr der Sturm aus den Klüften der Berge, ^)ie Erde bebte, das

Nordlicht

fiel prasselnd

vom Himmel

herab;

Georg befand sich auf einmal unten im Thal, in großer Angst sich Bahn machend durch das

Toben und Gedränges denn hinter stch erblickte er den Schauspieler, jetzt in Uniform, und den M-archesedie rhp beide mit gezogenem Degen

verfolgten, und welchen stch immer mehr und mehr von den Zuschauern anschlosfen, bis end­

lich, lawinenartig fortgezogen, der ganze Hau­

fe

stch hinter ihm

drein in

Bewegung setzte;

mitten darunter aber rennte der alte Schauspieldirektor und schrie: » er sey ein ruinirter Mann, das zerbrochene Icordlicht komme, ihn allein über

So Reichsthaler zu stehen

und sey im neusten

Geschmack gewesen, die zerrisstnen Dekorationen könne er noch gar nicht berechnen, man solle

ihm seinen Schaden doch nur einigermaaßen er­ setzen !« — So ging die tolle Jagd bergauf,

bergab; immer höher stieg Georgs Angst, immer näher kamen ihm seine Verfolger, denn an fei« neu Füßen schienen bleierne Gewichte zu hän­ gen; da nahm ein unmuthiger Buchwald ihn

auf, plötzlich ward

eö nun stille hinter ihm,

und fernab zur Seite verhallte der tosende Lärm. Erquickung und stiller Friede trat ihm aus den grünen Schatten entgegen und legte stch besänf­

tigend an seine hochktopjende Brust.

Ein Ge­

fühl überkam ihn, als ob er stch einer geliebten

Heimalh nahete,

und deiinoch nahm alles um

ihn her eine fremdartigere Gestakt an, je weiter

er fortfchritt.

Utibckannte Bäume tauchten ihre

Wipfel in den Morgenhimmel, Blunien von un­

gewöhnlicher Größ^ und Farbenpracht blühten zu seinen Füßen.

Endlich trat er auf einen

freien Platz, und vor ihm stand die schöne Frau mit dem Schleier, die er schon gesehen, und dje

ihn Sohn genannt.

Ein sanfter Schimmer schien

von der edlen Gestalt auszugehen, ihr Antlitz strahlte von seeliger Verklärung.

Mild lächelnd

38 streckte sie die Arme ihm entgegen.

überwästigt

von

Ergriffen,

einer Empfindung,

die jetzt

zum erstenmal seine Brust hob, sank er zu ihren Füßen nieder, schaute dann jir ihr empor und

konnte sich picht satt sehen an der unendlichen

Liebe und Güte dieses holden Angesichts und an

den dunkelblauen halb in Seeligkeit pnd halb in Wehmuth schwimnienden Augen. >> Mutter, meine

theure Mutter« rief er >» rneine arme Mutter!« Thränen benetzten

seine Wangen.

Sie neigte

sich za ihn» hinab und lispelte: »Georg, mein

geliebter Sohn, bringe deinem Vater und dei­ nem armen Bruder meinen Gruß!« — er wollte

ihre Hand fassen, da wich sie zurück, und ent­

fernte sich immer weiter tz§n ihm und weiter, und ihre Züge wurden immer undeutlicher, und immer dichtes hüllte sie der lange Schleier ein,

bis endlich die ganze geliebte Gestalt in ein lich­ tes Wölkchep zerfloß, das von der Morgensonne geröthet zum Himniel aufschwebte.

Don der heftigen Bewegung seines Innern

Erwachte er.

39

Viertes Kapitel,

Die Sonne warf ihre ersten Strahlen auf die

Wand des Zimniers^

langfain durch

-en

Eine goldige Wolke zog,

blauen Hinimel

fdjijfen&i

eben vor -em hohen Fenst?x vorüber.

»Mutter? kleine Mutter!« rief Georg Vaute

und streckte weinend, zitternd vor Freude, Schmerz und Sehnsucht seine Arnie der Fliehenden nach. Es dauerte lange, ehe er sich besinnen und

stch überzeugen konnte, daß er nur geträumt; allein auch dann, als er endlich es stch eingeste­ hen mußte, blieb doch feine ganze Seele davon

erfüllt und jm Innersten

ihres Wefentz auf­

geregt.

» Stein ede und versetzte fie_, indem es sich

mit der Erinnerung an seinen Eintritt in das Schloß und an seine Empfindung bei dem An­ blick von Nataliens Mutter verband,

in

eine

immer steigende unruhige Bewegung.

