Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn 9783110262810, 9783110262797

Dante's Divine Comedy is one of the most important works in the history of world literature. Although the theme of

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Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn
 9783110262810, 9783110262797

Table of contents :
Einleitung
I. Inferno
1. Gerechtigkeit als Beweggrund
2. Strafensystem in Terzinen
a) Der contrapasso
b) Rationalität des Strafvollzugs und künstlerische Sublimierung
3. Florenz als Paradigma der ungerechten Welt
4. Gerechtigkeitsgefüge zwischen Verfehlung und Strafe
5. Durchbrechung des äußeren Normgefüges
6. Unrecht als Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung
a) Die eigentümliche Einordnung Catos
b) Weltliche Kontingenz und Freiheit des Willens
7. Entsprechung von Macht und Gerechtigkeit
8. Maß der Gerechtigkeit
9. Schärfung des Gerechtigkeitssinns
a) Das Recht in den drei Zeitaltern
aa) Joachim de Fiores Lehre
bb) Bedeutung für das Recht
b) Dantes Argumente gegen die „Zwei-Schwerter-Lehre“ und die Bulle Unam Sanctam
c) Dantes Gerechtigkeitssinn im Spiegel des mittelalterlichen Denkens
d) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns
10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn
a) Historische Einordnung
b) Gewissen und Papsttum
c) Gewissenhafte Prägung des Gerechtigkeitssinns
11. Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns
12. Pervertierung des Gerechtigkeitssinns
a) Abstumpfung in der Kältehölle
b) Dantes Selbstgerechtigkeit
13. Kritik des Gerechtigkeitssinns
II. Purgatorio
1. Der contrapasso als Neutralisierung des bösen Willens
2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns
a) Kardinaltugend der Gerechtigkeit
b) Unberechenbarkeit der Gesetzgebung
aa) Ungerechtigkeit der florentinischen Verhältnisse
bb) Rechtstheoretische Einsicht aus gekränktem Gerechtigkeitssinn
cc) Deszendenz des Rechtsbewusstseins
3. Gerechtigkeitssinn und Rhetorik
4. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit
5. Hypertrophie des Gerechtigkeitssinns
6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit
a) Gerechtigkeit und Willensfreiheit
b) Willensfreiheit und Gewissen
c) Freiheit und Bindung durch irdische Gesetze
d) Willensfreiheit unter der Bedingung der Liebe
e) Willensfreiheit und contrapasso
f) Dogmatische Unterscheidung als Abbildung der Reinigung des Gerechtigkeitssinns
g) Verfeinerung des Gerechtigkeitssinns durch Erkenntnis der Willensfreiheit
aa) Wille zur Gerechtigkeit
bb) Vorbereitung auf die Wiederbegegnung mit Beatrice
7. Vernunft und Gerechtigkeitssinn
8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn
a) Autonomie und Heteronomie des Gerechtigkeitssinns
b) Namensnennung als Ruf der Gerechtigkeit
c) Gerichtete Zeit bei Dante und Proust
d) Quantensprung des Gerechtigkeitssinns
III. Paradiso
1. Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso
a) Gleichlauf mit der Monarchia
b) Gerechtigkeitssinn und Wahrheitssinn
2. Wahrheitssinn als Korrektiv des Gerechtigkeitssinns
3. Vernunfterkenntnis als Maßstab des Gerechtigkeitssinns
4. Kodifizierung des Rechts
a) Justinians Verdienst
b) Personifizierte Gerechtigkeitsliebe
c) Rückführung des Rechts auf seinen Kern
d) Fortbildung des Gerechtigkeitssinns durch die Rationalität des Rechts
5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns
a) Gerechtigkeit und Zeit
b) Recht als „Ähnlichkeit des göttlichen Willens“ in der Monarchia
c) Dantes Rechts- und Staatsphilosophie zum Vergleich
6. Vervollkommnung des Gerechtigkeitssinns
a) Ungerechtigkeit der Welt als Werkzeug der Gerechtigkeit Gottes
b) Verinnerlichung der jenseitigen Gerechtigkeitsvorstellung
c) Einsicht in die Gerechtigkeit des Weltgerichts
7. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit
a) Komplementarität
b) Wirkungsweise der Gerechtigkeit
8. Dante als Dichter und Richter irdischer Gerechtigkeit
a) Loblied des Decretum Gratiani
b) Weltliches und kirchliches Recht
c) Metaphysische Leere der Rechtsgelehrsamkeit
9. Justierung des Gerechtigkeitssinns
a) Rechtfertigung ewiger Strafe
b) Maß der Gerechtigkeit
c) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns
10. Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit
11. Dantes harter Gerechtigkeitssinn
a) „Lasciate ogni speranza“
b) Garantie der Gerechtigkeit
12. Gerechtigkeit und Sprache
a) Buchstäbliche Verkörperung der Gerechtigkeit
aa) Bezug der Textstelle zur Monarchia
bb) Literarische Verdeutlichung der Gerechtigkeitsvision
cc) Werkimmanenter Bezug zum Schreiben an Cangrande
dd) Metaphysische Gestalt der Gerechtigkeit
b) Kirchliche Gerechtigkeit?
c) Kausalzusammenhang von göttlicher und irdischer Gerechtigkeit
aa) Gefüge der Gerechtigkeit
bb) Imprägnierung des Gerechtigkeitssinns
13. Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit
a) Die ungetauft Verstorbenen als Paradigma von Dantes geläuterten Gerechtigkeitssinn
b) Dantes praktizierter Gerechtigkeitssinn
c) Willensfreiheit als Determinante der Ungerechtigkeit
14. Dantes unbeugsamer Gerechtigkeitssinn
Literaturverzeichnis
Personenverzeichnis

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Jens Petersen Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn

Jens Petersen

Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn

De Gruyter

Prof. Dr. iur. Jens Petersen, Universität Potsdam

ISBN 978-3-11-026279-7 e-ISBN 978-3-11-026281-0

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Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Claus Roxin zum 80. Geburtstag zugeeignet

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Inferno . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerechtigkeit als Beweggrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Strafensystem in Terzinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der contrapasso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rationalität des Strafvollzugs und künstlerische Sublimierung . 3. Florenz als Paradigma der ungerechten Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerechtigkeitsgefüge zwischen Verfehlung und Strafe . . . . . . . . . . 5. Durchbrechung des äußeren Normgefüges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Unrecht als Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung . . . . . . . . . . a) Die eigentümliche Einordnung Catos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weltliche Kontingenz und Freiheit des Willens . . . . . . . . . . . . . . 7. Entsprechung von Macht und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Maß der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Schärfung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Recht in den drei Zeitaltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Joachim de Fiores Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung für das Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dantes Argumente gegen die „Zwei-Schwerter-Lehre“ und die Bulle Unam Sanctam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dantes Gerechtigkeitssinn im Spiegel des mittelalterlichen Denkens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Historische Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gewissen und Papsttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gewissenhafte Prägung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . 11. Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Pervertierung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abstumpfung in der Kältehölle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dantes Selbstgerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13. Kritik des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

II. Purgatorio . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der contrapasso als Neutralisierung des bösen Willens . . . . . . . . . . 2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Kardinaltugend der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unberechenbarkeit der Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ungerechtigkeit der florentinischen Verhältnisse . . . . . . . . . bb) Rechtstheoretische Einsicht aus gekränktem Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Deszendenz des Rechtsbewusstseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerechtigkeitssinn und Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Hypertrophie des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . a) Gerechtigkeit und Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Willensfreiheit und Gewissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Freiheit und Bindung durch irdische Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . d) Willensfreiheit unter der Bedingung der Liebe . . . . . . . . . . . . . . e) Willensfreiheit und contrapasso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Dogmatische Unterscheidung als Abbildung der Reinigung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Verfeinerung des Gerechtigkeitssinns durch Erkenntnis der Willensfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Wille zur Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Vorbereitung auf die Wiederbegegnung mit Beatrice . . . . . 7. Vernunft und Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Autonomie und Heteronomie des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . b) Namensnennung als Ruf der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gerichtete Zeit bei Dante und Proust . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Quantensprung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Paradiso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Gleichlauf mit der Monarchia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gerechtigkeitssinn und Wahrheitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Wahrheitssinn als Korrektiv des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . 3. Vernunfterkenntnis als Maßstab des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . 4. Kodifizierung des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Justinians Verdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Personifizierte Gerechtigkeitsliebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rückführung des Rechts auf seinen Kern . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Fortbildung des Gerechtigkeitssinns durch die Rationalität des Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns . . . . . a) Gerechtigkeit und Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Recht als „Ähnlichkeit des göttlichen Willens“ in der Monarchia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dantes Rechts- und Staatsphilosophie zum Vergleich . . . . . . . . . Vervollkommnung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ungerechtigkeit der Welt als Werkzeug der Gerechtigkeit Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verinnerlichung der jenseitigen Gerechtigkeitsvorstellung . . . . . c) Einsicht in die Gerechtigkeit des Weltgerichts . . . . . . . . . . . . . . . Gerechtigkeit und Barmherzigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wirkungsweise der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dante als Dichter und Richter irdischer Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . a) Loblied des Decretum Gratiani . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Weltliches und kirchliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Metaphysische Leere der Rechtsgelehrsamkeit . . . . . . . . . . . . . . Justierung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtfertigung ewiger Strafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Maß der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dantes harter Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Lasciate ogni speranza“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Garantie der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gerechtigkeit und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Buchstäbliche Verkörperung der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . aa) Bezug der Textstelle zur Monarchia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Literarische Verdeutlichung der Gerechtigkeitsvision . . . . . cc) Werkimmanenter Bezug zum Schreiben an Cangrande . . . . dd) Metaphysische Gestalt der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kirchliche Gerechtigkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kausalzusammenhang von göttlicher und irdischer Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gefüge der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Imprägnierung des Gerechtigkeitssinns . . . . . . . . . . . . . . . . . Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . a) Die ungetauft Verstorbenen als Paradigma von Dantes geläuterten Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Dantes praktizierter Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Willensfreiheit als Determinante der Ungerechtigkeit . . . . . . . . . Dantes unbeugsamer Gerechtigkeitssinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhaltsverzeichnis

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Einleitung

Einleitung Einleitung

Einleitung Wohl kaum ein Werk der Weltliteratur ist ohne historische, theologische, literarische, philosophische, selbst juristische Erläuterungen so unzugänglich und schier unverständlich wie die Göttliche Komödie. Dantes Ringen um die gerechte Ordnung belegt dies in besonderer Weise. Die im deutschsprachigen Schrifttum bis heute grundlegende Untersuchung der rechtsphilosophischen Dimension der Göttlichen Komödie hat der Romanist Hugo Friedrich vorgelegt. Er untersuchte die von ihm treffend so bezeichnete „Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie“ in einer Weise, die auch heute noch in jeder Hinsicht vorbildhaft ist.1 Nach wie vor gilt sein Wort: „Das Verständnis der Göttlichen Komödie hängt davon ab, dass man ermisst, in welchem Umfang ihr objektiver Stoff ein Rechtsgebäude ist.“2 Es geht Dante nicht – zumindest nicht nur – um die irdische Gerechtigkeit,3 sondern im weitesten Sinne um die Verwirklichung göttlicher Gerechtigkeit.4 Sie ist als ewiges Gesetz die „Rechtsgrundlage für die Ordnung der Schöpfung.“5 So ist die Göttliche Komödie weder den Theologen noch den Literaturwissenschaftlern oder Philosophen und am wenigsten den Juristen vorbehalten.6 Was sie aber für den Juristen interessant macht, ist nicht zuletzt der Gerechtigkeitssinn Dante Alighieris. Das mag zunächst überraschen, weil der Gerechtigkeitssinn eines einzelnen Dichters – und sei er noch so bedeutend – vorderhand kein aussichtsreicher Gegenstand für eine rechtsphilosophische, geschweige denn juristische Betrachtung zu sein scheint. Die Zentralität der Gerechtigkeit ist indes innerhalb der Göttlichen Komödie unübersehbar. Der Strafrechtler Heinrich Abegg etwa hat in einer dem Juristen und Dante-Forscher Karl Witte gewidmeten Abhandlung festgestellt, dass „der ___________ 11

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Anderer Ansicht Ernst Robert Curtius, Zur Danteforschung, in: Romanische Forschungen 56 (1942), 3, 16: „Statt konkreter Beobachtungen bietet uns Friedrich Konstruktionen und Spekulationen“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie. Francesca da Rimini, 1942, S. 87; ähnlich bereits Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. vi. Siehe aber Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001. Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 181. Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947), 270, 273. Zu den maßgeblichen Dante-Forschern unter den Romanisten Hans Ulrich Gumbrecht, Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. Carl Vossler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Erich Auerbach, Werner Krauss, 2002.

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Einleitung

Nachweis und die Verherrlichung der Gerechtigkeit, wie sich diese nach göttlichem Rathschlusse und Ordnung über die Menschen in Lohn und Strafe und in Läuterung vollzieht, der Mittelpunkt, der wesentliche Inhalt, die folgerichtig durchgeführte Aufgabe“ der Göttlichen Komödie sei.7 Man darf zudem nicht außer Betracht lassen, dass die Göttliche Komödie nicht nur eine der „gefügtesten Dichtungen der Weltliteratur“ darstellt,8 sondern Dante zugleich einer der großen Staats- und Rechtsphilosophen war,9 der sich der anspruchsvollen Aufgabe unterzogen hat, das gesamte Jenseits in seiner Vorstellung auszumessen und anderen Großen der bisherigen Geistesgeschichte ihren Platz zuzumessen.10 Mit Recht spricht Arno Borst von der „Weltdichtung der Divina Commedia, die das ganze Menschenleben seiner Zeit umschließt“.11 Josef Kohler sieht dort die „Quintessenz der Geistigkeiten seiner Zeit zur Darstellung“ gebracht.12 Dante erfasst mit einem Wort die ganze „Weltwirklichkeit“.13 Ungeachtet dieser nach strengen Ordnungsprinzipien gefügten Weltsicht führt das Vorhaben zu einem nahezu unerhörten Subjektivismus, der es rechtfertigt den zugrundeliegenden Gerechtigkeitssinn zu betrachten, der Dante zu seinem Urteil befähigt. Sein hier und im Folgenden zitierter Übersetzer enthüllt das augustinische Erbe, aus dem nicht zuletzt auch die eigentümliche Zwiespältigkeit resultiert, welche die Interpretation beeinflusst: „Er legt die objektivste und demütigste Beichte ab, die seit Augustins Konfessionen in die Weltliteratur eingegangen ist. Er tut das wiederum in dem doppelten Sinn, in dem er die ganze Wanderung macht: als das Individuum Dante aus Florenz, aber auch als Vertreter der ganzen Menschheit.“14 Mit Augustinus verbindet Dante der

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Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 179. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 177. Siehe auch Johann Wolfgang von Goethe, Dante (Hamburger Ausgabe, Band 12), S. 339; Johann Peter Eckermann, Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 3. Dezember 1824 („Übrigens sprach Goethe von Dante mit aller Ehrfurcht...“); sowie vom 20. Oktober 1828. Vgl. auch Hugo Daffner, Goethe und Dante, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 166; Wolfgang Seiferth, Zur Kunstlehre Dantes, Archiv für Kulturgeschichte XVII (1927), 194–225 und die gleichlautende Fortsetzung in: Archiv für Kulturgeschichte XVIII (1928), 148-167. Dante Alighieri, Monarchia; dazu sogleich im Text. Näher August Rüegg, Die Jenseitsvorstellungen vor Dante und die übrigen literarischen Voraussetzungen der „Divina Commedia“, 2 Bände, 1945. Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 325. Josef Kohler, Dante und die Willensfreiheit, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 12, 29. Erich Auerbach, Figura, in: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie (Hg. Fritz Schalk), 1967, S. 89. Walther von Wartburg, S. 820 in der hier und im Folgenden zitierten Ausgabe der Göttlichen Komödie von Manesse, 2. Auflage, 1963; Übersetzung Ida und Walther von Wartburg. Dass hier nicht die 2010 bei Reclam erschienene Übersetzung von Hartmut Köhler verwendet, sondern nur beispielhaft (mit jeweiliger Seitenzahl) zitiert wird, liegt daran, dass bislang erst das Inferno sowie das Purgatorio vorliegen und aus Gründen der Einheitlichkeit des Sprachgebrauchs auf eine einzelne Übertragung zurückgegriffen wird.

Einleitung

3

„Dienst an Recht und Gerechtigkeit“.15 Dante selbst tritt zwar in Vergils Begleitung als sündhafter Mensch auf,16 findet aber das Ergebnis eines regelrechten Weltgerichts vor, das letztlich seiner eigenen Vorstellung entspringt und gerade seinen Sinn für die Gerechtigkeit abbildet.17 Das Faszinierende des vorliegenden Gegenstandes ist die eigentümliche Mischung zwischen der objektiven Ordnung, die Dante entsprechend dem hochmittelalterlichen Denken entwirft,18 und seiner eigenen durchaus subjektiven Einschätzung, die gerade darum zu ungerechten Einschätzungen führen kann. Allerdings muss der Dichter Dante von dem durch Inferno, Purgatorio und Paradiso geführten Dante unterschieden werden, weil dieser in seinem Begreifen notwendigerweise begrenzt ist und erst allmählich zur Erkenntnis gelangt, während jener von vornherein das Ganze im Blick hat und daher von einem höheren Standpunkt und Erkenntnisgrad aus entscheidet.19 Dante urteilt trotz aller erfahrenen Zurücksetzungen und Ungerechtigkeiten im Grunde sine ira et studio. Er verfügt freilich über einen unbeugsamen Gerechtigkeitssinn,20 der ihn nicht nur gegen seine eigene Verbannung aus der Heimatstadt Florenz,21 sondern überhaupt gegen die Ungerechtigkeiten seiner Zeit aufbegehren lässt. Dennoch erliegt er nicht der Versuchung, kleinliche Rache zu nehmen, indem er die ihm Verhassten pauschal und ohne Ansehen ihrer verübten Taten in die Hölle versetzt.22 Mit Recht erkennt Hugo Friedrich die dahinter stehende Gesetzmäßigkeit darin, dass es „in der weiten Höhe seines Geistes nichts von pfäffischer Enge und eifernder Dogmatik gibt. Wenn aber sein Urteil Pathos wird, dann ist das immer dort der Fall, wo die Rechtsverletzung in die großen Gemeinschaftsformen von Imperium und Ecclesia ___________ 15

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Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 159. Zum Einfluss des augustinischen Bekehrungserlebnisses John Freccero, Dante: The Poetics of Conversion, 1986, S. 1 ff. Inferno, I, 3. Zu rudimentär ist die Folgerung von Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 94: „Dante verfügt bereits über eine Synthese von allgemeinen Rechtsregeln und Rechtsgedanken, wenn auch über eine unfertige“. Siehe auch Giovanni Busnelli, Cosmogonia e antropogenesi secondo Dante Alighieri e le sue fonti, 1922; Alois Dempf, Die Hauptform mittelalterlicher Weltanschauung, 1925. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 1; auch insoweit fundamental anders Ernst Robert Curtius, Zur Danteforschung, in: Romanische Forschungen 56 (1942), 3, 9: „Sie (sc. die grundsätzliche Trennung des Dichters und Wanderers) widerstreitet allem, was wir von der Psychologie des künstlerischen Schaffens wissen (...) und sie ignoriert alles, was die Dante-Forschung getan hat, um das Wesen der Göttlichen Komödie (...) aufzuhellen“. Walther von Wartburg, S. 28. Zum historischen Hintergrund Paul George Ruggiers, Florence in the Age of Dante, 1964. Anderer Ansicht Hans Erich Nossack, Die schwache Position der Literatur. Reden und Aufsätze, 1966, S. 65, für den Dante ein „großer Hasser mit Sehnsucht nach Heimat und Liebe“ ist, der „um nicht von seinen Ressentiments verzehrt zu werden“ nur die Möglichkeit gehabt habe, „seine politischen Gegner zu Höllenqualen zu verdammen“. Zum kulturgeschichtlichen Hintergrund Josef Kroll, Gott und Hölle. Der Mythos vom Descensuskampf, 1932.

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hineingreift, wo also die beiden für ihn, den mittelalterlichen Universalisten, gültigen größten Rechtsverbände bedroht sind.“23 Dessen ungeachtet durchlebt der Leser stets aufs Neue die Enttäuschung gegenüber der undankbaren Stadt Florenz. Nicht zuletzt diesem immer wieder durchbrechenden Zorn, der jeder abgewogenen Betrachtung im Wege zu stehen scheint, begegnet man durchgängig bis ins Paradiso. Auch und gerade dieser mitunter hemmungslose Subjektivismus in einer ansonsten nach strengsten Prinzipien gefügten Ordnung erhebt Dantes Gerechtigkeitssinn paradoxerweise zu einem überaus lohnenden Gegenstand der rechtsphilosophischen Betrachtung.24 Zerlegt man den Begriff des Gerechtigkeitssinns und wendet ihn auf die Göttliche Komödie an, so gibt es wohl kaum ein Werk der Weltliteratur, in dem Subjektives – der Sinn für die Gerechtigkeit – und Objektives – die Darstellung der gerechten Ordnung – in vergleichbarer Weise miteinander verschränkt sind und ineinander greifen. Die Infamität der Rechtsverletzung, die sich den ihm heiligen Institutionen bzw. Rechtsverbänden und damit letztlich dem göttlichen Recht entgegenstellt, provoziert Dantes heftige Reaktion, um es abermals mit den Worten Hugo Friedrichs zu verdeutlichen: „Hier zittert sein persönlichster Nerv, wie auch vor den Korruptionen der kleineren Rechtsverbände, der Stadt Florenz, der oberitalienischen Städte usw.25 Hier gerät sein systematisches Urteil in die Glut des Hasses. Und doch: auch hier, wo soviel persönliche Anteilnahme spricht, geht das systematische Urteil aus der allgemeinen Rechtsidee stets dem anderen voran. Nie ist der Hass im Gedicht persönlich begründet, sondern immer aus der objektiven Norm, die verletzt wurde.“26 Diese objektive Norm gründet in dem mit der Gerechtigkeit in eins

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Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 89; Hervorhebung nur hier. Dem entspricht das, was Arno Borst (Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 594) über das Menschenbild im Spätmittelalter sagt: „Es wurde durch Rechtlichkeit bestimmt, Einhaltung von Verfahrensweisen in unüberschaubaren Verbänden“. Zum Gerechtigkeitssinn etwa John Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit (A Theory of Justice, 1971), 1975, S. 614 ff. unter Verweis auf Philippa Foot, Moral Beliefs, Proceedings of the Aristotelian Society 59 (1958/59), 104. John Rawls, Justice as Fairness, Philosophical Review 67 (1958), 44, bezeichnet die Anlage zum Gerechtigkeitssinn neben dem Vermögen, einen Begriff des Guten zu bilden, als die beiden moralischen Fähigkeiten. Siehe dazu auch Amartya Sen, Die Idee der Gerechtigkeit, 2010, (The Idea of Justice, 2009) S. 72 Fußnote 1 sowie vor allem S. 33 (2009, p. 5): „Seit Jahrhunderten versuchen in unterschiedlichen Teilen der Welt Verfasser von Schriften über die Gerechtigkeit, das intellektuelle Fundament zu schaffen, auf dem sich das Denken von einem allgemeinen Gerechtigkeitssinn (‘general sense of injustice’) zu spezifischen vernünftigen Diagnosen von Ungerechtigkeit und zur Analyse von Wegen zur Förderung der Gerechtigkeit weiterbewegen kann“. Siehe im Übrigen auch Alfred Bassermann, Dantes Spuren in Italien. Wanderungen und Untersuchungen, 1898. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 89; zustimmend Joachim Küpper, Diskurs-Renovatio bei Lope de Vega und Calderón, 1990, S. 261 mit Fußnote 113. Von Grund auf anders wiederum Ernst Robert Curtius, Zur Danteforschung, in: Romanische Forschungen 56 (1942), 3 ff.

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gesetzten Willen Gottes.27 Dante beschreibt die göttliche Gerechtigkeit so, wie sie seinem durch die mittelalterliche Theologie und Philosophie geschulten OrdoDenken entspricht,28 aber zugleich als Prophet,29 der kraft seiner Dichtkunst eine höhere Einsicht besitzt,30 auch wenn diese Verbindung namentlich von Samuel Beckett zugunsten eines ausschließlichen Künstlertums abgelehnt wurde.31 In der Aburteilung seiner Mitmenschen und Vorgänger liegt eine geradezu ungeheure Anmaßung, die jeglichen Sinn für Maß und Mitte – und damit eben auch die Gerechtigkeit – vermissen zu lassen scheint.32 Darin besteht jedoch zugleich das Singuläre des Gegenstandes, der ihn über das erhebt, was man heute unter ‘Law and Literature’ versteht.33 Vielmehr kann man von einer Dichtung der Gerechtigkeit sprechen, wie es Allan Gilbert getan hat, der als einer der ersten erkannt hat, dass die Sinnhaftigkeit der Göttlichen Komödie mit der Ausgestaltung der ihr zugrundeliegenden Vorstellung von der Gerechtigkeit steht und fällt.34 Dass Dante – wenigstens nach dem Exil und somit bei der Niederschrift der Göttlichen Komödie und der Monarchia35 – ohne Parteinahme urteilt,36 ist namentlich von Erich Auerbach begründet worden, der ursprünglich im Strafrecht promovierter Jurist war,37 ehe er einer der bedeutendsten Romanisten seiner Zeit ___________ 27

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Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 42 (= HKW 1, 134, 184): „Sein Wille ist auch der Urquell und letzte Grund von Recht und Gerechtigkeit“. Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59, 60. Siehe auch Etienne Gilson, Dante et la philosophie, 1939 (deutsch: Dante und die Philosophie, 1953, 4. Auflage 1986). Josef Kohler, Dante als Prophet, 1906; Bruno Nardi, Dante als Prophet, in: Dante Alighieri. Aufsätze zur Divina Commedia (Hg. Hugo Friedrich), 1968, S. 329; Raffaello Morghen, Dante profeta. Tra la storia e l’eterno, 1983. Ernst Robert Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, 6. Auflage 1967, S. 228 ff., 376; dazu Leo Spitzer, American Journal of Philology 70 (1949) 425. Samuel Beckett, Proust, 1931 (hier zitiert nach der Luchterhand-Ausgabe, 1989, S. 72 f.), wonach Dante „ein Künstler und kein unbedeutender Prophet war“. Erich Loos, Der logische Aufbau der „Commedia“ und die Ordo-Vorstellung Dantes, 1984, S. 7: „Im gesteigerten Selbstbewusstsein“ des seherischen Dichters fühle sich Dante „als durch göttliche Gnade Beauftragter (…)“. Richard A. Posner, Law & Literature, 3. Auflage 2009, S. 23 f., 182, 362, 389, 515, 524, nennt Dante in diesem Zusammenhang erstaunlicherweise nur kursorisch. Lesenswert ClausWilhelm Canaris, Die Europäische Union als Gemeinschaft des Rechts, S. 179, 181, wonach „law and literature (…) dem juristischen Zeitgeist entspricht“. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 67, Chapter III: „The Commedia as a poem of justice“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 90. Aus dem älteren Schrifttum Giulio Perticari, Dell’amor patrio di Dante, Opere I, 1838, S. 171 ff. Erich Auerbach, Die Teilnahme in den Vorarbeiten zu einem neuen Strafgesetzbuch, 1913. Nach Hans Ulrich Gumbrecht (Vom Leben und Sterben der großen Romanisten, 2002, S. 166 f.) „beschäftigte Auerbach das Problem der Mittäterschaft im Sinne einer Situationsund Handlungsstruktur, in der die Ambivalenz zwischen Schuld und Unschuld – poetologisch gesehen: Tragik – sichtbar wird“.

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wurde.38 Er wendet sich in besonderer Weise gegen die früher vertretene Auffassung, dass Dante nicht nur aufgrund seiner impulsiven Wesensart, sondern auch und gerade in Folge seiner als zutiefst ungerecht empfundenen Verbannung gegenüber den dargestellten Personen entsprechend ungerecht geurteilt habe.39 Jedes Urteil über die Personen der Dichtung sei von ihm aus einer Gesamtbetrachtung ergangen, die zur Verwirklichung einer geschichtlich und geschichtsphilosophisch fundierten „göttlichen Gleichgewichtsordnung auf Erden“ unerlässlich sei. In der Tat begegnen viele der in der Göttlichen Komödie auftretenden Personen nur dort, so dass die Geschichte von ihnen sonst nichts mehr weiß.40 In Ansehung ihrer ist es in der Tat schwierig, ein „Maß für die Gerechtigkeit“ zu ermitteln.41 Ebenso richtig ist seine Beobachtung, dass jeder Einzelne individuell – also ohne Berücksichtigung aller sozialen Verflechtungen – beurteilt wird. Nicht minder wichtig ist seine Definition der Gerechtigkeit Dantes als „Rangordnung der Menschen in seinem Jenseits“. Diese Kennzeichnung verdeutlicht, dass die Personen, denen Dante begegnet, bar ihres irdischen Ranges und ihrer dortigen Stellung abgeurteilt werden.42 Eugen Biser spricht treffend von Dantes „Richtmaß des Ordnungsdenkens.“43 Die Rangordnung des Menschen in der jenseitigen Welt ergibt sich für Dante aus der Bedeutung des Einzelnen in der Weltordnung.44 Und doch vermag die wohlbegründete und in ihren Prämissen weiterführende Sichtweise Auerbachs nicht alle Auswüchse und Übersteigerungen des Gerechtigkeitsempfindens Dantes zu erklären.45 Auch wenn Dante während der Niederschrift seines Weltgedichts gleichsam über den Parteien seiner Zeit mit ihren Streitigkeiten und Entzweiungen stand, war er nicht in jeder Hinsicht darüber erhaben. Deshalb sind für die vorliegende Fragestellung nicht zuletzt jene Stellen von Bedeutung, in denen sein Zorn wieder auflodert, den er bei aller Ausgewo___________ 38

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Siehe auch Erich Auerbach, Neue Dantestudien, 1944; ders., Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 1946, 4. Auflage 1967; ders., Die Entdeckung Dantes in der Romantik, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 7 (1929), 682; ders., Studi su Dante, prefazione di Dante Della Terza, 1963; Jan M. Ziolkowski, Vorwort zur englischsprachigen Ausgabe von Erich Auerbach, Literary Language and its Public in Late Latin Antiquity and in the Middle Ages, 1993, S. xiii (ursprünglich deutsch: Erich Auerbach, Literatursprache und Publikum in der lateinischen Spätantike und im Mittelalter, 1958). Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 120. Siehe auch Brigitte Winklehner, Originalität und geschichtliche Gebundenheit im politischen Denken Dantes, Deutsches Dante-Jahrbuch 64 (1989), 111. Hier und im Folgenden Erich Auerbach, ebenda, S. 121. Siehe auch Giuseppe Jacopo Ferrazzi, Enciclopedia Dantesca, 1865, S. 291 ff. zur „Giurisprudenza Dantesca specialmente penale“. Eugen Biser, Nietzsche und Dante. Ein werkbiographischer Strukturvergleich, NietzscheStudien 5 (1976), 146, 159. Erich Auerbach, ebenda, unter Verweis auf Friedrich Gundolf, Caesar. Geschichte seines Ruhmes, 1924, 2. Auflage 1925, S. 99 ff. Zu Gundolfs Einfluss auf Auerbach siehe Kurt Flasch, in seinem lesenswerten Nachwort der zitierten Monographie (2. Auflage 2001, S. 227). Vgl. auch Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 89.

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genheit der einzelnen Verurteilungen zuvor gebändigt hat. Es sind dies vor allem diejenigen Terzinen, in denen er die florentinischen Verhältnisse zugrunde legt. Durch seine Verbannung aus Florenz war Dante der Gesellschaftsvertrag regelrecht aufgekündigt worden, drohte ihm doch der Feuertod, falls er jemals wieder Florentiner Gebiet betreten sollte. Erst in dieser Situation permanenter äußerster Gefährdung seiner Sicherheit konnte er den Blick auf die ewige Gerechtigkeit richten.46 Dabei darf man nicht vergessen, dass Dante auch nach seiner Verbannung aus Florenz zu einem bestimmten Zeitpunkt noch die Möglichkeit hatte, als reumütiger Sünder unter Anerkennung aller seiner Verfehlungen zurückzukehren.47 Dies verbot ihm freilich nicht nur sein Stolz, sondern vor allem sein unbeugsamer Gerechtigkeitssinn. Dass es hier entgegen dem ersten Anschein und der dem Gerechtigkeitssinn anhaftenden subjektiven Komponente nicht nur um den Versuch einer rechtsphilosophischen Durchdringung eines literarischen Werks geht, sondern darüber hinaus der rechtsphilosophische Standpunkt Dantes überhaupt in Rede steht,48 ergibt sich aus der Zusammenschau der Göttlichen Komödie mit seinem philosophischen Hauptwerk, der Monarchia.49 Die Monarchia gehört zu den großen rechts- und staatsphilosophischen Entwürfen des Mittelalters.50 Sie drückt in besonderer Weise die mittelalterliche Staatslehre aus und überwindet sie zugleich in mehr als einem Punkt.51 Dante selbst hat diesen werkimmanenten Zusammenhang, in dem seine Göttliche Komödie mit der Staatsphilosophie steht, an einer zentralen Stelle der Monarchia verdeutlicht: „Ist dies eingesehen, so kann weiterhin offenkundig sein, dass diese Freiheit oder das Prinzip dieser unserer ganzen Freiheit das größte Geschenk ist, das Gott der menschlichen Natur verliehen hat, wie ich im »Paradies« der Komödie bereits gesagt habe, denn durch dieses Geschenk werden wir hienieden glücklich wie Menschen, dort aber glücklich wie Götter.“52 Beiläufig ___________ 46

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Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 91, macht mit Recht darauf aufmerksam, dass „der im Einzelkampf unterlegene Dante emporgestiegen ist zum Idealisten des Rechts, das er zu einem metaphysischen Recht erweiterte“. Nüchterner Ernst Cassirer, Freiheit und Form. Studien zur deutschen Geistesgeschichte, 1916, 6. Auflage 1994, S. 2, wonach bei Dante „überall hinter den grandiosen kosmologischen Phantasien die brennende Sehnsucht nach der nationalen Umgestaltung steht“. Otto Roquette, Einleitung, S. 19, der von Karl Streckfuß übersetzten Ausgabe der Cotta’schen Buchhandlung. Dazu Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946. Dante Alighieri, Monarchia; im Folgenden zitiert nach der von Ruedi Imbach und Christoph Flüeler eingeleiteten, übersetzten und kommentierten Studienausgabe bei Reclam, 2007. Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie: Antike und Mittelalter, 2. Auflage 2006, S. 297; Dirk Lüddecke, Dantes Monarchia als politische Theologie, Der Staat 37 (1998), 547 ff.; Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, 1990, S. 445 ff. Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 2 (= HKW 1, 134, 139). Dante Alighieri, Monarchia (Übersetzung hier und im Folgenden von Imbach/Flüeler), I, xii, 6: „Hoc viso, iterum manifestum esse potest quod hec libertas sive principium hoc totius

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sieht man hieran, dass Dante selbst sein Werk nur als Commedia bezeichnete,53 weil sie – anders als die Tragödie54 – vom Abstoßenden, dem Inferno, zum Guten, dem Paradiso, findet;55 der Zusatz Divina kam bekanntlich erst später durch Boccaccio hinzu. An dieser Stelle wird zudem andeutungsweise offenbar, welchen zentralen Stellenwert die Freiheit in der Rechtsphilosophie Dantes und in seiner Göttlichen Komödie einnimmt. Dieser ausdrücklichen Außenverweisung entsprechen die vielen unausgesprochenen Stellen, in denen die Göttliche Komödie auf der Monarchia gründet. Es war wiederum Hugo Friedrich, der diesen Zusammenhang auf die rechtsphilosophischen Bestimmungen der Monarchia im Hinblick auf die Dichtung Dantes auf den Punkt gebracht hat: „Die rechtsphilosophischen Definitionen der Monarchia enthalten, nur verschiedenartig auseinandergelegt, die allgemeinste rechtsmetaphysische Einheit, auf der die Göttliche Komödie als Weltgericht ruht.“56 Das dichterische Hauptwerk Dantes muss man also im Zusammenhang mit seinem rechts- und staatsphilosophischen würdigen,57 was freilich entgegen einer lange vorherrschenden Meinung nicht bedeutet,58 dass der Göttlichen Komödie eine ausschließlich oder auch nur vorrangig politische Zielrichtung innewohnt.59 Abgesehen von dem angesprochenen werkimmanenten Zusammenhang erlaubt die soeben zitierte Stelle aus der Monarchia eine Datierung des Werks,60 das wohl nicht bereits 1308 verfasst worden sein dürfte,61 auch nicht um das Jahr 1312,62 sondern erst um das Jahr 1317.63 Die Monarchia ist auch dort ___________ 53 54

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nostre libertatis est maximum donum humane nature a Deo collatum – sicut in Paradiso Comedie iam dixi – quia per ipsum hic felicitamur ut homines, per ipsum alibi felicitamur ut dii“. Näher Pio Rajna, Il titolo del poema dantesco, Studi danteschi 4 (1921), 1 ff. Dante nimmt insbesondere auf die Tragödien Senecas Bezug; dazu Giorgio Brugnoli, Ut patet per Senecam in suis tragediis, Rivista di cultura classica e medioevale, 5 (1963), 146 ff. Siehe auch Henry Ansgar Kelly, Tragedy and Comedy from Dante to Pseudo-Dante, 1989. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 28–30, Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Thomas Ricklin mit einer Vorrede von Ruedi Imbach, 1993, S. 12 f. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 98. Anna Maria Chiavacci Leonardi, La Monarchia di Dante alla luce della Commedia, in: Studi medievali 28 (1977), 147. Zutreffend Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 46 (= HKW 1, 134, 189 f). So aber etwa Franz Xaver Kraus, Dante. Sein Leben und sein Werk, sein Verhältnis zur Kunst und zur Politik, 1897, S. 360, 677. Siehe auch Joan M. Ferrante, The Political Vision of the Divine Comedy, 1984; Alessandro Passerin d’Entrèves, Dante as a Political Thinker, 1952. Zum Folgenden Robert Davidsohn, Die Abfassungszeit von Dantes „Monarchia“, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 197. So allerdings Bruno Nardi, Studi di filosofia medievale, 1960; ders. Saggi e note di critica dantesca, 1966. Gustavo Vinay, Interpretazione della Monarchia di Dante, 1962. Friedrich Baethgen, Die Entstehungszeit von Dantes Monarchia, 1966; Bayerische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte; Überblick bei Emilia Mongiello, Sulla datazione del Monarchia di Dante, in: Le parole e le idee, 11 (1969), 290. Ferner Karl Hampe, Die Abfassung der „Monarchia“ in Dantes letzten Lebensjahren, Deutsches Dante-Jahrbuch 17 (1935), 58.

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betont rational abgefasst, wo man eine beherzte Auseinandersetzung mit den widerfahrenen Ungerechtigkeiten erwarten könnte,64 da das erklärte Ziel der Schrift – die Unsterblichkeit des Autors65 – nicht um kleingeistiger Ressentiments willen gefährdet werden sollte. In beiden Werken steht die Problematik der Willensfreiheit im Mittelpunkt.66 Damit geht es aber letztlich um das grundlegende philosophische und insbesondere rechtsphilosophische Problem der Freiheit,67 die auch und gerade im mittelalterlichen Denken eine herausragende Rolle gespielt hat:68 „Deswegen muss man wissen, dass das Prinzip unserer Freiheit im freien Entscheidungsvermögen besteht, welches viele im Munde führen, wenige aber begreifen.“69 Das rechtsphilosophische Interesse an der Göttlichen Komödie rührt nicht zuletzt daher, dass Dante dort im Einklang mit der soeben zitierten Stelle aus der Monarchia die Willensfreiheit allenthalben vorausgesetzt und betont hat: Wer sich aus freien Stücken dem als ewiges Gesetz begriffenen Willen Gottes widersetzt, wird danach gerichtet werden. Diese auf Augustinus und Thomas von Aquin zurückgehende Einsicht ist die normative Grundlage von Dantes Gerechtigkeitssinn, ohne dass damit zwangsläufig gesagt ist, dass Dante Thomist war, wie ein Teil der Lehre annimmt,70 heute aber mit guten Gründen abgelehnt wird.71 Denn auch wenn Dante in vielerlei Hinsicht auf Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin aufbaut, enthält seine Göttliche Komödie doch jenseits aller eklektischen Elemente so viel genuin Eigenes, wenn auch mitunter aus den Quellen antiker Vorbilder und gegenwärtiger Vertrauter Geschöpftes,72 dass sie nicht einfach als Dichtung einer bestimmten philosophischen Strömung begriffen, sondern nur als Original eines Genies gewürdigt werden kann, wie sich gerade am Beispiel der Gerechtigkeit erweist. So ist Dantes Werk mit den treffenden Worten Bertrand Russells die „einzige ausgewogene Darstellung der gesamten mittelalterlichen Gedanken___________ 64 65 66 67

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Robin Kirkpatrick, Dante. The Divine Comedy, 2. Auflage, 2004, S. 4. Dante Alighieri, Monarchia, I, i, 1. Dazu Josef Kohler, Dante und die Willensfreiheit, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 12 ff. Vgl. auch Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 23, wonach die Freiheit „durchsichtig wird als das Walten der göttlichen Rechtsform, die das zum freien Tun entlassene Geschöpf in der Verantwortlichkeit bindet und zum Urteil ruft“. Herbert Grundmann, Freiheit als religiöses, politisches und persönliches Postulat im Mittelalter, Historische Zeitschrift 183 (1957), 23 ff. Dante Alighieri, Monarchia, I, xii, 2: „Propter quod sciendum quod principium primum nostre libertatis est libertas arbitrii, quam multi habent in ore, in intellectu vero pauci“. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, passim (dagegen Kurt Flasch in seinem Nachwort, ebenda, S. 229); wohl auch Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59 ff. Kurt Flasch, ebenda, verweist auf Bruno Nardi, Dante e la cultura medievale: nuovi saggi di filosofia dantesca, 1942; ders., Dal Convivio alla Commedia: Sei saggi danteschi, 1960; Etienne Gilson, Dante et la philosophie, 1939 (deutsch: Dante und die Philosophie, 1953, 4. Auflage 1986); Gianfranco Contini, Un’ idea di Dante. Saggi danteschi, 1967. Zu nennen ist Dantes Dichter-Freund, der Jurist Cino da Pistoia (Guittone Sinibaldi di Pistoia); vgl. nur Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 57 Fußnote 1.

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welt.“73 Gerade in dieser Ausgewogenheit angesichts einer Zeit grassierender Ungerechtigkeit kommt der Gerechtigkeitssinn Dantes zur Geltung. Die Monarchia belegt indes noch eine Fertigkeit Dantes, die sich aus der Göttlichen Komödie nicht unmittelbar ergibt, für ihre rechtsphilosophische Durchdringung aber gleichwohl von Bedeutung ist. Die Rede ist von der streng syllogistischen Methode, welche die Monarchia durchwirkt und ihre formale Schlüssigkeit auch dort unter Beweis stellt,74 wo man aus heutiger Sicht inhaltlich befremdet ist, namentlich bei der großangelegten Idee der Weltmonarchie.75 Diese syllogistische Form der Beweisführung spiegelt nicht nur die scholastische Provenienz des Gedankenguts wider,76 sondern ist auch der juristischen Methode mit ihrer eigentümlichen Subsumtion so verwandt,77 dass es leicht fällt, sich Dante als Juristen vorzustellen. Das gilt umso mehr, als Dante im Convivio eine Auslegungslehre entworfen hat, die den Wortsinn vom moralischen, allegorischen (bei Dichtern) und (der Theologie zugehörigen) anagogischen Sinn unterscheidet.78 Das erinnert zumindest an die auf Savigny zurückgehende Unterteilung der klassischen Auslegungskanones der juristischen Methodenlehre.79 Jedenfalls legt dieses strengen Ordnungsprinzipien verpflichtete Denken nahe, dass auch die Dichtung davon durchdrungen ist und sich in der Göttlichen Komödie zugleich jene gleichsam himmlische Form verwirklicht findet, die der göttlichen Gerechtigkeit in Dantes Vorstellung zukommt.80 Ein passionierter Dante-Forscher unter den Strafrechtlern des neunzehnten Jahrhunderts hat den Versuch unternommen, auf die Dichtung „logische Bestimmungen an(zu)wenden“, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass „alles den Untersatz für die Unterstellung unter den Obersatzes, die Gerechtigkeit und den notwendigen wahren Schluss bildet.“81 ___________ 73 74 75

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Bertrand Russell, Philosophie des Abendlandes (1950), 5. Auflage 2009, S. 16. Eingehend Dirk Lüddecke, Das politische Denken Dantes. Überlegungen zur Argumentation der Monarchia Dante Alighieris, 1999, S. 50 f. sowie – speziell zur Gerechtigkeit – S. 124. Dazu etwa Ernst-Wolfgang Böckenförde, Geschichte der Rechts- und Staatsphilosophie: Antike und Mittelalter, 2. Auflage 2006, S. 366; Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946, S. 31 ff.; Volker Mantey, Zwei Schwerter Zwei Reiche, 2005, S. 76; Markus Llanque, Politische Ideengeschichte. Ein Gewebe politischer Diskurse, 2008, S. 122. Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946, passim. Vgl. auch Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, 2008, S. 1 ff. Dante Alighieri, Convivio, II, i, 1 ff. (im Folgenden zitiert nach der von Thomas Ricklin, Francis Cheneval und Ruedi Imbach eingeleiteten, übersetzten und kommentierten Ausgabe bei Meiner, 1996–2004). Friedrich Carl von Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, 1840, Band I, S. 213 ff.; Band III, S. 244 f. Robert Spaemann, Der letzte Gottesbeweis, 2007, hat einen ähnlichen Gedanken anhand von Johann Sebastian Bachs Violin-Sonate G-Moll nachgezeichnet. Näher Helga Thoene, Die Violin-Sonate G-Moll (BWV 1001): Der verschlüsselte Lobgesang, Cöthener Bach-Hefte, 7 (1998). Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 180.

