Curiositas
 9783110792461, 9783110792416

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
curiositas – zur Einführung
I. curiositas – Dialektik und longue durée
Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz: ϕιλαλήθεια vs. περιέργεια
Idle and useful curiosity from Peter Damian to Dante
Curiositas oder stupor ? Wunder und Wissen des himmlischen Paradieses in Dantes ‚Divina Comedia‘
Negative and Positive Curiositas in the Renaissance: A Lesson from Petrarca
Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier: Debatten über den Leib Mariens zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit
II. Der Wille zum Wissen
Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna: Eine kleine Spurensuche der arabischen Rezeption von ‚Metaphysik‘ A 2, 982b12–983a21
Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin
Allmacht und Gedankenexperiment. Anknüpfen an Blumenberg
Mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist? Die Frage nach den Grenzen theologischer Erkenntnis bei Meister Eckhart
Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten von der Trinität. Neugier und ‚Altgier‘ des Berthold von Moosburg
Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili? 500 Jahre Streit um Raimundus Lullus
III. curiositas im theologischen Widerstreit
Curiositas und Wissbegier im Predigtoeuvre des Alain von Lille
Curiositas gegen humilitas ? Überlegungen zur mittelalterlichen Wissensethik am Beispiel von Pierre de Limoges’ ‚Tractatus moralis de oculo‘
At the Crossroads between the two Biblical Trees: ‘studiositas’ vs. ‘curiositas’ according to Bonaventure
„Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Der Widerstreit zwischen theoretischer Neugierde und Traditionalismus am Beispiel der Kontroverse zwischen Roger Bacon und Bonaventura.
„Nobis ad certam regulam loqui fas est“. Die Kritik Johannes Gersons (1363–1429) an der curiositas als Anstoß zu einer praktischen und mystischen Theologie
IV. Staunen über die Natur – Exempla und Enzyklopädien
Big Book of Little Curiosities. Exempla in Albert the Great’s ‘De animalibus’
The Dominican Botanical Culture: the Rehabilitation of Curiositas in Albert the Great’s ‘De vegetabilibus’ and in Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’
The Good, the Bad, and the Ugly Animals: Signs of the Creator and His Attributes in Medieval Islamic Encyclopaedias and Zoological Works
The Marvellous and Uncanny Matters ( ʿAğāʾib wa Ġarāʾib ): Two Objects of Curiosity in Medieval Islamic Natural Sciences
V. Weibliches und männliches Begehren
Weibliche curiositas, männliches Begehren. Intellekt als Aspekt konstruierter Attraktivität am Beispiel von Héloise d’Argenteuil
„Was will eine Frau eigentlich?“ Zum Phänomen der weiblich vergeschlechtlichten curiositas
Concupiscent Curiosity of the Gaze in Medieval Islam: Qurʾān 24:30–31
VI. Lust auf Neues? Reisen und Pilgern
Literarische Erkenntnisreisen im Spannungsfeld von curiositas und conversio voluntatis
Neugier auf Pilgerreise: Curiositas im ‚Liber peregrinationis‘ des Riccoldo da Monte di Croce (ca. 1301) und in Felix Fabris ‚Evagatorium’ (nach 1484)
Wie neugierig war man an der päpstlichen Kurie im ausgehenden 13. Jahrhundert?
Problematische Neugier – Jüdische Reiseberichte im Mittelalter
VII. Materielle Kultur und rituelle Zeichen
Zu viel des Guten? Materielle Kultur und sinnliche Wahrnehmung im frühen Mittelalter
Neugierde und Entdeckerlust. Möglichkeiten und Grenzen der theoretischen Neugier am Beispiel der historisierten Kapitelle von Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand
Cura und Curiositas als Wege zur Entschlüsselung ritueller Zeichensprache in der Zeit der Hochscholastik
Summaries
Anhang
Verzeichnis der Handschriften
Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke
Namenregister
Abbildungen
Abbildungsnachweise

Citation preview

Curiositas

Miscellanea Mediaevalia Veröffentlichungen des Thomas-Instituts der Universität zu Köln Herausgegeben von Andreas Speer

Band 42

Curiositas

De Gruyter

Curiositas Herausgegeben von Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider

De Gruyter

ISBN 978-3-11-079241-6 e-ISBN (PDF): 978-3-11-079246-1 e-ISBN (EPUB): 978-3-11-079251-5 ISSN 0544-4128 Library of Congress Control Number: 2022935903 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Einbandentwurf: Christopher Schneider, Berlin Satz: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Wustermark Druck und buchbinderische Verarbeitung: CPI books GmbH, Leck www.degruyter.com

Vorwort

Der vorliegende 42. Band der ‚Miscellanea Mediaevalia‘ geht auf die 42. Kölner Mediaevistentagung zurück, die vom 7. bis 10. September 2020 stattfand. Thema und Gegenstand der Tagung sowie dieses Bandes werden durch einen Begriff zum Ausdruck gebracht: curiositas. Mit diesem Begriff ist ein anthropologisches Existential bezeichnet, das durch Aristoteles’ Eröffnungssatz der ‚Metaphysik‘ seinen locus classicus gefunden hat. Das desiderium sciendi, der Impuls eines umfangreichen Strebens nach Wissen, schlägt sich in einer ebenso umfangreichen Begriffsgeschichte nieder, die bis heute noch nicht geschrieben ist. Gerade für jenes lange Jahrtausend, das wir für gewöhnlich das ‚Mittelalter‘ nennen, erweist sie sich als derart komplex, dass zumindest die Frage gestellt werden darf, ob es überhaupt gelingen kann, dem vielschichtigen Phänomen der Neugier (curiositas) in einer großangelegten Meistererzählung gerecht zu werden. Das wird in dem vorliegenden Band deutlich, der eine große Bandbreite von Fachwissenschaftlerinnen und Fachwissenschaftlern aus Philosophie und Theologie, den Geschichtswissenschaften und Philologien, den Literatur-, Kultur- und Religionswissenschaften sowie den Kunst- und Objektwissenschaften versammelt. Eine solche großangelegte Perspektive der Interdisziplinarität erscheint uns unverzichtbar, um der als Anspruch formulierten, lebendigen Tradition der Kölner Mediaevistentagungen und ihres literarischen Niederschlages in den ‚Miscellanea Mediaevalia‘ auch in diesem nun vorliegenden 42. Band gerecht zu werden: Sehgewohnheiten und etablierte Narrative an ihre Grenzen zu führen, in Frage zu stellen und zu überdenken, um auf diese Weise neue Perspektiven zu eröffnen. Offensichtlich hatte unser Thema einen Nerv getroffen, denn auch auf diesen ‚Call‘ erhielten wir eine beeindruckende Zahl an Vorschlägen, die es uns ermöglichten, ein attraktives Tagungsprogramm zusammenzustellen, das sich nun auch in Buchform abbildet. Allen Kolleginnen und Kollegen, die einen Themenvorschlag eingereicht haben, sei an dieser Stelle ausdrücklich gedankt, insbesondere aber allen, die zu diesem Band der ‚Miscellanea Mediaevalia‘ beigetragen haben. Ein Ideenlabor wie die Kölner Mediaevistentagung braucht einen weitgespannten Freundeskreis, der unsere Ideen aufgreift und weiterspinnt, und aus dessen Mitte nicht zuletzt alle zwei Jahre Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Teilen Europas und der Welt nach Köln kommen, um dort einander zu begegnen, an der Tagung teilzunehmen und mitzuwirken. Auf diese Weise ist die Kölner Mediaevistentagung selbst zur Plattform für zahllose Forschungsaktivitäten geworden. https://doi.org/10.1515/9783110792461-201

VI

Vorwort

Doch gerade die Teilnahme und Begegnung gestaltete sich bei der 42. Kölner Mediaevistentagung im Vergleich zu früheren Tagungen gänzlich anders. Denn im siebzigsten Jahr ihres Bestehens fand die Kölner Mediaevistentagung wegen der Corona-Pandemie nicht als Präsenztagung, sondern in digitalem Format statt. Schon früh hatten wir uns dazu entschieden, die Mediaevistentagung nicht um ein Jahr zu verschieben, sondern das Wagnis einer digitalen Tagung einzugehen. Zu dieser Entscheidung hatte nicht zuletzt die Kreativität der jüngeren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts beigetragen und ihr Einsatz, ein an die veränderten Rahmenbedingungen angepasstes Tagungskonzept zu entwickeln, das ein wirkliches Tagungserlebnis ermöglicht. Auch das zeugt davon, wie sehr die Kölner Mediaevistentagungen zur DNA des Thomas-Instituts gehören. Bestärkt hat uns zudem die fast einmütige Zusage aller Referentinnen und Referenten. Rückblickend kann man sagen, dass unser Tagungskonzept aufgegangen ist. Auch im digitalen Raum war eine Tagungsatmosphäre spürbar, die sich nicht zuletzt in der Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer (369 aus 36 Nationen) an der Tagung insgesamt und auch an den einzelnen Panels (zwischen 74 und 125) gezeigt hat. Vorträge wie Diskussionen waren fachlich exzellent; beides fand in der anschließenden redaktionellen Arbeit für diesen Band seine Fortsetzung. Auch die Angebote zur persönlichen Interaktion wurden sehr gut angenommen, so dass einige überraschende Begegnungen zustande kamen. Es taten sich neue Möglichkeiten auf, wenn sich – oft nach vielen Jahren – ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten, Gastforscher und Gastforscherinnen im digitalen Tagungsraum trafen, die unter Präsenzbedingungen keine Möglichkeit gehabt hätten, nach Köln zu reisen. Diese Begegnungsmöglichkeiten einer digitalen Schnittstelle werden wir sicherlich bei künftigen Mediaevistentagungen beibehalten. Großen Anteil am Gelingen der Tagung hatte das IT-Team um Mark Eschweiler, Lennart Mehrwald und Julian Pieper. Hinzukamen drei Exkursionen auf den Spuren Alberts des Großen in Köln und in zwei berühmte Kölner Museen: das Kolumba und das Museum Schnütgen. Die drei Exkursionen sind ebenso wie die drei Abendvorträge noch über unsere Homepage abrufbar (https://kmt.phil-fak.uni-koeln.de/). Das bietet mir den Anlass, meinen Exkursionspartnern im Kolumba, Herrn Dr. Marc Steinmann, und im Museum Schnütgen, Herrn Dr. Adam Stead, herzlich zu danken. Auf diese Weise konnten wir auch diese Tradition der Kölner Mediaevistentagungen – wenngleich in veränderter Form – aufrechterhalten. Ein herzlicher Dank gebührt der Deutsche Forschungsgemeinschaft und der Otto Wolff-Stiftung, die ohne Zögern und mit großem Vertrauen in die Veranstalter ihre für eine Präsenztagung zugesagte Förderung auch für das neue Konzept einer digitalen Tagung aufrecht erhielten. Diese Förderung stellt einen wichtigen Beitrag für das Gelingen der Tagung und für das Zustandekommen dieses Bandes der ‚Miscellanea Mediaevalia‘ dar.

Vorwort

VII

Auch bei der 42. Kölner Mediaevistentagung lagen Vorbereitung und Durchführung unserer mediävistischen Biennale wiederum in den ebenso engagierten wie bewährten Händen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts. Besonders engagiert waren dieses Mal unsere studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von unserem ‚situation room‘ aus für einen reibungslosen Ablauf der Tagung sorgten. Ein besonderer Dank gilt aber auch Frau Petra Abendt, die anlässlich dieser Mediaevistentagung ein letztes Mal das Tagungssekretariat geleitet hat, und das unter ganz anderen Umständen als in den Jahren, ja Jahrzehnten zuvor. Frau Abendt ist zu Beginn dieses Jahres in den wohlverdienten Ruhestand gegangen, der sich aber – wie wir Petra Abendt kennen – sicher nicht als ruhiges Rentnerinnendasein gestalten wird. Herzlich gedankt sei auch unserem wissenschaftlichen Bibliothekar Herrn Dr. Maxime Mauriège für eine exzellente digitale Bücherausstellung. Bei den redaktionellen Arbeiten für diesen Band konnten wir uns als Herausgeber abermals auf die Expertise und den Einsatz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Thomas-Instituts stets verlassen. Namentlich gedankt sei Lee Klein für die englische Sprachkorrektur. Der Neugier und dem Wissensdurst, die ein Band zur curiositas bei Leserinnen und Lesern mit Sicherheit hervorrufen wird, kommt ein umfangreiches Register entgegen. Die Registerarbeiten haben Lukas Chronz, David Metternich, Juan David Montejo Olano, Luca Paschen und Lorenz Wohlgemuth übernommen, denen wir für die verlässliche Ausführung dieser aufwendigen Arbeit herzlich danken. Unser abschließender Dank gilt dem Verlag Walter de Gruyter, namentlich Frau Dr. Serena Pirrotta, Frau Anne Hiller und Herrn Andreas Brandmair, für die stets gute Zusammenarbeit und für die hervorragende, klassische Ausstattung des vorliegenden Bandes. Köln, im Juni 2022

Andreas Speer Robert Maximilian Schneider

Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

V

Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Andreas Speer (Köln) und Robert Maximilian Schneider (Köln) curiositas – zur Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XIII

I. curiositas – Dialektik und longue durée Georgi Kapriev (Sofia) Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz: ϕιλαλήθεια vs. περιέργεια Oleg Voskoboynikov (Moskau) Idle and useful curiosity from Peter Damian to Dante . . . . . . . . . Anne Eusterschulte (Berlin) Curiositas oder stupor ? Wunder und Wissen des himmlischen Paradieses in Dantes ‚Divina Comedia‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amos Edelheit (Maynooth) Negative and Positive Curiositas in the Renaissance: A Lesson from Petrarca . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bernd Roling (Berlin) Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier: Debatten über den Leib Mariens zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit . . .

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44

77

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II. Der Wille zum Wissen Alexander Lamprakis (München) Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī Avicenna: Eine kleine Spurensuche der arabischen Rezeption ‚Metaphysik‘ A 2, 982b12–983a21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Isabelle Mandrella (München) Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas Aquin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

und von ...

137

von ...

160

X

Inhaltsverzeichnis

Martin Klein (Würzburg) Allmacht und Gedankenexperiment. Anknüpfen an Blumenberg . . . Martina Roesner (Wien) Mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist? Die Frage nach den Grenzen theologischer Erkenntnis bei Meister Eckhart . . . . . . . . . . . . Paul D. Hellmeier OP (München) Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten von der Trinität. Neugier und ‚Altgier‘ des Berthold von Moosburg . . . . Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili ? 500 Jahre Streit um Raimundus Lullus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

178

198

215

233

III. curiositas im theologischen Widerstreit Anne Greule (Jena) Curiositas und Wissbegier im Predigtœuvre des Alain von Lille . . . . Silvia Negri (Zürich) Curiositas gegen humilitas ? Überlegungen zur mittelalterlichen Wissensethik am Beispiel von Pierre de Limoges’ ‚Tractatus moralis de oculo‘ Andrea Di Maio (Roma) At the Crossroads between the two Biblical Trees: ‘studiositas’ vs. ‘curiositas’ according to Bonaventure . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nikolaus Egel (Münster) „Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Der Widerstreit zwischen theoretischer Neugierde und Traditionalismus am Beispiel der Kontroverse zwischen Roger Bacon und Bonaventura. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelius Roth (Fulda) „Nobis ad certam regulam loqui fas est“. Die Kritik Johannes Gersons (1363–1429) an der curiositas als Anstoß zu einer praktischen und mystischen Theologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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292

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330

342

IV. Staunen über die Natur – Exempla und Enzyklopädien Evelina Miteva (Cluj/Köln) Big Book of Little Curiosities. Exempla in Albert the Great’s ‘De animalibus’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marilena Panarelli (Lecce) The Dominican Botanical Culture: the Rehabilitation of Curiositas in Albert the Great’s ‘De vegetabilibus’ and in Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

361

376

Inhaltsverzeichnis

Sarah Virgi (München) The Good, the Bad, and the Ugly Animals: Signs of the Creator and His Attributes in Medieval Islamic Encyclopaedias and Zoological Works . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fateme Mehri (Tehran) The Marvellous and Uncanny Matters (ʿAgˇāʾib wa Ġarāʾib ): Two Objects of Curiosity in Medieval Islamic Natural Sciences . . . . . . . . .

XI

395

416

V. Weibliches und männliches Begehren Delphine Conzelmann (Basel) Weibliche curiositas, männliches Begehren. Intellekt als Aspekt konstruierter Attraktivität am Beispiel von Héloise d’Argenteuil . . . . . . . . Richard Newhauser (Tempe, Arizona) und Edward Peters (Philadelphia) „Was will eine Frau eigentlich?“ Zum Phänomen der weiblich vergeschlechtlichten curiositas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ahmed H. al-Rahim (Charlottesville) Concupiscent Curiosity of the Gaze in Medieval Islam: Qurʾān 24:30–31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

437

450

465

VI. Lust auf Neues? Reisen und Pilgern Verena Ebermeier (Regensburg) Literarische Erkenntnisreisen im Spannungsfeld von curiositas und conversio voluntatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Susanna Fischer (München) und Jacob Langeloh (Freiburg i. Br.) Neugier auf Pilgerreise: Curiositas im ‚Liber peregrinationis‘ des Riccoldo da Monte di Croce (ca. 1301) und in Felix Fabris ‚Evagatorium’ (nach 1484) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Helmut G. Walther (Jena) Wie neugierig war man an der päpstlichen Kurie im ausgehenden 13. Jahrhundert? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Carsten Schliwski (Köln) Problematische Neugier – Jüdische Reiseberichte im Mittelalter . . . .

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505

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VII. Materielle Kultur und rituelle Zeichen Matthias Friedrich (Wien) Zu viel des Guten? Materielle Kultur und sinnliche Wahrnehmung im frühen Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

559

XII

Inhaltsverzeichnis

Jeannet Hommers (Köln) Neugierde und Entdeckerlust. Möglichkeiten und Grenzen der theoretischen Neugier am Beispiel der historisierten Kapitelle von NotreDame-du-Port in Clermont-Ferrand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hanns Peter Neuheuser (Köln) Cura und Curiositas als Wege zur Entschlüsselung ritueller Zeichensprache in der Zeit der Hochscholastik . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

575

Summaries . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

619

588

Anhang Verzeichnis der Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

637

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

639

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

655

Abbildungen Abbildungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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curiositas – zur Einführung Andreas Speer (Köln) und Robert Maximilian Schneider (Köln) I. Die Neugierde ist den Menschen angeboren. ‚Angeboren‘ in einem doppelten Sinn verstanden: zum einen als von Anbeginn des Lebens an, also als Baby und Kleinkind, zum anderen nach Art einer apriorischen Disposition oder eines anthropologischen Existentials. So sagt es Aristoteles gleich zu Beginn seiner ‚Metaphysik‘: „Alle Menschen streben von Natur aus nach Wissen“ 1 – sei es, dass wir uns im Sinne Platons auf die Suche machen nach dem verschütteten Wissen eines obersten Prinzips oder einer idealen und wahren Wirklichkeit, sei es, dass wir nach der Überzeugung des Aristoteles überhaupt und allererst auf empirischem Weg ein Wissen von der Welt erwerben müssen. Stets ist der Impuls des Wissenwollens da, das desiderium sciendi, welches für Aristoteles in der Neugier des Sehsinnes gleichsam ‚ästhetisch‘ präformiert ist. Denn der Sehsinn hat gegenüber den anderen Sinneswahrnehmungen eine Besonderheit: Er werde, so Aristoteles, an sich geliebt und nicht nur zum Zweck des Handelns; denn auch dann, wenn wir nicht zu handeln beabsichtigen, ziehen wir das Sehen so gut wie allem anderen vor 2. Die Neugierde kann sich auf einen konkreten Gegenstand richten, den man genauer in den Blick nehmen und untersuchen möchte, oder auf ein konkretes Ziel, etwa dann, wenn es um die Lösung eines Alltagsproblems geht. Doch im Grunde treibt uns die Neugierde weiter – wie bei einem Kind, das seine Eltern mit nicht enden wollenden Warum-Fragen fordert und manchmal auch nervt; oder wie jemand, der neues, unbekanntes Terrain erkundet und entdeckt. Entdeckungen und die, die sie machen, faszinieren uns. Und nicht zufällig dürfte auch der Mars Rover, der seit August 2012 den Mars erkundet und dort nach wie vor aktiv ist, den Namen ‚Curiosity‘ tragen 3. Nun war der Kosmos schon immer ein bevorzugter Gegenstand der Neugierde, vor allem der theoretischen. In ihrem Ursprungssinn ist die theoria nicht mehr auf Zweckhaftes und Nützliches gerichtet, sondern allein um ihrer selbst willen da. Es ist also nicht die Teflonpfanne, die uns in den Weltraum treibt, 1 2 3

Aristoteles, Metaphysik, I, 1, 980 a 21. Ibid., 980 a 21–26. Zum aktuellen Stand der Curiosity-Mission siehe offizielle NASA-Website, URL: (Stand: 22. 06. 2022).

https://doi.org/10.1515/9783110792461-202

XIV

Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider

ebenso wenig wie das Interesse an Astronomie sich pragmatisch mit der Navigation oder einer besseren Ernteprognose erklären lässt. Alles das muss man in Wahrheit hinter sich lassen, wenn man Theorie betreiben möchte, so nochmals Aristoteles, und er nennt die ägyptischen Tempelpriester die ersten reinen Theoretiker, die nur um der Sache willen, nicht für einen bestimmten Zweck den gestirnten Himmel erforscht haben 4. II. Von Anfang an jedoch hat die Neugierde auch etwas Ambivalentes an sich. Etwa dann, wenn sie den Epimetheus – ungeachtet der Ermahnung durch seinen Bruder Prometheus – dazu treibt, die Büchse der Pandora zu öffnen, um zu sehen, was darin ist. Der bei Hesiod überlieferte Mythos erzählt eine ‚unde malum‘-Geschichte, wie die Übel in die Welt gekommen sind 5. Mit dieser korrespondiert die bei Platon überlieferte komplementäre Erzählung vom Diebstahl des Feuers durch Prometheus, um auf diese Weise den Mangel der durch die fehlende Aufmerksamkeit des Epimetheus unausgestatteten Menschen auszugleichen, die sich nun zivilisatorisch behaupten können. Genau genommen „stiehlt [Prometheus] dem Hephaistos und der Athene die technische Weisheit zusammen mit dem Feuer“ 6. Erst in dieser Kombination erschließt sich den Menschen die ‚εὐπορία τοῦ βίου ‘, der Erfindungsreichtum gepaart mit der Leichtigkeit, etwas zu tun oder zu empfangen, kurz die Umwandlung der Mängelnatur in Chancen nicht nur für das Überleben, sondern für das gute Leben. Eine ähnlich alte Geschichte der verhängnisvollen Neugier findet sich in der zweiten, der älteren Schöpfungsgeschichte der Genesis (2,4b–3,24), allerdings unter anderen Voraussetzungen. Der Mensch lebt im Paradies, das er mit Gott teilt. Warum sollte er dieses aufgeben und riskieren? Was gilt es zu gewinnen? Die Grenzüberschreitung – das Essen der Früchte des verbotenen Baumes – bringt auf den ersten Blick keinen Gewinn an Lebensqualität: Der Mensch wird aus dem Paradies, dem Naturzustand der Naivität vertrieben, er muss nun selbst entscheiden, was gut und schlecht, was zu tun und was zu lassen ist. Der Mensch, der sein will wie Gott, der – wie Faust – mit dem Teufel einen Pakt schließt, der gefallene Engel oder Dämon als derjenige, der gefährliches oder verbotenes Wissen besitzt und den Neugierigen zu verlocken und zu verführen trachtet – alle diese Motive reflektieren den Umstand, dass die menschliche Neugier keine bloße Naturkraft ist, die sich gleichsam von selbst ihr Ziel sucht, sondern dass auch die theoretische Erkenntnis verantwortet werden muss, wenn sie nicht fehlgehen soll. 4 5 6

Aristoteles, Metaphysik I, 1, 981 b 20–25. Cf. Hesiod, Θεογονία (Theogonie), vv. 560–612, sowie ῎Εργα καὶ ᾿Ημέραι (Werke und Tage), vv. 60–105. Platon, Protagoras 321d: „κλέπτει ᾿Ηφαίστου καὶ ᾽Αθηνᾶς τὴν ἔντεχνον σοφίαν σὺν πυρί“. – Zum Kontext cf. ibid., 320d–322a.

curiositas – zur Einführung

XV

Explizit stellt diese Frage Augustinus, der wahrlich von sich behaupten kann, nichts ausgelassen zu haben, worauf der Mensch seine Neugier richten kann. In seinen ‚Bekenntnissen‘ berichtet er von seiner unermüdlichen Suche nach einer befriedigenden und erfüllenden Antwort auf seine spekulativen und existentiellen Fragen. Im Anschluss an den römischen Stoizismus und in Auseinandersetzung mit Manichäismus und Gnosis beschreibt Augustinus sodann die curiositas als fehlgeleitete und im Grunde eitle und schädliche Neugier, die der weisheitlichen Orientierung an den ewigen und göttlichen Dingen entbehrt, ihr gar entgegenwirkt und auf diese Weise zu einem Kardinallaster wird. In diesem Kontext wird die ‚Augenlust (concupiscentia oculorum)‘ zum Modell triebhafter Selbstgenügsamkeit des ‚kuriosen‘ Sich-selbst-Überlassens an die wandelbare Welt der Erscheinungen 7. Damit scheint der Begriff der curiositas in seiner Bedeutung festgelegt: als Laster steht die ‚vana curiositas‘ komplementär zur ‚concupiscentia‘, die sich orientierungslos und selbstbezüglich auf die falschen Gegenstände richtet: auf das Theater, die Magie, die Sterne, die Begierden. Auf diese Weise wird die curiositas der Ausgangspunkt des Sündenfalls. Den Grund hierfür sieht Thomas von Aquin in einem unregulierten und ungeordneten Wissensstreben. Die curiositas erscheint somit als Fehlform des ‚Strebens nach Wahrheitserkenntnis (studium veritatis cognoscendae)‘, die einer ‚ungeordneten Antriebsstruktur (inordinatio appetitus)‘ entspringt 8, so Thomas, der jedoch zugleich einer maßvollen Form der Neugier unter dem Begriff der studiositas, i. e. einer Wissbegier, das Wort redet, die der Kardinaltugend der temperantia zugeordnet ist 9. Doch noch einmal zurück zu Augustinus: Zwei Aspekte sollte man nicht übersehen, die die Kritik an einer orientierungslosen Neugier produktiv machen. So richtet sich der skeptische curiositas-Vorbehalt gegenüber allem Wissen letztlich vor allem gegen den Anspruch, einen göttlichen Standpunkt einnehmen zu können; darin greift Augustinus die Paradieserzählung auf. Zugleich aber steht der skeptische Wissensvorbehalt im Dienst einer Kritik an der akademischen Skepsis, die behauptet, dass man – da man nicht alles wissen kann – im Grunde nichts wissen könne, und der Suche nach einer Wahrheit, die als nicht existierend

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Augustinus, De vera religione, III, 4, ed. K.-D. Daur (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 191,70–74: „quae enim uidentur, temporalia sunt, quae autem non uidentur, aeterna; postremo dicitur omnibus: nolite diligere mundum, quoniam ea, quae in mundo sunt, concupiscentia carnis est et concupiscentia oculorum et ambitio saeculi.“; ibid, XXXVIII, 70, ed. Daur, 233,30–33: „hoc modo tria illa notata sunt, nam concupiscentia carnis uoluptatis infimae amatores significat, concupiscentia oculorum curiosos, ambitio saeculi superbos.“ – cf. Id., De Trinitate, XIV, 1, 3, ed. W. J. Mountain (Corpus Christianorum Series Latina 50A), Turhout 1968, 423 sq. Hierzu A. Speer, Weisheit bei Augustinus und Meister Eckhart, in: Meister-Eckhart-Jahrbuch 3 (2009), Stuttgart 2011, 1–15, besonders 2–5. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 167, a. 1 c, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 10), Rom 1899, 346: „alio autem modo potest esse vitium ex ipsa inordinatione appetitus et studii addiscendi veritatem. ” – cf. ibid., q. 163, a. 1c. Ibid., q. 166, a. 1 & 2. Siehe hierzu den Aufsatz von I. Mandrella, Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin, in diesem Band, 160–177.

XVI

Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider

nicht einmal gedacht werden kann, da wir sie auch in einem solchen Fall bereits voraussetzen, was in einen unauflösbaren performativen Widerspruch führen muss 10. III. Die Begriffsgeschichte der curiositas ist komplex und vieldimensional – und sie ist lang. Sie ist jedenfalls komplexer und vielschichtiger als sie oftmals gerade für jenes lange Jahrtausend erzählt wird, das wir für gewöhnlich das ‚Mittelalter‘ nennen. Eine der bekanntesten und wirkmächtigsten curiositas-Geschichten hat Hans Blumenberg erzählt, dessen 100ster Geburtstag im Jahr 2020 unter anderem mit einer großen Ausstellung in Münster gefeiert wurde, wo Blumenberg zuletzt als Professor für Philosophie lehrte 11. Blumenberg sah in der theoretischen Neugierde das herausragende epochenspezifische Merkmal, das der Neuzeit gegenüber der Antike und vor allem gegenüber dem Mittelalter ihre epochale Eigenständigkeit verleiht, und somit der entscheidende Grund für die Geburt des modernen Wissenschaftsverständnisses darstellt, das zuvor nicht zuletzt durch den theologisch motivierten curiositas-Vorbehalt in seiner Entfaltung gehindert worden sei. Die ‚Legitimität der Neuzeit‘, so auch der programmatische Titel von Blumenbergs Studie, bestehe wesentlich in der humanen Selbstbehauptung gegenüber dem spätmittelalterlichen Willkürgott. Damit verbunden ist die These, dass kreative Kunst und innovative Technik erst in der Neuzeit möglich wurden, weil im Spätmittelalter die geschaffene Welt als zufälliger Ausschnitt aus dem unendlichen Spielraum des für Gott Möglichen galt. Demgegenüber öffnete sich nun ein Horizont mit zahllosen Gestaltungsmöglichkeiten, womit ein Platz für die neuzeitliche Idee des schöpferischen Menschen entstanden sei, der in Technik und Kunst wirklich Neues hervorbringen konnte 12. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf das berühmte Frontispiz zu Francis Bacons ‚Instauratio Magna‘ verwiesen, welches ein Schiff zeigt, das durch die ‚Schicksalssäulen (columnae fatales)‘ hindurch auf die stürmische See steuert – eine Metapher für die Wissenschaften, die vertrautes Terrain verlassen und zu neuen 10

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Siehe hierzu die klassische Formulierung des Retorsionsarguments in De vera religione XXXIX, 73, ed. Daur (nt. 7), 235,40–44: „omnis, qui se dubitantem intellegit, uerum intellegit et de hac re, quam intellegit, certus est. de uero igitur certus est. omnis ergo, qui utrum sit ueritas dubitat, in se ipso habet uerum, unde non dubitet, nec ullum uerum nisi ueritate uerum est. non itaque oportet eum de ueritate dubitare, qui potuit undecumque dubitare.“ https://www.westfaelischer-kunstverein.de/ausstellungen/archiv/2020/blumenberg/ und dort besonders das Begleitheft zur Ausstellung, URL: Die in vier Teile untergliederte erneuerte Ausgabe von ‚Die Legitimität der Neuzeit‘ (Frankfurt am Main 1988, Neuauflage 1996 als Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268) fasst Einzelstudien zusammen, die zuvor unter den Titeln ‚Säkularisierung und Selbstbehauptung‘, ‚Der Prozess der theoretischen Neugierde‘ und ‚Aspekte der Epochenschwelle: Cusaner und Nolaner‘ erschienen waren.

curiositas – zur Einführung

XVII

Horizonten aufbrechen. Noch aber, so beginnt die große programmatische Vorrede zum ‚Novum Organum‘, kennen die Menschen weder ihre Mittel noch ihre Fähigkeiten richtig, verzehrten ihre Kräfte in der Beschäftigung mit unbedeutenden Dingen, anstatt sie an dem zu erproben, was zum Wichtigsten führt 13. Ein anderes ikonische Beispiel ist ein Holzschnitt, der einen ‚Wanderer am Weltenrand‘ zu zeigen scheint, welcher das Firmament durchstößt und seinen Blick aus seiner Welt in eine ganz andere, in einen Weltenraum richtet – sinnfällige Illustration für einen Wandel der Raumvorstellung im Übergang vom Spätmittelalter zur frühen Neuzeit. Dabei wird der 1888 in einem popularwissenschaftlichen Buch zu Meteorologie von Nicolas-Camille Flammarion abgedruckte Holzschnitt gerne auf ‚um 1530‘ datiert und somit entstehungsgeschichtlich in die Nähe der ‚kopernikanischen Wende‘ gerückt. Doch diese Rückdatierung ist Teil der historiographischen Fiktion 14. Was aber sagt eine solche historiographische Konstruktion über das Selbstverständnis einer Epoche, die sich nur durch Abgrenzung und Exklusion zu legitimieren versteht – ohne die Kosten zu bedenken. „Sage mir, was du ausschließt, und ich sage dir, was du denkst.“ – So Michel Serres – und er fährt fort: „An den Dingen, die außerhalb der Wissenschaft und des Gedächtnisses der Wissenschaftsgeschichte gestellt werden, können wir sehr gut erkennen, was als Wissen gilt. Wenn wir uns ansehen, wer oder was vertrieben wird, erfahren wir sehr viel mehr über die Verbleibenden, als diese jemals über sich selbst zu sagen vermöchten.“ 15 Derartige große Erzählungen haben ihren Preis. Es geht zum einen um die historische Plausibilität und um die historiographischen Kosten der sogenannten ‚großen‘ Erzählungen, die unter den Vorzeichen der Globalgeschichte wieder Konjunktur besitzen. Zum anderen aber steht die grundsätzliche Frage der Fundierung der theoretischen Neugierde als Ausdruck einer anthropologischen Konstante des Welthabens und der Weltorientierung auf dem Prüfstand. Hand aufs philosophische Herz: Selbst der Mensch in der Höhle verspürt diese Neugierde, hinter die Schatten zu schauen. Und es ist – folgt man einigen spätantiken Exegeten des Höhlengleichnisses – ein innerer Impuls, der uns unsere Fesseln lösen und uns vom Stuhl aufstehen und den Aufstieg nach oben aus der Höhle 13

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Francis Bacon, Instauratio Magna, praefatio (The Works of Francis Bacon, coll./edd. J. Spedding/R. L. Ellis/D. D. Heath, London 1858, vol. I, 125): „Videntur nobis homines nec opes nec vires suas bene nosse; verum de illis majora quam par est, de his minora credere. Ita fit, ut aut artes receptas insanis pretiis aestimantes nil amplius quaerant, aut seipsos plus aequo contemnentes vires suas in levioribus consumant, in iis quae ad summam rei faciant non experiantur. Quare sunt et suae scientiis columnae tanquam fatales.“ Hierzu A. Speer, Freies Denken, in: Archiv für mittelalterliche Philosophie und Kultur XI (2005), 7–19, hier 8–10. Dieses Puzzle und seine Geschichte hat Hans Gerhard Senger anlässlich der 30. Kölner Mediaevistentagung aufgelöst: H. G. Senger, „Wanderer am Weltenrand“ – ein Raumfahrer um 1530? Überlegungen zu einer peregrinatio inventiva, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 25), Berlin–New York 1998, 792–827. M. Serres, Atlas (aus dem Französischen von M. Bischoff), Berlin 2005, 85.

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Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider

wagen lässt. Der „τίς“, der uns losbindet und antreibt, ist unser eigenes Selbst 16. Zugleich ist Platon derjenige, der uns mahnt, die Neugierde nicht auf das Augenscheinliche und Wandelbare zu richten, das uns verlockt, sondern unseren Blick auf die wahre Ursache hinter unserem Wissensstreben zu richten, denn nur in diesem Licht können wir die Dinge erkennen, wie sie sind. Doch übersehen wir die Dialektik dieser Aussage nicht: in der transzendenten Ausrichtung der theoria ist zugleich der skeptische Vorbehalt gegenüber einer naturwüchsigen curiositas eingebaut, und Augustinus ist nur einer, wenngleich ein bedeutender und wirkmächtiger Zeuge für dieses curiositas-Verständnis. IV. Ein Blick auf die jüngere Begriffsgeschichte der Neugier (curiositas), die bisher nicht einmal in Ansätzen geschrieben ist 17, lässt gerade den von neuzeitlicher Warte aus so oft gescholtenen Augustinus und seine Vorbehalte gegenüber dem menschlichen Wissenstrieb und dessen Ausprägungen erstaunlich aktuell erscheinen. Hatte nicht ausgerechnet Martin Heidegger in Bezug auf die Neugier einen regelrechten ‚Neo-Augustinismus‘ vertreten, wenn er die curiositas etymologisch wieder auf die Sorge (cura) zurückführte und gewissermaßen die Rede von der verwerflichen ‚Augenlust‘ rehabilitierte? 18 Und hatte nicht zuvor bereits 16

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Platon, Politeia, VII, 515c–516c. Hierzu A. Speer, Fragile Konvergenz (éditions questions 7), Köln 2010, 34 sq. und 6 sq.; ferner M. Erler, Hilfe der Götter und Erkenntnis des Selbst. Sokrates als Göttergeschenk bei Platon und den Platonikern, in: M. Erler/T. Kobusch (eds.), Metaphysik und Religion. Zur Signatur des spätantiken Denkens (Beiträge zur Altertumskunde 160), München–Leipzig 2002, 386–413, besonders 398 sq. Der Artikel ‚Neugierde‘ im Historischen Wörterbuch der Philosophie gibt einige Anregungen, vor allem auch im Anschluss an moderne psychologische Theorien, beschränkt sich aber, was das 20. Jh. in philosophischer Perspektive angeht, auf Heidegger, Blumenberg und Lübbe (cf. G. Müller/P. Probst/U. Schönpflug/Red., Neugier, in: J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 6, Basel 1984, 732–742). Für das Mittelalter ist die Ausbeute mager: Nur Thomas und Cusanus werden genannt. Dabei wird Thomas’ Beitrag allein im Sinne einer Systematisierungsleistung gewürdigt. Ausgehend vom aristotelisch begründeten Wissensstreben habe er die curiositas dem Laster der acedia zugeschlagen: „Die Lasterhaftigkeit zeigt sich in der Übertreibung des natürlichen Erkenntnisstrebens und in dem Mangel an Konsequenz bei der Rückführung jeder Erkenntnis über die Schöpfung auf die Erkenntnis Gottes.“ (ibid., 733). Der für Thomas bedeutsame Komplementärbegriff der studiositas wird nicht einmal erwähnt. Umso stärker fällt die Gewichtung Augustins aus: „N.[eugierde = curiositas] ist ein von Augustin gegen die antike Philosophie eingeführter Kampfbegriff, der zu einem Signal neuzeitlicher Emanzipation von der Theologie wurde.“ (ibid., 732). In dieser knappen Sentenz zeigt sich in komprimierter Form die erhebliche Problematizität einer stark verkürzten Sichtweise auf die Neugier, die nicht nur den genannten Wörterbuchartikel charakterisiert. Cf. ergänzend O. F. Summerell, Vielgeschäftigkeit (πολυπραγμοσύνη ), in: Ritter e. a. (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 11, Basel 2001, 1038–1041. Cf. M. Heidegger, Sein und Zeit, § 36, Tübingen 192006, 172: „Die freigewordene Neugierde besorgt aber zu sehen, nicht um das Gesehene zu verstehen […] sondern nur um zu sehen.“ (Die Augustinus-Passage ibid., 171).

curiositas – zur Einführung

XIX

Friedrich Nietzsche – in radikal anti-augustinischer Wendung, dessen Vorbehalte aber implizit bestätigend – dem ‚Freien Geist‘ eine unersättliche, wahrhaft entgrenzte Neugier attestiert, deren Reiz so groß sei, dass sie letztlich alle Formen der Verbindlichkeit in Frage stellen müsse? 19 Es scheint tatsächlich spätestens im 20. Jh. ein neuer Legitimations-Diskurs um die Neugier aufzukommen, der – insbesondere in Bezug auf Wissenschaft/ Technik/Technologie und ihr Verhältnis zu ‚Natur‘ und Moral – darum bemüht ist, den entfesselten neuzeitlich emanzipatorischen Prozess der (nicht allein) theoretischen Neugier wieder einzufangen und zu regulieren. An erster Stelle wäre hier die Umweltbewegung zu nennen, unter deren frühen führenden philosophischen Köpfen sich durchaus kontroverse Gestalten befinden, wie etwa der Lebensphilosoph Ludwig Klages. Moderne Wissenschaft und Kapitalismus sieht er als zwei Seiten einer Medaille, die durch ein vom Dogma des ‚Kampfs ums Dasein‘ geleitetes Nützlichkeitsprinzip geprägt ist. Die Konsequenz daraus sei eine schrankenlose Neugier, die alles, was ihr vorkommt, auf seine Verwertbarkeit hin prüft und damit jede erdenkliche Form von Raubbau und Manipulation an der zur Ressource degradierten Natur legitimiert und diese damit ‚entlebendigt‘. Für die Systematik der Wissenschaften und ihre Erkenntnis hegt Klages, der selbst Chemiker war, durchaus Bewunderung, sieht jedoch in der ‚kalten Sachlichkeit‘ einer rein theoretischen Einstellung gegenüber der Natur bzw. dem ‚Leben‘ die Wurzel einer letztendlichen Zerstörung der Lebensgrundlagen des Menschen sowie dessen Entfremdung von seiner Umwelt 20. 19

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Cf. F. Nietzsche, Menschliches, Allzumenschliches, I, Vorrede, 3, edd. G. Colli/M. Montinari (Kritische Studienausgabe 2), München e. a., 21988, 17: „Es ist Willkür und Lust an der Willkür darin, wenn er [sc. der Befreite, der ‚freie Geist‘] vielleicht nun seine Gunst dem zuwendet, was bisher in schlechtem Ruf stand, – wenn er neugierig und versucherisch um das Verbotenste schleicht. Im Hintergrund seines Treibens und Schweifens – denn er ist unruhig und ziellos unterwegs wie in einer Wüste – steht das Fragezeichen einer immer gefährlicheren Neugierde: ‚Kann man nicht alle Werthe umdrehn? und ist Gut vielleicht Böse? und Gott nur eine Erfindung und Feinheit des Teufels?‘“ Cf. L. Klages, Mensch und Erde [1913], edd. E. Frauchiger e. a. (Ludwig Klages Werke 3. Philosophie 3), Bonn 21991, 614–636. Der Text hat bis in die unmittelbare Gegenwart eine Reihe von Neuauflagen erfahren, u. a. 1980 mit einem Vorwort von B. Grzimek. In der 2013 erschienenen neuesten Auflage findet sich auch das Wort vom „Gründungstext der deutschen Ökologiebewegung“ (L. Klages, Mensch und Erde [Fröhliche Wissenschaft], Berlin 2013). Zur Verbindung von Naturzerstörung und Neugier unter expliziter Gegenüberstellung von ‚antikem‘ und ‚neuzeitlichem‘ Forschertyp cf. L. Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, IV, 53, edd. E. Frauchiger e. a. (Ludwig Klages Werke 1. Philosophie 1), Bonn 32007, 778 sq.: „Niemand, der auch nur einigermaßen in den Lehrgebäuden der Astronomie, Physik und vor allem Chemie bewandert und mit der Geschichte ihrer Entstehung vertraut ist, wird dem exakt genauen Ineinandergreifen aller Tatsachen, Gesetze und Annahmen seine Bewunderung versagen und erst recht über das Maß von zerlegendem und verknüpfendem Scharfsinn staunen, das diese Magazine des begriffenen Alls errichten half. Darum indessen dürfen wir über der imposanten Reichhaltigkeit ihrer Habe doch nicht deren Leblosigkeit übersehen; über der lückenlosen Planmäßigkeit der Verteilung nicht die Herkunft des Planes aus dem Willen zur Entlebendigung der Welt und in den Erbeutern, Hütern und Verwaltern über dem Heroismus ihrer gefühlsasketischen Sachlichkeit nicht deren Ursprung aus Lebensgegnerschaft; über der Durchdringungskraft ihres Scharfblicks nicht die Ehrfurchtslosigkeit einer schrankenlosen Neugierde, die selber die Folte-

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Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider

Etwas weniger radikal und mit einem stärker wissenschaftstheoretischen Duktus – politisch im Umfeld der Anti-Atomwaffen-Debatten der späten 1950er Jahre, letztlich aber von einer philosophischen Agenda bestimmt – hatte der jüngst wiederentdeckte Karl Jaspers gewarnt vor den Folgen einer „losgelöste[n] Wissenschaft“ 21, i. e. einer Wissenschaft, die sich statt durch einen definierten theoretischen Rahmen – also letztlich ein Vernunftprinzip – leiten lässt von einer Wissbegier, die allein vom Prinzip des technisch Machbaren bestimmt ist. Bedenklich ist dabei nicht etwa ein Zuviel an Wissen, sondern genau genommen ein Zuwenig, denn problematisch wird eine solche Totalisierung des technisch Machbaren durch seine Vernunftlosigkeit, also durch ein ‚Nichtwissenwollen‘ bezüglich der Konsequenzen des jeweiligen technischen Experiments 22. ‚Vernünftigkeit‘ bedeutet aber für Jaspers, der seinen Augustinus gelesen hatte 23, Bezogenheit auf ein Ganzes, auf einen vernünftigen ordo, der Auswüchse einer technisch-theoretischen Neugier von vornherein verhindert oder gar verbietet. Gerade Jaspers ist hier bestimmt von Augustinischen – aber auch Cusanischen – Motiven, etwa wenn er die Rede von der Naturerkenntnis als einem „Nachdenken der Gedanken des Schöpfers“ 24 als Ausdruck einer allgemeinen Transzendenzgebundenheit des Menschen und seiner Vollzüge in der Welt aufnimmt. Neben diesen zwar unterschiedlich motivierten, doch ähnlich engagierten Neo- bzw. Anti-Augustinianern der Moderne nimmt sich eine eher nüchterne Figur aus, ein Philosoph mit phänomenologisch geschultem Blick, der am Rande seiner großangelegten ontologischen Schriften eine knappe, aber bedenkenswerte Analyse des Phänomens der Neugier verfasst hat 25. Die Rede ist von Nicolai Hartmann. ‚Neugier‘ beschreibt er zunächst als „eine Form des Hinlebens auf

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rung für berechtigt glaubt zur Erpressung der Antwort auf ihr unersättliches Fragen. […] Nie ist ein Kirchenglaube doktrinärer verkündet, nie ein Aberglaube unbekehrbarer festgehalten worden als der Glaube der Mechanisten an die Wirklichkeit ihres Gegenstandes, an die Verdienstlichkeit rücksichtsloser Fragewut, an die Grenzenlosigkeit des Erkenntnisgewinns durch Häufung und Sichtung von Erfahrungsbefunden!“ K. Jaspers, Die Atombombe und die Zukunft des Menschen. Politisches Bewußtsein in unserer Zeit, München 1958, 279. Cf. ibid., 277–326. Jaspers sieht das theoretische Hauptproblem einer auf Wissenschaft gerichteten Heilserwartung in der Unfähigkeit einer jeden Wissenschaft, sich selbst zu begründen bzw. ihr eigenes Seinsollen zu rechtfertigen. Ein ‚Ethos der Wissenschaft‘, das sich letztlich als Haltung der Selbstbeschränkung in der Persönlichkeit des Wissenschaftlers manifestiert und dem sich konsequenterweise auch die Neugier unterordnen muss, könne nur die Philosophie begründen (ibid., 277 sqq.). Cf. auch ibid., 24: „Das Nichtwissenwollen ist selber schon das Unheil.“ Augustinus gehört für Jaspers – gemeinsam mit Platon und Kant – zu den ‚fortzeugenden Gründern des Philosophierens‘, der ersten Gruppe seiner ‚großen Philosophen‘, cf. K. Jaspers, Die großen Philosophen, vol. 1, München 1957, 319–396 (auch als Separatdruck erschienen, id., Augustin (Serie Piper 143), München 1976, 21985. Jaspers, Atombombe (nt. 21), 278. Hartmann widmet der Neugier keine eigenständige, zusammenhängende Untersuchung, sondern behandelt sie jeweils problembezogen. Dies ist auch seinem im Grunde phänomenologischen Ansatz geschuldet, denn Neugier tritt als beobachtbares Phänomen niemals ‚rein‘ in Erscheinung, sondern immer als Moment eines bestimmten Verhaltens oder einer Einstellung.

curiositas – zur Einführung

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das Anrückende“ 26; sie gehört also in das Register der Antizipation („Vorfühlung“) 27. Damit liegt sie auf einer Ebene mit der Ahnung, unterscheidet sich aber von dieser – und nur in Bezug auf diese – durch einen „leichtfertigen Gefühlston der Sensationslüsternheit“ 28. Als grundsätzlich erlebnisorientierte nach vorn gerichtete Erwartungshaltung kann sie gar zum „habituelle[n] Schnüffeln in der Zukunft“ 29 geraten. Gegenüber anderen emotional stärker qualifizierten Formen des Antizipatorischen, etwa Hoffnung und Furcht, ist sie jedoch eine „im Gefühlston neutral“ verbleibende Weise der Erwartung 30, was sich auch in der Unbestimmtheit ihres Inhalts ausdrückt. Gerade diese Unbestimmtheit und Neutralität macht eigentlich das Wesentliche der Neugier aus. Ihr zunächst interesseloses Vorfühlen ist der Inbegriff jener Fähigkeit, die den Menschen überhaupt erst theoriefähig macht: die Fähigkeit, überrascht zu werden 31. Damit wird die Neugier zur Grundlage des philosophischen Staunens, von dem sie praktisch zunächst kaum zu unterscheiden ist 32. Was jedoch hinzukommen muss, damit was ursprünglich bloße Neugier war zu einer philosophischen Grundeinstellung wird, ist ein ‚Wertgefühl‘, das sich zunächst als Ergriffenheit durch den Gegenstand des Betrachtens emotional bemerkbar macht und dann sozusagen umgewendet wird in ein theoretisches Interesse an demselben 33. Diese knapp gefassten Hinweise sollen hier lediglich dazu dienen, den kritischen Diskurs um die Neugier (curiositas) davor zu bewahren, als eine im pejorativen Sinne ‚mittelalterliche‘ Erscheinung abgetan zu werden. Darüber hinaus seien sie aber auch verstanden als Hinweis auf die noch zu schreibende Geschichte der Neugier in späteren Zeiten. Denn die wie auch immer geartete ‚Emanzipation‘ der (theoretischen) Neugier ist in keiner Weise gleichzusetzen mit ihrer Entproblematisierung. V. Unserer Tagung ging es um die Rehabilitierung der theoretischen Neugierde für eben jenes Millennium, das wir ‚Mittelalter‘ nennen. Doch ebenso wenig wie die Mediaevistentagung will auch dieser Tagungsband eine Form von Apologetik betreiben. Dass Hans Blumenberg und seine Thesen gleichwohl in einer ganzen Reihe von Beiträgen implizit oder ausdrücklich zum Gegenstand gemacht wer26 27 28 29 30 31 32 33

N. Hartmann, Zur Grundlegung der Ontologie, Berlin 41965, 177. Ibid. 176. Ibid. 177. Ibid. Ibid. Ibid. Ibid., 207. N. Hartmann, Das Problem des geistigen Seins, Berlin 31962, 169, besonders auch ibid., nt. 1 zur ursprünglich im Bereich des Vernehmens und Spürens angesiedelten Bedeutung des griechischen ‚νοεῖν ‘.

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den, spricht für den Autor Blumenberg. Dennoch fällt unsere Beschäftigung mit dem Thema der ‚curiositas‘ in eine Zeit, die durch zunehmende Skepsis gegenüber großen Erzählungen gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang werden auch Epochenmerkmale kritisch hinterfragt. Das gilt insbesondere für die eurozentrische Lesart von Geschichte und auch von Philosophiegeschichte, die eng mit der ‚Erfindung‘ des Mittelalters verbunden ist 34. Doch gerade die curiositas-Thematik führt die ganze Problematik von Epochenmerkmalen und daraus folgenden Grenzziehungen vor Augen, die bei Lichte besehen nicht einmal für den lateinisch-abendländischen Kulturkreis in der postulierten Apodiktik zutreffen. Das gilt erst recht für die anderen Sprach- und Kulturkreise eines in Wahrheit langen Jahrtausends, das sich in ungebrochener Kontinuität mit der Antike sieht und in vielerlei Hinsicht weit in die Neuzeit hineinreicht. Zudem ist dieses Millennium so vielfältig, dass eine epochenspezifische Kennzeichnung ihre anfängliche Plausibilität, eine komplexe Situation auf den Begriff gebracht zu haben, schnell wieder einbüßt 35. An die Stelle von normativen Wertungen und bewusst oder unbewusst gewählten Ausschlussmechanismen sollte vielmehr eine auch zeitlich und räumlich weitgespannte Untersuchung treten, um die begriffliche, motivische und konzeptionelle Entfaltung der theoretischen Neugier im Spannungsfeld theoretischer, kultureller, institutioneller und religiöser Determinanten zu verfolgen und damit zugleich aus der eurozentrischen und epochenfixierten Engführung zu befreien. Dazu bedarf es einer breiten interdisziplinären Annäherung: neben der Philosophie sind die Theologie und die Philologien gefragt sowie die Geschichtswissenschaften, ferner die Literatur- und Kulturwissenschaften, die Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, die Islamwissenschaft und Judaistik, etc. – man könnte diese Aufzählung leicht fortsetzen. VI. Wir haben für die 42. Kölner Mediaevistentagungen einige Leitfragen formuliert, auf die viele der Beiträge Bezug nehmen. So haben wir nach dem Wortfeld der theoretischen Neugierde gefragt in der Vielheit der Sprachen und nach den Übersetzungsprozessen. Was heißt es überhaupt, eine theoretische Einstellung einzunehmen? Gibt es kulturelle Unterschiede oder einen Bedeutungswandel? Und was sind die bevorzugten (wissenschaftlichen) Gegenstandsbereiche der theoretischen Neugier? Ferner stellt sich die Frage nach einer anthropologischen 34

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Hierzu A. Speer, „qui prius philosophati sunt de veritate …“. Mittelalterhistoriographie im Wandel, in: A. Speer/M. Mauriège (eds.), Irrtum – Error – Erreur (Miscellanea Mediaevalia 40), Berlin– Boston 2018, 783–809, besonders 788 sqq. Siehe hierzu meine Überlegungen in: A. Speer, Wie schreibt man die Philosophiegeschichte des Mittelalters? Anmerkungen mit besonderer Rücksicht auf den Grundriss der Philosophie, in: Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 88/1 (2021), 283–311.

curiositas – zur Einführung

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Fundierung der theoretischen Neugier. Gibt es ein desiderium naturale sciendi, ist die theoretische Neugier also ein anthropologisches Existential? Die Frage nach möglichen Grenzen und Grenzüberschreitungen der theoretischen Neugier wirft die Frage nach einem natürlichen Maß der theoretischen Neugier auf. Zugleich aber stellt sich in praktischer Absicht die Frage nach möglichen Fehlformen der curiositas. Wann wird Neugier zum Laster? Wo und wie wird diese Kritik an der theoretischen Neugier vorgebracht und eingesetzt? Schließlich stellt sich die Frage nach der Ästhetik der theoretischen Neugier, zumal die aisthesis als Prototyp des Wissensverlangens gelten kann. Was sind die materiellen oder literarischen Ausdrucksformen für den Diskurs über curiositas? Und sieht man auf die wachsende Bedeutung der Mobilität in jenem Jahrtausend, das wir Mittelalter nennen, so stellt sich die Frage, in welcher Weise Reisen und Entdecken sich zu einem nicht unerheblichen Teil einer Neugier verdanken, die über den damit verbundenen praktischen Nutzen weit hinausgeht. Auf diese und andere Fragen wollen die Beiträge dieses Bandes eine Antwort geben. Sie verbindet die Arbeit am Begriff der curiositas. Zugleich entfalten sie in sieben Sektionen ein weites Spektrum an fachlichen und thematischen Perspektiven. Die erste Sektion „curiositas – Dialektik und longue durée“ spannt den Bogen von der griechischen Begriffsprägung für Neugier und Wissbegier in vorchristlicher und dann in byzantinischer Zeit über die curiositas-Diskurse der lateinischen Tradition bis zur Renaissance und der Frühen Neuzeit. Die zweite Sektion „Der Wille zum Wissen“ handelt von unterschiedlichen Weisen einer spezifisch wissenschaftlich geprägten Neugier, die vom Gedankenexperiment bis zur Versuchung des Wissens alles Wissbaren reichen, einschließlich philosophisch-theologischer Grenzgänge. Der „curiositas im theologischen Widerstreit“ widmet sich die dritte Sektion unter Berücksichtigung unterschiedlicher literarischer Genres und unter Bezugnahme auf die Paradiesbäume. Die vierte Sektion behandelt das Thema „Staunen über die Natur – Exempla und Enzyklopädien“ in lateinischen und arabischen naturphilosophischen Schriften und Enzyklopädien, die Ausdruck jener „Entdeckung der Natur“ sind, die als ein Merkmal vor allem des 12. und 13. Jahrhunderts gelten kann. Die Frage, ob es „Weibliches und männliches Begehren“ gibt und worin die Unterschiede liegen, widmet sich die fünfte Sektion anhand prominenter Beispiele in lateinischen und arabischen Quellen. Die sechste Sektion behandelt die „Lust auf Neues“ an Beispielen des Pilgerns und des Reisens, von literarischen Erkenntnisreisen über Pilgerreisen bis hin zu Reiseberichten und ihren unterschiedlichen Motiven. Die siebte Sektion „Materielle Kultur und rituelle Zeichen“ schließlich stellt die Frage nach der Ästhetik der materiellen Kultur und ihrer Entschlüsselung im Zusammenhang mit der rituellen Zeichensprache.

I. curiositas – Dialektik und longue durée

Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz: ϕιλαλήθεια vs. περιέργεια Georgi Kapriev (Sofia) In seinem Rundbrief zur 42. Kölner Mediaevistentagung hat Andreas Speer die Aufmerksamkeit auf die Ansicht Hans Blumenbergs gerichtet, dass die theoretische Neugierde das Merkmal sei, durch das die Neuzeit sich als eine eigenständige Epoche gegenüber Antike und Mittelalter behauptet. Die theoretische Neugierde soll der innovative Ausdruck der menschlichen Selbstbehauptung angesichts des mittelalterlichen theologischen Absolutismus, der Schlüsselbegriff des Selbstverständnisses der Neuzeit und der entscheidende Grund für die Geburt des modernen Wissenschaftsverständnisses sein. Im Mittelalter sei nur die Gotteserkenntnis ein legitimer Gegenstand der theoretischen Neugierde, wobei die Erforschung der Natur außerhalb des Menschen illegitime Neugier sein solle 1. William J. Hoye bestimmt 2013 diese These als „ein beliebtes Vorurteil der Neuzeit“ 2 und erweist die mittelalterliche Aufhebung der theoretischen curiositas in der studiositas. Es wird darauf aufmerksam gemacht, dass Skepsis gegenüber der Neugierde keineswegs spezifisch christlich ist, sondern, dass sie von Anfang an die Geschichte des Begriffs begleitet 3. Selbst Augustinus, der als Verantwortlicher für die „Aufnahme der Neugierde in den Lasterkatalog“ 4 gilt, kennt eine pia curiositas. Gerade er formuliert, wie Hoye zeigt, den Unterschied zwischen curiositas und studiositas 5. Diese Differenzierung ist für die mittelalterliche Kultur, aber nicht nur für sie maßgebend 6. Sowohl Blumenberg als auch Hoye zitieren die um 1850 formulierte Unterscheidung Alexander von Humboldts zwischen Neugier und Wissbegier, zwi1 2 3

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Cf. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit [1966]. Erneuerte Ausgabe [1988] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996, 263–350. W. J. Hoye, Die Wirklichkeit der Wahrheit: Freiheit der Gesellschaft und Anspruch des Unbedingten, Wiesbaden 2013, 123. „Schon Cicero, der anscheinend als erster das Wort ‚Neugierde‘ – curiositas – geprägt hat“, betont Hoye, beschreibt die Neugierde als „unmäßig nachgebendes Sich-Einlassen auf dunkle und überflüssige Gegenstände“ (Hoye, Wirklichkeit [nt. 2], 128). Ibid., 130. Cf. Blumenberg, Legitimität (nt. 1), 358. Augustinus, De utilitate credendi, 22, ed. J. Zycha (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 25/1), Wien e. a. 1891, 26: „sed scis etiam curiosum non nos solere appellare sine conuicio. studiosum uero etiam cum laude.“ Hoye, Wirklichkeit (nt. 2), 123–134.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-001

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schen oberflächlichem und tieferem Wissen 7. Sie steht in Korrespondenz zu der Hauptthese Arthur Schopenhauers in seinem erst 1896 veröffentlichten Fragment ‚Über das Interessante‘ 8. Schopenhauer unterscheidet zwischen dem Schönen, das „zur [reinen] Erkenntniss der Ideen hinleitet“, und dem Interessanten, das sich an den Willen wendet und mit dem Verflechten der eigenen Person rechnet. Er schätzt die Verselbständigung des Interessanten negativ und teilt ihm nur dann eine positive Rolle zu, wenn es durch seine Beimischung den Anteil hervorruft, „den uns die Begebenheit als solche abnöthigt“ 9. Mit ähnlichen neuzeitlichen Zeugnissen konfrontiert und den Bezug zwischen Erkenntnis und Willen im Kraftfeld der Neugier suchend, führt Blumenberg die Triade ‚naive Neugierde – selbstbewusste Neugierde – reflektierte Neugierde‘ ein 10. Mittels dieser ist er bestrebt, Neugier und Wissbegier im Bereich des Theoretischen gleichzusetzen, wodurch er seine ursprüngliche These eigentlich verblassen lässt. Die für die byzantinische Kultur evidenten Inhalte in diesem Themenbereich stellen seine Schemata in Frage. I. Neugier ( περιέργεια ) und Wissbegier ( ϕιλομάθεια ) Schon die Etymologie des griechischen Wortes ‚περιέργεια‘ birgt eine unabdinglich negative Konnotation. ‚Περὶ τὸ ἔργον‘ meint ‚um das Werk, um die Sache herum‘. Ein solches Herumschwenken und die betreffende Ineffizienz werden seit der Antike weder im praktischen noch im theoretischen Bereich toleriert 11. Aristoteles bestimmt das περίεργον als überflüssiges Wissen, dessen Abstrahierung das Auffassen des zu bestimmenden Gegenstandes klarer macht 12. In der ‚Metaphysik‘ steht ‚περίεργον ‘ für das vergebliche Erkenntnisbemühen 13. Wieder im Sinne des überflüssigen Wissens, dem notwendigen Wissen 7 8 9

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Hoye, Wirklichkeit (nt. 2), 134; H. Blumenberg, Neugierde und Wissenstrieb: Supplemente zu ‚Curiositas‘, in: Archiv für Begriffsgeschichte 14 (1970), 7–40, hier 22 sq. Arthur Schopenhauers handschriftlicher Nachlaß – Vorlesungen und Abhandlungen, Hamburg 2018, 90–97. Vergleichbare Beispiele bietet auch die philosophische Literatur des 20. Jahrhunderts an – cf. besonders massiv in M. Heidegger, Sein und Zeit, 18 Aufl., Tübingen 2001, 170–173. Cf. dazu A. Dontcheva, Das Ich und der Andere in der westeuropäischen Literatur des 20. Jahrhunderts, Sofia 2014, 127 (bulgarisch). Durch eine Ausarbeitung des Ludwig Feuerbachschen Begriffs des ‚Wissenstriebs‘ (mit einem Akzent auf dem Wissenwollen) und eine Begriffsentlehnung von Jürgen Mittelstraß (cf. Blumenberg, Neugierde [nt. 7]). Schon Heraklit aus Ephesus kritisiert scharf die πολυμάθεια (DK 22, B 40), die zu „eigene[r] Weisheit, Vielwisserei und elendem Fachwissen (κακοτεχνία )“ führt (DK 22, B 129). Andersherum betont er aber, dass die „nach Weisheit strebende[n] Männer […] sehr viele Dinge erforschen [müssen]“ (DK 22, B 35). Aristoteles, Topik, VI, 3, 140b1–2. In diesem Sinn wird das Wort an mehreren Stellen in der ‚Topik‘ verwendet, cf. ibid., VI, 1, 139b16–17. VI, 3, 140a36. VI, 3, 140b9. VI, 3, 141a12. VI, 14, 151b20–24. Aristoteles, Metaphysik, VII, 11, 1036b23. VII, 12, 1038a21.

Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz

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gegenübergestellt, wird das Wort in der ‚Ersten Analytik‘ gebraucht 14. Diese Erkenntnis- und Wissensart steht eigentlich in Konfrontation mit dem θαυμάζειν als Ursprung der Philosophie 15 und hat weder mit der θεωρητικὴ ἐπιστήμη etwas Gemeinsames 16, noch mit dem εἰδέναι, wonach alle Menschen von Natur aus streben 17. In einem allgemeineren Sinn beschreibt Theophrastus die περιεργία als Unmaß an Wort und Tun 18. Die derart formierten Positionen finden ihre Fortsetzung im Schrifttum der christlichen griechischsprachigen Autoren. Die Mönchsasketen tadeln unentwegt die Neugier. Im 7. Jahrhundert spricht sich Johannes Klimakos eindeutig aus: „Εὐθύτης ἐστὶν ἀπερίεργος ἔννοια (die Rechtschaffenheit [die rectitudo] ist die nicht neugierige Gesinnung)“ 19. Er unterweist kurz und knapp: „Übe den nichtneugierigen Zustand ( ἀπερίεργος κατάστασις ) aus. Nichts kann die friedliche Muße/Ruhe ( ἡσυχία ) mehr schänden als die Neugier“ 20. Diese Stellungnahme bleibt im Laufe der Jahrhunderte unverändert. So etwa findet sich bei Gregorios Sinaites im 14. Jahrhundert die περιέργεια auf der Liste mit den Leidenschaften aufseiten des vernünftigen Seelenteils ( τοῦ λογιστικοῦ μέρος ) 21. Sie werden zum widernatürlichen Bösen ( τὰ παρὰ φύσιν κακά ) gezählt 22. Zugleich betont Gregorios, dass die „Nacht der Leidenschaften die Finsternis der Unwissenheit ( ἄγνοια ) ist“, in welcher „der Exarch der Finsternis herrscht“ 23. Der der Finsternis Widerstand Leistende, „der wahre Philosoph ( φιλόσοφος ἀληθινός ), ist derjenige, der durch Einblick in das Seiende die Ursache des Seienden versteht oder, von der Ursache ausgehend, Erkenntnis über das Seiende nach der über dem Intellekt stehenden Einheit erwirbt“ 24. Während „ein göttlicher Philosoph derjenige ist, der sich durch Praxis und Theorie unmittelbar mit Gott vereinigt“, ist

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Id., Erste Analytik, I, 32, 47a18–19; weitere Beispiele in: M. Leigh, From Polypragmon to Curiosus: Ancient Concepts of Curious and Meddlesome Behaviour, Oxford 2013, 10. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b8–15. Cf. Plato, Theätet, 155d: „Μάλα γὰρ φιλοσόφου τοῦτο τὸ πάθος, τὸ θαυμάζειν: οὐ γὰρ ἄλλη ἀρχὴ φιλοσοφίας ἢ αὕτη “. Sie ist nicht auf die Erkenntnis irgendeiner beliebigen Wahrheit (die Philosophie ist gerade ἐπιστήμη τῆς ἀληθείας – Aristoteles, Metaphysik, II, 1, 993b20), sondern auf die vollkommene Erkenntnis der höchsten Wahrheit gerichtet; cf. Hoye, Wirklichkeit (nt. 2), 133. Aristoteles, Metaphysik, I, 1, 980a21. „’Αμέλει [ἡ ] περιεργία δόξει εἶναι προσποίησίς τις λόγων και πράξεων μετὰ ἐννοίας“ – Theophrastus, Charaktere, 13, 1, ed. P. Steinmetz, vol. 1 (Das Wort der Antike 7), München 1960, 82. Johannes Klimakos, Scala paradisi, 24, ed. J.-P. Migne (Patrologia Graeca 88), Paris 1864, 981 B. Ibid., 27, 1116 D: „ ᾽Απερίεργον ἄσκει κατάστασιν· μολύνειν γὰρ τὴν ἡσυχίαν περιεργία ὡς οὐκ ἄλλο τι δύναται.“ Gregorios Sinaites, Capita valde utilia per acrostichidem disposita, 79, ed. J.-P. Migne (Patrologia Graeca 150), Paris 1865, 1261 A. Ibid., 1261 B. Ibid., 73, 1260 B. Gregorios betont dabei die unentbehrliche Rolle des unmittelbaren Glaubens in diesem Prozess, der dazu dem Philosophen dazu verhilft, die göttlichen Gegebenheiten nicht nur zur erkennen, sondern auch zu erfahren („οὐ μόνον μαθὼν, ἀλλὰ καὶ παθὼν τὰ θεῖα“) – Ibid., 127, 1289D.

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ein „Philologe“, auch Philosoph genannt, „derjenige, der die Weisheit in der göttlichen Schöpfung liebt und erforscht“ 25. Basilios der Große, das große Vorbild für die späteren asketischen Autoren, stellt den seelischen Tugenden, wie etwa Beständigkeit, Festigkeit, Zucht, an erster Stelle die Neugier und die Bosheit ( περίεργον καὶ κακόηθες ) gegenüber 26. Selbst der Umgang mit neugierigen Menschen wird getadelt 27. Während Basilios sich der πολυμάθεια entschieden entgegensetzt, lobt er die ϕιλαλήθεια 28 (amor et studium veritatis 29 ). Die ϕιλαλήθεια und die ϕιλομάθεια sind für ihn als Tugenden beinahe synonym 30. Die wissbegierige Seele ( ϕιλομαθὴς ψυχή ), lehrt Basilios, sucht die Wahrheit als Medizin gegen die Unwissenheit ( ἄγνοια ) 31. Wenn auch die Wahrheit schwer ersichtlich ist, soll man sie allerorts ermitteln. Geradeso wie das Vorwärtskommen in den Künsten und in der Frömmigkeit Schritt für Schritt erfolgt, dürfen die zum Wissen fortschreitenden Menschen nichts missachten. Die Verähnlichung mit Gott nach den Kräften der menschlichen Natur ist ohne das Wissen unmöglich, so wie das Wissen ohne Lehre nicht möglich ist 32. Diese Linie wird auch von Photios vertreten. Er hebt mit noch mehr Nachdruck das „inbrünstige Begehren ( διάπυρος πόθος )“ 33 bei dem Verlangen nach Wissen hervor, wobei er stark auf das persönliche Engagement verweist. Die eigene Stellungnahme ( ἀνάληψις ), das persönliche Annehmen der intellektuellen Herausforderung ist verbindlich 34. Die wissenschaftliche Forschung fordert die Mobilisation des eigenen Verstandes und des eigenen Einsehens ( σύνεσις ) 35, nicht weniger aber auch des persönlich qualifizierten Willens, der γνώμη 36. Eine exemplarische Beschreibung der Möglichkeitsbedingungen und ein einheitliches Motivations- und Verfahrensprogramm der Wissbegier bietet Michael Psellos in ‚De omnifaria doctrina‘. Es wird behauptet, dass darin seine eigene 25 26 27 28 29

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Ibid., 1292B. Basilius von Caesarea [dub.], Constitutiones asceticae, 8, 1, ed. J.-P. Migne (Patrologia Graeca 31), Paris 1857, 1368 C. Ibid., 6, 1, 1361 A. Ibid., 4, 1348 B. Wie man das Wort altertümlich übersetzt – cf. Ioannes Frellonius (ed.), Lexicon Graeco-Latinum: quam plurimis locis emendatum, & numerosa verborum accessione cùm ex optimis quibusque authoribus, tum è Budaei commentariis postremò editis locupletatum, Lyon 1550, 1460. Er lobt noch im ersten Satz seines ‚Liber de Spiritu sancto‘ die ϕιλομάθεια und die ϕιλοπονία seines Adressaten Amphilochios von Ikonien, cf. Basilius von Caesarea, De Spiritu sancto, 1, 1, ed. B. Pruche, Basile de Césarée, Sur le Saints-Esprit (Sources Chrétiennes 17 bis), Paris 1968, 250. Ibid., 250 sqq. Ibid., 1, 2, ed. Pruche (nt. 30), 252–256. Photius, Bibliotheca, Epistula ad Tarasium, ed. R. Henry, in: Photius, Bibliothéque, vol. 1 (‚Codices‘ 1–84) (Collection des Universités de France. Série grecque 137), Paris 1959, 1. Ibid., 2. Ibid. Photius, Epistula 1, edd. B. Laourdas/L. G. Westerink, in: Photius, Epistulae et Amphilochia, vol. I, Leipzig 1983, 1–39, hier 4,68.

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Philosophie nicht in einem einheitlichen Ganzen vertreten sei 37. Hier wird jedoch fürs Erste darauf bestanden, dass sein Wissensverständnis mit seinen Gründen und Zwecken gerade in dieser Schrift systematisch erörtert wird. II. Michael Psellos und seine Wissbegier-Motivation John Duffy macht auf eine prinzipielle Position des Psellos aufmerksam. Am Schluss seiner Schrift ‚Περὶ παραδόξων ἀκουσμάτων‘ erklärt er ganz klar: „Ich sammelte diese Wissensmenge nicht aus Neugierde ( οὐ περιεργασίας ἕνεκα ), sondern aus Liebe zum Lernen ( ἀλλὰ φιλομαθείας ). Ich habe von Natur aus ein unstillbares Verlangen nach Themen aller Art und ich möchte nichts verpassen, sondern sogar wissen, was unter der Erde ist. In meinem Studium habe ich nicht, wie die meisten Menschen, eines akzeptiert und anderes abgelehnt, sondern mich bemüht, die Methoden selbst verrufener oder anderweitig anrüchiger Wissensarten zu verstehen, um die sie Praktizierenden widerlegen zu können.“ 38

Um der Rechtfertigung seines Wissenssammelns willen konfrontiert Psellos die φιλομάθεια direkt mit der περιεργασία. Die Wissbegier wird als lobenswerte und selbst notwendige Aktivität empfohlen, die auf die Erkenntnis der Welt und alles, was in ihr steckt, zielt, abgesehen davon, ob es gut, schlecht oder geheimnisvoll ist. Das erworbene Fachwissen ist nicht zu verheimlichen 39. Psellos betont, dass der νοῦς imstande ist, die Wahrheit durch die Vernunft und durch die Offenbarung zu erfassen. Er versucht die Kirchenlehre und die christlichen Denker mit der alten philosophischen Tradition zusammenzubringen. Er behauptet, dass sich das logische Streben nach der Wahrheit nicht in einen Konflikt mit der christlichen Lehre bringen lässt. Im Gegenteil, er weist darauf hin, dass das Schlussfolgern ein wichtiger Teil der menschlichen Natur ( ἀνθρωπικώτερον ) ist. Es findet seine Grenzen erst in der Unergründlichkeit der Gottesessenz und unserer begrenzten intellektuellen Kraft. Psellos betont mehrfach, dass es gerade diskursives philosophisches Denken, Syllogismen und vor allem Beweise sind, die den Menschen wesentlich auszeichnen und ihn in seinem Bestreben unterstützen, die Wirklichkeit und insbesondere die Natur zu verstehen 40. 37

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D. Walter, Michael Psellos: Christliche Philosophie in Byzanz. Mittelalterliche Philosophie im Verhältnis zu Antike und Spätantike (Quellen und Studien zur Philosophie 132), Berlin–Boston, 2017, 184. Michael Psellus, Opusculum 33, ed. J. M. Duffy, in: Michaelis Pselli Philosophica Minora, vol. I: opuscula logica, physica, allegorica, alia, Stuttgart–Leipzig 1992, 113–115, hier: 113,100–106. Cf. J. M. Duffy, Hellenic Philosophy in Byzantium and the Lonely Mission of Michael Psellos, in: K. Ierodiakonou (ed.), Byzantine Philosophy and its Ancient Sources, Oxford 2002, 139– 156, hier 148 sq. K. Ierodiakonou, Psellos’ Paraphrasis on Aristotle’s De interpretatione, in: Id., (ed.), Byzantine Philosophy (nt. 39), 157–182; id., Michael Psellos, in: A. Brungs/G. Kapriev/V. Mudroch (eds.), Byzanz. Judentum (= Grundriss der Geschichte der Philosophie. Die Philosophie des Mittelalters, Bd. 1), Basel 2019, 63.

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Die Theologie, als spekulative Theologie im Sinne des von Photios formulierten Begriffs verstanden 41, ist Psellos zufolge prinzipiell ein Teil der Philosophie, weil sich auch beide, Philosophie und spekulative Theologie, mit Analysen befassen 42. Philosophische Argumentationsgänge durchdringen durch und durch theologische Themen in seinen Schriften. Er sucht alle anderen Themen und selbst die Trinität rational zu begründen, ohne nur auf die Autorität zu bauen. Seine Argumentation und Präsentation theologischer Probleme ist rational und seine Sprache ist in keiner Weise von Mystik gekennzeichnet. Psellos versteht Theorie als Beschäftigung sowohl mit der Schöpfung als auch mit Gott und fasst unter der Bezeichnung ‚θεωρία‘, die er gelegentlich mit ‚διάνοια‘ gleichstellt, verschiedene Kompetenzen zusammen. Er pflegt, das Wissen über die Schöpfung in sein Wissensprogramm zu integrieren, und hält die Reduktion, die alles außer Gott als unwichtig erachtet, nicht für plausibel 43. Aus dieser Perspektive betont Psellos die Rolle der geschaffenen Natur, die nach ihren immanenten Gesetzen funktioniert. Er lässt nur einen sehr begrenzten Raum für Wunder. Die Naturgesetze, wenn auch der göttlichen Vorsehung untergeordnet, haben eine relative Autonomie 44. Psellos ist in einem hohen Maß an schlechterdings ‚naturwissenschaftlichen‘ Fragen interessiert. Die aristotelische ‚Physik‘ ist für ihn nicht einfach eine Vorstufe zur ‚Metaphysik‘, sondern die theoretische Voraussetzung für die selbständige Beschäftigung mit den Gegenständen der anderen ‚physikalischen‘ Schriften des Aristoteles. Dabei ist er überzeugt, dass die aristotelische Naturphilosophie mit der christlichen Offenbarung prinzipiell vereinbar ist. Der Bezug wird durch die Naturauffassung des Psellos hergestellt. Für ihn ist die φύσις ein Mittelding zwischen Gott und Welt. Die φύσις ist nicht ein selbständiges Prinzip, sondern das Werkzeug der göttlichen Allmacht: eine Kraft, welche durch Gott den Dingen eingepflanzt ist 45. Das Ziel seiner Tätigkeit ist, so erklärt er, das wahrste Verständnis des Seienden, das Wissen über die Schöpfung und über das Böse und Gute zu erreichen. Die Theorie der Schöpfung soll keinen instrumentellen Charakter besitzen. Es gibt andererseits keinen Gegensatz zwischen der Beschäftigung mit der Schöpfung und derjenigen mit Gott. Eine Fülle an Wissen über die Schöpfung lässt es zu, sich Gott anzunähern, weil sie seine Perfektion erahnen lässt. Es besteht Psellos gemäß ein vollendeter Status der irdischen Perfektion, der sich dann einstellt, wenn es eine Identität zwischen dem Menschen und dem λόγος gibt 46. 41

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Cf. Photios, Amphilochion 27,ed. L. G. Westerink, in: Photius, Epistulae et Amphilochia, vol. IV, Leipzig 1986, 99–104.; id., Amphilochion 182, ed. L. G. Westerink, in: Photius, Epistulae et Amphilochia, vol. VI/1, Leipzig 1986, 293 sq. F. Lauritzen, Psello discepolo di Stetato, in: Byzantinische Zeitschrift 2 (2008), 715–726, hier 715. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 15. 143. S. P. Panagopoulos, The Philosophical Contribution of a Homo Byzantinus: The De omnifaria doctrina of Michael Psellus (1017/1018–1078 AD), in: De Medio Aevo 5/1 (2014), 169–178, hier: 171. L. Benakis, Texts and Studies on Byzantine Philosophy, Athen 2002, 342. 396. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 145 sqq. 187 sq.

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Es wird mit guten Gründen betont, dass für Psellos die Philosophie bei weitem nicht nur als προπαιδεία zu verstehen ist. Er praktiziert die Philosophie in der Form eines begründbaren theoretischen Systems; seine Werke weisen eine philosophisch-systematische Konsequenz auf. Es ist ein festes theoretisches Gerüst rekonstruierbar, das im Hintergrund seiner Schriften steht 47. Diese Feststellung betrifft in einem sehr hohen Maße auch ‚De omnifaria doctrina‘. III. ‚ Διδασκαλία παντοδαπή ‘ / ‚De omnifaria doctrina‘ Dem Inhalt nach stellt diese Schrift eine Sammlung von synthetisierten Antworten und Exegesen verschiedener Fragen und Aporien dar, wie der Titel mehrerer Handschriften der dritten Redaktion verdeutlicht. Derselbe Titel erklärt, dass sie für den kaiserlichen Herrn Michael Dukas verfasst ist 48. Psellos war der Hauslehrer des damals vierzehnjährigen zukünftigen Kaisers Michael VII., an den er sich im Laufe der Abhandlung gelegentlich wendet. ‚De omnfaria doctrina‘ leistet eine Synthese verschiedener Wissensinhalte: von den erhabensten theologischen Themen und Begriffen bis zu profanen Erkenntnisgegenständen 49. Die Vielfalt der Themen und ihre prägnante Auslegung verleitet dazu, die Schrift als „eine kurze Enzyklopädie“ 50 oder als „ein Werk mit enzyklopädischem Charakter“ 51 zu bestimmen. Diese Qualifizierung ist anrüchig. Die Behauptung, dass es um „einen Abriss oder ein Handbuch der wichtigsten physikalischen, biologischen, metaphysischen und theologischen Fragen, die jeder kultivierte Mensch kennen sollte“, 52 geht, ist nicht nur in Bezug auf ihren letzten Teil unhaltbar. Es ist vielmehr zu bemerken, dass diese Abhandlung nicht nur in Rücksicht auf die Philosophie 53 durch eine „systematische Organisation“ gekennzeichnet ist, „die jedem Teil seine Bedeutsamkeit in Bezug auf das Ganze“ zuteilt. Psellos nutzt die angeblich 54 privat-didaktische Form des Textes, um in aller Großzügigkeit ein fest umrissenes Wissenssystem mit der entsprechenden Subordination und den immanenten Zusammenhängen systematisch darzulegen. In diesem Rahmen formuliert er auch die Möglichkeitsbedingungen, die Gründe und die transzendentale Motivation der Wissbegier, die alle Dimensionen des Seienden zum Gegenstand hat und haben muss. 47 48 49 50 51 52 53 54

Walter, Michael Psellos (nt. 37), 22; Panagopoulos, Philosophical Contribution (nt. 44), 173. L. G. Westerink, Praefatio, in: id., (ed.), Michael Psellus. De omnifaria doctrina. Critical Text and Introduction, Nijmegen 1948, 1–14, hier: 6. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 19. 141; Panagopoulos, Philosophical Contribution (nt. 44), 174. Ierodiakonou, Michael Psellos (nt. 40), 61. Panagopoulos, Philosophical Contribution (nt. 44), 174. Ibid. Cf. ibid., 176. Es sind 150 Kopien des Textes erhalten – cf. I. P. Martín/D. Manolova, Science Teaching and Learning Methods in Byzantium, in: S. Lazaris (ed.), A Companion to Byzantine Science, Leiden 2020, 92.

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1. Die systematische Stelle des Glaubens und der Glaubensinhalte Das erste Kapitel heißt „Περὶ πίστεως“. Darin wird allerdings nicht der Glaube selbst besprochen. Psellos erklärt nach dem im Sinne der östlichen Kirche gedeuteten Glaubenssymbol die Gottheit (als ein Prinzip, eine Form, Natur, Essenz und Kraft konzipiert), die göttlichen Personen und die innertrinitarischen Verhältnisse 55. Im psellischen Werk wird mehrmals die Überzeugung geäußert, dass Gott an sich nicht zu begreifen ist. Gerade von diesem Standpunkt nimmt der Glaube bei Psellos eine grundlegende Rolle für jede theoretische Aktivität ein. Als das Verbindungsglied zwischen göttlichen Gütern und Vernunft ist er die grundlegende menschliche Kompetenz, den wahren Gütern zuzustimmen, die die Richtung für alles Weitere vorgibt. Die Vernunft, die Fehler machen kann, muss immer mit dem Glauben verbunden sein, um die Chance zu haben, das Richtige zu sehen 56. Hierin erweist sich Psellos eindeutig als ein christlicher Philosoph im Sinne der griechischsprachigen christlichen Tradition 57. Gerade Maximus Confessor bestimmt (in einer Analogie mit der Vierzahl der Evangelien und der Basistugenden) die Verfassung der menschlichen Erkenntnis durch vier Grundelemente ( στοιχεῖα ), die in einer nichtzusammengeschmolzenen Einheit und ungetrennten Differenz wirken, nämlich der Glaube, die praktische Philosophie, die natürliche Philosophie und die theologische Philosophie 58. Psellos positioniert sich entschieden auf dieser Linie. In den unmittelbar folgenden Kapiteln erklärt Psellos etliche Grundbegriffe, die die Trinitätslehre und die Christologie und damit zugleich auch die Anthropologie und die Ontologie betreffen 59. Es werden auch die göttliche Providenz und die Schöpfung gedeutet. Der Titel des Kapitels 15 lautet ‚Wer ist Gott ( Τίς ὁ θεός )‘. Gott ist nichts unter dem Sichtbaren, aber auch keine körperlose ‚platonische‘ Idee. Er ist nicht die Natur von allem Kosmischen und Überkosmischen. Er ist weder sinnlich wahrnehmbar noch durch den Intellekt-νοῦς fassbar. Er ist irgendeine andere, nichterforschbare und unerreichbare Natur, die gänzlich dem Denken, der Zeit und der (kontingenten) Natur enthoben ist. Gott kann nur durch den νοῦς konturiert werden, und zwar nicht in seiner Essenz, sondern von seiner Ewigkeit, Gutheit, allmächtigen Unendlichkeit, wie auch von 55 56 57

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Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 1, ed. Westerink (nt. 48), 17. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 167 sqq. 186 sq. Cf. Clemens Alexandrinus, Stromateis, VI, 8, 67, ed., P. Descourtieux, Clément d’Alexandrine, Les Stromates VI (Sources Chrétiennes 446), Paris 1999, 196 sqq.; Gregorius Nyssenus, De vita Georgii Thaumaturgi, ed. G. Heil (Gregorii Nysseni Opera 10/1), Leiden e. a. 1990, 13; Maximus Confessor, Mystagogia, 5, ed. J.-P. Migne (Patrologia Graeca 91), Paris 1865, 673B. Id., Ambigua, 21, ed. Migne (nt. 57), 1245 D–1248 A. Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 2–14, ed. Westerink (nt. 48), 17–23. Die Erörterung beginnt mit den Schlüsselbegriffen ‚φύσις ‘, ‚οὐοσία ‘, ‚ὑπόστασις‘, ‚πρόσωπον ‘, um im Weiteren Begriffe wie ‚ἐνυπόστατον ‘, ‚ὁμοούσια‘, ‚ἕνωσις‘, ‚διαφορά‘ und ‚τρόπος τῆς ἀντιδόσεως‘ zu beschreiben.

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den Taten seiner Gerechtigkeit, von seinen oikonomischen Wirkungen, von seinem Gericht aus 60. Das nächste Kapitel beantwortet die Frage, ob und auf welche Weise das Göttliche ( τὸ θεῖον ) unendlich ( ἄπειρον ) ist 61. 2. Wie ist der Gottesgedanke zu erfahren? Mit Kapitel 17 macht Psellos durch die Frage: „Wie kennt ( οἶδε ) Gott die veränderlichen Sachen ( τὰ μεταβαλλόμενα πράγματα )?“, einen systematischen Schritt in Richtung unserer Fragestellung. Die erwartete Antwort lautet, dass Gott, der in einem Gegensatz zu den Kreaturen unteilbar, unveränderlich etc. ist, die zeitlichen Sachen immerwährend, die kontingenten ( τὰ ἐνδεχόμενα ) notwendig, die körperlichen unkörperlich erkennt 62. Im Kapitel 19 stellt Psellos die in unserem Zusammenhang entscheidende Frage. Die durch den Titel formulierte Schlüsselfrage lautet: „Πόθεν ἔννοιαν ἔσχον θεοῦ ἄνθρωποι – Woher haben die Menschen den Gottesgedanken?“ Die Antwort stellt drei Quellen auf: die Ordnung des Seienden, die konforme Gesetzmäßigkeit der Naturen, die sich auf alles ausdehnende Providenz ( ἀπὸ τῆς τῶν ὄντων τάξεως, ἀπὸ τῆς ἴσονομίας τῶν φύσεων, ἀπὸ τῆς εἰς τὰ πάντα διοικούσες προνοίας ). Der Grund der Auffassung ist, dass in allem, im Zufälligen und im kraft der τύχη Geschehenden, im ganzen Gebilde des Kosmos, in der Bewegung und dem Stillstand ein Logos ist. Nichts ist ἄλογον. Aus dem Verwaltungslenken des Alls erkennt man die göttliche Kreativität und Providenzialität in allem 63. Nach einem kurzen Intermezzo 64, das mit der Bemerkung endet, dass das εἶδος des Menschen seinen Ursprung zwar im ἄπειρον hat, aber in der Vollendung der Zeit ( καιρός ) da zu sein beginnt 65, wodurch die angesichts der Menschheit und ihrer Erkenntnisweise grundlegende Zeitdimension eingeführt wird, breitet Psellos in den Kapiteln 21 bis 29 seine eingehende Deutung des Intellekts ( νοῦς ) aus. 3. Der νοῦς Jeder Intellekt hat immerwährende ( αἰώνια ) Essenz, Kraft und Aktivität ( ἐνέργεια ). Der Intellekt versteht ( νοεῖ ) alles auf einmal und nicht das Vergange60 61

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Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 15, ed. Westerink (nt. 48), 23 sq. Ibid., 16, ed. Westerink (nt. 48), 24: „Das ganze seiende Sein (πᾶν τὸ ὄντως ὄν ) ist weder seiner Mannigfaltigkeit (πλῆθος ) noch seiner Größe (μέγεθος ) nach unendlich, sondern nur seiner Kraft (δύναμις ) nach. Gott ist aber keine Quantität, sondern eine Eins schlechthin (κυρίως ἕν ). Er hat keine Größe und er ist körperlos. […] Seine Aktivität (ἐνέργεια ) ist durch keine Scheide begrenzt, sondern […] alle seine Kräfte sind unendlich und unerschöpflich. Er ist weiterhin seinem Anfang und seinem Ende nach unendlich. Er ist ohne Anfang (ἄναρχος ) und ohne Ende (ἀτελεύτητος ) und er ist das ewige All (τὸ ξύμπαν αἰώνιον ).“ Ibid., 17, ed. Westerink (nt. 48), 24 sq. Ibid., 19, ed. Westerink (nt. 48), 25. Darin wird erklärt, dass die Menge der Engel größer als die Menge der Menschen ist. Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 20, ed. Westerink (nt. 48), 26.

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ne als Vergangenes und das Zukünftige als Zukünftiges, sondern alles als Gegenwart. Er bewegt sich nicht, er sammelt nicht Stück für Stück, er konstruiert keine Syllogismen. Er macht nicht, wie es die Seele tut, Voraussetzungen, um Schlüsse zu ziehen, sondern erkennt alles in Einem. Weil er unbeweglich ist, steht er weder seiner Essenz, noch seiner Kraft und Aktivität nach unter dem Maß der Zeit 66. Der Intellekt ist kein Körper ( σῶμα ), weil er sich selbst versteht ( νοεῖ ) und über sich selbst reflektiert ( ἐπιστρέφει ), während kein Körper sich selbst versteht. Der Intellekt ist eine Essenz, die keine Teile hat, weil sie weder Größe noch Körper hat. Er ist unbeweglich und immerwährend ( αἰώνιος ): sein Verstehen ( νόησις ) ist nicht teilbar ( οὐ μερίζεται ), sondern ununterbrochen, wie die Essenz selbst 67. Der erste, überkosmische, nichtpartizipierende und demiurgische νοῦς ist „πάντων ὑποστάτης“ 68. Er legt die Grundlage des Eigentümlichen und Unveränderlichen, wie auch des Veränderlichen und des Temporalen in allem Seienden. Er schafft „alles zugleich in einem Augenblick ( ἐν μιᾷ ῥοπῇ σύμπαντα )“. Die Dinge kommen nach ihrer Ordnung und Eigenart hervor: einige kraft noetischer Eigentümlichkeit, einige kraft seelischer Vermittlung, einige kraft physischer Bewegung 69. 4. Die ψυχή, das Wissen und seine Arten Keine Seele kann direkt am ersten Intellekt, dem überweltlichen, partizipieren. Die Seele ist jedoch imstande, an dem ‚innerweltlichen Intellekt ( ἐγκόσμιος νοῦς )‘ teilzuhaben 70. Jeder Intellekt versteht sich selbst, oder das über ihm Liegende, oder das unter bzw. hinter ihm Liegende ( τὸ μεθ᾿ ἑαυτόν ). Das über ihm Liegende erkennt er aber nur insoweit er sich selbst erkennt 71. Der nach dem nichtpartizipierenden Intellekt stehende partizipierende Intellekt ( ὁ μεθεκτὸς νοῦς ) hat sowohl den ersten Intellekt wie auch das Einsehen ( εἴδησις ) von allem Verständigen noetisch inne. Der nichtpartizipierende Intellekt erteilt jedoch den unter ihm stehenden νόες eine Erscheinungsprägung ( ἔμφασις ) seiner eigenen Existenz. Darauf gegründet erkennen sie je nach dem Maß ihrer eigenen Natur sowohl die intelligibilia , als auch die sensibilia ihren eigenen Ursachen nach 72. Dadurch kommt Psellos zu dem entscheidenden Punkt: Das wahre Wissen ist ein Prinzipienwissen. Es ist ein Wissen über die Gründe für einen Sachverhalt, unabhängig davon, ob er dem Bereich der νοητά oder der αἰσθητά zugehört 73. 66 67 68 69 70 71 72 73

Ibid., 23, ed. Westerink (nt. 48), 27. Ibid., 24, ed. Westerink (nt. 48), 27. Ibid. Ibid. Ibid., 21, ed. Westerink (nt. 48), 26. Ibid., 22, ed. Westerink (nt. 48), 26 sq. Ibid., 25, ed. Westerink (nt. 48), 28. Cf. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 143 sq.

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Psellos fährt mit der Erörterung der Möglichkeitsbedingungen dieses Wissens fort. Alle noetischen Arten ( πάντα τὰ νοερὰ εἴδη ), also Seelen, Intellekte, Engel, Erzengel, Kräfte und die denen Ähnlichen, sind sowohl ineinander wie auch an sich bestehend. Ihr Ineinander bringt keine Vermischung und ihr Ansichsein bringt keine Verteilung mit sich. Diese asomatischen noetischen Arten sind, wie etwa die θεωρήματα in einer Seele vereint, wobei sie nicht weniger separat und unterschiedlich sind 74. Jeder Intellekt ist von den göttlichen εἴδη erfüllt 75. Der höchste Intellekt enthält aber gänzlich die hohen Arten. Die niedrigeren Intellekte enthalten sie nur teilweise. Die höheren Intellekte machen von mehreren göttlichen Kräften Gebrauch, die niedrigeren besitzen, weil sie Mehrheiten bilden, geringere Kräfte. Das, was der Quantität nach mehr ist, mangelt an Kraft 76. In diesem Punkt trifft Psellos eine Unterscheidung. Er erklärt, dass es zwei Arten von partizipierendem νοῦς gibt. Die eine Art ist göttlich, wie an Gott geknüpft, die andere ist nur noetisch ( νοερὸς μόνον ). Der an Gott teilhabende νοῦς erlaubt der Seele am Göttlichen teilzuhaben. Der einfache noetische νοῦς erteilt der Seele nicht das Göttliche. Er kann durch Verwandlung zum Unverstand ( ἄνοια ) werden, wenngleich er seiner Essenz und der noetischen ἐνέργεια nach immerwährend ist 77. Hier legt Psellos eines der Kriterien an, durch die zwischen der theozentrischen und der anthropozentrischen Denkrichtung in der byzantinischen Philosophiekultur unterschieden wird. Das aus heutiger Sicht Kuriose besteht darin, dass die Forschung Psellos als Emblem der letzteren Linie gelten lässt. Dank der Teilhabe der Seele am νοῦς ist auch die Seele noetisch, setzt Psellos seine Überlegung fort. Er ist aber seiner Essenz nach νοερός und sie ist es entsprechend ihrer Teilhabe ( νοῦςκατὰ μέθεξιν ) an ihm. Die Seele versteht, weil der νοῦς in uns wirkt. Während er die είδη primär hat, besitzt sie die Seele sekundär. Die νόησις im νοῦς ist von der νόησις der Seele verschieden. Jede Seele ist entweder göttlich, oder sie wechselt von dem νοῦς zur ἄνοια, oder oszilliert zwischen diesen 78. Die Seele ist eine körperlose Essenz, die an sich unteilbar ( ἀμέριστον ), durch den Leib aber aufgeteilt ( χωριστή ) ist 79. Die Essenz der Seele ist immerwährend, ihre Aktivität ( ἐνέργεια ) ist aber der Zeit gemäß ( κατὰ χρόνον ) 80. 74 75 76 77 78 79 80

Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 26, ed. Westerink (nt. 48), 28. Wie diese der Gutheit, Seligkeit, Gerechtigkeit, Identität, Ähnlichkeit und der denen ähnlichen. Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 27, ed. Westerink (nt. 48), 28. Ibid., 28, ed. Westerink (nt. 48), 28,4–9. Ibid., 28–30, Westerink (nt. 48), 29 sq. Der Leib, der von der Seele untrennbar (ἀχώριστος ) und ihr unentbehrlich ist, wird dennoch von der Seele als ὄργανον gebraucht – cf. ibid., 35, ed. Westerink (nt. 48), 31. Ibid., 52, ed. Westerink (nt. 48), 38. Psellos hebt hervor, dass die Essenz, die Kraft und die Energie der Seele voneinander verschieden sind: Sie sind drei Gesichter oder drei Kapitel der ψυχογονία. Verschieden ist ihre Existenz, verschieden die Harmonie, verschieden ist das εἶδος, das von jenen resultiert. Dasselbe, fügt er hinzu, gilt e. g. für das Feuer (letztendlich also für alles Seiende) – cf. ibid.

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Das πάθος der Seele ist dreifach: Das erste und das höchste ist die νόησις, das letzte, dank dessen wir das sinnlich Wahrnehmbare durch den allgemeinen Sinn ( κοινὴ αἴσθησις ) erkennen, heißt δόξα (Meinung), während das mittlere, das von dem oberen und dem unteren zusammengeführt ( πεφυκός ) wird, die διάνοια (das Denken) ist. Alles, was im Menschen außerhalb der νόησις, διάνοια und δόξα ist, ist das Lebewesen ( τὸ ζῶον ). Der Mensch ist eine „πολυποίκιλος φύσις (mannigfaltige Natur)“, „die Vernunft ist aber der wahre Mensch ( ὁ δὴ λόγος ὁ ἀληθινὸς ἄνθρωπος )“ 81. Es besteht zwar auch ein anderer, göttlicher und wahrer Mensch, ὁ νοερός , der ‚αὐτοάνθρωπος ‘ genannt wird, der die είδη liebevoll schaut ( τῶν εἶδων φιλοθεάμων ). Der erhabenste Mensch ist jener, der von dem vernünftigen und dem theoretischen Seelenteil Gebrauch macht. Von solcher Art ist auch seine Seele 82. Das gute und wertvolle Wissen, das von der Seele (in ihrer Einheit mit dem Leib) erworben wird, stiftet die Wendung auf die ganze Wahrheit ( πρὸς πᾶσαν ἀλήθειαν ), i. e. auf das wissenschaftliche Wissen über das Seiende ( πρὸς τὴν τῶν ὄντων ἐπιστημονικὴν γνῶσιν ). Zudem werden durch die φυσικὴ θεωρία die Verursachten von ihren Ursachen her erkannt. Auch der umgekehrte Weg ist zu schätzen, obschon der erstere erhabener ist. Die θεωρία des Aufhebens ( ἀναφορά ) von dem sinnlich Wahrgenommenen zur Wahrheit gewährt die „γνῶσις τὴν κατὰ λόγον ἐπιστημονικὴν κατάληψιν “ 83. Der wissenschaftliche Teil der Seele ( ἐπιστημονικόν ) macht die aus der Washeit ( τὸ τί ἐστι ), i. e. die aus dem Sein stammende Bestimmung ( ὁρισμός ) ersichtlich. Die Vernunft und der theoretische νοῦς erkennen die Essenzen nicht durch die Sinneserfahrung, sondern durch ihre Eigentümlichkeiten ( συμβεβηκότα ) und die entsprechende ἀναφορά . Diese ist die der Seele notwendig zukommende Erkenntnisweise. Ihr folgt der syllogistisch konstruierte strenge Beweis ( ἀπόδειξις ) 84. Psellos betont mehrfach, dass nichts ohne Beweise ( ἀναποδείκτως ) behauptet werden darf 85. Für das philosophische Verfahren ist das Argumentieren durch Beweise unabdingbar. 5. Der Wille im Wissensprozess Die Seele, die sich selbst nicht kennt, weiß auch nicht von ihrer himmlischen Nobilität ( εὐγενεία ) und freiheitlichen Verfassung. Sie wird zum Knecht des 81 82 83 84 85

Ibid., 31, ed. Westerink (nt. 48), 30. Ibid. Ibid., 37, ed Westerink (nt. 48), 32. Ibid., 40–41, ed. Westerink (nt. 48), 34. Ibid., 127, ed. Westerink (nt. 48), 68, 11–15. Er nutzt die pädagogische Struktur seines Werkes und den angeblichen Zeitmangel, um in diesem Text Beweise nicht auszulegen oder nur gelegentlich zu erwähnen. „Für Dich aber, göttlicher Kaiser, ist es jetzt genug, die προβλήματα ohne Beweise wahrzunehmen. Suche die Beweise später von mir auf!“ Allerdings vergisst er nicht hervorzuheben, dass selbst die Astrologen ihre Behauptungen durch geometrische und unbestreitbare strenge Beweise (ἀποδείξεις ) bekräftigen – ibid.

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Körpers und verliert ihre Freiheit. Die sich selbst kennende Seele hat göttliche Würde inne ( θεῖον ἔχει ἀξίομα ). Die Seele ist nach dem Bild Gottes geschaffen. Das Bild hat das Ebenbild ( ὁμοίοσις ) zum Vorbild ( παράδειγμα ). Das Wirken dem Ebenbild nach lässt das willensautonome und vollkommene Bild ( αὐτοθελὴς καὶ ἀπηρτισμένη εἰκών ) erscheinen 86. Aus dieser Perspektive ist der Wille zu thematisieren. „Was ist der Wille ( βούλησις ) und was ist die praktische Vernunfterwägung ( πρακτικὸς λογισμός )?“ 87, die erste Frage in diesem Zusammenhang, wird klar beantwortet. Der Wille gehört zum vernünftigen Teil der Seele ( λογιστικὸν μόριον ). Er bewegt das Streben nach dem, das nicht ohne Vernunfterwägung gewünscht wird. Daraus entstammt die ἐνέργεια βουλευτικὴ ὁρμή , die Aktivität des Willensverlangens. Als πρακτικὸς λογισμός wird die Praxis und Aktivität ( πρᾶξις καὶ ἐνέργεια ) bestimmt, die durch die Vernunfterwägung auf das Streben ( ὄρεξις nach dem Gewünschten gerichtet wird 88. Streng damit verbunden werden die freie Willensentscheidung ( προαίρεσις ) und die Aufmerksamkeit ( προσοχή ) besprochen. Die προαίρεσις, beharrt Psellos, geht der Praxis voran. Sie macht von der Vernunft Gebrauch, um zu entscheiden, was gut ( τὰ καλά ) ist, und das Streben nach dem eigentümlich Guten und dem immerwährenden Erfüllen des Mangelhaften zu lenken. Die Willensentscheidung entsteht aus beiden, der Vernunft und dem Streben 89. 6. Das Emporsteigen in der Theorie Im Laufe der ausführlichen Auslegung der Tugenden (die Tugend wird als eine „ἕξις προαιρετική“ bestimmt) 90, betont Psellos, dass es verschiedene Arten des Fortschreitens zur Gottebenbildlichkeit gibt. Die Verebenbildlichung durch die theoretischen Tugenden ist eine verehrende ( λαμπρότερος ). Die höchste und die vollkommenste Verebenbildlichung, also die Vergöttlichung, ist durch die theurgischen Tugenden zu erreichen 91. Nichtsdestoweniger wird derjenige, der die theoretische Tugend innehat, doch göttlich genannt 92. Der Philosoph Plato war der erste, insistiert Psellos, der den Menschen durch die politische Tugend an Gott heranführte ( ἀνάγει ), damit er sich nach seinen Kräften Gott anähnelt. Dadurch führte er ihn durch das reinigende Leben in 86 87 88 89

90 91 92

Ibid., 48, ed. Westerink (nt. 48), 37. Ibid., 62, ed. Westerink (nt. 48), 42. Ibid. Ibid., 63, ed. Westerink (nt. 48), 42. Durch die Aufmerksamkeit passen wir auf unsere Taten, die wir ausführen, und auf unsere Worte, die wir aussagen, auf. Die direkt aufeinander bezogenen προαίρεσις und προσοχή sind vermittelnde Kräfte, die ihren Platz zwischen dem νοερὸς λόγος und dem δοξατικὸς λόγος haben – cf. ibid. Ibid., 78, ed. Westerink (nt. 48), 48. Ibid., 71, ed. Westerink (nt. 48), 45. Ibid., 74, ed. Westerink (nt. 48), 47.

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die Theorie hinein. Gott hat eine zweifache ἐνέργεια, durch die er „in einer theoretischen Position zum Ganzen steht ( ἐν θεωρίᾳ τῶν ὅλων ἐστί )“ 93, das Prinzip ( λόγος ) aller Kreatur kennt, und die Providenz ( πρόνοια ) in dem ihm Unterliegenden verwirklicht. „Der Mensch, der Gott nachahmt ( ὁ ἄνθρωπος μιμούμενος τὸν θεόν )“ 94, erkennt, in der Theorie emporsteigend, die Prinzipien von allem, dem Physischen, Seelischen, Noetischen und Übernatürlichen 95. Der in der Theorie fortschreitende Mensch kann diese Prinzipien durch die Naturen und in den Naturen erkennen. In einem Unterschied zu den übrigen byzantinischen Philosophen sind für Psellos οὐσία und φύσις keine Synonyme. Die φύσις betrachtet er, wie erwähnt, als eine Kraft ( δύναμις ), die „ein Instrument Gottes ( ὄργανον τοῦ θεοῦ )“ 96 ist. Sie wird von Gott in die Körper, also in die Elemente und das aus ihnen Zusammengesetzte, gelegt. Sie ist Prinzip der Bewegung und des Stillstands, wie auch des Bestehens 97. Der Mensch ist imstande, sie nicht durch die Augen, sondern durch die Schau des νοῦς einzusehen 98. Das Sein kommt aus dem ersten Seienden und das Gute aus dem ersten Guten, wie auch die Essenz und die Tugend. Die Vollkommenheit ( τελειότης ) ist durch die Rückkehr ( ἐπιστροφή ) zu Gott zu erlangen. Gott, der Prototyp, zeigt sich den zu ihm Zurückkehrenden durch die wissenschaftliche Vernunft ( ἐπιστημονικὸς λόγος ) und die paradigmatische Theorie ( τοῦ παραδείγματος θεωρία ) vollständig 99. Der Gott durch Emporsteigen in der Theorie nachahmende Mensch wird zu einem Werkzeug Gottes ( ὄργανον τοῦ θεοῦ ), indem er aus der Nähe auf ihn und die kreative Providenz schaut 100.

7. Das Wissbegier-Programm Erst vor diesem Horizont ist das Wissbegier-Programm des Psellos in seinem Ernst einzusehen. Es geht keinesfalls um ein durch περιεργασία getriebenes Hinund Herlaufen auf den Spuren des situativ Interessanten. Es geht auch nicht um eine rein epistemische oder kognitive Wissenschaftsbemühung. Die konzentrierte Aktivität der wissenschaftlichen Vernunft und der paradigmatischen Theorie hat ein klar festgelegtes ontologisches Ziel: die Grenze und die Bestimmung, den ὅρος des Menschlichen zu erweitern. Dadurch wird die Grenzlinie des Anthropologischen, der conditio humana, immer weiter an Gott und die ποιο93 94 95 96 97 98 99 100

Ibid., 72, ed. Westerink (nt. 48), 46. Ibid. Ibid. Ibid. Sie ist also die konstituierende Form, durch welche das natürliche Ding erst seine Gestalt bekommt und dann eigentlich ein φυσικόν wird. – cf. Benakis, Texts and Studies (nt. 45), 364. Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 57, ed. Westerink (nt. 48), 40. Ibid., 73, ed. Westerink (nt. 48), 46. Ibid., 72, ed. Westerink (nt. 48), 46.

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υμένη πρόνοια gebracht. Darin besteht der Vorsatz des wissenschaftlichen For-

schens und Nachdenkens, dessen Motor die Wissbegier ist. Aus dieser Perspektive ist die Philosophieauffassung des Psellos in ihrem vollen Umfang und ihrer Kühnheit zu verstehen. Er wiederholt die sechs von Damaskenos dargestellten Philosophiedefinitionen, und zwar in derselben Reihenfolge 101, wobei er sie auch auslegt. Ihm gemäß äußert die fünfte Bestimmung – „die Philosophie ist Kunst der Künste und Wissenschaft der Wissenschaften ( τέχνη τεχνῶν καὶ ἐπιστήμη ἐπιστημῶν )“ – die Überlegenheit der Philosophie, insofern sie alle übrigen Wissenschaften und Künste übertrifft: sie ist ihr βασιλεύς 102. Im Zusammenhang mit der vierten Definition („Verähnlichung des Menschen mit Gott nach den Kräften des Menschen“) erklärt Psellos, dass der Philosoph gottähnlich ist: die drei Eigentümlichkeiten, die von den Dichtern dem Göttlichen zugeschrieben werden, nämlich Gutheit, Wissen und Kraft, sind auch dem Philosophen eigen. Wie das Göttliche alles vorandenkt, kümmert sich der vollkommene Philosoph um die unvollkommenen Seelen und führt sie zur Vollkommenheit auf dem Wege des Wissens. Wie das Göttliche alles kennt, ist der Philosoph verpflichtet, die Ursachen von allem zu kennen. Sowohl das Göttliche als auch der vollkommene Philosoph können alles, was sie wünschen 103. Die Künste und die Wissenschaften sind als an dieser Göttlichkeit – durch ihren βασιλεύς und unter seiner Leitung – teilnehmend und sie nachahmend aufzufassen. Theo Kobusch macht in Rücksicht auf das Wissensprogramms des Gregorios von Nyssa aufmerksam, dass diesem Programm nach die Angleichung an Gott nicht nur als theoretische, sondern auch als eine Art der praktischen Annäherung verstanden werden muss. Die christliche Philosophie ist eine Philosophie des Lebens. Die Neugier und die daraufhin gerichtete Theorie wird kritisiert, weil sie keine Transformation der schauenden Person zur Folge hat und eben deswegen nicht zum Fortschritt des Menschlichen beiträgt 104. Denis Walter bringt nicht von ungefähr diese Betrachtung mit der Philosophie des Psellos in Zusammenhang. Er fügt hinzu: „Die Fürsorge, die wir anderen Menschen leisten, führt zu einem weiteren Gut, das mit ihrer Aktivierung einhergeht. Denn sie ist – so müssen wir Psellos lesen – in eine innerweltliche Eschatologie eingebettet, die unmittelbar aus der gelungenen Fürsorge hervorgeht. Dieses letzte Ziel würde sich einstellen, wenn alle Menschen den tugendhaften Status erreichen“ 105. 101 102 103 104

105

Michael Psellus, Opusculum 48 (᾽Επίλυσις εἰς τοὺς τῆς φιλοσοφίας τρόπους), ed. Duffy (nt. 38), 178–186, hier 181,110–182,118. Ibid., 184,205–185,217. Ibid., 184,195–204. T. Kobusch, Gregory of Nyssa, Homilies on the Beatidudes, in: H. R. Drobner/A. Viciano (eds.), Gregory of Nyssa, Homilies on the Beatitudes. An English Version with Commentary and Supporting Studies. Proceedings of the Eighth International Colloquium on Gregory of Nyssa (Paderborn, 14–18 September 1998) (Vigiliae Christianae, Supplements 52), Leiden–Boston 2000, 467–485, hier 469 sqq., zitiert nach Walter, Michael Psellos (nt. 37), 92. Walter, Michael Psellos (nt. 37), 132.

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In der Überlegung über die sempiternitas und die Zeit ( περὶ αἰῶνος καὶ χρόνου ) macht Psellos eine weitere methodologische Bemerkung. Das körperlose Seiende hat eine immerwährende Essenz und Energie, wie der νοῦς. Bei ihm ist die Essenz unbeweglich und die Energie unwandelbar. Der Himmel ist seiner Essenz nach immerwährend, unterliegt ( κείμενος ) seiner Bewegung nach aber der Zeit. Der Körper hat sowohl die Essenz als auch die Energie zeitlich, in der Zeit ( ἔγχρονος ). Er kann nicht alles auf einmal tun. Das betrifft auch unseren Leib. Die Seele ist der Essenz nach immerwährend, der Energie nach aber partizipiert ( μετέχει ) sie an der Zeit. Sie hat nicht zugleich alle νοήματα in sich, sondern sie geht ( μεταβαίνει ) von einem Gedanken zum anderen über 106. Die Erweiterung des Wissenskreises hat eine schrittartig fortschreitende Form. 8. Die deduktiv-systematische Auslegung der Wissensinhalte Auf der so gestalteten Plattform entfaltet Psellos die deduktiv-systematische Auslegung der Wissensinhalte in seiner ‚Διδασκαλία παντοδαπή ‘. Am Anfang werden eine Reihe philosophischer Grundbegriffe erörtert. Zunächst werden ‚Prinzip ( ἀρχή )‘ und ‚Element ( στοιχεῖον )‘ problematisiert. Das Prinzip, wie auch die Materie ( ὕλη ) und die Form ( εἶδος ), hat kein πρότερον außer sich selbst 107. Das erste Prinzip des ganzen Seienden, das über allen Prinzipien steht, ist Gott. Nach ihm kommen die vielen Prinzipien der physischen Dinge 108. Weil Platon die Ideen als Prinzipien betrachtet, wird auch der Begriff der Idee (als erster Gedanke des Demiurgen gedeutet) mit den entsprechenden Erwiderungen des Aristoteles erklärt 109. Wieder durch Heranziehen der platonischen und aristotelischen Lehren werden die Begriffe ‚Ursache ( αἰτία )‘ und ‚Figur ( σχῆμα )‘ besprochen 110. Danach folgen die Verdeutlichung der Farben (der sichtbaren Qualität des Erscheinens der Körper), der Zusammensetzung und der Vermischung, des Entstehens und des Vergehens der Körper 111. An diesem Punkt fügt Psellos ein zweiteiliges Zwischenstück ein. In einem ersten Schritt formuliert er die verschiedenen Arten des Wissens 112. Als zweiter 106 107 108 109 110 111 112

Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 107, ed. Westerink (nt. 48), 59. Sie sind πρᾶγματα ἀσώματα und ἄποια, die nur durch die Vernunft zu deuten sind, während das Element σύνθετον aus Materie und Form und also körperhaft ist. Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 82–83, ed. Westerink (nt. 48), 50. Ibid., 84, ed. Westerink (nt. 48), 50 sq. Ibid., 87–88, ed. Westerink (nt. 48), 52. Ibid., 89–93, ed. Westerink (nt. 48), 52 sqq. Ibid., 94, ed. Westerink (nt. 48), 54: Die erste und höchste unter allen Wissensarten ist die Providenz, die als Energie Gottes bestimmt wird. Die zweite Art ist das intellektuelle Wissen (νοερὰ γνῶσις ), durch das der erhabene Intellekt alles erkennt. Die dritte Art ist das Wissen der vernünftigen Seele, das sich in Meinung (δόξα ) und wissenschaftliches Wissen (ἐπιστήμη ) teilt. Die Meinung ist das Wissen über die beweglichen und veränderlichen Sachen. Die ἐπιστήμη ist das Wissen über das Unbewegliche, wie etwa über die Seele, den νοῦς und das diesen Ähnliche. Das vierte und letzte Wissen, das Wissen der irrationalen Seele, bilden die Sensualität und die Einbildung, durch die die partikulären Sachen erkannt werden.

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Schritt wird die Frage „Weshalb sind wir nicht ständig an Gott teilhabend, wenn er ständig wirkend ist?“ beantwortet. Die knappe Antwort lautet: wegen unserer Untauglichkeit ( ἀνεπιτηδειότης ) für die Teilhabe. Sie wird dadurch erklärt, dass selbst der reine Intellekt den Glanz des Göttlichen nicht ständig aufzufassen vermag, weil er nicht frei und nicht schlechthin immateriell, sondern „in Materie und mit dem Körper verbunden ( ἔνυλος καὶ σωματικός )“ ist 113. Nach dieser Mahnung wird das Böse (als Mangel an Gutem) besprochen 114, wie auch die Fragen, ob die nichtkörperlichen Sachen an einem Ort Bestand haben, und ob die Materie böse ist, beantwortet 115. An dieser Stelle macht Psellos eine systembildende Betrachtung, indem er die Frage nach der Rückkehr des Seienden zu Gott behandelt, wobei er sich auf ein φιλοσόφημα des Proklos und des Dionysios Areopagita beruft. Er erklärt, dass jedes Seiende in derselben Art von Existenz ( ὕπαρξις ) zu Gott zurückkehrt, die es bei seiner Verursachung erhalten hat 116. Diese Perspektive zwingt die Darstellung des kontingenten Seienden, es im Lichte seiner Prinzipien, Ursachen, essenziellen Eigentümlichkeiten und Existenzverfassung zu präsentieren. Von da aus nimmt die Abhandlung einer beträchtlichen Menge von Wirklichkeitsphänomenen ihren Anfang. Ihr Gegenstand werden die Zeit ( χρόνος ) 117, die Bewegung ( κίνησις ) 118, die Notwendigkeit ( ἀνάγκη ) 119, das Schicksal ( εἱμαρμένη ) 120, das Geschick ( τύχη ), der Zufall ( αὐτόματον ) 121. Im Weiteren folgt die Erörterung einer Reihe von Denkobjekten, unter denen die Sempiternität und die Zeit, die fünf Sinne, die Art und Weise der Empfängnis, das Entstehen des Männlichen und des Weiblichen, die Träume, die Gesundheit, die Krankheit, das Alter zu finden sind. Einen erheblichen Raum besetzen etliche kosmologische Sachverhalte wie etwa die Essenz des Himmels, die Himmelskreise, die Sterne, die Planeten und insbesondere die Sonne, der Mond und die Erde, die Kometen, um auf Fragen einzu113 114 115 116 117 118 119

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Michael Psellus, De omnifaria doctrina, 95, ed. Westerink (nt. 48), 54 sq. Ibid., 96–98, ed. Westerink (nt. 48), 55 sq. Ibid., 99–100, ed. Westerink (nt. 48), 56 sq. Ibid., 101, ed. Westerink (nt. 48), 57. Ibid., 102, ed. Westerink (nt. 48), 57 sq. – Maß der Bewegung; ein πρᾶγμα, das weder selbstexistierend noch körperliche Hypostase ist und nur im menschlichen Gedanken liegt. Ibid., ed. Westerink (nt. 48), 58 – εἶδος und ἐνέργεια des in der Zeit Bewegten. Ibid., 104, ed. Westerink (nt. 48), 58 – Die Philosophen bezeichnen auf diese Weise eine δύναμις, die zu einem Ergebnis zwingt. Als Gegenstück wird die Kontingenz (ἐνδεχόμενον ) genannt. Kontingent im eigentlichen Sinne ist das von unserer Willensentscheidung Abhängige. Ibid., 105, ed. Westerink (nt. 48), 58 sq. – Die Natur des Kosmos, die die Körper bewegt. An zweiter Stelle wird es als Strahlung und Anlauf der Providenz gekennzeichnet. Das Schicksal wirkt nicht direkt, wie die Providenz selbst, sondern es bedarf Zeit und Ort, um effektiv zu sein. Das nichtkörperliche Seiende unterliegt nur der Providenz, das körperliche aber der Providenz und dem Schicksal. Ibid., 106, ed. Westerink (nt. 48), 59 – Das Geschick ist keine irrationale Natur, die keine Ordnung und keinen Bezug innehat, sondern eine nicht bestimmte Konsequenz, die als Schnittpunkt zwischen einer Willensentscheidung und dem Geschehenen festgestellt wird. Der Zufall ist eine Koinzidenz, die sowohl bei den vernünftigen als auch den unvernünftigen Seienden einen Platz haben kann.

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gehen, die die Beschaffenheit der Jahreszeiten, des Regens, des Hagels, des Schnees, des Reifs und des Taus, des Regebogens, der Blitze, des Wirbelsturms behandeln 122. Von da aus geht das Interesse in die Richtung von Themen, die die Art des Subsistierens des Kosmos, seine Einzigkeit, seine Ordnung und ob er beseelt und unveränderlich ist zum Inhalt haben, wobei in diesem Zusammenhang die Leere ( τὸ κενόν ), der Ort ( τόπος ) und der Raum ( χώρα ) behandelt werden 123. Nach dem Besprechen von Erdbeben und verschiedenartigen Gewässern folgt eine Reihe spezialisierter Fragen, etwa warum der Polyp seine Farbe wechselt, wenn er sich an Felsen festhält; warum der Kalmar, wenn er über Wasser gesehen wird, ein Zeichen für Unwetter ist; wie das Wachstum der Rosen erfolgt und was der große Hunger ( βούλιμος ) darstellt 124. In den letzten Kapiteln thematisiert Psellos die Seele und den νοῦς erneut. Hier wird über die essenziellen Bewegungen der Seele, ihre Kräfte und Energien gesprochen. Einerseits wird das Zusammenwirken der Seele mit dem Leib nochmals erörtert, indem unter dem Titel „Περὶ ὁμοϋποστάτου“ das heteroessenzielle Sein des Menschen in einer Hypostase behandelt wird. Andererseits wird aber die Überlegenheit der erkennenden menschlichen Seele betont. Es wird mit Emphase wiederholt, dass der νοῦς den Menschen bewegt. Er tut es aber in Zusammenwirkung mit der Seele, wobei der vernünftige Teil der Seele hervorgehoben wird, der die unvernünftigen Teile regelt. Psellos zählt fünf Stufen des Wissens der Seele auf. Schon das Wissen auf der zweiten Stufe erkennt, von Hypothesen ausgehend ( ἐξ ὑποθέσεως δὲ ἄρχεται ), gewisse Ursachen. Höher ist das Wissen, das als ἀνυπόθετος bezeichnet wird und sich nach der platonischen Dialektik vollzieht. Die vierte Art von Wissen ist das noetische, das das Seiende ‚αὐτοπτικῶς (als ‚Augenzeuge)‘ schaut. Das Wissen auf der fünften Stufe ist ein übernoetisches. Es wird ‚ ἔνθεος‘ genannt und erkennt authentisch das Eine. Die vollkommene Seele erhebt sich zur Gottesschau und erreicht eine göttliche Unabhängigkeit von dem Seienden. Eine zweite, mit der ersten nicht identische, Erkenntnisausrichtung der Seele ist das Kennenlernen des Kosmos. In einem letzten Schritt, die Gründe der pythagoreischen Philosophie auslegend, schafft es Psellos, die verschiedenen Arten der seelischen Gnosis (noetische, epistemische, doxastische und ästhetische) nochmals abzuzeichnen und hervorzuheben, und zwar, dass die Seele das ganze Seiende von den Prinzipien des Ganzen aus erkennt. Psellos beendet seinen Text durch eine kurz gefasste Themenzusammenfassung, indem er ausdrücklich erklärt, dass die dargestellten Wissensinhalte auch aus dem hellenischen Gedankengut entnommen, aber gemäß „unserer wahrhaften Lehren ( πρὸς τὰς ἡμετέρας ἀληθινὰς δόξας“ 125 ausgelegt worden sind 126. 122 123 124 125 126

Ibid. 107–150, ed. Westerink (nt. 48), 59–78. Ibid., 151–162, ed. Westerink (nt. 48), 78–83. Ibid., 163–192, ed. Westerink (nt. 48), 83–95. Ibid., 201, ed. Westerink (nt. 48), 99. Ibid., 194–201, ed. Westerink (nt. 48), 96–99.

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9. Inwieweit stellt die ‚Διδασκαλία παντοδαπή‘ die Philosophie des Psellos nicht dar? Vor diesem Hintergrund ist auf eine Bewertung der Schrift zurückzukommen. Denis Walter postuliert, dass es besonders irreführend sei, die Philosophie des Psellos allein in ‚De omnifaria doctrina‘ finden zu wollen. „Denn dort ist evident, dass verschiedene Konzepte auf engstem Raum gemeinsam auftauchen, ohne dass eines davon priorisiert würde, und auch ohne den Versuch einer Vereinigung der Aussagen zu einer gemeinsamen Position“ 127. Es wäre in der Tat irreführend, das Werk eines profilierten Philosophen allein in einer seiner Schriften entdecken zu wollen. Das im Zitat Erklärte ist allerdings in Frage zu stellen. Die gründliche Lektüre zeigt, dass Psellos, die Form eines für seinen minderjährigen vornehmen Schüler zusammengestellten Lesebuchs als Vorwand nehmend, darin ein wohldurchdachtes Philosophie- und Wissenssystem umreißt. In großen Bögen ordnet er die Grundlagen, die Hauptpositionen, Methoden und Begriffe seiner Philosophie, wobei er die treibende Kraft der Wissbegier akzentuiert und die Erweiterung des Grenzumfangs des Anthropologischen zum Ziel setzt, die zugleich als ein Zugangsweg zur Vergöttlichung des Menschen gedeutet wird. Es stimmt wohl, dass in der Schrift „verschiedene Konzepte auf engstem Raum gemeinsam auftauchen“. Carlos Steel bemerkt, dass die Kapitel 37 bis 46 eine Paraphrase der Seelen-Sektion im ‚Timaios‘-Kommentar des Simplikios und die Kapitel 51 bis 54, die die platonische Psychogonie und den entsprechenden Status der Seele zum Gegenstand haben, aus dem proklischen Kommentar zum ‚Timaios‘ inhaltlich entnommen sind 128. Explizit sind im Text mehrere Philosophen (gelegentlich auch mit Namen genannt) zitiert oder paraphrasiert 129. Es ist aber schwer zu akzeptieren, dass die entlehnten Konzepte nicht zu einer gemeinsamen Position vereinigt sind. Die meisten sind fürwahr nicht ausdrücklich kommentiert. Die Philosophen mit ihren φιλοσοφήματα werden aber von Psellos im Rahmen seines eigenen philosophischen Programms systematisch herangezogen und verwendet. Durch das Wissbegier-Programm sind ihre Gedanken in στοιχεῖα des philosophischen Bauwerks des Psellos verwandelt. Die ‚Διδασκαλία παντοδαπή ‘ ist zu den wenigen Schriften in der byzantinischen Denkkultur zu zählen, die ihrer Form nach als systematisch zu bestimmen sind.

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Walter, Michael Psellos (nt. 37), 184. C. Steel, Scholia on Pseudo-Simplicius’ Commentary on Aristotle’s De anima originating from Michael Psellus, in: Lorenzo Ferroni (ed.), Tempus quaerendi. Nouvelles expériences philologiques dans le domaine de la pensée de l’Antiquité tardive, Paris 2019, 422 sq. Es sind Thesen von Pythagoras, Hippokrates, Platon, Aristoteles, Alexander von Aphrodisias, Ptolemaios, Galenos, Plotinos, Porphyrios, Iamblichos, Plutarchos, Olympiodoros, Proklos, Simplikios, aber auch von Gregorios von Nazianz, Gregorios von Nyssa, Dionysios Pseudo-Areopagites, Maximos Homologetes (Maximus Confessor) und Johannes Damaskenos zu lesen.

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IV. Ist das Wissbegier-Verfahren des Psellos einzig ar tig? Manche philosophischen Figuren des Psellos, wie etwa die spezifische Unterscheidung zwischen ουσία und φύσις oder seine Lehre vom νοῦς, sind in der byzantinischen Kultur einzigartig. Gilt das auch für sein Wissbegier-Verfahren? Ist ein ähnliches Programm auch bei den übrigen Autoren zu entziffern? Zunächst sind diejenigen zu berücksichtigen, die systematische Schriften verfasst haben. Es geht vor allem um Johannes Damaskenos mit seinem ‚Fons scientiae‘ und Gregorios Palamas mi den ‚Capita 150‘, die darüber hinaus nicht der Denkrichtung zugeschrieben werden, mit der Psellos im Allgemeinen assoziiert wird. Bei Damaskenos liegt diese Vorgehensweise auf der Hand. Er bestimmt die ἀμαθία (die Unwissenheit) und die ἄνοια (den Unverstand) als tadelnswert und unwürdig, und zwar nicht die Unwissenheit an sich, sondern diejenige, die als Wissen ausgegeben wird. Als Gegenmittel entscheidet er sich, die „Methode der Biene ( τῆς μελίσσες τρόπος )“ nachzuahmen, um das Eigentümliche der Wahrheit und Erlösung zu erlangen, indem er das dem „fälschlicherweise so genannten Wissen ( ψευδώνυμος γνῶσις )“ Zugehörende, den Irrtum ( πλάνη ) und die Lüge ( ψεῦδος ) zu verwerfen und zu vernichten strebt. Zu diesem Zweck sieht er es als seine Aufgabe, nicht nur das von den angesehenen christlichen Lehrern Hervorgebrachte, sondern auch das Beste der hellenischen Weisen vorzuführen, weil er überzeugt ist, dass alles Gute ( ἀγαθόν ) den Menschen von Gott gegeben ist. Die Herrlichkeit der Wahrheit erleuchtet allerdings nur diejenigen, die sich gebührend gereinigt und die „ordnungslosen Gedanken ( ταραχώδεις λογισμοί )“ ausgetrieben haben. Er betont den Nutzen des bienengleichen Wissenssammelns in möglichst großem Umfang. Das Wissen ( γνώσις ) wird als Licht der vernünftigen Seele und das Unwissen als Finsternis dargestellt 130. Das Streben nach Wissen und das Erwerben von theoretischen Inhalten werden als anthropologische Grundzüge gedeutet. Gregorios Palamas war bereits ein Gegenstand der Forschung im Sinne unserer Untersuchung. Britta Müller-Schauenburg analysierte sein durch ‚Neugier auf Wissen‘ geprägtes Verhalten während seiner kurzfristigen türkischen Gefangenschaft (1352) sowie seine schriftlichen Zeugnisse darüber 131. Nun ist zu fragen, ob die Wissbegier als treibendes Motiv seiner systematischen Schrift identifiziert werden kann.

130 131

B. Kotter (ed), Die Schriften des Johannes von Damaskos, Band 7, Berlin 1969, 52,29–53,64. Der Schluss lautet, dass Palamas Neugier auf Wissen erwiesen hat, das man noch nicht besitzt, wie auch auf Lebens- und Denkformen anderer, die man noch nicht kennt. Er wird eindeutig der Gruppe der ‚Experimentatoren‘ zugeordnet, falls man eine ähnliche Gruppe derer entgegensetzt, die beim Bekannten bleiben möchten und dementsprechend eine ‚ewige‘ Statik propagieren – B. Müller-Schauenburg, Gregorios Palamas und die kulturelle Neugier – Relecture einer theologischen Leitfigur, in: A. Speer/P. Steinkrüger (eds.), Knotenpunkt Byzanz (Miscellanea Mediaevalia 36), Berlin–New York 2012, 290. 307.

Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz

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Das Grundanliegen der ‚Capita 150‘ ist, die Überlegenheit der geistlichen γνῶσις, wenn es um die Gotteserkenntnis geht, kundzutun. Nichtsdestotrotz

sind die ersten 29 Kapitel des Werkes der Naturphilosophie gewidmet. Robert Sinkewicz hat diese Kapitel einer Analyse unterzogen 132. Er zeigt, dass sie im Grunde eine Überlegung über die Natur des menschlichen Wissens und seine Anwendung auf den natürlichen und übernatürlichen Bereich darstellen. Palamas setzt sich darin gegen die hellenischen (Pseudo-)Wissenschaften ein und demonstriert, ohne theologische Argumente zu verwenden, ein christliches Systembild des Kosmos, mittels dessen er sein Verständnis der Grenzen der natürlichen menschlichen Erkenntnis darlegt und begründet. Es wird danach gefragt, was man über die Welt und Gott durch die natürlichen Kräfte des Menschen erfahren kann. Diese Erkenntnis kann nicht die Sachverhalte des Geistes erwerben. Von allem Wissen kann nur die Lehre des Heiligen Geistes als sicher und frei von allen Täuschungen und Irrtümern angesehen werden. Immerhin ist die Schätzung der natürlichen intellektuellen Tätigkeit keinesfalls eine negative. Sie ist imstande, adäquates Verständnis für die natürlichen, inklusive die astronomischen Sachverhalte zu erlangen. Das natürliche Wissen ( φυσικὴ γνώσις ) geht nie über das Reich des Natürlichen hinaus; es kann in Fehler verfallen; es kann auch missbraucht werden. Die Hellenen haben die richtige Ordnung des Universums deshalb nicht erkannt, weil sie auf ihrer Philosophie gründeten, die sie unfähig gemacht hat, das Seiende in seiner Wahrheit zu verstehen. Das große Unternehmen der hellenischen Philosophie scheiterte, weil es nicht in der Lage war, die richtige Hierarchie von Gott, Mensch und Schöpfung zu erkennen. Die Hellenen versäumten die menschliche Würde zu erfassen und entehrten unsere Natur. Wenn die natürliche Erkenntnis, im Gegensatz dazu, dem eigentlichen Zweck des Menschlichen, also dem Leben in Gott und der θέωσις, dient, ist sie ein Element der menschlichen Würde. Die Gotteserkenntnis und die Erkenntnis des Seienden bilden die eigentliche Bestimmung des Menschen 133. Der erste Satz der Schrift lautet: „Die Natur lehrt und die Geschichte bestätigt, dass die Welt einen Anfang hatte; die Entdeckung der Künste, das Aufstellen von Gesetzen und die Staatsführung bestätigen dies ebenfalls deutlich“ 134. Die Künste und die Wissenschaften gründen auf den durch die Vermittlung der Sinne und der Einbildungskraft erworbenen Gedanken ( λογισμοί ) des νοῦς, die er durch Unterscheidungen, Analysen und Synthesen formuliert. Dies geschieht mit oder ohne Frevel und Fehler 135. Das zusammengesetzte Wissen über die 132

133 134 135

Cf. R. Sinkewicz, Christian Theology and the Renewal of Philosophical and Scientific Studies in the Early Fourtenth Century: The Capita 150 of Gregory Palamas, in: Medieval Studies, 48 (1986), 334–351; id. (ed.), Saint Gregory Palamas, The One Hundred and Fifty Chapters, Toronto 1988, 4–15. Sinkewicz, Christian Theology (nt. 132), 335–340. 351; id., The Early Chapters of the Capita 150, in: id., (ed.), Saint Gregory Palamas (nt. 132), 4–15. Gregorios Palamas, Capita, c. 1, ed. Sinkewicz (nt. 132), 82,1 sqq. Ibid., c. 17, ed. Sinkewicz (nt. 132), 100,2–9.

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Natur mit seinen Methoden und Künsten ist ein natürliches. Es erreicht nicht die Sachverhalte des Geistes ( πνεῦμα ) 136. Es steht außer Zweifel, dass ein Vorsatz des Palamas ist, zu zeigen, dass die natürliche Erkenntnis sich sowohl im Bereich der οἰκονομία als auch – und zwar unvergleichlich mehr – der θεολογία irren kann. Sie ist mit dem kontingenten Seienden grundsätzlich verknüpft und kann nicht vollständig die Bereiche des Geistes erreichen. Den zweiten Punkt bilden aber die Anforderungen, die Grenzen der natürlichen Erkenntnis durch ihre Erreichung und Erweiterung positiv zu erschöpfen, damit der erkennende Mensch dadurch in das Gebiet der geistlichen Erkenntnis eintritt. Die Erforschung der geschaffenen Natur und die Wissbegier als Forschungsantrieb spielen eine erstrangige Rolle. Palamas befasst sich mit Kosmogonie und Kosmologie, um eine christliche Fassung des Kosmos abzuleiten, aber auch um zu zeigen, dass die falschen hellenischen Einsichten über die Welt in einem beidseitigen Zusammenhang mit der Anthropologie und der Gotteslehre der Hellenen stehen. Wie hoch der Einsatz ist, wird durch die nächsten Kapitel erklärt, in denen sich Palamas mit der rationalen Natur befasst. Er erörtert die seelische Verfassung, die menschlichen Erkenntnisarten und die höchste Würde der menschlichen Natur selbst in einem Vergleich mit der Natur der Engel. Auch die Natur der Engel enthält die Kräfte νοῦς, λόγος und πνεῦμα, bemerkt Palamas. Der Unterschied besteht darin, dass sie den Geist nicht als lebendigmachenden Geist ( ζωοποιὸν πνεῦμα ) haben kann, weil sie von Gott keinen irdischen Leib bekommen hat, der durch diese Kraft belebt und erhalten wird. Die noetische und rationale Natur der menschlichen Seele, die in Verbindung mit dem irdischen Leib erschaffen ist, erhält von Gott als lebendig machend auch den Geist, der den Leib belebt und bewahrt. Durch ihn hat die Seele auf natürliche Weise eine Liebesverbindung mit ihrem eigenen Leib, den sie nie verlassen will. Die noetische und rationale Natur der menschlichen Seele, die als einzige νοῦς , λόγος und ζωοποιὸν πνεῦμα (lebendigmachenden Geist) besitzt, ist von Gott in einem höheren Maß nach seinem Bild geschaffen als die der leiblosen Engel. Diese hohe Würde ist selbst durch den Sündenfall, i. e. durch den Abstoß der Gottähnlichkeit, nicht verletzt worden 137. Auch die triadische Gestalt ( τὸ τριαδικόν ) unserer Erkenntnis zeigt, dass wir in einem höheren Maß Bild Gottes sind als die Engel, weil unsere Erkenntnis alle Erkenntnisformen umfasst. Wir haben nämlich zugleich die sensitive, die vernünftige und die noetische Erkenntnis inne. Das seiner Natur nach mit dem Vernunftvermögen verbundene Sinnesvermögen erzeugt die mannigfaltige Menge der Künste, Wissenschaften und Kenntnisse, die Gott lediglich dem Menschen erteilt hat 138. Die Künste und die Wissenschaften sind also der klare Beweis für die Überlegenheit der menschlichen Natur gegenüber der Natur der Engel. 136 137 138

Ibid., c. 20, ed. Sinkewicz (nt. 132), 102,5–10. Ibid., c. 30 et 39, ed. Sinkewicz (nt. 132), 114,1–11. 126,1–6. Ibid., c. 63, ed. Sinkewicz (nt. 132), 156,1–11.

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Gregorios Palamas, der Theoretiker des systematischen Hesychasmus, legt auf eine selbstverständliche Weise die Betonung auf die theologische Erfahrung, i. e. auf die Synergie der göttlichen und menschlichen essenziellen Energien, in der die auch in dieser Welt mögliche Vergöttlichung des Menschen besteht. Im Vergleich zu diesem ‚Erkennen Gottes in Gott selbst‘ ist die rationale Gotteserkenntnis nur eine unzureichende. Palamas hat aber nicht die Absicht, diese Erkenntnisart zu unterschätzen. Er zeigt ihren Wert sowohl für die Erkenntnis Gottes durch die Schöpfung und die Erkenntnis des Weltalls, als auch für das Zusammenhalten der menschlichen Beschaffenheit in ihrem wirklichen Ausmaß. Erstrebt wird das Erreichen der synergetischen Synthese aller menschlichen – sowohl der auf Verstehen der Welt und des Menschen, als auch der auf Gotteseinsicht gerichteten – Erkenntnisvermögen, und zwar in ihrer Eigenart. Gerade aus dieser Perspektive entfaltet er seine These über den lebendigmachenden Geist im Menschen und die entsprechende Würde der Menschennatur. V. Schluss Es ist zu schließen, dass die byzantinische Denkkultur die Wissensschemata Hans Blumenbergs in keinem Punkt bestätigt. Das Wort περιέργεια ist von der Antike her negativ konnotiert. Sie wird mit ϕιλαλήθεια und ϕιλομάθεια konfrontiert 139, die von den christlichen Autoren als Tugenden betrachtet werden. Dabei wird das persönliche Engagement stark betont. Das einheitliche Motivationsund Verfahrensprogramm, das Michael Psellos in ‚De omnifaria doctrina‘ entwickelt, bezeigt die Wissbegier als lobenswerte und notwendige Aktivität, die auf die Erkenntnis der Welt und alles, was in ihr steckt, gerichtet ist. Das gute und wertvolle Wissen stiftet die Wendung auf die ganze Wahrheit. Das in einem hohen Maß autonome wissenschaftliche Wissen über das Kontingente strebt es aufgrund seiner Ursachen, Prinzipien, essenziellen Eigentümlichkeiten und Existenzverfassung zu erkennen. Diese Aktivität hat das Ziel, die Grenze und die Bestimmung des Menschlichen zu erweitern. Dadurch wird die Grenzlinie des Anthropologischen immer näher an die Providenz und Gott gerückt. Darin besteht der Vorsatz des schrittartig fortschreitenden wissenschaftlichen Forschens, dessen Antriebskraft die Wissbegier ist. Die früheren, wie auch die byzantinischen Autoren nach Psellos folgen einer ähnlichen Linie, und zwar abgesehen von den Denkprogrammen, denen sie angehören. An die Wissbegierigen wird die Anforderung gestellt, durch die Erforschung der geschaffenen Natur die Grenzen der natürlichen Erkenntnis kraft ihrer Erreichung und Erweiterung positiv zu erschöpfen, damit der erkennende Mensch dadurch eventuell in das 139

Über die als Diskussion zwischen ϕιλομάθεια und πολυμάθεια stilisierte Konfrontation cf. D. Manolova, Nikephoros Gregoras’s ‚Philomathes‘ and ‚Phlorentios‘, in: A. Cameron/N. Gaul (eds.), Dialogues and Debates from Late Antiquity to Late Byzantium, London–New York 2017, 203–219.

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Gebiet der geistlichen Erkenntnis eintreten kann. Angesichts dessen betrachtet Gregorios Palamas die menschlichen Erkenntnisarten, die Künste und die Wissenschaften als Beleg für die hohe Würde der menschlichen Natur und ihre Überlegenheit selbst in einem Vergleich mit der Natur der Engel 140.

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Für die sprachliche Korrektur des Textes bin ich Herrn Kristijan Taševski dankbar.

Idle and useful curiosity from Peter Damian to Dante * Oleg Voskoboynikov (Moskau) I. Ulysses, Alexander the Great, and Aristotle: ancient models of human curiosity? Let us begin, as it were, from the end. Canto XXVI of the ‘Inferno’ has a crucial position in the architecture of Dante’s poem. This is expressed stylistically: intending to recount the fate, beyond the grave and upon the earth, of Ulysses, the poet changes the comic, plebeian style of previous chants into a higher, tragic one 1. Frightened, as usual, to deviate himself while seeing sins and punishments of others, he tries to instruct his own intellect and poetical gift, lo ‘ngegno, received from stars and the Almighty, to analyse properly, under the guidance of virtù, what he discovered in the fiery plain of the eighth ditch. By subduing his creativity to the voice of faith, in a kind of prayer, Dante anticipates our encounter with those whose minds have deviated. This combination of virtue, knowledge, faith, poetical freedom, and inner spiritual discipline, all together rested upon divine grace, is the most important of Dante’s mental habits, but also the clue for understanding his Ulysses, this metonymy of curiosity in the time of great scholastic debates. Let him, this astute traveller, guide us to the centuries long story of this mental attitude, a deadly vice, if not a deadly sin, for some thinkers, but a vice that probably laid the foundation of modern styles of scientific thinking. The beginning of the famous Ulysses’ talk 2, undoubtedly autoreferential in many respects, shows the ancient hero not especially as an impostor, a fourflusher, as the Middle Ages often looked at him: Dante’s frode, fraud, is surely as ambivalent as every moral category in texts of theologians, poets and preachers. Ulysses is a deceiver not because of the Trojan Horse, but because he yearned “to know everything about the world and the nature of man (a divenir del mondo esperto / E de li vizi umani e del valore )” 3, trusting exclusively in his own, pagan, virtù, in his irrepressible curiosity, in a pointless, and graceless, mundana *

1 2 3

This paper is a revised version of O. Voskoboynikov, Idle and useful curiosity from Peter Damian to Dante (Higher School of Economics Research Paper No. WP BRP 30/HUM/2013) URL: (22. 02. 2022). Dante Alighieri, Divina Commedia, I: Inferno, XXVI, 19–24. Ibid., 90–99. Ibid., 98 sq.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-002

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sapientia. His thirst for knowledge ravishes and entices, but scares as well, and does not relieve him of the responsibility for his frode. His famous appeal to his brothers in arms to follow him “westward, di retro al sol” 4, and to discover the uninhabited world is surely not an anthem for medieval Columbus, even though Dante had heard about Marco Polo and the expedition of two galleys, sent in May 1291 from Genoa by d’Orio and de Vivaldi to India through the Atlantic ocean: they never came back. Contrary to the ‘Odyssea’, unknown to Dante, and to its Old-French and Latin derivates that he could have read, Dante’s Ulysses never saw Penelope again and fell into Hell, because he transgressed the Pillars of Hercules, located at modern Gibraltar and set up not only as the confines of the oikoumene, but also of human knowledge: that was an idea inherited from pagan antiquity and consequently Christianised. The insolent fraudulent hero, after weeks of their “mad flight, (folle volo )” 5, dared hope to find salvation (as represented by the mirage of the mount of Purgatory) without grace. But their sudden joy was ended by an equally sudden death. In his last lines, Dante is as strikingly laconic as the whirlpool is impetuous that punished, with Ulysses as its personification, the idle, purely terrestrial, sinful, faithless, pagan curiosity 6. So speaks Dante, curious himself, admirer of Aristotle, well informed in methods and problems of cosmology of his time, promoter of experimental ways of inquiry in his ‘Paradiso’ 7. At the same time, in the beginning of the 13th century, there had been a discussion of a quodlibetal question “whether Aristotle has been saved” in a school class, finally fixed by an anonymous master: the famous philosopher, ruler of all truth for many scholastics, even though pessimus metaphysicus for some of them, was condemned to Hell because of his arrogant presumption to know what happiness is naturally, without grace nor faith 8. Aristotle, another inquisitive mind, much less mythologized than Ulysses, but also subject to all kinds 4 5 6

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Ibid., 112–117. Ibid., 100–142, quote 125. D. Gagliardi, La condanna della curiositas nel pensiero Cristiano, in: Polyanthema. Studi di Letteratura cristiana antica offerti a Salvatore Costanza, vol. 2 (Studi tardoantichi 8), Messina 1991, 323–336. On faith and reason in Dante see B. Nardi, Dante e la cultura medieval, Bari 1990, 135 sqq. Ibid., 125–134, we can find an explanation of the Ulysses episode. Several points of view are discussed in comments by G. Giacalone, Dante Alighieri, La Divina Commedia, vol. 1: Inferno, ed. G. Giacalone. Rome 1967, 486–510, and by R. Imbach, Dante, la philosophie et les laïcs. Initiations à la philosophie médiévale, I (Vestigia 21), Paris 1996, 220–245. Dante Alighieri, Divina Commedia, II: Paradiso, II, 94–105. R. Imbach, Aristoteles in der Hölle. Eine anonyme Questio ‘Utrum Aristotiles Sit Salvatus’ im Cod. Vat. lat. 1012 (127ra–127va) zum Jenseitsschicksal des Stagiriten, in: A. Kessler/T. Ricklin/ G. Wurst (eds.), Peregrina Curiositas. Eine Reise durch den orbis antiquus. Zu Ehren von Dirk Van Damme (Novum Testametum Et Orbis Antiquus 27), Freiburg (Schweiz)–Göttingen 1994, 297–318, especially 304–310. The anonymous master, probably a Franciscan, condemned to Hell not only the great philosopher, but also the king Solomon, luxurious idolator to the end of his days, but still a theologian inspired by God.

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of pseudo-doxographic speculations, from the rediscovery of his authentic and spurious works in the 12th century up to the relative stabilization of the Latin Corpus Aristotelicum. According to one of the versions of his death, inherited from Antiquity, captured first by Helinand of Froidmont, later popularized by the ‘Speculum morale’ then ascribed to Vincent of Beauvais, the Stagirite dies because of his curiosity: he had wanted to understand the nature of the stream of Eurippus, and unable to do so by mere observation, he stepped into the river, got carried away and drowned 9. The similarity with Dante’s story is obvious. The encyclopaedist vacillates behind his usual ‘alii dicunt’, he put the account next to that of Homer’s death, and the whole exemplum served him to illustrate a Christian adage: “sapientia huius mundi stultitia est apud Deum” (1 Cor 3,19). But some early Christian polemicists, like St. Justin Martyr and even St. Gregory of Nyssa spoke about a suicide, which changed the appreciation of this scientific curiosity of the Philosopher completely 10. Ulysses was not the only ancient vir illustris who transgressed rules and borders: Alexander the Great, according to some prose versions of the ‘Historia de preliis’ also had crossed the Strait of Gibraltar 11, which hyperbolically corresponded to the idea of the immensity of his empire and, let us say, to his character. Everyone who heard about the marvellous adventures of this legendary king, knew that he conquered the world following his curiosity: he spoke with mythical people and hybrids, fought against incredible beasts, descended to Hell, scrutinized the bottom of the Red Sea and flew to the sky in a balloon pulled by griffins 12. The texts of the ‘Historia de preliis’, divergent as they are, remain ambiguous about the interpretation of this apotheosis: according to a 13th century manuscript, Alexander, to the end of this flight (another ‘folle volo’), dared to look at the whole orbis, and the Almighty overthrew him, even though he did not die and was accepted with joy by his fellows 13. 9

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Vincentius Bellovacensis, Speculum morale, III, 2, 3, Douai 1624, 999: “Scribitur in libris grecorum quod Aristoteles iuxta fluvium quoddam incedens et aque revolutionem inspiciens voluit scire causam eius, sed, cum eam invenire non posset, aquam intrans voluit sensibiliter experiri, cum autem hinc inde curiose conspiceret, repente raptus a fluctibus est submersus. Sed alii ipsum aliter mortuum esse dicunt”. The doxographic tradition on the death of Aristotle from Antiquity through the Middle Ages was analysed by Wilhelm Hertz and published posthumously: W. Hertz, Die Sagen vom Tod des Aristoteles, in: id., Gesammelte Abhandlungen, ed. F. von der Leyen, Stuttgart–Berlin 1905, 312–412. See also J.-M. Fritz, Scénarios pour la mort du philosophe: l’exemple d’Aristote, in: D. Jacquart/D. JamesRaoul/O. Soutet (eds.), Par les mots et les textes. Mélanges de langue, de littérature et d’histoire des sciences médiévales offerts à Claude Thomasset, Paris 2005, 303–319. I. Düring, Aristotle in the Ancient Biographical Tradition [1957] (Greek & Roman Philosophy 13), New York 1987, 347 sq. I owe this information to my friend Maud Pérez-Simon. Not by accident, the first illustrated version of the Latin ‘Historia de preliis’, produced around 1260 in Southern Italy (Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. II 143), was supplied by intertextual narrative scenes, historiae in medieval terminology, in order to emphasize these exotic, ‘strange’ features, all to stimulate the reader’s curiosity. Leipzig, Universitätsbibliothek, Rep. II 143. Fol. 101r.

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Earlier, by 1180, in the ‘Alexandreis’ by Walter of Châtillon, one of the best goliardic poets of his generation, Scythians, perfectly acquainted with political rhetoric of the 12th century, jeer at his insatiable will of power and of knowledge: “Quorum qui reliquis fuerat maturior euo, / Intuitus regem, «cupido si corpus haberes / Par animo» dixit «mentique inmensa petenti, / Vel si quanta cupis, tantum tibi corporis esset, / Non tibi sufficeret capiendo maximus orbis, / Sed tua mundanas mensura excederet horas: / Ortum dextra manus, occasum leua teneret. / Nec contentus eo, scrutari et querere uotis / Omnibus arderes ubi se mirabile lumen / Conderet et solis auderes scandere currus / Et uaga depulso moderari lumina Phebo. / Sic quoque multa cupis que non capis. orbe subacto, / Cum genus humanum superaueris, arma cruentus / Arboribus contraque feras et saxa mouebis, / Montanasque niues scopulisque latentia monstra / Non intacta sines, sed et ipsa carentia sensu / Cogentur sentire tuos elementa furores” 14.

It is not unreasonable to consider that Alexander was an exemplary ruler, a speculum by himself, and that on all occasions described, he just tried on the garb of divine omnipotence 15. The ‘Alexandreis’, as well as the ‘Divine Comedy’, had a political connotation, since it was written in Northern France during the campaign for a new crusade and gained popularity through its dedicatory, the archbishop of Reims. And Walter’s Alexander is as charming and ambivalent as Dante’s Ulysses. The cunning king of Ithaca calls his fellows to follow the sun, Alexander simply throws down Phoebus from his chariot (depulso Phebo ), and nonetheless he is awarded with a co-rulership by Jupiter in Olympus. Like all mortals, he had to die, and his death was prepared by Nature, disdained by his intrusion into her realm and thus compelled to scheme with Lucifer 16. II. Questioning the Holy Writ What do we have to deal with, when we find favourite literary model characters of the central Middle Ages criticized, or even punished for their curiosity? Is it a flagellation of an indefatigable lust for power? A variation on the contempt of the world and uselessness of human heroism without profound pity, 14

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Walter of Châtillon, Alexandreis, VIII, 374–390, ed. M. Colker, Galteri de Castellione Alexandreis (Thesaurus Mundi 17), Padua 1978, 216 sq. URL: (28. 03. 2012). See for some interesting parallels C. W. Bynum, Wonder, in: American Historical Review 102/1 (1997), 20 sq. The interpretation of the ascension was twofold, as demonstrated in: C. Settis-Frugoni, Historia Alexandri elevati per griphos ad aerem. Origine, iconografia e fortuna di un tema, Rome, 1973, 121–147. In this rhetoric around natural philosophy, scholars don’t always know where it is a real curiosity and where a mere echo of literary topoi: P. Morpurgo, L’armonia della natura e l’ordine dei governi (secoli XII–XIV), Turnhout, 2000, 30. See also: A. Nitschke, Naturerkenntnis und politisches Handeln im Mittelalter. Körper, Bewegung, Raum, Stuttgart 1967; W. Stürner, Natur und Gesellschaft im Denken des Hoch- und Spätmittelalters. Naturwissenschaftliche Kraftvorstellungen und die Motivierung politischen Handelns in Texten des 12. bis 14. Jahrhunderts (Stuttgarter Beiträge zur Geschichte und Politik 7), Stuttgart 1975. Walter of Châtillon, Alexandreis, X, 24 sq., ed. Colker (nt. 14), 254.