Er ging eben, Pinsel und Palette noch m dee Hand,

mit hastigen Schritten im Zimmer

auf und nieder, als die Thür sich öffnen

und

der Daron schnell einteetend ohne ein Wort zu sagen auf ihn zukam, vor ihm stehen blieb und

ihm, wie es schien,

von etwas Ungewöhnlichem

ergriffen, doch sehr freundlich Lnö Gesicht schaute. Georg wollte sich eben entschuldigen, daß^ ee

42 hier in

der fremden Wcrkstätte

als Herr und

Me-ster schalte, als jener, ahne darauf zu hö­ ren, ihn unterbrach.

"Ja« rief er »»es trifft

Die blapen Augen mit den schwarzen

alles zu!

Augenbrauen, die Irarbe an der Stirn, auch

der Name derselbe!

Und wie alt sind Sie?«

-»Drei und zwanzig Jahr!«

antwortete Ge­

org verwundert ui>d erwartungsvoll.

Sein Herz

klopfte. »'Sechs und siebzehn — Wichtig!«

Daron.

rief der

>> lliifr dieser unterstrichene Tag — ? « —-

Er hielt ihm einen Zettel mit verblichener Schrift hin.

Georg fing an zu lesen: » dieser Knabe hat

in der Taufe den Namen Georg erhalten, und

ist geboren den I2ten Nkärz------- « — Das ist mein Geburtstag"

sprach er« «wie mein Vatex

mir gesagt!«

Oer Varon streckte die Arme gegen ihn aus; seine Augen füllten sich mit Thränen.

»»So ist

eS wirklich wahr?« sprach er endlich mit beweg­

ter Stimme: mer Georg!

Unser guter Georg?

Unser ar­

Sy haben wir Dich wieder!«

Er

umarmte ihn, tlnfr drückte ihn an seine Brust.

43 Georg stand wie ein Träumender.

Er konnte

sich in ein Verhältniß, das er geahnt, ja ge­

wünscht hatte, jetzt da es ihm wirklich entgegen­ trat, nicht stndefi.

„Ach mein theurer Freund« fuhr der V^ron fort — sehen Sie mich nicht mit dieser fremden

Verwunderung an!

Sie sind kein Fremdling

mehr in diesem Hause. Don dem Augenblick an, wo Sie auf seiner Schwelle mit diesem Zetrel

gefunden wurden, galten Sie für ein Kind des­

selben.

Don meiner Schwester wurden Sie erzo­

gen; wir alle haben Sie so herzlich geliebt. Und als Sie auf eine

unbegreifliche Weise plötzlich

verschwanden, war es da nicht jedem von uns,

als hätte er seinen

eigenen Sohn

verloren?

Nun, Goth sey Dank, daß wir Hie wieder ha­

ben!

Oer kleine Georg hat sich freilich verän­

dert, und ist groß l^nd stattlich geworden, doch unsere Liebe ist immer noch die alte geblieben!«

Georg faßte, gerührt von dep Herzlichkeit,

mit welche»- fcec Daron sprach, die Hand^ destel-

ben, und

drückte sie an sein Herz, indem er

ihn bat, ihm seine Überraschung und sein Er-

44 staunen zu gut zu halten, besonders da er noch

immer nicht begreife, auf welche Art diese für ihn so wichtige Endeckung geschehen seyn könne.

»Ja so, daß wissen, Eie noch nicht?« sagte

der Daron. sollen.

»Damit hätte ich freilich anfangen

Die Geschichte ist ganz kurz diese.

Ei­

ner von den Leuten des Marchese, der vor sieb­

zehn Jahren in Diensten einer Frau von Wat-

lenrodt

stand,

Schlosse

half

damals 'Sie

und

entfuhren

begleitete

diesem

aus

dann

seine

Herrschaft zu dem alten Lorenz Haberland, wel­ chem sie übergeben wurden, und den« er seit die­

ser Zeit eine Reihe von Jahren hindurch jähr­ lich 'eine

ansehnliche zu

stimmte Summe

Ihrer Erziehung . be­

überbringen

Er sah

mußte.

Sie gestern, hörte Ihren Ramen,

und hielt es

für seine Pflicht, und alles zu entdecken.

übrigens jene Frau von Wallenrodt gewesen,

das-wissen

wir eben

so

eigentlich

wenig,

was sie vermocht, Sie uns zu rauben.

geht so viel aus der Erzählung

Wer

als

Indeß

btd Dienerd

hervor, daß sie wirklich Ihre.Mutter war und

ebendieselbe, die Sie fünf Jahre früher auf dec

45 Schwelle unsers Hauses auögeseHt hatte.

Doch

kommen Sie jetzt zu meiner Schwester, kommen

Sie geschwind!