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Die vorliegende Abhandlung unterscheidet sich von vielen anderen nicht zuletzt dadurch, dass sie dem Paradiso im Verhältnis zum Inferno und Purgatorio breiteren Raum widmet. So spektakulär die im Inferno verhängten Strafen auch sind und so sinnfällig der Läuterungsweg im Purgatorio verläuft, darf doch nicht übersehen werden, dass sich erst mit Blick auf das Paradiso Dantes Verständnis der Gerechtigkeit abschließend beurteilen lässt. Die drastischen Höllenstrafen des Inferno sind systematisch nur durch die andeutungsweise im Purgatorio und eingehend im Paradiso zugrunde gelegte Konzeption der Willensfreiheit gerechtfertigt. Dantes Gerechtigkeitsvorstellung lässt sich letztlich nur vom Paradiso her begreifen. Daher ist es sinnvoll, die Terzinen, in denen es innerhalb des Inferno und Purgatorio um die Gerechtigkeit geht, auch vom Paradiso her zu lesen und zu deuten. Dann ist Dantes Gerechtigkeitssinn mehr als das subjektive Empfinden eines Einzelnen, sondern darüber hinaus die Verwirklichung einer Gerechtigkeitsidee, die das scholastische Rechtsdenken gleichermaßen voraussetzt und so individuell weiterführt, wie es eben gerade Dantes Sinn für die gerechte Ordnung entsprach.

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I. Inferno

I. Inferno 1. Gerechtigkeit als Beweggrund

I. Inferno „Die ganze Anlage des Danteschen Höllenlokals hat“ – mit den berühmten Worten Goethes – „etwas Mikromegisches und deshalb Sinnenverwirrendes“.82 Doch auch wenn die grausamen Schilderungen der Höllenstrafen die Sinne verwirren mögen, ist der Gerechtigkeitssinn der sie geschaffen hat, alles andere als verworren, sondern vielmehr strengen Ordnungsprinzipien verpflichtet. „Dantes Hölle ist ein ewiges Zuchthaus“, meint Richard Schmidt:83 „Das System, das wir bei dem Theoretiker vermissen, hier ist es poetisch da, nur nicht nach weltlichen, römischen oder stadtrechtlichen Gesetzen, sondern nach göttlichen, wie sie der Dichter versteht.“84 Das Inferno ist wie die gesamte Göttliche Komödie aus dem Bewusstsein menschlicher Sündhaftigkeit heraus geschrieben.85 Das verkünden bereits die ersten Zeilen, in denen insbesondere der dunkle Wald als Inbegriff der menschlichen Verwirrungen und Verstrickungen in Sünden erscheint.86 Den rechtsphilosophischen Bezug stellt Hugo Friedrich her, indem er diagnostiziert, der Wanderer komme „aus dem dunklen Gestrüpp seiner eignen wie der weltgeschichtlichen Rechtlosigkeit.“87 Der dunkle Wald ist auf diese Weise ein Bild für die eigene Fehlbarkeit.88 Die Erkenntnis der menschlichen Schuld,89 die bereits im Ausgangspunkt und Anfang des Gedichts das Ende aufscheinen lässt,90 weist nicht nur ___________ 82

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Johann Wolfgang von Goethe, Dante (Hamburger Ausgabe, Band 12), S. 340; der Begriff ‘mikromegisch’ geht zurück auf Voltaire, Le Micromégas, 1752, wo der Protagonist eine utopische Reise durch das All unternimmt. Zu ihm Thomas Duve, Normativität und Empirie im öffentlichen Recht und der Politikwissenschaft um 1900. Historisch-systematische Untersuchung des Lebens und Werks von Richard Schmidt (1862–1944) und der Methodenentwicklung seiner Zeit, 1998. Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches DanteJahrbuch 18 (1936), 52, 85. Eugen Biser, Überwindung der Lebensangst. Wege zu einem befreienden Gottesbild, 1996, 2. Auflage 1997, S. 39, spricht treffend von einer „Gestalt des Angstgefühls“. Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 220. Vgl. auch Egon Friedell, Kulturgeschichte der Neuzeit, 1927, S. 17: „Und ist die kompetenteste Geschichtsdarstellung, die wir bis zum heutigen Tage vom Mittelalter besitzen, nicht Dantes unwirkliche Höllenvision?“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 11. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 68. Freilich nur „zuschauend“, wie Joseph Ratzinger/Benedikt XVI. (Jesus von Nazareth, Erster Teil, Von der Taufe im Jordan bis zur Verklärung, 2007, S. 46) mit Recht bemerkt. Eugen Biser, Nietzsche und Dante. Ein werkbiographischer Strukturvergleich, NietzscheStudien 5 (1976), 146, 152.

1. Gerechtigkeit als Beweggrund

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den Weg zur Läuterung, sondern bringt zugleich den Gerechtigkeitssinn ins rechte Lot.

1. Gerechtigkeit als Beweggrund Bereits im dritten Gesang des Inferno ist in der zweiten Terzine das Motiv der Gerechtigkeit genannt:91 „Gerechtigkeit bewegte meinen Schöpfer; / erschaffen hat mich Gottes ewge Allmacht, / die höchste Weisheit und die erste Liebe.“92 Dante stellte gleich zu Beginn klar, dass es sich allein um Gottes irdischen Maßstäben unzugängliche Gerechtigkeit handelt und dass diese der alleinige Beweggrund ist.93 Daher muss in diesem Zusammenhang auch die Liebe genannt werden, deren Bezug zur Gerechtigkeit an späterer Stelle noch zur Geltung kommen wird.94 Wenn die Gerechtigkeit den Beweggrund bildet, so ist dies für Dante ohne die Liebe Gottes undenkbar.95 Indem Dante sie anfänglich nennt und zum Ausgangspunkt allen gerechten Urteilens erhebt, verweist er bereits im Anfang auf das Ende des Paradiso, so dass sich auch hier im Anfang das Ende findet. Geradezu kontrapunktisch verhält es sich mit der weltlichen Gerechtigkeit, von der es alsbald heißt: „Die Welt behält Erinnrung nicht an sie; / Gerechtigkeit verschmäht sie und Erbarmen: / Reden wir nicht von ihnen, schau und geh vorüber!“96 Die Hoffnungslosen, von denen die Rede ist, werden von der Welt vergessen und verfallen einer regelrechten damnatio memoriae. Zugleich zeigt sich darin eine gewisse Verbitterung gegenüber der erbarmungslosen Welt, welche die wahre, das heißt dem Willen Gottes verpflichtete, Gerechtigkeit verschmäht. Diese ist für Dante mit der Barmherzigkeit untrennbar verbunden, so dass sich auch in dieser Entgegensetzung das Verhältnis der Gerechtigkeit und Liebe Gottes spiegelt.97 Conrad Ferdinand Meyer, legt dem Dichter in seiner Dante-Novelle die Worte in den Mund: „Mögen die Mönche aussterben, sobald ein Geschlecht entsteht, welches die beiden höchsten Kräfte der Menschenseele, die sich auszuschließen ___________ 91 92 93 94 95 96

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Siehe dazu auch August Vezin, Inferno III, Deutsches Dante-Jahrbuch 23 (1941), 106 ff. Inferno, III, 4–6: „Giustizia mosse il mio alto fattore; / fecemi la divina podestate, / la somma sapïenza e ’l primo amore“. William Henry Vincent Reade, The Moral System of Dante’s Inferno, 1909 (Neudruck 2004), S. 23 („most lamentable defect in the methods of human law“). Monographisch dazu Gertrud Bäumer, Die Macht der Liebe. Der Weg des Dante Alighieri, 1941 (2. Auflage 1950). Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 73, nennt zusätzlich Macht und Weisheit. Inferno, III, 49–51: „Fama di loro il mondo esser non lassa; / misericordia e giustizia li sdegna: / non ragioniam di lor, ma guarda e passa.“ Zur weltlichen Gerechtigkeit deren Maßstab die göttliche ist, siehe Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 63 f. Prägnant Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Erster Teil: Die Hölle, 1954, 4. Auflage 2005, S. 63: „Die beiden Begriffe durchdringen die ganze Struktur der Göttlichen Komödie“.

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I. Inferno

scheinen, die Gerechtigkeit und die Barmherzigkeit, vereinigen lernt. Bis zu jener späten Weltenstunde verwalte der Staat die eine, die Kirche die andere.“98 Doch muss man einer rein literarisch-dichterisch fundierten Dante-Deutung – zumal dann wenn sie sich aus späteren Eingebungen speist – mit Vorsicht begegnen. Gerade in der Nachwirkung von Benedetto Croces epochalem Werk über Dantes Poesie, in dem die Trennung von Dichtung und Struktur zum Prinzip erhoben wurde,99 ergab sich auch unter seinen ursprünglichen Sympathisanten eine Hinwendung zum systematischen Fundament der Dichtung, das Karl Vossler mit Recht folgendermaßen umriss: „Der ganze Aufbau steht auf dem Boden göttlicher Liebe und Gerechtigkeit, und die Klügelei, mit der Dante ihn berechnet und aufführt, ist keine Sophistik, sondern Andacht.“100 Damit ist zugleich das Wesentliche über die Gerechtigkeit als Beweggrund der Dichtung unter der Bedingung der Liebe gesagt.

2. Strafensystem in Terzinen 2. Strafrechtssystem in Terzinen

Im fünften Gesang begegnet Dante den Wollüstigen, die entsprechend ihrer moralischen Haltlosigkeit rastlos im Kreis umhergewirbelt werden.101 Hier zeigt sich zum ersten Mal das Prinzip der allegorischen Entsprechung von Verfehlung und Strafe. So wie die Sünder auf Erden von ihren Trieben besessen waren, ergeht es ihnen bildhaft im Inferno. Es ist der berühmte contrapasso,102 den ein Sünder selbst am Ende des achtundzwanzigsten Gesangs benennt:103 „Così s’osserva in me lo contrapasso.“104 Man kann dies allenfalls annäherungsweise übersetzen mit:

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Conrad Ferdinand Meyer, Die Hochzeit des Mönchs, 1884. Dazu Benno von Wiese, Die deutsche Novelle. Von Goethe bis Kafka, Band II, 1962, S. 182 ff. Vor dem Hintergrund des hier Interessierenden instruktiv paraphrasierend Ernst Feise, „Die Hochzeit des Mönchs“ von Conrad Ferdinand Meyer: Eine Formanalyse, Monatshefte für deutschen Unterricht 1938 (= Xenion: Essays in the History of German Literature, 1950, 215): „Aus dem Stande der Barmherzigkeit (Kirche) tritt dieser Mönch aus Erbarmen in den ihm unbekannten Stand der Gerechtigkeit (Staat), in dem er verwirrt nur Verwirrung, Ungerechtigkeit, Grausamkeit und Auflösung der Ordnung stiftet“. Benedetto Croce, La poesia di Dante, 1920. Karl Vossler, Die Göttliche Komödie, Entwicklungsgeschichte und Erklärung, 1925, Band II, S. 631. Dieser Gesang steht im Mittelpunkt der eingangs zitierten Schrift von Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, Francesca da Rimini, 1942. Häufig findet sich auch die Konsonantenverdoppelung „contrappasso“; vgl. Dizionario della lingua italiana (Hg. Luigi Carrer, Fortunato Federici), 1827, S. 531. Es verwundert daher, dass die grundlegende Arbeit von William Henry Vincent Reade, The Moral System of Dante’s Inferno, 1909 (Neudruck 2004), den contrapasso soweit ersichtlich nicht eigens erwähnt. Inferno, XXVIII, 142.

2. Strafrechtssystem in Terzinen

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„Und so verwirklicht sich in mir Vergeltung.“105 Der contrapasso ist allerdings nicht Dantes eigene Erfindung, sondern beruht auf aristotelisch-thomistischem Gedankengut.106

a) Der contrapasso Erich Auerbach hat den contrapasso prägnant als das „Gesetz der konformen Vergeltung“ bezeichnet.107 Das Gesetz des contrapasso bestimmt das System der Höllenstrafen. Auch das soeben genannte allegorische Moment, das mit dem contrapasso einhergeht und das seine besondere Eindringlichkeit mit aller Schärfe sichtbar macht, hat Auerbach treffend als von „fast pedantisch genauer Konkretheit“ gekennzeichnet. Vor allem hat er die „gleichmäßig ordnende Kraft der Aussage“ gesehen, welche die moralische Ordnung des Inferno bestimmt.108 Auf dieser Grundlage hat er herausgearbeitet, dass die Bestrafung streng rational erfolgt,109 was im Übrigen damit zusammenhängt, dass die Strafe die Lücke schließt, die sich infolge der Verfehlung in der sittlichen Weltordnung aufgetan hat.110 Wie hoch entwickelt Dantes Strafrechtsdenken war, wird deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, dass eine systematisch ausgerichtete Strafrechtswissenschaft seinerzeit erst in den Kinderschuhen steckte und nicht einmal nennenswerte Vorbilder im römischen Recht vorfand, so dass die Erkenntnis notwendiger Rationalität für sich betrachtet schon einen – auch wissenschaftlich nicht hoch genug zu veranschlagenden – Fortschritt bedeutet, der nur als Ausweis eines geordneten Gerechtigkeitssinns begriffen werden kann.111 ___________ 105

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Walther von Wartburg, S. 340; Otto Gildemeister übersetzt: „So wird Vergeltungsrecht geübt an mir“. Hartmut Köhler, S. 437, lässt den problematischen Begriff unübersetzt: „So wird bei mir das Kontrapassum beachtet“. Aristoteles, Nikomachische Ethik, V, 8; Thomas von Aquin, Summa theologica, II, 61, 4 („aequalem recompensationem passionis ad actionem praecedentem“). Siehe auch Teodolinda Barolini, Dante and the Origins of Italian Literary Culture, 2006, S. 74; Mark Musa, Commentary: Divine Comedy, 2004, S. 381. Hier und im Folgenden Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 137 f. Siehe auch Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 123 zum Sinn von Dantes Hölle, wonach „der Sinn der Strafe, mit der der Böse sich identifizieren muss, im negativen Beitritt zur Rechtsordnung im Ganzen liegt“. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 139; dazu Vittorio Santoli, Studi danteschi 15 (1931), 92 ff. Franz Hettinger, Die Göttliche Komödie des Dante Alighieri nach ihrem wesentlichen Inhalt und Charakter. Ein Beitrag zu deren Würdigung und Verständniß, 1880, S. 287 ff.; Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 46 (= HKW 1, 134, 188). Treffend Claus-Wilhelm Canaris, Die Europäische Union als Gemeinschaft des Rechts, S. 179, 181: „Entstehung des Rechts aus dem Geiste des rationalen Diskurses“ (ebenfalls zu einem literarischen Beispiel). Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 53, macht darauf aufmerksam, „dass die Literatur des praktischen Strafrechts gerade innerhalb Dantes eigener Lebenszeit in einem

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I. Inferno

Im Übrigen ist die strenge Rationalität der Strafzumessung auch heute noch einer der wichtigsten Grundsätze, der nicht durch diffuse richterliche Eigenwertungen ausgehöhlt werden darf, wie namentlich Claus Roxin hervorhebt: „Auch das erst in der Nachkriegszeit in den Rang einer eigenständigen Disziplin aufgestiegene Strafzumessungsrecht entwickelt sich nicht etwa auf ein durch individuelle richterliche Wertung auszufüllendes richterliches Ermessen, sondern geht gerade umgekehrt auf die systematische Ordnung und rationale Kontrollierbarkeit der kriminalpolitisch motivierten Zumessungskriterien hin.“112 Hieran zeigt sich paradigmatisch, wie auch das moderne Recht noch mutatis mutandis von der Gerechtigkeitsvision eines hochmittelalterlichen Dichters und Rechtsdenkers lernen kann. Auerbach hat den Gedanken der rationalen Strafzumessung in einen ebenso langen wie beeindruckenden Satz gefasst, der auch deshalb wörtlich wiedergegeben zu werden verdient, weil er Dantes Strafrechtsordnung mit ihrem eigentümlichen allegorischen Sinn zusammenfasst:113 „Wenn die Sklaven der Begierden im Sturmwind umhergetrieben werden, die Schwelger im kalten Regen am Boden kauern, die Zornigen im Sumpf sich streiten, die Selbstmörder in Sträucher verwandelt sind, welche eine hindurchjagende Meute zerreißt und bluten macht, wenn die Schmeichler im menschlichen Kot, die Verräter im ewigen Eise stecken – so sind diese mageren Beispiele aus Dantes Reichtum nicht beliebige Produkte einer schweifenden Fantasie, die Grauenvolles zu häufen sucht, sondern das Werk eines ernsten prüfenden Verstandes, der jeder Sünde das ihr Zukommende gewählt hat, und der aus dem Bewusstsein der Gerechtigkeit seiner Wahl, ihrer Konformität mit der göttlichen Ordnung, die Kraft schöpft seinen Worten und Bildern eine gewaltige, bewunderungswürdige Anschaulichkeit zu verleihen.“114 Nicht zuletzt die Bemessung nach dem der Sünde Zukommenden spiegelt das Gerechtigkeitsprinzip des suum cuique wider, von der die Monarchia beiläufig berichtet.115 Nach dem Gesetz des contrapasso widerfährt jedem Sünder im Inferno das Seine da___________

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entscheidenden, für dieses Rechtsgebiet bedeutsamen Aufstieg begriffen ist. Erst damals nimmt es die eigentliche Wendung zur systematischen Lehre, zum Wissenschaftszweig, und das nicht nur im Vergleich mit der unmittelbaren Vergangenheit, sondern auch – was mehr besagt – im Gegensatz zur gesamten antiken, einschließlich der römischen Rechtsliteratur“. Claus Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auflage 1973, S. 11; Hervorhebung nur hier. Siehe aber auch Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177; Kenelm Foster, Religion and Philosophy in Dante, in: The Mind of Dante (Hg. U. Limentani), 1965, S. 47. Instruktiv Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Erster Teil: Die Hölle, 1954, 4. Auflage 2005, Einleitung, S. 14 f.: „Das Strafsystem der Hölle beruht auf dem Prinzip der vendetta, der Rache oder besser der Vergeltung Gottes. (…) daher kommt der tiefe sittliche und religiöse Ernst, mit dem Dante, zwar nicht ohne Leidenschaft, doch mit einem unerschütterlichen Verantwortungsbewusstsein, die Strafen der Hölle aus der ewigen Gerechtigkeit Gottes herleitet. Dante lässt sich dabei durch die Idee des contrappasso leiten, der angemessenen Strafform“. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 139 f. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 7.

2. Strafrechtssystem in Terzinen

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durch, dass er die Zuwiderhandlung im übertragenen Sinn und dadurch selbst zum Opfer geworden immerfort aufs Neue begehen muss.116

b) Rationalität des Strafvollzugs und künstlerische Sublimierung Dantes Gerechtigkeitssinn spiegelt sich also auch und gerade in der Rationalität der Bestrafung und im Strafvollzug. Es handelt sich nicht um blindlings verhängte Strafen, die einer plötzlichen und willkürlichen Eingebung geschuldet sind, sondern Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe, entsprechen einander.117 Indem jeder nach dem eigentümlichen Unwert seiner Tat abgeurteilt wird, wird ihm das Seine zugewiesen:118 „Da die Gerechtigkeit eine Tugend ist, welche die andern Menschen betrifft, wie kann da jemand der Gerechtigkeit entsprechen ohne das Vermögen, jedem das Seine zu geben?“119 Die Gerechtigkeitsvorstellung des suum cuique erschöpft sich nicht in einem vergleichsweise rudimentären Talionsprinzip,120 sondern gewinnt durch die allegorische Verdeutlichung und ihre künstlerische Sublimierung eine regelrecht poetische Dimension. Abegg spricht – allerdings in anderem Zusammenhang – einprägsam von „poetischer Gerechtigkeit.“121 Das moralische Unwerturteil haftet der Tat so unmittelbar an, dass ihre Begehung sogleich eine bildliche Verallgemeinerung zulässt. In diesem Bild bleibt der Täter dann auf ewig gefangen. Die allegorische Abstraktion, durch die der Delinquent einem Tätertyp zugeordnet wird, führt paradoxerweise – und nicht zuletzt dies veranschaulicht die eminente poetische Kraft Dantes122 – zu einem ganz konkreten Unrechtsurteil. Der Täter wird systematisch und immer aufs Neue mit seiner Tat konfrontiert. Was der ___________ 116

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Friedrich Freiherr von Falkenhausen, Dantes Vergeltungsidee, Deutsches Dante-Jahrbuch 14 (1932), 61 f., fasst das kontraintuitive Moment, das dem contrapasso innewohnt, so zusammen: „In der Regel besteht Dantes Höllenstrafe nicht darin, dass der Sünder dasselbe zu leiden hat, was er auf Erden anderen angetan hatte, sondern im Gegenteil darin, dass er fortfahren muss, das zu tun, was er im Leben wider Gottes Gebote tat“. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 67, bemerkt treffend: „Unless the reader feels that the punishments of the wicked and the rewards of the good are rationally ordered, the purpose of Dante is unfullfilled.“ – Damit hat Gilbert die Rationalität des Strafvollzugs noch vor Auerbach erkannt und als solche bezeichnet. Jenseits dessen sieht Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, S. 93, hierin eine aristotelische Grundlage unter Verweis auf Aristoteles, Nikomachische Ethik V, 3. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 7: „nam cum iustitia sit virtus ad alterum, sine potentia tribuendi cuique quod suum est quomodo quis operabitur secundum illam?“. Das Talionsprinzip betont Wallace Fowlie, A Reading of Dante’s Inferno, 1981, S. 180: „The contrapasso is the biblical lex talionis, the law of the talion, which adjusts the severity of the reparation to the gravity of the crime.“ Siehe auch Wolfgang Gast, Gerechtigkeit mit dem Spiegel. Ius Talionis im Alten Orient und in Dantes Commedia, Festschrift für Reinhold Trinkner, 1995, S. 29 ff.; dens., Juristische Rhetorik, 4. Auflage 2006, S. 203 mit Fußnote 24. Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 220. Zu ihr Benedetto Croce, La poesia di Dante, 1920.

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I. Inferno

Dichter Dante mit einem unerbittlichen Ordnungs- und Gerechtigkeitssinn festlegt, erfährt der neben Vergil das Inferno durchwandernde Dante so sinnfällig wie irgend möglich als Vollstreckung der Gerechtigkeit:123 „Je schwerer Gott ein Verbrechen bewertet, je größer (…) sein Zorn darüber ist, desto furchtbarer werden die darüber verhängten Strafen.“124 Der Gang des Wanderers durch das Inferno wird so zu einer systematisch angeleiteten und vernunftmäßig erlernten Einübung in die gerechte Ordnung, deren rational durchstrukturierte Härte es mit sich bringt, dass jeglicher Anflug von Mitleid im Keim erstickt wird,125 weil er aus Sicht des Dichters den Gerechtigkeitssinn trübt.126 Im Inferno entwickelt Dante ein regelrechtes Strafensystem in Terzinen, das er im Purgatorio vervollkommnen wird.

3. Florenz als Paradigma der ungerechten Welt 3. Florenz als Paradigma der ungerechten Welt

Inmitten dieser groß angelegten Schau auf die Todsünden kommt Dante immer wieder auf die kleinteiligen Zwistigkeiten seiner Heimatstadt Florenz zurück. So fragt er gleich darauf im sechsten Gesang:127 „Doch sag mir, wenn du’s weißt, wohin gelangen / Die Bürger noch der Stadt, der vielgespaltnen? / Ob einer noch gerecht? Und sage mir den Grund, / warum so große Zwietracht sie befallen?“128 Erst drei Terzinen weiter folgt die verblüffende Antwort: „Zwei sind gerecht, doch niemand hört auf sie. / Hochmut und giftger Neid und Geiz / sind die drei Funken, die die Herzen zünden.“129 Die Kommentarliteratur geht davon aus, dass die genannten zwei hier gleichsam für wenige stehen und dass jedenfalls Dante selbst sich diesen zurechnet.130 Folgt man dieser schlüssigen Ansicht, für die nicht zu___________ 123

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Treffend Hugo Friedrich, die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 117: „Dem Dichter Dante geht es nicht anders als dem Wanderer: er ‘entdeckt’ nicht Wahrheiten, sondern er empfängt sie. Als Wanderer empfängt er sie aus der Schau der rechtlichen Seinsordnung selber, als Dichter aus der überlieferten Lehre“. Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches DanteJahrbuch 18 (1936), 52, 89, wenig später (S. 90) mit dem trockenen Zusatz: „Zweifellos für uns nichts Neues, da der Jurist von heute es (sc. das Prinzip der Abstufung) ja in unserm Strafgesetzbuch und in allen entwickelten Strafgesetzen der Welt mehr oder minder vollkommen findet!“. Das Mitleid erregende Moment und die gnadenbringende Bedeutung der strafenden Vergeltung betont Friedrich Freiherr von Falkenhausen, Dantes Vergeltungsidee, Deutsches DanteJahrbuch 14 (1932), 61 ff. Siehe zum Ganzen auch Michele Barbi, Razionalismo e misticismo in Dante, Studi Danteschi 17 (1933), 5 ff. Zu ihm Giovanni de Caesaris, Il canto VI dell’Inferno, 1923. Inferno, VI, 60–63: „ma dimmi, se tu sai, a che verranno / li cittadin de la città partita; / s’alcun v’è giusto; e dimmi la cagione / per che l’ha tanta discordia assalita“. Inferno, VI, 73–75: „Giusti son due, e non vi sono intesi; / superbia, invidia e avarizia sono / le tre faville c’hanno i cuori accesi“. Walther von Wartburg, S. 109. Der andere Gerechte könnte Dantes Freund Cavalcanti gewesen sein (zu ihm Inferno, X, 60 f.). Hartmut Köhler (S. 97) hält dafür, dass es sich um eine „biblisch-allgemeine Sprechweise“ handelt.

4. Gerechtigkeitsgefüge zwischen Verfehlung und Strafe

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letzt spricht, dass Dante sich im Verein mit Vergil als einen der Beiden gemeint haben könnte, so entsteht unweigerlich der Eindruck einer gewissen Selbstgerechtigkeit. Diese erweist sich jedoch als Stilmittel, durch das göttliche und irdische Gerechtigkeit zueinander ins rechte Verhältnis gesetzt werden. Dem großen Ganzen steht die engherzige und ungerechte Welt gegenüber, deren bestes Beispiel für Dante seine Heimatstadt Florenz darstellt. Zugleich lässt die im Ausgangspunkt zitierte Stelle den Schluss zu, dass Dante sich aufrichtig um die Zukunft – und das bedeutet in der Göttlichen Komödie nicht zuletzt: das Seelenheil – der Bürger sorgt, die in einem vom Bürgerkrieg erschütterten Gemeinwesen leben, an dessen Zerrissenheit sie nicht notwendigerweise mitschuldig sind. Dantes Gerechtigkeitssinn erschöpft sich hier nicht retrospektiv im Zorn auf den Ort seines Falls, sondern erstreckt sich zugleich vorausschauend auf das Schicksal derer, die an diesem Ort leben (müssen) und ihn mehr oder weniger politisch gestalten (können).

4. Gerechtigkeitsgefüge zwischen Verfehlung und Strafe 4. Gerechtigkeitsgefüge zwischen Verfehlung und Strafe

Der elfte Gesang offenbart einen Blick in das Gerechtigkeitsgefüge, das zwischen Strafe und Verfehlung besteht.131 Vergil beginnt zunächst ganz allgemein: „Ein jedes Böse, das der Himmel hasst, / hat Unrecht nur zum Ziel, und solches Ziel, / brauch’s Trug, brauch’ es Gewalt, verletzet andre.“132 Hier kommt der zentrale Begriff des Unrechts zur Geltung, den Dante der aristotelischen Rechtslehre entlehnt hat.133 Die nachfolgende Darstellung des Betrugstatbestandes, dessen besondere Verwerflichkeit durch Ciceros Moraltheorie geprägt sein könnte,134 zeigt eine eigentümliche Unterscheidung, die Dantes Gerechtigkeitssinn offenbart: Betrüger, die ein persönliches Vertrauensverhältnis missbrauchen, sind in einem niedrigeren Höllenring angeordnet als „einfache“ Betrüger.135 Das in der Prämisse zum Ausdruck kommende Postulat des neminem laedere erfährt somit eine Präzisierung, die je nach dem Geschädigten differenziert. Die moralische Ordnung gilt grundsätzlich erga omnes, verfährt aber gleichwohl nicht ohne Ansehen der Person. Denn die Untat wird umso größer als der Schädiger dem Geschädigten nahesteht und dieser sich gegenüber jenem sicher zu wissen glaubt. Der Vertrauensmissbrauch haftet der Tat so unmittelbar an, dass diese Qualifizierung nach dem Gesetz der konformen Vergeltung auch entsprechend geahndet werden muss, ohne ___________ 131 132 133

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In einem übergeordneten Zusammenhang dazu Hugo Friedrich, Das Gefüge der Göttlichen Komödie, 2. Auflage 1967. Inferno, XI, 22–24: „D’ogne malizia, ch’odio in cielo acquista, / ingiuria è ’l fine, ed ogne fin cotale / o con forza o con frode altrui contrista“. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Erster Teil: Die Hölle, 1954, 4. Auflage 2005, S. 197 („Grundbegriff des Aristoteles, ist der Oberbegriff in Dantes Rechtsdenken, hier zunächst allgemein, im Folgenden auf Gott bezogen als den Urheber aller Gerechtigkeit“). Hartmut Köhler (S. 165) verweist auf Cicero, De officiis, XIII, 41. Siehe dazu aus dem rumänischen Schrifttum Doru Cosma, De la Dante la Zola, 1978, S. 20 f.

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dass dies die durch und durch rationale Ordnung des contrapasso durchbricht, sondern sie sogar aufgrund des evidenten Gerechtigkeitsgehalts des straferschwerenden Umstandes bestätigt.136

5. Durchbrechung des äußeren Normgefüges 5. Durchbrechung des äußeren Normgefüges

Wie sehr der objektive Sinn der göttlichen Gerechtigkeit von Dantes eigenem Gerechtigkeitssinn sich unterscheidet, veranschaulicht eine Zurechtweisung Vergils gegen Ende des elften Gesangs:137 „Wenn dieser Lehre Sinn du recht betrachtest, / und dich erinnerst, wer denn jene sind, / die weiter oben ihre Pein erdulden; / Dann siehst du wohl, warum von diesen Sündern / sie abgetrennt und warum wen’ger grausam / die göttliche Gerechtigkeit sie martert.“138 Auch hier ist es gerade Dantes Subjektivismus, der die gottgewollte und gerechte Ordnung ansatzweise zu verstehen hilft. Die göttliche Gerechtigkeit ist aus Dantes Sicht inkommensurabel für den menschlichen Geist und bedarf daher einer Verständnishilfe, die durch das allmählich erkennende Subjekt geschaffen wird. Indem sich Dante nicht allwissend gibt, sondern seiner Bedingtheit bewusst und der geistlichen Führung eines klassischen Lehrers bedürftig zeigt, kann er unter Vergils Anleitung allmählich den Geltungsgrund des göttlichen Gesetzes in sich aufnehmen. Diese Innenschau durchbricht das äußere Normgefüge und erhellt es zugleich. Der Subjektivismus der Dichtung veranschaulicht auf diese Weise den jeweiligen Erkenntnisstand Dantes. Sein Gerechtigkeitssinn ist gerade im Inferno noch nicht vor unkontrollierten Ausschlägen gefeit. Gerade unter dem Eindruck der fremden Verstrickung in Schuld und das unerbittliche Gericht zeigt sich beim Wanderer durch das Inferno eine überschießende Innentendenz des Gerechtigkeitssinns, der noch keine wahrhafte moralische Gesinnung offenbart.

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Eine philosophische Durchdringung der Göttlichen Komödie unter Berücksichtung der möglichen Strafzwecke stammt von Gerhard Ledig, Die Göttliche Komödie unter strafphilosophischem Gesichtspunkt, Deutsches Dante-Jahrbuch 17 (1935), 20 ff. Dazu Pasquale Fornari, Il canto XI dell’Inferno, 1940. Inferno, XI, 85–90: „Se tu riguardi ben questa sentenza, / e rechiti a la mente chi son quelli / che sù di fuor sostegnon penitenza, / tu vedrai ben perché da questi felli / sien dipartiti, e perché men crucciata / la divina vendetta li martelli.“ – Mitunter wird hier auch statt „divina vendetta” gelesen: „divina giustizia”. Beide Begriffe werden im Wesentlichen gleichbedeutend gebraucht und stehen für die strafende Gerechtigkeit Gottes; vgl. Inferno, VII, 12; XIV, 16; XVIII, 96; XXIV, 120; Purgatorio, XX, 47; XX, 95; XXI, 6; XXXIII, 36; Paradiso, VI, 93; XVII, 53; XXII, 14. Näher Gino Arias, Le istituzioni giuridiche mediecai nella Divina Commedia, 1901.

6. Unrecht als Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung

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6. Unrecht als Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung 6. Unrecht als Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung

Auch beim Suizid ist es das bereits oben angesprochene Prinzip der allegorischen Entsprechung von Verfehlung und Strafe, aus dem sich die Bestrafung erklärt.139 Der Selbstmörder wird zu seelenlosem, verdorrtem Gestrüpp, weil er sich seines Lebens achtlos begeben hat und daher seine Leiblichkeit bildhaft verliert:140 „Doch meine Seele wähnt’ in zorngem Mut, / sie könnt’ der Schmach entfliehen durch den Tod, / und gegen mich Gerechten tat ich Unrecht.“141 Dieses Selbstbekenntnis der eigenen Verfehlung ist bezeichnend für das Inferno und Purgatorio.142

a) Die eigentümliche Einordnung Catos Eine vieldiskutierte Ausnahme macht Dante nur für Cato,143 der, seinen stoischen und altrömischen Idealen ergeben, den Verlust der Freiheit nicht ertragen will und lieber freiwillig aus dem Leben scheidet.144 Diese Haltung Catos nötigt Dante bereits im Convivio Respekt ab,145 der sich in der Monarchia noch erhöht.146 Obwohl er Heide ist, wird er gerettet, so dass ihn manche Interpreten als figura Christi begreifen.147 Es ist wohl die Ausübung der inneren Gewissensfreiheit,148 die eine Ausprägung richtig verstandener – nämlich dem göttlichen Gebot letztlich gehorchender – Willensfreiheit darstellt und Cato, womöglich durch Dantes VergilLektüre beeinflusst,149 nicht der Verdammnis anheim fallen lässt.150 Der Mensch, der Gottes Gebot befolgt und sich dem Leiden unterwirft, ist von Grund auf gerecht und kann dies – freilich erst im Nachhinein – erkennen. Durch diese Nach___________ 139 140 141

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Inferno, XII, 133. Für Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 89, „Dante’s whole treatment of the suicides is curious“. Inferno, XIII, 70–72: „L’animo mio, per disdegnoso gusto, / credendo col morir fuggir disdegno, / ingiusto fece me contra me giusto.“ Dazu auch die Stilanalyse von Leo Spitzer, Romanische Literaturstudien, 1959, S. 544 ff. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 134: „Selbstwissen der Rechtsverletzung“. Costantino Cipolla, Catone Uticense, custode del Purgatorio, 1900; Virgilio Gentilini, Catone in Dante e in Lucano, 1903; E. Trucchi, Intorno al Catone dantesco, 1935. Gegen Aurelius Augustinus, De Civitate Dei, I, 24; 17, 20, 26, aber im Einklang mit Thomas von Aquin, Summa theologica, III, 96, 6. Dante Alighieri, Convivio, IV, v, 16; vi, 10; xxviii, 15. Dante Alighieri, Monarchia, II, v, 15.-17. Zur werkimmanenten Entwicklung Bruno Nardi, Dal ‘Convivio’ alla ‘Commedia’: Sei saggi danteschi, 1960. Erich Auerbach, Neue Dantestudien, 1944, S. 11, 52 ff.; Gerhard Kurz, Metapher, Allegorie, Symbol, 5. Auflage 2004, S. 47. Vgl. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 38, spricht von der „Freiheit des Willens, die die Voraussetzung zur Entscheidung für das Gute und damit den Aufstieg der Seelen zu Gott bedeutet“. Vergil, Aeneis, VIII, 670: „Secretosque pios, bis dantem iura Catonem.“ Purgatorio, I, 31.

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träglichkeit der Erkenntnis die erst einsetzt, wenn es zu spät ist, entsteht abermals der Eindruck der Selbstgerechtigkeit, der freilich auch hier trügt, weil der mit dem Subjekt verknüpfte Gerechte nicht aus eigener Kraft gerecht ist, sondern nur solange und soweit er sich dem Richtspruch unterwirft und ein gottgefälliges Leben führt. Unrecht ist also jegliches Aufbegehren gegen die göttliche Ordnung. An anderer Stelle ist es nicht der vermeintliche Verrat, sondern der Freitod des Verräters, der ihn in die Hölle führt, was Richard Schmidt in einer für den vorliegenden Zusammenhang aufschlussreichen Weise kommentiert: „Freilich, gerade die letzte Erscheinung macht deutlich, wie das Gerechtigkeitsgefühl des Dichters sich der individuellen Lagerung des Falles gegenüber auswirkt und wie sein Ausgleichsbedürfnis ihr Rechnung trägt, sich selbst strenge Grenzen zieht.“151 Es ist also durchaus bezeichnend für Dantes Gerechtigkeitssinn und zeigt sich gerade am Beispiel der Person Catos, dass der Dichter – wie im Übrigen jeder gute Jurist – bei aller Achtung der Regel die Besonderheiten des Falles gewichtet. Catos Ausnahme von der Verdammnis bestätigt so die Regel der Willensfreiheit mit allen ihren Heimsuchungen und Konsequenzen.

b) Weltliche Kontingenz und Freiheit des Willens Den die Sittlichkeit stiftenden Glauben an den freien Willen hat Dante auch in einer für ihn kontingenten, ungerechten und willkürlichen Welt nicht verloren,152 wie Jacob Burckhardt zu bedenken gibt, wenn er sich fragt:153 „Oder war es eigene Spekulation, Einwirkung der Tagesmeinung, Grauen vor dem die Welt beherrschenden Unrecht, wenn er die spezielle Vorsehung völlig aufgab?“154 Und er gibt sogleich zur Antwort, was die sittliche Kraft zur Selbstbestimmung ausmacht: „Sein Gott überlässt nämlich das ganze Detail der Weltregierung einem dämonischen Wesen, der Fortuna, welche für nichts als für Veränderung, für das Durcheinanderrütteln der Erdendinge zu sorgen hat und in indifferenter Seligkeit den Jammer der Menschen überhören darf. Dafür hält er aber die sittliche Verantwortung des Menschen unerbittlich fest; er glaubt an den freien Willen.“155 Dieser unerschütterliche Glaube an den freien Willen, die Willensfreiheit als Axiom, bietet so die Legitimation des unerbittlichen Weltgerichts. Auch wenn Burckhardt hier womöglich ein zu zynisches Bild malt, das der Vielschichtigkeit von Dantes Gottesverständnis nicht ganz gerecht wird, und auch wenn der die Grundhaltung, die Dante in der Monarchia einnimmt,156 zumindest nicht erschöpfend berücksich___________ 151 152

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Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches DanteJahrbuch 18 (1936), 52, 104; Hervorhebung nur hier. Siehe auch Karlheinz Stierle, Der Schrecken der Kontingenz – ein verborgenes Thema in Dantes Commedia, in: Kontingenz und Ordo. Selbstbegründung des Erzählens in der Neuzeit (Hg. Bernhard Greiner/Maria Moog-Grünewald), 2000, S. 29 ff. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 10. Auflage 1908, S. 227. Unter Verweis auf Inferno, VII, 67–96. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, S. 227. Dante Alighieri, Monarchia, I, i–iv; II, ii.

7. Entsprechung von Macht und Gerechtigkeit

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tigt,157 hat er durch diese Überzeichnung eine Einsicht freigelegt, die den mitunter hart anmutenden Gerechtigkeitssinn des Dichters der Göttlichen Komödie erklärt.

7. Entsprechung von Macht und Gerechtigkeit 7. Entsprechung von Macht und Gerechtigkeit

Ungerecht ist in Dantes Vorstellung von der göttlichen Gerechtigkeit der Selbstsüchtige. Im Materiellen ist daher gerade der Habsüchtige von Grund auf sündig. Seine Bestrafung resultiert aus der Durchbrechung der irdischen Ordnung, die nach aristotelischer Denkart die Gleichheit der Menschen in Frage stellt und daher das Gemeinwesen gefährdet.158 Die Sinnwidrigkeit der Habsucht und ihre Verfehlung gegenüber dem göttlichen Gesetz ist so evident, dass ihr Scheitern von vornherein feststeht: „Und einem gleich, der gern zusammenrafft, / und dann die Zeit erreicht, da er verlieren muss, / so dass er weint und klagt in seinem Denken“.159 Die schändlichste Form der Habsucht ist für Dante die Simonie, also die nach Simon aus Samaria benannte Form der Merkantilisierung göttlicher Gnade durch irdische Güter,160 die zu einer Entweihung sondergleichen führt: „O Simon Magus, o elend Gefolge, / die Gottes Dinge ihr, die nur der Tugend / vermählt sein sollen, gierig Räubervolk, / Um Gold und Silber buhlerisch verschachert – / für euch soll die Drommete jetzt erschallen, / für euch, die ihr im dritten Graben steckt!“161 Dieser Niedrigkeit der Gesinnung stellt Dante die göttliche Einsicht gegenüber, nach der Macht und Gerechtigkeit einander entsprechen: „O höchste Weisheit, welch erhabne Kunst / zeigst du im Himmel, auf der Erde, in der Hölle, / und wie gerecht verteilt doch deine Macht.“162 Weisheit bedeutet hier nicht anderes als Gerechtigkeit.163 Die gerechte Machtverteilung nach dem Richtspruch göttlicher Gerechtigkeit divergiert deutlich von der durch Menschenhand geschaffenen Durchbrechung der Machtverhältnisse, die Dante weiter oben an einer Stelle bezeichnet, die geradezu den Gegenbegriff zum Gleichmaß von Macht und Recht der göttlichen ___________ 157

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Vgl. Dirk Lüddecke, Das politische Denken Dantes. Überlegungen zur Monarchia Dante Alighieris, 1999, S. 13 ff., 90 f.: „Der welthistorische Prozess gewinnt seinen Sinn vielmehr im Bezug zur Ordnung der göttlichen Vorsehung, zur lex aeterna, zu deren wahrhaft kundigen Ausleger sich Dante stilisiert“. Walther von Wartburg, S. 42; näher Martin Grabmann, Studien über den Einfluss der aristotelischen Philosophie auf die mittelalterlichen Theorien über das Verhältnis von Kirche und Staat, 1934. Inferno, I, 55–57: „E qual è quei che volontieri acquista, / e giugne ’l tempo che perder lo face, / che ’n tutti suoi pensier piange e s’attrista“. Apostelgeschichte 8, 9–24. Inferno, XIX, 1–6: „O Simon mago, o miseri seguaci / che le cose di Dio, che di bontate / deon essere spose, e voi rapaci / per oro e per argento avolterate, / or convien che per voi suoni la tromba, / però che ne la terza bolgia state“. Siehe dazu Piero Misciatelli, Il canto dei simoniaci, Pagine Danteschi 1920, S. 69 ff. Inferno, XIX, 10–12: „O somma sapïenza, quanta è l’arte / che mostri in cielo, in terra e nel mal mondo, / e quanto giusto tua virtù comparte!“. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Erster Teil: Die Hölle, 1954, 4. Auflage 2005, S. 295.

