Das Aushandeln im Transportrecht: Ein Beitrag zum Verhandeln im Recht [1 ed.] 9783428513048, 9783428113040

Die Figur des Aushandelns im einzelnen ist aus dem AGB-Recht bekannt. Mit dem Transportrechtsreformgesetz wurde sie auch

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Das Aushandeln im Transportrecht: Ein Beitrag zum Verhandeln im Recht [1 ed.]
 9783428513048, 9783428113040

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Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 172

Das Aushandeln im Transportrecht Ein Beitrag zum Verhandeln im Recht

Von Thomas Pfeiffer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

THOMAS PFEIFFER

Das Aushandeln im Transportrecht

Schriften zum Wirtschaftsrecht Band 172

Das Aushandeln im Transportrecht Ein Beitrag zum Verhandeln im Recht

Von Thomas Pfeiffer

asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Regensburg hat diese Arbeit im Jahre 2002/2003 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten # 2004 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten (Allgäu) Printed in Germany ISSN 0582-026X ISBN 3-428-11304-7 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit hat im Wintersemester 2002 / 2003 der Juristischen Fakultät der Universität Regensburg als Dissertation vorgelegen. Sie befindet sich auf dem Stand von Dezember 2003. Angelegt und betreut wurde die Arbeit von Prof. Dr. Ingo Koller, dem ich großen Dank schulde für das entgegengebrachte Interesse, die konstruktive Kritik und die Zeit für lange Gespräche. Daneben gilt mein Dank Herrn Prof. Dr. Jörg Fritzsche für die zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Florian Faust, der stets ein offenes Ohr für fachliche und aufbautechnische ,Nöte‘ hatte. Dieser Dank erstreckt sich auch auf alle Kollegen am Lehrstuhl. Meinen Freunden und allen voran meiner Partnerin Franziska Krauß verdanke ich, daß die Verbindung aus meinem ,Elfenbeinturm‘ in das ,reale Leben‘ stets aufrechterhalten blieb. Eine tiefempfundene Dankbarkeit verbindet mich nicht zuletzt mit meinen Eltern Margot und Dr. Werner Pfeiffer, die mir nicht nur mit finanzieller Unterstützung, sondern vielmehr auch mit moralischem Rückhalt und Aufgeschlossenheit für mein Vorhaben zur Seite standen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Regensburg, im Dezember 2003

Thomas Pfeiffer

Inhaltsverzeichnis

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

I. Hinführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25

II. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

1. Teil Problemaufriß und Meinungsstand

29

§ 1 Die Neufassung der Haftungsbestimmungen des Transportrechts . . . . . . . . . . . . . . . . .

29

§ 2 Meinungsstand zum Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

30

I. Die auf § 1 Abs. 2 AGBG verweisende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

a) Verweisung auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns . . . . . . . .

31

b) Der Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB)

32

aa) Grundwertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32

bb) Voraussetzungen des Aushandelns i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG . . . . . . .

33

cc) Aushandeln bei unveränderter Übernahme des vorformulierten Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

36

2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

a) Kritik des übernommenen AGB-rechtlichen Begriffs des Aushandelns

38

aa) Aushandeln „im einzelnen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38

bb) Das Tatbestandsmerkmal ,Abänderungsbereitschaft‘ . . . . . . . . . . . . . .

42

cc) Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ durch den topos Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

dd) Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ durch den topos Kompensation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

48

ee) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

b) Übertragbarkeit der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung . . . . . . . . . . . .

51

aa) Geäußerte Argumente für die Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

51

10

Inhaltsverzeichnis bb) Die Frage nach vergleichbaren Schutzzwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

cc) Systematische Gründe gegen die Übertragbarkeit der Begriffsbestimmung aus § 1 Abs. 2 AGBG auf das HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

II. Die lediglich an § 1 Abs. 2 AGB ausgerichtete Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

2. Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

58

III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59

2. Teil Grammatische, historische und systematische Auslegung der §§ 449, 466 HGB

60

§ 3 Der Wortlaut (grammatische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

I. Der Wortsinn von „ausgehandelt“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60

II. Etymologische Anhaltspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

61

III. Schlußfolgerungen aus dem Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

1. Vorhergehende Verhandlungen als Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

2. Mögliche Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

63

§ 4 Das Verständnis des historischen Gesetzgebers (historisch-genetische Auslegung)

64

I. Gegensatz zu AGB und vorformulierten Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

1. AGB-Festigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

2. Vorformulierte Bedingungen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

II. Abgrenzung von AGB bzw. vorformulierten Bedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

1. Verweis auf den herkömmlichen AGB-Begriff? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

2. Verweis auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns? . . . . . . . . . . . . . .

66

3. Zwischenergebnis: Anlehnung an den AGB-rechtlichen Begriff . . . . . . . . . . .

67

Inhaltsverzeichnis

11

III. Übernahme der Kerngedanken des § 1 Abs. 2 AGBG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

§ 5 Der Normkontext (logisch-systematische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

68

I. Aushandeln durch gewöhnlichen Vertragsschluß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

II. Aushandeln und AGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

III. Aushandeln durch Bezugnahme auf fremde Verhandlungen? . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

IV. Aushandeln und Vorformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

V. Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite der Klausel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

1. Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

2. Möglichkeit aufgrund des Aushandelns, Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung zur Kenntnis zu nehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

3. Verhältnis zum Ausschluß des Aushandelns bei Vorformulierung . . . . . . . . . .

72

VI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

72

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung (Rechtsordnungssystematik) . . . . . . . . .

73

I. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 93 / 13 / EWG des Rates vom 05. 04. 1993 . . . . . . .

73

1. Parallele zu §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

a) Art. 3 Abs. 2 RiLi als Bestandteil der deutschen Rechtsordnung . . . . . . .

74

b) Art. 3 Abs. 2 RiLi als reine Verbraucherschutznorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

2. Charakter des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi als Legaldefinition? . . . . . . . . . . . . . . . . .

76

3. Der Tatbestand des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

a) Vorheriges Abfassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

aa) Grundvoraussetzung vor Vertragsschluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

bb) Vor dem ersten vertragsgerichteten Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

79

cc) Vor Beginn der Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82

dd) Zwischen Verhandlungsbeginn und Vertragsschluß? . . . . . . . . . . . . . . .

82

ee) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

84

b) Fehlende Einflußmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

85

c) Kausalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

87

d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

12

Inhaltsverzeichnis e) Weitere Auslegung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks? . . . . . . . . . .

89

aa) Schutzbedarf bei während der Verhandlung abgefaßten Klauseln? .

89

bb) Schutzbedarf bei fehlender Einflußmöglichkeit, die nicht auf der Vorformulierung beruht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

cc) Weitere Auslegung bei Annahme eines weitergehenden Schutzzweckes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

f) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

4. Fälle nicht ausgehandelter Vertragsbedingungen außerhalb Art. 3 Abs. 2 RiLi? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

a) Schutzzweck ,Verhinderung des Mißbrauchs einseitiger Vertragsgestaltungsmacht‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

b) Weitergehender Schutzzweck (Verbraucherschutz)? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

aa) Gewährleistung von Einfluß auf den Inhalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

bb) Ausschluß jeglicher unangemessener Vertragsbedingungen . . . . . . .

94

c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

5. Konsequenzen für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

95

a) Erst-Recht-Schluß auf den Maximalbereich des Nicht-Aushandelns . . . .

95

b) Vollständige Übertragbarkeit auf §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

aa) Übertragung durch § 1 Abs. 2 AGBG? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

bb) Eigenständige Übertragbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

96

c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

II. § 1 Abs. 2 AGBG (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

III. § 51a BRAO (§ 45a PatAnwO; § 67a StBerG; § 54a WPO) . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

1. Herrschende Literaturmeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

2. Die Ansicht Gehres zu § 67a StBerG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

3. Gegenansicht Römermanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 5. Übertragbarkeit auf das Transportrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

3. Teil Ermittlung des Normzwecks (wertende Auslegung)

105

§ 7 Die historisch-subjektive ratio legis (subjektiv-teleologische Auslegung) . . . . . . . . . 105

Inhaltsverzeichnis

13

I. Ermittlung der ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Wirtschaftspolitische Hintergründe: Schutz der inländischen Transportwirtschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 2. Rechtspolitische Hintergründe: Gewährleistung von Rechtssicherheit und Privatautonomie sowie Schutz vor Marktmachtmißbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 a) Schutz vor Marktmachtmißbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Gewährleistung von Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 c) Gewährleistung von Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 II. Konsequenzen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,Aushandeln‘ . . . . 110 1. Schutzzweck: Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 2. Schutzzweck: Verhinderung von Marktmachtmißbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3. Konkretisierung der Begriffsbestimmung des Aushandelns durch wertende Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 § 8 Die objektive ratio legis (objektiv-teleologische Auslegung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 I. Wahrung der Verfassungsmäßigkeit der Norm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 1. Betroffenheit des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 2. Beschränkbarkeit der Privatautonomie (‘Schranken’) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 a) Privatrechtsordnung als Ermöglichung der Ausübung von Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 b) Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 aa) Schutz der Privatautonomie des Vertragspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 bb) Verfassungsmäßige Ordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Schutz der Privatautonomie im Transportbereich vor Machtmißbrauch . . . . 119 a) Besondere Marktsituation im Transportbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 aa) Marktmacht der Transportunternehmer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 bb) Marktmacht der Absender / Versender? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 cc) Zur Existenz von Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 ee) Wettbewerb bezüglich der Haftungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . 124 ff) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 b) Keine anderweitige Schutzmöglichkeit vor Marktmachtmißbrauch . . . . . 127 aa) Abgrenzung von AGB und Einzelverträgen im Transportgewerbe . 128 bb) Ermittlung von einseitiger Vertragsgestaltung außerhalb von AGB

129

c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

14

Inhaltsverzeichnis 4. Schutzzweck: Rechtssicherheit und -einheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 a) Schutzbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Betroffenheit des Schutzbereichs im Transportsektor . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 aa) Historischer Zustand vor der Transportrechtsreform . . . . . . . . . . . . . . . 133 bb) Schutzzweckverwirklichung durch die Vereinfachung des dispositiven Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 cc) Weitergehender Schutzbedarf bei einseitiger Vertragsgestaltung . . . 135 dd) Schutzbedarf im Hinblick auf die Versicherbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 135 ee) Geeignetheit vor dem Hintergrund grundsätzlicher Dispositivität der Transportvertragspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 5. Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ . . . . . . . . . . . . . 140 a) Beidseitiges Abfassen oder fehlende Vorformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 b) Aushandeln trotz Vorformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 c) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Funktionsfähige Vertragsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. Funktionale Betrachtung der Vertragsfreiheit im Hinblick auf die Vertragsrechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. Konsequenz aus der Funktion der Vertragsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Effizienz als eigener Leitgedanke der Rechtsordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Sicherstellung von Bedürfnisbefriedigung durch die Rechtsordnung . . . 148 b) Subsidiarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 4. Sachgerechtigkeit als Voraussetzung der Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 III. Zusammenfassung: Die objektive ratio legis der §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . 149 IV. Die Bedeutung der Sachstruktur für die objektiv-teleologische Auslegung . . . . 150

4. Teil Die Sachstrukturen des Aushandelns

153

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Definition des Verhandlungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Merkmale der Verhandlungsdefinition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155

Inhaltsverzeichnis

15

3. Abgrenzung zum rationalen Argumentieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 4. Prinzipienbasiertes Verhandeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 II. Verhandlungsmacht als ergebnisbestimmende Kraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 1. Der Begriff ,Verhandlungsmacht’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 2. Faktoren der tatsächlichen Verhandlungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Wahrgenommene Verhandlungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 4. Ausgleich von Machtgefällen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 5. Konsequenz für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 III. Grundlagen des Verhandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Positionen – Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Verhandlungsraum / Einigungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 3. Integratives / kooperatives – distributives / kompetitives Verhandeln . . . . . . . 163 4. Verhandlungsdilemma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 § 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 I. Rationalitätsannahme und Nutzenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 II. Ökonomische Erkenntnisse zum Verhandlungsraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 III. Die Nash-Lösung (Nash bargaining solution) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 1. Darstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 2. Kritik an der Lösung: Die Kalai / Smorodinsky-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3. Asymmetrische Erweiterung der Nash-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 IV. Das Rubinstein-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 2. Die Rubinstein-Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 3. Erweiterungen des Rubinstein-Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 V. Spieltheoretische Modelle mit asymmetrischer Informationslage . . . . . . . . . . . . . 177 1. Determinismus oder Freiheit zur Selbstbestimmung? – Ergebnisse der Modelle mit asymmetrischer Informationsverteilung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Effizienz des Aushandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180

16

Inhaltsverzeichnis 3. Zusammenfassung der Erkenntnisse und Schlußfolgerungen für die Verhandlungssituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 4. Beeinflussung des Kontrahenten durch die Strategie einer Partei . . . . . . . . . . 182 5. Existenz eines Verhandlungsmechanismus‘, der die Asymmetrie der Informationen ausgleicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 6. Beeinflussungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausgangssituation . . . . . . . . . . 187 VI. Abschließende Bewertung der ökonomischen und spieltheoretischen Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Möglichkeiten und Grenzen ökonomisch-spieltheoretischer Modelle . . . . . . 188 2. Aussagen anhand der Sachstrukturen zur Auslegung des Begriffs des Aushandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 d) Erkenntniswert nur unter Vorbehalt der Übernahme der Prämissen . . . . . 194

§ 11 Verhandeln aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 I. Subjektives Verhandlungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Wahrnehmung und Entscheidungsfindung in Verhandlungssituationen und ihre Auswirkung auf die Rationalität in Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Grundsätzliche Verzerrungen menschlicher Wahrnehmung mit Relevanz in Verhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 a) Prinzip der Repräsentativität (representativeness) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Prinzip der gedanklichen Verfügbarkeit (availability) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Ignorieren von die eigene Einschätzung widerlegenden Anhaltspunkten 201 d) Vereinfachende Annahmen über ungewisse zukünftige Ereignisse . . . . . 201 e) Urteilsfindung ausgehend von einem Ankerwert (anchoring and adjustment) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 f) Variabilität der Nutzenfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 g) Unrealistische Situationsbeurteilung und Verharren auf (Fehl-)Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Inhaltsverzeichnis

17

2. Einfluß des Umfelds ,Verhandlung‘ auf die Wahrnehmung des Verhandelnden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 a) Falsche Polarisierungstendenzen und der Mythos gegenläufiger Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 b) Kognitiver Rahmen der Verhandlungen (framing) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 c) Abwertung gegnerischer Konzessionen (reactive devaluation) . . . . . . . . . 209 d) Gegnerorientierung bei der Ergebnisbewertung – Auf Ergebnisbewertung abstellender Auslegungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 e) Eigennützige Beurteilungen von Fairneß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 f) Positive Abweichung vom rationalen Verhalten hinsichtlich der Informationspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Relevanz der dargestellten Faktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 III. Bedeutung für die Auslegung von ,ausgehandelt‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 1. Effizienz und Sachgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2. Privatautonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 a) Den Sachstrukturen inhärente Manipulationsmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . 218 b) Beeinträchtigung der Selbstbestimmung durch Verhandlungsmacht . . . . 218 c) Konsequenzen für die Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 d) Prinzipielle Bedenken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 IV. Soziale Normen und Spielregeln des Verhandelns als Voraussetzung für ein ausgehandeltes Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 1. Soziale Normen für zulässiges Verhandlungsverhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 a) Bestimmung konkreter Normen des Verhandlungsverhaltens . . . . . . . . . . . 222 b) Normen der Verhandlung in der Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 c) Generalisierung der Verhandlungsnormen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 d) Exkurs: Die ABA-Rules . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 2. Die Rolle der sozialen Normen des Verhandelns für die Begriffsbildung des rechtlichen Verhandlungsbegriffes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 a) Konkurrenz zur positivrechtlichen ,Alles-oder-Nichts‘-Wertung des Anfechtungsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 b) Vergleich der Interessenlagen bei ausgehandelten Vereinbarungen und Verträgen an sich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2 Pfeiffer

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Inhaltsverzeichnis c) Die AGB-rechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 d) Möglichkeit der Teilanfechtung zur Überbrückung des Interessengegensatzes? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235

§ 12 Leitlinien der Auslegung vor dem Hintergrund der Sachstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . 235 I. Anforderung an das Aushandeln aus der Natur der Sache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Bei der Auslegung zu berücksichtigende Sachzwänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Verhandlungsmacht als ergebnisbestimmende Kraft – Einfluß von Wirtschafts- bzw. Marktmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 2. Berücksichtigung von Sachaspekten? – Stellenwert der Selbstbestimmung 236 III. Leitlinien der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1. Förderung einer angemessenen Informationsbasis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 2. Reduktion der Auswirkungen von Verhandlungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

5. Teil Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

242

§ 13 Bisheriges Ergebnis der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 I. Begriffsbestimmung des Aushandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 II. Gegenüberstellung mit den einzelnen Auslegungsergebnissen . . . . . . . . . . . . . . . . 242 1. Objektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Übereinstimmung mit den Sachstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 b) Normativ ermittelte Gesetzeszwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 c) Verfassungskonforme Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 2. Subjektiv-teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 3. Grammatische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 4. Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 5. Logisch-systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246

Inhaltsverzeichnis

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§ 14 Konkrete Voraussetzungen des Aushandelns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 I. Informationsbasis zur Ermöglichung einer privatautonomen, selbstverantwortlichen Vertragsschlußentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 1. Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2. Kenntnis des Inhalts der Vertragsbedingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 3. Kenntnis der Tragweite der Vertragsbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 II. Potentieller Einfluß auf den Inhalt der auszuhandelnden Vertragsbedingung . . 252 1. Rechtliche und faktische Ergebnisoffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 2. Ergebnisoffenheit i.S.v. Verhandlungsbereitschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 a) Verhandlungsbereitschaft als einseitige Voraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 b) Kommunikationsmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 c) Interaktivität der Kommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 aa) Kein Eingehen auf subjektive Einschätzungen (Feilschen) . . . . . . . . . 255 bb) Eingehen auf Sachargumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 cc) Beschränkte Kooperationspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 dd) Verhandlungsbereitschaft trotz Verhandlungsabbruch . . . . . . . . . . . . . 259 ee) Kenntnis der Verhandlungsbereitschaft insbesondere bei Vorformulierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 3. Angemessene Verhandlungsumstände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 a) Kein unangemessener Zeitdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 b) Keine unangemessenen Transaktionskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 c) Das Erfordernis angemessener Verhandlungsumstände gegenüber Rationalisierungsbemühungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 III. Zusammenfassung und Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 § 15 Systematisierung der Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns . . . . . . . . 264 I. Formalisierung des Begriffs ,ausgehandelt‘ durch einen Katalog fester Tatbestände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 II. Systematisierung der Anforderungen an das Aushandeln i.S.e. beweglichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 1. Bildung eines beweglichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 2. Elemente des beweglichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2*

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Inhaltsverzeichnis 3. Grenzen des beweglichen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 4. Eichung des Systems mittels eines Referenzfalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 5. Analyse der Auswirkungen und Bewertung des beweglichen Systems . . . . . 271 a) Ökonomische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 aa) Informationsökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272 bb) Effizienz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 b) Sozialpsychologische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 III. Rechtssicherheit und Praktikabilität durch Entwicklung eines Regelbeispiels 279 1. Gestaltungssicherheit im rechtsgeschäftlichen Verkehr als Aspekt der Rechtssicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 2. Gestaltungssicherheit und das bewegliche System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 3. Rechtssichere Umsetzung des beweglichen Systems mittels der Regelbeispieltechnik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4. Formulierung des Regelbeispiels für ausgehandelte Vertragsbedingungen 283

§ 16 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

Zusammenfassung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

Abkürzungsverzeichnis a.A. a. a. O. ABA Abs. AcP ADHGB ADS Güterversicherung a.E. a.F. AGB AGBG Anm. d. Verf. AnwBl. Art. Aufl. Az. BauR BB Bd. Begr. Beil. BeurkG BGB BGBl. BGH BGHZ BMJ BRAO BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. c.i.c. DB

anderer Ansicht am angegebenen Ort American Bar Association Absatz Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch Allgemeine Deutsche Seeversicherungsbedingungen – Besondere Bedingungen für die Güterversicherung am Ende alte(r) Fassung Allgemeine Geschäftsbedingung(en) Gesetz zur Regelung des Rechts der Allgemeinen Geschäftsbedingungen Anmerkung des Verfassers Anwaltsblatt Artikel Auflage Aktenzeichen Baurecht Betriebs-Berater Band Begründer Beilage Beurkundungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des BGH in Zivilsachen Bundesministerium der Justiz Bundesrechtsanwaltsordnung Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des BVerfG beziehungsweise culpa in contrahendo Der Betrieb

22 ders. d. h. Diss. DNotZ DRiZ DTV-Güter 2000 ebd. Einl. Erg. d. Verf. et al. etc. EuZW EWS f. ff. Fn. FS GesRed. GG GWB Hervorh. d. Verf. HGB h.M. Hrsg. i. d. F. i. E. insb. i. S. v. / d. i. V. m. Jura JuS JZ Kap. KG lit. l.Sp. MDR m. w. N. n.F. NJW NJW-RR Nr.

Abkürzungsverzeichnis derselbe das heißt Dissertation Deutsche Notar-Zeitschrift Deutsche Richterzeitung DTV-Güterversicherungsbedingungen 2000 ebenda Einleitung Ergänzung des Verfassers und andere et cetera Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht (und) folgende Seite / folgender Paragraph (und die) folgenden Seiten / folgende Paragraphen Fußnote Festschrift Gesamtredaktion Grundgesetz Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Hervorhebung des Verfassers Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber in der Fassung im Ergebnis insbesondere im Sinne von / des / der in Verbindung mit Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Buchstabe linke Spalte Monatsschrift für Deutsches Recht mit weiteren Nachweisen neue(r) Fassung Neue Juristische Wochenschrift NJW-Rechtsprechungsreport Zivilrecht Nummer

Abkürzungsverzeichnis o.ä. OLG PatAnwO RiLi Rn. r.Sp. Rspr. S. s. s. o. ständ. StBerG StGB TranspR TRG u. u. a. Urt. v. v.a. VersR vgl. VIZ WM WPO WuW / E z. B. ZIP zit.

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oder ähnliches Oberlandesgericht Patentanwaltsordnung Richtlinie 93 / 13 / EWG Randnummer rechte Spalte Rechtsprechung Seite oder Satz siehe siehe oben ständig(e) Steuerberatungsgesetz Strafgesetzbuch Transportrecht Transportrechtsreformgesetz und unter anderem (und andere) Urteil von / m vor allem Versicherungsrecht vergleiche Zeitschrift für Vermögens- und Immobilienrecht Wertpapiermitteilungen Wirtschaftsprüferordnung Wirtschaft und Wettbewerb / Entscheidungssammlung zum Kartellrecht zum Beispiel Zeitschrift für Wirtschaftsrecht zitiert

Die Rechtswissenschaft ist eine Kunst, der die Aufgabe zufällt, die Erscheinungen im Zusammenleben der Menschen zu erkennen und zu gestalten. Sie soll klar sein, sie soll aber auch reich sein an Gedanken, ebenso wie das Spiel des Sonnenlichtes an Farben. Sie muß danach streben, alle Farben und Farbtönungen zu sehen. Sonst bleibt sie von der Wirklichkeit fremd. Walter Wilburg1

Einleitung I. Hinführung Zu seiner Lebensführung war der Mensch als soziales Wesen von jeher auf die Koordinierung seines Verhaltens mit dem anderer Menschen angewiesen. Diese Koordinationsaufgabe gestaltete sich mit fortschreitendem Entwicklungsgrad immer komplexer und vielschichtiger, was sich nicht zuletzt darin äußert, daß sich als Werkzeug zu diesem Zwecke eine differenzierte Verständigungsform, nämlich die Sprache, herausbildete. Die Sprache gestattete eine Koordination des Verhaltens, die sich zweiseitig vollführt und nicht einseitig mittels körperlicher Überlegenheit oder der Androhung derartiger Zwangsmittel aufoktroyiert wird. Erst durch die Sprache als Vehikel der reflektierten Kommunikation zwischen den Subjekten über die jeweiligen eigenen und fremden Interessen wird es möglich, das Verhalten der einzelnen Subjekte so aufeinander abzustimmen, daß ein tatsächlicher Interessenausgleich bewußt herbeigeführt wird, durch den beide besser stehen als ohne koordiniertes Verhalten, also ohne Kooperation im weitesten Sinne. Nun wird man einwenden wollen, auch im Tierreich – also ohne bewußte und reflektierte Kommunikation über die Interessenlage – gäbe es koordiniertes, kooperatives Verhalten. Sicherlich ist es richtig, daß auch die Evolution zu optimalem Verhalten der Individuen führen kann;2 so sorgt der Umstand, daß die Arbeiterinnenbiene mit ihren Schwestern eine höhere genetische Übereinstimmung besitzt als mit ihren eigenen Töchtern, verbunden mit dem Ziel (,Interesse‘), die eigenen Gene möglichst weit zu streuen, dafür, daß die Arbeiterinnen die Nachkommen der Königin aufziehen (also den ,Interessen‘ der Königin dienen) und keine eigene Fortpflanzung betreiben. Die Evolution basiert jedoch auf dem Prinzip von trial and error, erfordert dadurch eine verhältnismäßig lange Zeit und führt somit zu 1 Rede, gehalten bei der Inauguration als Rector magnificus der Karl-Franzens-Universität in Graz am 22. November 1950, S. 24. 2 Und leider führt auch die Fähigkeiten, die dem Menschen sein Verstand beschert, nicht zwangsläufig zu optimaler Koordination, sondern teilweise auch zum Gegenteil („Er nennt’s Vernunft und braucht’s allein / tierischer als jedes Tier zu sein“, Faust I, Prolog im Himmel, Z. 285 f.).

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Einleitung

einem längeren Zustand der ineffizienten oder zumindest suboptimalen Koordination und damit verbundener Ressourcenvergeudung. In diesem Sinne ist die Nutzung reflektierter Kommunikation – also bewußter Koordination – zu Zwecken des Interessenausgleichs jedenfalls3 evolutorisch stabil, weil gegenüber der trial and error Methode überlegen. Weil der Mensch seine Lebensführung auf Koordination seines Verhaltens mit dem seiner Mitmenschen aufbaut, gelang es ihm, den Platz als (relative) Krone der Schöpfung zu vereinnahmen und prinzipiell das Maß seiner Bedürfnisbefriedigung immens zu steigern.4 Dies fing damit an, daß der geschicktere Waffenbauer mehr Zeit in die Herstellung von Waffen investierte, auf Kosten seiner Zeit für die Jagd nach Nahrung und Fellen. Der geschicktere Jäger hingegen investierte mehr Zeit in die Jagd und ertauschte bessere Waffen gegen einen Teil seiner Beute. Auch wenn der Schmied weniger Zeit in den Erwerb des unmittelbaren, primären Lebensunterhalts steckte, erreichte die gesamte Gemeinschaft einen höheren Wohlstand. Der Tauschhandel ist also die ursprünglichste Form der beidseitigen, freiwilligen Verhaltenskoordinierung, durch die beide Seiten besser stehen. Hier taucht zum erstenmal das Wort „Handel“ auf und tatsächlich hat der Handel seit Jahrtausenden die Entwicklung der Menschheit begleitet. Der Handel als Werkzeug zur selbstbestimmten Gestaltung der Lebensumstände hat seitdem seinen Stellenwert stets behauptet, denn er war und ist für alle annähernd gleich (Ohn-)mächtigen das einzige Mittel, um einen anderen ohne Zwang für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Ferner bringt der Handel an sich schon den Effizienzvorteil, daß zum Zwecke der Bedürfnisbefriedigung keine Ressourcen für deren einseitige Durchsetzung, also dem Aufbau von Macht (Wettrüsten), aufgewendet werden müssen. Vielmehr schöpfen alle Beteiligten gleichzeitig Wert, weil jeder (subjektiv) weniger gibt als er bekommt.5 Spätestens mit der Einführung des Geldes als abstrakte Tauschwertverkörperung hat sich dieses auf Handel aufbauende System der privaten Lebensgestaltung verfestigt und vom einzelnen Tauschvorgang abgehoben. Es bildete sich eine Marktund Wirtschaftsordnung, die sich verselbständigte. – Heute ist in zivilisierten Gesellschaften eine autarke Lebensführung kaum mehr vorstellbar; der einzelne ist für die Sicherstellung der Befriedigung seiner Bedürfnisse in weitestem Maße auf die Mitwirkung anderer angewiesen.6 3 Die Frage, ob die Möglichkeit reflektierter Kommunikation, die ein Bewußtsein voraussetzt, eine Konsequenz der Evolution und somit der materiellen Welt immanent ist oder ob das Bewußtsein des Menschen auf einer transzendenten Ebene zu verorten oder jedenfalls mit einer solchen verknüpft ist, sei mit dieser „jedenfalls“-Feststellung umgangen. 4 Daß mit fortschreitender Befriedigung von Bedürfnissen neue entstehen oder hervorgerufen werden, steht auf einem anderen Blatt. 5 Natürlich kostet auch das Handeltreiben Ressourcen (dazu später: Transaktionskosten), die jedoch typischerweise niedriger sind als beim Austragen eines Konflikts. 6 Vgl. Friedman (1971) S. 33, der es als Herausforderung ansieht, „die weitverzweigten Abhängigkeiten mit der persönlichen Freiheit in Einklang zu bringen.“

Einleitung

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Diese Angewiesenheit auf einen anderen vermittelt jenem Macht. Andererseits fühlt auch dieser sich anderen ausgeliefert und er fürchtet ebenfalls eine nicht ausreichende Befriedigung seiner Bedürfnisse.7 Diese Befürchtung ist auch nicht unbegründet, denn Menschen suchen letztendlich nur Glück, d. h. die möglichst weitgehende Durchsetzung ihrer Interessen (wohlverstanden nicht nur im materiellen Sinne, sondern im Sinne jeglicher Bedürfnisbefriedigung) – und dies ist auch vollkommen legitim.8 Sie werden deswegen dort, wo es ihnen mehr nützt, auf Koordination verzichten. Dies kann zu einem regelrechten Dilemma führen, da ein optimales Wohlstandsniveau nur bei Kooperation zustande kommt, kooperatives Verhalten aber gewinnträchtig von der anderen Seite auf Kosten der kooperativen Seite ausgenutzt werden kann (Opportunismusgefahr). Auch diese mit kooperativem Verhalten verbundene Unsicherheit nährt die Befürchtung unzureichender Bedürfnisbefriedigung. Weil den Menschen diese Befürchtungen plagen, sucht er Sicherheit, d. h. einseitige Garantien der Bedürfnisbefriedigung ohne Abhängigkeit von kooperativem Verhalten anderer. Einseitige Funktionalisierung des anderen zur Sicherstellung der eigenen Bedürfnisbefriedigung läßt sich jedoch nur über Macht bewerkstelligen, ja könnte gar als Definition des Terminus ,Macht‘ verstanden werden. Individuelle Macht ist somit der Widerpart der auf Kooperation aufbauenden Marktordnung. Ziel jeder staatlichen Ordnung ist es in dieser Hinsicht, die Macht aus dem Marktgeschehen zu verbannen, so daß eine einseitige Sicherstellung der Bedürfnisbefriedigung auf Kosten anderer nicht möglich ist. Ferner bezweckt staatliche Ordnung die Konzentration von Macht als Staatsgewalt, um die Kooperationsvereinbarungen der Marktteilnehmer durchzusetzen und opportunistisches Verhalten zu verhindern. Dieses Ziel setzt der Staat in seiner Zivilrechtsordnung samt dem Prozeß- und Vollstreckungsrecht und dabei insbesondere im Vertragsrecht um. Das Vertragsrecht dreht sich abgesehen von ,Reservevorschriften‘ für Fälle, die die Beteiligten nicht geregelt haben, hauptsächlich um die Frage, wann eine Vereinbarung zwischen zwei Parteien als gültig betrachtet wird, also ob ihre Durchsetzbarkeit vom Staat mit Machtmitteln zu gewährleisten ist.

II. Problemstellung In einigen Gesetzeswerken neueren Datums – an herausragender Stelle im Transportrecht des HGB – knüpft das Gesetz die Gültigkeit einer Vereinbarung daran, ob sie „im einzelnen ausgehandelt“ ist. Es wird also offenbar weder auf den Inhalt der Vereinbarung abgestellt noch auf konkret benannte Verhaltensweisen 7 Diese Angst des Menschen ist das Resultat daraus, daß er vom ,Baum der Erkenntnis‘ gekostet hat, d. h. seiner ,Nacktheit‘ – also mangelnde Bedürfnisbefriedigung und Verwundbarkeit – gewahr wurde. Und genau dies vertrieb ihn aus dem ,Garten Eden‘ als Ort optimaler Bedürfnisbefriedigung. 8 Vgl. schon die Virginia Declaration of Rights vom 12. 06. 1776, Section I.

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Einleitung

während der Genese der Vereinbarung (jeweils evtl. in Verbindung mit der Ausübung daran geknüpfter Gestaltungsrechte), wie dies in der Rechtswissenschaft bislang hinlänglich bekannt und geläufige Praxis ist. Es ist vielmehr eine Art ,Rückbesinnung‘ auf die Grundform des kooperativen Interessenausgleichs, nämlich das „Aushandeln“ als solches, zu beobachten. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll ermittelt werden, was genau die Voraussetzungen dafür sind, daß eine Vereinbarung auf dem betroffenen Gebiet der Risikoverteilung im Transportsektor gültig ist. Es geht also um die Auslegung des Begriffs „ausgehandelt“.

1. Teil

Problemaufriß und Meinungsstand § 1 Die Neufassung der Haftungsbestimmungen des Transportrechts Im Jahre 1998 wurde das nationale Transportrecht der Bundesrepublik Deutschland neu geregelt und im HGB1 zusammengeführt. Die dortigen §§ 407 ff. regeln nun einheitlich die privatrechtliche Seite jeglichen Transports und der Spedition. Der Gesetzgeber hat das Transportrecht dabei von der Grundkonzeption her dispositiv ausgestaltet. Im Hinblick auf zentrale Normen der Risikoverteilung – also im Bereich der Sekundäransprüche2 – steht der Grundsatz der Vertragsfreiheit allerdings unter der einschneidenden Voraussetzung, daß Abweichungen von der gesetzlichen Regelung in im einzelnen ausgehandelten Klauseln enthalten sein müssen. Diese Voraussetzung findet sich hauptsächlich in den Bestimmungen des § 449 Abs. 2 HGB und § 466 Abs. 2 HGB und wird darüber hinaus auch von § 439 Abs. 4 HGB, § 451 h Abs. 2 HGB und § 452 d HGB normiert, so daß diese spezielle Art der eingeschränkten Dispositivität das gesamte im HGB geregelte Transportrecht umfaßt. Diese Art, die Dispositivität einzuschränken, klingt im übrigen schon in den 1994 eingeführten Vorschriften der § 51a BRAO, § 45a PatAnwO, § 67a StBerG, § 54a WPO an, die allerdings noch nicht explizit das Tatbestandsmerkmal ,Aushandeln‘ verwenden. Durch das Transportrechtsreformgesetz hat der Gesetzgeber also eine neue Art, die Dispositivität gesetzlicher Regelungen einzuschränken, in einen zentralen Bereich des (Handels-)Vertragsrechts flächendeckend eingeführt. In das System von zwingendem, einseitig dispositivem und (beidseitig) dispositivem Recht reiht sich somit eine neue Art ein; man könnte sie genetisch-dispositives Recht nennen, weil die Dispositivität von der Genese der derogierenden Vereinbarung abhängt.3 Da1 Hier und im folgenden in der Fassung des Transportrechtsreformgesetz vom 25. 06. 1998 (BGBl. I S. 1588 ff.). 2 Koller (2000) S. 12; Sachverständigenkommission (1996) S. 123. 3 Vgl. Ebenroth / Boujong / Joost-Gass § 449 Rn. 12: „Nach dem Gesetzeswortlaut ist ausschließlich das konkrete Zustandekommen der Vereinbarung entscheidend.“; Basedow, TranspR 1998, 58, 64: „Es kommt also sehr stark . . . auf das konkrete Verfahren der Verhandlung und des Vertragsabschlusses“ an.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

durch kommt allerdings nicht nur ein neues Element zum herkömmlichen Dispositivitätsspektrum hinzu und verfeinert es, sondern es entsteht eine neue Dimension der Dispositivität. Bei der genetisch-dispositiven Regelung geht es nicht mehr darum, wer von der gesetzlichen Grundregelung in welchem Umfang abweichen darf, sondern darum wie, d. h. in welchem Verfahren, dies zu geschehen hat. In gewisser Weise ähnelt dies somit den Formvorschriften, obwohl diese weniger auf die inhaltliche Genese der Vereinbarung Bezug nehmen, sondern eher den endgültigen Vertragsschluß als solchen und dessen Dokumentation betreffen. Es handelt sich also nicht um eine allgemeine Einschränkung der Dispositivität für alle Verträge eines bestimmten Inhalts zwischen Rechtssubjekten mit bestimmten Eigenschaften, sondern um eine Einschränkung, die sich aus den individuellen Modalitäten des Vertragsschlusses ergibt. – Auf den konkreten Inhalt des Vertrages kommt es somit nicht an. Der Gesetzgeber hat als Kriterium, an dem sich der individuelle Vertragsschluß messen lassen muß, das Erfordernis des Aushandelns aufgegriffen, durch welches in § 1 Abs. 2 AGBG* (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) die Möglichkeit eröffnet wird, einen Vertrag trotz grundsätzlich eröffneten Anwendungsbereichs dem Regime des AGBG (jetzt des zweiten Abschnitts des zweiten Buchs des BGB) zu entziehen. Das Augenmerk dieser Arbeit wird sich also auf das Aushandeln richten. Dazu soll zunächst der Meinungsstand ermittelt werden.

§ 2 Meinungsstand zum Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB Die herkömmliche Meinung zum Begriff des Aushandelns orientiert sich relativ einheitlich an § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Rechtsprechung ist bislang noch nicht dokumentiert. In der Literatur lassen sich zwei Strömungen verzeichnen: Die eine verweist unmittelbar auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns (I). Die andere Strömung zeichnet sich durch eine eigenständige Begriffsbestimmung aus, die jedoch in starkem Maße auf die zu § 1 Abs. 2 AGBG entwikkelten Kriterien zurückgreift (II).

* Da sich sowohl alle Materialien und die hier zitierte Literatur ausschließlich auf die alte Rechtslage beziehen, werden im folgenden weiterhin die alten Bezeichnungen verwendet.

§ 2 Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB

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I. Die auf § 1 Abs. 2 AGBG verweisende Ansicht 1. Darstellung a) Verweisung auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns Am engsten orientieren sich Fremuth und Temme4 am AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns – Fremuth zitiert sogar „§ 449 II 1 i.V.m. § 1 II AGBG“5 – und stellen auf die Verwendung für eine Vielzahl von Fällen ab.6 Dubischar beschränkt sich in seiner Kommentierung lediglich auf den Hinweis, daß es sich bei ausgehandelten Vereinbarungen „um den Gegenbegriff zu den formularmäßig gestellten Vertragsbedingungen, also zu AGB“ handele.7 Ausgehandelt wäre demnach nach dieser Ansicht alles, was nicht unter die Definition des § 1 Abs. 1 S. 1 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 1, 2 BGB) fällt oder was ausgehandelt i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) ist. Da diese Ansicht aber die AGB-Definition nach § 1 Abs. 1 S. 1 AGBG für das Transportrecht als verworfen ansieht,8 verbleibt lediglich der Begriff des § 1 Abs. 2 AGBG. Auch die Tatsache, daß Dubischar auf inhaltliche Aspekte des transportrechtlichen Aushandelns gar nicht eingeht, spricht dafür, daß er sich völlig an das AGB-rechtliche Aushandeln anlehnt. Auch andere Literaturstimmen verweisen auf den Begriff des Aushandelns des § 1 Abs. 2 AGBG und ziehen die dazu ergangene Rechtsprechung – also den Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG – heran, so Canaris9, Thume10, Basedow11 und ihm folgend Herber12. Auch Wolf sieht den Begriff des Aushandelns der §§ 449, 466 HGB mit dem des § 1 Abs. 2 AGBG verknüpft, fordert in diesem Zusammenhang jedoch eine neue Begriffsbestimmung im Rahmen des § 1 Abs. 2 AGBG.13 Zumeist ergeben sich keine Anhaltspunkte, ob eine fließende Verweisung gemeint ist – so Basedow, der ausdrücklich zukünftig zu erwartende Rechtsprechung erwähnt,14 und wohl auch Wolf15 – oder eine Verweisung auf den zur Zeit der 4 Temme (1999) S. 204, der ausdrücklich zwischen „Einzelfall-“ und „Aushandlungsvereinbarung“ differenziert. 5 Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 20 u. 27. 6 Ebd. (Fn. 4, 5). 7 MüKoHGB-Dubischar (2000) § 449 Rn. 9. 8 Ebd. (Fn. 7). 9 Canaris (2000) § 33 Rn. 33 (S. 576). 10 Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 25. 11 TranspR 1998, 58, 63. 12 NJW 1998, 3297, 3305. 13 Vgl. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 Rn. 32 (a.E.). 14 Basedow, TranspR 1998, 58, 63.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

Genese der §§ 449, 466 HGB vorherrschenden Meinungsstand zum AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns.16 Die Verweisungsart ist jedoch an dieser Stelle nicht weiter relevant, da der Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) bislang keine qualitativen Änderungen gegenüber dem Zeitpunkt des Entstehens der §§ 449, 466 HGB erfahren hat. Zur Darstellung der Auffassung der Vertreter der wohl herrschenden Literaturmeinung zum Begriff des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB ist es also ausreichend, den aktuellen Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) zu ermitteln. b) Der Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) aa) Grundwertungen Eine ausgehandelte Bestimmung stellt nach der herkömmlichen Auffassung zu § 1 Abs. 2 AGBG zunächst eine rechtsgeschäftliche Einigung dar.17 Ferner bezeichne „Aushandeln“ den Prozeß18 der Substitution einseitig gestellter Vertragsbedingungen durch individuelle,19 was eine Einflußmöglichkeit des Klauselgegners impliziere. 20 Damit eine Klausel als ausgehandelt bezeichnet werden kann, muß nach der überkommenen Auffassung ihr gesetzesfremder Kerngehalt von ihrem Urheber (Klauselverwender) grundsätzlich inhaltlich zur Disposition gestellt21 und der anderen Seite Gestaltungsfreiheit zur Wahrung ihrer Interessen eingeräumt werden;22 der Klauselinhalt muß von beiden Parteien in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufgenommen werden.23 15 Vgl. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 Rn. 32 (a.E.): Denn nur bei einer fließenden Verweisung würde eine Erweiterung des Aushandelnsbegriff des § 1 Abs. 2 AGBG auch eine Erweiterung in anderen Rechtsbereichen (wie dem Transportrecht) nach sich ziehen. 16 Letzteres klingt zwar bei Temme (1999) S. 204 und Thume in Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 25 an, die auf die zu § 1 Abs. 2 AGBG „ergangene Rechtsprechung“ verweisen. Allerdings wird durch diese Formulierung nicht ausgeschlossen, daß auch zukünftige Rechtsprechung berücksichtigt werden wird, denn noch gar nicht ergangene Rechtsprechung kann rein logisch noch nicht berücksichtigt werden. 17 Jaeger, NJW 1979, 1569, 1575; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 23. 18 Wolf NJW 1977, 1937, 1938; Jaeger, NJW 1979, 1569, 1573; Pflug (1986), S. 313. 19 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 22. 20 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 32, 35; ders. FS Brandner S. 299, 300. 21 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48, 50; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Palandt-Heinrichs (2003) § 305 Rn. 21; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 20; zur Rspr. vgl. Fn. 24, S. 33. 22 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48; Palandt-Heinrichs (2003) § 305 Rn. 21; Thume in Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 27; Nachweise auch bei Heinrichs, NJW 1999, 1597.

§ 2 Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB

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Der BGH formuliert: „Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes liegt ein Aushandeln dann vor, wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen ,gesetzesfremden‘ Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinflussen zu können [Nachweise].“24

bb) Voraussetzungen des Aushandelns i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG Auf Seiten des Klauselverwenders setzt Aushandeln grundsätzlich eine Abänderungsbereitschaft, d. h. eine ernsthafte, tatsächliche Bereitschaft voraus, über gestellte Bedingungen zu verhandeln und diese gegebenenfalls zu ändern.25 Er muß dem Klauselgegner eine tatsächliche Einflußnahme auf den Vertragsinhalt zur Wahrung seiner berechtigten Interessen ermöglichen.26 Dazu gehört zunächst die Ermöglichung der Kenntnisnahme vom Vertragsinhalt,27 ein angemessener Zeitrahmen und zumutbare sonstige Verhandlungsumstände28. Keine Abänderungsbereitschaft liegt vor, wenn der Klauselgegner vor die Wahl zwischen keinem Vertragsschluß und Vertrag zu den vorgegebenen Bedingungen gestellt wird.29 Das 23 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 33; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 21; BGH NJW 1991, 1678, 1679. 24 BGH NJW 1992, 2759, 2760; 1992, 1107 f.; 2000, 1110, 1111; NJW-RR 1996, 783, 787; WM 1998, 2297. 25 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 36; ders. FS-Brandner S. 300; Locher (1990), S. 31; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 21. 26 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 50; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 35; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Ring / Klingelhöfer (2002) S. 37 (B-24); OLG Köln, Urt. v. 14. 01. 2002 (Az.: 11 U 96 / 01) LS 6 (Fundstelle: juris). 27 Wobei Kenntnisnahme oder Verständnis allein nicht ausreicht, Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 34 betont, daß im Hinblick auf die Selbstverantwortung des Klauselgegners die reine Kenntnisnahmemöglichkeit ausreicht. 28 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 37; Staudinger-Schlosser § 1 AGBG Rn. 36. 29 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 51; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 23; BGH NJW; 1991, 1678, 1679; 1988, 410, 411; 1992, 1107, 1108 (Wahl zwischen verschiedenen Klauseln) und Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 27. Teilweise wird vertreten, daß ausgehandelte Bedingungen vorliegen, wenn der Verwender den Klauselgegner vor die Wahl zwischen der gesetzlichen Lösung und dem vorformulierten Entwurf stellt und dabei kenntlich macht, welches die gesetzliche Lösung ist und inwiefern

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

Aushandeln muß sich also auf einzelne, konkrete Klauseln beziehen.30 Gleiches gilt für die Abänderungsbereitschaft: Eine pauschal erklärte Abänderungsbereitschaft, die sich auf ein umfangreiches und unübersichtliches Klauselwerk bezieht, reicht dazu grundsätzlich nicht aus.31 Teilweise wird vertreten, daß auch ohne Abänderungsbereitschaft ein Aushandeln vorliegen kann, wenn nämlich die Annahme unveränderter vorformulierter Klauseln als Ausdruck von Selbstbestimmung und -verantwortung zu werten ist und wenn die tatsächliche Durchsetzungsfähigkeit des Klauselgegners offenkundig ist.32 In der Praxis wird dieser Fall zumeist an der Beweislast des Verwenders scheitern. Auf Seiten des Klauselgegners kommt es nicht auf dessen wirtschaftliche oder intellektuelle Unterlegenheit an, solange diese nicht ein Maß erreicht, das die Einflußnahmemöglichkeit auf den Vertragsinhalt beeinträchtigt; 33 im gewerblichen Verkehr wird dies teilweise noch abgeschwächt.34 Der Klauselgegner muß zunächst Kenntnis von seiner Einflußnahmemöglichkeit, d. h. der Abänderungsbereitschaft des Verwenders besitzen.35 – Eine ausgehandelte Klausel als Ergebnis von Verhandlungen setzt begrifflich voraus, daß beide Seiten erkennen, daß Verhandlungen möglich sind und daß Verhandlungen tatsächlich stattgefunden haben. Daher muß der Klauselgegner grundsätzlich auch sich der eigene Entwurf davon abhebt; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 36. 30 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 45; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; a.A. LG Frankfurt a. M., NZBau 2004, 44 f. 31 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 36; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 50. 32 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 35, 38; ders. WPK-Mitt. 1998, 197, 198 ff. (andere Wahlmöglichkeit am Markt); Rabe, NJW 1987, 1978, 1980 (beherrschende Marktstellung des Klauselgegners); ähnlich BGH NJW 1992, 2283, 2285 (Koinzidenz der Interessen); Baumann VersR 91, 490, 493; dagegen Schumann, JZ 1998, 127, 128. Michel / Hilpert, DB 2000, 2513 f. gehen wiederum sogar soweit, daß sie im kaufmännischen Verkehr grundsätzlich die Durchsetzungsfähigkeit für gegeben erachten. 33 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 52; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 26; Rabe, NJW 1987, 1978, 1979; Staudinger-Schlosser § 1 AGBG Rn. 26; Bunte, NJW 1987, 921, 924; Locher (1990), S. 31; a.A. wohl Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 35, nach dem der Klauselgegner eine eigenverantwortliche Gestaltungsmöglichkeit i. S. d. Fähigkeit zu sinnvollem Verhandeln (OLG Celle, WM 1977, 1389, 1391 u. insb. 1392) und zur Wahrung seiner berechtigten Belange (BGH NJW 1983, 385, 386) haben muß; Garrn, JZ 1978, 302, 304; auch v. Westphalen, NJW 1994, 2113, 2114 verlangt, daß „der Kunde tatsächlich über die ökonomischen Fähigkeiten verfügt, seine eigenen Vorstellungen durchzusetzen.“; sehr eng auch Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 12 (m. w. N.). 34 Rabe, NJW 1987, 1978, 1980; Hensen NJW 1987, 1986, 1987; Berger, NJW 2001, 2152 f.; zumindest wird bei gleichgewichtiger Verhandlungsposition das Vorliegen einer Individualvereinbarung eher indiziert (Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 27 m. w. N.). 35 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 36.

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in die Verhandlung eingetreten sein;36 es muß also zumindest zu einer Kommunikation über den Regelungsgehalt der konkreten („im einzelnen“, dazu später) Klausel kommen. Ein Aushandeln liegt somit nicht vor, wenn der Klauselgegner die vorformulierten Bestimmungen aus Mangel an Alternativen oder gar aus Rationalisierungsgründen oder Zeitersparnis akzeptiert.37 Denn gerade aus der unreflektierten Annahme – auch oder gerade wenn sie nicht aus Schwäche, sondern aus rationalen Erwägungen erfolgt – erwächst die Gefahr der unangemessenen Benachteiligung des Klauselgegners.38 Insofern kann eine derartige Annahme zwar sowohl vernünftig als auch Ausdruck von Selbstbestimmung und -verantwortung bezüglich des ,Ob‘ des Vertragsabschlusses sein. Dies gilt jedoch nicht bezüglich der inhaltlichen Ausgestaltung des Rechtsgeschäfts. Teilweise wird bei berechtigtem Interesse des Verwenders an der Durchsetzung einer Klausel vertreten, daß eine Verpflichtung oder Obliegenheit des Klauselgegners zum Eintritt in Verhandlungen besteht, wenn das Verhandlungsangebot auf die konkrete Klausel zugespitzt39 wurde und der Eintritt in die Verhandlung dem anderen zumutbar sei.40 Bei der Frage der Zumutbarkeit sei auch auf die erwarteten Transaktionskosten abzustellen.41 Dagegen wird vorgebracht, ein Klauselverwender könne seinem Vertragspartner keine Individualvereinbarung aufdrängen.42 Dabei setzen sich die Vertreter dieser Auffassung jedoch nicht damit auseinander, daß es kein ,Recht auf vom Gegner vorformulierte Verträge‘ gibt und daß das Aushandeln als solches ein ausreichendes Maß an Schutz vor dem Mißbrauch einseitiger Vertragsgestaltung gewährt. Die AGB-rechtlichen Vorschriften bezwecken ausschließlich diesen Schutz und keine weitere Privilegierung des Gegners bei einseitiger Vertragsgestaltung. In der Praxis wird diese Ausnahme schon allein wegen Beweisschwierigkeiten und der Unsicherheit, ob ein berechtigtes Interesse vorliegt, keine große Rolle 36 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Locher (1990), S. 31; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 50: wohl früher anders (Einflußmöglichkeit reicht aus) BGH NJW 1977, 624, 625; 1979, 367, 368 (m. w. N. zum damaligen Streitstand); vgl. auch Art. 2.19 Abs. 2 der UNIDROIT Principles for International Commercial Contracts (dt. Text abgedruckt bei Bonell (1997) S. 315 ff.). 37 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48 m. w. N.; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; vgl. schon Pawlowski, BB 1978, 161, 164 mit Fn. 23. 38 Dazu deutlich Kötz in FS-Mestmäcker (1996) S. 1041; Bunte, NJW 1987, 921, 924; Basedow (1987) S. 27 f. Dies verkennen Michel / Hilpert, DB 2000, 2513, 2514. 39 Baumann, VersR 1991, 490, 493 weist darauf hin, daß eine Übernahme in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen bei einer Zuspitzung des Verhandlungsangebots auf einzelne, konkrete Punkt anzunehmen sei. 40 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 51; MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 37; Staudinger-Schlosser § 1 AGBG Rn. 36; Locher (1990), S. 31; a.A. ErmanHefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 26; Michalski / Römermann ZIP 1993, 1434, 1440; Schumann, JZ 1998, 127, 128 f. 41 MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 37. 42 Z. B. Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 26.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

spielen können. Allerdings wird hier das allgemeinere Problem aufgeworfen, ob Aushandeln auch ohne Änderungen am Klauseltext möglich ist.

cc) Aushandeln bei unveränderter Übernahme des vorformulierten Entwurfs Grundsätzlich wird zum AGB-rechtlichen Begriffs des Aushandelns gefordert, daß sich die Verhandlungen (d. h. die Einflußnahme des Klauselgegners) in einer – nicht nur formulierungsmäßigen43 – Änderung des vorformulierten Textes niederschlagen.44 – Zumindest sei dies der Regelfall, der das Vorliegen von ausgehandelten Klauseln indiziert.45 Aber auch bei einer unveränderten Übernahme einer bestimmten Klausel kann nach der mittlerweile nahezu einhelligen Auffassung46 eine ausgehandelte Vereinbarung vorliegen. Dies setzt voraus, daß der Klauselgegner sie selbstbestimmt und -verantwortlich akzeptiert, weil er von ihrer Sachgerechtigkeit überzeugt wurde47 oder weil der Verwender in anderen Bereichen Konzessionen gemacht hat48. Derartige Konzessionen müssen sich jedoch inhaltlich nachUlmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 47. Soergel-Stein § 1 AGBG Rn. 26; Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 11; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 22; OLG Zweibrücken, Urt. v. 22. 02. 2001 (Az. 4 U 28 / 00), 2.a (Fundstelle: juris). 45 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 47; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 35; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 24. Andererseits wird dann zu Recht die Frage aufgeworfen, ob diese veränderten Klauseln überhaupt noch „gestellt“ (z. B. MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 21; v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1128; Pawlowski, BB 1978, 161) bzw. „vorformuliert“ (Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 47) i.S.v. § 1 Abs. 1 S. 1 AGBG sind. 46 Zum früheren Streit vgl. Garrn, JZ 1978, 302, 303; Jaeger, NJW 1979, 1569, 1573 ff.; Schumann, JZ 1998, 127, 128. Heute wird die reale Möglichkeit der Einflußnahme als ein begrifflicher Kompromiß (vgl. dazu Pflug (1986), S. 312) wohl nahezu einhellig (a.A. in ,neuerer‘ Zeit allein Michalski / Römermann, ZIP 1993, 1434, 1439, allerdings auch nur aus „Praktikabilitätsgründen“ – dort auch eine umfassende Übersicht über den Meinungsstand; auch Stein in Soergel § 1 AGBG Rn. 26 fordert ein tatsächliches Einlassen auf ein Änderungsverlangen) akzeptiert, vgl. die Nachweise in Fn. 47. 47 Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 35; Staudinger-Schlosser, § 1 Rn. 36 (der im übrigen betont, daß das Einsehen der Sachgerechtigkeit umgekehrt keine notwendige Bedingung ist); MüKo-Basedow, § 1 AGBG Rn. 37; Locher (1990), S. 31; Thume in Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 29; vgl. auch Heinrichs, NJW 1994, 1380, 1381. Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 11, fordert in diesem Falle auch noch ein „rechtlich anzuerkennendes, besonderes sachliches Interesse“ des Verwenders, an das er „strenge Anforderungen“ stellen möchte. – Ein Weg, der wegen Beweisschwierigkeiten wohl in der Praxis wenig gangbar sein wird. Kritisch Schumann, JZ 1998, 127, 129, der eine stichhaltige Begründung vermißt. Sehr eng auch Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 23. 48 Insb. beim Preis: BGH WM 1987, 42; AG Köln, Urt. v. 22. 06. 2001 (Az. 131 C 250 / 00; Fundstelle: juris); Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 48; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 25; Rabe, NJW 1987, 1978, 1980; kritisch Mi43 44

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vollziehbar auf die konkrete auszuhandelnde Klausel beziehen (z. B. Preisnachlaß gegen Haftungsbeschränkung) und nicht pauschal auf das gesamte Klauselwerk (z. B. Preisnachlaß bei Annahme ungünstiger AGB), weil letzterenfalls von einer Indizierung der Einflußnahmemöglichkeit 49 auf den konkreten Klauselinhalt nicht mehr die Rede sein kann.50 Dies bedeutet auch, daß der Verwender eine bestimmte Klausel für unabdingbar erklären kann; er muß dann aber dennoch zu Verhandlungen darüber bereit sein, andere Vertragsbestimmungen zu ändern, die damit in einem sachlichen Zusammenhang stehen. Er muß dem Klauselgegner somit Einfluß auf den mit der Klausel in Zusammenhang stehenden Vertragsinhalt ermöglichen.51

2. Kritik Die herrschende Meinung im Transportrecht, das Aushandeln in §§ 449, 466 HGB im Gleichlauf mit § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) zu verstehen, ist in zweifacher Hinsicht zu kritisieren: Zum einen ist zu untersuchen, ob der AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns nach dem dortigen Meinungsstand widerspruchsfrei und damit geeignet ist (a). Denn eine Meinung, die auf eine andere Meinung verweist, sieht sich der gleichen Kritik ausgesetzt wie das Verweisungsziel.

chalski / Römermann, ZIP 1993, 1434, 1440 (mit einer Darstellung des Meinungsstandes); ablehnend Schnur, MDR 1978, 92, 95. Sehr eng Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 23. 49 Richtigerweise liegt der Grund jedoch nicht in der fehlenden Einflußnahmemöglichkeit, sondern darin, daß derartige Pauschalierungen die inhaltliche Übernahme der konkreten Regelung in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen nicht garantieren können, so daß wieder die Gefahr der unerkannten Ausnutzung der Vertragsgestaltungsmacht besteht; vgl. oben zur fehlenden Abänderungsbereitschaft, S. 34. 50 Staudinger-Schlosser, § 1 Rn. 36; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 28; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 23; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 54 dahingehend einschränkend, daß der Verwender ein berechtigtes Interesse an der Aufrechterhaltung der Klausel nachweist. 51 BGH NJW 1991, 1678, 1679; Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 24; Staudinger-Schlosser, § 1 Rn. 36; Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 11 u. 12; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 36, der aber in Rn. 35 die oben schon erläuterte Ausnahme macht, daß es für ein Aushandeln ausreiche, wenn die Annahme der für unabdingbar erklärten Klausel der Ausdruck von Selbstbestimmung und -verantwortung ist. Nach Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 45 geht dabei der Charakter als ausgehandelte Klausel nicht verloren, wenn sie in mehreren Verträgen mit verschiedenen Parteien gleichlautend getroffen wurde, außer bei planmäßiger Umgehung des AGBG. Allerdings ist zu bedenken, daß die Vielzahl von Verwendungen als Indiz für fehlende Einflußnahmemöglichkeit zu werten (vgl. Erman-Hefermehl / Werner, § 1 AGBG Rn. 23); zumindest wird bei dieser Sachlage die Beweisführung nahezu unmöglich sein, so daß diese Möglichkeit zumindest praktisch auszuschließen ist.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

Zum anderen ist zu untersuchen, ob überhaupt eine Rechtfertigung für die Übertragung der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung auf das Transportrecht existiert (b). a) Kritik des übernommenen AGB-rechtlichen Begriffs des Aushandelns Die von der herrschenden Meinung ins Transportrecht übernommene AGBrechtliche Bestimmung des Begriffs des Aushandelns erscheint in sich widersprüchlich. Dies offenbart sich zunächst am Problem des Aushandelns „im einzelnen“. Ferner gelingt keine in sich stimmige Konkretisierung des Begriffs des Aushandelns bzw. des entscheidenden Merkmals der Abänderungsbereitschaft.

aa) Aushandeln „im einzelnen“ Die herrschende Ansicht zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) läßt es zu, daß der Verwender eine Klausel für unabdingbar erklärt, wenn er sich zu anderweitigen Konzessionen bereit erklärt oder der Klauselgegner die Sachgerechtigkeit der Klausel einsieht.52 In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage, ob trotz Entgegenkommens auf anderen Gebieten (Kompensation) oder Einsicht in die Sachgerechtigkeit ein Aushandeln im einzelnen – d. h. der konkreten Klausel (als einzelne „Vertragsbedingung“, wie das Gesetz sie nennt) – möglich ist, insbesondere wenn man einfache Umformulierungen der Klausel richtigerweise nicht anerkennt.53 In den meisten Fällen gibt es nur eine Ja-oder-Nein-Entscheidung (z. B. Gewährleistungsausschluß).54 Entweder es kommt dem Verwender auf die Regelung an sich an, so daß er nicht bereit ist, sie inhaltlich abzuändern, oder es kommt ihm nicht so sehr darauf an, so daß er bereit ist, auf die konkrete Regelung gänzlich zu verzichten. In einigen Regelungen könnten zwar quantitative Änderungen möglich sein (z. B. Haftungsgrenzen). Dadurch wird der gesetzesfremde Kerngehalt jedoch, wenn überhaupt, dann nur in Ausnahmefällen qualitativ zur Disposition gestellt.55 Ebd. (Fn. 51). Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 57. 54 Dieser Aspekt wurde zuletzt von v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1127 angeführt und ist scheinbar seitdem in Vergessenheit geraten. 55 Als Beispiel zum Transportvertrag (und somit nicht zu den hier betrachteten AGB) sei der Fall genannt, daß ein Frachtführer dem Versender auf Nachfrage versichert, daß Gut könne ohne weiteres an Deck bzw. auf offenem Lkw transportiert werden ohne Schaden zu nehmen. Will der Versender sich in diesem Falle nicht auf eine zweifelhafte pVV-Haftung (grds. keine Haftung für Rat oder Empfehlung nach § 675 Abs. 2 BGB) verlassen und dafür auch noch Beweise sichern müssen (z. B. eine schriftliche Erklärung dazu zu verlangen), dann 52 53

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Dies verdeutlicht ein Blick auf die Rechtsprechung56: Das OLG Schleswig57 erachtete eine unveränderte Klausel als ausgehandelt, nachdem sie zum einen vom Verwender erläutert wurde und dieser zum Ausdruck gebracht hat, daß sie verhandelbar sei, und der Verwender zum anderen hinsichtlich der Gegenleistung58 Konzessionen gemacht hat. Dies gelte auch, wenn der Verwender die Klausel selbst nicht zur Disposition gestellt hat, sondern lediglich die Höhe der Gegenleistung.59 Schon in der Feststellung, daß einerseits zum Ausdruck gebracht wurde, die Klausel sei verhandelbar, andererseits aber die Klausel selbst nicht zur Disposition gestellt wurde, offenbart sich ein Widerspruch. Der BGH60 widerspricht demgemäß auch dieser Rechtsauffassung und hebt ein wohl vergleichbares Urteil des OLG Schleswig auf. Der gesetzesfremde Kerngehalt müsse stets zur Disposition gestellt werden und es müsse dem Klauselgegner stets die selbstbestimmte Entscheidung überlassen bleiben, ob er eine Klausel überhaupt wolle. „Die Anwendbarkeit [des Grundsatzes, daß der gesetzesfremde Kerngehalt zur Disposition gestellt werden muß] konnte deshalb [im vom OLG Schleswig laut BGH ,mißverstandene‘ Urteil des BGH61] zweifelhaft sein, weil bei nur einer einzigen Klausel möglicherweise nichts anderes als die genannte Alternative blieb, die Klausel unverändert anzunehmen, oder aber den Maklervertrag überhaupt nicht zu schließen; wäre es so, dann hätte der Makler allein dadurch, daß er die Klausel zur Disposition zu stellen hatte, zwangsläufig vollständig auf sie verzichten müssen. Um deutlich zu machen, daß diese Zweifel nicht berechtigt waren, daß vielmehr auch in diesem Falle ein Aushandeln in Frage kommen kann, wurde in jenem Urteil hinzugefügt, daß ,beispielsweise‘ ein Entgegenkommen in der Entgeltvereinbarung für ein Aushandeln genügen würde. Als selbstverständlich vorausgesetzt wird er verlangen, daß die Einschränkung des § 427 Abs. 1 Nr. 1 HGB nicht gelten möge. Eine Verhandlung darüber kann bei dieser Konstellation sinnvollerweise nur zu einer Vereinbarung dieser Einschränkung führen oder nicht. Ein Kompromiß ist nicht vorstellbar. 56 Auf die insbesondere Temme (1999) S. 204 und Thume in Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 25 zur Bestimmung des transportrechtlichen Begriffs des Aushandelns ausdrücklich verweisen. 57 Urt. v. 21. 04. 1989, NJW 1990, 394. 58 Allerdings verkennt das Gericht den Begriff der Gegenleistung, denn durch die konkrete Gestaltung erwuchs dem Klauselgegner keinerlei Vorteil (er sollte nicht grundsätzlich weniger zahlen), es verringerte sich lediglich der Nachteil, den die gesetzesfremde Klausel ihm bescherte, wenn sie denn zur Anwendung käme. 59 „Der Zeuge S hat demgemäß nach gründlicher Erörterung und unter mehrfachem ausdrücklichen Hinweis, daß die Klausel verhandelbar sei, zu erkennen gegeben, daß diese Regelung ernsthaft zur Disposition steht. Unschädlich ist dabei, daß der Zeuge die Zahlungsverpflichtung [im Maklervertrag bei Eigenverkauf] als solche nicht zur Verhandlung gestellt hat, sondern nur über die Höhe der dann zu zahlenden Beträge mit sich reden lassen wollte. Entgegen der Auffassung der Berufung reicht ein Entgegenkommen zur Höhe der Entgeltvereinbarungen aus (vgl. BGH, NJW 1988, 410, 411 unter I. 2.).“ 60 Urt. v. 27. 03. 1991, NJW 1991, 1678; bestätigt in BGH, Urt. v. 10. 10. 1991, NJW 1992, 1107. 61 NJW 1988, 410 unter I. 2.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand war dabei, daß der Makler vorher seine Bereitschaft kundgetan hat, dem Kunden Entscheidungsspielraum zu lassen, ob die Klausel überhaupt in den Vertrag mit einbezogen werden solle.“

Letzteres ist falsch. Der BGH widerspricht sich nämlich selbst: Das was er als selbstverständlich voraussetzt, nämlich daß dem Kunden ein Entscheidungsspielraum zu belassen sei, ob die Klausel überhaupt in den Vertrag einbezogen werden solle, zieht logisch zwingend nach sich, daß der Makler diese Klausel zur Disposition zu stellen hat, d. h. evtl. vollständig auf sie verzichten muß. – Und dies wiederum bedeutet zwangsläufig, daß er ihren Regelungsgehalt nicht für unabdingbar erklären kann. Ein Aushandeln im einzelnen ist nach dieser Argumentation folgerichtigerweise nicht möglich, wenn der Verwender auf der konkreten Klausel besteht – ein Problem, das wohl auch der BGH (schon in seinem ,mißverstandenen‘ Urteil62) erkennt, wenn er diese Bedenken ohne weitere Begründung wegzufegen versucht mit dem Satz: „Der Gegenschluß aus der Verwendung der Worte „im einzelnen“ in § 1 II AGB-Gesetz ist nicht gerechtfertigt.“63 Damit versucht er zu überspielen, daß er selbst genau wie die herrschende Literaturauffassung das Aushandeln sonst grundsätzlich auf einzelne Klauseln bezieht. Etwas anderes ergäbe sich nur, wenn man Gesamtheiten von Regelungen unter einer Überschrift als eine Klausel bezeichnete, da in diesem Fall nur über das konkrete Regelungssystem (z. B. Haftung) verhandelt werden bräuchte. Dies erschiene aber willkürlich, da eine Klausel „Haftung“, die sowohl Haftungshöchstgrenzen, Haftungsausschlüsse und Haftungserweiterungen für unterschiedliche Konstellationen sowie Beweislastfragen regelte, dann schon als ausgehandelt gelten könnte, wenn nur hinsichtlich eines der geregelten Punkte Abänderungsbereitschaft vorliegt. Dies gälte aber wiederum nicht, wenn alle Punkte in einzelnen textlichen Abschnitten geregelt wären. Als ,Klausel‘ kann daher nur die jeweilige konkrete materielle Regelung gewertet werden; jeweils der materielle Regelungsgehalt dieser konkreten Bestimmungen stellt die „Vertragsbedingungen“ dar, die nach dem Gesetz im einzelnen auszuhandeln sind.64 Der BGH bezeichnet daher die Entgeltvereinbarung einfach als NJW 1988, 410, 411. Auch z. B. Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 11 u. 13 und Löwe, JuS 1977, 421, 423 halten ein Aushandeln im einzelnen für gegeben, wenn im Hinblick auf andere Klauseln Konzessionen gewährt werden; a.A. Schnur, MDR 1978, 92, 95. 64 Dies bedeutet nicht, daß Systemzusammenhänge verkannt werden, wie z. B. Herabsetzung der Haftungshöchstgrenze gegen Verzicht auf einen Haftungsausschluß. Wenn nämlich eine Klausel zwar nicht geändert wurde, aber über diese Klausel verhandelt wurde in dem Sinne, daß ihre Geltung mit einer anderweitigen Klauselgestaltung im Zusammenhang damit erkauft wurde, so wurde auch über die jeweilige Klausel im einzelnen verhandelt. Anders wäre es, wenn pauschal ein Preisnachlaß für die Akzeptanz z. B. des Haftungssystems vereinbart worden wäre. In diesem Falle wäre auf die einzelnen Klauseln inhaltlich eben nicht eingegangen. 62 63

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„Teilpunkt“ der auszuhandelnden Klausel, nämlich des qualifizierten Alleinauftrags. Dazu ist anzumerken, daß auf diese Weise der Willkür Tür und Tor geöffnet werden. Es gibt nämlich keinerlei Anhaltspunkte, wann eine Regelung in diesem Sinne „Teilpunkt“ einer Klausel ist bzw. wie weit die Grenzen der einzelnen (materiell verstandenen) Klauseln zu ziehen sind. Der Einwand, über eine einzelne Regelung könne zumeist (inhaltlich) nicht verhandelt werden, bleibt somit bestehen.65 Im Ergebnis stellt der BGH also ohne dies auszusprechen fest, daß ein Aushandeln in den von ihm selbst und der Literatur angenommenen Ausnahmefällen nach dieser Auffassung gar nicht möglich ist, auch wenn er sich dieser Einsicht verschließt. Die Konsequenz wäre, daß der Verwender den materiellen Gehalt der Klauseln auch in Verhandlungen gänzlich zur Disposition des Klauselgegners zu stellen hätte. Er muß demnach bereit sein, auf sie zu verzichten. Gerade dies wollte der BGH in seinem Urteil vom 30. 09. 198766 aber vermeiden. Der BGH hat offenbar sein ,eigenes‘ Urteil „mißverstanden“ – ein deutliches Zeichen dafür, wie unübersichtlich und mißverständlich die gesamte Rechtsprechung zum Aushandeln ist. Die Konsequenz müßte folgerichtigerweise sein, die zugrundegelegten Voraussetzungen des Aushandelns zu hinterfragen – in diesem Fall das Erfordernis, die Klausel inhaltlich dergestalt zur Disposition des Klauselgegners zu stellen, daß diesem die Entscheidung verbleibt, „ob die Klausel überhaupt in den Vertrag mit einbezogen werden sollte“67. Eine derartige Hinterfragung ist jedoch nicht zu verzeichnen: In einem späteren Urteil stellt der BGH68 heraus, eine Klausel brauche nur zur Disposition gestellt zu werden, soweit sie tatsächlich einen gesetzesfremden Kerngehalt enthalte. Das folgende obiter dictum, es könnten auch unveränderte Klauseln, auf denen der Verwender beharrt, als ausgehandelt gelten, hat keinerlei Geltungsbereich. Es gilt nämlich, folgt man der Argumentation des BGH, nur für Klauseln, die keinen gesetzesfremden Kerngehalt haben und daher sowieso mit der gesetzlichen Regelung und den §§ 305 ff. BGB n.F. vereinbar sind. Es ist quasi eine Inhaltskontrolle durchzuführen: Ist die für unabdingbar erklärte Klausel mit den §§ 305 ff. BGB 65 Eine Ansicht (s. bei Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 55, Fn. 169) meint, wenn über eine Klausel verhandelt wurde liegt auf der Hand, daß das gesamte Klauselwerk verhandelbar war, so daß alle Klauseln ausgehandelt seien. – Dagegen spricht aber deutlich die Erwägung, daß es nicht auf potentielle Möglichkeit des Aushandelns, sondern auf konkrete Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite der einzelnen Klauseln ankommt, weil ansonsten der Schutzzweck des AGBG nicht erreicht wird. Eine Indizwirkung ist dem intensiven Aushandeln anderer Klauseln jedoch nicht abzusprechen (Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 37; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 55), die sich bis zur faktischen Unwiderlegbarkeit verdichten kann. 66 NJW 1988, 410. 67 BGH, Urt. v. 27. 03. 1991, NJW 1991, 1678. 68 Urt. v. 16. 07. 1998, WM 1998, 2297.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

vereinbar, kann sie ausgehandelt sein – auch wenn es darauf dann gar nicht mehr ankommt, weil die Klausel ja sogar als AGB zulässig wäre. Ist die Klausel nicht mit dem AGB-Recht vereinbar und wurde sie nicht inhaltlich voll zur Disposition gestellt, so kann sie nach der Argumentation des BGH auch nicht ausgehandelt sein. Auch vor diesem Hintergrund erscheint das Erfordernis, die Klausel inhaltlich zur Disposition des Klauselgegners zu stellen, fragwürdig.69 Die Entscheidung des BGH vom 6. Dezember 200270 läßt diesbezüglich auch keine Änderung erkennen. Zwar scheint der BGH darin anzuerkennen, daß die Wahl zwischen mehreren (vorformulierten) Alternativen zu einem Aushandeln führen kann. Er verallgemeinert damit die für ergänzungsfähige Vertragsformulare entwickelte Rechtsprechung. Dies bedeutet jedoch nicht, daß Abänderungsbereitschaft schon darin liegt, daß der Verwender nicht nur eine vorformulierte Klausel bereithält, sondern mehrere. Zunächst darf die Wahlfreiheit des Klauselgegners in keiner Weise beeinflußt werden. Ferner – und dies ist der entscheidende Punkt – müssen die möglichen „Ergänzungen . . . den Gehalt der Regelung mit beeinflussen“71. Für den BGH geht es somit gar nicht um die Wahl zwischen vorgegebenen Alternativen, sondern um einen Verhandlungsspielraum hinsichtlich einzelner Modalitäten (im konkreten Fall die Vertragslaufzeit). Dahinter verbirgt sich somit wieder das Merkmal ,Abänderungsbereitschaft‘, das auch den gleichen Inhalt behält: Der BGH legt Wert auf die mögliche Beeinflussung des Gehalts der Regelung. Insofern legt er sich in diesem Urteil auch gar nicht fest, ob die Verhandlungsbereitschaft über die Vertragslaufzeit tatsächlich zu einem Aushandeln führt, ein Aushandeln hätte vielmehr nur „in Frage kommen können“72. – Der BGH stellt somit nur ein Negativkriterium auf, bei dessen Fehlen kein Aushandeln vorliegt, ohne aber daraus den Schluß auf positive Tatbestandsmerkmale des Aushandelns bzw. der Abänderungsbereitschaft zu erlauben. bb) Das Tatbestandsmerkmal ,Abänderungsbereitschaft‘ Es ist weiterhin fragwürdig, unter welchen Voraussetzungen ,Abänderungsbereitschaft des Klauselverwenders‘ vorliegt, d. h. was unter dieses Tatbestandsmerkmal subsumiert werden kann. Das Tatbestandsmerkmal ,Abänderungsbereitschaft‘ wird von der herrschenden Meinung nicht ausdifferenziert. Grundsätzlich heißt es, die Klausel sei inhaltlich dergestalt zur Disposition des Klauselgegners zu stellen, daß diesem die Entscheidung verbleibt, „ob die Klausel überhaupt in den Vertrag mit einbezogen werden sollte“73. 69 70 71 72 73

Ähnliche Kritik äußert schon allgemeiner Wolf, NJW 1977, 1937, 1939. WM 2003, 445. WM 2003, 445, 446. WM 2003, 445, 446. BGH, Urt. v. 27. 03. 1991, NJW 1991, 1678.

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Allerdings erscheint das Erfordernis einer Bereitschaft, die eigene Position (also den eigenen Willen) aufzugeben, obwohl man diese in der Verhandlung gerade durchsetzen möchte (und dank seiner Verhandlungsmacht auch könnte), zunächst widersinnig: Nur weil man eine bestimmte Regelung (privatautonom) beabsichtigt, die dem nicht-zwingenden (!) Gesetzesrecht widerspricht, muß man in einer Verhandlung bereit sein, diese Absicht wieder aufzugeben. Dies könnte man evtl. als Versuch betrachten, aus Verbraucherschutzgründen74 die Verhandlungsmacht-Problematik zu durchbrechen,75 indem man derart in den Vertragsmechanismus eingreift, daß nicht der Mächtigere seine Wertungen durchsetzen kann, sondern daß man ihm eine (in gewisser Weise auch inhaltlich) an den Willen des Schwächeren gebundene Abänderungsbereitschaft abverlangt.76 Mit anderen Worten würde eine zwingende Inhaltskontrolle angeordnet, von der nur nach Belieben des Schwächeren abgesehen werden könnte. Dies liegt allerdings dem liberalen Vertragsverständnis unserer Rechtsordnung fern, ja stellte einen Fremdkörper in diesem System dar:77 Zum einen ist für eine derartige Übergewichtung der Privatautonomie des Klauselgegners auf Kosten des Verwenders kein Grund erkennbar. Der Klauselgegner hat – vorausgesetzt er ist im Rahmen der Verhandlung über den Klauselinhalt und dessen Tragweite informiert worden – stets die Möglichkeit, von einem Vertragsschluß abzusehen, wenn ihm die Bedingungen nicht genehm sind.78 74 In dieser Hinsicht könnten sich gar die von Hommelhoff / Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 570 ff. geäußerten Befürchtungen bewahrheiten, der Kontrollmaßstab von Verbraucher- und Wirtschaftsverträgen könne sich angleichen und Ungleiches gleich behandeln – allerdings in dem entgegengesetzen Sinne als von ihnen befürchtet: In Wirtschaftsverträge könnten sich Verbraucherschutzerwägungen auswirken! 75 Dieses Ziel hält Pawlowski, BB 1978, 161, 164 für geboten (nicht nur im Hinblick auf den Verbraucherschutz). 76 Nichtsdestotrotz kann darüber auch kein besonderer Schutz erreicht werden, weil der Mächtigere stets vom Vertragsschluß absehen kann. Wenn der Schwächere dennoch am Vertragsschluß interessiert ist, wird er sein Angebot nachbessern und es kommt erst zum Vertrag, wenn der Wille des Schwächeren sich an den des Mächtigeren angepaßt hat. Spieltheoretisch handelt es sich um ein Verhandlungsspiel, bei dem eine Seite sukzessiv Angebote abgibt, die der andere annehmen oder ablehnen kann. In diesen Spielen ist mathematisch nachweisbar, daß der (rationale) Anbieter sofort das Angebot abgibt, das der andere sofort annehmen wird. (Vgl. dazu unten § 10 IV. 2., S. 174 ff.) Man müßte ansonsten eine zwingende Ausgestaltung des dispositiven Rechts für Verbraucherverträge oder aber eine nicht abdingbare Inhaltskontrolle etablieren. Es scheint, die herrschende Auffassung zum Begriff des Aushandelns näherte sich letzterem an, womit aber dem § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) nahezu jeglicher Anwendungsbereich entzogen würde. 77 von Westphalen, DB 1977, 943, 944 sieht eine rechtspolitische Gefahr für das gesamte Vertragsrecht. Für die konkrete Anwendung weist Schumann, BB 1996, 2473, darauf hin, daß der Vertragspartner des Klauselverwenders das AGBG gezielt zur Erreichung faktischer oder rechtlicher Positionen einsetzen kann, die der Verwender auf dem Verhandlungswege einzuräumen nicht bereit sei. 78 Vgl. Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 21.

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

In Zwangslagen, in denen dies nicht so ist, greift anderweitiger Schutz außerhalb der §§ 305 ff. BGB n.F. ein.79 Ein Festhalten an den eigenen Vorstellungen ist dem Verwender grundsätzlich in den Grenzen des § 138 BGB beim Aushandeln zu gestatten.80 Zum anderen wäre die Vertragsfreiheit – sobald auf der Basis eines vorformulierten Vertragsentwurfs verhandelt wird – insoweit aufgehoben, als daß letztendlich eine Seite (der Schwächere) allein über bestimmte Vertragsbedingungen bestimmen dürfte, wenn der Bereich der von §§ 305 ff. BGB gedeckten Vertragsgestaltungen verlassen wird. Innerhalb dieses Bereichs ist ein Aushandeln aber gar nicht erforderlich, so daß die Möglichkeit des Aushandelns als Ausnahme von §§ 305 ff. BGB keinerlei Anwendungsbereich hätte. Im übrigen ist nicht ersichtlich, warum eine Vertragsverhandlung auf der Basis von AGB anders zu beurteilen ist als eine Verhandlung auf der Basis von (nicht für mehrfache Verwendung) vorformulierten Bedingungen oder ohne zuvor einseitig vorbereitete Entwürfe. Abänderungsbereitschaft kann also nicht bedeuten, die Entscheidung über die Aufnahme einer Klausel in den Vertrag dem Vertragspartner anheim zu stellen. Wenn man eine Abänderungsbereitschaft voraussetzt, kann es sich somit sinnvollerweise nur um eine potentielle handeln. Der Klauselverwender muß potentiell bereit (und in der Lage) sein, von seiner in dem Klauselvorschlag zutage getretenen Absicht wieder abzurücken – aber nicht aus dem Grund, daß der Vertragspartner dies will,81 denn dies wäre wie soeben festgestellt eine einseitige Überbetonung der Privatautonomie des Klauselgegners gegenüber dem Verwender. Die Frage lautet daher, wann bzw. unter welchen Bedingungen der Verwender bereit sein muß, von seinem Klauselvorschlag abzurücken. Literatur und Rechtsprechung äußern sich dazu jedoch nicht ausdrücklich – was auch naheliegt, da ja grundsätzlich eine unbedingte Abänderungsbereitschaft verlangt wird. Eine Begriffsbestimmung, die selbst auf einem gänzlich unbestimmten und unkonkretisierten Begriff wie dem der Abänderungsbereitschaft aufbaut, vermag keine Klärung des Tatbestandsmerkmals ,ausgehandelt‘ zu schaffen. Die herkömmliche AGBrechtliche Begriffsbestimmung kann somit nicht herangezogen werden, wenn aus ihr keine Konkretisierung der Voraussetzungen von ,Abänderungsbereitschaft‘ zu entnehmen ist. Ein solches Kriterium für die Bedingung der Abänderungsbereitschaft könnte aus den anerkannten Ausnahmefällen ermittelt und somit ein Maßstab der herrschenden Meinung für die Abänderungsbereitschaft bestimmt werden. Hier ist insbesondere an das Kriterium der Sachgerechtigkeit zu denken. 79 Z. B. § 138 BGB, dessen Grundwertungen durch das AGBG nicht unterlaufen werden dürfen. 80 Ähnlich Koller (2000) § 449 HGB Rn. 48 (m. w. N.), der darauf abstellt, daß die Zugeständnisse, die der Klauselgegner machen müßte, um die Klausel abzuwenden und die gesetzliche Regelung durchzusetzen, nicht den Rahmen des § 138 BGB übersteigen dürfen. 81 Vgl. dazu Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 235, Fn. 35: „Wer Selbstbestimmung dahin versteht, daß der Vertragspartner die Regelung nach seinen eigenen Vorstellungen gestalten kann, liegt von vornherein falsch. Vgl. treffend Schmidt-Rimpler, FS-Raiser, 1974, S. 19.“

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cc) Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ durch den topos Sachgerechtigkeit Die Einschränkung des Erfordernisses der Abänderungsbereitschaft wurde von der Rechtsprechung entwickelt und von der Literatur lediglich rezipiert. Daher wird im folgenden auf die Rechtsprechung82 abgestellt. Ausgangspunkt ist dabei das Urteil des BGH vom 26. 09. 199283 (gefolgt vom OLG Köln84). In diesem Urteil ging es um die Vereinbarung einer Betriebspflicht bei Geschäftsraummiete, auf die der Vermieter bestanden hat. Das ,Aushandeln‘ ging hier wie folgt vonstatten: Das Einheitsformular wurde durchgesprochen, was als solches nach ständiger Rechtsprechung und Literatur keinesfalls für ein Aushandeln genügt.85 Dabei machte der Verwender deutlich, daß der Vertragsschluß von der Akzeptanz einer Betriebspflichtklausel abhinge; er machte keinerlei Konzessionen und ließ (zumindest aus den Schilderungen des Urteils) keine Verhandlungsbereitschaft über diesen konkreten Punkt erkennen. Der Klauselgegner akzeptierte die Klausel – als in seinem eigenen Interesse liegend – dann auch. Der BGH geht in seinem Urteil davon aus, daß auch bei unverändertem Text und (zumindest im kaufmännischen Verkehr) selbst bei Unabdingbarerklärung einer Klausel ein Aushandeln gegeben sein kann, wenn die andere Seite deren Sachgerechtigkeit einsieht. Es könnte sich also aus der Rechtsprechung ein Kriterium für die Konkretisierung der potentiellen Abänderungsbereitschaft entnehmen lassen. Hinlängliche Kriterien, wie das Einsehen der Sachgerechtigkeit und die Aufnahme in den rechtsgeschäftlichen Willen zu verorten sind, stellt der BGH allerdings nicht heraus. Weder stellt er fest, daß der Klauselgegner überhaupt die Sachgerechtigkeit eingesehen hat, noch geht er in irgendeiner Weise darauf ein, ob die Klausel tatsächlich sachgerecht ist und ob dies erforderlich ist. Reicht es aus, daß der Klauselgegner die Klausel „als sachgerecht“ akzeptiert? Muß er die Klausel dabei subjektiv tatsächlich als sachgerecht empfunden haben oder muß die Klausel tatsächlich wenigstens unter bestimmten Aspekten objektiv sachgerecht sein? Im Hinblick auf die Funktion des Aushandelns kann man wohl nicht darauf abstellen, daß der Klauselgegner – womöglich noch in einer vorformulierten Erklärung – die Klauseln für seines Erachtens sachgerecht erklärt; zumindest muß die eigene Überzeugung von der Sachgerechtigkeit hinzukommen (Stichwort: subjektive Richtigkeitsgewähr des Vertrags). Der Beweis einer derartigen inneren Tatsache ist jedoch gegen den, auf den sie zutreffen soll, wohl nahezu unmöglich. Auch aus Gründen der Rechtssicherheit kann es daher bei der subjektiven Sachgerechtigkeit als Kriterium nicht sein Bewenden haben. Denn der Klauselverwender kann beim Vertragsschluß 82 Auf die insbesondere Temme (1999) S. 204 und Thume in Fremuth / Thume (2000) § 466 Rn. 25 zur Bestimmung des transportrechtlichen Begriffs des Aushandelns ausdrücklich verweisen. 83 BGH NJW 1992, 2283 = WM 1992, 1160 (1162 f.). 84 Urt. v. 09. 01. 2002, Az.: 24 U 151 / 00; Fundstelle: juris. 85 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 Rn. 49 (m. w. N. zur ganz h.M.).

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nicht feststellen, ob der Klauselgegner tatsächlich die Sachgerechtigkeit erkannt hat oder ob er lediglich keine andere Möglichkeit sah, den Vertrag zum Abschluß zu bringen. Zumindest müssen als Indizien Gründe vorliegen, die die Sachgerechtigkeit der Klausel begründen können. Die Sachgerechtigkeit einer erkennbar nicht sachgerechten Klausel kann schwerlich eingesehen werden. Davon geht wohl auch der BGH in einem vorhergehenden Urteil86 aus, wenn er bei einer tatsächlich nicht sachgerechten Klausel das auf die Überzeugung von der Sachgerechtigkeit gestützte Einvernehmen des Klauselgegners für nicht ausreichend hält.87 Ganz deutlich wird dies schon im Urteil des BGH vom 09. 10. 198688 Zugrunde lag der Fall, daß der Klauselgegner selbst aufgrund eigener Überzeugung seine ursprüngliche Absicht aufgegeben hat, auf einer längeren Gewährleistungsfrist eines Architekten zu beharren, weil er diese für unvereinbar mit der kürzeren Gewährleistungsfrist des Bauträgers hielt: „So läßt sich seiner Darstellung des Verhandlungsergebnisses allenfalls entnehmen, daß er sich der vermeintlich besseren Einsicht gebeugt und damit den Vertragsbedingungen unterworfen hat.“ Somit könnten die Bedingungen nicht als ,ausgehandelt‘ angesehen werden. Es ist aus dem Urteil vom 26. 09. 1992 nicht zu ersehen, daß der BGH von dieser Rechtsprechung abweichen möchte. Aus den untersuchten Urteilen läßt sich entnehmen, daß ein Einsehen der Sachgerechtigkeit nur dann zu einer ausgehandelten Vereinbarung führen kann, wenn die Klausel nicht objektiv sachwidrig ist. Daraus ließe sich evtl. die Aussage entnehmen, Abänderungsbereitschaft müßte nur hinsichtlich objektiv sachwidriger Klauseln bestehen. Allerdings sind damit keine Aussagen über den Maßstab der Sachwidrigkeit getroffen: Kommt es auf die Beurteilung durch einen objektiven Außenstehenden oder einen objektiven Dritten in der Position der Beteiligten (wenn ja: welchem?) an? Gibt es überhaupt objektive Kriterien für die Sachgerechtigkeit einer Klausel, z. B. im Hinblick auf die zutiefst subjektiven Risikopräferenzen des Verwenders? Auf jeden Fall läuft das Sachwidrigkeitskriterium auf eine Inhaltskontrolle des Vertrages hinaus. Eine solche sollte aber gerade durch das Aushandeln verhindert werden. Es erscheint fragwürdig, ob sich der Maßstab des Sachwidrigkeitskriteriums von dem der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle maßgeblich unterscheidet. AnUrt. v. 25. 06. 1992, NJW 1992, 2759. „Der Beklagte zu 1 hat den Ehemann der Klägerin vielmehr mit rechtlich unzutreffenden Erwägungen zu gewinnen gesucht, der Klausel im Hinblick auf einen angeblich sachgerechten Gleichlauf der Haftung des Architekten mit der der Bauhandwerker zuzustimmen. Die Darstellung des Zeugen über das Verhandlungsergebnis läßt allenfalls darauf schließen, der Ehemann der Klägerin habe die Klausel angesichts der vermeintlich zutreffenden Erläuterungen akzeptiert. Ein solches „Einvernehmen“ eines Vertragspartners stellt jedoch keine individuell gestaltete und damit ausgehandelte Vereinbarung über die Dauer der Verjährungsfrist dar.“ 88 BGH WM 1987, 42. 86 87

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sonsten ginge der Anwendungsbereich des § 305 Abs. 1 S. 3 BGB auch in diesem Zusammenhang gegen Null, da ein Aushandeln unveränderter Klauseln bei Einsehen der Sachgerechtigkeit nur dann vorliegen könnte, wenn die Klauseln auch einer Inhaltskontrolle standhielten.89 Aber selbst wenn es Kriterien für die Sachwidrigkeit gäbe und sich diese hinreichend vom Maßstab der AGB-rechtlichen Inhaltskontrolle abhöben, so könnte aus dieser Rechtsprechung dennoch keine Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ entnommen werden. Der BGH fordert nämlich in allen Fällen (teils im Widerspruch zu seinen eigenen Ausführungen), daß der Verwender bereit sein muß, die Klausel zumindest grundsätzlich zur Disposition zu stellen und dem Klauselgegner Einfluß auf die Gestaltung der Vertragsbedingungen zu ermöglichen. Damit stellt er seine eigene Ausnahme bei Einsehen der Sachgerechtigkeit wieder in Frage. Aus der Ausnahme wird ein weiteres Negativkriterium: Wenn eine Klausel nicht sachgerecht ist, ist sie auf jeden Fall nicht ausgehandelt, wenn sie aber sachgerecht ist und sich der Klauselgegner ihr daher unterwirft, heißt das noch nicht, daß sie dann als ausgehandelt gilt. Im letztgenannten Fall könnte nämlich immer noch auf fehlende Abänderungsbereitschaft und Einflußmöglichkeit abgestellt werden, da – wie der BGH im oben untersuchten Urteil beweist – keine eindeutigen Kriterien für das Verhältnis von Abänderungsbereitschaft und Sachgerechtigkeit (oder auch anderweitigen Konzessionen) existieren. Dies zeigt sich daran, daß zum einen das OLG Braunschweig90 ein Aushandeln ablehnt, obwohl der Klauselgegner eine Vertragsstraferegelung akzeptiert hatte und dabei angemerkt hatte, dies sei für ihn kein Thema, weil eine verspätete Fertigstellung ohnehin nicht in Betracht käme. Zum anderen hält dagegen das OLG Köln91 eine Klausel unter Berufung auf das Urteil zum Einsehen der Sachgerechtigkeit des BGH92 sogar dann für ausgehandelt, wenn sie im individuellen Maklerangebotsschreiben zum unverzichtbaren Vertragsbestandteil erklärt wurde; dies genüge zumindest im kaufmännischen Verkehr. Dabei wurde weder auf Abänderungsbereitschaft noch auf die Sachgerechtigkeit oder anderweitige Konzessionen eingegangen. Aus der Behandlung der Fallgruppe ,Einsehen der Sachgerechtigkeit‘ in der Rechtsprechung lassen sich somit keine Kriterien für die Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ gewinnen.

89 90 91 92

Vgl. oben im Text nach Fn. 80, S. 44. Urt. v. 02. 02. 1999, Az. 4 U 14 / 96; Fundstelle: juris. Urt. v. 09. 01. 2002, Az.: 24 U 151 / 00; Fundstelle: juris. BGH NJW 1992, 2283 = WM 1992, 1160 (1162 f.).

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1. Teil: Problemaufriß und Meinungsstand

dd) Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals ,Abänderungsbereitschaft‘ durch den topos Kompensation Gleiches gilt mutatis mutandis auch im Hinblick auf die anerkannte Ausnahme vom Erfordernis absoluter Abänderungsbereitschaft im Falle von Konzessionen im Zusammenhang mit der betreffenden Klausel. Es sind nämlich auch in diesem Zusammenhang keine klaren Kriterien feststellbar, wann auf ein Zur-Disposition-Stellen verzichtet werden kann. Reicht es, einen Preisnachlaß von 1 A oder weniger anzubieten? – Dann liefe das Erfordernis grundsätzlicher Abänderungsbereitschaft völlig leer. Wenn nein: Wie bestimmt sich das Mindestmaß des erforderlichen Zugeständnisses? Muß das Zugeständnis einen sachgerechten Ausgleich93 für die Akzeptanz der unabdingbaren Klausel darstellen? Aus welcher Perspektive ist die Konzession zu bewerten? – Eine subjektive Bewertung erforderte zwar nicht die Festlegung eines Maßstabes, verschlösse sich aber jeglicher Justiziabilität; objektive Bewertung zöge eine Inhaltskontrolle nach sich, für die ein Maßstab zu ermitteln wäre. Da aber der gerechte Preis (iustum pretium) einer vertraglichen Vereinbarung nicht zu ermitteln ist,94 erscheint auch diese Alternative ausgeschlossen. Von den Vertretern der herrschenden Meinung wird die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen, daß der Klauselgegner dem Verwender eine Kompensation (z. B. einen höheren Preis) anbietet, um ihn von seinem Klauselvorschlag abzubringen. Da Klauseln, die höchstpersönliche Rechtsgüter betreffen, praktisch keine Rolle spielen, ist es lediglich eine Frage der Höhe des Angebots, um den Klauselverwender zum Einlenken zu bewegen. Insofern wäre stets eine Abänderungsbereitschaft gegeben, das Tatbestandsmerkmal liefe somit leer. Wollte man dies nicht anerkennen und eine Abänderungsbereitschaft bei angemessener oder sachgerechter Kompensation verlangen, so ergäben sich die soeben dargestellten Probleme bei der Ermittlung des passenden Maßstabes.

93 In diese Richtung scheint der Gesetzgeber beim Unternehmerrückgriff im neuen Verbrauchsgüterkauf zu gehen (§ 478 Abs. 4 S. 1 BGB „gleichwertiger Ausgleich“). Das Maß der Gleichwertigkeit ist jedoch auch hier unklar. Die Gesetzesbegründung und Literatur beschränken sich darauf, auf Beispiele zu verweisen wie etwa pauschale Preissysteme oder die Gewährleistung einer generellen Rabattstaffel (Büdenbender in Dauner-Lieb / Heidel / Lepa / Ring (2002) § 8 Rn. 88, S. 220, ders. in Dauner-Lieb / Heidel / Lepa / Ring (2002) § 478 Rn. 43; Palandt-Putzo (2003) § 478 Rn. 17). Im Prinzip sind keinerlei Anhaltspunkte für die Konkretisierung des Merkmals „gleichwertiger Ausgleich“ ersichtlich, so daß man „gespannt“ sein darf, wie die Praxis das Tatbestandsmerkmal bestimmt (Westermann, JZ 2001, 530, 541; Büdenbender a. a. O. Fn. 96). 94 Vgl. Larenz / Wolf (1997) § 2 Rn. 23 (S. 28); vgl. auch eingehend Koller (1979) S. 42 f.; Lobinger (1994) S. 83; Schmidt-Rimpler (1974) S. 11 u. zum iustum pretium S. 15.

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ee) Ergebnis Die herrschende Literaturauffassung, die sich weitgehend kritiklos an die von der Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abänderungsbereitschaft anlehnt,95 befindet sich in einem Widerspruch zwischen geforderter Einflußmöglichkeit des Klauselgegners und der Erkenntnis, daß es schützenswerte Interessen des Verwenders gibt, die durch den Zwang zur Abänderungsbereitschaft verletzt werden. Die von Rechtsprechung und Literatur hervorgebrachte Begriffsbestimmung des Aushandelns ist von diesem Widerspruch geprägt; dieser wird eher verdeutlicht als gelöst. Die herrschende Ansicht vermag also keine Kriterien anzugeben, die das dem Aushandeln zugrundeliegende Problem – den Ausgleich entgegenstehender Interessen beim Vertragsschluß – ohne innere Widersprüche lösen. Der Tatbestand des Aushandelns – nach dem derzeitigen Meinungsstand das ernsthafte Zur-Disposition-Stellen des gesetzesfremden Kerngehalts und das Einräumen von Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen des Klauselgegners mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinflussen zu können96 – ist somit nicht in einer Weise konkretisiert, daß erkennbar ist, wann ein Aushandeln tatsächlich vorliegt und wann nicht. Als Resultat daraus ist festzustellen, daß nur äußerst selten97 ein Aushandeln bejaht wurde und dies (von den wie gesagt widersprüchlichen und damit nicht verallgemeinerungsfähigen Urteilen des BGH98 und des OLG Köln99 sowie vom Ur95 Schon Schlosser, ZIP 1985, 449 und im Anschluß daran Hensen, NJW 1987, 1986 weisen im Hinblick auf das AGBG an sich darauf hin, daß die rechtspolitische Grundsatzkritik schon Ende der 80er Jahre fast vollständig verstummt sei. Auch Bunte, NJW 1987, 921, Fn. 1 verweist auf durchweg positive Berichte. Dies kann auch auf den Teilbereich des Aushandelnsbegriffs übertragen werden. Auf diese Gebiet wurde eher die Umsetzung des bestehenden Aushandelnsbegriffes durch die Gerichte kritisiert, z. B. in der Form, daß die Charakteristiken kaufmännsichen Verhandelns Berücksichtigung finden sollten; Rabe, NJW 1987, 1978, 1980, wobei aber außer praktischen Erwägungen kaum juristische Argumente angeführt werden. Nach Schumann, JZ 1998, 127, 128, folgt die Rspr. der hLit.; an dem Grundgedanken, daß wenig essentielle Kritik geäußert wird, ändert diese Sichtweise aber nichts. Ausnahmen: Rechtspolitische ,Warnrufe‘ von Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 32; ders. WPK-Mitt. 1998, 197, 200; Steiner, Zeitschrift für das ges. Kreditwesen 45 (1992), 571, 572; Lang, NJW 1995, 2063, 2069; argumentative Auseinandersetzung: Braunfels, DNotZ 1997, 356, 378 ff. (grds. beschränkt auf notarielle Verträge); Wackerbarth, AcP 200 (2000), 45, 82 ff.; die jedoch allesamt keine widerspruchsfreie Neubestimmung des Aushandelnsbegriffs vornehmen und bislang kaum Resonanz gefunden haben. 96 BGH NJW 1992, 2759, 2760; 1992, 1107 f.; 2000, 1110, 1111; NJW-RR 1996, 783, 787; WM 1998, 2297. 97 Von 66 Urteilen, die die Juris-Datenbank (Stand 15. 12. 2003) zur Suchnorm „AGBG § 1 Abs. 2“ ausgegeben hat, haben nur zehn ein Aushandeln bejaht. 29 haben das Vorliegen einer ausgehandelten Vereinbarung klar verneint, in sechs Fällen kam es nicht auf das Aushandeln an. In den restlichen Fällen kam es zumeist nicht direkt auf das Aushandeln an, die Urteile ließen aber erkennen, daß auch hier wohl eher gegen ein Aushandeln zu entscheiden wäre. 98 BGH NJW 1992, 2283 = WM 1992, 1160 (1162 f.). 99 Urt. v. 09. 01. 2002, Az.: 24 U 151 / 00; Fundstelle: juris.

4 Pfeiffer

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teil des LG Frankfurt a.M.100, dem 45stündige Vertragsverhandlungen zugrunde lagen, abgesehen) nur in Fällen, in denen es zu materiellen Änderungen der Klausel (bzw. des gesetzesfremden Teils der Klausel) gekommen ist.101 Dies bedeutet praktisch, daß auf die Möglichkeit des Aushandelns nur in Fällen einer inhaltlichen Änderung oder des idealen Verhandelns Verlaß (i.S.v. Rechtssicherheit)102 ist. Dieses Ergebnis entspricht jedoch nicht dem Meinungsstand, denn sowohl Literatur als auch Rechtsprechung – man beachte nur die zahlreichen obiter dicta103 – betonen die Existenz der Möglichkeit des Aushandelns ohne den Zwang, einen Klauselvorschlag zur Disposition stellen zu müssen. Die herrschende Ansicht steht somit auch im Widerspruch zu den Ergebnissen, die auf der Basis der von ihr entwikkelten Begriffsbestimmung praktisch erzielt werden. Die Entscheidung, ob eine ausgehandelte Vertragsbedingung vorliegt, ist dabei auf der Basis des Tatbestandes, auf den die herrschende Meinung zur Beurteilung des Aushandelns zurückgreift, weder verläßlicherweise nachvollziehbar bzw. in ähnlichen Fällen reproduzierbar noch kritisierbar.104 Dies liegt an den vielen ungeklärten unbestimmten Begriffen („ernsthaft“, „Zur-Disposition-Stellen / Abänderungsbereitschaft“, „reale Einflußmöglichkeit“), die vom jeweiligen Beurteilenden nach Belieben mit den verschiedenen Anforderungen an das Aushandeln bzw. den Ausnahmen gefüllt werden können.105 Eine hinreichend klare und bestimmte NZBau 2004, 44 f. Vgl. Schumann, BB 1996, 2473, 2475; v. Westphalen EWS 1993, 160, 163 und insb. Staudinger-Schlosser, § 1 Rn. 36, der noch 1998 betonte, daß in „keinem einzigen Rechtsprechungsfall“ das Vorliegen der Voraussetzungen des Aushandelns ohne Inhaltsänderung angenommen worden ist. 102 Daß die materielle Prägung des Aushandelns zu erheblicher Unsicherheit und gar Manipulationsmöglichkeiten führe, bemerkt auch Schuhmann, JZ 1998, 127, 128; vgl. schon Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1508 und Hensen, NJW 1987, 1986, 1987; ders. FS-Brandner (1996), S. 234, der daher gar ein Umschwenken der Rspr. erwartete. Zur Manipulationsmöglichkeit auch Pawlowski, BB 1978, 161, 163. Allgemeiner zur Rechtsunsicherheit durch die zersplitterte Literatur und Rechtsprechung zum AGBG Stumpf, BB 1985, 963 u. 965. 103 Zwar stellt der BGH zumeist allgemeine Anforderungen auf, die er auch auf den zu entscheidenden Fall anwendet; die jeweils aufgestellten Anforderungen werden jedoch zumeist nicht erfüllt und dienen nur der Absicherung, daß trotz der restriktiven Rechtsprechung noch ein Anwendungsbereich (in anderen Fällen) verbleibe. Daß es also eine Aushandelnsmöglichkeit tatsächlich gibt, erscheint regelmäßig aber nur faktisch obiter. 104 Dies stellt auch Wolf heraus, wenn er kritisiert, daß die Voraussetzungen für eine ausgehandelte Vereinbarung von der Rechtsprechung kaum je als gegeben erachtet worden sind (WPK-Mitteilungen 1998, 197, 198 f.) und daß daher keine mit Sicherheit verläßlichen Kriterien für ein Aushandeln angegeben werden könnten. Im Zusammenhang mit §§ 449, 466 HGB: Herber, NJW 1998, 3297, 3305: „Die Vorschrift birgt gewiß für den Praktiker Unklarheiten in sich.“; vgl. auch Wolf, WPK-Mitteilungen 1998, 197, 200. Basedow, TranspR 1998, 58, 64 beläßt es bei einem Hinweis, daß es für den Nachweis des Aushandelns stets auf die Umstände des Einzelfalls ankäme. 105 Die Zersplitterung der Ansichten in „unterschiedlichste Auslegungen“ in Rspr. und Lit. zum AGBG im allgemeinen beklagt auch Stumpf, BB 1985, 963 und Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1508 bemerkte schon kurz nach Inkrafttreten des AGBG, daß sich die Praxis darauf einstellen müsse, daß bei der Anwendung des § 1 Abs. 2 AGBG nicht Subsumtion, sondern 100 101

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Begriffsbildung ist jedoch auch aus verfassungsrechtlicher Sicht zu fordern.106 Der anfängliche Streit über die Begriffsbestimmung des Aushandelns ist durch diese Dehnbarkeit und Beliebigkeit, die nahezu jedes gewünschte Ergebnis möglich macht, eingeschlafen.107 Daher ist die dem Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) entsprechende Begriffsbestimmung des Aushandelns ungeeignet. Diese Kritik trifft auch die Ansicht zu §§ 449, 466 HGB, die auf die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung verweist und sich diesen Begriff des Aushandelns damit zu eigen macht. b) Übertragbarkeit der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung Es erscheint jedoch nicht ausgeschlossen, daß im AGB-Recht eine Korrektur der Begriffsbestimmung vorgenommen wird. Die soeben geäußerte inhaltliche Kritik an der herrschenden Ansicht im Transportrecht ginge dann (zumindest bei Annahme einer fließenden Verweisung) ins Leere, da dann auf einen widerspruchsfreien, hinreichend bestimmten und somit grundsätzlich geeigneten Begriff des Aushandelns verwiesen würde. Neben der inhaltlichen Kritik an der herrschenden Meinung im Transportrecht ist aber auch die Übertragbarkeit der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung des Aushandelns ins Transportrecht zu hinterfragen. aa) Geäußerte Argumente für die Übertragbarkeit Wenn überhaupt auf die Frage der Übertragbarkeit eingegangen wird, so wird diese unter Hinweis auf die Begründung des Regierungsentwurfs und auf die gleiche Wortwahl – damit ist wohl der topos ,Einheit der Rechtsordnung‘ gemeint – ohne nähere Prüfung angenommen.108 Diese Argumente sind jedoch – zumindest ohne nähere Begründung – überaus schwach: Den Gesetzesmaterialien ist eine Verweisung auf die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung zumindest nicht ausdrücklich zu entnehmen.109 richterliche Wertung im Vordergrund stünde. – Bestes Beispiel dafür ist das BGH-Urteil WM 1992, 1160 (1162 f.), in dem der BGH bei einer nicht zur Verhandlung gestellten Klausel zum einen das Einsehen der Sachgerechtigkeit durch den Klauselgegner für ausreichend erachtet, zum anderen aber das Erfordernis der Abänderungsbereitschaft herausstellt und sich im Ende ohne erkennbare Begründung, die sich mit diesem Widerspruch auseinandersetzt, für das Aushandeln entscheidet. 106 Vgl. Sachs-Murswiek (1999) Art. 20 Rn. 125, 129. 107 Dies wird insb. bei Michalski / Römermann, ZIP 1993, 1434, 1438 deutlich: „Dabei hat allerdings eine Interpretation des Wortes ,Aushandeln‘ bislang zu keiner Einigkeit geführt, so daß es wenig ergiebig erscheint, auf diese Diskussion noch näher einzugehen.“ In der jüngeren Vergangenheit ging nur Berger, NJW 2001, 2152 ff. auf den Begriff des Aushandelns als solchen ein, allerdings auch ohne eine Definition zu liefern, die den Begriff des Aushandelns in gewisser Weise ,subsumtionsfähig‘ machte. 108 Z. B. Canaris (2000) § 33 Rn. 33 S. 576. 4*

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bb) Die Frage nach vergleichbaren Schutzzwecken Ferner müßte die ratio beider Gesetze vergleichbar sein, wenn die in ihnen gebrauchten Begriffe auf die gleiche Weise ausgelegt werden sollen. Zwar gilt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB auch für den unternehmerischen Geschäftsverkehr. Dennoch ist noch nicht geklärt,110 ob sich der Schutzzweck der §§ 305 ff. BGB in einer umfassend verstandenen Schranke einseitiger Vertragsgestaltung beschränkt111 oder ob der Schutz des Schwächeren (insb. Verbraucherschutz) ein davon abzutrennendes, eigenes Moment ist.112 Der AGB-rechtliche Begriff des Aushandelns sieht sich somit stets der Gefahr ausgesetzt, mit Verbraucherschutzerwägungen aufgeladen zu werden,113 die im Rahmen des HGB zunächst114 keine Rolle zu spielen haben – insbesondere, weil sich hier keine typische Disparität feststellen läßt115.

cc) Systematische Gründe gegen die Übertragbarkeit der Begriffsbestimmung aus § 1 Abs. 2 AGBG auf das HGB Im übrigen sprechen auch systematische Gründe gegen eine direkte Übertragbarkeit der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung des Aushandelns auf das HGB: Zunächst ist die Alternative ,Aushandeln‘ in § 305 Abs. 1 S. 3 BGB eine Rückausnahme von der Ausnahme von der uneingeschränkten Vertragsfreiheit.116 Wenn Ausnahmen grundsätzlich eng auszulegen sind, um die Grundwertungen des Gesetzes nicht (zumindest nicht ohne Grund) zu umgehen,117 so trifft das auf Rückausnahmen erst recht zu, wenn das Regelungssystem nicht leiden soll.118 Dazu später unter § 4, S. 64 ff. Zum Streitstand mit vielfältigen Nachweisen Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) Einl. Rn. 28 ff. 111 So die herrschende Meinung, vgl. z. B. Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) Einl. Rn. 28 ff. und wohl schon Emmerich, JuS 1972, 361. 112 Beispielsweise Hommelhoff / Wiedenmann, ZIP 1993, 562, 570 ff. 113 Vgl. Schumann, BB 1996, 2473. Auch Bunte, NJW 1978, 921, 923, betont, daß der Schutzbereich des AGBG besonders weit gefaßt wurde um eher Schutzunwürdigen Schutz zu gewähren, als ihn Schutzwürdigen zu versagen; dazu auch v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1125. 114 Zwar ist der Schutz des Schwächeren auch hier ein Thema (dezidiert Bunte, NJW 1987, 921, 923), wie schon die Gesetzesbegründung beweist. Ein Eingriff in das privatwirtschaftliche System zugunsten einer bestimmten Seite, wie der Verbraucherschutz es häufig darstellt, soll aber im Bereich des Transportrechts gerade unterbleiben. 115 Die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG (BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86) hält eine „eindeutige Zuordnung von Marktmacht“ „angesichts der uneinheitlichen Marktstrukturen im Transportsektor“ nicht für möglich. Genauso Sachverständigenkommission (1996) S. 169. 116 Schmidt-Salzer, NJW 1977, 129, 130 f. 117 Larenz / Canaris (1995) Kap. 4 – 4.a. (S. 176). 118 Pflug (1986), S. 316. 109 110

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In diesem Licht ist die Alternative ,Aushandeln‘ in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) zu sehen. Das AGBG (mittlerweile zweiter Abschnitt des zweiten Buchs des BGB) ist nämlich „kein Gesetz zur Wiederherstellung verlorengegangener Privatautonomie“,119 sondern ein Gesetz zur Sicherstellung der Vertragsgerechtigkeit.120 Die §§ 305 ff. BGB führen nur unter bestimmten einengenden Voraussetzungen – deren wichtigste das Vorliegen von AGB bzw. der aufgrund von Vorformulierung fehlende Einfluß ist – zu einer Beeinträchtigung der Inhaltsfreiheit des Verwenders durch eine nachträgliche Kontrolle. Erst wenn diese Kontrolle umgangen werden soll, greift § 305 Abs. 1 S. 3 BGB ein – also in einer Situation, in der zuvor schon ein weiter privatautonomer Gestaltungsspielraum des Verwenders bestanden hat. Die Ermöglichung einer derartigen einseitigen Gestaltung durch die Rechtsordnung zieht das Erfordernis einer Kontrolle der Ausnutzung dieser Möglichkeit nach sich.121 Es ist somit weniger dramatisch, vielmehr typisch, wenn nicht gar erforderlich,122 daß dem Aushandeln hier nur ein sehr eng umrissener Anwendungsbereich verbleibt. Im Rahmen der §§ 449, 466 HGB besteht jedoch abgesehen vom Aushandeln keinerlei Gestaltungsfreiheit. Das Aushandeln ist die einzige Möglichkeit privatautonomer Gestaltung. Es geht in §§ 449, 466 HGB im Gegensatz zum § 305 Abs. 1 S. 3 BGB eben nicht darum, eine Kontrolle der (einseitigen) Ausnutzung eines weiten Gestaltungsspielraums zu gewährleisten – ein solcher existiert ohne Aushandeln gar nicht. Aus logisch-systematischer Sicht eröffnet das Aushandeln in §§ 449, 466 HGB überhaupt erst einen privatautonomen Gestaltungsspielraum.123 In §§ 449, 466 HGB wird also gerade eine Regelung „zur Wiederherstellung der verlorengegangenen Privatautonomie“124 benötigt. Dies stellt einen wichtigen Unterschied dar, der gegen die Übertragbarkeit der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung auf das Transportrecht spricht.125 Des weiteren baut der Begriff des Aushandelns i. S. d. § 305 Abs. 1 S. 3 BGB stets auf der Antinomie zwischen AGB und ,spontanem‘126 Einzelvertrag auf, die 119 So Pflug (1986), S. 318, der konsequenterweise auch für eine ersatzlose Streichung des Abs. 2 des § 1 AGBG plädiert. A.A. (zumindest begrifflich) v. Westphalen, BB 1996, 2101, der allerdings nicht erklärt, warum die Rechtsfolge einseitiger Vertragsgestaltung dann nicht Unwirksamkeit, sondern lediglich Inhaltskontrolle, d. h. Kontrolle der Vertragsgerechtigkeit ist. 120 BT-Drucks. 7 / 3919 S. 13. 121 Pflug (1986), S. 317. 122 Pflug (1986), S. 317. 123 Vgl. auch Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 32 (a.E.); ders. WPKMitteilungen 1998, 197, 200, der diese Funktion einfordert. 124 Vgl. oben bei Fn. 118, S. 53: Pflug stellt heraus, daß die AGB-rechtlichen Vorschriften diese Aufgabe gerade nicht erfüllen. 125 Vgl. dazu Heinrichs, NJW 1977, 1505, 1507: „Die Vorschrift [§ 1 II AGBG] enthält keine außerhalb des AGBG anwendbare Definition des Rechtsbegriffs der Individualvereinbarung; dieser ist vielmehr aus den allgemeinen Grundsätzen des Vertragsrechts zu entwikkeln. Sie hat den Zweck, den Anwendungsbereich des AGBG zu begrenzen.“ 126 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher Art. 3 RiLi Rn. 22.