Sie erwartet Sie mit Sehn­

sucht. «’ Er zog ihn mit stch fort.

Auf der Treppe

begegneten ste dem Bedienten des Marchese. Ge­ org wußte sich noch sehr deutlich zu erinnern,

den alten Munn mehrmals in dem Hause seines Hundert Fragen

PstegevaterS gesehn zu haben.

drängten stch auf seine Lippen; allein der B^ron

ließ ihm. jetzt keine Zeit dazu, sondern führte ihn in das Zimmer der Grästn.

Sie saß auf dem Soph^, über.

der Thür gegen­

Natalie stand »eben ihr.

Georg fühlte

stch beim Eintritt von einer Beklonimenheit,

ja

selbst Verlegenheit ergriffen, die ihm sonst frnnfr

war.

Doch so wie er stl^der Gräfin näherte,

und ihre Gestchtszüge" ihm

klar wurden,

schwand auch alsbald alle Scheu; und Liebe kamen

ver­

denn Güte

ihm' wie alte Bekannte aus

ihren freundlichen Augen entgegen, er fühlte stch nicht mehr fremd, siebzehn Jahre waren verges­

sen, und er war noch immer der geliebte Söhn

46 dieser freundsichen, geliebten Mutter.

Schwei­

gend und duech Thränen lächelnd reichte sie ihm die Hand^ er kniete innig bewegt vor ihr nieder

und drückte ihre Hand bald

an seine Lippen,

bald an seine Brust. »O meine theure Mutter! •
i[Dci ,

die Gespenster der Niitternncht. — Gr Fum nicht ohne einiges Grauen an der Höle iwriibei".

ihrer seheru

Cie war eiiigguuFeii,

und uon

vorigen Schöi/Heit wenig Spur rnehr zu —

Endlich c11 !u)te er den (du-'sel,

von

dein ans geräumigen! Wiesenplan die Gebäude

st'ch erhoben. derung,

liLhurnieS

OuS Slhloß zeigte keine Derän-

aber an der Stelle des pnr.ujre

eine Kirche,

gestrecktes Geb«'inde fugte sich war

das

neue Kloster,

in

alten runden

und

ein

an diese an.

welchen,

lang Es

Eleonore

als Äbkichin gebot. — Dor ihn, stand 3iebert, wir

in einer neu entdeckten Welt und die Flnien seiner Kindheit lagen in weiter neblicher Ferne hinter ihrn.

2^0

Ec ließ sich als Tempelri'kkcc melden, ohne

seinen Namen kund zu thun. daS der

in

Man führte ihn

Sitte gemäß durch ein (bitter ge­

theilte Sprachzimmer.

Eleonore

erschien

auf

der andern Seite mit gesenkten Augen, und nur,

als Robert zu sprechen begann, und die Töne wie

ein 2öi'ederball

der Vergangenheit an ihr Ohr

wogten, hob sie den Blick wie in träumendem

Sie schien die alten vertrau-

Erstaunen empor.

ten Züge aus dem gebräunten und gealterten,

von

gefurchten

Erfahrungen

Gesicht

zu

su­

chen, und als sie sie gefunden hatte, erblaßte

sie in freudigem Erschrecken.

Sie führte das

Kreuz auf ihrer Brust an ihre Lippen, und sank

in ihre Kniee, Gott für seine El Haltung zu dan­ ken.

Es war ein schöner Augenblick,

endlicher Wehmuth

und

Eeeligkcit.

voll un­

— Auch

Eleonore war nicht mehr das rosige Mägdlein, das er mit schwärmerischer Jugendliebe umfaßte,

aber sie war immer noch eine hohe schöne Frau, und er fühlte sich zu ihr,

wie sie zu ihm, mit

der reinsten himmlischen Liebe hingezogen.

Wohl

wußte

Roberts

aufgeklärter Geist, daß

.

-I die Vereinzelung

des , Menschen, aus welchem

frommen Glauben, sie

auch hervorgehen,,mag,

nicht seine naturgemäße Bestimmung seyn kann;

abe^ er fühlte auch, Dorurtheile giebt, man

daß es Verhältnisse ur^d

über-die sich lsinwegzusetzey

über die Menschheit erhqhey, seyn,

unter sie hinabsinken muß.

ydeL

Welches Mlück der

Wett hätte den zerstörten, Frieden dieser schönen Seele,

der sich in dem frommen. Gott ergebe­

nen, glänzenden Auge auösorach, . ersetzen kön­

nen? Braut,

Sie -war und blieb seine, holde verlobte aber der Morgen ihrer Hvchzeit. sollte

sie erst von einem andern schönern Himmel herab begrüßen, als der wolkentrübe dieser Erde.

