Das Bewässerungsdispositiv: Staatliche Strategien, lokale Praktiken und politisierte Räume in Kenia [1. Aufl.] 9783839431672

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Das Bewässerungsdispositiv: Staatliche Strategien, lokale Praktiken und politisierte Räume in Kenia [1. Aufl.]
 9783839431672

Table of contents :
Inhalt
1 Einleitung
1.1 Relevanz und Abgrenzung des Forschungsgegenstands
1.2 Konzeptioneller Ansatz
1.3 Aufbau der Arbeit
1.4 Einführung in das Fallbeispiel und das Untersuchungsgebiet
2 Konzeptioneller Teil
2.1 Perspektiven der Gesellschaft-Umwelt-Forschung
2.2 Dispositive der gesellschaftlichen Naturverhältnisse
2.3 Das Bewässerungsdispositiv
2.4 Zusammenfassen der Forschungsfragen
3 Methodisches Vorgehen
3.1 Forschungsdesign
3.2 Positionalität und Situiertheit
3.3 Auswahl des Untersuchungsstandorts und der Gesprächspartner
3.4 Das Untersuchungsverfahren
3.5 Kapitelübersicht
4 Rationalitäten der Bewässerungspolitik in Kenia
4.1 Die koloniale Gouvernementalität
4.2 Postkoloniale Rationalitäten
4.3 Partizipation – liberale Regierungsweisen
4.4 Rationalitäten der landwirtschaftlichen Produktion
4.5 Zwischenfazit – Rationalitäten der kenianischen Bewässerungspolitik
5 Die Reskalierung des Wassermanagements von staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia
5.1 Disziplinierende Regierungspraktiken und das System der Kontrolle – das staatliche Management in Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia (1960er-1990er)
5.2 Neuer Wind in der landwirtschaftlichen Produktion – demokratische und liberale Entwicklungen (1990er-Jahre bis heute)
5.3 Die Reskalierung der institutionellen Architektur des Perkerra-Bewässerungssystems – neue Governance Spaces entstehen
5.4 Reskalierungen im Wassersektor – der Water Act 2002
6 Verräumlichungen und Materialitäten des Bewässerungsdispositivs
6.1 Die Siedlungen um das Bewässerungssystem – Ordnung und Entwicklung
6.2 Landbesitzverhältnisse und landwirtschaftliche Aktivität in den Siedlungen
6.3 Die basalen gesellschaftlichen Naturverhältnisse – Arbeit, Bildung, Ernährung und Landnutzung
6.4 Zwischenfazit – klassifiziertes Leben?
7 Der Vertragsanbau als Machttechnik im Perkerra- Bewässerungssystem
7.1 Inklusion und Exklusion im Vertragsanbau
7.2 Die Pluralisierung der Institutionen-Landschaft
7.3 Widerstand im Vertragsanbau
7.4 Zwischenfazit – von Anbaupraktiken und Steuerungstechniken
8 Identitäten und Subjektivierungen des Bewässerungsdispositivs
8.1 Ethnisierte Subjekte und die Landfrage
8.2 Indigenität und Ethnizität als politische Ressource
8.3 Everyday Politics – Ethnizität im Alltagsdiskurs lokaler Wasserpolitiken
8.4 Zwischenfazit – Ethnisierte Identitätspolitiken
9 Das Bewässerungsdispositiv – eine abschließende Betrachtung
9.1 Der Wandel des Dispositivs
9.2 Effekte des liberalen Dispositivs: neue Governance Spaces und Partizipation
10 Literaturverzeichnis
Anhang
Abbildungsverzeichnis
Kartenverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Diagrammverzeichnis
Fotoverzeichnis
Glossar

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Johanna Kramm Das Bewässerungsdispositiv

Sozial- und Kulturgeographie

Band 10

Johanna Kramm (Dr. rer. nat.) promovierte am Geographischen Institut der Universität Bonn. Sie arbeitet am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt am Main, wo sie sich mit Fragen zur Wasser-Governance in Ländern des globalen Südens beschäftigt.

Johanna Kramm

Das Bewässerungsdispositiv Staatliche Strategien, lokale Praktiken und politisierte Räume in Kenia

Zugleich Dissertation an der Universität Bonn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2015 transcript Verlag, Bielefeld

Die Verwertung der Texte und Bilder ist ohne Zustimmung des Verlages urheberrechtswidrig und strafbar. Das gilt auch für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Verarbeitung mit elektronischen Systemen. Umschlagkonzept: Kordula Röckenhaus, Bielefeld Umschlagabbildung: Johanna Kramm, Perkerra-Bewässerungssystem Kenia, 2011 © Johanna Kramm Printed in Germany Print-ISBN 978-3-8376-3167-8 PDF-ISBN 978-3-8394-3167-2 Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff. Besuchen Sie uns im Internet: http://www.transcript-verlag.de Bitte fordern Sie unser Gesamtverzeichnis und andere Broschüren an unter: [email protected]

Inhalt

1

Einleitung | 15

1.1 1.2 1.3 1.4

Relevanz und Abgrenzung des Forschungsgegenstands | 19 Konzeptioneller Ansatz | 20 Aufbau der Arbeit | 22 Einführung in das Fallbeispiel und das Untersuchungsgebiet | 25

2

Konzeptioneller Teil | 31

2.1 2.2 2.3 2.4

Perspektiven der Gesellschaft-Umwelt-Forschung | 31 Dispositive der gesellschaftlichen Naturverhältnisse | 35 Das Bewässerungsdispositiv | 51 Zusammenfassen der Forschungsfragen | 67

3

Methodisches Vorgehen | 71

3.1 3.2 3.3 3.4 3.5

Forschungsdesign | 71 Positionalität und Situiertheit | 73 Auswahl des Untersuchungsstandorts und der Gesprächspartner | 80 Das Untersuchungsverfahren | 83 Kapitelübersicht | 99

4

Rationalitäten der Bewässerungspolitik in Kenia | 101

4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Die koloniale Gouvernementalität | 102 Postkoloniale Rationalitäten | 109 Partizipation – liberale Regierungsweisen | 116 Rationalitäten der landwirtschaftlichen Produktion | 120 Zwischenfazit – Rationalitäten der kenianischen Bewässerungspolitik | 122

5

Die Reskalierung des Wassermanagements von staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia | 125

5.1

Disziplinierende Regierungspraktiken und das System der Kontrolle – das staatliche Management in Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia (1960er-1990er) | 126 Neuer Wind in der landwirtschaftlichen Produktion – demokratische und liberale Entwicklungen (1990er-Jahre bis heute) | 135 Die Reskalierung der institutionellen Architektur des Perkerra-Bewässerungssystems – neue Governance Spaces entstehen | 143 Reskalierungen im Wassersektor – der Water Act 2002 | 166

5.2 5.3 5.4 6

Verräumlichungen und Materialitäten des Bewässerungsdispositivs | 173

6.1

Die Siedlungen um das Bewässerungssystem – Ordnung und Entwicklung | 175 Landbesitzverhältnisse und landwirtschaftliche Aktivität in den Siedlungen | 181 Die basalen gesellschaftlichen Naturverhältnisse – Arbeit, Bildung, Ernährung und Landnutzung | 187 Zwischenfazit – klassifiziertes Leben? | 208

6.2 6.3 6.4 7

Der Vertragsanbau als Machttechnik im PerkerraBewässerungssystem | 209

7.1 7.2 7.3 7.4

Inklusion und Exklusion im Vertragsanbau | 210 Die Pluralisierung der Institutionen-Landschaft | 235 Widerstand im Vertragsanbau | 237 Zwischenfazit – von Anbaupraktiken und Steuerungstechniken | 240

8

Identitäten und Subjektivierungen des Bewässerungsdispositivs | 245

8.1 8.2 8.3

Ethnisierte Subjekte und die Landfrage | 249 Indigenität und Ethnizität als politische Ressource | 261 Everyday Politics – Ethnizität im Alltagsdiskurs lokaler Wasserpolitiken | 270 Zwischenfazit – Ethnisierte Identitätspolitiken | 279

8.4

9

Das Bewässerungsdispositiv – eine abschließende Betrachtung | 283

9.1 9.2

Der Wandel des Dispositivs | 283 Effekte des liberalen Dispositivs: neue Governance Spaces und Partizipation | 292

10

Literaturverzeichnis | 295

Anhang | 317 Abbildungsverzeichnis | 317 Kartenverzeichnis | 317 Tabellenverzeichnis | 317 Diagrammverzeichnis | 319 Fotoverzeichnis | 319 Glossar | 325

Abkürzungen

ALDEV ASALs ASDS CCPR CDF DAO DC DIE DO ECK ESP FAO HCU HH IEBC IIBRC IMT IUWA KARI KES KTDA Ltd MP NARC NGO NIB NORAD ODM O&M

African Land Development Unit Arid and Semi-Arid Lands Agriculture Sector Development Programme Covenant on Civil and Political Rights Constituency Development Fund District Agricultural Officer District Commissioner Deutsches Institut für Entwicklungspolitik District Officer Electoral Commission of Kenya Economic Stimulus Programme Food and Agriculture Organization of the United Nations Horticultural Cooperative Union Haushalt Independent Electoral and Boundaries Commission Interim Independent Boundary Review Commission Irrigation Management Transfer Irrigation Water Users Association Kenya Agricultural Research Institute Kenyan Shilling, kenianische Währung Kenya Tea Development Agency Abgeordneter (Member of Parliament) National Rainbow Coaltion, Regierungspartei von Kibaki Nichtregierungsorganisation National Irrigation Board Norwegian Agency for Development Cooperation Orange Democratic Movement, kenianische Oppositionspartei Betrieb und Wartung (Operation and Maintenance)

10 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

PC PIM PRA RUA SACCO SCDA TN UN UNCTAD UNDP WASREB WRMA WUA

Provincial Commissioner Participatory Irrigation Management Participatory Rural Appraisal River User Associations Saving and Credit Co-operative Special Crops Development Authority Teilnehmer United Nations United Nations Conference on Trade and Development United Nations Development Programme Water Services Regulatory Board Water Resources Management Authority Water Users Association

Zusammenfassung

Bewässerungslandwirtschaft ist ein komplexes Unterfangen, denn hinter dem Transport von Bewässerungswasser steht ein komplexes Gefüge von Steuerungsprozessen, zu denen Praktiken, Techniken, Rationalitäten und Regeln gehören, um sozial-ökologische Prozesse zu steuern und zu organisieren. Diese Arbeit untersucht dieses Gefüge, das als ein Dispositiv der gesellschaftlichen Naturverhältnisse verstanden wird, und legt dabei einen Schwerpunkt auf Governancefragen von großflächigen staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia. Das Ziel der Studie ist es, die Transformationen des kenianischen Bewässerungssektors und die Auswirkungen der Veränderungen auf die alltäglichen Praktiken in Siedlungsbewässerungssystemen zu verstehen. Während an der Geographischen Entwicklungsforschung mangelnde kulturtheoretische Bezüge kritisiert werden (Lossau 2012), kommt in letzter Zeit innerhalb des poststrukturalistischen Kulturgeographie-Lagers die Kritik an der reinen Konzentration auf Zeichen und Sprache sowie an der fehlenden Berücksichtigung von sozialen und materiellen Phänomenen auf (Thrift 2008; Strüver und Wucherpfennig 2009). Diese Arbeit versucht mit einer rekonstruktivistischinterpretativen Dispositivanalyse, diese Forschungslücke zu bearbeiten. In Anlehnung an die Arbeiten von Foucault (2003), Dean (2010) und Bührmann und Schneider (2012) wird Bewässerung als ein Dispositiv der gesellschaftlichen Naturverhältnisse gefasst. In der Arbeit werden die Elemente des Bewässerungsdispositivs untersucht und die mit dem Dispositiv verbunden Gouvernementalitäten und Verräumlichungen beleuchtet. Die Untersuchung basiert auf empirischer Feldforschung in Kenia. Es wurden sowohl mit qualitativen wie auch mit quantitativen Methoden Daten erhoben. Da im Zentrum der Arbeit die Transformation des Dispositivs steht, untersuchte die Arbeit zunächst dessen Entstehung: Dispositive entstehen als Lösungsversuch für ein Problem und haben eine strategische Funktion. In Kenia er-

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füllten die ersten großflächigen Bewässerungssysteme vor allem die Sicherung des politischen Machterhalts des Kolonialstaats. Siedlungsbewässerungssysteme waren in den 1950ern bis 1970ern große Entwicklungsprojekte: Land wurde verstaatlicht und Menschen wurden dort angesiedelt. Die Managementpraktiken der Systeme dieser Zeit waren durch eine zentralistische top-down-Steuerung gekennzeichnet, mit dem Ziel, die angesiedelten Menschen zu kontrollieren, zu disziplinieren und somit zu landwirtschaftlich produktiven Subjekten zu formen. Im historischen Abriss dieser wird deutlich, dass das Bewässerungsdispositiv vor den letzten Reformen als ein disziplinierendes zu verstehen ist. Die Transformation des Bewässerungsdispositivs ist vor dem Hintergrund der spezifischen Vorgänge der 1990er-Jahre in Kenia zu betrachten: Demokratische Prozesse und wirtschaftliche Engpässe führten zu einem Aufstand der Bauernschaft im größten staatlichen Bewässerungssystem in Kenia und zum Kollaps weiterer Bewässerungssysteme. Die Umbrüche in der Governance des kenianischen Bewässerungssektors werden in der Arbeit als skalare, widerständige Praktiken der Bauernschaft untersucht. Diese Umbrüche bewegten den Staat dazu, partizipative Reformen umzusetzen (Irrigation Management Transfer). Die Auswirkungen der partizipativen Managementreform und der dadurch entstehende Governance Space werden anhand des Beispiels des PerkerraBewässerungssystems untersucht: Es werden die sich wandelnden Managementtechniken und -praktiken eines partizipativen Managements in Perkerra beleuchtet. Die Auswirkungen der Liberalisierung der Landwirtschaft werden am Wandel der Anbaupraktiken untersucht, dabei werden der Vertragsanbau und der nicht-vertragliche Anbau im Bewässerungssystem verglichen. Mit den Reformen wurde auch eine Privatisierung des staatlichen Landes vorgesehen. Dies führte zu einer Politisierung der Landfrage im Perkerra-Bewässerungssystem. Hier zeigt sich, wie Ethnizität als politische Ressource eingesetzt wird. Bestimmte Argumentationsbausteine von Identitätspolitiken werden zu machtvollen Deutungs- und Erklärungsmustern, die in den Aushandlungsprozessen um natürliche Ressourcen wie Land und Wasser von verschiedenen Akteuren eingesetzt werden. Dies alles lässt auf einen Wandel des disziplinären Dispositivs zu einem liberalen Dispositiv schließen, in dem der neue Governance Space als politisierter Raum verstanden werden muss. Die abschließende Betrachtung führt die einzelnen Elemente zusammen und diskutiert den Wandel des Bewässerungsdispositivs zusammenfassend.

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei all den Menschen bedanken, die es mir möglich gemacht haben, diese Arbeit zu schreiben. Ich bedanke mich bei Prof. Bohle für die lehrreiche Zeit und die stetige Unterstützung. Dass er so früh von uns gehen musste, bleibt unbegreiflich. Ein großer Dank geht auch an Prof. Dittmann, der mir die Tür zu den Welten Afrikas öffnete. Ein herzlicher Dank geht an Prof. Tröger für ihre intensive Lehre und die Vertretung von Prof. Bohle in der Verteidigung. Ich möchte mich bei meinen Mitstreitern der Arbeitsgruppe Bohle für den wunderbaren Büroalltag bedanken, der nie langweilig wurde. Ich danke meinen Kollegen Michael Eichholz, Sebastian Homm, Benjamin Etzold, Patrick Sakdapolrak, Markus, Keck und Anna Zimmer. Vielen Dank für die Diskussionen mit Euch, für Eure Ratschläge und für die stets gute Stimmung und die Erheiterungen im doch manchmal tröge werdenden Diss-Schreibe-Alltag. Ich möchte mich auch bei Florian Weisser und Julia Willers für die gute Betreuung in der „Endphase meiner Diss“ bedanken. Zudem möchte ich mich bei Nele Thiemann, Anne Dahmen, Tatjana Heid, Julia Pfitzner, Konstanze Kampfer, Britta Lang, Domi Schneider, Christian Sefrin, Nico Stappert, Jochen Burger und Felix Hewel für die Unterstützung bedanken. Weiterer Dank gilt meinen Forschungsassistenten Paulo Macharia und Patricia Ledaa und allen Menschen in Kenia, die mir Einblick in ihren Alltag gegeben haben. Abschließend danke ich ganz herzlich meiner lieben Familie, die immer für mich da waren und sind.

1 Einleitung

Szene 1: Ich sitze in meinem Büro und betrachte zwei Satellitenbilder. Beide zeigen Bewässerungssysteme im ostafrikanischen Grabenbruch. Das eine zeigt ein Muster, das einem kleinteiligen Mosaik aus vielen unterschiedlich großen grünen und braunen Flecken gleicht, das andere zeigt ein Muster aus langgezogenen, gleichmäßigen Rechtecken, die ordentlich aneinandergereiht sind. Beides sind kleinbäuerliche Bewässerungssysteme, jeweils um die 500–800 ha groß: das erste ein „gewachsenes“ in Tansania und das zweite ein staatlich geplantes in Kenia. Ich betrachte die geometrischen Formen und die geordnete Struktur des kenianischen Siedlungsbewässerungssystems1 – das Perkerra-Bewässerungssystem im kenianischen Grabenbruch –, das ich untersuche. Dieses geplante Bewässerungssystem stellte ein großes Entwicklungsprojekt dar. Welche Strukturen und Machtverhältnisse standen hinter der Umsetzung dieses Großprojekts? Wie wurden die Menschen dort angesiedelt? Wie wurde die landwirtschaftliche Produktion dort eingeführt? Szene 2: In Nakuru in Kenia steige ich um in das Matatu – einen Minibus des öffentlichen Verkehrs – und fahre nach Marigat. Hinter Nakuru sind die Wiesen noch grün, doch dann wird die Landschaft immer karger und es wird wärmer. Die Wasserreservoirs, an denen wir vorbeifahren, sind bis auf wenige matschige Pfützen trockengefallen. Es weht ein warmer, staubiger Wind durch das Fenster. Ich schlage die Zeitung auf. Es wird über die anhaltende Dürre, die vor allem im Norden Kenias, aber auch in Teilen der Baringo-Region herrscht, in die ich fahre, berichtet. Nach fast zwei Stunden überqueren wir die Brücke, die über den Perkerra-Fluss führt. Ich werfe einen Blick in die Schlucht, aus der der PerkerraFluss bei Marigat heraustritt, und sehe ein steiniges, fast trockenes Flussbett – nur in schmalen Rinnsalen schlängelt sich das Wasser zwischen den Steinen hin-

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Im Englischen wird von settlement irrigation scheme gesprochen, was hier als Siedlungsbewässerungssystem übersetzt wird.

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durch. Schließlich hält das Matatu an der Bushaltestelle in Marigat. Ich steige aus und sofort werden mir Melonen, Tomaten und Mangos angeboten. Die Marktstände sind voll mit frischem Obst und Gemüse aus dem Perkerra-Bewässerungssystem. Viele Menschen in Kenia sind auf die Landwirtschaft zur Lebenssicherung angewiesen. Angesichts dessen frage ich mich, wie die Bewässerungslandwirtschaft in semi-ariden Regionen, die durch Wasserknappheit ausgezeichnet sind, organisiert ist. Szene 3: Mein Forschungsassistent und ich gehen am Hauptkanal entlang, der das Wasser zum Perkerra-Bewässerungssystem bringt, und treffen zwei Freunde meines Assistenten. Sie haben gerade mit dem Stamm einer Bananenstaude Wasser aufgestaut und leiten es in einen kleinen Seitenkanal um. Beide stehen mit ihren Pangas – den Buschmessern – in der Hand am Kanal, mit denen sie zuvor den Stamm geschlagen haben. Ein junger Mann kommt dazu. Er wollte gerade sein Feld bewässern, sagt er, aber dann sei kein Wasser mehr gekommen, deshalb sei er den ganzen Weg von seinem Feld, das weit kanalabwärts im Bewässerungssystem liege, am Kanal entlang dem Wasser gefolgt. Die beiden Männer mit den Pangas geben ihm zu verstehen, dass sie jetzt erst einmal an der Reihe wären, das Wasser zu nehmen, und er sich wohl umsonst auf den Weg gemacht habe. Der junge Mann zögert einen kurzen Moment, doch dann sieht er ein, dass er sich nicht durchsetzen kann. Wasser ist durch seine fluide Konsistenz eine besonders dynamische Ressource, deren Verfügbarkeit von vielen Faktoren abhängt und sich ständig wandeln kann. Dies wird hier ersichtlich, wenn die Nutzer kanalaufwärts einen besseren Zugang zu Wasser haben als die Nutzer kanalabwärts. Die Ressource Wasser stellt also nicht nur eine knappe, sondern auch eine umkämpfte Ressource dar. Wie äußern sich diese Aushandlungsprozesse um den Zugang zu Wasser? Szene 4: Ich habe einen Termin beim Manager der Bauernkooperative des Perkerra-Bewässerungssystems. Ich möchte etwas über den vertraglichen MaisAnbau mit dem Unternehmen Kenya Seed erfahren. Auf dem Weg zum Sitz der Kooperative laufe ich an den Gebäuden der nationalen Bewässerungsbehörde des Perkerra-Bewässerungssystems vorbei. Überall auf dem Hof sitzen vor allem Frauen, trennen die Maissamen von den Kolben und legen diese auf den ausgebreiteten weißen Plastiksäcken zum Trocknen aus. Die getrockneten Maissamen werden in Säcken verpackt und auf Lkw verladen. Direkt neben dem Sitz der nationalen Bewässerungsbehörde liegt der Sitz der Kooperative. Ich biege ab in den Hof der Kooperative. Dort stehen die vollbeladenen Lkw. Wann sie losfahren, erkundige ich mich. „Erst einmal gar nicht“, bekomme ich zur Antwort. „Solange die Kenya Seed Company den Preis nicht erhöht, passiert hier gar nichts“, erklärt mir der Mann weiter. Durch partizipative Prozesse wird der Bau-

E INLEITUNG I 17

ernschaft eine gewichtigere Stimme gegeben. Werden die Machtverhältnisse dadurch neu austariert? Szene 5: Vor mir sitzt der Rechtsanwalt, Herr Letangule, und schenkt sich einen Kaffee ein. Ich sitze in einem vornehmen Büro einer Rechtanwaltskanzlei in Nairobi und lasse meinen Blick über das Bücherregal hinter ihm gleiten. Auf den Buchrücken lese ich Titel wie Minorities and Human Rights Law oder Indigenous Rights. Ich bin zu ihm gekommen, um mit ihm über die Privatisierung des Landes im Perkerra-Bewässerungssystem zu reden. „Wir sind gegen die Ausstellung von Landtiteln im Perkerra-Bewässerungssystem“, erklärt er mir. „Wir“ – das ist die ethnische Gruppe der „Il Chamus“, der er selbst angehört und die er seit einigen Jahren rechtlich unterstützt. Fragen um Land sind in Kenia ein stark politisiertes Thema. Wie wird um diese Fragen gerungen? Welcher unterschiedlichen Argumente und Diskurse wird sich in der Aushandlung um politische und natürliche Ressourcen bedient? Diese fünf Szenen umreißen die Themenfelder dieser Arbeit, die Transformationsprozesse der kenianischen Bewässerungslandwirtschaft untersucht. Landwirtschaft spielt in vielen afrikanischen Ländern auch für die nationale Wirtschaftsleistung eine bedeutende Rolle. In Kenia basieren 42 % des Bruttoinlandsprodukts auf Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Bergbau (Republic of Kenya 2010). Der Landwirtschaftssektor bietet vielen Menschen die Möglichkeit zur Lohnarbeit und generiert wichtige Exportprodukte. Er ist ein Interventionsfeld der staatlichen Steuerung und die Bewässerung ist in diesem Kontext ein wichtiges Instrument. Im Fokus dieser Arbeit stehen große staatliche Bewässerungssysteme – Entwicklungsprojekte, in denen geplant Bewässerungsinfrastruktur geschaffen wurde und die Menschen zur Bewirtschaftung des Landes angesiedelt wurden. Hydrologische Großprojekte wie großflächige Bewässerungssysteme oder Staudämme spiegeln hegemoniale Machtverhältnisse und Regierungsweisen wider, wie sie schon Wittfogel (1957) mit seiner These des „hydraulischen Despotismus“ aufzeigte. So lassen sich an der physischen Struktur des Bewässerungssystems die staatliche Rationalität und das Bestreben des Staates ablesen, landwirtschaftliche Projekte zu entwickeln. Vor allem in Kenia sind der landwirtschaftliche Sektor und der Staat schon lange eng miteinander verzahnt (Cone und Lipscomb 1972; Bradshaw 1990). Lange Zeit wurde der Anbau von gewinnbringenden cash crops wie Tee, Zucker, Tabak und Gemüse von staatlicher Hand gesteuert. In den letzten Jahren haben sich Steuerungsinstrumente und die sie bedingenden Rationalitäten geändert. Der landwirtschaftliche Sektor wird zunehmend liberalisiert und privatisiert (Little und Watts 1994). Mit der Liberalisierung werden Verantwortlichkeiten umverteilt und Akteure wie die Bauernschaft – organisiert in einer Water Users

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Association oder auch in einer Kooperative (Farmers Cooperative Society) – erhalten neue Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsbefugnisse. Dieser Wandel äußert sich in institutionellen Umstrukturierungen, die zu Überlappungen und neuen Räumen oder auch Arenen führen können, in denen „neue“ und „alte“ Akteure um Entscheidungs- und Gestaltungsmacht ringen, wie das Beispiel des Zurückhaltens der Warenlieferung (Szene 4), aber auch das Beispiel der Ablehnung der Eigentumstitel zeigt (Szene 5). In vielen Ländern des globalen Südens hängt die grundlegende Lebenssicherung für einen Großteil der Bevölkerung direkt von der Landwirtschaft ab. In vielen Teilen Kenias ist Regenfeldbau nur bedingt möglich oder äußerst risikobehaftet. Deshalb ist die Bewässerung für die landwirtschaftliche Produktion in manchen Regionen Kenias unabdingbar. Wasserknappheit ist nicht nur ein physisches Phänomen, sondern auch ein soziales (Mehta 2003). Es besteht eine Unausgeglichenheit zwischen dem Vorhandensein der Ressource und ihrer Nachfrage. Aufgrund sozialer Differenzierungen kann es zu sehr unterschiedlichen Verfügungs- und Nutzungsmöglichkeiten von Wasser für verschiedene Akteure kommen (siehe Mehta 1997; Mosse und Nelson 1995). Die Verfügbarkeit der knappen Ressource ist somit nicht nur eine Frage der Verteilung, sondern auch eine Frage von Macht (Swyngedouw 2009). Das Vorhandensein, die Verteilung und der Zugang zu Wasser sind als hybride Prozesse aus physischen und sozialen Prozessen zu verstehen. Darin sind Natur und Gesellschaft untrennbar miteinander verbunden und müssen daher auch in dieser Verbindung konzeptualisiert werden. Ich werde diese Fragen aus einer dispositivanalytischen Perspektive untersuchen. Bewässerungssysteme stellen räumlich-materielle Objektivierungen von Praktiken und Diskursen dar und dürfen nicht losgelöst von den sozialen und politischen Prozessen und Machtverhältnissen betrachtet werden. Mit der Untersuchung des Bewässerungsdispositivs als räumlich-materieller Objektivierung rücken somit Fragen um Staatsmacht, Implementierung und Steuerung von Großprojekten und Fragen zu den Subjekten, die gesteuert werden sollen, ins Blickfeld.

E INLEITUNG

1.1 R ELEVANZ UND A BGRENZUNG F ORSCHUNGSGEGENSTANDS

I 19

DES

Die großflächigen, staatlich gemanagten Bewässerungssysteme2, die im Zentrum dieser Arbeit stehen, wurden vor allem während der 1950er- bis 1970er-Jahre errichtet. Erwartungen, die sowohl der Staat als auch die Geber an diese Systeme hatten, erfüllten sich nicht. Die Bewässerungssysteme galten ab den 1990erJahren weder als unterstützungswürdig noch als überlebensfähig und fielen vor allem durch negative Schlagzeilen wie niedrige Produktionszahlen und Kollaps auf (Adams 1991; Ruigu 1988). Sie gerieten im Entwicklungs- wie auch im wissenschaftlichen Diskurs ins Abseits. Die Aufmerksamkeit von Gebern, Regierungen und Wissenschaftlern richtete sich nun auf kleinflächige (small-scale) Bewässerungssysteme (Adams und Carter 1987; Adams 1990; Brown und Nooter 1992), in die nun alle Hoffnungen gelegt wurden. Als diese schließlich ebenfalls nicht den gewünschten Entwicklungserfolg brachten, wurde das Budget für Bewässerung seit den 1980er-Jahren gekürzt (Borgia et al. 2012). Die neuen Entwicklungsprojekte der Geber und Regierungen legen einen Schwerpunkt auf die Trinkwasserversorgung und die Implementierung eines integrierten Wasserressourcenmanagements, wie beispielsweise die Wassersektorreform seit Anfang der 2000er-Jahre in Ostafrika (Water and Sanitation Program Weltbank 2008, Water Partnership Program Weltbank und andere Geber 2009–20123, Reform des kenianischen Wassersektors GIZ 2003–2013). Auch wenn großflächige Bewässerungssysteme im Entwicklungsdiskurs lange Zeit an Bedeutung verloren hatten, sind ihr Aufbau, ihre Funktionsweise und ihr Management dennoch relevant, da zunehmend wieder große staatliche Bewässerungssysteme als Entwicklungsprojekte in Ländern des globalen Südens wie z. B. in Äthiopien geplant sind (Eguavoen und Tesfai 2012). Die Ernäh-

2

Die FAO definierte die Größen wie folgt: Kleinflächige Bewässerungssysteme (smallscale) verfügen über eine Größe von 1–100 ha, mittelflächige (medium-scales) über 100–1.000 ha, 1.000–10.000 großflächige (large-scale) und über 10.000 sehr große (very large-scale) (FAO 1987, zit. in Adams 1990). Neuere Definitionen sprechen bereits ab 500 ha von großflächigen (large-scale) Bewässerungssystemen (Borgia et al. 2012). Daher verwende ich für das Perkerra-Bewässerungssystem, das eine Größe von ca. 800 ha hat, die Bezeichnung „großflächig“.

3

Bei den Verteilungen der Gelder nimmt der Bewässerungssektor nur eine marginale Stellung mit 9,3 % ein, im Gegensatz zu Trinkwasser und sanitären Einrichtungen mit 29,2 % und Wasserressourcenmanagement mit 45,9 % (Water Partnership Program, Weltbank 2013).

20 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

rungskrise von 2008 sowie der Klimawandeldiskurs haben die Bewässerungslandwirtschaft bei Gebern wie der Weltbank wieder auf die Agenda gerufen. Angesichts des Klimawandels, der zu größeren Unsicherheiten im Regenfeldbau führt, hat die Weltbank in ihrem Weltentwicklungsbericht 2008 zu Entwicklung und Landwirtschaft auf die Bedeutung von Bewässerung hingewiesen und die Rehabilitation von großflächigen Bewässerungssystemen sowie die Erweiterung von kleinflächigen Bewässerungssystemen als wichtige Anpassungsstrategie identifiziert (Weltbank 2007).

1.2 K ONZEPTIONELLER A NSATZ Die geographische Untersuchung von Bewässerungslandwirtschaft und Zugang zu Ressourcen lässt sich in die klassischen Themen des Mensch-Umwelt-Nexus der Geographie einordnen (z. B. Kreutzmann 2006; Swyngedouw 1999; Barth 1994). In vielen Untersuchungen liegt der Fokus jedoch oft auf einzelnen Aspekten wie Managementpraktiken (Meinzen-Dick 2000; Adams 1990; Adams und Anderson 1988) oder auf Livelihood-Aspekten von Kleinbauern (van Koppen et al. 2002; Lebrun et al. 2010). Diese Arbeit untersucht den Wandel des Bewässerungsdispositivs im Kontext von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia. Zwei Fragestellungen werden verfolgt: Zum einen wird der Wandel des Bewässerungsdispositivs staatlicher Bewässerungssysteme in Kenia untersucht und zum anderen die Auswirkungen des Wandels anhand des Fallbeispiels des Perkerra-Bewässerungssystems. Dies stellt somit meinen „Forschungsgegenstand“ dar. Dieser existiert nicht „an sich“ und meine Arbeit kann keine einfache Kopie oder neutrale Wiedergabe der sozialen Wirklichkeit oder des Gegenstands (Reckwitz 2003: 86) sein, sondern ich verfolge eine konstruktivistische Perspektive auf die soziale Welt. Das Wissen, das ich produziere, zielt darauf ab, Reformumsetzungen im Bewässerungssektor und die Praktiken der Umsetzung in Kenia zu verstehen. Die Arbeit ist also regional in einem internationalen Kontext zu verorten, genau genommen in einem postkolonialen Kontext. Die geographische Entwicklungsforschung ist eine geographische Subdisziplin, die sich mit MenschUmwelt-Fragen in Ländern des Südens auseinandersetzt (Krüger 2003; Bohle 2011). In diesem wissenschaftsdisziplinären Feld kommt es immer wieder durch state of the art-Aufsätze zu einer Standortbestimmung, indem Wissenschaftler die Form und Weise dieses Feldes zu bestimmen versuchen (Krüger 2003; Dörfler et al. 2003; Scholz 2004; Bohle 2007a; Müller-Mahn und Verne 2010; Lossau 2012). Betrachtet man die wesentlichen Themen seit der Formierung der

E INLEITUNG I 21

Geographischen Entwicklungsforschung, kreisen diese vor allem um Fragen des theoretischen Zugangs (Blenck 1979; Müller-Mahn und Verne 2010; Lossau 2012). Während Dörfler et al. bereits 2003 eine neue theoretische Ausrichtung im Sinne einer Praxistheorie von Bourdieu vor dem Hintergrund von Postdevelopment und postkolonialer Kritik forderten, werden nun fast zehn Jahre später kulturtheoretische und poststrukturalistische Elemente auf postkoloniale Kritiken angeboten (Lossau 2012). Lossau (2012) stellt Überlegungen auf, wie kulturtheoretische Ansätze in der Geographischen Entwicklungsforschung berücksichtigt werden können. Dabei räumt sie ein, dass die Geographische Entwicklungsforschung auf eine materialistisch-marxistische Ausrichtung blicken kann, jedoch vor allem aus Sicht eines poststrukturalistischen Postkolonialismus Gefahren der Essentialisierung bestehen, d. h. die unhinterfragte Annahme von sozialen Entitäten und deren Festschreibung (Lossau 2012). Lossau betont, dass bei Aushandlungen des Zugangs zu Ressourcen nicht nur die Handlungsfähigkeit sowie ökonomische und soziale Strukturen von Bedeutung sind, sondern dass Aushandlungskämpfe auch auf der symbolisch-signifikativen Ebene ausgetragen werden. Diese sei in den bisherigen Arbeiten im Bereich der Geographischen Entwicklungsforschung nicht ausreichend berücksichtig worden (Lossau 2012: 131). Ein Desiderat der konzeptionellen Ausrichtung der Geographischen Entwicklungsforschung stellt daher die stärkere Berücksichtigung kulturtheoretischer Elemente dar. Während an der Geographischen Entwicklungsforschung mangelnde kulturtheoretische Bezüge kritisiert werden (Lossau 2012), kommt in letzter Zeit innerhalb des poststrukturalistischen Kulturgeographie-Lagers die Kritik an der reinen Konzentration auf Zeichen und Sprache sowie an der fehlenden Berücksichtigung von sozialen und materiellen Phänomenen auf (Thrift 2008; Strüver und Wucherpfennig 2009). Durch die alleinige Untersuchung von Diskursen sowie Symbol- und Zeichensystemen lassen sich nur wenige Aussagen darüber treffen, zu welchen Subjektivierungen es kommt und in welcher Relation Praktiken und Diskurse stehen. Ich möchte die Dispositivanalyse als einen Weg diskutieren, diese Desiderate zu bearbeiten. Die Dispositivanalyse stellt einen in der Geographie bisher relativ unbeachteten Ansatz dar. Erste Rezeptionen in der Geographie betrachten Automobilität als Dispositiv (Manderscheid 2012). Es entstanden im politikwissenschaftlichen Bereich Studien zum Dispositiv der Nachhaltigkeit (Timpf 2000, 2003) sowie kulturtheoretische Arbeiten zum Dispositiv des Fernsehens (Hickethier 1995). Da die Dispositivanalyse Materielles, diskursive Praktiken und Subjektivierungen verknüpft, sehe ich sie als vielversprechenden Ansatz an, um Fragen zur Governance der Bewässerungslandwirtschaft zu diskutieren.

22 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Die Arbeit verfolgt sowohl eine historische Betrachtungsweise des Bewässerungsdispositivs staatlich gemanagter Bewässerungssysteme in Kenia, in der die Entstehungsweisen und Rationalitäten dieses Dispositivs untersucht werden, als auch eine Betrachtung der aktuellen Reform- und Transformationsprozesse, die zu einer Reskalierung von Verantwortlichkeiten führen. Diese Forschungsarbeit fasst Governance-Prozesse durch ein Verständnis von Steuerungspraktiken und Gouvernementalität in Anlehnung an Foucault. Für eine Analyse dieser Praktiken lassen sich verschiedene Elemente identifizieren, die berücksichtigt werden müssen. Dazu gehören Diskurse, wie etwas zu steuern sei, Praktiken des Steuerns, Machttechniken, welche Hilfsmittel der Steuerungspraktiken darstellen, und materielle Vergegenständlichungen dieser Elemente. Alltägliche Praktiken und Subjektivierungen korrespondieren damit. Mithilfe einer Dispositivanalyse sollen diese verschiedenen Elemente in Bezug gesetzt und untersucht werden. Mein Ziel ist es, das Bewässerungsdispositiv und seine konstituierenden Elemente zu untersuchen. Daher lauten meine Forschungsfragen wie folgt: • Welche Rationalitäten und welche Ziele sind mit dem Dispositiv des Bewässe-

rungssystems verbunden? • Wie gestalten sich der Governance-Umbruch und die Reskalierungsprozesse

im Bewässerungssektor in Kenia? • Wie wird der Zugang zu den Ressourcen Wasser und Land von Akteuren aus-

gehandelt? Wer kann von den Ressourcen in welchem Umfang profitieren? • Wie gestalten sich die konkreten Formen und Praktiken der Machtausübung

im Bewässerungssystem? • Welche Rolle spielen Subjektpositionierungen im Aushandlungsprozess, um

den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern?

1.3 A UFBAU

DER

A RBEIT

Die Arbeit gliedert sich in folgende empirische Teile: Im ersten Teil wird der historische Prozess nachgezeichnet, der in Kenia zum Entstehen des staatlichen Bewässerungsdispositivs geführt hat. Dabei werden zuerst die sich verändernden Rationalitäten des Bewässerungsdispositivs aufgezeigt. In einem zweiten Teil richtet sich der Fokus auf das Regieren von Bewässerungssystemen. Mit den bereits vorgestellten Rationalitäten sind bestimmte Regierungspraktiken verbunden, die zwingend, disziplinierend, normierend oder normalisierend wirken können. Diese werden anhand der geschichtlichen Entwicklung von großflächigen staatlichen Bewässerungssystemen untersucht. Im weiteren Verlauf der Arbeit

E INLEITUNG I 23

werden die Umbrüche und Umstrukturierungen in der Governance dieser Bewässerungssysteme anhand des Fallbeispiels des Perkerra-Bewässerungssystems untersucht. Anhand dieses Beispiels untersuche ich die Auswirkungen einer Reskalierung von Verantwortlichkeiten vom Staat auf die Bauernschaft. Fragen zum Zugang zu Wasser und Land werden in diesem Kontext diskutiert und es wird untersucht, welche Auswirkungen die Umstrukturierung auf die landwirtschaftlichen Produktionsweisen hat. Im letzten Teil werden nicht-intendierte Auswirkungen dieser partizipativen liberalen Reformen untersucht: der lokale Widerstand gegen die Privatisierung von Bewässerungsland.

24 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Abbildung 1: Untersuchungsaufbau Problemstellung: Wandel von Governance-Formen und deren Auswirkungen auf die Aushandlung des Zugangs zu Ressourcen Konzeptioneller Rahmen:

Untersuchungsgegenstand: Steuerungs- und landwirtschaftliche Praktiken in großflächigen staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia

Dispositiv gesellschaftlicher Naturverhältnisse Rationalitäten

Objektivationen

Praktiken Subjektivierungen

Machttechniken

Analyse des Bewässerungsdispositivs

Forschungsfragen: 1) Welche Rationalitäten und welche Ziele sind mit dem Dispositiv des Bewässerungssystems verbunden? (Kapitel 4) 2) Wie gestalten sich die Reskalierungsprozesse von Regierungstechniken? (Kapitel 5) 3) Welche physisch-räumlichen sowie auch organisatorischen Strukturen entstehen? (Kapitel 6) 4) Welche Machttechniken kommen zum Einsatz? (Kapitel 7) 5) Welche Rolle spielen Subjektpositionierungen im Aushandlungsprozess, um den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern? (Kapitel 8) Analyse der Rationalitäten und Reskalierungen im kenianischen Bewässerungssektor

Analyse anhand des Fallbeispiels Perkerra-Bewässerungssystem - Wandel der Managementpraktiken im Perkerra-Bewässerungssystem - Aushandlung von Zugang zu Wasser/Land, landwirtschaftliche Praktiken - Subjektivierungen und Identitätspolitiken

Empirische Forschungsmethoden: Qualitative Interviews mit Management und Bauernschaft, PRA-Methoden, quantitative Befragung mit Landwirten, Kartierungen

Quelle: eigener Entwurf

E INLEITUNG I 25

1.4 E INFÜHRUNG IN DAS F ALLBEISPIEL U NTERSUCHUNGSGEBIET

UND DAS

Das Perkerra-Bewässerungssystem liegt im kenianischen Grabenbruch südlich des Baringosees und östlich der Kleinstad Marigat (siehe Karte 1). Die Ebene, in der der Baringosee und der Bogoriasee liegen, ist westlich durch die Tugen Hills und östlich durch die Laikipia-Steilstufe eingefasst. Das Bewässerungssystem ist laut offiziellen Angaben 810 ha groß und es findet Furchenbewässerung statt. Die potenzielle Bewässerungsfläche wird auf 2.350 ha geschätzt (National Irrigation Board 2010a). Physisch-geographische Annäherung an das Untersuchungsgebiet Das Perkerra-Bewässerungssystem bezieht sein Wasser aus dem Perkerra-Fluss. Der Perkerra-Fluss und der Molo-Fluss, der in den Perkerra-Fluss mündet, kurz bevor dieser dann in den Baringosee fließt, sind die einzigen ganzjährig wasserführenden Flüsse in der Region (Onyando et al. 2005: 135). Das Bewässerungssystem liegt in einem semi-ariden Gebiet mit einer jährlichen Evaporationsrate von 1.650 bis 2.300 mm und einem jährlichen Regenfall von 450 mm bis 900 mm (Akivaga et al. 2010: 2441–2442). Der Perkerra-Fluss entspringt im MauWald.4 Sein höher gelegenes semi-humides Einzugsgebiet hat eine durchschnittliche Jahresniederschlagsrate von 2.000 mm und eine Evaporation von 1.600 mm (Onyando et al. 2005: 135). Somit entspringt der Fluss in einem semihumiden Gebiet, fließt über die Grabenschultern in das Rift Valley und mündet in einem semi-ariden Gebiet. Im Mau-Wald5 ist es in den letzten Jahren zunehmend zu Abholzungen gekommen (Nabutola 2010). Die Abholzungen im Einzugsgebiet spiegeln sich auch in den Auswertungen der Abflussdaten der letzten 47 Jahre der Messstation an der Brücke von Marigat wider (Akivaga et al. 2010). Die Amplitude von Abflussmaxima und -minima ist seit den 1990er-Jahren angestiegen und kann auf einen signifikanten Wandel in der Hydrologie des Einzugsgebiets im Mau-Wald zurückgeführt werden (Akivaga et al. 2010: 2448). Die Trockenzeit in Marigat herrscht von November bis Februar mit einem durchschnittlichen Niederschlag von 10–40 mm pro Monat. Der durchschnittliche Niederschlagswert steigt in den Monaten April, Mai, Juli und Au-

4

Das Einzugsgebiet des Perkerra-Flusses ist 1.207 km² groß und Teil des Wasserein-

5

Für genauere Ausführungen zur Mau-Wald-Problematik siehe Ewaso Ngiro South

zugsgebiets des Baringosees (mit insgesamt 6.820 km²). Development Authority (2005).

26 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

gust auf um die 75 mm an. Regenfeldbau ist aufgrund der begrenzten Niederschläge sehr risikoreich. Bei einer Betrachtung der einzelnen Jahre wird deutlich, dass einige Jahre weit unter dem durchschnittlichen Niederschlag liegen. Auch in den Monaten, in denen im Schnitt genügend Niederschlag gefallen ist, kann es dazu kommen, dass die Ernte scheitert, da die Verteilung der Niederschläge innerhalb des Monats sehr unregelmäßig ist. So kommt es vor, dass 50 % des monatlichen Niederschlags an wenigen Tagen fallen und die restlichen Tage des Monats trocken bleiben (Little 1992: 24). Der Wasserstand des Perkerra-Flusses ist in den Monaten November bis Februar besonders niedrig und liegt bei ca. einem halben Meter. In der Regenzeit kann sich der Wasserstand fast verdoppeln. Auch beim Wasserstand ist eine hohe Variabilität zwischen den Jahren festzustellen; dies erschwert die landwirtschaftliche Produktion. Die Wasserverfügbarkeit ist während der Trockenzeit (Dezember bis März) oft so gering (kaum Niederschlag und geringer Wasserstand des Flusses), dass im Bewässerungssystem nichts angebaut werden kann. Zusammengefasst heißt dies: Das Bewässerungssystem liegt in einer semiariden Region, die in der Trockenzeit Wasserknappheit erfährt. Es wird zwar durch einen perennierenden Fluss gespeist, dessen Wasserstand aber beachtlich schwankt. Zudem sind die Niederschläge während der Regenzeit sehr unregelmäßig. Folglich stellt Wasser im Bewässerungssystem eine knappe, hoch variable Ressource dar und somit ist die landwirtschaftliche Produktion trotz Bewässerung entsprechend risikoreich. Fotos 1: Wasserstand des Perkerra-Flusses: September (links), Februar (rechts)6

6

Alle Fotos ohne weitere Quellenangaben wurden vom Forschungsteam (Johanna Kramm und Paulo Macharia) gemacht. Alle Fotos entstanden während der Feldaufenthalte im Jahr 2011.

E INLEITUNG I 27

Sozialgeographische Annäherung an das Untersuchungsgebiet Das Perkerra-Bewässerungssystem und Marigat liegen im Baringo County. Vor der Gebietsreform, die mit der neuen Verfassung von 2010 beschlossen und in den darauf folgenden Jahren umgesetzt wurde (2011–2013), lag Marigat im Baringo-Distrikt in der Rift Valley Province. Mit der Gebietsreform wurden die Provinzen und die Distrikte als administrative Einheiten abgeschafft und durch Counties ersetzt. Kabarnet in den Tugen Hills ist die County-Hauptstadt. Die Entstehungsgeschichte des Perkerra-Bewässerungssystems wird in Kapitel 4.1 genauer beleuchtet. Für viele Menschen in der Region stellen die Landwirtschaft und die Viehhaltung die wirtschaftliche Lebensgrundlage dar. In den Tugen Hills wird Regenfeldbau betrieben, der mit formalen Landrechten einhergeht. In den semi-ariden Gebieten der Ebene um den Baringosee sind Weidewirtschaft und Viehhaltung auf Gemeindeland die dominanten Wirtschaftsformen (Little 1992). Um das Verstehen der Zusammenhänge zwischen Bevölkerung und Politik zu erleichtern, stelle ich die größten ethnischen Gruppen, die in der Untersuchungsregion anzutreffen sind, kurz vor. Ich verstehe „Ethnizität“ als ein Konstrukt, welches durch Bezug auf primordiale Kategorien wie Sprache, Kultur, Territorium oder gemeinsame Heimat und gemeinsame Abstammung konstruiert wird (Lentz 1995; Groenemeyer 2003; Sökefeld 2007). Ethnische Gruppenzugehörigkeit kann in der sozialen Realität für die Bevölkerung als Identitäts- und Sinnorientierung von großer Bedeutung sein (Lynch 2008); sie kann aber auch zu einem Machtinstrument avancieren, wie die blutigen Auseinandersetzungen nach den Wahlen von 2007 gezeigt haben. Da „Ethnizität“ in Kenia eine machtvolle Kategorie darstellt, die oft politisiert und instrumentalisiert wird, ist es mein entferntestes Anliegen, diesen Nexus von Ethnizität und Territorium in meiner Arbeit festzuschreiben und unreflektiert zu reproduzieren. Daher möchte ich, dass, wenn ich diese ethnischen Gruppen im Folgenden „verorte“, dem Leser bewusst ist, dass ich dies als eine stark vereinfachte Orientierung verstehe und nicht als Festschreibung, in der ich Räume mit einer homogenen ethnischen Gruppe verbinde. In Kapitel 8 werde ich diese Problematik intensiver diskutieren. Zu den ethnischen Gruppen der Baringo-Region gehören die Maasprechende Gruppe der Il Chamus, auf deren Gemeindeland das Perkerra-Bewässerungssystem errichtet wurde. Diese zählen zu den pastoralistischen Gruppen in Kenia. Allerdings zeichnet sich das pastoralistische System im Gegensatz zu anderen pastoralen Systemen durch eine relativ sesshafte Form7 aus (Little et

7

Little (2009) identifiziert die folgenden Punkte, die zu einer relativ sesshaften Form des Pastoralismus führen: Das liegt zum einen daran, dass die Siedlungen in unmittel-

28 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

al. 2009). Zu den weiteren ethnischen Gruppen gehören die Tugen und die Pokot, die zu den Kalenjin-sprechenden Gruppen zählen und unter der Bezeichnung „Kalenjin“ mit noch weiteren Kalenjin-sprechenden Gruppen zusammengefasst werden.8 Little unterscheidet die „Hochland-Tugen“, die in den Tugen Hills leben, und die „Tiefland-Tugen“, die im Grabenbruch um den Bogoriasee leben (Little 1992: 27). Am nördlichen Rand des Bogoriasees werden ebenfalls die Endorois verortet. Im Norden des Baringo County kommt es seit Jahrzehnten zu Grenzstreitigkeiten zwischen der ethnischen Gruppe der Turkana und der ethnischen Gruppe der Pokot (Greiner et al. 2011). In Marigat leben viele TurkanaFlüchtlinge aus Kapedo und der Grenzregion zum Turkana County. Sie stellen das „unsichtbare“ Arbeitskräftereservoir für das Perkerra-Bewässerungssystem dar. Auch an den östlichen Grenzen des Baringo County kommt es oft zu Überfällen und Viehdiebstählen bewaffneter Viehhirten der ethnischen Gruppe der Pokot auf die Viehherden der Il Chamus (Greiner 2013). Die nördlichen Gebiete der Region werden häufig von Dürren heimgesucht und große Teile der Bevölkerung sind mit Nahrungsunsicherheit konfrontiert. Der Baringo County ist zudem durch ein Wohlstandsgefälle geprägt. Während die Tugen Hills zu den besser gestellten Regionen gehört, ist das Tiefland durch geringeren Wohlstand geprägt (World Resources Institute 1999).9

barer Nähe zu großen Weideflächen liegen, des Weiteren gibt es kaum wilde Tiere, sodass die Herde auch unbeaufsichtigt bleiben kann. 8

Die Kalenjin gehören genauso wie die Il Chamus zu den Niloten. Bis in die 1950erJahre gab es diese ethnische Gruppe „Kalenjin“ nicht. Die Gruppen, die unter diesem Begriff nun zusammengefasst wurden, waren Nandi-sprechende Gruppen, zu denen die folgenden Gruppen gehören: Keiyo Elgeyo, Endorois, Kipsigis, Marakwet, Nandi, Pokot, Sabaot, Terik, Tugen and Sebei. Mit der Zusammenfassung dieser Gruppen wurde eine der größten ethnischen Gruppen in Kenia geschaffen (Lynch 2008).

9

Datensätze des World Resources Institute von 1999 verwenden den Armutsindex Foster-Greer-Thorbecke (FGT), der eine Aufschlüsselung der Armen (alle Personen, die mit ihrem Einkommen unter der Armutsgrenze liegen) zulässt, in dem er die negativen Abweichungen von der Armutsgrenze anzeigt (Foster et al. 1984). Dieser zeigt deutliche Disparitäten zwischen dem Hochland (Tugen Hills) und dem Tiefland um Marigat und weiter östlich. Dabei stechen die locations Eldume (Il Chamus), Ng'ambo, Kiserian und Mukutani durch besonders große Abweichungen hervor (World Resources Institute 1999).

E INLEITUNG I 29

Karte 1: Lage des Perkerra-Bewässerungssystems im Baringo County

Quelle: eigene Darstellung, Kartographie: Storbeck

2 Konzeptioneller Teil

In diesem Kapitel werden die „begrifflichen Bestimmungen“ und die „forschungspraktische Ausrichtung“ (Lossau 2012: 128) der Arbeit dargelegt. Es ist wie folgt aufgebaut: Der erste Teil stellt aktuelle Ansätze der GesellschaftUmwelt-Forschung vor und nimmt eine Verordnung der Arbeit vor. Der zweite Teil führt das Dispositiv-Konzept ein und diskutiert Fragen der Gouvernementalität. Der dritte Teil nimmt eine Operationalisierung des DispositivKonzepts für die Arbeit vor. Daraus leitet sich der konzeptionelle Forschungsrahmen ab.

2.1 P ERSPEKTIVEN F ORSCHUNG

DER

G ESELLSCHAFT -U MWELT

Die Nutzung, die Verteilung und das Management von Wasser, im Fall dieser Arbeit von Bewässerungswasser, sind als hybride Prozesse (Swyngedouw 2009) zu verstehen, in denen Natur und Gesellschaft miteinander verwoben sind. Bewässerung stellt eine Gesellschaft-Umwelt-Beziehung dar, die es gilt zu verstehen und konzeptionell zu fassen. Im akademischen Feld der Gesellschaft-Umwelt-Beziehungen, oft als „dritte Säule“ der Geographie (Weichhart 2006) gehandelt, kreisen die konzeptionellen Überlegungen vor allem um die Fragen, wie die Dichotomie von Natur und Kultur überwunden (Latour 1995; Zierhofer 2003), und wie das Verhältnis Gesellschaft-Natur nachhaltig gestaltet werden kann (Becker 2003; Berkes et al. 2003; Görg 2003b). Bei aller Heterogenität und Vielseitigkeit sowie der Überlappungen der Arbeiten lassen sich dabei im Ganzen drei konzeptionelle Strömungen identifizieren, die im Folgenden vorgestellt und auf die Anwendbarkeit in dieser Arbeit geprüft werden.

32 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Transformation sozial-ökologischer Systeme Eine erste Gruppe stellen die Arbeiten dar, die sich um den Problemnexus des globalen Umweltwandels sowie auch des Klimawandels drehen. Konzepte wie Resilienz, Anpassung und Transformation sozial-ökologischer Systeme werden in diesem Feld intensiv diskutiert (Nelson et al. 2007; Gallopín 2006; Turner II 2010). Als Ausgangspunkt beinhaltet dieser Strang, wie auch die folgenden Stränge, die Kritik an der einseitigen Betrachtung von ökologischen Problemfeldern. Diese Kritik führte zu einer Postulierung von Kopplungen (linking) zwischen ökologischen und sozialen Systemen und damit auch zu der Forderung nach einer transdisziplinären Betrachtung (Berkes und Folke 1998; Berkes et al. 2003: 22). Wie genau die Kopplung zwischen sozialen und ökologischen Systemen zu verstehen ist, versuchen Berkes et al. (2003) zu konzeptualisieren: Das Ökosystem mit multiplen Ebenen (z. B. lokal oder regional) wird dem sozialen System entgegengesetzt, das aus Management-Praktiken besteht, die in Institutionen eingebettet sind, welche ihrerseits wiederum in ein größeres Set aus Institutionen verschachtelt (nested) sind. Die Kopplung der beiden Systeme wird durch ökologisches Wissen und das Verständnis, welches die Managementpraktiken bestimmt, hergestellt (Berkes et al. 2003: 22–23; Folke und Gunderson 2006). Bestimmte Management-Praktiken wirken auf das Ökosystem und rufen wiederum Rückkopplungseffekte auf die Management-Praktiken hervor. Dieses sehr pragmatische Verständnis eignet sich, um diesen Kreislauf zu beleuchten, es gelingt aber nicht, zu erklären, wie es zu diesen Management-Praktiken kommt, durch welche Mechanismen, Logiken und Herrschaftsverhältnisse sie hervorgerufen werden und in welchem Zusammenhang die einzelnen Ebenen stehen. Cannon und Müller-Mahn (2010: 623) kritisieren, dass diesen Ansätzen immer noch ein naturwissenschaftlicher und technologischer Beigeschmack ihrer Entstehungsfelder anhaftet. In den letzten Jahren ist an einer sozialwissenschaftlichen Fundierung dieser Konzepte gearbeitet worden (Keck und Sakdapolrak 2013; Obrist et al. 2010). Hier wird versucht, den Resilienzansatz stärker im Zusammenhang mit sozialwissenschaftlichen Praxistheorien zu diskutieren, wie z. B. mit der Theorie der Praxis von Bourdieu. Soziale Ökologie Eine weitere Strömung stellen die Arbeiten dar, die im Kreise des Instituts für sozial-ökologische Forschung (ISOE) in Frankfurt entstanden sind. Mit ihrem Buch „Soziale Ökologie“ versuchen Becker und Jahn (2006), ein Gerüst für ein neues Wissenschaftsfeld aufzubauen – eine Wissenschaft von den gesellschaftlichen Naturverhältnissen, wie es im Untertitel ihres Buches heißt. Diese neue Wissenschaft soll das Rüstzeug geben, um die neuen Aufgaben, die sich ange-

K ONZEPTIONELLER T EIL

I 33

sichts der ökologischen Krise stellen, zu bearbeiten. Gesellschaftliche Naturverhältnisse als „theoretisches Orientierungskonzept“ (Hummel und Kluge 2004: 94) werden dabei als Erkenntnisperspektive verstanden, um das Beziehungsgeflecht von Individuum, Gesellschaft und Natur zu fassen und zu verstehen. „Gesellschaft und Natur [sind] nicht als Ganzheiten aufeinander bezogen […], gesellschaftliche und natürliche Elemente sind vielmehr in unterschiedlichen Handlungsbereichen auf verschiedene, je besonderer Weise dynamisch miteinander verknüpft“ (Hummel und Kluge 2004: 94). Darum wird auch von gesellschaftlichen Naturverhältnissen im Plural gesprochen. Es werden Verhältnisse untersucht, d. h. Relationen, Beziehungen, Prozesse zwischen Individuum, Gesellschaft und Natur sowie deren Formen und Muster, die sie bilden (Becker 2003: 22–23). In den Arbeiten des Instituts für sozial-ökologische Forschung stellen sich gesellschaftliche Naturverhältnisse als komplexe, stark gekoppelte, d. h. bereits regulierte, sozial-ökologische Systeme dar, die in einer Regulation zweiter Ordnung (der Regulation von Regulationen) nachhaltig gestaltet werden müssen (Hummel und Kluge 2006: 251). Regulation wird hier in „kybernetischen Begriffen gedacht“ (Brand und Wissen 2011: 16), wie etwa „zirkuläre Kausalität“, „Wechselwirkungen“, oder „negative und positive Rückkopplung“ (Hummel und Kluge 2006: 252–256). So gesehen ergeben sich zwischen diesem Gedankengebäude und der ersten Strömung zu sozial-ökologischen Systemen einige Analogien, auch wenn diese in der Literatur nicht explizit hergestellt werden. Dieser Strang bietet Anknüpfungspunkte für eine alltägliche und auf den Akteur gerichtete Perspektive, denn zu den Konturen einer Wissenschaft gesellschaftlicher Naturverhältnisse gehören auch Geschlechterverhältnisse, Alltag und Bedürfnisbefriedigung. Lettow (2012) jedoch warnt vor anthropologischen Fixierungen, in denen die basalen gesellschaftlichen Naturverhältnisse wie „Arbeit und Produktion, sexuelles Begehren und Fortpflanzung, Ernährung und Landnutzung, Mobilität und Fortbewegung […] entlang anthropologisch vorgezeichnete[r] Lebensfunktionen“ gedacht werden. Anders gesagt weist sie auf die Gefahr hin, diese Kategorien bereits als festgegeben anzunehmen. Grundsätzlich sollten die gesellschaftlichen Naturverhältnisse praxeologisch gedacht werden: „Körper und Bedürfnisse sind grundsätzlich immer schon durch eine Vielfalt an Praxen und geronnenen Praxisformen vermittelt, genauso wie die Verhältnisse zur nicht-menschlichen Natur“ (Lettow 2012: 173). Gesellschaftliche Naturverhältnisse Bei der dritten Strömung handelt es sich vor allem um die Arbeiten, die sich stärker auf Gedanken der Kritischen Theorie und der Politischen Ökonomie stüt-

34 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

zen. Hierzu zählen Christoph Görg und seine Konzeptualisierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse (Görg 2003a, 2003b) sowie Überlegungen von Neil Smith zur Produktion der Natur (Smith 1990) und im weiteren Sinne Varianten der Politischen Ökologie (Swyngedouw 2009; Peet und Watts 2004). Görg hat mit seinem Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse auf die Dialektik aufmerksam gemacht, in der die Sphäre des Bio-physikalischen und die Sphäre des Gesellschaftlichen stehen (Görg 2003b), und betont das wechselseitige Verhältnis von Natur und Gesellschaft. Dabei ist „nicht ,die‘ Gesellschaft mit ,der‘ Natur im Sinne homogener Entitäten vermittelt“ (Brand und Wissen 2011: 15), sondern das Verhältnis, verstanden als ein Vermittlungsprozess, durchdringt alle Bereiche und Skalen der beiden Sphären. Die produzierte Natur ist das Resultat dieses wechselseitigen Produktions- und Regulationsprozesses (Köhler 2008: 215). Harvey fasst diese Dialektik treffend zusammen: „all ecological projects (and arguments) are simultaneously political-economic projects (and arguments) and vice versa. Ecological arguments are never socially neutral any more than socio-political arguments are ecologically neutral“ (Harvey 1993: 25).

Die gesellschaftlichen Naturverhältnisse, wie wir sie heute vorfinden, z. B. die Landnutzung, sind bereits Ausdruck einer Regulationsweise. Die bis heute bestimmende Regulationsweise, die Görg als krisenhaft deklariert, ist durch das Paradigma der Naturbeherrschung und den Modernisierungsgedanken geprägt. Die bedeutende Rolle der Wissenschaft und Technik im Prozess der Naturaneignung geht einher mit dem „,Berechenbarkeitsglauben‘ […] der abendländischen Rationalisierung“ (Görg 2003b: 140). Görg konzipiert die Gestaltung und Regulation der Krise der Naturverhältnisse als einen konflikthaften und widersprüchlichen Prozess (Görg 2008: 109). Diese Perspektive bietet sich an, um die historische Kontingenz von Steuerungsprozessen zu untersuchen, die sich historisch in materielle Verhältnisse eingeschrieben haben (Köhler 2008: 215), denn diese historisch produzierten materiellen Verhältnisse präkonfigurieren Handlungsbedingungen und –möglichkeiten von verschiedenen Akteuren und sind daher von Bedeutung bei einer Analyse der Steuerungs- und Aushandlungsprozesse um Zugang zu natürlichen Ressourcen. Damit rücken weniger die „Dinge im Raum“ ins Zentrum der Untersuchung als vielmehr die sozialen Prozesse, die den physischen Raum formen und gestalten, die aber auch Räumen symbolische Bedeutungen zuweisen und somit auch wieder Handlungsräume beeinflussen und schaffen. Edward Soja drückt es folgendermaßen aus: „Social spatiality […] is simultaneously real and imagined. It functions as form, configured materially as things in space as well as mentally as thought about space; but also as

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I 35

process, as a dynamic force that is always actively being produced and reproduced“ (Soja 2001: 5).

Der dritte Strang bietet eine gute Basis, um Natur und Gesellschaft als ein vermitteltes gesellschaftliches Naturverhältnis zu begreifen, das von Machtverhältnissen und Regulationsprozessen durchdrungen ist, wie auch im Falle von Bewässerungssystemen. Des Weiteren stellt er einen guten Einstiegspunkt dar, um über die Verschiebung und Reskalierung von Macht und Steuerungskompetenzen nachzudenken. Gesellschaftliche Naturverhältnisse sind, wie bereits erläutert, immer schon reguliert. Dieser Vermittlungsprozess durchdringt alle Einheiten wie Geschlechterverhältnisse, Alltag und Bedürfnisbefriedigung, aber auch z.B. Wirtschaftsweisen und Produktionsregime.

2.2 D ISPOSITIVE DER GESELLSCHAFTLICHEN N ATURVERHÄLTNISSE Wie in den Ausführungen in Kapitel 2.1 aufgezeigt, wird angenommen, dass es sich bei gesellschaftlichen Naturverhältnissen um ein Verhältnis handelt, dass bereits reguliert ist, und dass der Vermittlungsprozess über Praktiken verläuft. Dabei entstehen bestimmte Regulationsmuster, wie z.B. die Wasser- oder die Ernährungsversorgung (siehe Hummel und Kluge 2006). Ich schlage vor diese Regulationsmuster, die bestimmte Konstellationen der gesellschaftlichen Naturverhältnisse darstellen, als Dispositive zu denken. Dispositive sind Anordnungen von Techniken, Dingen, Rationalitäten und Subjekten (Foucault 2003: 392ff.). Foucaults Definition eines Dispositivs wird vielfach zitiert, trotz Umfang und sperriger Ausdrucksweise (Agamben 2008; Bührmann und Schneider 2012). Er definiert ein Dispositiv als (Foucault 2003: 392ff.): „[…] erstens ein entschieden heterogenes Ensemble, das Diskurse, Institutionen, architekturale Einrichtungen, reglementierende Entscheidungen, Gesetze, administrative Maßnahmen, wissenschaftliche Aussagen, philosophische, moralische oder philanthropische Lehrsätze, kurz: Gesagtes ebenso wie Ungesagtes umfasst. Soweit die Elemente des Dispositivs. Das Dispositiv selbst ist das Netz, das zwischen diesen Elementen geknüpft werden kann”.

Für den ersten Punkt kann festgehalten werden, dass es sich bei einem Dispositiv um die Beziehung, d. h. das Netz zwischen diesen Elementen handelt. Das Netz setzt die Elemente des Dispositivs, z.B. Diskurse, Institutionen, Subjekte und physische Gegenstände in eine Verbindung und lässt ein Ensemble entstehen. Foucault führt weiter aus:

36 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

„Zweitens möchte ich in dem Dispositiv gerade die Natur der Verbindungen deutlich machen, die zwischen diesen heterogenen Elementen sich herstellen kann. So kann irgendein Diskurs mal als Programm einer Institution, mal im Gegenteil als ein Element erscheinen, das es erlaubt, eine Praktik zu rechtfertigen oder zu verschleiern, die selbst stumm bleibt, oder er kann als Sekundärinterpretation dieser Praktik funktionieren und ihr Zugang zu einem neuen Rationalitätsfeld verschaffen. Kurz, zwischen diesen diskursiven und nichtdiskursiven Elementen gibt es gleichsam ein Spiel, gibt es Positionswechsel und Veränderungen in den Funktionen, die ebenfalls sehr unterschiedlich sein können“

Hier versucht Foucault die Art der Beziehung, in der die Elemente stehen, genauer zu bestimmen. Es wird deutlich, dass die Elemente sich gegenseitig bedingen und Ausdruck ineinander finden. „Drittens verstehe ich unter Dispositiv eine Art – sagen wir – Gebilde, das zu einem historisch gegeben Zeitpunkt vor allem die Funktion hat, einer dringenden Anforderung nachzukommen. Das Dispositiv hat also eine dominante strategische Funktion“ (Foucault 2003: 392ff.).

Ein Dispositiv lässt sich also als ein Netzwerk aus heterogenen Elementen wie Institutionen, Diskursen, Gebäuden, Gesetzen usw. fassen. Gleichzeitig stehen diese Elemente in einem Verhältnis, das einem Spiel gleicht, sie bedingen gegenseitig ihre Positionen und Funktionen. Darüber hinaus ist ein Dispositiv als Lösungsversuch für ein Problem entstanden. Mit dieser „strategischen Funktion“ (Foucault 2003: 392ff.) ist ein Dispositiv „immer in ein Machtverhältnis eingeschrieben“ (Agamben 2008: 9). Mit dem Dispositivverständnis ist bei Foucault eine genealogische Vorgehensweise verbunden, die eher die Macht-Seite des Nexus Macht/Wissen hervorhebt, während die Vorgehensweise in der Diskursforschung eine archäologische darstellt (Keller 2008: 98). Ein Zitat von Foucault beschreibt seine neues Interesse, das nun nicht mehr nur bei den epistemen – dem Sagbaren und Nicht-Sagbaren – liegt, mit folgenden Worten: „Ich interessiere mich […] für die Institutionen und Praktiken, also für Dinge, die gleichsam unterhalb des Sagbaren liegen“ (Foucault 2002: 253, zit. in Sarasin 2005: 128). Es gibt inzwischen verschiedene Lesearten des Dispositivs (Agamben 2008; Deleuze 1991; Pløger 2012; Rabinow und Rose 2003; Bührmann und Schneider 2012). Foucault verwendete die Begriffe „Dispositiv“ und „Apparatus“ synonym. Einige Autoren wenden sich jedoch gegen funktionalistische Auffassungen von Dispositiven, die im Begriff „Apparatus“ im Sinne einer Gerätschaft mitschwingen (Pløger 2012; Bührmann und Schneider 2012: 54). Diese Arbeit folgt ebenfalls einem weitergefassten Dispositivverständnis, das das Dispositiv nicht auf eine „rationalistisch-instrumentelle Logik“ (Bührmann und Schneider 2012: 54) reduziert und mit einem technischen Apparat gleichsetzt, sondern den Blick

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auf die dynamischen Beziehungen bzw. die Vernetzung zwischen den Elementen und auf die Subjektivierungsprozesse richtet. Ein Dispositiv ist immer mit Macht verbunden (Foucault 1978; Keller 2008) und strukturiert mögliche Handlungsfelder. Welches Machtverständnis unterliegt dem Dispositiv? Diese und die Frage der Verräumlichung von Dispositiven – erstens im Sinne von Vergegenständlichungen, zweitens im Sinne von Reskalierungen von Macht – möchte ich im Folgenden klären, um im Anschluss daran die einzelnen Elemente des Dispositivs näher zu beleuchten (Kapitel 2.3.). 2.2.1 Governance und Gouvernementalität Wie bereits eingangs angeklungen nimmt die Dispositivperspektive die Machtaspekte und Machtstrategien in den Fokus (Keller 2008: 99). Dabei möchte ich das Machtverständnis von Foucault in direktem Zusammenhang mit Regierungsweisen diskutieren und daher vorweg kurz Bezug auf die GovernanceDebatte nehmen. Wer steuert bzw. reguliert und wie wird gesteuert? Diese Fragen werden aktuell in der „Governance-Debatte“ diskutiert und auch Foucaults Konzept der „Gouvernementalität“ findet zunehmend Berücksichtigung in dieser Diskussion (Bröckling et al. 2010; Mckee 2009). Die Semantik des deutschen Verbs „regieren“ wird häufig mit seiner alltäglichen Verwendung im Kontext formaler, staatlicher Regierung verbunden. Wie im Folgenden aufgezeigt wird, verwendet Foucault das französische Verb „gouverner“, was in der Literatur der Gouvernementalitätsstudien oft als regieren, jedoch im weiteren Sinne von führen, leiten, lenken, regulieren, übersetzt wird. Deshalb wird im Folgenden sowohl von steuern als auch von regieren im weiteren Sinne gesprochen. Vom Management zur Governance Das Governance-Konzept ist in der letzten Zeit in den Fokus verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen gerückt. Die Ursprünge des Governance-Begriffs sind in der Politikwissenschaft und in den Wirtschaftswissenschaften zu verorten. In die Politikwissenschaften hat der Begriff mit der Debatte über Neoliberalisierung und der Transformation der „Staatlichkeit“ Einzug gehalten (Brunnengräber et al. 2004). In den Wirtschaftswissenschaften wurde der Governance-Begriff bereits früher verwendet (Brunnengräber et al. 2004). Auch in der Geographie ist das Konzept auf rege Resonanz gestoßen, hierbei sind Arbeiten zu Urban Governance, Global Cultural Governance, aber auch Everyday Governance entstanden (Brenner 2009; Schmitt 2009; Zimmer 2012). Gouvernementalitätsansätze sind in der anglophonen Geographie bereits weitverbreitet

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(Huxley 2008; Watts 2003). In Deutschland fand das Konzept, bis auf einige Ausnahmen in der Geographie (Zimmer 2012; Michel 2005; Füller und Marquardt 2009), vor allem in der Soziologie und den Politikwissenschaften Eingang (Bröckling et al. 2000; Ziai 2003; Timpf 2003). Die historische Entwicklung des Governance-Begriffs wird von Benz et al. (2007: 12) in einem Dreischritt von „Planung“ über „Steuerung“ zu „Governance“ gefasst. In der Literatur findet sich für diese Entwicklung die Charakterisierung „vom Government zur Governance“ (Benz et al. 2007), wobei hier der Begriff „Government“ im herkömmlichen Sinne eine staatliche Regierung an der Spitze eines Nationalstaates bezeichnet und er somit enger gefasst wird als in Foucaults Verständnis, das im Laufe des Kapitels noch eingeführt wird. Inzwischen findet das Governance-Konzept in unterschiedlichen Diskursen und vor allem mit verschiedenen inhaltlichen Anreicherungen Verwendung. Dabei gilt es, die verschiedenen Ebenen, die sich in die analytische (Wie gestaltet sich die Interdependenzbewältigung?), die deskriptive (Übergang von „Government zu Governance“) und die normative („Good Governance“) Verwendungsweise untergliedern, klar voneinander zu unterscheiden. Eine Übersicht zum Governance-Konzept in den verschiedenen Diskursen hat Zimmer (2012) zusammengestellt. Was ist nun unter Governance als analytisches Werkzeug zu verstehen? Unter dem Begriff Governance fassen Benz et al. (2007: 9) „alle diese Formen und Mechanismen der Koordinierung zwischen mehr oder weniger autonomen Akteuren, deren Handlungen interdependent sind, sich also wechselseitig beeinträchtigen oder unterstützen können.“ Unter Governance-Formen verstehen Benz et al. (2007: 14) „die Strukturen der Interaktion“; darunter fallen formelle Regeln wie Gesetze, aber auch informelle Regeln wie verinnerlichte Muster von Abläufen des Zusammenwirkens. Unter Mechanismen werden dann die Prozessverläufe, die in der Auseinandersetzung des Akteurs mit den Regeln entstehen, verstanden (Benz et al. 2007: 14). Mit der Governance-Perspektive rücken die Interdependenzbewältigungen in den Fokus der Analyse, denn, so Benz et al. (2007: 15–16): „Der analytische Gebrauch von Governance impliziert eine spezifische Sicht auf die Wirklichkeit, indem die Interdependenzen zwischen Akteuren und die verschiedenen Formen der Interdependenzbewältigung im Kontext von Institutionen und gesellschaftlichen Teilsystemen in den Mittelpunkt gerückt werden.“ Die Governance-Perspektive ermöglicht es, den Fokus auf bestimmte kollektive Regelungen zu lenken, die bei einem Managementansatz nicht diese Aufmerksamkeit erhielten. Der Terminus „Management“ wird oft mit Begriffen wie hierarchischer Steuerung, Planung und Controlling von sozialen Beziehungen in

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Verbindung gesetzt (Biermann 2007). Folglich ist nach dem Verständnis dieser Arbeit Management ein Teil von Governance. In dieser Arbeit wird von Wassermanagement und Managementpraktiken gesprochen, wenn Aspekte der formalen Regelungen und technischen Kontrolle von Bewässerung und Wasserverteilung angesprochen werden. Das Governance-Konzept bietet jedoch eine weiter gefasste Perspektive auf die Steuerprozesse und -abläufe, die als Aushandlungsprozesse zwischen staatlichen, privatwirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren zu verstehen sind. 2.2.2 Regieren und Macht Der Governance-Begriff eröffnet zwar eine spezifische Perspektive auf bestimmte Formen und Mechanismen der Koordinierung und der Interdependenzbewältigung, doch sind die Gestalt und Funktionsweise dieser Formen und Mechanismen wenig expliziert, sodass der analytische Charakter dieser Kategorien sehr gering ist. Görg (2007: 954) spricht in diesem Kontext von „analytical uncertainty“. Wie sich das Zusammenspiel von Regieren, Macht und Subjekten gestaltet, bleibt unklar. Um dieses Desiderat zu bearbeiten, möchte ich im Folgenden Foucaults Überlegungen zu Regieren und Macht beleuchten. Foucaults theoretische Überlegungen drehen sich im weitesten Sinne um Fragen von Macht, Wissen und Regieren. Im Laufe seines Schaffens veränderten sich seine Überlegungen zu Macht. Lemke spricht sogar von einer radikalen Verschiebung in seiner Theoretisierung von Macht (Lemke 2002). In seinen ersten Arbeiten stand der Nexus Wissen/Macht noch im Zentrum (z. B. Foucault 1961 „Ordnung der Dinge“). In seinem Werk „Überwachen und Strafen“ (Foucault 1977) rückten dann die gesellschaftlichen Machtverhältnisse in den Fokus, die er anhand einer Analyse von Disziplinarinstitutionen und der Mikrophysik von Macht – wie diese durch Institutionen, wie das Gefängnis, die Schule und Fabriken Subjekte formt – untersuchte. Erst in seinen späteren Arbeiten wurden das Konzept der Gouvernementalität sowie Fragen nach Regierungsweisen zentral (Foucault 1991). Kurz vor seinem Tod beschäftigte er sich schließlich auch mit Fragen zu Widerständigkeit (Foucault 1982). Im Folgenden versuche ich, diese theoretische Verlagerung nachzuzeichnen und sie zugleich mit der empirischen Untersuchung des Governancewandels von Siedlungsbewässerungssystemen in Afrika in Verbindung zu setzen.

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Kontrolle und Disziplin in Siedlungsbewässerungssystemen Diese Arbeit untersucht Siedlungsbewässerungssysteme in Kenia, die teilweise bereits in der Kolonialzeit angelegt wurden. Diese landwirtschaftlichen Projekte sind als Teil der kolonialen Mission zu verstehen, deren Ziel Mitchell (1988) als „creating a world and ordering a world“ (Mitchell 1988, zit. in Bernal 1997: 447) bezeichnete. Landwirtschaftliche Projekte in den Kolonialländern wurden als ökonomisch-wissenschaftliche Projekte konzipiert und basierten auf rationellen Berechnungen. Um die Menschen in diesen Projekten, z. B. in den Siedlungsbewässerungssystemen wie in Gezira im Sudan oder Mwea in Kenia, zu lenken, d. h. zu platzieren, in die Produktionsprozesse einzuweisen, „zum Funktionieren“ zu bringen, bedurfte es einer Machttechnologie, wie sie Foucault in „Überwachen und Strafen“ identifiziert. Ausgangspunkt von Foucaults Betrachtungen in „Überwachen und Strafen“ ist eine Veränderung in den Machtverhältnissen und Machttechnologien auf der Schwelle zum 19. Jahrhundert, die er identifiziert. Im Übergang von der körperlichen Marterstrafe im 18. Jahrhundert zur Freiheitsstrafe im 19. Jahrhundert sah er eine Verschiebung von körperlicher Bestrafung hin zur Bestrafung der Seele. „Denn in den neuen Gefängnis- und Disziplinarinstitutionen wird primär der Körper in Beschlag genommen: nicht um ihn zu quälen, sondern um ihn zu disziplinieren, um ihn strikten Normen zu unterwerfen und ihn produktiv zu machen“ (Sarasin 2005: 132). Züchtigung und Disziplinierung sind also Technologien der Macht, die in disziplinarischen Institutionen wie Gefängnissen, Schulen, Kasernen, Fabriken und Siedlungsbewässerungssystemen zum Einsatz kommen. Dadurch entstehen Subjekte wie Häftlinge, Schüler, Soldaten und Pächter. Die Seele wird „produziert durch Machtausübung an jenen, die man überwacht, dressiert und korrigiert, an den Wahnsinnigen, den Kindern, den Schülern, den Kolonialisierten, an denen, die man an einen Produktionsapparat bindet und ein Leben lang kontrolliert“ (Foucault 1977: 41). Das „Wesen der Disziplin“ beruht auf einem „präzisen Befehlssystem“ zur Verhaltenssteuerung (Sarasin 2005: 136). „Diese Befehle funktionierten weitgehend oder sogar ausschließlich über Signale und nicht über Botschaften, deren Inhalte der Schüler, der Soldat oder der Häftling ,verstehen‘ musste“ (Sarasin 2005: 136). Für Foucault ist mit der Aufklärung nicht nur die Freiheit verbunden, sondern auch die Entstehung eines Überwachungs- und Kontrollsystems. Durch diese Maschinerie des Kontrollierens und Disziplinierens werden die Subjekte geformt bzw. es findet dadurch erst eine Subjektwerdung statt. Die Disziplin und die Überwachung sind also Technologien – Machttechniken –, die als Subjektivierungsinstrument fungieren und lenkbare und gelehrige Körper formen (Foucault 1977: 287). Durch Subjektivierungsinstrumente werden Machtstruktu-

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ren internalisiert, die somit als normal hin- und angenommen werden. Regeln und Normen, die inkorporiert sind, formen die Praktiken der Subjekte und werden dadurch reproduziert. Mit dem Verständnis von Macht als Mikrophysik wird deutlich, dass Macht durch Regeln und Institutionen vermittelt werden kann, ohne direkten Zusammenhang mit Zwang und Gewalt. Dies gibt einen ersten Einstiegspunkt für die empirische Untersuchung, indem der Blick auf die Machttechniken von landwirtschaftlicher Produktion und die Subjektwerdung von Pächtern zu Subjekten in Siedlungsbewässerungssystemen gerichtet wird. In welcher Art und Weise diese Technologien in den staatlichen Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia zum Einsatz kamen, wird in der empirischen Fallstudie diskutiert. Dabei wird es insbesondere darum gehen, die historischen Vorstellungen von Führung und Managementmodellen von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia zu untersuchen. Gouvernementales Regieren Für eine Analyse der Governance von Bewässerungssystemen im Kontext eines aktuellen neoliberalen Kenias (Weiss 2004) sind auch die weiteren Überlegungen von Foucault aufschlussreich. Denn in seinen späteren Arbeiten zu Gouvernementalität liegt der Fokus nicht mehr auf Prozessen der Disziplinierung, stattdessen rückt mit dem Begriff der „Regierung“, wie Lemke schreibt, die Beziehung zwischen Technologien der Beherrschung und Technologien des Selbst ins Zentrum (Lemke 2002: 4). Foucault konnte seine Ideen zur Gouvernementalität nur noch in Vorlesungen ausarbeiten (Foucault 2006b, 2006a), sodass es keine umfassende Monographie gibt. Gerade deshalb, so vermuten Füller und Marquardt (2009: 93–94), kam es zu einer regen Rezeption und Diskussion im anglophonen Raum sowie zur Herausbildung der governmentality studies. Was ist nun unter dem Begriff der Gouvernementalität zu verstehen? Die semantische Verknüpfung von „governing“ und „mentalité“ lässt bereits vermuten, dass es sich hier nicht nur um „Regieren“ im klassischen Sinne eines Souveräns, der Staatsmacht ausübt, handelt, sondern dass eine Art Rationalität bzw. eine Denkweise mitangesprochen wird. Dean konkretisiert „Mentalität“ in diesem Zusammenhang als ein kollektives Bewusstsein oder eine kollektive Art des Denkens, die in die Praktiken des Regierens miteinfließt und sich in der Sprache und anderen technischen Instrumenten des Regierens manifestiert (Dean 2010: 25). Eine zentrale Rolle in den Überlegungen zu Gouvernementalität spielt der Begriff „government“ – Regierung. Dabei fasst Foucault diesen sehr breit und schließt auch „nicht staatlich-institutionalisierte Formen der Machtausübung“

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(Füller und Marquardt 2009: 86) mit ein. Seine berühmte Definition von Regierung als „conduct of conduct“ (Foucault 1982: 789) eröffnet ein Kontinuum vom Regieren anderer bis hin zur Selbstregierung. „For conduct is at the same time to ,leadʻothers (according to mechanisms of coercion which are, to varying degrees, strict) and a way of behaving within a more or less open field of possibilities“ (Foucault 1982: 789). Es impliziert, dass die Menschen eine Art Regelung verinnerlicht, das heißt inkorporiert haben, was zu einer Art Selbststeuerung führt. Foucault definiert „regieren“ als das Strukturieren möglicher Handlungsfelder anderer10 (Foucault 1982: 790). Dies können sowohl die Handlungsfelder der anderen wie die eigenen sein. Regierung, d. h. die Ausübung von Macht, ist so als ein Handlungsmodus (a mode of action) gerichtet auf das Handeln anderer (Foucault 1982: 221). Es umfasst sowohl die Sphäre staatlicher Administration wie auch die Sphäre des Privaten (Lemke 2002; Dean 2010). Foucault spezifiziert: „The contact point, where the individuals are driven by others is tied to the way they conduct themselves, is what we can call, I think government. Governing people, in the broad meaning of the word, governing people is not a way to force people to do what the governor wants; it is always a versatile equilibrium, with complementarity and conflicts between techniques which assure coercion and processes through which the self is constructed or modified by himself“ (Foucault 1993: 203–204, zit. in Lemke 2002: 4–5). Macht wird nicht mehr als von Zwang und Einverständnis oder von Gesetzen ausgehend verstanden, vielmehr sind diese als „Elemente“ oder „Instrumente“ denn als „Quelle“ von Machtbeziehungen zu verstehen (Lemke 2002: 3–4; Foucault 1982: 219–222). Nach diesem Verständnis sind Machtbeziehungen als tief im sozialen Gefüge eingelassene Struktur zu verstehen, die sich in Praktiken manifestieren, und nicht als übergeordnete Struktur, die autoritär wirkt (wie zum Beispiel der Machteffekt eines Souveräns) (Foucault 1982: 791). „Die Macht, das sind in Wirklichkeit Relationen, ein mehr oder weniger organisiertes, mehr oder weniger koordiniertes Bündel von Relationen“ (Foucault 2009: 220). Dementsprechend erfolgen Machtausübung und Regieren auch in subtileren Formen als durch direkten Zwang, sie manifestieren sich in der Einführung von Anreizsystemen (ökonomischer, moralischer oder auch ethischer Art) und in der Formierung möglicher Handlungsfelder, durch die nun Steuerung wirkt.

10 Eigene Übersetzung, in Foucault (1982: 790) heißt es: „To govern, in this sense, is to structure the possible field of action of others.“

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Regime des Regierens Der Begriff „Gouvernementalität“ beinhaltet aber nicht nur eine Machtbeziehung, die Foucault unter dem Begriff „Regierung“ fasst, sondern auch die Formen der Macht, die unter Souveränität und Disziplin gefasst werden können, die bereits zu Anfang des Kapitels angesprochen wurden (Dean 2010: 29). Souveränität wird mit königlicher Herrschaft, aber auch mit Modellen der parlamentarischen Demokratie gefasst. Zu den charakteristischen Mechanismen dieser Herrschaftsausübung gehören Verfassungen, Gesetze, und Parlamente. Die souveräne Macht wird durch die Judikative, die Legislative und die Exekutive des Staates gegenüber seinen Untertanen oder auch Bürgern in einem definierten Territorium ausgeübt (Erhebung von Steuern, Bestrafungen) (Dean 2010: 29). Die Wurzeln von Disziplin liegen in militärischen Praktiken und Bildungspraktiken. Das Regime der Disziplin in Schulen, Krankenhäusern, Fabriken ist eng mit der Entwicklung eines bürokratischen und administrativen Staatsapparats im 17. und 18. Jahrhundert verbunden. Das Ziel von „Disziplin Regimen“ ist die Regulation und das Ordnen der Bevölkerung durch Schulen, militärische Einrichtungen oder die Organisation von Arbeit. Das Regime der Gouvernementalität übernimmt die Techniken, Rationalitäten und Institutionen, die charakteristisch sind für Souveränität und Disziplin, erweitert und deutet sie um (Dean 2010: 29). Ziel sind nun die Kapazitäten und Kräfte der Individuen, die eine Bevölkerung formen. Diese werden als Ressourcen aufgefasst, und es gilt, sie zu entwickeln, zu nutzen und zu optimieren (Dean 2010: 29). Dabei werden durch die Einführung von bestimmten Leitbildern, Aspirationen und Zielen Anreize geschaffen, sodass die Menschen diesen aus freien Stücken, aus reinem Selbstinteresse folgen und somit doch letztendlich das tun, was von ihnen erwartet wird (Li 2007a). Dass es dennoch so etwas wie ein Ausbruch des Subjekts aus den vorgezeichneten, „erwarteten“ Bahnen gibt, wird in Foucaults Arbeit „The Subject and Power“ von 1982 erkenntlich (siehe Kapitel 2.3.2). Tabelle 1 gibt einen Überblick über die verschiedenen Rationalitäten des Regierens mit ihren Machttechniken. Sie bilden ein Referenzsystem, das sinnstiftend für Techniken und Handlungen wirkt. Macht wird also mit Foucault als Zwang, als Disziplin wie auch normalisierend verstanden. Diese Kräftelinien, gekennzeichnet durch Macht, Regierung und Governance durchziehen das Dispositiv.