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without grace? Forsooth. We should not forget that the great 12th century writers, populating their literary worlds with pagan divinities, transformed them into allegories and remained more (like Alan of Lille) or less (like Walter or Bernard Silvestris) Christian moralists. More interesting for our purpose is that the denunciation of pride, that typical feudal vice, involved criticism, or at least skepticism, of what we would call fundamentals not just of a scientific style of thought, but of a normal human way of looking at the world, requiring an interested gaze, curiosity and amazement. Does one have the right to wonder (anything besides the mysteries of faith), to ask, to discuss, to doubt, to search? What kind of inquiring is an intellectual, useful curiosity and where are the limits of the idle one? The twelfth century, an age of reformation and renaissance in many respects, was surely rich in great spiritual discoveries, but also in great doubts. We should consider both and consider this long century at least with two or three generations before and two generations after it, from Peter Damian to Frederick II. Curiosity had been divided into useful and idle already before the appearance of Christian philosophical and moral speculation, by Cicero, Seneca, Apuleius, if we speak just of the Latin tradition, but they referred to the Greek tradition of reflection on the ‘polypragmosyne’ 17. Christians remembered not only Loth’s wife, but also Icarus and Phaeton, and in the time of the Fathers curiositas was really transformed into a vice among others 18. The Holy Writ, like classical authorities, left a legacy with more questions than answers, more advice and parabolas than prescriptions. On the one hand, there is no sense in trying to elicit the day of the second coming (Mk. 13,32), and young widows are often “idle, wandering about from house to house; and not only idle, but tattlers also and busybodies, speaking things which they ought not” (1 Tim. 5,13). On the other hand, the author of the ‘Ecclesiastes’, exemplar of the divinely inspired wisdom, said: “For all this I considered in my heart even to declare all this, (Omnia haec tractavi [sometimes temptavi] in corde meo, ut curiose intelligerem )” (Eccl. 9,1). It is not without importance that St. Jerome translated the participle ‘labur’ periphrastically: ‘ut curiose intelligerem’. The rare hebrew verb ‘bur’ meant a diligent inquiry and a detailed explanation of it, and one of the last great translators of Antiquity tried to transmit this semantics considering probably the original sense 17 18

On the classical 5th century use of the term see: V. Ehrenberg, Polypragmosyne: a Study in Greek Politics, in: The Journal of Hellenic Studies 67 (1947), 46–67. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Philosophie und Theologie, Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995, 30 sqq. To this general terminological panorama one should add some articles: R. Newhauser, Towards a History of Human Curiosity: A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559–575; E. Peters, Libertas Inquirendi and the Vitium Curiositatis in Medieval Thought, in: G. Makdisi/D. Sourdel/J. Sourdel-Thomine (eds.), La Notion de liberté au Moyen Âge. Islam, Byzance, Occident. Penn-Paris-Dumbarton Oaks Colloquia. IV. Session des 12–15 octobre 1983, Paris 1985, 89–98; K. Pomian La culture de la curiosité, in: Le temps de la réflexion 3 (1982), 337–359.

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of the latin ‘cura’: care. Curiosity remained a connotation, synonym and antonym of idleness at the same time: this paradoxicality of the Writ was not a secret since the beginning of the exegesis. No paradox if Ecclesiastes, the wise man, disdains all philosophizing 19, Solomon, the wise king, dies as an unrepentant idolater (3 King 11, 43), and St. Paul, a philosopher among the apostles, is bitterly criticized by Festus: “Paul, thou art beside thy selfe, much learning doeth make thee mad” (Act 26,24). The leitmotif was surely the well-known passage from one of St. John’s letters: “Love not the world, neither the things that are in the world. If any man loves the world, the love of the Father is not in him. For all that is in the world, the lust of the flesh, the lust of the eyes, and the pride of life, is not of the Father, but is of the world” (1 John 2, 15–16). St. Augustine developed the juxtaposition superbia – curiositas – concupiscentia carnis in his ‘Confessions’, where the lust of the eyes is in origin of futile and avid curiosity disguised in the mantel of science 20. Like other Fathers, he was not an agnostic, but he spurned any kind of knowledge not aiming at God. The medieval epistemological asceticism was founded on the same discredit upon bodily senses, even upon vision, since the supreme subject of all true knowledge was invisible. That explains why St. Gregory the Great, monastically educated, opposed humility to curiosity, even though there is no special mention of this vice in St. Benedict’s Rule. III. From Peter Damian to William of Conches: ascetics and encyclopaedists But let us get closer to the times we are now interested in. Peter Damian is one of the most talented critics of the liberal arts and curiosity the Middle Ages ever produced. By 1060 he addressed to the young hermit Ariprandus a short treatise ‘On the Holy simplicity, as opposed to the haughty science (De sancta simplicitate scientiae inflanti anteponenda)’, where he exhorts his spiritual fellow to abandon the dangereous scientia for the salutary sapientia 21. The Liberal arts are not studia, but stultitia, the thirst for knowledge insults the highest gift of heaven, love: “Et cum ingratum esse Deo non parvi sit criminis, formidolose tibi cavendum 19

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For further detail on curiosity and true wisdom in Ecclesiastes as seen by some commentators see G. Dahan, L’Écclésiaste contre Aristote? Les commentaires de Eccl. 1, 13 et 17–18 aux XIIe et XIIIe siècles, in: D. F. Meirinhos (ed.), Itinéraires de la raison. Études de philosophie médiévale offertes à Maria Cândida Pacheco, Louvain-la-Neuve, 2005, 205–233, especially 227 sqq. Cf. Augustinus, Confessiones, X, 34–35, ed. L. Verheijen (Corpus Christianorum Series Latina 27), Turnhout 1981, 182 sqq.; cf. id., De vera religione, 38, ed. K.-D. Daur (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 232 sqq. On the motive of the holy simplicity, introduced by St. Jerome (Ep. 53, 3), see.: P. Lehmann, Die heilige Einfalt, in: Historisches Jahrbuch 58 (1938), 305–316; J. Leclercq, L’amour des lettres et le désir de Dieu. Initiation aux auteurs monastiques du Moyen Âge [1957], 5e édition corrigée, Paris 2008 1990, 194 sq.; E. R. Curtius, Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter, Bern– München 1948, 93 sqq. 410–415.

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est, ne inde contra Deum prosilias in tyrannidem, unde graciarum illi debueras accionem, et dum scienciam, quae inflat, immoderacius flagitas, karitatem, quae aedificat, insipienter offendas.” 22. We shall not hasten to call his position obscurantist. All monks remembered the base of Peter’s analysis: “Knowledge puffeth up: but Charitie edifieth” (1 Cor. 8, 1). For St. Anselm of Canterbury, one generation younger, and opening, with his oeuvre, the next century, the ‘science of truth (scientia veritatis )’, is nothing without love, the affectus caritatis: “Love should be loved more than science” 23. Anselm is probably unique in his harmony between faith and reason, between love as personal meditative experience and philosophical speculation 24. Peter Damian does set on the right path not a layman, but a monk, who probably left the world too early and felt upset that he did not have the time to study the liberal arts, in which the critic, once pupil at the cathedral school of Parma, was not to be excelled. One shall remember a beautiful account of marvels of the earth, mirabilia, in his influential ‘Divine omnipotence (De omnipotentia divina )’: it was not written by someone lacking curiosity. But every marvel, curious as it was, served him to demonstrate his main subject and to sing the glory of the Almighty, he interpreted an octopus as a “mystery of salutary allegory” 25. Peter Damian also forestalled the 12th century in his use of a highly decorated and balanced style, in political epistles and in ascetic prose and poetry. Like several ascetics, he skilfully blended the love of God with a love of letters, and, lashing the liberal arts as a root of idleness, he was flagellating himself, a young, talented, curious student. His stylus altus served him as a weapon in a battle against his own curious intellectual self 26. The novelty of the 12th century consists in the fact that the predominant symbolical worldview lost its exclusive power over minds: new forms of knowledge appeared around 1100, a mundana sapientia, which were literary unimaginable two generations earlier 27. Thierry of Chartres, a brilliant and famous master, is no longer interested in allegorical exegesis of the Bible, extensively elaborated by the Fathers, he says, but in the mechanics of Creation: this mechanics is, for him, the historical, i. e. true sense of the Scripture 28. His ‘Hexaemeron’, in certain respects, is surely a forerunner of the new physics, but we have to remember 22

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Petrus Damiani, Epistula 117, ed. K. Reindel, Die Briefe des Petrus Damiani (Monumenta Germaniae Historica. Die Briefe der Deutschen Kaiserzeit 4), vol. 3, München 1989, 321,2–64. Caritas, as opposed to knowledge by St. Paul (1 Cor. 8), is the foundation of Damian’s theology. “Plus enim debet amari caritas quam scientia”, Anselm of Canterbury, Epistola 85, ed. F. S. Schmidt (Anselmi Cantabrigiensis Opera, vol. 3), Edinburgh 1946, 210 sq. J. Leclercq, L’humanisme des moines au moyen âge, in: Studi medievali 10/1 (1969), 102 sq. Petrus Damiani, Epistula 86, ed. K. Reindel (nt. 22), vol. 2, München 1988, 471 sq. Leclercq, L’amour des lettres (nt. 21), 240 sq. P. Cantin, Les sciences séculières et la foi. Les deux voies de la science au jugement de S. Pierre Damien (1007–1072), Spoleto 1975, 535 sqq. For a detailed analysis of the Ariprandus episode see ibid., 50–59. T. Gregory, Mundana sapientia. Forme di sapere nella cultura medieval, Rome 1992, 84 sqq. Thierry of Chartres, Tractatus de sex dierum operibus, 1, ed. N. M. Härig, Commentaries on Boethius by Thierry of Chartres and his School (Studies and Texts 20), Toronto 1971, 555.

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that, after the innovative explanation of the biblical cosmogony in the first part of his unfinished treatise, he steps on the thorniest path of his time: he proposes a rational, arithmetical explication of the Holy Trinity, the dogma that seemed beyond reason by definition. His contemporary Chartrian fellow William of Conches, in his youthfully audacious ‘Philosophia’, as well as in the more mature and moderate ‘Dragmaticon’, declared against any punctiliousness in the exegesis of the Bible, claimed “in omnibus rationem esse querendam” 29. But still, his natura was the main aid of God, “a force inherent in things, creating similar from similar”, a “mystery of the divine providence”, according to a felicitous expression of the Père Chenu 30. Neither Abaelard, the translators of Toledo, nor the Chartrians ever dreamed of an autonomous philosophy, separated from theology, but even a supposition that one can understand what he normally should just believe seemed to others an inexcusable aberration. The late Tullio Gregory was right: William of Conches acknowledged some mistakes, found in his ‘Philosophia’ by William of St. Thierry, gave up speaking about the world’s soul, repented of his bad understanding of the biblical account of the creation of Eve, but remained in accord with himself, while preferring the “naked truth” to an “adorned lie” 31. Thierry of Chartres finished his life in the silence of a Cistercian abbey and, following the famous principle of the Gospels (Mt. 23, 8) repudiated the honourable name of master 32. Abaelard, in his last years, was reconciled with Rome and even with Bernard of Clairvaux by no other than Peter the Venerable, the enlightened 29

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“Non enim ad litteram credendum est Deum excostasse primum hominem”. “Nos autem dicimus in omnibus rationem esse querendam, si potest inveniri”. William of Conches, Philosophia, I, 13,43–45, ed. G. Maurach, Philosophia mundi. Ausgabe des. 1. Buchs von Wilhelm von Conches ¨ bersetzung und Anmerkungen, Pretoria, 1974, 38 sqq. The creation Philosophia mit Anhang, U (or birth?) of Eve from the rib of Adam (excostasse ), as recently demonstrated, was a real puzzle for intellectuals and iconographers of the later Middle Ages: J. Baschet L’iconographie médiévale, Paris 2008, 298–341. Apparently, most simple truths, far from being ‘dogmas’, concealed ambiguities and unexpected consequences in intellectual, religious and social life. William of Conches, Dragmaticon philosophiae, I, 7, 3, edd. I. Ronca/A. Badia (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 152), Turnhout 1997, 30. M.-D. Chenu, La théologie au douzième siècle. Paris 1966, 179. William of Conches, Philosophia II, prologus, ed. Maurach (nt. 29), 41: “Quamvis multos ornatum verborum quaerere, paucos veritatem scire cognoscamus, nihil de multitudine, sed de paucorum probitate gloriantes, soli veritati insudabimus: maluimus enim promittere nudam veritatem quam palliatam falsitatem”. The ‘Dragmaticon philosophiae’, a more extensive, later exposition of William’s platonizing cosmology begins with a quite frank self-fustigating apology, id. Dragmaticon, I, 1, 10, edd. Ronca/Badia, 8 sq.: “Cum in eodem [sc. Libro Philosophiae] de creatione primi hominis loqueremur, diximus Deum non ex Adam vel ex costa feminam fecisse, sed ex limo qui coniunctus illi fuerat, ex quo viri corpus plasmaverat: ideoque translative esse dictum, quod ex costa Adae facta sit femina: hoc iterum damnandum, damnandumque iudicamus, sanctae et divinae scripturae consentientes, que ait quod immisso sopore in Adam, tulit Deus unam costam de costis eius: ex qua materialiter corpus mulieris plasmavit”. T. Gregory, Anima mundi. La filosofia di Guglielmo di Conches e la scuola di Chartres, Florence 1955, 244 sqq. A. Vernet, Une épitaphe de Thierry de Chartres, in: Recueil de travaux offert à Clovis Brunel (Mémoaires et documents publiés par la Societé de l’École de Chartres 12), vol. 2, Paris 1955, 663.

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abbot of Cluny. But we have to remember, reading the famous abbot’s letter of consolation to Eloise after her husband’s death, one of the most beautiful consolation letters of that century, that the price of this reconciliation was a humble monastic silence. This silence, under the subtle pen of Abaelard’s last protector, became a model: the famous ultra-curious, arrogant ‘rhinoceros indomitus’, a former intellectual heretic, Eloise’s illegitimate lover, then husband, then her self-made spiritual father turned into a philosophus Christi in the precincts of the great Burgundian monastery 33. The masterfully, and posthumously, modelled humility of Abaelard stands in striking contrast to the character of the protagonist of the ‘Historia calamitatum’. A true Christian philosophy, a real love for wisdom is in prayer, fasting and silence, rather than in a superfluously vain loquacity and passion for idle discussions about holy dogmas on every crossroads, that angered the crowd of his adversaries at Soissons and Sens 34. The abbot of Cluny was not a censor, not a ‘silent master’ and probably even not someone who imposed silence to others, a “silencer”, as Peter Godman claimed 35. The silentium Peter the Venerable had in mind did not disclaim the liberal arts: it is difficult to suspect in the initiator of the Latin translation of the Coran a lack of curiosity 36. Neither him, nor Hugh of St. Victor and other intellectuals were targets of the sarcasm of William of Conches citing Juvenal (Sat. II, 15): “Rarus sermo illis et magna libido tacendi”. William aimed at Bernard and William of Saint Thierry, that means those who, in William of Conches’ mind, wasted their eloquence in order to make others keep silent 37. He was partly right. There were many, especially a large circle of influential Cistercians, who saw a great danger for faith in excessive curiosity. They were not inquisitors, but surely considered themselves responsible guides and guardians. An anonymous Sicilian translator of Ptolemy’s Almagest, a clever, talented contemporary of William, was not sparing with bitter words in a passionate philippic against such guardians: “Neque enim questus spe motus aut gloria istum potui laborem substinere, cum liquido constet spei locum artifice non relinqui, ubi ars ludibrio et dedecori est. Neque enim artificem mirari potest qui artem non miratur. Sensisti vero et tu nonnullos hiis in temporibus cause quam ignorant iudices audacissimos, qui, ne minus scientes videantur, quecunque nesciunt inutilia predicant aut profana. Iuxta quod Arabes dicunt: Nullus maior artis inimicus quam qui eius expers est. Eoque pertinacious criminandis artibus instant quo ab earum laude impericie probrum certius sibi conspiciunt imminere. 33

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Peter the Venerable, Epistola 115, ed. G. Constable, Letters of Peter the Venerable, Cambridge, Mass. 1967, 306 sq. For the analysis see P. von Moos, Consolatio. Studien zur mittellateinischen Trostliteratur über den Tod und zum Problem der christlichen Trauer, vol. 1 (Münstersche Mittelalterschriften 3/1), München 1971, 277 sq. Bernard’s letter 337, addressed to pope Innocent II, is an eloquent example among others. P. Godman, The Silent Masters. Latin Literature and its Censors in the High Middle Ages, Princeton 2000, 3–31. J. Kritzeck, Peter the Venerable and Islam, Princeton 1964, 97 sqq. William of Conches, Philosophia, I, 13, 45, ed. Maurach (nt. 29), 40.

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Eos omitto qui honestatis zelo honesta quoque studia persecuntur. Quos pie peccare recte dixerim dum nocivam curarum putredinem recidere contendentes, a sanarum altrice curarum philosophia manum minime continent indiscretam, sed et eam ipsius partem graviori criminatione persecuntur que ingeniis exquisitia clarissimis et exculta quo defecatior ac purior est, eo sapientie vocabulo dignior, eo gratiori quadam compede speculationis iocundissime animos hominum continent alligatos. Horum siquidem error sive coloratus honesto malicioso quoque predictorum testimonio fretus, apud imperitos, quorum maxima est multitudo 38, in bonarum neglectum arcium efficacissime peroravit, ut iam numerorum quidem mensurarumque scientia omnino superflua et inutilis, astrorum vero studium ydolatria estimetur”.

And a bit later: “Unde et ab ordine docendi et discendi theologiam metaphisicam nominabat. Verum nostri nimirum hoc quasi quodam molimine giganteo minime indigent sine omni creaturarum adminiculo radiis summe lucis oculos infigere potentissimi atque summe secreta veritatis efficaciter penetrare, vix rudimentis a puerilibus celum involant terrasque habitare dedignantur, super nubes eorum conversatio 39, atque in ipso summe sinu sapientie sese requiescere gloriantur, mundanam desipiunt sapientiam, eique vacantium deliramenta subsannant” 40.

I give this long quotation because this beautiful text not only opened one of the greatest achievements of the 12th century scientific movement, but it also reflects, with irony and bitterness, upon the vivid, and sometimes dramatic, polemics on the nature and aims of knowledge, on faith and reason, on didactics, observation and meditation, on pride and humility 41. When we read this anonymous Hellenist, as well as his contemporary Arabists, Peter Alfonsi, Hermann of Carinthia, Adelard of Bath and, one generation later, Gerard of Cremona 42, we realize that the intellectual society was split up into two apparently irreconcil38 39 40

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Cf. Eccl. 1,15: “Stultorum infinitus est numerus”. Cf. Phil. 3,20. For the whole text of the prologue see C. Haskins, Studies in the History of Medieval Science, Cambridge, Mass., 1924, 191 sqq. Its attribution to Hermann of Carinthia has been proposed by Richard Lemay, with no relevant arguments: R. Lemay, De la Scolastique à l’Histoire par le truchement de la Philologie: Itinéraire d’un Médiéviste entre Europe et Islam, in: La diffusione delle scienze islamiche nel Medio Evo europeo (Convegno iternazionale, Roma, 2–4 ottobre 1984) Rome 1987, 428 sqq. See for instance: C. Burnett, Hermann of Carinthia, in: P. Dronke (ed.), A History of Twelfth-Century Philosophy, Cambridge, 1988, 386–404. One could compare these pii peccatores to the cornificiani of John of Salisbury, with their sartago loquendi as another, opposite, side of libido tacendi, John of Salisbury, Metalogicon, I, 3, 80, edd. J. B. Hall/K. S. B. Keats-Rohan (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 98), Turnhout 1991, 17: “Inde ergo haec sartago loquendi in qua senex insulsus exultat, insultans his qui artium venerantur auctores, eo quod nihil utilitatis in his repperit, cum se eis dare operam simularet”. On part of the ‘Metalogicon’ in the polemics of the mid-12th century see Gregory, Anima mundi (nt. 31), 256–262. As related by one of his temporary ‘students (socii )’, Daniel of Morley, who happened to come to Toledo around 1175 retells a discussion about the status of astrology with master Gerard (Philosophia II, 14), prepared by a philippic against the ‘retrogrades’ (Philosophia, II, 10), cf. G. Maurach, Daniel von Morley, ‘Philosophia’, in: Mittellateinisches Jahrbuch 14 (1979), 204– 255. For a general orientation in contemporary views on astrology as a catalyst of scientific progress in XIIth century cf. J.-P. Boudet, Entre science et nigromance. Astrologie, divination et magie dans l’Occident médiéval (XIIe–XVe siècle), Paris 2006, 35 sqq.

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able, identically influential models of knowledge, one encyclopaedic, the other ascetic. The first one was not at all extraneous to the monastic spirituality, if we remember some passages from the ‘Didascalicon’ 43, but let us now hear the second.

IV. T he first ste p on a ladder of vices. St. Ber nard of Clair vaux’s analysis St. Bernard of Clairvaux, after St. Peter Damian, was surely the best, and probably the last, master of high monastic literary style 44. He provided the most elaborated and original elucidation of the idle curiosity, that gains sense as a reaction to the methods of teaching and preaching he stamped “stupidology (stultologia )” 45. I don’t mean his commitment to self-knowledge as opposed to the knowledge of the world: he did not invent it 46. Nevertheless, his very passionate, almost juvenile ‘Degrees of humility and pride (De gradibus humilitatis et superbiae )’, became influential in the very beginning of his monastic and preaching road, 1122–1125. It was written at the request of Godefroy of Roche-Vanneau, his friend from Citeaux, founder of the famous and still existing abbey of Fontenay in Burgundy. In its structure, the treatise is divided in two parts, corresponding to a ladder: one can step up, ascending to the acquisition of virtues, leading the soul up-

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Hugh of St. Victor, Didascalicon de studio legend, ed. C. Buttimer (Studies in Medieval and Renaissance Latin 10), Washington 1939, 115: “Sicut in virtutibus, ita in scientiis quidam gradus sunt. Sed dicis: ‘multa invenio in historiis, quae nullius videntur esse utilitatis, quare in huiusmodi occupabor?’ bene dicis. Multa siquidem sunt in scripturis, quae in se considerata nihil expetendum habere videntur, quae tamen si aliis quibus cohaerent comparaveris, et in toto suo trutinare coeperis, necessaria pariter et competentia esse videbis. Alia propter se scienda sunt, alia autem, quamvis propter se non videantur nostro labore digna, quia tamen sine ipsis illa enucleate sciri non possunt, nullatenus debent negligenter praeteriri. Omnia disce, videbis postea nihil esse superfluum. Coartata scientia jucunda non est.” See also C. Giraud, L’école de SaintVictor dans la première moitié du XIIe siècle, entre école monastique et école cathédrale, in: D. Poirel (ed.), École de Saint-Victor. Influence et rayonnement du Moyen Âge à l’époque moderne, Turnhout 2010, 101 sqq. P. Bourgain, Le tournant littéraire du milieu du XIIe siècle, in: F. Gasparri (ed.), Le XIIe siècle. Mutations et renouveau en France dans la première moitié du XIIe siècle, Paris 1994, 304. As listed among other aberrations of Peter Abaelard in a letter to Innocent II after the council of Sens (1141, according to C. Mews’s chronology), Bernard of Clairvaux, Epistola 190, edd. J. Leclercq/H. Rochais (S. Bernardi Opera 8), Rome 1977, 17–40. Peter Godman thoroughly analysed stylistic subtleties of these polemical writings, cf. Godman, Silent Masters (nt. 35), 61–106. Bernard of Clairvaux, De consideratione, II, 6, edd. J. Leclercq/H. M. Rochais (S. Bernardi Opera 3), Rome 1963, 414: “Noveris licet omnia mysteria, noveris lata terrae, alta caeli, profunda maris, si te nescieris, eris similis aedificanti sine fundamento, ruinam, non structuram faciens.” See for details B. Stock, After Augustine. The Meditative Reader and the Text, Philadelphia 2001, 101–114. About St. Bernard’s use of the Delphic ‘Nosce te ipsum’ see P. Courcelle, Connais-toi toi-même de Socrate à Saint Bernard, vol. 1: Histoire du précepte delphique, Paris 1974, 258 sqq.

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wards, to self-consciousness, love and the knowledge of the Truth 47; and one can step down, descending to the path of vices and sin, eventually leading one’s soul to the fall. This spiritual exercise is a description of a mental scheme, based on a traditional ascetic Christian pattern, from the ladder that appeared to Jacob to the Greek ‘Ladder’ of St. John Climacus, translated into Latin in the XIth century. The curiosity, in Bernard, is a voluntary renunciation to self-knowledge, a perilous disease of the soul, the first, and hardest of twelve steps, on the ladder of pride. The idly curious, forgetful soul shall be driven out “to graze youg goats [kids]”, says Bernard, who was probably already thinking of his impressive commentaries on the Canticles 48. Curiosity with all its symptoms, diagnostics, and anamnesis, receives in Bernard’s treatise the same minute account as the rest of human vices, twelve witty satires on unworthy monks 49. Helped by vision and other senses, “it wanders around in areas which are of no concern to it (Curiositas cum oculis ceterisque sensibus vagatur in ea quae ad se non attinent )” 50. This definition, already known to the Fathers, is extraordinarily enlarged by Bernard. In opposition to this “wandering around” stands, in the second ladder, the first step of virtues: humility of the heart, expressed by walk and posture, with eyes cast down, an image of the monk fixed since the Rule of St. Benedict. A psychologically abnormal monk can be recognised from afar, says Bernard, with an ironic condescension: this fidget pricks up his ears, uneasily stares around, shakes his head. The scrutiny of the sky can be as blasphemous and useless, the inutilis inquisitionis curiositas of those who asked about the date of the Last Judgement (Mk. 13,32), because every son of Adam sinned against the sky. There is nothing common between this impious curiosity and the ‘novelty’ of Abaelard and other ‘dialecticians’, and the good inquisitiveness, the contemplation of the Word, the care (cura ) that a pastor takes for his ewe, the “happy curiosity (felix curiositas )” 51, of the angels 52. 47

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Humility is considered as the right way of self-knowledge: “Humilitatis vero talis potest esse definitio: humilitas est virtus qua homo verissima sui cognitione sibi ipse vilescit”, Bernard of Clairvaux, De gradibus humilitatis et superbiae, 2, 3, edd. J. Leclecrq/H. M. Rochais (S. Bernarid Opera 3), Rome 1963, 17. Ibid., 28, (nt. 47), 38: “animae morbus deprehenditur, quam, dum a sui circumspectione torpescit incuria sui, curiosam in alios facit. Quia enim seipsam ignorat, foras mittitur, ut haedos pascat […] In his ergo pascendis se occupat curiosus, dum scire non curat qualem se reliquerit intus. Et vere si te vigilanter, homo, attendas, mirum est si ad aliud umquam intendas.” J. Leclercq, Recueil d’études sur saint Bernard et ses écrits, vol. 5, Rome 1992, 321. I quote only few of the ninety-seven occurences of curiositas numbered by Dom Leclercq (ibid., 319). Bernard of Clairvaux, De gradibus, edd. Leclercq/Rochais (nt. 47), 14. Id., Sermones super Cantica Canticorum, 19, 2, edd. J. Leclercq/C. H. Talbot/H. M. Rochais (S. Bernardi Opera 1), Rome 1957, 109,18. In some general works on medieval mentality and culture one can find an illustration from some manuscripts, produced in the XIth century (e. g. Cod. Sangallensis 18, fol. 43r), of medieval “precursors of Galileo”, a monk looking through a tube directed to a vacuum, inscribed in a circle, divided into twelve (zodiacal) segments: it is not an ‘astronomer’, but Pacific of Verona, who invented the horologium nocturnum, useful for fixing the hours of the vigiliae: “Spera celi quater senis horis dum revolvitur, / Omnes stelle fixe celi que cum ea ambiunt / Circa axem breviores circulos efficiunt. / Illa igitur que polo apparet vicinior / Inter omnes tamen ei splendor est precipuus, / Ipsa noctium

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In many popular books on the ‘dark’ Middle Ages we find the famous allusion (rarely an exact quotation) to the first vita of Bernard, begun by his friend and admirer William of St. Thierry and continued by Geoffrey of Auxerre. According to it, the saint was riding along the Lac Léman and, in the evening, sitting around a fire with his fellows, said that he did not notice any lake 53. A modern reader will probably laugh at such a lack of curiosity, a more open-minded medievalist will surely accept that not all medieval men were so “uncurious” and “fanatics of faith”, to say it with Aron Gourevitch 54. Both are wrong. First, everyone who is accustomed with the particular, suddenly changeable climate of the foggy lake, clamped between the Alps, knows that it really can be completely hidden from view. In the second, more important, place, the author of the vita was not protocoling facts, but creating a ‘portrait’, a model, inspired by Bernard’s individual spiritual experience, by his writings, by the memories of his fellows and, last but not least, by his own understanding of what and how the famous abbot should have thought or spoken about. William was reconstructing, and writing down, his mens. It is not fortuitous that this short account of his travel to the Chartreuse, all participants, including the prior of the famous abbey, “were impressed (mirati sunt )” by the self-concentration of the saint, who demonstrated an astonishing, nearly supernatural self-control, a true ‘sensuum custodia’ 55. We probably will never know what Bernard really felt and saw that day, on the river of the Lac Léman, worshipped today for its natural beauty and closeness to skiing resorts. Bernard used the word ‘curiositas’ in different, even contradictory manners. In this literary playing on senses he was, in his century, just a master among others 56. But we do have to remember, that this play was a deep one, it was an architecture of minds. Let us see how it worked.

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horarum computatrix dicitur. […] Ante axem si quis volvens curiosus steterit, / Equinoctium vernale a sinistra noverit, / Cernere ad dextram ui autumpnale poterit”. We are invited to rotate the tube, not for the sake of curiosity, but “with all care”: curiosus steterit. It is a safe, salutary contemplation of the spheres, helping hard nocturne prayers. And Pacific was not an ordinary monk at all: his epitaph praises him as a carver, restorer of churches, caster, but also scribe and commentator of both Testaments. This combination of talents in liberal and mechanical arts was but rare! See for more details J. Hamburger, Idol Curiosity, in: K. Krüger (ed.), Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit, Göttingen 2002, 42–47. Geoffrey of Auxerre (of Clairvaux), Vita prima sancti Bernardi Claraevallis abbatis, III, 4, ed. P. Verdeyen (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 89B), Turnhout 2011, 136: “Quod uerbum saepe dictus prior audiens, in eo potissimum mirabatur, quod sic ille Dei famulus foris oculos circumcidisset, intus animum occupasset, ut quod ipse primo offenderat uisu, hoc ille tanti itineris spatio non uidisset, nec considerasset omnino. Iuxta lacum etiam Lausanensem totius diei itinere pergens, penitus eum non uidit, aut se uidere non uidit. Cum enim uespere facto de eodem lacu inter se socii colloquerentur, interrogabat eos ubi ille lacus esset, et mirati sunt uniuersi.” A. Gurevich, Ya. Categorii srednevekovoi kultury. Moscow 1984, 74. Cf. Augustinus, Confessiones, I, 20, 31, ed. Verheijen (nt. 20), 17,5 sqq. P. Dronke, Secolo XII, in: C. Leonardi (ed.), Letteratura medievale (Secoli VI–XV). Un manual, Florence 2003, 236. 255 sq.

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The lust of the eyes, not a general luxuria, is, for Bernard, the root of the Fall, so the eyes, with the whole body shall be oppressed by fasting: “If other members sinned, why shall they not fast too? Shall the eye fast, since it robbed the soul, shall the ear, the tongue, the hand, and shall the soul it self fast. Shall the eye fast of seeing curious things and all bagatelles, in order that one who, in a bad way, freely loafed in sin, shall, in a good way, humiliate himself by penitence” 57. Curious are not the heirs of God, but of Dina and Eve, and through Eve, of Satan 58. Bernard rhetorically asks Dina, daughter of Jacob and Lia: “What are you gazing for? What’s the point? Only curiosity?” 59. And he goes on commenting, in his own, untranslatable, way: otiosa curiositas vel curiosa otiositas 60. The idleness is syntactically inseparable from the curiosity, despite any logic which would juxtapose any inactivity, at least intellectual, with a lack of curiosity. This chiastic juxtaposition can surely be compared to another famous influential and often commented on Bernardian chiasmus, “mira quaedam deformis formositas ac formosa deformitas” 61, by which he reacted to the curious exuberances of Romanesque plastic, as exemplified by the decorum of Odo’s basilica, known as ‘Cluny III’. Cistercians did not like any excesses, any superflua, which, for them, derived from the sensitive part of human nature, even if this sensuality was sublimized and spiritualized by the great art of Cluny, on the roads to Compostela 62. Let us remember that the abbey church of Fontenay, still well preserved, was constructed under direct influence of the mother abbey of Ci57

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Bernard of Clairvaux, Sermones in Quadragesima, 3, 4, edd. J. Leclercq/C. Talbot (S. Bernardi Opera 4), Rome 1966, 367: “Si vero peccaverunt et membra cetera, cur non ieiunent et ipsa? Ieiunet igitur oculus, qui depraedatus est animam; ieiunet auris, ieiunet lingua, ieiunet manus, ieiunet etiam anima ipsa. Ieiunet oculus a curiosis aspectibus et omni petulantia, ut bene humiliatus coerceatur in paenitentia, qui male liber vagabatur in culpa Ieiunet auris nequiter pruriens a fabulis et rumoribus, et quaecumque otiosa sunt, et ad salutem minime pertinentia.” One is tempted to compare Bernard’s image to the contemporary famous, and enigmatic, Eve, in relief, attributed to the master Gislebertus, now in the Musée Rohan, in Autun. Bernard of Clairvaux, De gradibus, 29, edd. Leclercq/Rochais (nt. 47), 39,9 sq. Ibid., 39,12. Bernard of Clairvaux, Apologia ad Guillelmum abbatem, 29. For an exhaustive commentary and a critical edition see C. Rudolph, Things of Greater Importance. Bernard of Clairvaux’s Apologia and the Medieval Attitude Toward Art. Philadelphia 1991, quote 282: “Ceterum in claustris, coram legentibus fratribus, quid facit illa ridicula monstruositas, mira quaedam deformis formositas ac formosa deformitas? Quid ibi immundae simiae? Quid feri leones? Quid monstruosi centauri? Quid semihomines? Quid maculosae tigrides? Quid milites pugnantes? Quid venatores tubicinantes? Videas sub uno capite multa corpora, et rursus in uno corpore capita multa. Cernitur hinc in quadrupede cauda serpentis, illinc in pisce caput quadrupedis. Ibi bestia praefert equum, capram trahens retro dimidiam ; hic cornutum animal equum gestat posterius. Tam multa denique, tamque mira diversarum formarum apparet ubique varietas, ut magis legere libeat in marmoribus, quam in codicibus, totumque diem occupare singula ista mirando, quam in lege Dei meditando. Proh Deo! si non pudet ineptiarum, cur vel non piget expensarum?” M. Schapiro, On the Aesthetic Attitude in Romanesque Art [1947], in: id., Romanesque Art, New York 1977, 6 sqq. Another English Cistercian, to the end of the 12th century, criticized contemporary Christian art in the same, even if not so elegant and ingenious, form, M. R. James, Pictor in carmine, in: Archaeologia 94 (1951), 141–166.

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Central nave of the Fontenay Abbey, Burgundy, consecrated 1147 (Photo Oleg Voskoboynikov)

teaux. The floor is sandy, not tiled, and the only religious image was probably a crucifixion on the altar. Bernard and his followers were ascetic in everything except the use of words. In order to condemn curiosity, as well as in his battle against the ‘untamed Rhinoceros’, Peter Abaelard, he did not spare any rhetorical means. Let us try to realize the importance of quite untranslatable alliterations of n, s, t in the following phrase: “Nisi enim mens minus se curiose servaret, tua curiositas tempus vacuum non haberet (If your soul had taken better care of itself, there would have been no free time for curiosity)” 63. Literary historians even stated that we are dealing with an apex of medieval classicism, with an almost Mannerist “surplus in artistry (Übermaß an Kunst)” 64. Perhaps. Bernard’s artistry is well known, but what does it mean for the history of ideas? I am sure enough, that precisely this artistry, his elaborate syntax, combination of allusions, ambiguities, paradoxical juxtapositions, consonances between opposites, all this formed his moral code. 63 64

Bernard of Clairvaux, De gradibus, 30, edd. Leclercq/Rochais (nt. 47), 39,28. H. Friedrich, Über die Silvae des Statius (insbesondere V,4, Somnus) und die Frage des literarischen Manierismus, in: H. Meier/H. Sckommodau (eds.), Wort und Text. Festschrift für Fritz Schalk, Frankfurt am Main 1963, 38, quoted in Bös, Curiositas (nt. 18), 159.

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“The Serpent increases our troubles, while exciting our gluttony, sharpens the curiosity, while suggesting cupidity (auget [serpens] curam, dum incitat gulam, acuit curiositatem dum suggerit cupiditatem )” 65. There is nothing particularly new in the sequence of vices, but the use of homoioteleuta is, for Bernard, an argument in itself, borrowed from Seneca, one of the favourite pagan moralists for the whole Middle Ages, but Bernard’s use of tropes is more dense. As I said, the chapter on curiosity strikingly exceeds all others, it is a kind of digression. Now, let us imagine, that within this digression Bernard manages to squeeze in another ‘essai’, a disputatiuncula, on the fall of Lucifer 66. Its small size and structural subordination to the whole of the chapter should not mislead us: Bernard tries to resolve a little question of the origin of evil in the world. The root of betrayal committed by the best of the angels was his curiosity: “Where does your curiosity lead you, wretched, so that you, with a singular arrogance, don’t hesitate to make scandal to subjects and outrage to the King? […] I’m rather curious to inquire, oh curious, the intention of your curiosity” 67. Burned with curiosity, our theologically thinking psychologist, this time using a polyptoton, finds the answer: the best of angels wanted to know the extent of divine patience, but did not foresee the consequences. He overestimated the divine goodness, was blinded by a mirage of omnipotence and by his own curiosity. And this, an indefinite time before Eve! This ‘primordial’ curiosity is the sin of sins, a sin born, as it were, before time, but still deviating each of us from the right way. The conclusion of the ‘essai’ is brief: Lucifer fell from truth because he curiously looked at something he then illegitimately desired and arrogantly aspired 68. With this thoroughly constructed sequence (spectavit curiose – affectavit illicite – speravit praesumptuose ) Bernard returns to what was already clear to St. Augustine: the lust of the eyes entails the lust of the heart. *** Shall we call this extraordinary critic of curiosity a retrograde? Was he someone who did not see the world around him for the sake of purely spiritual values? Or was he someone who was looking for spiritual values in every minuscule detail of the Creation: “What a reverence, fear, and humility shall feel a fearful frog when it suddenly emerges from its bog and crawls forward!” 69 A 65 66 67

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Bernard of Clairvaux, De gradibus, 30, edd. Leclercq/Rochais (nt. 47), 40,4. Ibid., 36 (nt. 47), 43 sq. Bernard of Clairvaux, De gradibus, 31, edd. Leclercq/Rochais (nt. 47), 40: “Quo te tua, miser, curiositas ducit, ut praesumptione singulari non dubites civibus scandalum, iniuriam facere Regi?”, ibid., 36 (nt. 47), 43: “Velim tamen curiosius, o curiose, intentionem tuae curiositatis inquirere.” Ibid., 38, (nt. 47), 45: “De quo etiam nonnullis quaestiunculis motis magis quam solutis, totius disputatiunculae haec summa sit: quod per curiositatem a veritate ceciderit, quia prius spectavit curiose, quod affectavit illicite, speravit praesumptuose.” Bernard of Clairvaux, Sermones de diversis, 25, 7, edd. J. Leclercq/H. M. Rochais (S. Bernardi Opera 6/1), Rome 1970, 192 sq.: “Quanta ergo cum reverentia, quanto timore, quanta illuc humilitate accedere debet a palude sua procedens et repens ranuncula vilis?”

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modern zoologist would probably give different explanations while seeing a frog’s head appearing on the surface of a dead-water and its lingering, calm hesitation (for fear of a heron, for necessity of keeping the low body temperature, for humidity’s sake?). William of Conches, a physicist, if compared to his contemporary Cistercian, looked at frogs in context of a great chain of being, as it were, among other atmospheric phaenomena, because tadpoles seemed to spring up instantaneously from puddles 70. Do we really have the right to ask who was right? Or more curious? Or more rightly curious? One hundred years later, an extremely investigative mind, emperor Frederick II, “vir inquisitor et sapientie amator” 71, as he proudly calls himself, tried, like William, to look for the “naked truth”, to “demonstrate things as they are (manifestare ea que sunt sicut sunt )” 72. This was, as we now know, part of a great-scale cultural project. His younger contemporary, the friar chronicler Salimbene de Adam, probably with many of his fellows, clerics and laics, condemned it as a whole: his perfidious experiments on living men, he says, his “superstitiones et curiositates et maledictiones et incredulitates et perversitates et abusiones” 73 led him, and, worse, also his fellows, to “Epicureanism” 74, i. e. disbelief 75. Salimbene was fond of this exemplary ruler (despite his vices and his persecution of the Church and the Franciscans), as was Dante, who, for the same reason, condemned him to Hell 76, but praised him in his ‘De vulgari eloquentia’ 77. This visible inconsistency of two famous historians of their much turbulent century deserves to close our short story. The real history of curiosity in the Middle Ages is still to be written. But even an overview of several, discordant and concordant, opinions shows that we can’t call someone who did not notice a beautiful lake ‘uncurious’, and someone much interested in natural phenomena too ‘curious’. They all participated in an unfinished discussion. 70

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William of Conches, Philosophia, III, 2, 9, ed. Maurach (nt. 29), 76: “Quarta causa pluviarum est ventus elevans humorem de stagnis, fluviis et lacubus. Inde est quod ranunculi et pisces a multis visi sunt de aere cadere. Cum enim, ut praediximus, aqua a vento subtollatur, contingit quod ranunculos et pisces secum elevat, quibus e naturali gravedine descendentibus stupent ignorantes”. Fridericus II., De arte venandi cum avibus, prologus, ed. A. Willemsen, vol. 1, Leipzig 1942, 2. Ibid. Salimbene de Adam, Chronica, ed. O. Holder-Egger (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 32), Hannover–Leipzig, 1905–1912, 351,29 sq. ibid., 352: “ad destructionem Friderici et sapientum suorum, qui crediderunt, quod non esset alia vita nisi presens, ut liberius carnalitatibus suis et miseriis vacare possent. Ideo fuerunt Epycuri, quibus convenit quod ait Iacobus V: Epulati estis super terram et in luxuriis enutristis corda vestra.” In a similar way, Jacob of Vitry was indignant at the curiosity of seeing the marvels of the East as the only one reason that led the crusaders to the Holy land, id., Historia orientalis, I, 83, Douai 1597, 164 sq.: “Multa enim in partibus illis mirabiliter operatus est Dominus, que sicut iusti et bene affecti et prudentes homines ad laudem Dei conuertunt et gloriam; quemadmodum beatus Brandanus longo tempore per maria nauigauit, ut uideret mirabilia Dei in profundo, ita leues et curiosi homines ad uanitatem retorquent, que Dominus in argumentum potentie sue et materiam laudis dignatus est operari”. Cf. P. Gauthier Dalché, L’espace géographique au Moyen Âge, Florence 2013, 362. Dante Alighierei, Divina Commedia, I: Inferno, X, 118 sq. Id., De vulgari eoquentia, I, 12, 4, ed. P. V. Mengaldo, Dante, Opere minori, vol. 2 (La Letteratura Italiana, Storia e Testi 5/2), Milan 1979, 100.

Curiositas oder stupor ? Wunder und Wissen des himmlischen Paradieses in Dantes ‚Divina Comedia‘ Anne Eusterschulte (Berlin) ‚mirificata est scientia tua ex me; inualuit, et non potero ad illam.‘ [Ps. 138,6] ex me quippe intellego quam sit mirabilis et incomprehensibilis scientia tua qua me fecisti quando nec me ipsum comprehendere ualeo quem fecisti, ‚et tamen in meditatione mea exardescit ignis‘ [Ps. 38,4] ut quaeram faciem tuam semper. 1

I. Odyssee der theoretischen Neugierde In seiner Studie zum ‚Prozeß der theoretischen Neugierde‘ 2 hat Hans Blumenberg die These entwickelt, dass sich Geschichte in der Moderne „unter den Kategorien des Naturereignisses“ 3 betrachtet wie eine Naturnotwendigkeit darstelle, die sich alternativlos und in scheinbar natürlicher Folgerichtigkeit vollziehe. Was sich wie nach einer Naturordnung zeitigt, verlangt keine philosophische Begründung und entledigt der moralischen Rechtfertigung. Wenn also historisch-soziale, wissenschaftsgeschichtliche, zutiefst mit technischen Innovationen verbundene Entwicklungen aus moderner Sicht gleichsam den Lauf der Natur darstellen, i. e. der permanente Drang nach einer Ausdehnung des menschlich Wissbaren sich anthropologisch begründen lässt und so einer immanenten Teleologie der menschlichen Natur folgt, dann muss es als obsolet erscheinen, nach Beweggründen, Interesssen oder Strategien zu fragen, die den Prozess theoretischer Neugierde vorantreiben. In der Konsequenz hieraus manifestiert sich für Blumenberg die Eigendynamik wissenschaftlicher Weltaneignungen in reziproker Expansion theoretischer 1 2

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Augustinus, De Trinitate, XV, 7, 13, edd. W. J. Mountain/F. Glorie (Corpus Christianorum Series Latina 50A), Turnhout 1968, 479,117–122. cf. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt am Main 1966, 203–432; Neufassung: id., Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Erweiterte und überarbeitete Ausgabe von ‚Die Legitimität der Neuzeit‘, dritter Teil (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 24), Frankfurt am Main 1973 (= id., Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe [1988] [Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268], Frankfurt am Main 1996, 263–528). Blumenberg, Legitimität [1966] (nt. 2), 203.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-003

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Exploration wie technischer Praktiken im 20. Jahrhundert als verselbstständigter Forschungsapparat, der allein systemimmanenten Mechanismen von Progress, Effizienz und Optimierung zu folgen scheint. Blumenberg fahndet nach Voraussetzungen einer Motivation, die eine vermeintlich unverzichtbare und unablässige Vorwärtsbewegung der Wissenschaften in Gang gesetzt hat und hält. Ihm geht es um die Etablierung einer theoretischen Einstellung und damit um ein geschichtliches Selbstverständnis, das sich historisch in Korrelation mit Wissenschaftskonzepten bewähren und behaupten konnte. Was sind die geistesgeschichtlichen wie historisch-materialen Beweggründe oder -kräfte, die den menschlichen Wissenseifer unabhängig von der Orientierung auf ein gutes Leben gleichsam ziellos, dem Ideal der Erweiterung folgend, auf das offene Meer wissenschaftlich unerkundeter Gebiete treiben und ihm Akzeptanz verschaffen konnten? Ist der menschliche Wissensdurst Reaktion auf eine geistesgeschichliche Grenzsetzung oder entschiedener adressiert: auf eine theologische Verweigerung von Orientierung? Wir nähern uns Blumenbergs Neuzeithypothese: Die Verselbstständigung der neuzeitlichen Wissenschaften inklusive der Selbstlegitimierung ihres Anspruchs auf Freisetzung theoretischer Neugierde speist sich aus einer Provokation. Sie fordert, so Blumenberg, geradezu eine theoretische Einstellung heraus, die das Wagnis explorativer Ausfahrten in das unbegrenzte Gefilde zu erkundender Kontinente wagt, zu Wasser, zu Lande und am Himmel. Die Figur des Navigators aus Neugierde wird uns im Weiteren zu Dantes Odysseus führen. Folgen wir Blumenberg, dann kann sie als Resultat einer geistesgeschichtlichen Absetzungsbewegung gesehen werden, das heißt vor der Kontrastfolie einer moralischen Kritik unbeschränkten Wissenswollens, wie es in der mittelalterlichen Geistesgeschichte, angefangen mit Augustins Verurteilung menschlicher curiositas, bis ins Spätmittelalter zu konstatieren sei: eine Diskriminierung intellektuellen Wissensbegehrens als unmäßige Neugierde und Irrfahrt der menschlichen Vernunft. Die neuzeitliche Emanzipiation eines wissenschaftlich entgrenzten menschlichen Selbstbewußtseins ist ihm Ausdruck des Versuchs, sich von transzendenten Unwägbarkeiten, dem Verwiesensein auf göttliche Gnade und einer Heilsökonomie, die sich der menschlichen Verfügbarkeit entzieht, frei zu machen und Selbststand im Irdischen zu gewinnen. Blumenbergs Neuzeittheorie findet ihren Angelpunkt in einer Figur, die sich als ‚Nominalismus-Effekt‘ bezeichnen ließe. Sie zieht sich in Variationen durch sein gesamtes Werk und weist auf eine Art ‚Dialektik der Verunsicherung‘. Kurz gefasst und in einer longue durée-Perspektive skizziert: Mit der Etablierung des Christentums kann sich in der Spätantike eine Offenbarungstheologie durchsetzen, die dem instabil gewordenen Orientierungsrahmen antiken Wissens, i. e. dem Kreditverlust einer Philosophie, die sich auf eine im Kosmos manifeste, metaphysisch substantiierte Ordnung sowie hieran gebundene Eudaimoniekonzeptionen gründete, das Vertrauen auf einen personalen, allmächtigen, allgütigen und in seinem Allwissen gerechten Gott und sein Erlösungswirken entgegensetzt. Es sind nicht zuletzt skeptische Infragestel-

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lungen widerstreitender Schulbildungen, die das antike Welt- und Lebensmodell in Frage stellen, so dass der christliche Glaube mit seiner Verheißung einer Glückseligkeit im Jenseits in einer Art ‚Gewissheitsvakuum‘ Raum greifen kann 4. Doch es ist eben diese, durch die christliche Eschatologie verbürgte Heilsgewissheit, die im Kontext des mittelalterlichen Nominalismus erschüttert wird, sofern das Gnadenwirken Gottes und damit die Heilserwartbarkeit in eine dem menschlichen Wissen entzogene Unwägbarkeit entrückt wird. Die Unkalkulierbarkeit göttlichen Wollens und Wirkens, das Walten eines sogenannten ‚Willkürgottes‘, und das heißt die radikale Verunsicherung angesichts der Unbegreiflichkeit des göttlichen Plans, der sich die Menschheit ausgesetzt sieht, provoziert, so Blumenberg, eine emanzipatorische Selbstbehauptung: Wo die Einsicht in die göttliche Heilsordnung und ein transzendetes Glück verwehrt bleiben, wendet sich das desavouierte Bewusstsein auf innerweltliche Wissenshorizonte mit den Mitteln und in der Reichweite menschlicher Rationalität und Erfahrungsfähigkeit 5. Blumenberg diagnostiziert eine epistemische Kompensation in Reaktion auf eine Enttäuschung oder Versagung der Wahrheitsteilhabe in Gott, die nun als wissenschaftliche Selbstermächtigung des Menschen auf das Diesseits umgelenkt wird. Neuzeitliche Wissenssucher wie Descartes, Bacon oder auch Columbus treten als Gallionsfiguren neuzeitlicher Wissensemanzipation auf den Plan. Die theoretische Neugierde nimmt Fahrt auf, unternimmt eine Kartierung der empirisch erkundbaren Welt und entwirft ein Navigationssystem in Rekurs auf rationale Vernunftgründe des menschlichen Geistes, das keiner göttlichen Gnadenakte bedarf. Vielfach sind es nautische Metaphern – auch vor dem Hintergrund imperialer Interessen einer globalen Weltaneignung – , die diesen neuen Kurs menschlicher Wissensautarkie signalisieren, die Gefahren nicht scheut, entschlossen zwischen Skylla und Charybdis hindurchsegelt, wo es ungeahnte Weiten zu vermessen und in Besitz zu nehmen gilt, die bis dato als terra incognita jenseits der Grenzen epistemischer Lizenenzen lagen 6. Blumenberg markiert damit die Epochenschwelle zur Neuzeit, die den Aufbruch in die Wegführungen der Moderne bahnt. Angesichts dieser Wende ins Diesseits stellt sich die mittelalterliche Geisteswelt um so mehr als überkommene Vergangenheitsgestalt eines theologisch-moralisch restriktiven Wissens4

5 6

Diese Deutung eines Übergangs von der Antike zum Mittelalter, wonach das Christentum sich gewissermaßen in der Phase eines Orientierungsverlusts durchsetzen konnte, sofern die antike Philosophie, in Zweifel gezogen durch die Invektiven der hellenistischen Skepsis, nicht länger Wege zur Erlangung der Glückseligkeit zu garantieren vermochte, so dass sich das christliche Versprechen einer transzendenten Glückseligkeit behaupten konnte, wurde von Malte Hossenfelder, der seinerseits auf Blumenberg Bezug nimmt, prominent formuliert. Cf. M. Hossenfelder, Einleitung, in: Sextus Empiricus, Grundriß der pyrrhonischen Skepsis, Frankfurt am Main 1968, 10. Cf. Blumenberg, Legitimität [1966] (nt. 2), 330 (Erneuerte Ausgabe, 391 sq.). Hierzu H. Blumenberg, Schiffbruch mit Zuschauer. Paradigma einer Daseinsmetapher (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 289), Frankfurt am Main 1979, 9–12.

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verständnisses dar. Es ist Dantes Figur des Odysseus, die für Blumenberg aus mittelalterlicher Sicht das desillusionierende Modell einer hybriden Wissensnautik mit all ihren Ambivalenzen exemplarisch verkörpert 7. Treibt Dantes dichterische Innovation, den listenreichen antiken Odysseus als Wissenssuchenden zu inszenieren, die Diskrepanz zwischen dem Augustinischen curiositas-Verdikt und dem Aristotelischen Grundsatz, jeder Mensch strebe von Natur nach Wissen, auf die Spitze, um einen prinzipiellen Vereinbarkeitskonflikt zwischen zwei gleichermaßen autoritativen Traditionen zu problematisieren? Oder rückt Dante in der ‚Divina Comedia‘ die Irrfahrt des Wissensuchenden bzw. eine Hybris des mythologischen antiken Helden, der an seinem Wagemut und seiner Kühnheit zerschellt, in den Fokus einer Odyssee der curiositas, die mit Höllenqualen gestraft wird? Doch auch wenn wir geneigt wären, einem dieser Auslegungsmodelle zuzustimmen: Heißt das, dass Dante damit eine Verurteilung theoretischer Neugierde vollzieht? Wir werden einen anderen Kurs verfolgen. Für Blumenberg jedenfalls lässt sich an der Genese des Selbstverständnisses neuzeitlicher Wissensexpansion nachvollziehen, wie die beanspruchte Freisetzung der theoretischen Vernunft an ihren Herausforderungen wächst. Nicht nur hat sie es mit der nominalistischen Provokation aufgenommen, sondern stellt sich im Zuge der Emanzipation von einem unerkennbaren Gotteswillen einer weiteren Herausforderung. Die epistemische Nobilitierung theoretischer Neugierde etabliert sich aus dieser Deutungsperspektive auch im Gegenzug zur Augustinischen Definition von ‚curiositas‘ und setzt sich als Aufbruch in die offenen Weiten des Wissbaren gegen ein statisches Modell von Wahrheitsbesitz, wie es das mittelalterliche Denken charakterisiere, zur Wehr. Zum Kennzeichen eines so verstandenen neuzeitlichen Aufbegehrens gegen die Selbstlimitierung von Wahrheitsansprüchen – gekennzeichnet als mittelalterliche Statik – wird die Prozessualität der unablässigen Suche, i. e. ein progressives, dynamisches Wissensverständnis, dem es nicht vorrangig um das Auffinden von Wahrheit über die theoretische Inbesitznahme der empirisch vorfindlichen Gegenstände geht, sondern dessen Interesse sich vielmehr auf eine Verfügbarmachung richtet, etwa in der technischen Funktionalisierung bzw. Operationalisierung von Wissensbefunden, um so die Selbstständigkeit menschlicher, rationaler Wissensfundierung unabhängig von göttlichen Gnadenakten unter Beweis zu stellen. Die moralisch verfemte mittelalterliche curiositas wird damit geradezu zu einer Triebfeder neuzeitlicher Grenzüberschreitungen: „In der Art wie Augustin und nach ihm das Mittelalter die Neugierde aufgefaßt, in die Skala der menschlichen Kardinallaster eingereiht und bestimmten Gegenstandsbereichen zugeordnet hatte, ist schon so etwas wie die ‚Prozeßordnung‘ der Rehabilitierung der curiositas vorgezeichnet.“ 8 Und eine solche zumindest theoretische Überschreitung lässt mit der neu7

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Blumenberg, Legitimität [1966] (nt. 2), 206: „Dantes Bild von dem über die Säulen des Herkules hinausfahrenden Odysseus mit dem Blick auf den aus dem Weltmeer emporragenden dunklen Berg [verbindet] Unheil und Untergang“. Blumenberg, Legitimität [1966] (nt. 2), 209.

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zeitlichen Astronomie nicht nur die Vorstellung eines geschlossenen, konzentrisch gestuften endlichen Kosmos hinter sich, sie wagt sich auch innerkosmisch über die Säulen des Herkules hinaus ins offene Meere neuer Wissenskontinente. So überzeugend sich die These einer Rehabilitierung der theoretischen Neugierde in Reaktion auf die mittelalterliche Limitierung menschlichen Wissensbegehrens ausnimmt und begreiflich zu machen versteht, wie die in den Katalog kardinaler Laster eingeschriebene curiositas geradezu umschlägt in eine Freisetzung der wissenschaftlichen Welterkundung, so wirft die generalisierende Charakterisierung ‚des‘ Mittelalters inklusive der attestierten, den Umschlag provozierenden ‚Statik‘ Fragen auf. Operiert sie doch ihrerseits mit einem dichotomen Modell von epistemischer Beharrung und Beweglichkeit, um die neuzeitliche Ausfahrt auf die hohe See des Wissbaren als Entgrenzung wissenschaftlicher Neugierde bestimmen zu können. Versuchen wir die Perspektive neu zu justieren, um ein anderes Bild zu gewinnen, indem wir die Frage nach der Verhandlung theoretischen Erkenntniswillens bzw. die Einstellung des Wissensbegehrens in Abgrenzung zur verurteilten Neugierde nicht auf den Bereich der innerweltlich-externalisierten, naturwissenschaftlich-technischen Ambitionen beschränken, sondern im Horizont einer über die Welt der empirisch verfügbaren Dinge hinausweisenden, eschatologischen Blickrichtung verfolgen und hierbei das Augenmerk nicht allein auf die Verurteilung menschlicher curiositas legen, sondern das Gebiet des Staunenerregenden, Wundersamen, kurz den Erfahrungsbereich des Wunderwirkens Gottes erkunden. Hatte doch bereits Augustinus Erstaunen (admiratio ) und tiefste Verwunderung als Ausdruck seiner Erkundung der unergründlichen Tiefen des Bewusstseins konstatiert, eines stupor, der instantane Erschütterung und Dynamik auslöst, also keineswegs in eine Erstarrung mündet, sondern vielmehr getrieben von der Gottessuche auf dem Grunde der Seele eine fortlaufende Erkenntnisbewegung in Gang setzt. Muss doch der menschliche Geist erfahren, dass er sich selbst als zu eng, zu eingeschränkt erfährt, um sich selbst erfassen zu können: „et vis est haec animi mei atque ad meam naturam pertinet, nec ego ipse capio totum, quod sum. ergo animus ad habendum se ipsum angustus est, ut ubi sit quod sui non capit?“ 9 Der Geist vermag der gewaltigen Kraft des Gedächtnisses, eines unendlichen Innenraums („penetrale amplum et infinitum“ 10 ), nicht auf den Grund zu gehen. Großes Verwundern überkommt ihn und er wird von Staunen ergriffen 11. Es ist dies zugleich eine berühmte Stelle, an der Augustinus die menschliche Wissenslust und das Bestaunen (mirari ) der scheinbar entgrenzten Phänomene der äußeren Welt angesichts von Höhe, Tiefe, Erstreckung, Gewaltigkeit, Kraft 9

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Augustinus, Confessiones, X, 8, 15, ed. M. Skutella [1934], ed. cor. H. Juergens/W. Schaub (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana 1106), Berlin–Boston, 2009, 220. Ibid. Ibid.: „Multa mihi super hoc oboritur admiratio, stupor apprehendit me.“

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etc. gegen das bewundernde Erstaunen (admiratio, stupor ) 12 eingedenk der immensen, unerfasslichen inneren Weiten des Bewusstseins absetzt: „Da gehen die Menschen hin und bestaunen (mirari ) die Gipfel der Berge, die ungeheuren Wogen des Meeres, das gewaltige Strömen der Flüsse, die Größe des Ozeans und die Kreisbahnen der Sterne, aber sich selbst vergessen sie. Sie erstaunen nicht darüber (nec mirantur ), dass ich all diese Dinge, während ich sie aussprach, nicht mit Augen sah“ 13. Das Modell einer solchen intramentalen Reise, gekennzeichnet als Aufstiegsprozess der Seele zu Gott im Verlangen nach ewigem Heil, erlaubt es, in imaginativen, literarischen Rahmungen gegen die verurteilten Verirrungen des theoretischen Wissensbegehrens, das sich in den immensen Weiten der Außenwelten verliert, einer Intensivierung der inneren Auslotung geistiger Erfahrung im wahrsten Sinne des Wortes Raum zu geben. Und doch handelt es sich nicht um literarische Fiktionen, sondern um Einsichten mit Wahrheitsanspruch, die theologisch durch ihren Illuminationscharakter als visionäre Erfahrungen Dignität beanspruchen und dem fortschreitenden Wissensbegehren eine Lizenz verleihen. Ist doch für Dante, um diesen Anspruch bereits vorwegzunehmen, mit ‚stupor‘ ein „stordimento d’animo“ 14 angesprochen, ein tiefes Erstaunen der Geistseele, die angesichts großer, wundersamer Dinge in Ehrfurcht verfällt, wobei in eben diesem affektiven Zustand des Erstaunens zugleich ein Begehren ausgelöst wird, über diese staunenerregenden Dinge Wissen zu erlangen („sapere di quelle“ 15 ). Hier geht es fraglos um ein Wissensbegehren, das über die Grenzen des menschlich Verfügbaren hinausweist. Wir haben es mit einem affektiven Erfahrungszustand zu tun, einer seelischen Spannung zwischen Überwältigung angesichts einer das Auffassungsvermögen übersteigenden Größe, die gleichsam ehr12

13

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Angesichts des engen Zusammenhangs von mirari und admirari ist für den mittelalterlichen Begriffsgebrauch geltend gemacht worden, dass mit dem Präfix ad- die Aufwärtsrichtung, also ein Staunen in Aufsehen zu, i. e. ein visionärer Ascensus zu Gott aufgerufen wird. Cf. V. Atturo/ A. Bourke, ‚Ad-miratio‘ in Richard of St. Victor and Dante, in: Dante Studies, with the Annual Report of the Dante Society 129 (2011), 99–124, hier 102 sq. Für Augustinus – und so auch für Dante – ist an dieser Stelle wesentlich, dass es sich um eine Wendung auf die Innenwelten des Bewusstseins handelt. Der Aufstieg ist so gewissemaßen eine Vertiefung, die um die Möglichkeiten einer Versprachlichung ringt. Die paradoxe Annäherung an die unerfassliche göttliche Erhabenheit im Zuge kontemplativer Versenkung ist kein Rückzug auf eine Verinnerlichung, sondern explorative Entfaltung einer visionären Dynamik, die sich angesichts der Ineffabilität des Erfahrenen in poetisch-prophetischer Darstellung mitteilt. Augustinus, Confessiones, X, 8, 15, ed. Skutella (nt. 9), 220: „et eunt homines mirari alta montium et ingentes fluctus maris et latissimos lapsus fluminum et Oceani ambitum et gyros siderum et relinquunt se ipsos nec mirantur, quod haec omnia cum dicerem, non ea uidebam oculis“. Übersetzung K. Flasch/B. Mojsisch, Augustinus, Confessiones/Bekenntnisse, Stuttgart 2009, 481. Dies ist zugleich der locus classicus, den Petrarca in seinem Brief über die Besteigung des Mont Ventoux aufruft, um sich gegen das neugierige Irren in den Weiten des Weltwissens zu verwenden. Cf. Dante Alighieri, Das Gastmahl, IV, 25, 5, edd. R. Imbach/R. Béhar/T. Ricklin (Dante Alighieri, Philosophische Werke 4/4 = Philosophische Bibliothek 466d), Hamburg 2004, 180. Ibid.

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fürchtig zurückschrecken, innehalten und erstarren lässt, aber zugleich das Movens für den Umschlag in ein geistiges Erkenntnisbegehren wird. Bei Augustin werden die Größe, Gewaltigkeit, unermeßliche Erstreckung mitsamt den gewaltigen Kräfte von empirischen Phänomenen, die über die perzeptiven Fähigkeiten hinausgehen und doch zugleich faszinieren, in Bann ziehen und anreizen, dieser wissend habhaft zu werden, in Bezug auf die äußeren Erscheinungen als Kardinalfall einer ins Ziellose sich verlierenden theoretischen Neugierde gekennzeichnet. Ganz anders verhält es sich bei der Wendung auf den Innenraum der Seele, im Hinhören auf die Gotteserfahrung, die wahrnehmbar wird, wenn der Lärm der Welt zum Schweigen gebracht ist, „so dass wir ihn ohne all das hören, so wie wir uns jetzt ausspannen und in einem Denkaugenblick die ewige Wahrheit berühren, die über allen Dingen bleibt“ 16. Was aber wäre, wenn dieser plötzliche, rapide Zustand des Eintauchens in ‚innere Freuden (interiora gaudia )‘, die den Sehenden hinreißen und in sich hineinziehen, der hier in einem blitzartigen raptus Einsicht in die Freuden des ewigen Lebens gewinnt, wenn also der Blick des Sehenden ganz und ohne zeitliche Schranken von dieser Freude aufgesogen wäre? „Und wann wird das sein? Vielleicht erst, wenn wir alle auferstehen, aber nicht alle verwandelt werden?“ 17 Die raptus-Erfahrung wird bei Augustinus zugleich als affektive Berührung der göttlichen Weisheit, gleich einem Aufzucken des Herzens („attingimus eam [i. e. sapientiam] modice toto ictu cordis“ 18 ) gefasst wie als „augenblickshafte Einsicht (momentum intelligentiae )“ 19. Die irdischen Phänomene treten vollends zurück angesichts eines innerseelischen Aufstiegsgeschehens, das in einem glühenderen Verlangen (ardor ) darauf ausgerichtet ist („erigentes nos ardentiore affectu“ 20 ), die ewige Weisheit zu erfahren. Und es ist das Staunen über die Wunder der Schöpfung („mirando opera tua“ 21 ), die der Geist transzendiert, während er in der inneren Vorstellung die Welt der körperlichen Dinge bis hin zu den Planetenkreisen durchläuft, i. e. im Gedächtnis die Außenwelt als Innenwelt vergegenwärtigend. Die von Sehnsucht getriebene Vertiefung in den Innenraum der Seele ist je zugleich Aufstieg und Intensivierung eines geistigen Eintauchens in eine Erkenntnis, die jede rationale Fassungskraft übersteigt. Blitzschlagartig, im Modus einer Berührung, vollzieht sich das visionäre Geschehen 22 und fällt unmittelbar zurück in ein Seufzen (sus16

17 18 19 20 21 22

Augustinus, Confessiones, IX, 10, 25, ed. Skutella (nt. 9), 201: „sicut nunc extendimus nos et rapida cogitatione attingimus aeternam sapientiam super ominia manentem“ (Übersetzung Flasch/Mojsisch [nt. 13], 445). Ibid.: „et istud quando? an cum omnes resurgimus, sed non omnes immutabimur?“ Ibid., IX, 10, 24, ed. Skutella (nt. 9), 200. Ibid., IX, 10, 25, ed. Skutella (nt. 9), 201,6. Ibid., 199. Ibid. Cf. auch Augustinus, De Trinitate, VIII, 2, 3, edd. W. J. Mountain/F. Glorie (Corpus Christianorum Series Latina 50. Aurellii Augustini Opera 16,1), Turnhout 1968, 271,33–37.

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pirare ) eingedenk einer Erfahrung, die sich nicht halten lässt und so das Lechzen nach der ewigen Glückseligkeit geradezu verstärkt 23. In der von Augustinus geschilderten Ostia-Episode, dem Ruhetag mit der Mutter Monica zwischen erschöpfenden Reisen zur Stadt an der Tibermündung und der ‚Überfahrt (navigatio )‘ 24 über das Meer nach Afrika, deutet sich so geradezu das Gegenmodell zur irdischen Rastlosigkeit und Sensationsgebundenheit des Wissensdrangs an: Im zurückgezogenen Gespräch über das künftige Leben der Heiligen und im Verlangen, dorthin zu gelangen, durchwandern sie „alle körperlichen Stufen, auch den Himmel, von dem aus Sonne, Mond und Sterne die Erde beleuchten, und noch höher stiegen wir, in stillem Nachdenken, im Gespräche (ascendebamus interius cogitando et loquendo ) […] Und wir kamen zu unseren Geistseelen und überstiegen auch sie, um die Region nie versagenden Überflusses zu berühren (ut attingeremus regionem ubertatis indeficientis ), wo du Israel auf ewig weidest auf der Wiese der Wahrheit.“ 25

Doch stets ist es ein Verlangen, diese verheißene Glückseligkeit kraft göttlicher Gnade irgendwie denken zu können („quoquo modo rem tantam cogitaremus“ 26 ), i. e. es geht in Annäherung an die Wahrheit um ein Wissen. Am Topos der Himmelsreise 27 wird die Spannung von leidenschaftlich affiziertem Staunen und theoretischem Wissensbegehren, wie sie an den äußeren Naturerfahrungen thematisch wird 28, transponiert in die Sphäre einer geistigen Gotteserfahrung. An Stelle wissenlüsterner Neugierde, die Augustinus als krankhaften Wissens- und Wissenschaftsdrang scharf verurteilt (‚appetitus noscendi‘ 29, ‚morbus cupiditatis‘ 30, ‚perversa scientia‘ 31 ) oder in Gestalt ritualgebunder, magisch23 24

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Id., Confessiones, IX, 10, 24–25, ed. Skutella (nt. 9), 199 sqq. Die navigatio über das Meer ist hier mehrfach konnotiert: als konkrete Fahrt über das Meer nach Afrika; als Überfahrt in Hinsicht auf den Tod der Mutter am Folgetag; als Nachdenken über das Leben der Seligen, die an den Wassern des Lebens, dem fons vitae (Christus), teilhaben. Augustinus, Confessiones, IX, 10, 24, ed. Skutella (nt. 9), 199 sq. (Übersetzung Flasch/Mojsisch [nt. 13], 443). Ibid., IX, 10, 23, ed. Skutella (nt. 9), 199 In Dantes ‚Divina Comedia‘ verschränken sich Konzepte der mittelalterlichen Visionsliteratur, i. e. Darstellungen ekstatischer Erfahrung bzw. des Topos der Himmelsreise in Rekurs auf den Raptus Pauli (2 Kor 12,1–5) mit liebesphilosophischen bzw. -theologischen Ansätzen. Der Blicktausch der Liebenden, vermittels dessen die göttliche Liebe in ihrer entrückenden Macht wirksam wird, steht bei Dante in Verbindung mit Elementen der Platonischen Eros-Lehre wie Interpretationen des Hohen Liedes und die darauf gegründeten theologischen Braut-BräutigamSpekulationen. In Verbindung hiermit greifen Ansätze prophetischer, seherischer wie traumhafter Modi einer Einsicht, die sich mit antiken Jenseitsreise-Mythen wie der Hades-Fahrt in der ‚Aeneis‘ (Vergil, Aeneis, VI,236–900) oder der kosmischen Reise in Macrobius’ ‚In Somnium Scipionis‘ verflechten. „Mit dem Körper hatte ich ihn schon gesucht – von der Erde bis zum Himmel hinauf, so weit, wie ich die Strahlen meiner Augen als Kundschafter hatte schicken können. Besser ist also das Innere.“ (Augustinus, Confessiones, X, 6, 9, ed. Skutella [nt. 9], 215 sq. [Übersetzung Flasch/ Mojsisch (nt. 13), 473]). Ibid., X, 35, 54, ed. Skutella (nt. 9), 250,12 sq. Ibid., X, 35, 55, ed. Skutella (nt. 9), 251,12. Ibid., ed. Skutella (nt. 9), 251,16 sq.

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theurgischer Praktiken brandmarkt – so etwa in Versuchen, mit den Engeln zu kommunizieren („in desiderium curiosarum visionum“ 32 ) – tritt im Augenblick der Suspension der irdischen Weltverhaftetheit ein von Gottesliebe erfülltes ‚Begehren (desiderium )‘ 33, der höchsten Wahrheit teilhaftig zu werden. Erschütterung und Staunen bzw. Innehalten und blitzschlagartige Einsicht treiben dieses ‚Verlangen (desiderium )‘ 34 geradezu voran. Weist Augustinus entschieden alle Verirrungen der Sinne mitsamt den Versuchen, die Wollüste der Sinne als menschliche Wissenschaften zu etablieren, zurück, so ist es doch ein brennendes Wissensbegehren, das die Wahrheitssuche bestimmt und den Innenraum des Geistes öffnet, um fundamentale philosophisch-metaphysische Fragen aufzuwerfen und im Hören auf die göttliche Stimme zu erörtern. Der Geistinnenraum wird zum Schauplatz einer Wissensverhandlung, ist in Abwendung von der empirischen Welterfahrung jedoch keineswegs eine Abkehr von einem Ringen um ein Wissen von der geschöpflichen Welt, sondern „realisiert sich vielmehr in der urteilenden Hinwendung des illuminierten Geistes zu den Dingen“ 35. Und so mag nicht nur für Augustinus sondern ebenso in Hinsicht auf Dante festgehalten werden, dass die „in der Innerlichkeit erschlossene Transzendenz […] dem religiösen Bewußtsein folglich keine Flucht vor der äußeren Erfahrung als solcher [verordnet noch] theoretische oder praktische Rationalität einfach eskamotiert, sondern beide erhalten allererst von ihr einen letzten Einheitsgrund“ 36, das heißt aus der gnadenhaften Erleuchtung des Bewusstseins. Als Verhandlungsraum bleibt es unter den spezifisch religiösen Auslegungsprämissen „wesentlich auf Erfahrung bezogen“ 37. Ein solcher Rekurs auf die Erfahrungswelt wird für Dante entscheidend. Die im Kontext einer visionären, momenthaften Gotteserfahrung entfaltete Reflexion auf den „Wissensdurst (disire; sete )“ 38 bzw. auf Wissensgründe und -bedingungen des Bewusstseins – i. e. der Anspruch einer wahrhaften Wissenschaft von Gott und Welt – mag als Folie dienen, um Dantes Himmelsreise im ‚Paradiso‘ stärker in eine epistemologische Perspektive zu rücken. 32 33 34 35

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Ibid., X, 42, 67, ed. Skutella (nt. 9), 260,17. Ibid., XI, 2, 3–4, ed. Skutella (nt. 9), 264 sqq. Ibid., XI, 22, 28, ed. Skutella (nt. 9), 282,17 sq. R. Barth, Et quomodo iam inveniam te, si memor non sum tui?. Die religionsphilosophische Bedeutung der Subjektivität nach Augustin, in: I. U. Dalferth/Ph. Stoellger (eds.), Krisen der Subjektivität. Problemfelder eines strittigen Paradigmas (Religion in Philosophy and Theology 18), Tübingen 2005, 493–511, hier 504. Ibid. Ibid. Zum sehnsuchtsvollen Wissensbegehren cf. Dante Alighieri, Divina Comedia: Paradiso, I, 1–9 und II, 19–21: „La concreata e perpetüa sete / del deïforme regno cen portava / veloci quasi come ’l ciel vedete.“ Zitate folgen der Ausgabe Dante Alighieri, Die göttliche Komödie, in Prosa übersetzt von W. Neumann, Darmstadt 2003 bzw. Digital Dante. Italian Text of the Commedia with the Longfellow and Mandelbaum English translations, Columbia University, URL: (Stand 5. März 2022).

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Uns soll im Folgenden in Hinführung auf Dantes ‚Paradiso‘ die Raptus-Erfahrung interessieren. Scheint hier doch momenthaft eine Ahnung vom Zustand der Seligen, der verheißenen Glorifikation der Auferstandenen auf, an der sich eine Auseinandersetzung mit den Erkenntnisfähigkeiten der Seele im Erlösungszustand kondensiert. Richten wir den Blick also nicht allein auf die sogenannte mystische 39 Einswerdung als Ziel sondern auf den Weg dahin und fragen wir genauer nach dessen lichtmetaphysischen Grundlegungen. Rekurriert Dante in seiner ‚Divina Comedia‘ vielfach auf aristotelisch-thomistische Lehren, so ist in der Forschung darauf hingewiesen worden, dass er im ‚Paradiso‘ und in Bezug auf die Frage der Gottesschau Ansätzen der über Augustinus, Bonaventura, Richard von St. Viktor sowie den frühscholastischen Kirchenlehrer Bernhard von Clairvaux etablierten Lichtmetaphysik und Kontemplationslehre folge 40. Allerdings, so wäre hinzuzufügen, in steter Verschränkung mit Elementen thomistischen Denkens. Dantes Rückgriff auf Augustinus, Bonaventura, Richard von Sankt Victor sowie Bernhard von Clairvaux, die im ‚Paradiso‘ unter den Seligen zu finden sind, ist durch einen Brief an Cangrande belegt. 41 Auf die Frage der Glorie werden wir uns im Folgenden bei Dante ausrichten, um der These Nachdruck zu verleihen, dass Staunen und Zweifel einhergehen mit einer Legitimation epistemischer Ansprüche. Darüber hinaus bleibt in Berufung auf Konzeptualisierungen einer neuplatonisch imprägnierten Lichtmetaphysik bzw. die Konzentration auf das mystische oder exstatische Sehen zu fragen, ob es nicht zu kurz greift, das kontemplativ erfahrene Gnadengeschehen der blitzhaften Schau in Vorwegnahme der ewigen Glückseligkeit an ein vorrangig visuell konnotiertes Modell zu binden. Zwar ist das Sehen in Rekurs auf antike lichtmetaphysische Voraussetzungen, das Paradigma der höchsten Einsicht, um das die Seele ringt bzw. das hier im christlichen Kontext Dantes auf das gnadenhafte Teilhaftigwerden der visio beatifica hindeutet. Und doch wird bereits bei Augustinus ein integrales, synästhetisches Verständnis von Sehen (videre, visio ) entwickelt und damit der Ansatz für einen komplexen, sinnlich-geistigen Wissensmodus, der sich in der immerwährenden Gottesschau vollendet 42. 39

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Die in der Forschung etablierte Kennzeichnung religiös-spekulativer Erfahrungen als mystisch wird hier mit Zurückhaltung verwandt, um spezifischer nach den Konzepten einer überrationalen, geistigen Gottesschau als Erkenntnisformen sowie den Bedingungen und Verfahrensweisen eines illuminierten Wissens zu fragen. Einen Überblick von Forschungspositionen, die Dantes Anknüpfen an neuplatonisch-mystische Tradition betonen, gibt S. Matuschek, Über das Staunen. Eine ideengeschichtliche Analyse (Studien zur deutschen Literatur 116), Tübingen 1991, 75 sqq. Ibid., 76: „Auch bei ihm, bei Dantes Gewährsmann der visio Dei, ist ein zu Augustinus, Richard und Bonaventura analoger Begriff des Staunens zu lesen. Seine De consideratione libri quinque ad Eugenium Tertium (in dem Brief an Cangrande kurz angeführt als De contemplatione ) bestimmen die admiratio als höchste Form der Kontemplation. Prima et maxima contemplatio est admiratio majestatis. Ihr Ziel ist ekstatisches Staunen, für das Bernhard die Doppelformel stupor et ecstasis bietet. Stupere bezeichnet auch bei ihm den Affekt dessen, der die Größe Gottes schaut: quis stupet, nisi qui contemplatur gloriam Dei?“. Denken wir auch an dieser Stelle nochmals an Augustinus zurück, der in Bezug auf die körperlichen Sinnesfähigkeiten das Konzept des Sehens problematisiert. So ist für ihn zwar der Sehsinn

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Auch macht der Dichter Dante gleich zu Beginn des dargestellten Eintritts in das ‚Paradiso‘ – der Auffahrt durch die himmlischen Sphären bis zum Sitz der Seligen in der Herrlichkeit Gottes im Empyreum – deutlich, dass all die Begegnungen und Widerfahrnisse, die er anhand der literarischen Figur Dante den Leserinnen und Leser aus der Erinnerung vor Augen zu stellen sucht, beanspruchen, dass dieser die überwältigenden Einsichten in einem leib-seelischen Zustand erfahren habe. Allein das mag bereits als ein wesentlicher Unterschied zu solchen Ekstasis-Konzepten betrachtet werden, die eine rein geistige Entrückung der Seele zu beschreiben suchen. Um so wundersamer sind die Ereignisse, Phänomene und nicht zuletzt die sich wandelnden eigenen Auffassungsfähigkeiten, die die Figur Dante multiperzeptiv am eigenen Leibe vollzieht. Dazu treten immer wieder Artikulationen von Zweifel, i. e. Fragen nach der Möglichkeit einer Bewahrheitung und der Anspruch, zumindest Ansätze eines Wissens auszuweisen. Fokussiert, i. e. ganz und gar konzentriert auf das für die Vernunft uneinholbare Zentrum der visio beatifica, das sich der Figur Dante in einem einzigen Augenblick, „punktuell blitzartig (punto solo)“ 43 eröffnet, kreisen die Reflexio-

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das Hauptwerkzeug der Erkenntnis, „wir gebrauchen dieses Wort aber auch für die anderen Sinne, wenn wir mit ihnen Erkenntnis bezwecken. […] Wir sagen aber nicht nur ‚Schau, was da leuchtet!‘ [vide quid luceat], was ja nur die Augen wahrnehmen können, sondern wir sagen auch ‚Sieh, was da erklingt‘ [vide quid sonet], ‚Schau, was da riecht!‘ [vide quid oleat], ‚Sieh, was da schmeckt!‘ [vide quid sapiat] und : ‚Sieh, wie hart das ist!‘ [vide quam durum sit].“ Das heißt, hier sind akustische, olfaktorische, gustatorische wie haptische Qualitäten einbegriffen (Augustinus, Confessiones, X, 35, 54, ed. Skutella [nt. 9], 250, [Übersetzung Flasch/Mojsisch (nt. 13), 538 sqq.]). Die concupiscientia oculorum wird gleichsam zur negativen Folie, um ein transzendiertes ‚Sehen‘, ‚Hören‘, ‚Schmecken‘, ‚Berühren‘ mit dem Herzen als innere Erfahrung zu exponieren, sei es das Hören „mit dem inneren Ohr (in aurem interiorem )“ des Herzens (Confessiones, XII, 11, 11–12, ed. Skutella [nt. 9], 300 sq.), das Begehren „mit dem Mund des Herzens (ore cordis )“ (Confessiones, IV, 10, 23, ed. Skutella [nt. 9], 120) oder als Agieren „mit der Hand des Herzens (manu cordis )“ (Confessiones, X, 8, 12, ed. Skutella [nt. 9], 218). Solche, vielfach wiederkehrenden Formulierungen sind fraglos einerseits als Metaphoriken zu lesen, die anhand physischer Phänomene transzendente Gegenstände sprachlich einfassen und in allegorischer Lesart auf einen spirituellen Sinn weisen. Doch über die Verfahren einer allegorischen Bibelexegese hinaus bergen sie zugleich Erwägungen, die auf eine transzendierte leib-seelische Restitution der Erlösten weisen. Entsprechend konstatiert Augustinus in ‚De Trinitate‘, dass Sehen, Hören, Sprechen nur in der Aufteilung der körperlichen Dispositon differieren, in der Seele aber ein und denselben Vorgang bezeichnen (De Trinitate, XV, 10, 18, edd. Mountain/Glorie [nt. 1], 484 sq.). Dante, Paradiso, XXXIII, 94; cf. E. G. Gardner, Dante and the Mystics. A Study of the Mystical Aspect of the Divina Commedia and its Relations with some of the Mediaeval Sources, London– New York 1913, 48. Gardner hat vor dem Hintergrund des Briefs an Cangrande (um 1319) in Rekurs auf eine Fülle mittelalterlicher Quellen den ‚Mysticism‘ Dantes als Liebes-Theologie definiert („Love, thus harmonised and purified and rightly ordered, becomes in the Paradiso, through successive stages of illumination in the moving spheres, the instrument of the divine union and the fruition of the ulitmate reality, in the Empyrean Heaven.“ [ibid. 25]; „We might define Mysticism as the love-illumined quest of the soul to unite herself with the suprasensible – with the absolute – with that which is.“ [ibid., 26 sq.]) und in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass hier eine Korrespondenz mit Augustinus momentum intelligentiae zu sehen ist (cf. ibid., 28 und 47). Für Gardner steht Dantes poetische Umsetzung eines visionären Traums ganz in der mittelalterlichen, allegorischen Lesart von Bildern bzw. Anwednung von Symbolen,

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nen um die tiefste Einsicht in die göttliche Wahrheit. Sie bestimmen im ‚Paradiso‘ die Stationen einer Wissensbewegung der Seele, die in stufenweiser Annährung und in einem von Ring zu Ring steigenden Erstaunen (admiratio, stupor ) immer wieder ehrfurchtsvoll zurückschreckt und von Liebesbegehren vorangetrieben wird 44. Die affektiv-mentale Erschütterung weist auf ein Wissensmodell, das seinerseits ein Umschlagmoment in sich birgt. Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, dass diese Dynamik von Aufstreben, Innehalten und Empfangen stets begleitet ist von einer Reflexion auf die leiblich-seelische Disposition der Seele und ihre perzeptiven Kräfte. Thematisiert wird so je auch ein erkenntniskritisches bzw. erkenntniskonstitutives Momentum: Was maßgeblich an Modi des Sehens entfaltet wird, weist in einem umfassenderen Sinne von visio beatifica auf ein glorifiziertes Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Berühren. In Hinsicht auf theologisch-spekulative Ansätze zur Verklärung der leiblichen Sinne sei abermals auf Augustinus verwiesen, der in den ‚Confessiones‘, während er danach fragt, was es ist, das die Liebe zu Gott im Vollzug liebend umfängt, zunächst die sinnlichen Affektionen verneint, um dann eine transzendierte Sinnlichkeit in Anschlag zu bringen 45. Nehmen wir diese Erfahrung nicht allein als Metaphorik, die allegorisch zu lesen ist, sondern als innere Einsicht in eine verheißene verklärte, alles Raum-Zeitliche transzendierende Sinnlichkeit, dann wird die Erkundung der verwandelten sinnlichen Affekte zu einem wichtigen Strang des inneren Aufstiegs zu Gott: Sie berührt die Frage nach einer jenseitigen glorificatio im integralen Verständnis, die sich nicht auf eine visio im Verständnis von Sehen reduziert, sondern eine restitutierte sinnlich-intellektuale Erkenntnis adressiert.

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cf. ibid., 41 sq.: „In another form, this applies to all mystics – to all who have been compelled to distort their vision of the infinite by the use of finite words, when they have attempted to bring down their experience of the divine and enternal to the apprehension and consciousness of their contemporaries. This is the way in which we should approach such symbolical details in the Divina Commedia […]. The mystic’s representation, the language that he uses, must all be coloured by his previous education and mental equipment.“ Wenn damit alle einbezogenen Wissensbestände als symbolische Details zur Auskleidung der transitorischen Erfahrung gekennzeichnet werden, wird meines Erachtens dem epistemischen Anspruch Dantes nicht hinreichend Rechnung getragen. Hierzu Matuschek, Staunen (nt. 40), 58. „Es ist nicht die Schönheit eines Leibes, nicht die Anmut eines Lebensalters, nicht der Glanz des Lichtes, den unsere leiblichen Augen so lieben, nicht süße Melodien von Gesängen aller Art, nicht lockender Duft von Blüten, Salbölen und Gewürzen, nicht Manna oder Honig, nicht die Glieder fleischlicher Umarmung: […] Und doch liebe ich, indem ich meinen Gott liebe, eine Art Licht (quandam lucem ), eine Art Stimme, eine Art Wohlgeruch, ein Art Speise und Umarmung, denn er ist Licht, Stimme, Wohlgeruch, Speise und Umarmung meines inneren Menschen (lucem, vocem, odorem, cibum, amplexum interioris hominis mei ). Hier leuchtet meiner Seele etwas auf, das kein Raum fasst. Hier erklingt eine Stimme, die keine Zeit wegreißt, hier strömt ein Wohlgeruch, den kein Windhauch zerstreut, hier schmeckt etwas, das keine Essgier mindert, hier ist eine Umarmung, die keine Befriedigung trennt.“ Augustinus, Confessiones, X, 6, 8, ed. Skutella (nt. 9), 214 sq. (Übersetzung Flasch/Mojsisch [nt. 13], 471).

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II. Staunenswer tes Wissen: Odysseus Die Hingabe an einen theologisch legitimierten theoretischen Wissensdrang wird im Folgenden an Dantes ‚Divina Comedia‘ bzw. komplementär an ausgewählten Blättern aus Sandro Botticellis berühmtem Zyklus einer Betrachtung unterzogen: Anhand der Himmelsreise der literarischen Figuren Dante und Beatrice im ‚Paradiso‘ werden wir Zeugen einer vielschichtigen Auseinandersetzung mit Wissensmodalitäten, der Verhandlung von Wissensbeständen sowie der Grenzüberschreitung von Perzeptions- und Erkenntnisvermögen. Die stufenweise Annäherung an die Herrlichkeit in Gott erweist sich zugleich als Reflexion auf die Wunder der Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit im Zustand der Verklärung. Blumenberg hat prominent darauf aufmerksam gemacht, wie Dante den antiken Odysseus als prototypische Verkörperung grenzüberschreitender Neugierde in Szene setzt. Seine Lesart ist eine Stimme innerhalb einer umfassenden, anhaltenden Diskussion über diese berühmte Szene im 26. Canto des Dante’schen ‚Inferno‘. Dante scheint sich ganz auf den Pfaden einer Verurteilung unmäßiger menschlicher Neugierde zu bewegen und mit Odysseus die Figur eines Scheiterns an dieser Hybris in Szene zu setzen. Doch damit ist das letzte Wort über Dantes Positionierung zum Grenzgang und Risiko eines sich an das Weltliche verlierenden Wissens noch nicht gesprochen. Betrachten wir die Odysseus-Episode im Kontext der ‚Divinia Comedia‘, dann bietet das Bild des ob seiner Hybris bestraften antiken Helden im ‚Inferno‘ den Hintergrund, um kontrastiv die gnadentheologisch legitimierte Erkenntnisbewegung der Himmelsreisenden im ‚Paradiso‘ zu exponieren, die auf ihrem Weg durch die Himmelskreise zeitgenössische wie tradierte Wissensbestände mit Protagonisten aus verschiedensten Disziplinen diskutieren (Naturphilosophie und Kosmologie, Angelologie, Eschatologie, Fragen der Wissenschaftssystematik, Moral, politische Zeitgeschichte), uns mit wundersamen Erfahrungen von Naturphänomenen konfrontieren und vor allem die Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit selbst problematisieren. Dantes dichterische Vision operiert stets mit der Überlagerung von kosmologischen Modellen mit der Ps.-Dionysischen Engelshierarchie in Korrelation mit einer disziplinären Systematik. Entsprechend entfalten sich auf dieser Skala Dialoge über Naturphänomene, Fragen der Willensfreiheit, der intellektuellen Potentiale des Menschen bis hin zu genuin metaphysisch-kosmologischen Spekulationen, deren Erkundung und Reflexion die zum göttlichen Licht gezogenen Himmelsreisenden Schritt für Schritt begleitet. Dieser Gang lässt sich als ein Läuterungsweg der Seele bis zur höchsten Stufe der Kontemplation lesen. Doch das Aufstiegsscenarium im ‚Paradiso‘ erweist sich ebenso als Verhandlungsraum theologisch-philosophischer, naturtheoretischer wie erkenntnispsychologischer Fragen, lässt kontroverse Debatten zur Sprache kommen und öffnet im mehrfachen Sinne einen Schauplatz und Austragungsort des Wissens, der sich schon allein deshalb nicht einer weltverhafteten curiositas verdächtig machen kann, weil

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er ein überweltliches, ewiges Telos vor Augen hat. Und doch ist die Reise durch die paradiesischen Sphären Ausdruck eines ausgreifenden Wissensbegehrens bzw. einer erotisierten Wissenslust. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf einen Phänomenbereich dieser Wissensreise, i. e. auf die Darstellung und Reflexion der Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeiten der literarischen Figur Dante im ‚Paradiso‘. Der transempirische Erfahrungsmodus birgt Spekulationen über die Zuständlichkeit des Bewusstseins im Vollzug der überhimmlischen Schau, i. e. was der Figur Dante im ‚Paradiso‘ widerfährt, ist in punktueller, tentativer Vorwegnahme eines möglichen jenseitigen Heilszustands der Seligen stets auch Ausdruck eines Wissensbegehrens, dass sich auf die verheißene Restitution menschlicher Sinnes- und Erkenntnisvermögen richtet. Grenzt es an curiositas, um die visio beatifica, die den Seligen vorbehalten ist, wissen zu wollen und sich damit in ein Jenseits des für den Menschen Wissbaren vorzuwagen? Zumindest lässt Dante sein literarisches Pendant ein Erschrecken angesichts des eigenen Wissensstrebens bekunden. Es lässt den Geist gleichsam vor sich selbst zurückschrecken eingedenk dessen, was ihm zuteil wurde: „Damals erschrak ich und erschrecke jetzt wieder, / wenn ich daran denke, was ich sah, und stärker zügle ich / den Geist, als ich es sonst gewohnt bin, / damit er nicht dahinläuft, ohne daß Rechttun ihn leitet, und daß / wenn ein günstiges Gestirn oder eine bessere Ursache / mich beschenkt hat, ich es mir selbst nicht mißgönne.“ 46 Wie nimmt sich dagegen der Vorstoß des antiken Odysseus aus? Rufen wir uns zunächst die berühmte Inszenierung des mythischen Helden im 26. Canto des ‚Inferno‘ in Erinnerung. Wir erfahren von einem Odysseus, der sich in Bereiche jenseits des dem Menschen Zugänglichen vorwagte „wo Herkules seine Zeichen setzte, / damit der Mensch sich nicht weiter hinausbegebe“ 47. Auf dieses Durchfahren der Säulen des Herkules, der Meerenge von Gibralter, die das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet, kommt nach fünfmonatiger Reise auf offener See Land in Sicht: ein immenser Berg, ein Hoffnungszeichen, doch bevor noch das ersehnte Festland zu erreichen ist, wird das Schiff samt Mannschaft von einem Strudel erfasst und nach mehrfachen agonalen Umwerfungen in den Abgrund gerissen. Die Meereswogen schließen sich über dem kopfüber in die Tiefen gestoßenen Boot. Dantes Oysseus erleidet, so ließe sich dies deuten, am Unmaß seines Wissensdrangs Schiffbruch. Mit dem aus den unermesslich scheinenden Weiten des Meeres aufragenden Berg wird hier auf die mittelalterliche Diskussion um die geographische Verortung des biblisch verbürgten Paradieses angespielt und damit auf die Herausforderung, den Garten Eden 46

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„Allor mi dolsi, e ora mi ridoglio / quando drizzo la mente a ciò ch’io vidi, /e più lo ’ngegno affreno ch’i’ non soglio, // perché non corra che virtù nol guidi; /sì che, se stella bona o miglior cosa / m’ha dato ’l ben, ch’io stessi nol m’invidi.“ (Inferno, XXVI, 19–22). Dies ist stets auch als dichtungsimmanente Reflexion zu lesen. Inferno, XXVI, 108 sq.

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einerseits innerweltlich zu lokalisieren und doch zugleich als unter außerempirischen Bedingungen existierenden himmlischen Ort zu begründen. Gemäß einer dieser mittelalterliche Vorstellungen, die Dante aufnimmt, teilt sich die Erdkugel in eine Nordhälfte mit bewohnbarem Festland und eine ganz von Meer überdeckte Südhälfte. In dieser unbewohnbaren Zone der Welt, die sich nach dem Durchschiffen der Straße von Gibraltar eröffnet, wird das Paradies situiert: auf dem Gipfel des Läuterungsberges 48. Die Einflechtung der Odysseus-Episode – in der Interpreation des Dichters Dante – weist so je auch auf zeitgenössische Wissensaushandlungen um geographische, astronomische bzw. klimatologische Theorien zur Erfahrungswelt und so um die Vereinbarkeit naturwissenschaftlichen Wissens mit der Offenbarungslehre bzw. deren Bestätigung 49. Wir finden Odysseus in Dantes ‚Comedia‘ in der Hölle wieder. Als die literarische Figur Dante in Begleitung Vergils kletternd und um Halt ringend angesichts des zerklüfteten Weges und unter Klagen über das ruchlose Florenz den siebten Graben der Hölle verlässt, um in den achten einzutreten, tut sich den Blicken ein Abgrund auf, über den sich ein Feuerflammenflimmern – gleich Glühwürmchen in einer Sommernacht – legt. Doch die idyllische Anmutung trügt. Sind es doch Feuerbälle, lechzende, züngelnde Flammen, die Sünder umschließen, solche, die falschen Rat, irreführende oder verführende Ratschlüsse an die Menschen vermittelt haben. Wir befinden uns also im Register derjenigen Existenzen, die einen pervertierenden Gebrauch von ihrem vermeintlichen Wissen gemacht haben, mit falschen, zweischneidigen Zungen gesprochen haben und so züngeln die Flammen mit zwei Spitzen. Eine dieser zweizüngigen Lichterscheinungen ist es nun, die Odysseus und Diomedes verbirgt und doch erkennbar macht. Denn an diese richtet sich die Ansprache Vergils, der zuvor schon den Katalog der Listen und Betrügereien referiert hatte, derer Odysseus traditionell beschuldigt wird (der Betrug mit dem Trojanischen Pferd, der frevelhafte Raub des Bildnisses der Pallas Athene, die Enttarnung des Achill) (Tafel 1). Doch als dieser Odysseus selbst zu Wort kommt, ist von all den aufgeführten trügerischen und listenreichen Taten keine Rede mehr. Dantes Odysseus ist weder als listenreicher Betrüger in Szene gesetzt noch als derjenige, den es in die Heimat zieht. Vielmehr begegnet er uns umgeben von einer kleinen Gruppe erfahrener, vertrauter Gefährten, die sich miteinander in Gefahren bewährt haben, um an diese wie an Brüder im Geiste zu appellieren, ihre natürliche Bestimmung zu bedenken, i. e. Tugend und Wissen zu folgen („per seguir virtute e 48

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Auf dieses irdische Paradies auf dem Läuterungsberg wird im 26. Canto die Stimme des Adam verweisen: „Auf dem Berge, der sich am höchsten aus den Wellen erhebt, / weilte ich, mit reinem Leben und mit sündigem; / von der ersten Stunde bis zu der, die auf die sechste, / wenn die Sonne den Quadranten wechselt, folgt.“ (Paradiso, XXVI, 139–142) Zur mittelalterlichen Diskussion um den Ort des Paradieses siehe für das 13. Jahrhundert und in Bezug auf Dante vor dem Hintergrund der Theorien von Aristoteles, Ptolemäus sowie arabischer Überlieferungen zu den klimatischen Zonen der Erde die mit reichem kartographischen Bildmaterial versehene Studie von A. Scafi, Where is Nowhere?, in: A. Scafi, Maps of Paradise, London 2013, 78–93.

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canoscenza“ 50 ). Aristoteles’ anthropologische Bestimmung menschlichen Wissensstrebens 51 schlägt hier durch, doch bei Dantes Odysseus mündet dies nicht in ein Bestreben nach der Erkenntnis erster Prinzipien oder gar nach der Verwirklichung eines bios theoretikos. Dantes Odysseus gerät das Wohin und Worumwillen der Wissenssuche aus dem Horizont. Ihn treiben weder die Sehnsucht nach Rückkehr in die Heimat noch Ehrfurcht gegenüber dem Vater, Wohlgefallen am Sohn oder Liebe zur Gattin, sondern über all diese moralisch besetzten, affektiven Bezüge („pieta“; „dolcezza“; „debito amore“) 52 hinaus, die für Dantes ordo amoris richtungsweisend werden, zeigt er sich getrieben von einem stärkeren Affekt: Er ist entbrannt von einem Begehren (ardore ) nach umfassender Weltkundigkeit („a divenir del mondo esperto e de li vizi umani e del valore“ 53 ), die kein höheres, überweltliches Glücksbegehren leitet. Ein Übermaß an ausschweifender Navigation auf dem offenen Meer menschlicher Geschicke lässt sich insofern attestieren, als der Wissenssuchende gar nicht das Ziel vor Augen hat, in den Hafen der Gückseligkeit zu steuern, um abermals antike Konnatationen der Seefahrtsmetaphorik in Erinnerung zu rufen. Prominent nimmt etwa Augustinus diese Seelennautik in ‚De beata vita‘ auf, um daran Modi philosophischer Wahrheitssuche zu differenzieren bzw. ein christliches Modell von Streben nach göttlich verheißener Glückseligkeit im Sinne einer Heimkehr der Seele in Gott zu konturieren, 54 eine navigatio ad patriam 55. Dante greift auf nautische Modelle zurück 56, etwa wenn er zu Beginn des 2. Canto des ‚Paradiso‘ an die Leserschaft die warnenden Worte richtet: „O ihr, die ihr in ganz kleinen Nachen, zu hören begierig [desiderosi d’ascoltar], / hinter meinem Schiff gefolgt seid, / das mit Gesang hinausfährt, / kehrt um und sucht wieder eure Gestade auf; / wagt euch nichts aufs hohe Meere, denn vielleicht werdet ihr, / wenn ihr mich verliert, euch ganz verirren. / Die Gewässer, die ich befahre, wurden noch nie erforscht [L’acqua ch’io prendo già mai non si corse]“ 57. 50 51 52 53 54

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Inferno, XXVI, 120. Aristoteles, Metaphysik, I, 1, 980a21. Inferno, XXVI, 94 sqq. Ibid., 98 sq. Augustinus, De beata vita, 1, 1, ed. W. M. Green (Corpus Christianorum Series Latina 29), Turnhout 1970, 65,1 sqq. in Rekurs auf antike Bildvorstellungen sowie Plotins Enneade I, 6, 8, wo Odysseus als Allegorie einer Heimkehr der Seele in ihr Vaterland, i. e. die innere Wahrheitsschau, gedeutet wird. Die neuplatonische epistrophê als Rückkehr der Seele in sich selbst ist ein Hintergrund der christlichen, trinitätslogischen Reflexionsbewegung des Geistes, wie sie etwa Augustinus in seinen Schriften entwickelt. Augustinus, De doctrina christiana, 1, 10, 10, ed. J. Martin (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 12. In Allusion an eine aristotelische, natürliche Entelechie aller Entitäten bestimmt sich die kosmische Ordnung über die „unterschiedlichen Häfen (diversi porti)“ „im großen Meere des Seins (per lo gran mar de l’essere)“, so dass „ein jedes Wesen seinem natürlichen Trieb gemäß zu seiner Vollendung (e ciascuna con istinto a lei dato che la porti)“ strebt (Paradiso, I, 107–114). Ibid., II, 1–7.

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Mit der Betonung der Herausforderungen des hohen, gefahrvoll wogenden Meeres 58 spielt Dante einerseits auf die Irrfahrt (Odyssee der Seele) des homerischen Helden an und appelliert an die wissensbegierig folgenden Leser, die den Herausforderungen nicht gewachsen sind, zu festen, vertrauten Gestaden zurückzukehren. Wenn dieses offene Meer als ein Gefilde voller Gefahren gekennzeichnet wird, dann ist die Anspielung auf die Irrfahrten des mythischen Helden Odysseus offenkundig. Sie birgt auch eine Reflexion auf die legitimen Spielräume des Dichters und seiner poetischen Welterkundung 59. Wenn Dante aber zugleich diejenigen zur Nachfolge aufruft, die sich bereits auf das „Brot der Engel“ (Ex. 16,4 sqq.) ausgestreckt haben, dann wird die Odyssee mit einer imitatio-christi-Figur konfrontiert. „Ihr wenigen, die ihr zur rechten Zeit den Hals strecktet / nach dem Brot der Engel [al pan de li angeli], von dem wir hier leben, / aber nicht satt werden, / ihr könnt wohl euer Boot auf die hohe See lenken, / wenn ihr meinem Kiel folgt, / bevor das Wasser sich wieder glättet“ 60. Über das „Brot der Engel“ 61 wird typologisch der Empfang des himmlischen, von Gott gewährten Manna in der Wüste (Ex. 16,4 sqq.), i. e. die wundersame Speisung während des Exodus, mit dem verheißenen Brot des Lebens (Christus) in Beziehung gesetzt (Joh 6,48–58). Für unseren Zusammenhang kommt damit aber nicht nur die heilswirksame Seelenspeisung (Wunder der Brotvermehrung zu Kafarnaum bzw. typologisch Eucharistie) in den Horizont, sondern in diese typologische Verheißung eines ewigen Lebens in Christus ist das Wunder auf dem Tiberias-See eingebettet. Als die Jünger in ihren Booten bei nächtlich sturmaufgewühlter See – gleichsam einer Irrfahrt unter den Anfechtungen des 58

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Das Meer ist hier als mehrfach konnotierter Metaphernkomplex gesetzt, der für den poetisch dargestellten Himmelsraum (das Empyreum als ausgedehnte ätherische Sphäre: „lago non fece alcun tanto disteso“; Paradiso, I, 81), den die Reisenden durchfahren, für das Insgesamt des Seins in seinem natürlichen Kräftesspiel („lo gran mar de l’essere“; Paradiso, I, 113), die unendlichen kosmischen Weiten wie die ‚ozeanischen‘ Tiefen des Bewusstseinsraums (des Dichters, der Lesenden, der Seele) einstehen kann, aber stets auch auf die Pilgerschaft der Seele auf ihrem Weg zu Gott verweist. Als Gefahrensphäre weist das offene Meer zudem auf emotionale Untiefen und Verirrungen der Seele – im theologischen Sinne gleichsam Anfechtungen der vernunftgeleiteten, im Glauben gefestigten Seele –, der in antiker Tradition das Ideal der ‚Meeresstille der Seele (γαληνότης/γαλήνη ψυχῆς )‘ entgegengesetzt wird. Wenn in der christlichen Tradition die überirdischen Himmel in ihrer Transluzidität und ätherischen Fluidität als Wasser oder Meere vorgestellt werden, so auch in typologischer Verbindung mit Christus als fons vitae (cf. Augustinus, Confessiones, XIII, 21, 31, ed. Skutella [nt. 9], 352). Zu den ‚heiligen Gewässern‘ aus der Quelle göttlicher Wahrheit siehe Dante, Paradiso, IV, 115 sqq. T. Barolini, Paradiso 2: The Marks of Cain, in: Commento Baroliniano, Digital Dante (nt. 38) „The haunting evocation of a little ship out on the perilous watery deep, alone on the mighty ocean, reverberates to the Commedia’s Ulyssean lexicon, as well of course to the previous canto’s ontological metaphor of the ‘great sea of being’ (Paradiso, I, 113) Dante is transferring the Ulyssean lexicon from the pilgrim to the poet, whose task of recounting the unrecontable is indeed transgressive.“ Paradiso, II, 10–15. cf. hierzu Dante, Gastmahl, I, 1, 7–10, ed. F. Chevenal/trans. T. Ricklin (Dante Alighieri, Philosophische Werke 4/1 = Philosophische Bibliothek 466a), Hamburg 1996, 4.

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Zweifels – angesichts des über das Wasser nahenden Christus in Furcht geraten, gibt er sich als Erlöser zu erkennen und sofort finden sie sich am sicheren Ufer wieder. Dante unterlegt den Anspielungen auf den mythischen Odysseus das christologische Motiv der Verheißung ewigen Lebens im Glauben an den Erlöser, eine Überfahrt, die zunächst den Jüngern zuteil wird. Hören wir also im Gegenzug, wie Dante das Wissensbegehren des mythischen Odysseus im ‚Inferno‘ in Szene setzt, der seinerseits mit einer kleinen Schar von Gefährten aufs offene Meer hinauswill. Als Feuerzunge legt er gegenüber den dichterischen Figuren Dante und Vergil im 8. Kreise des ‚Inferno‘ Zeugnis ab: „Das größere Horn der Flamme aus der Vorzeit / begann zu lodern, rauschend wie eine, / die der Wind anfacht; // darauf, die Spitze hin und her werfend, / als wäre es die Zunge, die spräche, / stieß es Laute aus und sage: ‚Als ich // von Kirke aufbrach, die mich mehr / als ein Jahr in Bann hielt dort bei Gaeta, / bevor Aeneas es so nannte, // konnten weder das Gefallen an dem Sohn, / noch die Ehrfurcht für den alten Vater, noch / die geschuldete Liebe, die Penelope froh machen sollte, // in mir die Glut besiegen, die ich empfand, / der Welt kundig zu werden / und der menschlichen Laster und ihrer Tüchtigkeit, // sondern ich machte mich auf auf das hohe, offene Meer, / nur mit einem Boot und mit einer kleinen Schar, / von der ich nicht verlassen wurde. / […] Ich und die Gefährten waren alt und bedächtig, / als wir zu jener engen Durchfahrt kamen, / wo Herkules seine Zeichen setzte, / damit der Mensch sich nicht weiter hinausbegebe; // […] / ‚Oh Brüder‘, sprach ich, ‚die ihr durch hunderttausend / Gefahren hier zum Westen gelangt seid, / verweigert der so kurzen Nachwache // unserer Sinne, die uns noch übrig bleibt, / nicht die Erkundung – der Sonne nach – / der Welt ohne Menschen. // Bedenkt eure Abkunft; geschaffen wurdet ihr nicht, / um wie Tiere zu leben, sondern um nach Bewährung / zu streben und nach Erkenntnis.‘“ 62

Die Frage, ob Dante seinen Odysseus als Prototyp einer Hybris bzw. eines von curiositas Umgetriebenen einführt, hat in der Dante-Forschung umfassende, kontroverse Diskussionen ausgelöst. Handelt es sich hier um einen Wissenssuchenden, der fernab jeder Heimkehr das Wagnis des Unbekannten sucht, geradezu getrieben von unstillbarer Wissbegierde, die zu verurteilen ist, sofern es sich 62

„Lo maggior corno de la fiamma antica /cominciò a crollarsi mormorando, / pur come quella cui vento affatica; // indi la cima qua e là menando, / come fosse la lingua che parlasse, / gittò voce di fuori e disse: «Quando // mi diparti’ da Circe, che sottrasse / me più d’un anno là presso a Gaeta, / prima che sì Enëa la nomasse, // né dolcezza di figlio, né la pieta / del vecchio padre, né ’l debito amore / lo qual dovea Penelopè far lieta, // vincer potero dentro a me l’ardore / ch’i’ ebbi a divenir del mondo esparto / e de li vizi umani e del valore; // ma misi me per l’alto mare aperto / sol con un legno e con quella compagna / picciola da la qual non fui diserto. / […] Io e ’ compagni eravam vecchi e tardi /quando venimmo a quella foce stretta / dov’ Ercule segnò li suoi riguardi // […] ‚O frati‘, dissi, ‚che per cento milia /perigli siete giunti a l’occidente, / a questa tanto picciola vigilia // d’i nostri sensi ch’è del rimanente / non vogliate negar l’esperïenza, / di retro al sol, del mondo sanza gente. // Considerate la vostra semenza: / fatti non foste a viver come bruti, / ma per seguir virtute e canoscenza“ (Inferno, XXVI, 85–120).

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um eine „heils- und gottvergessene intellektuelle Neugierde“ 63 handelt? Oder hat der Dichter Dante in seiner Re-Interpretation der mythologischen Figur so etwas wie eine Umwendung zur neuzeitlich verteidigten Wissenssuche entworfen, die zugleich autonome Welt- und Selbstentdeckung ist? 64 Wagt sich Odysseus in das Mögliche, das Jenseits des bewährt Gewussten hinaus und wird so Dantes (des Schriftstellers) Odysseus Projektionsfigur und Mahnung zugleich? Oder haben wir es statt dessen mit der Zurschaustellung einer Meisterschaft im Erzählen von Lügengeschichten zu tun? 65 An all diesen Interpretationsansätzen mag deutlich werden, dass sich Dantes Odysseus über eine dichotome Deutung, i. e. in Verurteilung menschlicher Hybris oder als Aufbruch-Figur nicht greifen lässt. Vielmehr kommt der lebensgefährliche Wagemut des Odysseus bei Dante in einer Ambivalenz zur Sprache, sofern die Kühnheit des „Verfallensein[s] an die Weltneugierde“ 66 Faszination ausübt. Doch wäre das als Ausdruck eines „beginnenden Zweifel[s] der Epoche an der Endgültigkeit ihres Horizont und seiner Enge“ zu lesen? 67 Borges weist in diese Richtung, wenn er Affinitäten zwischen den literarischen Figuren Odysseus und Dante betont, in denen Dantes eigenes Schreibprojekt sich spiegelt. 68 Ist doch auch die Figur Dante ein Wanderer zwischen und vor allem über die bekannten Welten hinaus und muss sich der Frage stellen: „Doch ich, weshalb soll ich dorthin kommen? Oder wer / gewährt es? Ich bin nicht Aeneas, bin nicht Paulus. / Mich halten weder ich noch andere für dessen würdig.“ 69 Dies lässt sich als Hinweis auf den Wagemut des Dante’schen Schreibverfahrens deuten sowie als „kulturhistorische Verschiebung, die sich vor allem auf der Ebene von Wahrnehmung und Medien bekundet und die sich in Dantes Text mit der Figur des Odysseus verknüpft“ bzw. in mediensoziologischer Hinsicht eine „Schwelle zur Neuzeit“ markiert, sofern die „Wirkungsmacht“ poeti63 64

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H. Friedrich, Dante und die Antike. Odysseus in der Hölle, Inferno XXVI, in: id., Romanische Literaturen. Aufsätze, vol. 2: Italien und Spanien, Frankfurt am Main 1972, 71–118, hier 114. cf. K. Stierle, Odysseus und Aeneas. Eine typologische Konfiguration in Dantes Commedia, in: I. Nolting-Hauf/J. Schulze (eds.), Das fremde Wort. Studien zur Interdependenz von Texten. Festschrift für Karl Maurer zum 60. Geburtstag, Amsterdam 1988, 115–154. cf. zu den divergierenden Deutungsperspektiven der Danteforschung R. Klesczewski, Dantes Odysseus-Gesang, R. Baum/W. Hirdt (Hrsg.), Dante Alighieri 1985. In memoriam Hermann Gmelin (Romanica et Comparatistica. 4), Tübingen 1985, 17–30 sowie Ferdinand Barths Erläuterungen in id., Dante Alighieri: Die göttliche Komödie, Erläuterungen, Darmstadt 2004, 145–150. H. Blumenberg, Arbeit am Mythos [1979] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1805), Frankfurt am Main 2006, 89. So Linda Simonis zum „liberativen Impetus“ des Dante’schen Odysseus in Rekurs auf Hans Blumenbergs ‚Arbeit am Mythos‘. L. Simonis, Dantes Odysseus und dessen Rezeption bei Borges und Blumenberg, in: St. Heimgartner/M. Schmitz-Emans (eds.), Komparatistische Perspektiven auf Dantes ‚Divina Commedia‘. Lektüren, Transformationen und Visualisierungen (spectrum Literaturwissenschaft / spectrum Literature 56), Berlin–Boston 2017, 67–94, hier 48. Siehe hierzu Simonis, Dantes Odysseus (nt. 67), 79. „Ma io, perché venirvi? o chi’l concede? / Io non Enëa, io non Paulo sono; / me degno a ciò né altri’l crede.“ (Inferno, II, 31 sqq.).

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scher Rhetorizität nicht nur mit einer Nobilitierung von Erfahrungswissen (esperienza) im Kontext der Wiedergewinnung der Aristotelischen Naturphilosophie einhergeht, sondern auch mit der Forderung, Weltwissen unter Einbeziehung sämtlicher Sinnesfähigkeiten zu erlangen 70. Das Verhältnis von Dante (Dichter wie literarische Figur) zur literarischen Odysseus-Adaption zeigt sich als äußerst vielschichtig interpretierbar und eben diese Ambivalenz ist selbst eine Stärke des dichterischen Darstellungsverfahrens, das Deutungsperspektiven und Verhandlungen über (il)legitimes Wissens aufruft. Doch gänzlich abstreifen lässt sich in Hinsicht auf die von Dante zur Sprache gebrachte Selbstcharakterisierung des Odysseus der grenzübertretende Charakter eines Wissensbegehrens wohl kaum. Zwar findet die Erfahrung (esperienza) der Welt in Hinsicht auf menschliche Tugenden und Laster Betonung und möglicherweise sogar einen legitimatorischen Zug, doch lässt sich der Zug einer Hybris nicht gänzlich tilgen. Zugleich macht der Dichter, auch wenn er die Figur Dante beteuern lässt, nicht würdig zu sein, sich neben Aeneas und Paulus zu stellen, an späterer Stelle auf die unverzichtbare theologisch-philosophische Grundlegung jeder möglichen Erfahrung aufmerksam und setzt sein Verlangen in Beziehung zu dem des Ps.Dionysius Areopagita, den vermeintlichen Zeitgenossen des Paulus. Und so kann Dante in Bezug auf die Legitimität seiner Darstellung der angelischen Himmelsordnungen beanspruchen: „Diese Ordnungen schauen all entrückt nach oben / und sind überlegen nach unten, / so daß alle zu Gott hingezogen sind und alle ziehen. / Dionysius ergab sich mit solcher Inbrunst der Betrachtung / dieser Ordnungen, daß er sie benannte und unterschied, / wie ich es tue.“ 71 „Com‘ io“, so legitimiert der Dichter sein Schreiben in Berufung auf die Raptus-Erfahrung des Paulus, als dessen Weggefährte und Zeuge Ps.-Dionysius galt. Das Wundern kehrt sich in einen Wissensanspruch aufgrund einer Offenbarungserfahrung. „Und daß ein Sterblicher solche geheime Wahrheit auf der Erde / verbreitete, darüber sollst du dich nicht wundern, denn / einer, der sie hier oben sah, enthüllte sie ihm zusammen / mit vielen anderen Wahrheiten dieser Himmelskreise.“ 72 III. Dantes Auffahr t: Umkehr und e pistemischer Kurswechsel – eine Konversion Legen wir das Augenmerk auf eine Diskussion von Erfahrungswissen, die sich grundlegend von der rein innerweltlichen Nautik der Figur des Odysseus 70 71

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Simonis, Dantes Odysseus (nt. 67), 82. 89 sq. „Questi ordini di sù tutti s’ammirano, / e di giù vincon sì, che verso Dio / tutti tirati sono e tutti tirano. // E Dïonisio con tanto disio / a contemplar questi ordini si mise, / che li nomò e distinse com’ io.“ Paradiso, XXVIII, 127–132. „E se tanto secreto ver proferse / mortale in terra, no voglio ch’ammiri: / ché chi ’l vide qua sù gliel discoperse / con altra assai del ver di questi giri.“ Paradiso, XXVIII, 136–139.

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unterscheidet. Vielmehr wird es jetzt um Erfahrungsmodi gehen, für deren Begründung und epistemische Qualifizierung theologisch-metaphysisches Wissen, die Auslegung der biblischen Offenbarungslehre und naturwissenschaftlich-kosmologische Theorien miteinander verschränkt werden. Im 27. Canto des ‚Paradiso‘ wird Dantes Odysseus abermals aufgerufen. Nachdem die Figuren Dante und Beatrice die Planetenkreise vom Mond bis zum Saturn in aufsteigender Folge durchlaufen haben, befinden wir uns nun im achten Kreis, dem Fixsternhimmel, also derjenigen Sphäre, die nach dem zugrundegelegten aristotelisch-ptolemäischen Kosmosmodell die konzentrische Planetenordnung abschließt – in Korrelation mit der Ps.-Dionysischen Engelshierarchie sind ihr die Cherubim, unter anderem die Wächer des Paradieses (Gen. 3,24), zugeordnet – und die vom Kristallhimmel (primum mobile ), der Region der Seraphim, umschlossen wird, jenseits dessen das Empyreum als Sitz Gottes und der Seligen vorgestellt wird. In Dantes Darstellung dessen, was die Aufsteigenden in der Fixsternsphäre erfahren, wird sie in vielerlei Hinsicht in ihrer Scharnierfunktion deutlich bzw. als eine Grenzregion, die zu durchschreiten erst den Blick in den Kristallhimmel, den Sitz der Engel, und damit in eine Passage auf dem Weg zur Gotteserfahrung öffnet. Die Fixsternsphäre ist a) kosmologische Grenzregion, sofern sie die abschließende Sphäre in Hinsicht auf die Ordnung der Planetenkreise ist, die jeweils einzelnen Disziplinen zugeordnet sind. Sie umschließt als bewegte Sphäre fixer, in ihrer Position zueinander unveränderlicher Sterne (Sternbilder) den Kosmos und wird selbst vom sogenannten Kristallhimmel umfangen, also demjenigen Bereich, der entsprechend aristotelisch-ptolemäischer Kosmosvorstellungen als primum mobile zwischen metaphysischer und physischer Welt vermittelt. Auf dieses astronomische Modell appliziert Dante seine christozentrische Liebestheologie. Auch b) theologisch-moralisch wird die Fixsternsphäre zu einer Region des Übergangs und der Umkehr (Konversion). Dante lässt seine Protagonisten im 22. Canto in Rekurs auf die biblische Jacobsleiter über die planetare Ordnung hinausgehen und mit dem Eintreten in die Fixsternsphäre einen ‚Vorgeschmack‘ der himmlischen Herrlichkeit in Christus erfahren, vor allem aber konfrontiert er sie beginnend mit dem 23. Canto mit den wie in leuchtende Fackeln gehüllten Stimmen von Johannes, Jacobus, Petrus und Adam, um die Figur Dante einer Glaubensprüfung zu unterziehen. Dante vollzieht im Blickwechsel zwischen Weltgeschehen und himmlicher Herrlichkeit eine Umwendung, auf die er von Beatrice hingewiesen wird: „guarda come tu se‘ vòlto“ 73 – eine Wende, die an dieser Stelle astronomisch detailliert expliziert wird. Weiterhin erweist sich die Fixsternsphäre c) in eschatologisch-geschichtsphilosophischer Perspektive, i. e. ‚in Hinblick‘ auf die verheißene ewige Seligkeit der Erlösten bzw. die Glorie in Gott als Grenzscheide. Emphatisch eröffnet Dante 73

Paradiso, XXVII, 78.

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den 27. Canto des ‚Paradiso‘ mit einer Lobpreisung auf Vater, Sohn und Geist („‚Al Padre, al Figlio, a lo Spirito Santo‘, / cominciò, ‚gloria!‘, tutto ’l paradiso, / sì che m’inebrïava il dolce canto“ 74 ) als verheißungsvolle Erfahrung paradiesischer gloria, deren Süße den Erfahrenden trunken macht, und – das sei besonders betont – in einen Freudentaumel versetzt, der durch die Augen wie die Ohren eintritt („mia ebbrezza / intrava per l’udire e per lo viso“ 75 ). Dem enthusiastisch gerühmten und doch unaussprechlichen Entzücken („oh ineffabile allegrezza!“ 76 ) ob der „Freude (gioia)“, des „Reichtums (richezza)“ und eines „in Frieden und Liebe vollständigen Lebens (oh vita intègra d’amore e di pace!)“ 77 stellt der Dichter drastisch die Stimme des Petrus gegenüber, dessen Erscheinung in Gestalt einer Fackel sich und den Himmel mit Röte zu überziehen beginnt, einer moralischen Schamesröte, die sich in apokalyptische Schwärze umfärbt, während Petrus den pervertierten, vollends korrupten, kriegerisch-raffsüchtigen Zustand des ruchlosen irdischen Papststandes attackiert, um im Zuge der erzürnten Rede das Einschreiten der göttlichen Vorsehung anzukündigen und der Figur Dante den Auftrag zu erteilen, diese apokalyptische Warnung an die irdische Welt zu vermitteln, i. e. seine Stimme zu erheben. Die Fixsternsphäre wird als Scharnier zwischen himmlischer Herrlichkeit und irdischer Verdorbenheit d) zum Angelpunkt einer Rechtfertigung von Wissensbegehren, ein Wendepunkt, sofern sich die Figur Dante ‚umwendet‘, so dass die „wahnwitzige Durchfahrt des Odysseus (il varco folle d’Ulisse 78 )“ vor Augen tritt. Während nach der apokalyptischen Strafankündigung des Petrus die himmlischen Scharen wie Schneeflocken in sanftem Rieseln als triumphaler Zug in die Höhe entschweben, wendet die Figur Dante auf Geheiß von Beatrice den Blick der Erde zu. Verschiedentlich schon hatte Dante solche Rückwenden einbezogen 79. Mit dem erneuten Rekurs auf das hybride Grenzüberschreitungsmanöver des Odysseus wird jetzt die Verheißung einer Umkehr in Szene gesetzt. Denn indem die Figur Dante sich von der Irrfahrt auf Erden abwendet und von Liebesglut erfüllt den Blick auf Beatrices Augen zurücklenkt, um in göttlichstem Enzücken instantan in den schnellsten Himmel (den Kristallhimmel) entrückt zu werden, ergreift Beatrice das Wort, um dieses primum mobile, das durch göttliche Liebe in kreisende Umdrehung versetzt eben diese Kraft weitergibt, wissenschaftlich zu bestimmen. Im Gegenzug zu dieser himmlischen Höhe in Umkreisung der göttlichen Liebe kommt die in die Tiefen ziehende (affonde ), odysseische Begehrlichkeit (cupidigia ) erneut zur Sprache. Mahnung und prophetische Weisung zugleich. In Umkehrung des Schiffbruchs des Odysseus – wir erinnern uns, sein Schiff wurde mit dem Heck in 74 75 76 77 78 79

Ibid., 1 sqq. Ibid., 6. Ibid., 7. Ibid., 8. Ibid., 82 sq. Cf. ibid., XXII, 127 sqq.

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der Höhe und dem Bug in die Tiefe kopfüber in den Abgrund eines Strudels gerissen 80 – wird jetzt eine „fortuna“ verheißen, die von den Strahlen der oberen Himmelskreise ausgehend „das Heck dorthin kehrt, wo jetzt der Bug ist, / so daß die Flotte auf geradem Kurs steuern wird (la classe correrá diretta) / und gute Frucht nach der Blüte kommt.“ 81 Ein nautisches Manöver des Richtungswechsels bzw. eine Konversionsfigur der navigatio ad patriam. IV. Visio beatifica – Transzendier ter Wissenshung er Die visionären Einblicke in die überirdische, himmlische Paradiessphäre, die Dante der Dichter in poetisch-prophetischer Darstellung als Nachhall einer Raptus-Erfahrung zur Sprache bringt, lassen ihn mit der Figur Dante einen Jenseitsreisenden entwerfen, der seinerseits immer wieder von Zuständen der Überwältigung, des unbeschreiblichen Entzückens oder des Entrücktseins zeugt, das jede Form der sprachlichen Vermittlung wie des rational begründbaren Wissens übersteigt und Erinnerung wie Sprache versagen lässt 82 (Tafel 2). Und so schwingt stets ein Moment der Fraglichkeit, i. e. der möglichen Überschreitung der Grenzen des dem Menschen zugänglichen Wissens mit. Zwar übersteigt der Offenbarungscharakter, der in göttlichem Liebreiz aufleuchtet („lo piacer divin che mi refulse“ 83 ) alles je Erfahrene. Denn was durch die Wendung des sehnenden, von Liebe entbrannten Blicks auf Beatrices Antlitz zurückstrahlt, lässt alle ‚Augenweiden‘ der Natur wie der Künste, die die Sinne oder den Geist an sich ziehen können („pasture da pigliare occhi, per aver la mente“ 84 ), nichtig erscheinen eingedenk dieses Wohlgefallens. Gleichwohl werden die überempirischen Erfahrungen über die Verschränkung mit zeitgenössischen naturwissenschaftlichen, kosmologischen wie astronomischen Wissensbeständen fundiert und gleichsam gegen den Vorwurf einer bloßen Traumvision gesichert. Dante bindet zeitgenössisches Naturwissen ebenso ein wie zeitgeschichtliche Ereignisse, kritische Interventionen im Blick auf die politische Situation oder Polemiken gegen den Zustand der kirchlichen wie weltlichen Mächte. Von menschlichem Wissensdrang, Neugierde (curiositas ) oder gar sinnlicher Begehrlichkeit (concupiscentia ) grenzt sich dieses Verlangen nach einem denken80 81 82

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Inferno, XXVI, 140 sq. Paradiso, XXVII, 144–148. Dante verweist wiederholt auf Erfahrungen von Blendung, einer Be- und Entdeckung (Paradiso, XXV, 118–123; Paradiso, XXVI, 1–2 u. 21; Paradiso, XXX, 46) wie auf ein Gewahrwerden himmlischer Phänomene, die das Vermögen der Sinneswahrnehmung (Paradiso, X, 43–48; XIV, 76–78) und der Vorstellungskraft (Paradiso, XXIV, 23–26) ebenso überschreiten wie die Fassungskraft sprachlichen Ausdrucks (Paradiso, XXIV, 25–27; XXXI, 130–132) oder künstlerischer Darstellbarkeit (Paradiso, XXX, 30–33) eingedenk der Blitzschlagartigkeit der Entrückungserfahrung (Paradiso, XXI, 142; XXX, 22 und 10–11). Paradiso, XXVII, 95. Ibid., 91 sq.

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den Betrachten der transzendenten Erfahrungen vollends ab und doch geht es, so zumindest die These, um eine epistemische Qualifizierung und Rechtfertigung der Stadien bzw. des brennenden Wissensbegehrens, das sich auf die kontemplative Gotteserfahrung richtet. Dante betont dieses ‚Verlangen (disio, disirio )‘ bzw. den ‚Durst (sete )‘ oder Hunger nach Wissen, der sich als Liebessehnen kraft des begnadenden Blicks Beatrices (und damit vermittelt der göttlichen Gnade) im Aufstieg durch die Sphären verstärkt und von Stufe zu Stufe läutert, immer wieder 85 und entschuldigt sich für seinen Wissenshunger, der im Irdischen zum Fasten gezwungen ist 86. Gleichzeitig rechtfertigt er dieses Verlangen, sofern die Kühnheit als „heilige Lust“ im Vollzug des Aufstiegs immer lauterer wird 87. Damit kommen wir auf die eingangs bereits betonte Bedeutung von Staunen und Stupor zurück 88. Dass Dante dieses Ersehnen einer höchsten Einsicht, i. e. das Aufgehen in der visio dei entschieden als ein Wahrheitsbegehren und Verlangen nach Wissen kennzeichnet, wird schon allein daran deutlich, dass er seinen Protagonisten Dante nicht nur in Zuständen des Staunens und der Erschütterung zeigt 89, die immer weiter hinaufführen, sondern gleichermaßen Zweifel zur Sprache bringen und Fragen aufwerfen lässt, um über die Stimmen Beatrices wie der Seligen die dargelegten überempirischen Widerfahrnisse einem verstehenden Erfahren zu eröffnen. Der natürliche menschliche Drang nach Wissen, das Zweifeln (il dubbio ) 90 wird unter der Bedingung des Glaubens an die alleinige, seligmachende Wahrheit Gottes geradezu als Movens des Seelenaufstiegs bestimmt: „Ich sehe wohl, daß unser Begreifen sich nie sättigt, / wenn die Wahrheit es nicht erleuchtet, / außerhalb derer keine Wahrheit Raum hat. // Es kommt zur Ruhe darin wie ein Tier in seinem Bau, / Sobald es sie erreicht hat, und erreichen kann es sie; / wenn nicht, wäre alles Streben vergeblich. // Zu diesem Zweck entsteht, in der Art

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Ibid., I, 76 u. 83. II, 19–21: „La concreata e perpetüa sete / del deïforme regno cen portava / veloci quasi come ’l ciel vedete.“. III, 126: „maggior disio“. IV, 10: „mio disir dipinto / m’era nel visio“; siehe auch ibid., IV, 17 und 72: „disio“. V, 113: „disio“. VII, 54: „gran disio“. XXII, 26: „disio“. XXIX, 48. XXXI, 55 und 65. VIII, 30: „disiro“. Ibid., XIX, 25: „il gran digiuno“. Ibid., XIV, 138 sq.: „ché ’l piacer santo non è qui dischiuso, / perché si fa, montando, più sincero.“ Atturo/Bourke, Ad-miratio (nt. 12), 104 „It is notable that ad-miratio, like stupore, is an emotion which Dante-author reserves for the ascending phases of the journey (both terms are recorded only in Purgatorio and Paradiso ). These higher emotions are the spiritual evolution and transformation of the attitude of curiosity (curiositas ) which he experiences in Inferno, which, in Augustininan terms (concupiscentia oculorum ), is a sensation compromised by physiological human impulses.“ Etwa Paradiso, XXII, 1: „Oppresso di stupore“. XXVI, 80: „quasi stupefatto“ sowie zum Entzücken und Überwältigtsein ibid., X, 147 sq.: „in dolchezza ch’esser non pò nota“ sowie ibid., XXI, 141 sq. Wie beim jähen Aufwachen aus einem Traum handelt es sich um einen momenthaft zwischenweltlichen Zustand (ibid., XXIII, 49 sqq. XXVI, 70–81). Cf. zum Zweifel der Figur Dante Paradiso, I, 94. IV, 8 sqq. IV, 64. IV, 124–132. VII, 10; VIII, 92. XI, 22. XIX, 33. XX, 79. XXVIII, 40 sowie XXIX, 64 als Aufruf, nicht länger zu zweifeln.

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eines Schößlings, / am Fuß der Wahrheit der Zweifel: das geschieht / von Natur und treibt uns von Höhe zu Höhe zum Gipfel.“ 91

Situationen des Staunens, der Erschütterung und Überwältigungserfahrung (stupor ) aber ebenso der Zweifel (dubbio ) begleiten die Wegführung unter der Leitung Beatrices im Himmel von der Mondsphäre bis an den Rand des Empyreums. Indem Dante sein literarisches Pendant immer wieder innehalten und fragen, ja zweifeln lässt eingedenk dessen, was sich ihm in der transmundanen Erfahrungswelt darbietet und das Wisssensbegehren geradezu entflammt, reflektiert er auf die Erfahrungsmodi eines von Gnade illuminierten Erkennens wie die Bedingungen einer Region, in der raumzeitliche wie physikalische Gesetze der irdischen Welt außer Kraft gesetzt sind. „Vieles ist dort statthaft, was hier unseren Fähigkeiten (virtù) nicht gestattet ist dank dem Ort, der eigens für das menschliche Geschlecht geschaffen wurde.“ 92 Und es wiederholt Beatrice, deren Blick und Rede dem Suchenden versichert, dass es sich hier nicht um Illusionen oder unerklärliche Wunder, sondern um einen Ausblick auf die Verfasstheit einer jenseitigen Welt handelt, den die Vorstellungskraft der Figur Dante kaum zu fassen vermag. „Du darfst dich nicht mehr verwundern, wenn ich es recht ein- / schätze, über dein Aufsteigen, nicht anders als über einen Wasser- / lauf, wenn er vom hohen Gebirge herabstürzt in die Tiefe.“ 93 Wenn etwa im 1. Canto des ‚Paradiso‘ die Figur Dante angesichts der Konfrontation mit einem Meer von bewegten Feuerkreisen und sphärischen Klängen, die von der den Himmel lenkenden Liebe ausstrahlen, Zweifel hegt, ob all dies ihm leibhaftig erfahrbar werde, ist es Beatrice, die diese Ungewissheit auflöst: „Du selbst machst dich irre mit einer falschen / Vorstellung, so daß du nicht siehst, was du sehen würdest, / wenn du sie abgeschüttelt hättest. // Du bist nicht auf der Erde, wie du glaubst, sondern / ein Blitz, wenn er aus dem ihm eigenen Ort entflieht, / eilte nicht so, wie du dorthin zurückkehrst.“ 94 Die leibliche Gegenwart in dieser transmundanen Region, die Fähigkeit, all diese Sphären zu durchlaufen, sie körperlich zu durchdringen, die Geschwindigkeit der Eigen- wie Fremdbewegungen in diesem Himmelsmeer, all das erfahren und wahrnehmen zu können lässt den jenseitsreisenden Dante immer wieder in

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Paradiso, IV, 124–132: „Io veggio ben che già mai non si sazia / nostro intelletto, se ’l ver non lo illustra / di fuor dal qual nessun vero si spazia. // Posasi in esso, come fera in lustra, / tosto che giunto l’ha; e giugner puollo: / se non, ciascun disio sarebbe frustra. //Nasce per quello, a guisa di rampollo, / a piè del vero il dubbio; ed è natura / ch’al sommo pinge noi di collo in collo.“ Ibid., I, 55 sqq.: „Molto è licito là, che qui non lece / a le nostre virtù, mercé del loco / fatto per proprio de l’umana spece.“ Ibid., 136 sqq.: „Non dei più ammirar, se bene stimo, / lo tuo salir, se non come d’un rivo / se d’alto monte scende giuso ad imo.“ Ibid., 88–93.

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Verwunderung („gran ammirazio“ 95 ) verfallen und evoziert das Verlangen nach Erklärungen. „Die Neuheit des Klanges und das gewaltige Licht entzündeten / ein Verlangen in mir nach ihrer Ursache, / wie ich es noch nie mit solcher Schärfe empfunden hatte.“ 96 Tiefes Staunen entfacht ein Verlangen nach Wissen („accender ne dovria più il disio“ 97 ) in Bezug auf Erfahrungen, die über alle physisch-innerweltlichen, raum-zeitlichen Bedingungen bzw. das entsprechende menschliche Wissen hinausführen und einer überirdischen Kräftelehre der Körperbewegungen gemäß göttlicher Vorsehung folgen. Dass diese Einsichten nach Maßgabe des Wissens der Sterblichen irrig scheinen, nicht aber im Glauben an die göttliche Macht, gilt es zu vergegenwärtigen. „‚Wenn die Meinung / der Sterblichen irrt‘, sagte sie zu mir, ‚wo der Schlüssel / der Sinne nicht aufschließt, / sollten gewiß die Pfeile der Verwunderung dich künftig / nicht verletzen, da du siehst, wie der Verstand, / den Sinnen folgend, kurze Flügel hat.“ 98 Nicht so die Flügel des von göttlicher Gnade, von Glaube, Hoffnung und Liebe Geleiteten, dessen Erstaunen ein wachsendes Verlangen vorantreibt. Die Ordnung der Himmelskreise und ihrer immer schneller werdenden Kreisbewegungen um das göttliche Zentrum – gleichsam eine Inversion der aristotelischptolemäischen Kosmologie in eine theozentrische Vorstellung – , die Ausstrahlung eines göttlichen Kraftwirkens, das selbst in sich ruht; die Möglichkeit einer Begegnung mit den Seelen der Erlösten in diesen verschiedenen, von göttlicher Geisteskraft durchwirkten Kreisen; Fragen der Willensfreiheit, moralischen Verantwortung und Teilhabe an der göttlichen Gnade angesichts einer Hierarchisierung der Erlösten, die der Figur Dante in der himmlischen Welt in der Ordnung der Planetenkreise erscheinen, all diesen Fragen begegnet Beatrice in Vermittlung eines aus dem Glauben erleuchteten Wissens und mit der wiederholten Ermahnung „verwundere dich nicht“ 99. Angesichts der überwältigenden Schönheit dieser übersinnlichen und doch sinnlich-leibhaft erfahrenen Welt, wird das Staunen zum kontinuierlichen Movens, zum Auslöser von Zweifel wie immer tieferem Verlangen nach einem Wissen um die göttliche Liebeskraft, die all dies beseelt, lenkt und Kreise ziehen lässt. Es ist aber auch ein Staunen über die Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit selbst, eingedenk der blitzhaften Entrückung in eine Erfahrung der visio beatifica, in dem räumliche wie zeitliche Erfahrungsmodi in einem qua Teilhabe an dem göttlichen Gnadengeschehen verändernden Licht erscheinen.

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Ibid., 98. Ibid., 82 sqq.: „La novità del suono e ’l grande lume / di lor cagion m’accesero un disio / mai non sentito di cotanto acume.“ Ibid., II, 40. Ibid., 52–57: „‚S’elli erra / l’oppinïon‘, mi disse, ‚d’i mortali / dove chiave di senso non diserra, / certo non ti dovrien punger li strali / d’ammirazione omai, poi dietro ai sensi / vedi che la ragione ha corte l’ali.‘“ Ibid., 55. III, 25. V, 4.

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V. Glorifikation der Sinne Wenden wir uns nun der visio beatifica – der „vista nova“ 100 – zu. Über die Stationen der Himmelsreise wird der Aufstieg der Seele zur Gottesschau zumindest tentativ epistemisch qualifiziert. Die Erfahrung der ersehnten visio beatifica, die sich hierbei konturiert, bestimmt sich nicht allein über eine visuelle Anschauung. In mittelalterlichen Interpretationen wird die verheißene vita aeterna vielfach über dem Zustand einer kontemplativen Gotteserfahrung (contemplatio) gefasst. Zugleich gilt die ewige Glückseligkeit (beatitudo) in der Gemeinschaft aller Seligen mit Gott als Leben in immerwährender Freude und Genuss (fruitio dei, dilectatio ) 101. Was aber macht diese kontemplative Gottesnähe aus, von der etwa Thomas sagt: „Ultima et perfecta beatitudo, quae expectatur in futura vita, tota consistet in contemplatione“ 102? Im Glauben an die Auferstehung und Transfiguration Christi ist ein zukünftiger Gnadenzustand der Erlösten gleichsam vorweggenommen (cf. 1 Kor 15,1–15. 20–23; 2 Kor 3,18). Die Weise, wie diese geistleibliche Glorifikation der Seligen vorgestellt werden kann, ist eine umfassend und kontrovers diskutierte theologisch-philosophische Frage, denn an ihr hängt nicht nur die Bewährung der Auferstehung Christi und damit die christliche Soteriologie, sondern grundlegend die Verheißung der biblischen Offenbarungslehre in Hinsicht auf ein ewiges Leben und damit die Denkmöglichkeit einer individuellen geistleiblichen Auferstehung der Seele. Heißt es doch alttestamentlich: „In meinem Fleisch werde ich Gott sehen“ (Hiob 19,26) 103, und im NT ist es der erste Korintherbrief des Apostel Paulus (1 Kor 15,35–44), in dem die Auferstehung in einem pneumatischen Leib in unverweslicher Herrlichkeit verkündet wird. Das wirft eine Fülle von Fragen auf. Folgen wir der Deutung Augustins, dann werden wir „nicht […] den ehemaligen animalischen Leib wiederbekommen, in dem Adam war, sondern wir werden einen besseren bekommen, einen geistigen Leib, da wir den Engeln Gottes gleichgemacht werden (Mt 22,30), gerüstet für die himmlische Wohnstatt, wo wir keiner Nahrung mehr bedürften, die verdirbt. Erneuert werden wir also im Geist unseres Verstandes […]. Erneuert werden wir aber auch im Fleische, da dieser der Verweslichkeit unterworfene Leib sich mit der Unverweslichkeit bekleiden und ein geistiger Leib werden wird, wie ihn Adam noch nicht besaß, in den er aber verwandelt werden sollte, wenn er sich nicht durch die Sünde auch den Tod des animalischen Leibes verdient hätte.“ 104 100 101 102 103

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Ibid., XXXIII, 136. Siehe hierzu H. Stoevesandt, Die letzten Dinge in der Theologie Bonaventuras, Basler Studien zur historischen und systematischen Theologie 8, Zürich 1969. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I-II, q. 3, a. 5c, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 6), Rom 1891, 31. Für die mittelalterliche Diskussion sind hier die Spekulationen Augustins um die pneumatische Leiblichkeit der Auferstandenen grundlegend. Cf. Augustinus, De civitate dei, XXII, 29, edd. B. Dombart/A. Kalb (Corpus Christianorum Series Latina 48), Turnhout 1955, 856; id., Confessiones, VII, 14, 20, ed. Skutella (nt. 9), 144. Id., De Genesi ad litteram, VI, 24, ed. J. Zycha (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 28,1), Wien 1894, 196 sq. (Übersetzung C. J. Perl: Aurelius Augustinus, Über den Wortlaut der

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Konzepte einer glorifizierten Leiblichkeit kommen auch bei Dante wiederholt zu Sprache. Etwa wenn er im 14. Canto in Anspielung auf die Annuntiatio Domini, die Verkündigung an Maria, die Verheißung einer Wiedererlangung aller perzeptiven Erfahrungsfähigkeiten zur Sprache kommen lässt und insbesondere die Strahlkraft des glorifizierten Leibes besingt: „Und ich vernahm im hellsten Licht / des kleineren Kreises eine gedämpfte Stimme, / etwa wie die des Engels zu Maria, / die erwiderte: ‚so lange einst das Fest des Paradieses dauert, / so lange wird unsere Liebe / rings um uns dieses Kleid ausstrahlen. / Seine Helligkeit (chiarezza) richtet sich nach der Glut (ardore), / die Glut nach der Schau (visïone), und diese ist so groß, wie sie, / über die eigene Kraft hinaus, Gnade (grazia) empfängt. / Wenn einst wir mit dem glorreichen heiligen Fleisch / wieder bekleidet werden (Come la carne glorïosa e santa fia revestita), wird unsere Person / noch dankbarer sein, weil sie dann vollständig ist; / dadurch wird zunehmen, was uns das höchste Gut / an unverdientem Licht schenkt (per che s’accrescerà diò che ne dona / di gratüito lume il sommo bene ); Licht, das uns befähigt, / ihn zu schauen.“ 105

Der Gnadencharakter (gratia ) eines unverdient Geschenkten, das sich über die seelische Disposition in der Gestalt ausstrahlt und sich wie ein Lichtkleid formiert, macht darauf aufmerksam, wie mit der theologischen Kategorie der Gnade auch eine ästhetische Dimension von Grazie in der Erscheinung gefasst ist. Eingelöst wird die versprochene Schau – die vollkommene Perzeptionsfähigkeit – als eine lebendige Lichtwerdung. „Doch so wie Kohle, die eine Flamme hervorbringt, / und doch durch ihr lebhaftes Glühen (vivo candor) jene noch übertrifft, / so daß ihre Gestalt sich bewahrt, / so wird der Glanz (folgór), der uns einschließt, / in Sichtbarkeit übertroffen werden von dem Fleisch, / das jetzt noch die Erde zudeckt, / doch so viel Licht wird uns nicht ermüden können; / denn die Organe des Leibes werden stark sein für alles, / was uns wird erfreuen können.“ 106

Für diese Annäherung an die Verfasstheit der Seligen in der Herrlichkeit Gottes greifen auf Sicht- und Lichtmetaphoriken gegründete Konzepte von contemplatio zu kurz. Dante adressiert die verschiedenen Modi sinnlicher Perzeptivität. Hören bzw. die Klanglichkeit, affektive Erfahrungen von Entzücken, Süße (dolcessa, letizia, gioia), Duft (odore) und Speise (cibo) bis hin zur glückseligen Trunkenheit der Sinne, die als Momente eines „dolce frui“ das Geschmacksempfinden adressieren, sowie das taktile Berühren, Fühlen, haptische Erfassen, i. e. vielschichtige Weisen eines ästhetischen Gewahrwerdens und nicht zuletzt performative Momente von tänzerischer Bewegtheit. Sie verleihen der spezifischen Temporalstruktur wie dem räumlichen Charakter übersinnlicher Erfahrung jenseits physikalischer Kategorien Nachdruck. Die Engelshierarchie bzw. die angelische Perzeptivität wird zur Folie dieser Exploration einer integralen, leiblich-

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Genesis/De Genesi ad litteram libri duodecim. Der große Genesiskommentar in zwölf Büchern zum erstenmal in deutscher Sprache, vol. 1, Paderborn 1961, 235 sq. Paradiso, XIV, 34–48. Ibid., 52–60.

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seelischen Erfahrung, wie sie den Seligen zuteilwird bzw. mit der Auferstehung verheißen ist: eine Intensivierung und Ausdehnung eines affektiven, synästhetischen Wissens, in dem sich die höchste göttliche Liebe als Wahrheit offenbart. Auch mündet die visio beatifica nicht in eine differenzlose unio mystica. Es ist vielmehr die Blickbeziehung zwischen Sehendem und Gesehenem, die auf einen Prozess der Verähnlichung mit Gott führt. Der Blickwechsel der Liebenden Dante und Beatrice als Sehen im Spiegel des Auges (cf. 1 Kor 13,12), i. e. Anblicken, Widerschein und Angeblicktwerden bzw. die blitzartige Einstrahlung in das Auge des Anderen 107 sind als gnadenhaftes Geben und Empfangen bestimmt. Es sind Gnadengeschenke, die erst den Blick öffnen und schließlich klären werden. Die erotisierende Dialogizität von Sehen und Gesehenwerden öffnet die Augen und Ohren, das Herz und den Verstand, i. e. ist gnadenhafte Belebung. Am Weg in die glorificatio kondensieren sich Phänomene multisensorischer geistiger Erfahrung. Diese stufenweise Selbsttranszendierung bis zu diesem höchsten Zentrum impliziert eine verwandelte Aktivierung aller Sinne und Erkenntniskapazitäten, sie transzendiert alle menschlichen Grenzen der Einsichtsfähigkeit und erweitert den Geist in einer Weise, die zugleich Vertiefung im Sinne einer affektiven Intensivierung der Erfahrung ist. Gemäß theologischen Spekulationen zum Eingehen in die göttliche Glorie vollzieht sich diese Verwandlung an Seele und Leib kraft göttlicher Gnadengeschenke (dotes animae und dotes corporis ), i. e. als umfassende, sinnlich-somatische wie seelisch-geistige Heilserfahrung. In Ansätzen, diese gratia consummata (2 Kor 5,2 sq.) theologisch zu begründen, dichterisch zu fassen oder bildnerisch zu vergegenwärtigen, werden synästhetische Qualitäten einer vollkommenen Sinneswahrnehmung als ein Kennzeichen der Glückseligkeit ewigen Lebens artikuliert. Der Widerschein der Glorie ( δόξα ) kraft der Angesichter führt auf die paradoxe Vorstellung eines überzeitlichen ‚Sehens des Unsichtbaren‘ (2 Kor 4,18). Was Dante über den sukzessiven Aufstieg zur Darstellung bringt, ist stets Ausdruck einer simultanen, augenblickshaften Schau. In der Darstellungsweise werden synchrone und diachrone Szenen, i. e. Temporalstrukturen der Instantaneität und ein abschreitendes Nacheinander als Aufsteigen in der Zeit sowie Modi von Geschwindigkeit, Beschleunigung ineinander geblendet. Der Vorschein des Zustands der visio beatifica in der Raptus-Erfahrung ist bei Dante nicht nur vergegenwärtigt als unbeweglicher Flug, sondern zugleich als Sog, Wirbel, Geschwindigkeit und zeitlose Schwebe. Was uns im 28. Canto am Auffliegen der Engel vor Augen gestellt wird, ist gleichsam raum-zeitliche Ausfaltung bzw. dichterische explicatio dessen, was in der Himmelsrose in unbeschreiblicher komplikativer Gleichzeitigkeit ineins gefasst wird. Ist die Begnadung durch die göttliche Erleuchtung Voraussetzung für eine Empfänglichkeit und Beweglichkeit, so manifestiert sich an den Erfahrungsweisen, die den Engeln zugeschrieben werden, ein Vorgeschmack der Verklärung im Empyreum als „locus congruus naturae angelicae“ 108. Verheißen ist 107 108

Ibid., III, 128. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q. 102, a. 2, ad 1, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 5), Rom 1889, 450.

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die Verklärung der menschlichen Natur nach dem Tode in Entsprechung zum Zustand der Engel. Auch für Bonaventura ist das Empyreum entsprechend ihrer Lebensweise der Ort der Engel das „Caelum Trinitatis“ 109. Über eine Applikation auf die Vorstellung der angelischen Sinneskräfte werden Konzepte imaginativer bzw. imaginierter leiblicher Erfahrungsfähigkeit thematisch: Modi eines Schmeckens, Hörens, Fühlens, körperlichen Bewegtseins, Sehens oder Einander-Begegnens in einer überempirischen Welt, die eine sinnlich-somatische Evidenz beanspruchen. Präfiguriert in der Perzeptivität der Engel und verbürgt durch die Transfiguration Christi manifestiert sich dies in christlichen Vorstellungen des Glorienleibes. „In den heiligen Engeln ist zuerst vor allen anderen die Weisheit erschaffen worden, und wir sollen ihnen ähnlich werden nach der Wiederauferstehung (Mt 22,30) […]. Sie sehen immerdar das Antlitz Gottes und laben sich an seinem Wort, dem eingeborenen Sohn, der gleich dem Vater ist.“ 110 Engel verkörpern diese durch die Vergeistigung geläuterte Leiblichkeit und damit auch Sinnesfähigkeiten und -tätigkeiten. Gekennzeichnet durch körperliche Leichtigkeit, schwebende Anmut der Bewegung, ein Durchdrungensein vom Gnadenlicht, sinnliche Serenität und ein ununterbrochenes Teilhaftigwerden der Herrlichkeit Gottes prägen sich an Diskussionen um den Status der angelischen Leiblichkeit Mutmaßungen über die Beschaffenheit des Auferstehungsleibes aus. Diese geistleibliche Disposition und spirituale Sinnestätigkeit, die in ekstatischen Visionen augenblickshaft erfahrbar wird, ist Gegenstand umfassender Debatten im 12. und 13. Jahrhundert 111. Die Befähigung zu einem Ansichtigwerden der Herrlichkeit bzw. die ‚Sichtbarkeit‘ der Seligen im Jenseits fungieren als Gradmesser eines Heilsstatus. Es sind Rekurse auf die mittelalterliche Engelslehre, anhand derer, so auch bei Dante, ein Vorschein dieses glorifizierten Erfahrungszustands thematisch wird. Spekulationen über die perzeptive Gottesnähe der Engel werden etwa bei Augustinus als Modell für die gnadenhafte Fähigkeit der Seligen, Gott in seiner Herrlichkeit zu schauen, aufgerufen 112. Bei Thomas von Aquin heißt es: 109 110 111

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F. Kolbinger, Zeit und Ewigkeit. Philosophisch-theologische Beiträge Bonaventuras zum Diskurs des 13. Jahrhunderters um tempus und aevum, Berlin 2014, 63 sq. Augustinus, De Genesi ad litteram, IV, 24, ed. Zycha (nt. 104), 123 (Übersetzung: Perl [nt. 104], 144). Cf. Augustinus, Confessiones, X, 6, 9, ed. Skutella (nt. 9), 215 sq.; Zur mittelalterlichen Diskussion um die fünf spiritualen Sinne siehe G. Rudy, Mystical Language of Sensation in the Later Middle Ages, London 2002, 41–66 sowie P. L. Gavrilyuk/Sara Coakley (eds.), The Spiritual Senses. Perceiving God in Western Christianity, Cambridge 2012; B. T. Coolman, Knowing God by Experience. The Spiritual Senses in the Theology of William of Auxerre, Washington 2004. Zur breiten theologischen Diskussion um das Himmelssystem bzw. insbesondere das Empyreum als eines von Engeln erfüllten Ortes im 12. und 13. Jh. bzw. zur Gleichsetzung mit dem dritten Himmel (2 Kor 12,2) und als Inbegriff der Glückseligkeit (cf. Augustinus, De civitate Dei, X, 9, edd. edd. B. Dombart/A. Kalb (Corpus Christianorum Series Latina 47), Turnhout 1955, 281 sq.) siehe Kolbinger, Zeit und Ewigkeit (nt. 109), 53–58 sowie N. Wicki, Himmel, in: R.-H. Bautier (ed.), Lexikon des Mittelalters 5, München 1991, 22 sq.