/

In

dieser Stimmung

unterhielten

.

sie sich

lange in ernsten, aber wehmüthig freudigen Ge­

sprächen, und gaben sich gegenseitig. Kunde von ihren Schicksalen.

Das blonde Kind hatte Eleonore nicht wie­ der gesehen, .aber oft in den Stunden geistiger Heiligung seine Nähe vcrspürL,

und das Säu­

seln seiner lieblichen Töne vernvinmen, ja, als

sie ort dem Sterbelager ihres Vaters betete, war

ü

243

es iht gewesen,

als gewahrte sie durch ihren

Lhränenschleier hindurch

sein leichtes,

geistiges

Derschweben versöhnend an dem Sterbenden vor­

überziehen,

dessen von Gram und Reue durch­

furchten Züge sich, wunderbar beruhigt, im Tode

Der Versucher hatte es nicht

geglättet hatten.

gewagt, vor ihr zu erscheinen. nach

Robert fragte

den langen Schlaf.

Bernarda;

sie schlief

Benno war seiner Auflö­

sung nahe. — Er eilte zu ihm.

Dem ehrwürdigen Greise war es, als leuch­ tete eine Erscheinung aus der Welt,

wohin er

feine Reise anzutreten im Begriff war, in das

verschwindende Leben hinein.

Sein ganzes We­

sen blühte in milder Freudigkeit noch einmal, und wie ein bald

verlöschendes Licht flammte

sein Geist in Hellen Funken auf.

beschäftigungen

ihn her,

seines Lebens

Oie Lieblings­ reihten

stch um

und seine letzten Stunden waren wie

ein fortgesetzter Harfenton.

Aber die Freude,

die seine Kraft so lieblich aufgeregt hatte, er­

schöpfte ste auch.

Es war ein schöner Abend,

die rothen Lichter sahen durch die das Fenster

=43 I

umwankenden Zweige in die kleine Zelle. "(Er begehrte in

das Gärtchen geführt zu werden,

das feine Hände gepflegt hatten, und ip dem

die ersten Blumen des nahenden Lenzes erglänz­

ten. das

Hier ließ er sich in einer Laube nieder, Gesicht

gegen

Abendroth

das

v Stimm meine Harfe!«

habe ich

»»Mit dem Himmlischen

gewandt,

sptach er zu Robert.

nung hienieden abgeschlossen,

meine Rech­

und ich hoffe auf

meine Entlastung von der Gnade meines Erlö­

sers. -- Laß mich nun von dem Irdischen leicht und freudig grüßend scheiden! — Deine Ab­ schiedstunde ,

guter Robert,

freundlicher Umgebung dir die

Kraft

wird nicht in so

seyn,

verleihen,

aber Gott wird

die dem

abgelebten

Greise fehlen würde, und ein Engel wird Seiner

Todesschweiß abtrocknen. —« Robert griff tief und innig,

aber ohne quä­

lenden Schmerz bewegt in die mit sanftem Thrä-

nenthau beträufelten Saiten. Lieblingsweisen

des' Alten,

Er spielte einige

und fiel endlich in

folgendes fich aus seiner innersten Seele lodern*

gende Lied:

$44 Des Frühlings sanfte Farben fliegen

wohl brüutlich schmückend durch die Flur

und tausend Seyn, dem Nichts entstiegen, beleben freudig die Natur.

Horch! in den bläuen Himmelslüften die Lerche singt ihr fröhlich Lied; Mit feinen taufend Blütendüften

der Lenz durch unser Wesen zieht.



Tief in des Menschen Dusen legen sich Wonn'gefühle seltner Art,

und der Erinnerung Bilder regen

sich in dem Strahl der Gegenwart.

Und wie aus Glaubens lichten Fernen winkt uns das heil'ge Abendroth,

und sinkt die Nacht, führt zu den Sternen die Phantasie, wie einst der Tod. Mein Gott, an meines Lebens Neige, bring ich mein dankend Opfer dar!

Mein Geist zu deinen Himmeln steige^

wie er entsandt war, rein und klar!

Des Gehens Nküh'n, des Lebens Fehle Verschwimmen im Dollendungsglanz;

245 Empfang, o Herr, bie treue Seele, und reich

deiner Gi^ad" Zlrnnz!