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Tabelle 1: Rationalitäten des Regierens

Rationalität des Regierens

Exekutive

Disziplin

gouvernementales Regieren, Regierungsweisen

zu lösendes Hauptproblem

Herrschaft in einem Territorium

Normierung der individuellen Körper

Effektivierung des Zusammenlebens

Regierungstechniken (Kontaktstelle der Individuen mit Macht)

Abgaben, punktuelle Gehorsamkeit, Bestrafen des Körpers

Disziplinierung in allen Lebensbereichen, Bestrafung der Seele, Überwachung

Individuelles Verhalten in einem Möglichkeitsfeld

Art der Machtausübung

untersagend, zwingend

normierend

normalisierend

wiederholte Einübung von Regeln und Normen

Internalisierung von Zielvorstellungen, Leitbildern wie Partizipation, Ausrichtung des Lebens an bestimmten gesellschaftlichen Ideen eines guten Lebens

Beispiel

Erlasse durch einen souveränen Herrscher (regulative Gesetze, Vorschriften)

Quelle: eigene Darstellung basierend auf Füller und Marquardt 2009: 88

2.2.3 Reskalierung der Kräfteverhältnisse Ein Dispositiv ist immer mit Macht und Regierungsweisen verbunden (Foucault 1978; Keller 2008), aber es kann auch zu Veränderungen in den Machtkonstellationen kommen, im Sinne von Reskalierungen. Scales – zur Erfassung sozialer Hierarchien? Skalare Arrangements spielen, wie Köhler (2008) gezeigt hat, auch beim Verstehen der Governance der gesellschaftlichen Naturverhältnisse eine Rolle. Dabei wird bei Skalenfragen im klassischen Sinn oft an die naheliegende Skalenaufteilung von lokal, regional und national gedacht (Wissen 2008: 9). In der aktuellen Debatte um „Scales“ findet sich kaum ein Beitrag zu Skalen, der nicht auf die

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Gefahr der Naturalisierung durch die klassische Aufteilung der Maßstabsebenen von lokal bis national hinweist, indem die Ebenen als Ausgangspunkt der Analyse herangezogen werden (Belina 2008; Füller und Michel 2008). Des Weiteren wird der Scale-Begriff dafür kritisiert, dass es leicht zu der Annahme kommt, räumliche Maßstabsebenen (wie z. B. national, regional, lokal) seien ontologisch gegeben. Diese vertikale Raumvorstellung führe zu einer Hierarchisierung zu Gunsten der nationalen Ebene und zu einer Marginalisierung subalterner Stimmen auf der lokalen Ebene (Marston et al. 2005). Die Kritiker treten für einen stärker prozessorientierten Ansatz im Sinne einer „flat ontology“ ein (Marston et al. 2005). Dieser Ansatz versteht Beziehungen zwischen Lokalitäten als horizontal, um so einer Hierarchisierung zu entgehen. Scale-Theoretiker versuchen, diesen epistemologischen Problemen zu begegnen, indem sie, wie Belina (2008), darauf hinweisen, dass diese Probleme überhaupt erst auftreten, wenn Ansätze verfolgt würden, die Maßstäbe außerhalb von Gesellschaft ansiedeln und die eine privilegierte Beobachterposition einnehmen würden. Nach einem sozial-konstruktivistischen Verständnis existieren Maßstäbe oder Scales nicht „an sich“, wie Belina (2008: 119) betont, sondern sie sind und werden durch „skalare Praxen“ sozial produziert und in skalaren Praxen verwendet. „Scaling“ ist ein Prozess von Schaffung, Abschaffung, Modifikation und Verwendung und somit immer auch Ausdruck einer „räumlichen Dimension sozialer Konflikte“ (Wissen 2008: 9). Scales werden sozial produziert und bilden somit „vorfindbare skalare sozialökologische Arrangements“ (Köhler 2008: 219), d. h. Scales können auch als eine Struktur mit „strukturierender Wirkung […] als räumlich-institutionelle oder diskursive Formen auf soziales Handeln“ verstanden werden (Wissen 2008: 20). Scales werden durch skalare Praxen sozial produziert und haben zugleich eine strukturierende Wirkung auf die sozialen Praxen. Dennoch bleibt bisher unklar, was unter Scales genau verstanden wird. Zum einen wird der Begriff verwendet, um auf eine räumliche Maßstabsebene hinzuweisen, d. h. eine räumliche Ausdehnung, wie z. B. der Nationalstaat oder eine Region (Taylor 1982). In diesem Sinne stellen Scales eine Betrachtungseinheit dar (mit der Gefahr der Verdinglichung von Maßstäben). Des Weiteren werden den einzelnen räumlichen Maßstäben (z. B. lokal, regional, national) in den meisten Fällen ein politischinstitutionelles Kräfteverhältnis mit bestimmten Verantwortungen und Kompetenzen und Pflichten zugeordnet, z. B. wird die Staatsregierung der naionalen Ebene zugeordnet und der Gemeinderat der Lokalen (Wissen 2008: 9). Dennoch bleiben bei den Begriffsbestimmungen von Scales einige „Unschärfen“ (Füller und Michel 2008), und außer dem immer wiederkehrenden Verweis, dass es sich nicht um statische Einheiten (Köhler 2008: 209), sondern

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um soziale Konstrukte und Produktionen handelt, ist der weitere Gehalt nicht explizit. Eine mögliche Frage, der nach gegangen wird, ist zum Beispiel welche „Interessen auf welchen Maßstabsebenen institutionalisiert“ sind/werden (Wissen 2008: 9). Weiterhin weisen verschiedene Autoren darauf hin, dass es vor allem die Wechselwirkungen zwischen den Scales sind, die den analytischen Gehalt von Scale ausmachen (Füller und Michel 2008: 149; Köhler 2008), daher dürfte keine einseitige Konzentration auf eine skalare Dimension stattfinden, sondern verschiedene skalare Dimensionen müssten mitgedacht werden. Auch wenn der Begriff „Scale“ aufgrund seiner impliziten Hierarchisierung zwischen „ontologisch gegeben Ebenen“ in Kritik geraten ist, sehe ich für meine Arbeit den Begriff der Reskalierung als höchst fruchtbar an, denn Skalen sind prozesshaft und kontingent. Veränderungen in den räumlichen Ausdehnungen von Prozessen oder in den Relationen zueinander sind also Reskalierungen. Dabei wähle ich diesen Begriff der Reskalierung nicht deshalb, weil ich den Ansatz einer Beschreibung der verschiedenen organisatorischen Scales von Bewässerungsmanagement verfolge, sondern weil die Governance von staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia Ausdruck einer komplexen Regulation gesellschaftlicher Naturverhältnisse ist, die sich durch verdichtete Kräfteverhältnisse und Hierarchien auszeichnen und die durch Reskalierungsprozesse in ihren Relationen verändert werden. Auch Marston et al. (2005) erkennen eine Hierarchie in dem „Ineinanderschachteln durch die legalen, rechtlichen und organisatorischen Strukturen“, deren Legitimität sie aber nicht anerkennen wollen (Marston et al. 2005: 48, zit. in Mahon und Keil 2008: 48). Hierarchien sind sozial produziert und auch real erfahrbar (Mahon und Keil 2008: 48). Daher führt eine Nichtanerkennung, d. h. eine Ausblendung dieser Hierarchien, zu einer Nichtthematisierung von Machtverhältnissen. Werden diese Hierarchien nicht anerkannt, können sie auch nicht verändert werden, wie Smith zutreffend feststellt: „Was man nicht sehen oder identifizieren kann, kann man auch nicht bekämpfen“ (Smith 2005: 897, zit. in Mahon und Keil 2008: 49). Das Scale-Konzept bietet ein analytisches Werkzeug für eine Analyse räumlicher Hierarchisierungen und deren Reskalierung. Reskalierung der gesellschaftlichen Naturverhältnisse Wissen (2008: 8) fasst unter Reskalierung die Reorganisation „räumliche[r] Maßstäblichkeiten sozialer Prozesse.“ Hierunter können die Verlagerung von politischen und ökonomischen Entscheidungen auf einen supranationalen Maßstab sowie auch die Verlagerung auf eine subnationale Ebene, z. B. durch Prozesse der Dezentralisierung fallen (Wissen 2008; Perreault 2005; Swyngedouw 2004a). In dieser Arbeit soll unter Reskalierung die Übertragung von Verant-

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wortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen, die ehemals bei einem staatlichen Akteur lagen, auf private Akteure wie z. B. neugegründete Bauernorganisationen, aber auch eine Verlagerung innerhalb staatlicher Behörden, gefasst werden. Wissen spricht in diesem Kontext auch von einer „räumlichen Redimensionierung“ (Wissen 2008: 11). Ich verwende den Begriff, um eine Veränderung in „räumlichen Kräfteverhältnissen“ durch politisch-institutionelle Restrukturierungsprozesse zu fassen. Politisch-institutionelle Strukturen sind oft durch eine Hierarchie gekennzeichnet. Der Begriff der Reskalierung soll in diesem Sinne eine Umstrukturierung von Verantwortlichkeiten, Entscheidungsmöglichkeiten und Praktiken fassen. Eine Reskalierung ist immer als eine skalare Praxis (Belina 2008) zu verstehen, durch die Kräfteverhältnisse in ihrer symbolischen und physisch-materiellen Artikulation (Belina 2008: 113) umstrukturiert werden. Köhler (2008) spricht bei Reskalierung von Governance von skalaren Reorganisationen in Politikfeldern, Veränderungen von Zuständigkeiten und Entscheidungsfindungen, Neudefinitionen von Problemen und als Konsequenz daraus eine Schaffung neuer Aktionsräume. Eine skalare Reorganisation führt also zu veränderten Entscheidungsspielräumen und Machtverhältnissen: „scalar reconfigurations […] shape in important ways who will have access to what kind of nature, and the particular trajectories of environmental change“ (Swyngedouw 2004b: 132, zit. nach Köhler 2008: 218). Ich verstehe die Governance von staatlichen Bewässerungssystemen als ein netzwerkartiges, komplexes Kräfteverhältnis, das in die gesellschaftlichen und natürlichen Verhältnisse eingebunden ist und das sich durch verschiedene Verdichtungen von Steuerungskompetenzen in dem Netzwerk auszeichnet. Diese Verdichtungsknoten werden nicht als gegeben angesehen, sondern als Produkte diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken. Diese Verdichtungen mit verschiedenen räumlichen Ausweitungen an Steuerungskompetenzen sind relational zueinander, d. h. eine Reskalierung würde eine relationale Verschiebung dieser Steuerungskompetenzen bedeuten. Für diese Arbeit spielen mehrere Reskalierungsprozesse von gesellschaftlichen Naturverhältnissen in Kenia eine Rolle: Zum einem handelt es sich um dezentralistische Reformen im Bewässerungs- und Wassersektor und zum anderen um eine Reform der Grenzen administrativer Einheiten, die mit der Implementierung der neuen Verfassung einhergehen. Diese zwei Prozesse sind bei der Untersuchung von Aushandlungsprozessen um den Zugang zu Wasser und Land in staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia, insbesondere im Fallbeispiel des Perkerra-Bewässerungssystems, von Bedeutung.

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2.2.4 Neue Governance Spaces Mit dem Begriff der Reskalierung rücken die Veränderungsprozesse und die sozialen Aushandlungsprozesse von Machtverhältnissen in den Blickpunkt. Eine Reskalierung der Governance von Bewässerungssystemen in Kenia ist als ein Umbau, von vormals zentralistisch organisierter Governance, in der eine Entscheidungsstruktur eine national-räumliche Ausdehnung hat, zu einer dezentrierten Organisationsform zu verstehen. Eine Reskalierung dieser Steuerungsbefugnisse und der bisherigen Kräfteverhältnisse bedeutet eine aktive Schaffung von neuen „governance spaces“ (Taylor 2007: 297). Mit dem Ansatz der Gouvernementalität als erweitertes Verständnis von Macht und Regierung können also Macht und Regierungsbereiche analysiert werden, die außerhalb der direkten, formalen Einflusssphäre des Staates liegen, wie diese neuen Governance Spaces, also Bereiche von staatlicher Macht „at a distance“ oder „beyond the state“ (Swyngedouw 2005; Taylor 2007). Denn Machtverhältnisse sind in das gesellschaftliche Gefüge eingelassen, in dem sich die Subjekte befinden. Machtverhältnisse sind stets auch Objekt von Aus- und Neuverhandlung (Strüver 2009: 68). Die Umsetzung von Reformen, Teil der Reskalierungen, hat in den letzten Dekaden das Management von Siedlungsbewässerungssystemen zunehmend umstrukturiert. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Reformen ist ein Rückzug des Staates aus dem Management und eine „partizipative“ Einbindung der Siedler und Landwirte in die Entscheidungsprozesse. Die neuen Governance Spaces werden durch diesen Rückzug jedoch nicht weniger regiert. Hier greifen, wie Foucault herausgestellt hat, neue Techniken und Strategien des Regierens von Menschen und Kollektiven etc. wie das Regieren des Selbst, Subjektivierungsweisen und Identitätskonstruktionen. Auch in diesem „neuen“ Raum müssen die Machtverhältnisse und Machtrelationen neu ausgehandelt werden. Denn durch eine Reskalierung von Verantwortung erhalten neue Akteure wie z. B. verschiedene Bauernorganisationen Verantwortung im Wassermanagement. Durch das Hinzukommen von den neuen Akteuren (emergent actors) in die Arena werden geläufige Regierungspraktiken überprüft und neu ausgehandelt. Zivilgesellschaftliche Akteure müssen nun Aufgaben erfüllen und Entscheidungen treffen, die vormals im Verantwortungsbereich von staatlichen Akteuren lagen. Dabei sind es vor allem Aufgaben, die vorher von „street-level bureaucrats“ (Lipsky 2010), also Bürokraten des öffentlichen Diensts, übernommen wurden. Ich möchte Reskalierung entlang einiger Punkte diskutieren, die Taylor (2007) basierend auf Somerville (2005) aufgestellt hat und durch die der neue Governance Space gekennzeichnet ist. Durch eine Reskalierung von Governance

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kommt es zum Transferieren von Verantwortlichkeiten. Dadurch wird die Verantwortung entweder innerhalb der staatlichen Organisation in andere Ebenen umgelagert oder aus der staatlichen Organisation ausgelagert und von neuen Akteuren, wie z. B. Bauernorganisationen, übernommen. Im Falle des Bewässerungssektors soll die Erhöhung von Transparenz und Rechenschaft im Bewässerungsmanagement erreicht werden. Schließlich sollen diese Maßnahmen zu einer Steigerung der Produktivität des landwirtschaftlichen Sektors führen (Garces-Restrepo et al. 2007: 3–4). Zu den positiven Effekten, die mit Ideen von Dezentralisierung, Devolution und Partizipation, d. h. mit einer Veränderung der bisherigen Regierungspraktiken hin zu mehr Verantwortung und Steuerungsmöglichkeiten seitens zivilgesellschaftlicher Akteure einhergehen, gehören, so eine gängige Annahme in der Literatur (Taylor 2007), zum einen die Stärkung des sozialen Kapitals und der Gemeinschaftskohäsion. Zum anderen kann es durch die Einbeziehung der Gemeinden in Entscheidung und Planung im Rahmen einer Reskalierung zu einer verbesserten Bereitstellung von lokal angepassten Dienstleistungen für die Bevölkerung kommen (Cook et al. 2013), die den Bedarf genau decken kann. Im Bewässerungssektor wären dies eine verbesserte Wasserverteilung, die auf die Bedürfnisse der Landwirte abgestimmt ist und eine gute Wartung der Infrastruktur (Kanalreinigung, etc.). Angesichts der in der Governance-Debatte diskutierten Konzepte von Dezentralisierung und Partizipation, scheint die Idee von Rezentralisation auf den ersten Blick zunächst nicht eingängig. Newmans formulierte These zur Rezentralisation geht davon aus, dass der Staat sich zwar zurückgezogen hat und die Gemeinden sowie nicht-staatliche Organisationen in das Governance-Netzwerk mit einbezogen wurden, durch diese neuen Partnerschaften jedoch nicht weniger staatliche Kontrolle ausgeübt würde (Newman 2001). So würden neo-liberale Marktkräfte und wachsende Rechenschaftsverpflichtungen auf Seiten der Gemeinden den Handlungsspielraum zunehmend bestimmen. Morison (2000: 129) stellt fest, dass das, was als erhöhte Autonomie präsentiert wurde, – als mehr Selbstbestimmung und Selbstorganisation im Sinne von Selbstregierung – eine rekonfigurierte Rationalität sei, die Praktiken und Interessen der Gemeinden und lokalen Organisationen an die Interessen des Staates zu binden. Diese Thesen und Annahmen möchte ich anhand meines empirischen Materials auf die Fragen hin überprüfen, inwieweit sich der Staat wirklich zurückgezogen hat und ob der neue Governance Space durch neue Formen der Selbstbestimmung und der Eigenständigkeit geprägt ist.

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2.2.5 Zu einer Analyse des Regierens Viele Arbeiten zu Gouvernementalität, z. B. die der governmentality studies, konzentrieren sich stark auf die Analyse von politischen Programmen und den sich dort manifestierenden Rationalisierungen. Inzwischen wurde Kritik an den „post-foucaultschen“ Arbeiten laut, die sich immer weniger auf die ursprünglichen Texte von Foucault beziehen. Einer der Hauptkritikpunkte ist, dass sehr oft abstrakte und textzentrierte Ansätze die governmentality studies dominieren (Mckee 2009; Füller und Marquardt 2009: 99). Des Weiteren wird in diesen Studien empirischen Sachverhalten wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Zudem werden Aspekte der sozialen Differenz und der von Foucault in seinen späteren Arbeiten herausgearbeiteten Widerständigkeit oft vernachlässigt (Mckee 2009: 467; Füller und Marquardt 2009: 96). Füller und Marquardt (2009) weisen noch auf zwei weitere problematische Aspekte der Rezeption hin, nämlich zum einen das Problem der Generalisierung in vielen Studien, das daher rührt, dass häufig die „Bedeutungsebenen“, d. h. die analytische und deskriptive Ebene, durcheinandergeworfen werden (Füller und Marquardt 2009: 94) und zum zweiten auf die Gefahr der Homogenisierung. So wird auch bei der „empirischen Anwendung der Gouvernementalitäts-Perspektive“ Macht leicht als „gefestigte Struktur“ aufgefasst (Füller und Marquardt 2009: 96). Dass Machtbeziehungen jedoch prozesshaft sind, ausgehandelt werden und konflikthaft verlaufen können, wird oft nicht beleuchtet. Für Foucault existiert Macht „nur in actu, auch wenn sie sich […] auf permanente Strukturen stützt“ (Foucault 1987 [1983]: 254, zit. in Füller und Marquardt 2009: 98). Deshalb sollte laut Füller und Marquardt (2009: 98) eine Analyse der Machtverhältnisse „am besten auf der Ebene der Praktiken“ ansetzen. Somit stellt eine Vorgehensweise, die sich nicht nur auf Regierungsprogramme, Zielvorstellungen und Regierungsabsichten, sondern auf die Praktiken und deren tatsächliche Effekte konzentriert, einen Weg dar, um der Gefahr der Generalisierung und Homogenisierung zu entgehen (Füller und Marquardt 2009: 99). Aus diesen Punkten lässt sich ein Plädoyer für ein empirisches Arbeiten ableiten, das „sich methodisch der Ebene konkreter Handlungen auf der individuellen Ebene [annähert]“ (Füller und Marquardt 2009: 99). Eine Machtanalyse hat danach zu fragen, „wie Macht ausgeübt wird“ (Füller und Marquardt 2009: 99). Dies schließt auch eine Erweiterung des Fokus ein: Von der formalen Ebene von Regierungspraktiken (Staatliche Regierung, politischen Parteien, staatlicher Verwaltungsapparat) hin zu einer Berücksichtigung von „everyday politics“ (Kerkvliet 2009), d. h. von alltäglichen Praktiken der Steuerung. Es zeigt sich, dass die Perspektive der Gouvernementalität das GovernanceKonzept um einige wichtige Aspekte ergänzen kann. Dies wäre zum einen eine

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Erweiterung von „Steuern/Regieren“ durch den Begriff „Regierung“, der sowohl das Regieren anderer sowie auch Formen der Selbstregierung einschließt. Des Weiteren bietet sie gute Einstiegsmöglichkeiten, um Machtverhältnisse zu untersuchen. Macht wird durch bestimmte Machttechniken ausgeübt, die wiederum in Beziehung zu bestimmten Rationalitäten stehen. Diese „Machtverhältnisse prägen unsere Anordnung der Dinge und Wissensbestände, unsere täglichen Interaktionen und unser Selbstverständnis“ (Füller und Marquardt 2009: 99). Anders gesagt: Durch bestimme Diskurse geformte Machttechniken wirken sich auf Praktiken des Regierens aus, was sich auch in Vergegenständlichungen (räumliche Anordnungen, architektonische Arrangements) ausdrückt. Somit rückt ein Netz von Elementen in den analytischen Fokus der Arbeit, das über die analytischen Angebote der „klassischen“ Governance-Ansätze hinausgeht. Über diesen Ansatz ist es möglich, sowohl Rationalitäten von staatlichen Bewässerungspolitiken als auch die konkreten Regierungspraktiken bezogen auf landwirtschaftliche Produktion in Bewässerungssystemen und deren Auswirkungen auf den Zugang der Akteure zu Ressourcen wie Wasser und Land zu analysieren.

2.3 D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV Wie können nun diese Elemente, d. h. die produzierte Natur, die Regierungsweisen, die Machtverhältnisse und der Zugang zu natürlichen Ressourcen, zusammengedacht werden? Wie zu Anfang bereits eingeführt, stellt das Dispositivkonzept einen geeigneten Analyserahmen dar, um die Wirkungszusammenhänge dieser Elemente zu verdeutlichen. Für eine Analyse von Regierung im Sinne von Foucault schlägt Dean vor, die organisierten Praktiken und Techniken zu untersuchen, durch die wir regiert werden und durch die wir uns selbst regieren. Diese organisierten Praktiken und Techniken nennt Dean „regimes of practices“11 (Dean 2010: 28) und bezieht sich dabei auf Foucaults Konzept des „Dispositivs“ (Foucault 1980). Diese Arbeit geht davon aus, dass es ein eigenes Dispositiv für Bewässerungslandwirtschaft gibt – das Bewässerungsdispositiv. Das in dieser Arbeit

11 Dean schreibt: „In an elementary sense, regimes of practices are simply fairly coherent sets of ways of going about doing things. […] Regimes of practices are institutional practices if the latter term means the routinized and ritualized way we do these things in certain places and at certain times. These regimes also include, moreover, the different ways in which these institutional practices can be thought, made into objects of knowledge, and made subject to problematizations“ (Dean 2010: 31).

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untersuchte Bewässerungsdispositiv in Kenia wurde als Reaktion auf konkrete gesellschaftliche „Notstände“ angelegt (mehr dazu in Kapitel 4). Diskurse, Rationalitäten und Praktiken wirken auf die Subjektivierung von Subjekten und schlagen sich ebenso in Objektivationen im Raum des Sichtbaren wider. So ist die Beeinflussung räumlicher Anordnungen eine Technik, die Bevölkerung besser zu regieren bzw. zu kontrollieren. Diese Elemente, verstanden als dynamisches Netzwerk, ergeben den analytischen Vorteil dieser konzeptionellen Perspektive. So stellen etwa materielle Hilfsmittel wie Bewässerungskanäle auf der einen Seite Machttechniken dar, indem dadurch die Wasserverteilung gesteuert wird. Auf der anderen Seite ist die Konstruktion von Bewässerungskanälen gleichzeitig eine Objektivation bestimmter Rationalitäten und Diskurse. Dieses Beispiel verdeutlicht, wie die Elemente netzartig miteinander verwoben sind (siehe Abbildung 2). Dennoch sollen sie zum Zweck der Analyse erst einzeln aufgeschlüsselt betrachtet und im Anschluss wieder zusammengebracht werden. Abbildung 2: Das Bewässerungsdispositiv

Quelle: eigene Darstellung

Die Zusammenstellung der Elemente stützt sich sowohl auf die Punkte, die Foucault (1982) für eine Analyse von Machtbeziehungen in The Subject and

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Power12 genannt hat, als auch auf die Punkte, die Dean für eine Analyse der „regimes of practices“ identifizierte (Dean 2010: 33–44), sowie letztendlich auf die Dimensionen, die Bührmann und Schneider für eine Dispositivanalyse vorschlagen (Bührmann und Schneider 2012). Die zu untersuchenden Elemente im Netz des Dispositivs sind also (siehe Abbildung 2): Die Diskurse und Rationalitäten, die Technologien oder auch Machttechniken als Instrumente der Steuerung, die Praktiken des Regierens, das Element der Vergegenständlichungen und schließlich die Subjektivierungsweisen. 2.3.1 Rationalitäten und Wahrheiten Wie werden zu regulierende Probleme identifiziert, Ziele definiert, Bearbeitungsfelder konstruiert und welche Mittel werden eingesetzt, um sie sichtbar zu machen? Bei diesem Element des Dispositivs geht es also auch um eine Form der Problematisierung. Dadurch werden bestimmte Felder und Sachverhalte erst sichtbar und damit bearbeitbar gemacht. Als nächstes stellt sich die Frage, wie etwas problematisiert wird. Wie wird argumentiert und vorgegangen, wenn es z. B. um den Schutz der Bevölkerung vor Nahrungsmittelknappheit geht. Welches Wissen, welche Expertisen, Strategien oder Rationalitäten kommen zum Einsatz, um ein Problem, wie etwa Ernährungsunsicherheit, Umweltzerstörung oder unnachhaltige Nutzung von Ressourcen, zu definieren und zu bearbeiten? Was sind die Motivationen von staatlichen Regierungspraktiken und wie wandeln sich diese im Laufe der Zeit? Welche Logik steckt hinter den zu einem historischen Zeitpunkt propagierten Lösungen, wie etwa der staatlichen Planung von großen Infrastrukturprojekten wie großflächigen Bewässerungssystemen oder auch Staudämmen? In engem Zusammenhang damit stehen die Art des Denkens, die Art der Logik sowie die Rationalität von Steuerungspraktiken, die sich auch in PolicyProgrammen manifestieren. Diese Denkweisen werden stark durch wissenschaftliche Konzepte geprägt (Wirtschaftswissenschaften, Medizin, Umweltmanagement, etc.). Hierbei spielen Begriffe und Argumente (meistens wissenschaftliche) und die Entwicklung von Konzepten (z. B. partizipative Managementansätze) eine Rolle. Berichte, Karten, Tabellen, Pläne, Graphiken und Diagramme sind Mittel, um notwendige regierbare Felder sichtbar zu machen (Dean

12 Foucault nennt in „The Subject and Power“ (1982: 792) fünf Punkte für eine Analyse von Machtbeziehungen: Das System der Differenzierungen, Typen von Zielen, Mittel zur Schaffung der Macht, Formen der Institutionalisierung und Grade der Rationalisierung. Diese Punkte werden auch von Dean (2010) aufgegriffen.

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2010: 41). Für die Identifizierung von Problemen und Bearbeitungsstrategien werden bestimmte Typen des Wissens eingesetzt. Expertenwissen und Wissen, welches in wissenschaftlichen und politischen Spezialdiskursen zirkuliert, wird herangezogen, um das Feld sichtbar werden zu lassen und zu bearbeiten. Mit ihnen werden Wahrheiten produziert. Wahrheiten stellen aus Perspektive der Dispositivanalyse soziale Konstruktionen von Aussagen und Tatbeständen dar, die als wahr anerkannt werden. Aber die Argumente und Rhetorik können sich auch auf Imaginationen und Mythen, die mit starker Emotionalität verbunden sind, beziehen. Dies ist z. B. der Fall, wenn in Krieg- oder Krisenzeiten ein Feindbild geschaffen werden muss (Dean 2010). Bei der Produktion von Wahrheitseffekten werden bestimmte Handlungsmöglichkeiten aufgezeigt und andere weggelassen oder als unwichtig, unrentabel, nicht praktikabel dargestellt. Lemke nennt dies „politics of truths“ (Lemke 2002: 8). Steuerungspraktiken beziehen sich darauf, was für wahr gehalten wird, d. h. welche Aspekte bearbeitet werden sollen, mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck. Die Steuerungspraktiken werden durch solche Wahrheiten geleitet und zugleich reproduzieren sie wiederum neue Wahrheiten (Dean 2010: 27). Es kann jedoch auch zu Konstellationen kommen, in denen unterschiedliche Steuerungspraktiken, die durch verschiedene Wahrheiten angeleitet werden, aufeinandertreffen. Diskursfelder Rationalitäten zirkulieren in Diskursen. Bestimmte wissenschaftliche Konzepte und Wissensbestände sind dabei nicht nur in wissenschaftlichen Diskursen zu finden, sondern diffundieren auch in andere Diskurse. Um diese unterschiedlichen Diskursformen und die Zirkulation von Aussagen zu verstehen, greife ich auf die Idee der Diskursunterteilung von Bührmann und Schneider (2012) zurück, die aufbauend auf Link (1986) eine Unterscheidung in Spezialdiskurse, Interdiskurse und Alltagsdiskurs vornehmen (Link 1986, 2005, zit. in Bührmann und Schneider 2012: 66). Allerdings möchte ich diese Diskurse nicht in einer Hierarchie von Diskursebenen denken, sondern als „Diskursfelder“ (Keller 2008), die sich durch spezifische Wissensbestände und Aussagensysteme auszeichnen. Im diskursiven Feld des Spezialwissens zirkulieren disziplinspezifische, meist wissenschaftliche Wissensbestände. Spezialdiskurse sind z. B. global zirkulierende Wissensbestände zu Nachhaltigkeit oder auch zum Schutz indigener Minderheitengruppen, die durch bestimmte globale Akteure wie die UN oder NGOs vorangetrieben werden. Das Wissen diffundiert zwischen den diskursiven Feldern. Das diskursive Feld des Spezialwissens speist andere diskursive Felder, die sich z. B. durch „Allgemein-Wissens-Bestände“, auch Inter-

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diskurse genannt, auszeichnen. So schreiben Bührmann und Schneider (2012: 66) zu diesen Allgemein-Wissens-Beständen: „Dieses Wissen unterliegt keinen expliziten und systematischen (spezialdiskursiven) Regelungen, verweist aber in seiner Strukturiertheit auf die Dominanzverhältnisse zwischen den Spezialdiskursen und auf die jeweiligen Wertepräferenzen.“ Spezialwissen diffundiert in die diskursiven Felder der Interdiskurse und schlägt sich dann z. B. als „Allgemeinbildung“ in diskursiven Feldern der Alltagsdiskurse der Alltagswelt der Subjekte nieder. Wissensbestände der Alltagsdiskurse können auch wieder in diskursive Felder der Interdiskurse diffundieren (Bührmann und Schneider 2012: 66). Waldschmidt et al. (2007) nehmen eine Präzisierung des Begriffs „Alltagsdiskurs“ vor. Für sie läuft dieser Diskurs nicht entlang des Codes wahr/falsch, sondern er gewinnt seine Legitimation durch den Verweis auf die Erfahrung der Subjekte entweder „,am eigenen Leibe‘ oder als Erzählung ,aus zweiter Hand‘“ (Waldschmidt et al. 2007: 34, zit. in Bührmann und Schneider 2012: 67). Zusammenfassend formuliert, ergibt sich die erste Forschungsfrage: Die Frage nach den Logiken und den Funktionen, die mit dem Bewässerungsdispositiv verbunden sind. 2.3.2 Praktiken des Bewässerungsdispositivs Für eine Dispositivanalyse ist das Verstehen von Praktiken von großer Bedeutung. Deleuze (1991: 159) schreibt: „Wir gehören Dispositiven an und handeln in ihnen.“ Auch Bührmann und Schneider (2012), die sich von einer diskurstheoretischen Position aus einer Dispositivanalyse annähern, rücken Praktiken und Materialität erstmals stärker in den Vordergrund einer Analyse. Praktiken werden als „sozial konventionalisierte Arten und Weisen des Handelns, also typisierte Routinemodelle für Handlungsvollzüge, die von unterschiedlichen Akteuren mit mehr oder weniger kreativ-taktischen Anteilen aufgegriffen, ,gelernt‘, habitualisiert und ausgeführt werden“ definiert (Keller 2008: 100). Zugangspraktiken im Netz des Bewässerungsdispositivs Ribot und Peluso definieren Zugang, in Anlehnung an Foucaults Machtverständnis (Ribot und Peluso 2003: 155–156), als die effektive Fähigkeit von einer Ressource zu profitieren. „We define access as ,the ability to derive benefit from things’, broadening from property´s classical definition as ,the right to benefit from things’“ (Ribot und Peluso 2003: 153).

„Fähigkeit“ wird im Sinne von Macht verstanden: als Möglichkeit, das Handeln anderer zu beeinflussen. Zugang zu einer Ressource, d. h. die Fähigkeit, von ihr

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zu profitieren, stellt also eine Machtbeziehung zwischen Menschen dar, wobei die Macht von sozialen und institutionalisierten Praktiken ausgeht. Diese Machtbeziehung muss nicht durch offensichtlichen Zwang gekennzeichnet sein, sondern kann im Sinne von Foucault (Foucault 1982: 790) auch als Strukturierung des Möglichkeitsfeldes „Zugang“ verstanden werden. Auch Sen hat bereits auf die effektive Fähigkeit von etwas zu profitieren hingewiesen (Sen 1984: 497). Ribot und Peluso rücken aber die vielfältigen sozialen Beziehungen in den Blick, die für das Profitieren von einer Ressource eine Rolle spielen, sie sprechen deshalb auch von einen „web of access“ (Zugangsnetz). Soziale Beziehungen und Praktiken sollten als machtdurchdrungene verstanden werden. Somit ist Zugang eingebettet in ein soziales Netzwerk – ein „web of access“, das auch immer als „web of power“ zu verstehen ist (Ribot und Peluso 2003: 159). Dieses Netz wird durch vielfältige Beziehungen, Praktiken und Strukturen geformt. Neben einem rechtsbasiertem Strang (formaler Eigentumstitel, Privateigentum), identifizieren sie vielfältige relationale und strukturelle Mechanismen, die sich zu Strängen des Zugangsnetzes zusammenfügen. Zu den relationalen und strukturellen Zugangsmechanismen zählen Zugang zu technischen Hilfsmitteln, zu Kapital, zu Märkten, zu Wissen und zu Autorität, sowie die Berücksichtigung von Zugang durch soziale Identität und soziale Beziehungen, die allen Elementen des Zugangs unterliegen (Ribot und Peluso 2003: 172). In Tabelle 2 sind die strukturellen und relationale Mechanismen aufgeführt und werden näher erläutert. Die Praktiken, verstanden als Routinemodelle für Handlungsvollzüge (Keller 2008: 100), die Akteure aufgreifen können, hängen eng mit der Position im sozialen Raum zusammen (Bourdieu 1982). Personen, die über ein Bündel verschiedener Zugangsmechanismen verfügen, haben eine machtvollere Position als andere Personen und haben somit andere Handlungsmöglichkeiten. Die Positionierungen im Zugangsnetz von verschiedenen Akteuren hängen also eng zusammen mit deren Ausstattung (endowment), die sich aus verschiedenen Kapitalien, oder auch Assets (Scoones 1998) zusammensetzt. Foucault spricht von einem System der Differenzierung (Foucault 1982: 792), auf dessen Grundlage jemand über die Handlungen anderer bestimmen kann.

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Tabelle 2: Strukturelle und relationale Mechanismen des Zugangs Zugang zu Technologie

Für die Nutzung zahlreicher Ressourcen bedarf es technischer Hilfsmittel wie Werkzeug, Maschinen, Infrastruktur (Straßen, Fahrzeuge).

Zugang zu Kapital

Verfügbarkeit von finanziellem Kapital. Kauf von Eigentumsrechten, Einstellen von Arbeitern, Pachtzahlungen, Verfügbarkeit von Krediten.

Zugang zu Produktionsmitteln

Verfügbarkeit von Produktionsmitteln.

Zugang zu Märkten

Möglichkeit, in Austauschbeziehungen zu treten sowie Produkte auf einem Markt zu verkaufen.

Zugang zu Arbeit

Möglichkeit, Arbeit zu finden.

Zugang zu Wissen

Zugang zu Ressourcen wird durch die Möglichkeit, Kategorien des Wissens zu schaffen, geformt. Glaubenssysteme, ideologische Kontrolle und diskursive Praktiken sowie ausgehandelte Bedeutungssysteme spielen bei allen Formen von Zugang eine Rolle.

Zugang zu Autorität

Privilegierter Zugang zu Personen und Institutionen, verknüpft mit der Autorität, Gesetzte und Regeln zu erlassen und durchzusetzen, beeinflusst direkt, wer von einer Ressource profitieren kann.

Zugang durch soziale Identität

Zugang ist oft vermittelt durch soziale Identität oder Mitgliedschaft in einer Gemeinschaft oder Gruppe; dies können auch Gruppen von Alter, Geschlecht, Ethnizität, Religion, Status, Beruf, gemeinsame Ausbildung, gemeinsame Herkunft oder andere Attribute sein, die eine soziale Identität konstituieren.

Zugang durch soziale Beziehung

Zugang durch Aushandlung von sozialen Beziehungen wie Freundschaft, Vertrauen, Reziprozität, Patronage, Abhängigkeit. Soziale Beziehungen sowie soziale Identität unterliegen allen bisher genannten Zugangsformen.

Quelle: eigener Entwurf nach Ribot und Peluso 2003: 89

Diese Differenzierung kann sich, so Foucault, aus Gesetzen oder Regelungen, Traditionen, sozialem Status, ökonomischen Unterschieden, kulturellen Diffe-

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renzen, Wissensunterschieden etc. speisen. Dies deckt sich mit den verschiedenen strukturellen und relationalen Zugangsmechanismen, die Ribot und Peluso identifizieren. Über Differenzen wird somit jedem eine Position im Netz der Macht – web of power (Ribot und Peluso 2003) – zugewiesen.13 Im Aushandlungsprozess um Zugang zu Ressourcen können Akteure auf unterschiedliche Mechanismen zurückgreifen. Dies ist oft mit der Ausübung von Macht verbunden, indem versucht wird, das Handeln anderer im eigenen Sinne zu beeinflussen. Aber es gibt auch immer Formen von Widerständigkeit, im Rahmen derer Menschen dafür eintreten, „dass man nicht so und nicht dafür und nicht von denen da regiert wird“ (Foucault 1992). Dies ist der Fall, wenn Personen sich der Strukturierung ihrer Handlungsmöglichkeiten entziehen und versuchen, aus dem Strukturierungsfeld auszubrechen. Auf Formen der Widerständigkeit, die ein bedeutender Aspekt bei der Analyse von Regierungspraktiken sind, wird in Kapitel 2.3.5 näher eingegangen werden. Zusammengefasst ergeben sich Fragen nach der Aushandlung des Zugangs zu den Ressourcen Wasser und Land von Akteuren und wer von den Ressourcen in welchem Umfang profitieren kann. Aber auch Fragen von konkreten Formen und Praktiken der Machtausübung im Bewässerungssystem sind von Relevanz. 2.3.3 Machttechniken – Instrumente der Steuerung von Zugang zu Wasser Das Element der Machttechniken berücksichtigt die Vorgehensweise und Instrumente des Regierens, die durch klar strukturierte und definierte Mechanismen und Techniken abläuft. Vorab möchte ich auch die terminologische Schwierigkeit bei dem Begriffspaar Macht-Techniken und Technologie der Macht in Bezug auf das Dispositiv hinweisen. Wie Zimmer (2012: 44) feststellt, bleibt die Verwendung des Begriffs Technologie, wie ihn Foucault eingeführt hat und wie er auch in der Literatur aufgenommen wurde, vage und schwer zu greifen. Grundsätzlich möchte ich zwischen Technologie der Macht und Machttechniken unterscheiden. Das Dispositiv stellt für mich eine Technologie der Macht dar, durch das Macht ausgeübt und durch das regiert wird. Die Technologie – das Bewässerungsdispositiv – zeichnet sich durch eine Macht- und Wissensordnung aus, durch die der Zugang und die Nutzung zu Ressourcen ge-

13 Dies ist analog zu Bourdieus Konzeptualisierung des sozialen Raums zu verstehen (Bourdieu 1982), in dem alle Akteure aufgrund ihrer Kapitalien positioniert werden können.

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neriert und gesteuert wird und wodurch aber immer auch nicht-intendierte Effekte entstehen. Soweit zum Begriff der Technologie. Techniken hingegen stellen für mich ein Element im Netz des Dispositivs dar. Unter diesem Element sind zum einen institutionelle Mechanismen wie regulative und normative Regeln, Prozeduren und bestimmte Abläufe, gefasst, wie auch materielle Hilfsmittel wie technische Mittel (z. B. Überwachungskameras). Materielle Machttechniken Mit der Frage nach materiellen Machttechniken wird danach gefragt, mit welchen Mitteln, Mechanismen, Instrumenten und materiellen Hilfsmitteln (wie etwa einer Guillotine oder einer Überwachungskamera) Autorität konstituiert wird, um zu regieren und das Handeln anderer zu beeinflussen, um so ein bestimmtes Ziel zu erreichen (Lemke 2007: 50). In diesem Sinne kann die Infrastruktur eines Bewässerungssystems, z. B. das Kanalsystem oder die Art der Produktionsmittel (z. B. die Mechanisierung der Landwirtschaft) als ein materielles Hilfsmittel angesehen werden, durch das versucht wird, das Ziel einer Produktionssteigerung, das letztendlich ökonomischen und politischen Zielen (z. B. Nahrungssicherung, Kontrolle der Bevölkerung) dient, zu erreichen. Materielle Machttechniken sind eng mit institutionellen Machttechniken verbunden. Denn wie sie eingesetzt und genutzt werden, wird durch Verfahrensabläufe, Reglementierungen und Regelsysteme bestimmt. Institutionelle Machttechniken Die institutionellen Machttechniken stellen Regelsysteme dar, die sich auch in institutionalisierten Praktiken äußern. Diese Machttechniken können z. B. Techniken der Disziplinierung beinhalten wie „zeitliche Reglementierung, hierarchische Überwachung, Prüfung“ (Füller und Marquardt 2009: 100). Grundsätzlich können diese Techniken – man könnte auch von Regelungen sprechen – ganz unterschiedlichen Charakter haben: Sie können sowohl informellen wie formellen, d. h. regulativen wie normativen Charakter haben. Sie spielen als Machttechnik eine bedeutende Rolle Handlungsmöglichkeiten zu strukturieren. Bei einem Verständnis von institutioneller Machttechnik als regulative Regel (Scott 2008: 48) wird vor allem ihre Funktion, Verhalten einzuschränken und zu regulieren, hervorgehoben. Somit liegt ein instrumentelles Verständnis von Regeln vor, die den Individuen auferlegt wurden, mit dem Ziel das Gemeinwohl zu schützen und die Kooperation der Individuen zu regeln (Büttner 2001: 36). Sie richten ihren Fokus auf das Verhalten von Individuen und Unternehmen auf Märkten und in anderen wettbewerblichen Situationen, wo gewisse Regeln not-

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wendig sind, um eine Ordnung aufrechtzuhalten.14 Bezogen auf ein Bewässerungssystem sind dies vor allem diejenigen Regeln, die zur Regierung der Nutzung der Ressource Wasser aufgestellt wurden und die als Technik dienen, um die Produktion für den Vertragsanbau zu sichern. Sie sind häufig niedergeschrieben und finden sich in Form von Gesetzestexten, Satzungen (By-laws), Ablaufbestimmungen etc. wieder. Zu den Prozessen der regulativen Säule gehören: die Aufstellung von Regeln, die Kontrolle und Überwachung der Einhaltung sowie Sanktionen bei Zuwiderhandlung. Erfahrungen und die Gemütsbewegungen von Subjekten, die sich in der Sphäre des Regelsystems bewegen, sind auf der einen Seite Angst, Furcht und Schuld, oder auf der anderen Seite Erleichterung, Unschuld, und Rehabilitation (Scott 2008: 54). Die regulativen Regeln15 werden durch bestimmte mit Entscheidungsmacht ausgestattete Autoritäten und Körperschaften eingeführt und legitimiert. Der Staat kann bestimmte Gesetze einführen, aber auch die Einführung von Nutzungs- und Verteilungsregeln für die Ressource Wasser durch lokale Autoritäten fällt unter die regulative Regel. So wird im Bereich des Vertragsanbaus ein Anbauplan erstellt, in dem genau festgelegt wird, wann was wie angepflanzt wird. Der Anbauplan stellt das Hilfsmittel dar, durch das die Praktiken der Pächter gesteuert werden. Aber auch die Festlegung, dass die Menschen, die im Bewässerungssystem anbauen, das Land nur zur Pacht erhalten und damit rechtlich nicht als Landbesitzer gelten, ist ein Weg, um das Ziel einer produktiven Landwirtschaft zu erreichen (Rationalität). Auf diese Weise wurde in dem Fallbeispiel in Kenia die Möglichkeit geschaffen, unproduktiven Pächtern das gepachtete Land zu entziehen und neu zu besetzen. An diesem Beispiel ist ebenfalls deutlich zu erkennen, dass Machttechniken mit einer Zuweisung einer Subjektposition verbunden sind. So werden Subjekte zu Pächtern gemacht. Diese Mechanismen stützen sich vor allem auf formelle Institutionen, d. h. regulative Regeln im Sinne von Scott (2008). Aber bestimmte Prozeduren können sich auch auf informelle Institutionen berufen, die weniger formalisiert und fixiert sind. Machttechniken können jedoch nicht nur von instrumentell-regulativer Art sein, sondern auch als normative Regel, die eine verordnende, bewertende oder verpflichtende Dimension im sozialen Leben einführen, verstanden werden. Normen spezifizieren, wie Dinge sein oder Handlungen ausgeführt werden soll14 So etwa bei der Neuen Institutionenökonomie von North 1992, oder, wie bei Ostrom 1992, bezogen auf die Schaffung (crafting) von Institutionen zur nachhaltigen Bewirtschaftung einer Ressource. 15 Giddens weist auf die etymologische Schwerfälligkeit des Terminus regulative Regel hin. „Schließlich impliziert das Wort ,regulativ‘ schon ,Regel‘: seine WörterbuchDefinition heißt ,Kontrolle durch Regeln‘“ (Giddens 1997: 71).

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ten (Scott 2008: 55). Sie sind weitestgehend internalisiert und unterliegen normierend sozialen Praktiken. Des Weiteren sind mit bestimmten sozialen Positionen bestimmte Verhaltensweisen verbunden. Die Personen, die diese Position ausfüllen, schlüpfen in eine normierte Rolle. Damit sind Erwartungen verbunden, wie sich eine Person in einer bestimmten Situation zu verhalten hat und wie bestimmte Verhaltensweisen abzulaufen haben (Scott 2008: 55). Bei diesem Aspekt der Machttechniken wird deutlich, wie stark diese mit Subjektivierungsprozessen verbunden sind. Mit dem Überschreiten von Normen sind Gefühle wie Scham, Blamage oder Schuld sowie Ehre und Stolz für diejenigen verbunden, die normkonformes Verhalten zeigen. Die Konformität zu Normen oder deren Nicht-Einhaltung involviert Selbstbewertungen, schlechtes Gewissen und Auswirkungen auf die Selbstachtung. Solche Gefühle führen zu einem hohen Anreiz, die Normen einzuhalten (Scott 2008: 56). Diese Normierungen wirken somit selbstdisziplinierend auf das Subjekt. Die Legitimität des normativen Elements greift auf eine tiefer liegende moralische Basis zurück als die des regulativen Elements. Normative Kontrollen sind eher internalisiert als regulative Kontrollen (Scott 2008: 61). Dennoch können regulative Regeln durch Normen gestützt werden und zugleich kodifizierter Ausdruck einer Norm sein, oder die formalen Regeln können internalisiert und zu einer Norm werden. Zusammengefasst stellt sich die Frage: Welche Machttechniken kommen im Siedlungsbewässerungssystem zum Einsatz? 2.3.4 Objektivationen – Vergegenständlichungen von Diskursen und Praktiken Die bereits vorgestellten Elemente des Dispositivs – Diskurse, Rationalitäten und Technologien – lassen sich als Objektivationen im sichtbaren Raum finden. Die räumliche Anordnung z. B. eines Kanalsystems eines modernen Bewässerungssystems ist eine Objektivierung von modernen Rationalitäten und ingenieurwissenschaftlichen Diskursen und stellt zugleich eine Machttechnik dar, die die Nutzung des Wassers steuert. Staatliche Bewässerungssysteme sind produzierte Natur, in der die staatlichen Machtverhältnisse und die gängigen Vorstellungen von Entwicklung und Produktionsverhältnissen sich manifestieren. Diese Großprojekte können als Ausdruck und Objektivierung einer bestimmten Sichtweise des Staates – „seeing like a state“ (Scott 1998) und einer bestimmten Rationalität des Staates gewertet werden. Scott identifiziert folgende Elemente des staatlichen „social engineering“: das verwaltungstechnische Ordnen von Gesellschaft und Natur als wichtiges Werkzeug der modernen Staatsführung sowie ein

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ungebrochener Glaube daran, dass durch Wissenschaft und Technik gesellschaftliche Naturverhältnisse reguliert werden können, d. h. dass sie planbar und kontrollierbar sind (Scott 1998: 4–5). Somit wird ein „technokratisch ausgebauter“ und „funktionalisierter Raum“ (de Certeau 1988: 21) geschaffen, der durch seine Struktur leicht regierbar wird. In Anlehnung an Foucault (1975) könnte auch von einem Raum gesprochen werden, in dem die Macht „ihre Wirkung quasi von selbst [erzielt], nur aufgrund ihres technologischen Vermögens, das behandelte Objekt räumlich aufzuteilen, zu klassifizieren, zu analysieren und zu individualisieren“ (de Certeau 1988: 107). Hier wird deutlich, wie stark das sichtbare, objektivierte Bewässerungssystem mit den Rationalitäten und Subjektivierungen zusammenhängt. Aus einer postkolonialen Perspektive muss auch die Disziplinierung der Kolonisierten und deren Integration in das globale Wirtschaftssystem mitgedacht werden: Das Bewässerungssystem mit seinen sowohl physisch-räumlich als auch organisatorisch geordneten Strukturen war ein Weg zur Kommodifizierung und Bürokratisierung des alltäglichen Lebens. Dies war eine Methode, die Kolonie nutzbar und vor allem steuerbar (Sharp 2009: 64) und sie somit zu einer Landschaft der Macht zu machen. „Landscape of power is one of the central elements in a cultural system, for as an ordered assemblage of objects, a text, it acts as a signifying system through which the social system is communicated, reproduced, experienced, and explored“ (Duncan 1992: 17, zit. in Sharp 2009: 57).

Für Duncan bedeutet diese Regierbarkeit des Raumes zugleich auch eine Regierbarkeit des Körpers. Der funktionalisierte Raum, bei dessen Konzeptualisierung er auf Lefebvres „abstract space“ zurückgreift (Lefebvre 1991), konstruiert zugleich einen „abstract body“ (Duncan 2002). Dieser „abstract body“ ist als reines Produktionsmittel „Arbeit“ von seinen sozialen Beziehungen abgelöst, diszipliniert und rationalisiert und stellt lediglich ein Rädchen in der Produktionsmaschinerie dar. Hier wird ein durch die Macht der Disziplinierung und des Dispositivs in bestimmten Bahnen gelenktes Subjekt erzeugt sowie eine „Kohärenz der Praktiken“ (de Certeau 1988: 110) durch „Bekämpfung und Kontrolle von heterogenen Praktiken“ (de Certeau 1988: 110) geschaffen. Das Bewässerungssystem mit seiner physischen Struktur (dazu gehören die Kanäle, Verteilungsboxen, Bürohäuser, Lagerhäuser, Trockengestelle, Traktoren etc.) und seiner organisatorischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Struktur (zu der unter anderem Anbauprogramme, Pacht- und Arbeitsverträge, zugewiesene Wohnparzellen und Führungspositionen zählen) stellt eine Ordnung dar, in der der Mensch zum Pächter, zum Bauern, zum Produzenten, zum Wasserverteiler wird, mit klar zugewiesenen Handlungsaufträgen. Denkt man diese

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Argumentation weiter, kommt das Subjekt einem „abstract body“, wie Duncan (2002) ihn beschreibt, recht nahe. Die Landwirte reihen sich dann in die Strukturen der Maschinerie ein, und um im Sinne von Foucaults zu sprechen, gehen in ihnen auf. Dieser sehr strukturalistischen Konzeptualisierung kann, in Anlehnung an die Arbeiten von de Certeau und Scott, die Frage nach den widerständigen Praktiken entgegengesetzt werden. De Certeau, ein Theoretiker, der sich zum Ziel gesetzt hatte das Alltägliche, den „gemeinen Mann“ in den Fokus seiner Untersuchung zu rücken, stellt sich die Frage, wie geordnet die Praktiken wirklich sind und welche Handlungsmöglichkeiten Gruppen und Individuen trotz alledem haben (de Certeau 1988: 81). Daraus leiten sich die Fragen ab: Welche physisch-räumlichen wie auch organisatorischen Strukturen entstehen? Wie eignen sich die Akteure diesen Raum an? 2.3.5 Identitäten und Subjektivierungen des Bewässerungsdispositivs Subjekte werden, wie bereits mehrmals angesprochen, unter anderem durch Diskurse, Disziplinarinstitutionen und durch Praktiken der Selbstregierung geformt. In dieser Arbeit werden anhand des Fallbeispiels verschiedene Prozesse und Formen von Subjektivierungen und Identitätsformen beleuchtet. Zum einen wird untersucht, wie bestimmte Subjekte16 seit der Inbetriebnahme des Bewässerungssystems geformt wurden. Des Weiteren werden alltägliche Aushandlungsprozesse um Wasser im Bewässerungssystem beleuchtet sowie die Frage, wie Positionierungen des „Anderen“ als Teil des Aushandlungsprozess vorgenommen werden. Diese Positionierungen innerhalb der alltäglichen Praktiken des Bewässerungssystems werden auch durch regionale „identity politics“ der ethnischen Gruppen gespeist, in denen es vor allem um territoriale Ansprüche geht. Wenn wir vom „Subjekt“ sprechen, beinhaltet dies so etwas wie ein Gewissen, unbewusste und bewusste Gedanken sowie Gefühle, durch die einem einen

16 In Foucaults frühen Werken spielte das Subjekt noch keine Rolle, denn für ihn waren es nicht die Subjekte, sondern die Diskurse, die Wissen produzierten. Im Laufe seines Schaffens wurde für Foucault das Subjekt jedoch immer wichtiger und er sprach schließlich dem Subjekt ein gewisses reflexives Bewusstsein zu (Hall 1997: 55). So schreibt er in „The Subject and Power“ (1982: 781): „There are two meanings of the word ,subject‘: subject to someone else by control and dependence; and tied to his own identity by a conscience or self-knowledge.“

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Sinn von sich selbst vermittelt wird. Des Weiteren ist unsere Subjektivität eingebettet in einen sozialen Kontext, der vermittelt wird durch Sprache, kulturelle Symbole und soziale Strukturen (Woodward 1997: 39). Diese Diskurse und Bedeutungsstrukturen, wie z. B. Geschlechterrollen, ethnische und ökonomische Differenzen, formen Subjekte und weisen Subjekten Positionen zu. Die „diskursiv vermittelten Subjektformierungen und -positionierungen enthalten Wissen darüber, wer der oder die einzelne im Verhältnis zu anderen sein soll, welche Praktiken (als normative Handlungsprogramme) sie oder er als Akteur(in) dabei zu verfolgen hat und welche Bewertungen der Effekte damit einherzugehen haben“, so Bührmann und Schneider (2007: 30). In dem Prozess des Annehmens, des Positionierens, des Identifizierens mit bestimmten Deutungsangeboten konstituieren wir unsere Identität – unser Selbstverständnis (Woodward 1997: 39), dies nennen Bührmann und Schneider (2007: 30) Subjektivierungsweise. Subjektivierungen beinhalten somit zum einen eine diskursiv vermittelte Subjektpositionierung, die auch als Fremdpositionierung durch externe Definitionen verstanden werden kann, und zum anderen Subjektivierungsweisen, die als Selbstpositionierungen durch eine interne Definition, durch z. B. Aspekte der Selbstwahrnehmung, der Selbstdeutung, der Identifizierung mit bestimmten Aussagen und des Selbsterlebens, die sich zu einem Selbstverständnis, zu einer Identität zusammenfügen, fungieren (Jenkins 1994: 199; Bührmann und Schneider 2007; Woodward 1997). Diese Vorgänge des Positionierens müssen als Steuerungspraktiken aufgefasst werden. Zum einen hängt das Selbstverständnis eng mit Formen der Selbstregierung zusammen und zum anderen werden Subjekte durch Regierungspraktiken positioniert. Dies geschieht nicht nur durch den Staat und die Vielzahl seiner Bürokraten, sondern auch in alltäglichen Interaktionen z. B. mit dem Nachbarn. Identitätspolitiken Im Aushandlungsprozess um Wasser werden Identitäten und Differenzen zu wichtigen Instrumenten. So spielen z. B. Identitätskategorien, wie die ethnische Zugehörigkeit, eine Rolle, um territoriale Ansprüche auf das Land, auf dem das Bewässerungssystem liegt, zu äußern. Aber auch über die Kategorie des Geschlechts werden Differenzen aufgebaut, wenn es um den Zugang zu Bewässerungswasser oder auch -land geht. Einem konstruktivistischen Verständnis folgend, werden Identitäten als kontingent und veränderbar aufgefasst (Pott 2007: 28). Dabei spielen bei der Schaffung des Konstrukts „Identität“, das eng einher geht mit dem Konstrukt „Diffe-

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renz“, bestimmte Mechanismen eine Rolle: Diskursiv produzierte und vermittelte Identitätskategorien wie Sprache, Territorialität, Geschlecht, Ethnizität und Klasse bilden die Möglichkeit, eine Differenz zu bezeichnen und zu schaffen. Raum- und Ortsbezüge fungieren als „individuelle oder kollektive Identitätsanker“ (Pott 2007: 30) für Identitätskonstruktionen. Orte und Räume sind also Puzzlestücke im Mosaik der Identität. Identität kann als ein Abgrenzungsprozess verstanden werden, in dem sich das Subjekt entlang von Differenzen positioniert. Diese Positionierung, so wird angenommen, verleiht dem Individuum Sicherheit und Stabilität. Sie ist aber nicht natürlich gegeben und kann deshalb auch immer verändert werden. Massey et al. (1999) plädieren dafür, die Differenzkategorien räumlich zu denken. Denn sie stellen Hilfsmittel für Positionierungen dar, so argumentieren sie, die immer nur relational verlaufen können und die zu räumlichen Mustern führen, sowohl im Sinne von Bourdieus sozialem Raum, der sich durch die gesellschaftliche Positionierung aufspannt, wie auch im physischen Raum als Objektivation (z. B. in Segregationen wie Slums und gated communities) (Massey et al. 1999: 112). Differenz wird sozial produziert, gelebt und praktiziert von Subjekten, die diese Differenzen internalisiert haben. Dabei funktioniert dieses Differenzsystem vor allem durch Asymmetrien und Naturalisierungen von Differenzen. Machtvolle Zuschreibungen und Kategorisierungen können bestimmte Differenzen konstruieren, die für die soziale Wirklichkeit der Gruppen und Individuen von großer Bedeutung sind, da sie sowohl den Zugang zu sozialen Ressourcen bestimmen als auch die Anerkennung sozialer Identität beeinflussen können. Diese Prozesse können zu Inklusion und Exklusion von bestimmten Gruppen führen. Somit wird klar, dass Prozesse von Kategorisierungen, mit Macht und Autorität zusammenhängen (Groenemeyer 2003: 30). Aushandlung der Subjektpositionen und Widerstand Wie bereits angesprochen sind Differenz und Positionierungen wichtige Instrumente im Aushandlungsprozess um Wasser. Es werden Positionen zugewiesen, die bestimmen, wer in welcher Weise profitieren darf. So schreibt Smith (1999: 129): „People define themselves and label others partly as a means to an end – an end which is often about access to and control over, material, symbolic and territorial resources.“ Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen oder Kategorien kann maßgeblichen Einfluss darauf haben, wer von einer Ressource profitiert und wer nicht. Die Grenzziehung zwischen Gleichheit und Verschiedenheit in Berufung auf diese Kategorien ist ein hochpolitischer Prozess, der immer in Relation zu Aushandlungen von Verfügungsrechten, ökonomischer Teilhabe und sozialer Ungleichheit gesehen werden muss (Smith 1999: 130). „It is hard to

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discuss the politics of identity, multiculturalism, ,otherness‘ and ,difference‘ in abstraction from material circumstances and from political project“ (Harvey 1993: 41). Die Herstellung von Differenz wird in gesellschaftlichen Prozessen ausgehandelt, zu denen ebenfalls der Prozess des Forschens gehört. Das heißt aber auch, dass die Aufhebung und die Verschiebung von Differenzen ebenfalls möglich sind. Damit stellt sich auch die Frage, ob die zugeschriebene Identität angenommen wird oder ob das Subjekt versucht, den Zuschreibungen zu entkommen, indem es sie durch taktische Praktiken unterläuft (Certeau 1988). Foucault beschäftigt sich in „The Subject and Power“ (1982) mit Formen des Widerstandes. Er identifiziert drei Typen: Erstens Widerstand gegen Herrschaftsformen (ethnisch, sozial, religiös), zweitens gegen Formen der Ausbeutung (was die Individuen von dem trennt, was sie produzieren) und drittens gegen das, was das Individuum an sich selbst bindet (Foucault 1982: 781). Für ihn ist klar, dass sich der Widerstand nicht gegen eine Gruppe oder Elite oder gar eine Klasse richtet, sondern eher gegen eine Technik, eine Form der Macht: „This form of power applies itself to immediate everyday life which categorizes the individual, marks him by his own individuality, attaches him to his own identity, imposes a law of truths on him which he must recognize and which others have to recognize in him“(Foucault 1982: 781).

Während diese Konzeptualisierung von Widerstand auf den Bezugsgegenstand (Herrschaftsform, Ausbeutung, Identität) eingeht, gegen den sich der Widerstand richtet, versucht Scott, Praktiken des Widerstands zu benennen. Bekannt ist seine Konzeptualisierung von Formen des alltäglichen Widerstands, die er abgrenzt gegenüber formalisierten und organisierten Formen wie Demonstrationen etc. (Scott 1985, 1989). Alltägliche Formen des Widerstandes versucht er über „leise“, „unsichtbare“ Praktiken, wie etwa das Verzögern, Sabotieren, Stören, Zuwiderhandeln zu fassen. Diese formalisierten und informellen Praktiken des Widerstands können sich gegen die von Foucault identifizierten Bezugsgegenstände richten. Der Widerstand gegen den dritten Typ richtet sich also gegen Prozesse des Positionierens und Kategorisierens, in denen mit Bezug auf bestimmte Gruppencharakteristiken Differenzen hergestellt werden. Kategorisierungen und Zuschreibungen sind also machtaufgeladene, politische Prozesse und stellen für Akteure im Kampf um politischen Einfluss und Ressourcen machtvolle Mittel dar. Pott (2007: 28) resümiert: „Da jede Herstellung von Identität nur durch Ausschluss und Differenzbildung möglich sei, seien die politics of identity stets auch politics of difference.“ Eine Unterscheidung in interne (Regierungspraktiken auf das Selbst) und externe Prozesse (Regierungspraktiken bezogen auf „Andere“ in Form von z. B. Kategorisierungen) hilfreich ist, um den Raum der Subjektivierungen zu fassen.

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Diese Vorgehensweise bietet einen Weg, die Regierungsweisen und die Zusammenhänge der Dispositivelemente zu verstehen. Daraus leiten sich die folgenden Forschungsfragen ab: Welche Rolle spielen Subjektpositionierungen im Aushandlungsprozess, um den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern? Wie wird sich diskursiver Identitätskonzepte bedient im Aushandlungsprozess um Land sowie damit verbunden Wasser? Auf welche Argumentationsbausteine, die in den verschiedenen diskursiven Feldern zirkulieren, greifen die unterschiedlichen Akteure zurück, wenn es um die Aushandlung von gültigen Realitätsdefinitionen geht?

2.4 Z USAMMENFASSEN

DER

F ORSCHUNGSFRAGEN

Das Bewässerungssystem, als Dispositiv aufgefasst, wird als Netzwerk konzipiert, dessen Elemente in einem interdependenten Verhältnis stehen. Diese Elemente sind nicht natürlich gegeben, sondern sind situationsspezifisch und im Laufe der Zeit sozial produziert worden. Es werden durch Diskurse und Rationalitäten bestimmte Regierungspraktiken hervorgebracht, die eng mit Machttechniken verbunden sind, die für das Regieren wichtig sind. Im ersten Teil der Arbeit wird versucht sich der Entstehung des Dispositivs anzunähern. Die Arbeit konzentriert sich dabei auf Siedlungsbewässerungssysteme als staatliche Entwicklungsprojekte in Kenia und behandelt andere Formen von Bewässerung, z. B. nicht-formelle, „traditionelle“, auch „indigen“ genannt, Bewässerungsformen nur am Rande. Die Rationalitäten und Diskurse um Siedlungsbewässerungssysteme in Kenia werden für den Zeitraum von ihrer Errichtung (1950er Jahre) bis heute beleuchtet, um die ursprüngliche strategische Funktion von Siedlungsbewässerungssystemen freizulegen. Des Weiteren ist der Wandeln des Bewässerungsdispositivs von Interesse, vor allem bezüglich sich verändernder Rationalitäten der Regierungspraktiken und Machttechniken. Daraus leiten sich folgende Forschungsfragen ab: Im ersten Teil der Arbeit wird der Wandel in Rationalitäten und Diskursen im Entwicklungs- und Bewässerungsdiskurs dargestellt. Damit liegt ein Fokus hinsichtlich der Gouvernementalitätsperspektive vor allem auf „-mentalität“, also den Denkweisen, die hinter der Regierung (im Sinne Foucaults) stehen. Welche Rationalitäten und welche Ziele sind mit dem Dispositiv des Bewässerungssystems verbunden?

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• Auf welches dringende Problem wurde das Bewässerungsdispositiv in Kenia

als strategische Antwort eingesetzt? • Wie haben sich seit der Unabhängigkeit in Kenia die Rationalitäten und damit

verbundenen Ziele und Logiken des Bewässerungsdispositivs verändert? Der zweite Teil konzentriert sich stärker auf das „Gouvernement-“ von Gouvernementalität, d.h. auf die Regierung (im Sinne Foucaults), und untersucht welche Regierungstechniken dem Bewässerungsdispositiv inhärent waren und sind. Dabei werden die Regierungstechniken und die Organisationsweisen, die mit der ursprünglichen strategischen Funktion von Siedlungsbewässerungssystemen verbunden waren, untersucht. Der angedeutete Wandel im Bewässerungsdispositiv in Kenia, der sich in einem Reformprozess äußert, wird konzeptionell als Reskalierung gefasst. Diese skalaren Praktiken der Reskalierung im Bewässerungssektor sowie die Effekte dieser Praktiken und der neue Governance Space gilt es, am Fallbeispiel zu untersuchen. Wie gestalten sich die Reskalierungsprozesse von Regierungstechniken? • Wie gestalteten sich die Regierungstechniken vor der Reskalierung, d.h. vor

der letzten Reform im Bewässerungssektor? • Welche skalare Praxen führen zu einer Reskalierung? • Wie gestaltet sich der Governance-Umbruch im Bewässerungssektor in Kenia? • Wie nehmen die Landwirte den vom Governance-Umbruch eingeleiteten Ma-

nagementwandel wahr, oder anders gesagt: Welche Effekte und Auswirkungen hat die Reskalierung auf der lokalen Ebene? • Welche neuen Governance Spaces werden dadurch produziert? Im dritten Teil wird untersucht zu welchen Verräumlichungen die Steuerungspraktiken und Rationalitäten führen. Zudem rücken die materiellen Verhältnisse der Landwirte im Bewässerungssystem in den Fokus. Ungleiche Zugänge zu Land, zu Produktionsmitteln, zu Arbeit, zu Bildung und zu Kapitalien führen zu einer sozialen Differenzierung der Bauernschaft mit verschiedenen Handlungsmöglichkeiten und Asset-Ausstattungen der Akteure. Welche physisch-räumlichen wie auch organisatorischen Strukturen entstehen? • Wie eignen sich die Akteure diesen Raum an? • Wie gestalten sich die materiellen Verhältnisse (Land-, Asset-Ausstattung) der

Landwirte?

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Im vierten Teil richtet sich der Fokus auf die lokalen Praktiken und Machtechniken im Siedlungsbewässerungssystem Perkerra. Dafür werden die Managementformen sowie die daraus resultierenden Land- und Anbauverhältnisse untersucht. Eine entscheidende Machttechnik, die über das Profitieren von Ressourcen bestimmt, stellt der Vertragsanbau im Perkerra-Bewässerungssystem dar. Auch diese Machttechnik ist vor dem Hintergrund der Reskalierung zu sehen und wird in ihren Formen und Anwendungen neu verhandelt. Damit rückt der Fokus auch auf die widerständigen Praktiken der Akteure. Welche Machttechniken kommen zum Einsatz? • Ist der Vertragsanbau als eine dominante Machttechnik im Siedlungsbewässe-

rungssystem zu verstehen? • Wie wird der Zugang zu den Ressourcen Wasser und Land von Akteuren aus-

gehandelt? Wer kann von den Ressourcen in welchem Umfang profitieren? • Welche widerständigen Praktiken werden eingesetzt im Aushandlungsprozess um den Zugang zu Ressourcen? Im fünften Teil werden Subjektivierungen, als Zusammenspiel von Machttechniken, Regierungspraktiken und Subjektformierung, von Bedeutung. Hier wird untersucht, wie Subjektpositionierungen eingesetzt werden, wenn es darum geht, wer von der Ressource, in welchem Maße profitieren kann. Subjektpositionierungen sind als aktive Steuerungspraktiken zu verstehen, wenn es um die Aushandlung von Zugang auf der diskursiv-symbolischen Ebene geht. Dabei werden diese Fragen an einem konkreten Beispiel aus dem Perkerra-Bewässerungssystem diskutiert. Anhand des Beispiels zur Landfrage, die auch im Kontext des Wandels des Bewässerungsdispositivs steht, wird untersucht, wie Identitätspolitiken strategisch eingesetzt werden. Welche Rolle spielen Subjektpositionierungen im Aushandlungsprozess, um den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern? • Welche Argumentationslinien gibt es bezüglich Landfragen? • Wie wird sich diskursiver Identitätskonzepte bedient im Aushandlungsprozess

um Land und damit verbunden Wasser? • Auf welche Argumentationsbausteine, die in den verschiedenen Diskursen zirkulieren, greifen die unterschiedlichen Akteure zurück, wenn es um die Aushandlung von gültigen Realitätsdefinitionen geht?

3 Methodisches Vorgehen „Will man die Linien eines Dispositivs entwirren, so muß man in jedem Fall eine Karte anfertigen, man muß kartographieren, unbekannte Länder ausmessen – eben das, was er [Foucault] als ,Arbeit im Gelände‘ bezeichnet“ (Deleuze 1991: 153).

Mein Versuch, diese Linien des Bewässerungsdispositivs zu „entwirren“, haben mich ins „Gelände“ geführt. Ich wählte eine Vorgehensweise, die sich sowohl qualitativer wie quantitativer Methoden bediente. Dabei bilden die qualitativen Methoden das Grundgerüst meiner Wissensgenerierung. Eine wesentliche Rolle spielt das „im Feld sein“ ̶ sich den Menschen und den Dingen persönlich nähern, um soziale Prozesse zu verstehen. Ich führte zwar kontrollierte, formelle Interviews durch – ein Gespür für das Leben im Bewässerungssystem bekam ich jedoch vor allem durch das „Vor-Ort-Sein“ und einer Vielzahl informeller Gespräche. Letztlich sind das Erforschen und Verstehen von sozialen Wirklichkeiten Prozesse, die auf einem Akt der Kommunikation aufbauen, die sich auf verschiedene Informationsquellen (formelle Interviews, Gespräche auf der Straße) beziehen und die Flexibilität sowie Selbstreflexivität benötigen (Rothfuß und Dörfler 2012; Flick 2008).

3.1 F ORSCHUNGSDESIGN Diese Arbeit verfolgt das Ziel, die Veränderungen im kenianischen Bewässerungssektor und deren Auswirkungen auf die alltäglichen Praktiken in Siedlungsbewässerungssystemen zu verstehen. Dafür nehme ich eine Verhältnisbestimmung von Rationalitäten, Steuerungspraktiken und Aushandlungen von Subjektivierungen im Netz des Bewässerungsdispositivs vor. Wie ist nun ein Dispo-

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sitiv zu untersuchen? Bührmann und Schneider (2012) nähern sich dieser Frage mit ersten Überlegungen an. Für sie ist der Anspruch ein „Dispositiv“ in seiner Gänze zu erforschen und zu verstehen ein ungeeigneter Ansatz. Sie empfehlen, sich vor allem auf die Wechselwirkungen zwischen den Elementen zu konzentrieren. Da sich diese je nach Themenschwerpunkt sehr unterschiedlich gestalten, setzen sie eine gewisse Methodenoffenheit vor einem rekonstruktivistisch-interpretativen Hintergrund für unabdingbar voraus (Bührmann und Schneider 2012: 110–111). Sie betonen, dass nicht jede Dispositivanalyse eine Diskursanalyse benötigt, denn durch die Analyse von Objektivationen, Subjektivierungen und Praktiken können die sich darin manifestierenden und sich äußernden Wissensformen und -anordnungen herausgearbeitet werden (Bührmann und Schneider 2012: 119). Eine dispositivanalytische Perspektive wendet sich gegen eine Aufgabe eines intersubjektiv erfahrbaren Subjekts (siehe auch Angermüller 2005). Denn es geht in erster Linie um Regierungspraktiken, die von Subjekten und Akteuren ausgehen und sich auf das Selbst oder auf das Handeln anderer richten. Bei der Konstitution des Subjekts spielt Sprachliches genauso eine Rolle wie Nicht-Sprachliches, d. h. Wahrnehmungen, Erfahrungen, Inkorporation von Diskursen, Emotionen und Leiblichkeit. Auch sind es nicht einfach Diskurse allein, die Objektivationen schaffen, wie z.B. das Kanalsystem eines Bewässerungssystems, sondern es sind in erster Linie Praktiken, die sie entstehen lassen und somit zu räumlichen Arrangements führen (Rothfuß und Dörfler 2013: 17; Füller und Marquardt 2009). Ein rekonstruktivistisch-interpretativer Ansatz einer Dispositivanalyse versteht die soziale Realität als Produkt von sozialen Beziehungen, „Deutungs- und Aushandlungsprozessen“ (Angermüller 2005: 28). Dabei werden Wahrnehmung, Erfahrungen und Organisieren der Lebenswelt von Subjekten als aktiver Konstruktionsprozess, in dem anhand von Begriffen und Zusammenhängen Sinn hergestellt wird, verstanden. Diese „Begriffe und Formen, mittels derer wir ein Verständnis der Welt und von uns selbst erreichen, sind soziale Artefakte, Produkte historisch und kulturell situierter Austauschprozesse zwischen Menschen“ (Gergen 1994: 49 ff., zit. in Flick 2002: 154). Die sozialen, alltagsweltlichen Konstruktionen von Subjekten werden untersucht und rekonstruiert, was oft mit dem Begriff „Konstruktion zweiter Ordnung“ gefasst wird (Meier Kruker und Rauh 2005: 24). Diese Re-Konstruktion basiert auf der Prämisse, dass sozialer Sinn und Deutungsmuster intersubjektiv sind und somit vom Beobachter annäherungsweise erfasst, interpretiert und verstanden werden können (Angermüller 2005: 28). Eine rekonstruktive Interpretation versucht Deutungszusammenhänge und Sinn aus Daten zu rekonstruieren (Keller 2008: 80). Sie ist somit zugleich auch konstruktiv, weil aus den Daten Interpretationen und damit Aussagen gene-

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riert werden, die in den „Daten selbst nicht enthalten waren und nicht enthalten sein können“ (Keller 2008: 80). Die Untersuchung kann jedoch nicht bei den alltagsweltlichen subjektiven Erfahrungen stehen bleiben, sondern wird gesellschaftliche Strukturprinzipien, die die „materielle und kognitive Praxis“ strukturieren (Bührmann und Schneider 2012: 85), ebenfalls herausarbeiten. In der laufenden Debatte um die (Un-)Vereinbarkeit von poststrukturalistischen Ansätzen, die sich vor allem auf die Sprach- und Zeichenebene konzentrieren und das Subjekt rein sprachlich-diskursiv vermittelt konzipieren, mit Ansätzen praxeologischen und phänomenologischen Charakters, in denen soziale Praktiken, Leiblichkeit, Erfahrungen und Emotionen eine Rolle spielen, bezieht die hier vorgenommene Dispositivanalyse eine vermittelnde Position. Sie steht jedoch mit Bezug zu einer wissenssoziologischen Diskursforschung (die prominent durch Keller (2008) vertreten wird), den letztgenannten Ansätzen näher. Denn es ist ja gerade Ziel einer Dispositivanalyse, von einer Diskurszentrierung abzukommen und die Praktiken, das Materielle und die Subjekte als wesentlichen Teil der gesellschaftlichen Wirklichkeiten zu analysieren (Bührmann und Schneider 2012; Manderscheid 2012).

3.2 P OSITIONALITÄT

UND

S ITUIERTHEIT

Forschen in einem postkolonialen Kontext bedeutet in ungleiche, hegemoniale Machtverhältnisse der Wissensproduktion und der Weltwirtschaft eingebunden zu sein. Die Geographien des Fremden waren auch immer wichtiger Bestandteil in der Schaffung des Eigenen, einer westlichen Identität, wie Hall (1992) anschaulich in seinem Artikel „The West and the Rest“ gezeigt hat. Angesichts dieser Position stellt sich die Frage nach der Konstruktion der Anderen. Ist es noch möglich über den Anderen – das Andere – zu schreiben und zu forschen, ohne dem/der Anderen in einem Prozess des Worlding, wie Spivak (1988) es nennt, seine/ihre Stimme zu rauben? Kapoor (2004) kommt zu dem Schluss, dass es eine Frage des „wie zu repräsentieren“ ist. Ein möglicher Weg, den viele Poststrukturalisten gewählt haben, um der Gefahr des Essentialismus und der Festschreibung des anderen zu entgehen, ist der der Dekonstruktion und der Diskursanalyse. In dieser Manier werden Aussagesysteme (Glasze 2008: 188) über das Andere auseinandergenommen und die Forscherin kann von einer sicheren Position aus Kritik üben und Machtverhältnisse aufzeigen. Viele Ansätze der postkolonialen Theorie und auch der poststrukturalistischen Kulturgeographie wurden folglich als Lehnstuhl-Wissenschaft

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kritisiert (Sharp 2009; Lippuner 2005). Kritiker beanstanden die dadurch zustande kommende Lähmung des Subjekts als Träger politischen Handelns und politischer Veränderungen (Kumitz 2008). Entscheidet sich die Forscherin gegen eine reine Dekonstruktion der sozialen Welt und für einen re-konstruktiven Ansatz ist die Frage, „wie zu repräsentieren“, vor allem eine Frage der Reflexivität (Kapoor 2004), durch die Partialität und Situiertheit der Wissensproduktion aufgezeigt werden. Partialität, in dem Sinne, dass ich als Sozialwissenschaftlerin keine objektiven, verallgemeinerbaren Gesetzmäßigkeiten produzieren kann, da Wissen immer partiell, kontextgebunden und durch meine Positionalität situiert ist (Haraway 1991; Rose 1997). Vor diesen Prämissen des situierten Wissens ist es für mich eine logische Folge, in dieser wissenschaftlichen Arbeit das „ich“ und an relevanten Stellen einen persönlichen Schreibstil zu verwenden. Den postkolonialen Verflechtungen und den damit einhergehenden kolonialen Dispositionen können die Forschenden niemals völlig entkommen (Kaltmeier 2012: 40). „Die koloniale Expansion und die Formation des kapitalistischen Weltsystems haben […] zu einer shared history – zu einer geteilten Geschichte – geführt, die im doppelten Sinn eine gemeinsame Geschichte mit variablen Wechselwirkungen und eine Geschichte der asymmetrischen Machtverhältnisse, der Ausbeutung und der sozialen Ungleichheit, also eine getrennte Geschichte ist“ (Conrad und Randeira 2002: 17, zit. in Kaltmeier 2012: 22). Unsere Geschichten sind unvermeidlich miteinander verwoben. Das bedeutete für mich auch, dass ich keine Armstuhl-Wissenschaft betreiben wollte, sondern die Auswirkungen von globalen und westlichen Rationalitäten von Entwicklung auf den lokalen Kontext in Kenia verstehen wollte: Wie kann ich mir ein staatliches Bewässerungssystem, das dem Imperativ westlicher Organisations- und Ingenieurswissenschaften unterliegt, vorstellen? Welche Konsequenzen haben partizipative Programme in diesen Bewässerungssystemen? Das Klären dieser Fragen hieß für mich auch, dass meine Forschung nicht nur ein „Forschen über“, sondern ein „Forschen mit“ den Menschen vor Ort ist (Husseini de Araújo und Kersting 2012; Kaltmeier und Corona Berkin 2012). Meine Arbeit legt kein objektives und universelles Wissen dar: Im Akt des De- und Re-Konstruierens und des Schreibens konstruiere ich mein Narrativ, meine Geschichte, meine konstruierte Repräsentation. Zum einen ist meine Perspektive situiert, d. h. sie ist in einem bestimmten Kontext entstanden, durch meine soziale und akademische Herkunft bestimmt und prägt dadurch mein „Forschen“ und die Produktion von Wissen (Haraway 1991: 86). Die wissenschaftliche Reflexion und die Selbstreflexion des Forschungsprozesses sind also unabdingbar für die Situierung des Wissens, um Partialität und ungleiche Machtverhältnisse im Forschungsprozess aufzuzeigen. Bourdieu identifiziert drei

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Arten von bias (Bourdieu und Wacquant 2006: 66–67), die den wissenschaftlichen Blick trüben: Der erste wird durch die soziale Herkunft und „die sozialen Daten (Klasse, Geschlecht oder Ethnie)“ der Forschenden bestimmt. Auf dieser Reflexionsebene wird die eigene Positionalität mitgedacht. Als zweiten bias nennt Bourdieu die Position der Forschenden im „akademischen Feld“. Hier rücken die Wirkungskräfte des Feldes der gesellschaftlichen Macht, die auf alle „Produzenten des Symbolischen“ wirken, ins Blickfeld. Der dritte bias ist der intellektualistische bias, der sich in der Gefahr der unreflektierten Übernahme von Denkkategorien, „die das Denkbare wie das Gedachte vorab bestimmen und begrenzen“ (Bourdieu 1985: 51), manifestiert. Der Prozess des wissenschaftlichen Arbeitens war bei Weitem nicht so linear, wie es eine fertige wissenschaftliche Arbeit oft suggeriert. Das Schreiben einer wissenschaftlichen Arbeit ist ein ständiger zirkulärer Prozess in der Auseinandersetzung mit den Daten, dem konzeptionellen Rahmen, der Interpretation und den eigenen Zweifeln. So sind es gleich verschiedene Logiken des akademischen Feldes, denen man Gefahr läuft, zum Spielball zu werden (Bourdieu und Wacquant 2006; Kaltmeier 2012). Diese Logiken des akademischen Feldes geben die Rahmenbedingungen für das Forschungsunterfangen vor. Sie sind zum einen zeitlicher und finanzieller Art: In meinem Falle war dies ein strikter Zeitplan von drei Jahren, in dem ich auf einer halben wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle mit Lehrauftrag meine Promotion anfertigte. Die Lehrveranstaltungen unterbrachen oft die Auseinandersetzung mit dem Datenmaterial oder den theoretischen Überlegungen. Zum anderen sind diese auch inhaltlicher und thematischer Art, denn es gilt eine Forschungslücke aufzutun und ein Thema durch „Antizipation der möglichen Rezeption“ (Bourdieu 1997, zit. in Kaltmeier 2012: 28) vielversprechend auszuwählen. So stellt Kaltmeier (2012: 27) fest: „In diesem Sinn ist es müßig, ein ex- oder intrinsisches Interesse [an einem Forschungsthema] auszumachen. Für den Forscher geht es vor allem darum, sich durch die Wellen der akademischen Moden vom linguistic zum spatial, zum visual, zum performative, zum affective turn zu navigieren, ohne in die Falle des Opportunismus zu gehen, der akademisches Kapital und Prestige abwerten würde“ (Kaltmeier 2012: 27). Die Findung des Themas oder der theoretisch-konzeptionelle Ansatz können somit nicht losgelöst vom „akademisch und forschungspolitischen Kräftefeld“ betrachtet werden (Kaltmeier 2012: 28). In diesem Kontext ist auch die Wahl des konzeptionellen Ansatzes dieser Arbeit zu stellen, der versucht eine Brücke zwischen poststrukturellen und praxeologisch-phänomenologischen Ansätzen zu schlagen. Die Zwänge des akademischen Feldes strukturierten meinen kreativen Handlungsspielraum und es war für mich auch ein emanzipatorischer Akt in ei-

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ner Selbstreflexion mir bestimmter Zwänge bewusst zu werden und somit mein eigenes Handlungsfeld aktiv zu re-strukturieren. Für die Phasen der Promotion siehe Tabelle 3. Tabelle 3: Phasen der Promotion November 2010 bis Januar 2011 Februar 2011 bis März 2011 April 2011 bis Juni 2011

Juli 2011 bis Dezember 2011

Januar 2012 bis Oktober 2012

November 2012 bis Dezember 2013

Vorbereitungsphase: Findung des Themas, Literaturdurchsicht, Vorbereitung des ersten Feldaufenthalts Erster Feldaufenthalt in Kenia (acht Wochen): offizieller Zugang zum Feld, erste Beobachtungen und Interviews Nach- und Vorbereitung des Feldaufenthalts: Sichtung des Datenmaterials, Konkretisierung der Forschungsfragen, konzeptionelle Überlegungen Zweiter Feldaufenthalt in Kenia (21 Wochen): Durchführung der quantitativen Umfrage, Gruppendiskussionen, narrative und Experteninterviews (in Kabarnet, Nairobi, Marigat), Hauptaufenthaltsort: Marigat, Baringo-Region Nach- und Aufbereitungsphase: Datenaufbereitung, Analyse (qualitative Auswertung mithilfe von MAXQDA und statistische Analysen mit SPSS), konzeptionelle Überlegungen Schreibphase

3.2.1 Meine Rolle als Forscherin und die Arbeit im Feld Zugang zum Feld Der Forschungszugang gelingt zu bestimmten gesellschaftlichen Gruppen einfacher und zu anderen schwieriger. Es liegt nahe, dass der Zugang für Forscher zu Männern einfacher ist als zu Frauen und für Forscherinnen eher umgekehrt (Zwarteveen 2008; Oorthuizen 2003). Wie Zwarteveen (2006, 2008) bereits feststellte, sind die Positionen im formellen Bewässerungsmanagement meistens ausschließlich durch männliche Akteure besetzt. Dies war zumindest für die höheren Positionen der Fall im Perkerra-Bewässerungssystem. Der Aufbau des Zugangs zum Management des Bewässerungssystems führte mich als Erstes zum Manager des Bewässerungssystems, bei dem ich mich und mein Anliegen vorstellte. Dieser hatte erst seit kurzer Zeit seinen Posten inne und war noch relativ jung (ca. Mitte bis Ende 30). Zuvor hatte er eine Anstellung im NIB-Büro in

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Mwea gehabt. Er begegnete mir sehr kühl und seine Erklärungen fielen sehr technisch aus. Als ich ihn um Erlaubnis bat, Interviews mit den Landwirten im Bewässerungssystem führen zu dürfen, teilte er mir mit, dass dies nur mit ausgewählten Landwirten möglich sei, da viele der Landwirte in mir, als Weiße, einen möglichen Geldgeber sehen würden und daher voreingenommene Antworten gäben. In seinen Worten: dass sie vieles schlechter darstellen würden, als es in Wirklichkeit sei. Er wollte nicht, dass ich ein „falsches Bild“ von den Abläufen im Bewässerungssystem bekäme. Als ich das Büro verließ, sah ich meine Feldforschung im Perkerra-Bewässerungssystem bereits beendet, bevor sie überhaupt angefangen hatte. Der Manager berief ein Treffen mit den Kanalvorstehern ein und seine Befürchtungen bewahrheiteten sich in der Hinsicht, dass das Gespräch vor allem um zwei technische Probleme ging, zum einen das der unzureichenden Bestückung mit Baggern und zum zweiten der Wunsch nach einem Damm, um das Hochwasser im Fluss aufzufangen. Die mir zugewiesene Position war verbunden mit der Vorstellung von Verbindungen nach „außen“ zu eventuellen Geldgebern wie Geberorganisationen oder NGOs. Ich musste ihnen erklären, dass keine geldbringende Organisation hinter mir stand und dass ich hier war aufgrund meines Forschungsvorhaben. Viele informierten mich dennoch über mögliche Maßnahmen- und Projektwünsche. Im Anschluss erklärten der Vorsitzende der Water Users Association (WUA) und ein leitender Angestellter der nationalen Bewässerungsbehörde sich bereit, mir das Bewässerungssystem zu zeigen. Wir fuhren mit dem Geländewagen über die holprigen Straßen und ich bekam eine „Standard-Führung“ und zugleich einen Heiratsantrag. Meine weibliche Positionalität hatte somit einen „LeverageEffekt“ (Ouma 2012), indem ich von nun an auf einen mir „wohlgesinnten“ Informanten in der nationalen Bewässerungsbehörde zählen konnte. Zum einen war dies für die Forschung sehr wichtig, um Einblicke in die internen Prozesse der Bewässerungsbehörde (National Irrigation Board NIB) zu erhalten, zum anderen war diese „formelle Arbeitsbeziehung“ auch ein ständiges Austarieren von Erwartungen und Zurückweisung bei Übertretungen der Grenze von professioneller zu privater Sphäre. Der Zugang ins Bewässerungssystem erfolgte kurz darauf. Nach der anfangs zögerlich erscheinenden Haltung des Managers bezüglich meiner Feldforschung im Bewässerungssystem, gab dieser bald sein Einverständnis, sodass meine Forschungsassistenten und ich uns frei im Bewässerungssystem bewegen konnten. Über den offiziellen Gang hatte ich mir zur Männerwelt des Managements Zugang verschafft.