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„Ein passender Grund wird nur von der Beschaffenheit der Herrlichkeit (ex ipsa conditione gloriae ) selber gegonmmen. Denn diese ist geistig und körperlich (duplex gloria, scilicet spiritualis, et corporalis ); und es wird die der zukünftigen Belohnung bestehen nicht nur in der Verherrlichung der menschlichen Leiber (in corporibus humanis glorificandis ), sondern auch in der Erneuerung der ganzen Welt. Nun hat aber die geistige Herrlichkeit (spiritualis gloria ) vom Beginne der Welt selbst an ihren Anfang gehabt in der Beseligung der Engel (in beatitudine Angelorum ), denen wir gleich sein sollen nach der Verheißung.“ 113

Die Rolle der Engel in Dantes ‚Paradiso‘ weist auf diese Diskussion um die leibgeistliche Beschaffenheit der Seligen in der verheißenen visio beatifica. Wenn Dante die momenthafte Schau Gottes als Ausstrahlung des höchsten Lichtes in einem Feuerkreis, dessen sprühende Funken von pulsierendem Leben, Frohlocken und seligster Bewegtheit der Erlösten zeugen, dann manifestiert sich diese (Liebes-)Glut der Lichterfunken in Engelskreisen. Es sind die angelischen Naturen der Seligen im Gottesreich, die je nach Vermögen, denn „das Schauen ist der Verdienst, das Gnade und guter Wille gebären, so geht es von Stufe zu Stufe voran“ 114, das eine Licht der Glorie, das sie durchwirkt, zurückstrahlen. Dante lässt sie im ‚Paradiso‘ als sprühende Feuerfunken gleich glühendem Eisen („non altrimenti ferro disfavilla / che bolle, come i cerchi sfavillaro“ 115 erfahrbar werden, als kreisende Lichtfunken, denn „seinem eigenen Feuerkreis war jeder Funke folgsam (L’incendio suo seguiva ogne scintilla)“ 116. Botticelli verleiht dem „Funkenreigen (cercio d’igne)“ 117 engelsgleiche Gestalt, lässt sie leiblich erscheinen (Tafel 3). Was Dante als „miro e angelico templo“ 118, als immerwährendes Fest der Seligen und Mahl (dape )“ 119 bzw. „Abendmahl (gran cena)“ 120 sowie „wunderbares Freudenfest (gaudio miro)“ 121 zu beschreiben sucht und mit tänzerischen Bewegungen wie süßen Klänge des angelischen Hosianna, mit Freudentänzen (tripudi) der Engel 122 sowie erhabener Leichtigkeit der „Angelici ludi“ 123 assoziiert, wird bei Botticelli aus ganz eigener künstlerischer Sicht zum Freudentaumel einer Engelshierarchie, die sich von schematischen Darstellungsweisen der Ps.113

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, q. 66, a. 3, 1 co., ed. Commissio Leonina (nt. 108), 160 (Übersetzung nach: Thomas von Aquin, Die katholische Wahrheit oder die theologische Summa des Thomas von Aquin deutsch wiedergegeben durch Ceslaus Maria Schneider, vol. 3, Regensburg 1888, 230). Die kosmophysische Bestimmung des Feuerhimmels wird bei Thomas in eine theologisch-eschatologische Region der Verklärung transformiert, die körperlich wie geistig von gloria (Herrlichkeit) und splendor (Glanz) durchwirkt ist. Paradiso, XXVIII, 112–114. Ibid., 89 sq. Ibid., 91. Ibid., 25. Ibid., 53. Ibid., XXIII, 43. Ibid., XXIV, 1. Ibid., 36. Ibid., XXVIII, 124; cf. ibid., XXXI, 130 sqq. Ibid., XXVIII, 126.

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Dionysischen Ordnung gelöst hat, um das immerwährende Schauen als Tanzen und Jubilieren in individualleiblicher Gestalt vor Augen zu stellen. Engelsscharen in kreisender Bewegung auf sphärischen Bahnen streben wie im Sog himmelwärts und zirkulieren zugleich auf einer Ebene (Tafel 3a und 3b). Die Rangfolge des Ps.-Dionysischen Modells sowie die Zuordnung der kosmischen Planetenkreise ist so gewahrt und doch in eine dialektische Dynamik von Aufstreben und Umkreisen versetzt, die Dantes Verschränkung von Instantaneität und Sukzession transponiert. Alles strebt aufwärts und bewegt sich zugleich in einem schwebenden Tanz 124. Die verdichtete, gedrängte und doch durch Leichtigkeit ausgezeichnete bewegte Fülle dieser leiblich ausgeführten Engelsgestalten erweckt eher den Eindruck eines Getümmels denn einer Hierarchie, was durch die Verwendung unterschiedlicher Tuschen wie Strichstärken verstärkt wird. Ein Schwärmen und Schwirren liegt in der Luft, gestaltet als tänzerische Choreographie von je auf andere Weise bewegten Figuren, deren Bewegungsimpulse sich in einen Chorus fügen. Dass mit all dem auf das in den Engeln verkörperte Ideal einer verklärten Leiblichkeit bzw. theologische Debatten um den Glorienleib der Auferstandenen angespielt wird, unterstreichen Dantes Einflechtungen von Spekulationen um die Auferstehung, etwa im 14. Canto. Die theologische Vorstellung einer verklärten leib-geistlichen Erfahrung in vollendenter Perzeptivität mag an Botticellis zeichnerischer Lösung sichtbar werden, vor allem wenn man sich Details der Ausgestaltung einzelner Figuren genauer vor Augen führt 125. Elemente dessen, was gemäß der mittelalterlichen dotes-Lehren die geistigen wie leiblichen Gnaden- bzw. Brautgaben kennzeichnet (dotes animae et dotes corporis ) deuten sich hier an. Die dotes-Lehre legt die Vorstellung einer Hochzeit der Seele mit Christus zugrunde und wird in theologischen wie philosophischen und literarischen Schriften zur Grundlage ausgreifender brautmystischer Spekulationen in Hinsicht auf die sinnlich-geistige Lebendigkeit der Seligen vermöge ihrer überempirischen Leiblichkeit. Nach dieser Lehre von den göttlichen Gnadengeschenken, wie sie in den Sentenzen des Lombarden und dann prominent etwa bei Thomas von Aquin, Bonaventura, Richard von St. Viktor, Bernhard von Clairvaux thematisch wird – um nur einige Gelehrte zu nennen, die in Dantes ‚Comedia‘ als Selige in Erscheinung treten – , ist es die gnadenhafte Begabung der Seelen in Bezug auf ihre Vermögen, die sie zur höchsten Freude führt. Stets ist die Verklärung auf die beseligende Gnade Gottes angewiesen kraft der Teilhabe an einem sich verströmenden Licht, wie es etwa über die Blickbeziehung beschrieben wird. Insofern bleibt selbst im Zustand der vollendeten Glückseligkeit eine Differenz zwischen Gebendem und Empfangenden, mit der eine Pro124

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Zu Zeichentechnik, Material, Darstellungsdynamik und kinematischen Präsentation H. Th. Schulze Altcappenberg, ‚per essere persona sofistica‘. Botticellis Bilderzyklus zur Göttlichen Komödie, in: Sandro Botticelli. Der Bilderzyklus zur Dantes Göttlicher Komödie. Mit einer repräsentativen Auswahl von Zeichnungen Botticellis und illuminierten Commedia-Handschriften der Renaissance, [Ausstellungskatalog], Ostfildern-Ruit/London 2000, 14–35. Hierzu detaillierter A. Eusterschulte, Glorie – Aisthesis im Jenseits, in: D. Perler/F. Wille (eds.), Evidenzen des Jenseits. Konzeptionen und Bilder 1250–1650, Berlin 2022 (im Erscheinen).

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zessualität von Sehnen und Streben als Haltung der Empfänglichkeit für die immerwährende Gewährung der göttlichen Begnadung (beatificatio) Betonung findet. Neben den Gaben an die Seele (dotes animae ), die etwa Bonaventura als visio, dilectio, comprehensio, sive tentio, sive fruitio bestimmt lassen sind es vier leibliche Gaben (dotes corporis ), die von mittelterlichen Theologen als qualitative Veränderung der Leiblichkeit in Hinsicht auf die Sinnentätigkeit wie die Beweglichkeit benannt und umfassend diskutiert werden: claritas (das Widerstrahlen einer Helle aufgrund des Durchwirktseins der Seele von göttlicher Gnade, die sich über den Leib ausstrahlt), impassibilitas (Leidensunfähigkeit des Auferstehungsleibes als Befreiung von korrumpierenden Leidenschaften, von Krankheit, Verweslichkeit und Tod), agilitas (von der Seele geleitete Behendigkeit und unbeschränkte Beweglichkeit) und subtilitas (als Fähigkeit, den Regungen der tugendhaften Seele unmittelbar Folge zu leisten). Stets ist die begnadete Seele die Voraussetzung der Entwicklung dieser besonderen leiblich-sinnlichen Fähigkeiten eines dolce frui. „Wer sich beklagt, daß man auf Erden sterben muß, / um droben zu leben, der sah hier oben / nicht die Erquickung, die ewig träufelt.“ 126 Diese affektive, synästhetische Gotteserfahrung kraft der Begnadung durch die göttliche Liebe ist nicht lediglich metaphorische, allegorisch auslegbare Annäherung, sondern sie weist auf eine mirificata scientia (Augustinus) 127. Wenn Dante im Paradiso eine kosmische Stufenfolge durch die Himmelssphären entwirft, um Graduierungen von Intensität, Transluzenz und Klarheit erfahrbar werden zu lassen, dann geschieht dies nicht nur, um im moralischen Sinne Grade eines Heilsstatus zu differenzieren, sondern stets auch Entwurf einer Skala transzendierter sinnlicher Erfahrung – und eben dies ist kann als ein Wissensmodus bestimmt werden, auf den das staunend-zweifelnde Wissensbegehren gerichtet ist. Von einem statischen mittelalterlichen Denken kann hier mitnichten die Rede sein. Dante führt uns über die Jenseitsreise auf eine komplexe Verhandlung von Wissensbeständen moralischer, politischer, naturwissenschaftlicher wie erkenntnistheoretischer bzw. metaphysischer Fragen. Eingebettet in die Himmelsreise werden sie zum Gegenstand einer permanenten Präzisierung und Revision. Doch all dies ist kein Aufbrechen in die Weiten der irdischen terra incognita, sondern Annäherung an eine geistliche Wissenschaft, die sich stets unter dem begnadenden Blick einer Liebestheologie vollzieht, von dort allerdings auf die Erfahrungen des Irdischen machtvoll zurückstrahlt.

126 127

Paradiso, XIV, 25 sqq. Augustinus, De Trinitate, XV, 27, 50, edd. Mountain/Glorie (nt. 1), 531,73.

Negative and Positive Curiositas in the Renaissance: A Lesson from Petrarca Amos Edelheit (Maynooth) In the midst of Francesco Petrarca’s ‘De ignorantia’ (1367) we find an intriguing piece which is most relevant to the topic of this conference: “Therefore, the secrets of nature, and higher than those [secrets] – the mysteries of God – which we admire with humble faith, [they] strive to snatch with arrogant ostenation. Certainly they do not reach nor do they come near [those secrets and mysteries], but rather [those] madmen think that they have reached heaven and clutch [it in their] fist. And in the same way they are pleased with themselves believing that they have their own opinion and happy in their error as if they strip off [heaven].” 1

The immediate target of this attack are of course the four Aristotelian ‘friends’ of Petrarca, who belonged to his circle of friends during his years in Venice and later attacked him; but obviously Petrarca is also targeting contemporary Aristotelian philosophers as such. Their arrogant approach seems to be the problem here, as far as Petrarca is concerned, as against the ‘humble faith’ which seems like the proper approach. Petrarca is deliberately mixing two kinds of knowledge through the word ‘heaven (celum )’: natural knowledge (secreta nature ) and divine knowledge (archana Dei ). Because of their arrogance those Aristotelians remain far away from the truth in both kinds of knowledge, natural and divine. The problem in this case is not ‘curiosity’ as such but rather the wrong, arrogant approach. But by mixing these two kinds of knowledge Petrarca targeted not only natural philosophers but also theologians, and in fact the whole of the scholastic discourse and its unique method of discussing philosophical and theological matters 2. 1

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Francesco Petrarca, De sui ipsius et multorum ignorantia, ed./trans. D. Marsh, Invectives (The I Tatti Renaissance Library 11), Cambridge, Mass. 2003, 268: “Secreta igitur nature, atque altiora illis archana Dei, que nos humili fide suscipimus, hi superba iactantia nituntur arripere; nec attingunt, nec adpropiant quidem, sed attingere et pugno celum stringere insani extimant; et perinde est eis ac si stringerent, propria opinione contentis et errore gaudentibus.” I have modified Marsh’s translation. For classical works on Petrarca see G. Billanovich, Petrarca letterato. I. Lo scrittoio del Petrarca, Rome 1947; E. H. Wilkins, Life of Petrarch, Chicago 1961. For a recent account of ‘De ignorantia’ see W. J. Kennedy, The Economy of Invective and a Man in the Middle. De sui ipsius et multorum ignorantia, in: V. Kirkham/A. Maggi (eds.), Petrarch: A Critical Guide to the Complete Works, Chicago 2012, 263–273. On this see P. O. Kristeller, Il Petrarca, l’humanesimo, e la scolastica, in: Lettere Italiane 7/4 (1955), 367–388. On the tensions between Renaissance scholastics and Renaissance humanists see my Renaissance Scholasticism(s) Strike Again: Nicoletto Vernia and the Debate Between

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What, then, could be the problem with the scholastic masters? They usually present well-orgenized discussions with reference to a set of relevant authorities who had already dealt with the question under discussion; they identify problems, prioritizing arguments, presenting possible solutions, criticizing them and then offering a solution: either a final one or the most probable one. Indeed, all this is a very formal account which aims at determining the question, providing answers to the students, to colleagues and to other members in the scholarly community. Does the effort to determine questions seem a sign of arrogance in Petrarca’s eyes, or is it the technical language used by those professional philosophers and theologians that irritates him? As against this rather formal scholastic style of the ‘men of the schools’ Petrarca introduces, in the letter of dedication to the same text, an informal style, or in fact a rhetoric of an informal style, where he contrasts the notion of a ‘book (liber )’ to the notion of a ‘talk (colloquium )’: “Indeed it is called a book but it is really a talk. It has nothing in common with a book except for the name: it has no amplitude, no structure, no style, and finally no gravity, since it was written rapidly during a journey made in haste.” 3 Does this occasional colloquium come close enough to the humility which was contrasted to the arrogance of the scholastics in the previous piece? In any case the qualities of a book mentioned here can remined us of a typical scholastic discussion which tends to be long and detailed. Yet perhaps not of the discussions of modern philosophers (that is, representatives of the modern fourteenth-century scholastic schools) who, according to Petrarca, seem to despise eloquence 4. And what about the contents of learning? What about the classification of knowledge and the hierarchy between different fields of knowledge and curiositas? Vain curiosity is represented by endless details of useless information regarding natural things; all this is regarded by Petrarca as superfluous knowledge. Valuable knowledge is attached to our personality, to real life and to real individuals and, most importantly, it makes us good. Thus, Petrarca suggests the best precondition for learning: a ‘good and well-disposed soul (bona et bene instituta anima )’, which is necessary for creating the proper balance and discipline in order to deal with learning or knowledge and to make the best use of it (Can we think of a better suggestion in light of the current pandemic, statistics and panic?). The opposite example is represented by the fourth false friend of Petrarca (the

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Medicine and Civil Law, in: Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales 86/2 (2019), 451–483. Petrarca, De ignorantia, ed. Marsh (nt. 1), 222: “Liber quidem dicitur, colloquium est; nil de libro habet preter nomem, non molem, non ordinem, non stilum, non denique gravitatem, ut qui cursim in itinere approperante conscriptus sit”. Ibid., 232: “altera [eloquentia], si qua esset, apud illos hoc moderno philosophico more contemnitur et quasi literatis viris indigna respuitur.” On the important relations between representatives of the via antiqua and the via moderna among Italian academics see C. Dionisotti, Ermolao Barbaro e la fortuna di Suiseth, in: Medioevo e Rinascimento. Studi in onore di Bruno Nardi, vol. 1 (Florence 1955), 217–253.

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physician Guido da Bagnolo), who seems to have considerable learning but it is all confused and disordered in such manner that it might just be perhaps better if he knew absolutely nothing 5. Why? What might be the danger here? “Indeed learning becomes an instrument of madness for many, of pride for almost everyone, unless – and this is rare – it encounters a good and well-disposed soul. Accordingly, this [fourth friend knows] a great deal about wild beasts, birds and fish. [He knows] how many hair a lion has in its mane, how many feathers a hawk has in its tail, and how many coils an octopus wraps a round a castaway. [He knows] that elephants mate from behind, and are pregnant for two years; and that this docile and vigorous animal, with its near-human intelligence, lives as long as two or three centuries. [He knows] that the phoenix is burned on an aromatic pyre and is reborn from its ashes; that the sea urchin can halt a vessel launched with great force, but is powerless when taken out of the water; that a hunter can trick a tiger with a mirror; and that an Arimaspean uses a spear to slay the griffin. [He knows] that a sailor is fooled by the broad backs of whales, that a she-bear gives birth to a formless cub, that a mule rarely gives birth, and that a viper gives birth once and dies. [He knows] that moles are blind, that bees are deaf, and that the crocodile is the only animal that moves its upper jaw.” 6

This is exactly what happens when someone does not have a ‘good and well-disposed soul’. He confuses mythological stories with natural facts, he is accumulating data without being able to assess their accuracy or real value – for, Petrarca contends, even if all these details were correct, they have absolutely nothing to do with our happiness, with our beatific life. Moreover, what do we gain from knowing the natures of all these beasts while ignoring our own human nature and the purpose of human life? 7 Petrarca is targeting here a certain concept of knowledge, aiming at replacing it with another concept. And once again, as we have already seen 8, he is mixing different kinds of knowledge. Petrarca is targeting what he calls ‘the Aristotelian law (lex aristotelica )’, of which those ‘scribes’ (scribes – in the negative sense this word has in the New Testament) claim to be most familiar with (doctissimi ), as against the Mosaic or the Christian Law, of which – and this is the implication 5 6

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Ibid., 236: “quartus vero non paucas [literas], fateor, sed perplexas adeo tamque incompositas, et, ut ait Cicero, ‘tanta levitate et iactatione’, ut fortasse melius fuerit nullas nosse.” Ibid., 238: “Sunt enim litere multis instrumenta dementie, cuntis fere superbie, nisi, quod rarum, in aliquam bonam et bene institutam animam inciderint. Multa ille igitur de beluis deque avibus ac piscibus: quot leo pilos in vertice, quot plumas accipiter in cauda; quot polipus spiris naufragum liget; ut aversi coeunt elephantes biennioque uterum tument; ut docile vivaxque animal et humano proximum ingenio et ad secundi tertiique finem seculi vivendo perveniens; ut phenix aromatico igne consumitur ustusque renascitur; ut echinus quovis actam impetu proram frenat, cum fluctibus erutus nil possit; ut venator speculo tigrem ludit, Arimaspus griphen ferro impetit, cete tergo nautam fallunt; ut informis urse partus, mule rarus, vipere unicus isque infelix; ut ceci talpe, surde apes; ut postremo superiorem mandibulam omnium solus animantium cocodrillus movet.” Ibid.: “que denique, quamvis vera essent, nichil penitus ad beatam vitam. Nam quid, oro, naturas beluarum et volucrum et piscium et serpentum nosse profuerit, et naturam hominum, ad quid nati sumus, unde et quo pergimus, vel nescire vel spernere?” Cf. nt. 1.

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here – they are not so familiar. In other words, this attack is against a very dogmatic, ignorant and narrow version of Aristotelianism, represented by Petrarca’s false ‘friends’ who just could not bear his critical remarks on Aristotle 9. As part of their defamation, these ‘friends’ argued that King Robert of Sicily who supported Petrarca was famous for his learning but completely ignorant; other powerful supporters, although they may have been learned, yet their judgment of Petrarca was not penetrating enough, either because of love or because of carelessness or negligence – the word is incuriositas, the opposite of curiositas 10. According to them Petrarca might have an elegant style but certainly no knowledge 11. And here we encounter the other concept of knowledge, focusing entirely on the contents of a particular corpus which then becomes identical with knowledge, while rejecting ‘style’ or ‘eloquence’ and separating them from knowledge. (Do we appreciate today the style or eloquence in a mathematician or a physicist? Do we want to be persuaded that a vaccine is working, or do we simply want it to work?) But is it really possible to separate style and eloquence from learning and knowledge? Is it not necessary that only through learning one also acquires style and eloquence? So, should we simply separate literary knowledge from scientific knowledge? And what if we have the best vaccine which has the worse – and completely false – reputation? This is exactly the next point made by Petrarca: such separation between eloquence and knowledge is just impossible 12. His concept of knowledge will thus reject such dichotomy and embrace both eloquence and knowledge. As we have already seen 13 Petrarca has placed an essential precondition for properly digesting knowledge: having a good and well-disposed soul. And while for his false friends being regarded as a man without learning but ‘only’ good is shameful – as if God desires iniquity or supports envy or ignorance, the two obstacles of the true reflected in these false friends 14 – Petrarca turns it into his purpose: “You know, my Lord, in front of Whom all my desire and sigh [are known], that when I used learning soberly, I sought nothing but to become good.” 15 9

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Petrarca, De ignorantia, ed. Marsh (nt. 1), 238 sqq.: “Hec et alia huiusmodi adversus hos scribas, non mosaica utique nec cristiana, sed aristotelica, ut sibi videntur, in lege doctissimos, cum sepe liberius agerem quam soliti sint audire, idque fortassis incautius, ut qui inter amicos loquens nichil inde periculi providerem.” Ibid., 240: “Responderunt – et hic plane mentita est, non dico iniquitas, sed vanitas sibi – regem ipsum literarum magna etiam fama, sed nulla fuisse notitia; reliquos, quamvis doctos, in me tamen non sat perspicaci fuisse iudicio, seu amor ille seu incuriositas fuisset.” Ibid., 242: “Obstare demum et scribendi stilum, quem non solum vituperare, sed parcius laudare veriti, elegantem prorsus et rarum, sed absque ulla scientia fassi sunt.” Ibid.: “nam quo pacto omnium ignaro stilus excellens sit, qui eis nichil ignorantibus nullus est? Itane fortuita omnia suspicantes, locum non linquimus rationi?” Cf. nt. 5. Petrarca, De ignorantia, ed. Marsh (nt. 1), 242 sqq.: “Omnibus igitur ad examen ductis, nescio quem deum – quoniam nec deus volens iniquitatem, nec deus invidie aut ignorantie ullus est, quam geminam veri nubem dixerim – ante oculos habentes, brevem diffinitivam hanc tulere: me sine literis virum bonum.” Ibid., 244: “Tu scis, Domine, coram quo omne desiderium atque suspirium meum est, quod ex literis, quando his sobrie usus sum, nichil amplius quesivi quam ut bonus fierem.”

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In this case, ‘goodness’ or ‘becoming good’ is the outcome of learning. This is not a preconditioned disposition but rather the result of an active and conscious process. And this process is taking place under God’s eyes. Petrarca’s conception of knowledge involves breaking the dichotomy (if such dichotomy ever existed) between philosophy (or literary knowledge) and theology, or as we have seen in the beginning of this paper, between secreta nature and archana Dei. This allows God to be the ‘Lord of sciences (scientiarum dominus )’ and it allows Petrarca to prefer God to any other source of knowledge, aiming at the true name of a good man 16. Moreover, the conception of knowledge as it is practiced by these four ‘friends’ and is criticized here by Petrarca is based solely on the authority of Aristotle, so much so that it can be compared to the ancient Pythagoreans and their dogmatic and rather simple-minded attitude towards the founder of their school. Such an attitude to authority is the exact opposite of curiosity and of the original purpose of philosophy, claims Petrarca. Instead, he prefers a free investigation of truth and an authentic seeking of wisdom, including criticizing Aristotle, explicitly challenging his authority and even joking about him 17. In other words, such a dogmatic submission to authority destroys intellectual freedom, it destroys the necessary space needed for thinking and for a meaningful dialogue with the past and with tradition which should always involve two elements: modification and rejection. Such a meaningful dialogue with the past obviously necessitates the reinvention or recreation of Aristotle as a historical figure 18. But this Aristotle, a human being who was part of a historical context, knew of course absolutely nothing about Christian happiness, which is the only true happiness according to Petrarca, based of faith and immortality 19. The term ‘curiositas’ and its cognates appears three times in the sentences and paragraphs following the first citation of this paper 20: in the first case Petrarca cites the locus classicus of Ecclesiasticus 3,22–23, attacking human arrogance as it appears among the scholastics: “Seek not what is above you, and search not 16

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Ibid., 246: “At tu, Deus meus, scientiarum domine, extra quem non est alius, quem et Aristoteli et philosophis quibuslibet ac poetis, et quicunque ‘multiplicant loqui sublimia gloriantes’, quem denique literis ac doctrinis et omnino rebus omnibus preferre debeo et volo, tu michi quod illi falsum tribuunt viri boni nomen, tribuere verum potes, et ut velis precor.” Ibid., 264: “Solebant illi vel aristotelicum problema vel de animalibus aliquid in medium iactare. Ego autem vel tacere vel iocari vel ordiri aliud, interdumque subridens querere quonam modo id scire potuisset Aristotiles, cuius et ratio nulla esset et experimentum impossibile. Stupere illi, et taciti subirasci, et blasphemum velut aspicere, cui ad fidem rerum aliud quam viri illius autoritas quereretur, ut iam plane de philosophis et sapientie studiosis amatoribus Aristotelici seu verius Pithagorici facti simus, renovato illo more ridiculo quo querere aliud non licebat, nisi an ille dixisset. Ille autem erat Pithagoras, ut ait Cicero.” Ibid.: “Ego vero magnum quendam virum ac multiscium Aristotilem, sed fuisse hominem, et idcirco aliqua, imo et multa nescire potuisse arbitror”. Ibid., 266: “nempe qui illam non suis in finibus nec solidis in rebus edificium velut excelsum procul in hostico tremulaque in sede fundaverit, illa vero non intellexerit, sive intellecta neglexerit, sine quibus prorsus esse felicitas non potest: fidem scilicet atque immortalitatem.” Cf. nt. 1.

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what is beyond your strength; but meditate on what the Lord has commanded; and be not curious (curiosus ) of His many works; what He has kept hidden need not concern you.” In the second case Aristotle becomes the target: “Aristotle placed God as the ruler: to that extent did the light of truth illuminate his soul. But who this ruler was, what was he like and how great he was – this most important of all things I believe that he, although he discussed many of the smallest issues with curiosity = with the greatest perception, this one point he did not comprehend: a point which many ignorant people have comprehended and continue to comprehend, not because they see it in a different light, but because they see it in a light which illuminates them in a different manner.” 21

It seems that according to Petrarca Aristotle’s problem was a lack of focus, that is not paying enough attention to greater and more important issues than detailed investigations of nature. Thus, ‘curiose’ here (which is translated by Marsh as ‘subtly’ – “subtly discussed many topics”, and so the expression “multa de minimis curiose admodum disputasset” 22 is not reflected in his translation) is positive: if Aristotle would have been more curious regarding greater and more important issues, then he would have known more about that one greatest thing – God. Petrarca is breaking once again the dichotomy between natural matters, in this case natural light, and divine matters or divine light: it is just the same light which illuminates the pagan Aristotle and the ignorant Christians, only that it illuminates them differently. The next curiosus is Petrarca himself: he thanks God for giving him such an unskilful and modest intelligence and not a roving soul so that he would not be interested in searching higher things or become curious (curiosus ) in investigating difficult matters which, once they are found, are destructive 23. Once again, ‘curio21

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Petrarca, De ignorantia, ed. Marsh (nt. 1), 270: “hic [Aristotiles] Deum principem statuebat, eousque sibi veri fulgor illustravit animum. Quis hic princeps, qualisve, et quantus, nescisse eum, et qui multa de minimis curiose admodum disputasset, unum hoc et maximum non vidisse crediderim, quod viderunt multi literarum nescii, vident luce non altera, verum aliter illustrante.” For a discussion of curiosity in the ancient context see P. G. Walsh, The Rights and Wrongs of Curiosity (Plutarch to Augustine), in: Greece & Rome 35/1 (1988), 73–85. On medieval discussions of curiositas see S. G. Bruce, Curiosity Killed the Monk: The History of an Early Medieval Vice, in: The Journal of Medieval Monastic Studies 8 (2019), 73–94; R. Newhauser, Towards a History of Human Curiosity: A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559–575; id., Essays on the Moral Tradition in the Western Middle Ages (Variorum Collected Studies), Aldershot 2007, especially part III (on the Augustinian definition of curiositas and its continuation in the Middle Ages). For the medieval and earlymodern contexts see L. Daston/K. Park, Wonders and the Order of Nature, 1150–1750, New York 2001. For Petrarca as a ‘bridge’ to early-modern ideas of curiositas – see the discussion of curiositas in P. Ball, Curiosity. How Science Became Interested in Everything, Chicago 2013. See also B. M. Benedict, Curiosity. A Cultural History of Early Modern Inquiry, Chicago 2002; N. Kenny, Curiosity in Early Modern Europe. Word Histories, Wiesbaden 1998; R. J. W. Evans/A. Marr (eds.), Curiosity and Wonders from the Renaissance to the Enlightenment, Aldershot 2006. Petrarca, De ignorantia, ed. Marsh (nt. 1), 270. Ibid., 272: “Deoque gratias tacitus mecum ago, qui hoc michi seu iners seu modestum dedit ingenium animumque non vagum, neque altiora se querentem neque his scrutandis curiosum, que quesitu difficilia, pestifera sint inventu.”

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sus’ here is not entirely negative and it means focusing on the right things and avoiding difficult and destructive things. Let us draw some conclusions. Asking about curiositas brought us to discuss the concept of knowledge in the fourteenth century, a period where there seem to be at least two competing concepts (and at least two heterogenic groups of intellectuals), clearly present in Petrarca’s ‘De ignorantia’. We have seen that the arrogant approach towards knowledge of the scholastic masters – as Petrarca understood it – was bothering him. Moreover, Petrarca deliberately ignores the institutional and professional separation between philosophers and philosophy on the one hand and theologians and theology on the other, mixing natural and divine issues. This was part of Petrarca’s overall strategy against, and critique of, the scholastic discourse which seemed to him, from a stylistic point of view, much too formal and technical, and so seriously lacking in eloquence, while he proposed an informal rhetoric of a talk which integrates eloquence and knowledge. In other words, according to Petrarca, a meaningful discourse must involve both eloquence and knowledge which are in fact inseparable components of the same thing, if we discuss true eloquence and true knowledge. But what exactly is true knowledge? First of all, Petrarca sets an essential precondition: having a good and well-disposed soul. Without it, knowledge becomes meaningless, confused, useless. This is how Petrarca regards the scholastic obsession with Aristotle’s biological writings. Knowledge, for him, should have a focus – and indeed, we have seen that ‘curiosus’ or ‘curiose’ means also focusing on what is really important. Knowledge should be based on a personal engagement and commitment. But to what? To a better understanding of human nature, of ourselves, and mostly, of real knowledge which should make us good. Petrarca’s alternative to arrogance involves questioning ourselves, aiming at a non-dogmatic and rather critical approach to knowledge, contextualizing knowledge and developing a historical perspective thanks to which Aristotle is no more an authority but rather a philosopher among other ancient Greek and Roman philosophers. Obviously, in this short piece I could not develop further some of the implications of issues discussed: for instance, how exactly Petrarca as a reader of Augustine confronts the classical/Christian opposition, and how his comments might relate to the on-going discourses of the time – the discussion in the quodlibets, summe confessorum etc., which Petrarca claimed to despise. I hope to discuss these points in the future.

Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier: Debatten über den Leib Mariens zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit Bernd Roling (Berlin) I. Einleitung Die Mariologie gehört heute nicht mehr zu den Kerngeschäften des Philosophiehistorikers, auch wenn sie ein Feld begründet hatte, das an Kontroversen sehr reich war 1. Als im neunten Jahrhundert am Hof der Karolinger die Frage nach der Jungfrauengeburt erneut aufgekommen war, hatte sich der Theologe Ratramnus von Corbie zur Abfassung eines neuen Traktates zum Thema genötigt gesehen. Anlass war, wie Ratramnus selbst berichtet, eine krude Auffassung gewesen, die vor allem im Osten des Reiches kursierte. Der Erlöser habe den Leib der Madonna nicht beschädigen wollen und sei daher durch einen Seitenkanal aus ihrem Körper herausgetreten. Das war nicht der Fall gewesen, wie Ratramnus mit Nachdruck bemerkt 2. Leicht lief man, so scheint es, Gefahr, mit Blick auf Maria die falschen Fragen zu stellen, leicht auch fiel es, sich in jenen Unschicklichkeiten zu verheddern, die alle Beteiligten erst recht zu verbindlichen Definitionen nötigten. Adolf von Harnack bemerkt in seiner Dogmengeschichte zu Ratramnus und anderen, wie er sagt, „gynäkologischen Phantasien“, sie seien der „Tiefstand des Katholizismus“ gewesen 3. 1

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Der vorliegende Beitrag ist durch das DFG-Projekt ‚Aristoteles in Helmstedt‘ und das von der Akademie von Finnland finanzierte Projekt ‚Late Medieval and Early Modern Libraries as Knowledge Repositories, Guardians of Tradition and Catalysts of Change‘ (no. 307635) unterstützt worden. Für die hilfreiche Diskussion danke ich außerdem Wouter Goris (Bonn), Christoph Sander (Rom) und Dorothee Huff (Tübingen), außerdem meinen Mitarbeitenden Benjamin Wallura, Sinem Derya Kilic und Amira Assmann sowie der Bibliothek des Kölner ThomasInstitutes. Ratramnus von Corbie, De eo quod Christus ex virgine natus est liber (Patrologia Latina 121), Paris 1880, 81–102, hier besonders c. 1–3, ibid., 83–87, und dazu Paschasius Radbertus, De partu Virginis, ed. E. A. Matter (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 56C), Turnhout 1985, 47–89, hier Liber I, 47–70. Maßgebend zu der Debatte im Gefolge des Ratramnus von Corbie ist immer noch L. Scheffczyk, Das Mariengeheimnis in Frömmigkeit und Lehre der Karolingerzeit, Leipzig 1959, 206–237, dort auch das Zitat, 207, aus A. von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, vol. 3, 4. Auflage, Tübingen 1910, 308, nt. 1 sowie der Hinweis auf id., Dogmengeschichte (Grundriss der theologischen Wissenschaften 4/3), 6. Auflage, Tübingen 1922, 343, nt. 1.

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Seit den Kirchenvätern war mit der Mariologie ein Territorium entstanden, das sich von einem zweitrangigen Gegenstand zu einer Industrie entwickeln konnte. Spanier wie Ildefons von Toledo hatten in der Frage der Jungfräulichkeit schon im siebten Jahrhundert große Abhandlungen geschrieben 4. Mit Anselm und seinen Schülern, vor allem Eadmer von Canterbury, war die Mariologie zu einer Domäne geworden 5, die Schritt für Schritt an Komplexität gewann und auch bereits lange Tugendkataloge generieren konnte 6. Dass es schon hier, im elften Jahrhundert, ein Zuviel an Fragen geben konnte, zeigt auf eher anekdotische Weise eine Episode aus einem Text, der im Umfeld des Anselm entstanden war: ein Dialog, den Anselm selbst mit der Gottesmutter geführt hatte. Auf die Frage, warum sie denn in der Nacht auf dem Ölberg nicht bei ihrem Sohn, dem Erlöser gewesen sei, antwortet die Madonna hier fast patzig, junge Frauen hätten zu dieser Tageszeit draußen sowieso nichts mehr zu suchen, warum also das Interesse 7? Sentenzenkommentare und Summen hatten Maria in der Folgezeit in ihr Distinktionsgewitter eingefügt und zwangsläufig immer mehr Segmenten Rechnung getragen. Die Rolle der Jungfrau im Heilsgeschehen und das Verhältnis von Freiheit und Gnade hatten hier im Zentrum gestanden. Zum Probierstein der Debatte zwischen Franziskanern und Dominikanern und zugleich zum Anlass permanenter Profilierung war die Unbefleckte Empfängnis, die conceptio immaculata, der Madonna geworden. Nur scheinbar am Rand hatte die Physis der Jungfrau gestanden. Eine Fülle von Seitendiskursen hatte sich hier eröffnet 4 5

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Ildefons von Toledo, De virginitate Sanctae Mariae, ed. V. Yarza-Urquiola (Corpus Christianorum Series Latina 114A), Turnhout 2007, Text 145–267, mit guter Einleitung 21–90. Als guter Überblick über die Mariologie Anselms von Canterbury und seiner Schüler e. g. W. Delius, Geschichte der Marienverehrung, München 1963, 171–190, und L. Catalani, Il modello scolastico, in: E. dal Covolo/S. Maggiani (eds.), Storia della Mariologia, vol. 1, Rom 2009, 673– 699, hier 676–682, als jüngere Studie e. g. A. A. Larson, Passive instrument and active intercessor. Anselm’s view of Mary’s role in redemption, in: Cistercian Studies Quarterly 41 (2006), 31–50. Als umfassende, wenn auch zum erbaulichen Habitus neigende Darstellung immer noch J. S. Bruder, The Mariology of Anselm of Canterbury, Dayton 1939, passim. Erwähnt werden muss auch die Existenz der überwiegend kompilatorisch angelegten und im Gefolge Mignes entstandenen Sammlung von J.-J. Bourassé, Summa aurea de laudibus Beatissimae Virginis Mariae, dei genitricis sine labe conceptae, omnia quae de gloriosissima Virgine Maria deipara scripta praeclariora reperiuntur in sacris Bibliis operibus sanctorum patrum (13 voll.), Paris 1862, die einige der im zweiten Teil dieser Studie genannten barocken Sammelwerke enthält und mit neuen Einleitungen versieht. Grundlegend war für die nachfolgenden Überlegungen Anselm von Canterbury, De conceptu virginali et de originali peccato, ed. F. S. Schmitt (Opera omnia 2), Edinburgh 1946, 137–173, dazu Ps.-Anselm von Canterbury, Tractatus de conceptione Beatae Mariae Virginis (Patrologia Latina 159), Paris 1854, coll. 301–318. Als Beispiele der Marienverehrung auch die langen Kataloge bei Eadmer von Canterbury, Liber de excellentia Virginis Mariae (Migne Patrologia Latina 159), Paris 1854, 557–579, dort besonders c. 1, 557 sqq. und id., De quattuor virtutibus, que fuerunt in Beata Maria, eiusque sublimitate (Patrologia Latina 159), Paris 1854, 579–586, dort besonders c. 8, 584 sqq. Ps.-Anselm von Canterbury, Dialogus Beatae Mariae et Anselmi de passione Domini (Patrologia Latina 159), Paris 1854, coll. 271–290, dort c. 2, 274A: „Nox instabat, et non expediebat ut juvenculae tunc foris invenirentur.“

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etwa über die Schönheit Mariens in allen organischen Aspekten, ihre ideale Synkrasie und ihre epistemischen Fähigkeiten, die sich entlang der Kontroverse um die scientia Christi entfalten durften. Auch Marias Stoffwechsel, ihre Verdauung, ihre Laktation, ihr Schlaf und ihre Träume waren mit einer Detailfreude bis in ganze Lehrgedichte hinein traktiert worden 8, die allenfalls Protestanten später irritieren konnte 9. Der Frühen Neuzeit waren diese mittelalterlichen Debatten, deren Autoritäten bisweilen schwer greifbar waren, vor allem durch Kompilatoren wie Dionysius dem Karthäuser vermittelt worden 10. Zwei Punkte hatten sich hier als besonders neuralgisch erwiesen, die schon von Ratramnus ventilierte virginitas in partu, also die Jungfräulichkeit während der Geburt, und weitaus mehr noch, der organische Anteil Mariens an der Empfängnis Christi, also die Frage nach der faktischen Mutterschaft Mariens. Beide Debatten sollen hier verfolgt werden, die erste dient als Präludium, die zweite wird hier im Zentrum stehen. Konnte ihr Horizont überdehnt werden, ins Ungebührliche kippen oder die Neugierde, die curiositas, zu sehr herausfordern? Gab es einen Moment, an dem der schwarze Siegelstein der Theologie die Debatte zu einem Ende brachte? Fokussiert wird die Fragestellung im ersten Teil auf den großen Vertreter der Jesuitenscholastik, Francisco Suárez. Der zweite Teil dieser Studie wird eine Figur in den Mittelpunkt rücken, die sich nur scheinbar wie ein 8

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Ein schönes Beispiel eines mariologischen Lehrgedichtes, das im Besonderen den physiologischen Aspekten Mariens Rechnung trägt, liefert im frühen 16. Jahrhundert der Ingolstädter Professor Julius Caesar Delphinus, Mariados libri tres, Venedig 1537, mit zwei weiteren Auflagen und einem begleitenden Prosawerk als id., Mariade de la madre vergine, Venedig 1538. Zu diesem Werk im Detail B. Roling, Frühneuzeitliche Marienepik zwischen theologischem Lehrgedicht und Epos: Die ‚Mariados libri tres‘ des Julius Caesar Delphinus († 1564), in: Daphnis 36 (2018), 30–64. Einen Überblick über diverse Zeugnisse lateinischer Mariendichtung gibt auch id., Von der donna zur madonna? Frauenfiguren in den Konversionseklogen Boccaccios, in: C. Pieper/K. A. E. Enenkel (eds.), Johannes de Certaldo. Beiträge zu Bocaccios lateinischen Werken und ihrer Wirkung, Münster 2015, 197–219. Als Beispiel protestantischer Kritik an der Marienverehrung, die zu Erhebung einer Nebengöttin und massiver Werkgerechtigkeit führen soll, der mehrfach aufgelegte Traktat von Johannes Caesar, Mariolatria, Das ist: Christlicher und heylsamer Unterricht von der Abgöttischen, Abergläubischen und auch rechten Gott wolgefelligen Verehrung, so beydes in Päpstischen und Lutherischen Kirchen mit der heiligen Jungfrawen Marien gehalten, getrieben, und noch ernstlich verthädigt wird, Coburg 1611. Zu diesem Werk jetzt zusammenfassend T. Illg, Mariologische Konfliktgespräche. Johannes Caesars Kritik an der römischen Mariologie in seiner Schrift ‚Mariolatria‘ (1613), in: B. Jahn/C. Schindler (eds.), Maria in den Konfessionen und Medien der Frühen Neuzeit, Berlin 2020, 87–106. Als zentrale Schriften des Dionysius Carthusianus, der auch ungedruckte Autoren wie Heinrich von Langenstein oder Ulrich von Straßburg referiert, hier id., De praeconio et dignitate Beatissimae Mariae Virginis libri quatuor (Opera omnia 36: Opera minora 3), Monstrolet 1909, 477– 574, und id., De dignitate et laudibus Beatae Mariae Virginis libri quatuor (Opera omnia 36: Opera minora 4), Monstrolet 1908, 11–174, dort zum Körper Mariens e. g. Liber I, a. 7, 25 sq., a. 17–18, 37–40. Eine der weiteren zentralen Summen der Mariologie, die ebenso theologischen wie aszetischen Charakter besaß und im Barock gerne genutzt wurde, war Albertus Magnus zugeschrieben (heute Richard von Saint-Laurent), dazu id., De laudibus Beatae Mariae Virginis, ed. P. Jammy (Opera omnia 20), Lyon 1651, dort e. g. zur körperlichen Schönheit der Madonna Liber V, c. 159–182.

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Antipode zu ihm verhielt, den baskischen Jesuiten Juan Bautista Poza. Gleichsam im Dialog werden beide Protagonisten zeigen, wo mit Blick auf die Gottesmutter die Grenzen der theologischen Neugierde liegen konnten und wie sie sich überschreiten ließen.

II. Francisco Suárez und der mariologische Konsens der Fr ühen Neuzeit Unsere Untersuchung mit dem bekanntesten Jesuitentheologen der Frühen Neuzeit einzuleiten, erfolgt nicht ohne Berechtigung 11. Mit den umfangreichen ‚De Maria virgine libri‘ des Petrus Canisius hatte sich die Gesellschaft Jesu in der Marienkunde eine eigene Expertise erworben, die sich zunächst vor allem gegen die protestantischen Querulanten gerichtet hatte 12. Angeregt von Canisius hatte man sich bei den Jesuiten im Anschluss auch der mariologischen Werke Anselms angenommen 13. Theologen wie Gregor de Valentia und Gabriel Vázquez hatten unter den Vorgängern des Suárez der Madonna in ihren Cursus theologici weiträumig Rechnung getragen 14; Suárez selbst hatte auch die Überlegungen seiner nichtjesuitischen Zeitgenossen, Bartolomeo de Medina oder Mig11

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Eine denkbar weitläufige Bibliographie jesuitischer Mariologie, die für diese Studie das entscheidende Hilfsmittel bereithält, gibt noch immer C. Sommervogel, Bibliotheca Mariana de la Compagnie de Jésus, Paris 1885. Zur Mariologie des Francisco Suárez kurz als Übersicht S. de Fiores, La nascita della Mariologia come trattazione sistematica, in: Dal Covolo/Maggiani/Boaga/Gambero, Storia della Mariologia (nt. 5), vol. 2, 351–367, hier 352–359. Petrus Canisius, De Maria virgine incomparabili et dei genetrice sacrosancta libri quinque atque hic Secundus Liber est Commentariorum de Verbi Dei corruptelis adversus novos et veteres Sectariorum errores, Ingolstadt 1577, zur conceptio immaculata ibid., I, c. 5–9, 33–65. Ähnlich apologetisch angelegt war das Werk von Martin Antonio del Rio, Opus marianum sive de laudibus et virtutibus Mariae virginis deiparae, in quatuor partes divisum, Lyon 1607, zur conceptio ibid., IV, 923–937, und in Predigtform id., Florida mariana sive de laudibus sacratissimae virginis deiparae panegyrici XIII, Antwerpen 1598, Nr. 1, 13–26. Allen Einwürfen protestantischer Herkunft gegen die Mariologie begegnet später auch ausführlich Didace Escolano, De magistra fidei et haereseos destructrice Deipara Virgine Maria tractatus apologeticus, Zaragoza 1664, passim. Henricus Sommalius (ed.), D. Anselmi Liber de excellentia beatissimae V. Mariae, cui Idiotae, viri tum docti, tum pii tractatus argumenti adiunctus est, item D. Anselmi Liber similitudinum, ad Codices Ms. emendatus, cum nonnullis eiusdem Epistolis, Douai 1605, mit diversen weiteren Auflagen. Gregor de Valentia, Commentariorum Theologicorum tomi quatuor, in quibus omnes quaestiones quae continentur in summa Theologica D. Thomae Aquinatis, ordine explicantur ac suis etiam in locis controversiae omnes fidei elucidantur, 4 voll., Lyon 1609, vol. 4, Disputatio II, q. 1–2, 353–408; Gabriel Vázquez, Commentaria ac disputationes in tertiam partem Sancti Thomae, vol. 2., Antwerpen 1621, zur conceptio disp. 116–120, 16–78, zur virginitas disp. 121, 78– 97, oder postum herausgegeben Franciscus von Toledo, In Summam theologiae S. Thomae Aquinatis enarratio, 4 voll., Rom 1869–70, vol. 3, In tertiam partem, Pars prior, q. 28, 306–309, q. 32–34, 318–326, und id., Commentarii in Sacrosanctum Iesu Christi D. N. Evangelium secundum Lucam, Paris 1600, dort c. 1, 86–97, und öfter.

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uel de Palacios, gründlich gelesen, auch wenn er sie oft nicht explizit zitiert 15. Wie so häufig liest sich seine Analyse wie eine diskursive Summe aller greifbaren patristischen und mittelalterlichen Einlassungen, ob nun von Dominikanern oder Franziskanern. Es fällt so leicht, mit Suárez in die Dogmengeschichte zurückzureisen, auch wenn man der Anordnung seines Materials nicht zu leichtfertig auf den Leim gehen sollte. Es gibt allerdings noch einen zweiten Grund, um mit Suárez zu beginnen. Wie kaum ein anderer Denker des ausgehenden 16. Jahrhunderts dringt unser Jesuit in der Mariologie bis zu jenen hier benannten Details vor, die in der Physis der Madonna mit Konfliktpotential belastet waren. Die Antworten, die Suárez gab, hatten damit für die nachfolgenden Jesuiten eine gewisse Verbindlichkeit erlangen können, wie die Apologeten der Heiligen Jungfrau im Orden später selbst konstatierten 16. Deutlich zeigt sich dies nicht zuletzt daran, dass jene Denker, die den Spanier sonst später jeder erdenklichen Kritik unterziehen sollten – genannt seien nur Rodrigo Arriaga, Pedro Hurtado de Mendoza oder Alfonso Peñafiel, die durchaus großes Interesse an marianischer Gnadenlehre hatten – mit Blick auf die Physiologie der Madonna an Suárez nichts Kritikwürdiges finden konnten und die hier traktierten Fragen in ihren Werken daher nicht weiter oder allenfalls ganz am Rande behandelten 17. Alles wichtige war gesagt, man konnte sich bestenfalls damit begnügen, Suárez zu wiederholen. Mit Suárez sollen auch seine Autoritäten zu Wort kommen, die genannten wie die ungenannten. 15 16

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Bartolomeo de Medina, Expositio in tertiam D. Thomae partem usque ad quaestionem sexagesimam, complectens tertium librum sententiarum, q. 32–34, Venedig 1582, 398–418. Jean Bourgeois, Societas Jesu Deiparae Mariae Virgini sacra sive de patrocinio et cultu Deiparae Virginis ad homines eiusdem Societatis liber unus, c. 20, Douai 1620, 281–287. Mit gleichem Recht hatte sich der Orden von Anfang an der Wunder gerühmt, die Maria an seinen prominenten Vertretern vollbracht hatte, dazu Pietro Antonio Spinelli, Amor Deiparae Virginis Mariae. De pietate ac devotione erga Deiparam Virginem Mariam tractatus, c. 2, Köln 1620, 107–136. Rodrigo Arriaga, Disputationes Theologicae in tertiam partem D. Thomae, De incarnatione divini Verbi universi cursus theologici Tomus sextus, Antwerpen 1650, dort zur conceptio immaculata ohne weitere Erörterung der physiologischen Fragen Disputatio XVI, 178–190; Pedro Hurtado de Mendoza, Disputationes de Deo Homine sive De incarnatione Filii Dei, Antwerpen 1634, dort e. g. zum Gnadenkonto Mariens Disputatio 28, 233–242; Louis LeMairat, Disputationes in Summam theologicam S. Thomae, 3 voll., Paris 1633, vol. 2, Disputatio XV, Sectio II, 734 sq.; Gilles de Koninck, Disputationes theologicae de sanctissima Trinitate et Divini Verbi incarnatione, Disputatio V, Dubium 5, Antwerpen 1645, 462–468, Jean LePrevost, Commentaria in tertiam partem S. Thomae de incarnatione verbi divini, sacramentis et censuris, 2 voll., Douai 1629–32, vol. 1, q. 2, a. 11, Dubium 5, 44 sq., Alfonso Peñafiel, Theologia scholastica naturalis, in qua ad Lydium disputationis lapidem Dei Optimi, maximi natura, proprietates et attributa, entiumque naturalium formalitates controvertuntur ac enodantur, 4 voll., Lyon 1678, dort zu den Verdienstaspekten der maternitas Mariens vol. 4, Disputatio VII, Sectio VI, 257 sqq.; Juan de Lugo, Disputationes scholasticae de mysterio incarnationis dominicae, Lyon 1679, dort zu den merita Mariens Disputatio VIII, Sectio V, 147–162; Pierre de Bugis, Tractatus de mysterio incarnationis libri XII, Lyon 1668, zum gleichen Thema Liber IV, c. 4, 74–78, oder später unter den notorischen Kritikern des Suárez aus dem eigenen Orden e. g. Thomas Compton-Carleton, Cursus theologici, 2 voll., Leiden 1659–64, dort zum gleichen Thema vol. 2, Disputatio 46, Sectio VI– VII, 275–278.

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1. Die virginitas in partu Auch wenn die durchgehende Jungfräulichkeit Mariens, vor, nach und während der Empfängnis und Geburt, seit der ausgehenden Karolingerzeit nicht mehr hinterfragt worden war, geht Suárez ausführlich auf sie ein 18. Allenfalls Ebioniten und andere Häretiker hatten sie bezweifelt, Kirchenväter und Theologen wie Anselm die vollkommene körperliche Integrität Mariens jedoch mit Nachdruck als heilsgeschichtliche Notwendigkeit unterstrichen 19. Dass der Heilige Geist, wie es heißt, während der Empfängnis bei Maria mit jeder erdenklichen decentia vorgegangen war, hatten Männer wie Fulgentius, Augustinus oder Bernhard bekräftigt; es lag auf der Hand 20. Dass Maria auch während der Geburt Jungfrau geblieben war, hatten zwar Häretiker wie der schon von Hieronymus bekämpfte Jovinian in Zweifel gezogen, die virginitas in partu aber war seit Ildefons von Toledo evident gewesen und nur noch auf Seiten der Protestanten – Suárez nennt Bucer und Pierre de Moulin – beargwöhnt worden 21. Schon Cyprian oder Hieronymus hatten die durchgehende virginitas betont, Gregor der Große, aber auch Thomas von Aquin, sie als größtes aller Mirakel gepriesen. Die Widerspruchsfreiheit der göttlichen Mysterien forderte sie ein; das Fleisch, so hatte schon Leo der Große betont, musste zur Gänze überwunden werden 22. Dass ein solcher Vorgang den Charakter einer contradictio in adjecto besaß, hatte, wie Suárez erinnert, ein denkbar bekannter Theologe eingewandt, Durandus von San Porciano. Es war unmöglich, dass sich zwei Körper simultan an einem Ort aufhielten, ohne dass der eine den anderen verdrängte, es sei denn durch eine 18 19

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Francisco Suárez, Commentarii et disputationes in tertiam partem D. Thomae, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 1–3, edd. M. André/C. Berton (Opera Omnia 19), Paris, 1860, 78b–90b. Ibid., q. 28, a. 3, disp. 5, Sectio 1, §§ 1–7, edd. André/Berton (nt. 18), 79a–81b, dazu für Suárez e. g. Quintus Septimus Tertullianus, De praescriptione haereticorum, c. 33, ed. R. F. Refoulé (Corpus Christianorum Series Latina 1), Turnhout 1954, 205, und id., De carne Christi, c. 32– 33, ed. Ä. Kroymann (Corpus Christianorum Series Latina 2), Turnhout 1954, 912–915. Suárez, Commentarii, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 1, §§ 8–13, edd. André/Berton (nt. 18), 81b–83b, dazu für Suárez e. g. Fulgentius von Ruspe, Sermo dubius II: ‚Incarnationis divinae mysterium‘ (Sermo in circumcisione Domini), ed. J. Fraipont (Corpus Christianorum Series Latina 91A), Turnhout 1968, 953–958, oder Bernhard von Clairvaux, Sermones in nativitate Domini, III, edd. J. Leclercq/H. M. Rochais (Opera Omnia 4), Rom 1966, 257–263. Suárez, Commentarii, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 2, § 1, edd. André/Berton (nt. 18), 83a, dazu für Suárez e. g. Augustinus, De haeresibus ad Quodvultdeum liber unus, 82, edd. R. van der Plaetse/ C. Beukers (Corpus Christianorum Series Latina 46), Turnhout 1969, 337, und mit Blick auf die Protestanten Nicolaus Sander, De visibili Monarchia Ecclesiae, VII, Antwerpen 1578, zu den Lollarden Haeresis Nr. 163, 499, zu Pierre de Moulin Nr. 219, 667. Suárez, Commentarii, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 2, §§ 3. 10. 13, edd. André/Berton (nt. 18), 83b– 84a. 85b–86a. 87a–87b, dazu unter vielen Autoritäten für Suárez e. g. klassisch Hieronymus, Commentaria in Esaiam, 3, 14, ed. M. Adriaen (Corpus Christianorum Series Latina 78), 2 voll., Turnhout 1963, vol. 1, 102–105, oder Leo Magnus, Sermo in nativitate Domini 1, 1, edd. J. Leclercq/R. Dolle, Léo le Grand, Sermons, vol. 1 (Sources Chrétiennes 22bis), Paris 1964, 66– 71, Gregor der Große, Homiliae in Evangelia, 26, 1, ed. R. Étaix (Corpus Christianorum Series Latina 151), Turnhout 1999, 218 sq., und Thomas von Aquin, Quaestiones de quodlibet, 6, q. 10, a. 1, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 25), Rom 1996, 312 sqq.

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Ausdehnung der natürlichen Wege, ein Zerbrechen der Körper oder ihre Teilung. Auch Petrus de Palude hatte zum Ende auf dieses Dilemma hingewiesen 23. Suárez wiederholt, was die Kirche eingefordert hatte. Jede Veränderung im Uterus der Madonna während der Geburt, jede ungebührliche Dehnung oder Rekonfiguration musste kategorisch ausgeschlossen bleiben. Der Erlöser war durch den zur Gänze integren Leib der Jungfrau in die Welt getreten, ohne seine Körperkonsistenz oder die seiner Mutter zu verändern, so wie er nach der Auferstehung durch die Wand des Grabes geschritten war: direkt hindurch. Dennoch möchte es Suárez nicht bei dieser Antwort belassen. Wenn der Geburtskanal auf natürlichem Wege zu eng war und keine externen Kanäle denkbar, wenn der Leib des ungeborenen Heilandes keine Parzellierung oder Varianten von Durchdringung zuließ, konnte er nicht vielleicht, um dem Einwand des Durandus Genüge zu tun, sich selbst auf andere Weise verändern, so dass er den Maßgaben der aristotelischen Physik gerecht werden konnte? War es denkbar, so Suárez, dass die Körper der beiden Beteiligten ihre Solidität aufgegeben hatten und durch einander hindurchgeflossen waren? Ohne dass dieser Modus einer fluiden Geburt der Vollkommenheit beider abträglich gewesen wäre? Nein, so Suárez, war es nicht. Der Katholik hatte in diesem Fall das Mirakel zu akzeptieren und, so betont es Suárez mit Nachdruck, seiner Neugierde, seiner curiositas, Einhalt zu gebieten 24. Unter ähnlichen Vorzeichen verhandelt Suárez auch den Vorgang der Geburt selbst. Einige Theologen, darunter Gottfried von Fontaines und wieder Durandus, hatten zur Diskussion gestellt, ob Gott Maria nicht bei der Geburt durch ein weiteres Mirakel zu Hilfe kommen musste, das die Kategorie des räumlichen Mediums ausgesetzt hatte. Wieder aber waren die Maßgaben der Physik obsolet, wie Suárez betont. Zugleich war Maria durch eine zutiefst reale Geburt Mutter geworden, die sie durch einen ebenso realen concursus, eine physische Beteiligung, herbeigeführt hatte, ohne weitere externe Hilfe, aber auch ohne Geburtswehen und Schmerzen 25. Eine weitere Schwierigkeit musste hier jedoch aufkommen. Wie verhielt es sich mit den organischen Begleiterscheinungen der Geburt, mit der Plazenta und der Fruchtblase? Hatte Maria sie wie jede Frau mitausgestoßen? Erasmus von Rotterdam hatte hier kein Dilemma gesehen, war die Nachgeburt doch ein natürlicher Bestandteil jedes Geburtsvorgangs. Der für Suárez 23

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Suárez, Commentarii, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 2, § 2, edd. André/Berton (nt. 18), 83a, dazu Durandus von San Porciano, Scriptum super IV libros Sententiarum, 4, dist. 44, q. 7, §17, ed. T. Jeschke (Recherches de Théologie et Philosophie Médiévales – Bibliotheca, 10/4.4), Leuven 2012, 145 sq., und in der alten Ausgabe id., Petri Lombardi Sententias theologicas Commentariorum libri IV, 2 voll., Venedig 1571 (Neudruck Farnborough 1964), fol. 401ra; Petrus de Palude, Scriptum in quartum Sententiarum, Köln 1514, dist. 44, q. 5, foll. 211vb–212ra. Suárez, Commentarii, q. 28, a. 3, disp. 5, s. 2, § 14, edd. André/Berton (nt. 18), 87b–88a. Ibid., q. 35, a. 8, disp. 13, s. 1, §§ 1–4, edd. André/Berton (nt. 18), 212b–213a, dazu Durandus von San Porciano, Super IV libros Sententiarum, 4, dist. 44, q. 6, § 11, ed. Jeschke (nt. 23), 128 sq., cf. ed. Venedig 1571 (nt. 23), fol. 399vb, und im weiteren Sinne Gottfried von Fontaines, Quodlibet 7, q. 6, edd. M. de Wulf/J. Hoffmans (Les Philosophes Belges 3), Louvain 1914, 336–348.

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durchgehend wichtige spätmittelalterliche Bibelkommentator Tostado, der sich wohl wie keiner vor ihm oder nach ihm im Detail mit der Menstruation Mariens beschäftigt hatte, war zu einer ähnlichen Sichtweise gelangt. Als Signum der Natur waren die secundinae, wie man sie nannte, mit keinem Dignitätsverlust der Madonna verbunden. Cajetan hatte dazu noch die sympathische These aufgestellt, die Engel hätten alle Zusatzprodukte der Geburt beseitigt und, wie es heißt, die Hände der Madonna sauber gehalten 26. Auch Suárez aber hatte Galen, Aristoteles und vielleicht auch Werke der jüngeren Anatomie gelesen und wusste 27, dass Fruchtblase und Plazenta für die Ernährung des Embryos unerlässlich waren 28. Auf der anderen Seite hatten schon Kirchenväter wie Hieronymus, Augustinus oder Fulgentius allen Abstoßungsvorgängen im Fall der Geburt Christi eine Absage erteilt, ja sie waren sogar durch die Trullianische Synode ausdrücklich ausgeschlossen worden. Dazu stand fest, dass die Geburt Christi auf Seiten Mariens von keinen Schmerzen und den üblichen Geburtswehen begleitet worden war. Hatte also der ganze pränatale Aufenthalt des Erlösers ohne Plazenta, Nabelschnur und Eihaut stattgefunden, ohne jede Membran, die seinen Körper umgeben hatte 29? Eine solche 26

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Suárez, Commentarii, q. 35, a. 8, disp. 13, s. 2, § 1, edd. André/Berton (nt. 18), 214a, dazu Erasmus von Rotterdam, Annotationes in Lucam, c. 2, V. 23, ed. P. F. Hovingh (Opera Omnia 6/ 5), Amsterdam 2000, 482, Tommaso de Vio Cajetan, Commentaria in Summam Thomae Aquinatis, III, q. 35, a. 6, ad 3, in: Thomas von Aquin, Summa theologiae cum commentariis Thomae de Vio Caietani, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 11), Rom 1903, 361; Alonso Tostado Ribera y Madrigal, Commentum in Leviticum, c. 12, q. 13, 193 sq., q. 19–20 (Opera omnia 12), Venedig 1728, 197 sqq. Einen wertvollen Überblick über den zeitgenössischen Umgang der Jesuiten mit Anatomie und Medizin gibt in diesem Kontext C. Sander, Medical Topics in the De anima Commentary of Coimbra (1598) and the Jesuit’s Attitude towards Medicine in Education and Natural Philosophy, in: Early Science and Medicine 19 (2014), 76–101; id., For Christ’s Sake: Pious Notions of the Human and Animal Body in Early Jesuit Philosophy and Theology, in: R. Lo Presti/S. Buchenau (eds.), Human and Animal Cognition in Early Modern Philosophy and Medicine, Pittsburgh 2017, 55–73, und dazu mit Blick auf die medizinischen Begleitaspekte der Auferstehung id., Die Außengrenzen des menschlichen Körpers. Scholastische Debatten der frühen Neuzeit über das Wesen von Blut und Haaren, in: S. Salatowsky/W. Schmidt-Biggemann (eds.), De homine. Anthropologien in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2020, 181–215, besonders 208–211; ergänzend dazu mit einem Beispiel für das 18. Jahrhundert U. Leinsle, Abt Georg Lienhardt von Roggenburg (1711–1783). Studien zu seinem literarischen Werk. Teil I: Die theologischen Kontroversen, in: Analecta Praemonstratensia 90 (2014), 131–187, dort zu dessen ‘Causa sanguinis et sanctorum’ mit Vorgeschichte. Suárez, Commentarii, q. 35, a. 8, disp. 13, s. 2, § 1, edd. André/Berton (nt. 18), 214a, dazu für Suárez mit Blick auf den Zeugungs- und Geburtsvorgang im Allgemeinen Aristoteles, De generatione animalium (De animalibus III), 18, c. 4, 763b–778a, ed. A. M. I. van Oppenraaij, Leiden 1992, 163–211, und Galen, De foetuum formatione – Von der Ausformung der Keimlinge, ed. D. Nickel, Berlin 2001, dort Text 51–106, und in der Einleitung zu den lateinischen Übersetzungen, die in der Zeit des Suárez erhältlich waren, 38 sqq. Suárez, Commentarii, q. 35, a. 8, disp. 13, s. 2, §§ 2–4, edd. André/Berton (nt. 18), 214a–215b, dazu für Suárez e. g. Augustinus, Contra Faustum, 29, 3–4, ed. J. Zycha (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 35), Wien 1891, 745–747, oder Hieronymus, De perpetua virginitate B. Mariae adversus Helvidium liber unus, c. 18 (Patrologia Latina 23), Paris 1883, 242, A–B.

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Entscheidung hätte bedeutet, so Suárez, dass eine Fülle von begleitenden Mirakeln notwendig geworden wäre, um Christus im Uterus am Leben zu erhalten. Sollten die Ausscheidungen Christi direkt in den Leib der Mutter gelangen 30? Es bedurfte bei der Geburt des Heilands also eines weiteren, einfachen und ökonomischen Wunders. Alle überzähligen organischen Relikte wurden entweder, so Suárez, schon im Körper der Madonna in edleres Material transformiert, oder sie gelangten wie das Gotteskind selbst ohne Gefährdung der Jungfräulichkeit in die Außenwelt, um dort diskret zu verschwinden. Gott selbst konnte sich für eine Variante des Wunders entscheiden, alle weitere Fragerei hatte hier ein weiteres Mal zu verstummen 31. 2. Die körperliche Mutterschaft Mariens Zum Ende hatte die Debatte um die durchgehende Jungfräulichkeit, gleichsam wie ein Präludium, keine Konflikte aufgeworfen. Zum einen, weil man ihre natürlichen Grenzen erkannte und akzeptierte, zum anderen, weil am Wunderbaren des Vorgangs, damit aber auch dem Geltungsbereich der Theologie, keine Zweifel aufgekommen waren 32. Ungleich schwieriger war die zweite Frage, die hier im Mittelpunkt stehen soll, die Frage nach der faktischen und organischen Mutterschaft Mariens, die zu einem erheblichen Teil innerhalb der Lehrstücke zur Inkarnation verhandelt wurde 33. Welche Rolle hatte die Gottesmutter in der 30 31

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Suárez, Commentarii, q. 35, a. 8, disp. 13, s. 2, § 5, edd. André/Berton (nt. 18), 215b–216a. Ibid., q. 35, a. 8, disp. 13, s. 2, §§ 6–7, edd. André/Berton (nt. 18), 216a–217a. Auch ein Hugenotte wie André Rivet hatte diese Ausführungen des Suárez zur Kenntnis genommen, ohne ihnen allerdings allzu viel abgewinnen zu können, dazu id., Apologia pro Sanctissima Virgine Maria matre Domini adversus veteres et novos Antidicomarianitas, Collyridianos et Christianocategoros libris duobus absoluta, I, 16, Leiden 1639, 121 sq. Eine spätere Behandlung des Themas liefert unter Rückgriff auch auf katholische Autoritäten e. g. die Disputation von Georg Heinrich Götze/Johann Georg Reinesius (resp.), Problema theologicum Num Maria, filium Dei pariens, obstetricis opera fuerit usa? vel Ob Maria den Sohn Gottes mit Hülffe einer Weh-Mutter gebohren habe?, Lübeck 1707, passim. Wie verbindlich die Aufarbeitung des Suárez in der Frage der virginitas in partu gegen Durandus sein konnte, zeigt e. g. noch Antonio de Peralta, Dissertationes scholasticae de Sacratissima Virgine Maria Genitrice Dei, nostraque etiam dilectissima Matre ac Domina, brevi, et perspicua methodo ad scolasticorum captum accomodatissima dispositae, atque eidem Beatissimae Virgini obsequenti animo consecratae, Dissertatio V, Sectio II, Madrid 1721, 357–372. Es gibt keine zusammenfassende Darstellung der frühneuzeitlichen Debatten um die Inkarnation. Als gute Einführungen mit besonderem Schwerpunkt auf Anselm von Canterbury cf. K. Rogers, Incarnation, in: C. Taliferro/ C. Meister (eds.), The Cambridge Companion to Christian Philosophical Theology, Cambridge 2010, 95–107; Ola Sigurdson, Heavenly Bodies. Incarnation, the Gaze, and Embodiement in Christian Theology, Grand Rapids 2016, 295–359. Zur mittelalterlichen Vorgeschichte cf. L. O. Nielsen, Theology and Philosophy in the Twelfth Century. A Study of Gilbert Porret’s Thinking and the Theological Expositions of the Doctrine of Incarnation during the Period 1130–1180, Leiden 1982, 193–361. Zu Thomas von Aquin cf. R. Cross, Aquinas on Nature, Hypostasis, and the Metaphysics of Incarnation, in: The Thomist 60 (1996), 171–202, zu Heinrich von Gent und Richard von Middleton, die beide für Suárez wichtiger waren als der Aquinat, id., Incarnation, Indwelling, and the Vision of God: Henry of Ghent

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Genese Christi eigentlich gespielt 34? Hier, in den Festschreibungen der Mutterschaft Mariens, war, wie wir sehen werden, schon zwischen den Franziskanern und Dominikanern ein erheblicher Graben verlaufen 35. Eine in weiten Teilen verbindliche Interpretation des Vorgangs hatte der Aquinat vorgelegt, damit aber auch schon alternative Lesarten der conceptio, wie sie bei Alexander von Hales oder Bonaventura zu finden waren, weitgehend ausgeschlossen 36. An die Stelle des männlichen Samens, der als Formprinzip fungierte, war der Heilige Geist getreten; Christus war daher mit Blick auf seinen Leib, so Thomas, von ihm wie eine Wirkursache herangebildet worden 37. Welche Funktion aber hatte Maria eingenommen? War sie nur Gefäß und Werkzeug des Vorgangs gewesen? Immerhin hatten Väter wie Johannes Damascenus der Jungfrau auch eine eigene virtus generativa zugestanden. Marias Domäne blieb jedoch, wie Thomas betont hatte, auf eine rezeptive Rolle beschränkt. Mit ihrem vollkommenen Blut hatte sie den Stoff des Embryos bereitgehalten, war also als bloßes Materialprinzip an die Seite des aktiven Geistes getreten 38. Klassische Autorität war hier Aristo-

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and Some Franciscans, in: Franciscan Studies 57 (1999), 79–130, und zu Scotus und anderen Franziskanern id., The Metaphysics of Incarnation. Thomas Aquinas to Duns Scotus, Oxford 2002, passim; ergänzend id., Vehicle externalism and the metaphysics of incarnation: a medieval contribution, in: A. Marmadoro/J. Hill (eds.), The Metaphysics of Incarnation, Oxford 2011, 186–204. Die bisher einzige, doch sehr wertvolle Aufarbeitung der embryologischen Fragestellungen, die sich mit der Zeugung des Erlösers verbinden, liefert für die mittelalterliche Theologie die grundlegende Arbeit von M. van der Lugt, Le ver, le démon et la Vierge. Les théories médiévales de la génération extraordinaire. Une étude sur les rapports entre théologie, philosophie naturelle et médecine, Paris 2004, 379–474, dort zur Frage des concursus maternus mit Blick auf Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura und die frühen Franziskaner 427–451. Die frühe Neuzeit wird hier nicht weiter behandelt. Die gleichsam analoge Frage, die Vaterschaft des Heiligen Geistes, behandelt ohne Einbezug physiologischer Fragestellungen synoptisch sehr wertvoll T. Marschler, Die Empfängnis Jesu „durch den Heiligen Geist“ in der scholastischen Theologie der Frühen Neuzeit, in: Münchener Theologische Zeitschrift 62 (2011), 329–342. Bonaventura, Commentaria in tertium librum Sententiarum, dist. 4, a. 3, q. 1, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 4), Quaracchi 1887, 110–113; Alexander von Hales, Summa theologica, III, Tractatus II, Membrum I, c. 3, ed. Collegium S. Bonaventurae, vol. 4, Quaracchi 1948, 97 sq.; id., Glossa in quatuor libros Sententiarum Petri Lombardi, III, dist. 4, ed. Collegium S. Bonaventurae, vol. 3, Quaracchi 1954, 55 sq. Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 32, a. 1–2, ed. Commissio Leonina (nt. 26); id., Commentum in libros IV Sententiarum, III, dist. 3, q. 1, a. 1, quaestiunculae 1–2, (Opera omnia 8), Paris 1871–86, vol. 7–11, und eigentlich auch Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, III, dist. 2, c. 2, § 3, ed. I. Brady (Spicilegium Bonaventurianum 5), Grottaferrata 1981, 32 sq., mit jesuitischen Anmerkungen e. g. bei Juan Martinéz de Ripalda, Expositio brevis litterae Magistri Sententiarum, Salamanca 1635, 242 sq. Die besondere Rolle des Blutes im frühneuzeitlichen Kultus, die auch die hier referierten Debatten im Hintergrund begleitet, bespricht in ihren vielschichtigen Aspekten e. g. C. Walker Bynum, Wonderful Blood. Theology and Practice in Late Medieval Northern Germany and Beyond, Philadelphia 2007, dort zu theologischen Fragen 83–182; dazu aus frühneuzeitlicher Perspektive F. P. di Ceglia, Il segreto di San Gennaro. Storia naturale di un miraculo napoletano, Turin 2016, 3–127, und aus protestantischer Perspektive der Zeit B. Roling, Von der weinenden Madonnenfigur zum Androiden. Der Leipziger Gelehrte Christian Flemig und die Wunderbilder des Mittel-

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teles, der in der generatio aktives und passives Prinzip auf Mann und Frau verteilt hatte. Thomas wusste, dass die aristotelische, in vielen Werken des Stagiriten repetierte Auslegung der Zeugung nicht unangreifbar war; spätestens Galen hatte dem weiblichen Samen, dem menstruum, wie er lateinisch hieß, einen Eigenanteil in der Ausbildung des Fötus zugestanden. Maria hätte unter dieser Voraussetzung Einfluss auf die Ausgestaltung Christi nehmen können. Als Option aber war eine solche Deutung der Empfängnis Christi für Thomas nicht in Frage gekommen 39. Viele Thomisten, darunter Johannes Capreolus oder Tommaso Vio de Cajetan, hatten diese Position mitgetragen 40. 3. Aristoteles, Galen, Duns Scotus und der concursus maternus der Heiligen Jungfrau Auch Suárez schließt sich Thomas zunächst an, war sich über den Rechtfertigungsbedarf jedoch durchaus im Klaren. Christus musste aus der körperlichen Substanz Mariens heraus empfangen worden sein, wie schon Ambrosius betont hatte; diese Substanz war das vollkommene Blut der Madonna 41. Glaubte man Galen, und im Besonderen der Schrift ‚De spermate‘, wurde der Fötus jedoch nicht nur aus diesem Blut herangebildet, sondern einem Amalgam von männlichem und weiblichem Samen 42. Dass Maria selbst jedoch unter den entspre-

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alters, in: Frühmittelalterliche Studien 44 (2010), 291–329. Die große frühneuzeitliche Sammlung zum Blutkult liefert Franciscus Collius, De sanguine Christi libri quinque, in quibus de illius natura, effusionibus ac miraculis copiose disseritur, Mailand 1617, dort bes. Liber V, 791–912; einen Katalog blutender Madonnen bietet der bekannte Wilhelm Gumppenberg, Atlas Marianus, quo Sanctae Dei Genitricis Mariae imaginum miraculosarum origines duodecim historiarum centuriis explicantur, München 1672, Index, s. v. sanguis. Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 32, a. 4, ed. Commissio Leonina (nt. 26); id., Commentum in libros IV Sententiarum (nt. 37), Liber III, dist. 3, q. 2, a. 1; dazu Johannes Damascenus, De fide orthodoxa, 46, ed. E. M. Buytaert, St. Bonaventure 1955, 171. Johannes Capreolus, Defensiones theologiae divi Thomae Aquinatis, III, dist. 4, q. 1, a. 1–3, edd. C. Paban/T. Pègues (7 voll.), Toulouse 1900–1907 (Neudruck Frankfurt am Main 1967), vol. 5, 41–52; Cajetan, Commentaria in Summam, III, q. 32, a. 4, ed. Commissio Leonina (nt. 26) 338 sq., und Mattia Aquario, In tertium Sententiarum, dist. 4, in: id., Annotationes super quatuor libros Sententiarum Joannis Capreoli, 2 voll., Venedig 1589, vol. 1, 6 sq. Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, §§ 1–2, edd. André/Berton (nt. 18), 166b–167a; dazu Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 31, a. 5, ed. Commissio Leonina (nt. 26), und Ambrosius, De incarnationis dominicae sacramento, c. 6, §§ 50–53, ed. O. Faller (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 79), Wien 1964, 249 sqq. Die galenische Schrift ‚De spermate‘ war erst im Mittelalter wirklich verbreitet worden, galt jedoch als authentisch und erfreute sich enormer Geltung, dazu e. g. O. Merisalo, The Early Tradition of the Pseudo-Galenic De Spermate (Twelfth-Thirtheenth Centuries), in: Scripta 5 (2012), 99–109; id., In horis sanguinis: Physiology and Generation in the Pseudo-Galenic De Spermate, in: Studia orientalia 110 (2011), 231–242; id./P. Pahta, Tracing the trail of transmission. The pseudo-galenic ‘De spermate’ in Latin, in: M. Goyens/P. de Leemans (eds.), Science translated. Latin and vernacular translations of scientific treatises in medieval Europe, Leuven 2008, 91–104, und auch A. Preus, Galen’s Criticism of Aristotle’s Conception Theory, in: Journal of the History of Biology 10 (1977), 65–85.

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chenden Rahmenbedingungen auch Samen ausstieß, also nach heutiger Terminologie eine Eizelle offerierte, ließ sich mit ihrer Reinheit und Integrität nur schwer in Einklang bringen, wie Suárez festhält. Wie aber konnte dann von einer realen Empfängnis die Rede sein, wenn der natürliche concursus maternus, die Beteiligung der Mutter, damit ausgeschlossen wurde 43? Die Theologie hatte, wie Suárez betont, zwei Maximen aufgestellt, die sich nur schwer in Einklang bringen ließen: 1. Maria blieb Jungfrau, 2. Maria empfing und wurde Mutter 44. Maria hatte den Erlöser in ihrem Uterus empfangen. Gesetzt den Fall, das mütterliche menstruum, der weibliche Samen, wäre zur Empfängnis notwendig. Konnte man nicht annehmen, ein Teil des marianischen Blutes wäre in solchen Samen verwandelt worden, um der Natur Genüge zu tun? Suárez findet eine vergleichbare Position bei Richard von Middleton. Ein solcher Vorgang könnte ohne körperliche Konfusion und Begierde und ohne eine verfängliche Bewegung der Körperteile vonstattengegangen sein, Marias Integrität wäre nicht gefährdet gewesen 45. Aristoteles hatte der Frau jede Eigenbeteiligung an der Empfängnis abgesprochen; Suárez aber kann nicht leugnen, dass die zeitgenössische Medizin kraft ihrer experimenta das Gegenteil plausibler gemacht hatte. Niemand jedoch war gezwungen, so Suárez, Galen Glauben zu schenken, solange er der Theologie verpflichtet war und eine alternative Deutung vorlag, also die aristotelische Zeugungslehre. Jede Abweichung vom reinen Blut, also auch menstruum und weiblicher Same, waren als Ausgangsmaterie des embryonalen Erlösers ausgeschlossen; damit aber hatte Aristoteles den Sieg davongetragen. Allein der sanguis purus durfte das Ausgangsmaterial des Erlöserleibes bilden, selbst wenn frühe Autoren wie Beda Venerabilis noch vom semen gesprochen hatten 46. Auch wenn die Beteiligung von subalternen Körperflüssigkeiten ausgeschlossen war, hatte sich die Frage nach dem physischen Anteil Mariens damit noch nicht beantwortet. Traditionell hatte man in der conceptio, der Empfängnis, mehrere Vorgänge voneinander unterschieden. Erst musste das materielle Blut ver43

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Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, § 3, edd. André/Berton (nt. 18), 167a–167b, dazu unter vielen kursierenden Ausgaben e. g. Ps.-Galen, De semine libri duo, in: Claudius Galenus, In librum Hippocratis de victus ratione in morbis acutis commentarii quatuor, Basel 1533, Liber I, foll. 62v–71v, und in einer modernen Ausgabe Ps.-Galen, De semine, ed. P. de Lacy, Berlin 1992, Liber I, griechischer Text mit englischer Übersetzung 64–143, und auch Galen, De usu partium, XIV, ed. G. Helmreich, Galeni de usu partium libri XVII, 2 voll., Leipzig 1907, vol. 1, 284–336, und in einer zeitgenössischen lateinischen Übersetzung id., De usu partium corporis humani, magna cura ad exemplaris Graeci veritatem castigatum, universo hominum generi apprime necessarium, Paris 1525, Liber XIV, 403–427. Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, § 4, edd. André/Berton (nt. 18), 167a–168a. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, §§ 5–6, edd. André/Berton (nt. 18), 168a; dazu Richard von Middleton, Super quatuor libros Sententiarum Petri Lombardi quaestiones subtilissimae, III, dist. 4, a. 2, q. 1, Brixen 1591 (Neudruck Frankfurt am Main 1963), vol. 3, 42a. Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, §§ 7–9, edd. André/Berton (nt. 18), 168a–169b; dazu für Suárez Aristoteles, De generatione animalium, I, 20, 728a–729b, ed. van Oppenraaij (nt. 28), 45–50; Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 31, a. 3, ed. Commissio Leonina (nt. 26), und Beda Venerabilis, In Lucae Evangelium expositio, IV, 11, 27, ed. D. Hurst (Corpus Christianorum Series Latina 120), Turnhout 1960, 236 sq.

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dichtet werden, dann kam es zu einer Vorprägung des Fötus, einer formatio remota, dessen Grobstruktur dann weiter ausgefaltet wurde. Dann setzte das weitere Wachstum des Fötus ein. Statt des männlichen Samens musste es der Heilige Geist selbst gewesen sein, der die Verdickung des Blutes provoziert hatte. Diese congregatio, wie man sie nannte, war mit ungewöhnlicher Geschwindigkeit vonstattengegangen, auch wenn, so Suárez, die gesunde Ernährung Mariens und ihre besondere Synkrasie sicher dazu beigetragen hatten, dass ausreichend Blut in ihrem Körper vorhanden war. Welchen Beitrag aber hatte Maria hier geleistet? Sollte der Heilige Geist auch für die ganze weitere Ausgestaltung des Embryos verantwortlich sein? Welche Funktion hatte Maria gehabt, bevor Christus Körper und Seele in ihrem Leib angenommen hatte und damit Mensch geworden war? Auch Suárez war nicht verborgen geblieben, dass eine Frau, nach dem medizinischen Konsens der Zeit, einen Embryo in ihrem Schoß über einen Zeitraum von 40 bis 80 Tagen heranbildete, bis er gewöhnlich mit einer Seele ausgestattet wurde 47. Selbst wenn man, wie wir noch im Detail sehen werden, davon ausging, dass diese Heranbildung im Fall Christi ungleich schneller erfolgt war, stand im Raum, ob Maria mit ihrer Körperkraft sich für die Heranbildung des Embryos, die organizatio, verantwortlich gezeigt hatte oder wieder der Heilige Geist 48. Konnte man der Jungfrau jedoch verweigern, was jeder gewöhnlichen Mutter während der Zeugung zugestanden wurde? Sollten Maria die formativen Kompetenzen vorenthalten werden, die dem Körper jeder Frau auf natürliche Weise zukamen 49? Die Thomisten, aber auch ein Theologe wie Marsilius von Inghen, hatten auch hier die alleinige Aktivität dem Heiligen Geist zugebilligt und Maria auf die Domäne des Materialprinzips beschränkt 50. Einer gegenteiligen Auffassung hatten sich vor allem die Franziskaner angeschlossen. Nach Bonaventura waren es Duns Scotus gewesen und mit ihm auch Gabriel Biel oder John Mair, die diese Alternative weiter ausformuliert hatten 51. Da Suárez seine Opponenten, wie so oft, nur sehr stiefmütterlich zusammenfasst, lohnt es sich, sie sich im Original anzusehen. Was hatte Mutterschaft für Maria bedeutet? Mann und Frau, so Scotus, waren von gleicher species, beide mussten daher über eine generative Kraft verfügen. Auch Mütter liebten ihre Kinder, Kinder sahen beiden El47 48 49 50

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Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 1, § 10, edd. André/Berton (nt. 18), 169a–170a. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, s. 2, §§ 2–3, edd. André/Berton (nt. 18) 170a–170b. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, s. 2, § 4, edd. André/Berton (nt. 18), 170b. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, s. 2, § 5, edd. André/Berton (nt. 18), 170b–171a; dazu Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 32, a. 4, ed. Commissio Leonina (nt. 26), und auch Cajetan, Commentaria, III, q. 32, a. 4 (nt. 26), 338 sq., oder später als konsequenter Thomist e. g. Franciscus Sylvius, Commentaria in tertiam partem S. Thomae Aquinatis, q. 32, a. 4, (zuerst 1618), Antwerpen 1714, vol. 4, 127, und für Suárez Marsilius von Inghen, Quaestiones super quatuor libros Sententiarum, III, q. 5, a. 2, Straßburg 1501, vol. 2, foll. 378va–379ra. Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, s. 2, § 6, edd. André/Berton (nt. 18), 171a, dazu für Suárez neben Scotus John Mair, In tertium Sententiarum disputationes theologicae, dist. 4, q. 3, Paris 1528, foll. 11r–13r, und Gabriel Biel, Collectorium circa quatuor libros Sententiarum, III, dist. 4, a. 1–2, edd. W. Werbeck/U. Hofmann, Tübingen 1979, 105–113, und ergänzend auch sehr ausführlich Jacques Almain, In tertium Sententiarum, dist. 4, q. 1, Paris 1516, foll. 13r–19r.

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ternteilen ähnlich. Was Galen artikuliert hatte, spiegelte sich also in der Erfahrungswirklichkeit wider. Wie sollte Maria also wahrhaftig Mutter Christi genannt werden, so Scotus, wenn sie auf den Leib des Erlösers keinerlei aktiven Einfluss genommen hatte und nur als causa secundaria fungierte? Adam wäre unter dieser Voraussetzung auch die Mutter Evas gewesen. Mit anderen Worten: Thomas hatte sich also geirrt. Man hätte einwenden können, die Formkraft der Seele Mariens wäre zur Gänze in der übernatürlichen Gewalt des Heiligen Geistes aufgegangen. Eine vergleichbare Absorption stand jedoch im Widerspruch zur Endlichkeit, die auch Marias vegetative Seele auszeichnen musste. Maria hatte also, so die erste Schlussfolgerung des doctor subtilis, qua natura, durch ihre körperliche Kraft an der Empfängnis Anteil gehabt 52. Ausführlich war die scotistische Auffassung schon von einem der thomistischen Stichwortgebern des Suárez widerlegt worden, von Miguel Palacios, der auch im 16. Jahrhundert wieder zu Denkern wie Albertus Magnus zurückgekehrt war. Galens ‚De spermate‘, die Kernautorität, konnte in der Theologie keine Gültigkeit in Anspruch nehmen, so hatte Palacios hervorgehoben. Frauen hatten ein anderes Säfteverhältnis als Männer, was sich schon darin zum Ausdruck brachte, dass Männer keine Kinder zur Welt brachten. Die Funktion des weiblichen Körpers war mit Blick auf das männliche Sperma klar bestimmt und nur konsolidierender Natur, die Existenz des weiblichen menstruum, so Palacios mit Albert, ließ sich zwar nicht leugnen, doch leistete es zur Zeugung des Kindes keinen Beitrag. Allein die Materialität sorgte auf Seiten der Frau für die Ähnlichkeit von Mutter und Kind 53. Keine aktive Beteiligung an der Genese des Embryos, kein weiblicher Samen, der womöglich noch hätte sexuell provoziert werden müssen, hatte Maria daher die Gnade der Gottesmutterschaft eingetragen, sondern allein diese blutige Materie. Das reine Blut Mariens transzendierte jede Form von Sperma und menstruum, aus dem sonst ein Embryo gebildet worden wäre. Gerade in diesem qualitativen Vorrang des Blutes verortete sich auch, so Palacios, die Ausnahmestellung Mariens. Wenn sie selbst, so Palacios mit Marsilius von Inghen, über Zeugungskraft verfügt hätte, hätte sich Maria auch gleich Vater Jesu nennen lassen können. Scotus hatte zwar keine häretische Position artikuliert, falsch war sie trotzdem 54. Suárez hat diesem Gedankengang nur wenig hinzuzufügen. Solange sich aus aristotelischer Perspektive ein widerspruchsfreies Narrativ des Zeugungsvorganges formulieren ließ und es eine Hypothese 52

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Johannes Duns Scotus, Ordinatio, III, dist. 4, q. 1, ed. Commissio Scotistica (Opera Omnia 9), Vatikanstadt 1950, 197–227; id., Lectura, III, dist. 4, q. 1, ed. Commissio Scotistica (Opera Omnia 20), Vatikanstadt 2003, 143–157, dazu mit dem Kommentar von Franciscus Lychetus id., Quaestiones in libros Sententiarum (Ordinatio), III, dist. 4, q. 1, ed. Wadding (Opera Omnia 7), Lyon 1639 (Neudruck Hildesheim 1968), 104–117. Miguel des Palacios, Disputationes theologicae in libros Sententiarum, III, dist. 4, disp. 2, Lyon 1578, 60–64, dazu auch Albertus Magnus, De animalibus, XI, c. 2, ed. H. Stadler, vol. 1, Münster 1916, 674–679; id., Super tertium Sententiarum, dist. 3, a. 11, ed. A. Borgnet (Opera Omnia 28), Paris 1894, 53 sq. Miguel de Palacios, Disputationes, III, dist. 4, disp. 2 (nt. 53), 64 sqq.

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gab, die Maria von der Hypothek spermatischer Produktion befreite, war sie ausschlaggebend 55. Doch wie verhielt es sich, so Suárez, wenn diese Produktion ein ebenso natürlicher Vorgang wie die Verdauung war? Was hatte Maria dann verloren? Selbst Anselm schien eine solche Option nicht ausgeschlossen zu haben 56. Dennoch: die Embryogenese des Erlösers war von übernatürlicher Art gewesen, die Gesetze der Natur galten nicht. Der Ausfluss von menstruum gehörte in der Biologie zum Bereich der natürlichen Begierde und Sexualität, selbst wenn das Verlangen, wie im Fall Mariens, nicht in Erscheinung getreten war. Weitere Fragen hatten sich damit erübrigt 57.

4. Die Ausformung des Embryos innerhalb der linearen Zeit Mit der Vereinigung von formativem Geist und materiellem Blut war jedoch, wie gesehen, die Gestaltung des Embryos noch nicht abgeschlossen. Auch die Annahme der menschlichen Natur, die eigentliche Inkarnation, war noch nicht erfolgt. Noch immer war es erforderlich, den Anteil Mariens an der weiteren Ausformung des Embryos, also an der Heranbildung der Substanz, die vom Wort aufgenommen wurde, zu bestimmen. War der Körper Christi direkt im Augenblick der Empfängnis geformt worden? War der Embryo zu diesem Zeitpunkt schon beseelt gewesen? Und schließlich, war das Fleisch sofort, in dieser ersten Instanz, aufgenommen worden? Thomas hatte versucht, die Unmittelbarkeit und Augenblicklichkeit dieser Vorgänge ins Zentrum zu rücken und dabei großen Wert daraufgelegt, dass die anzunehmende menschliche Natur von jedem Verdacht der Unvollkommenheit befreit wurde. Entsprechend gering war der faktische Anteil Mariens an der Ausformung dieser Natur ausgefallen. Wie zu erwarten, hatten es die Scotisten nach ihm anders gesehen. In der natürlichen Ordnung, so Thomas, hätte die Verwandlung von Blut in höherwertige Organe Bewegungen im Raum vorausgesetzt, damit aber auch eine wie auch immer geartete Zeitspanne. Der Heiland aber musste sofort über einen geformten Leib verfügen, alles andere wäre unangemessen gewesen. Also war dieser Körper vom Geist in einem einzigen Augenblick gebildet worden. Christus hatte sofort einen perfekten Menschen anzunehmen und nicht erst 40 Tage auf das entsprechende Produkt warten dürfen 58. Ähnlich verhielt es sich in der Frage der Beseelung. In der Natur bedurfte es einer bestimmten Quantität, um überhaupt eine rationale Seele einfordern zu können. Dem Erlöser aber war es während der Inkarnation nicht zumutbar, Leib und Seele nicht gemeinsam anzunehmen. Also war der Leib nicht sukzessive geformt worden, sondern hatte seine Seele sofort 55 56 57 58

Suárez, Commentarii, q. 32, a. 4, disp. 10, Sectio 2, § 7, edd. André/Berton (nt. 18), 170a sq. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, Sectio 2, §§ 8–9, edd. André/Berton (nt. 18), 171b sq. Ibid., q. 32, a. 4, disp. 10, sectio 2, §§ 10–11, edd. André/Berton (nt. 18), 172a sq. Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 33, a. 1, ed. Commissio Leonina (nt. 26).

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erhalten 59. Gott konnte keine Substanz in die hypostatische Union überführen, die nicht schon vollständig Mensch war 60. Wo aber war hier noch Platz für Maria? Die Antwort, die Thomas schuldig geblieben war, versucht nicht zuletzt auch Suárez zu geben. Dazu war es notwendig, die einzelnen Schritte, die Verdickung des Blutes und die Ausbildung des Körpers, isoliert voneinander zu betrachten 61. Zunächst zur Verdickung des Blutes, gleichsam Schritt Eins der Empfängnis: Die göttliche Allmacht hätte den Körpersaft in einem einzigen Augenblick im Leib der Madonna zusammenführen können, denn natürlich war die göttliche Allmacht in der Lage, von allen räumlichen Medien und lokalen Distanzen zu abstrahieren. Nichts anderes geschah auch während der Eucharistie. Wenn Gott zudem, so Suárez, einen Körper durch einen anderen schieben konnte, fiel der Anspruch an seine Allmacht hier eher noch geringer aus 62. Falls jedoch hier schon die Allmacht des Schöpfers zu Werk ging, musste auf der Hand liegen, so Suárez, dass Maria schon bei der Bereitstellung der Blut-Materie nicht mehr aktiv beteiligt war. Es sprach also einiges dafür, Maria einen concursus zu erlauben und das Präludium der Empfängnis, den Transport des Blutes, für einen zwar extrem beschleunigten, doch noch immer zeitlichen Vorgang zu halten 63. Das gleiche Dilemma musste sich auch bei der ersten Ausformung des Leibes einstellen. Die ersten Zergliederungen der Organe und die Verdickung des Skelettes, waren raumgebundene Transformationen, so Suárez, und damit auch auf Zeit angewiesen; sie kannten ein Früher und Später, ein Vorher und Nachher 64. Auch hier war es denkbar, dass Gott den räumlichen Rahmen überwand und die Konglomerate aus Blut ohne Medien, in instanti, in einem einzigen Augenblick, an Ort und Stelle, zu Knochenstrukturen verdichtete, ja sogar vielleicht im gleichen Moment, in dem das Blut überhaupt seinen Platz eingenommen hatte. Wieder freilich war ein Wunder vonnöten, das die endliche facultas vitalis der Madonna als Beteiligte nicht zulassen konnte 65. Ein erstes Modell verteilte Bluttransport und Formierung auf mindestens zwei Augenblicke; in diesem Fall war die Madonna zumindest latent miteinbezogen worden. Maria sorgte in rasend schneller, doch zeitlich fassbarer Geschwindigkeit für das stoffliche Fundament, ein punktueller Augenblick sah dann die göttliche Allmacht das anzunehmende corpusculum des Erlösers ausgestalten, dann erfolgte die Inkarnation. Hatte Maria ‚Siehe, ich bin die Magd des Herrn‘ gesagt, wäre das Blut beim Wort ‚Siehe‘ schon bereitgestellt worden 66. Der Modus des Bluttransports wäre durch die anima vegetativa der Madonna noch auf natürlichem 59 60 61 62 63 64 65 66

Ibid., q. 33, a. 2, ed. Commissio Leonina (nt. 26). Ibid., q. 33, a. 3, ed. Commissio Leonina (nt. 26). Suárez, Commentarii, q. 33, a. 1, disp. 11, s. 1, §§ 1–2, edd. André/Berton (nt. 18), 180a. Ibid., q. 33, a. 1, disp. 11, s. 1, § 3, edd. André/Berton (nt. 18), 180a sq. Ibid., q. 33, a. 1, disp. 11, s. 1, § 4, edd. André/Berton (nt. 18), 180b sq. Ibid., q. 33, a. 1, disp. 11, s. 1, § 5, edd. André/Berton (nt. 18), 181a. Ibid., q. 33, a. 1, disp. 11, s. 1, § 6, edd. André/Berton (nt. 18), 181a sq. Ibid., q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, §§ 1–2, edd. André/Berton (nt. 18), 181a sq.

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Wege erfolgt, nur die Geschwindigkeit der Ereignisse hätte den Charakter eines Wunders gehabt. Dass der eigentlich anzunehmende Körper ebenfalls noch in linearer Zeit bereitgestellt wurde und nicht in einem Augenblick, war dagegen nicht zu erwarten, wie Suárez noch hinzufügt. Eine allmähliche Heranbildung des Embryos hätte bedeutet, dass die rationale Seele erst später ihren Weg in die Körpersubstanz gefunden hätte, der Leib wäre entweder schon beseelt gewesen, bevor er angenommen wurde, oder angenommen worden, bevor er beseelt war. Beides war unmöglich, wie schon einige der Kirchenväter erkannt hatten. Die Quantität des Erlöserleibs war steigerbar, seine Struktur aber musste perfekt sein 67. Zwei Einwände gegen dieses Modell ließen sich leicht abwehren. Konnte Maria wirklich in so kurzer Zeit, auch ohne Mirakel, so viel an Blut bereithalten? Ihr junger Körper war gesund, so der Spanier, und verfügte auf natürlichem Wege über mehr Blut als er eigentlich benötigte 68. Und wenn der Körper Christi zur Empfängnis ohne Verzögerung zur Verfügung gestanden hatte, musste er dann nicht auch schneller zur Welt kommen oder länger als nötig im Uterus der Madonna ausharren? Der pränatale Leib des Heilands, so die Antwort des Suárez, war in seiner Mikrostruktur und seinen Proportionen perfekt, also wuchs er lediglich im Anschluss langsamer 69. War der Satz ‚Es geschehe nach seinem Wort‘ gefallen, musste die Heranbildung des Körpers bereits abgeschlossen sein. Die hypostatische Union konnte eintreten 70. Eigentlich hatte dieses Modell einiges an Plausibilität auf seiner Seite gehabt. Fast ideal hatte es zwei Aspekte in Einklang gebracht. Marias Eigenanteil war zumindest in der Bewegung des Blutes gesichert, zugleich war garantiert, dass der Vorlauf der Inkarnation auf das Minimum beschränkt blieb. Es verwundert so auf den ersten Blick ein wenig, dass Suárez seine Hypothese wieder verwirft und zu einem Modell zurückkehrt, in dem alle Schritte der Empfängnis, die Kumulation von Blut, die Strukturierung und Verdichtung, in einem einzigen Augenblick von statten gehen sollten. Selbst wenn es nur zwei Instanzen hintereinander gewesen wären, so Suárez am Ende seiner Diskussion, hätte die Ereigniskette noch immer die Natur eines zeitgebundenen Vorganges gehabt. Maria hätte eine Substanz generiert, die noch nicht der Gott-Mensch war und doch schon vor der Inkarnation existiert hätte 71. Der Transport des Blutes hatte sich also, so die Schlussfolgerung des Suárez, zeitgleich, im selben Augenblick und 67

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Ibid., q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, §§ 3–5, edd. André/Berton (nt.18), 182a–183a, dazu für Suárez e. g. Fulgentius von Ruspe, De fide ad Petrum, 18, 61, ed. Fraipont (nt. 20), 750, und Johannes Damascenus, De fide orthodoxa, 46, ed. Buytaert (nt. 39), 171 sq. Suárez, q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, § 6, edd. André/Berton (nt. 18), 183a sq. Ibid., q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, §§ 7–9, edd. André/Berton (nt. 18), 183b–184a. Die neun Monate waren im Jesuitenorden selbst Gegenstand erbaulicher Betrachtungen gewesen, als Beispiel Fabius Ambrosius Spinola, Vita P. Caroli Spinolae Societatis Iesu, pro Christiana religione in Japonia mortui, Antwerpen 1630, dort das ‘Religiosum exercitium precum in honorem novem mensium, quibus Virgo Deum in utero gessit’, 180–186. Suárez, Commentarii, q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, § 10, edd. André/Berton (nt. 18), 184a sq. Ibid., q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, § 11, edd. André/Berton (nt. 18), 184b–185b.

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simultan mit der Formierung des Embryos zu vollziehen. Der Vorgang musste ein absolutes Wunder sein. Unter dieser Voraussetzung aber war offenkundig, dass Maria keinen Anteil mehr an der Bildung des Embryos haben und auch nicht mehr aktiv für die Verdickung des Blutes sorgen konnte. Sie hatte die Bühne verlassen und war in ihrer Funktion auf den bloßen Gehorsam reduziert worden 72. III. Der Eig enanteil Mariens und die Franziskanische T heologie Blickt man auf die weiteren Entwicklungen, die sich der Entscheidung des Suárez anschließen, die Rolle Mariens auf geringem Niveau zu halten, dann drängt sich der Verdacht auf, dass Suárez diese Entscheidung mit Bedacht gefällt hatte. Trotz erheblicher Freude am Detail war einem Übermaß an mariologischer Spekulation ein deutlicher Riegel vorgeschoben worden. Marias Rolle ließ sich nicht mehr erweitern. Die Auslegung des Suárez fand bei vielen späteren Theologen Anerkennung, sowohl unter Jesuiten 73, wie unter Dominikanern und Angehörigen anderer Ordensschulen 74. Franziskanische Theologen hatten ein anderes Modell favorisiert und die letzte Schlussfolgerung, den Ausschluss Mariens, von Anfang an nicht geteilt 75. Duns Scotus hatte den Vorteil einer 72 73

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Ibid., q. 33, a. 2, disp. 11, s. 2, §§ 12–13, edd. André/Berton (nt. 18), 185b sq. Als Beispiel unter Jesuiten, die sich ausdrücklich auf Suárez berufen, Martino Bonacina, Tractatus de sacrosancta Christi Incarnatione, aliisque praecipuis Vitae Christi et Beatissimae Virginis Mariae Mysteriis, disp. 1, q. 4, p. 3 Venedig 1630, 38–45, oder Juan de Cárdenas, Geminum sidus mariani diadematis sive duplex disputatio de infinita dignitate Matris Dei atque de eius gratia habituali infinita simpliciter, disp. 1, c. 8, Lyon 1673, 62–68; deckungsgleich in der Schlussfolgerung gegen einen aktiven concursus der Madonna äußern sich auch seine Ordensbrüder Franciscus Amicus, Cursus theologicus iuxta scholasticam huius temporis Societatis Jesu methodum 26, 9, Antwerpen 1650, vol. 6, 289 sqq.; Martin Becanus, Theologia scholastica, III-I, c. 28, q. 6, Mainz 1621, 224 sq.; Martin Perez de Unanoa, De mirabili divini Verbi incarnatione opus theologicum, quadraginta disputationibus divisum, disp. 11, s. 2, Lyon 1642, 137; Sylvester Mauro, Opus theologicum, vol. 3, IX, q. 28, Rom 1687, 76 sq.; Felipe Aranda, De divini Verbi incarnatione et redemptione generis humani, disp. 4, s. 3, Zaragoza 1691, 365 sq., und später noch Coelestinus Mayr, Tractatus theologicus de mysteriis, divini verbi incarnationem antecedentibus, comitantibus et consequentibus, disp. 1, q 1, § 3, München 1719, 7–12, ibid., disp. 2, q. 2, § 2, 166–169. Direkt auf Suárez stützt sich e. g. der Hieronymit Pedro de Cabrera, In tertiam partem Sancti Thomae commentariorum et disputationum. Tomus primus, q. 2, a. 10, disp. 1, concl. 2, § 3, Cordoba 1602, 498, der Dominikaner Giovanni Paolo Nazari, Commentaria et controuersiae in tertiam partem Summae D. Thomae Aquinatis, q. 2, a. 11, Rom 1620, 268 sq., oder mit einer sehr detaillierten Darstellung Antonius de Matre Dei im ‚Cursus‘ der spanischen Karmeliten Cursus theologicus Salmanticensis, vol. 13, tract. 21, disp. 5, dub. 3, Paris 1878, 514–530, dort bes. § 2, Nr. 41–42, 520–522. Für einige (selbsternannte) konsequente Verteidiger des Aquinaten war Suárez immer noch zu großzügig gewesen, dazu später e. g. André Feraud, Cursus theologicus in tertiam partem divi Thomae, Tertia pars, q. 7, a. 1, Marseille 1681, 285 sqq. Jede Möglichkeit einer physischen elevatio der Madonna musste ausgeschlossen werden. Dass Scotus in seinem Orden als Verteidiger Mariens im Allgemeinen und der conceptio immaculata im Besonderen gefeiert wurde, muss nicht weiter erklärt werden, dazu unter vielen Autoren

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linearen und in der Zeit verorteten Heranbildung des Embryos, mochte die Zeitspanne auch noch so kurz sein, klar hervorgehoben. Die Seele Marias hatte zur generatio des Erlösers einen deutlichen Beitrag geleistet. Nur wenn man die Abfolge der Bewegungen, die zur Formung des Embryos vonnöten waren, zumindest teilweise als raumzeitliche Vorgänge begriff, war eine Teilhabe Mariens möglich. Scotus war sich dabei durchaus über die von Suárez benannten Schwierigkeiten im Klaren gewesen 76. Wäre der Leib des Heilandes selbst auch in der Zeit gebildet worden, eine quasimenschliche Substanz hätte vorgelegen, die das Verbum vor dem eigentlichen Menschen hätte annehmen können. Auf alle Medien der Konfiguration zu verzichten, aber hätte bedeutet, Maria auf eine bloße Statistenrolle zu beschränken. Natürlich hätte der Heilige Geist auch diese Aufgaben vollständig allein bewerkstelligen können, doch wäre der Titel ‚Mutter Gottes‘ dann, ohne die genannte Arbeitsteilung und den faktischen concursus der Madonna, so das Fazit des Franziskaners, leer und bedeutungslos gewesen. Die Empfängnis des Erlösers war in der Geschwindigkeit wunderbar, im Modus jedoch ein natürliches Ereignis, das auf der natürlichen Fruchtbarkeit der Madonna beruhte. Es wundert nicht, dass diese Sichtweise im Kreis der Apologeten des doctor subtilis, genannt seien nur Juan de la Rada oder Johannes Forsanus, im ausgehenden 16. Jahrhundert eifrig repetiert werden konnte 77. Es gibt franziskanische Theologen wie Francesco Pitigiani, die zumindest in Teilen mit der Argumentation des Suárez sympathisieren. Der Italiener schließt im Jahre 1613 eine Funktion des weiblichen menstruum kategorisch aus 78, favori-

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Matthaeus Ferchius, Vita Ioannis Dunsii Scoti Franciscani Doctoris Subtilis et Apologiae pro eodem, c. 4, § 12, Bologna 1622, 14, und öfter; Jerónimo Lorte y Escartín, Mappa subtilis, Orbis Marianus, Fasciculus Dunsius, speculum Scoticum ferme innumera praestantisimorum virorum detegens vocitans eiusdem exambiens elogia venerabilis servi Dei Ioannis Dunsii Scoti, Zaragoza 1693, dort bes. c. 2, 2–61, und als vielleicht besonders extravagantes Beispiel innerhalb der ‚Vita Scoti‘ des franziskanischen Exil-Iren Antonius Bruodinus die zweisprachigen Verse: „Cia an Doctuir as mor iul / Le ndiontur clu mathar dhe / Aingiol glormhar, Deamhan sud, / No as è Scotus o Dun è. / Quis tu qui tanto defendis Achille Mariam, / Quis tu, qui caeptam, quis sine labe probas? / Angelus e caelo? Nigro vel Daemon ab orco? / Vel tu Duns Scotus, prodigiosus eris?“ (id., Armamentarium theologicum ad mentem Doctoris subtilis, Prag 1676, am Anfang, s. p.). Johannes Duns Scotus, Ordinatio, III, dist. 2, q. 3, ed. Commissio Scotistica (nt. 52), 161–168, und id., Lectura, III, dist. 2, q. 3, ed. Commissio Scotistica (nt. 52), 110–117, dazu mit dem Kommentar von Franciscus Lychetus id., Quaestiones in libros Sententiarum (Ordinatio), III, dist. 2, q. 3, ed. Wadding (nt. 52), 85–87, oder Johannes de Bassolis, Tertium Sententiarum opus, non minus utile quam ingeniosum, dist. 2, q. 4, Paris 1517, fol. 26v sq., und später ebenfalls ohne substantielle Hinzufügungen Petrus Tartaretus, Lucidissima commentaria sive (ut vocant) reportata in tertium librum Sententiarum Ioannis Duns Scoti, dist. 2, q. 3 Venedig 1583, 34 sq. Franciscus von Meyronnes, der wohl gründlichste Verteidiger des Scotus im Spätmittalter, war zwar ausgiebig auf die conceptio immaculata, doch auf die Frage der physischen Mutterschaft Mariens nicht weiter eingegangen; doch cf. auch Bonaventura, Commentaria in tertium librum Sententiarum, dist. 3, Pars II, a. 3, q. 1–2, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 36), 90–94. Johannes Forsanus, Resolutiones in quatuor libros Sententiarum Ioannis Duns Scoti, Liber III, dist. 4, q. 1, Paris 1600, foll. 171v–173v; Juan de Rada, Controversiae theologicae inter Sanctum Thomam et Scotum, vol. 3, Pars III, Controversia VI, a. 1, Salamanca 1599, 237 sqq. Francesco Pitigiani, Summa theologiae speculativae, et moralis, necnon Commentaria in tertium librum Sententiarum doctoris subtilis Ioannis Duns Scoti theologorum facile principis complec-

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siert das aristotelische Modell und handhabt auch die Frage des concursus maternus zumindest in Teilen wie Suárez 79. Die Mehrzahl der franziskanischen Leser des Suárez nimmt jedoch auch im 17. Jahrhundert unter Rückgriff auf Scotus deutlich Partei ein und hält an der, wie gesehen, ja ebenfalls vom Spanier mit Nachdruck zurückgewiesenen Rolle des weiblichen Spermas fest 80. Filipo Fabri, dessen Sentenzenkommentar im gleichen Jahr wie der Kommentar Pitigianis erscheint, geht noch über Scotus hinaus. Auch wenn man diese Vorgänge, so Fabri, nur mit gut gewaschenem Mund traktieren sollte, falsche Neugier also zu vermeiden war, musste die Physis der Madonna angemessen zur Geltung kommen. Die Produktion und das Ausscheiden von Samen waren bei Frauen natürliche Vorgänge; bei Maria waren sie von keiner Lust begleitet gewesen und hatten die Jungfräulichkeit daher nicht gefährdet. Warum sollten Maria die körperlichen Attribute vorenthalten werden, die Teil der Vollkommenheit des weiblichen Leibes waren? Der Leib Christi konnte also ohne Hindernisse vom Heiligen Geist und der Madonna zu gleichen Teilen grundgelegt werden, wie Galen gelehrt hatte. Marias concursus war gesichert 81. Dazu kam die Rolle Mariens bei der Ausbildung des Embryos selbst. Die Gottesmutter konnte kraft ihrer Endlichkeit nicht außerhalb der Zeit agieren, also wirkte sie mit denkbar großer Geschwindigkeit, sukzessive, in der Zeit, wenn der Körper vor der Empfängnis organisiert werden musste. Für Fabri stellte es noch nicht einmal ein Problem dar, wenn Maria den Embryo tatsächlich schon vorher konfiguriert hätte. Die kontinuierliche Transformation dieser fluiden Körpersubstanz hätte garantiert, so der Scotist, dass vor dem eigentlichen Menschen kein wirkliches organisches Objekt existiert hätte, das zum Gegenstand der Inkarnation hätte werden können 82. Zumindest mit seiner letzten Schlussfolgerung hatte Fabri erheblichen Widerstand bei anderen Scotus-Kommentatoren provoziert. Jede im Körper einer Frau herangebildete Substanz, so stellt es Johannes Poncius, einer der wichtigsten Scotisten seiner Zeit, als Replik auf Fabri fest 83, hatte sich als Mensch begreifen

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tens explicationem eorum, quae de Verbi divini incarnatione, passione, morte et resurrectione a magistro Sententiarum, et a Scoto tractantur, Distinctio IV, q. 1, a. 3–4, Venedig 1613, 165–168. Ibid., Distinctio V, q. 1, a. 5, (nt. 78),168–173. Pitigani wird von den nachfolgenden Scotisten ignoriert. Zur Erneuerung des Scotismus im 17. Jahrhundert allgemein mit einem Überblick über die wichtigsten Gelehrten der fulminante Artikel von J. Schmutz, L’héritage des Subtils. Cartographie du Scotisme de l’âge classique, in: Les études philosophiques 1 (2002), 51–81, hier besonders 51–75, außerdem e. g. B. Jansen, Zur Philosophie der Scotisten des 17. Jahrhunderts, in: Franziskanische Studien 23 (1936), 28–58. 150–175, oder R. Ariew, Descartes and the last Scholastics, Ithaca 1999, 45–55. Philippus Faber, Disputationes theologicae libros quatuor Sententiarum continentes, (4 voll.), Venedig 1613–19, vol. 3, Liber III, dist. 4, q. 1, Disputatio XII, c. 1, S. 68–71, c. 3, 74–77. Ibid., Liber III, dist. 4, q. 1, Disputatio XII, c. 2, 71–74. Zu John Punch/Ponce cf. Jansen, Zur Philosophie der Scotisten (nt. 80), 51–54; B. Millet, The Irish Franciscans 1651–1665, Rom 1964, 474–477; M. Grajewski, John Ponce, Franciscan Scotist of the Seventeenth Century, in: Franciscan Studies 6 (1946), 54–92, dort zu seinen ‚Commentarii theologici‘ und seinem ‚Theologiae cursus integer‘, 66 sq.

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zu lassen; zumindest die Konfiguration des Embryos hatte also augenblicklich vonstatten zu gehen 84. Was die Rolle Galens betraf, hatte Poncius, der sonst vor allem Suárez in weiten Teilen referieren konnte, dagegen keinen Anlass zur Kritik an Fabri gesehen; die Position des Scotus stand außer Zweifel 85. Spätere Scotisten hatten diesem Urteil des doctor subtilis nichts mehr hinzuzufügen und repetierten es bis ins 18. Jahrhundert hinein 86. Schon Ende des 17. Jahrhunderts hatte ein orthodoxer Scotist wie Lorenzo Brancati, der den concursus maternus der Heiligen Jungfrau in allen Bereichen zur Geltung bringen wollte, darüber hinaus keine Bedenken, sich zur Absicherung auf jene zeitgenössischen Mediziner als Autoritäten zu berufen, die Suárez noch konsequent aus der Debatte hatte verbannen wollen 87. Es war die aktuelle Embryologie selbst, so Brancati, deren Erkenntnissen die Theologie in ihrer Würdigung Mariens gerecht werden musste. Für den kalabresischen Franziskaner bedeutete dies auch, dass man nach Galen oder Ibn Sina nicht nur die einschlägigen Italiener unter den medizinischen Fachschriftstellern zu Rate zu ziehen hatte, um die aktive Beteiligung der Frau an der Zeugung und Heranbildung des Embryos zu dokumentieren, sondern auch Protestanten wie Johannes Sperling und William Harvey, auf deren Urteil sich, wie Brancati glaubte, nicht verzichten ließ 88. Spätestens mit der Au84

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Johannes Poncius, Commentarii theologici quibus Ioannis Duns Scoti quaestiones in libros Sententiarum elucidantur et illustrantur, Liber III, dist. 4, q. 1, Commetarius, Paris 1661, 147– 149. Ibid., dist. 4, q. 1, mit Commentarius, 132–154, und dist. 2, q. 3, 102–105, und id., Theologiae cursus integer, 10, q. 6, Lyon 1671, 460 sq. Als Beispiele Francisco Macedo, Collationes doctrinae S. Thomae et Scoti cum differentiis inter utrumque textibus utriusque fideliter productis sententiis subtiliter examinatis, col. 3, dif. 2, s. 1, Pavia 1673, vol. 3, 188–191; Carlo Lanteri, Tractatus de incarnationis mysterio ex nostri subtilissimi Joannis Duns Scoti celebrata doctrina, 7, pp. 1–2, Neapel 1665, 280–286, oder nur noch handbuchartig Jean Gabriel Boyvin, Theologia Scoti a prolixitate, et subtilitas ejus ab obscuritate libera et vindicata, seu Opus theologicum studentibus sic attemperatum, vol. 2, c. 10, q. 4, Paris 1682, 303–305; Bernhard Sannig, Schola theologica Scotistarum, seu cursus theologicus completus, dist., 5, q. 4, Prag 1681, vol. 3, 73–77; Bartholomaeus degli Albizzi, De vita et laudibus B. Mariae Virginis, III, Fructus IV, Venedig 1696, 441–443; Barnabas Kirchhuber, Praerogativae Deiparae Virginis Mariae, ad mentem Joannis Duns Scoti Doctoris subtilis, VIII, §§ 1–2, Ingolstadt 1674, 91–104; Sebastien Dupasquier, Summa theologiae Scotisticae, VI, tract. 11, disp. 11, q. 5, Chambery 1700, 483–491, Barthelemy d’Antibes Durand, Clypeus scoticae theologiae contra novos ejus impugnatores, vol. 4, disp. 7, q. 1, Venedig 1709, 118–121, und Diego Gonzalez Mateo, Theologia scotica in tertium Sententiarum magistri, ad mentem subtilis doctoris Joannis Duns Scoti, vol. 6, Disputatio VI, q. 1, Alcalá 1764, 237–247. Lorenzo Brancati, In tertium librum sententiarum magistri fratris Ioannis Duni Scoti eiusdem ordinis doctoris subtilissimi, Tomus I […] De sacrosancto incarnationis diuini verbi mysterio, disp. 4, a. 4, Rom 1682, 145–149. Ibid., disp. 4, a. 4, (nt. 87), 147–148, und für Brancati unter vielen e. g. Luigi Bonacciuoli, Tractatus de conformatione foetus, in: Severin Pineau, De virginitatis notis, gravitate et partu, Lyon 1641, c. 2, 27–85, Paulus Zacchia, Quaestiones medico-legales, vol. 1, Liber VII, titulus 3, q. 1, Lyon 1661, 519–528; Johannes Sperling, Tractatus physicus de formatione hominis in utero, c. 2, q. 5, Wittenberg 1641, 16–18, und William Harvey, Exercitationes de generatione animalium, quibus accedunt quaedam de partu, de membranis ac humoribus uteri, et de conceptione, Exercitato 50, Amsterdam 1641, 286–298.

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torität Harveys aber war die Brücke zur vollständigen Abwicklung des Aristotelismus in der Zeugungslehre geschlagen worden 89. Auch im Jesuitenorden hatte die franziskanische Position, also die organische Beteiligung der Madonna, zu Beginn des 17. Jahrhunderts einige Anhänger gefunden. Adam Tanner aus Ingolstadt, sonst ein treuer Anhänger des Suárez, folgt seinem Lehrer zwar in der Abwehr der galenischen Zeugungslehren und schließt hier einen Anteil Marias aus 90. Was jedoch die Bereitstellung des Blutes betraf, war dem Meister nicht mehr Recht zu geben. Marias körperlicher Beitrag, damit aber auch ihr Anspruch auf eine faktische Mutterschaft, ließ sich nur aufrechterhalten, wenn zumindest der Vorlauf der Empfängnis von der Gottesmutter selbst verantwortet wurde 91. Petrus Wadding, ein irischer Jesuit dessen drei Brüder Franziskaner geworden waren, sieht es zur gleichen Zeit wenig anders. Selbst wenn der marianische Moment der Embryonalformung denkbar minimal zu veranschlagen war, er musste dennoch zeitlich fassbar bleiben, so Wadding, um der Madonna die angemessene Position einzuräumen. Es bedurfte eines aktiven Parts, den Maria zu bedienen hatte, einer dispositio substantialis, sonst wäre die Jungfrau nicht wahrhaft zur Mutter Gottes geworden 92. Die Zahl vergleichbarer Einlassungen ließe sich vermutlich leicht vermehren 93. Auch durch die Kontroversen um die Unbefleckte Empfängnis, die von Anbeginn ein Anliegen des Franziskanerordens gewesen war 94, drangen mehr und mehr franziska89

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Eine allgemeine Würdigung der Errungenschaften Harveys in der Embryologie liefern mit Blick auf ihre Rezeption e. g. J. Needham, A History of Embryology, Cambridge 1959, 133–153; K. D. Keele, William Harvey. The Man, the Physician, and the Scientist, London/Edinburgh 1966, 178–204; J. G. Lennox, The Comparative Study of Animal Development: William Harvey’s Aristotelianism, in: J. E. H. Smith (ed.), The Problem of Animal Generation in Early Modern Philosophy, Cambridge 2006, 21–46. Adam Tanner, Universa theologia scholastica, speculativa, practica, vol. 4, disp. 2, q. 2, dub. 2, col., Ingolstadt 1627, 551 sqq. Ibid., disp. 2, q. 2, dub. 2, col. 554. Petrus Wadding, Tractatus de incarnatione, disp. 4, dub. 10, Antwerpen 1636, 187 sq. Ausdrücklich gegen Wadding wendet sich mit Suárez später Cristobal de Ortega, Tractatus duo de Trinitate nec non incarnatione, II, disp. 3, q. 5, Certamen II, Lyon 1664, 430 sq. Ausführlich traktieren das Verhältnis von aktivem concursus und bloßer virtus oboedientialis unter den Jesuiten auch Jean Martinon, Disputationes theologicae, vol. 4: De incarnatione et sacramentis, disp. 4, Sectio I–II, Bordeaux 1646, 105–109; Bernardo de Aldrete, Commentariorum ac disputationum in tertiam partem S. Thomae de Mysterio Incarnationis Verbi Divini, Tomus prior, disp. 23, Sectio I–V, Lyon 1652, 402–411, schließen beide die Option einer aktiven Beteiligung Mariens aber zum Ende aus; ebenso im direkten Anschluss an Aldrete auch Juan de Campoverde, Tractatus de incarnatione Verbi Divini, vol. 2, disp. 12, c. 8, Madrid 1712, 443– 453. Unter vielen Beiträgen zur Diskussion der conceptio immaculata innerhalb des frühen Franziskanerordens A. B. Wolter, The Doctrine of the Immaculate Conception in the Early Franciscan School, in: Studia Mariana 9 (1954), 26–69; F. M. Mildner, The Immaculate Conception in England up to the Time of Duns Scotus, in: Marianum 1 (1939), 86–99. 200–221; M. B. Ingham, ‘Fired France for Mary without Spot’: John Duns Scotus and the Immaculate Conception, in: S. J. McMichael/K. Wrisley Shelby (eds.), Medieval Franciscan Approaches to the Virgin Mary. Mater Misericordiae Sanctissima et Dolorosa, Leiden 2019, 174–195; id., The Sanctification of Mary. Summa Halensis and the status quaestionis prior to William of Ware and John Duns

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nische Argumente in die Mariologie des Jesuitenordens ein 95. Vor allem in Spanien war man nur zu schnell bereit, sich von der thomasischen Sichtweise zu lösen 96. IV. Juan Bautista Poza und die Neubewer tung Mariens Wenn wir Suárez und seine Kritiker kurz zusammenfassen, so ließe sich vielleicht sagen: Es gab eine Fraktion innerhalb der Mariologen, die großen Wert darauf legte, dass die Mutterschaft Mariens sich nicht nur auf Dinge wie Blut und passives Stoffreservoir beschränkte; Maria musste aktiv am Heilsgeschehen beteiligt sein. Diese Aktivität hatte zwei Komponenten, zum ersten eine im weiblichen Samen präsente formative Rolle, und zum zweiten, eine ebenso aktive Funktion in der Ausformung des vorgeburtlichen Christus. Diese aktive Funktion beschränkte sich nicht auf die Ernährung und das Wachstum des herangebil-

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Scotus, in: L. Schumacher (ed.), The Summa Halensis. Doctrines and Debates (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 66), Berlin 2020, 343–357. Als Quellenkollektion William of Ware, Johannes Duns Scotus, Petrus Aureoli, Quaestiones disputatae de immaculata conceptione Beatae Mariae Virginis, Quaracchi 1904, dort Scotus selbst 12–22. Zur Kontroverse um die Unbefleckte Empfängnis in Spanien e. g. P. Broggio, Teologia, ordini religiosi e rapporti politici: la questione dell’Immacolata Concezione di Maria tra Roma e Madrid (1614–1663), in: Hispania sacra 65 (2013), 255–281; A. L. Cortés Peña, Andalucia y la Inmaculada Concepción en el siglo XVIII, in: id., Religíon y la política durante en Antiguo Régimen, Granada 2001, 103–148; zur Position der Dominikaner U. Horst, Die Diskussion um die Immaculata Conceptio im Dominikanerorden. Ein Beitrag zur Geschichte der theologischen Methode, Paderborn 1987, 33–82, und noch immer als Überblick X.-M. Le Bachelet, L’immaculée conception. Courte histoire d’un dogme, Paris 1903, 45–55, und G. Perrone, Abhandlung über die dogmatische Definition der unbefleckten Empfängnis der seligsten Jungfrau Maria, Regensburg 1855 (zuerst lateinisch 1848), 111–170. Die kaum überschaubare Menge an Autoritäten war von Franziskanern schon im 17. Jahrhundert gesammelt worden, dazu Gaspar de la Fuente – Pedro de Alba y Astorga, Armamentarium seraphicum et Regestum universale tuendo titulo Immaculatae Conceptionis, Madrid 1649, passim, und auf mehr als 2000 Seiten noch einmal id., Radii solis zeli seraphici coeli veritatis, pro immaculatae conceptionis mysterio Virginis Mariae, discurrentes per duodecim classes auctorum, vel duodecim Signa Zodiaci sicut Sol, perficientes circulum suum solarem juxta dies anni completi, per trecentos sexaginta sex radios, Madrid 1666. Suárez hatte seine eigenen Einlassungen zur conceptio immaculata nicht mehr veröffentlicht, dazu nur kurz postum id., Utrum B. Virgo fuerit sanctificata, edd. André/Berton (Opera omnia 24), Paris 1859, 238–253. Die Debatte, ob das galenische oder aristotelische Modell der Zeugung zur Anwendung gelangen durfte, sollte als mittelalterliches Echo bei den Jesuiten auch in der medizinischen Festschreibung der conceptio immaculata Mariens noch ihre direkte Fortsetzung finden, dazu e. g. als Synopse Vincente Fassari, Immaculata deiparae conceptio, theologicae commissa Trutinae, disp. 3, Palermo 1660, 47–70, oder mit dem Abdruck eines Traktates aus der Feder Petrus Aureolis Theodor Moretus, Principatus incomparabilis primi filii hominis, Messiae et primae parentis matris virginis in conceptione illius immaculata exhibitus, Köln 1671, Appendix, 48–54. Eine spätere gute Zusammenfassung jesuitischer Diskussionen zur conceptio immaculata liefert der tschechische Jesuit Adrianus Miaskowski, Deus Homo seu Incarnatio Verbi Divini et Excellentia pretiosissimae Deiparae Virginis Mariae, quinque disputationibus theologice propugnata, disp. 5, q. 2, p. 1, §§ 1–2, Prag 1725, 734–785.

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deten Leibes, sie betraf die Bildung des Leibes selbst. Dazu kam, wie bei Suárez gesehen, dass auch die Bedingungen der Ausbildung dieses idealen Körpers, den Christus für sich in Anspruch nehmen durfte, endgültig festgeschrieben wurden. Die Ausfaltung seiner pränatalen Vollkommenheit geschah augenblicklich, die ideale Körperlichkeit des Erlösers hatte unmittelbar vorgelegen. Vielleicht lag es nahe, diese Überlegungen zusammenzuführen, weiter zu radikalisieren, und damit jene Grenze der Neugierde hinter sich zu lassen, vor deren Überschreitung Suárez in der Mariologie so eindringlich gewarnt hatte. Gab es Spielraum für ein theologisches Gedankenexperiment, einen Laborversuch der Spekulation, der die Schraube noch einen entscheidenden Schritt weiterdrehte? 1. Das ‚Elucidarium Deiparae‘: Maria als gleichberechtigte Erlöserin? Zum Urheber einer neuen Mariologie wird der baskische Jesuit Juan Bautista Poza, erst Professor für Rhetorik, dann für Theologie in Alcalá, und im Anschluss in Madrid, Verfasser von Rhetoriken und philosophiehistorischen Schriften 97, dann begeisterter Mariologe 98. In den frühen Jahren Pozas entstehen erste kurze Abhandlungen zu Detailfragen wie dem Schutzengel der Heiligen Jungfrau 99. Im Jahre 1626 erscheint das ‚Elucidarium Deiparae‘ in Madrid, mit einem 97

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Unter den unverfänglichen Werken finden sich als Ergebnisse seiner Unterrichtstätigkeit e. g. Juan Bautista Poza, Rhetoricae compendium, Madrid 1615 und id., Compendium de sacramentis evangelicis in genere et in specie ad instructionem ordinandorum, Cuenca 1620, noch ohne Konfliktpotential. Sein trotz aller Querelen erfolgreichstes Werk, das bis zum Ende des 17. Jahrhunderts wiederholt aufgelegt wurde, war id., Practica de ayudar á morir, para que cualquiera que supiere leer para ayudar, y consolar a los enfermos, Zaragoza 1631. Eine deutsche Übersetzung erschien als id., Geistliche Gold-Grub, oder Practick, Gottselig zu sterben und ewig zu leben, Frankfurt 1653. Eine französische Fassung war 1637 erschienen, die italienische bereits ebenfalls 1631. Eine lateinische Fassung erschien als id., Itinerarium pro peregrinis ad aeternitatem seu Praxis iuvandi aegros ad bene moriendum, nec non sanos permovendi ad pie vivendum, ex iis, quae occurrunt et fieri debent in hora mortis, Wien 1714, und wurde erneut (fol. Av) approbiert. Zu Leben und Werk Juan Bautista Pozas allgemein A. Astráin, Historia de la Compañía de Jesús (7 voll.), Madrid 1902–25, vol. 5, 210–215, A. E. de Mañaricua, La Inmaculada en Vizcaya, Bilbao 1954, 147–157, dazu noch L. Ceyssens, Le cas Poza au début du Jansenisme, in: Bulletin d’Institut historique belge de Rome 35 (1963), 191–224, und P. Broggio, La teologia e la politica. Controversie dottrinali, Curia romana e monarchia spagnola tra Cinque e Seicento, Florenz 2009, 166–169. Einen Werkkatalog Pozas gibt das Standardwerk von C. Sommervogel/Aug. de Backer/Al. de Backer, Bibliothèque de la Compagnie de Jésus (12 voll.), Paris 1890–1960, vol. 6, coll. 1135–1142, und J. Schmutz, Scholasticon. Nomenclator, s. v. Poza, Juan Battista. Literatur zur Zensur Pozas und den anschließenden Verfahren noch einmal unten in Note 151. Juan Bautista Poza, Assertiones theologicae. Quaestio princeps: quis fuerit angelus custos sanctissimae Virginis, s. l. s. a. Die 34 Paragraphen dieses Traktates liefern mit ihrer stupenden Belesenheit bereits eine Mariologia in nuce. Ein weiterer Traktat aus dem frühen Vorlesungsbetrieb, Juan Bautista Poza, Assertiones philosophicae et medicae de corpore humano in statu naturae lapsae et integrae, s. l. s. a., verrät bereits ein ausgeprägtes Interesse an der Integration medizinischer Kenntnisse in die Theologie, ähnlich wie eine weitere von Poza vorgelegte Thesensammlung, dazu id., Aphorismi conclusionum ex doctoribus recitative solum propositi, s. l. s. a.

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Imprimatur des Provinzials 100. Ein Jahr später wird es in Lyon erneut gedruckt, abermals mit Billigung des Ordens, wie man vielleicht betonen sollte, und noch erweiterten Beglaubigungen. Die Lyoneser Ausgabe hat 1300 Seiten 101. Es handelt sich um eine der umfangreichsten und komplexesten Mariologien in der Geschichte der katholischen Kirche 102. Ein zweiter Band war mit Inhaltsverzeichnis angekündigt, erschien aber nicht mehr 103. Was aber hatte der baskische Jesuit gelehrt? Der Leser stößt in diesem monumentalen Folianten auf kaum zu bewältigende Ausführungen zur Genealogie Mariens, zur Geographie und Chronologie ihrer Lebensgeschichte 104, zu majestätischen Tugendkatalogen 105, zu ihren epistemischen Fähigkeiten und zu allen Bereichen ihres Körpers, dessen Proportionen einfühlsam geschildert und zentimetergenau vermessen werden 106. Nicht zuletzt geht Poza weiträumig auf die Debatte der Zeit ein, die Frage nach der Unbefleckten Empfängnis, der Rolle von Anna und Joachim, und dem Status, den Maria in der Gnadentheologie einnehmen sollte 107. In den Fragen der durchgehenden Jungfräulichkeit oder den Begleiterscheinungen der Geburt sieht unser Theologe keinen Grund, von Suárez abzuweichen. Poza war darüber hinaus in der Lage, seine Überlegungen mit einer erschlagenden Belesenheit zu orchestrieren, die Autoritäten wirklich aller Epochen aufbieten konnte. Viele dieser Überlegungen waren in ihrem Detailreichtum weniger neu, als sie auf den ersten Blick wirkten. Um die minutiöse Rekonstruktion der Le100

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Juan Bautista Poza, Elucidarium Deiparae, praevius explorator, maiori ex parte pugnax et contentiosus, de Chronographia et Geographia mysteriorum Virginis, Liber I. De re paterna, Liber II. De corpore virginis, Liber III. Supplementum pro definiendo immaculato conceptu, Liber IV, Madrid 1626, dort das Imprimatur, foll. A2r sq., und der Prolog, foll. A4r–A10v. Die erste Auflage hat 1008 durchgezählte Seiten. Juan Bautista Poza, Elucidarium Deiparae, praevius explorator, maiori ex parte pugnax et contentiosus, de Chronographia et Geographia mysteriorum Virginis, Liber I. De re paterna, Liber II. De corpore virginis, Liber III. Supplementum pro definiendo immaculato conceptu, Liber IV, Lyon 1627, dort das Imprimatur nach dem Prolog. Im Ausmaß geschlagen wird Pozas ‚Elucidarium‘ noch von Laurentius Chrysogonus, Mundus Marianus. Maria Speculum Mundi Archetypi seu Divinitatis, Wien 1646, und dessen Kompagnon, id., Mundus marianus, hoc est Maria speculum mundi caelestis, Padua 1651, mit zusammen mehr als 2000 Seiten, die ein majestätisches Symbolsystem entfalten. Poza, Elucidarium Deiparae (1626) (nt. 100), fol. Av, übernommen in der zweiten Auflage am Ende des Prologs. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber I, Tractatus I–XVII, (nt. 101), 1–340. Ibid., Liber II, Tractatus VI–XIX, 492–817. Ibid., Liber III, Tractatus V–XVI, 887–1058. Ibid., Liber II, Tractatus I–IV, 413–478, Liber IV, Tractatus I–VIII, 1088–1250. Ausführliche Betrachtungen zum ehelichen Leben Annas und Joachims waren in mariologischen Traktaten nicht unüblich, als Beispiel Géronimo Pérez de Nueros, Lapidicina sacra, ex qua eductus primarius lapis sanctissima Virgo, beatorum Ioachimi, et Annae filia, Iosephi sponsa, Dei mater in gloria splendoribus concepta, opus in tres tractatus diuisum, Tractatus I, Lyon 1678, 1–153. Als volkssprachliche Variante unter vielen möglichen Beispielen später Johann Ziegler, Die großund wunder-herrlich machende Mutterschafft. Das ist: Anna, eine dreymal herzlich- und Wunder-grosse Mutter Maria, der Gebährerin Gottes, in einer Lob-Red vorgestellt, Wien 1760, dort sogar unter Rückbezug auf Pozas ‚Elucidarium‘ 17 sq.

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bensgeschichte Mariens hatten sich im Jesuitenorden schon andere bemüht 108. Viele anatomische Überlegungen sollte man auch nach Poza noch bei anderen Mariologen, gerade aus dem Orden der Franziskaner, lesen dürfen. Genannt sei nur der später auch indizierte Angelo Volpi aus Neapel, der eine rigide scotistische Position vertrat 109, doch auch der lactatio der Jungfrau noch einfühlsame Betrachtungen schenken konnte 110, oder der ebenfalls in Süditalien ansässige Juan Serrano, der mit Blick auf den idealen Körper Mariens zu bemerkenswert alchemistischen Bildern greift und der Metapher der quinta essentia 111. Auch der Kamillianer Giovanni Battista Novati, der mit seiner tausend Seiten starken zweibändigen Schrift ‚De eminentia Deiparae Virginis Mariae‘ Poza in dem Willen, keine noch so periphere Frage unbeantwortet zu lassen, mindestens gleichkam, traktiert kurz nach dem spanischen Jesuiten einen erheblichen Teil der Schwierigkeiten, die auch Poza behandelt hatte, ohne sich freilich zu dessen Schlüssen hinreißen zu lassen 112. Vincenzo Fassari, ein sizilianischer Jesuit, widmet dem vorgeburtlichen Leben des Erlösers und der Interaktion des Embryos mit seiner jungfräulichen Mutter im Jahre 1646 darüber hinaus eine mehr als

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Unter vielen monumentalen Marienleben als Beispiele aus dem Jesuitenorden Cristóbal de Castro, Historia Deiparae Virginis Mariae ad veritatem collecta et veterum partum testimoniis comprobata accurateque discussa, Madrid 1605, Juan Bonifacio, Historia virginalis de beatissimae Mariae perpetuae Virginis matris praepotentis Dei vita et miraculis, Paris 1605; entlang des Kirchenjahres Antonius de Balinghem, Ephemeris seu Kalendarium SS. Virginis Genetricis Dei Mariae, Douai 1629; Antonio Fernandez, Vida da santissima Virgem Maria, May de Deos, Lissabon 1652, oder danach mit enormer Detailfreude im Jahrestakt Giovanni Battista Canelotti, Annales Mariani, quibus historia SS. Virginis Mariae Dei Genitricis in singulos annos distribuntur et oppositis subinde rerum humanarum successibus illustrantur, Rom 1661. Angelus Vulpes, Sacrae theologiae summa Ioannis Duns Scoti et commentaria, vol. 3, pars IV, disp. 77, a. 8 Neapel 1631, 399–403. Ibid., pars IV, Disputatio 82, a. 5, 478 sq. Juan Serrano, De immaculata prorsusque pura, sanctissimae, semperque virginis genitricis Dei Mariae conceptione libri quinque, Liber IV, c. 2, Neapel 1635, 447 sq. Giovanni Battista Novati, De eminentia Deiparae Virginis Mariae semper immaculatae (2 voll.), Bologna 1632–39, dort zur Embryologie der Gottesmutter mit den gleichen Schlussfolgerungen wie Poza vol. 1, c. 3, q. 7, 54–57. Novati, der sein Werk vermutlich zeitlich parallel zu Poza verfasst hatte, erwähnt den Spanier nicht. Zu vergleichbaren Katalogen waren zur selben Zeit auch die Franziskaner imstande, als Parallele e. g. mit erheblichem medizinischem Detailwissen, wenn auch ohne embryologische Diskurse der Minorit Giovanni Maria Zamoro, De eminentissima Deiparae Virginis perfectione libri tres, in quibus primum generatim de summa illius praestantia, deinde vero singillatim de ipsius virtutibus, Venedig 1629, Liber II, c. 29–31, 226–248, oder weniger spekulativ in spanischer Sprache Francisco de Rojas, Eluzidario de las grandezas de la Virgen Maria, eluzidario de las Santas Virgenes y Martires, que como damas de la Reyna de los Angeles salen acompañandola, Madrid 1643, Consideraciones en alabanza de la Virgen, Pregunta I–II, 31–34. Die sofortige Beseelung und gnadenfähige Ausformung der Madonna in instanti stand im Franziskanerorden weitgehend außer Zweifel, auch wenn ihre Vertreter nicht ins Detail gingen, cf. dazu Luis de Miranda, Defensio pro inmaculata Sacrae Deiparae Virginis conceptione, ab omni prorsus originali labe, q. 33, Salamanca 1626, 683–687, und vorher schon sein Ordensbruder Bernhardino del Busti, Mariale de singulis festivitatibus Beatae Virginis per modum sermonum tractans, Prima pars, Sermo IX, Rom 1525, fol. 36r sq.

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dreihundertseitige Abhandlung, die allerdings, wie es scheint, Sizilien nie verlassen sollte 113. Poza leitet sein Werk mit einer Warnung an den Leser ein, die in der zweiten Auflage noch einmal erweitert wird. Das Werk verstand sich als ein Experiment, es wollte innovativ sein. Nicht mehr die alten ausgetreten Wege wollte er gehen, so Poza, mit den Aposteln und Vätern im Rücken, galt es nun, aus den alten Autoritäten und Maximen neue Erkenntnisse zu Tage zu fördern. Gäbe es in der Geschichte der Menschheit den Mut zur Innovation nicht, so Poza, noch immer würde man nackt in einer Höhle sitzen und sich von Eicheln ernähren. Seit elf Jahrhunderten dominierte eine scholastisch-aristotelische Theologie, die von Kommentar zu Kommentar, von Kompilation zu Kompilation weitergetragen wurde und, so Poza, nur Bekanntes illustrierte und nachahmte, statt neue Erkenntnisse zu präsentieren. Wer wollte den Acker heute noch mit den Gerätschaften bestellen, die ihm ein Columella oder Cato empfohlen hatten? Die Argumente und Gedankengänge, die er nun vorlegen wollte, hatten, wie Poza unterstreicht, Wahrscheinlichkeitscharakter. Wer aber von den Theologen der Vergangenheit hatte, wenn es um die Gottesschau, die Engel oder die Inkarnation ging, eine völlig stichhaltige Argumentation vorlegen können? Vielleicht erwartete ein Leser jetzt Entertainment, eine seltsame Blütenlese oder Geschichten aus dem Kaukasus. Um Frivolitäten, rhetorischen Bombast oder gar Objekte, so Poza, die nur die bloße Neugier befriedigten, sollte es im Folgenden aber nicht gehen. Im Zentrum standen die Vernunft und ihre Schlussfolgerungen. Nur sie konnte in der Lage sein, die Leiblichkeit Christi und den Körper Mariens, Gegenstände der scientia naturalis, angemessen zu behandeln 114. In der Frage nach dem möglichen Einfluss der Madonna während der Empfängnis entscheidet sich Poza, wie vielleicht zu erwarten, für das Modell des Galen. Maria hatte, wie sich Poza ausdrückt, die Funktion eines matripater, eines Muttervaters, eingenommen. Selbst wenn Pozas Vergleiche dabei etwas manieristisch ausfallen, bleibt die Grundlage seiner Argumentation scotistisch. Schon die Heiden hatten Aphrodite oder die Mondgöttin Luna als ‚Muttervater‘ angesprochen, Synesios Maria in seinen Hymnen als solchen gepriesen 115, Theologen wie 113

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Vincenzo Fassari, Meditationi dell’infantia, pueritia, eta provetta di Christo Nostro Signore, cominciando dalla Santissima Incarnatione sino alla sua predicatione, divise in dieci parti, Palermo 1646, dort die Parte seconda delle meditationi della prima dimora di Christo Nostro Signore nel ventre della SS. Vergine, doppo l’istante della sua Concettione e de’ varii affetti della Vergine al Santissimo Figlio, e del Figlio alla Beatissima Madre. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Prolog, (nt. 101), s. p. Ibid., Liber II, Tractatus V, c. 1, 479–481, dazu für Poza e. g. Plutarch, De Iside et Osiride, in: id., Moralia, ed. F. C. Babbitt (15 voll.), Cambridge, Mass. 1985, vol. 5, griechisch und englisch, 126–129, und Synesius, Hymni metrici, 2, ed. H. Flach, Tübingen 1875, 7, 63. Ausgearbeitete Vergleiche der Madonna mit paganen Göttinnen waren mit Blick auf Maria als luna nicht unüblich, als Beispiel unter vielen Arnošt z Pardubic, Mariale, sive liber de praecellentibus et eximiis SS. Dei genitricis Mariae supra reliquas creaturas praerogativis, 6, Prag 1651, s. p.; Juan de Cartagena, Homiliae catholicae de sacris arcanis Deiparae Mariae et Iosephi, II, 5, Paris 1616, 178–188, und unter den Jesuiten auch Marcantonio Capece, Discorsi dell᾿eccellenze di Maria Vergine beatissima, II, Neapel 1630, 264–283, und Theophile Raynaud, Nomenclator Marianus,

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Anselm, Hugo von Sankt Viktor oder Guerric von Igny schließlich auf den Eigenanteil der Madonna noch großen Wert gelegt 116. Die Natur zeigte, so Poza, dass die zeugende Kraft der Mutter über die bloße causa materialis noch hinausging. Pflanzen waren nicht auf ein festes Form-Materie-Verhältnis angewiesen, um sich zu reproduzieren. Bei manchen Vogelarten wie dem Geier war das Männchen zum Ende überflüssig, wie selbst Kirchenväter nicht bestritten hatten 117. Ärzte wie Francesco Valles hatten sogar behauptet, eine Frau, die über eine ideale Synkrasie verfügten, wäre der Theorie nach auch ohne Mann imstande, einen Embryo hervorzubringen 118. Die Zeugungslehre des Aristoteles war seit Galen widerlegt, auch Maria musste daher als spermatisches Prinzip durch einen concursus efficiens direkt an der Zeugung des Erlösers beteiligt gewesen sein. Hatten nicht, wie Poza glaubt, auch Autoritäten wie Augustinus von Irland oder Petrus Damiani eine vergleichbare Einschätzung der Madonna mitgetragen? Hatte nicht Leone Hebreo in seinem ‚Dialogus de amore‘ festgehalten, Weisheit und Liebe würden sich in der vollkommenen Mutter vereinigen, um die Welt hervorzubringen? Gott hatte eine junge und fruchtbare Frau ausgewählt, damit sie an der Bildung des Gottmenschen Anteil hatte; die Inkarnation musste Maria daher das Höchstmaß an Ehre eintragen 119. Für Poza schließt sich hier eine Kritik an, die den, wie er glaubt, zwanghaften Aristotelismus seiner Vorgänger

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e titulis selectionibus quibus B. Virgo a SS. Patribus honestatur contextus, Lyon 1639, s. v. luna, 33 sq. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber II, Tractatus V, c. 2, (nt. 101), 481–483, dazu für Poza Hugo von Sankt-Viktor, Epistola de virginitate Marie, c. 2 (Patrologia Latina 176), col. 872, B– D; Eadmer von Canterbury, Liber de excellentia virginis, c. 4 (nt. 6), 562, C–D, und Guerric von Igny, Sermo I de annuntiatione, 4, edd. J. Morson/H. Costello, Guerric d᾿Igny, Sermons, vol. 2 (Sources Chrétiennes 202), Paris 1973, 114–119. Einen wertvollen Überblick über animalische Vergleiche in der mittelalterlichen Behandlung der Jungfrauengeburt gibt noch immer M. van der Lugt, Christus en de wormen. Natuurhistorische ‚feiten‘ in de middeleuwse geleerde discussies over de maagdelijke verwekking van Christus, in: Tijdschrift for Geschiedenis 109 (1996), 163–180. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber II, Tractatus V, c. 3, (nt. 101), 483 sq., dazu für Poza mit Blick auf den Geier e. g. Ambrosius, Exameron, 5, 20, 64, ed. C. Schenkl (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 32), Prag 1897, 188; Isidor von Sevilla, Etymologiae, 12, 7, 12, ed. W. M. Lindsay, vol. 2, Oxford 1962, s. p.; zu den doppelgeschlechtlichen Pflanzen für Poza e. g. Theophrast, De causis plantarum, II, 10, 1–3, edd. B. Einarson/G. K. K. Link, Cambridge Mass. vol. 1, 1976, 280–285, zur spontanen Generation eines Embryos bei idealer Synkrasie Franciscus Valles, Controversiarum medicarum et philosophicarum libri, II, 7, Frankfurt 1590, 69–71. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber II, Tractatus V, c. 4, (nt. 101), 485 sq., dazu für Poza Augustinus Hibernicus, Liber de mirabilibus sacrae scripturae, III, 2 (Patrologia Latina 35), Paris 1845, 2195, oder Petrus Damiani, Briefe, 36, ed. K. Reindel, vol. 1, München 1983, vol. 1, 343 sq., und Leone Hebreo, Dialogus de amore, in: J. Pistorius (ed.), Artis cabalisticae, hoc est reconditae theologiae et philosophiae scriptorum tomus 1, Liber III, Basel 1587 (Neudruck Frankfurt am Main 1970), 508 sq. Einen ähnlichen Autoritätenkatalog liefert im Anschluss noch Pozas Ordensbruder Juan de Cardenas, Geminum sidus Mariani diadematis, sive duplex disputatio de infinita dignitate Matris Dei atque de eius gratia habituali infinita simpliciter, disp. 1, c. 6, Lyon 1673, 43–48, der sich ebenfalls unter Rückgriff auf die Franziskaner und Petrus Damiani für einen aktiven concursus der Madonna ausspricht. Poza wird von de Cardenas in diesem Werk nicht erwähnt, doch verteidigt ihn de Cardenas an anderer Stelle durchaus, dazu nt. 183.

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in den Blick nimmt. Warum hatte man hatte man Maria auf die Rolle einer Stofflieferantin reduziert und der Würde des Aristoteles offensichtlich mehr Recht eingeräumt als der Ehre der Madonna? Warum hatte man, so betont es Poza mit den Franziskanern, Maria die Attribute der wahren Mutterschaft verweigert 120? Schuld war eine seit dem Hochmittelalter bestehende scholastische Abschreibetradition gewesen, die dem Stagiriten gegen alle Vernunft, aber auch gegen die gesunde platonische Verachtung eines Augustinus, Clemens von Alexandrien oder Basilius, eine Monopolposition eingetragen und auch dafür gesorgt hatte, dass Galen gegenüber Aristoteles das Nachsehen hatte. Nicht zuletzt der fatale Einfluss der arabischen Philosophie, vor allem des Averroes, war hier, so Poza, ausschlaggebend gewesen 121. Die zweite fundamentale Entscheidung Pozas betraf den Körper der Jungfrau. Für seine embryonale Genese mussten die gleichen Bedingungen gelten, die Suárez für den Erlöser in Anspruch genommen hatte. Durchgehend folgt Suárez hier seinem Ordensbruder Jakobus von Granada, der die gleiche These neun Jahre vorher in seinem Traktat zur Empfängnis Mariens verteidigt hatte 122. Jakobs Werk offenbart auch, dass Poza mit seinen Argumenten weniger allein war, als es auf den ersten Blick schien und er in seinem Orden Unterstützer hatte. Dass der Gottesmutter während ihrer irdischen Existenz jede Alterserscheinung und jede organische Unzulänglichkeit fremd waren, stand schon aufgrund ihrer idealen Synkrasie außer Zweifel. Die Madonna hatte sich, wie Poza weiß, auch niemals die Haare oder Fingernägel schneiden müssen 123. Doch war auch Maria wie der Erlöser sofort mit einer rationalen Seele ausgestattet worden und einem miniaturhaft idealen Leib, der schon im Moment der Empfängnis über alle Vollkommenheit verfügte? Schon Pozas Ordensbruder Fernando de Salazar hatte diese Frage in seiner wiederholt aufgelegten Abhandlung zur Unbefleckten Empfängnis breit diskutiert und positiv beantwortet, wenn auch ohne Ausführungen zur konkreten Embryologie 124. Poza und Jakobus von Granada wussten, 120 121 122

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Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber II, Tractatus V, c. 5, (nt. 101), 487–489. Ibid., Liber II, Tractatus V, c. 6, 489–493. Jacobus von Granada, De Immaculata Beatae Virginis Dei Genitricis Mariae conceptione sive de singulari illius immunitate ab originali peccato, per Jesu Christi filii eius cumulatissimam redemptionem, disp. 3, c. 2, s. 1–3, Sevilla 1617, foll. 44r–49r. Die starke Abhängigkeit Pozas von Jacobus von Granada war schon früh erkannt worden, cf. Fidelis Mazzola, De Beata Virgine disputationes historico-theologicae, c. 2, a.1, Turin 1845, 31–34. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus I, c. 1–4, (nt. 101), 818–848. Drei der umfangreichsten jesuitischen Autoritätenkataloge zur körperlichen Vollkommenheit der Madonna, die auch Poza auswertet, finden sich in Bibelkommentaren, nämlich bei Jean Lorin, Commentaria in libros Psalmorum, vol. 1, Psalm 44, V. 3, Lyon 1623, 873–877; Sebastian Barradas, Commentaria in concordiam, et historiam quatuor Euangelistarum, VI, c. 9–10, Lyon 1611, 312–319, und Blasius Viegas, Commentarii exegetici in Apocalypsin Joannis Apostoli, c. 12, 2, s. 3–12, Köln 1617, 545–566. Auch die Frage nach der conceptio immaculata hatte in diesem Format ausführlich diskutiert werden können, dazu als von den Jesuiten gern zitiertes älteres Beispiel Jacobus de Valentia, Expositio in cantica ferialia et evangelia, nec non in cantica canticorum Salomonis, Venedig 1586, In Canticum Virginis, 1101–1108 und öfter. Fernando Quirino de Salazar, Defensio pro immaculata Deiparae Virginis conceptione, c. 32, § 4, (zuerst Madrid 1618), Paris 1625, 281–290.

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dass die vorgeburtliche Karriere Mariens für die Mehrzahl der Theologen gleichwohl noch unspektakulär ausgefallen war. Augustin oder Ildefons hatten das ungeborene Leben der Madonna nicht mit Sonderattributen belasten wollen. Mittelalterliche Theologen wie Anselm von Canterbury oder Heinrich von Gent, aber auch weniger geläufige Aszetiker oder Mediziner wie Guillaume Pépin, Pedro de Peramato oder Thomas de Villanova hatten sich mit Nachdruck für eine unspektakuläre pränatale Lebensphase der Gottesmutter ausgesprochen. Wenn Maria, so das erwartbare Argument, nach dem gleichen Modus wie der Erlöser in die Existenz getreten war, wäre sie am 8. Dezember, dem Tag ihrer Empfängnis, im Vollbesitz ihrer Vernunft gewesen; ein perfekter, wenn auch kleiner Körper hätte sie bereits ausgezeichnet. Ihre Geburt hätte dann bereits am 29. Juni stattfinden können und nicht am 8. September, wie im Festkalender 125. Die gleichen Schwierigkeiten, die Suárez für die Empfängnis Christi konstatiert hatte, betrafen dann auch die Heilige Jungfrau. Es gab keinen Anlass, die Anzahl der Wunder über den erforderlichen Rahmen hinaus zu vermehren 126. Die rationale Beseelung geringfügig zu verzögern und sechs Stunden auf die Zeugung folgen zu lassen, bot unter dieser Voraussetzung, wie auch Poza zugesteht, keinen Ausweg 127. Dennoch sprach einiges für eine Komplettausstattung des Embryos. Schon die mittelalterlichen Theologen, Anselm oder, wie Poza behauptet, Petrus Hispanus, hatten gefordert, Maria auch mit Blick auf die Empfängnis keine denkbare theologische Ehre zu verweigern. Die ‚Legenda aurea‘ hatte in einer auch später noch oft zitierten Episode geschildert, wie die Heilige Jungfrau Helsinus von Reims durch einen Gesandten in einer Vision beauftragt hatte, die Empfängnis 125

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Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus II, c. 2, (nt. 101), 852–856, dazu für Poza e. g. Augustinus, De diversis quaestionibus octoginta tribus, 56, ed. A. Mutzenbecher (Corpus Christianorum Series Latina 44A), Turnhout 1975, 95 sq.; Heinrich von Gent, Quodlibet 15, q. 13, edd. G. Etzkorn/G. A. Wilson (Opera Omnia 20), Leuven 2007, 76–113, und vermutlich Ps.-Anselm von Canterbury, Homilia de salutatione Beatae Virginis Mariae (Patrologia Latina 149), Paris 1882, 577–584, hier 579–580, C–D; dazu als Mediziner Pedro de Peramato, Opera medicinalia: De elementis, De humoribus, De temperamentis, alia insuper utilissima traduntur opera quae novo titulo et libri principio comprehenduntur, Sanlucar 1576, dort der Liber de hominis procreatione, Appendix, foll. 99r–100r, und aus der Homiletik Wilhelm Pépin, Sermones de imitatione sanctorum, pro illorum diebus festis, qui toto anno in ecclesia celebrantur, Venedig 1589, dort Sermo de conceptione Beatae Virginis, foll. 21r sq., Thomas von Villanova, Conciones sacrae in Dominicas anni et Festa (2 voll.), Brixen 1603, dort Sermo III de nativitate Virginis, 19 sq., und Ps.-Johannes Gerson, Sermo de conceptione virginis Mariae (Opera 2), Paris 1606, 730–742, hier 731. Ähnlich auch, wie schon Suárez wusste, hatten es Vertreter der klassischen Marien-Dichtung gesehen, so bei Baptista Mantuanus, Parthenice prima sive Mariana continens vitam actusque sacros beatissimae virginis Mariae dei genitricis, I, Leipzig 1515, fol. A5r. Zur Frage nach der sofortigen Ausgestaltung des pränatalen Leibes später noch einmal ausführlich gegen Jacobus von Granada Tirso Gonzalez de Santalla, Tractatus theologicus de certitudinis gradu, quem, infra fidem, nunc habet sententia pia de immaculata B. Virginis conceptione, disp. 2, s. 20, Dillingen 1690, 134–138. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus II, c. 3, (nt. 101), 856 sq.