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I. Inferno

Gerechtigkeit markiert: „Drum herrscht ein Volk, das andre liegt darnieder, / je wie es ihrem Urteilsspruch gefällt, / der sich verbirgt wie in dem Gras die Schlange.“164 Der hier angesprochene Urteilsspruch ist der denkbar niedrigste, was bildhaft durch die im Gras versteckte Schlange verdeutlicht wird.165 In der irdischen Machtverteilung regiert die Arglist, die Unrecht hervorbringt.166

8. Maß der Gerechtigkeit 8. Maß der Gerechtigkeit

Aus der Gerechtigkeit des göttlichen Richtspruchs folgt etwas, das Dante erst noch lernen muss und daher unmittelbar auf seinen Gerechtigkeitssinn einwirkt. Die christliche Tugend des Mitleids nämlich erfährt den schärfsten Widerspruch dort, wo sie den göttlichen Richtspruch in Frage stellt. Im zwanzigsten Gesang äußert Dante Mitleid mit jenen Sündern, deren Los ihn zu Tränen rührt.167 Dante spricht den Leser unmittelbar an, indem er sich mit ihm in der Weise gemein macht, dass er sich als einer von ihnen zu erkennen gibt, denen die rechte Richtung des Mitleids verschlossen ist: „O Leser, wenn mit Gottes Hilfe dir / dein Lesen Früchte tragen soll, bedenke, / wie konnte denn mein Antlitz trocken bleiben, / Als ich aus nächster Nähe unser Bild / so ganz verkehrt erblickte, dass die Tränen / die Hinterbacken netzten in der Furche.“168 Abermals schaltet Dante sich als Mittler zwischen der Erklärung göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Beschränkung ein, um dem Mitgefühl die richtige Richtung zu weisen. Vergil maßregelt Dante im buchstäblichen Sinne, indem ihm das rechte Maß der waltenden Gerechtigkeit gewiesen wird,169 die auch und gerade durch falsch verstandenes Mitleid nicht in Frage gestellt werden darf: „Da wahrlich lehnt’ ich weinend mich an einen / der Felsen an des rauhen Riffs, drum sprach / Vergil: «Bist du auch einer von den Toren?170 / Hier lebt das Frommsein, wenn Erbarmen starb. / Wer ist verworfener als jener wohl, / der Mitleid fühlt bei

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Inferno, VII, 82–84: „per ch’una gente impera e l’altra langue, / seguendo lo giudicio di costei, / che è occulto come in erba l’angue“. Das Bild bezieht sich auf Vergil, Bucolica, III, 13: „latet anguis in herba“. Inferno, VII, 93. Näher Pier Liberale Rambaldi, Il canto XX dell’Inferno. Dante contro la magia, 1904; Francesco d’Ovidio, Dante e la magia, Studi sulla Divina Commedia, 1901, 76 ff.; ders., Esposizione del Canto XX dell’Inferno, 1902; Gerhard Ledig, Wahrsager, Diebe und Fälscher im Inferno, Deutsches Dante-Jahrbuch 22 (1940), 85. Inferno, XX, 19–24: „Se Dio ti lasci, lettor, prender frutto / di tua lezione, or pensa per te stesso / com’ io potea tener lo viso asciutto, / quando la nostra imagine di presso / vidi sì torta, che ’l pianto de li occhi / le natiche bagnava per lo fesso“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 178, wonach durch die Sinnlosigkeit des Mitleids mit den Gerichteten die Unerbittlichkeit und höchste Instanz des richtenden Rechts pointiert wird“. Vgl. Matthäus, 15, 16.

9. Schärfung des Gerechtigkeitssinnes

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göttlichem Gericht?»“.171 Die rhetorische Frage offenbart dem Menschen seine niedrige Gesinnung, die nicht in der Lage ist, die Dinge in die rechte Ordnung zu bringen.172

9. Schärfung des Gerechtigkeitssinns 9. Schärfung des Gerechtigkeitssinnes

Auf diese Weise wird der Leser Zeuge, wie sich Dantes Gerechtigkeitssinn allmählich schärft, aber eben auch verhärtet. Die gute Anlage des teilnehmenden Mitgefühls wird durch die Zurechtweisung bloßgestellt und zeigt dem Menschen, dass er von vorn beginnen muss, wenn er die Gerechtigkeit der göttlichen Ordnung erkennen möchte.173 Das falsch empfundene Mitgefühl solidarisiert Dante mit den Sündern, erhebt ihn aber nicht über sie, sondern macht ihn gleichsam zum Komplizen.

a) Das Recht in den drei Zeitaltern Der Gerechtigkeitssinn Dantes erfährt so eine Entwicklung, die beispielhaft veranschaulicht, dass die göttliche Gerechtigkeit nichts mit dem äußerlichen Affekt zu tun hat. Der beschränkte und bedingte Gerechtigkeitssinn des Menschen erweist sich als brüchiges Fundament des gerechten Urteils, wenn er nur auf sich selber sieht und die göttlichen Gesetze außer Betracht lässt. aa) Joachim de Fiores Lehre Dante denkt in der Lehre der Zeitalter des Joachim de Fiores.174 Diese Lehre trennt zwischen dem Zeitalter des Vaters, also jenem des Alten Testaments vor Christi Geburt, und dem des Sohnes post Christum natum, das heißt des Neuen Testaments, nach dem schließlich das Zeitalter des Heiligen Geistes anbricht. Es ist eine „dreistufige Geschichtsentwicklung“, deren dritte Stufe – das Zeitalter des heiligen Geistes – „eine Kirche freier Erfüllung der Bergpredigt aus der Kraft des ___________ 171

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Inferno, XX, 25–30: „Certo io piangea, poggiato a un de’ rocchi / del duro scoglio, sì che la mia scorta / mi disse: «Ancor se’ tu de li altri sciocchi? / Qui vive la pietà quand’ è ben morta; / chi è più scellerato che colui / che al giudicio divin passion comporta?»“. Vgl. auch Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 1, wo Dante die Macht der Gerechtigkeit unter Hinweis auf Vergils Bucolica preist: „Preterea, mundus optime dispositus est cum iustitia in eo potissima est. Unde Virgilius commendare volens illud seculum quod suo tempore surgere videbatur, in suis Buccolicis cantabat: Iam redit et Virgo, redeunt Saturnia regna. ‘Virgo’ nanque vocabatur iustitia“. Treffend Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 15, wonach das Erbarmen „durch seine Zuordnung auf das Recht sich mit einem ganz anderen als lyrisch-philantropischen Gehalt erfüllt“. Siehe dazu auch Herbert Grundmann, Dante und Joachim von Fiore, Deutsches DanteJahrbuch 14 (1932), 210.

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I. Inferno

in allen wirkenden Heiligen Geistes“ bedeutet.175 Dante versetzt Joachim de Fiore nicht zuletzt für diese Erkenntnis ins Paradies: „Hier ist Rhabanus, ihm zur Seite leuchtet / Abt Giovacchin da Fiore aus Kalabrien, / dem ein prophet’scher Geist verliehen war.“176 Mit dem prophetischen Geist meint Dante wohl nicht zuletzt das fortdauernde Zeitalter des Heiligen Geistes, das Joachim de Fiore dogmatisch begründet und vorausschauend angekündigt hat. Dante hat diese Lehre der drei Reiche durch Petrus von Olivi177 im Florentiner studio generale der Franziskaner in Santa Croce empfangen.178 bb) Bedeutung für das Recht Der Sinn der Lehre ist auch im Hinblick auf die Daseinsberechtigung des Rechts aufschlussreich: Im Reich des Vaters wirkt die Ordnung der Autorität, während im Reich des Sohnes die Weisheit mit Hilfe von Staat und Recht herrscht. Erst im Reich des Heiligen Geistes, in dem die Liebe allgegenwärtig die Menschen verbindet, bedarf es des Rechts nicht mehr.179 Der Gerechtigkeitssinn ist auf diese Weise zugleich Abbild mittelalterlichen Denkens und durch dieses geprägt.180 Wer mit irdischen Maßen misst, wird der göttlichen Gerechtigkeit nicht gerecht und teilhaftig.181 Die Geltung des irdischen Rechts ist von vornherein nicht von Dauer und markiert ein – freilich notwendiges – Übergangsstadium. Der Blick auf das Recht ist nur sub specie aeternitatis möglich, was für Dante gleichbedeutend ist mit der Zielrichtung und inneren Bestimmung der ordo caritatis, die das Paradiso durchwirkt.

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Joseph Ratzinger, Eschatologie – Tod und ewiges Leben, 1977, 6. Auflage 1990, S. 26, siehe auch ebenda, S. 173. Paradiso, XII, 139–141: „Rabano è qui, e lucemi dallato / il calavrese abate Giovacchino / di spirito profetico dotato“. Zu ihm Brian Tierney, Origins of Papal Infallibility 1150–1350, 1972, S. 93 („a figure of the highest importance in the development of the doctrine of papal infallibility“); Hans Küng, Umstrittene Wahrheit, 2007, S. 236. Stephan Schaede, Stellvertretung, 2004, S. 54 mit Fußnote 168, am Beispiel des päpstlichen Alleinvertretungsanspruchs, wie er sich für Dante in der durch seinen Lehrer geprägten Sicht darstellt. Der dort dargestellte Unterschied zwischen Stellvertretung und Botenschaft zeigt im Übrigen paradigmatisch, wie sehr Dantes dogmatisches Denken dem rechtsdogmatischen ähnelt; vgl. zur zivilrechtlichen Unterscheidung etwa Jens Petersen, Stellvertretung und Botenschaft, Jura 2009, 904. Carlo Schmid, Band 3, Erinnerungen, 1979, S. 146 f. Siehe auch Michele Maccarone, Teologia e diritto canonico nella Monarchia, in: Rivista di storia della Chiesa in Italia 5 (1991), 7 ff. Ferner Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946. Perspektivisch weiterführend Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieris, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 274: „Wie Dante bei der Betrachtung der Welt und der weltlichen Dinge über das Diesseits hinausgeht und alles von einem jenseitigen Standpunkt aus betrachtet, so ist er auch in seiner Rechtslehre nicht im Diesseits haften geblieben“.

9. Schärfung des Gerechtigkeitssinnes

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b) Dantes Argumente gegen die „Zwei-Schwerter-Lehre“ und die Bulle Unam Sanctam Daher ist es nur folgerichtig, dass Dante an anderer Stelle weltliche und kirchliche Macht dergestalt trennt, dass das Schwert des Kaisers unvermittelt von Gott kommt.182 Diese Sichtweise richtet sich gegen die Zwei-Schwerter-Lehre,183 nach der das Schwert der irdischen Macht des Kaisers von dem des Papstes unterschieden und die päpstliche Gewalt über die weltliche gestellt hat.184 Man muss sich zum besseren Verständnis die historischen Ausgangsbedingungen und ihre theologisch-philosophische Legitimierung vergegenwärtigen. Papst Bonifaz VIII. – mit bürgerlichem Namen Benedetto Gaetani185 – hatte am 18. November 1302 die Bulle Unam Sanctam erlassen, in welcher der universale Machtanspruch des Papsttums vor der weltlichen Macht des Kaisers begründet wird. Bonifaz VIII. konnte sich hier auf Aegidius Romanus berufen.186 Unter Berufung auf den Matthäus-Evangelisten wird das geistliche und das materielle Schwert voneinander unterschieden und der Macht der Kirche unterworfen.187 Auch wenn nicht ganz sicher ist, ob Dante die Bulle Unam Sanctam gekannt hat,188 steht außer Frage, dass er den extremen Gegenstandpunkt zu Bonifaz VIII. eingenommen hat, den er mit gutem Grund als den Urheber und intriganten Strippenzieher hinter der Entscheidung der Florentiner, Dante zu verbannen, ansehen durfte.189 Im Unterschied zur päpstlichen Theologie unterscheidet Dante zwischen Glauben und Vernunft, die nicht zuletzt durch Vergil personifiziert wird.

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Dante Alighieri, Monarchia, III, ix, 1.-19. Bettina Arnold, Caetani, in: Die großen Familien Italiens (Hg. Volker Reinhardt), 1992, S. 116, 122, spricht von der „Gelasianischen“ Zwei-Schwerterlehre. Näher Arno Borst, Der Streit um das weltliche und das geistliche Schwert, in: Barbaren, Ketzer und Artisten. Welten des Mittelalters, 2. Auflage 1990, S. 99 ff. Mitunter ist auch zu lesen: Caetani; vgl. Giuseppe Marchetti-Longhi, I Caetani, 1942. Aegidius Romanus, De ecclesiastica potestate, 1301/1302. Matthäus 26, 52. Ruedi Imbach/Christoph Flüeler, S. 347 der von ihnen herausgegebenen Studienausgabe von: Dante Alighieri, Monarchia. Siehe zum Ganzen insbesondere Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz’ VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Anschauungen des Mittelalters, 1903; Jürgen Miethke/Arnold Bühler, Kaiser und Papst im Konflikt. Zum Verhältnis von Staat und Kirche im späten Mittelalter, 1988; Jürgen Miethke, Zeitbezug und Gegenwartsbewusstsein in der politischen Theorie der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, in: Antiqui und moderni (Hg. Albert Zimmermann), 1974, S. 262 ff.; ders., Zur Bedeutung der Ekklesiologie für die politische Theorie im späten Mittelalter, in: Soziale Ordnungen im Selbstverständnis des Mittelalters (Hg. Albert Zimmermann), 1980, S. 369 ff.

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c) Dantes Gerechtigkeitssinn im Spiegel des mittelalterlichen Denkens In diesem Sinne begründet Dante den Staat auch vernunftbezogen.190 Folgt man dem, so ergibt sich zugleich, dass der einzelne Mensch, repräsentiert durch Dante selbst, einen durchaus fehlbaren Gerechtigkeitssinn besitzt. Er muss geschärft werden durch die Erkenntnis der göttlichen Ordnung, die freilich für Dante nur bedingt durch den Papst repräsentiert wird. Denn bekanntlich erleiden die sündhaften Päpste Höllenqualen, allen voran Bonifaz VIII., den Dante den Simonisten beiordnet.191 Selbst der sogenannte Engelspapst Coelestin V., der als einziger in der Kirchengeschichte freiwillig – wenngleich womöglich unter dem Druck und Gutachten des späteren Papstes Bonifaz VIII.192 – von seinem Amt zurücktrat, wird an den Beginn des Inferno zurückversetzt, weil er in Dantes Augen durch seinen kleinmütigen Verzicht der ihm zugemessenen Aufgabe nicht gerecht geworden ist: „Nachdem ich schon erkannt den einen oder andern, / sah hin ich und gewahrt’ den Schatten jenes, / der aus Erbärmlichkeit einst Großes ausschlug.“193 Auch hieran zeigt sich beispielhaft, dass der Gerechtigkeitssinn des einzelnen Menschen – und sei er auch Papst gewesen – selbst dann fehlbar vor Gottes Gesetz und Bestimmung sein kann, wenn er von scheinbar lauteren Motiven geleitet wird. Zur rechten Annahme seiner selbst, die nicht nur auf christliche Prägung,194 sondern auch auf die aristotelische Mesotes-Lehre verweist,195 gehört für den mittelalterlichen Menschen eben auch die Anerkennung der göttlichen Vorherbestimmung des eigenen Schicksals.196 Allerdings hat sich Dante nicht dazu hinreißen lassen, diejenigen emporzuheben, die den ihm verhassten Papst Bonifaz VIII. – angestiftet durch Philipp den Schönen von Frankreich,197 bzw. auf sein Geheiß Guillaume de Nogaret, sowie ___________ 190

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Ruedi Imbach, Die politische Dimension der menschlichen Vernunft bei Dante, in: Der Mensch – ein politisches Tier. Essays zur politischen Anthropologie (Hg. Otfried Höffe), 1992, S. 26 ff.; Dirk Lüddecke, Der Staat 37 (1998) 547, 548. Inferno XIX, 52 ff.; dazu Bettina Arnold, Caetani, in: Die großen Familien Italiens (Hg. Volker Reinhardt), 1992, S. 116, 121. Das wird allerdings bestritten; vgl. Franz Xaver Seppelt, Geschichte der Päpste, Band III: Die Vormachtstellung des Papsttums im Hochmittelalter, 1956, S. 586. Inferno, III, 58–60: „Poscia ch’io v’ebbi alcun riconosciuto, / vidi e conobbi l’ombra di colui / che fece per viltade il gran rifiuto“. Matthäus. 16, 24; eingehend Romano Guardini, Gläubiges Dasein. Die Annahme seiner selbst, 1993. Franz Furger, Christliche Sozialethik in pluraler Gesellschaft, 1997, S. 247 ff. Näher zum kultur- und geistesgeschichtlichen Hintergrund August Buck, Dante als Dichter des christlichen Mittelalters, 1949; Gerhard Ledig, Dantes Göttliche Komödie in den einzelnen Gesängen aus mittelalterlichem Denken erläutert, 1942; Bruno Nardi, Dante e la cultura medievale: Nuovi saggi di filosofia dantesca, 1942; ders., Saggi di filosofia dantesca, 1930, 2. Auflage 1967; ders., La filosofia di Dante, 1953. Zum zeitgeschichtlichen Hintergrund Richard Scholz, Die Publizistik zur Zeit Philipps des Schönen und Bonifaz’ VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der politischen Anschauungen des Mittelalters, 1903; Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946, S. 40 f.

10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn

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Sciarra Colonna198 – in Anagni angriffen und mit dem Tode bedrohten.199 Dieser Übergriff auf das Oberhaupt der Kirche war aus mittelalterlicher Sicht ungeachtet aller persönlichen Fehlbarkeit unverzeihlich,200 weshalb auch Dante dafür kein Verständnis aufzubringen vermochte.201 Sein Gerechtigkeitssinn ist hier durch die mittelalterliche Weltsicht geprägt; er ist auch dort Sohn seiner Zeit, wo er sie überragt und am Maßstab der Ewigkeit misst.

d) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns Unter diesem Vorzeichen verfeinert sich der Gerechtigkeitssinn und wird gleichsam objektiviert durch das göttliche Gebot. Es irrt der Mensch Dante, solange er strebt und noch keine vollumfängliche Einsicht in die Wirkungsweise der göttlichen Gerechtigkeit erhalten hat. Vergil erscheint hier als normativer Mittler, der dementsprechend auch im vierundzwanzigsten Gesang das wortlos gerechte Handeln vorgibt:202 „«Kein andre Antwort», sprach er, «sei dir als / allein das Tun, denn der gerechten Bitte / soll man willfahren wortlos mit der Tat.»“.203 Die ‘dimanda onesta’, die Dante hier bezeichnet,204 ist sprichwörtlich geworden; sie bezeichnet eine Form der Vornehmheit, die aus der Liebe hervorgeht.205 Die Kommentierung der eigenen Rechtschaffenheit ist nicht nur überflüssig, sondern pharisäerhafte Selbstgerechtigkeit, die den eigenen Gerechtigkeitssinn abweichend von der gerechten Tat korrumpiert. Gottes Gebot allein setzt als objektive Norm den Maßstab, vor dem jede Abweichung ipso facto sündhaft ist. Indem der sündhafte Mensch dies verinnerlicht, wird auch sein subjektiver Gerechtigkeitssinn objektiviert.

10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn 10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn

Der folgende sechsundzwanzigste Gesang durchbricht die göttliche Ordnung abermals durch einen zutiefst irdischen Verweis, der mit einer sardonischen Anrufung seiner Heimatstadt beginnt: „Freu dich, Florenz, denn du bist ja so groß; / die ___________ 198

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Bettina Arnold, Caetani, in: Die großen Familien Italiens (Hg. Volker Reinhardt), 1992, S. 116, 123; „Sciarra“ wurde er genannt, hieß aber ursprünglich Giacomo Colonna; Andreas Rehberg, Colonna, ebenda, S. 176. Franz Xaver Seppelt, Geschichte der Päpste, Band IV: Das Papsttum im Spätmittelalter und in der Renaissance, 1957, S. 38 ff. Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieris, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 271. Purgatorio, XX, 85. Siehe auch Hermann Gmelin, Dante und die römischen Dichter, Deutsches Dante-Jahrbuch 31/32 (1953), 42 ff. Inferno, XXIV, 76–78: „«Altra risposta», disse, «non ti rendo / se non lo far; ché la dimanda onesta / si de’ seguir con l’opera tacendo»“. Zu lesen ist mitunter auch ‘domanda honesta’. Hermann Gmelin, La cortesia nella Divina Commedia, Romanische Forschungen, LIV (1940), 335 ff.

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I. Inferno

Flügel schlägst du über Land und Meer,206 / und durch die ganze Hölle dringt dein Name!“207 Dante verbannt seine Heimatstadt, die ihn so schmählich und ungerecht behandelt hat, buchstäblich in die Hölle. Es ist eine der Stellen, wo Dante mit den Worten Hugo Friedrichs „seinen Hass nur darum sprechen ließ, weil er ihn objektiviert hat in der göttlichen Rechtsordnung“.208

a) Historische Einordnung Zugleich verflucht er Papst Bonifaz VIII.: „Wär’ nicht der Papst gewesen, Fluch sei ihm, / der mich die frühere Schuld erneuern ließ; / wie und warum, das sollst du gleich erfahren.“209 Das im italienischen Original latinisierende ‘quare’ verwendet Dante mit Bedacht „als handele es sich um einen juristischen Prozess.“210 Hier wird deutlich, dass Dante Bonifaz VIII. für mitverantwortlich an seiner Verbannung macht.211 Nicht von ungefähr begegnen hier Bonifaz und Florenz im selben Gesang. Auch wenn die genauen historischen Umstände nicht mehr mit letzter Klarheit rekonstruierbar sind – insbesondere die Frage, ob Bonifaz den von seiten Florenz’ Gesandten Dante unter einem Vorwand in Rom zurückhielt, weil er ihm innerhalb der Gesandtschaft gegenüber den anderen Emissären geistig überlegen und damit gefährlicher als diese erschien212 –, zeigt sich zumindest, dass Dante den Papst nicht als Mann der ihm heiligen Kirche, sondern als Machtpolitiker einordnete. Die kirchlichen Gegenspieler von Bonifaz, vor allem die beiden Kardinäle Stefano und Agapito Colonna213 aus der dem Papst verhassten und von ihm verfolgten Familie Colonna,214 standen immerhin franziskanischen Idealen näher als der Papst und hatten Umgang mit den Spiritualen der Franziskaner.215 Diese zeit___________ 206

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Dies ist eine Anspielung auf eine Inschrift, welche die Westwand des Bargello seit dem Jahre 1255 ziert und die besagt: ‘Quae mare, quae terram, quae totum possidet orbem’. Dante verhöhnt somit den territorialen Größenwahn seiner Heimatstadt. Inferno, XXVI, 1–3: „Godi, Fiorenza, poi che se’ sì grande / che per mare e per terra batti l’ali, / e per lo ’nferno tuo nome si spande!“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 143. Inferno, XXVII, 70–72: „se non fosse il gran prete, a cui mal prenda!, / che mi rimise ne le prime colpe; / e come e quare, voglio che m’intenda“. Hartmut Köhler, S. 411. Vgl. auch Paul Scheffer-Boichorst, Aus Dantes Verbannung, 1882. Zum Ganzen Giuseppe Petronio, Bonifacio VIII. Un episodio della vita e dell’arte di Dante, 1950. Andreas Rehberg, Colonna, in: Volker Reinhardt (Hg.), Die großen Familien Italiens, 1992, S. 176. Näher Vincenzo Novelli, I Colonna e i Caetani, 2 Bände, 1892–93; Richard Neumann, Die Colonna und ihre Politik von der Zeit Nicolaus IV. bis zum Abzug Ludwigs des Bayern aus Rom. 1288–1328, 1914; Tilmann Schmidt, Ein Studentenhaus in Bologna zwischen Bonifaz VIII. und den Colonna, Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 67 (1987), 108. Bettina Arnold, Caetani, in: Die großen Familien Italiens (Hg. Volker Reinhardt), 1992, S. 116, 119. Zum Einfluss des franziskanischen Mystizismus’ auf Dante Josef Kohler, Dante und die Willensfreiheit, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 12.

10. Gewissen und Gerechtigkeitssinn

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und glaubensgeschichtlichen Umstände muss man sich ebenso vergegenwärtigen wie die Lehre des Joachim de Fiore,216 die alle zusammen genommen einen Ausweg zur Verwirklichung von Gerechtigkeit, Freiheit und Frieden versprachen.217

b) Gewissen und Papsttum Der Papst wird also von Dante nicht in jeder Hinsicht als Mittler zwischen den einzelnen Menschen und Gott anerkannt. Abgesehen davon, dass Dante durchweg zwischen Amt und Person des Papstes trennt, will er diesem nicht einmal die Funktion eines gleichsam objektivierten Gewissens zuerkennen, wie dies John Henry Kardinal Newman in seinem Brief an den Herzog von Norfolk ausgedrückt hat, in dem er auf die selbstgestellte Frage antwortet: „Wenn ich – was höchst unwahrscheinlich ist – einen Toast auf die Religion ausbringen müsste, würde ich auf den Papst trinken. Aber zuerst auf das Gewissen und dann erst auf den Papst.“218 Joseph Ratzinger legte dieses berühmte Wort bereits vor seiner Wahl zum Papst in einer Weise aus, die auch Dantes Verständnis entsprochen haben dürfte: „Nur in diesem Zusammenhang kann man den Primat des Papstes und seinen Zusammenhang mit dem christlichen Gewissen richtig verstehen. Der wahre Sinn der Lehrgewalt des Papstes besteht darin, dass er Anwalt des christlichen Gedächtnisses ist. Der Papst legt nicht von außen auf, sondern er entfaltet das christliche Gedächtnis und verteidigt es. Deshalb muss in der Tat der Toast auf das Gewissen demjenigen auf den Papst vorangehen, weil es ohne Gewissen gar kein Papsttum gäbe. Alle Macht, die es hat, ist Macht des Gewissens (…).“219

c) Gewissenhafte Prägung des Gerechtigkeitssinns Wenn das Gewissen gleichsam die Stimme Gottes ist,220 oder besser – wiederum mit John Henry Newmann – gesagt: das Echo der Stimme Gottes,221 dann bildet es ___________ 216 217 218

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Siehe auch Otfried Eberzt, Dantes joachimitischer Ghibellinismus, Hochland 18 (1920/21). Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946, S. 54 f. John Henry Newman, A letter to the Duke of Norfolk on Occasion of Mr. Gladstone’s Recent Expostulation. Certain Difficulties Felt by Anglicans in Catholic Teaching, 1874. Am Ende von Chapter V heißt es: „I add one remark. Certainly, if i am obliged to bring religion into after-dinner toasts (which indeed not seem quite the thing) I shall drink-, to the Pope, if you please,- still, to Conscience first, and to the Pope afterwards“. Joseph Ratzinger, Wenn du den Frieden willst, achte das Gewissen jedes Menschen. Gewissen und Wahrheit, in: Wahrheit, Werte, Macht. Prüfsteine der pluralistischen Gesellschaft, 3. Auflage 1995, S. 25, 55 f.; Hervorhebung auch dort (= Joseph Ratzinger, Vom Wiederauffinden der Mitte. Grundorientierungen, 2. Auflage 1988, S. 266 ff.). Siehe nur Victor Marchal, Das Gewissen wie es sein soll, 1869; Martin Honecker, Einführung in die theologische Ethik, 2002, S. 129; Theologische Realenzyklica (TRE), Studienausgabe Teil 1 (Hg. Gerhard Müller), 1993, S. 12. John Henry Newman, Entwurf einer Zustimmungslehre (Übersetzung Theodor Häcker,

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I. Inferno

damit, wenn diese Stimme recht verstanden wird, zugleich den Gerechtigkeitssinn aus und prägt ihn. Dantes Rechtsbegriff kann nicht mit dem positiven Recht seiner Zeit gleichgesetzt werden, auch wenn die Göttliche Komödie dessen Spurenelemente erkennen und erahnen lässt. Vielmehr ist Dantes Recht, wie schon Hans Kelsen herausgestellt hat,222 die Übereinstimmung mit Gottes Willen, der insbesondere in den Zehn Geboten sowie im Neuen Testament zur Geltung kommt und die „natürlichen Gewissensgebote“ setzt.223 Wer dem göttlichen Gebot zuwider handelt, wird zum Gegenstand der Vergeltung, wie dies im literarischen Inbegriff des contrapasso schlechthin durch die Selbsterkenntnis der eigenen Fehlbarkeit verdeutlicht wird: „Und so verwirklicht sich in mir Vergeltung!“224 Hier folgt die Erkenntnis der Bestrafung. Um ihr von vornherein zu entgehen, ist das Gewissen die erkennende Instanz des ursprünglichen Rechtsempfindens, das durch Dekalog und biblische Botschaft geprägt und gereinigt wird. Insofern kommt Dantes Rechtsbegriff demjenigen des katholischen Naturrechts nahe.225 Das wird deutlich, wenn man zwei wichtige Überlegungen Joseph Ratzingers vergleichend hinzuzieht: „Die Staatslehre hat sowohl im Altertum und Mittelalter wie gerade auch in den Gegensätzen der Neuzeit an das Naturrecht appelliert, das die recta ratio erkennen kann. Aber heute scheint diese recta ratio nicht mehr zu antworten, und das Naturrecht wird nicht mehr als das allen Einsichtige, sondern eher als katholische Sonderlehre betrachtet.“226 Auf dieser Grundlage geht er der Frage nach, warum man nicht den Dekalog zum Maßstab nehmen solle, der „nicht ein Sonderbesitz der Christen oder Juden“, sondern „ein höchster Ausdruck moralischer Vernunft“ sei: „Am Dekalog wieder Maß zu nehmen, könnte gerade für die Heilung der Vernunft, für das neue Aktivwerden der recta ratio wesentlich sein.“227 Dieses Plädoyer kann sich ohne weiteres auf Dante berufen und fügt sich bruchlos in dessen Gerechtigkeitsvorstellung ein.

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1961), S. 83. Siehe auch Alfred Läpple, Der einzelne in der Kirche. Wesenszüge einer Theologie des einzelnen nach J. H. Newman, 1952. Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 42 (= HKW 1, 134, 184). Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 92. An späterer Stelle versteht er das Gewissen als Kontrolle des Willens (ebenda, S. 100). Inferno, XXVIII, 142: „Così s’osserva in me lo contrapasso“; dazu ausführlich oben I.2. Zu ihm Ernst-Wolfgang Böckenförde, Der deutsche Katholizismus im Jahre 1933. Eine kritische Betrachtung, Hochland 53 (1960/61), 215 ff.; August Maria Knoll, Katholische Kirche und scholastisches Naturrecht, 1968; Peter Lerche, Christentum und Staatsrecht, in: Der Einfluss des katholischen Denkens auf das positive Recht (Hg. Theodor Tomandl), 1970, S. 85 ff.; Oliver Lepsius, Die gegensatzaufhebende Begriffsbildung. Methodenentwicklungen in der Weimarer Republik und ihr Verhältnis zur Ideologisierung der Rechtswissenschaft unter dem Nationalsozialismus, 1994, S. 290 f. Joseph Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, 2005, S. 25. Joseph Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs, S. 26.

11. Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns

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11. Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns 11. Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns

Die Selbstvergewisserung des Gerechtigkeitssinns wird im dreißigsten Gesang fortgeführt, in dem der Sünder, der allmählich zur Einsicht göttlicher Gerechtigkeit gelangt spricht: „Gerechtigkeit, die hier so streng mich quält, / sie nützt den Ort, wo ich so viel gesündigt, / um tiefre Seufzer noch mir auszupressen.“228 Der Ort der Sünde wird so gleichsam zum Sühneort. Diese Selbsterkenntnis des Sünders wirkt unweigerlich auf Dantes Gerechtigkeitssinn. Die Gerechtigkeit wird zum heilenden Mittel, indem sie den Delinquenten noch tiefer in seine schuldhafte Verstrickung einweist. Durch die damit einhergehende Selbstvergewisserung des Sünders wird sie zugleich vom Odium einer utilitaristischen Deutung befreit. Allmählich gewinnt Dante die naturgemäße und damit gerechte Einsicht. So sagt er über die Natur, dass sie für den, „der richtig urteilt, nur verständger und gerechter“ ist.229 Der sich auf diese Weise entfaltende Gerechtigkeitssinn wird mit wachsender Einsicht durch die intellektuellen Fähigkeiten des Menschen jedoch gefährdet: „Denn wo die Kraft des Denkens noch verstärkt / den bösen Willen mit der Riesenkraft, / da kann der Mensch auf keine Art sich schützen.“230 Der auf sich selbst gestellt denkende Mensch wird in diesem großen mittelalterlichen Entwurf also zu einer Selbstgefährdung, welche die Gefährdung anderer mit einschließt, wenn ihm das Richtmaß durch kirchliche Hilfestellung fehlt.231 So bewahrheitet sich Hugo Friedrichs prägnante Lozierung des Willens als „Ort des Rechttuns und Unrechttuns“.232 Zugleich wird die Zentralität des Begriffs des Willens erneut deutlich. Während die Übereinstimmung des Handelns mit dem Willen Gottes das schlechthin Gute ist, erweist sich die dem Menschen zugebilligte Willensfreiheit nicht nur als anthropologische Konstante, sondern auch als permanente Gefährdung für sein Seelenheil.

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Inferno, XXX, 70–72: „La rigida giustizia che mi fruga / tragge cagion del loco ov’ io peccai / a metter più li miei sospiri in fuga“. Inferno, XXXI, 54: „più giusta e più discreta la ne tene“. Inferno, XXXI, 55–57: „ché dove l’argomento de la mente / s’aggiugne al mal volere e a la possa, / nessun riparo vi può far la gente“. Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches DanteJahrbuch 18 (1936), 52, 58, verweist zum besseren zeitgeschichtlichen und strafrechtssystematischen Verständnis auf Albertus de Gandinos ‘Tractatus de malificiis’, durch den dieser „der erste systematische Kriminalist der Weltliteratur geworden (ist). Aber auffallend ist immerhin die Kombination dass diese Anregung sich in demselben Augenblick auf dasselbe Lebensgebiet richtet, das sich Dantes Fühlens und Denkens ganz bemächtigt hatte – dass also Verbrechen und Strafen gleichzeitig zum Gegenstand aufbauender Betrachtung unter zwei verschiedenen Gesichtspunkten gemacht wurden, unter dem einer poetischen Weltvision und unter dem einer der lebenswichtigsten Staatsaufgaben“. Zu dem Genannten Hermann Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik, Band I (1907) und II (1926). Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 99.

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I. Inferno

12. Pervertierung des Gerechtigkeitssinns 12. Pervertierung des Gerechtigkeitssinns

Im zweiunddreißigsten Gesang wird der Leser Zeuge eines verstörenden Gesinnungswandels Dantes. Sein bisher nahezu untrüglicher Gerechtigkeitssinn scheint ihn zu verlassen. Die innere Wandlung kündigt sich an, als er einen Sünder schicksalhaft oder versehentlich – er lässt dies offen – mit seinem Fuß tritt und dabei ans Gesicht stößt.233 Geradezu absichtlich reißt Dante ihn an den Haaren, weil er wissen will mit wem er es zu tun hat: „Da packt’ ich ihn bei seinem Hinterschopf / und sprach: «Wohl nötig ist’s, dich mir zu nennen, / sonst bleibt kein einzig Haar dir auf dem Kopf.»“234

a) Abstumpfung in der Kältehölle Während sich Dante bis hierher weithin in die Position des teilnehmenden und mitunter mitfühlenden Beobachters begeben hat, wird er nun grob und verübt nachgerade Selbstjustiz. Seine Handlung weckt Mitgefühl mit dem Opfer, das sich nicht zu erkennen gibt, aber eine solche Behandlung – wer auch immer es ist und was auch immer er getan hat – nicht zu verdienen scheint. Interessanterweise gebietet Vergil Dante keinen Einhalt.235 Im dreißigsten Gesang genügte allein schon Dantes Interesse an einer Zwistigkeit zwischen den Höllenbewohnern für eine Rüge Vergils.236 Dort gibt Vergil Dante zu verstehen, dass bereits die Neugier am Streit der Anderen eine niedrige Gesinnung verrät: „Denn niedrig ist’s, auf solches hinzuhören.“237 Hier dagegen wird aus der Passivität Dantes Aggression, die auch nicht vor einer Körperverletzung halt macht: „Ich hatte schon die Hand in seinem Haar, / mehr als ein Büschel hatt’ ich ausgerissen, / dieweil er heulte, das Gesicht nach unten.“238 Die Kältehölle239, die Dante hier betreten hat, spiegelt sich in seiner sozialen Kälte gegenüber den im Eis eingeschlossenen Wehrlosen. Zugleich ist der Ort auch künstlerisch vorgegeben und verhilft der Rechtsidee auch dort zur Durchsetzung, wo sie sich in aller Härte offenbart.240 Wie ungerecht und unstimmig sich der Wanderer Dante hier verhält, verdeutlicht der Dichter Dante durch eine offensichtliche Inkonzinnität: Sind die Seelen der Verstorbenen sonst nur ___________ 233 234 235 236 237 238 239 240

Inferno, XXXII, 76–78. Inferno, XXXII, 97–99: „Allor lo presi per la cuticagna / e dissi: «El converrà che tu ti nomi, / o che capel qui sù non ti rimagna»“. Zur Einordnung in das Gefüge der Commedia Rudolf Palgen, Dantes Luzifer. Grundzüge einer Entstehungsgeschichte der Komödie Dantes, 1969. Inferno, XXX, 142–147. Inferno, XXX, 148: „ché voler ciò udire è bassa voglia“. Inferno, XXXII, 103–105: „Io avea già i capelli in mano avvolti, / e tratti glien’ avea più d’una ciocca, / latrando lui con li occhi in giù raccolti“. Eugen Biser, Der Mensch – das uneingelöste Versprechen, 1995, 2. Auflage 1996, S. 148: „Tiefpunkt aller möglichen Qualen“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 181 f.: „Die Kunst Dantes dient dem richtenden Recht, und das Recht leuchtet umso reiner, je tiefer die Kunst ihre Schöpfung dem Orte opfert, an den sie sie stellt“.

12. Pervertierung des Gerechtigkeitssinns

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körperlose Schatten, so kann der Wanderer eine der ihren hier im Wortsinne angreifen und an den Haaren ziehen. Dieses haptische Moment manifestiert die im Exzess liegende Ungerechtigkeit Dantes. Die Botschaft Dantes enthält zugleich die zeitlos gültige Mahnung des Dichters, dass auch der vorbildlich gesittete, um seine moralische Vervollkommnung bemühte Mensch in einer Umgebung grausamer Kälte und Unmenschlichkeit abstumpfen, die Beherrschung verlieren und schließlich gleichfalls zum Komplizen und Täter an einem Wehrlosen werden kann.241

b) Dantes Selbstgerechtigkeit Die Ungerechtigkeit Dantes setzt sich im nächsten Gesang fort. Auch dort möchte Dante wissen, mit wem er es zu tun hat. Auf die Bitte des Sünders, dem die Tränen in den Augen gefroren waren und der Dante darum bittet, davon befreit zu werden, um weiter weinen zu können, antwortet er zunächst vielversprechend: „Drum ich zu ihm: «Willst du, dass ich dir helfe, / so sage, wer du bist, und wenn ich dir’s nicht löse, / verdient’ ich selbst, im tiefsten Eis zu stecken.»“242 Als der Angesprochene daraufhin sagt, wer er ist, fühlt Dante sich an sein Wort nicht mehr gebunden, als dieser ihn vereinbarungsgemäß bittet, seine Augen zu befreien: „Ich tat sie ihm nicht auf, / und edel war’s, ihn schnöde zu behandeln.“243 Dante hat sein Gegenüber als Verräter erkannt und glaubt nun, einem Verräter gegenüber seinerseits wortbrüchig werden zu dürfen. Mehr noch: er sieht es als Zeichen seines Edelmuts, den Verräter zu verraten. Hier wird besonders deutlich, dass Dantes Gerechtigkeitssinn auf das tiefste korrumpiert wird. Der Mechanismus, der bereits weiter oben ansatzweise begegnete, wirkt hier von neuem und auf moralisch tieferer Stufe: aus dem Streben nach Gerechtigkeit wird Selbstgerechtigkeit. Dieser Verrat am Verräter ist zugleich Verrat an seiner eigenen christlichen Gesinnung. Der Gleichlauf mit dem Vergehen – Verrat wird durch Verrat gesühnt – ___________ 241

242 243

Diese Deutung beantwortet womöglich einige der Fragen, die Hartmut Köhler (S. 498 f.) an die Stelle richtet: „Konnte denn eine verstorbene Seele in der Unterwelt überhaupt körperlich berührt werden, wo es doch sonst nur leere Schatten waren? Sodann aber: Hat der Wanderer nicht an dieser Stelle zum ersten (und zum letzten) Mal sich körperlich an einem Verdammten vergriffen? (…) Warum wird der Wanderer selbst grausam? Muss man hier von einer Verfehlung sprechen? Wenn ja, ist diese Verfehlung eine narrativ-ästhetische oder eine moralische oder beides? Oder ist der Erzähler doch nur konsequent und passt die Handlung seines Protagonisten dem höheren Grad von Verworfenheit des verurteilten Verbrechers an? Aber warum dann die Handgreiflichkeit nur gegenüber diesem einen? (…)“; im Folgenden mit einer kurzen Übersicht der im Schrifttum eingenommenen Standpunkte unter Hervorhebung desjenigen von Anna Maria Chiavacci-Leonardi, Dante Alighieri, Commedia, 1991, Band I, S. 941. Inferno, XXXIII, 115–117: „Per ch’io a lui: «Se vuo’ ch’i’ ti sovvegna, / dimmi chi se’, e s’io non ti disbrigo, / al fondo de la ghiaccia ir mi convegna»“. Inferno, XXXIII, 149 f.: „E io non gliel’ apersi; / e cortesia fu lui esser villano.“ Zum Begriff der ‘cortesia’ siehe Hermann Gmelin, La cortesia nella Divina Commedia, Romanische Forschungen, LIV (1940), 335.

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I. Inferno

gehorcht hier nicht mehr dem Prinzip des contrapasso, sondern führt nurmehr dazu, dass der Beobachter sich mit dem Delinquentem regelrecht gemein macht und sich ihm gegenüber dadurch zugleich in selbstgerechter Weise moralisch überlegen fühlt. Der Gang durch die Hölle hat auch den Gerechtigkeitssinn des sie durchwandernden Dantes abstumpfen lassen. Die trost- und erbarmungslose Umgebung hat seinen Gerechtigkeitssinn pervertiert.244

13. Kritik des Gerechtigkeitssinns 13. Kritik des Gerechtigkeitssinnes

Indem Dante die ihm widerfahrenen Ungerechtigkeiten immer wieder ins Gedächtnis ruft, verdeutlicht er zugleich auch die Unmaßgeblichkeit seines eigenen Urteils im Vergleich zur göttlichen Gerechtigkeit. So ist die scheinbar aufdringliche Selbstgerechtigkeit in Wahrheit eher die Kritik seines eigenen als beschränkt erkannten Gerechtigkeitssinns. Nur durch diese Brechungen wird die Gerechtigkeitsvorstellung, die sich in der Göttlichen Komödie abbildet, erträglich. Würde sich Dante in seiner ganzen selbsterkannten Bedingtheit und Fehlbarkeit von vornherein ausklammern, dann würde die in der vorgeblichen Objektivität liegende Anmaßung nicht nur potenziert, sondern letztlich der mangelnde Gerechtigkeitssinn des Urteilenden evident. Gerade der ins Auge fallende Subjektivismus bewahrt die Göttliche Komödie davor, eine scheinbar objektive Gerechtigkeitsvorstellung vorzugeben, die nur als unerhebliche Spekulation abgetan werden könnte.245 Zugleich erscheint der für den Betrachter und Leser mitunter wankelmütig anmutende Gerechtigkeitssinn des Wanderers Dante als eine Variable innerhalb einer konstant gerechten und in sich ruhenden Umgebung. Hier wird die Gespaltenheit des um die gerechte Ordnung wissenden Dichters und des sich daran orientierenden Wanderers besonders deutlich: Gerade sein sich durch Einübung und Einweisung in die göttliche Ordnung schärfender Gerechtigkeitssinn sichert das Interesse des Lesers; ohne ihn wäre die Göttliche Komödie schon im Inferno, umso mehr im Purgatorio und erst recht im Paradiso einförmig.246 Ins Positive ___________ 244

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Anderer Ansicht Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 182, wonach sich der Wandernde „in der notwendigen Kälte des Herzen vollendet“. Zum 34. Gesang siehe nur Raffaele Garofalo, Il canto XXXIV dell’Inferno, 1904; Giovanni Busnelli, I tre colori del Lucifero dantesco, 1910; Salvatore Frascino, La terra dei giganti e il Lucifero dantesco, La Cultura XII (1933), 767. Dagegen spricht auch nicht das hellsichtige obiter dictum von Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 116 f., wonach „man einen so alten und von Geschichte beladenen Text nicht anders behandeln sollte als den eines sehr alten, aber noch immer geltenden Rechtssatzes, der längst anders gedeutet werden muss als die bewusste Absicht des Gesetzgebers es wollte.“ – Denn dies ist nichts anderes als der auf die Hermeneutik angewandte Satz der juristischen Methodenlehre „cessante ratione legis cessat lex ipsa“. Man denke nur an Schillers Brief an Goethe vom 27. 8. 1799, wonach „Dantes Himmel auch viel langweiliger als seine Hölle ist“. Ähnlich Rilke im Brief an Karl von der Heydt vom

13. Kritik des Gerechtigkeitssinnes

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gewendet bedeutet dies: Der im Inferno geschärfte und im Purgatorio gereinigte Gerechtigkeitssinn, ermöglicht den Sinneswandel, der ins Paradiso führt. Die Wandlungen, Anfechtungen und Zurechtweisungen, denen der Gerechtigkeitssinn ausgesetzt ist, erweisen sich gleichsam als Imprägnierung seines Sinnes für das rechte Maß, die den von Vergil, später Beatrice und schließlich durch den hl. Bernhard von Clairvaux geführten Dante überhaupt erst befähigen, die Ordnung des Paradiso zu durchschauen.247

___________

247

11. 12. 1906 („ist nicht Dante sogar ein Beweis dafür, dessen Paradiso von so hülflos aufgehäufter Seligkeit erfüllt ist…“); näher Eva Hölter, Der Dichter der Hölle und des Exils. Historische und systematische Profile der deutschsprachigen Dante-Rezeption, 2002, S. 109; außerdem Horst Rüdiger, Dante als Erwecker geistiger Kräfte in der deutschen Literatur, Festschrift für Richard Alewyn, 1967, S. 17 ff. Auch hier gilt die zutreffende Beobachtung von Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 138, wonach man die Göttliche Komödie „entgegen dem äußeren Ablauf der Lektüre im inneren Bedenken vom Paradiso her lesen muss“. Ähnlich Eugen Biser, Nietzsche und Dante. Ein werkbiographischer Strukturvergleich, Nietzsche-Studien 5 (1976), 146, 152: „Dantes aporetische Lebenskrise ist (…) aus der Retrospektive der Überwindung beschrieben, zu der er sich, durch seine Vision einsichtig geworden, ‘geführt’ sieht. Insofern ist das Ganze, einschließlich der im Eingangsbild entworfenen ‘Startsituation’, ganz vom Ziel her entworfen“.