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außerhalb des Regelungsbereichs der §§ 305 ff. BGB – und somit auch im Rahmen der §§ 449, 466 HGB – regelungstechnisch keinerlei Bedeutung erlangt. In § 305 ff. BGB erlangt das Aushandeln erst dann Bedeutung, wenn zuvor (also ohne Aushandeln) das Vorliegen von AGB bejaht wurde.127 Wenn nicht zuvor festgestellt wurde, daß die vertragliche Beziehung grundsätzlich von einseitig gestellten128, vorformulierten Klauseln regiert wird, unterfällt der Vertrag ohnehin keiner Inhaltskontrolle. Dies bringt auch mit sich, daß stets eindeutig feststeht, wer der Klauselverwender und wer der Klauselgegner ist. Beim Aushandeln zur Wiederherstellung der Dispositivität kann auf nichts dergleichen abgestellt werden. Weder wird dort zunächst eine Gefährdungslage festgestellt, die einen potentiellen Mißbrauch der Privatautonomie befürchten läßt, wie das Vorliegen von AGB,129 noch ist ein ,Verwender‘ identifizierbar. Letzteres ist besonders heikel: Geht von einer Seite ein (vorformulierter) Vorschlag aus, schlägt die andere Seite aber eine bestimmte Änderung vor, so gestattet auch die in diesem Sinne erfolgte Textänderung keinen Rückschluß darauf, ob die zum Aushandeln nach überkommener Auffassung zu § 305 Abs. 1 S. 3 BGB erforderlichen Merkmale (Abänderungsbereitschaft und Einflußmöglichkeit) gegeben waren. Denn es ist ohne weiteres denkbar, daß das Änderungsverlangen weder als sachgerecht akzeptiert wurde, noch daß dessen Urheber zu Zugeständnissen bereit war, so daß auch keine Einflußmöglichkeit der anderen Seite bestanden hat. Beispielsweise könnte der Frachtführer in einem Vertragsentwurf vorschlagen, die Haftungsgrenzen bei schweren Gütern statt an das Gewicht (§ 431 Abs. 1 HGB) an den benötigten Stauraum, d. h. an das Bruttovolumen anzuknüpfen. Besteht dagegen der Absender auf einer Orientierung der Haftungsgrenzen am deklarierten Wert (ebenfalls entgegen § 431 Abs. 1 HGB) und beugt sich der Frachtführer diesem Verlangen, so zeugt die Abänderung des Vertragsentwurfs in diesem Punkt zwar von Einflußmöglichkeit des Absenders und Abänderungsbereitschaft des Frachtführers, nicht aber auch umgekehrt. Im Endeffekt müssen beide Seiten ihre Vorschläge zur Disposition stellen130.131 In dieser Hinsicht ist dann jedoch fraglich, wie ein Interessenausgleich zustande 127 Roth, BB 1992, Beil. 4, S. 10; MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 34; Trinkner in Löwe / Graf v. Westphalen / Trinkner, § 1 Rn. 20; Jaeger, NJW 1979, 1569, 1572. Auch v. Westphalen, BB 1996, 2101, 2103, stellt auf diese „Distinktion“ ab, wenngleich er den formalen Unterschied zwischen § 1 Abs. 2 und § 24a AGBG (!) für vernachlässigbar hält. 128 Insoweit das Merkmal des „Stellens“ wegen § 24a AGBG überflüssig geworden ist, weist auch Braunfels, DNotZ 1997, 356, 380, darauf hin, daß die Anforderungen an das „Aushandeln“ i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG überdacht werden müssen. 129 Vgl. zum Verlust der Indizwirkung der Vorformulierung beim Individualgeschäft Schumann, JZ 1998, 127. Ferner weist Jaeger, NJW 1979, 1569, 1571 f. darauf hin, daß die Auslegung des Aushandelnsbegriffs des AGBG im Verhältnis von § 1 Abs. 1 S. 1 (der Definition von AGB) zu Abs. 2 AGBG seinen Schlüssel hat. 130 Und dies müßte grundsätzlich auch von dem bewiesen werden, der sich darauf berufen möchte. 131 So ausdrücklich Temme (1999) S. 204.

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kommen kann. Bei entgegenstehenden Interessen kommt ein Interessenausgleich gewöhnlich zustande, indem sich die Interessen gegenseitig „abschleifen“132. Beide Seiten verfolgen ihre Interessen und rücken nur soweit von ihnen ab, wie es ihnen erforderlich erscheint, um den Gegner zur Zustimmung zu bewegen. Wenn aber von beiden Seiten verlangt wird, ihre Vorschläge – und damit auch die darin umgesetzten Interessen – zur Disposition zu stellen, d. h. von vornherein von ihnen abzurücken, dann kann es zu keiner Reibung kommen, die ein solches Abschleifen der Interessen bewirkt. Zur-Disposition-Stellen kann in diesem Zusammenhang nämlich logischerweise nicht bedeuten, daß sich beide Parteien lediglich dem marktwirtschaftlichen Mechanismus des Interessenausgleich stellen müssen – dies bringt ein Vertragsschluß stets mit sich. Bei diesem Mechanismus kommt es weder auf Abänderungsbereitschaft noch auf Einflußmöglichkeit auf den Inhalt an. Eine ausgehandelte Vereinbarung unterschiede sich dann zumindest im Hinblick auf Abänderungsbereitschaft und inhaltliche Einflußmöglichkeit nicht von einer gewöhnlichen vertraglichen Vereinbarung (z. B. auch in AGB). Der gewöhnliche marktwirtschaftliche Vertragsmechanismus ermöglicht lediglich Abschlußfreiheit, nicht aber auch privatautonomen Einfluß auf den Inhalt. Dies widerspricht dem Begriff des Aushandelns, wie ihn die Vertreter der herrschenden Meinung verstehen. Der Interessenausgleich darf daher konsequenterweise beim beidseitigen Aushandeln nicht allein auf der Basis des gewöhnlichen Vertragsmechanismus stattfinden. Dies bedeutet, daß als Basis für den Interessenausgleich ein heteronomer Maßstab heranzuziehen wäre.133 Ein solcher läßt sich weder dem Transportrecht, noch dem Vertragsrecht entnehmen – das Problem ist vielmehr mit dem der Ermittlung des iustum pretium134 vergleichbar. Die AGBrechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns kann somit in der Situation, die sich im Transportrecht stellt, keine Aussage darüber treffen, auf welchem Weg ein Interessenausgleich erzielt werden soll. Gerade dies ist aber letztendlich die Aufgabe der Begriffsbestimmung. Die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung kann somit nicht ungeprüft auf den Begriff des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB übertragen werden. Es wäre zwar eine Restriktion dahingehend denkbar, daß nur der, zu dessen Vorteil sich das Aushandeln auswirkt, abänderungsbereit sein muß. Dann muß aber darauf eingegangen werden, warum die Berufung auf die fehlende eigene Abänderungsbereitschaft bzw. fehlende Einflußmöglichkeit des anderen auszuschließen Bydlinski (1967) S. 62. Gleiches gälte, wenn man in dieser Situation kein vollständiges Zur-Disposition-Stellen verlangt, sondern nur, daß beide Seiten den Druck, mit dem sie ihre Interessen durchzusetzen trachten, reduzieren müssen: In diesem Fall müßte ein Maßstab für den noch zulässigen Druck, die noch zulässige Stärke des Festhaltens an den eigenen Interessen bestimmt werden. 134 Für die Ermittlung des gerechten Preises sind keine verläßlichen Kriterien erkennbar: vgl. Larenz / Wolf (1997) § 2 Rn. 23 (S. 28); vgl. auch eingehend Koller (1979) S. 42 f.; Lobinger (1994) S. 83; Schmidt-Rimpler (1974) S. 11 u. zum iustum pretium S. 15. 132 133

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ist: Gilt der Grundsatz nemo turpitudinem suam allegans auditur und wenn ja, ist das Fehlen von Abänderungsbereitschaft turpis, also verwerflich? Begründet die Berufung auf §§ 449, 466 HGB ein venire contra factum proprium? Zweifel daran werden durch einen vergleichenden Seitenblick auf § 125 BGB gestützt, bei dem die Berufung auf die Nichtigkeit wegen Formmangels auch nur in Extremfällen ausgeschlossen wird135 und zwar nur, wenn die Aufrechterhaltung der Formnichtigkeit schlechthin untragbar erscheint.136 Letzteres erscheint im Rahmen des § 449 (466) Abs. 2 HGB prinzipiell ausgeschlossen, weil es bedeutete, daß die Anwendung des dispositiven Gesetzesrechts schlechthin untragbar sein müßte. Außerdem wäre vor einer Restriktion das Verhältnis zu § 449 (466) Abs. 2 S. 2 Nr. 2 HGB zu klären, der nur für den Sonderfall des S. 2 abweichende Regelungen zu Lasten des Verwenders vorformulierter Bedingungen ausdrücklich gestattet. Diese Ausnahmevorschrift liefe leer, wenn ihr Anwendungsbereich schon von § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB umfaßt würde. Letztendlich wären gegnerfreundliche AGB-Bestimmungen (!) dann als ,ausgehandelt‘ zu betrachten. – Dies widerspräche aber der herrschenden Ansicht, die Aushandeln i.S.v. § 1 Abs. 2 AGBG versteht. In § 305 Abs. 1 BGB sind gegnerfreundliche AGB-Bestimmungen nicht ausgehandelt – es besteht auch gar kein Grund, sie als ausgehandelt zu werten, da sie die Inhaltskontrolle stets bestehen und somit auch als AGB zur Geltung gelangen. Die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns vermag somit die Fälle für den Gegner positiver Abweichungen vom dispositiven Gesetzesrecht, die von ihrem Urheber nicht zur Disposition gestellt wurden (z. B. als Bestandteil allgemeiner Geschäftsbedingungen), nicht zufriedenstellend zu lösen. Auch dies spricht gegen ihre Übertragbarkeit auf §§ 449, 466 HGB.

135 Palandt-Heinrichs (2003), § 125 Rn. 16 ff. Ein venire contra factum proprium wird nur in schwerwiegenden Fällen bejaht (vgl. BGHZ 138, 339, 348), z. B. wenn auch die Vorteile der Formunwirksamkeit ausgenutzt wurden, Rn. 24 (m. w. N.). Die ,Formunwirksamkeit‘ kann bei § 449 Abs. 2 HGB aber gar nicht ausgenutzt werden, weil ,formunwirksam‘ (nichtausgehandelte) Abweichungen zugunsten des Verwenders vorformulierter Bedingungen stets unwirksam bleiben. Mit den unwirksamen gegnerbegünstigenden Klauseln werden somit keine Vorteile (z. B. ein Haftungsausschluß auf anderem Gebiet) erkauft, insbesondere auch weil gegnerbegünstigende und -benachteiligende Klauseln zumeist nicht gleichzeitig zur Anwendung gelangen. Als erlangter Vorteil wäre auch eine günstigere Gegenleistung anzusehen. Allerdings wird nur in den seltensten Fällen das Maß der auf der gegnerbegünstigenden Klausel beruhende Verbesserung der Gegenleistung ermittelbar sein. Somit kommt ein venire contra factum proprium nur in Betracht, wenn der Gegner sich zuvor schon auf für ihn ungünstige nicht ausgehandelte Regelungen eingelassen und dadurch einen konkreten Nachteil erlitten hat. 136 Staudinger-Dilcher, § 125 Rn. 41 (m. w. N.); Palandt-Heinrichs (2003), § 125 Rn. 16; ständ. Rspr., z. B. BGHZ 138, 339, 348 (m. w. N.).

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c) Zusammenfassung Die herrschende Ansicht im Transportrecht verweist zur Begriffsbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB auf den Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Dabei verkennt sie jedoch zum einen, daß die Voraussetzungen, die dem AGB-rechtlichen Meinungsstand entsprechen, nicht zu einer konsistenten und den Anforderungen der Bestimmtheit gerecht werdenden Begriffsbestimmung geeignet sind und innere Widersprüche aufweisen. Abgesehen davon ist zum anderen auch die Übertragbarkeit dieser Begriffsbestimmung auf §§ 449, 466 HGB problematisch: Ohne eine Anpassung vermögen die Voraussetzungen des AGB-rechtlichen Aushandelns den vertraglichen Interessenausgleich nicht zu regeln. Die Vertreter der herrschenden Ansicht im Transportrecht setzen sich jedoch weder damit noch mit der Grundvoraussetzung der Übertragbarkeit – nämlich gleichen Gesetzeszwecken – näher auseinander. Die herrschende Ansicht ist in ihrer derzeitigen Ausprägung somit abzulehnen.

II. Die lediglich an § 1 Abs. 2 AGB ausgerichtete Ansicht 1. Darstellung Während die Vertreter der soeben erörterten Strömung direkt auf die AGBrechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns verweisen, lehnen sich die Vertreter der anderen Strömung lediglich an den Begriff des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) an. Die Übergänge zwischen den beiden Strömungen sind jedoch fließend. Ruß137 und Gass138 beispielsweise erwähnen § 1 Abs. 2 AGBG nicht explizit, lassen ihre Orientierung an dessen Begriffsbestimmung aber deutlich erkennen, indem sie im Rahmen ihrer eigenen Begriffsbestimmung z. B. ausschließlich auf Nachweise aus der Literatur zu § 1 Abs. 2 AGBG oder dazu ergangener Rechtsprechung zurückgreifen. Wolf setzt – allerdings im Zusammenhang mit § 54a WPO, der sich auf eine ähnliche Situation bezieht – für eine ausgehandelte Vereinbarung eine freiwillige und informierte Entscheidung voraus.139 Damit faßt er den Begriff des Aushandelns weiter als die herrschende Ansicht zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB). Diesen sieht er jedoch offensichtlich nicht als eigenständigen Begriff der die genetische Dispositivität anordnenden Norm an, sondern als den – korrigierten – einheitlichen Begriff des § 1 Abs. 2 AGBG140 137 138 139 140

HK-HGB (1999) § 449 Rn. 8. Ebenroth / Boujong / Joost (2001) § 449 Rn. 13. Wolf, WPK-Mitteilungen 1998, 197, 199. Vgl. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 Rn. 32 (a.E.).

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Auch Koller weist auf die „Parallele zu § 1 Abs. 2 AGBG“141 hin, behandelt das transportrechtliche Aushandeln aber als eigenständigen Begriff142. Dabei greift er allerdings durchaus im einzelnen auf die zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) entwickelten Kriterien aus Rechtsprechung und Literatur zurück. Im Gegensatz zu der auf die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung verweisende Strömung, geht er dabei auf die Besonderheiten der §§ 449, 466 HGB ein. Unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien betont er, es komme nicht auf Wertungen bezüglich des Inhalts der Vertragsbedingungen an.143 Insgesamt faßt er den Begriff ,Aushandeln‘ weniger eng144, was sich hauptsächlich an Abweichungen von einzelnen Anforderungen des Aushandeln in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) manifestiert. So bejaht er z. B. ein Aushandeln, obwohl die reale Möglichkeit des Aushandelns durch Umstände wie Zeitdruck, wirtschaftliche Unterlegenheit oder Verhandlungskosten eingeschränkt ist,145 die unveränderte Geltung der gesetzliche Haftung nur mit Zugeständnissen des Klauselgegners erkauft werden kann146 oder obwohl keine Verhandlung stattgefunden hat und sich der Gegner auch nicht in einer Diskussion von der Sachgerechtigkeit der Klausel überzeugt hat, solange der Verwender nur abänderungsbereit war.147 Andererseits lehnt er im Gegensatz zur herrschenden Ansicht zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) die Möglichkeit ab, eine Abweichung vom Gesetz für unverzichtbar zu erklären.

2. Kritik Die Ansicht, die sich lediglich an § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) orientiert, sieht sich zwar nicht mit der Kritik am Meinungsstands zu § 1 Abs. 2 AGBG und seiner Übertragbarkeit auf §§ 449, 466 HGB konfrontiert, da sie nicht pauschal auf die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns verweist. Allerdings lehnen sich auch die Vertreter dieser Strömung mehr oder minder stark an die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung an. Zum einen wird in diesem Rahmen teilweise die Unbestimmtheit der AGB-rechtlichen Kriterien übernommen: So wird z. B. das Merkmal der Abänderungsbereitschaft auch von den Vertretern dieser Ansicht nicht näher konkretisiert.

Koller in Koller / Roth / Morck (2002) § 449 Rn. 1. Koller (2000) § 449 Rn. 43 ff. und Koller (2000) S. 11. Dies klingt schon in VersR 1996, 1441, 1448 an. 143 Koller (2000) § 449 Rn. 43. 144 Vgl. Koller in Koller / Roth / Morck (2002) § 449 Rn. 1. 145 Koller (2000) § 449 Rn. 43 und Koller (2000) S. 11. 146 Ebd. Rn. 44 u. 48. 147 Ebd. Rn. 46. 141 142

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Zum anderen wird die Begriffsbestimmung zumeist lediglich durch Übernahme ausgewählter Merkmale aus dem Meinungsspektrum zu § 1 Abs. 2 AGBG und weniger durch dogmatische Ableitung aus §§ 449, 466 HGB vorgenommen. Dies führt dazu, daß zumeist nicht näher begründet wird, nach welchen Kriterien die zu übernehmenden Merkmale ausgewählt bzw. nach welchen Kriterien sie an die transportrechtliche Situation angepaßt werden. Das Ergebnis ist ein überaus kasuistisch geprägter Begriff des Aushandelns.

III. Zwischenergebnis Der derzeitige Meinungsstand zur Begriffsbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB ermöglicht lediglich kasuistische Aussagen über das Aushandeln und sieht sich teilweise der Kritik ausgesetzt. Eine dogmatische Einordnung dieser Aussagen über das Aushandeln fällt schwer. Daher soll im folgenden versucht werden, eine Begriffsbestimmung vorzunehmen, die von den transportrechtlichen Vorschriften der §§ 449, 466 ausgeht. Dies ist nur auf der Basis der Auslegung dieser Normen möglich.

2. Teil

Grammatische, historische und systematische Auslegung der §§ 449, 466 HGB Zum Zwecke der Auslegung der §§ 449, 466 HGB ist zunächst der Wortlaut zu betrachten (§ 3). Ferner ist zu untersuchen, wie der historische Gesetzgeber den Begriff des Aushandelns verstanden hat (§ 4). Einen weiteren topos stellt die logisch-systematische Auslegung dar (§ 5), gefolgt von einer Auslegung vor dem Hintergrund der Systematik (Einheit) der Rechtsordnung (§ 6). Diese topoi sind lediglich beschreibender Natur; sie ziehen ihre Erkenntnisse direkt aus Betrachtung der Norm, ihrer Entstehung und ihres Kontextes. Die wertende Auslegung, die sich zum Ziel setzt, die Regelung vor dem Hintergrund der ihr zugrundeliegenden normativen Zwecksetzung zu verstehen, folgt darauf im nächsten Teil.

§ 3 Der Wortlaut (grammatische Auslegung) I. Der Wortsinn von „ausgehandelt‘‘ Aushandeln bedeutet vom Wortsinn her „durch Verhandlungen / in Abwägung der Interessen vereinbaren“1, sinnverwandt mit „übereinkommen“,2 wohingegen verhandeln „über etwas eingehend sprechen, Verhandlungen führen, um zu einer Klärung, Einigung o.ä. zu kommen“ bedeutet,3 was sinnverwandt mit „erörtern, besprechen“ ist.4 Daraus ergibt sich, daß „verhandeln“ den kommunikativ-inter1 Drosdowski, Günther [Hrsg.], Duden-Deutsches Universalwörterbuch, Mannheim, Wien, Zürich, 21993; Müller, Wolfgang [Hrsg.], Duden-Bedeutungswörterbuch, Mannheim, Leipzig u. a. 21985; Paul, Hermann [Hrsg.], Deutsches Wörterbuch, Tübingen, 1992 („vereinbaren“); Gajic, Helmut [Red.], Deutsches Wörterbuch, Köln, Wien, Zürich, 1982 („durch Verhandlung erreichen“); Wahrig, Gerhard [Hrsg.], Deutsches Wörterbuch, Gütersloh, 41991 („durch Verhandlungen erreichen, vereinbaren“). 2 Müller, Wolfgang [Hrsg.], Duden-Bedeutungswörterbuch, Mannheim, Leipzig u. a. 2 1985. 3 Ebd. (Fn. 1). 4 Ebd. (Fn. 3). Dies entspricht auch der h.M. zu § 852 Abs. 2 BGB a.F., der den Begriff „Verhandlung“ weit gebraucht für jeden Meinungsaustausch über den Anspruch, aufgrund dessen gefolgert werden kann, ein Anspruch sei noch nicht kategorisch abgelehnt und daß

§ 3 Der Wortlaut (grammatische Auslegung)

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aktiven Prozeß, der bei der Einigungsfindung abläuft, beschreibt, wohingegen „aushandeln“ auf das Ergebnis abstellt.5 Aushandeln ist also vom Wortlaut her ein zielgerichteter Vorgang, der auf eine Einigung aufgrund vorhergehender Verhandlung abzielt. Die Einigung muß sich somit kausal aus der vorhergehenden Verhandlung ergeben. Sie muß das Ergebnis der Verhandlung sein und darf nicht auf andere Grundlagen als auf der Verhandlung aufbauen.6 Dies bedeutet auch, daß eine ausgehandelte Übereinkunft ausschließlich zwischen den Parteien, die auch an der Verhandlung beteiligt waren, bestehen kann. So ist ein Urteil als Ergebnis einer Gerichtsverhandlung nicht ausgehandelt, weil es nicht lediglich auf der Verhandlung beruht, sondern auch bzw. vielmehr auf der Machtbefugnis des Richters, der ohne Verhandlungspartei zu sein quasi von außen das Ergebnis setzt.

II. Etymologische Anhaltspunkte Weitere Anhaltspunkte für den Bedeutungsinhalt des Wortes ,aushandeln‘ können sich aus seiner Etymologie ergeben. Aushandeln stammt von „handeln“ ab, was sich stets auf eine aktive Verrichtung bezog (mit der Hand).7 Eine ausgehandelte Übereinkunft setzte demnach prinzipiell beiderseitige Aktivität hinsichtlich der Vertragsgestaltung voraus. Zumindest das unbesehene Akzeptieren einer vorformulierten Vereinbarung schiede auch unter diesem Aspekt klar aus. Am Rande erwähnt sei noch, daß Handel ebenfalls die altertümliche Bedeutung Streit (zumeist im Plural „Händel“) hat,8 was einen Hinweis auf eine im Aushandeln angelegte Kontroverse, auf widerstreitende Interessen gibt.

sich der Gegner auf die Erörterung über die Berechtigung des Anspruchs einläßt; PalandtThomas (2002) § 852 [a.F.] Rn. 18; MüKo-Stein § 852 [a.F.] Rn. 68 (je m. w. N.). Nichts anderes gilt für § 203 BGB n.F.; dazu Palandt-Heinrichs (2003) § 203 Rn. 2. 5 Trinkner, BB 1977, 717 belegt diese erfolgsbezogene Bedeutung anhand der allgemeinen Bedeutung der Vorsilbe „aus“. Dagegen v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1128. Er stellt dagegen einen Vergleich mit „ausdiskutiert“, „ausgereizt“ an und interpretiert Aushandeln als „Aus-ver-handeln“, d. h. die Verhandlung abschließen, weil keine Seite sich von einer Fortsetzung noch etwas verspricht (ebd. S. 1127). 6 Ähnlich Wolf, NJW 1977, 1937, 1939; Jaeger, NJW 1979, 1569, 1570 und auch Löwe, NJW 1977, 1328, 1329. 7 Vgl. Günther Drosdowski [Hrsg.], Duden-Etymologie, Herkunftswörterbuch, Mannheim, Leipzig u. a. 21989, S. 267. 8 Ebd. (Fn. 7).

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

III. Schlußfolgerungen aus dem Wortlaut 1. Vorhergehende Verhandlungen als Voraussetzung Auch wenn an dieser Stelle noch nicht festgestellt werden kann, ob das Ergebnis von Verhandlungen (so denn eines erzielt wird) stets eine ausgehandelte Vereinbarung ist – dann wäre die Verhandlung notwendige und hinreichende Bedingung – oder ob weitere Voraussetzungen für das Aushandeln erforderlich sind,9 so kann dennoch festgestellt werden, daß eine ausgehandelte Vereinbarung zumindest notwendig das Ergebnis von Verhandlungen ist. Ob weitere Definitionsmerkmale hinzukommen, muß an dieser Stelle offenbleiben, weil sich aus dem Wortlaut weder eindeutige Hinweise dafür noch dagegen entnehmen lassen. Der Gesetzgeber, die Gerichte und die Literatur sagen zwar: „Aushandeln bedeutet mehr als Verhandeln“.10 Diese Sentenz läßt sich vom Wortlaut her jedoch nur insoweit stützen, daß es für die Gültigkeit einer abweichenden Vereinbarung nicht ausreicht, daß Verhandlungen stattgefunden haben, sondern daß diese zu einem Ergebnis geführt haben, das (und nur das) in dieser Vereinbarung festgehalten wurde.11 Eine ausgehandelte Übereinkunft setzt eine vorhergehende Verhandlung voraus.12 Die widerstreitenden Interessen sollen somit durch „Besprechung“,13 also durch interaktive Kommunikation zum Ausgleich gebracht werden. Dies führt dazu, daß sich neben dem ,Begriffskern‘ ein sehr weiter ,Begriffshof‘ ergibt. Der Begriffskern ist das idealtypische Aushandeln, in dem beide Parteien Angebote ma9 Löwe, NJW 1977, 1328, 1329 stellt zwar an dieses Ergebnis weitere Anforderungen. Er leitet aus dem Wortlaut nämlich ab, daß beide Partner tatsächlich auf den resultierenden Inhalt des Vertrages Einfluß genommen haben müssen. Offenbar unterstellt er jedoch, daß dies eine Charakteristik des Verhandelns sei. Vgl. ders. in JuS 1977, 421, 423; Trinkner, BB 1977, 717. Ähnlich, allerdings nicht so explizit v. Westphalen, DB 1977, 943, 945. Dagegen mit Recht Jaeger, NJW 1979, 1569, 1570 m. w. N.; Wolf, NJW 1977, 1937, 1939 und v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1127, die an den Aushandelnsprozeß weitere Anforderungen stellen, die das Verhandeln übersteigen. 10 BGH NJW 1988, 410 (m. w. N. zur „feststehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung“); 1991, 1678, 1679; 2000, 1110, 1111; OLG-Schleswig, NJW 1990, 394; Prot. der 97. Sitzung der 7. Wahlperiode des Rechtsausschusses des Bundestags, S. 87 ff.; Löwe, NJW 1977, 1328, 1329; v. Falkenhausen, BB 1977, 1124, 1127, nach dem Aushandeln aber nur eine intensivere Form des Verhandelns ist. 11 Ähnlich auch Jaeger, NJW 1979, 1569, 1571. Vgl. dazu auch den Wortlaut des § 852 Abs. 2 BGB, der Verhandlungen als Tatbestandsmerkmal für eine Hemmung der Verjährung von deliktischen Ansprüchen normiert. Hier wird „Verhandlung“ denkbar weit ausgelegt, es kommt nur darauf an, daß ein Anspruch nicht völlig abgelehnt wird, sondern daß darüber gesprochen wird, d. h. ein Meinungsaustausch stattfindet (vgl. Erman-Schiemann, § 853 Rn. 22). Auch in dieser Hinsicht ist Aushandeln mehr als Verhandeln. 12 Dies geht auch deutlich aus dem Bericht der Sachverständigenkommission (1996) S. 124 hervor. 13 Siehe oben Fn. 1.

§ 3 Der Wortlaut (grammatische Auslegung)

63

chen, auf Angebote des Gegners mit Einwänden oder Gegenforderungen reagieren und ihre Angebote entsprechend den zutage tretenden Interessen des Gegners soweit nachbessern, bis beide Seiten mit dem Erzielten zufrieden sind. Der Begriffshof geht jedoch viel weiter, nämlich von der ,Basar-Verhandlung‘, die nahezu ritualisierte Konzessionen ohne besonderen Sachbezug auf beiden Seiten voraussetzt, bis zum gewöhnlichen Vertragsschluß. Letzterer stellt ebenfalls eine interaktive Kommunikation bestehend aus Angebot und Annahmeerklärung dar. Vom Wortlaut her könnten lediglich Verträge, die unter Verzicht auf den Zugang der Annahmeerklärung zustande gekommen sind (§ 151 BGB), ausgenommen werden sowie evtl. Verträge durch konkludente Erklärungen, wenn man darin das Kommunikationselement nicht hinreichend verwirklicht sieht. Auf der Ebene des Wortlauts läßt sich somit noch keine eindeutige Bestimmung des Begriffs ,ausgehandelt‘ vornehmen.

2. Mögliche Begriffsbestimmungen Der Begriffshof kann jedoch in einzelne Abstufungen zwischen weitem und engem Begriff des Aushandelns unterteilt werden. Die auf den einzelnen Stufen jeweils in Betracht kommenden Begriffsbestimmungen können typisierend angegeben werden: a) Am weitestgehenden wäre es, das Aushandeln mit einem gewöhnlichen Vertragsschluß (der auch AGB einbeziehen kann) gleichzusetzen und somit für eine ausgehandelte Bedingung keine über §§ 145, 147 BGB hinausgehenden Bedingungen zu fordern. b) Etwas enger wäre es, jeden Vertragsschluß nach §§ 145, 147 BGB als ,ausgehandelt‘ zu werten, bei dem beide Seiten positive Kenntnis vom Inhalt der Vertragsbedingung haben. c) Wiederum enger wäre es, Aushandeln zu definieren als Vertragsschluß, der keine AGB einbezieht. d) Auch die Stufe c) könnte eingeengt werden durch das zusätzliche Erfordernis positiver Kenntnis vom Inhalt der Vertragsbedingungen. e) Die folgende Stufe wäre, Aushandeln als Vertragsschluß zu definieren, dem keine vorformulierten Bedingungen zugrunde liegen. f) Auch die Stufe e) könnte durch das zusätzliche Erfordernis positiver Kenntnis vom Inhalt der Vertragsbedingungen eingeengt werden. g) Aushandeln könnte auch einen Vertragsschluß mit der Möglichkeit der Einflußnahme auf den Inhalt der Vereinbarung durch beide Parteien bedeuten.

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

h) Der Begriff des Aushandelns wäre am engsten, wenn eine ausgehandelte Bedingung nur dann angenommen würde, wenn beide Vertragsparteien tatsächlich den Inhalt der Vereinbarung beeinflußt haben. Die grammatische Auslegung läßt somit die angeführten Fallgruppen als mit dem Wortlaut im weitesten Sinne vereinbar erscheinen. Welche der Fallgruppe die korrekte Begriffsbestimmung des Aushandelns enthält, kann auf der Basis der Wortlautauslegung nicht ermittelt werden.

§ 4 Das Verständnis des historischen Gesetzgebers (historisch-genetische Auslegung) Zur Präzisierung der Ergebnisse der Wortlautauslegung ist die Bedeutung zu ermitteln, die der historische Gesetzgeber der Norm beigemessen hat.

I. Gegensatz zu AGB und vorformulierten Bedingungen 1. AGB-Festigkeit Der Regierungsentwurf versteht das Aushandeln als Differenzierungskriterium „zwischen formularmäßig gestellten Vertragsbedingungen und Individualvereinbarungen“14 und charakterisiert diese Regelungsart als „AGB-Festigkeit“15. Die gesetzliche Regelung sei „gänzlich einer formularmäßigen Abbedingung entzogen“16. Dieser Sichtweise schließt sich der Rechtsausschuß an.17 Sie wird auch von den Rednern anläßlich der zweiten und dritten Lesung im Bundestag geteilt.18 Die historische Auslegung ergibt somit zunächst, daß eine ,im einzelnen ausgehandelte‘ Vertragsbedingung zumindest eine Bedingung ist, die nicht in AGB enthalten ist.

14 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (r. Sp.). 15 Ebd. (Fn. 14), vgl. auch ebd. S. 115 (r. Sp.). 16 Ebd. (Fn. 14). 17 BT-Drs. 13 / 10014 vom 04. 03. 1998, S. 46: „. . . sollen der Vertragsfreiheit nur bei Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen Grenzen gesetzt werden.“ S. 50: „. . . die haftungsrechtlichen Vorschriften in vollem Umfang modifizieren, wenn sie eine Individualvereinbarung getroffen haben.“ 18 Vgl. Pick, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20389 (B); Braun, ebd. S. 20390 (D).

§ 4 Verständnis des historischen Gesetzgebers (historisch-genetische Auslegung)

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2. Vorformulierte Bedingungen? Nicht im gleichen Maße deutlich geht aus den Materialien hervor, daß auch vorformulierte Vereinbarungen, die nicht für mehrfache Verwendung bestimmt sind, ,nicht ausgehandelt‘ sind. Vom Schlagwort „AGB-Festigkeit“ wird diese Klauselform nämlich nicht umfaßt. Allerdings entfalten für den Einzelfall vorformulierte Klauseln im vermassten Transportgeschäft neben AGB kaum Bedeutung.19 So geht der Regierungsentwurf offenbar von einer Einbeziehung aus, was sich daran zeigt, daß er eine Anknüpfung an das Merkmal ,vorformulierte Vertragsbedingungen‘ nur aus Praktikabilitätsgründen verwirft.20 An anderer Stelle begreift er die AGBFestigkeit als Reaktion auf die typische Anfälligkeit „gegenüber der Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen“.21 Deutlicher wird der Rechtsausschuß.22

3. Zwischenergebnis Aufgrund der historisch-genetischen Auslegung läßt sich die Aussage treffen, daß eine ausgehandelte Vertragsbedingung weder AGB noch vorformulierte Bedingung ist bzw. daß sie diese Eigenschaft verloren hat. Die Fallgruppen c) und e) der im Rahmen der grammatischen Auslegung23 ermittelten Auslegungsmöglichkeiten scheiden somit aus. II. Abgrenzung von AGB bzw. vorformulierten Bedingungen Mit obiger Feststellung ist jedoch noch keine genauere Aussage über das Tatbestandsmerkmal ,Aushandeln‘ getroffen. Es ist dafür weiterhin die Konkretisierung erforderlich, wann eine Vertragsbedingung in diesem Sinne vorformuliert ist (was im folgenden AGB einschließt) bzw. wodurch eine vorformulierte Vertragsbedingung diesen Charakter verliert. 1. Verweis auf den herkömmlichen AGB-Begriff? Man könnte zunächst annehmen, der Gesetzgeber habe diese Konkretisierung den AGB-rechtlichen Bestimmungen (§ 1 AGBG, jetzt § 305 BGB) überlassen wollen. Dagegen spricht jedoch, daß eine Anknüpfung „an die in § 1 Abs. 1 AGBG Vgl. ebd. (Fn. 14) S. 115 (r. Sp.). Ebd. (Fn. 14). 21 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 115 (r. Sp.). 22 BT-Drs. 13 / 10014 vom 04. 03. 1998, S. 46: „. . . sollen der Vertragsfreiheit nur bei Verwendung vorformulierter Vertragsbedingungen grenzen gesetzt werden.“ 23 Siehe oben unter § 3 III. 2. (S. 63). 19 20

5 Pfeiffer

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

enthaltene Legaldefinition Allgemeiner Geschäftsbedingungen, etwa durch die Verwendung des Begriffs ,vorformulierte Vertragsbedingungen‘,“ ausdrücklich abgelehnt wird.24 Ferner wird von „wachsenden Rechtsunsicherheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten im Zusammenhang mit dem herkömmlichen AGB-Begriff“ gesprochen.25 Dies läßt es naheliegend erscheinen, daß der Gesetzgeber dem „herkömmlichen“ AGB-Begriff einen eigenen entgegensetzen möchte. Es widerspräche somit dem Verständnis des historischen Gesetzgebers, bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,Aushandeln‘ dennoch in erster Linie auf den herkömmlichen AGB-Begriff – insbesondere den Begriff der ,vorformulierten Vertragsbedingungen‘ – abzustellen. 2. Verweis auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns? Dagegen erscheint eine Bezugnahme des Gesetzgebers auf § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) näherliegend. Der Wortlaut des § 449 Abs. 2 S. 1 HGB sei § 1 Abs. 2 AGBG entlehnt worden, denn diese Vorschrift habe sich in der Praxis bewährt.26 Dies spricht zunächst dafür, daß der historische Gesetzgeber das transportrechtliche Aushandeln im Sinne des AGB-rechtlichen verstanden wissen wollte. Somit wäre eine Verweisung auf den Meinungsstand27 zur Begriffsbestimmung des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG anzunehmen. Eine solche Verweisung geht aus den Gesetzesmaterialien jedoch nicht eindeutig hervor: Nur die Formulierung ist dem § 1 Abs. 2 AGBG entlehnt.28 Der Gesetzgeber verfolgt mit der Anknüpfung an das Tatbestandsmerkmal ,Aushandeln‘ vielmehr eigene rechtspolitische Zielsetzungen.29 Daher ist zumindest eine fließende Verweisung auf § 1 Abs. 2 AGBG nicht vereinbar, da bei einer Änderung des Meinungsstandes nicht mehr gewährleistet ist, ob diesen rechtspolitischen Zielsetzungen noch genügt wird. Aber auch eine statische Verweisung auf den damaligen Meinungsstand zu § 1 Abs. 2 AGBG ist nicht anzunehmen. Aus den Materialien geht nämlich keine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Meinungsstand hervor, außer daß sich die Regelung bewährt habe. Vielmehr läßt der Gesetzgeber eigene Vorstellungen vom Aushandeln erkennen, nämlich daß Verhandlungen derart stattgefunden haben, daß die Annahme gerechtfertigt ist, die Parteien hätten in diesem Rahmen ihre jeweiligen Interessen einbringen können.30 24 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 f. 25 Ebd. (Fn. 24) S. 87 (l. Sp.). 26 Ebd. (Fn. 24) S. 87 (l. Sp.) zu § 448 E. 27 Dieser wurde bereits oben unter § 1 I. 1. b), S. 32 ff. dargestellt. 28 Ebd. (Fn. 24) S. 87 (l. Sp.). 29 Vgl. ebd. (Fn. 24) S. 87 (l. Sp.). 30 Ebd. (Fn. 24) S. 87 (l. Sp.).

§ 4 Verständnis des historischen Gesetzgebers (historisch-genetische Auslegung)

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3. Zwischenergebnis: Anlehnung an den AGB-rechtlichen Begriff Die historische Auslegung spricht nicht für eine Verweisung auf die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns. Der Begriff des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB ist somit eigenständig. Natürlich kann die enge Verbindung mit dem AGB-rechtlichen Begriff nicht geleugnet werden. Der transportrechtliche Begriff des Aushandelns lehnt sich somit aus historischer Sicht an den AGB-rechtlichen an. III. Übernahme der Kerngedanken des § 1 Abs. 2 AGBG Die AGB-rechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns wird somit nicht vollständig übernommen, sondern lediglich ihre Kerngedanken, d. h. die Elemente, die dem historischen Gesetzgeber vor Augen schwebten, als er die Formulierung der ,bewährten Regelung‘ übernommen hat. Ein Grundgedanke, der auch aus den Materialien hervorgeht,31 ist zunächst, daß es für die Beurteilung, ob eine Vertragsbedingung ausgehandelt ist, nicht auf eine (objektive) Bewertung ihres Inhalts ankommen kann. Ferner manifestiert sich der Kerngehalt des § 1 Abs. 2 AGBG in der von Rechtsprechung und Literatur geteilten Ansicht, nach der ein Aushandeln dann vorliegt, „wenn der Verwender den in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthaltenen „gesetzesfremden“ Kerngehalt, also die den wesentlichen Inhalt der gesetzlichen Regelung ändernden oder ergänzenden Bestimmungen, inhaltlich ernsthaft zur Disposition stellt und dem Verhandlungspartner Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen einräumt mit zumindest der realen Möglichkeit, die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen beeinflussen zu können.“32 Zwar ist im Transportrecht ein ,Verwender‘ oder eine vergleichbare Partei nicht stets zu ermitteln. Gesetzesfremd ist ferner jegliche Abweichung von den in § 449 (466) Abs. 1 HGB genannten Vorschriften und aus den Materialien wird nur ersichtlich, daß es auf die Möglichkeit beider Seiten ankommt, ihre Interessen einzubringen. Daher ist auf jeden Fall das Merkmal ,reale Einflußmöglichkeit auf die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingungen‘ als auf die transportrechtliche Begriffsbestimmung übertragenes Merkmal zu werten. Das Merkmal ,Abänderungsbereitschaft‘ ist dagegen vom historischen Gesetzgeber nicht so eindeutig angesprochen. Dies beruht evtl. auf den Schwierigkeiten, wie eine Abweichung vom Gesetz erreicht werden kann, wenn der, dem es darauf ankommt, gleichzeitig bereit sein muß, von der beabsichtigten Abweichung abzuEbd. (Fn. 24) S. 86 (r. Sp.). BGH NJW 1992, 2759, 2760 (m. w. N.); 1992, 1107 f.; 2000, 1110, 1111; NJW-RR 1996, 783, 787; WM 1998, 2297. 31 32

5*

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

sehen.33 Dennoch orientiert sich der Gesetzgeber wie gesagt an § 1 Abs. 2 AGBG. Somit ist davon auszugehen, daß auch das Kriterium der Abänderungsbereitschaft als Kerngehalt der AGB-rechtlichen Begriffsbestimmung – zumindest vom Grundsatz her – auf das Aushandeln in §§ 449, 466 HGB übertragen werden sollte. Die konkrete Ausgestaltung dieses Merkmals ist jedoch nicht mehr vom Kerngehalt des § 1 Abs. 2 AGBG umfaßt und somit aus dem Blickwinkel der historischen Auslegung offen.

IV. Ergebnis Im Rahmen der historischen Auslegung der §§ 449, 466 HGB stellt sich eine ausgehandelte Klausel als das Ergebnis von Verhandlungen dar, in deren Verlauf beide Parteien die reale Möglichkeit hatten, auf die inhaltliche Ausgestaltung der konkreten Vertragsbedingung Einfluß zu nehmen. Auf eine (objektive) Bewertung des Inhalts kommt es dabei nicht an. Im Rahmen der Verhandlung müssen sich die Parteien abänderungsbereit zeigen im Hinblick auf ihre vom Gesetz abweichenden Vorschläge. Bedingungen und Umfang dieser Abänderungsbereitschaft sind jedoch aus historisch-genetischer Sicht nicht determiniert. Die historisch-genetische Auslegung spricht somit für die Fallgruppe g), der im Rahmen der grammatischen Auslegung ermittelten,34 vom Wortlaut gedeckten Auslegungsmöglichkeiten, also dafür, daß es beim Aushandeln auf die Möglichkeit der inhaltlichen Einflußnahme ankommt.

§ 5 Der Normkontext (logisch-systematische Auslegung) Der Kontext, in den die Alternative des Aushandelns eingebunden ist, gestattet zwar keine positive Aussage über die Begriffsbestimmung des Aushandelns. Da jedoch zwischen einzelnen gesetzlichen Bestimmungen und erst recht einzelnen Teilen derselben Bestimmung eine sachliche Übereinstimmung angenommen werden kann,35 können aufgrund logischer Zusammenhänge Aussagen über das Aushandeln getroffen werden: Aufgrund von Negativabgrenzungen kann bei bestimmten Sachverhalten ein Aushandeln ausgeschlossen werden. Ferner sind Erst-Recht-Schlüsse möglich, die auf begrenztem Gebiet Aussagen über den Begriff des Aushandelns ermöglichen.

33 34 35

Vgl. dazu oben unter § 2 I. 2. b) cc), S. 52 ff. Siehe oben unter § 3 III. 2. (S. 63). Vgl. dazu Larenz (1991) Kap. 4 – 2.b (S. 325).

§ 5 Der Normkontext (logisch-systematische Auslegung)

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I. Aushandeln durch gewöhnlichen Vertragsschluß? Zunächst kann allein aus der Existenz der Alternative ,Aushandeln‘ geschlossen werden, daß die Voraussetzungen eines Vertragsschlusses durch Aushandeln sich von den allgemeinen Voraussetzungen, die an einen Vertragsschluß gestellt werden, unterscheiden. Da eine ausgehandelte Vereinbarung auch einen Vertrag darstellt und somit die allgemeinen Voraussetzungen für einen Vertragsschluß nicht unterschritten werden können, muß es sich bei den Voraussetzungen des Aushandelns um zusätzliche Anforderungen handeln. Aufgrund dieses Schlusses kann aus dem weiten Spektrum der durch den Wortlaut gedeckten Auslegungsmöglichkeiten zumindest diejenige ausgeschlossen werden, die schon bei einem gewöhnlichen Vertragsschluß ein Aushandeln annimmt (Fallgruppe a).36

II. Aushandeln und AGB Aus der Klarstellung in den das Aushandeln normierenden Vorschriften, daß eine ausgehandelte Vereinbarung auch für eine Mehrzahl gleichartiger Verträge zwischen denselben Vertragspartnern möglich sein kann (§§ 439 Abs. 4; 449 Abs. 2 S. 2 u. 3; 451h Abs. 2 S. 2 u. 3; 452d Abs. 2; 466 Abs. 2 S. 2 HGB), ergibt sich, daß ein Aushandeln stets zwischen den konkreten Vertragsparteien erfolgen muß. Daraus leitet sich die Negativabgrenzung ab, daß allgemeine Geschäftsbedingungen als solche37 keine im einzelnen ausgehandelten Bestimmungen darstellen können. Die konkreten Vertragsparteien müssen sich in Verhandlungen über den Vertragsinhalt geeinigt haben. Dies kann auch im voraus für eine Mehrzahl gleichartiger Verträge geschehen; die Gleichartigkeit des Regelungsproblems ist jedoch – anders als bei AGB – nicht das entscheidende, sondern die vorweggenommene konkrete Verhandlung über den Inhalt der Vertragsbedingung zwischen den Beteiligten.

III. Aushandeln durch Bezugnahme auf fremde Verhandlungen? Vor diesem Hintergrund kann auch eine Bezugnahme auf fremde Verhandlungen – z. B. auf zwischen Verbänden kollektiv ausgehandelte Vertragsbedingungen – nicht zu einer ausgehandelten Vereinbarung führen.38 Aushandeln setzt somit eine Verhandlung, d. h. eine kommunikative Interaktion, zwischen den konkreten Vertragsparteien voraus, die sich auf den Inhalt und nicht nur auf die Frage der Einbeziehung einer Klausel bezieht.

Siehe oben unter § 3 III. 2. (S. 63). Wenn man von dem theoretisch denkbaren Ausnahmefall absieht, daß die AGB nur im Verhältnis zu einem Vertragspartner eingesetzt werden sollen. 38 Basedow, TranspR 1998, 58, 63. 36 37

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

IV. Aushandeln und Vorformulierung Durch die Existenz der Alternative zum Aushandeln, einige Bestimmungen durch vorformulierte Vertragsbedingungen treffen zu können (§§ 449 Abs. 2 S. 2 u. 3; 451h Abs. 2 S. 2 u. 3; 452d Abs. 2; 466 Abs. 2 S. 2 HGB), wird deutlich, daß diese vorformulierten Bedingungen nicht grundsätzlich den Begriff des Aushandelns erfüllen. Andernfalls hätte diese Regelung keinen Sinn, weil sie keinen eigenen Regelungsgehalt besäße. Oben wurde schon festgestellt, daß AGB als qualifizierte Form vorformulierter Bedingungen in ihrer Eigenschaft als solche nicht ausgehandelt sein können. Aus dem Rückschluß aus den genannten Normen ergibt sich, daß Aushandeln mit einer Vorformulierung an sich unvereinbar ist, auch wenn diese nicht für eine Vielzahl von Fällen Anwendung findet oder nicht von einer Vertragspartei gestellt wird. Wenn man nämlich vorformulierte Vertragsbedingungen als ausgehandelt betrachtete, sobald sie nicht noch die zusätzlichen Merkmale von AGB aufwiesen, wäre eine Ausnahme vom Erfordernis des Aushandelns hinsichtlich der Haftungsmarge für diese Bedingungen gar nicht nötig; die ,Ausnahme‘ wirkte sich vielmehr widersinnigerweise39 als zusätzliche, erhöhte Anforderung (drucktechnisch deutliche Gestaltung) an das Aushandeln innerhalb der Marge aus. Vorformulierte Bedingungen sind somit nicht schon dann ausgehandelt, wenn sie die weiteren Voraussetzungen von AGB nicht erfüllen. An dieser Stelle ist es erforderlich, auf den Begriff der Vorformulierung einzugehen, der grundsätzlich AGB-rechtlich besetzt ist. Aus den oben zitierten Normen ergibt sich, daß eine Vorformulierung im Sinne dieser Normen grundsätzlich eine Verkörperung in einer vorbereiteten Endfassung des Vertrages voraussetzt, so daß sie „drucktechnisch deutlich“ gestaltet werden kann. Daher muß ,vorformuliert‘ in diesem Zusammenhang bedeuten, daß die Vertragsbedingung einseitig vor Verhandlungsbeginn inhaltlich entworfen und schon vor Verhandlungsbeginn in das Vertragsformular eingearbeitet wurde. Dies grenzt die Vorformulierung von vorbereiteten Vorschlägen ab, die lediglich als Verhandlungsgrundlage dienen, so daß mit Änderungen zu rechnen ist; in diesem Fall liegt nämlich eine vorherige drucktechnische Gestaltung des Vertragsformulars fern. Vorformulierte Bedingungen in diesem Sinne sind also Vertragsbedingungen, die inhaltlich mit einem Anspruch auf endgültige Geltung ohne Verhandlungsabsicht einseitig festgelegt sind. In dieser Weise vorformulierte Klauseln können somit nicht ,im einzelnen ausgehandelt‘ sein.

39 Daß aber hier gerade eine Ausnahme beabsichtigt ist und keine Statuierung einer besonderen, zusätzlichen Anforderung – der drucktechnisch deutlichen Gestaltung –, zeigt sich zum einen am Wortlaut „auch“. Zum anderen ergibt es sich daraus, daß sonst für weniger weitreichende Abweichungen innerhalb der angegebenen Marge zusätzliche Anforderungen bestünden, nicht jedoch für weiterreichende Abweichungen von der gesetzlichen Regelung.

§ 5 Der Normkontext (logisch-systematische Auslegung)

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V. Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite der Klausel 1. Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem Die Möglichkeit, anstelle des Aushandelns auch durch vorfomulierte Bedingungen von der gesetzlichen Regelung abzuweichen, erfährt eine bedeutende Einschränkung dadurch, daß dies zugunsten des Verwenders nur bei drucktechnisch deutlicher Gestaltung (§§ 449 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 u. S. 3; 451h Abs. 2 S. 4; 466 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 HGB) geschehen kann. Es ist kein anderer Zweck dieser Regelung zu erkennen, als die Kenntnisnahme des drucktechnisch deutlich gestalteten Vertragsinhalts durch die Vertragspartner sicherzustellen.40 Diese sollen sich Inhalt und Tragweite der Abweichung vom Gesetz vergegenwärtigen bevor sie den Vertrag abschließen. Die Möglichkeit durch drucktechnisch deutlich gestaltete vorformulierte Bedingungen von gesetzlichen Regelungen abzuweichen, ist eine Alternative zum Aushandeln (Wortlaut: „auch“). Eine entsprechende Abweichung muß somit auch durch ausgehandelte Bedingungen möglich sein. Wenn aber schon die Alternative, die Abweichungen vom Gesetz erleichtert,41 die Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite der vom Gesetz abweichenden Vertragsbedingung sicherstellt, so muß dies erst recht beim Aushandeln selbst gewährleistet sein. Weil kein Grund dafür ersichtlich ist, das Aushandeln von Haftungsgrenzen anders zu behandeln als das Aushandeln an sich, kann dieser Schluß auf das Aushandeln an sich verallgemeinert werden. Aushandeln muß somit ein Maß an Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem gewährleisten, das mindestens dem bei einem drucktechnisch deutlich gestalteten Formular entspricht.

2. Möglichkeit aufgrund des Aushandelns, Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung zur Kenntnis zu nehmen Dieser Schluß wird dadurch gestützt, daß durch drucktechnisch deutlich gestaltete, vorformulierte Vertragsbedingungen nur der zahlenmäßige Betrag der gesetzlichen Haftungsgrenzen, also eine einfach zu überblickende und zu gewichtende Größe, abgeändert werden kann (§§ 449 Abs. 2 S. 2 u. 3; 451h Abs. 2 S. 2 u. 3; 466 Abs. 2 S. 2 HGB): Wenn ohne Aushandeln lediglich einfach zu überblickende und zu gewichtende Größen abgeändert werden können, durch das Aushandeln 40 BGH, ZIP 2003, 576, 577; Koller (2000) § 449 Rn. 61 (jeweils mit weiteren Nachweisen, auch zur Gegenansicht). 41 Denn – wie oben (Fn. 39) festgestellt – dient die Alternative ,drucktechnisch deutlich gestaltete Vorformulierung‘ höchstens einer Erleichterung, nicht aber einer Verschärfung der Voraussetzungen (gegenüber dem Aushandeln), um vom Gesetz abzuweichen.

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

aber auch alle komplexeren Regelungen, muß durch das Aushandeln die Komplexität auf ein beherrschbares Maß reduziert werden. Demnach kann aus systematischer Sicht nur dann von einer ausgehandelten Vereinbarung gesprochen werden, wenn beide Vertragsparteien durch das Aushandeln die – das beim gewöhnlichen Vertragsschluß bestehende Mindestmaß übertreffende42 – Möglichkeit hatten, den Regelungsgehalt dieser Vereinbarung zu durchdringen und Kenntnis von ihrem Inhalt und ihrer Tragweite zu erlangen.

3. Verhältnis zum Ausschluß des Aushandelns bei Vorformulierung Wenn die Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung somit zwar eine Voraussetzung für eine ausgehandelte Vereinbarung ist, so handelt es sich dennoch nur um eine notwendige Bedingung. Daß es sich nicht auch um eine hinreichende Bedingung handelt, ergibt sich daraus, daß selbst bei einem ausreichenden Maß an Kenntnis lediglich Abweichungen von den Haftungsgrenzen in vorformulierten Bedingungen getroffen werden können. Außerhalb dieser Ausnahme führt die Kenntnis von Inhalt und Tragweite somit nicht zur Zulässigkeit von Abweichungen von den gesetzlichen Regelungen. Aus dem Aushandeln folgt somit Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem und Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung; die logisch-systematische Auslegung gestattet jedoch nicht den Umkehrschluß, daß aus derartiger Aufmerksamkeit und Kenntnis auch das Aushandeln folgt.

VI. Zusammenfassung Die logisch-systematische Auslegung kann keine eigenständige Begriffsbestimmung des Aushandelns leisten. Es sind jedoch Negativabgrenzungen möglich, die den weiten Begriffshof, den die Wortlautauslegung eröffnet hat, einengen. Zum einen können vorformulierte Bedingungen im Sinne von Vertragsbedingungen, die inhaltlich mit einem Anspruch auf endgültige Geltung ohne Verhandlungsabsicht einseitig festgelegt sind, nicht ausgehandelt sein. Dies betrifft nicht nur AGB, sondern auch Klauseln, die nicht für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert wurden. Zum anderen scheiden alle denkbaren Fälle von Verhandlungen aus, die nicht ein Maß an Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem gewährleisten, das der Aufmerksamkeit bei einer drucktechnisch deutlich gestalteten Formularklausel entspricht. Neben Aufmerksamkeit muß das Aushandeln auch die Erfassung von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung in einem gegenüber dem gewöhn42 Denn auch eine drucktechnisch deutliche Gestaltung vorformulierter Bestimmung übersteigt das in §§ 145, 147 BGB vorausgesetzte Mindestmaß.

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung

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lichen Vertragsschluß verstärktem Maße ermöglichen. Dies ist beim einzig an den Voraussetzungen der §§ 145, 147 BGB gemessenen gewöhnlichen Vertragsschluß nicht der Fall, auch wenn man diesen wegen der interaktiven Kommunikation aus Angebot und Annahme noch als Verhandlung bezeichnen wollte. Aufgrund der logisch-systematischen Auslegung sind somit sowohl der gewöhnliche Vertragsschluß, der die Voraussetzungen der §§ 145, 147 BGB nicht qualitativ übersteigt, als auch vorformulierte Vertragsbedingungen bzw. AGB als solche nicht als ausgehandelt zu bezeichnen. Ferner wurde ermittelt (V.3.), daß allein das Vorhandensein von Kenntnis über Inhalt und Tragweite des Vertragsschlusses nichts an diesem Ergebnis ändert, da es sich hierbei lediglich um eine notwendige, nicht jedoch auch um eine hinreichende Bedingung für das Aushandeln handelt. Die im Rahmen der grammatischen Auslegung ermittelten43 Fallgruppen a) bis f) scheiden somit vor dem Hintergrund der logisch-systematischen Auslegung aus.

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung (Rechtsordnungssystematik) Anhaltspunkte für eine weitere Präzisierung der Begriffbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB könnten weiterhin aus anderen Teilen der (Zivil-)Rechtsordnung gewonnen werden, die Parallelen mit den hier betrachteten Normen aufweisen. Es kann nämlich mangels entgegenstehender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden, daß die Rechtsordnung vergleichbare Fälle gleich behandelt (Einheit der Rechtsordnung). Dabei ist neben dem schon erwähnten § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) an Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 93 / 13 / EWG sowie an §§ 51a BRAO, 45a PatAnwO, 67a StBerG, 54a WPO zu denken.

I. Art. 3 Abs. 2 der Richtlinie 93 / 13 / EWG des Rates vom 05. 04. 199344 Dem Art. 3 Abs. 2 RiLi könnte eine Legaldefinition von ,nicht ausgehandelt‘ entnommen werden. In Art. 3 Abs. 1 RiLi wird eine Inhaltskontrolle eröffnet für Siehe oben unter § 3 III. 2. (S. 63). EG-Amtsblatt Nr. L 95, S. 29 ff. vom 21. 04. 1993, im weiteren „RiLi“. Da Richtlinien grundsätzlich keine unmittelbare Wirkung in den Mitgliedsstaaten besitzen, sei im folgenden auch auf § 24 a AGBG eingegangen, der die hier interessierende Bestimmung ins deutsche Recht transformiert. Allerdings kann in diesem Rahmen auf das inhaltliche Verhältnis zwischen beiden Normen nicht abschließend eingegangen werden, sondern nur insoweit, wie dies Auswirkungen auf den europäischen Aushandelnsbegriff hat. Zum deutschen Aushandelnsbegriff siehe oben. 43 44

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

alle Klauseln, die „nicht im einzelnen ausgehandelt wurden“. In Abs. 2 S. 1 wird dazu normiert: „Eine Vertragsklausel ist immer dann als nicht im einzelnen ausgehandelt zu betrachten, wenn sie im voraus abgefaßt wurde und der Verbraucher deshalb, insbesondere im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keinen Einfluß auf ihren Inhalt nehmen konnte.“45

1. Parallele zu §§ 449, 466 HGB Grundsätzlich ist davon auszugehen, daß die Rechtsordnung gleiche Fälle gleich behandelt. Art. 3 Abs. 2 RiLi benutzt in der deutschen Sprachfassung46 sogar dieselbe Terminologie wie §§ 449, 466 HGB. Im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung ist – solange keine anderen Anhaltspunkte dagegen sprechen – anzunehmen, daß das gleiche Wort in verschiedenen Normen die gleiche Bedeutung haben soll.47 a) Art. 3 Abs. 2 RiLi als Bestandteil der deutschen Rechtsordnung Hier könnte dieser Annahme zunächst entgegenstehen, daß die Richtlinie kein unmittelbar in Deutschland geltendes Recht enthält. Allerdings stellt sie dennoch einen Bestandteil der Rechtsordnung dar, da sie den deutschen Gesetzgeber bindet und weiterhin als Basis für eine richtlinienkonforme Anwendung des deutschen Rechts dient. Es bestand bei der Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht anerkanntermaßen nur ein begrenzter Anpassungsbedarf des AGBG.48 Hinsichtlich des Art. 3 Abs. 2 RiLi mußte lediglich die Inhaltskontrolle für alle vorformulierten Bedingungen gewährleistet werden, was durch § 24a Nr. 1 und 2 AGBG erreicht wurde. Beim Vorliegen von AGB i.S.v. § 1 Abs. 1 AGBG ist § 24a AGBG jedoch hinsichtlich der Eröffnung der Inhaltskon45 In anderen hier beachtete Amtssprachen: A term shall always be regarded as not individually negotiated where it has been drafted in advance and the consumer has therefore not been able to influence the substance of the term, particularly in the context of a pre-formulated standard contract. Une clause est toujours considérée comme n’ayant pas fait l’objet d’une négociation individuelle lorsqu’elle a été rédigée préalablement et que le consommateur n’a, de ce fait, pas pu avoir d’influence sur son contenu, notamment dans le cadre d’un contrat d’adhésion. Si considera che una clausola non sia stata oggetto di negoziato individuale quando è stata redatta preventivamente in particolare nell’ambito di un contratto di adesione e il consumatore non ha di conseguenza potuto esercitare alcuna influenza sul suo contenuto. Fundstelle: „http://europa.eu.int(/smartapi / cgi / sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEX numdoc&lg=de&numdoc=31993L0013&model=guichett)“ 46 Die Terminologie anderer Amtssprachen ist vergleichbar: „individually negotiated“, „négociation individuelle“ oder „negoziato individuale“. 47 Zippelius (1999) § 10.III.a (S. 53). 48 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 24a Rn. 6 (m. w. N.).

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung

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trolle nicht einschlägig.49 Der Transformationsgesetzgeber hat somit § 1 Abs. 2 AGBG als hinreichend für die Regelung des Anwendungsbereichs der Inhaltskontrolle angesehen.50 Die ,europäische‘ Begriffsbestimmung hat daher insoweit Bedeutung für die deutsche Rechtsordnung, als daß sie den Mindestschutz (Art. 8 RiLi) festlegt und somit bei der (richtlinienkonformen) Auslegung des § 1 Abs. 2 AGBG zur Anwendung gelangt. Dies bedeutet, Vertragsbestimmungen, die nach Art. 3 Abs. 2 RiLi nicht ausgehandelt sind, dürfen im Rahmen des § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) nicht als ausgehandelt gewertet werden. Die Definition von ,nicht ausgehandelt‘ in Art. 3 Abs. 2 RiLi ist insoweit Bestandteil der deutschen Rechtsordnung geworden und kann daher zur rechtsordnungssystematischen Auslegung herangezogen werden.51 Dies kann auch außerhalb des § 1 Abs. 2 AGBG geschehen, da bei der rechtsordnungssystematischen Auslegung nur auf die Rechtsgedanken abgestellt wird, die anderen Teilen der Rechtsordnung zugrunde liegen. Mit diesen Rechtsgedanken muß sich nämlich die Regelung der §§ 449, 466 HGB in Einklang befinden, wenn nicht sachliche Differenzierungsgründe ein Abweichen davon rechtfertigen.52

b) Art. 3 Abs. 2 RiLi als reine Verbraucherschutznorm? Als derartiger Differenzierungsgrund drängt sich auf den ersten Blick die Tatsache auf, daß sich Art. 3 Abs. 2 RiLi ausdrücklich nur auf Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern bezieht. Beim transportrechtlichen Aushandeln stehen sich jedoch zwangsläufig zwei Unternehmer gegenüber (arg. § 449 (466) Abs. 1 HGB). Diese sind aber weniger schutzwürdig als Verbraucher. Daher kann a maiore ad minus nur ein Erst-Recht-Schluß53 in Frage kommen: Vereinbarungen, die nach Art. 3 Abs. 2 RiLi ausgehandelt sind, müssen erst recht auch zwischen Unternehmern als ausgehandelt gelten. Es ist deswegen im folgenden zu ermitteln, wann eine Vertragsbedingung im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 RiLi ,ausgehandelt‘ ist.

§ 24a Nr. 3 AGBG bezieht sichlediglich auf den Maßstab der Inhaltskontrolle. Erman-Werner § 24a AGBG Rn. 35. 51 Basedow, TranspR 1998, 58, 63, der eine fließende Verweisung in § 448 E-HGB auf § 1 Abs. 2 AGBG annimt, weist ausdrücklich darauf hin, daß die Rechtsprechung des EuGH zu dieser RiLi Bedeutung für § 448 E-HGB erlange. 52 Larenz (1991) Kap. 4 – 2.b (S. 325). nimmt eine „sachliche Übereinstimmung“ zwischen den einzelnen Gesetzesbestimmungen an. 53 Dieser Schluß muß an dieser Stelle noch unter dem Vorbehalt gestellt werden, daß das Aushandeln in §§ 449, 466 HGB nicht anderweitige Schutzzwecke verfolgt als den Schutz vor mißbräuchlicher Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltung. Eingehend zum Schutzzweck unter 3. Teil, S. 105 ff. 49 50

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

2. Charakter des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi als Legaldefinition? Die Richtlinie erläutert den Begriff des Aushandelns in ihrem Art. 3 Abs. 2 S. 1 nur negativ, in dem sie eine Aussage darüber trifft, wann eine Vertragsbedingung nicht ausgehandelt ist. Von großer Bedeutung ist somit, welchen Charakter diese Aussage hat: Es könnte sich zum einen um eine Art Regelbeispiel bzw. eine gesetzliche Vermutung handeln. Zum anderen könnte Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi eine abschließende (negative) Definition des Aushandelns dahingehend enthalten, daß ein Aushandeln immer dann vorliegt, wenn der Tatbestand des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi nicht erfüllt ist. Letzteres würde den hier angestrebten Erst-Recht-Schluß begünstigen, weil damit die eindeutige Aussage getroffen werden könnte, daß höchstens dann kein Aushandeln vorliegt, wenn aufgrund vorheriger Abfassung keine Einflußmöglichkeit auf den Inhalt einer Klausel bestand. Den Charakter als Legaldefinition hat wohl54 der deutsche Transformationsgesetzgeber angenommen,55 was sich in § 24a Nr. 2 AGBG offenbart. Für eine solche Auslegung spreche neben der Entstehungsgeschichte56 insbesondere die Systematik der Vorschrift, denn es besteht eine deutliche Trennung zwischen Kontrollmaßstab (Abs. 1) und sachlichem Anwendungsbereich (Abs. 2).57 Dem Wortlaut hingegen läßt sich nicht zweifelsfrei entnehmen, daß es sich um eine abschließende Definition handelt:58 In Art. 3 Abs. 2 RiLi heißt es zunächst „ist . . . als nicht . . . ausgehandelt zu betrachten“59 und nicht „ist nicht ausgehandelt“. Es bleibt demnach weiterhin Frage der ,Betrachtungsweise‘ (d. h. der Jurisprudenz überlassen), was als ausgehandelt i. S. d. Abs. 1 zu betrachten ist; lediglich unter den Voraussetzungen des Abs. 2 ist keine andere Sichtweise normkonform. Dafür spricht auch die Wortwahl „immer dann“60 anstelle von „nur dann“. „Immer dann“ trifft eine logische Aussage über die Voraussetzungs- (bzw. Tatbestands-) Seite, nämlich daß die Erfüllung dieser Voraussetzung zwangsläufig zu einer bestimmten (und niemals zu einer anderen) Folge führt. Dagegen trifft „nur 54 Anzumerken ist dazu jedoch, daß § 24a Nr. 2 AGBG zunächst „vorformulierte Vertragsbedingungen“ voraussetzt, wobei das Verhältnis zu „im voraus abgefaßt“ nicht geklärt ist. Während letzteres vom Wortlaut her offenbar eine zeitliche Dimension hat, kann die Interpretation von „vor-formuliert“ auch Elemente des „vorgebens“, „vorschreibens“ beinhalten, so daß die deutsche Regelung auch als enger ausgelegt werden könnte als Art. 3 Abs. 2 RiLi. 55 So Wolf, FS-Brandner (1996) S. 302; Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 22. 56 Habersack / Kleindiek / Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1671. 57 Klaas, FS-Brandner (1996) S. 252; Habersack / Kleindiek / Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1671. 58 Klaas, FS-Brandner (1996) S. 253. 59 Dies gilt auch für andere Amtssprachen, vgl. „be regarded as not individually negotiated“, „considérée comme n’ayant pas fait l’objet d’une négociation individuelle“, „si considera che una clausola non sia stata oggetto di negoziato individuale“. 60 Diese Wortwahl wird auch in anderen Amtssprachen benutzt: „always . . . where“; „toujours . . . lorsque“; anders jedoch z. B. die italienische Fassung „Si considera che una clausola non sia stata oggetto di negoziato individuale quando . . .“

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung

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dann“ eine Aussage über die Folge, nämlich daß diese Folge ohne bestimmte Voraussetzungen nie eintritt, also auch nicht unter anderen Voraussetzungen. Die Form, die als einzige den Umkehrschluß zwischen Voraussetzung und Folge zuläßt, lautet: „dann und nur dann“. Sicherlich kann der Umkehrschluß in den anderen Fällen im konkreten Einzelfall richtig sein, man kann dies aber nicht mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit aus der Formulierung ableiten.61 Die logische Auslegung der RiLi ergibt somit, daß sich lediglich die Aussage treffen läßt, daß eine Klausel nie ausgehandelt sein kann, wenn aufgrund vorheriger Abfassung keine Einflußmöglichkeit auf den Inhalt dieser Klausel bestand. Selbst wenn der Richtliniengeber „dann und nur dann“ gemeint hätte, so macht die sprachliche Fassung doch deutlich, daß der Aspekt der abschließenden Definition (die zumindest formal eine Einschränkung des Begriffes „nicht ausgehandelt“ bedeutet) zurücktritt hinter dem Aspekt der Ausnahmslosigkeit – und damit gerade dem Schutz vor Einschränkungen des Begriffs – von „nicht ausgehandelt“ unter den in Abs. 2 genannten Umständen. Dafür spricht auch die (grundsätzliche) Zuordnung der Beweislast zum Verbraucher; dieser soll gerade geschützt werden, so daß ihm die Berufung auf andere Umstände aus rechtspolitischen Gründen nicht versagt werden sollte.62 Dem wird allerdings Art. 4 RiLi entgegengehalten, der erst (fraglich) die Beurteilung der Mißbräuchlichkeit an die Berücksichtigung u. a. der Umstände des Vertragsschlusses knüpft. Daraus wird abgeleitet, daß Umstände des Vertragsschlusses bei der Frage des Anwendungsbereichs nicht berücksichtigt werden dürften.63 Auch dieser Schluß besitzt ein gewisses Maß an Plausibilität, ist jedoch ebenfalls nicht logisch zwingend. Art. 3 Abs. 2 RiLi zeigt ja selbst, daß auch bezüglich der Frage des Anwendungsbereichs an die konkreten Umstände des Vertragsschlusses (Aushandeln oder nicht) angeknüpft wird. Der Begriff „im einzelnen ausgehandelt“ impliziert schon ein Anknüpfen an konkrete Umstände des Vertragsschlusses, einer Klarstellung wie für den Kontrollmaßstab bedarf es hier nicht. Art. 4 RiLi stellt dagegen lediglich klar, daß auch bei der Mißbrauchskontrolle ein konkret-individueller Maßstab anzulegen ist. Dies war – zumindest im Vergleich zum deutschen Recht, § 9 AGBG (jetzt § 307 Abs. 1 BGB) – eine wesentliche Neuerung, die der ausdrücklichen Klarstellung bedurfte – so geschehen in § 24a Nr. 3 AGBG (jetzt § 310 Abs. 3 Nr. 3 BGB). Ferner spricht auch die Tatsache, daß die Richtlinie den Schutz an den Begriff des Nicht-Aushandelns64 anknüpft, und v.a. der Normzweck, das Ausnutzen ein61 Dafür spricht auch nicht der italienische Wortlaut (s. Fn. 60), da auch „quando“ nicht ausdrücklich „dann und nur dann“ bedeutet. 62 Wolf, FS-Brandner (1996) S. 301; vgl. auch Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a, Rn. 48. 63 Siehe bei Habersack / Kleindiek / Wiedenmann, ZIP 1993, 1670, 1671. 64 Ansonsten hätte Abs. 1 lauten können: „Eine Vertragsklausel, auf deren Inhalt der Verbraucher aufgrund der vorherigen Abfassung, insb. im Rahmen eines vorformulierten Standardvertrags, keine Einflußmöglichkeit hatte, ist als mißbräuchlich anzusehen . . .“

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

seitiger Vertragsgestaltungsmacht zu verhindern, dagegen, neben Abs. 2 keine weiteren Fälle nicht ausgehandelter Klauseln zuzulassen.65 Etwas anderes würde nur gelten, wenn alle teleologisch relevanten Fälle vom Tatbestand der Richtlinie umfaßt wären. Wenn nämlich im Rahmen der teleologischen Auslegung alle relevanten Fälle schon im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 RiLi vom Aushandeln ausgeschlossen wären, stellte dieser zumindest faktisch eine abschließende Definition dar. Es ist somit zunächst der materielle Gehalt des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi zu ermitteln. 3. Der Tatbestand des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi a) Vorheriges Abfassen Erste Voraussetzung des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi ist, daß die Klausel „im voraus abgefaßt wurde“. Dies erscheint zunächst als rein formales Merkmal66, das eine zeitliche Dimension anspricht.67 Nicht deutlich wird aus dem Wortlaut68 jedoch, vor welchem Zeitpunkt der Inhalt der Klausel niedergelegt sein muß.

aa) Grundvoraussetzung vor Vertragsschluß Logisch gesehen kann eindeutig festgestellt werden, daß „im voraus“69 vor dem Vertragsschluß liegen muß. Der Vertragsschluß ist der letztmögliche Zeitpunkt für die Gestaltung des Vertragsinhalts, so daß dieser Punkt nicht „im voraus“ von etwas liegen kann. Dies könnte ein Ansatzpunkt sein, um wenigstens negativ den Begriff „im voraus“ näher zu bestimmen. Dazu muß festgestellt werden, unter welchen Bedingungen die inhaltliche Gestaltung einer Klausel genau im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vorgenommen wird. Der Vertragsschluß ist die vertragliche Einigung; die inhaltliche Klauselgestaltung müßte also im Rahmen der Einigung selbst vorgenommen werden. Dies ist nur dann der Fall, wenn sie von beiden Vertragsparteien gemeinsam vorgenommen wird.70 In dem Moment, in dem sich die Parteien über einen Klauselinhalt – Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 23 (m. w. N.). Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 12. 67 von Westphalen, BB 1996, 2101, 2102; Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 12; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn. 23; ders. FS-Brandner (1996), S. 302 f. 68 Weder aus dem deutschen noch aus Wortlaut in anderen Amtssprachen, vgl. Fn. 45, S. 74. 69 Bzw. „in advance“, „préalablement“ oder „preventivamente“. 70 Dieser idealtypische Fall des Aushandelns wird freilich sehr selten tatsächlich vorkommen, etwa wenn sich die Verhandlungspartner nur mit einem Problemkatalog in die Verhand65 66

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung

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und nicht nur darüber, daß eine bestimmte Klausel in den Vertrag einbezogen werden soll – einigen, der dann unverändert Vertragsbestandteil wird, haben sie diesbezüglich wertungsmäßig den Vertrag schon abgeschlossen. Jede beidseitige Inhaltsgestaltung – deren Vollendung somit der vertraglichen Einigung gleichkommt – einer Klausel geschieht daher quasi im Zeitpunkt des Vertragsschlusses. Dies ist jedoch logisch der spätest mögliche Zeitpunkt, also kann dies nicht „im voraus“ sein. Weil also nur dann der Zeitpunkt der Inhaltsgestaltung einer Klausel auch der Vertragsschluß ist, wenn beide Seiten an ihrer Abfassung beteiligt sind – denn sonst könnten sie sich nicht über die Gestaltung, sondern nur über die Einbeziehung einigen –, kann man daraus ableiten, daß dann und nur dann eine Klausel nicht im voraus abgefaßt wurde, wenn sie beidseitig formuliert ist. Dies besagt auch, daß nur einseitig gestaltete Klauseln „im voraus abgefaßt“ sein können. Die logische Auslegung ergibt also, daß „im voraus abgefaßt“ auf jeden Fall einseitig abgefaßt sein muß. Damit ist aber lediglich eine notwendige Bedingung ermittelt; ob damit das Merkmal „im voraus“ hinreichend definiert ist, ist offen. Daher ist auch der frühestmögliche Zeitpunkt des Abfassens zu ermitteln. Wenn nämlich der Begriff „im voraus“ zeitlich zu begreifen ist, hätte er keinen Anwendungsbereich, wenn der frühestmögliche Zeitpunkt von diesem Begriff nicht umfaßt würde. bb) Vor dem ersten vertragsgerichteten Kontakt Der frühestmögliche Zeitpunkt für die Inhaltsgestaltung liegt vor dem ersten Kontakt71 der Vertragsparteien. Es kann also mit Sicherheit festgestellt werden, daß bis zu diesem Zeitpunkt formulierte Klauseln auf jeden Fall im voraus abgefaßt sind. Dies stimmt auch mit der obigen Negativdefinition überein, denn eine Klausel, die vor jedem Kontakt der Beteiligten abgefaßt wurde, ist auf jeden Fall einseitig gestaltet worden. Fraglich ist, ob dieser Zeitpunkt nun der ausschließliche ist, oder ob auch noch zwischen vertragsgerichteter Kontaktaufnahme und Vertragsschluß Klauseln „im voraus abgefaßt“ werden können, was zwar logisch nicht auszuschließen, allerdings auch nicht zu belegen ist. Es zeigt sich somit, daß das Kriterium „im voraus abgefaßt“ kein rein formales ist, sondern zur abschließenden Konkretisierung Wertungen erfordert, also normative Elemente enthält. Es ist nämlich im folgenden zu untersuchen, ob für die Zeitpunkte nach vertragsgerichteter Kontaktaufnahme eine andere Behandlung gerechtfertigt ist, als für die Zeitpunkte vor dem ersten Kontakt, die wie soeben festgestellt auf jeden Fall „im voraus“ liegen. Dann dürften keine Unterschiede vorliegen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. lung begeben und gemeinsam erarbeiten, wie die Regelungsprobleme umgesetzt werden können (vgl. Koller (2000) § 449 Rn. 43). 71 Wobei „Kontakt“ hier lediglich auf Kontakt im Hinblick auf den konkreten späteren Vertrag abstellt.

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

Nicht als derartiger Unterschied anzuerkennen ist zunächst die Tatsache, daß nur bei vor dem ersten Kontakt der Parteien abgefaßten Klauseln auf jeden Fall eine einseitige Gestaltung vorliegt. Dieser Differenzierungsgrund wäre nur im Falle der Unmöglichkeit eines direkten Beweises einseitiger Abfassung gerechtfertigt. Zumindest aber bei schriftlichen Verhandlungen (Brief, Telefax, elektronische Post) ist die Genese einer konkreten Klausel ohne weiteres aus dem Schriftverkehr zu verfolgen und selbst bei mündlichen Verhandlungen kann im nachhinein durchaus eine effektive Beweiserhebung zu diesem Beweisthema durchgeführt werden, wie einige Urteile zum AGBG72 beweisen. Für den Fall von AGB- („Standardvertrags-“)Klauseln, die wegen des Vielzahlerfordernisses schon aus der Natur der Sache73 vor dem ersten Kontakt der Verhandlungsparteien feststehen, benutzt die Richtlinie im übrigen sogar ein abweichendes Wort: „vorformuliert“74. Wenn die unterschiedlichen Begriffe aber nicht nur auf einer Laune des Richtliniengebers oder gar Übersetzers zurückzuführen sind und „vorformuliert“ wie in der deutschen Tradition ebenfalls als zeitlich angesehen wird, könnte man daraus schließen, daß vor dem ersten Kontakt abgefaßte Klauseln in der Wortwahl der Richtlinie „vorformuliert“ heißen. Dies bedeutete, daß „vorformuliert“ bei dieser Auslegung ein Unterfall von „im voraus abgefaßt“ ist, also nicht unbedingt exakt mit diesem Begriff übereinstimmen muß. Weil der hier dem „vorformuliert“ zugeschriebene Zeitpunkt der frühestmögliche ist und dieser Begriff somit der engste ist, könnte daraus gefolgert werden, daß „im voraus abgefaßt“ weiter auszulegen ist.75 Somit bietet auch der Wortlaut der Richtlinie ein schwaches Indiz dafür, daß der letzte „im voraus“-Zeitpunkt nach der ersten Kontaktaufnahme liegt. Ein weitaus stärkeres Indiz gibt der systematische Zusammenhang mit den anderen Bedingungen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi ab, nämlich daß es gerade darauf ankommt, daß das Abfassen im voraus der Grund für die fehlende Einflußmöglichkeit ist. Dies setzt zumindest76 eine äquivalente Kausalität der Vorformulierung für 72 Vgl. z. B. OLG Köln, BauR 1996, 272; VIZ 1995, 546; BGH WM 1992, 1160; VersR 1985, 979. 73 Abgesehen von der ersten Verwendung, wenn dort die AGB-Klausel nach Verhandlungsbeginn formuliert wird und der Verwender sich gleichzeitig vornimmt, sie auf Dauer zu verwenden. 74 So auch in der englischen Fassung „pre-formulated“. 75 Im übrigen ist es naheliegend, auch den Begriff der Vorformulierung weiter auszulegen. Das Wort „vorformuliert“ in der RiLi dient dann lediglich der pleonastischen Beschreibung der Standardvertragsklauseln und verdeutlicht nur noch einmal, daß die RiLi nicht nur für AGB gilt, in deren Zusammenhang der Begriff „vorformuliert“ bisher gebraucht wurde. Weder der deutsche Transformationsgesetzgeber noch das Schrifttum machen im übrigen einen Unterschied im Gebrauch der Begriffe „vorformuliert“ und „im voraus abgefaßt“. Auch hier sollen im weiteren beide Begriffe synonym verwendet werden. 76 Die Frage, ob äquivalente Kausalität ausreicht oder ob dieser Begriff einzuschränken ist (z. B. i.S.v. adäquater Kausalität) kann hier dahinstehen, da keine Kausalität bestehen kann, wenn schon der weiteste Kausalitätsbegriff nicht erfüllt ist.

§ 6 Aushandeln im Kontext der Rechtsordnung

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das Fehlen der Einflußmöglichkeit voraus. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel dürfte also die Abfassung der Klausel vor Kontaktaufnahme nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Erfolg (fehlende Einflußmöglichkeit) entfiele. Dabei darf nicht das Abfassen als solches hinweggedacht werden, denn ohne ein Abfassen gäbe es die Klausel gar nicht, so daß das Objekt der zu prüfenden Einflußmöglichkeit entfiele. Die einzige Alternative zum Abfassen vor Kontaktaufnahme ist somit ein Abfassen nach Kontaktaufnahme. Wenn man also das Abfassen vor Kontaktaufnahme hinwegdenkt, bleibt ein Abfassen nach Kontaktaufnahme. Nach der conditio-sine-qua-non-Formel müßte im letztgenannten Fall Einflußmöglichkeit bestanden haben, damit der Zeitpunkt des Abfassens (im voraus) kausal für die fehlende Einflußmöglichkeit sein könnte. Sollte „im voraus“ als zeitlich-formales Merkmal i.S.v. „vor der vertragsgerichteten Kontaktaufnahme“ zu verstehen sein, käme es – wenn überhaupt – ausschließlich auf die Kausalität von Vorbereitungsvorteil und prägender Wirkung des vorformulierten Textes an,77 denn dies sind die einzigen Aspekte, die mit dem Zeitpunkt des Abfassens in Verbindung stehen. Daß ein Verbraucher z. B. keinen Einfluß auf den Klauselinhalt nehmen kann, weil er diesen nicht versteht oder weil ihm die Zeit fehlt, sich mit den Bedingungen des Vertrages näher auseinanderzusetzen, steht dagegen in keinerlei direktem Kausalverhältnis zum Zeitpunkt der Abfassung, sondern lediglich zur Einseitigkeit der Abfassung. Diese Einseitigkeit ist zwar stets gegeben bei einer Abfassung vor Aufnahme des geschäftlichen Kontakts, sie kann aber genauso zu einem späteren Zeitpunkt bestehen und wird daher von einem rein zeitlichen Abstellen auf den Zeitpunkt der Kontaktaufnahme nicht umfassend abgedeckt. Wenn trotz der Tatbestandsvoraussetzung der Kausalität noch ein einigermaßen weiter (dem Verbraucherschutz-Zweck entsprechender) Anwendungsbereich verbleiben soll (effet util), muß das Abfassen im voraus weiter sein als lediglich ein Abfassen zeitlich vor Aufnahme des vertragsgerichteten Kontakts. Im übrigen ist allein aus der praktischen Anschauung der Fall ungemein selten,78 daß jemand vor der ersten Kontaktaufnahme mit einem potentiellen Vertragspartner schon Klauseln für diesen Einzelvertrag inhaltlich festlegt. Nur bei der Erstellung von AGB ist dies selbstverständlich, Art. 3 RiLi soll aber gerade auch Einzelverträge umfassen. 77 Ob eine solche relevant werden kann, soll später unter (c) untersucht werden. Erst wenn dies nachgewiesen ist, könnte es auch als Argument benutzt werden für einen zeitlichen Aspekt (denn nur bei der Verhandlung vorhergehender Abfassung können diese beiden Punkte relevant werden – wären sie aber die Haupt-Kausalfaktoren, so würde eine Erweiterung des „im voraus“ über den Beginn der Verhandlung hinaus wichtige gesetzliche Wertungen abschneiden). 78 Es wäre z. B. daran zu denken, daß ein Unternehmer außerhalb seines gewöhnlichen Geschäftsbetriebs eine Sache (z. B. einen Firmenwagen) verkaufen möchte und dafür selbst einen Vertrag schon aufsetzt, bevor er mit ersten Interessenten (die wohlgemerkt Verbraucher sein müssen) spricht.

6 Pfeiffer

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

Auch aus diesem Grund ist anzunehmen, daß „im voraus“ nicht ausschließlich „vor der ersten Kontaktaufnahme“ bedeutet.

cc) Vor Beginn der Verhandlungen Der nächste Zeiteinschnitt bei der Vertragsgestaltung ist der Beginn der Vertragsverhandlungen. Wenn „im voraus“ weiter auszulegen ist, so muß es zumindest bis zu diesem Zeitpunkt reichen. Eine unterschiedliche Behandlung der einseitigen Abfassung vor erster Kontaktaufnahme und zwischen Kontaktaufnahme und Verhandlungsbeginn ist somit nicht gerechtfertigt. Fraglich ist, ob nun dieser Zeitpunkt die Grenze darstellt oder ob auch nach Beginn der Verhandlung ein Abfassen im voraus möglich ist.

dd) Zwischen Verhandlungsbeginn und Vertragsschluß? Dies könnte man zunächst mit dem Argument ablehnen, die Einseitigkeit müsse mit einem gewissen Maß an Planmäßigkeit oder zumindest Vorbereitung einhergehen, denn ansonsten sei sie nicht mißbilligenswert. Dabei ist jedoch anzumerken, daß die Einseitigkeit an sich von Art. 3 Abs. 2 RiLi nicht mißbilligt wird. Erst in Verbindung mit dadurch fehlender Einflußmöglichkeit und der Ausnutzung dieser Tatsache zu mißbräuchlicher Gestaltung (Art. 3 Abs. 1 RiLi) wird die Einseitigkeit schädlich. Man könnte zwar einwenden, daß von einem Klauselverwender, der eine Klausel ohne größere Vorbereitung erst in der Verhandlung einseitig entwirft, nicht erwartet werden kann, daß er die Klausel auf ihre Mißbräuchlichkeit prüft. Jedoch verfängt dieses Argument nicht, denn er bräuchte die Gegenseite lediglich über Klauselinhalt und -tragweite zu unterrichten und sich verhandlungsbereit zeigen, so daß trotz Abfassens im voraus Prüf- und Einflußmöglichkeit für den Gegner bestand und die Klausel – auch weil der Mechanismus vertraglicher Richtigkeitsgewähr nicht beeinträchtigt ist – keiner richterlichen Kontrolle unterfiele. Wenn sich der Verwender aber herausnimmt, den Klauselinhalt allein zu bestimmen, dann ist es zumindest nicht unzumutbar, diese Klausel auch einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen – selbst wenn der Verwender selbst keinerlei Prüfung anstellen konnte, um mißbräuchliche Klauseln zu vermeiden. Die fehlende Vorbereitung oder Planmäßigkeit steht also einer Einstufung der Zeit nach Verhandlungsbeginn als „im voraus“ nicht entgegen. Dagegen ist das oben angeführte Kausalitätsargument für eine Erweiterung des Begriffs „im voraus“ über den Zeitpunkt des Verhandlungsbeginns hinaus fragwürdig: Da das Abfassen nach Verhandlungsbeginn nicht mehr hinweggedacht werden kann, weil ein späterer Zeitabschnitt nicht existiert, müßte anstelle dessen ein Abfassen vor diesem Zeitpunkt erdacht werden. Das Abfassen nach Verhandlungsbeginn wäre dementsprechend nur dann kausal, wenn die Einflußmöglichkeit nicht

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fehlte, wenn die Klausel vor Verhandlungsbeginn abgefaßt worden wäre. Daß aber nach Aufnahme von Verhandlungen ein höheres Niveau an Einflußlosigkeit besteht als ohne die Verhandlungssituation, kann nicht behauptet werden: Wird eine Verhandlung überhaupt eröffnet, so wird eine prinzipielle Einflußmöglichkeit deutlich und die prägende Wirkung des vorformulierten Texts entfällt weitgehend. Außerdem manifestiert sich eine prinzipielle Verhandlungsbereitschaft des Verwenders über den Vertragsinhalt – selbst wenn er einzelne Klauseln für unabdingbar erklärt. Der Klauselgegner nimmt auf jeden Fall genausoviel Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Klauseln, sei nun ihr konkreter Inhalt verhandelbar oder nicht. Er weiß, daß ihm die Wahrung seiner Interessen in der Verhandlungssituation selbst obliegt. Nimmt er seine Interessen dennoch nicht wahr und akzeptiert eine nicht interessengerechte Klausel, so tut er dies bewußt – zwar evtl. aufgrund mangelnder Alternativen bzw. einer Zwangslage d. h. der wirtschaftlichen Macht des Verwenders, aber auf keinen Fall weil er aufgrund der Vorformulierung keine Kenntnis darüber besaß, auf was er sich einließ. Aus diesem Grund ist auch der Zeitraum nach Verhandlungsbeginn nicht mit dem Zeitraum vor Aufnahme des geschäftlichen Kontakts, der auf jeden Fall „im voraus“ ist und somit als Referenzfall dient, gleichzubehandeln. Ferner erscheint es praktisch wenig wahrscheinlich, daß eine Klausel erst während der Verhandlung einseitig abgefaßt wird, aber dennoch nicht aufgrund einer beidseitigen Einigung über ihren Inhalt, sondern nur aufgrund einer Einigung über ihre Einbeziehung (ungeachtet des Inhalts) Vertragsbestandteil wird. Somit ist „im voraus abgefaßt“ als „vor Verhandlungsbeginn abgefaßt“ auszulegen.79 Grundsätzlich ist dabei auf den Beginn der Verhandlungen über den Inhalt der konkreten Klausel abzustellen und nicht auf den Beginn der Vertragsverhandlungen an sich. Abgesehen von seltenen Ausnahmefällen ist der Beginn von konkreten Verhandlungen aber von der Aufnahme der Vertragsverhandlungen indiziert. Wenn nämlich im Rahmen von Vertragsverhandlungen ein Klauselvorschlag zu einem noch nicht verhandlungsgegenständlichen Regelungspunkt abgefaßt und in die Verhandlung eingebracht wird, dann beginnt damit die Verhandlung über diesen Punkt. Die Klausel ist dann als im Moment des Verhandlungsbeginns abgefaßt anzusehen, aber nicht vor Verhandlungsbeginn. Etwas anderes gälte nur dann, wenn lediglich punktuell zu einem bestimmten Regelungspunkt verhandelt wurde und nach Abschluß der Verhandlung nicht nur deren Ergebnis von einer Seite abgefaßt wird, sondern zusätzlich eine weitere andere Klausel, die nie Gegenstand der Verhandlung war. Ein weiterer Ausnahmefall wäre, daß der Klauselverwender die gesamte Vertragsverhandlung abbricht und ein take-it-or-leave-it-Angebot abfaßt.80 Dieser Fall ist wie ,vor Verhandlungsbeginn‘ anzusehen, da er nicht anders geartet Im Ergebnis auch Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 12. Auch Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 45 und Wolf, FS-Brandner (1996) S. 303 sehen diesen Fall als vorformuliert an; ähnlich auch Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 12, der in diesem Fall für eine Analogie plädiert. 79 80

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ist als wenn gar keine Verhandlungen stattgefunden hätten, denn mit diesem Angebot ist die materielle Verhandlungssituation annulliert. Wenn ,im voraus‘ „vor Verhandlungsbeginn“ bedeutet, setzt dies voraus, daß nach der Abfassung grundsätzlich noch Verhandlungen stattfinden, die das Einbringen von eigenen Interessen ermöglichen. Damit unterscheidet sich dieses take-it-or-leave-it-Angebot von der Situation, daß während der Verhandlung einzelne Klauseln für unabdingbar erklärt werden ohne die Verhandlungen damit zu beenden. Dann besteht nämlich weiterhin die Möglichkeit, im weiteren Verlauf der Verhandlungen die eigenen Interessen einzubringen. ee) Zwischenergebnis Man könnte somit besser negativ definieren: „im voraus abgefaßt“ ist jede Klausel, die nicht während inhaltlicher Vertragsverhandlungen abgefaßt wurde. „Im voraus“ bedeutet somit einer Abfassung in Verhandlungen81 voraus-eilend – und dies bedeutet, daß nach dem Abfassen noch Möglichkeit besteht, eigene Interessen einzubringen. Zu klären ist noch, wann eine Klausel während einer Verhandlung abgefaßt ist. Man könnte auf den Zeitpunkt abstellen, in dem der Verwender die Idee zu einer bestimmten Regelung hatte. In diesem Fall ist anzunehmen, daß nahezu alle Klauseln, die ein schon seit einiger Zeit aktiver Unternehmer verwendet, im voraus abgefaßt sind, da es für konkrete Sachfragen nur ein begrenztes Potential unterschiedlicher Gestaltungen gibt. Außerdem wäre es reiner Zufall, ob ein Unternehmer eine Klausel, mit der er seinen Vertragspartner erst im Rahmen der Verhandlung konfrontiert, schon zuvor verwendet hat. Für den Vertragspartner ändert sich an der Interessenlage gar nichts. Da Art. 3 Abs. 2 RiLi aber lediglich dem Schutz des Vertragspartners (Verbraucher) dient, wäre es willkürlich, Klauseln als im voraus abgefaßt zu bezeichnen, die zwar erst in der Verhandlung vorgeschlagen wurden, jedoch schon zuvor vom Verwender ersonnen worden sind. Insbesondere stellt der ,Vorbereitungsvorteil‘ keinen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung dar, da er sich nicht auswirkt, wenn die andere Vertragspartei hinreichende Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Klausel als Voraussetzung von Verhandlungen besitzt. Wenn man auf das Ersinnen des Klauselinhalts durch den Verwender82 abstellte, wären ferner die wenigsten Klauseln überhaupt im voraus abgefaßt, da die meisten 81 Verhandlungen umfassen rein begrifflich die Äußerung und Anhörung des Klauselgegners zum betreffenden Regelungspunkt, die Merkmale, auf die Wolf, FS-Brandner (1996) S. 303 (vgl. auch Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn 22), abstellt. 82 Auf die Entstehung der Klausel überhaupt kann nicht abgestellt werden, denn dann wären alle Klauseln im voraus abgefaßt, die nicht zum ersten Mal auf dieser Welt verwendet werden. Abgesehen von der Unmöglichkeit des Beweises dieser Tatsache wäre dann nahezu jede Klausel im voraus abgefaßt, da im Wirtschaftsverkehr nur ein begrenztes Potential von möglichen Regelungen existiert.

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Klauseln nicht von ihrem Verwender selbst ersonnen werden, sondern aus anderen Verträgen, Verbandsempfehlungen oder der Verkehrssitte übernommen werden. ,Abfassen‘ muß somit bedeuten, den Entschluß zu fassen, eine bestimmte Regelung auf einen konkreten Vertrag anzuwenden bzw. anwenden zu wollen, ungeachtet dessen, ob sie brandneu ersonnen oder schon aus anderen Verträgen oder gar den Gepflogenheiten des Verkehrs bekannt ist. Eine Vertragsbedingung ist daher nicht ,im voraus abgefaßt‘, wenn sie erst während der Vertragsverhandlungen von ihrem Verwender in den inhaltlichen Gestaltungsprozeß eingebracht wurde. Diese Auslegung entspricht im übrigen auch dem Schutzzweck des Art. 3 Abs. 2 RiLi, den Mißbrauch einseitiger Vertragsgestaltungsmacht zu unterbinden. Dieser Zweck ist immer schon dann betroffen, wenn die Inhaltsgestaltung der Klausel nicht das Ergebnis einer Verhandlung wiedergibt, sondern einseitig erfolgt.83 Die oben unter aa) als notwendig gekennzeichnete Bedingung ist somit auch hinreichend. Im Endeffekt geht es in Art. 3 Abs. 2 Nr. 1 RiLi um die Abgrenzung, wann einseitige Vertragsgestaltung einer Kontrolle unterworfen werden soll und wann nicht. Das formale Merkmal „im voraus abgefaßt“ soll somit zunächst die formale Feststellung der Einseitigkeit der Vertragsgestaltung sicherstellen, denn nur dann, aber auch immer dann, ist bei dadurch verursachter fehlender Einflußnahmemöglichkeit eine Inhaltskontrolle zu eröffnen. Die Abfassung vor Verhandlungen ist ein hinreichend formales Merkmal, das die relevante Einseitigkeit84 der Inhaltsgestaltung hinreichend genau umschließt.

b) Fehlende Einflußmöglichkeit Das entscheidende Merkmal des ,europäischen‘ Tatbestands des Aushandelns ist die fehlende Einflußnahmemöglichkeit auf den Inhalt der Klausel, weil erst dieses Merkmal das Ausnutzen einseitiger Vertragsgestaltungsmacht ermöglicht. Hierbei ist zunächst fraglich, ob für die Annahme von Einflußmöglichkeit tatsächliche Änderungen an der vorformulierten Klausel vorgenommen werden müssen.85 Der Wortlaut „Einfluß . . . nehmen können“86 spricht dagegen, daß tatsächlich Einfluß Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 45. Vgl. Wolf, FS-Brandner (1996) S. 303. 85 Dafür (teilw. Ausnahmen zulassend) von Westphalen, EWS 1993, 160, 163; grundsätzlich auch Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 15; dagegen allerdings ders. (!) Rn. 25; Bunte DB 96, 1389, 1392; Klaas, FS-Brandner (1996) S. 254. 86 In anderen Sprachfassungen „the consumer has . . . not been able to influence . . .“, „le consommateur n’a . . . pas pu avoir d’influence“, „il consumatore non ha . . . potuto esercitare alcuna influenza“. Dagegen von Westphalen, EWS 1993, 160, 163, der ohne Beleg darauf abstellt, daß andere Sprachfassungen eine tatsächliche Einflußnahme forderten. 83 84

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genommen worden sein muß.87 Bei inhaltlichen Änderungen ist die Klausel in jedem Fall ausgehandelt – in diesem Falle ist sie ja auch in ihrer endgültigen Fassung nicht im voraus abgefaßt. Auch im Hinblick auf den Schutzzweck der Norm reicht schon die reale Möglichkeit der Einflußnahme im konkreten Fall aus.88 Denn wenn der Verbraucher die konkrete Möglichkeit besitzt, Einfluß auf den Vertragsinhalt zu nehmen und seine Interessen in die Verhandlung einzubringen, dann besteht keine einseitige Vertragsgestaltungsmacht, die der andere ausnutzen könnte. Dies setzt voraus, daß der Verbraucher die Grundlage für eine Einflußnahme besitzt, nämlich die notwendigen Kenntnisse von Inhalt und Tragweite der Klausel sowie genügend Zeit für eine Bewertung und für die Verhandlungen. Sind diese Bedingungen gegeben, so steht auch der Aufnahme eines unveränderten Klauselvorschlags in den eigenen rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen nichts entgegen. Neben der inhaltlichen Aufnahme der Klausel in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen muß jedoch auch noch Abänderungsbereitschaft des Verwenders und Kenntnis des Klauselgegners hiervon vorliegen. Dies ergibt sich nicht nur daraus, daß fehlende Abänderungsbereitschaft nur bei vorformulierten Klauseln (nach dem hier vertretenen Verständnis von „Abfassen im voraus“) möglich ist und somit in diesem Fall gerade aufgrund der Vorformulierung keine Einflußmöglichkeit besteht. Vielmehr spricht auch der Wortlaut „ausgehandelt“ dafür, daß zumindest Verhandlungsbereitschaft gegeben sein muß. Es wäre als widersprüchliches Verhalten anzusehen, wenn sich jemand auf das Aushandeln beriefe, obwohl er selbst dazu gar nicht bereit war. Andererseits bedeutet Verhandlungsbereitschaft nicht, daß der Verwender jeden Änderungswunsch des Kunden berücksichtigen muß; es muß lediglich die Möglichkeit eingeräumt werden, daß die angemessenen und sachlich berechtigten Interessen des Kunden gewahrt bleiben.89 Außerdem muß nach den Umständen eine theoretisch mögliche Einflußnahme auch faktisch möglich, d. h. nicht mit unzumutbaren Transaktionskosten behaftet sein (was bei flüchtigen Alltagsgeschäften sehr schnell der Fall sein wird).90 Nicht 87 Ansonsten drängte sich die Formulierung auf „wenn . . . der Verbraucher deshalb . . . keinen Einfluß auf ihren Inhalt genommen hat“ bzw. „. . .has . . . not influenced“, „n’a pas . . . eu d’influence“, „non ha . . . esercitato alcuna influenza“. 88 Wohl mittlerweile herrschende Meinung: Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 47; Klaas, FS-Brandner (1996) S. 254; Bunte, DB 1996, 1389, 1393; Grabitz / HilfPfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 25 (allerdings in Rn. 15 zunächst tendenziell für tatsächliche Einflußnahme); jetzt wohl auch v. Westphalen, BB 1996, 2101, 2103 (wohl noch a.A. in EWS 1993, 160, 163). 89 Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn 21. 90 Vgl. Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 17; v. Westphalen, BB 1996, 2101, 2102 (der auf S. 2103 auch noch fordert, daß der Verbraucher nicht zwingend auf den Vertragsgegenstand angewiesen ist, da ansonsten das Interesse an diesem das Interesse an den Konditionen überlagere).

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berücksichtigt werden können hingegen die Transaktionskosten, die bei einer Ablehnung des Angebots entstehen, z. B. zur Suche eines andern Vertragspartners. Diese Transaktionskosten sind lediglich Folgen einer schlechten Verhandlungsposition (schlechte Alternativen) und gehören zur legitimen Verhandlungsposition des Verwenders. Es handelt sich um reine Marktmacht, die einer freien Marktwirtschaft eigen ist und vor der Art. 3 Abs. 2 der RiLi nicht schützen kann, sondern nur §§ 19 ff. GWB. c) Kausalität Der fehlende Einfluß auf den Vertragsinhalt muß sich nun kausal auf die Vorformulierung zurückführen lassen. Vom Wortlaut her erscheint diese Bedingung auf den ersten Blick stets erfüllt, denn wenn noch keine (vom dispositiven Recht abweichende) Klausel formuliert wurde, kann eine solche auch ohne Aushandeln nicht Vertragsbestandteil werden. Ohne Vorformulierung nützt auch die größte Macht, mit der der Verbraucher zum Vertragsschluß bewegt werden kann, nichts. Allerdings erfordert Kausalität mindestens, daß die Ursache nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Wirkung entfiele (conditio-sine-qua-non-Formel). Wie oben schon festgestellt, darf dabei nicht das Abfassen der Klausel als solches hinweggedacht werden, sondern lediglich das Abfassen vor Verhandlungsbeginn. Wenn man dieses hinwegdenkt, verbleibt ein Abfassen während der Verhandlung. Kausalität der Vorformulierung setzt somit voraus, daß die Einflußmöglichkeit hypothetisch vorliegen müßte, wenn dieselbe Vertragsbedingung während der Verhandlung abgefaßt worden wäre. Dies bedeutet, daß die Einflußmöglichkeit nur dann aufgrund der Vorformulierung fehlt, wenn sich spezifische Aspekte der Vorformulierung wie fehlende Kenntnis von Inhalt und Tragweite oder Abänderungsbereitschaft, zu hohe Transaktionskosten für einen Einflußnahmeversuch oder aber fehlende Verhandlungsbereitschaft tatsächlich auswirken. Der Vorbereitungsvorteil, den die Vorformulierung dem Verwender bereitet, hat damit gar nichts zu tun, denn er verbessert zwar die Situation des Verwenders, führt aber an sich nicht zu einer Verschlechterung der Position des Klauselgegners.91 Hat dieser genügend Zeit für die Prüfung und sind die Informationskosten nicht unangemessen hoch, so reduziert sich der Vorbereitungsvorteil gar auf Null. Ähnliches gilt für die prägende Wirkung des Vorformulierten, wenn der Klauselgegner die rechtliche Tragweite der Klausel erfaßt und die Verhandlungsbereitschaft des Verwenders erkannt hat. Es kann somit nur darauf ankommen, ob trotz der Vorformulierung die Voraussetzungen dafür gegeben waren, daß der Klauselgegner den vorformulierten Entwurf bewußt und selbstverantwortlich in den 91 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 48; Wolf, FS-Brandner (1996) S. 305.