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Mariens zu feiern und ihr alle Ehren zukommen zu lassen, die auch der Geburt Mariens gebührten. War damit nicht gesagt, dass die Jungfrau mit dem Zeitpunkt ihrer Zeugung schon in kompletter Perfektion ins Leben getreten war? Ein vergleichbares Szenario, eine sofortige Vollkommenheit der vorgeburtlichen Madonna, konnte die Theologie also auf seiner Seite wissen. Es war, so Poza, für Maria nicht zumutbar, über einen auch noch so kurzen Zeitraum nur als ungeformte, blubbernde Masse und als flüssige Substanz existiert zu haben 128. Alle Schlussfolgerungen, die Suárez für Christus gezogen hatte, betrafen daher auch Maria. Wer immer bereit war, Christus eine solche Serie von Mirakeln zuzugestehen, musste auch im Fall seiner Mutter dazu bereit sein. Ein Gott, der die Sonne für Joshua anhalten konnte, war auch dazu in der Lage. Der Schöpfer hatte den ersten Blutstropfen der Madonna mehr geliebt als jeden anderen menschlichen Körper 129. Maria war ohne jeden zeitlichen Vorlauf in Vollendung ausgestaltet worden, ohne vegetabile Phasen oder die Option einer Rationalität, die ihr erst später eingeflößt worden wäre 130. Die sofortige Organisation des Embryos und seine Beseelung aber hatten, wie gesehen, zur Folge, dass auch die Geburt Mariens beschleunigt hätte erfolgen können. Auch hier hatte Suárez den richtigen Weg eingeschlagen. Maria war direkt nach der Zeugung perfekt proportioniert gewesen, wenn auch nur so groß wie eine Biene; das Wachstum hatte die nachfolgenden neun Monate in Anspruch genommen. Eine verfrühte Geburt wäre zwar organisch möglich gewesen, aber hätte zugleich, wie es scheint, eine monströse Natur angenommen 131. Selbst der Option einer Miniaturmadonna, die in filigraner Perfektion noch außerhalb des Mutterleibes hätte genährt werden müssen, kann Poza etwas abgewinnen, auch wenn unser Jesuit seine Hypothese, die sogar ihm etwas kühn erscheint, sogleich wieder verwirft 132. Maria war also im Mutterleib schneller gewachsen als gewöhnlich und hatte den Leib der Anna in vollkommener Gestalt hinter sich gelassen. Hatte die Heilige Birgitta von Schweden, deren ‚Revelationes‘ durch ihr Augenzeugen128

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Ibid., Liber III, Tractatus II, c. 4, 857–861, und auch Jacobus von Granada, De Immaculata Beatae Virginis Dei Genitricis Mariae conceptione, disp. 3, c. 2, s. 3, (nt. 122), foll. 47r–49r, dazu für Poza Jacobus de Voragine, Legenda aurea, vulgo historia lombardica dicta, 189, ed. T. Grässe, Dresden 1846 (Neudruck Osnabrück 1969), 878 sq. Der Verweis war beliebt, als Parallele cf. Manoel dos Anjos, Triumpho da Sacratissima Virgem Maria Nossa Senhora concebida sem peccado original, IV, 6, Lissabon 1638, fol. 265r sq. Eine entsprechende Passage aus einem Traktat ‚De conceptione virginis‘ des Petrus Hispanus lässt sich nicht ausfindig machen, auch wenn die Referenz – aus Poza? – in Predigten repetiert wird, so bei Michele Calvo, Assunti sopra i Vangeli della quaresima Parte Seconda, Sabbato della Domenica quinta, Assunto I, 16, Venedig 1650, 410. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus II, c. 6, (nt. 101), 861–865. Ibid., Liber III, Tractatus II, c. 6–7, 865–872. Auch die im Jesuitenorden entstandenen und mit reichlich visionärem Material angereicherten Viten der Anna und Joachims hatten von einer beschleunigten Schwangerschaft nichts wissen wollen, cf. dazu Carl Stengel, Joacimus et Anna, id est Mariae Deiparae Virginis parentum, Iesu Christi Domini Deique nostri avorum vitae Historia, 6–7, Augsburg 1626, 48–64. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus III, c. 1, (nt. 101), 873–876.

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tum bei den Verteidigern der Unbefleckten Empfängnis eine zentrale Autorität genossen 133, Maria in einer ihrer Visionen nicht gefragt, warum sie nicht früher zur Welt gekommen war 134? Poza war sich im Klaren, dass viele seiner Ordensbrüder, nicht zuletzt Gabriel Vázquez, für Maria eine reguläre Genese vorgesehen hatten 135. Dass Pozas Hypothese trotzdem nicht extravagant, sondern konsensfähig war, zeigt sich nicht zuletzt darin, dass ein vergleichbarer vollrationaler und vollbewusster marianischer Miniatur-Embryo noch mariologische Lehrgedichte aus dem 18. Jahrhundert bevölkerte 136, mochten diese Werke nun gelesen worden sein oder nicht, und er auch sonst im Jesuitenorden nach Poza noch viele, weitaus weniger spektakuläre Verteidiger finden sollte 137. Dennoch war Poza noch einen Schritt weiter gegangen; aus der aktiven Funktion der Madonna im Zeugungsakt, ihrem formierenden Einfluss auf den Leib Christi und auch ihrer anschließenden Ernährung des Erlösers ließ sich noch eine weitere Konsequenz ableiten. Der von den Franziskanern beschworene und von Suárez durchgehend abgelehnte mütterliche concursus hatte noch eine weitere Auswirkung. Ich fasse den Gedankengang Pozas kurz zusammen, er betrifft die Eucharistie und die Rolle, die der Körper Mariens in ihr spielen musste. Franziskaner wie Bernhardin von Siena, so beginnt Poza, hatten bereits vorsichtig angedeutet, dass die Kontinuität der menschlichen Natur Christi in der Transsubstantiation auch Maria miteinbeziehen musste. In Brot und Wein der Eucharistie waren Fleisch und Blut des Hei133

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Ähnlich breit herangezogen wird Birgitta bei Ambrosio de Peñalosa Mondejarense, Vindiciae Deiparae virginis de peccato originale et debito illius contrahendi, disp. 9, c. 6, Antwerpen 1650, 362–369, und auch schon beim weit verbreiteten Juan Bautista Lezana, Liber apologeticus pro Immaculata Deiparae Virginis Mariae Conceptione, 14, Madrid 1616, foll. 63v–67v, oder bei Juan Perlin, Apologia scholastica, sive controversia theologica, pro Magnae Matris ab virginali debito, immunitate, d. 8, c. 3, Lyon 1630, 487–492. Perlin teilt die Mehrzahl der Autoritäten Pozas, dehnt seine Schlussfolgerungen jedoch nicht auf die Physiologie der Madonna aus. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus III, c. 2, (nt. 101), 876–879, dazu Birgitta von Schweden, Revelationes, V, 10, 3, Antwerpen 1611, mit dem Kommentar des Gonsalvus 833 sq. und in der modernen Standardausgabe Birgitta von Schweden, Revelaciones Book V, 10, 3, ed. B. Bergh, Uppsala 1971, 124. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus III, c. 3, (nt. 101), 879–882, dazu Vázquez, Commentaria, disp. 117, c. 9, (nt. 14), 39 sq. Manuel de Oliveira de Ferreira, Poema epicum de conceptione Beatae Mariae, II, V. 27, Coimbra 1749. Eine detaillierte Verteidigung der sofortigen und vollständigen rationalen Beseelung Mariens im Embryonalzustand, inklusive ihrer körperlichen Vorbedingungen, liefert e. g. Francisco Garau, Maria Deipara elucidata theologiae placitis, Lyon 1688, Triumphus VIII, § 1, 177–179, und vor ihm Johannes Eusebius Nieremberg, De perpetuo obiecto festi immaculatae Conceptionis Virginis, Valentia 1653, c. 30, §§ 2–3, 246–272. Ausführlich und bejahend äußert sich Nieremberg auch zur Frage, ob sich diese Erkenntnisse, wie ja auch Poza glaubte, durch Visionen bestätigen lassen, dazu id., Opera parthenica de super-eximia et omni-moda puritate Matris Dei. Opus novum ac eximium, in quo quidquid ad sacram Deiparae conceptionem defendendam afferri potest, doctissime expenditur et enucleatur, Lyon 1659, Dissertationes epistolicae, Epistola XIV, 386 sq., dazu noch einmal Diego de Avendaño, Problemata theologica (4 voll.), Antwerpen 1668, dort, Prolusio Apologetica, vol. 1, § 19, 32–34.

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lands auf eigene Art und Weise enthalten 138. Maria war von Anfang an von den Vätern, von Augustin, Ambrosius, Ireneus, aber auch Petrus Damiani als Speise der Gnade und als geistige Ernährerin der Menschheit angesprochen worden 139, als wahres Brot und wahre Milch 140. Aus ihrem Blut war der Leib des Erlösers geformt worden, sie hatte ihn 276 Tage lang im Mutterleib herangezogen, dann hatten ihre Brüste ihn, wie auch andere jesuitische Zeitgenossen betont hatten 141, über einen längeren Zeitraum ausschließlich mit ihrer exquisiten jungfräulichen Milch versorgt 142. Der Leib Christi hatte also schon aus diesen Gründen ein hohes Maß an marianischer Körpersubstanz miteingeschlossen. Nicht zuletzt die langen Haare des Heilandes, so behauptet Poza, hatten diese Körpersubstanz enthalten, Jesus hatte sie auch deshalb nicht geschnitten 143. Aus dem gleichen Grund hatte Christus, wie Poza noch hinzufügt, auch die Tunika, die er von seiner Mutter als Geschenk erhalten hatte, niemals von sich gegeben 144. 138

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Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus XVII, c. 1–2, (nt. 101), 1059–1064, dazu für Poza von Bernhardin von Siena der Sermo de superadmirabili gratia et gloria Beatae Mariae Virginis, in: Bernhardin von Siena, Opera quae extant omnia, ed. P. Rodolphus (3 voll.), Venedig 1591, vol. 1, Nr. 61, 510–526, allerdings scheinbar ohne die von Poza zitierte Passage, und der Tractatus de Beata Virgine, in: Opera, vol. 2, 75–134, dort Sermo I, 75–81, c. 1, dort in der Tat die von Poza zitierte Stelle 78. Die lange Vorgeschichte der Rolle der lactatio in der Mariologie rekonstruiert e. g. K. Schreiner, „Deine Brüste sind süßer als Wein“. Ikonographie, religiöse Bedeutung und soziale Funktion eines Mariensymbols, in: G. Jaritz (ed.), Pictura quasi fictura: Die Rolle des Bildes in der Erforschung von Alltag und Sachkultur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Wien 1996, 87–127. Petrus Damiani war im 17. Jahrhundert zu einer zentralen Autorität innerhalb der Immakulistenkontroverse geworden, dazu auch Ippolito Marracci, Purpura mariana seu De purpuratis patribus eminentissimis S. R. E. Cardinalibus pietate in Mariam Deiparam Virginem eminentibus liber unus, § 13, Rom 1654, 353–365. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus XVIII, c. 1, (nt. 101), 1064–1067, dazu für Poza e. g. Augustinus, Ennarrationes in Psalmos, 98, 1, edd. E. Dekkers/J. Fraipont (Corpus Christianorum Series Latina 39), Turnhout 1956, 1378; Irenaeus von Lyon, Adversus haereses, 4, 38, 1, ed. A. Rousseau, Irénée de Lyon, Contre les hérésies Livre IV, Tome II (Sources Chrétiennes 100), Paris 1965, 946. Andrès Pinto Ramirez, Deipara ab originis peccato praeservata, opus cathedris, et suggestibus non inutile, Anthologia III, § 78, Lissabon 1642, 41–43. Ramirez’ Werk enthält ähnlich lange Kataloge der körperlichen Attribute Mariens wie das ‚Elucidarium‘ Pozas – der Jesuit ist sich etwa sicher, dass Maria grüne Augen hatte –, Ramirez teilt jedoch nicht Pozas Schlussfolgerungen. Ähnlich auch von Seiten des Karmeliterordens José de Jesús María, Historia de la Virgen Maria, nuestra señora, con la declaracion de algunas de sus excellencias, I, 44, Antwerpen 1657, 173 sqq., der allerdings § 4, 175, nicht wie Ramirez und andere für tiefes Smaragdgrün plädiert, sondern für color glauco, que es mixto de verde y blanco. Ausgiebig mit der Kontinuität des Blutes befasst sich später noch José de la Cerda, Maria effigies revelatioque Trinitatis et attributorum Dei, Academia I, Sectio VIII, Lyon 1662, 29–35, natürlich ebenfalls ohne die entsprechenden Ableitungen. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus XVIII, c. 2, (nt. 101), 1067–1069. Ibid., Liber III, Tractatus XIX, c. 1, 1069 sqq. Ibid., Liber III, Tractatus XIX, c. 2, 1071 sq., dazu für Poza mit Blick auf die Trierer RockReliquie Jacobus Middendorp, Academiarum celebrium universi terrarum orbis libri VIII, partim recens conscripti, partim ita locupletati, ut plane novi videantur, Liber V, Köln 1602, 288–290.

Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier

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Unser baskischer Jesuit wusste natürlich, dass Schweiß, Abrieb und Stoffwechselvorgänge, so minimal sie bei Christus auch ausgefallen waren, die Kontinuität der Körpersubstanz seit der Geburt fragwürdig werden ließen; ein Dilemma, auf das schon viele Scholastiker hingewiesen hatten, aber auch zeitgenössische Mediziner. Nach der Auferstehung wurde der Leib jedoch aus dem alten Körper wiederhergestellt und das verlorene Blut zurückerstattet, wie auch Suárez bestätigt hatte. Dazu kam, wie Poza noch hinzufügt, dass Christus nur 33 Jahre alt geworden war, der Materialverlust sich also in Grenzen gehalten hatte 145. Christus musste demnach einen erheblichen Teil der Körpersubstanz seiner Mutter durch das mütterliche Blut und die Milch Mariens in sich getragen und auch nach seiner Auferstehung bewahrt haben. Offenbarten nicht schon, so Poza, die Milchreliquien der Gottesmutter, die die Heilige Kirche noch immer unter ihren Schätzen verwahrte, wie die Substanz der Muttermilch der Geschichte getrotzt hatte? Demonstrierte nicht auch das praeputium Dei, dass dem Erlöser auch die Körperteile, die ihm scheinbar abhandengekommen waren, entweder wieder zurückerstattet wurden oder sie an den Thesaurus der Kirche fallen mussten 146? 145

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Zu den weitläufigen Diskussionen über die leibseelische Kontinuität in der Auferstehung, den Verbleib des Blutes und anderer Körperresiduen in der Theologie der Frühen Neuzeit, die Poza repetiert und die hier nicht mehr zusammengefasst werden, die Studien von B. Roling, Light from within – the debate on the glorified body in Jesuit theology: Francesco Suárez, Adam Tanner and Rodrigo Arriaga, in: D. Heider (ed.), Cognitive psychology in Early Jesuit Scholasticism, Neunkirchen 2016, 122–156; id., Die Rose des Paracelsus: Die Idee der Palingenesie und die Debatte um die natürliche Auferstehung zwischen Mittelalter und Neuzeit, in: P. J. Smith/ K. A. E. Enenkel (eds.), Zoology in Early Modern Culture. Intersections of Science, Theology, Philology and Political and Religious Education, Leiden 2014, 263–297; id., Narben und Blut: Die körperliche Vollständigkeit des auferstandenen Christus zwischen Mittelalter und früher Neuzeit, in: R. Toepfer/T. Bulang (eds.), Heil und Heilung. Die Kultur der Selbstsorge in der Kunst und Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Heidelberg 2020, 81–104, und vor allem Sander, Außengrenzen (nt. 27), passim; zu ihrer mittelalterlichen Vorgeschichte außerdem H. J. Weber, Die Lehre von der Auferstehung der Toten in den Haupttraktaten der scholastischen Theologie von Alexander von Hales zu Duns Scotus, Freiburg 1973, 125–158. 217–253; R. Heinzmann, Die Unsterblichkeit der Seele und die Auferstehung des Leibes. Eine problemgeschichtliche Untersuchung der frühscholastischen Sentenzen- und Summenliteratur von Anselm von Laon bis Wilhelm von Auxerre, Münster 1965, 6–146; C. Walker Bynum, The Resurrection of the Body in Western Christianity, 200–1338, New York 1995, 229–278, und mit Blick auf Durandus T. Jeschke, Eine lateinische eschatologische Skizze: Durandus von St. Pourçain (gest. 1334) und die Identität des Auferstehungsleibes, in: Archiv für mittelalterliche Philosophie und Kultur 12 (2006), 122–139. Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus XX, c. 1, (nt. 101), 1072–1076, dazu für Poza zur organischen Kontinuität Peter von Blois, Tractatus de sacrosanctis sacramenti eucharistiae mysteriis, (Patrologia Latina 207), Turnhout s. a., coll. 1135–1154, c. 1, col. 1138, D, mit Blick auf die Milchreliquien, die in Toledo und anderen spanischen Städten verwahrt wurden, e. g. Lucio Marineo, Opus de rebus Hispaniae memorabilibus, Liber V, Madrid 1533, fol. 32r, zum praeputium Christi cf. Innocentius, De sacro altaris mysterio, IV, 30 (Patrologia Latina 217), Paris 1889, 876 sq.; Birgitta von Schweden, Revelationes, IV, c. 112 (nt. 134), 525, in der modernen Ausgabe ead., Revelaciones. Liber VI, 112, ed. B. Bergh, Stockholm 1991, 272, und tatsächlich auch Titus von Bostra, in: Victoris Antiocheni In Marcum et Titi Bostrorum Episcopi In Evangelium Lucae commentarii, c. 2, ed. Theodor Anton Peltanus, Ingolstadt 1580, 355 sq.

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Der Schluss lag auf der Hand: In jeder Hostie musste sich ein hoher Anteil an Körperlichkeit auch der Heiligen Jungfrau finden lassen. Die kontinuierliche Substanz ihrer Augen, Wangen, Eingeweide und Brüste war in Christus mitbewahrt worden, weitaus reicher, als die Speisen, die der Heiland später noch zu sich genommen hatte 147. Das marianische Blut war in die Venen Christi gelangt, aus ihm waren die Knochen und Zähne geformt worden, die Christus bewahrt hatte, selbst wenn die Muttermilch verdaut und ausgeschieden worden war 148. Das entscheidende Argument verdankte sich den Überlegungen der Franziskaner, die Maria einen aktiven Part in der Ausgestaltung des Embryos zugedacht hatten. Maria hatte den Körper Christi durch ihre rationale Seele als Prinzip mitgeformt und, wie jede Mutter, durch die Kraft ihrer Seele eine identitas carnis mit dem Kind hervorgerufen 149. Über die Inkarnation war ein Teil ihres Leibes in den Leib des Erlösers mitaufgenommen worden. Der Christ verehrte die Reliquien der Heiligen, weil sie als Überbleibsel ihrer Körper einst von der Kraft ihrer Seele herangebildet worden waren. Umso mehr musste diese Verehrung der Hostie gebühren. Christus war, wie Poza noch einmal betont, nicht nur aus dem Körper der Madonna geformt worden, sondern von ihr, gemeinsam mit dem Heiligen Geist. In der Natur formte der Same die Pflanze, die aus ihm hervorging, als vitales Prinzip heran, ein Vogel belebte das Ei in seinem Körper durch seine vegetative Seele 150. Mit gleichem Recht waren das Fleisch und Blut der Eucharistie also auch das Produkt der Heiligen Jungfrau, ja die Seele Mariens war dem Leibe Christi und seiner Seele sogar noch vorangegangen; der eucharistische Körper des Gottessohnes, so Poza, war vom spiritus rationalis der Madonna mit Leben erfüllt worden. Die Liebe des Erlösers zu seiner Mutter hatte den 147 148

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Poza, Elucidarium (1627), Liber III, Tractatus XX, c. 2, (nt. 101), 1077 sq. Ibid., Liber III, Tractatus XX, c. 3, 1078 sq.; ibid., Tractatus XXI, c. 3, 1083–1085; zur Persistenz des mütterlichen Blutes im Körper des Kindes für Poza cf. André du Laurens, Historia anatomica humani corporis singularum eius partium multis controversiis et observationibus novis illustrata, VIII, 34, Paris 1600, 419 sq.; zu seiner besonderen Anwesenheit in den Zähnen und den Knochen cf. Garcia del Orta, Disputationes medicae super libros Galeni de locis affectis, et de aliis morbis ab eo ibi relictis, XXXIII, 1, Madrid 1605, 565–570, und dazu Aristoteles, Historia animalium, III, 7, 516a–516b, edd. H. Aubert/F. Wimmer, Aristoteles Thierkunde, vol. 1, Leipzig 1868 (Neudruck Frankfurt am Main 1992), 332–337. Poza, Elucidarium(1627), Liber III, Tractatus XXI, c. 1, (nt. 101), 1079 sq., dazu als bereits grob aus dem Kontext gerissene Autoritäten für Poza e. g. Peter von Blois, Sermo I de adventu, ed. J. Busaeus, Mainz 1600, 308, und Peter von Celle, Liber de panibus, 7, (Patrologia Latina 202), Turnhout s. a., 965, B. Poza, Elucidarium (1627), Liber III, Tractatus XXI, c. 2, (nt. 101), 1080 sq., dazu für Poza noch einmal zur belebenden Rolle des Samens Aristoteles, De generatione animalium, II, 4, 740a– 740b (nt. 28), und ergänzend zum weiblichen Samen Cristobal de Vega, Liber de arte medendi, I, 2, Madrid 1580, fol. 16r–21r, und Archangelus Piccolomini, Anatomicae praelectiones, explicantes mirificam corporis humani fabricam, I, 3, Rom 1586, 11–14, und dazu Alkuin, De fide sanctae et individuae trinitatis, III, 9, edd. E. Knibbs/E. A. Matter (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 249), Turnhout 2012, 103 sqq., wenn auch nicht wörtlich, und, wie Poza glaubt, tatsächlich auch sein Ordensbruder Alonso Salmeron, Commentarii in Evangelicam historiam et in Acta Apostolorum, vol. 3: De infantia et pueritia nostri Domini, Tractatus IX, Madrid 1602, 99–103.

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Tod und seine Auferstehung überdauert und war in jeder Hostie noch immer gegenwärtig. Leichter war es dabei für den Heiland gewesen, im Grab Seele und Leib voneinander zu lösen, als sich von jenem Mutterblut zu trennen, das ihn in gloriam virginis ausgezeichnet hatte. Maria hatte dem Wachs die Form verliehen, in das die Seele Christi als Siegel gedrückt worden war 151. 2. Kritik und Zensur und Verteidigung des Werkes Poza hatte seine Thesen als Innovation deklariert. Es bleibt offen, ob die ersten Leser, die dem Werk das Imprimatur verliehen hatten, wirklich bis zu Seite 1059 vorgedrungen waren. Dass die Argumentation Pozas einer Logik folgte, die seine Zeitgenossen vorgegeben hatten, hatte sich gezeigt. Dass mit Pozas Thesen und seinem dogmatischen Experiment dennoch eine rote Linie überschritten war, muss wohl nicht mehr hervorgehoben werden 152. Hier war jemand eine Spur zu neugierig gewesen. Die nachfolgenden Ereignisse sind so bemerkenswert, dass sie schon deshalb, anders als die Schriften Pozas, bereits im 19. Jahrhundert in der spanischen und italienischen Sekundärliteratur aufgearbeitet wurden und seitdem immer wieder Aufmerksamkeit gewinnen konnten 153. Sie waren in weiten Teilen ebenso singulär wie erklärungsbedürftig. Die Unterlagen der nachfolgenden Verfahren existieren noch in Madrid, die Briefkorrespondenzen und Einlassungen des Ordens sind zum Teil schon im 18. Jahrhundert in entsprechenden Sammlungen gedruckt worden 154. Einer ersten Gelehrtenge151 152

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Poza, Elucidarium (1627), Liber III, Tractatus XXI, c. 2, (nt. 101), 1081–1083. Beispiele für die Zensur von philosophischer Literatur im Jesuitenorden vor 1600 gibt der sehr materialreiche Beitrag von C. Sander, Uniformitas et soliditas doctrinae: History, Topics, and Impact of Jesuit Censorship in Philosophy (1550–99), in: C. Casalini (ed.), A Companion to Jesuit Philosophy on the Eve of Modernity, Leiden 2018, 34–71. Ausführlich zur Antwort der Inquisition auf Poza und zu den Ereignissen, die unten geschildert werden, H. C. Lea, Chapters from the Religious History of Spain connected with the Inquisition. Censorship of the press, mystics and illuminati, Endemoniadas, el santo Niño de la guardia, Brianda de Bardaxí, Philadelphia 1890 (Neudruck New York 1967), 104–107; D. Martínez Moreno/M. Peña Diaz, El jesuita Juan Bautista Poza y la censura, in: V. Lavenia/G. Paolin (eds.), Per Adriano Prosperi: Riti di passagio, storie di giustizia, Pisa 2011, 159–170; P. Manning, Voicing dissent in seventeenth-century Spain. Inquisition, social criticism and theology in the case of El Criticón, Leiden 2009, 134–136, und kurz auch noch J.-R. Armogathe, Juro me docturum ac lecturum doctrinam Augustini: Le serment de Salamanque (1627), in: M. Meste Zaragozá/J. Pérez Magallón/P. Rabaté (eds.), Augustin en Espagne (XVIe–XVIIIe siècles), Toulouse 2015, 127–135, hier 133; in diesen Arbeiten auch die Hinweise auf die im Escorial noch verwahrten Prozessakten, Einlassungen bei der Inquisition und die noch vorhandenen Korrespondenzen. Eine konsternierte Erwähnung des Kasus findet sich auch schon bei Claude Fleury/Dominicus Ziegler/Alexander von Johannes vom Kreuz, Historia ecclesiastica, vol. 69, § 34, Augsburg 1782, 108–112. Cartas de algunos PP. de la Compaña de Jesus, in: Memorial histórico español: colección de documentos, opúsculos y antigüedades que publica la Real Academia de la Historia 13 (1861), 14, 231; 14 (1862), 74, 397; 15 (1862), 112. 437; 17 (1863), 83; 18 (1864), 100, und aus den Briefen des Jesuitengegners Juan de Palafox y Mendoza id., Obras del Ilustrissimo Don Juan de Palafox y Mendoza, vol. 11, Madrid 1762, 213. 560.

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neration wurde der baskische Jesuit zu einem Paradigma der Renitenz und vielleicht auch der Beharrlichkeit. Sein Fall war so bemerkenswert, dass auch Protestanten wie Hermann Conring in Helmstedt oder Leibniz ihn zur Kenntnis nahmen 155, wenn auch unter dem Verdikt einer monstrosa mariomania 156. Schon der notorische Jesuitenfeind Caspar Schoppe schildert die Nachwirkungen Pozas in seinen ‚Räncken der Jesuiten‘; sie waren ein Beleg dafür, dass nicht einmal die Kurie die Gesellschaft Jesu bändigen konnte 157. Protestantische Arbeiten zur katholischen Zensur sollten sich der Auseinandersetzungen, die sich in den folgenden Jahren anschlossen, ebenfalls mit großer Detailfreude annehmen 158. Im April 1628 wird Pozas ‚Elucidarium‘ auf den Index gesetzt, mit der ausdrücklichen Forderung, vor allem die letzten hier genannten Gedankengänge einer Korrektur zu unterziehen. Maria fungierte nicht als Teil der Eucharistie. Poza korrigiert sein Werk nicht, sondern beginnt noch im gleichen Jahr einen von seinem Orden in Madrid tolerierten, wenn nicht gar unterstützten publizistischen Kampf, um sein Buch zu retten. Die Armada der nun in kürzester Zeit entstandenen Schriften ist schwer überschaubar, weil sie zum Teil nur handschriftlich kursierte. Sommervogel nennt in seiner Jesuitenbibliographie mindestens ein Dutzend Manuskripte 159. Eine erste achtzigseitige gedruckte Vertei155

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Leibniz und Landgraf Ernst von Hessen-Rheinfels: ein ungedruckter Briefwechsel über religiöse und politische Gegenstände, ed. C. von Rommel, Frankfurt am Main 1847, vol. 1, 363 (1683); Hermann Conring, Examen rempublicarum potiorum totius orbis, ed. J. W. Goebel (Opera Omnia 4), Braunschweig 1730, dort in der Landesbeschreibung Spaniens § 1, 85. Auch protestantischen Abhandlungen zur Unbefleckten Empfängnis konnte die Gestalt Pozas zur besonderen, klischeebeladenen Angriffsfläche werden, wenn auch meist nur noch aus zweiter Hand, e. g. Zacharias Hogel, De immaculata conceptione solius Domini nostri Jesu Christi, Virginis vero Deiparae, Mariae, caeterorumque mortalium omnium, peccato originali maculata, adversus Romanam Ecclesiae heterodoxiam, I, §§ 7–8, Arnstedt 1656, 14–17; Johann Adam Schertzer/ Andreas Goldbach (resp.), De conceptione maculata an Immaculata? B. Virginis Mariae Deiparae dissertatio theologica, § 23, Leipzig 1673, foll. Dv sq. Gleiches galt für dogmatische Theologen aus dem lutherischen Lager, wenn sie auf die scheinbaren Exzesse der katholischen Mariologie zu sprechen kamen, e. g. Johann Adam Osiander, Systema theologicum seu theologia positiva, Pars II, a. 57, § 9, Tübingen 1691, 317 sqq. Der wichtigste Verfasser eines Empfängnis-Traktates in Helmstedt, der zum Irenismus geneigte Friedrich Ulrich Calixt, geht nicht mehr weiter auf Poza ein, cf. id., B. Mariae Virginis immaculatae conceptionis historia, Helmstedt 1696, ebenso wie auch der sehr gut informierte Johannes Andreas Schmidt, Prolusiones Marianae X. Notabiliora sive vera sive ficta ab auctoribus antiquioribus et recentioribus de Beata Maria passim notata exhibentes, Prolusio I, Helmstedt 1733, 1–18. Hermann Conring in einem Brief an Johann Christian von Boineburg aus dem Jahre 1662, abgedruckt in: Commercii epistolici Leibnitiani: ad omne genus eruditionis, praesertim vero ad illustrandam integri propemodum seculi historiam literariam apprime facientis, ed. J. D. Gruber, Hannover–Göttingen 1745, dort aus den ‚Anecdota Boineburgica‘, Nr. 238, 707–712, Zitat 710. Caspar Schoppe, Alphonsi de Vargas von Toleto Erzehlung der Räncke, Betrügereyen und Politischen Griffe der Jesuiten, wodurch sie eine Monarchiam über die gantze Welt auffzurichten gedencken, c. 57–58, Voigtland 1675, 240–252. Daniel Francke, Disquisitio academica de papistarum indicibus librorum prohibitorum et expurgandorum, in qua de numero, autoribus, occasione, contentis, fine, damnis et jure indicum illorum disseritur, §§ 75–77, Leipzig 1684, 86–89; ibid., § 187, 205 sqq. Sommervogel/de Backer/de Backer, Bibliothèque (nt. 98), vol. 6, 1135–1142.

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digungsschrift Pozas erhielt Papst Urban VIII. wohl schon im Jahr der Indizierung 160, eine weitere im Umfang von 370 Seiten folgte gleich im Anschluss 161. Massiv beruft sich Poza hier nicht nur auf einen Katalog von Autoritäten, nicht zuletzt auf Suárez und verteidigt seine Grundideen, sondern artikuliert auch massive Zweifel an der Rechtmäßigkeit von Indizierungen und kurialen Zensurverfahren überhaupt. Er war nicht bereit, so Poza, etwas an seinem Werk zu ändern, das Urteil einer Gruppe von Kardinälen, die nicht über ausreichend theologische Ausbildung verfügten, hatte keine Bedeutung. Er stand in seiner Lehre, so ein später gerne wiederholtes Zitat, fest, wie ein Fels im Sturm. Wenn überhaupt, so hatte ein Verfahren gegen ihn in Spanien selbst stattzufinden 162. Ebenfalls schon im Jahre 1629 lässt Poza einen spanischen Traktat folgen, der die, wie er glaubte, viel zu oft in den Hintergrund gedrängte Philosophie der Franziskaner Bonaventura und Duns Scotus noch einmal zur Lektüre empfehlen sollte und sich deutlich an seine thomistischen Gegner in Salamanca richtete 163. In den ersten zwei Jahren gelang es der Kurie offensichtlich nicht, in Spanien ausreichend Instanzen gegen Poza zu mobilisieren und ihre Zensur durchzusetzen. Poza hatte zwischenzeitlich ungerührt in Madrid die Vorlesungstätigkeit wieder aufgenommen und insistierte am Katheder auf der Bedeutung der paganen Wissenschaften, der Medizin, Astronomie und Naturwissenschaft, um die Lehren der Bibel mit Bedeutung zu füllen 164. Als weiterer Faktor, der das Vorgehen gegen Poza offensichtlich blockierte, war die notorische Rivalität zwischen Jesuiten und Dominikanern dazugekommen. Auch von letzteren, die vor allem 160

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Juan Bautista Poza, Sanctissimo Domino nostro Urbano Papa octavo, supplicem libellum pro causa tomi primi Elucidarii, (1628?) s. l. Diesem Werk waren schon eine eigene handschriftliche ‚Apologia‘ vorangegangen und ein ‚Prooemium defensionis Elucidarii‘, verwahrt heute in der ‚Biblioteca de Castilla-La Mancha‘, cf. Sommervogel e. a., Bibliothèque (nt. 98), Nr. 5, 1137. Juan Bautista Poza, Sanctissimo Domino D. N. Urbano Papae octavo, cognatio cantabrica, in causa iudiciali tomi primi Elucidarii (1628?) s. l. Der Orden orchestrierte die Appellation Pozas mit begleitenden Erklärungen, die die Diskussion kurialer Befugnisse mit Blick auf Indizierungen mit Material unterfüttern sollten, abgedruckt in: Joseph de Seabra da Silva, Collecção das provas que forão citadas na parte primeira, e segunda da Deducção chronologica, e analytica, Lissabon 1768, 207–210. 211–246. Poza, Sanctissimo Domino […] cognatio cantabrica (nt. 161), c. 3–7, foll. 17r–31r. Juan Bautista Poza, Memorial por la Religion de San Francisco, en defensa de las dotrinas del serafico dotor san Buenauentura, del sutilissimo dotor Escoto, y otros dotores classicos de la misma religion, sobre el juramento que hizo la Uniuersidad de Salamanca, de leer, y enseñar tan solamente la dotrina de san Agustin, y santo Tomas, excluyendo las demas que fuessen contrarias, Madrid 1629, dort zu Scotus a. 1, §§ 1–3, foll. 2v–20v. In die gleiche Richtung war schon ein Pamphlet Pozas gegangen, das er 1625 veröffentlicht hatte, dazu id., Memorial a los Iuezes de la verdad, y Doctrina. Porque aviendo llegado a esta Vniversidad de Salamanca vnos papeles muy pios, y catolicos, acerca de la autoridad de los Doctores, algunos los han depravado, añadiendo, y quitando clausulas, o palabras de los verdaderos exemplares, s. l. 1625, mit nur wenigen Seiten. Juan Bautista Poza, Primeras lecciones que por la catedra de Placitis philosophorum y por las de los maestros ausentes hizo en la primera fundacion de los Reales Estudios del Colegio de la Compañia de Iesus de Madrid, Madrid 1629, dort bes. §§ 1–4, foll. 1r–12v.

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in Salamanca ansässig waren, hatte man sich in der Gesellschaft Jesu scheinbar keine Ratschläge erteilen lassen wollen. Schließlich verfügte Poza über einen Protektor, den Herzog von Olivares, der ihn zumindest zu Beginn vor weiteren Zugriffen schützte 165. Im Jahre 1632 beantwortete die Kurie Pozas Weigerung, seine Thesen zurückzunehmen, mit dem vollständigen Verbot aller seiner Werke, vor allem natürlich des ‚Elucidarium‘ und der Traktate, die er dazu noch nachgereicht hatte. Zu diesem Zeitpunkt schien Poza mit dem Anliegen gerungen zu haben, als Missionar nach Japan zu gehen, verblieb aber, auch weil er die Martyrien-Praxis seines Ordens kritisch sah, in seiner spanischen Heimat 166. Wieder geschah vor Ort trotz intensivster Bitten des päpstlichen Nuntius nichts, dann erreichten nach längeren Einlassungen papsttreue Theologen wie Juan del Espino und Francesco Roales Muñoz, dass ein Verfahren der Inquisition gegen Poza eröffnet wurde. Falsche Schlussketten, schändliche Lügen, Ignoranz gegenüber den Konzilien der Kirche, eine Beschädigung der Heiligen Jungfrau und krasser Ungehorsam gegenüber der Kurie gehörten hier zu den Vorwürfen 167. Auch dieses Verfahren schleppte sich dahin, Poza stellte seine Lehrtätigkeit nicht ein, ja traf sich unter völlig kuriosen Umständen incognito mit seinen Gegnern und führte sie in Maskerade vor. Eine 160 Seiten starke, unter Pseudonym veröffentlichte Abhandlung aus dem Jahre 1636 aus der Feder Pozas versuchte darüber hinaus, begleitend zu den laufenden Anklagen, die Legitimität kirchlicher Zensurverfahren in Frage zu stellen. Der Theologe, gerade auch der Jesuit, so beharrt Poza, hatte das Recht, durch vorsichtiges Abwägen, durch stetes An, Quasi, Forsan, Videtur Vorschläge zu machen. Gerade die Größen des Ordens, Suárez oder Vázquez waren so vorgegangen, wenn sie über Engel oder die Inkarnation spekuliert hatten 168. 165

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Ein gutes Porträt des Gaspar Guzman, Condé de Olivares, der auch Diego Velázquez gefördert hatte, liefert J. Huxtable Eliott, The Count-Duke of Olivares: The Statesman in an Age of Decline, New Haven 1986, zur Unterstützung Pozas durch den Herzog ibid., 427; mit Blick auf Poza und Olivares P. Leturia, Relaciones entre la Santa Sede e Hispanoamérica, vol. 1, Caracas 1959, 376 sq.; C. A. de la Barrera y Leirado, Poesias de D. Francisco de Rioja, Madrid 1867, 55– 61. Das Interesse Pozas an Japan dokumentiert ein Manuskript des Jesuiten, das ‚En defensa de nuestros Mártires de Japón‘ überschrieben ist, dazu G. Marino/M. López Forjas, Un manuscrito inédito del P. Juan Bautista Poza, SJ: Apología de los Mártires de Jápon (1557–1628), in: Estudios eclesiásticos 90 (2015), 75–128, Text 89–128. Francesco Roales Muñoz, Handelung der Ketzerey wider die Societät Jesu, abgedruckt bei Schoppe, Alphonsi de Vargas Erzehlung (nt. 157), 252–265, und id., Entwurf der Lehre Pozas und der Seinigen, abgedruckt ibid., 265–280. Beide Traktate erschienen original in Latein in: Caspar Schoppe, Alphonsi De Vargas Toletani Relatio ad Reges et Principes christianos de stratagematis et sophismatis politicis Societatis Jesu ad Monarchiam orbis terrarum sibi conficiendam, s. l. 1642. Die mutwillige Verdrehung von Synodalbeschlüssen blieb ein Standardvorwurf, cf. e. g. Juan Martínez de Prado, Theologiae quaestiones, morales praecipue, Madrid 1654, c. 15, q. 18, § 2, Nr. 13, 629. Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Summaria collectio ex Conciliis, Decretalibus, Patribus, Scholasticis, Iuris professoribus, et praxi tribunalium, circa examen doctrinarum tam Magistrale, et consultivum, sive Scholasticum, quam authenticum, et iudiciale, sive iurisdictionale, et circa

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Zeitweilig sah es so aus, als würde der Baske völlig rehabilitiert werden. Dazu veröffentlichte Poza unverfroren weiter, obwohl seine Schriften 1640 auch in Spanien endgültig auf den Index gesetzt worden waren 169. Ein Jahr vorher war von Poza noch ein Traktat erschienen, unter Pseudonym 170, der das Recht auf theologische Experimente, Wahrscheinlichkeit und Innovationen verteidigte und der Inquisition in solchen Fällen jede Kompetenz absprach 171, und eine weitere, mehr als dreihundert Seiten umfassende Abhandlung, die noch einmal die Kernthesen des ‚Elucidarium‘ ins Gedächtnis rief und zur Diskussion stellen sollte 172. Nicht nur an der zwar umstrittenen, doch auch von Mitstreitern vertretenen aktiven Rolle Mariens und ihres concursus maternus wollte Poza hier festhalten 173, sondern auch immer noch an der Integration der marianischen Körpersubstanz in die Eucharistie, die durch Milch und Blut erfolgt war 174. Noch eine weitere kurze Apologie konnte sich anschließen, in der Poza daran erinnerte, dass ein erheblicher Teil seiner Lehren auch von Franziskanern wie Filipo Fabri vertreten worden war 175. Nach der vollständigen Indizierung zog ihn der Orden dennoch aus der Schusslinie; man beorderte Poza ins beschauliche Navalcarnero und untersagte ihm offiziell die Veröffentlichungstätigkeit, dann wurde er an das Kolleg in Cuenca nach Kastilien versetzt. Eine weitere Verurteilung unterblieb jedoch, der längst indizierte und mit päpstlichem Lehrverbot belegte Jesuit konnte unverdrossen weiterveröffentlichen. Noch im Jahre 1647 erscheinen of-

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examen probabilitatis opinionum, tam privatae, quam publicae, s. l. 1636, dort Zitat c. 1, fol. 4v sq. Novissimus librorum prohibitorum et expurgandorum index, Madrid 1640, Supplementum, Buchstabe I, Secunda Classis. Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Votum Platonis de iusto examine doctrinarum et de earum probabilitate et de primis instantijs et alijs recursibus praesertim in causis fidei, Zaragoza 1639, dort besonders Tractatus I, c. 1–24, foll. 1r–79v, und mit gleicher Tendenz noch immer Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Relectiones summariae canonicae, de obligatione libellatorum, et testium, et aliorum cooperantium, aut consentientium in calumniis, et de quibusdam erroribus communibus circa naturam opinionis probabilism, collectae a D. Ioanne de Fonte, ex commentariis M. Ioannis Andreae de Pazo, et compendiose propositae, Zaragoza 1646, nur wenige Seiten. Das Recht auf das freie theologische Experiment erschien auch Franziskanern im Anschluss mit Blick auf Poza nicht hinnehmbar, dazu e. g. Franziskus von Sancta Clara, De definibilitate controversiae Immaculatae Conceptionis Dei Genitricis opusculum seu disputatio, Douai 1651, c. 2, 11 sq., 14 sq., und noch einmal Luis Crespi de Borja, Propugnaculum theologicum diffinibilitatis proximae sententiae piae negantis, beatissimam Virginem Mariam in primo suae conceptionis instanti, originali labe fuisse infectam, Valentia 1653, Disputatio II, a. 1, 11–32. Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Tabulae sillabi, in quibus doctrinae, et propositiones historicae, philosophicae, medicae, theologicae, circa praerogativas Deiparae, aut earum confirmationes proponuntur solum recitative, aut inquisitive, aut examinative, aut problematice, aut suspensive, aut praesumptive, aut coniecturaliter, exemplo Aristotelis, et S. Augustini, et gravissimorum Doctorum, qui plurimos libros simili stylo sub formidine scripserunt, Zaragoza 1639, Ibid., Promissa, Pars V, §§ 1–6 (s. p.). Ibid., Promissa, Pars IV, §§ 23–24 (s. p.). Juan Bautista Poza, J. B. Poza de la Compañia de Jesus prepone a V. A. las doctrinas, que en el appendix se expurgan por el orden que en el estan, s. l. 1640, dort § 8 (ohne Seitenzählung).

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fensichtlich in Cuenca weitere Traktate, die Pozas Thesen mit Material unterfüttern sollten, und ein neues Werk zur Unbefleckten Empfängnis 176, die jedoch alle keine große Verbreitung mehr erlangen konnten. Handschriftlich liegen noch etliche weitere Texte vor 177. V. Schlussfolg er ung en: Reze ption und Subtext 1. Ein Schattenriss einer Wirkungsgeschichte Einige Anmerkungen am Ende: Papsttreue Geschichten des spanischen Jesuitenordens haben Poza als einen Verirrten abqualifiziert 178, Andrés de Mañaricua nennt ihn treffender ein Kind seiner Zeit 179. Gelesen wurde Poza durchaus. Schon 1630 war eine Verteidigungsschrift eines Madrider Kollegen und Mediziners, Simón Ramos, zu seinen Gunsten erschienen 180, die vor allem auch Pozas Würdigung der aktiven Rolle der Gottesmutter in der Ausformung Christi in den Blick nimmt 181. Benutzt wird Poza später eifrig von einem Geistesverwandten, dem Zisterzienser Juan Caramuel Lobkowitz 182, auch wenn dieser große Exzentriker unter den barocken Denkern das ‚Elucidarium‘ in seinem eigenen ‚Liber Mariae‘ nicht erwähnt 183, aber auch von Vertretern seines eigenen Ordens, 176

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Zu den letzten Werken, die ich nicht einsehen konnte, gehören unter anderem Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Index doctrinarum pro Deipara Petri Galatini Minoritae, maxime circa Immaculatum conceptum, in opere arcanis catholicae veritatis, Cuenca 1647 (Sommervogel [nt. 98], Poza, Nr. 32, col. 1142), und Juan de Antonio Fuente, Index sententiarum Petri de Pereia Augustiniani in libro de conceptione iuxta editionem Limensem 1629, Cuenca 1647 (Sommervogel [nt. 98], Poza, Nr. 31, coll. 1141 sq.), und Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Compendium fusioris tractatus circa declarationem Decreti Romani de titulo Immaculatae Conceptionis, Cuenca 1647 (Sommervogel [nt. 98], Poza, Nr. 33, col. 1142). Sommervogel/de Backer/de Backer, Bibliothèque (nt. 98), vol. 6, 1142, Poza, A–D; dazu im ‘Catálogo Colectivo del Patrimonio Bibliográfico Español‘ noch weitere Manuskripte. Bei einem der letzten, nicht mehr gedruckten Poza-Texte handelt es sich um eine Vita des Heiligen Julian, des Stadtheiligen von Cuenca. Astráin, Historia (nt. 98), vol. 5, 214 sq. Mañaricua, Inmaculada (nt. 98), 156 sq. Simón Ramos, Antipologia adversus calumniatores doctissimi Patris Ioannis Baptistae Poza, Societatis Iesu, Beatae Mariae semper Virginis propugnatoris acerrimi, s. l. 1630, passim, dort noch einmal zu Pozas Einlassungen zur Verdauung Mariens, doch nicht mehr zu Pozas eucharistischen Spekulationen. Ibid., Pars III, foll. 18v–26r. Als Autorität für den leiblichen Einfluss Mariens cf. Juan Caramuel Lobkowitz, De ecclesiae Romanae hierarchia libri decem, Prag 1653, dort aus Poza Disputatio XXXIII, 63, Disputatio XXXIV, 70 sq., und id., Metalogica disputationes de logicae essentia, proprietatibus et operationibus continens, Frankfurt 1654, dort innerhalb der ‚Positiones metaphysicae‘ zur Heiligen Jungfrau, Thesis 16, 79, Thesis 25, 83, und vielleicht nicht zufällig innerhalb der monstra dialectica, Liber IX, a. 14, 451. Id., Maria liber, id est primi Evangeliorum verbi, quod liber est, et angelorum imperatrici ad scribitur dilucidatio, Prag 1652, dort durchaus im Sinne Pozas 57–67 zur Physiologie Mariens. Die Ignoranz Caramuels gegenüber Poza wird selbst zum Gegenstand von Kritik, dazu Juan de

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die ihn, wie sein Zeitgenosse Juan Antonio Velázquez, noch immer in der Schar der jesuitischen Verteidiger der conceptio immaculata führen 184. Velázquez dürfte es später auch gewesen sein, der Poza in seinem Versuch, Maria in die Eucharistie zu integrieren, am nächsten gekommen war. Es war die nährende Milch der Jungfrau gewesen, wie auch Velázquez in vielen Betrachtungen ausgeführt hatte, die Maria im Altarsakrament einen spirituellen Echoraum sicherte und ihr auch in der Eucharistie eine Anwesenheit bescherte. Velázquez freilich war klug genug gewesen, um auf allzu organische Analysen dieses Vorgangs zu verzichten und erwähnt den Namen seines Vorgängers nicht mehr 185. Allein war auch Velázquez mit vergleichbaren Überlegungen nach Poza nicht geblieben, wie sich an Autoren wie den Jesuiten Diego de Celada 186 oder Franciscus Stanislaus Phoenicus 187, oder den Franziskanern Francisco Guerra 188 oder Bernardin de Paris zeigen lässt 189, doch hatten diese Theologen nicht versucht, mit einem Übermaß an medizinischem Detailwissen zu wuchern und sich darüber hinaus über den Mann aus Cuenca als möglichen Gewährsmann ausgeschwiegen. Einer der ersten mariologischen Bibliographen des Jesuitenordens, Ippolito Marracci, preist Poza noch zu seinen Lebzeiten als „vir acris ingenii vigore munitus atque ab eloquentia singulari eruditioneque multiuga celebrandus“ 190. Sein französischer Ordensbruder Pierre Courcier, der mit seinem ‚Negotium saeculorum Maria‘ einen ähnlichen Zweck verfolgt hatte und von Poza regen Gebrauch macht, zieht es mit Blick

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Cardenas, Crisis theologica bipartita, sive disputationes selectae ex morali theologia, in quibus pro votis illustrissimi Ioannis Caramuelis, utque operi eius interrogatorio respondeatur, quam plurimae eius opiniones, et argumentationes ad praefatam crisim vocantur, c. 18, a. 1, Lyon 1670, 96 sq. Juan Antonio Velázquez, Dissertationes et adnotationes de Maria immaculate concepta, IV, diss. 9, ad. 3, Lyon 1658, 368–372, und vorher schon innerhalb der Ordensautoritäten id., Vox haec nunciat omnis Maria Inmaculate concepta, IV, diss. 9, ad. 3, Madrid 1653, 678. Ebenso später auch sein Ordensbruder Johannes Kwiatkiewicz, Primum instans Marianum per gratiam originalem sanctum, seu clarissima et pia sententia de immaculata conceptione Beatae Virginis elucidatio, c. 6, Kalisz 1681, 45 sq. Juan Antonio Velázquez, De augustissimo eucharistiae mysterio sive De Maria forma Dei, pars altera, Valladolid 1656, dort bes. Liber II, Dissertatio I, Annotationes I–IV, 161–178, Dissertatio V, 297–303. Ähnlich auch Pietro Antonio Spinelli, Thronus Dei Maria Deipara, exhibens Divae Matris Angelos Supereminentis Excellentiam, sublimen coeli terraeque Reginae Potentiam, I, 8, Neapel 1695, 123–127. Diego de Celada, Appendix, Judith illustris perpetuo commentario literali et morali, cum tractatu appendice de Judith figurata, idest de Virginis Deiparae laudibus, Appendix, c. 12, § 18, Venedig 1638, 694 sq. Franciscus Stanislaus Phoenicius, Mariae mancipium sive modus tradendi se in mancipium Deiparae virgini, Lublin 1632, 46–50. Francisco Guerra, Maiestas gratiarum ac virtutum omnium deiparae virginis Mariae, vol. 1, disc. 13, frag. 2, p. 2, Sevilla 1659, 270–273. Bernardin de Paris, La communion de Marie, mere de Dieu, recevant le corps de son propre fils en l᾿Eucharistie, Liber I, c. 5, Paris 1672, 27–34 und öfter. Ippolito Marracci, Bibliotheca Mariana, alphabetico ordine digesta et in duas partes divisa, qua auctores, qui de Maria Deiparente Virgine scripsere, cum recensione operum, continentur, Pars I, Rom 1648, vol. 1, 685.

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auf den Inhalt des ‚Elucidarium Deiparae‘ vor, von „multa valde bona, quaedam magis quam par sit, curiosa“ 191 zu sprechen. Ein weiterer Leser Pozas ist der französische Jesuit Theophile Raynaud, der Anselm von Canterbury, die entscheidende Referenz für die Allianz aus Marienkunde und Dialektik 192, herausgegeben hatte und Poza, wie seine wiederholt gedruckte ‚Theologia naturalis‘ zeigt, auch im rationalen Modus seiner Argumentation stark verbunden gewesen war 193. In den moraltheologischen Kontroversen des 17. Jahrhunderts war auch Raynaud zu einem wichtigen Opponenten der Dominikaner geworden. Vertreter des Predigerordens konnten daher auf seine argumentative Nähe zu Poza verweisen, um Raynaud gemeinsam mit seinem Gewährsmann zu diskreditieren 194. Auch Raynaud vertritt mit Blick auf die Mutterschaft Mariens die scotistische Sichtweise 195, während er sich, wenn er auf das vorgeburtliche Leben Christ zu sprechen kommt, eher an Suárez orientiert 196. In seinen ausgreifenden mariologischen Schriften, die nach seinem Tod noch einmal gebündelt herausgegeben worden waren 197, stoßen wir wiederholt auf das ‚Elucidarium‘. Dass Maria den Erlöser in einem einen aktiven concursus mit dem Heiligen Geist gemeinsam hervorgebracht hatte 198, liegt für Raynaud ebenso auf der Hand, wie die sofortige vollrationale Beseelung der Madonna 199. Poza aber kann für den Franzosen auch als Autorität dienlich sein, um die Frage 191

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Pierre Courcier, Negotium saeculorum Maria sive Rerum ad Matrem Dei spectantium, Chronologica Epitome, ab Anno Mundi primo, ad annum Christi millesimum sexcentesimum sexagesimum, Anno mundi 5608, Dijon 1662, 394. Anselm von Canterbury, Opera omnia, ed. T. Raynaud, Lyon 1630, dort in Pars I auch Werke wie ‚De conceptu virginali’ und die ‚Fragmenta variarum tractationum Anselmi de conceptu virginali‘. Theophile Raynaud, Theologia naturalis, sive Entis increati et creati, intra supremam abstractionem, ex naturae lumine, investigatio, Lyon 1622, mit mehreren Neuauflagen. Inkarnation und Geburt des Erlösers werden in diesem Geniestreich der jüngeren Theologiegeschichte nicht behandelt. Ein Auszug aus diesem Werk findet sich besprochen bei B. Roling, Locutio angelica. Die Diskussion der Engelsprache als Antizipation einer Sprechakttheorie in Mittelalter und Früher Neuzeit (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 97), Leiden 2008, 426–432. Vincent Baron, Theologiae moralis summa bipartita, vol. 5: Apologiae libri, IV, s. 4, § 2 Paris 1667, 184–190. Noch dominikanische Lehrbücher des 18. Jahrhunderts benennen Poza mit Raynaud in ihrer Mariologie als Musterbeispiel jesuitischer Exzesse, so Pietro Maria Gazzaniga, Praelectiones theologicae habitae in Vindobonensi universitate, vol. 5, Sectio II, d. 4, c. 14 Venedig 1797 (zuerst 1763), 286. Theophile Raynaud, Christus Deus-homo sive De Deo-homine theologia patrum scholastice examinata et sacris emblematis, allegoriis, et moralibus illustrata, Liber III, Sectio II, c. 3, Antwerpen 1652, 308–313. Ibid., Liber III, Sectio II, c. 5, 332 sqq. und öfter. Theophile Raynaud, Marialia (Opera omnia, tam hactenus inedita, quam alias excusa 7), Lyon 1665. Theophile Raynaud, Diptycha Mariana, quibus inanes Beatissimae Virginis praerogativae, plerisque novis scriptionibus vulgatae, a probatis et veris apud Patres, theologosque receptis, solide et accurate secernuntur, Pars I, Punctum V, Grenoble 1643, 110–113. Ibid., Pars II, Punctum II, 238–241.

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nach dem Menstruationsblut der Jungfrau zu diskutieren 200, um den genauen Tageszeitpunkt der Empfängnis Mariens festzuschreiben 201, und auch um diverse Aspekte ihrer körperlichen Schönheit zu bestimmen 202. Unmittelbar vor seinen dominikanischen Kritikern, die Poza wie der Bibliograph des Predigerordens, Xantes Mariales, mit den härtesten Formulierungen bedacht hatten 203, nimmt Poza im Gefolge Raynauds auch Honoré Fabri in Schutz. Wie Raynaud kann Fabri als Jesuit zu den liberalen Geistern gezählt werden, die Poza nicht als unmittelbare Bedrohung begriffen, sondern mit seiner rationalen Argumentationsform sympathisierten, auch wenn sie seine Schlüsse nicht teilten 204. Selbst wenn er, so Fabri, die Sache Pozas nicht verteidigen wollte, warum hatte man seinen Ordensbruder als satanizans und perfidus hostis Ecclesiae abqualifiziert? War Pozas einziger Fehler gewesen, nicht die Auffassung des Aquinaten vertreten zu haben? Dann hätte man auch Durandus, Bonaventura oder Duns Scotus vor das Tribunal der Heiligen Kirche schleifen müssen 205! Die Meinung der Dominikaner konnte hier kaum alleinige Gültigkeit in Anspruch nehmen. Die große spanische Seherin María de Jesús von Ágreda, die mit ihren Visionen in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unmittelbar in den ImmaculistenStreit ihrer Zeit eingegriffen hatte, hatte in ihrer ‚Mystica Ciudad de Dios‘ eine Lesart des vorgeburtlichen Lebens der Madonna vertreten, die sich wie ein Versöhnungsangebot las, doch Pozas Absolutheitsanspruch eine Absage erteilte 206. 200 201 202 203 204

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Ibid., Pars I, Punctum V, 122 sq. Ibid., Pars I, Punctum II, 95 sq. Ibid., Pars I, Punctum II, 110–113. Xantes Mariales, Bibliotheca interpretum ad universam summam theologiae divi Thomae Aquinatis, Prolegomena adversus novatores, c. 2, Venedig 1660, vol. 1, 10–15. Eine gute Einschätzung Honoré Fabris liefert P. R. Blum, Aristotelianism more geometrico: Honoré Fabri, in: C. W. T. Blackwell/S. Kusukawa (eds.), Philosophy in the Sixteenth and Seventeenth Centuries. Conversations with Aristotle, Aldershot 1999, 234–247. Lodovicus Carterius Vocontius (Honoré Fabri), Iusta expostulatio de P. M. Xantes de Mariales, Ordinis Praedicatorum, Authore Bibliothecae Interpretum ad Summam D. Th. quatuor voluminibus distinctae, Venetiis editae anno 1660, et per antichronismum anno 1638, c. 11, Gergovia 1677, 46–49, und auch id., Apologeticus doctrinae moralis eiusdem Societatis, in qua variis tractatibus, diversorum auctorum Opuscula confutantur, Pars I, dial. 6, Lyon 1670, 118. Vergleichbaren Versuchen brachten die Dominikaner keine Sympathie entgegen, dazu später noch mit erwartbarem Grobianismus Bernardo Maria de Rubeis, De gestis, et scriptis, ac doctrina sancti Thomæ Aquinatis dissertationes criticae, et apologeticae, diss. 27, c. 1, Venedig 1750, 265 sqq. Wie sehr auch die Visionen der María von Ágreda umstritten waren, zeigt die enorme Verteidigungsschrift des Franziskaners Gabriel de Novoa, die nach der zeitweiligen Verurteilung der französischen Fassung der ‚Mística Ciudad‘ im Jahre 1695 notwendig geworden war, dazu id., Palaestra Mariana apologetica, secundo edita, et longe aucta in qua a censura evulgata, quaedam propositiones excertae e primo tomo Mysticae civitatis Dei, edito hispana dialecto a Maria a Iesu, vulgo, de Agreda, et Gallice reddito a Thoma Croset recollecto gallo, Salamanca 1699. Da die französischen Zensoren bei ihrer Verurteilung breit auf den Kasus Pozas verwiesen hatten, war auch de Novoa, Admonitio III, §§ 20–65 (s. p.), genötigt, noch einmal ausführlich auf Poza einzugehen, um die Visionärin von ihm abzugrenzen. Auch María von Ágreda hatte einem cultus deiparae in sacramento altaris zu weitreichende Zugeständnisse gemacht, wie spätere Kritiker bemängelten, cf. zur Verteidigung Diego Gonzalez Mateo, Mystica civitas Dei vindicata ab

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Der Embryo der Gottesmutter war über den Zeitraum der neun Monate auf reguläre Weise ausgefaltet worden, so María, auch wenn die pränatale Jungfrau schon direkt im Moment ihrer Zeugung, „von der göttlichen Liebesbrunst verzehrt“ den „vollkommensten Gebrauch des Verstandes schon wirklich gehabt“ 207 hatte. Auch die vorgeburtliche Durchdringung der göttlichen Mysterien war, wie die spanische Visionärin erfahren durfte, im Fall Mariens erst im Moment ihrer Geburt zu einem Abschluss gelangt und hatte drei Stufen der Vollendung gesehen. Dass Poza, aber auch Jacobus von Granada eine gegenteilige Meinung vertreten hatten und damit widerlegt worden waren, konstatieren die Kommentatoren der María de Jesús von Ágreda durchaus 208. Verteidigt wurde Pozas marianische Embryologie mit direktem Rückbezug zum ‚Elucidarium‘ im Anschluss dennoch auch von einigen späteren spanischen und italienischen jesuitischen Mariologen, so von Cristóbal de Vega 209, dessen ‚Theologia Mariana‘

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observationibus Eusebii Amort, Madrid 1747, e. g. a. 2, § 2, 3 sq., a. 3, § 3, 31 sq., a. 11, § 2, 227 sq., und dagegen Eusebius Amort, Controversia de revelationibus Agredanis explicata cum epicrisi ad earum revelationum vindicias editas a Didaco Gonzalez Matheo et a Landelino Mayr, Augsburg 1749, 68 sq., und als Verteidigung der Seherin wieder Damasius Kick, Revelationum agredanarum justa defensio cum moderamine inculpatae tutelae in qua non solum controversia anti-agredana in controversiam vocatur sed et plurimae difficultates ex theologia Scholastica, positiva et mystica, philosophia et arte critica et examinantur, Regensburg 1750, 192–196, 387– 394. Amorts Replik, id., Nova demonstratio de falsitate revelationum Agredanarum, cum parallelo inter pseudo-evangelia et easdem revelationes, addita excussione novae defensionis Agredanae ab A. R. P. Dalmatio Kick, Augsburg 1751, ging auf Marías Auseinandersetzung mit der Eucharistie nicht mehr weiter ein. Die Visionen waren 1704 kurzfristig auf den Index gesetzt worden, um ein Jahr später wieder zugelassen zu werden. Obwohl Franziskaner, hatte sich Kick mit Blick auf den concursus maternus dennoch den Thomisten angeschlossen, dazu id., Universa Theologia dogmatico-scholastica pro sacrae scientiae studiosis et amatoribus concinnata, vol. 4, t. 1, diss. 3, a. 4, Augsburg 1767, vol. 4, 91–98. María de Jesús von Ágreda, Mística ciudad de Dios, milagro de su omnipotencia, y abismo de la gracia, historia divina y vida de la Virgen Madre de Dios, manifestada en estos ultimos siglos por la misma Señora a su esclava Sor María de Jesús, Primera parte, c. 20, §§ 311–313 (zuerst 1670), Antwerpen 1696, vol. 1, Primera parte, 97 sq., deutsch als dies., Geistliche Stadt Gottes oder Wunderwerk dessen Allmacht und Abgrund der Gnade. Das ist: göttliche Historie und Leben der Mutter Gottes unserer Frauen und Königin Maria, der allerseligsten Jungfrau, Ergänzerin der Schuld Evä, und Mittlerin der Gnade, in diesen letzten Zeiten geoffenbaret durch eben diese göttliche Jungfrau ihrer Dienerin Schwester Mariä von Jesu, Abtissin des Klosters zur unbefleckten Empfängniß in der Stadt Agreda, aus dem seraphischen Orden des Heil. Franciscus. Erster Theil, enthaltend das Leben Mariä von Jesu, den Eingang zu dem Leben der Himmelskönigin Mariä, und die ersten vier Bücher der Stadt Gottes, Erstes Buch, c. 20, §§ 311– 313, Augsburg 1768, 366 sqq. María de Jesús von Ágreda, Mística ciudad de Dios (nt. 207), vol. 3, Primera parte, Nota 34, § 6, 99, und auch in der lateinischen Fassung dies., Mystica civitas Dei: miraculum ejus omnipotentiae et abyssus gratiae, historia divina, et vita Virginis matris Dei, Reginae Dominae nostrae SS. Mariae, ab hac ipsa Domina manifestata ancillae suae Sorori Mariae de Jesu, abbatissiae Conventus Immaculatae Conceptionis in urbe Agredana (3 voll.), Augsburg 1719, vol. 3, Prima pars, Nota 34, § 6, 161. Cristóbal de Vega, Theologia Mariana, hoc est certamina litteraria de Beatissima Virgine Dei genitrice Maria, Palaestra VI, Certamen I–II, Neapel 1653, 201–211.

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ähnlich weitläufig war, oder von Benedetto Plazza 210, der ganz in Vegas Tradition stand, während andere Jesuiten 211, genannt sei Juan de Ulloa, sich in den nachfolgenden Jahren beeilten, sich von vergleichbaren Modellen zu distanzieren und Pozas Namen nicht mehr erwähnten 212. Georges de Rhodes, der als Jesuit ebenfalls die scotistische Position favorisiert, beschließt der Liste seiner Autoritäten 1661 mit einem Mitto Pozam 213. Pedro de Medrano, der es am Kolleg in Lima genauso wie sein Ordensbruder hält 214, zitiert den Mann aus Cuenca durchaus, warnt aber seine Leser davor, gemeinsam mit noster Poza, so de Medrano, noch einmal den Fehler zu machen, Maria als patrimater anzusprechen 215. Für Detailfragen, die außerhalb der Kernthesen des Werkes lagen, ließ sich das ‚Elucidarium‘ trotz seiner Indizierung innerhalb des Ordens offensichtlich bis ins 18. Jahrhundert heranziehen 216, für ähnlich gelagerte Quisquilien konnte es allerdings auch Widerspruch von Jesuiten provozieren 217. 210 211

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Benedetto Plazza, Causa Immaculatae Conceptionis Sanctissimae Matris dei Mariae dominae nostrae, Actus III, a. 3, § 325, Palermo 1747, 303 sq. Eine hilfreiche Würdigung der Mariologie de Vegas liefert José Antonio Riestra, María y la Eucaristia en Cristóbal de Vega, in: Scripta theologica 38 (2006), 753–776, dort allerdings keine Erwähnung Pozas. Juan de Ulloa, Theologia Scholastica, quinque tomis comprehensa, disp. 1, c. 11, Augsburg 1719, 74–79. Georges de Rhodes, Disputationes Theologiae scholasticae, vol. 2, tract. 8, disp. 1, q. 2, s. 2 § 1, Lyon 1661, 197 sq., Zitat 197a. Zustimmend erwähnt wird Poza auch bei Agostino de Angelis, Tractatus theologicus de immaculata conceptione seu praeservatione B. Mariae Virginis, § 56, Puteoli 1661, 62. Pedro de Medrano, Rosetum theologicum scholasticum marianum sive Rosae marianae more scholastico elucidatae reflorescentes e veteri sanctorum patrum paradiso, tract. II, disp. 2, s. 2, subsectio 1–2, Madrid 1702, 39–43. Ibid., tract. 2, disp. 2, s. 1, subsectio 2–3, 36–39, dort direkt zu Poza Subsectio 3, §§ 17–18, 38 sq. Als Beispiele zum Stammbaum der Anna der irische Jesuit Paul Sherlock, Anteloquia in Salomonis Canticorum canticum, ethica pariter et historica, V, 2, Venedig 1639, 171 sq., zum völlig sündenfreien Leben Annas und Joachims mit kritischem Vorbehalt Juan Bautista León, El animado cielo de Maria, San Joaquin y glorioso en su admirable Vida, Madrid 1723, Authoridades, s. v. Poza, zur conceptio immaculata mit Auszügen aus dem ‚Elucidarium‘ Jacinto Bonaventura de Guere, Opusculum deiparae semper Virgini Mariae absque ulla originalis peccati labe conceptae dicatum, Valentia 1672, Tertius Modus, 85, 108, zu Marien-Mirakeln Johannes Dedinger, Hyperdulia Deiparae seu conciones exquisitissimae, in omnia festa Beatissimae Virginis Mariae, verbi Dei Ecclesiasticis, ac sodalitiorum Partheniorum praesidibus apprime proficuae, München 1673, Concio III, 54, oder aus der Feder einer Gruppe von jesuitischen Mariophili zur Darbringung Mariens im Tempel die Praesentatio Beatae Virginis Mariae, eiusdemque in Templo Hierosolymitano conversatio, omnibus Deiparae oblatae amatoribus in solatium, cultoribus in documentum, clientibus in exemplum, Prag 1725, dort ein Auszug aus Pozas ‚Elucidarium‘ Erotema VI, 67. Pozas ausführliche Vita der Heiligen Anna blieb im Verbund mit anderen Werken auch außerhalb des Jesuitenordens von Interesse, als Beispiel die ausgreifende Vita des Karmeliters Hugues de Saint-François, Les grandeurs de sainte Anne, mere de la Vierge Marie et ayeule de JésusChrist, dans tous les estats de sa vie, et dans l᾿origine, et progrez miraculeux de sa devotion en Bretagne pres la ville d‘Auray, Paris 1657, Premier partie, c. 4, 104–114, und öfter. Gabriel de Henao, Empyreologia seu Philosophia christiana de empyreo coelo, Liber VI, Exercitatio XXII, Sectio II, § 42, Lyon 1652, 174, zum Alter Mariens bei der Geburt Jesu, Diego del

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Dass die Abhandlung des Spaniers von Theologen außerhalb der Gesellschaft Jesu bis zum 18. Jahrhundert beißender Kritik unterzogen werden konnte, verwundert kaum 218. Der Blick der Franziskaner blieb dabei, wie es scheint, noch versöhnlich. Ein Minorit und konsequenter Vertreter der galenisch-scotistischen Position wie Maurizio Centini, der Maria und ihrem menstruum in der Ausbildung des Embryos eine denkbar aktive Rolle zugesteht 219, zitiert Poza, als er auf die Zeugung Christi zu sprechen kommt, durchaus zustimmend, stört sich jedoch in der Embryologie an einem Terminus wie matripater und ignoriert, wie kaum anders zu erwarten, die eucharistischen Spekulationen 220. Wer unter den Franziskanern, wie Tomás Francés de Urrutigoiti, die sofortige Beseelung und körperliche Ausbildung des marianischen Embryos ablehnte, musste sich auch von Poza distanzieren 221. Zur besonderen Ironie gehört vielleicht, dass Pozas gynäkologisch-embryologische Sachkenntnisse, selbst wenn man seine Sichtweise der sofortigen rationalen Vollbeseelung des marianischen Embryos als Leser William

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Castillo y Artiga, Alphabetum Marianum posthumum, Aetas, § 59, Lyon 1669, 147 sq. zu Pozas Behauptung, Anna und Joachim würden direkt mit Christus auferstehen, oder Leonardo Peñafiel, Tractatus de Incarnatione Verbi Divini opus posthumum, Disputatio XXIV, Sectio IV, Subsectio III, Lyon 1678, 528, zu Pozas Bestimmung der Rolle Marias im Weltengericht. Peñafiel, Disputatio VII, Sectio VI, 257–259, folgt sonst der Linie, die Suárez vorgegeben hatte und schließt den aktiven concursus Mariens aus. Gabriel de Henao beklagt sich an anderer Stelle darüber, die Kritiker Pozas würden über ihn in einem Tonfall sprechen, als würden sie über Luther oder Calvin reden, dazu Gabriel de Henao, De Eucharistiae sacramento venerabili atque sanctissimo tractatio theologica scholaris diffusa et moralis, Disputatio XII, Sectio IV, Lyon 1655, 171. Als Beispiele der Redemptorist Silvestre de Saavedra, Sacra Deipara, seu de eminentissima dignitate Dei Genetricis immaculatissimae, quae est de illius possibilitate et existentia in ordine ad Dei hominis generationem, Lyon 1655, dort zu Pozas matripater e. g. Disputatio II, Sectio I, S. 20, Sectio IV, 25–27, Disputatio IV, Sectio I, 248, 264 sq., oder noch der Salvatorianer Giovanni Crisostomo Trombelli, Mariae Sanctissimae Vita, ac gesta, cultusque illi adhibitus, per Dissertationes descripta (6 voll.), Bonn 1761–65, vol. 1, Pars I, Dissertatio VIII, dort zu Poza c. 5, 265–272. Wie wunderbar thomistische Geschichtsklitterung unter Ausblendung aller Scotisten funktionieren kann, zeigt der Hinweis eines bayerischen Benediktiners aus dem 18. Jahrhundert, der behauptet, die communis sententia aller Theologen gegen Poza sei es gewesen, dass die formatio des marianischen Embryos successive vonstattengegangen sei, dazu Virgilius Sedlmayr, Theologia mariana, in qua quaestiones de gloriosissima deiparente discutiuntur, Pars I, a. 5, München 1758, 141 sqq. Maurizio Centini, De incarnatione dominica disputationes theologicae, Messina 1637, Disputatio VII, c. 3, 154–166. Ibid., disp. 7, c. 3, 155 sq., 161. Deckungsgleich hält es als Replik auf Poza auch ein Franziskaner wie Carlos del Moral, Fons illimis theologiae scoticae Marianae e paradiso virgineo latices suos ubertim effundens, vol. 1, I, q. 1., a. 4, Madrid 1730, 32–39, dort direkt zum matripater Pozas § 69, 36. Tomás Francés de Uruttigoiti, Certamen scholasticum expositivum argumentum pro Deipara, Sectio VI, Subsectio I, Lyon 1660, 18 sqq. Ähnlich auch in seiner monumentalen Auflistung von Einlassungen Pedro de Alba y Astorga, Sol veritatis, cum ventilabro seraphico, pro candida aurora Maria in suo conceptionis ortu sancta, pura, immaculata et a peccato originali praeservata, Rom 1660, Nr. 307, 866 sq., und innerhalb der Moraltheologie, wenn es um die Taufe von Embryonen, ging, e. g. Girolamo Fiorentini, De hominibus dubiis seu De abortivis baptizandis pia prothesis, disp. 3, s. 8, Venedig 1760, 174 sq.

Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier

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Harveys nicht mehr teilte 222, und das enorme aufgehäufte Detailwissen den Verfasser des ‚Elucidarium Deiparae‘ für Mediziner wie Alonso Carranza interessant machen konnten 223, und selbst ein Lutheraner wie Thomas Bartholin 224, der an der Physiologie der Seitenwunde des Erlösers am Kreuz interessiert war 225, ihn hier vorurteilsfrei als Autorität heranziehen konnte. 2. Maria als Erlöserin? Vieles an Poza bleibt rätselhaft. Erklärungsbedürftig erscheint zum Ende vor allem die eigenartige Nähe seiner Gedanken zu den Theorien des berühmten Häretikers Guillaume Postel, der immerhin auch für einen Moment, im Jahre 1544, sein Glück im Jesuitenorden versucht hatte. Postels denkbar extravaganter Kasus sei nur kurz und kursorisch ins Gedächtnis gerufen 226. Der französische, in seinem Selbstverständnis durchaus katholische Gelehrte, Mystiker und christliche Kabbalist hatte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts eine Christologie und Eschatologie entworfen, die die Madonna in die Nähe einer Weltseele, der anima mundi, gerückt und zu einem kosmischen Prinzip erhoben hatten. Spekulationen, die bei älteren christlichen Kabbalisten wie Aegidius von Viterbo noch synkretistisch angelegt waren und die Terminologie der Sefirotmystik einbezie222

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Mit Nachdruck widerspricht der Annahme, Maria habe in instanti eine vollständig rationale Seele erhalten der tschechische Naturphilosoph Jan Marek Marzi z Kronlandu, Philosophia vetus restituta, III, 3, Prag 1662, 378–381, und vorher schon id., Idearum operatricium Idea sive Hypotyposis et detectio illius occultae virtutis, quae semina faecundat, et ex iisdem Corpora organica producit, Prag 1635, foll. Mm4v–Nn2v. Es gab hier keine Ausnahme. Zur Embryologie Marcis, die ohne Erwähnung Pozas gerade auch die theologischen Debatten um die conceptio immaculata in den Blick nimmt, cf. G. Mocchi, Idea, mente, specie. Platonismo e scienza in Johannes Marcus Marci (1595–1667), Soveria Mannelli 1990, 81–111; Z. Servít, Jan Mark Marci z Kronlandu. Zapomenutý, zakladatel novovĕké fyziologie a medicíny, Bratislava–Prag 1989, dort 144–175. Alonso Carranza, Tractatus novus et accuratissimus de partu naturali et legitimo, ubi controversiae iuridicae, philologicae, philosophicae, medicae discutiuntur, c. 2, § 2, Tours 1629, 56 sqq. Auch Jesuiten griffen hier auf Poza zurück, e. g. mit Blick auf die ‚nutritio‘ Antonio Bernaldo de Quiròs, Opus Philosophicum seu Selectae Disputationes Philosophicae, complectens tractatus octo, Tractatus V, Disputatio 71, Sectio 3, Lyon 1666, 459 sq. Ausführlich zu Bartholins Schrift zur Seitenwunde Christi B. Roling, Blut und Wasser: Thomas Bartholin und der Kreuzestod des Erlösers als medizinische Herausforderung, in: J. A. Steiger/ A. Aurnhammer (eds.), Christus als Held und seine heroische Nachfolge. Zur imitatio Christi in der Frühen Neuzeit, Berlin 2020, 129–148. Thomas Bartholin, De latere Christi aperto, accedit C. Salmasii et aliorum epistolae de cruce, 4, Leiden 1646, 33–38, dazu im Detail Poza, Elucidarium Deiparae (1627), Liber III, Tractatus I, (nt. 101), 819–847. Ausführlich zu Guillaume Postels spekulativer Theologie, die hier nur als optionale Parallele ins Gedächtnis gerufen wird, unter vielen cf. W. J. Bouwsma, Concordia mundi. The Career and Thought of Guillaume Postel (1510–1581), Cambridge Mass. 1957, dort besonders 139–155; W. Schmidt-Biggemann, Geschichte der christlichen Kabbalah, vol. 1, Stuttgart–Bad Cannstatt 2012, 510–657.

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hen sollten 227, waren bei Postel in offenes Freidenkertum umgeschlagen. Mit Christus und Maria existierten bei Postel zwei Erlösungsinstanzen, die als Intellekt und Weltseele auf Universalien und Einzeldinge ausgerichtet waren und auch, wie Postel insistierte, gleichberechtigt in der Eucharistie ihre Entsprechung finden sollten 228. Endgültig ins Surreale glitt das System des Orientalisten ab dem Jahre 1551, als Postel, durch Visionen bestärkt, eine italienische Nonne, die berühmte Mére Jehanne, zu einem weiblichen Messias erklärte, die das mariologische Prinzip fortan neu verkörpern sollte 229. Paternitas und maternitas standen sich nun in Doppelfiguration in Christus und Maria, aber auch in Postel selbst und der neuen weiblichen Inkarnation, der Mutter Johanna, gegenüber. Die leidenschaftliche Verbreitung dieser Lehren, die Postel gerne in Formulierungen fasste, die er der zeitgenössischen Mariologie entnommen hatte, trug dem Franzosen 1555 in Venedig die Verurteilung zum Häretiker ein. Dennoch gelang es Postel, seine Thesen bis zu seinem Tod 1581 in immer neuen Schriften zu proklamieren und zu einem komplexen und aus heutiger Perspektive erstaunlich kohärenten System auszubauen 230. War Poza, der anders als Postel ohne Zweifel durchgehend bei gesundem Verstand war, mit diesen Theorien des französischen Kabbalisten und seiner bizarren Reformulierung der Mariologie vertraut gewesen? Dass er sich nicht explizit auf den längst verurteilten Postel hatte berufen können, muss nicht weiter erklärt werden. Dass Poza selbst kein Bedürfnis hatte, die katholische Dogmatik implodieren zu lassen, liegt auf der Hand. Poza war 227

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Allgemein zur Rolle der Mariologie bei Aegidius von Viterbo, cf. G. Javary, Recherches sur l’utilisation du Theme de la Sekina dans l’apologetique chretienne du Xvème au XVIIIème siecle, Lille–Paris 1978, 501 sq. 519 sq. Als Beispiel Aegidius von Viterbo, Scechinah e Libellus de litteris hebraicis, ed. F. Secret, vol. 2, Rom 1959, 261 sqq. Unter vielen Einlassungen Postels e. g. Guillaume Postel, Panthenosia. Compositio omnium dissidiorum circa eternam veritatem aut verisimilitudinem versantium, Basel 1547, 13. 16 sq. 70. 94 sq.; dazu id., De nativitate Mediatoris ultima, nunc futura et toti orbi terrarum in singulis praeditis manifestanda opus, Basel 1547, 75. 77 sq., 166 sqq. Zur ‚Mutter Johanna‘, Postel und den nachfolgenden Ereignissen cf. M. Leathers Kuntz, Guillaume Postel. Prophet of the Restitution of All things. His Life and Thought, Den Haag 1981, 69– 142; dazu Bouwsma, Concordia mundi (nt. 226), 155–164; Javary, Recherches (nt. 227), 486– 490; Y. Petry, Gender, Kabbalah and the Reformation. The Mystical Theology of Guillaume Postel (1510–1581), Leiden 2004, 95–116. Unter vielen Werken Postels zur Dichotomie von Intellekt und Weltseele im Heilsgeschehen, zum weiblichen Erlöser als Materialprinzip und zur Analogie eines mariologischen Messias cf. Guillaume Postel, Restitutio omnium conditarum per manum Eliae prophetae terribilis, ut fiat in toto mundo conversio perfecta, Paris 1552, dort bes. foll. 45r–46v. foll. 49r sq. foll. 58v sq.; id., Apologia pro Serveto Villanovano, de anima mundi, sive de ea natura, quae omnino necessaria est, gedruckt in: Johann Lorenz von Mosheim, Versuch einer unpartheischen Ketzergeschichte (2 voll.), Helmstedt 1746–48, vol. 2, dort bes. 466, 471; id., La nouvelle Eve Mere du Monde, in: id., Apologies et Rétractations, ed. F. Secret, Niewkoop 1972, 39–44, und id., Les très merveilleuses victoires des femmes du noveau-monde, Paris 1553 (Neudruck Genf 1970), 19 sq. 39 sq. Ein Überblick über Postels Schechina-Spekulationen findet sich jetzt auch bei B. Roling, Die Heilige Jungfrau, die Weltseele und die natürliche Kausalität. Christlich-kabbalistische Auslegungen der Schechinah bei Guillaume Postel und seinen Vorgängern, in: J. Eming/V. Wels (eds.), Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden 2020, 113–132.

Suárez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier

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jedoch auch ein eifriger Leser des Franziskaners Petrus Galatinus gewesen, eines weiteren christlichen Kabbalisten und Anhängers des Joachim von Fiore 231, von dessen Schrift ‚De arcanis catholicae veritatis‘ er reichen Gebrauch machte 232. Darüber hinaus hatte Poza Zugriff auf Manuskripte des Galatinus, wie er selbst einräumt 233. Hatte Poza noch eine andere Agenda, die ihm die gleichberechtigte Erlösung durch die Madonna sympathisch gemacht hatte? Warum hatte Poza alle Mahnungen und Zensuren in den Wind schlagen können? War es die Überheblichkeit eines theologischen Hasardeurs, der mit etwas mehr Selbstbewusstsein ausgestattet war als seine Ordensbrüder und der sich das Recht auf Gedankenexperimente nicht nehmen lassen wollte? Oder hatte Poza nur einen Weg eingeschlagen, den ihm über jeden Zweifel erhabene Vorgänger wie Suárez schon gebahnt hatten? Letzteres habe ich hier nahelegen wollen. Entscheidendes Dilemma war, dass Poza diesen Weg einen Schritt zu weit gegangen war.

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Zum Leben und den überwiegend ungedruckten Werken des Petrus Galatinus noch immer A. Kleinhans, De vita et operibus Petri Galatini, O. F. M., in: Antonianum 1 (1926), 145–179. 326– 356, dazu A. Morisi, Galatino et la Kabbale chrétienne, in: A. Faivre (ed.), Kabbalistes chrétiens, Paris 1979, 211–231; dazu mit Blick auf die Bedeutung des Galatinus für Postel C. Vasoli, Postel, Galatino e l’Apocalypsis nova, in: Guillaume Postel 1581–1981, Paris 1988, 183–209. Poza, Elucidarium Deiparae (1627) (nt. 101), dort mit Galatinus zur ehelichen Liebe von Anna und Joachim Liber II, Tractatus VIII, c. 3, 550, zu ihrem Alter Liber II, Tractatus I, c. 5, 435. Ibid., Liber III, Tractatus II, c. 3, 857, dort aus dem ungedruckten Kommentar zur Apokalypse des Petrus Galatinus zur Frage, ob der Embryo Mariens vielleicht erst sechs Stunden nach Empfängnis mit einer vollrationalen Seele ausgestattet worden sein könnte.

II. Der Wille zum Wissen

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna: Eine kleine Spurensuche der arabischen Rezeption von ‚Metaphysik‘ A 2, 982b12–983a21 1 Alexander Lamprakis (München) Primeiro estranha-se. Depois, entranha-se. – Fernando Pessoa

I. Das aristotelische Modell des Staunens nach ‚Metaphysik‘ A 2 Im zweiten Kapitel des ersten Buches seiner ‚Metaphysik‘ formuliert Aristoteles seinen vielzitierten Gedanken, dass der Anfang des Philosophierens im Staunen liege: „Denn Staunen (to thaumazein ) war den Menschen jetzt wie vormals der Anfang des Philosophierens, indem sie anfangs über das nächstliegende Unerklärte staunten, dann allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen, z. B. über die Erscheinungen an dem Mond und der Sonne und den Gestirnen und über die Entstehung des Alls.“ 2

Der Prozess des Staunens, den Aristoteles hier beschreibt, beginnt mit der Verwunderung über alltägliche Rätsel und endet mit Fragestellungen nach den Wesenheiten der Gestirne und der Entstehung des Kosmos. Dieses Staunen ist nach Aristoteles᾿ Ansicht zugleich ein Eingeständnis der eigenen Unwissenheit: „Wer aber rätselt (ho d’aporōn ) und staunt (kai thaumazōn ), der glaubt etwas nicht 1

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Für hilfreiche Kommentare und Diskussionen danke ich Peter Adamson, Sarah Virgi und Nicolas Payen, dem ich zudem wertvolle Verweise auf relevante Passagen aus den Werken von alˇ āh iz und al-Fārābī verdanke. Für ihren freundlichen Zuspruch und ihre großzügige Geduld G möchte ich auch den Herausgebern des Bandes, Andreas Speer und Robert Maximilian Schneider, meinen herzlichen Dank aussprechen. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b12–17, ed. O. Primavesi, in: C. Steel (ed.), Aristotle’s Metaphysics Alpha (Symposium Aristotelicum), Oxford 2012, 467–516, hier 473. Übersetzung von H. Bonitz (mit Änderungen), in: Aristoteles’ Metaphysik. Erster Halbband: Bücher I (A)–VI (E) (Philosophische Bibliothek 307), Hamburg 1989. Das griechische ‚thaumazein‘ sowie abgeleitete Formen werden durchgehend (soweit möglich) mit ‚staunen‘ übersetzt. Gleiches gilt für das arabische ‚taʿagˇ ˇgub‘ und abgeleitete Formen. Für eine Analyse der zitierten Passage cf. S. Broadie, A Science of First Principles, in: C. Steel (ed.), Aristotle’s Metaphysics Alpha, 43–67, hier 66 sq.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-006

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zu kennen (oietai agnoein ).“ 3 Etwas nicht zu kennen bedeutet dabei für Aristoteles, dessen Ursache nicht zu kennen. Daraus folgt auch, dass das Staunen durch die Kenntnis der Ursache wieder zum Erliegen kommt, wie Aristoteles in einer späteren Passage von ‚Metaphysik‘ A 2 ausführt: „Ihr Besitz [i. e., der ersten Wissenschaft] muß jedoch für uns gewissermaßen in das Gegenteil der anfänglichen Forschung umschlagen. Denn es beginnen, wie gesagt, alle mit dem Staunen darüber, ob sich etwas wirklich so verhält (archontai men gar apo tou thaumazein pantes ei houtōs echei ), wie etwa über die erstaunlichen automatischen Kunstwerke, deren Ursache sie noch nicht eingesehen haben, oder über die Sonnenwenden oder die Inkommensurabilität der Diagonale (eines Rechtecks zur Seite); denn erstaunlich (thaumaston ) erscheint es allen anfänglich, sofern sie die Ursache noch nicht eingesehen haben, wenn etwas durch das kleinste Maß nicht meßbar sein soll. Es muß aber dann beim Gegenteil und ‚beim Besseren‘ enden nach dem Sprichwort, wie auch bei diesen Gegenständen, wenn man (die Ursache einzusehen) gelernt hat; denn über nichts würde ein der Geometrie Kundiger mehr staunen, als wenn die Diagonale kommensurabel sein sollte.“ 4

Aristoteles unterstreicht damit, dass das Staunen zwar den Anfang philosophischer Untersuchungen bilde, jedoch notwendigerweise in sein Gegenteil überführt wird, sobald die Ursache der bestaunten Phänomene gefunden ist. Wie das von ihm angeführte Beispiel der Inkommensurabilität der Diagonale eines Quadrates zu seiner Seite klarmacht, gebe es für den Kenner der Geometrie nichts Erstaunlicheres, als wenn sich dies jemals anders verhielte. In seiner Analyse des Staunens greift Aristoteles bekanntermaßen eine Platonische Passage aus dem Dialog Theaitetos auf, nach der „diese Emotion Philosophen eigentümlich (mala philosophou touto to pathos )“ sei und es „für die Philosophie keinen anderen Anfang als diesen gebe (ou gar allē archē philosophias ē hautē )“ 5. Dass das Staunen mit der Kenntnis der Ursache erlischt, ist jedoch eine Ansicht, die nicht von allen Philosophen gleichermaßen geteilt wurde. So ist es vor allem der Arzt und Philosoph Galen, der in einer Reihe seiner Schriften das Staunen als Folge des Wissens statt des Unwissens betrachtet. Als Beispiel für Galens Fokus auf das ‚wissende Staunen‘ lässt sich die folgende Passage aus dem vierten Buch seines ‚De Usu Partium‘ über den Sehnerv anführen: „Die Natur lässt sich nicht gebührend für ihre Einrichtung dieser Nerven bestaunen (thaumasai d’axiōs ou dunatai ), wenn man in Unkenntnis darüber ist, wie wir sehen (agnoōn hopōs horōmen ). Wenn du daher die Muße aufbringst und die Beweise untersuchst, die ich im dreizehnten Buch meines ‚Über den Beweis‘ und andernorts gegeben habe, um zu zeigen, dass das Instrument des Sehens ein luminöses Pneuma besitzt, 3 4 5

Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b17–18, ed. Primavesi (nt. 1), 473. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 983a11–20, ed. Primavesi (nt. 1), 474 sq. (Übersetzung Bonitz [nt. 1], mit Änderungen). Platon, Theaitetos, 155d2–4. Für eine Interpretation dieser Stelle im Kontext der Platonischen Theorie der Gefühle cf. L. Candiotto/V. Politis, Epistemic Wonder and the Beginning of the Enquiry: Plato᾿s Theaetetus (155d2–4) and Its Wider Significance, in: L. Candiotto/O. Renaut (eds.), Emotions in Plato (Brill᾿s Plato Studies Series 4), Leiden–Boston 2020, 17–38.

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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das ihm stets aus dem Gehirn zufließt, wirst du die Struktur der Sehnerven bestaunen (thaumaseis ), die innen hohl sind, um das Pneuma empfangen zu können, und die aus diesem Grund bis zum Ventrikel des Gehirns hinaufreichen.“ 6

Galen entfaltet hier einen Begriff des Staunens, der sich nicht aus der Unkenntnis, sondern aus der Kenntnis der Ursachen wahrnehmbarer Phänomene herleitet. Je mehr wir über die Einrichtung und das Wirken der Natur wissen, desto mehr sind wir in der Lage, sie zu bestaunen und den Kosmos als ein durch Vorsehung und Güte bestimmtes Werk eines Schöpfergottes zu begreifen 7. Aristoteles und Galen beschreiben in den zitierten Werken somit zwei verwandte, jedoch verschiedene Formen des Staunens, die sich gut mit der Unterscheidung zwischen ‚aporetischem‘ und ‚kontemplativem‘ Staunen fassen lassen 8. Während das Galenische Staunen erst durch das Wissen über die Ursachen wahrgenommener Phänomene entsteht und sich mit der Zunahme an Wissen sogar potenzieren lässt, ist das Staunen, das Aristoteles im ersten Buch seiner

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Galen, De Usu Partium, XVI, 3, ed. K. G. Kühn (Galeni Opera, vol. IV), 275 sq. (eigene Übersetzung). Für eine Interpretation dieses Zitats cf. J. Rocca, Pneuma as a Holistic Concept in Galen, in: C. Thumiger (ed.), Holism in Ancient Medicine and Its Reception, Leiden 2021, 268– 291, hier 280–282. Für eine Übersicht über das Staunen in zwei weiteren Galenischen Werken cf. J. Lightfoot, Galen’s Language of Wonder: Thauma, Medicine and Philosophy in On Prognosis and On Affected Parts, in: G. Kazantzidis (ed.), Medicine and Paradoxography in the Ancient World, Berlin–Boston 2019, 163–182, zum Verhältnis zum aristotelischen Staunen, ibid., 168. Galens Werk wurde bereits als Quelle für literarische und theologische Konzeptionen des Staunens (ʿajab, taʿagˇ ˇgub ) identifiziert, wie sie sich beispielsweise in den Werken von Abū ʿUtmān alˇ āh iz (gest. 255/868–9), Abū H G  āmid al-Ġazālī (gest. 505/1111), oder Zakarīyāʾ b. Muh ammad al-Qazwīnī (gest. 682/1283) finden lassen. Zu Galens Einfluss auf al-Ġazālī cf. A. El Shamsy, Al-Ghazālī’s Teleology and the Galenic Tradition. Reading The Wisdom of God’s Creations (alH ø ikma fī makhlūqāt Allah ), in: F. Griffel (ed.), Islam and Rationality. The Impact of al-Ghazālī. Papers Collected on His 900th Anniversary, vol. 2, Leiden–Boston 2016, 90–112. Zur arabischen Rezeption von Galens ‚De Usu Partium‘ cf. E. Wakelnig, Medical knowledge as proof of the Creator’s wisdom and the Arabic reception of Galen’s On the Usefulness of the Parts, in: P. BourasVallianatos/S. Xenophontos (eds.), Greek Medical Literature and its Readers. From Hippocrates to Islam and Byzantium, London–New York 2018, 131–149. Für einen allgemeinen Überblick über das Staunen in der arabischen Literatur cf. M. Arkoun/J. Le Goff/T. Fahd/M. Rodinson, L’étrange et le merveilleux dans l’Islam médiéval. Colloque organisé par l’Association pour l’avancement des études islamiques en mars 1974 à Paris, Paris, 1974 und L. Harb, Arabic Poetics: Aesthetic Experience in Classical Arabic Literature, Cambridge 2020, 6–12 mit der von der Autorin zitierten Literatur. Für eine Analyse der zoologischen Bezüge in der arabischislamischen ʿagˇāʾib-Literatur cf. den Beitrag von Sarah Virgi in diesem Band. Zu dieser Unterscheidung (und ihren Platonischen Quellen) siehe L. M. Napolitano Valditara, Meraviglia, perplessità, aporia: cognizioni ed emozioni alle radici della ricerca filosofica, in: Thaumàzein – Rivista di Filosofia 2 (2014): Etica e Passioni, 127–178, hier 134–42 (Statt von einem ‚aporetischen‘ spricht die Autorin von einem ‚interrogativen‘ Staunen). Es soll dabei jedoch nicht suggeriert werden, dass alle Verweise auf das Staunen in Aristoteles und Galen (und Platon) homogen sind und sich klar einer Kategorie zuordnen lassen. Zu Verweisen auf ein ‚kontemplatives‘ (sogar religiöses) Staunen in Aristoteles’ verlorenen oder nur fragmentarisch erhaltenen protreptischen Werken cf., e. g., A.-H. Chroust, Philosophy Starts in Wonder (Aristotle, ‘Metaphys.’ 982b12 ff.), in: Divus Thomas 75/1 (1972), 56–65.

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‚Metaphysik‘ beschreibt, ein unwissendes Staunen, das mit der Erkenntnis der Ursache des bestaunten Phänomens wieder erlischt. Ziel dieses Beitrages ist es, die arabische Rezeption des aristotelischen Staunens, wie es hier im Kontrast zum Galenischen eingeführt wurde, nachzuzeichnen. Besonders das von Aristoteles beschriebene Verhältnis zwischen Staunen und philosophischen-wissenschaftlichem Fortschritt steht dabei im Fokus der Untersuchung und soll anhand ausgewählter Passagen aus den Werken al-Fārābīs und Avicennas anhand von ‚Metaphysik‘ A 2 interpretiert werden. Davor muss jedoch zunächst, in einem ersten Schritt, die Frage nach einer arabischen Rezeption von ‚Metaphysik‘ A 2 und der allgemeinen Bekanntheit der aristotelischen Definition des Staunens als ‚Unkenntnis der Ursache‘ gestellt werden. II. Aristotelisches Staunen in arabischem Gewand: Eine kleine Bestandsaufnahme Von einer ‚arabischen Rezeption‘ der eingangs zitierten Passage aus ‚Metaphysik‘ A 2 zu sprechen kann nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden, da eine Übersetzung dieses Kapitels der ‚Metaphysik‘ ins Arabische nicht erhalten ist und auch in den einschlägigen bibliographischen Werken nicht erwähnt wird 9. Gesichert ist, dass Averroes die Passage nicht gekannt hat, als er seinen großen Kommentar zur ‚Metaphysik‘ verfasste und auch al-Fārābīs ‚Über die Ziele des Aristoteles in den einzelnen Büchern seiner Metaphysik‘ scheint die ersten beiden Bücher dieses Werkes nicht unterschieden zu haben, was die Frage aufwirft, ob sie ihm vollständig in arabischer Übersetzung vorlagen 10. Die Definition des Staunens in ‚Metaphysik‘ A 2 taucht dessen ungeachtet jedoch in einer Reihe von philosophischen und literarischen Werken auf. So findet sich ein Verweis auf die aristotelische Theorie bereits in einer anekdotischen Erzählung, in der überliefert wird, dass Platon seine Schüler gefragt haben soll, „was das Erstaunlichste (mā aʿgˇab al-ašyāʾ)“ sei 11. Während andere Schüler Platons antworteten, dass dies der Himmel, die eigene Subsistenz, oder der Mensch sei, antwortete Aristoteles, es sei „das, dessen Ursache unbekannt ist 9

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Zu den arabischen Übersetzungen der ‚Metaphysik‘ cf. A. Bertolacci, On the Arabic Translations of Aristotle’s Metaphysics, in: Arabic Sciences and Philosophy 15 (2005), 241–275, besonders die Übersicht auf 245 und die Tabelle auf 251. Cf. al-Fārābī, Fī Aġrād al-H  akīm fī kull maqāla mina l-kitāb al-mausūm bi-l-H  urūf, ed. F. Dieterici (al-Fārābī’s Philosophische Abhandlungen), Leiden 1890, 36. Al-Fārābī informiert auch darüber, dass bis auf Alexanders unvollständigen und Themistius᾿ vollständigen Kommentar zu ‚Metaphysik‘ Λ „die anderen Bücher [der ‚Metaphysik‘] nie kommentiert wurden, oder diese Kommentare haben sich, wie man meint, nicht bis auf unsere Zeit erhalten.“ (Cf. ibid., 34. Übers. Dieterici, al-Fārābī’s Philosophische Abhandlungen. Aus dem Arabischen übersetzt, Leiden 1892, 55 [mit Änderungen]). Zu al-Fārābīs Kenntnis des ersten Buches der ‚Metaphysik‘, siehe Bertolacci, Arabic Translations (nt. 9), 246. Cf. D. Gutas, Greek Wisdom Literature in Arabic Translation. A Study of the Graeco-Arabic Gnomologia, New Haven, Connecticut 1975, 161.

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(mā lam yuʿraf sababuhu )“ 12. Diese Anekdote, die den Rang des Aristoteles als Klassenprimus der Platonischen Akademie unterstreichen soll, findet in etwas abgewandelter Form auch Eingang in den philosophisch-literarischen Briefwechsel der beiden Zeitgenossen Abū H  ayyān al-Tauh īdī (gest. 414/1023) und Abū ʿAlī Miskawaih (gest. 421/1030). So verweist der philosophisch gebildete Literat al-Tauh īdī darauf, dass die Meinungen über das Erstaunliche unter den Menschen auseinandergingen und dass nach Aristoteles‘ Ansicht „das Erstaunlichste (al-aʿgˇab )“ all das sei, „dessen Ursache unbekannt ist (kull magˇhūl sababuhu )“ 13. Auch al-Tauh īdīs Korrespondent Miskawaih greift die aristotelische Definition in seinem Antwortschreiben auf und beschreibt das Staunen als „ein Verwirrtsein (hø aira ), das jemanden aufgrund der Unkenntnis der Ursache (gˇahl al-sabab ) befällt“ 14. Daraus ergibt sich für Miskawaih auch, dass das Staunen keine eigene Natur habe und schlicht vom individuellen Wissensstand einer jeden Person abhänge. So führe absolute Unkenntnis dazu, dass man schlicht über alles staune, während Wissen das Staunen verringere, woraus nach Miskawaihs Ansicht auch folgt, dass es schlicht sinnlos ist, Menschen über die Natur des Wunderbaren und Erstaunlichen zu befragen. Einen etwas ausführlicheren Hinweis auf die Bekanntheit der oben zitierten aristotelischen Analyse des philosophischen Staunens liefert schließlich Ibn Hindūs (gest. 423/1032) ‚Miftāh al-tibb (Der Schlüssel der Heilkunst)‘, eine protreptische Einführung in das Studium der Medizin 15. In diesem Werk erklärt der Bagdader Arzt, Poet und Philosoph, dass nach Aristoteles „nur das als eine Neuheit und als Gegenstand des Staunens empfunden wird, dessen Ursache unbekannt ist (mā lam yuʿraf sababuhu ). Sobald die Ursache jedoch bekannt ist, erlischt das Staunen (zāla l-taʿagˇ ˇgub )“ 16. 12

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Ibid. Die Frage danach, was das ‚Erstaunlichste (aʿgˇab al-ašya’ )‘ sei, findet sich auch bereits in ˇ āh iz ’ ‚Kitāb al-H al-G  ayawān‘, jedoch ohne die aristotelische Antwort, dass es dasjenige sei, ˇ āh iz , Kitāb al-H dessen Ursache man nicht kenne. Cf. al-G  ayawān, vol. 7, ed. ʿA. Hārūn, Kairo 1968, 202 sq. Cf. Abū H  ayyān al-Tauh īdī and Abū ʿAlī Miskawaih, The Philosopher Responds, An Intellectual Correspondence from the Tenth Century, vol. 1 (Library of Arabic Literature), edd. B. Orfali/ M. A. Pomerantz, translated by Sophia Vasalou and James E. Montgomery, New York 2019, 84. Zum Hintergrund dieses Werkes cf. Sophia Vasalous Einleitung im ersten Band und zur zitierten Stelle besonders xxiii–xxiv. Für eine Interpretation dieser Passage siehe Mohammed Arkoun, Contribution à l’étude de l’humanisme arabe au IVe/Xe siècle: Miskawaih, philosophe et historien, Paris 1970, 216–221. Ibid, 88. Für einen Überblick zu Ibn Hindūs Leben und Werk cf. C. Ferrari, Bridging the Gap between the Kindian Tradition and the Baghdad School: Ibn Hindū, in: U. Rudolph/R. Hansberger/P. Adamson (eds.), Philosophy in the Islamic World, vol. 1: 8th–10th Centuries, Leiden–Boston 2017, 344–350, zum ‚Miftāh al-tibb‘, ibid., 348. Zu Ibn Hindūs Apologie der Medizin und ihrem historisch-intellektuellen Kontext cf. L. Richter-Bernburg, Variants of Galenism: Ibn Hindū and Ibn Rid wān on the Study of Medicine, in: S. Günther (ed.), Knowledge and Education in Classical Islam. Religious Learning between Continuity and Change, vol. 1, Leiden–Boston 2020, 581– 609, besonders 581–583. Ibn Hindū, Miftāh al-tibb wa-minhāgˇ al-tullāb, ed. ʿA. al-Mansūrī, Beirut 2002, 31. Für eine englische Übersetzung siehe id., The Key to Medicine and a Guide for Students (Miftāh al-tibb

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In allen genannten Fällen scheinen die Verweise zwar auf Aristoteles᾿ Beschreibung des Staunens aus ‚Metaphysik‘ A 2 zu passen, müssen aber nicht unbedingt auf die Kenntnis dieser Textpassage zurückgehen, da sich im aristotelischen Korpus auch weitere Ausführungen zum Verhältnis von Staunen und Unwissenheit finden lassen. So heißt es etwa zu Beginn von (Ps.-)Aristoteles᾿ ebenfalls auf Arabisch zirkulierenden ‚Mechanica‘, dass „unter den Dingen, die von Natur aus geschehen, diejenigen bestaunt werden (thaumazetai ), deren Ursache nicht bekannt ist (hosōn agnoeitai to aition )“ 17. Auch aus dieser Passage ließen sich die Verweise auf die aristotelische Definition des Staunens hinreichend erklären. Dazu kommen indirekte Überlieferungsstränge wie etwa gnomologisches und doxographisches Material, sowie mögliche Verweise auf die genannte Stelle in der griechischen oder syrischen Kommentartradition. Eine definitive Antwort zur Kenntnis der eingangs zitierten Passage aus ‚Metaphysik‘ A 2 lässt sich daher nicht geben, jedoch zur Kenntnis der ihr zugrundeliegenden Konzeption des Staunens. Auch nach der Darstellung der hier aufgeführten Passagen entsteht das ‚aporetische‘ Staunen nämlich aus der Unkenntnis und kommt mit der Kenntnis der Ursache wieder zum Erliegen. Die genannten Beispiele sind nicht allein mit Blick auf die Kenntnis der aristotelischen Konzeption des Staunens relevant, sondern geben auch Einblicke in dessen argumentative Einbettung und philosophische Bewertung. Während es in der erstgenannten Anekdote schlicht um das Zurschaustellen der überragenden Intelligenz des Aristoteles geht, fußt die Debatte in al-Tauh īdīs Werk auf der Beobachtung, dass Dichter, Künstler und Gelehrte, die von ihren Mitmenschen bestaunt werden, gleichermaßen über sich selbst und über ihre eigenen Fähigkeiten staunten. Sie sind demnach Ursache des Staunens und unterliegen zugleich dessen Wirkung; eine Tatsache, die al-Tauh īdī selbst staunen lässt 18. In seinem Erklärungsversuch dieses Phänomens behauptet Miskawaih, dass dies nur geschehe, wenn sowohl die betreffenden Dichter, Künstler und Wissenschafter als auch deren Publikum und Leserschaft in Unkenntnis darüber seien, wie die Seele ihre intellektuellen Aktivitäten ausübt (und dass sie, im Allgemeinen, rein immaterieller Natur ist) 19. Hätten diejenigen, die andere ins Staunen versetzen, ein Wissen über die Vorgänge in ihrer eigenen Seele, würden sie nach Miska-

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wa-minhāj al-tullāb), translated by Dr. Aida Tibi, reviewed by Professor Emilie Savage-Smith, Reading 2011, 12. (Ps.-)Aristoteles, Mechanica, 847a11–12. Zur arabischen Rezeption cf. J. van Leeuwen, The Aristotelian Mechanics. Text and Diagrams (Boston Studies in the Philosophy and History of Science 316), Cham e. a. 2016, 62 sqq. Zur Bekanntheit der arabischen Übersetzung eines Fragments, das in al-H ˚ āzinīs (12. Jh.) ‚K. Mīzān al-h ikma‘ überliefert ist, hat maßgeblich Mohammed Abattouy beigetragen. Cf. M. Abattouy, Nutaf min al-H  iyal: A Partial Arabic Version of Pseudo-Aristotle᾿s ‚Problemata Mechanica‘, in: Early Science and Medicine 6/2 (2001), 96–122. Für eine arabische Edition der betreffenden Passage, ibid., 110. Für den Verweis auf das Staunen in der aristotelischen ‚Rhetorik‘, cf. unten, nt. 39. Cf. A. H  . al-Tauh īdī –A. ʿA. Miskawaih, The Philosopher Responds (nt. 13), 84. Ibid.

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waihs Ansicht nicht über die Kunst und Wissenschaft staunen, die sie hervorbringen. Ibn Hindū wiederum benutzt die Aristoteles-Referenz mit der Absicht, ein probates Mittel gegen (damals wie heute weit verbreitete) Medizinskeptiker zu finden. Gemeint sind damit jene „die die Existenz der Medizin leugnen (alladß īna ankarū wugˇūd al-tøibb )“ 20. Nach seiner Analyse lässt sich die Tatsache, dass die Leugner der Heilkunst diese als wunderlich und seltsam wahrnehmen, schlicht darauf zurückführen, dass sie die Ursachen ihrer Entstehung und die Methoden ihrer Entwicklung nicht kennen. Auf die aristotelische Analyse des Staunens aufbauend, ist Ibn Hindū jedoch zuversichtlich, dass sich die Skepsis gegenüber der Heilkunst mit der Erklärung der Ursachen ihrer Entstehung bekämpfen lasse, indem „das Staunen erlischt und die Sache nähergebracht wird (zāla ltaʿagˇ ˇgub wa-qariba l-amr )“ 21. In seinen Versuch, die Akzeptanz der Heilkunst zu erhöhen, mischt sich auch eine weitere Passage aus dem Aristotelischen Œuvre. So heißt es im Schlusskapitel der ‚Sophistischen Widerlegungen‘, dass in der Rhetorik „wie auch in beinahe allen anderen Künsten (schedon de kai peri tas allas hapasas technas )“ 22 der Anfang am schwersten zu finden sei und die Kunst sich nur allmählich durch viele Beteiligte fortentwickle, „weswegen es nicht erstaunlich ist (dihoper ouden thaumaston ), dass die Kunst [hier die Rhetorik] einen gewissen Umfang besitzt (echein ti plēthos tēn technēn )“ 23. Aus der Kombination dieser Passage mit der aristotelischen Definition des Staunens ergibt sich unmittelbar Ibn Hindūs These, dass das skeptische Staunen über die Mannigfaltigkeit einer Kunst durch die Einsicht der Ursache ihres Umfangs, nämlich ihre langwierige zeitliche Entwicklung, beseitigt werden kann. In einem separaten Kapitel erklärt Ibn Hindū daher, dass die Kunst der Medizin anfangs aufgrund von Zufall, gezieltem Experimentieren, Traumerscheinungen sowie Tierbeobachtungen entstanden sei. Aus diesen derart gewonnenen ‚Prinzipien‘ entwickelte sich die Heilkunst schließlich auf rational-deduktive Weise: „Von diesen Anfängen schritt man allmählich fort, wobei man die geistigen Kapazitäten benutzte und Schlüsse einsetzte. Derart wurden diese Grundprinzipien gefestigt und vermehrt, sodass sie mehrere Unterarten umfassen.“ 24 Für den Autor des ‚Miftāh al-tibb‘ steht fest, dass die Kenntnis der Ursachen das beste Mittel gegen skeptisches Staunen sei. Jene Skeptiker der Medizin befinden sich nämlich in derselben Situation, in der sich Philosophen zu Beginn ihrer wissenschaftlichen Bemühungen nach Aristoteles᾿ Ansicht befanden: Sie staunen über die Phänomene und kennen ihre Ursachen nicht. Nach dieser Darstellung 20 21 22

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Ibn Hindū, Miftāh al-tibb (nt. 16), 30. Ibid., 31. Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, I, 34, 183b27–28. Zu den drei erhaltenen arabischen Übersetzungen der ‚Sophistischen Widerlegungen‘, cf. G. Endress/P. S. Hasper, The Arabic Tradition of Aristotle’s Sophistici Elenchi, in: Studia graeco-arabica 10 (2020). Studies dedicated to Rüdiger Arnzen on His Sixtieth Birthday, 59–110. Aristoteles, Sophistische Widerlegungen, I, 34, 183b33–34. Ibn Hindū, Miftāh al-T ibb (nt. 16), 31.

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führt das Staunen jedoch nicht zwangsläufig zur philosophischen Untersuchung, sondern kann ebenso Skeptizismus und Ablehnung der Wissenschaften hervorrufen. Ein verständiger Mensch ist durch Ibn Hindūs Ausführungen jedoch in der Lage „zu begreifen, dass es möglich ist, die Kunst der Medizin durch sie [gemeint sind die oben genannten Prinzipien und Methoden] zu errichten, selbst wenn sie subtiler sind als Zauberei und verborgener als das Unsichtbare“ 25. Aus den genannten Passagen lässt sich schließen, dass trotz einer wohl fehlenden (oder zumindest nicht durchgehend verfügbaren) arabischen Übersetzung von ‚Metaphysik‘ A 2 die aristotelische Definition des Staunens bekannt war. Was sich jedoch nicht aus den aufgeführten Beispielen ergibt, ist die Bekanntheit der aristotelischen These, dass das Staunen der Beginn des Philosophierens sei. Da Aristoteles das Staunen eng an die Entwicklung der von ihm in der ‚Metaphysik‘ gesuchten ersten Wissenschaft knüpft, scheint es daher legitim zu fragen, welche Rolle das ‚aporetische Staunen‘ in den auf arabisch erhaltenen Analysen der Entwicklung der Künste und Wissenschaften gespielt hat. Im Folgenden soll unter diesem Aspekt ein Blick auf zwei Darstellungen des wissenschaftlichen Fortschritts geworfen werden, derjenigen in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  urūf‘ und derjenigen in Avicennas ‚Kitāb al-Šifāʾ‘. III. Die Natürlichkeit der Wissbegierde nach al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  ur ūf‘ Der bekannteste Abriss des wissenschaftlichen Fortschritts aus der Feder alFārābīs (gest. 339/950–51) findet sich im mittleren Teil seines ‚Kitāb al-H  urūf (Buch der Buchstaben)‘ 26. Dort beschreibt er nach der Entstehung und Entwicklung der Sprachwissenschaften diejenige der schließenden Künste und philosophischen Disziplinen, wobei sich einige Parallelen zu ‚Metaphysik‘ A 2 ergeben. Über den Beginn des Philosophierens spricht al-Fārābī wie folgt: „Als die praktischen und alle anderen alltäglichen Künste, die wir erwähnten, vollendet waren, sehnten sich die Seelen anschließend nach der Kenntnis der Ursachen der wahrnehmbaren Dinge (ištāqat al-nufūs baʿda dß ālika ilā maʿrifat asbāb al-umūr al-mahø sūsa ) auf der Erde, über ihr und um sie herum und allem anderen, das vom Himmel wahrnehmbar und offenbar ist.“ 27 25 26

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Ibid., 78. Der Titel des Werkes lässt sich alternativ auch als ‚Buch der Partikel‘ übersetzen. Überblicksartige Studien zu der im Folgenden interpretierten Passage finden sich e. g. in J. Langhade, Du Coran à la philosophie. La langue arabe et la formation du vocabulaire philosophique de Fārābī, Damaskus 1994, 271 sqq.; M. Mahdī, Alfarabi and the Foundation of Islamic Political Philosophy, Chicago–London 2001, 234–237; D. L. Black, Logic and Aristotle’s Rhetoric and Poetics in Medieval Arabic Philosophy, Leiden 1990, 65–71. Eine englische Übersetzung der gesamten Passage findet sich in M. A. Khalidi, Medieval Islamic Philosophical Writings (Cambridge Texts in the History of Philosophy), Cambridge e. a. 2005, 17 sqq. al-Fārābī, Kitāb al-H  urūf, ed. M. Mahdī, Alfarabi’s Book of Letters, Beirut 1990, 150. Für eine Analyse des Fortschritts philosophischer Erkenntnis (mit einem Fokus auf die Entwicklung der syllogistischen Künste) in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  urūf‘ cf. A. Hasnawi, L’âge de la démonstration.

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Wie in der hier zitierten Passage, entsteht auch nach Aristoteles᾿ Darstellung in ‚Metaphysik‘ A 2 die Philosophie „als so ziemlich alles zur Annehmlichkeit und Lebensführung Nötige vorhanden war“ 28, Auch die Verbindung zwischen philosophisch-wissenschaftlichem Fortschritt und dem Suchen nach den Ursachen der wahrnehmbaren Dinge ist im Einklang mit dem aristotelischen Modell; ebenso der Übergang von der Untersuchung der Dinge auf der Erde zu derjenigen des Himmels. Was al-Fārābīs Darstellung jedoch von der des Aristoteles unterscheidet, ist das Fehlen eines Verweises auf das Staunen als Beginn des Philosophierens, den er stattdessen durch den Begriff der ‚Begierde‘ (ištiyāq ) ersetzt. Trotz der bereits erwähnten fehlenden Übersetzung von ‚Metaphysik‘ A 2 ins Arabische muss die aristotelische Analyse des Staunens auch al-Fārābī in ihren Grundzügen bekannt gewesen sein. Das geht unter anderem aus einer Passage seines ‚Ih sāʾ al-ʿulūm (Die Aufzählung der Wissenschaften)‘ hervor, in der alFārābī die These einer Gruppe islamischer Theologen schildert, nach der man selbst jene in einer geoffenbarten Religion festgelegten Glaubenssätze bejahen und selbst jenen Handlungsmaximen Folge leisten müsse, die der menschliche Intellekt als abscheulich (munkara ) und unmöglich (ġair mumkina ) empfindet, da diese „nicht in Wirklichkeit abscheulich und unmöglich sind“ 29, sondern nur aus der Perspektive des im Vergleich zu den göttlichen Intellekten der Propheten beschränkten menschlichen Intellekts. Das Argument, das al-Fārābī im Namen jener Theologen anführt, macht dabei auch Gebrauch von der aristotelischen Analyse des Staunens: „Ebenso verhält es sich mit jemandem, der, bevor er unterrichtet ([an] yataʾaddaba ) und geprüft (yatahø annaka ) wird, viele Dinge mißbilligt, sie als abscheulich betrachtet und von ihnen denkt, sie seien unmöglich. Sobald er jedoch in den Wissenschaften unterwiesen und durch Erfahrung geprüft wird, erlöschen ihm jene Vermutungen darüber (zālat ʿanhu tilka l-zø unūn fīhā ). Die Dinge, die ihm unmöglich erschienen, werden [damit] umgewendet und notwendig; und er staunt (yataʿagˇ ˇgabu ) [nun] über das Gegenteil dessen, worüber er einst staunte (mā kāna yataʿagˇ ˇgabu minhu qadīman ).“ 30

Dieses von al-Fārābī als advocatus diaboli vorgebrachte Argument greift die eingangs zitierte Argumentation auf, dass sich mit der Kenntnis der Ursache eines Phänomens das Objekt des Staunens ins Gegenteil verkehrt. Aristoteles führt dafür das Beispiel eines der Geometrie Kundigen an. Dieser staune an-

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Logique, science et histoire: al-Fārābī, Avicenne, Avempace, Averroès, in: G. F. Vescovini/ A. Hasnawi (eds.), Circolazione dei Saperi nel Mediterraneo, Filosofia e Scienze (Secoli IX– XVII), Florenz 2013, 257–281, besonders 258 sqq. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b22–24, ed. Primavesi (nt. 1), 473 (Übersetzung Bonitz [nt. 1]). Zu diesem Punkt cf. auch al-Fārābī, Kitāb al-H ˚ itāba, ed. J. Langhade (Recherches publiées sous la direction de l’institut de lettres orientales de Beyrouth, première série: pensée arabe et musulmanes 48), Beirut 1971, 39, wo al-Fārābī die Notwendigkeit, den eigenen Lebensunterhalt (qawām al-hø ayāt ) zu bestreiten, als Grund für die Ablenkung von exakter Untersuchung anführt. al-Fārābī, Ih sāʾ al-ʿulūm, ed. ʿA. Bū Milham, Beirut 1996, 88. Ibid.

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fangs darüber, dass die Diagonale eines Quadrates inkommensurabel zu dessen Seite sei, während er, nachdem er dessen Ursache eingesehen hat, darüber staunen würde, wenn es sich jemals anders verhielte 31. Aus dem Kontext, in den die Argumentation eingeflochten ist, wird nicht ersichtlich, ob al-Fārābī ein von jenen Mutakallimūn vorgebrachtes Argument wiedergibt, oder ob er es selbst entwirft, um ihre Position zu erläutern. Über al-Fārābīs mögliche Gründe, im ‚Kitāb al-H  urūf‘ auf das Staunen als Beginn des Philosophierens zu verzichten, kann an dieser Stelle nur spekuliert werden. Seine Entscheidung, den Beginn des Philosophierens der seelischen Begierde nach Erkenntnis der Ursachen sinnlicher Phänomene zuzuschreiben, ist hingegen ein wohlbekanntes Motiv seiner Philosophie 32. So heißt es beinahe identisch auch in seinem ‚Falsafat Aristūtālīs (Die Philosophie des Aristoteles)‘, dass „die Seele sich danach sehnt (mutašawwiqa ), die Ursachen der sinnlichen Dinge zu erkennen (al-wuqūf ʿalā asbab al-ašyāʾ al-mahø sūsa ) sowie der Dinge, die im Himmel und auf der Erde beobachtet werden“ 33. Auch hier beschreibt al-Fārābī die Begierde der Seele nach Wissen als ein Verlangen, das nach der Vollendung der praktischen und nützlichen Künste entsteht. In dieser zum ‚Kitāb al-H  urūf‘ parallel verlaufenden Beschreibung der Wissbegier kommt al-Fārābī auch auf das Staunen zu sprechen. So schildert er, dass ein Mensch, der theoretisches Wissen erlangt habe, sogleich der Ansicht sei, eine bestimmte „Exzellenz, Schönheit, Erhabenheit, und Majestät“ 34 zu besitzen. Obgleich diese Leistungen von seinen Mitmenschen verkannt werden, „staunt“ (yaʿgˇabu ) nach al-Fārābīs Darstellung ein solcher Mensch „über sich und das, was er erkannt hat“ 35, wobei er fordert von seinen Mitmenschen geehrt und gerühmt zu werden. Diese Beschreibung erinnert sogleich an al-Tauh īdīs oben erläuterte (jedoch zeitlich später verfasste) Frage nach der Ursache, dass Gelehrte, die von anderen bestaunt werden, auch über sich selbst staunen. Auch Miskawaihs Antwort offenbart Parallelen zu al-Fārābīs Darstellung in ‚Falsafat Aristūtālīs‘: Wie bei al-Fārābī bezieht sich das Staunen des Menschen über sein eigenes Wissen auch in Miskawaihs Analyse auf die Unwissenheit der Funktionsweise und Beschaffenheit der eigenen Seele. In al-Fārābīs ‚Falsafat Aristūtālīs‘ wird der von ihm beschriebene Aristoteles durch dieses Staunen zur Untersu31 32

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Siehe oben, nt. 4. Cf. D. Wirmer, Das natürliche Begehren des einsamen Philosophen. Bildung durch Wissenschaft bei Ibn Bāgˇ gˇa und Ibn Tufail, in: L. Honnefelder (ed.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011, 206–240, besonders 218 sq. und B. Somma, Models of Desire in Graeco-Arabic Philosophy. From Plotinus to Ibn Tufayl (Studies in Platonism, Neoplatonism, and the Platonic Tradition 27), Leiden–Boston 2021, 125– 143. al-Fārābī, Falsafat Aristūtālīs, ed. M. Mahdī, Beirut 1961, 60. Ibid. Ibid.

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chung der Rationalität selbst geführt, das heißt der Erkenntnistheorie und Logik, die Gegenstand der folgenden Abschnitte jenes Werkes ist 36. Eine ebenso aufschlussreiche Beschreibung des Verhältnisses von Wissbegier und Staunen zeichnet al-Fārābī in einer späteren Passage seines ‚Falsafat Aristūtālis‘. Im Zusammenhang mit der Würde des theoretischen Wissens schreibt er, dass ein Tier kein „Begehren (tašawwuq ) besitzt, die Ursachen wahrnehmbarer Dinge zu erkennen sowie über die Ursachen dessen, was man im Himmel und auf der Erde sieht, zu spekulieren. Es staunt auch nicht über Dinge von denen es die Ursache zu erkennen begehrt (wa-lā lahu taʿagˇ ˇgub min ašyāʾ yatašawwaqu ilā l-wuqūf ʿalā asbabihā )“ 37. Diese Ausführung dient al-Fārābī dazu, den Erwerb von theoretischem Wissen als eine eigentümliche Eigenschaft des Menschen darzustellen. Sichtbarer Widerschein der Wissbegier ist dabei das Staunen, das, so ließe sich diese Stelle deuten, zwar der emotionale Ausdruck der Wissbegier ist, aber nicht notwendigerweise deren Auslöser. Al-Fārābī koppelt sein Argument dabei an das wohl bekannteste Beispiel für eine eigentümliche Eigenschaft des Menschen, die Fähigkeit zu lachen (to gelastikon ), die er in seinem ‚Kitāb al-Burhān (Buch des Beweises)‘ ausdrücklich mit der menschlichen Fähigkeit zu staunen verbindet. Dort heißt es entsprechend, dass „alle Menschen die Fähigkeit besitzen, zu staunen und alles, was die Fähigkeit besitzt, zu staunen, [auch] die Fähigkeit besitzt, zu lachen (kull insān fa-huwa mutaʿagˇ ˇgib wa-kull mutaʿagˇ ˇgib fa-huwa dø ahø hø āk )“ 38. Nach der Darstellung seiner Schrift ‚Falsafat Aristūtālīs‘ ist das Staunen demnach nicht allein das Eingeständnis der eigenen Unwissenheit, sondern zugleich der Wunsch, diese Unwissenheit überwinden zu wollen, wie es Aristoteles etwa in seiner ‚Rhetorik‘ beschreibt, wo es heißt, dass „das Staunen die Begierde zu lernen impliziert (en men gar tōi thaumazein to epithumein mathein estin ), wodurch das Objekt des Staunens zu einem Objekt der Begierde wird (hōste to thaumaston epithumēton )“ 39. Staunen und Wissbegier sind für al-Fārābī demnach zwei Seiten einer Medaille. Da das Staunen ursächlich ist für die menschliche Fähigkeit zu lachen und diese den Menschen allein zukommt, so ließe sich al-Fārābīs Argument rekonstruieren, ist auch die Wissbegier eine eigentümliche Eigenschaft des Menschen, da diese im Staunen impliziert ist. Al-Fārābīs Entscheidung in der 36

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Auch in seinem ‚Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fād ila (Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der vortrefflichen Stadt)‘ beschreibt al-Fārābī die prophetische Gabe als einhergehend mit „einer übergroße[n] und wunderbare[n] Lust (ladß dß a ʿazø īma ʿagˇība )“. Cf. al-Fārābī, Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fād ila, ed. R. Walzer, in: id., al-Fārābī on the Perfect State, A Revised Text with Introduction, Translation and Commentary, Oxford 1985, 224. al-Fārābī, Falsafat Aristūtālīs, ed. Mahdī (nt. 33), 65. al-Fārābī, Kitāb al-Burhān, ed. M. Fah˚ rī, Beirut 2012, 34. Für Aristoteles’ Aussage, dass die Fähigkeit zu lachen einzig dem Menschen zukommt cf. Aristoteles, De Partibus Animalium, III, 10, 673a8. Aristoteles, Rhetorik, I, 11, 1371a32–33. Für die arabische Übersetzung dieser Passage, cf. M. C. Lyons, Aristotle’s Ars Rhetorica. The Arabic Version. A new edition, with Commentary and Glossary, Cambridge 1982, 59. Die im Arabischen verwendeten Begriffe für ‚thaumazein‘ sind ‚ʿagˇab‘ und ‚taʿagˇ ˇgub‘.

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Darstellung des wissenschaftlichen Fortschritts seines ‚Kitāb al-H  urūf‘ den Beginn des Philosophierens der natürlichen Wissbegier nach den Ursachen wahrnehmbarer Phänomene zuzuschreiben, schließt das Staunen daher keineswegs aus. Anhand der aristotelischen Argumentation in ‚Rhetorik‘ A 11 ließe sich dennoch argumentieren, dass das Staunen zwar die Wissbegier impliziere, dies jedoch nicht heißt, dass die Wissbegier in allen Fällen auch das Staunen impliziere. Nachdem al-Fārābī das menschliche Bedürfnis nach der Erforschung der Ursachen sinnlich wahrnehmbarer Phänomene eingeführt hat, beschreibt er den weiteren Fortgang des wissenschaftlichen Fortschritts wie folgt: „Dann tritt jemand hervor, der die Ursachen dieser Dinge erforscht (fa-yanšaʾu man yabhø atßu ʿilal hādß ihi l-ašyāʾ). Für ihre Erforschung, die Verifizierung der Meinungen und in der Unterrichtung (taʿlīm ) anderer benutzt er zunächst rhetorische Methoden, da diese zuerst aufgefunden werden.“ 40 Die Idee, dass „jemand“ (man ) hervortrete, der sich dieser Untersuchung annimmt, lässt sich in der historischen Perspektive des ‚Kitāb al-H  urūf‘ als Verweis auf die Darstellung des philosophisch-wissenschaftlichen Fortschritts in Platons Höhlengleichnis verstehen, in dem ebenfalls von einem „jemand“ (tis ) die Rede ist, der seine Fesseln abwirft und sich auf die Suche nach dem Höhlenausgang macht 41 – ein Vorgang, den al-Fārābī auch in seinem Kommentar zur aristotelischen ‚Rhetorik‘ beschreibt 42. Was in seiner Beschreibung hier jedoch hinzutritt, ist die systematische Kombination des wissenschaftlichen Fortschritts mit der sukzessiven Entwicklung der induktiven und deduktiven Methoden. Da die Entdeckung der Ursachen dem Auffinden von Mittelbegriffen gleichkommt, durch die sich eine gewünschte Konklusion ergibt, fällt die theoretische Wissbegier notwendigerweise mit der Entstehung der Kunst des Schlussfolgerns zusammen, die das notwendige (jedoch nicht hinreichende) Instrument der philosophischen Untersuchung ist 43. Die inhärente Unsicherheit ungeprüfter rhetorischer Prämissen führt im weiteren Verlauf jedoch bald zu Streit und Meinungsverschiedenheit, wodurch 40 41 42

43

al-Fārābī, Kitāb al-H  urūf, ed Mahdī (nt. 27), 150. Cf. Platon, Politeia, VII, 515c. Cf. al-Fārābī, Didascalia in Rethoricam Aristotelis ex Glosa Alpharabii, ed. M. Grignaschi (Deux Ouvrages Inédits sur la Rétorique, II), Beirut 1971, 213 sqq. Dort heißt es parallel zur oben zitierten Stelle: „Et proverbium Platonis, quod posuit in libro suo ‚De Civilibus‘ de spelunca, qualiter egreditur homo ex ipsa“. Wohlgemerkt folgt auch diese Darstellung des Höhlengleichnisses der spätantiken Darstellung des Organon. In der Beschreibung des wissenschaftlichen Fortschritts in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H ˚ itāba‘ findet sich jedoch kein Hinweis auf eine einzelne Person, die den Fortgang der wissenschaftlichen Entwicklung beginnt. Cf. al-Fārābī, Kitāb al-H ˚ itāba, ed. Langhade (nt. 28), 55. Zum Verhältnis von Logik und Philosophie in der spätantiken und frühen arabischen Philosophie und zum Verständnis der Logik als notwendiges, jedoch nicht hinreichendes Instrument der Philosophie cf. P. Adamson, The Last Philosophers of Late Antiquity in the Arabic Tradition, in: R. Goulet/U. Rudolph/C. Riedweg/P. Derron (eds.), Entre orient et occident: La philosophie et la science gréco-romaines dans le monde arabe, Genf 2010, 1–38, besonders 10–18.

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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schließlich die dialektischen Methoden entstehen. Diese erfüllen den Zweck, die bestmöglichen Argumente für und wider die widersprüchlichen Thesen aufzufinden, die durch reglementierte Debatten zur Beilegung der wissenschaftlichen Streitpunkte führen. In al-Fārābīs Worten: „Sie hören nicht auf sich zu bemühen und die ausgeklügeltsten Methoden zu benutzen bis sie, nach gewisser Zeit, auf die dialektischen Methoden (al-tøuruq al-gˇadalīya ) stoßen. (…) Diese werden benutzt, bis sich die dialektischen Diskurse (al-muh˚ ātøabāt al-gˇadalīya ) vervollkommnen und es durch diese selbst klar wird, dass sie nicht ausreichen, um Gewissheit zu erlangen.“ 44

Die Unzulänglichkeit der dialektischen Methode besteht für al-Fārābī lediglich in ihrem Mangel, wissenschaftliche Gewissheit zu erzeugen, wodurch die anfängliche Wissbegierde erst befriedigt wird. Mit der aristotelischen Theorie des Beweises endet schließlich das Zeitalter der philosophischen und methodischen Entdeckungen. Die wissenschaftliche Untersuchung durch die Methoden der Logik wird abgeschlossen und die Wissenschaften werden vollendet, „sodass kein Gegenstand der Untersuchung übrigbleibt und [die Philosophie] eine Wissenschaft wird, die lediglich gelernt und gelehrt wird“ 45. Im Gegensatz zur Rhetorik und Dialektik, spricht al-Fārābī in seinem ‚Kitāb al-H  urūf‘ der Methode des Beweises keine inventorische Funktion zu. Dass sich die Philosophie nach der Zeit des Aristoteles lediglich auf das Lernen und Lehren beschränke, ist dabei ein deutlicher Verweis auf den Beginn der aristotelischen Beweistheorie in seiner ‚Analytica Posteriora‘, wonach „alles intellektuelle Lernen und Lehren auf vorangehendes Wissen angewiesen ist“ 46. Damit markiert die aristotelische Lehre vom Beweis das Ende des philosophisch-wissenschaftlichen Fortschritts wie al-Fārābī auch in einer späteren Passage des ‚Kitāb al-H  uruf‘ feststellt: „Es gibt daher in den Wissenschaften keinen [verbliebenen] Gegenstand zur dialektischen Untersuchung, selbst nicht 47 bei denjenigen [Gegenständen], die dialektische Übung benötigen, außer – Gott behüte! – die Kunst, die von den Alten vollständig entdeckt wurde (faraġū min istinbātøihā ), würde ausgelöscht werden (bādat ) und man müsste erneut beginnen, die Dinge zu untersuchen und sie zu prüfen. Oder dies geschieht in einer Gemeinschaft, der die Philosophie nicht vollständig überliefert wurde.“ 48 44 45 46 47

48

al-Fārābī, Kitāb al-H  urūf, ed Mahdī (nt. 27), 150–151. Ibid., 151 sq. Aristoteles, Zweite Analytik, I, 1, 71a1–2. In seiner Edition des Textes druckt Mahdī an dieser Stelle im Haupttext ‚illā (außer)‘, cf. alFārābī, Kitāb al-H  urūf, ed. Mahdī (nt. 27), 210. Die einzige von Mahdī verwendete Handschrift Teheran Meshkāt 339 überliefert jedoch die Lesart ‚wa-lā (und nicht)‘, [fol. 47r7], wie Mahdī selbst im Apparat anmerkt (cf. ibid., nt. 40a). Diese Lesart wird auch von der Handschrift Teheran Majlis 3998, 104.13 (durchgehende Paginierung) bestätigt und der Übersetzung zugrunde gelegt. al-Fārābī, Kitāb al-H  urūf, ed Mahdī (nt. 27), 210.

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Mit dieser Beschreibung erzeugt al-Fārābī den Eindruck, dass mit Aristoteles der Fortgang wissenschaftlicher Erkenntnis als abgeschlossen angesehen werden muss. Mit dem Erreichen der Gewissheit ist auch das von Aristoteles in ‚Metaphysik‘ A 2 beschriebene Endstadium des Wissen-Wollens erreicht, das unweigerlich ein Erlöschen der anfänglichen Wissbegier nach sich zieht. Dabei lässt es sich schwer leugnen, dass diese Behauptung im Widerspruch sowohl zur Vielzahl der (al-Fārābī wohlbekannten) wissenschaftlichen Entdeckungen in den nacharistotelischen Jahrhunderten steht als auch zu den breit diskutierten Forˇ adal schungsfragen seiner Zeit. Al-Fārābī selbst betont in seinem ‚Kitāb al-G (Buch der Dialektik)‘, dass unter dialektische Probleme auch Sätze fallen, „über die bis zur Gegenwart niemand eine Meinung formuliert hat, dass es sich so oder so verhält“ 49. Auch in seinem nur in hebräischen Fragmenten erhaltenen Lemma-Kommentar zur aristotelischen Kategorienschrift scheint al-Fārābī die Möglichkeit einzuräumen, dass es Phänomene und Sachverhalte gibt, bei denen noch nicht abschließend geklärt sei, ob einzelne Aussagen „in einem Verhältnis zu wahrnehmbaren Dingen stehen oder nicht – wie das Vakuum (ha-requt ) […] das Unendliche (ha-bilti baʿal takß lit ), und die Ideen, über die Platon spricht; denn es wird bezweifelt, ob sie tatsächlich existieren oder nicht (ha-im hem nimsøaʾim o im einam nimsøaʾim )“ 50. Auch die häufige Berücksichtigung nacharistotelischer Entwicklungen, wie etwa des von Ptolemaios eingeführten ersten, gestirnlosen Himmels in ‚Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fād ila (Die Prinzipien der Ansichten der Bewohner der Vortrefflichen Stadt)‘, um ein letztes Beispiel zu nennen, weist darauf hin, dass al-Fārābī den wissenschaftlichen Fortschritt keineswegs per se bereits mit der aristotelischen Philosophie als abgeschlossen betrachtet 51. Die Vollendung der Philosophie muss daher primär als eine methodische betrachtet werden, die ‚potentiell‘ zur Beantwortung aller Fragen führen kann. Wie verhalten sich also Staunen und wissenschaftlicher Fortschritt nach alFārābīs Ansicht? Zwar verzichtet al-Fārābī zugunsten der natürlichen Wissbegier auf einen expliziten Verweis auf das Staunen als Anfang des Philosophierens, 49

50

51

ˇ adal, ed. D. Mallet in: id., La dialectique dans la philosophie d’Abū Nasr al-Fārābī, Kitāb al-G al-Fārābī, Unveröffentlichte Dissertation, Université Michel-de-Montaigne, Bordeaux 3. 1992, 134. Für eine englische Übersetzung siehe D. M. DiPasquale, Alfarabi’s Book of Dialectic (Kitāb al-Jadal ): On the Starting Point of Islamic Philosophy, Cambridge 2019, 78. M. Zonta, al-Fārābī’s Long Commentary on Aristotle’s Categoriae in Hebrew and Arabic. A Critical Edition and English Translation of the Newly-found Extant Fragments, in: B. Abrahamov (ed.), Studies in Arabic and Islamic Culture, Ramat-Gan 2006, 185–254, hier 237 sq. Selbstverständlich ist al-Fārābī überzeugt, dass es das Vakuum nicht gibt. Sein Punkt ist daher, dass die Frage nach der Existenz des Vakuums nach wie vor debattiert wurde. Siehe hierzu auch seine Risāla fī l-h˚ alāʾ, edd. N. Lugal/A. Sayılı Ankara 1951. Cf. al-Fārābī, Mabādiʾ ārāʾ ahl al-madīna al-fād ila, ed. Walzer (nt. 36), 100–104 und Walzers Kommentar zu dieser Stelle auf 364: „Al-Fārābī appears to be more aware of the progress of science than such outstanding and influential scholars and philosophers as Alexander of Aphrodisias in the third and Proclus in the fifth century − who preferred to ignore the hypothesis of Ptolemy which they must have known.“

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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anhand seiner Schrift ‚Falsafat Aristūtālīs‘ lässt sich jedoch zeigen, dass er beide Begriffe eng aneinander bindet. Das Staunen ist für al-Fārābī dabei nicht allein das Eingeständnis der eigenen Unwissenheit, sondern impliziert das Begehren, die Ursache des Bestaunten zu erkennen. Dass al-Fārābī auch im Kontext eines Arguments der von ihm häufig kritisierten kalām-Theologen auf das Staunen verweist, lässt zugleich auf eine gewisse Distanz zur vermeintlich herausragenden Bedeutung dieser Emotion schließen. Aus Sicht seiner Opponenten lässt sich die aristotelische Analyse des Staunens nämlich als Argument gegen die von al-Fārābī vertretene Vollendung des Wissens durch die Philosophie inszenieren. Aussagen, die im Lichte des gegenwärtigen Wissensstands als absurd und wunderlich erscheinen und der unabhängigen Betrachtung des Intellekts widersprechen, können mit einem Verweis auf das aristotelische Staunen schlicht als Unwissenheit bezeichnet werden. Es ist daher nicht das reine Staunen, das für alFārābī ebenso durch Rhetorik und Poesie hervorgerufen werden kann 52, sondern die Natürlichkeit der theoretischen Wissbegier, die den Erfolg des philosophisch-wissenschaftlichen Fortschritts garantiert. IV. Erkenntnisfor tschritt und die Legitimität des Staunens in Avicennas ‚Kitāb al-Šifā ʾ‘ Avicenna (gest. 428/1037) kommt gleich an mehreren Stellen seines ‚Kitāb al-Šifāʾ‘ auf die Rolle des Staunens in den Wissenschaften zu sprechen. Im Fokus steht dabei das Verständnis der aristotelischen These, dass sich das anfängliche philosophische Staunen auf „das nächstliegende Unerklärte (ta procheira tōn aporōn )“ 53 beziehe, wobei die Menschen „allmählich fortschritten und auch über Größeres Fragen aufwarfen (eita kata mikron houtō proïontes kai peri tōn meizonōn diaporēsantes )“ 54. Die korrekte Interpretation dieser Passage entzweite bereits die beiden erhaltenen spätantiken Kommentatoren von ‚Metaphysik‘ A 2. Während Alexander von Aphrodisias den aristotelischen Text so versteht, dass die Menschen auch bei Alltäglichem zunächst „aufgrund der offenbaren Seltsamkeit staunten (dia tēn phainomenēn atopian thaumasantes )“, unter anderem, „warum ein Magnet (hē hērakleia lithos ) Eisen anziehe oder was ein Regenbogen (iris ) sei“ 55, 52

53 54 55

Als Teil der Poetik beschreibt al-Fārābī das Staunen als einen Effekt der Gattung des ‚Oinos‘. Diese Gattung bediene sich nach al-Fārābīs Darstellung ‚erfreulicher Reden (al-aqāwīl al-mufrihø a )‘, die entweder auf ihre außergewöhnliche Güte zurückgehen oder auf ihren ‚erstaunlichen (ʿagˇība )‘ und ‚ungewöhnlichen (badī ʿa )‘ Charakter. Auch bezüglich des Satyrspiels schreibt al-Fārābī, dass die Musiker Tiere dazu bringen, Bewegungen auszuführen, die einen staunen lassen, da diese außerhalb ihrer natürlichen Bewegungen liegen. Cf. A. J. Arberry, Fārābī’s Canons of Poetry, in: Rivista degli studi orientali 17 (1937/1939), 266–278, hier 270. Cf. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982b13, ed. Primavesi (nt. 1), 473. Cf. ibid., 982b14–15, ed. Primavesi (nt. 1), 473. Cf. Alexander von Aphrodisias, In Aristotelis Metaphysica Commentaria, ed. M. Hayduck (Commentaria in Aristotelem Graeca 1), Berlin 1891, 16,4–6. Wie Dooley in seiner kommentierten englischen Übersetzung erklärt (cf. Alexander of Aphrodisias, On Aristotle Metaphysics 1, London e. a. 1989, 36, nt. 70), behandelt Alexander die Frage, warum Magneten Eisen anziehen,

152

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ist der Ammonios-Schüler Asklepios von Tralleis etwas zurückhaltender und verweist lediglich auf die knifflige Frage, „weshalb sich das Meer nicht durch jene Flüsse vermehre, die in ihm mündeten (dia ti mē auxetai hē thalassa tosoutōn potamōn eiserchomenōn eis autēn )“ 56. Zur Debatte steht dabei auch, welche Phänomene Aristoteles tatsächlich als Auslöser des ‚philosophischen Staunens‘ betrachtet und durch welche Eigenschaften sie sich auszeichnen. Diese Frage greift auch Avicennas ‚Kitāb al-Šifāʾ‘ auf. In einer Passage seines ‚al-Kaun wa-l-fasād (Über Werden und Vergehen)‘ klagt Avicenna etwa, die Menschen staunten über die Fähigkeit eines Magneten, Eisen anzuziehen, jedoch nicht über die des Feuers, Gegenstände in Brand zu setzen. Wie das folgende Zitat zeigt, führt er das unterschiedliche Interesse an den beiden natürlichen Vorgängen auf unterschiedliche Grade der Gewöhnung zurück: „Es ist die Gewohnheit der Menschen (wa-min šaʾn al-nās ), dass sie die Ursachen der offenbaren und nahegelegenen Dinge nicht untersuchen, da durch die Häufigkeit ihrer Beobachtung dieser [Dinge] das Staunen bei ihnen erlischt (yuzīlu ʿanhum altaʿagˇ ˇgub ). Das Erlöschen des Staunens wiederum lässt ihre Beschäftigung mit der Suche nach der Ursache zum Erliegen kommen“ 57. Die zitierte Passage reflektiert zunächst den aus ‚Metaphysik‘ A 2 bekannten Gedanken, das Staunen führe zur philosophischen Beschäftigung mit den Ursachen der bestaunten Phänomene. Avicenna bezweifelt jedoch die Fähigkeit der Menschen, über alltägliche Beobachtungen, statt nur über Seltenes und Merkwürdiges zu staunen und der Erforschung der Ursachen aller Phänomene die gleiche Bedeutung zukommen zu lassen. Das Staunen erlösche nach Avicennas Darstellung für die (Masse der) Menschen daher nicht mit der Kenntnis der Ursache, sondern schlicht durch Gewöhnung 58.

56

57

58

ausführlich in Quaestio 2, 23 (cf. Alexandri Aphrodisiensis praeter commentaria scripta minora. Quaestiones, De fato, De mixtione, ed. I. Bruns [Supplementum Aristotelicum 2], Berlin 1892, 72,10–73,30). Asklepios, In Aristotelis Metaphysicorum Libros A–Z Commentaria, ed. M. Hayduck (Commentaria in Aristotelem Graeca 6/2), Berlin 1888, 18,22 sq. Der genaue Ursprung des Beispiels scheint ungeklärt. Es erscheint jedoch prominent in Aristophanes, Die Wolken, ed. K. J. Dover, Oxford 1968, 77,1293 sq., in Lucretius, De Rerum Natura, VI, 608–610, ed. M. Deufert (Bibliotheca Scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Berlin–Boston 2019, 268: „Erstlich (principio ) wundert man sich (mirantur ), daß eine Vergrößrung des Meeres nie die Natur zulässt, wohin doch gewaltige Mengen Wassers strömen und überallher sich die Flüsse ergießen.“ (Übersetzung nach Lukrez, Von der Natur/De rerum natura, ed. H. Diels [Sammlung Tusculum], Berlin 32013, 573, angepasst) und findet sogar Widerhall in Ecclesiastes 1,7: „Alle Flüsse fließen in das Meer, dennoch ist das Meer nicht voll“. Zu Asklepios’ Kommentar zu Metaphysik A im Allgemeinen, cf. R. L. Cardullo, Asclepio di Tralle. Commentario al libro Alpha meizon (A) della Metafisica di Aristotele, Acireale–Rom 2012. Avicenna, al-Kaun wa-l-fasād (Kitāb al-Šifāʾ), ed. M. Qāsim, Kairo 1969, 255. Mein Verständnis des Textes hat von dessen gemeinsamer Lektüre am 08. 11. 2019 im Rahmen der jährlich stattfindenden Lesegruppe der Universitäten Würzburg und München profitiert. Eine englische Übersetzung wird momentan von Jon McGinnis (University of Missouri) vorbereitet. Dazu auch Avicenna, Kitāb al-Šiʿr (Kitāb al-Šifāʾ), ed. ʿA. Badawī, Kairo 1966, 24, wo es heißt: „Imitation hat einen Anteil am Hervorrufen von Staunen, den die Wahrheit nicht hat“, womit Avicenna wohl ausdrücken möchte, dass Wissen nicht zum Staunen veranlasst, außer es wird

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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Wie eingangs erwähnt, ist Avicennas Beispiel für dieses Phänomen (und der Anlass seines Exkurses) das stark ausgeprägte Interesse der Menschen an der Fähigkeit eines Magneten, Eisen anzuziehen, wobei sie sich von der Fähigkeit des Feuers, „in einer einzigen Stunde eine große Stadt niederzubrennen“ 59, oder der Kälte, „das Wasser zu trocknen“ 60 (das heißt, es gefrieren zu lassen), gänzlich unbeeindruckt zeigten. Avicenna ist überzeugt, dass sich dies anders verhielte, wenn das Feuer „etwas Seltenes wäre (šaiʾan ʿazīz al-wugˇūd ), das von einer entlegenen Region der Welt hergebracht würde“ 61. Nach Avicenna ist nämlich „die Anziehungskraft eines Magneten nicht erstaunlicher (aʿgˇab ) als dass eine Pflanze sprießt, ein Sinn wahrnimmt, und eine Bewegung willentlich ausgeführt wird. Aber ihre Abundanz (katßratuhu ) und Allgegenwart (ġalabat wugˇūdihi ) haben das Staunen darüber (al-taʿagˇ ˇgub fīhi ) zum Erlöschen gebracht“ 62. Anders als für die bisher behandelten Autoren ist für Avicenna das entscheidende Element des Staunens somit nicht die Unkenntnis der Ursache einer Sache, sondern schlicht die Seltenheit eines wahrgenommenen Phänomens. Dies ergibt sich auch unmittelbar aus seiner Definition des ‚Staunens‘ (taʿagˇ ˇgub ) in seinem ‚Kitāb al-Nafs (Buch der Seele)‘. Dort heißt es, dass es für den Menschen charakteristisch sei, dass „seinen Wahrnehmungen seltener Dinge (idrākātahu lil-ašyāʾ al-nādira ) ein Affekt folgt, den man ‚Staunen‘ (al-taʿagˇ ˇgub ) nennt und dem das Lachen folgt“ 63. In dieser Beschreibung des Staunens als menschliche Emotion gibt es keinen Verweis auf die Unkenntnis einer Ursache, durch die das Staunen entstehe. Wäre die Unwissenheit alleine hinreichend für die Entstehung des Staunens, dann würden, so ließe sich Avicenna interpretieren, alle Menschen über alles staunen, dessen Ursache ihnen unbekannt ist. Tatsächlich ist es nach

59 60 61

62

63

durch poetische Mittel auf eine unerwartet neue oder ungewohnte Weise präsentiert. Dazu Black, Logic (nt. 26), 256 sqq. und Harb, Arabic Poetics (nt. 7), 95 sqq. Avicenna, al-Kaun wa-l-fasād, ed. Qāsim (nt. 57), 255. Ibid. Ibid. Zu dieser Konklusion gelangt im Übrigen auch Augustinus, De Civitate Dei, XXI, 4, edd. B. Dombart/L. Kalb (Corpus Christianorum Series Latina 48), Turnhout 1955, 764, der über Magneten schreibt: „Indien sendet uns diese Steine. Aber wie wir aufhören, uns darüber zu wundern (desistimus admirari ), wenn wir sie kennen, wird das erst recht für jene gelten, von denen sie kommen. Vorausgesetzt, daß man sie dort ebenso leicht haben kann wie bei uns den Kalkstein, über den wir uns nicht wundern (non miramur ), wenn er wunderbarerweise (miro modo ) durch Wasser erhitzt wird, womit man doch sonst das Feuer löscht, aber nicht erhitzt wird durch Öl, das das Feuer auflodern lässt.“ (Übersetzung nach: Aurelius Augustinus, Vom Gottesstaat [De civitate Dei], Vollständige Ausgabe in einem Band, übersetzt von W. Thimme, Berlin 2011, 683). Avicenna, al-Kaun wa-l-fasād, ed. Qāsim (nt. 57), 256. Eine ähnliche Analyse des Staunens bietet Avicenna auch in seiner knappen Behandlung verschiedener Theorien des Sehens in seiner Besprechung des Halo und Regenbogen. Cf. al-Maʿādin wa-l-ātār al-ʿulwīya (Kitāb al-Šifāʾ), edd. ʿA. al-H  alīm Muntasir/S. Zāyid/ʿA. A. Ismāʿīl, Kairo 1965, 41. Avicenna, Kitāb al-Nafs (Kitāb al-Šifāʾ), ed. F. Rahman, Kairo 1959, 204. Im Rahmen der Logik behandelt Avicenna das Staunen beispielsweise in Avicenna, Kitāb al-Madh˚ al (Kitāb al-Šifāʾ), ed. S. Di Vincenzo (Avicenna, ‚The Healing, Logic: Isagoge‘), Berlin–Boston 2021, 60, wo er auch weitere Emotionen wie Scham und Neid als den Menschen eigentümliche Eigenschaften aufzählt.

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Avicenna aber die Seltenheit mancher Phänomene, die als eigentliche Auslöser des Staunens betrachtet werden müssen. Spiegelt sich diese kritische Haltung gegenüber der menschlichen Emotion des Staunens auch in Avicennas Haltung gegenüber der Philosophiegeschichte? Um dies zu beantworten, ist seine knappe, aber dennoch umfassendste Darstellung des wissenschaftlichen Fortschritts im siebten Buch des ‚Kitāb al-Ilāhīyāt (Metaphysik)‘ aufschlussreich 64. Besonders die vergleichende Lektüre mit al-Fārābīs oben beschriebenem ‚Kitāb al-H  urūf‘ zeigt dabei den eigenwilligen Charakter der sich ebenfalls am Inhalt von ‚Metaphysik‘ A orientierenden Darstellung Avicennas. Die genannte Passage lautet wie folgt: „Wir sagen: Jede Kunst hat einen Anfang der Entstehung 65, in der sie wild und unreif ist; nur, dass sie sich entwickelt, mit der Zeit sich vermehrt und sich schließlich vollendet. Aus diesem Grund war Philosophie in der frühen Phase, in der sich die Griechen mit ihr beschäftigten, rhetorisch. Dann wurde sie vermischt mit Irrtum (ġalatø ) und Dialektik (gˇadal ). Von ihren Disziplinen erreichte die Physik zuerst die breite Masse, dann erwachte ihr Interesse an der Mathematik, dann an der göttlichen [Wissenschaft]. Sie sind dabei von einem Teil zu einem anderen übergegangen, der unpassend war. Als sie nämlich zuerst von den Objekten der Sinneswahrnehmung (al-mahø sūs ) zu den Objekten des Verstandes (al-maʿqūl ) übergingen, wurden sie verwirrt (tašawwašū ).“ 66

Auf den ersten Blick weist die Darstellung in Avicennas ‚Kitāb al-Ilāhīyāt‘ einige Ähnlichkeiten mit der in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  urūf‘ auf. Die Entstehung der Philosophie als System von aufeinander aufbauenden Wissenschaften wird als eine allmähliche Entfaltung dargestellt, die sich letztlich vollendet, wobei Avicenna (ebenso wie al-Fārābī) das von Aristoteles erwähnte anfängliche Staunen über alltägliche Phänomene unerwähnt lässt. Auch die Abfolge der syllogistischen Künste der Rhetorik und Dialektik entspricht derjenigen al-Fārābīs. Die dialektische Phase des wissenschaftlichen Fortschritts beschreibt Avicenna dabei jedoch anders als sein Vorgänger. Während jener die Dialektik als Reaktion auf die durch die Rhetorik entstandene Meinungsverschiedenheit einführt und sie als probate Methode wissenschaftlichen Fortschritts beschreibt, endet Avicennas Abriss mit der Feststellung, dass die Philosophie mit Irrtum (womit wohl die Sophistik gemeint ist) und Dialektik vermischt wurde. Bemerkenswert ist zudem, dass das letzte Stadium der methodischen Entwicklung – der wissenschaftliche Beweis (burhān ) – in Avicennas Darstellung 64

65 66

Zu dieser Passage cf. D. Gutas, Paul the Persian on the classification of the parts of Aristotle’s philosophy: A Milestone between Alexandria and Baġdād, in: Der Islam 60 (1983), 231–267, hier 259, nt. 70 und (mit englischer Übersetzung) A. Bertolacci, The Reception of Aristotle’s Metaphysics in Avicenna’s Kitāb al-Šifāʾ: A Milestone of Western Metaphysical Thought, Leiden– Boston 2006, 217 sq. Zu dieser Lesart cf. Bertolacci, Reception (nt. 64), 217 und 528. ˇ . Š. Qanawātī/S. Zāyid/M. Y. Mūsā/S. Dunyā, Avicenna, Kitāb al-Ilāhīyāt (Kitāb al-Šifāʾ), edd. G Kairo 1960, 310. Avicennas Darstellung des wissenschaftlichen Fortschritts scheint eine größere Parallele zu al-Fārābī, Kitāb al-H ˚ itāba, ed. Langhade (nt. 28), 54 als zu seinem ‚Kitāb al-H  urūf‘ aufzuweisen. Eine französische Übersetzung und Interpretation der oben zitierten Passage findet sich in A. Hasnawi, L’âge de la démonstration (nt. 27), 261 sq.