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II. Purgatorio

II. Purgatorio 1. Der contrapasso als Neutralisierung des bösen Willens

II. Purgatorio Wenn überhaupt im bisherigen Schrifttum der spezifisch rechtsphilosophische Gehalt der Göttlichen Komödie ausgemessen wurde, so war es vor allem das Inferno, das die Gemüter bewegte.248 Verfehlung und Vergeltung werden dort so schillernd und sinnfällig beschrieben, dass der Gerechtigkeitsgehalt der Strafe ungeachtet ihrer Härte überdeutlich wird, weil die Bestrafung Furcht und das Verbrechung entsprechenden Abscheu erregt. Vergleichsweise subtiler verhält es sich im Purgatorio.249 Dieses in rechtsphilosophischer Hinsicht ausgeleuchtet zu haben,250 ist nicht zuletzt das Verdienst Allan Gilberts, der bereits im ersten Viertel des vergangenen Jahrhunderts einen Mangel der bisherigen Forschung darin erblickt – und dann sogleich selbst behoben – hat, dass die herkömmlichen Deutungen des Purgatorio251 ein Gerechtigkeitsprinzip vermissen ließen, das durch diesen buchstäblich zentralen Teil der Göttlichen Komödie führen könne.252 Als ein solches Prinzip kann gewiss noch nicht die eher deskriptive Annahme angesehen werden, dass die Strafe im Purgatorio als hoffnungsvolle Wohltat begriffen wird, wohingegen sie im Inferno als verdientes Leiden erscheint.253

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Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, widmet sich zwar in besonderer Weise der Francesca-Episode des Inferno (V.), bildet aber gleichwohl die rühmliche Ausnahme von dem im Text genannten Grundsatz, weil er – entsprechend dem Titel seiner Abhandlung – die gesamte Göttliche Komödie in den Blick nimmt und seine Feststellungen daher auch ausnahmslos – wenngleich mitunter muatis mutandis – für das Pugatorio und Paradiso Geltung beanspruchen können. Dazu Eugen Biser, Bilder der Buße. Betrachtungen über Dantes Purgatorio, Wort und Antwort 14 (1973), 33 ff. Widersprüche im Strafensystem sieht Theodor Paur, Dante’s Sündensystem, Archiv für das Studium der neuern Sprachen und Literaturen XXXVIII (1865), 113, zwischen dem 11. Gesang des Inferno und dem 27. des Purgatorio – ob zu Recht, mag hier dahinstehen. Allgemein dazu Paolo Perez, I Setti Cerchi del Purgatorio di Dante, 1867. Siehe aber auch die moralphilosophische Vorarbeit von Giovanni Busnelli, L’ordinamento morale del Purgatorio dantesco, 2. Auflage 1908. Siehe aber auch Francis Fergusson, Dante’s drama of the mind. A modern reading of the Purgatorio, 1953. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. vi. Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 209.

1. Der contrapasso als Neutralisierung des bösen Willens

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1. Der contrapasso als Neutralisierung des bösen Willens Der contrapasso durchzieht nicht nur das Inferno sondern auch das Purgatorio.254 Während die Sünder dort auf ewig verdammt sind, können sie hier auf Läuterung hoffen, und zwar entsprechend der Mesotes-Lehre des Aristoteles, nach der das Gute die Mitte zwischen zwei Extremen ist.255 Auch in der Monarchia folgt Dante „dem Philosophen in der Nikomachischen Ethik“, d. h. Aristoteles.256 Deutlicher auf die Gerechtigkeit hin bezogen findet sich dies an einer späteren Stelle der Monarchia, wo Dante voraussetzt, dass die Gerechtigkeit ihrer Natur nach ein rechter Maßstab ist, der das Unrechte zu beiden Seiten hin von sich abstößt.257 Im Purgatorio besteht der contrapasso darin, dass der Sünder auf einen Zustand verwiesen ist, der seinem sündigen irdischen Willen diametral entgegengesetzt ist.258 Diese gegenteilige Willensrichtung neutralisiert allmählich den ursprünglichen Willen zur bösen Tat und führt den Täter so zur Mitte, also zum Guten.259 Auch dieser Prozess gründet „auf schärfster Rationalität“.260 Geahndet wird hier wie dort die „Verletzung des ewigen Gesetzes, also des rechtsetzenden Seinsgrundes“.261 Die Strafen im Purgatorio sind also den Sünden entgegengesetzt, die sie bestrafen.262 Wiederum geschieht dies, insofern nicht anders als im Inferno, auf eine allegorische Weise.263 Auch hier wird der Gerechtigkeitssinn vernunftmäßig geprägt und verfeinert, indem er von blinder Rache gereinigt wird.264 Interessanterweise betont auch die moderne Theologie den positiven Sinn des Fegefeuers, den Joseph Ratzinger gleichsam negatorisch gegenüber möglichen Missverständnissen mit einem Bild abgegrenzt hat: „Es ist nicht eine Art von jenseitigem Konzentrationslager (wie bei Tertullian), in dem der Mensch Strafen verbüßen muss, die ihm in einer mehr oder weniger positivistischen Weise zudiktiert sind.“265 Die in dem Relativsatz zum Ausdruck kommende juridische Diktion steht in einem aufschlussreichen Spannungsverhältnis zu der Sicht Dantes. Der Dichter diktiert ___________ 254 255 256 257 258 259 260 261 262 263 264

265

Zum Purgatorio insbesondere Ernst Troeltsch, Der Berg der Läuterung. Rede zur Erinnerung an den 600. Todestag Dantes, 1921. Näher Otfried Höffe, Aristoteles, 3. Auflage 2006, S. 285 ff. Dante Alighieri, Monarchia, I, iii, 1. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 3: „quod iustitia, de se et in propria natura considerata, est quedam rectitudo sive regula obliquum hinc inde abiciens“. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 116: „law of the contrary penalty“. Siehe auch Edward Moore, Unity and symmetry of design in the Purgatorio, Studies in Dante, Second Series, 1899, 246 ff. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 142. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 102. Raffaello Fornaciari, Sulle pene assegnate da Dante alle anime del Purgatorio, Giornale Dantesco 1 (1894), 366 (=Studi Danteschi, 1901, 186 ff.). Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 135: „Or, allegorically, the penitent is diametrcally opposed in his desires to the sinner“. Ernst Kantorowicz, Die zwei Körper des Königs. Eine Studie zur politischen Theologie des Mittelalters, 1990, S. 477, versteht die Läuterung im philosophischen und nicht im theologisch-sakramentalen Sinne. Joseph Ratzinger, Eschatologie – Tod und ewiges Leben, 1977, 6. Auflage 1990, S. 188.

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II. Purgatorio

durchaus Strafen zu, doch dienen sie der Läuterung, indem sie dem Delinquenten die Gegenrichtung vorgeben, aus deren Vollzug heraus er gnadenfähig wird.266 Dantes Gerechtigkeitssinn bringt eine konstruktive Vision hervor, die sich nicht in der Negation der Strafe erschöpft.

2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns 2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns

Das gesamte Purgatorio ist von einer Einsicht der Seelen in das eigene Unrecht geprägt.267 Den Anfang macht Dantes Freund Casella, der ihm entgegnet:268 „Mir geschah kein Unrecht, / wenn er, der aufnimmt, wen und was er will, / die Überfahrt mir öfters hat verweigert.269 / Denn nach gerechtem Willen formt sich seiner.“270 Dante fasst diese Läuterung als neues Gesetz (nuova legge) auf,271 was freilich zugleich die Erlösung der Menschheit im Neuen Bund mit Christus bedeutet.272 Der göttliche Wille ist auch hier das Gesetz, dessen Vollzug Recht und Unrecht voneinander scheidet. Der göttliche Richtspruch ist demnach aus sich heraus gerecht. Demjenigen, der auf Erden dem göttlichen Gesetz zuwider gehandelt hat, kommt im Jenseits zunächst die Aufgabe zu, die eigene Verfehlung als solche zu erkennen und ihr sodann reuig und das Gute wollend entgegenzuwirken.

a) Kardinaltugend der Gerechtigkeit Der dritte Gesang offenbart, dass sich auch Dantes Gerechtigkeitssinn geläutert hat:273 „Dieweil die unvermutet rasche Flucht / die Seelen alle durch das Land versprengt, / zum Berge, wo Gerechtigkeit uns züchtigt, / Hielt ich mich an den treu___________ 266 267 268

269 270 271 272 273

Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 112: „Dante’s answer is that these sufferings countercact man’s tendency to evil, and keep him disciplined for the good life“. Es ist der „Weg der klärenden Bilder“; Eugen Biser, Der inwendige Lehrer. Der Weg zu Selbstfindung und Heilung, 1994, S. 148. Dazu Ermenegildo Pistelli, Il canto di Casella, 1907; Giuseppe Lipparini, Il canto II del Purgatorio, Studi critici in onore di G. A. Cesareo, 1918, 1 ff.; Dario Arfelli, Il canto dell’angelo nocchiero e di Casella, Annuario R. Liceo Galvani, 1930/31, S. 1 ff. Entsprechend Vergil, Aeneis, VI, 314: „Navita sed tristis nunc hos nunc accipit illos / Ast alios longe submotos arcet arena“. Purgatorio, II, 94–97: „Nessun m’è fatto oltraggio, / se quei che leva quando e cui li piace, / più volte m’ha negato esto passaggio; / ché di giusto voler lo suo si face“. Purgatorio, II, 106. So schon Purgatorio, I, 89 („quella legge”); vgl. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 89, 61. Dazu Pietro Amoroso, Il canto III del Purgatorio, 1931; Domenico Marino, Il canto di Manfredi nella Divina Commedia, 1940; Manfredi Porena, Purgatorio III, La mia Lectura Dantis, 1932; P. Davide Egizii, Il terzo canto del Purgatorio, 1928; Giuseppe Longo, Il canto di Manfredi, La Nuova Critica I (1920/21), 121 ff.; Michele Scherillo, Manfredi, Con Dante e per Dante, 1918; Luigi Milella, Re Manfredi, Conferenza sul III canto del Purgatorio, 1903.

2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns

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en Weggenossen“.274 Was hier mit ‘Gerechtigkeit’ übersetzt wurde, lässt verschiedene Deutungen zu. Das italienische Wort ‘ragion’ kann im gleichen Sinne wie ‘diritto’ als Recht – bei Dante demnach: göttliches Recht – verstanden werden.275 Das entspricht dem Gebrauch des Wortes im Inferno; dort wird ‘giustizia’ gleichbedeutend verwendet.276 So verfährt letztlich auch die hier zugrunde gelegte Übersetzung. Die Gegenmeinung verweist auf Thomas von Aquin277 und begreift ‘ragion’ hier als Vernunft.278 Das ist deshalb nicht fernliegend, weil hier zugleich Vergil als der die Vernunft verkörpernde Begleiter erscheint. Letztlich widersprechen sich die beiden Deutungen vor diesem Hintergrund weniger, als es den Anschein hat: Denn der die Vernunft personifizierende Vergil, der von aus Dantes Sicht schwer verständlichen Gewissensbissen geplagt wird,279 wirkt auf diese Weise auf Dantes Gerechtigkeitssinn ein. Vergil stellt der christlichen Heilsgewissheit die platonische und aristotelische Lehre gegenüber:280 „Ich sprech’ von Aristoteles und Plato / und vielen andern noch.“281 In diesem Sinne dürfte wohl auch die auf die irdische Gerechtigkeit gemünzte Sicht Dantes zu verstehen sein, die er in der Monarchia zugrunde legt,282 wenn er zu bedenken gibt, dass die Gerechtigkeit dort am mächtigsten ist, wo sie am geringsten mit ihrem Gegenteil vermischt ist.283 Die Erwähnung Platos ist hier nicht nur erkenntnistheoretisch interessant, sondern ruft auch seine Lehre von den Kardinaltugenden in Erinnerung.284 Die Gerechtigkeit als eine der vier Tugenden bestimmt und bezeichnet das rechte Maß der drei anderen Kardinaltugenden der Mäßigung, Tapferkeit und Weisheit.285 Im Zusammenhang mit Dantes Einordnung Platos ist auch Nietzsches Einschätzung aus der Götzen-Dämmerung bemerkenswert, wo er Dante zunächst bezeichnet als „Hyäne, die in Gräbern dichtet“, dann aber vielsagend bekennt: „Solche dogmati___________ 274 275 276 277 278 279 280

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Purgatorio, III, 1–4: „Avvegna che la subitana fuga / dispergesse color per la campagna, / rivolti al monte ove ragion ne fruga, / i’ mi ristrinsi a la fida compagna“. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 66. Inferno, XXX, 70: „La rigida giustizia che mi fruga“. Thomas von Aquin, Summa theologica, III, 3, 2. Giulio Augusto Levi, Il canto terzo del Purgatorio, Convivium IV (1932), 161, 165. Purgatorio, III, 9. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund Georg Wieland, Plato oder Aristoteles? Überlegungen zur Aristoteles-Rezeption des Lateinischen Mittelalters, Tijdschrift voor Filosofie 47 (1985), 605. Purgatorio, III, 43 f.: „Io dico d’Aristotile e di Plato / e di molt’ altri“. Siehe auch Rudolf Palgen, Das platonische Fundament des Paradiso, Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse 108 (1971), 159 ff. Siehe auch Wolfram von den Steinen, Der gedankliche Aufbau von Dantes Monarchie, Deutsches Dante-Jahrbuch 10 (1928), 139. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 5: „Ubi ergo minimum de contrario iustitie admiscetur et quantum ad habitum et quantum ad operationem, ibi iustitia potissima est“. Dazu auch William Henry Vincent Reade, The Moral System of Dante’s Inferno, 1909 (Neudruck 2004), S. 142 ff. Zum vorliegenden Zusammenhang auch Walther von Wartburg, S. 415.

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II. Purgatorio

schen Menschen wie Dante und Plato sind mir am fernsten und dadurch am reizvollsten.“286 Das ist – mit den auch aus rechtsphilosophischer Sicht aufschlussreichen Worten Eugen Bisers – letztlich der „Vorwurf der Systemimmanenz“.287 Wenn Nietzsche an Dante gerade das Dogmatische reizt, was angesichts gleichsinniger Äußerungen in seinem Werk nicht verwundert,288 dann kann man dem zugleich entnehmen, dass er nicht zuletzt die strenge Rationalität der Zuweisung des jenseitigen Schicksals im Blick hatte.

b) Unberechenbarkeit der Gesetzgebung Zunächst sieht es so aus, als mäßige sich auch Dantes Gerechtigkeitssinn, doch verflucht er im sechsten Gesang289 den herrschsüchtigen Albrecht von Habsburg:290 „Gerechter Richtspruch möge von den Sternen / herabfalln auf dein Blut so offenkundig, / dass er, der auf dich folgt, davor erschrecke.“291 aa) Ungerechtigkeit der florentinischen Verhältnisse In gleichem Sinne bricht wiederum jäh die Wunde der von Seiten seiner Heimatstadt Florenz erlittenen Ungerechtigkeit auf, die ihn wiederum den Sinn für Maß und Mitte verlieren lässt: „O mein Florenz, du kannst wohl glücklich sein, / denn diese Abschweifung berührt dich nicht, / dank deinem Volk, das sich so sehr bemüht! / Gerechtigkeit fühlt mancher, doch er zögert, / um ohne Vorbedacht den Pfeil nicht abzuschießen, / doch deinem Volk liegt alles auf den Lippen.“292 Die nun folgende sarkastische Schmährede nimmt nicht von ungefähr die florentinischen Gesetze aufs Korn.293 Dante wendet sich vor allem gegen die in Florenz seinerzeit grassierende ad-hoc-Gesetzgebung: „Athen und Lakedaemon, die die alten / Gesetze schufen, guten Bürgersinns, / sie legten wenig Wert auf gute Ordnung, / ___________ 286 287 288 289

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Friedrich Nietzsche, Götzen-Dämmerung. Steifzüge eines Unzeitgemäßen, § 1. Dazu Eugen Biser, Nietzsche und Dante. Ein werkbiographischer Strukturvergleich, Nietzsche-Studien 5 (1976), 146, 148. Friedrich Nietzsche, Menschliches Allzumenschliches, I 635 f.; dazu Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, 2008. Zu ihm Angelo Tomaselli, Il canto della passione italica, Rivista d’Italia XXVI (1923), 406 ff.; Felice Tocco, Il canto VI del Purgatorio, Nuova Antologia 1906; B. Giuliano, L’invettiva e l’utopia dantesca, Rivista d’Italia XXVI (1923), 69. Da dieser in der Folge wirklich ermordet wird, spricht Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 124, von einem „Beispiel der Danteschen Prophezeihungen ex eventu“. Purgatorio, VI, 100–102: „giusto giudicio da le stelle caggia / sovra ’l tuo sangue, e sia novo e aperto, / tal che ’l tuo successor temenza n’aggia!“. Purgatorio, VI, 127–132: „Fiorenza mia, ben puoi esser contenta / di questa digression che non ti tocca, / mercé del popol tuo che si argomenta. / Molti han giustizia in cuore, e tardi scocca / per non venir sanza consiglio a l’arco; / ma il popol tuo l’ha in sommo de la bocca.“ Ähnlich Inferno, XXVI, 1 ff. Richard Clark Sterne, Dark Mirror. The Sense of Injustice in Modern European and American Literature, 1994, S. 20.

2. Läuterung des Gerechtigkeitssinns

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Mit dir verglichen, die du gar zerbrechlich / Gesetze machst, so dass Novembers Mitte, / was im Oktober du gesponnen, nicht erreicht.“294 Nicht von ungefähr nennt Dante „Novembers Mitte“, weil um diese Zeit im Jahre 1301, genauer: am 8. November, Karl von Valois in einer für Dante folgenreichen Weise in die Geschichte der Stadt Florenz eingriff, indem er die erst am 15. Oktober eingesetzten Prioren absetzte und damit die Rahmenbedingungen für die Verbannung Dantes schuf.295 bb) Rechtstheoretische Einsicht aus gekränktem Gerechtigkeitssinn Hieran lässt sich beispielhaft ersehen, wie Dantes gekränkter Gerechtigkeitssinn die empfundenen Ungerechtigkeiten einerseits nicht vergisst, andererseits aber in eine rechtstheoretische Einsicht zu fassen weiß. Die Wankelmütigkeit der Gesetzgebung ist für ihn augenfälliges Zeichen eines zuinnerst verdorbenen und korrupten Staatswesens. Das geradezu immanente Verfallsdatum, das die eben erst erlassenen Gesetze in sich tragen, erinnert an das taciteische Verdikt „corruptissima re publica plurimae leges.“296 Die Halt- und Richtungslosigkeit der Gesetze ist Ausdruck eines sittenlosen Gemeinwesens, das Ämter verschachert und die persönliche Bereicherung zum Prinzip erhebt: „Wie oft, solang du dich besinnen magst, / hast du Gesetze, Münzen, Ämter, Sitten / gewechselt und die Bürgerschaft erneut!“297 Indem Dante seine Heimatstadt personifiziert und scheinbar vertraulich anspricht („O mein Florenz, du“), enthüllt er die Ungerechtigkeiten, die dort grassierten. Jedoch verharrt Dante nicht bei der erlittenen Ungerechtigkeit. Vielmehr entspricht es gerade im Purgatorio der inneren Zielrichtung des Werks,298 dass er durch die entgegengesetzte Willensrichtung eine konstruktive Einsicht aus der widerfahrenen Ungerechtigkeit ableitet, die geeignet ist, das Rechtsbewusstsein seiner Zeit und zugleich über die Zeiten hinaus zu heben. ___________ 294

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Purgatorio, VI, 139–144: „Atene e Lacedemona, che fenno / l’antiche leggi e furon sì civili, / fecero al viver bene un picciol cenno / verso di te, che fai tanto sottili / provedimenti, ch’a mezzo novembre / non giugne quel che tu d’ottobre fili.“ – Die Stelle bezieht sich wohl auf Justinian, Institutionen, I, 2, 10: „Origo eius ab institutis duarum civitatium, Athenarum scilicet et Lacedaemonis, fluxisse videtur“; Zu dieser Stelle Okko Behrends, Gesetz und Sprache. Das römische Gesetz unter dem Einfluss der hellenistischen Philosophie, in: Institut und Prinzip. Siedlungsgeschichtliche Grundlagen, philosophische Einflüsse und das Fortwirken der beiden republikanischen Konzeptionen in den kaiserzeitlichen Rechtsschulen. Ausgewählte Aufsätze (Hg. Martin Avenarius/Rudolf Meyer-Pritzl/Cosima Möller), 2004, Band 1, S. 91, 168. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 127. Publius Cornelius Tacitus, Annales, III 27 am Ende. Purgatorio, VI, 145–147: „Quante volte, del tempo che rimembre, / legge, moneta, officio e costume / hai tu mutato, e rinovate membre!“ – Im Folgenden, Vers 149, vergleicht Dante das seines Erachtens kranke Staatswesen mit einem kranken Körper; für Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 127 ist es „eines jener treffenden Bilder, die Dante unmittelbar aus dem Leben geschöpft zu haben scheint“. Zur Einordnung Rudolf Palgen, L’origine del Purgatorio, 1967; dazu Rosanna Bettarini, Studi Danteschi 47 (1970), 304.

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II. Purgatorio

cc) Deszendenz des Rechtsbewusstseins Hermann Conrad hat dies historisch, rechtsphilosophisch und geistesgeschichtlich eingeordnet, indem er die politischen Gegebenheiten mit der Deszendenz des Rechtsbewusstseins in Einklang brachte, die auf Dante wirkte:299 „Dante, der größte Dichter Italiens, hat auch die ewige Frage nach Recht und Gerechtigkeit gestellt. Ja, er ist sogar zum leidenschaftlichen Kämpfer um Recht und Gerechtigkeit geworden. Die zerrütteten politischen Verhältnisse Italiens, die vielfältigen Ungerechtigkeiten und Gewalttaten in Staat und Kirche, selbst bei den Häuptern der Christenheit, und der allgemeine Niedergang des Rechtsgefühls ließen den Dichter zum leidenschaftlichen Rufer nach einem wahren Recht und einer wirklichen Gerechtigkeit werden.“300 Dieser Widerstreit zwischen dem auf einem moralischen Tiefpunkt angelangten kollektiven Rechtsgefühl und Dantes eigener hoher Idee des Rechts spiegelt sich am Beispiel der florentinischen Verhältnisse gerade in der zuletzt behandelten Stelle und lässt Dantes rational gebändigten Sinn für das Rechte temperamentvoll aufkochen. Dante wird hier zum Repräsentanten des Rechtsgefühls seiner Zeit, dessen Niedrigkeit er zugleich vernunftmäßig überwindet. In dieser überwundenen Gestalt ist Dantes Gerechtigkeitssinn zugleich Repräsentanz eines entsprechend dem göttlichen Willen geläuterten Gerechtigkeitsempfindens.

3. Gerechtigkeitssinn und Rhetorik 3. Gerechtigkeitssinn und Rhetorik

Paradoxerweise gerät Dantes Gerechtigkeitssinn durch die heißblütige Tirade wieder ins Gleichgewicht. Seine Erregung über den Gesetzes- und Sittenverfall seiner Heimatstadt kontrastiert aufs Wirksamste mit der inneren Richtung des Purgatorio. Die irdischen Missstände, die Dante anprangert, stehen im Gegensatz zur Läuterung der dort beheimateten Seelen, die nach Höherem streben. Gleichsam wie in Raphaels Philosophenschule von Athen steht der platonischen Ideenlehre, deren Urheber den Arm nach oben erhebt, die aristotelische Mesotes-Lehre an der Seite,301 die auf das irdische Leben gerichtet ist und das Gute und Gerechte als Mitte zwischen zwei Extremen ausmacht.302 Die weiter oben ausdrücklich angesproche___________ 299 300

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Siehe dazu auch Francesco Eccole, Il pensiero politico di Dante, 2 Bände, 1927/28. Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946, S. 10; Hervorhebung nur hier. Siehe auch die transzendierende Sichtweise von Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 106: „Der philosophische Dichter demonstriert an dem Bild seiner Hölle und seines Läuterungsbergs, wie eine Strafenordnung beschaffen sein muss, damit sie die Autorität einer gerechten Strafrechtsordnung entfalte“. – Allerdings münden diese Stellungnahme und andere vorstehend zitierte Einsichten Richard Schmidts am Ende seiner Abhandlung (ebenda, S. 106 unten, 107 f.) in eine plumpe Anbiederung gegenüber dem nationalsozialistischen Unrechtsregime. Harald Schilling, Das Ethos des Mesotes, 1930. Vgl. auch Martin Rhonheimer, Praktische Vernunft und Vernünftigkeit der Praxis. Handlungstheorie bei Thomas von Aquin in ihrer Entstehung aus dem Problemkontext der aristo-

3. Gerechtigkeitssinn und Rhetorik

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nen Philosophen Aristoteles und Plato wirken hier mit ihrer jeweiligen Lehre der Gerechtigkeit unausgesprochen fort.303 Dantes Gerechtigkeitssinn ist allenthalben von der irdischen Kontingenz beschränkt und getrübt. Indem er jedoch im Purgatorio selbst eine innere Läuterung erfährt, gewinnt sein Wort über den Gesetzesund Sittenverfall seiner Zeit und Heimatstadt Gewicht. So wenig seine Rede vergessen macht, dass er als Opfer dieser Ungerechtigkeiten am wenigsten berufen ist, darüber neutral und unbefangen zu richten, so ausgewogen und unbestechlich wirkt sein Gerechtigkeitssinn auf den neutralen Beobachter. Denn auch wenn Dante als befangener Richter keine abgeklärt urteilende Instanz darstellt, gelingt es ihm mit einem rhetorischen Kunstgriff, den Eindruck klarsichtiger Neutralität zu erwecken, welche die legislatorische und moralische Pathologie seiner Heimatstadt erkennt:304 „Und wenn du dich besinnst und’s klar durchschaust, / siehst du, wie sehr du jener Kranken gleichst, / die keine Ruhe find’t auf ihrem Lager, / Den Schmerz zu überwinden, sich herumwälzt.“305 Diese psychologische und rhetorische Genialität Dantes, mit der er sowohl den Richter als auch den Gerichteten durchschaut, zeigt sich auch in der Monarchia:306 „Was den Habitus betrifft, findet die Gerechtigkeit bisweilen im Wollen ihren Gegensatz; denn, wo der Wille nicht von jedweder Begierde frei ist, da befindet sich die Gerechtigkeit, auch wenn sie vorhanden ist, nicht im Glanz ihrer Reinheit. Sie besitzt nämlich ein Subjekt, das ihr in gewisser Weise, wenn auch in geringem Maße, Widerstand leistet. Deswegen werden jene berechtigterweise abgewiesen, welche versuchen, beim Richter Leidenschaften zu wecken.“307 Hier findet sich die gerechtigkeitstheoretische Fundierung der strengen und bisweilen hart anmutenden Rationalität des Rechts, deren Verinnerlichung Dantes prophetische Sicht zeigt.308 Es ist interessant, dass Dante diese Überlegung mit einer rechtstatsächlichen Folgerung abrundet, die nicht so sehr Ausweis seiner Lebensklugheit ist als ___________

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telischen Ethik, 1994, S. 108; ferner Elisabeth von Roon-Bassermann, Dante und Aristoteles. Das ‘Convivio’ und der mehrfache Schriftsinn, 1956; Lorenzo Minio-Paluello, Dante’s Reading of Aristotle, in: The World of Dante: Essays on Dante and His Time (Hg. Cecil Grayson), 1980, S. 61 ff.; Bruno Nardi, Saggi sull’aristotelismo padovano dal secolo XIV al XVI, 1958. Purgatorio, III, 43; dazu oben 1.a. Horst Rüdiger (Dante Alighieri, Die Göttliche Komödie, in: Zeit-Bibliothek der 100 Bücher, Hg. Fritz J. Raddatz, 1980, S. 59): „Wie man in Florenz über Dante zu Gericht gesessen, ihn verbannt, zum Scheiterhaufen verurteilt und das Urteil zweimal bestätigt hatte, so urteilt er selber in der Dichtung über Lebende und Tote. Kein anderer Dichter hat seine Aufgabe so sehr als Richteramt verstanden wie Dante“. Purgatorio, VI, 148–151: „E se ben ti ricordi e vedi lume, / vedrai te somigliante a quella inferma / che non può trovar posa in su le piume, / ma con dar volta suo dolore scherma“. Siehe auch Hubert Stadler, Um die Möglichkeit wissenschaftlicher Politik. Eine Interpretation des ersten Buches von Dantes ‘De monarchia’, 1975. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 6: „Quantum ergo ad habitum, iustitia contrarietatem habet quandoque in velle; nam ubi voluntas ab omni cupiditate sincera non est, etsi assit iustitia, non tamen omnino inest in fulgore sue puritatis: habet enim subiectum, licet minime, aliqualiter tamen sibi resistens; propter quod bene repelluntur qui iudicem passionare conantur“. Näher Ernesto Buonaiuti, Dante come profeta, 1936. Zur Rationalität des Rechts auch Jens Petersen, Max Webers Rechtssoziologie und die juristische Methodenlehre, 2008, § 1.

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II. Purgatorio

vielmehr eine genuin rechtstheoretische Befähigung verrät. So steht sein nur vermeintlich subjektiver, in Wahrheit aber vernunftmäßig geprägter Gerechtigkeitssinn nicht im Widerspruch zu der von ihm propagierten Leidenschaftslosigkeit des Richtens und der dadurch bewirkten Rationalität des Rechts.

4. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit 4. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit

Im zehnten Gesang wird die Gerechtigkeit des Kaisers Trajan dialogisch gewürdigt:309 „Und er gab ihr zur Antwort: «Warte denn / solang bis ich zurück.» – Und sie: «Mein Herr», / wie wenn der Schmerz zu höchster Eile drängt, / «Und kehrst du nicht?» – Und er: «Der auf mich folgt, / wird dir Genüge tun.» – Und sie: «Des andern Recht tun, / was hilft es dir, wenn dein’s du unterlässt?» / Und er: «Nun sei getrost, denn es muss sein, / dass meine Pflicht erfüllt, eh denn ich reise; / Gerechtigkeit verlangt’s, Erbarmen hält mich.»“310 Trajans moralische Leistung, die ihn als Heiden gleichwohl für das Purgatorio prädestiniert, besteht darin, dass er den Kriegsruhm der Gerechtigkeit opfert.311 Diese Stelle veranschaulicht zugleich, dass Recht und Gerechtigkeit für Dante nicht dasselbe ist. So wie er zuletzt am Beispiel seiner verderbten Heimatstadt dargestellt hat, dass Gesetz und Gerechtigkeit einander niemals entsprechen, zeigt sich nun die Divergenz zwischen Recht und Gerechtigkeit. Hier ist jedoch nicht mehr das positive Recht gemeint, das zumindest idealiter identisch ist mit dem natürlichen und göttlichen Recht, wie Hugo Friedrich allgemeingültig festgestellt hat: „Die Göttliche Komödie wahrt diese Identität aller Rechtsformen (ius divinum positivum, ius naturale, ius gentium sive ius humanum) im einen Rechtsursprung in strengster Weise.“312

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Siehe auch Carlo Andrea Fabbricotti, Il canto VIII del Purgatorio – L’incontro di Dante e Beatrice sulla cima del Purgatorio, Saggi Danteschi, 1916, 49 ff.; Zum zehnten Gesang Carmelina Grimaldi, Considerazioni sul canto X del Purgatorio, 1951. Purgatorio, X, 85–93: „ed elli a lei rispondere: «Or aspetta / tanto ch’i’ torni»; e quella: «Segnor mio», / come persona in cui dolor s’affretta, / «se tu non torni?»; ed ei: «Chi fia dov’ io, / la ti farà»; ed ella: «L’altrui bene / a te che fia, se ’l tuo metti in oblio?»; / ond’ elli: «Or ti conforta; ch’ei convene / ch’i’ solva il mio dovere anzi ch’i’ mova: / giustizia vuole e pietà mi ritene».“ Eine ähnliche Stelle findet sich in Inferno III, 50; näher zur Genese Mario Chini, Lectura Dantis, 1928, S. 26. Hanskarl Kölsch, Dann traten wir hinaus und sahn die Sterne. Dantes Divina Commedia, 2. Auflage 2008, S. 175. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 97. Ob diese und andere Stellen bei Friedrich „mit versteckten Angriffen gegen die Rechtstheorie der Nazizeit durchsetzt“ sind, wie zu lesen ist bei Frank-Rutger Hausmann, „Sie haben keine Neigung, von mir etwas zu lernen“. Ernst Robert Curtius, Hugo Friedrich und die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, in: Mittellateinisches Jahrbuch 28,1 (1993), 101, 106, mag dahinstehen; dazu auch Mirjam Mansen, „Denn auch Dante ist unser!“. Die deutsche DanteRezeption 1900–1950, 2003, S. 118 f.

4. Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit

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Es geht hier letztlich um die allgemeine Rechtschaffenheit, die für Dante ein Teil der Gerechtigkeit ist.313 Das wird dadurch untermauert, dass hier und im Folgenden Gerechtigkeit und Erbarmen in thomistischer Tradition einander gleich geordnet werden,314 wie es bereits an anderen Stellen der Dichtung geschehen ist:315 „So wahr Erbarmen und Gerechtigkeit / euch bald erleichtre und den Flügel löse, / dass er nach eurem Wunsch und Ziel euch trage, / Zeigt uns, nach welcher Seite zu der Treppe / man kürzer geht, und gibt’s der Wege mehr, / so weist uns den, der wen’ger steil emporsteigt.“316 Der irdische Ruhm wird als eitel erkannt: „O eitler Ruhm des menschlichen Vermögens! / Wie kurz nur grünt das Laub auf deinem Gipfel, / wenn’s nicht gefolgt von einer rohern Zeit!“317 Wer auf den irdischen Ruhm baut und ihn zum Maßstab nimmt, ist einer Richtungslosigkeit verfallen, die ihn, der über den Dingen zu stehen vermeint, in Wahrheit zum Spielball seiner Eitelkeit werden lässt: „Der irdische Ruhm ist mehr nicht als ein Windhauch, / der bald von hier und bald von dorther weht / und seinen Namen ändert wie die Richtung.“318 Mit dem irdischen Ruhm ist es also nicht anders bestellt als mit den Gesetzen seiner Heimatstadt Florenz. Sie sind wetterwendisch und lassen eine klare Richtschnur vermissen. Es kann daher kaum als ein Zufall angesehen werden, dass Dante unversehens überleitet zu seiner ungerechten Heimatstadt, deren Bewohner im Affekt so ungerecht waren, dass er aus diesem Anlass gedenkt „der Florentiner Wut, die mächtig war / zu jener Zeit, so kläglich sie jetzt ist.“319 Die seinerzeit mächtige Wut nimmt sich in der Gegenwart hinsichtlich ihres Ertrags kümmerlich aus. Vergangener Stolz lässt die lamentable Gegenwart umso armseliger erscheinen. Indem Dante die erlittene Ungerechtigkeit aufarbeitet, erinnert er seine stolzen Zeitgenossen an das ewige Gericht, das ihm als Mensch des Mittelalters beständig vor Augen steht. In dem Maße, wie der irdische Ruhm sich entsprechend dem Windhauch verhält, das nach dem biblischen Buch Kohelet alles ist,320 macht ___________ 313

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Siehe zum folgenden Gesang Vittorio Rossi, L’undicesimo canto del Purgatorio, Saggi e discorsi su Dante, 1930, S. 205 ff.; Armando Santanera, I superbi, sul canto XI del Purgatorio, 1921; Guido Fusinato, Il canto XI del Purgatorio, 1904. Thomas von Aquin, Summa theologica, I, 21, 4: „Utrum in omnibus operibus Dei sit misericordia et iustitia“. Inferno, III, 50; Purgatorio, X, 93. Purgatorio, XI, 37–42: „Deh, se giustizia e pietà vi disgrievi / tosto, sì che possiate muover l’ala, / che secondo il disio vostro vi lievi, / mostrate da qual mano inver’ la scala / si va più corto; e se c’è più d’un varco, / quel ne ’nsegnate che men erto cala“. Purgatorio, XI, 91–93: „Oh vana gloria de l’umane posse! / com’ poco verde in su la cima dura, / se non è giunta da l’etati grosse!“. Siehe dazu Hugo Friedrich, Odysseus in der Hölle, Jahrbuch für geistige Überlieferung II (1942), 154 ff.; Karlheinz Stierle, Odysseus und Aeneas. Eine typologische Konfiguration in Dantes Divina Commedia, Festschrift für Karl Maurer, 1988, S. 111 ff. Purgatorio, XI, 100–102: „Non è il mondan romore altro ch’un fiato / di vento, ch’or vien quinci e or vien quindi, / e muta nome perché muta lato“. Purgatorio, XI, 113 f.: „la rabbia fiorentina, che superba / fu a quel tempo sì com’ ora è putta.“ Siehe dazu Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 200, unter Verweis auf Inferno, XXIV, 46. Kohelet 1, 1–2.

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II. Purgatorio

sich Dante unweigerlich bewusst, dass ihn auch sein Gerechtigkeitssinn täuschen kann. Wer auf Erden stolz und überheblich ist, ist im Purgatorio nach dem Gerechtigkeitsprinzip des contrapasso gehalten,321 selbstlose Gebete zu sprechen, weshalb der elfte Gesang mit einem Vaterunser beginnt.322

5. Hypertrophie des Gerechtigkeitssinns 5. Hypertrophie des Gerechtigkeitssinns

Der dreizehnte Gesang des Purgatorio führt das Laster des Neides vor, indem gemäß dem contrapasso diejenigen erblindet sind, die zu Lebzeiten neidisch auf die Güter der Anderen schielten.323 Wie sehr sich Dantes Gerechtigkeitssinn von den untersten Höllenkreisen des Inferno bis hierher geläutert hat, erkennt man am besten daran, dass ihm sein Taktgefühl verbietet, diejenigen anzusprechen, die nur er sehen kann, welche ihn aber nicht sehen können: „Mir schien es unrecht, so einher zu gehn / die andern sehend, selber nicht gesehen, / so wandt’ ich mich an meinen weisen Führer.“324 Dantes Gerechtigkeitssinn zeigt sich in einer unvermutet subjektiv gefärbten Weise, die sein moralisches Gewissen repräsentiert. Vergil begleitet ihn als gleichsam objektive Instanz, die Dante immer weniger benötigt, weil er sittlich so weit gereift ist, dass sein Gerechtigkeitsempfinden sich regelrecht übersteigert. Die Funktion des sittlichen Begleiters erschöpft sich nunmehr darin, die Hypertrophien des Gerechtigkeitsempfindens ins rechte Lot zu bringen und auszutarieren. Dante tut hier des Guten zu viel, doch nicht mehr mit jener Selbstgewissheit, die im Inferno noch als Selbstgerechtigkeit erscheinen konnte. Vielmehr verdeutlicht die tastende Ungewissheit („mir schien es unrecht“), dass er sich selbst seiner Sache nicht mehr sicher ist.325 Objektives und subjektives Gewissen gleichen einander immer mehr an. Indem Dante die Affekte des Stolzes und des Neides mit ihrem jeweiligen contrapasso entgegengehalten werden, ändert sich auch sein Gerechtigkeitssinn entsprechend der im contrapasso waltenden Gerechtigkeit. Er verinnerlicht die Gegenbewegung so sehr, dass sie sich auch auf sein eigenes ___________ 321 322 323

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Siehe aber auch Bernhard Stambler, Dante’s Other World. The ‘Purgatorio’ as Guide to the ‘Divine Comedy’, 1957. Walther von Wartburg, S. 533. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 124: „The justice of Dante’s conception is clear. The envious are redressing the balance by giving up the faculty through which they had especially sinned. The loss of sight may signify retirement from the world through sickness or exile, so that the victim is less tempted to envy, and more certain, because blind to the world, ‘of beholding the high light’ of heaven“. Purgatorio, XIII, 73–75: „A me pareva, andando, fare oltraggio, / veggendo altrui, non essendo veduto: / per ch’io mi volsi al mio consiglio saggio“. Takt ist hier – entsprechend dem berühmten Aphorismus von Nicolas Chamfort – „der auf das Benehmen angewandte gute Geschmack“. Dieser von Nietzsche (Die Fröhliche Wissenschaft, 95) hochgeschätzte Denker bringt damit womöglich nach Dante und vor Nietzsche das auf den Punkt, was als Verbindungsglied zwischen Dantes cortesia und Nietzsches Vornehmheit denkbar ist; vgl. auch Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, 2008, S. 36, 55.

6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit

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Gerechtigkeitsempfinden auswirkt und dieses kurzfristig trübt – freilich nicht in der Weise, wie dies im Inferno der Fall war, sondern nunmehr zum Positiven hin. Jacques Derrida hat im anderen Zusammenhang, aber mit dem vorstehend Betrachteten durchaus vergleichbar, zu bedenken gegeben, dass derjenige, der sich an andere wendet – in diesem Fall er selbst als Vortragender – sich gleichsam das Recht herausnimmt, zu den Anderen zu sprechen.326 Auch darin kann man eine an Unsicherheit grenzende Übersteigerung des moralischen bzw. intellektuellen Gewissens erblicken, die unfreiwillig enthüllt, dass der darin zum Ausdruck kommende Anspruch, sich an die Anderen zu wenden, so hypertroph ist, dass man ihn unter normalen Umständen nicht für möglich halten würde. Das kann allerdings auch als Ausweis einer rechtsphilosophischen Unsicherheit begriffen werden.327 Denn es verrät unfreiwillig, dass sich der Sprecher seiner Sache nicht hinreichend sicher ist. Zudem wird damit, und in gewisser Weise auch bei Dante, nicht hinreichend berücksichtigt, dass es einer moralischen Ermächtigungsgrundlage nicht bedarf, wenn der vorgetragene Gedanke nicht anstößig ist. Auch übertriebene intellektuelle oder moralische Skrupel können den Gerechtigkeitssinn trüben.

6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit 6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit

Die nächsten fünf bis sechs Gesänge (XVI bis XXI) enthalten und behandeln leitmotivartig das Problem der Willensfreiheit.328 Dieses heute noch so drängende und die strafrechtswissenschaftliche bzw. rechtsphilosophische Diskussion seit jeher und noch immer beherrschende Problem,329 das durch die moderne Naturwissenschaft immer neue Impulse erhält,330 war für den mittelalterlichen Menschen so ___________ 326 327 328 329

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Jacques Derrida, Gesetzeskraft. Der »mystische Grund der Autorität«, 1991, S. 7 ff. Kritisch zu dem Standpunkt Derridas daher Jens Petersen, Blaise Pascals Gedanken über das Recht, Festschrift für Werner Merle, 2010, S. 289, 295 ff. Bezogen auf das Purgatorio dazu Josef Kohler, Dante und die Willensfreiheit, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 12, 23 f. Rolf Dieter Herzberg, Willensfreiheit und Schuldvorwurf, 2010, S. 2 ff. zur Hirnforschung; ferner S. 35 f. zur Quantenmechanik. Peter Mankowski, Verändert die Neurobiologie die rechtliche Sicht auf Willenserklärungen?, AcP 211 (2011), 153. Bernd Schünemann (Die Funktion des Schuldprinzips im Präventionsstrafrecht, in: Grundfragen des modernen Strafrechtssystems, Hg. ders., 1984, S. 153, 163, 166) hält die Willensfreiheit für „kein schlichtes bio-physikalisches Faktum“, die „zu einer besonders elementaren Schicht mindestens der abendländischen Kultur gehört“. Dazu Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 2006, § 19 Rdnr. 41; siehe auch Arthur Kaufmann, Unzeitgemäße Betrachtungen zum Schuldgrundsatz im Strafrecht, Jura 1986, 225, 226 f. Max Planck, Vom Wesen der Willensfreiheit und andere Vorträge (Hg. Armin Herrmann), 1999; dort neben dem gleichnamigen Beitrag auch der Aufsatz ‘Kausalgesetz und Willensfreiheit’. Zuletzt Björn Brembs, Towards a scientific concept of free will as a biological trait: spontaneous actions and decision-making in invertebrates, Proceedings of the Royal Society B 278 (2011), 930, der für ein neuartiges, biologisch geprägtes Konzept der Willensfreiheit eintritt.