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rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen aufnehmen konnte. Denn schon in diesem Fall entfällt der Schutzzweck, den Klauselgegner vor dem Mißbrauch der einseitigen Vertragsgestaltungsmacht des Verwenders zu schützen, weil in diesem Falle kein Schutzbedarf besteht: Der (geschäftsfähige) Klauselgegner wird nicht paternalistisch vor sich selbst geschützt. Zuletzt ist fraglich, wie sich anderweitige Umstände, die eine Einflußmöglichkeit ausschließen, auf die Beurteilung der Kausalität i. S. d. Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi auswirken und ob Reserveursachen relevant werden können. Dazu ist zunächst anzumerken, daß kein Nachweis naturwissenschaftlicher, äquivalenter Kausalität zu fordern ist, sondern lediglich der Nachweis einer Verknüpfung von fehlender Einflußmöglichkeit und einseitiger Abfassung bei wertender Betrachtung.92 Dies impliziert auch, daß die Vorformulierung zumindest eine wesentliche Ursache sein muß, wobei auch kumulative Kausalität genügt.93 Die Kausalität kann in diesem Fall ausgeschlossen sein, wenn die Vorformulierung zwar auch ein Grund, nicht aber der wesentliche Grund für die fehlende Einflußmöglichkeit war. Dies ist in Fällen denkbar, in denen es dem Verbraucher unbedingt auf den Erhalt der Leistung ankommt und ihm alle Bedingungen gleichgültig sind. Hatte er genügend Zeit und eine ausreichende Informationsgrundlage und erkannte er die Verhandlungsbereitschaft des Verwenders, dann ist es ihm selbst zuzuschreiben, wenn er seine Interessen nicht wahrnimmt, obwohl im dies ohne weiteres vom Verwender ermöglicht wurde. Gleiches gilt bei Unerfahrenheit (soweit angemessene Information / Aufklärung zur Verfügung gestellt wurde) oder wirtschaftlichen Zwangslagen (wenn dennoch die Verhandlungsbereitschaft des Verwenders bekannt war), soweit die Grenze des § 138 BGB nicht überschritten wird. Bei alternativer Kausalität ist zu prüfen, ob die Wesentlichkeit der Vorformulierung für das Fehlen der Einflußmöglichkeit noch zu bejahen ist. Dann müßte nachgewiesen sein, daß selbst in Verhandlungen (sonst wieder Vorformulierung) kein anderes Ergebnis erzielbar gewesen wäre, obwohl der Verwender (zumindest potentiell) abänderungsbereit war.

d) Zwischenergebnis Nach der hier vertretenen Auffassung erfordert der ,europäische‘ Tatbestand des Aushandelns, daß die Klausel während den Verhandlungen über den betreffenden Regelungspunkt in den inhaltlichen Gestaltungsprozeß der Vertragsbedingung eingebracht wird. Andernfalls kann eine Klausel dennoch ausgehandelt sein, wenn der Klauselgegner die reale Möglichkeit der Einflußnahme auf ihren Inhalt hatte, was genügend Zeit und angemessene Transaktionskosten zur Verhandlung, Kenntnis des Klauselgegners von Klauselinhalt und -tragweite sowie Verhandlungs92 93

Grabitz / Hilf-Pfeiffer, A 5 Art. 3 Rn. 20. Wolf, FS-Brandner (1996) S. 304.

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bereitschaft des Verwenders voraussetzt. Selbst wenn danach keine reale Einflußmöglichkeit besteht, kann eine Klausel noch ausgehandelt sein, wenn das Fehlen der Einflußmöglichkeit nicht hauptsächlich seine Ursache in der einseitigen Abfassung der Klausel vor Verhandlungsbeginn hat.

e) Weitere Auslegung vor dem Hintergrund des Schutzzwecks? Fraglich ist jedoch, ob vor dem Hintergrund des Schutzzweckes der Norm eine weitere Auslegung angezeigt ist. Bislang wurde als Zweck der Schutz vor Mißbrauch einseitiger Vertragsgestaltungsmacht angenommen. Dieser Schutzzweck ist allgemeiner Natur und nicht verbraucherspezifisch. Verbraucher können nur besonders anfällig für einen derartigen Mißbrauch sein, so daß die Voraussetzungen des Aushandelns (z. B. Kenntnis von Inhalt und Tragweite sowie Abänderungsbereitschaft) bei Verbrauchern besonders eng gehandhabt werden müssen.

aa) Schutzbedarf bei während der Verhandlung abgefaßten Klauseln? Dieser Schutzzweck könnte jedoch beim Mißbrauch einseitiger Vertragsgestaltungsmacht innerhalb einer Verhandlung nicht erfüllt sein, denn nach dem bisherigen Auslegungsergebnis ist eine Inhaltsgestaltung innerhalb einer Verhandlung stets ausgehandelt. Wie oben jedoch schon ausgeführt, ist in diesen Fällen das Interesse des Kunden auf den speziellen Regelungspunkt gelenkt. Wird er in dieser Situation mit einer unangemessenen Klausel konfrontiert, so ist sichergestellt, daß er deren Inhalt zur Kenntnis nimmt und daß ihm bewußt ist, er sei für die Wahrung seiner Interessen selbst verantwortlich – was schon der Verhandlungssituation eigen ist. Selbst (oder gerade) wenn die Klausel als nicht (mehr) verhandelbar dargestellt wird, ist sich der Kunde bewußt, daß er dieser Klausel mißtrauisch gegenüberstehen und evtl. seine Interessen auf andere Weise in den Vertrag einbringen muß. Wenn es ihm nicht gelingen sollte, seine Interessen einzubringen, obwohl der Vertragspartner verhandlungsbereit war,94 so wird er sich auch dessen bewußt und erkennt somit, daß eigentlich ein Fall der Nicht-Einigung vorliegt. Schließt er dennoch mit dem Verwender ab, so ist er grundsätzlich nicht mehr schutzwürdig. In Fällen einer marktbeherrschenden Stellung des Verwenders oder einer Zwangslage des Ver94 Wie oben schon festgestellt, bedeutet die Voraussetzung „Abfassen während der Verhandlung“, daß auch nach dem Einbringen einer Klausel in den Vertrag weiter inhaltlich über diesen verhandelt wird mit der potentiellen Möglichkeit der Einflußnahme. Dies ist nicht der Fall, wenn nicht nur einzelne Klauseln als unabdingbar bezeichnet werden, sondern der gesamte Vertragsentwurf. Ein take-it-or-leave-it-Angebot ist somit nach der hier vorgenommenen Auslegung nie ausgehandelt, so daß in dieser Hinsicht kein weitergehender Schutzbedarf besteht.

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brauchers gilt dies zwar nur eingeschränkt. Allerdings wird in diesen Fällen der Schutz über § 19 GWB und § 138 BGB sichergestellt, so daß selbst in diesen Ausnahmefällen keine Schutzlücke besteht. – Bei während der Vertragsverhandlung einseitig verfaßten Klauseln besteht somit grundsätzlich kein Bedarf eines Schutzes vor unangemessenen Klauseln. Im Hinblick auf den Zeitpunkt des Abfassens einer Klausel existiert also keine Schutzlücke.

bb) Schutzbedarf bei fehlender Einflußmöglichkeit, die nicht auf der Vorformulierung beruht? Im Hinblick auf den Schutzzweck könnten jedoch auch Fälle fehlender Einflußmöglichkeit, die nicht auf dem Abfassen im voraus beruht, aus dem Tatbestand des Aushandelns auszuklammern sein. Allerdings ist der Wortlaut des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi – auch in anderen Amtssprachen – insoweit eindeutig, als daß er eine kausale Verknüpfung von Vorformulierung und fehlender Einflußmöglichkeit voraussetzt. Raum für eine teleologische Erweiterung des Tatbestandes des Art. 3 Abs. 2 RiLi verbleibt dabei keiner, da nicht eindeutig aus dem Wortlaut des Art. 3 RiLi hervorgeht, daß die Definition von ,nicht ausgehandelt‘ in seinem Abs. 2 S. 1 abschließend sein soll. Wenn andere Fälle nicht ausgehandelter Vereinbarungen neben Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi nicht ausgeschlossen sind, besteht insofern keine planwidrige Lücke.

cc) Weitere Auslegung bei Annahme eines weitergehenden Schutzzweckes? Der hier betroffene Schutzzweck der Richtlinie ist nicht nur der Schutz vor dem Mißbrauch einseitiger Vertragsgestaltungsmacht, sondern Verbraucherschutz an sich.95 Aus den soeben unter bb) genannten Gründen scheidet jedoch eine darauf aufbauende teleologische Erweiterung des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi aus.

f) Ergebnis Nachdem der Tatbestand des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi geklärt ist, bleibt die Frage, ob neben den nach dieser Norm nicht ausgehandelten Vertragsbedingungen noch weitere Fälle denkbar sind. Ansonsten könnte der RiLi im Rahmen der Rechtsordnungssystematik a maiore ad minus entnommen werden, daß bei Verträgen zwischen Unternehmern höchstens die Fälle nicht ausgehandelt sind, die in Art. 3 Abs. 2 95 Erwägungsgründe 6, 8 und 9 der Richtlinie; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 1 RiLi Rn. 4; Ulmer, EuZW 1993, 337, 338; Bunte, DB 1996, 1389, 1391.

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RiLi genannt werden. Ausgehandelt wären dann auf jeden Fall Vertragsbedingungen, die erst während der Vertragsverhandlungen in den Prozeß der Inhaltsgestaltung des Vertrages eingeflossen sind, selbst wenn eine Seite z. B. aus Gründen der Marktmacht keinen Einfluß auf diese Inhaltsgestaltung nehmen konnte. Es ist somit im folgenden zu untersuchen, ob neben Art. 3 Abs. 2 RiLi weitere Fälle nicht ausgehandelter Vertragsbedingungen in Frage kommen.

4. Fälle nicht ausgehandelter Vertragsbedingungen außerhalb Art. 3 Abs. 2 RiLi? Ob neben Art. 3 Abs. 2 RiLi weitere Fälle nicht ausgehandelter Vertragsbedingungen anzuerkennen sind, hängt – nachdem oben unter 2 keine eindeutige Erkenntnis aufgrund des Wortlauts und der Systematik erlangt werden konnte – davon ab, ob vom Schutzzweck der Richtlinie her auch Vertragsbedingungen, die nach Art. 3 Abs. 2 RiLi ausgehandelt sind, einer Inhaltskontrolle zu unterziehen wären. a) Schutzzweck ,Verhinderung des Mißbrauchs einseitiger Vertragsgestaltungsmacht‘ Schutzzweck ist zumindest die Verhinderung der mißbräuchlichen Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltungsmacht. Dafür spricht die Funktion des Vertrages als Grundpfeiler der Marktordnung, einen subjektiv gerechten Interessenausgleich zu gewährleisten und beiden Parteien ein Mittel zur Umsetzung eigener Interessen (Privatautonomie) an die Hand zu geben. Wenn ein Vertrag dagegen nur von einer Seite gestaltet wurde, ist nicht zwangsläufig gewährleistet, daß auch die andere Seite ihre Interessen hinreichend eingebracht hat und den Vertrag als einen gerechten Interessenausgleich ansieht. Dies gilt insbesondere, wenn die Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite einzelner Vereinbarungen nicht sichergestellt ist, z. B. weil die Informationskosten im Vergleich zum Nutzen des gesamten Vertrages zu hoch sind. Um der Funktion des Vertrags für die Marktordnung und seiner Bedeutung für die Privatautonomie des einzelnen gerecht zu werden, muß somit ein mißbräuchliches Ausnutzen einseitiger Vertragsgestaltungsmacht verhindert werden. Dieser Schutzzweck könnte auch in Fällen betroffen sein, in denen eine Seite keine Einflußmöglichkeit auf den Vertragsinhalt besitzt, ohne daß hierfür ein Abfassen im voraus ursächlich wäre. In der Literatur werden dazu hauptsächlich die Fälle wirtschaftlicher Übermacht des Verwenders und Unerfahrenheit bzw. Zwangslage des Kunden angeführt.96 Daher sollen neben den von Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi erfaßten Fällen auch diese Fälle als ,nicht ausgehandelt‘ behandelt werden. 96 Insb. Wolf, FS-Brandner (1996) S. 307 f.; als Indizien für fehlende Einflußmöglichkeit auch Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 49.

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Als Argumente dafür werden insbesondere die Wertungen aus § 19 Abs. 4 Nr. 2 GWB und § 138 BGB angeführt. Wenn das Gesetz dort auf die Wirtschaftsmacht bzw. geschwächte Stellung abstellt, müßten diese Aspekte auch im Rahmen der Kontrolle einseitiger Vertragsgestaltungsmacht Berücksichtigung finden. Dagegen spricht jedoch, daß das Gesetz die Probleme Wirtschaftsmacht bzw. geschwächte Stellung erkannt und einer Regelung zugeführt hat.97 Insbesondere der strenge § 138 BGB, der die Ausnutzung einer geschwächten Stellung nur unter engen Grenzen sanktioniert, spricht dafür, daß außerhalb seines Anwendungsbereichs eine geschwächte Position des Vertragspartners unbeachtlich ist. Im übrigen brächte die Grenzziehung zwischen unbeachtlicher und beachtlicher Wirtschaftsmacht oder z. B. Unerfahrenheit weitere Probleme mit sich. Kriterien zur Feststellung einer geschwächten Position des Kunden gegenüber dem Verwender außerhalb des engen, durch § 138 Abs. 2 BGB oder § 19 Abs. 2 u. 3 GWB abgesteckten, gesicherten Bereichs und für eine weitere Grenzziehung sind nicht erkennbar.98 Zwar sind BGB und GWB nur auf nationaler Ebene anwendbar, die Richtlinie dagegen auf supranationaler. Außerdem stellt die Richtlinie in ihrem neunten Erwägungsgrund den Schutz vor Machtmißbrauch ganz allgemein heraus. Dies könnte dafür sprechen, die Schutzinstrumentarien der nationalen Rechtsordnungen bei der Auslegung der Richtlinie nicht zu berücksichtigen. Andererseits kann bei der Auslegung der europarechtlichen Norm darauf zurückgegriffen werden, daß die nationalen Rechtsordnungen eigene Schutzinstrumentarien für die elementarsten Situationen der Bedrohung des Vertragsmechanismus zur Verfügung stellen. Dafür spricht auch, daß die Richtlinie in ihrem zweiten Erwägungsgrund darauf abstellt, daß besonders bei der Vermarktung in anderen Mitgliedsstaaten Wettbewerbsverzerrungen bei Verkäufern und Dienstleistungserbringern eintreten können, weil die Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über Vertragsklauseln zwischen dem Verkäufer von Waren und dem Dienstleistungserbringer einerseits und dem Verbraucher andererseits viele Unterschiede aufweisen. Derartige Wettbewerbsverzerrungen sind jedoch bei Verträgen, die im Verlauf von Verhandlungen inhaltlich gestaltet werden und nicht im voraus abgefaßt sind – schon aufgrund der geringen Anzahl solcher Verträge – nicht zu befürchten. Dies gilt erst recht für die hier angesprochene Situation der Zwangslage des Verbrauchers. Der Schutz vor Mißbrauch marktbeherrschender Stellungen ist sogar auch in der europarechtlichen Rechtsordnung verankert. Ferner stellt der zwölfte Erwägungsgrund der Richtlinie klar, daß diese vor dem Hintergrund des derzeitigen Standes der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften nicht den maximal möglichen Schutz verwirklicht. Der Richtliniengeber geht also davon 97 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 42; § 1 Rn. 76 (m. w. N.); ders. EuZW 1993, 337, 341. 98 Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 22 f.; a.A. offenbar Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn. 26 f., der aber weder die Schwelle zwischen beachtlicher und unbeachtlicher Marktmacht bzw. Unterlegenheit, noch Kriterien zu ihrer Bestimmung angibt.

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aus, daß weiterhin auf einzelstaatliche Regelungen zurückzugreifen sein wird und daß die Richtlinie selbst keinen ,Rundum-Schutz‘ des Verbrauchers gewährleistet. Daher entspricht es dem Regelungsplan des Richtliniengebers, hinsichtlich der Verwirklichung des Schutzzwecks der Richtlinie auch auf den Schutz aus Vorschriften nationaler Rechtsordnungen zurückzugreifen. Somit ergibt sich keine Schutzlücke bei fehlender Einflußmöglichkeit, die nicht auf der Vorformulierung, sondern auf einer Zwangslage oder einer marktbeherrschenden Stellung des Unternehmers beruht.99 b) Weitergehender Schutzzweck (Verbraucherschutz)? Das Ziel der Richtlinie ist erklärtermaßen der Verbraucherschutz.100 Wenn dieser weitergehend wäre als der Schutz vor mißbräuchlicher Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltungsmacht, der Art. 3 Abs. 2 RiLi zugrunde liegt, so kämen im Hinblick auf diesen Schutzzweck weitere Fälle nicht ausgehandelter Vertragsbedingungen in Betracht. aa) Gewährleistung von Einfluß auf den Inhalt? Ein derartiger weiterer Fall könnte die fehlende Einflußmöglichkeit auf während inhaltlicher Verhandlungen abgefaßte Klauseln sein. Das Ausnutzen von Zwangslagen und marktbeherrschender Stellung wird nämlich von §§ 138 BGB, 19 GWB verhindert. Das Ausnutzen der Tatsache, daß der Vertrag nicht während inhaltlicher Verhandlungen gestaltet wurde, ist von Art. 3 Abs. 2 RiLi sanktioniert. Daneben verbleibt lediglich der Fall, daß die Vertragsgestaltung während inhaltlicher Verhandlungen erfolgt und sich der Verbraucher weder in einer Zwangslage befand noch sich einem marktbeherrschenden Unternehmen gegenüber sieht. In diesen Fällen besitzt der Verbraucher vollständige Entscheidungsfreiheit, ob er die Vertragsbedingungen akzeptiert. Dies gilt selbst dann, wenn er trotz tatsächlicher Verhandlungen keine Einflußmöglichkeit auf den Inhalt hatte. Die Vertragsbedingungen können dann zwar unangemessen – sei es nun objektiv oder subjektiv aus seiner Sicht – sein; sie sind jedenfalls nicht mißbräuchlich, weil keine Situation vorliegt, in der der Unternehmer den Markt (bzw. seine Instrumente) in einer marktwidrigen Weise gebraucht.101 – Der Verbraucher ist sich in dieser Situation Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 24a Rn. 42. Erwägungsgründe 6, 8 und 9 der Richtlinie; Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 1 RiLi Rn. 4; Ulmer, EuZW 1993, 337, 338; Bunte, DB 1996, 1389, 1391. 101 Diese Ansicht des Mißbrauchs stützt sich auf die Definition des Art. 2 lit. a RiLi, nach der eine Vertragsbedingung nur mißbräuchlich ist, wenn sie – ohne ausgehandelt zu sein (d. h. marktwidrig festgelegt) – unangemessen ist. 99

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nämlich sehr wohl über die Unangemessenheit des Vertrages bewußt und nichts zwingt ihn, den Vertrag trotzdem abzuschließen. Schließt er ihn dennoch ab, so ist dies ein Ausdruck seiner Privatautonomie. Ferner ist dies eine Verwirklichung der Marktordnung, da der Verbraucher offenbar den Vertrag zu den unangemessenen Bedingungen freiverantwortlich höher bewertet, als einen Verzicht auf den Vertrag. bb) Ausschluß jeglicher unangemessener Vertragsbedingungen Der von der Richtlinie verfolgte Verbraucherschutz könnte sich ferner in einem Schutz vor jeglichen unangemessenen Klauseln konkretisieren. Selbst vor dem Hintergrund des Verbraucherschutzes kann jedoch kein derart weitgehender Schutz im obigen Sinne angenommen werden. Dies geht aus dem vierten und insbesondere auch dem neunten Erwägungsgrund der Richtlinie hervor, die stets auf einen Mißbrauch abstellen, nicht jedoch auf die Unangemessenheit der Vertragsbedingung an sich. Außerdem spricht die Existenz des Art. 3 RiLi gegen eine Ausweitung des Schutzes auf alle unangemessenen Klauseln, denn sonst müßten alle Vertragsbedingungen einer Inhaltskontrolle unterworfen werden können und nicht nur nicht-ausgehandelte. Dies sieht aber die Richtlinie nicht vor. Darüber hinaus ergäbe sich ein Zirkelschluß: Die Entscheidung, ob Klauseln, die Art. 3 Abs. 2 RiLi nicht erfüllen, dennoch nicht ausgehandelt i. S. d. Art. 3 Abs. 1 RiLi sind, hinge dann nämlich davon ab, ob diese Klauseln unangemessen sind. Wenn die Klauseln tatsächlich unangemessen sind und somit bei diesem Verständnis nicht ausgehandelt wären, ist die Konsequenz, daß Art. 3 Abs. 1 RiLi auf sie anwendbar ist, d. h. daß eine Inhaltskontrolle durchgeführt wird. Die Beantwortung der Frage, ob die Voraussetzungen für eine Inhaltskontrolle gegeben sind, erfordert somit bereits die Inhaltskontrolle. Dieses Ergebnis erscheint also auch aus logisch-systematischen Gründen nicht plausibel. Außerdem würde ansonsten die Vertragsfreiheit bei Verträgen mit Verbrauchern nahezu aufgehoben. Wenn dies beabsichtigt gewesen sein sollte, hätte der Richtliniengeber aber deutlichere Worte gefunden, wie Art. 7 Abs. 1 S. 1 der Richtlinie 99 / 44 / EG102 über den Verbrauchsgüterkauf eindrücklich belegt. Im Gegenteil, es wäre geradezu paradox, den Wortlaut ,ausgehandelt‘ zu benutzen, dabei jedoch nur ein fest umrissenes Spektrum an Ergebnissen als ausgehandelt zuzulassen – und dies ohne jeglichen Bezug zur Verhandlungssituation, sondern lediglich zum Inhalt des ,ausgehandelten‘ Ergebnisses. Eine derartige Einschränkung der Vertragsfreiheit verneinte ferner jegliche Selbstverantwortung des Kunden bei Vertragsabschluß und entmündigte den Verbraucher. Die intellektuelle Unterlegenheit des Verbrauchers wird dadurch abgefangen, daß er im Rahmen der Verhandlung über Inhalt und Tragweite der Vertrags102

Vom 25. 05. 1999, EG-Amtsblatt Nr. L 171 v. 07. 07. 1999.

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bestimmungen in Kenntnis gesetzt wird.103 Ist das Maß an intellektueller Unterlegenheit strukturell so groß, daß eine Einschränkung der Selbstverantwortlichkeit des Kunden aus Schutzgründen gerechtfertigt ist, so sind die Mittel des Betreuungsrechts auszuschöpfen. Eine rein unbedachte, wirtschaftlich irrationale Konsumfixierung, wie sie offenbar in weiten Kreisen der Bevölkerung vorliegt, schränkt die Erkenntnisfähigkeit dagegen nicht ein und vermag somit bei entsprechender Aufklärung nicht zu einer Einschränkung der Eigenverantwortlichkeit führen.104 c) Ergebnis Ein über den Schutz vor mißbräuchlicher Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltungsmacht hinausgehender Schutzzweck kann der Norm somit nicht zugrunde liegen. Der soeben aus Art. 3 Abs. 2 RiLi entwickelte Tatbestand des Aushandelns ist somit abschließend. 5. Konsequenzen für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB Auf Basis der Annahme, daß die Rechtsordnung vergleichbare Fälle gleich behandelt und eine gleiche Terminologie grundsätzlich auf vergleichbare Rechtsgedanken hindeutet, können die Rechtsgedanken der Richtlinie für die Begriffsbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 herangezogen werden. Aus der Richtlinie ergibt sich, daß eine Vertragsbedingung immer dann ausgehandelt ist, wenn sie nicht den Tatbestand des Nicht-Aushandelns in Art. 3 Abs. 2 S. 2 RiLi erfüllt. Danach ist eine Vertragsbedingung nur dann nicht ausgehandelt, wenn sie nicht während inhaltlicher Verhandlungen in den Vertragsgestaltungsprozeß eingebracht wurde und der Vertragspartner kausal darauf beruhend keine Möglichkeit hatte, auf ihren Inhalt Einfluß zu nehmen. Dies kann insbesondere der Fall sein, weil er keine Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung hatte, weil nicht genügend Zeit für Verhandlungen verblieb, weil die Kosten, die mit dem Eintritt in Verhandlungen verbunden sind, unverhältnismäßig waren oder weil sich der Vertragspartner nicht verhandlungsbereit zeigte.

a) Erst-Recht-Schluß auf den Maximalbereich des Nicht-Aushandelns Unter diesen Voraussetzungen ist also eine Vertragsbedingung nicht ausgehandelt. Es wurde oben unter 1 festgestellt, daß aufgrund der Verbraucherorientierung 103 104

Kritisch Grunewald, AcP 190 (1990), 609, 613 f. Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 17; vgl. auch Fleischer (2001) S. 116.

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der Richtlinie zumindest ein Erst-Recht-Schluß möglich ist. Es kann daher an dieser Stelle festgestellt werden, daß eine Vertragsbedingung, die bei Verbraucherbeteiligung ausgehandelt wäre, erst recht auch zwischen Unternehmern als ausgehandelt zu werten ist. Dies bedeutet, daß auf der Basis der rechtsordnungssystematischen Auslegung eine Vertragsbedingung auf jeden Fall nur dann nicht ausgehandelt i. S. d. §§ 449, 466 HGB ist, wenn sie die genannten Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi erfüllt.

b) Vollständige Übertragbarkeit auf §§ 449, 466 HGB Der Begriff des Aushandelns wäre jedoch erst dann negativ hinreichend bestimmt, wenn nicht nur festgestellt werden kann, daß nur unter bestimmten Voraussetzungen kein Aushandeln vorliegt, sondern auch, daß unter diesen Bedingungen das Aushandeln stets ausscheidet. Im Anwendungsbereich der Richtlinie gibt deren Art. 3 Abs. 2 S. 1 nicht nur an, daß ein Aushandeln nur unter seinen Voraussetzungen ausscheidet, sondern auch immer dann. Dies ergibt sich aus Art. 8 RiLi, der klarstellt, daß die Richtlinie einen Mindestschutz gewähren will, so daß ein Aushandeln schon immer dann ausscheiden muß, wenn die Richtlinie es bestimmt. Wenn der Rechtsgedanke der Richtlinie vollständig auf §§ 449, 466 HGB übertragbar wäre, wäre damit auch deren Begriff des Aushandelns hinreichend bestimmt.

aa) Übertragung durch § 1 Abs. 2 AGBG? Da Art. 3 Abs. 2 RiLi den § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) konkretisiert105 und im Rahmen der richtlinienkonformen Auslegung dieser nationalen Norm zur Anwendung gelangt, könnte er über eine Verweisung aus §§ 449, 466 HGB auf § 1 Abs. 2 AGBG vollständig auf das HGB übertragen werden. Allerdings wurde eine vollständige Verweisung auf § 1 Ab. 2 AGBG seitens des Gesetzgebers schon widerlegt und eine ebensolche Übertragung durch die herkömmliche Meinung im Transportrecht abgelehnt.

bb) Eigenständige Übertragbarkeit Eine eigenständige Übertragung der Begriffsbestimmung des Aushandelns aus der Richtlinie in das Transportrecht käme unter dem Aspekt der Einheit der 105 Weil § 24a AGBG (jetzt § 310 Abs. III BGB) das Aushandeln selbst nicht regelt, sondern es bei der Regelung in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) – auch für Verbraucherverträge – beläßt.

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Rechtsordnung in Betracht. Denn gleiche Regelungsprobleme dürfen nur ungleich behandelt werden, wenn ein sachlicher Grund dafür besteht. Ein solcher Differenzierungsgrund könnte, wie schon oben angesprochen, die in der Richtlinie vorausgesetzte Verbrauchereigenschaft einer Seite sein. Allerdings hat die Auslegung des Art. 3 Abs. 2 RiLi ergeben, daß sich Verbraucherschutzerwägungen nicht auf die Begriffsbestimmung auswirken, da sie im verbraucherunabhängigen Schutz vor mißbräuchlicher Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltung aufgehen. Daher sind auch die Tatbestandsmerkmale nicht an die Verbrauchereigenschaft geknüpft; es ist lediglich davon auszugehen, daß insbesondere die Einflußmöglichkeit bei Verbrauchern eher fehlt als bei Unternehmern, da bei letzteren ein höheres Maß an vertragsbezogenen Kenntnissen vorausgesetzt werden kann. Z. B. im Hinblick auf unverhältnismäßige Transaktionskosten, die eine Einflußnahme wirtschaftlich ausschließen, sind sie jedoch genauso anfällig wie Verbraucher. Nicht zuletzt ist ein Indiz, daß auch § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) nicht nur für Verbraucher, sondern auch für Unternehmer gilt. Die Tatsache, daß die Richtlinie auf Verbraucher abzielt, in § 449 (466) Abs. 2 HGB aber ausschließlich Unternehmer betroffen sind, stellt somit keinen hinreichenden Differenzierungsgrund dar. Wenn das Regelungsproblem in beiden Normbereichen identisch wäre, wäre auf der Grundlage der Einheit der Rechtsordnung auch die Begriffsbestimmung vollständig übertragbar. Die Vergleichbarkeit des Regelungsproblems läßt sich jedoch im Rahmen der rechtsordnungssystematischen Auslegung nur annehmen, nicht jedoch nachweisen, weil dazu auf den Normzweck der §§ 449, 466 HGB abzustellen wäre. Dieser kann jedoch nicht durch betrachtende, sondern nur durch wertende Auslegung ermittelt werden und ist der rechtsordnungssystematischen Auslegung somit verschlossen.

c) Ergebnis Ausschließlich unter den Voraussetzung des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi ist eine Vertragsbedingung nicht ausgehandelt i. S. d. §§ 449, 466 HGB (Erst-Recht-Schluß). Vorausgesetzt, die Regelungsprobleme von Richtlinie und §§ 449, 466 HGB seien identisch, sind Vertragsbedingungen auch immer dann nicht ausgehandelt, wenn sie die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi erfüllen (dann und nur dann). Vertragsbedingungen, die diesen Tatbestand nicht erfüllen, wären dann auf jeden Fall ausgehandelt.

II. § 1 Abs. 2 AGBG (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.) Auch § 1 Abs. 2 AGBG benutzt dieselbe Terminologie wie §§ 449, 466 HGB. Daher könnten auch die Rechtsgedanken dieser Norm auf der Basis der Einheit der 7 Pfeiffer

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

Rechtsordnung für die Begriffsbestimmung in §§ 449, 466 HGB fruchtbar gemacht werden. Allerdings bietet § 1 Abs. 2 AGBG im Gegensatz zu Art. 3 Abs. 2 RiLi keine eigene Begriffsbestimmung. Es müßte daher zunächst der Tatbestand des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG näher bestimmt werden. Dabei kann jedoch nicht auf die Begriffsbestimmung der herkömmlichen Auffassung zurückgegriffen werden. Dies ergab sich aus der oben angestellten näheren Untersuchung des Meinungsstandes zu § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB), auf die an dieser Stelle verwiesen werden soll.106 Eine eigene Begriffsbestimmung soll an dieser Stelle nicht vorgenommen werden. Denn aus der Norm des § 1 Abs. 2 AGBG selbst lassen sich keinerlei Anhaltspunkte entnehmen, die den Begriff des Aushandelns präziser erscheinen ließen als in §§ 449, 466 HGB. Es kann jedoch darauf hingewiesen werden, daß sich eine eigene Begriffsbestimmung wegen des Erfordernisses der richtlinienkonformen Auslegung zwangsläufig weitgehend an die Auslegung des Art. 3 RiLi anzulehnen hätte. Zwar dürfte die nationale Regelung restriktivere Voraussetzungen vorsehen als die Richtlinie (Art. 8 RiLi). Da Unternehmer aber weniger schutzbedürftig sind als Verbraucher, ist zumindest auf den ersten Blick eine Auslegung, die das Aushandeln auch für den unternehmerischen Verkehr an engere Voraussetzungen als die Richtlinie knüpft, abzulehnen. Daher ist aufgrund dieser summarischen Erwägungen davon auszugehen, daß der Begriff des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) starke Ähnlichkeit mit dem soeben bestimmten Begriff der Richtlinie besitzt. Es kann ferner aus dem systematischen Zusammenhang mit § 1 Abs. 1 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 1, 2) geschlossen werden, daß sich eine ausgehandelte Vereinbarung qualitativ von einseitig im voraus für eine Vielzahl von Verwendungen abgefaßten Bedingungen, die eine Seite der anderen beim Vertragsschluß stellt, unterscheidet. Dies stützt die Ergebnisse der logischen Auslegung der §§ 449, 466 HGB.107

III. § 51a BRAO (§ 45a PatAnwO; § 67a StBerG; § 54a WPO)108 § 51a BRAO und die verwandten Normen benutzen in ihrem Wortlaut zwar nicht den Begriff des Aushandelns, betreffen aber eine den §§ 449, 466 HGB ähnSiehe oben unter § 2 I., S. 31 ff. Vgl. oben unter § 5 II., S. 69; § 5 IV., S. 70. 108 Die in Parenthese zitierten Vorschriften sind dem § 51a BRAO ähnlich und werden daher nicht gesondert behandelt. Ihr Wortlaut enthält jedoch nicht die Beschränkung auf einfache Fahrlässigkeit in § 51a Abs. 1 Nr. 2 BRAO, wobei das AGBG bei vorformulierten Haftungsbeschränkungen wohl in den meisten Fällen für eine ähnliche Einschränkung sorgen wird (vgl. § 11 Nr. 7 AGBG). 106 107

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liche Konstellation: Eine Partei möchte vom gesetzlichen Haftungssystem abweichen, was aber aus Schutzgründen vom Gesetz nur unter zusätzlichen, besonderen Bedingungen ermöglicht wird. In Abs. 1 Nr. 1 der genannten Normen werden Beschränkungen von Ersatzansprüchen für zulässig erklärt, die „durch schriftliche Vereinbarung im Einzelfall“ vorgenommen werden. Im Gegensatz dazu stehen in Nr. 2 „vorformulierte Vertragsbedingungen“, in denen nur weitaus eingeschränktere Haftungsbegrenzungen enthalten sein dürfen. Da anzunehmen ist, daß die Rechtsordnung vergleichbare Regelungsprobleme ähnlich löst, soweit keine entgegenstehenden Anhaltspunkte existieren, sind evtl. aus diesen Normen Anhaltspunkte für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB zu gewinnen. Zu diesem Zweck ist zunächst zu ermitteln, wie die oben genannten Normen das Regelungsproblem lösen. Diesbezüglich kommen unterschiedliche Ansätze in Betracht. 1. Herrschende Literaturmeinung Die herrschende Literaturmeinung sieht in den schriftlichen Vereinbarungen im Einzelfall eine ausgehandelte Vereinbarung i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) und übernimmt auch die dort entwickelten – überaus strengen109 – Anforderungen an das Aushandeln komplett.110 Als Begründung dafür wird der Wortlaut111 und der systematische Zusammenhang mit der zweiten Alternative (Vorformulierung)112 sowie die Entstehungsgeschichte113 angeführt.

2. Die Ansicht Gehres zu § 67a StBerG Auch Gehre114 stellt die Vereinbarungen im Einzelfall den Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegenüber. Allerdings stellt er offenbar geringere Anforderungen an eine ,Vereinbarung im Einzelfall‘. Nach dem Sinn des Gesetzes setze eine solche die Erörterung mit dem Auftraggeber voraus. „Im Einzelfall“ bedeute, daß 109 von Westphalen, ZIP 1995, 546; Wolf, WPK-Mitteilungen 1998, 197, 200; Kleine-Cosack, § 51a Rn. 5. 110 Kleine-Cosack, § 51a Rn. 5; Feuerich in Feuerich / Braun, § 51a BRAO Rn. 7; Wolf, WPK-Mitteilungen 1998, 197, 200; Werber, VersR 1996, 917, 918; von Westphalen, ZIP 1995, 546; weniger ausdrücklich, aber doch im Ergebnis Reiff, AnwBl. 1997, 3, 6; a.A. Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 9 ff. (m. w. N. für die h.M.). 111 Kleine-Cosack, § 51a Rn. 3. 112 Kleine-Cosack, § 51a Rn. 3 sowie auch Werber, VersR 1996, 917, 918. 113 Vgl. Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 9 (mit Nachweis aus den Gesetzesmaterialien), der diese Ansicht jedoch ablehnt. 114 Gehre (1995) § 67a Rn. 5 ff.

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die Vereinbarung nicht mit weiteren Erklärungen oder Vollmachten verbunden sein darf, also eine gesonderte Vereinbarung darstellt. Er verweist zur Begründung auf den Zusammenhang mit dem Abs. 2 S. 2 der Vorschrift. Nach Gehre kommt es also zum einen auf das Inkenntnissetzen des Auftraggebers über Inhalt und Tragweite der Vereinbarung an, was durch die Erörterung erreicht wird. Zum anderen wird durch die Niederlegung in einem gesonderten Dokument ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem gewährleistet. Letzteres begünstigt auch formal die inhaltliche Aufnahme der Klausel in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen. 3. Gegenansicht Römermanns Die Gegenansicht kritisiert die Gleichsetzung der Vorformulierung in Nr. 2 mit AGB-Verträgen und weist darauf hin, daß Vorformulierung auch für einen Einzelfall möglich sei, was Art. 3 der Richtlinie 93 / 13 / EWG belege. Der von den Vertretern der herrschenden Meinung angeblich angenommene Gegensatz zwischen Einzelfallvereinbarung und vorformulierten Vertragsbedingungen bestünde somit nicht, da auch Einzelfallvereinbarungen vorformuliert sein könnten.115 Eine Einzelfallvereinbarung sei vielmehr eine Vereinbarung, die nur in einem Fall in dieser Form vereinbart wurde, wobei es nicht darauf ankäme, ob der Anwalt sie vorformuliert habe oder ob sie zwischen den Parteien ausgehandelt worden sei.116 Vorformulierung i. S. d. Nr. 2 sei dagegen abzulehnen, wenn die Vereinbarung beidseitig formuliert oder ausgehandelt wurde i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG.117

4. Kritische Würdigung Konsequenterweise führte die letztgenannte Ansicht dazu, daß die einschneidendste Haftungsbeschränkung ohne über die Schriftform hinausgehende Anforderungen, die eine inhaltliche Übernahme in den rechtsgeschäftlichen Gestaltungswillen des Mandanten sicherstellen, vereinbart werden kann, wenn diese Vereinbarung in ihrer Form nur einmal verwandt wird. Dabei besteht für den Mandanten stets ein großes Maß an Unsicherheit, weil er nicht erkennen kann, ob die Klausel tatsächlich nur in diesem einen Fall vereinbart worden ist. Es wird ferner auch nicht konkretisiert, was das Tatbestandsmerkmal ,nur in einem Fall‘ bedeutet. – Reicht eine um jeweils einen Cent unterschiedliche Haftungssumme oder bedeutet ,nur in einem Fall‘ einmal in der Karriere eines Anwalts, einmal pro Mandant . . .? Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 11. Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 13; so i.E. auch Temme, FS-Herber (1999) S. 204 (zu § 449 HGB). 117 Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 18. 115 116

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Ein derartiges Verständnis führte neben großer Rechtsunsicherheit zu einer völligen Bedeutungslosigkeit der Vorschrift und ist somit abzulehnen. Aber auch die Gleichsetzung mit § 1 Abs. 2 AGBG erscheint fragwürdig: Erstens existiert kein vom Gesetz definierter Verwender, der sich abänderungsbereit zeigen muß. Darüber kann allerdings mit der Unternehmer-Verbraucher-Wertung des § 24a AGBG hinweggeholfen werden, wenn man „gewerblich“ mit „rechtsanwaltlich“ substituiert, denn dann tritt der Rechtsanwalt an die Stelle des Unternehmers und der Mandant als „nicht im Rahmen einer anwaltlichen Tätigkeit“ in die Position des Verbrauchers. Des weiteren erscheint auch hier118 die Bedingung des ernsthaften Zur-Disposition-Stellens des gesetzesfremden Kerngehalts der Klausel problematisch, da es bezüglich einer Haftungsfreizeichnung nur ein Entweder-Oder gibt und der Anwaltsvertrag auch nur eine geringe Zahl von der dispositiven Gestaltung zugänglichen sonstigen Vertragsbedingungen enthält. Daher erscheint es schwierig, auf anderen Bereichen Konzessionen anzubieten – insbesondere dürfen die gesetzlichen Gebührensätze nicht unterschritten werden (§ 49b Abs. 1 BRAO). Zwar könnte man auf § 51a Abs. 1 Nr. 2 BRAO zurückgreifen, um daraus zu entnehmen, daß eine Haftungsbeschränkung in begrenztem Umfang stets (nämlich auch bei Vorformulierung) zulässig ist und somit qualitativ keinen gesetzesfremden Kerngehalt darstellt. Aus der systematischen Stellung der beiden Alternativen nebeneinander ergibt sich aber eher, daß beide Fälle der Haftungsbeschränkung als Ausnahmen anzusehen sind, d. h. daß eine Haftungsfreizeichnung gesetzesfremd ist. Außerdem gilt Nr. 2 nur für Fälle einfacher Fahrlässigkeit, so daß eine allgemeine Haftungsbeschränkung bei Fahrlässigkeit auf jeden Fall gesetzesfremd ist. Der Aushandelnsbegriff des § 1 Abs. 2 AGBG stößt also auch hier an seine Grenzen. Dies verleitete Wolf119 zu der Forderung, Kriterien für den Aushandelnsbegriff zu entwickeln, die ihm einen angemessenen Anwendungsbereich belassen. Am ehesten werden die Ansätze Gehres den betrachteten Normen gerecht. Der Wortlaut ist nicht identisch mit § 1 Abs. 2 AGBG oder Art. 3 RiLi, sondern spricht lediglich von Vereinbarungen. Die besondere Betonung der Schriftform deutet auf einen eigenständigen Schutz durch diese Formvorschrift hin, der überflüssig wäre,120 wenn die Vertragsbedingung im einzelnen ausgehandelt wäre. Das Schriftformerfordernis sorgt dafür, daß der Mandant auf das Regelungsproblem aufmerksam wird. Die von Gehre zusätzlich geforderte Erörterung vermittelt dem Mandanten auch die notwendige Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vereinbarung. Vgl. oben § 2 I. 2. a), S. 38 ff. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 32 (a.E.); ders. WPK-Mitteilungen 1998, 197, 200. 120 Zwar ist noch an die Beweissicherungsfunktion zu denken. Diese würde jedoch vielmehr den Rechtsanwalt schützen, der im Haftungsprozeß die Haftungsbeschränkung zu beweisen hätte. Eines derartigen Schutzes bedürfen unternehmerisch tätige Freiberufler jedoch nicht. 118 119

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

Dagegen setzt eine vorformulierte Vereinbarung weder Aufmerksamkeit für das Problem noch Kenntnis von Inhalt und Tragweite der vereinbarten Haftungsbeschränkung voraus. Für den Einzelfall vorformulierte Haftungsbeschränkungen sind selten und daher wirtschaftlich nicht weiter relevant.121 Es kommt hauptsächlich auf Haftungsbeschränkungen in AGB an, die auch dem Gesetzgeber hier vor Augen geschwebt haben dürften. In diesen ,verstecken‘ sich die Haftungsbeschränkungen, so daß auch systematisch ein bedeutsamer Unterschied zwischen Nr. 1 und Nr. 2 bestünde. Außerdem bezwecken die betreffenden Regelungen, Rechtsanwälten, Patentanwälten, Steuerberatern und Wirtschaftsprüfern Mittel an die Hand zu geben, um die teilweise existenzgefährdenden Haftungsrisiken beherrschbar zu machen.122 Die Vereinbarung von Haftungsbeschränkungen muß somit einigermaßen einfach und wirtschaftlich zu erzielen sein – was zumindest bei einem Aushandeln nach § 1 Abs. 2 AGBG nicht der Fall wäre. Demnach setzen die §§ 51a BRAO; 45a PatAnwO; 67a StBerG; 54a WPO für eine Haftungsbeschränkung auf die Mindestversicherungssumme voraus, daß Inhalt und Tragweite dieser Beschränkung zunächst erläutert wurden und dann von beiden Parteien123 gesondert unterschrieben werden.

5. Übertragbarkeit auf das Transportrecht Wenn Anhaltspunkte aus der Behandlung dieser Problematik für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB fruchtbar gemacht werden sollen, müßte die Regelungssituation inhaltlich mit der im Transportrecht vergleichbar sein. Grundsätzlich ist die Situation ähnlich, denn auch im Transportrecht geht es darum, Haftungsfolgen zu reduzieren und Risiken handhabbar zu machen. Vergleichbar ist auch, daß nicht (wie bei § 1 Abs. 2 AGBG) eine Ausnahme von der Inhaltskontrolle normiert wird, bei welcher jedoch ein weites Maß privatautonomen Gestaltungsspielraums verbleibt. Vielmehr geht es um die einzige Möglichkeit, überhaupt eine privatautonome Gestaltung auf dem betroffenen Gebiet vorzunehmen. Auch in § 449 (466) Abs. 2 S. 2 HGB besteht die Möglichkeit, ein bestimmtes Maß an Risikoverlagerung durch vorformulierte Vertragsbedingungen vorzunehmen. Dies spricht für eine Übertragbarkeit des Grundgedankens, daß außerhalb der Alternative der Vorformulierung Aufmerksamkeit auf das Regelungsproblem gelenkt sowie Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung vermittelt werden muß. Allerdings bestehen auch Unterschiede zur Situation im Transportrecht: Der Transportvertrag ist weniger eng reglementiert und bietet mehr Verhandlungspunk121 122 123

Reiff, AnwBl. 1997, 3, 4. Reiff, AnwBl. 1997, 3, 6. Vgl. Hartung / Holl-Römermann, § 51a BRAO Rn. 1.

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te für ein Entgegenkommen auf anderem Gebiet als z. B. das anwaltliche Mandat. Ferner ist zu berücksichtigen, daß in § 51a BRAO auf einer Seite stets ein ,Experte‘124 (Anwalt) einem grundsätzlich weniger Expertise besitzenden Mandanten gegenübersteht, wohingegen in § 449 (466) Abs. 2 HGB stets zwei Unternehmer beteiligt sind. § 51a BRAO unterscheidet demgegenüber nicht zwischen Unternehmern und Verbrauchern, wobei allerdings zumindest im Anwendungsbereich der wortgleichen § 45a PatAnwO und § 54a WPO das Auftreten von Verbrauchern eher ein Ausnahmefall sein wird. Aufgrund dieser Unterschiede sind die Regelungssituationen zumindest nicht identisch, so daß es hinlängliche Differenzierungsgründe gibt, die es rechtfertigten, die Situation im Transportrecht abweichend zu gestalten. Daher kann lediglich die Bedeutung der Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem und der Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung in derartigen Regelungssituationen hervorgehoben werden.

IV. Zusammenfassung Aus der Betrachtung paralleler Normen der Rechtsordnung lassen sich Anhaltspunkte für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,ausgehandelt‘ ermitteln. Zunächst ergibt der Vergleich mit § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB), daß sich ausgehandelte Vertragsbedingungen qualitativ von AGB unterscheiden, d. h. von einseitig für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten und gestellten Klauseln. Aus §§ 51a BRAO; 45a PatAnwO; 67a StBerG; 54a WPO ergibt sich, daß die Rechtsordnung für Vereinbarungen im Einzelfall, durch die von einer ansonsten zwingenden Risikoverteilung abgewichen werden soll, das Erfordernis der Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem und der Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Klausel aufstellt. Die detaillierteste Aussage darüber, wie die Rechtsordnung den Begriff ,Aushandeln‘ bestimmt, läßt sich aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 93 / 13 / EWG gewinnen. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses a maiore ad minus ergibt sich, daß Aushandeln zwischen Unternehmern höchstens dann ausscheidet, wenn eine Seite keine Möglichkeit hatte, auf die Vertragsgestaltung Einfluß zu nehmen, weil die Vertragsbedingung nicht erst während der Verhandlung in die inhaltliche Gestaltung des Vertrages eingeflossen sind. Dies ist auf der Basis der Einheit der Rechtsordnung auch bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,Aushandeln‘ in §§ 449, 466 HGB zu berücksichtigen, soweit nicht besondere Wertungen dieser Normen dem entgegenstehen.

124

Vgl. Werber, VersR 1996, 917, 918.

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2. Teil: Auslegung der §§ 449, 466 HGB

Ob eine Vertragsbedingung auch immer dann, wenn sie nach Art. 3 Abs. 2 RiLi nicht ausgehandelt wäre, ebenfalls nach §§ 449, 466 HGB nicht ausgehandelt ist, kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn die rationes dieser Vorschriften identisch wären,125 d. h. wenn auch die §§ 449, 466 HGB den Schutz vor mißbräuchlicher Ausnutzung einseitiger Vertragsgestaltungsmacht gewährleisten sollten. Dies übersteigt jedoch den Rahmen der Gesetzordnungssystematik und leitet über zur wertenden Auslegung.

125

Vgl. Larenz (1991) Kap. 4 – 2.b (S. 327).

3. Teil

Ermittlung des Normzwecks (wertende Auslegung) Die beschreibende Auslegung vermag die Begriffsbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB in bestimmte Bahnen zu lenken. Eine präzise und umfassende Definition ist jedoch noch nicht möglich. Es darf außerdem nicht vergessen werden, daß das Gesetz nicht zum Selbstzweck besteht, sondern einen Regelungszweck verfolgt. Aufgabe der Auslegung durch den Rechtsanwender hat es somit zu sein, die Regelung so zu handhaben, daß dieser Zweck möglichst weitgehend verwirklicht wird. Daher ist im folgenden der Zweck, die ratio des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB zu ermitteln. Dies bezieht sich zunächst auf den Zweck, den der historische Gesetzgeber mit der Norm umsetzen wollte (subjektiv-teleologische Auslegung – § 7). In Anbetracht dessen, daß der Gesetzgeber das Potential einer Norm teilweise nicht vollständig zu erfassen vermag, weil er sich hauptsächlich auf einen bestimmten Zweck konzentriert, dabei aber auch den objektiven Rechtsgrundsätzen verhaftet bleibt, ist auch die objektive ratio legis zu ermitteln (objektiv-teleologische Auslegung – § 8).

§ 7 Die historisch-subjektive ratio legis (subjektiv-teleologische Auslegung) I. Ermittlung der ratio legis 1. Wirtschaftspolitische Hintergründe: Schutz der inländischen Transportwirtschaft? Der Zweck, den der historische Gesetzgeber mit §§ 449, 466 HGB verfolgte, könnte zunächst einen politischen Hintergrund haben: den Schutz der inländischen Transportwirtschaft vor übermäßigem Wettbewerb. Darauf könnte zunächst der Zeitpunkt von Verabschiedung bzw. Inkrafttreten hindeuten: Das Transportrechtsreformgesetz ist nach seinem Art. 12 Abs. 2 am 01. 07. 1998 in Kraft getreten, nachdem es am 25. 06. 1998 beschlossen worden ist.1 1

BGBl. I 1998, S. 1588.

106

3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

Exakt zum Termin des Inkrafttretens wurde auch die Kabotage in der EU zwingend freigegeben.2 Dies bedeutet, daß ab diesem Zeitpunkt ausländische Transportunternehmer inländische Transporte durchführen können und nur soweit an deutsches Recht gebunden sind, wie dies zwingend ist. Zumindest in Teilbereichen enthielt das bisherige Transportrecht jedoch keine zwingenden Regelungen3 und ermöglichte somit die Anwendung ausländischen Rechts mit einem evtl. niedrigeren Haftungsniveau auf innerdeutsche Transporte. Dies könnte zu Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der deutschen Transportunternehmen führen – ein Gedanke, der auch dem historischen Gesetzgeber nicht fremd war.4 Da einschränkende Sonderregelungen nur für ausländische Kabotagebetreiber diese gegenüber den deutschen Transportunternehmen europarechtswidrig benachteiligen würden und somit nur eine einheitliche Regelung des Transportvertragsrechts in Frage kam, könnte der Zweck des Gesetzes eine Verhinderung des Wettbewerbs und somit ein Schutz der nationalen Transportunternehmer durch ein Festschreiben der Konditionen auf dem Transportmarkt sein. Dafür könnte im übrigen auch die enge Beteiligung der Interessenverbände sprechen,5 hinter der die Beteiligung der Öffentlichkeit, insbesondere auch der Parlamentsöffentlichkeit – über den Gesetzentwurf wurde im Plenum des Bundestages kein einziges Mal beraten –, zurückblieb.6 Allerdings hat eine derartige Zweckbestimmung der Norm keinen Niederschlag in den Materialien gefunden, wenn man von der Begründung zum späteren § 449 Abs. 3 HGB absieht. Der § 449 Abs. 3 HGB ist jedoch lediglich eine Konsequenz aus der Regelung durch § 449 Abs. 2 HGB. Er soll die Gleichbehandlung inländischer Transportunternehmen mit Kabotagebetreibern hinsichtlich der Mindestbedingungen bzw. der Möglichkeit, sie zu unterschreiten, sichern. Eine Begründung für diese Mindestbedingungen bzw. für die Art und Weise, wie sie unterschritten werden können, läßt sich weder § 449 Abs. 3 HGB selbst noch der Begründung des Normentwurfs entnehmen. Der in den Materialien zum Ausdruck 2 Darauf weisen auch zwei Redner in der zweiten und dritten Lesung des Gesetzes hin: Altmann, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20389 (C); Enkelmann, ebd. S. 20391 (B). 3 Basedow (1993) S. 176. 4 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 88 (r. Sp.). 5 Freiherr von Stetten, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20387 (B, C); Pick, ebd. S. 20388 (C), betont im Zusammenhang mit der Anhörung der Verbände, daß „der Transportmarkt stark umkämpft ist – auch im Hinblick auf internationale Mitbewerber – und daß ein beinharter Wettbewerb stattfindet.“ Braun, ebd. S. 20390 (D) f., erwähnt ausdrücklich die „Interventionen der verschiedenen Verbände“ und stellt im Zusammenhang damit resignierend fest, „daß es neben den Zielen der Rechtsvereinfachung, der Rechtsvereinheitlichung und dem Rechtsfrieden noch ein weiteres Ziel gibt, nämlich den Frieden unter den Verbänden.“ 6 Vgl. dazu Braun (in einer nur zu Protokoll gegebenen Rede), Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20390 (A).

§ 7 Die historisch-subjektive ratio legis

107

kommende Zweck des § 449 Abs. 3 HGB – Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Transportwirtschaft – läßt sich somit nicht auf die gesamte Norm verallgemeinern. Eine wirtschaftspolitische Zielsetzung im Sinne eines Schutzes der Transportwirtschaft vor Konkurrenzdruck im Hinblick auf die Konditionen bzw. auf die Risikoverteilung läßt sich somit nicht belegen. In den Materialien wird ein Gesetzeszweck ausdrücklich bezeichnet (dazu sogleich unter 2). An diesem ausdrücklich erklärten Zweck muß sich der Gesetzgeber ,festhalten‘ lassen.7 Ein Schutz vor Wettbewerb wäre im übrigen grundsätzlich mit der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung und auch mit dem Europarecht nicht zu vereinbaren, so daß es fragwürdig erscheint, einen Eingriff in die grundrechtlich geschützte Vertragsfreiheit damit rechtfertigen zu wollen.

2. Rechtspolitische Hintergründe: Gewährleistung von Rechtssicherheit und Privatautonomie sowie Schutz vor Marktmachtmißbrauch Subjektive ratio legis könnte die Gewährleistung von Rechtssicherheit und der Schutz vor Marktmachtmißbrauch sein. Dafür spricht die Begründung des Regierungsentwurfs des Transportrechtsreformgesetzes. Darin heißt es ausdrücklich, daß „als wesentliche Beweggründe, die eine gesetzgeberische Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen können,“ die Verhinderung von „Rechtszersplitterung“ und die Verhinderung eines „Mißbrauchs von Marktmacht“ in Betracht kommen.8

a) Schutz vor Marktmachtmißbrauch An anderer Stelle wird weiterhin von der „Zielsetzung eines wirksamen Schutzes des wirtschaftlich Schwächeren“9 sowie von der „rechtspolitischen Zielsetzung“ eines Schutzes, wenn eine Seite ihre Interessen nicht in die Vertragsverhandlung einbringen konnte,10 gesprochen. Deutlich wird dies nochmals in der Passage: „Angesichts der . . . Marktsituation im Transportgewerbe mit einem erheblichen Marktmachtgefälle soll eine derartige Regelung sowohl einen marktschwachen, unerfahrenen Beförderer als auch kleine Verlader vor Überraschungen hinsichtlich 7 Vgl. Larenz / Canaris (1995) S. 150: „Als Wille des Gesetzgebers sind . . . nur anzusehen die zutage liegenden Grundabsichten und diejenigen Vorstellungen, die in den Beratungen . . . zum Ausdruck gebracht . . . worden sind.“ 8 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 85 (r. Sp.). Vgl. auch zu § 465 E ebd. S. 115 (r. Sp.). 9 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (l. Sp.). 10 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 87 (l. Sp.).

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

der Haftungshöhe schützen.“11 Das Selbstverständnis des Regierungsentwurfs äußert sich in der Textstelle, der Entwurf verstehe sich „als Beitrag zur Entschärfung des Marktmachtproblems“.12 Zwar bezieht sich der Regierungsentwurf noch auf einen Normentwurf, der nicht zwischen Verbrauchern und Unternehmern differenzierte. Insbesondere in der vorletzten zitierten Passage wird jedoch schon deutlich, daß sich diese Erwägungen (zumindest auch) auf Unternehmen beziehen. Für letzte Klarheit, daß sich der Schutz vor Marktmachtmißbrauch nicht nur auf Verbraucher bezieht, sorgt die Konkretisierung, daß dem Gesetzgeber „Konstellationen, in denen kleine Versender verhältnismäßig marktmächtigen Speditionen gegenüberstehen . . . genauso wie der umgekehrte Fall, in dem Großunternehmen in der Lage sind, kleinere und mittlere Speditionsunternehmen durch ihre Marktmacht unter Druck zu setzen“, vorschweben.13 Dies geht auch aus dem Bericht des Rechtsausschusses hervor. Die Regelung des § 449 (466) Abs. 1 HGB sei „im Interesse eines wirksamen Verbraucherschutzes“ aus dem Anwendungsbereich des § 448 E-HGB ausgenommen worden.14 Dies spricht dafür, daß der Rechtsausschuß den Schutz des Schwächeren durch das Aushandeln im Bezug zu Verbrauchern nicht für ausreichend erachtete. Für den unternehmerischen Verkehr hingegen wird § 448 Abs. 1 E-HGB übernommen, ohne daß diese Regelung angesichts dessen, daß sie nun ausschließlich für Unternehmer gilt, modifiziert wurde. Auch aus den zur Verabschiedung des Gesetzes zu Protokoll gegebenen Reden läßt sich nicht entnehmen, daß sich der Schutz vor Marktmachtmißbrauch lediglich auf die beteiligten Verbraucher bezieht, im Gegenteil.15 Subjektive ratio legis, die der historische Gesetzgeber dem Gesetz beigemessen hat, ist somit der Schutz vor Marktmachtmißbrauch.

11 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 88 (r. Sp.). 12 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 116 (l. Sp.). 13 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 116 (l. Sp.). 14 BT-Drs. 13 / 10014 vom 04. 03. 1998, S. 50. 15 Vgl. Freiherr von Stetten, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20387 (C); Pick, ebd. S. 20388 (C) und S. 20389 (B), der ausdrücklich von der Befürchtung der Beeinträchtigung marktschwächerer Teilnehmer in einem Zusammenhang spricht, der für Verbraucher nicht relevant ist. Braun, ebd. S. 20391 (A) spricht vom „Schutz der kleinen Betriebe mit der geringen Marktmacht auf seiten der Verlader und der Frachtführer“.

§ 7 Die historisch-subjektive ratio legis

109

b) Gewährleistung von Rechtssicherheit Neben dem Schutz vor Marktmachtmißbrauch kommt als ratio legis auch die Gewährleistung von Rechtssicherheit in Betracht. Die Begründung des Regierungsentwurfs erwähnt die Gefahr der Rechtsunsicherheit.16 Sie richtet ihr Augenmerk dabei hauptsächlich auf die Verhinderung von Rechtszersplitterung,17 bezweckt also eine Reduzierung der Normzahl. Dadurch soll Klarheit über die konkret geltende Rechtslage geschaffen werden und „eine Kalkulierbarkeit und Versicherbarkeit der im Schadensfall zu zahlenden Beträge“ erzielt werden.18 Aus dem Plenarprotokoll der zweiten und dritten Lesung geht hervor, daß zusammen mit der Rechtszersplitterung die dem bis dahin geltenden Transportrecht angelastete Unübersichtlichkeit und Systemlosigkeit bekämpft19 und eine rechtssichere Anwendung des Rechts ermöglicht20 werden sollte. Auch die Gewährleistung von Rechtssicherheit im Sinne von Klarheit und Bestimmtheit der Rechtslage ist somit subjektive ratio legis der §§ 449, 466 HGB.

c) Gewährleistung von Privatautonomie Die Zwecke ,Verhinderung von Marktmachtmißbrauch‘ und ,Gewährleistung von Rechtssicherheit‘ sind nach der Regelung der §§ 449, 466 HGB mit einer Einschränkung der Privatautonomie verbunden. Mit der angestrebten Regelung bezweckt der Gesetzgeber aber auch ausdrücklich, die Privatautonomie so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. 21 Diese Regelung solle „in erster Linie Ausdruck der Überlegung [sein], daß der Spielraum der Privatautonomie, welchem . . . grundlegende Bedeutung für unsere Rechtsordnung zukommt, nur dort eingeschränkt werden soll, wo dies unbedingt nötig und durch gesetzgeberisch zu wahrende Schutzbedürfnisse geboten ist.“22 16 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (l. Sp.). 17 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 85 (r. Sp.), S. 87 (l. Sp.), S. 115 (r. Sp.). 18 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 88 (l. Sp.). 19 Pick, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20388 (A); Braun, ebd. S. 20390 (B). 20 Pointiert bringt dies Braun ebd. S. 20390 (C) darin zum Ausdruck, „daß die Berufshaftpflichtversicherer der Rechtsanwälte nicht mehr im bisherigen Umfang zahlen müssen.“ Vgl. auch Funke ebd. S. 20392 (A, B). 21 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 116 (l. Sp.). 22 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 85 (r. Sp.).

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

Auch an anderen Stellen wird in den Materialien auf das „Bedürfnis“ nach Vertragsfreiheit23 bzw. „Einzelfallflexibilität“ 24 eingegangen und es wird betont, „daß die vielfältigen, unterschiedlich ausgestalteten Sachverhalte im Transportbereich nicht befriedigend durch eine einheitliche [gesetzliche (Erg. d. Verf.)] Haftungsregelung . . . erfaßt werden können.“25 Ziel der gesetzlichen Regelung ist somit, bei allen Schutzerwägungen die Privatautonomie weitestgehend aufrecht zu erhalten.

II. Konsequenzen für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,Aushandeln‘ Die soeben ermittelten subjektiven rationes legis dienen zur Konkretisierung der Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘.

1. Schutzzweck: Rechtssicherheit Im Hinblick auf den Schutz vor Rechtszersplitterung müßte das Aushandeln eher eng gehandhabt werden, so daß es möglichst selten zu individuellen Vereinbarungen kommt und es bei der Geltung der gesetzlichen Regelung bleibt. Dies führte jedoch zu einem Widerspruch zu der ausdrücklichen Feststellung des Gesetzgebers, der Spielraum der Privatautonomie solle nur dort eingeschränkt werden, wo dies unbedingt nötig ist.26 Da der historische Gesetzgeber – wie oben festgestellt27 – bemüht war, den Eingriff in die Privatautonomie nach Möglichkeit zu beschränken,28 würde eine subjektiv-teleologische Auslegung, die zu einer weitgehenden Einschränkung privatautonomer Regelungen führte, der Regelungsabsicht des Gesetzgebers nicht gerecht. Die in den Materialien betonte Rechtszersplitterung ist lediglich als Ursache einer verworrenen Rechtslage relevant. Als ratio legis wurde daher nicht die Verhin23 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (l. Sp.). 24 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 88 (l. Sp.). 25 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (r. Sp.); vgl. auch zur Kritik an den Vorschlägen, es sei mehr Spielraum für die Praxis erforderlich, der der Entwurf Rechnung tragen wollte S. 88 (l. Sp.). 26 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 85 (r. Sp.). 27 Siehe oben unter § 7 I. 2. c), S. 109. 28 Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 116 (l. Sp.).

§ 7 Die historisch-subjektive ratio legis

111

derung der Existenz einer Vielzahl von verschiedenen Vertragsbedingungen, sondern die Gewährleistung einer klaren, bestimmten und überschaubaren Rechtslage ermittelt. Das Aushandeln muß daher dafür sorgen, daß die Parteien eines konkreten Transportvertrags genaue Kenntnis der für ihre Vertragsbeziehung geltenden Regeln mit allen Details haben. Der Regierungsentwurf stellt insofern auf die „bewußte Entscheidung der Parteien für die ausbedungene Regelung“ ab.29 Ausgehandelte Vereinbarungen zeichnen sich somit nach der subjektiv-teleologischen Auslegung dadurch aus, daß beide Parteien zumindest genaue Kenntnis vom Inhalt der betreffenden Vertragsbedingungen besitzen.

2. Schutzzweck: Verhinderung von Marktmachtmißbrauch Wenn bei weitestmöglicher Aufrechterhaltung der Privatautonomie (s. o.)30. der Mißbrauch von Marktmacht verhindert werden soll, dann muß dafür Sorge getragen werden, daß sich evtl. bestehende Marktmacht nicht – bzw. nicht in mißbräuchlicher Zielsetzung – bei der inhaltlichen Gestaltung der Vertragsbedingungen auswirkt. Mit anderen Worten ist eine möglichst gute Funktion des Vertragsmechanismus zu gewährleisten. Dann müssen beide Seiten – zumindest potentiell – Einfluß auf den Inhalt der Vereinbarung haben. Ausgehandelte Vereinbarungen zeichnen sich somit nach der subjektiv-teleologischen Auslegung dadurch aus, daß beide Parteien bei der Genese der Vertragsbedingungen Einfluß auf deren Inhalt nehmen konnten. Aushandeln bezeichnet also einen Mechanismus, der diesen potentiellen Einfluß auf die Vertragsgestaltung gewährleistet. Dies setzt im übrigen jedenfalls voraus, daß nicht einer Partei aufgrund der Tatsache, daß eine Vertragsbedingung im voraus abgefaßt wurde, die Möglichkeit fehlte, auf deren Inhalt Einfluß zu nehmen. In diesem Sinne bewegt sich die Definition von ,nicht ausgehandelt‘ aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 RiLi 93 / 13 / EWG im Sinne einer Mindestbedingung auch im Rahmen der subjektiv-teleologischen Auslegung.

3. Konkretisierung der Begriffsbestimmung des Aushandelns durch wertende Abwägung Im Rahmen der Konkretisierung der Begriffsbestimmung des Aushandelns auf der Grundlage der subjektiv-teleologischen Auslegung stellt sich weiterhin die allgemeinere Frage, wie weit bzw. eng der Begriff „ausgehandelt“ auszulegen ist. Dies richtet sich danach, in welchem Umfang die Vertragsfreiheit zugunsten des 29 Dies kennzeichne Fälle geringerer Schutzwürdigkeit, Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 87 (l. Sp.). 30 Siehe oben unter § 7 I. 2. c), S. 109.

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

Schutzes vor Marktmachtmißbrauch und von Rechtssicherheit zurückstehen muß. Dazu ist eine Abwägung zwischen diesen Schutzzwecken und der Verbürgung der Vertragsfreiheit erforderlich. Hinsichtlich dieser Abwägung hat der historische Gesetzgeber jedoch keine näheren Vorgaben gemacht, die einen subjektiven Willen erkennen lassen. Aus den Materialien läßt sich lediglich entnehmen, daß eine Abwägung stattfinden soll. So soll der Spielraum der Vertragsfreiheit nur dort eingeschränkt werden, „wo dies unbedingt nötig und durch gesetzgeberisch zu wahrende Schutzbedürfnisse geboten ist“31 bzw. kommt es auf das „erforderliche Mindestniveau“32 zwingenden Rechts an. Diese Abwägung hat der Gesetzgeber zwar allgemein mit der Auswahl der Vorschriften vorgenommen, die lediglich durch Aushandeln dispositiv werden. Eine derartige Abwägung ist jedoch nicht nur hinsichtlich des Umfangs des Anwendungsbereichs des Aushandelnstatbestands erforderlich, sondern auch für dessen Anwendung selbst. Denn die Verwirklichung des Schutzzwecks des Gesetzes endet nicht bei der Auswahl der Normen, die nur beschränkt dispositiv sind, sondern prägt auch den Ausnahmetatbestand, d. h. die Art und Weise, wie diese Beschränkung umgangen werden kann. Aus den Materialien ergibt sich diesbezüglich nur, daß es nicht auf „Wertungsfragen hinsichtlich des Klauselinhalts“ ankommen soll33 und daß dem historischen Gesetzgeber als Orientierung der Begriff des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG (jetzt § 305 Abs. 1 S. 3 BGB) vor Augen schwebte. Diese Regelung habe sich bewährt und wahre die rechtspolitischen Zielsetzungen zwingenden Rechts;34 bei einem derartigen Aushandeln existierten „keine durch zwingendes Recht zu wahrenden Schutzbedürfnisse“.35 Allerdings wird diese Auffassung nicht in Auseinandersetzung mit dem Begriff des Aushandelns in § 1 Abs. 2 AGBG begründet und es findet – wie oben schon festgestellt36 – keine Verweisung auf die AGBrechtliche Begriffsbestimmung des Aushandelns statt. Es handelt sich somit eher um die subjektive Einschätzung des Gesetzgebers, daß der Tatbestand des Aushandelns i. S. d. § 1 Abs. 2 AGBG ein richtiges Abwägungsergebnis gewährleiste. An derartigen subjektiv-psychologischen Einschätzungen des historischen Gesetzgebers ist jedoch im Rahmen der teleologischen Auslegung nicht zu verhaften,

31 Begründung des Regierungsentwurfs S. 85 (r. Sp.). 32 Begründung des Regierungsentwurfs S. 116 (l. Sp.). 33 Begründung des Regierungsentwurfs S. 86 (r. Sp.). 34 Begründung des Regierungsentwurfs S. 87 (l. Sp.). 35 Begründung des Regierungsentwurfs S. 87 (l. Sp.). 36 Siehe oben unter § 4 II. 2., S. 66.

eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997,

§ 8 Die objektive ratio legis

113

sondern es ist zu unterstellen, daß der Gesetzgeber „eine der Sache angemessene Regelung bezweckt.“37 Dies bedeutet, daß auf die Kriterien abzustellen ist, die ein rationaler Gesetzgeber vernünftigerweise bei der Abwägung heranziehen würde, bzw. allgemeiner: Welches Maß an Einschränkung der Vertragsfreiheit objektiv erforderlich ist, um die rechtspolitischen Schutzbedürfnisse zu wahren. Dazu sind auch diese Schutzbedürfnisse zu verobjektivieren, d. h. es ist festzustellen, was ein rationaler Gesetzgeber vernünftigerweise mit der Norm bezwekken wollte – zumindest soweit kein entgegenstehender tatsächlicher gesetzgeberischer Wille erkennbar ist. Somit sind die objektiven rationes legis zu ermitteln und im Rahmen einer objektiv-teleologischen Auslegung gegeneinander abzuwägen.

§ 8 Die objektive ratio legis (objektiv-teleologische Auslegung) Im Rahmen der objektiv-teleologischen Auslegung soll ermittelt werden, wie der Begriff ,Aushandeln‘ vor dem Hintergrund einer Abwägung der objektiven Gesetzeszwecke zu verstehen ist. Das Auslegungsergebnis ergibt sich somit aufgrund eines Wertungsprozesses. Die Grundlage dieser Wertung ist die objektive ratio legis, d. h. der Zweck (bzw. die Zwecke), die ein rationaler Gesetzgeber vernünftigerweise mit der Norm verfolgt hätte. Dies bedeutet, daß auch die Ermittlung der objektiven ratio legis auf einem Wertungsvorgang beruht. Um bei dieser doppelten Wertung nicht der Beliebigkeit zu verfallen, soll bei der Ermittlung der ratio legis auf Wertungen abgestellt werden, die in der Rechtsordnung schon angelegt sind. Dies sind zunächst die Wertungen, die sich aus der Verfassung als Wertordnung ergeben (I). Ferner lassen sich der Zivilrechtsordnung Wertungen aus der Funktion des Vertragsrechts entnehmen (II).

I. Wahrung der Verfassungsmäßigkeit der Norm Ziel eines rationalen Gesetzgebers ist es zunächst, zumindest die Anforderungen der Verfassung zu erfüllen. Wenn die auszulegende Norm verfassungsrechtliche Werte tangieren kann, ist der Gesetzgeber in seiner rechtlichen Einschätzungsprärogative und seinem politischen Handlungsspielraum beschränkt. In diesem Fall wirkten sich verfassungsrechtliche Wertungen unmittelbar auf die Auslegung aus (verfassungskonforme Auslegung). Im Hinblick auf §§ 449, 466 HGB könnte die Privatautonomie i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG betroffen sein.

37

Larenz / Canaris (1995) S. 154 [f.].

8 Pfeiffer

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

1. Betroffenheit des Schutzbereichs des Art. 2 Abs. 1 GG Das Transportrecht des HGB ist im Hinblick auf die in § 449 Abs. 1 bzw. § 466 Abs. 1 HGB genannten Bestimmungen zunächst zwingend ausgestaltet. Nur durch die Ausnahme ,Aushandeln‘ wird ein bedeutender Teil der Risikoverteilung für Parteivereinbarungen zugänglich. Abgesehen von dieser Ausnahme ist der Inhalt von Transportverträgen im Bereich der Risikoverteilung weitgehend vom Gesetzgeber vorgegeben. Dadurch ist die Vertragsfreiheit in Form der Inhaltsfreiheit betroffen. Da diese Inhaltsfreiheit nur durch das Aushandeln wiederhergestellt wird, könnte dessen Tatbestand verfassungsrechtlich bedeutsam sein. In der Vertragsfreiheit spiegelt sich die Privatautonomie – mit Flume gesprochen das „Prinzip der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den einzelnen nach seinem Willen“38 – wider, d. h. der Respekt vor der freiverantwortlichen Entscheidung und Lebensgestaltung des Menschen. Darin kommt das Menschenbild eines mündigen Bürgers zum Ausdruck, der selbstbestimmt und -verantwortlich seine Lebensgestaltung (auch oder gerade in wirtschaftlicher Hinsicht) ohne autoritäre Bevormundung – sei sie auch wohlwollend – in die Hand nimmt. Es setzt für die freie Persönlichkeitsentfaltung39 zwingend eine Freiheit voraus, selbst zu entscheiden, ob und mit welchem Inhalt man rechtliche Bindungen eingeht, d. h. sich bestimmten Rechtsfolgen unterwirft.40 Dieser Ausfluß der Privatautonomie, im Verfassungsrecht (jedenfalls)41 in Art. 2 Abs. 1 GG verankert,42 ist die Vertragsfreiheit. Die Vertragsfreiheit dient demnach nicht nur technisch dem Wert Gerechtigkeit, indem sie die sach- und interessengerechteste Gestaltung der Verhältnisse zweier Rechtssubjekte garantiert. Sie ist vielmehr im Hinblick darauf, daß sie direkter

38

Flume (1992) § 1, 1 (S. 1).

Larenz / Wolf (1997) § 4 Rn. 54; vgl. BVerfGE 89, 214, 231 (m. w. N.). Flume (§ 1.10, S. 19) spricht von der „Achtung des einzelnen als Person und damit [der] grundsätzlichen Respektierung des einzelnen im Rechtsleben“; Wolf (1970) S. 22 vom „Wert der Selbstbestimmung“. 39 40

41 Wenn und soweit speziellere Grundrechte eingreifen, wird Art. 2 Abs. 1 GG als subsidiäres Auffanggrundrecht verdrängt; ausdrücklich für die Vertragsfreiheit z. B. Höfling (1991) S. 14 ff.; Heinrich (2000) S. 85. So auch das BVerfG, z. B. E 74, 129, 152; 70, 115, 123; 8, 274, 328. 42 BVerfGE 95, 267, 303; 89, 214, 231; 89, 48, 61; 74, 129, 151 f.; 72, 155, 170; 70, 115, 123; 8, 274, 328; Sachs-Murswiek, Art. 2 GG Rn. 54 u. 55a; Dürig in Maunz / Dürig, Art. 2 GG Rn. 53; Kunig in von Münch / Kunig, Art. 2 GG Rn. 16 u. 29; Dreier, Art. 2 GG Rn. 24 u. 47; Canaris (2000) § 26 Rn. 1, S. 459; Larenz / Wolf (1997) § 4 Rn. 55; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 75; Becker, WM 1999, 709, 710; Sachverständigenkommission (1996) S. 122. Die früher erhobenen Bedenken (z. B. Flume (1992) § 1.10, S. 20) lassen sich auf die damals noch bestehenden Unklarheiten und Bestimmungsprobleme hinsichtlich des Inhalts und der Bedeutung der Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. Zöllner, AcP 196 (1996), 1; Wolf (1970) S. 22) zurückführen.

§ 8 Die objektive ratio legis

115

Ausfluß der Privatautonomie ist, schon ein eigener Wert43 – mit den Worten des BVerfG sogar „Strukturelement einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung“.44 Die grundrechtlich verbürgte Vertragsfreiheit ist u. a. betroffen, wenn der Staat die Inhalte von schuldrechtlichen Verträgen zwingend vorgibt und damit der selbstbestimmten und -verantwortlichen Regelung durch die Bürger entzieht. Dies geschieht, wenn man von der Alternative des Aushandelns absieht, durch die §§ 449, 466 HGB; die Vertragsfreiheit ist somit betroffen. Dem Aushandeln kommt demnach die Funktion zu, ein der Verfassung entsprechendes Maß an Vertragsfreiheit zu gewährleisten, es sei denn, es läge eine zulässige Beschränkung der Privatautonomie vor.

2. Beschränkbarkeit der Privatautonomie (,Schranken‘) Es stellt sich also die Frage nach den verfassungsrechtlichen Möglichkeiten der Einschränkung der Vertragsfreiheit.

a) Privatrechtsordnung als Ermöglichung der Ausübung von Vertragsfreiheit Prinzipiell kann Vertragsfreiheit nur im Rahmen einer Rechtsordnung bestehen.45 Diese erteilt den Privatrechtssubjekten erst die Rechtsmacht zur Schaffung rechtsgeschäftlicher Regelungen; in diesem Sinne besitzt die Vertragsfreiheit kompetentiellen Charakter.46 Daß Vertragsfreiheit eine Privatrechtsordnung voraussetzt, bedeutet aber nicht, daß der Gesetzgeber bei deren Ausgestaltung keinen verfassungsrechtlichen Bindungen hinsichtlich der grundrechtlich verbürgten Vertragsfreiheit unterliegt.47 Eine derartige gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit besteht nur, soweit es sich um Maßnahmen zur Ermöglichung der Realisierung der Vertragsfreiheit handelt (wie z. B. Normen über den Vertragsschluß, §§ 145, 147 43 Busche (1999) S. 81 f.; Knütel, ZIP 1991, 493, 497. U. Wolf (1994) S. 11 leitet diesen Wert deduktiv aus der Rechtsordnung ab. Becker, WM 1999, 709, 710, stimmt dem nicht zu und wendet ein, darüber dürfe der Blick auf die Vertragsgerechtigkeit nicht verstellt werden. Dies ist insofern richtig, als man die Vertragsgerechtigkeit als „Prinzip der subjektiven Äquivalenz“ (Larenz / Wolf (1997) § 2 Rn. 23, S. 29, auf den sich Becker in Fn. 14 beruft) und nicht als objektive Äquivalenz sieht. Dann beinhaltet der Begriff der Vertragsgerechtigkeit nämlich durch das subjektive Element auch die Selbstbestimmung, weil selbstbestimmt beurteilt wird, ob der Vertrag subjektiv äquivalent, also gerecht ist oder nicht. 44 BVerfGE 81, 242, 254. 45 Flume (1992) § 1 10 a (S. 18). 46 Höfling (1991) S. 28 f.; Heinrich (2000) S. 92. 47 Sehr weitgehend in diese Richtung aber Flume (1992) § 1 10 a (S. 19), der von der Gesetzgebung lediglich die „Intention der Verwirklichung des Rechtsgedankens“ verlangt.

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BGB). Einschränkungen der rechtlichen Kompetenzen zur Realisierung der Vertragsfreiheit fallen dagegen nicht in die Kategorie der Ermöglichung der Vertragsfreiheit durch die Rechtsordnung und stehen somit nicht außerhalb des grundrechtlichen Schutzbereichs.48 Zwar dient die Alternative ,Aushandeln‘ der Ermöglichung der Vertragsfreiheit, sie ist jedoch im Zusammenhang mit dem gesamten Rechtssatz zu sehen, der gegenüber dem Vertragsrecht der bestehenden Zivilrechtsordnung eine Beschränkung der Vertragsfreiheit auf ausgehandelte Ausnahmefälle vorsieht. b) Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG Dieser grundrechtliche Schutzbereich der Privatautonomie ist aber nicht schrankenlos gewährleistet, so daß Beschränkungen der Vertragsfreiheit nicht per se unzulässig sind. Als Schranke dienen im Rahmen des Art. 2 Abs. 1 GG sowohl die Rechte Dritter – wie z. B. die Privatautonomie der jeweils anderen Vertragspartei – als auch die verfassungsmäßige Ordnung – also alle Normen, die formell und materiell mit der Verfassung im Einklang stehen. aa) Schutz der Privatautonomie des Vertragspartners Die liberalistische Vorstellung49, das freie Spiel eines von äußeren Einflüssen freien Marktes würde zu sachgerechten und effizienten Ergebnissen führen und dabei Ausfluß der Selbstbestimmung beider Parteien sein, erscheint – zumindest in der heutigen Welt – fragwürdig. Die Vertragsparteien sind oft zu unterschiedlich, sei es im Hinblick auf ihre wirtschaftliche Stärke oder auf ihre Informationslage.50 Diese Unterschiede, verstärkt noch durch die Gegebenheiten des Massenverkehrs, können51 dazu führen, daß die mächtigere Seite ohne Rücksicht auf die berechtigten Interessen der schwächeren Seite und auf deren Kosten ihre Interessen durchsetzt, so daß der Vertrag weder Ergebnis der freien Selbstbestimmung beider Parteien ist noch die gerechteste Lösung als Ergebnis garantiert.52 Bei dieser Betrachtung ergibt sich, daß die Vertragsfreiheit (hier die Freiheit des wirtschaftlich Mächtigeren) nicht schrankenlos sein kann.53 Den Gesetzgeber trifft Vgl. Heinrich (2000) S. 93. Eingehender dazu Hönn (1982) Kap. 1 IV. 1 (S. 9 f.). 50 Vgl. Heinrich (2000) S. 223. 51 Dies wird zumeist nahezu axiomatisch angenommen, obwohl ein formaler Beweis für diese Hypothese fehlt (vgl. die historisch ausholende Darstellung mit weiteren Nachweisen bei Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 15 ff.). Ob und unter welchen Bedingungen Ungleichgewichtslagen im Bereich der Sekundäransprüche bei Transportverträgen relevant werden, soll unter § 8 I. 3., S. 119 ff. analysiert werden. 52 BVerfGE 89, 214, 233 (m. w. N.); Preis / Rolfs, DB 1994, 261, 262. Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 85. 48 49

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insoweit eine Schutzpflicht54: Er hat durch geeignete Regelungen die ebenfalls durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmung der schwächeren Partei gegenüber Fremdbestimmung durch die mächtigere Seite sicherzustellen55 – man denke in diesem Zusammenhang neben den ,originären‘ Schutzvorschriften wie §§ 134, 138, 242, 826 BGB56 insbesondere an das AGBG (jetzt § 305 ff. BGB)57, das soziale Mietrecht, das Arbeitsrecht und die vielen Verbraucherschutzbestimmungen. Dies ist insbesondere auch deshalb erforderlich, weil nach dem System unserer Privatrechtsordnung die Vertragsgerechtigkeit nur durch den Vertrag selbst, d. h. die Einigung gewährleistet wird; Gerechtigkeit als eigenständige Wertung ist dem Vertragsrecht nicht immanent.58 Die (Privat-)Rechtsordnung muß daher – als Garant, nicht als Widerpart der Vertragsfreiheit59 – Voraussetzungen schaffen, die dem einzelnen die Wahrnehmung seiner Interessen effektiv ermöglichen.60 Im Ergebnis muß sichergestellt sein, daß eine unter unzulässiger Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung, d. h. in diesem Zusammenhang unter Mißbrauch61 der Vertragsgestaltungsmacht zustande gekommene Vereinbarung keine Wirkung gegen die unterlegene Partei entfaltet.62 Insofern führt die grundrechtlich geschützte 53 BVerfGE 89, 214, 232;81, 242, 254 f.; Grunsky (1995), S. 5 f.; vgl. schon Raiser (1935) S. 277 ff. Auf den Streit über die Einwirkung des GG auf das Zivilrecht (mittelbare Drittwirkung etc.) soll an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden. Es sei dazu auf die umfassende Literatur verwiesen, exemplarisch auf Canaris, JuS 1989, 161 ff. und Hillgruber, AcP 191 (1991), 69 ff. und scheinbar ablehnend Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 4 ff. Zöllner erkennt jedoch die Bedeutung der Grundrechte als Wertentscheidungen, die bei der Konkretisierung von Generalklauseln heranzuziehen sind, an. Allerdings lehnt er es ab, in diesem Fall von „Wirkung“ zu sprechen, da die Grundrechte im Zivilrecht nicht ihren normativen Regelungsgehalt als Abwehrrechte entfalten. 54 So auch Canaris, AcP 184 (1984), 201, 225, WM 1999, 709,712; ausführlich Höfling (1991) S. 52; eher ablehnend dagegen Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 11. 55 Vgl. Wolf (1970) S. 70; Preis / Rolfs, DB 1994, 261, 264; Hillgruber, AcP 191 (1991), 69, 76. Das BVerfG stellt eine Pflicht zur Ausgestaltung der Privatautonomie heraus: BVerfGE 81, 242, 255 (m. w. N.); 89, 214, 231 f.; Murswiek in Sachs, Art. 2 GG Rn. 55a. 56 BVerfGE 89, 214, 233; Dürig in Maunz / Dürig, Art. 2 GG Rn. 58; auch als „bewährtes Instrumentarium“ erwähnt in der Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86. 57 Vgl. Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86. 58 Busche (1999) S. 85. 59 Dreier, Art. 2 GG Rn. 47. 60 Siehe Fn. 55; im Ergebnis auch Flume (1992) § 1.10, S. 19 f.; Becker, WM 1999, 709; Busche (1999) S. 85. 61 Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei klargestellt, daß nicht jeder Vertrag, der nicht vollständig den Wünschen einer Partei entspricht, schon unter Beeinträchtigung der freien Selbstbestimmung zustande gekommen ist. Da ein Vertrag ein ,Kompromiß‘ zwischen den Interessen beider Parteien ist, ist es im Vertragsbegriff schon angelegt, daß der Vertrag als ,gemeinsame Selbstbestimmung‘ beider Partner nicht die volle Selbstbestimmung bezüglich des Vertragsinhalts verwirklicht (vgl. Zöllner AcP 196 (1996), 1, 14). 62 Vgl. Wolf, S. 61. Dies kommt im übrigen schon in der gesetzlichen Wertung der §§ 119 ff. (insb. § 123) BGB zum Ausdruck.

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Privatautonomie des einen Vertragspartners zu einer zulässigen Beschränkung der Privatautonomie des anderen, da sie ein Recht eines Dritten darstellt i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG. Allerdings ist bei einer Beschränkung der Vertragsfreiheit zur Sicherung der Privatautonomie einer Vertragspartei als deren grundrechtlich verbürgtes Recht stets das Recht der anderen Vertragspartei auf möglichst weitgehende Selbstbestimmung ihrerseits zu berücksichtigen. Die verfassungsmäßige Rechtfertigung einer Einschränkung der Vertragsfreiheit läuft also stets darauf hinaus, die Interessen beider Vertragsparteien an möglichst weitgehender Selbstbestimmung im Sinne einer beidseitigen Selbstbestimmung zum Ausgleich zu bringen. Es muß demnach bei allen Regelungsversuchen darum gehen, einen gerechten Ausgleich im Sinne einer praktischen Konkordanz unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu finden.63 Dabei muß einerseits sichergestellt bleiben, daß der Staat grundsätzlich die im Rahmen der Privatautonomie getroffenen Regelungen respektiert.64 Andererseits muß gewährleistet werden, daß die Selbstbestimmung der schwächeren Partei nicht vollständig vereitelt wird und daß diese in der Lage ist, ihre Interessen in ausreichendem Umfang im Vertrag umzusetzen. In diesem Rahmen ist eine Beschränkung der Vertragsfreiheit möglich.

bb) Verfassungsmäßige Ordnung Ähnliche Beschränkungen der Vertragsfreiheit können sich nicht nur durch die Gefahr des Mißbrauchs wirtschaftlicher Macht und der damit einhergehenden Beeinträchtigung von Privatautonomie und Vertragsgerechtigkeit, sondern auch durch den Schutz anderer Rechtsgüter wie z. B. der Rechtssicherheit und -einheit65 rechtfertigen, wenn deren Bedeutung die Vertragsfreiheit überwiegt. Dies ergibt sich

63 BVerfGE 81, 242, 255 u. 261; dagegen wendet Zöllner, AcP 196 (1996), 1, 12 ff., ein, dieser Ausgleich werde ja gerade durch den Vertrag, der einen Grundrechtsverzicht beinhalte, erzielt. Die einzige Frage sei, ob dieser Grundrechtsverzicht wirksam sein könne. Dies könne eigentlich nur im Falle des Zwangs verneint werden. „Die Konkordanzfrage der Entfaltungsfreiheit taucht hier ernstlich gar nicht auf“ (S. 14). Dabei übersieht er jedoch, daß die Frage der Konkordanz nur dann relevant wird, wenn die Grundrechtsausübung des einen die Grundrechtsausübung des anderen tatsächlich zu beeinträchtigen droht. Wenn durch den Vertrag ein tatsächlich privatautonomer Ausgleich gefunden wird, so wird damit quasi von den Parteien selbst praktische Konkordanz hergestellt. Nur wenn dieser Ausgleich nicht auf beiderseitiger Privatautonomie basiert (mit den Worten Zöllners läge dann Zwang vor und wäre somit ein Grundrechtsverzicht unwirksam), dann und nur dann stellt sich die Frage der Konkordanz – und zwar auch nach Zöllners Ansicht, da mangels wirksamen Grundrechtsverzichts beide gegenläufigen Grundrechte zu berücksichtigen und zu einem Ausgleich zu bringen sind. Das abstrakt-generelle Vertragsrecht hat sich auch dieses möglichen Falles anzunehmen. 64 BVerfGE 89, 214, 231 f.; 81, 242, 254. 65 Hierauf beruft sich auch die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 85.

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ebenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG, der bestimmt, daß die Privatautonomie ihre Schranke in der verfassungsmäßigen Ordnung findet. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, daß die Rechtssicherheit als Teil des Rechtsstaatsprinzips zwar Verfassungswert, die Privatautonomie jedoch sogar Grundrecht ist, an das der Staat durch Art. 1 Abs. 3 GG in besonderem Maße gebunden ist. Die Vertragsfreiheit ist somit einschränkbar. Im folgenden ist zu klären, ob derartige Schranken im Rahmen der §§ 449, 466 HGB zum Tragen kommen und eine Einschränkung der Privatautonomie im Transportrecht vor dem Hintergrund des Schutzes der Privatautonomie (3.) oder der Rechtssicherheit (4.) rechtfertigen. Ist dies nämlich nicht der Fall, dann muß der Tatbestand des Aushandelns so (verfassungskonform) ausgelegt werden, daß durch die Möglichkeit des Aushandelns die Vertragsfreiheit in ausreichendem Maße gewährleistet ist. Denn ohne Anlaß für ein schützendes Eingreifen des Gesetzgebers wäre eine Einschränkung der Vertragsfreiheit nicht verfassungsmäßig.66

3. Schutz der Privatautonomie im Transportbereich vor Machtmißbrauch Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit könnte vor dem Hintergrund des Schutzes der Privatautonomie des Schwächeren gerechtfertigt sein.67 Ein Schutzbedarf in diesem Sinne käme im Transportbereich dann in Betracht, wenn dort der Markt in besonderem Maße durch drohenden Marktmachtmißbrauch gefährdet ist (a) oder wenn ein Schutz vor drohendem Mißbrauch auf keine andere Weise gewährleistet werden kann (b).

a) Besondere Marktsituation im Transportbereich Ein Mißbrauch von wirtschaftlicher Macht bei der inhaltlichen Gestaltung von Verträgen ist immer dann zu befürchten, wenn der Markt als Ganzes verzerrt und vom Übergewicht einer Seite geprägt ist.

66 Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 85; Dürig in Maunz / Dürig, Art. 2 GG Rn. 61: „Erforderlichkeit“; vgl. schon Reinhardt in FS SchmidtRimpler, 115, 133 f. 67 Auf den „wirksamen Schutz der am Beförderungsgeschäft beteiligten Personen“ stellt auch die Sachverständigenkommission (1996) S. 39 als Grundzug des neuen Frachtrechts ab; siehe auch ebd. S. 122, 168 und 123: „Zielsetzung eines wirksamen Schutzes des wirtschaftlich Schwächeren“.

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aa) Marktmacht der Transportunternehmer? Die wirtschaftliche Bedeutung des Transportsektors könnte den Transportunternehmen besondere Marktmacht verschaffen. Das Transportwesen besitzt eine eminente Bedeutung für die gesamte Wirtschaft, von der Rohstoffgewinnung über die Güterproduktion bis zum Handel.68 Daher wurde schon früh erkannt, daß hier ein Mißbrauch monopolähnlicher Situationen gesamtwirtschaftlich äußerst gefährlich sein kann.69 Diese Überlegung rechtfertigt allerdings prinzipiell nur einen Schutz der Absender und kann schon allein daher nicht zur Rechtfertigung einer die Vertragsfreiheit undifferenziert einschränkenden Regelung beitragen. Außerdem besteht heute keine monopolähnliche Situation (mehr).70 Man könnte zwar noch darauf abstellen, daß in einigen Regionen evtl. nur ein geeignetes Transportunternehmen (insbesondere für Spezialtransporte) zur Verfügung steht und andere Transportunternehmer kostenträchtige Leerfahrten unternehmen müßten, um in dieser Region am Wettbewerb teilzunehmen. Allerdings handelt es sich hier um singuläre Einzelfälle und auch die Praxis der Kabotage scheint dieses Argument schon tatsächlich zu widerlegen. Außerdem führt ein Monopol nicht zwangsläufig zur mißbräuchlichen Ausnutzung der Marktmacht. Ansonsten wäre es auch unverständlich, warum der Staat Patentinhabern ein faktisches Monopol bei der Ausbeutung ihrer Erfindung gewährt. Im übrigen wird der Wettbewerb als solcher von §§ 19 ff. GWB, 138 BGB geschützt.71

bb) Marktmacht der Absender / Versender? Auch die Absenderseite verfügt häufig über eine große wirtschaftliche Macht; man denke nur an die Großunternehmen in der Industrie und im Handel.72 Im Ergebnis zeichnet sich hier im Transportwesen das gleiche Bild ab wie in allen anderen wirtschaftlichen Bereichen: Wie im Verhältnis zwischen kleinem Zulieferbetrieb und großem Industriebetrieb bzw. großem Industriebetrieb und kleinerem Abnehmer verhält es sich auch zwischen großem (kleinen) Versender und kleinem (großem) Transportunternehmer. Ein Unterschied besteht darin, daß beim Transport über den Transportunternehmer anders als beim Handel über den Händler keine Waren fließen, daß also die transportierten Güter nicht zu einem Wirtschaftsobjekt des Transportunternehmers Basedow (1987) S. 1. Raiser (1935) S. 303 ff. (305) (m. w. N.). 70 Basedow (1987) S. 4. Sonst wäre es wohl auch nicht zu einer europaweiten Liberalisierung des Güterfernverkehrs gekommen. Vgl. dazu Lammich, TranspR 1997, 363, 363 u. 365 ff. 71 Vgl. Medicus (1994) S. 21; Hönn (1982) S. 148 f.; Koller, VersR 1996, 1441, 1448 und die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 88. 72 Vgl. auch de la Motte, TranspR 1997, 85, 88. 68 69

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werden.73 Dieser kann also keine eigene Gewinnspanne aus den Gütern ziehen (Mehrwert) und hat durch seine Tätigkeit weder direkten Anteil an der primären Wertschöpfung noch an der wirtschaftlichen Macht, die die Verfügungsgewalt über größere Mengen eines Wirtschaftsguts mit sich bringt.74 Dies könnte seine Vertragsgestaltungsmacht strukturell negativ beeinflussen. Ein derartiger Einfluß ist jedoch nicht erwiesen. Die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG75 beruft sich vielmehr auf die Erkenntnisse einer Sachverständigenkommission, denenzufolge gerade kein charakteristisches Gefälle nur zu einer Seite festzustellen ist.76

cc) Zur Existenz von Marktmacht Die Untersuchungen der Sachverständigenkommission haben kein charakteristisches Marktmachtgefälle im Transportsektor offenbart. Ein Berichterstatter des Rechtsausschusses bringt dies in einer Rede vor dem Bundestag auf den Punkt: „Es gab aber von der einen und anderen Seite Bedenken dagegen [gegen uneingeschränkte Vertragsfreiheit (Anm. d. Verf.)], die Sorge davor hatten, daß sie entweder als Verlader oder Lader durch ,Machtkartelle‘ gezwungen werden könnten, AGB zu akzeptieren oder aufoktroyiert zu bekommen, die zu weit gehen.“77 Es besteht kein Übergewicht einer Seite, sondern die Befürchtungen kommen „von der einen und anderen Seite“.78 Auch die Begründung des Regierungsentwurfs geht von „uneinheitlichen Marktstrukturen“79 und Schutzwürdigkeit auf beiden Seiten aus.80 Wenn aber beide Marktseiten die Marktmacht der jeweils anderen Seite fürchten, bedeutet dies, daß keine Seite tatsächlich Marktmacht besitzt: In diesem Fall ist für beide Seiten eine Ausweichmöglichkeit am Markt gegeben.81 Denn die Transportunternehmen, die mit AGB von Großabsendern konfrontiert werden, „die zu weit gehen“, können mit den kleinen Absendern kontrahieren, die 73 Vgl. in diesem Zusammenhang den Hinweis von Herber, TranspR 1998, 344, 346, daß das Beförderungsentgelt häufig in einem Mißverhältnis zur Höher der möglichen Schäden stehe. 74 Dazu schon Raiser (1935) S. 305, der dies insbesondere unter dem Aspekt hervorhebt, daß die Höhe des potentiellen Schadensersatzes (am Wert der Güter orientiert) nicht in Relation zur Fracht (nicht am Güterwert orientiert) steht. 75 BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86, 88 u. 116. 76 Sachverständigenkommission (1996) S. 123, 169. 77 Freiherr von Stetten, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20387 (C). 78 Vgl. dazu auch Braun, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20391 (A). 79 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (l. Sp.). 80 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 88 (r. Sp.) und insb. S. 116 (l. Sp.). 81 Vgl. dazu Bechtold (1999) § 19 GWB Rn. 37.

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Sorge tragen, von großen Transportunternehmen ebensolche AGB aufoktroyiert zu bekommen. Dies ist eine Frage des Wettbewerbs. Wenn aber z. B. genügend viele kleine Absender von den günstigen Preisen (economies of scale) oder der Flexibilität eines großen Transportunternehmens profitieren wollen und dafür schlechte Haftungsbedingungen akzeptieren, so ist dies eine Entscheidung des Wettbewerbs. Gleiches gilt, wenn ein kleineres Transportunternehmen die Sicherheit,82 die ein langfristiger Vertrag mit einem Großabsender bietet, höher einschätzt als die Nachteile, die aus einer schlechten Risikoverteilung erwachsen. Solange die Wettbewerber die Möglichkeit haben, ihre Geschäfte auch anderweitig zu tätigen – wenn auch unter schlechteren Primärkonditionen – so entspricht es einem funktionierenden Wettbewerb83 gerade, daß die Marktseite, die die begehrtere Leistung anbietet, auch bessere Konditionen als Gegenleistung verlangen kann. Es scheint aus der „Sorge, AGB aufoktroyiert zu bekommen, die zu weit gehen,“84 vielmehr der Wunsch zu sprechen, vor dem funktionierenden Wettbewerb geschützt zu werden, der dafür sorgt, daß für begehrte Leistungen (z. B. Transport für günstige Fracht) auch entsprechende Gegenleistungen im Sinne von schlechteren Haftungsbedingungen erbracht werden müssen. Eine Beschränkung der Vertragsfreiheit hinsichtlich der Haftungsbedingungen führte nämlich dazu, daß ein bestimmtes Haftungsniveau nicht unter- bzw. überschritten wird, obwohl genügend Nachfrage auch zu den schlechteren Bedingungen bestünde. Dies stellte sich als eine rein wettbewerbspolitische Maßnahme dar, die nicht auf eine Verwirklichung der Privatautonomie abzielt und somit auch nicht deren Schutzbereich unterfällt. Zwar geht aus § 20 Abs. 2 GWB hervor, daß selbst in einem nicht einseitig vermachteten Markt rechtlich relevante Abhängigkeiten bestehen können, die sich dadurch auszeichnen, daß keine ausreichende und zumutbare Ausweichmöglichkeit besteht. Dies wird vermutet, wenn einzelne Nachfrager regelmäßig besondere Vergünstigungen bei einem bestimmten Anbieter erlangen, die gleichartigen Nachfragern nicht gewährt werden. In § 20 Abs. 3 GWB ist es marktstarken Unternehmen sogar untersagt, sachlich nicht gerechtfertigte Vorzugsbedingungen bei ihren Vertragspartnern zu erwirken, § 20 Abs. 3 GWB. Allerdings handelt es sich dabei grundsätzlich um Einzelfälle und nicht um ein allgemeines Versagen des Marktes im Transportsektor. Ein gesetzgeberisches Einschreiten im Sinne eines Eingriffs in die Vertragsfreiheit ist bei grundsätzlich funktionierendem Wettbewerb nicht pauschal, sondern erst dann gerechtfertigt, wenn die Neutralisierung wirtschaftlicher Macht durch den Markt tatsächlich nicht mehr funktioniert.85 82 Und ebenfalls die Kalkulierbarkeit des Risikos, da sich bei einem größeren Transportvolumen die tatsächlich realisierten Risiken mehr und mehr ihrem Erwartungswert annähern (vgl. z. B. von der Crone (1993) S. 88). 83 Vgl. dazu Bechtold (1999) § 19 GWB Rn. 37. 84 Vgl. oben Fn. 77, S. 121. 85 Vgl. dazu Immenga / Mestmäcker-Möschel (2001) § 19 Rn. 19.

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Es erscheint ferner fraglich, ob Abhängigkeiten i. S. d. § 20 GWB im Transportsektor überhaupt eine größere Bedeutung entfalten können: Die Transportleistung ist, wenn man von Spezialtransporten absieht, überaus flexibel und austauschbar.86 Sie erfordert weder von der Absender- noch von der Frachtführerseite besondere Investitionen, die mit dem Vertragspartner zusammenhängen.87 Die räumliche Flexibilität der Transportleistung wird dadurch unterstrichen, daß sie gerade in der Gewährleistung räumlicher Mobilität von Gütern besteht. Es käme höchstens eine nachfragebedingte Abhängigkeit in Frage. Allerdings kann das Angebot der Transportunternehmen ohne gewichtige Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsfähigkeit aufgrund der Flexibilität und Austauschbarkeit von Transportleistungen auf andere Nachfrager umgestellt werden.88 Daher führt auch ein faktisch hoher Anteil des marktstarken Absenders am Transportaufkommen eines Transportunternehmers zumeist nicht zu einer nachfragebedingten Abhängigkeit.89 Der Umsatzanteil allein hat nämlich hinsichtlich der Ausweichmöglichkeiten nur dann Aussagekraft, wenn der Umsatz nicht anderweitig erzielt werden kann; in diesem Sinne schaden Umsatzeinbußen bei Wegfall des Vertragspartners nicht.90 Es reicht aus, wenn andere Nachfrager auf der Marktgegenseite zur Verfügung stehen, wobei es nicht darauf ankommt, ob der Anbieter auf dem Markt auch Erfolg hat und einen anderen Vertragspartner tatsächlich findet.91 Von einer derartigen Ausweichmöglichkeit ist im Hinblick auf die flexible, austauschbare Transportleistung und den allumfassenden Bedarf nach Transportleistungen im gesamten Wirtschaftsverkehr auszugehen.92 Selbst wenn Abhängigkeiten i. S. d. § 20 GWB in einigem Umfang bestünden, darf nicht übersehen werden, daß § 20 Abs. 2 und 3 GWB nicht den Schutz des schwächeren Anbieters vor der Nachfragemacht des marktstarken Unternehmens, sondern den Schutz der marktschwächeren Konkurrenten des marktstarken Unternehmens bezweckt.93 § 20 GWB hat nicht den Zweck, schwache Unternehmen vor 86 Die Fallgruppe der sog. „sortimentsbedingten Abhängigkeit“ ist somit schon per se nicht einschlägig; vgl. dazu Immenga / Mestmäcker-Markert (2001) § 20 Rn. 62 ff. 87 Dies schließt auch die Fallgruppe der „unternehmensbedingten Abhängigkeit“ (dazu Immenga / Mestmäcker-Markert (2001) § 20 Rn. 71 ff.; Emmerich (2001) S. 218 f.) im Transportsektor weitgehend aus. 88 Vgl. dazu Immenga / Mestmäcker-Markert (2001) § 20 Rn. 79 (m. w. N.); Emmerich (2001) S. 220 f. 89 KG WuW / E OLG 4566 „Messevertragsspediteure“ für einen Fall, in dem der Antragsgegener der einzige Nachfrager nach Messespeditionsdienstleistungen der Antragstellerinnen war. Vgl. auch Immenga / Mestmäcker-Markert (2001) § 20 Rn. 80 f.; Emmerich (2001) S. 220 f. 90 KG WuW / E OLG 4566 „Messevertragsspediteure“ (4567). 91 KG WuW / E OLG 4566 „Messevertragsspediteure“ (4567 f.); BGH NJW 1993, 1653, 1654: selbst bei ausschließlicher Belieferung durch ein Unternehmen, soweit andere Unternehmen theoretisch in der Lage sind, die Belieferung zu übernehmen. 92 Vgl. dazu auch KG WuW / E OLG 4566 „Messevertragsspediteure“ (4567 f.). 93 Immenga / Mestmäcker-Markert (2001) § 20 Rn. 17 f. u. 252.

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eigenen geschäftlichen Fehlentscheidungen zu schützen.94 Daher läßt sich aus § 20 GWB kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß im Falle von einzelnen Abhängigkeiten, die nicht den Markt als solchen beeinträchtigen, ein schützendes Eingreifen des Gesetzgebers erforderlich ist. Der Schutz des allgemeinen Vertragsrechts ist – was die Privatautonomie des marktschwächeren Teils anbelangt – ausreichend. Daß diesbezüglich im Transportsektor etwas anderes gelten sollte, läßt sich durch die „uneinheitlichen Marktstrukturen“95 allein nicht rechtfertigen. Im Gegenteil, es besteht die Gefahr eines – komplizierten – Zirkelschlusses: Aus einem befürchteten, weder näher begründeten, geschweige denn bewiesenen96 Machtgefälle darf nicht auf die Möglichkeit geschlossen werden, daß von einer Seite Vertragsbedingungen durchgesetzt werden könnten, die die andere Partei benachteiligen, und aus dieser Möglichkeit dann weiter – vergleichbar mit § 20 Abs. 2 GWB – auf das Bestehen von Marktmachtdisparitäten im Transportsektor, aus dem dann wiederum die konkret drohende Möglichkeit mißbräuchlicher Bedingungen – d. h. des Versagens des Vertragsmechanismus‘ – deduziert wird, welche einen Schutzbedarf rechtfertigt.97

dd) Zwischenergebnis Zusammenfassend läßt sich somit festhalten, daß unter den bisher untersuchten Gesichtspunkten eine Einschränkung der Privatautonomie aus Gründen des Schutzes einer marktschwächeren Partei vor Marktmachtmißbrauch nicht gerechtfertigt ist: Anhaltspunkte für ein Versagen des Marktes im Transportbereich sind nicht ersichtlich. Gleiches gilt im Hinblick auf Gründe für den Schutz schwächerer Marktteilnehmer vor Wettbewerb.

ee) Wettbewerb bezüglich der Haftungsbestimmungen Etwas anderes könnte allerdings gelten, wenn der Wettbewerb im Transportsektor zwar grundsätzlich funktioniert, aber hinsichtlich der Risikoverteilung kein maßgeblicher Wettbewerb bestünde.

94 BGH NJW 1993, 1653, 1654; Emmerich (2001) S. 219 (m. w. N.).; Langen / BunteSchultz (2001) § 20 Rn. 73. 95 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (l. Sp.). 96 Die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG (BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86) hält eine „eindeutige Zuordnung von Marktmacht“ „angesichts der uneinheitlichen Marktstrukturen im Transportsektor“ nicht für möglich. Genauso Sachverständigenkommission (1996) S. 169. 97 Vgl. zu derartigen Zirkelschlüssen auch Zöllner, AcP 176 (1976), 221, 237.