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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gänzlich fehlt 67. Im Gegensatz zu al-Fārābī führt er hingegen die ‚breite Masse‘ (al-gˇumhūr ) in die Entstehung und Ausgestaltung des wissenschaftlichen Fortschritts ein. Diese breite Masse (an Philosophen) ging von den Gegenständen der Physik zur Mathematik und letztlich zur Metaphysik (bzw. Theologie) über, wobei sie beim letzten Schritt (i. e. beim Übergang vom Sinnlichen zum Intelligiblen) verwirrt wurde. Aus dem Kontext der an die zitierte Passage anschließenden Doxographie wird klar, dass damit die Platoniker und Pythagoreer gemeint sein müssen, deren Ansichten zur Ontologie der Zahlen und zur Ideenlehre Avicenna scharf kritisiert 68. Obwohl al-Fārābī und Avicenna beide auf das Staunen als Anfangsgrund des Philosophierens verzichten, zeichnen die beiden Philosophen doch unterschiedliche Bilder des wissenschaftlichen Fortschritts. Anders als sein Vorgänger, stellt Avicenna die Philosophiegeschichte nicht als eine durch natürliche Wissbegier getragene, zwangsläufige Erfolgsgeschichte dar 69. Auch stellt er den Übergang von den Gegenständen der Physik zu denen der Mathematik und Metaphysik nicht in einen kausalen Zusammenhang mit dem methodischen Fortschritt der syllogistischen Künste wie dies in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  urūf‘ impliziert wird. Doch wie entsteht philosophische Erkenntnis und wissenschaftlicher Fortschritt nach Avicennas Ansicht dann? Hier lohnt sich ein Blick auf seine eigene Darstellung philosophischer Erkenntnis. So warnt Avicenna die Leserschaft seines ‚Kitāb al-Ilāhīyāt (Metaphysik)‘ etwa, dass manche Denker nicht auf dem (in al-Fārābīs ‚Kitāb al-H  urūf‘ beschriebenen) Weg des logischen Schlussfolgerns zu ihrem Wissen gelangen, sondern schlicht durch ihr eingeborenes Genie: „Man muss [den Verwirrten] klarmachen, dass viele derjenigen, die philosophieren (al-mutafalsifīn ) zwar Logik lernen, diese aber nicht benutzen, sondern am Ende Zuflucht zu [ihrem] Genie (qarīhø a ) nehmen und auf diesem reiten wie Reiter ohne Zügel und Zaum.“ 70 67

68

69 70

Avicenna erwähnt die Phase des Beweises jedoch in seiner Adaptation der aristotelischen ‚Rhetorik‘, wo sie seiner Darstellung zufolge nach der Poetik, Rhetorik, Dialektik und Sophistik entsteht. Cf. Avicenna, Kitāb al-H ˚ itāba (Kitāb al-Šifāʾ), ed. M. S. Sālim, Kairo 1954, 201. Zu dieser Passage cf. Hasnawi, L’âge de la démonstration (nt. 27), 262. Zu Avicennas Kritik an Platon cf. auch seinen Epilog in Avicenna, Kitāb al-Safsata (Kitāb alŠifāʾ), ed. A. F. al-Ahwānī, Kairo 1958, 114 sq. und die kommentierte Übersetzung in D. Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition: Introduction to Reading Avicenna’s Philosophical Works, Second, Revised, and Enlarged Edition, including an Inventory of Avicenna’s Authentic Works, Leiden–Boston 2014, 28 sq. Zu Avicennas Verständnis der Philosophiegeschichte im Allgemeinen siehe auch D. Gutas, Avicenna (nt. 68), 227–248 und 323–334. Avicenna, Kitāb al-Ilāhīyāt, edd. Qanawātī e. a. (nt. 66), 51. M. Marmura, Avicenna, The Metaphysics of The Healing, A parallel English-Arabic text, Provo, Utah 2005, 41 übersetzt den Ausdruck ‚al-mutafalsifūn‘ als „those who pretend to be philosophers“. Wie A. A. Akasoy/A. Fidora, The Arabic Version of the Nicomachean Ethics, Leiden–Boston 2005, 19 (besonders nt. 88) jedoch durch eine Reihe von Beispielen belegt haben, muss der Ausdruck ‚al-mutafalsif‘ keineswegs pejorativ verstanden werden. Auch in diesem Fall ist es plausibel anzunehmen, dass Avicenna schlicht ‚viele derjenigen, die philosophieren‘ meint, und nicht diejenigen, die dies nur vorgeben. Auch der Begriff ‚qarīhø a (Genie, Begabung)‘ als höchste Form der philosophischen Begabung ist durchaus positiv besetzt.

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Dass sich Avicenna hierbei selbst in die Reihe ‚ingeniöser Philosophen‘ einschließt, ergibt sich auch aus seiner Beschreibung seiner philosophischen Doktrin, dass Gott alle Dinge auf universelle Weise erkenne und ihm dennoch kein Einzelding entgehe. Dies zu erkennen sei nämlich „unter den erstaunlichen Dinge (wa-hādß ā mina l-ʿagˇāʾib ), deren Konzeptualisierung (tasøawwuruhā ) die Subtilität eines Genies (lutøf qarīhø a ) erfordert.“ 71 Diese beispielhaft aufgezählten Passagen verdeutlichen, dass Avicenna die syllogistischen Methoden nicht notwendigerweise als primären Erkenntnisweg betrachtet, sondern auf die eingeborene Fähigkeit vertraut, die richtigen Mittelbegriffe unmittelbar durch philosophisches Talent zu finden, das heißt, durch Intuition (hø ads ) 72. Diese Einstellung zur philosophischen Erkenntnis spiegelt sich auch in seiner Beschreibung des wissenschaftlichen Fortschritts, die weder eine idealisierte Darstellung philosophischer Erkenntnis, noch eine dialektische Hilfestellung zur eigenen Auffindung der Wahrheit sein soll 73. Die Erkenntnis der Wahrheit ist für Avicenna in letzter Instanz eine Frage der persönlichen Begabung zur intuitiven Erkenntnis, deren Ausprägung von Person zu Person variiere, und die nicht wesentlich durch Kenntnis der syllogistischen Künste erworben wird 74. Avicenˇ adal (Buch der Dialektik)‘ einen Zusammenna selbst stellt in seinem ‚Kitāb al-G hang zwischen der Intuition und der inventorischen Methode der Dialektik her. Dort heißt es, dass wir durch die Übung in der Methode, durch Topoi Argumente zu finden, uns nicht in einem Zustand befinden, „in dem wir uns auf einen Einfall (h˚ ātøir ) oder auf Intuition (hø ads ) verlassen müssen“ 75. Diese Stelle verdeutlicht, dass Avicenna der Intuition prinzipiell dieselbe Aufgabe zukommen lässt wie der (auf aristotelischen ‚Topoi‘, i. e. Argumentations71 72

73

74 75

Avicenna, Kitāb al-Ilāhīyāt, edd. Qanawātī e. a. (nt. 66), 359. D. Gutas beschäftigt sich in mehreren Publikationen mit dem Konzept der Intuition (hø ads ), das er seit der zweiten Auflage seines Buches ‚Avicenna and the Aristotelian Tradition‘ als „guessing correctly (the middle term)“ statt „intuition“ übersetzt. Cf. Gutas, Avicenna (nt. 68), 179–201. Cf. id., Intuition and Thinking: The Evolving Structure of Avicenna’s Epistemology, in: R. Wisnovsky (ed.), Aspects of Avicenna, Princeton 2001, 1–38; und id., Avicenna’s Philosophical Project, in: P. Adamson (ed.), Interpreting Avicenna. Critical Essays, Cambridge 2013, 28–47, besonders 35 sqq. Eine klassische Definition dieses Konzeptes findet sich e. g. in Avicenna, Kitāb al-Išārāt wa-l-tanbīhāt, ed. M. al-Zāriʿī, Qom 2008, 243, wo die Intuition folgendermaßen eingeführt wird: „Was die Intuition (hø ads ) betrifft, so präsentiert sich der Mittelbegriff dem Geist (dß ihn ) spontan (dufʿatan ), entweder dem Wunsch und Bedürfnis folgend, ohne jede Bewegung, oder gänzlich ohne Bedürfnis und Bewegung.“ Zur lateinischen Rezeption cf. D. N. Hasse, Avicenna’s De Anima in the Latin West, London–Turin 2000, 154 sqq. Zu Avicennas doxographischer Aufarbeitung der Vorsokratiker cf. A. Lammer, Doxography and Philosophical Method: Avicenna’s Treatment of Presocratic Opinions, in: A. Lammer/M. Jas (eds.), Received Opinions: Doxography in Antiquity and the Islamic World, Leiden 2022, 302– 332, besonders 312 sqq. Zur methodischen Einbettung der Doxographie in Avicennas ‚Kitāb al-Ilāhīyāt‘ cf. Bertolacci, Reception (nt. 64), 235 sqq. Zu Avicennas negativer Bewertung der Dialektik für die Etablierung erster Prinzipien cf. Hasnawi, L’âge de la démonstration (nt. 27), 276–279. Cf. die Beiträge von D. Gutas in nt. 72. ˇ adal (Kitāb al-Šifāʾ), ed. A. F. al-Ahwānī, Kairo 1965, 48. Avicenna, Kitāb al-G

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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mustern, basierenden) dialektischen Methode des ‚Entdeckens‘ oder ‚Herleitens‘ (istinbātø ) eines Mittelbegriffs. Dazu tritt auch der Einfall (h˚ ātøir ), den Avicenna in seinem ‚Kitāb al-Nafs‘ ebenfalls als eine (Wieder)verbindung mit intelligiblen Inhalten (i. e. Mittelbegriffen) bezeichnet 76. Avicennas kritische Analyse der Psychologie des Staunen scheint somit eine Einheit mit seiner negativen Darstellung der Philosophiegeschichte und der Aufwertung ingeniöser Erkenntnis zu bilden. Da sich das Staunen lediglich auf Seltenes und Ungewöhnliches richte, dient es nicht als verlässlicher Kompass für das richtige Verständnis der natürlichen und intelligiblen Welt. Garant für wahre Erkenntnis und wissenschaftlichen Fortschritt ist nach Avicenna einzig die individuelle Begabung zur intuitiven Erkenntnis. Während für al-Fārābī die Begierde nach der Kenntnis der Ursache wahrgenommener Phänomene den natürlichen Anfangspunkt menschlicher Erkenntnis bildet, sich durch die systematische Entfaltung der syllogistischen Künste entwickelt und schließlich in der Theorie des Beweises ihren Endpunkt findet, betont Avicenna in seinem ‚Kitāb al-Ilāhīyāt‘ stattdessen die Unfähigkeit der breiten Masse an Philosophen zur wahren, ingeniösen Erkenntnis. V. Fazit: Die Stellung des ‚aporetischen Staunens‘ in der arabisch-islamischen Philosophie Welchen Eindruck hat die in diesem Beitrag skizzierte philosophische Debatte über die Natur des Staunens in der islamischen Welt hinterlassen? Gibt es Spuren der Kritik in späteren Werken arabisch-islamischer Philosophen und Literaten? Eine klare Antwort kann darauf im Rahmen dieser Untersuchung nicht gegeben werden. Wenn der vielgelesene Kosmograph Zakarīyāʾ b. Muh ammad al-Qazwīnī (gest. 682/1283) das ‚Staunen‘ (hier ʿagˇab ) als „ein Verwirrtsein (hø aira ), das dem Menschen zustößt, weil es ihm an Kenntnis der Ursache (li-qusøūrihi ʿan maʿrifat sabab al-šaiʾ) oder an Kenntnis der Art und Weise ihrer Wirkung darin fehlt“ 77 beschreibt (und es ließen sich gewiss weitere Beispiele anführen), 76

77

Avicenna, Kitāb al-Nafs, ed. Rahman (nt. 63), 247. Auch im Schlusskapitel seiner Adaption der aristotelischen ‚Meteorologie‘, schreibt Avicenna, dass die Künste entweder „in der Überlegung der Seele (rawīyat al-nafs ) oder in der Inspiration Gottes (ilhām Allāh )“ ihren Ursprung haben. Cf. Avicenna, al-Maʿādin wa-l-ātār al-ʿulwīya, edd. al-H  alīm Muntasir e. a. (nt. 62), 79. München, BSB, arab. 464, fol. 2v. Für eine Edition siehe Zakarīyāʾ b. Muh ammad b. Mah mūd al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt, ed. F. Wüstenfeld, Göttingen 1849, 5. Wie S. von Hees, Enzyklopädie als Spiegel des Weltbildes, Wiesbaden 2002, 91–95 jedoch bemerkt, ist die Münchner Handschrift der früheste erhaltene und ein noch zu Qazwīnīs Lebzeiten angefertigter Textzeuge. Wüstenfelds Edition hingegen basiert auf späteren Handschriften. Übersetzung: A. Giese, al-Qazwīnī, Die Wunder des Himmels und der Erde, Lenningen 2004, 25 (mit Änderungen). Für eine ähnliche Definition im Briefwechsel zwischen Abū H  ayyān al-Tauh īdī und Miskawaih cf. ntt. 13 und 14. Für al-Qazwīnīs Beschreibung der Eigenschaften und Verhaltensweisen einzelner Tiere als Zeichen eines weisen und providentiellen Schöpfergottes cf. den Beitrag von Sarah Virgi in diesem Band.

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dann lässt sich darauf schließen, dass hierfür die auf Aristoteles zurückgehende Definition des Staunens als ‚Unkenntnis der Ursache‘ den Hintergrund bildet. Zur Modellhaftigkeit des ‚aporetischen‘ Staunen gesellt sich jedoch auch das in der Einleitung als Gegenstück zum aristotelischen Staunen inszenierte, vor allem in den Galenischen Schriften verbreitete ‚kontemplative‘ Staunen. Diese Form des Staunens schließt für al-Qazwīnī gleichermaßen Dinge ein, die bekannt waren, wie etwa die Größe der Sonne im Verhältnis zur Erde, und Dinge, deren Ursache seinen Zeitgenossen noch unbekannt waren, wie die dunklen Mondflecken oder die Milchstraße. Für al-Qazwīnī ist beides gleichermaßen eine Hinführung zur Wertschätzung Gottes durch die Perfektion und Mannigfaltigkeit seiner Schöpfung. Mit einem bekannten Zitat Alfred North Whiteheads lässt sich dieses Amalgam aus aristotelisch-aporetischem und galenisch-kontemplativen Staunen wie folgt ausdrücken: „Philosophy begins in wonder. And, at the end, when philosophical thought has done its best, the wonder remains. There have been added, however, some grasp of the immensity of things, some purification of emotion by understanding.“ 78 Ein Ziel dieses Beitrags war es, zu zeigen, dass die philosophische Rezeption dieser Emotion, die nach Platons Theaitetos ‚den Philosophen eigentümlich ist‘, entgegen der breiten Rezeption und weitläufigen Begeisterung für das Staunen in verschiedenen Gattungen der arabischen Literatur, in der Philosophie durchaus auch ambivalente, bisweilen skeptische und ablehnende Züge trägt. Manche der Gründe für die geschilderte ablehnende Haltung erwähnt auch al-Qazwīnī in seinem oben zitierten Werk. So heißt es in der Fortsetzung des einleitenden Kapitels, dass der erwachsene Mensch „wegen der langen Zeit seiner Vertrautheit [mit den Gegenständen der Wahrnehmung] die Fähigkeit des Staunens verloren hat. Wenn er nun plötzlich ein seltsames Tier (hø ayawānan ġarībatan ), eine seltene Pflanze (nabātan nādiran ) oder eine Tat, die das Gewohnte durchbricht (fiʿlan h˚ āriqan li-l-ʿādāt ), sieht, bewegt er seine Zunge mit Lobpreis und sagt ‚Gelobt sei Gott‘ und er sieht doch sein Leben lang Dinge, über die die Geister der Verständigen in Verwirrung geraten (tatah˚ ayyaru fīhā ʿuqūl al-ʿuqalāʾ) und über die die Seelen der Klugen verblüfft sind.“ 79

Al-Qazwīnī greift hier den Kritikpunkt Avicennas auf, wonach das Staunen bei der Masse an Menschen durch Gewöhnung erlischt und einzig durch den Kontakt mit Seltenem und Ungewöhnlichen entfacht wird. Diese von der Philosophie inspirierte Kritik scheint eine pauschale Beschreibung der ʿagˇāʾib-Literatur, die im Werk al-Qazwīnīs ihre mustergültige Vollendung findet, als Ausruck des Niedergangs der Wissenschaften und der Zunahme des Bedürfnisses nach rein unterhaltender Literatur in der islamischen Welt zumindest ein Stück weit 78 79

A. N. Whitehead, Nature and Life, Cambridge 1934, 96. Teile dieses Zitats verwenden auch Candiotto/Politis, Epistemic Wonder (nt. 5), 36. München, BSB, arab. 464, fol. 2v sq. und al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt, ed. Wüstenfeld (nt. 77), 5. Übers. Giese, Wunder des Himmels (nt. 77), Lenningen 2004, 25 sq.

Staunen, Wissbegier und Erkenntnisfortschritt nach al-Fārābī und Avicenna

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zu korrigieren 80. Im Lichte der Analyse dieses Beitrags ließe sich al-Qazwīnīs Werk über die Wunder der Schöpfung auch als ein Angebot an die Kritik der Philosophen und als ein Versuch interpretieren, das verlorengegangene Staunen über Alltäglich-Erstaunliches durch die Neugierde nach Außergewöhnlich-Merkwürdigem neu zu entfachen. Das Staunen über ‚die Seltsamkeiten der existierenden Dinge‘ (ġarāʾib al-maugˇūdāt ) kann, so ließe sich al-Qazwīnīs Angebot verstehen, zu einem Studium der gewöhnlichen, von einem Schöpfergott geschaffenen Dingen anleiten, die letztlich nicht weniger erstaunlich und gleichermaßen Ausdruck seiner Güte und Vorsehung sind. Als Funken, an denen sich die menschliche Wissbegier entzünden, so ließe sich die Argumentation noch einen Schritt weiter führen, findet so auch allerlei Seltenes, Seltsames, Merkwürdiges, und Monströses letztlich seinen Platz in der vom Schöpfergott providentiell eingerichteten Welt.

80

Cf. C. E. Dubler, ʿAdjāʾib, in: H. A. R. Gibb/J. H. Kramers/E. Lévi-Provençal/J. Schacht (eds.), The Encyclopaedia of Islam, 2nd Edition, vol. 1, Leiden 1986, 203: „The Arabic literature of the 4th/10th and 5th/11th centuries, called ‚classical‘, is characterized by an equilibrium between erudition and aesthetic creation. When this equilibrium was disturbed by the decadence of Arabic literature, the writers increasingly disregarded science; the ʿadjāʾib thus came into greater favour and reached their full development in the cosmographies of the 8th/14th century.“

Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin Isabelle Mandrella (München) I. Einleitung Als Walter Benjamin 1919 gemeinsam mit seinem Freund Gershom Scholem in satirischer und bildungskritischer Absicht die fiktive Universität von Muri gründete, auf deren Programm unter anderem Adolf von Harnacks Vorlesung „Das Osterei. Seine Vorzüge und seine Gefahren“, Max Schelers „Übungen zum Konklave“ oder Robert Eislers „Geschichte des abendländischen Paganismus von Papageno bis Paganini“ standen, war vorgesehen, dass das Portal der Lehranstalt folgenden Leitspruch tragen sollte: „Lirum Larum Löffelstiel, kleine Kinder fragen viel“ 1. Über die genaue wörtliche Fortsetzung dieses bereits in ‚Des Knaben Wunderhorn‘ aufgenommenen Volksliedes 2 herrscht zwar Uneinigkeit, aber vermutlich hatte Benjamin die folgende vor Augen: „Kleine Kinder fragen viel. Fragen dies und fragen das; warum ist das Wasser nass?“ Ganze Regale voller Ratgeber gibt es, die erklären, dass und warum Kinder in einem gewissen Alter Warum-Fragen stellen und wie diese anstrengende Phase in der Erziehung am besten bewältigt werden kann. Einig ist sich die Pädagogik darin, dass diese Fragen nicht einfach als dumm oder absurd abgetan werden sollten, wenngleich sie in der Gefahr stehen, realitätsfern oder gar sinnlos zu sein. Denn sie fördern zwei für den Menschen wichtige Einsichten: Zum einen, dass man nicht alles wissen kann, was man wissen will, und zum anderen – und hier verbirgt sich wohl die bildungskritische Absicht der Erfinder der Universität von Muri – dass man nicht alles wissen muss, was man wissen kann. Hebt man das Problem auf eine allgemeinere philosophische Ebene, zeigt sich, dass in diesem Wissen-Wollen weit mehr steckt als eine entwicklungspsychologische Stufe frühkindlichen Verhaltens. Denn die Philosophie, die ihren Ursprung bekanntlich im Staunen hat, zählt das Fragen und den sich dahinter verbergenden Drang nach Wissen zum Wesen des Menschen und fasst beides als etwas grundsätzlich Positives auf. Nichts anderes will der berühmte erste Satz der ‚Metaphysik‘ des Aristoteles zum Ausdruck bringen: „Alle Menschen 1

2

Cf. O. Lubrich/M. Stolz, Die Universität von Muri. Benjamins Berner Anfänge, Bern 2019, 23–33, URL: https://www.unibe.ch/unibe/portal/content/e809/e991/e993/e41749/e719547/ e854060/DieUniversittvonMuri_ger.pdf (Stand: 08. 02. 2021). Cf. A. von Arnim/C. Brentano, Des Knaben Wunderhorn, vol. 3, Heidelberg 1808, 37 sq.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-007

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streben von Natur nach Wissen.“ 3 Für das antik-mittelalterliche Menschenbild gilt deshalb, dass das Erkennenwollen – so heißt es bei Thomas von Aquin, um den es hier gehen soll – als solches uneingeschränkt gut ist, da der Mensch als Vernunftwesen in der Erkenntnis der Wahrheit vervollkommnet wird und seine Gottebenbildlichkeit verwirklicht 4. II. War um-Frag en: Eine besondere Gattung Insbesondere Warum-Fragen kommt in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu, denn sie beschränken sich nicht nur auf das bloße Was eines Gegenstandes, sondern fragen darüber hinaus nach dem Grund oder der Ursache, warum es sich mit einem Gegenstand so und nicht anders verhält. Antworten auf Warum-Fragen bieten folglich begründetes und abschließendes Wissen über einen Gegenstand; bereits für Aristoteles zählt die Erforschung der Ursachen deshalb konstitutiv zur Wissenschaft 5. Es ist nun kein Zufall, dass Aristoteles das Streben nach Wissen programmatisch ausgerechnet an den Anfang seiner Metaphysik stellt. Denn die Funktion der Metaphysik als erster Philosophie besteht darin, die allgemeinsten Strukturen der Wirklichkeit zu erschließen und damit einen fundamentalen, allen Dingen gemeinsamen Gegenstand zu betrachten: Das Seiende, insofern es seiend ist 6. Es ist – so Thomas in seinem Prolog zum ‚Metaphysikkommentar‘ – das zuhöchst Erkennbare, denn da Erkenntnis sich auf das Allgemeine richtet, gilt: Je allgemeiner ein Gegenstand ist, um so erkennbarer ist er. Die Metaphysik bietet folglich höchste Erkenntnis bzw. tritt als die höchste Wissenschaft – als die ‚regulatrix (Königin) der Wissenschaften‘, wie Thomas sagt – auf 7. Dies hat Konsequenzen für die Warum-Frage nach den Ursachen, denen sich auch die Metaphysik, sofern sie Wissenschaft sein will, zu stellen hat. Denn 3

4 5 6 7

Für Thomas heißt das: „Inest enim homini naturale desiderium cognoscendi causam, cum intuetur effectum“, Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 12, 1, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 4), Rom 1888, 15. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 167, 1, arg. 1 et 2, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 10), Rom 1899, 345. Cf. Aristoteles, Zweite Analytiken, I, 2, 71b–72a; id., Physik, I, 1, 184a. Aristoteles, Metaphysik, IV, 1, 1003a. Thomas von Aquin, In Metaphysicam Aristotelis commentaria, prooemium, ed. M.-R. Cathala, Turin 1935, 1 sq.: „ita scientia debet esse naturaliter aliarum regulatrix, quae maxime intellectualis est. Haec autem est, quae circa maxime intelligibilia versatur. […] Nam, cum sensus sit cognitio particularium, intellectus per hoc ab ipso differre videtur, quod universalia comprehendit. Unde et illa scientia maxime est intellectualis, quae circa principia maxime universalia versatur. Quae quidem sunt ens, et ea quae consequuntur ens, ut unum et multa, potentia et actus. Huiusmodi autem non debent omnino indeterminata remanere, cum sine his completa cognitio de his, quae sunt propria alicui generi vel speciei, haberi non possit. Nec iterum in una aliqua particulari scientia tractari debent: quia cum his unumquodque genus entium ad sui cognitionem indigeat, pari ratione in qualibet particulari scientia tractarentur. Unde restat quod in una communi scientia huiusmodi tractentur; quae cum maxime intellectualis sit, est aliarum regulatrix.“

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unter diesen Bedingungen ist klar, dass auch die gesuchten Ursachen des Seienden, insofern es seiend ist, in allgemeinster Hinsicht zu denken sind. Die Metaphysik erhält ihre Bezeichnung ‚erste Philosophie‘ für Thomas eben daraus, dass sie nicht irgendwelche, sondern die ersten Ursachen betrachtet 8. Die Frage nach dem Warum in der Metaphysik läuft so auf eine letzte abschließende Frage nach dem Warum der Wirklichkeit überhaupt hinaus. Auch dieses Moment macht die Metaphysik laut Thomas zur ‚Königin der Wissenschaften‘: Denn die eine abschließende Ursache alles Seienden, wie sie in der Metaphysik erschlossen wird, zu kennen, ist seinerseits etwas zuhöchst Erkennbares 9. Damit rückt eine besondere Gattung von Warum-Fragen in den Blick, nämlich ultimative Fragen, genauer gesagt: die ultimative Frage nach einem abschließenden Warum (denn sofern es abschließend sein soll, kann es nur eines geben) 10. Ihre prominenteste Gestalt hat sie bei Heidegger gefunden, der sie – selbstverständlich mit Anleihen an die Philosophiegeschichte – als die Grundfrage der Metaphysik bezeichnet hat: „Warum ist überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts?“ 11 Allerdings birgt diese Formulierung einige Probleme in sich, auf die ich später noch eingehen möchte; zunächst sei sie deshalb in einem weiten, unspezifischen Sinne verwendet. An vielen Stellen neben dem bereits erwähnten Prolog zum ‚Metaphysikkommentar‘ weist Thomas darauf hin, dass das Wissen um die Ursachen höchstes Wissen darstellt und dass es in der Logik dieser Einsicht liegt, dass dieses Wissen zum Wissen um die eine erste bzw. letzte Ursache abschließend, das heißt unüberbietbar gesteigert werden kann. Der Grund für diese Überzeugung liegt in der bekannten aristotelischen Lehre, dass die Ursachen sachlich früher sind als ihre Wirkungen und somit ihrer Natur nach erkennbarer 12 – obwohl wir mittels unseres eingeschränkten Erkenntnisvermögens (in diesem Zusammenhang tritt der berühmte Vergleich mit der Nachteule auf 13, den auch Thomas immer wie8 9

10

11 12 13

Ibid., 2: „Dicitur autem prima philosophia, inquantum primas rerum causas considerat.“ Ibid., 1: „Nam ex quibus intellectus certitudinem accipit, videntur esse intelligibilia magis. Unde, cum certitudo scientiae per intellectum acquiratur ex causis, causarum cognitio maxime intellectualis esse videtur. Unde et illa scientia, quae primas causas considerat, videtur esse maxime aliarum regulatrix.“ (Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass Thomas in seinem Prolog eine dritte Gattung zuhöchst erkennbarer Gegenstände nennt, die er allerdings mit der ersten Ursache identifiziert, nämlich das immaterielle, göttliche Seiende.) Cf. hierzu auch J. F. Wippel, Thomas Aquinas on the Ultimate Why Question. Why Is There Anything at All Rather than Nothing Whatsoever?, in: id. (ed.), The Ultimate Why Question. Why Is There Anything at All Rather than Nothing Whatsoever?, Washington, D.C. 2011, 84– 106. Wippel stellt zu Recht fest, dass die ‚ultimate why question‘ bei Thomas in der wortwörtlichen Formulierung des ‚Why is there anything at all‘ nicht vorkommt. Er deutet die offensichtliche Beschäftigung des Thomas mit diesem Thema als Antwort auf die Frage „why did God create anything at all?“ (ibid., 89) und widmet sich folglich der thomanischen Vorstellung vom göttlichen Schöpferwillen. M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik, Tübingen 31966, 1. Cf. nt. 5; Aristoteles, Metaphysik V, 11, 1018b–1019a; id., Kategorien, 12, 14a. Cf. Aristoteles, Metaphysik II, 1, 993b.

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der benutzt) die Wirkungen zuerst erkennen. So heißt es in aller wünschenswerten Klarheit im Vorwort zum ‚Kommentar zum Liber de causis‘: „Wie der Philosoph im zehnten Buch der Ethik sagt, besteht die höchste Glückseligkeit des Menschen in der besten Tätigkeit des Menschen, die [jene Tätigkeit] des höchsten Vermögens, also des Intellekts, im Hinblick auf das beste Erkennbare ist. Weil aber eine Wirkung durch die Ursache erkannt wird, ist es offensichtlich, dass die Ursache gemäß ihrer Natur besser erkennbar ist als die Wirkung, auch wenn bei uns die Wirkungen manchmal bekannter sind als die Ursachen, weil wir die Kenntnis der allgemeinen und erkennbaren Ursachen aus den Einzeldingen erhalten, die unter den Sinn fallen. Die ersten Ursachen der Dinge müssen also, wenn man schlechthin spricht, gemäß ihrer selbst die höchsten und am besten erkennbaren Dinge sein, weil sie auf die höchste Weise seiend und auf höchste Weise wahr sind, da sie für die anderen Dinge die Ursache für das Wesen und die Wahrheit sind, wie durch den Philosophen im zweiten Buch der Metaphysik deutlich gemacht wird, obwohl derartige erste Ursachen in Bezug auf uns weniger und später bekannt sind. Unser Intellekt verhält sich zu ihnen nämlich wie das Auge der Nachteule zum Licht der Sonne, das sie wegen der von ihr ausgehenden Helligkeit nicht vollkommen wahrnehmen kann. Die höchste Glückseligkeit, die der Mensch in diesem Leben erwerben kann, muss also in der Betrachtung der ersten Ursachen bestehen, denn das Wenige, das von ihnen gewusst werden kann, ist liebenswerter und vornehmer als alles, was von den niedrigeren Dingen erkannt werden kann, wie durch den Philosophen im ersten Buch der Schrift De partibus animalium deutlich gemacht wird. Insofern diese Erkenntnis aber in uns nach diesem Leben vervollkommnet wird, wird der Mensch vollkommen glücklich gemacht, gemäß jener [Aussage] des Evangeliums: ‚Darin besteht das ewige Leben, dass sie dich, den einen wahren Gott, erkennen.‘ Folglich bestand die Absicht der Philosophen an erster Stelle darin, durch alles, was sie bei den Dingen betrachteten, zur Erkenntnis der ersten Ursachen zu gelangen.“ 14 14

Thomas von Aquin, Super librum de causis expositio, prooemium, ed. H. D. Saffrey, Fribourg– Louvain 1954, 1, 4–2, 16: „Sicut philosophus dicit in X Ethicorum, ultima felicitas hominis consistit in optima hominis operatione quae est supremae potentiae, scilicet intellectus, respectu optimi intelligibilis. Quia vero effectus per causam cognoscitur, manifestum est quod causa secundum sui naturam est magis intelligibilis quam effectus, etsi aliquando quoad nos effectus sint notiores causis propter hoc quod ex particularibus sub sensu cadentibus universalium et intelligibilium causarum cognitionem accipimus. Oportet igitur quod simpliciter loquendo primae rerum causae sint secundum se maxima et optima intelligibilia, eo quod sunt maxime entia et maxime vera cum sint aliis essentiae et veritatis causa, ut patet per philosophum in II Metaphysicae, quamvis huiusmodi primae causae sint minus et posterius notae quoad nos: habet enim se ad ea intellectus noster sicut oculus noctuae ad lucem solis quam propter excedentem claritatem perfecte percipere non potest. Oportet igitur quod ultima felicitas hominis quae in hac vita haberi potest, consistat in consideratione primarum causarum, quia illud modicum quod de eis sciri potest, est magis amabile et nobilius omnibus his quae de rebus inferioribus cognosci possunt, ut patet per philosophum in I De partibus animalium; secundum autem quod haec cognitio in nobis perficitur post hanc vitam, homo perfecte beatus constituitur secundum illud Evangelii: ‚Haec est vita aeterna ut cognoscant te Deum verum unum.‘ Et inde est quod philosophorum intentio ad hoc principaliter erat ut, per omnia quae in rebus considerabant, ad cognitionem primarum causarum pervenirent.“ Die Übersetzung stammt von J. G. Heller, in: Thomas von Aquin, Kommentar zum Buch von den Ursachen. Lateinisch – Deutsch (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 39), Freiburg e. a. 2017, 55–57. Zur Unterscheidung von den priora simpliciter und der demonstratio propter quid auf der einen, und den priora quoad nos und der demonstratio quia auf der anderen Seite cf. auch Summa theologiae, I, 2, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 30.

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Die Glückseligkeit des Menschen qua vernunftbegabter Natur bzw. die höchste Vollendung seiner intellektuellen Tätigkeit hängt also fundamental mit dem Fragen nach dem Warum zusammen und realisiert sich dort in unüberbietbarer Weise. Aber ist die Frage nach dem abschließenden Warum alles dessen, was ist, überhaupt als eine philosophisch sinnvolle Frage auszuweisen und dem Vorwurf der Irrelevanz oder Unmöglichkeit zu entziehen? Zu Recht gilt es daran zu erinnern, dass auch ein anderes metaphysisches Hauptwerk, nämlich Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‘, mit einer programmatischen Aussage beginnt, nämlich dass der menschlichen Vernunft das besondere Schicksal zukomme, „durch Fragen belästigt“ zu werden, „die sie nicht abweisen kann“, weil sie ihr „durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben“ sind, die sie aber auch nicht beantworten kann, weil sie ihr Vermögen übersteigen 15. Hier zeichnen sich die Zusammenhänge von Metaphysik und Erkenntnistheorie ab, die zu Kants Konzeption der Transzendentalphilosophie geführt haben, die allerdings auch Thomas keineswegs fremd waren 16. Im Folgenden möchte ich jedoch nicht weiter auf diese Zusammenhänge eingehen. Mich interessiert vielmehr eine andere Frage, die im Zusammenhang mit dem Thema der curiositas steht: Warum-Fragen haben doch zweifellos etwas mit Neugier zu tun; einer Neugier, die – wie wir bei Aristoteles, Thomas und Kant gesehen haben – in der Natur des nach Erkennen und Wissen strebenden Menschen bzw. der Vernunft liegt. Und doch ist die Neugier für Thomas ein Laster – gewissermaßen ein falsches Wissenwollen. Exemplarisch zeigt sie sich im Sündenfall, als Adam und Eva sich, von der Neugier getrieben, um ihre paradiesischen Lebensumstände brachten 17. Steht das metaphysische Fragen in der Absicht, ein abschließendes Warum finden zu wollen, aber nicht in einer ganz ähnlichen Gefahr? Wieso fallen Warum-Fragen in der Metaphysik nicht unter Neugier? Erschwerend tritt hinzu, dass Thomas der Meinung ist – im obigen Zitat war es bereits angeklungen –, dass eine vollständige Erkenntnis der ersten Ursache, also eine über ihre Dass-Erkenntnis hinausgehende, dem Menschen gar nicht möglich ist, da sein Intellekt aufgrund der Gebundenheit des Erkennens an die Sinneswahrnehmung nicht dazu in der Lage ist, die erste Ursache, die nicht anders als immateriell zu denken ist, vollständig zu erkennen 18. Wäre aber nicht eben dies das treffendste Argument für eine Zuschreibung ultimativer WarumFragen an die Neugier: Dass es angesichts der epistemologischen Unzugänglichkeit einer Letztursache völlig unsinnig oder zumindest (mit Kant) überschwäng15 16

17

18

Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, A VII. Cf. hierzu I. Mandrella, Metaphysik und Erkenntniskritik bei Thomas von Aquin, in: C. Erhard/ D. Meißner/J. Noller (eds.), Wozu Metaphysik? Historisch-systematische Perspektiven, Freiburg– München 2017, 265–284. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae II-II, 141, 4, arg. 4, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 126: „Sed quandoque propter concupiscentias delectationum spiritualium aliqui discedunt a legibus Dei et a statu virtutis: sicut propter curiositatem scientiae. Unde et primo homini diabolus scientiam promisit“. Cf. hierzu auch C. Steel, Der Adler und die Nachteule. Thomas und Albert über die Möglichkeit der Metaphysik (Lectio Albertina 4), Münster 2001.

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lich ist, nach dem ultimativen Grund der Wirklichkeit zu fragen? Warum auch nach dem Warum fragen, wenn ohnehin feststeht, dass die Antwort nicht gefunden werden kann? Bewegen wir uns hier nicht auf dem Niveau von ‚Lirum Larum Löffelstiel-Fragen‘? 19 In Klammern sei hinzugefügt, dass dieser letzte Punkt freilich auch anders ausgelegt werden kann. Der schon erwähnte Heidegger vertritt nämlich die Meinung, dass die ultimative Warum-Frage von einem christlichen Denker gar nicht beantwortet werden kann, weil sie durch den Glauben an einen schöpferischen Gott immer bereits beantwortet ist. „Wer auf dem Boden solchen Glaubens steht“, so Heidegger, „der kann zwar das Fragen unserer Frage in gewisser Weise nach- und mitvollziehen, aber er kann nicht eigentlich fragen, ohne sich selbst als einen Gläubigen aufzugeben mit allen Folgen dieses Schrittes. Er kann nur so tun, als ob…“ 20. Ich möchte an dieser Stelle nicht weiter auf das Argument eingehen, weil der Befund zunächst dagegen spricht, das heißt dass nicht nur Thomas, sondern auch andere christliche Denker des Mittelalters, wenngleich nicht alle der exakten Formulierung nach, sich diese Frage sehr wohl, nämlich aus genuin philosophischen Gründen, gestellt haben 21. III. Neugier In seiner Abhandlung über die Neugier in der ‚Summa theologiae‘ II-II, 167, fällt auf, dass Thomas die Problematik um die der Vernunft anhaftende Unbegrenzbarkeit des Fragens und Wissenwollens wohl bewusst ist. Eben deshalb stellt der erste Artikel pointiert die Frage, ob Neugier in Bezug auf intellektive Erkenntnis überhaupt möglich sei, oder ob sie – so der zweite Artikel – nicht vielmehr in den Bereich der Sinneswahrnehmung falle. Die Einwände gegen die Lasterhaftigkeit der Neugier im Bereich des Intellektiven operieren alle mit dem einen Argument: Wenn die Glückseligkeit des Menschen in der intellektuellen Tätigkeit besteht, durch die der Intellekt in die Wirklichkeit der Wahrheitserkenntnis geführt wird und somit seine Gottebenbildlichkeit verwirklicht, weil er durch die Wahrheitserkenntnis Gott ähnlich wird, dann kann die Erkenntnis der Wahrheit, „so viel auch immer sie überfließen möge (quantumcumque abundet cognitio veritatis )“, nicht schlecht genannt werden 22. 19

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Cf. R. Carnap, Von Gott und Seele. Scheinfragen in Metaphysik und Theologie, in: id., Scheinprobleme in der Philosophie und andere metaphysikkritische Schriften, ed. T. Mormann (Philosophische Bibliothek 560), Hamburg 2004, 49–62, für den es sich in der Metaphysik um „Fragen, die fehlgehen, falsche Fragen“ handelt (ibid., 50). M. Heidegger, Einführung in die Metaphysik (nt. 11), 5. Darüber hinaus sei daran erinnert, wie Etienne Gilson und andere deutlich gemacht haben, dass die besagte Grundfrage der Metaphysik die biblische Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts voraussetzt bzw. nur vor diesem Hintergrund eines zeitlichen Anfangs der Welt überhaupt sinnvoll gestellt werden kann. Cf. A. Zimmermann, Die „Grundfrage“ in der Metaphysik des Mittelalters, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 47 (1965), 141–156, hier: 143. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 167, 1, arg. 1 et 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 345: „Ad primum sic proceditur. Videtur quod circa cognitionem intellectivam non possit esse curiositas. Quia

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In seiner Antwort stellt Thomas deshalb klar, dass die Lasterhaftigkeit der Neugier sich nicht direkt auf den Wissenserwerb bezieht, sondern auf die Art und Weise, wie Wissen bzw. Wahrheit erstrebt und erlangt wird, das heißt auf das Streben (appetitus ) und den Eifer (studium ). Denn der Wissenserwerb als solcher kann aus den besagten Gründen nicht anders als an und für sich (per se ) gut sein; höchstens akzidentell (per accidens ) kann er schlecht genannt werden, und zwar auf zweierlei Weise: Entweder wenn jemand durch die Wahrheitserkenntnis hochmütig wird (superbit ) oder aber sie zum Sündigen benutzt (utitur ad peccandum ) 23. Während das Wissenwollen also immer gut ist, können das Streben und der Eifer in Bezug auf die Wahrheitserkenntnis in rechter oder verkehrter Form auftreten. Die verkehrte Weise, die die Neugier zum Laster macht, tritt zweifach auf: Zum einen, wenn jemand sich nicht auf den wesentlichen Gehalt der Erkenntnis der Wahrheit ausrichtet, sondern – wie oben gesagt – darüber in Hochmut verfällt oder das Erlernte zum Sündigen missbraucht. Gemeint ist gewissermaßen der Missbrauch der wesentlich guten Wahrheitserkenntnis in akzidenteller Hinsicht, die eben auch schlecht sein kann 24. Zum anderen liegt eine Lasterhaftigkeit in diesen Zusammenhängen auf Seiten des Strebens und des Eifers selbst vor, nämlich wenn diese in Unordnung (inordinatio ) geraten. Das äußert sich in vierfacher Weise: Erstens, wenn jemand durch das Studium weniger nützlicher Dinge davon abgehalten wird, sich dem zu widmen, was eigentlich notwendig zur Wahrheitserkenntnis gehört; zweitens, wenn jemand – in abergläubischer Neugier – sein Wissenwollen auf verbotene Mittel wie etwa Geisterbeschwörung stützt; drittens, wenn jemand nach der Erkenntnis der Wahrheit im Bereich des Kreatürlichen strebt, ohne das angemesse-

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secundum philosophum, in II Ethic., in his quae secundum se sunt bona vel mala, non possunt accipi medium et extrema. Sed cognitio intellectiva secundum se est bona: in hoc enim perfectio hominis videtur consistere, ut intellectus eius de potentia reducatur in actum, quod fit per cognitionem veritatis. […] Ergo circa cognitionem intellectivam non potest esse vitium curiositatis. Praeterea, illud per quod homo similatur Deo, et quod a Deo consequitur, non potest esse malum. Sed quaecumque abundantia cognitionis a Deo est, secundum illud Eccli. I, omnis sapientia a Domino Deo est. Et Sap. VII dicitur, ipse dedit mihi horum quae sunt scientiam veram, ut sciam dispositionem orbis terrarum et virtutes elementorum, et cetera. Per hoc etiam homo Deo assimilatur, quod veritatem cognoscit: quia omnia nuda et aperta sunt oculis eius, ut habetur ad Heb. IV. Unde et I Reg. II dicitur quod Deus scientiarum Dominus est. Ergo, quantumcumque abundet cognitio veritatis, non est mala, sed bona. Appetitus autem boni non est vitiosus. Ergo circa intellectivam cognitionem veritatis non potest esse vitium curiositatis.“ Ibid., corpus articuli: „Respondeo dicendum quod, sicut dictum est, studiositas non est directe circa ipsam cognitionem, sed circa appetitum et studium cognitionis acquirendae. Aliter autem est iudicandum de ipsa cognitione veritatis, et aliter de appetitu et studio veritatis cognoscendae. Ipsa enim veritatis cognitio, per se loquendo, bona est. Potest autem per accidens esse mala, ratione scilicet alicuius consequentis, vel inquantum scilicet aliquis de cognitione veritatis superbit, secundum illud I ad Cor. VIII, scientia inflat; vel inquantum homo utitur cognitione veritatis ad peccandum.“ Ibid., ad 2, 346: „Ad secundum dicendum quod ratio illa ostendit quod cognitio veritatis secundum se sit bona, non tamen per hoc excluditur quin possit aliquis cognitione veritatis abuti ad malum, vel etiam inordinate cognitionem veritatis appetere; quia etiam oportet appetitum boni debito modo regulatum esse.“

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ne Ziel, nämlich die Erkenntnis Gottes, im Blick zu haben; viertens schließlich, wenn jemand es mit dem Studium übertreibt, die eigenen geistigen Fähigkeiten überschätzt und dadurch in Irrtümer zu verfallen droht 25. Mit Blick auf unsere Ausgangfrage nach dem Verhältnis von Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik eröffnet sich somit eine ganze Palette an Möglichkeiten. Zunächst muss mit Blick auf die erste verkehrte Weise, dem Missbrauch von Wissen, wohl zugestanden werden, dass grundsätzlich immer die Gefahr besteht, dass jemand, der sich durch Warum-Fragen vertieftes und begründetes Wissen anzueignen versucht, darüber hochmütig wird, sich über andere und ihre Wissensansprüche erhebt und/oder dieses Wissen missbraucht, um seine Machtposition zu festigen und seine eigenen Interessen, gegebenenfalls zum Schaden anderer, durchzusetzen. Dieses Problem betrifft allerdings – und das ist der Punkt, auf den es ankommt – nicht die Wahrheitserkenntnis bzw. das Fragen nach dem Warum als solches. Daneben hat sich in Gestalt der zweiten Weise, wie das Streben nach dem Wissenwollen fehlgehen kann, gezeigt: Warum-Fragen fallen dann unter das Verdikt der Neugier, wenn sie ungeordnet verlaufen. Das ist der Fall, wenn das Streben fehlgeleitet wird; so wenn man sich auf unnützes Wissen bezieht und sich damit von wichtigeren Dingen ablenken lässt (unnütze Neugier); wenn man sich unlauterer, irrationaler Mittel bedient, um Wissen zu erlangen (abergläubische Neugier); wenn man das kreatürliche Wissen verabsolutiert, einen transzendenten Bezug leugnet und somit das eigentliche Ziel, die Erkenntnis Gottes als des höchsten Erkennbaren, verfehlt (beschränkte/verfehlte Neugier); oder wenn man die eigenen Fähigkeiten überschätzt, so dass bei der Beantwortung der Warum-Frage nichts Richtiges herauskommen kann und die Antwort Mutmaßung bleiben muss (unangemessene Neugier). Auf den ersten Blick stellt sich die Lage so dar, als ob Thomas sagen wollte, dass Warum-Fragen und Wissen-Wollen also per se etwas für den Menschen Gutes sind, aber doch von dem Gegenstand abhängen, auf den sie sich richten. Wenn allerdings die Gutheit oder Schlechtigkeit des Wissenwollens von den jeweiligen Gegenständen des Wissens abhinge, würde das das große Problem 25

Ibid., corpus articuli: „Alio autem modo potest esse vitium ex ipsa inordinatione appetitus et studii addiscendi veritatem. Et hoc quadrupliciter. Uno modo, inquantum per studium minus utile retrahuntur a studio quod eis ex necessitate incumbit. Unde Hieronymus dicit: Sacerdotes, dimissis Evangeliis et Prophetiis, videmus comoedias legere, et amatoria bucolicorum versuum verba cantare. Alio modo, inquantum studet aliquis addiscere ab eo a quo non licet, sicut patet de his qui aliqua futura a daemonibus perquirunt, quae est superstitiosa curiositas. De quo Augustinus dicit, in libro de vera Relig.: Nescio an philosophi impedirentur a fide vitio curiositatis in percunctandis daemonibus. Tertio, quando homo appetit cognoscere veritatem circa creaturas non referendo ad debitum finem, scilicet ad cognitionem Dei. Unde Augustinus dicit, in libro de vera Relig., quod in consideratione creaturarum non est vana et peritura curiositas exercenda, sed gradus ad immortalia et semper manentia faciendus. Quarto modo, inquantum aliquis studet ad cognoscendam veritatem supra proprii ingenii facultatem, quia per hoc homines de facili in errores labuntur. Unde dicitur Eccli. III: Altiora te ne quaesieris, et fortiora ne scrutatus fueris, et in pluribus operibus eius ne fueris curiosus; et postea sequitur: Multos enim supplantavit suspicio eorum, et in vanitate detinuit sensus eorum.“

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mit sich bringen, dass die prinzipielle Gutheit des Wissenwollens doch wieder durch bestimmte quasi verbotene Gegenstände eingeschränkt werden müsste. Bei näherem Hinsehen ist das jedoch nicht der Fall: Thomas hebt in allen vier von ihm genannten Fällen vielmehr auf die Art und Weise ab, wie wir das Wissenwollen betreiben: Ob wir die volle Aufmerksamkeit mitbringen und uns nicht ablenken lassen; ob wir unseren Wissenserwerb nicht auf unseriöse Mittel wie etwa Wahrsagerei ausdehnen; ob wir uns bewusst sind, dass das Wissenwollen nicht an den Grenzen der kreatürlichen Welt aufhört, sondern einen transempirischen Bezug einschließt; ob wir uns aber auch bewusst sind, dass wir unser Erkenntnisvermögen nicht überschätzen sollten, da es endlich und von daher fehleranfällig ist 26. Die Überzeugung des Thomas, dass die Gründe für die Degenerierung des Wissenwollens zur Neugier im tätigen Subjekt zu suchen sind, äußert sich nicht zuletzt in seiner These, dass es sich bei der Neugier um ein Laster handelt, also um eine schlechte moralische Disposition, die damit zusammenhängt, dass an ihrem Zustandekommen nicht nur der rationale, sondern auch der appetitive Seelenteil, also das Streben beteiligt sind. Wie oben gesagt tritt das Laster der Neugier dann auf, wenn das Streben ungeordnet verläuft, das heißt nicht der Regulierung durch die Vernunft unterworfen wird. Das zeigt ein Blick in quaestio 166 zum Gegenstück der curiositas, nämlich zur Tugend der studiositas (dem Studiereifer), die im zweiten Artikel als Teil der temperantia (der Mäßigung) bestimmt wird, weil sie den Überfluss dessen, was der Mensch von Natur aus wissen will, reguliert, das heißt den Wissensdurst moderiert 27. Das Problem mit der Neugier liegt also beim Streben, das ungeordnet zu verlaufen droht, weil es sich auf unangemessene, unnütze oder irrationale Weise auf die jeweiligen Gegenstände des Wissens richtet. Das führt Thomas konsequenter Weise zu einer Folgefrage, nämlich ob die Neugier nicht eigentlich etwas sei, das zur sinnlichen Erkenntnis 26

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Dieser letzte Aspekt findet in der folgenden quaestio 168 eine interessante Erwähnung, wenn Thomas in Artikel 2, der der Frage gewidmet ist, ob das Spiel tugendhaft genannt werden könne, die These vertritt, dass auch die Verstandestätigkeit ermüden kann und einer Erholungspause zur Entspannung bedarf, wie sie etwa durch das um seiner selbst willen betriebene Spiel herbeigeführt werden kann (cf. Summa theologiae, II-II, 168, 2, ed. Commissio Leonina [nt. 3], 351). Es klingt jedoch auch an, dass Thomas hier von individuell verschiedenen intellektuellen Fähigkeiten spricht, in denen sich Menschen voneinander unterscheiden. Das ist deutlich der Fall in Super Boetium De trinitate, II, 1, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 50), Rom–Paris 1992, 93, 102–109, wo das Fehlgehen in der Erforschung des Göttlichen darin besteht, dass jemand „ultra modum suae capacitatis“ agiert, was Thomas mit dem Hinweis begründet, dass nicht jedem die gleiche Fassungskraft gegeben sei. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 166, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 343 sq.: „Respondeo dicendum quod, sicut supra dictum est, ad temperantiam pertinet moderari motum appetitus, ne superflue tendat in id quod naturaliter concupiscitur. Sicut autem naturaliter homo concupiscit delectationes ciborum et venereorum secundum naturam corporalem, ita secundum animam naturaliter desiderat cognoscere aliquid, unde et philosophus dicit, in I Metaphys., quod omnes homines naturaliter scire desideran. Moderatio autem huius appetitus pertinet ad virtutem studiositatis. Unde consequens est quod studiositas sit pars potentialis temperantiae“. Cf. auch ibid., ad 3: „studiositas in refrenatione consistit, et secundum hoc ponitur pars temperantiae.“

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gehöre, insofern sie die Vorstufe der intellektiven Erkenntnis darstelle. Und in der Tat scheint er dort darauf hinweisen zu wollen, dass die Sinneserkenntnis insofern ein besonderer – allerdings keineswegs der einzige! – Störfaktor ist, als sie den Menschen vom Wesentlichen ablenkt oder ihn gar auf etwas Schädliches hinordnet 28. Thomas hält also daran fest, dass es im Falle reinen oder direkten Wissenserwerbs keine Fehlform geben kann und somit der Vorwurf der Neugier fehl am Platz ist. Die Ausrichtung auf den falschen Gegenstand, die zur Neugier führt, kommt dadurch zustande, dass das unbegrenzte Streben des Menschen nach Wissen wie alle natürlichen Strebungen durch die Vernunft gestaltet und geregelt werden muss. In diesem Sinne wird auch der Sündenfall von Thomas nicht als ein echtes Streben nach Wissen interpretiert, sondern als Verführung des Teufels, der – den Wissenserwerb für einen fremden Zweck missbrauchend – den Erzeltern versprach, so zu werden wie Gott 29. IV. Wissbegierde in der Metaphysik Ich komme zurück zur Ausgangsfrage nach dem Verhältnis ultimativer Warum-Fragen in der Metaphysik zum Wissenwollen, wie es in Neugier und Studiereifer zum Ausdruck kommt. Ausgehend von der eben aus quaestio 167, 1 zitierten vierfachen Unterscheidung, wann im Intellektiven von Neugier zu sprechen ist, ergeben sich folgende vier Felder: Inwiefern ist die Frage nach einem abschließenden Warum bzw. einer letzten Ursache des Seienden weder (a) unnütz, noch (b) abergläubisch-irrational, noch (c) beschränkt-verfehlt, noch (d) unangemessen? Die Antwort des Thomas ist ganz einfach und lautet: Weil sie notwendig ist, um das Seiende als Seiendes abschließend erklären zu können. Sie ist somit zuhöchst relevant, ihr wohnt ein Höchstmaß an Rationalität inne, sie entspricht dem zuhöchst erkennbaren Gegenstand, auf den alle Erkenntnis zuläuft, und sie ist gleichzeitig den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen angemessen. Bevor dies an einigen Texten belegt werden soll, sei auf ein systematisches Problem verwiesen, das sich hinter dieser Annahme verbirgt und das mit dem Begriff des Seienden, insofern es seiend ist, zusammenhängt. Es bringt uns zurück zur ultimativen Frage, warum es überhaupt Seiendes und nicht vielmehr Nichts gibt. Bereits 1962 hatte sich Albert Zimmermann in seiner Antrittsvorlesung an der Universität zu Köln dem Thema gewidmet, wie diese Heidegger’sche ‚Grundfrage‘ in der Metaphysik des Mittelalters behandelt wird. Kern seiner Ausarbeitung war, dass die aristotelische Ansicht, es sei Sache der Metaphysik, 28

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 167, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 347: „Uno modo, inquantum cognitio sensitiva non ordinatur in aliquid utile, sed potius avertit hominem ab aliqua utili consideratione. […] Alio modo, inquantum cognitio sensitiva ordinatur ad aliquod noxium“. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 165, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 340.

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die Ursachen des Seienden, insofern es seiend ist, zu betrachten 30, bei einigen mittelalterlichen Autoren auf Kritik stoße und dahingehend korrigiert werde, dass sie sich nur auf eine bestimmte Form des Seienden, nämlich auf das verursachte oder endliche Seiende bezieht. Andernfalls müsste man annehmen, dass es in der Metaphysik kein unverursachtes Seiendes (also auch kein unendlichgöttliches Seiendes, als das die gesuchte Ursache angenommen werden müsste) geben könne. Denn sofern auch die letzte, das heißt ihrerseits unverursachte Ursache bzw. das göttliche Seiende selbst ein Seiendes ist und somit unter den Begriff des Seienden, insofern es seiend ist, fällt, kann es nicht gleichzeitig als die Ursache des Seienden, insofern es seiend ist, fungieren. Die These des Aristoteles, die Metaphysik suche die Ursache des Seienden, insofern es seiend ist, führt also – sofern man den Begriff des Seienden, insofern es seiend ist, nicht auf den kreatürlichen Bereich des endlich-verursachten Seienden beschränkt – zu dem Problem, wie in diesem Fall das göttliche Seiende, das keine Ursache hat, noch weiterhin als Seiendes betrachtet werden kann. Wenn man also an der Annahme, dass auch Gott ein Seiendes ist, festhalten möchte, erweist sich die Frage nach dem letzten Warum des Seienden, insofern es seiend ist, als unsinnig, denn wenn man sie zuließe, müsste man auch nach einer Ursache des göttlichen Seienden fragen. Besonderes Interesse verdient hier die auch bei Zimmermann behandelte Antwort des Siger von Brabant, der übrigens die Frage quare est magis aliquid quam nihil explizit stellt 31 – und sie ebenfalls höchstens in Bezug auf das geschaffene, natürliche Seiende zulässt, aber mit Blick auf das Seiende als Seiendes ablehnt: „Wenn man freilich die Gesamtheit alles Seienden zum Gegenstand der Frage macht, warum es in ihr überhaupt etwas gibt und nicht vielmehr nichts, so kann man keine Ursache dafür angeben; denn diese Frage ist mit der Frage identisch, warum überhaupt Gott ist und nicht vielmehr nicht. Für Gottes Dasein aber gibt es keine Ursache.“ 32

Thomas ist allerdings anderer Meinung, denn wie oben bereits gesagt worden war, gehört die Suche nach der ersten Ursache des Seienden für ihn zur Aufgabe der Metaphysik. Dennoch ist er sich der Problematik, dass auch Gott als Ursache ein Seiendes ist und diesen Status zu verlieren droht, bewusst; ja, er weist sogar ausdrücklich darauf hin, dass es deshalb nicht zur Definition bzw. zur Wesensbestimmung des Seienden gehört, verursacht zu sein. Denn andernfalls könne 30 31 32

Cf. Aristoteles, Metaphysik, IV, 1, 1003a und VI, 1, 1025b. Cf. hierzu auch Wippel, Thomas Aquinas (nt. 10), 84–86. Siger de Brabant, Quaestiones in Metaphysicam, IV, ed. A. Graiff (Philosophes médiévaux 1), Louvain 1948, 185 (zitiert nach Zimmermann, Die „Grundfrage“ [nt. 21], 148): „Si vero quaeratur de tota universitate entium, quare magis est in eis aliquid quam nihil, non contingit dare causam, quia idem est quaerere hoc et quaerere quare magis est deus quam non est, et hoc non habet causam.“ Cf. hierzu auch A. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? Die Diskussion über den Gegenstand der Metaphysik im 13. und 14. Jahrhundert. Texte und Untersuchungen, Leuven e. a. 1980, 229– 234.

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es kein unverursachtes Seiendes geben 33. Dies führt jedoch keineswegs zu der Annahme, Gott falle unter den Gegenstand der Metaphysik. Die Lösung des Thomas versucht das Problem zu umgehen, indem sie den Gegenstand der Metaphysik – das allgemeinste Seiende – vom Ziel – der Suche nach den ersten Ursachen dieses Seienden – unterscheidet. Vereinfacht gesagt: In der Metaphysik des Thomas fallen die Frage nach dem Was des Seienden und die Frage nach seinem Warum keineswegs zusammen. Thomas macht das an mehreren Stellen deutlich, an denen er den Gegenstand der Metaphysik, das allgemeinste Seiende, deutlich von der göttlichen Ursache dieses Gegenstandes trennt; obwohl beide in eine gemeinsame Wissenschaft gehören. So wird es im Prolog zum ‚Metaphysikkommentar‘ vertreten 34, aber detaillierter heißt es im ‚Kommentar zu De trinitate des Boethius‘: „Wie aber zu einer jeden bestimmten Gattung gemeinsame Prinzipien gehören, die sich auf alle Prinzipien dieser Gattung erstrecken, so besitzen auch alle Seienden, insofern sie im Seienden übereinkommen, gewisse Prinzipien, welche die Prinzipien aller Seienden sind.“ 35 Diese gemeinsamen Prinzipien bestehen in zweifacher Weise: Zum einen durch Aussage (per praedicationem; zum Beispiel, wenn ich von allen Seienden ‚Form‘ aussage), zum anderen durch Kausalität (per causalitatem ). In beiden Weisen können sie die gemeinsamen Prinzipien des Seienden genannt werden. Zur kausalen Gemeinsamkeit erläutert Thomas: „Denn sofern die Prinzipien der Akzidenzien auf die Prinzipien der Substanz zurückgeführt werden, werden auch die Prinzipien der vergänglichen Substanzen auf die unvergänglichen Substanzen zurückgeführt; und so werden bis zu einem gewissen Grad und in einer gewissen Ordnung alle Seienden auf gewisse Prinzipien zurückgeführt. Und da das, was das Prinzip des Seins in allem ist, [selbst] in höchstem Maße seiend sein muss, wie es im zweiten Buch der Metaphysik heißt, müssen deshalb derarti33

34

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Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 44, 1, ad 1, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 455: „Ad primum ergo dicendum quod, licet habitudo ad causam non intret definitionem entis quod est causatum, tamen sequitur ad ea qua sunt de eius ratione: quia ex hoc quod aliquid per participationem est ens, sequitur quod sit causatum ab alio. Unde huiusmodi ens non potest esse, quin sit causatum; sicut nec homo, quin sit risibile. Sed quia esse causatum non est de ratione entis simpliciter, propter hoc invenitur aliquod ens non causatum.“ Thomas von Aquin, In Metaphysicam, prooemium, ed. Cathala (nt. 7), 2: „Eiusdem autem scientiae est considerare causas proprias alicuius generis et genus ipsum: sicut naturalis considerat principia corporis naturalis. Unde oportet quod ad eamdem scientiam pertineat considerare substantias separatas, et ens commune, quod est genus, cuius sunt praedictae substantiae communes et universales causae. Ex quo apparet, quod quamvis ista scientia praedicta tria consideret, non tamen considerat quodlibet eorum ut subiectum, sed ipsum solum ens commune. Hoc enim est subiectum in scientia, cuius causas et passiones quaerimus, non autem ipsae causae alicuius generis quaesiti. Nam cognitio causarum alicuius generis, est finis ad quem consideratio scientiae pertingit.“ Thomas von Aquin, Super Boetium De trinitate, V, 4, ed. Commissio Leonina (nt. 26), 153, 108–113: „Sicut autem uniuscuiusque determinati generis sunt quaedam communia principia quae se extendunt ad omnia principia illius generis, ita etiam et omnia entia, secundum quod in ente communicant, habent quaedam principia quae sunt principia omnium entium.“ Die Übersetzung stammt von P. Hoffmann, in: Thomas von Aquin, Kommentar zum Trinitätstraktat des Boethius II. Lateinisch – Deutsch (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 3/II), Freiburg e. a. 2007, 119 sqq.

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ge Prinzipien die vollständigsten sein und sie müssen deswegen in höchstem Maße in Wirklichkeit sein […]. Und deswegen müssen jene [Prinzipien] ohne Materie existieren […] und ohne Veränderung. Und von dieser Art ist das Göttliche […].“ 36

Hier zeigt sich somit, dass es nach thomanischem Verständnis eine letzte Ursache (bzw. Prinzip) alles Seienden gibt, die dennoch selbst dadurch nicht aufhört, Seiendes zu sein, sondern im Gegenteil vielmehr ein maxime ens, das heißt den Inbegriff des Seienden darstellt: Ein rein wirkliches (also möglichkeitsloses) Seiendes, das folglich immateriell und unveränderlich ist. Diese substanzontologische Verortung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Thomas sich hier immer noch auf der Ursachenebene bewegt, deren Behandlung auch in der Metaphysik wissenschaftstheoretisch gefordert ist, die aber vom Gegenstand der Metaphysik – dem allgemeinen Seienden – zu unterscheiden ist. Die Funktion des göttlichen Seienden als Ursache alles Seienden ist es dann auch, worin sich die Metaphysik von der Theologie unterscheidet, die das göttliche Seiende in sich selbst betrachtet und nicht, insofern es Ursache ist. In diesem Kontext wiederholt Thomas seine Vorbehalte gegen die Erkennbarkeit dieser ersten Ursache, indem er erneut den Vergleich mit der Nachteule anführt und als Folge dessen betont, dass die erste Ursache sich nur über ihre Wirkungen und auch nur in ihrem Dass einsichtig machen lässt. Diese Bemerkung darf freilich nicht als skeptischer Einwand gegen die Metaphysik angesehen werden, sondern unterstreicht noch einmal, dass Gott als Gegenstand der Metaphysik nicht in Frage kommt, sondern nur als notwendig zu rekonstruierende Ursache alles Seienden in den Fokus der Metaphysik rückt, der es aus wissenschaftstheoretischen Gründen zukommt, auch die Ursachen ihres Gegenstandes – des Seienden, insofern es seiend ist – zu erforschen 37. Darüber hinaus finden wir hier einen Hinweis auf die Frage, warum das dritte und vierte Modell von Neugier, nämlich die beschränkte oder unangemessene, in diesem Fall nicht zutreffen: 36

37

Ibid., 126–141: „prout scilicet principia accedentium reducuntur in principia substantiae, et principia substantiarum corruptibilium reducuntur in substantias incorruptibiles; et sic quodam gradu et ordine in quaedam principia omnia entia reducuntur. Et quia id quod est principium essendi omnibus oportet esse maxime ens, ut dicitur in II Metaphysicae, ideo huiusmodi principia oportet esse completissima; et propter hoc oportet ea esse maxime actu […]. Et propter hoc oportet ea esse absque materia […] et absque motu […]. Et huiusmodi sunt res divinae“. Ibid., 154, 143–180: „Huiusmodi ergo res divinae, quia sunt principia omnium entium et sunt nihilominus in se naturae completae, dupliciter tractari possunt: uno modo, prout sunt principia communia omnium entium; alio modo, prout sunt in se res quaedam. Quia autem huiusmodi prima principia quamvis sint in se maxime nota, tamen intellectus noster se habet ad ea ut oculus noctuae ad lucem solis, ut dicitur in II Metaphysicae, per lumen naturalis rationis pervenire non possumus in ea nisi secundum quod per effectus in ea ducimur. Et hoc modo philosophi in ea pervenerunt […]. […] unde et huiusmodi res divinae non tractantur a philosophis, nisi prout sunt rerum omnium principia, et ideo pertractantur in illa doctrina in qua ponuntur ea quae sunt communia omnibus entibus, quae habet subiectum ens in quantum est ens. Et haec scientia apud eos scientia divina dicitur. Est autem alius >modus< cognoscendi huiusmodi res non secundum quod per effectus manifestantur, sed secundum quod ipsae se ipsas manifestant […]. […] Sic ergo theologia sive scientia divina est duplex: una, in qua considerantur res divinae non tamquam subiectum scientiae, sed tamquam principia subiecti, et talis est theologia quam philosophi prosequuntur, quae alio nomine metaphysica dicitur“.

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Denn als zuhöchst erkennbare ist die Ursache alles Seienden ein gewissermaßen verpflichtender Gegenstand der menschlichen Vernunftbemühung, droht aber gleichzeitig nicht, den Menschen zu überfordern, da Thomas nicht etwa einen privilegierten Erkenntniszugang zum Göttlichen beansprucht, sondern den begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des Menschen kritisch Rechnung trägt. Wir hatten außerdem gesagt, dass die Frage nach einem letzten Warum in der Metaphysik nicht unter die Neugier fällt, sondern vielmehr relevant und zuhöchst vernünftig ist, weil sie notwendig ist, um das Seiende als Seiendes abschließend erklären zu können. Ein Stück dieser Notwendigkeit war uns eben im ‚Kommentar zu De trinitate‘ bereits begegnet: Der reihentheoretisch-substanzontologische Aufstieg zu einem höchsten, immateriell-göttlichen Seienden, das gleichzeitig als Ursache für die ganze Reihe zu gelten hat, kennt keine Alternative. Noch deutlicher wird Thomas in den Texten, die ausdrücklich der Verursachung des Seienden gewidmet sind: Es gibt nichts, das nicht von Gott her ist 38. Das hat allerdings metaphysische Gründe. Sie haben mit dem Sein des Seienden zu tun bzw. mit der Analyse von Sein (esse ) und Wesen (essentia ), der Thomas das Seiende unterzieht. In dieser Analyse macht er deutlich, dass nur Gott als das (wirkliche, immaterielle, vollkommene) Seiende schlechthin dasjenige ist, in dem Sein und Wesen zusammenfallen, also dasjenige Seiende, das sein Sein nicht hat, sondern das sein Sein ist 39. Alle anderen Seienden aber, die ihr Sein haben, sind vom göttlichen Seienden verursacht, insofern sie ihr Sein nicht durch sich selbst haben können, sondern dadurch sind, dass sie am Sein teilhaben 40. Gott als das im höchsten Maße Seiende, als das Sein selbst (ipsum esse ) und als das durch sich Seinsnotwendige (per se necesse esse ) ist also die selbst unverursachte Ursache des Seins aller anderen Seienden 41. Die Frage nach einem abschließenden Warum ist damit beantwortet. Warum-Fragen in der Metaphysik stehen für Thomas also nicht zur Disposition; sie fallen erst recht nicht unter eine unnütze oder irrationale Neugierde, sondern sind zwingend, um das Seiende als Seiendes abschließend erklären zu können; sie sind gewissermaßen selbst genuin metaphysisch oder gehören zumindest konstitutiv und fundamental dazu, um Metaphysik sinnvoll zu betrei38

39

40 41

Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 44, 1, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 455; id., Summa contra gentiles, II, 15, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 13), Rom 1918, 294–296; id., De potentia, 3, 5, ed. P. Bazzi e. a. (Quaestiones disputatae, vol. II), Turin–Rom 1949, 49. Thomas von Aquin, De potentia, 3, 5, ed. Bazzi e. a. (nt. 38), 49: „Unde oportet quod ab uno illo ente omnia alia sint, quaecumque non sunt suum esse, sed habent esse per modum participationis.“ Cf. I. Mandrella, Gott als wirklich Seiendes bei Thomas von Aquin, in: V. Hoffmann (ed.), Wirklich? Konzeptionen der Wirklichkeit und der Wirklichkeit Gottes, Stuttgart 2022, 47–61. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 44, 1, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 455. Cf. id., Summa contra gentiles, II, 15, ed. Commissio Leonina (nt. 38), 295, 10–43. Zu weiteren Stellen zur kausalen Relation zwischen Gott und dem Seienden cf. J. A. Aertsen, Medieval Philosophy and the Transcendentals. The Case of Thomas Aquinas (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittalalters 52), Leiden–New York–Köln 1996, 375, ntt. 38–40.

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ben 42. Gleichzeitig sind sie keineswegs überschwänglich, sondern der Erkenntnis des Menschen angepasst, und zwar in doppelter Hinsicht: Sie erfüllen den Anspruch der Vernunft, nehmen aber dennoch auf die beschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Menschen Rücksicht. V. Schlussfolg er ung en Was folgt daraus für die Bewertung der Metaphysik des Thomas? Einige Konsequenzen aus der Fülle der angesprochenen Themen möchte ich zum Schluss kurz nennen. Das Verhältnis Gottes zum Seienden, insofern es seiend ist, und die damit verbundene Verhältnisbestimmung von ens inquantum ens und maxime ens gehören bekanntlich zu den schwierigsten Themen der Thomasforschung 43. Einerseits ist auch Gott ein Seiendes (für das, wie oben gesagt, nicht wesentlich gilt, dass es verursacht sein muss 44 ) und nur unter dieser Voraussetzung kann das göttliche Seiende überhaupt erkannt werden 45. Damit ist bereits ein eminent wichtiger Punkt gewonnen, denn daraus folgt, dass Thomas Thesen wie die, dass Gott das Ersterkannte sei, oder sonstige Modelle einer apriorischen Gotteserkenntnis ablehnt. Andererseits fällt Gott nicht einfach unter die anderen Seienden, sondern ist ein erstes ausgezeichnet Seiendes 46, das heißt ein höchstes Seiendes, das – insofern es sein Sein ist – zugleich die Ursache für alle anderen Seienden (außer ihm selbst) darstellt. Deutlich wird das insbesondere in den Textstellen, in denen Thomas Gott – als das Sein schlechthin – über dem Seienden zu verorten scheint 47. 42

43

44 45 46 47

Cf. die philosophiehistorische Darstellung in Thomas von Aquin, Summa theologiae, I, 44, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 457 sq., wo die Betrachtung des ens inquantum ens und der ihm zukommenden Ursache, das heißt die Frage nach der einen Ursache alles Seienden, als Fortschritt gegenüber den vorausgehenden philosophischen Positionen gedeutet wird, die immer nur das hoc oder tale ens im Blick hatten. Aertsen kommentiert trefflich: „The idea of creation apperars as the terminus of the philosophical search for the origin of things.“, J. A. Aertsen, Medieval Philosophy as Transcendental Thought. From Philip the Chancellor (ca. 1225) to Francisco Suárez (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 107), Leiden–Boston 2012, 239). Für eine ausführliche Analyse dieses Textes cf. Aertsen, Medieval Philosophy (nt. 41), 151–156. Cf. Zimmermann, Ontologie oder Metaphysik? (nt. 32), 216–223; Aertsen, Medieval Philosophy (nt. 41), 360–395; L. Honnefelder, Metaphysik des Ersten oder Metaphysik des Ersterkannten? Überlegungen zum Konzept der Metaphysik bei Thomas von Aquin, in: Philosophisches Jahrbuch 123 (2016), 443–457. Cf. nt. 33. Cf. Mandrella, Metaphysik und Erkenntniskritik (nt. 16). primum ens: Summa theologiae, I, 3, 7, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 47; ibid., 9, 1, 90; Summa contra gentiles, I, 30, ed. Commissio Leonina (nt. 38), 92, 26. Eine genaue Analyse der betreffenden Stellen zeigt, dass diese These nicht bedingungslos aufrecht zu erhalten ist. In Summa Theologiae, I, 12, 1, ad 3, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 115 etwa wird gesagt, Gott sei als ipsum esse „supra omne existens“, nicht supra ens. In Super librum de causis expositio 6, ed. Saffrey (nt. 14), 47, 12 sq. heißt es zwar in Auseinandersetzung mit der

Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin

175

Ausdruck dieser Spannung zwischen einem Zuwenig und Zuviel an Gemeinsamkeit zwischen dem allgemeinsten und göttlichen Seienden ist die Entscheidung des Thomas, weder eine äquivoke noch eine univoke Prädikation des Seienden anzunehmen, sondern einen Mittelweg einzuschlagen und für die Analogie des Seienden zu argumentieren. Die Annahme, dass Gott als die letzte Ursache alles Seienden gedacht werden muss, spielt in diesen Zusammenhängen eine fundamentale Rolle. Eine Äquivozität lehnt Thomas nämlich trotz der großen Distanz zwischen Gott und Kreatur ab, weil der ordo causae et causati eine communitas zwischen beiden zum Ausdruck bringt, ohne die sich folglich gar nichts an Gott erkennen bzw. von ihm aussagen ließe. Eine Univozität hingegen ist unmöglich, weil gerade das Ursache-Wirkung-Verhältnis zwischen Gott und Geschöpf es verbietet, beide miteinander gleichzusetzen; denn die Wirkung vermag der Kraft ihrer Ursache nie voll, sondern immer nur unvollständig zu entsprechen 48. Die bestechende Lösung des Thomas besteht darin, am Leitfaden von esse und essentia das ausgezeichnete göttliche Seiende als ipsum esse subsistens aus der Analyse des allgemeinen Seienden, in dem esse und essentia zu unterscheiden sind, denknotwendig herausgearbeitet zu haben. Es gibt also gewissermaßen keinen Bruch zwischen dem allgemeinen und dem göttlichen Seienden, an dem man einen unerlaubten Übertritt tadeln könnte. Hat man diese immanente Entwicklung des ausgezeichneten Seienden aus dem allgemeinen Seienden jedoch akzeptiert, ist der Schritt zur Zuschreibung einer Verursachungsfunktion an das ausgezeichnet erste Seiende nur ein kleiner, weil er sich ebenso denknotwendig aus der Tatsache erschließt, dass ein Seiendes, das sein Sein hat, von einem Seienden, das sein Sein ist, kausal abhängig ist. Und doch ist hier der Punkt erreicht, an dem das göttliche Seiende nicht mehr anders als etwas zu denken ist, das das allgemeine Seiende transzendiert, das heißt in seiner Verursachungsfunktion als externer Bezugspunkt hinzutritt. Die Spannung zwischen beiden Verständnissen von ‚seiend‘ lässt sich – mit Blick auf unser Ausgangsthema der Warum-Fragen – konkretisieren als eine Spannung zwischen Erkenntnistheorie und Ontologie bzw. zwischen Was und Warum. In ihr zeigt sich, dass der thomanische Ansatz einer als transzendentalphilosophisch einzustufenden Metaphysik, die – erkenntnistheoretisch betrachtet – das allgemeinste und ersterkannte Seiende und seine transzendentalen Eigenschaften zum Gegenstand hat, sich mit der Warum-Frage ein großes

48

(neu)platonischen Seinstranszendenz der ersten Ursache, die erste Ursache sei „supra ens in quantum est ipsum esse infinitum“, doch schränkt Thomas gleichzeitig ein, dass hier nur vom endlichen, das heißt am Sein partizipierenden ens die Rede ist. Die etwa von Zimmermann, Die „Grundfrage“ (nt. 21), 153 zitierte Behauptung hingegen, es sei wahrer, von Gott zu sagen, er sei über allem Seienden, als zu sagen, er sei Seiendes („verius sit Deum esse super omne ens quam esse ens“), stammt aus der Schrift ‚De natura generis‘, die jedoch nicht zu den authentischen Schriften des Thomas gezählt wird. Cf. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I, 32 und 33, ed. Commissio Leonina (nt. 38), 97 sq. und 102; id., Summa Theologiae, I, 13, 5, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 146 sq.

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Isabelle Mandrella

Problem aufbürdet. Denn im Versuch der – ontologisch motivierten – Beantwortung der Frage nach einem abschließenden Warum des Seienden bewegt sich die Metaphysik ins Fahrwasser eines mit dem transzendentalen Modell konfligierenden metaphysischen Modells des Transzendenten, das Gott als Ursache alles Seienden zum ausgezeichneten Seienden in einer ontologischen Reihe von Seienden erhebt und somit den Begriff eines allgemeinsten und ersterkannten Seienden aushebelt 49. Vor diesem aporetischen Hintergrund gewinnt ein bereits oben angeklungenes, zentrales Lehrstück des Thomas an Bedeutung, das vorschnell als philosophische Bankrotterklärung interpretiert werden könnte: Die These, dass die Frage nach einem abschließenden Warum definitiv erst nach unserem Tod beantwortet werden kann, da wir erst dann – unserer Nachteulenaugen entledigt – Gott in seinem Wesen zu schauen vermögen, während wir im diesseitigen Leben aufgrund der Bedingungen, unter denen unser Erkenntnisvermögen steht, von der letzten Ursache nur erkennen können, dass sie ist 50. Dieser erkenntnistheoretische Vorbehalt macht deutlich, dass sich eine überschwänglich-dogmatische Beantwortung der ultimativen Warum-Frage aus philosophischen Gründen verbietet. Dennoch bleibt sie aus ebenso philosophischen Gründen notwendig und sinnvoll. Dies führt uns zurück zu Heidegger. Freilich nämlich gewinnt Thomas die Gewissheit, dass die Warum-Frage erst eschatologisch Antwort findet, aus dem Glauben bzw. aus der gläubigen Hoffnung, dass das Versprechen der Schau Gottes von Angesicht zu Angesicht erfüllt werde. Trifft damit nicht also doch Heideggers Bedenken zu, dass der christliche Denker Thomas die metaphysische Warum-Frage gar nicht sinnvoll stellen kann, weil er sie aus seinem Glauben heraus immer bereits beantwortet weiß? Kann Thomas also nicht doch nur so tun, als ob er fragen würde? 51 Ganz davon abgesehen, dass das ‚als ob‘-Szenario als genuin philosophische Methode verstanden werden sollte, sich über bestimmte Zusammenhänge Klarheit zu verschaffen, indem man sie hypothetisch zur Disposition stellt – ohne damit etwas Fiktives behaupten zu wollen, das keinerlei Bezug mehr zur Realität aufweist –, so dass ihm als philosophischer Denkfigur auch in diesem Kontext durchaus philosophische Bedeutsamkeit zugeschrieben werden könnte 52, spricht meines Erachtens ein Argument gegen 49

50

51 52

Honnefelder, Metaphysik des Ersten oder Metaphysik des Ersterkannten? (nt. 43), 455: „So betrachtet ist die Erste Philosophie des Thomas eine Philosophie des Ersterkannten, deren Abschluss eine Philosophie des ersten ausgezeichnet Seienden bildet.“ Cf. nt. 14; Thomas von Aquin, Super Boetium De trinitate, I, 2, ed. Commissio Leonina (nt. 26), 84, 81–108; ibid., VI, 3, 167,52–168,184; ibid., VI, 4, 170,136–146; ibid., ad 2, 171,159–175; id., Summa Theologiae, I, 12, 12, ed. Commissio Leonina (nt. 3), 136. Cf. hierzu auch Steel, Der Adler und die Nachteule (nt. 18), bes. 13–19. Cf. nt. 19. „Die Als-Ob-Denkform ist eine imaginative Übung.“ T. Kobusch, Selbstwerdung und Personalität. Spätantike Philosophie und ihr Einfluss auf die Moderne, Tübingen 2018, 178–204, hier: 178.

Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin

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den Heidegger’schen Befund: Denn es ist deutlich geworden, dass die aus dem Glauben gewonnene Gewissheit von Thomas nicht so verstanden und eingesetzt wird, dass sie das philosophische Fragen nach dem Warum überflüssig werden lässt, insofern sie die Antwort präsentiert, die die Philosophie nicht zu geben vermag. Mit anderen Worten: Thomas greift an keiner Stelle konstitutiv auf den Glauben zurück, um offene philosophische Fragen abschließend zu klären, sondern seine Argumente bleiben in einem erkenntnistheoretischen Bereich und versuchen, dem Angewiesensein des Menschen auf Sinneswahrnehmung konsequent – das heißt selbst unter der Inkaufnahme der prinzipiellen Nichterkennbarkeit Gottes bzw. der letzten Ursache – Rechnung zu tragen. Die Frage nach einem abschließenden Warum bleibt also eine philosophisch ernsthafte Frage, der sich das Denken nicht entziehen kann und die – das richtige Streben und den richtigen Eifer vorausgesetzt – dem Vorwurf der (ungeordneten) Neugier grundsätzlich entzogen ist.

Allmacht und Gedankenexperiment. Anknüpfen an Blumenberg Martin Klein (Würzburg) I. Allmacht, Gedankenexperiment, Gewissheit Dass auch das Mittelalter Gedankenexperimente kannte, ohne diese so zu nennen, ist keine neue Behauptung 1. Ich möchte hier dem Zusammenhang zwischen Gedankenexperiment und der Idee der göttlichen Allmacht nachgehen 2. Hans Blumenberg behauptet einen solchen Zusammenhang in der ‚Legitimität der Neuzeit‘, und dieser Zusammenhangt scheint für seine These der im Spätmittelalter einsetzenden Selbstbestimmung des Menschen in erkenntnistheoretischer Hinsicht ebenso zentral zu sein wie in moralischer Hinsicht die von Blumenberg diagnostizierte ‚nominalistische‘ Konzeption eines Willkürgottes. Denn erst Überlegungen zur göttlichen Allmacht, befeuert durch die Pariser Verurteilung von 1277, hätten die naturphilosophischen Gedankenexperimente des 14. Jahrhunderts ermöglicht. Zugleich sieht Blumenberg diese unter dem dunklen Stern einer reduzierten Wirklichkeitsgewissheit, aus der heraus sich die Rehabilitierung der Neugierde entwickelt. Blumenberg ist so verstanden worden, dass er die Debatte um Gottes Potenzen als Bedrohung ganz realer Täuschungsmanöver missverstanden habe, und ihm ist der Einwand gemacht worden, dass jene Überlegungen, die mit einem göttlichen Eingriff spekulieren, diesen gerade nicht als real annahmen. Genau deswegen seien es auch Gedankenexperimente 1

2

Cf. e. g. P. King, Mediaeval Thought Experiments: The Metamethodology of Mediaeval Science, in: G. Massey/T. Horowitz (eds.), Thought-Experiments in Science and Philosophy, Savage, Md, 1991, 43–64; D. Perler, Thought Experiments: The Methodological Function of Angels in Late Medieval Epistemology, in: I. Iribarren/M. Lenz (eds.), Angels in Medieval Philosophical Inquiry. Their Function and Significance, Aldershot 2008, 143–153; C. Grellard, Thought Experiments in Late Medieval Debates on Atomism, in: K. Ierodiakonou/S. Roux (eds.), Thought Experiments in Methodological and Historical Contexts, Leiden–Boston 2011, 65–97; D. Perler, Philosophische Gedankenexperimente im Mittelalter, in: A. Dunshirn/E. Nemeth/G. Unterthurner (eds.), Crossing Borders. Grenzen (u¨ber)denken, Wien 2012, URL: (Stand: 11. 02. 2022), 37–55. Mittelalterliche Gedankenexperimente nehmen demgegenüber in epochenübergreifenden Darstellungen eine eher untergeordnete Rolle ein. In G. W. Bertram, Philosophische Gedankenexperimente. Ein Lese- und Studienbuch, Stuttgart 2012, 32018 findet sich kein einziges. Für Begriffsgeschichtliches zum Gedankenexperiment cf. U. Kühne, Die Methode des Gedankenexperiments, Frankfurt am Main 2005, besonders 105– 109. Dieser Zusammenhang scheint mir bislang weniger ausgeleuchtet. Cf. aber S. Knuuttila/T. Kukkonen, Thought Experiments and Indirect Proofs in Averroes, Aquinas, and Buridan, in: Ierodiakonou/Roux (eds.), Thought Experiments (nt. 1), 83–99.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-008

Allmacht und Gedankenexperiment. Anknüpfen an Blumenberg

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als rein kontrafaktische Überlegungen gewesen. Gewissheitskrisen konnten derartige Überlegungen, die mit der Allmacht Gottes operieren, also gar nicht auslösen. Das scheint mir jedoch mit Blick auf die Position, die Blumenberg der spätmittelalterlichen Philosophie im ‚Prozeß der theoretischen Neugierde‘ zuweist, zu kurz gegriffen 3. Um die Frage nach dem Zusammenhang von der Idee der göttlichen Allmacht und philosophischem Gedankenexperiment mit Blick auf Blumenbergs Thesen nachzugehen, werde ich exemplarisch drei – von Blumenberg selbst nicht erwähnte – Gedankenexperimente zum Verhältnis von Leib und Seele untersuchen: Thomas von Aquin erwägt, dass es eine Gesellschaft von Menschenfressern gibt, die sich ausschließlich von anderen Menschen ernähren. Können also wirklich alle früheren Leiber wiederauferstehen und mit ihren Seelen verbunden werden? Wilhelm von Ockham fragt, ob wir es noch mit einem Lebewesen zu tun haben, wenn Gott einen Menschen seines Intellekts beraubt, aber dessen Wahrnehmungsseele im Leib verbleiben lässt. Johannes Buridan erwägt, wie die menschliche Seele beschaffen sein könnte, wenn diese unsterblich sein soll. In allen drei Szenarien handelt es sich um Gedankenexperimente, in denen ein Eingriff Gottes je unterschiedlich in die Überlegung einfließt. Für die Existenzannahme von Menschfressern bedurfte Thomas nicht der zusätzlichen Annahme eines göttlichen Eingriffs, sondern ging davon aus, dass sie der Wirklichkeit entsprechen. Allerdings ist für ihre Wiederauferstehung Gott bei der Wiederherstellung ihres quantitativen Materials des Leibes gefragt. Ockham konstruiert vor dem Hintergrund der göttlichen Allmacht eine kontrafaktische Situation, um die Frage der Einheit von Leib und verschiedenen Seelenformen zu diskutieren. Ockham geht jedoch nicht davon aus, dass Gott tatsächlich in dieser Weise menschliche Seelen trennt. Buridan hingegen ist (auch institutionell) veranlasst, ein übernatürliches Eingreifen Gottes anzunehmen, um die menschliche Seele als unsterblich zu verstehen. Vom Standpunkt der natürlichen Vernunft muss ihm das aber als kontrafaktisch erscheinen. Buridan aber versucht, das Wunder zu rationalisieren. II. T homas’ Menschenfresser Die Annahme eines allmächtigen Gottes, dessen als notwendig erachtete Naturzusammenhänge entzweiender Eingriff sich zur Konstruktion eines kontrafaktischen Szenarios eignet, ist keine notwendige Voraussetzung für Gedankenexperimente, auch nicht im Mittelalter 4. Ein gutes Beispiel dafür ist Thomas’ 3

4

Cf. den dritten Teil von H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe [1988] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996. Ich komme auf Blumenbergs Thesen und diesen Einwänden in den Abschnitten III und V genauer zu sprechen. Überhaupt müssen Gedankenexperimente nicht ausschließlich Bedingungen behandeln, die nicht realisierbar sind, wie N. Rescher, What If ? Thought Experimentation in Philosophy, New Brunswick–London 2005, 45 zu Recht betont.

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Martin Klein

von Aquin Szenario eines Menschenfressers, welches er als Einwand gegen die Möglichkeit der allgemeinen Wiederauferstehung anführt, der zufolge am Ende aller Tage alle Verstorbenen wieder einen Leib erhalten, allerdings nicht irgendeinen, sondern den, der numerisch identisch ist mit dem, welchen sie zu Lebzeiten hatten. Einsprüche vonseiten der natürlichen Vernunft liegen auf der Hand: Entseelte Leiber verrotten und lösen sich auf. Dies müsste rückgängig gemacht werden. Selbst wenn dies möglich sein sollte, so scheint Anthropophagie einen Beleg dafür zu liefern, dass die Wiederherstellung von Leibern nicht trennscharf möglich ist, denn hier gehen Leiber durch Verdauung ineinander über 5. Von unterschiedlichen Ausformungen der Anthropophagie wussten Zeitgenossen von Thomas zu berichten. Der Franziskaner Wilhelm von Rubruk etwa, der zur selben Zeit wie Thomas in Paris studierte, unternahm von 1253 bis 55 im Auftrag König Ludwigs IX. von Frankreich eine Expedition zu den Mongolen, auch um angesichts der zunehmend als bedrohlich empfundenen Mongoleneinfälle in Erfahrung zu bringen, ob diese etwa mit den in der Johannesoffenbarung beschriebenen Endzeitvölkern Gog und Magog in Verbindung zu bringen seien. In Wilhelms Bericht, dessen Überlieferung wir Roger Bacon zu verdanken haben, heißt es von den Tibetern, dass sie einst ihre Verstorbenen aus Pietätsgründen verspeist hätten 6. Aus einem früheren Reisebericht in die Mongolei entnehmen wir bei Wilhelms Ordensbruder Johannes von Plano Carpini, dass die Mongolen sich in Notlagen von Menschenfleisch ernährten 7. Neben diesen seriösen Berichten gab es allerdings auch apokalyptisch aufgeladene Erzählungen aus der Fremde, die von Gog und Magog als einer einzigen Menschenfressergesellschaft zu fabulieren wussten 8. Gog und Magog bezeichnet Thomas zwar als Vorboten des Antichristen 9, in den drastischen Erzählungen von ‚Menschenfresservölkern‘ mag er hingegen hemmungslose Übertreibungen gesehen haben. Die Kunde von Anthropophagie aber verarbeitet er geschickt zu einem Prüfstein für die allgemeine Wiederauferstehung: 5 6

7

8

9

Zum Menschenfresserszenario bei Thomas als philosophischem Gedankenexperiment cf. Perler, Gedankenexperimente (nt. 1), 37–55. Cf. Wilhelm von Rubruk, Itinerarium ad partes orientales, 26, 4, in: A. van den Wyngaert (ed.), Sinica Franciscana, vol. 1: Itinera et relationes Fratrum Minorum saeculi XIII et XIV, Quaracchi 1929, 164–332, Übersetzung: P. Jackson, The Mission of Friar William of Rubruck. His Journey to the Court of the Great Khan Möngke, 1253–1255, London 1990, 158. Cf. Johannes von Plano Carpini, Ystoria Mongalorum quos nos Tartaros appellamus, 4, in: van den Wyngaert (ed.), Sinica Franciscana, vol. 1 (nt. 6), 3–130, in der Übersetzung von F. Schmieder: Johannes von Plano Carpini, Kunde von den Mongolen 1245–1247, Sigmaringen 1997, 57. Cf. J. Fried, Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Die Mongolen und die europäische Erfahrungswissenschaft im 13. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 243 (1986), 287–332, hier 297. Cf. Thomas von Aquin, Contra Impugnantes, V, 6, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 41A), Rom 1970, ed. E. Alarcón, Corpus Thomisticum. St. Thomae de Aquino Opera Omnia, Navarra 2000, URL: (Stand: 31. 01. 2021), n. 69772.

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„Es kommt zuweilen vor, dass Menschen von Menschenfleisch zehren; und dass sie sich ausschließlich davon ernähren; und dass die so Genährten Kinder zeugen. Dasselbe Fleisch wird daher in vielen Menschen vorgefunden. Es ist aber nicht möglich, dass es in allen wiederaufersteht. Anders allerdings scheint es keine allgemeine und vollständige Wiederauferstehung zu geben, wenn nicht jeder das wiedererlangt, was er einst hatte. Eine zukünftige Wiederauferstehung der Menschen scheint daher unmöglich zu sein.“ 10

Thomas’ Formulierung scheint auf den ersten Blick darauf hinzuweisen, dass er den Einwand gegen die Möglichkeit der allgemeinen Wiederauferstehung als empirischen versteht, auch wenn er selbst nie einem Menschenfresser begegnet ist, wohl aber von ihnen durch Hörensagen erfahren hat: „Es kommt zuweilen vor (contingens est quandoque ), dass […]“. Zugleich können wir in Thomas’ Formulierung eine rhetorische Zuspitzung sehen, die in den Bereich des Hypothetischen vordringt. Wenn es einen Menschenfresser gibt, dann vielleicht ganze Menschenfressergesellschaften. Dem Argument ist diese Zuspitzung nur zuträglich, denn so kann der Einwand darauf hin konstruiert werden, dass nicht nur Teile von Leibern für die Wiederauferstehung verlustig gehen würden, sondern ganze Leiber. Ein Gedankenexperiment scheint mir hier vorzuliegen, nicht weil Thomas selbst sich Menschenfresser lediglich vorstellen konnte, statt direkte Erfahrung von ihnen zu machen, sondern aufgrund der literarischen Form des Arguments 11. Das von Thomas entwickelte Szenario hat rhetorische Kraft und mutet darin ähnlich bizarr an wie moderne philosophische Gedankenexperimente. Weder formuliert Thomas eine kontrafaktische Annahme, die unter den zu seiner Zeit als gegeben erachteten Umständen nie der Fall sein kann, noch handelt es sich um eine rein empirische Feststellung, die er als Beleg gegen die Wiederauferstehung verwendet. In diesem Bild der sich über Generationen hinweg ausschließlich von Menschenfleisch ernährenden Menschen spitzt Thomas das Problem der Identität von Leibern zu: Es gibt nicht genügend Leiber für alle, um wiederaufzuerstehen. Entweder stehen Menschenfresserleiber wieder auf, dann aber nicht diejenigen Leiber, von denen sie sich ernährt haben. Oder es stehen die von Menschenfressern gefressenen Leiber wieder auf, dann aber nicht die Menschenfresserleiber, die einst aus ihnen bestanden.

10

11

Thomas von Aquin, Liber de veritate catholicae fidei contra errores infedelium seu ‚Summa contra gentiles‘, IV, 80, 4143, ed. C. Pera, vol. 3, Turin 1961, 392b: „Contingens est quandoque aliquos homines carnibus humanis vescis; et solum tali nutrimentum nutriri; et sic nutritos filios generare. Caro igitur eadem in pluribus hominibus invenitur. Non est autem possibile quod in pluribus resurgat. Nec aliter videtur esse univeralis resurrectio et integra, si unicuique non restituetur quod hic habuit. Videtur igitur impossibile quod sit hominum resurrectio futura.“ So behauptet Perler, Gedankenexperimente (nt. 1), 48, dass allein der kognitive Zugang hier entscheidend dafür sei, dass es sich um ein Gedankenexperiment handelt, auch wenn der Menschenfresser für Thomas kein rein fiktiver Gegenstand ist. Zur erzählerischen Form von philosophischen Gedankenexperimenten siehe Bertram, Gedankenexperimente (nt. 1), 46–75.

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Gegen diesen Einwand versucht Thomas die Wiederauferstehung zu rechtfertigen, indem er präzisiert, was es heißt, dass ein wiederauferstandener Körper mit dem vergangenen numerisch identisch ist. Entscheidend ist nicht, dass exakt dasselbe Fleisch wiederaufersteht, denn das scheint ja aufgrund der mannigfachen Transformationsprozesse, die Leiber schon zu Lebzeiten durchlaufen, unmöglich zu sein. Dennoch betont Thomas: Das vom Menschenfresser verdaute Fleisch wird im Leib des von ihm Gefressenen wiederhergestellt werden, da er ein größeres Anrecht darauf hat, während der Menschenfresser wieder mit der Quantität auferstehen wird, die er aufgrund anderer Nahrungsaufnahme gewonnen hat. Sollte er sich aber ausschließlich von Menschen ernährt haben, dann wird er die Quantität erhalten, die er im Zuge embryonaler Entwicklung erlangt hat. Wenn jedoch auch seine Eltern sich ausschließlich von Menschen ernährt haben, dann wird er nur aus der durch die fortpflanzungsmäßige Vereinigung seiner Eltern hervorgegangenen Masse wiederauferstehen. Alle übrige quantifizierte Materie, die für einen funktionsfähigen Leib nötig ist, wird ersatzmäßig durch göttliche Hilfe bereitgestellt 12. Um dieselben Leiber wiederum soll es sich bei der Wiederauferstehung genau deswegen handeln, weil die Seele das eigentliche Prinzip der Leiblichkeit sei. Bei der Wiederauferstehung geht es also letztlich nicht darum, dass mein Leib wieder dieselben Materiestücke erlangt, sondern nur das gleiche Maß an quantifizierter Materie. Dieser wiederauferstandene Leib kann aber nur deswegen als mit meinem früheren identisch gelten, weil er in derselben Weise strukturiert ist, wie dies einst der Fall war. Diese Struktur wiederherzustellen, kommt aber der Seele zu. Thomas drückt dies so aus, dass das ‚Sein‘ des mit der Seele vereinigten Körpers in der abgetrennten Seele verbleibt und daher der frühere Körper wiederaufersteht, sobald die Seele ihn re-konstituiert 13. Im Sinne des Hylemorphismus macht Thomas damit deutlich, welch entscheidende Rolle die Form als Strukturprinzip für die Individuation eines Körpers spielt. Nur dank der Seele ist ein Leib überhaupt dieser Leib mit einer bestimmten Struktur und Funktionstüchtigkeit 14. Das Szenario vom Menschenfresser entnehmen wir der ‚Summa contra gentiles‘, mit der Thomas, wie der ausführliche Titel besagt, ein „Buch über die Wahrheit des katholischen Glaubens gegen die Irrtümer der Ungläubigen“ vorlegen wollte. Diese Wahrheit kann Thomas zufolge auf zwei Wegen erkannt wer-

12 13

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Cf. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, IV, 81, 4158, ed. Pera (nt. 10), 395b–96a. Cf. ibid., 4156, 395a. Dies setzt freilich voraus, dass die Seele getrennt vom Leib subsistieren kann, was Thomas mit Blick auf die ihr zukommenden intellektiven Verstandesvermögen meint zeigen zu können, cf. ibid., 4152–53, 394a–b. Für eine Diskussion derartiger Argumente cf. M. Klein, Philosophie des Geistes im Spätmittelalter. Intellekt, Materie und Intentionalität bei Johannes Buridan (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 124), Leiden–Boston 2019, 27–68. Cf. auch Perler, Gedankenexperimente (nt. 1), 41 sqq.

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den: einmal darüber, was die natürliche Vernunft von Gott erkennen kann, zum anderen darüber, was diese übersteigt und nur durch den Glauben erfasst werden kann. Glaube und Vernunft sollen sich dabei nicht widersprechen können. Wenn daher „die Ungläubigen“ (antike Philosophen, Muslime, Juden und zeitgenössische Häretiker) zu Sätzen gelangen, die dem (katholischen) Glauben widersprechen, so kann dies nur auf einem methodischen Fehler beruhen (non recte procedere ) 15. Die methodischen Fehler aufzuzeigen, ist folglich die Aufgabe dieses Werks. Die philosophischen Irrtümer klärt Thomas philosophisch, allerdings durch eine von der Theologie vorgegebenen Ordnung, was nicht unpassend als „philosophy from the top down“ 16 bezeichnet worden ist. Von den schwereren Vorwürfen, die man gegenüber philosophischen Gedankenexperimenten erhebt 17, lautet einer, dass es sich bei ihnen um reine „Intuitionspumpen (intuition pumps)“ 18 und weniger um Argumente handelt. Wer die Intuition nicht teilt, den wird das Experiment nicht überzeugen. Gegen Thomas’ Menschenfresser ließe sich der Vorwurf machen, dass es das eigentliche Problem hinter seiner bizarren Kondensierung verschleiert: Keineswegs ist es so, dass Leiber nach Abtrennung der Seele einfach „ins Nichts fallen (in nihilum cedere )“ 19, wie Thomas einen Einwand gegen die Wiederauferstehung konstruiert, weswegen es nur sinnvoll ist, die Wiederauferstehung nur mit Blick auf die Identitätsstiftung der Seele für den Körper zu verstehen. Entseelte Leiber verrotten nicht ins Nichts, sondern ihre Auflösung bedeutet ihre Transformation in Material, das für die Entstehung neuer Lebewesen dienen kann. So verdauen über Jahrhunderte hinweg beseelte Wesen auch das Material anderer zuvor beseelter Wesen und, über Umwege, möglicherweise auch menschliche Leiber letztlich andere zuvor existierende menschliche Leiber. Ganz ohne Menschenfresser wird Gott eine erhebliche Menge von materia signata vergangener Leiber zur Verfügung stellen müssen, um sie alle wieder in ihre früheren quantitativen Maße zu bringen. Die Leiblichkeit, um deren numerische Identität es aber geht, verschiebt Thomas damit komplett auf die Seite der Seele.

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Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I, 7, 47, ed. Pera (nt. 10), 11b. So der Titel der ursprünglichen Vorlesungen von N. Kretzmann, The Metaphysics of Theism. Aquinas’s Natural Theology in Summa Contra gentiles I, Oxford 1997. Cf. die polemische Note gegen philosophische Gedankenexperimente von Kühne, Methode (nt. 1), 385 sqq. Kühne hält philosophische Gedankenexperimente in der Philosophie des Geistes des 20. Jahrhunderts eher für schrille Erzählungen. Besser wäre es, eine formale Theorie des Bewusstseins zu entwerfen. Demgegenüber hebt Rescher, What If ? (nt. 4), 47–60 hervor, dass die Philosophie auf Gedankenexperimente angewiesen ist, um begriffliche Zusammenhänge zu untersuchen. Rescher hält allerdings jegliche kontrafaktische und hypothetische Überlegung für ein Gedankenexperiment. Cf. D. C. Dennett, Consciousness Explained, Boston 1991, 398–406; id., Intuition Pumps and Other Tools of Thinking, New York 2013. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, IV, 81, 4152–53, ed. Pera (nt. 10), 394a–b.

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III. 1277 – Urkunde der Allmacht Gottes als Lizenz zum Gedankenexperiment? Es gibt in Thomas’ Plausibilisierungsversuch für die natürliche Vernunft eine Grenze, die er möglichst weit verschiebt, die aber eine Grenze rationaler Erklärung für die Wiederauferstehung bleiben muss. Wie es Gott etwa bewerkstelligen soll, das nötige Material zur Verfügung zu stellen, bleibt ungelöst und kann wohl nur vor dem Hintergrund der ersten beiden Bücher der ‚Summa contra gentiles‘ verstanden werden, wo Thomas zuerst Gottes Existenz und dann seine Eigenschaft als Schöpfer aller Dinge zu beweisen versucht. Wer einmal alles aus dem Nichts erschaffen hat, der wird auch später zusätzliche quantifizierte Materieportionen bereitstellen können. Die Wiederauferstehung ist auch Gegenstand der im Jahre 1277 durch den Pariser Bischof Tempier verurteilten 219 Thesen, die angeblich von Mitgliedern der Pariser Artistenfakultät vertreten worden waren. Die These 18, die künftige Wiederauferstehung könne von einem Philosophen nicht akzeptiert werden, da es unmöglich sei, sie mit der Vernunft zu fassen, wird hier als Irrtum deklariert, „weil auch der Philosoph seinen Geist gefangen nehmen soll im Gehorsam gegenüber Christus.“ 20 Luca Bianchi hat auf das Pauluszitat (II Cor 10,5) im Hintergrund hingewiesen sowie dessen Indienstnahme durch Bonaventura, der in seinen Universitätspredigten 1268 behauptete, ähnliches bei Augustinus zu lesen (eine sehr freie Zuschreibung, wie Bianchi festhält) 21. Mit der Urteilsbegründung ist Augustinus’ Vorbehalt gegenüber der curiositas gleichwohl mit angesprochen: Der Philosoph versündige sich nicht nur, wenn er seine Wissenschaft nicht in den Dienst der Theologie stellt, schlimmer noch: Verliebt in die Grenzen seines Faches, frevele er gegen den Glauben, wenn er behauptet, dass das, was sich mit rein rationalen Mitteln nicht zeigen lässt, allein deswegen unmöglich sein soll. Solchem Erkenntnisstreben sei nicht mehr die Demut der studiositas eigen, sondern der Hochmut der curiositas 22. Nach Hans Blumenberg ist es die Frage nach der göttlichen Allmacht, „die im spätmittelalterlichen Nominalismus ihre destruktive Brisanz gegen das System des scholastischen Rationalismus gewinnen sollte und zu den Gedankenexperimenten der ockhamistischen Naturphilosophie die Lizenz geben wird“ auf Kosten „der menschlichen Freiheit und Wirklichkeitsgewißheit“ 23. Als „Urkun20

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22 23

Cf. Chartularium Universitatis Parisiensis, 473, 18, edd. H. Denifle/A. Chatelain, vol. 1, Paris 1891, 544: „Quod resurrectio futura non debet concedi a philosopho, quia impossibile est eam investigari per rationem. – Error, quia etiam philosophus debet captivare intellectum in obsequium Christi.“ Cf. L. Bianchi, Captivare intellectum in obsequium Christi, in: Rivista Critica di Storia della Filosofia 38/1 (1983), 81–87; cf. auch K. Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277 (Excerpta Classica 6), Mainz 1989, 45. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, 167, 1, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 10), Rom 1899, 345 sq. Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 380.

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de dieser Lizenz“ 24 gilt Blumenberg die Verurteilung von 1277, dessen thematisches Zentrum er in dem Hinweis sieht, dass die aristotelisch-naturphilosophischen Beweise etwa zur Ewigkeit und Einzigkeit der Welt oder der Unmöglichkeit eines Vakuums die göttliche Allmacht beschränken würden. Ohne den Rückhalt dieser Verurteilung wäre jene „freie Variation aller bis dahin gültigen kosmologischen Sätze“ 25, wie wir sie im 14. Jahrhundert beobachten könnten, undenkbar gewesen, da die Verurteilung sie geradezu provoziert hat mit dem Insistieren darauf, dass Gott die Dinge anders machen könnte, als die Philosophie behauptet. Von der Kritik an Blumenbergs einseitiger Fixierung auf einen Nominalismus und die tragende Rolle Ockhams abgesehen 26, ist ihm der Vorwurf gemacht worden, die theoretischen Überlegungen zur Allmacht Gottes überschätzt zu haben. Jene Überlegungen zum Verhältnis von Gottes absoluter und anordnungsmäßiger Macht, der potentia absoluta und der potentia ordinata, seien selbst nur „gedankliche Übung“ 27 gewesen, um über Gottes Potenzen an sich nachzudenken, ohne dass damit ein tatsächlicher Eingriff angenommen worden wäre 28. Philosophische Überlegungen, die dann mit dem Verweis auf die göttliche Allmacht gerahmt wurden, implizierten gerade nicht, dass das, was Gott qua absoluter Macht möglich ist, auch tatsächlich gegen die Naturnotwendigkeiten gemäß seiner anordnungsmäßigen Macht durchgesetzt wird. Die Funktion dieser Überlegungen sei vielmehr rein theoretischer Natur gewesen, um logische Möglichkeiten zu durchdenken und Theorien auf ihre metaphysischen Grundlagen zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren. Genau das lässt sie dann als philosophische Gedankenexperimente verstehen 29. Überlegungen zur Allmacht Gottes konnten damit gar nicht die von Blumenberg diagnostizierte „Epochenkrise“ auslösen, die dazu geführt habe, dass jedes „Weltvertrauen“ verloren gegangen sei 30. Diese Einwände wiegen umso schwerer, als Blumenberg ja selbst von Gedankenexperimenten spricht 31. Er hat dabei jene naturphilosophischen Überlegungen etwa zur Möglichkeit des Vakuums im Auge: Könnte Gott in die Welt 24 25 26 27 28 29 30

31

Ibid., 405. Ibid., 179. Cf. jüngst zusammenfassend K. Flasch, Hans Blumenberg. Philosoph in Deutschland: Die Jahre 1945–1966, Frankfurt am Main 2017, 471–547. Ibid., 504. Cf. ibid., 503–506. Cf. Perler, Gedankenexperimente (nt. 1), 46 sq. Cf. id., Zweifel und Gewissheit. Skeptische Debatten im Mittelalter, Frankfurt am Main 22012, 122 sq., mit Verweis auf Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 170 sq. Perler stützt seine Lesart auf die Studien von W. Courtenay, The Dialectic of Omnipotence in the High and Late Middle Ages, in: T. Rudavsky (ed.), Divine Omniscience and Omnipotence in Medieval Philosophy. Islamic, Jewish and Christian Perspective (Synthese Historical Library 25), Dordrecht e. a. 1985, 243–269 und id., Capacity and Volition. A History of the Distinction of Absolute and Ordained Power, Bergamo 1990. Zu Courtenays Interpretation cf. infra, nt. 45. Cf. Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 173; 208 („Experiment der Vernunft“).

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eingreifen und ein Vakuum existieren lassen? Dieser von Blumenberg konstruierte Zusammenhang zwischen der Annahme eines allmächtigen Gottes und der Ermöglichung des Gedankenexperiments ist nicht unmittelbar einsichtig. Denn entweder wird angenommen, dass Gottes Allmacht nur als Vehikel genommen wird, um ein Gedankenexperiment zu konstruieren, wie Blumenbergs Kritiker betonen, der beschriebene Sachverhalt ist dann aber bewusst als kontrafaktisch gesetzt; oder man geht von einem tatsächlichen Eingriff Gottes aus, scheint es dann aber nicht mehr mit einem Gedankenexperiment zu tun zu haben, weil ein solches Szenario gerade kein kontrafaktisches mehr ist. Es wäre dann nur noch eine Frage, wie man dieses Vakuum finden könnte, das Gott irgendwo geschaffen hat 32. Während schon vor 1277 die Möglichkeit eines Vakuums gedanklich in Erwägung gezogen wurde, ohne dass dafür ein Verbot mit dem Hinweis auf Gottes direkten Eingriff als Anschub dienen musste 33, so kommen danach Gedankenexperimente auf, die zwar sowohl den Hinweis auf die Pariser Verurteilung enthalten als auch mit dem Verweis auf Gottes Allmacht eingeführt werden, ohne dass damit aber ein tatsächliches Eingreifen Gottes befürchtet worden wäre. IV. Ockhams Zombie Ein solches Gedankenexperiment finden wir bei Wilhelm von Ockham, der bei Blumenberg Pate steht für die durch die Verurteilung von 1277 befeuerte Gewissheitskrise im Angesicht der göttlichen Allmacht. Es betrifft zwar nicht – wie bei Ockhams intuitiver Erkenntnis von durch Gott zerstörte Gegenstände – die Erkenntnisfähigkeit des Menschen, aber dessen Selbstverständnis als vernunftbegabte Einheit von Körper und Geist 34. Im Unterschied zu Thomas behauptet Ockham, dass der beseelte Leib nicht das Kompositum aus Materie und nur einer Seele ist, sondern aus einer Mehrzahl von substantiellen Formen besteht. Die real voneinander verschiedenen metaphysischen Teile des Menschen sind Ockham zufolge: (i) die Materie, (ii) die Form der Leiblichkeit, (iii) die Form der Seele, die vegetative und sensitive Funktionen erfüllt (Ockham nennt sie die Wahrnehmungsseele) und schließlich 32 33

34

Zum Vakuum cf. unten, Abschnitt V. Cf. L. Bianchi, 1277: A Turning Point in Medieval Philosophy?, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.): Was ist Philosophie im Mittelalter? (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin–New York 1998, 90– 110, hier 106 sq. Hier ist jeweils Ockhams Prinzip zentral, dass Gott zwei real distinkte Entitäten aus ihrem existentiellen Zusammenhang reißen kann. Zu diesem Prinzip im Zusammenhang der intuitiven Erkenntnis eines von Gott zerstörten Gegenstandes cf. Wilhelm von Ockham, Scriptum in librum primum Sententiarum (Ordinatio), prol., 1, edd. G. Gál/S. Brown (Opera theologica 1), St. Bonaventure, N. Y., 1967, 38 sq. und id., Quodlibeta septem, VI, 6, ed. J. C. Wey (Opera theologica 9), St. Bonaventure, N. Y., 1980, 604–607. Blumenberg diskutiert sie in id., Legitimität (nt. 3), 214–217.

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(iv) die Form der Seele, welche die Vermögen des Verstandes und des Willens besitzt (der Intellekt). Materie bildet zusammen mit der Form der Leiblichkeit den menschlichen Leib, der dann dank der beiden substantiellen Seelenformen ein beseelter Leib ist und entsprechende Funktionen aufweist. Als organgebundene Seele unterscheidet Ockham nicht noch einmal zwischen der vegetativen und sensitiven Seele, sondern fasst sie als eine substantielle Form auf. Ockham hält es aber für zwingend notwendig, dass diese körpergebundene Seele und der immaterielle Intellekt real verschieden sind, denn diese beiden Formen weisen wesentlich miteinander unvereinbare Naturen auf 35. Ockham ist bemüht, den naheliegenden Einwand zu entkräften, dass seine Konzeption einer Pluralität von substantiellen Formen die metaphysische Einheit des Menschen gefährde. Selbst wenn der Mensch metaphysisch komplex aufgebaut ist, so soll dies nicht nach Art eines Aggregats verstanden werden. Der Intellekt soll die eigentliche Vervollkommnung des Menschen sein und alle anderen Komponenten vereinigen. Wenn aber Wahrnehmungsseele und Intellekt real verschieden sind, könnte ein Mensch seines Intellekts beraubt werden und gleichwohl weiter lebendig bleiben aufgrund seiner Wahrnehmungs- und Vegetativseele? Dies ist ein Test für Ockhams These von der engen Zusammengehörigkeit der beiden Seelenformen, auch wenn es sich um real verschiedene Dinge handelt. Ockham wirft dieses Problem auf, indem er auf die verurteilte These 114 des Syllabus von 1277 verweist, die behauptet, dass immer noch ein lebendiges Wesen verbleiben würde, wenn die vernunftbegabte Seele von einem Lebewesen getrennt würde 36. Als Begründung für diesen Einwand führt Ockham an, dass man mit Aristoteles annehmen müsse, dass, wenn bei der Entstehung eines Menschen zuerst die Wahrnehmungsseele und dann der Intellekt eingeführt würden, beim Vergehen des Leibes zuerst der Intellekt und erst danach die Wahrnehmungsseele diesen verließen. Sollte, schließt Ockham einen weiteren Einwand an, aber die Wahrnehmungsseele ohne Intellekt verbleiben, so hätten wir es mit einem Lebewesen zu tun, dass weder (nicht-vernunftbegabtes) Tier noch (vernunftbegabter) Mensch wäre. Dieser Einwand ist aber erst unter der zusätzlichen Annahme plausibel, dass die menschliche Wahrnehmungsseele durch den Intellekt rational gleichsam durchtränkt wird und dies auch in Abwesenheit des Intellekts bleibt. Anders ist es nicht einzusehen, warum das verbleibende wahrnehmungsfähige Lebewesen nicht ohne Vernunftbegabung sein sollte. Ockham akzeptiert These 114 als Irrtum, negiert aber die andere Annahme und betont, dass Wahrnehmungsseele und Intellekt den Leib weder zeitlich noch logisch gesehen nacheinander, sondern zugleich beseelen. Dementsprechend 35

36

Cf. Wilhelm von Ockham, Quodlibeta, II, 10–11, ed. Wey (nt. 34), 156–164. Siehe auch D. Perler, Ockham über die Seele und ihre Teile, in: Recherches de théologie et philosophie médiévales 77 (2010), 329–366. Cf. Wilhelm von Ockham, Quodlibeta, II, 10–11, ed. Wey (nt. 34), 160 und Chartularium, I, 473, 114, edd. Denifle/Chatelain (nt. 20), 550.

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kann auch ihre Trennbarkeit nicht behauptet werden, weil der Intellekt erst nach der Wahrnehmungsseele den Leib formen würde 37. Ockham nimmt allerdings nicht nur an, dass die reale Verschiedenheit zweier absoluter Dinge nur dann ihre Trennbarkeit impliziert, wenn das eine gegenüber dem anderen Priorität genießt wie zum Beispiel im Fall von Substanz und Akzidenz. Dass, wie im Fall der Eucharistie, auch ein Akzidenz ohne die ihm zugrundeliegende Substanz existieren kann, begründet Ockham allerdings mit der göttlichen Allmacht. Die Trennbarkeit real verschiedener Dinge ist in diesem Fall nur aufgrund göttlicher Allmacht möglich und folgt nicht etwa aufgrund der Tatsache, dass es sich hier um real verschiedene Dinge handelt. Reale Verschiedenheit allein impliziert nicht Trennbarkeit, denn sonst könnten geschaffene Dinge ohne Gott existieren, was Ockham für schlechterdings unmöglich hält. Das Prinzip, dass Gott real verschiedene geschaffene Dinge trennen und getrennt in Existenz halten kann, wendet Ockham nun auch auf den Fall der beiden Seelenformen an: 38 „[W]enn durch göttliche Macht die Wahrnehmungsseele im Körper verbliebe, wäre diese Zusammensetzung etwas Lebendiges, es wäre aber weder ein vernunftbegabtes Lebewesen noch ein nicht-vernunftbegabtes; es wäre kein Lebewesen, das wirklich in der Gattung der Lebewesen enthalten wäre. […] Dennoch nenne ich all das ein Lebewesen, was eine Wahrnehmungsseele hat, und so ist es sehr wohl ein Lebewesen. Aber dann wird von ,Lebewesen‘ bei diesem und den anderen Lebewesen in äquivoker Weise gesprochen.“ 39

Angenommen, Gott würde den Intellekt eines Menschen abtrennen, die Wahrnehmungsseele aber im Körper belassen. Was wäre das Resultat dieses Szenarios? Die Filmkultur des 20. Jahrhunderts hat uns das anschaulich auf den Begriff des Zombies bringen können. Ockham behauptet, die Sache müsse weiterhin lebendig sein, schließlich verfüge dieser Körper noch über die Wahrnehmungsseele. Dennoch wäre es kein Lebewesen wie ein Pferd oder ein Hund, die auch nur über eine Wahrnehmungsseele, aber keinen Intellekt verfügen. Als Grund führt Ockham an, dass dieser ‚Untote‘ kein vollständiges Seiendes, keine Substanz wäre, die sich kategorisieren ließe, sondern als Aggregat von Leib und Wahrnehmungsseele darauf angelegt, ein wesentlicher Teil eines substantiellen Ganzen (hier: eines Menschen) zu sein. Gleichwohl scheint Ockham davon aus37 38

39

Cf. Wilhelm von Ockham, Quodlibeta, II, 10, ed. Wey (nt. 34), 161. Das Prinzip der Trennbarkeit qua Allmacht formuliert Ockham konzise ibid., VI, 1, 585 sq. Zu realer Verschiedenheit und Trennbarkeit bei Ockham cf. M. McCord Adams, William Ockham, Notre Dame 1987, 16–19. Cf. Wilhelm von Ockham, Quodlibeta, II, 10, ed. Wey (nt. 34), 161: „Ad ultimum dico quod si per potentiam divinam remaneret sensitiva in corpore, illud compositum est vivum, sed nec est animal rationale nec irrationale; nec est animal vere contentum sub animali quod est genus. Et tota ratio est, quia non est ens completum existens per se in genere, sed est natum esse pars essentialis alicuius existentis per se in genere. Et nullum tale est in genere substantiae vel animalis per se; nec de illo praedicatur aliquod genus per se primo modo. Tamen vocando animal omne illud quod habet animam sensitivam, sic bene est animal. Sed tunc ,animal‘ dicitur aequivoce de illo et de aliis animalibus.“

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zugehen, dass es sich bei diesem Wesen um ein irgendwie funktionstüchtiges Lebewesen handeln müsse 40. Offensichtlich akzeptiert Ockham die implizite Annahme des Einwandes, dass die menschliche Wahrnehmungsseele rational durch den Intellekt geprägt wird. Anders ist es nicht einzusehen, warum Ockham nicht einfach behauptet, dass das verbleibende Lebewesen nicht zu einer neuen Art der nicht-vernunftbegabten Lebewesen zählen sollte. Ockham versteht den Einwand nicht als Hinweis auf einen Widerspruch, der sich hier dadurch ergäbe, dass der Zombie weder vernunftbegabt noch nicht-vernunftbegabt ist. Denn wäre das der Fall, dann könnte das Gedankenexperiment gar nicht erst starten, denn Gottes Eingriff würde einen Widerspruch implizieren. Dann allerdings dürften Wahrnehmungsseele und Intellekt von Anfang an nicht real verschieden sein, was sie aber sein müssen, damit Gott sie trennen und getrennt voneinander existieren lassen kann. Wenn Ockham darauf schließt, dass wir es beim Zombie nur im äquivoken Sinn mit einem Lebewesen zu tun haben, spricht dies allerdings gerade für seine Konzeption, der zufolge Wahrnehmungsseele und Intellekt trotz realer Verschiedenheit eine enge Einheit bilden, die zwar durch Gott getrennt werden könnte, allerdings mit dem entsprechend merkwürdigen Resultat eines Untoten. Inwiefern ist Ockhams Gedankenexperiment vom Zombie aber überhaupt daran gebunden, dass Gott eine solche Situation ermöglichen könnte? Die Frage verweist auf die theoretischen Ressourcen, die Ockham zur Verfügung stehen, um allein aus der realen Verschiedenheit von Dingen ihre Trennbarkeit abzuleiten. Soweit ich sehe, steht diese Ockham nur für die Fälle zur Verfügung, in denen eine absolute Sache von einer anderen abhängt wie ein Akzidenz von einer Substanz, sodass letztere unabhängig von ersterer existieren kann, nicht jedoch umgekehrt 41. Für den Fall aber, dass zwei real verschiedene Dinge eine gegenseitige existentielle Abhängigkeit aufweisen, werden diese erst durch die Annahme, dass Gott sie qua absoluter Macht trennen kann, befähigt, trennbar zu sein. Es handelt sich dann aber um eine zusätzliche metaphysische Ressource, auf die ein derartiges Gedankenexperiment wie das von Ockham angewiesen ist, um den Möglichkeitsspielraum auszuleuchten. 42 Offensichtlich ist Ockham hier weder daran interessiert, ein theologisches Problem zu klären noch eine empirische Wirklichkeit zu beschreiben. Er nutzt das prinzipiell mögliche Eingreifen Gottes, um die begriffliche Frage nach der metaphysischen Einheit des Menschen zu diskutieren. Es ist daher richtig, dass 40 41 42

Cf. das vollständige Zitat in nt. 39. Cf. Wilhelm von Ockham, Scriptum in librum primum Sententiarum (Ordinatio), 2, 4, edd. G. Gál/S. Brown (Opera theologica 2), St. Bonaventure, N. Y., 1970, 115. Ich folge hier J. Blander, Dependence, Separability, and Theories of Identity and Distinction in Late Medieval Philosophy: Case Studies from Scotus and Ockham, Dissertation, UCLA 2014, URL: (Stand: 11. 02. 2022), bes. 154–157, der betont, dass Ockham den Zusammenhang von realer Verschiedenheit und Trennbarkeit erst durch die zusätzliche Annahme der Allmacht Gottes herstellen kann.

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in derartigen Fällen die Allmacht Gottes nur benutzt wird, um logische Möglichkeiten zu ergründen und dies nicht implizieren muss, dass ein derartiger Eingriff als real angenommen wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass hier Gottes Allmacht nur so etwas wie eine Rahmung für das Imaginieren bestimmter Situationen ist. In diesem Sinn scheint mir Blumenberg berechtigt zu sein, von der Frage nach der Allmacht Gottes als einer ‚Lizenz zum Gedankenexperiment‘ zu sprechen 43: nämlich als die theoretische Bedingung der Möglichkeit, den Rahmen der an Naturnotwendigkeiten gebundenen Realmöglichkeiten zu durchbrechen und den Blick auf den Bereich des logisch Möglichen zu richten. V. Gewissheitsminimier ung en Auch wenn es unstrittig ist, dass Verweise auf die potentia Dei absoluta in naturphilosophischen Kommentaren nach 1277 gehäuft auftreten, mag Blumenbergs Festlegung auf einen auf 1277 datierbaren ‚turning point‘ für das Umsichgreifen der Allmachtfrage mit Blick auf jüngere Einschätzungen zum Einfluss der Verurteilungsurkunde verfehlt sein 44. Blumenberg hat jedoch erkannt, dass es bei der Verurteilung tatsächlich darum ging, gegenüber philosophischen Behauptungen die Möglichkeit eines direkten göttlichen Eingriffes in den Weltenlauf zu betonen 45. Er fragt, was eine solche Feststellung, wird sie ernst genommen, mit 43 44

45

Cf. supra, nt. 23. Cf. Bianchi, 1277 (nt. 33) und J. E. Murdoch, 1277 and Late Medieval Natural Philosophy, in: Aertsen/Speer (eds.), Was ist Philosophie (nt. 33), 111–121 gegen die mit Pierre Duhem prominent gewordenen Thesen, dass die Prinzipien der frühneuzeitlichen Naturwissenschaften erstens in der Naturphilosophie des 14. Jahrhundert entwickelt, und zweitens durch die Verurteilung von 1277 angestoßen wurden. Für eine Verteidigung dieser Thesen siehe E. Grant, The Foundations of Modern Science in the Middle Ages: Their Religious, Institutional, and Intellectual Contexts, Cambridge 1996. Anneliese Maier, auf die sich Blumenberg zu erkenntnistheoretischen Belangen im 14. Jahrhundert öfter stützt (cf. id, Legitimität [nt. 3], 205–233 [‚Die Unentrinnbarkeit des trügerischen Gottes‘] und 401–421 [‚Antizipationen (sic!) einer künftigen Grenzüberschreitung‘]), hat gegen Duhem die erste These verworfen (cf. A. Maier, Die Vorläufer Galileis im 14. Jahrhundert, Rom 1949), die zweite allerdings nicht (cf. ead., Das Prinzip der doppelten Wahrheit, in: ead., Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Naturphilosophie, vol. 1, Rom 1955, 1–44). Zu Blumenbergs Kenntnis von Maiers Schriften cf. id., Die Vorbereitung der Neuzeit, in: Philosophische Rundschau 9 (1961), 81–132. Courtenay stellt zwar die Allmachtsfrage im Mittelalter nicht als Problem von göttlichen Eingriffen dar. Zu den Pariser Artikeln von 1277 jedoch hält er fest, dass sie darauf abgezielt hätten, „to protect the possibility of direct, preordained divine actions that temporarily suspended or contradicted the laws of nature; it was not, at least not directly, a move to protect the range of initial divine capacity apart from action“ (id., Capacity and Volition [nt. 30], 96). Zu dem Umstand, dass eine Reihe ‚nominalistisch‘ eingestellter Theologen im 14. Jahrhundert (Robert Holcot, Adam Wodeham oder Pierre d’Ailly) bei ‚potentia Dei absoluta‘ an mehr dachten als nichtrealisierte Wirkungsmöglichkeiten Gottes, sondern mit ihr ein direkt-präsentisches, übernatürliches und wundersames Handeln verbanden, cf. F. Oakley, Omnipotence and Promise. The Legacy of the Scholastic Distinction of Powers, Toronto 2002, besonders 11 sq. und die Literatur dort.

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philosophischer Theoriebildung anzustellen vermag. Auch Blumenberg sieht, dass ein direkter Eingriff Gottes im 14. Jahrhundert nur als sporadisch angenommen und nicht als die umfassende Täuschung verstanden worden ist, die ihm Descartes methodisch zugewiesen hat 46. Blumenberg sieht hier allerdings Folgen für den Wissensanspruch, wenn der auch nur hypothetisch angenommene partielle Eingriff Gottes methodisch „systematische Penetranz“ 47 gewinnt nicht nur dadurch, dass der Naturphilosoph mit einem potentiellen Eingriff Gottes gedanklich zu experimentieren beginnen kann, sondern eine Schattenseite hat, welche die Prinzipien seines eigenen Fachs betreffen. Blumenberg sieht den systematischen Einfluss der Möglichkeit übernatürlicher Eingriffe, des Wunders, im gedrosselten Gewissheitsanspruch, mit dem Naturphilosophen im 14. Jahrhundert ihre Behauptungen belegen und so vom aristotelischen Wissenschaftsideal einer absoluten Evidenz, Gewissheit oder Exaktheit abrücken. Gewiss sollen naturphilosophische Prinzipien nun nur noch unter der Voraussetzung sein, dass der geordnete Naturverlauf von einem übernatürlichen Eingreifens Gottes unangetastet bleibt. Insbesondere bei Johannes Buridan sehen wir die gelegentliche Sinnestäuschung durch Gott in einen Zusammenhang gestellt mit der prinzipiellen Falsifizierbarkeit naturphilosophischer Prinzipien durch Gottes Allmacht 48. Das ist die Gewissheitskrise, von der Blumenberg spricht: Das Manöver des Naturphilosophen, Evidenz für seine Erkenntnisse zu beanspruchen nur unter der Voraussetzung, dass der natürliche Verlauf der Dinge unangetastet bleibt, kann Blumenberg hier nur als ein „Postulat der Notwehr“ 49 anerkennen. Es ist ihm eher Abfall von einem Ideal, erzwungen durch einen „theologischen Absolutismus“ 50 denn die Infragestellung einer aus der Antike tradierten erkenntnistheoretischen Illusion, von der sich zu verabschieden es auch keiner Allmachtfrage bedurft hätte 51. 46

47 48

49 50 51

Auch hier folgt Blumenberg Anneliese Maier, wenngleich er den Sachverhalt pessimistischer darstellt als sie, cf. A. Maier, Das Problem der Evidenz in der Philosophie des 14. Jahrhunderts, in: Scholastik 28 (1963), 181–225, wiederabgedruckt in ead., Ausgehendes Mittelalter, vol. 2, Rom 1967, 367–418. Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 215. Cf. Johannes Buridan, In Metaphysicen Aristotelis Quaestiones […] in ultima praelectione [QM(U)], II, 1, ed. J. Badius, Paris 1518, Reprint Frankfurt am Main 1964, fol. 8vb–9ra (cf. auch unten, Abschnitt VI). Ria van der Lecq bereitet eine Edition der ersten beiden Bücher von Buridans QM(U) vor, cf. die vorläufige Fassung unter der URL: (Stand: 11. 02. 2022). Neben Buridan siehe auch Walter Chatton, Reportatio et Lectura super Sententias, prol., 2, 2, ed. J. C. Wey, Toronto 1989, 92 und Adam Wodeham, Lectura secunda in librum primum Sententiarum, 1, 2, 6, ed. R. Wood, St. Bonaventure, N. Y., 1990, 222. Blumenbergs Zeuge für die graduierte Evidenz ist hingegen Pierre d’Ailly, cf. Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 218. Ibid., 219. Zu diesem Neologismus bei Blumenberg cf. Flasch, Blumenberg (nt. 26), 478 sq. Eine in diesem Sinn positivere Beurteilung der spätmittelalterlichen Graduierung der Evidenz gibt R. Pasnau, After Certainty: A History of Our Epistemic Ideals and Illusions, Oxford 2017, 21–45. Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen spätmittelalterlichem und frühneuzeitlichem Gewissheitsanspruch mit Blick auf Buridan cf. auch die Diskussion zwischen Pasnau und mir in A. Hall/G. Klima/M. Klein (eds.), Medieval and Early Modern Epistemology: After

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Zugleich sieht Blumenberg in dieser Selbstbeschränkung des Naturphilosophen auch ein erkenntnistheoretisches Selbstbewusstsein („Selbstbehauptung“ 52 ) konstituiert und stellt sie in einen Zusammenhang mit der „curiositas in dem jetzt prägnant werdenden Sinne des Versuchs theoretischer Vergegenständlichung allein dem Glauben zugemuteter und jeder Verifikation entzogener Aussagen“ 53, wie er im Kontext der von Augustinus noch unter den curiositasVorbehalt gestellten astronomischen Berechnungen spätmittelalterlicher Naturphilosophen, die eben noch keine empirischen Versuche darstellen, bemerkt. Eine von Blumenberg ausgelassene Ausprägung jener Rehabilitierung der curiositas stellen allerdings gewisse Rückwirkungseffekte dar, wenn der Naturphilosoph mit einem Eingriff Gottes prinzipiell zu rechnen hat. Wenn nämlich der Naturphilosoph einen Eingriff Gottes zum Prinzip macht, muss er diesen sogleich rationalisieren, indem er prüft, wie sich Naturzusammenhänge anders darstellen können, ohne gegen das Widerspruchprinzip, an das auch Gott gebunden ist, zu verstoßen. Hier tut sich ein neuer Konflikt mit den Theologen auf, die Einspruch dagegen einlegen, dass ein Philosoph ohne theologische Ausbildung sich mit theologischen Fragen beschäftigt. Buridan, der bei Blumenberg eher unterbelichtet ist, berichtet von einem solchen an ihn gerichteten Vorwurf, der auch nur an einen wie ihn, der nie Theologe wurde, gerichtet werden konnte. Er entgegnet auf den Vorwurf dieser Grenzüberschreitung, dass er durch einen Eid, den er als Magister abgelegt habe, sich ja verpflichtet hätte, philosophische Fragen, wenn sie ein Thema der Theologie tangierten, immer im Sinne des Glaubens zu determinieren, ansonsten aber die Finger von rein theologischen Fragen zu lassen 54. Buridan spricht hier den Beschluss der Pariser Artistenfakultät von 1272 an, der sich insofern in guter Gesellschaft mit den Verurteilungen von 1277 befindet, als beide die hermeneutische Praxis des Philosophen, die Probleme des eigenen Faches nur auf Grundlage der Prinzipien dieses Faches zu behandeln, verurteilt 55. Paradoxerweise verlangt der Eid vom Magister aber auch, was er gerade verhindern will: dass sich ein Nichttheologe theologisch äußert. So wollte die captivatio mentis nun auch nicht verstanden werden 56.

52 53 54

55 56

Certainty (Proceedings of the Society for Medieval Logic and Metaphysics 17), Newcastle upon Tyne 2020, 22–29 und 87 sqq. Blumenbergs Gegenbegriff zum „theologischen Absolutismus“, cf. Flasch, Blumenberg (nt. 26), 479. Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 408. Cf. Johannes Buridan, Quaestiones super octo libros Physicorum Aristotelis (secundum ultimam lecturam). Libri I–II (vol. 1); III–IV (vol. 2) [QP(U)], IV, 8, edd. M. Streijger/P. J. J. M. Bakker, Leiden–Boston 2015 und 2016, 268. Zu diesem Eid cf. O. Pluta, Einige Bemerkungen zur Deutung der Unsterblichkeitsdiskussion bei Johannes Buridan, in: E. P. Bos/H. A. Krop (eds.), John Buridan: A Master of Arts. Some Aspects of his Philosophy, Nijmegen 1993, 107–119, 109sq. Für diese Einschätzung siehe Bianchi, 1277 (nt. 33), 104; Flasch, Aufklärung (nt. 21), 64sq. und D. Piché, La condamnation parisienne de 1277, Paris 1997, 201–226. Cf. L. Bianchi, Pour une histoire de la ,double verité‘, Paris 2008, 108.

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Buridan erwähnt den Konflikt mit den Theologen im Zusammenhang der Frage nach der Möglichkeit eines Vakuums, von dem, so Buridan, wir natürlicherweise keine Erfahrung haben, auch wenn es keinen Widerspruch zu implizieren scheint, dass Gott ein Vakuum produzieren könnte, indem er, so das vorgestellte Szenario, das Innere des Mondes zerstört. Diese Möglichkeit wiederum kann Buridan nicht mit Evidenz beweisen, sondern nur auf ihre Plausibilität hin prüfen 57. Da es sich beim Vakuum selbst nicht um ein theologisches Problem handelt, Buridan aber meint, hier keine rein philosophische Frage zu erörtern, sollten wir annehmen, dass Buridan den Vorwurf seiner Kollegen aus der Theologie allein darauf bezieht, in seine Überlegungen die göttliche Allmacht mit einzubeziehen. Ähnlich wie bei Ockhams Zombie müssen wir hier jedoch nicht annehmen, dass mit einer derartigen Überlegung ein realer Eingriff Gottes angenommen wird. Es handelt sich hier offensichtlich um ein rein hypothetisches Szenario, anhand dessen Buridan klärt, was es für einen Körper heißt, einen Raum einzunehmen. Ganz anders jedoch liegt der Fall, wenn Buridan eine naturphilosophische Frage erörtert, die den Glauben direkt betrifft, wie die Unsterblichkeit der Seele. VI. Buridans abtrennbare Seele Wie Thomas und anders als Ockham meint Buridan, dass der Mensch als substantielle Form nur eine Seele besitzt. Thomas’ Beweise für eine immaterielle Seele hält Buridan jedoch nicht für stichhaltig und nimmt wie Ockham an, dass wir nur glauben, eine solche zu besitzen, obwohl uns unsere Erfahrung das Gegenteil zeige. 58 Während Ockham nicht eingehend für seine Position argumentiert, finden wir bei Buridan einen ganzen Traktat zu dieser Frage 59. Buridan bietet hier einen evidenzbasierten naturphilosophischen Beweis für die materielle Natur der Seele: Dreh- und Angelpunkt von Buridans philosophischer Position ist die Verbindung zwischen Seele und Körper. Dieser zufolge kann die Seele nur dadurch entstehen, dass sie die Materie gleichsam als ihren Nährboden besitzt. Die Seele inhäriert genau deshalb der Materie, weil sie aus ihrer Möglichkeit hervorgegangen ist. Dies impliziert jedoch, dass sie von Materie nicht getrennt werden kann, außer durch natürlichen Verfall. Gemäß dem katholischen Glauben wird die Seele jedoch durch Gott gleichsam von außen eingegeben und ist nicht das Produkt natürlicher Zeugungsprozesse, sondern eines Schöpfungsaktes. Wie sollte sie dann aber mit dem Körper eine hinrei57 58 59

Cf. Buridan, QP(U), IV, 8, edd. Streijger/Bakker (nt. 54), 268sq. Zu Buridans Widerlegung von Thomas’ (kognitionstheoretischen) Immaterialitätsbeweisen cf. Klein, Philosophie des Geistes (nt. 13), Kap. 2. Cf. Wilhelm von Ockham, Quodlibeta, I, 10, ed. Wey (nt. 34), 65 und Johannes Buridan, Questions on Aristotle’s ‘On the Soul’ by John Buridan: Latin Edition with an Annotated English Translation [tertia lectura, QdA(3)], III, 2–6, edd./trans. G. Klima/J. P. Hartman/P. G. Sobol/ J. Zupko, Cham i. E.

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chend enge Verbindung eingehen können, um den Menschen noch als substantielles Kompositum von Materie und Form zu begreifen? Die Antwort der katholischen Glaubensposition lautet hier: ebenfalls qua Inhärenz in Materie. Nur muss dieses Inhärenzverhältnis so verstanden werden, dass die Seele auch wieder von Materie getrennt werden kann. Diese Inhärenz in Materie impliziert auch nicht, dass die Seele der Materie verdankt, ausgedehnt oder teilbar zu sein 60. Buridan hält dies jedoch für ein unverständliches Inhärenzverhältnis von Seele und Materie, denn die notwendigen Zusammenhänge von Entstehen, Teilbarkeit und Vergehen, die sonst auch im aristotelischen Kosmos bei substantiellen Formen beobachtet werden können, werden hier aufgelöst. Wie löst Buridan diese Spannung? Er hält fest, dass die vom Naturphilosophen mit natürlicher Evidenz in Erfahrung gebrachten Prinzipien, auf denen der Beweis der materiellen Seele beruht, in Anbetracht göttlicher Wirkmöglichkeiten sich als nicht notwendig herausstellen 61. Beide jedoch, Glaubenssätze und erste Prinzipien der Naturphilosophie können nicht bewiesen werden: erstere nicht, weil sie nur offenbart, nicht aber als evident erkannt werden können, letztere nicht, weil sie durch Erfahrung mittels unvollständiger Induktion gewonnen werden, die selbst keinen Beweis darstellt. Der Intellekt wird hier, sobald er eine Regelmäßigkeit ohne Ausnahmen feststellt, durch „seinen natürlichen Hang zur Wahrheit“ 62 dazu gebracht, ein solches Naturprinzip verallgemeinernd zu akzeptieren. Buridan sieht sein Geschäft als Philosoph darin, Wissen von der Welt zu erlangen unter der Voraussetzung, dass Gott keinen außergewöhnlichen Eingriff in die Welt vornimmt. Buridan sichert diesen Wissensanspruch ab, indem er die für Wissen erforderliche Evidenz graduiert. Für die Philosophie ausreichend ist die „natürliche Evidenz“, die unter der Voraussetzung Bestand hat, dass der reguläre Naturverlauf intakt ist. Kirchliche Doktrinen erklären sich dem Philosophen Buridan hingegen als Wunder: Wenn die natürliche Ordnung außer Kraft gesetzt wird, handelt es sich um einen besonderen Eingriff Gottes. Gott kann Dinge bewirken, die natürlicherweise nicht zustande kommen, die aber schlechthin möglich sind 63. Sobald es zum übernatürlichen Eingriff kommt, bedeutet das eine Störung der natürlichen Ordnung. Eine philosophische Wahrheit kann einer theologischen daher nicht schlicht gegenübergestellt werden, denn eine Aussage, die sich auf natürlicherweise evidente Prinzipien stützt, kann prinzipiell, wie Buridan sagt, durch Gott falsch gemacht werden 64. 60 61

62 63 64

Ibid., III, 6, nn. 9–23. Eines dieser Naturprinzipien ist etwa, dass alles, was entsteht, notwendigerweise aus einem vorausgesetzten Subjekt hervorgehen muss, wie zum Beispiel die Seelenform aus der Möglichkeit der Materie. Buridan notiert, dass dieser notwendige Zusammenhang mit dem Glauben keinen Bestand mehr hat, denn Gott ist es möglich, direkt und ohne ein solches Subjekt Dinge zu schaffen, cf. Buridan, QP(U), I, 15, edd. Streijger/Bakker (nt. 54), 155. Cf. ibid., 155 sq. Cf. Buridan, QM(U), II, 1, ed. Badius (nt. 48), fol. 8vb. Cf. ibid.

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Dies ist nun auch der Ausweg für Buridan, um zu klären, wie er als Naturphilosoph zu anderen Konklusionen kommen kann, als sie die Glaubenssätze vorgeben. Dem Glauben zufolge entsteht eine Seele gerade nicht auf natürlichem Wege, sondern wird von Gott wundersam produziert. Ein solches Wunder kann aber nur geglaubt, nicht mit natürlicher Vernunft eingesehen werden. Der Glaube behauptet eine Wahrheit, obwohl sie nicht (natürlicherweise) evident ist, während philosophische Sätze wahr sein sollen aufgrund einer Evidenz, die jedoch nur unter der Voraussetzung Gültigkeit beansprucht, dass Gott sie nicht gleichsam aushebelt. Zur methodischen Absicherung der Geltungsansprüche von Philosophie und Theologie nutzt Buridan die Unterscheidung von potentia ordinata und potentia absoluta, indem er ersteren natürliche Notwendigkeiten und letzteren schlechthinnige oder übernatürliche Möglichkeiten zuordnet. Naturmodalitäten mit der geordneten Handlungsmacht Gottes und übernatürliche Modalitäten mit Gottes Allmacht in Verbindung zu bringen, meint Buridan philosophisch zudem mit Aristoteles begründen zu können. Denn schon Aristoteles habe unterschieden zwischen dem, was nur natürlicherweise möglich ist und den logischen Möglichkeiten, die gleichsam mit größerem Radius operieren und natürliche Möglichkeiten stechen können 65. Einzig bindend für schlechthinnige Möglichkeiten ist das Widerspruchsprinzip und andere logische Gesetzte, die allein absolute Evidenz beanspruchen können und nicht bloß jene relative Evidenz der Naturphilosophie 66. Ausgerüstet mit diesem Schema eines natürlichen und übernatürlichen Ordnungsrahmens versucht Buridan, der theologischen Position mehr entgegenbringen zu können als ein reines Glaubensbekenntnis, wenn er die Frage nach der Unsterblichkeit behandelt. Hier jedoch können wir beobachten, dass Buridan an seine Grenzen stößt, wenn er im Einklang mit dem Glauben gedanklich experimentiert: „Nicht auf natürliche, sondern auf übernatürliche Weise inhäriert der Intellekt dem menschlichen Körper. Und es ist sicher, dass Gott nicht nur auf übernatürliche Weise etwas, das nicht aus der Möglichkeit der Materie hervorgeht, formen könnte, sondern auch etwas, das aus der Möglichkeit der Materie hervorgegangen ist, von seiner Materie trennen, getrennt erhalten und in ein anderes Stück Materie legen könnte. Warum also sollte das nicht mit dem menschlichen Intellekt möglich sein?“ 67

65

66 67

Cf. S. Knuuttila, Necessities in Buridan’s Natural Philosophy, in: J. M. M. H. Thijssen/J. Zupko (eds.), The Metaphysics and Natural Philosophy of John Buridan (Medieval and Early Modern Philosophy and Science 2), Leiden e. a. 2001, 65–76 und Knuuttila/Kukkonen, Tought Experiments (nt. 2), 96. Cf. Buridan, QM(U), II, 1, ed. Badius (nt. 48), fol. 8vb. Cf. Buridan, QdA(3), III, 4, edd. Klima e. a. (nt. 59), n. 27: „Ad ultimam, diceretur quod non est naturalis sed supernaturalis modus quo intellectus inhaeret corpori humano. Et certum est quod Deus supernaturaliter posset non solum formare non eductam de potentia materiae, immo etiam eductam separare a sua materia, et separatim conservare, et ponere in materiam aliam. Quare ergo hoc non esset possibile de intellectu humano?“

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Wir können Buridans Überlegung folgenden Gedanken entnehmen: Es wäre möglich, dass die Seele zwar das Produkt eines materiellen Entstehungsprozesses wäre, aber dennoch den Tod überdauern könnte. Wir könnten der menschlichen Seele materielle Eigenschaften zuschreiben wie jeder anderen Form auch und müssten nur annehmen, dass Gott in der Lage ist, sie von Materie zu trennen. Die Unsterblichkeitsdoktrin könnte sich so weniger philosophische Probleme, die mit der immateriellen Natur der menschlichen Seele verbunden sind, einhandeln. Allerdings ist nicht ersichtlich, woher Buridan hier die Gewissheit nimmt, dass Gott materielle wie immaterielle Formen von ihrem materiellen Träger lösen könnte. Buridan begründet auch nicht weiter, wie dies bei materiell inhärierenden Formen möglich sein sollte angesichts des notwendigen Zusammenhangs von Inhärenz einer Form und ihrer Gebundenheit an Materie, wie er sich für die natürliche Vernunft ergibt. In gewisser Weise wird hier dem Gedankenexperiment schon die eigene Grenze aufgewiesen 68. Welchen erkenntnistheoretischen Status besitzt die hier beschriebene Situation aber? Gottes Allmacht meint bei Buridan nicht nur nicht-realisierte Wirkungsmöglichkeiten wie in Ockhams Zombieszenario oder der Frage nach der Existenz eines Vakuums, sondern impliziert Gottes direkt-präsentisches, übernatürliches und wundersames Wirken. Dies ermöglicht es Buridan, die von den Theologen behaupteten Glaubenssätze als wahr zu akzeptieren, auch wenn diese aus Sicht des Naturphilosophen Widernatürliches behaupten. Eine unsterbliche Seele ist wahrhaft kontrafaktisch aus der Perspektive des Philosophen, dessen Wissenskompetenz sich allein auf die natürliche Welt bezieht. Wenn Buridan dann anfängt, innerhalb des die Naturordnung transzendierenden Rahmens darüber nachzudenken, wie sich die Abtrennbarkeit der Seele darstellen könnte, dann tut er dies im Sinne eines aus Sicht des Naturphilosophen kontrafaktischen Szenarios. Denn der empirische Erfahrungshorizont des Philosophen ist die Grenze der natürlichen Möglichkeit, jedenfalls im Sinne evidenzbasierten Wissens. VII. Verschwommene Grenzen der Wirklichkeit Was, wenn der Philosoph im 14. Jahrhundert die göttliche Allmacht nicht nur als gedankliche Übung nimmt, um über die Möglichkeit zum Beispiel des Vakuums nachzudenken, sondern wenn seine Wissensansprüche mit theologischen Setzungen konfligieren? Es ist eine Sache, sich vor gelegentlichen Eingriffen Gottes abzuschirmen, indem man sich mit einer relativen Evidenz seiner Zunft begnügt. Eine ganz andere Sache ist es aber, wenn diese Evidenz deswegen relativ sein soll, weil naturphilosophische Prinzipien unter dem generellen Vor68

Buridan kann daher nicht zeigen, dass die Position des Glaubens mit einer materiellen Seele vereinbar ist, auch wenn dies vielleicht seine Absicht war, wie Pluta, Unsterblichkeitsdiskussion (nt. 54), 115 sq. vermutet.

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behalt eines Eingriffs Gottes stehen insofern, als die grundlegenden Prinzipien der Naturerkenntnis in zentralen Punkten keine Gültigkeit mehr besitzen dürfen. Dies betrifft dann nicht mehr gelegentliche Wunder, sondern muss als tagtäglicher Eingriff in den Naturverlauf verstanden werden, etwa bei der Geburt eines Menschen, von dem Buridan zwar philosophisch annimmt, dass er eine materielle Seele besitzt, sogleich aber im Sinne des Glaubens festhält, dass diese Seele von Gott geschaffen wurde, was Buridan präzise als übernatürlichen Eingriff versteht. Hier nimmt, mit Blumenberg gesprochen, „das Wunder als die paradigmatische Reduktion der Verbindlichkeit der Natur“ 69 einen Platz in der Philosophie ein und muss doch Fremdkörper bleiben. An den hier vorgestellten Gedankenexperimenten können wir einen je unterschiedlichen Wirklichkeitsbezug feststellen. Während Thomas im Menschenfresserszenario einen empirischen Fall, für dessen Existenz ein übernatürlicher Eingriff nicht konzipiert werden muss, theoretisch zuspitzt, ist Ockhams Zombieszenario das Resultat einer gedanklichen Konstruktion, die sich erst vor dem Hintergrund eines möglichen Eingriffs Gottes ergibt, ohne dass dieser aber als real angenommen werden muss. Hingegen ist bei Buridans Versuch, eines Wunders wie der immateriellen Seele rational Herr zu werden, der göttliche Eingriff als wirklich gesetzt. Die Bedingung der Möglichkeit eines solchen Eingriffs ergibt sich aber nicht aus dem Inneren des Theoriegebäudes der Philosophie. Buridan mag hier eine hohe Glaubensgewissheit besitzen, einer Erklärung aber, wie die menschliche Seele der Materie inhärieren und zugleich vom Körper trennbar sein soll, kann von Natur aus keine Evidenz zukommen. Das Nachdenken über diese Möglichkeit hat damit denselben erkenntnistheoretischen Status eines Gedankenexperiments wie ein durch Gott hervorgebrachtes Vakuum, aber es spielt sich gleichsam in einem Raum zwischen dem real und hypothetisch Angenommenen ab.

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Blumenberg, Legitimität (nt. 3), 205.

Mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist? Die Frage nach den Grenzen theologischer Erkenntnis bei Meister Eckhart Martina Roesner (Wien) I. Einleitung Nicht vielen scholastischen Theologen und Philosophen dürfte die Ehre widerfahren sein, von höchster kirchlicher Stelle in offizieller Form als allzu vorwitzige theologische Spürnase bezeichnet und des übertriebenen Wissensdranges geziehen zu werden. Die Bulle ‚In agro dominico‘, in der Papst Johannes XXII. insgesamt 28 von Eckharts Thesen als direkt häretisch bzw. häresieverdächtig und übelklingend verurteilte, beginnt mit einer Klage darüber, dass der Thüringer Dominikaner und Professor der Theologie „mehr wissen wollte, als zu wissen nötig war, und sich dabei nicht mit der gebotenen Besonnenheit an das Maß des Glaubens hielt, da er sein Gehör von der Wahrheit abkehrte und sich stattdessen erfundenen Geschichten zuwandte“ 1. Der erste Teil dieses Satzes – im Lateinischen „plura voluit sapere quam oportuit“ – ist ein fast wörtliches Zitat aus Röm 12,3; allerdings heißt es dort nicht ‚plura‘, sondern ‚plus‘ 2. Diese ursprüngliche paulinische Formulierung (‚plus‘ im Sinne von ‚mehr‘) geht stärker in die Richtung eines in qualitativer Hinsicht zu hoch greifenden theologischen Erkenntnisanspruchs. Der vom Papst gewählte Ausdruck ‚plura‘ (‚vielerlei‘, ‚viele verschiedene Dinge‘) erweckt hingegen den Eindruck, dass es Eckhart um ein übermäßiges Streben nach einer Vielzahl einzelner theologischer Wissensinhalte gegangen sei, was für einen quantitativ übertriebenen, sich zu sehr in die Breite und in einzelne Details verlierenden Erkenntnistrieb sprechen würde. Dieser Vorwurf ist insofern erstaunlich, als Eckhart von allen Scholastikern wohl derjenige ist, der sich am wenigsten mit minutiösen Untersuchungen über kleinteilige philosophisch-theologische Einzelthemen abgibt, sondern mit groß1

2

„Ekardus […] plura voluit sapere quam oportuit et non ad sobrietatem neque secundum mensuram fidei, quia a veritate auditum avertens ad fabulas se convertit“ (Processus contra mag. Echardum, n. 65, ed. L. Sturlese [Die Lateinischen Werke 5], Stuttgart 2006, 597,8–11; Übers. d. Verf.). „Dico enim per gratiam quae data est mihi, omnibus qui sunt inter vos: Non plus sapere quam oportet sapere, sed sapere ad sobrietatem: et unicuique sicut Deus divisit mensuram fidei.“ („Aufgrund der Gnade, die mir gegeben ist, sage ich einem jeden von euch: Strebt nicht über das hinaus, was euch zukommt, sondern strebt danach, besonnen zu sein, jeder nach dem Maß des Glaubens, das Gott ihm zugeteilt hat“ [Röm 12,3; lat. Text nach der Vulgata, dt. Text nach der Einheitsübersetzung]). Der zweite Teil des angeführten Satzes aus der päpstlichen Bulle (a veritate auditum avertens ad fabulas se convertit ) ist ebenfalls ein fast wortwörtliches Bibelzitat, und zwar aus 2 Tim 4,4.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-009

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artiger Monotonie immer wieder dieselben Grundprobleme beackert, die sich durch sein lateinisches wie deutsches Gesamtwerk hindurchziehen 3. Nirgendwo findet man bei ihm scholastische Quästionen über die Frage, wie viele Engel auf eine Nadelspitze passen, oder ähnlich übertrieben wirkende theologische Quisquilien. Ist der vom Papst erhobene Vorwurf des exzessiven, die Grenzen des Glaubens missachtenden Erkenntnisstrebens dann überhaupt sachlich zutreffend? Um diese Frage zu beantworten, ist es nötig, zunächst einen kurzen Blick auf die philosophisch-theologischen Konnotationen zu werfen, die zu Eckharts Zeit mit der Vorstellung einer übertriebenen intellektuellen Neugierde verbunden sind. Dabei vermischt sich das alte patristische Motiv des Vorbehalts gegenüber den ‚profanen‘ Wissenschaften mit der zu Eckharts Zeit besonders heiß umstrittenen These der intellektuellen Glückseligkeit durch theoretische Erkenntnis, wie sie im Milieu des lateinischen Averroismus vertreten wird. Die unterschiedliche Einstufung des Wertes oder Unwertes menschlichen Wissens spiegelt dabei letztlich verschiedene anthropologische Modelle wider, die teils den Aspekt der naturhaften Endlichkeit des Menschen, teils den seiner möglichen Verunendlichung durch die übernatürliche Einheit mit Gott betonen und den Intellekt des Menschen innerhalb dieser Schemata unterschiedlich verorten. II. Die Ambivalenz des Wissens in der Patristik und Scholastik 1. Die spätantike Kritik am theoretischen Erkenntnisideal Anders, als Hans Blumenberg dies darstellt 4, ist die kritische Beurteilung der curiositas im Sinne des theoretischen Wissensdranges keineswegs ein Spezifikum der christlichen Weltsicht, sondern findet sich bereits in der hellenistischen Philosophie, vor allem bei den Stoikern, Epikureern und Akademikern, grundgelegt 5. So betrachten Cicero und Seneca das übermäßige Streben nach spekulati3

4 5

Diese Grundthemen sind: die Hierarchisierung von intelligere (Denken) und esse (Sein) in Gott, das Theorem ‚Esse est deus‘ (Sein ist Gott), die Vorgängigkeit des Einheitsgrundes der Gottheit gegenüber den trinitarischen Hervorgängen, die Gottesgeburt im Grund der Seele und die sich dadurch vollziehende Vergöttlichung des Menschen, das univoke Auszeugungsverhältnis zwischen der Gerechtigkeit und dem Gerechten sowie die vollkommene Konsonanz von Offenbarungswahrheit und Vernunftwahrheit. Cf. Eckhart, Quaestio Parisiensis I, n. 4, ed. B. Geyer (Die Lateinischen Werke 5) (nt. 1), 40,5–41,4; id., Prologus generalis in opus tripartitum, n. 12, ed. K. Weiß (Die Lateinischen Werke 1.1), Stuttgart 1964, 156,15–158,4; id., Predigt 2, ed. J. Quint (Die Deutschen Werke 1), Stuttgart 1958, 42,1–44,6; id., Predigt 4, ibid., 72,9–73,5; id., Predigt 6, ibid., 105,2 sq.; id., Expositio sancti Evangelii secundum Iohannem, nn. 2–3, edd. K. Christ/B. Decker e. a. (Die Lateinischen Werke 3), Stuttgart 1994, 4,4–17; cf. dazu insgesamt K. Flasch, Die Intention Meister Eckharts, in: H. Röttges (ed.), Sprache und Begriff. Festschrift für Bruno Liebrucks, Meisenheim 1974, 292–318. Cf. H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt a. M. 1973, 56 sq. 92. 104–108. Cf. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995, 17.

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ver Erkenntnis als einen Verstoß gegen die Tugend der Mäßigung, da der Mensch Gefahr läuft, sich in einer Jagd nach Wissensinhalten zu verlieren, die ethisch irrelevant sind und ihn dazu verleiten, seine alltäglichen Lebenspflichten zu vernachlässigen. Die philosophische bzw. wissenschaftliche Erkenntnis wird von ihnen zwar nicht generell abgelehnt, doch erscheint sie nicht länger als Selbstzweck, sondern nur noch als Mittel zum Zweck, das in dem Maße dienlich ist, wie es die Menschen zur wahren Weisheit anleitet, die moralischer Natur ist. Dabei liegt bei Cicero der Akzent vornehmlich auf dem äußeren, politischgesellschaftlichen Handeln, während Seneca den Schwerpunkt auf die richtige innere Einstellung des Menschen zu sich selbst und zu den Mitmenschen legt 6. In beiden Fällen ist die theoretisch-philosophische Betrachtung demnach weder notwendig noch hinreichend, um die eigentliche sapientia zu erlangen, da diese allein eine Frage des angemessenen ethischen Verhaltens ist 7. Diese von den Erfordernissen der praktischen Lebensführung ausgehende Kritik am Wert theoretischer Erkenntnis setzt sich in der Patristik dahingehend fort, dass das Augenmerk nun weniger auf die Erforschung der Welt als vielmehr auf die Selbsterkenntnis des Menschen unter theologischen Vorzeichen gerichtet wird. Die Kenntnis der Naturgesetze und ähnliches Faktenwissen gilt bei Tertullian, Augustinus, Gregor dem Großen und anderen Kirchenvätern keineswegs als ethisch neutral, sondern steht von vornherein im Verdacht, Aufgeblasenheit und Hochmut zu befördern und somit der Erkenntnis der eigenen Sündhaftigkeit und Schwäche im Wege zu stehen 8. Die theologische Wertigkeit der klassisch-griechischen Erkenntnisordnung wird damit in ihr Gegenteil verkehrt: War bei Aristoteles das Streben nach zweckfreier theoretischer Betrachtung der höchsten Erkenntnisgegenstände das Mittel der Wahl zur größtmöglichen Annäherung an das Göttliche 9, verwirft Augustinus ebendiese Zweckfreiheit als Ausdruck einer ungeordneten Grundhaltung der menschlichen Vernunft, der es bei der θεωρία (theôria ) gerade nicht mehr um Gott, sondern um den eitlen Selbstgenuss der eigenen Fähigkeiten geht 10. 6

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8 9 10

„Alterum est vitium, quod quidam nimis magnum studium multamque operam in res obscuras atque difficiles conferunt easdemque non necessarias. Quibus vitiis declinatis quod in rebus honestis et cognitione dignis operae curaeque ponetur, id iure laudabitur […]. Cuius studio a rebus gerendis abduci contra officium est; virtutis enim laus omnis in actione consistit“ (Cicero, De officiis, I, 19, ed. R. Nickel, Düsseldorf 2008, 22). – „Ipsam autem philosophiam non debebis iactare; multis fuit periculi causa insolenter tractata et contumaciter: tibi vitia detrahat, non aliis exprobret. Non abhorreat a publicis moribus nec hoc agat, ut, quidquid non facit, damnare videatur. Licet sapere sine pompa, sine invidia“ (Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, CIII, 5, ed. R. Nickel, Düsseldorf 2009, 404). „Potest quidem etiam illud dici, sine liberalibus studiis veniri ad sapientiam posse; quamvis enim virtus discenda sit, tamen non per haec discitur. Quid est autem, quare existimem non futurum sapientem eum, qui litteras nescit, cum sapientia non sit in litteris? Res tradit, non verba, et nescio an certior memoria sit, quae nullum extra se subsidium habet“ (Seneca, Epistulae morales ad Lucilium, LXXXVIII, 32, ed. Nickel [nt. 6], 178); cf. dazu H. Blumenberg, Prozeß (nt. 4), 62. 68. Cf. Bös, Curiositas (nt. 5), 15. 93. 112 sq. 131. 136 sq.; Blumenberg, Prozeß (nt. 4), 94 sq. 108. Cf. Aristoteles, Metaphysik, I, 2, 982 b 28–983 a 11; ibid., XII, 7, 1072 b 15–30. Cf. Augustinus, De doctrina christiana, I, 20–21, ed. G. M. Green (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 80), Wien 1963, 13; id., Confessiones, X, 35, 55, ed. M. Skutella, Stuttgart 1996, 251 sowie dazu Blumenberg, Prozeß (nt. 4), 106.

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Dennoch zeichnet Augustinus das Streben nach Erkenntnis nicht durchweg negativ, sondern stellt der nach irrelevanten Äußerlichkeiten haschenden curiositas die echte Liebe zur Weisheit, die studiositas, gegenüber, die Ausdruck des kontinuierlichen geistigen Bemühens um Erkenntnis der heilsbedeutsamen Wahrheiten ist 11. Doch auch da, wo er den Wissenschaften einen positiven Wert zugesteht, ist das Kriterium, das über ihre Legitimität entscheidet, theologischer Natur. Die Sieben freien Künste sind in dem Maße gut und wichtig, wie sie etwas zum adäquaten Verständnis der Heiligen Schrift beitragen 12. All jene Erkenntnisgebiete, die außerhalb dieser theologisch-bibelhermeneutischen Perspektive liegen, haben jedoch keinerlei Nutzen, sondern bergen eher die Gefahr, die Aufmerksamkeit des Menschen von der allein wichtigen Gottes- und Selbsterkenntnis abzulenken 13. Die Folge davon ist, dass sich das Studium vornehmlich auf die logisch-sprachlichen (Trivium ) bzw. die mathematisch-formalen Disziplinen (Quadrivium ) beschränkt, während die diversen Bereiche der Realphilosophie und der Naturwissenschaften praktisch keine Rolle spielen. Da das profane Wissen auf die Interessen und Belange der Schrifthermeneutik ausgerichtet ist, kann ein ‚Fortschritt‘ in der Erkenntnis nur darin bestehen, dass man immer tiefer in die Geheimnisse des biblischen Textes eindringt, seine vielfältigen Bedeutungsebenen erschließt und sie auf das menschliche Leben anwendet. Radikal neue, überraschende Wissensinhalte hingegen sind durch den ein für allemal vorgegebenen, definitiv abgeschlossenen Rahmen der historischen Offenbarung ausgeschlossen und erscheinen somit auch gar nicht erstrebenswert 14. 2. Die Rehabilitierung der theoretischen Erkenntnis in der Scholastik Über das Ende der Spätantike hinaus ist die grundsätzliche Skepsis gegenüber ‚Neuheiten‘ ein Signum der monastischen Theologie, wie sie in den Klöstern bzw. Klosterschulen bis zum 12. Jahrhundert vorherrschend ist 15. Als sich dieses Paradigma im Laufe des 12. Jahrhunderts zu ändern beginnt, zeigen sich die Umbrüche zuerst auf dem Gebiet der philosophisch-theologischen Terminologie sowie in der Form der Erörterung, die nicht länger nur an der hermeneutischen Erhellung des Schriftsinnes interessiert ist, sondern dialektisch verfährt 11 12 13 14

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Cf. Augustinus, De ordine, II, 5, 17, ed. T. Fuhrer, in: id., Contra Academicos/De beata vita/ De ordine, Berlin–Boston 2017, 115–183, hier 154 sq. sowie Bös, Curiositas (nt. 5), 20. Cf. Augustinus, De doctrina christiana, II, 104–152, ed. Green (nt. 10), 63–78. Cf. Augustinus, Soliloquia, I, 7, edd. H. Fuchs/H. Müller, München 1984, 18. Cf. R. Köhn, Monastisches Bildungsideal und weltgeistliches Wissenschaftsdenken. Zur Vorgeschichte des Mendikantenstreites an der Universität Paris, in: A. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im XIII. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 10), Berlin–New York 1976, 1–37, hier 6–11. Cf. J. Ehlers, Monastische Theologie, historischer Sinn und Dialektik. Tradition und Neuerung in der Wissenschaft des 12. Jahrhunderts, in: A. Zimmermann (ed.), Antiqui und moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 9), Berlin–New York 1974, 58–79, hier 63–70. 75 sq.

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und sich nicht scheut, dabei auch grundlegende Glaubenswahrheiten zur Diskussion zu stellen 16. Abaelard steht für diese erste Zäsur im Selbstverständnis der christlichen Theologie, die an die Stelle der starken Traditionsbindung nunmehr das überzeitliche Instrument der Logik setzt und statt der fortlaufenden Auslegung des Textes der Heiligen Schrift die Methode der systematisch-argumentativen Erörterung theologischer Grundprobleme bevorzugt. Die ‚Neuheit‘ ist demnach vornehmlich formaler Natur und manifestiert sich als die Tendenz, traditionelle theologische Themen auf qualitativ andere Weise abzuhandeln, nämlich ohne die Reichweite des möglichen Fragens und Infragestellens von vornherein zu beschränken und ohne zwischen ‚erlaubten‘ und ‚unerlaubten‘ bzw. ‚irrelevanten‘ Problemen zu unterscheiden. Darüber hinaus bahnt sich außerhalb der theologischen Wissenschaft aber auch in inhaltlicher Weise Neues an. So interpretiert die sich im 12. Jahrhundert herausbildende Naturphilosophie die sinnliche Wirklichkeit nicht länger durch eine theologisch-heilsgeschichtliche Brille, sondern erkennt sie in ihrer Eigengesetzlichkeit an und betrachtet sie als etwas in sich Wissenswürdiges 17. Angesichts der unübersehbaren Fülle von innerweltlichen Einzelphänomenen bewegt sich das menschliche Erkenntnisvermögen nunmehr nicht länger innerhalb eines fest abgesteckten Rahmens, sondern ist auf das offene Feld der empirischen Erforschung und Neuentdeckung hin ausgerichtet 18. Die wiedereinsetzende Rezeption der aristotelischen Philosophie ab dem späten 12. Jahrhundert führt dann endgültig zu einer Rehabilitierung des theoretischen Erkenntnisdranges um seiner selbst willen, da das Streben nach einer intellektuellen Erkenntnis der gesamten Wirklichkeit nicht länger als Zeichen sündhafter Verfallenheit und eitler Wichtigtuerei gilt, sondern ausdrücklich als positiver Grundzug der menschlichen Natur gewürdigt wird 19. Allerdings bedeutet das nicht, dass die Vorstellung einer negativ konnotierten curiositas generell verschwände, sondern nur, dass die Unterscheidung zwischen legitimem und illegitimem Erkenntnisstreben nun anders definiert wird als vorher. Dies wird in paradigmatischer Weise an der Position Thomas von Aquins deutlich: Vor dem Hintergrund seiner intensiven Rezeption des Aristotelismus und des damit verbundenen Wissensideals betont er, dass die als verwerflich einzustufende curiositas nicht im theoretischen Erkenntnisdrang als solchem bestehe, sondern nur in jener Grundhaltung, die die geschaffenen Dinge in rein horizontaler Perspektive betrachtet, ohne sie zu ihrem 16 17

18 19

Cf. Ehlers, Monastische Theologie, in: Zimmermann (ed.), Antiqui und moderni (nt. 15), 75– 78. Cf. dazu insgesamt A. Speer, Die entdeckte Natur. Untersuchungen zu Begründungsversuchen einer „scientia naturalis“ im 12. Jahrhundert (Texte und Studien zur Geistesgeschichte des Mittelalters 45), Leiden–New York 1995. Cf. ibid., 27–40. 65–75. Cf. Albertus Magnus, Metaphysica, I, tr. 2, c. 4–9, ed. B. Geyer (Opera omnia 16/1), Münster 1960, 21a–26b; Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 180, a. 7 c, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 10), Rom 1899, 432 sq.; id., In duodecim libros metaphysicorum Aristotelis expositio, I, lect. 1, nn. 1–4, edd. M.-R. Cathala/R. M. Spiazzi, Turin–Rom 1950, 6.

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letzten Ziel, nämlich Gott, in Beziehung zu setzen 20. Wird dieses letztgenannte Kriterium jedoch erfüllt, ist das Streben nach theoretischem Wissen – auch und gerade im Bereich der Physik und der Metaphysik – nicht nur erlaubt, sondern kann dazu dienen, die menschliche Vernunft zur offenbarungstheologischen Erkenntnis Gottes hinzuleiten, die wiederum in der theoretisch verstandenen visio beatifica im Jenseits gipfelt 21. Nicht alle aristotelisch geprägten Scholastiker machen sich jedoch die thomasische Unterscheidung zwischen philosophischer und biblisch vermittelter Gotteserkenntnis sowie zwischen den Möglichkeiten des menschlichen Intellekts in via und denen in patria zu eigen. So behaupten die Vertreter des lateinischen Averroismus die prinzipielle Eigenständigkeit der philosophischen Lebensform auch hinsichtlich des eschatologischen Aspektes der existenziellen Erfüllung und Vollendung der menschlichen Natur. Die von ihnen postulierte Möglichkeit, bereits in diesem Leben durch die überformende Einswerdung mit dem getrennten intellectus agens die größtmögliche Glückseligkeit zu erlangen, ist jedoch paradoxerweise nicht unbedingt gleichbedeutend mit einer geistigen Grundhaltung der Neugierde im engeren Sinne. Wenn etwas für die menschliche Erkenntnis neu und unbekannt erscheint, dann deshalb, weil der Intellekt des Menschen endlich ist und sich als ein Erkenntnisvermögen darstellt, dessen Potentialitäten erst nach und nach aktualisiert werden müssen. Wenn man hingegen davon ausgeht, dass es dem Menschen möglich ist, mit dem getrennten, universalen intellectus agens eine bleibende Verbindung einzugehen, dann folgt daraus, dass ein solcherart ‚vergöttlichter‘ Mensch alle einzelnen Dinge und Sachverhalte im Licht dieses universalen Intellekts betrachtet und die ihnen zugrunde liegenden Gesetze und Prinzipien in apriorischer Weise durchschaut. Der Grund seiner intellektuellen Glückseligkeit ist demnach nicht die Erkenntnis des Einzelnen als Einzelnen, sondern die Erkenntnis der einen, universalen Wahrheit in den einzelnen Dingen 22. Unter dieser Voraussetzung gäbe es für den Philosophen gerade keine Neuigkeit und nichts wirklich Überraschendes mehr, da dem universalen Intellekt nichts äußerlich sein kann, so dass er in allen einzelnen Phänomenen und Zusammenhängen letztlich immer nur sich selbst und seine eigene Universalität betrachtet 23. Je höher man die Möglichkeit des menschlichen Intel20 21

22

23

Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 166, a. 1–2; q. 167, a. 1 c, ed. Commissio Leonina (nt. 19), 342–346 sowie dazu Bös, Curiositas (nt. 5), 32. 35. Cf. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I, cap. 47, n. 7, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 13), Rom 1918, 138 sq.; ibid., III, cap. 25, n. 1, ed. Commissio Leonina (Opera omnia 14), Rom 1926, 65; id., Summa theologiae, II-II, q. 180, a. 4 c, ed. Commissio Leonina (nt. 19), 427 sq. „Unde cum nullum maius bonum possit homini contingere per intellectum speculativum quam cognitio universitatis entium quae sunt a primo principio et per hoc primi principii, sicut possibile est, et delectatio in illo, tunc sequitur quod superius conclusum est, quod summum bonum, quod est homini possibile secundum intellectum speculativum, est cognitio veri in singulis et delectatio in eodem“ (Boethius von Dacien, De summo bono sive De vita philosophi, 48–54, ed. N. G. Green-Pedersen, Kopenhagen 1976, 371). Cf. Dietrich von Freiberg, De visione beatifica, 1.1.5(1), ed. B. Mojsisch (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 2/1), Hamburg 1977, 30,60–68; B. Mojsisch, „Dynamik der Vernunft“

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lekts ansetzt, desto weniger ist für echte Neugierde im eigentlichen Sinne des Wortes Platz, da diese ein sukzessives Fortschreiten von einer beschränkten neuen Erkenntnis zur nächsten voraussetzt. Für einen averroistisch geprägten Denker stellt sich die Sache hingegen so dar, dass mit der Überformung durch den universalen Intellekt die charakteristischen Beschränkungen der diskursiven Vernunft überwunden sind und der Mensch zu der Einsicht gelangt, dass es streng genommen nihil novi sub sole intellectus agentis geben kann 24. III. Die doppelte Entg renzung der Erkenntnis bei Meister Eckhar t Fragt man sich vor diesem geistesgeschichtlichen Hintergrund nun, ob, und wenn ja, in welcher Weise sich bei Eckhart der Drang nach ‚Neuheit‘ zeigt, so fällt zunächst eine Bemerkung in seinem Prolog zum ‚Opus tripartitum‘ ins Auge. Dort erklärt Eckhart, dass er sich auf die nachdrücklichen Bitten seiner Mitbrüder hin dazu entschlossen habe, die wesentlichen Inhalte seiner universitären Lehrveranstaltungen und weiterführenden Lehrgespräche mit ihnen zu verschriftlichen, und zwar vor allem hinsichtlich „neuer und ungewohnter Dinge“ (nova et rara ), die man in dieser Form an anderer Stelle nicht finden könne 25. Auf den ersten Blick scheint es demnach so, als bestehe der Reiz von Eckharts Schriften vor allem darin, dass er die ausgetretenen Pfade der traditionellen theologischen Erörterung verlässt und sich auf Fragestellungen konzentriert, die bei den anderen scholastischen Autoren entweder gar nicht oder nur am Rande behandelt werden 26. Allerdings ist diese Vorgehensweise Eckharts nicht nur dem legitimen didaktischen Bemühen geschuldet, die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer

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bei Dietrich von Freiberg und Meister Eckhart, in: K. Ruh (ed.), Abendländische Mystik im Mittelalter. Symposion Kloster Engelberg 1984, Stuttgart 1986, 135–144, hier 136. 139. „Ideo philosophus speculando entia causata, quae sunt in mundo […], inducitur in cognitionem primae causae. […] Considerans etiam quod necesse est hanc causam esse aeternam et incommutabilem, semper uno modo se habentem, si enim ipsa non esset aeterna, universaliter nihil esset aeternum. Et iterum cum quaedam in mundo sint entia nova, et unum novum non potest esse causa sufficiens alterius novi, ut ex se patet, sequitur manifeste quod omnia nova quae sunt in mundo universaliter sunt ex causa aeterna. Et causa etiam est incommutabilis semper uno modo se habens, quia transmutatio non est possibilis nisi in rebus imperfectis, et si aliquod est ens perfectissimum in mundo, dignum est quod hoc sit prima causa“ (Boethius von Dacien, De summo bono, 176 sq. 182 sq. 190–199, ed. Green-Pedersen [nt. 22], 375 sq.). „Auctoris intentio in hoc opere tripartito est satisfacere pro posse studiosorum fratrum quorundam desideriis, qui iam dudum precibus importunis ipsum impellunt crebro et compellunt, ut ea quae ab ipso audire consueverunt, […] scripto commendet, praecipue quantum ad tria: videlicet quantum ad generales et sententiosas quasdam propositiones; item quantum ad diversarum quaestionum novas, breves et faciles declarationes; adhuc autem tertio quantum ad auctoritatum plurimarum sacri canonis utriusque testamenti raras expositiones, in his potissime quae se legisse alias non recolunt vel audisse, praesertim quia dulcius irritant animum nova et rara quam usitata, quamvis meliora fuerint et maiora“ (Eckhart, Prologus generalis in opus tripartitum, n. 2, ed. Weiß [nt. 3], 148,5–7.9–149,2). „[V]ix aliqua et rarissime alias habita hic ponuntur“ (Eckhart, Prologus generalis in opus tripartitum, n. 7, ed. Weiß [nt. 3], 151,15).

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bzw. Leser durch die Darbietung neuer, ungewohnter Einzelprobleme zu fesseln, sondern erwächst letztlich aus einem Verständnis von Theologie, das sich von dem seiner Zeitgenossen in grundlegenden Punkten unterscheidet. 1. Meister Eckharts Revision des heilsökonomischen Vorbehalts in der Theologie Im Proömium zu seiner Auslegung des Johannes-Evangeliums erklärt Meister Eckhart, dass es seine Absicht sei, „die Lehren des heiligen christlichen Glaubens und der Heiligen Schrift beider Testamente mit den natürlichen Vernunftgründen der Philosophen auszulegen“ 27. Dieser Entwurf einer vollkommenen Harmonisierung von Philosophie und Offenbarungstheologie bewegt sich auf einem Boden, der die aristotelisch-scholastische Aufwertung der philosophischen θεωρία (theôria ) aufgreift und über sich hinaustreibt. Dabei geht Eckhart so weit, auch Offenbarungswahrheiten im engeren Sinn, einschließlich Trinität und Inkarnation, als Vernunftwahrheiten zu begreifen und den Unterschied zwischen der aristotelischen Philosophie einerseits und der Heiligen Schrift des Alten und Neuen Testaments andererseits nur in der Art ihrer Darlegung, nicht aber im Inhalt zu sehen 28. Insofern gibt es für Eckhart keine ‚Glaubensgeheimnisse‘ im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern vielmehr soll all das, wovon man anfänglich im Modus des Glaubens überzeugt ist, durch begriffliche Reflexion in Wissen überführt werden 29. Entscheidend dabei ist, dass Eckhart mit Blick auf den Umfang theologischer Erkenntnis keinen heilsökonomischen Vorbehalt mehr kennt. Man soll von Gott nicht nur das erkennen, was uns zur Erlangung der ewigen Seligkeit nützlich ist, sondern schlechthin sein ganzes Wesen. Zur Untermauerung dieser Position geht Eckhart aber nicht nur von philosophischen Argumenten aus, sondern beruft sich ausdrücklich auf die Heilige Schrift. In Predigt 29 erläutert er unter Verweis auf Joh 15,15: „Nun wundert’s mich bei manchen Pfaffen, die recht gelehrt sind und große Pfaffen sein wollen, daß sie sich’s so schnell genügen und sich betören lassen und das Wort hernehmen, das unser Herr sprach: ‚Alles, was ich gehört habe von meinem Vater, das habe ich euch kund getan‘, und es so verstehen wollen und sagen, er habe uns geoffenbart, soviel uns ‚auf dem Wege‘ not tue zu unserer ewigen Seligkeit. Ich halte nicht dafür, daß es so zu verstehen sei, denn es ist keine Wahrheit. […] Was hört der Sohn von seinem Vater? Der Vater kann nichts als gebären, der Sohn kann nichts als geboren werden. Alles, was der Vater hat und was er ist, die Abgründigkeit göttlichen Seins und göttlicher Natur, das gebiert er alles in seinem eingeborenen Sohn. Das hört 27

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„In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum“ (Eckhart, In Iohannem, n. 2, edd. Christ/Decker e. a. [nt. 3], 4,4 sqq.). Idem ergo est quod docet Moyses, Christus et philosophus, solum quantum ad modum differens, scilicet ut credibile, probabile sive verisimile et veritas (Eckhart, In Iohannem, n. 185, edd. Christ/Decker e. a. [nt. 3], 155,5 sqq.). Cf. Eckhart, Predigt 39, ed. J. Quint (Die Deutschen Werke 2), Stuttgart 1971, 253,3.

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der Sohn von dem Vater, das hat er uns geoffenbart, auf daß wir derselbe Sohn seien.“ 30

Der eingangs zitierte Satz aus der päpstlichen Verurteilungsbulle – „mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist“ – gehorcht noch einer Logik der berechnenden Quantifizierung, die dem Kriterium der Notwendigkeit folgt. Eckhart hingegen sieht Gott von vornherein als jene überbordende Fülle, die gar nicht anders kann, als sich neidlos ganz zu verströmen und mitzuteilen. Von Seiten Gottes gibt es demnach keine graduelle Abstufung zwischen dem, was er von sich preisgibt, und dem, was er verbirgt, sondern er kann sich überhaupt nur ganz mitteilen oder gar nicht 31. Mit seiner Deutung des johanneischen Textes eliminiert Eckhart jeden Unterschied zwischen der durch historische Offenbarung vermittelten Gotteserkenntnis und der innergöttlichen Selbsterkenntnis. In seinen Augen wäre es Gottes unwürdig, wenn man ihm unterstellen wollte, dass er mit dem, was er uns von sich offenbaren will, geizt. Darüber hinaus widerspräche die quantifizierende Beschränkung des Ausmaßes der Selbstmanifestation Gottes der radikalen Einfachheit seines Wesens. Da der Sohn den Vater in vollkommener Weise erkennt, wie er ist, und jeder Mensch kraft der Gottesgeburt in der Seele an dieser göttlichen Selbsterkenntnis teilhat, kennt die theologische Erkenntnis für Eckhart keine Grenzen und wird somit auch nicht länger nach den beiden Modalitäten in via bzw. in patria unterschieden 32. Erfüllt sie deswegen aber schon das Kriterium der übertriebenen Neugierde und des zügellosen Wissensdranges? Genaugenommen ist diese Frage zu verneinen, wenn man den Wissenstrieb im klassischen Sinne als das Streben nach Erkenntnissen versteht, die man noch nicht hat und erst noch erwerben muss. Eckhart ‚will‘ Gottes Wesen gar nicht erkennen, sondern konstatiert vielmehr, dass jeder Mensch, insofern er ein Vernunftwesen ist, dies notwendigerweise immer schon tut. Zwar sind sich nicht alle Menschen dessen bewusst, doch hat die Erlangung dieser Einsicht, wie Eckhart betont, nicht den Charakter eines sukzessiven, graduellen Wissenserwerbs, sondern den einer schlagartigen Einsicht in die Evidenz der Gegenwart 30

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„Nû wundert mich von etlîchen pfaffen, die wol gelêret sint und grôze pfaffen wellent sîn, daz sie sich alsô schiere lâzent genüegen und lâzent sich betœren und nement daz wort, daz unser herre sprach: ‚allez, daz ich gehœret hân von mînem vater, daz han ich iu kunt getân‘ – daz wellent sie alsô verstân und sprechent alsô, er habe uns geoffenbâret ûf dem wege, als vil uns nôtdürftic wære ze unser êwiger sælicheit. Des enhalte ich niht, daz ez alsô ze verstânne sî, wan ez enist kein wârheit. […] Waz hœret der sun von sînem vater? Der vater enkan niht dan gebern, der sun enkan niht dan geborn werden. Allez, daz der vater hât und daz er ist, die abgründicheit götlîches wesens und götlîcher natûre, daz gebirt er zemâle in sînem eingebornen sune. Daz hœret der sun von dem vater, daz hât er uns geoffenbâret, daz wir der selbe sun sîn“ (Eckhart, Predigt 29, ed. Quint [nt. 29], 83,4–84,1.5–10; Übers. 653 sq. [Hervorhebungen im Original]). „Aut enim omnia vel nihil notificat; unum enim loquitur et simul omnia et unum […]. Generaliter enim superiora se totis communicant suis inferioribus nihil occultando, nihil operiendo quantum in se est. Sol enim iste materialis sic omnes illuminat, ut per ipsum omnes videant, etiam dum ipsum non vident“ (Eckhart, In Iohannem, n. 639, edd. Christ/Decker e. a. [nt. 3], 555,9 sq. 556,6–9). Cf. B. Mojsisch, „Dynamik der Vernunft“, in: Ruh (ed.), Abendländische Mystik (nt. 23), 138.

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Gottes im Grund der Seele sowie in der Wirklichkeit als ganzer 33. Bei dieser Art der Gotteserkenntnis geht es also nicht darum, ‚etwas‘ zu erkennen, sondern der Tatsache innezuwerden, dass die Wirklichkeit des eigenen Ichbewusstseins Teil von Gottes Selbstvollzug und Selbsterkenntnis ist 34. Das, was die Kirchenväter der curiositas angekreidet hatten, nämlich dass sie über der Erkenntnis von Äußerlichkeiten die existenzielle Selbsterkenntnis vergisst, trifft auf Eckharts ‚Gotteserkenntnis ohne Grenzen‘ gerade nicht zu. In dem Maße, wie ein Mensch die Einsicht erlangt hat, dass Gott in ihm seinen Sohn gebiert und ihn dadurch an seiner vollkommenen Selbsterkenntnis teilhaben lässt, erkennt er auch, wer er selbst eigentlich ist und wie er dementsprechend in ethisch-praktischer Hinsicht leben muss, um dieser Gottessohnschaft gerecht zu werden. Diese These der ursprünglichen Konnaturalität zwischen dem Intellekt Gottes und dem des Menschen stellt die von Aristoteles vorgenommene epistemologische Unterscheidung zwischen dem in sich Erkennbarsten und dem für uns am leichtesten Erkennbaren auf den Kopf 35: Gerade weil der Geist des Menschen reine Offenheit und Aufnahmefähigkeit ist, kann er Gegenstände umso leichter erkennen, je universaler sie sind. Paradoxerweise folgt daraus, dass Gott für uns das am leichtesten Erkennbare sein muss, da er kein konkretes ‚Etwas‘ darstellt, sondern über alle einschränkenden Bestimmungen erhaben ist, so dass er der unbegrenzten Offenheit und Fassungskraft des menschlichen Intellekts am ehesten entspricht 36. Genau aus diesem Grunde verzichtet Eckhart darauf, aus der prinzipiellen Einsicht in die Vollzugseinheit von göttlichem und menschlichem Bewusstsein alle möglichen konkreten Einzelaussagen über das innere Leben der Trinität abzuleiten oder sich in andere theologische Spekulationen zu versteigen. Insofern Gott der radikal Eine ist, kann Eckharts These der unmittelbaren intellektuellen Schau des göttlichen Wesens gar nicht in das ‚VielerleiWissen‘ (plura sapere ) ausarten, das ihm die päpstliche Bulle vorwirft. Es ist die einfachste und universalste Evidenz, die man sich nur denken kann und die gerade deshalb kein oberflächliches Weiterspringen zu ständig neuen theologischen Themen und Fragestellungen erlaubt, sondern in nichts anderem besteht als in der Erkenntnis der Grenzenlosigkeit der göttlichen Selbsterkenntnis, von

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Cf. Eckhart, Predigt 5b, ed. Quint (nt. 3), 94,8–95,3; Predigt 12, ibid., 202,11–203,5; Predigt 28, ed. Quint (nt. 29), 66,7 sqq. sowie dazu N. Largier, Vernunft und Seligkeit. Das theologische und philosophische Programm des ‚Paradisus animae intelligentis‘, in: B. Hasebrink/N. F. Palmer/H.-J. Schiewer (eds.), „Paradisus animae intelligentis“: Studien zu einer dominikanischen Predigtsammlung aus dem Umkreis Meister Eckharts, Tübingen 2009, 1–15, hier 5. „Daz ouge, dâ inne ich got sihe, daz ist daz selbe ouge, dâ inne mich got sihet; mîn ouge und gotes ouge das ist éin ouge und éin gesiht und éin bekennen und éin minnen“ (Eckhart, Predigt 12, ed. Quint [nt. 3], 201,5–8). Cf. Aristoteles, Metaphysik, II, 1, 993 b 9–11. „[P]rimo et plus potest recipere, quin immo quanto maius, tanto facilius. Propter quod etiam infiniti est capax“ (Eckhart, Sermo XI, n. 112, edd. E. Benz/B. Decker/J. Koch (Die Lateinischen Werke 4), Stuttgart 1956, 105,8 sqq.).

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der jeder Mensch qua Intellekt ein Teil ist 37. Da sich die Gottesgeburt immer schon im Menschen vollzieht, hat sie gerade nicht den Charakter der sensationellen Neuigkeit, sondern den eines grundlegenden Apriori im Sinne der Einsicht in das, was von Ewigkeit her immer schon der Fall ist. Der entscheidende Punkt in Eckharts Modell der Gotteserkenntnis besteht darin, dass es sich dabei nicht um dinglich-sachbezogene Wissensinhalte ‚über‘ Gott handelt, sondern um die höchstmögliche Form intersubjektiver Selbstmanifestation, die auf der rückhaltlosen Freundschaft zwischen Gottes ego und dem menschlichen alter ego beruht. Es geht Eckhart also nicht um die Gewinnung möglichst vieler einzelner Attribute, die man Gott im Modus der prädikativen Aussage zu- oder absprechen könnte, sondern um ein intuitives geistiges Erkennen der kategorialen Unaussagbarkeit seiner Intellektnatur, die zugleich jedoch die Quelle der Erkennbarkeit aller Geschöpfe ist. In diesem Sinne handelt es sich um eine transzendentale Erkenntnis, in deren Mittelpunkt nicht ein ‚Was‘, sondern ein ‚Wer‘ steht, der zugleich als Möglichkeitsgrund aller menschlichen Subjektivität fungiert. Gleichwohl findet man in Eckharts Predigten auch Passagen, die auf den ersten Blick den Eindruck erwecken, er beanspruche ein Wissen um die inneren Vorgänge der göttlichen Natur, das über die schiere Erkenntnis der reinen, intellektuellen Ichnatur Gottes hinausgeht. So heißt es etwa in Predigt 39: „[D]urch eine jegliche Tugend des Gerechten wird Gott geboren und wird erfreut durch eine jegliche Tugend des Gerechten. Und nicht nur durch jegliche Tugend, sondern auch durch jegliches Werk des Gerechten, wie gering es auch sein mag, das durch den Gerechten und in der Gerechtigkeit gewirkt wird, durch das wird Gott erfreut, ja durchfreut; denn nichts bleibt in seinem Grunde, das nicht von Freude durchkitzelt würde. Und grobsinnige Leute müssen dies glauben, die erleuchteten aber müssen es wissen“ 38.

Die Formulierung, Gott werde vom Werk des Gerechten ‚durchkitzelt‘, klingt eigenartig anthropomorph und suggeriert überdies, das Wissen darum sei eine esoterische Einsicht, die einer elitären Gruppe, den ‚Erleuchteten‘, vorbehalten sei. Letztlich ist diese Aussage jedoch nur die logische Konsequenz aus Eckharts These der unmittelbaren, univoken Beziehung zwischen Gott als der ungeschaffenen Gerechtigkeit und dem von ihm gezeugten Gerechten: Da die im Menschen verwirklichte Gerechtigkeit keine akzidentelle Bestimmung seiner empirischen Person ist, sondern nichts anderes ist als die Selbstmanifestation der 37

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U. Kern, Wissen ohne Grenzen? Zur Offenheit und Weite des Eckhartschen Erkennens, in: Neue Zeitschrift für Systematische Theologie und Religionsphilosophie 48 (2006), 109–130, hier 124. „[W]an von einer ieglîchen tugent des gerehten wirt got geborn und wirt ervröuwet von einer ieglîchen tugent des gerehten, und niht aleine von einer ieglîchen tugent, mêr: von einem ieglîchen werke des gerehten, swie kleine ez sî, daz von dem gerehten in der gerehticheit geworht wirt, von dem wirt got ervröuwet, jâ durchvröuwet; wan ez enblîbet niht in sînem grunde, ez enwerde durchkützelt von vröude. Und diz ist groben liuten ze gloubenne und erliuhten ze wizzenne“ (Eckhart, Predigt 39, ed. Quint [nt. 29], 252,4–253,3; Übers. 684 [Hervorhebungen im Original]).

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Gerechtigkeit als solcher 39, sind auch die vom Gerechten gewirkten Werke nicht ‚seine‘ in dem Sinne, dass der einzelne geschaffene Mensch das primäre Aktionszentrum dabei wäre und Gott dadurch in äußerlicher Weise affizieren würde. Der Ausgangspunkt des gerechten Wirkens ist immer in exzentrischer Weise in der ungeschaffenen Gerechtigkeit als solcher zu verorten, die sich im Gerechten ausspricht und manifestiert, ohne sich dabei doch in eine zu ihr selbst heterogene Äußerlichkeit zu verlieren. Das Wirken des Gerechten ist somit das Wirken der göttlichen Gerechtigkeit selbst, die sich an ihrer eigenen Vollkommenheit erfreut. In diesem Sinne stellt das Wissen um das ‚Durchkitzeltwerden‘ Gottes durch das Wirken des Gerechten kein esoterisches Sondergut bzw. ein mystisches Herrschaftswissen für wenige Auserwählte dar, sondern ist untrennbarer Bestandteil der Selbsterkenntnis des Menschen, sobald sich dieser seiner überempirischen Verwurzelung im Grund aller transzendentalen Vollkommenheiten bewusstgeworden ist und sein eigenes Wirken innerhalb des Horizontes der Gerechtigkeit nicht mehr als ‚sein‘ Wirken, sondern als Selbstaffektion Gottes versteht.

2. Die ‚Unersättlichkeit‘ des Erkenntnistriebs in Meister Eckharts Kommentar zum Buch Jesus Sirach Angesichts der von Eckhart postulierten untrennbaren Korrelationseinheit von Gottes- und Selbsterkenntnis und seiner These, dass der Mensch auf der Ebene seiner ungeschaffenen Intellektnatur Gottes Wesen rückhaltlos zu erkennen vermag, könnte man erwarten, dass er die Erforschung der geschaffenen Wirklichkeit im besten Falle als überflüssig und theologisch irrelevant und im schlimmsten Falle als eine schädliche Ablenkung von der zentralen Einsicht in die Gottessohnschaft des Menschen betrachtet. Bezeichnenderweise ist dies jedoch nicht der Fall, denn Eckhart vertritt mit Nachdruck die Auffassung, dass die rechte Erkenntnis der Geschöpfe im Grunde gleichbedeutend ist mit der rechten Gotteserkenntnis. „Wer weiter nichts als die Kreaturen erkennen würde, der brauchte an keine Predigt zu denken, denn jegliche Kreatur ist Gottes voll und ist ein Buch“ 40 – dieser Ausspruch aus Predigt 9 deutet darauf hin, dass Eckhart die Erkenntnis der Natur und ihrer Gesetzmäßigkeiten keineswegs als überflüssiges Beiwerk, sondern als integralen Bestandteil seines philosophischtheologischen Grundentwurfs betrachtet. Nicht umsonst verdeutlicht er seine Lehre von der Gottesgeburt, der damit verbundenen Transformation des Menschen und der absoluten Einheit mit Gott anhand von Beispielen aus der belebten und unbelebten Natur: die verzehrende Kraft des Feuers gegenüber dem 39 40

Cf. Eckhart, In Iohannem, nn. 14–16, edd. Christ/Decker e. a. (nt. 3), 13,1–14,15. „Der niht dan die crêatûren bekante, der endöfte niemer gedenken ûf keine predige, wan ein ieglîchiu crêatûre ist vol gotes und ist ein buoch“ (Eckhart, Predigt 12, ed. Quint [nt. 3], 156,7 sqq.; Übers. 465).

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Holz 41; die Wirkung, die das Sonnenlicht auf die von ihm durchstrahlte Luft hat 42; die Transformation, die die aufgenommene Nahrung durch den Metabolismus des betreffenden Lebewesens erfährt 43, und vieles mehr. So gesehen, gibt es für Eckhart überhaupt keine ‚profane‘ Erkenntnis, die der Theologie äußerlich wäre, sondern alles Wissen um die Welt und ihre Gesetzmäßigkeiten ist zugleich immer schon eine Erkenntnis des göttlichen Logos in seinen vielfältigen Erscheinungs- und Inkarnationsformen 44. Ein Unterschied besteht jedoch insofern, als die menschliche Vernunft die geschaffene Wirklichkeit nicht in derselben augenblickshaften Art und Weise erkennen kann, in der sie der Immanenz Gottes im eigenen Seelengrund innewird. Mit Blick auf die geschaffenen Dinge verwendet Eckhart daher ein zweites Modell geistiger Erkenntnis, das sukzessiver Natur ist und ein Fortschreiten zu immer neuen Inhalten ermöglicht. In seinem Kommentar zum Buch Jesus Sirach thematisiert Eckhart das Wesen der Liebe im Unterschied zur intellektuellen Erkenntnis: Die Liebe betrachtet die reine Form des Geliebten und kommt darin zur Ruhe, ohne etwas darüber hinaus zu suchen. Der Intellekt hingegen gibt sich damit nicht zufrieden, sondern will die erkannte intelligible Form in ihrem ersten Ursprung – und das heißt letztlich in Gott – erkennen 45. Eckhart schildert diese Dynamik des Intellekts in einer Begrifflichkeit, die dem platonischen Modell des philosophischen Eros entspricht: Die ungeschaffene Weisheit lockt den Menschen durch ihren „lieblichen Duft“ an und übt eine unwiderstehliche Anziehungskraft auf ihn aus 46. Im Gegensatz zur Liebe kann der Erkenntnistrieb jedoch niemals im Erkannten zur Ruhe kommen, sondern nimmt immer mehr zu, je mehr er erkennt. Eckhart kleidet diesen Umstand in die Begrifflichkeit des ‚Hungerns‘ und ‚Dürstens‘, wie es in Sir 24,29 heißt: „Wer von mir zehrt, hungert weiter, und wer von mir trinkt, dürstet weiter“. In der ihm eigenen Art interpretiert Eckhart diese Aussage so, dass an ihr die Eigengesetzlichkeit der Sphäre des Geistes gegenüber der Sphäre der materiellen Wirklichkeit sichtbar wird: Beim physischen Hunger und Durst ist es so, dass er abnimmt, je mehr man isst und trinkt. 41 42 43 44

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Cf. Eckhart, Prologus in opus propositionum, n. 14, ed. L. Sturlese (Die Lateinischen Werke 1.2), Stuttgart 2015, 174,3 sqq. Cf. Eckhart, In Iohannem, n. 70, edd. Christ/Decker e. a. (nt. 3), 59,4 sqq. Cf. Eckhart, Predigt 20a, ed. Quint (nt. 3), 328,5–13; id., Predigt 20b, ibid., 343,5–345,10. „Quod pro tanto dixerim, ut verba hic scripta de divinarum personarum processione doceant hoc ipsum esse et inveniri in processione et productione omnis entis naturae et artis“ (Eckhart, In Iohannem, n. 6, edd. Christ/Decker e. a. [nt. 3], 8,2–5). – „Patet ergo quomodo ‚in principio erat verbum‘ usque ibi: ‚fuit homo missus a deo‘ exponitur per rationes et proprietates rerum naturalium; iterum etiam quod ipsa verba evangelistae bene inspecta docent nos naturas rerum et ipsarum proprietates, tam in essendo quam in operando, et dum fidem astruunt, nos de rerum naturis instruunt“ (id., In Iohannem, n. 13, ibid., 12,11–15). Cf. Eckhart, Sermones et Lectiones super Ecclesiastici, nn. 8–9, edd. H. Fischer/J. Koch (Die Lateinischen Werke 2), Stuttgart 1992, 235,14–238,12. „Sapientia vero increata, de qua est sermo, ‚in altissimis‘ habitat, Eccli. 24. Ex quo patet quod ipsa sola est quae sua vi trahit, et sic habet et spirat ‚suavitatem odoris‘“ (Eckhart, Super Ecclesiastici, n. 13, edd. Fischer/Koch [nt. 45], 243,5 sqq.).

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Irgendwann ist der Punkt der Sättigung erreicht, so dass das Verlangen nach Speise und Trank zumindest für eine gewisse Zeit erlischt. Im Bereich des Geistes hingegen ist es genau umgekehrt: Hier wird der Geist durch das, was er erkannt hat, nicht nur nicht gesättigt, sondern spürt vielmehr umso größeren Hunger, je mehr er schon von der erkannten Weisheit gezehrt hat. Der Unterschied liegt dabei in der endlichen bzw. unendlichen Natur dessen, wonach man hungert und dürstet: „Jedes Sehnen, Verlangen und Vermögen, das auf etwas Endliches hingeordnet ist, hungert daher nicht immer und dürstet nicht immer; hat es vielmehr sein Ziel erreicht, so zehrt und trinkt es davon und dürstet und hungert gar nicht mehr. […] Bei dem aber, wo das Ziel unendlich ist, verhält es sich umgekehrt. Denn dergleichen zehrt immer und hungert immer, und sein Hunger ist desto heißer und gieriger, je mehr es zehrt. […] Nun ist Gott aber die unendliche Wahrheit und Gutheit und das unendliche Sein, und so zehrt von ihm und hungert nach ihm alles, was ist, was wahr ist, was gut ist.“ 47

Vor diesem Hintergrund kann Eckhart dem buchstäblich unersättlichen Erkenntnisstreben des Intellekts eine positive Deutung unterlegen, die das genaue Gegenteil zur vana curiositas darstellt. Die Sinne werden durch das, was sie erkennen, auf die Dauer abgestumpft und geschwächt, während „der Intellekt hingegen um so leistungsfähiger [ist], je mehr er denkt und je erhabener das ist, worüber er nachdenkt. […] Das geistig Erkennbare kräftigt den Intellekt um so mehr, je erhabener es ist, und deswegen zehrt der Intellekt von ihm und hungert nach ihm. […] Gott, ‚der erste Intellekt und das erste geistig Erkennbare‘, sagt also unter der Gestalt und Form der Weisheit, die dem Intellekt angehört: Wer von mir zehrt, hungert weiter“. 48

Der Hunger nach intellektueller Erkenntnis der geschaffenen Wirklichkeit kann sich bei Eckhart also gar nicht in einem nur horizontalen, oberflächlichen Haschen nach einzelnen geistigen Einsichten erschöpfen, sondern ist immer schon angetrieben vom Hunger und Durst nach Gott als dem ersten Intellekt und obersten Erkenntnisgegenstand. Wohl beginnt die menschliche Erkenntnis bei den einzelnen intelligiblen Formen der geschaffenen Dinge, doch bleibt sie dabei nicht stehen, sondern wird, je mehr sie von dieser geistigen Speise zehrt, immer hungriger danach, diese geistigen Formen auf ihren göttlichen Ursprung 47

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„Unde omne desiderium, appetitus et potentia, quae sunt ad aliquod finitum, non semper esuriunt nec semper sitiunt; sed adepto termino edunt et bibunt et nequaquam amodo sitiunt et esuriunt. […] In his autem, quorum terminus est infinitus, e converso se habet. Talia enim semper edunt et semper esuriunt, et ardentius esuriunt et avidius quo plus edunt. […] Deus autem cum sit veritas et bonitas infinita et esse infinitum, omnia, quae sunt, quae vera sunt, quae bona sunt, ipsum edunt et ipsum esuriunt“ (Eckhart, Super Ecclesiastici, nn. 42– 43, edd. Fischer/Koch [nt. 45], 270,9–271,2.4 sqq. 272,8 sq.). „[I]ntellectus vero e converso quanto pluries et altiora intelligit, tantum fit potentior ad actum. […] Intelligibile autem […] vigorat intellectum tanto amplius, quanto fuerit sublimius, et ob hoc ab ipso intellectu editur et esuritur. […] Ait ergo ‚primus intellectus et primum intelligibile‘, deus, sub specie et forma sapientiae ad intellectum pertinentis: ‚qui edunt me, adhuc esuriunt‘“ (Eckhart, Super Ecclesiastici, n. 51, edd. Fischer/ Koch [nt. 45], 279,9 sq. 12 sqq. 280,3 sq.).

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hin zu übersteigen, der alle Einzelphänomene innerhalb der Natur zu einem universalen Vernunft- und Lebenszusammenhang verbindet. Dieses unendliche, unersättliche Streben des Intellekts ist bei Eckhart also kein Zeichen des neugierigen Vorwitzes, der vielerlei Einzelerkenntnisse zusammenraffen und damit prunken will, sondern vielmehr Ausdruck der radikalen ontologischen Abhängigkeit alles einzelnen Wahren (verum ) von Gott als der unendlichen Wahrheit (veritas ). Demgegenüber wäre das vermeintlich demütige Sich-Begnügen mit einer bestimmten Quantität einzelner, endlicher Erkenntnisse ein Zeichen geistiger Saturiertheit, die sich bei etwas zur Ruhe setzt, was dem unendlichen Wesen des Geistes nicht angemessen ist, nämlich ein bloßes ‚Dies und das‘ (hoc et hoc ). Bei seinem geistigen Aufstieg fasst der Intellekt die einzelnen intelligiblen Formen der Dinge unter immer allgemeinere Prinzipien zusammen, bis er schließlich bei Gott als dem ersten und universalsten Prinzip allen Seins und aller Erkenntnis angelangt ist. Da dessen Unendlichkeit jedoch grundsätzlich nicht ausgeschöpft werden kann, kommt die menschliche Erkenntnis nie an ein Ende bei ihrem Bestreben, die Gegenwart des göttlichen Logos in allen Dingen zu entdecken und in ihrer Wirkkraft zu erforschen. Im Unterschied zur restlosen, augenblickshaften Einsicht in die korrelationale Wesenseinheit von göttlichem und menschlichem Intellekt eignet dem auf die Naturwirklichkeit ausgerichteten Wissensdrang eine Diskursivität, die nie an ein Ende kommt, sondern im Gegenteil immer stärker hervortritt, je länger man sich diesem Erkenntnisstreben widmet. Der Grund dafür ist die immer tiefere Einsicht in den radikalen, über jede Proportionalität hinausliegenden Unterschied zwischen dem begrenzten Wesen der Dinge und dem in jeder Hinsicht grenzenlosen, unendlichen Wesen Gottes als des ersten Ursprungs aller Dinge. Letztlich wird die Dynamik der Naturerkenntnis angetrieben von der dialektischen Natur des Verhältnisses zwischen Gott und der geschaffenen Wirklichkeit: Je länger man sich mit den Naturdingen befasst, desto deutlicher nimmt man wahr, dass Gott im kleinsten Teil der Schöpfung ganz präsent ist 49; zugleich ist diese radikale Immanenz in allen Dingen aber auch das Signum seiner absoluten Transzendenz gegenüber allen Dingen in ihrer wechselseitigen Äußerlichkeit und Exklusivität 50. Aus diesem Grunde kann es bei Eckhart keine Konkurrenz zwischen der grenzen- und bestimmungslosen Gotteserkenntnis einerseits und der auf die konkreten Wesenheiten der Dinge eingeschränkten Naturerkenntnis an49

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„[D]eus quiescit in quolibet, in singulo opere, quod operatur in ipso universo, sic in minimo sicut in maximo, sic in uno sicut in omnibus. Ratio est quia quodlibet opus suum deus se toto agit et se toto est in illo, et iterum quia opus minimum in deo tantum et aequale est operi maximo“ (Eckhart, Expositio libri Genesis, n. 155, ed. Weiß [Die Lateinischen Werke 1.1] [nt. 3], 304,11–305,2). „Iuxta quod notandum quod nihil tam distinctum a numero et numerato sive numerabili, creato scilicet, sicut deus, et nihil tam indistinctum. Ratio prima: quis plus distinguitur indistinctum a distincto quam quaelibet duo distincta ab invicem. Verbi gratia: plus distat non coloratum a colorato quam duo colorata ad invicem. Sed de natura dei est indistinctio, de natura et ratione creati distinctio, ut dictum est supra. Igitur deus est distinctissimus ab omni et quolibet creato“ (Eckhart, Expositio libri Sapientiae, n. 154, edd. Fischer/Koch [Die Lateinischen Werke 2] [nt. 45], 489,7–12).

Mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist?

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dererseits geben 51, sondern vielmehr sind beide Erkenntnisformen nötig, um dem Wesen Gottes als dem die Welt erschaffenden und zugleich in seiner überzeitlichen Selbsterkenntnis ruhenden zu entsprechen. IV. Schlussbetrachtung Eckharts philosophisch-theologischer Ansatz nimmt für sich ganz offenkundig in Anspruch, mit Blick auf die Grenzen bzw. die Grenzenlosigkeit theologischer Erkenntnis neue Wege zu beschreiten. Zugleich vermeidet er dabei jedoch die kritikwürdigen Aspekte der curiositas im Sinne eines rein horizontalen, am bloßen ‚Dies und das‘ der Dinge interessierten Weiterspringens von einer isolierten Einzelerkenntnis zur nächsten. So, wie die von den Kirchenvätern proklamierte Gegenüberstellung von Welterkenntnis und Selbsterkenntnis für Eckhart eine falsche Alternative ist, so gibt es bei ihm im Kern auch keinen Gegensatz zwischen Welterkenntnis und Gotteserkenntnis, da die intellektuellen Inhalte und Zusammenhänge innerhalb der Schöpfung Teil der Selbstentfaltung des göttlichen Geistes sind und daher über Gottes Wesen Aufschluss geben. Die Frage lautet also nicht, ob man sich in die Betrachtung der Heiligen Schrift versenken soll, um das Wesen Gottes und des Menschen besser zu erkennen, oder ob man sich stattdessen der Naturwirklichkeit zuwenden soll, um den Wissensdurst unseres Intellekts zu befriedigen. Bei Eckhart sind der biblische Text, der Zusammenhang der gesamten Schöpfung und die Sphäre der menschlichen Vernunftseele drei verschiedene und daher jeweils unersetzliche Weisen, ein und dieselbe Wahrheit zu erkennen und sich ihr konform zu machen. Der Umstand, dass die göttliche Wahrheit für Eckhart überzeitlicher bzw. allzeitlicher Natur ist, führt allerdings zu einer interessanten Dialektik von ‚Neuheit‘ und ‚Alter‘, die das traditionelle Verständnis der curiositas in sein Gegenteil verkehrt: Nur das Geschaffene in seiner Innerzeitlichkeit kann ‚alt‘ werden, so dass ein ausschließliches Erkenntnisinteresse am Innerzeitlichen als Innerzeitlichem gerade keiner Gier nach dem Neuen entspränge, sondern auf ein SichFesthalten am permanent Veraltenden hinausliefe. Wenn man Eckhart der ‚Neugierde‘ zeihen kann, dann in dem Maße, wie die beständige Selbstproduktion des göttlichen Geistes oberhalb der Zeit geschieht und deshalb ständig ‚neu‘ ist 52. Die empirischen Seelenvermögen des Menschen, die mit der Leiblichkeit direkt verbunden sind, können altern und sich auf Innerzeitliches beziehen, das seinerseits veraltet. Der Intellekt des Menschen hingegen, der beständig aus 51

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Diese These eines Ausschlussverhältnisses der beiden Formen intellektueller Erkenntnis in Eckharts Denken findet sich bei W. Goris, The Unpleasantness with the Agent Intellect in Meister Eckhart, in: S. F. Brown/T. Dewender/T. Kobusch (eds.), Philosophical Debates at Paris in the Early Fourteenth Century (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 102), Leiden 2009, 151–159. Cf. Eckhart, Predigt 2, ed. Quint (nt. 3), 34,2 sq.; id., Predigt 43, ed. Quint (nt. 29), 323,5 sq.

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Martina Roesner

seinem göttlichen Ursprung ausbricht, ist ebenso jung wie dieser 53 und hungert danach, die geschaffenen Dinge in der ewigen Neuheit und Frische zu erkennen, mit der sie unablässig aus der ewigen Jugend Gottes hervorgehen.

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„Die meister sprechent: daz ist junc, daz sînem beginne nâhe ist. Vernünfticheit, in der ist man alzemâle junc: ie man mê würkende ist in dér kraft, ie næher man sîner geburt ist. Daz ist junc, daz sîner geburt nâhe ist“ (Eckhart, Predigt 43, ed. Quint [nt. 29], 324,1–4).

Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten von der Trinität. Neugier und ‚Altgier‘ des Berthold von Moosburg Paul D. Hellmeier OP (München) I. Einblick in den Kosmos und in seine g eheimen Gr ünde Um die Mitte des 14. Jahrhunderts verfasst der bayerische Dominikaner Berthold von Moosburg seine monumentale ‚Expositio super Elementationem theologicam Procli‘ 1. Sie ist das einzige uns überlieferte Werk Bertholds und der erste abendländische Kommentar zu der von Wilhelm von Moerbeke 1268 ins Lateinische übersetzten ‚Elementatio theologica‘ 2. Formal ist der Kommentar stark von der kompilatorischen Methode geprägt. Sein Inhalt weist Berthold als Vertreter der Kölner Albertschule aus, deren Begrifflichkeit und Sichtweisen der Kausalität und des Intellekts er aufnimmt und eigenständig weiterentwickelt 3. Mehrfach taucht in Bertholds Expositio an prominenten Stellen der Begriff des „Geheimen“ oder gar des „Geheimsten“ auf. Schon im ersten Satz, der im Prologus auf den Eröffnungsvers Röm 1, 20 folgt, kennzeichnet Berthold den Apostel Paulus als jemanden, der „die Geheimnisse Gottes kannte“, „weil er in den dritten Himmel entrückt worden war“. In diesem Wissen habe Paulus im Römerbrief über die „Weisen der weltlichen Philosophie“ gesagt: „Was man von Gott erkennen kann, ist ihnen offenbar; Gott hat es ihnen offenbart. Seit Erschaffung der Welt wird seine unsichtbare Wirklichkeit an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen (Röm 1, 19 f.).“ 4 1

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Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, edd. M. R. Pagnoni/L. Sturlese e.a., 8 voll. (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6), Hamburg 1984–2014. Zu Bertholds Leben und Werk cf. L. Sturlese, Introduzione, in: Bertoldo di Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli 184–211. De animabus, ed. L. Sturlese, Rom 1974, XV–LXXXIII. Zur Datierung der Übersetzung cf. C. Steel, William of Moerbeke, translator of Proclus, in: S. Gersh (ed.), Interpreting Proclus. From Antiquity to the Renaissance, Cambridge 2014, 248. Bertholds Auslegung der ‚Elementatio theologica‘ ist außerdem der einzige Kommentar im Vollsinn, der aus dem lateinischen Mittelalter überliefert ist. Eher eine abbreviatio als ein Kommentar ist der anonyme und undatierte Text in ms. Vat. lat. 4567 (ff. 23v–39r). Cf. R. Imbach, Le (néo-)platonisme médiéval, Proclus latin et l’école dominicaine allemande, in: Revue de Théologie et de Philosophie 110 (1978), 431 sq. Cf. E. Ludueña, La recepción de Eriúgena en Bertoldo de Moosburg. Un aporte sobre la Escuela de Colonia, Saarbrücken 2013, 24. Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prologus, edd. M. R. Pagnoni/L. Sturlese (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,1), Hamburg

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An einer anderen Stelle des Prologus spricht Berthold von den „geheimsten, lebendigen und unwandelbaren Gründen“, aus denen heraus Gott die Säulen des Weltenbaues errichtet habe 5. Mit diesen Säulen meint Berthold die Primordialursachen, die Gottvater durch den Sohn schuf und im Heiligen Geist nach außen wirksam werden ließ, und deren Werden, Wesen und Wirken ein Hauptthema der ‚Expositio‘ bilden 6. Bertholds Bemühen, sich und seinen Lesern einen Einblick in die geheimnisvollen Urgründe der Schöpfung zu ermöglichen, bezweckt letztlich ein besseres Verständnis der Ersten Ursache, die sich für uns in angemessener Weise nur in Beziehung zu ihrer Schöpfung denken lässt. Dabei zeigt sich, dass die Erste Ursache ihrer Schöpfung sowohl immanent als auch transzendent ist. Wie Berthold im Kommentar zur Propositio 56 darlegt, ist Gott der Schöpfung insofern immanent, als alles in gestufter Ordnung an seiner Güte und Einheit teilhat und nur durch diese Teilhabe überhaupt ist. Transzendent ist Gott der Schöpfung insofern, als nichts, was am Guten teilhat, dieses Gute in der Überfülle Gottes besitzt. Somit bleiben alle Wesen hinter Gott zurück und können ihn, wie er in sich ist, nicht erreichen 7. Gottes Immanenz und Transzendenz thematisiert Berthold auch im Kommentar zur Propositio 3. Dort spricht er vom Werden Gottes in der Schöpfung, womit er eine Idee des Johannes Scotus Eriugena übernimmt, zu dessen Denken er über verschiedene Quellen indirekten Zugang hatte 8. Konkret sagt Berthold hier, dass auch Gott in einem weiten Sinne „wird“, insofern er aus dem „Geheimen seiner eminentia in die Wirkungen“ hervortritt. In seiner Vorsehung, die die Ursache von allem ist, tritt Gott zu allem hervor und wird und enthält alles 9. Einerseits wird Gott also

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1984, 1,2–8: „Invisibilia enim Dei [Vulg. ‚ipsius‘] a creatura mundi per ea, quae facta sunt, intellecta conspiciuntur, Ad Rom., 1 cap. Summus divinalis sapientiae theologus Paulus secretorum Dei conscius utpote in tertium caelum raptus loquens de mundanae philosophiae sapientibus, postquam dixerat: ‚Quod notum est Dei, manifestum est illis: Deus enim illis revelavit‘, subiungit: ‚Invisibilia Dei‘ etc.“ Bertholds Wiedergabe des Paulus-Verses weicht mehrmals geringfügig vom Vulgata-Text ab. Die wichtigste Abweichung besteht darin, dass er das Verb „manifestavit“ durch „revelabit“ ersetzt, wozu ihn wohl die gleichlautende Änderung in den Sentenzen des Petrus Lombardus inspirierte. Die deutsche Übersetzung von Röm 1, 19 sq. im Text ist die der Einheitsübersetzung. Berthold von Moosburg, Expositio, Prologus, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 18,439–19,442: „De secretissimis rationibus viventibus et incommutabilibus primae et eminentissimae artis et aliarum artium, quas Deus Pater fecit in Verbo suo, quod etiam est ars sua et simpliciter prima, excidit, inquam, levigavit et tornavit columnas fortissimas, rectissimas et operi suo aptissimas.“ Cf. Ludueña, Recepción (nt. 3), 122–227. 323–481. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prop. 56, ed. A. Sannino (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,3), Hamburg 2001, 142, 31– 62. Cf. Ludueña, Recepción (nt. 3), 117 sqq. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 3, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 92,13–26: „De primo sciendum, quod fieri accipitur large et stricte. Si large, tunc est processus seu exitus rei existentis in actu ex secretis suae eminentiae in effectum, et sic non solum causae primordiales dicuntur fieri, cum se ipsas per essentiam multiplicant in effectus, sed etiam Deus ipse sua providentia, quae ‚perfecta est‘, ut dicit Dionysius in Epistula ad Titum, ‚quae est causa, ut sint omnia, et ad omnia procedit et in omni fit et continet omnia‘. Huic alludit Theodorus in Clave, ubi dicit: ‚Deus quippe providentia perfectissima est essendi et bene essendi omnia causalis. Non est autem alia providentia omnium et alia causa omnium, sed unus atque idem Deus, qui in omnia procedit et in omni fit, hoc est in universitate, quam facit, et continet omnia. Sapientiam igitur Dei Patris, de

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in seiner Welt, andererseits geht er ihr in seiner eminentia aber auch voraus und überragt und umfängt sie so. Anschließend stellt Berthold mit mehreren Eriugena-Zitaten aus der ‚Clavis physicae‘ des Honorius Augustodunensis einen trinitarischen Bezug her. Es ist die Weisheit Gottvaters, die die Ursache von allem ist und die in allem, was sie schafft, geschaffen wird und entsteht und die alles, in dem sie wird, enthält: „[…] so ist die Gesamtheit aller Dinge im Wort Gottes ewig und entsteht zeitlich in den Wirkungen“. 10 Entgegen den Intentionen des heidnischen Neuplatonikers Proklos versteht Berthold die Welt damit nicht nur als willentliche Schöpfung, sondern auch als trinitarische Selbstentfaltung nach außen. Diese und viele andere Erkenntnisse über den Kosmos und seine geheimen Gründe, i. e. letztlich über Gott als Ursache des Kosmos, können gemäß Berthold auf dem Weg eines geistigen Aufstiegs gewonnen werden. Als Methode dieses Weges identifiziert er in der Expositio tituli, dem zweiten Vorwort zu seiner ‚Expositio‘, die spiralförmige Bewegung (motus obliquus ) des Dionysius Areopagita 11. Diese Bewegung, die den Philosophen eigen sei, geschieht durch eine ‚mühevolle Untersuchung (laboriosa investigatio )‘ des ersten Prinzips von allem Existierenden. Man teilt auf, definiert und benützt allgemeine Prinzipien, man schreitet vom Bekannten zum Unbekannten vor, steigt vom Sinnlichen zum Intelligiblen auf und geht innerhalb des Intelligiblen vom einen zum anderen weiter, bis man zum schlechthin Letzten gelangt. Für Berthold ist auch Proklos auf diese Weise geistig aufgestiegen, nämlich durch die Betrachtung der Werke der Schöpfung, der Lenkung des Schöpfers und der Vermittlung der Gegensätze, die auf das allen Gegensätzen zugrundliegende Eine verweist. Dies sind die drei Aspekte der Beziehung von Gott und Schöpfung, die es den Philosophen ermöglichten, schlussfolgernd zur Erkenntnis Gottes zu kommen 12. Allerdings, so sagt Berthold mehrmals in seiner Expositio, gelangt man durch diese philosophische laboriosa investigatio lediglich zu der Erkenntnis, dass Gott ist 13. Dieses

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qua talia praedicantur, intelligimus et causam creatricem omnium esse et in omnibus, quae creat, creari et fieri et omnia, in quibus fit, continere‘.“ Ibid., 92,30–93,32: „‚Sicut ergo numeri in monade aeterni sunt, in multiplicationibus vero suis fiunt, sic omnium rerum universitas in Verbo Dei aeterna est, sed in effectibus suis temporaliter fit‘. Haec Theodorus.“ Dionysius Areopagita, De divinis nominibus, ed. Ph. Chevallier, Dionysiaca. Recueil donnant l’ensemble des traditions latines des ouvrages attribués au Denys de l’Aréopagite, Brügge 1937, 191; id., De divinis nominibus, 4, 9, ed. B. R. Suchla (Corpus Dionysiacum 1 = Patristische Texte und Studien 33), Berlin–New York 1990, 153. Berthold von Moosburg, Expositio, Expositio tituli, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 40,110–118: „Verum, quod per motum obliquum, qui proprius erat philosophorum et erat per laboriosam investigationem primi omnium existentium principii dividendo, definiendo, communibus principiis utendo, a notis ad ignota per ratiocinationem progrediendo, a sensibilibus ad intelligibilia ascendendo et inter intelligibilia ab uno in aliud tendendo, quousque ad simpliciter ultimum perveniatur, ascenderit ipse Proclus in summi boni notitiam, apparet in praesenti libro ubi in excelsum maximum ascendit per operum conditionem, gubernationem et contrariorum conciliationem. Haec enim tria sunt, quibus per ratiocinationem in Dei notitiam philosophi pervenerunt.“ Cf. Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prop. 115, ed. F. Retucci (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,5), Hamburg 2011, 50,13 sqq.; Id., Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prop. 195, ed. L. Sturlese (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,8), Hamburg 2014, 117,34 sq. An einer weiteren

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bloße Wissen quia gilt offenbar ebenso für die trinitarische Bestimmung Gottes. Der drei-eine Gott bleibt so für die menschliche Erkenntnis das Geheimnis, aus dem alles kommt. Zwar kann der menschliche Intellekt die absolute Transzendenz der Ersten Ursache erkennen, ein Zugang in ihr inneres Geheimnis wird dadurch aber nicht eröffnet. II. Der Aufstieg zum Einen selbst Um dorthin Zugang zu erhalten, ist für Berthold ein anderes, höheres menschliches Prinzip als der Intellekt nötig. Dieses Vermögen ist ebenso wie sein Objekt „Gott“ etwas Geheimes, denn Berthold nennt es mit einem Zitat des proklischen ‚Opusculum De decem dubitationibus‘ die „in uns liegende geheime Spur des Einen“ 14. Richtig bemerkt er im Kommentar zur Propositio 13, dass dieses „secretum vestigium unius“ mit dem „unum animae“ aus ‚De providentia et fato‘, einem anderen Opusculum des Proklos, identisch ist 15. Dass die Existenz eines solchen Erkenntnisprinzips nicht unmittelbar einleuchtet, ist Berthold bewusst, denn in Propositio 20 schreibt er, keiner zweifle daran, dass der Mensch einen Körper, eine Seele und einen Intellekt hat. Für das unum animae scheint dies hingegen nicht zuzutreffen, seine Existenz ist also nicht allen klar 16. Berthold leitet seine Existenz aus der Parallelität des Makrokosmos und des Mikrokosmos Mensch her. Dazu heißt es im Prologus: „Hierzu ist zu bemerken, dass der Mensch in seiner Beschaffenheit die vier hauptsächlichen Bestandteile des Universums umfasst, weshalb er richtigerweise ‚Kleine Welt‘ oder ‚Geschöpf der Welt‘ oder ‚Verbindung zwischen Gott und Welt‘ genannt wird. Diese Bestandteile sind Körper, Seele, Intellekt und Eines oder Einheit. Vom zuletzt Genannten – denn die ersten drei sind augenscheinlich – sagt Proklos in der zehnten Quaestio von De providentia: ‚In uns (nämlich den Menschen) liegt eine geheime Spur des Einen, die göttlicher als [unser] Intellekt ist.‘ Dem stimmt Dionysius im siebten Kapitel von De divinis nominibus zu, indem er dieses Eine ‚eine die Natur des Geistes überschreitende Einigung‘ nennt, oder gemäß der anderen Übersetzung: ‚eine über die Natur des Geistes erhabene Einheit‘ durch die sie (nämlich die Natur des Geistes) mit dem verbunden wird, was über ihr ist.“ 17

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Stelle betont Berthold, dass auch die höheren Wesen keine washeitliche Erkenntnis Gottes haben. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 123, ed. Retucci, 132,256 sqq. Berthold von Moosburg, Expositio, Prologus, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 23,586. Cf. ibid., Prop. 13, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 217,280–283. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prop. 20, ed. M. R. Pagnoni-Sturlese/B. Mojsisch (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,2), Hamburg 1986, 71,235–239. Berthold von Moosburg, Expositio, Prologus, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 23,581–591: „Ubi notandum, quod homo in sui constitutione complectitur quattuor partes principales universi, ratione quarum bene dicitur minor mundus sive creatura mundi et nexus Dei et mundi, quae sunt corpus, anima, intellectus et unum sive unitas. De quorum ultimo, quia prima tria manifesta sunt, sic dicit Proclus libro De providentia quaest. 10: ‚Et enim nobis (scilicet hominibus) iniacet aliquod secretum unius vestigium, quod et eo, qui intellectus, est divinius‘. Cui concordat Dionysius 7 cap. De divinis nominibus vocans tale unum ‚unitionem excedentem mentis

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Kurz darauf kommt Berthold erneut auf das eben erwähnte Zitat aus ‚De providentia et fato‘ zurück und vervollständigt es. Zunächst erklärt er, dass der Mensch gemäß Proklos durch das Eine, das göttlicher als der Intellekt ist, göttlich ist. Dann fährt er, Proklos zitierend, fort: „In ihm [nämlich in diesem Einen] sich vollendend und sich darauf gründend ist die Seele göttlich und lebt ein göttliches Leben, soweit es ihr erlaubt ist.“ 18 Mit dem Führen eines göttlichen Lebens meinen Proklos und Berthold, dass der Mensch am Ende eines geistigen Aufstiegsprozesses auf göttliche Weise erkennt, das heißt, er erkennt dann auf einshafte Weise. Denn Gott, das prime unum, kann nur durch das ihm ähnliche unum in nobis erkannt werden 19. Dieses ‚Erkennen‘ des überseienden Ursprungs und absoluten Einen geschieht allerdings nicht mehr diskursiv und ebenso wenig in Begriffen und Bildern, die sich am kategorial verfassten Seienden orientieren. Deshalb ist es eigentlich kein Erkennen mehr, als vielmehr eine ekstatische Erfahrung des Göttlichen, und zwar eine Einheitserfahrung, die jenseits der Subjekt-Objekt-Relation des Erkennens liegt. Folglich beschreibt Berthold dieses Erkennen gemäß dem ‚Einen in uns‘ mit einem Dionysius-Zitat wie folgt: „Die göttlichste Erkenntnis Gottes ist diejenige, welche durch Unwissenheit erkannt wird gemäß der Einung über dem Geist, wenn der Geist von allem anderen ablässt, sich daraufhin selbst loslässt und den überglänzenden Strahlen geeint wird.“ 20 III. Neugier und ‚Altgier‘ Gemäß Berthold sind das göttliche Eine und das ‚Eine in uns‘ gleichermaßen etwas Geheimes. Beide können nur ergründet werden, wenn sich das letztere auf das erstere bezieht. Denn das göttliche Eine ist nur über das menschliche Eine, das sein Abbild ist, zugänglich. Und umgekehrt wird das menschliche Eine nur in der unwissenden Erkenntnis des göttlichen Einen verwirklicht und dadurch – nach der Einheitserfahrung – als bewusstes gehabt. Das Streben nach Erkenntnis des ‚geheimen‘ Gottes und nach der Einung mit ihm ist für Berthold deshalb immer auch Selbstentfaltung und Selbstergründung des strebenden Subjekts und seines ‚geheimen‘ Wesens. Berthold Interesse an den geheimen Strukturen des Makro- und des Mikrokosmos kann mit Recht als ‚theoretische Neugierde‘ bezeichnet werden. Im Falle

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naturam‘ (vel secundum aliam translationem: ‚unitatem superexaltatam supra mentis naturam‘, per quam coniungitur ad ea, quae sunt supra ipsam (scilicet mentis naturam).“ Ibid., 25,650 sqq.: „Est autem [homo] divinus secundum Proclum ubi iam supra per unum, quod est intellectu divinius, ‚in quod consummans anima et locans se ad ipsam divina est et vivit divina vita, secundum quod et huic est licitum‘. Haec ille.“ Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 197, ed. Sturlese (nt. 13), 137,158–138,210. Id., Expositio, Praeambulum, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 68,534–538: „‚Et est rursus divinissima Dei cognitio, quae est per ignorantiam cognita secundum unitionem super mentem, quando mens ab aliis omnibus recedens, postea et se ipsam dimittens unita est supersplendentibus radiis, inde et ibi non scrutabili profundo sapientiae illuminata‘. [Dion. Areopag., De div. nom. 7 3].“

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Bertholds, der das Wort curiositas nie erwähnt, ist ‚Neugier‘ aber keineswegs pejorativ zu verstehen, da sie der Entfaltung und Vollendung des im Menschen Angelegten dienlich ist. Von ihrem Ziel her betrachtet, nämlich von der Einung mit dem Göttlichen und der damit verbundenen Glückseligkeit, ist diese Neugier außerdem nicht mehr bloß theoretisch, sondern hat auch praktische Bedeutung. Neben dieser Neugier findet sich bei Berthold aber auch ‚Altgier‘ – um einen Neologismus des Dramatikers Heiner Müller zu gebrauchen. Müller sagte in ‚Der Tod des Seneca‘, einem Gespräch mit Alexander Kluge: „Der Impuls zur Philologie ist eigentlich Gier. Es gibt ja Neugier, es gibt auch eine Altgier. Das ist fast dasselbe. Einfach alles haben wollen, alles greifen, alles wissen wollen. Ohne das geht überhaupt nichts.“ 21 Müllers Bibliograph Florian Vaßen bemerkt hierzu: „So sammelt er im Sinne einer ausgeprägten Erinnerungskultur ‚gierig‘ alles für ihn erreichbare Material und verarbeitet es (…) in seinen literarischen Texten.“ 22 Die ‚Altgier‘ des Kompilators Berthold drückt sich in einem philologischen Hunger nach alten Autoren und alten Texten aus. Besonders schätzt er die vermeintlich ältesten Weisen, wie Hermes Trismegistus, die Sibylle, Di(n)dimus, den Philosophen oder Aethicus Ister und ihre Aussagen zur Trinität und zum ‚göttlichen Erkennen‘ durch das ‚Eine in uns‘. Wie ist diese ‚Altgier‘ zu deuten? Sieht der Kompilator Berthold in diesen Texten nur interessantes Material oder die bloße Bestätigung seiner eigenen Thesen? IV. Auf der Suche nach den Motiven und der Bedeutung von Ber tholds ‚Altgier‘ Erste Indizien dafür, dass sich hinter Bertholds Interesse an diesen vermeintlich alten Texten mehr verbirgt, finden sich in den drei proklischen Opuscula, die Wilhelm von Moerbeke ebenfalls ins Lateinische übersetzt hatte und mit denen der Moosburger bestens vertraut war. Gleich zu Beginn von ‚De providentia et fato‘ schreibt Proklos über die positiven Ergebnisse, die andere vor ihm zum Problem der Vorsehung erzielt haben. Hierzu zählt er auch die „Verkündigungen“, die „die Theologen vor Plato mit ekstatischem Mund aussprachen und die Plato mit nüchternen Beweisen erklärte“ 23. Etwas später kommt er auf die „höchste Erkenntnis“ zu sprechen. Durch diese steige die Seele schließlich bis 21 22 23

H. Müller, Werke 12, Gespräche 3, ed. F. Hörnigk, Berlin 2008, 283. F. Vaßen, Bibliographie Heiner Müller Band I, Bielefeld 2013, 10. Proclus, De providentia et fato et eo quod in nobis ad Theodorum mechanicum, c. 1, ed. H. Boese, Procli Diadochi tria opuscula (Quellen und Studien zur Geschichte der Philosophie 1), Berlin 1960, 109,10–16: „Queris autem millesies dicta quidem et neque reqiem habitura unquam secundum meam opinionem, eo quod anima provocetur ad id quod circa ipsa consistit negotium, cum dederit iam multas directiones et ab illis Plotinicis et Iambli[chi]cis elaborata et ante hos a divino Platone scripta et, si non grave dicere, et ante hunc a theologis preconizata maniaco ore dicentibus, qualia sobriis demonstrationibus Plato explicuit – […].“

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zur Schau der Monaden auf und berühre sogar „die unwandelbaren und mystischen Intuitionen der überweltlichen Götter“ 24. Proklos weiß, dass es Zweifel gibt, ob der Mensch eine solche Stufe der Erkenntnis erreichen kann. Diesen Zweifeln hält er rhetorische Fragen entgegen, in denen er die religiösen Erfahrungen seiner Kultur thematisiert. Wäre das Erreichen dieser Stufe nicht möglich, so fragt er, wie könnte es dann die ‚Götterkinder‘ geben, die uns die verborgenen Ratschlüsse der Götter kundtaten? Wie könne man sonst von in Ekstase weissagenden Seelen sprechen, die sich in einem Wahnsinn, der besser ist als die Nüchternheit, mit den Göttern selbst vereinten? Zu diesen Seelen, die „am Göttlichen teilhatten“, zählt Proklos ausdrücklich die Sibylle 25. Einige Abschnitte später heißt es, Plato und die Theologen vor ihm hätten eine Erkenntnis über dem Intellekt gepriesen, einen wahrhaft göttlichen Wahnsinn. Diese divina mania hätten sie ‚Eines der Seele‘ genannt, welches mit dem Einen vereinige 26. Neben dem Namen der Sibylle fällt in den Opuscula auch zweimal der Name des Merkur, 24

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Ibid., 126,24–128,17: „Post has ambas operationes rationalis, ut dictum est, huius anime ad ipsam iam summam recurrens ipsius intelligentiam, per quam videt quidem sorores ipsius in mundo animas, celumque et totam generationem secundum patris voluntatem sortitas, quarum et ipsa pars quedam ens, illarum speculationem desiderat; videt autem supra omnes animas intellectuales substantias et ordines : supra omnem enim animam residet intellectus deiformis, qui et anime dat intellectualem habitum; videt autem rursum et ante hec eas que supra intellectum deorum ipsorum monades, a quibus intellectuales multitudines suscipiunt uniones : oportet enim supra locari unificas causas, sicut supra vivificatas vivificantes et supra intellectuales-factas intellectualificas, et supra omnia simpliciter participantia imparticipabiles ypostases. Secundum omnes enim has sursumductivas intellegentias palam estimo facere non penitus cecis, quomodo et sensum reliquens deorsum et corpora intellectualis circumspectionibus sursum deducitur circa supermundanorum deorum indeflexas et ut vere mysticas epibolas (id est adiectiones).“ Ibid. 128,17–25: „Aut unde nobis et ex qualis operationibus elucidarunt deorum ekgoni (id est progeniti) dispensationes deorum occultas? Qualiter autem enthoysiazein (id est indivinari) dicuntur anime, et sobrietate meliorem maniam sumentes, coaptari diis ipsis? Sybillam dico eam, que post partum mox prolocuta est mira, et audisse presentes, que sit et ex quali ordine venit in eum qui circa terram locum ; et si qua etiam alia anima sic fuit divine partis.“ Berthold kennt diese Erwähnung der Sibylle, da er die Stelle einmal vollständig zitiert. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 185, ed. Sturlese (nt. 13), 27,450– 28,455. Ibid., 139,24–140,16: „Quintam etiam post has omnes cognitionis intelligentiam volo te accipere, qui credidisti Aristotili quidem usque ad intellectualem operationem sursumducenti, ultra hanc autem nichil insinuanti; assequentem autem Platoni et ante Platonem theologis, qui consueverunt nobis laudare cognitionem supra intellectum et maniam ut vere hanc divinam divulgant: ipsum aiunt unum anime, non adhuc intellectuale excitantem et hanc coaptantem uni. Omnia enim simili cognoscuntur: sensibile sensu, intelligibile intellectu, unum uniali. Intelligens quidem etiam anima et se ipsam cognoscit et quecumque intelligit contingentia, sicut diximus; superintelligens autem et se ipsam et illa ignorat, quo adiaciens le unum quietem amat, clausa cognitionibus, muta facta et silens intrinseco silentio. Et enim quomodo utique adiaciet indicibilissimo omnium aliter quam soporans que in ipsa garrulamina? Fiat igitur unum ut videat le unum, magis autem ut non videat le unum : videns enim intellectuale videbit et non supra intellectum, et quoddam unum intelliget et non le autounum.“ Vom ‚göttlichen Wahnsinn‘ spricht Plato im Phaidros, 265b: „Sokrates: Und vom Wahnsinn gebe es zwei Arten, die eine aus menschlicher Krankheit, die andere aus göttlicher Aufhebung des gewöhnlichen ordentlichen Zustandes. […] Den Göttlichen teilten wir wiederum in vier Teile nach vier Göttern, indem wir den weissagenden Wahnsinn dem Apollon zuschrieben, dem Dionysius den der Einweihungen, den Musen den dichterischen, den vierten aber der Aphrodite und dem Eros, den Wahnsinn der Liebe nämlich, welchen wir für den besten erklärten […].“

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nämlich in ‚De decem dubitationibus‘ 27. Beide Male erwähnt Proklos den communis Mercurius (Hermes Koinos). Dieser Gott, der in der griechischen Religion für die Aufteilung von herrenlosen Funden zuständig war 28, soll ihn jetzt anleiten, die allen gehörenden Grundsätze richtig anzuwenden. Berthold, dem jegliche religionsgeschichtliche Hintergrundinformation zu Hermes Koinos fehlte, könnte die beiden ohnehin schwerverständlichen Textstellen dahingehend interpretiert haben, dass hier Hermes oder Mercurius Trismegistus gemeint sei – eine fiktive Gestalt, der man in der Spätantike und im Mittelalter verschiedenste Werke zuschrieb 29. Berthold kennt und schätzt drei dieser Werke, nämlich den in der Spätantike und ursprünglich in griechischer Sprache verfassten ‚Asclepius‘ sowie den ‚Liber XXIV Philosophorum‘ und den ‚Liber de sex rerum principiis‘, die beide aus dem zwölften Jahrhundert stammen und anonyme Verfasser haben. Als authentisch gilt ihm dabei auch der zweite, erst nach 1315 verfasste Kommentar zum ‚Liber XXIV Philosophorum‘, dessen wahrer Autor ebenfalls unbekannt ist 30. Berthold macht in der gesamten ‚Expositio‘ keinerlei Angaben zur Person des Hermes Trismegistus. Aufgrund von Informationen, die er zum Beispiel bei Augustinus und Albertus Magnus finden konnte, ging er wohl davon aus, dass Hermes Ägypter war und zu den ältesten Philosophen überhaupt zählte 31. Berthold zitiert sehr oft aus den Werken, die er für echt hermetisch hält. Besonders angetan haben es ihm dabei die offen trinitarischen Aussagen, die er vor allem im ‚Liber XXIV Philosophorum‘ findet. Dort wird Gott zum Beispiel als „trifor27 28

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Cf. Proclus, De decem dubitationibus circa providentiam, c. 1, ed. Boese (nt. 23), 4,20–24; ibid. c. 3,1 sq. Cf. Proclus, Trois études sur la providence, t. I, Introduction – Dix problèmes concernant la providence, ed. D. Isaac (Collections des Université de France. Série grecque 251), Paris 1977, 137. Cf. F. Ebeling, Das Geheimnis des Hermes Trismegistos. Geschichte des Hermetismus, München 2005; C. Bull, The Tradition of Hermes Trismegistus. The Egyptian Priestly Figure as a Teacher of Hellenized Wisdom, Leiden 2018. Zur Datierung des Liber de sex rerum principiis in die Zeit nach 1147 cf. A. Sannino, Il concetto ermetico di natura in Bertoldo di Moosburg, in: P. Lucentini e. a. (eds.), Hermetism from Late Antiquity to Humanism. Atti del convegno internazionale di studi ‚La traduzione ermetica dal mondo tardo-antico al primo Umanesimo‘ (21–24 novembre) (Instrumenta patristica et mediaevalia 40), Turnhout 2003, 205. Zu den Datierungen des ‚Liber XXIV Philosophorum‘ (inkl. des ersten, ursprünglichen Kommentars), des zweiten Kommentars und zum möglichen Autor des zweiten Kommentars cf. A. Beccarisi, „noch sint ez allez heidenischer meister wort, die niht enbekanten dan in einem natiurlîchen liehte“: Eckhart e il Liber vigintiquattuor philosophorum, in: L. Sturlese (ed.), Studi sulle fonti di Meister Eckhart II, Fribourg 2012, 74; A. Sannino, Il Liber viginti quatuor philosophorum nella metafisica de Bertoldo di Moosburg, in A. Beccarisi e. a. (eds.): Per perscrutationem philosophicam. Neue Perspektiven der mittelalterlichen Forschung. Loris Sturlese zum 60. Geburtstag gewidmet, Hamburg 2008, 254. Cf. Augustinus, De civitate dei, 18, 39, edd. B. Dombart/A. Kalb (Corpus Christianorum Series Latina 48), Turnhout 1955, 634 sq. Cf. Albertus Magnus, Commentarium in octo libros politicorum Aristotelis, 8, 10, ed. A. Borgnet (Opera omnia 8), Paris 1891, 698b; id., De causis et processu universitatis a prima causa, 1, 4, 3, ed. W. Fauser (Opera omnia 17,2), Münster 1993, 45,23–27.

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mis essentia“ 32 bezeichnet oder es heißt noch deutlicher: „Deus est monas monadem gignens et in se suum reflectens ardorem.“ 33 Berthold geht offensichtlich auch davon aus, dass Hermes Trismegistus die höchste Erkenntnisweise kannte und erreicht hat, nämlich den göttlichen Wahnsinn, den „schon vor Plato die Theologen“ 34 so genannt hätten. Denn Berthold erklärt den Begriff des ‚göttlichen Menschen‘ mit folgendem Zitat des Hermes Trismegistus aus dem ‚Asclepius‘: „Der Begriff des Göttlichen ist durch göttliche Absicht des Sinnes zu erkennen.“ 35 Und im Kommentar zu den Propositiones 11 und 34 zitiert Berthold folgende Stelle aus dem ‚Liber de sex rerum principiis‘: „Denn der Intellekt, der in die göttliche Kenntnis verwandelt wurde, erforscht und untersucht auf göttliche Weise, was die Ursache und was ihre Wirkung ist.“ 36 Betrachtet man Bertholds Erwähnungen und Zitationen sibyllinischer Literatur, so fällt auf, dass alle drei Stellen von der Trinität handeln. Im Kommentar zu den Propositiones 40 und 126 zitiert Berthold aus dem ‚Liber Vasilographus‘, einer dubiosen Schrift aus dem 13. Jahrhundert 37. Demnach habe die Erythräische Sibylle Gott „trinodum numen“ (lateinisch korrekt wäre trinodem ) – „dreigeknotete Gottheit“ genannt 38. Im Kommentar zur Propositio 131 zitiert Berthold eine Stelle der Schrift ‚Adversus quinque haeresies‘ des Kirchenvaters Quodvultdeus 39 (gestorben 454), an der es heißt, die Sibylle habe von einem „zweiten Gott“ und einem „Sohn Gottes“ gesprochen 40. Diese Aussagen stammen aus dem spätantiken achten Buch der ‚Oracula Sibyllina‘, das sich je nach Interpretation allein aus christlichem oder aber aus jüdischem und christlichem Gedankengut zusammensetzt 41. Im Kommentar zur Propositio 126 geht der sibyllinischen 32

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Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 126, ed. Retucci (nt. 13), 154,25 sq. Cf. Liber viginti quattuor philosophorum, 22, ed. F. Hudry (Corpus Christianorum Continuatio Medievalis 143 = Hermes Latinus 3,1), Turnhout 1997, 29,4. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 42,226 sq.; Prop. 64, 194,57; id., Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 193, 86 sq.; Berthold von Moosburg, Expositio super Elementationem theologicam Procli, Prop. 137, ed. F. Retucci (Corpus Philosophorum Teutonicorum Medii Aevi 6,6), Hamburg 2007, 16,35 sq.; Prop. 141,129 sq.; Prop. 142, 52,23; Prop. 152, 140,51. Cf. Liber viginti quattuor philosophorum, 22, ed. Hudry (nt. 32), 5,1 sq. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Expos. tit., edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 40,103 sqq. Ibid. 48, 379 sq.: „Divinum, secundum quod dicit Trismegistus in eodem, quod ‚divinitatis ratio divina sensus intentione noscenda‘ est.“ Ibid. Prop. 11, 192,263 sqq.: „‘Intellectus enim‘, sicut dicit Trismegistus De sex principiis cap. 1, ‚in divinam notionem transformatus divinitus explorat et inquirit, quid causa et quid effectus eius‘.“ Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 34, edd. Pagnoni-Sturlese/Mojsisch (nt. 16), 221,61 sqq. Cf. O. Holder-Egger, Italienische Prophetieen des 13. Jahrhunderts, in: Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde 15 (1890), 143–178. Ibid., 164. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 42,229; Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 126, ed. Retucci (nt. 13), 154,26. Berthold schreibt diese Schrift fälschlicherweise Augustinus zu, dessen Zeitgenosse und Bekannter Quodvultdeus war. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 194,116 sq.: „Sibylla etiam Erictea vocat Deum ‚trinodum numen‘ [recte: trinodem] et Filium ‚prolem divinam et Deum‘.“ A. F. J. Klijn, Sibylle. Sibyllinische Orakel II, Lexikon für Theologie und Kirche, Bd. 9, Freiburg 2000, 554; I. Wandrey, Sibyllinen II, Religion in Geschichte und Gegenwart4, Bd. 7, Tübingen 2004, 1294.

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Bezeichung Gottes als ‚trinodem numen‘ unmittelbar das Hermes-Zitat von der ‚triformis essentia‘ voraus 42. Noch interessanter sind die beiden anderen Stellen in den Propositiones 40 und 131, denn dort zitiert Berthold beide Male zuerst aus den ‚Confessiones‘ des Augustinus, wonach sich schon in den Libri Platonici Hinweise auf Gott-Vater und Gott-Sohn fänden 43. Daraus zieht der Moosburger den Schluss, Plato selbst habe bereits zwei göttliche Personen der Trinität gefunden 44. An beiden Stellen folgen dann je eine hermetische und eine sibyllinische Stellungnahme zur Trinität. Im Kommentar zur Propositio 40 erwähnt Berthold zuerst den hermetischen Satz „Deus est monas monadem gignens et in se suum reflectens ardorem“ aus dem ‚Liber XXIV Philosophorum‘ und dann die sibyllinische Rede von der ‚dreigeknoteten Gottheit‘ sowie die Aussage aus dem ‚Liber Vasilographus‘, es gebe einen „Vater-Gott“ und einen „Kind-Gott“ 45. Im Kommentar zur Propositio 131 zitiert Berthold – vermittelt über Quodvultdeus – nacheinander Aussagen des Hermes und der Sibylle, die von einem „zweiten Gott“ und „(eingeborenen) Sohn Gottes“ handeln 46. Die beiden Propositiones 40 und 131 42

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Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 126, ed. Retucci (nt. 13), 154,25 sq.: „Et hoc etiam vult dicere commentum [gemeint ist der Kommentar zum Liber XXIV Philosophorum] vocans Trinitatem ‚triformem essentiam‘, sicut et Sybilla Erictea dicit ‚trinodum numen‘.“ Id., Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 40,162–167: „Quod, ut evidentius appareat, sciendum, quod, ut recitat Augustinus VII libro Confessionum cap. 8, ‚Tu domine‘ et infra ‚procurasti mihi per quendam hominem immanissimo typho turgidum quosdam Platonicorum libros ex Graeca lingua in Latinam versos, et ibi legi non quidem his verbis, sed hoc idem multis et multiplicibus suaderi rationibus, quod in principio erat Verbum‘ et cetera per totum usque ibi: ‚et tenebrae eam non comprehenderunt‘.“ Ibid., 41,177 sqq.: „Plato ponit in prime bono paternum intellectum formantem ex se verbum, quod est ratio omnium faciendorum, imago, Filius et ars Patris et mundus archetypus, hoc est principalis mundi typus.“ Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 191,51–192,60: „Verum quod ante omnia tempora et super omnia tempora maneat unigenitus Filius coaeternus et consubstantialis Patri in deitate et quod de plenitudine eius accipiant animae, ut beatae sint, in libris Platonicis continetur, secundum quod recitat Augustinus VII Confessionum, in quibus persuadetur multiplicibus rationibus, quod ‚in principio erat verbum et verbum erat apud Deum et Deus erat verbum‘ etc. usque ibi: ‚fuit homo‘ etc., ‚nihilominus‘, quod ‚Filius sit in forma Patris, qui non rapinam arbitratus est esse se aequalem Deo, quia naturaliter id ipsum est‘, in eisdem invenitur. Ex quibus liquet, quod secundum Platonem duae personae inventae sunt, Pater et Filius.“ Berthold hat die gesamte Stelle mit leichten Veränderungen dem ‚Sapientiale‘ des Thomas von York entnommen. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 42,224–231: „Hermes etiam Trismegistus in prima regula theologica idem videtur intendere secundum expositionem commenti, licet improprie loquatur, cum unitas magis dicat esse absolutum quam respectivum. Dicit enim sic: ‚Deus est monas monadem gignens et in se suum reflectens ardorem‘. Sybilla etiam Erictea in libro, qui intitulatur Vasilographus, id est imperialis scriptura, frequenter vocat summum Deum ‚trinodum numen‘ [recte: trinodem] propter trinitatem personarum, ubi etiam dicit Patrem et prolem, sicut apparet, et vocat prolem Deum sicut et Patrem.“ Ibid., Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 192,61–76: „Huic autem concordat Hermes in libro, qui dicitur Logostileos, id est verbum perfectum. ‚Dominus‘, inquit, ‚et omnium factor deorum secundum fecit dominum‘. Et post pauca, ut ostenderet, quid dixerit, repetit: ‚Quoniam igitur, ait, hunc fecit primum et solum et unum, bonus ei visus est et plenissimus omnium bonorum‘. ‚Et sequitur: Laetatus est‘ ‚et valde dilexit eum tamquam unigenitum suum‘. ‚Idem in alio loco: Filius Dei‘, inquit, ‚benedicti atque bonae voluntatis, cuius nomen non potest humano ore narrari‘. Ecce, filium dicit dominum, et quem prius dixit factum, post dicit unigenitum omnium bonorum plenissimum. Quod autem dicit eum humano ore narrari non posse, exponens subdit: Nam super homines est, et ideo ab hominibus indicari non potest. Unde et ipsum Dei filium dicit sermo inenarrabilis sapientiae omnium dominum. Haec autem Hermetis verba recitat Augustinus [recte Quodvultdeus] in libro suo

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bieten damit eine Kombination aus Aussagen des Plato, des Hermes Trismegistus und der Sibylle. Diese Kombination erinnert auffällig an die oben erwähnten Aussagen des Proklos in De providentia et fato. Dort ist ja unter anderem von „Verkündigungen“, die „die Theologen vor Plato mit ekstatischem Mund aussprachen und die Plato mit nüchternen Beweisen erklärte“ 47 sowie von der Sibylle die Rede. Für Berthold waren Hermes und die Sibylle, auf die er sowohl bei Proklos, als auch bei antiken Kirchenschriftstellern Hinweise fand, uralte Autoren. Nach Augustinus lebte Hermes vier Generationen nach Mose und die Sibylle zur Zeit des Romulus oder des trojanischen Krieges 48. In Bertholds Augen hatten Hermes und die Sibylle mit Plato und mit Proklos das Wissen um den göttlichen Wahnsinn und das Erreichen dieser höchsten Erkenntnisstufe gemeinsam. Doch eines trennt Hermes, die Sibylle und Plato auf der einen Seite von Proklos auf der anderen Seite: Proklos kennt die Lehre von der Trinität nicht, ja er lehnt diese Lehre sogar unverhohlen ab, wenn er im Commentum zur Propositio 40 sagt, dass sich das göttliche Gute nicht selbst hervorbringen kann, da es sonst nicht mehr das Eine wäre 49. Proklos᾿ Ablehnung der Trinitätslehre ist für Berthold ein großes Problem. Denn erstens ist diese Lehre für Bertholds Interpretation der proklischen Henaden-Götter als Primordialursachen und für seine Sicht der Entstehung des Kosmos zentral. Zweitens ist schwer zu erklären, dass Proklos als jemand, der das Göttliche im göttlichen Wahnsinn erfahren hat, die trinitarische Verfasstheit Gottes nicht kennt und sogar ablehnt. Angesichts dieses Problems greift Berthold zu einem philologischen Trick. Genau an den Stellen, an denen Proklos in der ‚Elementatio theologica‘ eigentlich von der Trinität sprechen müsste, es aber nicht tut oder sogar gegen sie argumentiert, bringt Berthold trinitarische Aussagen Platos, der Sibylle und der ‚Theologen vor Plato‘. Zu diesen alten Theologen zählt er neben Hermes Trismegistus offenbar auch den fiktiven Brahmanenkönig Dindimus (den Berthold stets ‚Didimus‘ nennt) aus der spätaniken Alexandertradition 50 und den vorgeblich antiken Kosmographen Aethicus Ister 51, hin-

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Contra quinque haereses, in quo etiam sermones Sibyllae recitat sermonibus praedictis concordantes. Alium, inquit, deum dedit hominibus fidelibus colendum. Et ne intelligatur alius in essentia, sed potius in persona, subdit: ‚Ipsum tuum cognosce dominum Dei filium esse‘, quem quidem filium ‚alio loco symbulon appellat, id est consilium vel consiliarium‘.“ Berthold hat die gesamte Stelle mit leichten Veränderungen dem ‚Sapientiale‘ des Thomas von York entnommen. Cf. nt. 23. Für Hermes Trismegistus cf. nt. 30; für die Sibylle cf. Augustinus, De civitate dei, l. 18, cap. 22 sq., edd. Dombart/Kalb (nt. 31), 613. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 44,305 sq.: „Si autem bonum antipostaton ipsum se ipsum producens, non unum erit.“ Ibid., 42, 232–234: „Item Didimus rex ad Alexandrum Magnum: ‚Verbum Deus est: hoc mundum causavit, hoc regit et alit omnia, hoc diligimus, ex hoc spiritum trahimus, siquidem Deus spiritus est‘. Hoc Didimus.“ Cf. Alexandri et Dindimi Collatio (Patrologia Latina 201), 1371A. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 194,110–115: „Aethicus etiam Cosmographus in sua Cosmographia, quam transtulit beatus Hieronymus, luculenter exprimit tres personas. Dicit enim ‚verbum Patris principium cum eo cuncta componens omnia simul creasse in eiusque laudem‘ omnes conditas creaturas. Dicit etiam Spiritum sanctum ignem eminentissimum in angelorum fabricam fuisse ‚sine

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ter dem sich in Wahrheit ein anonymer, in der Karolingerzeit lebender und wirkender Autor von höchst zweifelhafter Gelehrsamkeit verbirgt 52. Plato, die Sibylle und die ‚Theologen vor Plato‘ sind für Berthold Gestalten, die Proklos selbst in ‚De providentia et fato‘ als Beispiele für das Erreichen der höchsten Erkenntnisstufe, nämlich der divina mania erwähnt. Durch dieses Vorgehen füllt Berthold nicht nur die Lücke, die bei Proklos hinsichtlich der Trinitätslehre besteht, sondern erweckt zudem auch noch den Eindruck, der von ihm hochgeschätzte Proklos 53 habe letztlich doch um die Trinität Gottes gewusst, da er ja Plato, die Sibylle und die ‚Theologen vor Plato‘ kannte und rühmend von ihnen sprach. V. Eine Neubewer tung der trinitarischen Aussag en der Alten Wenn diese These richtig ist, dann hätten die von Berthold zitierten trinitarischen Aussagen der Alten einen anderen Hauptzweck, als man bisher meinte. Gemäß der bislang vorherrschenden Meinung zitiert Berthold diese Aussagen als historische Beweise gegen die scholastisch-theologische Lehre, dass die heidnischen Philosophen vor der Zeitenwende keine Kenntnis der Trinität haben konnten, und formuliert damit wie Meister Eckhart den Anspruch, dass die Lehre von der Trinität nicht exklusiv als theologischer, sondern auch als philosophischer Inhalt zu betrachten ist 54. In der von mir vorgeschlagenen Perspektive dienen die von Berthold zitierten trinitarischen Aussagen der Alten hingegen primär der Auseinandersetzung mit Proklos, der die Annahme einer Vielfalt im Einen und damit auch die Trinitätslehre ablehnte. Indem Berthold auf die von Proklos selbst erwähnten ‚Theologen vor Plato‘ zurückgreift, schiebt er dem Lykier auf geschickte Weise auch die Trinitätslehre unter. Dadurch rechtfertigt Berthold vor sich selbst und seinen Lesern seine eigene, stark von christlichtrinitätstheologischen Überlegungen geprägte Interpretation der ‚Elementatio theologica‘. Zu einer ganz anderen Einschätzung kommt Fiorella Retucci in der Einleitung zum fünften Band der kritischen Edition (Propp. 108–135). Dort schreibt sie, Berthold liefere „eine geschichtliche Bestätigung […] der Tatsache, dass den

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deminutione et mensura, quae nec minui nec retrocedere non potest‘. Haec ille.“ Cf. Aethicus, Cosmographia I, ed. O. Prinz, Die Kosmographie des Aethicus (Monumenta Germaniae Historica, Quellen zur Geistesgeschichte des Mittelalters 14), München 1993, 100,1–7. Cf. G. Bernt, Aethicus Ister, Lexikon des Mittelalters Band I, Stuttgart 2002, 192. Berthold sagt über ihn, er sei einer der hervorragendsten Schüler des Plato, ja er habe sogar alle, die Plato nachfolgten, überragt. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Expos. tit., edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 37,10–15. Cf. F. Retucci, Einleitung, in: Berthold von Moosburg, Expositio, ed. Retucci (nt. 13), XI–XVIII; cf. L. Sturlese, Der Prokloskommentar Bertholds von Moosburg und die philosophischen Probleme der nacheckhartschen Zeit, in: L. Sturlese, Homo divinus. Philosophische Projekte in Deutschland zwischen Meister Eckhart und Heinrich Seuse, Stuttgart 2007, 147 sq.

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Philosophen die Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse ohne spezielle Offenbarung möglich ist“ 55. Weiter heißt es dort: „Um diese natürliche Erkenntnis Gottes kraft der menschlichen Vernunft historisch zu dokumentieren, begab sich Berthold auf eine ausgedehnte Forschungsreise durch die Philosophie, in deren Verlauf er die Erkenntnis der trinitarischen Geheimnisse bei den Heiden zu entdecken glaubte. […] Die natürlichen Fähigkeiten der philosophischen Vernunft beschränken sich nicht nur auf den Beweis der Existenz Gottes. Sie befähigen die Vernunft sogar zur Erkenntnis der trinitarischen Geheimnisse. Berthold setzte diese Überzeugung voraus, weil er im Kommentar zur 131. These des Proklos (Omnis deus a se ipso propriam operationem orditur) eine Art Quaestio quodlibetalis präsentierte. Die Frage ist deutlich formuliert: Ist es für die Philosophen möglich, zu beweisen, dass es in Gott eine Vielheit der Personen gibt? (Ideo videndum est, utrum per philosophos probari possit in ipso prime Deo, qui est simpliciter et absolute unum, esse aliquam personarum pluralitatem).“ 56

Am Ende ihrer Einleitung bringt Retucci Berthold außerdem mit der EckhartInterpretation von Kurt Flasch, der den Thüringer Meister als Vertreter einer „Philosophie des Christentums“ 57 deutet, in Verbindung. In diesem Sinne schreibt sie: „Indem Berthold seine Forschungen auf die Seite der Philosophie konzentrierte, knüpfte er an das bekannte Projekt Eckharts an, die rationes naturales philosophorum als Maßstab für die Auslegung und für ein angemessenes Verständnis der Offenbarung zu nehmen, und legitimierte sozusagen ‚historisch‘ seine ‚Philosophie des Christentums‘.“ 58 Problematisch an dieser Deutung von Bertholds Absichten ist schon die Fehlübersetzung der Formulierung: „utrum per philosophos probari possit in ipso prime Deo qui est simpliciter et absolute unum, esse aliquam personarum pluralitatem“. Da „probare“ ein viel weiteres Bedeutungsspektrum als „beweisen“ hat, „per“ nicht „für“ und „possit“ nicht „ist es möglich“ bedeutet und ferner das Wort „aliquam“ nicht zu unterschlagen ist, lautet die korrekte Übersetzung: „Kann man mithilfe der Philosophen anerkennen (oder: glaubhaft machen, darlegen, beweisen), dass es im ersten Gott selbst […] irgendeine Vielheit von Personen gibt“ 59. Damit ist 55 56 57 58 59

Retucci, Einleitung (nt. 54), XI. Ibid. XIV. Cf. K. Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums, München 2010, passim, bes. 31–48. Retucci, Einleitung (nt. 54), XVIII. Schwierigkeiten mit der korrekten inhaltlichen Wiedergabe eines lateinischen Satzes hat auch Kurt Flasch, wenn er das von Meister Eckhart verwendete Wort „exponere“ (erörtern, darlegen, auslegen) zwar zuerst richtig mit „auslegen“ übersetzt, dann aber zweimal mit „beweisen“ wiedergibt. Cf. Meister Eckhart, Expositio Sancti Evangelii secundum Iohannem, Prooemium. n. 2, edd. K. Christ e. a. (Lateinische Werke 3), Stuttgart 1994, 4,4 sqq.: „In cuius verbi expositione et aliorum quae sequuntur, intentio est auctoris, sicut et in omnibus suis editionibus, ea quae sacra asserit fides christiana et utriusque testamenti scriptura, exponere per rationes naturales philosophorum.“; Kurt Flasch, Meister Eckhart. Philosoph des Christentums, München 2010, 203: „[…] auszulegen mit Hilfe der natürlichen Beweisgründe der Philosophen.“ Dann aber ibid. 204: „Die Wahrheit, die der christliche Glaube behauptet, und zwar in vollem Umfang […] will er mit philosophischen Argumenten beweisen. […] Der erste Teil (n. 2) verspricht, die Wahrheit des Christentums philosophisch zu beweisen.“

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aber etwas anderes gesagt, als Retucci behauptet. Berthold fragt eben nicht, ob die Philosophen selbst die Trinität an sich beweisen konnten, sondern danach, ob man aus ihren Aussagen und Erkenntnissen auf eine gewisse, noch näher zu bestimmende Vielfalt der göttlichen Personen schließen kann. Ein klareres und umfänglicheres Bild von der Trinität bieten dann auch nicht die jeweiligen Philosophen selbst, vielmehr wird dieses Bild erst hergestellt, und zwar von Berthold (bzw. von seiner Quelle Thomas von York), der die einzelnen Aussagen vieler verschiedener Philosophen anordnet und auf dem Hintergrund der offiziellen theologischen Trinitätslehre deutet. Berthold behauptet hier nicht, dass die heidnischen Philosophen eine Lehre der Trinität besaßen oder dass die Doktrin von der Trinität eine genuin philosophische Lehre ist. Was sich bei einigen heidnischen Philosophen finden lässt, sind verstreute, mehr oder weniger deutliche Einzelerkenntnisse über ‚Teile‘ (die Beziehung von Vater und Sohn, Heiliger Geist) der Trinität oder über die Existenz aller drei göttlichen Personen und/ oder über deren schöpferisches Wirken. Die Existenz aller drei göttlichen Personen wird nur in den zitierten Aussagen des Porphyrius, des Hermes Trismegistus, des Aethicus und der Sibylle ausgesprochen. Bei der Porphyrius-Stelle schickt Berthold allerdings die Einschätzung seines Gewährsmannes Augustinus voraus: „De tertia [persona] non sunt locuti adeo manifeste.“ 60 Im Blick auf die Trismegistus-Aussage: „Deus est monas monadem gignens et in se suum reflectens ardorem“ merkt Berthold vorsichtig an, Trismegistus scheine (!) hier die Trinität offen auszudrücken 61. Im Kommentar zur Propositio 40 gibt er zu derselben Aussage zu Bedenken, dass Hermes hier uneigentlich spreche, da die Einheit („monas“) mehr das absolute Sein aussagt als das sich beziehende Sein. 62 Der eigentliche Kern der abendländischen christlich-theologischen Trinitätslehre seit Augustinus wird hier also gerade nicht getroffen, was Berthold offensichtlich bewusst ist. Am klarsten sieht der Moosburger die drei göttlichen Personen bei Aethicus ausgedrückt („luculenter exprimit“). Doch auch hier stellt er selbst (mit Thomas von York) dessen teilweise kryptische Aussagen zum „Wort des Vaters“ und zum „hervorragendsten Feuer“ aus zwei verschiedenen Stellen der ‚Cosmographia‘ zusammen und deutet selbst die zweite Aussage auf den Heiligen Geist hin 63. Gemäß Berthold erkannte auch die Sibylle, zu deren Rolle in der christlichen Spätantike und im Mittelalter gleich noch mehr zu sagen ist, alle drei göttlichen Personen, da sie von der ‚dreigeknoteten Gottheit‘ sprach. Bertholds Position, dass die antiken heidnischen Philosophen zumindest eine gewisse Erkenntnis der Dreifaltigkeit erlangen konnten, ist für seine Zeit gewiss auffällig und bemerkenswert, die Interpretation Fiorella Retuccis geht jedoch zu weit. Betrachtet man Bertholds Aussagen genauer, dann argumentiert er viel vorsichtiger als Retucci es wiedergibt. In der Frage, ob die heidnischen Philoso60 61 62 63

Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 193,81. Cf. ibid. 193, 85 sq. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 42,224–227. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 194,110–115.

Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten von der Trinität

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phen die Trinität erkennen konnten, ist der Gegensatz zwischen Berthold und den von ihr genannten scholastischen Theologen (Alexander von Hales, Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Bonaventura und anderen) somit weniger stark, als sie behauptet 64. Außerdem ist es zweifelhaft, ob Berthold diesen Gegensatz in seinem Kommentar zu den Propositiones 40 und 131 primär im Auge hatte. Wie bereits erwähnt, scheint hier eher eine unterschwellige Auseinandersetzung mit dem Heiden und Gegner der Trinitätslehre Proklos stattzufinden. Hinweise für die Richtigkeit dieser These ergeben sich aus der Untersuchung zweier Fragen. Die erste Frage, die erstaunlicherweise noch nie gestellt wurde, lautet: Warum thematisiert Berthold ausgerechnet bei der Kommentierung der Propositiones 40 und 131, und nicht etwa in einer der drei Einleitungen, die Möglichkeit, dass heidnische Philosophen die Trinität erkennen können? Zweitens ist zu fragen, warum Berthold hier genau diese Autoren anführt? Um die erste Frage zu beantworten, muss man sich zuerst vergegenwärtigen, was Proklos in den Propositiones 40 und 131 sagt. In der Propositio 40 führt Proklos erstmals in der ‚Elementatio theologica‘ die „Selbstbestehenden“ (wirklich Seiendes, Leben, Intellekt, Seele, griechisch authypóstaton, bei Moerbeke antipostaton [sic]) ein, denen er sich bis zur Propositio 49 ausführlich widmet 65. Diese Selbstbestehenden, die sich im Kraftfeld des Einen selbst hervorbringen, stehen laut der Propositio 40 kausal vor den übrigen Seienden, aber unter dem Einen, das weder selbstbestehend ist, noch aus sich selbst hervortritt. Bei der Darlegung dieses Sachverhalts schreibt Proklos: „Wäre dagegen das Gute selbstbestehend, kann es nicht eins sein, weil es ja sich selbst hervorbringt. Was nämlich aus dem Einen hervortritt, ist nicht eins. Es tritt nämlich aus sich selbst hervor, da es selbstbestehend ist. Folglich wäre das Eine zugleich eins und nicht eins.“ 66 Berthold kannte von dieser Passage, die möglicherweise auch als antitrinitarische Spitze gemeint ist, nur den ersten Satz, der Rest fehlte bereits in Moerbekes Übersetzung 67. Berthold empfand diesen Satz zweifellos als problematisch. Dies zeigt die kritische Bemerkung, die er im Commentum zu diesem Satz macht: „Istud est reprobatum in declaratione“ 68 – meines Wissens die einzige Kritik an Proklos in der ganzen ‚Expositio‘. Berthold verweist damit auf den gesamten ersten Hauptteil (supposi64

65

66 67 68

In ihrer Einleitung beschreibt Retucci einen weiteren vermeintlichen Gegensatz zwischen Berthold und Thomas von Aquin, nämlich in der Frage, warum sich die ontologisch je niedrigeren Seienden fortlaufend von der Vollkommenheit der ersten Ursache entfernen. Cf. Retucci, Einleitung, (ntt. 13 et 54), X. Ihr ist jedoch entgangen, dass die entsprechende, von Berthold zitierte Stelle aus dem Liber de causis-Kommentar des Thomas keineswegs die eigene Meinung des Aquinaten wiedergibt. Vielmehr präsentiert Thomas hier eine alternative Meinung, gegen die er kurz darauf argumentiert. Cf. Thomas de Aquino, Super librum de causis expositio, Prop. 24, ed. H. D. Saffrey, Fribourg 1954, 122,19–123,1. Cf. Proklos, Theologische Grundlegung, Prop. 40, edd. E.-O. Onnasch/B. Schomakers (Philosophische Bibliothek 562), Hamburg 2015, 51 sq.; cf. ibid. Anmerkung 1, 261; zu den „Selbstbestehenden“ cf. ibid. Einleitung, § 18, LXXXVII–XCII. Ibid., 53. Cf. Proclus, Elementatio theologica, Prop. 40, ed. H. Boese, Leuven 1987, 24,18. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 45,342 sq.

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tum ) seines Kommentars zur Propositio 40, wo er zuerst ausführlich darlegt, dass und wie Hervorgänge im göttlichen Einen, nämlich in der Trinität, möglich sind. Hierzu zitiert er unter anderem auch aus ‚De fide orthodoxa‘, einer Schrift des Kirchenvaters Johannes von Damaskus. Anschließend führt er die bereits besprochenen protrinitarischen Zeugnisse des Plato, des Hermes Trismegistus, der Sibylle und des Didimus an. Hier wird also tatsächlich ein historischer Beweis geführt, der Kontrahent in diesem Verfahren ist aber nicht die scholastische Theologie, sondern ganz offensichtlich der heidnische Philosoph Proklos. In der Propositio 131 behandelt Proklos die „Übervollheit (hypérplêres/superplenitudo )“ der Götter (Henaden), die auch andere mit ihrem Sein erfüllen können. Hier heißt es: „Erfüllt also das Göttliche alles von sich aus mit dem in ihm enthaltenen Guten, dann ist jedes Göttliche übervoll. Ist dies der Fall und hat das Göttliche die Eigenschaften, die es den anderen spendet, zuerst in sich selbst gegründet, dann reicht es auf diese Weise auch diesen anderen die Mitteilungen seiner übervollen Gutheit dar.“ 69

Berthold muss es als schweren Mangel empfinden, dass Proklos hier mit keinem Wort vom Einen selbst spricht, denn in Bertholds eigener Sicht ist es doch das Eine selbst, das zuallererst alles andere mit seiner Güte erfüllt und es dadurch schöpferisch hervorbringt. Grund dieses schöpferischen Überfließens ist laut Bertholds Kommentar zur Propositio 131 das innerliche Ausfließen im „Ersten Gott (prime deus )“, das in der zweifachen Tätigkeit der Zeugung des Sohnes und der Hauchung des Geistes besteht. Ohne die trinitarische Verfasstheit Gottes, die hier mit klassischem theologischen Vokabular (generatio, spiratio, respectus, personaliter ) dargelegt wird, ist für Berthold die Existenz der Welt nicht zu erklären 70. Dass man dies in einem Kommentar zur Elementatio theologica schreiben darf, obwohl sich deren Autor beharrlich über die Trinität ausschweigt, rechtfertigt Berthold vor sich selbst und seinen Lesern mit den „dicta sapientium“, in denen ebenfalls von einer „Vielheit der Personen“ im „Ersten Gott“ die Rede ist 71. Die zweite Frage, nämlich warum Berthold genau diese ‚Weisen‘ als Zeugen dafür aufruft, dass es eine Vielheit der Personen in Gott gibt, wurde teilweise schon beantwortet: Plato, die Sibylle und die ‚Theologen vor Plato‘, zu denen Berthold offenbar auch Hermes, Aethicus und Didimus zählt, wurden von Proklos in ‚De providentia et fato‘ im Zusammenhang mit dem ‚göttlichen Wahnsinn‘ erwähnt. Deshalb, so die heimliche Logik Bertholds, muss Proklos auch deren Aussagen zur Trinität gekannt haben. Die übrigen ‚Weisen‘, die im Kommentar zur Propositio 131 zitiert werden, sind Seneca, Cicero und Porphyrius. Sie 69 70

71

Proklos, Theologische Grundlegung, Prop. 131, edd. Onnasch/Schomakers (nt. 65), 145. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 131, ed. Retucci (nt. 13), 196,190–197,209. Man beachte bes.: 196,193–197,196: „et per consequens talis intranea originatio vadit ad distincta personaliter per intraneam transfusionem et est ratio et causa redundandi ad extra per processum causalem in diversitatem naturae“. Cf. ibid. 190,8.

Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten von der Trinität

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alle sah Berthold – Albertus Magnus folgend – wohl als Platoniker an. Interessanterweise zitiert Berthold im Kommentar zur Propositio 40 auch den Christen und Kirchenvater Dionysius unter den heidnischen Zeugen der Dreifaltigkeit. Dabei nennt er Dionysius, der für ihn selbstverständlich vor Proklos lebte, ausdrücklich „Platonicus“ 72. Auch dies deutet darauf hin, worum es Berthold hier eigentlich geht: Er versucht eine Kontinuität zwischen den trinitarischen Ansichten der genannten ‚platonischen‘ Autoren und dem Denken des Platonikers Proklos zu suggerieren. Hinsichtlich Platos, der Sibylle und der ‚Theologen vor Plato‘ darf ein weiterer charakteristischer Aspekt nicht übersehen werden: Laut Proklos handelt es sich um religiöse Ekstatiker oder sie priesen zumindest die Ekstase im ‚göttlichen Wahn‘. Bekanntlich mischen sich in der typisch hellenistischen Gestalt des Hermes Trismegistus die Züge eines philosophischen mit denen eines religiösen Weisheitslehrers. Auch Berthold ist dies nicht entgangen, denn in einigen Passagen aus dem ‚Asclepius‘, die er im Prologus zitiert, kommt dieses Ineinander von Religiosität („religiosa pietas“, „sancta religio“) und Philosophie („sermo de deo deorum“, „philosophia“) zum Ausdruck 73. Dass die Sibylle göttliche Eingebungen empfangen hatte, war Berthold nicht allein aus Proklos᾿ ‚De providentia et fato‘, sondern auch durch Kirchenväter wie Augustinus oder Quodvultdeus sowie aus dem ‚Liber Vasilographus‘ bekannt. Der in diesen Quellen geschilderte heilsgeschichtliche Inhalt (Inkarnation, Kreuzestod, Auferstehung, Weltgericht, usw.) dieser Eingebungen 74 konnte für Berthold und sein kulturelles Umfeld keinen Zweifel daran lassen, dass die Sibylle als eine gentile Prophetin und Vorläuferin der christlichen Lehre anzusehen ist. Für Berthold handelt es sich bei den Einsichten der Sibylle also gerade nicht um eine „Erkenntnis der göttlichen Geheimnisse ohne spezielle Offenbarung“ oder um eine „natürliche Erkenntnis Gottes kraft der menschlichen Vernunft“ 75. Laut Proklos sprachen auch die anderen ‚Theologen vor Plato‘ „mit wahnsinnigem Mund“ 76, weshalb Berthold wohl auch ihre Aussagen als von Gott inspirierte ansah 77. Auch dies spricht gegen die Deutung, dass Berthold in den Propositiones 40 und 131 einen historischen Beweis der natürlichen und rein philosophischen Erkennbarkeit der Trinität führen wollte. 72 73 74 75 76 77

Berthold von Moosburg, Expositio, Prop. 40, ed. Sannino (nt. 7), 42,214. Cf. Berthold von Moosburg, Expositio, Prologus, edd. Pagnoni/Sturlese (nt. 4), 47,368–48,376. 48, 382 sq. Cf. Augustinus, De civitate dei, 18, 22 sq., edd. Dombart/Kalb (nt. 31), 613–615. Cf. HolderEgger, Italienische Prophetieen (nt. 37), 161 sqq. Cf. nt. 55 et 56. Cf. nt. 23. Für den Fall, dass der ‚Liber XXIV Philosophorum‘ von Trismegistus stammt, zieht auch Albertus Magnus, der die Authentizität des Werkes grundsätzlich bestreitet, die Möglichkeit in Betracht, dass sich die dort zu findende trinitarische Aussage „Monas gignens monadem etc.“ einer Offenbarung an Trismegistus verdankt. Cf. Albertus Magnus, Super Librum Sententiarum I, dist. 3, c. 1, ed. M. Burger (Opera omnia 29,1), Münster 2015, 92,52–61.

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VI. Schluss Für Berthold von Moosburg ist die Neugier auf die geheimen Gründe des Makro- und des Mikrokosmos ‚Mensch‘ nichts Ungehöriges oder Unerlaubtes, da sie der maximalen Selbstverwirklichung und Selbsterfahrung des forschenden Subjekts dient. Neben dieser Neugier finden sich in Bertholds ‚Expositio‘ auch Anzeichen einer ‚Altgier‘, die sich in der Rezeption und Präsentation alter Texte und ungewöhnlicher Aussagen alter Autoren äußert. Ebenso wie die Neugier pflegt Berthold auch die ‚Altgier‘ nicht als plan- und zielloses Sammeln. Die ‚Altgier‘ ist vielmehr Teil seiner teleologischen Lektüre der Alten, die alle Funde und Entdeckungen in ein großes christlich-platonisches System integriert. Alles Frühere fügt sich in dieses System und erhält von ihm her seine eigentliche, wahre Bedeutung. Umgekehrt bestätigen die Aussagen der Alten die Richtigkeit des Systems, da sie zeigen, dass es schon seit den ältesten Zeiten Hinweise darauf gab. Um eine solche Bestätigung geht es Berthold auch bei den verstreuten, spruchartigen trinitarischen Aussagen der Alten. Genauer gesagt sollen sie belegen, dass die Lehre vom dreifaltigen Gott auch im Rahmen des proklischen Denkens gültig ist, obwohl Proklos diese Lehre verschwieg und in der Propositio 40 der ‚Elementatio theologica‘ vielleicht sogar kritisierte. Da Proklos aber Plato, die Sibylle und die ‚Theologen vor Plato‘ kannte und ihnen die höchste Erkenntnis im ‚göttlichen Wahn‘ zubilligte, kann Berthold sich selbst und seinen Lesern suggerieren, dass der Lykier letztlich doch um die trinitarische Verfasstheit Gottes wusste 78. Bertholds Zitate der trinitarischen Aussagen der alten Philosophen sind also nicht (primär) als Auseinandersetzung mit der scholastischen Theologie, die die natürliche Erkennbarkeit der Trinität weithin ablehnte, zu deuten, sondern als Auseinandersetzung mit Proklos zu verstehen 79.

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Im Falle seines Mitbruders Johannes Tauler ist das Berthold auch gelungen, denn auch Tauler scheint davon überzeugt zu sein, dass Proklos als Kenner des Seelengrundes (i. e. wohl des unum animae ) die Dreifaltigkeit Gottes lehrte. Cf. Die Predigten Taulers, ed. F. Vetter, Pr. 61, Berlin 1910, 332,19–27. Wenn Berthold behauptet, dass die heidnischen Philosophen eine Kenntnis der Dreifaltigkeit besaßen, hat er dafür also ein anderes Motiv als Tauler. Dessen Motiv ist ein pastorales und besteht in der Beschämung und Ermahnung seiner Zuhörer, die als von der Gnade unterstützte Christen angeblich weniger über sich selbst (!) verstehen als die Heiden. Taulers Skopus liegt ganz auf der Selbsterkenntnis seiner Zuhörer, die Lehre von der natürlichen Erkennbarkeit der Dreifaltigkeit scheint ihn nicht weiter zu interessieren, cf. ibid. 332,27–333,2. Wieder anders liegen die Dinge bei Meister Eckhart. Er will die Lehren des christlichen Glaubens und der Heiligen Schrift, wozu er auch die Trinitätslehre zählt, durch natürliche Gründe der Philosophen erörtern und auslegen, cf. nt. 59. Dahinter steht meines Erachtens die Absicht, Theologie und Philosophie, die in seiner Zeit immer mehr auseinanderdriften, wieder näher zusammenzuführen. Diese Absicht wäre dann gegen Fideismus und religiöses Schwärmertum auf der einen und gegen Strömungen wie den Averroismus auf der anderen Seite gerichtet.

Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili ? 500 Jahre Streit um Raimundus Lullus Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) I. Missionarische Universalwissenschaft 1. Methodus disserendi de omni scibili Ich hätte gern den Terminus ‚Sacra curiositas‘ irgendwo gefunden, aber ich habe vergeblich gesucht. Was ich gefunden habe, ist die Denunziation der Lullschen Philo-/Theosophie als „vana curiositas in negotio fidei“. Dass Lulls Lehre gleichwohl in bemerkenswerter Weise bis in digitale Aktualisierungen überlebt hat 1, zeigt, dass die curiositas so leer anscheinend nicht gewesen ist, wie man meinte. Gleichwohl: Der Lullismus wird seit dem späten 14. Jahrhundert von der an Aristoteles orientierten Scholastik als eine Art ungeliebtes Haustier, fasst schon als Schädling, eine Art räudiger Hund, misstrauisch beäugt. Aber seinen Anhängern gilt Lull seit seinem ‚Märtyrertod‘ als Heiliger und seine Lehre als Offenbarung. Die Charakterisierung von Lulls Lehre als Methodus disserendi de omni scibili kommt in dieser Formulierung, soweit ich sehe, bei Lull selbst nicht vor; aber sie erscheint bei dem späthumanistischen Erzlullisten Johann Heinrich Alsted (1588–1638), der schrieb, dass Lull in seiner Ars Magna eine „methodus disserendi de omni scibili“ entworfen habe 2. Diese Methode sei eine Universalarznei einer als Enzyklopädie verstandenen Wissenschaft: „Panacea Philosophica: id est, facilis, nova, et accurata methodus docendi et discendi encyclopaediam“ 3. Und er steigert diesen Universalanspruch noch: „Haec ars non tantum est Logica concreta, […] non est Logica applicata […] non est Metaphysica, ut […] alii existimant. Sed est altior et generalior et Logica et Metaphysica.“ 4 Sicher, das ist die Fassung des Lullismus in der Spätrenaissance; aber auch Lull selbst war ja nicht kleinlich in seinem Anspruch: Er hielt seine Kunst für 1 2

3 4

Cf. A. Vega/P. Weibel/S. Zielinski (eds.), Dia-Logos. Ramon Llull’s Method of Thought and Artistic Practice, Karlsruhe–Minnesota 2018. J. H. Alsted, Panacea philosophica, Herborn 1610, 7. Cf. W. Schmidt-Biggemann, Topica universalis, Hamburg 1983, 100–139, hier 107. Zu Alsted cf. H. Hotson, Johann Heinrich Alsted (1588–1639): Between Renaissance, Reformation and Universal Reform, Oxford 2000. So der vollständige Titel der ‚Panacea philosophica‘. Alsted, Panacea Philosophiae, 14. zitiert nach Schmidt-Biggemann, Topica universalis (nt. 2), 108.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-011

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eine „scientia generalis ad omnes scientias. Et hoc cum suis principiis generalibus, in quibus principia aliarum scientiarum particularium sint implicita et contenta, sicut particulare in uniuersali.“ 5 Er ging von einer Liste unhintergehbarer Begriffe „Principia generalia“ aus, die jedem einleuchten mussten. 6 Im Prooemium seiner ‚Ars Magna‘ begründet er seinen Anspruch: „Ratio huius est, ut cum ipsis principiis alia principia subalternata sint et ordinata, et etiam regulata, ut intellectus in ipsis scientiis quiescat per uerum intelligere, et ab opinionibus erroneis sit remotus et prolongatus. Per hanc quidem scientiam possunt aliae scientiae faciliter acquiri. Principia enim particularia in generalibus huius Artis relucent et apparent, ipsis tamen principiis particularibus applicatis principiis huius Artis, sicut pars applicatur suo toti.“ 7

Der Anspruch dieser Methode war kaum überbietbar: Wissenschaft von allem Wissbaren. Sie war freilich nicht als autonome Theoria im Sinne des Aristotelismus konzipiert, wie sich Lull denn überhaupt um die aristotelischen Differenzierungen zwischen Ars und Scientia nicht scherte. Er postuliert vielmehr in platonischer Manier das selbsttätige „Einleuchten“ dieser Kernbegriffe und Prinzipien 8. Aber dieses Wissen war nicht Selbstzweck; es sollte in einem Missionsprogramm zur Bekehrung der Muslime verwendet werden. Um diesen Zusammenhang zu erklären, ist es sinnvoll, an ein paar historische und biographische Daten zu erinnern. 2. Missionarische Universalwissenschaft Raimundus Lullus 9 ist eine zentrale Symbolfigur der provençalisch-katalonischen Kultur, sofern diese geistlich und philosophisch gefasst werden kann. Er wurde 1232/33 in Palma de Mallorca geboren, und seine Eltern gehörten dem mittleren Adel an. Seine Ausbildung erhielt er im Hofdienst von Mallorca 10. 5

6

7 8

9

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Raimundus Lullus, Ars generalis ultima, Prologus, ed. A. Madre (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 75. Raimundi Lulli Opera Latina 14), Turnhout 1971, 5 (Allgemeine Wissenschaft für alle Wissenschaften, und zwar wegen der allgemeinen Prinzipien, in denen die Prinzipien der Einzelwissenschaften impliziert und enthalten sind wie das Einzelne im Allgemeinen). Die Begriffslisten finden sich am vollständigsten in der ‚Ars Magna‘ (= ‚Ars generalis ultima‘) von 1308 zusammengestellt, cf. E.-W. Platzeck, Raimund Lull. Sein Leben – Seine Werke. Die Grundlagen seines Denkens (Prinzipienlehre), 2 voll., Düsseldorf 1962–1964, vol.2 voll1, 362– 371, besonders 363 und ibid., vol. 2, 50* (Werke-Katalog Nr. 146). Raimundus Lullus, Ars generalis ultima, Prologus, ed. Madre (nt. 5), 6; cf. Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 1, 363. Zur Herkunft dieser absoluten Begriffe siehe W. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis. Historische Umrisse abendländischer Spiritualität in Antike, Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt am Main 1998, 97–148. Das Folgende nach Platzeck, Raimund Lull (nt. 6); A. Fidora/J. E. Rubio (eds.), Raimundus Lullus. An Introduction to his Life, Works and Thought (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 214), Turnhout 2008. Das Haus Aragon: Jaume (Jakob) I. (reg. 1213–1276). Die erste Ehe wurde als Kinderehe vom Papst annulliert, seine zweite Ehe ging Jakob I. mit Jolande ein, der Schwester der heiligen Elisabeth und Tochter Andreas II. von Ungarn. Die beiden Söhne aus dieser Ehe sind Jakob II. von Mallorca (reg. 1276–1311) und Peter III. ‚Pere el Gran‘ von Aragon (reg. 1276–1285). Peter

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Dort wurde er zum Vertrauten und vielleicht auch zum Elementarlehrer des späteren Königs Jacob (Jaume) II. von Mallorca, der 1243 geboren wurde und mithin 10 Jahre jünger war als Lullus. Lull wird 1256 zum Seneschall des Erbprinzen Jakob ernannt. Verheiratet seit 1256, erlebte er 1263 seine Bekehrung, die er später in seiner Autobiographie beschreibt. Von nun an verfolgt er als Lebensaufgabe die Sarazenenmission. Er lernt Latein, nimmt sich vor, ein „durchschlagendes apologetisches Buch“ 11 zu verfassen, kauft einen Sklaven, der ihm Arabisch beibringt, und unternimmt Werbefahrten für die Einrichtung von Sprachenklöstern an den mittelmeerischen europäischen Höfen. Sein Wirkungsgebiet ist das Großkönigreich Aragon, das die Westküste der iberischen Halbinsel, Mallorca, die Provence und Sizilien umfasst. Offensichtlich berät er sich um diese Zeit mit dem uralten Raimund de Peñafort (1175–1275) 12, der schon vorher Sprachkurse in Hebräisch und Arabisch in spanischen Dominikanerklöstern eingerichtet hatte 13. Raimund de Peñafort war die treibende Kraft der Juden- und Sarazenenmisssion im aragonisch-katalonischen Reich. Er stand hinter der Anordnung, die Jakob (Jaume) I. von Katalonien/Aragon 1242 erließ, dass Juden und Muslime an Bekehrungspredigten zum Christentum teilnehmen mussten. Er war Initiator der Disputation in Barcelona 1263, bei der unter Aufsicht des Königs Nachmanides und Pablo Cristiano um den rechten Glauben stritten. Es kam bald nach der christlichen Eroberung Mallorcas zu Massenkonversionen: 1256 berichtet Raimund de Peñafort von 10.000 getauften Sarazenen. Diese Massenkonversionen zeigen, dass diejenigen, die in den eroberten Gebieten blieben, mit dem Religionswechsel rechneten. Die Bekehrungen wurden zwar von König und Kirche als Erfolg des Christentums gefeiert, sie unterlagen aber, was die Glaubensfestigkeit der Konvertiten anbelangte, erheblichem Misstrauen. Deshalb wurde bald zur Erfolgskontrolle der Mission die dominikanische Inquisition eingerichtet. Zurück zu Lullus. 1273, zehn Jahre nach seiner Bekehrung, wurde ihm, wie er in seiner Autobiographie berichtet, in einer Vision auf dem Berg Randa seine philosophisch-theologische Universalmethode offenbart. Ab 1275 war er als Contemplativus Angehöriger des Dritten Ordens der Franziskaner. Er überließ

11 12

13

war verheiratet mit Constantia, der Tochter Manfreds von Staufen und Enkelin Friedrichs II. 1278 zwang er seinen Bruder Jakob III. von Mallorca zum Lehnseid. Nach der ‚Sizilianischen Vesper‘, dem Adelsaufstand gegen die Anjou, wurde er 1282 auch König von Sizilien. Unter Peter III. hatte das Königreich seine größte Ausdehnung. Es wurde in der nächsten Generation geteilt unter Jakob II. von Aragon (reg. 1291–1327), Friedrich II. von Sizilien (reg. 1296–1337) und Sancio von Mallorca (reg. 1311–1324). Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 1, 15. Raimund de Peñafort (1175–1275): 1230 Kanonist in Rom, ab 1238 dritter Ordensgeneral der Dominikaner. Er ist Anreger von Thomas von Aquins ‚Summa contra gentiles‘. Heiliggesprochen am 29. 4. 1601. Ratgeber des Königs Jakob I. von Aragon, dessen Konkubinat er kritisierte; aber seine Missionspläne konnte er beim König durchsetzen. In diesem Kontext ist der ‚Pugio Fidei‘ von Raimundus Martini (Ramon Márti 1220–1285) entstanden.

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seiner Frau, zu deren Ärger, die Sorge um das Familienvermögen und kümmerte sich nur noch um sein Missionswerk 14. Die Höfe, die er bereist und denen er sein Missionswerk mit Verve andient, sind die des Königreichs Aragon/Katalonien, das von Murcia über Barcelona, Montpellier, Mallorca, Neapel bis Sizilien reicht. Lull besucht darüber hinaus den päpstlichen Hof in Rom. 1308 schreibt er in Lyon und Pisa seine ‚Ars Magna generalis et ultima‘ 15 und die sehr wirksame ‚Ars brevis‘ 16. Während seiner beiden Aufenthalte in Paris versucht er vergeblich, bei den Theologen der Sorbonne Fuß zu fassen. Er unternimmt in unregelmäßigen Abständen Missionsreisen nach Nordafrika, wo er seine Missionsmethode – wohl ohne greifbaren Erfolg – anzuwenden versucht. Seine beiden letzten Lebensjahre (1314– 1316) verbringt er in Bugia, Mallorca und Tunis. In Tunis wird er als Missionar angeblich gesteinigt und stirbt auf der Rückreise im Angesicht Mallorcas 17. Er wird als asketisch, bärtig (wegen der Sünden der Christenheit), glatzköpfig dargestellt. Offensichtlich war er eine charismatische – und für seine Zeitgenossen eine entsprechend anstrengende – Persönlichkeit im christlichen Missionsprozess, der mit der Eroberung muslimischer Gebiete im westlichen Mittelmeer einsetzte und im letzten Drittel des 13. Jahrhunderts seinen Höhepunkt erreichte. 3. ‚Liber de gentili et tribus sapientibus‘ Lull hatte sich nach seiner Bekehrung 1263 vorgenommen, das definitive Missionsbuch zu verfassen. Er war in seiner Zeit am mallorquinischen Hof schon vorher als Dichter von Troubadourslyrik hervorgetreten. Nun beschreibt er in seinem provençalisch geschriebenen allegorischen Missionsroman vom ‚Heiden und den drei Weisen‘ (‚Libre de gentil e los tres savis‘) seine neu offenbarten Erkenntnisse. Die Erzählung enthält die Lehre von den Kernbegriffen aller Wissenschaft, die selbstevident sind und jedermann einleuchten, deren Kombination ein Universalwissen erzeugt und die zugleich, wie Lull überzeugt ist, theologisch unwiderlegbare Beweise der Existenz Gottes und des Christentums enthält. Zunächst ist er allerdings noch vorsichtig, was die Evidenz des Christentums für die ‚Heiden‘ betrifft. Der ‚Liber de gentili et tribus sapientibus‘ 18 ist die früheste Exposition der späteren Missionsaktivitäten Lulls. Der Roman stammt in der katalanischen Ver14 15 16 17 18

Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 1, 17. Ibid., vol. 2, 50* (Nr. 146). Ibid., 48* (Nr. 142). Ibid., vol. 1, 40. Ibid., vol. 2, 5 * (Nr. 5). Die hier benutzte Übersetzung legt die lateinische Fassung zugrunde, die in der Salzinger-Ausgabe abgedruckt ist: Beati Raymundi Lulli doctoris illuminati et martyris Opera, ed. I. Salzinger, 8 voll., Mainz 1721–1742 (Neudruck Frankfurt am Main 1965), vol. 2, 21–114; id., Buch vom Heiden und den drei Weisen. ed./trans. T. Pindl, Stuttgart 1998.

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sion von 1273/75; die lateinische Fassung ist später entstanden. Es ist ein zumal für einen mittelalterlichen christlichen Apologeten bemerkenswertes Dokument: Lull vergleicht die drei abrahamitischen Religionen, lässt die Prioritätsentscheidung zwischen diesen Religionen aber offen. Das Werk besteht aus einem Prolog und vier Büchern: 1. Gott und die Auferstehung (das ist Lulls Version einer rationalen Theologie), 2. Der Glaube der Juden, 3. Der Glaube der Christen, 4. Der Glaube der Sarazenen.

4. Bäume evidenter Begriffe Der Prolog beginnt mit der Ankündigung, das Buch sei gleichermaßen für Laien und Fachleute geschrieben. In der folgenden Rahmenerzählung wird von einem Heiden berichtet, der melancholisch über den Sinn des Lebens, seinen Anfang und den Tod nachdenkt. Er zieht sich in die Natur zurück, verirrt sich und entschließt sich endlich, einem beliebigen Weg zu folgen, der ihn in jedem Fall aus dem Wald seiner Wirrnisse führen soll. Zur selben Zeit treffen sich drei Weise, ein Jude, ein Christ und ein Sarazene. Sie gehen in den Wald, in dem der Heide umherirrt und kommen zu einer Quelle mit fünf Bäumen, wo sie die Dame Intelligenz, auf einem Pferd reitend, treffen. Diese Dame erklärt die Bedeutung der fünf Bäume: Der erste Baum hat 21 Blüten (3 × 7) und stellt Gott dar, „den Schöpfer aller Dinge, und die seinem innersten Wesen zukommenden ungeschaffenen Tugenden.“ Gemeint sind: Güte (bonitas ), Größe (magnitudo ), Ewigkeit (aeternitas ), Macht (potestas ), Weisheit (sapientia ), Liebe (amor ), Vollkommenheit (perfectio ). Lull gibt auch die logischen Bedingungen dieser Gottes-Prädikation an: Diese Begriffe müssen Gott sämtlich im höchsten Maße zugeschrieben werden, sie sind alle gleichrangig und sie dürfen sich untereinander nicht widersprechen. Der zweite Baum hat 49 Blüten (7 × 7), er enthält die sieben ungeschaffenen Tugenden des ersten Baums und die sieben geschaffenen Tugenden: Gerechtigkeit (iustitia ), Klugheit (prudentia ), Tapferkeit (fortitudo ), Maß (temperantia ), Glaube (fides ), Hoffnung (spes ) Liebe (caritas ). Untereinander müssen die geschaffenen und ungeschaffenen Tugenden widerspruchsfrei kombinierbar sein. Die geschaffenen Tugenden seien in dem Maße perfekter, in dem sie die sieben ungeschaffenen Tugenden in ihrer höchsten Würde darstellten. Der dritte Baum schließlich vereinigt in seinen 49 Blüten die sieben ungeschaffenen Tugenden mit den sieben Todsünden: Völlerei (gula ), Wollust, (luxuria ), Geiz (avaritia ), Trägheit (acedia ), Stolz (superbia ), Neid (invidia ), Zorn (ira ). Die logische Struktur: Die Tugenden und Laster konturieren sich scharf gegeneinander und können in keiner Kombination zusammenpassen. Der vierte Baum vereinigt die geschaffenen Tugenden und hat, analog zum ersten Baum, 21 Blüten. Die geschaffenen Tugenden, durch deren Ausübung sich der Mensch Verdienste erwirbt, müssen untereinander kompatibel sein.

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Der fünfte Baum endlich verbindet die geschaffenen Tugenden und Laster in 49 Blättern. Auch hier gilt wie beim dritten Baum: Tugenden und Laster konturieren sich gegenseitig und dürfen miteinander nicht kombiniert werden. Die Blüten verkörpern Prinzipien, die offensichtlich allen einleuchten. Das Ziel dieser Erkenntnis ist: „Gott erkennen, lieben, fürchten und ihm vor allen Dingen Ehre und Dienst erweisen“ 19. Nach dieser Einführung in die Prädikatenlehre Gottes verlässt die Dame Intelligenz die drei Weisen. Diese wollen nun anhand der offenbarten Prädikatenlehre Gottes Existenz und Wesen begreifen. Jetzt treffen die drei Weisen den irrenden melancholischen Heiden. Sie wollen ihn trösten, indem sie ihm die Existenz Gottes und seine Prädikate anhand der Blütenallegorese beweisen, die die Dame Intelligenz ihnen mitgeteilt hat. 5. Rationale Theologie und die monotheistischen Religionen Also kombinieren die Weisen im ersten Buch, in dem sie Gott und die Auferstehung demonstrieren wollen, nach der Anweisung der Dame Intelligenz zunächst die göttlichen, unerschaffenen Tugenden: Güte und Größe, Größe und Ewigkeit, Ewigkeit und Macht, Macht und Weisheit, Weisheit und Liebe, Liebe und Vollkommenheit, Güte und Ewigkeit, Größe und Macht, Ewigkeit und Weisheit, Macht und Liebe, Weisheit und Vollkommenheit. Sie beweisen die Existenz Gottes dadurch, dass sie die absolute, selbstverständliche Geltung dieser Prädikate herausstellen. Analog werden die anderen Prädikatenlisten durchkombiniert. Die Menge der so gewonnenen Argumente ist überwältigend; und so muss dem Heiden einleuchten, dass es einen guten Gott gibt und dass die menschliche Seele unsterblich ist. Damit erlangt er die Hoffnung, dass ein gutes Leben seinen Sinn in der Verherrlichung Gottes findet und die Seele sich diesem Gott in der Seligkeit angleicht. Wie nicht anders zu erwarten, überzeugen Lulls drei monotheistische Weise den verstörten Heiden mit ihrem Gottesbeweis. Als aber der Ex-Heide fragt, warum sie sich in ihren einzelnen Glaubensrichtungen dennoch uneins sind, entfalten sie im Lehrgespräch mit dem Heiden und dann in einem Streitgespräch untereinander ihre jeweiligen Lehren. Die Wortführer folgen einander gemäß der Anciennität der jeweiligen Religionen: Zunächst redet der Jude, dann der Christ, zuletzt der Muslim. Bemerkenswert ist, dass Lull alle drei Religionen präzise auf eine Reihe von Katechismus-Topoi eindicken kann. 6. Ein offenes Ende Der Heide wiederholt, nachdem die drei apologetischen Unterweisungen des Juden, des Christen und des Sarazenen abgeschlossen sind, deren Argumente 19

Raimundus Lullus, Buch vom Heiden (nt. 18), 17.

Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili ?

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und betet dann zu Gott. In diesem Gebet ruft er alle Tugenden an, die die Dame Intelligentia anfangs als Blüten der fünf Bäume an der Quelle geoffenbart hatte. Er bittet abschließend um die Verzeihung seiner Sünden und darum, den Gottesdienst ausführen zu können, mit dem Gott „von seinen Dienern bedient werden“ möchte 20. Bemerkenswerterweise gibt es kein klares Ergebnis dieser Apologetik. Denn als der Heide seine Wahl bekannt geben will, kommen andere Heiden, die er seinerseits bekehren möchte. Wozu, bleibt zwar aus dem Duktus des Gesprächs erahnbar, nämlich wohl zum Christentum, aber das wird nicht ausgesprochen. Die drei Religionsvertreter insistieren auch nicht. Im Gegenteil: Das Ergebnis ist ähnlich wie das von Boccaccios und Lessings Ringparabel. Auf die erstaunte Frage des Heiden, ob sie denn nicht wissen wollten, wofür er sich entschieden habe, antworten sie, „sie wollten es nicht wissen, damit ein jeder von ihnen glauben könne, er (scil. der Heide) habe seine Religion gewählt“ 21. Ein solch offenes Ende ist singulär – aber der Monotheismus war damit als Muster einer allgemeinverbindlichen Grundlage aller Religionen eingeführt. Lull selbst hat später versucht, mit Hilfe seiner Kombinatorik das Christentum als diejenige Religion herauszustellen, die zwar komplizierter, aber eben theologisch auch anspruchsvoller sei als die andern beiden abrahamitischen Monotheismen 22. 7. Lulls offenbarte Universalmethode, zugleich rationale Religion In seiner Autobiographie ‚Vita Coëtanea‘ 23, die im Jahre 1311 in Paris entstand, hat Lull den Beginn seiner philosophisch-theologischen Mission als Offenbarungserlebnis auf dem Berge Randa beschrieben. Diese Offenbarung auf dem Berge bedient die biblische Topik: Moses empfing auf dem Berg Sinai die biblischen Gebote, Petrus und Johannes sahen Jesu Verklärung auf dem Berg Tabor. Der Anspruch Lulls ist mithin erheblich. „Post haec Raymundus ascendit in montem quendam, qui non longe distabat a domo sua, causa Deum ibidem tranquillius contemplandi; in quo, cum iam stetisset non plene per octo dies, accidit die, dum ipse staret ibi celos attente respiciens, quod subito Dominus illustravit mentem suam dans eidem formam et modum faciendi librum […] contra errores infidelium“. 24

Man kann zu dieser Selbstaussage stehen, wie man mag, wichtig ist, dass Lull behauptet, seine Wissenschaft sei inspiriert. Die Figur ist christlich platonisierend, sie immunisiert sich damit zugleich gegen säkulare Einwände. 20 21 22 23 24

Ibid., 244. Ibid., 246. Cf. infra das Kapitel zum Beweis der Trinität. Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 2, 66* (Nr. 208). Zitiert nach J. N. Hillgarth, Ramon Lull and Lullism in Fourteenth Century France, Oxford 1971, 9, nt. 40 sq.

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Er schrieb die Ergebnisse seiner logisch-metaphysischen Vision, die im Kern das Konzept seiner Philosophie aus selbstevidenten Begriffen und deren Kombinatorik enthält, nicht allein in dem allegorischen Roman vom Heiden und den drei Weisen nieder, sondern zur gleichen Zeit 273/75 in einer ‚Ars compendiosa inveniendi veritatem‘ (‚Ars Maior‘) 25. Diese enthält im Anhang Definitiones principiorum 26, mit den Kernbegriffen seiner Philosophie, die er in seinen folgenden Werken unentwegt variiert hat. Allerdings waren seine Methode und seine Terminologie ungewöhnlich, und sein Anspruch, die Hauptdogmatik des Christentums ‚rational‘ beweisen zu können, stieß schon zu Lebzeiten auf Widerspruch. Bei seinem ersten Aufenthalt in Paris 1297–99 fand er keine Akzeptanz bei den Theologen und Philosophen, aber er lernte Thomas Le Myésier, Kanoniker von Arras und Magister der Medizin († 1336) kennen, der sein Schüler wurde und seine Schriften sammelte 27 und der ihm wohl auch die Möglichkeit bot, bei den Medizinern Vorlesungen zu halten. Beim zweiten Aufenthalt in Paris 1309–11, wo auch die ‚Vita Coëtanea‘ entstand, legte er sich in seinen Schriften ‚Contra Averroistas‘ mit den Philosophen an und rief gegen diese ‚averroistische Sekte‘, die ihn offensichtlich nicht ernstnahm, sogar die Hilfe des Königs an 28. Der König veranlasste schließlich den Kanzler der Sorbonne, einen Brief für Lull zu verfassen, in dem stand, dass er die Schriften Lulls geprüft und nichts darin gefunden habe, was dem rechten Glauben und der Sittenlehre der Theologie widersprach 29. Als Lull nach Paris reiste, war sein Konzept von Theologie und Philosophie lange stabilisiert. Mit den Kernbegriffen und ihrer Kombinatorik hatte er seine ‚Rationalität‘ grundgelegt und sie zugleich als Theologie installiert. Auf dieser Grundlage glaubte er, die Hauptlehren der christlichen Religion demonstrieren zu können: Gottes dreifaltige Existenz, die Schöpfung der Welt, die Inkarnation des göttlichen Logos durch die Jungfrau Maria, die Erlösung durch den Kreuzestod Jesu, seine Auferstehung, das Jüngste Gericht und die himmlische Seligkeit. Ob er mit dieser Methode Missionserfolge erzielen konnte, ist mir unbekannt – er hat es jedenfalls unverdrossen versucht. Die Kernbegriffe der Theo-Philosophie Lulls sind später, in der ungemein einflussreichen Werkausgabe, die zuerst 1598 in Straßburg bei Zetzner erschien und mehrfach neugedruckt wurde, in einem tabulatorischen Alphabetum zusammengefasst worden 30: 25 26 27 28 29 30

Platzeck, Raimund-Lull (nt. 6), vol. 2, 3* sq. (Nr. 3). Ibid., 4* (Nr. 3a). Ibid., vol. 1, 29. Vgl. Schmidt-Biggemann, Philosophia perennis (nt. 8), 143–148. Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 1, 36. Raimundus Lullus, Opera, Reprint of the Strasbourg 1651 Edition with an Introduction by Anthony Bonner, 2 voll. (Clavis Pansophiae 2,1–2), Stuttgart–Bad Cannstatt 1996, vol. 1, s. p. (vor Seite 1). Lull hat in seiner ‚Ars generalis ultima‘ ein ähnliches Alphabet zusammengestellt, cf. Platzeck, Raimund Lull (nt. 6), vol. 1, 363. Auch bei Athanasius Kirchers ‚Ars Magna Sciendi‘ und im Vorwort zum fünften Band der Salzinger-Ausgabe der Werke Lulls, Mainz 1729 gibt es eine ähnliche Tafel.