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Die Bedeutung meiner Forschungsassistenten Der Zugang zu den Menschen in den Siedlungen des Bewässerungssystems war mir vor allem durch ein ständiges „unterwegs sein“ im Bewässerungssystem möglich. Aber auch durch Freundschaften erschloss sich das anfangs mir fremde Feld und es wurde mir mit jedem Tag vertrauter. Um fremde, d. h. einem erst einmal unbekannte, Lebenswelten zu verstehen, benötigt man Mediatoren, die ein Band zwischen den zunächst fremden Welten aufbauen (Rothfuß 2009). Dieser „true friend“ (Rothfuß 2009) agiert als „Pförtner“ zu der unbekannten Welt. Für mich waren dies in Marigat mein Forschungsassistent und meine Forschungsassistentin. Mein Forschungsassistent war Sohn eines zugewanderten Fahrradhändlers. Er war in Marigat geboren, aufgewachsen und hatte in Ng´ambo die Sekundarschule abgeschlossen. Als Sohn einer zugewanderten Familie gehörte er nicht den ethnischen Gruppen der Region an. Er befand sich dadurch in einer neutralen Position, denn er gehörte weder zu „den Kalenjin“, noch zu „den Il Chamus“. Des Weiteren hatte weder er noch seine Familie einen landwirtschaftlichen Hintergrund, was ihn auch im „Feld“ der Landwirtschaft, mit Bourdieu gesprochen, zu keinem Spieler mit einem Einsatz machte (Bourdieu und Wacquant 2006: 127). Ich hatte dadurch die Hoffnung und das Gefühl, dass sich unsere Gesprächspartner freier bezüglich der Konflikte im Bewässerungssystem oder zu ethnischen Animositäten äußerten. Da er mit Kindern etablierter Landwirte in die Schule gegangen war, kannte er viele Personen in der aktiven Landwirtschaft. Besuche und Gesprächstermine waren schnell ausgemacht. Er begleitete mich während beider Feldaufenthalte. Während meines zweiten Feldaufenthalts war es mir wichtig, stärker Zugang zu Frauen im Bewässerungssystem zu erhalten. Über eine NGO vor Ort erhielt ich einen Kontakt zu einer alleinstehenden Frau, die in der Landwirtschaft aktiv ist. Durch sie bekam ich direkte Einblicke in das Leben als Landwirtin im Bewässerungssystem. Sie sprach Il Chamus und war Tochter eines etablierten Landwirts. Über ihr soziales Netzwerk erhielt ich Zugang zu Personen in verschiedenen politischen und administrativen Ämtern (Water Users Association, lokale Verwaltung). Durch ihre stärkere Einbindung in die Vorgänge im Bewässerungssystem (da sie zum einen selbst anbaute und zum anderen durch administrative Aufgaben in das Management eingebunden war) war sie auf der einen Seite gut informiert, aber auf der anderen Seite nahm sie in vielen Dingen keinen distanzierten Beobachterstatus ein. Aufgrund des längeren Aufenthalts und der vielfachen Gespräche konnte ich jedoch nach einer gewissen Zeit ihre „Brille“ mehr und mehr erkennen und reflektieren. Im Verlauf der Forschung erreichten wir einen Punkt, ab dem ich mit ihr nicht mehr von außen in das Forschungs-

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Feld eintrat, sondern, da sie bereits in dem Feld verankert war, ließ sie mich direkt an dieser sozialen Welt teilnehmen, im Sinne von „mittendrin statt nur dabei“ (Müller 2012: 179). Ergo verbrachte ich viel Zeit im Feld auf dem Feld (Acker). 3.2.2 Machtasymmetrien … … beim Bewegen im Feld Mein Assistent und ich bewegten uns im Bewässerungssystem und in den Siedlungen mit dem dortigen Hauptverkehrsmittel – dem Fahrrad. Das Fahrrad stellte für mich ein „horizontales“ (Corona Berkin 2012: 72) Transportmittel in dem Sinne dar, dass es sofort eine gewisse Nähe zu den Menschen zuließ, ich jederzeit anhalten und so direkt Kontakt mit den Menschen aufnehmen konnte. Die Fortbewegung mit dem Motorrad oder gar dem Auto ist für viele Menschen nicht alltäglich und für manche unerschwinglich. Es gibt keine Busse oder Autos, die die Dörfer regelmäßig miteinander verbinden, sondern nur MotorradTaxis (pikipiki), die sich aber nur wenige leisten können. Des Weiteren war mir bewusst, dass ich gewisse stereotypische Erwartungen bei vielen Menschen hervorrufen würde und ich diese durch ein schlichtes, einfaches Auftreten mindern könnte. Die Fortbewegung mit dem Fahrrad vermittelte mir ein Raum-Zeitgefühl für das Bewässerungssystem, durch das ich verstand, was es bedeutet, jeden Tag bestimmte Wege zurückzulegen, um in die Stadt oder zum eigenen Feld zu kommen. Welche Schwierigkeiten damit verbunden sein könnten, bekam ich vor allem in der Regenzeit zu spüren. An manchen Tagen war es unmöglich, sich mit dem Fahrrad fortzubewegen und bei dringenden Terminen mussten wir auf das Motorrad-Taxi zurückgreifen. Die Fortbewegung mit dem Fahrrad führte anfangs zu verwunderten Blicken, aber auch zu vielen neuen Bekanntschaften. So wurden mit Menschen, die auf dem Feld arbeiteten und während ihrer Pausen in den kleinen Gasstätten verweilten, erste Gespräche geführt und Kontakte geschlossen. … im Gespräch Die Machtasymmetrien, die durch die unterschiedlichen Machtpositionen der Gesprächspartner hervorgerufen werden, sind jedem oberflächlicheren Gespräch inhärent (Rothfuß 2009: 178). Damit ist eine Interaktion für mich, als weiße Frau aus der Mittelschicht eines westlichen Landes, mit meinen Interaktionspartnern in Kenia durch eine bereits in der Kolonialgeschichte angelegte Hierarchie geprägt. Allein unsere Herkunft ruft bei unseren Interaktionspartnern bestimmte, machtvolle imaginative Geographien hervor, die wir nicht steuern können. Für

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Rothfuß (2009) kann diese symbolische Gewalt zwar nie ganz aufgelöst werden, kann aber, so seine Ansicht, in Gesprächssituationen durch eine Begegnung auf Augenhöhe reduziert werden. Es gilt Beziehungen aufzubauen, um diese Machtverhältnisse abzubauen. Im Laufe meiner Feldforschung im Perkerra-Bewässerungssystem hatte ich viele Begegnungen mit Personen unterschiedlichster sozialer Herkunft. Dabei wurden mir verschiedene Positionen und Rollen zu geschrieben. Für manche erschien ich als diejenige, die eine finanzielle Unterstützung oder ein Entwicklungsprojekt organisieren könnte, für andere war ich jemand aus einer anderen Kultur mit spannenden Geschichten aus Deutschland, oder ich war jemand, den es für sein politisches Projekt und seine Standpunkte in Bezug auf das Management zu gewinnen galt. Eine Begegnung auf Augenhöhe und der Abbau von Machtasymmetrien gelangen folglich bei manchen Gesprächen besser und bei manchen schlechter. Dass ich eine Promotion verfolge, erweckte bei vielen Menschen Ehrfurcht, aber auch das Verständnis, dass ich eine „mittellose“ Studentin sei – im Moment. In informellen Gesprächen, aber auch in Gruppendiskussionen (vor allem bei der Methodenanwendung des Wohlstandsrankings), wurde mein Eindruck bestätigt, dass Bildung hochgeschätzt wird. Für die meisten Menschen, denen ich dort begegnete, war es ein Hauptanliegen, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Folglich hatte ich nicht das Gefühl, dass die Menschen durch meinen hohen angestrebten Bildungsgrad abgeschreckt waren, sondern eher Attribute wie Strebsamkeit und Disziplin damit verbanden und mir Anerkennung entgegenbrachten. Was bei mir wiederum ein Gefühl der Scham hervorrief, da die Ausbildungschancen in einem Land wie Deutschland bei weitem nicht mit den Gegebenheiten im Untersuchungsgebiet zu vergleichen sind. Die asymmetrischen Machtverhältnisse konnten in intensiven und häufigen Begegnungen abgebaut, jedoch aufgrund der verschiedenen ökonomischen und geopolitischen Hintergründe nie völlig überwunden werden.

3.3 Z UR A USWAHL DES U NTERSUCHUNGSSTANDORTS UND DER G ESPRÄCHSPARTNER 3.3.1 Der Untersuchungsstandort In Kenia gibt es sieben staatliche mittel- und großflächige Bewässerungssysteme, in denen seit Anfang der 2000er-Jahre partizipative Reformprogramme umgesetzt werden. Für das konkrete Fallbeispiel fiel die Wahl auf das PerkerraBewässerungssystem. Mehrere Gründe stützen die Wahl dieses Falles: Das Per-

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kerra-Bewässerungssystem gehört zu den ältesten staatlich angelegten großflächigen Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia (Chambers 1973b). Es wurde durchgängig bewirtschaftet, was nicht bei allen staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia der Fall ist. Es fand als negativer Vergleichsfall zu seinem größeren „Schwester“-Bewässerungssystem Mwea mit dem umfassenden Werk von Chambers und Moris (1973) Eingang in die wissenschaftliche Literatur. Auch in aktuelleren Werken zirkulieren die Aussagen zur Unwirtschaftlichkeit, die Chambers und Moris festgestellt haben (Adams 1990; Little 1994). Aktuelle Untersuchungen zum Perkerra-Bewässerungssystem gibt es nicht. Ein weiterer Grund, der die Auswahl von Perkerra beeinflusste, war, dass ich vor Ort die Möglichkeit hatte, mich dem Forschungsprojekt Resilience, Collapse and Reorganisation in Social-Ecological Systems of African Savannas der Universität Bonn und der Universität zu Köln anzuschließen. Im Rahmen dieses interdisziplinären Forschungsprojekts werden an mehreren Standorten in Südafrika und Kenia Transformationsprozesse in Feuchtgebieten untersucht. Für diese Forschungsarbeit konnte ich mich dem Teilprojekt B1 Institutions, Conflict and Regulation in Social-Ecological Systems anschließen und hatte somit Zugang zu Infrastruktur und Kontaktmöglichkeiten im Feld. Während beider Feldaufenthalte verbrachte ich den Großteil der Zeit im Bewässerungssystem und in Marigat, einer Kleinstadt in unmittelbarer Nähe des Bewässerungssystems (siehe Kapitel 1.4). Ich wohnte in einem Seminarzentrum im östlichen Teil Marigats, in der Nähe des Bewässerungssystems. Auch wenn der Standort abgelegen vom Zentrum war, hatte er den Vorteil, dass dort viele offizielle Veranstaltungen (Treffen mit NGOs und Consultings, Gemeindetreffen etc.) abgehalten wurden. Häufig wurde ich aufgrund meiner Präsenz vor Ort über diese Treffen informiert und auch dazu eingeladen. 3.3.2 Die Gesprächspartner Um die Regierungspraktiken des Bewässerungsmanagements in Kenia zu verstehen, führte ich Gespräche mit Akteuren, die aktiv in die formellen Steuerungsstrukturen der Bewässerungs-Governance eingebunden sind. Dazu gehörten (für eine genaue Auflistung aller Interviews siehe Anhang): „Experten“ des Bewässerungssektors und des Managements: • Bewässerungsingenieure im Hauptsitz der Bewässerungsbehörde (NIB) in

Nairobi

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• Angestellte der Bewässerungsbehörde im Perkerra-Bewässerungssystem (Ma-

nager, Bewässerungsassistenten) • Manager des Wasserressourcenmanagement-Behörde (WRMA) in Kabarnet • Mitglieder des Steuerungs- (Steering Committee) und Beratungskomitees (Ad-

visory Committee) des Perkerra-Bewässerungssystems. Zum Steuerungskomitee gehören nicht nur NIB-Angestellte, sondern auch Staatsbedienstete der Distriktebene: • • • • • • •

Vertreter des Wasserministeriums (District Irrigation Officer) Vertreter des Landwirtschaftsministeriums (District Agricultural Officer) Vertreter der Distriktverwaltung (District Officer) Chief von Marigat Chief von Ng´ambo Gemeinderat von Ng´ambo Vorsitzender des Beratungskomitees

Vertreter der Water Users Association: • • • •

WUA-Vorsitzender, RUA-Vorsitzender Stellvertretender WUA-Vorsitzender Blockleiter Zubringerkanalleiter

Vertreter der Farmers Cooperative Society: • Vorsitzende der Farmers Cooperative Society

Weitere Experten: • Ex-Chief von Marigat • Anwalt im Fall „Il Chamus“ • District Development Officer

Des Weiteren führte ich Interviews und Gruppendiskussionen mit Landwirten des Bewässerungssystems (für eine Auflistung der Interviews siehe Anhang). Hierbei achtete ich auf eine Ausgewogenheit zwischen verschiedenen Gruppen hinsichtlich Wohlstandsgruppe, Geschlecht und Alter. Für die Zuordnung der Interviewpartner zu einer Wohlstandsgruppe orientierte ich mich an den im Wohl-

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standsranking erarbeiteten Indikatoren. Dabei lag ein Augenmerk sowohl auf Personen und Haushalten mit einer Land-Konzession, als auch auf solchen ohne. Um mich an eine Präsentation aller Bevölkerungsteile im Bewässerungssystem anzunähern, versuchte ich nicht nur in den Siedlungen, die stadtnah (zu Marigat) lagen, Gesprächspartner zu finden, sondern in allen Siedlungen um das Bewässerungssystem. Dabei orientierte ich mich an den Kriterien, die ich für die Auswahl der Siedlungen für die quantitative Befragung aufgestellt hatte (siehe Kapitel 3.4.3).

3.4 D AS U NTERSUCHUNGSVERFAHREN Diese Arbeit ist eine Repräsentation in dem Sinne, dass sie soziale Beziehungen an bestimmten Orten beleuchtet. Im Prozess der Wissensproduktion fügen sich hier viele Repräsentationen ̶ Darstellungen, Geschichten, Narrative ̶ , die sowohl in empirischen Erhebungen, wie aber auch in Literaturarbeit erfasst und generiert wurden, in diese Arbeit ein. Gertel (2005: 2) weist daraufhin, dass in dieser „Kette von Repräsentationen“ die verwendeten sozialwissenschaftlichen Methoden eine große Rolle spielen. Das Untersuchungsdesign, das methodische Vorgehen, die Auswertung und Interpretation sind für die Art der Wissenskonstruktion entscheidend und müssen dementsprechend reflektiert und transparent gemacht werden. Der Untersuchung liegt eine rekonstruktivistisch-interpretative Perspektive zugrunde. In meinem methodischen Repertoire sind jedoch qualitative und quantitative Methoden zu finden. Ich verstehe das Verhältnis dieser beiden methodologischen Standpunkte im Sinne von Kelle und Erzberger (2008: 304) „als Ergänzung von Perspektiven“. Dabei vertrete ich die Meinung, dass quantitative Methoden strukturelle Zusammenhänge konstruieren und beschreiben können, zur gehaltvollen Erklärungen kommt es aber vor allem durch qualitative Daten (Kelle und Erzberger 2008; Flick 2008). Mit der Verwendung von quantitativen Daten verfolge ich nicht das Ziel, Generalisationen und Universalitäten zu produzieren. Vielmehr setze ich diese im Sinne eines Aufzeigens von überindividuellen Strukturzusammenhängen ein, um bestimmte soziale Prozesse, zum Beispiel Anbaumuster und landwirtschaftliche Praktiken innerhalb und außerhalb des Bewässerungssystems, zu fassen. Der Anfangsphase mit offenen Interviews, in denen ich versuchte, mehr über Produktionsweisen und Wassernutzungspraktiken zu erfahren, folgte die Durchführung der quantitativen Umfrage mithilfe eines standardisierten Fragebogens.

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Im Anschluss, in der zweiten Hälfte des zweiten Aufenthalts, führte ich mehrere narrative Interviews durch. 3.4.1 Erzähltes Leben – qualitative Methoden Ich war an landwirtschaftlichen Praktiken der Menschen und deren persönlichen Erfahrungen im Bewässerungssystem interessiert. Hilfreich bei der methodischen Erfassung von Erfahrungen ist Somers These (1994), die besagt, dass soziales Leben an sich erzählt ist. Damit meint Somers nicht, dass aktuelles, in einem Moment stattfindendes Interagieren und Erfahren nur Erzählungen sind oder nur über Erzählungen stattfinden. Ihr geht es vielmehr um die zeitliche Komponente des Lebens und welche Rolle Erzählungen im sozialen Miteinander, für das Selbst und die eigene Identitätsschaffung spielen. So greifen Akteure in ihren Praktiken, Ansichten und Darstellungen auf erinnerte Erfahrungen zurück, die sie durch strukturierte, „einheitliche Erzählungen von sich selbst“ geordnet haben und die somit abrufbar sind (Somers 1994: 614). Erinnerungen bestehen größtenteils aus Erzählungen (Narrativen). Diese Narrative bestehen aus Eigenerfahrungen, Geschichten aus dem sozialen Umkreis, aus den Medien und anderen Institutionen, die über kommunikative Prozesse transportiert und verbreitet werden. Darin spiegeln sich auch gängige Praktiken und soziale Strukturen wider. Zugleich sind die Erzählungen identitäts- und sinnstiftend: „people construct identities (however multiple and changing) by locating themselves or being located within a repertoire of emplotted stories“ (Somers 1994: 614).

Narrative sind Konstellationen von erzählten relationalen Beziehungen, die eingebettet sind in Raum und Zeit und die sich in einer Handlung der Erzählung – einem Plot – in einem Moment niederschlagen. Das heißt, wie sich Menschen in ihren Erzählungen präsentieren, wie die Erfahrungen und Narrativen anderer erzählerisch aufgearbeitet wurden und in welchen Narrativen sie münden, sind Hinweise auf Subjektivierungen und Praktiken, aber auch auf ihre Position im sozialen Raum. Erfahrungen und alltägliche Geschichten und deren Bedeutung und Sinnstiftung für die Personen können nur durch qualitative oder offene methodische Herangehensweisen rekonstruiert werden (Gertel 2005). Narrative und offene Interviews Ich wählte für meine Untersuchung eine offene Herangehensweise. Tuider (2007) schlägt für die Untersuchung von Gouvernementalitäten als methodische Umsetzung narrative und biographische Interviews vor, um die Wirkung von sich verändernden politischen Rationalitäten auf Machttechniken und Subjektivierungen zu untersuchen. Das narrative oder auch narrativ-biographische Inter-

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view zählt zu den offenen Interviewtypen. Durch eine Eingangsfrage wird versucht, eine Stegreiferzählung anzuregen. Der/die Befragte sollte die Haupterzählung, die durch die Erzählaufforderung angestoßen wurde, frei gestalten und entfalten können, ohne große Interventionen seitens des Interviewers (Hopf 2008: 355–356). Dadurch kann der Befragte selbst bestimmen, welche Themen und Geschichten er für wichtig hält. Somit können für den Forscher unerwartete Themenfelder angesprochen werden. Dies ist von Vorteil, um sich ein fremdes Forschungsumfeld zu erschließen. Des Weiteren bietet es die Möglichkeit den Sinn von Handlungen sowie deren Raum-Zeit-Dimensionen und deren Bedeutung für den Erzähler herauszustellen. Durch das Erzählen und Erklären der eigenen Welt werden die Kategorien vorgegeben, denen der Erzähler Bedeutung zumisst. Somit bietet das narrative Interview einen Eintrittspunkt in die für den Erzähler relevanten Sinnstrukturen und Kategorien, mit denen er seine soziale Welt ordnet und konstruiert. Herausarbeitung und Analyse dieser Strukturen schaffen einen ersten Schritt für eine aktive Auseinandersetzung mit den Kategorien, die wir als Forscher bei der Konstituierung unseres Forschungssubjekts verwenden. Die Gefahr eigene, westliche Kategorien auf das „Andere“ zu stülpen besteht zwar weiterhin, doch ist, durch die Möglichkeit die relevanten Sinnkategorien des anderen zu erfassen, ein Weg gegeben, den anderen in seiner Autonomie zu verstehen. Reflexion der narrativen und offenen Interviews Ziel der narrativen Interviews war es, Handlungsoptionen in verschiedenen Lebensphasen zu erfassen bezüglich Landnutzung und Anbau, aber auch einen Einblick in die sozialen Gemeinschaften vor Ort zu bekommen. Ich entschied mich, diese Art von Interview überwiegend mit Personen durchzuführen, die ich während meiner Forschung bereits kennengelernt und zu denen ich ein gewisses Vertrauensverhältnis aufgebaut hatte. Durch Besuche und Gespräche wurde eine Beziehung zu meinen Gesprächspartnern geschaffen. Durch diese versuchte ich die Asymmetrien, die durch den interkulturellen Kontext und meine Positionalität als weiße, westliche Forscherin bestimmt waren, durch Nähe, Vertrautheit und Aufmerksamkeit zu mindern. Da ich bei der Auswahl den Einbezug verschiedenster sozialer Hintergründe berücksichtigte, ergab sich eine Heterogenität durch unterschiedliche sprachliche Barrieren. In den Interviews, die auf Englisch geführt wurden, konnte ich eine aktivere Rolle einnehmen als in solchen Interviews, die teilweise auf Kiswahili oder Il Chamus geführt wurden. Die Interviewsprache ist vor allem für die Auswertung von besonderer Bedeutung, da bei englischen Texten auf andere Auswertungsverfahren zurückgegriffen werden konnte als bei Texten, die mir als Übersetzungen vorlagen.

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Die Interviews begannen mit der Bitte an die Befragten, ihre Lebensgeschichte zu erzählen. Länge und Ausführlichkeit der Haupterzählung fielen sehr unterschiedlich aus. Einige Interviewpartner berichteten in knappen Ausführungen über die wichtigsten Stationen ihres Lebens, andere gaben ausführliche Berichte von bis zu einer halben Stunde, bevor die Nachfragephase einsetzte. Die Länge und Ausführlichkeit nahm in den meisten Fällen mit Stärke der persönlichen Beziehung zu. Der Nachfragephase zu bestimmten Ereignissen und dem Lebenslauf schloss sich in dritter Phase eine Fragerunde an, in der Themen des Landzugangs und des Wassermanagements angesprochen wurden. Häufig drehte sich jedoch in dieser Phase die Rollenverteilung von Interviewer und Interviewten um, indem mein Gesprächspartner mich über Landwirtschaft, Klima und Anbauprodukte in Deutschland ausfragte. Zur Analyse narrativer und offener Interviews Interviewdaten sind keine kontextfreien, neutral generierte Daten, sondern werden in Interaktion zwischen Erzähler und Hörer bzw. Interviewtem und Interviewer hergestellt. In Erzählungen werden bestimmte Geschehnisse, Personen und Handlungen dargestellt. Die Erzählung repräsentiert die Wirklichkeit, aber nicht neutral oder intersubjektiv, sondern sie wird vom Erzähler für den Zuhörer konstituiert. Das Erzählen an sich wird als Handlung aufgefasst, die auf den Zuhörer oder den Erzähler „selbst bezogen“ ist (Lucius-Hoene und Deppermann 2002: 41). Durch die Art und Weise wie etwas dargestellt wird, ob z. B. rechtfertigend, argumentierend, entschuldigend, um Zustimmung werbend, wird die Bedeutung von Ereignissen und die Identität des Erzählenden ausgehandelt. Dies gilt es sich bei der Analyse des Datenmaterials stets zu vergegenwärtigen. Sequenzanalyse Sequenzanalyse und Kontextualität sind notwendig, denn nur so kann der Sinn, der durch eine Erzählung hergestellt wird, rekonstruiert und erfasst werden. „Sinnbezüge, Inhalte und Funktionen von Äußerungen“ (Lucius-Hoene und Deppermann 2002: 101) können nur adäquat interpretiert und verstanden werden, wenn der Kontext der Gesprächsäußerung berücksichtigt wird, dazu zählen auch die Interaktion mit der Interviewerin. Werden Äußerungen kontextfrei interpretiert, ist die Gefahr groß, zu Fehlinterpretationen zu gelangen und falsche Schlüsse zu ziehen (Rothfuß 2009). In der Analyse meiner narrativen und offenen Interviews ging es mir darum, aufzuzeigen, wie die Personen sich relational und räumlich positionieren und dadurch Identität und Differenz herstellen. Denn beides, Identität und Differenz, läuft über Mechanismen der Positionierung. Des Weiteren untersuchte ich, ob und wie sich die Positionierungen im Laufe der Er-

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zählung verändern. Positionierungen verlaufen über Aussagen, in denen Dingen und Personen Positionen zugewiesen werden, indem sie mit Wertvorstellungen, Normen oder stereotypischen Bildern in Verbindung gesetzt und bestimmte Deutungsmuster und auch Rechtfertigungen erzeugt werden. Grundsätzlich habe ich bei der Analyse meiner qualitativen Daten Sequenz und Kontext berücksichtigt. Eine Darlegung der Sequenzanalyse von Interviews erschien mir besonders sinnvoll bei der Analyse ethnischer Zuschreibungen im Zusammenhang der Wahlen der Bauernvertretung im Bewässerungssystem in Kapitel 8.3.1. Argumentationsanalyse Die Argumentationsanalyse, mit der ich die Argumentationslinien zu politisierten Identitäten zu durchdringen versuchte (Kapitel 8), basiert auf dem Argumentationsschema von Toulmin (1996 [1958]). Es geht ihm dabei nicht um die logischen Argumente per se, sondern um das Verständnis für den Aufbau und das Funktionieren von Behauptungen und Begründungen. Er gliedert sein Argumentationsschema in verschiedene Bestandteile: die Behauptung (claim) und den Fakt (data), der die Behauptung stützt. Um die Beziehung zwischen dem Fakt und der Behauptung entstehen zu lassen, sozusagen der „gedankliche Übergang“ (Felgenhauer 2009: 266), benötigt es die Schlussregel. Diese wird wiederum durch ein Hintergrundwissen (backing) generiert, das die „unausgesprochene Voraussetzung für die Schlussregel und damit für das ganze Argument“ darstellt (Felgenhauer 2009: 267). Felgenhauer betont, dass es sich dabei nicht um eine Bewertung durch den Interpreten handelt, sondern es gilt, freizulegen, welche Aussagen und Logiken das Argument „zum Funktionieren“ bringen. Semi-strukturierte und Experteninterviews Mit staatlichen Angestellten und Bürokraten, seien es nun Personen der staatlichen Administration, der staatlichen Bewässerungsbehörde oder der Bauernorganisationen, wurden Interviews geführt, die auf das spezifische Wissen ihres Arbeitsgebiets abzielten. Schütz definiert einen Experten als jemand, der über ein „detailliertes und spezialisiertes Wissen“ verfügt (Liebold und Trinczek 2009: 33). Vor einem konstruktivistischen Hintergrund ist jedoch fraglich, welches Wissen als „Expertenwissen“ angesehen wird und welches nicht. Denn in der gängigen Literatur werden die Kompetenzen und die Legitimation des Wissens eines „Experten“ an Professionen und Berufen festgemacht, deren Wissensbestände wirkmächtiger und gesellschaftlicher anerkannter sind als die Wissensbestände eines „Laien“. Zum anderen kann jemand als Experte gelten, der in einem spezifischen institutionalisierten und organisatorischen Kontext Funktionswissen aufweist, über das nicht jeder verfügt. Des Weiteren können diese einen

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„privilegierten Zugang“ zu Informationen, Entscheidungsprozessen und Prozessabläufen haben (Liebold und Trinczek 2009: 35). Ich führte semistrukturierte Interviews und Gespräche über Themen, die sich um bestimmte Problembereiche des Wassermanagements, der partizipativen Reformumsetzung und der Durchführung des Vertragsanbaus drehten, mit Personen, die eine ausführende Position in diesen Bereichen einnahmen. Dadurch bekam ich sowohl Einblick in die „formellen“ Abläufe, aber auch teilweise persönliche Einschätzungen und Kritiken in Bezug auf die Durchführung. Themenfelder der Experteninterviews: • Aufbau des staatlichen Bewässerungsmanagements • Aufgaben und Arbeit der einzelnen Organisationen und Komitees (WUA,

Farmers Cooperative Society, Advisory Committee, Steering Committee) • Umsetzung des Participatory Irrigation Management-Ansatzes und der Re• • • • • • • •

formen des staatlichen Bewässerungssektors Einführung der by-laws im Bewässerungssystem Organisation und Durchführung des Vertragsanbaus Landbesitzverhältnisse und Eigentumstitel landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung innerhalb und außerhalb des formalen Bewässerungssystems Konflikte zwischen der nationalen Bewässerungsbehörde und der Wasserressourcenmanagement Behörde Wahlen der Water Users Association Land- und Wasserkonflikte Probleme und Herausforderungen für die Landwirte

Reflexion der semi-strukturierten und Experteninterviews Während ich mit einigen Interviewpartnern formelle Gesprächstermine im Büro ausmachte und ein vorbereiteter Leitfaden das Gespräch strukturierte (dies war z. B. der Fall bei einigen Personen der Distriktverwaltung), führten mich in den meisten Fällen konkrete Vorgänge oder Geschehnisse im Bewässerungssystem zu meinen Gesprächspartnern. So stellten sich im Verlauf der Forschung durch das Eintauchen in das Feld stets neue Fragen, die es bedingten, dass ich neue oder schon einmal interviewte „Experten“ dazu befragen wollte. In diesen Gesprächen wurden in der Regel konkrete, aktuelle Themen des Bewässerungssystems aufgegriffen und weniger aus der Theorie abgeleitete Fragen. Bis auf die Blockleiter sprachen die meisten „Experten“ gut Englisch, sodass ein direktes Gespräch ohne einen Übersetzer möglich war. In den Monaten des Feldaufent-

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halts traf ich einige Personen des Managements des Bewässerungssystems häufig wieder, sodass sich eine gewisse Bekanntschaftsbeziehung aufbaute. Man konnte sich zufällig auf dem Feld treffen, bei einem baraza (Treffen) vom Management und der Bauernschaft, bei den Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag oder einfach auf der Straße in der Stadt. Dabei kam es in den meisten Fällen direkt zu Gesprächen über relevante und aktuelle Themen oder ich nutzte die Möglichkeit zur Terminvereinbarung. Nach mehreren Monaten in Marigat war ich den meisten des Verwaltungs- und Managementpersonals gut bekannt und diese informierten mich über Vorgänge oder wir diskutierten bestimmte Themen. Zum Beispiel traf ich den Vorsitzenden der Farmers Cooperative Society beim Mittagessen in meinem Lieblingsrestaurant. Er war gerade dabei sich für eine Vertragsverhandlung mit der Kenya Seed Company vorzubereiten. Wir diskutierten seine Argumentationslinie und Vorgehensstrategie beim Mittagessen durch. Auch wenn mir das direkte Dabeisein bei den Verhandlungen verwehrt blieb, konnte ich somit einen kleinen Einblick in die aktuellen Prozesse bekommen. Das in den Expertengesprächen generierte Wissen und die Informationen stellen für mich, wie bereits erläutert, keine kontextfreien, objektiven Sichtweisen dar, sondern ebenfalls als auf Erfahrungen basierend und in der Interaktion des Gespräches generierte Aussagen. Zur Analyse der semi-strukturierten und Experteninterviews In den meisten Fällen nahm ich nach Einholen des Einverständnisses meines Gesprächspartners die Gespräche auf. Je nachdem, ob das Interview auf Englisch, Kiswahili oder Il Chamus geführt wurde, fertigte ich eine Transkription an, oder meine Assistenten nahmen anhand der Tonaufnahmen eine Übersetzung ins Englische vor. Wurden die Gespräche nicht aufgezeichnet, machte ich während des Gesprächs Notizen und fertigte später ein Gesprächsprotokoll an. Bei Gesprächen, die informell z. B. auf der Straße erfolgten, schrieb ich im Nachhinein ein Gedächtnisprotokoll. Je nach Art des Interviews wurde dieses entweder in einer Sequenzanalyse untersucht oder mithilfe der Software für die qualitative Datenanalyse MAXQDA kodiert und dann analysiert. Für eine Übersicht der Codes siehe Tabelle 4.

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Tabelle 4: Übersicht der Codes in MAXQDA

Wassermanagement • Arbeit der WUA • Wasserverteilung im Bewässerungssystem • Wasserverteilung im Bewässerungssystem/am Fluss • Konflikte bei der Wasserverteilung • positive/negative Einstellungen/Argumente zu WUA/NIB • Vergleich WUA-Management, NIB-Management • Regeln und Sanktionen im Bewässerungssystem • Korruption Aushandlung von Landzugang • ethnische Zuschreibungen und Wahrheiten • Fremd- und Selbstzuschreibungen • Eigentumstitel • widerständige Praktiken

Livelihoods • Einkommensstrategien • Krankheit/Alter • Land grabbing • Schulgebühren • Verschuldung • Arbeitsbedingungen • Einschätzung der Lebenssituation • Zugang zu Land und Wasser • Zugang zu Krediten und Produktionsmitteln Landwirtschaftliche Praktiken • Vertragsanbau Kenya Seed • Surplus-Anbau • Produktionsmengen, Preise • Anbaukalender • Anbauprobleme und Erfahrungen • Dürre, Überschwemmungen • Orte des Anbaus • Techniken

Quelle: eigene Darstellung

3.4.2 Wandel von Regierungspraktiken diskutieren – partizipative Gruppeninterviews Um den Wandel der Regierungspraktiken in der Wahrnehmung der landwirtschaftlich aktiven Bevölkerung zu fassen, wurden Diskussionen mit verschiedenen Gruppen durchgeführt. Dafür wurde auf eine Methode des Participatory Rural Appraisal (PRA) zurückgegriffen. PRA ist ein Ansatz partizipativer Erhebungsmethoden, der sich durch eine bestimmte Philosophie und Methodensets auszeichnet und vor allem in der praktischen Entwicklungszusammenarbeit entstanden ist. Die Innenperspektive von betroffenen Gruppen, deren Wahrneh-

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mung und Auffassung von sozialer und physischer Umwelt ist von zentraler Bedeutung (Tröger 1997). Ziel ist es, die lokale Bevölkerung aktiv in den Prozess des Datensammelns, Aus- und Bewertens einzubeziehen. Dieses Instrument zeichnet sich insbesondere durch den Aspekt der Visualisierung, die durch die Teilnehmenden möglichst selbst entstehen soll, aus (Kumar 2002). Insgesamt griff ich auf drei Methoden aus dem PRA-Werkzeugkasten zurück. Während meines ersten Feldaufenthalts führte ich mehrere Problem-Rankings nach Kumar (2002) in den Siedlungen um das Bewässerungssystem durch, mit dem Ziel die Dorfstrukturen und die Lebensweisen der Bewohner besser zu verstehen. Diese Anwendungen dienten als eine Vorstudie, um das Untersuchungsgebiet besser kennenzulernen. Sie gaben erste Hinweise für die Auswahl der Untersuchungsstandorte für die quantitative Erhebung im zweiten Feldaufenthalt. Des Weiteren wurden Wohlstandsrankings und Spider-Diagramme durchgeführt. Fotos 2: Wohlstands-Ranking (links), Spider-Diagramm (rechts)

Spider-Diagramm Das Spider-Diagramm eignet sich gut, das Thema des Managementwandels zu fassen und mit den Landwirten zu diskutieren. In Gesprächen mit zwei bis vier Teilnehmern wurden Probleme und Wünsche in Bezug auf das Management des Bewässerungssystems besprochen. Je nach Definition wird von einer Gruppendiskussion ab einer Gruppengröße von fünf bis sechs Personen17 bis hin zu fünfzehn Personen gesprochen. Die Gruppengröße bei den durchgeführten Diskussionen wurde aus zwei Gründen auf zwei bis vier Personen beschränkt: erstens, um eine Diskussion zwischen zwei Teilnehmern generell zu ermöglichen und dadurch unterschiedliche Perspektiven und Bereinigungseffekte zu generieren; zweitens, um die Zusammenstellung der Teilnehmer besser kontrollieren zu 17 Mayring (2002) spricht von einer Gruppengröße von fünf bis fünfzehn Teilnehmern. Bohnsack (2008: 249) geht von einer typischen Gruppengröße von sechs bis acht Personen aus.

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können und damit mögliche Machtgefälle zwischen den Teilnehmern zu verringern. In früheren Gruppendiskussionen im Kontext meiner Diplomarbeit hatte ich die Erfahrung gemacht, dass es schwierig ist, eine ausgewogene Diskussion zwischen Teilnehmern in einer großen Gruppe anzuregen. Oft dominierten einige redefreudige Teilnehmer, während sich weitere Teilnehmer diesen Aussagen stillschweigend anschlossen, ohne dass ich wirklich ihre persönliche Meinung zu dem Thema erfahren konnte. Eine Diskussion mit zwei bis drei Teilnehmern wurde somit als angemessene Vorgehensweise erachtet, um allen Teilnehmern genügend Raum zum Ausdrücken zukommen zu lassen. Die Zusammenstellung der Teilnehmer erfolgte entlang der These der kollektiven Erlebnisschichtung nach Mannheim (Mannheim 1964, zit. nach Bohnsack 2008: 377). Hierbei wird die Diskussionsgruppe als Repräsentant einer bestimmten sozialen Entität verstanden. Während Mannheim von generationsspezifischen Gemeinsamkeiten spricht, ist für Morley vor allem der Klassencharakter identitätsstiftend für eine Gruppe. Die Gruppen „repräsentieren klassen- oder milieuspezifische ,diskursive Formationen‘, deren struktureller Ausdruck die ,interpretativen Codes‘ [(Morley 1996: 122 ff.)] sind, also homologe Muster von milieuspezifischen Sinnzuschreibungen und Orientierungen“ (Bohnsack 2008: 373–374). Entlang dieser Überlegungen wurden bestimmte Gruppen zusammengestellt, um der Frage nachzugehen, wie und ob sich der Blickwinkel auf den Managementwandel entlang alters-, geschlechts- und wohnortsspezifischer (kanalaufwärts und kanalabwärts) Kriterien unterscheidet. Tabelle 5: Zusammenstellung der Spider-Diagramme Teilnehmer Spider-Diagramm

unter 45 Jahren

über 45 Jahren

weiblich

1 x Teilnehmerinnen aus Kampi Wakulima 1 x Teilnehmerinnen aus Ng´oswe

1 x Teilnehmerinnen aus Kampi Wakulima 1 x Teilnehmerinnen aus Ng´oswe

männlich

1 x Teilnehmer aus Kampi Wakulima 1 x Teilnehmer aus R7

1 x Teilnehmer aus Kampi Wakulima 1 x Teilnehmerin aus Ng´oswe

Quelle: Eigene Darstellung

Insgesamt wurden acht dieser Spider-Diagramme durchgeführt (Tabelle 5 gibt einen Überblick über die Zusammenstellung der Gruppen). Allen Gruppen wurde dieselbe Aufgabenstellung gestellt. Sie sollten über die wichtigsten Komponenten nachdenken, die für eine „gute Wasserverteilung“ entscheidend seien. In

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einem ersten Schritt wurden mögliche Komponenten diskutiert, ganz unabhängig wie deren Ausprägung im jetzigen Management (mit Beteiligung der Water Users Association, WUA) aussah. Nachdem die Komponenten gesammelt waren, wurde in einem zweiten Schritt eine Diskussion über die Ausprägung dieser Komponente im Moment und zu Zeiten, als die nationale Bewässerungsbehörde (NIB) noch das gesamte Management innehatte, angeregt. Zum Schluss jeder einzelnen Besprechung wurde ein Ranking durchgeführt. Somit wurde jede einzelne Komponente bzgl. der Ausprägung während WUA-Management und NIBManagement gerankt. Dabei wurde das Ranking nicht genutzt, um exakte Messzahlen zu generieren, sondern als Anregung, um über die Unterschiede zu diskutieren. Methodenreflexion – der Mythos partizipativer Methoden Partizipative Methoden sind häufig mit Schlagwörtern wie „empowerment“ und „ownership“ von Informationen verbunden (siehe Chambers 1994). Diesem Mythos entgegenwirkend, haben bereits viele Autoren aufgezeigt, dass es unterschiedliche Grade von Partizipation in der Forschung geben kann (Bergold und Thomas 2012; Neef und Neubert 2004). Somit ordne ich meine Forschung, auch wenn ich PRA-Instrumente einsetzte, nicht als „partizipative Forschung“ ein. Denn meine wissenschaftliche Fragestellung und auch das Thema der Gruppendiskussion (Was bedeutet ein gutes Wassermanagement?) war vorgegeben und wurde nicht interaktiv erarbeitet, wie es bei einer „partizipativen Forschung“ eher der Fall ist (Neubert et al. 2008). Somit kann ich auch nicht behaupten, dass es zu einer Art empowerment benachteiligter Gruppen oder Menschen durch den Forschungsprozess kam. Zwar erscheint es in Tagen von zunehmender kritischer Reflexion des Forschens in interkulturellen Kontexten verlockend der Forschungsarbeit einen partizipativen „Anstrich“ zu geben, um ethische Standards und der Zwickfalle des einseitigen Gewinns der Datenextraktion auszuweichen, da behauptet werden kann, durch partizipatives Vorgehen könnte diese Einseitigkeit ausgeglichen werden, die „Verwendung von PRA-Instrumenten sollte aber nicht automatisch mit partizipativer Forschung gleichgesetzt werden […]“ (Neubert et al. 2008: 112). Die Verwendung von PRA-Instrumenten in der Forschung ist immer wieder Diskussionsgegenstand in der Wissenschaft gewesen (Neubert et al. 2008; Tröger 1997), insbesondere die Frage wie ein Instrument der Entwicklungspraxis wissenschaftlich-methodischen und erkenntnistheoretischen Ansprüchen genügen kann. Neubert et al. identifizieren aufgrund von Erfahrungen, die in einem landwirtschaftlichen Forschungsprojekt in Vietnam und Thailand gemacht wurden, einige Fallstricke für die wissenschaftliche Verwendung (Neubert et al.

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2008: 109–115). Sie weisen auf das Problem hin, dass viele PRA-Methodenanwendungen in der Forschung in Form von großen Workshops stattfänden und somit für viele Teilnehmer Charakter eines Entwicklungshilfeprojekts annähmen. Durch diese „Gleichsetzung von Forschungsaktivitäten mit Entwicklungsprojekten“ werden Erwartungen geweckt und Aussagen strategisch ausgewählt, um auf besondere Missstände hinzuweisen, für die ein Entwicklungsprojekt Abhilfe schaffen könnte (Neubert et al. 2008: 114). Diesem Problem versuchte ich, mit einer kleinen Gruppengröße entgegenzuarbeiten. Einige der Teilnehmer hatte ich bereits im Verlauf meiner Forschung kennengelernt. Vor jeder Session erfolgte eine ausführliche Vorstellung meinerseits und meiner Arbeit. Mit der Dokumentation von PRA-Anwendungen ist ein weiteres Problem verbunden (Neubert et al. 2008: 115). Ein Alleinstellungsmerkmal von PRA ist die Visualisierung. Der Kerngedanke dahinter ist zum einen, dass die Menschen selbst die Anfertigung von Tabellen und Diagrammen vornehmen und alle Teilnehmer mitsprechen können, und zum anderen, dass die Ergebnisse bereits in „aufgearbeiteter“ Form vorliegen. Die Gefahr besteht hier darin, die Tabellen und Diagramme, die entstehen, als bereinigte, ausgewogene Darstellung der Interessen aller Teilnehmer anzusehen. Somit gehen widersprüchliche Interessen, Ansichten und Probleme verloren und lokale Machtverhältnisse werden ignoriert (Neubert et al. 2008: 115). Wichtig ist, dass die Aushandlung zwischen den Teilnehmern und der Prozess, der schließlich zum Ergebnis führt, dokumentiert werden. Mit vorherig eingeholter Erlaubnis wurden von allen Sitzungen Tonaufnahmen gemacht, die später von den Forschungsassistenten übersetzt und transkribiert wurden, somit wurden die Diskussionen für mich nachvollziehbar. Schwierigkeiten treten nun auf, die unterschiedlichen Ergebnisse der einzelnen Sitzungen zu interpretieren, vor allem vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Merkmale, nach denen die Gruppen zusammengesetzt wurden. Nach der These von Mannheim (1964) repräsentieren diese Gruppen milieuspezifische und klassenspezifische Muster und diskursive Formationen. Die These lässt sich m. E. nicht in allen meiner Gruppendiskussionen halten. Viele Aussagen in den meisten Diskussionen waren nicht speziell mit den Gruppencharakteristiken Alter oder Geschlecht verbunden. Wie bei allen Daten ist auch hier bei der Interpretation der Daten aus Gruppendiskussionen die Triangulation (Flick 2008) mit anderem Datenmaterial und Informationen, die mithilfe weiterer Methoden erhoben wurden, z. B. Beobachtungen oder Interviews, sehr wichtig. Literatur- und Dokumentenanalyse – Rationalitäten darlegen Neben den empirischen Erhebungen habe ich einschlägige Literatur und Dokumente zum Thema Bewässerungsmanagement, Bewässerungs- und Wasserre-

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formen gesichtet, mit dem Ziel, die Rationalitäten und Logiken der Bewässerungspolitik und der jeweiligen Managementpraktiken aufzudecken. Dazu gehörten Policy-Programme von der Regierung wie auch von Gebern und NGOs. Um die damaligen Politiken und Bewegungsgründe der Kolonialregierung zu untersuchen, habe ich auf Dokumente der Kolonialregierung zurückgegriffen, in die ich im National Archive in Nairobi Einblick erhielt. Die Dokumente beinhalten den Briefverkehr zwischen den Kolonialbeamten. Sie sind allerdings bei Weitem nicht vollständig. Die Herausarbeitung von den anfänglichen Merkmalen und Charakteristika der Dispositivelemente erfolgte für die Zeit der 1960er-Jahre am größten und gut dokumentierten Mwea-Bewässerungssystem. Das methodologische Problem, das die Untersuchung eines Wandels von Managementstrukturen mit sich bringt, versuchte ich zu lösen, indem ich die Hauptcharakteristika des staatlichen Managements der 1960-1970er-Jahre aus der Literatur (Ruigu 1988; Adams 1990; Blank et al. 2002; Ertsen 2008), insbesondere aus der Studie zu Mwea von Chambers und Moris (1973), herausarbeitete. Für die Analyse der Identitätspolitiken stellte mir der Rechtsanwalt, der im „Fall Il Chamus“ aktiv ist, Dokumente und Anklageschriften zur Verfügung (siehe Kapitel 3.4.3). 3.4.3 Anbau- und Landstrukturen erkennen – quantitative Erhebung Auf der Basis der Informationen der Distriktverwaltung, eigenen Zählungen/ Kartierungen und Haushaltslisten von lokalen Autoritäten wurde eine Anzahl von rund 1.000 Haushalten in den Siedlungen um das Bewässerungssystem ermittelt, die die Grundgesamtheit für die Erhebung bildet. Zu den Siedlungen gehören (siehe ): Kampi Wakulima in der Nähe der großen Verteilerbox am LKanal, gefolgt von Ng´osonik, L3, Labos, Block 4 und Loropil im Nordosten, Sintaan, und Illng´arua im Osten, R7, Murda, Ndebes, R5, Ng´oswe und Rabai im Süden am R-Kanal. Mit einem Stichprobenrechner18 ermittelte ich bei einer Grundgesamtheit von 1.000 Haushalten, einem Stichprobenfehler von 5 % und einem Vertrauensintervall von 94 % eine repräsentative Stichprobengröße von 261. Die Siedlungen zeichnen sich durch unterschiedliche Merkmale aus (Position im Kanalnetz, ethnische Zusammensetzung, Größe). Nachdem ich Informationen

18 Stichprobenrechner abrufbar unter http://www.bauinfoconsult.de/Stichproben_Rechner.html.

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über Bevölkerungsgröße, Lage am Kanal (Oberlauf, Unterlauf) und ethnischer Zusammensetzung über die Siedlungen gesammelt hatte, clusterte ich die Siedlungen nach diesen Merkmalen (Pfeffermann und Rao 2009). Ich wählte sechs Siedlungen aus, sodass soweit wie möglich jede Merkmalskombination vorhanden war (Kampi Wakulima: mittlere Größe, ethnisch relativ homogen, Oberlauf; Ng´oswe: mittlere Größe, Oberlauf, ethnisch durchmischt; Ng´osonik: kleinere Größe, ethnisch heterogen, Mittelauf, R7: kleinere Größe, ethnisch relativ homogen, Unterlauf; R5: größere Größe, ethnisch heterogen, Mittellauf, Loropil: größere Größe, ethnisch relativ homogen, Unterlauf, siehe auch Tabelle 6). Die genaue Anzahl der Haushalte wurde für jede Siedlung ermittelt und jeder Haushalt erhielt eine Nummer. Für jede Siedlung wurde eine Zufallsstichprobe gezogen, deren Größe im Verhältnis zu der Anzahl der Haushalte in der Siedlung steht. Die Stichprobenziehung erfolgte durch eine systematische Zufallsauswahl (Sakdapolrak 2010: 95). Tabelle 6: Anzahl der Haushalte in den Untersuchungssiedlungen Siedlung

Lage am Kanal

Haushalte n = 779

Stichprobe n = 261

Kampi Wakulima

Oberlauf

124 HH

41 HH

Ng´osonik

Mittellauf

82 HH

29 HH

Loropil

Unterlauf

200 HH

58 HH

R7

Unterlauf

45 HH

15 HH

R5

Mittellauf

234 HH

84 HH

Ng´oswe

Oberlauf

94 HH

34 HH

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Angaben der Distriktverwaltung, Haushaltslisten und eigenen Zählungen/Kartierungen

Da viele Familien polygam leben und auch nach der Wohnform die Grenze eines Haushalts nicht eindeutig zuzuordnen ist, war es erforderlich festzulegen, was unter „Haushalt“ zu verstehen ist. Ich hielt mich an die lokale Definition von Haushalt: Ein Haushalt lebt auf einem compound. Auf diesem compound ist ein homestead lokalisiert, der aus mehreren Häusern bestehen kann. In einem polygamen Haushalt hat jede Frau eine Hütte auf einem compound und dies ist daher als ein Haushalt anzusehen. Kinder, die bereits geheiratet haben, gehören diesem

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Haushalt nicht mehr an, sondern haben ihren eigenen Haushalt gegründet. Entweder hat der Vater dem Sohn ein Stück Land gegeben, um darauf zu leben, oder es wird ein Stück vom compound des Vaters abgezäunt. Die Töchter ziehen zum Ehemann. Im Falle, dass der Ehemann oder die Ehefrau auf einem compound an einem anderen Ort lebt, zählt dies als ein eigener Haushalt. Meine zwei Forschungsassistenten wurden für die Anwendung der Methoden geschult und der Fragebogen in einem Pretest getestet und angepasst. Die Erhebung wurde während des zweiten Feldforschungsaufenthalts im September 2011 sechs Wochen lang durchgeführt. Ich versuchte abwechselnd meine Forschungsassistenten zu begleiten und bei den Befragungen anwesend zu sein. Grundsätzlich wurde vor jeder Befragung das Einverständnis des Haushalts an der Teilnahme eingeholt und die Befragten über Dauer und Ziel der Befragung informiert. Es wurde auf den Fragebogen zurückgegriffen, der im Projekt Resilience, Collapse and Reorganisation in Social-Ecological Systems of African Savannas für die Standorte am Baringosee ausgearbeitet wurde und dieser für die eigene Fragestellung angepasst. Die Umfrage ist auf Haushaltsebene angesetzt. Der Fragebogen ist in vier Teile untergliedert. Der erste Teil erhebt für alle Haushaltsmitglieder grundlegende sozio-ökonomische Aspekte (u. a. Familienposition, Geschlecht, Ausbildung, Beruf). In den folgenden drei Teilen werden die Informationen für den Haushalt aggregiert erhoben. Im ersten Teil sind dies allgemeine Haushaltsdaten, im zweiten Teil werden landwirtschaftliche Aktivitäten erhoben und im letzten Teil geht es um Bewässerungspraktiken und das Wassermanagement im Bewässerungssystem (siehe Anhang für den Fragebogen). Da im letzten Teil persönliche Meinungen und Standpunkte abgefragt wurden, wurde für diesen Teil eine Personenidentifikationsnummer, der Person, die geantwortet hat aufgenommen, um den Standpunkt zuordnen zu können. Probleme traten vor allem bezüglich der Ermittlung des monatlichen Einkommens auf. Das lag zum einen daran, dass viele Haushalte in prekären Verhältnissen leben, in denen ein planbares, regelmäßiges Einkommen nicht sicher ist. Des Weiteren können Einkommen durch Ernteausfälle je nach Saison stark variieren. Um dennoch eine einigermaßen verlässliche Aussage über den Wohlstand der Haushalts treffen zu können, wurden alle Haushalte in einem Wohlstandsranking gerankt und vier Gruppen zugeordnet, deren Indikatoren zuvor festgelegt wurden (Bohle 2007b: 17; Kumar 2002). Die in den Rankings identifizierten Wohlstandsindikatoren spiegeln die Indikatoren wider, die von Little et al. (2009) für die Il Chamus-Gemeinde in der Region festgehalten wurden. Das Ranking wurde hauptsächlich von Männern durchgeführt und wurde vor allem am Haushaltsvorstand, der meistens männlich war (80 %), festgemacht. Die Fragebögen wurden in das Programm EpiData eingegeben und mithilfe von SPSS analysiert. Dabei habe

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ich vor allem deskriptive Statistik angewendet, um Landverhältnisse und Anbaumuster im Bewässerungssystem beschreiben zu können. Fotos 3: Die Befragung (in Loropil)

Karte 2: Lage der Siedlungen um das Bewässerungssystem

Quelle: eigene Darstellung, Kartographie: Storbeck

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3.5 K APITELÜBERSICHT Die Arbeit untersucht das Bewässerungsdispositiv staatlicher Bewässerungssysteme in Kenia. Dabei lehnt sich der Aufbau der Arbeit an die verschiedenen Elemente des Dispositivs an. Da diese in einem Netzwerk relational miteinander verbunden sind, sich teilweise gegenseitig bedingen und ihre Positionen wechseln können (Foucault 2003), ist diese Trennung an manchen Stellen künstlich und vor allem von analytischer Natur. Grundsätzlich ist die Arbeit in zwei Bereiche gegliedert. Im ersten Teil wird der Wandel des Bewässerungsdispositivs von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia untersucht. In einer historischen Perspektive werden Entstehungszusammenhang und Rationalitäten des Bewässerungsdispositivs in Kenia genauer beleuchtet (Kapitel 4). Im anschließenden Kapitel werden die Steuerungspraktiken und Managementweisen der Bewässerungssysteme vor dem Wandel der Governance und den partizipativen Reformen diskutiert und schließlich die Reskalierungsprozesse des staatlichen Bewässerungssektors in Kenia dargelegt. Dabei stellt der Wandel sich nicht linear dar, sondern es kommt zu Umbruchsituationen, durch die sich das Dispositiv und seine Gouvernementalitäten ändern (Kapitel 5.1 und Kapitel 5.2). Im zweiten Teil werden die konkreten Auswirkungen der Umbruchsituation am Beispiel des Perkerra-Bewässerungssystems abgeklopft. Nach einer Einführung in das Untersuchungsgebiet werden die Effekte der Reskalierungen auf die Steuerungsformen des Perkerra-Bewässerungssystems untersucht (Kapitel 5.3 und Kapitel 5.4). Im folgenden Kapitel schwenkt die Perspektive von den staatlichen Steuerungspraktiken zu den materiellen Verhältnissen der landwirtschaftlichen Haushalte um und es wird eine soziale Differenzierung der Bauernschaft vorgenommen, die für das Verständnis der lokalen Praktiken dienlich ist (Kapitel 6). Im nächsten Kapitel rücken die Machttechniken, durch die die landwirtschaftliche Produktion gesteuert wird, ins Zentrum der Betrachtung (Kapitel 7). Als letztes Element des Dispositivs sind die Subjektivierungsweisen von Bedeutung, die in Form von Identitätspolitiken in Bezug auf die Ressourcen Wasser und Land im Bewässerungssystem diskutiert werden (Kapitel 8).

4 Rationalitäten der Bewässerungspolitik in Kenia

Ein wichtiges Element eines Dispositivs, das als ein Netz aus verschiedenen Elementen zu verstehen ist, sind die Rationalitäten, die mit einem Dispositiv verbunden sind. Daher lauten die ersten Forschungsfragen: Welche Rationalitäten und welche Ziele sind mit dem Dispositiv des Bewässerungssystems verbunden? • Auf welches dringende Problem wurde das Bewässerungsdispositiv in Kenia

als strategische Antwort eingesetzt? • Wie haben sich seit der Unabhängigkeit in Kenia die Rationalitäten und damit verbundenen Ziele und Logiken des Bewässerungsdispositivs verändert? Um diese Fragen beantworten zu können, werden zunächst der geschichtliche Entstehungskontext von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia untersucht sowie die Frage, durch welche Gouvernementalitäten die kolonialen landwirtschaftlichen Interventionen gesteuert wurden. Dieses Modell der Siedlungsbewässerungssysteme mit seinen westlich-modernen Technologien, Steuerungspraktiken und seinem Expertenwissen wurde auch nach der Unabhängigkeit in Kenia fortgeführt und kopiert. Das folgende Kapitel zeichnet nach, aus welchen Rationalitäten heraus die Siedlungsbewässerungssysteme entstanden und welchen Wandel die Rationalitäten in den Managementformen und Steuerungspraktiken durchlaufen haben. Dabei wird der zeitliche Verlauf von Programmen und Policies im Bereich der Bewässerungspolitik, vor allem in Kenia und mit Bezug auf das Perkerra-Bewässerungssystem, beleuchtet.

102 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

4.1 D IE

KOLONIALE

G OUVERNEMENTALITÄT

Bewässerungslandwirtschaft wurde in deutschen, französischen wie auch britischen Kolonien als bedeutende Entwicklungsstrategie verfolgt. Bei Ausbruch des zweiten Weltkriegs waren staatliche Interventionen in afrikanische Landnutzungspraktiken zunehmend fester Bestandteil in den Entwicklungsplänen britischer Kolonien (Anderson 1981: 1). Anderson (1981) nennt drei Gründe, die zu einer Verfolgung dieser Policy in Kenia führten: Seit den 1920er-Jahren war die Landnahme durch die weißen Siedler weit fortgeschritten, d. h. die Aufteilung des Landes in „weißes Farmland“ einerseits und Reservate für die afrikanische Bevölkerung (native reserves) andererseits. Die Landflächen der Reservate waren meist zu klein für die wachsende Bevölkerung, was zu einer Intensivierung der Landnutzung führte und häufig Degradationserscheinungen hervorrief. Viele Siedler forderten eine Zusicherung der Kolonialadministration, dass ihre Interessen gewahrt blieben angesichts der wachsenden Landknappheit in den Reservaten. Zweitens führte die Dust Bowl-Katastrophe in Nordamerika19 schlagartig zu einer neuen globalen Bedrohung – der Landdegradation –, die nun von landwirtschaftlichen Behörden als neues Problem, dessen sich die koloniale Regierung annehmen musste, wahrgenommen wurde. Dieses Problem bedurfte eines Eingreifens in afrikanische Landnutzungsmuster, schon allein um die weißen Siedler vor der Gefahr einer sich ausbreitenden Bodenerosion zu schützen (Anderson 1981: 2). Drittens wollte sich die koloniale Verwaltung durch die landwirtschaftliche Produktion in den Reservaten ein zusätzliches ökonomisches Standbein schaffen, um nicht allein auf die Landwirtschaft der Siedler angewiesen zu sein. Diese Gründe führten zur Formulierung einer ersten Policy zur Entwicklung ländlicher Regionen in Kenia (Anderson 1981: 2) und im Jahr 1946 zur Gründung der African Land Development Unit (ALDEV), die landwirtschaftliche Rehabilitationsprogramme in den Native Reserves durchführen sollte (Ngigi 2002). Neben Plänen zur Viehbeweidung wurde Bewässerungslandwirtschaft als produktive und effektive Entwicklungsmaßnahme vom ALDEV propagiert (Adams und Anderson 1988). Die Erwartungen und der Glaube an das Bewässerungspotential vieler Gebiete waren hoch. Es wurden zahlreiche Pläne ausgearbeitet und Machbarkeitsstudien durchgeführt (Adams und Anderson 1988). Dennoch, so stellen Adams und Anderson fest, ließen ökonomische und politische Faktoren oft kein konkretes Unterfangen zu. Eine Ausnahme bildete das von der briti-

19 In den 1930er-Jahren traten schwere Sandstürme in den Präriegebieten Nordamerikas auf. Auslöser waren nicht-nachhaltige landwirtschaftliche Praktiken und Dürren, sodass es zu starken Winderosionsphänomenen kam.

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 103

schen Kolonialmacht angelegte Gezira-Bewässerungssystem im Sudan, das 1925 seine Produktion aufnahm. In den restlichen afrikanischen Kolonien blieben die Aktivitäten lange Zeit gering (Adams und Anderson 1988). In Kenia verlieh der Mau-Mau-Aufstand in den 1950er-Jahren den staatlichen Plänen erneut Aufschwung. Anfang der 1950er-Jahre wurde die Mau-MauUnabhängigkeitsbewegung zunehmend zu einer politischen Kraft im Land. Aufgrund der Landnahme durch weiße Siedler im fruchtbaren Hochland Kenias und der Vertreibung der dort ansässigen Bevölkerung waren zunehmende Bevölkerungsteile ohne Land und Arbeit. Es kam zu Aufständen und kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Mau-Mau-Kämpfern und der Kolonialregierung. Die Kolonialregierung legte Arbeitslager für Mau-Mau-Häftlinge an und nutzte deren Arbeitskraft unter anderem für das Anlegen der drei ersten großen Siedlungsbewässerungssysteme Mwea, Hola Bura und Perkerra. Pläne für das Perkerra-Bewässerungssystem zirkulierten bereits seit Dekaden in der kolonialen Administration: Vermehrte Dürren (1921/1922, 1924/25, 1927/29) und eine Heuschreckenplage in den späten 1920ern führten im Baringo-Distrikt in Kenia, der Region, in der später das Perkerra-Bewässerungssystem errichtet wurde, immer wieder zu Hungerkrisen, sodass sich die Kolonialregierung 1928 veranlasst sah, ein Hungerhilfe-Programm aufzulegen (Republic of Kenya 1984: 6). In den 1930ern bemängelten koloniale Autoritäten Landdegradation und Überweidung, was der Region die Bezeichnung agricultural slums of Kenya20 einbrachte (Republic of Kenya 1984: 4), und versuchten durch staatliche

20 Die Wahrnehmung, dass das Ökosystem der Baringo-Region aus dem Gleichgewicht geraten sei und dies vor allem an indigenem Missmanagement und Übernutzung lag, setzte sich laut Anderson nach den Dürren in den 1920ern und 1930ern in den Köpfen von Kolonialregierung und Wissenschaftlern fest (Anderson 2002). Anderson wies in seinen Arbeiten auf die Politische Ökologie dieser Problematik hin und kritisierte die vereinfachte Wahrnehmung eines linearen Zusammenhangs, dass lokales Missmanagement zu Degradation führe, und verwies auf die komplexeren politischen Dimensionen, die dahinter standen. Denn durch die Landnahme durch weiße Siedler im Süden der Baringo-Region waren die Weidegründe eingeschränkt und die Viehhirten gezwungen, ihre Routen zu ändern (für Einzelheiten siehe Anderson 2002). Im Forschungsbericht des Baringo Pilot Semi Arid Area Project (BPSAAP) von 1984 wurde angemerkt, dass der Glaube, dass die Region bis zur ökologischen Krise in den 1920er-Jahren ganzjährig mit Gras und Bäumen bedeckt gewesen war, nicht haltbar ist, und dass es zuvor auch Zeiten von Dürren und Erosion gegeben hat. Sie räumen dennoch ein, dass sich das Ökosystem von den Ereignissen der 1920er-Jahre nicht wieder völlig erholt hat (Republic of Kenya 1984: 25).

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Programme, gegenzulenken.21 Die Dürreproblematik und die Erkenntnis, dass in der Baringo-Region von der lokalen Bevölkerung (Il Chamus) Bewässerung am Perkerra-Fluss betrieben wurde,22 trugen zur Entstehung der Idee eines Bewässerungssystems in dieser Region bei. Dies führte 1936 zu einem Gutachten zweier Ingenieure sowie in den 1940ern zu mehreren Versuchen, das Projekt umzusetzen (Chambers 1973b: 346–347). Die Motivation, die dahinter stand, war vor allem, die Nahrungssicherung der Bevölkerung voranzutreiben, um die Kosten für das Hungerhilfeprogramm einzusparen. Denn, so wurde argumentiert, die laufenden Kosten eines Bewässerungssystems lägen unter den jährlichen Ausgaben für die Hungerhilfe in der Region (Chambers 1973b: 347). Zudem sollten in diesen Bewässerungssystemen langfristig exportorientierte cash crops angebaut werden, mit dem Ziel die laufenden Kosten zu decken und staatliche Profite zu generieren. Während des Mau-Mau-Aufstandes wurden Aufständische in Gefängnislagern über das ganze Land verteilt festgesetzt. Eines dieser Lager wurde in Marigat in der Baringo-Region (Rift Valley Province) angelegt, um die lang gehegte Idee des Bewässerungssystems am Perkerra-Fluss umzusetzen. Mit der Arbeitskraft der Internierten wurden Bewässerungskanäle gegraben und Straßen gebaut (Chambers 1973b: 348). Die Arbeitsbedingungen waren hart und Gewalteinsatz gegenüber den Gefangenen an der Tagesordnung (BBC News World Edition 2002). Das „Massaker von Hola“ (Kabukuru 2003) im Jahr 1959 machte als eine gewaltvolle Gräueltat noch im selben Jahr Schlagzeilen. Im Gefangenenlager in Hola Bura, in dem die Gefangenen eingesetzt wurden, um Bewässerungskanäle auszuheben, wurden 11 Gefangene von ihren Aufsehern zu Tode geprügelt. Die Historikerin Elkin (2005) bezeichnete die Gefängnislager als britische Gulags in

21 Dies führte bereits damals zu kolonialen Entwicklungsinterventionen, die später von der kenianischen Regierung und der internationalen Entwicklungsindustrie fortgeführt wurden (Anderson 2002). Zu den Entwicklungsprojekten gehörte schon während der Kolonialzeit unter anderem eine Einschränkung des Viehbestands. Die prominenteste und umstrittenste Schutzmaßnahme zur Bekämpfung von Bodenerosion ist wohl die Einführung der strauchartigen Pflanze Prosophis Juliflora in der Region Anfang der 1980er-Jahre durch die FAO und die kenianische Regierung (Projektname „Fuelwood/afforestation extension in Baringo”) (Mwangi und Swallow 2005). Prosophis Juliflora ist an trockene Klimaverhältnisse sehr gut angepasst und wächst extrem schnell. Sie breitet sich schnell aus, denn sie kann sich vegetativ aus Wurzelresten im Boden vermehren und ist daher schwer zu vernichten. 22 Bewässerung in der Region südlich des Baringosees wurde bereits von den Il Chamus um die Jahrhundertwende betrieben.

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Kenia.23 Erst im Jahr 2013 zahlte die britische Regierung Kompensationszahlungen an Mau-Mau-Folteropfer (The International 2013). Die Rationalitäten hinter dem Anlegen der Siedlungsbewässerungssysteme waren, die Arbeitskraft der Häftlinge für den arbeitsintensiven Aufbau der Bewässerungsinfrastruktur auszunutzen und die aufständische Bevölkerung festzusetzen. Des Weiteren sollte Siedlungsland für landlose Familien bereitgestellt werden, um somit die soziale Lage im Land zu entspannen.24 Hier zeichnet sich schon ein Widerspruch ab. Zum einen waren die Gefangenen in den Augen der Kolonialregierung aufständische Kriminelle, zum anderen stellten sie auch einen Teil der landlosen Bevölkerung dar, die es mit Land zu versorgen galt, um den sozialen Konflikt zu entspannen. Diese paradoxe Situation zur Besiedlung der Bewässerungssysteme wird anhand eines Briefwechsels der kolonialen Verwaltungsbeamten des Baringo-Distrikts deutlich, in dem sich die Verwaltungsbeamten mit ganz heterogenen Argumente für oder gegen die Ansiedlung der Gefangenen im Bewässerungssystem austauschten: In einem Brief des District Commissioners an den Provincial Commissioner kommentierte dieser die Ankunft neuer „Kikuyu“-Pächter im Perkerra-Bewässerungssystem, die Mais anbauen sollen: „This of course is a fantastic state of affairs. One moment we are chasing these people through the forest with every intention of putting a bullet in them and the next moment we are spoon feeding them to the extent of giving them steady work and a place to cultivate, good accommodation and a chance to spread the idea that the Government are complete idiots. No doubt some of these persons have committed plural murder and it would not be in keeping with the African character for them not to boast about it. This sort of thing can cause immeasurable harm among the local populace: there is communication between the locals and these Kikuyus“ (Telegram des District Commissioner 1.5.1957, Ref. No.C.98:B/ 2).

Der District Commissioner plädierte dafür, dass die ehemaligen Aufständischen nicht den Eindruck erhalten sollten, dass sie dort als Siedler erwünscht seien, sondern bloß als Arbeitskraft. Ansonsten könnte es auch in diesem Distrikt zu Unruhen kommen. Während sich der District Commissioner entschieden gegen die Besiedlung durch „diese Kikuyu“ aussprach, plädierte der Provincial Officer für eine befristete Ansiedlung der ehemaligen Gefangenen und deren Familien. Dies begründete er in zweierlei Hinsicht. Erstens könnte die große Arbeitskraft, die benötigt würde, um das Bewässerungssystem in Betrieb zu halten, nicht 23 Elkin (2005) schätzt die Zahl der Todesopfer während des Mau-Mau-Aufstandes auf 50.000. 24 Zur Besiedlungsfrage in Mwea siehe Chambers und Moris (1973: 68–69).

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durch die lokale Bevölkerung abgedeckt werden, da diese keine leistungsstarken Arbeiter seien: „If this is the case, it is obvious that these requirements can never be supplied locally from the Tugen and Njemps, apart from the fact that these tribes are pretty useless as labour, and that it will be necessary to use Kikuyu in considerable numbers“(AGR.11 /7/1/6.II/114 13.6.1957 Brief an den District Commissioner in Kabarnet vom Provincial Commissioner Rift Valley Province).

Als zweiten Punkt führt der Provincial Commissioner auf, dass die Ansiedlung der Kikuyu-Familien eine Maßnahme darstelle, die angespannte Lage von Landdruck und Arbeitslosigkeit in der Zentralprovinz zu entspannen. Deshalb spricht sich der Provincial Commissioner für eine rasche Familienzusammenführung der Kikuyu-Familien aus, um die Stimmung zu heben und ihre Bereitschaft, sich niederzulassen, zu erhöhen. Eine langfristige Besiedlung des Landes durch „die Kikuyu“ war jedoch ebenfalls nicht gewollt, da befürchtet wurde, dass dies zu Spannungen mit der lokalen Bevölkerung führen könnte. Deshalb gab es den Plan, die Familien nach ein paar Jahren vom Bewässerungssystem an andere Orte im Rift Valley umzusiedeln. „I know it can be argued that it may not be easy to dispose of a large number of married families and resettle them elsewhere when they are no longer required for the Perkerra Scheme; but against this argument the is that [sic] the problem of unemployed and landless Kikuyu families in the Central Province is extremely acute and that in three or four years’ time it should have eased considerably and it should not be all that difficult by 1961 to arrange for a phased programme of absorption of Kikuyu families form [sic] the Perkerra Scheme onto farms or into forest areas in the Rift Valley“ (AGR.11/7/1/6.II/114 13.6.1957 Brief an den District Commissioner in Kabarnet vom Provincial Commissioner Rift Valley Province).

Wie viele Kikuyu-Familien letztendlich im Perkerra-Bewässerungssystem angesiedelt worden sind und wie lange sie dort lebten, wird aus den kolonialen Akten nicht ersichtlich. Auch in der Sekundärliteratur lässt sich dazu nichts Eindeutiges finden. Bis auf wenige Ausnahmen25 sind heute keine dieser Kikuyu-Familien mehr in Perkerra ansässig. Diese Zitate verdeutlichen, wie die Bevölkerungsgruppen in Kategorien bezüglich ihrer Arbeitstauglichkeit eingeteilt und wie ethnische Kategorien bereits eng mit Territorien verbunden wurden. Die afrikanische Gesellschaft wurde „rationalized and racialized“ (Wilder 1999: 45). Das Ansiedeln von Kikuyu in Ge-

25 Es wurde von einem ehemaligen Mau-Mau-Kämpfer und seiner Familie im PerkerraBewässerungssystem berichtet (Quelle: informelle Gespräche).

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bieten anderer ethnischer Gruppierungen wurde als schwierig angesehen und es wurde ein erneutes Umsiedeln in die Waldgebiete des Rift Valley in Betracht gezogen.26 Des Weiteren wird ersichtlich, dass die Landfrage ein dringendes politisches Problem war. Das Steuern des Landzugangs für einzelne Bevölkerungsgruppen war ein machtvoller Mechanismus, um die Ziele des Kolonialstaats hinsichtlich Sicherheit und ökonomischer Produktion zu erreichen. Die koloniale Gouvernementalität der Errichtung von Bewässerungssystemen war mit der Strategie verbunden, die Bevölkerung produktiv einzusetzen, und funktionierte zugleich als ein politisches Instrument im Dienste staatlicher Sicherheitsbestrebungen. Die Umsiedlungsmaßnahmen in Kenia wurden als ein Lösungsansatz für das Problem der landlosen squatter angesehen. Siedlungsbewässerungssysteme dienten somit als Möglichkeit, die unbequem werdende Bevölkerung zu kontrollieren. Dabei kann nicht von der kolonialen Regierung mit einer singulären politischen Rationalität gesprochen werden; vielmehr wurden die Entscheidungen, wie gezeigt, zwischen Kolonialbeamten ausgehandelt. Durch Sesshaftigkeit und Disziplinierung der Bevölkerung konnten aus Sicht der Regierung eine Einbindung in die Produktion der kolonialen Ökonomien vorangetrieben, finanzielle Ausgaben für Nahrungshilfe gespart und zugleich die politische Kontrolle ausgebaut werden. Damit konnten Entwicklung und Modernisierung in den Augen der kolonialen Verwaltung gesteigert werden. Zusammengefasst können diese Entwicklungsprojekte als disziplinäres Dispositiv (Deleuze 1991: 160) betrachtet werden, die nicht nur ökonomische Interessen verfolgten, sondern der Errichtung von Autorität, Moralität und der Ordnung der sozialen Beziehungen dienten, wie Bernal es auch für das Gezira-Bewässerungssystem im Sudan aufzeigt hat (Bernal 1997). Exkurs: Landwirtschaft vs. Pastoralismus – Die Produktion von Wahrheiten durch den Staat Wie erwähnt war die Baringo-Region während der Kolonialzeit bereits Ort kolonialer Entwicklungsinterventionen. Die kolonialen Entwicklungspolitiken waren durch eine Ideologie bestimmt, die sesshafte Landwirtschaft mit Entwicklung und Pastoralismus mit Unterentwicklung und Unzivilisiertheit gleichsetzte (Little 1992: 164). So wurden die Il Chamus27, die ethnische Gruppe die auf dem 26 Die Vergabe von „freiem Land“ in den Waldgebieten des Grabenbruchs wurde auch von den nachfolgenden unabhängigen Regierungen verfolgt (siehe Boone 2012). 27 Den Namen Il Chamus erhielten sie von den Massai, bedeutet „Menschen, die in die Zukunft sehen können“. Die Europäer änderten den Namen dann in Njemsi und Njemps (Gloor 1986), was heute noch Verwendung findet, aber eine koloniale Korrumpierung des ursprünglichen Namens darstellt.

108 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Gebiet des Perkerra-Bewässerungssystems lebt, erstmals positiv betrachtet, da erste koloniale Kontakte in die Zeit fielen, in der die Il Chamus aktiv Bewässerungslandwirtschaft betrieben. So wurden die Il Chamus zunächst als positives Beispiel im Gegensatz zu den Massai herangezogen: „Gradually the Massai will settle and become civilized cultivators, such as the Njamusi [Il Chamus], who abondened nomadism for a settled agriculture life“ (East African Protectorate 1904:27, zit. in Little 1992: 164).

Nachdem die Il Chamus wieder eine pastoralistische Produktionsweise mit entsprechendem Lebensstil angenommen hatten, sank ihr Ansehen bei den Kolonialmächten. Die erhofften sich nun, dass die Il Chamus wieder von der Landwirtschaft überzeugt werden könnten. So änderte sich in nur 20 Jahren das Bild, das die Kolonialmächte nach ihrem ersten Zusammentreffen mit den Il Chamus, das zufälligerweise in die Zeit ihrer Sesshaftigkeit um die Jahrhundertwende fiel; von etwa 1920 an wurden sie nicht mehr als Vorbild angesehen, sondern sanken im Ansehen der Kolonialregierung (Little 1992: 164). Little zeigt auf, dass die Entwicklungspläne vorrangig die landwirtschaftliche Entwicklung förderten, durch die Finanzierung und Förderung von Regenfeldbau und Bewässerungsprojekten. Während die Il Chamus in den Njemps-Ebenen vor allem das große Potential zur Viehhaltung sahen, betonten koloniale Berichte das hohe Potential der Gegend für die bewässerungslandwirtschaftliche Produktion (Little 1992: 165). Die Entwicklungspolitiken der Kolonialzeit und die des unabhängigen Kenias bewiesen Kontinuität in der Überzeugung, dass landwirtschaftliche Förderung das Heilmittel für eine ökonomische Entwicklung und Nahrungssicherheit sei. So wurde im zweiten Entwicklungsplan für den BaringoDistrikt 1979–1984 folgendes Hauptziel formuliert: „[…] to reduce the people’s dependence on livestock as their main source of subsistence and cash income through the development and expansion of dryland and irrigated crop production“ (Kenya 1980: 26, zit. in Little 1992: 164).

Little stellt heraus, dass das staatliche Interesse an der Njemps-Ebene vor allem auf landwirtschaftlichen Gründen beruht und dass das viehwirtschaftliche Potential der Njemps-Feuchtgebiete außer Acht gelassen wurde (Little 1992: 165). Die Fokussierung auf die landwirtschaftlichen Aktivitäten stellt die staatliche „Wahrheit“ dar, wie Entwicklung in einer Region vorangetrieben werden soll und was „Entwicklung“ bedeutet. Andere Wahrheiten wie z. B. die, dass Pastoralismus eine wirtschaftliche, lokal angepasste Alternative darstellt, wurden lange nicht gesehen. Neueste Entwicklungsbemühungen des kenianischen Staates zielen darauf, die starken Disparitäten zwischen dem zentralen Hochland, das vor allem durch

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 109

Landwirtschaft geprägt ist und den semi-ariden und ariden Gebieten mit Pastoralismus als dominanter Wirtschaftsform abzubauen. Dafür wurde im Jahr 2008 ein Ministerium eingerichtet, das Ministry of State for Development of Northern Kenya and other Arid Lands. Dadurch erleben die Viehwirtschaft und die pastoralistischen Lebensweisen wenigstens formal eine Aufwertung und einen neuen Stellenwert in Entwicklungspolitiken. Allerdings ist noch abzuwarten, ob sich das Ministerium wirklich als handlungsfähig erweist.

4.2 P OSTKOLONIALE R ATIONALITÄTEN Die staatlichen Bewässerungssysteme Mwea, Hola und Perkerra, die während des Mau-Mau-Aufstandes errichtet und vom Kolonialstaat betrieben worden waren, wurden nach der Unabhängigkeit Kenias vom Landwirtschaftsministerium übernommen. 1966 wurde das National Irrigation Board (NIB) gegründet, das mit dem Management der Systeme beauftragt wurde. Die nationale Bewässerungsbehörde ist eine parastaatliche Behörde, die heute mit dem Ministerium für Wasser und Bewässerung assoziiert ist.28 Auch andere in der Kolonialzeit gegründeten Unternehmen und Behörden, wie die Special Crops Development Authority29 (SCDA) und die Kenya Seed Company, wurden als staatliche Behörden in der Unabhängigkeit weitergeführt. Der unabhängige Staat nahm somit eine aktive Rolle sowohl im Betreiben und Errichten von Bewässerungssystemen wie auch im Vertragsanbau ein, denn Unternehmen wie die Kenya Seed Company ließen ihre Produkte vertraglich produzieren. 4.2.1 Modernisierung der Landwirtschaft durch Bewässerung Das dominante Paradigma im Bewässerungsmanagement der 1950er- und 1960er-Jahre war geprägt durch eine zentralistische Kontrolle. Wasser wurde als eine Ressource angesehen, über die der Staat verfügte. Die Wasserversorgung sowie das Management der Ressourcen lagen in der Hand des Staates (MeinzenDick 1997: 104; Huggins 2002: 280) und Phänomene wie die Grüne Revolution bestätigten den Erfolg staatlicher Interventionen. Der Staat und seine Behörden waren die Hauptakteure, die das Wasser an die Landwirte zur landwirt-

28 Laut NIB-Homepage wurde sie 1966 mit der Verabschiedung des Irrigation Acts gegründet und ist eine non-profit-Organisation (www.nib.or.ke). 29 So wurde, die koloniale Behörde Special Crops Development Authority (SCDA) nach der Unabhängigkeit zur Kenya Tea Development Authority.

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schaftlichen Produktion lieferten (Meinzen-Dick 1997: 104). Dieses hohe Maß an staatlicher Steuerung kennzeichnete auch in Kenia das Management in den Siedlungsbewässerungssystemen (eine Analyse der damaligen Managementpraktiken findet sich in Kapitel 5.1). In den 1960ern und 1970ern war die Errichtung von großflächigen Bewässerungssystemen immer noch eine beliebte Entwicklungsstrategie, die von nationalen Regierungen verfolgt und auch von den internationalen Gebern, wie z. B. der Weltbank, unterstützt und vorangetrieben wurde. Dürren in den semi-ariden Gebieten Afrikas in den 1970ern lieferten Legitimationsgründe für die Bewässerungsvorhaben auf den Agenden von nationalen Regierungen und internationalen Gebern (Adams und Anderson 1988). So wurden in den 1970er-Jahren viele großflächige Bewässerungssysteme in Afrika angelegt, vor allem in Nigeria (z. B. das Bakolori-Projekt, das Kano River-Projekt, das Hadejia Valley-Projekt siehe (Adams 1991)), und Gambia (Carney 2007), aber auch in Kenia. Dort wurden in den 1970ern drei weitere Bewässerungssysteme, Ahero, Bunyala und West Kano, errichtet. 1978–1983 wurde schließlich das Bura (Tana)Bewässerungssystem am Tana-River mit Hilfe der Weltbank gebaut.30 Trotz hoher Kosten blieb Bewässerung die Strategie, auf Dürren zu reagieren und Nahrungsmittel sowie landwirtschaftliche Waren zu produzieren. Sie wurde vor allem von internationalen Entwicklungsorganisationen vertreten (Adams und Anderson 1988). Neben den großflächigen Bewässerungssystemen versuchte die kenianische Regierung bereits in den 1960er-Jahren mit Unterstützung von internationalen Gebern (z. B. FAO, UNDP, NORAD), auch kleinflächige Bewässerungsprojekte zu implementieren (Kakorongole 1966 und Katilu 1970, beides in Turkana, und Mandera 1972 am Ewaso Ngiro, Amolem 1975 West Pokot, siehe Karte 3). Die Entwicklung von kleinflächigen Bewässerungssystemen in Kenia wurde von NGOs und diversen staatlichen Programmen gefördert.31 Deklarierte Ziele dieser Programme waren eine Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion, die Hungersnotbekämpfung in pastoralistischen Gebieten (wie in Turkana) und die Befriedung von befeindeten ethnischen Gruppen, so im Fall 30 In Mwea, Bunyala, Ahero und West Kano wurde Reis angepflanzt. Mwea und Bunyala hatten laut Ruigu (1988) gute Erträge, während die Erträge in Ahero und West Kano niedriger waren. In Tana und Hola wurde 1988 Baumwolle angebaut (Ruigu 1988: 15). 31 Zu den Programmen gehörten: Minor Irrigation Programme 1975, Arid Region Irrigation Development Programme (ARID) mit Unterstützung des UNDP und anderen Gebern 1976, Arid and Semi-Arid Lands Programme 1979. Integrierte ländliche Entwicklungsprogramme wie das Baringo Pilot Semi-Arid Project entwickelte Systeme in Eldume und Loboi (Adams 1990: 1318).

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 111

des Pokot-Turkana-Konflikts. In diesen Projekten wurden die kolonialen Gouvernementalitäten fortgeführt, indem sich die Ziele und Strategien des unabhängigen Kenias nicht änderten. Einige dieser kleinflächigen Bewässerungsprojekte zählen heute zu den white elephants der Entwicklungspolitik (z. B. Amolem in Westpokot, siehe Huchon und Maisonhaute 2010). Die Rationalität von Bewässerung als Technologie des Regierens lässt sich für diese Phase bis in die 1980er-Jahre unter dem Begriff irrigationism (Adams 1991: 297) zusammenfassen. Der Glaube an die Planbarkeit und Durchführbarkeit von Bewässerungssystemen spiegelte die vorherrschende Modernisierungsideologie wider. Entwicklung wurde, durch apolitische und technisch versierte Lösungen, als realisierbar angesehen, wie beispielsweise mit der Grünen Revolution propagiert wurde. Die landwirtschaftliche Produktion wurde umgekrempelt und durch den Einsatz von Hochertragssorten, Dünger, Pestiziden und Bewässerung „modernisiert“. Die Herangehensweisen waren durch Wissenschaftsdisziplinen wie Ingenieurswissenschaft, Agrarökonomie und Hydrologie geprägt. Bewässerung wurde als technische Lösung für sozialpolitische Phänomene wie Armut, Nahrungsknappheit und vermeintlich ökologische Probleme wie Umweltdegradation und Dürren angeboten. Die Modernisierungsrationalitäten, die bereits im disziplinierenden Bewässerungsdispositiv der Kolonialzeit angelegt waren, nahmen nun mehr Raum ein.

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Karte 3: Staatlich erbaute großflächige und kleinflächige Bewässerungssysteme in Kenia

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Adams 1990, Kartographie: Storbeck

4.2.2 Zeiten der Krise Erst in den 1980er-Jahren wurden die Herausforderungen und Probleme dieser Entwicklungsprojekte immer deutlicher. Das Management und die Pächter sahen sich in den Bewässerungssystemen mit vielen Problemen konfrontiert: In Ahero, West Kano und Hola, die alle durch Pumpen mit Wasser versorgt wurden, traten technische Defekte an diesen auf. Da die einzelnen Bewässerungssysteme teilweise nur über sehr knappe finanzielle Mittel verfügten, kam es zu Treibstoffknappheit, die die Pumpentätigkeit stark einschränkte (Ruigu 1988). In Perkerra wurde lange Zeit keine rentable Anbaufrucht gefunden. Chambers fasst die Probleme für Perkerra zusammen: Technische Probleme mit dem Wassereinlass, ökologische Probleme durch unregelmäßigen Fluss des Perkerras und Wasserknappheit, Managementprobleme und Konflikte zwischen den Angestellten und Pächtern, schwankende Marktpreise sowie disziplinierende Maßnahmen, die demoralisierend auf die Pächter wirkten (Chambers 1973b: 362). Chambers kommt bereits 1973 zu dem Schluss:

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„Had the sum of over £500.000 and the human resources invested in Perkerra […] been used in other ways, the results might have been substantial benefits instead of continuing indefinite liabilities“ (Chambers 1973b: 363).

Nach seiner Einschätzung war das Unternehmen in Perkerra von Anfang an zu einem ökonomischen Scheitern verurteilt. In den 1980ern wurde immer deutlicher, dass die Mehrzahl der Bewässerungssysteme in Kenia unrentabel waren und ihre laufenden Kosten nicht decken konnten (O&M: Operation – Betrieb und Maintenance – Instandhaltung) (siehe Tabelle 7). Tabelle 7: Ökonomische Leistung der Bewässerungssysteme in Kenia in den 1980er-Jahren Bewässerungssystem

Einnahmen (US$)

Ausgaben (US$)

Gewinn (US$)

staatl. Zuschuss (US $)

% Deckung der Kosten für O&M (%)

Mwea

1.885.161

1.140.875

744.286

0

100

Perkerra

91.295

287.823

-196.528

54.360

32

Hola Bura

93.078

491.031

-397.953

128.199

19

Ahero

316.343

465.988

-149.645

173.650

68

West Kano

286.681

535.481

-248.800

178.784

54

Bunyala

115.970

83.652

32.318

42.582

100

Tana Bura

-104.465

1.226.952

1.331.417

1.331.417

0

Durchschnitt

62

Quelle: Ruigu 1988: 19

Nur Mwea und Bunyala konnten die laufenden Betriebskosten zu 100 % decken (Ruigu 1988: 18). Das Errichten, die Wartung und der Betrieb der Bewässerungssysteme waren mit hohen Kosten verbunden. Vor allem das durch die Weltbank finanzierte Projekt in Tana Bura verschlang weitaus mehr finanzielle Mittel als geplant. Die Ansiedlung von Pächtern erwies sich als um ein Vielfaches teurer; dazu kamen zahlreiche technische Probleme und Komplikationen (Ruigu 1988). In den 1980ern gerieten großflächige, externe und hochtechnokra-

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tische Entwicklungsinterventionen in den Ländern des Südens zunehmend in Kritik (Adams 1990: 1309). Die Projekte waren unwirtschaftlich und konnten in den meisten Fällen nicht ihre Betriebskosten decken. Probleme wurden im Management, in der Instandhaltung, unzureichender Infrastruktur und der zentralistischen Planung von „Experten“ identifiziert (Adams 1991: 297). Aber vor allem verbreitete sich die Erkenntnis, dass der Staat nicht die finanziellen Kapazitäten hatte, um allein für das Wassermanagement, sei es für die Bewässerung in der Landwirtschaft oder die Trinkwasserversorgung, aufzukommen (Huggins 2002: 280). Vor allem die hohen Kosten für Betrieb und Wartung der Bewässerungssysteme überstiegen die staatlichen Kapazitäten. Es kam die Debatte „small is beautiful“ auf. Die Probleme und Schwierigkeiten der großflächigen Bewässerungssysteme32 kamen zunehmend im internationalen Entwicklungsdiskurs an und es fand ein Umdenken von large-scale zu smallscale Bewässerung statt. Großflächige Bewässerungssysteme galten als gescheitert: Sie wurden weder als ökonomisch noch als sozial oder ökologisch nachhaltig angesehen (Adams 1990; Neubert et al. 2007). Viele Geber zogen sich aus solchen Entwicklungsprojekten zurück und investierten nicht mehr in die Expansion von Bewässerung (Neubert et al. 2007). In den 1990ern propagierten Geber wie die USAID und die Weltbank kleinflächige Bewässerung als neue Entwicklungsstrategie (Adams 1990; Brown und Nooter 1992). Tabelle 8 verdeutlicht die unterschiedlichen Narrativen. Während Neubert et al. (2007) vor allem die großflächigen Bewässerungssysteme als gescheitert ansehen, versucht Adams (1990), ein differenzierteres Bild zu zeichnen und bezieht in seine Analyse auch kleinflächige Bewässerungssysteme ein. Adams kommt 1990 zu dem Schluss, dass sowohl großflächige als auch kleinflächige Bewässerungssysteme in Kenia, die staatlich gemanagt wurden, nicht die Erwartungen und angestrebten ökonomischen, finanziellen und sozialen Ziele erreichten. Denn auch die kleinflächigen Bewässerungssysteme, errichtet in den 1960ern und 1970ern, seien durch die gleichen Managementpraktiken wie großflächige Bewässerungssysteme gekennzeichnet (Adams 1990: 1319). 32 Kortenhorst et al. (1989) haben eine Auflistung mit den verbreitetsten Problemen von „modernen“ Bewässerungssystemen aufgestellt. Die folgenden Nennungen stellen eine Auswahl dar und sind gerankt: Hohe Kosten, ausbleibende Gewinne, Verfall der Infrastruktur, Mangel an Motivation seitens der Bauern, nicht-kultiviertes Land im Bewässerungssystem, unsichere Wasserzufuhr, bürokratisches Management, Zerstörung und Diebstahl von Infrastruktur, Versalzungsprobleme, unregelmäßige Versorgung mit Input, Konflikte um Landnutzungsrechte, Arbeitskraftmangel während der Hochsaison, nicht-funktionsfähige Pumpen.