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Dies scheint auf den ersten Blick zunächst durch die anläßlich des Gesetzgebungsverfahrens98 zutage getretene tatsächliche Sorge der Beteiligten um die Möglichkeit schlechter Haftungsbedingungen widerlegt zu sein. Offenbar ist die Bedeutung der Haftungsbedingungen bekannt. Allerdings bezieht sich diese Erkenntnis lediglich auf die Verbände, nicht jedoch auf die konkreten Parteien einzelner Transportverträge. Damit ist nichts darüber ausgesagt, ob der Konditionenwettbewerb in der Praxis tatsächlich funktioniert. Problematisch erscheint diesbezüglich, daß es sich bei den Haftungsbestimmungen in den Augen der Parteien nur um Nebensächlichkeiten handelt, die mit dem primären Interesse der Parteien – der Beförderung – nichts zu tun haben.99 Hier geht es nämlich vornehmlich um Preis und Schnelligkeit. Dies wird institutionell weiter verstärkt dadurch, daß in der Unternehmensorganisation die Abwicklung des Transports häufig von anderen Abteilungen veranlaßt wird als die Abwicklung von Schadensfällen. Allerdings ist zu bedenken, daß es sich bei der Risikoverteilung – auch aufgrund der Versicherbarkeit des Haftungsrisikos – im Ergebnis nur um einen Kostenfaktor handelt. Wenn es aber ein freies Kräftespiel bezüglich der Fracht gibt, so ist nicht ersichtlich, warum vom Gesetz zwar eine ruinöse Fracht, nicht aber eine ebenso nachteilige Risikoverteilung ermöglicht wird.100 Andererseits finden die Haftungsbestimmungen nur geringe Beachtung, denn dem Verkehrsnutzer fehlt aufgrund der geringen Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts und der damit einhergehenden geringen wirtschaftlichen Bedeutung der Risikoverteilung zumeist der Anreiz, sich mit den Haftungsregelungen zu befassen, wohingegen die Transportunternehmer viel häufiger mit den Haftungsregeln konfrontiert werden und sie daher auch eher als Kostenfaktoren wahrnehmen.101 Aus diesem Grund kann es sogar ökonomisch rational für den Absender sein, sich grundsätzlich nicht mit den Sekundäransprüchen zu befassen.102 Dies führte zum Fehlen einer privatautonomen Kontrolle durch den Vertragsmechanismus bei einseitig vorgegebenen Vertragsbedingungen und somit zur Gefahr des Mißbrauchs. Außerdem besteht hinsichtlich der Zuverlässigkeit der einzelnen Marktteilnehmer keine zureichende Markttransparenz, so daß ein Wettbewerb über zuverlässige 98 Vgl. Freiherr von Stetten, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20387 (C). 99 Basedow (1987) S. 27 f. u. 273. 100 Vgl. Koller, VersR 1996, 1441, 1448. Eine Minderheit in der Sachverständigenkommission (1996) S. 123 sah dagegen die Gefahr, daß die Haftungsbestimmungen gar zu einem maßgeblichen Wettbewerbsfaktor werden könnten und kleinere Beförderungsunternehmen durch den Wettbewerb zu einem ruinös hohen Haftungsniveau gedrängt werden könnten. 101 Basedow (1987) S. 273. 102 Kötz, FS Mestmäcker (1996) S. 1040 f. (m. w. N.); Bunte, NJW 1987, 921, 924; Basedow (1987) S. 27 f.

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Leistung (Reputation) nur schwer möglich ist.103 – Es besteht somit gerade auch im Transportgewerbe die Gefahr, daß Transportunternehmer durch für sie günstige Haftungsregelungen Preis- und damit Marktvorteile erzielen.104 Daher ist auf dem Gebiet der Haftung vielfach ein Marktversagen zu beobachten.105 Dieses rechtfertigt aber keine pauschale (beidseitige)106 Einschränkung der Privatautonomie. In vielen Bereichen des Wirtschaftslebens stellt sich dieses Problem genauso und erscheint dort durchgehend mit Inhaltskontrollen nach §§ 305 ff. BGB lösbar107 – in den Bereichen des Transportrechts, die vor Inkrafttreten des TRG kein zwingendes Recht enthielten, löste das AGBG diese Aufgabe ebenfalls.108 Etwas anderes könnte sich lediglich durch die Zulässigkeit der Kabotage ergeben. Wenn ausländische Transportunternehmen auf der Grundlage von ausländischem Recht in Deutschland Transportverträge abschließen, so unterliegen diese weder deutschem dispositiven Recht, das auch seine Leitbildfunktion nicht mehr entfalten kann, noch deutscher AGB-Kontrolle.109 Nur eine zwingende Ausgestaltung des Transportrechts würde auch ausländische Kabotagebetreiber binden. Eine derartige zwingende Gestaltung nur für Kabotageverträge würde ausländische Transportunternehmen jedoch diskriminieren und wäre daher europarechtswidrig.110 Aber selbst diese Überlegung gestattet nicht den Rückschluß auf die Erforderlichkeit einer pauschalen Einschränkung der Privatautonomie oder gar von (beidseitig)111 zwingenden Regelungen.112 103 Vgl. Koller, ZIP 1986, 1089, 1092 und zur Reputation von der Crone (1993) S. 95. Wettbewerb über zuverlässige Leistung ist nur darüber möglich, daß Schadensersatzansprüche als Betriebskosten einkalkuliert werden müssen und somit bei weniger sorgfältigen Unternehmen die Preise erhöhen, vgl. Koller, VersR 1980, 1, 3. Dieser Effekt wird jedoch durch Haftungsausschlüsse stark eingeschränkt. 104 Koller (2000) S. 10. 105 Koller, VersR 1996, 1441, 1448; ders. ZIP 1986, 1098, 1092; a.A. wohl Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) Einl. Rn. 6, 6a, der die Möglichkeit eines derartigen Marktversagens grds. auf Konsumgütermärkte beschränkt. 106 Vgl. Basedow (1987) S. 273. 107 Vgl. Koller (2000) S. 10; Basedow (1987) S. 274, der i.E. aber aus Gründen der Rechtssicherheit (dazu später) gegen eine Lösung über AGB-Kontrolle plädiert. 108 Zum Frachtrecht der Binnenschiffahrt Basedow (1987) S. 267 u. 274 (m. w. N.). 109 Vgl. Koller, VersR 1996, 1441, 1448. 110 Vgl. auch Basedow (1993) S. 176. 111 Vgl. dazu Basedow (1993) S. 177 (m. w. N.). 112 Nebenbei bemerkt erscheint fraglich, ob es derart entscheidende Unterschiede zwischen den europäischen Rechtsordnungen gibt, so daß der „run to the bottom“ nur zu einer geringfügigen Senkung des Schutzniveaus führte. Existieren vielleicht auch nicht in jedem Staat der EU AGB-Kontrollen von gewerblichen Verträgen, so ist doch davon auszugehen, daß in jeder Rechtsordnung angemessene Schutzinstrumentarien bestehen. Dies soll hier jedoch nicht thematisiert werden. Im übrigen ist Koller, VersR 1996, 1441, 1448 zuzustimmen, wenn er die Erforderlichkeit einer gesamteuropäischen Lösung betont.

§ 8 Die objektive ratio legis

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Es wäre vielmehr an eine eigene Inhaltskontrolle von Transportverträgen im Sinne einer lex specialis zu §§ 305 ff. BGB n.F. zu denken, evtl. gar mit eigenem Klauselkatalog (vergleichbar mit §§ 308 f. BGB n.F.), die gesetzlich auf die Bedürfnisse des Transportsektors zugeschnitten ist. Wenn dies für alle Verträge (also auch Kabotageverträge) zwingend ausgestaltet ist, wäre eine Inhaltskontrolle nach deutschem Maßstab unumgänglich, die Vertragsfreiheit jedoch weitgehend gewahrt. Eine weitergehende Einschränkung der Privatautonomie ist somit mangels Erforderlichkeit nicht gerechtfertigt.

ff) Ergebnis Hinsichtlich der Nebenbedingungen eines Transportvertrags ist der Wettbewerb dadurch eingeschränkt, daß der Aufwand, sich mit den Haftungsregelungen auseinanderzusetzen, den Erwartungswert eines tatsächlichen Schadens übersteigen kann. In diesen Fällen führt der Vertragsmechanismus zu keiner Kontrolle der von einer Seite vorgegebenen Vertragsbedingungen, wodurch sich eine Mißbrauchsgefahr ergibt. Diese besteht jedoch nur, wenn eine Seite tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Vertragsinhalt in dieser Hinsicht einseitig zu gestalten. Eine pauschale Einschränkung der Vertragsfreiheit, wie sie sich aus § 449 (466) Abs. 2 HGB ergibt, wenn man die Alternative des Aushandelns unberücksichtigt läßt, kann somit nicht gerechtfertigt werden. Dann muß das Merkmal ,Aushandeln‘ so ausgelegt werden, daß die Privatautonomie zumindest in allen anderen Fällen wiederhergestellt wird. Andernfalls wäre § 449 (466) Abs. 2 HGB verfassungswidrig. Etwas anderes würde nur gelten, wenn kein praktikabler Anknüpfungspunkt für einen wirkungsvollen Schutz bestünde und sich eine pauschale Einschränkung der Vertragsfreiheit daraus rechtfertigte.

b) Keine anderweitige Schutzmöglichkeit vor Marktmachtmißbrauch Aus dem zuvor Gesagten ergibt sich, daß das Problem hauptsächlich eine Frage des Schutzumfangs ist. Ein Schutzbedarf wurde zwar bejaht, allerdings nur für Fälle, in denen der Vertragsmechanismus nicht funktioniert und die Privatautonomie einer Seite somit gefährdet ist. Eine pauschale Regelung könnte als letztes jedoch dann gerechtfertigt sein, wenn keine andere Möglichkeit, kein anderer Ansatzpunkt zu wirkungsvollem Schutz eines schützenswerten Rechtsgutes – hier der Privatautonomie der schwächeren Partei – bestünde. Als Ansatzpunkt wurde die einseitige Gestaltung der Vertragsbedingungen ermittelt. Es ist somit fraglich, ob bei Transportverträgen eine praktikable Abgren-

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

zung zwischen einseitiger Vertragsgestaltung und Vertragsgestaltung unter hinreichender Beteiligung beider Parteien möglich ist. Hierbei ist zunächst an AGB zu denken (aa) bei deren Vorliegen eine Schutzbedürftigkeit zunächst grundsätzlich indiziert ist.113 Aber auch bei Einzelverträgen müßte eine Abgrenzung möglich sein (bb).

aa) Abgrenzung von AGB und Einzelverträgen im Transportgewerbe Der Entwurf des TRG befürchtet hinsichtlich der Abgrenzung von AGB Rechtsunsicherheiten und Abgrenzungsschwierigkeiten, die sich aus der „verbreiteten Verwendung von Vertragsurkunden, die mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung erstellt werden“,114 ergeben, so daß noch nicht einmal das Kriterium der Vorformulierung überprüfbar sei. Dies bedeutete, daß im endgültigen Vertrag schwer zu erkennen (geschweige denn zu beweisen) wäre, welche Seite eine bestimmte Klausel in den Vertrag eingeführt hat, d. h. ob die Partei, zu deren Nachteil die Abrede gereicht, diese auch wirklich selbst aufgrund autonomen Willensentschlusses stipuliert hat oder ob im Endeffekt nicht doch die Vertragsgestaltungsmacht der überlegenen Seite hinter der Vereinbarung stand.115 Die befürchteten Abgrenzungsschwierigkeiten erscheinen jedoch zunächst im Hinblick auf eine nachträgliche Inhaltskontrolle nur schwer nachvollziehbar und stellen sich nahezu als Rückfall auf die Ebene der DruckerschwärzekriteriumDiskussion116 zum AGB-Begriff dar. Im Unterschied zu Verbraucherverträgen ist die Einbeziehung von AGB im geschäftlichen Verkehr vereinfacht, so daß in den meisten Fällen wohl nur auf deren Geltung (ausdrücklich als AGB) verwiesen wird. Ferner ist im gewerblichen Verkehr die Bestimmung zu mehrmaliger Verwendung erforderlich – eine Tatsache, die relativ leicht zu beweisen ist (selbst bei im Vertragstext enthaltenen AGB), müssen doch nur weitere Verträge hinzugezogen werden.117 In diesen Fällen ist also durchaus eine Abgrenzung von vorformulierten Klauseln (hier in Form von AGB) und Individualvereinbarung möglich.118 Vgl. Medicus (1994) S. 24 „typischerweise“; weitergehend Hönn (1982) S. 149 „stets“. Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86 f. 115 Die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG (BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86) hält eine „eindeutige Zuordnung von Marktmacht“ „angesichts der uneinheitlichen Marktstrukturen im Transportsektor“ nicht für möglich. Genauso Sachverständigenkommission (1996) S. 169. 116 Vgl. z. B. (dagegen) Wolf, JZ 1974, 41 (m. w. N.). 117 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 Rn. 61 weist darauf hin, daß vielfältige Indizien für das Vorliegen von AGB existieren. 118 Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) Einl. Rn. 2a spricht ebenfalls von „klarer Abgrenzung“. 113 114

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Zwar könnte man einwenden, der Vertragspartner des Verwenders könne nicht ex ante vorhersehen, ob es sich bei den Haftungsbestimmungen in einem Vertragsentwurf um AGB handele. Diese Schwierigkeiten bestehen aber im gesamten Wirtschaftsverkehr, denn nicht nur im Transportgewerbe trifft man auf die „verbreitete Verwendung von Vertragsurkunden, die mit Hilfe elektronischer Datenverarbeitung erstellt werden“119. Es ist auch nicht einzusehen, warum diese Schwierigkeiten von Belang sein sollten: Wenn der Vertragspartner die betreffenden Klauseln inhaltlich nicht zur Kenntnis nimmt, berührt ihn die Frage ex ante gar nicht. Nimmt er Kenntnis und erkennt dabei, daß die Bedingungen ihn unangemessen benachteiligen, so kann es nicht Sinn und Zweck der AGB-Kontrolle sein, darauf zu spekulieren, den Vertrag dennoch abzuschließen und die Bedingungen später kassieren zu lassen, was auch nicht unbedingt günstig ist, denn es gefährdet die Geschäftsbeziehung.120 Die Möglichkeit, ex ante zu erkennen, ob eine Vertragsbedingung AGB ist oder nicht, spielt somit keine bedeutende Rolle. Die Abgrenzung von auf jeden Fall einseitig gestalteten AGB und Individualverträgen ist im Transportsektor durchaus möglich.

bb) Ermittlung von einseitiger Vertragsgestaltung außerhalb von AGB Auch wenn keine AGB vorliegen, ergeben sich aus der Frage der Abgrenzung einseitig gestalteter Vertragsbedingungen keine Probleme. Zunächst wird im Hinblick auf Vertragsbedingungen, die nicht für eine Vielzahl von Verwendungen einseitig gestaltet wurden, auch im allgemeinen Wirtschaftsverkehr kein besonderes Gefährdungspotential erkannt,121 was sich im Gegenschluß aus § 24a AGBG (jetzt § 310 Abs. 3 BGB) ergibt. Dies liegt daran, daß sich eine systematische Ausnutzung sowohl einer Machtstellung als auch der Möglichkeit, die Vertragsbedingungen einseitig zu gestalten, in den heutigen Verhältnissen der Wirtschaft stets durch AGB vollzieht.122 Das ergibt sich schon allein aus der Gleichartigkeit der wirtschaftlichen Betätigung des betreffenden Unternehmens, aber auch aus den Transaktionskosten für jeweils individuelle Klauselgestaltung und der sich daraus ergebenden Rationalisierungsfunktion von AGB. Aber selbst im Hinblick auf die verbleibende, potentielle Gefährdung existieren Abgrenzungskriterien einseitiger Vertragsgestaltung: Es kann nämlich darauf abgestellt werden, ob die Vertragsbedingungen vorformuliert bzw. im voraus abgefaßt wurden. Auf dieses Kriterium wurde oben schon hinlänglich eingegangen; auf dieBegründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86 f. Vgl. Schumann, BB 1996, 2473 (m. w. N.). 121 Vgl. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn. 20. 122 Vgl. Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) Art. 3 RiLi Rn. 20, der die Kontrolle von für den Einzelfall vorformulierten Bedingungen als praktisch wenig relevant einstuft. 119 120

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se Darstellungen sei verwiesen.123 Zwar sieht der Gesetzentwurf auch hinsichtlich der Vorformulierung Abgrenzungsschwierigkeiten.124 Das Interesse des Gesetzgebers geht jedoch lediglich dahin, daß es zur Prüfung des Tatbestandsmerkmals weder auf den Inhalt125 noch auf die äußere Gestaltung126 des Vertragswerks ankommt, sondern daß „allein die konkrete Entstehungsgeschichte der Vereinbarung maßgeblich ist.“127 Die Umstände des Entstehens einer Klausel, d. h. die Frage, ob sie von einer Seite im voraus abgefaßt wurde, beziehen sich jedoch ausschließlich auf die Genese der Vertragsbedingung; auf den Inhalt oder die Form128 kommt es nicht an. Die Befürchtung von Abgrenzungsschwierigkeiten des Gesetzgebers ist somit nicht nachzuvollziehen. Ferner ist darauf hinzuweisen, daß sich das Kriterium der Vorformulierung in der Praxis weit mehr bewährt hat, als das des Aushandelns – wie die Gesetzesbegründung es behauptet129: Zum Begriff der Vorformulierung gibt es weit weniger Streit und Kasuistik130 und die Richtlinie 93 / 13 / EWG des Rates vom 05. 04. 1993 sieht es als erforderlich an, den Begriff „nicht ausgehandelt“ zu definieren, nicht aber den Begriff „vorformuliert“, der gar zu dieser Definition benutzt wird. Die Befürchtung des Gesetzgebers bezüglich der Abgrenzungsschwierigkeiten erscheint auch deswegen nicht von besonderer Tragweite zu sein, weil während der Beratungen im Rechtsausschuß die Vorschrift des § 449 (466) Abs. 2 S. 2 HGB eingefügt wurde. Der Gesetzgeber greift dabei quasi im selben Atemzug doch wieder auf den Begriff der Vorformulierung zurück, obwohl hinsichtlich der Regelung im vorhergehenden Satz bezüglich eines im wesentlichen gleichen Regelungsgehalts unüberwindliche Abgrenzungsschwierigkeiten befürchtet wurden.131 Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß keine relevanten Abgrenzungsschwierigkeiten in Bezug auf das Merkmal der einseitigen Gestaltung von Vertragsbedingungen bestehen.

Siehe oben unter § 6 I. 3. a), S. 78. ff. Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86 f. 125 Ebd. (Fn. 124), S. 86 (r. Sp.). 126 Ebd. (Fn. 124), S. 87 (l. Sp.). 127 Ebd. (Fn. 124), S. 87 (l. Sp.). 128 Auf eine vorherige Fixierung o.ä. kommt es nicht an: Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 20 (m. w. N.). 129 Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 87 (l. Sp.). 130 Dies sei hier allein anhand des Umfangs der Kommentierungen verdeutlicht: Nur drei Randnummern bei Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) gegenüber 27 zu § 1 Abs. 2 AGBG, davon 15 konkret zum Aushandeln; bei Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) nur eine gegenüber zehn zu Individualvereinbarungen (ohne „Inhaltskontrolle“). Vgl. darüber hinaus schon Hensen, NJW 1987, 1986, 1987, der von „verbreiteter Ratlosigkeit darüber . . ., wie ihm [scil. § 1 Abs. 2 AGBG] in der Praxis genügt werden kann“. 131 Daher bezeichnet Basedow die Ausführungen des Regierungsentwurfs zu den Abgrenzungsschwierigkeiten als „hinfällig“, TranspR 1998, 58, 63. 123 124

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c) Zusammenfassung Hinsichtlich der Nebenbedingungen eines Transportvertrags existieren Fallgestaltungen, in denen der Vertragsmechanismus zu keiner Kontrolle der von einer Seite vorgegebenen Vertragsbedingungen führt. Dadurch ergibt sich eine Mißbrauchsgefahr. Diese besteht jedoch nur wenn eine Seite tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch macht, den Vertragsinhalt in dieser Hinsicht einseitig zu gestalten. Aus § 449 (466) Abs. 2 HGB ergibt sich – wenn man die Alternative des Aushandelns unberücksichtigt läßt – eine pauschale Einschränkung der Vertragsfreiheit, die auch Fälle umfaßt, in denen kein Schutzbedarf besteht. Dies ist im Hinblick auf Art. 2 Abs. 1 GG nicht zu rechtfertigen, da eine Differenzierung der Einschränkung der Vertragsfreiheit in Abhängigkeit vom Schutzbedarf möglich ist. Damit § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB verfassungsmäßig vor dem Hintergrund des Art. 2 Abs. 1 GG ist, muß das zuvor unberücksichtigte Merkmal ,Aushandeln‘ demnach so ausgelegt werden, daß die Privatautonomie zumindest in den Fällen wiederhergestellt wird, in denen kein Schutzbedarf besteht.

4. Schutzzweck: Rechtssicherheit und -einheit Ein Schutzbedarf, der eine Einschränkung der Privatautonomie zu rechtfertigen vermag, kommt jedoch nicht nur vor dem Hintergrund der Privatautonomie der anderen Partei in Betracht. Auch der Schutz von Rechtssicherheit und -einheit, die als Teil des Rechtsstaatsprinzips Verfassungsrang besitzen,132 ist Teil der verfassungsmäßigen Ordnung i. S. d. Art. 2 Abs. 1 GG und könnte demnach eine Einschränkung der Vertragsfreiheit rechtfertigen.133

a) Schutzbereich Der Begriff „Rechtssicherheit“ 134 hat keine allzu festen Konturen. Er umfaßt Normenklarheit und Bestimmtheit sowie Vertrauensschutz.135 Rechtssicherheit ist das von der Rechtsordnung gewährleistete Vertrauen der Rechtssubjekte darauf, daß ihre Verhältnisse in einer bestimmten Weise zuverlässig und durchsetzbar geregelt sind. Während die Gerechtigkeit stets konkrete Einzelentscheidungen betrifft, beinhaltet die Rechtssicherheit dagegen das „Vertrauen in allgemein gerechte Vgl. z. B. Sachs (1999) Art. 20 Rn. 122. So die Überlegung der Sachverständigenkommission (1996) S. 122 und 168. 134 Zur historischen Entwicklung des Begriffs Scholz (1955) S. 3. 135 Sachs (1999) Art. 20 Rn. 122 ff., 131; Herzog in Maunz / Dürig 20 VII Rn 63 f.; Bydlinski (1967) S. 63; Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 133 Fn. 4 faßt dies knapp zusammen in die Formel „Sicherheit und Klarheit des Rechtsinhalts“. 132 133

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Handhabung des Rechts und außerdem in zweckmäßige, klare Gesetzgebung, die erst die Möglichkeit gerechter Einzelentscheidungen schafft.“136 In der Privatrechtsordnung könnte Rechtssicherheit im Hinblick auf die Funktion des Vertragsrechts auch den Aspekt der Planungssicherheit umfassen. Der Vertrag dient der Planung der wirtschaftlichen Lebensverhältnisse, insbesondere im Hinblick auf zukünftige, teils ungewisse Situationen.137 Das Vertragsrecht besitzt vor diesem Hintergrund die Funktion, anonyme Transaktionen zwischen Partnern zu ermöglichen, die sich nicht persönlich vertrauen müssen. Denn das Erfordernis persönlichen Vertrauens ließe die Tauschbeziehungen begrenzter und primitiver werden.138 Anstelle des persönlichen Vertrauens auf die Vertragstreue des Vertragspartners, tritt ein Vertrauen in die Rechtsordnung, nämlich daß diese den Vertragspartner (notfalls mit Zwang) zur Erfüllung der Vereinbarung (oder zumindest zum Ersatz des andernfalls entstehenden Schadens) anhält.139 Der Aspekt der Planungssicherheit beruht somit auf dem Vertrauen in die Rechtsordnung und ist damit zumindest bei einem weiten Verständnis auch ein topos des Begriffs Rechtssicherheit.140 Der Aspekt der Planungssicherheit ist ferner im Hinblick darauf von Bedeutung, daß das Vertragsrecht der Planung der ökonomischen Lebens- bzw. Unternehmensführung und damit der Existenzsicherung dient. Wenn aus der wirtschaftlichen Betätigung beträchtliche Risiken erwachsen, so müssen diese möglichst bestimmt sein, so daß sie durch Versicherungen abgefangen werden können und nicht die eigenverantwortliche Wirtschaftsführung oder gar die Existenz gefährden. In dieser Hinsicht ist es eine Frage der Rechtssicherheit, daß die Rechtsordnung so ausgestaltet ist, daß Risiken versicherbar sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine gesetzliche Versicherungspflicht – wie für den Straßengütertransport in § 7a GüKG – besteht. Nicht zuletzt hat die Rechtsordnung im Vertragsrecht die wichtige Bedeutung, die Parteien bei der Gestaltung ihrer Rechtsbeziehungen zu entlasten. Müßten die Vertragsschließenden nämlich alle Eventualitäten ihrer Vertragsbeziehung im voraus bedenken und Regelungen dafür vereinbaren, so könnten Transaktionskosten und Verhandlungslänge ein Maß erreichen, das effiziente Austauschbeziehungen ausschließt – der sogenannte ,vollständige Vertrag‘ ist, von primitiven Fällen abgesehen, in der Praxis nicht zu erreichen. Es ist somit für eine auf Privatautonomie aufbauende Marktordnung unerläßlich, daß Lücken in den vertraglichen Vereinbarungen der Parteien in deren Sinne geschlossen werden, weil dadurch die TransScholz (1955) S. 6. Vgl. dazu Koller (1986) S. 75; ders. (1979) S. 1 und speziell zur Risikoverteilung S. 86. Vgl. auch von der Crone (1993) S. 90 f. 138 Schäfer / Ott (2000) S. 369 f. 139 Vgl. von der Crone (1993) S. 93. 140 Vgl. dazu Sachs (1999) Art. 20 Rn. 129, der in anderem Zusammenhang betont, die Bürger müssten ihr Verhalten nach der Rechtsordnung einrichten (also planen) können. 136 137

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aktionskosten auf ein angemessenes Maß begrenzt werden können.141 Die Rechtsordnung muß somit dispositive Regelungen bereitstellen, die sich an dem Leitbild des vollständigen Vertrages142 orientieren, damit die Vertragsschließenden darauf vertrauen können, daß ihre Rechtsbeziehungen untereinander auch dann klar und sicher geregelt sind, wenn sie sie nicht selbst regeln. Auch dieses Vertrauen in die Rechtsordnung unterfällt dem Schutzzweck der Rechtssicherheit.

b) Betroffenheit des Schutzbereichs im Transportsektor aa) Historischer Zustand vor der Transportrechtsreform Daß der Schutzbereich der Rechtssicherheit im Transportsektor betroffen sein kann, zeigt der Zustand des Transportrechts aus dem heraus es reformiert wurde. Vor der Reform des Transportrechts war eine übermäßige Rechtszersplitterung in diesem Bereich festzustellen.143 Dabei wurde nicht nur nach unterschiedlichen Transportmitteln, sondern auch nach den Distanzen (Nah- / Fernverkehr, national / international) und nach den einzelnen Arten der Rechtsgeschäfte, teilweise auch nach der Art des Gutes (Umzugsgut) differenziert.144 Hinzu kam eine weite Verbreitung von – teils brancheneinheitlichen – AGB zur Ausfüllung von teilweise recht großen „Lücken selbst der dispositiven gesetzlichen Regelung“145, was zu einer Vielzahl unterschiedlicher Vertragswerke führte.146 Infolgedessen wurde beklagt, daß sich die Rechtsanwendung schwierig gestaltete: Die auf einen konkreten Transport anwendbaren Normen seien zunächst schwer aufzufinden147 und in ihrer konkreten Reichweite – auch im Zusammenspiel mit anderen Bestimmungen – zu würdigen; eine Durchdringung der Materie wurde, obwohl juristische Fachliteratur verfügbar war, nur Spezialisten des Transportrechts zugetraut.148 Das Zusammenspiel unterschiedlicher Normen habe sich kaum erschlossen und sei teilweise von Wertungswidersprüchen geprägt.149 Es kann vor diesem Hintergrund davon ausgegangen werden, daß ein Schutzbedarf bestand. Z. B. Schäfer / Ott (2000) S. 394; Basedow (1987) S. 17. Dazu Schäfer / Ott (2000) S. 373 ff. 143 Sachverständigenkommission (1996) S. 5; wohl allgemeine Meinung, z. B. Fremuth, TranspR 1997, 48; Helm in FS Brandner S. 219, 222; Presseerklärung BMJ v. 17. 10. 1996 in TranspR 1996, 442; vgl. schon Herber, JZ 1974, 629; Basedow (1987) S. 2 f. 144 Koller, VersR 1996, 1441; Presseerklärung BMJ v. 17. 10. 1996 in TranspR 1996, 442; Sachverständigenkommission (1996) S. 5; Basedow (1987) S. 3. 145 Herber, JZ 1974, 629, 632 f. (Zitat auf S. 633). 146 Begründung des Regierungsentwurfs zum TRG, BT-Drucks. 13 / 8445, S. 85. 147 Sachverständigenkommission (1996) S. 5; Herber, JZ 1974, 629, 632. 148 Herber (1993) S. 7; aus den Materialien: Pick, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20388 (A). Braun, ebd. S. 20390 (C) und S. 20391 (B) bezieht ausdrücklich Richter und Rechtsanwälte ein. 149 Sachverständigenkommission (1996) S. 5. 141 142

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

bb) Schutzzweckverwirklichung durch die Vereinfachung des dispositiven Rechts Hinsichtlich der Umsetzung des Schutzes muß man aber differenzieren zwischen der Vereinheitlichung, Optimierung, Systematisierung, Abstimmung und Zusammenführung der dispositiven Normen und dem ,Schutz‘ vor abweichenden privatautonomen Regelungen, denn diese unterschiedlichen Maßnahmen stehen in keinem zwangsläufigen Zusammenhang. Die Bereinigung und Vereinfachung der dispositiven Bestimmungen steht in diesem Rahmen nicht zur Diskussion; daß sie die Rechtssicherheit und -einheitlichkeit auf dem Gebiet des Transportrechts fördert steht außer Frage.150 Fraglich ist, ob vor diesem Hintergrund ein weitergehender Schutzbedarf fortbesteht und ihm durch die Anordnung zwingenden Rechts bzw. der AGB-Festigkeit nachzukommen ist. Zunächst ist festzuhalten, daß die Herstellung eines übersichtlichen und funktionierenden Transportvertragsrechts die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der gesetzlichen Rechtslage in weitem Maße beseitigt. Dadurch geht ein bedeutender Anreiz zu privatautonomen Regelungen der Vertragsdetails verloren, denn die Vertragsschließenden können sich auf eine funktionierende Reserveordnung verlassen.151 Abweichende privatautonome Regelungen brauchen dann lediglich bei atypischen Sachverhalten getroffen zu werden, so daß die vom Regierungsentwurf befürchtete „berufsständische Rechtszersplitterung“152 ausbleibt. Andernfalls könnte sich die Leitbildfunktion153 des dispositiven Rechts dennoch entfalten und die Vereinbarungen wertungsmäßig beeinflussen. Im Falle einer klaren und sachgerechten dispositiv-gesetzlichen Regelung wäre der Schutzbedarf im Hinblick auf die Rechtssicherheit somit weniger dringend.154 Vgl. z. B. Herber, TranspR 1997, 45, 46. So auch Freiherr von Stetten, Plenarprotokoll der 222. Sitzung der 13. Wahlperiode vom 05. 03. 1998, S. 20387 (B). 152 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 87 (l. Sp.). 153 Vgl. auch Sachverständigenkommission (1996) S. 169. 154 Selbst wenn man eine unklare oder nicht sachgerechte Gesetzeslage unterstellte, wäre eine Beschränkung der Vertragsfreiheit um der Rechtssicherheit Willen nicht gerechtfertigt: Zwar führte die Einschränkung der Privatautonomie zu einem resignierenden Rechtsfrieden – abgesehen von den zu erwartenden Umgehungsversuchen, deren Behandlung wieder Rechtsunsicherheit erzeugt; ohne Sach- bzw. Einzelfallgerechtigkeit in der Mehrzahl der einzelnen Fälle kann aber nach dem hier vertretenen Verständnis von Rechtssicherheit von einer solchen (nicht von ,Gesetzessicherheit‘) keine Rede sein. Neben Umgehungsversuchen ist auf Dauer auch die Korrektur nicht sachgerechter und ineffizienter Regelungen durch die Rechtsprechung (sei es praeter oder gar contra legem) zu erwarten. Daß die damit bis zur Entwicklung klarer Leitlinien einhergehende Kasuistik der Rechtssicherheit extrem abträglich ist, ist nicht von der Hand zu weisen. Demnach kann die Rechtssicherheit im Falle einer nicht sachgerechten gesetzlichen Regelung nicht durch die Einschränkung der Vertragsfreiheit gesteigert werden, so daß eine derartige Maßnahme im Hinblick auf den Schutzzweck nicht geeignet und damit unverhältnismäßig wäre. 150 151

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cc) Weitergehender Schutzbedarf bei einseitiger Vertragsgestaltung Daß die Vertragsfreiheit auch dazu führen kann, daß abweichende Vereinbarungen nicht um der sachgerechteren Regelung atypischer Fallgestaltungen Willen vereinbart werden, sondern um auf Kosten des Vertragspartners wirtschaftliche Vorteile zu erlangen, muß an dieser Stelle außer Betracht bleiben, da der Schutz von Rechtssicherheit in dieser Hinsicht nicht betroffen ist. Zwar befürchtet der Regierungsentwurf, daß ein in vollem Umfang dispositives Recht Rechtsunsicherheit bei der marktunterlegenen Partei begründen könnte, weil unterschiedlich ausgestaltete Haftungsregelungen das Haftungsrisiko völlig unüberschaubar machen könnten.155 Dies kann im Hinblick auf den Schutzzweck ,Rechtssicherheit‘ nur insoweit relevant werden, als daß die „marktunterlegene“ Partei diejenige ist, die einseitig vorformulierte Vertragsbedingungen akzeptiert. In diesem Fall besteht die Gefahr, daß die marktunterlegene Partei den Inhalt der Vertragsbedingungen nicht zur Kenntnis nimmt – sei es, weil sich dies aus ökonomischen Gründen nicht rechnet, oder sei es, weil im unternehmerischen Geschäftsverkehr die Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB erleichtert sind und es ausreicht, daß auf die Geltung von AGB verwiesen wird. Abgesehen davon, daß auch in den genannten Fällen die geltende Vertragsordnung auch von der „marktunterlegenen“ Partei zumeist durch einen Blick ,ins Kleingedruckte‘ oder durch die Anforderung der AGB in jedem Zeitpunkt bestimmt werden kann,156 reichte schon eine Hinweis- oder Aufklärungspflicht bzw. die Verschärfung der Einbeziehungsvoraussetzungen von AGB aus, um diesen Schutzbedarf zu decken. Denn zumindest wer den Inhalt der im konkreten Vertragsverhältnis geltenden Regelung positiv kennt, kann sich nicht über Rechtsunsicherheit beklagen.

dd) Schutzbedarf im Hinblick auf die Versicherbarkeit Etwas anderes könnte jedoch unter dem topos der Versicherbarkeit gelten. Denn wie oben schon angesprochen, könnte das im kaufmännischen Verkehr bestehende Bedürfnis157 nach Risikominimierung und somit Versicherbarkeit der Risiken einer Begründung des Regierungsentwurfs zum TRG, BT-Drucks. 13 / 8445, S. 86. Die Bestimmbarkeit reicht wohlgemerkt aus, denn auch beim gewöhnlichen dispositiven Recht muß sich der Rechtsanwender zunächst das Gesetz besorgen und nachlesen (evtl. auch noch auslegen). 157 Der Vorsitzende des Frachtausschusses Transport im Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft, Golling, äußert im Bericht über die Geschäftslage in der Transportversicherung 2000 / 2001 (http://www.tis-gdv.de / tis / bedingungen / berichte / 2001 / bericht1. htm) die Erwartung, daß unversicherbare Risiken zwangsweise zu ernsthaften Existenzproblemen führen müßte. 155 156

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

geschäftlichen Betätigung158 nach einer besonderen Klarheit und Vergleichbarkeit der Risikoverteilung bei den einzelnen Transportverträgen im Zeitpunkt ihres Abschlusses verlangen. Eine günstige pauschale Risikenkalkulation samt darauf beruhender Prämienkalkulation kann nämlich vornehmlich durch Standardisierung der Risikofaktoren erreicht werden und als ein solcher wirkt sich der Haftungsumfang aus, sei es für die Verkehrshaftpflicht des Frachtführers oder (indirekt über den Umfang möglichen Regresses159) für die Transportgüterversicherung des Versenders. Besondere Relevanz vor dem Hintergrund der Rechtssicherheit hat dies zunächst im Hinblick auf die Pflichtversicherung des § 7a GüKG, denn wo das Gesetz eine Versicherungspflicht anordnet, muß auch eine angemessene Möglichkeit zur Versicherung bestehen. Milderes Mittel wäre allerdings in dieser Hinsicht vielmehr die Abschaffung der Versicherungspflicht, da sie weder geeignet ist, den Wettbewerb im Transportbereich zu fördern, noch erforderlich ist, um die Absender zu schützen: Absender sind nämlich in erster Linie nicht schutzbedürftige Kaufleute, von denen erwartet werden kann, daß sie sich selbst ausreichend zu schützen wissen.160 Darüber hinaus werden durch eine Versicherungspflicht Anreize zur Schadensvermeidung verringert.161 Dadurch kann es zu einem volkswirtschaftlich negativem Stagnieren der Sicherheit von Transporten auf niedrigem Niveau kommen,162 wobei die Nachteile daraus nicht von den Schadensverursachern, sondern von der Gemeinschaft der Transportversicherten (der wohlgemerkt die Schadensverursacher nicht angehören) getragen werden, was letztendlich ebenfalls zu einer faktischen Verteuerung des Transports führt.163 Nicht zuletzt könnte eine Versicherungspflicht deutsche Fuhrunternehmer im Vergleich zu ausländischen Kabotagebetreibern benachteiligen. 164 Im übrigen schließt eine Pflichtversicherung vertragliche Vereinbarungen nicht aus.

158 Vgl. dazu Koller, ZIP 1986, 1089, 1094; vgl. die „Plansicherungstheorie“ zur Funktion der Versicherungen, dazu Prölss / Martin-J. Prölls (1998) § 1 Rn. 3. Vgl. auch Koller, VersR 1980, 1, 4. 159 Vgl. dazu Enge (1996) S. 331 ff. 160 Lammich / Pöttinger, GüKG, § 7a Rn. 2; vgl. zur verringerten Schutzbedürftigkeit von Kaufleuten auch Canaris (2000) § 1 Rn. 17 (S. 7) u. Lutz (1991) S. 3 ff. 161 Vgl. dazu Koller, VersR 1996, 1441, 1444 f. Dies wird durch den nicht ausgeprägten Konditionenwettbewerb, in dem ein good will zum Tragen käme, und die Tatsache unterstützt, daß die Qualität des Beförderungsangebots nur durch einen weiten Haftungsumfang signalisiert werden kann. 162 Zur Bedeutung des Präventionseffekts Koller, VersR 1996, 1441, 1444 f.; ders. ZIP 1986, 1089, 1090 ff., der aber darauf hinweist, daß eine ausreichende Präventionswirkung durch angemessene Gestaltung des Versicherungsschutzes sichergestellt werden kann (S. 1095, s. aber auch S. 1096). 163 Vgl. dazu die Kritik der „fortschreitenden Kollektivierung von Schadensrisiken durch ihre Verlagerung in den Versicherungssektor“ durch Basedow, TranspR 1998, 58, 60. Dies erkannte auch die Sachverständigenkommission zur Reform des Transportrechts (1996) S. 170. 164 So Lammich / Pöttinger, GüKG, § 7a Rn. 3.

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Eine Erhöhung des Haftungsmaßstabs (auch außerhalb versicherungspflichtiger Transporte) könnte von den standardisierten Versicherungspolicen nicht gedeckt sein und den Transportunternehmer evtl. ohne Versicherungsschutz in dieser Höhe belassen. Wenn eine derartige Haftungsausweitung in AGB des Absenders möglich wäre, ohne daß der Transportunternehmer dies bemerkt und er somit auch nicht gewahr ist, daß die Risiken seiner Betätigung teilweise unversichert sind, so wäre die Planungssicherheit, die die Rechtsordnung zu ermöglichen hat, nicht mehr gewährleistet. Zwar ist der Transportunternehmer grundsätzlich selbst verantwortlich, sich über den Umfang seines Versicherungsschutzes zu vergewissern; in Fällen in denen es ökonomisch nicht rational wäre, die einseitig gestellten Vertragsbedingungen zu analysieren,165 käme es jedoch zum Dilemma zwischen den Verhaltensalternativen ,unverantwortlich, aber rational‘ oder ,irrational, aber selbstverantwortlich‘. Im Hinblick darauf wirkte sich eine vollständig dispositive Regelung trotz der prinzipiellen Selbstverantwortung des Transportunternehmers negativ aus. Dieses Problem taucht aber im Rahmen des § 449 (466) Abs. 2 S. 2 HGB genauso auf und wurde dort mittels des Kriteriums der „drucktechnisch deutlichen Gestaltung“ gelöst. Dies erscheint – zumindest im kaufmännischen Verkehr – als ausreichend. Für den Absender ist die Gefahr weniger dringend: Bei Haftungsbeschränkungen oder -ausschlüssen schließen zwar auch Transportgüterversicherungen den Versicherungsschutz zumeist aus; dies gilt jedoch nur, soweit die Regreßmöglichkeit des Versicherers gegen den Transportunternehmer durch die Haftungsbeschränkungen vereitelt werden (Ziff. 23.3 DTV-Güter 2000166, vgl. auch Ziff. 7.10.2 ADS Güterversicherung 1973 i.d.F. 1984167). Der Versicherungsschutz über die gesetzliche Haftung (bzw. das sich durch verkehrsübliche Haftungsbeschränkungen ergebene Maß) hinaus bleibt jedoch voll bestehen. Dabei ist ungeklärt, inwieweit Haftungsbeschränkungen verkehrsüblich sind; man könnte z. B. annehmen, daß sachgerechte Haftungsbeschränkungen noch verkehrsüblich sind, so daß der Versicherungsschutz nur bei einem völlig unangemessenem und damit wohl auch unüblichem Haftungsausschluß entfällt. Im Ergebnis reichte daher in jeder Hinsicht ein deutlicher Hinweis auf die Haftungsbeschränkung aus. Eine Rechtfertigung einer weitergehenden Einschränkung der Privatautonomie vor dem Hintergrund des Schutzzwecks ,Rechtssicherheit‘ läßt sich daraus nicht ableiten: Im Gegenteil, soweit die Parteien informiert sind, daß sie den Rahmen einer Standardversicherung verlassen, sind sie nicht mehr schutzwürdig. Entweder sie gehen das Risiko teilweise fehlenden Versicherungsschutzes bewußt ein168 oder sie wenden Ressourcen auf, um abseits der Standardversicherung 165 Vgl. dazu Kötz in FS-Mestmäcker (1996) S. 1041; Bunte, NJW 1987, 921, 924; Basedow (1987) S. 27 f. 166 Fundstelle auf: http: // www.tis-gdv.de. Allgemeine Darstellung Ehlers, TranspR 2000, 11 ff. 167 Fundstelle: http: // www.assurance-ger.de / ADS_See.htm; Dazu Enge (1973) S. 72.

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

Versicherungsschutz zu erwerben. Eine Erweiterung des Versicherungsschutzes auch bei Haftungsbeschränkungen läßt Ziff. 23.2 DTV-Güter 2000 ausdrücklich durch Vereinbarung zu. Dies ist auch im Hinblick auf die Verkehrshaftpflicht denkbar, wie Ziff. 1.3.2 VFE169 unter ausdrücklichem Hinweis auf § 449 HGB beweist. Anhand dieser Beispielpolice läßt sich auch ersehen, daß variable Haftungsumfänge im Rahmen von Standardverträgen sehr wohl Berücksichtigung finden können: So umfaßt sie sowohl Ansprüche aus (zulässigen) AGB im allgemeinen (Ziff. 1.1.(2)) als auch Ansprüche im Rahmen des durch vorformulierte Bedingungen disponiblen Haftungsumfangs zwischen 2 und 40 SZR des § 449 Abs. 2 S. 2 HGB. In der Speditionsversicherung erscheint eine Anpassung der Police im Hinblick auf Regreßmöglichkeiten ebenfalls durchführbar, was die Differenzierung beim Selbsteintritt beweist. Auch im Bereich des internationalen Güterkraftverkehrs gestatten Art. 24 und 26 CMR besondere Haftungserweiterungen, ohne daß dort von unzumutbaren Belastungen für Beförderungsunternehmen und Versicherer berichtet wurde, die die Sachverständigenkommission zur Reform des Transportrechts befürchtete170. Es ist weiterhin darauf hinzuweisen, daß auch bei zwingender Ausgestaltung der Haftungsbestimmungen die gesetzliche Haftung durch Vereinbarungen zu den Transportmodalitäten verändert werden kann,171 so daß das Haftungsrisiko nie stets exakt anhand des Gesetzes kalkulierbar ist. Im Endeffekt wird es Frage des Marktes sein, ob sich vor dem Hintergrund der Prämiengestaltung der Versicherungen ein variables oder ein am dispositiven Recht orientiertes Haftungssystem durchsetzt. Dies ist jedoch keine Frage der Rechtssicherheit. Der Aspekt der Versicherbarkeit steht damit einer dispositiven Ausgestaltung des Haftungssystems des Transportrechts nicht entgegen.

ee) Geeignetheit vor dem Hintergrund grundsätzlicher Dispositivität der Transportvertragspflichten Ferner bestehen grundsätzlichere Zweifel an der Geeignetheit einer auf die in § 449 (466) Abs. 1 HGB begrenzten Einschränkung der Privatautonomie. Das Haftungsrisiko hängt nämlich neben den in § 449 (466) Abs. 1 HGB aufgezählten Normen auch maßgeblich von den Pflichten der Vertragsparteien ab, die aber vollkommen disponibel sind.172 Grundsätzlich kann die Art und Weise der Durchführung

168 Seit jeher gibt es unterschiedliche Tarife im Transportversicherungssektor mit unterschiedlich weitgehender Deckung, z. B. die DTV-Güter 2000-Volle Deckung und -Eingeschränkte Deckung; vgl. auch Ziff. 1.2 ADS Güterversicherung 1973. 169 Versicherungsbedingungen für die Frachtführer-Europapolice der KRAVAG-LOGISTIC; abgedruckt bei Ehlers in van Bühren (2001) § 17 Rn. 46. 170 Sachverständigenkommission (1996) S. 126. 171 Dazu sogleich unter ee), S. 138.

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des Transports ohne weiteres privatautonom geregelt werden,173 was sicherheitsrelevante Faktoren einschließt.174 Wenn aber schon die Pflichten veränderlich sind, die bei ihrer Verletzung die Sekundäransprüche auslösen, so wird die Überschaubarkeit des Haftungsrisikos durch Modifikationen der Sekundäransprüche selbst nicht mehr bedeutend verringert. Wird z. B. vereinbart, daß der Frachtführer entgegen § 411 HGB die genügende Verpackung der (zwar verpackt verladenen) Güter zu kontrollieren und notfalls sicherzustellen hat, so erweist sich dies als faktische Abbedingung der verschuldensunabhängigen Haftung nach § 414 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 HGB und des besonderen Haftungsausschlußgrundes des § 427 Abs. 1 Nr. 2 HGB. Ferner kann keine Modalität der Beförderung, die die Parteien unmittelbar vereinbart haben, als Verstoß gegen die Erfordernisse größter Sorgfalt bezeichnet werden, so daß der Haftungsausschluß des § 426 HGB eingreift.175 Dies bedeutet im Ergebnis, daß anstelle von einzelnen Haftungsausschlüssen akribisch genaue Vereinbarungen der Transportmodalitäten getroffen werden können.176 Für Absender, die nicht mit den Gefahren des konkreten Transports vertraut sind, gestaltet sich das Risiko unter diesen Umständen nicht weniger unüberschaubar, als wenn ein Haftungsausschluß vereinbart worden wäre. Aus der Möglichkeit, wichtige Vertragspflichten privatautonom zu gestalten, ergibt sich auf der Basis der Rechtssicherheit vielmehr die Forderung, daß die in der privatautonomen Gestaltung zum Ausdruck kommende Planung auch haftungsmäßig abgesichert werden kann. Sonst können z. B. Versender, die ein besonderes Interesse an einem schnellen Transport haben, zwar eine kurze Lieferfrist vereinbaren (§ 423 HGB). Sie können diese Lieferfrist allerdings nicht durch eine diesem Interesse entsprechende Haftung bei ihrer Überschreitung absichern, da § 431 Abs. 3 HGB die Haftung auf das Dreifache der Fracht begrenzt – ein Betrag, der 172 Wobei im übrigen erwartet wurde, daß von der Möglichkeit AGB-mäßiger Gestaltung auf diesem Gebiet verstärkt Gebrauch gemacht werden wird; so z. B. Herber, TranspR 1997, 45, 46. 173 Koller (2000) § 449 Rn. 15; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 2 (Nr. 1) u. Rn. 13 ff. 174 Koller (2000) S. 12; Fremuth in Fremuth / Thume (2000) § 449 Rn. 3 ff. u. 16 betont die Unzulässigkeit von Umgehungsgeschäften (m. w. N.). Die Finalität der Vertragsgestaltung zu Zwecken der Umgehung von Haftungsfolgen wird dabei nur schwer nachweisbar sein, da dann „zur Erreichung eines wirtschaftlichen Erfolgs nicht der den Umständen nach gewöhnliche und zweckmäßige, sondern unter Ausnutzung der Vertragsfreiheit ein anderer, den wirtschaftlichen Vorgängen ferner liegender und daher ungewöhnlicher Weg eingeschlagen“ werden muß (ebd. Rn. 6 m. w. N.). 175 Koller (2000) S. 12. 176 Als nicht ganz ernstgemeintes Beispiel, um die Haftung wegen mangelnder Bewachung bei Diebstahl abzuwälzen: „Wenn der Lkw-Fahrer austreten muß, so hat er das Lenkradschloß einzurasten, das Fahrzeug zu verschließen und sich zügig und auf direktem Wege zum WC zu begeben. Er muß nach höchstens 20 min zum Fahrzeug zurückkehren, zur Nachtzeit auf unbewachten Parkplätzen nach 15 min. Die Zeiten beginnen bei zwischenzeitlicher Rückkehr zum Fahrzeug nicht erneut. Zum Zwecke der Verpflegung des Fahrers gilt dies entsprechend mit der Maßgabe, daß sich die angegebenen Zeiten um 15 min erhöhen.“

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

sich z. B. angesichts von Produktionsausfällen bei just-in-time-Lieferungen, von denen der Stillstand eines ganzen Werks abhängt, lächerlich gering ausnimmt. Es entsteht somit eine erhebliche Unsicherheit, ob die durch vertragliche Vereinbarungen abgesicherte Planung Bestand hat oder ob Schäden entstehen, die nicht in adäquater Weise ausgeglichen werden. Die Planungssicherheit als Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Rechtsordnung, den Vertragspartner (notfalls mit Zwang) zur Erfüllung der Vereinbarung oder aber zum Ersatz des andernfalls entstehenden Schadens anzuhalten, ist erschüttert. Eine weitgehende Einschränkung der Abdingbarkeit der in § 449 (466) Abs. 1 HGB aufgezählten Bestimmungen könnte somit sogar zu einer Verringerung der Rechtssicherheit führen!

c) Ergebnis Der Rechtssicherheit als Element des Rechtsstaatsprinzips mit Verfassungsrang kommt im Vertragsrecht eine besondere Bedeutung zu, da das Vertragsrecht auf das Vertrauen in die Rechtsordnung aufbaut. Als Teil der verfassungsmäßigen Ordnung kann der Schutz der Rechtssicherheit zur Rechtfertigung für eine Einschränkung der Vertragsfreiheit dienen. Im Transportvertragsrecht ist eine weitgehende Einschränkung der Vertragsfreiheit jedoch nicht gerechtfertigt – sie könnte sich sogar kontraproduktiv auf die Rechtssicherheit auswirken. Es ist lediglich erforderlich, daß die konkreten Vertragsparteien Kenntnis vom Inhalt der zwischen ihnen geltenden Vereinbarungen haben, was lediglich bei einseitig abgefaßten Vertragsbedingungen problematisch sein könnte. Die Anordnung zwingenden Rechts, als welche sich § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB auswirkte, wenn man die Alternative ,Aushandeln‘ zunächst unberücksichtigt ließe, wäre somit als Einschränkung der grundrechtlich geschützten Privatautonomie nicht zu rechtfertigen. Vor diesem Hintergrund ist das Tatbestandsmerkmal ,Aushandeln‘ so auszulegen, daß (zumindest) in diesem Bereich die Vertragsfreiheit wiederhergestellt wird. Lediglich in den Fällen einseitig abgefaßter Vertragsbedingungen ist eine verhältnismäßige Einschränkung der Vertragsfreiheit auch im Rahmen der Alternative ,Aushandeln‘ gerechtfertigt. Im Hinblick auf den Schutzzweck ,Rechtssicherheit‘ muß das Aushandeln aus teleologischer Sicht die Kenntnis des Inhalts der betreffenden Vertragsbedingung gewährleisten.

5. Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ Durch die Regelung des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB ist der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG betroffen. Um die Konsequenzen für die Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ ermitteln zu können, betrachte man zunächst die Norm, wie sie sich ohne die Möglichkeit der Abweichung durch Aushandeln darstellte. In diesem Fall

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handelte es sich bei den in § 449 (466) Abs. 1 HGB aufgezählten Normen um zwingendes Recht.177 Eine derartige Einschränkung der Privatautonomie läßt sich jedoch mit Blick auf das Grundgesetz nicht rechtfertigen; es besteht vielmehr nur ein Schutzbedarf, wenn der Vertragsmechanismus nicht funktioniert. Dies kann nur dann der Fall sein, wenn die Vertragsbedingungen zumindest einseitig abgefaßt wurden. Es existieren hinlängliche Differenzierungskriterien, um diese Fälle zu kennzeichnen. Die Beschränkung der Vertragsfreiheit in allen anderen Fällen ist somit nicht gerechtfertigt. Die Norm ist also nur dann verfassungsmäßig, wenn durch die Alternative ,Aushandeln‘ privatautonome Vereinbarungen in Fällen mangelnden Schutzbedarfs ohne wesentliche Erschwernis möglich sind.

a) Beidseitiges Abfassen oder fehlende Vorformulierung Demnach ist Aushandeln immer dann anzunehmen, wenn die betreffende Vertragsbedingung nicht einseitig gestaltet wurde, sondern wenn beide Parteien die Klausel gemeinsam, etwa anhand eines Problemkatalogs, ausgearbeitet haben. Da ein Schutzbedarf nur im Rahmen einer Dysfunktion des Vertragsmechanismus besteht, muß ein Aushandeln selbst dann in Betracht kommen, wenn die betreffende Vertragsbedingung zwar nicht beidseitig abgefaßt worden ist, aber dennoch keine Einschränkung der Funktionsfähigkeit des Vertragsmechanismus zu beobachten ist. Deswegen ist eine Vertragsbedingung nicht schon deswegen nicht ausgehandelt, weil sie vorformuliert ist. Die Vorformulierung bzw. das Abfassen im voraus178 stellt somit kein hinreichendes Kriterium zur Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ dar. Zwar ist eine Vertragsbedingung nach der verfassungskonformen Auslegung immer dann ausgehandelt i. S. d. §§ 449, 466 HGB, wenn sie entweder nicht vorformuliert oder beidseitig gestaltet wurde. Diese Begriffsbestimmung des Aushandelns ist jedoch nicht zwingenderweise abschließend.

b) Aushandeln trotz Vorformulierung Ein gewichtiges Indiz dafür, daß selbst im Falle einseitig vorformulierter Bedingungen ein Aushandeln möglich sein muß, ergibt sich aus einer besonderen Implikation der Rechtssicherheit: Dem juristischen Laien könnte ansonsten nämlich die Regelung des § 449 (466) Abs. 2 HGB im Zusammenhang mit günstigen AGBKlauseln der Gegenseite gar zum Verhängnis werden. Es ist denkbar, daß der Verwender (nicht unbedingt böswillig) durch eine günstige AGB-Gestaltung die andere Partei (die nicht mit der Eigenart der hier dargestellten Regelung vertraut ist)

177 Abgesehen davon, daß § 449 (466) Abs. 2 S. 2 HGB betragsmäßige Änderungen der Haftungsgrenzen gestattet. 178 Vgl. dazu oben unter § 6 I. 3. a) ee), S. 84 f.

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

davon abbringt, über bestimmte ihr wichtige Punkte besondere Individualabreden zu treffen, da sie ihre Interessen ja schon hinreichend verwirklicht sieht. Im ,Ernstfall‘ ist diese günstige Regelung, ohne die der Vertragsschluß evtl. gar nicht zustande gekommen wäre, aber unwirksam. Denn wenn man die Vorschrift des § 449 HGB ernst nimmt, schützt sie eben nicht nur den Klauselgegner, sondern jeden, also auch den AGB-Verwender. Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut, zum anderen im Umkehrschluß aus § 449 (466) Abs. 2 S. 2 Nr. 2 HGB, der für den Sonderfall des S. 2 abweichende Regelungen zu Lasten des Verwenders vorformulierter Bedingungen ausdrücklich gestattet. In gleicher Weise sind die Gesetzesmaterialien 179 zu verstehen, die wie oben dargestellt, die Befürchtung erheblicher Abgrenzungsschwierigkeiten enthalten und sich somit ausdrücklich gegen eine Berücksichtigung gegnerfreundlicher AGB entscheiden. Somit wäre es contra legem, die Berufung auf § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB als venire contra factum proprium abzutun oder aber den S. 1 im Sinne des S. 2 Nr. 2 teleologisch zu reduzieren. Dieser Befund wird durch einen vergleichenden Seitenblick auf § 125 BGB gestützt, bei dem die Berufung auf die Nichtigkeit wegen Formmangels nur in Extremfällen ausgeschlossen wird180 und zwar nur, wenn die Aufrechterhaltung der Formnichtigkeit als schlechthin untragbar erscheint.181 Letzteres erscheint im Rahmen des § 449 (466) Abs. 2 prinzipiell ausgeschlossen, weil es bedeutete, daß ansonsten die Anwendung der dispositiven Gesetzesbestimmungen schlechthin untragbar sein müßte. Es sei noch hinzugefügt, daß selbst eine böswillige Verwendung182 günstiger AGB nur überaus schwer zu beweisen wäre. Durch diese Implikation wäre die Rechtssicherheit durch die Regelung des § 449 (466) Abs. 2 HGB gefährdet, soweit man im Falle einseitig vorformulierter Bedingungen ein Aushandeln stets ablehnte. c) Ergebnis Die verfassungskonforme Auslegung ergibt, daß beidseitig abgefaßte oder nicht vorformulierte Vertragsbedingungen stets ausgehandelt sind. Eine (evtl. negative) Aussage mit Blick auf einseitig vorformulierte Bedingungen kann jedoch nicht getroffen werden, weil es auch in dieser Fallgruppe möglich ist, daß der Vertragsmechanismus funktioniert. Die verfassungskonforme Auslegung führt nicht zu abstrakten Kriterien, unter welchen Bedingungen von der Funktionsfähigkeit des Vertragsmechanismus‘ trotz einseitiger Vorformulierung auszugehen ist. Es läßt sich lediglich feststellen, daß Begründung des Regierungsentwurfs zum TRG, BT-Drucks. 13 / 8445, S. 87. Palandt-Heinrichs (2003), § 125 Rn. 16 ff. Vgl. oben, S. 56, Fn. 134. 181 Staudinger-Dilcher, § 125 Rn. 41 (m. w. N.); Palandt-Heinrichs (2003), § 125 Rn. 16; ständ. Rspr., z. B. BGHZ 138, 339, 348 (m. w. N.). 182 Die Fallgruppe der Arglist ist auch im Rahmen des § 125 BGB anerkannt; vgl. PalandtHeinrichs § 125 Rn. 22. 179 180

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in diesen Fällen, wenn sie hinreichend abgrenzbar sind, ein Aushandeln anzunehmen ist. Eine derartige Abgrenzung ist jedoch nicht durch die Verfassung vorgegeben. Es besteht diesbezüglich vielmehr ein Beurteilungsspielraum, da es sich insoweit um die abstrakte Ausgestaltung der Privatrechtsordnung handelt, die selbst Voraussetzung der Vertragsfreiheit als kompetentieller Freiheit ist.183 Dieser Beurteilungsspielraum wurde vom historischen Gesetzgeber nicht explizit konkretisiert; es wurde lediglich entschieden, daß es nicht auf den Inhalt der Vertragsbedingungen ankommen soll.184 Eine Präzisierung ist somit auf der Basis weiterer objektiver Normzwecke vorzunehmen.

II. Funktionsfähige Vertragsrechtsordnung Objektive ratio des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB ist zum einen, die Verfassungsmäßigkeit der Norm hinsichtlich Art. 2 Abs. 1 GG sicherzustellen. Zum anderen dient jede Norm, die die Form der privatautonomen Betätigung regelt, auch der Ausgestaltung der Vertragsrechtsordnung als Basis für die Vertragsfreiheit und nicht als deren Ausprägung. Zweck des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB ist somit auch, eine funktionsfähige Vertragsrechtsordnung im Transportrecht zu gewährleisten. Was eine funktionsfähige Vertragsrechtsordnung ausmacht, muß normativ ermittelt werden. Dabei soll hauptsächlich auf die in der bestehenden Rechtsordnung zum Ausdruck kommenden Wertungen abgestellt werden. Es sind also die „objektiven Zwecke des Rechts“185 in diesem Zusammenhang zu ermitteln.

1. Funktionale Betrachtung der Vertragsfreiheit im Hinblick auf die Vertragsrechtsordnung Das Vertragsrecht baut grundsätzlich darauf auf, daß die Vertragsgestaltung in den Händen der beteiligten Vertragsparteien liegt. Gerade für die Fortentwicklung186 des Schuldrechts, d. h. die Anpassung an neue Situationen des wirtschaftlichen Lebens, hat sich dies als entscheidend erwiesen.187 Vgl. Flume (1992) § 1 10 a (S. 18) und oben unter § 8 I. 2. a), S. 115. Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (r. Sp.). 185 Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334). 186 Dazu insb. Fischer, DRiZ 1974, 209. 187 So schon Raiser (1935) S. 97 f.; vgl. auch Canaris (2000) § 1 Rn. 17 u. 20 (S. 6 f.) und Oechsler (1997) S. 139, der daraus auch ableitet, daß Abweichungen vom dispositiven Gesetzesrecht nicht zwangsläufig Gerechtigkeitserwägungen zuwider laufen. Vgl. i.ü. zu den Vorteilen der Vertragsfreiheit gegenüber einem zwingendem Rechtssystem auch Schmidt-Rimpler (1974) S. 8. 183 184

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Der Aspekt freier Vertragsgestaltung durch die Parteien erweist sich auch insofern als bedeutend, als der Gesetzgeber in der heutigen, sich immer stärker spezialisierenden Welt sowohl im Hinblick auf die Geschwindigkeit als auch auf den Informationsbedarf überfordert wäre, wollte er alle sich ergebenen Konstellationen mittels abstrakt-genereller Normen zeitnah und sachgerecht regeln.188 Dies gilt auch im Transportwesen189 in seinen aktuellen Ausprägungen wie dem multimodalen Transport190, diversen Spezialtransporten oder auch hinsichtlich der just-in-time Lieferung191. Die Vertragsparteien können ihre Bedürfnisse grundsätzlich selbst am besten absehen und somit auch selbst die (sach-)gerechteste Lösung finden.192 Die Privatrechtsordnung ist daher im Hinblick auf die inhaltliche Gestaltung von Verträgen grundsätzlich darauf beschränkt, für den Fall des Fehlens einer eigenen Regelung durch die Parteien Standardregeln für die rechtsgeschäftliche Betätigung aufzustellen,193 die auch ohne konkrete Vereinbarung einen angemessenen Interessenausgleich sicherstellen.194 Der Inhalt dieser Reserveregeln ist nicht willkürlich bestimmt, sondern zeichnet sich durch einen gewissen angenommenen Gerechtigkeitsgehalt aus: Das dispositive Gesetzesrecht soll einen Ausgleich ermöglichen, der den Interessen beider Parteien gerecht wird.195 Dies kann auch, insbesondere von der Warte eines ökonomischen Ansatzpunktes,196 so formuliert werden, daß das abdingbare Recht die Bestimmungen trifft, die die Parteien selbst getroffen hätten, wenn sie über die offenen Punkte ohne Transaktionskosten oder zeitliche Beschränkungen verhandelt hätten. Dahinter steht die Idee des „vollständigen Vertrags“, d. h. eines Vertrags, der sämtliche Eventualitäten ausdrücklich regelt und unter idealen Bedingungen ausgehandelt wurde. Dispositive Normen bezwecken somit prinzipiell die Rekonstruktion dessen, was die Parteien vernünftigerweise Vgl. Heinrich (2000) S. 208. So auch Sachverständigenkommission (1996) S. 5 f. und die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG, BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86. 190 Z. B. der verbreitete Containertransport, vgl. dazu Pressemitteilung BMJ in TranspR 1996, 442, 443 und Sachverständigenkommission (1996) S. 6. Vgl. auch Czerwenka, TranspR 1997, 353, 354. 191 Müller, TranspR 1997, 359, 363. 192 Larenz / Wolf (1997) § 34 Rn. 22 (m. w. N.); Raiser (1935) S. 98; Zoller, JZ 1991, 850, 853. 193 Esser / Schmidt (1995), § 10 II 3 (S. 166); Larenz / Wolf (1997), § 33 Rn. 19 (S. 634); Medicus (1997), § 25 III 2 a (S. 132); Bork (2001), § 2 C II 3 (S. 38). 194 „Durch das dispositive Recht wird nämlich weitgehend lediglich typisiert, was redliche und vernünftige Parteien normalerweise verabreden würden.“ Canaris, AcP 184 (1984), 201, 214; vgl. auch Larenz / Wolf (1997) § 2 Rn. 24 (S. 29). 195 Esser / Schmidt (1995), § 10 II 3 (S. 166); Larenz / Wolf (1997), § 33 Rn. 19 (S. 634). 196 Schäfer / Ott (2000), S. 375; vgl. auch Kötz in FS-Mestmäcker (1996) S. 1042 (zum Maßstab der AGB-Kontrolle) und ders. (1989) S. 194; vgl. auch Basedow (1987) S. 17; Eidenmüller (1995) S. 62 (weniger auf die Funktion dispositiven Rechts als auf die Funktion des Rechts als solchem unter Effizienzgesichtspunkten abstellend) und S. 65 f. 188 189

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vereinbart hätten, wenn sie ohne damit verbundene Kosten für jede mögliche Konstellation eine eigene Vereinbarung getroffen hätten. Vor diesem Hintergrund kommt ihnen auch eine Leitbildfunktion zu, die in § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB n.F. einen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat.197 Hinter den Regelungen der Vertragsrechtsordnung mit Bezug zur Inhaltsgestaltung steht somit primär das Ziel, auch ohne Parteivereinbarung einen richtigen, also – nicht nur der Sache, sondern auch den Interessen der Beteiligten – gerechten Interessenausgleich sicherzustellen,198 wobei hier nicht näher auf die Frage, was der abstrakte Begriff „gerecht“ bedeutet, eingegangen werden kann.199 An dem prinzipiellen Ziel der Gerechtigkeit bzw. Richtigkeit ändert sich auch nichts dadurch, daß grundsätzlich der Wille der Parteien allein als maßgeblich für die Geltung eines Vertrages angesehen wird gemäß dem Satz „stat pro ratione voluntas“200 Bevor nämlich auf die Privatautonomie abgestellt werden kann, obliegt es der Rechtsordnung, deren Anwendungsbereich zu bestimmen.201 Im Rahmen der Zivilrechtsordnung wird deutlich, daß die Privatautonomie immer dann eingeschränkt wird, wenn die Gerechtigkeit bzw. Richtigkeit der auf reine Willensübereinstimmung aufbauenden Einigung prinzipiell gefährdet ist: Dies wird deutlich z. B. in § 138 Abs. 2 BGB sowie im Schutz Minderjähriger und Geschäftsunfähiger, deren tatsächlich gebildetem Willen keine Bedeutung beigemessen wird, da die Verwirklichung dieses Willens keine Gewähr für richtige Verträge bietet.202 Im übrigen dient die Privatautonomie auch – neben ihrer grundrechtlichen Funktion – diesem Ziel der Rechtsordnung, einen echten Ausgleich der Interessen203 zu gewährleisten: Weil nämlich für die objektive Vertragsgerechtigkeit im Sinne einer objektiven Tauschgerechtigkeit (iustum pretium) keine „wirklich überzeugenden und zugleich praktikablen Kriterien“204 existieren, kann die Verwirklichung eines gerechten Ausgleichs sinnvollerweise nur auf subjektiver Basis geschehen und ist von außen unter objektiven Kriterien nicht unbedingt nachzuvollziehen. Gerade zur Verwirklichung eines aus der Sicht beider Parteien (subjektiv-)gerechten Interessenausgleichs dient der Vertrag. Die Parteien selbst bringen ihre entgegengesetzten Interessen zu einem Ausgleich205 und schleifen sie gegenseitig ab, wie es Byd197 Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 32; vgl. schon Enneccerus / Nipperdey (1959) S. 301 f. („Ordnungsfunktion“). 198 Vgl. auch Sachverständigenkommission (1996) S. 122. 199 Dazu ausführlich Oechsler (1997). 200 Flume (1992) § 1 – 5 (S. 6). 201 Flume (1992) § 1 – 5 (S. 7); § 1 – 2 (S. 2); vgl. oben unter § 8.I.2.a), S. 115. 202 Vgl. Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 15; Wolf (1970) S. 115. 203 Koller (1972) S. 1. 204 Larenz / Wolf (1997) § 2 Rn. 23 (S. 28); vgl. auch eingehend Koller (1979) S. 42 f.; Lobinger (1994) S. 83; Schmidt-Rimpler (1974) S. 11 u. zum iustum pretium S. 15. 205 Flume (1992) § 1 6a (S. 7 f.); Schmidt-Rimpler (1974) S. 5 f.; Wolf (1970) S. 69 ff., 73 f.; vgl. auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 14 f.

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linski206 bildhaft ausdrückt. Dies wird dadurch gewährleistet, daß es nur dann207 zum Vertragsschluß kommt, wenn beide Parteien (subjektiv) ihre Interessen im Rahmen der Vereinbarung als hinreichend berücksichtigt ansehen.208 Daher sah Schmidt-Rimpler im Vertrag eine „Richtigkeitsgewähr“ für den Interessenausgleich.209 Wolf schränkt den Begriff „Richtigkeitsgewähr“ dahingehend ein, daß er hervorhebt, diese Richtigkeit könne nicht durch jeden Vertrag verwirklicht werden.210 Er prägte insofern den Begriff „Richtigkeitschance“.211 Das Prinzip der (subjektiven) Richtigkeitsgewähr durch den Vertragsmechanismus setzt Vertragsfreiheit zwingend voraus. An ein von Vertragsfreiheit geprägtes System wird die Erwartung geknüpft, daß es insgesamt zu einer „vernünftigen, funktionierenden und jeder heteronomen Regelung überlegenen Ordnung“ führt.212 Die Vertragsrechtsordnung soll also die Gerechtigkeit bzw. Richtigkeit der vertraglichen Vereinbarungen vor dem Hintergrund der subjektiven Präferenzen der Parteien gewährleisten.

2. Konsequenz aus der Funktion der Vertragsfreiheit Somit dienen auch die §§ 449, 466 HGB dem Ziel, einen echten Ausgleich der Interessen der beteiligten Parteien sicherzustellen. Die beim Transportvertrag in Frage kommenden Interessen können schwerpunktmäßig eingegrenzt werden: § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB regelt Verträge im unternehmerischen Verkehr. Daher ist als globale Interessenlage die Gewinnmaximierung anzusehen. Selbstverständlich darf der Kreis möglicher Interessen nicht auf die Gewinnmaximierung beschränkt werden, d. h. die Verwirklichung anderer Interessen in einem unternehmerischen Transportvertrag ist nicht auszuschließen. Der absolut überwiegende Teil der Transportverträge wird jedoch von dem übereinstimmenden Interesse beider (1967) S. 62. Die Bedeutung der negativen Richtigkeitsgewähr durch den Verzicht auf einen Vertragsschluß betont Schmidt-Rimpler (1974) S. 6 u. 14. 208 Insbesondere nehmen nur sie eine Bewertung der Angemessenheit der Gegenleistung vor; Schmidt-Rimpler (1974) S. 15. 209 AcP 147 (1941), 130, 149 ff.: „. . . der Vertrag ist ein Mechanismus, um ohne hoheitliche Gestaltung in begrenztem Rahmen eine richtige Regelung auch gegen unrichtigen Willen herbeizuführen, weil immer der durch die Unrichtigkeit Betroffene zustimmen muß“ (156); ders. (1955) S. 6; ders. (1974) S. 5 ff. (dazu Flume (1992) § 1 6a (S. 7 f.)). 210 Sondern nach seiner Konzeption nur, soweit der Vertrag auch Ausdruck der freien Selbstbestimmung – ,Entscheidungsfreiheit‘ – ist (vgl. Wolf (1970) S. 74). 211 Wolf (1970) S. 74; ferner könnten die Parteien auch selbst von einem objektiv gerechten Ausgleich abweichen. Auf die Bedeutung der Selbstbestimmung stellt auch Hönn (1982) S. 95 ab, der nachweist, daß sich die Konzeption Wolfs mit derer Schmidt-Rimplers der Sache nach deckt. Auch nach Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 165 ist „die Richtigkeitsgewähr des Vertrages . . . eine sehr begrenzte.“ 212 Fastrich (1992) S. 54. 206 207

§ 8 Die objektive ratio legis

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Parteien geprägt, ihren jeweiligen ökonomischen Gewinn zu maximieren; gerade im unternehmerischen Verkehr tritt die Bedeutung der freien Entfaltung der Persönlichkeit als Selbstzweck durch vertragliche Gestaltung der Lebensumstände hinter der Sicherung der Einnahmeerzielung und Existenz durch wirtschaftliche Betätigung213 (vgl. Art. 12 Abs. 1 GG) zurück. Somit ist den §§ 449, 466 HGB vernünftigerweise der Zweck beizulegen, auch für eine reibungslose wirtschaftliche Betätigung zu sorgen und damit ein hohes Maß an ,Selbstverwirklichung‘ in ökonomischer Hinsicht zu gewährleisten. Typischerweise – nämlich wenn man davon ausgeht, daß die Parteien im unternehmerischen Transportsektor ihre Richtigkeitseinschätzungen nicht willkürlich bilden, sondern ökonomisch-rational214 und an ihrem Ziel, der Gewinnmaximierung (andere Ziele liegen zumeist fern) ausgerichtet – muß das Aushandeln somit auch zu einer objektiv (d. h. aus rationaler Sicht) richtigen Lösung führen können,215 d. h. im Falle des unternehmerischen Transportvertrags zu einer Lösung, die den Gewinn beider Seiten tatsächlich maximiert. Dann muß Aushandeln nicht nur eine freie Entscheidung beider Vertragsparteien, sondern nach Möglichkeit auch Effizienz der Transportverträge sicherstellen. Denn wenn die Interessenlage bei Transportverträgen zwischen Unternehmern hauptsächlich auf die Gewinnmaximierung ausgerichtet ist, sollte grundsätzlich sowohl die Vertragsanbahnung möglichst wenig Transaktionskosten verursachen als auch die vertragliche Vereinbarung möglichst zu einer optimalen Ressourcenallokation führen. In diesem Fall ist der wirtschaftliche Nutzen des Transportvertrags optimal.216 3. Effizienz als eigener Leitgedanke der Rechtsordnung Die Zielsetzung der Effizienzmaximierung oder zumindest -steigerung läßt sich nicht nur aus dem Schwerpunkt der bei Transportverträgen anzunehmenden Interessenlagen ableiten, sondern ist schon an sich der Rechtsordnung immanent. 213 Quasi als Mittel zur Persönlichkeitsverwirklichung und nicht als Persönlichkeitsverwirklichung selbst. 214 Vgl. Bydlinski (1991) S. 315, der das „Postulat der Zweckmäßigkeit“ als dem „rationalen Grundzug der menschlichen Natur“ entsprechend bezeichnet. 215 Fastrich (1992) S. 54; Dies klingt schon im Begriff der Zweckmäßigkeit an, den Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f. als Bestandteil der Vertragsrichtigkeit erwähnt. Vgl. auch Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1, 15: „Der Vertragskompromiß ist in der Regel das Vernünftige.“ In die Richtung schon Raiser (1935) S. 277: „Die Freiheit sollte ihr natürliches Regulativ finden in den wirtschaftlichen Gesetzen des Marktes, die die Nachfrage auf das jeweils günstigste Angebot lenken.“ 216 Eine andere Frage ist dann die Aufteilung dieses Nutzens zwischen den Parteien. Bei einem allokationseffizienten Vertrag ist aber auf jeden Fall ,der Kuchen am größten‘, so daß bei der Verteilung auch die schwächere Partei mehr (bzw. zumindest nicht weniger) erhält, als bei einem ineffizienten Vertrag.

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

a) Sicherstellung von Bedürfnisbefriedigung durch die Rechtsordnung Die Rechtsordnung als Friedensordnung dient nämlich nicht nur der Abgrenzung von Freiheitssphären, sondern auch der Sicherstellung der Befriedigung der Bedürfnisse der Rechtsgenossen.217 Insbesondere im Wirtschaftsrecht, dem auch das Transportrecht zuzuordnen ist, spielt also die Ökonomie eine nicht zu verachtende Rolle: Die Gestaltung der Rechtsordnung soll auch zu einer ökonomisch effizienten Ordnung führen, die eine möglichst weitgehende Befriedigung der Bedürfnisse aller Rechtsgenossen ermöglicht.218 Dazu muß eine Ressourcenallokation erreicht werden, die sicherstellt, daß die Ressourcen am Ort ihrer sozial nützlichsten Verwendung eingesetzt werden,219 allerdings mit der beachtlichen Einschränkung, daß keine höherrangigen Werte dem entgegenstehen.220 Das Effizienzkriterium wird hier also nicht als „alleiniges oder überragendes Ziel der Rechtspolitik“ angesehen,221 nach dem sich die Auslegung des Aushandelnsbegriffs zu richten hat, sondern als Argument, „das eine konkrete rechtliche Problemlösung verstehen, erklären und kritisieren hilft“222. Im Transportvertragsrecht ist dazu das Effizienzkriterium in besonderem Maße geeignet, da Ziel des Vertragsrechts – neben der Ermöglichung privatautonomer Selbstverwirklichung als solcher – auch die Schaffung einer Infrastruktur für die Marktwirtschaft ist, die auf Verträgen beruht und der das Effizienzkriterium keineswegs fremd ist. Gerade im Recht der Handelsgeschäfte erlangen „Wertungen der Rechtsgüter aus juristischer Sicht“223 weit weniger Bedeutung als in Rechtsgebieten, in denen es weniger um die wirtschaftliche Betätigung der Beteiligten als vielmehr auch um höchstpersönliche Rechtsgüter geht (z. B. im Arbeitsrecht oder im Mietrecht). b) Subsidiarität Zumindest erlangt das Effizienzkriterium Bedeutung für die Auslegung des Begriffs des Aushandelns, wenn zwei Auslegungsmöglichkeiten den höherrangigen 217 Zippelius (1999) S. 60: „Das Recht soll Zwecke verwirklichen, d. h. der Erhaltung oder Gewinnung bestimmter Güter dienen und die hierauf gerichteten Interessen (Bedürfnisse) befriedigen.“ Ähnlich schon Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941), 130, 132 f. unter dem Begriff „Zweckmäßigkeit, also das, was erforderlich ist, um das Gemeinschaftsdasein . . . zu verwirklichen . . . [und] um bestimmte konkrete Gemeinschaftszwecke zu erreichen.“ 218 Koller (1986) S. 82; Basedow (1987) S. 17. 219 Schäfer / Ott (1999) S. 6 f.; Lehmann, NJW 1981, 1233, 1235; vgl. auch Koller (1979) S. 3 unter Hinweis auf den gesetzlichen Schutz des Wettbewerbs. 220 Eidenmüller (1995) S. 458 f.; vgl. auch Schäfer / Ott (1999) S. 8 ff. und Koller (1979) S. 4. 221 Nach Eidenmüller (1995) S. 455 kann der Versuch, es als solches zu rechtfertigen „als gescheitert angesehen werden.“ 222 Kötz (1989) S. 189 (zur ökonomischen Analyse an sich). 223 Eidenmüller (1995) S. 469.

§ 8 Die objektive ratio legis

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Rechtsprinzipien224 in gleichem Maße genügen; dann ist nämlich diejenige vorzuziehen, die allokationseffizienter ist.225 In diesem Sinne steht das Effizienzgebot auf der gleichen Ebene wie Rechtssicherheit oder Verkehrsschutz.226 4. Sachgerechtigkeit als Voraussetzung der Effizienz Das Kriterium der Effizienz wurde in doppelter Hinsicht als relevant erkannt: Zum einen sollen die Kosten des Vertragsschlusses selbst möglichst gering sein, damit nicht die rechtlichen Rahmenbedingungen der wirtschaftlichen Betätigung zu Aufwendungen führen, die die Profitabilität dieser Betätigung einschränken. Zum anderen soll die vertragliche Vereinbarung effizient in dem Sinne sein, daß sie den Nutzen aus dem Vertrag maximiert. Letzteres setzt voraus, daß die Vereinbarung der Sachlage gerecht wird; kann z. B. eine Partei ein Schadensrisiko günstiger verhindern227, versichern228 oder tragen229 als die andere, ist es sachgerecht, wenn sie das Risiko vertraglich übernimmt. Zur Sachlage gehören in diesem Sinne auch die subjektiven Risikopräferenzen der Beteiligten; wenn z. B. ein Risiko nicht vermieden werden kann, so ist es sachgerecht, daß die Partei das Risiko vertraglich übernimmt, die weniger risikoavers ist. Grundvoraussetzung für eine effiziente vertragliche Regelung ist somit ihre Sachgerechtigkeit. Aushandeln muß in diesem Sinne also auch ein genügendes Maß an Rationalität bei der Entscheidungsfindung garantieren. III. Zusammenfassung: Die objektive ratio legis der §§ 449, 466 HGB Die objektiven rationes legis des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB lassen sich wie folgt zusammenfassen: 1. Die Regelung bezweckt die Gewährleistung eines ausreichenden Maßes an Privatautonomie. Die freie Entscheidung der Parteien über den Inhalt ihrer rechts224 Auf die Frage, ob Effizienz (zumindest im Zivilrecht) den Stellenwert eines eigenständigen Rechtsprinzips genießt (verneinend Eidenmüller (1995) S. 463 ff.), soll an dieser Stelle nicht eingegangen werden. 225 Vgl. Posner (1992) S. 23. 226 Schäfer / Ott (1999) S. 7. 227 Dazu Koller, ZIP 1986, 1089, 1090 f. Vgl. auch Schäfer / Ott (2000) S. 211 ff., 376 ff. („cheapest cost avoider“). Grundlegend zum Prinzip der abstrakten Beherrschbarkeit im Rahmen der Risikozurechnung Koller (1979) S. 78 ff. 228 Dazu Koller, ZIP 1986, 1089, 1093 ff. und ders. VersR 1980, 1, 8. Vgl. auch Schäfer / Ott (2000) S. 378 ff. („cheapest insurer“). Grundlegend zum Absorptionsprinzip im Rahmen der Risikozurechnung Koller (1979) S. 89 ff. (insb. 91 ff.). Zur Ermittlung des „cheapest insurers“ Posner (1992) S. 104 f. 229 Schäfer / Ott (2000) S. 384 f. („superior risk bearer“).

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

geschäftlichen Bindung soll nicht durch staatliche Vorgaben in der Form zwingenden Rechts beeinträchtigt werden.230 2. Die Privatautonomie ist auch unter einem anderen Gesichtspunkt Schutzobjekt der §§ 449, 466 HGB: Diese Normen sollen die immanente Vertragsgerechtigkeit sicherstellen in dem Sinne, daß die vertragliche Vereinbarung hinsichtlich der Haftungsbestimmungen einen echten Ausgleich zwischen den Interessen der Parteien herbeiführt. Dies erfordert zumindest eine freie, selbstbestimmte und -verantwortliche Entscheidung beider Parteien über den Abschluß und den Inhalt des Vertrages. 3. Weiterhin schützen die §§ 449, 466 HGB die Rechtssicherheit in dem Sinne, daß Klarheit und Kenntnis des Inhalts der rechtsgeschäftlichen Verpflichtung zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses gewährleistet werden. Denn aus der Möglichkeit unterschiedlicher Vertragsgestaltungen darf nicht die Gefahr erwachsen, daß die drohenden Belastungen nicht mehr überblickt werden. 4. Als weiteres Ziel des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB wurde die grundsätzliche Gewährleistung von Sachgerechtigkeit als Voraussetzung der Effizienz der vertraglichen Vereinbarung identifiziert. Dem zugrunde lag die Erkenntnis, daß Transportverträge zwischen Unternehmern grundsätzlich im Interesse der Gewinnmaximierung geschlossen werden. Für den Fall, daß die Parteien selbstbestimmt und -verantwortlich andere Interessen als ökonomische Gewinnmaximierung verfolgen, müssen – im Hinblick auf die Privatautonomie – auch nicht sachgerechte oder ineffiziente Verträge möglich bleiben. 5. Wie jeder Bestandteil der Vertragsrechtsordnung muß die Regelung selbst derart klar und bestimmt sein, daß sie rechtssicher handhabbar ist und die privatautonome wirtschaftliche Betätigung auf ihrer Grundlage zuverlässig und planbar macht. Die Anwendung der Norm muß unter angemessenen Umständen möglich sein und darf insbesondere nicht ökonomisch ineffizient sein. Die Norm darf somit keine Anforderungen stellen, unter denen die Aufwendungen bei der Anwendung der Norm die Vorteile ihrer Anwendung aufzehren können (Praktikabilität).

IV. Die Bedeutung der Sachstruktur für die objektiv-teleologische Auslegung Die bisher vorgenommene Ermittlung des objektiven Gesetzeszwecks orientierte sich zum einen an der zwingenden Vorgabe der Verfassung und zum anderen an normativen Inhalten der Vertragsrechtsordnung. Dies ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen liegt der Gewinnung von Gesetzeszwecken aus der Rechtsordnung ein gewisser ,teleologischer Zirkel‘ zugrunde: Es werden zur Auslegung Wertun230

Vgl. dazu auch BVerfGE 89, 48, 61.

§ 8 Die objektive ratio legis

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gen herangezogen, die selbst aufgrund eines wertenden Auslegungsvorgangs aus der Rechtsordnung gewonnen werden; somit werden die Wertungen als ,objektiver Gesetzeszweck‘ ermittelt, die zuvor in gewisser Weise in die Ermittlung dieser Wertung hineingelegt wurden. Zum anderen berücksichtigt eine Auslegung, die auf den aus Verfassungsvorgaben und Wertungen der Rechtsordnung – also normativen Kriterien – ermittelten Zwecken beruht, in keiner Weise die tatsächlichen Gegebenheiten, d. h. den Lebenssachverhalt, auf den die Norm anwendbar ist. Zwar ist der Gesetzgeber beim Erlaß einer Norm nicht an die Sachstrukturen des Normbereichs gebunden;231 er kann sich vielmehr zur Verwirklichung eines als vorrangig betrachteten Zwecks darüber hinwegsetzen.232 Insofern braucht sich auch die Auslegung dieser Norm nicht zwangsläufig an den Sachstrukturen auszurichten. Dennoch kann die Auslegung an diesen Sachstrukturen gemessen werden: Gehen die normativen Zwecke mit den Charakteristika der Sachstruktur konform, unterstreicht dies die Legitimität des Auslegungsergebnisses. Andernfalls ist zunächst zu untersuchen, ob die normativen Zwecke dennoch verwirklicht werden können, indem – in den Grenzen, die durch den Wortlaut gesetzt sind – in die Sachstruktur eingegriffen wird.233 Dies kann insbesondere durch die Normierung zusätzlicher Verhaltensanforderungen geschehen, wenn die Sachstruktur durch tatsächliches menschliches Verhalten beeinflußbar ist,234 oder durch eine normative Definition des relevanten Bereichs der Sachstruktur235, also durch einen Ausschluß bestimmter von der Sachstruktur umfaßten Bereiche bzw. eine Einbeziehung nicht umfaßter Sachverhalte. Wenn ein derartiger normativer Einfluß auf die Sachstruktur nicht möglich ist, ist die Grenze der Auslegung erreicht, denn weder Gesetzgebung noch Auslegung können sich über absolute Sachzwänge hinwegsetzen.236 In diesem Fall kann zur Umsetzung der auf normativer Grundlage ermittelten ratio legis lediglich die Canaris (1964) S. 120. Bydlinski (1991) S. 56. Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d. (S. 334): „solange nicht das Ergebnis offenbar unsinnig ist“ (dazu sogleich). 233 Im Sinne einer ,normativen Überformung der empirischen Gegebenheiten ohne sie dabei zu beseitigen‘ nach Müller (1966) S. 144. 234 Z. B. kann auf den Begriff der „Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns“ (§ 347 Abs. 1 HGB) durch die Aufstellung bestimmter Verhaltenspflichten oder -obliegenheiten Einfluß genommen werden. 235 Ein deutliches Beispiel ist Art. 2 Abs. 1 des Waldgesetzes für Bayern (BayWaldG), der den Begriff des Waldes definiert. Aus der Sachstruktur ergäbe sich, daß Wald eine in gewisser Dichte mit Waldbäumen bestandene Fläche gewisser Ausdehnung ist (ähnlich Art. 2 Abs. 1 1. Alt. BayWaldG). Art. 2 Abs. 1 BayWaldG stellt nun zum einen als zusätzliches Merkmal auf die Belegenheit außerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ab und bezieht zum anderen auch kahlgeschlagene Flächen, auf denen kein einziger Waldbaum mehr zu finden ist, dennoch in den Begriff ,Wald‘ ein, soweit diese Flächen wiederaufzuforsten sind (Art. 2 Abs. 1 2. Alt. i.V.m. Art. 15 BayWaldG). 236 Canaris (1964) S. 119. 231 232

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3. Teil: Ermittlung des Normzwecks

Norm modifiziert werden; es kommt zur Rechtsfortbildung in Form von Analogieschlüssen oder teleologischen Reduktionen bzw. Erweiterungen. Grundsätzlich ist aber davon auszugehen, daß der Gesetzgeber – wenn auch nicht unbedingt bewußt – eine sachgerechte Regelung bezweckte,237 so daß auch die Auslegung zu sachgerechten Ergebnissen führen muß.238 Sachgerecht ist eine Regelung nur dann, wenn sie den Sachstrukturen des Lebensbereichs, auf den sie sich bezieht, gerecht wird.239 Aus diesem Grunde sind die Sachstrukturen des ,Aushandelns‘ zu analysieren und den im Rahmen der teleologischen Auslegung ermittelten normativen Anforderungen an das Aushandeln gegenüberzustellen. Ferner kann mangels anderer Anhaltspunkte für die Auslegung evtl. auch der tatsächlichen Struktur der Sache bzw. des Lebensbereichs („Natur der Sache“) eine – rudimentäre240 bzw. im einzelnen noch variationsfähige241 – normative Struktur entnommen werden,242 die der Auslegung dient.243 Dazu sind neben der sachlogischen Struktur auch die „sozialen Anschauungen und Wertungen“ zu diesem Lebensbereich – also konkret dem Aushandeln – zu ermitteln.244

237 Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 333 u. 334) und Kap. 5 – 4.b (S. 419); Canaris (1964) S. 120; vgl. auch Bydlinski (1991) S. 56. 238 Canaris (1964) S. 120 mit Fn. 212. 239 Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334). 240 Bydlinski (1991) S. 53. 241 Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334). 242 Bydlinski (1991) S. 53; Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334) und Kap. 5 – 4.b (S. 418). 243 Bydlinski (1991) S. 54 u. 56. 244 Canaris (1964) S. 119.

4. Teil

Die Sachstrukturen des Aushandelns Sowohl der historische Gesetzgeber1 als insbesondere auch der Wortlaut2 setzen Verhandlungen als Mechanismus des Aushandelns voraus. Die normativen Anforderungen müssen sich daher innerhalb der sozialen Realität des Verhandelns verwirklichen lassen. Demzufolge ist zur Ermittlung der Sachstrukturen der Mechanismus ,Verhandlung‘ zu analysieren. Dabei kann nicht auf die Rechtsordnung zurückgegriffen werden, da diese bislang an keiner Stelle die Sachstrukturen des Verhandelns in ein Gerüst im Sinne einer Verfahrensordnung gefaßt hat. Während der Vertrag (zwei übereinstimmende Willenserklärungen), der Vergleich (gegenseitiges Nachgeben), das Gerichtsverfahren (z. B. ZPO), das Insolvenzverfahren, aber auch das Gesetzgebungsverfahren und sonstige Verfahren zur Regelung politischer Interessengegensätze (von politischen Wahlen über Bürgerentscheide bis hin zu studentischer Mitbestimmung an Universitäten) durchweg gesetzlich zumindest ansatzweise Niederschlag gefunden haben, ist für den Prozeß der Konfliktlösung durch Verhandlung keinerlei ,Verfahrensordnung‘ kodifiziert.3 Auch aus § 203 S. 1 BGB n.F. mit seinem Tatbestandsmerkmal ,Verhandlung‘ läßt sich kein Hinweis darauf entnehmen.4 Das Verhandeln ist vielmehr ein komplexes soziales Phänomen mit eigenen Charakteristiken und (sozialen) Regeln.5 Dieses soll im folgenden unter Rückgriff auf die „zuständigen Fachwissenschaften“6, also auf ökonomisch-spieltheoretische Erkenntnisse sowie auf die Disziplin der Verhandlungsforschung unter hauptsäch1 „Wenn Verhandlungen über die Vertragsbestimmungen stattgefunden haben . . .“, „Interessen in diese Verhandlung eingebracht“, Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 87 (l. Sp.) [Hervorh. d. Verf.]. So auch schon die Sachverständigenkommission (1996) S. 124. 2 Dazu oben unter § 3 I. Der Wortsinn von „ausgehandelt“, S. 60. 3 Vgl. dazu Heussen (1997) Rn. 187. 4 Was auch nicht verwundert, da § 203 S. 1 BGB nicht auf zielgerichtetes Verhandeln gerichtet ist, denn seine Anwendung setzt voraus, daß die Verhandlungen fehlgeschlagen sind. Wenn nämlich die Verhandlungen zu einem Erfolg führen müßten oder würden, dann wäre das zu verhandelnde Problem bereits gelöst, so daß es auf seine Verjährung nicht mehr ankäme. § 203 S. 1 BGB setzt somit nur voraus, daß Verhandlungen in irgendwelcher Art geführt werden, nicht wie sie geführt werden. 5 Ebd. Fn. 3. 6 Bydlinski (1991) S. 50.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

lich sozialpsychologischem und soziologischem Blickwinkel, untersucht werden. Dabei soll die charakteristische Struktur des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ ermittelt werden. Sie dient der Beurteilung, ob das reale Verhandeln mit der soeben normativ ermittelten ratio legis der §§ 446, 466 HGB vom Grundsatz her übereinstimmt. Widerspricht das tatsächliche Verhandeln den normativen Anforderungen an das Aushandeln, so ist zu überlegen, ob sich zusätzliche Kriterien – im Sinne eines Ausschnitts aus dem Bereich des Verhandelns – ermitteln lassen, die vorliegen müssen, um das Ergebnis einer Verhandlung als ,ausgehandelt‘ i. S. d. §§ 449, 466 HGB zu qualifizieren. Ferner lassen sich evtl. Anhaltspunkte für die Auslegung aus der Natur der Sache ableiten. Als Grundlage der weiteren Betrachtung der Sachstrukturen dient zunächst eine Definition des Verhandlungsbegriffs, die Untersuchung des Phänomens der Verhandlungsmacht als ergebnisbestimmender Kraft und die Klärung der Grundbegriffe der Verhandlungsanalyse (§ 9). Daran anschließend soll eine ökonomisch-spieltheoretische (§ 10) und eine soziologisch-sozialpsychologische (§ 11) Betrachtung des sozialen Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ vorgenommen werden.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns I. Definition des Verhandlungsbegriffs Um die Sachstrukturen des Verhandelns auf der Basis der nicht-juristischen Fachwissenschaften zu ermitteln, ist zunächst auf die Definition des Untersuchungsgegenstands durch die betroffenen Sozialwissenschaften abzustellen.

1. Definition Eine allgemein anerkannte Definition des Verhandelns läßt sich der verhandlungstheoretischen Literatur nicht entnehmen. Jeder Definitionsversuch beleuchtet besondere Aspekte und blendet andere aus. So sehen manche im Verhandeln eine soziale Interaktion, durch die zwei oder mehr Parteien auf kommunikativem Wege eine Lösung ihrer Interessenunterschiede und somit eine Übereinkunft anstreben.7 Hier wird der Aspekt der Konfliktbeilegung als Ziel8 besonders betont. Ähnlich auch die Definition als „jede Art kommunikativer Strategie, die zu einem von beiden Seiten akzeptierten Ergebnis führen soll“9, in der auch das strategische Element des Verhandelns berücksichtigt wird. 7 8 9

Lamm (1975) S. 21 unter Hinweis auf die sozialpsychologische Literatur. Lamm (1975) S. 15, 16. Heussen (1997) Rn. 25.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns

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Eine andere vertretene Ansicht ist weniger final und stellt ab auf die Entscheidung zwischen einer gemeinsamen Lösung und den Alternativen, die sich ohne den Verhandlungspartner realisieren lassen.10 Hier wird der Aspekt der Selbstbestimmung besonders betont: Es geht weniger darum, den Konflikt zwischen den Parteien zu lösen, als darum, selbst das beste aus der Situation herauszuholen. Die wohl genaueste und umfassendste Definition stammt von Lax / Sebenius: „Verhandlungen lassen sich definieren als einen Prozeß potentiell opportunistischer Interaktion, durch den zwei oder mehr Parteien versuchen, trotz gewisser Gegensätze eine gemeinsame Entscheidung zu treffen, die ihre Lage gegenüber dem sonst erreichbaren Zustand verbessert“.11 Diese Definition soll auch hier zugrundegelegt werden. 2. Merkmale der Verhandlungsdefinition Demnach zeichnet sich das Verhandeln durch vier Elemente aus: (1) Interdependenz: Die Parteien sind gegenseitig voneinander abhängig, um einen Vorteil zu erlangen, den sie allein nicht erreichen könnten.12 (2) Ein gewisser Grad von (wahrgenommenem) Konflikt:13 Aus der Sicht der Parteien sind ihre Interessen oder Ansichten nicht vollständig vereinbar. (3) Eigennützige („opportunistische“), strategische Interaktion: Dieses ist das entscheidende Merkmal von Verhandlungen. Die Parteien verfolgen lediglich ihre eigenen Interessen; jede Strategie – auch jede Kooperation, jedes Zugeständnis – dient letztlich dazu, selbst einen möglichst großen Vorteil aus der Verhandlung zu ziehen. Ohne dieses eigennützig-strategische Verhalten stellt eine derartige Interaktion reines Problemlösen dar, aber keine Verhandlung; ohne Interaktion hingegen stellt strategisch-eigennütziges Verhalten lediglich den Ausbruch eines Interessengegensatzes („Krieg“) dar.14 (4) Möglichkeit einer Einigung:15 Ohne die (zumindest wahrgenommene) Möglichkeit, durch Interaktion zu einer Überwindung der Interessengegensätze zu gelangen, liegt ebenfalls keine Verhandlung vor, sondern lediglich eine Debatte. Verhandlungen zeichnen sich also als Suche nach einer Möglichkeit zur Einigung aus. Die Verhandlung als Suche nach einer Einigung endet, sobald keine Lösungsmöglichkeit mehr wahrgenommen wird. Jede weitere Interaktion zielt dann nur noch darauf ab, die (unvereinbare) Position des Gegners für unhaltbar / unzulässig zu erklären, also seine Interessen zu bekämpfen und somit nicht mehr zu einem Ausgleich der Interessen zu kommen. Eidenmüller (1999) S. 475 m. w. N. Lax / Sebenius (1986) S. 11; Übersetzung von Nelle (1994) S. 116, der sich offenbar diese Definition auch zu eigen macht. 12 Lax / Sebenius (1986) S. 7. 13 Lax / Sebenius (1986) S. 8. 14 Lax / Sebenius (1986) S. 10 f. 15 Lax / Sebenius (1986) S. 11. 10 11

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

3. Abgrenzung zum rationalen Argumentieren Dies verdeutlicht einen wichtigen Aspekt des Verhandelns: Beim Verhandeln erkennt jede Partei an, daß die andere Seite berechtigterweise andere Interessen hat. Es wird kein Anspruch auf den Besitz der ,objektiv einzig wahren‘ Lösung erhoben.16 Dies unterscheidet das Verhandeln vom Argumentieren.17 Beim Argumentieren wird unter zwingendem Rückgriff auf eine außenstehende, von beiden anerkannte Instanz (z. B. ein Axiomensystem oder auch ein Wertesystem) die eigene Position als richtig oder wahr und die fremde Position als falsch bezeichnet,18 und zwar mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit.19 In gewisser Weise wirkt Verhandeln somit freiheitssichernd,20 da hier die Freiheit zur eigenen Position besteht, während beim Argumentieren mittels des richtigen Arguments zur Akzeptanz einer fremden Position gezwungen wird. Es geht also beim Argumentieren nicht darum, Interessen miteinander vereinbar zu machen, sondern den gegnerischen Interessen die Legitimation zu entziehen. Im Gegensatz zum Argumentieren, das Widerspruchslosigkeit (insbesondere auch im Hinblick auf die Bezugsinstanz, das Normensystem) und Unparteilichkeit – Sachlichkeit – voraussetzt, baut Verhandeln auf Verhandlungsmacht21 auf, die sich aus der Verhandlungssituation ergibt. Ob das Verhandlungsergebnis (objektiv) ,richtig‘ ist, kann dabei nicht garantiert werden, denn mangels Rückgriffs auf eine übergeordnete Instanz, aus der sich ableiten läßt, was richtig ist, liegt diese Fragestellung außerhalb der Verhandlung.22 Allein durch das Verhandeln läßt sich somit per definitionem eine zwangsläufig gerechte Haftungsregelung im Transportrecht nicht garantieren. Das Verhandeln eröffnet zwar die Möglichkeit zu privatautonomer Gestaltung durch freie Positionenwahl; niemand wird durch Argumente zu einer bestimmten Übereinkunft ge16 Eine derartige Behauptung kann zwar durchaus im Rahmen von Verhandlungen vorkommen, dient dann aber als taktisches Manöver dazu, selbst Vorteile zu gewinnen, geschieht also nur um dieser Vorteile Willen, nicht aber um eine in jeder Hinsicht objektiv richtige Lösung zu erreichen. 17 von Pritwitz (1996) 42, 46. 18 Ein Kompromiß, eine Übereinkunft kommt beim Argumentieren nur dann zustande, wenn sich beide Anfangspositionen vor der äußeren Instanz als nicht vollständig haltbar erweisen. 19 Dies sieht Saretzki (1996) 19 ff. (26) als das entscheidende Merkmal an, da auch beim Verhandeln versucht werde, die Position des Gegners zu verändern; dort allerdings über Verhandlungsmacht und Strategie und nicht über den „zwanglosen Zwang des besseren Arguments“. 20 Vgl. bei Saretzki (1996) 19, 25. Garantiert allerdings die Bezugsinstanz (z. B. Rechtsordnung) die anerkennenswerten Freiheiten und sorgt für deren Ausgleich, dann garantierte das Argumentieren mehr Freiheit (wenn man beide Seiten zusammen betrachtet). 21 Dazu eingehender sogleich unter § 9.II., S. 157 ff. 22 Dies entspricht dem Ziel des TRG, inhaltliche Wertungsfragen hinsichtlich der Klauselinhalte zu vermeiden, vgl. Sachverständigenkommission (1996) S. 124.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns

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zwungen. Ein Ausgleich der Interessen wird jedoch nur durch Verhandlungsmacht aus der Situation heraus und nicht durch Orientierung an einem gerechten Wertesystem erreicht. Dem Phänomen des Interessenausgleichs und insbesondere der Verhandlungsmacht wird also besondere Bedeutung beizumessen sein. Es wird zu untersuchen sein, wie dieser Interessenausgleich beim Verhandeln vonstatten geht und ob ein auf diese Weise erreichter Ausgleich den oben ermittelten normativen Anforderungen23 an eine ausgehandelte Lösung entspricht.

4. Prinzipienbasiertes Verhandeln? Selbstverständlich können auch Verteilungskonflikte über sachliche Argumentationen gelöst werden. Dies setzt jedoch voraus, daß eine von beiden Seiten akzeptierte Bezugsinstanz besteht, an der die Argumente zu messen sind. Die Rechtsordnung an sich kann hinsichtlich der Haftungsregelungen im Transportrecht de lege lata nicht als Bezugssystem dienen, da sie gerade keine Kriterien vorsieht, nach denen Abweichungen zu beurteilen sind. Ob allgemein anerkannte Fairneßmaßstäbe existieren, soll später untersucht werden. Ansonsten müßte zunächst eine Verhandlung über die Maßstäbe, an der eine Übereinkunft zu messen ist, geführt werden.24 Im Anschluß daran kann dann argumentativ das richtige Ergebnis ermittelt werden. Problematisch ist dabei jedoch, daß in der Verhandlung über die Maßstäbe wiederum nicht sichergestellt ist, daß Gerechtigkeitsaspekte zum Tragen kommen.

II. Verhandlungsmacht als ergebnisbestimmende Kraft Weitgehend am Rande der sozialwissenschaftlichen Betrachtung geblieben ist das Phänomen der Verhandlungsmacht. Als explizite ,Zutat‘ im Verhandlungsspiel wird diese Macht, zumindest was die Erklärung von Verhandlungsverhalten und -ergebnissen betrifft, begrifflich nicht gebraucht. Der Begriff der Verhandlungsmacht erscheint im übrigen vielfach vage.25 Vielleicht ist dies auch ein Grund dafür, daß sich der Gesetzgeber nicht in der Lage sah, die Machtverteilung im Transportsektor zu ermitteln26 und eine darauf abgestimmte Regelung zu erlassen.

Vgl. oben unter § 8 III., S. 149. Dies ist der Ansatzpunkt des sog. „Harvard-Konzepts“ nach Fisher / Ury (1981). 25 Nelle (1994) S. 168 f. 26 Die Begründung zum Regierungsentwurf des TRG (BT-Drucks. 13 / 8445 S. 86) hält eine „eindeutige Zuordnung von Marktmacht“ „angesichts der uneinheitlichen Marktstrukturen im Transportsektor“ nicht für möglich. Genauso Sachverständigenkommission (1996) S. 169. 23 24

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

1. Der Begriff ,Verhandlungsmacht‘ Hier soll dennoch ein Versuch unternommen werden, den Begriff der Verhandlungsmacht näher zu bestimmen, denn mangels externer Kriterien bestimmt die Verhandlungsmacht letztendlich das Ergebnis. Dies beinhaltet zunächst eine Eingrenzung: Es geht im folgenden nicht um Marktmacht allgemein, sondern ausschließlich um die Macht, die sich im Rahmen von Verhandlungen auswirkt. Bestimmend ist, daß diese Macht zu ihrer Ausübung nicht der Mitwirkung des Verhandlungsgegners bedarf. Dies zeigt auch ihre Grenzen auf: Ein Diktat einer bestimmten Übereinkunft ist nicht möglich, da jede Verhandlungslösung die Zustimmung der anderen Seite voraussetzt. Verhandlungsmacht wirkt sich also ausschließlich innerhalb der Verhandlungssituation aus. Verhandlungsmacht bezeichnet demnach die Möglichkeit, einseitig Vorteile in der Verhandlungssituation zu erlangen, was mittelbar auch zu einer vorteilhafteren Übereinkunft führen kann.27 Die so verstandene Verhandlungsmacht existiert bzw. manifestiert sich in zwei Ausformungen: Zum einen in der Möglichkeit, nachteilige Beeinflussungen der Verhandlungssituation durch den Gegner zu unterbinden (Sicherstellung des Verhandlungsgleichgewichts), und zum anderen in der Möglichkeit, die Verhandlungssituation vorteilhaft zu beeinflussen (Erzeugung eines Übergewichts). Diese Auswirkungen können entweder schon allein durch wahrgenommene Verhandlungsmacht oder durch tatsächliche, sich an bestimmten Umständen materialisierende Verhandlungsmacht hervorgerufen werden.