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drängend, dass die Frage von Dante mit der gebührenden Ausführlichkeit erörtert und an verschiedenen Stellen seiner Dichtung behandelt wird.331

a) Gerechtigkeit und Willensfreiheit Dante erkennt und benennt im Ausgangspunkt den Zusammenhang zwischen Willensfreiheit und Gerechtigkeit: „Wenn das so wäre, würd’ in euch zerstört / der freie Wille, und nicht wär’s gerecht, / aus Güte Glück, aus Bosheit Leid zu ernten.“332 Ein vollständiger Determinismus würde die Gerechtigkeitskonzeption in Frage stellen, die Inferno und Purgatorio durchwalten. Gäbe es keinen freien Willen, dann dürften Untaten nicht bestraft und rechtes Handeln nicht belohnt werden. Dass der Mensch frei wählen und handeln kann, legitimiert die jenseitige Bestrafung und Belohnung. Die Willensfreiheit ist so Voraussetzung der Zurechnung.333 Zu Recht formuliert Hugo Friedrich dies gleichsam dialogisch und spricht vom freien Willen, „auf dessen verneinenden oder bejahenden Entscheid die Gerechtigkeit des Rechtsursprungs mit Strafe, Lohn und Gnade antwortet.“334 Der freie Wille wiederum hängt aufs engste mit dem Gewissen zusammen: „Und freier Wille, der, wenn ihm die Kämpfe / zuerst wohl Müh’ bereiten mit dem Himmel, / doch schließlich siegt, wenn er nur standhaft ist.“335

b) Willensfreiheit und Gewissen Der Mensch, der mit der Willensfreiheit begabt ist, muss gleichwohl und gerade deshalb auf seine innere Stimme hören.336 Hier offenbart sich nach altem Verständnis das Gewissen als (Echo der) Stimme Gottes, das es, wie erinnerlich, für Dante war.337 Die Willensfreiheit befähigt und verpflichtet den Menschen zum Guten, da er nicht mehr mit dem Einwand gehört wird, er habe nicht anders handeln können:338 „Denn ihr seid höhrer Macht und besserer Natur / in Freiheit hin___________ 331 332 333

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Walther von Wartburg, S. 586 f. Siehe auch Martin Grabmann, Thomas von Aquin und die Dante-Auslegung, Deutsches Dante-Jahrbuch 25 (1943), 4. Purgatorio, XVI, 70–72: „Se così fosse, in voi fora distrutto / libero arbitrio, e non fora giustizia / per ben letizia, e per male aver lutto“. Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 214. Siehe aus dem neueren Schrifttum insbesondere Christian Jäger, Zurechnung und Rechtfertigung als Kategorialprinzipien im Strafrecht, 2006. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 92. Purgatorio, XVI, 76–78: „e libero voler; che, se fatica / ne le prime battaglie col ciel dura, / poi vince tutto, se ben si notrica“. Vgl. Thomas von Aquin, Summa theologica, I, 115, 4; II, 2, 95, 5. Oben I. 10. c). Aus theologischer Sicht gibt Joseph Ratzinger, Eschatologie – Tod und ewiges Leben, 1977, 6. Auflage 1990, S. 177, die dogmatische Begründung mit der „unbedingten Achtung Gottes vor der Freiheit seines Geschöpfes“.

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gegeben; diese schuf / den Geist in euch, den nicht die Sterne lenken.“339 Vergils moralische Botschaft an Dante ist eine schlichte Schuldzuweisung: „Drum, wenn vom Weg abirrt die heutge Welt, / so ist bei euch die Schuld, bei euch zu suchen, / und das will ich in Wahrheit dir erklären.“340 Es ist dies ein Beleg für das in anderem Zusammenhang geprägte Wort Hugo Friedrichs von der „Überordnung des metaphysischen Schuldbegriffs über den innerweltlichen“.341 Das Gewissen ist gleichsam derjenige moralische Ort, von dem aus der Ruf des metaphysischen Schuldbegriffs an den Menschen ergeht. Die Willensfreiheit erhebt damit letztlich das Gewissen zur vorläufig richtenden Instanz; endgültig gerichtet wird der dafür unempfängliche oder dadurch unberührte Sünder nach Dante durch die göttliche Gerechtigkeit.

c) Freiheit und Bindung durch irdische Gesetze Diese Folgerung wird nur verständlich, wenn eine andere mit bedacht wird, die den Geltungsgrund der Gesetze betrifft, mit deren Hilfe und unter deren Anleitung der Willensfreiheit äußere Schranken und Bindungen auferlegt werden: „Drum musst’ man ein Gesetz als Zügel schaffen; / ein König musste kommen, zu erkennen / zumindest doch den Turm der wahren Stadt. / Gesetze gibt’s, doch wer schafft ihnen Achtung? / Kein einz’ger, weil der Hirte, der vorangeht, / wohl wiederkäut, doch fehlen ihm gespaltne Hufe.“342 Das Gesetz als Zügel findet sich der Sache nach nicht nur in Dantes Convivio,343 sondern auch in seiner Monarchia.344 So wie die Willensfreiheit eine Bedingung der Gerechtigkeit darstellt, bedarf es der Gesetze,345 die den freien Willen leiten.346 Von der geistlichen Macht der Kirche und ihrer Repräsentanten erwartet Dante keinen Beistand, fehlt ihnen doch das Vermögen, die weltlichen und geistigen Dinge angemessen zu trennen. Nichts an-

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Purgatorio, XVI, 79–81: „A maggior forza e a miglior natura / liberi soggiacete; e quella cria / la mente in voi, che ’l ciel non ha in sua cura“. Purgatorio, XVI, 82–84: „Però, se ’l mondo presente disvia, / in voi è la cagione, in voi si cheggia; / e io te ne sarò or vera spia“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 100. Purgatorio, XVI, 94–99: „Onde convenne legge per fren porre; / convenne rege aver, che discernesse / de la vera cittade almen la torre. / Le leggi son, ma chi pon mano ad esse? / Nullo, però che ’l pastor che procede, / rugumar può, ma non ha l’unghie fesse“. Vgl. dazu auch Dante Alighieri, Monarchia, II, ii; iv. Dante Alighieri, Convivio, IV, iv, 6 f. Dante Alighieri, Monarchia, I, xii, 11; III, xv, 9. Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59, 64, mit eingehender Darlegung des dem seines Erachtens zugrunde liegenden thomistischen Rechtssystems. Grazia Dolores Folliero-Metz, Das politische System Europas in der Neuzeit, JuS 1994, 637 ff., behandelt die Bedeutung des freien Willens bei Dante für die Verbindung von Staat und Recht; vgl. auch Dirk Lüddecke, Der Staat 37 (1998) 547, 567.

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deres ist mit den gespaltenen Hufen gemeint.347 Darüber hinaus macht der Gedanke klar, dass Freiheit und Bindung zusammen gehören. Schrankenlose Freiheit ist verantwortungslose Freiheit, die letztlich zur schlichten Zucht- und Zügellosigkeit führt.348

d) Willensfreiheit unter der Bedingung der Liebe Der achtzehnte Gesang des Purgatorio stellt die Frage nach der Willensfreiheit aufs Neue und beantwortet sie in einer anderen Richtung, indem eine weitere Dimension hinzutritt, die das Werk forthin begleitet, durchwirkt und auf diese Weise Dantes Gerechtigkeitssinn prägt: Es ist das Wesen der Liebe,349 die auch in Dantes Rechts- und Morallehre nach einem treffenden Wort von Hans Kelsen die „Haupttriebfeder in der sittlichen Weltordnung“ darstellt.350 Nicht von ungefähr kommt hier Beatrice ins Spiel, Dantes früh verstorbene Geliebte, auf die ihn Vergil vorbereitet: „Und diese edle Kraft meint Beatrice / mit Willensfreiheit, darum sei bereit, / daran zu denken, spricht sie dir von ihr.“351 Inmitten des Purgatorio wird Dante so auf das Paradies vorbereitet.352 Willensfreiheit besteht also für Dante nicht nur darin, das Gute zu tun und zu wollen sowie das Böse zu meiden und zu unterlassen, sondern sie existiert unter der Voraussetzung und Bedingung der Liebe. Wenn Willensfreiheit, wie weiter oben dargestellt, eine Bedingung der Gerechtigkeit ist, so gibt es die Willensfreiheit ihrerseits nur unter der Bedingung der Liebe. Auf diese Weise sind Liebe und Gerechtigkeit miteinander verschränkt. Dantes Gerechtigkeitssinn wird fortan durch eine alles Weitere überwölbende und bestimmende Größe geleitet.353 Wenn es hier und im Folgenden so aussieht, als habe durch diese neu hinzutretende und bestimmende Dimension der Liebe die Gerech___________ 347 348

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Walther von Wartburg, S. 596. Interessanterweise nennt Nietzsche (Nachlass, Die Unschuld des Werdens I, § 538) Dante den „Vollender für die katholische Kirche“. Ganz ähnlich wie Dante Joseph Ratzinger, Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, 2003, 4. Auflage 2005, S. 202: „Der Maßstab für das wirkliche Recht, das sich als wahres Recht und damit als Freiheitsrecht bezeichnen darf, kann daher nur das Gut des Ganzen, das Gute selber sein. (…) Das bedeutet, dass Freiheit, um recht verstanden zu werden, immer mit Verantwortung zusammen gedacht werden muss.“ Unter Verweis auf Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1979. Prägnant Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 119: „Justice is not abandoned; it is satisfied by love“. Hans Kelsen, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, Die Staatslehre Dante Alighieris, 1905, S. 45 (= HKW 1, 134, 187). Purgatorio, XVIII, 73–75: „La nobile virtù Beatrice intende / per lo libero arbitrio, e però guarda / che l’abbi a mente, s’a parlar ten prende“. Paradiso, V, 19 ff. Erinnert sei in diesem Zusammenhang an Pascals Lehre von den drei Ordnungen, deren Höchste die der Liebe ist; Blaise Pascal, Pensées (ed. Brunschvicg), Fragment 793; dazu Joseph Ratzinger, Vom Sinn des Christseins, 1965, S. 33 f.; hierzu und zum Verhältnis zur Gerechtigkeit Jens Petersen, Blaise Pascals Gedanken über das Recht, Festschrift für Werner Merle 2010, S. 289 f.

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tigkeitsproblematik keinerlei juristischen Sinn mehr, so ist darauf zu verweisen, dass auch für einen anderen, in nahezu jeder Hinsicht entgegengesetzt argumentierenden Autor wie Friedrich Nietzsche Gerechtigkeit und Liebe aufs Engste miteinander zusammenhängen.354 Der Gerechtigkeitssinn Dantes hat sich bisher vor allem aus der Negation entwickelt. Im Inferno und zu Beginn des Purgatorio erfährt er, welche Strafen diejenigen zu erwarten haben, die auf Erden dem göttlichen Gesetz zuwider gehandelt haben.

e) Willensfreiheit und contrapasso Im neunzehnten Gesang des Purgatorio begegnet Dante den Habgierigen, die nach dem Prinzip der allegorischen Entgegensetzung und dem „Gesetz der konformen Vergeltung“355 (contrapasso) gefesselt mit dem Gesicht auf den Boden hingestreckt daliegen müssen, weil sie auf diese Weise daran erinnert werden, dass sie zu Lebzeiten nur dem Irdischen verhaftet waren und allein auf die materiellen Güter geschaut haben. Daher rufen sie aus: „Ihr Auserwählte Gottes, deren Qualen / wohl Hoffnung lindert und Gerechtigkeit, / weist uns den Weg, der uns nach oben führt.“356 In diese hoffnungsfrohe Stimmung mischt sich die verspätete Einsicht in das begangene Unrecht und die eigene Sündhaftigkeit: „So wie sich unser Auge nicht erhob / nach oben, haftend nur an irdschen Dingen, / so drückt Gerechtigkeit uns hier zu Boden.“357 Die Gerechtigkeit entfaltet zu Lasten dieser armen Sünder eine regelrechte Erdanziehungskraft.358 Die konsekutive Wirkung der Gerechtigkeit wird durch den nachfolgenden Parallelismus noch verstärkt: „Und wie der Geiz zu jedem Guten löschte / die Liebe und den Trieb zum Wirken lähmte, / so hält Gerechtigkeit uns hier gebannt“.359 Die nachträgliche Erkenntnis der eigenen Willensfreiheit führt also im Purgatorio zur göttlichen Gerechtigkeit.

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Dazu mit umsichtiger Argumentation weiterführend Chiara Piazzesi, Liebe und Gerechtigkeit. Eine Ethik der Erkenntnis, Nietzsche-Studien 39 (2010), 352. Siehe ferner Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, 2008. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 137. Purgatorio, XIX, 76–78: „O eletti di Dio, li cui soffriri / e giustizia e speranza fa men duri, / drizzate noi verso li alti saliri“. Purgatorio, XIX, 118–120: „Sì come l’occhio nostro non s’aderse / in alto, fisso a le cose terrene, / così giustizia qui a terra il merse“. Ähnlich Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 312 f.: „Das innere Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit drückt die Büßer zu Boden“. Purgatorio, XIX, 121–123: „Come avarizia spense a ciascun bene / lo nostro amore, onde operar perdési, / così giustizia qui stretti ne tene“.

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II. Purgatorio

f) Dogmatische Unterscheidung als Abbildung der Reinigung des Gerechtigkeitssinns Im Gespräch mit Hugo Capet gibt Dante eine Probe seiner dogmatischen Trennung von Amt und Person.360 Papst Bonifaz VIII. wird zwar von Dante denkbar gering geschätzt,361 doch kann er die Verhaftung des Stellvertreters Christi auf Erden, welcher der Papst für den gläubigen Dante nun einmal war und ungeachtet seiner moralischen Verderbtheit ist, nicht billigen: „Und, zu verkleinern künftge und begangne Untat, / seh ich die Lilien einziehn in Alagna, / und Christ gefang’n in seinem Stellvertreter.“362 Besonders arg erschien Dante die Erniedrigung des ihm persönlich verhassten Papstes, weil sie „ohne Rechtspruch“ erfolge.363 Hieran zeigt sich, dass Dantes Gerechtigkeitssinn mehr ist als nur ein diffuses Gefühl, dessen Unmaßgeblichkeit letztlich aus seiner irrationalen Subjektivität folgen würde. Vielmals urteilt Dante im Purgatorio durchaus rational,364 eher positivistisch und dabei zugleich als gläubiger Christ des Hochmittelalters,365 der weder am päpstlichen Jurisdiktionsprimat noch gar an der apostolischen Sukzession zweifelt.366 Wer in ihr steht, kann ungeachtet aller persönlichen Fehlbarkeit und moralischen Vorwerfbarkeit wirksam richten und darf seinerseits nicht ohne Rechtspruch gerichtet werden, weil damit zugleich der von ihm Vertretene ungerecht behandelt würde.367 Diese saubere dogmatische Trennung bedeutet einen Zugewinn an materieller Gerechtigkeit, weil sie die Leidenschaften im Zaum hält, deren ungebändigtes Wirken Dante gerade im Purgatorio erfährt. So reinigt das Purgatorio auch Dantes Gerechtigkeitssinn.

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Walther von Wartburg, S. 646. Siehe zu diesem Gesang auch Angelo Wolff, Il canto XX del Purgatorio, 1912; Lorenzo Biachi, Rileggendo il canto XX del Purgatorio, Memoriae R. Accademia, 1942, S. 243 ff. Aus dem neueren Schrifttum dazu Laura Pasquini, L’immagine di Bonifacio VIII attraverso l’iconografia dantesca, in: Le culture di Bonifacio VIII., 2006, S. 215–230. Purgatorio, XX, 85–87: „Perché men paia il mal futuro e ’l fatto, / veggio in Alagna intrar lo fiordaliso, / e nel vicario suo Cristo esser catto“. Purgatorio, XX, 92: „ma sanza decreto“. Oben II vor 1; vgl. auch Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 142. Damit zugleich freilich an der Schwelle zur frühen Neuzeit; vgl. Karlheinz Stierle, Dantes Divina Commedia an der Schwelle zur frühen Neuzeit, in: Schwellentexte der Weltliteratur (Hg. Reingard M. Nischik/Caroline Rosenthal), 2002. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund Alois Dempf, Sacrum Imperium. Geschichts- und Staatsphilosophie des Mittelalters und der politischen Renaissance, 1929. Bemerkenswert in ihrer dogmatischen Strenge und Folgerichtigkeit die Unterscheidung zwischen Botschaft und Stellvertretung bei Dante Alighieri, Monarchia, III, vi. Vgl. auch Stephan Schaede, Stellvertretung, 2004, S. 54.

6. Willensfreiheit als Bedingung der Gerechtigkeit

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g) Verfeinerung des Gerechtigkeitssinns durch Erkenntnis der Willensfreiheit Während sich in der Eiseskälte des Inferno bei Dante eine ungekannte Gefühlskälte einstellte, die seinen Gerechtigkeitssinn trübte und zu ungerechten Regungen verleitete, welche sittlich auf niedrigster Stufe stehen, wird im Purgatorio sein Gerechtigkeitssinn geläutert:368 „Der Wille schon allein bezeugt die Läuterung, / der frei die Seele lässt, sich ihren Ort / zu wählen, und der Wille trägt sie aufwärts.“369 aa) Wille zur Gerechtigkeit Hier begegnet abermals das Problem der Willensfreiheit,370 das schon im sechzehnten Gesang gegenwärtig war.371 Von den Leidenschaften hin- und hergeworfen, bedarf die Seele des Korrektivs der Gerechtigkeit: „Erst will sie wohl, doch lässt’s nicht zu Begierde, / da gleich wie vorher sie zur Sünde strebte, / die göttliche Gerechtigkeit zur Qual sie lenkt.“372 Hermann Gmelin sieht hier mit einleuchtender Begründung eine Verinnerlichung der göttlichen Gerechtigkeit am Werk, die auch die Grundtendenz des Purgatorio zum Ausdruck bringt: „Das Gesetz der göttlichen Gerechtigkeit ist in das Innere der Seele verlegt und bringt den Willen des Büßers in Übereinstimmung mit dem Willen Gottes, so dass sie die Buße ebenso will wie die Erlösung.“373 Im Purgatorio ist der Sünder also von der Gerechtigkeit regelrecht durchdrungen, was entsprechend der aristotelischen Mesotes-Lehre zugleich einen Drang zum Guten als der inneren Mitte bewirkt und auf diese Weise auch dem Gesetz des contrapasso im Purgatorio entspricht. bb) Vorbereitung auf die Wiederbegegnung mit Beatrice Dante wird von dem Gequälten daran erinnert, dass sich die Erkenntnis der Willensfreiheit erst mit beträchtlicher zeitlicher Verzögerung einstellt, wenn die zu sühnenden Taten so weit zurückliegen, dass sie im Zustand der Unfreiheit begangen zu sein schienen: „Und ich, der schon in dieser Pein gelegen / fünfhundert

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Näher Nicola Zingarelli, L’incontro con Stazio nel canto XXI del Purgatorio e il concetto dantesco della poesia, La Cultura Moderna XXXII (1923), 33 ff. Purgatorio, XXI, 61–63: „De la mondizia sol voler fa prova, / che, tutto libero a mutar convento, / l’alma sorprende, e di voler le giova“. Treffend Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 340: „Es ist wohl der höchste Triumph der menschlichen Willensfreiheit, dass der eigene Wille auch über den Zeitpunkt der Erlösung entscheidet und die Macht hat, die Seele zum Himmel zu tragen“. Purgatorio, XVI, 70 f.; 94–97. Purgatorio, XXI, 64–66: „Prima vuol ben, ma non lascia il talento / che divina giustizia, contra voglia, / come fu al peccar, pone al tormento“. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Zweiter Teil: Der Läuterungsberg, 1955, 3. Auflage 1993, S. 340.

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II. Purgatorio

Jahr und mehr, jetzt fühlt’ ich erst / den freien Willen zu noch höhrer Stufe.“374 Aufs Neue zeigt sich hier, dass die Willensfreiheit die strafende Gerechtigkeit legitimiert und dass die Willensfreiheit auf diese Weise eine Bedingung der Gerechtigkeit darstellt, wie dies bereits im sechzehnten Gesang gezeigt wurde.375 Indem Dante hier immer von Neuem das Thema der Willensfreiheit umkreist,376 zeigt sich zugleich die Zentralität jener bereits behandelten Mahnung Vergils gegenüber Dante, der sich dies für die Wiederbegegnung mit Beatrice gesagt sein lassen soll: „Und diese edle Kraft meint Beatrice / mit Willensfreiheit, darum sei bereit, / daran zu denken, spricht sie dir von ihr.“377 Es ist dies zugleich eine jener Stellen, die Jacob Burckhardt im Sinn gehabt haben dürfte, als er die eigentümliche mittelbare Charakterisierung Beatrices so beschrieb: „Dante hat seine Beatrice nirgends herrlicher gepriesen, als wo er nur den Reflex schildert, der von ihrem Wesen ausgeht auf ihre ganze Umgebung.“378 So wirkt Beatrice auf den Wanderer Dante und seinen Gerechtigkeitssinn antizipierend, während der Dichter Dante in der Vorwegnahme ihrer Erscheinung eine Interpretationshilfe leistet. Dantes Gerechtigkeitssinn verfeinert sich unter diesem Eindruck allmählich, er erreicht eine neue Dimension, indem er dieses Monitum stets aufs Neue reflektiert, so dass das vom Sünder Gesagte nunmehr auch für ihn gilt: „jetzt fühlt’ ich erst / den freien Willen zu noch höhrer Stufe.“379

7. Vernunft und Gerechtigkeitssinn 7. Vernunft und Gerechtigkeitssinn

Zugleich vollzieht sich bei Dante entsprechend dem thomistischen Denken ein Erkenntniszuwachs und Entwicklungsschritt von der vergleichsweise niedrigen sinnlichen Wahrnehmung über die durch Vergil personifizierte Vernunft zur göttlichen Offenbarung, die Beatrice darstellt.380 Dass die Gerechtigkeitsvorstellung sich immer mehr ins Positive wendet und damit von der strafenden Gerechtigkeit abwendet, verdeutlicht Dante mit dem Verweis auf die Seligpreisung derer, die Gerechtigkeit ersehnen, durch den Matthäus-Evangelisten,381 auf den sich Dante be___________ 374 375 376

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Purgatorio, XXI, 67–69: „E io, che son giaciuto a questa doglia / cinquecent’ anni e più, pur mo sentii / libera volontà di miglior soglia“. Purgatorio, XVI, 71 f.; 94 ff. Die Willensfreiheit kommt auch im modernen Strafrecht an verschiedenen Stellen zum Tragen, insbesondere – ebenso wie bei Dante – bei der Rechtfertigung der Strafe und bei der Schuld; vgl. nur Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 2006, § 3 Rdnr. 55; § 19 Rdnr. 20 f., 37 ff. Siehe auch Rolf Dieter Herzberg, Willensfreiheit und Schuldvorwurf, 2010; dazu bereits oben S. 49 f. Purgatorio, XVIII, 73–75: „La nobile virtù Beatrice intende / per lo libero arbitrio, e però guarda / che l’abbi a mente, s’a parlar ten prende“. Zu dieser Stelle bereits oben S. 52. Jacob Burckhardt, Die Kultur der Renaissance in Italien, 10. Auflage 1908, S. 63. Purgatorio, XXI, 68 f.: „pur mo sentii / libera volontà di miglior soglia“. Walther von Wartburg, S. 659. Matthäus 5, 6. Die Seligpreisungen „sind als Ganzes von der Perspektive des Kreuzes geprägt“ (Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, 2011, S. 143).

8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn

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zieht.382 Diese explizit christliche Gerechtigkeitsvorstellung wird im Folgenden auf Vergil bezogen,383 der zwar das durch Kaiser Augustus begründete goldene Zeitalter im Sinne hatte, aber von der mittelalterlichen Theologie als Hinweis auf die Parusie verstanden wurde,384 wenn Dante Vergil sagen lässt: „Es kommen neue Zeiten, / Gerechtigkeit und Urzeit kehren wieder, / es steigt ein neu Geschlecht vom Himmel nieder.“385 Vergil ist für Dante somit nicht nur die Stimme der Vernunft, sondern in seiner zwar heidnischen Befangenheit, aber doch christlichen Ankündigung, zugleich Organ der Gerechtigkeit. Das Zitat aus der Bucolica offenbart, wie sehr Dantes Gerechtigkeitssinn durch den vorchristlichen Klassiker geprägt wurde.386 Das wird deutlich, wenn Dante an späterer Stelle unvermittelt und vorderhand heidnisch voraussetzt, dass „Jupiter Gerechtigkeit geübt“.387 Die vorgebliche Gerechtigkeit Jupiters ist eher ein erzählerisches Ornament und gewiss kein Richtmaß für Dantes sich entwickelnden und ausreifenden Gerechtigkeitssinn. Das erzählende Ich und der Erzähler Dante fallen hier in der Weise zusammen, dass der zunächst empirisch-rudimentäre, sodann durch Vergils Führung rational verfeinerte Gerechtigkeitssinn allmählich eine zutiefst christliche Prägung erhält.

8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn 8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn

So erklärt sich auch unter dem Blickwinkel des jeweils unterschiedlich ausgeprägten und sich sittlich entwickelnden Gerechtigkeitssinns, warum Dante der Führung Vergils hinfort nicht mehr bedarf, wie dieser ihm gegen Ende des siebenundzwanzigsten Gesangs zu verstehen gibt: „Ich hab’ dich hergeführt mit Geist und Klugheit; / nimm dir zum Führer jetzt des Herzens Trieb.“388 Durch die mit Vergils Hilfe rational abgesicherte geistliche Führerschaft ist bei Dante nunmehr eine Läuterung von seinen Lastern vollzogen, die ihm vom graden Weg abkommen und in die Ungerechtigkeit sich verirren ließen.389 Wenn Vergil ihn nunmehr für befähigt erklärt, seines „Herzens Trieb“ zu folgen, so ist damit zweierlei gesagt: Zum Einen ist Dante geläutert von aller Triebhaftigkeit und kann eigenverantwortlich fortschreiten. Zum Zweiten ist jetzt gewährleistet, dass Dantes „Herzens Trieb“ gleichbedeutend mit dem zitierten Wort aus der Bergpredigt ist,390 wonach ___________ 382 383 384 385 386 387 388 389 390

Purgatorio, XXII, 4. Siehe auch Hans Lilje, Dante als christlicher Denker, 1955. Walther von Wartburg, S. 658 f. Purgatorio, XXII, 70–72. Vgl. hierzu auch Vergil, Bucolica, IV, 5–7. Zur Gerechtigkeit bei ihm Niklas Holzberg, Vergil: der Dichter und sein Werk, 2006, S. 39. Näher Andreas Heil, Alma Aeneis. Studien zur Vergil- u. Statiusrezeption Dante Alighieris, 2002. Purgatorio, XXIX, 120: „quando fu Giove arcanamente giusto“. Purgatorio, XXVII, 130 f.: „Tratto t’ho qui con ingegno e con arte; / lo tuo piacere omai prendi per duce“. Inferno, I, 3, 18. Purgatorio, XXII, 4.

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II. Purgatorio

selig die sind, die es nach Gerechtigkeit dürstet und die Gerechtigkeit ersehen.391 Während Dante die Seligpreisung der um der Gerechtigkeit willen Verfolgten mit Bedacht unterschlägt, weil er als zu Unrecht Verbannter kein selbstgerechtes Selbstmitleid erwecken möchte,392 findet sich die Seligpreisung der nach Gerechtigkeit Hungernden und Dürstenden gleich zweimal, da sie Dantes Idee einer aktiven Gerechtigkeit entspricht, die sich nicht auf das bloße Dulden beschränkt. Dantes Gerechtigkeitssinn ist zu keiner Zeit ein konstantes Richtmaß, sondern wird seinerseits kontinuierlich gerichtet, zunächst rational durch Vergil, sodann mit Hilfe Beatrices, schließlich unter Anleitung des heiligen Bernhard von Clairvaux.

a) Autonomie und Heteronomie des Gerechtigkeitssinns Jetzt wird offenbar, dass die zunächst eher theoretisch abgehandelte Frage der Willensfreiheit für Dante ein praktisches Ausmaß gewinnt.393 Die bisher fortwährende Heteronomie wandelt sich in Autonomie, die jedoch mitnichten führungsund richtungslos ist, sondern fortan unter Beatrices Anleitung einem neuen Imperativ ausgesetzt ist, der zur Duldung verpflichtet: „Dante, weil jetzt Vergil hinweggegangen, / weine du nicht, noch weine nicht! / Ein andres Schwert soll dich zum Weinen bringen.“394 Diese Stelle ist nicht nur deshalb bedeutsam, weil sie das einzige Mal ist, wo sich Dante ausdrücklich und namentlich zu erkennen gibt.395 Vielmehr steht sie zugleich in einem inneren Verweisungszusammenhang zu jener bereits weiter oben wiederholt für zentral erachteten Mahnung Vergils: „Und diese edle Kraft meint Beatrice / mit Willensfreiheit, darum sei bereit, / daran zu denken, spricht sie dir von ihr.“396 Beatrice handelt zwar in der zuvor behandelten Stelle nicht ausdrücklich „von ihr“, das heißt von der Willensfreiheit.397 Aber sie spricht in der denkbar persönlichsten Weise, nämlich unter direkter und – ___________ 391 392

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Matthäus 5, 6. Etwas anders in der Akzentsetzung Luigi Valli, La struttura morale dell’universo dantesco, 1935, S. 424 ff., der seine verdienstvolle Beobachtung damit begründet, dass die Gerechtigkeit durch diese Auslassung völlig ungetrübt bestehen soll; ihm zustimmend Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 185. Im Strafrecht kann die Frage wohl letztlich unentschieden bleiben; vgl. die rechtsphilosophisch weiterführende Begründung von Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 2006, § 3 Rdnr. 55 (Hervorhebungen auch dort): „Ihre Annahme ist eine normative Setzung, eine soziale Spielregel, die sich nicht zu der Frage äußert, wie es mit der menschlichen Freiheit seinsmäßig beschaffen ist, sondern die lediglich anordnet, dass der Mensch vom Staat als prinzipiell frei und verantwortungsfähig behandelt werden sollte. Die Frage nach dem wirklichen Bestehen der Willensfreiheit kann und muss wegen ihrer objektiven Unentscheidbarkeit dabei ausgeklammert werden“. Purgatorio, XXX, 55–57: „Dante, perché Virgilio se ne vada, / non pianger anco, non piangere ancora; / ché pianger ti conven per altra spada“. Dazu oben S. 52, 56. Walther von Wartburg, S. 764. Purgatorio, XVIII, 73–75: „La nobile virtù Beatrice intende / per lo libero arbitrio, e però guarda / che l’abbi a mente, s’a parlar ten prende“. Purgatorio, XXX, 55–57.

8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn

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wie gesehen – einzigartiger Namensnennung, die Dante an anderer Stelle verpönte.398 Indem Beatrice auf diese Weise Dante ins Gewissen spricht und ihn implizit an die Willensfreiheit erinnert, gemahnt sie ihn zugleich daran, wie er selbst gerichtet wird. Vergil verweist damit frühzeitig auf diejenige, die Dantes Gerechtigkeitssinn zu christlich geleiteter Selbstbestimmung führt.

b) Namensnennung als Ruf der Gerechtigkeit Die singuläre Namensnennung Dantes ruft darüber hinaus ein bereits angedeutetes Deutungsproblem in Erinnerung, das den hier vorausgesetzten Gerechtigkeitssinn Dantes betrifft. Ich-Erzähler und erzählendes Ich dürfen zwar nicht ohne weiteres gleichgesetzt werden, weil sonst eine Vermengung droht, die zumindest ausblendet, dass Dante auch dort, wo er vorderhand am Anfang seines Wegs und seiner Entwicklung steht,399 immer schon das Ganze im Blick hat, so dass man in der Tat sagen kann, das Ende liege bei Dante immer zugleich im Anfang und der Beginn sei stets im Hinblick auf das Ganze mit seinem Ende im Paradiso konzipiert.400 Daraus folgt zugleich, dass der anfangs rudimentäre Gerechtigkeitssinn, der Schwankungen bis hin zu moralischer Korruption und pervertierter Selbstgerechtigkeit ausgesetzt ist,401 von Anfang an eine richtende und lenkende Instanz über sich weiß, die scheinbar im erzählenden Ich begründet ist. In der einmaligen Namensnennung ergeht so an Dante in doppeltem Sinne, nämlich auf beiden Seiten, stellvertretend der Ruf der Gerechtigkeit.

c) Gerichtete Zeit bei Dante und Proust Die zitierte Stelle ist darüber hinaus im Hinblick auf den Zusammenhang zwischen Dantes Göttlicher Komödie und Marcel Prousts Hauptwerk von Interesse. Ähnlich wie Proust den Leser der ‘Recherche’ zunächst glauben macht, dass der Autor ausschließlich autobiographisch schreibt und ihn dann lange Zeit in der Schwebe und Ungewissheit darüber lässt,402 um schließlich unversehens und scheinbar selbstverständlich einmal die Anrede „Marcel“ ausgesprochen zu hören, ___________ 398 399 400

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Dante Alighieri, Convivio, II, ii, 2 f. Inferno, I, 2 ff. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik in der Göttlichen Komödie, 1942, S. 2 ff. Zu dem auch mit dieser Sichtweise zusammenhängenden Methodenstreit zwischen der von Ernst Robert Curtius repräsentierten historisch-philologischen Literaturwissenschaft und der idealistischen Friedrichs näher Frank-Rutger Hausmann, „Sie haben keine Neigung, von mir etwas zu lernen“. Ernst Robert Curtius, Hugo Friedrich und die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, in: Mittellateinisches Jahrbuch 28,1 (1993), 101 ff.; Mirjam Mansen, „Denn auch Dante ist unser!“. Die Deutsche Danterezeption 1900–1950, 2003, S. 109 ff. Inferno, XXXII, 76 ff., 97 ff.; XXXIII, 148 ff. Eingehend zur Unterscheidung zwischen erinnerndem und erinnertem Ich Hans Robert Jauß, Zeit und Erinnerung in Marcel Prousts ‘À la recherche du temps perdue’. Ein Beitrag zur Theorie des Romans, 2. Auflage 1986, S. 54 ff.

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II. Purgatorio

verfährt Dante mutatis mutandis mehr als ein halbes Jahrtausend zuvor.403 Es ist zudem in der Tat bezeichnend,404 dass gerade derjenige, der Dante als Dichter der irdischen Welt behandelte,405 auch die von Prousts in der ‘Recherche’ geschaffene „irdische Welt“ hervorhob.406 Die gemeinsame Klammer erschöpft sich wohl nicht nur im Literaturwissenschaftlichen. Nicht von ungefähr stellt ein zeitgenössischer Interpret neben Augustinus gerade auch ein zentrales Wort Pascals über Wahrheit und Gerechtigkeit an den Ausgangspunkt seiner Betrachtung der Zeitgestalten bei Proust.407 Dieser Zusammenhang kann hier nicht vertieft werden,408 veranschaulicht aber, dass sich die schon von Beckett in seinem Proust-Essay409 hervorgehobenen Bezüge zwischen Dante und Proust nicht zuletzt im Hinblick auf ihre möglichen Vorläufer – Augustinus einerseits und Pascal andererseits410 – erklären lassen, die wiederum das Thema der Gerechtigkeit im weitesten Sinne berücksichtigt und als Grundanforderung begriffen haben. Hans Robert Jauß hat mit gutem Grund geltend gemacht, dass man die Göttliche Komödie durchaus im Lichte der ‘Recherche’ lesen könne, zumal da die – dort durch die Kunst gerichtete – verlorene Zeit der Recherche in der – hier durch die Religion – „gerichteten Zeit“ der Komödie einen Vorläufer habe.411

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Zur Beziehung dieser beiden großen Dichter der Weltliteratur zueinander im Hinblick auf das beiden Hauptwerken immanente Hauptthema der Zeit siehe Karlheinz Stierle, Zeit und Werk. Prousts ‘À la recherche du temps perdu’ und Dantes ‘Commedia’, 2009, S. 7: „Beide vertrauen sich der weltimmanenten Ewigkeit des Werks an, das unter dem Druck der Zeit, mit der Zeit, durch die Zeit und gegen die Zeit seine Gestalt findet. Beide lassen Weg zum Werk und Werk ineinander fallen und machen dies eine und einzige Werk fortan ausschließlich zur poetischen Aufgabe, der sie ihr Leben unterstellen“. Hans Ulrich Gumbrecht, Vom Leben und Sterben der großen Romanisten. Carl Vossler, Ernst Robert Curtius, Leo Spitzer, Erich Auerbach, Werner Krauss, 2002, S. 169. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001. Erich Auerbach, Marcel Proust: Der Roman der verlorenen Zeit, in: Die neueren Sprachen 35 (1927), 16, 18. Karlheinz Stierle, Zeit und Werk. Prousts ‘À la recherche du temps perdu’ und Dantes ‘Commedia’, 2009, S. 9. Näher dazu Jens Petersen, Blaise Pascals Gedanken über das Recht, Festschrift für Werner Merle, 2010, S. 289 ff. Samuel Beckett, Proust, 1931 (hier zitiert nach der Luchterhand-Ausgabe, 1989, S. 68 f.), bezieht sich zum Einen implizit auf eine Stelle aus Dantes Convivio (II, Canzone, 61), in der Dante schließlich seinem Werk selbst Mut zuspricht, sich vom Unverständnis der Leser nicht irre machen zu lassen (dazu Anmerkung, S. 95); zum Anderen zitiert Beckett (S. 69) Purgatorio, X. Siehe nur Gabrielle Townsend, Proust’s Imaginary Museum, 2008, S. 189. Hans Robert Jauß, Wege des Verstehens, 1994, S. 172 ff.; zustimmend Ulrich SchulzBuschhaus, Das Rezensionswerk des Ulrich Schulz-Buschhaus (Hg. Klaus-Dieter Ertler/ Werner Helmich), 2005, S. 704.

8. Gerichteter Gerechtigkeitssinn

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d) Quantensprung des Gerechtigkeitssinns Dantes allmählich ausreifender Gerechtigkeitssinn erfährt hier eine abrupte Steigerung und macht gleichsam einen Quantensprung. Der namentliche Anruf erweist sich zugleich unausgesprochen als die Dante in die Pflicht nehmende Erinnerung an seine Willensfreiheit und führt so zu einer Selbstbestimmung, der das richtende Korrektiv allgegenwärtig ist.412 Diese Erinnerung an die in der Gerechtigkeit vorausgesetzte Willensfreiheit und die damit einhergehende Selbstbestimmung ruft die Frage nach dem „Selbst“ hervor, die Dante hier vielsagend beantwortet. Zugleich wird damit die folgende Selbstanklage vorbereitet, die Beatrice gegen Dantes anfängliche Verstocktheit und allzu menschliche Schwäche verlangt: „Wenn du verschwiegest oder leugnetest, / was du gestehst, nicht wen’ger offenbar / wär’ deine Schuld – so hoher Richter kennt sie! / Wenn aber aus dem eignen Mund hervorbricht / der Schuld Bekenntnis, wendet sich das Rad – / an unsrem Hof – gegen des Schwertes Schneide.“413 Es geht also um nichts anderes als das, was wir heute als strafmilderndes Geständnis bezeichnen würden,414 nur dass das Selbstbekenntnis weniger darin seinen Gerechtigkeitsgrund hat, dass das Geständnis dem Richter die Sachverhaltsaufklärung abnimmt – diese ist dem von Dante angesprochenen Richter ohnehin offenbar, da er gleichsam vor ihm liegt wie ein aufgeschlagenes Buch415 –, sondern das Geständnis verrät Unrechtseinsicht, Auseinandersetzung mit der eigenen Schuld und Reue.416 Damit ist auch Dantes Gerechtigkeitssinn am Ende des Purgatorio auf das Paradiso eingestimmt.

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Purgatorio, XVI, 71 ff.; XVIII, 73 ff.; XXI, 68 f. Purgatorio, XXXI, 37–42: „Ed ella: Se tacessi o se negassi / ciò che confessi, non fora men nota / la colpa tua: da tal giudice sassi! / Ma quando scoppia de la propria gota / l’accusa del peccato, in nostra corte / rivolge sé contra ’l taglio la rota“. Im Übrigen gibt es bei Dante keine Strafmilderung; Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 184 f.: „Die metaphysische Rechtsidee Dantes erlaubt keine Milderung, wenn die Schuld reuelos ist“. Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. 140: „Confession is for the sake of the sinner, not of the judge“. Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 218 f.

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III. Paradiso

III. Paradiso 1. Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso

III.

Paradiso

Im Paradiso zeigt sich in besonderer Weise das, was Hugo Friedrich als die „Strenge des metaphysischen Rechtsbewusstseins“ bezeichnet, „die den Menschen nicht vor das Gericht des Menschen, sondern des Seinsgrundes stellt“.417 Auch wenn dies in erster Linie auf den Francesca-Gesang des Inferno bezogen ist,418 gilt es doch auch und gerade für das Paradiso, wo Dante diesen Seinsgrund erfahren und schauen darf. Denn nicht nur im Inferno und Purgatorio, sondern auch im Paradiso werden die irdischen Taten und Unterlassungen gerichtet.419

1. Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso Dass das Verhalten zu Lebzeiten beurteilt wird und auch hier das Irdische zum Maßstab gerät, zeigt sich zu Beginn des vierten Gesangs:420 „Und Beatrice tat, wie Daniel einst getan, / als er Nebukadnezars Zorn beschwichtigt, / der ihn zu ungerechten Taten trieb“.421 Auch wenn es hier nicht notwendigerweise um reale Geschehnisse geht, sondern vielmehr eine biblische Stelle in Bezug genommen wird,422 zeigt dies, wie sehr Dante einen irdischen Vergleichsmaßstab anlegt, auch wenn er stets sub specie aeternitatis misst.423 Ungerechte Taten gehören der Vergangenheit an. Mit ihrer Hilfe vermag sich Dante – zumal wenn sie durch biblische Vorbilder verbrieft sind – zu vergegenwärtigen, wie es mit der Gerechtigkeit im Paradiso bestellt ist. ___________ 417 418 419

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Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 3. Siehe zum Ganzen Joseph Anthony Mazzeo, Structure and thought in the Paradiso, 1958. Inferno, V. Dazu aus dem neueren Schrifttum Silvana Bussmann, Wo jedes Licht verstummt. Inferno V der Commedia des Dante Alighieri, 2009. Walther von Wartburg, S. 824. Siehe auch L. Filomusi-Guelfi, La struttura morale del Paradiso dantesco, G.D.V., 1898, 529 ff.; Francesco Paolo Luiso, Costruzione morale e poetica del Paradiso dantesco, 1898. Dazu Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Dritter Teil: Das Paradies, 1957, 2. Auflage 1970, S. 83 f. Paradiso, IV, 13–15: „Fé sì Beatrice qual fé Danïello, / Nabuccodonosor levando d’ira, / che l’avea fatto ingiustamente fello“. Buch Daniel 2, 1–46. Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 272.

1. Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso

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a) Gleichlauf mit der Monarchia Eine Parallelstelle findet sich in der Monarchia, wo die rhetorische Frage einer Bibel-Stelle: „Weshalb verkündigst du meine Gerechtigkeit?“ so gedeutet wird: „Du redest vergebens, da du von dem, was du sagst, weit entfernt bist.“424 Allerdings muss sich Beatrice in seine beschränkte irdische Sicht erst hineinversetzen: „Du denkst: Wenn Dauer hat der rechte Wille, / wie kann Gewaltsamkeit von andern dann / mir also des Verdienstes Maß verschmälern?“425 Beatrice versucht den vom irdischen Denken geprägten und danach urteilenden Dante zunächst in die Gerechtigkeitsvorstellung des Paradiso einzuweisen: „Wenn unsere Gerechtigkeit ein Unrecht / im Aug der Menschen scheint, so ist’s ein Anlass / zum Glauben, nicht zu ketzerischem Wahn.“426 Die beschränkte sinnliche Wahrnehmung und Urteilskraft des Menschen kann Gerechtes und Ungerechtes nicht voneinander scheiden. Hugo Friedrich spricht anschaulich von „jener Gerechtigkeit, die (…) dem menschlichen Auge zuweilen ungerecht erscheinen mag und darum umso mehr den Glauben sichert“.427 In der Monarchia weist Dante die Gerechtigkeit und Rechtsprechung von daher allein dem Monarchen bzw. Kaiser zu: „Die Gerechtigkeit besitzt am meisten Macht in der Welt, wenn sie sich in jenem Subjekt befindet, das den besten Willen und die meiste Macht besitzt. Von dieser Art ist nur der Monarch. Also besitzt nur die dem Monarchen inhärierende (sic!) Gerechtigkeit am meisten Macht in der Welt.“428 Diese am Weltkaisertum ausgerichtete Gerechtigkeitsvorstellung führt zwar zu einer eigentümlichen Zuständigkeit, enthält aber gleichwohl den Gedanken, dass eine Person die Gerechtigkeit gewissermaßen repräsentiert.

b) Gerechtigkeitssinn und Wahrheitssinn Dantes Gerechtigkeitssinn erscheint hier abermals als derjenige des Repräsentanten der Menschheit. Stellvertretend für alle Menschen erfährt der Wanderer Dante zu Beginn des Paradiso, dass das rechte Maß der menschlichen Erkenntnis entzogen ist und nur durch den Glauben aufgewogen werden kann. Andererseits räumt Beatrice ein, dass die menschliche Erkenntnis zumindest einen Teil der Wahrheit wahrnehmen kann. Gerechtigkeit und Wahrheit hängen zuinnerst miteinander zusammen. Wenn auch die Erkenntnis der Gerechtigkeit beschränkt ist, so können ___________ 424

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Dante Alighieri, Monarchia, I, xiii, 5: „Hinc etiam dicebatur de celo peccatori David: ‘Quare tu enarras iustitias meas?’, quasi diceret: ‘Frustra loqueris, cum tu sis alius ab eo quod loqueris’“. Paradiso, IV, 19–21: „Tu argomenti: Se ’l buon voler dura, / la vïolenza altrui per qual ragione / di meritar mi scema la misura?“. Paradiso, IV, 67–69: „Parere ingiusta la nostra giustizia / ne li occhi d’i mortali, è argomento / di fede e non d’eretica nequizia“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 163. Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 8; Übersetzung Imbach/Flüeler, S. 89: „iustitia potissima est in mundo quando volentissimo et potentissimo subiecto inest; huiusmodi solus Monarcha est: ergo soli Monarche insistens iustitia in mundo potissima est“.

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III. Paradiso

dem Menschen doch mit seinem beschränkten Erkenntnisvermögen Teile der Wahrheit offenbart werden. Im Hintergrund dieser Zeilen steht für Dante eine erkenntnistheoretische Dimension, die vor allem dann deutlich wird, wenn man die Bedeutung der Philosophie für ihn in die Betrachtung einstellt. Dies wird in seiner unvollendeten Schrift Convivio deutlich, die übrigens ursprünglich auch noch eine Abhandlung über die Gerechtigkeit enthalten sollte,429 und wo er über die Philosophie sagt: „Darum schaute mein Wahrheitssinn so gern nach ihr hin, dass ich ihn kaum von ihr abwenden konnte.“430 Auch wenn es sich um zwei verschiedene Werke handelt, wird klar, dass Dantes Gerechtigkeitssinn aufs engste mit seinem Wahrheitssinn zusammenhängt. Der Wahrheitssinn wiederum wird vor allem durch die Beschäftigung mit der Philosophie bestimmt.431 Die philosophische Wahrheit sucht Dante zum einen bei den religiösen Orden (le scuole de li religiosi) und zum anderen in den Erörterungen der Philosophen (le disputazioni de li filosofanti).432 Die Erkenntnis der Wahrheit – und damit die Prägung seines Wahrheitssinnes – hängt für Dante also vom Maß der Durchdringung der religiösen und philosophischen Lehre ab. Angesichts der Beschränktheit philosophischer Erkenntnis wird somit der Glaube zum integralen Bestandteil der Wahrheitssuche, die wiederum zur Erkenntnis der Gerechtigkeit führt. Ebenso wie sich allmählich der Wahrheitssinn schärft, kann auch der Gerechtigkeitssinn durch die Beschäftigung mit den Erkenntnissen der religiösen Orden und durch die Texte der antiken Philosophen weiter verfeinert werden.

2. Wahrheitssinn als Korrektiv des Gerechtigkeitssinns 2. Wahrheitssinn als Korrektiv des Gerechtigkeitssinns

Beatrice vermittelt Dante eine auf den ersten Blick kontraintuitive Einsicht, die darin besteht, dass auch derjenige der sich der Ungerechtigkeit beugt, indem er sie hinnimmt, mitschuldig wird: „Denn ist’s Gewaltsamkeit, wenn, der sie duldet, / in nichts entgegenkommt dem, der sie übt, / so waren diese Seelen doch nicht ohne Schuld“.433 Im Hintergrund dieser Stelle steht letztlich wieder das Problem der Willensfreiheit. Josef Kohler, der das Problem der Willensfreiheit bei Dante eingehend behandelt hat,434 gestaltet die Terzinen in seiner sonst nicht unproblemati___________ 429

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Allan H. Gilbert, Dante’s Conception of Justice, 1925, S. v, unternimmt den hochinteressanten Versuch, dies anhand des auf uns gekommenen Materials unter besonderer Berücksichtigung der Göttlichen Komödie zu rekonstruieren und auf diese Weise Dantes Gerechtigkeitsverständnis nachzuzeichnen. Dante Alighieri, Convivio, II, xii, 5. Wichtig auch Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, 2011, S. 153, wonach Gottes Güte „nie gegen die Wahrheit und die ihr zugehörige Gerechtigkeit stehen kann“. Es gibt daher auch ein „Recht der Wahrheit“ (ebenda, S. 217). Dante Alighieri, Monarchia, I, i, 1; ii, 4; iv, 6. Dante Alighieri, Convivio, II, xii, 5. Paradiso, IV, 73–75: „Se vïolenza è quando quel che pate / nïente conferisce a quel che sforza, / non fuor quest’ alme per essa scusate“. Josef Kohler, Dante und die Willensfreiheit, Deutsches Dante-Jahrbuch 5 (1920), 12, 29.

2. Wahrheitssinn als Korrektiv des Gerechtigkeitssinns

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schen435 „freien Nachdichtung“ des Paradiso sprachgewaltig:436 „Betrachte nur, was freier Wille ist: / Er kann sich stets nach seiner Wahl gestalten; / Vergeblich ist Gewalt und arge List. / Trotz jeden Druckes kann er sich entfalten, / Und wenn auch hundertfach gebeut der Zwang, / Der freie Wille wird in Freiheit schalten.“437 Der freie Wille wird also auch im Paradiso vorausgesetzt, wie sich bereits im ersten Gesang zeigt.438 Allerdings kommt im Paradiso, anders als im Inferno und Purgatorio, nurmehr die positive Seite der Willensfreiheit zu ihrem Recht, wie Dante im Schreiben an Cangrande präzisiert: „Und wenn der Gegenstand des ganzen, allegorisch aufgefassten Werkes der Mensch ist, insofern er aufgrund der Willensfreiheit durch Verdienst oder Schuld der belohnenden und bestrafenden Gerechtigkeit unterworfen ist, ist offenkundig, dass in diesem Teil der Gegenstand eingeschränkt wird, und er ist dann der Mensch, insofern er durch Verdienst der belohnenden Gerechtigkeit unterworfen ist.“439 Der Wille entfaltet sich aber nur dadurch, dass er auch ausgeübt wird. Dazu gehört, dass er sich dem Unrecht aktiv widersetzt: „Denn gibt er nach auch nur im allerkleinsten, / so folgt er der Gewalt“.440 Duldsamkeit und Nachgiebigkeit ist daher nur eine scheinbare Tugend – nämlich nach dem Augenschein, den Beatrice zuvor schon für trügerisch erklärt hat.441 Die Duldung der Gewalt wird demnach unversehens zu einer Komplizin des Unrechts. Wer ungerechte Gewalt widerstandslos hinnimmt, gerät aus Dantes Sicht in ein Abhängigkeitsverhältnis zu ihr. Passive Willensschwäche kann den Einzelnen in Schuld verstricken: „Denn unbedingter Wille trotzt der Sünde; / doch gibt er nach, wenn er von Furcht ergriffen, / durch Widerstand das Unheil zu vergrößern.“442 Diese Wahrheit ist Dantes menschlichem Sinn zugänglich. Der auf diese Weise geschärfte Wahrheitssinn erweist sich somit als Korrektiv für den Gerechtigkeitssinn Dantes. Philosophische Erkenntnis ist für ihn kein Selbstzweck, sondern ermöglicht eine zunehmend gerechte Beurteilung.443 ___________ 435 436 437

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Vgl. nur Alfred Bassermann, Zur Frage der Dante-Übersetzung, Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte, Zweiter Band, 1902, S. 234, 247. Josef Kohler, Dantes heilige Reise. Freie Nachdichtung der Divina Commedia, Paradiso, 1903, S. 23. Vgl. Paradiso, IV, 70–76; bei allen Vorbehalten und Bedenken, die man gegenüber Kohlers Nachdichtung hegen kann, veranschaulichen die beiden Terzinen, dass er das eigentümliche Prinzip der Reimverschlingung Dantes konsequent umgesetzt und übertragen hat. Paradiso, I, 124; vgl. dazu auch Walther von Wartburg, S. 832. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 34, Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Thomas Ricklin mit einer Vorrede von Ruedi Imbach, 1993, S. 14 f.: „Et si totius operis allegorice sumpti subiectum est homo prout merendo et demerendo per arbitrii libertatem est iustitie premiandi et puniendi obnoxius, manifestum est in hac parte hoc subiectum contrahi, et est homo prout merendo obnoxius est iustitie premiandi“. Paradiso, IV, 79 f.: „Per che, s’ella si piega assai o poco, / segue la forza“. Paradiso, IV, 67 f. Paradiso, IV, 109–111: „Voglia assoluta non consente al danno; / ma consentevi in tanto in quanto teme, / se si ritrae, cadere in più affanno“. Dante Alighieri, Monarchia, I, xiii, 7.

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III. Paradiso

3. Vernunfterkenntnis als Maßstab des Gerechtigkeitssinns 3. Vernunfterkenntnis als Maßstab des Gerechtigkeitssinns

Grundlage jeglicher persönlichen Zurechnung ist für Dante somit die Willensfreiheit.444 Sie ist nicht nur im Inferno und im Purgatorio, sondern auch im Paradiso Dreh- und Angelpunkt der Beurteilung. Allerdings wird Dante erst im Paradiso die religiöse Dimension der Willensfreiheit offenbart: „Die größte Gabe, die der Schöpfer Gott / in seiner Großmut schuf, die seiner Güte / vollkommner Ausdruck ist und ihm am teuersten, / Es ist die Willensfreiheit, wie sie allen / Wesen, die mit Vernunft begabt und ihnen / allein für alle Zeit gegeben wurde.“445 Die Willensfreiheit folgt aus der Vernunftbegabung des Menschen. Daher muss der Mensch rechten Gebrauch von der Vernunft machen. Er darf selbstbestimmt nur solche Verbindlichkeiten eingehen, die er erfüllen kann. Die kognitive Befähigung des Menschen wird so selbst zu einer Verpflichtung. Durch die Beschäftigung mit den Vorbildern im Glauben – insbesondere den religiösen Vorbildern der Ordensleute – und die Auseinandersetzung mit den Philosophen erkennt der Mensch, wie er die Willensfreiheit auszuüben hat.446 Auch hieran zeigt sich, dass der Gerechtigkeitssinn im Sinne Dantes keine einmal angeborene und dann unveränderlich bestehende Befähigung darstellt, sondern dass er gleichsam mit der Vernunfterkenntnis Schritt halten muss. Indem er sich seiner Willensfreiheit immer aufs Neue bewusst wird, gerät diese selbst zu einer steten Verpflichtung. Die Selbsterkenntnis, dass die Willensfreiheit eine gottgegebene und daher unveränderliche Größe ist, stellt zugleich die Forderung auf, dass auch der Wahrheits- und Gerechtigkeitssinn ihr zumindest annäherungsweise nachfolgt. Die Erkenntnis der Freiheit führt so zu einem moralischen Postulat, sich dieser Freiheit als würdig zu erweisen.

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Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 214; siehe bereits oben II. 6. a). Paradiso, V, 19–24: „Lo maggior don che Dio per sua larghezza / fesse creando, e a la sua bontate / più conformato, e quel ch’e’ più apprezza, / fu de la volontà la libertate; / di che le creature intelligenti, / e tutte e sole, fuoro e son dotate“. Friedrich Nietzsche (Menschliches, Allzumenschliches, II, 3; 23) hat später einen der schärfsten Angriffe gegen die Willensfreiheit geführt und für die von ihm so genannte „Fabel der intelligiblen Freiheit“ insbesondere Schopenhauer verantwortlich gemacht, darüber hinaus aber die Verantwortungsanteile so festgelegt: „An der Entstehung dieses Fabelwesens sind Plato und Kant zu gleichen Teilen mitschuldig.“ (Menschliches, Allzumenschliches, I, 39; siehe auch Morgenröte, II, 112; näher dazu Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, 2008, S. 128 ff.). Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1820/21, § 4, ist die Willensfreiheit geradezu ein Daseinsgrund des Rechts; dazu Jens Petersen, Die Eule der Minerva in Hegels Rechtsphilosophie, 2010, S. 125.

4. Kodifizierung des Rechts

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4. Kodifizierung des Rechts 4. Kodifizierung des Rechts

Der sechste Gesang zeigt deutlich, wie sehr auch im Paradiso irdische und weltliche Verdienste abgegolten werden. Hier ist es die überragende Gestalt des römischen Kaisers Justinian,447 der den gesamten Gesang über spricht und dem er damit auch gewidmet ist – ein in der gesamten Göttlichen Komödie singulärer Vorgang.448

a) Justinians Verdienst Für den vorliegenden Zusammenhang ist die Gestalt Justinians und ihre Würdigung durch Dante deshalb von so großer Bedeutung, weil es Justinian war, der das klassische römische Recht von neuem ordnen ließ und damit das in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug zu schätzenden Corpus Iuris schuf.449 Dieser epochalen und buchstäblich jahrtausende überdauernden Kulturleistung ist sich Justinian durchaus bewusst,450 wenn er sich Dante gegenüber zu erkennen gibt: „Ein Kaiser war ich – bin Justinianus; / folgend der höchsten Liebe, die ich fühle, / schied aus dem Recht ich Spreu und Übermaß.“451 Der letztgenannte Gesichtspunkt, die Reduzierung auf das Wesentliche und Entscheidungserhebliche, hat seit Dantes Zeit bis heute maßgeblich auf die Juristenausbildung gewirkt.452 Diese Stelle ist darüber hinaus in mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Zunächst und vor allem veranschaulicht sie das, was schon im Purgatorio zur Geltung kam, nämlich den Zusammenhang zwischen Liebe und Gerechtigkeit. Diesen hat Dante auch in der Monarchia zugrunde gelegt: „So wie die Begierde die habituale Gerechtigkeit in gewisser Weise, wenn auch nur in geringem Maße, verdunkelt, ebenso schärft und erleuchtet sie die Liebe oder das richtige Verlangen. Wer die richtige Liebe am meisten besitzen kann, bei dem findet auch die Gerechtigkeit ihr ___________ 447 448 449

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Dazu Carlo Landi, Giustiniano nel cielo di Mercurio, Rivista d’Italia XVII (1914) 417 ff. Walther von Wartburg, S. 884. Es ging um die Digesten, Institutionen, den Codex und die Novellen, die nach seinem Tod als Corpus Iuris Civilis bezeichnet wurden. Erst seit der Gesamtausgabe durch Dionysius Gothofredus (1583) sprach man vom Corpus Iuris Civilis (vgl. nur die von Theodor Mommsen und Paul Krüger edierte Ausgabe von 1908); näher Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, 3. Auflage 2006, S. 243 f. Claus-Wilhelm Canaris, Die Europäische Union als Gemeinschaft des Rechts, S. 179, 185. Siehe auch Ernst Robert Curtius, Das Buch als Symbol in der Divina Commedia, Festschrift für Paul Clemen, 1926, S. 44 ff. Paradiso, VI, 10–12: „Cesare fui e son Iustinïano, / che, per voler del primo amor ch’i’ sento, / d’entro le leggi trassi il troppo e ’l vano“. Zur Juristenausbildung in Bologna Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 576 f., wo zu Dantes Zeit Folgendes galt: „Letzteres (sc. römisches Zivilrecht) wird in Bologna seit über zweihundert Jahren anhand des justinianischen Corpus iuris civilis erforscht und gelehrt; im Mittelpunkt stehen die Digesten, eine Sammlung römischen Juristenrechts, die auf drei Lehrveranstaltungen aufgeteilt ist (…)“.

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III. Paradiso

vorzüglichstes Subjekt.“453 Liebe und Gerechtigkeit hängen als auch in Dantes Rechts- und Staatsphilosophie miteinander zuinnerst zusammen. Während die negativen Leidenschaften, deren Ausleben Dante im Inferno sanktioniert, die Gerechtigkeit verschatten, zieht die Liebe die Gerechtigkeit nach sich. Wer nach jener strebt, schärft zugleich den Sinn für diese.

b) Personifizierte Gerechtigkeitsliebe Vor diesem Hintergrund wird der Impetus deutlich, der Justinian zu seinem Vorhaben antrieb: „Denn die Gerechtigkeit, die mich entflammt“.454 Obwohl Justinian in den höchsten Tönen von sich spricht, vermeidet Dante bei ihm jeglichen Anschein der Selbstgerechtigkeit. Das gelingt nicht zuletzt deswegen, weil nur die Liebe und nicht die Aussicht auf weltlichen Ruhm zur Antriebskraft der Kodifizierung des Rechts erklärt wird. Dante bewerkstelligt dies mit dem rhetorischen Kunstgriff, dass er Justinian als denjenigen darstellt, welcher der von ihm gefühlten Liebe – man wird ergänzen müssen: zur Gerechtigkeit – folgt. Justinian erscheint auf diese Weise als Personifizierung der Gerechtigkeitsliebe. Er hat die Kodifizierung des Rechts nicht zum Machterhalt genutzt, sondern um ihrer selbst Willen ins Werk gesetzt und damit Gerechtigkeit verwirklicht. Ungeachtet seiner kaiserlichen Macht wird er von Dante gleichwohl nicht als aktiv Gestaltender geschildert, sondern als einer der dem Ruf seines Herzens folgt. So wird er selbst für Dante gleichsam zum Instrument der Gerechtigkeit. Dieser Ruf, der von der „höchsten Liebe“ – also Dante zufolge letztlich der Gerechtigkeit Gottes – an ihn ergeht, prägt seinen Gerechtigkeitssinn – und damit zugleich den Gerechtigkeitssinn des ihm ergebenen Wanderers Dante.

c) Rückführung des Rechts auf seinen Kern Es ist bezeichnend für den hier dargestellten Prozess, in dem sich der Gerechtigkeitssinn Dantes entwickelt, dass er nicht nur von der göttlichen Liebe gleichsam überflutet, sondern auch rational überzeugt wird. Dies geht vonstatten, indem das zentrale irdische Verdienst Justinians in seinem Selbstbekenntnis auf einen Nenner gebracht wird: „schied aus dem Recht ich Spreu und Übermaß“.455 Das ent-

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Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 13. (Übersetzung: Imbach/Flüeler, S. 91): „Preterea, quemadmodum cupiditas habitualem iustitiam quodammodo, quantumcunque pauca, obnubilat, sic karitas seu recta dilectio illam acuit atque dilucidat. Cui ergo maxime recta dilectio inesse potest, potissimum locum in illo potest habere iustitia“. Paradiso, VI, 88: „ché la viva giustizia che mi spira“. Otto Gildemeister, Dante’s Göttliche Komödie, 3. Auflage 1900, S. 406, übersetzt: „Denn die Gerechtigkeit, die lebt in mir.“ – Beide Übertragungen geben das von Dante Gemeinte ersichtlich nur annäherungsweise wieder. Paradiso, VI, 12: „d’entro le leggi trassi il troppo e ’l vano“.

4. Kodifizierung des Rechts

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spricht wörtlich der Einleitung zum Corpus Iuris:456 „omni supervacua similitudine et iniquissima discordia absolutae“. In einer einzigen Zeile wird hier nicht nur das irdische Verdienst Justinians umrissen, sondern überhaupt die Tätigkeit des guten Gesetzgebers und Rechtsschöpfers zusammengefasst.457 Dantes zeitweiliger Besuch der Bologneser Rechtsschule schlägt sich hier dergestalt nieder,458 dass er den Maßstab eines wohlgesetzten Rechts kraft der dort erworbenen systematischjuristischen Schulung erkennt und auf den Begriff bringt:459 Hier wird im Wortsinne die Spreu vom Weizen getrennt, indem das Wesentliche vom nicht Entscheidungserheblichen unterschieden wird. Der überflüssige Ballast, der sich seit den Zeiten der klassischen Juristen angesammelt hat, wird ausgeschieden und das Recht somit auf seinen Kern zurückgeführt, allerdings mit allfälligen Änderungen an den Texten der klassischen Juristen, wie Justinian in seiner Einleitung zu den Digesten vermerkt hat.460 Insofern ist aufschlussreich, wie Josef Kohler, einer der einflussreichsten Juristen seiner Zeit, die Stelle frei nachdichtet, dabei aber Justinians Verdienst gleichsam aus fachjuristischer Sicht in den Zusammenhang stellt und zugleich dichterisch würdigt: „Ich Justinian, / der Kaiser, der einst Romas höchste Gabe / Für immer sammeln ließ durch Tribonjan. / Was kühne Geister schrieben, aus dem Grabe / Hab’ ich’s im corpus iuris neu erweckt, / Jahrhunderten des Wissens höchste Labe. / Ich ließ es sichten, suchte, was versteckt, / Und strich, was überholt und was veraltet.“461 Gerade die letzten Zeilen des fiktiven Selbstbekenntnisses werden dem Vorbild trotz aller dichterischen Freiheit, die sich Kohler nimmt, womöglich eher gerecht, weil er die besondere Herangehensweise Justinians nicht nur nachempfindet, sondern in der für den Juristen typischen Weise beschreibt und so sinnfällig macht. Es ist nämlich letztlich abermals die Rationalität des Rechts, die Dante mit dem ihm eigentümlichen Sinn für Recht und Gerechtigkeit am Beispiel des weltlichen Rechts durch Justinian fassbar gemacht hat.

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Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Dritter Teil: Das Paradies, 1957, 2. Auflage 1970, S. 117. Vgl. auch Dante Alighieri, Monarchia, I, xiii, 7; I, xiv, 5: „est enim lex regula directiva vite.“ Dazu Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59, 64. Außer in Bologna studierte er wohl auch zeitweise in Paris, dem Zentrum der Scholastik; vgl. Hermann Conrad, Dantes Staatslehre im Spiegel der scholastischen Philosophie seiner Zeit, 1946. Zum wissenschaftsgeschichtlichen Hintergrund weiterführend Peter Landau, Die Internationalität der Bologneser Kanonistik in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts, Archiv für katholisches Kirchenrecht 176 (2007), 26. Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches DanteJahrbuch 18 (1936), 52, 53. Justinianus, Constitutio Tanta, § 10; näher Uwe Wesel, Geschichte des Rechts in Europa, 2010, S. 98. Josef Kohler, Dantes heilige Reise. Freie Nachdichtung der Divina Commedia, Paradiso, 1903, S. 34.

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III. Paradiso

d) Fortbildung des Gerechtigkeitssinns durch die Rationalität des Rechts Mit dieser zunächst nur formalen Reduzierung des Rechtsstoffes geht jedoch auch eine Rückführung des Rechts auf ein zentrales Postulat der Gerechtigkeit selbst einher: das Übermaßverbot.462 Implizit angesprochen ist damit auch das Postulat der Widerspruchsfreiheit einer jeden Rechtsordnung:463 „Ich folgte ihm, und was sein Glaube war, / nun seh’ ich es so klar, wie du erkennst, / dass jeder Widerspruch birgt Wahr’ und Falsches.“464 Bemerkenswert ist hieran der Erkenntnisfortschritt der imaginären Gestalt des Justinian, der gleichsam auf Dante übergreift, wenn davon die Rede ist, dass er – Justinian – „es so klar erkennt, wie du erkennst.“ Hieran zeigt sich exemplarisch, wie Dante nicht zuletzt den rationalen Argumenten seines Gegenüber aufgeschlossen ist und sich in ihrer Erkenntnis sein Gerechtigkeitssinn fortbildet. Dass nämlich Dante alles, was er an Eindrücken und Erkenntnissen empfangen hat, auf sich und seine Zeit bezieht, zeigt sich daran, wie Justinians Rede unversehens auf die Geschehnisse der Lebenszeit Dantes übergreift: „Übt nur, ihr Ghibellinen, übt eure Kunst / in anderm Zeichen – schlecht folgt jenes immer / dem, der sich trennt von der Gerechtigkeit.“465 Die historische Rückschau, in welcher Justinian begriffen ist, führt für Dante immer zugleich zu einer Auseinandersetzung mit den in seiner Zeit schwelenden Kämpfen zwischen den Ghibellinen und den Guelfen. Hierzu findet sich im Schrifttum die interessanterweise auf den Gerechtigkeitssinn bezogene Erklärung, dass Dante zwar durch seine Eheschließung mit den Donati verwandt gewesen sei, die ihrerseits den Guelfen nahe standen: „sein Gerechtigkeitssinn ließ ihn aber zu den faktisch unterdrückten Ghibellinen tendieren.“466 Und doch zeigt gerade die zuletzt zitierte Stelle, dass Dante in der Commedia über den Parteiungen seiner Zeit steht.467 Der Gerechtigkeitssinn mochte ihn für den Schwächeren Partei ergreifen lassen, solange er am politischen Leben teilnahm. Zur Zeit der Niederschrift der Göttlichen Komödie indes und durch sie erhob er sich zur Gerechtigkeit. ___________ 462 463

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Siehe hierzu aus der zeitgenössischen Diskussion Peter Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 1962. Zu ihr allgemein Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 2. Auflage 1983; speziell im Zivilrecht ders., Die Bedeutung der iustitia distributiva im deutschen Vertragsrecht, 1997; für das Strafrecht Claus Roxin, Kriminalpolitik und Strafrechtssystem, 2. Auflage 1973. Paradiso, VI, 19–21: „Io li credetti; e ciò che ’n sua fede era, / vegg’ io or chiaro sì, come tu vedi / ogne contradizione e falsa e vera“. Paradiso, VI, 103–105: „Faccian li Ghibellin, faccian lor arte / sott’ altro segno, ché mal segue quello / sempre chi la giustizia e lui diparte“. Hanskarl Kölsch, Dann traten wir hinaus und sahn die Sterne. Dantes Divina Commedia, 2. Auflage 2008, S. 17. Bündig Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Dritter Teil: Das Paradies, 1957, 2. Auflage 1970, S. 127: „Dante, einst Guelfe, hat sich zwar als Vorkämpfer der Kaiseridee in der Verbannung den Ghibellinen genähert, verabscheute aber ihre Parteikämpfe“.

5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns

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5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns 5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns

Auch im Paradiso hat man es nicht mit gleichsam frei schwebenden, himmlischen Postulaten zu tun, sondern alle Gerechtigkeitsvorstellungen sind an die irdischen Geschehnisse rückgekoppelt, auch hier gilt:468 Wie im Himmel so auf Erden.469 Mit dieser Erkenntnis gelangt Dante selbst zu einer Einsicht über die Gerechtigkeit, die er zwar Justinian zuschreibt, welche aber wohl seine ureigene Schöpfung ist: „Und die lebendige Gerechtigkeit / besänftigt unser Herz, so dass es nie mehr / zu irgendwelchem Fehl sich wenden kann.“470

a) Gerechtigkeit und Zeit Die lebendige Gerechtigkeit ist somit eine Gerechtigkeit in der Zeit, zugleich aber auf die Ewigkeit hingeordnet und damit zeitlos.471 Als solche muss sie sich jedoch immer ihres Ausgangspunkts vergewissern, der in der Gerechtigkeitsliebe liegt. Nur derjenige, den die Gerechtigkeit entflammt,472 und der ihr aus Liebe folgt,473 wird der lebendigen Gerechtigkeit teilhaftig. Die Gerechtigkeit ist also für Dante genuin göttlichen Ursprungs und transzendiert von daher ins Irdische, obwohl der Begriff der Transzendenz gerade das umgekehrte Verhältnis auszudrucken scheint. Doch auch hier ist Dantes Zielrichtung das soeben dargestellte „Wie im Himmel so auf Erden“.474 Aus dieser Perspektive erklärt sich auch der konsekutive Nachsatz. Gerechtigkeit, die in Liebe ausgeübt wird, erfasst nach Dante den ganzen Menschen und prägt seinen Sinn permanent. Die ursprünglich möglicherweise feindliche Willensrichtung wird aufgehoben, ohne dass es hierzu wie im Purgatorio des contrapasso bedarf, womit dem bösen Willen gleichsam entgegengewirkt wird, bis er sich selbst neutralisiert. Hier wird deutlich, dass die Gerechtigkeitsidee des Paradiso und das Mittel zu ihrer Verwirklichung ein anderes ist im Verhältnis zum Purgatorio und erst recht zum Inferno. ___________ 468

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Diese Sichtweise entspricht tendenziell derjenigen von Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, und hebt sich damit insbesondere ab von Karl Vosslers Deutung, wonach Dante nicht so sehr die himmlische oder irdische Welt als vielmehr sich selbst zum Gegenstand des Gedichts macht; siehe dazu den von Hans Ulrich Gumbrecht (Vom Leben und Sterben der großen Romanisten, 2002, S. 162) zitierten Auszug des Habilitationsgutachtens von Leo Spitzer über die Arbeit Auerbachs. Ähnlich Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 140: „Dante hat auch hier nicht von unten nach oben, sondern von oben nach unten gedacht“. Paradiso, VI, 121–123: „Quindi addolcisce la viva giustizia / in noi l’affetto sì, che non si puote / torcer già mai ad alcuna nequizia“. Zu dieser Dimension des Werks Romano Guardini, Landschaft der Ewigkeit. Der menschliche Existenzraum in der Göttlichen Komödie, Freundesgabe für Carl Georg Heise, 1950, S. 67 ff. Paradiso, VI, 88. Paradiso, VI, 11. Dazu aus theologischer Sicht Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Erster Teil, 2007, S. 182 ff.

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III. Paradiso

b) Recht als „Ähnlichkeit des göttlichen Willens“ in der Monarchia Diese Sichtweise liegt auch Dantes Monarchia zugrunde,475 in der für ihn feststeht, „dass das Recht, da es etwas Gutes ist, ursprünglich im Geist Gottes existiert. Und da alles, was im Geist Gottes ist, Gott selbst ist, gemäß dem Wort »Was geschaffen ist, ist in ihm Leben«, und weil Gott sich selbst am meisten will, folgt, dass das Recht, so wie es in ihm existiert, von Gott gewollt ist. Und da in Gott der Wille und das Gewollte identisch sind, folgt darüber hinaus, dass der göttliche Wille mit dem Recht identisch ist. Zudem ergibt sich daraus, dass das Recht in den Dingen nichts anderes ist als eine Ähnlichkeit des göttlichen Willens. Daher kommt es, dass alles, was mit dem göttlichen Willen nicht in Einklang steht, kein Recht sein kann, und dass alles, was mit dem göttlichen Willen in Einklang steht, das Recht selbst ist.“476 Dante zieht hieraus die Folgerung, dass irdische Gerechtigkeit nur naturrechtlich nach dem mutmaßlichen Willen Gottes bestimmt werden kann: „Deswegen wird in der Frage, ob etwas von Rechts wegen geschehen sei, obschon mit andern Worten, nichts anderes gefragt als, ob etwas nach dem Willen Gottes geschehen sei. Dies wird also hier vorausgesetzt: Was Gott hinsichtlich der Gesellschaft der Menschen will, dies ist als wahres und lauteres Recht anzusehen.“477 Recht und Wahrheit hängen also für Dante in der Weise zusammen, dass Wahrheit und Billigkeit Attribute des Rechts sind.478 Was aber wahr und lauter sein soll, kann nur mit Blick auf Gottes Willen bestimmt werden, der für Dante – durchaus im ontologischen Sinne – das Rechts selbst ist und das Zusammenleben der Menschen notwendigerweise ordnet. Irdische Gerechtigkeit ist daher richtungs- und ziellos, wenn sie nur auf vordergründigem Machtstreben gründet. Rechtsetzung ist zwar ein durchaus rationaler Vorgang, der dem Postulat der Widerspruchsfreiheit der gesetzten und zu setzenden Rechtsordnung verpflichtet ist. Doch ist dies nur in der permanenten Rückbindung an die göttliche Gerechtigkeit zu verwirklichen, ___________ 475 476

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Siehe auch Larry Peterman, Dante’s Monarchia and Aristotle’s Political Thought, Studies in Medieval and Renaissance History 10 (1973), 1 ff. Dante Alighieri, Monarchia, II, ii, 4. f.: „Ex hiis iam liquet quod ius, cum sit bonum, per prius in mente Dei est; et, cum omne quod in mente Dei est sit Deus, iuxta illud ‘Quod factum est in ipso vita erat’, et Deus maxime se ipsum velit, sequitur quod ius a Deo, prout in eo est, sit volitum. Et cum voluntas et volitum in Deo sit idem, sequitur ulterius quod divina voluntas sit ipsum ius. Et iterum ex hoc sequitur quod ius in rebus nichil est aliud quam similitudo divine voluntatis; unde fit quod quicquid divine voluntati non consonat, ipsum ius esse non possit, et quicquid divine voluntati est consonum, ius ipsum sit“. Dante Alighieri, Monarchia, ebenda unter 6: „Quapropter querere utrum de iure factum sit aliquid, licet alia verba sint, nichil tamen aliud queritur quam utrum factum sit secundum quod Deus vult. Hoc ergo supponatur, quod illud quod Deus in hominum sotietate vult, illud pro vero atque sincero iure habendum sit“. Letztlich ebenso Joseph Ratzinger, Glaube, Wahrheit, Toleranz. Das Christentum und die Weltreligionen, 2003, 4. Auflage 2005, S. 200 f., wonach „Freiheit an ein Maß, das Maß der Wirklichkeit – an die Wahrheit – gebunden ist“ und „Ordnung – Recht – nicht Gegenbegriff von Freiheit ist, sondern ihre Bedingung, ja ein konstitutives Element von Freiheit ist“; Hervorhebungen nur hier.

5. Lebendige Gerechtigkeit als Chiffre des Gerechtigkeitssinns

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wenn es die von Dante beschriebene lebendige Gerechtigkeit sein soll.479 Lebendige Gerechtigkeit wird damit zu einer Chiffre von Dantes Gerechtigkeitssinn.

c) Dantes Rechts- und Staatsphilosophie zum Vergleich Wie sehr gerade das römische Recht diesen letztgenannten Gedanken verwirklicht hat, veranschaulicht Dante in einer auf die Digesten sowie auf Seneca und Cicero zurückgreifenden rechts- und staatsphilosophischen Textstelle: „Jeder, der das Gute des Staates anstrebt, der strebt das Ziel des Rechts an. Dass diese Folgerung richtig ist, wird folgendermaßen gezeigt: Das Recht ist ein wirkliches und persönliches Verhältnis von Mensch zu Mensch, dessen Beachtung die Gesellschaft erhält und dessen Missachtung die Gesellschaft zerstört. Denn die Umschreibung der Digesten sagt nicht, was das Recht ist, sondern beschreibt dieses durch die Erkenntnis, die sich aus dem Gebrauch ergibt. Wenn also diese Definition das Was und das Warum des Rechts angemessen einschließt und das Ziel jeder Gesellschaft im Gemeinwohl der Mitglieder liegt, ist es notwendig, dass das Ziel jeglichen Rechts im Gemeinwohl liegt. Und es ist unmöglich, dass es ein Recht gibt, welches das Gemeinwohl nicht anstrebt. Cicero sagt deshalb in der Ersten Rhetorik mit Recht, dass die Gesetze im Sinn des Nutzens für den Staat zu interpretieren seien.480 Wenn also die Gesetze für den Nutzen derer, die ihnen unterstehen, unmittelbar nichts beitragen, sind sie nur dem Namen nach Gesetze, in Wahrheit können dies keine Gesetze sein. Die Gesetze nämlich müssen die Menschen im Hinblick auf den gemeinsamen Nutzen verbinden. Aus diesem Grund nennt Seneca im Buch Von den vier Tugenden das Gesetz ein »Band der menschlichen Gesellschaft«.481 Es erhellt also, dass, wer das Gut des Staates anstrebt, das Ziel

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Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59, 63 f., erkennt anhand der zuletzt zitierten Stelle das „thomistische Rechtssystem“, dessen Ausgangspunkt der Wille Gottes ist, und aus dem sich das Naturrecht der augustinisch-thomistischen Lehre ergibt. Gottes Wille ist danach – auch für Dante – „Urgrund des Rechts“ (Hermann Conrad, ebenda, S. 64), wodurch freilich das menschliche Recht nicht entbehrlich wird. Marcus Tullius Cicero, De inventione, I 38 (68): „Omnes leges, iudices, ad commodum rei publicae referre oportet et eas ex utilitate communi, non ex scriptione quae in litteris est interpretari“. Hier irrt Dante: Lucius Aenneus Seneca wurde fälschlicherweise das folgende Werk zugeschrieben: „Formula honestae vitae sive de quattuor virtutibus cardinalibus“ (Basel 1545), das in Wahrheit verfasst wurde von Martinus, abbas Dumiensis deinde episcopus Braccariensis, wie gezeigt wurde von Karl Witte, Prolegomena zu Dante Alighieri, de monarchia (Hg. ders.), 1874, S. 51; siehe auch Hans Kelsen, Dante Alighieris Staatslehre, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 90 (= HKW 1, 134, 236 f.). – Das Zitat ist jedoch letztlich auch Ausweis der Wertschätzung, derer sich Seneca im Mittelalter erfreute, in dem er als „der Weise par excellence galt“ (Villy Sørensen, Seneca – Ein Humanist an Neros Hof, 1984, S. 289).

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III. Paradiso

des Rechts anstrebt. Wenn daher die Römer das Gut des Staates angestrebt haben, darf man in Wahrheit behaupten, sie hätten das Ziel des Rechts angestrebt.“482 Diese Stelle macht deutlich, wie sehr Dantes Rechtsphilosophie auch die gesellschaftliche Funktion des Rechts betont und damit seiner Zeit weit voraus war. Nicht von ungefähr hebt er auch im Schreiben an Cangrande Cicero hervor, dessen Lobpreisung der Jurisprudenz er im Zusammenhang mit der Rhetorik wiederholt: „Zum ersten Teil ist zu bemerken, dass es zum guten Anfang dreier Dinge bedarf, wie Cicero in der Neuen Rhetorik sagt, nämlich dass jemand den Hörer wohlwollend, aufmerksam und empfänglich macht; und dies vor allem in der bewundernswerten Gattung der Rechtsangelegenheiten, wie Cicero selbst sagt.“483 Zugleich zeigt die Bezugnahme auf die Digesten in der Göttlichen Komödie, warum er in der Göttlichen Komödie den Kaiser Justinian emporhebt. Schließlich war es Justinian, der die Digesten sammeln ließ.484 Weltliches Recht ist für Dante also immer Ausdruck göttlichen Rechts und Gebots. Wer das weltliche Recht fördert und damit das Miteinander der Menschen gedeihen lässt, wie es Justinian aus Dantes Sicht in paradigmatischer Weise getan hat, verdient auch im Paradiso der göttlichen Komödie einen herausragenden Platz.

6. Vervollkommnung des Gerechtigkeitssinns 6. Allmähliche Vervollkommnung des Gerechtigkeitssinns

Wie sehr sich Dantes Gerechtigkeitssinn tastend schärft, veranschaulicht die innere Zwiesprache, die er mit Beatrice hält, die ihn buchstäblich durchschaut. „Nach meinem unfehlbaren Einblick hast du / in dir bewegt, wieso gerechte Rache / auch ___________ 482

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Dante Alighieri, Monarchia, II, v, 1–4; „Quicunque preterea bonum rei publice intendit, finem iuris intendit. Quodque ita sequatur sic ostenditur: ius est realis et personalis hominis ad hominem proportio, que servata hominum servat sotietatem, et corrupta corrumpit, nam illa Digestorum descriptio non dicit quod quid est iuris, sed describit illud per notitiam utendi illo. Si ergo definitio ista bene ‘quid est’ et ‘quare’ comprehendit, et cuiuslibet sotietatis finis est comune sotiorum bonum, necesse est finem cuiusque iuris bonum comune esse; et inpossibile est ius esse, bonum comune non intendens. Propter quod bene Tullius in Prima rethorica: semper – inquit – ad utilitatem rei publice leges interpretande sunt. Quod si ad utilitatem eorum qui sunt sub lege leges directe non sunt, leges nomine solo sunt, re autem leges esse non possunt: leges enim oportet homines devincire ad invicem propter comunem utilitatem. Propter quod bene Seneca de lege cum in libro De quatuor virtutibus, „legem vinculum” dicat „humane sotietatis”. Patet igitur quod quicunque bonum rei publice intendit finem iuris intendit. Si ergo Romani bonum rei publice intenderunt, verum erit dicere finem iuris intendisse“. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 49, Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Thomas Ricklin mit einer Vorrede von Ruedi Imbach, 1993, S. 18 f.: „Propter primam partem notandum quod ad bene exordiendum tria requiruntur, ut dicit Tullius in Nova Rhetorica, scilicet ut benivolum et attentum et docilem reddat aliquis auditorem; et hoc maxime in admirabili genere cause, ut ipsimet Tullius dicit“. Hervorhebungen nur hier. Näher Uwe Wesel, Geschichte des Rechts, 3. Auflage 2006, S. 239 ff. Dazu oben S. 67 ff.

6. Allmähliche Vervollkommnung des Gerechtigkeitssinns

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selber noch gerechter Rache rufe.“485 Dante wird im Folgenden erklärt, wie eine anscheinend zutiefst ungerechte Tat zum Bestand göttlicher Gerechtigkeit wird. Es geht hier um nicht weniger als den Kreuzestod Jesu: „Drum auch die Strafe, die am Kreuz getragen, / an der erworbenen Natur gemessen, / sie traf gerecht, wie keine je zuvor.“486

a) Ungerechtigkeit der Welt als Werkzeug der Gerechtigkeit Gottes Die für den außenstehenden Dante paradoxe Gerechtigkeit wird in der nachfolgenden Zeile deutlich, in der es heißt: „Und doch war keine je so ungerecht, / wenn man auf die Person des Dulders schaut“.487 Auch hier ist es ein rhetorischer Kunstgriff Dantes, der das Verhältnis der Ungerechtigkeit der Welt zur Gerechtigkeit Gottes zur Geltung bringt. Nach herkömmlicher Sicht sollte man annehmen, dass zunächst die Ungerechtigkeit der Verurteilung Jesu in den Vordergrund gestellt und von daher die Idee der göttlichen Gerechtigkeit entwickelt wird.488 Beatrice hingegen enthüllt Dante vom Ergebnis her den göttlichen Heilsplan, der in seiner Beweisführung die einzigartige Gerechtigkeit des Geschehens an vorderster Stelle rückt: „Sie traf gerecht, wie keine je zuvor.“ Wie überhaupt in der Göttlichen Komödie wird hier alles vom Ende her gesehen.489 Erst in zweiter Linie wird eingeräumt, dass die verhängte Strafe „so ungerecht war“ wie keine andere.490

b) Verinnerlichung der jenseitigen Gerechtigkeitsvorstellung Wie sehr diese Form der Beweisführung auf Dantes Gerechtigkeitssinn einwirkt, macht Beatrices nachfolgende Verdeutlichung des Lernprozesses klar: „Es soll dich ferner drum nicht mehr verwundern, / vernimmst du, dass gerechte Rache später / gerächt ward von gerechtem Weltgericht.“491 Diese Stelle ist zentral für die allmähliche Schärfung von Dantes Gerechtigkeitssinn. Die irdischen Maßstäbe und Gerechtigkeitsvorstellungen werden zurechtgerückt, so dass sich Dante stellvertretend für die gesamte Menschheit in die Gerechtigkeit des göttlichen Heils___________ 485

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Paradiso, VII, 19–21: „Secondo mio infallibile avviso, / come giusta vendetta giustamente / punita fosse, t’ha in pensier miso“. Dazu E. Magri, Il canto VII del Paradiso, La Rassegna Nazionale 180 (1911), 196 ff. Paradiso, VII, 40–42: „La pena dunque che la croce porse / s’a la natura assunta si misura, / nulla già mai sì giustamente morse“. Paradiso, VII, 43 f.: „e cos® nulla fu di tanta ingiura, / guardando a la persona che sofferse“. Siehe dazu auch Dante Alighieri, Monarchia, II, xi, 5. Zu diesem Prinzip Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 2 ff. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Dritter Teil: Das Paradies, 1957, 2. Auflage 1970, S. 137 f: „Unter dem Aspekt der göttlichen Natur Christi d. h. seiner wirklichen Person, ist die Kreuzigung ein Verbrechen, das gesühnt werden musste“. Paradiso, VII, 49–51: „Non ti dee oramai parer più forte, / quando si dice che giusta vendetta / poscia vengiata fu da giusta corte“.