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Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili ? Das Lull-Alphabet der Zetzner-Ausgabe A

B

C

Praedi- Bonitas Magnicata abtudo soluta

D

E

Aeter- Potesnitas tas seu Duratio

F

G

H

I

K

Sapientia

Voluntas

Virtus

Veritas

Gloria

Aequalitas

Minoritas

Praedi- Diffecata re- rentia lata

ConContra- Princicordan- rietas pium tia

Medium

Finis

Maioritas

Quaestiones

Utrum

Quid

De quo Quare

Quantum

Quale

Quando Ubi

Quo modo / Cum quo

Subiecta

Deus

Angelus Coelum Homo

Imaginatio

Sensitiva

Vegeta- Eletiva mentativa

Instrumentativa

Spes

Charitas

Patientia

Pietas

Invidia

Ira

Menda- Inconscium tantia

Virtutes Iustitia Vitia

Prudentia

Avaritia Gula

Fortitudo

Tempe- Fides rantia

Luxuria Superbia

Acedia

Den Begriffen, die auf der Tafel versammelt sind, wird eine selbstmitteilende Semantik zugesprochen – bonum diffusivum sui. Diese Selbstmitteilung der Ideen wird als logisches Urteil gefasst: „Bonitas est ens ratione cuius bonum agit bonum.“ 31 Wie ein solches Urteil funktioniert, ist umstritten, jedenfalls wird diese Lehre von der Selbstmitteilung der semantischen Hauptbegriffe in mehreren Büchern vorgestellt, die die universitären Wissenschaften betreffen: Liber principiorum theologiae, philosophiae, iuris und medicinae 32. An diesen Kernideen hat sich Lull sein Leben lang orientiert, sie werden in seinen späten logisch-metaphysischen Werken noch einmal entfaltet werden, zumal in der der ‚Ars Generalis ultima‘ (Lyon 1308) und der ‚Ars brevis‘ (Lyon/Pisa 1308) 33.

31

32 33

Raimundus Lullus, Ars generalis ultima, III (nt. 5), ed. Madre, 21; id., Ars brevis, III, ed. A. Madre (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 38. Raimundi Lulli Opera Latina 12), Turnhout 1984, 212. Platzeck, Raimud Lull (nt. 6), vol. 2, 6* (Nr. 8–11). Ibid., 48*–50* (Nr. 142 und 146).

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II. Lull als theologischer Ketzer und philosophischer Phantast 1. Die Lullistae unter den Augen der Inquisition: Nicolaus Eymerich (vor 1320–1399) und die Folgen Unumstritten war Lulls Lehre offensichtlich nie, zumal bei den Vertretern der Universitätstheologie wurde sie nicht ernstgenommen, Lull galt als „Doctor phantasticus“ 34, seine Lehre als unseriös. Außerdem war sie zum Teil auf Katalanisch verfasst. Diese volkssprachlichen Partien waren deshalb heikel, weil sie lehramtlich nur schwer kontrollierbar waren, denn sie wurden auch in Laienkreisen diskutiert, und das war nach den Erfahrungen mit den Albigensern und Waldensern ein Grund für Häresieverdacht. Auf der anderen Seite war Lulls Theo-Philosophie von Beginn an als Missionsmethode angelegt gewesen und sie beanspruchte, den Erfordernissen der dominikanischen Missionsanstrengungen entgegenzukommen. Gleichwohl hat Lulls Lehre bei der bald nach seinem Tode eingerichteten katalanischen Inquisition 35, außerordentlich langlebige Häresiestreitigkeiten ausgelöst. So ist der eifrigste, ursprünglich von den dominikanischen Missionsorganisatoren geförderte Missionar selbst postum in die Mühlen der dominikanischen Orthodoxiekontrolle geraten. Allerdings zielte die Inquisition, indem sie Lulls Werke zu verbieten versuchte, eher auf seine Anhänger, die Lullisten, als auf Lull selbst. Es war die bête noir der spanischen Inquisition, Nicolaus Eymerich (vor 1320–1399), der sich das Werk Lulls und die Lullistae als Inquisitionsobjekt ausgesucht hatte. Eymerich hat sich an Lull und vor allem den Lullisten nachgerade festgebissen. Er war eine streitbereite und streitfähige Person. Schon in seinem Dominikanerorden konnte er sich mit seinem lebenslangen Konkurrenten, Bernhard Ermengol († 1387), über die Provinzialführung von Katalonien nicht einigen, was die Ordensprovinz spaltete und in eine tiefe Krise stürzte. Die Inquisition war zur Orthodoxiekontrolle des Königreichs Aragonien eingerichtet worden, sie wurde vom König bezahlt, der ein Interesse an der religiösen Homogenität seiner Untertanen hatte. Zugleich war sie ein geistliches Amt, das den Lehren der Kirche verpflichtet war. Das führte unausweichlich zu Spannungen und Friktionen zwischen Politik und Theologie, und hier war Eymerich ein kompromissloser Vertreter der kirchlichen Lehrautorität. Er geriet immer häufiger mit seinem König und Geldgeber Peter IV. von Aragon 36 in Konflikt; als er 1374 den Bischof von Taragona gegen seinen König unterstützte, wurde er 1375 zum ersten Mal ins Exil geschickt und ging an den päpstlichen Hof in Avignon. Der König hatte durchaus ein politisches Interesse daran, dass die Lehren Lulls verbreitet wurden. Sie waren Teil der Missionserfolge bei seinen ehemals 34 35 36

Ibid., 67* (Nr. 210), auch nt. 192. J. Vincke, Zur Vorgeschichte der Spanischen Inquisition. Die Inquisition in Aragon, Katalonien, Mallorca und Valencia während des 13. und 14. Jahrhunderts, Bonn, 1941. Peter IV. „der Feierliche“, (1318–1387, regierte ab 1336) vereinigte das Königreich Aragon/ Katalonien wieder mit Mallorca.

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sarazenischen Untertanen und förderten, weil sie in Katalanisch geschrieben waren, die Bemühungen um die religiöse Homogenisierung seines Reichs. Deshalb hatte er schon seit 1369 verschiedenen Institutionen das Recht zugestanden, nach Lulls katalanischen Schriften zu lehren 37. Genau dieses machte den Inquisitor Eymerich misstrauisch: Es handelte sich um theologisch-philosophische Lehren in der Landessprache nach Texten, die kirchlich nicht approbiert waren. Deshalb beschäftigte er sich von 1372 an mit den katalanischen Schriften Lulls, deren er habhaft werden konnte 38, und stellte Irrtumslisten auf, die er, nach Avignon exiliert, Papst Gregor XI. 39 in lateinischer Fassung vorlegte. Auf Veranlassung Eymerichs schickte der Papst wahrscheinlich 1376 eine Bulle ‚Conservationi puritatis catholicae‘ nach Aragon, in dem er die Untersuchung der Lehren Lulls und die Einziehung seiner Schriften verlangte 40. In Avignon schrieb Eymerich 1376 sein einflussreichstes Buch, das ‚Directorium Inquisitorum‘ 41. Ein Hauptobjekt seines weitgespannten inquisitorischen Eifers waren Raimundus Lullus und die Lullistae. Eymerich sah Lull nicht als irgendeinen Häretiker, sondern als aktuell hochgefährlich, und er polemisierte über Jahrzehnte gegen ihn und seine Anhänger 42. Das ‚Directorium inquisitorum‘ ist in zahlreichen Handschriften überliefert und es wurde im 16. und 17. Jahrhundert häufig neugedruckt. Es enthält unter anderem eine Liste von 100 Irrtümern Lulls 43, und eine der Lullistae mit 12 Punkten 44. Von den 100 Häresien, die sich angeblich in Lulls Werken finden, haben drei in der antilullistischen Tradition besondere Aufmerksamkeit gefunden: Die Prädikatenlehre Gottes 45 (die seiner Einheit entgegenstehe), die Schöpfungstheologie (Werkeinheit Gottes) 46 und die Behauptung, die Trinitätstheologie 47 lasse sich rational beweisen. 37

38 39 40 41

42 43

44 45 46 47

C. Heimann, Nicolaus Eymerich (vor 1320–1399) – praedicator veridicus, inquisitor intrepidus, doctor egregius. Leben und Werk eines Inquisitors (Spanische Forschungen der Görresgesellschaft 37), Münster 2001, 75, nt. 311 Ibid., 77. Pierre Roger de Beaufort (1329–1379. Ab 1370 residierte er als Papst Gregor XI. bis 1376 in Avignon und verlegte den Papstsitz anschließend nach Rom. Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 81. Nr. 9 im ‚Verzeichnis der Werke Eymerichs‘ bei Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 161–209, hier 175–182; E. van der Vekene, Die gedruckten Ausgaben des Directorium inquisitorum des Nicolaus Eymerich, in: Gutenberg-Jahrbuch (1973), 286–297. Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 75–89. 112–117 Folgend zitiert nach der Ausgabe Directorium inquisitorum F. Nicolai Eymerici Ordinis Praedicatorum […], ed. F. Peña, Venedig 1607. Die Liste der Lullschen Irrtümer ibid., II, q. 9, 255C– 260D; cf. die Liste in A. Madre, Die theologische Polemik gegen Raimundus Lullus. Eine Untersuchung zu den Elenchi auctorum de Raimundo male scientium (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge 11), Münster 1973, 147–157. Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 158 sq. Ibid., 100. Ibid., 103. Ibid., 106.

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Eymerich blieb auch nach seiner Rückkehr nach Katalonien 1387 als Inquisitor ein kompromissloser Verfechter seiner Vorstellungen von Orthodoxie. Er ließ sich durch keinen politischen und theologischen Druck von seinen Vorstellungen abbringen. Das brachte ihm eine geschlossene Gegnerschaft sowohl der Städte Valencia, Zaragoza, Barcelona und Lérida als auch des Königs ein 48. Seine Widersacher, selbst Fachleute in politischen und kirchlichen Rechtssachen, beschuldigten ihn, er klage rechtgläubige Bürger an, bereichere sich durch die Inquisitionsprozesse, sei korrupt und erpresserisch, halte sich nicht an Absprachen mit der bischöflichen Obrigkeit und provoziere Unruhe in seinem Orden. Der König, jetzt Johann I. von Aragon (1350–1396, regierte ab 1387), setzte Eymerich daraufhin im September 1392 als Inquisitor ab und verbannte ihn 1393 erneut. Eymerich wehrte sich zunächst heftig gegen dieses Urteil, schickte sich aber 1394 in die erneute Verbannung nach Avignon, wo er bis zum Tode des Königs 1396 blieb. Die verbleibende Zeit bis zu seinem eigenen Tod im Januar 1399 verbrachte er in seinem Heimatkonvent in Gerona. Eymerichs Gegner bemühten sich nach seiner Verbannung weiter, die kirchenrechtlichen Grundlagen seines Wirkens als Inquisitor in Frage zu stellen. Sie bezweifelten die Echtheit der Bulle ‚Conservationi puritatis catholicae‘, auf die er sich bei seinen Inquisitionen berufen hatte und veranlassten 1395, die Register Gregors XI. in Avignon nach der antilullistischen Bulle zu durchsuchen; aber die Bulle ließ sich nicht finden 49. Auch wegen dieses Befundes und wegen des Interesses, das die aragonisch/katalonischen Vertreter auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) daran hatten, Lull offiziell zu rehabilitieren, reiste der Kardinal Alamannus Adimari nach Aragon. Das geschah zwar vor allem, um nach der Wahl Martins V. in Konstanz die Abdankung des Gegenpapstes Benedikt XIII. 50 zu erreichen, was ihm nicht gelang. Aber in der Causa Lulliana erklärte der Vikar des Kardinals, Bernardus Bartolomei am 24. März 1419 in einer Sententia definitiva die Bulle ‚Conservationi puritatis catholicae‘ für nicht authentisch 51. Einhundert Jahre später, 1510, wurde diese Sententia definitiva erneut veröffentlicht 52. In der Mitte des 16. Jahrhunderts war die Lehre Lulls dann erneut Gegenstand heftiger kirchenpolitischer Kontroversen. Obgleich Kaiser Karl V. 1526 das Studium Lulls in Mallorca mit einer erneuten Dotation offiziell unterstützt hatte, kamen Lulls Werke unter dem antihabsburgischen Papst Paul IV. (1555– 1559) im Jahr 1559 auf den ersten römischen Index. Nachdem das Konzil von 48 49

50 51 52

Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 120–142. Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 147; in Eymerich, Directorium II, q. 26, ed. Peña (nt. 43), 311C–312E ist die Bulle Gregors XI. abgedruckt – mindestens in der Fassung, die Eymerich in seinem ‚Directorium‘ zitiert. Ob die Bulle echt ist, ist damit nicht gesagt. Pedro de Luna (1328 oder 1342/43–1423) Avignonesischer Gegenpapst, residierte bis 1408 in Avignon und floh dann nach Aragonien, wo er bis zu seinem Tode lebte. Heimann, Nicolaus Eymerich (nt. 37), 86. T. Carreras y Artau/J. Carreras y Artau, Historia de la Filosofía Española. Filosofia Christiana de los siglos XIII al XV, 2 voll., Madrid 1943, vol. 2, 257.

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Trient, das unter Paul IV. nicht fortgeführt wurde, im Jahre 1562 wiedereröffnet worden war, bemühten sich die katalanischen Vertreter unter der Führung von Luys Joan Vileta um eine Rehabilitierung Lulls. Das Konzil beschloss am 1. Juli 1563, dass alle Indizierungen Lulls aufgehoben seien 53. 1615 wurde er schließlich seliggesprochen. Lull war trotz all dieser säkularen und kirchlichen politischen Anstrengungen aber keineswegs wissenschaftlich und theologisch rehabilitiert. Die Spaltung der Rezeption von Lulls Werken in strikte Gegner und leidenschaftliche Unterstützer setzte sich vielmehr fort, verstärkte sich gar. Es gab vor allem zwei Hauptmotive der Gegnerschaft zu Lull, den Vorwurf, Lulls Wissenschaftskonzept sei nicht seriös und Lull behaupte gegen die orthodoxe Lehre, er könne das Trinitäsdogma philosophisch beweisen. Wichtige Repräsentanten dieser Kritik sind Jean Gerson und der Jesuit Gabriel Vasquez. 2. Jean Gerson (1363–1429): Nova phantasiandi curiositas Zweifellos waren Lulls Methode und seine Terminologie ungewöhnlich, und sein Anspruch, die Hauptdogmatik des Christentums ‚rational‘ beweisen zu können, stieß schon zu Lebzeiten auf Widerspruch. Dieses Misstrauen hielt sich und hält sich noch immer. Evident wurden die philosophisch-theologischen Vorbehalte schon zur Zeit des Konzils von Konstanz. Jean Gerson, später Kanzler der Sorbonne und damals Magister bei den Pariser Theologen, kannte den aragonisch-katalanischen Streit um Lull und das ‚Directorium‘ Eymerichs wohl nicht in extenso, jedenfalls zitiert er das ‚Directorium‘ nicht. Aber er wehrt sich gegen die Lullisten – wohl die Gruppe von Pariser Kartäusern, die sich mit der Lull-Sammlung von Le Myésier beschäftigte. Um 1390 erwirkte er ein Verbot, Lull in der theologischen Fakultät der Sorbonne zu lesen. Die Begründung erfolgte unter Hinweis auf den gefährlichen, extravaganten, von der scholastischen Tradition abweichenden Charakter von Lulls Schriften 54. Gerson hielt 12 Jahre später, 1402, zwei Vorlesungen ‚Contra vanam curiositatem in negotio fidei‘ 55; hier sind Lull und die 53

54

55

Acta B. Raimundi Lulli Majorcensi, Bugiae in Africa Martyris … collecta, digesta et illustrata a Johanne Baptista Sollerio Societatis Jesu Theologo. Antwerpen 1708, 95, Nr. 107 und 98, Nr. 120. Cf. Carreas y Artau/Carreras y Artau, Historia (nt. 52), vol. 2, 257–260. Johannes Gerson, Epistula ad Fratrem Bartholomeum Carthusiensem, ed. L.-E. Dupin, Opera Omnia vol. 1, Paris 1728, 82 (zitiert nach Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 81, nt. 30): „Sic nuper actum est Parisiis per sacram Theologiae Facultatem adversus illos, qui doctrinam quandam peregrinam Raymundi Lullii conabantur inducere. Quae licet sit multis altissima et verissima, quia tamen in aliis discrepat a modo loquendi doctorum sacrorum et a regulis suae traditionis et usitate in scholis, ipsa edicto publico repudiata prohibitaque. Dicam hic, quod sentio: Si tales locutionum modos publicari perciperem apud almam Universitatem Parisiensem, vel per sermones vel per scholas, deducerem protinus ex officio, cui indignus deservio, ad censuram Theologicae Facultati, ut examinaretur, et examinata suum quale meretur iudicium sortiretur.“ Cf. Carreras y Artau/Carreras y Artau, Historia (nt. 52), vol. 2, 88. Gerson, Opera, vol. 1, ed. Dupin (nt. 54), 86–93. 106–113. 122–124.

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Lullisten seine Gegner. Er wendet sich erneut gegen Lulls ungewohnte Terminologie, die theologisch riskant und deshalb irrtumsanfällig sei: „maxime moti sunt magistri nostri et ego, ne doctrina illa Raymundi Lullii publicetur; habet enim terminos a nullo doctore usitatos“. 56 In seinem Traktat ‚De examinatione doctrinarum‘ (1423), also nach dem Konstanzer Konzil und nach der offiziellen Rehabilitation Lulls von 1419, wiederholt er seine Einwände: Lull versuche, seine Methode, die in Mallorca schon an der Universität gelehrt werde, auch an anderen Universitäten zu etablieren. Lulls Lehre überschreite die Grenzen wissenschaftlicher theologischer Begrifflichkeit, die Fakultät solle sich hüten, „novam hanc phantasiandi curiositatem“ 57 zu übernehmen. Drei Jahre später bemüht er dasselbe Argument in der ‚Epistola laudans Bonaventurae doctrinam‘ (1426), allerdings jetzt mit geradezu wütender Polemik. Die Studenten sollten sich vor Lull in Acht nehmen, er vertrete eine „doctrina phantastica et inutilis et vana, plus reddere nata studiosos in ea phantasticos, turbatos et obscuros quam intellectuales et illuminatos […] Caveamus obsecro, ne fiat in doctrinis ecclesiasticis quaedam babylonica confusio idiomatum vel linguarum se mutuo non intelligentium […] Ne se trandant istas phantasias propter periculum laesionis cerebri seu iudicii rationis, ne praeterea tempus consumant ad meliora salubriora praestandum.“ 58

Das waren harte Worte des kompromisslosen Scholastikers und Mystikers Gerson: Lulls Lehre wird als phantastisch, unnütz und nichtssagend disqualifiziert, sie schädige das Gehirn, mache die Studenten zu Phantasten, Wirrköpfen und Obskuranten, sie stürze die kirchliche Lehre in eine babylonische Verwirrung der Terminologien. Wie man sieht, keineswegs das Ende des Streits um die lullistische Orthodoxie, noch lange nicht. 3. Lulls Trinitätsbeweis in der Kritik In Eymerichs Liste von Lulls Glaubensirrtümern lautet die Nr. 96: „Quod omnes articuli fidei, et ecclesiae sacramenta ac potestas Papae possunt probari, et probantur 56

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Gerson, Opera omnia, vol. 1, ed. Dupin (nt. 54), 103. (Zitiert Nach Madre, Die theologische Poelmik [nt. 43], 81, nt. 32): „Etenim si pacta syllabarum tanta sedulitate servant inter se grammatici, ut ait Augustinus, quanta nos urgere debet cura, ut pacta certa terminorum, cum de divinis loquimur, observemus. – Ex consideratione maxime moti sunt magistri nostri et ego, ne doctrina illa Raymundi Lullii publicetur; habet enim terminos a nullo doctore usitatos.“ Ibid., 13 (Zitiert nach Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 82, nt. 33): „Habet ipse Lullius modum traditionis specialem sub magnis voluminibus ad certa nomina, ad characteres et figuras. Sensit eadem Facultas velle traditionem huiusmodi multiplicare per studium. Nam in Aragonia dicitur edoceri. Constituit protinus statutum (quod Patribus Cartusiensibus prope Parisios significavit per litteram; habent enim copiam librorum dicti Lullii), quo statuto prohibebantur omnibus suppositis suis, ne derelinquentes modum doctrinalem sanctorum doctorum per ecclesiam approbatorum, et qui tentus est hactenus in sacrae Theologiae Facultate, transirent ad novam hanc phantasiandi curiositatem.“ Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 83, nt. 38 zitiert Gerson, Contra doctrinam Raymundi Lulli (1423), ed. E. Vansteenberghe, Un traité inconnu de Gerson sur la doctrine de Raymond

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per rationes necessarias, demonstrativas et evidentes.“ 59 Dieser Anklagepunkt ist sicherlich nicht unzutreffend, wenn man Lulls Anspruch, seine Methode eigne sich besonders zur Mission von Muslimen, Juden und Heiden, bedenkt; und er hat diese Ansicht auch durch seine lebenslange Praxis zu rechtfertigen versucht. Lulls Rationalitätsprätention war dogmatisch nicht einfach zu begründen – und ein Kern aller Begründungsschwierigkeiten war die Lehre von der Dreifaltigkeit Gottes. Aber gerade diese Lehre war der entscheidende Punkt der Differenzen zwischen Christentum, Islam und Judentum; und wenn die dogmatischen Wahrheiten des Christentums rational beweisbar sein sollten, dann galt das gerade für die Lehre von der Trinität. Schon im ‚Gespräch des Heiden mit den drei Weisen‘ war dieser Punkt prominent behandelt worden; und es bestehen keine Zweifel, dass Lull davon überzeugt war, die Trinität mit seiner Methode beweisen zu können; 1305 hat er das in einem eigenen Traktat versucht: ‚Liber de demonstratione per aequiparantiam‘. Das kurze Buch ist 1305 in Montpellier entstanden 60. Die entscheidenden Punkte dieser Demonstration sind folgende: 1. Die Frage nach der aequiparantia. 2. Die Wirkweise der göttlichen Prädikate. a) ‚Aequiparantia‘ ist ein Kunstwort, das von aequiperare oder aequiparare (gleichmachen) stammt. Lull verwendet es, um die Selbstentäußerung Gottes in seinen absoluten Prädikaten zu beschreiben. Die Denkfigur besteht darin, dass die absoluten Prädikate sich mitteilen und deshalb einsichtig sind. Weil sie absolut sind, können sie ihrerseits durch nichts als durch sich selbst evident und einsichtig werden. Im Kern handelt es sich um eine trinitarische Figur: Gott entäußert sich in seinen Sohn, den Logos, und wird dadurch zum Vater. Das reziproke Verhältnis von Vater und Sohn wird als Liebesverhältnis gefasst: die Personalisierung dieses Verhältnisses ist der Heilige Geist. Diese Figur der Selbstentäußerung in gegenseitiger Liebe repetiert sich in allen göttlichen Prädikaten 61. Die entscheidende Denkfigur der aequiparantia besteht darin, dass sich die Prädikate Gottes selbst offenbaren. Sie sind absolut, das bedeutet, sie können ihrerseits nicht begründet werden. Lull hat diese Idee immer wieder beschrieben: diese Ideen sind diffusivum sui. Das ist im Prinzip die Figur der Emanation, spontane Selbstentäußerung. Lull wendet sie auf die absoluten Prädikate an, die

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Lulle, in: Revue des Sciences Religieuses 16 (1936), 441–473. Cf. Carreras y Artau/Carreras y Artau, Historia (nt. 52), vol. 2, 94–98. Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 156. Platzeck (nt. 6), vol. 2, 46* (Nr. 133). Kritische Edition: Raimundus Lullus, Liber de demonstratione per aequiparantiam, ed. A. Madre (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 35. Raimundi Lulli Opera Latina 9), Turnhout 1981, 216–231. Ibid., 216: „Quoniam quidquid demonstratum fuit ab antiquis, fuit demonstratum propter quid aut propter quia. Et subiectum huius libri sit inuestigare distinctionem in diuinis personis per demonstrationem. Quae quidem demonstratio non potest fieri propter quid, ex eo quia Deus non habet supra se aliquid; et demonstratio quia non est potissima. Idcirco intendimus probare distinctionem in diuinis per aequiparantiam et aequiualentiam actuum diuinarum rationum. Cum igitur demonstratio, in quantum huiusmodi procedat ex primis ueris immediatis et necessariis principiis, ideo per talia principia uolumus formare et inuenire huiusmodi demonstrationem, quam aequiparantiam nominamus. Et sicut exemplificabimus in diuinis, ita in aliis scientiis suo modo poterit demonstrari.“

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er als göttlich bestimmt. Es geht um ein neuplatonisches Argumentationsmuster. Das Hauptproblem lieg darin, dass die Erkenntnis dieser Denkfigur als begriffliches Urteil gefasst werden soll: und dann handelt es ich um ein identisches Urteil. ‚Das Gute gütet‘. Ein solches Urteil lässt sich formal nicht für einen aristotelischen Syllogismus verwenden, denn für einen Syllogismus braucht man ein Urteil mit semantisch unterschiedlichen Begriffen. Darüber hinaus ist es, zumindest für Aristoteliker, nicht ausgemacht, ob die Erkenntnis des Guten als Gutem a priori evident ist. Formal ist jedes identische Urteil evident, aber das heißt noch nicht, dass die Intension, i. e. die Erkenntnis des Guten als Gutem a priori einsichtig ist; diese Erkenntnis ist von den Bestimmungen abhängig, die vom Guten unterschieden sind und die als differente Prädikate das Gute erst als das erkennbar machen, was es ist 62. Für den Zusammenhang von Lulls Konzept der aequiparantia bedeutet das: Ein Urteil wie: ‚das Gute gütet‘, ist zwar formal ein Urteil, aber es ist semantisch leer. b) Die Wirksamkeit göttlicher Prädikate: Aristotelisch umfasst Wirken ein aktives und ein passives Moment. Dadurch, dass beide Momente zusammenwirken, kommt die Aktualisierung zustande. Diese Figur des Verwirklichens impliziert eine Differenz zwischen actio und passio sowie die Vereinigung beider Momente in der Realisierung. Genau in dieser Figur sieht Lull die Erkenntnismöglichkeit der Trinität. Das Buch über die aequiparantia gliedere sich, schreibt er, in drei Distinktionen: „Prima est ad probandum distinctionem in diuinis. Secunda est ad probandum, quod sunt tres personae diuinae, et non plures, neque pauciores. Tertia est ad probandum, quod hae personae sunt Pater et Filius et Spiritus sanctus. “ 63. Diese innergöttliche Dynamik interpretiert Lull als Aktionen der göttlichen Prädikate; sein Beispiel ist die göttliche Güte: „Vbicumque est concordantia, ibi est pluralitas. Sed in bonitate Dei est concordantia; ergo in bonitate Dei est pluralitas. Maior est euidens, quia probata est superius in prologo. Minor declaratur sic: Quia ubicumque est actus, ibi est concordantia agentis et agibilis in ipso actu. Sed in diuina bonitate est actus, scilicet bonificare, ut demonstratum est; ergo, etc. Relinquitur ergo, quod sit distinctio in diuina bonitate inter bonificantem, bonificabilem et bonificare“. 64

Er geht sogar davon aus, dass sich das Verhältnis von bonificans, bonificabilis und bonificare in einer Art Syllogismus fassen lasse; und damit ‚beweist‘ er die Trinität: ‚Bonificare‘ umfasse als propositio maior die Aktionen ‚bonificans‘ und ‚bonificatio‘; folglich seien diese die propositiones minores dieses merkwürdigen Syllogismus: Im Prozess der Verwirklichung (maior ) des Guten sei der Vater das aktive 62

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Hegel fasst diese Bestimmungen als Negationen. In diesem Sinne sind das Nützliche, das Schöne, das Bekömmliche, aber auch das Schlechte etc. Negationen, die das Gute erst bestimmen. Das entspricht der aristotelischen Begriffsbestimmung des Ti kata tinos. Raimundus Lullus, Liber de demonstratione, ed. Madre (nt. 60), 222. Ibid., d. 1, 222. Der Gedankengang ist analog zum ‚Sefer Jezira‘ § 1: Gott schuf die Welt in drei sefarim: mit sefer, sefar, sippur. Eine mögliche Übersetzung lautet mit ‚Zählen‘, ‚Zählender‘, ‚Gezähltes‘, cf. Sefer Jezira. Buch der Schöpfung, ed. K. Herrmann, Frankfurt/Main–Leipzig 2008, 11 und Kommentar, ibid., 225.

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Moment, er produziere (minor ) „de tota sua Essentia et natura […] agibilem sive actum“ 65, den Sohn (minor ). Dieses alles sei der Verwirklichungsprozess des bonificare, der sich im Verhältnis von bonificans und bonificatum vollziehe. Dieser Verwirklichungsprozess könne nur als Liebesprozess begriffen werden; und der Prozess der Liebe heiße Heiliger Geist. In diesem zweiten Beweisschritt sei die Liebe, also der Heilige Geist, die propositio maior, die Vater und Sohn verbinde 66. Wie immer man diesen Beweisgang beurteilt, um einen aristotelischen Syllogismus handelt es sich nicht. Die gründlichste Auseinandersetzung mit dem Anspruch Lulls, die Trinität logisch beweisen zu können, stammt von dem Jesuiten Gabriel Vázquez (1549– 1604). Sie findet sich in seinem Kommentar zur thomanischen ‚Summa Theologiae‘, der 1598 in Alcalá erschien und mehrfach neugedruckt wurde 67. Das war mehr als 40 Jahre nach dem Abschluss des Konzils von Trient, auf dem Lull Orthodoxie attestiert worden war. Aber diese politisch erzwungene Orthodoxie scheint nicht durchgängig akzeptiert worden zu sein. Vázquez untersucht den trinitarischen Beweis in Lulls ‚Liber Aequiparantiae‘; er kann ihn nicht akzeptieren und stellt im Bezug auf die Syllogismen Lulls denn auch kategorisch fest: „Verum hae rationes non solum demonstrationes non sunt, sed etiam eas nullius esse momenti, statim apparet“. 68 Aber seine Kritik geht weiter. Er kann auch die Voraussetzungen der Lullschen Philosophie, die auf der unmittelbaren Evidenz apriorischer Begriffe beruhen, wie sie im Alphabetum cogitationum humanarum zusammengestellt wurden, nicht teilen 69. Vielmehr geht er davon aus, dass Lulls absolute Begriffe nur Abstraktionen von Erfahrungen seien und dass sie mithin als Allgemeinbegriffe sekundäre Intentionen, keineswegs hingegen prima cognita seien. Darüber hinaus hat Vázquez Vorbehalte gegen die Übertragung menschlicher Erkenntnis- und Willensakte auf den dreifaltigen Gott. Diese Analogie hatte Lull in seinem Beweis vorausgesetzt, wenn er die Selbsterkenntnis des Vaters im Sohn und das Liebesverhältnis zwischen Vater und Sohn – einen 65 66

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Raimundus Lullus, Liber de demonstratione, d. 3, ed. Madre (nt. 60), 229. Ibid., 228: „Et primo sic: Omne illud est dare in diuina bonitate, per quod bonificans est in maiori actione, et bonificatum in maiori passione respectu bonificantis. Sed hoc est per paternitatem et filiationem; ergo in diuina bonitate est dare paternitatem et filiationem, et per consequens Patrem et Filium. Maior est euidens per se. Minor sic declaratur: Quia agens, qui est Pater, de tota sua essentia et natura producit agibilem siue actum Filium; quod non faceret, nisi esset Pater. Item: Omne illud est dare in diuina bonitate, per quod bonificare est maior actus bonificantis et bonificati. Sed hoc est per amare; ergo in diuina bonitate est amare; quod Spiritum sanctum uocamus. Maior de se patet. Minor sic demonstratur: Quia bonificare sine amare non posset esse infinitum et aeternum. Et sicut probauimus Patrem et Filium et Spiritum sanctum in diuina bonitate per maioritatem actionis et passionis et ipsius actus, sic potest probari in diuina magnitudine, aeternitate; et sic de aliis suo modo.“ Gabriel Vázquez, Commentariorum ac disputationum in (partes) S. Thomae, 8 voll., Alcalá 1598–1615. Id., Commentariorum ac disputationum in I. partem S. Thomae, Tomus Secundus, disp. 133, c. 1 (q. 32, a. 1), Alcalá 1598, 194a. Ibid., disp. 133, c. 4, 197b: „Semper enim assumit author propositiones, que ipsi evidentes esse, mihi tamen nec probabilitatis aliquam speciem habere videntur.“

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Willensakt – als Heiligen Geist gefasst hatte. Der lebendige trinitarische SelbstProduktionsprozess sei, so Vázquez, nicht mit menschlicher Vernunft allein beweisbar. Wir hätten keinen Einblick in die Art und Weise göttlichen Handelns, wenn dieses nicht dem Glauben offenbart worden sei. Zwar sei durch die Vernunft erkennbar, dass Gott Intellekt und Willen habe, aber wie er diese Fähigkeiten ausübe, könne nur durch den Glauben erkannt werden: „Et nisi fides id doceret, diceremus actum intelligendi et volendi esse in Deo suam substantiam, non operationem, et a nobis solum concipi per modum operationis et actus“. 70 Vásquez kann als konzeptualistischer Aristoteliker mit Lulls logisch-genealogischer Begründung der trinitarischen Selbstkonstitution Gottes nichts anfangen. Aus seiner Perspektive behauptet er deshalb zu Recht, dass es sich bei Lulls Spekulationen – sofern sie allein vernünftig und nicht zugleich offenbarungsgestützt zu sein prätendierten – allein um Beschreibungen von menschlichen geistigen Akten handele, die unberechtigterweise auf Gott übertragen würden. Er bezweifelt deshalb „evidenter esse in Deo realem concordiam in actu bonificandi inter bonificativum et bonificabile, sed solum nostro modo intelligendi, quo haec distinguuntur.“ 71 Und so konstatiert er am Ende ironisch: „Ego quidem vehementer miror, quam facile hic author sibi persuadere potuit, has esse perspicuas, et evidentes demonstrationes huius mysterii: cum non solum frivolae sint; verumtamen aliqua contra nostram fidem ex illis sequi videantur absurda.“ 72 4. Lull als Ketzer Nicolaus Eymerichs ‚Directorium Inquisitorum‘, das 1376 während seines ersten Exils in Avignon entstanden war, erwies sich als wirksamer als alle konziliaren Rehabilitationsversuche. Eymerich hatte Lull nicht als irgendeinen Häretiker gesehen, er hatte vielmehr gegen ihn und die Lullisten 73 als Erzketzer über Jahrzehnte polemisiert 74. Das könnte man als idiosynkratische Obsession Eymerichs auf sich beruhen lassen, aber dadurch, dass das ‚Directorium inquisitorum‘ 70 71 72 73

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Ibid., disp. 133, c. 2, 194a (cf. Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 110). Ibid., disp. 133, c. 1, 194a (cf. Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 110). Ibid., disp. 133, c. 2, 194b (cf. Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 111). Der Vorwurf lautete auf Bildung einer Sekte. Nicholaus Eymerich, Fascinatio Lullistarum f. 96b(Avignon 1394/95), ed. J. de Puig Oliver, La „Fascinatio lullistarum“ de Nicolau Eimeric: edició i estudi, in: Arxiu de textos catalans antics 3 (1984), 29–58, 39: „a quodam Lull phantastico nigromantico haeresum seminatore dicti Lullistae“. Hier auch Bezug auf die ‚Ars brevis‘ (f. 96c–f. 99b, ed. de Puig Oliver, 42–55) und ‚Ars magna‘ (f. 99b–f. 100v, ed. de Puig Oliver, 55–58); 12 Irrtümer der Lullisten, cf. Nicolaus Eymerich, Directorium II, q. 9, ed. Peña (nt. 43), 260D– 261D; Liste bei Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 158 sq. Antilullistische Schriften Eymerichs: 1. Informatio inquisitoris (Gerona 1374); 2. Directorium Inquisitorum (Avignon 1376); 3. Tractatus contra doctrinam Raymundi Lulli (Avignon 1389); 4. Dialogus contra Lullistas (Avignon 1389); 5. De duplici natura in Christo (Avignon 1390); 6. Fascinatio Lullistarum. (Avignon 1394/95); 7. Incantatio universitatis studii Ilertensis (Avignon 1396).

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in zahlreichen Handschriften überliefert und im 16. und 17. Jahrhundert häufig neugedruckt wurde 75, blieb die Einschätzung Lulls als Häretiker ständig virulent. Das ‚Directorium‘ war eben nicht irgendeine Inquisitionsbagatelle. Vielmehr diente es international als Handbuch in Inquisitionsprozessen und hatte deshalb eine Wirkung, die mit dem ‚Hexenhammer‘ von Sprenger und Institoris verglichen werden kann. Das ‚Directorium‘ umfasst drei Teile: Der erste Teil: De fide Catholica stellt die kirchenrechtlichen Grundlagen des Glaubens vor; vor allem die Dekretalen, die katholischen Glaubensbekenntnisse in ihren verschiedenen Fassungen sowie die zugehörigen Konzilsbeschlüsse. Ein Fragenkatalog mit zwölf Punkten macht diesen Teil inquisitionsgeeignet. Der zweite Teil umfasst die Dekrete gegen die Häretiker, die im Kirchenrecht zusammengestellt sind, enthält eine Liste „omnium fere haereticorum tam veterum quàm recentiorum sectas, nominas, & errores“ 76, und beschäftigt sich auch einlässlich mit Blasphemien, Sortilegien, Dämonenanrufungen und Apostasien. Der dritte Teil enthält das Prozessrecht und legt die Ausbildungsvoraussetzungen der Inquisitoren fest, die Formen von Anklagen, Denunziationen und die zugehörigen Inquisitionsformen. Das Werk endet mit einer Liste von 131 Fragen „quibus dirimit omnem fere difficultatem spectantem, vel ad iudices violatae religionis, vel ad eorum potestatem, et iurisdictionem, et privilegia, seu praerogativas, vel ad ministros Sancti officii, vel ad peritos, et advocatos, vel ad testes, vel ad reos, vel ad poenas reorum“ 77. Unter den im zweiten Teil des ‚Directoriums‘ aufgeführten Ketzern figurieren prominent Lullus und die Lullistae. In 100 Punkten sei die Lehre Lulls häretisch 78, die Lullistae werden in 12 Punkten der Häresie beschuldigt 79. Das ‚Directorium‘ enthält auch eine Liste von 20 Büchern Lulls, die verdammt worden sind 80. Lull fand sich in der Gesellschaft prominenter Häretiker, Michael Cesena, Arnaldus de Villanova oder Petrus Valdes, mit Beginen und Begarden, und die Liste seiner Irrtümer ist sehr erfolgreich geworden. Besonders wirksam war sie durch ihre Neuveröffentlichung im ‚Catalogus haereticorum‘ Bernhards von Luxemburg 81, der zuerst 1522 in Köln erschien. Zwölf Jahre zuvor, 1510, war zwar die Sententia definitiva von 1419, in der Lulls Rechtgläubigkeit bestätigt worden war, erneut veröffentlicht worden, 82 aber Eymerichs und Bernhards Denunziati75 76 77 78 79 80

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Cf. supra, nt. 37. Nicolaus Eymerich, Directorium, ed. Peña (nt. 43), s. p. [11]. Ibid., s. p. [11]. Ibid., 255C–260D (cf. Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 147–157). Ibid., 260D–261D. Ibid., II, q. 25, 311B: „Liber de philosophia amoris. liber de centum Dei nominibus. liber contemplationum. liber de vii. arboribus. liber de Ecclesiasticis proverbiis. liber de confessione, contritione, sati[s]factione, & oratione. liber de orationibus, liber amari et amici. liber de benedicta tu, liber de beata Maria. liber de articulis fidei. liber de doctrina puerili. liber de planctu Raymundi. liber de intentionibus. liber de arte amatiua. liber de tentatione. liber de oratione:& est alius à praedicto. liber de anima. liber sententiarum. liber apostolicon.“ Zuerst 1522 in Köln, bis 1537 10 Neuauflagen. In seinen Aussagen über Lullus stützt sich Bernhard auf das ‚Directorium‘ von Eymerich. Cf. supra, nt. 51.

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onen Lulls überdeckten diese Rehabilitation. Bernhard stützt sich bei seinen Aussagen über Lull in seinem ‚Catalogus haereticorum‘ auf Eymerichs ‚Directorium‘. Aber er verschärft die Häresieanklage zum Teufelsbund und behauptet, Lulls Lehre sei vom Teufel eingegeben worden. Er charakterisiert Lull wie folgt: „Raymundus Lulli, Catalanus, de civitate Maioricarum, laicus, multa edidit opuscula sapienta haeresim, scilicet Libellum de daemonum invocatione 83, et alia in vulgari Catalonico. Et doctrinam suam habuit a diabolo, licet ipse asserat, quod eam habuit in quodam monte a Christo sibi apparente in forma crucifixi; quae omnia Petrus archiepiscopus Tarracensis, f. Nicolaus Eymerici sententialiter condemnaverunt. In quibus voluminibus reperti sunt errores ultra 50“. 84

Und dann folgen sechs Irrtümer, die als Merkmale des häretischen Lullismus figurieren: „1) Deus habet multas essentias (art. 1 Eymerici) 2) Deus Pater est antequam Filius (art. XI Eym.) 3) Divina essentia non est otiosa, sed essentia essentiat, natura naturificat, bonitas bonificat et cetera (art. II Eym.) 4) Spiritus Sanctus est conceptus de patre et filio (art. XIX Eym.) 5) Interficientes hareticos sunt iniuriosi et vitiosi (art. XCIX Eym.) 6) Deus quando sibi apparuit crucifixus, contulit sibi pro huius saeculi tenebris illustrandis Artem istam, quae est generalis ad omnem scientiam, et naturalem et medicinam et ad iura, et valet specialiter ad destruendum errores (art. C Eym).“ 85

In Laurentius Beyerlincks einflussreicher, bis ins 18. Jahrhundert aufgelegter Enzyklopädie ‚Theatrum Vitae Humanae‘ 86 figuriert Lull als Alchemist, und er taucht auch in der zugehörigen Ketzerliste auf. Dass die Unterstellung Bernhards, Lull habe seine Lehre der Universalwissenschaft vom Teufel bekommen, dazu beigetragen hat, dass unter Lulls Namen zahlreiche alchemistische Schriften erschienen, ist möglich, aber naturgemäß nicht beweisbar 87. III. Die Blüte des Lullismus 1. Lullistae im 15., 16. und 17. Jahrhundert Trotz der Ketzereivorwürfe gegen Lull begann vom 15. Jahrhundert an eine neue Blüte des Lullismus im Königreich Spanien und nördlich der Alpen 88. 83

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Bernhard verwechselt hier Raimundus Lullus mit Raymundus de Tárrega. Der ‚Liber de daemonum invocatione‘ stammt nämlich nicht von Lull, sondern von Raymundus de Tárrega, cf. Madre, Die theologische Poelmik (nt. 43), 79, Anm. 25. Bernardus de Luxemburg: Catalogus haereticorum III, lit. R, Köln 1537 (zitiert nach Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 80, nt. 26). Ibid. (zitiert nach Madre, Die theologische Polemik [nt. 43], 79). Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae, 8 voll. (Zuerst zusammengestellt von Theodor Zwinger (Basel 1565, 1586/87, Köln 1631, zuletzt Venedig 1707); zu Lull als Alchemist cf. ibid., vol. 2., Venedig 1707, 205 (Chymia); Lull auf einer Liste der Häretiker, ibid., vol. 4, Venedig 1707, 48. M. Pereira, The alchemical corpus attributed to Raymond Lull, London 1989. Cf. auch W. Schmidt-Biggemann, Llull, Leibniz, Kircher and the History of Lulism in the Early Modern Era. In: Vega/Weibel/Zielinski (eds.), Dia-Logos (nt. 1), 38–61.

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Ramon de Sibiuda (Sebonde – Raimundus Sabundus, 1385–1436) schrieb einen sehr erfolgreichen lullistischen ‚Liber creaturarum‘, den Montaigne 1569 übersetzte und der als ‚Theologia naturalis‘ bis ins 19. Jahrhundert immer wieder aufgelegt wurde 89. Der junge Nikolaus von Kues reiste 1428 90 nach Paris, um in der Kartause Vauvert sowie an der Sorbonne Manuskripte des Katalanen zu studieren 91, und er machte sich ausführliche Notizen 92. Er war wie Lull davon überzeugt, die Rationalität des Christentums, die er als konjektural auffasste, müsse auch den ‚Sarazenen‘ einleuchten. Diese Überzeugung formulierte er ausführlich in seiner ‚Cribratio Alchorani‘ 93. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts war Lull dann erneut Gegenstand von Studien in Paris: Faber Stapulensis 94, Carolus Bovillus 95 und Bernhard de Lavinheta 96 interessierten sich für die Werke des Mallorquiners. Zugleich wurden wichtige Werke Lulls gedruckt: die ‚Ars brevis‘, die ‚Ars generalis ultima‘ 97, der ‚Liber lamentationis philosophiae‘ 98 auch die unechte, aber sehr erfolgreiche ‚Logica brevis‘ 99. Vor allem aber war es Agrippa von Nettesheim mit seinem oft nachgedruckten Kommentar zur ‚Ars brevis‘ (zuerst 1533), der die lullistische Philosophie 89 90

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Theologia naturalis seu liber creaturarum. Sulzbach 1852. Neudruck mit einer literargeschichtlichen Einleitung […] von Friedrich Stegmüller. Stuttgart–Bad Cannstatt 1966. E. Colomer, Nikolaus von Kues und Raimund Llull. Aus den Handschriften der Kueser Bibliothek. Berlin 1961; R. Haubst, Der junge Cusanus war im Jahre 1428 zu Handschriftenstudien in Paris, in: Mitteilungen und Forschungsbeiträge der Cusnaus-Gesellschaft 14 (1980), 198–205; F. Hamann, Das Siegel der Ewigkeit. Universalwissenschaft und Konziliarismus bei Heymericus de Campo (Buchreihe der Cusanus-Gesellschaft 16), Münster 2006, 243 sqq. Hillgarth, Joycelyn Nigel: Ramon Lull and Lullism in forteenth Century France. Oxford 1971 beschreibt die Entstehung der Lull-Sammlungen und deren Bestand ausführlich. U. Roth (ed.), Cusanus Texte III. Marginalien, 4. Raimundus Lullus. Die Exzerptensammung aus Schriften des Raimundus Lullus im Codex Cusanus 83 (Schriften der Philosophisch-historischen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften 13), Heidelberg 1999. W. Schmidt-Biggemann, Logostheologie als Missionskonzept. Christentum und Islam bei Nikolaus von Kues und Guillaume Postel. In: Cusanus Jahrbuch 8 (2016–2018), 63–94. E. F. Rice, Jr. (ed), The Prefatory Epistles of Jacques Lefèvre d’Etaples and Related Texts, New York–London 1972 passim; cf. P. Edgcumbe Hughes, Lefèvre. Pioneer of Eccesiastical Renewal in France, Grand Rapids Mich. 1984, 11–15. Carolus Bovillus, Liber de intellectu, Liber de sensibus, Libellus de nihilo, Ars oppositorum, Liber de generatione, Liber de sapiente, Liber de duodecim numeris, Philosophicae epistolae, Liber de perfectis numeris, Libellus de Mathematicis rosis, Liber de mathematicis corporibs, Libelluns de Mathematicis supplementis. Paris 1510 (Neudruck. Stuttgart–Bad Cannstatt 1970). Bernhardus de Lavinheta: Explanatio compendiosaque applicatio artis Raymundi Lullii, London 1523 (Neudruck mit einer Einleitung von E.-W. Platzeck, Hildesheim 1977). Cf. E. Rogent/E Duràn, Bibliografia de les impressions lullianes, 3 voll. (Bibliografies Lullianes 1–3), Barcelona 1927 (Nachdruck: Palma 1989–1991). Von der ‚Ars brevis‘ gibt es zehn Drucke zwischen 1480 und 1578, Kritische Ausgabe der Ars brevis, ed. Madre (nt. 31), 171–255, die ‚Ars generalis ultima‘ wurde drei Mal zwischen 1480 und 1517 gedruckt. Kritische Ausgabe, ed. Madre (nt. 5); cf. A. Bonner, Introduction, in: Raimundus Lullus, Opera (nt. 30), vol. 1, 21* und 42* sq. Duodecim principia philosophiae Re mundi Lulli quae et lamentatio seu expostulatio philosophiae contra Auerroistas et Physica eiusdem dici possunt, Paris 1516 und 1518. Bis 1508 acht Ausgaben, cf. Bonner, Introduction, in: Lullus, Opera (nt. 30), vol. 1, 21*. 44* sq.

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nördlich der Alpen populär machte 100. Cornelius Gemma (1535–1579), Arzt, Mathematiker, Astronom, schrieb ‚De arte Cyclognomica‘ 101; und der Jurist und Philosoph Pierre Grégoire (1540–1617), verfasste eine eigenständige lullistische Logik 102. Mit der sehr erfolgreichen Lull-Ausgabe, die zuerst 1598 bei Zetzner in Straßburg erschien, mehrfach nachgedruckt wurde und zahlreiche Kommentare zur Lull’schen Kombinatorik enthielt 103, begann die Blüte des Lullismus in der Spätrenaissance 104. Die wichtigsten Vertreter dieser Spätphase des Lullismus sind Johann Heinrich Alsted 105, Giordano Bruno 106, der Theologe und Kapuzinermönch Yves de Paris 107 und der kastilische Mathematiker und Philosoph Sebastian Izquierdo 108. Athanasius Kirchers ‚Ars magna sciendi‘ gehört in diese Periode, die mit Leibniz’ Versuch, die Kombinatorik mathematisch zu fassen, und der großen, unvollendeten Lull-Ausgabe von Ivo Salzinger 109 endet.

2. Athanasius Kirchers ‚Ars Magna Sciendi‘ Athanasius Kircher und Gottfried Wilhelm Leibniz sind wohl die bedeutendsten Lullisten der Frühen Neuzeit. Sie haben sich mit dem Werken Lulls gründ100

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Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, In Artem brevem Raymundi Lullii Commentaria, Salingisci [Solingen] 1533. Danach mehrfach neu aufgelegt, unter anderem in der Lull-Ausgabe von Zetzner, Raimundus Lullus, Opera (nt. 30), vol. 2, 787–916. Cornelius Gemma, De arte Cyclognomica, Antwerpen 1569. Petrus Gregorius Tholosanus, Syntaxeon artis mirabilis libri VII Lyon 1581. Raymundi Lulli Opera ea, quae ad inventam ab ipso artem universalem scientiarum artiumque omnium brevi compendio firmaque memoria apprehendarum locupletissimaque vel oratione ex tempore pertractandarum pertinent, ed. Lazarus Zetzner. Straßburg 1651 (frühere Drucke 1598, 1609, 1617). Neudruck: Raimundus Lullus, Opera (nt. 30). Französische Teilübersetzungen erschienen 1632 und 1634. Thomas Leinkauf, Lullismus, Kircher, in: H. Holzhey/W. Schmidt-Biggemann (eds.), Grundriss der Geschichte der Philosophie, begründet von Friedrich Ueberweg. Abt. 4: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts, Bd. 4: Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Nord- und Ostmitteleuropa, Völlig neubearbeitete Ausgabe. Basel 2001, 239–290. Johann Heinrich Alstedt, Clavis artis Lulliana et verae logices duos in libellos tributa, zuerst Straßburg (Zetzner) 1609. Zu Alsted cf. supra, nt. 2. Giordano Bruno, De lampade combinatoria Lulliana, Wittenberg, 1587; id., De progressu et lampade venatoria logicorum, Wittenberg 1587 (Neudruck: Raimundus Lullus, Opera [nt. 30], vol. 2, 735–786); id., De lulliano specierum scrutinio et De lampade combinatoria, Prag 1588 (Neudruck: Raimundus Lullus, Opera [nt. 30], vol. 2, 664–734). Yves de Paris, Digestum sapientiae, in quo habetur scientiarum omnium rerum Divinarum atque humanarum nexus et ad prima principia reductio. Paris 1648. Zu diesem Werk und seinem Verfasser cf. Charles Chesneau Le Père Yves de Paris et son temps (1590–1678), 2 voll., Paris 1946. Sebastian Izquierdo SJ, Pharus scientiarum, ubi quidquid ad cognitionem humanitus acquisibilem pertinet, ubertim iuxta atque succinte pertractatur, Lyon1659. Cf. R. Ceñal, La combinatoria de Sebastián Izquierdo; ‚Pharus Scientiarum‘ (1659) Disp. XXIX De combinatione, Madrid 1974. Cf. supra, nt. 18.

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lich auseinandergesetzt, ihre Stärken und Schwächen ausgelotet und Lulls Kombinatorik weiterentwickelt. Wie Lull sind auch sie am Anspruch gescheitert, eine funktionierende Scientia de omni scibili zu invenieren. Aber die Versuche zur Universalwissenschaft, die sie vorgelegt haben, haben sich in unterschiedlicher Weise als Meilensteine der Wissenschaftsgeschichte erwiesen. Es lohnt sich deshalb, die beiden Gelehrten kurz einzeln vorzustellen. Athanasius Kircher wurde am 2. Mai 1602 als Sohn von Johann Kircher, Professor der Theologie, in der Nähe von Fulda geboren und besuchte dort bis 1618 das Jesuitenkolleg. Schon im Alter von 16 Jahren nahm man ihn als Novizen in den Orden auf. Er studierte bis zu seiner Priesterweihe, die er 1628 in Mainz erhielt, an verschiedenen Universitäten und Kollegien (Köln, Koblenz, Heiligenstadt, Aschaffenburg, Mainz). Von 1629 bis 1631 lehrte Kircher als Professor für Ethik, Mathematik und orientalische Sprachen an der Universität Würzburg. Der Dreißigjährige Krieg brachte ihn schließlich über Lyon und Avignon nach Rom, dem Hauptsitz des Jesuitenordens, wo er von 1633 bis zu seinem Tode 1680 blieb. Am Kolleg in Rom bekam Kircher die Aufgabe, eine christliche Scientia universalis zu entwickeln. Die ‚Ars magna sciendi‘ 110 von 1659 ist das Werk Kirchers, das unmittelbar an Lull anschließt. Sie ist Kirchers Logik und zugleich seine formale Metaphysik. Wenn man sie würdigen will, muss man sie als Metaphysica generalis und als Kombinatorik lesen. Der Titel ist von barocker Ausführlichkeit: ‚Große Kunst des Wissens, in zwölf Bücher aufgeteilt, worin in einer neuen und universalen Methode vermittelst einer kunstfertigen kombinatorischen Verknüpfung über jedes gegebene Thema mit nahezu unbegrenzt vielfältigen Argumenten disputiert und eine alles umfassende Erkenntnis erreicht werden kann‘. Der erste von zwei Bänden enthält die Bücher eins bis fünf: Nach der Widmung an Kaiser Leopold I. und einer Vorrede erörtert Buch I die Prinzipien der Lullschen Kunst. Buch II stellt Kirchers Variation der Lullschen Methode und die Kernbegriffe seiner Philosophie vor. Diese werden in Buch III tabellarisch geordnet und auf verschiedene Wissensdisziplinen appliziert. Buch IV ex110

Ars Magna Sciendi, in XII Libros Digesta, quo Nova et Universali Methodo, per Artificiosum Combinationum contextum de omne re proposita plurimis et prope infinitis rationibus disputari, omniumque summaria quaedam cognitio comparari potest, Amsterdam 1659. Es sind zwölf Bücher auf dem Titelblatt angekündigt, tatsächlich enthält das Buch aber nur elf. Der Grund dafür ist redaktioneller Natur: Beim zweiten Teil von Buch V ist die Zählung durcheinandergeraten. Bereits bei oberflächlichem Hinsehen erweist sich, dass das Buch nicht sorgfältig gearbeitet ist. Es ist nicht wirklich lektoriert, enthält zahlreiche Redaktionsfehler, etwa bei der Kapitelzählung oder bei der Nummerierung der Paradigmata. Das Werk ist – wie Kirchers ‚Oedipus Aegyptiacus‘ auch– zwar weitgehend konzipiert, aber nicht zu Ende durchstrukturiert. Gegen Ende zerläppert es. Die plausibelste Erklärung für diesen Befund scheint mir zu sein, dass es Kircher je länger desto deutlicher bewusst wurde, dass seine ‚Ars Combinatoria‘ zwar als Paradigmensammlung einer universalen Enzyklopädie verwendet werden könne, dass es aber unmöglich sei, eine solche zu vollenden.

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poniert die Kombinatorik, Buch V die Prinzipien einer analytisch-synthetischen Methode als Voraussetzung kombinatorischer Wissenschaft. Der zweite, fortlaufend paginierte Band umfasst die Bücher VI bis XI, in denen die Methoden der kombinatorischen Philosophie auf die Einzeldisziplinen angewendet werden: Theologie (Buch VI); Metaphysik, Logik, Physik, Medizin (Buch VII); Ethik und Jurisprudenz (Buch VIII). Mit dem Buch VIII hat Kircher sein Pulver weitgehend verschossen. Die Bücher IX und X behandeln Subdisziplinen der Theologie: Aszetik, Kontroverstheologie, kanonisches Recht, positive Theologie, Moraltheologie, und das XI. und letzte Buch hat kein eigenes Thema, sondern versammelt nur noch unterschiedliche Beispiele. Die entscheidenden Elemente von Kirchers ‚Großer Kunst (Ars Magna)‘ sind die Kernbegriffe, die im Alphabetum cogitationum humanarum zusammengestellt sind, und deren Kombinatorik. Bei den Kernbegriffen geht Kircher wie Lull davon aus, dass ihre Bedeutung jedem Denkenden von selbst einleuchte und dass sie nicht auf andere Begriffe zurückzuführen seien. Sie sind sozusagen selbstleuchtende Bedeutungsatome. Die Kombinatorik, die Kircher anbietet, hat zwar eine mathematische und formallogische Seite, aber darauf kommt es Kircher nicht primär an. Vielmehr dient seine Kombinatorik der Invention von Argumenten und Definitionen; mit den formalen Fragen einer semantischen und mathematischen Kombinatorik ist er überfordert. Auch wenn er sieht, dass er die mathematischen Schwierigkeiten der Kombinatorik nicht lösen kann, stellt Kircher doch detaillierte Berechnungen zur Arithmetik der Kombinatorik vor 111. Er konstatiert, für die Erkenntnis vor allem großer Zahlen sei die Kombinatorik besonders geeignet. Diese Kunst sei dadurch ausgezeichnet, dass es nahezu nichts gebe, was nicht mit den Gesetzen von Synthese und Analyse erforscht und dann als Zahlenreihe dargestellt werden könne. Auch wenn diese Zahlenreihe mit den Augen wahrnehmbar sei und benannt werden könne, sei der menschliche Verstand doch prinzipiell überfordert, wenn er sie zu erkennen versuche. Kirchers Beispiel ist die Kombinatorik des Alphabets. Er stellt staunend fest, dass die Zahl der möglichen Buchstabenkombinationen so groß sei, dass die Sonnensphäre die Bücher, in denen diese Kombinationen gedruckt würden, nicht fassen könnte. Sein Beweis: 1050 sei eine Zahl, die alle Vorstellungskraft übersteige. Außerdem zitiert er die Aufgabe, die er von Archimedes kennt: Wenn ein Weizenkorn tausend Mal verdoppelt würde und dann die Körner hintereinandergelegt würden, käme eine Strecke zustande, die den Globus umspannen könnte. Kircher kann keine eigene allgemeine Formel für seine Berechnungen liefern, und er konstatiert resignierend und bewundernd zugleich: Die Zahlen, die die Kombinatorik erzeuge, überstiegen den Intellekt von Menschen und Engeln. 111

Am Eingang von Buch IV

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3. Leibniz als Lullist Leibniz hat Zeit seines Lebens daran gearbeitet, die Kombinatorik als Methode einer mathematisierten Universalwissenschaft, der ‚Characteristica universalis‘ zu fassen. Von seiner ‚Dissertatio de arte combinatoria‘ (1660) bis zu den Skizzen ‚Apokatastasis Panton‘ und ‚De l’horizon de la doctrine humaine‘ aus seinem letzten Lebensjahren hat Leibniz versucht, die Gesamtheit möglichen Wissens formal als Kombinatorik von irreduziblen Elementen zu bestimmen 112. Die ‚Dissertatio de arte combinatoria‘ (1666) ist Leibniz᾿ wohl wichtigste Jugendschrift. Sie enthält in der charakteristischen Mischung von Metaphysik, Logik und Mathematik bereits alle Hauptprobleme der kombinatorischen Enzyklopädie. Leibniz beginnt mit der Berechnung der Complexiones, i. e. der Kombinationsmöglichkeiten gegebener Größen und erstellt im Anschluss an mathematische Vorbilder 113 eine Tabelle als Grundlage für kombinatorische Berechnungen, die die Kombinationsmöglichkeiten (complexiones ) und die Zerfällungen (discerptiones ) dieser Kombinationsmöglichkeiten in ihre Elemente darstellt 114. Damit sind die Hauptbestandteile einer Logica inventiva mathematisch und philosophisch eingegrenzt: Complexio und Combinatio von Elementen auf der einen, Discerptio, Dispositio und Analysis einer als Complexio aufgefassten Zahl in ihre Elemente auf der anderen Seite. Alles wird – so die zentrale metaphysische Aussage – als aus realen oder begrifflichen Elementen bestehend vorausgesetzt 115. Leibniz geht ebenso wie Lull davon aus, dass die Kernbegriffe des Alphabetum cogitationum humanarum, die er freilich neu fassen will, durch einfache Symbole bezeichnet werden könnten. Dann, so hoffte er, könnte mit dieser Schrift die Universalsprache für alle Menschen handhabbar werden. „Wenn die Zeichen richtig und ingeniös gemacht werden, dann wird diese Schrift ebenso einfach wie universell sein. Sie kann ohne jedes Lexikon gelesen werden, und sie vermittelt zugleich die gründliche Kenntnis aller Dinge. Diese Schrift sollte gänzlich mit geometrischen Figuren funktionieren, gleichsam mit Bildern, so, wie einst bei den Ägyptern, heute bei den Chinesen die Elemente ihrer Schrift nicht in Buchstaben und Alphabet, sondern in Bildern, bestehen.“ 116 112 113

114 115 116

Cf. W. Hübener, Leibniz und der Renaissance-Lullismus, in: A. Heinekamp (ed.), Leibniz et la Renaissance (Studia Leibnitiana Supplementa 23), Wiesbaden 1983, 103–112. Christoph Clavius, In Sphaeram Joannis de Sancro Bosco commentarius, Rom 1570; Daniel Schwenter, Deliciae physico-mathematicae, vol. 1, Nürnberg 1636; die Bände 2 und 3 sind von Georg Philipp Harsdörffer verfasst. Nürnberg 1651–1653. Dabei erweist sich, dass diese Zerfällung mathematisch nicht eindeutig zu lösen ist. Probl. II, Nr. 10. Zum Zusammenhang cf. W. Schmidt-Biggemann, Leibniz: Scientia universalis, in: Holzhey/Schmidt-Biggemann (eds.), Grundriss (nt. 104), 1043–1047. G. W. Leibniz, Dissertatio de arte combinatoria, ed. W. Kabitz (Sämtliche Schriften und Briefe VI/1), Berlin 21990, 163–231, hier 202: „Ea si rectè constituta fuerint et ingeniosè, scriptura haec universalis aequè erit facilis quàm communis, et quae possit sine omni lexico legi, simulque imbibetur omnium rerum fundamentalis cognitio. Fiet igitur omnis talis scriptura quasi figuris geometricis; et velut picturis, uti olim Aegyptii hodie Sinenses, verùm eorum picturae non reducuntur ad certum Alphabetum seu literas, quo fit ut incredibili memoriae afflictione opus sit, quod hîc contra est.“

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4. Leibniz‘ universalwissenschaftliches Programm Leibniz stützte sich bei seinem universalsprachlichen Programm auf Lulls Ideen: a) Es setzte die einfachen Grundelemente oder Begriffe voraus, die zur Verfügung stehen mussten. Das war im Prinzip das Alphabetum cogitationum humanarum. Die Grundbegriffe müssten, forderte er, aus sich bekannt sein, also „durch sich selbst Bedeutung haben“ 117, und sie müssten als evidente Bedeutungseinheiten „wirklich zu den Augen sprechen“. 118 Sie müssten die semantischen Atome, aus denen die Welt und folglich die Sprache bestünde, repräsentieren. Zu diesem Zweck hat Leibniz umfangreiche Definitionslisten angelegt und sprachvergleichende Etymologiestudien angestellt. b) Die synthetischen Gesetze, die den wahren Kombinationen der Begriffe und Begriffsverbindungen zugrunde liegen, müssten die Syntax der Kombinatorik ausmachen und durch syntaktische Zeichen bestimmt werden. Diese Zeichen sollten analog zu mathematischen Operationssymbolen funktionieren. Mit diesen beiden Kriterien hoffte Leibniz, eine Universalsprache entwickeln zu können, die für alle Menschen einsehbar und praktisch verwendbar sei. Seine Characteristica universalis war der hochspekulative Versuch, alles mögliche Wissen in einer kombinatorischen Logik konstruier- und überprüfbar zu machen. Er ging die Frage nach der Kombinatorik semantisch-linguistisch, mathematisch und logisch zugleich an; seine Ergebnisse reichten in allen Bereichen, in Logik, Mathematik und Metaphysik weit über die Lulls und Kirchers hinaus. Freilich: Auch Leibniz hat dieses sein Lieblingsprojekt nicht beenden können. Er hat das Ziel, die Logik als Universalinstrument des Wissens transkulturell zu installieren, auch noch zwei Jahre vor seinem Tode als prinzipiell möglich beschreiben, wenngleich leicht resignativ: „Wenn ich jünger und weniger überarbeitet wäre, und wenn ich junge fähige Helfer hätte, dann traute ich mir zu, eine Art allgemeine Charakteristik zu liefern, in der alle Vernunftwahrheiten auf eine Art Kalkül zurückgeführt würden. Das könnte zugleich eine Art Universalsprache und -schrift sein, allerdings ganz verschieden von allen bisher vorliegenden Versuchen. Es würden die Charaktere und Worte selbst die Vernunft leiten, und die Irrtümer (ausgenommen die empirischen) wären allein Irrtümer im Kalkül. Es wäre wohl sehr schwierig, eine solche Sprache oder Charakteristik zu erfinden und zu formulieren, aber es wäre sehr einfach, sie ohne jedes Wörterbuch zu lernen. Diese Sprache diente auch dazu, die verschiedenen Grade der Wahrscheinlichkeit zu bestimmen und nötigen Mittel zur Wahrheitserkenntnis zu ergänzen (denn wir haben bisher keine zureichenden Mittel, um zu sicheren Wahrheiten zu gelangen). Diese Fähigkeit wäre höchst wichtig für die Lebensführung und für die praktische 117 118

Id., Nouveaux Essais, IV, c. 6, § 2, edd. A. Robinet/H. Schepers (Sämtliche Schriften und Briefe VI/6), Berlin 21990, 399: „des figures signifiantes par elles memes“ (Kursiv im Original gesperrt). Ibid.: „ce Caractere figuré qui parleroit véritablement aux yeux“ (Kursiv im Original gesperrt).

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Urteilsbildung, denn bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeit irrt man sich deutlich häufiger als in der Hälfte der Fälle.“ 119

An der Möglichkeit der Lingua universalis hat Leibniz – anders als Kircher – offensichtlich nie gezweifelt. Er hat die chinesische Schrift als Muster einer universalen Kombinatorik verstanden und sogar überlegt, ob die Weltgeschichte mathematisch und kombinatorisch berechnet werden könne 120. 5. Universalgeschichte mathematisch-theologisch Leibniz hat sein Leben lang daran gearbeitet, die Kombinatorik mathematisch zu beherrschen, auch wenn er auf diesem Gebiet nicht zu abschließenden Lösungen kam 121. Er hat an der mathematisch-metaphysischen Kombinatorik von seinen philosophischen Anfängen bis ans Ende seines Lebens kalkuliert; aber er hat – ausgenommen die frühe Dissertation de arte combinatoria – nichts dazu veröffentlicht. Seine Studien zur Kombinatorik sind erst im 20. Jahrhundert publiziert und in ihrer Bedeutung gewürdigt worden 122. Eine Pointe von Leibniz’ Lullismus ist seine Lehre vom ‚Horizon de la Doctrine humaine‘ 123. Seine Berechnungen gehen vom Alphabet aus. Alle Aussagen – wahr oder falsch, verständlich oder unverständlich – können mit einem Alphabet ausgedrückt werden. Die Anzahl der Kombinationen aller Möglichkeiten eines gegebenen Alphabets mit 100 Elementen wäre dann 10x. Eine solche Möglich119

120

121

122 123

Id., Brief an Rémond, 10. Januar 1714, ed. C. J. Gerhardt (Die philosophischen Schriften von Gottfried Wilhem Leibniz 3), Berlin 1887, 605: „J’oserois ajouter une chose, c’est que si j’avois été moins distrait, ou si j’étois plus jeune, ou assisté par de jeunes gens bien disposés, j’esperois donner une maniere de Spécieuse Générale, où toutes les verités de raison seroit reduites à une façon de calcul. Ce pourroit etre en mème temps une manière de langue et d’écriture universelle, mais infiniment différente de toutes celles qu’on a projettées jusqu’icy, car les caracteres et les paroles mèmes y dirigeroient la raison, et les erreurs (excepté celles de fait) n’y seroient que des erreurs de calcul. Il seroit tres difficile de former ou inventer cette Langue ou Caracteristique, mais tres aisé de l’apprendre sans aucuns Dictionnaires. Elle serviroit aussi à estimer les degrés de vraisemblance (lorsque nous n’avons pas sufficientia data pour parvenir à des verités certaines) et pour voir ce qu’il faut pour y suppléer. Et cette estime seroit des plus importantes pour l’usage de la vie, et pour les deliberations de practique, où en estimant les probabilités on se mecompte le plus souvent de plus de moitié.“ Cf. M. Fichant (ed.), Gottfried Wilhelm Leibniz: De l’horizon de la doctrine humaine (1693), Paris 1991, 56. In diesem Zusammenhang hat Leibniz auch seine Rezension von Johann Wilhelm Petersens Schrift zur Apokatastasis Panton geschrieben, cf. Leibnitz᾿s Deutsche Schriften, vol. 1. ed. G. E. Guhrauer, Berlin 1838 (Nachdruck Hildesheim 1966) 342–347. E. Knobloch (ed.), Die mathematischen Studien von G. W. Leibniz zur Kombinatorik. Auf Grund fast ausschließlich handschriftlicher Aufzeichnungen dargelegt und kommentiert (Studia Leibnitiana Supplementa 11), Wiesbaden 1973; id. (ed.), Die mathematischen Studien von G. W. Leibniz zur Kombinatorik. Textband, im Anschluß an den gleichnamigen Abhandlungsband zum ersten Mal nach den Originalhandschriften herausgegeben (Studia Leibnitiana Supplementa 16), Wiesbaden 1976. Cf. Knobloch (ed.) Die Mathematischen Studien, Textband (nt. 121). Fichant (ed.), Leibniz: De l’horizon (nt. 120), 56.

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keit überstiege zwar die Erfahrungsmöglichkeiten des Menschen, wäre aber gleichwohl eine endliche Zahl. Wenn alle menschlichen Gedanken, die sprachlich ausdrückbar sind, aufgeschrieben würden, dann läge die Anzahl der Erfahrungen deutlich unterhalb der alphabetischen Möglichkeiten. Die Kombinatorik definierte mithin den Horizont aller menschlichen Erfahrungen. Diese schon weitreichende Idee ist in einem an mathematischer Phantasie kaum überbietbaren Versuch beschrieben worden, das theologisch-philosophische Welt- und Geschichtsmodell der Apokatastasis Panton mathematisch zu fassen. Der Ausgang des Gedankenexperiments ist die Idee der besten aller möglichen Welten. Die beste aller möglichen Welten muss so perfekt sein, dass sie im Verlauf ihrer Existenz alle ihre inneren Möglichkeiten verwirklicht. Weil diese Möglichkeiten sich erst im Laufe der Zeit realisieren, hat die Welt eine Geschichte. Leibnizens entscheidendes Argument ist nun: Wenn die Anzahl der aussagbaren Propositionen – wahr oder falsch – wie sie in der Kombinatorik des Alphabets repräsentiert sind, endlich ist, dann ist die alte theologische Spekulation der Apokatastasis panton, i. e. die Wiederkehr aller Dinge, ein sinnvolles Konzept. Die Lehre von der Apokatastasis panton, wie sie stoisch und dann vor allem bei dem Kirchenvater Origenes entwickelt wurde, besteht in der Idee, dass sich die Welt in Zyklen wiederholt und vervollkommnet, sodass Gott am Ende, wie die paulinische Formel heißt, „alles in allem ist“ (1 Cor 15,28) 124. Leibniz isoliert aus dieser Spekulation allein die Idee eines sich wiederholenden zyklischen Weltverlaufs und versucht, diesen Gedanken mathematisch zu fassen. Wenn das Alphabet ein Zeichensystem ist, in dem alle möglichen Propositionen ausgedrückt werden können, dann wäre nämlich – sofern die Welt bestehen bleibt – irgendwann alles gesagt, was möglich ist. Sofern sich diese Aussagen auf Ereignisse beziehen und diesen Ereignissen entsprechen, dann wäre auch alles geschehen, was möglich ist, wenn die Ereignisse als einzelne Elemente der Geschichte begriffen werden. Wenn sich die Kombinatorik der Welt dergestalt vollendet hat, fängt die Welt wieder von vorn an. Das könne, meint Leibniz, berechnet werden mit der Kombinatorik des Alphabets oder mit einer endlichen, wenngleich sehr großen Anzahl geschichtlicher Fakten 125. 6. Vana Curiositas? Semantische Probleme des Lullismus Die Hoffnungen von Lullus bis Leibniz, eine Universalsprache zu entwickeln, die analog zur Mathematik unabhängig von der gesprochenen Sprache für alle 124

125

Die einschlägigen Formulierungen finden sich in Origenes, De principiis, III, 6, 5–6, cf. Origenes, Vier Bücher von den Prinzipien, edd. H. Görgemanns/H. Karpp (Texte zur Forschung 24), Darmstadt 21985, 656–663; cf. W. Schmidt-Biggemann, Philosophia Perennis (nt. 8), 538– 549. Fichant (ed.), Leibniz: De l’horizon (nt. 120), 54.

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Menschen verbindliche Wahrheiten der Metaphysik und Logik formulieren kann, haben sich nicht verwirklicht. Vielleicht ist es deshalb sinnvoll, auf zwei grundsätzliche Schwierigkeiten des kombinatorischen Konzepts zu hinzuweisen, die schon in seinen Voraussetzungen liegen. 1. Der Begriff der semantischen Einzelheit 126. Die Sprache besteht offensichtlich nicht aus semantischen Atomen. Semantik entsteht erst im Prozess des Urteilens. Semantische Einzelheiten sind nicht vom Charakter einer Ziffer oder eines Buchstabens. Eine Einzelheit existiert nicht an sich, sondern sie wird in dem urteilenden Erkenntnisprozess konstituiert, in dem „etwas als etwas“ bestimmt wird. Erst wenn dieses Urteil vollzogen ist, kann ein „etwas“ in einem Begriff als semantische Einzelheit gefasst werden. Die Verbindung der im Urteil gewonnenen Begriffe hängt an den Wortarten und an der Syntax. Weder die Wortarten noch die Syntax sind in allen Sprachen gleich. Deshalb ist die Kombinatorik außerstande, die jeweiligen sprachlichen Besonderheiten zu fassen. 2. Historische Einzelheiten. Diese Gedankengänge gelten auch für die Geschichte und die Idee historischer Einzelheiten. Es ist nämlich nicht auszumachen, was denn diese ‚Einzelheiten‘ genau sind. Historische Einzelheiten werden wie andere semantische Einzelheiten im Prozess des Urteilens identifiziert, und sie vergehen, wenn ein anderes Urteil denselben Sachverhalt aus anderer Perspektive fasst. Es handelt sich bei den Referenzen auf Einzelheiten um Erfahrungen, die sich nicht als letzte semantisch invariable Einheiten fassen lassen. Deshalb lässt sich Geschichte nicht kombinatorisch berechnen. Die Apokatastasis panton entzieht sich deshalb der Mathematisierung. So gilt denn auch am Ende für Lull, Kircher und Leibniz gleichermaßen: In magnis voluisse sat – oder vana curiositas? 127 IV. Lullisten und Antilullisten im 18. Jahrhunder t Der mallorquinische König Jaume II. stiftete 1276 eine Akademie im Franziskanerkloster von Mallorca, wo dreizehn Mönche zum Zwecke der Muslimenmission ständig die Lehre Lulls auslegen und vervollkommnen sollten. In der Tat sind von dieser Stiftung bis in die Gegenwart 128 wichtige Impulse für die Edition von Werken Lulls und für die Erforschung von Lulls Ideen ausgegangen 129. 126

127

128 129

Der Begriff ‚Semantik‘ steht der Tradition von Lullus bis Leibniz noch nicht zur Verfügung, cf. H. J. Schneider/P. Stekeler-Weithofer, Semantik, semantisch, in: J. Ritter/K. Gründer (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 9, Basel 1995, 581–593. Aber die Geschichte des Lullismus endet nicht mit Leibniz – der Lullismus als logische Kombinatorik lebt weiter im logischen Atomismus Bertrand Russells, cf. B. Russell, A Critical Exposition of the Philosophy of Leibniz. Cambridge 1900; id., The Philosophy of Logical Atomism (1918), in: J. G. Slater (ed.) Collected Papers of Bertrand Russell, vol. 8, The Philosophy of Logical Atomism and Other Essays: 1914–1919, ed. J. London 1986, 157–244. Deutsch in: B. Russell, Die Philosophie des logischen Atomismus. Aufsätze zur Logik und Erkenntnistheorie 1908–1918, ed. J. Sinnreich, München 1979, 178–277. Cf. A. Bonner, Acknowledgments, in: Raimundus Lullus, Opera (nt. 30), vol. 1, s. p. (7*). Rogent/Duràn, Bibliografia (nt. 97).

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Im 17. Jahrhundert, mitten in der Hochzeit lullistisch-kombinatorischer Spekulationen entwickelte sich in Mallorca zugleich ein ausgeprägter Antilullismus. Die theologische Kritik an Lull war seit Eymerich nie verstummt. Unbeeindruckt vom Erfolg der Philosophie Lulls auch bei katholischen Autoren wie Athanasius Kircher, Yves de Paris oder Sebastian Izquierdo stellte der mallorquinische Dominikaner Martin Serra 130 mehrere ‚Elenchi‘ von Antilullisten mit dem Ziel zusammen, Lulls Philosophie und Theologie nachhaltig zu diskreditieren. Es gab keine neuen Argumente über die Anklagepunkte Eymerichs hinaus; jetzt sollte die Quantität der Lull-Gegner die qualitative Auseinandersetzung substituieren. Serra, der in Moro geboren wurde und 1664 in den Dominikanerorden eingetreten war, teilte mit seinem dreihundert Jahre älteren Ordensbruder Eymerich den antilullistischen Fanatismus und auch das Los, exiliert zu werden. Wegen seiner scharfen Polemik gegen die Verehrung Lulls und seiner Schriften wurde er nach 1703 von Mallorca nach Siena verbannt. Wie Eymerich kehrte er in sein Heimatkloster zurück und starb 1715 in Mallorca. Serra hat offenbar längere Zeit an seinen Listen gearbeitet, sie sind in verschiedenen Fassungen handschriftlich überliefert. Die ausführlichste 131 stammt aus dem Jahr 1703 und enthält ein Verzeichnis von 146 antilullistischen Autoren – es handelt sich sämtlich um Ordensleute. Alois Madre charakterisiert Serras Liste wie folgt: „Zitate und antilullistische Anmerkungen sind teilweise sehr ausführlich, der Ton der Kommentare Serras ist im allgemeinen sehr aggressiv gehalten. […] In seinem Urteil ist er häufig und mit Vorliebe scharf und sarkastisch“ 132. Wie Eymerichs ‚Directorium‘ zum Wegbereiter des spätmittelalterlichen Antilullismus geworden sei, wurde Serras ‚Elenchus‘ das Modell und der Namenlieferant des Antilullismus im 17. und 18. Jahrhunderts. Und so gibt es denn auch, anschließend an Serra, im 18. Jahrhundert noch weitere sechs Elenchi mit antilullistischen Autoren; der letzte stammt aus der Zeit nach 1765 und zählt 120 Gegner Lulls auf. Zugleich entstand in Mainz, herausgegeben von Ivo Salzinger 133, zwischen 1721 und 1742 die große Ausgabe von Lulls Werken 134. In den Einleitungen zum ersten Band von 1721 referiert Salzinger zunächst die Artikel, die Eymerich 130 131 132 133

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Ich beziehe mich auf Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 10–15. Cod. 771 (olim 770) liegt in der Biblioteca Publica in Palma de Mallorca. Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 10. Ivo Salzinger, geb. 28. 11. 1669 in einem kleinen Pfarrdorf am Inn, Studium in Dillingen, Ingolstadt zunächst in Düsseldorf und anschließend in Mainz. Hier arbeitete er im Auftrag des Bischofs Lothar Franz von Schönborn bis zu seinem Tode 1728 an der Edition der lateinischen Werke Lulls. Zur Editionsgeschichte: F. Domínguez Reboiras: Raimundus Lullus in der Martinus-Bibliothek. Ivo Salzinger und sein Vermächtnis, in: Bibliotheca S. Martini Moguntina. Alte Bücher, neue Funde 1662–2012. Neues Jahrbuch für das Bistum Mainz 2012, 165–191. K. Flasch, 350 Jahre Martinus Bibliothek, ibid., 17–30; J. Higuera Rubio (ed.), Knowledge, Contemplation and Lullism. Contributions to the Lullian session of the SIEPM Congress – Freising, August 20–25, 2012, Turnhout 2015. Raymundi Lulli Opera, ed. Salzinger (nt. 18), voll. I–VI. IX–X (voll. VII und VIII sind nicht erschienen).

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in seinem ‚Directorium‘ gegen Lull veröffentlicht hatte 135. Er kannte möglicherweise auch die Listen Serras, aber er bezieht sich nicht unmittelbar auf sie. Stattdessen stellte er die affirmative Rezeption Lulls ausführlich dar 136. Er zitiert die Autoren des Lullismus, die ihm wichtig wurden. Insgesamt kommt Salzinger auf eine Liste von 119 Autoren, die Lull unterstützen. Der Streit blieb offensichtlich virulent. Der Zisterzienser Antonius Raimundus Pasqual 137, der 1727 als Mitarbeiter Salzingers an der Mainzer Ausgabe der Werke Lulls beteiligt war und anschließend nach Mallorca zurückging, veröffentlichte 1778 das letzte große Werk lullistischer Theologie und Philosophie, in dem er die Rechtgläubigkeit Lulls gegen die Vorwürfe Eymerichs verteidigte 138. Dieses Werk, das Lull letztmals in seiner Methode und seiner Theologie umfassend darstellte und ihn definitiv zum orthodoxen Kirchenlehrer zu deklarieren unternahm, bot vor allem Argumente für eine erneute Anstrengung, Lull endgültig als Seligen der katholischen Kirche zu etablieren. Die frühere Seligsprechung von 1615 scheint sich nur auf die örtliche Verehrung Lulls in Mallorca beschränkt zu haben; 1847 erweiterte Papst Pius IX diese Kanonisierung Lulls im Kreis der Seligen kirchenweit. V. Schluss: Sacra curiositas? Dennoch: Der innerkatholische/katalanische Streit ging weiter, auch als sich die europäische Philosophie lange in eine andere Richtung entwickelt hatte 139. 135 136

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Memoriale collationis seu comprobationis centum Articulorum Lullianorum per Nicolaum Eimeric. Raymundi Lulli Opera, ed. Salzinger (nt. 18), vol. 1, Eigene Paginierung. Raymundi Lulli Opera, ed. Salzinger (nt. 18), vol. 1, Eigene Paginierung 1–46. Testimonia Virorum Illustrium […] quibus artem & Scientiam Beati Lulli […] depraedicant, miris Laudibus exornant, illam coelitus acceptam testantur. Faber Stapulensis (3), Carolus Bovillus (5), Petrus Gregorius Tholosanus (7), Ludovico Moreri (7), Giovanni Pico della Mirandola (6), Nicolaus Cousin S.J. (9) Athanasius Kirchers Ars magna Sciendi (11) Sebastian Isquierdos Pharus Scientiarum, Possevins Apparatus sacer von 1608 (11) Ivo Parisiensis (14). Die Kommentare zu Lulls Kunst führt er einzeln auf: Julius Pacius (23), Agrippa von Nettesheim (24), Valerio de Valeriis (24) erneut Kircher (26) und Alsted (32). Auch Raymundus Sabundus (42) figuriert mit seiner Theologia Naturalis zu Recht unter den Lullisten. Madre, Die theologische Polemik (nt. 43), 7. nt. 19 bezeichnet ihn als den bedeutendsten Lullisten des 18. Jahrhunderts, letzten Höhepunkt und Abschluss der mallorquinischen und spanischen Lullistenschule. Er wurde 1708 in Andraitx auf Mallorca geboren. 1727 wurde er Schüler und Vertrauter Salzingers in Mainz. 1756 und 1768 war er Abt des Klosters La Real bei Palma. Über 54 Jahre hatte er den Lehrstuhl für lullistische Philosophie und Theologie in Palma inne. Dort starb er im Jahr 1791. Antonius Raimundus Pasqual, Vindiciae Lullianae, sive demonstratio critica immunitatis doctrinae illuminati Doctoris B. Raymundi Lulli, ab errroribus eidem à Nicolao Eymerico impactis […] Fundata in collectione textuum Lulli 4 voll. Avignon 1778. Noch der bedeutende katholische Dogmatiker des 19. Jahrhunderts Matthias Josef Scheeben machte Lull den Vorwurf, er überspanne seinen philosophischen Optimismus, wenn er die Inkarnation Christi als denknotwendig beweisen wolle, Handbuch der kath. Dogmatik, 5. Buch, 1. Halbband, Freiburg (1878) 21954, 18.

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Wilhelm Schmidt-Biggemann

Gewonnen hat diesen Wettbewerb immer noch niemand, trotz der erneuerten Seligsprechung Lulls durch Papst Pius IX. Auch wenn die Heiligsprechung Lulls, die von katalanischer Seite weiterhin forciert wird 140, einst erfolgen sollte, die aristotelischen Logiker und die platonisierenden Genealogen werden sich nicht vertragen können. Für die einen bleibt er ein inspirierter Theologe, für die andern der Lehrer einer hirnrissig-phantastischen Methode, ein Musterbeispiel von vana curiositas. Und dann sind da noch diejenigen, die Lull als Urvater der digitalen Kombinatorik feiern. Im Falle, dass Lull doch noch heiliggesprochen würde, hätte man einen kirchlichen Schutzpatron für elektronische Kommunikation. Dann wäre aus der vana curiositas eine sacra curiositas geworden.

140

J. Schäfer, Raimundus Lullus von Palma. Ökumenisches Heiligenlexikon. . (03. 02. 2022).

III. curiositas im theologischen Widerstreit

Curiositas und Wissbegier im Predigtœuvre des Alain von Lille Anne Greule (Jena) Im Jahr 1482 ließ der Abt von Cîteaux, Jean von Cirey, ein aufwendiges Grabmal für Alain von Lille errichten, auf dessen Grabplatte eine Umschrift eingraviert war: Alanum brevis hora brevi tumolo sepelivit, qui duo, qui septem, qui totum scibile scivit. „Eine kurze Zeitspanne zwang Alain in dieses enge Grab, Ihn, der beide, der alle sieben, der alles Wissbare wusste.“ 1

Der Magister hatte sich zum Ende seines Lebens nach Cîteaux zurückgezogen und war 1202 oder 1203 dort gestorben. Man nimmt an, dass die zwei Hexameter auch schon auf dem ursprünglichen Grab des Alanus aus dem 13. Jahrhundert zu lesen waren, da sie in dieser Form bereits in Handschriften jenes Jahrhunderts überliefert werden 2. Der rätselhafte Spruch wurde in der Forschung verschiedentlich gedeutet: Sind die zwei Testamente 3 oder Philosophie und Theologie gemeint? Steht die Sieben für die Sieben Freien Künste 4? Unzweifelhaft ist aber, dass Alain „alles Wissbare wusste“ – eine Zuschreibung übrigens, 1

2

3 4

Die Übersetzung ist angelehnt an G. Silagi, Alanus ab Insulis, in: Theologische Realenyklopädie 2 (1978), 155–160. Zum lateinischen Zitat siehe M.-T. d᾿Alverny, Alain de Lille. Textes inédits, avec une introduction sur sa vie et ses œuvres (Études de philosophie médiévale 52), Paris 1965, 24; G. Raynaud de Lage, Alain de Lille. Poète du XIIe siècle, Montreal–Paris 1951, 40 sq.; G. Grillon, L᾿ultime message. Étude des monuments funéraires de la Bourgogne ducale XIIe–XVIe siècle, Diss., Université de Dijon 2011, 237, auch zur Diskussion über die tatsächliche Länge der Inschrift (bes. nt. 73). An dieser Stelle sei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Vortragsdiskussion für ihre zahlreichen Fragen und Anmerkungen sehr herzlich gedankt. Ebenso danke ich den Herausgebern für ihre sorgfältige Durchsicht des Manuskripts und die präzisierenden inhaltlichen Kommentare. Cf. d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 22 sqq. sowie zum Sterbedatum Alanus ab Insulis, Anticlaudianus, Or The Good and Perfect Man, ed. J. J. Sheridan (Mediaeval Sources in Translation 14), Toronto 1973, 9. So Ch. de Visch, Ad opera Alani de Insulis prolegomena, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 31. Cf. Silagi, Alanus ab Insulis (nt. 1), 156. Wenig überzeugend Grillon, L᾿ultime message (nt. 1), 237, nt. 73: „Une heure bien courte a enseveli dans un étroit cercueil Alain qui connut les nombres deux et sept, ou plutôt toutes les sciences qu’on peut savoir“. Cf. auch Raynaud de Lage, Alain de Lille (nt. 1), 39: „sa connaissance de deux sources de la science sacrée, des sept arts et de tout le savoir possible“.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-012

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die auch schon Abaelard und Burgundio von Pisa auf ihren Epitaphen erfuhren 5. Mit Albertus Magnus teilt Alain von Lille den Ehrentitel ‚Doctor universalis‘ 6. Ob Alanus das seiner Neugier zu verdanken hatte? An welchen Schulen der berühmte Magister seinen Wissensdrang stillte, lässt sich bis jetzt nicht sicher sagen. Einigermaßen gesichert ist, dass er bis in die 1180er Jahre in Paris lehrte, sich dann in den Süden Frankreichs begab und schließlich bei den Zisterziensern von Cîteaux starb. Zu seinem Œuvre zählen Dichtungen wie der ‚Anticlaudianus‘, die theologische Summe ‚Quoniam Homines‘, der Versuch einer axiomatischen Darlegung theologischer Inhalte in den ‚Regulae Theologiae‘ sowie die erste theoretische Abhandlung der Predigtkunst überhaupt, inklusive zahlreicher Predigten 7. In seiner für das Paris des ausgehenden 12. Jahrhunderts durchaus repräsentativen und weit verbreiteten Predigttheorie, meist ‚Ars Praedicandi‘ betitelt, definiert Alain die Gattung, trifft Aussagen zu ihrem Zweck, ihren Themen und Zielgruppen 8. Angeschlossen sind diverse ‚Predigtbausteine‘, die als Repertorium für auctoritates und als Modell dienen sowie die Überlegungen veranschaulichen sollen: Wie ist über die einzelnen Sünden und Laster, wie über diverse Tugenden zu predigen 9? Mit welchen Inhalten sind Ritter oder Religiosen zu adressieren? In vielen der über 120 Handschriften folgt eine Sammlung von längeren Modellpredigten zum liturgi5

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Cf. P. Classen, Die geistesgeschichtliche Lage. Anstösse und Möglichkeiten, in: P. Weimar (ed.), Die Renaissance der Wissenschaften im 12. Jahrhundert (Zürcher Hochschulforum 2), Zürich 1981, 11–32, hier 23. Laut Andreas Speer sind Alain und Albert die einzigen mittelalterlichen Gelehrten, die diesen Titel tragen, siehe A. Speer, Kosmisches Prinzip und Maß menschlichen Handelns. Natura bei Alanus ab Insulis, in: A. Zimmermann/A. Speer (eds.), Mensch und Natur im Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 21), Berlin 1991, 107–128, hier 107 sq. ‚Doctor Universalis‘ wird Alain im 15. Jahrhundert von den Geschichtsschreibern Hartmann Schedel und Johannes Trithemius genannt. Mehr als ein Jahrhundert zuvor gab ihm Robert Holkot das cognomen ‚magnus‘, cf. M. Baumgartner, Die Philosophie des Alanus de Insulis, im Zusammenhange mit den Anschauungen des 12. Jahrhunderts (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Texte und Untersuchungen 2/4), Münster 1896, 2. Zur Biographie d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 11–29, zu den genannten Werken ibid., 31–140. Die ‚Ars Praedicandi‘ liegt leider immer noch nur in der bei Migne abgedruckten Edition vor, siehe Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 109–195. Das letzte caput XLVIII ibid., 195–198 ist aber schon Teil des ‚Liber Sermonum‘, siehe d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 110, nt. 3 und 125. Marie-Thérèse d’Alverny vermutet, dass die ‚Ars‘ wohl in zwei Redaktionen überliefert ist: einer langen, didaktisch orientierten, sowie einer gekürzten, die eher darauf abzielte, Bausteine für das Predigen zu liefern. Letztere scheint die häufiger überlieferte zu sein, cf. ibid., 114, nt. 20. Zur predigtgeschichtlichen Einordnung siehe M. A. Zier, Sermons of the Twelfth Century Schoolmasters and Canons, in: B. M. Kienzle (ed.), The Sermon (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 81–83), Turnhout 2000, 325– 362, bes. 340–344. Eine Übersetzung des Migne-Texts wurde von Gilian R. Evans vorgenommen, siehe Alanus ab Insulis, The Art of Preaching, ed. G. R. Evans (Cistercian Studies 23), Kalamazoo, Mich. 1981. Siegfried Wenzel spricht von „rhetorical ammunition for the would-be preacher“, siehe S. Wenzel, Preaching the Seven Deadly Sins. Of Sins and Sermons (Synthema 10), Leuven e. a. 2015, 63–86, hier 67. Siehe auch die Zusammenfassung in id., Medieval Artes Praedicandi. A Synthesis of Scholastic Sermon Structure (Medieval Academy books 114), Toronto 2015, 4 sq.

Curiositas und Wissbegier im Predigtœuvre des Alain von Lille

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schen Jahr (der sogenannte ‚Liber Sermonum‘). Darüber hinaus sind ca. siebzig weitere Predigten Alains überliefert 10. Dieses homiletische Werk steht im Zentrum des Beitrags, der sich mit der Frage beschäftigt, welche Auffassungen Alain von Lille bezüglich menschlicher Neugier vertrat und zu vermitteln versuchte. In einem ersten Schritt soll die Relevanz dieser Fragestellung erläutert werden, worauf die Analyse der ‚Predigtkunst‘ und der Predigten folgt.

I. Zur Relevanz der Frag estellung In einem im Jahr 2013 erschienenen Aufsatz sprach sich die Berliner Historikerin Barbara Schlieben für eine Erforschung der Neugier im Mittelalter aus, die einseitige und vor allem durch Epochengrenzen bedingte Urteile überwinden solle. Keineswegs könne man erst für die Frühe Neuzeit unter vermeintlich säkularen Bedingungen das Vorhandensein einer theoretischen Neugier annehmen, sondern selbst der oft als Kronzeuge für eine Abwertung der Neugier herangezogene Augustinus urteile differenzierter und habe außerdem mitnichten eine ganze Epoche mit einem negativen curiositas-Begriff geprägt. Dies betonte schon Richard Newhauser in seinem programmatischen Aufsatz ‚Towards a History of Human Curiosity‘ 11. Laut Schlieben gelte es, zum einen die Vielfalt des Begriffs der curiositas, zum anderen aber auch das jenseits des Begriffs zum Ausdruck gebrachte Konzept der Neugier in seinen unterschiedlichen Quellenkontexten zu erforschen. Richard Newhauser hat darüber hinaus darauf hinge10

11

Cf. d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 109–140; J. B. Schneyer, Repertorium der lateinischen Sermones des Mittelalters. Für die Zeit von 1150–1350, vol. 1: Autoren A–D (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters 43/1), Münster 1973, 69–83. Eine Aktualisierung des Kenntnisstandes zum Predigtwerk Alains wird von der Verfasserin im Rahmen ihrer Doktorarbeit angestrebt. Zu Textüberlieferung und Aufbau der ‚Ars Praedicandi‘ siehe F. Siri, Et natura mediocritatis est amica. Empreintes philosophiques dans la prédication d᾿Alain de Lille, in: Revue des sciences philosophiques et théologiques 97 (2013), 299–343. Grundlegend zu den Artes Praedicandi M. G. Briscoe/B. H. Jaye, Artes Praedicandi and Artes Orandi (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 61), Turnhout 1992; P. B. Roberts, The Ars Praedicandi and the Medieval Sermon, in: C. A. Muessig (ed.), Preacher, Sermon and Audience in the Middle Ages (A New History of the Sermon 3), Leiden e. a. 2002, 41–62. Zu Predigten von Magistern siehe Zier, Sermons (nt. 8). Siehe B. Schlieben, Neugier im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 296 (2013), 330–353, bes. 333–337. Zu einer differenzierenden Betrachtung von Augustinus᾿ Wertung der curiositas cf. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie 39), Paderborn e. a. 1995, 91–129; R. Newhauser, Towards a History of Human Curiosity. A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559–575, hier 565–566 und id., Augustinian vitium curiositatis and its Reception, in: E. B. King/J. T. Schaefer (eds.), Saint Augustine and his Influence in the Middle Ages (Sewanee Mediaeval Studies 3), Sewanee 1988, 99–124.

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wiesen, wie eminent wichtig die Unterscheidung von einem eher neutralen curiositas-Begriff und dem vitium curiositatis in der Begriffsanalyse ist 12. In ihren drei knappen Fallstudien geht Schlieben unter anderem auf Predigten und Traktate des Bernhard von Clairvaux ein. In diesen fänden sich nun tatsächlich Warnungen vor der curiositas, verstanden als ein Wissensstreben, das mit dem Ziel materieller Gewinne verbunden sei. Schlieben erklärt dies mit der Gattung der Schriften, wonach in jenen Sünden und Laster verhandelt und daher entsprechend negative Aspekte der Neugier kommuniziert würden. Sie schreibt: „Offensichtlich gab es in der Predigtliteratur oder in Lastertraktaten eine Tradition, in der curiositas moralisch verurteilt wurde […]. Hier eine positive Bewertung der curiositas zu erwarten, hieße die Finalität und Konstitutionslogik der angesprochenen Gattungen fehlzudeuten“ 13. Vergegenwärtigt man sich die wichtige konzeptuelle Unterscheidung von curiositas und vitium curiositatis durch Richard Newhauser, mag das für letzteres, i. e. das Laster der Neugier, zweifellos zutreffen – es wird insgesamt nur wenige mittelalterliche Literaturgattungen geben, in denen ein Laster ernsthaft gepriesen wird. Es ist also erstens darauf zu achten, welche Verhaltensweisen durch den Begriff erfasst werden können, zweitens, an welchen Stellen curiositas als vitium curiositatis verstanden wird und wo gegebenenfalls ein eher neutrales Begriffsverständnis vorliegt. In einem weiteren Schritt kann gefragt werden, wie das spezielle Konzept der Neugier begriffen wird. Da Predigten gleichsam ein „Massenmedium des Mittelalters“ 14 waren, können sie Aufschluss über Werte und Normen, und mitunter auch über deren Relevanz für bestimmte Adressatengruppen geben 15. Aus dem Werkskontext, Anreden, inhaltlichen Besonderheiten, aber auch der Länge lässt sich in einigen 12 13 14

15

Newhauser, Towards a History (nt. 11), 559 sqq., bes. 561, nt. 6 sowie 567. Schlieben, Neugier (nt. 11), 343–346, Zitat 349; zu Bernhard siehe auch Bös, Curiositas (nt. 11), 150–167. So genannt zum Beispiel von Y. Akae, The Importance of Curiositas in Late Medieval Preaching, in: T. Matsuda/K. Yoshitake/M. Izumi/M. Sato (eds.), Minds of the Past. Representations of Mentality in Literacy and Historical Documents, Tokyo 2005, 51–74, hier 52; D. D᾿Avray, Medieval Marriage Sermons. Mass Communication in a Culture Without Print, Oxford 2001. Zu den Predigten der Magister im Paris des 12. Jahrhunderts cf. J. Longère, Œuvres oratoires de maîtres parisiens au XIIe siècle. Étude historique et doctrinale, vol. 1: Texte, Paris 1975; id., La prédication médiévale, Paris 1983, 68–75; N. Bériou, L᾿avènement des maîtres de la parole. La prédication à Paris au XIIIe siècle, vol. 1 (Collection des études Augustiniennes. Moyen âge et temps modernes 31), Paris 1998, 15–48. Siehe beispielsweise M. Diesenberger, Predigt und Politik im frühmittelalterlichen Bayern. Arn von Salzburg, Karl der Große und die Salzburger Sermones-Sammlung (Millennium-Studien/ Millennium Studies 58), Berlin–Boston 2015; M. de Reu, Vertus chrétiennes et vices démoniaques aux Xe et XIe siècles, in: L. Gaffuri/R. Quinto (eds.), Predicazione e società nel Medioevo. Riflessione etica, valori e modelli di comportamento. Proceedings of the XII Medieval Sermon Studies Symposium, Padova, 14–18 luglio 2000 (Centro Studi Antoniani 35), Padua 2002, 93– 118. Richard Newhauser hat auf die Bedeutung der Predigt für die Verbreitung der augustinischen Curiositas-Lehre hingewiesen, siehe Newhauser, Augustinian vitium curiositatis (nt. 11), 114. Siehe auch Wenzel, Preaching (nt. 9) mit einem Schwerpunkt auf den Predigten des Jakob von Varazze und des Wilhelm Peraldus und deren Verbreitung.

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Fällen das anvisierte Publikum erschließen oder zumindest wahrscheinlich machen 16. Es stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob curiositas als Laster überhaupt zu den für Alain relevanten Predigtthemen zählte, und wenn ja, in welcher Bedeutung er den Begriff verstand. Darüber hinaus sollte herausgearbeitet werden, wie das Konzept der Neugier – verstanden als Drang, mehr wissen zu wollen – in Alains Predigtwerk verhandelt wird. Diese Fragen sind auch im Hinblick auf die Geschichte der Pariser Universität von Interesse. Von Stephen Ferruolo wurde Alain in die Reihen der Kritiker der Schulen aufgenommen, die mit ihrer Kritik die im Entstehen begriffene Institution mitformten. An erster Stelle Bernhard von Clairvaux, aber auch John von Salisbury, Präpositinus von Cremona und Jakob von Vitry kritisierten die curiositas als falsches Motiv des Studierens bzw. auch als dessen Konsequenz; Ferruolo spricht sogar davon, dass curiositas ein zentraler Kritikpunkt der „moralistischen“ Kritiker sei 17. So ergibt sich die Frage, wie sich der Magister Alain dazu verhielt, ob also auch er die Warnung vor dem Laster der Neugier als relevant für die Scholarenschaft ansah. Der Beitrag versucht somit vor dem skizzierten historischen Hintergrund erstens zur Erschließung des Bedeutungsspektrums von curiositas beizutragen, zweitens die grundsätzliche moralische Verhandlung theoretischer Neugier in der Predigtliteratur nachzuvollziehen, und damit drittens die oben beschriebene Argumentation zur ‚Finalität und Konstitutionslogik‘ von Quellen in ihrer Wirkung auf das curiositas-Konzept zu ergänzen. Für diese Erkenntnisinteressen ist es nicht von primärer Bedeutung, ob die Predigten tatsächlich vorgetragen wurden – was ohnehin zumeist nur wahrscheinlich gemacht werden kann – da die Intention des Autors im Vordergrund steht 18.

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18

Cf. B. M. Kienzle, The Twelfth-Century Monastic Sermon, in: ead. (ed.), Sermon (nt. 8), 271– 323, hier 295 sq., sowie die konzise Zusammenfassung durch die Herausgeberin: ead., Conclusion, ibid., 963–983. S. C. Ferruolo, The Origins of the University. The Schools of Paris and Their Critics, 1100– 1215, Stanford, Calif. 1985, 47. 66. 139. 231–235, hier 232: „Of the three disapproved motives [curiosity, vanity, simony] for study, curiosity received a disproportionate amount of the moralists’ scorn“. Siehe dazu auch Bériou, L’avènement des maîtres (nt. 14), 43; E. M. Peters, Libertas inquirendi and the vitium curiositatis in Medieval Thought, in: G. Makdisi/D. Sourdel/J. SourdelThomine (eds.), La Notion de liberté au Moyen Âge. Islam, Byzance, Occident, Paris 1985, 89– 98, hier 91 sq.; Newhauser, History (nt. 11), 561 und id., Augustinian vitium curiositatis (nt. 11), 100. Hier sei wiederum verwiesen auf B. M. Kienzle, Introduction, in: ead. (ed.), Sermon (nt. 8), 143– 174, hier 173; ead., Conclusion (nt. 16), 965–978; Zier, Sermons (nt. 8), 333 sowie C. Muessig (ed.), Preacher, Sermon and Audience in the Middle Ages (A New History of the Sermon 3), Leiden–Boston 2002; zu den verschiedenen Überlieferungsformen (fiktive Predigten, Predigtniederschriften vor und nach dem Vortrag, Reportationen etc.) cf. Longère, La prédication médiévale (nt. 14), 155–160. Mögliche Hinweise auf Mündlichkeit listet auch Wenzel, Preaching (nt. 9), 70.

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II. Der Beg riff der curiositas bei Alain von Lille Eine erste Bestandsaufnahme zur Verwendung des Begriffs der curiositas bei Alain von Lille führt zu einer überschaubaren Zahl von Belegstellen. Weder in der Summe ‚Quoniam Homines‘ 19 noch in den ‚Regulae Theologiae‘ 20 kommen die Vokabel oder ihre Derivate vor; bemerkenswerter Weise auch nicht in dem Tugend- und Lastertraktat ‚De virtutibus et de vitiis‘, der ansonsten recht umfänglich die den sieben Hauptlastern zugeordneten Arten (species ) der Laster auflistet 21. Außerhalb der Predigtliteratur findet sich der Begriff ‚curiositas‘ in dem wohl aus Vorlesungen hervorgegangenen marianischen Hoheliedkommen19 20

21

P. Glorieux, La somme „Quoniam homines“ d᾿Alain de Lille, in: Archives d᾿histoire doctrinale et littéraire du moyen âge 20 (1953), 113–364. Alanus ab Insulis, Regulae theologiae, Lateinisch-Deutsch = Regeln der Theologie, edd. A. Niederberger/M. Pahlsmeier (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 20), Freiburg im Breisgau 2009. Bei Alain sind dies unter Berufung auf Gregors ‚Moralia in Hiob‘: inanis gloria, ira, invidia, acedia, avaritia, gastrimargia, luxuria, die gesamte Stelle (lin. 9–17) übernahm Alain wohl von Petrus Lombardus, cf. O. Lottin, Psychologie et morale aux XIIe et XIIIe siècles, vol. 6: Problèmes d᾿histoire littéraire de 1160 à 1300, Gembloux 1960, 69. In der Aufzählung der species scheint er jedoch ausführlicher als der Lombarde. Eine interessante Art der Rezeption dieses Traktats hat Richard Newhauser ausfindig gemacht, der erkannte, dass die Illumination einer Handschrift mit der ‚Summa vitiorum‘ des Wilhelm Peraldus der Anordnung der Laster bei Alain von Lille folgt, siehe R. G. Newhauser, alle sunde hant vnterschidunge. Der Tugend- und Lastertraktat als literarische Gattung im Mittelalter, in: J. Janota e. a. (eds.), Festschrift Walter Haug und Burghart Wachinger, Tübingen 1992, 287–303, hier 295. Zur Geschichte der vitia capitalia siehe id., The Treatise on Vices and Virtues in Latin and the Vernacular (Typologie des sources du Moyen Âge occidental 68), Turnhout 1993, 180–193, zu Gregor 185–189; 191 wird Alains Werk genannt, außerdem id., The Treatise on Vices and Virtues as a Medieval Genre and its Structural Foundations in the Classical Tradition, in: B. C. Bazán/E. Andújar/L. G. Sbrocchi (eds.), Les philosophies morales et politiques au Moyen Âge, vol. 1 (Publications du Laboratoire de la Pensée Ancienne et Médiévale 9), New York, NY 1995, 420–428. Da der Hauptzweck der Tugend- und Lastertraktate war, „dem Leser Orientierung in seiner hermeneutischen Aufgabe der moralischen Analyse und Selbstprüfung zu bieten“ (id., alle sunde, 290) kann der Traktat als Hilfsmittel sowohl für die Abnahme der Beichte als auch für die Predigt angesehen werden. Auf letzteres deutet auch die Textparallelität von ‚De virtutibus‘ und ‚Ars Praedicandi‘, siehe d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 63. Wenn der Traktat ursprünglich Teil der unvollendeten Summa ‚Quoniam Homines‘ gewesen sein soll, wie es d’Alverny annimmt, muss er schon früh als eigenständige Abhandlung wahrgenommen worden sein. Dies zeigt etwa das folgende Zitat aus der Chronik des Otto von St. Blasien (geschrieben ca. 1200–1209): Otto von Sankt Blasien, Chronica, ed. A. Hofmeister (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 47), Hannover 1912, 64 sq., 40: „His temporibus Petrus cantor Parisiensis et Alanus et Prepositinus magistri claruerunt. Horum prior librum Distinctionum librumque Psalmorum Euangeliumque unum ex IIIIor per continuas glosas subtiliter compilavit et preter hec alia multa. Alter vero multa conscribens exposuit. Inter que librum qui intitulatur Anticlaudianus et Regulas celestis iuris et Contra hereticos et librum De viciis et virtutibus et De arte predicandi librumque sermonum suorum et multa alia sana et catholica conscripsit“ [Hervorhebung A.G.]. Zur Abfassungszeit cf. Istituto Storico Italiano per il Medio Evo, Repertorium fontium historiae Medii Aevi, vol. 8: Fontes N–Petruccius, Rom 2001, 434. Siehe auch das stetig aktualisierte Nachfolgeprojekt „Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters“, URL: (Stand 14. 08. 2020).

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tar und in dem apologetischen Werk ‚De fide catholica‘, das sich gegen „Häretiker“ (höchstwahrscheinlich katharische Gruppen), Waldenser, Juden und Muslime richtet. In seiner ‚Elucidatio in Cantica Canticorum‘ interpretiert Alain das Hohelied primär als Text über Maria und nur sekundär über die Kirche, mit welcher in anderen Interpretationen die Braut des biblischen Buches identifiziert wurde 22. In der Auslegung von Ct 2,3 „Sub umbra illius quem desideraveram sedi“ 23 deutet Alain das Sitzen als Zeichen der Demut, der Keuschheit und des gleichmütigen Wartens auf die Verkündigung. Maria wandelte nicht in inquieta curiositate umher, sondern saß in ruhiger Erwartung des Erzengels 24. Es scheint hier ein von Augustinus beeinflusster Wortgebrauch vorzuliegen, der das gierige Umhersuchen der curiosi nach Nichtigkeiten in seiner Psalmenauslegung mit rastlosem Umherwandeln verbindet 25. Diese Assoziationen mit curiositas finden sich auch bei Alains Magisterkollegen 26. Die Unmäßigkeit einer Gier, hier: etwas in Erfahrung zu bringen, ist wohl das entscheidende Merkmal der curiositas, die an dieser Stelle entsprechend als Neugier übersetzt werden kann. Anders als bei Augustinus bezieht sich die Wissbegierde aber nicht auf Nichtigkeiten, sondern auf die Offenbarung. 22

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Alanus ab Insulis, Elucidatio in Cantica Canticorum, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 53: „Unde cum canticum amoris, scilicet epithalamium Salomonis, specialiter et spiritualiter ad Ecclesiam referatur, tamen specialissime et spiritualissime ad gloriosam Virginem reducitur quod divino nutu (prout poterimus) explicabimus.“ Zur Geschichte der Exegese cf. C. Dezzuto, „Quae est ista“. Alcune letture mariane del Cantico dei Cantici nel XII secolo e le figure teologiche in esse sottese, in: Studia monastica 49 (2007), 233–266; E. A. Matter, The Voice of My Beloved. The Song of Songs in Western Medieval Christianity (The Middle Ages Series), Philadelphia 1990; H. Riedlinger, Die Makellosigkeit der Kirche in den lateinischen Hoheliedkommentaren des Mittelalters, Münster 1958. Speziell zu Alains Kommentar J. M. Trout, Alan of Lille᾿s Commentary on the Song of Songs. A Preliminary Study, in: Cistercian studies 8 (1973), 25–34. Der Vulgata-Text in der Edition von Weber und Gryson lautet: „sicut malum inter ligna silvarum sic dilectus meus inter filios sub umbra illius quam desideraveram sedi et fructus eius dulcis gutturi meo.“ Alanus ab Insulis, Elucidatio, ed. Migne (nt. 22), 65: „Sub umbra illius quem desideraveram sedi“. Verba sunt beatae Virginis; quasi dicat: Ego humiliata ad verba Gabrielis, sedi, id est requievi sub umbra illius, id est sub protectione Filii Dei per obumbrationem Spiritus sancti facta, de qua dicitur: ‚Spiritus sanctus superveniet in te et virtus Altissimi obumbrabit tibi.‘ Tempore enim Incarnationis, gratia Spiritus sancti fuit tabernaculum vel umbraculum in ea contra concupiscentiae incentivum. Sub umbra illius quem desideraveram sedi, non steti rigida elatione, non ambulans inquieta curiositate, non jacui resoluta voluptate: ideo plena gratia apud Deum per humilitatem, apud angelos per virginitatem, apud homines per fecunditatem.“ Zu bemerken ist hier, dass Alain von ‚ambulare‘ statt ‚perambulare‘ spricht, wie es Augustinus bewusst zur Beschreibung derer tut, die sich in unmäßiger Gier mit nichtigen Dingen beschäftigen, cf. dazu Newhauser, History (nt. 11), 573 und Augustinus, Enarrationes in psalmos, I– L, edd. E. Dekkers/J. Fraipont (Corpus Christianorum Series Latina 38), Turnhout 21990, 56: „Intuere etiam pisces maris, hoc est curiosos qui perambulant semitas maris, id est, inquirunt in profundo huius saeculi temporalia, quae tamquam semitae in mari tam cito euanescunt et intereunt, quam rursus aqua confunditur, postquam transeuntibus locum dederit uel nauibus, uel quibuscumque ambulantibus aut natantibus. Non enim ait tantum: Ambulant semitas maris, sed perambulant dixit, ostendens pertinacissimum studium inania et praeterfluentia requirentium. Haec autem tria genera uitiorum, id est uoluptas carnis, et superbia, et curiositas, omnia peccata concludunt.“ Cf. Ferruolo, Origins of the University (nt. 17), 232.

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Im Hoheliedkommentar scheint am ehesten ein Verständnis von curiositas durchzudringen, das mit einem unziemlichen, ungeduldigen Nachforschen assoziiert ist. Damit wäre es dem Pol ‚Erkenntnis‘ zuzurechnen, den Newhauser neben dem Pol ‚Sorge um Weltliches‘ im Bedeutungsspektrum von curiositas identifiziert 27. Das dürfte damit zusammenhängen, dass Alains marianischer Hoheliedkommentar Fragen der Gotteserkenntnis behandelt. Theo Kobusch hat gezeigt, dass die christliche Hohelied-Exegese eine spezifische, nämlich praktische Form der Metaphysik ist. Gemäß dieser muss sich der Mensch von allen Zerstreuungen lossagen und auf das Eine konzentrieren, wie es Maria in Alains Kommentar auf vorbildliche Weise macht 28. Die zweite Belegstelle entstammt der Apologie ‚De fide catholica contra haereticos‘ 29. Hier erläutert Alain mithilfe der Glosse eine Thessalonicher-Stelle zur Notwendigkeit körperlicher Arbeit. Es geht ihm dabei um die Widerlegung derjenigen, „qui dicunt quod praedicatores non debent laborare manibus“ 30. Auch hier wird das malum curiositatis mit einem Zustand der Unruhe verbunden, der bei zu viel Müßiggang eintritt 31. Richard Newhauser hat darauf hingewiesen, dass curiositas oft mit dem Abgleiten in häretisches Gedankengut verbunden wird, also eine lasterhafte Art der Neugier auf fremde Glaubensinhalte beschreiben kann 32. In Alains Distinctiones-Sammlung, einer Art theologischem Wörterbuch als Hilfsmittel für die Predigtabfassung 33, wird die Neugier ebenfalls mit einem unru27 28

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Siehe Newhauser, History (nt. 11), 560 sq. T. Kobusch, Metaphysik als Lebensform. Zur Idee einer praktischen Metaphysik, in: W. Goris (ed.), Die Metaphysik und das Gute. Aufsätze zu ihrem Verhältnis in Antike und Mittelalter. Jan A. Aertsen zu Ehren (Recherches de théologie et philosophie médiévales. Bibliotheca 2), Leuven 1999, 29–56; id., Kobusch, The Exegesis of the Song of Songs: a New Type of Metaphysics, in: G. Maspero/M. Brugarolas/I. Vigorelli (eds.), Gregory of Nyssa: In Canticum Canticorum. Analytical and Supporting Studies. Proceedings of the 13th International Colloquium on Gregory of Nyssa (Rome, 17–20 September 2014) (Vigiliae Christianae, Supplements 150), Leiden– Boston 2018, 155–169. Zum Einfluss des Origenes im Hinblick auf diese Art der HoheliedInterpretation siehe Origenes, Commentaire sur le Cantique des cantiques. Texte de la version latine de Rufin, vol. 1, edd. L. Brésard/H. Crouzel (Sources Chrétiennes 375), Paris 1991, 47– 68. Alanus ab Insulis, De fide catholica contra haereticos, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 305–430; Auszüge ediert von M.-T. d’Alverny, Alain de Lille. Contra paganos, Islam et chrétiens du Midi (XIIe–XIVe s.) (Cahiers de Fanjeaux 18), Toulouse 1983, 301–350. Siehe dazu auch N. M. Häring, Alan of Lille’s De fide catholica or Contra haereticos, in: Analecta Cisterciensia 32 (1976), 216–237. Alanus ab Insulis, De fide catholica, II, 24, ed. Migne (nt. 29), 399. Ibid., II, 25, 400: „Item in Epistola prima ad Thessalonicenses [I Thess. 4,11]: Ut vestrum negotium agatis, et operemini manibus vestris, sicut praecepimus vobis. Hic dicitur in glossa, quod opus manuum facit nos quietos esse, et malum curiositatis quod ex otio venit, tollitur.“ Newhauser, History (nt. 11), 570. L.-J. Bataillon, Les instruments de travail des prédicateurs au XIIIe siècle, La prédication au XIIIe siècle en France et Italie, Études et documents (Variorum Collected Studies Series 402), Aldershot 1993, 197–209; R. H. Rouse/M. A. Rouse, Statim invenire. Schools, Preachers, and New Attitudes to the Page, in: R. L. Benson/G. Constable/C. D. Lanham (eds.), Renaissance and Renewal in the Twelfth Century, Oxford 1982, 201–225; Longère, La prédication médiévale (nt. 14), 189–193.

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higen Zustand assoziiert, der in Verbindung mit dem Irdischen auftritt 34. An anderer Stelle scheint eine ähnliche Deutung wie im Hohelied-Kommentar vorzuliegen 35. Wendet man sich nun der ‚Predigtkunst‘ und den Predigten zu, so ist zunächst festzuhalten, dass in diesen kein curiositas-Verständnis zum Ausdruck kommt, das sich auf eine „preoccupation with such this-worldly matters as rhetorical flourishes“ 36 bezöge. Diese gleichsam ästhetische Dimension von curiositas wurde von Yuichi Akae im Hinblick auf die Predigtliteratur untersucht. Er schlägt die Übersetzungen „‚artistry‘, ‚decoration‘, ‚elegance‘ and ‚novelty‘ in the context of preaching“ 37 vor. Der von ihm vorrangig untersuche Autor eines Predigthandbuchs, Robert von Basevorn, versteht den Begriff positiv und lobt gerade bei Bernhard von Clairvaux den Einsatz von curiositates novae 38. Negativ wurde ein solcher ästhetischer curiositas-Begriff dagegen von Petrus Cantor gewertet, einem Zeitgenossen Alains: „Sexta [scil. predicatio] uero que est curiositatis, non est christiani, sed exsufflanda est et relinquenda ambitiosis qui histrionantur et fauoris auram uenantur, qui potius delectare uolunt quam prodesse“ 39. Alain von Lille wendet sich 34

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Cf. zum Lemma ‚mare‘ Alanus ab Insulis, Distinctiones Dictionum Theologicalium, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina), Paris 1855, 850 sq.: „Dicitur praesens saeculum, unde David: Hoc mare magnum et spatiosum. Eleganter mare praesens saeculum significat; mare quippe est salsum, inquietum, tumet et fetet; sic praesens saeculum salsum est per amaritudinem, inquietum per curiositatem, tumet per superbiam, fetet per luxuriam.“ Höchstwahrscheinlich übernahm Alain diese Passage von Richard von St. Victor, cf. Richard von St. Victor, Liber exceptionum, Texte critique avec introducion, notes et tables, ed. J. Châtillon (Textes philosophiques du moyen age), Paris 1958, 381. Sie ist vermutlich ebenso von Augustinus inspiriert, cf. zum Lemma ‚gurgustium‘ Alanus ab Insulis, Distinctiones Dictionum Theologicalium, ed. Migne (nt. 34), 806: „Gurgustium, instrumentum vimineum quo capiuntur pisces. Dicitur Ecclesia, unde Job [Iob 40,26]: Nunquid tu gurgustio capies pisces? id est, nunquid curiosos et peccatores incorporabis Ecclesiae?“ Augustinus verglich die curiosi mit Fischen, die im Ozean umherirren. Er kritisierte damit diejenigen, die gierig nach unnützem, flüchtigem Wissen streben. In diesem Sinne dürfte es auch Alain hier meinen; siehe nt. 25. Newhauser, History (nt. 11), 561. Akae, The Importance of Curiositas (nt. 14), 54. Ibid., 60. Petrus Cantor, Verbum adbreviatum, Textus conflatus, ed. M. Boutry (Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis 196), Turnhout 2004, 34, 8–11. Siehe auch id., Verbum adbreviatum, ed. M. Boutry (Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis 196 B), Turnhout 2012, 26, 7– 10. Vergleichbar äußert sich Humbert von Romans gegen curiositas in der Ausdrucksweise des Predigers, cf. N. Bériou, Le sermon thématique. Une construction fonctionnelle et esthétique, in: L. Evdokimova/V. Smirnova (eds.), L᾿œuvre littéraire du moyen âge. Aux yeux de l’historien et du philologue (Rencontres. Série Civilisation médiévale 77,9), Paris 2014, 341–358, hier 344. Eine negative Einstellung gegenüber dieser Art rhetorischen Schmucks scheint auch in einer Predigt des Jean de la Rochelle zum Ausdruck zu kommen: Contra quorumdam curiositatem, qui student in predicatione plus proferre subtilia quam utilia. Die Stelle wurde dank des digitalisierten Zettelkastens des Institut de Recherche et d’Histoire des Textes Paris (IRHT) gefunden, cf. URL: (Stand: 18. 09. 2020). In der ‚Ars Praedicandi‘ des Thomas von Chobham (um 1227/28, cf. XXXVII in der Einleitung) dürfte mit curiositas eine übertriebene Sorgfalt bzw. Detailverliebtheit, die vom Wesentlichen ablenkt, gemeint sein, siehe Thomas de Chobham, Summa de arte praedicandi, 7, ed. F. Morenzoni (Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis 82), Turnhout 1988, 286, 887–890: „Preterea, cauenda est curiositas quorun-

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zwar in ganz ähnlichen Formulierungen gegen solche Übertreibungen der Redekunst, doch ohne den Begriff der curiositas dafür einzusetzen 40. Aus der Untersuchung von Alains Predigthandbuch ergibt sich ein aussagekräftiger Negativbefund: Die ‚Ars Praedicandi‘ weist kein eigenes Kapitel zur curiositas auf. Während das Predigen gegen die sieben Hauptlaster (capp. 4–10) sowie weitere Verfehlungen, zum Beispiel die Lüge (cap. 27) oder Ablenkung (detractio, cap. 28) mit eigenen Beispielen veranschaulicht wird, wird der curiositas diese Aufmerksamkeit nicht zuteil. Sie wird lediglich im zweiten Kapitel angesprochen, das das Thema der Weltverachtung mit einem Predigtbeispiel versieht. Aus der Bibelstelle Kohelet/ Ecclesiastes 1,2: „Vanitas vanitatum, et omnia vanitas“, leitet Alain ab, dass es drei Arten der vanitas geben muss, nämlich die Nichtigkeit der Veränderlichkeit (mutabilitas ) allen Seins, die Nichtigkeit der curiositas, sowie die Nichtigkeit der Falschheit (falsitas ) 41. Die Nichtigkeit der curiositas besteht nun darin, dass der Mensch all seine Sorge auf weltliche Dinge verwendet. Korroboriert wird diese Aussage mit einer Korinther-Stelle sowie einem PersiusZitat 42. Die Nichtigkeit der Falschheit liegt wiederum in der curiositas des Lügens 43. Curiositas scheint hier ein inneres Streben zu bezeichnen, das primär auf Materielles zielt, aber auch andere Formen einer inneren Gier umfassen kann.

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dam qui in predicationibus ostendunt loca et capitula auctoritatum quas inducunt. Sufficit enim dicere talis auctoritas est in Euuangelio, uel talis auctoritas est in apostolo.“ Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, ed. Migne (nt. 8), 112: „Praedicatio enim in se, non debet habere verba scurrilia, vel puerilia, vel rhythmorum melodias et consonantias metrorum, quae potius fiunt ad aures demulcendas, quam ad animum instruendum, quae praedicatio theatralis est et mimica, et ideo omnifarie contemnenda“. Zu den beiden Stellen auch Bériou, L’avènement des maîtres (nt. 14), 32. Wie im Folgenden deutlich wird, ist der Text der Migne-Edition für die ‚Ars Praedicandi‘ nicht immer zuverlässig. Wo sich jedoch keine allzu bedeutenden Abweichungen zur Textgestalt ausgewählter Handschriften ergeben, wird nach der ‚Patrologia‘ zitiert, um eine bessere Überprüfbarkeit der Argumentation zu ermöglichen. Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, I, ed. Migne (nt. 8), 114: „Juxta hanc auctoritatem, debet distinguere triplicem mundi vanitatem. Est enim vanitas mutabilitatis, vanitas curiositatis, et vanitas falsitatis.“ Cf. dazu Bös, Curiositas (nt. 11), 30, mit Verweis auf die Parallele zu Hugo von St. Victor: „In der Schrift De modo dicendi et meditandi unterscheidet Hugo drei Arten von vanitas: prima est vanitas mutabilitatis quae omnibus rebus caducis inest per conditionem. Secunda est vanitas curiositatis vel cupiditatis, quae mentibus hominum inest per rerum transientium et vanarum inordinatam dilectionem. Tertia est vanitas mortalitatis, quae corporibus humanis inest per poenalitatem (PL 176,879 f.).“ Zu Hugo auch R. G. Newhauser, The Sin of Curiosity and the Cistercians, in: J. R. Sommerfeldt (ed.), Erudition at God᾿s Service. Studies in Medieval Cistercian History, XI (Cistercian Studies 98), Kalamazoo, Mich., 1987, 71–95, hier 85 sq., allerdings ohne jene Stelle in Betracht zu ziehen, die das Urteil, Hugo beziehe das Laster der curiositas nur auf das Problem der Erkenntnis, etwas relativiert. Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, II, ed. Migne (nt. 8), 115: „Vanitas curiositatis est, secundum quam homo expendit omnem curam suam in mundanis. Unde: Dominus dissipat cogitationes hominum quoniam vanae sunt [I Cor. 3,20]. De qua Persius comicus ait: O curas hominum, o quantum in rebus inane! [A. Persius Flaccus, Saturae, 1, 1, 1]“. Vatican, Reg. lat. 424, fol. 2r und Toulouse, BM, 195, fol. 20v überliefern nur cinicus statt Persius comicus. Siehe zur Rezeption dieser Persius-Stelle K. Fetkenheuer, Die Rezeption der Persius-Satiren in der lateinischen Literatur. Untersuchungen zu ihrer Wirkungsgeschichte von Lucan bis Boccaccio (Lateinische Sprache und Literatur des Mittelalters 31), Bern 2001, 154–248, speziell zu Alains ‚Predigtkunst‘ 195 sq. Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, II, ed. Migne (nt. 8), 115: „Vanitas falsitatis, est curiositas mentiendi; de qua dicitur: Vana locuti sunt unusquisque ad proximum suum [Ps 11,3]“.

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Einige Handschriften, die einen zuverlässigeren Text bieten als die MigneEdition, ergänzen den Absatz um Ausführungen dazu, wie die predigttechnische divisio der vanitas noch zu erweitern und im Gedächtnis des Hörers zu verankern wäre. So schlägt Alain zur Ergänzung die Erläuterungen vor, dass der Mensch sich durch die Nichtigkeit der curiositas aufreibe, sie den Menschen stark verändere und schließlich der Mensch durch sie „verrinne“ 44. Darauffolgend solle der Prediger zeigen, in welchen Dingen die dreifache Art der Nichtigkeit anzutreffen sei, nämlich in allem Weltlichen, speziell dem Reichtum. Die curiositas wohne ihm inne, da Menschen all ihre Sorge auf ihn verwendeten 45. Wie oben legt auch diese Wendung die Bedeutung nahe, dass es bei curiositas um eine Art von Gier, im Besonderen nach dem Materiellen, geht. In dieser Bedeutung findet sich die Vokabel auch später in der ‚Summa‘ des Alexander von Hales 46. Damit entspricht der Wortgebrauch Alains einem Begriffsverständnis, das etymologisch näher an cura ist. Dies ist laut Richard Newhauser im späteren Mittelalter recht verbreitet, aber noch eher schlecht erforscht 47. Lediglich im Falle des Adjektivs curiosus lässt sich eine semantische Nähe zur Neugier herstellen, wenn Alain im Kapitel über die Mäßigung den Menschen auffordert, seine Mitmenschen weder

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Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, II, zitiert nach Vatican, Reg. lat. 424, fol. 2r–2v: „Sic [2v] predicator omnem diuisionem quam proponit auctoritatibus roborare debet, aliter tota diuisio nutans est et lubrica; membra uero diuisionis debet sibi quasi per quasdam contrapositiones conferre; uerbi causa per uanitatem mutabilitatis homo preterit, per uanitatem curiositatis se atterit, per uanitatem falsitatis spiritualiter interit. Vanitas mutabilitatis hominem mutat, uanitas curiositatis hominem commutat, uanitas falsitatis hominem in peius permutat. Homo per uanitatem mutabilitatis fluit, per uanitatem curiositatis effluit, per uanitatem falsitatis pereffluit.“ Zur Handschrift siehe d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 113. 239. Weitere Handschriften, die diese Passagen nahezu wortgleich überliefern, sind etwa Toulouse, BM, 195, fol. 20v und London, BL, Add. 10393, fol. 3v–4r. Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, II, ed. Migne (nt. 8), 115: „In divitiis est vanitas mutabilitatis, quia praetereunt; vanitas curiositatis, quoniam in eis homines totam curam expendunt; vanitas falsitatis quia pro divitiis acquirendis vel retinendis, homines mendacia evomunt.“ Alexander von Hales, Summa theologica, t. 3, IIa-IIae, Inq. 3, Tract. 4, Sect. 1, C. 3, III., Solutio, ed. Collegium S. Bonaventurae, Quaracchi 1930, 487: „[über die Einteilung in sieben Hauptlaster] Ordinatur enim anima secundum affectum ad corpus et per relationem ad opus. Unde tres habet differentias capitalium peccatorum: peccatum irae penes irascibilem, cuius est insurgere in iniuriosum; peccatum acidiae, cuius est fastidire laboriosum; peccatum avaritiae, cuius est concupiscere bonum curiosum: unde ab Augustino etiam dicitur curiositas.“, ibid., 489: „Vel aliter potest distingui ut sit duplex inordinatio circa bonum exterius: est enim bonum exterius spirituale et est bonum exterius corporale. Potest ergo inordinatio esse respectu boni spiritualis in non appetendo propter laborem aut difficultatem, respectu vero boni corporalis in appetendo propter curiositatem; et secundum hoc sunt duae differentiae peccatorum, peccatum scilicet acidiae in non appetendo propter difficultatem bonum spirituale, peccatum vero cupiditatis in appetendo bonum corporale propter curiositatem. Dicitur autem curiositas, cum requiritur in concupiscibili secundum visum pulcritudo propter se, sicut est in auro et argento et lapidibus pretiosis. Ad pulcritudinem vero ordinantur color, forma et figura et huiusmodi dispositiones, ex quibus resultat pulcritudo.“ Newhauser, History (nt. 11), 561, nt. 6. 563. Siehe auch id., Augustinian vitium curiositatis (nt. 11), 110, nt. 31, wo Innozenz III., Isaak von Stella und Bonaventura als Beispiele für ein entsprechendes Begriffsverständnis genannt werden.

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gierig auszufragen noch mit harten Vorwürfen zu überziehen 48. Dies entspricht der monastischen Analyse der Sünde der curiositas 49. Die einzige bislang aufgefundene Predigt, in der Alain wieder auf die curiositas zu sprechen kommt, ist eine Predigt zum vierten Adventssonntag. Sie findet sich in der Sammlung von Modellpredigten, die auch ‚Liber Sermonum‘ genannt wird. Im Unterschied zu anderen Predigten Alains, die den Stil des sermo modernus vorwegnehmen, ist diese eine Homilien-artige Auslegung von Philipper 4,4–6, „Gaudete in Domino“. Diese Form scheint im ‚Liber Sermonum‘ die häufigere zu sein 50. Verkündet werden die Hoffnung auf das Jenseits und die Aufforderung zur Weltverachtung. Der sechste Vers, „Nihil solliciti sitis (sorgt euch um nichts)“, führt Alain zur Unterscheidung von sollicitudo necessitatis und sollicitudo curiositatis. Während die Sorge um das Lebensnotwendige (necessitas ) von Gott gestattet sei, sei die Sorge um Überflüssiges, um Ausschweifung und Gier untersagt 51. Dieses Bedeutungsspektrum von curiositas als Gier nach dem Materiellen deckt sich mit dem der bereits vorgestellten Textstellen. Zugleich markiert die Gegenüberstellung von Notwendigem und darüber Hinausgehendem die in curiositas enthaltene Begriffskonnotation der Maßlosigkeit 52. Der Predigtkontext rückt die curiositas zudem in das Themenfeld des contemptus mundi. 48

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Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, XXV, ed. Migne (nt. 8), 161: „Esto vitiorum fugator ipse, aliorum vero non sis curiosus scrutator neque acerbus reprehensor, sed sine reprobatione corrector ita, ut admonitione hilaritatem praevenias, et erroris veniam facile dato.“ Interessanterweise verwendet Alain den Begriff ‚curiosus‘ nicht in der entsprechenden Mahnung an Beichtväter in seinem ‚Liber Poenitentialis‘. Hier warnt er sie mit folgenden Worten vor allzu großem Eifer in der Abnahme der Beichte: „Cesset ergo nimis subtilis inquisitio. Exempli causa: Si quis confiteatur se cognovisse aliquam, non quaerat utrum cognoverit eam ante, vel retro, vel hujusmodi.“ Diese Art des Nachfragens wird als subtilis, als gründlich, nicht aber als neugierig bezeichnet. Siehe id., Liber poenitentialis, IV, vol. 2: La tradition longue, texte inédit, ed. J. Longère (Analecta mediaevalia Namurcensia 18), Louvain– Lille 1965, 27. Newhauser, History (nt. 11), 561; id., The Sin of Curiosity (nt. 41). Siehe P. H. Tibber, The Origins of the Scholastic Sermon, c. 1130–c. 1210, Diss., University College, Oxford 1984, 149. Zur Entwicklung des Predigtstils cf. Longère, La prédication médiévale (nt. 14), 19–78; Bériou, Le sermon thématique (nt. 39); Zier, Sermons (nt. 8). Alanus ab Insulis, Sermo zu Phil. 4,4 „Gaudete in Domino“, zitiert nach Vatican, Reg. lat. 424, fol. 52r: „Prope est Dominus homini, quia appropinquat dies iudicii, et ideo nichil soliciti sitis. Est solicitudo curiositatis, et est solicitudo necessitatis. Non prohibet Dominus solicitudinem que est ad necessitatem, sed que est ad superfluitatem, ut solicitudo terrenorum non preponatur solicitudini eternorum. Conceditur solicitudo nature, sed inhibetur solicitudo luxus et auaricie.“ Cf. auch id., Liber Sententiarum, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 231, wo ein Auszug der Predigt abgedruckt ist. Zu der unter dem Titel ‚Liber Sententiarum‘ in Patrologia Latina 210, 229–252 abgedruckten Sammlung von Predigtausschnitten, die allesamt dem ‚Liber Sermonum‘ entstammen, cf. P. Glorieux, Le prétendu Liber sententiarum d’Alain de Lille, in: Recherches de théologie ancienne et médiévale 20 (1953), 312–315. Der Terminus ‚sententia‘ wird im Mittelalter teilweise synonym zu ‚sermo‘ verwendet, siehe Kienzle, The Twelfth-Century Monastic Sermon (nt. 16), 277 sq. Ganz ähnlich ist der Wortlaut einer Raoul Ardent, einem Zeitgenossen Alains, zugeschriebenen Predigt, siehe Radulfus Ardens, Homiliae, XLVIX, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 155), Paris 1854, 2116: „non sit ei [scil. magistro] cura de aliquo, id est non sit sollicitus in curiositate rerum temporalium“. Zu dieser Stelle auch Ferruolo, Origins of the University (nt. 17), 227. Dazu Newhauser, History (nt. 11), 572 sqq.

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Es ist nicht erkennbar, dass Alain bei dem zweiten Kapitel der ‚Ars‘ über die Weltverachtung ein bestimmtes Publikum anvisierte. Schon eingangs des Kapitels spezifiziert Alain nicht weiter, welche Art von Hörern mit dem Folgenden besonders anzusprechen seien: „Si Praedicator vult invitare auditores ad mundi contemptum, in medium hanc afferat auctoritatem: ‚Vanitas vanitatum, et omnia vanitas‘, etc.“ 53. Die zu fliehenden irdischen Güter wie Reichtum und Ehren sind allgemein genug gehalten, um mit diesem Kapitel der ‚Ars‘ ein breites Publikum anzusprechen. Für die Predigt zum vierten Adventssonntag über ‚Gaudete in Domino‘ wird sich nicht mehr feststellen lassen, ob Alain von Lille sie zunächst vor einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppe hielt und dann so umformte, dass sie als Modellpredigt auch für ein diverses Zielpublikum funktionieren würde. Fest steht, dass sie im überlieferten Zustand sowohl für ein schulisches als auch für ein monastisches Publikum Passagen enthalten hätte, welche das von diesen Gruppen reflektierte Thema der vollständigen Gotteserkenntnis anschneidet 54. Zugleich sind Vergleiche enthalten, die sich an grundbesitzende Schichten wandten und klösterliche wie adlige Grundbesitzer ansprechen konnten 55. Mit den (knappen) Ausführungen zu curiositas gemäß dem etymologischen Begriffsverständnis scheint Alain also ein eher breites Publikum adressieren zu wollen. III. Das Konze pt der Neugier in den Predigten Wie aber verhält es sich mit dem Konzept der Neugier im Predigtœuvre des Alanus? Neugier im Sinne einer Gier nach neuem Wissen allein um des Neuen willen findet sich als Thema nicht explizit in seinen Schriften 56. ‚Novitas‘, die 53 54

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Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, II, ed. Migne (nt. 8), 114. Id., Sermo zu Phil. 4,4 (nt. 51), fol. 51v–52r: „Gaudete ergo fratres in domino in quo gaudium sine fine, in quo leticia nulla respersa amaritudine. Mundi gaudium [korr. aus guadium, AG] multa infirmant, quia et ipsum gaudium transit et res de qua habetur gaudium penitus euanescit. In gaudio occurrit fletus, in gaudente occurit obitus. Celeste uero gaudium finem nescit. Illud de quo habetur gaudium in statu immutabilitatis persistit. Ab illo gaudio excluditur fletus, a gaudente relegatur obitus. Ibi gaudium tocius uoluntatis consequi effectum. Ibi exultatio summo adherere bono. Ibi perfecta ordinatio leticie nichil inordinatum sentire. Ibi uisus diuine sapientie intueri sacra, auditus audire quid interius loquatur diuina sapientia, loqui mentis deuotio. Gustus diuina contemplatio. Olfactus odor [52r] diuine iocunditatis. Tactus experiencia eterne beatitudinis.“ Kleinere, diskutierenswerte Varianten finden sich in der sehr sauber ausgeführten Handschrift London, BL, Add. 19767, fol. 57r. Zu dieser Handschrift cf. W. Berschin, Ottenburana. Aus Handschriften des 12. und 13. Jahrhunderts, in: Studien und Mitteilungen zum Benediktinerorden und seiner Zweige 127 (2016), 177–190. Alanus ab Insulis, Sermo zu Phil. 4,4 (nt. 51), fol. 52r: „Conceditur solicitudo nature, sed inhibetur solicitudo luxus et auaritie. Unde in Euangelio dicitur: „Nolite solliciti esse de crastino“, id est de futuro. Maxime inhibetur sollicitudo, qui habent redeuntem pecuniam, quia redditus excludere debet solicitudinem nimiam. Conceditur autem sollicitudo adquirendi uictualia sufficiencia usque ad annum, sed non licet extendere ultra anni terminum, quia in sequenti anno redeunt uictualia prouidente natura“ (die Passage ist auch enthalten in Alanus ab Insulis, Liber Sententiarum, ed. Migne [nt. 51], 231). Zu dieser Bedeutungsdimension von Neugier cf. B. Vinken, Curiositas/Neugierde, in: K. Barck (ed.), Ästhetische Grundbegriffe, vol. 1, Stuttgart 2000, 794–813, hier 794 sq.

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Neuheit, ist allerdings durchaus positiv besetzt, wie der Prolog seines ‚Anticlaudianus‘ zeigt, in dem er dem Leser Freude an der Verlockung der Neuheit in Aussicht stellt 57. Fasst man den Begriff der Neugier weiter und bezieht auch die Idee der „Suche nach Wissen“ oder eines „Wissenwollen“ mit ein, wie Barbara Schlieben 58, rückt eine Anzahl von Predigten in den Blick. Auffällig präsent ist hier die delphische Maxime ‚Erkenne dich selbst‘. ‚Gnothi Seauton‘ kann als die zentrale Formel des „christlichen Sokratismus“ (Etienne Gilson) gelten, der die sokratische Überzeugung, dass nur Gott wissend sei, der Mensch aber nur sein Unwissen wissen könne, in das christliche Glaubensgebäude integrierte. Pierre Courcelle hat die Rezeption des Spruchs „Erkenne dich selbst (Gnothi seauton )“ von Sokrates bis Bernhard von Clairvaux nachverfolgt. Auch als delphische Maxime bekannt, da am Apollotempel zu Delphi angebracht und zunächst als religiös begründete Warnung vor Hybris zu verstehen, wurde die Sentenz von Sokrates philosophisch gedeutet 59. Die Neuplatoniker erweiterten die Interpretation um die Einsicht, dass der Mensch seine unsterbliche Seele erkennen solle. Der erwiesenermaßen neuplatonisch geprägte Augustinus reflektiert die Maxime über sein ganzes Werk hindurch und ergänzt ihr Verständnis um die Frage nach dem Verhältnis von Selbst- und Gotteserkenntnis 60. Seit der Antike 57

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Zu dieser Einschätzung kommt auch G. R. Evans, Alan of Lille. The Frontiers of Theology in the Later Twelfth Century, Cambridge 2009 [1983], 52. Siehe außerden Alanus ab Insulis, Anticlaudianus, Texte critique avec une introduction et des tables, ed. R. Bossuat (Textes philosophiques du moyen age), Paris 1955, 55: „Quare ad hoc opus non nauseantis animi fastidio ductus, non indignationis tumore percussus, sed delectatione nouitatis illectus, lector accedat“. Zu der Stelle E. Gössmann, „Antiqui“ und „moderni“ im 12. Jahrhundert, in: A. Zimmermann/G. Vuillemin-Diem (eds.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewusstsein und Fortschrittsbewusstsein im späten Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 9), Berlin–New York 1974, 40–57, hier 53. Siehe auch den metrischen Prolog des ‚Anticlaudianus‘, Alanus ab Insulis, Anticlaudianus, ed. Bossuat (nt. 57), 57, 4: „Scribendi nouitate uetus iuuenescere carta/ Gaudet“, sowie weitere zahlreiche Belegstellen für die positive Verwendung des novitas-Begriffs in diesem Epos, etwa ibid., VI, ed. Bossuat (nt. 57), 141, 1–5: „Postquam uirgo Dei solium sedesque superbas/ Ingrediens, uoluit noua prelibare uidendo,/ Offendit splendor oculos mentemque stupore/ Percussit rerum nouitas, defecit in illis/ Visus et interior mens caligauit ad illas.“ Zum Homo Novus im ‚Anticlaudianus‘ cf. F. Bezner, Vela veritatis. Hermeneutik, Wissen und Sprache in der Intellectual History des 12. Jahrhunderts (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 85), Leiden–Boston 2005, 502–512; C. Meier-Staubach, Der ideale Mensch in Alans von Lille ‚Anticlaudianus‘ und seine Verwandlungen, in: N. Staubach (ed.), Exemplaris imago. Ideale in Mittelalter und Früher Neuzeit (Tradition, Reform, Innovation 15), Frankfurt am Main 2012, 137–157. Beispiele für ein negatives Verständnis von novitas, etwa bei Bernhard von Clairvaux, in P. Godman, The Silent Masters. Latin Literature and its Censors in the High Middle Ages, Princeton, NJ 2000, 128–141 und 306. Cf. Schlieben, Neugier im Mittelalter (nt. 11), 333 und 336. P. Courcelle, Connais-toi toi-même. De Socrate à Saint Bernard, vol. 1, Paris 1974, 12 sq.; H. Tränkle, Gnothi seauton. Zu Ursprung und Deutungsgeschichte des delphischen Spruchs, in: Würzburger Jahrbücher für die Altertumswissenschaft. Neue Folge 11 (1985), 19–31, hier 24. Für die Geschichte des Spruchs in der Antike mit einem kurzen Ausblick auf frühchristliche Literatur auch E. G. Wilkins, „Know Thyself“ in Greek and Latin Literature, Diss., Chicago, Ill. 1917. Courcelle, Connais-toi toi-même (nt. 59), 125–137; W. J. Hankey, „Knowing as We Are Known“ in Confessions 10 and Other Philosophical, Augustinian and Christian Obedience to the Delphic Gnothi Seauton from Socrates to Modernity, in: Augustinian studies 34 (2003), 23–48.

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sind also zwei Pole des Gnothi Seauton vorhanden: Zum einen die Einsicht in die eigene Hinfälligkeit, die zu Demut führen soll, christlich ergänzt durch die Anerkennung der Sündenverfasstheit; zum anderen die Hinführung der Vernunft zur Erkenntnis der menschlichen Gottähnlichkeit 61. Neben der Augustinus-Lektüre sorgte vor allem der Cicero-Kommentar des spätantiken Dichters Macrobius (um 400, zum ‚Somnium Scipionis‘) dafür, die Erinnerung an den Spruch präsent zu halten. Maßgeblich durch ihn wird das Juvenal-Zitat „vom Himmel herab stieg Gnothi Seauton“ überliefert, was direkt anschlussfähig war für christliche Himmelsvorstellungen. Auch verknüpfte er den Satz zugleich mit der Forderung, sein Selbst nicht in Äußerlichkeiten zu suchen, sondern den himmlischen Ursprung der Seele zu erkennen 62. Im 12. Jahrhundert kam es zu einer verstärkten Verarbeitung der Maxime samt ihren Implikationen, unter anderem bei Bernhard von Clairvaux 63. Entgegen neueren Studien handelt es sich bei dieser zunehmenden Introspektion aber nicht um ein spezifisch monastisches oder gar zisterziensisches Phänomen 64, 61 62

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Cf. A. M. Haas, Christliche Aspekte des „Gnothi seauton“. Selbsterkenntnis und Mystik, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 110 (1981), 71–96, hier 81. Cf. id., Et descendit de caelo „gnothi seauton“ (Juvenal, Satir. XI, 27). Dauer und Wandel eines mystologischen Motivs, in: Zeitschrift für deutsches Altertum und Literatur 108 (1979), 71–95. Siehe auch A. Persius Flaccus, Saturarum liber I, ed. W. Kissel (Bibliotheca scriptorum Graecorum et Romanorum Teubneriana), Berlin–New York 2007, 2, 1–7: „Ο curas hominum, ο quantum est in rebus inane!/ ,quis leget haec?‘ min tu istud ais? nemo hercule. ,nemo?‘/ uel duo uel nemo, turpe et miserabile!‘ quare?/ ne mihi Polydamas et Troiades Labeonem/ praetulerint? nugae! non, si quid turbida Roma/ eleuet, accedas examenque improbum in illa/ castiges trutina, nec te quaesiueris extra.“ Bei Bernhard ist der Ausgangspunkt aller Philosophie die Demut, da nur sie zur wahren Selbsterkenntnis führen kann. Um von diesem Punkt aus zur Kontemplation Gottes zu gelangen, ist die caritas als Zwischenstufe eingefügt, wobei es sich um die besondere Deutung des christlichen Sokratismus durch Bernhard handelt. Die Wahrheit muss zunächst in sich selbst, dann im Nächsten, dann an und für sich gesucht und betrachtet werden. Die zweite Besonderheit bei Bernhard liegt darin, dass er dem christlichen Sokratismus eine eschatologische Dimension verleiht, da die notwendige Vollendung der Liebe (in vier Graden) erst nach dem Jüngsten Tag möglich ist, und damit auch die Selbsterkenntnis. Cf. C. Trottmann, Bernard de Clairvaux et l᾿infléxion cistercienne du socratisme chrétien, in: Cîteaux 63 (2012), 45–62, bes. 54–57. Siehe auch Bös, Curiositas (nt. 11), 152–157. Mirko Breitenstein hat für das 12. Jahrhundert festgestellt, dass monastische, insbesondere zisterziensische Traktate dem Thema der Selbstreflexion verstärkt Aufmerksamkeit schenken, wie etwa der Traktat ‚Vom inneren Haus‘, der das Gewissen als domus conscientiae erörtert. Siehe M. Breitenstein, Der Traktat „Vom inneren Haus“. Verantwortung als Ziel der Gewissensbildung, in: id. (ed.), Innovation in Klöstern und Orden des Hohen Mittelalters. Aspekte und Pragmatik eines Begriffs (Vita regularis. Abhandlungen 48), Berlin 2012, 263–292; id., Die Verfügbarkeit der Transzendenz. Das Gewissen der Mönche als Heilsgarant, in: G. Melville/B. Schneidmüller/ S. Weinfurter (eds.), Innovationen durch Deuten und Gestalten. Klöster im Mittelalter zwischen Jenseits und Welt (Klöster als Innovationslabore 1), Regensburg 2014, 37–56; id., Das ‚Haus des Gewissens‘. Zur Konstruktion und Bedeutung innerer Räume im Religiosentum des hohen Mittelalters, in: P. Bsteh/B. Proksch/G. Melville/J. Sonntag (eds.), Geist und Gestalt. Monastische Raumkonzepte als Ausdrucksformen religiöser Leitideen im Mittelalter (Vita regularis. Abhandlungen 69), Münster 2016, 19–57. Breitenstein zufolge müsse der Mönch des 12. Jahrhunderts nun sich selbst erkennen, prüfen und verbessern, was zu einer neuen Verantwortung des Individuums führe, das nun auf sein Heil selbst Einfluss nehmen könne. Breitensteins

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sondern um eine auch an den Pariser Schulen aufgegriffene Strömung, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Diese Beobachtung relativiert, wie andere jüngere Forschungsergebnisse, zu einem gewissen Grad die Unterscheidung monastischer und scholastischer Theologie und Intellektualität 65. Bereits Stephen Ferruolo hat darauf hingewiesen, dass das Thema der Selbsterkenntnis und der damit verbundenen Gotteserkenntnis in einigen der Magisterpredigten präsent ist. Seine These, wonach es den ‚moralistischen‘ Kritikern des Schulwesens in ihrer Verwendung der delphischen Maxime darum ging, den Studenten den begrenzten Wert der weltlichen Wissenschaften aufzuzeigen und sie zum Theologiestudium zu bewegen, ist jedoch etwas zu eindimensional gedacht 66. Wie zu zeigen versucht wird, ist gerade bei Alain von Lille eine wissensethische Intention leitend für seine Auslegungen, ähnlich wie bereits bei John von Salisbury 67. Bei Alain von Lille ist die Forderung, nach Selbsterkenntnis zu streben, in unterschiedlicher Ausführlichkeit sowohl in seinem Predigthandbuch als auch in insgesamt zehn Predigten präsent. In der ‚Predigtkunst‘ wird das Thema der Selbsterkenntnis in Kapitel drei abgehandelt, wobei es nach einer kunstvollen Darstellung des contemptus-sui-Motivs auf abstraktere Weise behandelt wird 68. Hierbei bedient sich Alain der Buchmetaphorik, die im 12. Jahrhundert, so Jean Leclercq, eine besondere Bedeutung gewinnt. In der Apokalypse findet sich die Rede vom Buch des Lebens, das alle Taten verzeichnet und am Jüngsten Tag verlesen wird. Schon Augustinus und Hieronymus sahen in den geöffneten Büchern die Gewissen der Menschen, in denen alles abzulesen sei. Im 12. Jahrhundert wird die Buchmetapher nicht mehr nur auf das Endgericht bezogen, son-

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Beobachtungen sind ausgesprochen hilfreich; dass wir es aber bei dieser Thematik mitnichten mit einer monastischen oder gar spezifisch zisterziensischen Spezialität zu tun haben, zeigt sich, wenn man die Predigten des Alain von Lille zum Thema der Selbsterkenntnis betrachtet, der zu ihrer Abfassungszeit kaum Mitglied des Ordens war. Eine ausführliche Diskussion zur Frage nach Alains Ordenszugehörigkeit findet sich im Dissertationsmanuskript der Verfasserin. J. Verger, The World of Cloisters and Schools, in: C. Giraud (ed.), A Companion to TwelfthCentury Schools (Brill’s Companions to the Christian Tradition 88), Leiden–Boston 2020, 49– 68; C. J. Mews, Rethinking Scholastic Communities in Latin Europe. Competition and Theological Method in the Twelfth Century, in: Medieval Worlds 12 (2020), 12–32; S. Steckel, Kulturen des Lehrens im Früh- und Hochmittelalter. Autorität, Wissenskonzepte und Netzwerke von Gelehrten, Zugl.: München, Univ., Diss., 2006 (Norm und Struktur 39), Köln 2011, 15–61. Cf. Ferruolo, Origins of the University (nt. 17), 241 sq. Zu der von Ferruolo genannten Predigt von Peter von Poitiers, in der das nosse se ipsum als höchste scientia beschrieben wird, siehe auch Longère, Œuvres oratoires (nt. 14), 393 und id., Œuvres oratoires de maîtres parisiens au XIIe siècle. Étude historique et doctrinale, vol. 2: Notes, Paris 1975, 296. Zur Frage nach den Möglichkeiten philosophischer Selbst- und Welterkenntnis im 13. Jahrhundert cf. T. W. Köhler, Philosophische Selbsterkenntnis des Menschen. Der Paradigmenwechsel im 13. Jahrhundert, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Geistesleben im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin–New York 2000, 54–67. Cf. dazu C. Grellard, Le socratisme de Jean de Salisbury, in: S. Mayer (ed.), Réceptions philosophiques de la figure de Socrate (Revue diagonale 2), Lyon 2008, 35–59. Siehe Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, III, ed. Migne (nt. 8), 116–119. Bedeutende Erweiterungen finden sich wieder in Toulouse, BM, 195, fol. 21r–23r und London, BL, Add. 19767, fol. 3r–4v.