2. Faktoren der tatsächlichen Verhandlungsmacht Welche Faktoren tragen zum Entstehen von Verhandlungsmacht bei? Aus Anschauung und Erfahrung drängen sich diverse Umstände auf: wirtschaftliche Stärke (i.S.v. umfangreichen Mitteln oder einfach Größe), hohes Drohpotential, umfangreiches Beziehungsgeflecht, Rückendeckung durch eine anerkannte Autorität, fehlende Kontrollunterworfenheit, sogar Verhandlungsgeschick28, um nur einige zu nennen, insbesondere aber auch der Besitz von Informationen.29 Lax / Sebenius30 benennen fünf „bases of power“: Zwangsmittel; Möglichkeit, das erwünschte 27 Vgl. auch den Machtbegriff Max Webers (1976) S. 28: „Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht.“ Nach Wolf (1970) S. 105 äußert sich Verhandlungsmacht darin, „daß [ein Verhandlungspartenr] den Vertragsinhalt nach seinen Vorstellungen gestalten kann und dazu die Zustimmung des Vertragsgegners erhält, ohne auf dessen abweichende Vorstellungen Rücksicht nehmen zu müssen.“ 28 So Holz (1981) S. 30. 29 Lewicki / Stark (1996) S. 75. 30 Lax / Sebenius (1986) S. 255 ff.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns

159

Verhalten zu belohnen oder zu vergüten; Identifikationsfigur Darstellen, so daß der andere ,freiwillig‘ tut, was man will; Normkonformität, d. h. das eigene Verhalten / Verlangen ist von (rechtlichen oder ethischen) Normen gedeckt; Wissensvorsprung. Spieltheoretische Erkenntnisse31 belegen ferner, daß relative Geduld oder Risikobereitschaft, ein Informationsvorsprung oder die Ausgestaltung des Verhandlungsprozeß Verhandlungsmacht vermitteln können. Auf einzelne andere Ansichten soll hier gar nicht mehr eingegangen werden, denn – wie Lax / Sebenius32, zutreffend darlegen – vermag keiner dieser Faktoren für sich genommen Verhandlungsmacht zu begründen oder zu erklären.33 Die vermögensmäßige Überlegenheit eines großen Konzerns vermag dessen Verhandlungsposition im Falle eines Tarifstreits mit den Gewerkschaften keineswegs zu verbessern, wohl eher im Gegenteil. Der Besitz von Atomwaffen als Zwangsmittel vermittelte den USA keinerlei Vorteil in den Friedensverhandlungen im Vietnamkrieg.34 Ein Informationsvorsprung nützt gar nichts, wenn das glaubhafte Vermitteln der vorteilhaften Informationen unmöglich oder zumindest teuer ist – in diesem Falle kann gar das Nichtwissen bzw. das Abstreiten von Wissen eine starke Position vermitteln. Unter ähnlichen Umständen kann auch die vorteilhafte Position im Verhandlungsprozeß (z. B. das Recht, ein take-it-or-leave-it-Angebot zu machen) sich in ihr Gegenteil verkehren. Kein Verhandlungsmacht begründender Umstand ist also absolut. Aus dieser Erkenntnis erschließt sich letztendlich das Verständnis des Phänomens: Verhandlungsmacht besteht in der Möglichkeit, die Verhandlungssituation vorteilhaft zu verändern.35 Diese Möglichkeit räumen die oben beschriebenen Faktoren zwar häufig, aber längst nicht immer ein. Andererseits impliziert dies, daß die Zahl der Verhandlungsmacht begründenden Faktoren unbeschränkt ist. Die wohl bedeutendsten Umstände sind die, die sich auf die Alternativen zu einer Verhandlungslösung beziehen.36 Existieren sehr günstige Alternativen, so sinkt der Anreiz, überhaupt zu einer Übereinkunft zu gelangen. Die Konzessionsbereitschaft ist geringer und das Risiko eines Verhandlungsabbruchs schlägt wirtschaftlich weniger zu Buche. Kommen keine weiteren Umstände hinzu, so engt sich allein durch das Vorliegen guter Alternativen der Verhandlungsraum ein und sein Schwerpunkt verlagert sich zugunsten des Verhandlungsteilnehmers mit den besseren Alternativen. Dadurch erhält dieser die Möglichkeit, die Verhandlung zu seiDazu sogleich unter § 10, S. 165 ff. Lax / Sebenius (1986) S. 255 ff. 33 Vgl. auch Max Weber (1976) S. 28, nach dem „alle denkbaren Qualifikationen eines Menschen und alle denkbaren Konstellationen“ Macht erzeugen können. 34 Lax / Sebenius (1986) S. 255 ff. 35 Lax / Sebenius (1986) S. 257. 36 Vgl. W. Gottwald in Gottwald / Haft (1987) S. 84 ff. 31 32

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

nen Gunsten zu gestalten. Dies führt auch dazu, daß seine Vorstellungen in erheblich größerem Umfang Eingang in die Übereinkunft finden als die des Kontrahenten. Aus diesem Grunde erklärt sich die grundsätzliche Übermacht wirtschaftsmächtigerer Verhandlungspartner. Da sie wirtschaftlich viel weniger auf das einzelne Geschäft angewiesen sind als der (kleinere) Kunde, können sie ihre Interessen vielfach besser verwirklichen. Ferner stehen wirtschaftsstärkere Unternehmen aus vergleichbaren Gründen zumeist weniger unter Zeitdruck, haben eine weniger risikoaverse Einstellung, besitzen bessere Informationsmöglichkeiten und eine bessere Verhandlungsinfrastruktur (z. B. geschulte Verhandlungsführer). Außerdem können sie häufig den Wert von eigenen Zugeständnissen unter Hinweis auf den Präferenzfallcharakter (Beeinflussung des ,Rufs‘ des Verhandlungsführers) höher darstellen. Daher können sie die Verhandlungssituation dermaßen beeinflussen, daß sich der tatsächliche Einigungsraum in eine für sie vorteilhaftere Richtung einengt. 3. Wahrgenommene Verhandlungsmacht Selbst die bloße Wahrnehmung von Verhandlungsmacht auf der Gegenseite kann den Verhandlungsraum verändern, denn allein schon dadurch können die Einschätzungen der Gegenseite (z. B. von den Alternativen des Gegners) beeinflußt werden.37 Auch auf diese Weise wird die Verhandlungssituation beeinflußt. Besonders bedeutsam ist die wahrgenommene Verhandlungsmacht hierbei auch in Anbetracht der Erwartungen (aspirations),38 die die Verhandlungsteilnehmer an die Übereinkunft stellen. Nimmt ein Verhandlungsteilnehmer eine Unterlegenheit seiner selbst wahr, so ist er zumeist schon mit schlechteren Verhandlungsergebnissen zufrieden, weil er von Anfang an meint, gegen den mächtigeren Gegner seine Interessen nicht voll zur Geltung bringen zu können. Verhandlungspsychologische Erkenntnisse haben gezeigt, daß bei unvollständiger Informationslage das Niveau der Erwartungen maßgeblichen Einfluß auf die Übereinkunft hat. Außerdem können die Aspekte hinzukommen, daß die Erfahrung der eigenen Unterlegenheit verarbeitet werden muß oder daß mit der Akzeptanz der unterlegenen Stellung eine höhere Anfälligkeit für Beeinflussungen einhergehen kann, wie die praktische Literatur anmerkt.39 4. Ausgleich von Machtgefällen? Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnisse stellt sich nun die Frage, ob ein Machtgefälle ausgeglichen werden kann. Einzige Möglichkeit, dieser Macht zu be37 38 39

Vgl. dazu Friedman / Shapiro (1999) S. 261. Lax / Sebenius (1986) S. 143. Holz (1981) S. 106.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns

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gegnen, wäre, nicht zuzulassen, daß sich die Verhandlungssituation ändert und damit der Einigungsraum einengt wird. Dies kann, wenn nur vermeintliche Verhandlungsmacht wahrgenommen wird, durch eine Aufklärung (im untechnischen Sinne) über das tatsächliche Ausmaß dieser Macht geschehen. Dazu muß sich der Betroffene klar werden, in welchem Ausmaß die Macht nur in seiner Wahrnehmung existiert und in welchem Ausmaß dies durch tatsächliche Anhaltspunkte gerechtfertigt ist. Dies schließt auch ein, nicht auf vordergründige Machtspielchen (z. B. dem Verhandlungspartner einen tieferen und / oder unbequemeren Stuhl zuweisen, ihn warten zu lassen oder auch nur eine besonders siegessichere Miene aufzusetzen) hereinzufallen. Dies stellt sich hauptsächlich als eine Frage der Übung, also der Verhandlungsgeschicklichkeit dar. Liegen allerdings Anhaltspunkte für machtbegründende tatsächliche Umstände vor, dann ist aus der Verhandlungssituation heraus selbst nichts zu machen, denn die Verhandlungsmacht manifestiert sich ja gerade in der Möglichkeit, die Verhandlungssituation ohne Mitwirkung des Schwächeren zu ändern. Hier kann nur ein Bluff40 helfen, der die die Verhandlungsmacht begründenden Umstände des Gegners neutralisiert – entweder indem die betreffenden Umstände geleugnet werden (z. B. Herabspielen des eigenen Zeitdrucks) oder indem eigene Verhandlungsmacht vorgespiegelt wird (z. B. Vorspiegeln guter eigener Alternativen).41 An der tatsächlichen bestehenden Wurzel der Verhandlungsmacht vermag dies aber nichts zu ändern. Änderungen können nur von außen kommen. Entweder der Verhandlungspartner unterbricht die Verhandlung, um machtbegründende Umstände zu erzeugen oder solche des Gegners zu beseitigen (z. B. Suche nach besseren eigenen Alternativen, Koalition mit weiteren Interessenten, um wirtschaftliches Gewicht zu gewinnen etc.).42 Oder aber das Gesetz verbietet bestimmte Änderungen der Verhandlungssituation, Einengungen des Einigungsraums in bestimmter Weise oder bestimmte Inhalte einer Übereinkunft. Dies ist z. B. im allgemeinen durch das Verbot der Drohung (§ 123 Abs. 1 2. Alt. BGB) geschehen: So soll beispielsweise die Macht aus körperlicher Überlegenheit den Einigungsraum nicht einschränken dürfen. Eine letzte Möglichkeit, den negativen Auswirkungen eines Machtgefälles zu begegnen, besteht darin, das Machtgefälle voll und ganz zu akzeptieren und seitens des Schwächeren zum Thema der Verhandlung zu machen.43 Der Stärkere wird dadurch moralisch verpflichtet, Verantwortung für den Schwächeren zu übernehmen und das rücksichtslose Ausspielen der Macht wird moralisch verurteilt. Es braucht nicht näher erläutert zu werden, daß es sich hierbei jedoch nur um eine 40 41 42 43

Zur Zulässigkeit von täuschendem Verhandlungsverhalten vgl. § 11 IV., S. 221. Vgl. Nelle (1994) S. 123 f. Vgl. Nelle (1994) S. 124. Vgl. dazu die Praxisratschläge von Holz (1981) S. 122 f.

11 Pfeiffer

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

ganz schwache Möglichkeit handelt, den negativen Auswirkungen eines Machtgefälles abzuhelfen, deren Wirksamkeit noch dazu voll und ganz im Wohlwollen des Stärkeren liegt. Verhandlungen selbst vermögen also ein Machtgefälle nicht auszugleichen, soweit die Macht auch Verhandlungsmacht umschließt.44 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Umstände es der einen Partei (wirtschaftlich) unmöglich machen, etwas anderes zu tun als die Vorstellungen der Gegenseite anzuerkennen45 und in der Verhandlung weitestgehend auf sie einzugehen. Verhandlungsmacht kann somit wirkungsvoll nur durch einen gelungenen Bluff oder durch die gesetzliche Einschränkung ihrer Auswirkungen ausgeglichen werden, wobei der Verweis auf die Bluff-Strategie wegen ihrer Unsicherheit prinzipiell als Lösung der Verhandlungsmacht-Problematik nicht in Frage kommt.

5. Konsequenz für die Auslegung der §§ 449, 466 HGB Eine Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ muß demnach berücksichtigen, daß vor dem Hintergrund der Sachstruktur des Verhandelns ein gesetzgeberischer Einfluß auf das Verhandlungsergebnis ausschließlich auf der Ebene der Umverteilung von Verhandlungsmacht möglich ist.

III. Grundlagen des Verhandelns Bevor der Verhandlungsmechanismus nun – insbesondere im Hinblick auf das ,ausgehandelte‘ Ergebnis – im Detail untersucht wird, sollen vorab die wichtigsten Grundbegriffe der Verhandlungsanalyse geklärt werden.

1. Positionen – Interessen Verhandeln zeichnet sich, wie oben festgestellt, dadurch aus, daß ein Ausgleich widerstreitender Interessen gesucht wird. Interessen sind dabei die Ziele, die die Verhandlungsparteien außerhalb der Verhandlungssituation durch die Verhandlung verfolgen. Der Grad der Verwirklichung dieser Interessen bestimmt die Bewertung einer Übereinkunft durch die Vertragsparteien, d. h. ihren Nutzen, den sie durch die Übereinkunft realisieren. Verhandlungen sprechen diese Interessen nur selten direkt an, es werden vielmehr Positionen vertreten. Hieraus erwächst die Gefahr von Positionsdenken: Es könnte durchaus dem Interesse einer Partei entsprechen, eine bestimmte Position 44 45

Vgl. Nelle (1994) S. 168 f. Heussen (1997) Rn. 4.

§ 9 Definition und Grundbegriffe des Verhandelns

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zu verlassen. Bei der Analyse des Verhandelns sind Positionen somit als strategische Elemente, nicht jedoch als die wahren Ziele anzusehen und strikt von den Interessen, um deren Verwirklichung und Ausgleich es letztendlich geht, zu trennen. 2. Verhandlungsraum / Einigungsbereich Das Zustandekommen einer Übereinkunft erfordert nach allen Konzepten zunächst, daß beide Parteien durch (zumindest) eine der möglichen Verhandlungsergebnisse (der sogenannten (Einigungs-)Optionen) besser bzw. zumindest nicht schlechter gestellt werden als bei einem Verhandlungsabbruch (den sogenannten Alternativen oder outside options bzw. dem status quo). Dies setzt zunächst das Bestehen eines positiven Einigungsbereiches voraus, d. h. das maximale Angebot muß größer oder gleich der Minimalforderung des anderen sein.46 Dies sei an einem Beispiel47 verdeutlicht: Der Verkäufer möchte einen Gebrauchtwagen verkaufen. Ein Händler hat ihm als Festpreis 6.000 A geboten, er selber hält 8.000 A für den besten Preis, der sich bestenfalls realistischerweise erzielen ließe. Der Kaufinteressent kann für 7.000 A einen vergleichbaren Wagen anderswo erwerben, schätzt den Markt jedoch so ein, daß er bestenfalls ein derartiges Kfz schon für 5.500 A erwerben kann. Hier ergibt sich ein positiver Einigungsbereich im Intervall [6.000 A; 7.000 A]. Die Parteien können also durch eine Übereinkunft profitieren, denn jede Lösung, die einen Kaufpreis zwischen 6.000 A und 7.000 A beinhaltet, stellt beide Parteien besser. Etwas anderes gälte, wenn der Käufer ein vergleichbares Angebot für 5.750 A wahrnehmen könnte. Hier überschnitten sich die Interessen nicht, so daß beide Parteien ihre jeweilige Alternative einer Übereinkunft vorzögen.

3. Integratives / kooperatives – distributives / kompetitives Verhandeln Im zuletzt angesprochenen Fall müßte zunächst der Einigungsbereich erweitert werden, indem weitere Faktoren in die Verhandlung eingeführt werden. Das Suchen nach derartigen Gestaltungen einer Übereinkunft bezeichnet man als integratives Verhandeln. Durch Berücksichtigung möglichst vieler Interessen, die von einer Verhandlung betroffen werden, können sich Lösungen ergeben, die vom Positionendenken her nicht vorstellbar wären. So könnten im obigen Beispiel neben den Preis Aspekte wie z. B. eine für den Käufer günstige Gewährleistungsregelung, vorteilhafte Zahlungsmodalitäten etc. treten. Integratives Verhandeln erweitert quasi die 46 47

11*

Vgl. Eidenmüller (1999) S. 481, 490. In Anlehnung an Eidenmüller (1999) S. 490.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

Verhandlungsbasis und bietet so viel mehr Möglichkeiten, unterschiedliche Interessen zu berücksichtigen oder gar Interessengegensätze völlig auszuräumen. Dieser integrative Aspekt gehört neben dem distributiven (die Zuordnung der Vorteile einer Verhandlungslösung zu den einzelnen Parteien) ebenfalls zum Verhandeln48 und macht einen großen Vorteil des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ aus – wenn er nur konsequent genutzt wird. Hier eröffnet sich nämlich für die Verhandlungspartner die Chance, kooperativ Wert zu schöpfen. Wenn ein Einigungsbereich gefunden wurde, kommt es aber stets zu der Frage, an welchem Punkt innerhalb dieses Bereiches ,man sich trifft‘. Jede Einigung stellt gesamtwirtschaftlich einen Nutzen dar, da beide Parteien besser gestellt werden, als ohne Einigung. Im obigen Beispiel, in dem der Käufer bis zu 7.000 A zu zahlen, der Verkäufer ab 6.000 A zu akzeptieren bereit wäre, beträgt dieser Gesamtnutzen49 1.000 A. Dieser Nutzen muß nun noch zwischen den Parteien verteilt werden. Dies ist der distributive Aspekt des Verhandelns. Einigen sich im Beispiel die Parteien auf einen Kaufpreis von 6.400 A, dann erhielte der Verkäufer 400 A (weil er soviel mehr verdient als ohne Übereinkunft, wenn er das Alternativangebot zu 6.000 A wahrgenommen hätte) und der Käufer 600 A. Diese Frage ist nicht mehr über kooperative Strategien zu lösen, sie ist rein kompetitiv; was der eine mehr bekommt, erhält der andere weniger (Nullsummenspiel).

4. Verhandlungsdilemma Verhandeln zeichnet sich also durch die (kooperative) Suche nach einem Einigungsbereich und der (kompetitiven) Verteilung des dann gemeinsam zu erzielenden Nutzens aus50. Dabei ist jedoch die Strategie jedes Verhandlungspartners auf die Maximierung seines Nutzens ausgerichtet, was der Verhandlungssituation einen inneren Widerspruch einpflanzt: Zum einen sind optimale Lösungen – ein möglichst weiter Einigungsbereich – nur bei Kooperation zu erzielen, andererseits birgt Kooperation das Risiko, bei der Verteilung des Nutzens ausgebeutet zu werden, wenn der andere nicht kooperiert (sogenanntes Verhandlungsdilemma).51 Die Befürchtung, ausgebeutet zu werden, bzw. die eigenen Interessen nicht angemessen umzusetzen, kann dazu führen, daß zu Machtmitteln zur Interessendurchsetzung gegriffen wird. Daraus erwächst dann das Problem der Verhandlungsmacht und der potentiellen Fremdbestimmung. Nachdem nun Definition und Grundlagen des Verhandelns geklärt sind, soll in die nähere Untersuchung des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ eingeVgl. Neale / Bazerman (1991) S. 20. Wenn man der Einfachheit halber ,Nutzen‘ mit ,Zuwachs an Geld‘ gleichsetzt. 50 Vgl. Neale / Bazerman (1991) S. 28. 51 Dazu später (unter § 10 V. 5., S. 185) näheres; dort auch ein plakatives Beispiel (Gefangenendilemma) (siehe unten S. 186). 48 49

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

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stiegen werden. Allein aus den Definitionsmerkmalen ließ sich nicht ableiten, ob Verhandeln zu richtigen (gerechten) Ergebnissen führt, die mit den normativ hergeleiteten Anforderungen in Einklang stehen, weil sich das Verhandeln nicht an einer objektiven Bezugsinstanz orientiert. Der Analyse insbesondere der Verhandlungsergebnisse widmen sich v.a. die ökonomischen und spieltheoretischen Entscheidungstheorien. Daraus könnten sich Antworten auf die Frage ergeben, ob Verhandlungen effizient sind, für hinreichende Informationsübermittlung sorgen und damit zu Ergebnissen führen, die sachgerecht, effizient und Ausdruck von Selbstbestimmung der Parteien sind. – Mit anderen Worten: ob Verhandlungen der Theorie nach die objektiv-teleologischen Anforderungen zu erfüllen vermögen, die an das Aushandeln i. S. d. § 449 (466) HGB zu stellen sind.

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht Der wirtschaftswissenschaftlich ausgerichtete Zweig der Verhandlungsforschung sieht in einem Verhandlungsergebnis die logische Schlußfolgerung, die sich aus den (wirtschaftlichen) Ausgangs- und Randbedingungen im Zusammenhang mit einem bestimmten System von Annahmen ergibt. Die ,reale‘ Verhandlung stellt sich dann als reiner gesetzmäßiger Ablauf dar, als das Ausspielen einer zuvor ermittelten Strategie. Es wird im folgenden zu ermitteln sein, welche Faktoren wie Einfluß auf das Ergebnis des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ haben. Ferner werden auf dieser Grundlage Aussagen über das Verhandlungsergebnis selbst möglich. Diese Erkenntnisse dienen zum einen der Bewertung des Konfliktlösungsmechanismus ,Aushandeln‘ im Hinblick darauf, ob er – zumindest in der Theorie – die objektiv-teleologisch ermittelten Anforderungen des § 449 (466) HGB zu erfüllen vermag. Zum anderen bieten sie Anhaltspunkte dafür, durch welche normativen Anforderungen im Rahmen der Begriffsbestimmung von „ausgehandelt“ teleologisch unerwünschte Auswirkungen des tatsächlichen Verhandelns beeinflußt werden können. Des weiteren soll untersucht werden, ob eine Begriffsbestimmung von „ausgehandelt“ direkt aus den Sachstrukturen des Verhandelns abgeleitet werden kann: Wenn nämlich das Ergebnis von Verhandlungen unter den idealtypischen Voraussetzungen der ökonomischen Verhandlungsmodelle bestimmbar wäre, ohne daß es einer Betrachtung des Verhandlungsprozesses bedürfte, so könnte im Umkehrschluß daraus geschlußfolgert werden, daß jeder Vertrag mit diesem konkreten Inhalt als ,ausgehandelt‘ im Rechtssinne zu werten wäre. Wie dieser Vertrag zustande gekommen ist, d. h. wie das Aushandeln konkret vonstatten gegangen ist, muß

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

nämlich unbeachtlich sein, wenn auch idealtypische Verhandlungen zu keinem anderen Ergebnis geführt hätten. Eine weitergehende Verwirklichung des Schutzzwecks durch eine spezielle Ausgestaltung des Prozesses des Aushandelns wäre damit nämlich denknotwendig ausgeschlossen. Was ein idealtypisches Verhandeln im Sinne der ökonomisch-spieltheoretischen Modelle ist, wird maßgeblich durch ihre Prämissen bestimmt, durch die die Entscheidungsfindung im Rahmen der Verhandlung modelliert wird.

I. Rationalitätsannahme und Nutzenfunktion Die wirtschaftswissenschaftlichen Verhandlungsmodelle basieren auf einer zentralen Annahme52, der Rationalitätsannahme. Danach wird vorausgesetzt, daß die Verhandlungsteilnehmer ausschließlich an der Maximierung ihres Nutzens interessiert sind.53 Sie wählen somit die für sie effizienteste Lösung. Eine Verhandlungslösung ist vor diesem Hintergrund dann effizient, wenn es keine andere Verhandlungslösung gibt, bei der der Nutzen jedes der Teilnehmer größer wäre (schwache Pareto-Optimalität bzw. kollektive Effizienz)54 oder der Nutzen eines Teilnehmers größer wäre und der Nutzen des anderen nicht geschmälert würde d. h. gleich bliebe (starke Pareto-Optimalität).55 Die Bewertung von Verhandlungsergebnissen wird in diesem Bereich auf der Grundlage der Idee einer allgemeinen Nutzenfunktion (von Neumann-MorgensternNutzenfunktion) vorgenommen. Sie ist allgemein, weil es nicht auf einzelne Details des Ergebnisses (z. B. Preis, Zahlungsziel, Frist, Gewährleistung, evtl. auch Bequemlichkeitszuwachs, Prestige etc.) und deren Bewertung durch den Verhandelnden ankommt, sondern alle relevanten Faktoren einschließt, so daß sie als „kardinales Maß“56 für die Bewertung des individuellen Verhandlungsergebnisses durch den Verhandelnden dienen kann. Bildhaft gesprochen erstellt der Verhandlungsteilnehmer eine Rangliste aller möglichen Ergebnisse. Die Nutzenfunktion ist dann die Funktion, die jedem möglichen Ergebnis einen Platz auf der Rangliste zuweist.57 Dieser Nutzenfunktion liegt eine Axiomatik zugrunde, die unter anderem58 beinhaltet, daß die Verhandelnden über zwei gegebene Alternativen die Aussage trefZu weiteren Rationalitätspostulaten siehe Harsanyi (1977) S. 116 ff. Holler (1992) S. 12; Nash (1950) bei Arrow (1971) 204, 208; vgl. auch Harsanyi (1977) S. 17. 54 Vgl. Holler (1992) S. 23; siehe auch Nash (1950) in Arrow (1971), 204, 208. 55 Ebd. (Fn. 54). 56 Ebd. (Fn. 54). 57 Ferner wird nicht nur ordinal das Verhältnis zu den anderen Alternativen ermittelt, sondern auch ,um wieviel lieber‘ dem Betroffenen eine Alternative ist (kardinales System); siehe Fn. 54. 58 Zum vollständigen Theorem und seinem Beweis siehe Bierman / Fernandez (1998) S. 224 ff. 52 53

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

167

fen können, welche von beiden sie vorziehen oder ob sie indifferent sind (Annahme der Vollständigkeit), daß diese Wertungen transitiv sind, d. h. daß wenn Ergebnis A gegenüber B und B gegenüber C vorgezogen wird auch A gegenüber C vorgezogen wird (Transitivität) und daß es eine bestimmte Wahrscheinlichkeit p gibt, bei der (bei obiger Bewertung) das sichere Ergebnis B der Lotterie (A, p; C, 1–p)59 gleichwertig ist (Annahme der Kontinuität bzw. Stetigkeit)60. Mit dieser Nutzenfunktion kann jedem Verhandlungsergebnis ein Nutzenwert zugeordnet werden; das Maximum dieser Nutzenfunktion stellt somit das optimale Verhandlungsergebnis für den einzelnen Verhandelnden dar. Existieren mehrere mögliche Verhandlungsergebnisse, so wird die Entscheidung des Verhandelnden dergestalt ausfallen, daß das Ergebnis erzielt wird, das den höchsten Nutzenwert besitzt. Zwischen zwei Ergebnisse, die den selben Nutzenwert besitzen, ist der Verhandelnde indifferent.

II. Ökonomische Erkenntnisse zum Verhandlungsraum Die ökonomische Verhandlungstheorie kann vor diesem Hintergrund und unter der vereinfachenden Annahme vollständiger Information und vernachlässigbarer Transaktionskosten eine Menge von möglichen Verhandlungsergebnissen angeben, innerhalb derer das tatsächliche Verhandlungsergebnis liegt. – Die Menge der potentiellen Übereinkünfte mit der Eigenschaft ,ausgehandelt‘ ist also definier- und eingrenzbar. Dies sei anhand der sog. Edgeworth-Box (s. nächste Seite) veranschaulicht. Alle Punkte innerhalb des Kastens markieren eine mögliche Verteilung von Gütern zwischen A und B. Die horizontale Kantenlänge stellt die Menge der verfügbaren Güter einer Art (x) und die vertikale die Menge einer anderen Art (y) dar. Die linke, untere Ecke stellt die Güterverteilung dar „A erhält nichts, B erhält alle x und y“. Die rechte, obere Ecke stellt die inverse Güterverteilung (A erhält alles, B nichts) dar. Je weiter ein Punkt also rechts oben [links unten] liegt, desto mehr [weniger] erhält A, was seinen Nutzen steigert [schmälert]. Hier sind mehrere Isonutzenlinien eingezeichnet, d. h. alle Punkte auf diesen Linien (bzw. jede dadurch repräsentierte Güterverteilung) haben den gleichen Nutzen ui für A bzw. B. Die Nutzenlinien, die weiter vom jeweiligen Nullpunkt entfernt sind (u1i od: 2 ), stellen einen größeren Nutzen dar. Die Ausgangsverteilung sei P0 . Bei dieser Verteilung hat A einen Nutzen von u0 , der Punkt P0 liegt also auf As Isonutzenlinie u0i A , entsprechendes gilt für B. A und B können nun über eine Umverteilung verhandeln, d. h. einen neuen Punkt innerhalb der Box bestimmen. 59 Lotterie (A, p; C, 1 p) umschreibt einen zur Zeit der Entscheidung des Verhandelnden ungewissen Ausgang; das Ergebnis ist A mit einer Wahrscheinlichkeit von p…0  p  1† und C mit der Wahrscheinlichkeit …1 p†. 60 Holler (1992) S. 14.

168

4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns 0B

P0

ui0B

P1

Vertragskurve mehr y für B ¯

ui1B ui2B P3 ui1A

P2

ui0A

­ mehr y für A

P4

0A

mehr x für A ®

¬ mehr x für B

Edgeworth-Box61

Ein denkbarer Punkt wäre z. B. P1 . Dieser liegt ebenfalls auf u0i B , bringt B also den gleichen Nutzen wie P0 , wohingegen er den Nutzen für A erhöht, da der Punkt rechts oben von u0i A liegt, nämlich auf u1i A . Ähnliches gilt für Punkt P2 , hier änderte sich der Nutzen des A nicht, aber der Nutzen des B erhöhte sich auf das Niveau u2 . Punkt P3 ist ein Beispiel für eine Verteilung, die beiden einen höheren Nutzen bringt (jeweils u1 ), wohingegen P4 eine Verteilung darstellt, die nie zu erzielen ist, da A schlechter gestellt würde als bei der Ausgangsverteilung, denn der Punkt liegt links unterhalb von u0i A : Daraus ergibt sich, daß der mögliche Einigungsraum der Raum zwischen u0i A und u0i B (diese eingeschlossen) ist. Bei allen Punkten innerhalb dieses Bereichs stehen beide Parteien besser als bei der Ausgangsverteilung. Dies wird als Bereich der kollektiven Effizienz (schwache Pareto-Optimalität) bezeichnet.62 Die Menge aller Punkte, an denen sich Isonutzenlinien nicht schneiden, sondern nur berühren (Vertragskurve), stellt die (stark) pareto-optimalen Übereinkünfte63 dar, d. h. an diesen Punkten kann keine Nutzensteigerung des einen mehr erreicht werden, ohne daß der Nutzen des anderen wieder sinkt. Bildlich gesprochen kann man den Punkt nicht mehr so auf der Isonutzenlinie des einen verschieben, daß die erreichte Nutzenlinie des Partners nicht unterschritten, geschweige denn eine höherwertige Nutzenlinie geschnitten wird. 61 In Anlehnung an Eidenmüller (1999) S. 479; vgl. auch Holler (1992) S. 9; ursprüngl. F. Y. Edgeworth, Mathematical Psychics, London 1881, S. 20 – 25, zit. bei Franz (1968) S. 26 Fn. 2. 62 Vgl. Holler (1992) S. 23; siehe auch Nash (1950) in Arrow (1971), 204, 208. 63 Ebd. (Fn. 62).

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Es ist also mittels der Nutzenfunktionen der Beteiligten sowie dem Ausgangspunkt (als beste Alternative, die ohne Einigung erzielt wird) möglich, eine Menge pareto-optimaler Einigungsoptionen – die Vertragskurve – zu berechnen. Die ökonomische Theorie kann somit auf ihrer axiomatischen Grundlage voraussagen, daß ein Verhandlungsergebnis auf dieser Vertragskurve erzielt werden wird. Welcher Punkt auf der Vertragskurve aber nun konkret erreicht wird, läßt sich damit allerdings nicht aussagen.64 III. Die Nash-Lösung (Nash bargaining solution)65 1. Darstellung Spieltheoretische Modelle, die nicht nur das Ergebnis, sondern auch die Verhandlung in ihrem Ablauf betrachten, können auch Angaben zu dem jeweiligen konkreten Ergebnis für das konkrete Verhandlungsspiel66 machen und angeben, welcher Punkt der Vertragskurve erreicht wird. Es ließe sich also ganz exakt bestimmen, wie die ausgehandelte Übereinkunft aussieht. Da alle Punkte auf dieser Vertragskurve stark pareto-optimal sind und somit alle den gleichen Gesamtnutzen uges (als Summe der Nutzen, die die Beteiligten aus der konkreten Übereinkunft ziehen) haben, geht es um eine Aufteilung dieses Nutzens unter den Beteiligten – quasi die Verteilung eines virtuellen Kuchens. John F. Nash67 hat auf der oben unter I. dargestellten Grundlage in Zusammenhang mit einigen weiteren hier nicht im einzelnen darzustellenden Annahmen68 gezeigt, daß das „faire“ und „vernünftige“ Ergebnis einer Zwei-Personen-Verhandlung jenes ist, bei dem das Produkt aus den Differenzen der Nutzenfunktionen und dem Nutzen ohne Einigung maximal ist. Wenn ui die Nutzenfunktion des Verhandelnden i ist und N die beste Alternative zu einer Verhandlungslösung darstellt, deren Nutzen sich mittels der Nutzenfunktion ermitteln läßt, d. h. ni ˆ ui …N†, dann ist die optimale Verhandlungslösung U  die, deren Ergebnisnutzen für die Verhandelnden (uA ; uB ) das Nash-Produkt …uA nA †…uB nB † maximiert und die Voraussetzung erfüllt, daß zum einen U  eine mögliche Verhandlungslösung ist und daß zum anderen nA  uA sowie nB  uB .69 64 Rubinstein, Econometrica 1982 (50), 97; Holler (1992) S. 11; Eidenmüller (1999) S. 480 m. w. N. 65 Vgl. dazu auch Muthoo (1999) S. 9 ff., insb. S. 22 – 25; Holler (1992) S. 26. 66 Der spieltheoretische Ansatz interpretiert eine Verhandlung als „Spiel“, dessen Spieler die Verhandelnden sind und dessen Regeln von den äußeren Umständen bestimmt werden. Jede Handlung und die zugrundeliegende Entscheidung ist ein „Spielzug“. 67 Nash (1950) bei Arrow (1971) 204, 208. 68 Dieses bedeutende System aus fünf Axiomen ist dargestellt bei Thomson in Aumann / Hart (1994) S. 1237, 1245 f.; Binmore in Binmore / Dasgupta (1987) S. 27, 34. 69 Die erstgenannte Voraussetzung schließt aus, daß hypothetische Ergebnisse zustande kommen, die jedoch nicht zum Lösungsraum gehören (z. B. wegen gesetzlicher Verbote).

170

4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

Wenn eine vorteilhafte Verhandlungseinigung möglich ist (und die benannten Voraussetzungen erfüllt sind), kann dies über die Nash-Bargaining-Solution ermittelt und die Lösung bestimmt werden.70 Diese Lösung lautet:71 uA ˆ nA ‡1=2 …uges

nA

nB † und

uB ˆ nB ‡1=2 …uges

nA

nB † ;

wobei uges der Gesamtnutzen ist, den die Verhandelnden aus der Übereinkunft ziehen, also uges ˆ uA ‡ uB (z. B. die zur Verfügung stehende Gesamtmenge bei Verhandlungen über die Aufteilung einer bestimmten Menge eines Guts). Diese Lösung impliziert, daß jeder Verhandlungspartner zunächst den Nutzen, den er auch ohne Einigung erzielt hätte …ni †, erhält. Danach wird der Rest (gemeinsamer Nutzen aus der Übereinkunft abzüglich der schon verteilten ni ) hälftig aufgeteilt. Zumindest unter seinen vereinfachenden Voraussetzungen kann dieses Modell eine exakte Aussage darüber treffen, wie das Ergebnis einer Verhandlung – also eine ausgehandelte Regelung – aussieht.

2. Kritik an der Lösung: Die Kalai / Smorodinsky-Lösung Dieses Ergebnis mag zunächst überraschen, erscheint es doch tatsächlich als besonders fair und praktikabel. Auf den zweiten Blick ergeben sich jedoch Probleme, die zum einen aus der Nichtberücksichtigung weiterer Einflußfaktoren – der ,Verhandlungsmacht‘ – herrühren (dazu unten c)), zum anderen erscheint das Axiom der Unabhängigkeit des Verhandlungsergebnisses von irrelevanten Alternativen fragwürdig – zumindest kontraintuitiv – und wurde auch experimentell widerlegt.72 Dies sei an einem Beispiel Eidenmüllers73 verdeutlicht: Zwei Gläubiger eines insolventen Unternehmens mit 50.000 A Insolvenzmasse verhandeln über deren Aufteilung. (Die Nutzenfunktion sei linear mit dem erhaltenen Geldbetrag korreliert.) Haben beide Gläubiger Forderungen von je 25.000 A, so ist die Nash-Lösung, nach der jeder 25.000 A erhält, intuitiv richtig; das gilt auch für alle die Masse übersteigenden Forderungen, solange der jeweilige Betrag bei beiden Gläubigern gleich ist (z. B. 40.000 A / 40.000 A). Hat ein Gläubiger hingegen eine höhere Forderung als der andere (z. B. 100.000 A / 25.000 A), so ergäbe sich nach der Die letztgenannte Voraussetzung setzt lediglich die Rationalitätsannahme um, daß die beste Verhandlungslösung für beide Verhandelnden stets besser sein muß als die beste Alternative zu einer Einigung. 70 Binmore / Osborne / Rubinstein in Aumann / Hart (1992) S. 179, 193 f.; Muthoo (1999) S. 22 (Definition 2.1). 71 Herleitung z. B. bei Muthoo (1999) S. 24 f. 72 Crott, Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971) 61, 70 ff. 73 Eidenmüller (1999) S. 483.

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

171

Nash-Lösung ebenfalls eine Verteilung 25.000 A / 25.000 A, weil an dieser Stelle das Produkt aus den Differenzen von erhaltenem Betrag und bester Alternative (hier eben 0 A) maximal ist. Der Unterschied, daß der eine hier gar keine Abstriche von seiner Forderung zu machen braucht, wohingegen der andere einen Verlust von 75.000 A macht, findet somit keinerlei Berücksichtigung. Ferner erscheint problematisch, daß die Nash-Lösung nicht monoton ist. Bei einer Einschränkung des Einigungsraumes kann es dazu kommen, daß der Nutzen des Ergebnisses für eine Partei größer wird, als im ursprünglichen Spiel.74 Daher ersetzten Kalai / Smorodinsky75 das Nash-Axiom der Unabhängigkeit von irrelevanten Alternativen durch ein Axiom der individuellen Monotonie76, nach dem das Ergebnis einer Verhandlung mit größerem Einigungsbereich stets größer oder gleich dem Ergebnis einer Verhandlung sein soll, deren Einigungsbereich nur eine Teilmenge des ursprünglichen ist. Daraufhin beweisen sie, daß es nur eine Lösung gibt, die das neue Axiomensystem erfüllt.77 Diese Lösung ist die, bei der die Differenzen aus Maximalposition und bester Alternative beider Parteien im gleichen Verhältnis zueinander stehen wie die Differenzen aus dem Nutzen der gesuchten Verhandlungslösung und der besten Alternative. Im obigen Beispiel hieße das, daß (25.000 A – 0 A) / (100.000 A – 0 A) = (x – 0 A) / (y – 0 A), also daß das Aufteilungsverhältnis zwischen den beiden Gläubigern x : y = 1 : 4 ist. Von den 50.000 A der Insolvenzmasse erhielte also der eine 10.000 A und der andere 40.000 A. Beide hätten also den gleichen prozentualen Verlust von 60% zu beklagen. Dieses Ergebnis entspricht – was das Beispiel angeht – dem insolvenzrechtlichen Grundprinzip der par conditio creditorum78 und wurde als soziales Phänomen experimentell nachgewiesen.79 Dies könnte Rückschlüsse auf eine den Sachstrukturen selbst schon angelegte Ordnung80 zulassen. Allerdings werden weitere Einflußfaktoren wie z. B. Risikoneigungen auch in diesem Modell nicht berücksichtigt. Daher vermag es die Sachstrukturen nicht hinreichend präzise zu umschreiben, um konkrete Schlüsse daraus für die Auslegung zu ziehen. Die bisher dargestellten Modelle müssen somit ergänzt werden.

Holler (1992) S. 62 ff. Kalai / Smorodinsky (1975), 513, 515; schon angedeutet bei Crott, Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971), 61, 72 f. 76 „Axiom of Monotonicity“, dt. Bezeichnung nach Holler (1992) S. 64. 77 Kalai / Smorodinsky (1975), 513, 516 f. 78 Eidenmüller (1999) S. 483. 79 Crott in Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971) 61 ff. 80 Vgl. Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334). 74 75

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

3. Asymmetrische Erweiterung der Nash-Lösung81 Weitere Einflußfaktoren (ganz allgemein die Verhandlungsmacht82, konkreter z. B. die Dringlichkeit der Entscheidung für den Einzelnen, die Verhandlungskosten, drohende Verhandlungsabbrüche etc.), die nicht unmittelbar mit der Nutzenfunktion der Verhandlungspartner und ihrer besten Alternative zu einer Verhandlungslösung zusammenhängen, können durch einen Faktor  …0    1† berücksichtigt werden, der diese Einflußfaktoren der jeweiligen Parteien in Beziehung setzt. Ergibt sich ein Verhandlungsmachtverhältnis von a : b, dann ist  ˆ a=…a ‡ b†, was auch bedeutet, daß b=…a ‡ b† ˆ 1 . Bei einem Verhältnis von z. B. 1 : 3 ergibt sich  ˆ1=4 und 1  ˆ 3=4, bei einem gleichgewichtigen Verhältnis (1 : 1) jeweils 1=2 . Das zu maximierende Nash-Produkt ist dann: …uA Lösung lautet83: uA ˆ nA ‡

…uges

nA

nB † und

†…uges

nA

nB †



uB ˆ nB ‡ …1

nA † …uB

nB †1



und die

(was wohlgemerkt bei gleichgewichtigen Verhältnissen, d. h.  ˆ 1=2 , der oben ermittelten Lösung entspricht). Über die Ermittlung des Faktors  kann dieses Modell jedoch nichts aussagen. Es zeigt nur, daß ein bestimmtes Verhandlungsergebnis unter den gegebenen Umständen exakt bestimmt werden kann. Eine mögliche Anwendung der asymmetrischen Nash-Lösung ist die Anwendung auf Verhandlungen mit unvollständiger Information84 über die Situation der jeweils anderen Partei, bei denen die möglichen Situationen beider Parteien (zusammengenommen m) und deren jeweiliger Wahrscheinlichkeit pi bekannt sind. Dann nimmt das zu maximierende Nash-Produkt die folgende Form an:85 m Y …ui

ni †pi

iˆ1

Konkrete Aussagen über das ,ausgehandelte‘ Ergebnis einer Vereinbarung sind damit jedoch noch nicht erreicht, solange der Faktor  lediglich eine abstrakte Größe bleibt.

Siehe dazu Binmore (1987) S. 27, 34 ff. (incl. Beweis); Muthoo (1999) S. 35 f. Binmore (1987) S. 27, 35; Muthoo (1999) S. 35. 83 Muthoo (1999) S. 35 ff. 84 Dazu näher unten ab S. 177, (V. Spieltheoretische Modelle mit asymmetrischer Informationslage). 85 Harsanyi / Selten (1972) S. P-80, P-96. 81 82

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

173

IV. Das Rubinstein-Modell86 1. Ausgangspunkt Um nähere Aussagen über die Verhandlungen machen zu können und insbesondere den Faktor  zu ermitteln, ist eine genauere Betrachtung der Verhandlungssituation unter besonderer Berücksichtigung des Prozeßcharakters notwendig. Eine solche bietet das Rubinstein-Modell. Dieses basiert auf der Modellannahme, daß die Parteien in bestimmten Zeitabständen abwechselnd Angebote abgeben, die akzeptiert werden können oder auf die ein (neues) Gegenangebot gemacht wird. Diese Annahme entspricht durchaus der Erfahrung, daß Verhandlungen zumeist sequentielle Prozesse sind, die Interaktion und Reaktion beinhalten und in denen die Parteien weder exakt gleichzeitig Angebote abgeben noch auf eine determinierte Zahl von Verhandlungsrunden festgelegt sind. Zwar sind Verhandlungen nie ,unendlich‘ im Wortsinne, weil schon die Lebensspanne der Verhandelnden endlich ist. Aber auch bei einem beschränkten Zeitrahmen gehen die Verhandlungspartner stets davon aus, daß nach ihrem letzten Angebot durchaus noch ein ,letztes‘ Gegenangebot zu erwarten ist und daß auch danach noch schnell ein ,letztes Gegengegenangebot‘ möglich ist. Mit anderen Worten: die Verhandelnden gehen nicht davon aus, daß nach einer bestimmten Anzahl von Verhandlungsrunden der Verhandlungsabbruch automatisch eintritt. Eine weitere Annahme, die zur Realitätsnähe dieses Modells beiträgt, ist die, daß es auf die Zeit ankommt, die bis zu einer Übereinkunft vergeht, und daß jede neue Verhandlungsrunde ,Kosten‘ verursacht, die den Nutzen des Verhandlungsergebnisses schmälern.87 Das gleiche Ergebnis bedeutet also einen unterschiedlichen Nutzen, je nachdem, ob es in einer früheren (größerer Nutzen) oder späteren (verminderter Nutzen) Verhandlungsrunde erzielt wurde. Dies kann zum einen die Verhandlungskosten erfassen oder die jeweilige Dringlichkeit, die der Vertragsschluß für die Beteiligten hat (z. B. wenn bis zur Einigung über eine Zahlung ein teurer Überbrückungskredit aufgenommen werden muß), und zum anderen auch eine Abwertung des Verhandlungsgegenstandes repräsentieren (z. B. Verhandlung über die Aufteilung einer bestimmten Menge Eiscreme, die langsam schmilzt).88

86 Rubinstein, Econometrica 1982 (50), 97 ff.; kurze Einführung inkl. Beweis bei Biswas (1997) S. 155 ff. 87 Vgl. zu den unterschiedlichen Möglichkeiten Binmore / Osborne / Rubinstein (1992) S. 179, 187 f. 88 Beispiel bei Muthoo (1999) S. 55.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

2. Die Rubinstein-Lösung Da es (wie oben festgestellt) um die Aufteilung eines bestimmten Gesamtnutzens uges geht, läßt sich ein Angebot stets als Vorschlag einer bestimmten Aufteilung (Quote) dieses Gesamtnutzens interpretieren. Das Angebot des A …xA † kann somit als Quote für A …A † des Gesamtnutzens gleichgesetzt werden, also xA ˆ A uges . Schlägt A also eine Übereinkunft vor, bei der beide Parteien den gleichen Nutzen haben, ist A ˆ1=2 , schlüge er eine Verteilung 3 : 1 für sich vor, wäre A ˆ3=4 . Gleiches gilt für ein Gegenangebot des B, also xB ˆ B uges . Rubinstein weist nach, daß von rationalen Verhandlungsführern stets in der ersten Verhandlungsrunde ein Ergebnis erzielt wird, da die optimale Strategie zu einem Gleichgewicht führt. Sie lautet, daß A immer xA bietet und jedes Gegenangebot xB annimmt, für das gilt xB  xB , wobei A und B noch zu bestimmen sind. Diesen ,Gleichgewichtsquoten‘ kommt also eine besondere Bedeutung zu. Sie werden, wie Rubinstein nachweist,89 von den zeitabhängigen Faktoren bestimmt, nämlich dem Abwertungsfaktor i des jeweiligen Beteiligten i (A oder B), um den sich der Nutzen einer bestimmten Verhandlungslösung in Abhängigkeit von der Zeit reduziert: A ˆ …1

B †=…1

A B †

B

A †=…1

A B † :

ˆ …1

bzw.

A wird also, wenn er das erste Angebot unterbreiten darf, die Quote A vorschlagen (also das Gleichgewichtsangebot xA ), und B wird das Angebot akzeptieren. Es sei nun noch der Fall betrachtet, daß die Zeitintervalle  zwischen den einzelnen Angeboten klein sind (positiv, aber gegen 0 konvergierend), d. h. wirtschaftlich nicht ins Gewicht fallen, und i  exp… ri t† definiert sei, wobei t die Variable für die Anzahl der abgelaufenen Zeitintervalle  und ri die Diskontierungsrate ist, d. h. der Betrag, um den sich der Nutzen pro Ablauf einer Zeiteinheit  schmälert. In diesem Fall läßt sich nachweisen,90 daß A ˆ rB =…rA ‡ rB †

und

B ˆ rA =…rA ‡ rB † (für  > 0 aber sehr klein, d. h.  ! 0) ist.

In diesem Fall richtet sich also die Verteilung ausschließlich nach dem Verhältnis der Verhandlungskosten, da A : B ˆ rB =rA und somit auch xA : xB ˆ rB =rA , was gleichbedeutend ist mit uA : uB ˆ rB =rA . Im übrigen ist dieses Ergebnis, identisch mit der asymmetrischen Nash-Lösung wenn man  durch A ersetzt, weil A ˆ 1 B (denn A ‡ B ˆ 1). 89 Rubinstein, Econometrica 1982 (50), 97, 99 (ii) und insb. 108 (Schlußfolgerung 2); vgl. auch Nachweis bei Muthoo (1999) S. 43 f. 90 Muthoo (1999) S. 46.

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

175

Für den Fall, daß es nicht auf die Zeit als solche ankommt, sondern jede Verhandlungsrunde fixe Kosten verursacht, ermittelt Rubinstein91 noch ein ähnliches Modell, das zeigt, wie sehr die Verhandlungskosten das Ergebnis beeinflussen: Wenn die Kosten pro Verhandlungsrunde ki sind und A das erste Angebot unterbreiten kann gilt: – wenn kA > kB , dann erhält A exakt den Betrag kB , also die Verhandlungskosten des B für eine Verhandlungsrunde; – wenn kA < kB , dann erhält A alles, also uges .92

Dieses Ergebnis ist so zu interpretieren, daß sich ein rationaler Verhandlungspartner vor Eintritt in die Verhandlung überlegt, ob er im Laufe der Verhandlung, d. h. nach einer bestimmten Anzahl von Verhandlungsrunden in eine Situation kommt, in der er weder ein Angebot unterbreiten kann, das der andere Partner mit Sicherheit akzeptiert, noch sich die Abgabe eines weiteren Angebots bei der nächsten Gelegenheit (d. h. nach Ablehnung des Gegenangebots und darauffolgender Ablehnung des eigenen Gegenangebots durch den Partner) unter Berücksichtigung der bis dahin aufgelaufenen Verhandlungskosten lohnt. Wenn sich ergibt, daß eine derartige Situation eintreten wird, wird er sofort das erste Angebot akzeptieren, um seinen Verlust zu beschränken.93 Rubinstein, Econometrica 1982 (50), 97, 99 (i) und insb.107 (Schlußfolgerung 1). Wenn kA ˆ kB , dann ist jeder Betrag größergleich kA ˆ kB ˆ k und kleinergleich uges eine perfekt gleichgewichtige Verteilung. Dieses Gleichgewicht muß sich jedoch nicht unbedingt in der ersten Runde einstellen; Rubinstein, a. a. O. S. 107 (Remark). Ein rationaler A würde dann wohl uges erzielen. Allerdings ist der Fall wirklich exakt gleicher Verhandlungskosten wohl nur hypothetisch und kann daher hier außer betracht bleiben. 93 Dies sei an einem Beispiel erläutert: Angenommen es seien 100 A zu verteilen, wobei A, der das erste Angebot abgeben kann, Verhandlungskosten i. H. v. 20 A / Verhandlungsrunde und B i. H. v. 10 A / Runde hat. Verlangt A nun in der ersten Runde mehr als 10 A für sich, wird B das Angebot ablehnen. (B würde jede Forderung von 10 A oder weniger akzeptieren, weil das Abwarten der nächsten Verhandlungsrunde ihn ebenfalls 10 A kostet und sich sein Nutzen durch Ablehnung des Angebotes also nicht erhöhen kann.) In der zweiten Verhandlungsrunde wird B, nach der Rationalitätsannahme nur an seinem Nutzen interessiert, alles verlangen. Lehnt A dies ab und tritt in die dritte Verhandlungsrunde ein (jetzt oder in späteren Runden 10 A oder weniger zu verlangen, was B akzeptieren würde, kommt nicht in Frage, da es ungünstiger wäre (zumindest –50 A) als in der ersten Runde (–10 A)), so hat er schon Kosten i. H. v. 60 A, wohingegen B nur 30 A Kosten hat. In der vierten Verhandlungsrunde verlangt B wieder alles, was A ablehnt (sonst hätte er gleich zu Anfang 10 A geboten), in der fünften Verhandlungsrunde hat A schon 100 A Kosten, so daß er schon mindestens 90 A fordern muß, um genauso gut zu stehen, wie wenn er in der ersten Runde 10 A gefordert – und erhalten – hätte. Dies lehnt B jedoch ab (Runde 6). A kann nun, da seine Kosten schon 140 A betragen, wenn er das nächste Angebotabgeben kann, keine Forderung mehr stellen, durch die er – selbst bei sicherer Akzeptanz durch B – besser stünde (denn selbst wenn er die gesamten 100 A erhielte, hätte er noch 40 A verloren), als wenn er gleich zu Anfang 10 A verlangt hätte und somit nur 10 A Verlust gemacht hätte. Aus diesem Grund wird A gleich in der ersten Runde nur 10 A verlangen und B 90 A anbieten. Dürfte gar B das erste Angebot machen, so würde er gleich alles verlangen und A würde 91 92

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

3. Erweiterungen des Rubinstein-Modells Das Rubinstein-Modell hat vielfältige Erweiterungen erfahren, was eine immer genauerer Modellierung der realen Verhandlungssituation durch Einbeziehung weiterer Faktoren ermöglicht. So kann z. B. die Möglichkeit eines Verhandlungsabbruchs einbezogen werden.94 Es sei pi die Wahrscheinlichkeit, mit der Verhandlungspartner i damit rechnet, daß die Verhandlung nach der Ablehnung eines Angebots abgebrochen wird und somit der Nutzen der besten Alternative zu einer Verhandlungseinigung (also ni ) realisiert würde. Der Nutzen, den i aus andauernder Ablehnung einer Übereinkunft hat, ist dann bi ˆ pi ni =‰1 …1 pi †i Š, wobei i  exp… ri †, pi  1 exp… i ), d. h. i ist die erwartete Rate eines Verhandlungsabbruchs, und ri die Abwertungsrate. Sind die Zeitintervalle, in denen Angebote aufeinander folgen, sehr gering, d. h.  ! 0, aber dennoch  > 0, kann dies mit i ˆ ni i =…ri ‡ i ) gleichgesetzt werden. Das zu maximierende Nash-Produkt ist dann: …uA nA †A …uB nB †1 A mit A ˆ …rB ‡ B †=…rA ‡ rB ‡ A ‡ B ) 95 und die Lösung lautet: uA ˆ A ‡ uB ˆ B ‡ …1

…uges

A

B † und

A †…uges

A

B † :

A

In gleicher Weise können externe Alternativen zu einer Verhandlungslösung einbezogen werden, d. h. Fälle, in denen ein Verhandlungsabbruch nicht zufällig (bzw. für eine Seite unberechenbar) erfolgt, sondern die aufgrund rationaler Erwägungen von einer Partei einer Verhandlungslösung vorgezogen werden, wodurch die Verhandlung ebenfalls ergebnislos endet. Auch hier läßt sich ein Ergebnis der Verhandlung, d. h. ein Angebot, daß die eine Partei in der ersten Runde macht und das von der anderen sofort akzeptiert wird, berechnen.96 Weitergehend kann auch noch die parallel zur betreffenden Verhandlung ablaufende Suche nach anderen Alternativen in das Modell integriert werden.97 Und dies sind noch längst nicht alle Erkenntnisse der ökonomisch-spieltheoretischen Verhandlungsforschung. Beispielsweise können auch andere Verhandlungsverfahren berechenbar gemacht werden. Es bleibt also festzuhalten, daß dieser Zweig der Verhandlungsforschung sehr genaue Angaben über die konkreten Verhandlungsergebnisse ermöglicht. aus den gleichen Erwägungen akzeptieren. (Ganz ähnlich liegt der Fall, wenn die Abgabe eines Angebots jeweils Kosten in obengenannter Höhe verursachen.) 94 Im folgenden wird Muthoo (1999) S. 73 ff. zugrunde gelegt (mit einigen Abweichungen in den Bezeichnungen); vgl. auch Binmore / Osborne / Rubinstein (1992) S. 179, 191. 95 Muthoo (1999) S. 96 m. w. N. unter 4.7. 96 Binmore / Osborne / Rubinstein (1992) S. 179, 190; vgl. Muthoo (1999) S. 99 ff., insb. S. 116. 97 Muthoo (1999) S. 116 ff.

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

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V. Spieltheoretische Modelle mit asymmetrischer Informationslage Die Berechnung eines Verhandlungsergebnisses wird problematischer, wenn nicht beide Parteien alle relevanten Informationen besitzen, d. h. wenn eine Partei mehr weiß bzw. anderes Datenmaterial hat als die andere.98 Dies stellt in der sozialen Wirklichkeit den Standardfall des Verhandelns dar. Die bisher dargestellten Modelle geben zwar schon einige Anhaltspunkte über die Sachstrukturen des Verhandelns. Eine vollständige Erfassung dieser Strukturen setzt jedoch die Berücksichtigung von Informationsasymmetrien voraus. Für die spieltheoretische Behandlung, die eine Verhandlung als Spiel interpretiert, dessen Spielzüge die Angebote sind, kann das Verhandlungsspiel mit unvollständiger99 Informationslage umgewandelt werden in ein Verhandlungsspiel mit vollständiger, aber nicht-perfekter 100 Information (Harsanyi-Transformation)101, für das die Spieltheorie wieder eine bestmögliche Strategie und damit ein Ergebnis angeben kann102. Die unbekannte Information wird als Zufallsspielzug der ,Natur‘ als nicht-strategischem Spieler angesehen, dessen Grundlagen (mögliche Ergebnisse samt Wahrscheinlichkeit derselben) allgemein bekannt sind, dessen konkretes Ergebnis aber dem einen Spieler nicht bekannt ist. Das resultierende Verhandlungsspiel (Bayesian game) kann dann mit den spieltheoretischen Ansätzen analysiert werden.103 Neben der strukturellen Unsicherheit (über die Rahmenbedingungen des Verhandlungsspiels, z. B. die Nutzenfunktionen) vermag dieser auch die sogenannte strategische Unsicherheit, die sich auf das Verhalten des Gegners bezieht, in das Modell miteinzubeziehen. 104

98 Teilen beide Parteien eine gewisse Unsicherheit, sind sich jedoch über die Wahrscheinlichkeiten einig, so sieht die Übereinkunft exakt so aus, wie die Nash-Verhandlungs-Lösung (s. o. S. 169 ff.) eines ähnlichen Verhandlungsspiels ohne die geteilte Unsicherheit. (Binmore in (1987) S. 155, 161). 99 „Unvollständig (incomplete)“ bedeutet, daß ein ,Spieler‘ als Teilnehmer eines ,Verhandlungsspiels‘ nicht vollständig über die Ausgangssituation, d. h. die äußeren Umstände der Verhandlung informiert ist, Harsanyi (1967 / 68) S. 159, 163; Holler (1992) S. 18. 100 „Nicht-perfekt (imperfect)“ bedeutet, daß der Spieler zwar vollständige Informationen über die Ausgangssituation und die äußeren Umstände des Verhandlungsspiels besitzt, aber nicht alle vorherigen ,Spielzüge‘ (des Gegners oder des Zufalls) kennt, Holler (1992) S. 18. 101 Harsanyi (1967 / 68) S. 159, 173 ff.; vgl. dazu Bierman / Fernandez (1998) S. 274 ff.; Muthoo (1999) S. 272. 102 Harsanyi (1967 / 68) S. 320 ff.; Brandenburger (1996) S. 224 f. 103 Vgl. z. B. Rubinstein (1987) S. 193 mit der Schlußfolgerung, daß in seinem Modell (mit den entsprechenden Charakteristika) exakt die möglichen Lösungen für alle möglichen Zustände ermittelt und angegeben werden können, S. 208 ff.; weitere Modelle bei Binmore / Osborne / Rubinstein (1992) S. 179, 210 ff. 104 Brandenburger (1996) S. 225 f.

12 Pfeiffer

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

1. Determinismus oder Freiheit zur Selbstbestimmung? – Ergebnisse der Modelle mit asymmetrischer Informationsverteilung Zunächst ist festzustellen, daß eine exakte Vorhersage des konkreten Verhandlungsergebnisses bei asymmetrischer Informationsverteilung auch von der Spieltheorie nicht mehr geleistet werden kann.105 Es können jedoch die optimalen Strategien der Verhandlungspartner als gemischte Strategien angegeben werden. Dann können auch alle möglichen Übereinkünfte samt ihren Wahrscheinlichkeiten bestimmt werden. Eine gemischte Strategie bezeichnet die Menge aller möglichen Strategien mit der jeweiligen Wahrscheinlichkeit, mit der sie zur Anwendung kommen.106 Selbstverständlich heißt dies nicht, daß der Verhandlungspartner tatsächlich zufällig entscheidet. Die Wahrscheinlichkeitsverteilung bringt nämlich nur die objektiven Unsicherheit (ex ante), wie der Verhandlungspartner entscheiden wird, zum Ausdruck, was nicht nur von einer Zufälligkeit der Entscheidung herrühren kann, sondern auch von der Existenz einer kleinen Menge unvollständiger Information.107 Die Wahrscheinlichkeitsverteilung hängt von der Einschätzung des jeweiligen Verhandlungspartners vom Inhalt der nicht vorhandenen Informationen im Zeitpunkt seiner Entscheidung ab. Wie können nun derartige optimale (gemischte) Strategien im Falle unvollständiger Informationen ermittelt werden? Es wurde vorausgesetzt, daß die Parteien ihren Nutzen maximieren. Bei unvollständiger Informationslage, d. h. Unsicherheit, kann dies nur der erwartete Nutzen sein.108 Dieser ergibt sich aus der Summe der Produkte aus den Nutzen der möglichen Ergebnisse und deren jeweiliger Eintrittswahrscheinlichkeit. Der Eintritt eines bestimmten Ergebnisses (und damit auch dessen Wahrscheinlichkeit) ist dabei abhängig von den eigenen Entscheidungen und den Entscheidungen des Gegners, also von den Strategien der Parteien. Über die Strategie des Gegners kann aber keine sichere Aussage gemacht werden. Ebensowenig kann aus objektiver ex ante-Sicht eine sichere Aussage über die eigene Strategie des Verhandelnden gemacht werden. Es kommen vielmehr mehrere mögliche Entscheidungen in Betracht. Nun kann aus diesem Zusammenspiel der möglichen Entscheidungen i.V.m. der Bayes’schen Regel109 bestimmt110 werden, für welche Wahrscheinlichkeitsverteilung der möglichen EntBierman / Fernandez (1998) S. 216. Könnte ein Verhandlungspartner, um seinen erwarteten Nutzen zu maximieren, sowohl Gestaltung A als auch Gestaltung B wählen und liegen keine Informationen vor, die sein Verhalten berechenbar machten, sondern nur Erwägungen, aus denen sich der Schluß ergibt, er wählte beide Möglichkeiten mit der gleichen Wahrscheinlichkeit, so lautete die entsprechende Strategie {biete A: 0,5; biete B: 0,5}. 107 Bierman / Fernandez (1998) S. 284. 108 Einführung zur expected utility theory inkl. Hinweise zu wahrnehmungsspezifischen Verzerrungen bei Biswas (1997) S. 3 ff. 109 Vgl. Bierman / Fernandez (1998) S. 323 mit mathematischem Beweis auf S. 341. 110 Über die allgemeine Darstellung in den gröbsten Zügen soll im Rahmen dieser Arbeit nicht hinausgegangen werden. Es sei aber auf Bierman / Fernandez (1998) S. 215 – 220; 105 106

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

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scheidungen (i.S.v. reinen Strategien) der erwartete Nutzen für beide Parteien in Abhängigkeit voneinander maximal ist. Diese Wahrscheinlichkeitsgewichtung der möglichen Entscheidungen stellt, wie oben festgestellt, gerade eine gemischte Strategie dar. Bei den jeweiligen gemischten Strategien der Parteien, die den höchsten erwarteten Nutzen ermöglichen, handelt es sich dann um die optimalen Strategien. Keine Partei könnte in diesem Falle einseitig eine andere Strategie wählen, um besser dazustehen.111 Kennt man aber die optimalen Strategien der Parteien (und sind es auch nur gemischte Strategien), so kann man zwar nicht das Verhandlungsergebnis vorhersagen, aber man kann doch immerhin die Wahrscheinlichkeiten für alle möglichen Verhandlungsergebnisse und damit das erwartete Ergebnis (als Summe der Produkte der Ergebnisse und ihrer Wahrscheinlichkeiten) angeben. Harsanyi / Selten112 entwickelten dazu den Beweis anhand eines Modells, bei dem eine Lösung113 für ein Verhandlungsspiel mit unvollständiger Information angegeben wird, das ebenfalls von den Wahrscheinlichkeitsannahmen für die verschiedenen möglichen Ausgangssituationen abhängt und das das x ist, bei dem das erweiterte Nash-Produkt m Y …xi

ni †pi

iˆ1

maximal ist. Ganz verkürzt dargestellt werden hierbei die unterschiedlichen Ausgangssituationen mit unterschiedlichen Spielertypen gleichgesetzt, wobei m hier die Gesamtzahl aller möglichen Typen beider Seiten zusammengenommen ist, ni die Nichteinigungsalternative des Spielertyps i und pi die Wahrscheinlichkeit des jeweiligen Typs ist. Ein anderes Modell mit einseitiger asymmetrischer Informationsverteilung sieht so aus, daß eine Partei die bestmögliche Alternative (= Mindestangebot) c des anderen nicht kennt, sondern nur ein Intervall [cmin ; cmax ], in dem sich dieser Punkt bewegt. Diese Partei macht nacheinander Angebote, die die andere Partei ablehnen oder akzeptieren kann. Sind die Zeitabstände zwischen den Angeboten (und damit die Verhandlungskosten) hinreichend klein, so ist das erste Angebot gleich cmax , welches sofort akzeptiert wird.114 Dies bedeutet, daß keine Information über c ge-

346 – 355; 355 – 364 mit ausführlichen Beispielen verwiesen. Eine mathematischere Darstellung, die auch zusätzlich einen Abwertungsfaktor berücksichtigt (vgl. oben S. 174), findet sich bei Muthoo (1999) S. 271 ff. mit allgemeinen Betrachtungen ab S. 278. 111 Bierman / Fernandez (1998) S. 219. 112 Harsanyi / Selten (1972) S. P-80, P-96 ff. 113 Als Funktion L…B†, die aus der Menge X aller gleichgewichtigen gemischten Strategien (P-92) eine Strategie x ˆ …x1 ; . . . ; xm † jeder Verhandlungsbasis B ˆ …X; r†, wobei r die Wahrscheinlichkeitsannahme aller möglichen Typen ist, zuordnet (P-96). 114 Muthoo (1999) S. 279 f. (wenn der Höchstpreis des Bietenden = c max) und 282 f. (wenn der Höchstpreis des Bietenden > cmax) m. w. N. für den Beweis. 12*

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wonnen wird und daß die Verhandlungsmacht verloren geht, die die starke Stellung, Angebote unterbreiten zu können, mit sich bringt. Dies bedeutet aber, daß auch im Falle unvollständiger Information das Verhandlungsergebnis zumindest durch bestimmte Wahrscheinlichkeiten bestimmt wird. Auch hier bietet sich – immer vorausgesetzt, das Individuum ist an der Maximierung seines Nutzens interessiert – keinerlei Möglichkeit der Selbstbestimmung, die über die Bestimmung der Nutzenfunktion hinausgeht. Man könnte noch fragen, ob nicht im Rahmen der Wahrscheinlichkeitsverteilung selbstbestimmte Entscheidungen möglich sind, da hier keine Determinierung vorliegt. Dies ist zwar grundsätzlich der Fall, es hat jedoch keinerlei Einfluß auf das Ergebnis. Aus welchen Gründen der Verhandelnde im Verlauf der Verhandlung eine Entscheidung trifft, ob er frei entscheidet oder ob er einen Zufallszahlengenerator entscheiden ließe, wäre für das Ergebnis nicht ausschlaggebend. Also kann selbst im Falle unvollständiger Information durch eine an spieltheoretischen Modellen orientierte Aushandelnsalternative kein erhöhtes Maß an Selbstbestimmung beim Vertragsschluß sichergestellt werden. 2. Effizienz des Aushandelns Ferner kann im Falle asymmetrischer Informationsverteilung mathematisch nachgewiesen werden,115 daß die Verhandlungen nicht stets ex post effizient sind; es kommt weder auf jeden Fall eine Übereinkunft zustande, wenn dadurch der Gesamtnutzen beider Parteien steigt, noch wird nicht ausgeschlossen, daß eine Übereinkunft erzielt wird, obwohl der Nutzen dadurch schlechter ist als durch keine Übereinkunft. Beispielsweise kennt der Frachtführer die wirkliche Qualität q seiner Transportleistung (insb. seine Transportschadensanfälligkeit), der Absender muß sich grundsätzlich auf die Angaben des Frachtführers verlassen; er weiß aus seiner Erfahrung nur, daß sich die tatsächliche Qualität zwischen qmin und qmax mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeitsverteilung bewegt. Der Frachtführer hat einen Mindestpreis, der in Abhängigkeit zur tatsächlichen Qualität steht, cmind …q†. Der Absender hat einen Höchstpreis in Abhängigkeit von der Qualität vmax …q†, den er auszugeben bereit ist. Da er q jedoch nicht kennt, muß er auf seine (aus der Wahrscheinlichkeitsverteilung abgeleitete) Qualitätserwartung qerw abstellen. Sein Höchstpreis ist daher unabhängig von dem tatsächlichen Wert von q, nämlich vmax …qerw †. Ein Vertrag wird daher nur zustande kommen, wenn der Mindestpreis, den der Frachtführer bei der gegebenen Qualität erzielen will, kleiner oder gleich diesem hypothetischen Höchstpreis des Absenders ist, also cmind …q†  vmax …qerw †. Je qualitätsvoller und damit höherwertiger die Transportleistung tatsächlich ist, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, daß ein Vertrag tatsächlich zustande kommt. Dies liegt daran, 115

Muthoo (1999) S. 251 ff., insb. 256 – 260.

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daß cmind …q† größer wird, während vmax nicht mit q steigt. Dadurch kommen die beiderseits günstigen Übereinkünfte für cmind …q†  vmax …q†, aber cmind …q† > vmax …qerw † nicht zustande, die Verhandlungslösung ist somit nicht ex post effizient. Das Phänomen, daß nur in ungünstigeren Fällen eine Übereinkunft erzielt wird und in den (beiderseits) profitableren nicht, ist unter dem von George Akerlof116 geprägten Stichwort lemons market bekannt.117 Ähnliches gilt, wenn jeder Verhandlungspartner bestimmte Informationen hat, die der andere nicht hat. Im Beispiel eines Kaufs wäre eine ex post effiziente Verhandlungslösung nur möglich, wenn der höchste Wert, den der Mindestpreis des Verkäufers aus der Sicht des Käufers annehmen könnte, kleiner oder gleich dem niedrigsten Wert ist, den der Höchstpreis des Käufers aus der Sicht des Verkäufers annehmen könnte.118 Als Erkenntnis für den Fall des Verhandelns bei unvollständigen Informationen ergibt sich also, daß das Verhandeln hier nicht garantiert, daß beiderseits vorteilhafte Übereinkünfte geschlossen werden, wenn die objektiven Voraussetzungen dafür vorliegen. Das Aushandeln ist hier nicht ex post effizient.119 Dadurch ist auch die ökonomische Effizienz des Verhandlungsmechanismus‘ beeinträchtigt, da dieser Mechanismus in einigen Fällen nicht die optimale Ressourcenallokation gewährleistet.

3. Zusammenfassung der Erkenntnisse und Schlußfolgerungen für die Verhandlungssituation Verhandeln – als Grundvoraussetzung des Aushandelns – ist unter asymmetrischer Informationsverteilung, d. h. unter Unsicherheit, nicht stets ex post effizient. Außerdem ermöglicht es selbst unter Unsicherheit keine Verwirklichung eines erhöhten Maßes an Selbstbestimmung i. S. v. Einflußnahme auf den Vertragsinhalt. Die möglichen Übereinkünfte sind durch die Ausgangslage und die Einschätzungen der Parteien (zumindest i. S. einer Wahrscheinlichkeitsverteilung) determiniert. Da die Ausgangslage feststeht und Änderungen durch die Parteien nicht unterworfen ist, kann ein tatsächlicher Einfluß auf das Verhandlungsergebnis nur über die Einschätzungen der Parteien zur Geltung gelangen. Aus der Tatsache, daß die Einschätzungen der Parteien auf den ihnen zur Verfügung stehenden Informationen Akerlof, Quarterly Journal of Economics (84) 1970, 488. Bierman / Fernandez (1998) S. 333, 345. (Akerlof demonstriert dieses Phänomen am Gebrauchtwagenmarkt; „lemons“ sind dabei schlechte Fahrzeuge.) 118 Myerson / Satterthwaite (1983) S. 265, 273; vgl. Muthoo (1999) S. 267 (die unbekannten Werte haben keinen Einfluß auf den bekannten eigenen Wert) und S. 269 (die Werte beeinflussen einander). 119 Myerson / Satterthwaite (1983) S. 265, 273. 116 117

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beruhen, ergibt sich die Bedeutung von Informationen für Verhandlungen und Vertragsschluß. (Dies gilt im übrigen selbst bei vollständiger Information, im Hinblick auf die Informationen, auf denen die Nutzenfunktion beruht.) Wollen die Parteien also Einfluß auf das Vertragsergebnis nehmen, so können sie dies nur über eine Beeinflussung der Informationslage, d. h. der Einschätzungen des Kontrahenten erreichen. Außerdem kann sich eine Partei durch Ermittlung von genaueren (glaubwürdigen) Informationen über die wahre Situation einen Vorteil verschaffen. In diesen zwei Teilaspekten des ,Informationsmanagements‘ wird teilweise die Verhandlungsgeschicklichkeit verortet.120 Denkbar wäre ein derartiger Einfluß über Täuschung, d. h. dem Erzeugen von Einschätzungen, die der wahren Situation gar nicht entsprechen, oder über den Versuch, glaubwürdig die wahre Lage zu kommunizieren. Eine Trennung beider Schienen erscheint dabei schwierig. Die glaubwürdige Vermittlung von Informationen über die eigene Lage hätte den Vorteil, daß bestenfalls eine pareto-optimale Lösung möglich würde, d. h. es würde nichts ,verschenkt‘. Das Ergebnis bei (bestenfalls) vollständiger Informationslage stünde jedoch fest. Die Vermittlung der wahren Lage ,lohnt‘ sich also für die Partei nur, wenn diese wahre Lage ihr eine starke Position verschafft – so lohnt es sich z. B. für einen Verkäufer, den Kaufinteressenten zu informieren, wenn er schon ein hohes Angebot von einem anderen Interessenten erhalten hat, andererseits lohnte es sich für den Kaufinteressenten nicht, offenzulegen, daß er sehr dringend auf die Kaufsache angewiesen ist. Der bestenfalls denkbare Fall, daß eine Verhandlung mit vollständiger Information möglich wird, wird also in der Praxis nicht erreicht, da die vermittelten Informationen über die ,wahre‘ Situation stets nur einen selektiven Wahrheitsgehalt besitzt, der sich jeweils auf die für den Vermittelnden positiven Aspekte beschränkt. Im Endeffekt herrscht also niemals Sicherheit über die wahre Situation. Das Zurückhalten oder Übermitteln von Informationen oder Fehlinformationen hat stets das Erwecken oder die Aufrechterhaltung einer Fehlvorstellung des Kontrahenten über die wahre Situation in ihrem gesamten Ausmaß zum Ziel.

4. Beeinflussung des Kontrahenten durch die Strategie einer Partei In dynamischen121 Verhandlungssituationen mit asymmetrischer Informationsverteilung geht es verhandlungstaktisch v.a. darum, durch das eigene Verhalten und die eigene Strategie die Einschätzung des anderen über die Realität (bzw. über 120 Franz (1968) S. 177, 180 f.; Wilson (1996) S. 401 meint, „implicit communication . . . is a key part of many negotiations“. 121 Die Verhandlungsteilnehmer kennen (was nicht heißt, daß sie vollständige Information darüber haben) die ,Spielzüge‘ des jeweils anderen (bzw. zumindest beeinflussen sich die Spielzüge gegenseitig, dadurch daß allein schon diese Tatsache bekannt ist; vgl. Bierman / Fernandez (1998) S. 121. Dies stellt den Standardfall des Verhandelns dar.

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die Wahrscheinlichkeitsverteilung) zu beeinflussen. Der Verhandlungspartner ist potentiell anfällig für diese Beeinflussung, weil er – mangels zuverlässiger Informationen – Wissen dazugewinnen muß und als Quelle dafür insbesondere (bzw. nach Ausschöpfung aller sonstigen verfügbaren Quellen: nur noch) das Verhalten des Verhandlungspartners in Betracht kommt. Macht der Anbieter ein Angebot zu einem niedrigen Preis, so gibt er damit zu erkennen, daß seine Leistung von schlechter Qualität ist (bezeichnet als signaling122).123 Ähnlich wäre die Lage, wenn sich der Anbieter mit einem (unverbindlichen) Angebot des Kunden zu einem niedrigen Preis einverstanden erklärte (sog. screening124). Der Kunde kann somit seine Einschätzung der Wahrscheinlichkeitsverteilung dahingehend anpassen, daß er von einer weitaus höheren Wahrscheinlichkeit einer schlechteren Qualität ausgeht. Dadurch ändert sich auch der Höchstpreis, den er maximal zu zahlen bereit wäre. Allerdings wäre umgekehrt niemand so naiv anzunehmen, daß die Leistung unbedingt höhere Qualität besäße, nur weil der Anbieter einen hohen Preis verlangt. Ebenso selbstverständlich ist aber auch, daß die Leistung in diesem Fall genauso wenig zwangsläufig eine niedrige Qualität hat. Wäre der Anbieter ehrlich, so könnte auf eine höhere Qualität geschlossen werden, allerdings könnte er auch bluffen und hoffen, daß der Kunde ihm glaubt und somit einen hohen Preis für eine niederqualitative Leistung zahlt. Dabei riskiert er aber auch, daß der Kunde ihm das Produkt nicht abkauft, obwohl ein beiderseits vorteilhafter Abschluß möglich gewesen wäre. Es wäre also sehr nützlich, im Falle hoher Qualität dem potentiellen Kunden diese Tatsache glaubhaft zu machen, also die Möglichkeit auszuschließen, daß bei niedriger Qualität ein entsprechend hohes Angebot gemacht wird. Eine Möglichkeit, dem Kontrahenten glaubwürdig das Bestehen einer (günstigen) Lage zu signalisieren, besteht darin, ein Angebot zu unterbreiten, das sich für den Anbietenden ausschließlich bei tatsächlichem Bestehen der günstigen Lage lohnt (z. B. eine bestimmte Garantie).125 Da ein derartiges Angebot aber hinter dem zurückbleibt, was eigentlich zu erzielen gewesen wäre, wenn dem Kontrahenten die Situation bekannt wäre (im Beispiel verursacht eine derartige Garantie für den Garanten wirtschaftliche Nachteile, die in Abzug zu bringen sind), ist es teuer, positive Tatsachen zu signalisieren.126 122 Wilson (1996) S. 400 ff.; Kreps / Sobel in Aumann / Hart (1994) S. 849 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen auf S. 866 f. 123 Ein realitätsnahes Anwendungsfeld sind Arbeitskämpfe: Ein Unternehmen, dessen Gewinne niedriger sind als es von der Gewerkschaft bei Berechnung der Lohnforderung zugrunde gelegt wurde, zeigt durch das Inkaufnehmen eines Streiks einer bestimmten Länge glaubhaft, daß es tatsächlich niedrigere Gewinne hat, da sich bei hohen Gewinnen der höhere Lohnabschluß eher lohnte, als die Kosten des Streiks ab dieser bestimmten Länge zu tragen; vgl. Wilson (1996) S. 402 ff. 124 Kreps / Sobel (1994) S. 849, 861 ff. 125 Wilson (1996) S. 407 ff.

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Ähnlich sieht es aus, wenn eine Partei nicht über die eigene Lage informieren, sondern die Lage des Kontrahenten ermitteln möchte (screenen, s. o.). In diesem Fall muß sie ein Angebot für den Fall der (für den Kontrahenten) ungünstigen tatsächlichen Situation (z. B. niedrige Qualität der Leistung) machen, das zumindest so hoch ist, daß sich eine Ablehnung für den Kontrahenten nur lohnt, wenn die tatsächliche Situation günstig ist (z. B. hohe Qualität). Liegt tatsächlich aber die ungünstigere Situation vor, d. h. der Kontrahent akzeptiert, so liegt auf der Hand, daß für die tatsächliche Situation ein zu hoher Preis gezahlt wurde, nur um ein wahrheitsgemäßes Verhalten des anderen (hauptsächlich für den Fall hoher Qualität) zu erzwingen.127 Häufig kann jedoch selbst auf diesem Wege keine exakte Ermittlung der tatsächlichen Situation, sondern lediglich eine Eingrenzung erfolgen.128 Auch in diesem Fall ist der, der die Informationen nicht besitzt, im Nachteil. Haben beide nur unvollständige Informationen, sind beide benachteiligt, da sie zur glaubhaften Vermittlung der Informationen als Basis des Aushandelns der für beide annehmbaren, konkreten Vertragsbedingungen kostspielige Signale verwenden müssen.129 Selbst wenn die Übereinkunft dann pareto-optimal wäre, so ist sie doch weniger effizient, da die mit ihr verbundenen Verhandlungskosten (z. B. in Form von Verzögerungen / Streiks) bei vollständiger Information vermeidbar gewesen wären. Es zeigt sich also, daß der Besitz von Informationen ein sehr wertvolles Gut ist, das bei einseitiger Verteilung eine große Menge von Verhandlungsmacht des Kontrahenten neutralisieren kann. Befinden sich die entscheidenden Informationen in der Hand der verhandlungsmächtigeren Partei, so wird das Machtungleichgewicht weiter verstärkt.

126 „Overinvestment in signals for purpose of separation“, Kreps / Sobel in Aumann / Hart (1994) S. 849, 859. 127 Entwickelt wurden diese „Spiele“ von Spence, Quarterly Journal of Economics 87 (1973) S. 355 ff., der die Rolle von Bildung auf dem Arbeitsmarkt untersuchte und darlegte, daß hohe Bildung als Signal dient, um dem potentiellen Arbeitgeber glaubwürdig eine hohe Produktivität zu signalisieren, da es für unproduktivere Menschen nicht lohnend (weil für sie aufwendiger) ist, eine hohe Bildung zu erwerben, um dann höherbezahlte Positionen zu besetzen. So wird sichergestellt, daß höherbezahlte Positionen mit den geeigneten Bewerbern besetzt werden. 128 Nämlich für alle Fälle, in denen das intuitive criterion, nicht erfüllt ist, d. h. in Situationen, in denen es sich zwar bei bestimmter tatsächlicher Lage nicht lohnt, ein bestimmtes Signal abzugeben, ab einem gewissen Niveau der tatsächlichen Lage jedoch ein unwahres Signal für den Signalsender günstiger ist, als ein wahres. vgl. Kreps / Sobel (1994) S. 849, 857. Sieg (2000) S. 105, spricht von „hybriden Gleichgewichten, bei denen einige Typen getrennt und andere gepoolt sind“. 129 Im in Fn. 123 (S. 183) dargestellten Arbeitskampfbeispiel muß zwangsläufig erst ein Streik der bestimmten Mindestlänge mit hohen Nachteilen für beide Seiten stattfinden, bevor die Arbeitnehmerseite erkennt, daß sie nicht übervorteilt wird und niedrigere Löhne akzeptieren kann; vgl. Wilson (1996) S. 407 ff.

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5. Existenz eines Verhandlungsmechanismus’, der die Asymmetrie der Informationen ausgleicht Diese negativen Effekte, die eine asymmetrische Informationsverteilung mit sich bringt, könnten verhindert werden, wenn ein Verhandlungsmechanismus konstruiert werden könnte, bei dem beide Parteien das bestmögliche Ergebnis erzielen, wenn sie sich wahrheitsgemäß verhalten und keine falschen Signale (o.ä.) aussenden. Dann könnten die negativen Effekte asymmetrischer Informationsverteilung verhindert werden und es bestünde die oben schon beschriebene Situation vollständiger Information mit ihrem Effizienzvorteil. Als Werkzeug für eine derartige Konstruktion eines Verhandlungsmechanismus‘ dient das revelation principle. Danach ist es möglich, jeden Verhandlungsmechanismus mit unvollständiger Information in einen ,Mediationsmechanismus‘ mit gleichen Strategien und Ergebnissen umzuwandeln, bei dem jede Partei einem Mediator eine Angabe über die tatsächliche Situation macht (die durchaus auch falsch sein kann) und der Mediator dann aus allen Angaben die besten ,Spielzüge‘ der Parteien berechnet und ihnen diese empfiehlt – wobei die Parteien der Empfehlung nicht zwangsweise Folge leisten müssen.130 Dieses Spiel hat das gleiche Ergebnis wie das ursprüngliche Verhandlungsspiel. Umgekehrt gilt, daß für einen Mediationsmechanismus, in dem die Parteien wahrheitsgemäße Angaben machen und den Empfehlungen des Schiedsrichters folgen, auch ein Verhandlungsmechanismus konstruiert werden kann, der das gleiche Ergebnis hat. Es fragt sich also zunächst, ob im Falle asymmetrischer Informationsverteilung ein Mediationsmechanismus konstruiert werden kann, bei dem ein besseres Ergebnis erzielt wird, als das in einer ,normalen‘ Verhandlung unter Unsicherheit erzielbare.131 Nur in diesem Falle gäbe es nach dem revelation principle auch einen Verhandlungsmechanismus, durch den ebenfalls dieses bessere Ergebnis erzielt würde. Dann müßte es sich für beide Parteien lohnen, ihre optimale Strategie unter Unsicherheit aufzugeben und der Strategie zu folgen, die sie besserstellt, wenn den Angaben des Kontrahenten absolut Glauben geschenkt wird. Nur wenn es sich mit Sicherheit lohnt, dem anderen zu vertrauen, werden beide Seiten nämlich die Wahrheit sagen und den Empfehlungen des Mediators Folge leisten. Dies ist jedoch nur dann der Fall, wenn die Strategie ,Zusammenarbeit‘ für beide Seiten zu einem Gleichgewicht führten, d. h. keine Seite einseitig ihr Verhalten ändern könnte, um besser zu stehen. Erlangt aber eine Partei wahrheitsgemäße Information über die Situation des Kontrahenten und wüßte dabei, daß dieser den Empfehlungen des Mediators fol130 Folgend aus dem „revelation principle for general Bayesian games“, Myerson (1994) S. 827, 837 (mit Beweis). 131 Daß für letzteres Ergebnis (unter Unsicherheit) ein derartiger Mediationsmechanismus konstruiert werden kann, folgt aus dem revelation principle (siehe Fn. 130).

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

gen wird, so stünde sie besser, wenn sie die dadurch erlangte Stellung ausnutzt, als wenn sie sich ebenfalls kooperativ verhielte. Daß diese Ausnutzungsmöglichkeit besteht, ergibt sich (dem revelation principle folgend) daraus, daß im ursprünglichen Verhandlungsspiel die Strategie {kooperieren, kooperieren} ebenfalls nicht gleichgewichtig ist.132 Dies sei an einem einfachen Beispiel, dem bekannten Gefangenendilemma, veranschaulicht: Zwei Personen A und B wurden wegen der vorsätzlichen Tötung eines Menschen inhaftiert. Die Beweislage reicht nur für eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung zu vier Jahren, dem Ergebnis, wenn A und B die Tat leugnen. Gestehen beide den Totschlag, so wird dies im Urteil strafmildernd berücksichtigt, das Ergebnis wäre eine Haftstrafe von zehn Jahren. Gesteht einer und der andere leugnet, so kommt eine Kronzeugenregelung zur Anwendung: Der Geständige würde zu zwei Jahren, der Leugnende zu 15 Jahren Haft verurteilt.

B leugnet

B gesteht

A leugnet

4; 4

15; 2

A gesteht

2; 15

10; 10

Haftstrafen für (A; B)

Dies erklärt der vernehmende Beamte beiden Inhaftierten, die in getrennten Zellen untergebracht sind und nicht miteinander kommunizieren können. Ohne jegliche Kommunikation (getrennte Zellen) gäbe es nur eine Strategie, nämlich in jedem Fall zu gestehen. Denn gesteht der andere, so ist es besser, auch zu gestehen (10 J. statt 15 J.), leugnet der andere, so ist es ebenfalls besser zu gestehen (2 J. statt 4 J.). Das sichere Ergebnis (wenn sich die Strategien im Gleichgewicht befinden, d. h. jeder die optimale Strategie {gestehen; gestehen} wählt) wäre also eine Haftstrafe von zehn Jahren. Könnten beide sich darauf verständigen zu leugnen, so könnten sie mit vier Jahren davonkommen, d. h. beide stünden besser da, als bei Verfolgung der Gleichgewichtsstrategien. Nun gibt es aber keinen Grund, warum der eine dem anderen trauen sollte. Geht er davon aus, daß der andere die Wahrheit sagt und leugnet, so wäre es für ihn das beste, entgegen der Vereinbarung doch zu gestehen. Dabei riskiert er auch nichts, da selbst im Falle, daß der andere sich ebenfalls nicht an die Vereinbarung hielte, nur das Gleichgewichtsergebnis erzielt wird – indem die Vereinbarung gebrochen wird, kann höchstens ein besseres Ergebnis erzielt werden, egal wie die Vereinbarung ausgestaltet ist. Diese Erkenntnis ist als das „Verhandlungsdilemma“ bekannt.133 132 Vgl. dazu z. B. das Verhandlungsmodell unter Ungewißheit bei Harsanyi / Selten (1972) S. P-80, P-85 f. 133 Z. B. Eidenmüller (1999) S. 513 ff.

§ 10 Verhandlungen aus ökonomischer und spieltheoretischer Sicht

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Somit kann kein Mediationsspiel konstruiert werden, in dem bei gleicher Ausgangslage (asymmetrische Informationsverteilung, gleiche Ergebnisse in Abhängigkeit von den Strategien) Strategien induziert werden, die zu einem besseren Ergebnis führten. Somit kann auch kein Verhandlungsmechanismus konstruiert werden, in dem die Parteien selbst wahrheitsgemäß Auskunft geben und den Informationen der Gegenseite trauen können.134 Als Ergebnis ist also festzuhalten, daß es keine Möglichkeit gibt, bei unveränderter Ausgangslage den Verhandlungsmechanismus, d. h. die Regeln für das Verhandeln, so zu ändern, daß die Parteien sich kooperativ verhalten und integrative, sachlich optimale Lösungen ermöglicht werden.

6. Beeinflussungsmöglichkeiten hinsichtlich der Ausgangssituation Es bleibt also lediglich die Möglichkeit, die Ausgangssituation, die bislang als gegeben angesehen wurde, zu beeinflussen. Dies gelingt z. B. durch Beeinflussung der Risikoeinschätzung des Gegners, Anstöße zur Umbewertung der Ergebnisse (d. h. Änderung der Nutzenfunktion) oder Änderung der besten Alternative zu einer Verhandlungseinigung. In allen Fällen kommt es aber darauf an, daß der Gegner entweder direkt in seiner Einschätzung beeinflußt wird, oder daß er glaubwürdige Informationen erhält, aufgrund derer er die Einschätzung ändert. Dies kann zum einen über Selbstbindungsstrategien (commitment) geschehen (Schaffen vollendeter Tatsachen). Dabei schränkt eine Partei ihren Verhandlungsspielraum unwiederbringlich ein, z. B. indem ein Lieferant in die Verträge seiner Kunden jeweils Meistbegünstigungsklauseln einfügt, so daß er sich jedem seiner Kunden, der einen Preisnachlaß aushandeln will, gegenüber glaubwürdig darauf berufen kann, daß er bei einem Preisnachlaß an einen, allen einen Preisnachlaß gewähren muß, was natürlich einleuchtenderweise nicht wirtschaftlich wäre.135 Im Transportsektor käme hier eine Bindung durch einen globalen Transportversicherungsvertrag mit einem Versicherer in Frage, nach dem Versicherungsschutz nur für bestimmte Haftungskonstellationen und in festgesetzter Höhe gewährt wird, so daß der Versicherungsnehmer keine Transportverträge schließen könnte, die andere Haftungsbestimmungen vorsähen. Commitment-Strategien sind zwar sehr wirkungsvoll136, da sie zu einer tatsächlichen Änderung der Rahmenbedingungen der Verhandlung führen, wirken allerdings eskalationsfördernd, denn wenn die andere Seite nicht darauf eingeht, ist der Weg zu einer Übereinkunft – selbst wenn eine solche im beiderseitigen Interesse 134 135 136

Vgl. dazu Myerson (1994) S. 827, 840. Nalebuff / Brandenburger (1996) S. 177 ff. McMillan (1992) S. 57.

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läge – verschlossen, oder aber die Verhandlungsposition wird durch den Verlust der Glaubwürdigkeit nachhaltig und auch für die Zukunft geschwächt.137 Ähnliches gilt für Drohungen (wohlgemerkt im verhandlungstaktischen Sinn), z. B. mit Verhandlungsabbruch. Eine weitere Möglichkeit, das Verhandlungsergebnis zu beeinflussen, ist – wie schon mehrfach angedeutet – die Einflußnahme auf die Wahrnehmungen und Einschätzungen des Kontrahenten. Dies ist jedoch ein Bereich, der der ökonomischen und verhandlungstheoretischen Analyse nicht mehr zugänglich ist, da diese nur strategische Züge in festen Rahmenbedingungen betrachtet. Die Gestaltung der Rahmenbedingungen ist vornehmlich ein Problem von Wahrnehmungen. Es ist in diesem Zusammenhang also auf psychologische und soziologische Erkenntnisse zurückzugreifen.

VI. Abschließende Bewertung der ökonomischen und spieltheoretischen Erkenntnisse 1. Möglichkeiten und Grenzen ökonomisch-spieltheoretischer Modelle Die ökonomisch-spieltheoretische Analyse ermöglicht es, Verhandlungen logisch zu erfassen und berechenbar zu machen. In vielen Fällen gelingt es, optimale Strategien und damit die Menge möglicher Ergebnisse anzugeben (auch wenn diese noch Wahrscheinlichkeitswerte enthalten können: gemischte Strategie) oder gar ein exaktes Verhandlungsergebnis zu bestimmen.138 Soweit es der ökonomischen Verhandlungstheorie gelingt, realistische Vorhersagen zu machen, besitzt sie „extrem hohe Erklärungskraft“ bei einer geringen Zahl von Annahmen.139 Hier könnte somit grundsätzlich ein Ausgangspunkt für die Auslegung des Rechtsbegriffs ,Aushandeln‘ liegen, denn es kann unter gegebenen Anfangsbedingungen ermittelt werden, was genau ,die ausgehandelte Übereinkunft‘ ist und welche Charakteristik sie besitzt. Allerdings beruhen diese Erkenntnisse auf vielfach vereinfachenden Annahmen.140 Selbst wenn in den meisten Fällen die Anwendung theoretisch auch auf komplexere Sachverhalte möglich ist, so werden doch Grenzen der BerechenbarVgl. Eidenmüller (1999) S. 508 f. In einfach gelagerten (Laborbedingungen) Fällen ist dies nicht nur theoretisch, sondern sogar auch praktisch möglich, vgl. Crott, Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971), 61, 73, wobei sich auch dort die Kenntnis der Spieleigenschaften als entscheidend erweist. Vgl. auch Harsanyi (1977) S. 16 f. 139 Harsanyi (1977) S. 16 (Zitat übersetzt). 140 Vgl. McMillan (1992) S. 51: „Such clean results are, however, artifacts of these models‘ contrived simplicity.“ 137 138

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keit erreicht. Die unzähligen Parameter, die Einfluß auf Nutzenfunktion, Wahrscheinlichkeitsannahmen und damit letztendlich auf das Ergebnis haben, lassen eine Berechnung in der Praxis nicht mehr zu.141 Abgesehen von den erheblichen mathematischen Fähigkeiten, die dafür erforderlich wären, wäre auch nahezu wissenschaftlicher Aufwand bei jeder konkreten Verhandlungssituation zu betreiben. Denn einfache Modelle, in denen die Variablen nur noch mit Daten gefüllt werden müssen, existieren nicht und können aufgrund der Breite möglicher Verhandlungssituationen auch gar nicht in der erforderlichen Genauigkeit existieren. Die chaostheoretische Erkenntnis, daß geringste Abweichungen in den Ausgangswerten zu eminent abweichenden Ergebnissen führen können, gilt auch bei Verhandlungen; auch dort können kleinste Fehler bei der Ermittlung der Ausgangssituation z. B. ein strategisches Gleichgewicht zum Kippen bringen und die Vorhersage damit scheitern lassen. Und da die Vorhersage – zumindest bei den charakteristischen Verhandlungen mit asymmetrischer Informationsverteilung – auf Einschätzungen und Wahrnehmungen beruht, gilt auch hier eine gewisse ,Heisenberg’sche Unschärferelation‘: Die Ermittlung von Wahrnehmungen der Verhandlungspartner gelingt ausschließlich über Kommunikation über diese Wahrnehmungen, wobei dieser Kommunikationsvorgang, der ja ebenfalls über Wahrnehmung erfolgt, die Wahrnehmung – wenn auch evtl. nur geringfügig – beeinflußt. Eine exakte Bestimmung der Anfangsbedingungen ist somit – insbesondere ex ante et ex situatione – unmöglich. Neben diesen systematischen Beschränkungen der Berechenbarkeit existieren aber auch noch rein faktische: Verhandlungspartner sind immer nur Menschen und eine strikte Ausrichtung an Kriterien der ökonomischen Verhandlungstheorie (Rationalitätspostulate 142) fällt – wie im folgenden noch näher zu untersuchen sein wird – Menschen vielfach schwer.143 So haben empirische Tests an relativ einfachen und prinzipiell durchschaubaren Fallstudien gezeigt, daß selbst unter Absolventen führender amerikanischer MBA-Programme nur wenige in der Lage waren, fallbezogen richtig zu entscheiden,144 und daß selbst bei 20facher Wiederholung kaum ein Unterschied erkennbar war.145 Selbst Experten sind nicht vor psychologischen Wahrnehmungsverzerrungen gefeit.146

Vgl. schon Simon (1957) S. 241 ff.; Harsanyi (1977) S. 17. Harsanyi (1977) S. 116 ff. 143 Die Spieltheorie bezieht sich nicht darauf, wie „erring folks like you and me actually behave, but in how we should behave if we were smarter, thought harder, were more consistent, were all knowing“ Raiffa (1982) S. 21; Harsanyi (1977) S. 17; Tversky (1996) S. 5 ff. (17 f.) zeigt auf, daß die Postulate ,Unabhängigkeit von der Darstellungsweise‘, ,Unabhängigkeit von der Verfahrensweise der Entscheidungsfindung‘ und ,Unabhängigkeit vom Kontext bzw. weiteren Alternativen‘ nicht erfüllt werden. 144 Neale / Bazerman (1991) S. 70 ff. (m. w. N.); vgl. auch Tversky (1996) S. 7 f. 145 Neale / Bazerman (1991) S. 84 ff. (m. w. N.). 146 Tversky (1996) S. 8; Neale / Bazerman (1991) S. 48 f. (m. w. N.). 141 142

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Außerdem fällt die Berechnung schwer, weil häufig gar keine mathematisch verwertbaren Daten vorliegen, sondern Intuitionen147 oder unvollständige oder gar widersprüchliche148 Einschätzungen sowie lückenhafte Informationen.149

2. Aussagen anhand der Sachstrukturen zur Auslegung des Begriffs des Aushandelns Nun ist für eine Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ unter ökonomisch-spieltheoretischem Gesichtspunkt nicht die konkrete Vorhersagbarkeit jedes einzelnen Verhandlungsergebnisses erforderlich. Auch wenn man sich von der – schon aus der Lebenserfahrung heraus utopischen150 – Vorstellung trennen muß, mittels der Spieltheorie eine mathematische Formel für den Begriff ,ausgehandelt‘ zu finden, so sind doch viele Erkenntnisse über die Charakteristik des Verhandelns und somit einer ausgehandelten Übereinkunft weiterhin von Interesse für das Verständnis des in §§ 446, 466 HGB angeordneten Interessenausgleichsmechanismus ,Aushandeln‘. Ein beträchtlicher „heuristischer Wert“ ist diesem Ansatz nämlich auf keinen Fall abzusprechen, da selbst irrationales Verhalten sich zumeist auch an einigen Normen der Rationalität ausrichtet.151 So erschließt sich z. B. die Bedeutung von relativer Risikobereitschaft und Zeitdruck.

a) Effizienz Vor dem Hintergrund der objektiven ratio legis wurde die Anforderung der Effizienz an das Aushandeln gestellt.152 In diesem Zusammenhang erlangt die Bedeutung von Informationen im Verhandlungsprozeß Relevanz: Das Er- oder Übermit147 Vgl. dazu Neale / Bazerman (1991) S. 19 u. Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 92. 148 Siehe Biswas (1997) S. 5 ff. 149 Simon (1957) S. 246 f. nennt z. B. eine vereinfachte Nutzenfunktion, die nur die drei Werte „schlechtes“, „gleichgültiges“, „gutes Ergebnis“ hat, weil Menschen oft jeweils nur mit einer Alternative konfrontiert werden (ein Gebrauchtwagenverkäufer erhält nur ein Angebot von einem Interessenten; nur wenn er dies ausschlägt, wird er evtl. ein weiteres von einem anderen Kunden erhalten) und diese Alternative anhand ihrer vorherigen Vorstellungen bewerten. (Der Gebrauchtwagenhändler möchte 10.000 A erzielen, ein Angebot von 9.000 A ist dann „schlecht“, ein Angebot von 12.000 A „gut“, genauso wie ein Angebot von 20.000 A – Zwar kann der Händler angeben, daß ihm 20.000 A lieber als 12.000 A sind, angesichts eines einzigen Angebots fällt ihm diese – dann abstrakte – Bewertung allerdings schwer.) Vgl. auch Tversky (1996) S. 17. 150 . . . auch wenn die ökonomische und spieltheoretische Forschung sich um immer feinere und praxisnähere Modelle bemüht, die immer komplexeren Lebenssachverhalten Rechnung tragen . . . 151 Harsanyi (1977) S. 17 f. 152 Siehe oben § 8 II. 3., S. 147.

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teln von glaubhaften Informationen ist teuer und schränkt somit die Effizienz des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ ein. Weiterhin kann das Aushandeln bei asymmetrischer Informationsverteilung gar nicht garantieren, daß beidseitig nützliche Übereinkünfte erzielt werden, selbst wenn die Voraussetzungen dafür objektiv vorliegen. Außerdem steigt die Wahrscheinlichkeit, daß nur in objektiv ungünstigeren Fällen eine Übereinkunft erzielt wird.

b) Sachgerechtigkeit Ferner wurde als objektiver Gesetzeszweck die Gewährleistung sachgerechter Vereinbarungen ermittelt.153 Auffällig erscheint, daß in keinem Modell Sachüberlegungen eine Rolle spielen. Außerdem wurde gezeigt, daß die in der Verhandlung verfolgten Interessen nicht nur rein auf den Inhalt des Verhandlungsergebnisses bezogen sind, sondern auch auf den Verhandlungsverlauf. So zeigen z. B. unterschiedliche Verhandlungskosten deutliche Einflüsse auf das Verhandlungsergebnis; Rubinstein weist sogar nach, daß das Ergebnis ausschließlich vom Verhältnis der Verhandlungskosten bestimmt sein kann. Es wird dabei zwar auch Sachzwängen gerecht. Dabei handelt es sich jedoch um Sachzwänge, die mit dem Verhandlungsgegenstand nichts zu tun haben. Auch wenn es rational ist, sich diesen Sachzwängen zu unterwerfen, ändert dies nichts daran, daß das Verhandlungsergebnis nicht zwingend auch dem Verhandlungsgegenstand (also der Sache, um die es eigentlich geht) gerecht wird. Dies stützt die oben schon begrifflich aus der Verhandlungsdefinition abgeleiteten Erwägungen154 und untermauert, daß Verhandlungen aus ökonomischer / spieltheoretischer Sicht keine sachgerechte Lösung des Interessenkonflikts garantieren können. Dies könnte im Widerspruch zur normativ ermittelten ratio legis stehen: Der Gesetzgeber wollte ausdrücklich155 nicht an eine Inhaltskontrolle anknüpfen, aber dennoch angemessene Vertragsbedingungen gewährleisten. Dann muß der Prozeß des Verhandelns genau das sicherstellen, was sonst durch eine Inhaltskontrolle gewährleistet würde, nämlich die inhaltliche Angemessenheit. Wenn aber auch der Prozeß des Verhandelns keinerlei Bezug zu der zu regelnden Sachlage hat, ist die Sachangemessenheit des Ergebnisses nicht schon durch den Mechanismus ,Verhandlung‘ an sich sichergestellt. Da das Ergebnis einer Verhandlung unter ökonomisch-spieltheoretischem Blickwinkel nur von der fixen Ausgangssituation und den Interessen (niedergelegt in der Nutzenfunktion) der Parteien abhängt, kann die inhaltliche Angemessenheit des Verhandlungsergebnisses nur über die Berücksichtigung der (für die Parteien subjektiv) relevanten Sachaspekte bei der Bestim-

Siehe oben § 8 II. 4., S. 149. Siehe oben § 9 I. 3., S. 156. 155 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (r. Sp.). 153 154

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mung ihrer Interessen (Meinungsbildung) garantiert werden. Dies setzt aber einen hinreichenden Informationsstand voraus. Das Verhandeln müßte also zu einer hinreichenden Information der Parteien führen. Die ökonomisch-spieltheoretische Analyse hat jedoch ergeben, daß dies nicht der Fall ist, sondern daß Verhandlungen im Gegenteil auf Beeinflussung der Einschätzung des Gegners von der Sachlage aufbauen. Vor dem Hintergrund der ökonomisch-spieltheoretischen Verhandlungsmodelle widerspricht der objektive Gesetzeszweck, sachgerechte Ergebnisse sicherzustellen, den Sachstrukturen. Dies folgt daraus, daß die Berücksichtigung von Sachaspekten nicht im Verhandlungsmechanismus angelegt ist. Es ist lediglich eine Förderung der Sachgerechtigkeit denkbar auf dem Gebiet der Informationen. Die Berücksichtigung von Informationen ist in den untersuchten Modellen im Verhandlungsmechanismus angelegt. Als second best Lösung könnte somit nur der Zweck verfolgt werden, die Informationsbasis der Beteiligten zu verbessern. Da Verhandlungen an sich jedoch nicht zu einer Verbesserung der Informationsbasis führen, wäre in dieser Hinsicht ein normativer Eingriff in die Sachstrukturen, z. B. durch Etablierung bestimmter Informationspflichten, notwendig.

c) Privatautonomie Die soeben unter b) dargestellte Problematik, daß die Kenntnis der entscheidungserheblichen Informationen durch den Verhandlungsmechanismus nicht sichergestellt wird, bedeutet auch eine Verminderung der Fähigkeit zur Selbstverantwortlichkeit bei der Vertragsschlußentscheidung. Zwar entscheiden sich die Vertragsschließenden frei von äußerem Zwang für die konkrete vertragliche Vereinbarung. Der Grad an Selbstverwirklichung in dieser Entscheidung ist jedoch gering, solange sie auf falscher Tatsachenbasis oder zumindest bei fehlender Information stattfindet. Der Mechanismus ,Verhandlung‘ eröffnet den Verhandelnden auch keine Möglichkeit, ihre Informationslage zu verbessern. Wenn Verhandeln aber typischerweise nur eine lückenhafte Informationsbasis schafft, stellt es nicht sicher, daß sich die Parteien für die ihren Interessen am besten gerecht werdende Lösung entscheiden. Ein derart vermindertes Maß an Selbstbestimmung ist jedoch weniger schutzwürdig – wie die Selbstbestimmung des Minderjährigen, dem unterstellt wird, er könne die Folgen seiner rechtsgeschäftlichen Entscheidung nicht sachgerecht abwägen.156 Des weiteren zeigt die ökonomische / spieltheoretische Analyse, daß Selbstbestimmung im Verhandlungsprozeß (hier verstanden als das Treffen von Entscheidungen, d. h. das Abgeben, Annehmen oder Ablehnen von Angeboten) gar keine 156 Wenn die Folgen keinerlei rechtliche Nachteile bringen können, endigt dieser Schutz bei beschränkt Geschäftsfähigen, § 107 BGB. Dies unterstreicht, daß es lediglich auf die fehlende Möglichkeit der Beurteilung der Folgen ankommt. Vgl. auch Wolf (1970) S. 115.

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Rolle spielt – und daß die verhandlungsmächtigere Seite einen Großteil des durch die Übereinkunft erzielten wirtschaftlichen Gewinns erhält. Das Verhandlungsergebnis ergibt sich nämlich als logisch-mathematische Konsequenz aus den von den Parteien unbeeinflußbaren Umständen. Dies zeigt sich auch deutlich an der Tatsache, daß jeder Verhandlungsmechanismus durch einen direkten Mediationsmechanismus ersetzt werden kann, ohne daß sich am Ergebnis etwas ändert.157 In diesem Fall geben die Parteien ihre Informationen an einen neutralen ,Mediator‘ weiter, der die optimale Lösung bestimmt. Ein Ergebnis, bei dem ein strategisches Gleichgewicht158 in einer Verhandlung erreicht wird, kann somit auch durch Intervention eines Dritten erzielt werden, wobei dann auf der Hand liegt, daß dieses Ergebnis, das schließlich ein Außenstehender errechnet, nicht aus der freien Selbstverwirklichung der Parteien erwachsen ist. Die Selbstbestimmung könnte lediglich bei der Festlegung der individuellen Nutzenfunktion159 verwirklicht werden. Die Nutzenfunktion kann bildhaft als Rangliste aller hypothetisch möglichen Verhandlungsergebnisse betrachtet werden. Um sie zu ermitteln, wird also (ebenfalls bildhaft) jeweils – selbstbestimmt, d. h. nur in Abhängigkeit vom eigenen Willen und der eigenen Wertung – entschieden, ob (und strenggenommen auch um wieviel) ein potentielles Ergebnis im Verhältnis zu einem anderen Ergebnis höher, niedriger oder gleich bewertet wird. In der Nutzenfunktion realisiert sich also die Selbstbestimmung. Ist diese Funktion aber einmal festgelegt, so kann sie nicht bewußt und final160 von der Partei verändert werden, um Einfluß auf den Verhandlungsablauf zu nehmen.161 Eine verhandlungstaktische Wahl der eigenen Nutzenfunktion ist denknotwendig ausgeschlossen, weil das Ergebnis der Verhandlung stets nur an der Nutzenfunktion gemessen werden kann, die auch den Verhandlungen zugrundegelegt wurde. Könnte der Verhandelnde das Ergebnis frei bestimmen, fiele die Wahl auf das Ergebnis, bei dem die Nutzenfunktion ihr Maximum hat (d. h. das oberste Ergebnis auf der Rangliste). Tritt der Konfliktfall ein, daß das Ergebnis von der Akzeptanz eines anderen abhängt, dessen Nutzenfunktion nicht mit der eigenen parallel läuft, so wird von den möglichen Ergebnissen, die der jeweilige Gegner akzeptiert (weil die Selbstbestimmung des einen ihre Grenze an der Selbstbestimmung des anderen Sog. revelation principle (siehe dazu unten bei Fn. 130, S. 185). Niemand kann eine andere Strategie verfolgen, um damit einseitig sein Ergebnis zu verbessern. 159 Siehe oben S. 166 f. unter I. Rationalitätsannahme und Nutzenfunktion. 160 Selbstverständlich kann sich die Nutzenfunktion ändern, wenn der Verhandelnde seine Einschätzungen revidiert. 161 Es wäre z. B. hypothetisch denkbar, daß ein Ergebnis, das nach der ,echten‘ Nutzenfunktion vorgezogen wird, aber in einer Verhandlung mit einem Dritten nicht erzielbar ist, in dieser Verhandlung sehr wohl erreicht würde, wenn von einer anderen eigenen Nutzenfunktion ausgegangen würde. 157 158

13 Pfeiffer

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findet), wechselseitig dasjenige gewählt, bei dem der eigene Nutzen am größten ist. Diesen Mechanismus setzen auch die spieltheoretischen Modelle um. Insoweit vermögen sie also die Privatautonomie der Parteien umzusetzen. Existiert aber – wie in den meisten Fällen – eine Differenz zwischen den Minimalforderungen der Parteien, also ein Einigungsbereich, so läßt sich eine konkrete Lösung aus dem Konzept der wechselseitigen privatautonomen Wahl der Maximalforderung, die der Gegner noch akzeptiert, nicht ableiten. An dieser Stelle geben die spieltheoretischen Modelle dennoch eine Entscheidung für exakt ein Ergebnis vor. Auf die Auswahl dieses konkreten von verschiedenen möglichen Ergebnisse haben die Parteien keinerlei (privatautonomen) Einfluß. Es wird somit ein Interessenausgleich nicht dadurch erzielt, daß die entgegenstehenden Interessen von den Parteien abgeschliffen werden162, indem sie Zugeständnisse machen oder erwirken. Der Mechanismus ,Verhandlung‘ gibt beim spieltheoretischen Verhandlungsmodell das Ergebnis vielmehr vor. Es ist also vorherbestimmt, wieviel von den Interessen auf den einzelnen Seiten abgeschliffen wird. Die spieltheoretischen Modelle nehmen somit in Anspruch, eine richtige Konkordanzentscheidung treffen zu können, d. h. deren Maßstab festzulegen. Im Ergebnis hieße das, daß die spieltheoretischen Modelle in der Lage wären, Kriterien für die objektive Tauschgerechtigkeit anzugeben, nämlich den Punkt, an dem die Interessen beider Parteien in gleichem Maße verwirklicht werden. Die Lösung der spieltheoretischen Modelle beruht ausschließlich auf dem zugrundeliegenden Axiomensystem. Erscheinen auch die einzelnen Axiome durchweg als einleuchtend, ergibt sich ihre Bestätigung und Rechtfertigung jedoch wiederum nur aus den konkreten Ergebnissen, die sie generieren, ohne daß dabei das Axiomensystem auf seinen Gerechtigkeitsgehalt oder gar auf seine Stimmigkeit tatsächlich juristisch bzw. sozialwissenschaftlich analysiert wurde. Es ist somit unbelegt, daß die spieltheoretischen Modelle geeignet sind, eine Konkordanz zwischen den Rechten der Parteien auf Selbstbestimmung herzustellen und daß deren Ergebnisse somit auf beiderseitiger Selbstbestimmung beruhen. Die spieltheoretischen Modelle beschreiben weniger die Sachstrukturen, als daß sie ein Verhandeln nach eigenen (axiomatischen) Vorgaben modellieren, dessen Übereinstimmung mit dem tatsächlichen Verhandeln unbewiesen ist. d) Erkenntniswert nur unter Vorbehalt der Übernahme der Prämissen Aussagen über die Sachstrukturen des Verhandelns können aus den spieltheoretischen Modellen somit nur unter dem Vorbehalt gewonnen werden, daß auch die Prämissen dieser Modelle übernommen werden. Es kann jedoch festgestellt werden, daß zumindest der (hypothetische) rational-ökonomische Mensch, dem diese Prämissen quasi auf den Leib geschneidert sind, in Verhandlungen mit seinesglei162

Bydlinski (1967) S. 62.