Der Grins hatte laa-elnd und mit gefallenen Handen, u'Mermandt in das Abendroth schauend, £uqc(;-ört, und als die Lsöne des liSachspiels Der«

klangen,

Id a 1*

aulh feine

auf ihren Fittigen

froniine Seele dem Urquell alles Lichts zugezogen^

Robert

drückte

den

Aschiedkuß

aus

die

freundlich geschlossenen Sippen, und rvandte sich ermuthigend Mieder zum Leben, das ihn in seine harten, stählernen Arme preßte.

Es hatten jich Mißbräuche in die Häuser des DeinprlordenS eingeschllichen, mit deren Un*

tersuchung und möglichster Behebung er sich in

streng er Pflichterfüllung beschäftigte, als auch ihn mit einem

male der

große

unerwartete

Schlag traf, den die Feinde des Ordens in der

Filchierniß ihrer Herzen, und im Rache mit den

gehäßigsten Leidenschaften, so kunstvoll vorberei­ tet hatten.

246

Vierzehntes Kapitel. Die Vergangenheit hat ihren

dunklen Man-

tel über die Schicksale der Templer ausgebceitet,

und ihre Fehler wie ihre Leiden sind unterge­

gangen und verhallt und

in den

Stürmen der Zeit.

wogenden Fluten

Aber

das Andenken

jener Ungerechtigkeiten, jener Verirrungen des

menschlichen Geistes ist in leisen Tönen zu unS herübergedrungen.

Ihre Erzählung würde uns

fast komisch dünken, wenn sie weniger gräßlich wäre.

Der Drang der Ereignisse hatte sich gegen den Orden gewandt.

Oer Geist der Verfolgung, der

sich gegen ihn erhob, jenes Zeitalters,

trug die grellen Farben

daö, wie jedes andere seine ei­

genthümlichen Tugenden, so wie seine Gebrechen hatte. Wenn man die Beschuldigungen und Klage­

punkte,

welche damals gegen die Templer aus­

gestellt

und

geltend

gemacht wurden,

(i^t,

dünkt es einem fast unmöglich, daß der Aber­

witz und die Gewaltthat je so weit gehen konm

247 teil,

solche Dinge zu glauben, und auf solche

Dinge

tausende

und aber

tausende

rechtlicher

verdienstvoller unb angesehener Männer zu ver-

urtheilen, und unter den schrecklichsten Martern

zu morden^ um den schändlichsten aller Leiden­ schaften zu fröhnen.

die

fühlen,

Man würde sich versucht

Geschichte- in Zweifel

zu ziehen,

wenn über die Thatsachen nicht alle Geschicht­ schreiber

und

Partheien

einverstanden

wären.-

Wenn wir, durch die Romantik des Mittelal­

ters geblendet und men,

bestochen,

in Gefahr kom­

es zu sehr im Gegensatz unsrer Zeiten zu

überschätzen, so würden wir pur an den Prozeß

der Templer denkerr dürfen, um uns überglück­ lich zu fühlen,

daß wir im Anfang des neun­

zehnten, und nicht des vierzehnten Jahrhunderts leben,

wenn uns nicht auch zugleich die Erfah­

rung lehrte, daß List und Bosheit ihre Mittel überall und immer zu stnden und zu wählen

wissen, und daß nur jenes Zeitalter das barba­ rischere zu nennen sey,

in welchem die größte

Falschheit der Einpstndungen herrscht. — Sollte

man z. B. wohl glauben,

daß man einer geist-

248

Gesellschaft

lichen

christl/chee Ritter, die

ihr

2sut für die Gewinnung und Behauptung des getobten Landes fp oft vergossen, und fast allein

noch die letzten Reste der christlichen Herrschaft

gegen den

überlegenen ^Feind behauptet hatte,

unter andern, theils abschrulichen, theils nichtS/toürbig-en

und

lächerlichen

Punkten

und Be­

schuldigungen auch folgende Schuld gab:? Sie glaubten nicht an Gott, und der Ein­

geweihte müsse das Kreuz mit Füßen treten ünd anfpeien.

Sie verehrten ein Götzenbild, richteten an

dasselbe' ihr Gebet, und ^setzten'ihre Hoffnung darauf. Sie hegten ketzerische Lehren,

und pflogen

Männerliebe unter einander.

Sie hätten die todten Brüder verbrannt, und

ihre Asche den neu Aufgenommenen zu

trinken gegeben. S/e harren einen zauberischen Gürtel ge­

tragen,

unt) mit diesem angethan,

kein Ge­

setz geachtet. Sie dürften keiner Taufe beiwohnen.