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 115

Tabelle 8: Narrative des Wassermanagements „big is beautiful“

„small is beautiful“

Bau von großen Staudämmen, großflächigen Bewässerungssystemen

Water Harvesting, Watershed Management, kleinflächige Bewässerungssysteme

Top-down

Bottom-up

Zentral-staatlich, bürokratisch organisierte großflächige Bewässerungssysteme

Dezentralisierte Modelle basierend auf community participation

Schaffung und Verstärkung von Ungleichheit

Anspruch der Gleichheit

Unvorhergesehene negative Umwelteinflüsse, wie Wasserstau und Versalzung

Umweltfreundlich

Quelle: Mehta 1997: 78

Sie seien ebenfalls kostenintensiv, hätten ein bürokratisches, ineffizientes Management, niedrige Erträge und böten nur ein niedriges Einkommen für die Pächter. Er kommt zu dem Schluss, dass die Probleme also nicht eine Frage von groß- oder kleinflächigen Bewässerungssystemen, sondern eine Frage des Managements seien. Er plädiert für die Integration von indigenen Managementpraktiken33 sowie die Fokussierung auf private, kommerzielle Bewässerungsprojekte.

33 Adams und Anderson versuchen vor allem, die Technologien indigener Bewässerungslandwirtschaft hervorzuheben. Denn die Geschichte der Bewässerungslandwirtschaft in Afrika reicht weit in die vorkoloniale Zeit zurück. Für Ostafrika wurde sie vor allem von Adams und Anderson aufgearbeitet. In der Literatur finden sich Darstellungen von indigenen Bewässerungspraktiken, die von ausgeklügelten Nutzungen von Flussüberschwemmungen bis hin zu komplexen Kanalsystemen und Furchenbewässerung reichen (Adams und Anderson 1988: 523). In Ostafrika gibt es unzählige Regionen, in denen Bewässerungslandwirtschaft betrieben wurde. Zu den bekanntesten Beispielen für Überschwemmungslandwirtschaft zählen die Flusstäler des Rufiji und Tana in Tansania, während das Engaruka/Sonja-Bewässerungscluster in Nordtansania, die Bewässerungssysteme am Kilimanjaro in Tansania und das Kerio-Cluster sowie die Bewässerungsaktivitäten der Il Chamus in Kenia zu den bekanntesten Beispielen für Furchenbewässerung zählen (Adams und Anderson 1988: 38).

116 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

4.3 P ARTIZIPATION –

LIBERALE

R EGIERUNGSWEISEN

„The capacity of the government to manage large-scale surface systems has collapsed“ (Blank et al. 2002).

Das Scheitern großangelegter Modernisierungsprojekte wurde immer offensichtlicher, was auch auf ihre bürokratische Planung und Management zurückgeführt wurde. Die schwierige Wirtschaftslage in den 1980ern führte für viele Staaten, auch in Kenia, zu finanziellen Engpässen im Staatshaushalt und so zur eingeschränkten Finanzierung der Bewässerungssysteme. Im Entwicklungsdiskurs wurden top-down-Ansätze kritisiert, da diese zu keiner nachhaltigen Entwicklung geführt hatten, und der Gedanke des Ownership wurde entscheidend in der Planung und Umsetzung von Entwicklungsprojekten (Chambers 1987; Nuscheler 2008; Li 2007b). Der Partizipationsgedanke wurde in den 1990er-Jahren zu einem hegemonialen Diskurs in der Entwicklungspolitik und der Entwicklungszusammenarbeit. Diese Strömungen, d. h. die Einbeziehung von Bevölkerungsgruppen in Entscheidungsprozesse, aber auch die Abgabe von staatlicher Verantwortung an die communities, komplementierten wirtschaftliche Leitbilder von einer Verschlankung der staatlichen Ausgaben und einer Liberalisierung des Staates, die als neue Entwicklungsdoktrin seit dem Washington-Konsens propagiert wurden (Speitkamp 2007). Auch in Bewässerungsprojekten fand Partizipation als Instrument der Effizienzsteigerung bald Eingang. Es kam im Senegal, in Sri Lanka und auf den Philippinen bereits in den 1980ern-Jahren zur Implementierung von ersten Programmen, die die Partizipation der Bauernschaft im Bewässerungsmanagement fördern sollten (Meinzen-Dick 1997). In Kenia wurden maßgebliche Reformen hin zu einem partizipativeren Management erst gegen Ende der 1990er/ Anfang der 2000er diskutiert und mit der Implementierung eines Reformprogramms begonnen. 4.3.1 Partizipative Programme im Bewässerungssektor – PIM und IMT Die Programme zur Förderung der Partizipation der Bauern reichen von Participatory Irrigation Management (PIM), in denen Bauern sich an Entscheidungsprozessen beteiligen können, bis hin zur Übernahme der vollen Verantwortung für den Betrieb und die Instandhaltung beim Modell des Irrigation Management Transfer (IMT) (Meinzen-Dick 1997: 105). Zu den Rationalitäten, die mit der

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 117

Umsetzung dieser Programme verbunden sind, nennt der FAO Water Report (Garces-Restrepo et al. 2007) folgende: Reduzierung der staatlichen Ausgaben für Betrieb und Instandhaltung sowie Reduzierung von technischen und Managementproblemen. Anfangs würden sich die Kosten für die Bauern erhöhen, dann jedoch schnell ausgeglichen durch eine erhöhte Produktion. Zu den zentralen Rationalitäten für eine Einführung von partizipativen Ansätzen gehören, die Kostenreduzierung für den Staat, sowie als weiteres Outcome eine produktivere und selbstständigere Landwirtschaft. Als weitere Annahme wird aufgeführt, dass diese Maßnahme die landwirtschaftliche Produktivität erhöhen würde. Die Rationale hinter dieser Annahme ist, dass natürlich auch die Landwirte an einer Produktivitätssteigerung interessiert seien und dafür auch kurzfristig Nachteile in Kauf nehmen würden. Durch die Partizipation seien die Landwirte motivierter, sich für das Bewässerungssystem einzusetzen, weil sie Teil hätten an den Entscheidungen zu zentralen Fragen wie der Auswahl von Dienstleistern, Finanzmanagement etc. Mit der Übernahme der Managementaufgaben der staatlichen Behörde durch eine selbstfinanzierte Bauernorganisation wäre eine Erhöhung von Transparenz und Rechenschaft verbunden, was zu einer gerechteren Wasserverteilung führen würde sowie zu einer nachhaltigeren Wartung der Bewässerungsinfrastruktur. Die kollektiven Bauernorganisationen würden dann zu kollektiven Praktiken führen bezüglich der Beschaffung von Produktionsmitteln und Vermarktung (Garces-Restrepo et al. 2007). Die Rationalitäten, die in diesem Programmen Ausdruck finden, gehen von einem Subjektverständnis aus, das einem Profitmaximierer der landwirtschaftlichen Produktion gleicht. Durch Selbstorganisation und Eigenverantwortung werden ein wirtschaftliches Vorankommen und Effektivität von Abläufen propagiert. 4.3.2 Formen der Bewässerungsreformen Zu den zwei Hauptmodellen der aktuellen Bewässerungsreformen gehören das Modell des Irrigation Management Transfers (IMT) und das des Participatory Irrigation Management (PIM). Doch die Modelle werden auf sehr unterschiedliche Weise umgesetzt. Es gibt verschiedenste Varianten, wie die Finanzierung der O&M-Kosten zu leisten ist (Operation and Maintenance, Betrieb und Wartung). Sie reichen von voller Deckung aller Kosten durch Servicebeiträge von den Wassernutzern über gemeinsame Finanzierung aus Nutzerbeiträgen und staatlichen Zuschüssen bis zu komplett staatlicher Finanzierung. Das Modell des Irrigation Management Transfers (IMT) sieht eine Übertragung der Management-Verantwortung von der staatlichen Behörde und des staatlichen Eigentums

118 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

auf eine Nichtregierungsorganisation wie eine Water Users Association (WUA) oder andere Organisationen des privaten Sektors vor. Diese Organisationen werden häufig gegründet, um das Management zu übernehmen. Das Participatory Irrigation Management (PIM) dagegen setzt auf ein Ko-Management von staatlichen Behörden und organisierten Wassernutzern (Garces-Restrepo et al. 2007: 4). PIM und IMT haben also Überschneidungen, sind aber nicht identisch, da ein Ko-Management bei PIM das erklärte Ziel ist und bei IMT nur ein Zwischenschritt bei der vollen Übergabe der Managementverantwortung (Garces-Restrepo et al. 2007: 4). Weitere wichtige Punkte in den Reformen des Bewässerungssektors sind Dezentralisierung und Privatisierung. Unter Dezentralisierung ist die Umverteilung von vormals zentralistisch organisierter Entscheidungsgewalt und Macht auf regionale oder lokale Behörden innerhalb derselben Organisation zu verstehen. Privatisierung beinhaltet die Übertragung von staatlichem Besitz auf Akteure des privaten Sektors (Garces-Restrepo et al. 2007: 4). Im Falle der Bewässerungsreform wäre dies die Übertragung von Bewässerungsinfrastruktur (Kanalsystem) und Assets wie Traktoren etc. auf die Bauernorganisationen. Die Privatisierung der Bewässerungsinfrastruktur ist allerdings relativ selten (Garces-Restrepo et al. 2007: 4). Das erste Ziel der Partizipationsmaßnahmen, nämlich die Reduzierung der staatlichen Kosten soll durch effizienteres Einsammeln der Beitragszahlungen (Wassergebühren) sowie durch die Kürzung von Gehältern oder die Entlassung staatlicher Angestellter erreicht werden. Wie diese veränderten Rationalitäten in Kenias Bewässerungs-Governance genau aussehen, wird in Kapitel 5.2 und Kapitel 5.3 erläutert. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass durch die veränderten Rationalitäten und Technologien des Regierens, die eine intensivierte Miteinbeziehung und vergrößerte Verantwortung bei nicht-staatlichen Akteuren bewirken, das ModernisierungsBewässerungsdispositiv mit vormals disziplinierenden und zentralistischen Rationalitäten und Praktiken zunehmend die neue Form eines liberaleren Bewässerungsdispositivs annimmt. Typologie der Bewässerungsformen in Kenia Der kenianische Bewässerungssektor hat sich seit der Unabhängigkeit herausgebildet. Verschiedene Formen von Bewässerungssystemen und Bewässerung sind entstanden (Tabelle 9). Es können grob drei verschiedene Typen von Bewässerungssystemen unterschieden werden (Blank et al. 2002: 1): Erstens die großflächigen, staatlichen Bewässerungssysteme, zweitens die individuellen und gruppenbasierten und drittens der kommerzielle Anbau. Im Fokus dieser Arbeit ste-

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 119

hen die großflächigen Bewässerungssysteme, die im Folgenden von den weiteren Formen abgegrenzt werden: 1. Die großflächigen Furchenbewässerungssysteme wurden vom Staat erbaut

und betrieben. Die Menschen wurden dort für die landwirtschaftliche Produktion angesiedelt, deshalb wird auch von Siedlungsbewässerungssystemen gesprochen. Die Größe dieser Bewässerungssysteme reicht von einigen hundert bis zu einigen tausend Hektar (Mwea). Um die 90 % des in Kenia produzierten Reises wird von Bewässerungssystemen der nationalen Bewässerungsbehörde (National Irrigation Board, NIB) abgedeckt. Insgesamt nehmen sie eine Fläche von ungefähr 13.000-16.000 ha ein (Lemperiere 2007: 1053), das sind um die 12 % von Kenias Bewässerungsland. Auch 12 % der Bauern der Bewässerungslandwirtschaft sind dort anzutreffen (Neubert et al. 2007: 7). Häufig sind die Kleinbauern durch Verträge an bestimmte Produktionsstrukturen gebunden. Bis vor wenigen Jahren hatten sie keine bedeutende Mitsprache im Management. Erst in den letzten Jahren hat sich der Staat zunehmend aus dem Management zurückgezogen und partizipative Managementformen wurden eingeführt. 2. Die kleinbäuerliche Bewässerung und Gartenbewässerung ist entweder individuell oder in Gruppen organisiert. Es wird für den Eigengebrauch, für den lokalen Markt und den Export angebaut (Blank et al. 2002: 1). Zurzeit soll es um die 2.500 solcher Bewässerungssysteme geben, die rund 47.000 ha einnehmen und damit 46 % der gesamten Bewässerungsfläche ausmachen (Neubert et al. 2007: 7). Ungefähr 47 % der in der Bewässerungslandwirtschaft aktiven Bevölkerung sind in diesem Bereich zu finden. 3. Der kommerzielle Anbau von hochwertigen Kulturpflanzen, insbesondere Schnittblumen, wird durch private Investoren und Unternehmer finanziert. Zu den eingesetzten Bewässerungstechniken gehören Pumpen, Sprinkleranlagen und Tröpfchenbewässerung. Die ersten kommerziellen Blumen- und Gemüsehöfe mit Bewässerungsanlagen entstanden in 1980er-Jahren vor allem in Gebieten um Naivasha, Eldoret, Nanyuki und Nairobi (Neubert et al. 2007: 6). Sie machen heute rund 43.000 ha (42 % des Bewässerungslands) aus und bieten Beschäftigung für 41 % der in der Bewässerungslandwirtschaft aktiven Bevölkerung (Neubert et al. 2007: 7).

120

I DAS BEWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 9: Typologie der Bewässerungssysteme in Kenia Typ ManagementTyp Zeit Projektumsetzung Anzahl Anbaugebiet Größe

Bewässerungssysteme mit Kleinbauern (smallholder schemes) Gruppenbasiert/ zentral, staatlich individuell 1970er und 1980er (gruppenbasiert) 1950-1970 vermehrt seit den 1990ern (individuell) 10 um die 2.500 16.000 ha34 47.000 ha 10–900 ha (gruppenb.) 350–6.500 ha 0,1–0,5 ha (individuell)

Kommerzielle Bewässerungssysteme Unternehmer seit den 1980ern und 1990ern k. A. 43.000 ha 4–3.000 ha

Durchschnittl. Feldgröße/ Kleinbauer

1–1,5 ha

0,1–1 ha

k. A.

Betrieb und Wartung

öffentliche Behörde

Water Users Association oder individueller Kleinbauer

privates Unternehmen

Landbesitzverhältnisse

staatlich

privat

privat

Finanzierung

Regierung

Regierung oder NGOs, Kleinbauern

kenianische und ausländische Investoren

Quelle: Lemperiere 2007: 1053; Neubert et al. 2007

4.4 R ATIONALITÄTEN P RODUKTION

DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN

Policies und Fakten bieten eine Legitimationsgrundlage, um neue Entwicklungsprojekte im Bewässerungssektor zu entwickeln. In Berichten werden die Probleme identifiziert und der Regierungsbedarf für die Politik aufgezeigt. Diese Problematisierung geschieht mithilfe von wissenschaftlichen Argumenten. So werden politics of truth geschaffen und Risiken identifiziert. Gleichzeitig werden auch Mechanismen und Techniken angeboten, die zu einer Lösung der Probleme 34 Ein Hektar (ha) sind 2,5 Acres. Acre ist die gängige Flächeneinheit in Kenia.

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 121

führen sollen. Für Kenia sind es vor allem folgende Rationalitäten, die geschaffen werden und in den Reports internationaler Geber (UN-Water) und beratender Organisationen (DIE) propagiert werden (UN-Water World Water Assessment Programme 2006; Neubert et al. 2007). Zentrale „Wahrheiten“ spiegeln sich im Nexus „Umweltwandel-Nahrungssicherung-ökonomischer-Wachstum“ wider; in diesem Kontext wird als Lösungsstrategie eine Intensivierung der Landwirtschaft angestrebt, bei der Bewässerung eine bedeutende Rolle spielt (z. B. im ESP Economic Stimulus Programme, im Agriculture Sector Development Programme ASDS 2010). So werden mit Bewässerungsmaßnahmen Armutsminderung, Arbeitsplatzschaffung und Nahrungssicherheit verbunden. Zur Legitimation dieser Wahrheit werden wissenschaftliche Belege herangezogen, etwa die ökonomischen Fakten zur Landwirtschaft Kenias. Laut Statistiken basieren 42 % des Bruttoinlandsprodukts auf Landwirtschaft, Forstwirtschaft und Bergbau. 37 % der Lohnarbeit finden in diesen Sektoren statt und 49 % der Exporteinnahmen stammen daraus (Republic of Kenya 2010). Landwirtschaft ist also ein bedeutender Sektor der kenianischen Wirtschaft, den es zu erhalten und auszubauen gilt. Um die nationale landwirtschaftliche Entwicklung planbar und organisierbar zu machen, sind die Landflächen in Kenia in agrar-ökologische Landklassen eingeteilt, von sehr arid bis humid. Kenia hat eine Landfläche von 58,26 Millionen Hektar, von denen nur 11,65 Millionen Hektar (20 %) als Gebiete mit mittlerem und hohem Niederschlag klassifiziert sind; sie werden häufig auch einfach als „produktives Land“ bezeichnet. Von den 11,65 Millionen Hektar werden nur sieben Millionen Hektar (60 %) landwirtschaftlich genutzt und davon sind ungefähr 103.000 ha Bewässerungslandwirtschaft. Die restlichen 80 % sind als sogenannte ASALs (Arid and Semi-Arid Lands) deklariert. In den kenianischen Strategiepapieren und Programmen wird vor allem auf die natürliche Ressourcenbasis als Grundlage für wirtschaftliches Wachstum und Armutsreduzierung hingewiesen (z. B. Economic Stimulus Programme ESP 2009, Agriculture Sector Development Programme ASDS 2010). Dieses Wachstum kann jedoch nur mit einem nachhaltigen und effektiven Ressourcenmanagement erreicht werden. Die Szenarien, die entworfen werden, folgen alle derselben Linie: Das massive Problem, vor dem Kenia steht, ist ein rapides Bevölkerungswachstum bei gleichzeitig schrumpfender Verfügbarkeit von bereits eingeschränkten produktiven Land. Hinzu kommt, dass in vielen Regionen Wasserunsicherheit herrscht, die dazu führt, dass Regenfeldanbau ansteigenden Risiken ausgesetzt ist. In Zukunft wird der Klimawandel zu einer erhöhten Niederschlagsvariabilität führen, sodass mit erhöhten Aufkommen von Dürren und

122 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Überschwemmungen zu rechnen ist. Entwaldung, Landnutzungswandel sowie nicht-nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen tragen außerdem zum Umweltwandel bei und führt u. a. dazu, dass sich die Wasserspeicherkapazität des Bodens vermindert. Eine verschlechterte Ressourcenbasis bedeutet verstärkte Nahrungsunsicherheit für die lokale Bevölkerung. Diese neo-malthusianistische Argumentation, dass die natürlichen Ressourcen knapper werden und die wachsende Bevölkerung daher nicht mehr versorgt werden kann, findet sich in vielen Policy-Programmen und Beratungspapieren wieder und schafft somit einen zwingenden Handlungsbedarf. Als Lösung für diese Probleme wird Bewässerung als ein Weg zu einer effektiven ökonomischen Entwicklung in ländlichen Regionen angeführt (z. B. im ESP 2009, vom DIE 2007). Sie sei nachhaltig arbeitsplatzschaffend und einkommensgenerierend und wird deshalb als eine pro-poor growth-Strategie, also eine Armutsminderungsmaßnahme, angesehen. Bewässerung sollte dabei lokal adaptiv und partizipativ sein, um nachhaltige Wirkungen zu generieren (Neubert et al. 2007). Eine Bewässerungspolicy sollte daher auf den Leitbildern eines Integrierten Wasserressourcenmanagement und einer Good Water Governance basieren, um ökologische und soziale Nachhaltigkeit zu gewähren, empfiehlt eine Studie des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE) (Neubert et al. 2007). Bewässerung ist auch eine bedeutende Komponente des Economic Stimulus Programme Kenias, das rasch nach den politischen Unruhen nach den Wahlen von 2007, die die Wirtschaft ins Straucheln gebracht hatten, aufgelegt wurde. „Thus, irrigation provides a powerful management tool against the vagaries of rainfall and makes it economically attractive to grow high-yielding seed varieties, and increased yields per area of cultivated land“ (UN-Water World Water Assessment Programme 2006: 96).

Abschließend kann festgehalten werden, dass Bewässerung immer noch als die zentrale Strategie angesehen wird, Landwirtschaft zu intensivieren und Nahrungssicherung voranzutreiben. Die politics of truth die hier geschaffen werden, behandeln Nahrungssicherung als ein entpolitisiertes, mechanistisches Problem, das durch die einfache Lösung der Bewässerungslandwirtschaft bearbeitet werden kann.

4.5 Z WISCHENFAZIT – R ATIONALITÄTEN DER KENIANISCHEN B EWÄSSERUNGSPOLITIK Die Funktion eines Dispositivs ist es, wie Foucault schrieb (2003: 392ff.), zu einem „historischen Zeitpunkt“ einer „dringenden Anforderung nachzukommen.“

R ATIONALITÄTEN DER B EWÄSSERUNGSPOLITIK I 123

Die „strategische Funktion“ ist es also, quasi auf einen gesellschaftlichen „Notstand“ zu antworten. Wie in Kapitel 4.1 aufgezeigt, ist die Formierung des Bewässerungsdispositivs in einem Zusammenspiel von machtvollen Diskursen und Rationalitäten um Nahrungssicherung, politische Sicherheit und Bevölkerungskontrolle im Kolonialstaat Kenia entstanden. Die Siedlungsbewässerungssysteme in Kenia sind also Operatoren mit strategischer Funktion, die zur Lösung eines Problems in einer „historisch spezifischen Situation“ geschaffen wurden (Bührmann und Schneider 2012: 53). In diesem Kapitel wurde eine Nachzeichnung der Entwicklungen der Siedlungsbewässerungssysteme und der damit verbundenen unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten zur Funktion des Bewässerungsdispositivs vorgenommen. Dabei konnte gezeigt werden, dass sie zugleich als Antwort auf verschiedene Probleme wie z. B. Nahrungsunsicherheit, aber vor allem auch als koloniale Strategie zur Entspannung der Landsituation im kenianischen Hochland dienten. Dispositive, wie Deleuze es nennt, sind ein Ensemble von „Linien“. Diese Linien können brechen und sind somit „Richtungsänderungen unterworfen“ (Deleuze 1991: 153). Auch manche Linien des Bewässerungsdispositivs haben solchen „Richtungsänderungen“ und „Abweichungen“ vorgenommen: Die staatlichen Bewässerungssysteme, die noch bis in die 1970er-Jahre als „Entwicklungsmotoren“ einer Region und der nationalen Wirtschaft galten, gerieten ab den 1980er-Jahren auch im Zusammenhang mit der wirtschaftlichen Krise vieler afrikanischer Länder ins Straucheln und fielen sowohl im nationalen wie im internationalen Entwicklungsdiskurs der Geber und Entwicklungsforscher in Misskredit. Angesichts der finanziellen Defizite sowohl der meisten Bewässerungssysteme und des Staates, kamen neoliberale Managementansätze (die nun als neue Entwicklungsdoktrin seit dem Washington-Konsens propagiert wurden) im Bewässerungssektor zunehmend zur Anwendung. Das Bewässerungsdispositiv von Siedlungsbewässerungssystemen einst Symbol nationaler Modernisierung, wurde nun zum Symbol staatlicher finanzieller Engpässe. Zunehmende Liberalisierung und die Demokratisierung Kenias spiegelten sich auch in den Wirtschaftsweisen und dem institutionellen Aufbau des Managements von Siedlungsbewässerungssystemen wider. Die Rationalitäten, die sich in den partizipativen Modellen der Bewässerungsreformen äußern, rücken „Technologien des Selbst“ ins Zentrum der Regierungstechniken, wodurch ein selbstorganisiertes, selbstdiszipliniertes Subjekt selbstverantwortlich für sein wirtschaftliches und soziales Wohlergehen ist. Das Kapitel konnte zeigen, dass das Bewässerungsdispositiv und die es konstituierenden Diskurse, Rationalitäten und Praktiken sich im Laufe der Zeit ändern. Dabei sind unterschiedliche Kräftelinien zu verzeichnen auch innerhalb von Diskursen und Rationalitäten, die bei einem Übergang konvergieren, zu-

124 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

sammenlaufen, sich trennen und verebben können (Deleuze 1991). Die beobachteten Transformationen des Bewässerungsdispositivs von einem disziplinären Dispositiv mit hierarchischer, zentralisierter Kontrolle zu partizipativer, vernetzter Steuerung eines liberalen Bewässerungsdispositivs laufen nicht additiv ab, sondern es kommt zu multiplen Formen, Überschneidungen und Brüchen. Andere Diskurse, z. B. über die strategische Funktion von Bewässerungssystemen, zur Sicherung der Nahrungsmittelversorgung vor dem Hintergrund knapper werdender natürlicher Ressourcen und zur Intensivierung der Landwirtschaft, bleiben hingegen relativ stabil.

5 Die Reskalierung des Wassermanagements von staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia

In den letzten Jahren ist es im Wasser- und Bewässerungssektor Kenias zu Verschiebungen und Paradigmenwechseln bezüglich des Bewässerungsmanagements gekommen (siehe Kapitel 4.3). Liberale Regierungsweisen sowie der Abbau und Umbau von staatlichen Strukturen bestimmen neuen Managementansätze und Policies und haben zu neuen Governance-Formen geführt. In diesem Kapitel werden die institutionellen Reskalierungsprozesse für den kenianischen staatlichen Bewässerungssektor genauer untersucht.35 Unter Reskalierung wird die Übertragung von Verantwortlichkeiten und Entscheidungskompetenzen von staatlichen Akteuren auf private Akteure wie z. B. neugegründete Bauernorganisationen gefasst. Eine Reskalierung ist immer als eine skalare Praxis (Belina 2008) zu verstehen, durch die Kräfteverhältnisse in ihrer symbolischen und physisch-materiellen Artikulation (Belina 2008: 113) umstrukturiert werden. Im Mittelpunkt steht die Frage: Wie gestalten sich die Reskalierungsprozesse von Regierungstechniken? Diese Frage möchte ich in Unterfragen unterteilen. Um die Verschiebungen und Umbrüche besser skizzieren zu können, wird im ersten Unterkapitel auf die Organisationsweisen von Siedlungsbewässerungssystemen vor der Reform eingegangen. Hier werden die Regierungspraktiken des disziplinären Dispositivs vorgestellt. Die Fragen hierzu lauten: • Wie gestalteten sich die Regierungstechniken vor der Reskalierung, d. h. vor

der letzten Reform im Bewässerungssektor?

35 Für einen Überblick zur Lage der staatlichen Bewässerungssysteme siehe Karte 3.

126 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

In einem weiteren Unterkapitel werden dann die Veränderungen und Prozesse des Umbruchs innerhalb des staatlichen Bewässerungssektors untersucht, mit den Fragen: • Welche skalare Praxen führen zu einer Reskalierung? • Wie gestaltet sich der Governance-Umbruch im Bewässerungssektor in Ke-

nia? Im Kapitel 5.3 werden die Effekte und Auswirkungen der Reskalierung auf das lokale Management anhand des Fallbeispiels des Perkerra-Bewässerungssystems untersucht und abschließend die Forschungsfragen diskutiert.

5.1 D ISZIPLINIERENDE R EGIERUNGSPRAKTIKEN UND DAS S YSTEM DER K ONTROLLE – DAS STAATLICHE M ANAGEMENT IN S IEDLUNGSBEWÄSSERUNGS SYSTEMEN IN K ENIA (1960 ER -1990 ER ) Die Errichtung und die dahinter stehenden Rationalitäten der ersten Siedlungsbewässerungssysteme in Kenia sind zum einen als eine strategische Antwort auf die politischen Unruhen im kolonialen Kenia und zum anderen als ein staatliches Instrument für die Schaffung von Entwicklungsmotoren im unabhängigen Kenia zu sehen (siehe Kapitel 4). Während im vorherigen Kapitel die verschiedenen Rationalitäten und wandelnden Diskurse beleuchtet wurden, werden im Folgenden die damit verbundenen Organisationsstrukturen und Regierungsweisen dieser Systeme bis zur „partizipativen Wende“ der 1990er-Jahre (bis zur Mwea Krise, siehe Kapitel 5.2) skizziert. Dafür wird Bezug auf die rechtlichen Strukturen genommen: Der de jure Status wird dargelegt und die Anwendung und die Durchsetzung der Regelungen wird nachgezeichnet. Das umfassendste wissenschaftliche Werk zu Siedlungsbewässerungs-systemen dieser Zeit (1960er, 1970er) ist der Sammelband von Chambers und Moris aus dem Jahr 1973. In diesem wird akribisch das größte Siedlungsbewässerungssystem Mwea untersucht (Geschichte, Produktion, Management, Leben der Kleinbauer). Hier sind Anhaltspunkte zum alltäglichen Management zu finden. Des Weiteren stützt sich dieses Kapitel auf die Trust Land Irrigation Rules von 1962/63, die die legale Basis für das Management von großflächigen, staatlichen Bewässerungssystemen in Kenia darstellen (Government of Kenya 1963). Die Trust Land Irrigation Rules sind auch noch heute in Kraft. Sie sind als Regularienanhang des überarbeiteten Bewässerungsgesetzes (Irrigation Act) von 2012 [1986] unter dem Na-

D IE R ESKALIERUNG

DES

W ASSERMANAGEMENTS I 127

men Irrigation (National Irrigation Schemes) Regulations, 1977 zu finden. Das folgende Kapitel versucht anhand dieser Quellen, das Management aus den ersten Dekaden der Siedlungsbewässerungssysteme zu rekonstruieren und aufzuzeigen welche Gouvernementalitäten sich darin äußern. 5.1.1 Disziplinierende Institutionen und die Produktion des funktionalisierten Raums Das Management von Siedlungsbewässerungssystemen durch die Kolonialregierung und später durch die nationale Bewässerungsbehörde zeichnete sich durch eine ausgefeilte Organisationsstruktur aus. Ziel dieser ambitionierten Projekte war, eine riesige Produktionsmaschine aufzubauen und zu betreiben. Da diese Projekte in einem extremen Unterschied zu ihrem sozio-ökonomischen Umfeld standen, musste die Organisationsstruktur dementsprechend allumfassend sein. So gab es Abteilungen in der Bewässerungsbehörde für Bau und Wartung von Foto 4 : NIB-Angestellte und Fuhrpark

Quelle: Chambers und Moris 1973: 528

Infrastruktur (Kanäle, Lagerräume, Häuser für Angestellte und Pächter), Betrieb und Wartung von Maschinen (Traktorenflotte, landwirtschaftliche Maschinen, Geländewagen für höhere Angestellte), Erweiterung des Bewässerungssystems (Vermessung von Land, Planiermaschinen), landwirtschaftlicher Betrieb (Anbaupläne), landwirtschaftliche Forschung, Marketing und Buchhaltung. Dazu kamen die Angestellten, die vom Manager und gehobenen Angestellten, wie den Bewässerungsingenieuren, über Mechaniker bis hin zu niedrigeren Angestellten wie Straßenkehrer reichten (für ein Organigramm siehe Abbildung 3).

128 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Die soziale Organisation spiegelte sich im physischen Raum wider. Die Anordnung der Felder und Kanäle stellt ein aus rechteckigen, geometrischen Feldern bestehendes Ensemble dar. Die Ordnung des Raums war ganz seiner Funktionalität untergeordnet und war die Objektivation des modernsten Ingenieurswissens seiner Zeit (Chambers 1973a). Zu den wichtigsten Technologien des Regierens gehörte das Regelwerk der Trust Land Irrigation Rules, das die Rolle des Managements (Manager, Angestellte, etc.) und die Rolle der Pächter, sowie deren Verhältnis definierte. Es gab eine genaue Anleitung, wie die Besiedlung der Bewässerungssysteme und die alltägliche, landwirtschaftliche Produktion abzulaufen hatte. In dem umfassenden Regelwerk waren und sind alle Rechte und Pflichten für Manager und Pächter festgehalten: Es besteht aus 27 Paragraphen und mehreren Unterparagraphen, die Anbau und Wassernutzung, Abwesenheit, Verarbeitung der Feldfrucht sowie Sanktionen und Strafen bei Zuwiderhandlung festlegen (Government of Kenya 1963). Das Regelwerk legte fest, dass ein neuer Pächter zu Beginn seines Pachtverhältnisses mit den Bewässerungsregeln vertraut gemacht wird und einen Vertrag unterzeichnen muss. Die Siedler wurden nach Abschließen des Vertrags zu Pächtern, genauer genommen zu Konzessionsinhaber: Sie besitzen das Land nicht, sondern bestellen es unter einer Konzession. Diese erneuerte sich bei zufriedenstellender Leistung jedes Jahr automatisch. Der Manager wies dem Konzessionsinhaber ein Haus zu, oder stellte ihm eine Lizenz für den Hausbau aus. Die Viehhaltung war nur erlaubt, wenn sie in der Lizenz festgelegt wurde (Government of Kenya 1963). Die Abwesenheit ohne schriftliches Einverständnis des Managers war auf einen Monat begrenzt. Die landwirtschaftliche Produktion ist saisonal geprägt, mit stark schwankenden Zeiten an Arbeitsaufwand. Durch die Abwesenheitsregelung sollte sichergestellt werden, dass die Pächter das System in den weniger arbeitsintensiven Zeiten nicht verlassen, sondern an der Instandhaltung der Kanäle arbeiten.36 Die Policy-Richtlinien der nationalen Bewässerungsbehörde aus den 1960ern beinhalteten folgende Aspekte (Giglioli 1973: 170–172), die unter Kontrolle, Bildung, Anreize und Technologie zusammengefasst wurden: • „Kontrolle“: Die Verwaltung und das technische Management ist hoch zentra-

lisiert. Die Siedlungen gelten als „Betriebseinheiten“.

36 Dennoch stellte die Abwesenheit von Pächtern und die landwirtschaftliche Produktion durch ezahlte Arbeiter später ein Problem dar.

D IE R ESKALIERUNG

DES

W ASSERMANAGEMENTS I 129

• „Disziplin“: Ein ausgeklügeltes System von Disziplin, Bildung und Anreizen

soll die Steuerung einer großen Masse an Bauern und die Effizienz der Führung sichern. • „Bildung“: Disziplinäre Sanktionen sind nur glaubwürdig, wenn sie nicht zu oft eingesetzt werden müssen. Deshalb müssen die Pächter auf dem Feld von der Befolgung der Regeln und ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt und erzogen werden. • „Anreize“: Durch die Auszahlung eines Lohns, welches das bisherige Einkommen wahrscheinlich weit übersteigt, wird der Pächter überzeugt, die erste Phase des Ansiedelns, die für ihn eine Phase des Stresses bedeuten kann, zu überbrücken. Dieser Anreiz ist wichtig, die Leistung des Pächters zu halten und zu verbessern. • „Technologie“: Das hoch zentralistische Management führt zu economies of scale und erlaubt die schnelle Einführung von neuen Techniken. Nur eine selektive Mechanisierung wurde eingeführt. Die Technologie ist verankert zwischen der Maximalen Nutzung der Arbeitskraft und der punktuellen Nutzung hochentwickelter Technologie. Alle landwirtschaftlichen Aktivitäten von der Feldvorbereitung über Aussaat, Bewässerung und Ernte bis zum Abtransport wurden akribisch geplant und in einem Anbauplan festgehalten. Die Durchführung wurde überwacht. Die nationale Bewässerungsbehörde (NIB) war verantwortlich für die Bereitstellung des Wassers in den Hauptkanälen und die Pächter waren verpflichtet, alle Kanäle, die zu ihrem Pachtbesitz führen, zu warten (Chambers 1973a). Jeder Block hatte einen Wasser-Guard, der für die Wasserverteilung zuständig war und einen Feldassistenten, der über landwirtschaftliche Expertise verfügte. Die Maschinen wie Traktoren, Pflüge, etc. wurden von der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) zur Verfügung gestellt, sodass die Bauern keine großen finanziellen Ausgaben hatten. Alle Ausgaben für die Produktionsmittel (Saatgut, Dünger, Pestizide, Landvorbereitung, Transport der Ernte) wurden vom Management vorgestreckt und vom Ernteerlös der Bauern abgezogen. In Mwea war offiziell eine Reismenge von 12 Säcken (à 75 kg) pro Landwirt für den jährlichen Eigenverbrauch vorgesehen (Kabutha und Mutero 2002: 196). Während der Ernte gab es Kontrolleure, die die Landwirte auf nicht-autorisiertes Abführen von Reis kontrollierten. Die NIB-Angestellten sorgten für eine Synchronisierung und Abgleichung aller Aktivitäten der Landwirte. Die Produktion, Effizienz und die Verteilung der Produktionsmittel, hingen von der Leistung und dem zeitlichen Ablauf des vom NIB erstellten Anbauplans ab (Ertsen 2008). Das NIB übernahm auch die Vermarktung der Produkte. Dabei wurden alle Produkte, Reis in Mwea, Zwiebeln in

130 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Perkerra und Baumwolle in den restlichen Bewässerungssystemen, von staatlichen Unternehmen aufgekauft.37 Dadurch konnte das NIB seine Ausgaben für die Produktionsmittel direkt erwirtschaften und der Pächter wurde mit einem diktierten Preis für seine Produkte bezahlt (Ruigu 1988). Foto 5: Haus einer Pächterfamilie 1968

Quelle: Chambers und Moris 1973: 52

Bis zur Unabhängigkeit war die Belegschaft nach rassistischen Kriterien aufgeteilt. Die gut bezahlten Führungspositionen waren ausschließlich von Europäern belegt und die niedrigeren Positionen von der afrikanischen Bevölkerung. Die Trennung schlug sich in unterschiedlichem Gehalt, Wohnort und der Verfügung über Transportmitteln nieder. Nach der Unabhängigkeit wurde eine vollständige Afrikanisierung des Managementpersonals (13 senior staff) in Mwea 1972 erreicht (Chambers 1973a: 141).

37 Reis wurde an das National Cereals and Produce Board (NCPB) verkauft und Baumwolle an das Lint and Seed Marketing Board (CLSMB). Die Zwiebeln, im Perkerra-Bewässerungssystem produziert, wurden an die Horticultural Crops Development Authority (HCDA) verkauft.

D IE R ESKALIERUNG

DES

W ASSERMANAGEMENTS I 131

Tabelle 10: Anzahl der schriftlichen Verwarnungen im Mwea Bewässerungssystem 1970/1971 Regel

Anzahl der Verwarnungen

Instandhaltung von Parzelle und Haus

272

Abwesenheit

83

Nichtbefolgung der Anweisungen

233

Nicht autorisierte Wasserentnahme

61

Nicht autorisierte Viehhaltung

7

Nicht autorisierter Hausbau

15

Letzte Verwarnung

37

Insgesamt

709

Quelle: Veen 1973: 125

Strafen und Disziplinieren Das Regelwerk ermächtigte den Manager, disziplinäre Schritte gegen den Pächter bei Regelverstoß einzuleiten. Diese mussten in einer festen Reihenfolge ausgeführt werden und reichten von verbalen Abmahnungen, über Gerichtsverfahren, bis hin zur Beendigung des Pachtvertrags (Government of Kenya 1963). Veen (1973) hat die Managementkontrolle in Mwea in den 1970ern genauer untersucht. In Tabelle 10 sind die Regeln und die Anzahl der entsprechenden schriftlichen Verwarnungen im Mwea-Bewässerungssystem in den Jahren 19701971 aufgeführt. Schriftliche Warnungen wurden nach mehreren mündlichen Warnungen ausgestellt. Rechtliche Schritte, d. h. den Fall vor Gericht zu bringen, wurden als letzte Instanz eingeleitet, wenn nach den schriftlichen Verwarnungen keine Besserung eintrat (Veen 1973). In der Praxis sahen die Urteile des Gerichts meistens nur Geldstrafen vor und nur in den seltensten Fällen, wenn die Geldstrafe nicht bezahlt wurde, wurde eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten verhängt. In einem Bericht von 1984 stellte Ruigu fest, dass es in diesem Jahr nur zu wenigen Verwarnungen gekommen sei. Dennoch sei die Rate des Verlassens der Bewässerungssysteme recht hoch gewesen (Ruigu 1988: 12). Scott (1998) nennt diese Reaktion der Menschen auf die Kontrollmaßnahmen und die Ansiedlung in den Bewässerungssysteme „to vote with their feet“ (Scott 1998,

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zit. in Ertsen 2009: 91). Veen (1973) jedoch sah in diesen strengen Reglementierungen vor allem positive Aspekte: „The overall system of management is semi-military, which is necessary for the required strict control over the tenant. This may sound rather harsh but the success of Mwea is largely attributable to the close supervision which protects the tenant from failure“ (Veen 1973: 127).

Landwirtschaftliche Produktion war mit strenger Kontrolle, semi-militärisch wie Veen (1973) es nennt, genauer Anleitung und Bevormundung verbunden. Darin reihte sich auch die Regelung zu den Landbesitzverhältnissen ein, in der die Siedler in einem Pachtverhältnis standen und keinen Eigentumstitel für das Land besaßen. Denn die Kontrolle des NIBs über das Land in Form des Pachtverhältnisses wurde als ein Garant für eine höhere landwirtschaftliche Produktion gesehen (siehe Ruigu 1988: 11). Chambers (1973a) beschreibt die Produktionsprozesse in Mwea als durchgehend auf messbare Leistung ausgerichtet: „Performance is quantified at almost every point: tractor performance in acres rotavated [sic] per day and per month; field assistant performance in deliveries of paddy from the units for which they are responsible; individual tenant performance in deliveries year by year; and labour utilization performance for the major operations of the settlement“ (Chambers 1973a: 157).

In einer weiteren Ausführung beschreibt er Mwea als Idealtyp einer mechanistischen Organisationsform im Gegensatz zu einer organischen. „Mechanistic characteristics conspicuous on Mwea include a differentiation of specialised functional tasks, the precise definition of rights and obligations and technical methods attached to each functional role, a hierarchic structure of control, authority and communication, the location of knowledge at the top where the final reconciliation of tasks is made, a tendency for operations and working behavior to be governed by the instructions and decisions issued by superiors […]“ (Chambers 1973a: 157–158).

Diese zwei Zitate geben einen Einblick in die Organisationstrukturen und Leistungen des Mwea-Managements, das Chambers als disziplinierend, mechanistisch, autoritär und hierarchisch charakterisiert. Insgesamt kommt auch er zu dem Schluss, dass die Beschreibung des Managements als „semi-militärisch“ sehr zutreffend sei.38 38 Die Datengrundlage zur Durchführung des Managements in den anderen Siedlungsbewässerungssystemen (Perkerra, Hola Bura, Ahero und Bunyala) ist nicht so umfassend, wie für das Mwea-Bewässerungssystem. Dennoch war das grundlegende Regelwerk für alle staatlich gemanagten Bewässerungssysteme die Trust Land Irrigation Rules. Daher kann man davon ausgehen, dass auch hier die oben gemachten Aussagen

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Die Produktion lenkbarer Subjekte Der Pächter wurde nicht als mündiger Bauer angesehen, der zu eigenen Entscheidungen fähig ist. Das rührte zum einen daher, dass die Siedlungsbewässerungssysteme teilweise in Gegenden aufgebaut wurden, in denen vor allem pastoralistische Wirtschaftsweisen und damit verbundene kulturelle Praktiken vorherrschten (z. B. in Perkerra und dem kleinflächigen Bewässerungssystem Amolem), oder Landwirtschaft nur in Subsistenzformen betrieben wurde. Der „Hirtenhabitus“ (Rothfuß 2006) der Menschen, als eine inkorporierte Lebensform, kollidierte mit den westlichen Regelungen der landwirtschaftlichen Produktion, denen sich die Menschen in ihren Lebensweisen unterordnen sollten. Hier musste eine Subjektwerdung zum „landwirtschaftlich produktiven Subjekt“ erst erfolgen. Aber auch in Gegenden, in denen zuvor Landwirtschaft betrieben wurde, mussten die Menschen für ihre Rolle in der cash crop-Produktion diszipliniert werden. Dieser Logik folgend bestand die Aufgabe des Managements darin, den Bauern anzuleiten und vor sich selbst und seinem „Unwissen“ zu schützen. Hier zeigt sich eine Regierungsform, die auf das Individuum zielt und versucht, dieses durch Regeln, zeitliche Reglementierung, Überwachung und Prüfung zu kontrollieren, zu disziplinieren und zu erziehen. Das Management, das über Expertenwissen und moderne Technologien verfügt, ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen, die zum Wohle der Bauern führen, so der gängige Diskurs in den 1950ern/1960ern. In seinem Aufsatz über den Vertragsanbau im Perkerra-Bewässerungssystem beschreibt Little (1994) das Verhältnis von Management und Kleinbauern. Subsistenzbauern und Pastoralisten wurden zu Pächtern des Landes, das sie vormals besaßen. Entscheidungen für Anbaufrüchte wurden ohne Absprache mit den Pächtern getroffen. Sie waren lediglich berechtigt, das Angeordnete auszuführen und ihre Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen. Little legt dar, wie die Arbeit im Bewässerungssystem von den Kleinbauern nicht als landwirtschaftliche Arbeit begriffen wurde, sondern als eine Art Arbeitsverhältnis, in der sie sich vertraglich zur Produktion verpflichten und ihre Arbeitskraft verkaufen. Für Little ist das ein Zeichen der Transformation der landwirtschaftlichen Produktion in dem Sinne, dass die Arbeit auf dem Feld zunehmend dem Arbeitsverhältnis in einer Fabrik oder in der Industrie gleicht.

passend sind, auch wenn sich das Mwea- Bewässerungssystem durch seine Größe und dadurch auch durch einen viel größeren Managementapparat von den anderen unterscheidet.

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„In short, agrarian production has been transformed to such an extent that work on the scheme more closely approximates factory or industrial employment than farming, illustrating what Andrae and Beckman (1987) call ,industry goes farming‘“ (Little 1994: 234).

Das Managementsystem der Siedlungsbewässerungssysteme war ein extrem autoritäres System, in dem der Manager fast totale Kontrolle über die Arbeitskraft seiner Pächter hatte sowie das Recht zu disziplinieren, Eigentum zu beschlagnahmen und Freiheitsstrafen anzuordnen. Diese Machttechniken, wie die festen Produktionsabläufe und das Bestrafungssystem, wirkten disziplinierend mit dem Ziel lenkbare Subjekte zu produzieren. Durch diese Mikrophysik der Macht wurden die Menschen zu Subjekten landwirtschaftlicher Produktion in einem „technokratisch ausgebauten“ und „funktionalisierten Raum“ (de Certeau 1988: 21). 5.1.2 Der alltägliche Widerstand Der bisherige Blick auf die Siedlungsbewässerungssysteme zeichnet sie vor allem als disziplinierende Institution, verbunden mit der Schaffung eines technokratischen, funktionalisierten Raumes (de Certeau 1988: 21). Doch in Anlehnung an die Arbeiten von de Certeau und Scott, die sich vor allem für alltägliche Praktiken interessieren, drängt sich die Frage auf, wie kohärent, kontrolliert und gesteuert die Praktiken der Menschen in diesen funktionalisierten Räumen wirklich waren. Dem „abstract body“ (Duncan 2002), der nur noch auf seine Funktion der Bereitstellung des Produktionsmittels Arbeit reduziert wird, werden widerständige Alltagspraktiken entgegen gesetzt, die durch die Aneignung der herrschenden Ordnung diese „metaphorisieren“ (de Certeau 1988: 81). Als alltägliche, widerständige Praktiken sind das Schmuggeln von Reis vom Feld in Mwea in Gummistiefeln und Thermoskannen bekannt (Kabutha und Mutero 2002). Dieses subversive Unterlaufen der Landwirte von autoritären Strukturen, richtete sich gegen die Form der Macht des Nichtverfügens über ihr produziertes Produkt. Dabei wurde das Reisschmuggeln streng geahndet und bereits das Entwenden von geringen Mengen mit Polizeiarrest bestraft (Kabutha und Mutero 2002). Auch wenn die Anbaumuster streng geregelt waren und in erster Linie den Anbau der vertraglichen Frucht vorsahen, legten die Landwirte Gärten an und nutzten das Bewässerungswasser für ihr eigenes Obst und Gemüse (Kabutha und Mutero 2002). Des Weiteren ignorierten viele die Regel der eingeschränkten Viehhaltung und hielten Hühner, Ziegen und Kühe. Mit diesen Praktiken metaphorisierten sie den funktionalisierten Raum zu ihrem Lebensraum.

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5.2 N EUER W IND IN DER LANDWIRTSCHAFTLICHEN P RODUKTION – DEMOKRATISCHE UND LIBERALE E NTWICKLUNGEN (1990 ER -J AHRE BIS HEUTE ) Die strenge, zentralistische und hierarchische Kontrolle der staatlichen Bewässerungssysteme geriet spätestens in den 1990er-Jahren in die Kritik. Die Einführung eines demokratischen Systems, die Zirkulation neuer Leitbilder wie Partizipation und partizipative Managementansätze im Entwicklungsdiskurs konnten auch vom kenianischen Staat nicht ignoriert werden, sodass sie heute auch in den Grundsätzen der nationalen Bewässerungsbehörde (National Irrigation Board ̶ NIB) zu finden sind. Allerdings ist der Anstoß zu diesem Wandel der Governance in der staatlichen Bewässerungslandwirtschaft nicht einfach in einer Reform zu suchen. Das folgende Kapitel beleuchtet die Umstände, unter denen es zu dem Governance-Umbruch kam. Das NIB hatte in den 1980er-Jahren mit finanziellen Problemen zu kämpfen, da die Mehrzahl der Bewässerungssysteme ihre laufenden Kosten nicht decken konnten. Somit war das NIB nicht mehr in der Lage z. B. seine Traktorflotte zu erneuern oder die Treibstoffkosten für die Bewässerungspumpen aufzubringen (dazu siehe auch Kapitel 4.2). Die einzelnen Bewässerungssysteme waren unterfinanziert und konnten aufgrund der zentralistischen Organisation nicht eigenständig auf lokale Probleme reagieren. Dies führte zu Verzögerungen und Ineffizienz. Bereits Ende der 1980er-Jahre wurde in einer Studie (Ruigu 1988) dazu geraten dezentralisierende Maßnahmen in den NIB-Bewässerungssystemen durchzuführen, um diese Probleme zu beheben. 5.2.1 Der Bruch der Governance In der zweiten Hälfte der 1990er-Jahre sah sich das NIB mit Prozessen konfrontiert, deren Ursprung auch in der Demokratisierung des Landes zu finden ist. Mit dem Ende des Kalten Krieges schwappte eine Demokratisierungswelle durch Afrika, die auch vor Kenia nicht haltmachte (Speitkamp 2007: 464). Im Jahre 1992 wurde ein Mehrparteiensystem in Kenia eingeführt und erste demokratische Wahlen abgehalten, die Langzeit-Präsident Daniel arap Moi in seinem Amt auch fünf Jahre später, 1997, bestätigten39 (Schicho 2004). Mit zunehmender Partizi39 Mit den Wahlen von 2002 kam es zu einem friedlichen Machtwechsel. Mwai Kibaki von der Oppositionspartei wurde zum Präsidenten gewählt. Nach den Wahlen 2007 kam es zu blutigen Ausschreitungen zwischen den Anhängern Kibakis und den Anhängern der Oppositionspartei ODM unter Führung von Raila Odinga. Die letzten Wah-

136 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

pation der Bevölkerung im politischen System forderten nun auch die Landwirte des Bewässerungssystems in Mwea, dem größten staatlichen Bewässerungssystem, mehr Mitsprache- und Entscheidungsrechte (Interview E4). Das strenge Management in Mwea (in Kapitel 5.1 genauer ausgeführt), in dem den Landwirten lediglich die passive Rolle des Pächters, der Anweisungen zu befolgen hat, zukam, war zunehmend ein Grund der Unzufriedenheit. Zu den weiteren Faktoren gehörte auch die Landfrage, die zwischen 1996–2000 immer wieder zu Konflikten zwischen der Bauernschaft und dem NIB führte (Kabutha und Mutero 2002). Weitere Konfliktlinien brachen auf. Im Jahr 1996 sollte etwa ein neues Pächterabkommen zwischen der Regierung und der Bauernschaft geschlossen werden, das eine Reduzierung der Reissäcke von 12 auf 10 für den Eigenkonsum der Bauern pro Jahr vorsah, was bis dato ohnehin nicht für die Versorgung der Familien ausreichte (Kabutha und Mutero 2001: 130). Doch der Hauptgrund der Unzufriedenheit lag in der undurchsichtigen Preispolitik des NIBs. Die Landwirte waren unzufrieden mit den niedrigen Preisen, die ihnen das NIB zahlte und forderten eine Preissteigerung von 17,5 KES auf 20 KES pro Kilogramm Reis (Kabutha und Mutero 2002: 201). Im Zuge einer Liberalisierung der Märkte wurden die Bauern mit hohen Preisen auf dem freiem Markt konfrontiert, mussten jedoch ihre vertragsgebunden Produkte für einen viel niedrigeren Preis an das NIB abgeben. Die Preisverhandlungen scheiterten mehrmals und Vermittlungsgespräche zwischen den Parteien liefen ins Leere. Der Streit wurde zunehmend zu einer politischen Auseinandersetzung. Die Oppositions-Abgeordneten der Zentralprovinz nutzten den Konflikt, um die Regierung zu kritisieren und prangerten die missliche Lage der Bauern an. Die genaue Rolle der lokalen Oppositionsabgeordneten schwankte zwischen voller Unterstützung der Landwirte und dem Anleiten und Aufstacheln der Landwirte gegen das NIB (Kabutha und Mutero 2002: 202, Interview E4, Interview E10). Angesichts der verfahrenen Lage kam es 1998 zu einem Aufstand der Pächter. Sie verweigerten die Reislieferung an das NIB. Es kam zur Zerstörung von Infrastruktur, wie den Reissammelstellen. Schließlich, eskalierte die Gewalt, die Polizei erschoss zwei Bewässerungssystembewohner (Kabutha und Mutero 2002: 202). Die von Landwirten geleitete Kooperative, Mwea Rice Growers´ Multipurpose Cooperative Society Limited, übernahm schließlich das Management. Auch wenn in großem Maße die Managementstruktur des NIBs übernommen wurde, war das Management in den Augen der Bauern nun durch Transparenz und Partizipation gekennzeichnet (Kabutha und Mutero 2002: 203). Aber die Kooperative stand vor kaum lösbaren Herausforderungen, vor allem technischer und filen 2013 liefen jedoch relativ friedlich ab und Uhuru Kenyatta, der Sohn des ersten Präsidenten Jomo Kenyatta, wurde zum Präsidenten gewählt.

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nanzieller Art. So bekam die Kooperative keine Kredite von der kenianischen Bank (Kabutha und Mutero 2002: 206). Schließlich musste die Bauernschaft einsehen, dass sie ohne Unterstützung der Bewässerungsbehörde (NIB) die Produktion nicht in den Griff bekommen würden. 2003 wurde ein gemeinschaftliches Managementsystem für das Mwea-Bewässerungssystem ausgehandelt, das aus NIB und der Irrigation Water Users Association (IUWA) der Landwirte besteht, einem Dachverband, der die in Mwea registrierten Water Users Associations vertritt (Mati et al. 2011: 147). Gemeinsam werden seitdem Entscheidungen bezüglich der Produktion und des Marketings getroffen. 5.2.2 Der Kollaps staatlicher Bewässerungssysteme in Kenia Die Ereignisse in Mwea Ende der 1990er Jahre hatten starke Auswirkungen auf andere Bewässerungssysteme, namentlich Ahero, West Kano und Bunyala, allesamt im Westen Kenias in der Nähe des Viktoriasees. Da das NIB zentralistisch aufgebaut war, hingen die Bewässerungssysteme finanziell zusammen. Mwea war eines der wenigen Bewässerungssysteme gewesen, das ein Plus erwirtschaftete (siehe Kapitel 4.2) und so wurden die negativen Zahlen der anderen Bewässerungssysteme durch Bezuschussung aus Mwea ausgeglichen. Da jedoch die Bauern in Mwea ihren Reis nicht an das NIB verkauft hatten, konnte dieses seine laufenden Zahlungen nicht mehr erfüllen. Folglich gerieten die drei genannten, kleineren Bewässerungssysteme in eine finanzielle Notlage, da das NIB die Produktionsmittel nicht zu Verfügung stellen konnte (Interview E4). Die Produktion in den kleineren Bewässerungssystemen Ahero, West Kano und Bunyala kam zum Erliegen. Der staatliche Bewässerungssektor war somit stark beeinträchtigt: Um die Jahrtausendwende hatte er eine klägliche Bilanz vorzuweisen: Ahero, West Kano und Bunyala waren aufgrund finanzieller Engpässe nicht produktionsfähig, Tana und Bura waren schon seit Anfang der 1990er-Jahre aufgrund von Wassermangel – der Versorgerfluss Tana hatte seinen Lauf geändert – nicht mehr in der Lage, gute Produktionszahlen zu liefern und Mwea hatte sich vom staatlichen Management abgespalten (NIB Homepage, für eine Übersicht der Bewässerungssysteme siehe Tabelle 11). In den kollabierten Bewässerungssystemen kam die Produktion zum Erliegen und die Menschen wanderten teilweise aus den Siedlungen ab (Lebrun et al. 2010). Lediglich das PerkerraBewässerungssystem nimmt hier eine Sonderrolle ein. Perkerra hatte, wie in Kapitel 7 genauer erläutert, 1996 einen Vertrag mit dem Unternehmen Kenya Seed abgeschlossen, welches es nun am Leben hielt und einen ähnlichen Kollaps wie in den anderen Bewässerungssystemen verhinderte.

138 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

5.2.3 Einleitung der Reformen – zu einem partizipativen Management Vor diesem Hintergrund war die nationale Bewässerungsbehörde (NIB) Anfang der 2000er genötigt Reformen einzuleiten. Die Krise in Mwea hatte dazu geführt, dass das NIB sich veranlasst sah, die Prinzipien, die in Mwea von den Bauern gefordert wurden, nun auch langsam und nicht so abrupt wie in Mwea in den anderen Bewässerungssystemen einzuführen. 2003 startete das NIB mit Rehabilitierungsmaßnahmen in seinen Bewässerungssystemen. Nach Verhandlungen und Überlegungen mit den Ministerien wurden einige Reformansätze entwickelt. Zunächst musste das NIB seine Rolle und die weiterer Organisationen neu definieren. (Die bis zu diesem Zeitpunkt herrschenden Managementaufgaben und Befugnisse wurden in Kapitel 5.1 dargestellt.) Das neue Umfeld, in dem sich das NIB nun sah, war wie es der NIB Chief Irrigation Officer zusammenfasst, ausgezeichnet durch „more political space“ und „a more liberalised environment“ (Interview E4). Das NIB setzte sich zum Ziel, sich nur noch auf die folgenden Aufgaben zu fokussieren (Quelle: NIB Homepage, Interview E4) und die restlichen Aufgaben auf andere Organisationen zu übertragen. Zu den neuen Kernaufgaben des NIBs gehören: • Erschließung neuer Gebiete zur Bewässerung • Koordination der Rehabilitierungsmaßnahmen • Wartung und Instandhaltung der primären Infrastruktur (Hauptkanäle, Wehre

und Zubringerkanäle), da die Bauern nicht die Kapazitäten dafür haben, sowie technische Beratung in der Erstellung des Anbaukalenders • Administration von Landfragen, da das Land immer noch in Staatsbesitz ist Mit den Reformen werden die folgenden Aufgaben von anderen Organisationen oder Bauernverbänden übernommen: • Die Bauern übernehmen die Organisation und Durchführung der Produktion

sowie das Wassermanagement des sekundären und tertiären Systems.40 Hierfür sind vor allem die Water Users Associations (WUA) gegründet worden, die das Wasser gerecht verteilen sollen. Die WUA sammeln die Wassergebühren ein und stimmen gemeinsam mit dem NIB über die eingenommen Beträge und deren Ausgabe ab 40 Zu dem primären System gehören die Hauptkanäle und der Kanal vom Fluss zum Bewässerungssystem. Zu dem sekundären System zählen alle Kanäle die vom Hauptkanal abgehen und das Wasser in die Blöcke leiten. Zu dem tertiären System gehören die kleinen Kanäle, die letztendlich zum Feld des Landwirts führen.

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• Das Marketing soll von den Bauernkooperativen wie Farmers´ Cooperative

Society oder Farmers Groups übernommen werden • Die landwirtschaftliche Beratung (Extension-Services) wird nun vom Agrar-

ministerium gestellt • Forschungsaktivitäten übernimmt das Kenya Agriculture Research Institute

Auf seiner Homepage benennt das NIB sein Ziel: „The ultimate aim of rehabilitation and increasing sustainability of the national schemes is to transfer their management to farmers through farmer-based organisations“ (NIB Homepage).

Selbst erklärtes Ziel des NIB ist also die graduelle Übertragung der Verantwortlichkeiten auf die Bauernorganisationen, wie z. B. der WUA und den Kooperativen (vgl. Abbildung 3 und Abbildung 4). Zu den weiteren Schritten gehörte ̶ als Konsequenz auf die Ereignisse in Mwea ̶ eine finanzielle Entkopplung aller Bewässerungssysteme. Somit soll jedes Bewässerungssystem für sich wirtschaften und als eine wirtschaftliche Einheit betrachtet werden (Interview E4). Denn dies war zum einen ein starker Kritikpunkt der Bauern in Mwea, die den Eindruck hatten, ihre Gewinnmargen fielen deshalb so klein aus, weil sie die anderen, nicht so produktionsstarken Bewässerungssysteme, subventionierten. Zum anderen sollte so eine erneute Kettenreaktion von Kollapsen wie nach der Mwea Krise verhindert werden. Zuvor hatte es eine Zahlung in Form einer flatrate gegeben, die für alle Landwirte, ganz gleich aus welchem Bewässerungssystem, gleich hoch gewesen war. Es wurden nun für jedes Bewässerungssystem individuelle Summen errechnet, die die Ausgaben, die für das Warten und Betreiben des primären Systems nötig waren, deckten (Interview E4). Nach Verhandlungen mit den Bauernverbänden sind die Gebühren soweit gesunken, dass nicht alle Kosten gedeckt werden können. Somit können die nötigen Rehabilitierungsmaßnahmen nur langsam abgearbeitet werden (z. B. Erneuerung von Straßen und Kanälen etc.). Um die Kosten so niedrig wie möglich zu halten, wurden die Aufgaben der Produktion, Marketing, Extension-Services und Forschung ausgegliedert. Dies führte zu einer drastischen Kürzung der staatlichen Stellen im NIB. So sank die Zahl der NIB-Angestellten in Perkerra von um die 40 auf sechs Personen (Interview S2). Da die Aufgabenbereiche von Marketing, Wasserverteilung, Produktion der Bauernschaft übertragen wurde, zog das NIB dort seine Angestellten ab. Die Krise von Mwea und der Kollaps von fünf der sieben Bewässerungssysteme haben zu Reformen geführt, die notwendig waren, um der Demokratisierung und Liberalisierung gerecht zu werden. Diese sind jedoch auch zehn Jahre später noch nicht abgeschlossen. So steht z. B. die Verabschiedung einer Bewäs-

140 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

serungspolicy immer noch aus, während das rigide Regelwerk der Trust Land Irrigation Rules, das Regeln aus der Kolonialzeit ausführt und die Besitzverhältnisse für die Pächter klärt, noch in Kraft ist. Die ehemals staatlichen Bewässerungssysteme befinden sich heute alle in unterschiedlichen Phasen des Transformationsprozesses, mit unterschiedlich stark ausgeprägten Reformumsetzungen. Betrachtet man die Bewässerungssysteme und ihren Transformationsprozess als Kontinuum von starker zu schwacher staatlicher Steuerung, würde das Perkerra-Bewässerungssystem mit seinem Vertragsanbau, in dem das NIB nach wie vor involviert ist, das Ende mit starker staatlicher Steuerung und das Mwea-Bewässerungssystem, wo das NIB nur noch im Wassermanagement involviert ist, das andere Ende mit schwacher Steuerung ausmachen. 5.2.4 Zwischenfazit – Bewässerungsdispositiv im Umbruch Die Siedlungsbewässerungssysteme zeichneten sich durch strenge, hierarchische Regierungspraktiken und -techniken aus. Die Rollen in der Organisation der Siedlungsbewässerungssysteme waren genau definiert und zugeteilt. Das Verhältnis der Staatsangestellten des NIB-Managements und der Pächter definierte sich im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion durch ein „präzises Befehlssystem“ (Sarasin 2005: 136), das aus Befehlssendern seitens des NIBManagements und Befehlsempfänger seitens der Bauernschaft bestand. Zwar gab es im Alltagsleben Situationen, in denen die einseitige Richtung der Regierungspraktiken eines top-down Managements durch die Weitergabe der Anliegen der Bauernschaft „hoch“ zum Management unterbrochen wurde und in Versammlungen Formen eines reziproken Austausches möglich waren. Dies waren jedoch nur sehr schwache Formen von Mitsprache und die früheren Organisationsstrukturen wiesen keine institutionelle Repräsentation der Bauernschaft auf. Formal gab es das Advisory Committee, das die Rolle einer Bauernvertretung einnehmen sollte. Dies war, so Moris (1973), jedoch nicht in der Lage die Aufgabe wahrzunehmen. Die „semi-militärischen“ Regierungstechniken und Organisationsweisen einer industrialisierten Landwirtschaft, die sich in einem funktionalisierten Raum objektivierten, produzierten auf der einen Seite ein landwirtschaftliches, kontrolliertes Subjekt, auf der anderen Seite rief die Einbindung der Subjekte in diesen Produktionsapparat auch Widerständigkeiten und Aneignungspraktiken hervor. Mit der Einführung eines Mehrparteiensystems und der damit verbundenen demokratischen Wende veränderten sich die politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Kenia. Das Aufbegehren der Bauernschaft in Mwea ist

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zum einen als direkte widerständige Praktik gegen die staatlichen Regierungsweisen im Bewässerungssystem zu werten, zum anderen spielt die Politisierung von bestimmten Themen, wie die Privatisierung von staatlichem Land mit der Ausstellung von Eigentumstiteln (die eine Beendigung des Pachtverhältnisses bedeuten) oder auch die Preisfrage für die Anbauprodukte, durch lokale Politiker eine entscheidende Rolle für das Ausmaß des Widerstands. Deutlich wird an diesem Beispiel, dass dieser Widerstand zugleich eine skalare Praxis ist, die sich sowohl durch eine diskursive Praxis als auch durch eine nicht-diskursive Praxis auszeichnet und durch die an den hierarchischen Kräfteverhältnissen gerüttelt wurde. Die widerständige skalare Praxis richtete sich gegen die hierarchisierte Governance, in der die Bauernschaft nur wenig Mitsprache und Entscheidungsmöglichkeiten hatte. Genau genommen handelt sich es um eine skalare Praxis in zwei Dimensionen: Zum einen richtete sie sich gegen die hierarchischen Machtverhältnisse zwischen Pächter und Staat. Die zweite Dimension liegt in der Auswirkung der Praxis. So hatte diese eine skalare Wirkung: Als eine lokalisierte Praxis im Mwea-Bewässerungssystem hatte sie dennoch räumlich-nationale Auswirkungen auf alle staatlichen Bewässerungssysteme in Kenia. Die Konsequenzen der Mwea-Krise waren in allen noch aktiven Siedlungsbewässerungssystemen zu bemerken. So führten die Umwälzungen der Managementstrukturen in Mwea zu einem Umbruch der Governance des Bewässerungssektors in ganz Kenia. Dieser war für Mwea, aber auch für die anderen Bewässerungssysteme, die finanziell zusammenhingen, abrupt und führte zu einer akuten Krise. Der plötzliche Umbruch stieß einen langfristigen Wandel in den Regierungstechniken an. Angesichts der finanziellen Angeschlagenheit vieler Bewässerungssysteme war die Krise der nötige Anstoß für die staatliche Bewässerungsbehörde, die notwendigen Reformen im staatlichen Bewässerungssektor endlich anzugehen. An diesem Beispiel wird deutlich, wie skalierte Hierarchien zum Objekt von Aushandlungsprozessen werden und wie durch widerständige, skalare Praktiken Prozesse der Neu-Konfiguration von Kräfteverhältnissen angestoßen werden. Das Bewässerungsdispositiv und seine Elemente wurden durch diese Bruchlinie in ihrer Relation verschoben und verändert. Diese Vorgänge setzen den Kontext, in dem das Fallbeispiel untersucht wird. Wie auch schon Etzold et al. (2012: 192) darauf hinwiesen, ist es für das Verständnis von GovernanceProzessen hilfreich, nicht nur auf der globalen oder nationalen Ebene zu verharren. Um die sich verändernden, prozesshaften institutionellen Arrangements, die immer auch Gegenstand und Resultat von Aushandlungsprozessen verschiedener Akteure sind, zu verstehen, ist eine Betrachtung der lokalen Prozesse notwendig. Dies wird im anschließenden Teil der Arbeit vorgenommen.

Perkerra-Fluss

Gravitation

keine

Tana-Fluss

Pumpe

1989 –2003

Änderung des Flusslaufs

Treibstoffmangel

Herkunft Wasser

Wasserversorgungstechnik

Projektunterbrechung

Unterbrechungsgrund

Probleme

Mwea-Krise

1998 –2003

Gravitation

k. A. Nyamindi- und Thiba-Fluss

36 / 3242

~ 50.000

Reis, Tomaten

10.000

6.470

Mwea Central Kirinyaga 1956 12.000 12.282

Treibstoffmangel

Mwea-Krise

1999 –2003

Pumpe

Nzoia-Fluss

1,6

k .A./ 131

~ 2.400

Reis

6.000

213

Bunyala Western Busia 1966 213 k. A.

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf NIB Homepage, Ruigu 1988, Adams 1990

arides Klima, Wassermangel

~ 13.000

k. A.

1,2 – 1,6

Mais, Tomaten, Zwiebeln

Baumwolle, Mais, Erdnüsse

k. A.. / 730

810

2.500

k. A.

500

900

6 / 700

Perkerra Rift Valley Baringo 1954 810 2.350

Hola Bura Coast Tana River 1953 4.800 9.100

Von Bewässerung versorgte Menschen Anzahl Dörfer/ Haushalte ha/HH

Anbauprodukte

Provinz Distrikt Projektstart geplante Größe (ha) Pot. Bewässerungsfläche Bewässerungsfläche 2010/2011/2012 (ha) Amtliche Größe nach Expansion (ha)

Tabelle 11: Übersicht der staatlichen Bewässerungssysteme in Kenia

Treibstoffmangel

Treibstoffmangel

Mwea-Krise

1999/2000 – 2003 Mwea-Krise

Pumpe

1999/2000 – 2003

k. A.

k. A.

k. A. / k. A.

k. A.

Reis

900

900

West Kano Nyanza Kisumu 1974 1.780 2.000

Pumpe

Nyando-Fluss

1,6

k. A./ 553

k. A.

Reis

3.000

840

Ahero Nyanza Kisumu 1969 860 k. A.

unzureichende Infrastruktur, hohe Kosten, Managementprobleme Treibstoffmangel, arides Klima

1990 –2005

Pumpe

Tana-Fluss

1,25

10 / 2.245

k. A.

Baumwolle, Mais, Chilis

6.700

4.000

Tana Bura Coast Tana River 1978 6.750-3.900 1.620

142 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

D IE R ESKALIERUNG

DES

W ASSERMANAGEMENTS

I 143

5.3. D IE R ESKALIERUNG DER INSTITUTIONELLEN A RCHITEKTUR DES P ERKERRA -B EWÄSSERUNGS SYSTEMS – NEUE G OVERNANCE S PACES ENTSTEHEN Der durch die Mwea-Krise eingeleitete Governance-Umbruch im staatlichen Bewässerungssektor, der Anfang der 2000er zu einer Neuordnung des staatlichen Bewässerungssektors in Kenia im Sinne einer Reskalierung führte (wie in Kapitel 5.1 erläutert), soll nun anhand des Perkerra-Bewässerungssystems beispielhaft erläutert werden. Es werden die Effekte der Reformen und Reskalierungen im Bewässerungssystem untersucht. Im Folgenden wird die Reskalierung der Governance dargelegt: Zuerst wird kurz auf die Organisation des Managements vor der Reform eingegangen, um dann die Veränderungen durch die Reformumsetzungen aufzuzeigen, und schließlich die Entstehung des neuen Governance Space zu diskutieren. Folgende Fragen sind dafür leitend: • Wie nehmen die Landwirte den vom Governance-Umbruch eingeleiteten Ma-

nagementwandel wahr? • Wie gestaltet sich der dadurch neu geschaffene Governance Spaces? 5.3.1 Die institutionelle Reskalierung im PerkerraBewässerungs-system Vor der Reform war die Zentrale der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) in drei Bereiche geteilt: Finanzabteilung, technische Abteilung und landwirtschaftliche Abteilung. Die Zentrale mit Vorstand und Manager steuerte und koordinierte die staatlichen Bewässerungssysteme. Der organisatorische Aufbau des Managements eines Bewässerungssystems glich dem Aufbau der Zentrale: Es gab einen Manager und die drei Verwaltungsabteilungen, die sich wiederum in Sektionen aufteilten.41 Dazu gehörten die Angestellten, die in diesen Abteilungen arbeiteten, wie Buchhalter in der Buchhaltung, Mechaniker im Bereich der Wartung von Maschinen oder auch die Feldassistenten im land-

41 Zur technischen Abteilung wurden drei Sektionen gerechnet: Bau und Wartung von Infrastruktur, Betrieb und Wartung von Maschinen und die Erweiterung des Bewässerungssystems; die landwirtschaftliche Abteilung, der sich wiederum in Anbau von Feldfrüchten und Forschung aufteilte; und die Abteilung der Verwaltung mit Buchführung und Marketing.

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wirtschaftlichen Bereich. Für ein exemplarisches Organigramm des NIBManagements siehe Abbildung 3. Der Vertragsanbau im Perkerra-Bewässerungssystem lässt sich dem „Vermittler-Modell“ zu ordnen (United Nations Conference on Trade and Development (UNCTD) 2009). Bei diesem „Vermittler-Modell“ gibt es eine vertragliche Abmachung zwischen dem Unternehmen, das produzieren möchte, im Falle des Perkerra-Bewässerungssystems die Kenya Seed Company und einem Zwischenhändler, hier die nationale Bewässerungsbehörde NIB. Dieser Zwischenhändler nimmt wiederum die Produzenten, die Kleinbauern, unter Vertrag. Folglich steht das Unternehmen, die Kenya Seed Company, nicht direkt mit den Vertragslandwirten in Verbindung, da die Verträge in beide „Richtungen“ mit der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) als Vermittler gemacht worden sind. Verschiedene Komitees und Organisationen sind in das Management eingebunden. Zu den Organisationstrukturen, die es schon vor der Mwea-Krise gab und die nach den Reformen immer noch bedeutsam sind, gehören die folgenden: Zum einen gibt es das Steering Committee, dessen Vorsitz ein Vertreter des Landwirtschaftsministeriums hat, also der District Agricultural Officer. Das Steering Committee koordiniert die Arbeiten der anderen Körperschaften wie dem Advisory Committee, der 1979 gegründeten Farmers Cooperative Society und heute auch der seit einigen Jahren bestehenden Water Users Association. Das NIB kann als eine Art Sekretariat verstanden werden und stellt den Manager des Bewässerungssystems. Im Steering Committee ist auch der District Commissioner vertreten, somit ist das Steering Committee eng mit der staatlichen Administration (Provincial Administration) verbunden. Das Steering Committee trifft sich in Abständen, um die Aktivitäten der anderen Körperschaften zu beaufsichtigen (Interview E17). Das Advisory Committee war und ist für alle Landfragen wie z. B. Pachtfolge und Landkonflikte innerhalb des Bewässerungssystems zuständig und berät das NIB. Das Advisory Committee wurde ursprünglich von der Kolonialverwaltung gegründet, um die Verpachtung des Landes im Bewässerungssystem zu organisieren. Des Weiteren wurde es genutzt, um eine Kommunikation zwischen dem Manager und den Pächtern herzustellen, die hier repräsentiert waren. Ursprünglich saß der Manager dem Advisory Committee vor, heute wird ein Landwirt zum Vorsitzenden gewählt. Mit der Umstrukturierung wurden vor allem drei Bereiche aus den Managementstrukturen des NIB ausgegliedert: Anbau, Marketing und Forschung. Das Marketing wurde der Farmers Cooperative Society formal übertragen. Diese wurde bereits 1979 gegründet und zwei Jahre später registriert.

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Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Chambers 1973a: 139,154

Abbildung 3: Organigramm NIB-Management vor den Reformen von 2003

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Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Chambers 1973a: 139,154

Abbildung 4: Organigramm Management nach den Reformen von 2003

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Zu Beginn war es eine micro-saving Kooperative, später kamen Aufgaben der Vermarktung und des Transports hinzu. Zurzeit hat die Kooperative 432 registrierte Mitglieder (Manager Cooperative Society, Interview E11). De jure sollte die Kooperative zwar für die Vermarktung zuständig sein, de facto wurde dieser Bereich aber im Perkerra-Bewässerungssystem lange vom NIB betrieben. Lange Zeit sei die Kooperative „schlafend gewesen“, sie müsste nun wieder „aufgeweckt“ werden, so ein Landwirt (Interview S21). Zum Prozess der Umstrukturierung des Managements gehören auch die Änderungen der Zuständigkeiten der Kooperative. Auf der revitalisierten und erneuerten Agenda der Kooperative stehen die Bereitstellung von Mikrokrediten und Produktionsmitteln, Vermarktung der Produkte, Extension-Services und der Ausbau der Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien. Auch für die Vorbereitung der Ackerflächen wie das Pflügen und das Furchen sowie die Bereitstellung von Dünger und für den Abtransport ist die Kooperative nun zuständig. Die Farmers Cooperative Society besitzt daher Traktoren und Maschinen, die sie an seine Mitglieder leiht. Allerdings hat die Umfrage ergeben, dass lediglich 0,2 % der befragten Haushalte den Traktor der Farmers Cooperative Society nutzen. Über die Hälfte der befragten Haushalte leihen sich den Traktor zum Pflügen für einen Betrag von 3.000 KES von Bauern, die einen besitzen.42 Dies zeigt, dass vor allem private Akteure, d. h. wohlhabende Landwirte mit eigenen Traktoren, die Dienste der Farmers Cooperative Society übernehmen und die bislang wenig zur praktischen Feldarbeit beiträgt. Auch die Übertragung der Verantwortung im Bereich Vertragsanbau läuft langsam. Der Vertragsanbau mit Kenya Seed läuft immer noch über das NIB, als Vertragspartner. Diese führen die Verhandlungen mit dem Vertragspartner Kenya Seed Company. Nur langsam öffnen sie diese Strukturen und versuchen Raum für Partizipation der Bauernvertreter zu schaffen (mehr dazu in Kapitel 7.3). Der Bereich Forschung wurde vom Kenya Agricultural Research Institute (KARI) übernommen. Das staatliche Forschungsinstitut ist mit dem Landwirtschaftsministerium assoziiert. Auch die landwirtschaftlichen Beratungsdienstleistungen, die Extension-Services, sollen nun vom Landwirtschaftsministerium gestellt werden. Allerdings ist die Umsetzung bisher noch nicht weit fortgeschritten. Der Bereich Anbau und Wasserverteilung wurde der Bauernschaft übertragen. Dafür wurde die Water Users Association (WUA) gegründet. Sie übernimmt die Tätigkeiten, die vormals durch Angestellte des NIBs, wie den Feldassistenten und den Wasser-Guards, ausgeführt wurden. Alle Landpächter im Be42 Ein Fünftel gab an, dass sie sich den Traktor vom NIB leihen. 15 % gaben an, für den Traktor nicht bezahlen zu müssen und diesen von Bekannten zu bekommen.

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wässerungssystem haben das Recht auf Mitgliedschaft in der WUA. Die Leitung der WUA haben die Hauptkanalleiter43, die Blockleiter und die Zubringerkanalleiter inne. Es gibt um die 50 Zubringerkanalleiter, d. h. in der Regel zwischen zwei bis vier Leiter pro Block. Aus ihrer Mitte wählen die Zubringerleiter die Blockleiter, von denen es in Perkerra für jeden Block einen gibt, d.h. fünfzehn insgesamt. Die fünfzehn Blockleiter ernennen aus ihren Reihen wiederum die Hauptkanalleiter, die schließlich den WUA-Vorsitzenden bestimmen (Interview G1, Interview E8). Das WUA-Exekutivkomitee hat die leitenden Funktionen inne, dem der Vorsitzende und die Hauptkanalleiter angehören, die zusammen den sogenannten Apex bilden. Die Positionen des Vizevorsitzenden, des Schatzmeisters, des Sekretärs und des Vizesekretärs werden von den Apex-Mitgliedern übernommen. Alle drei Jahre sollen Wahlen stattfinden, in denen Kandidaten in die Führungspositionen gewählt werden. Laut dem By-laws sind die einzelnen Positionen vergütet, angefangen beim Vorsitzenden mit 4.000 KES im Monat bis zum Vizesekretär mit 2.000 KES im Monat. Die Blockleiter erhalten nur Spesen für die WUA-Treffen von 200 KES44, die Apex-Mitglieder von 500 KES und der Zubringerkanalleiter 250 KES. Die WUA ist für die Aufgaben des Wassermanagements im Rahmen des Vertragsanbaus mit dem Kenya Seed Unternehmen zuständig: Erstens planen sie das Anbauprogramm und legen fest, in welchem Block wann Maissamen für Kenya Seed und wann andere Feldfrüchte angebaut werden und wie der Rotationsplan für die Wasserverteilung folglich auszusehen hat. Zweitens sind sie für das Erheben der jährlichen Gebühren für die WUA-Mitgliedschaft (200 KES) zuständig. Drittens beaufsichtigen sie alle Aktivitäten, die im Bereich der Instandhaltung und im laufenden Betrieb ablaufen.45 Als viertes fallen Strafmaßnahmen bei Missachtung der Regeln in ihren Aufgabenbereich. In den By-laws,

43 Die Zuständigkeitsbereiche der Kanalleiter entsprechen Kanalabschnitten. Ein Zuständigkeitsbereich für einen Kanalleiter geht vom Einlass zu Kanalgabelung in Rund L-Kanal. Der R-Hauptkanal ist in drei Abschnitte, d. h. Zuständigkeitsbereiche, gegliedert und der L-Kanal in zwei. 44 Ein Gericht mit Fleisch in einem durchschnittlichen Restaurant in Marigat kostet um die 80-100 KES. 45 Die WUA ist für Betrieb und Wartung innerhalb der Sekundär- und Tertiärkanäle zuständig. Die Zuständigkeit für Betrieb und Wartung der Primärkanäle (der Kanal vom Fluss bis zur Verteilerbox in die L- und R-Kanäle sowie die Hauptkanäle L und R) liegt hier noch beim NIB.

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die es seit Mitte des Jahres 2011 in schriftlicher Form gibt, ist ein entsprechender Bestrafungskatalog zu finden.46 Implementierung des Partizipativen Managementmodells Das Management des Bewässerungssystems wird nun zunehmend in eine Governancestruktur umgebaut, in der verschiedene Organisationen Aufgaben und Tätigkeiten selbstständig übernehmen. Zu den Organisationen im neuen Governance Space gehören Kooperativen wie die Kredit- und die Bauernkooperativen, Wassernutzerorganisationen, aber auch staatliche Institute, wie das Forschungsinstitut und das NIB. Die Reformen werden langsam umgesetzt und sind in unterschiedlichen Bereichen unterschiedlich weit vorangeschritten. So ist die Übertragung des Vertragsanbaus auf die Farmers Cooperative Society weniger weit vorangeschritten (siehe mehr dazu in Kapitel 2.3.3) als die Wasserverteilung im Bewässerungssystem auf die Water Users Association. Diese wird ausschließlich von WUA-Mitarbeitern durchgeführt. In den rechtlichen Regelungen und Rahmen der WUA läuft es etwas langsamer, so wurden die By-laws erst 2011 verabschiedet. Auch, dass die Organisation nicht beim Ministerium für Wasser und Bewässerung, sondern bei einem anderen Ministerium (Ministry of Social Services) registriert ist, zeigt, dass die Übertragung in manchen Bereichen noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Ziel des Wasserministeriums ist es, mit der Verabschiedung der neuen Bewässerungspolicy die WUA im Wasserministerium zu registrieren. Der WUA-Vorsitzende des Perkerra-Bewässerungssystem fasst die jetzige Situation unter dem Managementmodell des „PIM“ (Participatory Irrigation Management) zusammen. Angepeiltes Ziel ist das „IMT“ (Irrigation Management Transfer)-Model, bei dem Produktion und Marketing vollständig in den Händen der Farmers Cooperative Society liegt und das NIB nur noch für die Infrastruktur zuständig ist (Interview E7). Unsichtbar? – Frauen im Bewässerungsmanagement Das Bewässerungswassermanagement in Perkerra stellt sich als ein stark gendersegregiertes Phänomen dar. Oorthuizen (2003) beobachtet in seiner Fallstudie zu Bewässerungsmanagement auf den Philippinen, einen graduellen Übergang, in dem die Identität einer aggressiven, körperlich starken Männlichkeit mit Gewaltbereitschaft im Wassermanagement durch eine professionelle Identität im 46 Delikte wie das Zerstören eines Schleusentorschlosses oder eines Tors in eine Verteilerbox, das Durchbrechen von Kanalwänden (Strafe von 2.000 KES), illegale Bewässerung oder illegale Verteilung von Bewässerungswasser (Strafe von 2.000 KES) werden geahndet. Des Weiteren wird bestimmt, dass kein Vieh im Bewässerungssystem gehalten werden darf.

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Wassermanagement, deren Durchsetzung auf guter Ausbildung und technischem Wissen beruht, ersetzt wird (Oorthuizen 2003, zit. in Zwarteveen 2008: 121). Oorthuizen (2003) beobachtete, dass in den Teilen des Bewässerungssystems, in denen die Wasserverteilung problemlos verlief, d. h. meistens in kanalaufwärts gelegenen Gebieten, Frauen eine führende Position im Wassermanagement einnahmen. Ihre Hauptaufgaben lagen dort in der Finanzverwaltung und der Erhebung der Wassergebühren. Hingegen wurden in Bewässerungssystemen, in denen es zu Wasserknappheit kam und Aushandlungen um Wasser auch zu physischen Konflikten führten, ausschließlich Männer als Wasserverteiler ernannt (Oorthuizen 2003, zit. in Zwarteveen 2008: 121). Dieser Übergang eröffnete auch Frauen z. B. als Bewässerungsingenieure, Positionen in der Bewässerungsbehörde zu übernehmen. Im Perkerra Management sind Frauen als einfache Bürokraft zu finden, z. B. als Sekretärin des Managers des Bewässerungssystems. Im Steering Committee, das grundlegende Entscheidungen trifft, ist die Position der Frauenvertreterin seit einigen Jahren eingeführt worden. Die Beobachtung Oorthuizen kann wie folgt für das Perkerra-Bewässerungssystem geteilt werden: Die Wasserverteilung „draußen im Feld“ wird von Männern ausgeübt, während Positionen im finanziellen Bereich, z. B. die des Schatzmeisters in kleinen Komitees sowie Bürotätigkeiten, auch von Frauen übernommen werden. Von den Autoritäten im Wassermanagement wurden Maskulinität betonende Begründungen herangezogen, warum für Frauen im Wassermanagement, z. B. als Blockleiter, kein Platz sei: Nur durchsetzungsfähige, körperlich starke und beanspruchbare Männer seien in der Lage das Wasser zu verteilen – auch nachts – und es im Notfall auch mit Gewalt gegenüber Gruppen anderer Kanäle zu verteidigen. Auch in einigen Gesprächen mit Landarbeitern und Landwirten wurde die maskuline Kraft hervorgehoben und die Bereitschaft auch mit Körpereinsatz das Wasser zu verteidigen. Bewässerung wird als eine männliche Aufgabe konstruiert, die mit den Eigenschaften belegt wird, die Männern zu geschrieben werden – physische Kraft, Aggressivität, Durchsetzungskraft, Entschlossenheit. 5.3.2 Die Rolle des Blockleiters – Position zwischen den Stühlen Die Reskalierung von Verantwortlichkeiten und Führungskompetenz ist, wie bereits im vorangegangenen Kapitel herausgestellt, vor allem im Bereich des Wassermanagements besonders weit vorangeschritten und hier wurde der Bauernschaft für das sekundäre und tertiäre Kanalsystem die Verantwortung übertragen. Durch die Bauernschaft gewählte Vertreter übernehmen die Führungspositionen

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der Blockleiter. Sie nehmen in der neuen Managementform eine entscheidende Rolle ein. Sie sind diejenigen, die für die Wasserverteilung und die Beaufsichtigung des Vertragsanbaus im Bewässerungssystem zuständig sind. Zwischen Macht und Ohnmacht – die Selbstführung des Blockleiters Die Blockleiter sind das Bindeglied zwischen den Landwirten in einem Block und dem zentralen Management. Der Blockleiter, der aus den Reihen der Landwirte eines Blocks gewählt wird, ist der Interessensvertreter des Blocks im gesamten Bewässerungssystem. Dabei sind seine Aufgaben sowohl auf die inneren wie auch auf die äußeren Angelegenheiten seines Blocks gerichtet: Er muss mit den anderen Blockleitern den Zugang zu Wasser für seinen Block aushandeln und auf die Wasserverteilung innerhalb des Blockes achten, damit jedem Bauern gleichviel und genügend Wasser zukommt. Der Blockleiter des Blocks R14Q beschreibt seine Aufgabe wie folgt: Eine gerechte Verteilung des Wassers zwischen den Bauern so zu gewährleisten und zu sichern, dass die Wasserverteilung zwischen den Blöcken wie vorgesehen läuft. Konflikte zwischen Bauern kann er schlichten und lösen, aber am knappen Vorhandensein von Wasser kann er nichts ändern (Interview E9). Ein weiterer Blockleiter vergleicht seine Befugnisse mit dem eines chiefs.47 Unrechtmäßige und illegale Handlungen von Landwirten müssen unterbunden und geahndet werden, wie z. B. das mehrmalige Verpachten eines Feldes an einen Bauern. Ein Aufgabenbereich, der nicht jeder in der Lage sei zu erfüllen, so ein Blockleiter. Diese Attribute wie „hart arbeitend“ und „alle gleich behandelnd“ werden einer erfolgreichen Ausfüllung der Arbeit zugeschrieben (Interview E9, Interview E8). Widerrechtliche Handlungen versucht der Blockleiter in den meisten Fällen direkt mit der Familie zu klären, ohne die Polizei oder andere formale Akteure einzubeziehen. Bei größeren Vergehen wie das Beschädigen von Kanalinfrastruktur werden jedoch in der Regel höhere Instanzen eingeschaltet. Die Durchsetzung der regulativen Regeln stellt den Blockleiter in manchen Fällen vor eine schwierige Aufgabe. So berichtete ein Blockleiter, dass der Wille sich an die Regeln zu halten bei manchen nicht besonders ausgeprägt sei und sie sich von Sanktionen nicht abschrecken ließen. „I see the farmers have a culture of taking the water by force even if you are there, they tell you ,go and report me‘ and you wonder who could be behind him“ (Blockleiter L1, Interview E10).