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chen weder ein besonderes Maß an Selbstbestimmung verwirklicht, noch mit hinreichender Sicherheit zu sachgerechten und effizienten Ergebnissen kommt. Zur Verfolgung derartiger Ziele wären somit normative Vorgaben erforderlich, die modifizierend in die Sachstruktur des Verhandelns eingreifen. Es ist anzunehmen, daß dies erst recht für nicht rational-ökonomisch agierende Verhandelnde gilt. Die Prämissen sind dabei weder aus anerkannten normativen Anforderungen (Verfassung) gewonnen noch ist erwiesen, daß sie mit der sozialen Wirklichkeit des Verhandelns übereinstimmen. Dies kann die Spieltheorie nicht bieten und es ist überaus zweifelhaft, ob sich menschliches Verhandlungsverhalten tatsächlich in konkreten Einzelfällen mittels eines derartigen mathematischen Systems modellieren läßt. Der soziale Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘, auf den das Gesetz im Rahmen der §§ 449, 466 HGB abstellt, ist daher von einem anderen Blickwinkel zu untersuchen, wenn man die Sachstrukturen des Verhandelns zur juristischen Auslegung heranziehen möchte. Dazu bietet sich der empirische Blickwinkel der sozialpsychologischen Verhandlungsforschung an. Wie oben schon festgestellt, kommt Einschätzungen und Wahrnehmungen im Standardfall der Verhandlung mit asymmetrischer Informationsverteilung eine entscheidende Bedeutung zu. Ferner können bei nicht-axiomatischer Beschreibung des Verhandelns evtl. eigene Regelund Gesetzmäßigkeiten des Verhandlungsverhaltens aufgedeckt werden. Dies könnte weitere Aufschlüsse über die Charakteristik des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ ermöglichen und evtl. Anhaltspunkte für eine Auslegung im Hinblick auf die Natur der Sache ergeben.

§ 11 Verhandeln aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht I. Subjektives Verhandlungsmodell Wie soeben festgestellt, spielen Wahrnehmung und Bewertung in Verhandlungen eine entscheidende Rolle, die die Sachstrukturen, d. h. Ablauf und Ergebnis von Verhandlungen weitaus mehr prägen als Strategien und objektive Umstände – schon allein weil diese objektiven Umstände zunächst wahrgenommen und bewertet werden müssen, bevor sie das Verhandlungsverhalten beeinflussen können. So vermochte die frühe sozialpsychologische Verhandlungsforschung keinen relevanten Einfluß individueller objektiver Umstände der Verhandelnden wie Charakter, Geschlecht, Persönlichkeit und den persönlichen Umständen auf das Verhandlungsergebnis nachzuweisen.163 Die ermittelten Unterschiede wurden schon durch leichteste Änderungen der äußeren Umstände überdeckt, eliminiert oder gar in ihrer Wirkung invertiert.164 Auf diese äußeren, situativen Unterschiede – die im 163

13*

Bazerman, Curhan, Moore (2001) S. 197 (m. w. N.).

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übrigen auch von der ökonomisch-spieltheoretischen Verhandlungstheorie als bestimmend angesehen wurden – konzentrierte sich eine weitere Linie der empirischen Verhandlungsforschung.165 Auch die daraus resultierenden Ergebnisse erwiesen sich als wenig fruchtbar, da hier ebenfalls der Einfluß der Wahrnehmung der Situation durch die Parteien unberücksichtigt blieb.166 Aufgrund ihrer Wahrnehmung von der Verhandlungssituation bilden die Verhandlungspartner nämlich interagierend ein inneres, mentales Modell von der Wirklichkeit,167 also ein subjektives, mentales Konstrukt. Die effektive Verhandlungssituation, in der die Verhandelnden ihre Entscheidungen treffen,168 ist somit nicht exogen gegeben – wie von den spieltheoretischen Modellen vorausgesetzt. Sie wird vielmehr von den Parteien selbst aus den objektiven Rahmenbedingungen (bzw. der Ausgangssituation), ihren Wahrnehmungen davon und Interaktion erzeugt.169 Gerade weil beide Verhandlungspartner die gleichen äußeren Umstände wahrnehmen und darüber in Interaktion treten – damit also zusammen auf die Verhandlungssituation einwirken170 –, zeigen deren mentalen Modelle der Verhandlungssituation die Tendenz zur Konvergenz.171 Die effektive Verhandlungssituation wird somit durch das gemeinsame Verständnis der Situation172 erzeugt bzw. definiert.173 In Fällen, in denen es nicht zur Herausbildung eines gemeinsamen Ebd. (Fn. 163). Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 281; zu einer Synopse einer großen Zahl von Ergebnissen zu situativen und individuellen Faktoren Lamm (1975). 166 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 198. 167 Als kognitiver Repräsentation der erwarteten Verhandlung; vgl. Johnson-Laird (1983) S. 397 u. 419. 168 Simon (1957) S. 242; Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 287; Halpern (1998) S. 219. 169 Nalebuff / Brandenburger (1996) S. 64; Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 287, die auch darauf hinweisen, daß die Beeinflussung der Realität durch innere Wirklichkeiten in der psychologischen Literatur hinlänglich dokumentiert seien (vgl. self-fullfilling prophecies) [m. w. N.]. 170 Vgl. dazu auch Friedman (1994) S. 14, in dessen „dramatischem Modell“ die ,Schauspieler‘ (im Sinne von Verhandlungsführer) sowohl die ,Zuschauer‘ (im Sinne von denen, gegenüber denen der Verhandlungsführer seine Rolle spielt, also z. B. dem Gegner) beeinflussen als auch selbst von ihnen beeinflußt werden. 171 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 289. 172 Vgl. dazu auch Friedman (1994) S. 15 und Halpern (1998) S. 219 f. („shared judgements and understandings“, S. 221). 173 Dies belegt eine Untersuchung mit dem Ergebnis, daß sich die wahrgenommenen Rahmen der Verhandlung gegenseitig beeinflussen und konvergieren, wobei diese Rahmen wieder die Ergebnisse und die Zufriedenheit mit diesen Ergebnissen beeinflussen (Pinkley / Northkraft, Academy of Management Journal 37 (1994) S. 193, 199 ff. insb. S. 201). Ebenfalls wurde gezeigt, daß die Sichtweise der Verhandlung in einem negativen Kontext (Verluste) von der anderen Seite übernommen wird (Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 290). 164 165

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Verständnisses der Verhandlungssituation kommt – egal wie dieses auch geartet ist (kooperativ oder kompetitiv), ereignen sich viel häufiger Verhandlungsabbrüche oder ungünstige Ergebnisse.174 Die Sachstrukturen des Verhandelns sind somit nicht objektiv faßbar, sondern nur vor dem Hintergrund, daß die effektive Verhandlungssituation eine subjektive ist, die in den Köpfen der Verhandelnden erzeugt wird.175 Aussagen über die Sachstrukturen sind nur auf der Basis dieser effektiven Verhandlungssituation zu treffen. Diese hängt maßgeblich von der Wahrnehmung der Parteien ab. Die Charakteristik von menschlicher Wahrnehmung und Entscheidungsfindung in Verhandlungssituationen soll im folgenden untersucht werden (II.). Dies ist im Hinblick darauf bedeutend, daß die Anerkennung der Privatautonomie auf der Grundannahme eines prinzipiell rationalen Bürgers beruht, der seine Verhältnisse grundsätzlich selbst am besten (d. h. am interessen- und sachgerechtesten) zu gestalten in der Lage ist. Die freie Regelung der eigenen Verhältnisse wird dabei nur anerkannt, weil dadurch im Grundsatz (abgesehen von Ausnahmen) sachgerechte Ergebnisse zustande kommen – darum wird die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung des Geschäftsunfähigen bzw. beschränkt Geschäftsfähigen weniger geachtet.176 Wenn die Selbstbestimmung nun ausdrücklich durch Verhandlungen ausgeübt werden soll, muß das Verhandeln in der sozialen Wirklichkeit zumindest strukturell die Gewähr für Sachgerechtigkeit und Effizienz bieten. Auch diesem Aspekt soll im folgenden Beachtung geschenkt werden. Ergeben sich dabei systematische Abweichungen von Sachgerechtigkeitsaspekten oder systematische Abstriche von der Selbstbestimmung und Manipulationsmöglichkeiten oder leidet die Effizienz des Konfliktlösungsmechanismus, so kann eine juristische Auslegung des Aushandelnsbegriffs die Augen davor nicht verschließen.177 Des weiteren sollen empirisch ermittelte Regel- und Gesetzmäßigkeiten des Verhandelns dargestellt werden (IV.). Diese sozialen Normen mit Bezug zum Verhandlungsprozeß könnten als eine den Sachstrukturen innewohnende eigene Ordnung evtl. Schlüsse aus der Natur der Sache ermöglichen.

174 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 291. Vgl. auch Halpern (1998) S. 224 f., nach der Verhandlungen erst durch gemeinsame Sichtweisen der Verhandlungssituation ermöglicht werden. 175 Pinkley / Northcraft, Academy of Management Journal 37 (1994) S. 193; vgl. auch Johnson-Laird (1983) S. 407; Halpern (1998) S. 219 u. insb. 222, 224 f. spricht von „Personalisierung (personalization)“. 176 Vgl. Wolf (1970) S. 115. 177 Vgl. Fleischer (2001) S. 116: „Sollten Studien die bislang nur spärlich belegte Hypothese stützen, daß bei bestimmten Entscheidungsprozessen mit Verhaltensanomalien zu rechnen ist, muß sich das Vertragsrecht fragen, ob es angezeigt ist, den Einzelnen . . . vor den Folgen seiner Irrationalität zu schützen [m. w. N.].“

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II. Wahrnehmung und Entscheidungsfindung in Verhandlungssituationen und ihre Auswirkung auf die Rationalität in Verhandlungen Wie schon bei der spieltheoretischen Analyse des Verhandelns festgestellt, kommt den Informationen über die wesentlichen Faktoren der Verhandlung eine besondere Bedeutung zu. Diese Informationen erreichen den Verhandelnden im Wege der (menschlichen) Wahrnehmung. Diese Wahrnehmung von Informationen über die Verhandlungssituation im weitesten Sinne entscheidet somit über das Verhalten des Menschen und beeinflußt seine Entscheidungsfindung. Somit ist die Analyse der Wahrnehmung in Verhandlungssituationen ein Schlüssel zum Verständnis der Verhandlung an sich. Letztendlich hängt auch der Begriff ,ausgehandelt‘ von der Entscheidungsfindung in Verhandlungssituationen ab. Im folgenden soll die Frage ausgespart werden, wie der tatsächlichen Verhandlungssituation, d. h. den Fakten, grundsätzlich ein Informationsgehalt abgewonnen wird. Dies ist eher eine Frage der individuellen intellektuellen Fähigkeiten178 des Verhandelnden und evtl. auch eine Frage der Strategie. An dieser Stelle geht es vielmehr darum, wie bei der Verarbeitung dieses Informationsgehalts Abweichungen von der Rationalität (auf der die ökonomischen / spieltheoretischen Modelle aufbauen) auftreten können, die das Ergebnis der Verhandlung – also das Aushandeln – zu beeinflussen vermögen. Derartige Einflüsse können sich sowohl aus der psychologischen Charakteristik der Wahrnehmung als auch aus der Verhandlungssituation an sich ergeben.

1. Grundsätzliche Verzerrungen menschlicher Wahrnehmung mit Relevanz in Verhandlungen Menschen werten die verfügbaren Informationen grundsätzlich nicht vollständig aus,179 sondern wenden – im Grundsatz nützliche und sinnvolle – heuristische Prinzipien an, um Einschätzungen über unbekannte Faktoren und Wahrscheinlichkeiten zu vereinfachen.180 Diese sind im wesentlichen das Prinzip der Repräsentativität, der gedanklichen Verfügbarkeit und des Verankerns des Urteils an irrelevanten Informationen. Neben diesen unmotivierten Faktoren existieren auch Beeinflussungen der Wahrnehmung, die durch eigene Erwartungen und Wünsche motiviert sind. Aber nicht alle wahrnehmungsverzerrenden Faktoren können mit der Vereinfachungsfunktion (also in gewisser Weise rational) begründet werden. Für einige Vgl. schon Simon (1957) S. 242; Neale / Bazerman (1991) S. 43. Simon (1957) S. 242. 180 Tversky / Kahneman, Science 185 (1974) S. 1124; Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 90. 178 179

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Verzerrungsfaktoren ist die menschliche Wahrnehmung an sich anfällig, wie das einfache Beispiel optischer Täuschungen (die keine ,Funktion‘ haben) beweist. – Anstatt nur die zwei Strecken, auf die es ankommt, zu betrachten, werden zusätzliche und überflüssige Informationen, die Pfeilspitzen, bei der Einschätzung berücksichtigt.181 Informationen dienen somit nicht nur als sachliche Basis für die Entscheidungsfindung, sondern können sich auch über ihren sachlich-rational zu berücksichtigenden Gehalt auf die ausgehandelte Übereinkunft auswirken. Die Art dieser Auswirkungen soll im folgenden betrachtet werden.

Beide Strecken sind gleich lang . . .

a) Prinzip der Repräsentativität (representativeness) Ein recht allgemeiner wahrnehmungsverzerrender Faktor ist, daß die Einschätzung, ob etwas die Folge einer Handlung ist oder ob etwas zu einer bestimmten Kategorie etc. gehört, zumeist darauf gestützt wird, wie sehr dieses ,Etwas‘ dem stereotypischen Bild der Folge dieser Handlung oder der bestimmten Kategorie entspricht.182 Besonders relevant für die Verhandlungssituation sind die Illusion der Vorhersagbarkeit und Validität der Vorhersage, die insbesondere in Verhandlungen über die Risikoverteilung gefährlich werden können. Auch wenn bestimmte Informationen keine begründete Aussage ermöglichen, so werden dennoch Aussagen auf sie gegründet (insensitivity to predictability), indem auf die stereotypischen Implikationen der Aussage abgestellt wird. Wenn die Übereinstimmung der Informationen mit dem Stereotyp hoch ist, dann wird die Einschätzung auch in hohem Maße für valide gehalten, selbst wenn das Bewußtsein einer unzureichenden Informationslage vorhanden ist (illusion of validity).183 Der Informationsgehalt der VerhandVgl. Tversky (1996) S. 12 ff., 17. So kümmern sich Menschen z. B. bei der experimentellen Einschätzung, ob jemand mit bestimmten beschriebenen Eigenschaften Jurist oder Ingenieur ist nicht darum, ob laut Versuchsanweisung 70% der beschriebenen Personen Juristen und 30% Ingenieure sind oder umgekehrt und verletzen damit die Bayes’sche Regel. Genauso setzen Roulettespieler vermehrt auf Rot, wenn zuvor eine längere Serie Schwarz beobachtet wurde, weil dies dem Stereotyp von Wahrscheinlichkeit (beide Farben müssen gleich oft erscheinen) entspricht, obwohl die Wahrscheinlichkeit nicht durch die vormaligen Ergebnisse beeinflußt wird. (Tversky / Kahneman, Science 185 (1974) S. 1124 f.). 183 Tversky / Kahneman, Science 185 (1974) S. 1126: Es sollte eine Einschätzung der Lehrerstellung fünf Jahre nach einer einzigen Teststunde eines Referendars [sinngemäß übersetzt], die die alleinige Basis für die Entscheidung bildete, abgegeben werden. Eine derartige Beurteilung ist sinnvoll kaum möglich, aber dennoch gaben die Probanden eine Einschätzung ab, die deutlich von der Qualität der Teststunde abhing. 181 182

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lungssituation (und des Verhaltens des Kontrahenten) kann somit systematisch verkannt werden. Diese Fehleinschätzungen können dann – insbesondere im Zusammenspiel mit weiteren wahrnehmungsverzerrenden Faktoren – zu ein- oder beidseitig suboptimalen Ergebnissen oder sogar einem Verhandlungsabbruch führen. Ferner beeinträchtigen sie strukturell die Grundlage für sachgerechte privatautonome Entscheidungen. Außerdem kann der Lernprozeß des Verhandelnden beeinträchtigt werden, was die Verbesserung seiner Entscheidungsfindung behindert.184

b) Prinzip der gedanklichen Verfügbarkeit (availability) Das Prinzip der gedanklichen Verfügbarkeit bewirkt, daß Einschätzungen von Wahrscheinlichkeiten, Häufigkeiten und Korrelationen sich daran orientieren, wie viele (und wie eindrückliche) Vergleichsfälle das Gedächtnis hergibt bzw. wie leicht derartige ,Vergleichsfälle‘ gedanklich konstruiert werden können.185 Auch verändert sich die Einschätzung in Abhängigkeit von der Vorstellbarkeit: Sind für eine Annahme mehr praktische Beispiele vorstellbar als für eine andere, so wird sie für wahrscheinlicher gehalten. Dies gilt auch, wenn zur Bestätigungen einer bestimmten Annahme einfachere Algorithmen bestehen als für eine andere.186 Es werden ferner nicht bestehende Zusammenhänge angenommen, weil sie vor dem Hintergrund von gedanklich verfügbarer Erfahrung als plausibel erscheinen.187 Auch durch die Art und Weise der Informationsvermittlung genauso wie durch die Auswahl der Informationen, auf die die Aufmerksamkeit des Kontrahenten gelenkt wird, wird die Einschätzung des Gegners von Alternativen und Konsequenzen verschiedener Aktionen beeinflußbar, so daß auch eine Manipulation des Ergebnisses (zumindest in gewisser Weise) denkbar ist.188 Verhandelnde laufen also Gefahr, unwahrscheinliche Dinge für wahrscheinlicher zu halten als sie tatsächlich sind, was in Verbindung mit den Risikopräferenzen einen entscheidenden Einfluß auf die von ihnen angestrebte Risikoverteilung bzw. ihre Bewertung des Erwartungswerts des Risikos haben kann. Gerade wenn es um das Aushandeln von Haftungsbedingungen geht, die an relativ unwahrscheinliche Haftungsfälle anknüpfen, kann das Verhandeln hier zu von der Sachgerechtigkeit abweichenden Ergebnissen führen.

Vgl. Neale / Bazerman (1991) S. 56. So wird z. B. die Wahrscheinlichkeit von Unfällen höher eingeschätzt, nachdem ein Unfall beobachtet wurde oder die Presse darüber ausführlich berichtete; Neale / Bazerman (1991) S. 51. Vgl. auch Tversky / Kahneman, Science 185 (1974) S. 1127 f. 186 Ebd. (Fn. 185). 187 Beachte insb. auch die mögliche Wechselwirkung mit dem oben unter a) (S. 199) beschriebenen Effekt der Repräsentativität. 188 Neale / Bazerman (1991) S. 52. 184 185

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c) Ignorieren von die eigene Einschätzung widerlegenden Anhaltspunkten Als Annex zu den zuvor beschriebenen Beeinflussungen der Wahrnehmung ist ein weiteres Phänomen von Bedeutung: Menschen tendieren dazu, nur bestätigende Beweise für ihre Einschätzungen zu ermitteln, zu akzeptieren und zu erinnern sowie widerlegende Beweise auszublenden.189 Um die zur Verfügung stehenden Informationen richtig einzuschätzen oder um einen eigenen Vertragsentwurf zu evaluieren, müßte nämlich nach widerlegenden Aspekten gesucht werden, um zu prüfen, ob die eigene Einschätzung dem standhält. Weil dies nicht geschieht, sondern im Gegenteil nur bestätigende Beweise wahrgenommen werden, werden die oben beschriebenen Wahrnehmungsverzerrungen samt ihren negativen Effekten auf Verhandlungen verstärkt. Zusätzlich werden die Verhandelnden unflexibler, weil sie von ihrer ursprünglich gebildeten Einschätzung der Verhandlungssituation samt der dazu passenden Strategie auch dann nicht abweichen, wenn diese Einschätzung sich tatsächlich als falsch erweist oder sich die Umstände während der Verhandlung ändern. Dies liegt daran, daß sie die die eigene Einschätzung widerlegenden Anhaltspunkte ignorieren und die ursprüngliche Position durch alles, was bestätigend ausgelegt werden kann, untermauern.190 Sollte die Entscheidung erwartungsgemäß eigentlich sachgerechter werden, wenn mehr Informationen zur Verfügung stehen, so ergibt sich daraus hier gar ein gegenteiliger Effekt191: Das Verbreitern der mittels Wahrnehmung zu verarbeitenden Informationsbasis kann sowohl die Einschätzungen als auch die Erwartungen der Parteien beeinträchtigen, weil teilweise nur der die eigene Ansicht bestätigende Gehalt der Zusatzinformationen beachtet wird. Die Ineffizienz-Faktoren, die eine asymmetrische Informationsverteilung verursacht, werden also nur gegen neue Ineffizienz-Faktoren ausgetauscht.192 Auch dies beeinflußt die Sachgerechtigkeit ausgehandelter Ergebnisse und verringert die Effizienz des Verhandelns.

d) Vereinfachende Annahmen über ungewisse zukünftige Ereignisse Menschen tendieren dazu, vereinfachende Annahmen und Einschätzungen anzustellen, wenn sie Entscheidungen treffen müssen, die von zukünftigen Ereignissen beeinflußt werden. Dies gilt insbesondere bei Entscheidungen in kompetitivem Umfeld. Hier wird regelmäßig nur von der eigenen Perspektive aus geurteilt. Die Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 206; Neale / Bazerman (1991) S. 57 m. w. N. Neale / Bazerman (1991) S. 58 m. w. N. 191 Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, American Economic Review 85 (1995), 1337, 1342. 192 Vgl. dazu Camerer / Loewenstein (1993) S. 172. 189 190

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Sichtweise und Wahrnehmung des Kontrahenten, die wertvolle Aufschlüsse über die von ihm zu erwartenden Handlungen böte, wird häufig ignoriert.193 e) Urteilsfindung ausgehend von einem Ankerwert (anchoring and adjustment) Anchoring bedeutet, daß sich menschliche Einschätzungen an einem Bezugspunkt orientieren, selbst wenn der Bezugspunkt keinerlei Beziehung zu der zu beurteilenden Tatsache hat.194 Dieser Effekt macht auch vor ausgewiesenen Experten nicht Halt.195 Anchoring hat einen erheblichen Einfluß auf Ablauf und Ergebnis von Verhandlungen. Durch das Anfangsangebot (oder auch in der Diskussion über die Risikolage durch eine anfänglich geäußerte zahlenmäßige Einschätzung) wird eine bestimmte Konstellation, ein bestimmter Wert als Ausgangsbasis verankert, von dem ausgehend dann die endgültige Übereinkunft ausgehandelt wird. Eine hohe An193 Neale / Bazerman (1991) S. 73 f. Dies veranschaulicht folgendes Experiment (a. a. O. S. 70 ff. m. w. N.). Ein Konzern möchte eine Aktiengesellschaft erwerben, deren Wert von dem Ergebnis eines Projekts abhängt. Schlägt das Projekt fehl, so wäre der Wert jeder Aktie 0 $, im Falle eines Erfolges zwischen 0$ und 100$ mit gleicher Wahrscheinlichkeitsverteilung. Im Konzernverbund des potentiellen Käufers wäre das Unternehme auf jeden Fall 50 % mehr wert. Ein Kaufangebot muß jedoch vor Bekanntwerden des Ergebnisses des Projekts abgegeben werden und wird unverzüglich nach Bekanntwerden vom verkaufenden Aktionär angenommen oder abgelehnt. Die Versuchspersonen, allesamt MBA-Studenten, die teilweise in Abhängigkeit des Ergebnisses bezahlt wurden, sollten das optimale Gebot berechnen. – Nur 9 von 123 Versuchspersonen gelang es, das richtige Ergebnis zu erkennen, es beträgt nämlich 0 $. [Wird nämlich ein Preis x geboten und akzeptiert, so wird bewegt sich der tatsächliche Wert zwischen 0 und x, weil x nur akzeptiert wird, wenn der tatsächliche Wert geringer (oder höchstens gleich) ist. Der erwartete tatsächliche Wert, wenn Preis x akzeptiert wird, ist (bei der Voraussetzung gleicher Wahrscheinlichkeitsverteilung) 1/2 x. Da das Unternehmen 50 % mehr wert für den Käufer wäre, betrüge der erwartete, tatsächliche Wert für diesen 1; 5 (1/2 x), also 3/4 x – weniger als der gebotene Preis x (winners curse)!] Dieses Ergebnis erscheint kontraintuitiv, weil das Unternehmen ja 50 % mehr wert ist in den Händen des Käufers und der erwartete tatsächliche Wert 50 $ ist (daher lagen auch die meisten Ergebnisse zwischen 50 $ und 75 $). Dabei wird aber verkannt, daß der Verkäufer eine andere Wahrnehmung der Situation hat. Er betrachtet den Handel aus einer anderen Perspektive (er kennt nämlich den wahren Wert) und wendet somit eine andere Strategie an (eben nicht die auf Wahrscheinlichkeiten aufbauende Strategie des Käufers). Dies wird jedoch – wie gesagt – in den meisten Fällen verkannt. 194 Tversky / Kahneman, Science 185 (1974) S. 1128 f. Dies wird besonders deutlich veranschaulicht durch ein Experiment, bei dem die Probanden ausgehend von dem Ergebnis einer Glücksraddrehung (mit Zahlen von 0 – 100) beurteilen sollten, ob der Prozentsatz der afrikanischen Nationen in der UNO größer oder kleiner als die Zufallszahl ist, und daraufhin den genauen Prozentsatz schätzten. Diese Schätzungen variierten ganz erheblich in Abhängigkeit von der jeweiligen Zufallszahl (zeigte das Glücksrad 65, wurden 45 % geschätzt, bei einer Zahl von 10 nur 25 %), obwohl jedem Probanden klar war, daß ein Glücksrad nichts über diesen Prozentsatz aussagen konnte. (Vgl. bei Lax / Sebenius (1986) S. 134 f. m. w. N.). 195 Siehe dazu Neale / Bazerman (1991) S. 49 m. w. N.

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fangsforderung führt zu einem besseren Endergebnis,196 so daß sich eine ausgesprochen effektive Manipulationsmöglichkeit im Hinblick auf das Verhandlungsergebnis ergibt.197 Anchoring kann ferner Verhandlungsabbrüche in Fällen, in denen beiderseits vorteilhafte Übereinkünfte denkbar wären, erklären. Oftmals verankern Verhandelnde ihre Erwartungen an der Zielvorgabe, die sie sich gemacht haben, und nicht an den Mindestbedingungen, ab denen eine Übereinkunft profitabel wäre. Ausgehend von dieser Zielvorgabe ist das Maß an Konzessionsbereitschaft bald voll, wenn diese als realistisch erachtete Zielvorgabe unterschritten wird.198 In diesem Fall hat das Anchoring die gleichen negativen Auswirkungen wie offene commitment-Strategien199, ohne allerdings deren Vorteile bieten zu können. Die Sachgerechtigkeit ausgehandelter Ergebnisse und die Effizienz des Verhandelns wird also auch auf diese Weise negativ beeinflußt.

f) Variabilität der Nutzenfunktion Die ökonomisch-spieltheoretischen Verhandlungsmodelle setzen voraus, daß eine feste Nutzenfunktion existiert, aus der sich ein kardinales Maß für die jeweiligen Präferenzen des Verhandelnden ergibt. Dies setzt voraus, daß die Nutzenfunktion unabhängig von der Methode ihrer Ermittlung ist200 und das die eigenen Präferenzen kohärent sind.201 Gerade dies ist jedoch bei menschlicher Präferenzbestimmung nicht der Fall. Es erscheint erwiesen, daß Menschen unter bestimmten Umständen eine Alternative als geringwertiger einschätzen als eine andere, aber dennoch in einer Entscheidungssituation diese Alternative wählen (Präferenzumkehr).202 Dies stellt die Rationalität des Verhaltens in der Verhandlung in Frage So schon Lamm (1975) S. 100 (C 11, 12). Der Kontrahent kann sich dagegen nur wehren, wenn er zunächst erkennt, daß ein Anker gesetzt wird und wenn er die Möglichkeit hat, diese Verankerung zu ändern und selbst eine Verankerung vorzunehmen, die den eigenen Interessen oder aber einer objektiven, ,gerechten‘ Verhandlungsbasis am ehesten entspricht; Neale / Bazerman (1991) S. 50. Dies stellt sich als eine Frage der Verhandlungsmacht dar, denn wer stärker ist kann zur Voraussetzung machen, daß auf der Basis des eigenen Entwurfs verhandelt wird (was ja immernoch vorteilhafter als ein take-it-or-leave-it Angebot ist), oder – auf etwas subtilere Art – ausgehend vom eigenen Anfangsangebot solange nur kleinste Abstriche machen, bis der Kontrahent den Fehler macht und kein eigenständiges Gegenangebot macht, sondern sich auf das Angebot des Stärkeren einläßt, es zwar durchaus angreift, aber von ihm ausgehend verhandelt – mit anderen Worten, die Verankerung akzeptiert. 198 Neale / Bazerman (1991) S. 49 f. 199 Siehe oben bei Fn. 136, S. 187. 200 So sollte sich z. B. (im Rahmen der Meßtoleranzen) kein Unterschied bei der Bewertung, wer von zwei Menschen größer ist, ergeben, je nachdem ob man jeden einzeln mit dem Maßband ausmißt oder ob man beide Rücken an Rücken stellt und direkt vergleicht. 201 Vgl. Halpern (1998) S. 224. 196 197

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und nimmt ihm somit ein Stück Berechenbarkeit. Insbesondere könnten Widersprüchlichkeiten im Verhandlungsverhalten auftreten, je nach dem Blickwinkel, unter dem ein Problem angegangen wird. Es können unterschiedliche, ja widersprüchliche Positionen eingenommen werden je nachdem welche Lösung (inhaltlich) gewünscht wird und welcher Wert dieser Lösung im Vergleich zu anderen Alternativen beigemessen wird.203 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Verhandeln in diesem Falle noch den Gedanken der Selbstbestimmung verwirklicht, wenn einer Gestaltung – zwar formal selbstbestimmt – zugestimmt wird, die man außerhalb der Verhandlungssituation eigentlich nicht als vorteilhaft ansieht. Dies könnte eine systematische Beeinträchtigung der Grundlage für selbstbestimmtes Handeln sein und somit in Widerspruch zu den normativ ermittelten Gesetzeszwecken stehen. Ferner sollte die Präferenzstruktur unabhängig von zusätzlichen Alternativen sein: Wenn Alternative A gegenüber B vorgezogen wird, sollte sich daran nichts ändern, wenn eine zusätzliche Alternative C eingeführt wird – was aber offenbar der Fall ist.204 Dies widerlegt die Annahme einer feststehenden Nutzenfunktion und verdeutlicht, daß die Präferenzen eher in der jeweiligen Situation anhand der verfügbaren Alternativen bestimmt werden. Dadurch werden Manipulationsmöglichkeiten in Verhandlungen eröffnet: Die Entscheidung der anderen Seite kann dadurch beeinflußt werden, daß der bevorzugten Lösung ähnliche, aber weniger attraktive Alternativen hinzugefügt werden, weil dadurch die rationale Nutzenkalkulation behindert werden könnte.205

202 Tversky (1996) S. 8 ff. Konnten Probanden z. B. zwischen den Forderungen $2.500 fällig in fünf Jahren oder $1.600 fällig in eineinhalb Jahren wählen, so wählten 74% letzteres. Bei der Frage nach dem Preis, für den sie jede dieser Alternativen verkaufen würden, wenn sie derartige Forderungen besäßen, bewerteten jedoch nur 25% die kürzerfristige Forderung als wertvoller (S. 10 m. w. N.). Vgl. auch das verwandte Framing, die unterschiedliche Beurteilung einer Alternative je nach ihrer Darstellungsweise, unter b) Kognitiver Rahmen der Verhandlungen (framing), S. 208. 203 Vgl. Tversky (1996) S. 11 (zu politischen Implikationen). 204 Tversky (1996) S. 12 ff. So entschieden sich z. B. in einem Experiment, in dem die Probanden die Wahl hatten zwischen einem eleganten Füller und $6 in bar, zunächst 36% für den Füller. Wurde als dritte Option ein weniger attraktiver (nur von 2% der Probanden gewählter) Füller hinzugefügt, so entschieden sich 46% für den (ursprünglichen) Füller, d. h. 10 Prozentpunkte bzw. knapp ein Drittel mehr! Der ursprüngliche Füller ist also im Vergleich zum Geld attraktiver geworden, nur weil eine weitere, offenbar unattraktivere Option hinzukam (a. a. O. S. 16 m. w. N.). 205 Vgl. dazu die manipulative Verhandlungsstrategie ,gezielter Kompromiß‘ bei Holz (1981) S. 175 f.

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g) Unrealistische Situationsbeurteilung und Verharren auf (Fehl-)Entscheidungen Ein wahrnehmungsverzerrender Faktor, der ursprünglich der Erhaltung des seelischen Gleichgewichts in Ausnahmesituationen diente, ist die zu optimistische Einschätzung der eigenen Lage. So überschätzen Verhandelnde beispielsweise nachweislich die Wahrscheinlichkeit, daß ihr letztes Angebot akzeptiert wird.206 Ferner kommt es vor, daß eine Seite ihre Situation zu gut (bzw. den Gegner zu schwach) einschätzt und somit ein übermäßiges Vertrauen darauf setzt, daß ein bestimmtes (günstigeres) Ergebnis erzielbar ist und daß weitere Zugeständnisse der Gegenseite zu erzielen sind.207 Da das Verhalten und darüber auch das Verhandlungsergebnis in besonderem Maße von den Erwartungen der Parteien bestimmt wird, wirken sich diese positiven Illusionen für den, der sie besitzt, auch positiv auf das individuelle Verhandlungsergebnis aus.208 Eine Seite erlangt somit einen sachlich ungerechtfertigten Vorteil gegenüber der anderen. Es ist zu befürchten, daß dies auch die wirtschaftsmächtigere Seite sein wird, weil ihr gegenüber die Erwartungen des wirtschaftlich Unterlegenen zurückstehen. Des weiteren wird die ex-post-Effizienz des Verhandelns deutlich gesenkt, beispielsweise dadurch, daß die eigenen Alternativen zu einer Verhandlungslösung zu optimistisch eingeschätzt werden, so daß gar kein Einigungsraum mehr erkannt wird,209 oder daß durch die verzerrte Selbsteinschätzung die eigenen Beiträge als produktiver, die eigenen Angebote als fairer und die eigenen Konzessionen als größer eingeschätzt werden und daher die Wahrnehmung des Gegners ignoriert und dessen Strategie als unhaltbar beurteilt und abgelehnt wird.210 Im Hinblick auf Verhandlungen wurde ferner experimentell gezeigt, daß Verhandelnde zu der (unbewußten) Annahme tendieren, ihre Strategie könnte das Verhalten des Gegners beeinflussen (Illusion der Kontrolle).211 Dies führt zu irrationalem Verhalten, das den Betroffenen meistenteils schädigt, ihm aber dabei die VorstelNachweis bei Neale / Bazerman (1991) S. 54. Neale / Bazerman (1991) S. 54. 208 Nachweise bei Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 216. 209 Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 110. 210 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 215. 211 Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 91 f.; in Gefangenendilemma-Simulationen (vgl. oben S. 186) wurde den Probanden in einer Konstellation nichts über die Wahl des anderen mitgeteilt und in den restlichen zwei Konstellationen mitgeteilt, der andere habe sich für Gestehen bzw. Leugnen entschieden. Überraschenderweise wählten die Probanden in den letzten beiden Bedingungen die optimale Strategie (Leugnen), in der ersten Konstellation jedoch gestanden sie, als könnten sie damit den anderen ebenfalls zum Gestehen bringen und dadurch das Dilemma auflösen. Unterstrichen wird diese Interpretation dadurch, daß die Probanden in der ersten Konstellation, wenn ihnen mitgeteilt wurde, der andere habe seine (unbekannte) Entscheidung schon getroffen, erheblich seltener gestanden (Nachweise bei Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 213). 206 207

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lung beläßt, er könne das Verhandlungsergebnis selbstbestimmt kontrollieren. Diese Erkenntnis mahnt dazu, bei der Auslegung des Aushandelnsbegriffs genau zu betrachten, ob das Ziel der Selbstbestimmung durch Verhandlungen tatsächlich erreichbar ist oder ob gewichtige normative Zusatzanforderungen an das Aushandeln bzw. eine ausgehandelte Übereinkunft gestellt werden müssen, um der normativ ermittelten ratio legis gerecht zu werden. Die Brisanz dieser Fehleinschätzungen liegt darin, daß Individuen, wenn sie einmal eine Entscheidung getroffen haben, dazu tendieren, an dieser Entscheidung auch dann festzuhalten, wenn es für sie rational keinen Sinn mehr macht.212 In Verhandlungen213 kann dies dazu führen, daß eine (oder gar beide) Parteien an anfänglichen Fehlentscheidungen festhalten und der Konflikt zu beiderseitigem Nachteil eskaliert. Dies wird dadurch gefördert, daß man sich auch nach außen auf eine Einschätzung festgelegt hat und ein Abrücken davon zusätzlich mit einem (vermeintlichen) Gesichtsverlust verbunden wäre. Mit steigenden Verhandlungskosten steigt ebenfalls die Bindung an die unhaltbare Position, weil ab einer bestimmten Stelle schon zuviel investiert ist, um nachzugeben. Gleiches gilt sogar auch bei steigenden Nachteilen durch das Nichtzustandekommen einer Übereinkunft (z. B. mit dessen Dauer steigende Kosten eines Streiks). Dieser wahrnehmungsverzerrende Effekt kann somit zu irrationalem Verhalten in Verhandlungen führen und dadurch einen gravierenden negativen Einfluß ausüben sowie integrative Ansätze für sachgerechte Lösungen unmöglich machen. Allgemein ist belegt, daß Menschen ein übermäßiges Vertrauen in die Korrektheit ihrer eigenen Einschätzungen und Beurteilungen besitzen.214 Die negativen Folgen daraus wurden schon beschrieben. In der Tat wurde nachgewiesen, daß realistisch urteilende Verhandelnde konzessionsbereiter sind als Verhandelnde mit einem unrealistischen Vertrauen in ihre Einschätzung und daß ihre Verhandlungen seltener ergebnislos abgebrochen werden.215

212 Charakteristisch ist das Experiment, in dem 20 $ an den Meistbietenden versteigert werden, wobei Gebote in Schritten von 1$ zulässig sind, mit der Besonderheit, daß der Bieter des zweithöchsten Gebots den gebotenen Preis ebenfalls zu entrichten hat (bietet A also 4 $ und B 3 $, so erhält A 16 $ (20 $ – 4 $) und B muß 3 $ zahlen). Neale / Bazerman berichten, daß zwischen 10 – 17 $ alle bis auf die beiden höchsten Bieter ausscheiden, die dann die Falle erkennen. Denn entweder man bietet einen Dollar mehr in der Hoffnung, daß der andere aufgibt, oder man erfährt einen sicheren Verlust in beachtlicher Höhe. Nahezu immer überschritten dabei die Gebote sogar die 20 $-Marke. Die Fehlentscheidung ist schon, auch nur einen Dollar zu bieten. Dies wird jedoch nicht erkannt, da niemand annimmt, daß für 20$ mehr als 20 $ geboten werden könnte, und die Gewinnchance verlockend erscheint. Viele Individuen haben Schwierigkeiten, den Fehler einzugestehen und sich mit der Niederlage des Verlusts abzufinden, so daß die unsichere Zukunft (mit nur noch höheren Verlusten) verlockender erscheint (Neale / Bazerman (1991) S. 67 m. w. N.). 213 Zum Nachfolgenden s. Neale / Bazerman (1991) S. 69 f. 214 Neale / Bazerman (1991) S. 56 f. m. w. N. 215 Nachweis bei Neale / Bazerman (1991) S. 54.

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Eine juristische Auslegung des Aushandelnsbegriffs sollte diesen Erkenntnissen Rechnung tragen und nach Möglichkeit einen Verhandlungsprozeß unterstützen, der sachgerechte Beurteilungen zuläßt. Dadurch wird mehr ,echte‘ Selbstbestimmung (auf sicherem sachlichen Fundament), Sachgerechtigkeit der Ergebnisse und Effizienz verwirklicht.

2. Einfluß des Umfelds ,Verhandlung‘ auf die Wahrnehmung des Verhandelnden Neben den soeben dargestellten allgemeinen Einflußfaktoren auf menschliche Wahrnehmung und Urteilsfindung existieren weitere derartige Faktoren, die speziell in Verhandlungssituationen in Erscheinung treten. Diese Einflußfaktoren sind im hier betrachteten Zusammenhang von besonderem Gewicht, da sie die speziellen ,Nebenwirkungen‘ der gesetzlichen Anordnung des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandeln‘ darstellen bzw. direkte Aussagen über die Qualität einer Verhandlungslösung im Hinblick auf Sachgerechtigkeit und Effizienz als Basis für Selbstbestimmung gestatten.

a) Falsche Polarisierungstendenzen und der Mythos gegenläufiger Interessen Dazu gehört, daß die Distanz zwischen den Positionen der Parteien in einem Konflikt regelmäßig überschätzt wird.216 Der Kontrahent wird als extremer angesehen, als er ist, und ihm werden negative Motive unterstellt,217 wenn solche plausibel erscheinen. In Gruppenkonflikten (z. B. Verhandlungen zwischen Interessenverbänden) wird sogar die eigene Position für extremer gehalten, als sie tatsächlich ist.218 Ferner wird eine Verhandlung zumeist nur in ihrem distributiven Aspekt wahrgenommen, also als Aufteilung eines feststehenden Gesamtgewinns unter den Parteien, wobei angenommen wird, daß der Kontrahent die eigenen Präferenzen samt ihrer Gewichtung teilt.219 Es wird gemeinhin angenommen, daß keine gemeinsamen Interessen bestünden, sondern im Gegenteil, daß die Interessen diametral entgegengesetzt seien – „was gut für den Kontrahenten ist kann nicht gut für uns sein“.220 Dabei wird ein wichtiger Aspekt von Vereinbarungen über Risikovertei216 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 289; Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 209 f. (m. w. N.). 217 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 210. 218 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 209 f. (m. w. N.). 219 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 287 f.; Neale / Bazerman (1991) S. 63. 220 Neale / Bazerman (1991) S. 61, 63 f.; Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 287.

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lungen verkannt: Eine Risikoverteilung, die den äußeren Umständen (insb. Vermeidbarkeit, Versicherbarkeit und Kosten dafür) und insbesondere auch den subjektiven Risikoneigungen entspricht, läßt den Vertrag insgesamt günstiger werden und erhöht somit die mögliche Gewinnspanne. Erst bei der Verteilung dieser Gewinnspanne, d. h. bei der Bemessung der Gegenleistung, sind die Interessen entgegengesetzt und das Ergebnis muß ein Kompromiß sein. Es wird jedoch vorausgesetzt, daß jede Verhandlungslösung stets ein Kompromiß zu sein hat – selbst wenn beide Seiten exakt das gleiche wollen oder wenn ein Vorteil für die eine Seite für die andere Seite neutral (d. h. nicht nachteilig) ist. Diese einseitige Wahrnehmung der Verhandlungssituation führt zu pareto-ineffizienten Übereinkünften, wobei jedoch ein Lerneffekt (im Sinne einer langsamen Annäherung an die Pareto-Grenze) zu registrieren ist, wenn die Probanden wiederholt über die selbe Verteilung verhandeln.221 Dies bedeutet, daß durch die gesetzliche Anordnung von Verhandlungen in §§ 449, 466 HGB die Wahrnehmung des Problems – eine möglichst sach- und interessengerechte Risikoverteilung zu vereinbaren, um den Transportvertrag wirtschaftlich zu optimieren – verändert und ein kompetitiver Kontext inklusive einer Gewinnen / Verlieren-Sichtweise induziert wird, die sowohl die Effizienz als auch die Sachgerechtigkeit der Problemlösung in Frage stellt. b) Kognitiver Rahmen der Verhandlungen (framing) Dieser Kontext, in den die Verhandlungssituation gestellt ist, bzw. in dem sie wahrgenommen wird, beeinflußt sowohl Strategien als auch Ergebnisse stark.222 Allgemeiner noch: Unterschiedliche Beschreibungen bzw. Sichtweisen einer Situation führen trotz inhaltlicher Übereinstimmung zu unterschiedlichen Verhaltensweisen / Strategien.223 Soeben wurde festgestellt, daß eine Verhandlung und insbesondere ihr Ergebnis in Kategorien von Gewinn / Verlust wahrgenommen wird, was zu pareto-ineffizienten Ergebnissen führen kann. Erst wenn die Situation in einen anderen Kontext gestellt wird, z. B. ,gemeinsames Lösen eines Problems‘, ändert sich das Verhalten der Parteien erheblich, die Verhandlungen werden weniger kompetitiv, die Parteien werden konzessionsbereiter und zeigen mehr Verständnis für die Interessen des Kontrahenten.224 Dies könnte für eine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des Aushandelnsbegriffs von Bedeutung sein: Sie sollte nach Möglichkeit einen Rahmen der Problemlösung, des Ermittelns einer sachgerechten Lösung schaffen, um damit die tatsächlichen Verhandlungen effektiver werden zu lassen. 221 222 223 224

Neale / Bazerman (1991) S. 62 f. Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 288. Tversky (1996) S. 7 ff. Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 211.

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Auch innerhalb von Verhandlungen macht sich dieser Effekt bemerkbar. Da Menschen risikoscheuer werden, wenn es um potentielle Gewinnsteigerung, dagegen risikofreudiger, wenn es um die Höhe potentieller Verluste geht, ändert sich das Verhalten, je nachdem ob die Verhandlung in einem Verlust- oder Gewinnkontext („Wieviel verliere / gewinne ich bei der Übereinkunft im Vergleich zur Optimallösung?“) geführt wird.225 Im letzten Fall sind die Parteien grundsätzlich konzessionsbereiter und riskieren die schon greifbaren Gewinne nicht zugunsten der unsicheren Chance auf weitere Konzessionen des Gegners. Im Verlustkontext nehmen die Parteien viel eher das Risiko von Verhandlungsabbrüchen oder kostspieligen Verzögerungen in Kauf, wenn die Chance besteht, die wahrgenommenen Verluste zu minimieren.226 In dieser Hinsicht ist auch eine Beeinflussung des Verhaltens des Gegners und des Verhandlungsergebnisses möglich, wenn man ihm die Konsequenzen der Übereinkunft in einem Gewinnkontext vermittelt.227 Insbesondere bei Verhandlungen über die Risikoverteilung besteht die Gefahr, den sicheren Gewinn einer Konzession (z. B. einen Preisnachlaß) einem Risikoausschluß vorzuziehen und damit Risiken unterzubewerten.

c) Abwertung gegnerischer Konzessionen (reactive devaluation) Gegnerische Vorschläge und Konzessionen werden häufig abgewertet, nur weil sie vom Gegner herrühren,228 d. h. ihr Informationsgehalt wird systematisch verkannt. Dies kann zum einen als Folge der Sichtweise, die Interessen in Verhandlungen seien stets gegenläufig, gesehen werden, zum anderen auch als psychologische Konsequenz daraus, daß der Vorschlag von einer ,schlechten‘ Quelle herrührt – nämlich dem Gegner, der sich nur um seine Interessen kümmert. 225 So schneiden Käufer in Verhandlungsexperimenten typischerweise besser ab als Verkäufer. Dies wird damit erklärt, daß die Verkäufer das Ergebnis (den Preis) als Gewinn wahrnehmen und den Verlust der Sache weniger beachten während die Käufer sich ebenfalls auf den Kaufpreis konzentrieren, den sie allerdings verlieren. Somit steht eine risikoscheue einer risikofreudigen Partei gegenüber, was selbst nach herkömmlichen Modellen ein besseres Ergebnis für die risikofreudigere Seite ermöglicht (Neale / Bazerman (1991) S. 156 f. [m. w. N.]). 226 Tversky (1996) S. 7 ff.; Neale / Bazerman (1991) S. 41 (m. w. N.). 227 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 212; Neale / Bazerman (1991) S. 47. 228 Neale / Bazerman (1991) S. 75 ff. (m. w. N.). In einem Experiment aus der Endzeit des kalten Krieges sollte der Vorschlag eines Waffenreduktionsabkommens zwischen den USA und der UdSSR bewertet werden. Der Hälfte der (amerikanischen) Probanden wurde erklärte, der Vorschlag stamme (richtigerweise) von Seiten der UdSSR, der anderen Hälfte wurde eine amerikanische Urheberschaft vorgetäuscht. Während im ersten Fall 56 % der Versuchspersonen angaben, der Vorschlag begünstige die Russen, und ihn nur 28% als ausgewogen betrachteten, sahen den gleichen Vorschlag mit angeblich amerikanischer Urheberschaft 45 % als ausgewogen an und je 27 % als eine Seite begünstigend (Nachw. bei Neale / Bazerman (1991) S. 75).

14 Pfeiffer

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Allerdings gibt es auch einen rationalen Grund: Häufig erlaubt ein Zugeständnis den Rückschluß, daß der Kontrahent die Materie, auf die sich das Zugeständnis bezieht, weniger wichtig einschätzt, daß also der wahre Wert der Konzession tatsächlich geringer ist. Das Problem ist, daß dieser rationale Teil nur schwer vom irrationalen Teil der Abwertung zu trennen ist. Dazu müßte zunächst die Gewichtung der Belange durch den Gegner ermittelt werden229 – ein Vorgang der jedoch selbst wieder wahrnehmungsverzerrenden Faktoren unterliegt. d) Gegnerorientierung bei der Ergebnisbewertung – Auf Ergebnisbewertung abstellender Auslegungsansatz Ein anderer Faktor, der auf die Kompetitivität der Verhandlungssituation zurückzuführen ist, ist die Orientierung am Ergebnis des anderen. Dies bedeutet zunächst, daß Informationen Einfluß auf das Verhandlungsergebnis gewinnen, die nach der ökonomischen Betrachtungsweise irrelevant sein müßten.230 Es kommt nicht mehr nur auf die Menge aller möglichen Übereinkünfte, die Mindestforderungen und die (relativen) Nutzenfunktionen an, sondern auch auf den absoluten Nutzen, die Auswirkungen des Verhandlungsergebnisses (insbesondere auf Seiten des Kontrahenten) – und noch dazu auf das Wissen über die Informationslage des Kontrahenten. Dies ist experimentell belegt und gestattet die Annahme, daß sich der Ineffizienz durch Gegnerorientierung auch theoretisch nicht abhelfen läßt.231 Die Gegnerorientierung bei der Ergebnisbewertung führt dann dazu, daß der Nutzen des Ergebnisses der jeweils anderen Seite in der Verhandlungswirklichkeit viel häufiger als Bezugspunkt zur Bewertung des eigenen Ergebnisses herangezogen wird als der wirtschaftliche Nutzen des eigenen Ergebnisses.232 So bewerteten immerhin 22 % der Versuchspersonen das Ergebnis einer hypothetischen Verhandlung mit einem Nutzen (Wert) von 400$ für einen selbst und 400$ für die Gegenseite im direkten Vergleich für besser als das Ergebnis mit einer Nutzenverteilung von 500$ (selbst) zu 700$ (Gegenseite)! In einer Evaluation dieser Ergebnisse getrennt voneinander wurde die ,gerechte‘ Verteilung sogar von 70 % als besser erachtet, woraus sich erkennen läßt, daß ohne direkte Vergleichsmöglichkeit der einzelnen möglichen Ergebnisse – also der Regelfall in komplexen VertragsverhandNeale / Bazerman (1991) S. 77 (m. w. N.). Roth / Murnighan, Econometrica 50 (1982), 1123 ff. (m. w. N.). 231 Roth / Murnighan, Econometrica 50 (1982), 1123, 1128 ff. (1141): Weiß eine Seite, daß das Ergebnis für die andere Seite mehr wert (besser) ist, als für sie selbst, dann schlägt sich das im Ergebnis (zu ihren Gunsten) nieder. Sind sich die Parteien nicht sicher, ob die jeweils andere von dieser Ungleichheit weiß, und können sie sich auch nicht darüber vergewissern, so steigt die Zahl von Verhandlungsabbrüchen, weil die benachteiligte Seite ihr Handicap berücksichtigt sehen will, die andere Seite, die von der Benachteiligung nichts weiß (oder dies unerkannt vorgeben kann), aber nicht bereit ist, sich darauf einzulassen. In diesem Fall läßt sich auch keine Strategie finden, die ein effizienteres Ergebnis zuließe. 232 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 201, 207. 229 230

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lungen – nicht der Nutzen als Orientierung dient, den man selbst theoretisch in der Verhandlung erzielen kann, sondern das jeweilige Ergebnis des Kontrahenten.233 Dies führt zu einer – auch spieltheoretisch erklärbaren – Reduktion der Auswirkung von Verhandlungsmacht: zum einen weil die Bewertung einer nachteilig-ungleichen Übereinkunft durch die negative Einstellung gegenüber ,unfairen‘ Ergebnissen gedrückt wird und zum anderen weil eine weniger risikoaverse Haltung eingenommen wird234 Daß die Orientierung am Ergebnis des anderen allerdings kein Aspekt der Sachgerechtigkeit ist und auch nicht den (rational verstandenen) eigenen Interessen gerecht wird, braucht nicht näher erläutert zu werden. Es könnte darin zum Ausdruck kommen, daß in Verhandlungen der Wert der Verteilungsgerechtigkeit die Sachgerechtigkeit überlagert. Hier wird deutlich, daß der Inhalt des Ergebnisses entgegen ökonomisch-spieltheoretischen Annahmen doch eine Rolle im Verhandlungsmechanismus spielt. Wenn dieser Befund charakteristisch für das Verhandeln (in seiner tatsächlichen Ausformung) ist und man im Rahmen der Auslegung annähme, daß der Gesetzgeber auf diesen tatsächlichen Verhandlungsbegriff Bezug nimmt, so könnte man für die Begriffsbestimmung darauf abstellen, daß sich ein ausgehandeltes Ergebnis durch eine ,gerechte‘ Aufteilung235 des durch die Verhandlungslösung erzielten Vorteils auszeichnet.236 Dann müßte es möglich sein, faire Verteilungskriterien zu ermitteln, wobei die Beurteilung angemessener Verteilungskriterien wegen der Unmöglichkeit, Kriterien für eine objektive Äquivalenz zu finden, durch die Parteien in der Verhandlung erfolgen muß. Dies leitet über zum nächsten Problem von Verhandlungen. 233 Neale / Bazerman (1991) S. 163 ff., 169 (m. w. N.); Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 207. Bei neutralen (oder positiven) Beziehungen zwischen den Parteien wird eine gleichwertige Verteilung am besten bewertet (i.S. einer ,sozialen Nutzenfunktion‘). Die Bewertung von zum eigenen Nachteil wirkenden Ungleichheiten nimmt mit steigender Ungleichheit stark ab, wohingegen auch die Bewertung einer zum eigenen Vorteil wirkenden Ungleichheit im Vergleich zu einer gleichen Verteilung zunächst wieder leicht abnimmt und erst mit großen Vorteilen für die eigene Position wieder zu steigen beginnt. Bei negativen Beziehungen ist zwar eine Aversion gegen zum eigenen Nachteil wirkenden Ungleichheiten in gleicher Form wie bei positiven oder neutralen Beziehungen zu beobachten. Allerdings stellt im Gegensatz zu diesen bei einem negativen Verhältnis eine gleiche Verteilung nicht ein lokales Maximum der sozialen Nutzenfunktion dar, sondern die Bewertung von Ungleichverteilungen, die einen selbst begünstigen, steigt unmittelbar (vgl. Neale / Bazerman (1991) S. 164 f.). 234 Bei Vorliegen von negativen Beziehungen wird viel eher ein Risiko eingegangen, wenn dadurch statt eines nachteilig ungleichen Ergebnisses ein gleiches oder gar ein vorteilhaft ungleiches Ergebnis erzielt werden kann. Auch unter nicht negativer Beziehung wurde ein Risiko eingegangen, wenn dadurch eine 50:50-Verteilung erzielt werden konnte bzw. es wurde ein ,lohnendes‘ Risiko abgelehnt, wenn schon eine 50:50-Verteilung vorlag und nur die Chance bestand, besser abzuschneiden (Neale / Bazerman (1991) S. 165 f.). 235 Vgl. dazu die fairen Verteilungsprozeduren in Verhandlungen bei Raith (1998). 236 Moderne präskriptive Verhandlungstheorien / Ratgeber stellen darauf ab, daß das Verhandlungsergebnis an gemeinsam anerkannten Wertmaßstäben zu messen sei; so das sog. Harvard-Konzept von Fisher / Ury (1981).

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e) Eigennützige Beurteilungen von Fairneß Individuen möchten grundsätzlich vor sich selbst und vor anderen fair erscheinen237 und sich fair behandelt fühlen. Daneben hat jeder Mensch aber auch ein materielles Eigeninteresse am Verhandlungsergebnis. In komplexeren Situationen, in denen die faire Lösung nicht auf der Hand liegt, motiviert dieses Eigeninteresse zu einer verzerrten Interpretation von Fairneß-Regeln.238 Es kommt auf beiden Seiten zu einer eigennützigen Einschätzung, wie eine faire Lösung beschaffen sein muß. Wenn z. B. zwei Parteien 100 Lose aufteilen, wobei die Auszahlung pro Gewinnlos für eine Seite 20 $, für die andere hingegen nur 5 $ beträgt, dann käme zum einen eine Verteilung 50 : 50 in Betracht (gleiche Gewinnchancen), zum anderen aber auch eine Verteilung von 20 : 80 (gleicher erwarteter Gewinn).239 Jede Seite sieht die sie begünstigende Lösung als die faire Lösung an.240 Dies wirkt sich insbesondere aus, wenn subjektive Einschätzungen in Frage stehen, wie zwei Studien verdeutlichen.241 Die eigennützig verzerrte Beurteilung von Fairneß führt auch dazu, daß jede Seite annimmt, objektive, d. h. allgemeingültige, unparteiische Maßstäbe – eben Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 208. Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 110; Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, American Economic Review 85 (1995), 1337; Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 205. 239 Vgl. Experiment bei Roth / Murnighan, Econometrica 50 (1982), 1123, 1128 ff. 240 Ein für die Verhandlungspraxis relevantes Beispiel betrifft Verhandlungen, bei denen die Parteien unterschiedlich hohe Abwertungsraten oder Verhandlungskosten haben. Hier erwartet die Partei, der es auf einen schnellen Vertragsschluß ankommt, daß diese Tatsache, weil sie für die Lösung der Sachfrage nicht relevant ist, unberücksichtigt bleibt (was im übrigen den ökonomisch-spieltheoretischen Modellen widerspricht, siehe oben S. 174). Die andere Seite hält es jedoch typischerweise für fair, diese Tatsache sehr wohl zu berücksichtigen. Dies wird jedoch wiederum von der ,ungeduldigeren‘ Seite zurückgewiesen, wodurch es zu kostspieligen Verzögerungen kommt – und das Endergebnis wegen dieser Verzögerung schlechter ausfällt, als wenn die ,ungeduldigere‘ Seite sich von vornherein mit einer Berücksichtigung ihrer ,Ungeduld‘ einverstanden erklärt hätte (Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 118). Dies ist für beide Seiten von vornherein absehbar, so daß kein rationaler Beweggrund dafür angegeben werden kann. Diesen Beweggrund stellen ausschließlich eigennützig verzerrte Fairnesserwägungen dar. 241 Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, American Economic Review 85 (1995), 1337, 1338 ff.; Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 111 ff. (m. w. N.). Die Versuchspersonen wurden in Unfallverursacher und -gegner eingeteilt und erhielten (das gleiche) Vorbereitungsmaterial für eine Verhandlung über eine außergerichtliche Beilegung eines Schadensersatzstreits. Vor Beginn der Verhandlung wurde von beiden Parteien erfragt, welchen Schadensersatzbetrag sie für fair hielten. Die Einschätzungen divergierten dabei ganz erheblich in Abhängigkeit von der zugewiesenen Rolle. Ein erheblich abweichendes Ergebnis (Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, a. a. O. S. 1340) ergab sich jedoch, wenn den Parteien erst nach ihrer Einschätzung der fairen Lösung die Rollen zugewiesen wurden: Die Einschätzungen differierten nicht signifikant und die Zahl der Verhandlungsabbrüche sank stark. Dies zeigt, daß die Verzerrung der Fairnesseinschätzungen in erster Linie ein Problem selbstnützig verzerrter Wahrnehmung ist. 237 238

§ 11 Verhandeln aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht

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Fairneß – anzuwenden.242 Und weil Verhandlungsteilnehmer eine starke Aversion gegen die Akzeptanz unfairer Übereinkünfte empfinden, kommen sie dann trotz eines positiven Einigungsraumes und der Motivation, fair zu sein, wegen unvereinbarer Fairneßerwägungen nicht zu einer Lösung.243 Es kann vielmehr zu Vergeltungshandlungen (,Rache‘, z. B. in Form von sachwidrigen Forderungen) für das vermeintlich unfaire Verhalten des Gegners und somit zur Eskalation kommen, woraus Verhandlungsabbrüche resultieren.244 Wie oben245 schon festgestellt führt darüber hinaus das Teilen von Informationen, das man hier als Abhilfe betrachten könnte, nicht zwangsläufig auch zum Teilen von Sichtweisen und somit auch nicht zu einer Förderung der Verhandlungen.246 Dies kann nur über wechselseitige Kommunikation über die Einschätzungen geschehen. Wie empirisch erwiesen wurde, divergieren Fairneßeinschätzungen nach der Verhandlung signifikant weniger als zuvor, nähern sich also einander an.247 Eine Möglichkeit, die Verhandlung aufgrund dieser Erkenntnis zu verbessern, wäre also, quasi auf einer Meta-Ebene zunächst über die Fairneßmaßstäbe zu diskutieren, bevor dann ein diesen Maßstäben gerecht werdendes Ergebnis gesucht wird.248 Zumindest könnte eine gegenseitige Offenlegung der angelegten Maßstäbe das Verständnis der Gegenseite fördern und Eskalationen vermeiden. Dies ist allerdings keinesfalls charakteristisch für Verhandlungen. Es ist nicht zu erwarten, daß die Verhandlungspartner zunächst klare Fairneßmaßstäbe für ihre Übereinkunft bestimmen, die nachträglich kontrolliert werden können. Die oben angedachte Auslegung, die darauf gerichtet war, daß ein ausgehandeltes Ergebnis sich durch eine faire Verteilung der Vorteile aus der Verhandlung auszeichnet, ist somit vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse nicht haltbar. Es erschiene genauso 242 Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109 u. 117 f. (zum Experiment von Roth / Murnighan [bei Fn. 231, S. 210]: S. 120). 243 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 207; Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, American Economic Review 85 (1995), 1337, 1341; Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 110; Camerer / Loewenstein (1993) S. 172. 244 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 207; Babcock / Loewenstein, Journal of Economic Perspectives 11 (1997) 109, 110. Dieses Erklärungsmodell für Verhandlungsabbrüche ist im übrigen umfassender, weil es auch Verhandlungsabbrüche bei vollständiger Information der Parteien zu erklären vermag, woran die spieltheoretischen Modelle, die entscheidend auf die asymmetrische Informationsverteilung abstellen, scheitern (a. a. O. S. 120). In diese Richtung geht schon in gewisser Weise der Ansatz Crawfords, der Verhandlungsabbrüche mit (rationalen) commitment-Strategien erklärt, insbesondere mit Unsicherheit und Irrevokabilität der Selbstbindung (Crawford (1987) S. 151 f.). 245 Siehe unter c) Ignorieren von die eigene Einschätzung widerlegenden Anhaltspunkten, S. 201. 246 Babcock / Loewenstein / Issacharoff / Camerer, American Economic Review 85 (1995), 1337, 1342. 247 Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 207. 248 Dieses entspräche auch der von Fisher / Ury (1981) empfohlenen Methode (sog. Harvard-Konzept).

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fragwürdig, daß stillschweigende Vereinbarungen des fairen Aufteilungsschlüssels nachträglich zur Kontrolle ermittelbar sind. Im Endeffekt würde dies darauf hinauslaufen, das Ergebnis auf seine objektive Fairneß – und dies kann dann nichts weiter als die Angemessenheit sein – zu prüfen. Daß eine inhaltliche Äquivalenzprüfung der Übereinkunft aber auf juristischer Ebene nicht in Frage kommt, wurde oben schon gezeigt. Für eine normative Auslegung entfalten diese Erkenntnisse allerdings eine Bedeutung und sprechen für eine Obliegenheit, deutlich Position zu beziehen und auf Verhandlungsbeiträge des Gegners inhaltlich einzugehen. f) Positive Abweichung vom rationalen Verhalten hinsichtlich der Informationspolitik Aus der sozialpsychologischen Charakteristik des Verhandlungsverhaltens ergeben sich auch positive Abweichungen von den Rationalitätsmaßstäben, die die ökonomisch-spieltheoretischen Modelle anlegen:249 In direkten Verhandlungen (Angesicht zu Angesicht) geben Individuen oftmals mehr (und wertvollere) Informationen preis als nach diesen Modellen zu erwarten wäre, und erzielen dadurch häufig bessere Ergebnisse als die Spieltheorie vorhersagt.250 Dies kann unter anderem daran liegen, daß die Preisgabe von Informationen eine gewisse Verpflichtung (norm of reciprocity) auf der anderen Seite erzeugt, ebenfalls Informationen preiszugeben.251 Auf jeden Fall besteht Grund zu der Annahme, daß Verhandelnde den Wert ihrer privaten Informationen stark unterschätzen und ihren Informationsvorsprung nicht (vollständig) ausnutzen.252 Dies führt zu einer beiderseitigen Verbesserung der Ergebnisse, wenn beide Seiten dieser Wahrnehmungsverzerrung unterliegen. Fraglich erscheint dabei jedoch, ob nicht eine Ausnutzung dieser Effekte zu befürchten ist, wenn eine Seite davon Kenntnis hat und einseitig davon profitiert, indem sie selbst keine (verwertbaren) Informationen beisteuert. Um dies zu verhindern ist im Rahmen einer normativen Begriffsbestimmung des Aushandelns eine Pflicht zu substantiierter Stellungnahme auf Beiträge des Gegners in Erwägung zu ziehen. 3. Relevanz der dargestellten Faktoren Es existieren eine Reihe von sozialpsychologischen Faktoren, die dazu führen, daß das Verhandlungsverhalten signifikant von rationalem Verhalten abweicht.253 Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 94. Bazerman / Curhan / Moore (2001) S. 203; Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 81 ff. 251 Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 92 f. 252 Bazerman / Gibbons / Thompson / Valley (1998) S. 96 f. (m. w. N.). 249 250

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Bei diesem Phänomen handelt es sich, wie obige Erkenntnisse vielfach belegen, um systematische Abweichungen, die eine gewichtige Rolle für das Ergebnis von Verhandlungen spielen, und nicht nur um „Verhaltensanomalien“ 254, die nicht evolutorisch stabil seien.255 Die evolutorische Stabilität ergibt sich schon aus der Akzeptanz des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ bei den durch das Ausspielen von Verhandlungsmacht typischerweise begünstigten markt- und wirtschaftsmächtigeren Marktteilnehmern. Auch die große Anzahl von Praxisratgebern, deren Hilfestellung hauptsächlich in auf derartigen Wahrnehmungsverzerrungen aufbauenden Überzeugungsstrategien bzw. Abwehrstrategien gegen Manipulationsversuche besteht,256 verdeutlicht die praktische Bedeutung dieser Faktoren; die hohen Kosten, die Unternehmen für die Schulung ihrer Verkäufer bzw. Verhandlungsführer aufwenden, bestätigen auch deren wirtschaftliche Relevanz. Verhandlungen über die Risikoverteilung, also unter einem besonderen Maß an Unsicherheit, sind besonders anfällig für Rationalitätsabweichungen.257 Der kompetitive Charakter der Verhandlung tut ein übriges.258 Darüber hinaus erfordern insbesondere mündliche Verhandlungen schnelle Reaktionen, so daß die Zeit für reifliche Überlegungen häufig fehlt.259 Auch wenn Lernprozesse zur Verminderung der Irrationalität in vielen (nicht in allen)260 Fällen denkbar sind, so zeigen Untersuchungen doch, daß sie offenbar nur selten und unvollständig stattfinden.261 Ferner erfordert jeglicher Versuch, die wahrnehmungsverzerrenden Faktoren zu erkennen und ihrer Wirkung zu berauben, daß der Verhandelnde die Verhandlung synchron auf zwei Ebenen verfolgt und auf beiden Ebenen reagiert: Entscheidend ist, daß er von einer Meta-Ebene seinen eigenen Wahrnehmungsprozeß und seine Verhaltensabsichten vorausschauend betrachtet und überprüft und evtl. korrigiert. Noch dazu ist grundsätzlich auch die Wahrnehmung auf dieser Meta-Ebene von Verzerrungen bedroht,262 erfordert sie doch z. B. Selbstkritik263. 253 Andere, z. B. Halpern (1998) S. 228 f., bezeichnen das Verhalten dennoch als rational und sehen diese Abweichungen als rationale Entscheidungen in einem personalisierten Kontext, also auf einer nicht objektiven, sondern subjektiv-verzerrten Entscheidungsgrundlage, an. 254 Schäfer / Ott (2000) S. 63. 255 Schäfer / Ott (2000) S. 67. 256 Vgl. z. B. die Praxisratgeber Kirschner (1974); Holz (1981); Birkenbihl (1986). 257 Vgl. insb. 1. a) - e) (S. 199 ff.), 1. g) (S. 205 f.), 2. b) (S. 208). 258 Vgl. insb. 1. e) - g) (S. 202 f.), 2. d) (S. 210 f.), 2. e) (S. 212). 259 Vgl. insb. 1. b) (S. 200), 1. e) (S. 202), 1. g) (S. 205), 2. a) - e) (S. 207 ff.). 260 Siehe Halpern (1998) S. 231 („cognitive illusions“). 261 Neale / Bazerman (1991) S. 94 (m. w. N.). 262 Siehe dazu Neale / Bazerman (1991) S. 81 (ff.). 263 Vgl. dazu z. B. 1. c) (S. 201), 1. g) (S. 205).

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Selbst auf vollständig rationale Verhandelnde wirken sich diese „Verhaltensanomalien“ aus, da sie in ihr (rationales) Verhalten die Möglichkeit (ja Wahrscheinlichkeit) verfälschter Wahrnehmung und Entscheidungsfindung durch die Gegenseite einbeziehen müssen. In einigen Fällen ergibt sich hier die Möglichkeit, die Entscheidungsfindung des Gegners zu manipulieren. In anderen Fällen kann aber selbst bei Kenntnis der Rationalitätsabweichung (z. B. bei Wissen um die Bedeutung eigentlich irrelevanter Informationen) und eigenem rationalen Verhalten keine bessere Strategie gefunden werden.264 Vor diesem Hintergrund ist die These zu hinterfragen, derartige „Verhaltensanomalien“ könnten keine größere Rolle spielen, da sie nicht evolutorisch stabil seien.265 Da sie dem Verhalten grundsätzlich jedes Menschen anhaften, von den Betroffenen kaum in ihrer Bedeutung und Wirkung erkannt werden266 und auch nur schwer zu vermeiden sind, sind diese „Anomalien“ vielmehr geradezu als Charakteristika des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ anzusehen.

III. Bedeutung für die Auslegung von ,ausgehandelt‘ Da die dargestellten Abweichungen von rationalem Verhalten charakteristisch für das Verhalten in Verhandlungen sind, kann eine juristische Auslegung des auf Verhandlungen aufbauenden Begriffs des Aushandelns die Augen davor nicht verschließen. Ist die Wahrnehmung von Verhandlungssituation und -gegenstand ,verzerrt‘, dann wirkt sich dies grundsätzlich auch auf das Ergebnis des Verhandlungsprozesses – die ausgehandelte Übereinkunft – aus. Aus den sozialpsychologischen Erkenntnissen könnte sich ein Bedarf ableiten lassen, das Ergebnis durch eine über den ,Wortlaut‘ (im weiteren Sinne) hinausgehende Auslegung zu korrigieren, um unerwünschte – weil den normativ ermittelten Gesetzeszwecken nicht gerecht werdende – Eigenschaften des Verhandelns nicht auf das Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB durchschlagen zu lassen. Die Leitlinien einer derartigen Auslegung ergeben sich ebenfalls aus diesen Erkenntnissen.

1. Effizienz und Sachgerechtigkeit Es zeigte sich, daß die Abweichungen von dem in den ökonomischen / spieltheoretischen Modellen vorausgesetzten rationalen Verhalten ebenfalls nicht dazu führt, daß ein ,richtiger‘ Interessenausgleich durch das Verhandeln (quasi auf intuitivem Wege) garantiert werden kann: In vielerlei Hinsicht erwies sich der Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ als nicht ex post effizient. Eine Auslegung, 264 265 266

Vgl. Roth / Murnighan, Econometrica 50 (1982), 1123, 1141. Schäfer / Ott (2000) S. 67. Vgl. Haft (2000) S. 31.

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die allein auf das tatsächliche Verhandeln abstellt, bewirkte somit, daß nicht in allen Fällen, in denen es sinnvoll bzw. sachgerecht wäre und in denen die Parteien es grundsätzlich wünschen, eine Abweichung von der gesetzlichen Regelung ermöglicht wird. Ähnliche Folgen hat die Induktion einer Gewinn / Verlust-Sichtweise, die die Anordnung von Verhandlungen mit sich bringt. Die Perspektive verlagert sich also weg von Sachgerechtigkeitsaspekten, d. h. von den Chancen für beide Parteien, durch die Übereinkunft zu profitieren. Integrative Lösungen werden dadurch erschwert. Diese Wirkung haben die meisten der beobachteten Wahrnehmungsverzerrungen in Verhandlungssituationen. Die ,Anordnung‘ von Verhandlungen führt eher zu Basarverständnis267 als zum gemeinsamen Lösen eines Problems, d. h. der gemeinsamen Optimierung der für das Rechtsverhältnis geltenden Risikoverteilung. Menschliches Verhandlungsverhalten führt typischerweise nicht zu einer Optimierung des erzielbaren Nutzens.268 Dies gilt selbst in Fällen von vernachlässigbarem Verhandlungsmachtgefälle, da die Abweichungen von der Rationalität nicht daran gebunden sind. Eine Auslegung, die rein auf das Verhandeln abstellt, wäre suboptimal vor dem Hintergrund des ökonomischen Allokationseffizienzkriteriums. Die dargestellten Rationalitätsabweichungen liegen in der Natur des menschlichen Verhandelns, so daß sie bei der Auslegung zu berücksichtigen sind. Ein Ausschluß der Rationalitätsabweichungen beim Verhandeln ist auf normativer Ebene nicht möglich, da Sacherwägungen auch vor dem Hintergrund sozialpsychologischer Erkenntnisse im Verhandlungsmechanismus keine Rolle spielen.269 Daher kann vor dem Hintergrund der Sachstrukturen der normativ ermittelte Gesetzeszweck, sachgerechte Ergebnisse zu gewährleisten, nicht vollständig erreicht werden. Es besteht lediglich die Möglichkeit, nur solche (tatsächlichen) Verhandlungssituationen als relevante Verhandlung anzuerkennen, in denen Rationalitätsabweichungen weniger begünstigt werden. Es kann somit im Rahmen der Auslegung der §§ 449, 466 HGB lediglich die Rationalität des Verhandlungsprozesses gefördert und dadurch die Sachgerechtigkeit der Ergebnisse in Grenzen begünstigt werden. Als Ansatzpunkt bietet sich dazu eine Pflicht zur substantiierten Stellungnahme auf Verhandlungsbeiträge des Gegners und die Gewährleistung einer angemessenen und eindeutigen Informationslage an, so daß der Anlaß zu interpolativen Schätzungen, die besonders anfällig für Wahrnehmungsverzerrungen sind, entfiele.

Vgl. dazu Haft (2000) S. 114. Halpern (1998) S. 237. 269 Vgl. Haft (2000) S. 24, der daher ein „rationales Verhandlungsmodell“ vorschlägt. Wegen des unlösbaren Gegensatzes von Wertschöpfung und -beanspruchung (Verhandlungsdilemma) vermag ein solches Modell das herkömmliche Verhandeln jedoch nicht vollständig zu verdrängen, was auch Haft selbst anmerkt (ebd.). 267 268

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2. Privatautonomie Vor dem Hintergrund der Sachstrukturen ist der Punkt ,Selbstbestimmung‘ ähnlich problematisch wie der topos ,Sachgerechtigkeit‘. a) Den Sachstrukturen inhärente Manipulationsmöglichkeiten Viele sozialpsychologische Faktoren eröffnen die Möglichkeit, auf die Willensbildung des anderen Einfluß zu nehmen, sei es als bewußte Manipulation oder auch nur unbewußt (Verhandlungsgeschick). Auch wenn beiden Parteien dieses Mittel zur selbstbestimmten Durchsetzung einer Vertragsgestaltung offensteht, so können auch beide ihr erliegen und somit Opfer von Fremdbestimmung werden.

b) Beeinträchtigung der Selbstbestimmung durch Verhandlungsmacht Neben diesen Manipulationsmöglichkeiten läßt die Analyse des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ keine systematische Möglichkeit erkennen, fremden Beeinflussungen durch Verhandlungsmacht etwas entgegenzusetzen. Im Gegenteil, es hat sich gezeigt, daß das Verhandeln wirtschaftliche Macht nur sehr unvollkommen zu egalisieren vermag: In Verhandlungen wird ein Interessenausgleich ausschließlich über Verhandlungsmacht erzielt. Verhandlungsmacht und wirtschaftliche Macht verhalten sich dabei typischerweise proportional (auch wenn dies nicht zwingend der Fall ist).270 Eine Beschränkung dieser Macht in Verhandlungen ist nicht abzusehen, denn der Machtaspekt kommt in der wirtschaftswissenschaftlichen und auch juristischen Diskussion weitgehend zu kurz. Das Machtphänomen wird vielfach ignoriert oder schon am Anfang durch die Prämisse annähernd gleichmächtiger Subjekte umgangen.271 Ansonsten taucht es vielfach nur in Spezialbereichen wie dem Kartellrecht, dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder dem Verbraucher-, Mieter- bzw. Arbeitnehmerschutz auf – eben dort, wo das Machtproblem offensichtlich wird und nicht mehr geleugnet werden kann. Daß es sich dabei aber nur um die Spitze des Eisbergs handelt, d. h. daß sich ein komplexes gesellschaftliches Phänomen dahinter verbirgt, wird meistenteils verkannt. Allem was unterhalb der Wasserlinie liegt, wird die Relevanz, konkret der Einfluß auf die Vertragsgerechtigkeit, aberkannt. Daher legen die vorhandenen Siehe oben unter § 10 I. 2., S. 158. Nach Biedenkopf, FS-Böhm (1965) S. 118, z. B. „wurde, für die Zwecke des Privatrechtssystems, die Macht aus dem juristischen Tatbestand ausgeklammert . . .“ Schon Schmidt-Rimpler, AcP 147 (1941) S. 157 wirft dies dem „Liberalismus“ vor. Für die Wirtschaftswissenschaften Klein, Journal of Economic Issues 14 (1980) S. 872 u. 880 „. . . most economists usually simply ignore it [power]“ und Macneil, ebd. S. 916 „Power has been far more neglected . . . as a tool for analyzing the legal system than has economics.“ 270 271

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Normen (z. B. §§ 123, 138, 312 BGB) auch nur die äußerste Grenze zulässigen Verhandlungsverhaltens fest; innerhalb dieser Grenzen bleibt weiterhin genügend Raum, um die überlegene Stellung auszuspielen.272 Das Ignorieren der Verhandlungsmachtproblematik ist vor dem Hintergrund der Prämisse verständlich, daß die Verhandlungsparteien rational und selbstverantwortlich sind und daß sich die tatsächliche Verhandlung der idealen (transaktionskostenfreien) Verhandlung – das Verhandlungsbild, das der Vorstellung des vollständigen Vertrags zugrunde liegt – hinreichend nähert. Unter diesen Voraussetzungen gilt nämlich auch (analog) das Coase-Theorem273, nach dem sich (sehr verkürzt gesagt) stets die effizienteste (Risiko-)Verteilung durchsetzt. Der Mächtige wird seine Macht dann rationalerweise nur dazu einsetzen, den größeren Teil des (dann maximierten) Gewinnes zu erlangen, den der Vertragsschluß gesamtwirtschaftlich erzeugt. Allerdings wurden vielfältige Belege dafür gefunden, daß sich Menschen in Verhandlungssituationen nicht objektiv rational verhalten. Und selbst in rationalen Verhandlungsmodelle wird der (sachfremde) Einfluß bestimmter Faktoren (wie z. B. Zeitdruck) auf das Ergebnis nicht ausgeschlossen. Daher bleibt der Machtaspekt im Hinblick auf das Verhandlungsergebnis relevant und es haben sich auch keinerlei Möglichkeiten gezeigt, diesen Zusammenhang zu durchbrechen, außer die recht zweifelhafte und unsichere Methode der Täuschung (Bluff).

c) Konsequenzen für die Auslegung Daher ist festzuhalten, daß das Verhandeln kein Garant dafür ist, daß sich in der ausgehandelten Lösung Selbstbestimmung verwirklicht. Im Hinblick auf diese Charakteristik der Sachstrukturen müßte eine teleologische Auslegung der §§ 449, 466 HGB für eine Reduktion der Rationalitätsabweichungen sorgen. Dazu dient eine Verbesserung der Informationsbasis (vgl. dazu oben unter 1.). Das Ausspielen von Verhandlungsmacht kann als solches nicht verhindert werden, weil es in der Natur der Sache liegt. Es können jedoch bestimmte verhandlungsmachtbegründende Umstände auf normativem Wege vermindert oder ausgeschaltet werden. So könnte die Ausnützung eines Gefälles von Transaktions- oder Informationskosten oder Zeitdruck verhindert werden.

272 Biedenkopf, FS-Böhm (1965) S. 117; Fischer, DRiZ 1974, 209, 210 spricht von einem „weiten Rahmen“ der Vertragsfreiheit, der „nicht ausschloß, daß wirtschaftliche oder sachkundige Überlegenheit des einen Vertragspartners sich zu Lasten des anderen Vertragspartners auswirkte.“ 273 Coase, Journal of Law and Economics 3 (1960) S. 1 ff.; eine analoge Übertragung auf das Vertragsrecht klingt auch bei Posner (1992) S. 93 an.

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d) Prinzipielle Bedenken Die Phänomene der Präferenzumkehr274 und der Illusion der Kontrolle275 stellen die Selbstbestimmung in Verhandlungen an sich in Frage. Zwar hat der Betroffene sicherlich das Gefühl, selbstbestimmt zu sein, und fühlt sich nicht unfrei. Er schafft es aber dennoch nicht immer, tatsächlich seine rational ermittelten Präferenzen einzubringen. Eine Korrektur dieses Phänomens durch die juristische Auslegung ist nicht möglich, da es sich nur intern in der Sphäre des Betroffenen auswirkt und von außen gar nicht kontrollierbar ist. Es erscheint als grundsätzliche Frage, wie stark man den Aspekt der Selbstbestimmung betonen möchte, wenn doch andererseits die Orientierung an Sachgerechtigkeitsaspekten sehr gering ist. Der Ausgangspunkt des Bildes vom rationalen Wesen, das selbstbestimmt das Beste für sein eigenes Wohl wählt, erscheint zumindest im kompetitiven Verhandlungskontext nicht vollständig tragfähig. Ohne diesen Ausgangspunkt ist aber auch der Wert der Selbstbestimmung weniger absolut zu sehen (vgl. Minderjährige, deren rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung eingeschränkt ist, weil ihnen ein sachgerechtes Verhalten nicht zugetraut wird)276. Eine Verstärkung der Sachbasis der Entscheidung im Wege der teleologischen Auslegung erwiese sich somit auch als Dienst an der Selbstbestimmung, da das dadurch angeregte rationale Verhalten die Grundlage für die Hochachtung (und damit dem Schutz) der Selbstbestimmung ist.

3. Zwischenergebnis Die Sachstrukturanalyse des tatsächlichen Verhandelns als Basis des Aushandelns zeigt, daß die zuvor normativ ermittelten Gesetzeszwecke durch Verhandeln nur unvollkommen verwirklicht werden. Es zeigte sich, daß das Ziel ,Gewährleistung sachgerechter Ergebnisse‘ durch Verhandlungen nicht erreicht werden kann, da ein zwingender Einfluß von Sacherwägungen auf das Verhandlungsergebnis der Natur des Verhandelns widerspricht. Somit kann zwar die Förderung, nicht aber die Gewährleistung sachgerechter Ergebnisse objektiver Gesetzeszweck sein. Aus der Sachstrukturanalyse ergeben sich Anhaltspunkte für normative – aber mit den Sachgegebenheiten vereinbare – Modifikationen bzw. Eingriffe in den Verhandlungsprozeß, durch die einige negative Charakteristiken des Verhandelns vermindert und die normativ ermittelten Ziele (wenigstens teilweise) umgesetzt werden können. Anhand dieser Erkenntnisse können Leitlinien für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,Aushandeln‘ entwickelt werden. 274 275 276

Siehe bei Fn. 202, S. 203. Siehe bei Fn. 211, S. 205. Vgl. Wolf (1970) S. 115.

§ 11 Verhandeln aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht

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Zuvor soll jedoch ermittelt werden, ob in der sozialen Wirklichkeit des Verhandelns schon normative Einschränkungen des denkbaren Verhandlungsverhaltens existieren, die als in den Sachstrukturen angelegte Ordnung277 im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen sind oder gar bestimmte Leitlinien vorzeichnen.

IV. Soziale Normen und Spielregeln des Verhandelns als Voraussetzung für ein ausgehandeltes Ergebnis Jede menschliche Interaktion wird von sozialen Normen beherrscht.278 Diese machen das Verhalten der Beteiligten insoweit kompatibel, als daß eine friedliche Verständigung möglich ist. Es wurde oben schon festgestellt, daß (empfundene) Fairneß im Bezug auf eine gerechte Ergebnisverteilung ein bestimmendes Moment des Konfliktlösungsmechanismus ,Verhandlung‘ ist. Es konnte jedoch kein objektiver (oder zumindest ex post objektiv feststellbarer) Maßstab für ein faires Ergebnis ermittelt werden. Fairneß könnte aber insbesondere auch für den Ablauf der Verhandlung, d. h. für das Verhandlungsverhalten eine entscheidende Bedeutung haben.279 Es könnten also für Verhandlungen charakteristische Spielregeln existieren, die ein akzeptables Verhandlungsverhalten normieren.280 Eine durch akzeptables Verhandlungsverhalten zustande gekommene Übereinkunft könnte dann vor dem Hintergrund der Sachstrukturen des Verhandelns als ausgehandelt bezeichnet werden. Es böte sich somit ein neuer Ansatz für die Begriffsbestimmung des Aushandelns an. Um diesen Ansatz näher zu untersuchen, sind zunächst die sozialen Normen des Verhandlungsverhaltens zu ermitteln und zu charakterisieren.

1. Soziale Normen für zulässiges Verhandlungsverhalten Die Normen, um die es hier geht, sind sicherlich keine Rechtsnormen – es handelt sich vielmehr um soziale Verhaltensstandards.281 Diese ergeben sich aus dem gemeinsamen Modell der Verhandlungssituation, das die Verhandelnden selbst erzeugen,282 und spiegeln eine Ethik des Verhandelns wider.283 Diese anerkannten Vgl. Larenz (1991) Kap. 4 – 2.d (S. 334). Vgl. zum Verhandeln Heussen (1997) Rn. 187. 279 Vgl. Crott, Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971), 61, 71, der von Einflußfaktoren spricht; vgl. auch Lewicki (1983) S. 86 u. Halpern (1998) S. 229. 280 Vgl. zur Bedeutung von „Verhaltensnormen“ auch Eidenmüller (1995) S. 89. 281 Vgl. dazu Pawlowski (2000) Rn. 155, der diese sozialen, tatsächlich wirksamen Normen als „rezipierte Normen“ bezeichnet. 282 Vgl. Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 291. 283 Diese müssen auch nicht unbedingt allgemeinverbindlich sein, die Gewichtung einzelner Merkmale kann durchaus schwanken, ferner kommen auch individuelle Verhaltensstandards in Betracht (vgl. Crott, Zeitschrift für Sozialpsychologie 2 (1971), 61, 71). 277 278

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und internalisierten Verhaltensstandards, die noch keine positiv-rechtliche Regelung erfahren haben, könnten in Anlehnung an Savigny als im „Volksbewußtsein“ vorhandene Normen angesehen werden, die die Jurisprudenz nur noch zu ermitteln braucht.284 Es ist also zu untersuchen, ob sich hier empirisch bestimmte Charakteristika ergeben, die man für das Verhandlungsverhalten verobjektivieren und verallgemeinern kann. a) Bestimmung konkreter Normen des Verhandlungsverhaltens Teilt man ethisch kritische Verhandlungsstrategien in die vier Kategorien285 (a) Falschdarstellung (Unterbewertung) des Nutzens des Verhandlungsergebnisses für einen selbst, (b) falsche Versprechungen / Drohungen, (c) Manipulation der Logik des Entscheidungsfindungsprozesses und (d) Fälschung von Informationen / Manipulation der (objektiven) Entscheidungsgrundlage ein, und läßt diese Kategorien auf einer Skala von 1 bis 5 bewerten, ob sie ethisch vertretbar (1) oder nicht (5) sind, so zeigt sich nicht nur, daß die Aufteilung in die vier Kategorien relativ plausibel ist, weil sich nur geringe Korrelationen der Ergebnisse ergeben – ein Zeichen dafür, daß unterschiedliche Strategien auch unterschiedlich bewertet werden. Es ergibt sich vielmehr auch eine deutliche Wertungsreihenfolge nach abnehmender ethischer Vertretbarkeit.286 Die Unterbewertung des eigenen Nutzens gegenüber dem Verhandlungspartner wird durchgängig als ethisch vertretbar angesehen (2,0). Falsche Versprechungen oder Drohungen, die man nicht wahrzumachen bereit ist, werden im Durchschnitt als ethisch neutral (2,8) bewertet, wohingegen Manipulation des (rationalen) Entscheidungsprozesses (3,8) oder gar Falschdarstellung von Tatsachen (4,9) als ethisch unangebracht in einer Verhandlung abgelehnt werden. Lewicki / Stark287 erhoben Daten über die Beurteilung288 der ethischen Angemessenheit einzelner in der Verhandlungspraxis bedeutender Verhandlungsstrategien und damit über die sozialen Normen des Verhandlungsverhaltens. Auch hierbei ließ sich eine deutliche Dreiteilung der Bewertung in gebilligtes, neutrales und mißbilligtes Verhalten erkennen.289 Zusammenfassend läßt sich feststel284 Savigny (1814) S. 9 ff. Allerdings sind dazu bislang soweit ersichtlich nur amerikanische Studien erschienen, so daß ein Schluß auf einen deutschen oder europäischen „Volksgeist“ noch keine empirische Stütze besitzt. 285 Vgl. dazu die Kategorisierung bei Lewicki (1983) S. 70 f. 286 Anton, R. J.: Drawing the line: An exploratory test of ethical behavior in negotiation. International Journal of Conflict Management 1 (1990) S. 265 ff. [zit. bei Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996), 69, 78 f.]. 287 Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996) S. 69 ff. 288 320 Probanden bewerteten 18 Taktiken auf einer Skala von 1 (unethisch) bis 7 (ethisch), wobei 4 als ethisch neutral anzusehen ist. 289 Als angemessen und vertretbar wurden bewertet: das Sammeln von Informationen über den Gegner und seine Verhandlungsposition im eigenen Bekanntenkreis (6,10 Pkte.), das Ver-

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len, daß unlautere, d. h. sich nicht in der Auswertung der einem ohne weiteres offenstehenden Quellen erschöpfende Informationsgewinnung, Beeinflussung des sozialen Netzwerks des Gegners und vorsätzliche Falschdarstellung von Tatsachen, die den Verhandlungsgegenstand betreffen, als klar unethisch angesehen werden. Gleiches gilt auch für falsche Drohungen / Versprechungen, wobei sich dieses Ergebnis in gewisser Weise mit dem Ergebnis der oben genannten Studie (ethisch neutral) widerspricht. Dieser Widerspruch könnte sich evtl. aus der sprachlichen Formulierung290 der Frage erklären, da in der Studie von Lewicki / Stark unmittelbar von der Drohung mit der Zufügung eines Übels („harm“) gesprochen wurde, während Anton nur von Drohungen sprach. Dies ließe sich so interpretieren, daß die Drohung mit einem empfindlichen Übel, das in keinem Verhältnis zur Verhandlung steht (verwerfliche Mittel-Zweck-Relation, zumind. ethisch daher wohl vergleichbar mit Nötigung i. S. d. § 240 StGB), als hochgradig unethisch angesehen wird, wohingegen ,verhandlungstaktische‘ Drohungen in Bezug auf die Verhandlung (z. B. Drohung mit Verhandlungsabbruch oder Drohung, ein Zugeständnis zurückzunehmen) als neutral – oder gar vertretbar – angesehen werden.

hehlen der wahren Minimalposition (5,84), das Stellen einer Anfangsforderung, die die eigenen Erwartungen weit übersteigt (5,75), und das Vorspiegeln relativer Geduld, d. h. das Versetzen des Gegners in Zeitdruck (5,37). Als unangemessen und unvertretbar wurden bewertet: vorsätzliche Falschdarstellung / Verfälschung von Informationen / Fakten, um die eigene Position zu untermauern (1,99), Versuch der Informationsgewinnung durch das Abwerben eines engen Mitarbeiters (2,02), Drohung mit einem Übel (selbst wenn die Drohung nicht ausgeführt werden soll) (2,10), Versprechen von Positivem, obwohl das Versprechen nicht eingelöst werden wird / werden kann (2,20), Kontaktaufnahme mit den Auftraggebern des Verhandlungsgegners mit dem Ziel der Unterminierung deren Vertrauens auf den Gegner als Verhandlungsführer (2,20), Drohung, den Verhandlungsgegner vor seinen Auftraggebern schwach oder dumm erscheinen zu lassen (2,35), vorsätzliche Fehldarstellung der Verhandlungsfortschritte außerhalb der Verhandlung, um die eigene Position besser erscheinen zu lassen (2,61), Informationsgewinnung über die Verhandlungsposition des Gegners durch Aufbau und Ausnutzung einer freundschaftlichen Beziehung zu ihm (2,83), Falschdarstellung / Verfälschung von Informationen / Fakten, wenn der Gegner dies ebenfalls schon getan hat (2,94), käufliche Informationsgewinnung über die Verhandlungsposition des Gegeners von eigenen Informanten etc. (3,07), Kontaktaufnahme mit den Vorgesetzten des Verhandlungspartners, um sie auf die eigene Seite zu bringen (3,18), und Falschdarstellung der Verhandlungen außerhalb der Verhandlungen, um ,delikate Diskussionen‘ nicht aufzudecken (3,41). Keine klare Bewertung war möglich bezüglich: Stellen einer derartig extremen Anfangsforderung, daß das Vertrauen des Gegners darauf, eine zufriedenstellende Übereinkunft zu erzielen, unterminiert wird (4,18), und dem Gegner Vermitteln, daß er seine Ziele nur in der Verhandlung verwirklichen kann, obwohl er sie anderweitig ebenfalls (evtl. gar besser) verwirklichen könnte, d. h. Täuschung über die Alternativen (4,28). 290 Auf die Begrenzung durch den Sprachgebrauch weisen auch Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996), 69, 92 hin.

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b) Normen der Verhandlung in der Praxis Auf diese Weise konnte eine – theoretische – Bestimmung der wichtigsten sozialen Normen vorgenommen werden, die normalerweise in durchschnittlichen Verhandlungssituationen das zulässige Verhalten prägen.291 Auch wenn die Bewertungen ihrem absoluten Maße nach zwischen verschiedenen Personenkreisen differieren292 und sich somit kein absolutes, kardinales Maß für erlaubte und verwerfliche Verhaltensweisen ermitteln läßt,293 so läßt sich eine relative Wertungsreihenfolge aus diesen Zahlen dennoch ableiten. Beim ersten Versuch stehen die durchschnittlichen Ergebnisse in deutlichen (0,8 – 1,1 Pkte.) Abständen voneinander (insbesondere die Mißbilligung der Täuschungsmodalitäten ist hier deutlich als ethisch nicht vertretbar einzuordnen).

1 unethisch

2

3

4

5

6

eth. neutral Ergebnisverteilung 2. Versuch

7 ethisch

Im zweiten Versuch ergaben sich deutliche Gruppierungen diesseits und jenseits der ethisch neutralen Bewertung, die voneinander ebenfalls in deutlichem Abstand stehen. Auch hier sind durchschnittliche Wertungen durchaus verallgemeinernd zu entnehmen. Zumindest was durchschnittlich und von einer deutlichen Mehrheit als ethisch bedenklich angesehen wird, kann als von einer sozialen Regel sanktioniert gelten. Allerdings zeigt die Praxis ein viel facettenreicheres Bild der ethischen Standards, das gekennzeichnet ist von Ambiguität und Flexibilität.294 Wie oben schon festgestellt, ist die ethische Beurteilung des Verhaltens sehr stark subjektiv eingefärbt.295 Fraglich ist ferner, ob sich diese Erkenntnisse als in der Praxis valide erweisen. In der ,Hitze des Gefechts‘, ist der Gedanke an den eigenen ,Sieg‘ / Nutzen bestimmend und ethische Erwägungen treten in den Hintergrund. Wenn dann ein bestimmter Vorteil greifbar nahe erscheint, könnte es durchaus sein, daß zu Verhaltensweisen und Strategien gegriffen wird, die in einer von der konkreten Situation losgelösten Betrachtung als ethisch fragwürdig bewertet wurden. Wie schon die

Lewicki (1983) S. 86; Friedman / Shapiro (1999) S. 263 f. Lewicki (1983) S. 70 f. 293 So auch Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996), 69, 88. 294 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 291. 295 Vgl. Fn. 292; siehe auch Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996) 69, 88; Lewicki (1983) S. 86 f. 291 292

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subjektiven Fairneßerwägungen, so scheinen auch die wahrgenommenen ethischen Standards bzw. sozialen Normen eigennützig verzerrt aufgefaßt zu werden.296 Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, daß bestimmte Verhaltensweisen in Verhandlungen gemeinhin grundsätzlich als unethisch und damit unzulässig angesehen werden, daß also eine Menge weithin akzeptierter sozialer Normen bezüglich des Verhandlungsverhaltens existiert.297 Die Tatsache, daß es zu eigennützigen Verzerrungen der Wahrnehmung sozialer Normen kommt, deutet vielmehr darauf hin, daß diese Normen grundsätzlich anerkannt werden. Die reine Tatsache, daß eine Norm manchmal nicht befolgt wird, ändert nichts an ihrer Normqualität. Dies gilt, solange die Normwidrigkeit des Verhaltens erkannt wird oder gar eine Rechtfertigung für diesen Normbruch angenommen wird und nicht die Existenz der Norm als solcher in Frage gestellt wird. Die oben zitierten Studien belegen, daß die Normen als solche weitgehend anerkannt sind. Es lassen sich somit konkrete Regeln für das Verhandlungsverhalten ermitteln, bei deren Verletzung man das Ergebnis evtl. als nicht ausgehandelt bezeichnen könnte.

c) Generalisierung der Verhandlungsnormen Im folgenden soll nun der Versuch unternommen werden, aus den empirischen Erkenntnissen ein abstraktes System der sozialen Normen für das Verhandlungsverhalten aufzustellen. Dabei sollen diejenigen Normen, die nicht innerhalb der Verhandlungssituation Bedeutung entfalten (wie Normen über unlautere Informationsgewinnung oder Beeinflussung des sozialen Netzwerks des Gegners), ausgeklammert bleiben, da sie sich nur mittelbar auf den Verhandlungsprozeß und damit das Ergebnis auswirken. Sie sind also nicht verhandlungsspezifisch, sondern können bei jedem Geschäftskontakt Auswirkungen haben. Ihre Verletzung führt daher nicht zu einem irregulären Verhandlungsprozeß, auf den hier aber gerade abgestellt werden soll. Um ein System der Normen innerhalb der Verhandlung entwickeln zu können, erscheint eine Differenzierung von besonderer Bedeutung: Es ist zu unterscheiden zwischen Verhaltensweisen mit Bezug auf die Verhandlungssituation und Verhaltensweisen mit Bezug zur Verhandlungsbasis. „Verhandlungsbasis“ bezeichnet dabei die tatsächliche, objektiv-reale Situation, auf der die Verhandlung basiert und auf die sie sich bezieht, die jedoch durch die Verhandlung nicht beeinflußt oder verändert wird. Das wichtigste Element der Verhandlungsbasis ist der Vertragsgegenstand. Man kann noch so lange verhandeln, der Gebrauchtwagen bleibt ein Unfallfahrzeug, der Listenpreis bleibt gleich, das Gewicht des zu transportie-

296 Bazerman / Curhan / Moore / Valley, Annual Review of Psychology 2000, 279, 292 m. w. N. 297 Lewicki / Stark, Social Justice Research 9 (1996) 69, 92; Friedman / Shapiro (1999) S. 263 f.; Friedman (1994) S. 4 ff.; vgl. schon Lewicki (1983) S. 86.

15 Pfeiffer

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renden Containers und die Länge der Wegstrecke bleiben gleich etc. Die Verhandlungsbasis dient damit auch als Bezugspunkt einer absoluten Bewertung einer Übereinkunft.298 Rein subjektive Einschätzungen299 oder Vergleiche mit der gegnerischen Partei haben hier keine Berechtigung300, allein aus der Information über die Verhandlungsbasis läßt sich ein objektiver Wert der Übereinkunft berechnen.301 Mit „Verhandlungssituation“ ist dagegen die subjektive, durch kommunikative Interaktion erst erzeugte Situation gemeint, die sich im Laufe des Verhandlungsprozesses ergibt. Hier werden Einschätzungen über Nutzen, Präferenzen, Wahrscheinlichkeiten, Risikoneigung, Zeitdruck, beste Alternative und die Einschätzungen über die Gegenseite relevant. Die Verhandlungssituation ist also rein subjektiv und basiert auf der Bewertung der (realen) Verhandlungsbasis gepaart mit Einschätzungen, die sich daraus ergeben. Diese Einschätzungen dienen einer subjektiven und v.a. der relativen Bewertung der potentiellen Übereinkunft im Vergleich zum Verhandlungspartner. Hierher gehört auch die Frage, ob die Übereinkunft ein gutes oder schlechtes Geschäft war. Die Verhandlungssituation hört mit dem Abschluß oder Abbruch der Verhandlung auf zu existieren und Verhaltensweisen mit Bezug dazu zeigen keinerlei nachwirkende Auswirkungen mehr: Die Einschätzung des (eigenen oder gegnerischen) Nutzen einer bestimmten Vertragsgestaltung z. B. wird mit Verhandlungsabbruch obsolet, eine Alternative ist keine Alternative mehr, wenn die Gestaltung, zu der sie alternativ sein soll, entweder endgültig angenommen oder abgelehnt wurde und eine Drohung mit Verhandlungsabbruch hat nach Ende der Verhandlung keinerlei Bedeutung mehr etc. Verhaltensweisen in der Verhandlung können sich nun entweder auf die Verhandlungssituation oder auf die Verhandlungsbasis beziehen. So können z. B. Aussagen entweder über die eigene Verhandlungsposition (Präferenzen, Alternativen, 298 Z. B. ist eine Übereinkunft, durch die eine Kaufsache mit bestimmten Eigenschaften und dem sich daraus ergebenen objektiven Wert geringfügig über diesem Wert verkauft wird, für den Verkäufer absolut gesehen günstig. Ob der Käufer aus Liebhaberinteressen bereit gewesen wäre, viel mehr zu zahlen, und der Verkäufer somit ein relativ schlechtes Geschäft gemacht hat, hat damit nichts zu tun. 299 Einschätzungen sind nur im Hinblick auf Wahrscheinlichkeitsverteilungen relevant, die zwar subjektiv gefärbt, wohl aber mit einem Anspruch auf Objektivität getroffen werden. Es handelt sich hier nicht um Einschätzungen im Sinne von Wertungen. 300 Hinweis: Es können in diesem Sinne aber auch Fakten Bedeutung erlangen, die grundsätzlich aus dem Bereich der Verhandlungssituation herrühren (wie z. B. den Nutzen, den bestimmte Ergebnisse haben), wenn die Übereinkunft im Rahmen einer (prinzipienbasierten) Verhandlung auf sie als objektive Grundlage aufbaut (z. B. eine 50:50-Verteilung nach Nutzen). – In diesem Falle wird eine Verobjektivierung vereinbart, die ,dispositiven‘ Normen der Verhandlung somit ,vertraglich‘ eingeschränkt. 301 Dees / Cramton (1999) S. 239 nehmen eine ähnliche Abgrenzung vor und bezeichnen Täuschung über Eigenschaften, die beide Seiten zur Bewertung des Verhandlungsgegenstandes benötigen (common value issues), als unzulässig, während sie Täuschungen über Eigenschaften, die für die Wertschätzung nur der Seite, die sie kennt, von Bedeutung sind (private value issues) als zulässig betrachten (mit Einschränkungen bei starker Überlegenheit).