349 Sie hätten

die von einem Tempelherrn

mit einem Weibe gezeugten Kinder am Feuee gebraten, und mit dem Fett X\yc. Götzenbild

gesalbt. (Softie waren die teuflischen und abgeschmack­

ten Beschuldigungen,

deren

Geständniß

man

mit den ausgesuchtesten Martern von ihnen er-

erpreßte,

und auf welche hin man keine Scheu

trug, sie öffentlich zu richten und zu verdam­

men,

weil ein beleidigter,

habsüchtiger Fürst,

gewaltthätiger

und

und ein gewissenloser Prie­

stch zu ihrem Untergange vereinigt hatten.

ster

Laster und Vergehungen,

deren Verdacht viel­

leicht einzelne auf stch gezogen hatten, inan

als

wälzte

Grundsätze auf einen ganzen großen

Orden frommer christlicher Ritter; Symbole und Bilder, in die nach der Sitte des Morgenlan­

des vielleicht^ manche geheime Lehre verhüllt war,

nahm die boshafte Dummheit nach ihrer rohen Ansicht, und verzerrte sie zu den ungeheuersten Fratzen.

So geschah es denn, daß Pabst Clemens dec

Fünfte, nach dem Begehr des Königs Philipp

2jO

durch dis berüchtigte Bulle: cordiam»

den Tem^elorden

»Fadens miseriaufhob,

und der

Willkühr' seiner grausamen Verfolger übergab.

Oie Vorbereitungen aber

waren

zu

dem

großen

Schlage

so geheim getroffen und gehalten

worden, daß die Ritter in aller Sicherheit über­

rascht und

in

ganz

Frankreich zu

derselben

Stunde eingezogen wurden. Die Theilnahme der Lesewelt ist neuerdings

durch

geschätzte Dichter für dieses

große ge­

schichtliche Trauerspiel erregt worden,

und ich

verweise auf Werners Söhne des Thales und Reynouards Templer, um hier

über manches

schneller hinweggleiten zu können.

Fünfzehntes Kapitel. Robert war in Lyon verhaftet worden, und je mehr er im Rufe der Gelehrsamkeit stand, je

mehr war man auf allen Wegen der Güte und

2jO

durch dis berüchtigte Bulle: cordiam»

den Tem^elorden

»Fadens miseriaufhob,

und der

Willkühr' seiner grausamen Verfolger übergab.

Oie Vorbereitungen aber

waren

zu

dem

großen

Schlage

so geheim getroffen und gehalten

worden, daß die Ritter in aller Sicherheit über­

rascht und

in

ganz

Frankreich zu

derselben

Stunde eingezogen wurden. Die Theilnahme der Lesewelt ist neuerdings

durch

geschätzte Dichter für dieses

große ge­

schichtliche Trauerspiel erregt worden,

und ich

verweise auf Werners Söhne des Thales und Reynouards Templer, um hier

über manches

schneller hinweggleiten zu können.

Fünfzehntes Kapitel. Robert war in Lyon verhaftet worden, und je mehr er im Rufe der Gelehrsamkeit stand, je

mehr war man auf allen Wegen der Güte und

iet Schärfe, durch Überredung, Versprechungen

und Drohungen bemüht, ihm Geständnisse ab-

zugewinnen, oder durch Furcht abzupressen, von

welchen man einen so sieghaften Gebrauch hätte Er

machen können.

wies alle diese Versuche

mit dem Lächeln der Verachtung ab, und be­

schäftigte

sich

mit einer schriftlichen Vertheidi­

gung des Ordens,

die,

obwohl

fruchtlos,

alle andere ähnliche Bestrebungen, den

Annalen

dec

Geschichte

mit

wie

dennoch in Ehren

er­

wähnt ist.

Da trat ihm noch einnial der Versucher nahe

und näher als je, indem er sich mit den geheim­ sten Wünschen seines Herzens, den anmuthigsten Bildern seiner Einbildungskraft verband.

Sein Jugendfreund Wilhelm war, wie schon erwähnt einer der vertrautesten Räthe und Mi­

nister des Königs von Frankreich.

erwartet

in

das

Gefängniß.

Er trat un­ Mit

höstscher

Feinheit und Gewalt sein Inneres hütend und

bewahrend,

rief er alle Machte der Erinnerung

zu Hülfe, um in Roberts erweichtem Geinüth

wieder aufzuleben, im Nimbus der gemeinschaft-

252 Er verbreitete fllh

lich verlebken Jugendjahre.

über die Spiele ihrer Kindheit,

er sprach mit

Rührung von den Schicksalen, die sie aus ein*

und mit Reue von

anderrissen, sich

dabei

vorzuwerfen

zu

was ec

dem,

haben

bekannte.