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III. Paradiso

plans einfinden kann. Das rhetorische Mittel, mit dem der Dichter diesen Erkenntnisprozess verdeutlicht, ist das bereits im Inferno und später auch im Purgatorio begegnende Verwundern und Staunen des Geführten, der allmählich von den verhängten Strafen auf die Tat zu schließen lernt und einen zunächst noch rudimentären Einblick in die dort waltende Gerechtigkeit erhält. Dieses Innewerden der jenseitigen Gerechtigkeitsvorstellung verdeutlicht Beatrice auf dialogische Weise, indem sie für Dante selbst die Folgerung zieht und damit zugleich das Lernziel vorgibt,492 dass es ihn von da ab nicht mehr verwundern soll, wie – scheinbar tautologisch – „gerechte Rache später / gerächt ward von gerechtem Weltgericht.“493

c) Einsicht in die Gerechtigkeit des Weltgerichts Der intellektuelle Sprung, den Dante unter den Augen Beatrices und ihrer Beweisführung vollzieht, führt zu jener Verfeinerung des Gerechtigkeitssinns, von der bereits die Rede war und die hier gleichsam einen Kulminationspunkt erfährt. So erklärt sich vom Ende her gesehen auch die Tautologie, die zwischen der gerechten Rache und dem gerechten Weltgericht angedeutet wird. Aus Beatrices Sicht bedarf es der Hinzufügung des Gerechten für das Weltgericht nicht, da sie schon den Einblick in den göttlichen Heilsplan hat. Dante gegenüber ist ihre Rede dagegen persuasiv und entwickelt jene Innenspannung, die sich daraus ergibt, dass die tautologisch anmutende Aneinanderreihung des gerechten Weltgerichts mit der gerechten Rache einhergeht, die auf den ersten Blick widersprüchlich anmutet. Doch erklärt sich dies daraus, dass das Weltgericht seinerseits die Rache rechtfertigt. Diese scheinbare Widersprüchlichkeit ist wiederum nur vom Ende her gedacht zu begreifen.494 Indem das Weltgericht immer schon als solches gerecht ist, hebt es auch alle scheinbaren und vordergründigen Ungerechtigkeiten auf. Diese transzendierende Sichtweise erschließt sich Dante erst unter Beatrices Führung. Vergil konnte sie mit seiner zwar vorchristlichen, aber eben doch heidnischen Prägung nur annäherungsweise übermitteln und damit Dantes Gerechtigkeitssinn zumindest insoweit auf eine höhere Ebene richten, als das rein rationale Moment der Gerechtigkeit in seiner Person verwirklicht war und dadurch Dantes Gerechtigkeitssinn durch diese rationale Überredungskunst leitete. Jedoch war der Gerechtigkeitssinn bis dahin noch unvollkommen ausgestaltet und bedurfte noch der ___________ 492

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Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Dritter Teil: Das Paradies, 1957, 2. Auflage 1970, S. 138, verweist zum Folgenden (Verse 52 ff.) auf Dantes Vorbilder Thomas von Aquin, Summa theologica III, 46 ff., De passione Christi; sowie Anselm von Canterbury, Cur Deus homo. Paradiso, VII, 50 f.: „quando si dice che giusta vendetta / poscia vengiata fu da giusta corte“. Vgl. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 2. Auch diese Prämisse würde wohl Ernst Robert Curtius, Zur Danteforschung, in: Romanische Forschungen 56 (1942), 3 ff. nicht teilen; vgl. auch Frank-Rutger Hausmann, „Sie haben keine Neigung, von mir etwas zu lernen“. Ernst Robert Curtius, Hugo Friedrich und die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, in: Mittellateinisches Jahrbuch 28,1 (1993), 101 ff; Mirjam Mansen, „Denn auch Dante ist unser!“ Die deutsche Dante-Rezeption 1900–1950, 2003, S. 109 ff.

7. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

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durch Beatrice personifizierten Liebe, welche die Gerechtigkeit und damit den Gerechtigkeitssinn Dantes zu vervollkommnen half.

7. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit 7. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit

Beatrice weiß, wie sehr ihre Beweisführung Dante herausfordert und anstrengt: „Du sagst: «Was ich jetzt höre, kann ich fassen, / doch bleibt mir dunkel noch, warum wohl Gott / auf diese Weise unsre Rettung wollte.»“495 Durch diesen gedanklichen Dialog im eigentlichen Monolog bringt Beatrice Dantes jeweiligen Erkenntnisstand zur Geltung und erinnert ihn zugleich daran, dass der Einblick in die göttliche Gerechtigkeit nur aus Liebe geschehen kann: „Dieser Beschluss, o Bruder, bleibt verborgen / vor eines jeden Auge, dessen Geist / noch nicht gereift ist in der Glut der Liebe.“496 Was Beatrice im Folgenden ausbreitet, nämlich die alternativlose Notwendigkeit des Heilsgeschehens, wird implizit veranschaulicht durch das Ineinandergreifen von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.497

a) Komplementarität So abgehoben dies aus diesseitiger Sicht wirkt, darf nicht übersehen werden, dass es sich hierbei um einen Zusammenhang handelt, der auch schon zur Verdeutlichung moderner physikalischer Probleme bemüht worden ist: Selbst ein so rational und nüchtern urteilender Denker wie der Physiker Niels Bohr verdeutlichte den für sein Denken und für seine Deutung der Quantentheorie zentralen Begriff der Komplementarität mit dem Wirkungszusammenhang,498 der seines Erachtens zwischen der Gerechtigkeit und Liebe Gottes besteht.499 Wenn man hinzunimmt, dass die Bohrs Sichtweise zugrunde liegende Komplementarität in Gestalt der beiden Begriffe der Barmherzigkeit und Liebe – auf die Göttliche Komödie gewendet – nichts anderes bedeuten kann als den Zusammenhang zwischen Barmherzigkeit und Gerechtigkeit – die ja für Dante nicht ohne Liebe denkbar ist –, so zeigt sich hier mutatis mutandis dieselbe Wirkungsweise. ___________ 495 496 497 498

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Paradiso, VII, 55–57: „Tu dici: «Ben discerno ciò ch’i’ odo; / ma perché Dio volesse, m’è occulto, / a nostra redenzion pur questo modo»“. Paradiso, VII, 58–60: „Questo decreto, frate, sta sepulto / a li occhi di ciascuno il cui ingegno / ne la fiamma d’amor non è adulto“. Walther von Wartburg, S. 894. Carl Friedrich von Weizsäcker, Große Physiker, 1999, S. 266, 275: „Komplementarität bezeichnet das Verhältnis der klassischen Begriffe zueinander, wenn sie in der neuen Theorie verwendet werden“. Joseph Ratzinger, Einführung in das Christentum, 1968, Erster Hauptteil, 2. Kapitel Fußnote 27; zu Bohrs Begriff der Komplementarität siehe Klaus Michael Meyer-Abich, Korrespondenz, Individualität, Komplementarität, 1965; Carl Friedrich von Weizsäcker, Zeit und Wissen, 1992, S. 778. Siehe auch Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Zweiter Teil, 2011, S. 153: „Das Unrecht, das Böse als Realität, kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach stehen gelassen werden. Es muss aufgearbeitet, besiegt werden. Nur das ist die wahre Barmherzigkeit“.

78

III. Paradiso

b) Wirkungsweise der Gerechtigkeit Diese Einsicht bestimmt auch die Monarchia, wonach „die Liebe die Gerechtigkeit am meisten, und umso mehr, je kräftiger und mächtiger sie ist“, stärkt.500 Dante wird auf diese Weise die Alternativlosigkeit des die Gerechtigkeit verwirklichenden göttlichen Heilsplans gewahr: „Und allzu schwach war jeder andre Weg / hin zur Gerechtigkeit, wenn Gottes Sohn / sich nicht erniedrigt hätt’, im Fleisch zu wohnen.“501 Beatrice öffnet Dante die Augen, indem sie ihm die Wirkungsweise der göttlichen Gerechtigkeit anhand der beschränkten und begrenzten Vorstellungen menschlicher Gerechtigkeit verdeutlicht. Dante wird schrittweise in den Stand gesetzt, durch die klassische Bildung und die Theologie des Hochmittelalters die in der Fleischwerdung vollzogene Gerechtigkeit zu erkennen. So kann er auch das irdische Geschehen forthin mit anderen Augen beurteilen, weil sein Gerechtigkeitssinn anders ausgerichtet ist.

8. Dante als Dichter und Richter irdischer Gerechtigkeit 8. Dante als Dichter und Richter irdischer Gerechtigkeit

Dante verliert jedoch nie den Blick für die irdischen Unzulänglichkeiten,502 die seines Erachtens nicht zuletzt darin begründet sind, dass der Zugang zu den maßgeblichen Primärquellen verschattet ist: „Verlassen liegen Evangelien und / die großen Lehrer, nur die Dekretalien / studiert man noch; man sieht’s an ihren Rändern.“503 Die Stelle spielt an auf die mit Erläuterungen („Glossen“) versehenen und aus sich heraus nicht mehr uneingeschränkt verständlichen Rechtslehrbücher.504

a) Loblied des Decretum Gratiani Dante wendet sich gegen die seinerzeitige Praxis, die Schriften der Kirchenlehrer und vor allem die eigentliche Heilsbotschaft, das Evangelium, außer Betracht zu lassen und stattdessen Zuflucht zu zweifelhaften Sekundärquellen zu nehmen.505 Dass Dante hier jedoch nicht das auf den ersten Blick naheliegende – weil von ihm ___________ 500 501 502 503 504

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Dante Alighieri, Monarchia, I, xi, 14: „et hoc operetur maxime atque potissime iustitia, karitas maxime iustitiam vigorabit et potior potius“. Paradiso, VII, 118–120: „e tutti li altri modi erano scarsi / a la giustizia, se ’l Figliuol di Dio / non fosse umilïato ad incarnarsi“. Zu diesem Zusammenhang grundlegend Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001. Paradiso, IX, 133–135: „Per questo l’Evangelio e i dottor magni / son derelitti, e solo ai Decretali / si studia, sì che pare a’ lor vivagni“. Vgl. auch Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 577. Susanne Lepsius, Auflösung und Neubildung von Doktrinen nach der Glosse: Die Dogmatik des Mittelalters, in: Dogmatisierungsprozesse in Recht und Religion (Hg. Georg Essen/Nils Jansen), 2011, S. 55. Walther von Wartburg, S. 921 f. Eine der Danteschen ähnliche Sichtweise findet sich bei Joseph Ratzinger/Benedikt XVI., Jesus von Nazareth, Erster Teil, 2007, S. 10 ff.

8. Dante als Dichter und Richter irdischer Gerechtigkeit

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hochgeschätzt – Decretum Gratiani meint, zeigt sich im zehnten Gesang: „Dies andre Leuchten, es erglänzt im Lächeln / von Grazian, der beide Rechte einte, / und Freude herrscht darob im Paradies.“506 Hier wiederholt sich etwas, das bereits in der Person Justinians angedeutet wurde. So wie Justinian die Digesten sammeln ließ und dadurch die Rechtskultur wieder auf eine Höhe brachte, wie sie vordem nur im klassischen römischen Recht bestand, hat Gratian mit dem nach ihm benannten Decretum eine Grundlage des kanonischen Rechts geschaffen, die zu den ganz großen Errungenschaften der Jurisprudenz zählt.507 Die Stelle verdeutlicht, was eingangs dargestellt wurde,508 nämlich dass Dantes Göttliche Komödie auch die Rechtsgelehrsamkeit seiner Zeit zumindest im Hinblick auf ihre bleibenden kulturellen Errungenschaften mit bedacht hat. Sie zeigt zugleich, dass alles, was Dante über Recht und Gerechtigkeit sagt und voraussetzt, nicht einfach Ausfluss eines mehr oder minder diffusen Rechtsgefühls ist, sondern von strenger Rationalität durchdrungen ist. Hinzu kommt freilich immer die naturrechtliche Verankerung, die mit ihrer Rückbindung an das Evangelium auch dem Decretum Gratiani zu eigen ist.509

b) Weltliches und kirchliches Recht Der systematische Standort dieser Stelle ist aber darüber hinaus auch deswegen so wichtig, weil dadurch inmitten des Paradiso abermals das weltliche Recht in Bezug genommen wird. Vorderhand wird nur eine – wenn auch rechtsgeschichtlich noch so epochale – Leistung gewürdigt die erklärt, warum der Urheber dieser kulturellen Errungenschaft seinen Platz im Paradiso hat. Darüber hinaus aber sagt uns Dante etwas Wichtiges über das Recht selbst. Die Entschlackung von allem überflüssigen Ballast, wie sie durch Justinian in die Wege geleitet wurde und die Trennung des weltlichen Rechts vom kirchlichen Recht unter gleichzeitiger Hervorhe___________ 506 507

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Paradiso, X, 103–105: „Quell’ altro fiammeggiare esce del riso / di Grazïan, che l’uno e l’altro foro / aiutò sì che piace in paradiso“. Siehe dazu nur Peter Landau, Quellen und Bedeutung des gratianischen Dekrets, Studia et Documenta historiae et Iuris 52 (1986), 218 ff.; ders., Artikel ‘Gratian’, TRE Band 14 (1985), 1 ff.; ders., Die Entstehung des kanonischen Infamiebegriffs von Gratian bis zur Glossa ordinaria, 1966; ders., Ius Patronatus. Studien zur Entwicklung des Patronats im Dekretalenrecht und in der Kanonistik des 12. und 13. Jahrhunderts, 1975; ders., Die Entstehung der Dekretalensammlungen und die europäische Kanonistik des 12. Jahrhunderts, ZRG KA 65 (1979), 120 ff.; ders., Kanones und Dekretalen. Beiträge zur Geschichte der Quellen des kanonischen Rechts, Bibliotheca Eruditorum Band 2, 1997; ders., Neue Forschungen zu vorgratianischen Kanonessammlungen und den Quellen des gratianischen Dekrets, Ius Commune 11 (1984), 1 ff.; ders., Gratians Arbeitsplan, Festschrift für Heribert Schmitz, 1994, S. 691 ff.; ders., Artikel ‘Gratian (um 1140)’, in: Juristen (Hg. Michael Stolleis), 2. Auflage 2001, S. 271 f. Oben S. 1. Joseph Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, 2005, S. 35 Fußnote 3, macht auf den – auch für den vorliegenden Zusammenhang – „bemerkenswert(en) Begriff von Naturrecht“ aufmerksam, „der am Anfang des Drecretum Gratiani steht: Humanum genus duobus regitur, naturali videlicet iure, et morbus. Ius naturale est, quod in lege et Evangelio continetur, quo quisque iubetur, alii facere, quod sibi vult fieri, et prohibetur, alii inferre, quod sibi nolit fieri“.

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III. Paradiso

bung ihrer beider zwingender Notwendigkeit für die Gerechtigkeit durch Gratian sind für Dante die beiden großen Meilensteine, welche die Entwicklung des weltlichen Recht vervollkommnet haben,510 indem sie zugleich inzident – wenn auch nur annäherungsweise – einen Einklang mit der göttlichen Gerechtigkeit versucht haben. Das kanonische Recht repräsentiert aus Dantes Sicht mit dem Jurisdiktionsprimat des Papstes eine je eigene Ordnung, die letztlich der göttlichen Gerechtigkeit gehorchen sollte.511 So wird Dante im Paradiso überraschend gleichermaßen zum Dichter und Richter irdischer Jurisprudenz.512

c) Metaphysische Leere der Rechtsgelehrsamkeit Das darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, dass Dante von nun an den irdischen Gegebenheiten einen unverhältnismäßigen Raum widmet. Als ob er selbst klarstellen wollte, wie nichtig alles Irdische im Vergleich zu den wahren Dingen ist, hebt der elfte Gesang mit einem regelrechten Vanitas-Motiv an:513 „O du, der Sterblichen sinnlose Sorge, / wie mangelhaft sind die Gedankengänge, / die dich mit ihren Flügeln tiefer tragen! / Der sich mit Rechtsgeschäften, der mit Medizin / sich plagt und der mit Pfründenwesen, / der andre herrschen will mit List oder Gewalt, / Der raubt und der betreibt Privatgeschäfte“.514 Uns interessieren hier vor allem die Rechtgeschäfte, mit denen sich Dante zufolge die Menschen plagen. Das sie neben der Medizin hervorgehoben werden, ist wohl vor allem dem klassischen universitären Bild der vier Fakultäten zu verdanken, zu denen neben den beiden Disziplinen auch die Theologie und die Philosophie gehören. Dass er diese jedoch nicht mit einbezieht, sondern für vordringlich und weiterführend hält, liegt wohl daran, dass er sie besonders hoch schätzt. Die Philosophie ist ihm – wie bereits dargestellt – der eigentliche Weg zur Wahrheitssuche.515 Die Theologie steht gleichberechtigt daneben und befähigt auf diese Weise im Einklang mit der Philosophie zur annäherungsweisen Erkenntnis der göttlichen Gerechtigkeit. Da___________ 510

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Zur Jurisprudenz im Spätmittelalter unter besonderer Berücksichtigung der Bologneser Juristenausbildung Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 576 f. ClausWilhelm Canaris, Die Europäische Union als Gemeinschaft des Rechts, S. 179, 186: „Noch wichtiger als die inhaltliche Rezeption des römischen Rechts war die damit verbundene Verwissenschaftlichung der Jurisprudenz, die vor allem darin zutage trat, dass diese nunmehr an den Universitäten betrieben wurde.“ (Hervorhebung auch dort). Näher Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, Festschrift für Johannes Spörl, 1965, S. 59, 63 ff. Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, hat diese Perspektive am gründlichsten ausgearbeitet. Dazu Erich Auerbach, St. Francis of Assisi in Dante’s Commedia, Italica XXII (1945) 55 ff.; Sergio Zanotti, Il canto XI del Paradiso, Annuario Liceo Sinigaglia, 1928, S. 15 ff.; Armando Santanera, San Franceso in Dante, Commentato al canto XI del Paradiso, 1930. Paradiso, XI, 1–7: „O insensata cura de’ mortali, / quanto son difettivi silogismi / quei che ti fanno in basso batter l’ali! / Chi dietro a iura e chi ad amforismi / sen giva, e chi seguendo sacerdozio, / e chi regnar per forza o per sofismi, / e chi rubare e chi civil negozio“. Dante Alighieri, Convivio, II, xii, 5.

9. Justierung des Gerechtigkeitssinns

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neben nimmt sich der Ertrag der Medizin und Rechtsgelehrsamkeit vergleichsweise bescheiden aus. Dante erinnert uns daran, dass beide Disziplinen nur dem Irdischen verhaftet sind. Es handelt sich dabei um eine Sublimierung dessen, was bereits im Inferno und Purgatorio ungleich deutlicher zu Tage getreten ist, wenn er die Sünder die sich allein dem Irdischen zugewandt haben, auch in bildhafter Weise mit dem Blick auf den Boden gefesselt dargestellt sah. Zugleich wird damit deutlich, dass irdisches Recht ohne eine an göttliches Recht geknüpfte Anbindung nichtig und haltlos ist.516 Indem Dante der geistigen Leere gewahr wird, die – am Beispiel der Jurisprudenz – eine ohne metaphysischen Oberbau ausgerichtet, das heißt eine im Wortsinne ohne Rückbindung (Religio) verfasste Jurisprudenz hat, zeigt er die Sinnlosigkeit einer irdischen Geschäftigkeit, die insbesondere das Recht nur zum Mittel der Machtdurchsetzung erhebt und damit zugleich unfreiwillig erniedrigt.

9. Justierung des Gerechtigkeitssinns 9. Justierung des Gerechtigkeitssinns

Im Mittelteil des Paradiso findet sich eine überaus bemerkenswerte Stelle, welche die Gerechtigkeit gleichsam übergreifend in den Mittelpunkt stellt. Unausgesprochen richtet Dante den Blick zurück, wenn er sich unter dem Eindruck der himmlischen Herrlichkeit regelrecht affirmativ darüber vergewissert, dass alles seine Ordnung hat: „Gerecht ist’s, dass in Jammer ohne Ende / versinkt, wer für die Liebe zum Vergänglichen / auf ewig dieser Liebe sich beraubt.“517

a) Rechtfertigung ewiger Strafe Hieran zeigt sich exemplarisch, wie auch im Paradiso – nicht anders als bereits zuvor im Purgatorio – allgegenwärtig auch das Inferno mitgedacht und mitberücksichtigt wird. Denn mit dem Jammer ohne Ende sind ersichtlich die Unglückseligen des Inferno gemeint. Sie haben um des kurzfristigen Genusses Willen ihr Seelenheil aufs Spiel gesetzt. In der Dante-Forschung wird diese Stelle aus gutem Grund dahingehend gedeutet, dass Dante erst nach innerem Ringen und Zwiesprache mit sich selbst zu dem Ergebnis kommt, dass alles so, wie es ist, gerecht ist.518 Im Hintergrund steht dabei die selbstgestellte Frage, wie es zu rechtfertigen ist, dass zeitlich – und damit vergleichsweise kurzfristig – begangene Sünden ewige

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Heinrich Abegg, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177, 234 ff., geht der Frage nach, ob Dante „eine Art Criminalkodex aufstellen wollte“, für den das positive Recht seiner Zeit eine Quelle gewesen sein könnte, verneint dies aber mit guten Gründen. Paradiso, XV, 10–12: „Bene è che sanza termine si doglia / chi, per amor di cosa che non duri, / etternalmente quello amor si spoglia“. Walther von Wartburg, S. 988.

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III. Paradiso

Verdammnis nach sich ziehen.519 Diese Frage bleibt unausgesprochen. Für die Beantwortung muss man sich erneut mit Hugo Friedrich vergegenwärtigen, was die Sünde ausmacht, nämlich „den metaphysischen, also gegen den göttlichen Rechtsursprung selber gerichteten Charakter aller Rechtsverletzung“.520 Was Dante Vergil womöglich im Inferno oder im ersten Teil des Purgatorio noch ausdrücklich gefragt hätte, treibt ihn auch im Paradiso noch um und wirkt gerade dort noch nach. Dass Dante diese Frage dort allerdings nicht explizit zu stellen braucht, veranschaulicht seinen Erkenntnisfortschritt. Unter Vergils vernunftgemäßer Führung und Beatrices liebender Zuwendung hat sich sein Gewissen und damit auch sein Gerechtigkeitssinn gewandelt und vervollkommnet.

b) Maß der Gerechtigkeit An die Stelle roher Gewissenlosigkeit am Ende des Inferno tritt eine mitfühlende Zuwendung, die jedoch den göttlichen Richtspruch nicht in Frage stellt. Gerade die affirmative Formulierung („gerecht ist’s“) verdeutlicht, dass Dante auch dort, wo Zweifel in ihm aufkeimen und sich sogar sein Gewissen regt, eine objektive Gerechtigkeit am Werk sieht. Das Maß dieser Gerechtigkeit hat sich bereits im Inferno und Purgatorio manifestiert und wird hier aus der Ewigkeitsdimension heraus nochmals zur Geltung und damit auf den Punkt gebracht: Es ist die aus der Willensfreiheit geborene Entschlussfähigkeit des Menschen, der mit der Zuwendung und Hingebung an das vordergründig Irdische die Prioritäten falsch setzt und daher auch mit den Folgen ewig leben und leiden muss.521 Die eigentümliche Härte, die dieser Gerechtigkeitsvorstellung innewohnt, muss sich auch der davon noch nicht Betroffene immer aufs Neue vergegenwärtigen.522 Diese Mahnung spricht Dante nicht von ungefähr dort aus, wo sie der Leser am wenigsten erwartet und die dahinterstehende Einsicht daher leicht außer Betracht gelassen haben kann.

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Näher zum durch Augustinus geprägten Ordo-Denken Dantes Hermann Conrad, Recht und Gerechtigkeit im Weltbild Dante Alighieris, 1965, S. 59; ders., Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 274 f. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 99. Ähnlich bereits Richard Schmidt, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 93 f.: „Eine positive Rechtsbewährung und Rechtsklärung, Einprägung der gesetzlichen Verbote im Volk gilt es als das weit stärker vergeistigte Ziel der Strafe zu erfassen, und wer sich das innerste Motiv Dantes, wie wir es heute kennen, gegenwärtig hält, wird empfinden, dass gerade in der metaphysischen Einkleidung, die er der Strafe als Reaktion gegen die Sünde, gegen die Übertretung der göttlichen Verbote gibt, das Verständnis für diese geistige Wirkung nur erleichtern wird“. Siehe dazu auch Gerhard Ledig, Ewigkeit und Zeit bei Thomas von Aquin und Dante, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 109 ff. Zum gesamten Gesang, in dem das im Ausgangspunkt angesprochene Wort seinen Platz hat, Armando Santanera, Cacciaguida, sul canto XV del Paradiso, 1918.

10. Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit

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c) Objektivierung des Gerechtigkeitssinns Daran zeigt sich, dass Dantes Gerechtigkeitssinn gleichfalls immer aufs Neue justiert wird. Es ist keine konstante Größe, sondern bewegt und entwickelt sich immer in Abhängigkeit von den Schicksalen, die ihm begegnen. Die genannte Stelle veranschaulicht daher auch das Verhältnis von Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit in Dantes Werk. Die sittliche Reife, die Dante erfährt und ihn unter dem Eindruck der erkannten Strafen und Belohnungen zu einem einsichtigen Individuum macht,523 hält ihn nicht davon ab, unausgesprochen zurückzublicken. Während er im Paradiso wandert, ist ihm gleichzeitig das Inferno gegenwärtig. Die unerbittliche Gerechtigkeit, die er dort walten sah, verfolgt ihn auch hier. Sein Gerechtigkeitssinn ist einerseits der Gleiche geblieben, indem Dante im Paradiso unausgesprochen die Höllenqualen für sich ins Verhältnis zu den begangenen Taten zu setzten sucht. Andererseits hat er sich aber auch gewandelt und ermöglicht ihm gerade dadurch die Einsicht, dass die Härte der Gerechtigkeit damit begründetet werden kann, dass der davon Betroffene freien Willens das kurzfristig Vergängliche der Aussicht auf das Ewige vorgezogen hat. So erklärt sich auch, dass es für Dante an dieser Stelle die Gerechtigkeit ist, und dass es ihm nicht nur gerecht scheint. Es geht hier demnach weniger um ein Gerechtigkeitsempfinden als vielmehr die Erfahrung der Gerechtigkeit selbst. Dantes Gerechtigkeitssinn wird unter Beatrices Mitwirkung gleichsam zu einer objektiven Instanz.

10. Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit 10. Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit

Nachdem Dantes Gerechtigkeitssinn augenscheinlich diesen Grad der Objektivität erreicht hat, wird er im nachfolgenden siebzehnten Gesang sogleich durch jene stärkste Form der Subjektivität gefährdet, die das dichterische Werk kennt, nämlich die Selbstbiographie.524 Der autobiographische Abriss, der in der Mitte des Gesangs folgt,525 veranschaulicht die Geschichte der Verbannung Dantes.526 Abermals ist es der bittere Abschied aus Florenz, der ihm rückschauend verkündigt wird. Auch diese eigentümliche Form der Rückschau, die in eine Prophezeiung gekleidet ist, veranschaulicht das Verhältnis von Gleichzeitigkeit und Gerechtigkeit: „so musst auch du dereinst Florenz verlassen.“527 Dante sieht sich hier als ___________ 523

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In diesem Zusammenhang weiterführend Karlheinz Stierle, Selbsterhaltung und Verdammnis. Individualität in Dantes Divina Commedia, in: Individualität, Poetik und Hermeneutik (Hg. Manfred Frank/Anselm Haverkamp), 1988, S. 270 ff. Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 271: „Renaissancehaft ist sein starkes Ichbewusstsein, das sich ihn in den Mittelpunkt des Erlebnisses der Göttlichen Komödie stellen lässt“. Es ist, mit den Worten und der Aufsatz-Überschrift von Hans Rheinfelder, Der Zentralgesang in Dantes Paradiso, Wissenschaftliche Zeitschrift der Universität Jena V (1955/56), 353 ff. Paradiso, XVII, 46–99. Paradiso, XVII, 48: „tal di Fiorenza partir ti convene“.

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III. Paradiso

Opfer der Florentiner Ungerechtigkeit, die jedoch ihren eigentlichen Grund in einem intriganten Ratschluss des amtierenden Papstes Bonifaz VIII. hat.528 Dante wird hier verkündigt, dass er als Verlierer aus diesem Intrigenspiel hervorgehen wird, ohne dass er sich Hoffnung auf eine gerechte Beurteilung durch seine Zeitgenossen zu machen braucht: „Die Schuld wird dem geschlagnen Teil gegeben / im Rufe, wie gewohnt“.529 Doch ruht seine Hoffnung auf der sich allmählich einstellenden Gerechtigkeit, die eine unverklärte Sicht auf das Geschehene ermöglichen wird: „jedoch die Rache, / sie wird nachwirkend zeugen für die Wahrheit.“530 Hier scheint abermals der Zusammenhang zwischen Wahrheit und Gerechtigkeit auf. Historische Gerechtigkeit wird erst in der zeitlichen Rückschau mit entsprechender Distanz zum Geschehenen zuteil. Dante macht sich jedoch keine Illusionen darüber, dass er selbst dies nicht mehr erleben wird, wie die nachfolgende Klage ebenso deutlich wie drastisch aufzeigt. Die leidvolle Erfahrung des Exils, die Dante hier und im Folgenden in einer rhetorisch und dichterisch die Zeiten aufhebenden Weise präsentiert, erklären die Verbitterung, die aus diesen Zeilen spricht. Zugleich wird jede Form der Larmoyanz dadurch vermieden, dass Dante das Los des Exils in eine futuristisch gefärbte Vorankündigung setzt. In dieser Form der Vorwegnahme durchlebt er das Schicksal dieser Ungerechtigkeit gedanklich von Neuem.

11. Dantes harter Gerechtigkeitssinn 11. Dantes harter Gerechtigkeitssinn

Man muss sich diese dichterische Darstellung vergegenwärtigen, um zu ermessen, wie die realen Geschehnisse und erfahrenen Ungerechtigkeiten auf Dantes Gerechtigkeitssinn gewirkt haben.531 Es trifft daher durchaus zu, wenn ein Kom___________ 528

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Paradiso, XVII, 50 f. Allgemein zum historischen Hintergrund Klaus Ganzer, Papsttum und Bistumbesetzungen in der Zeit von Gregor IX. bis Bonifaz VIII. Ein Beitrag zur Geschichte der päpstlichen Reservationen, 1968; dazu Peter Landau, Historische Zeitschrift 212 (1971) 131 ff. Paradiso, XVII, 52 f.: „La colpa seguirà la parte offensa / in grido, come suol“. Paradiso, XVII, 53 f.: „ma la vendetta / fia testimonio al ver che la dispensa.“ – Dass die göttliche Strafe als ‘vendetta’ bezeichnet wird, entspricht Inferno, VII, 12. Vendetta und giustizia werden gleichbedeutend für die göttliche Gerechtigkeit verwendet; vgl. Hermann Gmelin, Dante, Die Göttliche Komödie, Kommentar, Erster Teil: Die Hölle, 1954, 4. Auflage 2005, S. 140 mit umfangreichen weiteren Nachweisen. Lehr- und gedankenreich zum werkhistorischen Zusammenhang Richard Schmidt, Dante und die strafrechtliche Praxis seines Zeitalters, Deutsches Dante-Jahrbuch 18 (1936), 52, 53: „Als Mitglied einer der Zünfte und erst recht als Bewerber um Ämter, dann als wirklicher Träger des Priorenamts musste er gelegentlich auch strafrechtliche Funktionen wahrnehmen. Schließlich wollte es ein feindliches Geschick, dass er selbst die Unbilden der Strafverfolgung zu erdulden hatte; sein ruheloses Dasein in dem von Parteikämpfen und Städtefehden erfüllten Italien, während er jahrzehntelang von Ort zu Ort getrieben wurde, sorgte dafür, dass sich ihm die kriminelle Seite des öffentlichen Lebens fort und fort aufdrängte. Wie es die Art seines Schaffens mit sich brachte, mussten die Erfahrungen und Erlebnisse im Gebiet der Strafrechtspflege auch einen wesentlichen Teil des Materials stellen, das er dichterisch

11. Dantes harter Gerechtigkeitssinn

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mentator der Göttlichen Komödie von dem „harten Gerechtigkeitssinn Dantes“ spricht.532

a) „Lasciate ogni speranza“ Diese Härte ist darüber hinaus nichts anderes als eine das ganze Werk durchtönende Resonanz des Bekenntnisses des Wanderers aus dem dritten Gesang: „Maestro, il senso lor m’è duro.“533 Es gilt der berühmten Inschrift des Höllentores, auf der es, wie erinnerlich,534 unter anderem heißt: „Gerechtigkeit bewegte meinen Schöpfer“.535 In der Zusammenschau ergibt sich daraus die Verbindung der Worte ‘Giustizia’ sowie ‘senso’ und ‘duro’. Das berühmte „Lasciate ogni speranza, voi ch’entrate“,536 das die Inschrift beschließt, bezeichnet die unerbittliche Gerechtigkeitsvision des Dichters, die den Wanderer mit aller Härte trifft. Ihr Urheber ist die göttliche Allmacht, welche zugleich die erste Liebe ist.537 Nietzsche verdeutlicht dies in besonderer Weise durch die freie Übersetzung: „auch mich schuf ewige Liebe“;538 ungeachtet aller Fundamentalkritik an Dantes Werk hat er die darin zum Ausdruck kommende „schreckeneinflößende Ingenuität“ des Dichters zugegeben und damit seinem unerbittlichen und harten Gerechtigkeitssinn Anerkennung gezollt.

b) Garantie der Gerechtigkeit Eine zeitgenössische Mahnung, die in dieselbe Richtung des von Dante Gemeinten weist, stammt demgegenüber von Joseph Ratzinger: „Vergessen wir aber darüber nicht, dass der Gott der Vernunft und der Liebe auch der Richter der Welt und der Menschen ist – der Garant der Gerechtigkeit, vor dem alle Menschen Rechenschaft ablegen müssen. Die Wahrheit des Gerichts gegenwärtig zu halten, ist gegenüber den Versuchungen der Macht ein grundlegender Auftrag: Jeder muss Rechenschaft ablegen. Es gibt Gerechtigkeit, die von der Liebe nicht aufgehoben ___________

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gestaltete, und deshalb ist es nicht nur das Verhalten zur Straftheorie und Strafphilosophie, sondern auch das Verhältnis zu der strafrechtlichen Praxis seiner Zeit, das das Nachdenken der Dante-Leser herausfordert“. Walther von Wartburg, S. 1017. Hartmut Köhler (S. 44) übersetzt: „Meister, was dort steht, trifft mich hart“. Dazu oben I, 1. Inferno, III, 4: „Giustizia mosse il mio alto fattore“. Inferno, III, 9. Inferno, III, 5 f. Friedrich Nietzsche, Zur Genealogie der Moral, I, 15: „Dante hat sich, wie mich dünkt, gröblich vergriffen, als er, mit einer schreckeneinflößenden Ingenuität, jene Inschrift über das Tor zu seiner Hölle setzte „auch mich schuf die ewige Liebe“ (…); dazu auch Eugen Biser, Nietzsche und Dante, Nietzsche-Studien 5 (1976), 145 ff.; zum rechtsphilosophischen Gehalt der ‘Genealogie der Moral’ auch Jens Petersen, Nietzsches Genialität der Gerechtigkeit, 2008.

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III. Paradiso

wird.“539 Wohl kaum ein zeitgenössisches Monitum erinnert besser und deutlicher an die zentrale Botschaft, die Dantes gesamte Göttliche Komödie durchwirkt – und zwar nicht nur das Inferno und Purgatorio, sondern auch das Paradiso.540 Denn nicht von ungefähr begegnet auch dort, wo keine Strafen mehr verbüßt und kein Reinigungsprozess durchmessen wird, die eigentümliche Härte der Gerechtigkeitsvorstellung Dantes. Auch für ihn ist Gott bei aller Liebe Garant der Gerechtigkeit.541

12. Gerechtigkeit und Sprache 12. Gerechtigkeit und Sprache

Der folgende Gesang verdeutlicht, was bereits im gesamten Gedicht zu Tage getreten ist, nämlich dass die Darstellung und Entfaltung der göttlichen Gerechtigkeit nicht die irdische Gerechtigkeit vergessen macht. Gerade weil die irdische Gerechtigkeit nicht mit dem Leben der Richtenden und Gerichteten endet, sondern aus Dantes hochmittelalterlicher Sicht dort erst eigentlich beginnt, ist es für ihn wichtig zu erfahren, wie die irdische Gerechtigkeit ihrerseits gerichtet wird.542

a) Buchstäbliche Verkörperung der Gerechtigkeit Die Antwort, die Dante gegeben wird, kann man als eine sehr frühe allegorische Verdeutlichung begreifen, die das Verhältnis von Sprache und Gerechtigkeit zur Geltung bringt.543 Dante begegnet denjenigen, die in ihrem Leben gerecht geurteilt ___________ 539 540

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Joseph Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, 2005, S. 135; Hervorhebung auch dort. Nicht zuletzt diese Dimension der Gerechtigkeit könnte ein Grund dafür sein, dass Nietzsche nach eigener Aussage (Nachgelassene Fragmente, August-September 1885, 40, 65, Kritische Studienausgabe, Hg. Giorgio Colli/Mazzino Montinari, Band 11, S. 663) erst vergleichsweise spät und daher mit besonderer Macht gewahr wurde, was ihm noch fehlte – nämlich die Gerechtigkeit –, da er in seiner fundamentalen Religionskritik begreiflicherweise keinen Raum für ein jenseitiges Gericht sah. Das würde zumindest ansatzweise erklären, warum ihn gerade Dantes soeben behandelte Inschrift so herausforderte und zu einer vehementen Erwiderung (Friedrich Nietzsche, Genealogie der Moral, I, 15) veranlasste. Inferno, III, 4 ff.; dazu oben I. 1. Zum Ganzen Joseph Anthony Mazzeo, Medieval Cultural Tradition in Dante’s Comedy, 1960; Johan Chydenius, The typological problem in Dante Alighieri’s study in the history of medieval ideas, 1958. Zur sprachphilosophischen Bedeutung Dantes grundlegend Karl-Otto Apel, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, 1963; siehe dazu auch Vittorio Hösle, Die Krise der Gegenwart und die Verantwortung der Philosophie, 3. Auflage 1997, S. 112, der mit Recht die hermeneutische Provenienz dieses wichtigen Werks betont. Mit Bedacht stellt Hösle (S. 9) seinem Werk Dantes Paradiso, XXIX, 142 ff. voran und sieht die Philosophie auf diese Weise in der Verantwortung, die „Fülle und Erhabenheit“ (Otto Gildemeister) der ewigen Kraft (etterno valor) zu sehen, die für immer und ewig in sich eins ist und bleibt (uno manendo). Mutatis mutandis kann man Dantes Commedia vor diesem

12. Gerechtigkeit und Sprache

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haben und Sachwalter der Gerechtigkeit gewesen sind. So stehen auch die irdischen Richter im Fokus der jenseitigen Gerechtigkeit.544 aa) Bezug der Textstelle zur Monarchia Als Probe seines metaphysischen Rechtsverständnisses kann auch Dantes hochinteressante und soweit ersichtlich noch kaum je bedachte Stelle aus der Monarchia herangezogen werden, wonach „jede Rechtsprechung früher ist als ihr Richter. Der Richter ist nämlich auf die Rechtsprechung hingeordnet und nicht umgekehrt.“545 Diese enigmatische und allem Anschein nach kontraintuitive Einsicht ist rechtstheoretisch bedeutsam. Das damit betonte zeitliche Vorrangverhältnis erinnert daran, dass Rechtsprechung immer auch etwas in der Zeit Gewordenes darstellt, einen Inbegriff also, dem eine gewisse Normativität eignet, vermöge derer der Richter sie nicht pauschal unberücksichtigt lassen kann, ohne Gefahr zu laufen, dass seine Entscheidung haltlos wird. bb) Literarische Verdeutlichung der Gerechtigkeitsvision Die Gerechtigkeitsvision, die Dante im Folgenden innerhalb der Göttlichen Komödie entfaltet, trägt im Wortsinne literarische Züge.546 Die Seelen der Gerechten formieren sich nämlich in Gestalt von Buchstaben. So werden sie selbst zu einer Art Chiffre der Gerechtigkeit, die sie im wahrsten Sinne des Wortes buchstabieren: „Sie zeigten sich in fünf mal sieben / Vokaln und Konsonanten; und ich merkte / sie einzeln so, wie sie gesprochen wurden.“547 Die Seelen derer, die auf Erden gerecht geurteilt und Recht gesprochen haben, bilden somit Lettern, die sich in ihrer Zusammenschau für Dante folgendermaßen lesen: „«Diligite iustitiam» waren die ersten, / Verbum und Nomen des Dahingemalten; / «Qui iudicatis terram» waren die letzten.“548 Es ist also der biblische Imperativ:549 Liebt Gerechtigkeit, ihr Herrscher der Erde.550 ___________ 544

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Hintergrund auch als stetige Herausforderung an die Rechtsphilosophie begreifen, das Ganze der Gerechtigkeit im Blick zu halten, wie es Dante passim unternommen hat. Siehe auch Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, S. 97: „Dante kritisiert keineswegs die irdische Justiz als solche.“ Siehe ferner S. 100: „Das weltliche Gericht ist nur eine Zwischeninstanz, die im Falle des als Tat zutage tretenden bösen Willens zu urteilen vermag. Aber sie ist eine begrenzte Instanz, weil die rechtswidrige Tat auch nur beiläufig ist gegenüber dem Willen, der sie verursacht hat. Dem irdischen Richter fehlen die Mittel zur Feststellung des totalen metaphysischen Charakters der Sünde“. Dante Alighieri, Monarchia, III, x, 10: „Omnis iurisdictio prior est suo iudice: index enim ad iurisdictionem ordinatur, et non e converse“. Aus dem Schrifttum dazu Ernesto Giacomo Parodi, Il giglio d’oro nel canto XVIII del Paradiso, Arte e Scienza I (1903), 5 ff. Paradiso, XVIII, 88–90: „Mostrarsi dunque in cinque volte sette / vocali e consonanti; e io notai / le parti sì, come mi parver dette“. Paradiso, XVIII, 91–93: „‘DILIGITE IUSTITIAM’, primai / fur verbo e nome di tutto ’l dipinto; / ‘QUI IUDICATIS TERRAM’, fur sezzai“. Buch der Weisheit, I. 1. Einheitsübersetzung.

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III. Paradiso

cc) Werkimmanenter Bezug zum Schreiben an Cangrande Hier gibt es einen versteckten Bezug zum Schreiben an Cangrande,551 in dem Dante ebenfalls das Buch der Weisheit zitiert, jedoch in einem vorderhand anderen Zusammenhang, dann aber fortfährt: „Denn jene, die in hohem Maße der Einsicht und des Verstandes mächtig und mit einer gewissen göttlichen Freiheit ausgestattet sind, werden durch keine Gewohnheit eingeschränkt; dies ist nicht weiter erstaunlich, da nicht sie durch die Gesetze, sondern die Gesetze vielmehr durch sie gelenkt werden.“552 Die Passage könnte der Politik des Aristoteles entlehnt sein,553 sofern Dante sie gekannt hat, was im Schrifttum in Frage gestellt wird.554 Jedenfalls wird dieser mögliche werkimmanente Bezug dadurch umso plausibler, als Dante wenige Sätze später betont, dass er Cangrande das Paradies seiner Göttlichen Komödie widmet:555 „Und da habe ich nichts gefunden, was Eurer herausragenden Stellung angemessener wäre als das erhabene Buch der Komödie, das durch den Titel des Paradieses geziert wird; und dieses (Buch), durch den vorliegenden Brief gleichsam wie durch ein eigentliches Epigramm gewidmet, überschreibe ich Euch, bringe ich Euch dar, ja vertraue ich Euch an.“556 Unter diesen interpretatorischen Vorzeichen könnte man die Widmungsstelle zugleich als einen ebenso diskreten wie mahnenden Hinweis an den in Oberitalien herrschenden Cangrande auf den biblischen Imperativ aus dem Buch der Weisheit deuten.557

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Zu ihm Hans Spangenberg, Cangrande I. della Scala (1291–1320), 1892. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 7. Übersetzt, eingeleitet und kommentiert (sowie hier zitiert) von Thomas Ricklin mit einer Vorrede von Ruedi Imbach, 1993, S. 5: „Nam intellectu ac ratione vigentes, divina quadam libertate donati, nullis consuetudinibus astringuntur; nec mirum, cum non ipsi legibus, sed ipsis leges potius dirigantur“. Aristoteles, Politica, 1284a, 14–16: „De talibus autem non est lex; ipsi enim sunt lex“. Allan H. Gilbert, Had Dante read the Politics of Aristotle?, Publications of Modern Language Association of America 43 (1928), 602. Auch dies ist nicht unumstritten; vgl. Allan H. Gilbert, Did Dante Dedicate the Paradiso to Can Grande della Scala?, Italica 43 (1966), 100 ff. Siehe auch Augusto Mancini, Nuovi dubbi ed ipotesi sulla Epistola a Cangrande, in: Atti della R. Accademia d’Italia, Rendiconti, Classe de Scienze morali, storiche e filologiche, Serie 7, Volume 4 (1943), 227; ders., Un nuovo codice dell’Epistola a Can Grande, Studi danteschi 24 (1939), 111. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 11, S. 6: „Neque ipsi preheminentie vestre congruum comperi magis quam Comedie sublimen canticam que decoratur titulo Paradisi; et illam sub presenti epistola, tanquam sub epigrammate proprio dedicatam, vobis ascribo, vobis offero, vobis denique recommendo“. – Thomas Ricklin macht in seiner ausgezeichneten Kommentierung des Schreibens an Cangrande (1993, S. 57 f.) mit Recht darauf aufmerksam, dass die von Dante verwendeten Begriffe (dedico, ascribe, offero, recommendo) „juristisch kontaminiert” seien. Siehe auch Francesco d’Ovidio, L’Epistola a Cangrande, in: ders., Studi sulla Divina Commedia, 1901, 448 ff.; Luis Jenaro-MacLennan, The Trecento Commentaries on the „Divina Commedia” and the Epistle to Cangrande, 1974. Narrativ verdichtet wird das Verhältnis von Dante zu Cangrande in der bereits erwähnten Novelle von Conrad Ferdinand Meyer, Die Hochzeit des Mönchs, 1884.