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Risikoneigung usw.) oder aber über die (tatsächlichen) Eigenschaften des Verhandlungsgegenstandes getroffen werden. Ob z. B. in der Verhandlungssituation davon ausgegangen wurde, der Käufer habe ein günstiges Konkurrenzangebot, wirkt sich nach Abschluß der Verhandlung für den Verkäufer nicht aus. Dadurch wird nicht beeinflußt, ob sich das Geschäft für ihn lohnt, sondern nur, ob er relativ zum Käufer ein gutes Geschäft gemacht hat. Anders wäre es, wenn der Verkäufer die Angabe macht, der Kaufgegenstand sei einwandfrei, obwohl er versteckte Mängel kennt. Dieses Verhalten wirkt sich nach Abschluß des Vertrages für den Käufer weiter aus, weil er dann nicht nur im Vergleich zum Verkäufer ein schlechtes Geschäft gemacht hat, sondern weil auch die absolute Bewertung des Geschäfts beeinflußt ist: Ein Geschäft über einen derartigen Gegenstand zu den konkreten Bedingungen ist objektiv weniger vorteilhaft – es dennoch vorzunehmen ist evtl. nicht rational zu rechtfertigen. Ein anderes Beispiel sind Drohungen302 mit Verhandlungsabbruch oder der Rücknahme von Zugeständnissen (verhandlungssituationsabhängig) im Gegensatz zu Drohungen mit einem nicht verhandlungssituationsspezifischem Übel (z. B. dem Publikmachen der wirtschaftlichen Situation des Partners, was auch nach Abschluß / Abbruch der Verhandlungen negative Wirkungen hätte). Auch bei eskalationsfördernden commitment-Strategien303, also dem Schaffen vollendeter Tatsachen, gelingt die Einordnung in dieses Raster: Solange die ,Tatsachen‘ nur eine subjektive Verhandlungsposition verstärken ohne dabei die objektive Lage zu verändern wie z. B. öffentliches Verkünden einer Mindestposition, sind diese Strategien somit – trotz ihres Konfliktpotentials – als zulässig zu erachten. Die tatsächliche Situation kann allerdings auch dermaßen beeinflußt werden, daß sich diese Beeinflussung auch nach Abschluß / Abbruch der Verhandlungen noch auswirkt. Wenn der Betroffene eine den Gegner begünstigende Übereinkunft akzeptieren müßte, um diese Auswirkung zu verhindern oder um die Nachteile zu begrenzen, wird die Verhaltensweise sozial mißbilligt werden. Ein Beispiel wäre, daß ein alleinverfügungsberechtigter Miteigentümer die Sache verkauft, um die Modalitäten der Auseinandersetzung der weiteren Diskussion zu entziehen, obwohl eine Trennung und Aufteilung in Frage käme. Die empirisch ermittelten sozialen Normen unterstützen diese Einteilung ebenfalls.304 Verhaltensweisen, die sich ausschließlich in der Verhandlungssituation auswirken (z. B. Verhehlen der eigenen Minimalposition, Unterbewertung des eigenen Nutzens oder Zeitdrucks)305, werden als ethisch vertretbar angesehen, woVgl. oben § 11 IV. 1. a) (S. 222). Siehe oben S. 187. 304 Anmerkung: Angesichts der noch schmalen empirischen Grundlage kann es sich bei dieser Feststellung lediglich um eine Hypothese handeln, die empirisch nachzuweisen nicht Aufgabe dieser Arbeit sein kann. Die hier zitierten Studien weisen aber auf eine starke Plausibilität der Hypothese hin, so daß im folgenden davon ausgegangen werden soll. 305 Siehe oben unter § 11 IV. 1. a) (S. 222) und Fn. 289. 302 303

15*

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hingegen Verhaltensweisen, die die Verhandlungsbasis berühren (Falschdarstellung von Fakten306, Drohung mit verhandlungsexternem Übel307), als ethisch unvertretbar beurteilt wurden. Eine gewisse Sonderstellung nimmt die Manipulation des rationalen Entscheidungsfindungsprozesses308 ein, die ebenfalls als unethisch angesehen wird. Hier wird – wie bei der expliziten Falschdarstellung objektiver Fakten – ebenfalls eine Fehlvorstellung über objektive Fakten oder logische Zusammenhänge hervorgerufen. Eine derartige Manipulation wirkt sich daher im Bereich der objektiven Verhandlungsbasis aus, so daß sie nach der hier vorgenommenen Systematisierung ebenfalls mißbilligt wäre. Dies entspricht auch den empirischen Daten, unterstützt also die Einteilung. An diesem Fall läßt sich deutlich der Schutzzweck der sozialen Normen ablesen: Mißbilligt ist jedes Verhalten, das nicht lediglich zu subjektiven Fehleinschätzungen und -bewertungen führt (Risikobereich jeder Partei), sondern das sich auch bei vollkommen rationalem Verhalten der Gegenpartei negativ auswirkt, so daß eine Fehlentscheidung für sie ohne (überobligatorische) Schutzvorkehrungen309 unvermeidbar ist. Es wird also die Möglichkeit selbstbestimmter Entscheidung auf objektiv-rationaler Grundlage geschützt, was auch mit der normativ ermittelten ratio legis der §§ 449, 466 HGB einhergeht.310 Die Vertragsparteien sollen die Möglichkeit besitzen, sich für eine bestimmte Übereinkunft zu entscheiden, weil diese nach Beurteilung auf dem Fundament der Verhandlungsbasis für sie günstig ist und ihnen absolut gesehen Vorteile bringt (im Vergleich zur Situation ohne Übereinkunft). Jedes Einwirken auf diese Beurteilung, die aus dem Bereich der Verhandlungsbasis erwächst, ist somit als (sozial) unzulässig anzusehen. Auch wenn diese Beurteilung auf subjektiven Einschätzungen und Beurteilungen der Verhandlungsbasis beruhen kann (z. B. Einschätzung der Wahrscheinlichkeit eines Schadensfalls), so ist sie dennoch geschützt, soweit sie ihre Grundlage in der objektiv-realen Situation und somit in der Verhandlungsbasis hat. So ist z. B. auch die Beeinflussung der Einschätzung der Schadenswahrscheinlichkeit mittels falscher Statistiken mißbilligt, während z. B. die subjektive Einschätzung, wie weit der Gegner noch nachgeben wird (der Verhandlungssituation zuzuordnen), nicht geschützt ist, selbst wenn sie mit objektiv falschen Aussagen beeinflußt wird. Es liegt nämlich im jeweiligen Risikobereich der Parteien, ob sie relativ, also im Vergleich zur anderen Seite, ein gutes Geschäft gemacht haben. Die Entscheidung, ob eine Übereinkunft erzielt wird oder nicht, hängt davon bei rationaler Beurteilung nicht ab. Hier ist der Wirkbereich der Verhandlungsgeschicklichkeit, hier haben Ebd. (Fn. 305). Vgl. dazu Fn. 289 und insb. die Erläuterung am Ende von § 11 IV. 1. a) auf S. 223. 308 Siehe oben unter § 11 IV. 1. a) (S. 222). 309 Z. B. verdachtsunabhängige Überprüfung jeder Angabe des Gegners, Überprüfung der Echtheit von jeder vorgelegten Urkunde etc. Die Auswirkung unzulässiger Drohungen kann kaum verhindert werden . . . 310 Vgl. oben unter § 8 III., S. 149. 306 307

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Strategien und Taktiken ihre Berechtigung. In diesem Bereich, der Verhandlungssituation findet also das ,Verhandlungsspiel‘ statt, in dem – vergleichbar dem PokerSpiel – andere Regeln gelten. Hier unterscheidet sich das Verhandeln (als Durchsetzen von Interessen) vom Argumentieren, verstanden als Suche nach der sachgerechten, objektiv richtigen Lösung. Auch wenn es sicherlich gut wäre, hier von einem Interessenskampf zu einer um Sachgerechtigkeit bemühten, prinzipienbasierten Verhandlung überzugehen, so läßt sich eine derartige Forderung aus den empirischen Daten zu ethisch mißbilligtem Verhalten in Verhandlungen nicht rechtfertigen. Wie auch bei den rechtlichen Normen weitgehend akzeptiert, schreiben die sozialen Normen nur ein ethisches Minimum fest, von dem zwar nicht zum Schlechteren, sehr wohl aber zum Besseren abgewichen werden darf. Hier wird deutlich, daß der Begriff des Verhandelns auch Bluffs und Täuschungen umfassen kann. Eine Widersprüchlichkeit verlangt noch nach Klärung: Oben wurde empirisch festgestellt, daß Menschen eine ausgeprägte Präferenz für faire Ergebnisse besitzen. Jetzt wird die faire Ergebnisverteilung als unbeachtlich hingestellt. Dies ist jedoch kein Widerspruch in sich: Zuvor wurde dargestellt, daß es keine Kriterien gibt, aufgrund derer sich ex post eine der konkreten Verhandlung adäquate, faire Ergebnisverteilung objektiv bestimmen läßt. Eine derartige Verteilung erwies sich als ,frommer Wunsch‘, der schon in sich im Widerspruch mit dem Wunsch nach maximalem eigenen Nutzen stand. Dieser innere Widerspruch ist an sich nicht lösbar; gerade daher sollte auf das faire Verhalten während des Verhandlungsprozesses abgestellt werden. Die empirischen Untersuchungen konnten ja auch keine sozialen Normen ermitteln, die dafür sorgen, daß ein (relativ zwischen den Parteien) faires Ergebnis erzielt wird. Daraus wird ein landläufig verbreitetes Unbehagen bei Verhandlungen erklärbar: Die Menschen wünschen sich ein faires Ergebnis, obwohl es keine Möglichkeit gibt, dies zu garantieren. Die Menschen dürfen zwar erwarten, daß sie objektiv richtig beurteilen können, ob der Vertrag gut für sie ist, ihnen fehlt jedoch die erwünschte Möglichkeit zu garantieren, daß sie nicht gegenüber dem anderen dennoch ein schlechtes Geschäft machen, sich quasi übervorteilen lassen.

d) Exkurs: Die ABA-Rules Die berufsethische Regelung der American Bar Association311 trifft in rule 4.1 (a)312 samt comment (2)313 als einziges Normwerk eine ausdrückliche Regelung http: // www.abanet.org ( / cpr / e2k-rule41.html). „In the course of representing a client a lawyer shall not knowingly: (a) make a false statement of material fact or law to a third person . . .“ (Fundstelle: Internet [Fn. 311]). 313 „. . . Under generally accepted conventions in negotiation, certain types of statements ordinarily are not taken as statements of material fact. Estimates of price or value placed on the subject of a transaction and a party’s intentions as to an acceptable settlement of a claim are ordinarily in this category . . .“ (Fundstelle: Internet [Fn. 311]). 311 312

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

hinsichtlich täuschendem Verhandlungsverhalten. Wie aus dem comment deutlich hervorgeht, werden Falschdarstellungen der Verhandlungsposition (als Gegenstand der Verhandlungssituation), also von Umständen, die lediglich die Bewertung der potentiellen Übereinkunft relativ zum Verhandlungsgegner betreffen, grundsätzlich als zulässig erachtet. Dies deckt sich mit den soeben empirisch ermittelten Normen des Verhandlungsverhaltens. 2. Die Rolle der sozialen Normen des Verhandelns für die Begriffsbildung des rechtlichen Verhandlungsbegriffes Das Verhandlungsverhalten ist durch empirisch feststellbare, internalisierte, soziale Normen sanktioniert. Jedes Verhalten ist mißbilligt, das die Verhandlungsbasis, d. h. die Grundlage für eine absolute Bewertung der Übereinkunft, beeinflußt, wohingegen grundsätzlich jedes Verhalten zulässig ist, soweit es sich ausschließlich innerhalb der Verhandlungssituation auswirkt, d. h. nur hinsichtlich der Bewertung der Übereinkunft relativ zum Verhandlungsgegner. Angesichts der Tatsache, daß das Verhandeln durch juristische Normen nicht konkret geregelt ist,314 könnten diese sozialen Normen für die Begriffsbildung des Aushandelnsbegriffs Bedeutung erlangen. Ausgehandelt könnte demnach eine Übereinkunft sein, die das Ergebnis normgemäßer Verhandlungen ist.

a) Konkurrenz zur positivrechtlichen ,Alles-oder-Nichts‘-Wertung des Anfechtungsrechts Andererseits hat die Verletzung dieser sozialen Normen auch vom Gesetz positiv eine (allgemeine) Regelung erfahren. Dies gilt insbesondere für die Hauptfälle der Drohung und der Täuschung mit Bezug zur Verhandlungsbasis (§ 123 BGB). Das Anfechtungsrecht knüpft hier klare Sanktionen an die Verletzung der oben für Verhandlungen identifizierten Verhaltensstandards. Hierin manifestiert sich eine deutliche Wertung des Gesetzes: Die entsprechenden Normverletzungen führen nicht dazu, daß einem Vertrag die Qualifikation als Vertrag entzogen wird. Es entsteht vielmehr dennoch ein zunächst vollgültiger Vertrag, der lediglich in einer bestimmten Frist vom Verletzten ex post vernichtet werden kann. Die konträre Wertung des § 306 BGB, der bei unwirksamen AGB-Klauseln in einem Vertrag den Vertrag als solchen aufrecht erhält und lediglich die unwirksamen Klauseln durch dispositives Gesetzesrecht ersetzt, bezieht sich gerade nicht auf die hier in Frage stehenden Normverletzungen beim Prozeß des Vertragsschlusses (hauptsächlich Täuschung und Drohung), sondern lediglich auf den Inhalt der jeweiligen Klauseln; nur dieser, nicht aber das Verhalten des Klauselverwenders wird mißbilligt.315 314

Vgl. Haft S. 120.

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Wesentlich Gleiches (Normverletzung als Täuschung oder Drohung) darf aber nicht ohne Grund ungleich behandelt werden (einerseits als konstitutives Element einer ausgehandelten Übereinkunft, andererseits nicht-konstitutiv für einen Vertrag) – ein Postulat nicht nur der Einheit und Folgerichtigkeit des Rechtssystems, sondern vielmehr auch der Gerechtigkeit. Die Einhaltung der oben ermittelten Normen des Verhandlungsprozesses kann also nur dann als konstitutives Element zur Begriffsbestimmung des Aushandelns herangezogen werden, wenn zwischen einer ausgehandelten Vereinbarung und einem allgemeinen Vertrag ein Unterschied besteht, der diese unterschiedliche Behandlung rechtfertigt. Dieser Unterschied könnte in einer anderen Interessenlage hinsichtlich der ausgehandelten Vereinbarung liegen, die nach einer anderen Wertung verlangt.

b) Vergleich der Interessenlagen bei ausgehandelten Vereinbarungen und Verträgen an sich Dies sei am Fall der widerrechtlichen Drohung untersucht. Bei der Verhandlung über die Haftungsregelungen bei einem Transportvertrag bestimmt eine Seite die andere zur Akzeptanz des Vertrages mit einer ihr nachteiligen Klausel (die auch Gegenstand von Verhandlungen war), indem sie (ganz plakativ) mit Gewalt droht. Betrachtete man diese Drohung (als Verletzung der Normen des Verhandlungsverhaltens) als ausschließlich durch § 123 BGB sanktioniert (so daß keine normativen Elemente die Definition von „ausgehandelt“ beeinflussen – im folgenden: tatsächlicher Verhandlungsbegriff), wäre der Vertrag mit den vertraglichen Haftungsbestimmungen zunächst wirksam geworden, könnte aber vom benachteiligten Bedrohten angefochten und damit vollständig vernichtet werden. Betrachtet man hingegen die Einhaltung der Verhandlungsnormen als konstituierend für eine ausgehandelte Übereinkunft (im folgenden: normativer Verhandlungsbegriff), dann wäre lediglich ein Transportvertrag mit gesetzlichen Haftungsbestimmungen zustande gekommen, der ebenfalls anfechtbar wäre. Wenn im ersten Fall der Vertrag grundsätzlich vorteilhaft für den Bedrohten ist und sich die erzwungene Haftungsbestimmung nur wenig nachteilig auswirkt, so wird keine Anfechtung erfolgen. Das ,Risiko‘ hätte sich also für den normwidrig Handelnden gelohnt. Weder wurde die Selbstbestimmung des Bedrohten gewahrt noch wird ein derartiges normwidriges Verhalten mit einer Sanktion belegt. Dies ist zwar beim Vertrag im allgemeinen nicht anders. Allerdings soll das Tatbestandsmerkmal „ausgehandelt“ ein besonderes, über das beim gewöhnlichen 315 Diese gesetzliche Wertung bleibt zwar weiterhin für die Auslegung des Aushandelnsbegriffs relevant, da in ihr zum Ausdruck kommt, daß jemand, der sich hinsichtlich bestimmter Teile eines Vertrages (Nebenbestimmungen) einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft (dies geschieht auch durch Verletzung der Normen des Verhandlungsprozesses), diesen Vorteil gänzlich verliert und eine derartige Klausel keinesfalls Geltung erlangt. Es läßt sich lediglich keine Wertung zu der Frage entnehmen, wie das Gesetz Täuschung und Drohung sanktioniert.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

Vertrag hinausgehendes Maß an Selbstbestimmung und Schutz vor Ausnutzung durch den Vertragspartner sicherstellen. Die Haftungsbestimmungen des Transportrechts sind grundsätzlich zwingend ausgestaltet, abweichende Regelungen sollen nur unter der engen Ausnahme existieren können, daß sich beide Verhandlungspartner ,besonders‘ bewußt selbst dafür entscheiden. Eine derartige Entscheidung, die fremdbestimmt oder auf fehlerhafter Entscheidungsgrundlage getroffen wurde, darf somit unter keinen Umständen zugelassen werden. Dem käme ein normativer Verhandlungsbegriff entgegen: Hier erlangte eine unter Normverletzung zustande gekommene Klausel in keinem Fall Gültigkeit: Erweist sich der Vertrag durch diese Verletzung im ganzen als ungünstig, so wird er angefochten werden. Ist er im ganzen jedoch dennoch positiv (wie es häufig der Fall sein wird, wenn nur Sekundäransprüche betroffen sind), bleibt er bestehen. – Allerdings ist die betreffende Regelung dann nicht ausgehandelt, so daß die gesetzlichen Regelungen gelten. Sollte der Verletzte die nachteilige Klausel tatsächlich privatautonom aufrechterhalten wollen, so kann er sie im Verhandlungswege bestätigen. Dadurch wird die Selbstbestimmung des Bedrohten oder Getäuschten in jeder Hinsicht geschützt und in jedem Fall ein Vorteil des Verletzers aus seiner Verletzung verhindert.316 c) Die AGB-rechtliche Wertung Dafür spricht an dieser Stelle317 auch die Wertung des Rechts der AGB (§§ 305 ff. BGB), daß jemand, der sich hinsichtlich bestimmter Teile eines Vertra316 Gleiches gilt auch in dem anderen denkbaren Fall, in dem durch eine Normverletzung (z. B. Täuschung) keine die gesetzliche Regelung übertreffende vorteilhafte Klausel erzielt wurde, sondern (z. B. gegen einen übermächtigen Verhandlungspartner) nur eine günstigere (aber immernoch nachteilige, weil hinter der gesetzlichen Regelung zurückbleibenden) Klausel. Der Verletzte kann in diesem Fall den (für ihn immernoch günstigen) Vertrag anfechten. Ansonsten gilt der Vertrag mit der vom Gesetz abweichenden Regelung – was immernoch günstiger für den Verletzten ist als die gesetzliche Regelung. Zwar ist diese Regelung nach dem normativen Verhandlungsbegriff nicht ausgehandelt, eine Berufung darauf (die nur dem Verletzer nützte) wäre aber nach § 242 BGB ausgeschlossen (nemo turpitudinem suam allegans auditur). Die effektive Situation wäre somit unter Zugrundelegung beider Verhandlungsbegriffe gleich. Daß dabei die Selbstbestimmung des Verletzten (auch) mittels des normativen Verhandlungsbegriffs nicht weitergehend geschützt wird und die fehlerhaft zustande gekommenen Klauseln dennoch zur Anwendung kommen, vermag zunächst zu befremden, sollte doch oben gerade dies verhindert werden. Hier ist jedoch zu bedenken, daß sich in einer zum Vorteil des Verletzten vom Gesetz abweichenden Regelung schon manifestiert, daß sich trotz Normverletzung bereits ein großes Maß an Selbstbestimmung verwirklicht hat, demgegenüber das Ausmaß der Verletzung (im Hinblick auf die Selbstbestimmung) gering ist. Orientiert man sich am Leitbild der gesetzlichen Regelung ist diesseits davon die Anfechtungsmöglichkeit als ausreichend zur Wahrung der Selbstbestimmung zu erachten. – Durch die Anordnung des Aushandelns wollte der Gesetzgeber ferner primär nur verhindern, daß negativ vom Gesetz abweichende Klauseln gegen den Willen des Benachteiligten wirken, was ebenfalls zu einer Einschränkung der oben genannten Erwägungen führt. 317 Vgl. Fn. 315 S. 231.

§ 11 Verhandeln aus soziologischer und sozialpsychologischer Sicht

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ges, die mit der Primärleistung nichts zu tun haben (Nebenbestimmungen), einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft, diesen Vorteil gänzlich verliert und eine entsprechende Klausel unter keinen Umständen Geltung erlangt. Als Rechtsfolge gelangt nämlich wieder die gesetzliche Regelung zur Anwendung und nicht (im Wege einer geltungserhaltenden Reduktion) eine Klausel mit gerade noch vertretbarem Inhalt. Der Klauselgegner wird vollständig geschützt und nicht etwa auf die Möglichkeit einer Art von Anfechtung o.ä. verwiesen. Es gibt somit in diesem Fall kein Alles-oder-Nichts-Prinzip. Die Interessenlage bei §§ 449, 466 HGB ist dem vergleichbar: Auch dort geht es um Nebenbestimmungen. Im übrigen tritt auch dort als Rechtsfolge (bei fehlendem Aushandeln) die dispositiv-gesetzliche Regelung an die Stelle der Klausel. Es liegt daher nahe, auch die Tatbestandsmerkmale zu vergleichen. Eine AGB-Klausel ist unwirksam, wenn sich der Verwender mit ihr auf die Weise einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft, daß er sie dem anderen durch seine wirtschaftliche Macht aufzwingt (legitimer Zwang, ,Drohung‘) bzw. der andere sie gar nicht wahrnimmt, weil AGB größtenteils als umfangreiche Klauselwerke nicht gelesen werden (legitime ,Täuschung‘). Das Tatbestandsmerkmal ,nicht ausgehandelt‘ wäre dem in dieser Hinsicht vergleichbar, wenn ein normativer Aushandelnsbegriff zugrundegelegt wird, der Einflußnahmen auf die Verhandlungsbasis – also insbesondere Täuschung und Drohung – ausschließt. Dann würde in beiden Fällen verhindert, daß sich eine Seite auf eine mißbilligte Weise einen Vorteil verschafft (sei es wegen Verletzung des AGBG oder der sozialen Verhaltensstandards). Auch diese Erwägung unterstützt den normativen Verhandlungsbegriff. Es erscheint also grundsätzlich so, daß bei der Frage, ob ein Vertrag als ,ausgehandelt‘ zu charakterisieren ist, und bei der Frage, ob ein Vertrag an sich besteht, unterschiedliche Interessenlagen bestehen, denen man durch eine Verweisung auf die Anfechtung im Bereich der ausgehandelten Übereinkünfte nicht optimal gerecht wird. Dies rechtfertigt es, für die Begriffsbestimmung von „ausgehandelt“ auf die Verletzung der Normen des Verhandlungsverhaltens abzustellen. d) Möglichkeit der Teilanfechtung zur Überbrückung des Interessengegensatzes? Etwas anderes ergäbe sich nur aus der Möglichkeit einer (Teil-)Anfechtung lediglich der Haftungsbestimmungen des Transportvertrages. In diesem Falle wäre die Berücksichtigung der Normverletzung bei der Definition von „ausgehandelt“ tatsächlich nicht zulässig, weil sich ansonsten keinerlei Unterschiede gegenüber einer Behandlung der Situation durch die Anfechtbarkeit ergäbe. In diesem Falle müßte die Regelung der Verletzung von Normen des Verhandlungsverhaltens als von § 123 BGB abschließend geregelt angesehen werden. Fraglich ist somit, ob eine Teilanfechtung einzelner Haftungsregelungen im Transportvertrag möglich ist. Dies ist zunächst dann der Fall, wenn es sich bei dem

234

4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

konkreten Transportvertrag um ein teilbares Rechtsgeschäft handelt.318 Dieses bestimmt sich, genauso wie die Rechtsfolgen, nach § 139 BGB.319 Danach sind auch streng einheitliche Rechtsgeschäfte objektiv teilbar, wenn lediglich einzelne von mehreren Bestimmungen eines Rechtsgeschäfts betroffen sind und der verbleibende Rest als selbständiges Rechtsgeschäft Bestand haben kann, „z. B. bei einer unwirksamen Gewährleistungsabrede“.320 Dies wird zwar häufig der Fall sein, allerdings bestimmt § 139 BGB, daß grundsätzlich Gesamtnichtigkeit die Folge ist. Anders läge es nur, wenn ein (hypothetischer) Parteiwille für eine Geltung trotz teilweiser Nichtigkeit ermittelbar wäre. Dies hat der zu beweisen, der am Restvertrag festhalten will – also der Verletzte, der den Vertrag zu den günstigeren gesetzlichen Bedingungen durchführen will.321 Dabei kommt es darauf an, daß die Parteien nach Treu und Glauben und bei verständiger Würdigung der beiderseitigen Interessen den Vertrag so geschlossen hätten, wie er sich ohne den nichtigen (angefochtenen) Teil darstellt322 – also genau der gesetzlichen Regelung entsprechend. Dies entspricht aber gerade nicht dem (wohl gar tatsächlichen)323 Parteiwillen, denn in der Aufnahme von Verhandlungen über die Haftungsbestimmungen zeigt sich gerade, daß die Parteien (bzw. zumindest eine)324 den Vertrag gerade nicht so (nämlich zu den gesetzlichen Bedingungen) abschließen wollte. Im übrigen steht ja auch vielfach die Gegenleistung in Beziehung zu den Nebenbestimmungen. Daß die Parteien in jedem Fall, wenn auch mit anderem Inhalt, kontrahiert hätten, ändert in der Sache nichts.325 Letztendlich ist es stets eine Frage des Einzelfalls, ob ausnahmsweise eine Teilanfechtung unter Aufrechterhaltung des restlichen Vertrags möglich ist326 (und ob dies auch noch durch den zunächst Benachteiligten beweisbar ist). Von einer grundsätzlichen Möglichkeit, lediglich die einzelnen Bestimmungen anzufechten, wenn die Normen des Verhandlungsprozesses verletzt wurden, kann somit nicht die Rede sein. Selbst wenn dies in Einzelfällen einmal möglich sein sollte, werden dadurch die oben angestellten Wertungen nicht ersetzt und somit auch nicht verdrängt. 318 MüKo–Mayer-Maly / Busche (2001) § 143 Rn. 11; Erman–Palm (2000) § 143 Rn. 1 u. § 139 Rn. 26; Staudinger–Roth (1996) § 142 Rn. 26. 319 Staudinger–Roth (1996) § 142 Rn. 26. 320 Erman–Palm (2000) § 139 Rn. 15; ebenso Staudinger–Roth (1996) § 139 Rn. 63 f.; vgl. auch MüKo–Mayer-Maly / Busche (2001) § 139 Rn. 24. 321 MüKo–Mayer-Maly / Busche (2001) § 139 Rn. 33; Erman–Palm (2000) § 139 Rn. 36 (jeweils m. w. N.). 322 Staudinger–Roth (1996) § 139 Rn. 75 (m. w. N.); vgl. auch MüKo–Mayer-Maly / Busche (2001) § 139 Rn. 28 ff. 323 Vgl. MüKo–Mayer-Maly / Busche (2001) § 139 Rn. 29; Staudinger–Roth (1996) § 139 Rn. 75. 324 Vgl. dazu Staudinger–Roth (1996) § 139 Rn. 75 (m. w. N.). 325 Staudinger–Roth (1996) § 139 Rn. 75. 326 Erman–Palm (2000) § 139 Rn. 10 (a.E.).

§ 12 Leitlinien der Auslegung

235

3. Ergebnis Somit kann festgehalten werden, daß Aushandeln aus dem Aspekt der Natur der Sache voraussetzt, daß während des Verhandlungsprozesses kein Verhalten an den Tag gelegt wurde, das die Verhandlungsbasis, d. h. die Grundlage für eine absolute Bewertung der Übereinkunft, beeinflußt. Dies ist vor diesem Hintergrund jedoch nur ein konstitutives (notwendiges) Element des Aushandelns und ermöglicht keine abschließende (hinreichende) Definition.

§ 12 Leitlinien der Auslegung vor dem Hintergrund der Sachstrukturen Die Sachstrukturen des Verhandelns wurden analysiert, um zum einen die normativ ermittelten Zwecke des Aushandelns daran zu messen und zum anderen Sachzwänge aus der Natur der Sache zu ermitteln, über die sich der Gesetzgeber und somit auch die Auslegung nicht hinwegsetzen können. Vor diesem Hintergrund können Leitlinien für die Begriffsbestimmung des Aushandelns ermittelt werden.

I. Anforderung an das Aushandeln aus der Natur der Sache Zum einen konnte eine den Sachstrukturen innewohnende Ordnung aufgedeckt werden in Form von sozialen Normen, die eine aktive Beeinflussung auf der Ebene der Verhandlungsbasis untersagen. Ein nach diesen Normen zulässiges Verhandlungsverhalten wirkt sich somit weder auf die absolute Bewertung des Verhandlungsergebnisses aus noch zeigt es Wirkung nach Abschluß der Verhandlung. So sind z. B. Täuschungen hinsichtlich des Vertragsgegenstands unstatthaft, während Täuschungen über die eigenen Preisvorstellungen oder Alternativangebote etc. zulässig wären. Zwar könnte sich der Gesetzgeber über diese Charakteristik des Verhandlungsverhaltens hinwegsetzen; solange für eine solche Absicht aber – wie hier – keine Anhaltspunkte erkennbar sind, ist davon auszugehen, daß er eine Regelung erlassen wollte, die sich nicht in Widerspruch zur natürlichen Ordnung der Dinge setzt. Demnach kann für die Auslegung festgehalten werden, daß ein Verhandlungsergebnis von der Natur der Sache her nicht ausgehandelt sein kann, wenn es unter Beeinflussung auf der Ebene der Verhandlungsbasis zustande gekommen ist [§ 11 IV. 3.327].

327

S. 235.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

II. Bei der Auslegung zu berücksichtigende Sachzwänge 1. Verhandlungsmacht als ergebnisbestimmende Kraft – Einfluß von Wirtschafts- bzw. Marktmacht Ein Sachzwang, über den sich Gesetzgeber und Auslegung auf keinen Fall hinwegsetzen können, besteht darin, daß das Verhandlungsergebnis ausschließlich durch Verhandlungsmacht bestimmt wird. Um normativ Einfluß auf die erzielten Ergebnisse nehmen zu können steht also ausschließlich der Weg offen, die Verhandlungsmachtverteilung zu beeinflussen [§ 9 II. 5.328]. Verhandlungsmacht und Wirtschafts- bzw. Marktmacht gehen zwar häufig miteinander einher, wirtschaftliche Macht als solche ist jedoch kein verhandlungsmachtbegründender Umstand. Nur die Konsequenz der wirtschaftlichen Macht, nämlich hauptsächlich bessere Alternativen zum konkreten Vertragsschluß, begründet Verhandlungsmacht. Da Einfluß auf das Verhandlungsergebnis aber nur über Einfluß auf die Verhandlungsmachtverteilung und Einfluß auf diese wiederum nur über eine Beeinflussung der verhandlungsmachtbegründenden Umstände ausgeübt werden kann, könnten die Auswirkungen von Marktmacht nur dadurch begrenzt werden, daß die Alternativen des Mächtigen begrenzt werden. Dieser Eingriff in den Wettbewerb kann grundsätzlich nur durch wettbewerbspolitische Maßnahmen geschehen; Art und Umfang eines derartigen Eingriffs lassen sich weder der Norm selbst noch ihrer Entstehungsgeschichte entnehmen, so daß sich ein derartiger Eingriff nicht im Rahmen der Auslegung vornehmen läßt. Im übrigen erscheint es im Hinblick auf die im GWB zutage tretenden Wertungen überaus fraglich, ob weitergehende Eingriffe in das Marktgeschehen notwendig bzw. vom Gesetzgeber (politisch) erwünscht sind oder überhaupt wünschbar und im Hinblick auf die Privatautonomie zulässig wären.329 Der Einfluß von Wirtschafts- bzw. Marktmacht auf die Vertragsgestaltung kann durch Verhandlungen somit nicht ausgeschaltet werden.330

2. Berücksichtigung von Sachaspekten? – Stellenwert der Selbstbestimmung Weiterhin läßt sich den Sachstrukturen entnehmen, daß Sacherwägungen zum Inhalt der Vereinbarung keinen Einfluß auf das Verhandlungsergebnis haben. Eine Berücksichtigung von objektiven Sachaspekten ist im Verhandlungsmechanismus nicht angelegt. Dies gilt nicht nur vor dem Hintergrund der das menschliche Verhandlungsverhalten prägenden vielfältigen Rationalitätsabweichungen [§ 11 III. 1.331], sondern selbst unter den Prämissen der rationalen ökonomisch328 329 330 331

S. 162. Vgl. dazu oben unter § 8 I. 3. a) cc), S. 121, und dd), S. 124. Ähnlich Eidenmüller (1999) S. 716 f. S. 216.

§ 12 Leitlinien der Auslegung

237

spieltheoretischen Modelle [§ 10 VI. 2. b)332]. Unter diesen Prämissen wäre eine Berücksichtigung von Sachaspekten zwar theoretisch denkbar, sie scheitert jedoch an der unvollständigen, asymmetrischen Informationsverteilung, der auch das Verhandeln nicht abhelfen kann. Außerdem kann der Einfluß sachfremder Faktoren (nämlich der verhandlungsmachtbegründenden Umstände wie z. B. eines Transaktionskostengefälles) überwiegen. Gleiches gilt im Hinblick auf den topos Selbstbestimmung [§ 10 VI. 2. c)333, § 11 III. 2. c)334]. III. Leitlinien der Auslegung Sowohl vor dem Hintergrund der spieltheoretisch-ökonomischen als auch der sozialpsychologischen Erkenntnisse vermag das tatsächliche Verhandeln die Selbstbestimmung – wohlgemerkt in Selbstverantwortung – sowie Sachgerechtigkeit und Effizienz nicht zu fördern. Da dies an der Art und Weise der Ergebnisfindung beim Verhandeln an sich liegt, also an dessen wesensbestimmendem Merkmal, ist ein korrigierender normativer Eingriff nur dadurch möglich, daß von allen Verhandlungsergebnissen lediglich bestimmte als ,ausgehandelt‘ gewertet werden. Vorherige Verhandlungen sind somit zwar notwendige, nicht aber auch hinreichende Bedingung des Aushandelns. Aushandeln muß daher mehr sein als Verhandeln. Die Auswahl der Verhandlungsergebnisse, die auch ,ausgehandelt‘ sind, könnte über den Inhalt der resultierenden Vereinbarung erfolgen. Dies widerspricht jedoch dem ausdrücklichen Willen des historischen Gesetzgebers335 und führte zu keiner effizienten Regelung, da eine Inhaltskontrolle auch ohne vorherige (ressourcenverzehrende) Verhandlung möglich ist. Sinnvollerweise kann nur auf die Verhandlungssituation abgestellt werden, aus der das Verhandlungsergebnis erwachsen ist. Dies entspricht im übrigen auch dem Willen des historischen Gesetzgebers.336 Auf der Basis der Analyse der Sachstrukturen sind dazu Leitlinien zu entwickeln. 1. Förderung einer angemessenen Informationsbasis Sowohl ökonomisch-spieltheoretische Modelle [§ 10 VI. 2. b)337 und c)338] als auch die sozialpsychologischen Erkenntnisse [§ 11 III. 1.339 und 2. c)340] verdeutS. 191. S. 192. 334 S. 219. 335 Begründung des Regierungsentwurfs eines TRG, BT-Drs. 13 / 8445 vom 29. 08. 1997, S. 86 (r. Sp.). 336 Ebd. (Fn. 335). 337 S. 191. 338 S. 192. 332 333

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

lichen die entscheidende Bedeutung einer ausgeprägten, eindeutigen Informationsbasis für die Förderung von selbstverantwortlicher Selbstbestimmung und Sachgerechtigkeit der Ergebnisse. Vielfältige Rationalitätsabweichungen erschweren eine sachliche Beurteilung vorgeschlagener Klauseln. Ferner sind für eine Beurteilung der Richtigkeit eines Vertrages Informationen über den Vertragsgegenstand erforderlich. Erst wenn eine realistische Einschätzung der Sachlage möglich ist, kann auch eine realistische Einschätzung der Vertragsrichtigkeit vorgenommen werden – wer die Leistungsmerkmale nicht kennt, kann auch nicht beurteilen, ob der geforderte Preis angemessen ist. Hinsichtlich der Verhandlungen über die Risikoverteilung in Transportverträgen ist eine realistische Beurteilung der Risiken von Nöten. Dies wiederum erfordert Kenntnisse von und Informationen über die Risikofaktoren. Diese Informationen sind jedoch nicht gleichmäßig verteilt, typischerweise muß eine Partei einen erheblich größeren Aufwand betreiben, um derartige Informationen zu erlangen. Diese Partei kann zwar nachfragen – diese Möglichkeit des Informationsaustausches ist gerade der zentrale Punkt des Verhandelns – und die Gegenseite ist verpflichtet, die Antwort wahrheitsgetreu zu geben.341 Allerdings muß sie wissen, wonach genau sie fragen soll, weil sie keinesfalls mit einer allgemeinen Aufklärung rechnen kann (das widerspräche gerade dem kompetitiven Charakter des Verhandelns). Außerdem ist die Gegenseite auch nicht verpflichtet (nicht vor dem Hintergrund sozialer Normen und rechtlich schon gar nicht), Auskunft zu erteilen.342 – Daß ein Frachtführer auf Nachfrage seine gesamte Kalkulation freiwillig offenlegt, damit der Absender die benötigten Informationen erhält, ist illusorisch. Es wurde ferner festgestellt, daß das Verhandeln – selbst in den rationalen Verhandlungsmodellen – nicht zu einem derartigen Informationsaustausch führt. Obwohl beim tatsächlichen Verhandeln aus psychologischen Gründen mehr Informationen ausgetauscht werden als nach spieltheoretischen Erwägungen zu erwarten, stellt sich das Informationsproblem keinesfalls als gelöst dar. Aus psychologischer Sichtweise haben sich vielmehr weitere Rationalitätsabweichungen bei unvollständiger Informationslage offenbart.343 Die Verhandlungssituation, die der Idee des vollständigen Vertrags entspricht, wird also bei Verhandlungen über die Risikoverteilung weitgehend verfehlt, denn die Informationskosten, die die jeweils andere Seite aufwenden müßte, um das erforderliche Maß an Informationen zu erlangen, erreichen prohibitiv hohe Dimensionen.344 Die Konsequenz daraus liegt auf der Hand: Es erscheint ökonomisch S. 216. S. 219. 341 Huber (2001) S. 9 ff. 342 Ebd. (Fn. 341). 343 Siehe dazu § 11 II. 1. (S. 198 ff.), insb. d) Vereinfachende Annahmen über ungewisse zukünftige Ereignisse. 344 Vgl. dazu Koller, FS-Steindorff (1990) S. 669 f. 339 340

§ 12 Leitlinien der Auslegung

239

günstiger, diese Kosten nicht aufzuwenden und sich mit einer vordergründigen Verhandlung, die auf unvollkommenen Einschätzungen beruht und deren Sachgerechtigkeitsgehalt eher gering ist, zufrieden zu geben. Ein Beispiel wäre der Versuch, einen Preisnachlaß (bzw. -erhöhung) herauszuhandeln, ohne daß dessen Höhe auf einer sachlichen Einschätzung der wirtschaftlichen Folgen der Klausel beruhte. Genauso prohibitiv hoch wären die Kosten, nach Ausweichmöglichkeiten zu suchen, d. h. entweder den Partner zu überzeugen, wieder zum dispositiven Gesetzesrecht zurückzukehren – wobei man mangels Informationen nicht beurteilen kann, ob die Vorschläge des Gegners nicht sogar sachgerechter wären – oder gar nach anderen potentiellen Geschäftspartnern zu suchen. Im Endeffekt stellt sich die Situation überaus ähnlich der Situation bei Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen dar: Auch hier resultiert die ,Schwäche‘ und Schutzbedürftigkeit des Klauselgegners nicht aus einer undifferenzierten wirtschaftlichen Unterlegenheit, die sich im übrigen auch ohne AGB-Verwendung auswirkte, sondern aus den ungleichen Kosten, die für eine Beurteilung der Richtigkeit des Vertrags anfallen.345 So ändert bei AGB die Kenntnis des Klauselgegners von deren Inhalt auch nichts an ihrer Qualifizierung als AGB; im Gegenteil, bei Verbraucherverträgen ist sogar die Möglichkeit der Kenntnisnahme eine Wirksamkeitsvoraussetzung. Die bewußte Ausübung der Abschlußfreiheit wird hier offenbar von der Rechtsordnung nicht als ausreichend erachtet, um ein ausreichendes Maß an Vertragsgerechtigkeit sicherzustellen. Im Hinblick auf das menschliche Verhandlungsverhalten ist die Verbesserung der Informationslage die einzige Möglichkeit, um Rationalitätsabweichungen zu reduzieren und eine selbstverantwortliche Beurteilung der (subjektiven) Vertragsrichtigkeit zu gewährleisten. Die erste Leitlinie für die Begriffsbestimmung des Aushandelns ist die Förderung von Rationalität durch Verbesserung der Informationslage.

2. Reduktion der Auswirkungen von Verhandlungsmacht Der Besitz von Informationen ist daneben auch ein wichtiger verhandlungsmachtbegründender Faktor. Die Reduktion von Verhandlungsmacht verbessert ebenfalls die Sachgerechtigkeit des Ergebnisses und fördert die Selbstbestimmung der anderen Partei. Zweite Leitlinie für die Begriffsbestimmung des Aushandelns ist somit die Verminderung des Einflusses von verhandlungsmachtbegründenden Umständen. Wie hinsichtlich des zulässigen Verhandlungsverhaltens ist aber auch hier zu differenzieren: Da das Verhandeln einen gerechten Interessenausgleich durch den konkreten Verhandlungsprozeß ermöglichen soll, kommt es nur auf solche Um345 Kötz, FS Mestmäcker (1996) S. 1040 f. (m. w. N.); Bunte, NJW 1987, 921, 924; Basedow (1987) S. 27 f.

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4. Teil: Die Sachstrukturen des Aushandelns

stände an, die während der Verhandlung strategisch dergestalt eingesetzt werden können, daß sie einseitig negative Auswirkungen zeitigen, die auch nach Abschluß bzw. Abbruch der Verhandlungen fortbestehen. In diesem Fall besteht nämlich keine ,Waffengleichheit‘ in der Verhandlung. Auf eine solche kommt es aber an, wenn nur durch den Prozeß des Verhandelns ein Interessenausgleich hergestellt werden soll. Auf die Situation der Parteien kommt es hingegen nicht an – selbst wenn daraus eine erhebliche Verhandlungsmacht erwächst (vgl. z. B. Marktmacht) –, da dadurch die strategischen Handlungsmöglichkeiten des anderen in der Verhandlungssituation nicht beschränkt werden. Es sind also nur solche verhandlungsmachtbegründenden Umstände relevant, die es einer Seite ermöglichen, der anderen Seite durch an sich zulässiges Verhandlungsverhalten wie Verzögerung oder Abbruch strategisch Schaden zuzufügen, der auch nach Abschluß bzw. Abbruch der Verhandlung bestehen bleibt und die eigenen Nachteile aus diesem Verhalten erheblich übersteigt.346 Dies sei am Beispiel der Verhandlungskosten erläutert: Sind die Verhandlungskosten einer Seite erheblich höher als die der Gegenseite, kann die Gegenseite die Verhandlungen verhandlungstaktisch verzögern und eine Drohung mit Verhandlungsabbruch (ein an sich zulässiges Verhandlungsverhalten) brächte unter diesen Umständen selbst vollkommen rationale Parteien zu erheblichen Zugeständnissen.347 Der Nachteil, den sie durch einen Verhandlungsabbruch erlitten, ist nämlich erheblich höher als der des Gegners, so daß dieser den Nachteil rationalerweise als Druckmittel einsetzen kann. Sind die Verhandlungskosten dagegen annähernd gleich, steht dieses strategische Werkzeug beiden Seiten zur Verfügung – auch wenn die marktmächtigere Seite evtl. bessere Alternativen hat. Der realisierte Nachteil, den ein Verhandlungsabbruch hier mit sich bringt, ist auf beiden Seiten annähernd gleich und kann somit nicht als Druckmittel eingesetzt werden. Relevante verhandlungsmachtbegründende Umstände sind somit Informationsund Transaktionskostengefälle sowie unterschiedlicher Zeitdruck. Damit sich diese Umstände nicht negativ auswirken, ist zum einen zu beachten, daß Kosten oder Zeitdruck nicht derart ,absolut‘ unangemessenen sein dürfen, daß schon allein ihretwegen ein Eintritt in Verhandlungen verhindert wird. Zum anderen muß Verhandlungsbereitschaft bestehen, die durch Verzögerung bzw. Drohungen mit Ver346 Vgl. Eidenmüller (1999) S. 713 u. 714, der Selbstbindungsstrategien nur zulassen möchte, wenn ansonsten ein unverhältnismäßiger Schaden einträte. Er geht ferner auch auf Verhandlungsverzögerungen ein, lehnt eine dahingehende Unterlassenspflicht jedoch ab, da dieses Verhalten in seinem Konzept anderweitig sanktioniert ist. 347 Hat z. B. A bislang 500 A Verhandlungskosten aufgewendet, B dagegen nur 200 A, so kann B unter Androhung des Verhandlungsabbruchs Zugeständnisse im Wert von bis zu 300 A verlangen, die A rationalerweise auch machen wird. Denn bei einem Verhandlungsabbruch müßte er neuerliche Verhandlungskosten aufwenden. Selbst wenn er mit neuerlichen Verhandlungskosten i.H.v. weiteren 500 A ein ausgeglichenes Ergebnis bei einem anderen Anbieter erzielen könnte, stünde er immernoch 200 A schlechter.

§ 12 Leitlinien der Auslegung

241

handlungsabbruch in Frage gestellt sein kann. Im Ergebnis muß also auf beiden Seiten durch potentielles Verhandeln zumindest ein tatsächlicher Einfluß auf den Inhalt der Vertragsbedingung möglich sein.

16 Pfeiffer

5. Teil

Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns Eine konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns muß von den bisherigen Ergebnissen der Untersuchung ausgehen. Auf dieser Grundlage sind konkrete Anforderungen zu ermitteln, die eine ausgehandelte Vereinbarung erfüllen muß. Nach Möglichkeit sind diese Anforderungen derart zu systematisieren, daß eine hinreichend rechtssichere und praktikable Anwendung in der Rechtspraxis möglich ist.

§ 13 Bisheriges Ergebnis der Auslegung I. Begriffsbestimmung des Aushandelns Nach den bisherigen Erkenntnissen ist eine ausgehandelte Vereinbarung das Ergebnis von Verhandlungen, also zumindest interaktiver Kommunikation über den Inhalt der Vereinbarung. Im Rahmen dieser Verhandlung darf dabei nicht zu unzulässigem Verhandlungsverhalten gegriffen werden, d. h. zu Verhalten, das sich nicht nur innerhalb der Verhandlungssituation auswirkt. Allerdings sind nicht alle derart zustande gekommenen Verhandlungsergebnisse ,ausgehandelt‘ i. S. d. §§ 449, 466 HGB. Aus der Menge aller derartiger Verhandlungsergebnisse können nur diejenigen ausgehandelt sein, die bei angemessener Informationsbasis und der tatsächlichen Möglichkeit der Einflußnahme auf den Inhalt der Vereinbarung zustande gekommen sind.

II. Gegenüberstellung mit den einzelnen Auslegungsergebnissen Dieses Auslegungsergebnis soll im folgenden den bisherigen Ergebnissen der Auslegungen nach den einzelnen Auslegungstopoi gegenübergestellt und wenn nötig mit ihnen abgeglichen werden. Ist ein Auslegungsergebnis mit dieser Begriffsbestimmung unvereinbar, wäre dessen Verhältnis zu den anderen Auslegungsmethoden zu klären. Zunächst sollen die wertenden Auslegungsmethoden betrachtet werden, da die Begriffsbestimmung auf jeden Fall dem Gesetzeszweck dienen muß.

§ 13 Bisheriges Ergebnis der Auslegung

243

1. Objektiv-teleologische Auslegung a) Übereinstimmung mit den Sachstrukturen Das hier ermittelte Auslegungsergebnis wurde aus den Sachstrukturen unter Berücksichtigung der zuvor normativ ermittelten ratio legis abgeleitet. Die Konformität der Regelung – und somit auch des Auslegungsergebnisses – mit den Sachstrukturen des Regelungsgegenstandes ist in Ermangelung von Anhaltspunkten für einen entgegenstehenden tatsächlichen gesetzgeberischen Willen auch selbst als objektives Gesetzesziel im Rahmen der teleologischen Auslegung zu betrachten.

b) Normativ ermittelte Gesetzeszwecke Der hier ermittelte Begriff des Aushandelns entspricht auch den weiteren objektiven Normzwecken:1 Der Schutz der Privatautonomie vor übermäßiger Beeinträchtigung durch den Vertragspartner wird durch eine Beschränkung der Auswirkung von Verhandlungsmacht erreicht. Dadurch wird die Möglichkeit eines echten Interessenausgleichs geschaffen. Eine angemessene Entscheidungsgrundlage wird durch das Erfordernis einer hinreichenden Informationsbasis gewährleistet. Durch diese Anforderungen gepaart mit dem Ausschluß bestimmter Verhaltensweisen während der Verhandlung wird ebenfalls dem Zweck ,Steigerung von Sachgerechtigkeit und Effizienz‘ gedient: Informierte Verhandlungspartner, die keinen Einflüssen sachwidriger Verhandlungsmacht ausgesetzt sind, werden sich nur (oder zumindest eher) dann auf eine von der dispositiv-gesetzlichen Vorgabe abweichende Regelung verständigen, wenn diese Vereinbarung den Nutzen beider Parteien erhöht. Wenn die Verhandlungspartner (Unternehmen) ihren Nutzen als Maximierung ihres ökonomischen Profits definieren, führt die Regelung bei dem hier vertretenen Verständnis auch zu sachgerechten und effizienten Vereinbarungen.

c) Verfassungskonforme Auslegung Das bisherige Ergebnis entspricht auch den Ergebnissen der verfassungskonformen Auslegung,2 da es durch seine Kriterien hinreichende Gewähr dafür bietet, daß der Vertragsmechanismus funktioniert, und nur dort Anlaß für Einschränkungen der Vertragsfreiheit gibt, wo diese Funktionsfähigkeit nicht besteht.

1 2

16*

Siehe § 8 III., S. 149. Siehe § 8 I. 5. c), S. 142.

244

5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

2. Subjektiv-teleologische Auslegung Dies wurde auch als ein Ergebnis der subjektiv-teleologischen Auslegung ermittelt.3 Ferner soll danach das Aushandeln Kenntnis von der im Rahmen einer Vertragsbeziehung konkret geltenden Rechtslage gewährleisten.4 Diese Anforderung findet sich im bisherigen Ergebnis in der Forderung nach genauer Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vereinbarung als Grundelemente der Informationsbasis wieder. Das ermittelte Auslegungsergebnis erfüllt also die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal ,ausgehandelt‘, die im Rahmen der wertenden Auslegungstopoi ermittelt wurden.

3. Grammatische Auslegung Die hier vorgeschlagene Auslegung bewegt sich auch im Rahmen der Wortlautgrenzen. Aus dem Wortlaut wurde geschlußfolgert, daß nur solche Vereinbarungen ,ausgehandelt‘ sein können, denen Verhandlungen vorausgegangen sind.5 Darauf baut auch das hier ermittelte Auslegungsergebnis auf.

4. Historische Auslegung Gleiches gilt für die historische Auslegung. Diese ergab, daß bei einer ausgehandelten Vereinbarung beide Parteien die Möglichkeit hatten, auf deren Inhalt Einfluß zu nehmen.6 Ferner muß nach der historischen Auslegung ein nicht näher spezifiziertes Maß an Abänderungsbereitschaft bestehen.7 Dieses Merkmal ist durch seine mangelnde Spezifizierung nur schwer greifbar. Abänderungsbereitschaft setzt zumindest Abänderungsfähigkeit voraus, d. h. die tatsächliche Möglichkeit, eine andere Bestimmung als die vorbereitete zu vereinbaren. Ferner ist die Bereitschaft erforderlich, sich auf inhaltliche Verhandlungen einzulassen, die zu einer Abänderung führen könnten, d. h. die Bereitschaft, seine Interessen mit denen des Gegners zum Zwecke des „Abschleifens“8 zu konfrontieren. Abänderungsbereitschaft kann daher zumindest als theoretische Ergebnisoffenheit verstanden werden. Eine solche wird auch im Rahmen der hier vorgenommenen Begriffsbestimmung berücksich3 4 5 6 7 8

Siehe § 7 II. 2., S. 111. Siehe § 7 II. 1., S. 110. Siehe § 3 III. 1., S. 62. Siehe § 4 IV., S. 68. Siehe § 4 IV., S. 68. Bydlinski (1967) S. 62.

§ 13 Bisheriges Ergebnis der Auslegung

245

tigt, die eine tatsächliche Einflußmöglichkeit auf den Inhalt voraussetzt, da nur so sichergestellt ist, daß der Vertragsmechanismus tatsächlich funktioniert. Dies geschieht über die Definition des Verhandelns in diesem Sinne als eine interaktive, beidseitige Kommunikation, d. h. es muß auf die Verhandlungsbeiträge des Gegners grundsätzlich eingegangen werden. Eine weitergehende Abänderungsbereitschaft kann aber nicht gefordert werden. Dies wiederspräche der Sachstruktur des Verhandelns, wonach das Ergebnis durch (zulässige) Verhandlungsmacht erzielt wird und nicht von heteronomen Wertungen abhängt. Es sind nämlich keine verhandlungsimmanenten Kriterien für eine über reine Ergebnisoffenheit hinausgehende Abänderungsbereitschaft zu ersehen.

5. Logisch-systematische Auslegung Berücksichtigt man das Erfordernis der Ergebnisoffenheit, so ist auch den Ergebnissen der logisch-systematischen Auslegung9 entsprochen. Danach sind nämlich Vertragsbedingungen nicht ausgehandelt, wenn sie einseitig und mit dem Anspruch auf endgültige Geltung ungeachtet der Verhandlung festgelegt worden sind. Gleiches gilt für Verhandlungen, die kein ausreichendes Maß an Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem sowie Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung gewährleisten. Auf diese Voraussetzungen baut auch der hier ermittelte Begriff des Aushandelns auf. Aus der logisch-systematischen Auslegung ergab sich aber auch, daß Kenntnis von Inhalt und Tragweite der auszuhandelnden Bestimmung allein noch nicht dazu führen, daß diese tatsächlich ausgehandelt ist. Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Bestimmung dienen lediglich der Beurteilungsgrundlage für die Entscheidung, den Vertrag so zu schließen, wie er ist. Sie ermöglichen Vertragsfreiheit – und damit Privatautonomie – lediglich in der Ausformung der Abschlußfreiheit. Daraus ergibt sich, daß neben einem ausreichenden Maß an Abschlußfreiheit auch Inhaltsfreiheit im Sinne von Einfluß auf die inhaltliche Gestaltung der Vertragsbedingungen bestehen muß. Dies wird bei der hier vorgenommenen Begriffsbestimmung dadurch gewährleistet, daß nur die Verhandlungsergebnisse als ,ausgehandelt‘ gewertet werden, die nicht unter dem Einfluß sachfremder Verhandlungsmacht, sondern mit der Möglichkeit eines tatsächlichen Interessenausgleichs zustandegekommen sind. Diese potentielle Waffengleichheit gepaart mit dem Erfordernis der Ergebnisoffenheit gewährleistet einen hinreichenden Einfluß auf die Inhaltsgestaltung der Vertragsbedingungen.

9

Siehe § 5 VI., S. 72.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

III. Ergebnis Die hier vorgenommene Begriffsbestimmung stimmt mit den Ergebnissen der Auslegung nach den verschiedenen Auslegungstopoi überein, entspricht den Sachstrukturen des Regelungsgegenstandes und dient den Gesetzeszwecken. Allerdings ist diese Begriffsbestimmung alles andere als klar umrissen. Sie enthält viele ausfüllungs- und konkretisierungsbedürftige Begriffe und ähnelt im Hinblick auf ihre Bestimmtheit der AGB-rechtlichen Definition des Aushandelns,10 die von – zum Teil widersprüchlicher – Kasuistik geprägt ist. Eine praktikable und rechtssichere Anwendung der Alternative ,Aushandeln‘ im Rahmen der §§ 449, 466 HGB ist daher durch diese Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘ noch nicht erreicht. Daher ist dieser Begriff näher zu konkretisieren und ,subsumierbarer‘ zu machen. Dazu soll anhand der oben vorgenommenen Begriffsbestimmung des Aushandelns und der bisherigen Erkenntnisse zunächst ein Katalog11 von Anforderungen entwickelt werden, die als Anhalts- bzw. Wertungsgesichtspunkte (topoi)12 herangezogen werden können und somit als Orientierung13 bei der Beurteilung konkreter Sachverhalte dienen. Auf dieser Grundlage kann dann die Möglichkeit einer tatbestandsmäßigen Fassung oder zumindest eine Systematisierung der Voraussetzungen des Aushandelns geprüft werden.

§ 14 Konkrete Voraussetzungen des Aushandelns Konkrete Voraussetzungen des Aushandelns können aus dem bisherigen Auslegungsergebnis im Zusammenspiel mit den Leitlinien ,Gewährleistung einer angemessenen Informationsbasis‘ und ,Sicherung beiderseitigen (potentiellen) Einflusses auf die Inhaltsgestaltung vor Verhandlungsmacht‘ und der Funktion des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB, ein ausreichendes Maß an Privatautonomie im Transportvertragsrecht sicherzustellen, abgeleitet werden. Vor diesem Hintergrund müssen die Voraussetzungen des Aushandelns so gefaßt sein, daß eine selbstbestimmte und -verantwortliche Entscheidung für den Vgl. dazu oben unter § 2 I. 2. a) ee), S. 49. Vgl. Viehweg (1974) S. 35, 36. 12 Viehweg (1974) S. 24 definiert topoi in Anlehnung an Aristoteles als „vielseitig anwendbare, überall annehmbare Gesichtspunkte, die im Für und Wider des Meinungsmäßigen gebraucht werden und zum Wahren hinführen können.“ – Dies ist jedoch nicht nur Anliegen der Topik: Auch Canaris (1969) S. 76 hält es für erforderlich, zunächst „einige wenige tragende Grundgedanken herauszuarbeiten, aus deren Zusammenspiel sich dann die Fülle der Einzelentscheidungen ergibt.“ 13 Viehweg (1974) S. 38: „Die Funktion der Topoi . . . besteht also darin, der Problemerörterung zu dienen . . . Sie müssen funktionell als Orientierungsmöglichkeiten und Leitfäden des Gedankens verstanden werden.“ Zur Kritik später ab S. 264 ff. bei Fn. 60 u. Fn. 63. 10 11

§ 14 Konkrete Voraussetzungen des Aushandelns

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Vertragsschluß ermöglicht wird (Abschlußfreiheit) und daß die Möglichkeit eröffnet wird, einen tatsächlichen Interessenausgleich herbeizuführen (Inhaltsfreiheit).

I. Informationsbasis zur Ermöglichung einer privatautonomen, selbstverantwortlichen Vertragsschlußentscheidung Eine selbstbestimmte und -verantwortliche Vertragsschlußentscheidung setzt voraus, daß Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem besteht, daß beide Parteien Kenntnis vom genauen Inhalt der Vereinbarung haben und daß sie über die Bedeutung (Tragweite) dieser Vereinbarung informiert sind.

1. Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem Grundvoraussetzung für eine bewußte Entscheidung für den Vereinbarungsinhalt ist, daß sich der Entscheidungsträger bewußt ist, daß die Vereinbarung ein regelungsbedürftiges Problem enthält, das nur mit seiner privatautonomen Mitwirkung geregelt werden kann. Er muß sich zwar nicht bewußt sein, daß die betreffende Vereinbarung nur durch Aushandeln getroffen werden kann. Er muß jedoch hinsichtlich jeder Vertragsbedingung, durch die vom Gesetz abgewichen wird, einen konkreten Geschäftswillen bilden, der sich nicht nur auf die Einbeziehung der Vertragsbedingung als solche beschränkt, aber auch nicht unbedingt das Abweichen vom Gesetz betrifft. Der Geschäftswille muß sich vielmehr auf eine konkrete inhaltliche Regelung beziehen. Da die Bildung eines derartigen Willens ein innerer Vorgang ist, der in der Verhandlungssituation aus der Sicht eines Dritten nicht nachzuvollziehen ist, ist auf Aufmerksamkeit abzustellen. Dazu kann zum Beispiel das Kriterium der „drucktechnisch deutlichen Gestaltung“ aus § 449 (466) Abs. 2 S. 2 Nr. 1 HGB herangezogen werden.14 Aufmerksamkeit bedeutet somit gedankliche Präsenz und bedeutet, daß die geistige Beschäftigung mit dem Gegenstand angeregt ist. Der Regelungsgegenstand ist somit im Bewußtsein präsenter, als er bei reiner (,unaufmerksamer‘) Kenntnisnahme wäre. So wäre beispielsweise beim Vorlesen oder auch schnellem Durchlesen eines umfangreichen Vertragswerks die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Regelungsproblem nicht gewährleistet, wenngleich alle Bestimmungen zur Kenntnis genommen wurden.

14 Zur Praktikabilität einer derartiger Hinweispflicht (zumindest für Änderungen der Haftungshöhe) Koller, TranspR 2001, 359, 361, der damit die Einwände Herzogs, TranspR 2001, 244, 247 entkräftet.

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2. Kenntnis des Inhalts der Vertragsbedingung Die Kenntnisnahme vom Inhalt der Vertragsbedingung ist eine weitere Voraussetzung des Aushandelns. Während die Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem die Bildung eines konkreten Geschäftswillens anregt, soll die exakte Kenntnis des Inhalts der Vertragsbedingung vor Inhaltsirrtümern bewahren. Diese Voraussetzung bezieht sich somit auf das Verständnis der betreffenden Vertragsbestimmung, denn Grundlage jeder selbstbestimmten und -verantwortlichen Entscheidung ist zumindest die genaue Kenntnis des Entscheidungsgegenstandes. Dieser ist wohlgemerkt nicht die Einbeziehung einer Vertragsbedingung in den Vertrag, sondern die Gestaltung dieser Bestimmung in ihrem inhaltlichen Gehalt. Die Kenntnis des exakten Inhalts der Vertragsbedingung kann beispielsweise fehlen, wenn Fremdwörter, Fachtermini oder – im Hinblick auf die Kabotage – Sprachen gebraucht werden, die einer Partei nicht geläufig sind. Gleiches gilt bei der Verweisung auf Handelsbräuche und -gepflogenheiten, die eine Partei nicht genau kennt. Bis zu einem bestimmten Maß ist jedoch im unternehmerischen Verkehr von derartigem Hintergrundwissen auszugehen, solange keine konkreten Anhaltspunkte dagegen sprechen oder die betreffende Partei zu erkennen gibt, daß sie nicht informiert ist.

3. Kenntnis der Tragweite der Vertragsbestimmung Eine privatautonome, selbstverantwortliche Entscheidung für den Vertragsinhalt setzt ferner voraus, daß der Entscheidungsträger die Tragweite der in Rede stehenden Vertragsbestimmung und damit auch seiner Entscheidung erkennen kann.15 Im Ergebnis sollen (ansonsten größtenteils unbeachtliche, aber die Allokationseffizienz der Verträge beeinträchtigende) Motivirrtümern verhindert werden. Es müssen also die wesentlichen Konsequenzen der Regelung in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Konkret heißt dies, daß der Entscheidungsträger den konkreten Inhalt der Vereinbarung dergestalt mit der wesentlichen Sachlage und seinen subjektiven Einschätzungen (z. B. Risikopräferenzen) in Relation zu setzen vermag, daß ex ante eine rationale Einschätzung der Auswirkung der Vereinbarung auf die Verwirklichung seiner subjektiven Interessen möglich ist. So muß beispielsweise ein Frachtführer, der einer unbegrenzten Verspätungshaftung beim Transport einer Kiste zustimmt, darüber informiert sein, daß von der rechtzeitigen Anlieferung des in der Kiste befindlichen Ersatzteils die Verhinderung eines Produktionsausfalls in Millionenhöhe abhängt. 15 Ähnlich auch Dauner-Lieb (1983) S. 74, die allerdings aus der (unbewiesenen) Kenntnisnahme von Inhalt und Tragweite einer Klausel im Rahmen einer Verhandlung auf die Rechtfertigung der Ausnahme von der Inhaltskontrolle schließt. Diese Ausnahme ist jedoch nur dann gerechtfertigt, wenn in Verhandlungen tatsächlich eine hinreichende Information über Inhalt und Tragweite der Norm vermittelt wird. So aber Dauner-Lieb (1983) S. 70.

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Man mag zwar einwenden, daß sich die betreffende Vertragspartei selbst informieren möge. Dies ist bei einem ,gewöhnlichen‘ Vertragsschluß grundsätzlich richtig. Das Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB soll jedoch u. a. eine angemessene Informationsbasis sicherstellen. Eine solche ist nicht gegeben, wenn eine Seite die Tragweite der Vertragsbedingung nicht erkennt und auch nicht erkennen kann. Dies ist auch im Hinblick auf die Privatautonomie von Bedeutung: Die reine Abwesenheit von äußerem Zwang mag zwar noch ein gewisses Maß an Autonomie garantieren; eine Entscheidung ohne die Kenntnis der Tragweite der Vertragsbestimmung, für die man sich entscheidet, kann jedoch nicht die Richtigkeit des Vertrages gewährleisten.16 Dies gilt nicht nur für die objektive Vertragsrichtigkeit, für die es kaum praktikable Kriterien gibt, sondern auch für die subjektive, denn der Betroffene kann keine Beurteilung der Richtigkeit vor dem Hintergrund seiner Maßstäbe vornehmen, wenn er die Tragweite des abgeschlossenen Vertrages nicht überblickt.17 Dies eröffnet für den Vertragspartner die Gelegenheit, diese Unwissenheit auszunutzen. Zwar ist von Art. 2 Abs. 1 GG jedes beliebige Tun oder Unterlassen geschützt, also auch unvernünftige Entscheidungen, d. h. Entscheidungen als Mittel, durch das der subjektiv gewählte Zweck nur suboptimal verwirklicht wird. Jedoch muß für den Handelnden diese ,Unvernünftigkeit‘ zumindest potentiell erkennbar sein, um die Schutzpflichten des Staates zum Erliegen zu bringen. Dies gilt zunächst für den gewöhnlichen Vertrag, der ein Minus zum Aushandeln darstellt. Wenn das Aushandeln ein besonderes Maß an Selbstverantwortlichkeit der Vertragsschlußentscheidungen gewährleisten soll, muß der Handelnde entweder die Tragweite seines Tuns erkennen oder sich bewußt – und dadurch auch das Risiko freiverantwortlich übernehmend – einer derartigen Erkenntnis verschließen.18 Auch das BGB knüpft bei Rechtsgeschäften, hinter deren Abschluß häufig nicht nur ökonomisch-rationale Erwägungen stehen und die daher besonders anfällig für das Verkennen ihrer Tragweite sind – Schenkung (§ 518 Abs. 1 BGB), Bürgschaft (§ 766 S. 1 BGB), aber auch Ehe- oder Erbverträge (§§ 1410, 2276 BGB) –, besondere rechtsgeschäftliche Anforderungen (Formerfordernisse), die neben der Beweissicherung hauptsächlich dem Übereilungsschutz19 und der Vergegenwärtigung der Tragweite der Entscheidung (Warnfunktion)20 dienen. 16 Zur Bekämpfung des Marktversagens im AGB-Bereich durch Stimulation des Konditionenwettbewerbs über Transparenz: Köndgen, NJW 1989, 943, 947. Aus dieser Zielsetzung des Transparenzgebotes folge auch seine Anwendbarkeit auf den Handelsverkehr, a. a. O. S. 952. 17 Vgl. dazu Grunewald, AcP 190 (1990), 609, 611 (zu Aufklärungspflichten). 18 Ähnlich Breidenbach (1989) S. 12. 19 Insbesondere bei der Schenkung: Erman-Seiler § 518 Rn. 1; MüKo-Kollhosser § 518 Rn. 1 jeweils unter Hinweis auf die Motive. 20 Zur Bürgschaft (allgem. M.): Erman-Seiler § 766 Rn. 1; MüKo-Habersack § 766 Rn. 1 (m. w. N.). Zum Ehevertrag vgl. Erman-Heckelmann § 1410 Rn. 1, der auch auf die Beratungsfunktion durch den Notar (dazu sogleich) hinweist.

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Im Grundstücksverkehr wird durch das Erfordernis notarieller Beurkundung (§ 313 S. 1 BGB) neben dem Schutz des Grundeigentums an sich, der Vergegenwärtigung, Beweissicherung und einem Übereilungsschutz21 auch explizit eine Belehrung über die rechtliche22 Tragweite des Vertrages gewährleistet23 (§ 17 Abs. 1 S. 1 BeurkG) mit der Zieldefinition in S. 2, daß „unerfahrene und ungewandte Beteiligte nicht benachteiligt werden“. Gleiches gilt bei der Übertragung von GmbH-Anteilen (§ 15 Abs. 3 u. 4 GmbHG). Im Hinblick auf das Beispiel des drohenden Produktionsausfalls sind die auf dem Spiel stehenden Werte dabei durchaus vergleichbar. Ferner wird auch im Verbraucherkreditgesetz (§ 4 Abs. 1 S. 5; jetzt § 492 Abs. 1 S. 5 BGB n.F.) das Überblicken der Tragweite der Vertragsentscheidung – auch oder gerade in wirtschaftlicher Hinsicht – als bedeutsam eingestuft24 und eine besondere Informationspflicht statuiert. Die Begründung zum Regierungsentwurf des Verbraucherkreditgesetzes übernimmt die Ansicht der betreffenden EG-Richtlinie, daß der Verbraucher Gefahr liefe, aufgrund „der sich ständig erweiternden Typenpalette mit zum Teil neuen Kreditformen . . . die damit verbundenen Belastungen nicht mehr ausreichend beurteilen zu können.“25 Hier wird eine Parallele zum topos Rechtszersplitterung hinsichtlich der Haftung bei Transportverträgen deutlich, ein Zustand, der laut Gesetzesbegründung des Transportrechtsreformgesetzes nämlich verhindert werden soll, weil das Haftungsrisiko dadurch unüberschaubar würde und Rechtsunsicherheit „insbesondere bei der marktunterlegenen Partei“ entstünde.26 Aus diesen Parallelen bei den Schutzzwecken kann gefolgert werden, daß auch die Anforderung an die gesetzliche Umsetzung dieses Schutzes, nämlich dem Betroffenen die Tragweite seiner Entscheidung zu verdeutlichen, nicht nur im Recht der Verbraucherdarlehen, sondern vom Prinzip her auch in §§ 449, 466 HGB gelten (wenn auch mit der notwendigen Anrechnung des gegenüber Verbrauchern eingeschränkten strukturellen Schutzbedarfs). Dies führt letztendlich zu einer Informationsobliegenheit27 dessen, der sich auf die Aushandlungsvereinbarung berufen möchte.28 Dadurch findet keinerlei RisikoErman-Battes § 313 Rn. 1 (m. w. N.). Eine wirtschafltiche Beratung oder Belehrung wird nicht gewährleistet, vgl. Eylmann / Vaasen-Frenz, § 17 BeurkG Rn. 18 (m. w. N.), jedoch darf es der Notar „nicht sehenden Auges zulassen, daß ein Beteiligter erhebliche Vermögensschäden erleidet“ (ebd.). 23 Erman-Battes § 313 Rn. 1. 24 Laut Gesetzesbegründung (Entw.) sollen „die wesentlichen Mindestangaben . . . es dem Verbraucher ermöglichen, eine sachgerechte Entscheidung auf gesicherter Basis . . . zu fällen.“ (BT-Drs. 11 / 5462 S. 19; vgl. auch S. 12). Vgl. auch Erman-Rebmann, § 4 VerbrKrG Rn. 1; MüKo-Ulmer, § 4 VerbrKrG Rn. 1 (m. w. N. in Fn. 2). 25 BT-Drs. 11 / 5462 S. 11. 26 BT-Drucks. 13 / 8445 S. 85 (r.Sp.), 86 (l.Sp.). 27 Zu Obliegenheiten in derartigem Zusammenhang vgl. auch Eidenmüller (1999) S. 558 f. 28 Ähnlich MüKo-Basedow § 1 AGBG Rn. 38 (Belehrung über Inhalt und Tragweite erforderlich, aber nicht ausreichend). Vgl. auch BGH NJW 1989, 582 (m. w. N.): „Treu und Glau21 22

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verlagerung statt und auch die Privatautonomie der informationsverpflichteten Seite wird nicht beeinträchtigt. 29 Vielmehr wird dadurch eine angemessene Entscheidungsgrundlage als wichtiger Aspekt der Selbstbestimmung gewährleistet.30 Informationspflichten sind nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf Umstände anerkannt, „die zu einer Vereitelung des Vertragszwecks geeignet sind und daher für die Entschließung des anderen von wesentlicher Bedeutung sein können.“31 Diese „Entschließung“ bezieht sich aber im Rahmen des Aushandelns ausschließlich auf den konkreten Regelungspunkt. Zweck des Aushandelns ist somit nicht, den Transport zu ermöglichen, sondern eine aus der Sicht beider Vertragsparteien angemessene Regelung eines konkreten Punktes zu vereinbaren. Dieser Zweck wird dadurch vereitelt, daß eine Partei die Tragweite der Vereinbarung nicht erkennt und ihre subjektive Einschätzung der Angemessenheit auf einer fehlerhaften Grundlage bildet. Da der Zweck, den eine Vereinbarung im Wege des Aushandelns erfüllt, somit nicht mit dem globalen Vertragszweck gleichzusetzen ist, besteht eine Informationsobliegenheit. Zur Konkretisierung kann § 307 BGB und insb. dessen Abs. 2 Nr. 1 herangezogen werden, demzufolge eine Vertragsbedingung im Zweifel dann unangemessen ist, wenn sie mit den wesentlichen Grundgedanken der dispositiv-gesetzlichen Regelung nicht übereinstimmt. Da durch eine Vereinbarung auf dem Wege des Aushandelns grundsätzlich eine angemessene Regelung getroffen werden soll, ist in diesem Fall eine Informationsobliegenheit indiziert, da dieser Zweck ansonsten gefährdet ist. Auch das Versicherungsvertragsrecht sieht eine Informationspflicht (Anzeigepflicht, § 16 Abs. 1 VVG, § 11 I Ziff. 1 AHB) über Umstände vor, die geeignet sind, Einfluß auf die Vertragsschlußentscheidung des Versicherers auszuüben. Es soll also eine angemessene Informationsbasis des Versicherers sichergestellt werden, so daß er das übernommene Risiko möglichst genau abschätzen kann und somit die Tragweite der Vertragsschlußentscheidung erkennt. Die Interessenlage ben verpflichten die Verwender allgemeiner Geschäftsbedingungen, die Rechte und Pflichten ihrer Vertragspartner eindeutig und verständlich darzustellen, damit diese sich bei Vertragsschluß hinreichend über die rechtliche Tragweite der Vertragsbedingungen klar werden können.“ 29 Denn eine Abweichung vom Gesetz wird nur derjenige vorschlagen, der sich dadurch einen Gewinn verspricht. Diese Einschätzung setzt jedoch ein Mindestmaß an Information voraus. Besäße auch derjenige, der eine Abweichung vom Gesetz anregt, keinerlei Informationen, wäre die Vereinbarung einer bestimmten Regelung für eine bestimmte Gegenleistung nichts als eine Wette bzw. Spekulation, die von der Rechtsordnung als nicht sonderlich schutzwürdig angesehen wird. Vgl. dazu oben unter § 12 III. 1., S. 237. 30 Breidenbach (1989) S. 12 (m. w. N.). Vgl. auch Grunewald, AcP 190 (1990) 609, 611 f., die den Abbau eines Wissensgefälles und damit den Schutz vor Übervorteilung als die der Figur der Aufklärungspflicht zugrundeliegende Wertung beschreibt (m. w. N.). 31 BGH NJW 1974, 849, 851; vgl. auch BGHZ 60, 221, 224 „So mußte jeder Teil Umstände, die für den anderen bei der Verhandlung mutmaßlich von Bedeutung sein konnten, diesem mitteilen (m. w. N.).“

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beim Versicherungsvertrag ist mit der bei §§ 449, 466 HGB vergleichbar. Im Rahmen der §§ 449, 466 HGB geht es hauptsächlich um die Risikoverteilung beim Transportvertrag. Vom dispositiven Recht abweichende Vereinbarungen führen – genauso wie der Versicherungsvertrag – zu einer Verlagerung von Risiken. Auch aus diesem Grund ist demjenigen, der vom dispositiven Recht abweichen möchte, eine Obliegenheit aufzuerlegen, seinen Vertragspartner über die Tragweite der Vertragsbedingung zu informieren. Dabei kann als Mindestumfang auf den Maßstab des § 16 Abs. 1 VVG abgestellt werden. Denn Umstände, die ein Versicherer kennen muß, um die Tragweite des Versicherungsvertrags über ein bestimmtes Risiko abzuschätzen, muß auch der Vertragspartner kennen, wenn er dieses Risiko übernimmt. Es handelt sich dabei lediglich um eine Informationsobliegenheit, deren Verletzung unbeachtlich ist, soweit der Vertragspartner über die Tragweite der vorgeschlagenen Vertragsbedingung informiert ist. Da dies jedoch durch den, der sich auf das Aushandeln berufen möchte, schwer nachweisbar ist, bietet sich stets eine Information des Gegners an. Sind diesem nämlich die benötigten Informationen verfügbar und ist er auf das Regelungsproblem hinreichend aufmerksam gemacht worden, so ist die Kenntnis der Tragweite der Vereinbarung zu unterstellen: Entweder der Vertragspartner hat die Tragweite tatsächlich erkannt oder er hat sich bewußt einer derartigen Erkenntnis verschlossen. Seine Entscheidung ist damit auf jeden Fall selbstverantwortlich.

II. Potentieller Einfluß auf den Inhalt der auszuhandelnden Vertragsbedingung Selbstbestimmung und -verantwortlichkeit der Entscheidung für oder gegen den Vertragsschluß zu bestimmten Bedingungen sind wichtige Elemente einer privatautonomen Regelung der wirtschaftlichen Verhältnisse als Basis der Vertragsgerechtigkeit und Effizienz des Interessenausgleichs. Sowohl die teleologische als auch die historische und systematische Auslegung haben jedoch ergeben, daß die Informationsgrundlage allein noch nicht ausreicht. Zwar wird der Konditionenwettbewerb verbessert, wenn die Aufmerksamkeit auf Inhalt und Tragweite der Konditionen gewährleistet ist. Von einem funktionsfähigen Konditionenwettbewerb ist aber dennoch nicht auszugehen, da kein ausreichendes Maß an Markttransparenz sichergestellt ist: Die Konditionen unterschiedlicher Marktteilnehmer sind – anders als der in § 449 (466) Abs. 2 S. 2 HGB geregelte Haftungshöchstbetrag – nur schwer vergleichbar, denn für jedes Vertragsangebot müßte eine wirtschaftliche32 Bewertung der Konditionen vorgenommen werden. In Anbetracht der 32 Wenn man davon ausgeht, daß die Marktteilnehmer im unternehmerischen Verkehr die Maximierung ihres ökonomischen Profits verfolgen. Ansonsten wäre eine Bewertung im Hinblick auf die eigenen Interessen notwendig, die mangels einer kommensurablen Einheit (wie Geldwert) noch schwieriger wäre.

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wirtschaftlichen Bedeutung der Haftungsbedingungen kann dieser Vergleich derart aufwendig sein, daß er rationalerweise nicht durchgeführt würde. Daher ist durch Information allein kein hinreichender Konditionenwettbewerb gewährleistet. Aus diesem Grunde ist neben einer angemessenen Informationsbasis die Möglichkeit beider Parteien erforderlich, Einfluß auf den Inhalt der auszuhandelnden Vertragsbedingung nehmen zu können. Daher muß das Aushandeln folgende weiteren konkreten Voraussetzungen haben. 1. Rechtliche und faktische Ergebnisoffenheit Die Bedingung, daß beide Seiten potentiell Einfluß auf den Inhalt der Vertragsbestimmung nehmen können, setzt zwangsläufig voraus, daß die Vereinbarung einer anderen Vertragsbestimmung als der letztendlich vereinbarten tatsächlich möglich ist.33 Danach müssen beide Verhandlungsführer sowohl in rechtlicher (z. B. Vertretungsmacht34) als auch rein faktischer Hinsicht (Selbstbindung,35 z. B. durch Meistbegünstigungsklauseln) einen Verhandlungsspielraum besitzen. 2. Ergebnisoffenheit i. S. v. Verhandlungsbereitschaft Der Punkt der Verhandlungsbereitschaft, der in der Diskussion zu § 1 Abs. 2 AGBG (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.) unter der Bezeichnung „Abänderungsbereitschaft“ eine entscheidende Rolle einnimmt,36 bezeichnet eine wichtige Voraussetzung des Aushandelns. Unter dem Aspekt der Verhandlungsbereitschaft sind nämlich die Verhaltensweisen zusammengefaßt, die einen potentiellen Einfluß auf das Verhandlungsergebnis aus dem Prozeß des Verhandelns heraus gestatten. Dort wo eine rechtliche Pflicht zum Verhandeln besteht, werden diese Verhaltensweisen als ,Inhalt der Verhandlungspflicht‘ bzw. „Verhandlungspflicht im engeren Sinne“37 bezeichnet, d. h. der Pflicht zur Verhandlung wird nur dann genügt, wenn diese Verhaltensweisen befolgt werden.38 Im Transportvertragsrecht besteht jedoch grundsätzlich keine rechtliche Pflicht zum Verhandeln, sondern lediglich die Möglichkeit, so daß die zu rechtlichen Verhandlungspflichten entwickelten Pflichtinhalte nicht ungeprüft übernommen werden können. 33 Die einzig denkbare Ausnahme wäre, daß für beide Parteien nur die konkrete Vertragsbestimmung faktisch möglich ist. In diesem Fall reicht eine informierte Entscheidung für den Vertragsschluß zu dieser Bedingung aus. 34 Vgl. dazu Eidenmüller (1999) S. 729 und Nelle (1994) S. 284. 35 Vgl. dazu Horn, AcP 181 (1981), 255, 284. 36 Dazu oben unter § 2 I. 2. a) bb), S. 42 ff. 37 Horn, AcP 181 (1981), 255, 283. 38 Zu Neuverhandlungspflichten Steindorff, BB 1983, 1127, 1130; Horn, AcP 181 (1981), 255, 282 ff.; Salzmann (1986) S. 27 u. 107 f.; Fecht (1988) S. 137 f.; Nelle (1994) S. 279 ff.; zu Kooperationspflichten im Reorganisationsrecht Eidenmüller (1999) S. 707 ff.

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a) Verhandlungsbereitschaft als einseitige Voraussetzung Da im Transportvertragsrecht niemand zum Aushandeln verpflichtet ist, kann es sich lediglich um eine Obliegenheit dessen handeln, der an einer vom dispositiven Gesetzesrecht abweichenden Vereinbarung interessiert ist, d. h. sich später auf das Aushandeln berufen möchte (im folgenden: ,Aushandelnsinteressierter‘). Ob die andere Seite in irgendeiner Weise verpflichtet ist, sich auf Verhandlungen einzulassen, kann an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Wenn sie nämlich den vom dispositiven Gesetzesrecht abweichenden Vorschlag ablehnt, ist entweder kein Vertrag geschlossen worden oder ein Vertrag zu den gesetzlichen Bedingungen, so daß sich die Frage des Aushandelns nicht stellt. Wenn aber der abweichende Vorschlag angenommen wurde, kommt es auf eine Verhandlungsbereitschaft dessen, der die Vorschrift angenommen hat, nicht an; denn die Akzeptanz eines gegnerischen Vorschlags ist die höchste Stufe der Bereitschaft, dem Gegner Einfluß auf den Vertragsinhalt zu ermöglichen.39 Es kommt vielmehr lediglich darauf an, ob der Aushandelnsinteressierte verhandlungsbereit war und somit durch das eigene Verhalten dem Gegner die Möglichkeit einer Einflußnahme auf den Vertragsinhalt eingeräumt hat. Ob dieser die Möglichkeit genutzt hat, ist dabei unbeachtlich, soweit er den Vorschlag privatautonom akzeptiert. Im folgenden sind die Verhaltensweisen zu ermitteln, deren Befolgung dem Aushandelnsinteressierten obliegt, um seine Verhandlungsbereitschaft unter Beweis zu stellen.

b) Kommunikationsmöglichkeit Potentieller Einfluß auf die Vertragsbedingung ist beim Aushandeln schon kraft Natur der Sache nur im Rahmen von inhaltlichen Verhandlungen möglich. Grundvoraussetzung einer ausgehandelten Vertragsbedingung ist daher, daß eine beidseitige Kommunikation zwischen den Verhandlungspartnern bezüglich des Inhalts der Vertragsbedingung – über die bloße Mitteilung des Angebots und seiner Annahme hinaus – möglich ist. Dies setzt voraus, daß der Aushandelnsinteressierte dem Gegner zuhört,40 denn Kommunikation baut darauf auf, daß die Nachricht beim Empfänger ankommt. Das wäre beispielsweise nicht der Fall, wenn Transportverträge in der Zukunft wie Bank- oder Versicherungsverträge automatisch über Internetplattformen abgewickelt würden in der Weise, daß eine Seite die erforderlichen Daten eingibt und auf der Basis dieser Daten ein konkretes Vertragsangebot automatisch erstellt wird, das auf elektronischem Wege nur per Knopfdruck angenom39 Im übrigen handelte es sich ansonsten um widersprüchliches Verhalten, wenn jemand einen Vorschlag akzeptiert hat und sich dann darauf beruft, er sei gar nicht bereit gewesen, dem anderen Einfluß auf die Vertragsgestaltung einzuräumen. 40 Vgl. Salzmann (1986) S. 27, der eine „Politik des leeren Stuhls“ in einem ähnlichen Zusammenhang als unzulässig darstellt.

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men oder abgelehnt werden kann, ohne daß die Möglichkeit besteht, dem Vertragspartner andere Mitteilungen als die Annahme zu kommunizieren.

c) Interaktivität der Kommunikation Die Kommunikation muß ferner in dem Sinne interaktiv sein, als daß der Aushandelnsinteressierte auf den Kommunikationsbeitrag des anderen eingeht. Von einer Einflußmöglichkeit kann nämlich keine Rede sein, wenn eine Partei einen Vorschlag kommuniziert und im weiteren Verlauf der Verhandlung in Erwiderung auf den Gegner nur auf diesem Vorschlag beharrt und dessen Verhandlungsbeiträge lediglich ablehnt und sie weder prüft noch Stellung dazu nimmt.

aa) Kein Eingehen auf subjektive Einschätzungen (Feilschen) Es muß jedoch nicht auf jeden Verhandlungsbeitrag des anderen eingegangen werden, da dies lediglich zum ,Feilschen‘ führte und nicht zu einem sach- und interessengerechten Ausgleich beiträgt. Eingegangenwerden muß nur auf solche Beiträge, mit denen tatsächlich Einfluß auf den Inhalt der Vertragsbedingung genommen werden könnte. Dies ist nicht der Fall, wenn der Verhandlungsbeitrag lediglich in der Ablehnung des vorhergehenden Beitrags besteht oder eine subjektive Einschätzung (z. B. Preisvorstellung) kommuniziert. Subjektive Einschätzungen sind frei und nicht kontrollierbar und eine Prüfung oder Stellungnahme könnte wiederum lediglich in einer subjektiven Einschätzung bestehen und somit nichts zur Lösungsfindung beitragen. Hinsichtlich des distributiven Aspekts der Verhandlung ist somit grundsätzlich kein Eingehen auf den Gegner erforderlich. Es ist also im folgenden zu untersuchen, unter welchen Bedingungen auf die Verhandlungsbeiträge des Gegners eingegangen werden muß.

bb) Eingehen auf Sachargumente Verhandlungsbereitschaft muß sich zunächst dann offenbaren, wenn objektive (d. h. intersubjektiv von beiden Parteien anzuerkennende) Sachgründe für eine andere Lösung vorgebracht werden.41 In diesem Fall wird eine rationale Verhandlungspartei ohnehin die sachgerechtere Lösung akzeptieren. Um eine dahingehende Einflußnahme zu ermöglichen, ist es erforderlich, daß dieser Lösungsvorschlag und die ihn stützenden Tatsachen dem anderen vermittelt werden können. Dazu muß der andere den Vorschlag anhören und darf nicht darüber hinweggehen, sondern muß sich mit ihm auseinandersetzen. Dies bedeutet entweder, daß er den 41

Vgl. BGH, WM 1973, 506.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

Vorschlag akzeptiert oder daß er Einwendungen auf der Tatsachenebene vorträgt.42 Erklärt beispielsweise der Frachtführer, daß er einen Haftungsausschluß vereinbaren wolle, da eine Transportversicherung für den Absender günstiger sei als eine Haftpflichtversicherung für ihn selbst, so könnte der Absender dies entweder akzeptieren – und dabei evtl. einen Abschlag von der Fracht verlangen43 – oder z. B. einwenden, die Transportversicherungspolice sei teurer geworden. Verhandlungsbereitschaft bedeutet also, daß Sachargumente des Gegners – d. h. lediglich solche, die sich auf Tatsachen beziehen – angehört werden müssen und daß auf sie – wenn sie nicht akzeptiert werden – schlüssig eingegangen werden muß. Die Sachargumente müssen also nicht objektiv und ex post nachprüfbar44 entkräftet werden. Es reicht aus, daß die Gegenargumente die vorgebrachten Argumente entkräften, wenn man ihre Richtigkeit unterstellt. Die Prüfung der Argumente auf ihre Richtigkeit obliegt nämlich den Parteien selbst45 – abgesehen davon, daß bewußte Täuschungen oder Behauptungen ins Blaue hinein auf dieser Ebene (Sachebene) ein unzulässiges Verhandlungsverhalten darstellen und schon aus diesem Grunde ein Aushandeln verhindern. Ob im obigen Beispiel die Teuerung der Transportversicherungspolice objektiv einen Haftungsausschluß sachgerecht erscheinen läßt, ist unbeachtlich. Das Argument des Frachtführers ist zumindest schlüssig widerlegt. Wenn dagegen auch die Haftpflichtversicherung in gleichem Maße teurer geworden wäre, so hätte der Frachtführer dies einzuwenden, um damit das Gegenargument schlüssig zu widerlegen. Der Absender könnte auch Nichtwissen einwenden (vgl. § 138 Abs. 4 ZPO), soweit die entsprechende Information nicht aus seiner Sphäre erwächst und daher vom Gegner nicht ermittelt werden kann. Er kann also erklären, er wisse nicht, was die Transportversicherungspolice kostet und es sei zu aufwendig und daher nicht rational, diese Kosten durch Einholen von Angeboten zu ermitteln. Die Informationsermittlung ist dabei unzumutbar, wenn die Kosten der Informationsgewinnung den Mehrnutzen übersteigen, den die Partei gegenüber ihrem eigenen Vor42 Vgl. dazu BGH v. 11. 01. 1957, LM § 1 VHG Nr. 18, nach dem Vorschläge nicht ohne vernünftigen Grund abgelehnt werden dürfen; Horn, AcP 181 (1981), 255, 284; Eidenmüller (1999) S. 739 – jeweils nicht beschränkt auf Sachargumente auf der Tatsachenebene. 43 Dies bedeutete jedoch ebenfalls Akzeptanz; die Frachthöhe ist dann wieder eine Frage der subjektiven Einschätzung des angemessenen Preises. 44 Die gerichtliche Nachprüfung gestaltet sich in dieser Hinsicht vielmehr wie die Prüfung vor Erlaß eines Versäumnisurteils: Es ist kein Beweis zu erheben (hier: über die Richtigkeit des Gegenarguments), sondern es ist lediglich festzustellen, ob die vorgebrachten Gegenargumente, ihre Richtigkeit unterstellt, die Argumente des Gegners zu widerlegen vermögen. 45 Die Konditionenverhandlung ähnelt insofern dem Zivilprozeß, in dem es ebenfalls den Parteien obliegt, Tatsachen schlüssig vorzutragen (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und gegebenenfalls die gegnerischen Tatsachen zu bestreiten (§ 138 Abs. 2 u. 3 ZPO). Vgl. dazu auch Eidenmüller (1999) S. 739 („naheliegender Gesichtspunkt“).

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schlag realisieren könnte, wenn die Information die Prämissen des gegnerischen Vorschlags bestätigt. Wenn für die durch Information zu bestätigende Richtigkeit der Prämissen keine tatsächlichen Anhaltspunkte vorliegen oder es sich nur um vage Einschätzungen handelt, ist auch die Wahrscheinlichkeit, daß sich die Prämissen nicht bestätigen und die Informationskosten somit vergeblich aufgewendet werden, zu diskontieren. Wenn dem Gegner die Informationen jedoch schon zur Verfügung stehen, muß er sie in die Verhandlung einführen, um einen sachlich schlüssigen Vorschlag des anderen widerlegen zu können. Die Voraussetzung, daß auf sachlich fundierte Argumente, die mit dem Anspruch der Objektivität vorgebracht werden und sich lediglich auf objektive Tatsachen beziehen, im Rahmen einer Verhandlung inhaltlich eingegangen werden muß, stellt das für ein Aushandeln erforderliche Maß an Privatautonomie sicher: Es ist nicht anzunehmen, daß eine rationale Verhandlungspartei eine Regelung bewußt und selbstbestimmt akzeptiert, gegen die aus ihrer Sicht objektive Argumente sprechen.46 Das bei derartiger Akzeptanz verwirklichte Maß an Privatautonomie mag zwar für einen gewöhnlichen Vertrag genügen; das beim Aushandeln vorausgesetzte erhöhte Maß an Privatautonomie – nämlich Einfluß auf die Inhaltsgestaltung – wird dabei jedoch nicht erreicht. Wenn nämlich schon nicht auf objektive Argumente eingegangen wird, die der Gegner nicht schlüssig zu widerlegen vermag, ist erst recht keine andere Möglichkeit der Einflußnahme auf die Inhaltsgestaltung der vertraglichen Vereinbarung denkbar. Verhandlungsbereitschaft lag somit einer Vereinbarung dann nicht zugrunde, wenn gegen ihren Inhalt Sachargumente mit dem Anspruch der Objektivität vorgebracht wurden, auf die jedoch im Verlauf der Verhandlungen nicht eingegangen wurde. Dies bedeutet, daß vom dispositiven Recht nicht abgewichen werden kann, wenn eine Seite die vorgeschlagene Regelung für objektiv – also auch aus der Warte des Gegners – nicht sachgerecht hält, dies begründet vorträgt und ihre Bedenken nicht wenigstens formell47 widerlegt werden. Diese Bestimmung der Verhandlungsbereitschaft entfaltet jedoch eher dogmatische Bedeutung, als daß sie praktisch relevant werden wird. In der Verhandlungspraxis werden hauptsächlich subjektive Einschätzungen – nämlich hinsichtlich des angemessenen Preises – entscheiden. Auf Sachargumente kann es ferner nur dann ankommen, wenn sie von einer Seite tatsächlich vorgetragen werden. In diesem Fall ist davon auszugehen, daß die andere Seite diese Argumente berücksichtigt und sich der Konflikt vielmehr wieder auf die subjektiven Einschätzungen des angemessenen Preises beschränkt oder daß Scheinargumente48 angeführt werden.49 46 Dies gilt zumindest, wenn sie dadurch, daß sie diese Argumente vorgetragen hat, gezeigt hat, daß es ihr auf diese Argumente bei der Entscheidungsfindung ankommt. 47 Wie gesagt kommt es auf materielle Richtigkeit der Gegenargumente nicht an. Solange keine bewußte Täuschung vorliegt genügt die Schlüssigkeit. 48 Die aber theoretisch wieder angegriffen werden können. 49 Nur wenn eine Vertragsgestaltung ausschließlich auf dem menschlichen Beharrungsvermögen auf Hergebrachtem („Das haben wir schon immer so gehandhabt . . .“) beruht, obwohl eine sachgerechtere Lösung existiert, so kann diese Vertragsgestaltung nicht ,ausgehandelt‘

17 Pfeiffer

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Letzteres führt dazu, daß in Bereichen, wo derartige floskelhafte Erwiderungen zu erwarten sind, die auch nicht angreifbar sind, schon gar keine Argumente mehr vorgebracht werden, da dies mangels Erfolgsaussichten wirtschaftlich nicht rational ist. cc) Beschränkte Kooperationspflicht In der Praxis viel bedeutsamer ist die Frage, ob auch ohne geäußerte objektive Sachargumente auf das Vorbringen des Gegners einzugehen ist. Oben wurde schon festgestellt, daß reines Feilschen nicht geboten ist (aa) und daß nur auf Sachargumente auf der Tatsachenbasis stets eingegangen werden muß (bb). Aushandeln soll einen tatsächlichen Interessenausgleich herstellen und beiden Seiten zumindest potentiell Einfluß auf den Inhalt der Vereinbarung gewähren, wobei das Ergebnis ausschließlich über Verhandlungsmacht bestimmt wird. Wenn es dem Gegner dessen, der an einer vom dispositiven Gesetzesrecht abweichenden Vereinbarung interessiert ist, d. h. sich später auf das Aushandeln berufen möchte (Aushandelnsinteressierter), nicht schon aufgrund seiner Verhandlungsmacht möglich ist, seine Interessen einzubringen, dann muß es ihm ermöglicht werden, zumindest die Gestaltungsmöglichkeiten auszuloten, die der Aushandelnsinteressierte akzeptiert, um dann aus diesem Kreis die den eigenen Interessen am besten gerecht werdende Gestaltungsmöglichkeit auszuwählen und vorzuschlagen.50 Es muß somit sichergestellt werden, daß der Gegner die Verhandlungsposition des Aushandelnsinteressierten ermitteln kann, denn ansonsten könnte er nur auf gut Glück Gegenvorschläge machen. Dem Aushandelnsinteressierten obliegt es also, eine konsistente51 Verhandlungsposition zu beziehen,52 an der der Gegner seine Vorschläge orientieren kann. Aufgrund der Komplexität von Verhandlungspositionen muß er jedoch lediglich einzelne Aspekte seiner Verhandlungsposition auf konkrete Anfrage bzw. anläßlich der Stellungnahme auf einen Gegenvorschlag offenlegen. Der Aushandelnsinteressierte muß sich also insoweit kooperativ zeigen, als dies zur Erarbeitung von aussichtsreichen Gegenvorschlägen nötig ist. Daher wird in der Literatur zu Verhandlungspflichten allgemein eine Kooperationspflicht angenommen, sich mit einem Vorschlag des anderen inhaltlich auseinsein, wenn auf die Argumente für die neue Lösung – und sei es aus Bequemlichkeit – nicht eingegangen wird. 50 So auch Nelle (1994) S. 287 f. und Eidenmüller (1999) S. 739 u. 760; ähnlich Horn, AcP 181 (1981), 255, 284. 51 Vgl. Nelle (1994) S. 284 f., der unter bestimmten Umständen eine Gebundenheit an eigene Angebote annimmt, z. B. indem ein Rückschritt (d. h. eine Verschärfung der Verhandlungsposition) ausgeschlossen wird. 52 Vgl. Steindorff, BB 1983, 1127, 1130, der bei einer Verhandlungspflicht eine „Informationspflicht im Hinblick auf das Verhandlungsziel“ annimmt. Von der Crone (1993) S. 350 stellt auf „die Verbindung eines eigenen Positionsbezugs mit einer Prüfung der gegnerischen Position“ ab.

§ 14 Konkrete Voraussetzungen des Aushandelns

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anderzusetzen, d. h. ihn zu prüfen und substantiiert Stellung zu nehmen.53 Außerdem werden Informationspflichten zumindest über die zur eigenen Sphäre zählenden Umstände angenommen, die für die Inhaltsgestaltung der Vertragsbedingung relevant sind.54 Dazu zählen zunächst die Einschätzungen und Präferenzen, also die Verhandlungsposition. Hinsichtlich tatsächlicher, objektiver Umstände gilt das unter (bb) gesagte: Da die Information über diese Umstände wertvolle Verhandlungsmacht begründet, müssen sie nur insoweit offenbart werden, als ein Gegenvorschlag auf einer konkreten – fehlerhaften – Annahme über diese Umstände basiert. Der Aushandelnsinteressierte muß sich also in dem Sinne kooperativ erweisen, als daß er dem Gegner die Möglichkeit einräumt, einen abweichenden Vorschlag zu ermitteln, der den Gegner besser-, ihn selbst aber nicht schlechterstellt. Andererseits kommt es bei dieser Form der Kooperationsobliegenheit nicht darauf an, ob es dem Gegner gelingt, bessere Gegenvorschläge zu ermitteln, die der Verhandlungsposition des Aushandelnsinteressierten entsprechen. Denn dieser ist nicht gezwungen, von seiner privatautonom gebildeten Verhandlungsposition abzurücken. Andernfalls würden zunächst überhöhte Scheinpositionen eingenommen, damit formal davon abgerückt werden kann. In zeitlicher Hinsicht obliegt es dem Aushandelnsinteressierten, unverzüglich auf die Verhandlungsbeiträge des Gegners einzugehen. Die Verhandlung darf somit nicht länger verzögert werden, als dies zur sachgerechten Prüfung eines Angebots erforderlich ist. Ansonsten käme eine Verzögerungstaktik in Betracht, wenn die Verhandlungskosten oder der Zeitdruck des Aushandelnsinteressierten erheblich geringer wären als auf Seiten des Gegners. Da in diesem Fall durch das Verhandeln bleibender Schaden zugefügt werden kann, ergäbe sich ein sachfremdes Druckmittel, das eine tatsächliche Einflußnahme des (rationalen) Gegners auf die Inhaltsgestaltung unterbinden kann.55 dd) Verhandlungsbereitschaft trotz Verhandlungsabbruch Wenn der Aushandelnsinteressierte – wie soeben festgestellt – nicht gezwungen ist, tatsächlich einen Gegenvorschlag anzunehmen oder auf reines Feilschen einzugehen (dazu oben unter aa), muß er auch die Möglichkeit haben, die Verhandlungen unter bestimmten Bedingungen zu beenden. Wenn der Gegner keine Angebote mehr macht (bzw. Fragen stellt), auf die der Aushandelnsinteressierte nach dem oben Gesagten einzugehen hat,56 kann er aufgefordert werden, einen derarti53 Eidenmüller (1999) S. 739 u. 760; ähnlich Horn, AcP 181 (1981), 255, 284; Salzmann (1986) S. 107 f.; Fecht (1988) S. 137; von der Crone (1993) S. 350 f.; weniger weitgehnd Nelle (1994) S. 287, der lediglich eine Antwort verlangt, die die Verhandlung nicht ablehnen. 54 Vgl. Steindorff, BB 1983, 1127, 1130. Für „notwendige Informationen“ auch: Horn, AcP 181 (1981), 255, 284; Salzmann (1986) S. 107 f.; Fecht (1988) S. 137. 55 Vgl. dazu oben unter § 12 III. 2., S. 239.

17*

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

gen – relevanten – Verhandlungsbeitrag zu machen oder andernfalls die vorgeschlagene Vertragsbedingung zu akzeptieren oder den Vertragsschluß abzulehnen. Verhandlungsbereitschaft ist nämlich dadurch bedingt, daß sich der Gegner auf die Verhandlung einläßt und Verhandlungsbeiträge macht, die potentiell zur Einflußnahme auf den Vereinbarungsinhalt geeignet sind, d. h. auf die der Aushandelnsinteressierte inhaltlich eingehen muß. ee) Kenntnis der Verhandlungsbereitschaft insbesondere bei Vorformulierung Das bedeutet, daß durchaus auch ein vorformuliertes Angebot, über das nicht mehr tatsächlich verhandelt wird, ausgehandelt sein kann. Die Verwirklichung des Schutzzwecks der Anordnung des Verhandelns setzt keine tatsächliche Verhandlung voraus, die über die Kommunikation über den konkreten Klauselinhalt hinausgeht. Es kommt vielmehr auf die Charakteristika des Verhandelns an, die eine selbstbestimmte und -verantwortliche Vertragsschlußentscheidung und damit die subjektive Vertragsrichtigkeit gewährleisten. Diese Charakteristika sind an die Verhandlungssituation, d. h. an bestimmte Umstände gebunden und nicht an die Aktivität des Verhandelns. So wird eine Verhandlung beispielsweise unter anderem dadurch charakterisiert, daß die Parteien dem Regelungsproblem ein hohes Maß an Aufmerksamkeit entgegenbringen und Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung besitzen. Dies kann jedoch nicht nur durch die Aktivität des Verhandelns gewährleistet werden. Wenn die Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem oder die entscheidende Kenntnis anderweitig sichergestellt ist, kann es diesbezüglich hinsichtlich der Schutzzweckverwirklichung nicht mehr darauf ankommen, ob tatsächlich verhandelt wurde. Ist die hier relevante Wirkung einer Verhandlung anderweitig gewährleistet, dann ist die tatsächliche Durchführung der Verhandlung daher entbehrlich. Eine (entscheidende) Wirkung des Verhandelns ist aber auch die Einflußmöglichkeit auf den Inhalt der Vereinbarung. Um diese zu gewährleisten muß – auch oder gerade bei vorformulierten Vertragsbedingungen – der Eintritt in eine tatsächliche Verhandlung ohne weiteres möglich sein und darf nur von einer selbstbestimmten und -verantwortlichen Entscheidung des Klauselgegners abhängen. Bei vorgedruckten Vertragsbedingungen ist somit die potentielle Verhandlungsbereitschaft besonders zu betonen. Die Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Bedingungen muß in diesem Fall auch die Kenntnis der Möglichkeit, in Verhandlungen über den Inhalt einzutreten, beinhalten. Der Nachweis dieser Kenntnis wird zumeist nur durch den Nachweis einer tatsächlichen Unterrichtung darüber geführt werden können. Somit wird ein Hinweis in den AGB, alle Klauseln seien verhan56 Z. B. Gegenvorschläge, die hinter der schon bekanntgewordenen Verhandlungsposition des Aushandelnsinteressierten zurückbleiben; beispielsweise im obigen Beispiel ein Abrükken vom Haftungsausschluß gegen 15 A / to, nachdem schon 20 A / to gefordert wurden.

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delbar, nicht ausreichen. Die Aufmerksamkeit auf diesen Hinweis muß in gleichem Maße sichergestellt werden wie die Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem, z. B. durch einen drucktechnisch deutlich gestalteten oder einen gesondert unterschriebenen Hinweis.

d) Zusammenfassung Das Erfordernis der Einflußmöglichkeit auf den Inhalt der ausgehandelten Vereinbarung verlangt Verhandlungsbereitschaft von der Partei, die eine Abweichung vom Gesetz vorschlägt und sich später auf das Aushandeln dieser Abweichung berufen möchte (Aushandelnsinteressierter). Dies bedeutet, daß der Aushandelnsinteressierte zunächst eine Kommunikationsmöglichkeit bereithält und sicherstellt, daß ihn Verhandlungsbeiträge des Gegners erreichen können. Ferner muß er auf objektive Sachargumente (auf der Tatsachenebene) des Gegners schlüssig erwidern und dazu nötigenfalls Informationen übermitteln sowie evtl. ermitteln. Andere Verhandlungsbeiträge des Gegners muß der Aushandelnsinteressierte lediglich dann prüfen und substantiiert dazu Stellung nehmen, wenn dadurch dem Gegner die Möglichkeit eröffnet wird, andere Gegenvorschläge zu erarbeiten, die der Verhandlungsposition des Aushandelnsinteressierten eher gerecht werden. Kann eine Stellungnahme nicht zu einer verbesserten Einschätzung der Verhandlungsposition seitens des Gegners beitragen, kann sie unterbleiben und die Verhandlung kann abgebrochen werden, wenn kein weiteres Gegenangebot erfolgt, auf das substantiiert einzugehen wäre. Verhandlungsbereitschaft setzt somit weder voraus, daß dem Gegner entgegengekommen wird, noch daß überhaupt Verhandlungen stattfinden. Im letzten Fall ist jedoch sicherzustellen, daß der Gegner die Verhandlungsbereitschaft kannte und daß Verhandlungen nicht aufgrund mangelnder Kenntnis des Gegners unterblieben sind.

3. Angemessene Verhandlungsumstände Potentieller Einfluß beider Seiten auf den Inhalt der Vertragsbedingung durch Verhandlungen setzt weiterhin voraus, daß derartige Verhandlungen möglich sind und nicht durch die tatsächlichen Umstände verhindert werden. Es muß zumindest für beide Seiten rational sein, sich in die Verhandlung zu begeben. Dies könnte nicht der Fall sein bei unangemessenem Zeitdruck (a) oder unangemessenen Transaktionskosten (b).

a) Kein unangemessener Zeitdruck Der tatsächliche Eintritt in eine Verhandlung und somit die potentielle Wahrnehmung der dadurch eröffneten Einflußmöglichkeit ist ausgeschlossen, wenn die da-

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

zu erforderliche Zeit völlig fehlt oder zumindest ein unangemessener Zeitdruck besteht.57 Unangemessen ist Zeitdruck immer dann, wenn einem Verhandlungspartner die Zeit fehlt, die erforderlich ist für eine angemessene Abwägung und Bewertung der vorgeschlagenen Vertragsbestimmungen und für das Erarbeiten und Einbringen von seinen Interessen besser gerecht werdenden Gegenvorschlägen einschließlich der jeweils erforderlichen Zeit zum Einholen der benötigten Informationen. Wieviel Zeit erforderlich ist und wieviel Anstrengung (Eile) von den Parteien verlangt werden kann, hängt dabei stets vom Einzelfall ab. Von einer Partei, die selbst erst in letzter Minute in Vertragsverhandlungen eintritt, kann mehr Eile verlangt werden als von einer Partei, der lediglich eine kurze ,Annahmefrist‘ gesetzt wird. Ferner kann z. B. von einem Großunternehmen mit eigener Rechtsabteilung eine zügigere Abwicklung verlangt werden. Auch bei wirtschaftlich besonders bedeutenden Geschäften sind erhöhte Anstrengungen gerechtfertigt. Da erhöhte Anstrengungen in kürzerer Zeit zumeist mit höheren Kosten verbunden sind, ist diesbezüglich auf die entsprechende Transaktionskostenproblematik zu verweisen.

b) Keine unangemessenen Transaktionskosten Transaktionskosten umfassen nicht nur die Kosten der Informationsbeschaffung und der Entwicklung von Alternativen, sondern alle mit der Verhandlung verbundenen Kosten, also auch die Kosten für die Verhandlung selbst wie Kommunikations-, Dokumentations- und / oder Reisekosten. Jedes Geschäft bringt Transaktionskosten mit sich und dies ist auch nicht zu beanstanden. Die Parteien entscheiden sich grundsätzlich selbstverantwortlich für einen Vertragsschluß, wenn sie den (subjektiven) Nutzen aus der vertraglichen Leistung höher gewichten als die Summe aus Gegenleistung und Transaktionskosten. In der Phase der Vertragsanbahnung riskieren die Parteien Transaktionskosten, wenn sie den erwarteten Nutzen aus dem Vertrag höher einschätzen. Dieses Risiko kann das Aushandeln natürlich nicht abwälzen. Die Transaktionskosten sind vor diesem Hintergrund unangemessen, wenn sie den erwarteten Nutzen der Verhandlung übersteigen. Dieser Nutzen bestimmt sich aus der potentiellen Verbesserung der Vertragsbedingung gegenüber dem Vorschlag des Gegners durch die Verhandlung – evtl. diskontiert um die Wahrscheinlichkeit, mit der diese Verbesserung trotz Verhandlung nicht erzielt wird. Schlägt beispielsweise der Frachtführer einen vollständigen Haftungsausschluß vor und kostet die Transportversicherung 500 A, so lohnte es sich nicht, in solche Verhand57 Vgl. auch die Richtlinien-Empfehlung der Bundesnotarkammer zum nach § 14 Abs. 3 BNotO zu beachtenden Verfahren (abgedruckt bei Eylmann / Vaasen-Frenz, § 17 BeurkG), nach der das Beurkundungsverfahren so zu gestalten ist, „daß den Beteiligten ausreichend Gelegenheit eingeräumt wird, sich mit dem Gegenstand der Beurkundung auseinanderzusetzen“, um die vom Gesetz mit dem Beurkundungserfordernis verfolgten Zwecke zu erreichen.