Nur jetzt, als ei; Roberten aufs innigste gerührt

und in seinen Augen die Perlen freudiger Weh­ muth erglänzen sah,

wagte er es, mit seinen

Planen und Vorschlägen naher hervor zu treten.

Er schtvur, alles anzuwenden, utti den Gefähr­ ten,

den Bruder seiner Jugend dein unverdien­

ten gräßlichen Geschick zu entreißen.

Und nun

suchte er ihm zu beweisen', daß nichts schneller, sicherer und erlaubter zu

könne,

diesem' Ziele führen

als das freiwillige Eingeständniß

dem Orden gemachten Beschuldigungen.

süh?e wohl,«

sprach er:

»»Ich

»wie ein edles Herz

sich dawider empören mag, manches davon unerwiesen,

gar lächerlich seyn kann.

dec

ich glaube,

daß so

übertrieben, ja so­ Aber der König hat

den Untergang des Ordens geschworen, der Pabst ist mit ihm einverstanden,

Dorwand,

man braucht einen

und der' beste ist das Selbstgeständ-

253

,

niß der Ritter, indem sie alle Wei'tläuftl'qkciten

gehässiiger

DaS Rad des Verhängnisses

eS

aufzuhalten,

zermalmt.

Wer in

Untersuchungen * entfernt.

wird von

greifen

will,

um

feinem Umschwung

Wer ihn zu benutzen versteht, wird

auf die Höhe menschlicher Größe und Glückse­

und Tod

ligkeit gehoben.-.— Schande, Elend ist das unvermeidliche Loos dessen,

der frucht­

los widerstrebt; aber nicht nur Verzeihung, son­ dern

auch Belohnung erwartet den klugen Be­

kenner.

Oer Pabst

verspricht Vergebung aller

reumüthig gebeichteten Sünden: und die Indi­

viduen sind gerettet, wenn das Band des Gan­ zen zerstäubt.

Deshalb wünscht der heilige Va­

ter Ergebung und G^ständniß,

und wird dieje­

nigen mit geistlichen und leiblichen Schätzen be­

lohnen, die Ansehn und Gewicht genug haben, ihre Brüder zu dem gewünschten Ziele zu leiten,

und davon zu deren eigenem Besten Gebrauch zu machen. «

Als Wilhelm

so

die Grundsätze

schwankend gemacht zu

haben

Roberts

glaubte, fügte

er nun noch den letzten Angriff hinzu, um sei-

254' neu

(Sieg übet ihn zu vollenden.

nun noch,« nung,

so schloß er,

durch

»Laß

mir

»die tröstliche Hoff­

die Bemühungen

meines spätern

einstußreichen Lebens ein Glück wieder herzustes, len, welches ich in meiner leidenschaftlichen Ju­

gend frevelnd

zerstörte, das J^füdE der beiden

theuersten Wesen,

die mir in der Welt wurden,

und die ich getrennt zu haben mir nie verzei­

hen konnte.

Ich spreche von Eleonoren und Dir.

Ich weiß, ihr bliebt euch noch; dein Gelübde ist gelöst,

und das ihrige vom Pabst lösen zu las­

sen, ist auch jetzt noch nicht unmöglich geworden. Auf irgend

einer abgelegenen Burg, vergessen

von der Welt,

und durch euch

aber selig in

selbst, lebt ihr das Leben der Kindheit noch ein­ mal zurück, und ich rette mich zu euch, wenn

ich

mich, zerschlagen

von

den

Stürmen

dec

Welt, nach dem Hafen der Ruhe sehne.« Robert schwieg, tief in sich versunken.

Wie

Kinder zwischen Blumen und Bküten spielend

auf sonnbegtänzter Au, gaukelten rosige Bilder der Zukunft vor seiner Seele.

Aber bald erhob

sich in ihm daü Gefühl der Pflicht, des ewigen

=55 Ein ungeheu­

Rechts und der eigenen Würde.

rer Schmerz durchzuckte ihn, jenem vergleichbar,

als er

einst,

vom

Freiherrn vertrieben,

alten

die Burg seiner Hoffnung und Seligkeit verließ.

Aber

mit gefaßtem

Ernste

wandte er stch zu

dem trauernden Freunde, und sprach: glauben, Wilhelm, gendfreund,

nicht

daß der

«Ich will

nur der liebende Ju­

wett -

und

Rath Philipps aus dir spricht.

ftaatskluge

Es würde mich

selbst in diesem Augenblicke noch mehr atü alles

Andere schmerzen, müßte.

anderes

ich

wenn

glauben

Ich danke dir daher, aber ich bitte dich

vor allen Dingen,

du retten willst.

den Freund zu achten,

Mit

welcher

Stimme,

den mit

welchem Herzen sollt' ich vor daü Leben treten, das ich selbst entwerthele?

ein ewi­

Es giebt

ges, unveräußerliches, unabänderliches Recht dec

Wahrheit; die Stimme der Gegenwart kann es übertäuben und unterdrücken,

aber der Spruch

einer

unbestochenen

her.