47 Chiefs sind vergleichbar mit Gemeindevorstehern oder Bürgermeistern. In Kenia werden diese staatlich ernannt. Hingegen wird der Gemeinderat in Kenia gewählt.

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Der Blockleiter weist vor allem auf das Problem hin, dass manche Landwirte sich durch politische Persönlichkeiten, wie dem Gemeinderat, geschützt fühlten. Ein Blockleiter berichtete, dass er Anweisungen vom Management bekam, bestimmte Personen, die regelwidrig gehandelt haben, ohne Strafen wieder ziehen zu lassen. Das verweist darauf, dass Verbindungen der Bauernschaften zu Personen mit politischen Ämtern genutzt werden, um die Wasserzufuhr zu sichern. Folglich nutzen einige Akteure Klientelbeziehungen, um die, wie Foucault es nennt, „Exekutive-Macht“ des Blockleiters zu um- und entgehen. Des Weiteren ist das Verhältnis der WUA-Vertreter und der Bauernschaft in manchen Fällen angespannt, so ein Blockleiter: „The WUA people are few and to make the matter worst they are farmers so they are not respected. The other farmers see them as being biased“ (Interview SP7).

So würde sich die Anleitung der Bauernschaft in manchen Fällen als schwierig gestalten, weil diese die Autorität der WUA-Leiter, die ebenfalls Landwirte seien, nicht anerkennen (mehr dazu in Kapitel 5.3.3). Der Blockleiter versucht durch seine Vorbildfunktion die Landwirte zu führen. Die Selbstführung spielt eine wichtige Rolle in der Ausübung der Position. Große Verantwortung – kaum Aufwandsentschädigung Dem Blockleiter kommt viel Verantwortung in der Wasserverteilung und der Beaufsichtigung des Vertragsanbaus zu. In manchen Fällen sind die Positionen des Zubringerleiters, des Blockleiters und des Hauptkanalleiters in einer Person vereint. Dies bedeutet für denjenigen einen sehr hohen Arbeitsaufwand. Grundsätzlich hängt die gesamte Verantwortung der Wasserverteilung und der Durchführung des Vertragsanbaus Kenya Seed in einem Block am Blockleiter. „The leadership at the scheme has been passed to the farmers but it will take time before they catch-up. In my block we have three feeder leaders, but they have left their duties to the block leaders. As a block leader I am the one giving the farmer water and the one writing the report of the block. The feeder leaders just do nothing but for receiving the salary they come. So the management transfer will take long because leaders are not ready. The block leaders cannot maintain the scheme by their own“ (Blockleiter L1, Interview E10).

Der Blockleiter vom Block L1 verweist auf das Problem, dass viele Aufgaben an ihm hängen bleiben und die Leiter der Zubringerkanäle ihre Tätigkeiten nicht ausreichend erfüllen. Er ist dafür verantwortlich, dass alle Felder bereit sind für die Kenya Seed-Produktion. In letzter Instanz ist der Blockleiter also für das Erfüllen von Aufgaben zuständig, die eigentlich die Landwirte hätten erledigen müssen. In allen Gesprächen mit Blockleitern wurde die hohe Arbeitsintensität

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während des Kenya Seed-Anbaus hervorgehoben – und das auf quasi freiwilliger Basis mit einer sehr geringen Aufwandsentschädigung. „Before the farmers were given the money for the input by NIB, the land was ploughed twice and narrow and then the ridge all by NIB. You see now the farmers want things to be like before, like money and the NIB to manage the farm“ (Blockleiter L1, Interview E10).

Nach Meinung des Blockleiters sind die Landwirte nicht bereit die neuen Aufgaben anzugehen, sie sehnen sich nach dem „Rundumpaket“ des NIBs. Dem Blockleiter kommt nun die Rolle zu, die Landwirte zu einem aktiven und unternehmerischen Subjekt anzuleiten. Für die Anleitung stehen bestimmte Machttechniken zu Verfügung. Aber die „Aktivierung“ des Subjekts, muss nicht unbedingt zu den erwünschten Zielen führen. So funktioniert in vielen Blöcken die gemeinschaftliche Reinigung der Kanäle durch die Bauernschaft nicht, daher hat man sich darauf geeinigt, sagt ein Blockleiter, dass alle Landwirte im Bewässerungssystem eine Summe von 400 KES bezahlen, womit Gelegenheitsarbeiter beauftragt werden, die Kanäle zu reinigen und sicherzustellen, dass die Felder abgeräumt sind. Diese Machttechnik erlaubt eine Auslagerung von Arbeit von den Landwirten auf bezahlte Arbeitskräfte. Dieses Modell würde gut laufen, so der Blockleiter, und das Geld werde durch die Schatzmeister der Blöcke eingesammelt. Die Bauern sehen die Zahlungen jedoch als eine zusätzliche Last an, die es unter dem NIB-Management nicht gab. Die Aufwandsentschädigungen für den Blockleiter und den Zubringerkanalleiter sind gering. Dies steht für viele Blockleiter/ Zubringerkanalleiter nicht im Verhältnis zu dem hohen Arbeitsaufwand während des Vertragsanbaus. Die Möglichkeit einer Bezahlung wurde bereits von den Blockleitern beim NIB angesprochen, doch diese sehen eine Bezahlung nur durchsetzbar mit der Erhöhung der Wassergebühren, die zurzeit bei 2.000 KES liegen. Nach der Einschätzung eines Blockleiters, wird es in Zukunft keine Möglichkeit zu einer schnellen Änderung dieser Verhältnisse geben, denn das Gesetz sehe vor, dass die Bauern sich selbstorganisieren sollten. Aber um das Programm wirklich zu erfüllen, müsste ein permanenter Wasser-Guard eingestellt werden. Dies würde auch das Verhältnis zwischen Leitung und Bauernschaft verbessern, so die Meinung des Blockleiters. Der Blockleiter nimmt eine Position zwischen den Stühlen ein: Er ist Landwirt und Führungsperson. Diese Doppelrolle bedeutet für ihn Zerrissenheit, viel Arbeit und Missgunst, aber auch eine Position, in der er Entscheidungen treffen und Regeln einführen kann. Ihm kommt die Funktion der Anleitung der Landwirte zu und das Strukturieren möglicher Handlungsfelder. Nach Foucault ist das Regieren von Menschen als ein bewegliches und wandlungsfähiges Gleichge-

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wicht von Techniken des Zwangs und der Subjektivierung zu verstehen. Die Führung der Landwirte durch den Blockleiter ist also ein Zusammenspiel von Zwang, im Sinne von Regeln anordnen, und der Selbstführung, im Sinne des Vorbilds eines Hartarbeitenden. Reskalierung oder Rezentralisation? In der neuen Governancestruktur ist die Bauernschaft über gewählte Vertreter intensiv in die Aufgaben des Wassermanagements eingebunden. Zu den Schattenseiten gehören jedoch die einseitige Verteilung von Arbeit auf einige Personen, die nun ihre Arbeitskraft quasi freiwillig zur Verfügung stellen, was zuvor durch bezahlte Angestellte abgedeckt wurde, und die zunehmende Abwälzung von zusätzlichen Kosten auf die Bauernschaft. Partizipation bedeutet somit nicht nur Einbeziehung in Entscheidungen, sondern auch die Partizipation in Form von zusätzlichen Kosten und erhöhter Arbeitskraft. Bezüglich der These der Rezentralisation, die davon ausgeht, dass Subjekte trotz neuer Handlungsspielräume und der Übertragung von Kompetenzen nicht weniger vom Staat regiert werden, erweckt es im Fall von Perkerra den Anschein, als sei Verantwortung – vor allem im Sinne von Arbeitsaufwand und Kosten – auf die Bauernvertreter „abgewälzt“ worden. Die gestiegene Verantwortung geht nicht unbedingt einher mit mehr Autonomie oder Entscheidungsfreiheit, da die Arbeitsabläufe des Vertragsanbaus von WUA und der Farmers Cooperative Society ganz klar eingehalten werden müssen. Die Bauernvertreter der WUA sind in dessen Planung zwar involviert, aber ihr Handlungsspielraum geht eher in Richtung Beratung und Durchführung mit wenig Spielraum für alternative Praktiken (z. B. Änderung der Vertragskonditionen im Vertragsanbau). Die Reskalierung im Management hat zwar neue Handlungsspielräume im Sinne eines Governance Space geschaffen, diese erscheinen jedoch grundsätzlich noch stark strukturiert von den bereits bestehenden Strukturen und Zwängen. 5.3.3 Der Managementwandel aus der Perspektive der Landwirte des Perkerra-Bewässerungssystems In diesem Abschnitt möchte ich zwei Annahmen, die aus der Literatur (Taylor 2007) bezüglich neuen Governance Spaces (siehe Kapitel 2.2.3) abgeleitet wurden, voranstellen, um sie im Anschluss zu diskutieren. Zum einen ist das die Annahme, dass es mit einem Transfer der Verantwortung zu einer Erhöhung von Transparenz und Rechenschaft bezüglich den Leistungen und Aufgaben im Wassermanagement kommt. Zum anderen, dass durch die Reskalierung der soziale

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Zusammenhalt auf lokaler Ebene erhöht wird und das Sozialkapital steigt (Taylor 2007). Die Managementformen im Meinungsspiegel Im Vergleich zu Mwea wurden die Veränderungen in den Managementstrukturen in Perkerra nicht von den Landwirten erkämpft, sondern als eine von der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) angeordnete Reform in Gang gesetzt. Die seit Anfang der 2000er-Jahre eingeführten Reformen werden von den Landwirten ganz unterschiedlich bewertet. Die Meinungen, unter welcher Managementform ein besserer Anbau möglich (gewesen) ist, gehen auseinander. Für manche ist die Water Users Association (WUA) als neue Institution in der Wasserverteilung und im Anbaumanagement eine Verbesserung (hier zu Vereinfachung kurz WUA-Management genannt), während andere sich die alten institutionellen Strukturen des NIBs zurückwünschen (im Folgenden NIB-Management genannt). Bei der Frage im Fragebogen, welches Management sie besser finden, lag das NIB-Management mit 60,8 % zu 39,2 % der Stimmen weit vor dem WUA-Management. Die Teilnehmer der Umfrage schrieben dem NIB-Management positive Aspekte zu, wie die Gewährleistung einer gleichen und gerechten Wasserverteilung, bei der alle Landwirte gleich behandelt werden und es keine Bevorzugung gibt. Der Aufschlüsselung der Gründe und der Häufigkeit ihrer Nennung zu Folge (siehe Tabelle 12), sind die Themen der Gerechtigkeit und keiner Bevorzugung weit vorne beim NIB-Management (Punkte 1, 2 und 5). Des Weiteren wurde noch die strenge Befolgung der Regeln unter dem NIBManagement hervorgehoben. Bei den Argumenten für das WUA-Management liegen eine gute Wasserverteilung und die Einhaltung der Regeln ebenfalls weit vorne. Allerdings wurde sie nicht so häufig genannt wie die ersten Punkte des NIB-Managements. Positiv bewertet wurden am WUA-Management das enge Verhältnis von Bauern und Leitung und das Engagement der WUA-Mitarbeiter für die Landwirte. Es ist wohl gerade dieses enge Verhältnis, das die Anhänger des NIB-Managements kritisieren. Ähnliche Themen wurden in den Gruppendiskussionen angesprochen.48 48 Es wurden Gruppendiskussionen mit weiblichen, unter 40-jährigen Teilnehmerinnen; mit weiblichen, über 45-jährigen Teilnehmerinnen; mit männlichen, unter 40-jährigen Teilnehmern; mit männlichen, über 45-jährigen Teilnehmern und mit einer gemischten Gruppe durchgeführt. Für das genaue methodische Vorgehen siehe Kapitel 3. Die Gruppendiskussionen wurden mit der Frage eröffnet, was wichtig ist für ein funktionierendes Wassermanagement im Bewässerungssystem und mit einem SpiderDiagramm visualisiert. Es wurden die genannten Faktoren diskutiert und schließlich gerankt, wie sie im Moment und wie sie zur Zeit des NIB-Managements ausgeprägt

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Tabelle 12: Welches Management war besser und warum? Meinungen und Gründe NIB 60,8%

WUA 39,2 %

gleiche und gerechte Wasserverteilung

gute Wasserverteilung

keine Bias, alle werden gleich behandelt

Befolgen das Programm und die Regeln

befolgen Regeln und das Programm

WUA kümmert sich um die Bauern

Assistieren den Bauern, auch im Feld

stehen den Bauern nah, gute Interaktion, kennen die Probleme gut

WUA ist voreingenommen und bevorzugend gegenüber manchen Bauern

gutes Management

gutes Management

Bauern haben eine Stimme im Management

keine Korruption

NIB war korrupt jetzige Führung kann abgewählt werden

sorgen sich um das Wohl der Bauern

WUA leistet gute Arbeit

Vielfalt an Anbaufrüchten

gute Ernte

Quelle: eigene Erhebung, n=93

Die „Gute Führung“ durch die Landwirte – oder die Frage der Neutralität Die Wichtigkeit einer „guten Führung“ für eine zuverlässige Wasserverteilung wurde in allen Gruppendiskussionen betont. Die Qualität für ein gutes Management wurde anhand der Wasserzufuhr und der Sicherung der eigenen Produktion, die eng mit der Einhaltung des Anbauprogramms verbunden war, gemessen. Die Leitung (Blockleiter, Zubringerkanalleiter, der WUA-Vorsitzende) sollten sicher gehen, dass das Anbauprogramm eingehalten wird und dass allen Landwirten im Anbauprogramm eine gerechte Wasserzufuhr zukommt. Diejenigen, die das WUA-Management positiv bewerteten, hoben hervor, dass Probleme zügig von WUA-Mitarbeitern, sogar oft vom WUA-Vorsitzenden, bearbeitet würden. Sie betonten den vollen Einsatz der WUA-Mitarsind/waren. In den Ergebnissen spiegeln sich keine Unterschiede der Gruppenmerkmale wider.

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beiter und die hohe Arbeitslast. In ihren Augen wird das Anbauprogramm sehr gut eingehalten, auch wenn das heißt, dass außerplanmäßiger Anbau (z. B. Surplus, der nicht im Programm ist) erschwert werde, da es kaum noch Wasser dafür gebe. Das Thema Korruption wurde in allen Diskussionen angesprochen. In den Gruppendiskussionen, in denen die Teilnehmer dem WUA-Management positiv gegenüber eingestellt waren, wurde entweder erklärt, dass es keine Korruption gebe, oder dass es immer schon Korruption gegeben habe, also auch unter dem NIB-Management. Damit versuchten sie die Korruptionsvorwürfe zu entkräften. In den Gruppendiskussionen waren jedoch viele dem WUA-Management gegenüber nicht sehr positiv eingestellt. Auch diejenigen, die die neue Leitung schätzten, räumten ein, dass es Wasserprobleme in den kanalabwärts gelegenen Blöcken gebe und die Leiter zwar nicht korrupt, aber dennoch parteiisch und befangen seien, während die NIB-Angestellten keinen bevorzugt hätten und neutral gewesen seien. Zu den positiven Elementen des NIB-Managements, die genannt wurden, gehören folgende: Alle Angestellte hätten ihren Bereich der Expertise. Die Bezahlung und die Regelung, dass sie kein Land besitzen dürften, stellten sicher, dass sie den Landwirten gegenüber neutral eingestellt wären. Die Frage ist jedoch, wie neutral die NIB-Angestellten wirklich waren. Es gab zwar die Regel, dass sie kein Feld im Bewässerungssystem besitzen durften. Viele Angestellte hatten trotzdem Zugang zu Feldern, indem sie die Felder auf Namen ihrer Familienmitglieder, wie z. B. der Frau, registrieren ließen. Die NIB-Angestellten der niedrigeren Führungspositionen wurden zumindest teilweise aus der Bauernschaft gestellt, die ebenfalls wie heute die WUA-Mitglieder in soziale Netzwerke eingebunden waren und Interessen verfolgten. Des Weiteren wurde dem NIB-Management positiv zugerechnet, dass die Angestellten, die ihre Aufgaben nicht zufriedenstellend ausübten, entlassen werden konnten. Dieser Mechanismus hätte dafür gesorgt, dass sie die Arbeit gut erledigten, weil sie Angst gehabt hätten ihre Arbeit zu verlieren, so die Teilnehmer. Die logische Schlussfolgerung für die Teilnehmer ist, dass die Mitarbeiter von WUA ihre Aufgabe nicht verantwortungsvoll erfüllen, da sie nicht entlassen werden können, weil sie nicht angestellt sind. Dass es die Möglichkeit einer Abwahl bei Unzufriedenheit gibt, sehen sie nicht. Die Zuschreibungen, dass die WUA-Mitarbeiter voreingenommen und NIBAngestellte neutral gewesen seien, kamen in den meisten Diskussionen immer wieder auf. Ressentiments gegenüber einem Management von Landwirten durch Landwirte waren häufig. „The WUA leaders are also farmers and there is no way a farmer can lead another farmer“ (Interview S24).

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„By now the cooperation is not good because the WUA are farmers and because of their selfishness and biaseness. It has led to enemity between farmers and thus affecting the relationship among farmers“ (Interview SP2).

In der ausgeprägtesten Form folgte die Argumentation folgender Linie: Die Leiter der WUA seien sehr voreingenommen und würden das Wasser unfair verteilen, sodass einige Landwirte stark benachteiligt würden und Ernteausfälle zu beklagen hätten. Um die Wasserverteilung zu verbessern, müsse es eine neutrale Leitung geben, die nicht aus der Region komme und die von WUA oder NIB angestellt werde. Der größte Hinderungsgrund an einer gerechten Wasserverteilung und somit an einer guten Produktivität sei, dass die Leitung sehr selbstsüchtig agiere, entlang von ethnischen Linien entscheide und Neid und Missgunst weit verbreitet seien. Bestimmte Positionen im Management seien durch eine Ethnie besetzt, was zur Benachteiligung der anderen Ethnien führe (dazu mehr in Kapitel 8.3). Die Führung in der Hand der Landwirte – Probleme der Autorität und Expertise Vielen älteren Teilnehmern sind die Leistungen des NIBs (wie z. B. der Hausbau für die Landwirte) in guter Erinnerung. Der NIB-Manager unter NIB-Management wurde als Autoritätsperson angesehen, der die Beziehungen und Konflikte zwischen den Bauern gut regeln konnte. Die konsequente Durchsetzung der Regeln während des NIB-Managements förderte die Moral der Bauern, so die Teilnehmer einer Diskussionsrunde. Die Anerkennung und das Respektieren der Leitung lässt sich an der Befolgung von Anordnungen erkennen, so einige Teilnehmer. Früher wurden regelmäßige Treffen vom NIB-Manager angeordnet, zu dem alle Landwirte gingen. Heute gebe es nur noch unregelmäßige Treffen und viele Landwirte würden nicht hingehen oder sich vertreten lassen. Die Teilnehmerinnen sprechen den Blockleitern nicht dieselbe Autorität zu, wie dem NIB-Manager und dem WUA-Vorsitzenden. Wichtige Informationen können hingegen nur von der obersten Leitung kommen. Der Blockleiter fungiert für sie nicht als Bindeglied zwischen der Bauernschaft und der oberen Leitung, durch den sie Informationen nach oben reichen können. Für sie ist nur ein direkter Weg zur oberen Leitung ein Garant dafür, dass die Probleme und Sorgen von ihnen auch bearbeitet werden. Dies verdeutlicht, wie wenig Vertrauen manche Landwirte gegenüber den WUA-Mitarbeitern haben. Das verdeutlicht aber auch, dass sie einen direkten Weg wählen, den einer flachen Hierarchie, ohne den Blockleiter als Bindeglied. Ein weiterer Grund für die Autoritätsschwierigkeiten der Blockleiter speist sich aus dem Problem der Expertise. So schreiben die Landwirte den früheren

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Angestellten des NIBs, wie z. B. dem Feldassistenten, der für die Beratung und Implementierung des Anbauprogramms zuständig war, eine große Expertise und Wissen zu. Der Blockleiter wird im Gegensatz als ein Landwirt gesehen, der lediglich eine Expertise wie jeder andere Landwirt mitbringt. Auch der Mechanismus der Wahl ist für sie kein Garant guter Arbeitsausführung und für eine Auflockerung der angespannten Lage zwischen den Bauern. Formal gesehen speisen die WUA-Mitarbeiter ihre Legitimation aus einer demokratischen Wahl. Dennoch wird diese Legitimation oft nicht anerkannt und garantiert der „Führungsperson“ nicht automatisch Autorität und das Vermögen, sich bei den Landwirten durchzusetzen. Für die Bauernschaft bleibt die Führungsperson in erster Linie ein Landwirt wie jeder andere, der mit den gleichen Fähigkeiten und Kenntnissen ausgestattet ist und auch mit den gleichen Bedürfnissen. Eines dieser Bedürfnisse ist vor allem ein landwirtschaftliches Prosperieren, welches auf einer guten Wasserzufuhr für ihn selbst und seiner Familie fußt. Somit liegt es für viele auf der Hand, dass die Leiter nur parteiisch und voreingenommen sein können, schon allein um ihre eigene Ernte zu sichern. Die Blockleiter müssen mit diesem Misstrauen arbeiten, sehen die Schuld für eine nicht reibungslose Wasserverteilung aber vor allem in unzureichenden technischen Mitteln (Interview SP7). Regeln und Sanktionen – in „Erinnerung schwelgen“ Bei den Gesprächen über Regeln, Sanktionen und die Einhaltung der Regeln gab es grundsätzlich drei Beispiele, die genannt wurden, um den Umgang mit Regeln zu demonstrieren: Ein positives Beispiel, welches die Strenge und Einhaltung der Regeln während des NIB-Managements demonstrieren soll, ist das des früheren Viehverschlags im Hof des NIB-Büros. Während heutzutage das Vieh unbeaufsichtigt und ungeahndet die Feldpflanzen im Bewässerungssystem zerstört, wurde es damals eingefangen und konfisziert. Dieses Beispiel wurde nicht nur oft in den Gruppendiskussionen angebracht, sondern kam auch immer wieder in anderen Gesprächen auf. Der heute verwaiste Viehverschlag ist für einige das Symbol für die einstige Durchsetzungskraft des NIB-Managements einerseits und für das Unvermögen der WUA andererseits. Als weiteres Beispiel wird folgender Vorfall genannt: Unbekannte hatten das linke Schleusentor der Hauptverteilungsbox zerstört. Dadurch ließ sich das Tor nicht mehr schließen, sodass eine Lenkung des Wassers alleinig in den rechten Kanal verhindert wurde und ab sofort in beiden Kanälen Wasser floss. Das Thema bestimmte in den nächsten Wochen die Gespräche im Bewässerungssystem. Dieser Vorfall und das Zerstören von weiteren kleineren Schleusentoren wurden

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nun als Paradebeispiele des moralischen Verfalls gedeutet. Dabei wurden verschiedenste Schuldzuweisungen gemacht. Die älteren Landwirte schoben dieses Verhalten den Jüngeren zu. Diese seien wild, aggressiv und ungeduldig. Sie seien nur auf das schnelle Geld mit dem Anbau von Tomaten und Melonen aus und würden für eine sichere Wasserzufuhr sogar wertvolle Infrastruktur zerstören. Jüngere Landwirte sahen die Schuldigen bei den „Leuten von außerhalb“, die sich in letzter Zeit im Bewässerungssystem eingepachtet hätten und denen die Zukunft des Bewässerungssystems nicht wichtig sei. Nach einer erfolgreichen Ernte würden diese wieder in ihre Heimatregion zurückkehren, daher seien sie moralisch und sozial ungebunden. Andere wiederum sehen die Schuld in der Vetternwirtschaft der Wasserverteilung. Es fände ein systematisches Ausschließen von der Wasserzufuhr durch die Bevorzugung anderer Landwirte statt. Eine unrechtmäßige Wasserentnahme wäre somit die einzige Möglichkeit, Wasser zum Bewässern des Feldes zu bekommen. Viele würden Vorfälle von zerstörter Infrastruktur nicht melden, da sie vom Wasserfluss ebenfalls profitierten. Zudem habe sich auch die Einstellung verbreitet, dass es auch nach einer Meldung keine Konsequenzen gebe. „Again you may report somebody who is a friend to the WUA chairman or someone who gave him a vote. So you don´t expect him to take any action on him“ (Interview SP8).

Das Vorhandensein von regulativen Regeln und deren Durchsetzung wurde in allen Gruppendiskussionen, bis auf zwei Ausnahmen, als wichtiges Element für eine gute Wasserverteilung genannt. In allen Diskussionen wurde sich an das NIB-Management mit einer strengen Implementierung der Regeln erinnert. Diese wurde als positiv eingeschätzt. Die Einhaltung der Regeln wurde durch ein strenges Durchgreifen und Sanktionieren erreicht. Dieses „Schwelgen in Erinnerung“ bot den Teilnehmern die Möglichkeit eine starke Kontrastfolie zu der heutigen Situation aufzubauen. In den meisten Diskussionen war man sich einig, dass es genügend Regeln gäbe, dieser aber nicht konsequent durchgesetzt werden würden. Dabei wurde das zerstörte Kanaltor als beliebtes Beispiel angeführt, um zum einen auf die Untätigkeit der Leitung und zum anderen auf das egoistische Verhalten einiger Landwirte hinzuweisen, die die kollektive Infrastruktur nicht respektieren würden und zu ihrem Vorteil auf Kosten des Kollektivs handelten. Es würden heutzutage Regelbrüche häufig nicht geahndet, so der Eindruck vieler Landwirte. Dies hänge auch wieder mit der Voreingenommenheit der Leitung zusammen, die nur selektiv Taten ahnde. Diese Selektivität in der Ahndung wird auf das demokratische Instrument der Wahl zurückgeführt. Ein Mechanismus zur Gewinnung von Stimmen sei die Milde bei Sanktionsvergaben.

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Förderung von Transparenz und sozialem Zusammenhalt? An dieser Stelle möchte ich auf die zu Anfang aufgestellten Annahmen eingehen: Eine Reskalierung der Verantwortung nach „unten“ in Form von Partizipation der Bauernschaft führe zu mehr Transparenz und erhöhter Rechenschaft in der Ausführung der Aufgaben sowie der Leistungen und fördere den sozialen Zusammenhalt der lokalen Gemeinschaft. Was die Punkte Transparenz und Rechenschaft betrifft, zeigen die Auswertungen der Gruppendiskussionen ein konträres Bild. Grundsätzlich wurde das Management unter NIB als positiv hervorgehoben. Dies lässt sich zum einen darauf zurückführen, dass es in einigen Fällen wirklich positiv in Erinnerung ist, zum anderen, dass es eine Kontrastfolie für die Unzufriedenheit mit dem jetzigen Management bildet. Letztlich liegt das NIB-Management in der Vergangenheit und könnte daher auch positiver in Erinnerung gehalten werden, als es damals angesehen wurde. Das heutige, durch Partizipation der Bauernschaft gekennzeichnete, Management wird von vielen als intransparent angesehen. Das Management weist nur schwach ausgeprägte Mechanismen auf, die Leitung zur Rechenschaft zu ziehen. Das geringe Maß an Transparenz kommt vor allem von einer grundsätzlichen Skepsis der Bauernschaft gegenüber den Bauernvertretern im Wassermanagement. Dies führt zum Hinterfragen von bestimmten Wasserverteilungspraxen. Grundsätzlich gewann ich den Eindruck, dass der Diskurs um Bevorzugung und Voreingenommenheit ein mächtiger ist. Viele greifen auf dieses Deutungsschema zurück, wenn es um Fragen von Kooperation zwischen der Bauernschaft und der WUA geht. Ein Mechanismus der Rechenschaft, wie z. B. Möglichkeit der Abwahl bei unzufriedener Leistung, wird von vielen nicht als solcher erkannt. Viele Ältere haben die Regeln des NIB-Managements verinnerlicht, sie sind für sie zu normativen Regeln geworden. Mit dem WUA-Management haben sich einige regulative Regeln geändert, die eine veränderte Logik mitbringen, beispiels-

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Abbildung 5: Spider-Diagramm I „Was macht eine gute Wasserverteilung aus?“

Gute Kooperation zwischen Landwirten u. Leitung

Teilnehmerinnen über 45 Jahre Aus Kampi Wakulima 21.10.11

früher Gutes Anbauprogramm

heute

+

-

Wassermanagement

heute Gute Führung früher NIB-Management WUA-Management +-

Regeln müssen eingehalten werden

Infrastruktur

positive, negative Einschätzung

Quelle: eigene Erhebung

Fotos 6: Teilnehmerinnen aus Kampi Wakulima

Gute Kooperation zwischen den Landwirten

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Abbildung 6: Spider-Diagramm II „Was macht eine gute Wasserverteilung aus?“ Teilnehmer unter 45 Jahren aus R7 21.10.11

Gute Leiter, die nicht korrupt sind

Transparenz

Bauern sollten die Regeln befolgen

früher heute

Vorhandensein von Regeln und Regulation

Gleichheit in der Wasserverteilung

-

+

Wassermanagement

Wartung und Reparatur der Kanäle

Durchsetzung der Regeln

NIB-Management WUA-Management

+ -

Gute Infrastruktur

Positive, negative Einschätzung

Quelle: eigene Erhebung

Fotos 7: Teilnehmer aus R7

Gutes Anbauprogramm

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weise, dass die Wasserverteiler nicht mehr von den staatlichen Behörden ernannt werden, sondern nun von der Bauernschaft gewählt werden. Diese veränderten Logiken und regulativen Regeln, müssen nun erst einmal verinnerlicht und zu normativen Regeln werden. Dennoch gibt es wohl einige Logiken, wie zum Beispiel, dass Landwirte als erstes ihr eigenes wirtschaftliches Vorankommen im Blick haben und dann erst das der anderen, die so leicht nicht aufgelöst werden können. Durch die Einbindung der Bauernschaft in die Verantwortungstätigkeiten des Managements, scheint es, hat die Politisierung der Wasserverteilung stark zugenommen. Unterstellungen von Voreingenommenheit und Missgunst, werden von den Kritikern der WUA-Leitung vorgebracht. Ein Blockleiter erklärt mir die politisierte Stimmung: Aufgrund von „politics“ fragen die Menschen warum wurde der gewählt und nicht der? (Interview SP7). Hier wird deutlich, dass der Zugang zur Ressource Wasser sowie eine Wahl in ein WUA-Amt mit einer Aushandlung von Machtverhältnissen verbunden sind. Eine Verbesserung des sozialen Zusammenhalts innerhalb der Bauernschaft konnte aus den Gruppendiskussionen nicht herausgelesen werden. Für viele Landwirte ist die Involvierung der Bauernschaft in das Management mit Korruption und Seilschaften verbunden, die diametral einer neutralen und gerechten Wasserverteilung gegenüberstehen. Dies sind somit keine positiven Auswirkungen von Sozialkapital, sondern weisen auf Formen des unsozialen Kapitals hin (Bohle 2005). 5.3.4 Zwischenfazit – Reskalierung und neue Governance Spaces? Durch die Reskalierung, die sich in einer neuen Governancestruktur ausdrückt, in der neue Akteure wie Bauernorganisationen, aber auch weitere staatliche Akteure Aufgabenbereiche und Verantwortungen übernehmen, wird ein neuer Governance Space geschaffen. Das Transferieren von Verantwortlichkeiten nach „unten“ und der Rückzug des Staates werden in der Gouvernementalitätsliteratur auch als eine Technologie des Regierens diskutiert, wodurch die Kosten und die Verantwortungen vom Staat auf die communities und die „mündigen und rationalen Individuen“ (Taylor 2007: 301–302) übertragen werden. In der neuen Governancestruktur ist die Bauernschaft über gewählte Vertreter intensiv in die Aufgaben des Wassermanagements eingebunden. Diese Regierungspraktik hat jedoch nicht nur positive Seiten und Effekte, wie oft in Policy-Empfehlungen dargestellt wird. So ist zum Beispiel die Reduzierung der staatlichen Kosten im Bewässerungssystem nicht gleichzusetzen mit der Reduzierung der gesamten Betriebskosten. Die Kosten, die zuvor vom Staat abgedeckt wurden, werden um-

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verteilt. Die Aufgaben der entlassenen Angestellten müssen auf andere übertragen werden, die häufig nicht oder unterbezahlt werden. Zu den Schattenseiten gehören die einseitige Verteilung von Arbeit auf einige Personen, die nun freiwillig ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen, was zuvor durch bezahlte Angestellte abgedeckt wurde, und die zunehmende Abwälzung von zusätzlichen Kosten auf die Bauernschaft. Durch ein partizipatives Management erhöht sich auch der Arbeitsaufwand der Bauern. Dies sind meistens nicht-quantifizierte Transaktionskosten, die in Form von vermehrten Treffen, Aufgabenübernahme und weiteren Einsätzen auftreten (Meinzen-Dick 1997: 114). Des Weiteren sind die Vertreter und Mitglieder von Bauernorganisationen oft nicht genügend ausgebildet, um komplexe Managementaufgaben sofort effizient zu erfüllen, wie im Falle der Farmers Cooperative Society. Zudem wurde ihnen oft ein marodes System mit unzureichenden finanziellen Mitteln hinterlassen. Doch es ist nun ihrem eigenen Unternehmertum, ihrer Flexibilität und ihrer Erfindungsgabe belassen, wie sie die Aufgaben meistern. Wie Atkinson hervorhebt „The danger is that, having signed up to achieve the unachievable, they will end up being condemned as the authors of their own exclusion“ (Atkinson 2003: 102, zit. in Taylor 2007: 302). Partizipation bedeutet somit nicht nur Einbeziehung in Entscheidungen, sondern auch die Partizipation in Form von zusätzlichen Kosten, erhöhter Arbeitskraft und die Konfrontation mit Aufgaben, die die Kapazitäten der Zuständigen überschreiten. Der neue Governance Space scheint durch den Rückzug des Staates zu einem neoliberalen Raum zu werden, in dem das Individuum mit neuer Verantwortung übermächtigen Aufgaben gegenüber steht, so wie im Falle des Blockleiters. Den Blockleitern kommt im Wassermanagement eine Position „zwischen den Stühlen“ zu. Aus ihrer Sicht haben sie es zum einen mit einer hohen, fast unbezahlten Arbeitsbelastung zu tun, insbesondere während des Zeitraums des Anbaus der vertraglichen Anbaufrucht (Kenya Seed), und zum anderen mit der Skepsis gegenüber ihren Entscheidungen von einigen Landwirten. Die Mehrheit der Landwirte hing dem staatlichen Management an. Sie sahen ein bauerngeführtes Management für schwierig an und hoben vor allem Voreingenommenheit und Befangenheit der bäuerlichen Leitung hervor. Diese Ergebnisse bestätigen soweit nicht die in der Literatur vertretenen positiven Resultate eines partizipativen Managements von „unten“, die vor allem eine Stärkung des sozialen Zusammenhalts und des sozialen Kapitals betonten. Die Ergebnisse lassen eine Deutung zu, dass es sich hier nicht um eine Herausbildung positiven Sozialkapitals, sondern um eine Form, die Bohle (2005) „unsoziales Kapital“ nannte, handelt.

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Des Weiteren muss bezüglich der These der Rezentralisation angemerkt werden, dass es den Anschein erweckt, als sei Verantwortung im Sinne von Arbeitsaufwand und Kosten auf die Bauernvertreter abgewälzt worden, die nicht unbedingt mit mehr Autonomie oder Entscheidungsfreiheit einhergeht. Denn die Arbeitsabläufe im Vertragsanbau müssen ganz klar eingehalten werden. In dessen Planung sind die Bauernvertreter der WUA zwar involviert, aber ihr Handlungsspielraum geht eher in Richtung Beratung und Durchführung mit wenig Spielraum für Alternatives. Die Reskalierung im Management hat zwar neue Handlungsspielräume, im Sinne von Governance Spaces geschaffen, diese erscheinen jedoch, vor allem was den Bereich des Vertragsanbaus an geht, noch stark strukturiert von vormals bestehenden Strukturen und Zwängen. Dies kann jedoch auch positiv als eine langsames Heranführen und Hereinwachsen in die neuen Aufgaben ausgelegt werden. Dies ist als eine Lehre aus den Vorgängen in Mwea zu werten, da ein vorschnelles „Vorpreschen“ der Bauernschaft mit dem Anreißen vollkommener Autonomie ebenfalls nicht überlebensfähig war. Wie dann langfristig das Verhältnis von Staat und Bauernschaft und die Autonomie der Bauernschaft aussehen wird und ob diese erreicht werden kann, wird zu sehen sein.

5.4 R ESKALIERUNGEN IM W ASSERSEKTOR – DER W ATER A CT 2002 “The water sector reform was a planned reform - the irrigation reform was a crisis activity” (NIB Irrigation Chief Officer, Interview E4), antwortete der NIB Irrigation Officer im Hauptquartier auf meine Frage, in welchem Zusammenhang die Reformen im Bewässerungssektor mit den Reformen im Wassersektor stünden. Mit dem Water Act 2002, den die damals frisch gewählte NARCRegierung49 verabschiedete, wurden Reformen im gesamten Wassersektor eingeleitet. Diese sollen hier kurz erläutert werden und in Bezug zum Bewässerungssektor gesetzt werden. Des Weiteren ist dies ein Beispiel wie unterschiedliche Reformprogramme verschiedener Behörden eines Ministeriums einer Regierung zusammenspielen (Li 2007). Mit der Reform ging vor allem ein institutioneller Um- und Aufbau einher. So wurden die Aufgaben zwischen den Behörden des Ministeriums für Wasser und Bewässerung neu verteilt. Wasserressourcenmanagement und Entwicklung 49 Die National Alliance Rainbow Coalition gewann 2002 die Wahlen. Mwai Kibaki wurde Präsident (2002-2013).

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wurden vom Bereich der Trinkwasserbereitstellung getrennt. Dem Ministerium kommt nun allein die Rolle der Policy-Formulierung, Implementierung und dem Monitoring zu, während die neugegründeten Behörden, die dem Ministerium unterstehen, für das Wasserressourcenmanagement und die Trinkwasserversorgung zuständig sind. Das Recht des gesamten Wasserressourcenmanagements und der Wassernutzung liegt in den Händen des Staates und somit beim Ministerium für Wasser und Bewässerung und wird durch den Water Act 2002 geregelt (The Water Act 2002). Eine der Hauptkomponenten der Reform ist die Dezentralisierung der Wasserversorgung und die partizipative Einbindung der Gemeinden in Entscheidungsprozesse darüber, wie Wasser genutzt und verteilt werden soll. Zu den neu geschaffenen Behörden gehören neben anderen das Water Services Regulatory Board (WASREB), zuständig für die Abwasserregelung und die Trinkwasserversorgung, und die Water Resources Management Authority (WRMA), zuständig für das Wasserressourcenmanagement, den Schutz der Ressource und ihre Wasserqualität sowie die Wasserverteilung (Water Act 2002). Ein Instrument, das eine nachhaltige Nutzung herbeiführen soll, ist die Einführung von Wassernutzungsrechten, die von den Wassernutzern gekauft werden müssen. Es gibt verschiedene Kategorien von Wassernutzern. Die administrativen Grenzen für WRMA orientieren sich entlang der großen Wassereinzugsgebiete in Kenia. So ist Kenia in fünf große Wassereinzugsgebiete50 gegliedert und diese wieder in kleinere Einzugsgebiete, für die zuständige WRMA-Behörden aufgebaut wurden. In den kleineren Einzugsgebieten wurden River User Associations (RUA) gegründet. Die RUAs sind dafür zuständig, alle Nutzer an einem Fluss, oder Flussabschnitt, zu koordinieren. Die großflächigen Bewässerungssysteme stellen also einen der größeren Nutzer dar. Für das Perkerra-Bewässerungssystem gibt es keinen Wasserzähler. Die WRMA-Behörde in Kabarnet, zuständig für das Wassereinzugsgebiet des Perkerra-Flusses, ist für die Berechnung auf die Kooperation des NIB angewiesen. Die Kostenregelung der WRMA-Behörde in Kabarnet sieht vor, dass das Management des Bewässerungssystems angibt, wie viel Wasser benutzt wurde und dann für diese Menge zahlt.

50 Die fünf großen Wassereinzugsgebiete sind: Lake Victoria Basin, Rift Valley Basin, Athi River Basin, Tana River Basin, Ewaso Ngiro North Basin (UN-Water World Water Assessment Programme 2006).

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5.4.1 Die Einführung des Wassernutzrechts für das PerkerraBewässerungssystem Am folgenden Vorfall zeigt sich, dass die Einführung von Wassergebühren nicht immer reibungslos abläuft und dass sich die Kooperation zwischen den staatlichen Institutionen wie der Wasserressourcenmanagement-Behörde (WRMA) und der Nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) schwierig gestalten kann. Im Februar 2011 fielen die Kanäle im Bewässerungssystem trocken. Der Grund wurde bald gefunden. Am Kanaleinlass am Fluss hatte jemand eine Stauvorrichtung entfernt, sodass kein Wasser mehr in das Bewässerungssystem fließen konnte. Dem Perkerra-Bewässerungssystem wurde der Wasserhahn zugedreht. Was war geschehen? Die WRMA-Behörde hatte die Holzvorrichtung entfernt. Sie stellte eine Wasserrechnung von 1,2 Millionen KES (ca. 12.000 Euro), die bis auf die letzten Jahre zurückging. Solange die Rechnung nicht beglichen wurde, sollte es kein Wasser für das Bewässerungssystem geben. Das NIB hatte bislang versäumt die Rechnungen zu bezahlen, sodass sich diese große Summe angesammelt hatte, die nicht beglichen werden konnte. Im Folgenden sollen die unterschiedlichen Betroffenheiten und Sichtweisen vorgestellt werden: Die Narrative des WUA-Vorsitzenden und NIB-Mitarbeiter – die Perspektive der Bauernschaft “At the moment we are stealing from the government” so der Vorsitzende der Water Users Association (WUA). Mitarbeiter der Wasserressourcenmanagement-Behörde (WRMA) seien gekommen und hätten die Rechnung präsentiert. Als das NIB den Forderungen nicht nachkam, habe die WRMA die Holzrichtung entfernt. Eine Wasserentnahme sei nur mit einem Wassernutzungsrecht legal und diese habe das Perkerra-Bewässerungssystem gegenwärtig nicht, da es die Rechnung für das entnommene Wasser nicht bezahlt habe. Das NIB und die Bauern waren empört, dass die WRMA „auf einmal“ und „völlig unangekündigt“ die Rechnung übergeben und den Wasserfluss gestoppt hat. Es habe keine vorherigen Absprachen oder Konsultationen gegeben, so ein NIB-Angestellter. Viele Bauern seien über die Rolle und die Aufgaben der WRMA völlig im Unklaren. Sie sehen nicht ein, warum sie auf einmal eine höhere Wassergebühr51 bezahlen sollen, ohne eine Gegenleistung dafür zu erhalten. Die WRMA hat zwar Maßnahmen in Infrastruktur angekündigt, die Pläne seien bisher jedoch sehr vage. Die Bereitschaft für etwas zu zahlen, wofür es keine

51 Im Bewässerungssystem gibt es zurzeit eine Wassergebühr von 2.000 KES pro Anbausaison und Acre. Diese Gebühr wird an das NIB gezahlt.

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Gegenleistungen in Form von infrastruktureller und technologischer Verbesserung gibt, ist sehr gering. Der Vorsitzende der WUA sieht die Wassergebühr als eine zusätzliche Steuer und somit als eine weitere Last für die Bauern. Der Staat solle sie lieber unterstützen, so die Meinung vieler Bauern, damit die landwirtschaftliche Produktion verbessert werden könne, was schließlich zur Nahrungssicherung in der Region beitrage. „With this tax they are demoralizing the farmers to plant here. They should enable the farmers to produce here more not to put charges on them. The government should empower the farmers, so that the region is not depending on food relief“ (WUA-Vorsitzender, Interview E5).

Nachdem die WRMA die Holzvorrichtung entfernt und beschlagnahmt hatte, reagierten die Bauern und versuchten das Wasser mit Steinen zu stauen. Das Wasser in den Kanälen fließt illegal, so der WUA-Vorsitzende, aber die Provincial Administration akzeptiert es, da auch viele Haushalte vom Wasserfluss in den Kanälen abhängig sind, da sie ihren Wasserbedarf dadurch decken. In diesen Wochen nutzte das Bewässerungssystem illegal das Wasser. Der District Officer der Provincial Administration – die Vermittlerposition Mit der Entfernung der Stauvorrichtung wurde nicht nur die Wasserzufuhr für die landwirtschaftliche Nutzung im Bewässerungssystem abgeschnitten, sondern auch die Wasserversorgung von ca. 600 Haushalten, die sich über die Kanäle mit Wasser versorgen. Die Bauern handelten und blockten das Wasser mit großen Steinen im Fluss, sodass das Wasser wieder in den Einlass des Bewässerungssystems lief. Die entfernte Stauvorrichtung hatte das Wasser zwischen dem Bewässerungssystem und den flussabwärts gelegenen Dörfern aufgeteilt. Mit dem Blocken des Wassers durch die Steine bekamen die flussabwärtsgelegenen Dörfer jedoch nicht mehr genug Wasser, was zu Beschwerden der Dorfbewohner führte. Dies rief wiederum die Beamten der Provincial Administration auf den Plan, die auch für die Administration der flussabwärts gelegenen Dörfer zuständig ist. Sie richtete ein Rotationsprinzip ein, um die Wasserversorgung flussabwärts für Haushalte, Landwirtschaft und Vieh zu sichern. Es wurden vier Männer ernannt, die für Öffnung und Schließung der Blockade zuständig waren. Von 7.00 Uhr morgens bis 17.00 Uhr abends hatte das Bewässerungssystem Wasser, nachts floss das Wasser im Fluss. Da der Wasserstand in der Trockenzeit sehr niedrig ist, brauchte das Wasser die gesamte Nacht, um morgens die Dörfer flussabwärts zu erreichen.

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Die Narrative des WRMA-Managers – die Perspektive der Wasserressourcenmanagement Behörde Im Fall vom Perkerra-Bewässerungssystem überlässt die WRMA die Angabe der genutzten Wassermenge dem NIB. Das NIB habe die Rechnungen nicht bezahlt, die Beträge hätten sich akkumuliert, was nun zu einer solch hohen Summe geführt habe, die das NIB nicht bezahlen könnten, so lautete die Meinung des WRMA-Managers in Kabarnet. Die Maßnahme des „Wasserabdrehens“ nannte er „a small enforcement“ (Interview E23). Da die Bauern in der Trockenzeit sowieso nicht genug Wasser um anzupflanzen in den Kanälen hätten, käme keiner zu Schaden. In der Regenzeit, der landwirtschaftlichen Hochproduktionsphase, hätten sie so eine Maßnahme nicht durchgeführt. Nach Gesprächen mit dem NIB hätten WRMA einen geringen Wasserfluss in den Kanälen erlaubt, damit die wenigen Bauern, die etwas anbauten, ihre Pflanzen bewässern könnten. 5.4.2 Konflikthafte Aushandlung zwischen staatlichen Institutionen Das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Einstellungen bezüglicher der Einführung der Wasserpreise ist kein neues Phänomen (Maganga 2003; van Koppen et al. 2004), es ist allerdings bezeichnend, dass es zwischen zwei staatlichen Organisationen wie dem NIB, das es bereits seit der Unabhängigkeit Kenias gibt, und der recht neu gegründeten WRMA wenig Austausch und Sensibilisierung für ihre Policies gibt. Der Konflikt zwischen WRMA und NIB/WUA wurde ein paar Wochen später für beendet erklärt, WRMA und NIB/WUA trafen sich in Nairobi, um nach dem Säbelrasseln in Gesprächen eine Lösung für das Problem zu finden. Seitdem fließt das Wasser auch wieder offiziell in den Kanälen des Bewässerungssystems. An der Handlung der WRMA, die den Wasserhahn abdrehten, wird deutlich, dass das Bewässerungswasser im Bewässerungssystem vor allem in Bezug zum Anbau von cash crops gesetzt wird. Die Behörde hat somit einen rein formalen Blick auf die Wassernutzung, die die multiple Verwendung des Bewässerungswassers ausblendet. Wie in Kapitel 6.3.2 gezeigt, stellt es jedoch für viele Menschen die Trinkwasserversorgung dar (50 % der befragten Haushalte beziehen ihr Wasser aus dem Kanal) und ist zudem notwendig für das Bewässern von Gärten und anderen Anbauprodukten, die die tägliche Nahrungsgrundlage darstellen. Dies wird jedoch aus formal-institutioneller Sicht der WRMA nicht berücksichtigt.

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5.4.3 Zwischenfazit – Konflikte zwischen staatlichen Institutionen Der politisch-institutionelle Reskalierungsprozess, der durch den Water Act 2002 eingeläutet wurde, hat zu einer Verschiebung gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse geführt, durch die das NIB und die Bauern mit neuen Regelungen konfrontiert sind. Der beschriebene Fall ist ein Beispiel, wie die Einführung von Wasserrechten und die Bezahlung im Endeffekt umgesetzt werden. Es treffen unterschiedliche Rationalitäten aufeinander. Während der staatliche Akteur WRMA zum Ziel hat, die Nutzung der Wasserressourcen nachhaltig zu gestalten und ein Instrument der Finanzierung das Erheben von Wassergebühren ist, ist für die staatliche Bewässerungsbehörde, die mit der Nutzung der Ressource landwirtschaftliche Gewinne erzielen will, eine kostenlose Nutzung von Vorteil. Der Fall zeigt, dass durch die Neuordnung ein Aushandlungsprozess der unterschiedlichen Akteure in Gang gesetzt wird. Die Implementierung der Restrukturierung ist letztlich nicht durch ein einfaches „Durchdrücken“ von Gesetzen möglich, sondern durch die Schaffung eines Bewusstseins für die Notwendigkeit der zusätzlichen finanziellen Leistungen und die Bereitschaft zu kooperieren.

6 Verräumlichungen und Materialitäten des Bewässerungsdispositivs

Das Bewässerungsdispositiv drückt sich in räumlichen Arrangements aus, d. h. die sozialen Institutionen, die soziale Organisation und die Praktiken spiegeln sich im physischen Raum wider. Zu dem hier untersuchten Bewässerungsdispositiv gehören bestimmte institutionelle Regelungen bezüglich der Landverteilung und der Landnutzung (siehe Kapitel 5.1). Die Kräftelinien des Bewässerungsdispositivs wirken strukturierend, auch auf das Leben und die Wohnstruktur der Bewohner. Dazu gehören Gesetze und Regularien, wie das Leben im Bewässerungssystem hinsichtlich der landwirtschaftlichen Produktion organisiert sein soll. Mit der Organisation der landwirtschaftlichen Produktion ist dabei auch die Organisation des alltäglichen Lebens im Siedlungsbewässerungssystem verbunden. Dies spiegelt sich in den staatlichen Vorstellungen und Regelungen zur Wohn- und Siedlungsstruktur wider. Die Wohnstruktur wird durch Praktiken hergestellt. Diese Sichtbarkeiten und deren symbolische Gehalte werden durch Herstellungs- und Verwendungspraktiken produziert. Welche physisch-räumlichen wie auch organisatorischen Strukturen entstehen? • Wie eignen sich die Akteure diesen Raum an? • Wie gestalten sich die materiellen Verhältnisse (Land, Asset-Ausstattung) der

Landwirte? Mit der Gründung des Bewässerungssystems im kolonialen Kenia der 1950erJahre ging das Gebiet, zuvor Gemeindeland der Il Chamus, in Staatsbesitz über. Jedem angesiedelten Haushalt wurde im Schnitt drei bis vier Acres Land für landwirtschaftliche Zwecke und einen halben Acre im Siedlungsgebiet zum Wohnen zugeteilt (National Irrigation Board 2010b). Für diese Felder erhielten

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die Personen eine Konzession. Diese beinhaltet ein Nutzungsrecht52 des Landes für die Haushalte, mit dem sie bei der Bewässerungsbehörde registriert sind (siehe auch Kapitel 5.1.). Dieses Kapitel ist in drei Unterkapitel gegliedert. Das erste Unterkapitel stellt die Siedlungsstrukturen und Wohngrundstücke um das Bewässerungssystem und die Rolle der nationalen Bewässerungsbehörde in der Siedlungsplanung vor. Das zweite Unterkapitel analysiert die Nutzungs- und Besitzverhältnisse von landwirtschaftlichem Land der Haushalte. Dabei werden sowohl landwirtschaftliche Flächen innerhalb des formalen Bewässerungssystems wie außerhalb betrachtet. Im dritten Unterkapitel liegt der Fokus auf dem registrierten Land im Bewässerungssystem und beleuchtet die Besitzverhältnisse und Landmuster. Karte 4: Landwirtschaftliche Flächen außerhalb des Bewässerungssystems

Quelle: eigene Erhebung, Kartographie: Storbeck

52 Ein Nutzungsrecht ist kein privates Besitzrecht mit einem Eigentumstitel.

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 175

6.1 D IE S IEDLUNGEN UM DAS B EWÄSSERUNGSSYSTEM – O RDNUNG UND E NTWICKLUNG Laut den formalen Regeln des NIBs ist jedem Konzessionsinhaber, neben dem Land im Bewässerungssystem, ein Wohngrundstück von einem halben Acre zugewiesen. Die Grundstücke um das Bewässerungssystem sind durch eine Grundstücksvermessung in ein Register der nationalen Bewässerungsbehörde eingetragen. Die staatlich geplante Wohnsituation ist ein wichtiger Teil der Ordnung und der Regierung des Bewässerungssystems, festgeschrieben in den Regularien (z. B. Trust Land Irrigation Rules) des Bewässerungssystems, ausgeführt durch die Exekutive, d. h. das Management. Wie diese Ordnungsvorstellungen jedoch umgesetzt, wie sie ausgehandelt werden und welche Effekte sie hervorrufen, kann nur empirisch überprüft werden. Im folgenden Abschnitt stelle ich anhand einiger Eindrücke aus meinen Feldbeobachtungen die unterschiedlichen Siedlungsstrukturen heraus (Die Darstellung folgt den Siedlungen um das Bewässerungssystem, siehe Karte 4.): Die Siedlungen Kampi Wakulima und Ng´oswe ähneln sich an vielen Stellen. Die Grundstücke, auf denen ein oder zwei rechteckige Wellblech-Häuser stehen, sind durch Zäune oder Büsche markiert. Die Häuser liegen in grünen Gärten, Hühner laufen herum und manchmal grasen auch ein paar Ziegen, es reiht sich eingezäuntes Grundstück an Grundstück. Der Straße durch Kampi Wakulima Richtung der Siedlung Loropil folgend, änderte sich das grüne Garten-Bild bald und hinter dem letzten Garten ist Ng´osonik erreicht. Hier stehen die Wellblechhäuser dicht auf staubigem Grund. Die Menschen sind vor ihren Häusern mit allerlei Arbeiten beschäftigt, die Kinder rennen umher und spielen. Hier und dort wird ein Grundstück mit Kakteen begrenzt. Die Häuser sind kleiner und alles ist enger beisammen. Dann führt der Weg über ein paar festgetretene Sandberge, die schon seit längerem darauf warten, für bauliche Zwecke genutzt zu werden. Daneben stehen ein paar windschiefe Wellblechhäuser. Eines Tages nehme ich erneut die Straße nach Loropil und werde umgeleitet. Es wird nun gebaut, heißt es: eine Schule. Die windschiefen Wellblechhütten sind weg, die Menschen in den Wellblechhütten mussten gehen. Das ist so, wenn man hier illegal siedelt, wird mir erklärt. Ich fahre weiter, hinab durch das trockene Flussbett des periodischen Flusses, der in der Regenzeit die Felder in Loropil mit Wasser versorgt. Dann komme ich an die Ränder des Bewässerungssystems: Die Felder sind frisch gepflügt, mit großen dunkelbraunen Erdschollen. Ich biege in die Straße ein, sie führt entlang der Hauptkanäle und ist neu gemacht mit viel Schotter. Gut für den Traktor und die Lkws, aber schlecht für die vielen Fahrradfahrer: Die

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großen Steine stellen für die dünnen Reifen unüberwindbare Hindernisse dar. Ich schlage schnell den Weg nach Norden ein, kehre den Feldern und der steinigen Straße den Rücken zu. Nach wenigen Metern fahre ich über eine weite Ebene aus Staub und trockener Erde. Alles ist recht karg, einige Ziegen und Kuhherden sind unterwegs. Die Häuser sind jetzt rund, aus Lehm mit einem Strohdach: Block 4. Unter dem großen Baum der Siedlung sitzen Dorfbewohner und eine Frau verkauft ihr selbst gebrautes Bier. Für viele Feldarbeiter stellt das ihr Frühstück dar. Ich komme nach Loropil, hier stehen die runden, mit Stroh gedeckten Häuser in kleinen Grüppchen (compound), jedoch weit auseinander. Manche haben ihr Grundstück mit Kakteenzäunen markiert, andere haben ihren Hof (compound) mit Dornensträuchern eingezäunt. Die Siedlung ist durch eine Weite gekennzeichnet, die die Schultern des Grabenbruchs erkennen lässt. Die Weite lässt der Wohnbebauung mehr Raum, die Höfe wechseln mit Wiesen und Feldern. Loropil-Zentrum besteht aus einer Schule und acht kleinen eng beieinander an der Straße liegenden Wellblechhäusern, die als Geschäftsräume genutzt werden. Neben einigen häuslichen Gebrauchsartikeln, wie z. B. Seife, werden Softdrinks verkauft – warm, denn Strom für einen Kühlschrank gibt es nicht. Die Straße führt nun an den Extensionsfeldern vorbei und schließlich durch dicke Prosophisbüsche, deren stachelige Zweige auf die Straße ranken, wir sind in Sintaan. Die Siedlung liegt in einem Dickicht von Prosophis. Hier wird mir deutlich, dass diese sich schnell ausbreitende gebietsfremde invasive Pflanze alles im Griff hat. Betrachte ich die Stacheln, kann ich einmal mehr die Klage der Menschen verstehen, die zu Beginn der Saison in harter Arbeit die Felder von den Büschen befreien müssen. Die Siedlung R7 liegt direkt am großen R-Kanal, gegenüber dem Bewässerungsblock R7, der der Siedlung ihren Namen gibt. Hier stehen die Häuser an der Hauptstraße. Die Wellblechwände sind teilweise bunt bemalt und große, alte Akazien stehen am Wegrand, manche mitten auf der Straße. Unter den Bäumen auf Holzbänken sitzen Männer und tauschen sich über die neusten Fußballergebnisse aus. In Ndebes und R5 fahren wir durch den Schatten der jetzt überall wachsenden Akazienbäume, unter denen die Häuser verstreut stehen, Wellblechhäuser wechseln sich ab mit strohgedeckten Häusern. Diese Eindrücke zeigen auf, dass die Siedlungsstruktur in den Siedlungen um das Bewässerungssystem unterschiedlich ist. In den beiden Siedlungen Kampi Wakulima und Ng´oswe, nahe an der großen Verteilerbox, in der das Wasser in den L- und den R-Kanal geteilt wird, ist eine Planung der Siedlung am deutlichsten zu erkennen. Die Grundstücke sind gleichmäßig entlang der Straße angeordnet, die Grundstücksgrenzen durch Zäune und Hecken markiert. Aber nur die wenigsten Grundstücke in den restlichen Siedlungen um das Bewässerungssystem sind genau demarkiert und durch Zäune und Mauern abge-

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grenzt. Ein ehemaliger NIB-Assistent erklärt mir, dass die Menschen für 1.500 KES die Grenzen ihres Grundstücks erfahren können. Für viele ist das eine recht hohe Summe, die sie nicht aufbringen können, was dazu führt, dass viele Bewohner ihre genauen Grundstücksgrenzen nicht kennen, ein Grund für Unsicherheit und Streitigkeiten. Die Einzäunung und die damit verbundene Sicherung des Landes sind symbolischer Ausdruck des Wohlstands, denn nicht nur Bewässerungsland, sondern auch Grundstücke zum Wohnen sind knapp und umkämpft. Kampi Wakulima gehört zu den wohlhabendsten Siedlungen, hier wohnen erfolgreiche Geschäftsmänner, Landwirte und Politiker, die ihre Grundstücke durch Begrenzungen markieren und somit schützen. E10:

„In Kampi Wakulima the people who live there are organized: some are prominent business man, the chief lives there, the councilor is living there and successful farmers live there. That is why when the surveyors planned it the residents erected a fence immediately. In the case of block 4 the residents are not focused, they just think about drinking alcohol and they don’t have views with their life and then they are low income earners.“

JK:

„So there is also a plan for the other villages?“

E10:

„Yes, there is, everybody knows where the boundaries are but they don’t have order although they know about the plots. The NIB told them if you want to know the boundaries of our plot you have to pay 1500 KES for the surveyors to show you your boundaries.“ (Interview E10)

Der ehemalige NIB-Assistent führt das Verhalten der Menschen, die nicht ihre Grundstücke einzäunen, auf mangelnde Ordnung und Disziplin zurück. Denjenigen, die ihr Land nach der Registrierung beim NIB eingezäunt haben, schreibt er einen Sinn für Ordnung zu, den er in direkten Zusammenhang zu ihrem wirtschaftlichen Erfolgt stellt. In allen Siedlungen ist zu erkennen, dass die sehr wohlhabenden Bewohner ihre Grundstücke entweder mit Zäunen und Kakteenbüschen oder in einzelnen Fällen, wie in R5, sogar mit Mauern begrenzen.

178 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Fotos 8 links: Bewohner in Loropil, mit Kakteen eingegrenzter compound, rechts: Bewohnerin in Ng´oswe (beide wohlhabende Gruppe)

Das Phänomen des Einzäunens von Land ist ein Ordnungsprinzip, das eine Logik der Privatisierung und von privaten Eigentum ausdrückt. Auch Little et al. (2009) haben für die Gebiete östlich des Bewässerungssystems im Gemeindeland der Il Chamus diese Prozesse beobachtet. Es sind vor allem die wohlhabenden Haushalte, deren Mitglieder eine hohe Bildung und eine formale Anstellung aufweisen, die mehrere Acres des Gemeindelandes einzäunen und diese für Landwirtschaft und Viehhaltung nutzen, wie es vielfach in Loropil, der Siedlung nord-östlich des Bewässerungssystems, zu beobachten war. Dort sind große Teile an Land durch Kakteenhecken eingezäunt und „moderne“ rechteckige Wellblechhäuser stehen neben „traditionellen“ runden, mit Gras bedeckten Häusern. Dadurch wird das Gemeindeland zunehmend aufgeteilt und durch lokale Eliten angeeignet. Dies hat vor allem für die pastoralistische Viehhaltung Einschränkungen: Während früher das Gemeindeland gemeinschaftlich für das Grasen der Viehherden genutzt wurde, wird dies durch die Einzäunungen stetig schwieriger (Little et al. 2009), doch aufgrund der dichter werdenden Bevölkerung sind dies Prozesse, die zunehmen. Little et al. (2009) zitieren einen Beamten: „As an educated civil servant from the area explained, ,I had to fence off a large area because others were beginning to encroach near my homestead‘ (fieldnotes, June, 2004)“ (Little et al. 2009: o. S.). Die zunehmende Bevölkerung und die Ansiedlung von Menschen führt zu sogenanntem „land grabbing“. Dabei ist dies auf Gemeinde- wie auf staatlichem NIB-Land zu beobachten. Diese Landnahmen können unterschiedliche Konsequenzen haben: Wie im eingangs aufgeführten Beispiel gezeigt, wurden die Häuser von Zugezogenen einfach abgerissen, da das Land für eine Schule vorgesehen war. Auch ein anderer Vorfall erregte Ärgernis bei den Behörden und Bewohnern. So wurde Land, welches für den Straßenbau vorgesehen war, von einer Person in Besitz genommen, was nun dazu führt, dass viele Menschen einen

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Umweg zum Wassertank laufen müssen. Hier zeigen sich auch die unterschiedlichen Handlungsmöglichkeiten. Während die Wellblechhäuser der Zugezogenen abgerissen wurden, wird die durch den relativ wohlhabenden Landwirt zugebaute Straße hingenommen. Die zunehmende Landnahme und Verdichtung der Bevölkerung in den Siedlungen um das Bewässerungssystem haben das NIB veranlasst, die Grundstücke neu zu vermessen und allen Bewohner mit einer Konzession im Bewässerungssystem ein Grundstück von 0,5 Acre zuzuweisen, wie es das Gesetz vorsieht, denn nur mit einer neuen Raumordnung sei eine geordnete Entwicklung in den Siedlungsgebieten voranzutreiben. „NIB wants that every farmer has a plot. NIB wants it organized, so that development will easier take place“ (Vorsitzender des Advisory Committee, Interview E12).

Die Vermessung kann auch als ein erster Schritt zu einer Ausstellung von Landtiteln gewertet werden, d. h. eine Privatisierung des staatlichen Landes. Denn wenn es zur Ausstellung von Landtiteln kommt, wird dies sowohl für das Land im Bewässerungssystem wie auch für das Grundstück geschehen. Diejenigen, die in den Siedlungen leben, ohne eine Konzession für Land im Bewässerungssystem, müssen die Siedlungen verlassen, so der Vorsitzende des Advisory Committee, seien die Gesetze. „Those who don´t have land in the scheme will not be considered in the distribution of plots and have to move out. It will be a hard task, but there are laws“ (Vorsitzender des Advisory Committee, Interview E12).

Zu den Siedlungen, die auf staatlichem NIB-Land liegen, gehören, laut Vorsitzendem des Advisory Committee: Kampi Wakulima, Block 4, Loropil, R7, R5 und Ng´oswe (Interview E12). In der Umfrage gaben jedoch viele Haushalte in Loropil, R7, R5 und Ng´oswe an, ihr Grundstück läge auf Gemeindeland und nicht auf staatlichem NIB-Land (siehe Tabelle 14). Selbst in Kampi Wakulima, das bei den Verwaltungsbeamten als Vorbild gehandelt wird, gaben 35 % an, ihr Grundstück läge auf Gemeindeland. Diese Diskrepanz kann zum einen darauf zurückgeführt werden, dass die Haushalte ihr Grundstück nicht beim NIB registriert haben, zum anderen, dass sie das Land nicht offiziell vom NIB erhalten haben, sondern von ihrer Familie zugeteilt bekamen und die rechtliche Lage nicht kennen. Daran wird deutlich, dass die formalen Ordnungsprinzipien in den sozialen Wirklichkeiten der Menschen nur bedingt greifen. Das Ordnen, im Sinne der Vermessung und Demarkierung, ist zudem mit exkludierenden Mechanismen verbunden (wie die Demarkierung der Grenzen für 1.500 KES) und dient als Distinktionspraktik der wohlhabenden Gruppe.

180 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 13: Landverhältnisse der Stichprobe Landverhältnisse53

n

in %

verfügen über registriertes NIB-Land

106

41 %

verfügen über nicht-registriertes Land außerhalb des Bewässerungssystems

117

45 %

verfügen über registriertes NIB-Land und nichtregistriertes Land außerhalb des Bewässerungssystems

34

13 %

landlos und pachten Land54

14

5%

nicht eigenverantwortlich landwirtschaftlich aktiv (Feldarbeiter/HH, die kein Einkommen über Landwirtschaft beziehen)

50 (25/25)

19 % (9,5/9,5 %)

gaben an, landwirtschaftlich aktiv zu sein, haben aber keine genaueren Angaben zum Landbesitz gemacht

8

3%

Quelle: eigene Erhebung

Die quantitative Befragung in den Siedlungen zeigt, dass nur 41 % der befragten Haushalte eine Konzession besitzen und somit über registriertes NIB-Land im Bewässerungssystem verfügen. 81 % gaben jedoch an, landwirtschaftlich aktiv zu sein, d. h. eigenständig ein Stück Land, eigenes oder gepachtetes, zu bestellen (siehe Tabelle 13). Rechnet man die Feldarbeiter hinzu, sind 90 % der befragten Haushalte der Siedlungen direkt im landwirtschaftlichen Sektor aktiv. Die restlichen 10 % sind entweder Verwaltungsbeamte, staatliche Angestellte (wie Lehrer, Polizist) oder im gewerblichen Sektor tätig (z. B. Schreiner, Restaurantbetreiber).

53 Von den 261 befragten Haushalten gaben 81 % an, eigenverantwortlich landwirtschaftlich aktiv zu sein, also ein Stück Land, eigenes wie auch gepachtetes, zu bestellen. Die restlichen 50 Haushalte (19 %) spalten sich auf in Haushalte, in denen sich Haushaltsmitglieder als Feldarbeiter verdingen (Kibarua) (25 von den 50 HH) und in Haushalte, die überhaupt nicht in der Landwirtschaft aktiv sind. 54 Mit Pacht sind hier nicht die Konzessionen gemeint, sondern Pachtverhältnisse, die zwischen Konzessionsinhaber und Personen ohne Konzession entstehen können.

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Diese Zahlen lassen vermuten, dass die von der Bewässerungsbehörde geplante Umsiedlung der Bewohner ohne Konzession ein schwieriges bis unmögliches Unterfangen wird. Wie noch gezeigt wird, sind die klaren Ordnungsvorstellungen von Konzessionsinhaber und Nicht-Konzessionsinhaber mit klar getrennten Tätigkeitsfeldern, wie sie von der nationalen Bewässerungsbehörde vertreten wird, in der sozialen Realität nicht haltbar (siehe Kapitel 7). Dies wird auch in Tabelle 13 deutlich, welche die unterschiedlichen Landverhältnisse darlegt.

6.2 L ANDBESITZVERHÄLTNISSE UND LANDWIRTSCHAFTLICHE A KTIVITÄT S IEDLUNGEN

IN DEN

In diesem Kapitel wird ein Perspektivenwechsel vorgenommen. Bisher stand das Verhältnis von Führung und Bauernschaft im Zentrum der Betrachtung. Nun rücken die materiellen Verhältnisse der Landwirte im Bewässerungssystem in den Fokus. Ungleiche Zugänge der Akteure zu Land, Produktionsmitteln, Arbeit, Bildung und Kapitalien führen zu einer sozialen Differenzierung der Bauernschaft mit verschiedenen Handlungsmöglichkeiten und Asset-Ausstattungen. Diese Ungleichheiten lassen sich auch in den Landbesitzverhältnissen erkennen. Die aktuellen offiziellen Angaben zu den Landgrößen beziehen sich auf die Landgröße von drei bis vier Acres pro Haushalt, die jeder Konzessionsinhaber mit der Ansiedlung erhielt. Die quantitative Erhebung, die in den Siedlungen des Bewässerungssystems durchgeführt wurde, zeigt jedoch, dass heute ein heterogenes Bild mit verschiedenen Landbesitzmustern und unterschiedlichsten Feldgrößen pro Haushalt entstanden ist. Wie bereits im vorangegangenen Kapitel deutlich wurde, hat nur weniger als die Hälfte der Haushalte in den Siedlungen Land im Bewässerungssystem. Dennoch sind fast alle Haushalte in der Landwirtschaft aktiv, denn es besteht die Möglichkeit, innerhalb wie auch außerhalb des Bewässerungssystems Land zu bestellen. In Kampi Wakulima und im benachbarten Ng´osonik baut kein Haushalt der Stichprobe auf einem Feld außerhalb des Bewässerungssystems an. In Kampi Wakulima ist dies darauf zurückzuführen, dass 83 % der befragten landwirtschaftlich aktiven Haushalte über registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen. Dort sind auch die größten registrierten Felder pro Haushalt zu finden, was den Wohlstand von Kampi Wakulima widerspiegelt. Des Weiteren wurden viele Familien dort angesiedelt, die auf kein Gemeindeland in der Umgebung zurückgreifen können, was in den östlich gelegenen Siedlungen des Bewäs-

182 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

serungssystems eher möglich ist. In Kampi Wakulima siedeln hauptsächlich Menschen, die angaben, der ethnischen Gruppe der Tugen anzugehören und „deren Gemeindeland“ teilweise weiter entfernt liegt (zum einen südlich des Perkerra-Flusses, sowie in den Tugen Hills, westlich von Marigat). In R7, südöstlich des Bewässerungssystems, war die Quote der Konzessionsinhaber mit registriertem Land ebenfalls sehr hoch. Doch hier gab immerhin ein Drittel der Haushalte an, auch Felder am Fluss zu bestellen. Hier wird deutlich, dass die Verfügbarkeit von Wasser und Land in den Siedlungen die Möglichkeit zur Landwirtschaft außerhalb des Bewässerungssystems bedingen. Die quantitativen Daten bestätigen, dass die Möglichkeit außerhalb des formalen Bewässerungssystems Landwirtschaft zu betreiben, oft abhängig von dem Ort ist, an dem die Haushalte lokalisiert sind (siehe Tabelle 14 und Karte 4). Die Entfernung des Feldes für die Landwirte ist von Bedeutung, denn umso weiter weg das Feld liegt, umso aufwendiger wird die Bewirtschaftung. Viele Haushalte, die zwischen dem südlichen Rand des Bewässerungssystems und dem Perkerra-Fluss liegen, haben Felder an den Ufern des Perkerra-Flusses, die mit Pumpen bewässert werden. Die Bewässerung am Fluss ist allerdings ein relativ neues Phänomen, welches sich in seinem jetzigen Ausmaß erst in den letzten acht bis zehn Jahren entwickelt hat. In Loropil und Ng´oswe haben, im Gegensatz zu den anderen Siedlungen, deutlich weniger Haushalte registriertes Land im Bewässerungssystem (Loropil 30 % und Ng´oswe 27 %). Die Haushalte hier bestellen vor allem Land in der Siedlung. In Loropil leben hauptsächlich Menschen, die sich der ethnischen Gruppe der Il Chamus zugehörig fühlen und auf deren Gemeindeland das Bewässerungssystem errichtet wurde. Die Felder sind meistens in relativer Nähe zur Siedlung. So haben etwa drei Viertel der Haushalte in Loropil, die Felder außerhalb des Bewässerungssystems bestellen, ein Feld in der Siedlung. Die Felder in der Siedlung bekommen je nach Lage entweder Wasser aus dem Bewässerungssystem oder von einem periodischen Fluss in unmittelbarer Nähe. Dieser tritt während der Regenzeit über die Ufer und ermöglicht den Menschen unter anderem Papaya, Zwiebeln, Bohnen und Wassermelonen anzubauen. Viele Bewohner dort haben auch Felder in den Erweiterungsgebieten (Extension) des Bewässerungssystems, die noch nicht registriert sind (dazu mehr in Kapitel 7). Die ethnische Verteilung der Landbesitzverhältnisse im Bewässerungssystem ist politisiert (dazu ausführlich Kapitel 8). Vor allem die Einwanderung von Personen aus den Tugen Hills ist ein Politikum. In der Befragung gab jedoch nur ein sehr geringer Teil55 an, in den Tugen Hills geboren zu sein. 55 Im Umfragebogen gaben 25 Personen an, nach Marigat zugezogen zu sein (bei Haushalten mit männlichem Vorstand wurde auch die Frau, wenn vorhanden, berücksich-

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 183

Tabelle 14: Felder außerhalb des Bewässerungssystems

Loropil n = 58

Ng´oswe n = 34

R5 n = 84

R7 n =15

Gesamt n = 261

Felder in der Siedlung

65 %

15 %

3,5 %

0%

18 %

Felder am Fluss

2%

12 %

25 %

20 %

11 %

Felder im Extensionsgebiet

7%

0%

1%

0%

2%

Land im Wald

0%

23 %

2%

7%

4%

Land in Siedlung und im Extensionsgebiet

12 %

0%

0%

7%

3%

Land im LororoBewässerungssystem

0%

3%

0%

0%

0, 4 %

Land in Herkunftsregion (z. B. Kabartonjo, Kabarnet, Solai, Mogotio)

2%

6%

5%

0%

3%

Gesamte Felder außerhalb des Bewässerungssystems

88 %

59 %

37 %

34 %

41,4 %

Quelle: eigene Erhebung

tigt). Dabei war Hochzeit der am häufigsten genannte Grund, gefolgt von landwirtschaftlichen Gründen und Arbeitsmöglichkeiten. Flut, Dürre und Flucht vor Überfällen durch benachbarte ethnische Gruppen wurden nur von sehr wenigen genannt.

184 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 15: Übersicht der Stichprobe nach Siedlung Kampi Wakulima n = 41

Ng´oso -nik n = 29

Loropil n = 58

R7 n = 15

R5 n =84

Ng´os we n = 34

Gesamt n= 261

85 %

52 %

98 %

100 %

70 %

88 %

n= 211

15 %

48 %

2%

0%

30 %

12 %

n = 50

landwirtschaftl. aktive HH, die über registriertes NIB-Land verfügen

83 %

60 %

30 %

93 %

49 %

27 %

n= 210

Grundstücke NIB/Gemeindeland

65 %/ 35 %

14 %/ 86 %

0 %/ 100 %

0 %/ 100 %

29 %/ 71 %

35 %/ 65 %

n= 258

Land w. aktiv

ja

nein

Quelle: eigene Erhebung

Aus der Betrachtung der Landverhältnisse aller Haushalte wird ersichtlich, dass ein Drittel der Haushalte über drei bis vier Acre verfügt. Einige Haushalte stechen mit sehr großen Landflächen von 13–23 Acres heraus. Die Mehrheit dieser Haushalte haben Landflächen außerhalb Marigats (Eldoret, Kabartonjo, Kabarnet) und kommen somit auf diese verhältnismäßig großen Zahlen. Jedoch steht über 35 % der landwirtschaftlich aktiven Haushalte weniger als drei Acres zur Verfügung und um die 12 % besitzen kein Land. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass das Land an die Söhne aufgeteilt wird und somit durch die Erbteilung kleine Parzellen entstehen. In einigen Fällen haben die erwachsenen Söhne von Landwirten, die Land im Bewässerungssystem haben, das Land ihrer Eltern noch nicht geerbt. Sie werden in der Zukunft eine Konzession erhalten. Töchter werden bei der Vererbung von Land in der Regel nicht berücksichtigt und können über ihre Ehemänner Landzugang erhalten. Landsituation im Bewässerungssystem (registriertes NIB-Land) Alle Konzessionsinhaber sind mit ihren Feldern beim NIB registriert und haben dort ein NIB-Konto, worüber die Ein- und Auszahlungen für den Vertragsanbau geregelt werden. Die Konzessionsvereinbarungen können auf die Kinder übertragen werden, sodass diese das Land „erben“ können (ausführlich dazu in Kapitel 5.1). Früher kam es dazu, dass Land einer Person wieder entzogen wurde,

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wenn die landwirtschaftliche Produktion nicht erfolgreich war. Heute wird dies jedoch nicht mehr praktiziert, auch wenn manche Interviewpartner dies immer noch befürchten. Ein Blick auf die erhobenen Daten zum Landbesitz innerhalb des Bewässerungssystems lässt erkennen, dass inzwischen der Mehrheit der Konzessionsinhaber mehr oder auch weniger als drei Acres zur Verfügung stehen.56 Die ursprüngliche Verteilung, laut der alle Konzessionsinhaber drei Acre erhielten, und die auch heute noch offiziell als Besitzgröße pro Konzessionsinhaber angegeben wird, ist also bei weitem nicht mehr so einheitlich. 40 % der Haushalte, die über registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen, haben weniger als drei Acres. 30 % besitzen genau drei Acres und ebenfalls 30 % verfügen über mehr als drei Acres. Somit hat sich in den vergangenen Jahren ein Muster verschiedener Größen gebildet (siehe auch Diagramm 1). Diagramm 1: Gesamte Landverfügbarkeit der landwirtschaftlich aktiven Haushalte

Quelle: eigene Erhebung, n = 211, die Flächenzahlen enthalten sowohl Land, das sich im Bewässerungssystem befindet, wie auch Land außerhalb des Bewässerungssystems wie z. B. am Fluss. Die Grundstücksgrößen der Haushalte sind nicht inbegriffen

56 Die Anzahl der HH, die über beim NIB registriertes Land verfügen, beträgt insgesamt 106 HH von 261 befragten HH. 211 HH gaben an landwirtschaftlich aktiv zu sein und 50 HH betreiben keine Landwirtschaft.

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Dabei wurde die Registration des Landes auf den Namen einer weiteren Person des Haushalts, meistens auf den Namen des Sohns, vorgenommen. Dies ist die gängige Praxis von Haushalten, die über mehr als vier Acres verfügen und stellt eine Strategie dar, die regulative Regel, die den Besitz auf vier Acres beschränkt, zu umgehen. Zum Beispiel berichtet eine ältere Frau, dass ihr Mann drei Acres besaß, sie aber über kein Land verfügte. Nach der Vermessung und Registration des Landes im Bewässerungssystem seien einige Flächen übrig geblieben, von denen sie einiges Land gerodet und beim NIB registrieren ließ. Da ihr Mann jedoch schon drei Acres besaß, befürchtete sie, dass es Probleme geben könnte, und ließ das Land auf ihren Sohn registrieren (Interview S14). Diagramm 2: Verfügbarkeit von registriertem Land im Bewässerungssystem landwirtschaftlich aktiver Haushalte

Quelle: eigene Erhebung, n=211

Ungefähr die Hälfte der befragten Haushalte, die über NIB-Land verfügen, hat dieses direkt vom NIB erhalten. Die Registrierung von Land dauert bis heute an. Es ist möglich, dass Felder, die in den Bereichen der Extensionsgebiete liegen, schließlich vom NIB registriert werden. Über ein Drittel der Haushalte hat das Land von ihren Eltern geerbt, das heißt, sie sind in der zweiten oder dritten Generation als Landwirte tätig. In einzelnen Fällen wurde das Land käuflich erworben oder Frauen erhielten Land von ihrem Ehemann.

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6.3 D IE BASALEN GESELLSCHAFTLICHEN N ATURVERHÄLTNISSE – A RBEIT , B ILDUNG , E RNÄHRUNG UND L ANDNUTZUNG Nach der genaueren Untersuchung der Landverhältnisse liegt der Schwerpunkt in den beiden folgenden Kapiteln auf den basalen gesellschaftlichen Naturverhältnissen, insbesondere den Aspekten Arbeit, Bildung, Ernährung und Landnutzung. Um diese zu untersuchen, werden in Kapitel 6.3.1 die Haushalte bestimmten Wohlstandsgruppen zugeteilt und anhand quantitativer Daten hinsichtlich dieser Aspekte analysiert. Im Kapitel 6.3.3 versuche ich mithilfe qualitativer, zum Teil sehr persönlicher Daten, die Lebenswege verschiedener Menschen darzustellen. Durch die Einteilung der Haushalte in Gruppen schaffe ich neue Kategorien, unter die ich multiple Biographien und Identitäten homogenisierend vereine. Der Gefahr von Klassifikationen oder Gruppierungen bin ich mir bewusst. Wie Bourdieu bereits herausstellte: Es entsteht die Gefahr, „dass man theoretische Klassen, fiktive Gruppierungen, die nur auf dem Papier bestehen, kraft einer im Kopfe gefällten Wissenschaftlerentscheidung als reale Klassen wahrnimmt, als reale, in der Realität als solche bestehende Gruppen“ (Bourdieu 1988:23 in Lippuner 2005: 145). Die Gruppierungen wurden als eine Darstellungsform gewählt und zur Analyse gebildet, um die sozioökonomischen Relationen der Bevölkerung im Perkerra-Bewässerungssystem herauszustellen und dürfen nicht als eine real „bestehende Gruppe“ verstanden werden. Mit der Darstellung der biographischen Elemente im Anschluss soll daher wieder aufgezeigt werden, wie verschieden die Lebenspfade der Menschen sind, die in einer Gruppe anhand bestimmter Indikatoren zusammengefasst wurden. 6.3.1 Die Wohlstandsgruppen im Untersuchungsgebiet Im Folgenden werden die Wohlstandsgruppen vorgestellt (für das exakte methodische Vorgehen siehe Kapitel 3.4.3). Tabelle 16 sind die identifizierten Wohlstandsindikatoren zu entnehmen, anhand derer die Haushalte den Gruppen zugeordnet wurden.

188 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 16: Die Indikatoren des Wohlstands-Rankings • Physisches Kapital und Naturkapital wie Landbesitz, Vieh und Milchkühe, Besitz eines Steinhauses, Besitz von Mietshäusern

Die wohlhabende Gruppe

und Assets wie einem Traktor, Auto, Motorrad oder einer Maismühle

• Finanzkapital und Humankapital (aktiver Bauer/Geschäftsmann/ Staatsangestellter/Lehrer/Militär/Distriktverwaltung/Polizei

• Lohnarbeitsverhältnis der Ehefrau, z. B. Lehrerin • Ausbildung der Kinder (z. B. ein Universitäts- oder Collegebesuch/-abschluss) und das Arbeitsverhältnis der Kinder (z. B. Polizist, Lehrer) Die gehobene Mittelgruppe

• • • • •

Landbesitz, Viehbesitz Mehrere Ehefrauen Ausbildung der Kinder Weniger Assets (z. B. ein Motorrad) oder keine Assets Einige Haushalte wurden hier zugeteilt, die aus einer besser gestellten Familie kommen, aber noch jünger sind und deshalb erst am Anfang ihrer Karriere stehen.

• Einigen Haushalten gehört Land und sie sind in der LandwirtDie untere Mittelgruppe

schaft tätig.

• Einige gehen anderem Gewerbe nach (z. B. Zimmermann). • Die Schulgebühren der Kinder stellen eine große finanzielle Herausforderung dar.

• Oft kein Landbesitz, wenn Landbesitz vorhanden, dann sind die Die untere Gruppe

Haushalte jedoch landwirtschaftlich nicht aktiv und verpachten ihr Land in manchen Fällen.

• Besitz von wenig bis kein Vieh und kein Besitz von Assets. • Zu den Haupteinkommensquellen gehören Gelegenheitsarbeit (Kibarua) wie Feldarbeit, Häuserdecken, Köhlern und das Brauen des lokalen Biers (Busaa) und Schnaps (Shanga‘a).

• Oft wurden Schulabbruch und in einigen Fällen Alkoholprobleme erwähnt.

• Auch verarmte Witwen und alleinstehende Mütter mit Kindern wurden hier verortet.

• In einem Ortsteil wurden einige Haushalte, die als interne Flüchtlinge des Pokot/Il Chamus Konflikts in Kiserian und Mukutani angesehen werden können, identifiziert.

Quelle: eigene Erhebung

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M ATERIALITÄTEN I 189

Wohlhabende Gruppe In dieser Gruppe finden sich die höchsten Bildungsabschlüsse. 15 % dieser Gruppe haben oder streben einen Universitätsabschluss an. Ein weiteres Drittel hat eine Sekundärschule abgeschlossen oder höhere Qualifikationen wie einen College- oder Polytechnikabschluss. Dennoch sind auch in dieser Gruppe ein Drittel der Befragten entweder nie zu Schule gegangen oder haben die Grundschule57 abgebrochen (Tabelle 17). Der Bildungsabschluss spiegelt sich wiederum im Berufsspiegel dieser Gruppe wider. Die Hälfte hat einen Beruf mit geregeltem Einkommen (feste Anstellung im Staatsdienst). Drei Viertel aller Haushalte dieser Gruppe halten Vieh (im Durchschnitt um die 10 Stück Vieh) und 83 % halten Ziegen (im Durchschnitt um die 20 Ziegen). 50 % der Haushalte besitzen drei oder mehr als drei Acres registriertes NIB-Land (Tabelle 19). Wird die Landverfügbarkeit innerhalb und außerhalb des Bewässerungssystems zusammen betrachtet, steigt diese auf 65,7 % (Tabelle 20). Im Schnitt hat ein Haushalt der wohlhabenden Gruppe neun Mitglieder. Gehobene Mittelgruppe Während in der wohlhabenden Gruppe mehr Personen in einer Anstellung (Lehrer, Staatsbediensteter) als landwirtschaftlich tätig waren, sind in dieser Gruppe über die Hälfte als Landwirt tätig und nur ein Viertel in einer festen Anstellung (Tabelle 18). Dies spiegelt sich auch in der Landverfügbarkeit wider. 68,3 % der Haushalte können auf drei oder mehr Acres Land entweder innerhalb oder/und außerhalb des Bewässerungssystems zugreifen. 40 % der Haushalte besitzen mehr als drei Acres registriertes Land im Bewässerungssystem. Zu den Berufen der festen Anstellung zählen vor allem Polizist und Lehrer. Beim Bildungsstand ist der Unterschied zur wohlhabenden Gruppe eindeutig. So hat in dieser Gruppe um die Hälfte der Befragten keinen Grundschulabschluss, während in der wohlhabenden Gruppe die Rate nur bei einem Drittel liegt. Im Schnitt hat ein Haushalt der gehobenen Mittelgruppe sieben Mitglieder. Untere Mittelgruppe Die Beschäftigungsstruktur der unteren Mittelgruppe lässt deutlich erkennen, dass mehr als drei Viertel als Landwirt tätig sind. Festanstellungen sind nur noch Einzelfälle, was im Gegensatz zu den wohlhabenderen Gruppen steht. Selbstständige Arbeit beinhaltet Motorradtaxifahrer und Zimmermann. Zu der unteren Mittelgruppe können aber auch junge Haushalte zählen, die gerade anfangen, ih57 Das kenianische Bildungssystem ist wie folgt aufgebaut: sieben Jahre Grundschule, die im Normalfall mit 13 Jahren absolviert wird, vier Jahre Sekundärschule, zwei Jahre High School/College und drei bis fünf Jahre Universität.