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lungen zur Abwendung des Haftungsausschlusses einzutreten, die Transaktionskosten von nahezu 500 A verursachten. Von diesem Betrag sind noch die Konzessionen abzuziehen, die im Rahmen der Verhandlung gemacht werden müßten; wenn bei schadensadäquater Haftung die Fracht im Beispiel um ca. 350 – 450 A höher wäre, so wären schon Transaktionskosten ab 50 A unangemessen. Wenn die Transaktionskosten höher sind als der erwartete Nutzen der Verhandlung, wird sich ein rationaler Verhandlungsteilnehmer gar nicht mit den vom Gesetz abweichenden Vorschlägen auseinandersetzen und sie sofort akzeptieren, weil er dadurch besser stünde als beim Eintritt in Verhandlungen. Es handelt sich somit um die gleiche Situation wie bei der Verwendung von AGB, die ebenfalls nicht aus Unterlegenheit akzeptiert werden, sondern weil sich eine Auseinandersetzung mit ihnen zumeist nicht lohnt.58 Käme es in diesem Fall dennoch zu Verhandlungen, so wäre die Gefahr groß, daß kein sachgerechtes Ergebnis erzielt wird, da sozialpsychologische Faktoren in diesem Fall die Ineffizienz der Verhandlung verstärken.59 Der Rationalisierungsvorteil, den die einseitige Vertragsgestaltung in diesen Fällen ermöglicht, wird mit einer nachträglich-objektiven Inhaltskontrolle erkauft. Lediglich die drohende Inhaltskontrolle führt dazu, daß auch bei einseitiger Inhaltsgestaltung angemessene Vertragsbedingungen zustande kommen. Eine ausgehandelte Vereinbarung ist jedoch – abgesehen von §§ 123, 138 BGB – nicht mehr angreifbar, d. h. die Vertragsgerechtigkeit (sowohl objektiv als auch subjektiv) wäre nicht mehr sichergestellt. Aus diesem Grunde kann bei einer ausgehandelten Vereinbarung nicht auf die Voraussetzung angemessener Verhandlungskosten verzichtet werden. c) Das Erfordernis angemessener Verhandlungsumstände gegenüber Rationalisierungsbemühungen Damit ist im übrigen nicht jegliche Rationalisierung ausgeschlossen. Voraussetzung ist jedoch, daß auch die Verhandlungsinfrastruktur auf Seiten des Aushandelnsinteressierten rationalisiert wird, so daß dem Gegner keine unangemessenen Verhandlungskosten drohen. Dies ist z. B. möglich durch Benennung eines einfach erreichbaren und entscheidungskompetenten Verhandlungsführers für telephonische Verhandlungen, durch Offenlegung der eigenen Position (z. B. durch Begründung des eigenen Vorschlags) oder indem Materialien zur angemessenen Vorbereitung einer Verhandlung zur Verfügung gestellt werden. Auf die gleiche Weise kann die Zeit, die für die Vorbereitung und das Führen einer Verhandlung benötigt wird, reduziert werden, so daß auch kürzere Fristen noch keinen unangemessenen Zeitdruck erzeugen.

58 59

Kötz, FS Mestmäcker (1996) S. 1040 f. (m. w. N.); Bunte, NJW 1987, 921, 924. Vgl. z. B. oben unter § 11 II. 1. c), S. 201 und g), S. 205.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

III. Zusammenfassung und Bewertung Aus den abstrakten Ergebnissen von Sachstrukturanalyse und Auslegung konnte ein Katalog konkreter Voraussetzungen als Wertungsgesichtspunkte für die Bewertung einer konkreten Verhandlungssituation entwickelt werden. Eine Verhandlungssituation, in der diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann Ergebnisse hervorbringen, die ,ausgehandelt‘ sind, soweit kein unzulässiges Verhandlungsverhalten an den Tag gelegt wurde. Die Verhandlungssituationen, in denen Aushandeln i. S. d. §§ 449, 466 HGB möglich ist, sind gekennzeichnet durch Aufmerksamkeit für das verhandlungsgegenständliche Regelungsproblem und Kenntnis von Inhalt und Tragweite der auszuhandelnden Vertragsbedingung sowie Ergebnisoffenheit, Verhandlungsbereitschaft des Aushandelnsinteressierten und angemessene Verhandlungsumstände wie Transaktionskosten und Zeitrahmen. Allerdings stehen diese Voraussetzung als einzelne Wertungsgesichtspunkte im Raum und ihr Verhältnis zueinander ist bislang ungeklärt. Daher erwiese sich die Anwendung dieser Kriterien ohne festen Rahmen als unklar und undeutlich, ja evtl. bei Fokussierung auf einzelne Kriterien gar willkürlich.60 Diese ,Willkür‘ kann zwar durch eine Orientierung am common sense abgemildert werden, indem die ,Kür‘ dem ,Willen‘ „aller oder der meisten oder der Weisesten“61 unterstellt wird. Dies ist jedoch nur solange legitim, als sich aus dem positiven Recht nichts Gegenteiliges ergibt.62 Im vorliegenden Fall wurden Anforderungen an den Aushandelnsbegriff ermittelt, die im Rahmen des Wertungssystems der Rechtsordnung in einem Zusammenhang stehen. Im folgenden wird es vor diesem Hintergrund also die Aufgabe sein, die in der Luft schwebenden Kriterien in ein System einzubinden, das sich insbesondere auch im Rahmen des Systems der Rechtsordnung bewegt63.

§ 15 Systematisierung der Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns Zur Systematisierung der einzelnen Wertungsgesichtspunkte kommt die Ermittlung einzelner konkreter Tatbestände im Rahmen des Aushandelnsbegriffs in Frage oder aber die Einbindung der Wertungsgesichtspunkte als Elemente bzw. bewegende Kräfte eines beweglichen Systems64. Canaris (1969) S. 142 ff. (insb. 143 a.E.); Eidenmüller (1999) S. 655. Aristoteles, Topik I.1.5.3, zit. bei Viehweg (1974) S. 22. 62 Canaris (1969) S. 144 u.150. 63 Die Topik dagegen geht vom Problem aus und orientiert das System an der Problemlösung (Viehweg (1974) S. 33). So vorteilhaft dies auch zur Invention neuer Problemlösungsmöglichkeiten sein mag, so sehr widerspricht es aber der Jurisprudenz, die sich ihr Rechtssystem nicht danach aussuchen kann, ob es zur Lösung eines konkreten Problems behilflich ist. Die Rechtsordnung ist vielmehr ein datum, über das die Jurisprudenz bei der Problemlösung nicht verfügen kann. Vgl. auch Canaris (1969) S. 144. 60 61

§ 15 Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns

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I. Formalisierung des Begriffs ,ausgehandelt‘ durch einen Katalog fester Tatbestände? Die Ermittlung eines Katalogs konkreter Tatbestände hätte den Vorteil absoluter Vorhersehbarkeit und damit Rechtssicherheit, brächte allerdings den Nachteil der Starrheit in der Anwendung mit sich. Durch die damit einhergehende Verfestigung des Aushandelnsbegriffs könnte ferner ein Höchstmaß an Steuerung des Verhaltens der Rechtssubjekte im Rechtsverkehr erreicht werden, d. h. die rechtspolitischen Ziele, die hinter der Aushandelnsalternative stehen, würden maximal verwirklicht. Allerdings ist ein abschließendes System konkreter Tatbestände ohne Rückgriff auf weite Generalklauseln oder unbestimmte Rechtsbegriffe, das in sich widerspruchsfrei ist, nicht zu ermitteln.65 Dies ist für das Gebiet der Mathematik im Gödel’schen Unvollständigkeitssatz66 ausgedrückt, der (vereinfacht) aussagt, daß „in einem hinreichend reichhaltigen formalen System nicht gleichzeitig dessen Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit beweisbar ist.“67 Eine Formalisierung des Aushandelnsbegriffs durch ein System fester Tatbestände bleibt demnach zwar theoretisch68 nicht ausgeschlossen, es kann aber niemals zugleich sowohl nachweisbar widerspruchsfrei als auch nachweisbar vollständig sein. Auf den Nachweis der Widerspruchsfreiheit kann in diesem Zusammenhang aber nicht verzichtet werden, da dies ein Gerechtigkeitspostulat, nämlich Gleiches nicht ohne Grund ungleich zu behandeln (vgl. Art. 3 Abs. 1 GG), berührt. Aber auch auf den Nachweis der Vollständigkeit kann nicht verzichtet werden, denn ein abschließender Katalog von Tatbeständen, der aber nicht vollständig ist und somit Fälle nicht umfaßt, die dennoch ausgehandelt sind, würde mit normativer Autorität die Ausübung von Privatautonomie verhindern, obwohl dies durch die verfassungsmäßige Ordnung nicht gerechtfertigt wäre – und wäre somit rechtswidrig. Zumindest wird aber das Argument größerer Rechtssicherheit erschüttert.69 Zwar ist es denkbar, einen Katalog konkreter Tatbestände aufzustellen und ihn durch eine Generalklausel zu ergänzen, die Wertungsaspekte enthält und sich somit einer Formalisierung widersetzt. In diesem Fall könnten die Vorteile fester Tatbestände realisiert werden, wobei dem Einwand der Unvollständigkeit durch die 64 Zu dieser Funktion des beweglichen Systems und zur Abgrenzung von der Topik Canaris (1986) S. 103. 65 Vgl. dazu auch die Bemerkung von Otte (1986) S. 282 f., daß der Begründungsbegriff der Rechtswissenschaft die logische Ableitung nur als Grenzfall umfaßt und sich vielmehr auf (komparative) Wertungen stützt. 66 Gödel, Monatshefte für Mathematik und Physik 38 (1931) S. 173 ff. (insb. Satz XI, S. 196). 67 Formulierung bei von Hippel (1976) S. 293 (m. w. N.). 68 Vgl. zur praktischen Unmöglichkeit der Vollständigkeit die Ausführungen Schilchers (1986) S. 295 ff.: „Der Preis für drei ganz genau geregelte Tatbestände ist die Nichtregelung von 30 weiteren.“ (S. 297). 69 Für Strafzumessungsgesichtspunkte von Hippel (1976) S. 294.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

Generalklausel als Auffangtatbestand abgeholfen werden könnte. Allerdings ist der Aushandelnsbegriff derartig vielschichtig, daß ein überschaubarer Katalog von Tatbeständen viele feinere Strukturen dieses Begriffs nicht erfassen könnte.70 Hinsichtlich des Auffangtatbestandes bestünden weiterhin die gleichen Auslegungsprobleme, die zur Idee eines Tatbestandskatalogs geführt haben. Ein solcher brächte somit die Auslegung des Aushandelnsbegriffs nicht bedeutend weiter und vermag wegen der Weite des Auffangtatbestandes auch die Rechtssicherheit nicht erheblich zu fördern71 Daher soll eine Systematisierung der Anforderungen an das Aushandeln anstatt in Tatbeständen in einem beweglichen System vorgenommen werden. Auf die praktischen Vorteile fester Tatbestände wird weiter unten nochmals zurückgekommen.72 II. Systematisierung der Anforderungen an das Aushandeln i.S.e. beweglichen Systems 1. Bildung eines beweglichen Systems Die oben unter § 14 ermittelten Anforderungen an die Verhandlungssituation, die als Wertungsgesichtspunkte bei der Beurteilung eines konkreten Sachverhalts heranzuziehen sind, sind weitgehend nicht klassifikatorischer Art. Es ist daher nicht möglich, tatbestandsmäßige Aussagen darüber zu treffen, wann sie erfüllt sind. Die einzelnen Wertungsgesichtspunkte können vielmehr stärker oder schwächer ausgeprägt sein. Beispielsweise ist der Grad von Aufmerksamkeit auf das Regelungsproblem, Verhandlungsbereitschaft oder Ergebnisoffenheit durchaus variabel. Die einzelnen Anforderungen müssen somit nicht stets in gleicher Weise, gleichem Umfang und gleichem Verhältnis zueinander vorliegen, damit eine Vertragsbestimmung ausgehandelt ist. Aus diesem Grund soll hier zur Systematisierung der Merkmale des Aushandelnsbegriffs auf das Instrument des beweglichen Systems nach Wilburg zurückgegriffen werden. Diesem methodischen Ansatz liegt die Erkenntnis zugrunde, daß weder ein System starrer Tatbestände noch vager Generalklauseln geeignet ist, den der gesetzlichen Anordnung zugrundeliegenden Wertungen im Einzelfall weitestmöglich Geltung zu verschaffen.73 Dieses Ziel wird mit der Behandlung des Tatbestandsmerkmals „ausgehandelt“ als bewegliches System verfolgt, in dem die Ei70 Vgl. schon D 1, 3, 10: „Neque leges neque senatus consulta ita scribi possunt, ut omnes casus qui quandoque inciderint comprehendantur.“ 71 Vgl. Schilcher (1986) S. 289, der in dem Nebeneinander von ausziselierten Tatbeständen und inhaltsleeren Generalklauseln („duale Legistik“) eine „eklatante Schwäche der herrschenden Dogmatik und Gesetzgebung“ sieht. 72 Unten unter § 15 III., S. 279 ff. 73 Bydlinski (1991) S. 533 u. 535 f.; Eidenmüller (1999) S. 655 f.

§ 15 Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns

267

genwertung des Beurteilenden an den rechtlichen Wertungen, die in den Elementen des beweglichen Systems repräsentiert sind, ausgerichtet wird.

2. Elemente des beweglichen Systems Die Gewinnung der Elemente oder „bewegenden Kräfte“74 gestaltet sich dabei an dieser Stelle nicht mehr problematisch: Anhand der gesetzgeberischen Ziele und der abstrakten – im Hinblick auf die Privatautonomie auch verfassungsrechtlichen – Anforderungen wurde soeben ein zunächst abschließender (bzw. zumindest nicht ad hoc erweiterbarer) Kanon konkreter Anforderungen entwickelt, die der Prozeß der Genese der konkreten Vertragsbestimmung erfüllen muß, damit diese Bestimmung als ,ausgehandelt‘ bezeichnet werden kann. Diese einzelnen Gesichtspunkte, die jeweils in mehr oder minder starker Ausprägung auftreten, spiegeln somit die Elemente oder bewegenden Kräfte des beweglichen Systems wider. Dabei ist allerdings die Beweglichkeit des Systems in gewissem Umfang eingeschränkt, da die hier ermittelten Elemente alle kumulativ vorliegen müssen und somit keine Kompensation gar nicht vorhandener durch besonders stark ausgeprägte Elemente möglich ist. Die einzelnen Elemente sind somit notwendige, wenn auch nicht unbedingt hinreichende Voraussetzungen des Aushandelns.75 Da aber die einzelnen bewegenden Kräfte in variierender Stärke auftreten können, reicht nicht das Vorliegen der einzelnen Kräfte als solcher, sondern erst eine gewisse Gesamtintensität. In diesem Zusammenhang besteht dann auch die Kompensierbarkeit, die das bewegliche System erst flexibel macht: Wenn z. B. die Tragweite der Vertragsbestimmung einfach zu überblicken ist und die relevanten Informationen ohne Aufwand beschafft werden können, ist ein höheres Maß an Zeitdruck akzeptabel. Diese Kompensation kann auch (oder gerade) dann eingreifen, wenn ein bestimmtes Element zweifelhaft ist:76 So ist Aushandeln z. B. auch dann zu bejahen, wenn das Maß des Überblicks über die Tragweite der Vertragsbestimmung zweifelhaft ist, Kenntnis ihres Inhalts und Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem sowie die Sachorientierung der Verhandlung jedoch hoch sind. Die Hauptkräfte dieses beweglichen Systems sind das Maß der Selbstverantwortung und -bestimmung einerseits bei der Entscheidung für den Vertragsschluß und andererseits hinsichtlich der Inhaltsgestaltung der Vertragsbedingung. In diesen zwei Kräften spiegeln sich (nicht ohne Vereinfachung)77 die Abschluß- und InWilburg (1950) S. 12. Vgl. Eidenmüller (1999) S. 661, der in diesem Zusammenhang von einer Stabilisierung des beweglichen Systems spricht. 76 Vgl. Bydlinski (1991) S. 535. 77 Die Privatautonomie erfordert auch Freiheit von staatlichem Zwang, was aber hier nicht zu berücksichtigen ist. Ferner erfordert die Abschlußfreiheit die Möglichkeit, auf den konkreten Vertrag zu verzichten, sprich die Existenz von Alternativen, um bedeutende Interessen zu verwirklichen. Dieser Aspekt wird hier verdrängt dadurch, daß ein Mindestmaß an Inhalts74 75

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns Kenntn. d. VerhBer. ‘Zuhören’ faktisch rechtl.

substant. Antw. unverzügl. Antw.

Ergebnisoffenheit · g1

Verhandlungsbereitschaft · g2

Ermöglichung v. Einfluß durch d. AushdlInteressierten

Aufmerksamkeit f. Regelungs -problem · d1

Kenntnis d. Inhalts d. Klausel · d2

ökonom. rechtl.

Überblick über die Tragweite d. Klausel · d3

Komplexität Mittel/Infrastruktur

Bed. d. Gesch. Verhandlungskosten Informationskosten Transaktionskosten · g3

Bed. des Geschäfts Verantw. f. Eile angem. Verhandlungszeit · g4

Angemessene Verhandlungsumstände

Inhaltsfreiheit

Abschlußfreiheit

Bereich des Ausgehandelten

Graphische Darstellung* des beweglichen Systems

haltsfreiheit78 als die hier betroffenen Elemente der Privatautonomie wider. Damit ist also auch sichergestellt, daß das Grundanliegen der Aushandelnsalternative, nämlich die Gewährleistung eines ausreichenden Maßes an Privatautonomie im Haftungssektor des Transportrechts, durch das bewegliche System nicht aus dem Blick gerät. Diese Hauptkräfte ergeben sich wiederum als Resultanten aus den Einzelkräften, den oben unter § 14 dargestellten einzelnen Anforderungen an die Verhandlungssituation, welche teilweise selbst die Resultanten unterschiedlicher Kräfte sind. freiheit verlangt wird, sprich daß die ausreichende Möglichkeit besteht, berechtigte Interessen in den konkreten Vertrag einzubeziehen. * Die zweidimensionale Darstellung dient der Veranschaulichung des variablen Spiels der Kräfte und daß beide Kräfte vorhanden sein müssen, und ist ansonsten willkürlich, da eine ,Richtung‘ dieser Kräfte im räumlichen Sinne nicht existiert. 78 Im folgenden werden die Begriffe „Abschluß-“ und „Inhaltsfreiheit“ zur Kennzeichnung der Hauptkräfte des beweglichen Systems benutzt, die daß Maß ausgewählter Faktoren, die Einfluß auf den Grad verwirklichter Abschluß- bzw. Inhaltsfreiheit ausüben, kennzeichnen.

§ 15 Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns

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3. Grenzen des beweglichen Systems Die Abbildung offenbart zwei Schwächen des methodischen Werkzeugs ,bewegliches System‘: Die einzelnen Kräfte müssen zueinander gewichtet werden (dargestellt durch die Faktoren 1 4 und 1 3 ) und es ist die Menge der ausgehandelten Bestimmungen und v.a. deren Grenzlinie festzulegen. Dieses vermag das bewegliche System aus sich heraus nicht zu leisten. Genauso wie zur Bestimmung der einzelnen Elemente des Systems „sind Erwägungen erforderlich, die das System selbst gewissermaßen transzendieren“.79 Die Bestimmung der Grenzlinie des Aushandelns ist eine Wertung, die auf der Gewichtung der einzelnen Kräfte untereinander und gegeneinander beruht. Diese Gewichtung ist wiederum ein eigener Wertungsvorgang, der untrennbar mit der Bewertung des konkret zu beurteilenden Sachverhalts zusammenhängt, da für die Bewertung der Stärke einzelner Kräfte kein kardinales Maß vorhanden ist:80 Ob z. B. die Transaktionskosten angemessen sind, kann stets nur relativ im Hinblick auf das Ziel, die Gewährleistung eines ausreichenden Maßes an Inhaltsfreiheit unter den konkreten Vertragsschlußumständen, beurteilt werden. Dies stellt jedoch entgegen dem ersten Anschein keinen Verlust an Rechtssicherheit dar, da ohne ein derartiges Beurteilungsraster die Eigenwertung des Beurteilenden noch viel mehr Gewicht erlangt.81 Außerdem führte eine rein topischen Argumentation zu einem viel größeren Maß an Rechtsunsicherheit,82 wie die Rechtsprechung zu § 1 Abs. 2 AGBG eindrücklich dokumentiert. Auch das Werkzeug ,bewegliches System‘ kann die Rechtsgewinnung und -anwendung in Wertungsfragen nicht logisch kalkulierbar83 i.S.v. automatisierbar machen. Der ,Subsumtionsautomat‘ ist und bleibt unmöglich.

4. Eichung des Systems mittels eines Referenzfalls Andererseits wäre das soeben entwickelte bewegliche System nicht viel wert, wenn die anzustellenden Bewertungen weiterhin der Beliebigkeit des Beurteilenden anheimgestellt würden. Da aber ein kardinales Maß für die vorzunehmenden Abwägungen nicht existiert und sich das bewegliche System vielmehr durch jemehr-desto-Wertungen84 auszeichnet, ist ein Referenzfall zugrunde zu legen,85 an-

79 Eidenmüller (1999) S. 659; vgl. auch Otte (1986) S. 285, nach dem das Ergebnis konkreter Abwägungsprozesse durch das bewegliche System nicht prädestiniert sind. 80 Vgl. dazu Otte (1986) S. 272 f. 81 Bydlinski (1991) S. 537. 82 Otte (1986) S. 284 f. 83 Otte (1986) S. 273. 84 Bydlinski (1991) S. 531; vgl. auch Otte (1986) S. 272. 85 Schilcher (1977) S. 214 ff.; Bydlinski (1991) S. 531; Canaris (1986) S. 110.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

hand dessen das System ,geeicht‘ werden kann, denn nur zu einem solchen können je-mehr-desto-Wertungen angestellt werden.86 Als Referenz kommt ein klarer Fall einer ausgehandelten Vereinbarung in Frage. Unklare, also streitige Fälle kommen hingegen nicht in Betracht, weil hier gerade eine Wertung erforderlich wäre. Eine solche könnte aber lediglich anhand topischer Argumentation vorgenommen werden, weil zur Bewertung des Referenzfalls des beweglichen Systems nicht auf das System, dessen Referenzfall er gerade sein soll, zugegriffen werden kann. Als geeigneter Referenzfall kommt der Idealfall von Verhandlungen in Betracht, welcher von Literatur und Rechtsprechung87 übereinstimmend und eindeutig zu einer ausgehandelten Bestimmung führt und auch schon vom allgemeinen Sprachgebrauch als echtes Aushandeln betrachtet würde. In diesem Idealfall ist die endgültig beschlossene Vertragsbestimmung von beiden Parteien gemeinsam abgefaßt – sei es, daß sie sich nur mit einem Problemkatalog in die Verhandlung begeben haben88 oder daß sie zwar Vorschläge einer Partei zugrundelegen, aber umfassend revidieren und anpassen. – Auf jeden Fall wird umfassend auf die Verhandlungsbeiträge des anderen eingegangen. Dabei orientiert sich die Verhandlung hauptsächlich an den Problemen, die die Parteien jeweils zum eigenen Vorteil zu lösen versuchen, ohne dabei auf Droh- oder Machtmittel auszuweichen, die in keinem Zusammenhang mit dem Regelungsproblem stehen – das Maß an Verhandlungsbereitschaft ist somit hoch. Das Maß an Ergebnisoffenheit ist ebenfalls hoch, jedes in der Verhandlung erzielte Ergebnis in angemessenem Rahmen kann auch tatsächlich umgesetzt werden. Die mit dieser Form der Verhandlung verbundenen Transaktionskosten sind zwar nicht gering, stehen aber im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts. Es steht genügend Zeit zur Verfügung; Zeitdruck wirkt sich also nicht aus. Eine tatsächliche Möglichkeit, die eigenen Interessen in die Verhandlung einzubringen und berechtigte Interessen auch durchzusetzen, ist somit gegeben, ein tatsächlicher Interessenausgleich möglich. Die Qualität der Entscheidungsgrundlage für die Vertragsschlußentscheidung tritt angesichts des hohen Maßes an verwirklichter Inhaltsfreiheit eher in den Hintergrund. Allerdings ist die Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem überaus hoch, da die Beteiligung am Abfassen ein Höchstmaß an derartiger Aufmerksamkeit gewährleistet. Die inhaltliche Informationsgrundlage ist dagegen nicht besonders ausgeprägt, da das Verhandeln nicht auf einen inhaltlichen Informationsaustausch gerichtet ist. Die Kenntnis vom Inhalt der Vertragsbestimmung aufgrund der Beteiligung an der Inhaltsgestaltung ist grundsätzlich vorhanden, obwohl Mißverständnisse nicht ausgeschlossen sind. Auch die Kenntnis der Tragweite der Vertragsbestimmung wird durch diese idealfallartige Verhandlung nicht in besonderem Maße gefördert; es besteht vielmehr ein erhöhtes Maß an Selbstverantwortung bei 86 87 88

Bydlinski (1991) S. 531. Vgl. z. B. OLG Köln, BauR 1996, 272. Vgl. Koller (2000) § 449 Rn. 43.

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der Entscheidung für den Vertragsschluß. Denn wer den Inhalt des Vertrages aktiv selbst mitgestaltet, ist auch selbst dafür verantwortlich, sich über die Tragweite des Inhalts zu informieren. Hier wird ein Ausgangspunkt für die kompensierende Anwendung des beweglichen Systems deutlich: Desto geringer der eigene Einfluß auf den Inhalt (d. h. desto größer der Fremdeinfluß) ist, desto wichtiger ist eine ausreichende Informiertheit als Entscheidungsgrundlage für den Vertragsschluß. Beispiel: Angenommen es stünde das Aushandeln einer vorformulierten Bedingung in Frage, wobei im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts sehr hohe Transaktionskosten anfallen und die Ergebnisoffenheit faktisch etwas eingeschränkt ist, weil der Rationalisierungsnutzen der Vorformulierung wegfiele. In zwei Punkten ist somit das Maß an tatsächlicher Einflußmöglichkeit auf den Klauselinhalt eingeschränkt. Sollte diese Klausel dennoch ausgehandelt sein können, so ist dafür Sorge zu tragen, daß durch den Kommunikationsprozeß ein gleichsam hohes Maß an Aufmerksamkeit auf das Regelungsproblem gelenkt wird und daß eine angemessene Entscheidungsgrundlage sichergestellt ist, z. B. mittels einer besonderen Belehrung über die Tragweite der Klausel. Wohlgemerkt reicht reines Erörtern nicht aus, da ein Mindestmaß an inhaltlichem Einfluß erhalten bleiben muß.

5. Analyse der Auswirkungen und Bewertung des beweglichen Systems Das hier entwickelte bewegliche System ist aus den Anforderungen entwickelt, die eine Verhandlungssituation erfüllen muß, damit ihr Ergebnis als ,ausgehandelt‘ gewertet werden kann. Das bewegliche System verkörpert dabei die rechtlichen Wertungsgesichtspunkte für eine normative Beurteilung eines tatsächlichen Sachverhalts. Eine derartige rechtliche Regelung vermag auf das tatsächliche Verhandlungsverhalten rückzuwirken. Diese Auswirkungen dürfen die Anforderungen an das Aushandeln auf tatsächlicher Ebene nicht in Frage stellen. Zur Bewertung des hier vorgeschlagenen beweglichen Systems sind somit seine tatsächlichen Auswirkungen zu analysieren.

a) Ökonomische Analyse Die ökonomische Analyse untersucht die Effizienz der Umsetzung der Anforderungen durch das bewegliche System. Die Effizienz der Anforderungen selbst steht dagegen hier nicht zur Diskussion. Die rechtspolitische Frage, ob de lege ferenda eine andere Gestaltung – etwa gewöhnliche Dispositivität mit nachträglicher Inhaltskontrolle – effizienter wäre, kann im Rahmen der Auslegung der Norm de lege lata keine Rolle spielen.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

aa) Informationsökonomie Dem beweglichen System zufolge ist um so eher ein Aushandeln anzunehmen je besser die Informationsbasis des Gegners dessen ist, der sich später auf das Aushandeln berufen möchte (Aushandelnsinteressierter). Der entsprechende Beweis, daß die Tragweite der Bestimmung hinreichend klar war, wird zumeist den Nachweis einer Aufklärung des Gegners erfordern. Dies bedeutet, daß der Aushandelnsinteressierte um so mehr dazu angehalten ist, seinem Gegner die zur Beurteilung der Tragweite der auszuhandelnden Vertragsbestimmung erforderlichen Informationen zu übermitteln, je weniger die anderen Elemente des beweglichen Systems, insbesondere die Einflußmöglichkeit auf den Inhalt, ausgeprägt sind. Je einseitiger die Vertragsbedingung gestaltet wird, um so weitergehender wird die Obliegenheit, den Gegner über die Tragweite der Bestimmung zu unterrichten. Wenn der Aushandelnsinteressierte eine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht vorschlägt, so hat er seine Gründe dafür. Diese können entweder in einer (subjektiven) Risikoaversion bestehen oder auf Informationen über tatsächliche Umstände zurückzuführen sein. Wenn das Abweichungsbegehren lediglich subjektiv begründet ist, dann reicht es grundsätzlich aus, wenn der Gegner darüber informiert wird, daß das Risiko unabsehbar ist.89 Alle bekannten tatsächlichen Umstände sind aber in jedem Fall bekanntzugeben, z. B. der Wert der verladenen Güter oder die Höhe des erwarteten Verspätungsschadens. Da es sich im Rahmen der §§ 449, 466 HGB um Unternehmer handelt, ist davon auszugehen, daß die Entscheidung, eine Abweichung vom dispositiven Gesetzesrecht vorzuschlagen, auf der Grundlage von – vorhandenen – nachvollziehbaren Informationen beruht. Die Obliegenheit, den Gegner über die Tragweite der vorgeschlagenen Risikoverlagerung aufzuklären, regt die kostenlose Übermittlung dieser für eine sachgerechte unternehmerische Entscheidung bedeutsamen Informationen an den, der die Konsequenzen der Entscheidung zu tragen hat, an. Dies ist volkswirtschaftlich günstig, weil es sich bei Informationen über (externe) Risiken – z. B. die Wahrscheinlichkeit einer Verzögerung des Schiffstransports durch Hoch- / Niedrigwasser – vielfach um unproduktive Informationen90 handelt: Das (exaktere) Wissen um die Risiken eines Vertrages führt per se zu keiner volkswirtschaftlichen Wertschöpfung, sondern lediglich zur Möglichkeit, auf Kosten des Vertragspartners zu profitieren, nämlich indem dieser zur Übernahme des Risikos zu einem geringeren Preis bewegt wird, als es seinem wirtschaftlichen Wert entspricht. Dem Gewinn auf der einen Seite steht dabei ein Verlust in gleicher Höhe auf der anderen Seite gegenüber. Daher werden entsprechende Informationen zum Schutz vor Übervorteilung von beiden Seiten für eine Bewertung des Vertrages – insbesondere der Gegenleistung – gleichermaßen benötigt. Dabei erscheint 89 Hat der Gegner positive Kenntnis, daß er sich auf ein ,unabsehbares‘ Risiko einläßt, dann ist ihm auch die einschneidende Bedeutung (Tragweite) dieser Entscheidung bekannt. 90 Vgl. dazu Schäfer / Ott (2000) S. 462 (m. w. N. in Fn. 3).

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es volkswirtschaftlich unsinnig, daß die entsprechenden Informationskosten zur Gewinnung unproduktiver Informationen gleich doppelt aufgewendet werden.91 Es ist davon auszugehen, daß die Seite, die vom Gesetz abweichen will, die erforderlichen Informationen schon beschafft hat, denn sie wird nicht ohne Grund Transaktionskosten aufwenden, um eine Klausel auszuhandeln, wenn sie gar nicht weiß, ob sich dies für sie lohnt.92 Will eine Seite nun ihre Informationen ausnutzen und besitzt die andere Seite diese Informationen ebenfalls, dann erwächst der Partei, die die Informationsobliegenheit trifft, kein wirtschaftlicher Nachteil aus der Aufklärung. Besitzt die andere Seite diese Informationen nicht, läuft sie Gefahr, ausgenutzt zu werden, wobei diese Gefahr besonders dringend ist, wenn unkontrolliert vom Gesetz abgewichen wird. Dazu kommt, daß die Höhe der Informationskosten zwischen den Parteien deutlich differieren kann93, so daß es sogar für die andere Partei lohnenswert (rational) sein kann, diese Informationskosten nicht aufzuwenden.94 In Verbindung mit einer Abweichung von den gesetzlichen Standards unter Ausschluß der nachträglichen Inhaltskontrolle wird dadurch die Gefahr der Ausnutzung noch verstärkt. Also wird die andere Partei gezwungen, die Informationskosten aufzuwenden, was zu dem oben schon mißbilligten Ergebnis führt, daß für ein und dieselbe Information (mindestens) doppelte Kosten aufgewendet werden. Um dieses Ergebnis zu verhindern, ist es effizient95, wenn die Partei, die vom Gesetz abweichen und damit Nutzen aus den (bis dato unproduktiven) Informationen ziehen will,96 die nötigen Informationen – die ihr selbst zu diesem Zeitpunkt schon vorliegen97 – zur Bewertung dieses Vorschlags liefert.98 Dadurch wird auch die Möglichkeit der mißbräuchlichen Ausnutzung eines Informationskostengefälles verschlossen. Durch die Übermittlung der Informationen über die Risikofaktoren können im übrigen Maßnahmen zur Risikovermeidung ergriffen werden, wenn diese günstiger Vgl. Schäfer / Ott (2000) S. 485. Wenn lediglich starke Risikoaversion hinter dem Wunsch nach Abwälzung des (unabsehbaren) Risikos besteht, so werden die Informationskosten ebenfalls nur einmal aufgewendet, nämlich vom Gegner. Dieser wird dadurch entlohnt, daß er die gewonnenen Informationen dann dazu nutzen kann, besondere (sachlich ungerechtfertigte) Vorteile bei der Gegenleistung (vgl. dazu auch Fn. 96) zu erzielen. 93 Vgl. Schäfer / Ott (2000) S. 484, die dies als eine Voraussetzung für Vertrauensschutz behandeln. 94 Vgl. im Hinblick auf AGB-Klauseln Koller (1990) S. 670. 95 Vgl. dazu Lehmann, NJW 1981, 1233, 1240. 96 Funktion des dispositiven Rechts ist es auch, derartige Transaktionskosten zu verhindern und anstelle dessen ein geeignetes gesetzliches System zu stellen, auf das hinreichend Verlaß ist (vgl. Schäfer / Ott (2000) S. 370). Es ist daher nicht unzumutbar, dem, der diese Ersparnismöglichkeit verhindert (d. h. dem, der vom dispositiven Recht abweichen möchte) auch die dadurch entstehenden Kosten aufzuerlegen. 97 D.h. daß sie die Informationen auch am kostengünstigsten bereitstellen kann. 98 Köndgen, NJW 1989, 943, 947 weist darauf hin, daß auch das AGBG eine Verlagerung der Informationslasten vom AGB-Kunden auf den AGB-Verwender beinhaltet. 91 92

18 Pfeiffer

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

sind, als der Erwartungswert des Risikos. Dadurch wird Wertschöpfung betrieben, von der beide Parteien (je nach Verhandlungsmacht) und die Volkswirtschaft profitieren können. Wohlgemerkt kann dies nur geschehen, wenn die Informationen der risikotragenden Partei übermittelt werden, ansonsten bleiben sie unproduktiv.99 Daher vernichtet das bewegliche System auch keine Anreize zur (evtl. kostenträchtigen) Ermittlung produktiver Informationen.100 Aus informationsökonomischer Sicht wirkt sich die am obigen beweglichen Systems orientierte Begriffsbestimmung des Aushandelns positiv aus. bb) Effizienz Die Begriffsbestimmung des Aushandelns auf der Basis des obigen beweglichen Systems stellt an den Aushandelnsinteressierten die Anforderung der Verhandlungsbereitschaft. Er muß daher dem Gegner Gelegenheit geben, einen Gegenvorschlag zu ermitteln, der mit der Position des Aushandelnsinteressierten vereinbar ist, ihn selbst aber besser stellt als der ursprüngliche Vorschlag. Zu diesem Zweck muß der Aushandelnsinteressierte erreichbar sein und eine tatsächliche Kommunikation ermöglichen sowie unverzüglich auf Verhandlungsbeiträge (Fragen und Gegenangebote) eingehen, die der Ermittlung der Verhandlungsposition dienen. Gleiches gilt, soweit es sich dabei um Sachargumente auf der Tatsachenebene handelt.101 Dadurch wird dem Gegner genau dann eine Einflußmöglichkeit eröffnet, wenn es ihm gelingt, eine effizientere Regelung vorzuschlagen. Die volkswirtschaftliche Effizienz des Vertrages steigt somit gegenüber einer rein auf Verhandlungsmacht aufbauenden Lösung. Die Effizienz des Verhandelns wird dadurch sichergestellt, daß die Verhandlungsbereitschaft an eine Aktivität des Gegners geknüpft ist: Nur wenn dieser tat99 Für die Risikozurechnung im allgemeinen weist Koller (1979) S. 85 (m. w. N.) darauf hin, daß es das Ziel einer optimalen Gefahrenbeherrschung erfordert, daß grundsätzlich die Partei das Risiko trägt, die über die besseren Informationsquellen darüber verfügt. Daraus läßt sich folgern, daß bei einer vertraglichen Risikoverlagerung das Ziel optimaler Gefahrenbeherrschung ebenfalls nur erreicht wird, wenn dabei eine angemessene Information der risikoübernehmenden Partei einhergeht. 100 Entweder die Partei, die die Informationen besitzt, entdeckt eine günstigere Möglichkeit, mit dem Risiko umzugehen. In diesem Fall wird sie das Risiko selbst übernehmen und dafür eine unter diesen Umständen lohnende Risikoprämie kassieren. Die Ermittlung derartiger produktiver Informationen wird also belohnt. Oder die Partei erlangt Informationen, wie ihr Vertragspartner das Risiko besser bewältigen kann. Dann wird sie sich bemühen, es auf ihn abzuwälzen und dafür jedoch nur eine verminderte Risikoprämie entrichten. Als Sachargumente zur Durchsetzung dieser Regelung kann sie dann ihre Informationen nutzen. Durch diese Gewinnchancen und durch die Knüpfung der Abänderungsbereitschaft an Sachargumente bleibt auch der evolutorische Mechanismus intakt, der dafür sorgt, daß sich auf Dauer die Marktteilnehmer mit den größeren intellektuellen Kapazitäten durchsetzen, wodurch das Niveau der Informationsverarbeitung langfristig steigt und durch Selektionsdruck aufrechterhalten wird. 101 Näher dazu oben unter § 14 II. 2., S. 253.

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sächlich Verhandlungsbeiträge macht, die der Suche nach einer effizienteren Lösung dienen, muß überhaupt in eine tatsächliche Verhandlung eingestiegen werden.102 Andererseits ist gewährleistet, daß nicht in eine Verhandlung eingestiegen wird, wenn die damit verbundenen Transaktionskosten einer Seite höher als der erwartete Nutzen sind, d. h. das Verhandeln ineffizient wäre. Die Anforderung ,angemessene Verhandlungsumstände‘ ist nämlich nur dann erfüllt, wenn diese Kosten angemessen sind. Dadurch wird für den Aushandelnsinteressierten ein Anreiz gesetzt, die Transaktionskosten des Gegners positiv zu beeinflussen, indem die Verhandlungsumstände möglichst effizient gestaltet werden. Zumindest wird verhindert, daß auf eine negative Beeinflussung der Verhandlungskosten des Gegners – also ein ,Geldverbrennen‘ aus volkswirtschaftlicher Sicht – hingewirkt wird, um dadurch Verhandlungsmacht zu gewinnen. Diesen Effekt hat auch das Erfordernis der Ergebnisoffenheit, weil dadurch das – evtl. recht kostspielige – Schaffen vollendeter Tatsachen (commitment-Strategie) unterbunden wird. Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, daß durch diese Form des Aushandelns keine marktwirtschaftlichen Anreize vernichtet werden: Wirtschaftliche Macht kann – in den Grenzen des GWB und § 138 BGB – weiterhin auch beim Aushandeln ausgeübt werden – allerdings nicht zur Durchsetzung weniger (objektiv) sachgerechter Bedingungen, sondern lediglich auf der Preisebene. Es wird durch das Aushandeln gewährleistet, daß die effizienteste der in der Verhandlung ermittelten Alternativen vereinbart wird und kein Wertschöpfungspotential verschenkt wird. Der durch die Verhandlung geschaffene Wert ist somit (subjektiv) maximal. Dies kommt auch der marktmächtigeren Partei zugute, weil sie mittels ihrer Marktmacht den Großteil dieses Wertes im Rahmen der Gegenleistungsvereinbarung abschöpfen kann. Wertschöpfung und Wertbeanspruchung werden somit getrennt, so daß sich die Beanspruchungstaktiken nicht negativ auf die Wertschaffung auswirkt. Dies steigert wiederum die ex-post-Effizienz, d. h. es kommt seltener zu Verhandlungsabbrüchen. Zur Verdeutlichung ein Beispiel, das zugleich auch die Konsequenzen für die ex-post-Effizienz verdeutlicht: Hat ein Transport für den Absender den Wert 100 A (jeweils pro bestimmter Einheit) und belaufen sich die Kosten für den (marktmächtigen) Frachtführer auf 70 A, so bietet der Abschluß eines Transportvertrags grundsätzlich die Möglichkeit der Wertschöpfung (30 A), die sich bei krassem Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht vollständig der Frachtführer zueignen könnte. Der Transport sei aber mit Risiken behaftet, die der (risikoscheue) Absender mit ca. 40 A bewertet, wenn er sie zu tragen hätte, der Frachtführer jedoch nur mit 20 A. Würde der Frachtführer mit seiner Verhandlungsmacht einen vollständigen Haf102

18*

Näher dazu oben unter § 14 II. 2. c) bb) und cc), S. 255 ff.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

tungsausschluß durchsetzen wollen, so böte der Absender lediglich 60 A für den Transport (Wert vermindert um Risiko). Da die Kosten für den Frachtführer jedoch schon 70 A betragen, wird kein Vertrag zustande kommen, denn Verhandlungsmacht vermag den Schwächeren nicht dazu zu bewegen, Verträge abzuschließen, die ihn schlechter stellen als der Status quo. Übernähme hingegen der Frachtführer das Risiko, so hätte er einen Aufwand von 90 A (Kosten zuzügl. Risiko). Mit seiner Verhandlungsmacht könnte er dann den anderen dazu bringen, (fast) 100 A für den Transport zu zahlen, um somit selbst einen Gewinn von (nahezu) 10 A zu machen. Dies gilt im übrigen auch, wenn selbst bei Haftungsausschluß noch ein Vertrag zustande käme.103

b) Sozialpsychologische Analyse Die hier aufgestellten und im Rahmen eines beweglichen Systems systematisierten Anforderungen an eine Verhandlungssituation haben auch Einfluß auf die in dieser Verhandlungssituation stattfindende soziale Interaktion. Dadurch daß Aushandeln nicht zwangsläufig eine tatsächliche vorhergehende Verhandlung voraussetzt, soweit die schutzzweckrelevanten Verhandlungsumstände dennoch vorlagen und der Eintritt in inhaltliche Verhandlungen ohne weiteres möglich war, können die sozialpsychologischen Charakteristika des Verhandelns mit ihren effizienz- und sachgerechtigkeitsmindernden Auswirkungen teilweise umgangen werden. Um die erforderlichen Verhandlungsumstände zu schaffen und damit die ,Wirkungen‘ einer tatsächlichen Verhandlung zu gewährleisten, ist allerdings ebenfalls inhaltliche Kommunikation in einer ,Gegner-Situation‘ erforderlich, die für Wahrnehmungsverzerrungen in ähnlicher Weise anfällig ist wie eine Verhandlung. Auch die typische menschliche Irrationalität kann auf normativem Wege natürlich nicht verhindert werden. Dennoch besteht die Möglichkeit, durch rechtliche Anforderungen die Verhandlungssituation so auszugestalten, daß negative Auswirkungen vermindert werden. Daraufhin ist die hier vorgenommene Begriffsbestimmung von ,ausgehandelt‘ zu untersuchen. Zunächst setzt Aushandeln voraus, daß Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem und Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vereinbarung besteht. Dadurch werden die für die Entscheidungsfindung relevanten Tatsachen mental präsenter, so daß sich die Wahrnehmungsverzerrungen der representativeness104 und der 103 Wäre der Absender im obigen Beispiel weniger risikoscheu und bewertete das Risiko nur mit ca. 25 A, so könnte der mächtige Frachtführer durchsetzen, daß der Absender das Risiko trüge und den Transport für (nahezu) 75 A durchführen. – In diesem Fall würde er aber nur knapp 5 A Gewinn machen, so daß es sich auch in diesem Falle lohnte, das Risiko selbst zu tragen und den Transport für (nahezu) 100 A durchzuführen. 104 Oben unter § 11 II. 1. a), S. 199.

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availability105 weniger auswirken. Da in vielen Fällen eine Informationsobliegenheit des Aushandelnsinteressierten besteht, wird auch das Ignorieren von die eigene Einschätzung widerlegenden Tatsachen106 vermindert. Wenn nämlich der Gegner Informationen übermittelt, die seiner eigenen Verhandlungsposition eher abträglich sind, so werden diese Informationen viel eher berücksichtigt, als wenn sie selbst ermittelt worden wären – gerade wenn sie die eigene Einschätzung widerlegen. Durch die ,selbstlose‘ Information seitens des Gegners wird auch den negativen Polarisierungstendenzen107 und der Abwertung gegnerischer Verhandlungsbeiträge108 entgegengewirkt. Dies wird auch gewährleistet durch das Erfordernis der Verhandlungsbereitschaft im Sinne einer Pflicht zum unverzüglichen Eingehen auf Verhandlungsbeiträge, wodurch die Möglichkeit der taktischen Verzögerung als Druckmittel verschlossen wird. Gleiches gilt für die Voraussetzung angemessener Transaktionskosten und Verhandlungszeit. Diese Voraussetzungen verhindern die sachwidrige Ausübung von Verhandlungsmacht und induzieren beim Aushandelnsinteressierten ein Eigeninteresse daran, daß der Gegner unter angemessenen Umständen verhandeln kann – denn sonst ist das Ergebnis nicht ,ausgehandelt‘ und somit unwirksam. Daher wird der Blick des Aushandelnsinteressierten auch auf die Situation des Gegners gelenkt. Auf diese Weise können Polarisierungstendenzen109, die Illusion der Kontrolle110 sowie die unrealistische Beurteilung der eigenen Position111 und der Mythos gegenläufiger Interessen112 verringert werden. Dies wird weiterhin unterstützt durch die prinzipielle Trennung von Wertschöpfung und -beanspruchung: Welche Vertragsbedingung vereinbart wird, ist weniger von Verhandlungsmacht abhängig als von den selbstbestimmten Einschätzungen der Parteien vor dem Hintergrund ihrer Präferenzen. Erst die Verteilung des gemeinsamen, aus der Vereinbarung gezogenen Nutzens unter den Parteien ist dem freien Spiel der Kräfte unterworfen. Auf diese Weise kann die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragskonditionen auf beiden Seiten mehr im Lichte eines Gewinnkontexts bzw. einer gemeinsamen Problemlösung gesehen werden.113 Die Voraussetzung der Verhandlungsbereitschaft beinhaltet eine Obliegenheit, auf Verhandlungsbeiträge des Gegners, die die Verhandlung fördern können, zu Oben unter § 11 II. 1. b), S. 200. Oben unter § 11 II. 1. c), S. 201. 107 Oben unter § 11 II. 2. a), S. 207. 108 Oben unter § 11 II. 2. c), S. 209. 109 Oben unter § 11 II. 2. a), S. 207. 110 Oben unter § 11 II. 1. g), S. 205. Die Illusion der Kontrolle wird ferner auch dadurch vermieden, daß lediglich auf Verhandlungsbeiträge, die die Verhandlung fördern können (vgl. oben unter § 14 II. 2. c) bb) und cc), S. 255 ff.), eingegangen werden muß. 111 Oben unter § 11 II. 1. g), S. 205. 112 Oben unter § 11 II. 2. a), S. 207. 113 Vgl. oben unter § 11 II. 2. b), S. 208. 105 106

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

antworten.114 Dadurch wird die Konsistenz der Verhandlungsposition erzwungen und der Variabilität der Nutzenfunktion115 entgegengewirkt. Der Gegner wird nämlich auf eine Klarstellung drängen, wenn eine Inkonsistenz zutage tritt. Auf diese Weise kann er ganz allgemein ihm nachteilige Wahrnehmungsverzerrungen des Aushandelnsinteressierten bekämpfen. Dieser ist nämlich gezwungen, sich mit Verhandlungsbeiträgen des Gegners auseinanderzusetzen, 116 soweit es um Sachargumente oder die Grundlagen der gegnerischen Verhandlungsposition geht.117 Die Parteien sind somit selbst an einer Reduktion der Wahrnehmungsverzerrung der Gegenseite interessiert und auch die unterlegene Seite hat die Möglichkeit, darauf hinzuwirken.118 Nicht zuletzt ist hervorzuheben, daß der Bereich der Verhandlung im engeren Sinn vollkommen verlassen werden kann, wenn die Problemlösung Sachargumenten auf der Tatsachenebene zugänglich ist119 und derartige Argumente eingebracht wurden. In diesem Fall kommt es anstelle des Verhandelns zum Argumentieren, so daß sich die verhandlungstypischen Wahrnehmungsverzerrungen nicht mehr auswirken. Die hier vorgenommene Begriffsbestimmung des Aushandelns anhand eines beweglichen Systems der Anforderungen an die Verhandlungssituation induziert dieser Verhandlungssituation somit viele Ansatzpunkte, den negativen Auswirkungen menschlichen Verhandlungsverhaltens entgegenzuwirken. Zwar bleibt auch das ,gewöhnliche‘ Verhandlungsverhalten mit allen seinen negativen Effekten möglich, insbesondere wenn beide Seiten den Vertragsinhalt tatsächlich gemeinsam gestalten. Derartige Verhandlungen sind nach dem hier vertretenen Verständnis des Aushandelns jedoch nicht zwingend vorgeschrieben. Die hier vorgenommene Auslegung des Aushandelns gestattet vielmehr die Möglichkeit der Rationalisierung. Es ist somit ein Aushandeln möglich, bei dem weniger Wahrnehmungsverzerrungen auftreten als beim gewöhnlichen Verhandeln. Die hier vertretene Auffassung vom Aushandeln bietet somit sogar die Möglichkeit effizienteren Aushandelns als das gewöhnliche Verhandeln, wobei sogar die Realisierung von Rationalisierungsvorteilen durch Vorformulierung möglich bleibt.

Oben unter § 14 II. 2. c) bb) und cc), S. 255 ff. Oben unter § 11 II. 1. f), S. 203. 116 Dadurch wird im übrigen auch eine unrealistische Einschätzung der eigenen Position sowie die Illusion der Kontrolle (oben unter § 11 II. 1. g), S. 205) verringert. 117 Oben unter § 14 II. 2. c) bb) und cc), S. 255 ff. 118 Allerdings auch nur soweit der Verhandlungsstärkere eine vom Gesetz abweichende Regelung vorschlägt. Die §§ 449, 466 HGB gewährleisten nämlich dem Schwächeren nicht die gleiche Chance, vom Gesetz abzuweichen, sondern regeln nur, wann eine Abweichung wirksam ist. 119 Dies wird freilich ein Ausnahmefall sein, da es zumeist entscheidend auf subjektive Einschätzungen ankommt. 114 115

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c) Zusammenfassung Die hier vorgenommene normative Begriffsbestimmung des Aushandelns anhand eines beweglichen Systems der Anforderungen an die Verhandlungssituation wirkt sich auf tatsächlicher Ebene nicht dergestalt aus, daß sich ein Widerspruch zu den Anforderungen an das Aushandeln ergibt. Aus ökonomischer und insbesondere informationsökonomischer Warte wird das Erfordernis hinreichender Effizienz erfüllt. Auch unter sozialpsychologischen Gesichtspunkten bietet das Aushandeln nach dem hier vertretenen Verständnis die Möglichkeit, daß sich die typischen Wahrnehmungsverzerrungen vermindern und eine problemlösungsorientierte, kooperative Perspektive des Verhandelns gefördert wird. Der Umfang dieser tatsächlichen Auswirkungen ist jedoch nicht genau zu bestimmen, was an der Beweglichkeit des Systems bzw. daran liegt, welcher Aspekt in der konkreten Verhandlungssituation besonders zu betonen ist und welcher eher weniger stark ausgeprägt ist.

III. Rechtssicherheit und Praktikabilität durch Entwicklung eines Regelbeispiels 1. Gestaltungssicherheit im rechtsgeschäftlichen Verkehr als Aspekt der Rechtssicherheit Sowohl als subjektive als auch objektive ratio legis wurde an eine Begriffsbestimmung des Aushandelns die Anforderung der Rechtssicherheit und Praktikabilität gestellt.120 Eine dogmatische Begriffsbestimmung des Aushandelns wäre von wenig Nutzen, wenn sie sich nicht in der Praxis bewähren könnte. Die Problematik zeigt sich deutlich im Bereich der allgemeinen Geschäftsbedingungen: Der dortige, kasuistisch geprägte Begriff des Aushandelns ist kaum greifbar und es kann auf seiner Grundlage nur sehr schwer ein ausgehandeltes Ergebnis ex ante sichergestellt werden.121 Bemühungen, von der gesetzlichen Möglichkeit des Aushandelns Gebrauch zu machen, werden immer wieder erkennbar. Es besteht aber offenbar Unsicherheit, auf welche Weise diese Möglichkeit handhabbar ist, wenn sich am Klauseltext nichts geändert hat. Aus dieser Unsicherheit wird dann insbesondere auf eine Bestätigungen des Individualcharakters einer Vereinbarung zurückgegriffen122, teilweise verbunden mit einer besonderen Absetzung vom restlichen Klauselwerk123, was selbstverständlich als solches nicht ausreichen Siehe oben unter § 8 III. 5., S. 149 und auch § 7 II. 1., S. 110. Vgl. schon Hensen, NJW 1987, 1986, 1987, der von „verbreiteter Ratlosigkeit darüber . . ., wie ihm [scil. § 1 Abs. 2 AGBG] in der Praxis genügt werden kann“. Michel / Hilpert, DB 2000, 2513 sprechen von „einer oft unerträglichen Rechtsunsicherheit“. 122 Z. B. OLG Düsseldorf v. 13. 11. 1998, Az. 7 U 69 / 00 (Fundstelle: juris). 123 Z. B. LG Magdeburg v. 15. 06. 1999, Az. 9 O 3925 / 98 (Fundstelle: juris). 120 121

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

kann.124 Darin tritt nicht unbedingt ein Ausnutzen von Vertragsgestaltungsmacht zutage, insbesondere wenn die Klausel so gestaltet wurde, daß sie auf jeden Fall vom Vertragspartner wahrgenommen werden mußte125 und keine Umstände erkennbar sind, die für ein überragendes Übergewicht des Verwenders sprechen. Gerade im letztgenannten Fall spricht viel dafür, daß es dem Klauselverwender in besonderem Maße auf den inhaltlichen Gehalt der Regelung ankommt und er sie tatsächlich für sachgerecht hält – ansonsten hätte er sie eher verborgen. Der Verwender ist sich in diesem Fall darüber im Klaren, daß es sich um einen Sonderfall handelt, der grundsätzlich auszuhandeln ist, und deswegen weist er den Vertragspartner auch besonders darauf hin und läßt sich das Aushandeln schriftlich (getreu dem Motto: „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“126) bestätigen. Er ist nämlich im Unklaren darüber, wie er ein Aushandeln in diesem Fall sonst beweisen soll, wenn es nicht zu kontroversen Diskussionen gekommen ist. Eine derartige Unsicherheit bei der Anwendung einer gesetzlich eingeräumten Möglichkeit muß eine gesetzliche Regelung jedoch stets verhindern, denn der Verfassungswert ,Rechtssicherheit‘ umfaßt auch die Gestaltungssicherheit im rechtsgeschäftlichen Verkehr.

2. Gestaltungssicherheit und das bewegliche System Das bewegliche System systematisiert zwar die Anforderungen an das Aushandeln und kann dementsprechend eine gewisse Orientierung vermitteln. Außerdem entspricht der Vorgang komparativen Wertens der von Menschen gewöhnlich verwandten heuristischen Methode und entspricht daher dem Rechtsempfinden.127 Vollständige Rechtssicherheit ex ante gibt es aber nicht, denn die Bewertung und Abwägung der einzelnen Elemente ist komplex und erfordert evtl. gar besonderen juristischen Sachverstand. Daher wäre es für die Rechtsanwendung besser, wenn – zumindest im Normalfall – klar umgrenzte Tatbestände existierten, unter die die tatsächliche Verhandlung zu subsumieren ist.128 Oben wurde aber schon fest124 So die allgemeine Meinung, vgl. nur Wolf in Wolf / Horn / Lindacher (1999) § 1 AGBG Rn. 34; Ulmer in Ulmer / Brandner / Hensen (2001) § 1 AGBG Rn. 49 mit zahlreichen Nachweisen. 125 Z. B. LG Magdeburg v. 15. 06. 1999, Az. 9 O 3925 / 98 (Fundstelle: juris). 126 So spricht der Schüler in Faust I, Studierzimmer, Z. 1966 f. (also ein juristischer Laie, der sich bezeichnenderweise zwei Zeilen später dazu bekennt, sich zur Rechtsgelehrsamkeit nicht bequemen zu können), nachdem ihm – ebenso bezeichnenderweise – der Teufel selbst die schriftlichen Aufzeichnungen als das einzig Seligmachende („. . . als diktiert‘ euch der Heilig Geist!“) preist. – Auch wenn Goethe, sicherlich mit dieser Stelle keinen Beitrag zur Rechtswissenschaft leisten wollte (es geht vielmehr um Vorlesungsmitschriften), so bringt sie doch sehr schön das hier betrachtete Übel auf den Punkt. 127 Schilcher (1986) S. 299. 128 Die fehlende Subsumtionsgewißheit des beweglichen Systems im Normalfall erkennt auch Schilcher (1986) S. 300.

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gestellt, daß keine hinreichend bestimmten und abschließenden Tatbestände für das Aushandeln formuliert werden können, denn zu vielfältig sind die möglichen Konstellationen mit ihren jeweiligen Einflußfaktoren. Anstelle dessen wurde ein Katalog von Anforderungen an die konkrete Verhandlung ermittelt, aus dem dann auch das bewegliche System entwickelt wurde. In der Praxis besteht die Gefahr, daß anstelle des beweglichen Systems, das ein ständiges Abwägen und Werten im Einzelfall erfordert, wieder auf eine topische Argumentation auf der Grundlage der oben ermittelten Anforderungen zurückgegriffen wird. Dabei könnte sich in der Praxis der Bedarf einer Definition der einzelnen Tatbestandsmerkmale und einer Abgrenzung, ab wann der jeweiligen Anforderung hinreichend genügt ist,129 herauskristallisieren. Die mit einer Antwort auf diesen Bedarf, also einer Herausarbeitung trennscharfer Merkmale und Abgrenzungskriterien, einhergehende weitere Verfestigung dieser Anforderungen steht der Grundidee des beweglichen Systems entgegen und könnte den auxiliarischen Charakter des Anforderungskatalogs als Orientierungshilfe für den Rechtsanwender verschleiern und ihn mehr und mehr in die Rolle eines festen Tatbestands des Aushandelns rücken.130 Damit wird die Bedeutung der verwirklichten Elemente des beweglichen Systems überbetont, wohingegen ihr bewegliches Spiel und die damit einhergehenden Kompensationsmöglichkeiten unbeachtet bleibt.131

3. Rechtssichere Umsetzung des beweglichen Systems mittels der Regelbeispieltechnik Als adäquates Mittel, um trotz aller Beweglichkeit der Rechtsanwendung eine Orientierungshilfe an die Hand zu geben, erscheint vielmehr die Umsetzung des beweglichen Systems in ein Regelbeispiel132, wie es aus dem Strafrecht bekannt ist. Regelbeispiele sind keine festen Tatbestände,133 sondern den TatbestandsmerkVgl. Arzt, JuS 1972, 385, 387. Vgl. Bender (1978) S. 38 (These 4). 131 Ähnlich auch Arzt, JuS 1972, 385, 387, der hinsichtlich des Einflusses gesetzlich verfestigter Strafrahmen auf die Strafzumessung bemerkt, daß bei der Rechtsanwendung häufig verkannt werde, daß eine niedrige Strafuntergrenze für Extremfälle vorgesehen sei, und daß daher die Indizwirkung der Untergrenze für ,normale Fälle‘ überschätzt werde, so daß sich die Strafzumessung an einem der wenigen verfügbaren Fixpunkte, der Untergrenze (vgl. schon ebd. S. 386 für die Obergrenze), orientiert und dadurch auf einem zu niedrigen Niveau einpendele. – Auch hier offenbart sich das Problem, daß eine feste Regelung, die aber lediglich einen Teilbereich abdeckt, auf die Behandlung der Problematik im Ganzen zurückwirkt. 132 Vgl. dazu auch Bender (1978) S. 39 f. (insb. These 6). 133 Im Strafrecht werden Regelbeispiele als Strafzumessungsregeln und nicht als Tatbestände angesehen, sie ermöglichen vielmehr flexiblere Wertungen über die konkrete Rechtsfolge einer Tat: Schönke / Schröder-Stree, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 44 (m. w. N., auch zur Gegenansicht); Fischer in Tröndle / Fischer, § 46 Rn. 90; Kastenbauer (1986) S. 125 ff.; 129 130

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

malen angenähert, da sie eine Indizfunktion entfalten: Wenn die Voraussetzungen eines Regelbeispiels erfüllt sind, wird im Sinne einer gesetzlichen Vermutung134 die vorgezeichnete Wertung (hier: ,ausgehandelt‘) indiziert.135 Jedoch kann die indizielle Bedeutung eines Regelbeispiels durch andere Faktoren, die die Regelwirkung entkräften, kompensiert werden.136 Im gleichen Sinne spricht das Nichtvorliegen der Voraussetzungen nicht zwangsläufig dagegen, die vorgezeichnete Wertung dennoch anzunehmen.137 Die Regelbeispieltechnik normiert also den typischen Fall138 eines konkreten Sachverhalts (hier: Aushandeln), läßt aber Raum für eine abweichende Beurteilung in atypischen Fällen. Dies sind Fälle, in denen trotz Verwirklichung des Regelbeispiels die vorgezeichnete Wertung nicht zu treffen ist bzw. in denen diese Wertung angenommen wird, obwohl die Voraussetzungen des Regelbeispiels nicht erfüllt sind. Die in den atypischen Fällen anzustellenden Wertungen sind dabei weitgehend von den ,Tatbestandsmerkmalen‘ des Regelbeispiels vorgezeichnet139, diese stellen Orientierungspunkte bei der vorzunehmenden Gesamtbewertung aller Umstände dar.140 Diese Charakteristik der Regelbeispieltechnik prädestiniert sie geradezu dazu, sie zur Konstruktion einer praktikablen ,Benutzeroberfläche‘ für den beweglichen Begriff des Aushandelns heranzuziehen. Zwar ist die Regelbeispieltechnik strafrechtsdogmatisch nicht unumstritten. Die Kritik baut jedoch zumeist auf strafrechtsdogmatischen Argumenten auf, die im Zivilrecht nicht verfangen.141 Insbesondere verfolgt der Staat im Zivilrecht kein eigenes ,Interesse‘ wie den Strafanspruch, so daß auch nicht einseitig vor Maurach / Gössel / Zipf (1989) § 62 Rn. 49 (S. 551); zwar offenbleibend, aber wohl in diese Richtung gehend BVerfGE 45, 363, 372; kritisch Zieschang, Jura 1999, 561, 564; a.A. z. B. Calliess, NJW 1998, 929, 933. 134 Vgl. dazu Arzt, JuS 1972, 385, 390 (m. w. N.). 135 Schönke / Schröder-Stree, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 44 f.; Fischer in Tröndle / Fischer, § 46 Rn. 91 f. 136 Ebd. (Fn. 135). 137 Schönke / Schröder-Stree, Vorbem. §§ 38 ff. Rn. 44c; Fischer in Tröndle / Fischer, § 46 Rn. 92a; Maurach / Gössel / Zipf (1989) § 62 Rn. 51 (S. 551); a.A. Calliess, NJW 1998, 929, 935. 138 Dies entspricht der Forderung Schilchers (1986), S. 300, die Basiswertungen des Normalfalls müssten dem „Regelungsbeispiel“ entnommen werden können. Vgl. auch Bender (1978) S. 39 f. 139 Die Merkmale des Regelbeispiels besitzen sowohl eine Analogiefunktion, d. h. in ähnlichen Fällen ist ebenfalls ein besonders schwerer Fall anzunehmen, als auch eine Gegenschlußfunktion, d. h. in Fällen, in denen einzelne ,Tatbestandsmerkmale‘ eindeutig nicht erfüllt sind, soll kein besonders schwerer Fall angenommen werden. Fischer in Tröndle / Fischer, § 46 Rn. 92a, 93. 140 Vgl. dazu Arzt, JuS 1972, 576, 581; Zieschang, Jura 1999, 561, 564 sowie auch die Begründung des Entwurfs des 6. StrRG, BT-Drucks. 13 / 7164, S. 42. 141 Z. B. die Umgehung strafprozessualer Anforderungen bei höherem Strafmaß wegen § 12 Abs. 3 StGB; vgl. Fischer in Tröndle / Fischer § 46 Rn. 90 (m. w. N.).

§ 15 Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns

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staatlichen Eingriffen geschützt werden muß.142 Es geht vielmehr um die Abgrenzung der Rechte Privater, bei der nicht auf Vollständigkeit verzichtet werden kann, da ansonsten trotz vorliegenden (verfassungsmäßigen) Schutzbedarfs die Rechte eines Grundrechtsträgers nicht vor Eingriffen durch die andere Vertragspartei geschützt würden.143 Der im Strafrecht geäußerte Kritik lassen sich keine Anhaltspunkte gegen eine Verwendung der Regelbeispieltechnik im Zivilrecht entnehmen. 4. Formulierung des Regelbeispiels für ausgehandelte Vertragsbedingungen Die oben ermittelten und im Sinne eines beweglichen Systems systematisierten Anforderungen an eine Verhandlungssituation können in ein tatbestandsähnliches Regelbeispiel gefaßt werden. Dieses Regelbeispiel konkretisiert die oben ermittelte Begriffsbestimmung des Aushandelns in Form des beweglichen Systems, ist also nicht de lege ferenda, sondern de lege lata zu verstehen. Es dient einer Handhabbarmachung des beweglichen Systems. Die Wertungen und Abwägungen innerhalb des Regelbeispiels, insbesondere in den atypischen Fällen, sind anhand des beweglichen Systems vorzunehmen. Bei Vorliegen der konkreten Regelbeispielsmerkmale nimmt das Regelbeispiel lediglich die typischen Wertungen des beweglichen Systems vorweg und macht das Aushandeln zumindest für Standardfälle einfacher handhabbar.144 Das Regelbeispiel stellt somit keine geltende Rechtsnorm dar, es kann aber von den Rechtsanwendern zur Orientierung verwendet werden, quasi als ,Benutzeroberfläche‘ des beweglichen Systems als Ergebnis der Auslegung des Begriffs ,ausgehandelt‘. Es ist wie folgt zu formulieren: I

Eine Vertragsbestimmung ist in der Regel ausgehandelt, wenn sie

1. von beiden Vertragsparteien (z. B. auf der Grundlage eines Problemkatalogs) gemeinsam erst im Laufe von Verhandlungen entwickelt wurde oder 2. von einer Partei vorgeschlagen wurde und derjenige, der sich auf das Aushandeln beruft, a) die andere Partei über den Inhalt und die Tragweite der Vertragsbedingung informiert hat – bei schriftlichen Verhandlungen mittels eines drucktechnisch deutlichen und inhaltlich klaren Hinweises, der von anderen Vertragsbedingungen deutlich abgesetzt ist, bei mündlichen Verhandlungen ähnlich ausdrücklich und unmißverständlich – sowie Vgl. dazu Calliess, NJW 1998, 929, 931 f. Dagegen würde im Strafrecht lediglich ein Schuldiger zu leicht bestraft (keine Rechtsverletzung eines Grundrechtsträgers). Aus diesem Grund verfängt auch die Berufung auf Bestimmtheitsgebot und Analogieverbot aus Art. 103 Abs. 2 GG (Arzt, JuS 1972, 515; Zieschang, Jura 1999, 561, 563 u. 567; Calliess, NJW 1998, 929, 933) im Zivilrecht nicht. 144 Dies entspricht der Forderung Schilchers (1986), S. 300, die Basiswertungen des Normalfalls müssten dem „Regelungsbeispiel“ entnommen werden können. Vgl. auch Bender (1978) S. 39 f. 142 143

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

b) der anderen Partei die Bereitschaft zur inhaltlichen Verhandlung über die Vertragsbedingung signalisiert und die tatsächliche Möglichkeit zu derartigen Verhandlungen eröffnet hat. 2 Dies setzt in der Regel voraus, aa) daß eine andere als die vorgeschlagene Vertragsbedingung tatsächlich vereinbart werden kann, bb) daß Gegenvorschläge der anderen Partei zur Kenntnis genommen und geprüft werden können und cc) daß auf Verhandlungsbeiträge der anderen Partei unverzüglich substantiiert Stellung genommen wird, soweit es sich um Sachargumente auf der Tatsachenebene handelt oder soweit eine Stellungnahme weitere Aufschlüsse über die gegnerische Verhandlungsposition bzw. alternative Lösungsansätze erwarten läßt. 3 Es soll ein zu derartigen Verhandlungen hinreichend vertretungsberechtigter, kompetenter und erreichbarer Ansprechpartner bezeichnet werden. 4Die fehlende Aufklärung nach Buchstabe a steht einem Aushandeln nicht entgegen, wenn die andere Partei bereits hinreichend informiert war. II 1

Eine Vertragsbestimmung ist in der Regel nicht ausgehandelt, wenn der Gegner dessen, der sich auf das Aushandeln beruft, unter unangemessenem Zeitdruck stand oder seine tatsächlichen oder zu erwartenden Kosten für Informationsbeschaffung und Verhandlungsführung in dem Sinne unangemessen waren, daß sie den zu erwartenden Verhandlungsgewinn übersteigen. 2Läßt sich diese Partei dennoch auf inhaltliche Verhandlungen ein, kann sie sich auf die Unangemessenheit von Zeitdruck oder Transaktionskosten nur berufen, wenn die andere Seite diese Umstände erkennen konnte.

III

Eine Vertragsbestimmung ist nie ausgehandelt, wenn derjenige, der sich auf das Aushandeln beruft, im Rahmen der Verhandlung ein Verhalten an den Tag legt, das sich auch nach Abschluß oder Abbruch der Verhandlung weiter negativ auf den Gegner auswirken kann bzw. sich auf derartige Auswirkungen bezieht, wie Täuschung über äußere Tatsachen, Drohung mit einem verhandlungsexternen Übel oder Schaffung vollendeter Tatsachen. IV

Eine Bestätigung des Vorliegens oder Nichtvorliegens der Voraussetzungen im ganzen oder im einzelnen entfaltet als solche keine Wirkung.

Das Regelbeispiel gliedert sich in vier Absätze, wovon der letzte lediglich deklaratorischer Natur ist und ausdrücklich zum Ausdruck bringt, daß alle Anforderungen tatsächlich vorliegen und bewiesen sein müssen. Eine Umgehung mittels (evtl. gar formularmäßiger) Bestätigung scheidet somit aus. Die ersten beiden Absätze enthalten die Anforderungen an die Verhandlungssituation, während der dritte Absatz klarstellt, daß bei unzulässigem Verhandlungsverhalten trotz voraussetzungsgemäßer Verhandlungssituation kein Aushandeln möglich ist. Dadurch daß lediglich die Berufung auf das Aushandeln versagt wird, wird verdeutlicht, daß der Vertrag davon unberührt bleibt und anstelle der vereinbarten Bedingung die gesetzliche Regelung zur Anwendung gelangt.145 Die Anforderungen an die Verhandlungssituation sind in Regelbeispiel (Abs. 1) und -gegenbeispiel (Abs. 2) aufgeteilt. Im Rahmen des Abs. 1 wird auf die unterschiedlichen Vertragsgestaltungssituationen in der Praxis eingegangen: Das idealfallähnliche Aushandeln, d. h. die gemeinsame, beiderseitige Inhaltsgestaltung, 145

Vgl. dazu oben unter § 11 IV., S. 221 ff.

§ 15 Voraussetzungen zur Bestimmung des Aushandelns

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führt regelmäßig zu einer ausgehandelten Vertragsbestimmung (Abs. 1 Nr. 1).146 In der Praxis ist jedoch eher davon auszugehen, daß von der Seite, die vom Gesetz abweichen und sich später auf das Aushandeln berufen möchte (Aushandelnsinteressierter), einseitig gestaltete Vertragsbedingung vorgeschlagen werden, die auch nicht mehr grundlegend (i. S. d. Nr. 1) von den Parteien modifiziert werden. In diesem Fall ist auf die Anforderungen an die Verhandlungssituation ein besonderes Augenmerk zu richten. Nr. 2 lit. a etabliert eine Obliegenheit des Aushandelnsinteressierten, den Gegner auf das Regelungsproblem aufmerksam zu machen und ihn hinreichend über Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung zu informieren, soweit die erforderliche Kenntnis noch nicht vorliegt (Abs. 1 Nr. 2 S. 4). Dadurch wird die Bedeutung der hinreichenden Entscheidungsgrundlage für den, der sich für die Akzeptanz einer konkreten Vertragsbedingung entscheidet,147 verdeutlicht und der Beweis ihres Vorliegens durch den Beweis der Aufklärung ersetzt. Dem Aushandelnsinteressierten steht es zwar frei, nicht aufzuklären; für diesen Fall führt ihm jedoch Abs. 1 Nr. 2 S. 4 vor Augen, daß dann die innere Tatsache der Kenntnis zu beweisen ist. Das Risiko, daß eine Vertragsbedingung ohne die notwendige Entscheidungsgrundlage akzeptiert wird, trägt beim Aushandeln der Aushandelnsinteressierte, wenn er die Vertragsbedingung einseitig gestaltet hat. Hier äußert sich der Unterschied zwischen Aushandeln und einem gewöhnlichen Vertragsschluß, bei dem es auf die konkrete Kenntnis des Inhalts vorformulierter Bedingungen nicht ankommt. Kumulativ zu dieser Regelvoraussetzung stellt Abs. 1 Nr. 2 lit. b sicher, daß eine potentielle Einflußmöglichkeit auf den Inhalt besteht und daß der Gegner des Aushandelnsinteressierten dies auch weiß. Um dieses subjektive Element zu gewährleisten, wird der Aushandelnsinteressierte verpflichtet, Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren und gleichzeitig einen angemessenen Verhandlungspartner zu benennen (Abs. 1 Nr. 2 S. 3). Letzteres ist als Soll-Vorschrift ausgestaltet, da es überflüssig ist, wenn die tatsächliche Verhandlungsmöglichkeit dem Gegner offenbar ist, z. B. im Falle direkter, mündlicher Verhandlungen. Dieser Satz 3 bringt dabei auch die Kriterien zum Ausdruck, die in der Regel aus institutioneller Sicht an die Verhandlungsbereitschaft zu stellen sind. Durch die konkrete Anweisung fällt er dabei aus dem Rahmen eines Regelbeispiels und verdeutlicht, daß die Parteien selbst die Verhandlungssituation beeinflussen können (und sollen) und somit den Eintritt der Regelwirkung herbeiführen können. In Abs. 1 Nr. 2 S. 2 werden die Anforderungen, die die Verhandlungsbereitschaft regelmäßig voraussetzt und auf die hier nicht mehr näher eingegangen werden soll,148 aufgelistet. Abs. 2 betrifft die Fälle, in denen tatsächliche Umstände dem Gegner die Möglichkeit der inhaltlichen Einflußnahme verschließen. In diesen Fällen vermag der 146 147 148

Vgl. dazu oben unter § 15 II. 4., S. 269. Vgl. dazu oben unter § 14 I., S. 247 ff. Vgl. dazu oben unter § 14 II. 2., S. 253.

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5. Teil: Konkrete Begriffsbestimmung des Aushandelns

Vertragsmechanismus nicht zu subjektiver Vertragsgerechtigkeit zu führen, so daß ein Aushandeln in diesen Fällen mangels anderweitiger Gewährleistung der Vertragsgerechtigkeit wie z. B. durch Inhaltskontrollen verneint werden muß. Diese Umstände liegen in der Sphäre des Gegners, so daß eine Verpflichtung, ihr Nichtvorliegen zu beweisen, unpraktikabel wäre und den Anwendungsbereich des Aushandelns extrem verminderte. Daher obliegt der Beweis demjenigen, der aufgrund dieser Umstände keine Einflußmöglichkeit hatte. Es stellte sich jedoch als widersprüchliches Verhalten dar, sich auf Verhandlungen einzulassen, obwohl dies nicht rational ist, und sich dann darauf zu berufen, es habe keine rationale Verhandlungsmöglichkeit bestanden. Der Aushandelnsinteressierte ist in diesem Fall nur dann nicht schutzwürdig, wenn er diese Umstände erkennen konnte, was der Gegner zu beweisen hat (vgl. Abs. 2 S. 2). Daher wird das Regelgegenbeispiel des Abs. 2 nur in den Fällen relevant werden, in denen eine vorformulierte Vertragsbedingung ohne Diskussion akzeptiert wird. In diesem Fall liegt gerade die typische Gefährdungslage149 bei der Verwendung vorformulierter Bedingungen vor.150 In dieser Situation trägt derjenige, der sich die einseitige Vertragsgestaltung anmaßt, das Risiko, daß die Voraussetzungen für eine beidseitige Vertragsgestaltung gleichwohl vorlagen, denn eine Vertragsbedingung, auf die nicht zumindest potentiell beide Seiten Einfluß nehmen konnten, kann nicht ausgehandelt sein. Dadurch, daß dieser mögliche Einwand gegen eine einseitig abgefaßte Vertragsbedingung in dem Regelbeispiel enthalten ist, wird dem Aushandelnsinteressierten dieses Risiko vor Augen geführt. Er wird auf die Perspektive des Gegners verwiesen und dazu angehalten, nach Möglichkeit für angemessene Verhandlungsumstände zu sorgen und evtl. gar die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, Transaktionskosten des Gegners zu vermindern.151

§ 16 Zusammenfassung Die Auslegung des § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB hat zu einer konkreten Aussage über das entscheidende Tatbestandsmerkmal ,ausgehandelt‘ geführt. Zunächst setzt Aushandeln ein Minimum an Verhandlung voraus, d. h. zumindest eine Kommunikation über den Inhalt der auszuhandelnden Vertragsbedingung. An die Intensität der tatsächlich geführten Verhandlung werden keinerlei Anforderungen gestellt, denn die Bedeutung der Existenz einer tatsächlichen Verhandlung tritt hinter der Essenz des Verhandelns zurück.152 Dies ist die Vertragsfreiheit, d. h. die selbstverVgl. Kötz in FS-Mestmäcker (1996) S. 1041; Bunte, NJW 1987, 921, 924. Wenn man von den Fällen absieht, daß der Gegner sich auf eine Verhandlung einläßt und sogleich andere (günstigere) Verhandlungsmodalitäten anmahnt. 151 Vgl. dazu oben unter § 14 II. 3. c), S. 263. 152 Vgl. dazu oben unter § 14 II. 2. c) ee), S. 260. 149 150

§ 16 Zusammenfassung

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antwortliche Selbstbestimmung bezüglich der eingegangenen vertraglichen Bindungen. Werden tatsächlich Verhandlungen geführt, so darf dabei kein unzulässiges Verhandlungsverhalten an den Tag gelegt werden. Ein derartiges Verhalten ist unzulässig, wenn es sich (negativ) außerhalb der Verhandlungssituation auswirken kann. Aus dem weiten Kreis der Ergebnisse solcher Verhandlungen sind alle jene auszuschließen, die einer Verhandlungssituation entstammen, in der eine ausreichende Entscheidungsgrundlage nicht sichergestellt war oder in der ein Verhandlungsmachtgefälle bestand, das die inhaltliche Einflußmöglichkeit der schwächeren Seite in Frage stellte. Die Beurteilung von konkreten Verhandlungssituationen kann im Rahmen eines beweglichen Systems systematisiert werden. Dieses beinhaltet als Hauptkräfte das Maß der Selbstverantwortung und -bestimmung einerseits bei der Entscheidung für den Vertragsschluß und andererseits hinsichtlich der Inhaltsgestaltung der Vertragsbedingung. Ersteres stellt eine angemessene Informationsbasis als Entscheidungsgrundlage für die Akzeptanz einer bestimmten Vertragsbedingung sicher und beinhaltet die Elemente ,Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem‘, ,Kenntnis vom genauen Inhalt der Vertragsbedingung‘ sowie ,Kenntnis der Tragweite der Vertragsbedingung‘. Die zweite Hauptkraft stellt die Einflußmöglichkeit beider Seiten auf den Inhalt der Vertragsbedingung sicher – die Anforderung, durch die sich das Aushandeln vom gewöhnlichen Vertragsschluß unterscheidet, bei dem einseitige Inhaltsgestaltung zum Preis einer nachträglichen Inhaltskontrolle möglich ist. Dazu dienen die Elemente ,Ergebnisoffenheit‘, ,Verhandlungsbereitschaft‘ und ,angemessene Verhandlungsumstände‘. Das auf komparativen Wertungen aufbauende bewegliche System ist ausgerichtet am Referenzfall des stereotypischen Aushandelns – beide Parteien gestalten im Rahmen eines intensiven Kommunikationsprozesses den Inhalt der Vertragsbedingung gemeinsam. Um das Aushandeln, das eine Beurteilung der Verhandlungssituation anhand des beweglichen Systems erfordert, praktikabel i.S.v. Gestaltungs- bzw. Rechtssicherheit zu machen, kann die Begriffsbestimmung in ein tatbestandsähnliches Regelbeispiel umgesetzt werden. Durch die tatbestandsähnliche Fassung, die vornehmlich auf Verhaltensweisen des Aushandelnsinteressierten in der Verhandlungssituation abstellt, wird dem Rechtsanwender vor Augen geführt, daß er es weitgehend selbst in der Hand hat, die Verhandlungssituation so zu gestalten, daß ihr Resultat ,ausgehandelt‘ ist.

Zusammenfassung und Ergebnisse Das Transportrechtsreformgesetz hat in bedeutenden Bereichen des Transportvertragsrechts eine neue Form der Dispositivität eingeführt, nämlich die Dispositivität durch Aushandeln im einzelnen. Entscheidend für die Beurteilung, ob eine von der gesetzlichen Regelung abweichende vertragliche Vereinbarung wirksam ist, ist die Frage, ob sie ,ausgehandelt‘ i. S. d. § 449 (466) Abs. 2 S. 1 HGB ist. Das entscheidende Tatbestandsmerkmal ,Aushandeln‘ wurde im Rahmen dieser Arbeit analysiert. Gang und Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung sollen im folgenden thesenartig zusammengefaßt werden. 1. Die überkommene Auffassung zum transportrechtlichen Aushandeln verweist entweder direkt auf den AGB-rechtlichen Begriff des Aushandelns aus § 1 Abs. 2 AGBG (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.) oder richtet sich an dessen Wertungen aus. Der AGB-rechtliche Begriff des Aushandelns ist jedoch weder in sich stimmig und rechtssicher handhabbar noch kann er ohne erhebliche Anpassung auf die Situation im Transportrecht übertragen werden. Eine Begriffsbestimmung hat vielmehr von einer Auslegung der §§ 449, 466 HGB auszugehen. 2. Die grammatische Auslegung ergibt, daß eine ausgehandelte Vertragsbedingung zuvor Gegenstand von Verhandlungen gewesen sein muß. Der Begriff ,Verhandlung‘ ist dabei zunächst weit zu verstehen und umfaßt jede interaktive Kommunikation über den Inhalt der Vertragsbedingung. 3. Der historische Gesetzgeber ging von „AGB-Festigkeit“ der Sekundäransprüche im Transportrecht aus und beabsichtigte eine Übernahme der Kerngedanken des § 1 Abs. 2 AGBG. Dies beinhaltet, daß der gesetzesfremde Kerngehalt inhaltlich zur Disposition stehen muß, so daß beide Verhandlungspartner die reale Möglichkeit der Einflußnahme auf die inhaltliche Ausgestaltung der Vertragsbedingung haben. 4. Die logisch-systematische Auslegung ermöglicht es, das Aushandeln negativ abzugrenzen: Zum einen können Klauseln nicht ausgehandelt sein, die einseitig gestaltet und mit dem Anspruch auf endgültige Geltung ohne Verhandlungsabsicht eingebracht wurden. Zum anderen scheiden solche Fälle von Verhandlungen aus, in denen nicht ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem sowie Kenntnis des Inhalts und der Tragweite der auszuhandelnden Vertragsbedingung gewährleistet sind. Andererseits ist eine derartige Kenntnis noch kein hinreichendes Kriterium für das Aushandeln. 5. Aus der Betrachtung paralleler Normen der Rechtsordnung lassen sich weitere Anhaltspunkte für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals ,ausgehandelt‘ ermitteln.

Zusammenfassung und Ergebnisse

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Zunächst ergibt der Vergleich mit § 1 Abs. 2 AGBG (§ 305 Abs. 1 S. 3 BGB n.F.), daß sich ausgehandelte Vertragsbedingungen qualitativ von AGB unterscheiden, d. h. von einseitig für eine Vielzahl von Fällen vorformulierten und gestellten Klauseln. Aus §§ 51a BRAO; 45a PatAnwO; 67a StBerG; 54a WPO läßt sich ableiten, daß die Rechtsordnung für Vereinbarungen im Einzelfall, durch die von einer ansonsten zwingenden Risikoverteilung abgewichen werden soll, das Erfordernis der Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem und der Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Klausel aufstellt. Die detaillierteste Aussage darüber, wie die Rechtsordnung den Begriff ,Aushandeln‘ bestimmt, läßt sich aus Art. 3 Abs. 2 S. 1 der Richtlinie 93 / 13 / EWG gewinnen. Im Wege eines Erst-Recht-Schlusses a maiore ad minus ergibt sich, daß Aushandeln zwischen Unternehmern höchstens dann ausscheidet, wenn eine Seite aufgrund der Tatsache, daß die Vertragsbedingung nicht erst während der Verhandlung in die inhaltliche Gestaltung des Vertrages eingeflossen ist, keine Möglichkeit hatte, auf die Vertragsgestaltung Einfluß zu nehmen. 6. Im Rahmen der subjektiv-teleologischen Auslegung ergaben sich keine Belege für eine wirtschaftspolitische Zielsetzung des Gesetzgebers im Sinne eines Schutzes der Transportwirtschaft vor Konditionenwettbewerb. Aus den Gesetzesmaterialien läßt sich als subjektive ratio legis vielmehr der Schutz vor Marktmachtmißbrauch und die Gewährleistung von Rechtssicherheit im Sinne von Klarheit und Bestimmtheit der Rechtslage ableiten. Ziel der gesetzlichen Regelung ist ferner, bei allen Schutzerwägungen die Privatautonomie weitestgehend aufrecht zu erhalten. Nach den Ergebnissen der subjektiv-teleologischen Auslegung muß das Aushandeln dafür Sorge tragen, daß den Parteien eine informierte und bewußte Entscheidung für die ausbedungene Regelung sowie ein potentieller Einfluß auf ihre inhaltliche Ausgestaltung ermöglicht wird. Die subjektiv-teleologische Auslegung gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, inwieweit die Vertragsfreiheit diesen anderen Zielen zu weichen hat. Der historische Gesetzgeber verweist dazu vielmehr auf objektive Abwägungskriterien. 7. Derartige objektive Kriterien ergeben sich zunächst aus der Verfassung. Durch eine gesetzliche Einschränkung der Dispositivität ist der Schutzbereich der von Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Vertragsfreiheit betroffen. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit kommt im Rahmen der §§ 449, 466 HGB zum Schutz von Rechtssicherheit nicht in Betracht; Rechtssicherheit kann nämlich schon dadurch gewährleistet werden, daß die genaue Kenntnis der Vertragsbedingung sichergestellt wird. Eine Einschränkung der Vertragsfreiheit kommt aber zum Schutze der Privatautonomie der anderen Vertragspartei in Betracht, weil der Vertragsmechanismus (bzw. der Wettbewerb) hinsichtlich der Konditionen von Transportverträgen teil19 Pfeiffer

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Zusammenfassung und Ergebnisse

weise keine subjektive Vertragsgerechtigkeit garantiert. Dies ist jedoch nur der Fall bei einseitiger Vertragsgestaltung und soweit der Betroffene keine Möglichkeit der Einflußnahme auf die Inhaltsgestaltung der konkreten Vereinbarung hatte. Das Aushandeln hat daher die Funktion, in allen Fällen, in denen der Vertragsmechanismus funktioniert, die grundrechtlich gewährleistete Vertragsfreiheit im Transportvertragsrecht sicherzustellen. Nur wenn der Vertragsmechanismus nicht funktioniert, soll es bei der gesetzlichen Regelung bleiben und dadurch – im Rahmen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers – ein hinreichendes Maß an Vertragsgerechtigkeit sichergestellt werden. Aufgrund der verfassungskonformen Auslegung können jedoch keine Kriterien zur Beurteilung, wann der Vertragsmechanismus funktioniert, angegeben werden. 8. Ein derartiges Kriterium könnte normativ aus der Tatsache abgeleitet werden, daß Transportverträge zwischen Unternehmern grundsätzlich im Interesse der Gewinnmaximierung geschlossen werden. Der Vertragsmechanismus ist unter dieser Prämisse dann funktionsfähig, wenn er grundsätzlich zu objektiv sachgerechten Regelungen als Voraussetzung der Effizienz der vertraglichen Vereinbarung führt. Jedoch müssen – im Hinblick auf die Privatautonomie – für den Fall, daß die Parteien selbstbestimmt und -verantwortlich andere Interessen als ökonomische Gewinnmaximierung verfolgen, auch objektiv nicht sachgerechte oder ineffiziente Verträge möglich bleiben. 9. Eine rein normative Ermittlung des objektiven Gesetzeszwecks, d. h. die Frage, wann eine unveränderte, einseitig formulierte Vertragsbedingung ausgehandelt ist, ist zum einen durch einen ,teleologischen Zirkel‘ beeinträchtigt. Denn zur Auslegung werden Wertungen der Rechtsordnung herangezogen, die zuvor in gewisser Weise bei ihrer Ermittlung in die Rechtsordnung von außen hineingelegt wurde. Zum anderen berücksichtigt eine rein auf normativen Kriterien aufbauende Auslegung die tatsächlichen Gegebenheiten nicht, d. h. den Lebenssachverhalt, auf den die Norm Anwendung findet. Über zwingende Sachgesetzlichkeiten kann sich der Gesetzgeber jedoch nicht hinwegsetzen. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist auch davon auszugehen, daß das Gesetz eine sachangemessene Regelung schaffen wollte. Daher waren die Sachstrukturen des Verhandelns zu untersuchen. 10. Zunächst konnten anhand der ökonomisch-spieltheoretischen Verhandlungsmodelle keine hinreichend konkreten Aussagen über das Ergebnis einer Verhandlung unter realen Bedingungen getroffen werden. Eine auf dieser Grundlage aufbauende Begriffsbestimmung des Aushandelns kam daher nicht in Frage. Diesen Modellen konnten jedoch gewichtige Anhaltspunkte über die Sachstrukturen des Aushandelns entnommen werden. Diese betreffen zum einen die gravierende Bedeutung von Informationen für das Verhandlungsergebnis und die Effizienz der Verhandlung. Zum anderen verdeutlichen sie die Ursachen von Verhandlungsmacht, durch die es zu Ergebnissen kommen kann, die keine Gewähr für Sachgerechtigkeit bieten und die Selbstbestimmung im Rahmen des Verhandlungsprozesses (unter der Voraussetzung ökonomischer Rationalität) in Frage stellen.

Zusammenfassung und Ergebnisse

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11. Auch die sozialpsychologische Analyse des Verhandelns führt zu keiner konkreten Aussage über die Voraussetzungen des Aushandelns, wenngleich sozial wirksame, positiv-rechtlich nur teilweise rezipierte Regeln des Verhandlungsverhaltens ermittelt werden konnten. Diese bestimmen auf sozialer Ebene das Institut ,Verhandlung‘. Als Sachstruktur müssen sie somit auch als Voraussetzung für eine im Rechtssinne ausgehandelte Bedingung Beachtung erfahren. Danach ist in Verhandlungen jede Manipulation von solchen Umständen untersagt, die nicht ausschließlich innerhalb der Verhandlungssituation relevant sind und nur die Beurteilung des Geschäfts relativ zum Verhandlungsgegner betreffen. So ist eine Täuschung über die eigenen Alternativen zulässig, nicht aber eine Täuschung über objektive Eigenschaften des Verhandlungsgegenstandes. Letztere beeinflußt nämlich die – rationale – absolute Bewertung des Geschäfts. Eine auf der Manipulation dieser Bewertung beruhende Übereinkunft ist das Ergebnis dieser Einflußnahme und nicht der ordentlicher Verhandlungen, also nicht ,ausgehandelt‘. 12. Ferner zeigte die sozialpsychologische Analyse des Verhandelns den erheblichen Einfluß von Wahrnehmung bzw. Wahrnehmungsverzerrungen auf die Entscheidungsfindung in tatsächlichen Entscheidungs- und Verhandlungssituationen. Dieser Einfluß kann die Rationalität des Entscheidungsfindungsprozesses in Frage stellen. Die Anerkennung der Vertragsfreiheit baut auf dem Wert der Selbstbestimmung und -verantwortung sowie der Geeignetheit des Vertragsmechanismus‘, sachgerechte Regelungen zu gewährleisten, auf. Daraus ergibt sich der Bedarf, sozialpsychologischen Faktoren, die die Fähigkeit zur selbstverantwortlichen Selbstbestimmung und zu sachgerechten Entscheidungen beeinflussen, nach Möglichkeit bei einer Begriffsbildung des Aushandelnsbegriffs entgegenzuwirken. 13. Die Ergebnisfindung in tatsächlichen Verhandlungen kann zuverlässig einzig und allein nur durch Verhandlungsmacht beeinflußt werden. Bei einem Übergewicht an Verhandlungsmacht kann das Verhandeln als solches daher die Selbstbestimmung des Schwächeren nicht hinreichend gewährleisten. Verhandlungsmacht bezeichnet in diesem Zusammenhang die Fähigkeit, einseitig eigennützigen Einfluß auf die Verhandlungssituation ausüben zu können. Der Verhandlungsmechanismus an sich erwies sich dabei als ungeeignet, dieses ihm immanente Defizit zu beheben, so daß sich schon an dieser Stelle deutlich zeigte, daß Aushandeln über das Verhandeln hinausgehende, normative Voraussetzungen haben muß. 14. Es kann nur eine Teilmenge aller Verhandlungsergebnisse auch als ,ausgehandelt‘ anerkannt werden. Anhand der Sachstrukturen können in dieser Hinsicht Leitlinien für die Auslegung ermittelt werden. Diese sind – da durch das tatsächliche Verhandeln nicht hinreichend gewährleistet – die Förderung einer angemessenen Informationsbasis und die Reduktion der Auswirkungen von Verhandlungsmacht. 15. In Verbindung mit den bisherigen Auslegungsergebnissen können auf dieser Grundlage konkrete Voraussetzungen ermittelt werden, die eine Verhandlungssituation erfüllen muß, damit ihr Ergebnis ,ausgehandelt‘ ist: Der Gegner dessen, 19*

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der vom Gesetz abweichen und sich später auf das Aushandeln berufen möchte, muß zum einen eine angemessene Informationsbasis und damit die Möglichkeit zu einer selbstbestimmten und -verantwortlichen Entscheidung besessen haben. Zum anderen muß er die Möglichkeit gehabt haben, auf den Inhalt der auszuhandelnden Vereinbarung Einfluß zu nehmen. Diese Möglichkeit setzt allerdings nicht voraus, daß Gestaltungswünsche tatsächlich umgesetzt werden, sondern nur, daß die Chance besteht, den anderen von einem Gegenvorschlag zu überzeugen. 16. Diese beiden Voraussetzungen wurden in einzelnen Anforderungen konkretisiert. Diese sind: Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem, Kenntnis von Inhalt und Tragweite der Vertragsbedingung sowie rechtliche und faktische Ergebnisoffenheit, Verhandlungsbereitschaft und Angemessenheit der Verhandlungsumstände. 17. Die Anforderungen an die Verhandlungssituation sind nicht klassifikatorischer Art, sondern erfordern komparative Wertungen. Daher können sie im Sinne eines beweglichen Systems nach Wilburg systematisiert werden. Dieses System beinhaltet als Hauptkräfte das Maß der Selbstverantwortung und -bestimmung einerseits bei der Entscheidung für den Vertragsschluß und andererseits hinsichtlich der Inhaltsgestaltung der Vertragsbedingung. Es ist ausgerichtet am Referenzfall des stereotypischen Aushandelns, in dem beide Parteien im Rahmen eines intensiven Kommunikationsprozesses den Inhalt der Vertragsbedingung gemeinsam gestalten. 18. Wenn durch eine derart beweglich gehaltene Begriffsbestimmung des Aushandelns zwar nicht das Maß an Klarheit geschaffen werden kann, welches ein eindeutig subsumierbarer Tatbestand herzustellen vermag, so ist doch ein Maß an Klarheit erreicht, das das einer kasuistisch ausgefüllten Generalklausel deutlich übersteigt, ohne dabei die Flexibilität zu verlieren, die die Behandlung eines so komplexen und vielgestaltigen sozialen Phänomens, wie es das Aushandeln darstellt, erfordert. 19. Die hier vertretene Auslegung führt zu einer Steigerung informationsökonomischer Effizienz und zu einer Verminderung negativer sozialpsychologischer Effekte und vermag somit Sachgerechtigkeit und Effizienz der vereinbarten Vertragsbestimmungen zu erhöhen. Ferner wird die praktische Handhabbarkeit des Aushandelns gesteigert, da sich aus dem beweglichen System im Gegensatz zu einer kasuistisch geprägten Generalklausel deutlich die Faktoren ablesen lassen, die für das Aushandeln Relevanz besitzen. Dies wird insbesondere durch die Formulierung eines Regelbeispiels gefördert. Ein solches ist tatbestandsähnlich aufgebaut und somit einfach handhabbar, gibt dabei in gewisser Weise gar Verhaltensanweisungen, läßt aber dennoch stets die Beweglichkeit der Wertungen erkennen und wirkt der tatbestandsmäßigen Verfestigung einer Kasuistik entgegen. 20. Durch die gegenüber Generalklauseln gesteigerte Bestimmtheit kann die Partei, die sich auf die Aushandelnsalternative berufen möchte, absehen, ob ein Abweichen von den gesetzlichen Regelungen überhaupt in Betracht zu ziehen ist

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und wie sie selbst darauf hinwirken kann, z. B. durch aktive Verminderung der Transaktionskosten der Gegenseite, durch besondere Aufklärung über die Tragweite der vorgeschlagenen Vertragsbestimmung oder durch besondere sachliche Begründung und Fundierung des Abweichungsbegehrens. Aushandeln kann somit auf seinem Gebiet eine neue ,Vertragskultur‘ anregen, die einer Rückbesinnung auf den ursprünglichen Vertrag als Form gleichberechtigter Kooperation zu beidseitigem (und daher auch gesamtwirtschaftlichem) Vorteil nahe kommt – freilich erkauft durch höhere Transaktionskosten als beispielsweise auf der Rationalisierungsebene von AGB anfallen. 21. Aus diesem Grunde ist das Aushandelnsmodell auch nicht auf jeden Vertragsschluß zu übertragen, selbst wenn das Ideal der Vertragsfreiheit, der volkswirtschaftlichen Effizienz und Sachgerechtigkeit auch hier seine Gültigkeit besitzt. Nur dort, wo es auf ein besonderes Maß (beiderseitiger) Vertragsfreiheit ankommt, insbesondere weil sie einseitig gefährdet ist (z. B. durch Wettbewerbsdefizite), und wo die Sicherstellung der Vertragsgerechtigkeit ex post (z. B. durch Inhaltskontrollen) nicht ausreichend, nicht angemessen oder aber nicht bezweckt ist, besitzt das Dispositivitätskriterium ,Aushandeln‘ einen legitimen Anwendungsbereich, um das einschneidende gesetzgeberische Mittel ,zwingendes Recht‘ zu umgehen. 22. Ziel dieser Arbeit war die Begriffsbestimmung des Aushandelns in §§ 449, 466 HGB. Im Rahmen der Auslegung wurden Privatautonomie, Rechtssicherheit und Effizienz weitestmöglich berücksichtigt. Zwar macht die Konzentration auf die Essenz der Verhandlung eine tatsächliche, intensive Verhandlung entbehrlich. Denn wenn die Umstände vorliegen, die eine Verhandlung i. S. d. §§ 449, 466 HGB nach den Erkenntnissen dieser Arbeit auszeichnen, und der Eintritt in eine tatsächliche Verhandlung ohne weiteres möglich ist und nur vom Willen des Klauselgegners abhängt, dann kommt es vom Schutzzweck her nicht mehr auf die Durchführung der Verhandlung an. Dennoch erfordert das Aushandeln einen weitaus größeren Aufwand als ein herkömmlicher Vertragsschluß, geschweige denn als die Verwendung allgemeiner Geschäftsbedingungen. Es bedürfte weiterer Untersuchung, um zu beurteilen, ob diese aufwendige Dispositivität durch Aushandeln im Dienste der Transaktionskostenminimierung de lege ferenda durch eine vollständige Dispositivität mit nachträglicher, richterlicher Inhaltskontrolle – evtl. mit speziell auf das Transportrecht angepaßtem Katalog i. S. d. §§ 308 f. BGB – ersetzt werden könnte.

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20*

Sachverzeichnis Abänderungsbereitschaft 33, 42, 44, 45, 48, 54, 55, 67, 86, 244, 253 Abänderungsfähigkeit 244 Abfassen im voraus 78 Abfassen im voraus siehe auch Vorformulierung 78 Abschlußfreiheit siehe Vertragsfreiheit 245 AGB-Festigkeit 64 Anchoring 202 Anfechtung 230 – Teil- 233 Aufklärung 88, 95, 161, 238, 260, 272, 285 – (Regelbeispiel) 284 – und Informationsökonomie 273 Aufklärungspflicht 135 Aufmerksamkeit für das Regelungsproblem 71, 100, 247 Aushandelnsinteressierter 254 Auskunft 187, 238 Auslegung – grammatische 60, 61, 63 – historisch-genetische 64 – logisch-systematische 68 – objektiv-teleologische 113 – Rechtsordnungssystematik 73 – Sachstruktur 150 – subjektiv-teleologische 105 Basar 63, 217 Bayes’sche Regel 178 Begriffshof 63 bewegliches System 266, 271 – graphische Darstellung 268 – Grenzen 269 Beweis(last) 34, 45, 80, 128, 142, 234, 272, 280, 285, 286 Bluff 161, 219, 229 cheapest cost avoider 149 cheapest insurer 125, 149 Coase-Theorem 219

commitment-Strategie dungsstrategie 187

siehe

Selbstbin-

Dispositivität – Einschränkung 30 – genetische 29 – von Primärpflichten 138 Drohung 227 – falsche 222 – i. S. d. § 123 BGB 161, 230, 231 – mit Verhandlungsabbruch 188, 226, 240 Druckmittel 240, 259, 277 Druckmittel siehe auch Drohung 240 drucktechnische Gestaltung 71, 72, 137, 247 – (Regelbeispiel) 283 Effizienz 147, 149, 180, 190, 197, 216, 252, 274 – und Rechtspolitik 148 Einflußmöglichkeit 32, 49, 54, 67, 80, 85, 89, 90, 245, 255, 261, 274, 287 Einheit der Rechtsordnung 51, 73, 97, 103 Einigungsbereich 163, 164, 171 Einschätzungsprärogative 113, 290 Entscheidungsgrundlage (fehlerhafte) 232 Ergänzungsfunktion des Vertragsrechts 132 Ergebnisoffenheit 244, 245, 253 Erwartungen 160, 198, 201, 203, 205 Fachterminologie 248 Feilschen 255 Formvorschriften 30, 101, 249 Framing 204, 208 Fremdsprachen 248 Fremdwörter 248 Gefangenendilemma 186 gemischte Strategie 178 Geschäftswille 247 Gestaltungsfreiheit 32, 53

Sachverzeichnis Gestaltungswillen 32, 86, 88, 100 Gödel’scher Unvollständigkeitssatz 265 Harsanyi-Transformation 177 Informationskosten 87, 91, 238, 257 – und Informationsökonomie 273 Informationskosten siehe auch Transaktionskosten 87 Informationsobliegenheit 250, 273 – (Regelbeispiel) 285 Informationsökonomie 272 Inhaltsfreiheit siehe Vertragsfreiheit 245 Inhaltsirrtum 248 Inhaltskontrolle 46, 68, 73, 74, 82, 85, 126, 127, 237, 263, 273 – und Rechtspolitik 191 Interessenausgleich 54, 57, 91, 144, 145, 218, 252 – und spieltheoret. Modell 216 iustum pretium siehe Vertragsgerechtigkeit 145 Kabotage 106, 126 Kausalität 87 Kommunikation 35, 62, 69, 189, 242, 245, 255, 260, 286 Kommunikationsmöglichkeit 254, 261 Kompensation 38, 48, 267 Konditionenwettbewerb 125, 252 Konzessionen siehe Zugeständnis 36 Kooperationspflicht 258 Marktmacht 87, 92, 108, 120, 121, 236 – -gefälle 121, 124 Markttransparenz 125, 252 Meistbegünstigungsklausel 187, 253 mentales Modell 196 Motivirrtümer 248 Nash-Lösung 169, 172 Nullsummenspiel 164 Nutzenfunktion 166, 193, 210 – und Verhandlungstaktik 193 – Variabilität 203 Opportunismus – -gefahr 27 – Verhandlungsdefinition 155

309

Pareto-Optimalität 166 Planungssicherheit 132, 137, 140 praktische Konkordanz 118 Privatautonomie 91, 109, 113, 114, 127, 145, 218, 245, 257 – Schranken 115, 137, 141 – und AGBG 53 Privatautonomie siehe auch Selbstbestimmung 91 Rationalisierung 263 Rationalisierungsfunktion 129 Rationalisierungsvorteil 35, 263, 278 Rationalitätsannahme 166 Rechtssicherheit 45, 109, 110, 133, 139, 140, 265, 269, 279 – Begriff 131 Rechtszersplitterung 110, 134 – und Rechtspolitik 107, 109 – vor Transportrechtsreform 109, 133 Regelbeispiel 279, 281, 283 Ressourcenallokation 147, 148 revelation principle 185 Richtigkeitschance 146 Richtigkeitsgewähr 45, 146 Risikoaversion siehe Risikoscheu 149 Risikopräferenz 46, 149 Risikoscheu 149, 209, 272 Risikoverlagerung 102, 251 Risikoverteilung 29, 107, 114, 124, 136, 238, 289 Rubinstein-Modell 173 Sachargument 255, 274, 278 – (Regelbeispiel) 284 Sachgerechtigkeit 45, 58, 149, 191, 211, 216, 238 – Kriterien 47 Sachstruktur 153, 197, 217, 220, 235, 243 – und Auslegung 150 Schutzpflicht 117, 249 Selbstbestimmung 34, 116, 178, 236, 237, 251, 252, 287 – beidseitige 118 – eingeschränkte Schutzwürdigkeit 192, 197 – und Anfechtung 231 – und Präferenzumkehr 204, 220

310

Sachverzeichnis

– und Verhandlungsmacht 218 Selbstbindungsstrategie 187, 203, 253 Selbstverantwortung 34, 94, 137, 237, 252, 267 superior risk bearer 149 Tauschgerechtigkeit siehe Vertragsgerechtigkeit 194 Täuschung 182, 219, 224, 229, 230, 235, 256 – (Regelbeispiel) 284 teleologischer Zirkel 150 topoi siehe Wertungsgesichtspunkte 246 Transaktionskosten 35, 86, 88, 129, 132, 262, 270, 273, 275 – (Regelbeispiel) 284 – und Effizienz 147 – und Verhandlungsmacht 240 Transaktionskosten siehe auch Verhandlungskosten 88 Unabdingbarkeit 37, 38, 45, 83 unproduktive Informationen 272 Verbraucherschutz 43, 52, 75, 93, 97, 108 Verhandlungsbasis 164, 225, 228, 235 Verhandlungsbegriff 154, 230 – tatsächlicher / normativer 231 Verhandlungsbereitschaft 83, 86, 253, 256, 261, 274, 277 – (Regelbeispiel) 285 – und Verhandlungsabbruch 259 Verhandlungsdilemma 164, 186 Verhandlungsgeschick 158, 161, 182, 218, 228 Verhandlungskosten 58, 191, 240, 275 – in spieltheoret. Modell 172, 174 Verhandlungskosten siehe auch Transaktionskosten 263 Verhandlungsmacht 156, 157, 164, 218, 239, 243, 258 – in spieltheoret. Modell 172, 184 – tatsächliche 158 – und Rechtspolitik 236 – wahrgenommene 160 Verhandlungspflicht 35, 253

Verhandlungssituation 84, 89, 156, 181, 196, 208, 226, 227, 264 Verhandlungsumstände 33, 195, 261, 275, 276 Versicherbarkeit 125, 135, 208 – und Rechtspolitik 109 – und Rechtssicherheit 132 Versicherbarkeit siehe cheapest insurer 125 Versicherungspflicht 132, 136 Vertragsfreiheit 114 – Abschlußfreiheit 55, 245, 247, 267 – als kompetentielle Freiheit 143 – Funktion 143 – Inhaltsfreiheit 53, 114, 245, 247, 268 Vertragsgerechtigkeit 53, 117, 145, 146, 150, 194, 218, 286 – und Abschlußfreiheit 239 – und Verhandlungskosten 263 Vertragskultur 293 Vertragsrichtigkeit 238, 249 Vertragsrichtigkeit siehe auch Vertragsgerechtigkeit 238 Verwender 54, 67 Verwender siehe auch Aushandelnsinteressierter 54 Verzögerungstaktik 259 Vielzahlerfordernis 31, 72, 80, 129 vollständiger Vertrag 133, 144, 238 Vollständigkeit 167, 265 Vorformulierung 65, 70, 78, 80, 87, 130, 141, 260 Waffengleichheit 240, 245 Wahrnehmung 189, 196, 198, 207 Wahrnehmungsverzerrung 198, 216, 217, 278 Wertungsgesichtspunkte 246, 264, 271 Widerspruchsfreiheit 37, 265 Willkür 264 Wortlaut 60, 61, 63, 153 Wortlautgrenze 151, 244 Zeitdruck 58, 160, 240, 261 – (Regelbeispiel) 284 Zugeständnis 36, 58, 155, 194, 210 – und Abänderungsbereitschaft 48 Zwangslage 44, 83, 88