Oer Orden ist nicht fehler- und flecken­

frei,

denn er ist Menschenwerk,

Nachwelt

stellt

es

wieder

aber bei dem

lebendigen Gott! er ist rein von den unsinnigen

256 Gräueln, Vie man ihm anschuldigen will.

König und seine Henker könyen

unS

Dein

morden,

aber sie können nicht gebieten über die Segnun­

gen . und Verwünschungen der Geschichte, deren Gericht uns alle erwartet.

Mit diesem Bewußt­

seyn und diesem Bekenntniß im Hekzen und auf

den ßippen,

hoff'

ich»

meines Gottes,

meines

Ordens und meiner selbst nicht unwürdig,

in

Ketten

als

ein

freier

auch

sterben.

Mann zu

Sage dies, wem es zu sagen 97otl) thut,

und

überlasse mich dem Schicksal, welches mich nur

durch die Zulassung Gottes

und nach

seinem

unerforschlichen Rath crgreifeq kann! « Nicht ohne Beschämung stch

allgewaltig

entfernte sich der

dü-nlende Nlinister,

alle seine

Künste vergebens gegen einen Mann aufgeboten

zu haben, der furchtlos dem schmählichsten Tode inü Auge sah.

,

=57

Sechzehntes Kapitel. Otoüerfö Seele war noch nicht beruhigt, als die Dhüre des Gefängnisses sich abermals öff­

nete, und Astanin hereintrat. Robert wandte sich von ihm ab.

«Ich sehe wohl,«

»du

sprach jener lächelnd,

hast deine Dorurtheile gegen mich nach

nicht abgelegt.

Dennoch fühl ich mich gezogen,

dir auch gegen deinen Willen noch einmal meine hülfreiche Hand zu bieten,

Aber merke es wohl,

Robert, es ist das letzte mal.

Ich werde dir

nicht, wie der aberwitzige Wilhelm anmuthen,

dich selbst durch ein schändliches Bekenntniß vor Welt und Nachwelt zu entehren, und daraus kannst du die bessere Quelle beurtheilen, aus

welcher dir die Hülfe der Freundschaft kommt.« „Ich vertraue dem Siege dec Wahrheit,«

sagte Robert, » und der Gnade Gottes,

die mir

verleihen wird, ihr Wort in dieser meiner Schrift ertönen zu lasten.

„Das ist nicht wahr,« entgegnete der Grot­ tenjunker kalt und ruhig«

„Du bist kein so un-

258 um dieser Hoffnung Glauben

erfahrnes Kind,

geben zu

Eonnen

können.

Deine Buchstaben

könnten

seyn, und mit Donnerstimmen reden,

und sie würden die Finsterniß und dre Taubheit

dieser Herzen doch weder erhellen,

noch durch­

dringen. — Aber Frankreich ist nicht die Wett,

und was hier Falschmünzer als Recht stempeln, gilt darum noch nicht dafür jenseits des Rheins oder der Pyrenäen.

des großen

Auch dort löste das Wort

Pfaffen den -Orden

Fürsten lasten

sich

auf,

und die

feine Güter gut schmeckens

aber der persönliche Charakter seiner Mitglieder blieb unangetastet von der giftigen Hand

der

Derläumdung, und ein erlaubter und gerechter Widerstand entkräftete die Gewalt ihrer Feindec

So trat der Präreptor von Deutschland, Hugo

Wildgraf vom Rhein,

muthig

an die Spitze

der Brüder vor dem Erzbischoff von Maynz,

der im Ramen des Pabstes richten wollte,

ver­

wahrte den Orden gegen allen Unglimpf,

und

appcllirte an ein künftiges gerechteres Oberhaupt

der Kirche. dannen,

Frei und in Ehren gingen ste von

und Hugo ladet dich ein,

der Worte

259 seines Abschieds eingedenk zu seyn,

und zu ihm

in ein besseres Vaterland zu eilen. '< Mit diesen Worten

überreichte er dem stau­

nenden Robert ein Drieflein, und fuhr,

als die­

ser gelesen hatte, weiter fortr

Ich bringe dich zu ihm, wenn du mir tw

frdi^t, und willst du nicht Allein ziehen, so sind mir De Mauern

deS neuen Frauenmünsters zu

Belley weder *