190 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

re finanzielle Existenz aufzubauen und daher in Zukunft noch aufsteigen können. Der Anteil ohne Grundschulabschluss liegt auch hier bei über der Hälfte (57 %) der Befragten (Tabelle 17). In dieser Gruppe verfügen 74 % der Haushalte über kein registriertes NIB-Land (Tabelle 19). Nur 11 % der Haushalte verfügen über mehr als drei Acres an registriertem Land und nur jeder zweite Haushalt hat Rinder oder/und Ziegen. Auch die Anzahl der Milchkühe hat in dieser Gruppe im Vergleich zu den beiden bereits genannten Gruppen stark abgenommen. 41 % der Haushalte verfügen über mehr als drei Acres, die sowohl innerhalb wie außerhalb des Bewässerungssystems liegen können. Im Schnitt hat ein Haushalt dieser Gruppe sieben bis acht Mitglieder. Untere Gruppe In der unteren Gruppe haben 72 % der befragten Haushalte keine abgeschlossene Grundschulausbildung (Tabelle 17). Die Anzahl der Haushalte, die ihren Lebensunterhalt mit Gelegenheitsarbeit verdingen, ist mit 27 % im Vergleich zu den anderen Gruppen sehr groß (Tabelle 18). Festanstellungen sind selten und unter selbstständige Arbeit fallen Arbeiten wie die Reparatur von Zäunen, Köhlern, Schuhmacher, Motorradtaxi und Alkoholbrauen. 62 % der Haushalte verfügen über kein registriertes NIB-Land. Immerhin haben 20 % der Haushalte drei oder mehr als drei Acres registriertes NIB-Land (Tabelle 19). 38 % besitzen drei oder mehr als drei Acres Land entweder innerhalb oder außerhalb des Bewässerungssystems (Tabelle 20). Im Schnitt sind die Haushalte dieser Gruppe fünf bis sechs Mitglieder groß. Arbeiter Eine letzte Gruppe stellen die Menschen in der Siedlung Kampi Turkana dar. Da die dort lebende Bevölkerung nicht aktiv landwirtschaftlich tätig ist, d. h. eigenverantwortlich ein Feld bestellt, wurde diese Siedlung nicht in der quantitativen Befragung berücksichtigt. Dennoch sollte sie an dieser Stelle Erwähnung finden, da sie eine bedeutende Rolle für das Perkerra-Bewässerungssystem spielt. Ein häufiges Problem von großflächigen Bewässerungssystemen stellt die mangelnde Arbeitskraft zu bestimmten Zeiten dar (Ruigu 1988). Das PerkerraBewässerungssystem kann jedoch auf ein großes „Arbeitsreservoir“ zurückgreifen: In unmittelbarer Nähe von Kampi Wakulima liegt Kampi Turkana – „Camp der Turkana“. Dort leben fast ausschließlich Menschen, die sich der ethnischen Gruppe der Turkana angehörig fühlen und als Binnenflüchtlinge vor den gewaltvollen Konflikten zwischen Turkana und Pokot bei Kapedo seit den 1980erJahren flohen. Nur sehr wenige Haushalte verfügen über Land im Bewässerungssystem oder außerhalb. Die Menschen werden auf dem Land nur geduldet

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 191

und haben keinerlei Landrechte. Da den meisten Menschen in Kampi Turkana der Landbesitz versagt bleibt und es auch sonst kaum die Möglichkeit gibt, Land für Gärten oder Viehhaltung zu nutzen, gestaltet sich die Lebenssicherung für viele schwierig. Für sie bleiben lediglich die Feldarbeit übrig oder andere Tätigkeiten wie das Einsammeln und der Verkauf von Gemüse (z. B. Tomaten), das nach der Ernte auf dem Feld liegen geblieben ist, oder aufgrund der geringen Qualität aussortiert wurde. Eine weitere weitverbreitete Tätigkeit ist das Zerschlagen von Kieselsteinen in trockenen Flussbetten, um Kies für die Bautätigkeit zu gewinnen und diesen zu verkaufen. Die alltägliche Lebenssicherung sowie ein sozialer Aufstieg gestalten sich für diese Menschen äußerst schwierig. Fotos 9: Köhlern, Verkauf des lokalen Biers Busaa

192 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 17: Bildung Keine Schulbildung

Primar marschule abgebrochen

Primar marschulab abschluss

Sekundar -schule abgebrochen

Sekundarschulab abschluss

College abgeschlossen

Universitätsabschluss

anderes

Wohlhabende Gruppe (n = 34)

12

21

12

9

15

15

15

3

Gehob. Mittelgruppe (n = 69)

16

41

14,5

6

13

7

0

3

Untere Mittelgruppe (n = 46)

23

34

8,5

4

17

2

2

6

Untere Gruppe (n = 60)

28

43

10,0

3

13

2

0

0

in %

Tabelle 18: Tätigkeit Land wirtschaft + feste Anstel stellung

Selbst ständige Arbeit

eigene Viehhaltung

Land wirtschaft + eigene Viehhaltung

Betrei treiben eines Kiosks/ Imbiss

pensioniert

Gelegenheitsarbeit und Feldarbeit

in %

Land wirtschaft

feste Anstel stellung

Wohl. Gruppe (n =34)

35

38

12

6

3

0

0

6

0

Gehob. Mittelgruppe (n =69)

58

25

0

7

0

0

1

3

4

Untere Mittelgruppe (n =47)

70

6

0

6

4

6

4

0

2

Untere Gruppe (n =59)

46

3

0

15

5

0

2

2

27

Quelle: eigene Erhebung, in den Auswertungen der Tabellen 17 und 18 wurden nur die Haushaltsvorstände berücksichtigt

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 193

Tabelle 19: Registrierter Landbesitz innerhalb des Bewässerungssystems Landbesitz (in Acre / %)

0

0,5–2,5

3–4,5

5–6,5

7–8,5

Wohlhabende Gruppe (n = 32)

25

25

37,5

9

3

Gehobene Mittelgruppe (n = 64)

34

25

27

11

3

Untere Mittelgruppe (n = 46)

74

15

9

2

0

Untere Gruppe (n = 45)

62

18

18

2

0

Gesamt (n = 187)

49

21

22

6

2

Quelle: eigene Erhebung, ausschließlich die eigenständig landwirtschaftlich aktiven Haushalte wurden berücksichtigt

Tabelle 20: Landbesitz (innerhalb und außerhalb des Bewässerungssystems zusammen betrachtet) Landbesitz (in Acre / %)

0

0,5– 2,5

3–4,5

5–6,5

7–8,5

9–10,5

19– 23,5

Wohlhabende Gruppe (n = 32)

9

25

34

16

9

3

3

Gehobene Mittelgruppe (n = 63)

13

19

38

17

6

3

3

Untere Mittelgruppe (n = 45)

15

43,5

26

11

0

4

0

Untere Gruppe (n = 46)

13

49

24

9

2

2

0

Gesamt (n = 186)

13

33

31

13

4

3

2

Quelle: eigene Erhebung, ausschließliche Berücksichtigung der eigenständig landwirtschaftlich aktiven Haushalte

194 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

6.3.2 Ernährungssicherheit und Trinkwasserversorgung Die soziale Differenzierung, die in Kapitel 6.3.1 dargelegt wurde, spiegelt sich auch in der Ernährungslage wider, denn diese schwankt über das Jahr verteilt, je nach Saison. Die Haushalte sollten ihre Ernährungssituation für die einzelnen Monate einschätzen, dabei konnten sie zwischen adäquater, moderater und inadäquater Situation auswählen.58 Eine adäquate Situation wurde mit dem Zustand erklärt, genügend Essen zu haben, sodass keine Hungergefühle entstehen. Ein moderater Zustand wurde damit umschrieben, dass manchmal Hungergefühle verspürt würden. Eine inadäquate Situation ist durch sehr häufige Zustände von Hunger geprägt. Wie die Diagramme 3 bis 6 zeigen, gibt es in allen Wohlstandsgruppen nur eine kleine Prozentzahl von Haushalten, die sich während des ganzen Jahres als adäquat versorgt einstufen. Während der Frühjahrsmonate März, April und Mai ist die Ernährungslage bei den Haushalten der Stichprobe am angespanntesten. Die Haushalte der unteren Gruppe und der unteren Mittelgruppe, die angaben, inadäquat versorgt zu sein, steigen in diesen Monaten auf über 70 %. Auch bei den Haushalten der wohlhabenden Gruppe liegt der Wert bei 50 %. Die meisten Haushalte stehen dann kurz vor der ersten Ernte, die letzte Ernte liegt dann bereits mehrere Monate zurück, sodass alle Vorräte und finanziellen Rücklagen bis dahin aufgebraucht sind. Ab April sinkt die Rate der inadäquat versorgten Haushalte bis November, um dann wieder anzusteigen. In dieser Zeit (Mai bis November) liegen häufige Ernten von Mais, Tomaten, Bohnen und weiteren Feldfrüchten wie Grünkohl. Bis auf die untere Gruppe ist dieser saisonale Verlauf der Nahrungsversorgung gut zu erkennen. Bei der unteren Gruppe fallen während des ganzen Jahres um die 50 % der Haushalte in den inadäquaten Bereich. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass viele nicht eigenständig landwirtschaftlich aktiv sind und daher auch der saisonale Verlauf nicht so ausgeprägt ist wie in den anderen Gruppen.

58 Pinstrup-Andersen (2009) weist auf die Problematik der Intra-Haushaltsdifferenzen bzgl. Nahrungssicherheit hin.

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

Diagramm 3: Nahrungssicherheit wohlhabende Gruppe

Quelle: eigene Erhebung, n = 35

Diagramm 4: Nahrungssicherheit gehobene Mittelgruppe

Quelle: eigene Erhebung, n = 70

M ATERIALITÄTEN I 195

196 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Diagramm 5: Untere Mittelgruppe

Quelle: eigene Erhebung, n = 48

Diagramm 6: Untere Gruppe

Quelle: eigene Erhebung, n = 69

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 197

Fotos 10: Mais gehört zu den wichtigsten Nahrungsmitteln

Trinkwasserversorgung und haushaltsbezogene Wasserversorgung sind für viele Haushalte ebenfalls prekär. So gehört die Wasserversorgung über den Tank (öffentlicher Wasserhahn), über das Bohrloch sowie über die Wasserleitung auf dem Grundstück in die Kategorie sichere Wasserversorgung.59 Lediglich 28 % der befragten Haushalte verfügen über eine sichere Wasserversorgung. 72 % der befragten Haushalte beziehen somit Wasser über eine ungesicherte Wasserquelle: 50 % der Haushalte beziehen ihr Wasser von den Bewässerungskanälen des Bewässerungssystems und 22 % direkt vom Perkerra-Fluss (siehe Tabelle 21). Der Fluss und die Bewässerungskanäle werden zudem auch als Tränke für das Vieh genutzt, Dünger und Schadstoffe von Pestiziden werden ebenfalls in das Wasser eingetragen. Die Trinkwasserversorgung über den Bewässerungskanal läuft durch alle Wohlstandsgruppen. In allen Wohlstandsgruppen versorgen sich über die Hälfte der Haushalte über den Kanal. Bei der wohlhabenden und der ärmeren Gruppe liegt der Wert sogar bei 62 %. Insgesamt verfügen 11,9 % (n = 218) der Haushalte über Strom. Bis auf einen Haushalt generieren alle Haushalte ihren Strom durch Solarkraft (siehe Tabelle 22).

59 Eine sichere Wasserversorgung wird nach WHO-Standards wie folgt definiert: Wasser, das die mikrobischen, chemischen und physischen Qualitätsstandards der WHO erfüllt sowie Zugang zu sicherem Wasser gewährleistet durch Haushaltsanschlüsse, öffentliche Wasserhähne, Bohrlöcher, geschützte Brunnen und geschützte Quellen oder Regenwasser (WHO 2013).

198 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Tabelle 21: Wasserversorgung der Haushalte WasserWasserversorgung des Haus-

Öffentli-

hahn im

Bewässerungs-

cher Was-

Perker-

Bohr-

Haus/auf

kanal

serhahn

ra-Fluss

loch

dem

halts durch:

(Tank)

Grundstück

Gesamt n = 261

50 %

22,6 %

22 %

3,8 %

1,6 %

Quelle: eigene Erhebung

Fotos 11: Vieh trinkt aus R-Kanal, Entnahme von Wasser aus Kanal, Wassertransport

Tabelle 22: Stromversorgung der Haushalte obere Mittel-

untere Mittel-

untere

gruppe

gruppe

Gruppe

35 %

14,3 %

6,3 %

1,6 %

34

70

48

61

Elektrizität

Wohlhabend

ja n=

Quelle: eigene Erhebung

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 199

Soziale Differenzierung Die Daten zeigen, dass sich in den letzten Jahrzehnten eine „KleinbauerBourgeoisie“ (Little und Watts 1994) herausgebildet, die sowohl über Produktionsmittel als auch über Land und Finanzkapital verfügen. Diese „etablierten Landwirte“ sind meistens Söhne von Landwirten, die in den frühen Jahren angesiedelt wurden. Little (1992) zeigte in seinen sozio-ökonomischen Analysen der Il Chamus, dass von dieser Gruppe vor allem wohlhabende Il Chamus Land im Bewässerungssystem erhielten und weniger gut gestellte Il Chamus kein Land zugeteilt bekamen. Folglich kann für einige Il Chamus-Haushalte eine gute „Startposition“ angenommen werden. Formale Bildung stellt für die Haushalte der wohlhabenden Gruppe eine wichtige Investition dar, denn wie die Daten nahelegen, wird in der wohlhabenden Gruppe sowohl auf gehobene Erwerbsarbeit, die mit einer Pension aus dem Staatsdienst verbunden ist, als auch auf Landwirtschaft gesetzt. Dennoch haben über die Hälfte der Haushalte keine Konzession. Die unteren Gruppen sind vor allem von Nahrungsunsicherheit bedroht. Der Schulabbruch ist jedoch immer noch ein weit verbreitetes Phänomen, besonders Mädchen brechen die Grundschule häufig aufgrund einer Schwangerschaft ab. Die Befriedigung von Grundbedürfnissen durch Nahrung und sauberes Trinkwasser ist in vielen Haushalten nicht ausreichend gegeben. Die Versorgung mit sauberem Trinkwasser ist dabei nicht unbedingt abhängig von der Wohlstandsgruppe, wie es bei der Nahrungssicherheit der Fall ist, sondern hängt vor allem mit der Lage des Haushalts zusammen und mit der Entfernung zur jeweiligen Wasserquelle. So gibt es in einigen Siedlungen keinen Zugang zu einer öffentlichen sicheren Wasserversorgung durch einen Tank oder einen Wasserhahn. Dort sind die Menschen auf Wasser aus dem Fluss oder dem Bewässerungskanal angewiesen (Ng´osonik, R7, R5). 6.3.3 Biographien des Landzugangs Am folgenden Beispiel möchte ich anhand verschiedener Biographien von Landwirten die unterschiedlichen Trajektoren und Lebensgeschichten der Menschen herausarbeiten. Ich schließe mich de Haan und Zoomers (2005:43) an, die hervorheben, dass Lebenspfade nicht-linear sind und auch nicht als deterministisch begriffen werden können. Die Akteure können vielmehr von verschiedenen Ausgangspunkten mit unterschiedlichen Positionen im sozialen Feld, was Macht und Ressourcenausstattung angeht, verschiedene Zwischenstationen durchlaufen und trotzdem ähnliche Konfigurationen erreichen. Des Weiteren können sich Verwundbarkeitsexpositionen und Risiken sowie die Strategien der Menschen in zeitlicher und räumlicher Perspektive der Trajektoren ändern.

200 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Alteingesessener Landwirt Wir sitzen im Garten hinter dem Wellblechhaus im Schatten des großen Mangobaums auf einer Bank. „Das ist der Vater von einem guten Freund von mir“ erfahre ich von meinem Forschungsassistent auf dem Weg hierher. „Er hat sich bereit erklärt, dir ein paar Fragen zu beantworten.“ Nun sitzen wir im Garten und ich fühle mich irgendwie fehl am Platz. Ich beobachte wie Paulo mit Herrn Abdul spricht, freundschaftlich, aber auch mit Ehrfurcht. Man spürt, auch ohne alles zu verstehen, dass die beiden sich schon lange kennen, aber über die jetzigen Gesprächsthemen noch nie gesprochen haben: zum einen zu speziell (Management), zum anderen zu privat (Familiengeschichte). Später notiere ich: Der Vater von Mr. Abdul (Name geändert) erhielt 1956 Land im Bewässerungssystem. Er zog mit seiner Familie von Eldama Ravine hierher. Er baute Melonen und Zwiebeln an. Mr. Abdul wuchs im Bewässerungssystem auf (geboren 1953). 1980 übernahm er das Land von seinem Vater (4 Acres) und kaufte noch Land dazu. Seit über 30 Jahren ist er nun landwirtschaftlich aktiv im Bewässerungssystem. Sein ältester Sohn hat das College beenden können, sein zweiter Sohn hat die Sekundarschule abgeschlossen. Zwei Töchter sind noch in der Sekundarschule und zwei weitere in der Primarschule. Er ist aktiv in der muslimischen Gemeinde und hat sich auch für den Bau der Moschee engagiert. Wenn es Kenya Seed in seinem Block gibt, versucht er noch zusätzliches Land zu pachten. Er baut das ganze Jahr verschiedene Feldfrüchte an, auch in trockenen Zeiten, da sein Feld in der Nähe des Hauptkanals liegt und daher auch in der Trockenzeit einigermaßen mit Wasser versorgt wird. Er ist institutionell gut eingebunden und auch in der WUA aktiv. Der aufstrebende Außenseiter Peter hat mich und Paulo zu ihm nach Hause eingeladen. Ich habe ihn schon bei meinem ersten Aufenthalt in Marigat kennengelernt. Damals herrschte Wasserknappheit im Bewässerungssystem und er beschwerte sich bei mir ausführlich über die Wasserverteilung. Seitdem habe ich ihn öfters auf dem Feld besucht. Er ist nur zwei, drei Jahre älter als ich und ein redefreudiger, quirliger Mann. Vielleicht treffe ich ihn auch aus diesem Grund so gerne: weil er mir seine Welt erklärt. Weil er mir, mit meiner Rolle als Forscherin, das Gefühl gibt, mein Gegenüber nicht mit lästigen Fragen zu stören und ihn damit in die Enge zu treiben. Ich frage ihn nach einem biographischen Interview und er lädt mich sofort ein. „Meine Mutter war arm, wir hatten kein Vieh. Im Herkunftsort im Pokotland gab es keine Arbeit und aus diesem Grund ist meine Mutter mit mir, als Einjährigen, und meiner Schwester von Commono im Pokotland nach Marigat ge-

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 201

kommen. Meine Mutter hat Bier gebraut und verkauft. Ich war erst vier Jahre alt, als meine Mutter im Krankenhaus gestorben ist. Es war Brustkrebs, wie ich später erfahren habe. Daraufhin kehrte meine Schwester in den Herkunftsort zurück, um verheiratet zu werden. Ich blieb zurück, allein. Zuerst blieb ich bei den Nachbarn. Dann wurde ich weitergereicht, immer wieder, ohne konkrete Vorfälle oder Gründe. Ich musste als einziges Kind im Haushalt Hausarbeiten verrichten wie Wasser- und Feuerholzholen. Beim Essen bekamen die anderen zuerst und ich musste die Reste aus dem Topf kratzen. Bis im Jahr 1999, also bis ich 20 Jahre alt war, hielt ich mich in 14 Haushalten auf.“ Trotz widriger Umstände in seiner Kindheit konnte er die Primary School abschließen und hatte die Möglichkeit, dank eines Sponsors, auf eine Secondary School zu gehen. Nach anderthalb Jahren geschah ihm das nächste Unrecht. Sein Gastvater übertrug sein Stipendium illegaler Weise auf die eigenen Kinder. An seiner Ausführung wird klar, dass er sich erneut in einer hilflosen Situation befand und keinen Menschen hatte, der ihm half, sich gegen das ihm widererfahrene Unrecht zu wehren. Er musste die Schule abbrechen und versuchte sich mit Kibarua zu verdingen. „Das war illegal, aber keiner hat was gemacht. Sie wussten, dass ich ein Waise war, aber keiner kümmert sich um dich.“ Er war ganz auf sich selbst gestellt und konnte sich nicht auf andere verlassen oder Hilfe von anderen erwarten. Erfahrungen, die ihn prägten. Es folgte eine Episode über seine Zeit, als er mit Kibarua, also als Arbeiter, sein Geld verdiente. „Ich fing bei dem Bauern Mr. Karang an zu arbeiten. Er sagte: ‚Es gibt keine Bezahlung, aber ich füttere dich durch.‘ Ich war allein und erinnerte mich, was ich bereits durchgemacht hatte, deshalb war ich einverstanden.“ Er beschreibt sein Leben, das zu dieser Zeit durch harte, körperliche Arbeit, ständige Kontrolle, keine Bezahlung, wenig Essen und Schlaf geprägt ist. So charakterisiert er seine Jugend. „Eines Tages bin ich zu ihm und habe ihm gesagt, ich bin nun erwachsen geworden, ich möchte mich beschneiden lassen und brauche dafür Geld“ Er selbst beschreibt sich als mutig und couragiert als er eine Geldforderung an seinen Arbeitgeber stellte. Jetzt ist es das erste Mal in seiner Erzählung, dass er aktiv etwas einfordert (aktive Rede). Doch sein Arbeitgeber blockte ihn ab und forderte ihn auf, wenn er Bezahlung wolle, seinen Hof zu verlassen. Er war still und entgegnete nichts. Er war sicher gedemütigt und enttäuscht, aber er ging einfach zurück auf das Feld, als wäre nichts geschehen. Er musste einsehen, dass, wenn er aus Stolz den Arbeitsplatz verließe, sein Leben noch schlechter werden würde und er damit nichts erreichte. Hier ist wieder ein Wendepunkt in seiner Lebensgeschichte. In seinem bisherigen Leben musste er passiv sein, da er nicht in der Position war, sein Leben aktiv zu steuern. Die Umstände haben ihn gezwungen sich treiben zu lassen, umher gestoßen zu werden, es hinzunehmen und sich zu ergeben. Mit der Forderung nach

202 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Geld ist der Wunsch verbunden, etwas an Lebensqualität zu erreichen, indem ihm eigenes Geld zu Verfügung steht, das er eigenständig verwalten kann. Die Forderung und damit das Aufbegehren stellen einen ersten kleinen Schritt zur Unabhängigkeit dar. Ein Schritt weg von der sklavenähnlichen Haltung hin zu einem selbstbestimmten Menschen. Doch noch war es nicht so weit. „Mr. Karang hat meine Entscheidung, zu bleiben, begrüßt und mir gesagt, dass er mir eines Tages helfen würde.“ Die Geschichte geht damit weiter, dass Peter wirklich eines Tages meinte, der Zeitpunkt, von dem der Arbeitgeber gesprochen hat, sei gekommen. Der Arbeitgeber trug ihm auf, Chillies zu pflanzen, und wenn das Saatgut fertig sei und noch Platz sei, dürfe er dort Tomaten für sich anpflanzen. Für Peter ein freudiger Tag, er schien seinem Wunsch nach Selbstverwirklichung ein bisschen näher gekommen zu sein. Er pflanzte seine Tomaten. Seine Freude wurde jedoch bald getrübt, da er Gerüchte vernahm, dass der Arbeitgeber es nicht ernst gemeint hat. Er musste der Sache auf den Grund gehen, sucht ihn auf und stellte ihn zur Rede. „Ich ging zu ihm. Mir wurde Tee hingestellt, aber die gastfreundliche Geste konnte ich nicht annehmen. Ich habe ihn direkt gefragt, was sich hinter den Gerüchten verbirgt und er [Mr Karang] sagte, dass er niemals vorhatte, mir die Tomaten zu lassen“. Peter beschreibt sich als mutig und zieht alle Konsequenzen: Er ging und konnte nichts mitnehmen, da er nichts hatte, was ihm gehörte. Die Wende, die mit seiner Forderung nach Geld begann, ist nun abgeschlossen. Auch wenn es für Peter nicht so gekommen ist, wie er es sich gewünscht hatte, hat er doch aktiv eine eigene Entscheidung getroffen. Die Entscheidung, sich nicht weiter demütigen zu lassen, sondern sein Leben nun selbst in die Hand zu nehmen. Es folgt eine Erfolgsgeschichte. In diesem Abschnitt wird vor allem seine steile Karriere als Farmer beschrieben. „Ich habe mich mit Gelegenheitsarbeit durchgeschlagen und hart gespart. Schließlich konnte ich einige Mikatos mit Tomaten anpflanzen.“ Bestimmte Methode des Anbaus: Ein Feld ist in Mikatos aufgeteilt zur Furchenbewässerung. „Die gute Ernte ermöglichte mir, zwei Acres Land in einem Block zu pachten, in dem Kenya Seed angebaut wird. Das NIB hat damals noch die Produktionsmittel vorgelegt. Die Ernte war gut und ich dankte Gott für die ungeheuer große Summe“ (fast 1.000 Euro). Er konnte seine landwirtschaftlichen Fähigkeiten, die er bei Mr. Karang gelernt hatte, einsetzen und hatte einen großen landwirtschaftlichen Erfolg. Er schließt ab, indem sich alles zum Guten wendet: Er kann sich ein Haus bauen und heiratet. Er blickt auf sein Leben: „Ja, es gab viele Herausforderungen. Als meine Mutter starb, musste ich unter dem Bett der anderen Kinder schlafen, sie haben sogar auf mich uriniert. Aber auch heute stellt mir das Leben viele Herausforderungen. Ich habe eigentlich damit gerechnet, viel Geld dieses Jahr mit der Ernte zu bekommen, aber leider: nichts. So ist das Leben. Mein

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Motto ist, sich von den Herausforderungen nicht abschrecken zu lassen und etwa aufzugeben, sondern diese gezielt anzugehen. Ich hatte selbst nie eine Familie, heute habe ich eine. Ich erzähle meinen Kindern immer, ich könnte ein Buch über meine Lebensgeschichte schreiben.“ Peter ist fertig mit seiner Geschichte und schweigt. Wir alle schweigen. Ich bin betroffen und fühle mich überwältigt von dieser Lebensgeschichte. Ich weiß, dass es viele Menschen in diesem Moment in Marigat gibt, die in diesen Arbeitsverhältnissen und Abhängigkeiten, die er geschildert hat, gefangen sind und wahrscheinlich nur wenige ihr Leben zu solch einer Erfolgsgeschichte wenden können. Peter gehört heute zu den wohlhabendsten Landwirten in Kampi Wakulima. Er steht für den Typ des unternehmerischen Landwirts, der sich auf den Cash-crop-Anbau von Tomaten und Melonen konzentriert (Surplus). Er ist ein Außenseiter in vielerlei Hinsicht: Er kann keine Ressourcen aufgrund von familiärer oder ethnischer Gruppenzugehörigkeit mobilisieren, deshalb muss er auf finanzielle Möglichkeiten zurückgreifen und Land pachten. Da er keine Konzession besitzt, ist ihm auch der Zugang zu institutionellen Netzwerken, wie die WUA oder die Farmers Cooperative Society, und zu Krediten verwehrt. Darin spiegelt sich auch die Fragilität seines Erfolgs. Ein krankheitsbedingter Ausfall kann ihn weit zurückwerfen. Land Grabbing im Kleinen Jeremiah ist Anfang 50 und arbeitet als Pastor, ohne Gehalt. Die Grundschule konnte er nicht abschließen, weil das Geld für die Schulgebühren fehlte. Mit 21 Jahren heiratete er, obwohl er das Brautgeld nicht aufbringen konnte. Anfang der 1980er-Jahre fand er eine Anstellung im staatlichen Baringo Arid Land Project. Er bekam monatlich wechselnd sein kleines Gehalt als Bargeld oder in Mais ausgezahlt. Nach fünf Jahren konnte er von seinen Ersparnissen einige Ziegen kaufen und diese schließlich verkaufen, um Kühe zu kaufen. Endlich konnte er das Brautgeld in Form von vier Kühen aufbringen, die äquivalent zu 2 Kühen, 12 Schafen und 1.500 KES sind. Nach acht Jahren wurde er von seinem Arbeitgeber entlassen. Er ließ sich in Loropil nieder und fing an, Gemeindeland in der Nähe des periodischen Flusses in Loropil zu bestellen, und züchtete Vieh. Das Land hätte er durch Land-„grabbing“ bekommen. Anfang der 2000er-Jahre konnte er dank der Überschwemmungen des Landes in Loropil Mais anbauen und hatte eine gute Ernte. Zu dieser Zeit wurde die Bestellung des Landes um den periodischen Fluss noch nicht von vielen Haushalten getätigt. Seine gute Ernte erregte die Aufmerksamkeit seiner Nachbarn, die nun auch das Land beanspruchten. Für ihn gehörte das Land ihm, weil damals auf dem Land keiner lebte, es keiner beanspruchte und er es in eine Ackerfläche umgewandelt hatte. Der

204 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Streit um das Land spitzte sich zu, aber auch ein Versuch, die Angelegenheit durch den Chief klären zu lassen, führte zu keiner Lösung. Kurze Zeit später wurde seine Frau krank und musste ins Krankenhaus, wo sie schließlich verstarb. Der Verlust war groß und zudem verschlangen die Krankenhausrechnungen all seine Ersparnisse. Er beerdigte seine Frau auf dem umstrittenen Land in Loropil. Nun gehört das Land ihm. Er erklärt: „In dem Moment, in dem du jemanden auf dem Land beerdigst, ist das Land dir und keiner wird mehr danach fragen.“ Seitdem hat sich der Streit gelegt. Jetzt hofft er, dass sein Land als Extensionsland anerkannt und beim NIB registriert wird, damit er eine formale Sicherheit hat. Denn vom Gemeindeland bestehe immer das Risiko vertrieben zu werden, wenn man sich nicht durch informelle, soziale Beziehungen absichern kann. An diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig der Zugang zu Land ist, und dass er höchst umstritten sein kann. Land für landwirtschaftliche Aktivitäten und Viehhaltung sind eine wichtige Strategie zur Lebenssicherung. Durch die informellen Institutionen, die mit dem Grab auf seinem Land verbunden sind, ist ihm die Sicherung seines Landzugangs gelungen. Risiken bewältigen „Er starb als unser letzter Sohn zehn Monate alt war. Seitdem habe ich gekämpft. Ich habe als Kibarua gearbeitet und geköhlert. Aber keiner hilft mir. Ich habe zwei Söhne in der High School. Letzte Woche hat es im Schlafsaal der Schule meines einen Sohnes gebrannt. Ich muss alles neu kaufen für ihn. Außerdem muss ich von hier wegziehen, weil die Fluten hier alles überschwemmen, ich habe das Haus nur gemietet und der Besitzer will jetzt hier Landwirtschaft betreiben. Bei der letzten Überschwemmung verlor ich neun Ziegen und die Regierung hat keine Hilfe geleistet. Ich dachte, ich werde nie wieder ein ruhiges, gefestigtes Leben führen: Wir haben nichts und die Kinder sind noch klein. Ich dachte, ich werde verrückt. Ich habe schon mit mir selbst geredet.“ Christina wurde 1961 in Sintaan geboren. Mit 20 Jahren heiratete sie und lebte nun in Meisori (Salabani location, westlich des Baringosees), wo ihr Mann Vieh hielt. Sie war die jüngste Frau ihres Mannes. Wenn sie heute ihr damaliges Leben betrachtet, sei es damals einfacher gewesen, da sie Milch von den Rindern und Ziegen hatten und das Leben nicht so teuer war. Als ihr Mann starb, war sie gerade einmal 35 Jahre alt und hatte vier Kinder von ihm, die noch klein waren. Sie beschreibt das Verhältnis zu ihren Ko-Ehefrauen als angespannt, da die Kinder von ihnen bereits groß waren und jede sich nur um ihr Wohl kümmerte. Als wir, meine Forschungsassistentin Patty und ich, uns mit Christina treffen, bin ich etwas skeptisch. Ich treffe Christina zum ersten Mal. Patty hat den Kontakt ausgewählt, weil ich gerne mit einer Frau sprechen wollte, die Felder in

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

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den Extensionsgebieten hat. Das Gespräch wird auf Il Chamus geführt und Patty übersetzt hin und wieder etwas. Da ich jedoch den Gesprächsverlauf nicht unnötig behindern möchte, haben Patty und ich uns darauf geeinigt, dass sie das Interview weitestgehend allein steuert. Mit dem Einverständnis von Christina zeichnen wir es auf und übersetzen es danach. Ihr Mann hatte ihr einen Acre im Extensionsbereich des PerkerraBewässerungssystems hinterlassen. So entschloss sie sich, nach Loropil zu ziehen, wo sie von einem Freund des Mannes ein Stück Land im Dorf vermacht bekam. Das Feld im Extensionsbereich ist in der Nähe von L5 und bekommt über den Kanal von L5 Wasser. Hier pflanzt sie normalerweise Bohnen an. Sie muss mit den Blockleitern um Wasser verhandeln. Auch das Land im Dorf bestellt sie. Hier ist sie auf den Regen und die Überschwemmungen angewiesen. Nur wenn es genug, aber auch nicht zu viel Wasser gibt, kann sie dort anbauen. Überschwemmungen, Dürre und Unkraut zerstörten ihr Feld in 2003, 2006, 2007, 2008, 2009 (Dürre) und 2010. Das Jäten von Unkraut stellt sich als wichtiger Faktor heraus. Sie hat jedoch oft nicht genug Geld, um zur richtigen Zeit Gelegenheitsarbeiter mit Jäten zu beauftragen, und allein schafft sie nicht alles zur rechten Zeit. Wäre das Gespräch auf Kiswahili, könnte ich wenigstens dem Verlauf folgen, so verstehe ich nur wenige Worte. Das führt dazu, dass meine Forschungsassistentin jegliche Versuche von Christina, mich nach Unterstützung zu fragen und mir ihre prekäre Situation darzulegen, abfängt und filtert. Somit erreicht mich die Flut an aufrüttelnden Ereignissen der ersten fünf Minuten des Interviews erst nach der Transkription meiner Forschungsassistentin. Seit 2004 hat sie ein Feld in R14T, das sie von ihrem jetzigen Freund zur Verfügung gestellt bekam und wo sie Kenya Seed und Surplus anbaut, wenn das Programm mit dem Wasser in ihrem Block ist. Zur Zeit des Interviews baute sie Kenya Seed an. Von ihrem jetzigen Freund hat sie noch drei Kinder bekommen. Der Anbau von Kenya Seed hilft ihr, die Schulgebühren für ihre Kinder aufzubringen. Zwei ihrer Söhne gehen auf die High School. „Das Feld im Bewässerungssystem hat mir wirklich geholfen, meine Kinder auszubilden. Aber für das alltägliche Essen musst du dich einfach abmühen, arbeiten und arbeiten. Aber selbst dann ist es nicht garantiert.“ Die alltägliche Nahrungssicherung gestaltet sich schwierig. Während trockenen Zeiten muss sie oft in den Feldern übernachten, um nachts zu bewässern. Dies stellte, vor allem als die Kinder noch klein waren, ein Problem dar, weil sie diese allein zurücklassen musste. „Wenn ich morgens zurückkam, waren die Kinder oft besorgt.“ Während dieser Zeit konnte sie, auch wenn sich ihr Vieh vermehrte, kein finanzielles Kapital oder physisches Kapital ansparen, da jeder

206 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Überschuss, den sie erwirtschaftete, durch die Schulgebühren aufgebraucht wurde. Inzwischen sind die Kinder größer und unterstützen sie tatkräftig bei der Bewässerung und der Verrichtung von Gelegenheitsarbeiten wie Köhlern. Im Jahr 2009 starb ihr Vieh während einer Dürreperiode. Seitdem fällt die Sicherheit weg, in Zeit der Not Vieh zu verkaufen. Auch der Zugang zu den Produktionsmitteln ist sehr unsicher: So kann sie nicht immer das Geld für einen Traktor zum Pflügen aufbringen und muss daher auf ihre eigene Arbeitskraft zurückgreifen. Die Geschichte von Christina ist ein Beispiel dafür, wie Zugang zu Land vor allem über verschiedene soziale Beziehungen entsteht. Dieses Zugangsnetz, in das der Haushalt eingebunden ist, verschiebt sich in zeitlicher und auch räumlicher Perspektive. Der Haushaltsvorstand, in diesem Falle eine alleinstehende Frau, muss mit verschiedenen Schocks umgehen, dabei können die Schocks multiple Quellen haben (Tod eines Familienmitglieds, wetterbedingte Schocks wie Überschwemmung/Dürre). Aber auch dauerhafte Belastungen wie die Schulgebühren und die tägliche Versorgung der Kinder mit Nahrungsmitteln stellen eine große Herausforderung für den Haushalt dar. Dabei verändern sich die Herausforderungen im biografischen Verlauf, mit denen Christina umzugehen hat, denn sie waren anders, als die Kinder noch kleiner waren, und änderten sich,, als diese älter wurden. An diesem Beispiel wird auch ersichtlich, wie die Menschen in einem Netzwerk verschiedener Risiken exponiert sind, die sie verwundbar machen. Die Handlungsstrategien, mit denen die Menschen den multiplen natürlichen und sozialen Risiken begegnen, sind ebenso angepasst: Über die Bewirtschaftung von Äckern an verschiedenen Standorten zu unterschiedlichen Zeitpunkten und das Verrichten von Gelegenheitsarbeit wird versucht, Risiken der Überschwemmung und der Dürre zu minimieren. Lebenssicherung im ländlichen Kontext – Biographien in Perkerra Diese vier biographischen Ausschnitte haben verdeutlicht, dass sich der Zugang zur Ressource Land und zu Bewässerungswasser sehr unterschiedlich gestalten kann. Während im ersten Fall von Herrn Abdul der Zugang über Land im Bewässerungssystem über Erbschaft und Kauf erfolgte, ist im zweiten Fall von Peter der Zugang zu Land ein stetig neuer Prozess des Landpachtens, der das Überbieten anderer beinhaltet, um den Zugang aufrechtzuhalten. In den wenigsten Fällen ist die Verpachtung von Land rechtlich geregelt und erfolgt somit überwiegend über informelle Regelungen. Dies wird auch deutlich in den Fällen von Jeremiah und Christina. Das Aneignen und Umwandeln von Land in landwirtschaftliche Flächen stellt in den meisten Fällen den ersten Schritt zum Zu-

V ERRÄUMLICHUNGEN

UND

M ATERIALITÄTEN I 207

gang zu Land dar. Dennoch muss dieser Anspruch auf das Land über Institutionen abgesichert werden. In vielen Fällen sind diese von informellem Charakter (Pachten, Einzäunen von Gemeindeland). Eine formelle Absicherung der Nutzung des Landes ist die Registration von Bewässerungsland bei der nationalen Bewässerungsbehörde. Doch selbst die Konzession stellt nur ein formelles Nutzungsrecht und kein formelles Besitzrecht dar. Wie aus den beiden letzten Beispielen ersichtlich wurde, spielt vor allem der Zugang zu nicht-registriertem Land an den Rändern des Bewässerungssystems für viele Menschen eine wichtige Rolle für die alltägliche Lebenssicherung. Aufgrund dessen wird das Land um das Bewässerungssystem in der Nähe von Wasserquellen (periodischer Fluss, Ausläufe des Kanalsystems, Perkerra-Fluss) zunehmend zu einer umkämpften und begehrten Ressource. Aus den Biographien lässt sich auch erkennen, dass Landwirtschaft oft ein integraler Teil im komplexen Lebenssicherungssystem der Menschen und der Haushalte darstellt. Sie darf nicht mechanistisch verstanden werden und die Vorstellung, dass der Bauer jede Saison sein Feld bestellt und von der Ernte leben kann, ist sehr vereinfachend und greift zu kurz. Landwirtschaft selbst ist ein hoch komplexes, durch Entscheidungen, Risiken, Verfügbarkeit von Arbeitskraft, Wasser und Produktionsmitteln zu den richtigen Zeitpunkten ausgezeichnetes Unternehmen. Dabei wird eine hohe Diversität von landwirtschaftlichen Tätigkeiten gelebt. Verschiedene Felder mit verschiedenen Anbauprodukten und unterschiedlichen Wasserzufuhrmöglichkeiten sind bei vielen landwirtschaftlichaktiven Haushalten die Regel. Die landwirtschaftlichen Tätigkeiten sind eingebunden in weitere Aktivitäten des Haushalts zur Lebenssicherung (wie Viehzucht und Gelegenheitsarbeit für die Produktionsmittelgenerierung). Vor allem die Gelegenheitsarbeit, die von Feldarbeit, Brauen von Alkohol, Köhlern bis zum Schneiden von Gras für die Strohproduktion der Häuserdächer reichen kann, ist für viele Menschen in gewissen Lebensabschnitten von großer Bedeutung. Oft werden auch landwirtschaftliche Produktionsmittel über Gelegenheitsarbeit finanziert. Beim Haushaltsranking wurden die Haushalte von Herrn Abdul und Peter in die wohlhabendste Gruppe eingeteilt, denn beide gehören zu den wohlhabenderen Bauern im Bewässerungssystem. Die Biographien von Herrn Abdul und Peter lassen gut erkennen, wie trotz sehr unterschiedlicher Ausgangssituationen und Zwischenstationen beide an einem gewissen Punkt eine ähnliche Konfiguration und somit eine ähnliche Position im sozialen Raum erreichen (de Haan und Zoomers 2005). Macht und Ressourcenausstattung sind zwar von unterschiedlicher Form, führen aber dennoch zu einem ähnlichen Lebensstandard. Während Herr Abdul auf Vertragsanbau für Kenya Seed setzt und gut in den institutionel-

208 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

len Strukturen des Managements verknüpft ist (Mitglied in der WUA), setzt Peter auf den unternehmerischen Anbau von Surplus und ist gerade dabei, sich seine eigenen institutionellen Strukturen mit der Gründung einer Kooperative für Surplus-Produkte aufzubauen. Auch wenn sich im Moment der empirischen Erhebung die beiden Haushalte an einem ähnlichen Punkt auf ihren Trajektoren bewegen, was den Lebensstandard angeht, heißt dies jedoch nicht, dass die Lebenswege und die damit verbundenen Konfigurationen zu einem späteren Zeitpunkt nicht wieder divergieren könnten.

6.4 Z WISCHENFAZIT –

KLASSIFIZIERTES

L EBEN ?

Abschließend lässt sich festhalten, dass es verschiede Regierungsweisen im Bewässerungssystem gibt. Die nationale Bewässerungsbehörde ist bestrebt, durch formelle Strukturen die landwirtschaftliche Produktion zu steuern. Dazu gehören ein formelles Nutzungsrecht in Form der Konzession, geordnete Landstrukturen im Bewässerungssystem und genaue Pläne für die Wohngrundstücke. Dadurch werden die Bewohner klassifiziert und in rechtmäßige und nicht-rechtmäßige Bewohner/Landwirte im Bewässerungssystem unterteilt. An die Konzession sind bestimmte institutionelle Zugänge gekoppelt, die mit den vertraglichen Anbaustrukturen für die Kenya Seed-Produktion verbunden sind (dazu mehr in Kapitel 7). Anhand der Daten konnte jedoch aufgezeigt werden, dass fast alle Haushalte in den Siedlungen in der Landwirtschaft tätig sind, jedoch nur weniger als die Hälfte in diese formellen Strukturen fallen. Die Lebensrealität ist weitaus komplexer, als die einfachen, formalen Kategorien es erlauben zu denken. Wie die Menschen mit diesen institutionellen Strukturen umgehen, wird in Kapitel 7 beleuchtet. Auch wurde gezeigt, dass die einfache Formel, als welche Bewässerung gerne hinsichtlich Nahrungssicherung präsentiert wird, für viele Haushalte nicht aufgeht.

7 Der Vertragsanbau als Machttechnik im Perkerra-Bewässerungssystem

Der Vertragsanbau stellt eine vertikale Integration lokalisierter, meistens kleinbäuerlicher Produktion in die Wirtschaftskette nationaler oder transnationaler Unternehmen dar (Prowse 2012) und ist in verschiedenen Formen in großflächigen Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia zu finden. Er ist mit einem speziellen Produktionssystem verbunden, das sich im Fallbeispiel durch genaue Koordinierung und Planung auszeichnet. Für das Management des Vertragsanbaus müssen institutionelle Machttechniken wie Regelungen, Mechanismen und Prozeduren angewendet werden, um die kollektiven Praktiken der Landwirte zu steuern. Techniken und Verfahren, die für die Steuerung eingesetzt werden – wie die Wassernutzung und die Verteilung des Wassers geregelt werden kann – müssen entwickelt werden. Dazu gehören ebenfalls die Techniken der Disziplinierung und der Planung, die bereits in Kapitel 5.1 aus Literatur und Gesetzestexten herausgearbeitet wurden. Das folgende Kapitel untersucht das Anbauprogramm des Vertragsanbaus der letzten Jahre, das sowohl die Wasserverteilung als auch den Ablauf des Anbaus regelt. Des Weiteren werden die Umsetzung der Regeln und die alltäglichen Praktiken, durch die die Regelungen angeeignet werden, untersucht. Dabei sind folgende Fragen leitend für die Betrachtung: Welche Machttechniken kommen zum Einsatz? • Ist der Vertragsanbau als eine dominante Machttechnik im Siedlungsbewässe-

rungssystem zu verstehen? • Wie wird der Zugang zu den Ressourcen Wasser und Land von Akteuren aus-

gehandelt? Wer kann von den Ressourcen in welchem Umfang profitieren? • Welche widerständigen Praktiken werden eingesetzt im Aushandlungsprozess

um den Zugang zu Ressourcen?

210 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

7.1 I NKLUSION

UND

E XKLUSION

IM

V ERTRAGSANBAU

Mit dem Anlegen des Perkerra-Bewässerungssystems war auch der Anbau einer cash crop verbunden. In vielen Ländern Subsahara-Afrikas ist in den letzten Dekaden Vertragsanbau von cash crops auf dem Vormarsch (Prowse 2012). Bis in die späten 1980er-Jahre wurde der Vertragsanbau in Kenia vor allem durch den Staat, d. h. von staatlichen Unternehmen und Behörden, betrieben (Little und Watts 1994). Zu den Hauptanbauprodukten des Vertragsanbaus gehören Tee, Zucker, Tabak und Gemüse. Mitte der 1980er-Jahre waren es mehr als 230.000 kleinbäuerliche Haushalte, die in Kenia in den Vertragsanbau involviert waren (Watts 1994: 47).60 Vor dem Hintergrund von Neoliberalisierungs- und Globalisierungsprozessen sind zunehmend auch private Akteure in den Vertragsanbau eingestiegen. Dieser kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Grundsätzlich beinhaltet er vertragliche Vereinbarungen zwischen einem Landwirt und einem Unternehmen (national, international, transnational), in denen die Produktions- und Marketingbedingungen geregelt sind. Die folgende Definition von Prowse (2012: 5) fasst dies zusammen: „Contract farming can be understood as a firm lending ‘inputs’ – such as seed, fertilizer, credit or extension – to a farmer in exchange for exclusive purchasing rights over the specified crop. It is a form of vertical integration within agricultural commodity chains so that the firm has greater control over the production process and final product“ (Prowse 2012: 5).

Der Landwirt händigt damit seine Rechte und Ansprüche über seine Anbaufrucht dem Vertragsunternehmen aus.61 In den unterschiedlichen Formen kann die Ver60 Während vor allem der Vertragsanbau im Gartenanbaubereich in den Händen privater, exportorientierter Unternehmen liegt, sind der Zucker- und Teesektor durch parastaatliche Unternehmen geprägt. Aber es kam auch zur Privatisierung von parastaatlichen Behörden wie im Teesektor in Kenia (Watts 1994: 47). 61 In Policy-Berichten wie dem Weltentwicklungsbericht Agrarwirtschaft für Entwicklung der Weltbank von 2008 sowie dem Weltinvestitionsbericht der UNCTAD über Transnationale Unternehmen, landwirtschaftliche Produktion und Entwicklung von 2009 werden die positiven Effekte des Vertragsanbaus hervorgehoben. Zu den Vorteilen aus der Sicht der Unternehmen, die im Vertragsanbau produzieren, gehören (Prowse 2012: 21–22): erhöhte Verlässlichkeit in der Versorgung in Quantität und Qualität (vermindert die Kontroll- und Auswahlkosten), Abladen der Produktionsrisiken auf die Landwirte, größere Kontrolle über den Produktionsprozess, um die Standards einzuhalten, reduzierte Koordinationskosten durch regelmäßige Abnahme und

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tragsbeziehung direkt zwischen Landwirt und Unternehmen bestehen oder über Dritte, wie etwa eine staatliche Behörde oder sonstige Organisationen, laufen. Wasserknappheit als struktureller Faktor des Zugangsnetzes zu Wasser Das Perkerra-Bewässerungssystem ist in einer semi-ariden Klimazone lokalisiert, mit einer Evaporationsrate, die sechs bis neun Monate über der Niederschlagsrate liegt (Akivaga et al. 2010). Der Perkerra-Fluss ist zwar perennierend, dennoch schwankt sein Wasserstand je nach Regen- und Trockenzeit. Dies führt dazu, dass die Wasserverfügbarkeit im Perkerra-Bewässerungssystem über das Jahr betrachtet, stark variiert (siehe Kapitel 1.4). Die Wasserverfügbarkeit jedoch spielt für die Planung des Anbaus eine entscheidende Rolle. Die Wasserknappheit und die Notwendigkeit, die Vertragsauflagen zu erfüllen, erfordern eine genaue und stringente Planung des Anbaus. Jedes Jahr wird in Kooperation von Mitarbeitern der Bewässerungsbehörde und der Water Users Association ein Anbauprogramm erstellt62 und damit der Anbau von Maissamen für das Vertragsunternehmen, die Kenya Seed Company, geplant. Hier wird sowohl ein Anbauplan für Kenya Seed-Saatgut wie auch für andere, nichtSkaleneffekte in der Beschaffung. Bei den meisten Vertragsanbautypen werden Kleinbauern unter Vertrag genommen. Es ist bezeichnend, dass diese Berichte die Verlagerung der Produktionsrisiken auf die Landwirte als Vorteil für die Unternehmen hervorheben. Als Vorteile für die Kleinbauern werden folgende genannt: Vielen Kleinbauern mangele es oft an Kapazitäten, hochqualitative Gartenprodukte anzubauen und effektive Qualitätskontrollen durchzuführen, um die Standards der Nahrungsmittelindustrie zu erreichen. Vertragsanbau wird hier als ein Weg aufgeführt, die Kleinbauern mit diesen Leistungen wie Qualitätskontrolle etc. zu versorgen und sie somit zu befähigen, bestimmte Produkte, auch für den globalen Markt, anzubauen (Giovanucci et al. 2008: 2, zit. in Prowse 2012: 21). Des Weiteren kann der Vertragsanbau auch als ein Schutz vor Preisschwankungen verstanden werden. 62 Die Mitarbeiter der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB), vor allem der Manager des Bewässerungssystems, wurden zuvor von der Kenya Seed Company über die verfügbaren Maissamensorten informiert. Die Blockleiter haben den Wasserstand im Bewässerungssystem im Blick und besprechen gemeinsam mit dem NIB-Manager, welche Sorte bei welchem Wasserstand und wann anzupflanzen ist (Interview E8). Meteorologische Warnungen werden von der Kenya Seed Company berücksichtigt in Absprache mit dem NIB. Die Informationen über das Anbauprogramm werden dann an den Anschlagbrettern in den Siedlungen ausgehängt, um die Landwirte zu informieren, wann in ihrem Block was angebaut wird, und des Weiteren in einberufenen Treffen des Blocks besprochen.

212 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

vertragliche Anbaufrüchte (Surplus), die im Bewässerungssystem angebaut werden, erstellt. Da jedoch nicht die gesamte Fläche des Bewässerungssystems bewässert werden kann, soll durch eine Rotation des Anbauprogramms eine gleichmäßige Verteilung aller Blöcke gewährleistet werden. Von den offiziellen 2.000 Acres (800 ha)63, die als Bewässerungsland festgelegt wurden, können laut offiziellen Angaben aus den Unterlagen der nationalen Bewässerungsbehörde nur 1.200 Acres bewässert werden. Die realen Gegebenheiten weichen jedoch von den offiziellen Angaben stark ab. Aufgrund von Wasserknappheit wurden im Jahr 2010 sogar nur 1.050 Acres in das Anbauprogramm aufgenommen und im Jahr 2011 823 Acres eingeplant (Interview S2, Interview G1). Das restliche Land liegt brach. Priorität in der Wasserversorgung hat der vertragliche Anbau von Kenya Seed-Saatgut. Der nicht-vertragliche Anbau von anderen Anbaufrüchten wie Mais, Bohnen oder Tomaten (Surplus genannt) wurde in den letzten Jahren mit in das Anbauprogramm aufgenommen (siehe Karte 6). Das Bewässerungssystem ist in verschiedene Blöcke eingeteilt, die jeweils nach Lage am Loder R-Kanal durchnummeriert sind (siehe Karte 5). Fotos 12: Wasserstand des Perkerra-Flusses (links: April, rechts: August)

63 1 Acre sind 0,4 ha.

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Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Kartenmaterial des NIB, Kartographie: Storbeck

Karte 5: Die Blöcke des Perkerra-Bewässerungssystems

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214 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

7.1.1 Anbauprogramm und landwirtschaftliche Praktiken des vertraglichen und nicht-vertraglichen Anbaus Geregelter Anbauzyklus und festgelegtes Anbauverfahren Das Anbauprogramm stellt eine Technik dar, die Praktiken und Aktivitäten der Landwirte zu synchronisieren und abzugleichen. Im Anbauprogramm werden alle Produktionsschritte festgehalten, um die Produktion effizient zu gestalten. Der Kenya Seed-Anbau beinhaltet ein spezielles Produktionsverfahren, um die Qualität der Maissamen zu gewährleisten. Da hybridisierter Mais angebaut64 wird, der einen höheren Ertrag erbringt, muss die Bestäubung der Pflanzen gesteuert werden. Daher gilt die Regel, dass in den für den Kenya Seed-Anbau ausgewählten Blöcken ausschließlich Kenya Seed-Mais angepflanzt werden darf. Auch in den angrenzenden Feldern darf keine andere Maissorte angebaut werden, da die Gefahr einer Kreuzung besteht und somit nicht der geplante Maishybrid produziert wird. Die Produktion liegt bei 20–25 Säcken à 90 kg pro Acre und der Abnahmepreis bei 53 KES/kg (Interview E17). Tabelle 23: Anbau-Kalender Apr

Regenzeit

Aussaat Phase 1

Landvorbereitung

Wasserknappheit (WK)

Mai

Jun

Jul

Aug

Sep

Okt

Nov

Regenzeit

Dez

WK

Anbau von „Surplus“

Mär

Ernte Kenya Seed

Feb

Aussaat Phase 2

Ja

Quelle: eigene Erhebung

64 Die Pollen produzierenden Blüten (Rispen, männlicher Blütenstand) an der Spitze einer Maispflanze werden von vier Reihen entfernt und eine Reihe Mais mit Rispen bleibt stehen für die Bestäubung der Maispflanzen ohne Rispen. Durch diese Methode werden zwei Maissorten gekreuzt. Lediglich der Mais mit weiblichem Blütenstand wird für die Kenya Seed-Samengewinnung verwendet. Der Mais mit männlichem Blütenstand, der nur in wenigen Reihen angepflanzt wird, dient den Landwirten zum Eigenverzehr.

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Im Anbauprogramm werden die genauen Zeitpunkte für die Ausgabe der Kenya Seed-Samen, für das Jäten, das Düngen und die Ernte festgelegt. Zu den Prozeduren eines klassischen Anbauzyklus für Kenya Seed gehören die Vorbereitungsphase in den Monaten Januar bis März, in der das Land von Prosophis befreit, gepflügt sowie die Kanäle instand gesetzt werden. Aufgrund von Wasserknappheit kann jedoch noch nichts gepflanzt werden. Die Aussaat findet dann in den Monaten März bis April statt und vier Monate später, im Juli und August, wird der Mais geerntet. Problematisch wird es, wenn im März/April die landwirtschaftliche Produktion startet und dann der Niederschlag nicht einsetzt. In diesem Fall sind die Landwirte ganz auf das Wasser im Fluss angewiesen, das ebenfalls knapp ist. Fotos 13: Verteilung der Kenya Seed-Samen, Aussaat, Bewässerung

Diese hochspezialisierte Anbauweise benötigt zu bestimmten Zeitpunkten eine enorme Arbeitskraft. Denn neben dem Pflügen, der Aussaat und dem Bewässern müssen auch zur Hybridisierung des Maises die Pollen produzierenden Blüten (Rispen) an der Spitze einer Maispflanze von vier Reihen entfernt werden.65 Nach der Ernte werden die Kolben geschält, zum Trocknen ausgelegt und anschließend die Samen vom Kolben gelöst. Dies erfolgt vor allem auf den alten Trockenanlagen, die noch während des Chili-Anbaus errichtet wurden, und ist ebenfalls ein arbeitsintensiver Prozess. Nach ungefähr zwei Wochen erfolgt der Abtransport zum Abnehmer und zur Weiterverarbeitung, der Kenya Seed Company, in Kitale.

65 In westlichen Ländern werden die Rispen oft maschinell entfernt, im PerkerraBewässerungssystem erfolgt die Entfernung manuell. Für diesen Zeitraum besteht eine hohe Nachfrage nach Arbeitskraft, die die Bauern allein nicht decken können und deshalb auf Gelegenheitsarbeiter (Kibarua) zurückgreifen müssen.

216 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Dies zeigt, dass der Kenya Seed-Anbau zur Saatgutgewinnung nur durch genaue Vorgaben und abgestimmte, kollektive Praktiken durchzuführen ist. Dabei stellt das Anbauprogramm die zentrale Machttechnik des Steuerns dar, das den Takt der Praktiken vorgibt. Somit bestimmt es in diesem Zeitraum den Rhythmus der Arbeit. Fotos 14: Trocknen der Maiskolben im NIB-Hof und auf der Trockenanlage für Chili (unten rechts)

7.1.2 Der vertragliche Anbau von Kenya Seed-Saatgut – mit Verzögerung, aber risikoarm? Techniken der Risikominderung Die landwirtschaftliche Praxis beinhaltet immer auch eine Praxis des Managements von Risiken (Bohle 2007b). Die Landwirte befinden sich in einem Netzwerk von Risiken (Schaper et al. 2012), zu denen Produktionsrisiken bedingt durch Klimavariabilität, Extremwetterereignisse, Knappheit von Bewässerungswasser, aber auch Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten, Preisschwankun-

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gen, Arbeitsausfall durch Krankheit und Finanzengpässe gehören. Zu den Techniken, diese Risiken zu managen, gehören in Perkerra zum einen die Wasserverteilung durch das Anbauprogramm und die Wiederholungsregel. Regel der Wasserverteilung Aufgrund der Wasserknappheit werden nur bestimmte Blöcke in das Anbauprogramm aufgenommen und folglich mit Wasser versorgt. Alle Blöcke, die für Kenya Seed anpflanzen, haben eine sichere Wasserzufuhr und somit Vorrang gegenüber allen anderen Blöcken, in denen kein Kenya Seed-Saatgut angepflanzt wird. Die Blöcke, die in die Wassereinteilung für andere Anbaufrüchte (Surplus) fallen, dürfen dann bepflanzt werden, wenn die Wasserzufuhr für die Kenya Seed-Blöcke gesichert ist. Alle anderen Blöcke, die weder für Kenya Seed noch für Surplus ins Programm aufgenommen worden sind, werden in der offiziellen Wasserverteilung nicht berücksichtigt. Für Landwirte in Blöcken, die nicht im Anbauprogramm aufgenommen worden sind, ist es somit schwer, Wasser zu bekommen, und lediglich solche, die in unmittelbarer Nähe der großen Kanäle ihr Feld haben, können auf etwas Wasser hoffen (Interview E8). Diese Technik sorgt für eine gesicherte Wasserversorgung für alle die Landwirte, die ihr Feld in einem Block haben, der für Kenya Seed anbaut. Diese Risikominderungsstrategie zielt dennoch nicht auf die Sicherung des Lebensunterhalts des Landwirts, sondern darauf, den Vertragsanbau zu erfüllen. Die beschränkte Verfügbarkeit von Wasser und damit die eingeschränkte Möglichkeit für die Menschen im Bewässerungssystem anzubauen, spiegelt sich auch in der landwirtschaftlichen Aktivität der Haushalte mit Land im Bewässerungssystem wider. So bestellten nur knapp über die Hälfte der Haushalte, die über registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen (auch pachten), ihre kompletten Felder während der Saison 2011. Ein Drittel der Haushalte bestellte entweder keines ihrer Felder im Bewässerungssystem oder nur einen kleinen Teil. Dies kann verschiedene Gründe haben, zum Beispiel die mangelnde Verfügbarkeit von Produktionsmitteln, der Hauptgrund liegt jedoch im Anbauprogramm und in der Wasserverteilung. Zieht man die Daten zur landwirtschaftlichen Aktivität der Haushalte, die außerhalb des Bewässerungssystems ihre Felder bestellten (z. B. am Fluss oder in der Siedlung), heran, liegt diese im Gegenzug bei 81 %.

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Fotos 15: Links und Mitte: Durch das Rotationsprogramm trocken gefallener RKanal, rechts: R-Kanal mit Wasser

Regel der Wiederholung Kam es in einem Anbauzyklus für einen Block zum Ernteausfall aufgrund von Schädlingsbefall, Pflanzenkrankheit oder Unwetter, gilt grundsätzlich die Regel, dass dieser Block erneut in das Bewässerungsprogramm des nächsten Jahres aufgenommen wird. Es kommt zur Wiederholung des Anbaus in einem Block, sodass das Anbauprogramm in manchen Blöcken regelrecht verharrt. Zum einen ist die Regel der Wiederholung als eine Lösung zu werten, die Landwirte nicht in die Schuldenfalle laufen zu lassen und ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Schulden bei der Saving and Credit Co-operative Society (Sacco) für die Produktionsmittel (Saatgut und Dünger) zurückzuzahlen. Zum anderen führt sie dazu, dass einige Blöcke bis zu drei Jahre hintereinander nicht in das Programm von Kenya Seed aufgenommen werden können (siehe Tabelle 24, z. B. Blöcke R1, R9 und R14). Somit ist diese Technik der Risikominderung vor allem eine in der Dimension der Finanzrisiken, d. h. für die finanziellen Institutionen wie Sacco (Rückzahlung der Kredite) und für die Abbezahlung der Schulden seitens der Landwirte. Dieser Mechanismus führt jedoch auch zu einem Ausschluss von Landwirten, die auf das Programm angewiesen sind und nicht auf den Anbau von Surplus ausweichen können. Dies ist bei Alice der Fall. Sie ist Witwe und Mitte fünfzig. Seit einem schweren Unfall kann sie nur bedingt auf dem Feld arbeiten und baut deshalb nur für Kenya Seed an. Sie hat drei Felder, jeweils einen Acre in L1, R2 und R8, aber keiner dieser Blöcke wurde in den letzten drei Jahren in das Anbauprogramm aufgenommen. Deshalb muss sie sich mit Gelegenheitsarbeit, Unterstützung der Kinder und dem Verpachten von Land ihren Lebensunterhalt sichern.

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Tabelle 24: Anbau für Kenya Seed in den Blöcken von 2009 bis 2012 (graues Feld) Block L1

L2

L3

L4

L5

R1

R2

R3

R4

R5

R6

R7

R8

R9

R14

2012 2011 Jahr 2010 2009

Quelle: eigene Erhebung, NIB-Unterlagen

Kenya Seed – risikoarm, aber mit Verzögerung Der Anbau für Kenya Seed erscheint als eine sichere Strategie für die Landwirte, da er mit einem festen Abnehmer und einem festen Preis verbunden ist. Die Techniken des Anbauprogramms und der Absicherung bei Ernteausfall sollen eine gute Produktion gewährleisten. Was diese Techniken für die Lebenssicherung der Landwirte bedeuten, wurde bereits angedeutet. Im Folgenden wird dies zusammen mit der Frage, wie die Landwirte mit den Effekten dieser Techniken umgehen, genauer beleuchtet, denn die meisten Landwirte können für ihre Lebenssicherung nicht allein auf Kenya Seed setzen. Dies liegt zum einen an der bereits erwähnten Wiederholungsregel und zum anderen am Problem der sich stets verzögernden Auszahlung durch die nationale Bewässerungsbehörde. Da diese die Vermittlerrolle im Vertragsanbau zwischen Bauernschaft und der Kenya Seed Company einnimmt, ist sie auch Adressat der Beschwerde. So kommt es vor, dass die Zahlungen sich bis zu neun Monate verspäten (Interview N13). Dies birgt eine Unsicherheit für die Landwirte, da sie nicht mit dem Geld planen können. Am verwundbarsten sind diejenigen, die für den Zeitraum keine weiteren Einkünfte haben und auf Gelegenheitsarbeit oder ihre sozialen Netzwerke zurückgreifen müssen. Des Weiteren beklagen viele, dass die Abzüge für Produktionsmittel und der Eingang der Zahlungen auf den Konten der Landwirte oft nicht transparent seien. „I tried to plant Kenya Seed but I failed and then I tried again the next year but due to the delay of the payment by NIB, I stopped. They steal from the farmers, it is not transparent. Then I started planting beans and mboga [vegetables]“ (Interview S18).

Quelle: eigene Erhebung, Kartographie: Storbeck

Karte 6: Die Rotation im Anbauprogramm

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Einige Interviewpartner spekulierten, dass die Abrechnungen nicht korrekt ablaufen würden und die Landwirte vom NIB „über den Tisch gezogen werden würden“. Da die Zahlung sehr spät erfolgt („You plant Kenya Seed in January and wait up to next January for the money“) (Interview N13), sind die Menschen für den täglichen Lebensunterhalt wie Nahrungsmittel, auf zusätzliche Einnahmen und/oder den Anbau von Surplus angewiesen. „You cannot make it with Kenya Seed only. Because what will the children eat? You cannot survive until that time [pay-out]. So you have to plant surplus“ (Interview N13).

Die Auszahlungen vom Kenya Seed-Anbau, wenn es zu welchen kommt, werden hingegen für größere Ausgaben genutzt, wie das Bezahlen der Schulgebühren, oder einen Hausbau. Das Risiko einer schlechten Ernte oder eines Ernteausfalls ist groß, denn es kommt recht häufig zu Schädlingsbefall und Pflanzenkrankheiten. Dennoch ist das finanzielle Risiko für die Landwirte, die in das Anbauprogramm inkludiert sind, durch die Wiederholungsregel einigermaßen berechenbar. Diejenigen, die nicht im Anbauprogramm sind, sehen sich jedoch teilweise erschwerten Bedingungen ausgesetzt. Die Situation zeigt, dass nicht alle, wie im Falle von Alice, eine unternehmerische Landwirtschaft, welche der Anbau von Surplus darstellt, tätigen können. Dies sind immerhin 20 % der landwirtschaftlich-aktiven Haushalte. Der preislichen Sicherheit des Kenya Seed-Anbaus steht die Unregelmäßigkeit im Anbauprogramm gegenüber. Daher ist die große Mehrheit der Landwirte auf den zusätzlichen Anbau von Surplus angewiesen, der im Folgenden näher vorgestellt wird. 7.1.3 Der nicht-vertragliche Anbau – rentabel, aber risikoreich? Alles was neben der Kenya Seed-Produktion angebaut wird, läuft unter dem Label Surplus – zu Deutsch Mehrertrag. Ursprünglich sollten diese Feldfrüchte zusätzlich zu dem vertraglichen Anbau angebaut werden, um Nahrungsmittel zum Eigenverzehr der Siedler zu produzieren. Nach dem Anbau der Vertragsfrucht sollte danach Surplus angebaut werden. Heute werden unter dem Label „Surplus“ vor allem Tomaten, Mais, Wassermelonen, Papaya und Grünkohl angebaut. Mais und Grünkohl66 werden vor allem für den Eigenverbrauch angebaut, aber in manchen Fällen auch verkauft. Tomaten und Melonen werden als cash crops angebaut. Sie können als risikoreiche Anbauprodukte bezeichnet werden, 66 Die Bedeutung von Grünkohl für die Ernährung spiegelt sich im Namen wider. So wird der Grünkohl in Kiswahili sukumawiki genannt, was so viel heißt wie „einen durch die Woche bringen“. Grünkohl wird an den Seitenstreifen des Feldes angebaut und kann über mehrere Wochen geerntet werden.

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da der Anbau hohe Ausgaben für Produktionsmittel erfordert und die Gewinnspanne sehr schwanken kann. Aus Tabelle 25, die einen Überblick über die Produktionskosten und Gewinnspannen von Tomaten, Melonen und Mais (kein Kenya Seed) gibt, wird ersichtlich, dass die Produktionskosten für Tomaten und Melonen doppelt so hoch sind wie für Mais. Die Gewinne bei maximalem Ertrag und maximalem Preis sind dafür ebenfalls sehr hoch. Auf der anderen Seite liegen die Gewinne bei minimalem Ertrag und minimalem Preis für Tomaten und Melonen weit unter den Produktionskosten und können somit zu einem großen Verlust und sehr wahrscheinlich zu einer Verschuldung führen. Die Landwirte sind einer doppelten Risikoquelle ausgesetzt: schwankenden Preisen und schwankenden Erträgen, bedingt durch Wasserknappheit und Pflanzenkrankheiten. Fotos 16: Landwirte auf ihrem Feld (Papaya, Tomaten, Bohnen)

Für die verschiedenen Produkte gibt es unterschiedliche Vermarktungsmöglichkeiten. Tomaten und Wassermelonen werden häufig von Händlern abgekauft, die direkt zum Feld der Landwirte kommen und vorab bereits eine Menge „buchen“. Die Abmachung über die Menge des Produkts erfolgt jedoch im Normalfall nur mündlich. Händler kommen aus Nakuru, Eldoret oder Naivasha, um Tomaten oder Wassermelonen zu kaufen. Es gibt keine festen Abnehmerbeziehungen zu einem bestimmten Händler, sondern je nach Angebot und Nachfrage entstehen die Handelsinteraktionen. Viele Interviewpartner berichteten, dass es häufig zu Unregelmäßigkeiten komme. So kommt es vor, dass die Händler die Preise oder die Abnahmemengen oder gleich beides mindern. Dies ist in vielen Fällen ein schwerer Schlag für die Landwirte, wenn diese kurzfristig keinen anderen Abnehmer finden. Sie versuchen dann, die Tomaten und Wassermelonen auf dem

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Tabelle 25: Übersicht Produktionskosten und Gewinne für Surplus Surplus

Mais (kein Kenya Seed) (1 Acre)

Tomaten (1 Acre)

Wassermelonen (1 Acre)

Pacht und Wasserkosten

12.000 KES

8.000 KES

8.000 KES

Bodenbearbeitung

5.050 KES

4.500 KES

5.000 KES

Saatgut

k. a.

4.000 KES

13.000 KES

Aufzucht der Setzlinge

2.000 KES

Bepflanzung

800 KES

Unkrautentfernung

2.000 KES

Bewässerung

2.400 KES

500 KES

Düngemittel

5.000 KES

11.500 KES

16.500 KES

10.000 KES

13.000 KES

Pflanzenschutzmittel Sonstige Kosten (Mais: Transport und Trocknung, Tomaten: Stützstäbe)

4.500 KES

2.000 KES

2.000 KES

26.500 KES

Gesamtkosten Produktionsmittel

31.750 KES

69.000 KES

57.500 KES

Maximaler erwarteter Verkaufspreis

35 KES/ kg67

3.500 KES / Steige

35 KES / kg

Minimaler erwarteter Verkaufspreis

k. a.

500 KES / Steige

15 KES /kg

Maximale erwartete Erntemenge

3.000 kg

220 Steigen

20 Tonnen

Minimale erwartete Erntemenge

k. a.

k. a.

5 Tonnen

Maximaler erwarteter Erlös (Brutto) (max. Verkaufspreis, max. Erntemenge)

105.000 KES

770.000 KES

700.000 KES

110.000 KES (min. Preis mit max. Ernte)

75.000 KES

701.000 KES

642.500 KES

41.000 KES

17.500 KES

Minimaler erwarteter Erlös (Brutto) (min. Verkaufspreis, min. Erntemenge) Maximaler erwarteter Gewinn (Netto) Minimaler erwarteter Gewinn (Netto)

73.250 KES

Quelle: eigene Erhebung

Markt in Marigat zu verkaufen. Mais, Bohnen und Gemüse werden ebenfalls direkt auf dem Markt dort verkauft. Die größere Preistransparenz durch die Mög-

67 Der Preis für Mais in Marigat lag im März 2013 bei 35KES/kg und 3.000 KES für 10 kg. Im Februar bei 35 KES/kg und 2.800 KES für 10 kg und im Januar nur bei 30 KES/kg und 2.800 KES für 10 kg, laut dem National Cereal and Produce Board, das die wöchentlichen Open Air Market Prices für Mais bekannt gibt (National Cereal and Produce Board 2013).

224 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

lichkeit per SMS Informationen über die aktuellen Preise vieler Produkte der Märkte in größeren Städten zu beziehen, ist für die Landwirte von Vorteil. Dadurch sind die Landwirte besser informiert und können mit einer gestärkten Stellung in die Preisverhandlungen mit den Händlern gehen. Wie an diesen Beispielen deutlich wird, ist die Vermarktung der Produkte vom händlerischen und unternehmerischen Geschick des Landwirts abhängig, der eigenständig Entscheidungen trifft und mit Risiken umgeht. Die Produktion von SurplusMelonen und -Tomaten weist also einige gegensätzliche Logiken zur Produktion von Kenya Seed-Saatgut auf. Wandel der Anbauvorlieben „People are also changing their dependency on Kenya Seed and prefer surplus“ (Interview N13). Der Anbau von Surplus wird zunehmend als attraktiv erachtet und viele Landwirte versteifen sich nicht mehr alleinig auf den Vertragsanbau von Kenya SeedSaatgut. Die genannten Vorteile des Surplus-Anbaus sind, neben der Möglichkeit eines hohen Gewinns, auch, dass das Geld nach der Ernte, drei Monate nach Aussaat, zu Verfügung steht. Da eine ausgedehnte Erntephase von bis zu zwei Monaten bei Tomaten möglich ist, könnte so ein stetiges Einkommen in dieser Phase generiert werden. Auch seien Verluste schneller absehbar und somit die Ausweichmöglichkeiten zu alternativen Strategien eher gegeben, als beim Anbau für Kenya Seed. Im Falle eines Ernteausfalls von Kenya Seed-Mais aufgrund von Krankheitsbefall müssten die Landwirte mit den angehäuften Schulden über ein Jahr warten, um dann mit der neuen Ernte im nächsten Jahr ihre Kredite zu bezahlen. Dennoch wurden die schwankenden Preise, die Vermarktungsschwierigkeiten, möglicher krankheitsbedingter Ernteausfall und Wasserknappheit als Probleme des Surplus-Anbaus identifiziert. 7.1.4 Praktiken des Zugangs In Kapitel 6.4 wurde die Klassifikation der nationalen Bewässerungsbehörde bereits angesprochen, die die Bewohner der Siedlungen nach Besitz oder NichtBesitz einer Konzession (Verfügbarkeit von registriertem Land) einteilt. An die Konzession sind bestimmte institutionelle Zugänge gekoppelt, die mit den vertraglichen Anbaustrukturen für die Kenya Seed-Produktion verbunden sind. Die gesamte Abrechnung und die Planung laufen über die Registrationsnummer des Feldes. Aber wie bereits erläutert, verfügen nur um die 40 % der Haushalte über registriertes Land. Ein Großteil derer, die über registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen, sind in der wohlhabenden Gruppe und der oberen Mittel-

D ER V ERTRAGSANBAU

ALS

M ACHTTECHNIK I 225

gruppe zu finden (75 % der wohlhabenden Gruppe, 65,6 % obere Mittelgruppe, siehe (Tabelle 19). Somit haben ein Viertel der als wohlhabend eingestuften Haushalte und ein Drittel der oberen Mittelgruppe der Haushalte kein registriertes Land. In der unteren Mittelgruppe und der unteren Gruppe ist es bei Weitem über die Hälfte der Haushalte, die über kein Land im Bewässerungssystem verfügen68 und somit auf den ersten Blick vom Vertragsanbau ausgeschlossen ist. Es gibt jedoch verschiedene Wege, dennoch am Anbau beteiligt zu sein. So besteht die Möglichkeit in einem Block mit Kenya Seed-Mais ein Feld zu pachten. Zieht man zur Analyse die Pachtmuster der Wohlstandsgruppen hinzu, wird ersichtlich, dass alle Haushalte aus der wohlhabenden Gruppe, die kein Land besitzen, welches pachten. Insgesamt pachtet über die Hälfte der Haushalte dieser Gruppe zusätzlich Land. In den anderen Wohlstandsgruppen ist das Pachtverhalten nicht so stark ausgeprägt. In der oberen Mittelgruppe liegt die Rate des Pachtens bei 28 % und nimmt zur unteren Gruppe bis 15 % ab (Tabelle 26). Zusätzliche Landpacht bedeutet eine finanzielle Investition, die viele weniger wohlhabende Haushalte nicht aufbringen können. Tabelle 26: Pachtmuster nach Wohlstandsgruppe in %

pachten

pachten nicht

Wohlhabende Gruppe (n = 31)

55 %

45 %

Obere Mittelgruppe (n = 64)

28 %

72 %

Untere Mittelgruppe (n = 46)

22 %

78 %

Untere Gruppe (n = 46)

15 %

85 %

Quelle: eigene Erhebung

Die Pachtpreise für Land steigen für Kenya Seed-Mais von 3.000–6.000 KES/Acre, was normalerweise für Surplus gezahlt wird, auf 10.000 KES/Acre. Die Pachtpreise für Felder zum Kenya Seed-Anbau sind also um einiges höher 68 Dieses Bild wandelt sich ein wenig, wenn die Landverteilung, die den ganzen Landbesitz eines Haushaltes berücksichtigt, analysiert wird (siehe Tabelle 19). Dennoch ist auch hier auffällig, dass fast ein Viertel der wohlhabenden Gruppe (21,9 %) und auch der gehobenen Mittelgruppe (23,8 %) lediglich null bis 1,5 Acres besitzen. Auf der anderen Seite verfügen über ein Viertel der unteren Mittelgruppe (28,2 %) und ein knappes Viertel der unteren Gruppe (24,3 %) über 3,5 Acres.

226 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

als für Surplus. Die Konkurrenz kann groß sein und in manchen Fällen scheitert das Vorhaben, Land in einem Block im Anbauprogramm zu pachten daran, dass alles bereits vergeben wurde, oder derjenige mit dem besseren Angebot sich durchsetzen konnte. Wie die Daten zeigen, ist die Pacht vor allem für die Haushalte der wohlhabenderen Gruppen möglich. Vor dem Hintergrund des unregelmäßig rotierenden Anbauprogramms und der Wasserknappheit zeigt sich, dass die ökonomisch schwächeren Haushalte auch weniger von der Ressource profitieren können. Die Haushalte, die sowohl über Land im Bewässerungssystem als auch außerhalb verfügen (13 % der befragten Haushalte), können auch unabhängig vom Rotationsprogramm Feldfrüchte anbauen (siehe Tabelle 13). Auch für die Haushalte, die Felder in verschiedenen Blöcken haben, erhöht sich die Chance, wenigstens auf einem Feld Kenya Seed-Samen anzubauen. Zu einer weiteren Möglichkeit ohne Konzession für Kenya Seed anzubauen, gehört folgende: Das Bewässerungssystem hat vor allem kanalabwärts, d. h. im Osten, noch Potenzial zur Ausweitung. Im nordöstlichen Ende des Bewässerungssystems befinden sich die meisten bisher noch nicht registrierten Ausweitungsflächen („Extension“-Felder69). Wasser erreicht die Felder über die Kanäle des Bewässerungssystems. Einige Blockleiter arbeiten mit den Landwirten, die auf nicht registriertem Land anbauen, zusammen und verhelfen ihnen zum Kenya Seed-Anbau. So organisiert der Blockleiter in R14Q, der „seinen Leuten“ in den nicht-registrierten Extensionsgebieten helfen möchte, Registrationsnummern von Landwirten, über die die Landwirte auf ihren nicht-registrierten Feldern Kenya Seed-Mais anbauen können und über deren Konten sie dann die Auszahlung erhalten. „I also assist them to get loans from the Sacco. I have assisted my people like the one´s in the extension. Around 70 people and they get Kenya Seed through me. And that´s the only thing I am seeing that I have done well“ (Interview E9).

69 Es wurde versucht die Anbaufläche des Bewässerungssystems in den letzten Jahren kontinuierlich zu erweitern. Grundsätzlich wurde weit mehr Land in den 1950erJahren in den staatlichen Besitz genommen, als jemals bestellt wurde. Dennoch sind nicht alle Felder NIB-registrierte Felder, die in diesem demarkierten Bereich liegen. In den letzten Jahren entstanden sogenannte „Extension“-Flächen. Diese Ausweitungsflächen werden häufig anfangs ohne Registration unter Bewässerung genommen und später registriert, wie z. B. der Block R14-Extension, der inzwischen registriert und nun legal in den Kenya Seed-Anbau aufgenommen wurde.

D ER V ERTRAGSANBAU

ALS

M ACHTTECHNIK I 227

Ein Blick auf die Daten lässt erkennen, dass dies eine gängige Praxis ist, denn 53 % der Haushalte, die über kein registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen, haben schon einmal für Kenya Seed angebaut (Diagramm 7). Diagramm 7: Anbaufrucht der landwirtschaftlich aktiven Haushalte ohne registriertes Land im Bewässerungssystem

Anbaufrucht der landwirtschaftlich aktiven Haushalte ohne Konzession 16%

8%

1%

nur Kenya Seed mehr Kenya Seed nur Surplus-Anbau

28%

47%

mehr SurplusAnbau beides gleich

Quelle: eigene Erhebung

Wasserpraktiken Die Wasserverfügbarkeit ist ein grundlegendes Problem im Bewässerungssystem. Auf die Frage, ob sie jemals Probleme bei der Wasserverteilung gehabt hätten, antworteten 80 % mit ja (n = 162). Tabelle 27 gibt einen Eindruck, mit welchen Problemen sich die Landwirte konfrontiert sehen. Je nachdem ob ein Landwirt Kenya Seed-Mais oder Surplus im Bewässerungssystem anbaut, ist er unterschiedlichen Wasserversorgungsbedingungen ausgesetzt, denn wie bereits genannt, ist die Wasserzufuhr vor allem für den Anbau für Kenya Seed reserviert. Nur 20 % der landwirtschaftlich aktiven Haushalte, die über Felder im Bewässerungssystem verfügen, bauen ausschließlich für Kenya Seed an. 80 % der Haushalte bauen sowohl für Kenya Seed als auch Surplus an (siehe Diagramm 8). Je nachdem was sie anbauen, nehmen die Landwirte unterschiedliche Rollen ein und müssen mit verschiedenen Taktiken an das Wasser gelangen. Einige Surplus-Landwirte ohne Konzession sahen sich systematisch ausgegrenzt in der Wasserverteilung im Bewässerungssystem. Deshalb müsse man Alternativen

228 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

finden, so ein Landwirt, der zugab, gelegentlich das Schloss eines kleinen Kanaltors aufzubrechen, um illegal zu bewässern. Tabelle 27: Probleme bei der Wasserverteilung im Bewässerungssystem Auftreten des Problems: 1 - nicht genug Wasser

69,8 %

2 - jmd. hat das ihnen zu geteilte Wasser genommen

56,8 %

3 - Konflikt mit anderen Landwirten um Wasser

51,2 %

4 - Führer privilegieren Landwirte ihrer Community

31,5 %

5 - Auftreten von Bestechung

29 %

6 - schlechte Infrastruktur

27,2 %

7 - Regeln werde nicht eingehalten

27,8 %

Quelle: eigene Erhebung

Eine Taktik, die jedoch nur vereinzelt angewendet wird, um im Bewässerungssystem, ohne im Anbauprogramm mit aufgenommen zu sein, eine sichere Wasserzufuhr zu erlangen, ist das Pachten von Feldern in unmittelbarer Nähe eines Blocks, in dem Kenya Seed-Mais angebaut wird. Land zu pachten, wo kein Anbauprogramm ist, um Surplus anzubauen, birgt das Risiko der unsicheren Wasserzufuhr und des freilaufenden Viehs, das die Pflanzen frisst. In diesem Fall ist Sozialkapital von höchster Bedeutung: Gruppen von Landwirten schließen sich zusammen, um Aufgaben zu verteilen: gemeinsam dem Wasser vom Hauptkanal bis zum Feld folgen und das Vieh von den Feldern fernhalten. Diese Taktik wurde vor allem bei solchen Personen beobachtet, die auf das Pachten angewiesen sind und entweder erst seit kürzerer Zeit im Bewässerungssystem ihr landwirtschaftliches Glück suchen oder eher der unteren Mittelgruppe angehören.

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Diagramm 8: Was bauen die Haushalte mit registriertem Land im Bewässerungssystem an?

Anbaufrucht von landwirtschaftlich aktiven Haushalten mit Konzession im Bewässerungssystem 22%

nur Kenya Seed 41%

mehr Kenya Seed 8% 7%

nur Surplus-Anbau mehr Surplus-Anbau beides gleich

22% Quelle: eigene Erhebung

Andere Interviewpartner gaben an auch nachts in ihren Feldern zu übernachten, um nachts bewässern zu können. Auch alleinstehende Frauen, die auf sich gestellt sind, sind zu dieser Bewässerungspraktik gezwungen. Einige der reichsten Landwirte im Bewässerungssystem, mit denen ich Interviews führte, bestätigten, dass sie sich aktiv im Anbau der cash crops-Tomaten und -Melonen betätigten. Sie sahen die Wassersituation für den Anbau von Surplus im Bewässerungssystem als äußert kritisch an. So wurden mehrere von ihnen bereits von der Polizei aufgrund illegaler Bewässerung verhaftet. Einige sind in den letzten Jahren aus dem Bewässerungssystem „ausgewandert“ und pachteten Land am Ufer des Perkerra-Flusses, wo sie nun mit einer Pumpe die Felder bewässern. Durch diese „Ausweichtaktik“ umgehen sie die Regelungen des Bewässerungssystems. Die Extensionsgebiete gehören formal nicht zum Bewässerungssystem und werden daher nicht im Anbaukalender berücksichtigt. Dennoch erhalten die Felder über die Kanäle des Bewässerungssystems Wasser. Da die Felder jedoch nicht registriert sind, müssen deren Nutzer die Wassergebühr nicht zahlen, bekommen allerdings auch nur dann Wasser, wenn die Felder im Bewässerungssystem ausreichend bewässert wurden. Die Landwirte organisieren sich in den Extensionsgebieten. Sie versuchen sich auf die Anbauweise im Bewässerungssystem abzustimmen und bewässern z. B. ihre Felder, wenn im Bewässerungs-

230 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

system geerntet wird. Es finden Treffen statt, wie das Wasser am besten zu verteilen ist. Jeder Kanal bekommt eine Zeit zugeteilt. Wenn es keinen Niederschlag gibt, sind die Landwirte in den Extensions gezwungen, nachts zu bewässern, da tagsüber das Wasser den Feldern im Bewässerungssystem zugeteilt ist.70 Oft ist der Wasserfluss so gering, dass es zwei Nächte benötigt, um einen Acre zu bewässern. An diesen Beispielen wird deutlich, dass die informellen Wasserpraktiken außerhalb des Anbauprogramms durch Selbstorganisation und lokale Arrangements ausgezeichnet sind. Der Zugang zu Wasser stellt sich für die Landwirte außerhalb des Anbauprogramms um einiges schwieriger und aufwendiger dar als für die im Anbauprogramm. Der Anbau ist mit intensivem Arbeitseinsatz verbunden, führt jedoch häufig aufgrund von Wasserknappheit und Pflanzenkrankheiten nur zu einer Missernte. Fotos 17: Feld am Flussufer, Feld im Extensionsgebiet

7.1.5 Die Ausweichtechnik – die Landwirtschaft am Flussufer „Before there was no irrigation along the river everybody depended on the scheme for farming. The river water was only used for livestock. But things have changed, and people now are clever and wise since they have seen the importance of the soil. They are clearing fields and developing them into farms. They are using generators to water the farms along the river bank. The river is divided into two parties, one that goes to the scheme and another one that goes to the river at the intake“ (Interview SP1).

70 Der Anbau in den Extensionsfeldern ist von Dezember bis Februar fast unmöglich, da es kaum Wasser gibt.

D ER V ERTRAGSANBAU

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M ACHTTECHNIK I 231

Der Fluss wird geteilt, so der Landwirt. Die Menschen seien jetzt „clever“ und „weise“, denn sie hätten die Bedeutung des Bodens für die Landwirtschaft erkannt. Eine ältere Frau sieht die Entstehung der Flusslandwirtschaft zum einen als einen emanzipatorischen Akt im Sinne einer landwirtschaftlichen Subjektwerdung durch die Verwendung der Technologie von Pumpen und zum anderen als eine Möglichkeit der Einkommensgenerierung angesichts der steigenden Lebenserhaltungskosten und der abnehmenden staatlichen Unterstützung. „This is because before the people have opened their eyes and have been educated and they have seen the benefit of using generators [for pumps] in farming. The life before was cheap and the president was giving us food relief but since Kibaki [president at the time of Interview] came into power there is no food relief. So people are looking for an alternative of means of surviving. So at the moment farming along the river is very high“ (Interview SP4).