12. Gerechtigkeit und Sprache

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dd) Metaphysische Gestalt der Gerechtigkeit Denjenigen, die auf Erden richten und Recht sprechen, wird somit buchstäblich die Weisung vorgeschrieben, die Gerechtigkeit zu lieben. Die Allegorie in Form einer buchstabengetreuen Verdeutlichung macht deutlich, dass jeder irdischen Vorschrift und jedem auf Erden geltenden Gesetz eine metaphysische Gestalt der Gerechtigkeit vorgegeben ist. In Anlehnung an den eingangs erwähnten Titel der Arbeit von Hugo Friedrich kann man auch und gerade hier von einer „Rechtsmetaphysik“ sprechen.558 Das Interessante an diesem Bild ist jedoch, dass es bei wortlautmäßiger Betrachtung gar keine Metaphysik im aristotelischen Sinne ist.559 Denn die Gerechtigkeit, von der die Rede ist, ist nicht über dem Körperlichen angeordnet, sondern die Seelen der Gerechten verkörpern buchstäblich die Gerechtigkeit.

b) Kirchliche Gerechtigkeit? Interessant ist ferner, dass sich Dante das Postulat der Gerechtigkeitsliebe in der althergebrachten lateinischen Sprache präsentiert, die er in der Göttlichen Komödie bewusst abgelegt hat. In der Sprache der wissenschaftlich Gebildeten ist diese Aufforderung zur Gerechtigkeitsliebe zugleich eine Erinnerung an diejenigen, welche die Sprache beherrschen. Hier gilt wohl auch das, was Arno Borst in anderem Zusammenhang bemerkt: „Was Boethius für die Philosophie ist, das ist Justinian für die Jurisprudenz; wenn Dante über die Sprache seiner Tage schreiben will, tut er es in der Sprache Ciceros.“560 Da dies zugleich die Sprache der Kirche ist und Dante die Stelle aus dem Buch der Weisheit nach der Vulgata zitiert, kann man die personifizierte Inschrift und Vorschrift zur Gerechtigkeitsliebe auch auf die beziehen, welche die Kirche verkörpern. Das wird im folgenden Teil des achtzehnten Gesangs besonders deutlich, wo sich Dante unausgesprochen gegen einen ungerechten Papst wendet: „O trauter Stern, wie viele Edelsteine / belehrten mich: Gerechtigkeit auf Erden / bewirkt der Himmel, der mit dir sich schmückt.“561 Nicht von ungefähr ist nämlich gegen Ende des Gesangs an einer Stelle von Paul und Peter die Rede,562 an einer anderen Stelle von Paulus und dem Fischer, das heißt neben demjenigen Apostel, der die Verbreitung des Glaubens wie kein zweiter bewirkt hat,563 von dem Nachfolger ___________ 558 559 560 561 562 563

Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942. Allgemein dazu auch Christian Moevs, The metaphysics of Dante’s Comedy, 2005. Arno Borst, Lebensformen im Mittelalter, 4. Auflage 2004, S. 582. Paradiso, XVIII, 115–117: „O dolce stella, quali e quante gemme / mi dimostraro che nostra giustizia / effetto sia del ciel che tu ingemme!“. Paradiso, XVIII, 131. Eugen Biser, Der unbekannte Paulus, 2003, S. 13 f., spricht von ihm treffend „als erstem Medienverwender und Medientheoretiker der Christenheit“; dazu Jens Petersen, Medienrecht in der Katholischen Kirche, Archiv für Katholisches Kirchenrecht 176 (2007), 433. Zur PaulusDarstellung in der Göttlichen Komödie Theodore Silverstein, Did Dante know the Vision of St. Paul?, Harvard Studies and Notes in Philosophy and Literature XIX (1937), 240.

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III. Paradiso

Petri, also dem Papst.564 Wichtiger als dieser von Dantes unbeugsamem Gerechtigkeitssinn diktierte Angriff gegen das Papsttum seinerzeit ist aber die inmitten des zuvor Zitierten enthaltene Aussage: „Gerechtigkeit auf Erden / bewirkt der Himmel“.565 Irdische Gerechtigkeit ist also ohne göttliche Gerechtigkeit, die ihr vorgeordnet ist, undenkbar.

c) Kausalzusammenhang von göttlicher und irdischer Gerechtigkeit Auch die dem richtenden Menschen zuerkannte Willensfreiheit ändert nichts daran, dass göttliche und irdische Gerechtigkeit in einer Kausalbeziehung zueinander stehen. Auch hier gilt freilich für Dante die Richtung „wie im Himmel so auf Erden“.566 Irdische Gerechtigkeit geht vom Richtmaß göttlicher Gerechtigkeit aus und bildet sie auf Erden ab. aa) Gefüge der Gerechtigkeit Der Mensch kann ohne göttlichen Beistand nicht von selbst und aus sich heraus gerecht urteilen. Wenn er jedoch gerecht urteilt, entscheidet er in dem Sinne gewissenhaft, als das Gewissen selbst den Widerhall der Stimme Gottes bedeutet.567 Vor diesem Hintergrund ist auch Dantes Gerechtigkeitssinn nicht allein irdischen Ursprungs, sondern nur insoweit, als er durch die erfahrenen Ungerechtigkeiten selbst ungerecht oder selbstgerecht urteilt. Dabei darf nicht übersehen werden, dass gerade auch die Ungerechtigkeiten seinen Gerechtigkeitssinn in positiver und produktiver Weise formen konnten.568 Dort hingegen wo er zunächst unter Vergils, später Beatrices Anleitung zu einer gerechten Beurteilung gelangt, vermag er dies nicht aus eigener Kraft, sondern ist es auch jeweils der Himmel, der Gerech-

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Paradiso, XVIII, 136. Paradiso, XVIII, 116 f.: „nostra giustizia / effetto sia del ciel“. Siehe dazu auch die Schlussbetrachtung („Himmel und Erde”) von Joseph Ratzinger, Werte in Zeiten des Umbruchs. Die Herausforderungen der Zukunft bestehen, 2005, S. 65 f. in seinem staatsphilosophisch geprägten Kapitel über die Wahrheitsfrage; bedenkenswert insbesondere aaO., S. 65: „In Wahrheit ist es gerade diese ‘eschatologische’ Haltung, die dem Staat sein eigenes Recht garantiert und zugleich dem Absolutismus wehrt, indem sie die Grenzen sowohl des Staates wie der Kirche in der Welt aufzeigt.“ – Diese Deutung dürfte sich mutatis mutandis leicht mit Dantes Monarchia in Einklang bringen lassen. John Henry Newman, Entwurf einer Zustimmungslehre (Übersetzung Theodor Häcker, 1961), S. 83; dazu oben Inferno sub 10 c). Ähnlich Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 272: „Das herbe Geschick, das dem Dichter von seiner Vaterstadt bereitet worden war, die unerbittliche Verbannung, aber auch die Überfülle an Ungerechtigkeit und Gewalttat, die ihm in dem politisch so stürmisch bewegten Italien entgegentrat, ihm in gleicher Weise bei den Häuptern der abendländischen Welt, beim Papst und bei den Herrschern begegnete, waren günstiger Mutterboden für seine Frage nach Recht und Gerechtigkeit“.

13. Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit

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tigkeit auf Erden bewirkt.569 Himmel und Erde bewirken so in Dantes Weltsicht ein Gefüge der Gerechtigkeit. bb) Imprägnierung des Gerechtigkeitssinns Vor diesem Hintergrund liest Dante die ihm zuvor in Gestalt der gerechten aufscheinenden Buchstaben in einem anderen Licht: Der Imperativ „Diligite Iustitiam“ ist nicht vordringlich auf die Gerechtigkeit gerichtet, sondern das erste Wort, das Dante nicht von ungefähr erblickt ist: „Diligite“, also „liebet“. Wahre Gerechtigkeit und Liebe stehen für Dante somit in einem göttlich vorgegebenen untrennbaren Zusammenhang zueinander. Nicht nur göttliche, sondern auch irdische Gerechtigkeit ist ohne Liebe undenkbar. Dahinter steht unausgesprochen die Vorstellung, dass Objekt dieser Liebe nicht nur die Gerechtigkeit ist, sondern dass auch den zu Richtenden mit Liebe begegnet werden muss. Indem die Gerechten selbst sie verkörpern, macht die Inschrift den größtmöglichen Eindruck auf Dante und imprägniert seinen Gerechtigkeitssinn.

13. Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit 13. Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit

Nach dieser mahnenden Betrachtung der irdischen Gerechtigkeit geht es im neunzehnten Gesang wieder um die göttliche Gerechtigkeit. Dass sie nicht allein durch Vernunft fassbar und begreiflich ist, ist Dante bewusst: „Ich weiß, dass göttliche Gerechtigkeit / in einem andern Himmelsreich sich spiegelt; / doch auch das eure fasst sie ohne Schleier.“570 In einem eindrucksvollen Bild, das demjenigen des Augustinus ähnelt,571 der den Versuch, Gott verstandesmäßig zu erkennen und zu erfassen mit einer Muschel vergleicht, die das Meer erfassen soll,572 empfängt auch Dante die Antwort, dass der menschliche Verstand schlechterdings inkommensurabel ist, um die göttliche Gerechtigkeit zu erfassen: „Denn in der ewigen Gerechtigkeit / verliert der Blick sich, der die Welt will fassen, / als schaut’ er über uferloses Meer“.573

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Paradiso, XVIII, 117. Paradiso, XIX, 28–30: „Ben so io che, se ’n cielo altro reame / la divina giustizia fa suo specchio, / che ’l vostro non l’apprende con velame“. Zum Einfluss des hl. Augustinus auf Dante Carlo Calcaterra, Sant’Agostino nelle opere di Dante e del Petrarca, in: S. Agostino, Pubblicazione commemorativa del XV centenario della sua morte, Rivista di filosofia neo-scolastica, Supplemento speziale al vol. 23 (1931) 422. Dazu Joseph Ratzinger, Aus meinem Leben, 1998, S. 179. Paradiso, XIX, 58–60: „Però ne la giustizia sempiterna / la vista che riceve il vostro mondo, / com’ occhio per lo mare, entro s’interna“.

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III. Paradiso

a) Die ungetauft Verstorbenen als Paradigma von Dantes geläuterten Gerechtigkeitssinn Der begrenzten menschlichen Einsicht verschwimmen die Perspektiven, göttliche Gerechtigkeit liegt vor ihm wie ein Ozean. Da sich also die göttliche Gerechtigkeit einer rationalen Durchdringung versperrt, kann sie nicht durch Vernunft, sondern nur glaubend ermessen werden. Das aber führt Dante zu einer Frage, die sein Gegenüber bereits erfasst hat als sie Dante noch gar nicht recht bewusst war: „Jetzt ist dir weit geöffnet das Versteck, / das göttliche Gerechtigkeit verborgen, / die dich als Frage gar so sehr bedrückt“.574 Die Frage, um die es geht, wird in dialogischer Form entwickelt, ohne dass Dante sie zu stellen braucht: „Du sagtest dir: Es kommt ein Mensch zur Welt / am Indusufer, und dort spricht ihm keiner / von Christus, nicht mit Wort und nicht mit Schrift“.575 Das Schicksal der ungetauft Verstorbenen wird so zum Paradigma von Dantes Gerechtigkeitssinn. Auch wenn er weiß, dass sein Verstand die göttliche Gerechtigkeit nicht fassen kann, bewegt ihn doch die Frage, ob auch diejenigen auf ewig verdammt sind, die – aus seiner Sicht – schuldlos keine Christen geworden sind: „Gut ist sein Wollen und sein Handeln stets, / soweit die menschliche Vernunft es fasst, / und sündelos im Wirken und im Reden. / Er stirbt dann ungetauft und ohne Glauben: / Welche Gerechtigkeit kann ihn verdammen? / Wie ward zur Schuld ihm, dass er nicht geglaubt?“576 Obwohl oder gerade weil Dante selbst felsenfester Christ war, regt sich sein Gerechtigkeitssinn, wenn er an die aus seiner Sicht gutwilligen Heiden denkt.577 Dantes Gerechtigkeitssinn ist vernunftgemäß und in den theologischen Kategorien seiner Zeit verankert. Gerade die vernunftmäßige Prägung erweist sich jedoch bei der Beantwortung dieser grundlegenden Frage als immanente Begrenzung: „Wer bist denn du, der zu Gericht willst sitzen, / aus tausend Meilen Ferne fällst dein Urteil, / reicht auch dein Blick nur eine Spanne weit?“578 Hier wird in einer besonders sinnfälligen Weise dargestellt und im Wortsinne ermessen, wie unqualifiziert der menschliche Verstand zur Erfassung der göttlichen Gerechtigkeit ist. Der Mensch spielt sich zum Richter auf, obwohl sein Augenmaß nicht im Entferntesten die Dimensionen göttlicher Gerechtigkeit erfasst. So ist derjenige, der über das Seelenheil der gutwilligen Heiden sinniert, nicht gerechter, als diese es sind: ___________ 574

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Paradiso, XIX, 67–69: „Assai t’è mo aperta la latebra / che t’ascondeva la giustizia viva, / di che facei question cotanto crebra“. Dazu auch Luigi Valli, Il canto XIX del Paradiso, La struttura morale dell’universo dantesco, 1935. Paradiso, XIX, 70–72: „ché tu dicevi: Un uom nasce a la riva / de l’Indo, e quivi non è chi ragioni / di Cristo né chi legga né chi scriva“. Paradiso, XIX, 73–78: e tutti suoi voleri e atti buoni / sono, quanto ragione umana vede, / sanza peccato in vita o in sermoni. / Muore non battezzato e sanza fede: / ov’ è questa giustizia che ’l condanna? / ov’ è la colpa sua, se ei non crede?“. Hier zeigt sich übrigens beispielhaft, dass auch Dantes Zeit Europa als solches gar nicht kennt, sondern nur die Christenheit; eingehend Uwe Wesel, Geschichte des Rechts in Europa, 2010, S. 2 f. Paradiso, XIX, 79–81: „Or tu chi se’, che vuo’ sedere a scranna, / per giudicar di lungi mille miglia / con la veduta corta d’una spanna?“.

13. Inkommensurabilität der göttlichen Gerechtigkeit

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„O irdsche Seelen, törichte Gemüter, / der erste Wille, der im Wesen gut, / ward nie sich selbst, dem höchsten Gute, untreu. / Gerecht ist alles, was mit ihm in Einklang“.579 Recht ist nach dieser an Augustinus und Thomas von Aquin angelehnten Sichtweise nichts anderes als der (erste) Wille Gottes.580 Hans Kelsen erachtet dies als „außerordentlich charakteristisch für die ganze mittelalterliche Rechtsphilosophie“.581 Dante repräsentiert auch hier die Menschheit und wird daher auch zum stellvertretenden Gewissen seiner Zeit. Sein Gerechtigkeitssinn ist aber eben hier nicht mehr nur der seiner Zeit, sondern mehr und mehr auf die ewige Gerechtigkeit hingeordnet.

b) Dantes praktizierter Gerechtigkeitssinn Aus dem zuletzt Bedachten ergibt sich das folgende Problem der Gnadenwahl.582 Dante erblickt unter den Gerechten einen Trojaner, den er aus der Lektüre Vergils kennt. Da er „wohl tausend Jahr, eh man begann die Taufe“ lebte,583 konnte er kein Christ sein, sondern allenfalls in der Art, wie ihn Vergil darstellt, unausgesprochen auf Christus verweisen, wie dies die mittelalterliche Theologie im Hinblick auf Vergil selbst für möglich hielt.584 So erweist Dante mit dem ihm eigenen Gerechtigkeitssinn letztlich Vergil selbst seine Referenz, indem er eine Person regelrecht begnadigt, die er durch Vergil kennt. Dieser kühne Akt der Gerechtigkeit stellt sich so als praktizierter Gerechtigkeitssinn dar, der aus den Kategorien der Theologie seiner Zeit auch den ungetauften Gerechtigkeit widerfahren lässt. Dante rechtfertigt dies durch die Erinnerung der menschlichen Inkommensurabilität im Hinblick auf die göttliche Gerechtigkeit: „Und ihr, o Sterbliche, seid auf der Hut / mit eurem Urteil, wir, die Gott wir schauen, / wir kennen noch nicht alle Auser___________ 579 580

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Paradiso, XIX, 85–88: „Oh terreni animali! oh menti grosse! / La prima volontà, ch’è da sé buona, / da sé, ch’è sommo ben, mai non si mosse. / Cotanto è giusto quanto a lei consuona“. Thomas von Aquin, Summa theologica, I, 19, 7: „Voluntas Dei est omnino immutabilis.“ Siehe zum geistigen Vermittler der Lehre vor allem Martin Grabmann, Die Wege von Thomas von Aquin zu Dante. Fra Remigio de’ Girolami O. Pr., Deutsches Dante-Jahrbuch 9 (1925), 1; ders., Die italienische Thomistenschule des XIII. und beginnenden XIV. Jahrhunderts, in: Mittelalterliches Geistesleben. Abhandlungen zur Geschichte der Scholastik und Mystik, Band I, 1926, S. 332–390; insb. das Kapitel: Remigio de’ Girolami, der Schüler des hl. Thomas und Lehrer Dantes, ebenda, S. 361. Hans Kelsen, Die Staatslehre des Dante Alighieri, Wiener staatswissenschaftliche Studien, Band 6, 3. Heft, 1905, S. 43 (= HKW 1, 134, 185). Thomas von Aquin, Summa theologica, I, 23 (De Praedestinatione); II, 2, 2, 7: „fidem implicatam in divina providentia.“ Ferner Walther von Wartburg, S. 1053 unter Verweis auf Augustinus. Paradiso, XX, 129: „dinanzi al battezzar più d’un millesmo.“ Zum Folgenden auch Vittorio Rossi, Il canto ventesimo del Paradiso, Saggi e Discorsi su Dante, 1930, S. 261 ff.; Giuseppe Lesca, Il canto dei giusti, 1904. Näher Antonie Wlosok, Rollen Vergils im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien. Jahrbuch des Instituts für Frühmittelalter an der Universität Münster (Hg. Gerd Althoff, Hagen Keller, Christel Meier) 42 (2008), S. 253 ff. Zum geistesgeschichtlichen Hintergrund Silvio Vietta, Europäische Kulturgeschichte, 2007, S. 293.

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III. Paradiso

wählten“.585 Dante nimmt diese Aussage wiederum als Repräsentant der Menschheit auf, die er zugleich daran erinnert, dem eigenen fehlbaren und limitierten Gerechtigkeitssinn zu misstrauen.

c) Willensfreiheit als Determinante der Ungerechtigkeit An der Person Adams zeigt sich eine weitere bemerkenswerte, aber ins Bild passende Ausprägung der göttlichen Gerechtigkeit, deren beispielhafte Darstellung Dantes Gerechtigkeitssinn illustriert. Seine Verfehlung bestand weniger darin, vom Baum der Erkenntnis zu essen, als vielmehr in der Übertretung des Gebots als solchem: „O du, mein Sohn, nicht war, vom Baum zu kosten, / an sich der Grund so schrecklicher Verdammnis, / allein die Übertretung des Gebotes.“586 Der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit liegt also auf der Zuwiderhandlung gegen das göttliche Gesetz. Allerdings kann sich der Mensch noch so sehr vergehen: er vermag aus der Rechtsordnung nicht auszutreten.587 Daraus folgt, dass der Mensch aus sich heraus nicht einmal die Kraft hat, Böses zu tun, so dass der ins Werk gesetzte böse Wille bestraft wird. Hier wird wiederum die Willensfreiheit zur Determinante der Ungerechtigkeit. Dantes Unterscheidung ähnelt jener zwischen Handlungsunrecht und Erfolgsunrecht, nur dass die Handlung selbst weitgehend irrelevant ist, und nur der darin zum Ausdruck kommende Wille, gegen das Gebot zu verstoßen, die Strafbarkeit begründet. Der im Gang durch das Paradiso immer stärker ausdifferenzierte Gerechtigkeitssinn Dantes erschließt ihm ein Gesinnungsstrafrecht, das auf Erden keinen Platz hat,588 wohl aber vor dem jenseitigen Gericht.

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Paradiso, XX, 133–135: „E voi, mortali, tenetevi stretti / a giudicar: ché noi, che Dio vedemo, / non conosciamo ancor tutti li eletti“. Paradiso, XXVI, 115–117: „Or, figliuol mio, non il gustar del legno / fu per sé la cagion di tanto essilio, / ma solamente il trapassar del segno.“ Siehe dazu auch Erich Auerbach, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001, S. 152. Speziell zum 26. Gesang Giovanni Calò, Il canto XXVI del Paradiso, Rassegna Nazionale VII (1914), 549 ff.; Eugenio Donadoni, Il canto XXVI del Paradiso, Leonardo V (1914), 1 ff. Vgl. auch Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 132, wonach Strafe die „wenn auch negativ weiterdauernde Anteilhabe an der Rechtsordnung bedeutet“. Claus Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band 1, Grundlagen. Der Aufbau der Verbrechenslehre, 4. Auflage 2006, § 6 Rdnr. 13; Hans Joachim Hirsch, Untauglicher Versuch und Tatstrafrecht, Festschrift für Claus Roxin, 2001, S. 711, 722.

14. Dantes unbeugsamer Gerechtigkeitssinn

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14. Dantes unbeugsamer Gerechtigkeitssinn 14. Dantes unbeugsamer Gerechtigkeitssinn

Dante gelangt nun zum höchsten Himmel, dem Empireo (empyreum).589 Diese Vision gehört zu den größten Schöpfungen Dantes.590 Die Raum- und Zeitlosigkeit des Kristallhimmels übersteigt die Vorstellungskraft.591 Es ist überaus bemerkenswert, dass das dem Empyreum zugrundeliegende Raum- und Zeitverständnis von einem Mathematiker des 20. Jahrhunderts bemüht worden ist,592 um die der modernen Physik593 und Mathematik zugrundeliegende Vorstellung von Raum und Zeit zu erklären, die sich im Gefolge der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins ergibt.594 Hier wird deutlich, dass Dante einen Bezirk betritt, der sich der Vorstellung irdischer Gerechtigkeit schlechterdings entzieht. Und doch hat Dante gerade diesen inkommensurablen Bereich im Hinblick auf die Gerechtigkeit mit einer Terzine verewigt, die noch einmal unnachahmlich zeigt, wie irdische und göttliche Gerechtigkeit seinen Sinn durchdrungen haben und diese auf sein Verständnis von jener wirkt: „Ich aber, der aus Menschlichem zu Gott, / und aus der Zeit zum Ewigen gekommen, / und aus Florenz zu Heilen und Gerechten“.595 Der hemmungslose Subjektivismus, aus dem diese Zeilen hervorgehen („ich aber …“),596 zeigt Dante auf der einsamen Höhe seiner rhetorischen Meisterschaft. Er verbindet einen Parallelismus mit einer dreifachen Antithese: Zunächst zeigt sich die subjektive Einfärbung darin, dass er „aus Menschlichem zu Gott“ gelangt, also der denkbar größten Antithese. Parallel dazu folgt die zweite Antithese („aus der Zeit zum Ewigen“), bei der die Zeit parallel zum Menschlichen steht und das Ewige parallel zu Gott in der ersten Antithese. Die Dritte Antithese schließlich kulminiert in einer geradezu witzigen Inkonzinnität: Dante ist „aus Florenz zu Heilen und Gerechten“ gelangt. Florenz steht hier bei parallel zum vorgenannten ___________ 589 590

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Näher Alberto Scrocca, Il sistema dantesco dei cieli e delle loro influenze, 1895; A. Galassini, I cieli danteschi, Rassegna Nazionale, Nov. Dez. 1894. Siehe auch Romano Guardini, Vision und Dichtung. Der Charakter von Dantes Göttlicher Komödie, 1946; Eugen Biser, Glaubenserweckung – das Christentum an der Jahrtausendwende, 2000, S. 264. Vgl. auch Rudolf Palgen, Philosophische Kosmologie als Bauplan von Dantes Paradiso, 1950. Robert Osserman, Geometrie des Universums: von der Göttlichen Komödie zu Riemann und Einstein, 1997. Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 68 ff., Übersetzt, eingeleitet und kommentiert von Thomas Ricklin mit einer Vorrede von Ruedi Imbach, 1993, S. 24 f., stellt das Empyreum in einen Zusammenhang mit der Physik des Aristoteles (Physica, III, i); dazu Bortolo Martinelli, La dottrina dell’Empireo nell’Epistola a Cangrande (capp. 24–27), Studi danteschi 57 (1985), 49. Thomas Levenson, Albert Einstein. Die Berliner Jahre 1914–1932, Einstein in Berlin, 2003, S. 156. Paradiso, XXXI, 37–39: „ïo, che al divino da l’umano, / a l’etterno dal tempo era venuto, / e di Fiorenza in popol giusto e sano“. Siehe auch Giuseppe Zuccante, S. Bernardo e gli ultimi canti del Paradiso, in: Figure e dottrine nell’opere di Dante, 1921, S. 99 ff. Vgl. nochmals Hermann Conrad, Die Rechtslehre des Dante Alighieri, Begegnung: Zeitschrift für Kultur und Geistesleben 2 (1947) 270, 272: „Renaissancehaft(es) Ichbewusstsein“.

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III. Paradiso

Menschlichen und der Zeit. Es erinnert daran, dass in der Göttlichen Komödie immer zugleich auch Dante aus Florenz als Mensch seiner Zeit spricht. Zugleich steht hier Florenz als Ort extremer Diesseitigkeit, das alles Niedrige, Gemeine und Ungerechte in sich trägt. Folgerichtig bezeichnet sich Dante im Brief an Cangrande als „Florentiner der Geburt, nicht der Lebensweise nach“.597 Damit stellt die dritte Antithese seine Heimatstadt Florenz ganz bewusst in den größtmöglichen Kontrast zu den Gerechten. Florenz wird so in einer einzigartigen rhetorischen Stilisierung zum Fremdkörper im Paradiso und bleibt so für Dante gleichsam der Pfahl im Fleisch.598 Die oft zitierte These, dass in der Göttlichen Komödie das Ende im Anfang und der Anfang im Ende liegt,599 bewahrheitet sich hier in allegorischer Verallgemeinerung: Das Florenz seiner Zeit steht ihm zugleich für das Inferno. Von dort aus tritt er im Heiligen Jahr 1300 seinen Gang an.600 Im Übergang vom Inferno zum Paradies versinnbildlicht ihm Florenz nach seiner Verbannung von dort den ungerechtesten Ort auf Erden und damit den am weitesten entfernten Ort von dem, an dem er sich zum Schluss der Wanderung bei den Gerechten weiß. So tritt am Ende seines Weges erneut der unbeugsame Gerechtigkeitssinn Dantes in den Vordergrund. Die sich im dreifach antithetischen Parallelismus zeigende Harmonie, die zum Gerechten führt, wird jählings gestört durch die leidvolle Erinnerung und Vergegenwärtigung der ungerechten Behandlung durch seine Heimatstadt. Just dort, wo Dante ein raum- und zeitloses Bild völligen Ebenmaßes und einer gerechten Ordnung zeichnet, bricht sich die irdische Herkunft und das verletzte Gerechtigkeitsgefühl Bahn. Zugleich illustriert die nachgerade ironisch anmutende Zuspitzung Dantes Erhebung zur Gerechtigkeit, die alles Ungerechte hinter sich lässt und überwindet. Die drohende Einförmigkeit, welche die Schilderung der vollendet waltenden göttlichen Gerechtigkeit haben kann, wird abgewendet durch das, was die Binnenspannung des Werks aufrecht erhält und die gesamte Göttliche Komödie durchglüht, nämlich Dante Alighieris Gerechtigkeitssinn.

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Dante Alighieri, Das Schreiben an Cangrande della Scala, Epistola XIII, 28: „florentini natione, non moribus“. Anderer Ansicht Josef Kohler, Dantes heilige Reise. Freie Nachdichtung der Divina Commedia, Paradiso, 1903, S. IV: „Mit größter Liebe spricht er von seinem Florenz“. Hugo Friedrich, Die Rechtsmetaphysik der Göttlichen Komödie, 1942, S. 2: „Erst im Ganzen, und das heißt am Ende, wo das, was in den Teilen in Zeit und Raum auseinander trat, als Einheit und in seiner Ordnung sichtbar wird, sind der Dichter und der Wandernde ein und derselbe Geist“. Inferno, I, 1.

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Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis Literaturverzeichnis

Literaturverzeichnis Abegg, Heinrich, Die Idee der Gerechtigkeit und die strafrechtlichen Grundsätze in Dante’s Göttlicher Comödie, Jahrbuch der deutschen Dante-Gesellschaft I (1867), 177 Amoroso, Pietro, Il canto III del Purgatorio, 1931 Apel, Karl-Otto, Die Idee der Sprache in der Tradition des Humanismus von Dante bis Vico, 1963 Arfelli, Dario, Il canto dell’angelo nocchiero e di Casella, Annuario R. Liceo Galvani, 1930/31, S. 1 Arias, Gino, Le istituzioni giuridiche mediecai nella Divina Commedia, 1901 Arnold, Bettina, Caetani, in: Die großen Familien Italiens (Hg. Volker Reinhardt), 1992, S. 116 Auerbach, Erich, Dante als Dichter der irdischen Welt, 1929, 2. Auflage 2001 (mit einem Nachwort von Kurt Flasch) – ders., Die Entdeckung Dantes in der Romantik, Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 7 (1929), 682 – ders., Die Teilnahme in den Vorarbeiten zu einem neuen Strafgesetzbuch, 1913 – ders., Figura, in: Gesammelte Aufsätze zur romanischen Philologie (Hg. Fritz Schalk), 1967, S. 89 – ders., Marcel Proust: Der Roman der verlorenen Zeit, in: Die neueren Sprachen 35 (1927), 16 – ders., Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur, 1946, 4. Auflage 1967 – ders., Neue Dantestudien, 1944 – ders., Studi su Dante, prefazione di Dante Della Terza, 1963 – ders., St. Francis of Assisi in Dante’s Commedia, Italica XXII (1945) 55 ff. Baethgen, Friedrich, Die Entstehungszeit von Dantes Monarchia, 1966; Bayerische Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse. Sitzungsberichte Barbi, Michele, Razionalismo e misticismo in Dante, Studi Danteschi 17 (1933), 5 ff. Barolini, Teodolinda, Dante and the Origins of Italian Literary Culture, 2006 Bassermann, Alfred, Dantes Spuren in Italien. Wanderungen und Untersuchungen, 1898 – ders., Zur Frage der Dante-Übersetzung, Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte, Zweiter Band, 1902, S. 234 Bäumer, Gertrud, Die Macht der Liebe. Der Weg des Dante Alighieri, 1941 (2. Auflage 1950) Beckett, Samuel, Proust, 1931 (zitiert nach der Luchterhand-Ausgabe, 1989) Behrends, Okko, Gesetz und Sprache. Das römische Gesetz unter dem Einfluss der hellenistischen Philosophie, in: Institut und Prinzip. Siedlungsgeschichtliche Grundlagen, philosophische Einflüsse und das Fortwirken der beiden republikanischen Konzeptionen in den kaiserzeitlichen Rechtsschulen. Ausgewählte Aufsätze (Hg. Martin Avenarius/Rudolf Meyer-Pritzl/ Cosima Möller), 2004, Band 1, S. 91 Bettarini, Rosanna, Studi Danteschi 47 (1970), 304 Biachi, Lorenzo, Rileggendo il canto XX del Purgatorio, Memoriae R. Accademia, 1942, S. 243 Biser, Eugen, Bilder der Buße. Betrachtungen über Dantes Purgatorio, Wort und Antwort 14 (1973), 33 – ders., Der inwendige Lehrer. Der Weg zu Selbstfindung und Heilung, 1994

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Personenverzeichnis

Personenverzeichnis Personenverzeichnis

Personenverzeichnis Abegg, Heinrich 1 f., 10, 16, 17, 38, 50, 61, 66, 81 Amoroso, Pietro 40 Apel, Karl-Otto 86 Aquin, Thomas von 9, 15, 21, 41, 47, 50, 76, 93 Arfelli, Dario 40 Arias, Gino 20 Aristoteles 9, 15, 17, 39, 41, 45, 88, 95 Arnold, Bettina 27 ff. Auerbach, Erich 1 f., 5 f., 9, 15 f., 21, 36, 39, 53 f., 60, 71, 78, 80, 94 Augustinus, Aurelius 2, 9, 21, 60, 91, 93 Baethgen, Friedrich 8 Barbi, Michele 18 Barolini, Teodolinda 15 Bassermann, Alfred 4, 65 Bäumer, Gertrud 13 Beckett, Samuel 5, 60 Behrends, Okko 43 Benedikt XVI. (siehe Ratzinger, Joseph) Bettarini, Rosanna 43 Biachi, Lorenzo 54 Biser, Eugen 6, 12, 34, 37 f., 40, 42, 85, 89, 95 Boccaccio, Giovanni 8 Böckenförde, Ernst-Wolfgang 7, 10, 32 Boethius, Anicius Manlius Severinus 89 Bohr, Niels 77 Bonifaz VIII. 27 f., 30, 54, 84 Borst, Arno 2, 4, 12, 27, 67, 78, 80, 89 Brembs, Björn 49 Brugnoli, Giorgio 8 Buck, August 28 Bühler, Arnold 27 Buonaiuti, Ernesto 45 Burckhardt, Jacob 22, 56 Busnelli, Giovanni 3, 36, 38 Bussmann, Silvana 62

Caesaris, Giovanni de 18 Calcaterra, Carlo 91 Calò, Giovanni 94 Canaris, Claus-Wilhelm 5, 15, 67, 70, 80 Cangrande della Scala, Francesco 88 Canterbury, Anselm von 76 Capet, Hugo 54 Cassirer, Ernst 7 Cavalcanti, Cavalcante de’ 18 Chamfort, Nicolas 48 Chiavacci Leonardi, Anna Maria 8, 35 Chini, Mario 46 Chydenius, Johan 86 Cicero, Marcus Tullius 19, 73 f., 89 Cipolla, Costantino 21 Clairvaux, Bernhard von 37, 58 Colonna, Agapito 30 Colonna, Sciarra (Giacomo) 29 Colonna, Stefano 30 Conrad, Hermann 1, 5, 7, 9 f., 13, 26, 28 f., 31, 44, 51, 62, 69, 73, 80, 82 f., 90, 95 Contini, Gianfranco 9 Cosma, Doru 19 Croce, Benedetto 14, 17 Curtius, Ernst Robert 1, 3 ff., 67, 76 Daffner, Hugo 2 Davidsohn, Robert 8 Dempf, Alois 3, 54 Derrida, Jacques 49 Donadoni, Eugenio 94 Duve, Thomas 12 Eberzt, Otfried 31 Eccole, Francesco 44 Eckermann, Johann Peter 2 Egizii, P. Davide 40 Einstein, Albert 95 Fabbricotti, Carlo Andrea 46 Falkenhausen, Friedrich Freiherr von 17 f.

110 Feise, Ernst 14 Fergusson, Francis 38 Ferrante, Joan M. 8 Ferrazzi, Giuseppe Jacopo 6 Filomusi-Guelfi, L. 62 Fiore, Joachim de 25 f., 31 Flasch, Kurt 6, 9 Flüeler, Christoph 27 Folliero-Metz, Grazia Dolores 51 Foot, Philippa 4 Fornaciari, Raffaello 39 Fornari, Pasquale 20 Foster, Kenelm 16 Fowlie, Wallace 17 Frascino, Salvatore 36 Freccero, John 3 Friedell, Egon 12 Friedrich, Hugo 1 ff., 12, 14 f., 17 ff., 21, 24 f., 30, 32, 33 f., 36 ff., 46, 47, 50 f., 58 f., 61, 62 f., 71, 75 f., 82, 87, 89, 94, 96 Furger, Franz 28 Fusinato, Guido 47 Gaetani, Benedetto (siehe Bonifaz VIII.) Galassini, A. 95 Gandinos, Albertus de 33 Ganzer, Klaus 84 Garofalo, Raffaele 36 Gast, Wolfgang 17 Gentilini, Virgilio 21 Gilbert, Allan H. 1, 5, 12 f., 17, 21, 38, 39 f., 48, 52, 61, 64, 88 Gildemeister, Otto 15, 68, 86 Gilson, Etienne 5, 9 Giuliano, B. 42 Gmelin, Hermann 13, 16, 19, 21, 23, 29, 35, 40 ff., 47, 53, 55, 62, 69 f., 75 f., 84 Goethe, Johann Wolfgang von 2, 12, 36 Gothofredus, Dionysius 67 Grabmann, Martin 23, 50, 93 Grimaldi, Carmelina 46 Grundmann, Herbert 9, 25 Guardini, Romano 28, 71, 95 Gumbrecht, Hans Ulrich 1, 5, 60, 71 Gundolf, Friedrich 6 Habsburg, Albrecht von 42 Hampe, Karl 8 Hausmann, Frank-Rutger 46, 59, 76 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 66 Heil, Andreas 57 Herzberg, Rolf Dieter 49, 56

Personenverzeichnis Hettinger, Franz 15 Heydt, Karl von der 36 Hirsch, Hans Joachim 94 Höffe, Otfried 39 Hölter, Eva 37 Holzberg, Niklas 57 Honecker, Martin 31 Hösle, Vittorio 86 Imbach, Ruedi 27 f. Jäger, Christian 50 Jauß, Hans Robert 59, 60 Jenaro-MacLennan, Luis 88 Jonas, Hans 52 Kantorowicz, Ernst 7, 39 Kantorowicz, Hermann 33 Kaufmann, Arthur 49 Kelly, Henry Ansgar 8 Kelsen, Hans 5, 7 f., 15, 32, 52, 73, 93 Kirkpatrick, Robin 9 Knoll, August Maria 32 Kohler, Josef 2, 5, 9, 30, 49, 64 f., 69, 96 Köhler, Hartmut 15, 18 f., 30, 35, 85 Kölsch, Hanskarl 46, 70 Kraus, Franz Xaver 8 Kroll, Josef 3 Küng, Hans 26 Küpper, Joachim 4 Kurz, Gerhard 21 Landau, Peter 69, 79, 84 Landi, Carlo 67 Läpple, Alfred 32 Ledig, Gerhard 20, 24, 28, 82 Lepsius, Oliver 32 Lepsius, Susanne 78 Lerche, Peter 32, 70 Lesca, Giuseppe 93 Levenson, Thomas 95 Levi, Giulio Augusto 41 Lilje, Hans 57 Lipparini, Giuseppe 40 Llanque, Markus 10 Longo, Giuseppe 40 Loos, Erich 5 Lüddecke, Dirk 7, 10, 23, 28, 51 Luiso, Francesco Paolo 62 Maccarone, Michele 26 Magri, E. 75

Personenverzeichnis

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Mancini, Augusto 88 Mankowski, Peter 49 Mansen, Mirjam 46, 59, 76 Mantey, Volker 10 Marchal, Victor 31 Marchetti-Longhi, Giuseppe 27 Marino, Domenico 40 Martinelli, Bortolo 95 Mazzeo, Joseph Anthony 62, 86 Meyer, Conrad Ferdinand 13 f., 88 Meyer-Abich, Klaus Michael 77 Miethke, Jürgen 27 Milella, Luigi 40 Minio-Paluello, Lorenzo 45 Misciatelli, Piero 23 Moevs, Christian 89 Mongiello, Emilia 8 Moore, Edward 39 Morghen, Raffaello 5 Musa, Mark 15

Rajna, Pio 8 Rambaldi, Pier Liberale 24 Ratzinger, Joseph 12, 26, 31 f., 39, 50, 52, 56, 64, 71 f., 77 ff., 85 f., 90 f. Rawls, John 4 Reade, William Henry Vincent 13 f., 41 Rehberg, Andreas 29 f. Rheinfelder, Hans 83 Rhonheimer, Martin 44 Ricklin, Thomas 88 Rilke, Rainer Maria 36 f. Romanus, Aegidius 27 Roon-Bassermann, Elisabeth von 45 Roquette, Otto 7 Rossi, Vittorio 47, 93 Roxin, Claus 16, 49, 56, 58, 70, 94 Rüdiger, Horst 37, 45 Rüegg, August 2 Ruggiers, Paul George 3 Russell, Bertrand 9 f.

Nardi, Bruno 5, 8 f., 21, 28, 45 Neumann, Richard 30 Newman, John Henry 31 f., 90 Nietzsche, Friedrich 41 f., 48, 52, 53, 66, 85 f. Nogaret, Guillaume de 28 Nossack, Hans Erich 3 Novelli, Vincenzo 30

Santanera, Armando 47, 80, 82 Santoli, Vittorio 15 Savigny, Friedrich Carl von 10 Schaede, Stephan 26, 54 Scheffer-Boichorst, Paul 30 Scherillo, Michele 40 Schiller, Friedrich 36 Schilling, Harald 44 Schmid, Carlo 26 Schmidt, Richard 3, 9, 12, 15, 18, 22, 33, 44, 69, 82, 84 Schmidt, Tilmann 30 Scholz, Richard 27 f. Schulz-Buschhaus, Ulrich 60 Schünemann, Bernd 49 Scrocca, Alberto 95 Seiferth, Wolfgang 2 Sen, Amartya 4 Seneca, Lucius Aenneus 73 Seppelt, Franz Xaver 28 f. Silverstein, Theodore 89 Sørensen, Villy 73 Spaemann, Robert 10 Spangenberg, Hans 88 Spitzer, Leo 5, 21 Stadler, Hubert 45 Stambler, Bernhard 48 Steinen, Wolfram von den 41 Sterne, Richard Clark 42 Stierle, Karlheinz 22, 47, 54, 60, 83 Streckfuß, Karl 7

Olivi, Petrus Johannis von 26 Osserman, Robert 95 d’Ovidio, Francesco 24, 88 Palgen, Rudolf 34, 41, 43, 95 Parodi, Ernesto Giacomo 87 Pascal, Blaise 52, 60 Pasquini, Laura 54 Passerin d’Entrèves, Alessandro 8 Paur, Theodor 38 Perez, Paolo 38 Perticari, Giulio 5 Peterman, Larry 72 Petronio, Giuseppe 30 Piazzesi, Chiara 53 Pistelli, Ermenegildo 40 Pistoia, Cino di (Guittone Sinibaldi) 9 Planck, Max 49 Plato 41 f., 45 Porena, Manfredi 40 Posner, Richard A. 5 Proust, Marcel 59 f.

112 Tacitus, Publius Cornelius 43 Tertullian, Quintus Septimius 39 Thoene, Helga 10 Tierney, Brian 26 Tocco, Felice 42 Tomaselli, Angelo 42 Townsend, Gabrielle 60 Trajan, Marcus Ulpius 46 Tribonjan, Flavius 69 Troeltsch, Ernst 39 Trucchi, E. 21 Valli, Luigi 58, 92 Valois, Karl von 43 Vergil 3, 18 ff., 24, 27, 29, 34, 37, 40, 41, 48, 51 f., 56 ff., 76, 82, 90, 93 Vezin, August 13 Vietta, Silvio 93 Vinay, Gustavo 8

Personenverzeichnis Voltaire 12 Vossler, Karl 14 Wartburg, Walther von 2 f., 15, 18, 23, 41, 48, 50, 52, 54, 56 ff., 62, 65, 67, 77 f., 81, 85, 93 Weizsäcker, Carl Friedrich von 77 Wesel, Uwe 67, 69, 74, 92 Wieland, Georg 41 Wiese, Benno von 14 Winklehner, Brigitte 6 Witte, Karl 1, 73 Wlosok, Antonie 93 Wolff, Angelo 54 Zanotti, Sergio 80 Zingarelli, Nicola 55 Ziolkowski, Jan M. 6 Zuccante, Giuseppe 95

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