Eine Kartierung entlang des Flusses zeigte, dass in den letzten Jahren eine Bewässerungslandwirtschaft mit Wasserpumpen an den Flussufern entstanden ist (siehe Karte 7).71 Es werden vor allem gewinnbringende Feldfrüchte wie Tomaten und Wassermelonen angebaut. Laut Berichten wurde diese Entwicklung vor allem durch die Verfügbarkeit von Wasserpumpen angefacht. Durch die Möglichkeit der Bewässerung durch Pumpen hat das Land dort an Wert gewonnen. Das Land am Fluss ist Gemeindeland und die Familien, die dort leben, haben in den meisten Fällen kein Geld, um sich eine Pumpe zu kaufen. Landwirte, die kein Land dort haben, aber mit Finanzkapital ausgestattet sind, pachten Land, oder erhalten durch die Bereitstellung einer Pumpe im Gegenzug Land. Andere Landwirte mieten eine Pumpe. Allerdings stellt das Benzin für die Pumpe einen zusätzlichen Kostenfaktor dar. Die Kosten, die mit dem Kauf der Pumpe und des

71 Die Bewässerungslandwirtschaft am Flussufer lässt sich in drei Abschnitte teilen. Angefangen mit Rabai in unmittelbarer Nähe vom Kanalabzweig zum PerkerraBewässerungssystem, flussabwärts folgend Eldume und schließlich Illng´arua. Während der Erhebung 2011 sahen die Landverhältnisse wie folgt aus: In Rabai wurde das Land zur Hälfte seit bis zu zwei Jahren gepachtet und bestellt und zur anderen Hälfte vom Besitzer selbst bestellt. Viele der Landwirte, die dort Land pachten, verfügen über Land im Bewässerungssystem, allerdings haben sie sich aufgrund von Wasserknappheit entschlossen, am Fluss zu kultivieren. Vor allem in der Trockenzeit ist das Land aufgrund der guten Wasserversorgung die einzige Möglichkeit landwirtschaftlich aktiv zu sein, da die Wasserzufuhr im Bewässerungssystem nur kanalaufwärts eingeschränkt möglich ist.

232 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Benzins verbunden sind, überschreiten die finanziellen Kapazitäten vieler Landwirte. Fotos 18: Bewässerung mit Pumpe am Perkerra-Fluss

Das Land am Fluss ist Gemeindeland und die Familien, die dort leben, haben in den meisten Fällen kein Geld, um sich eine Pumpe zu kaufen. Landwirte, die kein Land dort haben, aber mit Finanzkapital ausgestattet sind, pachten Land, oder erhalten durch die Bereitstellung einer Pumpe im Gegenzug Land. Andere Landwirte mieten eine Pumpe. Allerdings stellt das Benzin für die Pumpe einen zusätzlichen Kostenfaktor dar. Die Kosten, die mit dem Kauf der Pumpe und des Benzins verbunden sind, überschreiten die finanziellen Kapazitäten vieler Landwirte. Die Finanzkosten, die mit der Landwirtschaft am Fluss durch Benzinkosten verbunden sind, decken sich mit den Wassergebühren im Bewässerungssystem, so die Einschätzung einiger Landwirte, die in beiden Gebieten anbauen. Zu den Vorteilen der Landwirtschaft am Fluss gehören dennoch die Wasserverfügbarkeit während des ganzen Jahres, die Unabhängigkeit von Regelungen, dem Anbauplan, dem Kanalsystem und Konflikten mit anderen Landwirten um Wasser. Diese Vorteile werden, wie bereits erwähnt, vor allem von unternehmerischen, wohlhabenderen Landwirten geschätzt. Diese sehen sich durch die rigide Wasserverteilung im Bewässerungssystem eingeschränkt, wo sie mit dem Anbau von Tomaten und Melonen keine ausreichende Berücksichtigung in der Wasserverteilung finden.

D ER V ERTRAGSANBAU

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M ACHTTECHNIK I 233

Karte 7: Skizze der Bewässerungslandwirtschaft am Perkerra-Fluss

Quelle: eigene Erhebung, kartographische Umsetzung: Jochen Burger

Der Versuch der Regulierung der Landwirtschaft am Flussufer Mit dem Rückzug der nationalen Bewässerungsbehörde aus dem Management wurden auch am Fluss die Regelungen gelockert. So hatte das NIB ein Komitee eingesetzt, das die Flusswassernutzung zwischen den verschiedenen Anrainern (vor allem Bewässerungssystem und Dörfer flussabwärts wie Ng´ambo) regulieren sollte. Mit dem Water Act 2002 wurde die River User Association (RUA) gegründet, die für das Wassermanagement des Perkerra-Flusses zuständig ist. Der RUA-Vorsitzende erklärt, dass landwirtschaftliche Aktivitäten unter dem NIB-Komitee strengstens verboten waren und dass jetzt, seitdem es die RUA gäbe, Landwirtschaft zu bestimmten Zeiten geduldet wird. Dies kann ebenfalls als Grund gewertet werden, warum in den letzten zehn Jahren die Bewässerungslandwirtschaft am Flussufer immer weiter zugenommen hat. Aufgrund der zunehmenden Aktivität ist dies nun auch ein Thema für die staatlichen und administrativen Behörden geworden. Die Entnahme von Flusswasser während der Trockenzeit wurde als illegal erklärt. So gibt es laut Aussagen der Landwirte auch eine Kontrolle der Einhaltung, die Kontrolleure würden jedoch gegen eine „finanzielle Entschädigung“ darüber hinwegsehen. Auch gibt es eine Regelung zum Flussuferschutz. Laut Gesetz darf keine Landwirtschaft direkt am Fluss stattfinden und das Doppelte der Breite des Flusses am Ufer stellt eine Schutzzone dar, in der Bäume gepflanzt werden sollten (Interview E17).

234 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

DAO:

„There is a law that prohibits farming close to the river because of river bank protection. But in this place farmers grow close to the Riverbank. “

JK:

„What are you doing about this?“

DAO:

„What we do? We try to sensitize farmers, we mark the river bank and ask the farmers to grow trees. Major problem are the goats, they eat the newly planted trees. Second challenge is the land belongs to the community. Even if you have structures of soil keeping, nobody takes care, because it belongs to everybody, so it belongs to nobody“

JK:

„So, there won´t be any improvement?“

DAO:

„With the decentralization of the government, governors will come to the county. The government and the money for the county will be closer to local problems. We can then focus with our funds on the problem. Before program priorisation came from Nairobi. I believe in close future there will be improvement“ (District Agricultural Officer Interview W17).

Der District Agricultural Officer (DAO) sieht mit der Dezentralisierung der Verwaltungsgebiete zunehmende finanzielle Mittel verbunden, durch die sich die Kapazität, dieses Problem zu lösen, steigern wird. Die Liberalisierung der Landwirtschaft, die Wasserknappheit im Bewässerungssystem und die strikte Regelung des Anbauprogramms werden jedoch auch in Zukunft die Landwirtschaft am Fluss prosperieren lassen. Aufstrebende SurplusLandwirte mit Kapital werden weiterhin am Fluss investieren.

D ER V ERTRAGSANBAU

7.2 D IE P LURALISIERUNG L ANDSCHAFT

ALS

M ACHTTECHNIK I 235

DER I NSTITUTIONEN -

Mit den Veränderungen der institutionellen Regelungen durch die Reskalierungsprozesse, die in Kapitel 5.2 und Kapitel 5.3 bereits erläutert wurden, ist ein Raum entstanden, der durch neue Governance-Prozesse ausgezeichnet ist. Mit der zunehmenden Anzahl an Landwirten, die über kein registriertes Land im Bewässerungssystem verfügen, aber die intensiv Surplus anbauen, steigt auch das Bedürfnis nach einer organisierten Vertretung ihrer Interessen, vor allem im Bereich des Marketings. Wie in Kapitel 5.3.4 dargelegt wird, verfügen über 50 % der landwirtschaftlich aktiven Haushalte in der Stichprobe über kein registriertes Land im Bewässerungssystem. Gerade die Anteile der unteren Mittelgruppe, in denen 70 % der Haushaltsvorstände über die Landwirtschaft ihr Einkommen beziehen, verfügen nur 26,1 % der Haushalte über registriertes Land im Bewässerungssystem. Die restlichen 73,9 % müssen für ihre landwirtschaftlichen Aktivitäten auf Land außerhalb des Bewässerungssystems oder auf Pacht72 im Bewässerungssystem zurückgreifen. Bei Pacht oder landwirtschaftlichen Aktivitäten außerhalb der Grenzen des Bewässerungssystems greifen gewisse Management-Mechanismen nicht, da diese entweder darauf angelegt sind, dass Landwirte Konzessionsinhaber sind und/oder Kenya Seed anbauen. Dazu gehören Regelungen der Farmers Cooperative Society und der Wasserverteilung von WUA. So ist in der Farmers Cooperative Society nur Landwirten die Mitgliedschaft erlaubt, die über registriertes Land verfügen. Zwar versucht die Kooperative sich für „Dienstleistungen“, wie der Vorsitzende der Kooperative es nennt, auch für andere Landwirte zu öffnen, diese Überlegungen stehen jedoch noch am Anfang. Es kann also festgehalten werden, dass all diejenigen, die über kein Land im Bewässerungssystem verfügen, von der Kooperative ausgeschlossen werden und ihnen die Unterstützung versagt bleibt. Die Regelung der Wasserzufuhr ist ebenfalls auf den Vertragsanbau für Kenya Seed ausgelegt. Die Organisationsstruktur der WUA ist vor allem darauf ausgerichtet, einen reibungslosen Ablauf des Vertragsanbaus zu gewährleisten. Zwar wird seit einiger Zeit versucht den Surplus-Anbau in das Anbauprogramm mit aufzunehmen, die Umsetzung der Wasserverteilung zugunsten der SurplusAnbauer wird jedoch durch Blockleiter und Zubringerkanalleiter nur mäßig ver-

72 Wenn im Folgenden von Pacht gesprochen wird, ist damit nicht das Pachtverhältnis zwischen Konzessionsinhaber (Landwirt) und NIB gemeint, sondern ein Pachtverhältnis zwischen Konzessionsinhaber und einem anderen Landwirt.

236 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

folgt. Das führt dazu, dass die Surplus-Landwirte von vielen Bereichen, wie Marketing, finanzielle Unterstützung und sichere Wasserzufuhr, exkludiert und auf sich selbst gestellt sind. Aus dieser Unzufriedenheit heraus hat sich die Idee einer Horticulture Society geformt. Diese soll im Bereich Marketing und Fortbildung vor allem die Landwirte unterstützen, die Surplus anbauen, wie Tomaten, Melonen und Zwiebeln. Zur Zeit der Erhebung gab es bereits erste Entwürfe einer Satzung, um diese in Nairobi registrieren zu lassen. Es hätte Widerstände bei einigen Mitgliedern des Managements gegeben, erklärt der Gründer der Society. „Some people don´t want us to found the society. But it is better to have two cooperative societies here. It´s like having two vehicles, to see then which one is better“ (Interview N1).

Der Gründer ist zuversichtlich, dass die neue Kooperative ein Weg ist, das Leben vieler Landwirte zu verbessern. Ziele sind vor allem das Erschließen neuer Märkte und Vermarktungsmöglichkeiten sowie, den Landwirten Inspiration und Anreize durch Ausflüge in andere landwirtschaftlich aktive Regionen zu ermöglichen. Die Gründung ist ein erster Schritt für eine Interessenvertretung all der Landwirte, die bisher durch das Managementraster des Bewässerungssystems durchgefallen sind. Somit können diese besser und aktiver in ihren landwirtschaftlichen Bestrebungen unterstützt werden. Auch wird durch die Pluralisierung die alte Kooperative dazu angehalten, einige Praktiken und Handhabungen zu überdenken. Im schlechtesten Falle trägt die neue Kooperative zu einer verstärkten Politisierung von Managementpraktiken bei, da nun Unzufriedenheit gebündelter, in einem Sprachrohr geäußert werden kann. Eine gewisse Anheizung der politics im Bewässerungssystem wird sich nicht vermeiden lassen. Dies muss nicht in konflikthaften Auseinandersetzungen enden, sondern kann natürlich auch zu Verbesserungen führen. Die Gründung einer neuen Kooperative steht im Zeichen von Wettbewerb und einer Politisierung des GovernanceSpace, da sie in Zukunft institutionalisiert die Interessen einer aufstrebenden, relativ neuen Gruppe von Landwirten im Bewässerungssystem vertreten wird. Damit können bisherigen Steuerungspraktiken des Managements infrage gestellt und zum Objekt der Aushandlung innerhalb der neuen Akteurskonstellation werden.

D ER V ERTRAGSANBAU

7.3 W IDERSTAND

IM

ALS

M ACHTTECHNIK I 237

V ERTRAGSANBAU

Durch den Managementtransfer wurden bisher die Verantwortungen für die Wasserverteilung der inneren Kanäle, das Erheben der Wassergebühren sowie die Miterstellung des Anbauprogramms an die WUA gegeben. Ein wichtiger Teil der landwirtschaftlichen Aktivitäten des Kenya Seed-Anbaus ruht bisher jedoch noch in den Händen des NIB: die Regelungen der vertraglichen Angelegenheiten mit der Kenya Seed Company. Das NIB schließt jährlich Verträge mit der Kenya Seed Company ab und verhandelt Preise und Konditionen. Die Vertragsanbauregelungen hatten auch das Misstrauen der Landwirte gegen das NIB in Mwea in den 1990er-Jahren bedingt. Auch in Perkerra äußerten die Landwirte sich über die Undurchsichtigkeit der Abschlüsse zwischen dem NIB und der Kenya Seed Company. Das NIB, das als Bindeglied zwischen den Vertragsnehmern (den Landwirten) und dem Unternehmen agiert, hat bisher die Bauernvertreter nicht in die Verhandlungen einbezogen. Mit der zunehmenden Implementierung des Managementtransfers kommt auch die Frage auf, inwieweit die Bauernschaft in die Verantwortung des Vertragsanbaus mit aufgenommen wird. Einige Stimmen sagen dazu Folgendes: „NIB still owns the marketing (Kenya Seed). NIB has the tender book, they are signing everything. A big deal like Kenya Seed is not given to the cooperative“ (Interview SP8). „NIB is a broker, they don´t want to have a competition and farmers lack information. The money is delayed by the NIB. It is supposed to be paid by the company after 45 days. Payment of Kenya Seed is insecure, therefore I prefer surplus. NIB employs delay tactics. There is another Seed company, which is private, not like Kenya Seed, which makes stuff more transparent“ (Interview S20).

Diese sehr kritischen Stimmen sehen das NIB als eine Behörde, die alles an sich reißt und gesunden Wettbewerb nur ungern zulässt. Auch die Kenya Seed Company, ein staatliches Unternehmen, wird als kritisch gesehen, die den Markt allein beherrschen will. Einige Landwirte fordern eine Beteiligung der Landwirte an den Vertragsverhandlungen. Ein Auslöser eines akuten Konflikts war die Preiserhöhung des Saatguts der Kenya Seed Company, das die Landwirte kaufen müssen, um Kenya Seed-Mais anzupflanzen. Die Landwirte empfanden es als große Ungerechtigkeit, dass sie für das Saatgut nun mehr bezahlen mussten, aber zugleich der Abnahmepreis nicht angehoben wurde. Sie konnten den Verkaufspreis nicht ändern, da sie vertraglich gebunden waren. Das bedeutete für die Landwirte einen reduzierten Erlös und weniger Geld für ihre Arbeit.

238 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Laut einem Landwirt müssen die Landwirte die Kenya Seed-Samen für 125 KES/kg kaufen und Kenya Seed nähme ihnen die produzierten Samen für 53 KES/kg ab und verkaufe diese wiederum an die anderen Landwirte für 140 KES/kg. Die Gewinnspanne läge bei 87 KES/kg, welche als nicht angemessen von den Landwirten erachtet wird (Interview SP3). „I think also that the farmers will break the cooperation with Kenya Seed. This is because of the prices of the seeds and the output of the product“ (Interview SP3).

Darauf wurde die Forderung der Bauernschaft nach einer Mitsprache in den vertraglichen Bestimmungen und Verhandlungen laut. Die Farmers Cooperative Society erhöhte ihren Druck, indem sie die mit den Kenya Seed-Säcken bepackten Lkw nicht nach Kitale fahren ließ. Daraufhin fuhren das erste Mal Vertreter der Bauernschaft mit zu den Preisverhandlungen mit der Kenya Seed Company in Kitale. Die Landwirte forderten eine sofortige Erhöhung des Abnahmepreises. Doch die Forderungen wurden von Kenya Seed abgewehrt mit der Begründung, eine sofortige Erhöhung wäre aufgrund des laufenden Vertrags nicht möglich. Aber die Bauernschaft würde bei der Verhandlung des neuen Vertrags für das nächste Jahr eingeladen. Ihr Ziel ist es den Abnahmepreis um einen Schilling zu erhöhen. Der Vorsitzende der Farmers Cooperative Society fasst diesen neuen Versuch wie folgt zusammen: „It is the second time that farmers will be then in the negotiations of the contract ever. Farmers have never seen a contract of Kenya Seed before. This is totally new to them, before NIB always negotiated for them“ (Vorsitzender Farmers Cooperative Society, Interview E25).

Auch lud Kenya Seed die Bauernvertreter ein, nach Kitale zu kommen, um zu sehen, wie ihre Maissamen weiter verarbeitetet werden. Bisher hatten die Landwirte wenige Informationen, wie das von ihnen hergestellte Produkt weiterverarbeitet wird. Die Bauernvertretung wollte diese Einladung nutzen, um in erste Verhandlungen zu treten. Diese Aktivitäten sind als erste Anzeichen zu werten, die Bauernschaft aktiv in bestimmte Wissensbestände miteinzubeziehen und sie langfristig als wichtigen Partner bei Entscheidungen anzuerkennen. Allerdings sind die Erfahrungen und Kenntnisbestände, wie in solchen Verhandlungen aufzutreten ist und wie bestimmte Prozesse ablaufen, seitens der Bauernvertretungen bisher noch sehr gering. Dennoch ist die Bereitschaft groß, vor allem seitens der Farmers Cooperative Society, die Veränderungen anzugehen und zu gestalten – nach dem Motto „learning by doing“. JK:

„Are the farmers enough educated for this selfmanagement?“

D ER V ERTRAGSANBAU

Vorsitzender FCS:

ALS

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„Without doing it you will never learn it. You learn by doing it. But in terms of technical knowledge farmers lack this“ (Vorsitzender Farmers Cooperative Society, Interview E25).

Der Vorsitzende der Farmers Cooperative Society verweist auf die Schlagkraft der Landwirte mit einer Anekdote. Anfang der 2000er-Jahre wären die Landwirte mit den Verhältnissen von Kenya Seed sehr unzufrieden gewesen. Sie gingen auf die Straße und demonstrierten. Sie beschwerten sich bei dem MP (Member of Parliament), dem Abgeordneten der Region, welcher zu dieser Zeit der damalige Präsident Moi gewesen war. Die Konsequenz war, dass der District Commissioner des Baringo-Districts und der NIB-Manager des Hauptquartiers in Nairobi ihr Amt verlassen mussten. Dieses Mal, so betont der Vorsitzende, würden sie den diplomatischen Weg wählen und nicht auf die Straße gehen. Aber mit dieser Geschichte unterstreicht er die Möglichkeiten Druck aufzubauen, um die Interessen der Bauernschaft durchzusetzen. Auch wenn die Beziehung der Bauernschaft und Kenya Seed durch einen sich anbahnenden Arbeitskampf gezeichnet ist, schätzt der Vorsitzende doch die vertrauensvolle Beziehung zu Kenya Seed, die sich in den letzten Jahren herausgebildet hat, sodass die Überlegung den Vertragsgeber zu wechseln, bisher noch nicht einbezogen wurde. „Better a devil you know, than an angle you don´t know“ (Vorsitzender Farmers Cooperative Society, Interview E25). Die Bauernschaft steht am Anfang eines langwierigen Prozesses. So sind erste Zeichen eines Umbruchs zu erkennen, wie die Möglichkeit in direkte Vertragsverhandlungen mit dem Vertragsunternehmen zu treten. Auf der anderen Seite sind die Möglichkeiten, wirklich etwas am Verhandlungstisch zu erreichen, bisher noch relativ gering. Denn die Organisationen der Bauernschaft, wie die WUA oder die Farmers Cooperative Society, sind noch im Aufbau und das Wissen und die Kapazitäten Verhandlungen zu führen und Interessen durchzusetzen, müssen erst in den nächsten Jahren aufgebaut werden. Die Farmers Cooperative Society gibt es zwar bereits schon seit den 1970er-Jahren, aber Verantwortung und aktives Management wurden ihr lange Zeit vorenthalten. Jetzt, seit der Policy des Managementtransfers und mit einem relativ jungen Vorsitzenden, um die 30 Jahre alt, nimmt die Society aktiv Aufgaben in Angriff. Mit dem Einsatz von Arbeitskampfmethoden, wie das Zurückhalten von Produkten, hat die Bauernschaft ein Mittel, um ihre Unzufriedenheit auszudrücken und Widerstand zu praktizieren.

240 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

7.4 Z WISCHENFAZIT – VON A NBAUPRAKTIKEN S TEUERUNGSTECHNIKEN

UND

Die begrenzte Verfügbarkeit von Wasser im Bewässerungssystem und die Erfüllung der vertraglichen Pflichten des Vertragsanbaus machen gewisse Techniken der Steuerung unabdingbar. Zu den zentralen Techniken gehören das Anbauprogramm und die Technik der Risikominderung. Durch diese Techniken des Vertragsanbaus werden die Anbaumuster und Anbaupraktiken der Landwirte gesteuert. Aufgrund der Wasserknappheit und der zunehmenden landwirtschaftlichen Flächen verfolgt der Anbauplan ein Rotationsprinzip. Dieses stellt ein egalitäres Element in Bezug auf den Vertragsanbau dar, da es darauf abzielt, trotz Wasserknappheit eine gleichmäßige und damit verbunden gerechte Verteilung des Wassers und des Kenya Seed-Anbaus für die Landwirte im Bewässerungssystem zu gewährleisten. Allerdings wird die Möglichkeit eines gleichmäßig rotierenden Anbauprogramms in der Realität durch Wasserknappheit und Ernteausfälle, die wiederum der Techniken der Risikominderung bedürfen, ausgehebelt. Daher erfolgt die Rotation sehr unregelmäßig. Somit sind diejenigen im Vorteil, die Felder in verschiedenen Blöcken haben und die sich durch Finanzkapital in die Blöcke des Anbauprogramms „einpachten“ können. Dies sind, wie die Untersuchungsergebnisse zeigen, vor allem die Haushalte der wohlhabenden Gruppe. Die Unregelmäßigkeit der Rotation und die Verzögerungen bei der Auszahlung des Geldes durch die nationale Bewässerungsbehörde führen dazu, dass der Vertragsanbau für viele Landwirte nicht allein zur Lebenssicherung reicht. Sie sind auf den Anbau für Kenya Seed und Surplus angewiesen. Der Anbau von Surplus nimmt jedoch nur eine Randstellung in der Planung und der Priorität des Managements ein. Dadurch ist der Surplus-Anbau im Gegensatz zum Vertragsanbau kaum geregelt. Dies führt auch zu konkurrierenden Wasserpraktiken, denn die Surplus-Anbauer finden in der Wasserverteilung des Anbauprogramms wenig Berücksichtigung. Dieser wurde erst vor wenigen Jahren ins Anbauprogramm mit aufgenommen. Trotz Berücksichtigung in der Planung gibt es viele Blöcke, denen kein Wasser zugeteilt wird. Das Anbauprogramm mit seiner Rotation stellt eine Machttechnik dar, denn es regelt, wer über Wasser verfügt und wer nicht. Auch einige Anbauflächen, die außerhalb des Bewässerungssystems liegen, wie die Extensionsgebiete oder die Anbauflächen im Wald, sind auf das Wasser aus den Kanälen des Bewässerungssystems angewiesen. Damit kommt den Personen, die das Anbauprogramm planen und ausführen, eine verantwortliche Aufgabe zu. Die Blockleiter müssen

D ER V ERTRAGSANBAU

ALS

M ACHTTECHNIK I 241

sich dementsprechend einsetzen, damit ihr Block in das Anbauprogramm aufgenommen wird. Andere Gebiete, in denen ebenfalls Surplus angebaut wird, sind losgelöst von der Wasserverteilung im Bewässerungssystem, wie z. B. die Landwirtschaft am Fluss oder in den Siedlungen wie in Loropil, die durch einen episodischen Fluss versorgt werden. Angesichts der angespannten Lage hinsichtlich der Wasserverfügbarkeit im Bewässerungssystem verwundert es nicht, dass die Landwirte Ausweichmöglichkeiten außerhalb des Bewässerungssystems suchen, wo sie eine sicherere Wasserzufuhr erwarten. Dies spiegelt sich in der Ausweitung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Flächen am Flussufer in den letzten Jahren wider. An diesem Beispiel wird deutlich, dass auch hier besser gestellte Landwirte größere Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit der Wasserknappheit im Bewässerungssystem haben. Die zusätzlichen Kosten, die mit dem Mieten/Kauf einer Pumpe, dem Benzin oder dem Pachten von Land verbunden sind, können von den wohlhabenderen Landwirten leichter bewältigt werden. Der formelle institutionelle Aufbau des Bewässerungssystems (das NIB, die WUA oder die Farmers Cooperative Society) ist in erster Linie darauf ausgerichtet, die Aktivitäten der Landwirte, die über registriertes Land verfügen und somit in den Vertragsanbau eingebunden sind, zu steuern. Landwirte, die vor allem auf den Anbau von Surplus, ob im oder außerhalb des Bewässerungssystems angewiesen sind, fallen durch diese formellen institutionellen Strukturen. Sie werden bei der Wasserverteilung innerhalb des Bewässerungssystems nicht berücksichtigt. Da sie über keine Registrationsnummer verfügen, werden sie auch nicht bei der Vermarktung und der Versorgung mit Produktionsmitteln durch die Kooperative unterstützt. Die Reskalierung im Bewässerungsmanagement und die Liberalisierungsprozesse im landwirtschaftlichen Sektor setzen den Kontext der Zunahme einer „unternehmerischen“ Landwirtschaft im Bereich des SurplusAnbaus von Tomaten und Melonen. Die institutionellen Lücken im Management werden zunehmend bemängelt. Aktive Bemühungen von bei Surplus aktiven Landwirten werden unternommen, diese institutionellen Lücken durch die Gründung einer neuen Kooperative für die Unterstützung und Vermarktung von Surplus-Anbauprodukten zu schließen (Tabelle 28 gibt einen Überblick zu Kenya Seed- und Surplus-Anbau). Aber auch im Bereich des Vertragsanbaus werden neue Wege beschritten. Mit der zunehmenden Einbeziehung der Bauernschaft in das Management des Bewässerungssystems wollen diese auch ihre Rechte mit dem Vertragspartner, der Kenya Seed Company, zunehmend wahrnehmen. Die Preispolitik von NIB und der Kenya Seed Company wird stark kritisiert und die Bauernschaft, vertreten durch die Farmers Cooperative Society, versucht die Preispolitik nun mitzu-

242 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

gestalten. Dies sind einige Auswirkungen der Umsetzung einer partizipativen Politik. Tabelle 28: Surplus-Anbau und Kenya-Seed-Anbau im Vergleich Regelung

Surplus-Anbau (Tomaten, Melone) - eigene Entscheidung abhängig von - Wasserverfügbarkeit - Produktionsmitteln - Marktzugang

-

Kenya-Seed-Anbau Anbauplan legt Zeitpunkt fest Produktionsmittel über Sacco-Kredite über das NIBKonto

Machttechnik

-

liberale Machttechnik hohe Risikobereitschaft

-

viele regulative Regeln Techniken der Risikominderung

Logik

-

unternehmerisch derjenige, der gute soziale Position innehat und über genügend Produktionsmittel verfügt, kann investieren und riskieren

-

geplant homogenisierende und egalitäre Elemente dennoch sind Produktion und Gewinn von sozialer Position abhängig

eigenständig

-

Subjekt

-

-

angeleitet

Quelle: eigene Darstellung

Auf den ersten Blick fungiert der Vertragsanbau und daran gekoppelt das Management mit seinen Machttechniken, die sich durch bestimmte institutionelle Regelungen und durch objektive Hilfsmittel darstellen, als In- und Exklusionsmechanismus für die Landwirte und deren Profitieren von den Ressourcen Land und Wasser. Bei einer genaueren Untersuchung der landwirtschaftlichen Aktivitäten der Haushalte wird jedoch ersichtlich, dass diese Grenzziehungen bei Weitem nicht so einheitlich und ausschließend sind. Die Differenzlinie, die durch die Unterscheidung von Haushalten mit registriertem und von Haushalten ohne registriertes Land gezogen wird, ist bei genauerem Blick permeabel und verschiebbar. Hier wird sehr deutlich, dass viele Haushalte auf verschiedene Praktiken zurückgreifen und über informelle Praktiken der Zugang zum Vertragsanbau geschaffen wird. Diese Praktik wird teilweise wie von den Blockleitern als widerständige Praxis eingesetzt, um so „ihren Leuten“ durch Registrationsnummern Zugang zum Vertragsanbau zu verschaffen. Der funktionalisierte Raum, der durch das Management in den Siedlungsbewässerungssystemen geschaffen wurde, ist nun durch Formen der Partizipation und durch neoliberale Prozesse zu einem politisierten Raum geworden, mit einer Managementform, die sich durch Machtansprüche, Netzwerke von Akteuren und ihren Agenden ausdrückt. Hier wird zum einen innerhalb des Managements zwi-

D ER V ERTRAGSANBAU

ALS

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schen der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) und Bauernvertretung (WUA, Kooperative) um Macht gerungen, beispielsweise wenn es darum geht, wer Einfluss im Vertragsbau hat. Zum anderen kommt es in diesem politisierten Raum auch zwischen Bauernschaft und Management (NIB, WUA) zu Aushandlungsprozessen, durch die Machtverhältnisse neu austariert werden.

8 Identitäten und Subjektivierungen des Bewässerungsdispositivs

Das Bewässerungsdispositiv ist eingebunden in Prozesse des sozialen Wandels: Der funktionalisierte Raum des Bewässerungssystems wird zu einem politisierten, wie in den vorangegangenen Kapiteln (Kapitel 4.5 und 5.3.4) gezeigt. In diesen Phasen des Umbruchs spielen Subjektpositionierungen und Identitätskonstruktionen eine bedeutende Rolle, wenn es um Machtansprüche und Aushandlungen um Zugang zu natürlichen Ressourcen geht. Folgenden Fragen soll in diesem Kapitel nachgegangen werden: Welche Rolle spielen Subjektpositionierungen im Aushandlungsprozess, um den Zugang zu natürlichen Ressourcen zu sichern? • Welche Argumentationslinien gibt es bezüglich Landfragen? • Wie wird sich diskursiver Identitätskonzepte bedient im Aushandlungsprozess

um Land und damit verbunden Wasser? • Auf welche Argumentationsbausteine, die in den verschiedenen Diskursen zir-

kulieren, greifen die unterschiedlichen Akteure zurück, wenn es um die Aushandlung von gültigen Realitätsdefinitionen geht? Politisierung und Ethnisierung von Identitäten Identity politics spielen sowohl in den everyday politics des Bewässerungssystems wie auch in regionalen politischen Prozessen in Kenia eine Rolle. Ethnische Identitäten werden in alltäglichen Praktiken und unterschiedlichen Diskursen konstruiert und ausgehandelt. Ethnizität wird in dieser Arbeit nicht als primordial, d. h. durch Geburt festgelegt, und somit als eine „vordiskursive Realität“ (Sökefeld 2007: 32) verstanden, sondern als ein Konstrukt, welches durch Bezug auf primordiale Kategorien wie Sprache, Kultur, Territorium oder gemeinsame Heimat und gemeinsame Abstammung konstruiert wird (Lentz 1995;

246 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Groenemeyer 2003; Sökefeld 2007). Ethnizität ist also ein Konstrukt, jedoch, wie Kumitz (2008: 8) hervorhebt, real erfahrbar. Der Ursprung der Verquickung von Politik, Territorium und Ethnizität für den heutigen Nationalstaat Kenia ist in der Kolonialzeit (1885–1963) zu suchen. Hier sind vor allem zwei Entwicklungslinien hervorzuheben: Erstens, während vor der Kolonialzeit ethnische Gruppen als fluide und aushandelbar galten, nahmen sie in der Kolonialzeit durch koloniale Praktiken der Kategorisierung zunehmend starre und definierte Formen an (Lynch 2006). Damit einher ging auch eine Territorialisierung ethnischer Identitäten in Afrika. Das Prinzip der Territorialisierung beschreibt „Einschluss, Abgrenzung und Parzellierung sozialer Beziehungen“ (Brenner 2008: 60). In Kenia wurden durch koloniale Zensus und Kartierungen Verbindungen von „tribes“ mit „ihren Heimatregionen“ gezogen (Morgan 2000: 78). Des Weiteren wurden „tribes“ Reservate, sogenannte native land units, zugewiesen. In diesen Siedlungsgebieten wurde der ethnische Homogenitätsgrad bestimmt. Während der Kolonialzeit wiesen diese Reservate, bis auf Ballungsräume wie größere Städte, eine große ethnische Homogenität auf (Morgan 2000: 76). Zweitens, neben dieser Territorialisierung ist die koloniale Besiedlung Kenias zu berücksichtigen. Die weißen Siedler ließen sich vor allem im fruchtbaren Hochland um Nairobi und im südlichen Grabenbruch (Naivasha, Nakuru) nieder und vertrieben die dort ansässige Bevölkerung. Der erste Präsident Kenias, Jomo Kenyatta (1963–78), verpasste es, das „weiße Hochland“ den ethnischen Gemeinden zurückzugegeben, die von der Kolonialregierung enteignet worden waren (Odhiambo Makoloo 2005: 5). In vielen Fällen wurde das Land von den neuen Eliten in Besitz genommen, die vor allem aus den „mainstream communities“ (Wachira Mukundi 2009: 35) stammten.73 Auch die von der KenyattaRegierung im Strategiepapier African Socialism and Its Application to Planning Kenya angekündigte Afrikanisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung war durch Vetternwirtschaft und eine einseitige Verteilung der Positionen zugunsten der Regierung nahestehender Personen gekennzeichnet (Odhiambo Makoloo 2005: 5). Der zweite Präsident Daniel arap Moi (1978–2002) ging die ungerechte Landverteilung ebenfalls nicht an, sondern nutzte seinen politi73 Die Kenyatta-Regierung förderte die Gründung von privaten Unternehmen (Land Buying Companies), welche oft von hochrangigen Politikern und Staatsangestellten geleitet wurden. Diese Unternehmen kauften oder pachteten Land vom Staat und verteilten es an einzelne privilegierte Familien. Dabei kam es in den seltensten Fällen zur Ausstellung von Landrechtstiteln, sodass die angesiedelten Familien in ein politisches Patronageverhältnis zu den Besitzern der Unternehmen gestellt wurden (Boone 2012: 81: 81).

I DENTITÄTEN

UND

S UBJEKTIVIERUNGEN I 247

schen Einfluss, um Familien aus seiner Wählerschaft Zugang zu Land zu verschaffen (Boone 2012: 82). Dies zeigt in Kenia sind Staatsmacht und Land eng miteinander verwoben: Die Landvergabe und die Ausstellung von Eigentumstiteln sind oft für politische und machterhaltende Zwecke missbraucht worden.74 Seit der Einführung des Mehrparteiensystems in Kenia im Jahr 1991 ist es immer wieder zu gewaltvollen Konflikten um Land gekommen, doch wohl spätestens seit den blutigen Unruhen nach den Wahlen von 2007 mit über 300.000 Binnenflüchtlingen und über 1.500 Todesopfern,75 ist die unselige Verquickung von Ethnizität, Land und politischer Macht offensichtlicher denn je.76 Ein Blick auf die aktuellen politischen Gegebenheiten zeigt, dass das Thema Ethnizität ein sensibles Thema in Kenia ist und oft als kleinster gemeinsamer Nenner dient, eine breite Masse für politische Themen zu mobilisieren. In meiner folgenden Darstellung möchte ich aufzeigen, wie ethnische Identitäten im Aushandlungsprozess um Zugang zu Wasser und Land im Perkerra-Bewässerungssystem konstruiert werden. Dabei geht es mir nicht darum, „objektive Gegebenheiten“ aufzudecken oder darzulegen, wie es um eine ethnische Gruppe bestellt ist, sondern nachzuspüren, wie die Menschen in ihren Argumenten ethnische Differenzen und damit den „Anderen“ konstruieren und diese Konstrukte in lokal-politischen Aushandlungsprozessen einsetzen. Dafür verwende ich die Eigenbezeichnungen der ethnischen Gruppen, wohlwissend, dass „die“ Il Chamus oder „die“ Tugen

74 Für eine ausführliche Darstellung der Landverteilung und Landpolitik in Kenia seit der Unabhängigkeit siehe Boone (2012). 75 IRIN. Humanitarian News and Analysis 2008. Andere Quellen wie der Human Rights Watch Report „High Stakes“ (2013: 13) gehen von 1.300 Todesopfern und 650.000 Binnenflüchtlingen aus. 76 Der Zusammenstoß zwischen Anhängern der regierenden Partei (NARC) und Anhängern der Oppositionspartei (ODM) verlief vor allem entlang ethnischer Linien zwischen den „Kikuyu“, aus deren Reihen der zur Wiederwahl stehende Präsident Mwai Kibaki stammte, und den „Luo“, aus deren Reihen der Oppositionskandidat Raila Odinga kam sowie dessen Verbündeter William Ruto, der hinter sich die „Kalenjin“ vereint hatte. Wie schnell sich die Feindschaften zwischen den politischen Führern und auch zwischen den ethnischen Gruppen auflösen können, demonstriert die 2013 neu gewählte Regierung: Die ehemaligen Kontrahenten Uhuru Kenyatta, der damals Kibakis Kandidatur unterstützte, und William Ruto, damals Verbündeter von Raila Odinga, stellen heute nach einem Schulterschluss Präsident und Vizepräsident Kenias. Beide müssen sich der Anklage des Internationalen Strafgerichtshofs stellen, da sie beschuldigt werden, Angriffe geplant und ihre Anhänger zur Gewalt aufgerufen zu haben.

248 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Kategorisierungen darstellen, hinter denen sich multiple soziale Identitäten und Biographien verbergen. Im Folgenden werden die Argumentationslinien und Narrativen untersucht, auf die sich berufen wird, wenn es um eine gerechte Wasser- und Landverteilung geht. Ich schließe mich der Aussage von Felgenhauer (2009: 265) an, der schreibt: „Argumentationen haben die Aufgabe, strittige Behauptungen auf unstrittige, allgemein akzeptierte Gründe zurückzuführen und so die anderen Diskussionsteilnehmer oder das Auditorium von der Gültigkeit der vorgebrachten Behauptung zu überzeugen.“ Um die Argumentationslinien und allgemein akzeptierten Gründe, auf die sie sich beziehen, sprich: die „Wahrheiten“, zu untersuchen, greife ich zum einen auf die Argumentationsanalyse von Toulmin (1996) und zum anderen auf die Diskursunterteilung in Spezialdiskurs, Interdiskurs und Alltagsdiskurs von Bührmann und Schneider (2012) zurück (siehe Abbildung 7). In Interdiskursen werden diese Identifikationsangebote und Wissensbestände selektiv mit weiteren Kollektivsymboliken zu „Allgemein-Wissens-Beständen“ (Bührmann und Schneider 2012: 66) verbunden, die z. B. durch Zeitungsartikel in die Alltagsdiskurse diffundieren oder auch in wissenschaftlichen Artikeln zu einem Spezialdiskurs wiederaufgenommen werden. Spezialdiskurse umfassen globale Konzepte aus Wissenschaft und Politik sowie Identifikationsangebote wie etwa „Indigenität“, die durch globale Akteure wie die UN oder NGOs vorangetrieben werden. Alltagsdiskurse bedienen sich der Argumente und Wissensbausteine der Interdiskurse. Die Argumente, die als Konstruktionsbausteine dienen, diffundieren zwischen Alltagsdiskursen und Interdiskursen bis hin zu Spezialdiskursen, wie im Folgenden gezeigt wird. Abbildung 7: Diskursive Felder der Spezial-, Inter- und Alltagsdiskurse

Spezialdiskurs

Interdiskurs

Alltagsdiskurs

Themenbezogene, disziplinspezifische Wissensbestände

Allgemeinwissensbestände

Alltagswissen und alltagsweltliches Weltverständnis

global zirkulierende Wissensbeständen

Enthalten subjektive Identifikationsangebote

Grundlage: subjektive Erfahrung im Alltag

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Bührmann und Schneider (2008)

I DENTITÄTEN

8.1 E THNISIERTE S UBJEKTE

UND

UND DIE

S UBJEKTIVIERUNGEN I 249

L ANDFRAGE

Das Land der staatlichen Bewässerungssysteme gehört dem Staat. Die Reformprozesse in den staatlichen Bewässerungssystemen setzten daher auch an den staatlichen Besitzverhältnissen an. Laut Aussagen eines Angestellten der nationalen Bewässerungsbehörde (NIB) (Interview S1) beinhalteten die Pläne der Regierung zur Wasserreform vor der Wahl 2007 eine Privatisierung des Landes, d. h. eine Ausstellung von privaten Eigentumsrechten an die Konzessionsinhaber. Bei der Ausarbeitung der Pläne seien die Bauerngruppen jedoch nicht als Stakeholder in den Prozess miteinbezogen, sondern vor vollendete Tatsachen gestellt worden. Die Umsetzung der Pläne begann zu stocken. Zur genauen Ursache werden unterschiedliche Gründe genannt (Interview S1), wie z. B. Korruptionsaffären im Ministerium für Wasser und Bewässerung, aber auch Widerstand in den Bewässerungssystemen. Vor allem in den Bewässerungssystemen Hola und Perkerra regte sich starker Widerstand gegen die Pläne der Regierung, so der Mitarbeiter des NIBs. Dies steht im Gegensatz zu der Aussage des District Irrigation Officers in Marigat, dem zufolge viele Landwirte des PerkerraBewässerungssystems die Einführung von Eigentumstiteln unterstützen (Interview E15). Er mutmaßt, dass vielleicht mit der neuen Bewässerungspolicy die Angelegenheit der Landprivatisierung wieder in Gang gebracht werden könnte. Wie ist dieser Widerspruch zu erklären – auf der einen Seite die Forderung der Einführung von Eigentumstiteln und gleichzeitig der heftige Widerstand dagegen? Dieser scheinbaren Widersprüchlichkeit wird im Folgenden auf den Grund gegangen werden. Um die Landfrage ausreichend beleuchten zu können, wird kurz auf bereits in Kapitel 4.1 und 5.1 Angesprochenes eingegangen werden. Die Argumentationslinie für die Einführung der Eigentumstitel Eine Einführung von Eigentumstiteln bedeutet die Sicherheit, einen rechtlichen Anspruch auf das Land zu haben. Des Weiteren ermöglicht ein Eigentumstitel Zugang zu einem Kredit bei der Bank. Dies sind die positiven Aspekte, die viele Landwirte mit der Ausstellung verbinden. Das vorhandene Modell der Pachtkonzession geht noch auf die Kolonialzeit zurück und wurde auch nach der Unabhängigkeit fortgeführt. Dieses Managementmodell war vor allem auf eine starke Kontrolle der landwirtschaftlichen Produktion ausgerichtet. Daher wurden den angesiedelten Familien Pachtkonzessionen zur Landnutzung ausgestellt, um unproduktiven Pächtern die Konzession entziehen und sie damit disziplinieren zu können (siehe Kapitel 5.1). Der Mechanismus der Enteignung wird heutzutage jedoch nicht mehr angewandt. Die staatliche Kontrolle sei auch nicht mehr im selben Maße wie früher notwen-

250 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

dig, so der District Irrigation Officer, denn die Menschen hätten den Nutzen der landwirtschaftlichen Produktion erkannt. „Today the people changed attitude. People will farm, not like 50 years ago where people put livestock on the land. Demand for land and agricultural knowledge is now there with the Il Chamus“ (District Irrigation Officer, Marigat, Interview E15).

Einige Landwirte empfinden das Pachtverhältnis als nicht zeitgemäß und sind der Meinung, nur mit dem rechtlichen Besitz eines Stückes Land könnten positive ökonomische Entwicklungen folgen. Ein Landwirt stellt in diesem Sinne folgenden Vergleich auf: „We are just like refugees. We don’t benefit from this scheme. It is like we are living like the refugees who are living in tents. It is true because they have given us the name tenants. What is a tenant? A tenant is like somebody without a future and he is just there“ (Interview SP3).

Er zieht eine Analogie zwischen einem Pächter77 und dem Bewohner eines Flüchtlingscamps. Der Flüchtling lebt an einem „Übergangsort“, einem Ort, den er nicht als seine Heimat, nicht als „seinen“ Grund und Boden bezeichnen kann. Einen Ort ohne Zukunft ̶ denn aufgrund der Ungewissheit, ob er bleiben kann oder nicht, kann er sich an diesem Ort nichts aufbauen. Das Pachtverhältnis in Perkerra würde genau diese Entwicklungshürde darstellen. Andere Landwirte pochen nicht in diesem Maße auf die Ausstellung eines Eigentumstitels, da ihre Felder auf ihren Namen bei der nationalen Bewässerungsbehörde registriert sind und an ihre Kinder übertragen werden. Unabhängig von der ethnischen Gruppe waren die meisten Landwirte den Eigentumstiteln gegenüber sehr positiv gestimmt. In der Haushaltsbefragung sprachen sich 76,3 % dafür aus, 5,5 % dagegen und 18,3 % wollten sich nicht äußern oder hatten dazu keine Meinung (n= 219). Diese Zahlen unterstützen die oben aufgeführte Aussage des District Irrigation Officers. Dennoch ist die Einführung von Eigentumsrechten ein umstrittenes politisches Thema im Bewässerungssystem, das eng um den Nexus Land und Ethnizität kreist, wie im folgenden Kapitel dargelegt wird. 8.1.1 Wem „gehört“ das Bewässerungssystem? Mit der Debatte um die Eigentumstitel geht die Frage einher, „wem“ das Bewässerungssystem „gehört“. Hierzu gibt es ganz unterschiedliche Realitäten, über deren Definition in diskursiven und nichtdiskursiven symbolischen Kämpfen ge-

77 Inhaber einer Konzession.

I DENTITÄTEN

UND

S UBJEKTIVIERUNGEN I 251

rungen wird. Dabei ist die Frage des Landrechts eine höchst politisierte unter der Bauernschaft im Bewässerungssystem. Dies manifestiert sich am deutlichsten in Gesprächen mit politischen Führern der unterschiedlichen communities. Argumentationslinie gegen die Einführung von Eigentumstiteln Das Land, auf dem das Bewässerungssystem errichtet wurde, wird von der ethnischen Gruppe der Il Chamus als ihr „angestammtes“ Land angesehen. Früher, so ein Il Chamus Ältester, hätte ihr Land bis weit nördlich des Baringosees gereicht (Nginyang liegt ca. 56 km nördlich von Marigat). Heute würden vor allem südlich, südöstlich und östlich des Baringosees Il Chamus leben. JK:

„Since when are the Il Chamus living here at Lake Baringo?”

IL:

„Since many years, from the early 1800s. But not more than 300 years. Il Chamus were fighters so we scared the others away. Il Chamus land used to reach till Nginyang ̶ this is Il Chamus for crocodile ̶ where we bordered with the Turkana. The Pokot were not there, now it is in Pokotland. Marigat is our ancestral land and the real name was Ilmari Lolgat, but the British did not know how to pronounce it well so they called it Marigat, it means gorge“ (Il Chamus-Ältesten, Interview G2).

Im Gespräch über die Ausstellung von Eigentumsrechten im Bewässerungssystem nahmen die Il Chamus-Ältesten, mit denen ich sprach, eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dem Thema ein. Als erstes erklärten sie, dass das Land, auf dem das Bewässerungssystem liegt, Il Chamus-Land sei, und eine Ausstellung von Eigentumsrechten käme einem Verlust von ihrem Land an Leute gleich, die „Fremde“ (foreigners) seien, also keine Il Chamus. JK:

„What do you think about land titles?“

G2:

„The land under irrigation is Il Chamus land, but people from other communities do farming there. […] Giving title deeds means foreigners will legally own the land and we will lose the land. That´s why we don´t want the title deeds to be given. The Il Chamus farmers are just a few compared to the others. We are the original people of that area. Others will benefit from what is not theirs“ (Il Chamus Ältesten, Interview G2).

Il Chamus-Vertreter heben hervor, dass obwohl das Bewässerungssystem auf Il Chamus-Land errichtet worden sei, die Il Chamus jedoch nur zu wenig Land im Bewässerungssystem Zugang hätten, während andere ethnische Gruppen in der Mehrheit seien (Interview G2). Während des ganzen Gesprächs beriefen sie sich

252 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

auf ihren Minderheitenstatus und die zahlenmäßige Überlegenheit der anderen ethnischen Gruppen im Bewässerungssystem. An dieser Stelle muss festgehalten werden, dass die Il Chamus in Kenia zahlenmäßig zu den kleinsten ethnischen Gruppen gehören, im Bewässerungssystem jedoch nach den Tugen die zweitgrößte ethnische Gruppe stellen. D. h. wenn die Il Chamus-Ältesten von „other communities“ sprechen, sprechen sie indirekt von der community der Tugen. Die Il Chamus-Ältesten heben hervor, dass sie bereits mehrere Male die Eigentumstitel verhindern konnten. Für sie gilt es, das Land zu verteidigen, vor allem gegenüber den „Neuankömmlingen“,78 die während Daniel arap Mois Zeit als Abgeordneter (1966–2002) und seiner späteren Präsidentschaft (1978–2002) in das Bewässerungssystem gekommen seien und durch ihn Land erhielten. „When the scheme developed former President Moi brought people from Kabarnet, Kabartonjo, Eldama Ravine. There are lots of people from there. 400 foreigners against 200 Il Chamus are in the scheme. The Il Chamus were not so much interested in agriculture by that time. Moi wanted them [,newcomers’] to benefit from the scheme. Those who came crabbed everything. We don´t have a problem with those [Tugen] who lived here for a long time, but with those who do not originate from here, those who have been brought by the colonial government and Moi“ (Il Chamus Ältesten, Interview G2).

Auf die Frage, wie sie diese „Fremden“ oder „Neuankömmlinge“ definieren, geben die Il Chamus-Ältesten an: Personen, die nach Marigat zugezogen seien und deren Vorfahren nicht von dort stammten. Diese „Neuankömmlinge“ hätten vor allem ökonomische Interessen und würden sich in Marigat Land aneignen, obwohl sie in ihrer Heimatregion Land besäßen, so ihre Ansicht. Deshalb sei eine Ausstellung von Eigentumstiteln an diese Menschen ungerecht, da sie dann über Land sowohl im Bewässerungssystem wie auch in ihrer Herkunftsregion verfügen würden, während viele Il Chamus über gar kein Land verfügten. JK:

„Please define newcomer.“

G2:

„Newcomers are those who have other interests. For example they have a shop, have a tractor and get land. They live in the town. People who live here for long time, ,old people’ are those who live

78 In der Umfrage gaben 86 HH an, sich der Ethnie der Tugen zugehörig zu fühlen. Die Tugen Hills (Koriema, Kabarnet, Kabartonjo, Kibingor, Kipcherere, Kituro, Kimoze) wurden von 20 % der HH-Vorstände als Geburtsort angegeben. 70,6 % der HH gaben Marigat als ihren Geburtsort an und 5 % Baringo North. 5 % der Befragten stammten nicht aus dem Baringo District. (In der Umfrage: Il Chamus HH 57 %, Tugen 33,6 %, 2,7 % Turkana, 2,3 % Pokot, gemischt 2 %, 1,6 % Nubier, 0,4 % Kikuyu und 0,4 % Samburu).

I DENTITÄTEN

UND

S UBJEKTIVIERUNGEN I 253

around the scheme in the villages. These are original people, their grandparents were born here. For example in Rabai Tugen lived there for a long time. We don´t have a problem with them. It is easy to know who is a newcomer. They can rent land, this is ok, but they cannot have a land title. Because they have property somewhere else and people from here don´t have property“ (Il Chamus Ältesten, Interview G2).

Zu den Vorschlägen, wie die Landfrage gelöst werden sollte, gehörten unter anderem, dass das Land des Bewässerungssystems als Il Chamus communal land anerkannt wird. Danach könnten dann Eigentumstitel ausgestellt werden, so eine Gruppe junger Il Chamus. Allerdings müsste darauf geachtet werden, dass die Mehrheit des Landes an Angehörige der Il Chamus gehen würde. Während die Il Chamus-Ältesten im Gespräch vor allem die Kolonialregierung und die Regierung unter Moi anklagen, dazu beigetragen zu haben, das Land an „Fremde“ zu geben, sehen einige Il Chamus der jüngeren Generation die Schuld für den Landverlust auch bei den Il Chamus selbst. „Our grandfathers were fools – they were not interested in the scheme. This scheme is owned by people from outside, because of that“ (Interview PR5).

Bisher konnten die Il Chamus die Versuche des Ministeriums für Land, Eigentumstitel im Bewässerungssystem einzuführen, verhindern. In ihrem Vorhaben, auch mit rechtlichen Schritten gegen das NIB vorzugehen, um eine Ausstellung der Eigentumstitel zu verhindern, wurden die Il Chamus durch einen vor Gericht gewonnen Prozess bezüglich der sich ausbreitenden Prosophis bestärkt.79 Des Weiteren setzen die Il Chamus-Ältesten große Hoffnungen in die neue Verfassung. Diese beinhaltet auch eine Gebietsreform, die eine Dezentralisierung der administrativen Gebiete vorsieht. Mit Errichtung des neuen Baringo Counties80 und der neuen Wahlkreisbildung erwarten sie eine gestärkte politische Position: Zum einen erhoffen sie sich eine Anerkennung ihres Landes und zum anderen, dass sie mit der neuen Wahlkreisziehung eine Chance haben, einen Abgeordneten aus ihren Reihen in das Parlament entsenden zu können. 79 Prosophis Juliflora ist ein an trockene Klimaverhältnisse sehr gut angepasstes und extrem schnell wachsendes Gewächs. Es breitet sich schnell aus, auch da es sich vegetativ aus Wurzelresten im Boden vermehren kann, und ist daher schwer zu vernichten. 80 Die Gebietsreform wurde 2012/2013 umgesetzt. Die größte administrative Einheit der Provinz wurde abgeschafft und durch Counties ersetzt: Anstelle der acht Provinzen und der 54 Distrikte wurden 47 Counties errichtet. Die Counties haben eine eigene Regierung, die durch ein Exekutivkomitee, an dessen Spitze der Gouverneur steht, und die County-Versammlung, in die Vertreter hineingewählt werden, gebildet wird.

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„We have been oppressed for a long time, we don´t have a representative in the parliament, we are a minority group“ (Il Chamus Ältesten, Interview G2). „The constituency will be in the name of the Il Chamus. The Tugen will not manipulate the Il Chamus. We will have a bigger say. Then they will be a minority in the constituency. We don´thave a problem with the Tugen who lived there for a long time, it´s rather a problem with those who have taken over. In the 1970s/ 1980s till today they came. Business people came to the town and also to the scheme. These are the ones we fear, because they come and influence the election“ (Il Chamus Ältesten, Interview G2).

Dieses Beispiel zeigt, wie sich die Akteure der Il Chamus-community die wichtige Referenz der „Minderheitengruppe“ erkämpfen, um ihre ökonomischen und vor allem ihre territorialen Interessen zu sichern. Dabei wird auf die Verbundenheit von Land und Ethnie über einen Zeitraum von mehreren Hundert Jahren verwiesen. Die Größe ihres Territoriums wird durch Verweise auf Namen in der Il Chamus-Sprache versucht, zu rekonstruieren. Mit dem Verweis, dass Marigat ein Name der Il Chamus-Sprache sei, wird die Zusammengehörigkeit dieses Orts mit der Il Chamus-community hergestellt. Vor allem die älteren Menschen der Il Chamus-community bemängelten oft, dass sie und ihre Vorfahren keinen Zugang zu westlicher Bildung gehabt hätten und daher in Fragen von Außendarstellung der Region und der Entwicklung ihrer Region fremdbestimmt gewesen seien.81 Das Argumentationsschema wird in Abbildung 8 veranschaulicht. Dabei besteht dieses aus einem begründeten Fakt (data) und einer Behauptung (claim) und wird durch eine Schlussregel und einen Hintergrund (backing) gestützt. Die Schlussregel erlaubt sozusagen erst, dass die Behauptung zustande kommen kann. Sie bezieht sich wiederum auf das Hintergrundwissen (backing), das die Schlussfolgerung erst entstehen lässt (Felgenhauer 2009; Toulmin 1996 [1958]).

81 So wird die Umbenennung des Flusses Perkerra in Tigrit gefordert. Perkerra sei der Name der Tugen für den Fluss und Tigrit der Name auf Il Chamus. Für die Il Chamus ist es unverständlich, dass der Name des Flusses in Büchern und der Außendarstellung mit Perkerra festgeschrieben ist.

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Abbildung 8: Argumentationsschema Marginalisierung der Il Chamus

Data: Wir sind eine zahlenmäßig kleine Ethnie

Claim: Wir werden marginalisiert und unterdrückt

Schlussregel: Wir haben keine politische Repräsentation, weil wir keine ethnische Mehrheit in einem Wahlkreis haben

Backing: In Kenia läuft politische Macht entlang ethnischer Linien, die zahlenmäßig große Ethnie hat auch Macht

Quelle: eigene Darstellung

Die Berufung auf die ethnische Identitätskategorie stellt somit einen Weg dar, territoriale und politische Ansprüche zu stellen. Dabei ist jedoch zu beachten, dass in der Argumentation der Ältesten das „wir“ gegen „die anderen“ nicht gegenüber der gesamten ethnischen Gruppe der Tugen in Stellung gebracht wird, sondern explizit gegen die Personen gerichtet wird, die in den letzten Jahren in diese Region migriert sind und somit in ihren Augen auf Landbesitz in ihrer Herkunftsregion zurückgreifen können.82 Exkurs: Die Landfrage aus der Perspektive einer älteren Il ChamusLandwirtin Mama Mariam [Name geändert] erklärt, dass das Bewässerungssystem teilweise in Eldume und teilweise in Ng´ambo liegt. Da dies Gebiete sind, in denen Il 82 In der quantitativen Umfrage bestätigte sich dies in einigen Fällen: Vor allem die Haushalte, der wohlhabenden Wohlstandsgruppe besaßen noch Land in den Tugen Hills. In vielen Fällen jedoch liegt die Migration der Eltern weiter zurück und es könnte bei Rückkehr in die Heimatregion der Eltern nur schwer einen Anspruch auf Familienland durchgesetzt werden.

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Chamus leben, hatte sie schon vor der Errichtung des Bewässerungssystems dort Land. In ihrer Antwort auf die Nachfrage des Interviewers, ob sie das Land durch die NIB bekommen hätte, wird deutlich, dass der Interviewer sich auf die formale Institution, den Staat, bezieht, während für Mama Mariam das angestammte Landrecht ausschlaggebend ist: Das Bewässerungssystem ist auf dem Land der Il Chamus errichtet worden und deshalb haben diese auch das Recht, hier Land zu besitzen. Eine Geschichte, die Angehörige der Il Chamus so auch Mama Mariam öfter erzählten, ist die, dass das Bewässerungssystem ursprünglich für die Il Chamus errichtet wurde. In ihrer Erzählung suchten die Il Chamus in Zeiten von Dürre aktiv die Hilfe der Kolonialregierung. Somit werden die Il Chamus nicht als passive Subjekte dargestellt, denen das Bewässerungssystem aufgezwungen wurde, sondern das Bewässerungssystem wird im Gegenteil als eine Maßnahme dargestellt, die von den Führern der Il Chamus nachgefragt wurde, um die Situation in Zeiten der Dürre für die Il Chamus zu verbessern. Deshalb wurde das Bewässerungssystem aus ihrer Sicht auch allein für die Il Chamus errichtet. Aber damals wurde Landwirtschaft von vielen Il Chamus nicht wertgeschätzt. Viele Il Chamus mussten wegen der Errichtung des Bewässerungssystems umsiedeln und fürchteten nun um das weitere Land. Zudem war vielen der Lebensstil als Viehhirten vertrauter. Die Kolonialregierung brachte nun andere Personen in das Bewässerungssystem, die gewillt waren das Land zu bestellen. Der damalige Chief fragte nach, für wie lange die „anderen“ im Bewässerungssystem leben dürften, und es wurden 50 Jahre vereinbart. Wenn die Il Chamus den Weg zur Landwirtschaft fänden, würden sie das Land wiederbekommen, so die Geschichte von Mama Mariam. Das Bewässerungssystem gehöre den Il Chamus, aber sie hatten damals nicht verstanden, welchen Vorteil es bringen würde, und handelten unbedacht, sodass andere Personen kamen und ihnen das Land nahmen. Mama Mariam stellt fest, dass die 50 Jahre nun vorbei wären, es aber schwierig sei, sie [die anderen communities] zum Fortziehen zu bewegen. 8.1.2 Die Politisierung der Landfrage als Druckmittel Die Frage des Landrechts ist eine höchst politisierte: Die Il Chamus-Ältesten vertreten eine Rhetorik, die auf der „anderen“ Seite Reaktionen hervorruft. Ein Landwirt, der sich der ethnischen Gruppe der Tugen angehörig fühlt, führt aus: „When we would have title deeds in the scheme nobody will tell you that this is not your place. Nobody will tell you that you should leave Marigat“ (Interview SP3).

Hier wird auch die emotionale Ebene angesprochen: die Angst zu haben, vertrieben zu werden. Als Konzessionsinhaber wird jedoch keiner unter den jetzigen

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Gesetzen Land im Bewässerungssystem verlieren oder enteignet werden. Auch wenn die Angst vor der Vertreibung in diesem Fall vielleicht ein rhetorisches Mittel darstellt, um den eigenen Standpunkt zu stützen, kommt es in Kenia immer wieder zu Fällen von „ethnischer Säuberung“ (Greiner 2013: 2). Die Einführung der Eigentumstitel würde diesen Landwirten eine ökonomische, aber auch ein symbolische Sicherheit bedeuten. „Another thing that is affecting us in the scheme is our neighbors [Il Chamus]. You find that they are always on the path of eliminating the other community [Tugen] from the scheme. You know the scheme is owned by three tribes that are the Tugen, the Pokot and the Il Chamus. For example if the government is planning to do something that should help the farmers you find that they are always on the opposing side“ (Interview SP3).

In dem Zitat wird direkt auf die Einführung der privaten Landrechte durch die Regierung angespielt, die positiv angesehen wird, jedoch von den Il ChamusFührern abgelehnt wird. Grundsätzlich würden die Il Chamus den Tugen das Aufenthaltsrecht absprechen, so der Eindruck des Landwirts. Er betont jedoch, dass es schon immer drei ethnische Gruppen im Bewässerungssystem gegeben hätte, und versucht damit, sein Landrecht der ethnischen Gruppen der Pokot und Tugen zu unterstreichen. Auch im Gespräch mit dem Vorsitzenden des Advisory Committees, das für die Landfragen im Bewässerungssystem zuständig ist, erklärt dieser auf die Frage, welche Aufgaben das Advisory Committee hatte, dass die Kolonialregierung das Bewässerungsland an die drei ethnischen Gruppen der Baringo-Region verteilt hätte (Interview E12). Dabei geht er ausführlich darauf ein, wie die Landverteilung stattgefunden hat, und weist auch hier darauf hin, dass es drei communities in Baringo gäbe, die Tugen, die Il Chamus und die Pokot83, die jeweils nach location, das ist die kleinste administrative Einheit, Land bekommen hätten. Die Tugen locations reichten bis nach Kabarnet in die Tugen Hills und deshalb hätten viele Tugen und wenig Il Chamus Land bekommen. „Advisory Committee was established when the scheme started. Initially it was the one who decided who is be given land. When giving land out, all communities were considered. There are three communities: Tugen, Il Chamus and Pokot. These are the ones who living around the scheme. They were giving out land per location and community. In each location five people were given land. E. g. the Il Chamus have seven locations from each one five people. This was in the 1950s and 1960s. Locations from Ng´oswe to Kiserian downwards were Il Chamus land and from Ng´oswe to Kabarnet were Tugen Locations. 83 In den Blöcken L1, L2, L3, L4, L5 und R5, R6, R7, R14 und Zero Grazing waren die Verhältnisse der ethnische Gruppe wie folgt: 52,3 % Tugen, 40,9 % Il Chamus, 2,7 % Nubier, 1,7 % Pokot, 1 % Turkana.

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That´s why the Tugen were many and the Il Chamus few. This was the way the British distributed the land“ (Interview E12).

Abbildung 9: Argumentationsschema Anspruch auf Land Il Chamus-Älteste Data: Wir sind hier bereits seit 150 Jahren …

Interviewpartner der Tugen Claim: … deshalb ist das unser Ahnenland, seit vorkolonialer Zeit …

Claim: … deshalb haben wir Anspruch auf das Land im Bewässerungssystem

Schlussregel: Jede Ethnie hat ihr angestammtes Territorium.

Data: Die Regierung hat uns die Konzession für das Land erteilt …

Schlussregel: Der Landbesitz ist juristisch-rechtlich geregelt.

Quelle: eigene Darstellung

Es kann festgehalten werden, dass während sich den Il Chamus zugehörig fühlende Personen bezüglich ihres Anrechts auf das Land des Bewässerungssystems auf vorkoloniale Gegebenheiten beziehen – das Bewässerungssystem liegt auf dem Land ihrer Ahnen –, sich den Tugen zugehörig fühlende Personen auf die Landvergabe durch den Staat, erst der Kolonialstaat und dann die Regierung Moi zum Wohle der gesamten Bevölkerung von Baringo berufen. Abbildung 9 illustriert das Argumentationsschema „Anspruch auf Land“. Der Gemeinderat des Ng´ambo wards, ein Il Chamus, unterstützt diese Sichtweise auf den ersten Blick. Die Il Chamus hätten das Land für das PerkerraBewässerungssystem zum Wohle der Menschen in der Baringo-Region gestiftet, so der Gemeinderat. Damit hebt er zum einen hervor, dass das Land an die Menschen der Baringo-Region verteilt wurde, zum anderen jedoch, dass die Il Chamus „ihr“ Land zum Wohle der Region gespendet hätten. „You see, you cannot stop people [Il Chamus] from saying, we need our land back, but sometimes we are telling them it is impossible because we have already handed this land to national irrigation scheme for the benefit of the people of Baringo. It is not now for Il Chamus only it is now for the people of Baringo. Okay? And this irrigation we want to benefit the people of Marigat District. We don´t want to talk of issues of tribe or what, we want it to help the people of Marigat, we want the people of Marigat to improve economically“ (Gemeinderat Ng´ambo, Interview E19).

Wie der Gemeinderat sagt, wird es auf der einen Seite immer Stimmen unter den Il Chamus geben, die Anspruch auf das Land erheben. Auf der anderen Seite ist eine Änderung der momentanen Landsituation nur schwer möglich. Die angesie-

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delten Tugen aus den Tugen Hills, die in den Augen der Il Chamus die „Fremden“ darstellen, berufen sich darauf, durch staatlich-legale Aktionen Land im Bewässerungssystem erhalten zu haben. Die Il Chamus hätten die Tatsache, das Land des Bewässerungssystems mit den „people of Baringo“ zu teilen, anerkannt, so der Gemeinderat. Doch dann wären im Laufe administrativer Ausdifferenzierungen der Gebiete im Distrikt zunehmend neue administrative Gebiete entstanden, die zugunsten der Tugen errichtet wurden und die die Wahl des Abgeordneten (MP – Member of Parliament) im Wahlkreis beeinflusst hätten. Dies hätte die Unzufriedenheit der Il Chamus hervorgerufen. „So, that is what now brought them [Il Chamus] to say no. If we don´t share here, then we should not share the scheme“ (Gemeinderat Ng´ambo, Interview E19).

Hier wird deutlich, dass die Frage der Eigentumstitel nicht nur eine Frage des Landes im Bewässerungssystem ist, sondern dass es hier um viel mehr geht. Die Einführung der Eigentumstitel wird als Druckmittel seitens der Il Chamus verwendet, um andere politische Themen wie die administrative Grenzziehung, die politische Repräsentation und die damit verbundenen Gelder wie der Wahlkreisentwicklungsfund (CDF – Constituency Development Fund), zu beeinflussen und in ihrem Sinne zu gestalten. Die Frage, wem das Land im Bewässerungssystem gehört, wird also politisiert, und mit dem Verweis auf „ihr Ahnenland“, auf „ihren Minderheitenstatus“, auf die „ungerechte“ Verteilung, die teilweise noch aus der Kolonialzeit herrührt, versuchen die Il Chamus, ihre Interessen durchzusetzen, um den Zugang zu finanziellen und politischen Ressourcen zu sichern. Revanche im Spiel der Politics of Identity Dass die von den Il Chamus betriebenen politics of identity politics of difference hervorrufen, kann auch an der Ernennung des Chiefs für die Marigat location deutlich gemacht werden. So titelte der the Star 2010: „Marigat residents call for chief´s sacking“ und 2011: „Chief´s hiring causes row in Marigat“.84 Hintergrund war die Ernennung des Chiefs, der von staatlicher Seite eingesetzt wird und für die administrative Leitung einer location zuständig ist, für die location Marigat. Einige Einwohner der Tugen-community empörten sich, dass eine Person, die nicht aus ihrer location, sondern aus der Nachbarlocation stammte, zum Chief ernannt wurde. Der Konflikt spitzte sich zu, als eine aufgebrachte Menge vor dem Verwaltungsquartier der Provincial Administration in Marigat protestierte. Aufhänger war eine undurchsichtige Ernennungspolitik und die Forde-

84 The Star (2011) „Chief´s hiring causes row in Marigat“, 01.07.2011 und the Star (2010) „Marigat residents call for chief´s sacking“, 25.08.2010.

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rung, Klarheit über den Ernennungsprozess zu erhalten. So schrieb die Zeitung the Star: „The community is opposed to the appointment of Marigat location chief Zephania Lekachuma whom they described as an outsider imposed on them by the provincial administration“ (the Star 01.07.2011).

„They took someone from the Ilchamus community which [sic] does not reside in Marigat and planted him here in a Tugen community. That is unacceptable as he cannot understand our needs“ wird der Gemeinderat von Marigat in einem Artikel zitiert (the Star 25.08.2010). Die Argumentationslinie, die hier ersichtlich wird, gleicht der der Il Chamus. Zum einem wird Marigat als eine location der „Tugen-community“ eingeführt, d. h. es wird ein Gebiet mit einer homogenen ethnischen Zusammensetzung hergestellt, in der einer aus der Nachbarlocation, die unmittelbar an die Marigat location angrenzt, zu einem „Anderen“, zu einem „Fremden“ gemacht wird, der die Interessen der Tugen-community nicht vertreten kann. Somit werden klar homogene Einheiten geschaffen zwischen dem „wir“ der Tugen in Marigat und dem „die anderen“ in Ng´ambo (damit sind die Il Chamus gemeint). Durch diese identity politics wird eine klare Differenz geschaffen, in der die komplexen sozialen Realitäten dieser Orte und der Menschen ausgeblendet werden: Menschen aus verschiedenen communities leben in Marigat (vor allem auch aus der Il Chamus-community), die Verbindungen zwischen den Locations Marigat und Ng´ambo sind sehr eng und bestehen aus unterschiedlichsten Netzwerken. Diese Aktion kann also als eine Art „Antwort“ gewertet werden auf den territory talk der Il Chamus, sie reiht sich damit ein in die Schleife der identity politics.

I DENTITÄTEN

UND

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Die Frage der Il Chamus in der Literatur In seiner Ethnographie über die Il Chamus schreibt Petter Little unter anderem über die Errichtung des Perkerra-Bewässerungssystems und die Auswirkungen für die Il Chamus (Little 1992, 1994): Das Bewässerungssystem wurde auf Gemeindeland der Il Chamus errichtet. Regenfeldanbau und Gartenbau wurden dort zuvor insbesondere von Frauen praktiziert. 2000 ha wurden enteignet, obwohl 1989 nur auf 250 ha angebaut wurden, der Rest wurde für die Forschungsfarm, Unterkünfte und Straßen sowie zukünftige Expansionen eingeplant. Dadurch verknappte sich das Weideland wie auch das verfügbare Wasser für die flussabwärts gelegenen Dörfer und das Vieh. Little schreibt, dass die Il Chamus, die von ihrem Land vertrieben wurden, keine bevorzugte Behandlung bei der Verteilung des Landes erfuhren. 1988 waren nur 26 % der Pächter Il Chamus, viele von ihnen hatten nur Zugang zu kleineren Parzellen (Little 1994: 241). Die Betrachtung der quantitativen Daten aus ethnischer Perspektive Die ethnische Verteilung der quantitativen Erhebung beim Landbesitz im Bewässerungssystem: 47 HH Tugen (45,6 %), 44 HH Il Chamus (42,7 %), vier HH Swahili, vier HH unterschiedlicher Abstammungen, drei Pokot-HH und ein Turkana-HH. Bei der Verteilung der Landgrößen ist auffällig, dass 88,6 % der Il Chamus drei Acres oder weniger haben und nur 11,4 % drei bis fünf Acres. Bei den Tugen haben 55,4 % drei Acres oder weniger und 44,4 % drei bis acht Acres. Bis auf die Ausnahme von einem HH besitzen die HH anderer ethnischer Zugehörigkeit nicht mehr als drei Acres.

8.2 I NDIGENITÄT R ESSOURCE

UND

E THNIZITÄT

ALS POLITISCHE

In Kenia wird der Begriff der indigenen Völker in den letzten Jahren zunehmend diskutiert (Lynch 2006, 2011; Odhiambo Makoloo 2005; Wachira Mukundi 2009). Einige Stimmen vertreten die Ansicht, dass der Begriff der indigenous peoples in Kenia nicht anwendbar sei, da alle Kenianer afrikanischen Ursprungs

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aus Afrika abstammen85 und eine Unterscheidung zwischen indigener und nichtindigener Bevölkerung (also Bevölkerung europäischen Ursprungs) wie in den ehemaligen Siedlerkolonien Amerikas, Australiens oder der Pazifikregion nicht möglich sei (Lempp 2007). Menschrechtsgruppen und internationale Organisationen in Afrika wie z. B. die African Commission on Human and People´s Rights oder Organisationen der Vereinten Nationen setzen auf eine Erweiterung der ursprünglichen Definition, die sich sehr stark auf die Abstammung einer Bevölkerungsgruppe von den Ureinwohnern der Region konzentriert und deren Anwendung in Afrika sich als schwierig erweist. So definierte die Kenya National Commission on Human Rights zusammen mit dem Centre of Minority Rights Development folgende Kriterien für eine Identifikation indigener Gruppen in Kenia86 (Wachira Mukundi 2009: 1–2): das Vorhandensein einer kollektiven Identität, ein kollektiver Anspruch auf ein Territorium ihrer Vorfahren, das Ausüben kultureller Praktiken, Religion oder Spiritualität, das Praktizieren eines „traditionellen“ Lebensstils (z. B. Pastoralisten, Jäger und Sammler), die Marginalisierung durch dominante Gruppen, sowie als letzten Punkt die SelbstIdentifikation einer Gruppe als indigen (Wachira Mukundi 2009). Da in einem afrikanischen Kontext die meisten Afrikaner auf eine Migrationsgeschichte blicken, wie z. B. die Bantuvölker, können sich die wenigsten Gruppierungen als autochthon in der Region, in der sie leben, bezeichnen. Deshalb wird vor allem der Punkt der Marginalisierung dieser Gruppierungen und die Bedrohung ihrer kulturellen Identität als entscheidendes Merkmal herausgestellt (Lynch 2011: 157). 85 Dieses Argument wurde von der Wahlkommission (ECB) als Antwort auf die Il Chamus-Klage verwendet (Urteilsspruch Oberster Gerichtshof 2006: 71); ebenso verwendete der Minister für „Constitutional Affairs“ Mutula Kilonzo es in einer Rede (zitiert in Kenya National Commission on Human Rights 2011: 12) 86 In der neuen Verfassung von Kenia werden affirmative Maßnahmen für Minderheiten und marginalisierte Gemeinschaften festgelegt. In der Verfassung (Art. 260) werden marginalisierte Gemeinschaften wie folgt definiert: „a) a community that, because of its relatively small population or for any other reason, has been unable to fully participate in the integrated social and economic life of Kenya as a whole; b) a traditional community that, out of need or desire to preserve its unique culture and identify from assimilation, has remained outside the integrated social and economic life of Kenya as a whole; c) an indigenous community that has retained and maintained a traditional lifestyle and livelihood based on a hunter or gatherer economy; or d) pastoral persons and communities, whether they are d.i) nomadic; or d.ii) a settled community that, because of its relative geographic isolation, has experienced only marginal participation in the integrated social and economic life of Kenya as a whole.“

I DENTITÄTEN

UND

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Als eine zunehmende Institutionalisierung des Konzepts der Indigenität in Afrika kann die Gründung der Working Group of Experts on Indigenous Populations/Communities durch die African Commission on Human and People´s Rights 2003 angesehen werden. Diese und die NGOs, die zunehmend dieses Thema aufgreifen (z. B. Minority Rights Group International, International Work Group for Indigenous Affairs), schaffen einen Diskurs, oder, wie Lynch (2011: 152) es nennt, „a new political space“, indem sie die globalen Netzwerke, Definitionen und Normen anbieten, mit denen sich Minderheiten als „indigene“ identifizieren können (Lynch 2011). 8.2.1 Der Fall „Il Chamus“ oder das Indigen-Werden der Il Chamus Einhergehend mit den politischen Umbrüchen in Kenia und der aufkommenden Diskussion um eine neue Verfassung Ende der 1990er und Anfang der 2000er, die auch eine Gebietsreform vorsah, versuchten die Il Chamus, auf ihre marginalisierte Stellung in der kenianischen Gesellschaft aufmerksam zu machen. Im Jahr 2000 wurde eine verfassungsgebende Kommission eingesetzt, die vier Jahre später einen ersten Verfassungsentwurf vorlegte. Die Il Chamus setzten große Hoffnungen in die administrative Gebietsreform, die mit einer neuen Verfassung einhergehen würde. Es war in ihren Augen die Gelegenheit, endlich politische Repräsentation zu erlangen. Denn seitdem die Diskussion über eine neue Verfassung angestoßen worden war, wurden bei den Il Chamus Stimmen lauter, die ihre Interessen im Parlament nicht vertreten sahen, da keiner der Abgeordneten von ihrer Ethnie war. Für sie war klar, dass der Grund dafür in ihrer geringen Mitgliederzahl liegt und sie somit von den größeren Ethnien überstimmt werden. Im Jahr 2004 reichten Vertreter der Il Chamus einen Antrag am Obersten Gerichtshof ein, in dem sie herausstellten, dass ihnen das fundamentale Recht der Repräsentation in der Nationalversammlung verwehrt bliebe. Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ein Vertreter der Il Chamus als Abgeordneter des Baringo Central-Wahlkreises ins Parlament einziehe, sei so minimal, dass sie effektiv nicht vorhanden wäre. In ihrer Klage forderten sie die Berücksichtigung bei der Ernennung der nominierten Mitglieder. Dies sind Mandate, die gewährleisten sollen, dass Minderheitengruppen (Gruppen mit einem special interest) eine Stimme im Parlament finden.87

87 Die damalige Verfassung sah 12 nominierte Mitglieder in der Nationalen Versammlung vor, die vom Präsidenten ernannt wurden und die spezielle Interessen vertreten sollten (Sektion 33 Verfassung Kenia von 1964).

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Als weiteres Anliegen forderten sie, dass eine angepasste Wahlkreisziehung bei der nächsten Prüfung der Wahlkreisgrenzen durch die Wahlkommission (damals Electoral Commission of Kenya (ECK), heute IEBC), um so die Marginalisierung ihrer Volksgruppe zu beenden. Abschließend forderten sie eine Erklärung, dass die faire Repräsentation aller Gruppen in Kenia und insbesondere der Il Chamus in der verfassungsgebenden Kommission Eingang fände, sowie, dass alle Beschlüsse des Obersten Gerichtshofes bezüglich des Falls der Il Chamus in der verfassungsgebenden Kommission und in der Wahlkommission berücksichtigt werden. In ihrer Begründung für diese Forderungen verweisen sie darauf, dass die Il Chamus, die um die 25.000–30.000 Personen zählen, eines der indigenen Völker Kenias seien mit ihren eigenen kulturellen Werten, Traditionen und sozialen Strukturen, wie es durch internationales Recht anerkannt würde. Daneben werden noch weitere Gründe aufgeführt: die unausgewogene Wahlkreisziehung, die Benachteiligung der Il Chamus gegenüber der Ethnie der Tugen sowie die Situation im Perkerra-Bewässerungssystem. In der Anklageschrift heißt es wie folgt: „The Il Chamus more so as an indigenous community is entitled to safeguard its own cultural values, its traditions and its social patterns. The territorial identity of the Il Chamus as an indigenous people is critical to its flourishing and to its survival. Without a prominent voice of its own from a national platform the community will not be able adequately to protect all these“ (Antrag der Il Chamus Ältesten an den Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs 2004: 10).

Die Il Chamus berufen sich auf die Kategorie der „indigenen Gruppe“, um ihre Interessen zu schützen und für ihre politische Repräsentation zu kämpfen. Das Konzept der Indigenität wird eingesetzt, um die kulturelle Identität mit einer territorialen Identität zu verbinden, die es zu verteidigen gilt. Es werden die genauen Wählerzahlen der ll Chamus-Gruppe mit 7.252 aufgeführt und dann die Wählerzahlen der Tugen mit 41.697, die ebenfalls im Wahlbezirk siedeln.88 Die Il Chamus-Gemeinde wird als Minderheit umgeben von einer Mehrheit der ethnischen Gruppe der Tugen dargestellt. Dass Mitglieder der Tugen einen Il Chamus wählen würden, wird ausgeschlossen, weil dies auch in der Vergangenheit nicht passiert sei. Jedoch würden die Interessen der Il 88 Es werden die drei ethnischen Gruppen, die im Baringo-Distrikt leben, aufgezählt (Il Chamus, Pokot, Tugen) und deren Repräsentation in den Wahlkreisen. Die Pokot finden Repräsentation in Baringo East, die Tugen in Baringo Central und Baringo North Wahlkreisen (Urteil Oberster Gerichtshof 2004). Die Unterwahlkreise, in denen Il Chamus leben, sind laut Antrag: Salabani, Mukutani, Ng´ambo, ll Chamus und Teile von Marigat. Sie liegen alle im Baringo Central Wahlkreis.

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Chamus, wie es die Vergangenheit ebenfalls gezeigt habe, nicht von dem Abgeordneten ihres Wahlkreises vertreten. So wird beispielhaft aufgeführt, dass der Abgeordnete für den Baringo Central-Wahlkreis, Daniel arap Moi89 (1966–2002 Abgeordneter, von 1978–2002 Präsident Kenias), sich während seiner Amtszeit selten in den Bezirken der Il Chamus sehen ließ. Der Teil des Baringo CentralWahlkreises, aus dem Ex-Präsident Moi stammt, die Tugen Hills, sei jedoch durch gute Infrastruktur, mehr Schulen sowie bessere Gesundheitseinrichtungen auszeichnet, während es in den Il Chamus-Gebieten nur eine Sekundärschule gäbe. Des Weiteren würden wichtige Angelegenheiten wie Überfälle und Viehdiebstahl durch die Pokot und Tugen sowie land grabbing nicht oder nicht ausreichend vom Abgeordneten behandelt werden. Damit führen sie die historische Benachteiligung der Il Chamus aus. Als einer der letzten Punkte wird das Perkerra-Bewässerungssystem angeführt. Dieses sei während der Kolonialzeit errichtet worden, um den pastoralistischen Gruppen, darunter auch den Il Chamus, zu nutzen. Im Antrag wird festgestellt, dass das Bewässerungssystem, obwohl es in ihrem Gebiet liegt, den Il Chamus keinen ökonomischen Nutzen brächte, da die Mehrheit der Pächter Tugen seien. „The Perkerra Irrigation Scheme, an old scheme set up during the colonial period for the benefit of the pastoralist communities including the Il Chamus, no longer benefits the Il Chamus people though it is situated within their area, because the majority of the tenants on the scheme now are members of the Tugen Community“ (Antrag der Il Chamus Ältesten an den Generalstaatsanwalt des Obersten Gerichtshofs 2004: 12).

Als letzter Hauptpunkt des beim Obersten Gerichtshof eingereichten Antrags wird die Entwaldung in den Flusseinzugsgebieten vom Perkerra- und dem MoloFluss angesprochen, da sich dadurch der Wasserfluss in den letzten Jahren erheblich reduziert habe. Das Urteil, das auf die Klage der Il Chamus im Jahr 2006 folgte, gab den Klägern recht und die Il Chamus wurden als Gruppe mit special interest für einen nominierten Sitz im Parlament anerkannt. Dabei setzten sie sich gegen die Vertreter der Wahlkommission (ECK)90 durch, die als Nebenangeklagte eine scharfe Verteidigung auffuhren, in der sie erklärten, die Il Chamus seien nur ein Klan der Massai und die politische Repräsentation könnte nicht auf Klanstrukturen basieren. Zudem seien die Wähler im Baringo Central-Wahlkreis 89 Daniel arap Moi (KANU-Partei) war von 1966–2002 Abgeordneter und von 2002– 2007 war sein Sohn Gideon Moi (KANU) Abgeordneter für den Baringo CentralWahlkreis. 2007 wurde Sammy Mwaita (ODM) gewählt. 90 Damals Electoral Commission of Kenya (ECK), heute IEBC.

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nicht aufgrund ethnischer Kriterien registriert worden (Urteilsspruch Oberster Gerichtshof 2006: 44). Diese Verteidigung baut auf Argumenten der nationalen Einheit auf, die diese durch partikulare Interessen gefährdet sehen. Dennoch entschieden die Richter zugunsten der Antragsteller. Sie befanden, dass die Definition der Vereinten Nationen für Minderheiten91 auf die Il Chamus zuträfe und sie somit eine Minderheitengruppe nicht nur nach internationalem Recht, sondern auch nach kenianischem Recht konstituieren (Urteilsspruch Oberster Gerichtshof 2006). „[…] the Constitution does support their claim. Their claim stems on special interest as a minority under s 33 of the [old] Constitution and as embraced by the community of interest criterion under Section 42 and also [sic.] and as that of an indigenous and distinct community and on the additional ground of inadequate representation“ (Urteilsspruch Oberster Gerichtshof 2006: 77).

Des Weiteren gab das oberste Gericht eine Erklärung ab, dass bei der nächsten Begutachtung der Wahlkreise durch die Wahlkommission die Repräsentation der Il Chamus Berücksichtigung finden sollte. Somit gewährten sie den Il Chamus das Recht auf einen eigenen Wahlkreis und erkannten den Anspruch der Il Chamus als indigene Gruppe an. 8.2.2 Aushandlung von Wahlkreisgrenzen als Sicherung von Macht Nach den blutigen Unruhen nach den Wahlen im Dezember 2007 lastete erhöhter Druck auf der Wahlkommission, die für die administrative Grenzziehung und die Errichtung neuer Wahlkreise zuständig war. Im Jahr 2009 wurde die Interim Independent Boundary Review Commission (IIBRC) ins Leben gerufen, die dann 2011 durch die neue Verfassung von 2010 gegründete Independent Electoral and Boundaries Commission (IEBC) abgelöst wurde. Die Aufgabe dieser Kommission war es, bis zu den Wahlen 2013 die Bevölkerungszahlen in den Wahlkreisen sowie die Grenzziehung der Wahlkreise zu überprüfen und die Wähler zu registrieren, um eine geordnete und transparente Wahl zu gewährleisten. Im 91 Definition von Minderheit von UN Special Rapporteur Franceso Caotorti im Kontext des Artikels 27 der International Covenant on Civil and Political Rights (CCPR): „A group numerically inferior to the rest of the population of a state, and in a nondominant position whose members – being nationals of the state – possess ethnic, religious or linguistic characteristics differing from those of the rest of the population and show, if only implicitly, a sense of solidarity, directed towards preserving their culture, traditions, religions and language.“

I DENTITÄTEN

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Laufe der Überprüfung der Wahlbezirke durch die Wahl- und Wahlkreiskommission (IEBC) kam es zur Schaffung von insgesamt 80 neuen Wahlbezirken. Mit dem Inkrafttreten der neuen Verfassung 2010 wurde eine administrative Gebietsreform vollzogen und anstelle der acht Provinzen und der 54 Distrikte92 wurden 47 Counties eingerichtet (Kenya National Bureau of Statistics 2013). Marigat und das Perkerra-Bewässerungssystem fallen heute in den Baringo County, der auf den ungefähren Grenzen des Baringo-Distrikts beruht. Der Baringo-Distrikt war zuvor in fünf Wahlkreise aufgeteilt gewesen (Baringo Central, Baringo East, Baringo North, Eldama Ravine, Mogotio). Nach der Gebietsreform, die auch eine Wahlkreisreform vorsah, kam es zur Errichtung eines neuen Wahlkreises im Baringo County. Der Wahlkreis Baringo Central wurde aufgeteilt in Baringo Central und Baringo South.93 Des Weiteren kam es zu leichten Grenzverschiebungen bei einigen weiteren Wahlkreisen sowie zu einer Umbenennung von Baringo East in Tiaty. Im heutigen Baringo County gibt es damit sechs Wahlkreise: Baringo Central, Baringo North, Baringo South, Eldama Ravine, Mogotio und Tiaty (Mzalendo 2013). Im Baringo South-Wahlkreis kam es zur Demarkation der wards, der Untereinheiten der Wahlkreise, welche nicht unumstritten war. Vertreter der ethnischen Gruppe der Endorois, die ebenfalls zu den Minderheitengruppen Kenias zählen, sprachen sich gegen eine Untergliederung des Baringo SouthWahlkreises in neun wards aus und hielten Demonstrationen ab. Für sie stelle die Wardeinteilung in neun wards eine Bevorzugung der Nachbar-community Il Chamus dar, da diese sieben der neun wards dominieren würden.

92 Nach der Unabhängigkeit wurden die kolonialen Verwaltungsstrukturen und die administrativen Gebietseinheiten weitestgehend unverändert übernommen. Es gab acht Provinzen, die wiederum in Distrikte aufgeteilt waren. Die Anzahl der Distrikte nahm unter Moi und vor allem unter Kibaki zu, wo sie sich fast verfünffachte. Laut Presseberichten stieg die Anzahl von 54 auf 254 Distrikte im Jahr 2009 (Daily Nation 2009) (Number of Kenya´s Districts Rise to 254 2009). Befürworter verteidigten die Maßnahme als eine Möglichkeit zur Verbesserung der staatlichen Dienstleistungen, während Kritiker darin ein Instrument zur Sicherung der politischen Unterstützung lokaler Eliten sahen (Greiner 2013: 17). Ein Gerichtsbeschluss des Obersten Gerichtshofes erklärte schließlich die neuen Distrikte als illegal und erklärte, der Präsident habe nicht die Befugnis, neue Distrikte auszurufen (Standard 2009). Damit sank die Zahl der Distrikte wieder auf 54. 93 In ersten Entwürfen hieß der Wahlkreis Mochongoi.

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Die Endorois sprachen sich für eine Einteilung in nur vier wards aus.94 In ihrem Sinne sieht die heutige Einteilung des Baringo South-Wahlkreises vier wards vor: Il Chamus, Marigat, Mochongoi und Mukutani. Auch die Namensfindung des Baringo South-Wahlkreises steht für den Kampf um symbolische Repräsentation. Vertreter der Il Chamus-Gemeinde plädierten dafür, den Wahlkreis „Il Chamus“ zu nennen. Dies stieß vor allem bei den Nachbargruppen der Endorois und Tugen, die am Namen Mochongoi festhielten, auf Widerstand.95 Im Laufe des Prozesses der Grenzziehung der Wahlkreise gingen über 100 Anträge auf Änderungen bei der Wahlkommission (IEBC) ein. Das Gericht lehnte den Großteil ab, doch es kam zu kleineren Änderungen, wie der Zusammenführung von Wards oder auch Namensänderungen.96 Dies bezeugt, wie umkämpft dieser Prozess in Kenia war. Mit der Schaffung eines neuen Wahlkreises und eines neuen wards sind einige der Forderungen der Il Chamus erfüllt worden. Ihre Aussichten auf ihre politische Repräsentation haben sich somit um Einiges verbessert. Was die Gebietsreform in Zukunft für politische und ökonomische Veränderungen für die Region bringen wird, ist abzuwarten, ebenso wie die Entwicklungen zur Einführung der Eigentumstitel.

94 Daily Nation (2012a) „Protest over boundaries report“. Die wards seien laut Report Mukutani, Salabani, Ng´ambo, Marigat, Loboi, Chebinyiny-Arabel, Kimoriot, Il Chamus und Mochongoi. Ein anderer Zeitungsartikel (Daily Nation 2012b) stellt laut vorläufigen Report des IEBC vier Wards fest: Marigat, Ng´ambo, Mochongoi und Mukutani. Die vier favorisierten wards der Endorois wären Mochongoi, Il Chamus, Mogoswok und Bogoria. 95 Daily Nation (2012b) „Group threatens assistant minister over boundaries“, 22.01.2012. 96 Standard Digital (2012) „IEBC´s sigh of relief as court throws out boundary petitions“, 15.07.2012.

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Karte 8: Die Wahlkreise im Baringo County

Quelle: eigene Darstellung, Kartographie: Storbeck

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8.3 E VERYDAY P OLITICS – E THNIZITÄT IM A LLTAGSDISKURS LOKALER W ASSERPOLITIKEN Das folgende Kapitel bezieht sich auf die lokalen Aushandlungsprozesse im Perkerra-Bewässerungssystem. Wurden in den vorangegangenen Kapiteln die regionalpolitischen Verhältnisse betrachtet, wird nun der Blick auf die lokalen Prozesse im Bewässerungssystem gerichtet. Durch die Einbeziehung der Bauernschaft in die Wasserverteilung durch eine von ihr gewählte Vertretung werden neue Differenzen geschaffen. Die frühere Trennung zwischen Bauernschaft und Staatsvertretern im Management wird nun verwischt und neu ausgehandelt. Im Folgenden werden Argumentationsmuster analysiert, die sich auf ethnische Differenzen berufen. Die aufgeführten Zitate spiegeln narrative Segmente wider, die immer wieder genannt wurden. Im Gespräch mit Landwirten der Tugen sagten diese, dass das Wassermanagement ungerecht sei, da sowohl der Vorsitz der Water Users Association (WUA) als auch der Vorsitz der River User Association (RUA) von einer Person der Il Chamus eingenommen würde. Das folgende Zitat wurde in einem Gespräch vor der WUA-Wahl mit Landwirten von einem Anwärter auf ein WUAAmt, ein Tugen, geäußert: „In fact this year there more maize crop planted at the riverbank, than in the scheme. Just because these two people [WUA-Vorsitzende und RUA-Vorsitzende] are connected“ (Interview S25).

Anders ausgedrückt wirft der Herausforderer dem WUA-Vorsitzenden fehlenden Einsatz für das Bewässerungssystem vor, da dieser vor allem an „seine Leute“, die am Fluss und flussabwärts Mais anbauen, denken würde. Mit diesem Argument lässt der Anwärter die Regelungen, die alle Bauernvertreter gemeinsam und zusammen mit der Lokalregierung entworfen haben, um das Wasser gerecht zwischen dem Bewässerungssystem und den flussabwärts gelegenen Dörfern zu verteilen, außer Acht. Des Weiteren versucht der WUA-Anwärter, sein Argument mit einem Verweis auf die Verfassung zu unterstützen: „The current constitution of Kenya, the new one, would not accept that. If there are two or more communities in one place, one community must not rule one place“ (Interview S25).

Mit der Berufung auf die neue Verfassung verleiht er seinem Argument besonderes Gewicht und versucht, Legitimation und Glaubwürdigkeit aufzubauen. Dass die neue Verfassung sensibler auf die Berücksichtigung von Interessen verschiedener Gruppen eingeht, ist richtig; so wird in der neuen Verfassung bei der Regelung der Parteilisten eine Berücksichtigung der demographischen und ethnischen Kriterien einer Region verlangt. Was jedoch die Repräsentation und Mit-

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sprache in Räten (Senat, Parlament, Volksversammlung) anbelangt, sind es vor allem Frauen und Minderheiten oder Gruppen mit special needs, die ein Recht darauf haben, dort vertreten zu sein. Die Argumentation, die hier aufgeführt wird, entspricht demselben Muster, das die Il Chamus in ihrer Argumentation um Landfragen und politische Repräsentation angewandt haben (siehe vorheriges Kapitel). Auch bei der Verteilung der Positionen wird genau darauf geachtet, wer welche Position einnimmt. So wird zur Veranschaulichung, wie „tribalistisch“ das Wassermanagement sei, aufgezählt, wie viele Positionen von Il Chamus eingenommen werden, weil der WUA-Vorsitzende Positionen nur an „seine Leute“ geben würde. Das Argument der einseitigen Verteilung von politischen Ämtern zugunsten der Il Chamus wird somit als Ungerechtigkeit aufgegriffen und durch diskursive Wiederholungen zu einem Deutungsmuster, einem verinnerlichten kognitiven Gebilde, ein in diskursiven und nicht-diskursiven „Interaktionen ausgebildete[s] Interpretationsmuster der Weltdeutung“ (Lüders und Meuser 1997: 62f., zit. in Keller 2008: 83-84). Die „andere“ Seite sieht sich ebenfalls in einer benachteiligten Lage, wie im Interview mit einem Landwirt der Il Chamus deutlich wurde: „WUA leader should always be from the Il Chamus community, because they are most affected by the distribution. So that the leader feels the pinch of the problem we are facing down there. You find that the Tugen occupy the upper part of the scheme and water is never a problem to them, but we face very hard conditions as Il Chamus so I think there should be equality in water distribution for it to work effectively“ (Interview SP1).

Sehr vereinfacht wird dargestellt, dass die Il Chamus vor allem kanalabwärts Felder besäßen und daher strukturell unter Wasserknappheit litten. Eine gerechte Wasserverteilung und die Linderung der Not der Landwirte kanalabwärts könnte nur eine Person erreichen, die sie selbst erfahren hat. Es wird jedoch nicht gefordert, dass der WUA-Vorsitzende etwa ein Landwirt von kanalabwärts sein sollte, sondern er sollte ein Il Chamus sein. Dahinter verbirgt sich offenbar die Annahme, dass nur Angehörige derselben Ethnie diese Wasserinteressen vertreten könnten. Im alltäglichen Diskurs um die Wasserverteilung und den Einfluss im Wassermanagement werden also auch ethnische Argumente aufgeführt. Dabei habe ich beobachtet, dass ethnische Argumentationen im Bereich des Wassermanagements bei den Gruppendiskussionen (Spider-Diagrammen) stets in Gruppen mit männlichen Teilnehmern und vor allem mit Teilnehmern, die politisch aktiv waren (die z. B. ein Amt im Advisory Committee oder eine Position als Blockleiter innehatten), bemüht wurden. Dies deutet darauf hin, dass es vor allem um politische Macht geht, wenn solche Argumentationen als Hilfsmittel eingesetzt werden, während in Bereichen des Alltags, d. h. der alltäglichen Wasserprakti-

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ken, ethnische Kategorien wenig Relevanz haben. Zwar kommt es zu Fällen von Bevorzugung (wie in Kapitel 5.3.3 erläutert), doch werden diese differenzierter wahrgenommen und nicht sofort ethnisch verallgemeinert, sondern vor allem damit begründet, dass die Leitung durch Landwirte gestellt wird und diese in erster Linie an ihrem eigenen ökonomischen Prosperieren interessiert seien und nicht an dem Wohle der gesamten Bauernschaft. Des Weiteren wurde auf diese „tribalistischen“ Argumentationen zurückgegriffen, wenn es darum ging, mir und meinen Assistenten darzulegen, warum aus ihrer Sicht das Wassermanagement nicht gut funktionierte und ungerecht sei. Diese Extensionflächen liegen in der Nähe der Siedlungen Loropil und Sintaan und werden in den häufigsten Fällen von Il Chamus bewirtschaftet, die in den Siedlungen wohnen. Die Registration der Felder wurden 20112012 zum Politikum, da einige das „ethnische Gleichgewicht“ im Bewässerungssystem gefährdet sahen. Mit der Registration der Extensiongebiete würden diejenigen, die bereits das Land bestellen, eine Registrationsnummer für das Land erhalten. Die Extensiongebiete liegen vor allem im Osten des Bewässerungssystems und werden größtenteils durch Landwirte bestellt, die der ethnischen Gruppe der Il Chamus angehören. Nun wurden Pläne des NIBs zur Erweiterung des Bewässerungssystems bekannt, die vorsahen, die neuen Gebiete in gleichen Teilen an die Landwirte mit bereits registriertem Land zu verteilen und nicht an solche, die auf eine Registration des Landes in den Extensiongebieten warten. Daher stellte das Advisory Committee, so die Vorwürfe eines Il Chamus-Blockleiters, die Registration von Land in den Extensiongebieten ein. 8.3.1 WUA-Wahlen – Ethnizität als gängiges Erklärungsmuster Anhand zweier Interviews möchte ich in einer sequentiellen Analyse herausarbeiten, wie und wann sich auf Ethnizität als Erklärungsmuster für bestimmte soziale Prozesse berufen wird. Beide Interviews wurden auf Englisch geführt. Beispiel I Das erste Gespräch führte ich mit einem Landwirt. Seine Eltern sind Pastoralisten und er selbst hatte sich erst vor kurzer Zeit Felder gekauft und sich als neuer Pächter registrieren lassen. Unsere Themen waren die anstehenden Wahlen des WUA-Komitees und die Zufriedenheit der Landwirte mit dem Management. Auf meine Frage nach seinem Standpunkt zu den Wahlen begann er seine Ausführungen mit folgender Erklärung:

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„There are two tribes among the farmers: Kalenjin [Tugen, Pokot] and Njemps [Il Chamus] tribe. So you find that the families coming from different tribes. You find that there are some differences when it comes to sharing of resources which are supposed to be used in the scheme for agriculture. There is a minor tribe the Njemps, the tribe where I come from, and there is a major tribe, the Kalenjin. They [Kalenjin] will now say: We use our numerical size to get a larger size of the resource, while the minor tribe remains with the smaller resources. You see there is no equality when it comes to the use of the resources of the scheme“ (Interview S27).

Der Interviewte eröffnet seine Erzählung mit einer Ausführung über die ethnischen Strukturen im Bewässerungssystem. Dabei stellt er zwei Differenzen dar: die der Ethnie und die der Größe der Ethnien. Er selbst ordnet sich der kleineren Ethnie, den Il Chamus, zu. Er nimmt eine Fremdpositionierung vor, indem er die andere Ethnie, die Kalenjin, als tribalistisch darstellt, die ihre Mehrheit ausnutzen würde, um sich Ressourcen des Bewässerungssystems anzueignen. Der Landwirt stellt es als eine Tatsache dar, dass zahlenmäßig stärkere ethnische Gruppen sich immer mehr Ressourcen aneignen können als kleinere Ethnien, und leitet daraus für ihn die natürliche Konsequenz ab, dass es somit in solch einer Konstellation zu keiner gerechten Verteilung von Ressourcen kommen kann. Dieses Interpretationsmuster bedient sich des Deutungsmusters „dominante Mehrheitsethnie vs. marginalisierte Minderheit“. Der Landwirt fährt fort: „So when the chairman was elected … people did not see the hard work, they were saying how comes somebody from a minor tribe is the chairman of WUA?“ (Interview S27).

Er gibt die Irritation der Menschen wieder, die er entlang ethnischer Linien denkend positioniert, da diese sich fragen, wie jemand von einer Minderheitenethnie die Wahl des WUA-Vorsitzenden gewinnen könne. Hier spiegelt sich der in den vorherigen Abschnitten erläuterte weitverbreitete Diskurs wider, dass ethnische Zugehörigkeit und vor allem die Zugehörigkeit zu einer zahlenmäßig starken Ethnie in Politik und Machtverteilung eine ausschlaggebende Determinante sei. JK:

„How comes? What´s your explanation for this? “

S27:

„The reason why is simply because that guy, in fact what they are using … the criteria, you must be farmer and have a farm for very long time in the scheme, second somebody who is not discriminating who can treat all people equally. That guy was not biased, because he is coming from the Njemps tribe and the other tribe is there … So when it comes to the distribution of farm input, like fertilizer, seeds and water he did it equally, he was not biased and was not discriminating“ (Interview S27).

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Auf die Frage, warum sich der Diskurs „größere Ethnie gewinnt Wahl“ in der sozialen Praxis der Menschen nicht wiederfindet, nennt er zwei Gründe: Zum einen die fast formal anklingende Voraussetzung, zu den alteingesessenen Landwirten zu gehören. Zum zweiten, ein gerechtigkeitsliebender Mensch zu sein und niemanden zu diskriminieren. Und da der WUA-Vorsitzende zu den Il Chamus gehört, sei er nicht voreingenommen und könne eine gerechte Verteilung der Ressourcen (Produktionsmittel, Wasser) vornehmen. Diese Argumentation, dass es zu einer gerechten Ressourcenverteilung komme, wenn ein Vertreter der Minderheitenethnie der Il Chamus ein politisches Amt innehabe, kam oft in Diskussionen mit Anhängern der Il Chamus vor und ist vor dem Hintergrund der Diskussion von politischer Mitsprache von Minderheiten zu sehen. Im weiteren Verlauf des Interviews kommt es zu einer Wende der Argumentation des Interviewten. Sah es bisher so aus, als würde seine Sichtweise auf die Wasserverteilung ebenfalls auf die Kategorie der Ethnie rekurrieren, klagt er nun den Vorsitzenden der WUA und alle, die in das Wassermanagement involviert sind, an, in Zeiten von Wasserknappheit in erster Linie ihre eigenen Felder zu bewässern. Ethnizität ist nun nicht mehr das vorherrschende Erklärungsmuster. JK:

„So you would even now support a candidate which is not an Il Chamus, to support the change?“

S27:

„Yes. Me as a farmer I don’t follow ethnicity, what I‘m following is the services rendering the person, so e.g. is there a man who is hard working, capable of equal services to the farmers, respecting different tribes, those are the services I´m looking for, but I cannot incline for a certain person just because he comes from my tribe. What I´m considering, and I assume that is what the most farmers are considering, is the performance and the action of a person. If the person from another tribe can manage well and brings good services, no problem“ (Interview S27). „To find that agricultural activities in the scheme …, according to our Njempsi, if people can send away the idea of tribalism, the idea of saying this and this - I could see the agricultural activities are going to advance in this scheme. But now, I don´t know … it seems this people … you know a leader should have the characteristics of transparency and accountability, but those leaders e.g. someone who is a water guard, feeder leaders is not a good man, it has gone to an extent where you need to talk or you need to corrupt, so that he gives you water – bribery“ (Interview S27).

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Die zu Anfang geführte Argumentationslinie, dass eine Ressourcenverteilung nicht gerecht sein könne, wenn ethnische Differenzen nicht berücksichtigt würden, bricht er nun, indem er nicht Ethnie, sondern Kriterien wie Transparenz und Verantwortlichkeit des Amtsträgers als die entscheidenden Faktoren für gute Leistung benennt. Dabei versucht der Landwirt, seiner Argumentation Nachdruck zu verleihen, indem er sich darauf beruft, dass wohl die meisten Bauern so denken würden. Er distanziert sich dann vom „Tribalismus“, den er als einen Hinderungsgrund für den landwirtschaftlichen Erfolg im Bewässerungssystem sieht. Er stellt sich selbst als jemanden dar, der nicht entlang ethnischer Kriterien entscheiden würde, und grenzt sich damit von den anderen – von „the people“, „the Kalenjin“ – ab, die er als nur in ihre eigene Tasche wirtschaftend darstellt. Auch wenn der Interviewte sich selbst als Il Chamus bezeichnet, ist er doch ein Neuling im Bewässerungssystem. Als These kann formuliert werden, dass er nicht im selben Maße in die sozialen Netzwerke eingebunden ist wie alt eingesessene Bauern oder deren Nachfahren und ihm somit eine Wasserverteilung nach formalen Kriterien von großer Bedeutung ist. Dennoch wird Ethnizität als Erklärungsmuster für das Handeln der anderen herangezogen, die er entlang ethnischer und tribalistischer Kategorien denkend und handelnd skizziert. Für ihn stellen ethnische Differenzen jedoch keine Handlungsanleitung dar. Er stellt Ethnizität verbunden mit Nepotismus schließlich als etwas Negatives dar, von dem er sich persönlich distanziert. Beispiel II Das zweite Gespräch wurde mit einem Landwirt geführt, der zu den reichsten gehört. JK:

„I´m interested in the election of WUA ... I would like to know how is it working?”

S6:

„In the first place, the election is not fair …. You know why? Because it reaches a point where people go back to their tribes, you see? Now … there are also seven members, who call themselves Apex97. Now after our election ... after electing the feeders and the block leaders, they are the ones who elect the Chairman. So we as farmers, we shall later be told the Chairman is so and so, but we don´t participate ... So now what happens, that´s why I´m telling you it´s not fair, so now maybe in the Apex you find four Il Chamus and maybe three Tugens.“

97 Der formale Aufbau der Water Users Association (WUA) und des Wahlmechanismus‘ wird in Kapitel 5.3 erklärt.

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JK:

„How many Apex members? “

S6:

„Seven. So now if they win by one vote, they will produce the chairman. So it is not fair. Because if the seven, the Apex, if they now, äh, they will just win by one vote, so one vote makes you a chairman, and it depends most on the tribe. You see. If the Apex has maybe four Il Chamus, three Kalenjins or four Kalenjins, three Il Chamus ... “

JK:

„Then it will be a Kalenjin chairman? “

S6:

„Yeah, so it´s not fair. What I can say: That election they can maybe change the system. Could be better. But at the meantime ... “ (Interview S6).

Auf meine Bitte, etwas über die Wahlen der WUA-Mitglieder zu erfahren, eröffnet mein Interviewpartner das Interview mit dem grundlegenden Statement, die Wahlen seien unfair, und zieht sofort eine Relation zu tribalistischen Gründen, da, je nachdem, wie die ethnische Vertretung im Apex-Organ sei, der WUAVorsitzende von der ethnischen Mehrheit im Apex-Organ gewählt würde. Für ihn ist es selbstverständlich, dass jeder Vertreter nur für jemanden stimmt, dessen Ethnie er teilt. Das stellt für ihn einen natürlichen Automatismus dar. Dass die Wahlentscheidung auch nach anderen Kriterien erfolgen könnte, schließt er aus. Ethnischer Klientelismus sei ein weitverbreitetes Phänomen und vor allem in Verwaltungs- und Managementstrukturen anzutreffen. Er greift diesen Diskurs des Ethnie–Macht–Politik Nexus auf, um sein Statement einer unfairen Wahl zu untermauern. Im Fortlauf des Interviews entwirft er immer detaillierter ein Bild, in dem politische Prozesse wie die Wahlen, aber auch alltägliche Praxen wie die Wasserverteilung und die Planung des Vertragsanbaus im Bewässerungssystem streng entlang ethnischer Differenzen und ethnischer Mehr- und Minderheiten laufen. S6:

„If it is maybe Kenya Seed program, where the phase one to start. He [the Chairman] will try to make sure that this phase one has gone to his tribe. If there is water shortage he tries as much as he can, so that he can take the water to his people. So there is no fairness.“

JK:

„But ehm, I mean the blocks are mixed, there are many different tribes in the blocks, so if the chairman brings water to his people in his block – but the water flows to the whole block to all people, no? “

S6:

„In most cases that I have seen you might find the number of maybe a certain tribe, you may find they are many. Like now in L5 [Block], most of them are Kalenjin. The big number are Kalenjins. But now

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the few Il Chamus who will be inside, will suffer. Because you will have no way of (laughing) of doing nini, of maybe taking water to them alone“ (Interview S6).

Er teilt alle Blöcke im Bewässerungssystem einer Mehrheitsethnie zu und prophezeit den Minderheiten schwere Zeiten. Seine Darstellung folgt einer einfachen binären Logik: Wenn „ein Il Chamus“ den Posten des WUA-Vorsitzende innehabe, profitierten „die Il Chamus“ und wenn „ein Kalenjin“ den Posten innehat, favorisiert dieser seine Ethnie. Somit lässt sich alle Ungerechtigkeit erklären und ein einfaches Bild der Machtverhältnisse im Bewässerungssystem zeichnen, in dem sozio-ökonomische Verhältnisse vollkommen ausgeblendet werden. Es verwundert, dass der Interviewte sich nicht als einer der Ethnien zugehörig positioniert, sondern als Identitätsmarker wird „Surplus-Bauer“ angegeben. Er definiert sich als Surplus-Bauer, die, wie er es darstellt, einer besonders schwierigen Situation ausgesetzt seien, da sie nicht im Wasserprogramm, das von WUA geplant wird, berücksichtigt würden. Im Laufe des Interviews kommt die Frage auf, was seine persönlichen Kriterien für die Wahl seien. JK:

„And according to which criteria are you electing somebody?“

S6:

„Okay, I myself maybe I elect somebody who is transparent, somebody who is, somebody who is eh .... ok ... .somebody who is not corrupt. Yeah I like to elect somebody who is responsible who can really work, who can ... eh ... fight for the right of farmers. Yeah such features“ (Interview S6).

Die zuvor als allgemein geltend aufgestellte Regel, dass die anderen Landwirte alle nach ethnischen Kriterien wählten, gilt für ihn selbst also nicht. Verständlich wird seine negative Haltung gegenüber der WUA, als er einen Vorfall erwähnt, bei dem laut seiner Darstellung aufgrund der Bevorzugung anderer ihm sein rechtmäßiges Wasser nicht zugeteilt wurde und er sich dem widersetzte und trotzdem bewässerte. Er wurde nach seinen Darstellungen unrechtmäßig zur Polizei beordert und dort zu einer Strafe verurteilt. Dies kann auch als ein Grund gewertet werden, warum er sich Land am Flussufer pachtet, um, wie er es nennt, „people who make noise“ zu entgehen. 8.3.2 Ethnizität – ein verinnerlichtes Deutungsmuster In beiden Beispielen wird deutlich, dass Ethnizität als Erklärungsmuster für das Verhalten von Personen im Wassermanagement herangezogen wird. Die Erklärungsmuster korrespondieren mit denen, die auch im Inter- und Spezialdiskurs zirkulieren, wie etwa das Erklärungsmuster, das davon ausgeht, dass die Min-

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derheitsethnie immer von der Mehrheitsethnie überstimmt wird. Dieses Argument wird zu einer Tatsache, einer Regel, nach der die soziale Realität erklärt werden kann. Ethnizität wird zu einer Wirklichkeitskonstruktion der Differenz. In beiden Beispielen sehen die Interviewpartner bei allen anderen ein „tribalistisches Verhalten“, nur nicht bei sich selbst. Beide verpönen „Tribalismus“ als etwas Negatives, als etwas Rückständiges und Unwirtschaftliches. „Tribalismus“ wird in engem Zusammenhang zu Nepotismus und Vetternwirtschaft gesetzt. Gleichzeitig wird deutlich, dass es ein sehr starkes, internalisiertes Deutungsmuster ist, dem beide Interviewpartner nicht entkommen, da sie es als allgemeines Erklärungsmuster für politische Vorgänge im Wassermanagement heranziehen. Es entsteht der Eindruck, dass die beiden Interviewten sich auf Ethnizität in Form von negativem „Tribalismus“ beziehen, um mir ihre „schwierige“ Situation zu erklären. Im ersten Fall gehört der Interviewte zwar der Ethnie an, die den WUA-Vorsitzenden stellte, jedoch fühlt er sich als Neuling und findet sich nicht in den sozialen Netzwerken des Bewässerungssystems wieder. Im zweiten Fall nimmt der Interviewte ebenfalls eine Außenseiterrolle ein, da er sich als SurplusBauer positioniert, also ein Landwirt, der nicht in den Vertragsanbau eingebunden ist. Beide scheinen sich in der Wasserverteilung benachteiligt zu fühlen. Das „tribalistische Handeln“ der anderen wird so zum Aufhänger, sich über die „anderen“ zu beschweren und mir ihre Position näherzubringen. „Tribalismus“ stellt somit eine eingängige, logische Wahrheit dar, durch die soziale Prozesse erklärt und dargestellt werden können. Biased? In den Gesprächen und Interviews nahm ich gegenüber der Verwendung von ethnischen Kategorien grundsätzlich eine zögernde und abwartende Haltung ein. In den meisten Gesprächen wartete ich ab, ob hinsichtlich der Wasserverteilung und der lokalen Politik ethnische Kategorien aufgeführt wurden oder ob diese eine Rolle in der Argumentation und den Sichtweisen meines Gegenübers spielten. War dies der Fall, griff ich diese auch in meinen Fragen auf. Oftmals wurden nicht die ethnischen Gruppenbezeichnungen gewählt, sondern von Nachbarn, communities, Nachbar-community oder Kabila (Suaheli für Ethnie/tribe) gesprochen. Wurde im Gespräch nicht auf ethnische Kategorien rekurriert, fragte ich in den meisten Fällen nicht explizit danach. Denn ich sah darin die Gefahr genau das zu finden, was ich finden wollte, im Sinne eines intellektualistischen bias (Bourdieu und Wacquant 2006), der die Neigung bezeichnet, die „Elemente der wissenschaftlichen Beobachtung in die beobachtete Praxis hineinzuproduzieren“ (Lippuner 2005: 141). Auch Lynch (2006: 61) weist

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auf das Problem der Wirkungskraft von Ethnizität in Kenia hin: „Questions of ethnicity are often central to the political reality in Kenya, but the simplification of everything down to ,ethnic politics‘ obscures other possible dimensions.“

8.4 Z WISCHENFAZIT – E THNISIERTE I DENTITÄTSPOLITIKEN In diesem Kapitel wurden Identitäten und Subjektivierungsprozesse des Bewässerungsdispositivs im Perkerra-Bewässerungssystem beleuchtet. Entscheidend im Bewässerungsdispositiv ist die Subjektivierung der Menschen zu westlich handelnden und denkenden landwirtschaftlichen Subjekten, wie sie in Kapitel 5.1 nachgezeichnet wurde. Pastoralistische Identitäten mussten in den Siedlungsbewässerungssystemen neu ausgehandelt werden. Die agro-pastoralistische Lebensweise der Il Chamus, die sie bei Errichtung des Siedlungsbewässerungssystems führten, ist für viele die Begründung, warum die Il Chamus Land im Bewässerungssystem verloren haben. Viele der Il Chamus, die nun bereits in zweiter oder dritter Generation im Siedlungsbewässerungssystem leben, identifizieren sich heute stark mit ihrer sesshaften Lebensweise als Landwirte. Mit dem Wandel der Rationalitäten, in die das Bewässerungsdispositiv eingebunden ist, und der mit dem Wandel des Bewässerungsdispositivs von einem disziplinären zu einem liberalen einhergeht (siehe Kapitel 4), sollen die Besitzverhältnisse staatlicher Bewässerungssysteme neu konfiguriert werden. Dies äußert sich in dem Vorhaben der Privatisierung des staatlichen Landes. Mit den Reskalierungsprozessen im Bewässerungsmanagement, die sowohl Ausdruck wie auch Antrieb des Wandels im staatlichen Bewässerungssektor in Kenia sind, sollte es daher auch zu einer Privatisierung des Landes im Perkerra-Bewässerungssystem kommen. Am Fallbeispiel ist deutlich zu erkennen, dass es hier bezüglich der Rationale der Privatisierung zu multiplen Formen kommt. Wie die Daten zeigen, unterstützt die große Mehrheit der Landwirte Eigentumstitel im Bewässerungssystem, da sie aus ihrer Sicht eine Möglichkeit bieten, positive wirtschaftliche Entwicklungen zu generieren. Das heißt, Rationalität und Logik, die mit Privatbesitz verbunden sind, werden unterstützt und als „wahr“ empfunden. Dennoch ist die Landfrage eine höchst politisierte und umstrittene. Hier wird deutlich, dass die Implementierung von Regierungsprogrammen mit multiplen Rationalitäten konkurrieren und in historische Konfigurationen eingebettet sind: So ist die Logik des Nexus Ethnizität-Land ebenfalls eine starke. Wie ge-

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zeigt wurde, hat das Vorhaben der Ausstellung von Eigentumstiteln im Bewässerungssystem einen Aushandlungsprozess ausgelöst, der als eingebettet in historische Materialitäten und Subjektivierungen verstanden werden muss. In diesem politisierten Aushandlungsprozess werden von den unterschiedlichen Akteuren verschiedene Argumentationsweisen aufgebaut, um ihren Anspruch auf die natürlichen Ressourcen, ihre Sichtweisen und Rationalitäten zu untermauern und zu legitimieren. Die Führer der Il Chamus beanspruchen das Land, auf dem das Bewässerungssystem liegt, als ihr Ahnenland und somit „ihr“ Territorium, obwohl sie das Land erst seit 150 – 200 Jahren ihr Ahnenland nennen können. Die Verknüpfung von Territorium und Ethnizität ist vor allem auf koloniale Bestrebungen, das Land zu klassifizieren und zu ordnen, zurückzuführen (Morgan 2000: 78). In der Argumentation der Il Chamus-Ältesten positionieren sie die „Anderen“ als „Neuankömmlinge“ und „Fremde“, die in ihr Land hineindrängten und „land grabbing“ betrieben. Die Subjektposition, die die Il Chamus-Ältesten den „Anderen“ zuweisen, ist, dass diese unrechtmäßig Land besäßen bzw. sich aneigneten. Die Il Chamus-Ältesten stützen ihr Argument (claim), indem sie sich auf vorkoloniale Besitzansprüche beziehen (backing). Die Aussagen und Wissensbestände, die einen Diskurs des Nexus Land–Ethnie bedienen, können dem Interdiskurs zugeordnet werden. Denn die der Argumentation zugrunde liegende Schlussfolgerung, dass die ethnische Mehrheit auch eine politische und machtvolle Mehrheit sei, kann zu den Allgemein-Wissens-Beständen gerechnet werden. Diese Logiken produzieren Erklärungsmuster, wie „die Welt“ funktioniert, und fungieren somit als Ordnungsprinzip. Diese Logik spiegelt sich auch deutlich in alltäglichen Erklärungsmustern des Alltagsdiskurses wider, wenn es um die Verteilung von Einfluss und Entscheidungsmacht geht. Wie in beiden Beispielen in Kapitel 8.3 gezeigt, werden entlang ethnischer Linien die Machtverhältnisse im Bewässerungssystem erklärt. Die „Wahrheit“ und die „Normalität“ von Machtverhältnissen sind somit durch den Nexus Macht–Ethnizität bestimmt und nicht durch andere „Wahrheiten“ wie z.B. durch den Nexus Macht–Klasse. Dieser Diskurs definiert für dieses Raum-Zeit-Verhältnis die „Wirkungsbedingungen der Aussagefunktion“ (Foucault 1973 [1969]: 171 in Strüver 2009: 65). Somit ist deutlich geworden, wie Wissensbestände des Interdiskurses, also „allgemeines Wissen“, in diesem Fall zum Nexus Macht–Ethnizität, zwischen dem Interdiskurs und dem Alltagsdiskurse zirkulieren (Abbildung 10). Dass die Praktiken der Menschen dennoch anders aussehen können und ein Vertreter von der ethnischen Minderheit zum WUA-Vorsitzenden gewählt wird, weist darauf hin, dass die Erklärungsmuster (große Ethnie gleich viel Macht) sehr stark sind, aber die lokalen Praktiken der Menschen sich doch nicht allein

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S UBJEKTIVIERUNGEN I 281

darauf reduzieren lassen, sondern es auch andere Merkmale und Mechanismen gibt, die bei einer Wahl ausschlaggebend sein können. Dennoch stellt Ethnizität einen mächtigen Diskurs dar, der als Deutungsschema und Erklärungsmuster verinnerlicht ist. Welches Selbstverständnis generiert sich dadurch? Zum einen fungiert Ethnizität als Identitätsanker, um auf ungerechte und schlechte Verhältnisse für einen selbst hinzuweisen („ich bin in der Wasserverteilung benachteiligt, weil ich nicht dazugehöre“), und zum anderen wird der Aufbau der Differenz ̶ wie z. B. „wir“ sind im Gegenteil zu den „anderen“ benachteiligt ̶ genutzt, um mehr politische Macht zu bekommen. Des Weiteren wird offensichtlich, dass sich die Begründungen des Anspruchs auf das Land auf unterschiedliche Diskurse beziehen. Während die Interviewpartner, die sich den Tugen zugehörig fühlen, ihren Anspruch mit der Land-Konzession begründen und sich somit auf das aktuelle juristische Rechtssystem berufen, sehen die Il Chamus-Ältesten ihre Begründung im Diskurs des vorkolonialen Landrechts, da das Bewässerungssystem sich auf ihrem angestammten Land befände. Diese diskursive Legitimation ist erst einmal weniger wirkmächtig als die Legitimation durch die Konzession und das nationale Rechtssystem. Deshalb beziehen sich die Il Chamus zur Problematisierung der Lage und zur Untermauerung der Schlagkraft ihrer Argumente auf Diskursbausteine verschiedener diskursiver Felder zu Spezialwissen: zum einen auf die global zirkulierenden Wissensbestände zu „Indigenität“ und zum anderen auf den juristischen Diskurs der nationalen Minderheitenregelungen. Hierdurch können sie international (und national) anerkannte Definitionen und Rechte auf ihre Situation beziehen und versuchen, diese vor dem nationalen Gericht in Form der nationalen Minderheitenregelung geltend zu machen. Das „Indigen-Werden“ stellt somit eine skalare Strategie dar im Aushandlungsprozess um Macht und Ressourcen. Ihre marginalisierte Situation wird von den Il Chamus auf ihre zahlenmäßige Unterlegenheit zurückgeführt. Dies führe dazu, dass sie politisch marginalisiert und nicht repräsentiert wären. Die Selbstposition, die sich die Il Chamus zuweisen, ist die eines exkludierten und lange Zeit sprachlosen Subjekts. Mit der rechtlichen Anerkennung als Minderheit erhoffen sie ihre politische Repräsentation zu erhöhen, um somit ihre Interessen besser zu schützen.

282 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Abbildung 10: Diskursive Felder im Perkerra- Bewässerungssystem Spezialdiskurs

Juristischer Diskurs - Verfassung - Minderheiten - Landtitel - Wahlkreise

global zirkulierende Wissensbestände - Konzept der Indigenität

Interdiskurs

Ethnizität - Mehrheit vs. Minderheit - Repräsentation - Politischer Einfluss

Indigene Gruppe - Ahnenland - Kultur

Alltagsdiskurs

Wer hat (polit.) Einfluss? - Tribalismus - Vetternwirtschaft

Wer profitiert und warum? - Wasserverteilung - WUA-Wahlen

Quelle: eigene Darstellung

Die widerständige Praxis der Klage vor dem Gericht, wo den Il Chamus Recht gegeben und sie als Minderheitengruppe anerkannt wurden sowie die Berücksichtigung ihres Anliegens bei der neuen Grenzziehung der Wahlkreise, haben die Il Chamus gestärkt und ihnen Selbstvertrauen gegeben, ihre Forderungen auch durchsetzen zu können. Die Diskussion um die politische Repräsentation wurde vor allem mit der Debatte um die neue Verfassung und mit der neuen Grenzziehung durch die Gebietsreform wieder entfacht. Dabei müssen der Widerstand gegen die Landprivatisierungen und die politischen Umbauprozesse durch die neue Verfassung und die Gebietsreform in direktem Zusammenhang betrachtet werden. So setzen die Vertreter der Il Chamus ihren Widerstand als Hebel ein, um den politischen Druck zu erhöhen und die Grenzziehungen der Wahlkreise zu ihren Gunsten zu gestalten: In dieser Zeit der Reskalierung werden die Machtverhältnisse neu ausgehandelt. An diesem Beispiel konnte gezeigt werden, dass das Bewässerungsdispositiv und seine Subjektivierungsweisen nicht losgelöst von gesellschaftlichen und sozialen Prozessen zu verstehen sind. So gehören zu den nicht-intendierten Folgen konflikthafte Aushandlungen um Bewässerungsland, in denen Ethnizität als Ordnungsprinzip und politische Ressource eingesetzt wird.

9 Das Bewässerungsdispositiv – eine abschließende Betrachtung

Diese Arbeit untersuchte den Wandel des Bewässerungsdispositivs von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia. Während die bisherige Arbeit sich auf die einzelnen Elemente in ihrer Ausprägung konzentrierte, werden diese nun stärker zusammengeführt und der Wandel zusammenfassend nachgezeichnet. In einem zweiten Schritt werden der Wandel und dessen Auswirkungen im PerkerraBewässerungssystem aufgegriffen und der neue Governance Space als ein politisierter Raum diskutiert.

9.1 D ER W ANDEL

DES

D ISPOSITIVS

Um diesen Wandel besser nachvollziehen zu können, muss eine historische Perspektive eingenommen werden. Ziel der Analyse war es, die typischen Charakteristika der Managementform und die Managementdiskurse für die Zeit vor 1990 herauszuarbeiten (wobei sich die meisten Quellen vor allem auf die späten 1960er- und 1970er-Jahre stützen), um so in einem zweiten Schritt die typischen Charakteristika für die heutige Managementform darzulegen und in einem dritten Schritt bestimmte Veränderungen aufzuzeigen. Bewässerung als disziplinäres Dispositiv Bereits am Beispiel der Entstehung des Bewässerungsdispositivs von Siedlungsbewässerungssystemen in Kenia wird deutlich, dass eine Analyse staatlichen Regierens und der staatlichen Strategien den sozio-politischen Kontext mitbetrachten muss. Gouvernementalitätsstudien zeigen, wie durch Problematisierungen ein Regierungsbedarf geschaffen und dieser in ein technisches Problem umgesetzt wird, um schließlich technische Lösungen anzubieten (Li 2007, Ferguson

284 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

1994). Regieren mit dem Ziel der „Entwicklung“ läuft über Techniken und Technologien ab (Programme, Policies); diese sind jedoch nur ein Teil, den es bei der Analyse von politischen Steuerungsprozessen zu untersuchen gilt. Die Umsetzung von Regierungsprogrammen und -plänen ist sehr kontextspezifisch und im untersuchten Fall eine Kombination von staatlichen Strategien und gesellschaftlichen Aushandlungen. Diese Untersuchung hat den Fokus auf die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse gelegt, die mit staatlichem Regieren verbunden sind. Wie in Kapitel 4 gezeigt, konzentrierten sich die frühen kolonialen Regierungsweisen in der britischen Kolonie speziell auf die weißen Siedler und deren wirtschaftliche Bestrebungen (Anderson 1981). Diese weiteten sich im Laufe der Zeit aus und mit Ende des zweiten Weltkriegs zielten staatliche Programme und Interventionen auch auf die Landnutzungspraktiken der afrikanischen Bevölkerung im Kolonialstaat. Das staatliche Bewässerungsdispositiv muss somit als eine Technologie des Regierens in der neuen Ausrichtung des Regierens von britischen Kolonien betrachtet werden. Die dominante Wahrheit landwirtschaftlicher und ländlicher Entwicklung in den afrikanischen Reservaten war an Eigentumstitel, Sesshaftigkeit und den Anbau einer cash crop als vielversprechende Instrumente der Entwicklung und der sozialen Sicherung gekoppelt (Harbeson 1971). Die Schaffung des Bewässerungsdispositivs bot somit ein machtvolles Instrument für die staatliche Regierung. Die Entstehung des staatlichen Bewässerungsdispositivs in Kenia ist nicht nur eine Antwort auf die ursprüngliche Intention zur Erhöhung der Nahrungssicherheit, sondern vor allem den damaligen kolonial-politischen Verhältnissen geschuldet: dem Mau-Mau-Aufstand und der komplexen Landfrage. Die dominante strategische Funktion war es somit nicht mehr, lediglich die landwirtschaftliche Produktion und die Nahrungssicherheit zu steigern, sondern die Sicherheit und Stabilisierung der herrschenden kolonialen Machtverhältnisse zu gewährleisten. Die Grundzüge des disziplinären Bewässerungsdispositiv lassen sich anhand der Darstellungen von Chambers und Moris (1973) herausarbeiten (siehe Abbildung 11). In diesen wird das Management dieser großflächigen Bewässerungssysteme im Licht von modernster Technologie, Disziplin und Kontrolle der Pächter dargestellt. Die Instrumente und Machttechniken spiegeln die gängigen Rationalitäten eines starken Staats mit einem modernen, zentralisierten, hierarchisierten Managementsystem wider. Zu den eingesetzten Machttechniken gehörten die Trust Land Irrigation Rules (Government of Kenya 1963) und deren Umsetzung durch einen Verwaltungs- und disziplinären Apparat.

D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV –

EINE ABSCHLIESSENDE

B ETRACHTUNG

I 285

Tabelle 29: Gouvernementales Regime von Siedlungsbewässerungssystemen in den 1960er-Jahren

Regierungsweise

gouvernementales Regieren

Exekutive

Disziplin

Organisation des Managements

Formung eines landwirtschaftlichen Subjekts

Effektivierung der landwirtschaftlichen Produktion

Regierungstechniken (Kontaktstelle der Individuen mit Macht)

punktuelle Gehorsamkeit, Bestrafen: • Regelungen • Sanktionen und Bestrafung • Abgabe der Produktion

Disziplinierung in allen Lebensbereichen: • Wohnstruktur • Arbeitsweise • Arbeitsaufgaben • Zusammenleben

Schaffung von Anreizen (z. B. ökonomischen)

Art der Machtausübung

untersagend, zwingend

normierend und internalisiert

normalisierend

Erlasse durch die nationale Bewässerungsbehörde (regulative Gesetze, Vorschriften)

wiederholte Einübung von Regeln und Normen

Internalisierung von Zielvorstellungen zur Produktivität und zur Arbeitsweise

zu lösendes Hauptproblem

Art der Regel

Quelle: eigene Darstellung, basierend auf Füller und Marquardt 2009

Die Organisation dieser großflächigen Bewässerungssysteme, die erst durch den Kolonialstaat und später durch den kenianischen Staat gemanagt wurden, war durch eine strenge Ordnung gekennzeichnet. Die Rationalitäten waren auf Effizienz und Effektivität ausgerichtet. Die in den Siedlungsbewässerungssystemen

286 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

angesiedelten Menschen wurden zu Pächtern (Konzessionsinhabern) mit bestimmten Rechten, aber vor allem mit bestimmten Pflichten. Ziel der Regierungstechniken war unter anderem die Subjektivierung zum „landwirtschaftlich produktiven Subjekt“. Zur Analyse dieser Subjektivierungsprozesse lässt sich das „Regime des Regierens“ heranziehen, zu dem exekutive, disziplinäre und gouvernementale Regierungsweisen gehören (siehe Tabelle 29). Die Subjektivierung zum landwirtschaftlichen Subjekt erfolgte durch Exekutive-Regierungstechniken wie der genauen Regelung der Abgabe der produzierten Produkte sowie dem Bestrafen von Delinquenten durch Sanktionen. Die nationale Bewässerungsbehörde kann daher als eine Disziplinarinstitution im Sinne von Foucault (1977) verstanden werden, durch die die Körper in Produktionsapparate eingebunden, gelehrig und produktiv gemacht werden. Die disziplinierende Regierungsweise umfasste eine strenge Hierarchie und die Inkorporation von Handlungsschemata im Sinne des Entgegennehmens und Ausführens von Befehlen. Die Arbeitskraft der Pächter war ein wichtiger Produktionsfaktor. Zur ihrer Kontrolle gehörte eine weitreichende Disziplinierung wichtiger Lebensbereiche: der Wohnstruktur und der Ordnung auf dem Grundstück, der Versorgung mit Nahrungsmitteln sowie der Regelungen der Abwesenheit im Bewässerungssystem. Die Unterkünfte und das „geregelte Einkommen“ können auch als Anreize verstanden werden, durch die das Handeln der Pächter ebenfalls gesteuert wurde. Produktivität war der Imperativ, nach dem alles ausgerichtet wurde. Der Modernisierungsdiskurs der Ordnung und der Kontrolle drückten sich auch in der Raumplanung der Bewässerungsinfrastruktur und der Siedlungen aus. Die Umsetzung der geplanten Siedlungsstruktur ist im Falle des PerkerraBewässerungssystems am besten in Kampi Wakulima zu erkennen. Dieser „technokratisch ausgebaute, funktionalisierte Raum“ (de Certeau 1988: 21), der geschaffen wurde, in dem das Management von Chambers (1973a) als „semi-militärisch“ charakterisiert wurde, lässt sich mit den Begrifflichkeiten von Foucault recht gut fassen. Nichtsdestotrotz lässt diese strukturalistische Betrachtung wenig Raum für die Praktiken und Sichtweisen der Siedler. Hier wurde die Kritik von de Certeau, der diese vor allem auf Foucaults Arbeit „Strafen und Disziplinieren“ basiert, als Perspektive erweiternd angesehen. De Certeaus Überlegungen zum Umgang von Menschen mit Strukturen und ihnen auferlegten Regeln betonen die Uneinheitlichkeit von Praktiken, den Widerstand, das Aneignen von Strukturen und deren Metaphorisieren (de Certeau 1988; Duncan 2002), die auch im damals alltäglichen Leben und Umgang mit den Strukturen der Bewässerungssystembewohner beobachtet wurden (siehe Kapitel 5.1.2).

D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV –

EINE ABSCHLIE SS ENDE

B ETRACHTUNG

I 287

Das Bewässerungsdispositiv im Umbruch Dass Dispositive nicht statisch sind und sich im Laufe der Zeit verändern, wird im folgenden Zitat von Deleuze (1991: 159) deutlich: „Jedes Dispositiv wird so durch seinen Gehalt an Neuartigkeit und Kreativität definiert, womit gleichzeitig seine Fähigkeit bezeichnet ist, sich selbst zu transformieren oder sich zugunsten eines Dispositivs der Zukunft aufzuspalten, und wodurch es jedenfalls im Gegensatz steht zu einem Dispositiv, das die Kraft auf seine härtesten, rigidesten oder solidesten Linien umgelegt hat.“

Brüche und Spaltlinien sind Dispositiven inhärent. Das Zusammenspiel der Elemente – Deleuze nennt sie „Linien“ (Linien von Sichtbarkeit, Aussagen, Kräftelinien und Subjektivierungslinien) – ist fluide und in Bewegung. Die Linien können sich „überkreuzen und vermischen“ (Deleuze 1991: 157). Das untersuchte Bewässerungsdispositiv in Kenia ist als ein dynamisches Netz zu verstehen. Daher sind die Darstellungen der Dispositive, auch des disziplinären Dispositivs, im vorangegangenen Kapitel als prototypische Konfiguration anzusehen, die Modifikationen und Variationen unterliegen. Wie in Kapitel 5 gezeigt, wurden die Reformen in Kenias Bewässerungssektor, also die Änderungen der Rationalitäten der Policy-Programme und Managementmodelle, nicht durch topdown-Entscheidungen angestoßen, sondern sie sind vielmehr Resultat der Unzufriedenheit der Pächter und somit von Protest und Aushandlungsprozessen. Laut Deleuze (1991: 159) scheinen „[…] die Subjektivierungslinien besonders geeignet, schöpferische Wege vorzuzeichnen, die zwar immer wieder scheitern, aber auch wiederaufgenommen und modifiziert werden, bis hin zum Bruch mit dem alten Dispositiv.“

Übertragen auf das untersuchte Bewässerungsdispositiv ist diese Aussage zutreffend. So waren es vor allem die Subjekte, das heißt die Pächter, die durch ihre widerständige Praxis zum Bruch mit dem disziplinären Dispositiv führten. Die widerständige skalare Praxis der Pächter in Mwea, die zu einer Verschiebung der Relation der Dispositivelemente führte, muss dennoch im Kontext der sich verändernden politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Kenia gesehen werden, die mit politischen Ereignissen wie der Einführung eines Mehrparteiensystems und wirtschaftlichen Schwierigkeiten wie dem Preisverfall von Feldfrüchten umrissen werden können. Bei der Analyse der widerständigen Praxis entlang der drei Typen des sozialen Kampfes, die Foucault (1982: 781) identifiziert hat, zeichnet sich folgendes Bild: Die widerständige Praxis richtete sich erstens gegen das herrschende Managementmodell, d. h. die „Regierungsform“ des Bewässerungssystems, in dem die Pächter nur wenig bis gar keine Entscheidung- und Mitsprachebefugnisse hatten; zweitens gegen Formen der Ausbeu-

288 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

tung, vor allem hinsichtlich der Entlohnung ihrer Arbeit, die durch niedrige Preise für die Anbauprodukte bestimmt und die vertraglich über ihre Köpfe hinweg vereinbart worden waren; und drittens gegen das Subjektverständnis als das eines unmündigen, uneigenständigen, abhängigen Subjekts des disziplinären Bewässerungsdispositivs. Der Bruch im Bewässerungsdispositiv, der ebenfalls zu einem Wandel der anderen Linien und Elemente geführt hat, wurde somit durch die widerständigen Praktiken der Bauernschaft eingeleitet. Das Bewässerungsdispositiv hat jedoch nicht aufgehört zu existieren: Die Linien haben neue Varianten angenommen, sind ausgeprägter oder schwächer geworden oder ganz verschwunden. Die Rationalitäten, die im disziplinären Bewässerungsdispositiv kraftvoll waren, sind durch andere Rationalitäten verdrängt oder ersetzt worden oder sind koexistent: Das top-down-Modell wurde durch ein bottom-up-Modell abgelöst. Partizipation und Privatisierung gelten als neue Rationale, die leitend für Modelle und Entwicklungsprogramme sind (IWRM, Bewässerungsreformmodelle wie Irrigation Management Transfer oder Participatory Irrigation Management). Diese Modelle ersetzen vorhandene Strukturen im seltensten Falle vollkommen, sondern knüpfen eher an die gängigen Strukturen an und sollen diese umbauen. Dies wird anhand dieser Untersuchung deutlich: Die Implementierung eines Irrigation Management Transfer ist bisher nur teilweise erreicht: Die Landwirte sind zwar im Management durch die Water Users Association vertreten, haben aber noch keine Stimme bei Verhandlungen mit dem Vertragsunternehmen Kenya Seed. Das zentrale Regelwerk des disziplinären Dispositivs, die Trust Land Irrigation Rules, ist immer noch de jure und in einigen Bereichen de facto gültig. Die staatlichen Privatisierungsbestrebungen des Landes, die mit der Reform in Gang gesetzt wurden, sind aufgrund des Widerstandes der Il Chamus ins Stocken geraten. Somit ist ein Wandel von Dispositiven immer als fortlaufend und in Bewegung zu verstehen. Aus einer Gouvernementalitäts-Perspektive werden diese Brüche nicht etwa als ein Scheitern der Reform gewertet, sondern es werden gerade die unterschiedlichen Strategien und Realitäten der Regierungspraktiken „in use“ untersucht (Lemke et al. 2000: 22). Die Umsetzung dieser Reformen ist daher nicht am Grad ihrer Implementierung zu messen und es kann auch nicht darum gehen, von einem Scheitern eines Programms zu sprechen, denn es sind gerade die Aushandlungsprozesse in diesem „Zwischenraum“ (Lemke et al. 2000: 23) von intendiertem und nicht-intendiertem Effekt zu betrachten. Daher stehen die Aushandlungsprozesse und die unterschiedlichen Strategien verschiedener Akteure, wie der nationalen Bewässerungsbehörde, der Water Users Association (WUA), der Landwirte, die immer Teil der Realisie-

D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV –

EINE ABSCHLIESSENDE

B ETRACHTUNG

I 289

rung von Policy-Programmen sind (Lemke et al. 2000: 23), im Zentrum der Untersuchung. Abbildung 11: Bewässerung als disziplinäres Dispositiv

Rationalitäten/Diskurse - Modernisierung - top-down - Zentralistisches Managementmodell - Exportorientierter Anbau

Machttechniken

Subjektivierung

Trust Land Irrigation Rules Anreize setzen Disziplinieren Konzession (kein Eigentumstitle) - Verträge - Siedlungsplanung

- Unmündiges Subjekt Entscheidungsprozesse betreffend - Nützlichkeit und Gelehrigkeit - Anordnung der Subjekte - Ziel: landwirtschaftlich produktives Subjekt

-

Praktiken der Führung - Kontrolle, Synchronisierung und Effektivieren der Praktiken der Pächter Praktiken der Pächter - Regeln und Strukturen metaphorisieren und aneignen

Objektivation -

Bewässerungsinfrastruktur Siedlungsstruktur Anbaufrucht Produktionsmittel (z. B. Traktor)

Quelle: eigene Darstellung

Das liberale Bewässerungsdispositiv Die Elemente des Dispositivs haben neue Formen angenommen (Abbildung 12). Die Rationalitäten und Diskurse des liberalen Dispositivs lassen sich verkürzt in den Schlagwörtern „Liberalisierung“, „Dezentralisierung“, „Privatisierung“ und „Partizipation“ zusammenfassen. Durch den Rückzug des Staates aus dem Bewässerungsmanagement werden die staatlichen Ausgaben für Betrieb und Instandhaltung von Bewässerungssystemen reduziert und durch die partizipativen Maßnahmen der Bauernschaft wieder aufgefüllt. Zu den gängigen Rationalen gehören z. B., dass sich durch die partizipative Einbindung der Bauernschaft die Motivation erhöht, dass das Ownership sich verstärkt und dadurch die Effektivität der landwirtschaftlichen Produktion gesteigert werden kann. Das Subjektverständnis, das in den Policy-Programmen vermittelt wird, ist nun nicht mehr durch passives Ausführen, sondern durch aktives Handeln gekennzeichnet. Das Subjekt wird zum unternehmerischen, gewinnmaximierenden Subjekt, das selbstorganisiert, eigenständig und eigenverantwortlich handelt.

290 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

Abbildung 12: Das liberale Bewässerungsdispositiv

Rationalitäten/Diskurse - Liberalisierung - bottom-up - Dezentralisierung, Partizipation, Privatisierung

Machttechniken

Subjektivierung

- Selbstorganisation und Eigenverantwortung - Eigentumstitel - Siedlungsplanung - Regulative Regeln - Wettbewerb

- Mündiges und eigenständiges Subjekt - Selbstorganisiert, selbstverantwortlich - Ziel: landwirtschaftlich produktives Subjekt

Objektivation

Praktiken der Führung - Vernetzte Steuerung - Anreize setzen und Kontrolle Praktiken der Pächter - Selbstführung - unternehmerisch

-

Bewässerungsinfrastruktur Siedlungsstruktur Surplus-Anbau Private Produktionsmittel Expansion der Bewässerungsflächen (Dorf, Flussufer)

Quelle: eigene Darstellung

Zu den zentralen Annahmen in Policy-Programmen gehört, dass durch eine partizipative Einbindung in Entscheidungsprozesse von Management- und Finanzfragen die Motivation der Bauernschaft gesteigert und Produktionsprozesse gerechter gestaltet werden können (vgl. z. B. die FAO-Studie, verfasst von GarcesRestrepo et al. 2007). Die Ergebnisse der Arbeit zeigen ein sehr vielschichtiges Bild: Erstens, wie gezeigt wurde, hat die Reskalierung der Verantwortlichkeiten neue institutionelle „partizipative“ Strukturen wie die WUA geschaffen, über die die Bauernschaft in Entscheidungsprozesse des Managements eingebunden wird. Allerdings beschränken sich Mitsprache und Entscheidungsbefugnisse der Bauernschaft durch die WUA auf die ausführende Verteilung des Wassers im Bewässerungssystem. Die gewählten Mitglieder der WUA sind an der Planung der Wasserverteilung für den Vertragsanbau und der Anbauzeiten beteiligt und haben die Aufsicht über die Durchführung des Vertragsanbaus im Bewässerungssystem übernommen. Das Fallbeispiel legt jedoch nahe, dass Partizipation, wie sie bisher praktiziert wird, als ein unbezahltes „Ausfüllen“ der Positionen, die

D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV –

EINE ABSCHLIESSENDE

B ETRACHTUNG

I 291

durch den Rückzug des Staates und der damit verbundenen Stellenstreichung frei wurden, verstanden werden kann (insbesondere im Fall des Blockleiters). Zweitens geht die gestiegene Verantwortung und der erhöhte Arbeitseinsatz nicht mit mehr Autonomie und Entscheidungsfreiheit einher, denn in entscheidenden Bereichen wie der Vermarktung und den Produktionsbedingungen des Vertragsanbaus sind die Befugnisse und Kompetenzen immer noch in staatlicher Hand. Somit zeigt sich ein gespaltenes Bild. Auf der einen Seite finden sich Liberalisierungs- und Dezentralisierungsprozesse im Management, auf der anderen Seite gibt es jedoch die starke Position der nationalen Bewässerungsbehörde in der Vermittlerrolle im Vertragsanbau ohne große Mitsprache der Bauernschaft. Drittens ist die gesamte formelle Managementstruktur in erster Linie auf das Aufrechterhalten und die sichere Produktion des Vertragsanbaus ausgerichtet. Die nationale Bewässerungsbehörde ist auf den Vertragsanbau konzentriert; die Wasserverteilung durch die WUA sichert zuerst die Wasserversorgung für die Kenya Seed-Produktion; weitere institutionelle Strukturen wie die Farmers Cooperative Society stellen die Produktionsmittel ausschließlich an Landwirte mit Konzession für den Vertragsanbau zur Verfügung. Viertens regeln weitestgehend informelle Strukturen den zunehmenden Surplus-Anbau z. B. von Tomaten und Melonen. So läuft der Verkauf vor allem über informelle direkte Geschäftsinteraktionen ab. Des Weiteren müssen viele Landwirte bei der Wasserversorgung auf informelle, also illegalisierte Wasserpraktiken zurückgreifen. Auch die Entstehung neuer informeller Anbaugebiete, auf die die Landwirte aus dem Bewässerungssystem ausweichen, ist in diesem Kontext zu nennen. Fünftens hat die Untersuchung gezeigt, dass die Bauernschaft entgegen einiger Annahmen nicht als eine „homogene Betriebseinheit“ angesehen werden kann. Somit stellt sich die Frage: Wer partizipiert und repräsentiert? Zu den aktiven Mitgliedern, die die Bauernschaft repräsentieren, gehören vor allem etablierte, wohlhabendere Landwirte mit einer Konzession. Landwirte ohne Konzession sind von der Partizipation in der Water Users Association ausgeschlossen, da die Mitgliedschaft und die Wahl in eine Führungsposition (z. B. Blockleiter) an den Besitz einer Konzession gebunden sind. Die Bauernschaft ist sehr heterogen, mit verschiedenen Gruppen, die unterschiedliche Strategien verfolgen. Die landwirtschaftlichen Praktiken spalten sich in den angeleiteten, geplanten Vertragsanbau und in den im Zuge von landwirtschaftlicher Liberalisierung zunehmenden unternehmerischen Surplus-Anbau. Zu welchen Aushandlungsprozessen es kommt, wird im nächsten Kapitel genauer beleuchtet.

292 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

9.2 E FFEKTE DES LIBERALEN D ISPOSITIVS : NEUE G OVERNANCE S PACES UND P ARTIZIPATION Durch die skalare Reorganisation des Bewässerungssektors kommt es zu Veränderungen von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten. Wie am Fallbeispiel von Perkerra deutlich wurde, führt die Reskalierung von Governance zur Entstehung neuer Aktionsräume mit neuen oder revitalisierten Akteuren. Zu den neuen Akteuren gehören in Perkerra die Water Users Association und die neugegründete Horticulture Society. Die Bauernkooperative Farmers Cooperative Society wurde nun aktiv in die neue Aufgabenverteilung eingebunden. Akteure wie die WUA und die Kooperative fungieren, wie Li (2007) in ihrer Studie ebenfalls sehr anschaulich gezeigt hat, als indirekte Steuerungseinheiten des Staates oder von Gebern. Selbst wenn die Gründung einer Organisation nicht durch staatliche Intervention entstanden ist, kann dies dennoch als eine Logik der staatlichen Gouvernementalität gesehen werden, da die Subjekte eigenständig Aufgaben übernehmen, um die wirtschaftlichen Abläufe zu optimieren. So gesehen ist die Gründung der neuen Kooperative ganz im Sinne einer liberalen Rationalität. Dadurch wird der Wettbewerb zwischen den Kooperativen angestoßen, auch wenn dies zunächst als Konkurrenz aufgefasst wird, die den Handlungsspielraum und die Einflusssphären der alten Strukturen herausfordert. Heute sind viele Aufgaben, die früher von staatlichen Angestellten ausgeführt wurden, von den Landwirten übernommen worden. Bei der Analyse dieser Verhältnisse ist das Triade-Machtverständnis – Exekutive, Disziplin, gouvernementales Regieren – von Foucault besonders hilfreich. Denn durch dieses rückt Macht in Beziehungen zwischen Menschen und die Beeinflussung der Handlungsfelder anderer in den Mittelpunkt. Die Exekutive, das heißt die Form der Macht, die der Herrschaft eines Souveräns gleichkommt und durch Mechanismen des Befehls und des Gehorsams aufgrund einer Legitimation funktioniert, hat sich durch den Managementwandel geändert. In der Institution der nationalen Bewässerungsbehörde waren früher die gesamte Verantwortung und die „Herrschaftsbefugnisse“ gebündelt. Dieses Bündel an Befugnissen wurde nun aufgedröselt und an andere sowie neue Institutionen verteilt. Die Ausführung von Befehlen und Anforderungen ist eng mit der Frage der Legitimation verbunden (Weber 2005). Aus den Daten des Fallbeispiels wurde ersichtlich, dass in den Augen vieler Landwirte die Bauernvertreter, die nun mit der Aufgabe der Wasserverteilung beauftragt sind, keine Legitimation haben und somit keine Autorität genießen, da ihnen der Expertenstatus fehlt. Experten werden in Techniken, Wissen und Praktiken ausgebildet, um Steue-

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EINE ABSCHLIESSENDE

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rungsaufgaben zu lösen, und somit wird die Grenze gezogen zwischen denen, die steuern, und denen, die gesteuert werden: Die Mitarbeiter der staatlichen Bewässerungsbehörde leiteten ihre Autorität von ihrer Ausbildung und der Behörde ab, in der modernes „Experten“-Wissen und Wahrheiten (Agrarwissenschaft, Hydrologie, Ingenieurswissenschaft, Buchhaltung) institutionalisiert sind. Die gewählten Bauernvertreter, die nun diese Positionen einnehmen, werden nicht mit diesem Wissen verbunden. Dementsprechend wird ihnen keine Expertise zugesprochen, was wiederum die Legitimität und Zustimmung des Angeordneten negativ beeinflusst. Die Aufgaben des Blockleiters – früher der Feldassistent und/oder Water Guard – haben sich insofern geändert, dass die Landwirte in den meisten Fällen nicht per se von der Landwirtschaft und den landwirtschaftlichen Aktivitäten überzeugt werden müssen und die landwirtschaftliche Subjektwerdung abgeschlossen ist. Die Grenze, die vormals Führung und Geführte trennte, läuft nun nicht mehr zwischen staatlichen Beamten und Pächtern, sondern sie hat sich nun durch die Einbindung der Beauftragten aus der Bauernschaft verschoben. Die Grenze von „Expertenwissen“ und „Nicht-Expertenwissen“, die die Positionen von Führung und Geführtem zuweist, hat sich jedoch nicht verschoben. Diese Grenze, die die Legitimität der Führung bedingt, bleibt bestehen und führt zu Legitimationsdefiziten aufseiten der Blockleiter. Des Weiteren hinterfragen die Landwirte die Entscheidungen der Blockleiter und der WUA. In Zeiten von Wasserknappheit verstärkt sich dieses Phänomen. Dann steht die Führungskompetenz der Blockleiter und der WUA auf dem Prüfstand. Bei der Wahrnehmung und Problematisierung von Wasserverteilungspraktiken seitens der Bauernschaft wird dann auf „Wahrheiten“ zurückgegriffen, die sich auf den Nexus „EthnizitätMacht“ und auf Probleme des „Nepotismus“ beziehen. Die Blockleiter beziehen sich im Gegensatz dazu bei der Problematisierung der Wasserverteilung auf Wahrheiten, die technische Defizite und unzureichende Verfügbarkeit von technischen Mitteln betreffen. Der Governance Space als politisierter Raum Die neuen Governance Spaces fungieren als neue Arena, in der die Machtverhältnisse und der Zugang zu Ressourcen ausgehandelt werden. Politik wird als „a practice of contestation“ (Li 2007b: 11) als Aushandlungspraktiken um Einfluss und Macht verstanden. Diese Arenen, die auch als diskursive Felder gefasst werden können, werden als Teil der practice of contestation genutzt, um Einfluss und Macht auszuhandeln. Somit ist das liberale Bewässerungsdispositiv eingebettet in einen weiter gefassten gesellschaftlichen Kontext. In diesem Sinne kann ein Wandel von einem funktionalisierten Raum zu einem politisierten Raum at-

294 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

testiert werden, den der neue Governance Space darstellt. Die These eines politisierten Raumes kann durch folgende Punkte gestützt werden: Erstens werden durch die Verschiebung der Expertengrenze von staatlichen Angestellten zu Landwirten Steuerungspraktiken hinterfragt. Mit der Wahl der Bauernvertreter in die WUA werden neue Prozesse und Sphären geschaffen, um die Handlungen anderer zu strukturieren und an machtvolle Positionen zu gelangen. Zweitens gibt es durch die politischen Prozesse in der kenianischen Gesellschaft zunehmend Raum und Effekte, die zu einer Politisierung führen, wie z. B. die Verhandlung der neuen administrativen Grenzen, die auch zu einer politisierten Stimmung im Bewässerungssystem beigetragen hat. Ein weiteres Beispiel wäre die Bezugnahme auf globale Diskurse zu Indigenität, um die argumentative Schlagkraft und die Legitimation von Ansprüchen auf Ressourcen zu stärken. Dies kann als Ausdruck gewertet werden, wie Prozesse einer zunehmenden Globalisierung in lokalen Aushandlungsprozessen um natürliche Ressourcen eine Rolle spielen. Drittens kochen durch die neoliberale Maßnahme der Privatisierung „alte“ Konflikte zur Landfrage wieder auf, die ebenfalls die everyday politics im Bewässerungssystem beeinflussen. Wie gezeigt wurde, hat das Vorhaben von Landprivatisierung im Bewässerungssystem Aushandlungsprozesse ausgelöst, die als eingebettet in historische Materialitäten und Subjektivierungen verstanden werden müssen. Viertens haben sich durch die zunehmende soziale Differenzierung im Bewässerungssystem Klassen herausgebildet, die ebenfalls intensiv ihre Interessen vertreten und eine Politisierung bedingen; dies läuft sowohl entlang ökonomischer Kriterien wie auch entlang von Landbesitz, Konzessionsbesitz, Vertragsanbau oder eigenständigem, unternehmerischem Anbau. Die Arbeit konnte einen Beitrag dazu leisten, komplexe Steuerungsprozesse der gesellschaftlichen Naturverhältnisse besser zu verstehen. Mit der Dispositivanalyse konnten sowohl auf symbolisch-signifikativer wie auf materieller Ebene Aushandlungsprozesse umfassend untersucht werden.

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Anhang

A BBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: Untersuchungsaufbau | 24 Abbildung 2 Das Bewässerungsdispositiv | 52 Abbildung 3: Organigramm NIB-Management vor den Reformen | 145 Abbildung 4: Organigramm Management nach den Reformen | 146 Abbildung 5: „Was macht eine gute Wasserverteilung aus?“ | 162 Abbildung 6: S „Was macht eine gute Wasserverteilung aus?“ | 163 Abbildung 7: Diskursive Felder der Spezial-, Inter- und Alltagsdiskurse | 248 Abbildung 8: Argumentationsschema Marginalisierung der Il Chamus | 255 Abbildung 9: Argumentationsschema Anspruch auf Land | 258 Abbildung 10: Diskursive Felder im Perkerra- Bewässerungssystem | 282 Abbildung 11: Bewässerung als disziplinäres Dispositiv | 289 Abbildung 12: Das liberale Bewässerungsdispositiv | 290

K ARTENVERZEICHNIS Karte 1: Lage des Perkerra-Bewässerungssystems im Baringo County | 29 Karte 2: Lage der Siedlungen um das Bewässerungssystem | 98 Karte 3 Staatlich erbaute großflächige und kleinflächige Bewässerungssysteme in Kenia | 112 Karte 4: Landwirtschaftliche Flächen außerhalb des Bewässerungssystems | 174 Karte 5: Die Blöcke des Perkerra-Bewässerungssystems | 213 Karte 6: Die Rotation im Anbauprogramm | 220 Karte 7 Skizze der Bewässerungslandwirtschaft am Perkerra-Fluss | 233 Karte 8: Die Wahlkreise im Baringo County | 269

318 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

T ABELLENVERZEICHNIS Tabelle 1: Rationalitäten des Regieren | 44 Tabelle 2: Strukturelle und relationale Mechanismen des Zugangs | 56 Tabelle 3: Phasen der Promotion | 76 Tabelle 4: Übersicht der Codes in MAXQDA | 90 Tabelle 5: Zusammenstellung der Spider-Diagramme | 92 Tabelle 6: Anzahl der Haushalte in den Untersuchungssiedlungen | 96 Tabelle 7: Ökonomische Leistung der Bewässerungssysteme in Kenia in den 1980er-Jahren | 113 Tabelle 8: Narrativen des Wassermanagements | 115 Tabelle 9: Typologie der Bewässerungssysteme in Kenia | 120 Tabelle 10: Anzahl der schriftlichen Verwarnungen im Mwea Bewässerungssystem 1970/1971 | 131 Tabelle 11: Übersicht der staatlichen Bewässerungssysteme in Kenia | 142 Tabelle 12: Welches Management war besser und warum? | 156 Tabelle 13: Landverhältnisse der Stichprobe | 180 Tabelle 14: Felder außerhalb des Bewässerungssystems | 183 Tabelle 15: Übersicht der Stichprobe nach Siedlung | 183 Tabelle 16: Die Indikatoren des Wohlstands-Rankings | 187 Tabelle 17: Bildung | 192 Tabelle 18: Tätigkeit | 192 Tabelle 19: Registrierter Landbesitz innerhalb des Bewässerungssystems | 193 Tabelle 20: Landbesitz | 193 Tabelle 21: Wasserversorgung der Haushalte | 198 Tabelle 22: Stromversorgung der Haushalte | 198 Tabelle 23: Anbau-Kalender | 214 Tabelle 24: Anbau für Kenya Seed in den Blöcken von 2009 bis 2012 | 219 Tabelle 25: Übersicht Produktionskosten und Gewinne für Surplus | 223 Tabelle 26: Pachtmuster nach Wohlstandsgruppe | 225 Tabelle 27: Probleme bei der Wasserverteilung im Bewässerungssystem | 228 Tabelle 28: Surplus-Anbau und Kenya-Seed-Anbau im Vergleich | 242 Tabelle 29: Gouvernementales Regime von Siedlungsbewässerungssystemen in den 1960er-Jahren | 285

A NHANG I 319

D IAGRAMMVERZEICHNIS Diagramm 1 Gesamte Landverfügbarkeit der landwirtschaftlich aktiven Haushalte | 185 Diagramm 2 Verfügbarkeit von registriertem Land im Bewässerungssystem landwirtschaftlich aktiver Haushalte | 186 Diagramm 3: Nahrungssicherheit wohlhabende Gruppe | 195 Diagramm 4: Nahrungssicherheit gehobene Mittelgruppe | 195 Diagramm 5: Untere Mittelgruppe | 196 Diagramm 6: Untere Gruppe | 196 Diagramm 7: Anbaufrucht der landwirtschaftlich aktiven Haushalte ohne registriertes Land im Bewässerungssystem | 227 Diagramm 8: Was bauen die Haushalte mit registriertem Land im Bewässerungssystem an? | 229

F OTOVERZEICHNIS Fotos 1 Wasserstand des Perkerra-Flusses: September, Februar | 26 Fotos 2 Wohlstands-Ranking, Spider-Diagramm | 91 Fotos 3 Die Befragung | 98 Foto 4 NIB-Angestellte und Fuhrpark | 127 Foto 5 Haus einer Pächterfamilie 1968 | 130 Fotos 6 Bewohner in Loropil, mit Kakteen eingegrenzter compound, Bewohnerin in Ng´oswe | 178 Fotos 7 Köhlern, Verkauf des lokalen Biers Busaa | 191 Fotos 8 Mais gehört zu den wichtigsten Nahrungsmitteln | 197 Fotos 9 Vieh trinkt aus R-Kanal, Entnahme von Wasser aus Kanal, Wassertransport | 198 Fotos 10 Wasserstand des Perkerra-Flusses | 212 Fotos 11Verteilung der Kenya Seed-Samen, Aussaat, Bewässerung | 215 Fotos 12 Trocknen der Maiskolben im NIB-Hof und auf der Trockenanlage für Chili | 216 Fotos 13 Durch das Rotationsprogramm trocken gefallener R-Kanal, R-Kanal mit Wasser | 218 Fotos 14 Landwirte auf ihrem Feld | 222 Fotos 15 Feld am Flussufer, Feld im Extensionsgebiet | 230 Fotos 16 Bewässerung mit Pumpe am Perkerra-Fluss | 222 Fotos 17 Feld am Flussufer, Feld im Extensionsgebiet | 230 Fotos 18 Bewässerung mit Pumpe am Perkerra-Fluss | 232

320 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

L ISTE

DER I NTERVIEWS

Bewässerungsbehörde (NIB) Interview Nr.

Interview Kategorie

E1

Experteninterview

E2

Experteninterview

E3

Experteninterview

S1

semi-strukturiertes Gespräch

S2

semi-strukturiertes Gespräch

S3

semi-strukturiertes Gespräch

S4

semi-strukturiertes Gespräch

E4

Experteninterview

T1

Teilnehmende Beobachtung

E12

Experteninterview

E13

Experteninterview

Organisation, Position NIB PerkerraBewässerungssystem, Manager NIB PerkerraBewässerungssystem, Manager NIB PerkerraBewässerungssystem, Manager NIB PerkerraBewässerungssystem, Angestellter NIB PerkerraBewässerungssystem, Angestellter NIB PerkerraBewässerungssystem, Angestellter NIB PerkerraBewässerungssystem, Angestellter NIB-Zentrale Nairobi, Chief Irrigation Officer Workshop Feasibility Study for Expansion of Perkerra Irrigation Scheme Advisory Committee, Vorsitzender Steering Committee; Frauenbeauftragte

Datum

Gesprächsthemen

20.02. 2011

Management PerkerraBewässerungssystem, Partizipatives Bewässerungsmanagement (PIM)

20.08. 2011

Managementstrukturen des Perkerra-Bewässerungssystems

07.09. 2011

NIB Reformen, Bewässerungsreformen in Ostafrika

09.03. 2011

Vertragsanbau, Konflikt mit WRMA, Eigentumstitel

07.10. 2011

Kenya Seed Anbau, Managementwandel

31.08. 2011

Vergleich der Bewässerungssysteme Mwea und Perkerra

12.09. 2011

Bepflanzte Hektar im Bewässerungsbereich

27.10. 2011

Reformprozesse im kenianischen Bewässerungssektor, Gender, WUA-Wahlen

12.10. 2011

Erweiterung des Bewässerungssystems

12.09. 2011

Verteilung des Landes, Zugang zu Land und Feldern Situation der Frauen im Bewässerungssystem, Tätigkeiten des Steering Committees

24.10. 2011

Bauernorganisationen Interview Nr.

Interview Kategorie

Organisation, Position

Datum 01.03. 2011 21.03. 2011 19.08. 2011 02.03. 2011

E5

Experteninterview

WUA Vorsitzender

E6

Experteninterview

WUA Vorsitzender

E7

Experteninterview

WUA Vorsitzender

G1

Gruppendiskussion

WUA alle Blockleiter

E8

Experteninterview

WUA Blockleiter R14 TV

12.10. 2011

E9

Experteninterview

WUA Blockleiter R14 Q

23.11. 2011

E10

Experteninterview

WUA Vize Vorsitzender

18.11.

Gesprächsthemen Rolle und Aufgaben von WUA, Einführung der by-laws WUA-Wahlen, Konflikt mit WRMA WUA-Wahlen, PIM Wasserverteilung, Probleme im Wassermanagement Tätigkeiten des Blockleiters, Wasserverteilung, Anbau von Kenya Seed Tätigkeiten des Blockleiters, Wasserverteilung, Anbau von Kenya Seed Tätigkeiten des Blockleiters und Vi-

A NHANG I 321

S5 T2

semi-strukturiertes Gespräch Interview und teilnehmende Beobachtung

und Blockleiter L1

2011

WUA Zubringerkanalleiter R2

15.03. 2011

WUA Zubringerkanalleiter R14 TV

13.10. 2011

E11

Experteninterview

Farmers´ Cooperative Society Marigat, Manager

15.09. 2011

E25

Experteninterview

Farmers´ Cooperative Society Marigat, Manager

E25

Experteninterview

RUA Vorsitzender

20.11. 2011 17.8.2 011

zevorsitzenden, Wasserverteilung, Anbau von Kenya Seed Managementwandel, Einführung der by-laws Verteilung des Wassers, alltägliche landwirtschaftliche und Wassernutzungspraktiken Rolle der Kooperative, Preisverhandlungen mit Kenya Seed Company Preisverhandlungen mit Kenya Seed Company Aufgaben und Tätigkeiten der RUA

Staatsangestellte Interview Nr.

Interview Kategorie

Organisation, Position

Datum

E14

Gespräch

District Commissioner, Marigat

17.02 .2011

E15

Experteninterview

District Irrigation Officer, Marigat

14.03. 2011

E16

Experteninterview

District Officer Marigat

02.03. 2011

Konflikt NIB und WRMA

E17

Experteninterview

District Agricultural Officer, Marigat

23.11. 2011

Bewässerung am Fluss, Preisverhandlungen mit Kenya Seed, PIM

E18

Experteninterview

E19

Experteninterview

District Development Officer, Marigat Gemeinderat, Ng´ambo Ward

E20

Experteninterview

Ex-Chief Marigat

E21

Gespräch

Chief Marigat

20.08. 2011 21.11 .2011 19.02. 2011 20.11. 2011

E22

Experteninterview

Chief Ng‘ambo

28.02. 2011

E23

Experteninterview

WRMA Karbarnet

08.03 .2011

Organisation, Position

Datum

Gesprächsthemen Überblick über sozio-ökonomische Situation in Marigat Reform des Bewässerungssektors, Partizipatives Bewässerungsmanagement (PIM)

Bevölkerungsstatistiken Wahlkreisgrenzziehung, Gebietsreform, Landfrage Il Chamus Geschichtlicher Hintergrund des Bewässerungssystems Lokalpolitik in Marigat Bewässerung am Fluss, Wasserverteilung zwischen PerkerraBewässerung und Dörfern flussabwärts Water Act 2002, Probleme der Implementierung der Wasser sektorreform, Konflikt mit PerkerraBewässerungssystem

Lokale Autoritäten Interview Nr.

Interview Kategorie

G2

Gruppendiskussion

Il Chamus Älteste

14.03. 2011

E24

Experteninterview

Anwalt der Il Chamus, Nairobi

24.03. 2011

Gesprächsthemen Einführung von Eigentumstiteln, Landfrage Il Chamus, Gebietsreform Indigenität Il Chamus, Klage der Il Chamus

Landwirte (mit und ohne Land), Gelegenheitsarbeiter (Kibarua) Interview Nr.

Interview Kategorie

S6

semi-strukturiertes Gespräch

Organisation, Position

Datum

Landwirt

15.09. 2011

Gesprächsthemen WUA-Wahlen

322 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

S7 S8 S9 S10 T3 S11 S12 S13 S14 S15 S16 S17 S18 S19 TR1 S20 S21 S22 S23 S24 S25 S26 S27 S28 S29 S30

semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch Teilnehmende Beobachtung semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch

Landwirte: Männlich und weiblich Landwirte: Männlich und weiblich Landwirt, Ng´oswe Landwirtin, R 5 R 14 Landwirt, Neuankömmling Landwirt, Rabai Landwirt, Rabai Landwirtin, Ng‘oswe Landwirt, Ng‘oswe Landwirt, Ng‘oswe Landwirt, R14

semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch

Landwirt, Kampi Wakulima

Transekt

Perkerra-Fluss

semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch semi-strukturiertes Gespräch

Gelegenheitsarbeiter

Landwirte, zero grazing Landwirt, Ng‘oswe Landwirt, Kampi Wakulima Pächter Landwirtin, Kampi Wakulima Kandidat für WUAVorsitz Landwirt Landwirt Landwirtin, R5 Landwirtin, R14 TV Landwirt

07.10. 2011 04.10. 2011 11.10. 2011 13.10. 2011 22.10. 2011 07.11. 2011 13.11. 2011 13.11. 2011 15.11. 2011 17.11. 2011 17.11. 2011 19.11. 2011 19.11. 2011 21.11. 2011 17.02. 2011 23.02. 2011 05.03. 2011 17.03 .2011 18.03. 2011 19.03. 2011 12.08. 2011 16.08. 2011 16.08. 2011 17.08. 2011 22.08. 2011 20.10. 2011

Kenya Seed Anbau im Oktober Feldbesprechung Anbau am Flussufer landwirtschaftliche Praktiken landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung Bewässerung am Fluss Bewässerung am Fluss Bewässerung am Fluss, Geschichte des Bewässerungssystems Saisonaler Anbaukalender, Bewässerung am Fluss landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung Saisonaler Anbaukalender, Probleme der kanalabwärtsgelegenen Blöcke Saisonaler Anbaukalender, Probleme als nicht Land besitzender Bauer Arbeitsverhältnisse Anbau am Flussufer, Anbau von Surplus landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung Managementwandel, landwirtschaftliche Praktiken Managementwandel, WUA-Wahlen Probleme und Anbaustrategien als nicht Land besitzender Bauer landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung WUA-Wahlen, Managementwandel WUA-Wahlen WUA-Wahlen WUA-Wahlen WUA-Wahlen landwirtschaftliche Praktiken, Wasserverteilung

Partizipative Methoden/ Gruppendiskussionen mit Landwirten Interview Nr.

WR1 WR2

Interview Kategorie Partizipatives Gruppeninterview (wealth ranking) Partizipatives

Organisation, Position

Datum

Kampi Wakulima

06.10. 2011

Identifizieren von Wohlstandskategorien, Ranking aller HH

Loropil

06.10.

Identifizieren von Wohlstandskate-

Gesprächsthemen

A NHANG I 323

WR3 WR4 WR5 WR6

Gruppeninterview (wealth ranking) Partizipatives Gruppeninterview (wealth ranking) Partizipatives Gruppeninterview (wealth ranking) Partizipatives Gruppeninterview (wealth ranking) Partizipatives Gruppeninterview (wealth ranking)

2011

gorien, Ranking aller HH

Ng‘oswe

07.10. 2011

Identifizieren von Wohlstandskategorien, Ranking aller HH

Ng‘osonik

07.10. 2011

Identifizieren von Wohlstandskategorien, Ranking aller HH

R7

08.10. 2011

Identifizieren von Wohlstandskategorien, Ranking aller HH

R5

08.10. 2011

Identifizieren von Wohlstandskategorien, Ranking aller HH Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management Diskussion von wichtigen Kategorien für eine gute Wasserverteilung, Ranking unter WUA-Management und NIB-Management

SP1

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

R5 - R7, männlich, unter 45 Jahre

21.10. 2011

SP2

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Kampi Wakulima, weiblich, über 45 Jahre

21.10. 2011

SP3

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Kampi Wakulima, männlich, über 45 Jahre

24.10. 2011

SP4

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Ng‘oswe, weiblich, unter 45 Jahren

30.10. 2011

SP5

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Kampi Wakulima, weiblich, unter 45 Jahre

31.10. 2011

SP6

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Ng‘oswe, Geschlecht: männlich und weiblich, über 45 Jahre

01.11. 2011

SP7

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

R7, männlich, über 45 Jahre

01.11. 2011

SP8

Partizipatives Gruppeninterview (spider-diagram)

Kampi Wakulima, männlich, unter 45 Jahren

16.03. 2011

Kampi Wakulima, TN männlich

07.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Kampi Turkana, TN männlich

08.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Kampi Turkana, TN weiblich

08.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Block 4, TN weiblich und männlich

09.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Ndebes, TN männlich und weiblich

10.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Sintaan, TN männlich und weiblich

11.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

PR1 PR2 PR3 PR4 PR5 PR6

Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking) Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking) Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking) Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking) Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking) Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking)

324 I D AS B EWÄSSERUNGSDISPOSITIV

PR7

Partizipatives Gruppeninterview (problem ranking)

R5, TN männlich

10.03. 2011

Livelihoods, Probleme in der Siedlung, mögliche Lösungen

Narrative Interviews mit Landwirten/ Gelegenheitsarbeitern Interview Nr.

Interview Kategorie

Organisation, Position

Datum

N1

Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview Narratives Interview

Kampi Wakulima, männlich, unter 45 Jahre Kampi Wakulima, männlich, unter 45 Jahre Loropil, männlich, über 45 Jahre Loropil, männlich, über 45 Jahre Ng‘oswe, weiblich, über 45 Jahre Sintaan, weiblich, unter 45 Jahren Kampi Turkana, Gelegenheitsarbeiter Kampi Turkana, Gelegenheitsarbeiterin R7, weiblich, unter 45 Jahre

05.11. 2011 08.11. 2011 09.11. 2011 09.11. 2011 10.11. 2011 10.11. 2011 11.11. 2011 11.11. 2011 18.11. 2011 18.11. 2011 18.11. 2011 20.11. 2011 22.11. 2011 23.11. 2011 23.11. 2011

N2 N3 N4 N5 N6 N7 N8 N9 N10 N11 N12 N13 N14 N15

Ndebes, weiblich, über 45 Jahre R5, weiblich, über 45 Jahre Kampi Wakulima, weiblich, über 45 Jahre Kampi Wakulima, weiblich Loropil, weiblich unter 45 Jahre Loropil, weiblich über 45 Jahre

Gesprächsthemen Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Leben als Gelegenheitsarbeiter Leben als Gelegenheitsarbeiter Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land und Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft Lebensgeschichte, Zugang zu Land, Zugang zur Landwirtschaft

Glossar

Acre busaa by-law Il Chamus Kenya Seed kibarua Location Mboga m-peza Njemps pikipiki Pokot Tugen Turkana Sacco shamba shanga´a sublocation sukumawiki surplus

-

Maßeinheit, 1 Acres sind 0,4 ha. lokal gebrautes Bier Satzung, Verordnung ethnische Gruppe Saatgut der Kenya Seed Company Gelegenheitsarbeit administrative Einheit Gemüse Geldtransferservice kolonialer Name der ethnischen Gruppe Il Chamus Motorradtaxi ethnische Gruppe ethnische Gruppe ethnische Gruppe Saving and Credit Co-operative Society Feld, Acker lokal gebraute Schnaps administrative Einheit, Untereinheit einer location Grünkohl nicht vertraglich angebaute Anbaufrüchte

Sozial- und Kulturgeographie Raphael Schwegmann Nacht-Orte Eine kulturelle Geographie der Ökonomie März 2016, ca. 200 Seiten, kart., ca. 24,99 €, ISBN 978-3-8376-3256-9

Nicolai Scherle Kulturelle Geographien der Vielfalt Von der Macht der Differenzen zu einer Logik der Diversität Januar 2016, ca. 290 Seiten, kart., ca. 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3146-3

Antje Schlottmann, Judith Miggelbrink (Hg.) Visuelle Geographien Zur Produktion, Aneignung und Vermittlung von RaumBildern November 2015, 300 Seiten, kart., zahlr. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2720-6

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Sozial- und Kulturgeographie Veronika Selbach, Klaus Zehner (Hg.) London – Geographien einer Global City November 2015, ca. 250 Seiten, kart., ca. 29,99 €, ISBN 978-3-8376-2920-0

Romy Hofmann Urbanes Räumen Pädagogische Perspektiven auf die Raumaneignung Jugendlicher Mai 2015, 468 Seiten, kart., zahlr. Abb., 34,99 €, ISBN 978-3-8376-3011-4

Katharina Winter Ansichtssache Stadtnatur Zwischennutzungen und Naturverständnisse Januar 2015, 262 Seiten, kart., zahlr. z.T. farb. Abb., 29,99 €, ISBN 978-3-8376-3004-6

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