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dern sie wird zum Ausdruck einer konstanten Verhaltensreflexion, der sich der Gläubige unterzieht 69. Während die von Jean Leclercq und Mirko Breitenstein angeführten Autoren meist nur vom liber conscientiae, cordis oder experientiae sprechen, bildet Alain die Triade vom Buch des Wissens, der Erfahrung und des Gewissens, um darüber des Menschen holistisches Bewusstsein seiner selbst zu beschreiben 70. Wie auch im ‚Anticlaudianus‘ zum Ausdruck gebracht, wird Selbsterkenntnis und damit Gotteserkenntnis durch Wissen über den Makrokosmos erzielt 71. Das zweite Bild, das die Selbsterkenntnis in Worten erklärbar machen soll, ist das des dreifachen Spiegels: des Spiegels der Schrift, der Natur und der Schöpfung. Der Blick in diesen führt zur Selbstverachtung und lässt die eigene sündhafte Natur erkennen. Der Ausweg aus dieser ist der Gebrauch der eigenen

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J. Leclercq, Aspects spirituels de la symbolique du livre au XIIe siècle, in: L᾿homme devant Dieu. Mélanges offerts au Père Henri de Lubac, Paris 1964, 63–71, hier 64 sq.; Breitenstein, Traktat (nt. 64). Zum Motiv der Welt als Buch, insbesondere bei Hugo von St. Victor, cf. auch C. J. Mews, The World as Text. The Bible and the Book of Nature in Twelfth-Century Theology, in: Th. J. Heffernan/Th. E. Burman (eds.), Scripture and Pluralism. Reading the Bible in the Religiously Plural Worlds of the Middle Ages and Renaissance (Studies in the History of Christian Traditions, 123), Leiden 2005, 95–122. Im Buch des Wissens, das sich als materieller Codex darstellt, liest man sich selbst und erhält den Auftrag ‚Erkenne dich Selbst‘. Das Buch der Erfahrung befindet sich im Körper; hier findet sich der Mensch und lernt, wie das Fleisch gegen den Geist ankämpft. Das dritte Buch, das Buch des Gewissens, liegt im Herzen und muss gelesen werden, um sich selbst zu tadeln; ein Statius-Zitat umschreibt die quälenden Gewissensplagen. Der in der Handschrift Vatican, Reg. lat. 424, fol. 3v überlieferte Text bietet die sinnvolleren Wortlaute im Vergleich zur MigneEdition: „Memorare igitur nouissima tui in libro sciencie, ut te legas, in libro experientie, ut te inuenias, in libro consciencie ut te reprehendas. Est enim liber sciencie [korr. aus consciencie] in codice scriptus, liber experiencie scriptus in carne, liber consciencie scriptus in corde. In libro sciencie legis ‚nostis cielitos‘ [sic], cognosce te ipsum. In libro experientie legis: ‚Caro pugnat aduersus spiritum‘ [Gal. 5,17]. In libro consciencie legis ‚Assiduis circumuolat alis, seua dies animi‘ [cf. Statius, Thebais, I, 51–52]. O homo, uide te in triplici speculo et displicebis tibi. Lege te in triplici libro et eris tibi contemptui.“ Siehe dazu J. Simpson, Sciences and the Self in Medieval Poetry. Alan of Lille᾿s Anticlaudianus and John Gower᾿s Confessio amantis (Cambridge Studies in Medieval Literature 25), Cambridge u. a. 1995, 125–133. Zur Beziehung zwischen Makro- und Mikrokosmos – nämlich im Sinne einer ‚Realentsprechung‘, ‚Analogie‘ oder ‚Finalbeziehung‘ cf. Köhler, Philosophische Selbsterkenntnis (nt. 66), 57 sq. Cf. außerdem Alanus ab Insulis, Distinctiones Dictionum Theologicalium, ed. Migne (nt. 34), 866: „‚Mundus‘ […]. Dicitur homo qui in multis similis est mundo: sicut in mundo majori firmamentum movetur ab oriente in occidentem et revertitur in orientem, sic ratio in homine movetur a contemplatione orientalium, id est coelestium, primo considerando Deum et divina, consequenter descendit ad occidentalia, id est ad considerationem terrenorum, ut per visibilia contempletur invisibilia, deinde revertitur ad orientem iterum considerando coelestia. Et sicut planetae moventur contra firmamentum et retardant ejus motum, sic, quinque sensus moventur contra rationem et impediunt ejus motum, ratio tamen eos fert secum et servire cogit. Et sicut in majori mundo Deus imperat in coelestibus; angeli vero, quasi ejus milites, discurrentes per mundum Deo subjecti homines regunt, et eis consulunt, homines vero in terra quasi in suburbio humanae civitatis habitant: sic sapientia in throno capitis locum habet, voluntas in corde, voluptas in renum suburbio.“ Ganz ähnlich gestaltet sich die Makrokosmos-Mikrokosmos-Schilderung seines ‚De Planctu Naturae‘, siehe id., De Planctu Naturae, Die Klage der Natur, Prosa III, ed. J. B. Köhler (Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe A 2), Münster 2013, 92–95.

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Vernunft, die moralische Urteile möglich macht 72. Für diese Passage griff Alain vermutlich auf den Platon-Kommentar des Bernhard von Chartres zurück 73. Zusammenfassend lässt sich also sagen, dass das dritte Kapitel der ‚Predigtkunst‘ zunächst ganz konkret das Elend der conditio humana schildert, dann abstrakt den Weg der Selbsterkenntnis beschreibt, um schließlich als Ausweg den Gebrauch der Vernunft aufzuzeigen, der zu einem reinen Gewissen, zur Kontemplation und dann zum Ewigen Leben führt. Von Gotteserkenntnis ist im Zusammenhang mit der Selbsterkenntnis noch nicht die Rede. In drei weiteren Kapiteln der ‚Ars Praedicandi‘ erscheint das Thema der Selbsterkenntnis wieder, so etwa in der ‚Ermahnung zum Theologiestudium‘ (c. 36), die sich an Magister und Studenten richtet 74. Auch sie sollen im ‚dreifachen Buch‘ lesen und im ‚Buch des Wissens‘ sich selbst erkennen. In diesem Kapitel der ‚Predigtkunst‘ ist die Zielgerichtetheit des Wissensstrebens das Kernthema. Gottes- und Selbsterkenntnis sowie Nächstenliebe müssen laut Alain der Horizont des Lernens sein; dann sind dem Streben nach Wissen und Erkenntnis in den verschiedenen Wissenschaften keine Grenzen gesetzt, da diese Zielorientiertheit auch die ‚richtige‘ Lektüre der Philosophen garantiert 75. 72

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Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, III, zitiert nach Vatican, Reg. lat. 424, fol. 3v–4r: „Ut dicit philosophus: Quedam est speculi species in qua sinistra sinistra et dextra dextra esse uidentur. Hoc speculum est ratio, que dicat dextra esse appetenda, id est celestia, sini[4r]stra uero esse fugienda, id est terrena. Aliud uero speculum est, in quo dextre partes sinistre et sinistre dextre esse uidentur. Hoc est sensualitas que dictat [sic] terrena esse appetenda et celestia esse postponenda. Aliud speculum est in quo facies uidetur inuersa. Hoc est caro que totam humanam naturam inuertit. Uide ergo te in speculo rationis ut ei obedias. Uide te in speculo sensualitatis ut eam rationi subicias. Uide te in speculo carnis ut eam castigando deicias et ut possis carnalia debellare, in triplici specula [korr. aus speculo] te constitue.“ Zu den entsprechenden Stellen bei Bernhard von Chartres cf. S. Bafia, Die imaginatio bei den Hauptvertretern der Schule von Chartres im XII. Jahrhundert, in: M. C. Pacheco/J. F. Meirinhos (eds.), Intellect et imagination dans la philosophie médiévale. Actes du XIe Congrès International de Philosophie Médiévale de la Société Internationale pour l’Étude de la Philosophie Médiévale (S.I.E.P.M.), Porto, du 26 au 31 août 2002 (Rencontres de philosophie médiévale 11), Turnhout 2006, 993–1007, hier 997. Dagegen wurde von Francesco Siri Seneca als Referenzstelle Alains erwogen, von Gilian R. Evans Lucretius, cf. Siri, Et natura mediocritatis (nt. 10), 326; G. R. Evans, The Book of Experience. Alan of Lille᾿s Use of the Classical Rhetorical Topos in his Pastoral Writings, in: Analecta Cisterciensia 32 (1976), 113–121, hier 118. Die Predigtskizze beginnt in der Migne-Edition (Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, XXXVI, ed. Migne [nt. 8], 179) mit „Sic disce, quasi semper victurus; sic vive, quasi cras moriturus. Item Apostolus: Libros lege. Et affer tecum libros (II Tim. IV). Item Seneca: Vita sine litteris mors est, et vivi hominis sepultura.“ Auch hier zeigt sich die unzureichende Qualität der Textgrundlage. Weit stimmiger heißt es in Toulouse, BM, 195, fol. 60v und Vatican, Reg. lat. 424, fol. 36v: „Item philosophus: Libros lege. Et Seneca: Vita sine litteris mors est et uiui hominis sepultura.“ Gemeint ist mit dem philosophus Cato, dem die sogenannten ‚Disticha Catonis‘ zugeschrieben wurden, cf. Poetae latini minores, vol. 3, ed. E. Baehrens, Leipzig 1881, 215, 26: „Libros lege.“ Bei dem Seneca-Zitat handelt es sich um eine Sentenz aus dem 82. Brief der ‚Epistulae Morales‘ an Lucilius, hierzu auch Siri, Et natura mediocritatis (nt. 10), 312. Die beiden anderen Textstellen finden sich in c. 8 und c. 28. Cf. Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, XXXVI, ed. Migne (nt. 8), 179–181, insbesondere die folgenden Passagen ibid., 180 und 181: „Debet autem quisque in triplici libro legere; in libro creaturarum, ut inveniat Deum; in libro conscientiae, ut cognoscat seipsum; in libro Scripturae, ut diligat proximum“; Toulouse, BM, 195, fol. 61v überliefert die Triade „liber creature, scientie, scripture“, die am ehesten

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Die erste Predigt zum Themenkreis des Gnothi Seauton war vermutlich für den Beginn der Fastenzeit angedacht 76. Wie Alain selbst in seiner ‚Ars Praedicandi‘ vorschlägt, wählt er hier das Thema ‚Memorare novissima‘ 77. Auch hier spricht er vom Buch des Wissens, der Erfahrung und des Gewissens, doch identifiziert er hier das Buch des Wissens ausdrücklich als sacra Scriptura. Die Heilige Schrift und das im Wort ebenfalls enthaltene Studium derselben enthalten hier die Botschaft „Erkenne dich selbst“. Das macht ein Publikum von Theologen im schulischen Umfeld wahrscheinlich. Auch den mutmaßlichen Studenten und Magistern wird ihre leibliche Nichtigkeit vor Augen geführt, teilweise mit denselben Worten wie in der ‚Ars Praedicandi‘ 78. Der Verlust der Gottebenbildlichkeit wird beklagt, doch die Rückkehr zum himmlischen Ursprung bis zur Vergöttlichung und zum Aufstieg zu Gott wird immer wieder als Möglichkeit evoziert 79. Die Suche nach dem inneren Selbst bringt den Scholaren in den Zustand eines ‚Mensch-Geistes (homo-spiritus )‘. Bei dieser Formulierung handelt es sich um ein Versatzstück aus Alains theologischer Lehre, wonach ein Erkenntnisprozess den Menschen vom Mensch-Vieh zum Menschen an sich, dann zum Mensch-Geist und schließlich zum Zustand des Mensch-Gottes bringt 80. Zu diesem Konzept einer Annähe-

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kohärent zu c. III der ‚Ars‘ ist. „Et si contigerit aliquando te transferri a libris theologiae ad libros terrestris philosophiae, transeundo aspicias, utrum illi forte invenias quid, quod mores instruat, quod fidei catholicae competat, ut his quibus spoliantur Aegyptii, ditentur Hebraei“; cf. dazu Augustinus, De doctrina christiana, II, 40, ed. J. Martin (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 73 sq.: „Philosophi autem qui uocantur si qua forte uera et fidei nostrae accommodata dixerunt, maxime platonici, non solum formidanda non sunt, sed ab eis etiam tamquam ab iniustis possessoribus in usum nostrum uindicanda. Sicut enim aegyptii non tantum idola habebant et onera grauia, quae populus israhel detestaretur et fugeret, sed etiam uasa atque ornamenta de auro et argento et uestem, quae ille populus exiens de aegypto sibi potius tamquam ad usum meliorem clanculo uindicauit, non auctoritate propria, sed praecepto dei ipsis aegyptiis nescienter commodantibus ea, quibus non bene utebantur, sic doctrinae omnes gentilium non solum simulata et superstitiosa figmenta grauesque sarcinas superuacanei laboris habent, quae unusquisque nostrum duce christo de societate gentilium exiens debet abominari atque uitare, sed etiam liberales disciplinas usui ueritatis aptiores et quaedam morum praecepta utilissima continent deque ipso uno deo colendo nonnulla uera inueniuntur apud eos, quod eorum tamquam aurum et argentum, quod non ipsi instituerunt, sed de quibusdam quasi metallis diuinae prouidentiae, quae ubique infusa est, eruerunt et, quo peruerse atque iniuriose ad obsequia daemonum abutuntur, cum ab eorum misera societate sese animo separat, debet ab eis auferre christianus ad usum iustum praedicandi euangelii.“ Einen guten Überblick über das Genre bieten P. Delcorno/E. Lombardo/L. Tromboni (eds.), I sermoni quaresimali. Digiuno del corpo, banchetto dell’anima (Memorie domenicane 48), Florenz 2017. ‚Thema‘ meint im Kontext des Predigtaufbaus den Ausgangspunkt der Predigt für die weitere Textgestaltung, in der Regel ein Bibelwort, meist beeinflusst durch die Liturgie, aber auch durch den Predigtkontext, siehe Kienzle, Introduction (nt. 18), 157 und Zier, Sermons (nt. 8), 336; Alanus ab Insulis, Ars Praedicandi, III, ed. Migne (nt. 8), col. 116: „Si vero praedicator intendat auditores invitare ad contemptum sui, hanc afferat auctoritatem: Memorare, fili, novissima tua, et in aeternum non peccabis.“ Alanus ab Insulis, Sermo in die cinerum, in: d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 268 und 272. ibid., 269 sq. Glorieux, La somme „Quoniam homines“, I, 2 (nt. 19), 121 sq.: „Anime enim varie sunt potentie: una que dicitur thesis, scilicet ratio, secundum quam potentiam homo in suo statu consideratur, nec suum statum egreditur quia ea humana et terrena considerat; alia est que extasis nuncupatur, cuius speculatione homo extra se constituitur. Extaseos autem due sunt species: una inferior qua homo infra se est, alia superior qua rapitur

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rung des Menschen an entweder Vieh oder Gott könnte Alain unter anderem der Boethius-Kommentar des Wilhelm von Conches inspiriert haben 81. Wer sich also selbst zu erkennen sucht, beschreitet einen Aufstiegsprozess, der alle Sinne schärft und zu höherer Erkenntnis, auch Gottes, führt. Die Wiederherstellung von Verstandestugenden wie Vernunft oder Unterscheidungsvermögen muss angestrebt werden 82. Eine weitere Predigt hat das Hiob-Wort 14,1: „Homo natus de muliere brevi vivens tempore“, zum Thema. Die darin vorgebrachten Ermahnungen, sich nichts auf Jugend, Schönheit, Eloquenz oder Weisheit einzubilden 83, machen ein studentisches Publikum sehr wahrscheinlich. Die sokratische Maxime wird in dieser rhetorisch erstklassigen Predigt zu Beginn und am Ende zitiert („audi, ut te cognoscas“ und „te cognosce“ 84 ), wodurch die damit verbundenen Inhalte quasi eingerahmt werden. Auch hier werden den Hörern das Elend und die Vergänglichkeit aller menschlichen Bestrebungen vor Augen geführt. Wie in der unten noch zu besprechenden Predigt an die claustrales (über Jac 1,23: „Si quis auditor est verbi et non factor“) wird der Mangel an Erkenntnisfähigkeit beklagt. Der Sündenfall bewirkte den Verlust der natürlichen Gaben (naturalia ), sodass der Mensch weder

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supra se. Sed superioris due sunt species: una que dicitur intellectus, qua homo considerat spiritualia, id est angelos et animas; secundum quam homo fit spiritus, et ita supra se fit. Alia est que intelligentia dicitur, qua homo trinitatem intuetur; secundum quam homo fit homo deus, quia per hanc speculationem quodammodo deificatur. […]. Inferioris vero extaseos due sunt species: una que dicitur sensualitas, secundum quam per luxuriam, gulositatem et cetera carnalia vitia homo degenerat in adulterinos mores; et hec dicitur metamorfosis, quasi transmutatio, a ‘meta’ quod est ‘trans’ et ‘morfos’ quod est mutatio; secundum quam philosophi dixerunt quosdam mutatos in lupos et porcos, alios in leones. […]. Alia species extaseos dicitur obstinatio in malitiam, que maxime fit per contemptum et superbiam; per predicta homo fit pecus, quia bestialibus indulget; per reliqua fit homo diabolus; in hoc enim homo maxime imitatur diabolum quia se reddit in malitia obstinatum.“ Siehe auch Alanus ab Insulis, Regulae theologiae, edd. Niederberger/Pahlsmeier (nt. 20), 214 sq. (Regula XCIX). Cf. A. Niederberger, Von der Unmöglichkeit der „translatio“. Zur Bestimmung von Philosophie und Theologie als „scientia“ bei Alanus ab Insulis, in: R. Berndt/A. Fidora/M. Lutz-Bachmann/A. Niederberger/R. M. Stammberger (eds.), „Scientia“ und „Disciplina“. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im 12. und 13. Jahrhundert (Erudiri Sapientia 3), Berlin 2002, 187–208; Evans, Alan of Lille (nt. 57), 48; G. D᾿Onofrio, Alano di Lilla e la teologia, in: J.-L. Solère/A. Vasiliu/A. Galonnier (eds.), Alain de Lille, le docteur universel. Philosophie, théologie et littérature au XIIe siècle (Rencontres de philosophie médiévale 12), Turnhout 2005, 289–337. „Sunt enim duae extases, id est excessus naturae humanae; est enim homo rationalis mortalis. In hoc excedit homo, cum per sapientiam et uirtutem fit immortalis, et tunc est rationalis immortalis. Et hoc est quod inuenitur sapientes homines deificari cum ad hoc quod dei est ascendunt, scilicet quod sunt rationales immortales. Est alia extasis, cum per uitium fit irrationalis, et tunc est irrationalis mortalis quemadmodum brutum animal.“ Siehe Wilhelm von Conches, Glosae super Boetium, 1, in prosam 1, ed. L. Nauta (Corpus Christianorum Continuatio mediaevalis 158), Turnhout 1999, 20. Cf. ibid.: „Quia ergo per philosophiam ascendit homo supra naturam hominis, recte Philosophia Boetio uisa est supra uerticem astitisse.“ Alanus ab Insulis, Sermo in die cinerum, in: d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 271. Alanus ab Insulis, Sermo de contemptu mundi, ed. M.-T. d᾿Alverny, Un sermon d᾿Alain de Lille sur la misère de l᾿homme, in: ead., Pensée médiévale en Occident. Théologie, magie et autres textes des XIIe–XIIIe siècles (Variorum Collected Studies Series 511), Aldershot 1995, 515–535, hier 530. ibid., 525 und 534.

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seinen Schöpfer oder die Ursachen seiner Existenz erkennen noch die Heilige Schrift angemessen verstehen, oder die Vernunft für moralische Urteile gebrauchen kann. Indem der Mensch zu sich selbst zurückkehrt, die Eitelkeit allen Seins anerkennt, gelangt er zurück zum Ebenbild und zur Ähnlichkeit Gottes, und damit auch zur Erkenntnis Gottes. Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis sind in diesem Sermo an Studenten also eng verzahnt 85. Eine Predigt stellt das Juvenal-Zitat „Vom Himmel herab stieg Gnothi seauton“ sogar als Thema voran 86. Das Auditorium dürfte aus Prälaten bestanden haben, da die Predigt vertiefend auf die Unwissenheit von Untergebenen einerseits, von Prälaten andererseits eingeht und letztere den ganzen Sermo über anprangert 87. An sie richtet Alain den Aufruf „Erkenne dich selbst“ 88. Auch hier bedeutet dies, die eigene Sündhaftigkeit und Vergänglichkeit einzusehen. Die Erkenntnis Gottes ist hier nun aber nicht die Folge der Selbsterkenntnis, sondern deren Grundlage. „Erkenne zuerst Gott, dann dich selbst“ 89, heißt es bei Alain. Der Zweck ist es, den Prälaten beizubringen, dass Gotteserkenntnis Gottesfurcht bedeutet, welche erst zu einer ehrlichen Selbstbefragung führen kann. Es scheint dies eine gelungene Kommunikationsstrategie für die Prälaten zu sein, die vielleicht daran erinnert werden mussten, dass auch sie einen ‚Vorgesetzten‘ haben. In drei weiteren Predigten geht es Alain von Lille um die Geltungsbereiche von Philosophie und Theologie und ihrer spezifischen Regeln, die nicht ver85 86

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ibid., 530–535; cf. dazu auch den Kommentar ibid., 521 sq. Der Text wurde, leider sehr unzureichend, von Bruno Sandkühler ediert und übersetzt, siehe Alanus ab Insulis, Predigten zum Jahreslauf, Lateinisch-Deutsch, ed. B. Sandkühler (Beiträge zur Bewußtseinsgeschichte 16), Stuttgart 1998, 134–149. Auszüge des Predigttextes anhand der Textzeugen München, BSB, CLM 4616, fol. 82vb–85ra und 4586, fol. 134r–137v finden sich auch bei F. Siri, I classici e la sapienza antica nella predicazione di Alano di Lilla, in: A. Palazzo (ed.), L᾿antichità classica nel pensiero medievale. Atti del convegno della Società Italiana per lo Studio del Pensiero Medievale (S.I.S.P.M.), Trento, 27–29 settembre 2010 (Textes et études du moyen âge 61), Porto 2011, 149–170. Das Incipit lautet korrekt: „De celo descendit Gnotis eliton. Verba hec, fratres dilectissimi, uerba summi ponderis et excellentissime ammonitionis ad consultationem antiquorum quorundam Deluis [gemeint ist: Delphis, die Delphierin, die weissagende Pythia; Sandkühler schreibt: de hiis, Siri liest Delius] legitur respondisse.“ Zur Zuschreibung der Maxime an eine der Pythien oder einen Angehörigen des delphischen Geschlechts siehe Tränkle, Gnothi seauton (nt. 59), 20, zur Bedeutung bei Juvenal id., Gnothi seauton (nt. 59), 24 sq. Zur Predigt insgesamt auch d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 130. In Alains von Lille Wortgebrauch meint ‚Prälat‘ oft auch einfach nur ‚Priester‘, und nicht zwingend einen Kleriker mit Leitungsfunktionen gegenüber anderen Klerikern; in der Predigt hier ist dies nicht näher zu bestimmen. Grundlegend dazu J. Longère, Le prélat selon Alain de Lille († 1205 [sic]), in: F. Bériac (ed.), Les prélats, l᾿Église et la société, XIe–XVe siècles. Hommage à Bernard Guillemain, Talence 1994, 101–108. München, BSB, CLM 4616, fol. 83rb: „In prelatis hec autem ignorantia dampnabilis est“; ibid., fol. 83va: „O auris lethardica! Nonne etiam non tacentibus uobis lapides clamant? Nonne obmutescentibus uobis symulacra gentium ingeminant: Gnotis eliton, quod est, agnosce te ipsum!“ Zur Wortform ‚seliton‘ statt ‚seauton‘, bei welcher ein Alpha mit ‚l‘ wiedergegeben wird cf. K. M. Fredborg, „Promisimus“. An Edition, in: Cahiers de l᾿institut du Moyen Âge grec et latin 70 (1999), 81–228, hier 85. München, BSB, CLM 4616, fol. 85ra: „Igitur, o homo, memento primo et inquire agnitionem tui creatoris antequam ueniat tempus afflictionis; secundo: Gnotis eliton, agnosce te ipsum, sciens quia terra es et in terram ibis“.

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mischt werden dürfen. Auch hier wird aber kein Bereich benannt, der, die richtige Wissenschaft vorausgesetzt, nicht durch menschlichen Wissensdrang erschlossen werden dürfte 90. Anders als im Hohelied-Kommentar scheint also in den Predigten an ein schulisches bzw. schulnahes Publikum kein Konzept einer impia curiositas, eines unziemlichen Wissensstrebens, vertreten zu werden 91. Während in den Predigten an Scholaren, Magister und Prälaten der Zusammenhang von Selbsterkenntnis und Gotteserkenntnis behandelt wird, sind in den an Religiose gerichteten Predigten die Motive der Selbstprüfung und Selbstverachtung dominanter. Die erste ist eine bisher unedierte Predigt zum Bibelwort Jac 1,23: „Si quis auditor est verbi et non factor“. In einer Handschrift aus Dijon wird die Predigt als eine „ad claustrales“, also an Mönche oder Regularkanoniker, überschrieben; dass es Männer sind, geht aus der Anrede als „fratres karissimi“ hervor. 92 Das verbum der Bibelstelle aufgreifend, unterscheidet Alain in dieser Predigt das dreifache Wort: erstens das fleischgewordene Wort, zweitens das Wort der Schöpfung und drittens das Wort der gesprochenen Botschaft Gottes. Der Sohn entspricht dem Buch des Gewissens, da es über die Rechtfertigung spricht. Die Schöpfung wiederum kann im Buch des Wissens gelesen werden, das auf ein Verständnis des Zusammenhangs von Mikrokosmos und Makrokosmos abzielt – wie unter anderem in der ‚Predigtkunst‘ erwähnt. Das gesprochene Wort liest man im Buch der Erfahrung. Das Buch der Erfahrung wird mit guten Taten assoziiert und stellt so, wie die ‚Predigtkunst‘, den Praxisbezug her 93. Auch der Spiegel wird wieder als Motiv verwendet, wenngleich leicht abgewandelt. Der Spiegel der Schöpfung, der Spiegel der Schrift und – anstelle der Natur – der Spiegel des Grabes dienen der Selbsterkenntnis 94. In der Predigt 90

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Es sind dies die Predigten über ‚O Sapientia‘ (Inc. „Timeo ne quis inter uos apud se murmuret et dicat“; eine Edition wird von Francesco Siri vorbereitet), der ‚Sermo de clericis ad theologiam non accedentibus‘ (ed. in d᾿Alverny, Alain de Lille [nt. 1], 274–278) und der ‚Sermo de sphaera intelligibili‘ (ed. ead., Alain de Lille [nt. 1], 295–306); cf dazu auch A. Greule/L.-M. Knothe, Knowledge and Temporal Felicity in Albert the Great and Alan of Lille, in: Przegląd Tomistyczny/The Thomistic Revue 25 (2019), 9–49, hier 28–38. Zur impia curiositas bei Augustinus und Bernhard von Clairvaux cf. Bös, Curiositas (nt. 11), 154. Die Anrede ‚fratres‘ ist für alle Gruppen üblich; auch die Zuhörer seiner Osterpredigt, die magistri clericorum, spricht Alain mit ‚Fratres mei‘ an, cf. Alanus ab Insulis, Sermo ad Magistros Clericorum, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 210), Paris 1855, 206. Sie dient der Herstellung eines Gemeinschaftsgefühls, cf. T. L. Amos, Early Medieval Sermons and Their Audience, in: J. Hamesse/X. Hermand (eds.), De l᾿homélie au sermon. Histoire de la prédication médiévale, Louvain-LaNeuve 1993, 1–14, hier 7. Dijon, BM, 219, fol. 75va: „Sermo Magistri Alani ad claustrales de contemptu mundi. Si quis auditor est uerbi et non factor. Hic comparabitur uiro consideranti uultum natiuitatis sue in speculo. Considerauit enim se et abiit et statim oblitus est qualis fuerit.[…] Notandum et enim quod triplex est uerbum Dei quo ad nos loquitur: Verbum generationis, uerbum operationis, uerbum locutionis. Primum uerbum substantiuum, secundum factum, tercium prolatum. Priumum uerbum Dei filius, secundum Dei opus, tercium prolatilis sonus. […] Primum uerbum legitur in libro conscientie, secundum in libro sciencie, tercium in libro experientie. Primum uerbum fuit in nobis per fidem, secundum pro nobis ad imitationem, tercium a nobis per bonam operationem.“ Hier und in den folgenden Passagen finden wir eine enge Übereinstimmung zum Wortlaut der erwähnten langen Redaktion der ‚Predigtkunst‘ (cf. nt. 8), die sich in London, BL, Add. 19767, fol. 3r–4v und Toulouse, BM, 195, fol. 21r–23r befindet. In dieser langen Redaktion wird ein

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zu ‚Si quis auditor‘ stehen die drei Spiegel für verschiedene Fragen, die in scholastischer Manier organisiert werden und ein tieferes Verständnis des menschlichen Wesens behandeln. Indem der Spiegel der Natur durch den Spiegel des Grabes ersetzt wird, wird das Thema der Selbstverachtung integriert. Die beiden anderen Spiegel dienen dazu, Wissen über den Schöpfer und den Menschen zu erlangen, wobei letzteres im Vordergrund steht 95. Der Mensch wird als „vernunftbegabtes, auf gewisse Weise unsterbliches Wesen beschrieben (animal rationale quodammodo immortale )“ 96, geschaffen nach dem Bilde und der Ähnlichkeit Gottes, damit er ein ‚Mensch-Gott (homo deus )‘, ein ‚abbildhafter Gott (ymaginarius Deus )‘ sei 97. Dieses Gott-Sein im Hinblick auf Ebenbildlichkeit und Ähnlichkeit

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vierfacher Spiegel angeboten, nämlich aus den bekannten Elementen speculum creaturae, scripturae, naturae und sepulturae. Es ist also möglich, dass Alain die Triade creatura, scriptura, sepultura und ihre Auslegung zuerst in der Predigt zu ‚Si quis auditor‘ entwickelte. In einem späteren Schritt hätte er diese mit dem vierten Element ‚natura‘ verbunden und in die längere Redaktion der ‚Predigtkunst‘ aufgenommen. Für die kürzere Redaktion hätte er sich dann für die Variante creatura, scriptura und natura entschieden. Dijon, BM, 219, fol. 75va–75vb: „O homo, tibi propositum est triplex speculum a Deo: speculum creature, speculum scripture, speculum sepulture. In speculo creature uides a quo factus, in speculo scripture quid factus, in speculo sepulture quid futurus. In speculo creature uides quis fecit te. In speculo scripture quid fecit te, in speculo sepulture quid faciet de te. In speculo inquam creature tuum uides creatorem: ibi uides Dei potentiam per operis magnitudinem, ibi sapientiam per rerum pulcritudinem, ibi beniuolenciam per rerum ordinem et utilitatem. Ibi uides timorem quo potentem timeas, ibi caritatem qua sapientem diligas, ibi beniuolentiam quam beniuolo exibeas. In speculo uero scripture uides quid factus, qualiter factus, ad quid factus, propter quid factus.“ Ibid., fol. 75vb: Quid factus: animal rationale quodammodo immortale. Animal ut uiueres, rationale ut intelligeres, quodammodo immortale ut diligeres. Animal ut uiueres uita nature, rationale ut uiueres uita gratie, inmortale ut uiueres uita glorie. Cf. auch Glorieux, La somme „Quoniam homines“ (nt. 19), II, 2, 154, 294, 35: „Videtur tamen [contrarium] velle Augustinus, super genesim: quodam modo homo creatus est inmortalis quod erat ei de ligno vite non de conditione nature“ (gemeint ist Augustinus, De Genesi ad litteram libri XII, VI, 25, ed. J. Zycha [Corpus scriptorum ecclesiasticorum latinorum 28/1], Wien 1894, 197). Alain nutzte hier möglicherweise die Sentenzen des Petrus Lombardus als Quelle, cf. Petrus Lombardus, Sententiae in IV libris distinctae, II, 19, 4, 2, ed. I. Brady (Spicilegium Bonaventurianum 4), Grottaferrata 31971, 395: „Unde Augustinus, super genesim: quodam modo creatus est homo immortalis, quod erat ei de ligno uitae, non de conditione naturae.“ Siehe auch oben nt. 21. Eine ähnliche Charakterisierung des Menschen findet sich im ‚Microcosmus‘ von Alains Zeitgenossen Gottfried von St. Victor: L’œuvre de Godefroid de Saint-Victor, vol. 1: Le Microcosme (Microcosmus), I, 8, ed. F. Gasparri (Sous la règle de Saint Augustin 16), Turnhout 2020, 66–69. Dijon, BM, 219, fol. 75vb: „Ad quid factus? Ad ymaginem et similitudinem Dei ut esses homo deus. Et ut ita loquar ymaginarius Deus.“ Siehe auch Glorieux, La somme „Quoniam homines“ (nt. 19), I, 1, 10a, 146 sq.: „Sciendum preterea quod ulla veri nominis similitudo est inter Deum et hominem. Quamvis enim homo dicitur esse creatus ad ymaginem et similitudinem Dei, quia et Deus rationalis et homo rationalis, et Deus iustus et homo iustus, tamen non est ibi veri nominis similitudo secundum rationem vel iusticiam cum Deus ita sit rationalis quod ipsa rationalitas, ita iustus quod ipsa iusticia; homo vero ita rationalis vel iustus quod rationalitas vel iustitia est eius qualitas. Set [sic] notandum quod similitudinum alia naturalis, alia ymaginaria, alia imitatoria, alia nuncupationis. […] Inmaginaria autem similitudo est ymaginis ad exemplar, secundum quod ymago conformatur suo exemplari.“ Zu dieser Stelle cf. L. Valente, Sfera infinita e sfera intellegibile. Immaginazione e conoscenza di Dio nel Libro dei XXIV filosofi e in Alano di Lilla, in: P. Totaro/L. Valente (eds.), Sphaera. Forma immagine e metafora tra medioevo ed età moderna (Lessico intellettuale europeo 117), Florenz 2012, 117–144, hier 132.

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sei aber mit dem Sündenfall verloren gegangen, sodass der Mensch nun ein ‚Mensch-Vieh‘ sei 98. In einer Predigt über die Trinität, die vermutlich ebenfalls an Klaustrierte gerichtet war, führt Alain seinen Hörern die Selbsterkenntnis als Ausweg aus seiner elenden conditio vor Augen 99. Es wird deutlich, dass in den Predigten über die Selbsterkenntnis an Religiosen das Streben nach kritischer Selbst-Überprüfung und nach Selbsterkenntnis intensiver behandelt wird als die damit verbundene Gotteserkenntnis. IV. Fazit Welche Bedeutung also ließ Alain von Lille der curiositas in seinem Werk zukommen, semantisch und inhaltlich? Außerhalb seines Predigtœuvres wurden vier Belegstellen ausfindig gemacht, die nahelegen, dass ‚curiositas‘ einen Zustand unruhigen Umherirrens und -suchens beschreiben kann, auch nach Antworten auf heilsgeschichtlich relevante Fragen, wie im Hoheliedkommentar. In diesem letzteren Falle ließ sich die Vokabel mit ‚Neugier‘ übersetzen. Wenngleich nicht explizit verdammt, so weist der Begriff doch zumindest eine negative Konnotation auf. Für Alains ‚Predigtkunst‘ und seine Predigten ist dagegen festzuhalten, dass der Begriff der curiositas nicht als Neugier, sondern als eine Form der Gier nach Materiellem, Weltlichem verstanden werden muss. In beiden Fällen wird die etymologische Abhängigkeit von cura deutlich 100, doch zeigt sich in letzterem ein oft übersehenes Bedeutungsspektrum, auf das Richard Newhauser hingewiesen hat. Konzeptuell steht die curiositas hier der avaritia näher als der superbia, wie es etwa bei Bernhard von Clairvaux der Fall ist 101. Das Konzept des Strebens 98

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Dijon, BM, 219, fol. 75vb: „Sed per peccatum uide quid factus es: Animal inquam irrationale mortale. Animal quia pecus irrationale, quia rationis usu priuatus, mortale quia morti necessitate addictus. Et qui fueras homo deus: homo quantum ad nature ueritatem, deus quantum ad ymaginem et similitudinem, factus es homo pecus: homo secundum speciem, pecus secundum imitationem. Pecus inquam quia terrenorum delectaris uiredine, pecus quia computrescis in peccatorum putredine, pecus quia respicis terrena, pecus quia te non erigis ad superna.“ d᾿Alverny, Alain de Lille (nt. 1), 252–262. Die Trinität als Thema wird nur zu Beginn der Predigt behandelt. Das Hauptaugenmerk liegt in dem Aufweis, dass sich die trinitarischen Spuren in jedem Einzelding finden lassen. Das führt Alain zu einer Beschreibung des menschlichen Potentials, ein Bild Gottes zu sein, das fähig ist, die Erkenntnis von und die Liebe zu Gott zu erreichen. Am detailliertesten ist jedoch die Beschreibung des menschlichen Elends nach dem Sündenfall. Wie im zuvor geschilderten Sermo zu ‚Si quis auditor‘ hat der Mensch keine Kenntnis seines göttlichen Ursprungs mehr, in Alains Herangehensweise: er versteht die causa efficiens, die causa formalis und die causa finalis seiner Erschaffung nicht mehr (ibid., 258: „O homo, maxima pena est ignorantia boni; ignoras enim a quo bono sis factus, et in quo bono sis formatus, et ad quod bonum sis creatus“). Hoffnung liegt allein darin, dass der Mensch immer noch zur Selbsterkenntnis gelangen kann. „Erkenne dich selbst“, fordert Alain, sodass die genannten Seins-Ursachen verstanden werden und Furcht, Liebe und Ehre gegenüber Gott gezeigt werden können. Cf. Curiosus, in: Thesaurus Linguae Latinae 4 (1906–1909), 1492–1495. Cf. J. Leclercq, „Curiositas“ et le retour à Dieu chez S. Bernard, in: S. Alvarez (ed.), Bivium. Homenaje Manuel Cecilio Díaz y Díaz,), Madrid 1983, 133–142; Newhauser, The Sin of Curiosity (nt. 41); id., Augustinian vitium curiositatis (nt. 11) zu einem entsprechenden Verständnis bei

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nach neuem Wissen wird bei Alain mit ‚curiositas‘ in den Predigten nicht erfasst und dementsprechend auch nicht gewertet. Die These von Barbara Schlieben, wonach die Predigtliteratur als Gattung eine negative Deutung der curiositas begünstigt haben könnte, kann anhand von Alains Predigten nur zum Teil bestätigt werden. Der Begriff ist zwar negativ besetzt, doch umfasst er ein anderes Bedeutungsspektrum als das Streben nach Wissen. In Alains Predigtœuvre, wie auch insgesamt, nimmt die Warnung vor der curiositas eine marginale Rolle ein. Wer in den nachfolgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten sein Predigthandbuch und seine Modellpredigten zur Hand nahm, konnte sich davon keine Anregungen zur Predigt über curiositas erhoffen. Ob nun ‚augustinisch‘ oder ‚materialistisch‘ verstanden: für Alain von Lille gehörte es nicht zu den Prioritäten, Prediger mit entsprechendem Material gegen die curiositas zu versorgen. Wenn er selbst zu Studenten und Magistern sprach – oder zumindest Predigten dafür schrieb – galt dies ebenso. Anders als die von Ferruolo genannten Pariser Magisterkollegen sah er keinen Anlass zu entsprechenden Warnungen vor zu viel curiositas im Studium. Durchaus vorhanden ist in seinen Predigten aber das im Begriff der Neugier enthaltene Konzept des Strebens nach Wissen und Erkenntnis. Dieses ist in Form des christlichen Sokratismus präsent und durchweg positiv konnotiert, solange es, wie bei Augustinus, Bernhard oder später Peter von Limoges 102 Gott als finales Ziel hat. Vor allem dem schulischen Publikum versuchte Alain den Zusammenhang von Selbst- und Gotteserkenntnis und die ethischen Dimensionen des Wissens zu vermitteln. Aber auch Klaustrierten predigte er die Notwendigkeit, sich selbst zu erkennen. Es ging ihm weniger um den ‚Erkenntnisbereich‘ als um die ‚Erkenntnisgesinnung‘ 103. Diese richtige Gesinnung und darüber hinaus die richtige Methode vorausgesetzt, ist dem Streben nach Erkenntnis keine Grenze gesetzt. Das versuchte Alain von Lille auch den Studenten und Magisterkollegen in Paris zu vermitteln, die er in einer Zeit der institutionellen Transformation auf gemeinsame Werte verpflichten wollte.

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Augustinus und Bernhard. Alain von Lille kann nicht dazugezählt werden, denn bei der von Newhauser dort angeführten Belegstelle (120, nt. 69) aus den sogenannten ‚Memorabilia Alani‘ handelt es sich um Auszüge des Ecclesiastes-Kommentars des Hrabanus Maurus, wie Newhauser einige Seiten zuvor auch selbst schreibt (109, nt. 30). Siehe dazu Glorieux, Le prétendu Liber sententiarum (nt. 51). Cf. dazu R. Newhauser, Inter scientiam et populum. Roger Bacon, Peter of Limoges, and the „Tractatus moralis de oculo“, in: J. A. Aertsen/K. Emery/A. Speer (eds.), Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte (Miscellanea Mediaevalia 28), Berlin 2001, 682–703. Ähnlich wie Alanus äußert sich auch etwa zeitgleich Alexander Neckam, siehe R. W. Hunt, The Schools and the Cloister, The Life and Writings of Alexander Nequam (1157–1217), ed. M. Gibson, Oxford 1984, 82 sq. Diese Unterscheidung in Newhauser, History (nt. 11), 574.

Curiositas gegen humilitas ? Überlegungen zur mittelalterlichen Wissensethik am Beispiel von Pierre de Limoges’ ‚Tractatus moralis de oculo‘ Silvia Negri (Zürich) I. Einführ ung. Gute Bescheidenheit, gute Neugierde? Intellektuelle Bescheidenheit und Neugierde gehören meistens zu den Tugendkatalogen unserer Zeit. Epistemologinnen und Epistemologen, Psychologinnen und Psychologen portraitieren sie als intellektuelle Tugenden 1, als Charaktereigenschaften also, die die Person, die sie besitzt, zu einem fruchtbaren Umgang mit Wissen disponieren 2. Die Nähe zwischen intellektueller Beschei1

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Für die sprachlich-stilistische Revision dieses Aufsatzes bedanke ich mich herzlich bei Jonas Brunsch. Sowohl der Neugierde (curiosity) als auch der intellektuellen Demut (intellectual humility) wird je ein Kapitel gewidmet in H. Battaly (ed.), The Routledge Handbook of Virtue Epistemology, New York 2019 (L. Watson, Curiosity and Inquisitivness, ibid., 155–166 und N. E. Snow, Intellectual Humility, ibid., 178–195). Zur Demut als intellektueller Tugend cf. I. M. Church/P. L. Samuelson, Intellectual Humility. An Introduction to the Philosophy and Science, London–New York 2017; I. M. Church/J. L. Barrett, Intellectual Humility, in: E. L. Worthington, Jr./D. E. Davis/J. N. Hook (eds.), Handbook of Humility. Theory, Research, and Applications, New York 2017, 62–75. In ihrer Einleitung beschreiben die Herausgeber des ‚Handbook of Humility‘ ‚intellectual humility‘ als einen Typ von ‚humility‘ „which includes an openness to modifying one’s ideas and to negotiating ideas fairly“, (Worthington, Jr./Davis/Hook, Introduction. Context, Overview, and Guiding Questions, in: iid. (eds.), Handbook of Humility, 1–15, 4. Bezüglich der Neugierde, cf. auch S. Yiğit, Curiosity as an Intellectual Virtue, in: I. Inan/L. Watson/D. Whitcomb/S. Yiğit, (eds.), The Moral Psychology of Curiosity, London 2018, 117– 139. Yiğit, zusammen mit anderen Epistemologinnen und Epistemologen, definiert ‚curiosity‘ als „desire to know in order to understand“ und bezeichnet sie in diesem Sinne als „basic motivator for understanding“ (ibid., 127). Bei anderen Autorinnen und Autoren wird ‚Neugierde‘ als ‚knowledge emotion‘ oder ‚intellectual emotion‘ definiert und charakterisiert, cf. e. g. aus der Perspektive der Psychologie T. B. Kashdan/P. J. Silvia, Curiosity and Interest: The Benefits of Thriving on Novelty and Challenge, in: S. J. Lopez/C. R. Snyder (eds.), The Oxford Handbook of Positive Psychology, Oxford 2009, 367–374. Es gibt bekanntlich keine einheitliche Definition von intellektueller Tugend. Ich beziehe mich hier auf die Perspektive von Linda Zagzebski, die intellektuelle Tugenden im Sinne von ‚character-traits‘ versteht, cf. ead., Intellectual Virtues: Admirable Traits of Character, in: Battaly (ed.), Virtue Epistemology (nt. 1), 26–36. Für Zagzebskis Definition von ‚intellectual virtue‘, cf. ibid., 32. Für einen Überblick über aktuelle Positionen und Debatten im Forschungsfeld der virtue epistemology cf. J. Turri/M. Alfano/J. Greco, Virtue Epistemology, in: E. N. Zalta (ed.), The Stanford Encyclopedia of Philosophy, Fall 2019 Edition: URL: https://plato.stanford.edu/ archives/fall2019/entries/epistemology-virtue/ (Stand 11. 02. 2022).

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Curiositas gegen humilitas ?

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denheit und Neugierde besteht aber nicht nur darin, dass sie beide positive geistige Haltungen sind. Theoretikerinnen und Theoretiker der intellektuellen Tugenden signalisieren eine engere Beziehung zwischen ihnen. Epistemische Demut und Neugierde werden als positiv konnotierte Haltungen repräsentiert, die auf einen eindeutig bestimmbaren gemeinsamen Nenner zurückzuführen sind. Sie machen das potenzielle Erkenntnissubjekt gegenüber Wissen, das außerhalb gewohnter perzeptueller Muster generiert wird, aufnahmefähig. Dabei bereitet die Demut das Terrain vor, indem sie ein Bewusstsein für Wissens- und Wahrnehmungslücken schafft, während die Neugierde als treibende Kraft beim Erwerb neuen Wissens fungiert. Eine Studie soll hier kurz Erwähnung finden, die die semantische Verbindung zwischen Bescheidenheit und Neugierde herausgearbeitet hat. Es handelt sich um eine psycholexikalische Untersuchung zur ‚intellectual humility‘, deren Ergebnisse Markus Christen, Mark Alfano und Brian Robinson jüngst veröffentlicht haben. Thesauri der englischen und deutschen Sprache sowie eine empirische Umfrage haben den Forschern als Grundlage für eine Analyse des semantischen Feldes von ‚humility‘/‚Bescheidenheit‘ gedient 3. Drei semantische Cluster innerhalb der Synonyme von ‚humility‘/‚Bescheidenheit‘ ergeben sich: dasjenige der ‚Sensibility Dimension‘, das auf rezeptive Offenheit gegenüber neuen Ideen und Informationen hinweist; dasjenige der ‚Knowledge Dimension‘, das auf die aktive Suche neuer Ideen und Informationen hindeutet; und dasjenige der ‚Unpretentiousness Dimension‘, das mit einer aufrichtigen, anspruchslosen, integren Haltung zu tun hat 4. Die semantische Nähe zwischen ‚humility‘ und ‚curiosity‘, ‚Bescheidenheit‘ und ‚Neugierde‘, tritt für beide der untersuchten Sprachen deutlich zutage. Laut dieser Studie wird in spezifischen semantischen Kontexten ‚curiosity‘/‚Neugierde‘ sogar als Synonym von ‚humility‘/‚Bescheidenheit‘ empfunden; in solchen Kontexten nämlich, die mit der Entstehung und/oder dem Besitz von Wissen (‚Sensibility Dimension‘ und/oder ‚Knowledge Dimension‘) zusammenhängen 5. Gegenwärtige wissenschaftliche Perspektiven auf intellektuelle Demut und Neugierde diagnostizieren die Überlappung zeitgenössischer Repräsentationen beider. Da Werte und die Vorstellungswelten, in denen sie beheimatet sind, Geschichte haben, überrascht es aber nicht, dass die Allianz zwischen Demut und Neugierde keine historische Konstante ist. Den gängigen historiographi3 4 5

M. Christen/M. Alfano/B. Robinson, A cross-cultural assessment of the semantic dimensions of intellectual humility, in: AI & Society (2019) 34, 785–801. Siehe ibid. Es gibt Unterschiede zwischen den zwei Sprachen, was die Überlappung zwischen ‚humility‘/ ‚Bescheidenheit‘ und ‚curiosity‘/‚Neugierde‘ in den Schaubildern angeht, die sich aus der Untersuchung der Thesauri ergeben. ‚Curiosity‘ taucht als Synonym von ‚humility‘ im Cluster ‚knowledge‘, zusammen mit ‚inquiring mind‘ oder ‚thirst for knowledge‘ auf, wohingegen Neugierde als Synonym von Bescheidenheit im Cluster ‚sensibility‘ zusammen etwa mit ‚Forschungstrieb‘ und ‚Wissensdurst‘ vorkommt. Siehe Christen/Alfano/Robinson, Assessment (nt. 3), 792. Zum „lack of overlap in the knowledge dimension“ siehe ibid., 791. Das ändert sich wiederum in den Ergebnissen der Umfrage, siehe ibid., 795.

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schen Narrativen über die wechselhafte fortuna der humilitas und der curiositas zufolge ergibt sich ein Bild großer Distanzen und flüchtiger Annährung. Das westliche Mittelalter gilt dabei als Epoche der großen (oder sogar größten) Distanz. Als die Demut von den Kirchenvätern zum Fundament des christlichen Wertesystems auserkoren wurde, wurde die intellektuelle vana curiositas als Sünde gebrandmarkt – und zwar als Tochter der superbia, die der humilitas entgegengesetzt wird 6. Heiko Augustinus Oberman beschrieb in seiner 1974 verfassten Begriffsgeschichte der theoretischen Neugierde geradezu den „Feldzug ‚contra vanam curiositatem‘“ als Kampagne „gegen die curiositas als Verkehrung der christlichen Grundtugend der Demut“ 7. Diskreditiert wurde also die fruchtlose Untersuchung der hohen, himmlischen Dinge, sofern sie vom Forschenden als Selbstzweck verstanden wurden, und stark gemacht dagegen die demütige (Selbst)-Erkenntnis der eigenen Grenzen und der Abhängigkeit des Menschen von Gott als erster Schritt hin zur göttlichen Weisheit. Es wäre ertragreich, die Narrative der vormodernen Opposition von intellektueller Demut und intellektueller Neugierde auf die Probe zu stellen. Dafür müsste man die Entwicklungen beider, der Demut und der Neugierde, in verschiedenen Diskursen um das Wissen verfolgen, um der Frage nachzugehen, worin die begrifflichen Spannungen zwischen den neugierigen und demütigen Haltungen im wissenstheoretischen und -ethischen Diskurs genau bestehen 8. Im 6

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Zu Augustinus’ Demutsauffassung cf. N. Baumann, Die Demut als Grundlage aller Tugenden bei Augustinus, Frankfurt am Main 2009 und neuerdings id., Pride and Humility, in: T. Toom (ed.), The Cambridge Companion to Augustine’s Confessions, Cambridge 2020, 208–226; zur humilitas als der superbia entgegengesetzte Tugend und im allgemeineren zu den ‚contrariae virtutes‘ cf. R. Newhauser, Preaching the ‚contrary virtues‘, in: Medieval Studies 70 (2008), 135–162. H. A. Oberman, Contra vanam curiositatem. Ein Kapitel der Theologie zwischen Seelenwinkel und Weltall, Zürich 1974, 9 sq. Oberman verglich Hans Blumenbergs (in seinen Augen) problematische historiographische „Kampagne“ gegen die „im Mittelalter pauschal und undifferenziert geführte Anklage gegen die curiositas“ mit „Nietzsches Abrechnung mit der christlichen Demut“, führte aber diesen Vergleich nicht weiter. Obermans Interesse lag auch nicht darin, eine Alternative zum augustinozentrischen Paradigma anzubieten, um das spezifische Verhältnis zwischen curiositas und humilitas historisch zu bedenken, wobei sein Schwerpunkt auf dem curiositas-Begriff und seiner vielfältigen Verwendung in vormodernen Quellen lag, ibid., 10 sq. Cf. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit [1966]. Erneuerte Ausgabe [1988] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996. Zu bemerken ist, dass mittelalterliche Repräsentationen sowohl der Neugierde als auch der Bescheidenheit viel mehr enthielten als nur den intellektuellen bzw. theoretischen Aspekt, bei welchen ich hier verweile. Zur Komplexität des Begriffs der curiositas siehe R. Newhauser, Towards a History of Human Curiosity: A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559–575. Zur mittelalterlichen Demut als Bündel verschiedener innerlicher und äußerlicher Aspekte cf. S. Negri, Demutrepräsentationen im Mittelalter. Thomas von Aquin im Kontext, in: M. Meliadò/S. Negri (eds.), Praxis des Philosophierens, Praktiken der Historiographie (Geist und Geisteswissenschaft 2), Freiburg im Breisgau–München 2018, 140–160, bes. 140 sq. Unter den neusten Studien zu Demutkonzeptionen im Mittelalter cf. M.-A. Vannier (ed.), L’humilité chez les mystiques rhénanes et Nicolas de Cues. Demut in Eckhart und Cusanus, Paris 2016; M. Zink, L’humiliation, le Moyen Âge et nous, Paris 2017; S. Negri (ed.), Representations of Humility and the Humble (Micrologus Library 108), Florenz 2021.

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Rahmen meines Beitrags werde ich mich auf eine case study beschränken, die zu einigen übergreifenden Überlegungen zur Rolle der Neugierde und der Demut im vormodernen wissensethischen Bereich einlädt.

II. Die Aug en des Hochmütig en, die Aug en des Demütig en Im Zentrum meiner Reflektionen steht der von Petrus von Limoges im 13. Jahrhundert verfasste ‚Tractatus moralis de oculo‘ 9. Das Buch bietet eine Philosophie und Theologie des körperlichen und geistigen Sehens mittels einer zugleich naturphilosophischen, moralischen und heilsgeschichtlichen Untersuchung des Auges, seiner Eigenschaften, Funktionen und Symbolik. Die Spezialistinnen und Spezialisten beschreiben den Traktat als eine auch außerhalb der akademischen Welt sehr erfolgreiche Popularisierung der in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts aktuellen Optik-Traktate (vor allem Alhazens’ ‚Optik‘ und Roger Bacons ‚De perspectiva‘) zu pädagogischen und homiletischen Zwecken 10. Der Traktat zirkulierte in mehr als 200 spätmittelalterlichen Handschriften und wurde im 15. Jahrhundert gedruckt 11. Wie Dallas G. Denery in seiner historischen Rekonstruktion der Rolle und Bedeutung der neuartigen OptikTheorien in der spätmittelalterlichen Kultur hervorgehoben hat, dokumentiert der ‚Moralische Traktat über das Auge‘ die Verwendung naturwissenschaftlicher Theorien über das Sehen in den religiösen Praktiken von Predigt und Beichte und erhellt umgekehrt den Einfluss jener Praktiken auf die universitäre Spekula9

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Pierre de Limoges, Tractatus moralis de oculo, Augsburg 1477 (BSB-Ink P-357, GW M27450). Diese Frühedition ist nicht foliiert. In dieser Edition trägt die Schrift den Titel ‚Tractatus de oculo morali‘. Aber wie Richard Nehwauser anmerkte: „The title of the work in the best manuscripts is ‚Tractatus moralis de oculo‘“, R. Newhauser, Inter scientiam et populum: Roger Bacon, Peter of Limoges, and the ‚Tractatus moralis de oculo‘, in: J. A. Aertsen/K. Emery, Jr./A. Speer (eds.), Nach der Verurteilung von 1277. Philosophie und Theologie an der Universität von Paris im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts. Studien und Texte/After the Condemnation of 1277. Philosophy and Theology at the University of Paris in the Last Quarter of the Thirteenth Century. Studies and Texts (Miscellanea Mediaevalia 28), Berlin–New York 2001, 682–703, 689. Newhauser hat sich mehrfach mit dem Traktat auseinandergesetzt: Id., Der ‚Tractatus moralis de oculo‘ des Petrus von Limoges und seine exempla, in: W. Haug/B. Wachinger (eds.), Exempel und Exempelsammlungen (Fortuna vitrea 2) Tu¨bingen 1991, 95–136; id., Peter of Limoges, Optics, and the Science of the Senses, in: The Senses and Society 5/1 (2010), 28–44. Neuerdings hat sich auch ein Sammelband dem Traktat des Pierre de Limoges gewidmet: H. L. Kessler/ R. G. Newhauser/A. J. Russell (eds.), Optics, Ethics, and Art in the Thirteenth and Fourteenth Centuries. Looking into Peter of Limoges’ Moral Treatise on the Eye (Text – image – context. Studies in medieval manuscript illumination 5), Toronto 2018. Mit dem Traktat beschäftigte sich auch D. L. Clark, Optics for Preachers: The De oculo morali by Peter of Limoges, in: Michigan Academician 9 (1977), 329–343. Cf. Newhauser, Inter scientiam et populum (nt. 9), zu den Adressaten des Werkes und seiner Rezeption ibid., 687 sq. Cf. ibid. und R. Newhauser, Morals, Science, and the Edification of the Senses, in: Kessler/ Newhauser/Russell (eds.), Optics, Ethics, and Art (nt. 9), 7–16.

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tion 12. Die Übersetzung des Traktates ins Englische, die im Jahr 2011 von Richard Newhauser publiziert worden ist, hat unter anderem dazu beigetragen, den Traktat einem breiteren akademischen Publikum bekannt zu machen 13. Nach einer Zeit als Kanoniker in Évreux soll Pierre de Limoges im Jahr 1262 magister artium in Paris geworden sein, um später als Magister der Theologie zu wirken. Zweimal soll er das Bischofsamt sowie Präbenden abgelehnt haben. Zu Lebzeiten war er darüber hinaus nicht nur als Verfasser von Sermonen und Materialien für Prediger, sondern vor allem als Astronom und leidenschaftlicher Buchsammler bekannt 14. Aller Wahrscheinlichkeit nach schrieb Pierre den ‚Tractatus moralis de oculo‘ in Paris gegen Ende der 1280er Jahre, just zu einer Zeit also, als die Debatte um die Zuständigkeitsbereiche der Disziplinen tobte, die an der Pariser Universität vertreten waren, insbesondere der Philosophie und der Theologie. Diese Debatte kreiste auch, wie bekannt, um das Ethos der universitären magistri und speiste sich nicht selten aus gegenseitigen Vorwürfen, die Grenzen der Untersuchung zulässiger Objekte aus Eitelkeit verletzt zu haben 15. In diesem Zusammenhang merkt Richard Newhauser an: „Peter had to take great care in making the case, which Bacon had argued before him, that optics was essential knowledge for the moral improvement of Christianity“ 16. In der Tat verfährt Pierre de Limoges bei der theoretischen Fundierung seines Unternehmens mit aller Vorsicht. Er bietet mit seinem Traktat ein konkretes Beispiel der Anwendung einer naturphilosophischen Disziplin – der Optik – im moralischen und theologischen Diskurs. In dieser Hinsicht, und dank seines interdisziplinären Ansatzes, der sich gut anhand seiner Verschmelzung unterschiedlicher Quellen nachverfolgen lässt, erlaubt mir der Traktat, die Spannun12

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D. G. Denery II, Seing and Being Seen in the Later Medieval World. Optics, Theology and Religious Life (Cambridge Studies in Medieval Life and Thought), Cambridge 2005, hier 6 sq. und passim. Peter of Limoges, The Moral Treatise on the Eye, translated with an introduction by R. Newhauser (Mediaeval Sources in Translation 51), Toronto 2012. Newhauser, Morals (nt. 11), 12. Zum intellektuellen Profil von Pierre de Limoges und seinem Umgang mit Handschriften cf. M. Mabille, Pierre de Limoges, copiste de manuscrits, in: Scriptorium 24 (1970), 45 sqq.; N. Bériou, Pierre de Limoges et la fin des temps, in: Mélanges de l’Ecole française de Rome 98/1 (1986), 65–107; O. Weijers, avec la collaboration de M. Brînzei, Le travail intellectuel à la Faculté des Arts de Paris: textes et maîtres (c. 1200–1500), VII. Répertoire des noms commençant par P (Studia artistarum 15), Turnhout 2007, 196–199; C. Lafleur, avec la collaboration de J. Carrier, Pierre de Limoges ‚abréviateur‘, ‚amalgameur‘ et adaptateur de textes didascaliques, in: C. Angotti/M. Brînzei/M. Teeuwen (eds.), Portraits de maîtres offerts à Olga Weijers (FIDEM. Textes et Études du Moyen Âge 65), Porto 2012, 393– 403. C. König-Pralong, Le bon usage des savoirs: scolastique, philosophie et politique culturelle (Études de philosophie médiévale 98), Paris 2011; cf. auch S. Negri, Zur Demut beim Lehren und Lernen, in: A. Speer/T. Jeschke (eds.), Schüler und Meister (Miscellanea Mediaevalia 39), 109–133, 121 sqq. Newhauser, Introduction, in: Peter of Limoges, Moral Treatise (nt. 13), XXII. Siehe auch Newhauser, Inter scientiam et populum (nt. 9), 690 sqq. Zum Verhältnis von Pierre de Limoges zum Werk Bacons – das er ausführlich benutzt, ohne ihn aber explizit zu erwähnen – cf. die Überlegungen von Richard Newhauser, ibid., 693 sqq.

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gen zwischen Neugierde und Demut – zwischen dem Auge des Neugierigen und dem Auge des Demütigen – im spätmittelalterlichen Diskurs über das Wissen zu reflektieren. Im Traktat werden Neugierde und Bescheidenheit nicht nur in den Kapiteln analysiert, die das Sehen aus einer sittlichen Perspektive betrachten. Vielmehr prägen sie – die Augen des Neugierigen und die des Demütigen – Pierres wissenstheoretischen Diskurs, i. e. jene Ausführungen, in welchen das physikalische Sehen mit der intellektuellen Sicht parallelisiert wird, und sie prägen auch seine wissensethischen Überlegungen, i. e. die Äußerungen zur korrekten Haltung des Wissenssuchenden. Dabei ist Pierres Analyse so aufgebaut, dass sie von den physikalischen Eigenschaften des Auges und des Sehvorgangs zu Instruktionen über das Wissen und den Wissenserwerb überleitet 17. Bei meiner Darstellung ausgewählter Passagen des Traktates verfolge ich hauptsächlich zwei Aspekte: Ausgehend von einer Untersuchung des Wortschatzes der curiositas, werde ich zunächst verdeutlichen, inwiefern im Traktat das semantische Feld der Neugierde demjenigen der Demut gegenübersteht. Sodann werde ich die Bedeutung eruieren, die Pierre de Limoges der Bescheidenheit besonders im wissensethischen Diskurs beimisst. In dieser Hinsicht werde ich vorschlagen, dass der Begriff von Bescheidenheit im Traktat (sowie in einer seiner wichtigsten Quellen) denjenigen von Neugierde im Sinne von ‚open-mindedness‘ miteinschließt. III. Neugierig e Forschung Die curiositas begegnet in ‚De oculo‘ an Stellen, an denen Pierres wissenstheoretische Konzeption nicht direkt zum Ausdruck gebracht wird. Wir begegnen der Neugierde im neunten Kapitel des Werkes, das die Augen als die verschwenderischsten unter den Organen charakterisiert („De sumptuositate oculorum respectu ceterorum membrorum humani corporis“), da sie sich an Reichtum und Überfluss weiden 18. Die unersättliche curiositas der Augen, Ursache nicht nur von Kosten, sondern auch von Wahnsinn, wird dort als Synonym von ‚concupiscentia‘ verwendet: Sie ist also identisch mit dem brennenden Trieb nach Gütern. In Bezug auf das Wissen tritt die Neugierde zweimal als Adverb (curiose ) auf, und zwar in Verbindung mit Verben – perscrutari 19 und rimari 20 –, die auf einen 17 18

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Zu Pierres allgemeinem Vorgehen im Traktat cf. Denery II, Seeing and Being Seen (nt. 12), besonders 100 sq. Pierre de Limoges, Tractatus (nt. 9), IX.I: „Mensa cuiusdam praelati mota fuit haec quaestio, Quod esset membrum sumptuosius in corpore humano communiter loquendo, et responsum fuit omnibus quod venter est membrum sumptuosius. […] Interrogatus tandem quidam philosophus, qui cum aliis discumbebat quid ipse super hoc sentiat, Sentio, inquit, quod oculi pluribus constant quam membrum aliquid corporis humani. Quia sex sunt que divitibus sumptus nimios affuerunt, scilicet pretiositas vestium, equorum, edificiorum, liberum, cibariorum, vasorum argenteorum et etiam aureorum. Superfluitas autem ista non ob aliud est inventa nisi ut pascat oculos proprios et quod miserabilius est alienos“. Pierre de Limoges, Tractatus (nt. 9), VIII.I (wie unten nt. 24). Ibid., XI.IV (wie unten nt. 31).

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eindringlichen, anhaltenden Akt des Erforschens hinweisen. In beiden Fällen wird das neugierige Durchstöbern negativ konnotiert. Ich werde nun diese zwei Motive kurz vorstellen.

1. Curiose perscrutari Im achten Kapitel bringt Pierre de Limoges verschiedene Charakteristika der Augen mit den sieben Hauptlastern in Verbindung („De septem differentiis oculorum iuxta differentiam septem capitalium vitiorum“ 21 ). Die Grundidee ist, dass die Sünden des Geistes sich verkörpern, insbesondere an einer je nach Lastertyp verschiedentlich verzerrten Augenhaltung. In diesem Kontext wird das ‚neugierige Erforschen (curiose perscrutari )‘ als Anzeichen der superbia erwähnt. Über die Augen der Hochmütigen schreibt Pierre, dass sie „als angeschwollen und überheblich beschrieben werden, denn sie betrachten immer die großen und hohen Dinge“ 22. Dazu erklärt er, dass „aufwärts blickende Augen die Überheblichkeit des Geistes verraten“ 23. Mit einer Zusammenstellung patristischer und biblischer Zitate macht Pierre dann deutlich, dass Gott die Augen der Hochmütigen verwarnt, hasst, ja erniedrigt („Oculos superborum humiliabis“ [Ps 17,28]). Pierre de Limoges’ Erläuterungen zu den Merkmalen der Aufgeblasenen werden dann für meine Fragestellung besonders relevant, wenn er Anzeichen der superbia nicht nur in der äußeren Erscheinung bzw. an den äußerlich sichtbaren Augen, sondern auch – oder sogar vor allem – an den ‚inneren Augen (oculi interiores )‘ findet. Die inneren Augen werden als Wissensorgane gedeutet; die Sehensethik wird zu einer Wissensethik, die zunächst um die Verurteilung des curiose perscrutari kreist: „Einige Leute haben nach außen demütige Augen, aber die innerlichen, die sehen steil nach oben. Wegen ihrer Überheblichkeit verschmähen sie die ebenerdigen Dinge (plana ) und wollen die Geheimnisse Gottes (archana Dei ) neugierig erforschen (curiose perscrutari ). Und deshalb werden sie verdientermaßen getrübt und erreichen solche Geheimnisse nicht“ 24. In dieser Manifestation des Hochmutes verbirgt eine bloß äußerliche, trügerische Demut die innere Aufgeblasenheit des Geistes, dessen Schuld darin besteht, in verkehrter Weise wissen zu wollen. Sich auf den biblischen Spruch Salomos 23,5 stützend („Laß deine Augen nicht fliegen nach dem, was du nicht haben kannst“), stellt Pierre de Limoges das ‚perscrutari‘ dem ‚scire‘ gegenüber und 21 22 23 24

Ibid., VIII. Ibid., VIII.I: „Superborum oculi quia semper ad magna et excelsa respiciunt dicuntur tumidi et elati. Elationem enim animi praetendunt sublimes oculi“. Ibid. Ibid.: „Sunt autem quidam qui oculos exteriores [korr. S. N. von exterioris] habent satis humiles, sed interiores nimis sublimes, dum per sublimitatem nimiam plana fastidiunt et archana Dei curiose perscrutari volunt. Et ideo merito hebetati ad talia non attingunt“.

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schreibt: „Denn es gibt vieles, das, je mehr man es erforscht, umso weniger erkannt wird“ 25. Der Autor fokussiert auf ein weiteres Merkmal der – innerlich – Hochmütigen: Sie brüsten sich übermäßig mit ihrem Wissen und verlieren dabei das Licht der Gnade. Ganz im augustinischen Sinn vermerkt Pierre de Limoges, dass die Aufgeblasenheit der inneren Augen mit einer profunden, konstitutiven Blindheit einhergeht, und zwar mit der Unkenntnis der eigenen niedrigen Beschaffenheit: „In Wirklichkeit ist der Hochmütige blind, da er sich selbst als Mensch nicht kenn. ‚Homo‘ (Mensch) heißt er nämlich von ‚humus‘ (Erde). Wenn er aber wüsste, dass er aus Erde ist, dem niedrigsten Element, würde er danach streben, auf dem niedrigsten Rang zu verbleiben, und sich durch Selbstdemütigung zum Niedrigsten zählen“ 26.

2. Curiose rimantes Die zweite Verwendung des Adverbs ‚curiose‘, diesmal im elften Kapitel, muss im Kontext jener Sektion des Traktates ‚De oculo‘ analysiert werden, die der Darstellung gewidmet ist, wie sich die Schüler auf das Sehen (ad visum ) vorbereiten sollen 27. Dabei setzt Pierre de Limoges das Feld des Sehens mit demjenigen der Wissensaneignung gleich: die visio completa ist das Ziel, das von einem Schüler erreicht werden muss. Dafür müssen – gerade wie beim physischen Sehen – einige Bedingungen erfüllt werden: das Subjekt des Sehens muss gut funktionierende Sehorgane besitzen; darüber hinaus muss der Gegenstand des Sehens präsent sein und eine gewisse Festigkeit aufweisen. Was den Akt des Sehens betrifft, so muss eine passende Distanz zwischen dem Sehenden und dem Gesehenen, genügend Zeit, Licht und ein dem Sehvorgang förderliches Medium vorhanden sein 28. Das neugierige Erforschen wird von Pierre de Limoges als verkehrte Tätigkeit eines Wissenssuchenden angeprangert im Rahmen der Empfehlungen über die Beständigkeit der Wissensobjekte und im Zusammenhang der Angaben der Wissenschaft, die sich mit jenen Objekten beschäftigt. Nun wird deutlicher, was aus epistemologischer Sicht im Spiel ist, wenn Pierre von ‚curiose rimari‘ schreibt. Die Argumentation baut auf der Gegenüberstellung zwischen der soliditas (Beständigkeit) der scientia Dei, der Sacra Scriptura, und der vanitas (Nichtigkeit) der scientiae saeculares auf. Das Wissen um die Heilige Schrift führt zur Erkenntnis 25 26

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Ibid.: „Multa enim sunt quae quanto plus perscrutantur, tanto minus sciuntur“. Ibid.: „Et vere superbus cecus est, cum seipsum esse hominem non cognoscat. Homo enim ab humo dicitur. Si autem de humo se esse cognosceret, instar terrae quae elementorum est infima, novissimum locum tenere contenderet et se humiliando infimum reputaret“. Ibid., XI.I: „De informatione scolarium ex septem conditionibus quae requiruntur ad visum“. Ibid.: „Ad hoc ut fiat visio completa ista septem sunt necessaria: debita dispositio organi, praesentia obiecti, proportio distantiae, soliditas rei visae, attentio potentiae, mora temporis, diffusio luminis, medium illustrantis“.

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Gottes und zur Erkenntnis des Selbst 29. Daraus entstehen – Pierre zitiert Bernhard von Clairvaux – erst Ehrfurcht und Demut, dann Hoffnung und Liebe. Die weltlichen Wissenschaften hingegen sind leer, denn sie basieren auf Fehlern und bieten keine geistige Erholung; sie führen sogar zum Wahnsinn 30. Vanitas, stultitia, inutilitas, praesumptio, divisio, insania gehen mit dem weltlichen Wissen einher. Das Urparadigma des leeren, eitlen, sogar katastrophalen Versuchs, mit weltlichen Kräften emporzustreben, ist dabei die Errichtung des Turms von Babel. Aber genauso eitel, schreibt Pierre, waren „auch die Philosophen, denen, während sie die Bauwerke ihrer Geisteskraft in die Höhe zogen, neugierig die himmlischen und göttlichen Dinge erforschten (celestia et divina curiose rimantes ) und ihre Kräfte überschätzten (et de suis viribus praesumentes ), die […] Einheit der Wahrheit entzogen worden war“ 31. Die Philosophen haben aus epistemologischer Sicht die falschen Objekte für ihre Forschungstätigkeit gewählt und zugleich aus wissensethischer Perspektive diesen gegenüber die falsche Haltung eingenommen, indem sie ihre geistigen Kapazitäten überbewertet haben. Die Strafe dafür habe nicht auf sich lange warten lassen, denn „sie wurden eingehüllt in die Nebel der Unwissenheit und wurden zerstreut in die Gefolgschaft verschiedener Irrlehren; indem sie sich als weise bezeichnet haben, wurden sie töricht“ 32. Pierre de Limoges’ abschließende Empfehlung für den Schüler ist, die Nichtigkeit (vanitas ) der weltlichen Wissenschaften zu meiden. Weltliche Kenntnisse und philosophische Lehren können aber trotzdem in den Dienst der göttlichen Weisheit gestellt werden 33, „insbesondere, wenn das von der Vernunft verlangt wird“ 34. Darin kann man einen Bezug auf die – zu Pierres Zeiten in Paris höchst

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Ibid., XI.IV: „Quarto ad visionem requiritur soliditas rei visae, unde aer quia non est corpus solidum non visus obiectum, in quo informantur scolastici circa intellectuales visiones intenti, ut studeant in scientiis solidis non vanis. Dicitur enim Sap. 13: ‚Vani sunt omnes homines in quibus non est scientia Dei‘. Scientia autem Dei est sacra scriptura, per quam homo cognoscit Deum et etiam seipsum. […] Ecce quanta est in Sacra Scriptura soliditas et quam elongata est ab ea vanitas. […] Et ideo ad hanc tamquam ad obiectum firmum et solidum debemus erigere rationis oculum“. Ibid.: „In saecularibus vero scientiis est vanitas multiplicis erroris […] in talibus scientiis non invenitur refectio spiritualis […] Iste enim sunt scientiae quae faciunt insanire […] Ideo scientiis saecularibus non debet esse homo nimis intentus […] Et ideo debet scolaris orare: Averte oculos meos ne videant vanitatem, scilicet scientiarum saecularium“. Ibid.: „Sic et philosophi dum ingenii sui machinas erexerunt in altum caelestia et divina curiose rimantes et de suis viribus praesumentes, subtracta est eis vere et incommutabilis et indeficiens unitas veritatis, et ignorantia nebulis obvoluti et in reprobum sensum dati in sectas errorum varias sunt dispersi, et dicentes se esse sapientes, sulti facti sunt.“ (Bei dieser Stelle könnte Johannes von Salisbury, Policraticus, II, 7, 1 als Vorlage gedient haben). Ibid. Ibid.: „Haec est via quae ducit ad caelum, Sapientiae VI: Concupiscentia sapientiae ducit ad regnum perpetuum Hinc ergo divinae sapientiae debet unusquisque scolaris per studium adhaerere, et quicquid de saecularibus scientiis novit, in huius servitium dedicare“. Ibid.: „Et ideo nec absurdum nec inconveniens videatur alicui si verba philosophiae vel civilis scientiae in doctrina (maxime cum hoc ratio postulaverit) admittantur.“

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aktuelle – Debatte zu Methoden und Grenzen des philosophischen und des theologischen Wissens erkennen und nicht zuletzt eine Verteidigung des eigenen Unternehmens 35. IV. Zwischenbilanz: Neugierde g eg en Demut Für die Vernunft, auch im theologischen Diskurs, beansprucht Pierre de Limoges einen gewissen Spielraum der Entscheidung darüber, aus welchem disziplinären Feld Wissensgehalte aufgenommen werden können. Mit einer Rehabilitierung des semantischen Feldes der curiositas hat das natürlich nichts zu tun. In Bezug auf seine negative Konnotation möchte ich aber einen Punkt klarmachen, bevor ich von der Neugierde zur Demut übergehe. Die Abwertung der neugierigen Forschung, die wir an zwei Stellen des ‚Tractatus moralis de oculo‘ beobachten konnten, geht mit einem zugleich epistemologischen und wissensethischen Diskurs einher. Aus epistemologischer Sicht wird vor der Erforschung bestimmter Gegenstände bzw. Wissensgebiete gewarnt; Pierre nennt diese Objekte ‚archana Dei‘, ‚caelestia‘, ‚divina‘. Von einem wissensethischen Standpunkt aus wird jene Haltung des Wissenssuchenden verurteilt, die in eitlem Vertrauen allein auf die Kapazitäten des menschlichen Geistes versucht, diese Gegenstände zu ergründen. Gerade die Kombination falscher Objekte des Wissens und einer falschen Einstellung zur oder Weise der Wissenssuche führt also zu jenen „intellektuellen Grenzverletzungen“, die – um es mit Oberman zu sagen – „schon in den Anfängen der abendländischen Theologie“ 36 als Korrelat einer (falschen) Neugier erschienen. An der Schwelle zwischen den zwei Diskursen, so kann man Pierre de Limoges auslegen, bringt das ‚curiose‘ jene typische Unersättlichkeit eines Geistes zum Ausdruck, der eine ständige Unzufriedenheit erlebt – denn die Objekte, die er glaubt antasten zu können, sind ihm nie wirklich erreichbar. Dabei ist die semantische und begriffliche Verbindung mit der vanitas, Nichtigkeit, Eitelkeit und Nutzlosigkeit gleichermaßen, ausschlaggebend. Es ist in der Tat die einigen intellektuellen Unternehmungen innewohnende vanitas, die die Grenzen zwischen einer zulässigen und einer unberechtigten Verwendung des philosophischen Wissens samt der zum Wissenserwerb von der Philosophie entwickelten Methoden zieht. Pierre führt diesen Gedanken nicht weiter, denn die Neugierde steht nicht im Zentrum seiner wissenstheoretischen Erörterungen. Man könnte aber mit ihm schlussfolgern, dass die edificatio ad salutem und die communis eruditio, wenn sie als Zwecke der 35

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Ibid.: „ Nec debet aliquis calumniose quaerere de qua facultate sumantur dummodo edificent ad salutem, sicut nec de eo bene quaeritur quae terra herbam procreaverit aut quis ortulanus terram excoluerit, dummodo virtutem habeat salutarem. Et ideo intedrum causa eruditionis communis aliqua de gentilium libris recipi possunt in diviniis eloquiis“. Oberman, Contra (nt. 7), 17. In Bezug auf die verschiedenen moralischen und erkenntnistheoretischen Aspekte, die beim vitium curiositatis – schon bei Augustin – eine Rolle spielen, cf. Newhauser, History (nt. 8).

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Anwendung der verba philosophiae angenommen werden, der Leere des neugierigen Erforschens entgegenwirken. Was das Verhältnis zwischen Neugierde und Demut angeht, gehören sie ohnehin in den diskutierten Passagen zu zwei kontrastierenden semantischen Feldern 37. Im zuerst analysierten Abschnitt des ‚De oculo‘ steht die Selbsterniedrigung des Selbstkennenden der blinden Selbsterhöhung des superbus gegenüber, wobei das neugierige Erforschen ein Zeichen der superbia ist. In der zweiten Textgruppe stellt Pierre de Limoges gegen das neugierige, nichtige, eitle Durchsuchen das studium um die göttliche Weisheit, die Solidität der Erkenntnis Gottes und der Selbsterkenntnis. Die humilitas wird schließlich als jene Haltung erwähnt, die aus der Selbsterkenntnis hervorgeht 38. Es ist dabei unbestreitbar, dass die Neugierde eine Qualifikation der hartnäckigen Erforschung der äußeren Welt ist, wohingegen die Demut eine Einstellung ist, die mit der Erkenntnis der innerlichen Beschaffenheit einhergeht. Demut ist aber noch mehr.

V. Bescheidenes Ler nen Humilitas ist die erste, grundlegende Bedingung des erfolgreichen Lernens. Im Kapitel 11 des ‚De oculo‘, in welchem Pierre de Limoges sieben Bedingungen für die visio completa des scholarus schildert, gilt Demut als die Anlage (dispositio ) eines gut funktionierenden Wissensorgans. Pierre vergleicht die Sehfähigkeit der humiles mit derjenigen der superbi: „Denn gerade wie diejenigen, die tiefliegende Augen haben, aus großer Ferne auch die feinen, kleinen Dinge besser sehen als diejenigen, die angeschwollene, hervorquellende Augen haben, weil diese schnell von einem sinnlichen Objekt verletzt werden, so sehen auch die Demütigen die feinen Dinge besser als die Hochmütigen. Sprüche 11: Wo die Bescheidenheit ist, da ist auch die Weisheit“ 39. Das Sprichwort ‚Ubi humilitas, ibi sapientia‘ eröffnet eine Reihe von Zitaten, mit welchen die Verbindung zwischen Weisheit, Wahrheitsoffenbarung und demütiger Haltung bestärkt wird, bis hin zur Behauptung: „Wenn der Studierende Fortschritte in der Wissenschaft machen möchte, muss er sich in Demut 37 38

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Man muss hier erwähnen, dass humilitas/humiliatio eher in Anlehnung an Zitate aus Gregor dem Großen und Bernhard von Clairvaux vorkommen. Pierre de Limoges, Tractatus (nt. 9), XI.IV: „Quarto ad visionem requiritur soliditas rei visae, unde aer quia non est corpus solidum non visus obiectum, in quo informantur scolastici circa intellectuales visiones intenti, ut studeant in scientiis solidis non vanis. Dicitur enim Sap. 13: ‚Vani sunt omnes homines in quibus non est scientia Dei‘. Scientia autem Dei est sacra scriptura, per quam homo cognoscit Deum et etiam seipsum. Et dicit beatus Bernardus in quoddam sermone: „Orans sanctus quidam deus inquit: Noverim me, Noverim te. Brevis oratio sed fidelis: haec enim est vera philosophia et uti quia cognitio prorsus necessaria ad salutem. Ex priori quidem concipitur timor et humilitas, ex posteriori spes et caritas generatur“. Ibid., XI.I: „Nam sicut oculos habentes profundos melius vident de longe distantia et etiam subtilia et minuta quam habentes oculos tumidos vel prominentes, qui etiam de facili leduntur ab obiecto sensibili, sit et humiles clarius vident subtilia quam superbi, Proverbiorum XI: Ubi humilitas, ibi sapientia“.

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üben“ 40. Zwei Verse aus Deuteronomium (28,9 und 12) werden ebenso herangezogen: „Wenn du die Gebote des Herrn, deines Gottes, hältst […], wird er dir seinen guten Schatz auftun, den Himmel“, wobei Pierre den Himmel (caelum ) als notitia caelestium, also die Erkenntnis der himmlischen Dinge, interpretiert 41. In diesem Abschnitt gibt es keinen Verweis auf die Selbsterkenntnis als Pendant zur Demut; diese gilt wohl als Voraussetzung. Pierres Schwerpunkt liegt hingegen auf den Zielen – gerade die Kenntnis der himmlischen Dinge –, die mittels einer demütigen Haltung erreicht werden können. In diesem Sinne festigt sich die Annahme, dass es bei der Distanz zwischen dem neugierigen Erforschen und dem Sehen des Demütigen nicht lediglich um die Wahl der zu untersuchenden Objekten geht. Es geht um eine innerliche Disposition gegenüber dem Wissen und natürlich auch um eine besondere Wissens- und Weisheitskonzeption, die hier auf Bibelexegese baut, aber andere Formen der Wissenssuche nicht ausschließt, wie zuvor beobachtet 42. Aber noch interessanter ist die konkrete dreifache Charakterisierung der schulischen Bescheidenheit in ‚De oculo‘: „Die schulische Bescheidenheit besteht in drei Dingen. Erstens darin, dass der Studierende von allen bereitwillig lernt. […] Darüber hinaus, dass er keine Wissenschaft verachtet […], Schließlich braucht man Geduld, um Beleidigungen und Beschimpfungen ruhig zu ertragen“ 43. Die humilitas des Studierenden fällt mit der patientia (Geduld) zusammen, deren Vorbild für Pierre de Limoges Sokrates ist. Die ersten zwei Effekte der Demut weisen beim Lernen auf eine vielleicht in diesem Kontext unerwartete 40 41 42

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Ibid.: „Ad hoc igitur ut scolaris bene proficiat in scientia oportet quod humilitatem studeat“. Ibid. Pierre de Limoges führt an einer späteren Stelle den Parallelismus zwischen dem physikalischen und dem wissenstheoretischen Diskurs am Beispiel der Sehkapazität der oculi prominentes und der oculi profundi weiter. Nachdem er die Lehre der ‚auctores perspectivae‘ zusammengefasst hat, stellt er fest, dass es drei Gründe gibt, weshalb sich die Weisheit eher den Demütigen als den Hochmütigen offenbart. Der erste Grund ist, dass die Bescheidenheit imstande ist, von den geistigen Gefahren fernzubleiben, denn „der Anfang der Weisheit besteht darin, die geistigen Übel zu vermeiden zu wissen“. Der zweite Grund ist, dass die Demut lehrt, die eigenen Güter, also die eigenen Erfolge, zu verbergen. Die dritte Erklärung ist, dass die Demut Gott am nächsten ist, wobei Gott „der Herr aller Wissenschaften ist“. In diesem Kontext erfolgt die Erkenntnis der Wahrheit als Offenbarung der Bedeutung der Heiligen Schrift. Gemäß einem wiederkehrenden Motiv beschreibt Pierre de Limoges die eitlen Wissenssuchenden als Feinde, die nur aufgrund der eigenen intellektuellen Kräfte praesumptuose versuchen, die Unversehrtheit der Heiligen Schrift zu erschüttern. Pierre de Limoges, Tractatus (nt. 9), XI.I: „Modo ex consimilibus causis sapientia magis conceditur humilibus quam superbis. Primo quidem quia humilitas est maxime a periculis elongata, et ideo novit declinare pericula […] Hoc autem est initium sapientiae, scire mala spiritualia declinare. Secundo quia humilitas bona sua non ostentat, sed magis congregat vel occultat et quanto amplius tanto videt perfectius. […] Tertio quia humilitas maxime Deo est propinqua […] Qui ergo voluerit ad veram doctrinam pervenire ad illum debet per humilitatem accedere qui scientiarum dominus est. […] Nam qui praesumptuose ingenii aut studii viribus scripturarum integritatem quasi hostium infringere tempat, quasi a sacrario sapientiae exclusus ab intelligentia veri alienus existit“. Pierre de Limoges, Tractatus moralis de oculo (nt. 9), XI.I: „Haec autem humilitas scolaris in tribus consistit. Primo quidem ut a quolibet libenter discat […] Item quod nullam scientiam contemnat […]. Item requiritur patientia ut illatas iniurias et contumelias patienter sustineat“.

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Offenheit hin. Kein Lehrer und kein Wissensinhalt soll grundlos verachtet werden 44. In Bezug auf die Wertschätzung jeder Form von Wissen empfiehlt der Autor, bei den kleinen Dingen zu beginnen, um später zu den großen zu gelangen, denn „wie zahlreiche Körnchen eine Masse ausmachen, und viele Tropfen einen Fluss, und viele Münzen Reichtum, so auch viele Teilchen von Wissenschaft den Weisen“ 45. VI. Schlusswor t: neugierig e Demut Hat man einmal festgestellt, dass der curiositas im ‚Tractatus moralis de oculo‘ keine positive Bedeutung zugesprochen wurde, kann man den Versuch wagen, über die Worte hinaus mit den Ideen zu operieren. Ich möchte den sich aufdrängenden Eindruck festhalten, dass Pierre de Limoges’ Beschreibung der demütigen Haltung des Lernenden nicht allzu weit entfernt ist von den uns heute vertrauten Konzeptionen der intellektuellen Neugierde als epistemischer Tugend, die mit der theoretischen Bescheidenheit sogar zusammenfällt. In den eingangs genannten Studien werden curiosity/Neugierde und humility/Bescheidenheit als positive Eigenschaften in Bezug auf die Entstehung und den Besitz von Wissen und als wesentliche Triebfedern von Lernprozessen dargestellt. In genau diesem Sinne deutet Pierre de Limoges die humilitas als Aufgeschlossenheit und Empfänglichkeit. Dass Lernen nur aus einer bescheidenen Haltung heraus erfolgen kann und diese Demut beim Lernen als Offenheit gegenüber allen Lehrern und allen Wissenschaften zu explizieren sei, ist nun keine von Pierre de Limoges zuerst vertretene Überzeugung. Der Autor des ‚Tractatus moralis de oculo‘ verwendete ein Kapitel aus dem dritten Buch des in der Mitte der 1120er Jahre verfassten ‚Didascalicon‘ des Hugo von Sankt Viktor 46. Dieses Kapitel war im 13. Jahrhundert sehr bekannt: Vinzent von Beauvais zum Beispiel integrierte es in sein ‚Speculum Doctrinale‘ 47. Pierre bezog Hugos Text in seinen Traktat ein, ohne ihn explizit zu zitieren. Aber in einer autographischen Notiz, die in einer Pariser 44

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Pierre de Limoges, Tractatus (nt. 9), XI.I: „Sic stolidus scolaris dum parvipendit minima numquam proficit ad maiora. Sapiens vero pauper parva quae acquirit diligenter custodit et quo minus se habere considerat, eo magis retinere desiderat, quatenus ex parvulorum congeriae ad maiora quaeat quandoque pertingere. Sic is qui se sentit esse pauperem scientiae debet facere si velit ad aliquem effectum scientiae pervenire. Nam sicut multa grana massam et guttae flumen et multi nummi divitem faciunt, sic et multae scientiae particulae sapientem efficiunt“. Ibid. Hugo de Sancto Victore, Didascalicon de studio legendi, 3, 13, ed. T. Offergeld (Fontes Christiani 27), Freiburg im Breisgau e. a. 1997, 250 sqq. Vincentius Bellovacensis, Speculum doctrinale, XXVII, Nachdruck Graz 1965, 24 sq. Es wäre nicht undenkbar, dass Pierre de Limoges Hugos Kapitel zur Demut via Vincent von Beauvais zitierte. In seiner Einleitung zur englischen Übersetzung des ‚De oculo‘ merkt Newhauser an, dass Pierre Vincents Werk stillschweigend ausgiebig verwendete, cf. Newhauser, Introduction (nt. 16), XV.

Curiositas gegen humilitas ?

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Handschrift zu lesen ist – einer Art Skizze der Inhalte und der Quellen für das 11. Kapitel des ‚De oculo‘ – merkte er die Passage aus Hugos ‚Didascalicon‘ an 48. Im Rahmen von Hugos technischen und pädagogischen Überlegungen zu den Praktiken des Lernens als einem Lesen und Meditieren begründet die humilitas die sittliche Disziplin des Studierenden 49. Die enge Verbindung zwischen dem epistemologischen und wissensethischen Diskurs ist bei Hugo von Sankt Viktor sogar eine Voraussetzung: „Mores ornant scientiam (Sittliches Verhalten ist eine Zierde der Wissenschaft)“ 50, wiederholt er in seinem Werk. Die ersten zwei Demut-Prinzipien von Hugos Ethik des Wissens kommen überein in der Aufforderung zu einer Haltung der Offenheit und Wertschätzung gegenüber allem Wissen und allen potentiellen Lehrern 51. Hintergrund dafür ist die Anerkennung der eigenen Unwissenheit, die dazu treibt, sich nicht nur auf die Wissenssuche zu begeben, sondern auch sich auf eine Art anfänglicher Epoché einzulassen, dank welcher der kluge Wissenssuchende (prudens lector, wobei humilitas zum Pendant der prudentia wird) bereit ist, von allen zu lernen. Das dritte Prinzip (welches Pierre zwar in seiner Notiz vermerkt, aber in ‚De oculo‘ nicht aufführt) besagt, dass der Student, der selbst Gelehrtheit erreicht hat, die anderen nicht verachten soll. Die Wissensethik des ‚Didascalicon‘ einzig auf das Offenheitsprinzip reduzieren zu wollen, würde natürlich zu kurz greifen. In seinem Werk ist Hugo unter anderem bestrebt, eine Methode der Handhabung der nützlichen und der unnötigen Lektüren zu vermitteln. Noch ist zu verkennen, dass Hugos Ausführungen zu den weltlichen Wissenschaften, in deren Rahmen die Aufforderung zur Bescheidenheit steht, den Kapiteln zur Methode der Auslegung der Heiligen Schrift vorausgehen. Es ist aber auch bekannt, dass Hugos methodologische Anweisungen im Kontext einer generellen Aufwertung der artes – sogar der mechanichae – erfolgten. Aus der Perspektive der Wissensgeschichte ist es somit bemerkenswert, dass Hugo von Sankt Viktor, den gerade Heiko Oberman als Schirmherrn der innerlichen Reflektion gegenüber der Untersuchung der Gegenstände der Welt unter den „echt-mittelalterlichen“ Bekämpfern der Neugierde im Wissenskontext ein48

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Siehe die Transkription aus der Handschrift Paris, Bibliothèque nationale de France, ms. lat. 16390, f. 13va, in Newhauser, Introduction (nt. 16), XXIII, nt. 42, aus welcher ich einen Auszug wiedergebe (nicht standardisiert, wie in Newhauser): „Ad hoc autem, quod scolaris ad hanc sciencie perfeccionem attingat, tria principaliter requiruntur, videlicet humilitas in intellectu […] Haec autem scolaris humilitas secundum Hugonem, Didascalicon libro tercio, tria continet documenta, uidelicet ut a nemine discere erubescat; ut nullam scienciam uel scripturam uilem habeat; ut cum scienciam adeptus fuerit, ceteros non contempnat. […] Haec omnia require ubi supra, scilicet Libro de oculo, xi capitulo de scolaribus, primo capitulello“. Hugo de Sancto Victore, Didascalicon, 3, 13, ed. Offergeld (nt. 46), 250: „Principium autem disciplinae humilitas est, cuius cum multa sint documenta, haec tria praecipue ad lectorem pertinent: primum, ut nullam scientiam, nullam scripturam vilem teneat, secundum, ut a nemine discere erubescat, tertium, ut cum scientiam adeptus fuerit, ceteros non contemnat.“ Ibid., 3, 12, ed. Offergeld (nt. 46), 250. Ibid., 250 sqq.; cf. Negri, Demut (nt. 15), 119 sqq., mit weiterführender Literatur.

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reihte 52, – dass also Hugo von Sankt Viktor in seinem pädagogischen, enzyklopädischen Werk eine Vision des Wissenserwerbs vertrat, in welcher die ‚openmindedness‘ eine fundamentale Rolle spielt und diese auch außerhalb der Klöster schon im 13. Jahrhundert Konjunktur hatte. Oberman selbst entdeckte eine neuartige, von der augustinisch-monastischen Tradition abweichende Neudefinition des humilitas- und des curiositas-Begriffes erst im Werk des Thomas von Aquin. Thomas’ Deutung der ‚richtigen Neugierde‘ als studiositas und die Abmilderung des radikalen klösterlichen Ideals der Demut gingen für Oberman damit einher, dass „das eifrige, tiefschürfende mönchische Suchen nach seelischen Motivierungsdimensionen […] abgelöst [wird] von einem objekt-orientierten person-neutralen Wissenschaftsideal, wobei die Ergebnisse von der Motivierung entkoppelt werden, allerdings nur so lange, wie die Motivierung selbst sich in Grenzen hält“. 53 Kurz gesagt: Oberman konnte eine Annäherung zwischen Demut und positiver Neugierde lediglich in einem akademischen Diskurs des 13. Jahrhunderts finden, der ihm marginal erschien, und zwar dort, wo der epistemologische Diskurs vom wissensethischen – zumindest zum Teil – losgelöst wurde. Ohne an dieser Stelle diese Deutung der Intention des Thomas von Aquin weiter besprechen zu wollen, erlaube ich mir aber noch eine Reflektion. Über die Worte ‚humilitas‘ und ‚curiositas‘ hinausgehend – wie im Übrigen schon Oberman selbst andeutete – scheint mir angesichts des ‚Tractatus moralis de oculo‘ und auch Hugos ‚Didascalicon‘ die Behauptung gerechtfertigt, dass eine zumindest begriffliche Annährung zwischen dem, was wir unter ‚intellektueller Neugierde‘ und ‚intellektueller Demut‘ verstehen, auch in vormodernen Quellen wiederzufinden ist, in denen der rein epistemologische und der wissensethische Diskurs programmatisch untrennbar sind 54.

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Oberman, Contra (nt. 7), 25 sqq. Ibid., 30. Das geschieht, das muss man auch bemerken, in zwei Werken, die sich, auf verschiedene Art und Weise und in unterschiedlichen Kontexten, auf die Bildung eines breit gefächerten Publikums abzwecken. Denn es ist bekannt, dass Hugos Werk nicht nur für Klosternovizen in Sankt Viktor gedacht war, sondern auch für Studenten von außen, die die Schule besuchten. Das Buch von Pierre de Limoges richtete sich an Prediger und Unterweiser, die mit einem vielfältigen, städtischen Publikum zu tun hatten.

At the Crossroads between the two Biblical Trees: ‘studiositas’ vs. ‘curiositas’ according to Bonaventure Andrea Di Maio (Roma) I. ‘Saper e aude ’ vs. ‘Altiora te ne quaesieris ’? A Historiog raphical Introduction 1 The question of the limits of knowledge is particularly relevant in philosophical historiography. Some interpreters 2 see the shift from a limited to an unlimited desire for knowledge as a severance between the Middle Ages and Modernity. In fact, one of the most representative philosophers of modernity, Francis Bacon, put the image of Columbus’ caravels passing beyond the Pillars of Hercules on the title page of his ‘Novum Organum’. Kant too assumed the Latin motto “Sapere aude (Take courage in the pursuit of knowledge)” 3 to express the passage of humankind from self-incurred minority to adulthood; but, on the other hand, it was he himself who put the critical question (i. e. the question of the intrinsic limits of knowledge, due to its conditions of possibility) at the centre of a ‘more modern’ philosophy. Whereas in the Middle Ages the limits of knowledge would have been moral (i. e. humankind was not allowed to trespass over certain limits), in the Modern Age they are transcendental and intrinsic (because our knowledge is viewed as limited to the empirical sphere). That science is prohibited by biblical religion is the thesis memorably expressed by Nietzsche in the numbers 48 and 49 of his ‘Antichrist’: the tale of Genesis would reveal the terrible fear which ‘God’ (meaning priests) has of science. In the same perspective, some historiographical interpretations consider the myths of Doctor Faust and of Ulysses (in Dante’s version) as the passage from a medieval to a modern attitude to knowledge, no longer limited by fear and faith 4. 1

2 3 4

Special thanks to Dr. Magdalena Bieniak-Nowak (organizer of the the conference “Altiora te ne quaesieris”, Tyniec 2018) for inspiring me to research on this topic; to Matteo Valdarchi, Michelle Martinez and Uma Bhattacharyya for their help throughout the redaction of this manuscript; to Alexandra Stordy and Stephen Pegg for the English revision. For Bonaventurian editions, cf. A. Horowski, Opere autentiche e spurie, edite, inedite e mal edite di san Bonaventura da Bagnoregio: bilancio e prospettive, in: Collectanea Franciscana 86 (2016), 461–544. Cf. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe [1988] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268) Frankfurt am Main 1996; R. Bodei, Limite, Bologna 2016. Q. Horatius Flaccus, Epistulae, I, 2, ed. D. R. Shackleton Bailey, Q. Horatius Flaccus. Opera, editio stereotypa editionis quartae, Berlin–New York, 2008, 256. Cf. G. H. von Wright, Dante between Ulysses and Faust, in: M. Asztalos/J. E. Murdoch/I. Niiniluoto (eds.), Knowledge and the Sciences in Medieval Philosophy. Proceedings of the

https://doi.org/10.1515/9783110792461-014

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However, the question of the limits of knowledge in Christian Patristic and medieval theology is more complex: whether human wisdom is compatible with Divine wisdom; and whether human pursuit of both is compatible with Divine revelation. According to the Bible, something of God is knowable (by reason) from creation; however, divine wisdom seems foolish from a solely human perspective 5. Besides, Christian thinkers found several biblical quotations which suggested a justifiable limit to be observed in knowing: “He who increases knowledge, increases pain” (Eccle 1,18); “If anyone thinks that he knows something, he does not yet know as he ought to know” (1 Cor 8,2); “For I say to every man that is among you, through the grace given unto me, not to think of himself more highly than he ought to think” (Rm 12,3); God “the Father […], you have hidden these things from the wise and understanding and revealed them to the little ones” (Lc 10,21); “Be aware that no one takes you captive by philosophy and empty deceit, according to human tradition, according to the elements of the world, and not according to Christ” (Col 2,8); and above all, “Altiora te ne quaesieris (Don’t inquire about what is higher than you)” (Sir 3,22). This is why in the Patristic period, the initial opposition between ‘Athens’ and ‘Jerusalem’ (i. e. between philosophy and Christian faith; or between quaerere and credere ) was resolved by metaphorically referring to the Israelites’ spoiling of the Egyptian wealth (i. e. the believers’ use of pagan wisdom) 6. Augustine himself quoted and approved the classical sentence ‘Sapere aude’, inciting not to limit the inquiry to the auctoritas, but to search for reasons as well 7. In the Scholastic period, the recovery of Aristotle was a turning point: from then on, theology was considered a science. Both the Greek terms ‘γνῶσις’ and

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Eighth International Congress of Medieval Philosophy (S.I.E.P.M.), Helsinki, 24–29 August 1987, vol. 1 (Acta philosophica Fennica 48), Helsinki 1990, 3: “Dante, by making Ulysses a symbol of man’s unquenchable thirst of knowledge, was in fact heralding the great changes in the spiritual climate of Europe which were to take place in the fourteenth and fifteenth centuries. […] not too long after Dante wrote, his Ulysses transformed found an incarnation in flesh and blood in a figure who was then going himself to be transformed into a symbol […], Doctor Johann Faust […]. Dante’s centrifugal Ulysses is an anticipation of Faust”; ibid., 7: “The centrifugal Ulysses of Dante was condemned because he transgressed the limits set by divine authority on the freedom of human cognitive enterprise”. Cf. Rm 1–2 and 1 Cor 2. Cf. G. Visonà, Gli scritti antieretici: la teologia tra ortodossia ed eresia, in: E. dal Covolo, Storia della teologia. 1. Dalle origini a Bernardo di Chiaravalle, Rome–Bologna 1995, 72 sq. The famous expression by Horace, Epistulae, I, 2, ed. Shackleton Bailey (nt. 3), 256, 40, was quoted by Augustine in order to encourage rational inquiry. Cf. Augustinus, De quantitate animae, ed. W. Hörmann (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 89), Vienna 1986, 182,10 sq.: “noli nimis ex auctoritate pendere, praesertim mea quae nulla est; et quod ait Horatius, ‘sapere aude’”. The ‘Library of Latin Texts’ registers five occurrences of the quote in the Middle Ages until the 13th Century: in particular William of St. Thierry, Epistula ad fratres de Monte Dei, I, 105, ed. P. Verdeyen (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 88), Turnhout 2003, who adapts it to a spiritual sense, and John of Salisbury, Policraticus, III, 13, ed. K. S. B. Keats-Rohan (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 118), Turnhout 1993, who adapts it to political prudence.

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‘ἐπιστήμη’ had been translated into Latin as ‘scientia’, which allowed an interaction (and an interference, too) between the biblical and Aristotelian perspective. The Franciscan context is even more complex. Although Francis considered himself and his first companions illiterate 8 and had dissuaded illiterate friars from aspiring to become literate 9, he authorized Anthony “to teach the friars theology”: the condition being that Anthony didn’t lose his spirit of prayer and devotion 10. Today historians are more cautious in interpreting this authorization 11, and, actually, Francis dictated to Leone: “If all the masters in Paris came into the Order ; write: it would not be perfect joy” 12. So, we meet a new opposition in the Franciscan context: Paris against Assisi; hence the lament: “Paris has destroyed Assisi” 13 (that is, the Franciscan school at the University of Paris had destroyed the original simplicity of the Franciscan Order). In this complex scenario, the Bonaventurian solution, although rooted in its previous tradition, seems profound and original. II. Re ver entia between praesumptio curiosa and pusillanimitas igna va. A Lexical and Conce ptual Distinction and Bonaventure’s Golden Mean 1. The Difficult Median Position of Bonaventure Bonaventure, firstly as a theologian and then as the general minister of the Minor Friars, was caught between a rock and a hard place. On the one hand, he not only improved the studies within the Order, but even justified them against those friars who, in Francis’ name, refused university studies; on the 8

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Cf. Franciscus Assisiensis, Testamentum, n. 16 and n. 19, in: E. Menestò e. a. (eds.), Fontes franciscani (Medioevo francescano. Testi 2), Assisi 1995, 229: “Et nolebamus plus habere […] Et eramus idiotae et subditi omnibus”. Id., Regula bullata, n. 10, 8, in: Fontes franciscani (nt. 8), 179: “Et non curent nescientes litteras litteras discere; sed attendant, quod super omnia desiderare debent habere Spiritum Domini […]”. Id., Epistula ad sanctum Antonium, n. 2, in: Fontes franciscani (nt. 8), 53: “Placet mihi quod sacram theologiam legas fratribus, dummodo inter huius studium orationis et devotionis spiritum non exstinguas, sicut in regula continetur” (in the 5th chapter of the ‘Regula Bullata’, de modo laborandi: so, teaching and studying are not essentially different from every other work). Cf. P. Maranesi, Nescientes litteras: l’ammonizione della Regola Francescana e la questione degli studi nell’Ordine (sec. XIII–XVI) (Biblioteca seraphico-capuccina, 61), Rome 2000. Cf. Franciscus Assisiensis, De vera et perfecta laetitia, n. 4, in: Fontes franciscani (nt. 8), 242: “Venit nuntius et dicit quod omnes magistri de Parisius venerunt ad ordinem, scribe: non vera laetitia”. Jacopone da Todi, Laude, ed. F. Mancini (Scrittori d’Italia 257), Bari 1974, 293: “Mal vedemo Parisi, che àne destrutt’Asisi: / co la lor lettoria, messo l’ò en mala via.” Cf. A. Power, Roger Bacon and the Defence of Christendom, Cambridge 2012, 145: “It is surely no coincidence that the anti-scholastic Franciscans of the late thirteenth century voiced their concern by resurrecting the Tertullian dichotomy between Athens and Jerusalem in the famous lament: ‘O Paris, you who have destroyed Assisi.’” (but the correct English translation should have been: “We abhorred Paris, which had destroyed Assisi”).

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other hand, he wanted to preserve the priority of devotion over every intellectual profession, as prescribed by Francis to Anthony: in this case Bonaventure criticized those friars who were overzealous in their application of the natural sciences to theology 14. 2. The Challenge for the Scholastic Theologian: Holy Scripture and Science At the very beginning of the ‘Commentary on the Sentences’, Bonaventure confronts the Scholastic method. Here are the question and the answer: “Quae causa formalis quive modus procedendi sit in his libris Sententiarum. […] Et dictum quod est perscrutatorius et inquisitivus secretorum.” 15 There are several objections to the possibility and legitimacy of proceeding in such a manner: “Sed contra: 1. Isaiae quadragesimo: Deus dat secretorum scrutatores quasi non sint. 2. Item, Proverbiorum vigesimo quinto: Perscrutator maiestatis opprimetur a gloria. 3. Item, Ecclesiastici tertio: Altiora te ne quaesieris, et fortiora te ne scrutatus fueris. Ergo […] male Magister procedit. 4. […] modus procedendi in sacra Scriptura est typicus et per modum narrationis, non inquisitionis.” 16

The terms ‘perscruto’ and ‘perscrutatio’ (meaning the act of a particularly attentive scan), and so ‘perscrutator’ (meaning the subject of this scan) and ‘perscrutativus’ (meaning the way) do not necessarily have an intrinsically negative meaning: we must distinguish between one, which is negative, and the other, positive. ‘Doctores’ are the theologians who teach at the University. ‘Magister’ by antonomasia is Peter Lombard, author of the book explained by Bonaventure; but in reality, every Scholastic theologian is a perscrutator (someone who looks very attentively). The Bible and theology as a science have the same content, but whereas the Bible is a narration, the new scholastic theology is considered a science (in the Aristotelian sense). The replies to these objections are very important: “1. 2. 3 […] Omnes illae auctoritates intelliguntur de perscrutatione curiosa, non de perscrutatione studiosa. […] Ad 4. […] liber iste [Sententiarum] ad Scripturam reducitur per modum cuiusdam subalternationis […]; similiter et libri doctorum […] quia non quaelibet determinatio […] facit subalternationem scientiae, sed determinatio quodam modo distrahens.” 17

‘Determinatio distrahens’ is a central topic in Bonaventurian methodology: it means the epistemological diversion from theology as Holy Scripture to theolo14 15 16 17

Cf. C. Bérubé, De la philosophie à la sagesse chez saint Bonaventure et Roger Bacon (Bibliotheca seraphico-capuccina 26), Rome 1976, 54–62. Bonaventura, Commentarius in Primum Librum Sententiarum, Prooemium, q. 2, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 1/1), Quaracchi 1882, 9. Ibid., 9 sq. Ibid., 11.

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gy as an academic science; actually, the Bible and theology have the same content, the ‘believable’ (i. e. what we have to believe in order to be saved); but while the Bible contains the ‘believable as believable’, theology contains the ‘believable as understandable’; this diversion from ‘believable’ to ‘understandable’ is called ‘distractive’ 18. In another context, Bonaventure presented a kind of hierarchy of topics for meditation: above all one should meditate on the practice of Divine Law 19 otherwise we descend into curiositas. He said ‘practice’, because no theory is good without it: the goal of theological study is to make a student a better person 20. 3. The Challenge for the General Minister: Studies and Studiousness Although almost all of Bonaventure’s letters have been lost, a few of them have survived as booklets. The main one is the ‘Epistula de tribus quaestionibus ad magistrum innominatum’ 21, presumably written when Bonaventure was still teaching at Paris, in reply to the questions posed by an anonymous master who wanted to enter the Order of Minor Friars but was worried about some new attitudes of the Order (in particular regarding study), which seemed like treason against the original will of saint Francis. Bonaventure’s answer was so clear and balanced that it probably favoured his election to general minister of the friars 18

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Cf. M. Arosio, Aristotelismo e teologia da Alessandro di Hales a San Bonaventura, Monaco– Rome 2012, 316–373; A. Di Maio, Sacra Scriptura, quae theologia dicitur, in: A. Begasse de Dhaem e. a. (eds.), Deus summe cognoscibilis. The Current Theological Relevance of Saint Bonaventure. International Congress, Rome, November 15–17, 2017 (Bibliotheca Ephemeridum theologicarum Lovaniensium 298.), Leuven 2018, 121–151. Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, 3, 5, 12, ed. F. Delorme, in: Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron et bonaventuriana quaedam selecta (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 8), Quaracchi 1934, 197: “Unde meditatio legis summe necessaria est. […] Eccli.: ‘in multis eius operibus ne fueris curiosus, sed quae praecepit tibi Dominus’. Inhibet altiora quaerere, sed mandata.” Cf. also id. Collationes in Hexaëmeron, 19, 6–7, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 421: “Modus studendi debet habere quatuor conditiones: ordinem, assiduitatem, complacentiam, commensurationem. […]. Qui ergo vult discere quaerat scientiam in fonte, scilicet in sacra Scriptura, quia apud philosophos non est scientia ad dandam remissionem peccatorum; nec apud Summas magistrorum […]. – Studere debet Christi discipulus in sacra Scriptura, sicut pueri primo addiscunt a, b, c, d etc., et postea syllabicare et postea legere et postea, quid significet pars.” Cf. id., Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, 3, 7, 22, ed. Delorme (nt. 19), 220: “Neque enim in Sacra Scriptura ut sciamus tantummodo scrutamur, sed ut boni fiamus.”. Cf. also the famous assertion at the beginning of id., Breviloquium, prologus, 5, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 206: “Quia enim haec doctrina [Scripturae] est, ut boni fiamus et salvemur; et hoc non fit per nudam considerationem, sed potius per inclinationem voluntatis”. For the practical charachter of Wisdom, cf. id., Collationes in Hexaëmeron, 2, 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 337. Cf. R. Lambertini, Bonaventura generale e la formazione dell’élite intellettuale dell’Ordine dei Minori, in: Bonaventura da Bagnoregio ministro generale. Atti dell’incontro di studio. Foligno, 20–21 Iuglio 2018 (Figure e Temi francescani), Spoleto 2019, 42–49.

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and became a sort of program of his government of the Order: that is why the letter was widely circulated over time. On the question of the admissibility of studies in the Franciscan Order 22, Bonaventure recognized that “each one should remain in the condition in which he was called” (1 Cor 7,20), but he added that this is precisely why the clerici must not renounce studying 23. The master was concerned about the risks of curiosity, according to a long patristic and monastic tradition. Bonaventure agreed: “You do not like curiosities, neither do I” 24, but he specified that what someone considers curiosity (curiositas ), could well be a case of studiousness (studiositas ). Finally, “since opera Christi do not decrease, but increase” 25, no wonder there is progress in the Church and in the Order. At the very beginning, the heads of the Church were mostly fishermen, then their successors were not; they were theologians. Similarly, in the Order, they were illiterate at the beginning, but now they are mostly educated 26. Obviously, there are limits to our knowledge, but these limits are not fixed once and for all: they are continuously progressing. In the government of the Order, the golden mean would be found through patient and balanced negotiation.

4. The Challenge for the Preacher: ‘per medium volare’ How can a preacher talk about ineffable realities? In a wonderful sermon, Bonaventure proposes a very impressive description of a golden mean: “Dicit Dionysius quod Seraphim duabus alis velabant faciem suam, duabus vero velabant pedes et duabus alis mediis volare est. Ut homo caveat praesumptionem et pusillanimitatem; praesumptionem debet homo cavere ne nimis alta dicat et inquirat, quia ‘perscrutator maiestatis opprimetur a gloria’. Item, debet cavere pusillanimitatem quia quidam habent ita viles et pedestres cogitationes quod non possunt aliquid altum considerare. Dicunt quod debent loqui de angelis, quia nimis altum est hoc. Sancti locuti sunt, ideo loqui debemus, nec pusillanimitas est bona, nec etiam praesumptio. Unde necessaria est nobis reverentia, quod hominem reddat vigilem contra ignaviam et humilem contra praesumptionem. Hoc est per medium volare. De utroque genere multos vidi.” 27 22 23 24 25 26

27

Bonaventura, De tribus quaestionibus ad magistrum innominatum, 10–13, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 8), Quaracchi 1898, 334 sqq. Ibid., 10, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 22), 334. Ibid., 12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 22), 335: “displicent tibi curiosi tales, displicent et mihi”. Ibid., 13, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 22), 336: “quia opera Christi non deficiunt, sed proficiunt”. About the Bonaventurian idea of progress in history cf. J. Ratzinger/Benedictus XVI, Udienza del 10 marzo 2010, URL: (02. 01. 2022); L. Mauro, Antiqui philosophi. Storia e filosofia in Bonaventura, in: Storia e salvezza: percorsi bonaventuriani: Bagnoregio 29–31 maggio 2015 (Doctor Seraphicus 63), 15–27. Bonaventura, Sermones de diversis, 54, collatio 5, ed. J.-G. Bougerol, Saint Bonaventure. Sermons de diversis, 2 voll., Paris 1993, vol. 2, 705.

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We know how important the Seraphim are in Franciscan spirituality. In this case, the figure of this angelic creature who appears with three pairs of wings, the upper two covering the face, the lower two to cover the feet (that is the lower part of the body) and the two middle ones to fly, is interpreted by Bonaventure as a symbol of the human pursuit of Wisdom, i. e. not to search too high, not too low, but at the right level. Reverentia (reverence and respect for God, therefore worship) is the golden mean between the two extremes of pusillanimity and presumption.

5. The Complex Taxonymy of Bonaventure’s Golden Mean Let us summarize Bonaventure’s challenges and golden mean in the following linguistic and conceptual table. Although triadic, the taxonymy consists of several dyadic antonymic oppositions. Not good (Deficiency)

Good (Mean between Extremes)

Not good (Excess)

reverentia pusillanimitas – ignavia quaerere non alta, sed vilia

vigilantia

humilitas

per medium volare

praesumptio quaerere nimis alta

studiositas

curiositas Perscrutatio

studiosa

curiosa

(narrativa / inquisitiva)

(inquisitiva)

II. ‘Curiositas’ vs. ‘studiositas’. A Lexical and Conce ptual Opposition 1. Lexical Distinction and Conceptual Engineering Bonaventure’s golden mean was made possible by adopting and developing a traditional distinction between curiosity (which is always bad) and studiousness (which is always good). In the complex Christian assimilation of pagan philosophy, medieval thinkers practiced a systematic redefinition of the uses of classical terminology as a form (ante litteram ) of ‘conceptual engineering’. For instance, Aristotle considered magnanimitas a virtue, as the rightful self-confidence in aspiring to honours and success, and the golden mean between two opposing vices: pride, as too much self-confidence, and humility, as too little self-confidence.

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Considering humility a vice was really shocking for Christians. Some theologians reacted by reformulating the taxonymy of moral attitudes, so as to make evangelical humility and true magnanimity coincide; for example in Mary, the ‘humble servant’ to whom the Lord has done great things 28. In a similar way, ancient and medieval theologians distinguished between a good and a bad desire for knowledge, by using two different terms: ‘studiositas’ and ‘curiositas’, respectively. It was Augustine who interpreted concupiscence of the eyes (‘concupiscentia oculorum’) as ‘curiositas’ and as ‘vana’ 29. This topic has already been dealt with in a historical study 30. Today, thanks to the electronic search options we can see that the opposition between ‘studiositas’ and ‘curiositas’, although affirmed by many authors, has been particularly addressed by Bonaventure 31. But what exactly do ‘curiositas’ and ‘studiositas’ mean? Both derive from the natural (i. e. good) desire for knowledge, but in different ways.

28 29

30

31

Cf. R.-A. Gauthier: Magnanimité: l’idéal de la grandeur dans la philosophie païenne et dans la théologie chrétienne, Paris 1951, 279 sqq. 480–488. Cf. 1 Jo 2,16: “Omne, quod est in mundo, concupiscentia carnis est et concupiscentia oculorum et superbia vitae”. Cf. Augustinus Hipponensis, In Iohannis epistulam ad Parthos tractatus, 7, ed. W. J. Mountain, Augustin d’Hippone, Commentaire de la Première Épître de S. Jean (Sources Chrétiennes 75), Paris, 1961 (Reprint 2020), 330; id., Sermones ad populum, sermo 313A (= Denis 14), Sancti Augustini Sermones post Maurinos reperti, ed. G. Morin (Miscellanea Agostiniana 1), Rome, 1930, 67. Cf. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin, (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995. After an excursus about curiositas in the ancient pagan authors, the book considers the different nuances of curiositas in Christian authors: more negative, according to Gregory the Great, Bede or Peter Damian; more positive, according to Rhabanus Maurus; ambivalent, according to Abelard (who considers it useful as long as it does not conflict with faith); at the source of the Progenitors’ sin, according to Bernard. Besides, the book shows how the concept of curiosity, through Hugo of Saint Victor, Alanus of Lille and Pope Innocence III, arrived at the 13th century: Albert the Great would have been the first to distinguish between studiositas and curiositas, followed by Thomas Aquinas; the book mentions also Bonaventure (cf. ibid., 32), but only marginally and depending on M. Schlosser, Cognitio et amor: Zum cognitiven und voluntativen Grund der Gotteserfahrung nach Bonaventura (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Neue Folge 35), Paderborn e. a. 1990, 94. The lemmas (adjectives) ‘curiosus’ and ‘studiosus’ are already attested in Augustine, who uses them sometimes in hendiadys (almost as synonyms). Instead, the lemmas (substantives) ‘studiositas’ and ‘curiositas’ are typically medieval and occur in co-occurrence in the same sentence (according to the LLT) in very few authors: Bonaventure and Aquinas (Summa Theologiae, II-II, q. 160, 161 and 166), plus Pseudo-Alexander of Hales (and successively Gerson). The lemma ‘studiositas’ occurs 135 times in the LLT: 27 in Bonaventure, 2 in William of Alvernia, 1 in Rupert of Deutz, 35 in Thomas Aquinas, 1 in Thomas Gallus, 3 in the Summa Halensis and other questions, 1 in Roger Bacon, 1 in the pseudo-Hugo of Saint Cher, 1 in Nicolaus Maniacutius, 2 (with a negative sense) in Étienne of Bourbon. Overall, the lexical family ‘curios-’ (‘curiosus’, ‘curiositas’) occurs in 222 Bonaventurian contexts of the LLT; the lexical family ‘studios-’ (‘studiosus’, ‘studiositas’) occurs in 68 Bonaventurian contexts of the LLT.

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2. ‘Curiositas’ or ‘Studiositas’ as Useless or Useful Care In the case of curiosity, it is the desire of knowing that may be excessive (due to the corruption of natural desire) and not knowledge in itself; so knowledge of things becomes selfreferential, vain and empty. Discussing the question of whether the first sin of Lucifer was curiosity, Bonaventure replies that it was primarily pride and then curiosity according to this distinction: “duo faciunt considerationem dici curiosam, scilicet curae attentio et utilitatis privatio. Unde si diabolus ex omnibus quae respexit, suum bonum elicuisset, referendo omnia illa in gloriam Dei; illa consideratio nec esset culpanda nec curiosa dicenda. Quod ergo fuit curiosa, ex hoc fuit quod non suum bonum inde elicuit, sed malum ambitionis et praesumtionis incurrit; et ita fuit primo ratio peccati in praesumptione et in consideratione. Et sic patet, quod quamvis in diabolo fuerit curiositas, non fuit culpa antecedens praesumtionem.” 32

“Referre omnia ad Deum” is a typical expression of saint Francis, who insisted that only God is good 33. So, the real good refers everything to God. Thus, not to refer any good to the one and only good is sin. What makes the desire for knowledge a sin of curiosity is the lack of reference to God due to presumption. Commenting on the Parable of the Banquet, about the refusal of one invited friend who wanted to try his new five yoke of oxen, Bonaventure explained: “Reddit enim avaritia sollicitum et curiosum, ideo subdit: Et eo probare illa [Lc 14,19], quia continuam curam habet de superfluis. […] – Et nota, quod caritas non habet nisi iugum unum, quia omnem sollicitudinem reducit ad unum, secundum illud supra decimo: ‘Unum est necessarium’; […]. Sed curiositas habet quinque, quantum ad universitatem sensibilium, circa quae versatur; unde Ecclesiastae septimo: ‘Deus fecit hominem rectum, et ipse miscuit se infinitis quaestionibus’”. 34

Curiositas implies a disordered multiplicity (in fact, elsewhere Bonaventure speaks of curiositates, in the plural) 35, whereas studiositas supposes a reductio to a harmonic plurality or plural unity 36. Therefore, ‘curiositas’ does not have a pure intellectual meaning, but a general one: in fact, both intellectus and affectus are 32 33

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36

Bonaventura, Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 5, a. 1, q. 1 ad 6–7, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 2), Quaracchi 1885, 147. Cf. Franciscus Assisiensis, Regula non bullata, 17, 17, in: Fontes franciscani (nt. 8), 201: “Et omnia bona Domino Deo altissimo et summo reddamus et omnia bona ipsius esse cognoscamus et de omnibus ei gratias referamus, a quo bona cuncta procedunt”. Bonaventura, Commentarius in Evangelium S. Lucae, 14, 42 (Vers. 19), ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 7), Quaracchi 1895, 372. Cf. id., Commentarius in Ecclesiasten, prooemium, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 6), Quaracchi 1893, 6: “In isto enim libro docentur contemni voluptates, divitiae, honores et curiositates tanquam vanitates”. Cf. also id., Sermones de diversis, 37, ed. Bougerol (nt. 27), vol. 2, 495: “mens tentaretur ad fornicationes carnis vel ad curiositates mentis”; id., Sermones de tempore, 289, 2, ed. J.G. Bougerol, Sermons de tempore: reportations du manuscrit Milan, Ambrosienne A 11 sup. (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 28), Paris 1990, 394: “superfluarum curiositatum sive occupationum”. Cf. Bonaventura, De reductione artium ad theologiam, n. 26, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 325, where the reductio is not towards a mere Neoplatonic unity, but towards the Holy Trinity.

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absorbed by a flawed attention: “Nam inquieti labore domante, otiosi labore excitante, curiosi ‘et foeda cura victum quaerentes’, ut dicit Glossa, indigent labore victum promerente.” 37 That Bonaventure understands curiositas as a negative cura 38 is also confirmed by the way Dante described him as “the one who in high offices had always managed to avoid the bad care (sinistra cura )” 39. However, there is also a good care, derived from a good desire: “cura ergo disciplinae dilectio est” (Sap. 6,19) 40. This is the virtue indicated by the noun ‘studiositas’, derived from the adjective ‘studiosus’, in its turn derived from the verb ‘studeo’, which means ‘to desire’, or ‘to be passionate about something and then to apply oneself to it’; eventually, by synecdoche, it means ‘to study’. Thus, ‘studium’ is not a mere desire, but an applied one 41. This is confirmed by the syntactical structure of the verb ‘studeo’, which is primarily constructed with ‘in’ plus ablative, and only in an extended way with the accusative 42; in particular, we can ‘studere in Scriptura’. Besides, there are three levels of study: intellectual (‘studium scientiae’), moral (‘studium sanctitatis’) and the result of the two (‘studium sapientiae’). Without the middle one it is impossible to rise from the first to the last 43. Studiousness requires a cooperation of free will and it is associated with solicitous promptness, which is characterised in a parable by the merchant capable of selling everything in order to buy the precious pearl: so, this attitude presumes simplicity of intention and forms the basis of the comparison. Therefore, it is only those who are both honest and capable of choosing who are actually studi37 38

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Bonaventura, Quaestiones disputatae de perfectione evangelica, q. 2, a. 3, 5–8, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 163. The LLT contains 28 co-occurrences of ‘cura’ and ‘curiositas’ (in addition to the 2 in Bonaventure): in Augustine (about the derivation of curiositas from cura ), Isidore of Seville through the ‘Liber Scintillarum’ (“euita curiositatem, obmitte curam quae ad causam tuam non pertinet”); Andrew of Saint Victor (“a cura curiose dicit”); Bernard; Hermannus de Runa (curiositas is “mentis humanae cura superflua”). Aquinas too defined curiositas in a similar way (but only once, and subsequent to Bonaventure); cf. Thomas de Aquino, Contra impugnantes Dei cultum et religionem, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 41 A), Rome 1970, 134: “curiositas superfluam curam importat et inordinatam: unde non solum in studio litterarum, sed in omnibus studiis ad quae animus occupatur, superflua cura, quae curiositatem facit, reprehensibilis est”. Dante Alighieri, Commedia, Paradiso, Canto 12, 127–129, ed. G. Petrocchi, 4 voll., Milano 1966–67, vol. 4, 202: “Io son la vita di Bonaventura / da Bagnoregio, che ne’ grandi offici / sempre pospuosi la sinistra cura”. Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 2, 3–4, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 336 sq. Cf. id., Collationes de donis Spiritus sancti, 8, 8, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 495: “Qui intellectum [scilicet: prudentialem, non donum] istum vult habere, debet ipsum quaerere cum desiderio cordis et studiositate operis”. Analogously, the noun ‘studium’ is constructed with a genitive in the sense of a transitive object. Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, Reportatio altera, 3, 7, 22, ed. Delorme (nt. 19), 220: “student in Sacra Scriptura”. A whole collatio (id., Collationes in Hexaëmeron, 19, ed. Collegium S. Bonaventurae [nt. 19], 419–424, that corresponds to id., Collationes in Hexaëmeron, Reportatio altera, 3, 7, ed. Delorme [nt. 19], 212–222) is dedicated to the studium in Scriptura, in three progressive levels: scientiae, sanctitatis et sapientiae.

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ous 44. In addition, studiousness implies solicitous care because it also requires the correction of errors 45. In short, there is studiositas when the natural desire for knowledge is fully natural and leads the intellect to rise in a circle (reductio ) from knowing creatures to knowing they are gifts, and eventually to recognizing the Giver, God. Instead, if the desire for knowledge fails to rise and degenerates, it becomes curiositas. Paradoxically, studiositas allows us to know more and better, while curiositas, which claims to allow us to know more, actually makes us know less. We can recapitulate all this by an illuminating taxonymy of care, which changes its value and becomes either studiositas or curiositas, depending on whether it is useful or useless: Curae attentio Useless = Curiositas

Useful = Studiositas

3. Biblical Figures of Curiosity and Studiousness Throughout the Bonaventurian works (overall in the ‘Sermons’ and in the ‘Commentary on Ecclesiastes’ – almost a treatise on wisdom – and in the ‘Commentary on Luke’ – almost a handbook for preaching 46 ), we can find a colourful gallery of curious or studious characters. The highest examples of studiousness 47 are the angels, with their serene care, followed by the disciples and apostles of the New Testament and their successors in the Church as praelati and praedicatores who ought to be inspired by studious zeal 48. At the opposite extreme, are the devils, not only presumptuous, but also curious (which is why they not only 44

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Cf. id., Sermones de diversis 13, 40, ed. Bougerol (nt. 27), vol. 1, 240: “Est autem cooperatio liberi arbitrii, scilicet simplicitas intentionis, studiositas sollicitudinis, strenuitas comparationis. […] Quantum ad studiositatem virtutis, comparatur homini negotiatori […]. Duo sunt necessaria negotiatori, scilicet vigilantia in quaerendo et prudentia in emendo, ideo comparatur negotiatori quaerenti et ementi ut ostendatur studiositas, quam debemus habere in acquisitione ipsius exponendo nos laboribus, et in emptione praeponderando et proponendo omnibus temporalibus”. Cf. id., Sermones Dominicales, 41, 10, ed. J.-G. Bougerol (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 27), Grottaferrata 1977, 418: “Primum est simplicitas intentionis in declinando malum, secundum est strenuitas operationis in faciendo bonum, tertium est studiositas sollicitudinis in corrigendo erratum”. Cf. J. C. Klok, Der Lukaskommentar des Bonaventura von Bagnoregio als Handbuch der Franziskanischen Spiritualität (Archa Verbi, Subsidia 16), Münster 2018, 71–114. 138–168. Cf. Sermones de tempore, 111, 7, ed. Bougerol (nt. 35), 171: “Ex parte angelorum considerare habemus et benedicere […] praedicationis studiositatem […]”. Ibid., 246, 1, ed Bougerol (nt. 35), 340: “In verbis his hortatur Salvator praelatos et praedicatores Evangelii ad duo, scilicet: – ad studiosum zelum animarum; – et ad effectivum lucrum earum”.

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deceive, but are also deceived) 49; analogously, Adam and Eve perverted their natural desire for knowledge into curiosity, as we will examine hereafter. Solomon (thought to be the author of the book of ‘Ecclesiastes’) is the prototype of the curious person who has become studious 50. The whole structure of the book is read as a confutation of curiosity, whose result is nothingness and vanity (vanitas ) 51; this confutation is more credible because the author confesses to having been curious previously 52. With reference to the famous sentence “those who increase knowledge, increase sorrow”, Bonaventure explains it in an original way, criticising the “leading clerics” (i. e. the intellectuals of his time): since no one can fulfil every desire, most educated people tend to get easily irritated and exasperated with themselves and others; that is why knowledge which grows on the surface but does not go deep makes people unhappy 53. At the end of his book, Solomon describes death through some very impressive metaphors like “the jug shattered at the well”. In Bonaventure’s interpretation, the well is secular wisdom and the jug is curiosity 54 which is not a compatible receptacle. Thus, it ends up being destroyed and we remain thirsty. Like the disciples instructed and sent by Jesus into the world, ecclesiastic preachers can find in Jesus himself the model to improve their own studiositas and to react to their listeners’ studiositas or curiositas 55. So, while discussing with 49

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Cf. Bonaventura, Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 7, p. 2, a. 1, q. 1, conclusio ad 6, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 191: “in multis errant et falluntur illi nefandi spiritus, quia praesumtuosi et curiosi sunt, et ideo frequenter iudicant de his quae eorum iudicio non subsunt”. Cf. Id., Comentarius in Ecclesiasten, c. 7, p. 3, a. 1, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 62: “Diligens igitur ipsius inquisitio, quae adeo diligens fuit, ut in curiositatem degeneraret, hoc ordine describitur primo quoad praesumtionis suae curiositatem, quoad inquisitionis sublimitatem, quoad considerationis studiositatem”; ibid., epilogus (Vers. 9. 10), ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 97: “Insinuatur ergo primo scribentis studiositas: quia, cum esset sapiens, sapientiam suam non abscondit, sed aliis enarravit.” Cf. ibid., c. 3, p. 1, a. 2, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 32: “Redarguit nostram curiositatem propter inutilitatem”. Cf. ibid., prooemium, 14, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 6: “Et quia non creditur de contemptu talium nisi experto […] oportuit, quod esset talis, qui omnium haberet experientiam horum, scilicet qui esset potens, dives, luxuriosus et curiosus sive sapiens.” In the same way, cf. ibid., epilogus, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 97: “Primo notatur scribentis studiositas; secundo, sermonum eius auctoritas; tertio reprimitur curiositas auditorum; quarto aperitur summa dictorum.” Cf. ibid., c. 1, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 19: “magni clerici, cum non habent quod volunt, facillime indignantur; […]. Qui addit scientiam addit et dolorem [Eccle 1, 18], quia homo impatiens multos sustinet dolores, quia nemo est, cui cuncta ad votum perveniant.” Cf. ibid., c. 12, a. 2, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 96 sq.: “Tertio notatur evacuatio mundanae sapientiae, cum dicit: ‘Et conteratur hydria super fontem’ [Eccle 12,6]. Ista hydria est cordis curiositas, quae affertur ad hauriendam sapientiam; de qua in figura Ioannis quarto: ‘Venit mulier de Samaria cum hydria haurire aquam’. Mulier de Samaria gentilitas est, quae venit cum hydria, id est curiositate, ad sapientiam hauriendam; unde dicitur Actuum decimo septimo: ‘Athenienses ad nihil aliud vacabant, nisi aut dicere, aut audire aliquid novi’. Fons autem est mundana sapientia; […]. Hydria ergo super fontem frangitur, quando non restat locus, ut mundanae sapientiae curiose vacetur”. Cf. Bonaventura, Commentarius in evangelium S. Lucae, c. 17, 35, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 437: “Prima pars dividitur in tres: in quarum prima introducitur reprehensio Iudaicae curiositatis; in secunda, assignatio rationis […]; in tertia, persuasio studiositatis”; cf. also ibid., c. 18, 1, ed. Collegium

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the Scribes and Pharisees and other interlocutors, Jesus opposes their curiosity most when it is hidden behind the appearance of studiousness (sub specie studiositatis ) 56. On the other hand, questions which appear as curious, are dictated actually by studiousness and so require an answer 57. In conclusion, studiositas is required both in people who learn and who teach. Zacchaeus is a model for both learning and teaching: he practiced studiousness by climbing on a tree in order to see Jesus; hospitality by hosting him; generosity by sharing his wealth; his climbing is interpreted as a metaphor not only of constancy or conversion, but even of the contuitio, which is the intellectual insight into the being of God through created beings 58. Besides, Joseph of Arimathea (a character already assumed by the religious chivalric literature, like the ‘Queste du saint Graal’) is a model for praedicatores and praelati to teach 59. Bonaventure who considered leading clerics (i. e. scholars) to be at risk of being proud and not wise 60 recognized lay people as capable of being studious as well 61 and as possibly even more perfect than religiosi 62. In addition, while accepting the traditional interpretation that woman (Eve) was more curious than man (Adam) 63, Bonaventure shows no prejudice against women’s study: for instance, in a handbook for nuns, he recommended that they improve their natural desire for knowledge (although meant as knowledge of themselves) and warned them against curiosity (probably meant as gossip 64 ). Besides, it is a

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S. Bonaventurae (nt. 34), 448: “Post confutationem Iudaicae curiositatis in perscrutando futura subditur hic persuasio studiositatis in postulando divina suffragia.” Cf. ibid., c. 11, 64, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 298: “confutat [Iesus] fallaciam incredulorum, qui sub specie studiositatis quaerebant signa curiositatis”. Cf. ibid., c. 12, 19, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 315: “non tollit sollicitudinem studiositatis, sed curiositatis” (Jesus, teaching his disciples not to worry what to answer,). Cf. ibid., c. 19, 1, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 472: “studiositas ad Christum videndum […] hospitalitas ad Christum suscipiendum […] liberalitas ad distributionem suorum […] Studiositas autem Zachaei commendatur […] Vera enim studiositas est, in qua animus attrahitur ad Christum, et si occurrant impedimenta, tamen non frangitur desiderium, sed plus inardescit.”; ibid., c. 19, 7, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 474: “Haec igitur studiositas Zachaei et exemplar fuit imitandum et figura conversionis gentium ad Christum, per cuius fidem adiuti elevantur ad ipsum contuendum.”; ibid., c. 19, 12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 476. Ibid., c. 23, 63, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 584: “Talis igitur praelatus, in quo est virilitas, studiositas, nobilitas morum, iustitia, innocentia, vigilantia et confidentia, idoneus est, ut Christum in membris suis crucifixum suscipiat et collocet in locum quietis et ecclesiasticae unitatis.” Cf. Bonaventura, Commentarius in Ecclesiasten, c. 1, (Vers. 17.18), ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 19. Cf. id., Collationes in Hexaëmeron, 3, 7, 22 ed. Delorme (nt. 19), 220. Cf. id., Collationes in Hexaëmeron, 23, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 441: “quia una persona laica aliquando perfectior est quam religiosa.” Cf. ibid., 18, 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 415: “sicut Adam, vel potius mulier, quae curiosa fuit et voluit esse sicut Deus”. Cf. Bonaventura, De perfectione vitae ad sorores, 1, 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (S. Bonaventurae Opera Omnia 8), Quaracchi 1898, 108: “Si autem melius te ipsam cupis cognoscere, debes secundo recogitare, si in te viget vel viguerit concupiscentia voluptatis, curiositatis aut vanitatis. […] Certe tunc viget concupiscentia curiositatis in Dei famula, quando appetit scire occulta, quando appetit videre pulchra, quando appetit habere rara.”

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fictional woman (the one who, in the evangelic parable, lost one of her coins and searched for it) who is the model of the philosophical search for Wisdom 65. 4. A Good Use of Bad Curiosity; and a Bad Use of Good Respect Theologians are in a strange position: despite the fact that curiositas should be rejected, they cannot reject the questions of curious people (curiosorum instantia ) in order to clarify the doctrine as much as possible 66. For instance, when discussing the real form of the sky, someone could ask why the Holy Scripture described it as a tent (skin) or a vault, whereas natural philosophers and astronomers considered it spherical. Bonaventure’s response was surprising (and anticipated somewhat the famous letter from Galilei to Benedetto Castelli): doctores or expositores of the Holy Scripture are not allowed to contrast ‘our curiosity’ (with this pronoun Bonaventure includes himself among people who ask) so much that they do not answer our questions; and they are not required to have so much respect for the Bible (i. e. the reverentia we presented above) that they do not dare to explain these hidden problems, according to the witnesses of our senses and reason. Actually, Scripture speaks by condescension to the minds of simple people and describes the universe as it seems to our perception 67.

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Cf. id., Sermones de diversis, 12, 6, ed. Bougerol (nt. 27), vol. 1, 220. Cf. id., Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 14, p. 1, a. 2, q. 1, conclusio, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 342: “Quia tamen curiosorum instantia non desistit, necesse habent doctores sacrae Scripturae multa determinare, quae sine salutis dispendio possent de facili pertransire”. Cf. also id. Commentarius in Tertium Librum Sententiarum, d. 34, p. 2, a. 2, q. 1, conclusio, ed. Collegium S. Bonaventurae (S. Bonaventurae Opera Omnia 3), Quaracchi 1887, 746 [after a difficult discussion about the difference among the seven Gifts of the Holy Spirit]: “Sic igitur patet, quod quadruplex est via sumendi donorum sufficientiam, et octo modi, inter quos nescio si aliquis est, qui satisfacit curioso perscrutatori”. Id., Comentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 14, p. 1, a. 2, q. 1, conclusio, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 342: “Dicendum, quod ad istam quaestionem secundum philosophiam satis planum est respondere, quamvis expositores sacrae Scripturae videantur de ea loqui dubie. Hoc enim faciunt propter ipsius sacrae Scripturae reverentiam, non audentes explicare quod illa divina dispositione voluit subticere; vel hoc faciunt ad reprimendum nostram curiositatem, volentes, nos in his quae dicuntur in Lege et Prophetis, contentos esse et nihil ultra haec inquirere. Quia tamen curiosorum instantia non desistit, necesse habent doctores sacrae Scripturae multa determinare, quae sine salutis dispendio possent de facili pertransire. Propter quod ad praedictam quaestionem respondent et iuxta rationis et sensus attestationem dicunt, caelum habere figuram orbicularem, et hanc maxime sibi competere tum ratione simplicitatis, tum ratione capacitatis, tum ratione perfectionis, tum ratione mobilitatis, sicut patet pertractanti. 1. Ad illud ergo quod obiicitur in contrarium de sacra Scriptura, quae dicit, caelum sicut pellem esse extensum, vel sicut cameram; dicendum, quod Scriptura, condescendens parvitati simplicium, modo vulgari frequenter loquitur; et ideo, cum loquitur de caelo, de ipso loquitur, secundum quod apparet sensui nostro; et dicit ad modum pellis, vel camerae extensum quantum ad nostrum hemisphaerium”.

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Although theology is founded mainly 68 (or solely) 69 upon auctoritas, it needs to discuss the different degrees of the different auctoritates 70. Since theological truth is not monotony, but a harmony 71, dissent derives from presumption 72. Moreover, both philosophers and theologians use quotations and opinions of ancient and appreciated authors as auctoritates, because Aristotelian dialectic allows the assumption of probable premises “secundum communem omnium opinionem” 73 (the éndoxa ), in order to show the probability of a conclusion 74. In fact, Bonaventure as a theologian wants to follow the most common path, even when he moves away from the opinion of the ancient masters 75.

5. ‘Philosophantes’ or ‘Sapientiae amatores’ as Philosophers Who Go Back or Forth Analogously to the opposition between studiousness and curiosity, Bonaventure uses the opposition between ‘sapientiae amatores’ and ‘philosophantes’ 76. ‘Philosophus’ in general means someone who searches for wisdom (so, their search is finalized to something else); ‘philosophans’ means someone who practices philosophy for its own sake, not looking for anything beyond. Besides, the plural term ‘philosophantes’ recalls the term ‘iudaizantes’, used to mean people who, born as Jews, accepted baptism but continued to practice Judaism in secrecy. In the mentality of medieval Christianity, they were turning back to an old and outdated cult. Analogously, philosophantes (with a negative sense) were officially Christian masters of the University who expected or rather pretended to practice 68

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Cf. id., Sermo “Unus est magister vester, Christus”, 2–6, ed. R. Russo, in: id., La metodologia del sapere. Nel sermone di S. Bonaventura “Unus est magister vester Christus”, Grottaferrata 1982, 99–133, here 102–106 (where both auctoritas and ratio derive from the unique Verbum, and the auctoritas of the Bible means that “tota Scriptura authentica est”). Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 17, 28, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 414. Cf. ibid., 19, 10, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 421 sq. Cf. ibid., 9, 19–22, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 375. Cf. Bonaventura, Sermo “Unus est magister”, 27, ed. Russo (nt. 68), 130. Id., Commentarius in Primum Librum Sententiarum, d. 31, p. 1, a. unicus, q. 2, conclusio, ed. Collegium S. Bonaventurae (S. Bonaventurae Opera Omnia 1/2), Quaracchi 1883, 535. Cf. id., Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 3, p. 2, a. 1, q. 2, conclusio, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 116: “magis probabilem et communem opinionem dico […] esse tenendam”. Cf. id., Commentarius in Primum Librum Sententiarum, d. 35, dub. 4, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 73), 615; id., Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, praelocutio, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 1: “adhaesi et communibus opinionibus magistrorum, et potissime magistri et patris nostri bonae memoriae fratris Alexandri […]. Non enim intendo novas opiniones adversare, sed communes et approbatas retexere […], his dumtaxat exceptis, in quibus magis communiter non sustinetur, immo communis opinio tenet contrarium.” Cf. P. Michaud-Quantin, Pour le dossier des “Philosophantes”, in: Archives d’histoire doctrinale et littéraire du Moyen Âge 35 (1968), 17–22.

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philosophy as had been done in the ancient times before Christ 77, or ancient and non-Christian philosophers, who, according to Bonaventure, necessarily should make some mistakes 78: even ancient and noble philosophers, who were children of the light 79, could not discover the reasons for human evil and health 80. In conclusion, on the one hand philosophy is necessary, on the other hand in the case that it is taken as an end in itself, it becomes curious and damaging. According to Bonaventure, that is why “the books of philosophy were burnt” 81 in the past. Nevertheless, if philosophy is considered not as an end in itself, but as a means of proceeding forward, then even in the Christian age and inside the Church, teaching and learning philosophy is both necessary and useful 82. there are still “masters who teach philosophy, or law, or theology, or any other good science in order to improve the Church” 83. However, sometimes Bonaventure plays with the etymology of ‘philosophus’ using the multi-word expression ‘amator sapientiae’ 84 (lover of wisdom, in a fully positive sense). So, Solomon is defined as “sapientiae amator” and “philosophus” 85; hence, those who want to be true philosophers (searching for the human and mystical wisdom) must be “people of desires” like Daniel, practicing not only the ‘disciplina scholastica’, but also the ‘disciplina morum’ and the zeal of faith 86. Overall, the readers of the ‘Itinerarium’ are required to be sapientiae amatores 87. The iter of Humanity is wonderfully described: 77 78

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Cf. Bonaventura, De tribus quaestionibus, 12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 22), 335 and supra. Cf. id., Comentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 18, a. 2, q. 1, conclusio, 6, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 448: “necesse est enim philosophantem in aliquem errorem labi nisi adiuvetur per radium fidei”. Cf. id., Collationes in Hexaëmeron, 4, 1, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 349: “Omnes, qui fuerunt in lege naturae, ut Patriarchae, Prophetae, philosophi, filii lucis fuerunt”. Cf. ibid., 7, 1–12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 365 sqq. Ibid., 19, 14, (nt. 19), 422: “In Ecclesia etiam primitiva libros philosophiae comburebant.” The reference is to Act 19,19: those books contained ‘curiosa’; in the context of the New Testament, ‘curious’ or ‘strange things’ meant ‘magic’, but Bonaventure identifies ‘curiosity’ with ‘useless philosophy’. Cf. Bonaventura, Sermones Dominicales, 10, 5, ed. Bougerol (nt. 45), 200 sq.: “non quod non debeatis de philosophia loqui, sed quod non debeatis ei inniti […]. Et ipsi praeparantur cogitationes ut dirigantur […] secundum dictamen suae sapientiae, non secundum dictamen rationis philosophicae.” (cf. 1 Reg 3,4; Col 2,8). Id., Collationes in Hexaëmeron, 22, 9, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 439: “et intelligo magistros seu docentes vel philosophiam, vel ius, vel theologiam, vel artem quamcumque bonam, per quam promoveatur Ecclesia”. It was used (according to the LLT) by Augustine, Isidore, Bede, Abelard, Hugo, but in the 13th Century only by Roger Bacon (4 times), Thomas Aquinas (8), Bonaventure (9), Luke Tudensis (2). Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 6, 8–9, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 362: “ut philosophus et ut amator sapientiae”; cf. also id., Commentarius in Primum Librum Sententiarum, prooemium, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 15), 5. id., Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, principium, 2, 3–4, ed. Delorme (nt. 19), 21; ibid., principium, 2, 29, ed. Delorme (nt. 19), 29. Id., Itinerarium mentis in Deum, prologus, 4, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 296: “humilibus et piis, compunctis et devotis, unctis oleo laetitiae et amatoribus divinae sapientiae et eius desiderio inflammatis […] speculationes subiectas propono”.

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“Quoniam igitur prius est ascendere quam descendere in scala Iacob, […] transeamus ad Deum […], ut simus veri Hebraei transeuntes de Aegypto ad terram Patribus repromissam, simus etiam Christiani cum Christo transeuntes ‘ex hoc mundo ad Patrem’, simus et sapientiae amatores, quae vocat et dicit: ‘Transite ad me omnes, qui concupiscitis me’” 88.

The Latin term ‘transitus’ covers a large semantic field: the one-way passage, the journey, the search for something, the Jewish Passover, the Christian Easter. In this case, Bonaventure identifies Passover, Easter and philosophy. Only people who accomplish this spiritual journey are actually true Jews, true Christians and true philosophers, i. e. lovers of wisdom. In short, if a philosopher remains a mere philosopher and does not become a real lover of wisdom, he changes himself for the worse into a philosophans, according to this taxonymy: Philosophi Going back = Philosophantes

Going forward = Amatores sapientiae

Those Christian masters of philosophy (known as ‘artistae’ or ‘Averroists’) claimed to be Aristotelian and so to go back in time to the preChristian age. From a religious point of view, they were similar to those Hebrews who, shortly after the exodus, wanted to go back to Egypt (theologians too run the same risk) 89. These philosophers desire wisdom but do not have it: so they are like ostriches, that is birds which cannot fly 90. Vice versa, only those who complete their circle can be true metaphysicians 91; all the educated people (clerici, religiosi ) are considered heirs of the ancient philosophers and have to be ‘veritatis amatores’ and ‘sapientiae verae zelatores’ 92. Therefore, there is no refusal of ancient philosophy, but rather its full insertion and achievement in Christian faith. 88 89

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Ibid., 1, 9, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 88), 298; cf. Jo 13,1; Eccli 24,26. Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 1, 9, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 330: “Praecessit enim impugnatio vitae Christi in moribus per theologos, et impugnatio doctrinae Christi per falsas positiones per artistas. Non itaque redeundum est in Aegyptum per desiderium vilium ciborum, alliorum, porrorum et peponum, nec dimittendus cibus caelestis”. Cf. also ibid., 2, 7, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 337; ibid., 12, 17, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 387; ibid., 19, 12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 422: “unde magistri cavere debent, ne nimis commendent et appretientur dicta philosophorum, ne hac occasione populus revertatur in Aegyptum”. Cf. ibid., 7, 12, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 367: “Isti philosophi habuerunt pennas struthionum”. Cf. ibid., 1, 17, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 332: “Hoc est medium metaphysicum reducens [scilicet: Verbum increatum], et haec est tota nostra metaphysica: de emanatione, de exemplaritate, de consummatione, scilicet illuminari per radios spirituales et reduci ad summum. Et sic eris verus metaphysicus.” Cf. Bonaventura, Sermones de tempore, 3, 2, ed. Bougerol (nt. 35), 48: “Et secundum Philosophum, X Ethicorum: “Ultima felicitas hominis consistit” in cognitione maximorum intelligibilium, et secundum quod dicit beatus Augustinus in libro Soliloquiorum: “Summum bonum in homine est sapere, optimum enim in homine est sapientia”; ideo non immerito sacer Isaias sacro afflamine pro tempore isto devoto adventus invitat veritatis amatores et sapientiae verae zelatores, omnem litteratum et clericum ac religiosum”.

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III. ‘Lignum scientiae ’ vs. ‘Lignum vitae ’. A Metaphysical and T heological Opposition 1. From Lexicography to Metaphysics and Theology At this point, we have to explain the root of the distinction between curiositas and studiositas. We can find the explanation in the opposition between the two biblical metaphors of lignum vitae – the Tree of Life – and lignum scientiae boni et mali, or merely lignum scientiae – Tree of Science: science is conceived here as an incomplete and possessive knowledge without gratitude (a ‘connaissance sans reconnaissance’, we can say). In the Bible, the Tree of Life is found at the very beginning, that is in Paradise (according to ‘Genesis’); at the middle point, in Jesus (the Tree of Life himself) and in his Cross (according to the Gospels); and at the very conclusion, in the central place of the new Jerusalem (according to the ‘Book of Revelation’) 93. 2. The Pursuit of Wisdom as the Search for the Tree of Life According to the Latin etymology of ‘sapientia’ (wisdom as taste), knowledge without inner tasting and selfimprovement is not worth pursuing 94. Since sapientia is saporosa scientia, having wisdom is tasting the Tree of Life: presuming to investigate this is tasting of the lignum scientiae, i. e. curiosity, from which the other sins follow, and against which we need a true studiousness, i. e. to “study the Holy Cross” 95. The pursuit of wisdom coincides with the search for the 93

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Cf. Gen 2,9–17. 3,1–7. 3,17–24; Prov. 3,18. 11,30. 13,12; Gv 19,18. 19,41; Ap 2,7. 22,2–19. This metaphor is very complex, because in Latin ‘lignum’ means ‘tree’ and ‘wood’ and even ‘ship’ – so, ‘lignum vitae’ can sound as tree of life, or saving wood (i. e. the Cross), or lifeboat. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 22, 21, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 440: “Multa enim scire et nihil gustare quid valet?” Cf. also id., Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, 3, 7, 22, ed. Delorme (nt. 19), 220; id., Breviloquium, prologus, 5, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 20), 206; id., Collationes in Hexaëmeron, 2, 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 337. Cf. ibid., 3, 27, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 347: “Caveat tamen quisque a ligno curiositatis scientiae.”; id., Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, Principium, 3, 27, ed. Delorme (nt. 19), 44 sq.: “in hac est paradisus et lignum vitae, non curiositatis, unde hic cavendum a gustu ligni scientiae boni et mali.”; ibid., 3, 5, 27, ed. Delorme (nt. 19), 201: “notitia exterior, quae magis est curiositatis quam utilitatis, significat lignum scientiae boni et mali; notitia autem interior significat lignum vitae.”; ibid., 3, 6, 3, ed. Delorme (nt. 19), 203: “Edere autem de ligno vitae est iis illustrationibus illustrari, ut contemplans ad salutem nihil quaerat nisi intellectum veritatis et affectum pietatis, delectationem suavitatis, solatium contemplationis; cum autem horum obliviscitur et delectatur in scrutinio curiositatis, scilicet scire tantum, ex hoc nascitur supercilium vanitatis et alios despicit, ex quo nascitur inquietudo contentionis; reputat se despectum, cum quis ei respondet et semper paratus est ad contentiones; ex hoc aufertur vera et quieta vita, ut Adam et Eva culpam in invicem refundentes, sibi parant perizomata, cum non haberent quod Deo redderent.”; id., Sermones de tempore, 95, 2, ed. Bougerol (nt. 35), 153: “Ipsum enim Christum natum sicut verum lignum vitae invenimus: […] Gen. 3: ‘De ligno quod est in medio paradisi’ ne comederemus, id est, ne curiose eius naturam inquiras; […]. Si in ligno crucis Christi studerent, scientiam salutarem ibi invenirent. […]. Ideo beatus

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Tree of Life according to the Bible. At the end of his last collatio (and as a conclusion of the whole of his work and mission), Bonaventure said: “ad hoc lignum vitae volui vos adducere (I have wanted to lead you to this Tree of Life)” 96. In fact, humankind has been placed at a crossroads between the Tree of Life and the Tree of Science 97. They symbolize the two main characters of history, Christ and the Antichrist, and their figures in every age of history 98. The whole of human history is the account of the voyage of humankind from the original Tree of Life in ‘Genesis’ to the eschatological Tree of Life in the ‘Apocalypse’. On account of sin, the first Tree of Life, which represents wisdom or happiness, became hidden and unreachable 99, but in the Cross it was offered once again 100. In a surprising explanation of the mystic Tree, Bonaventure joins (Johannine) theology to (Neoplatonic) philosophy: “Verbum ergo exprimit Patrem et res, quae per ipsum facta sunt, et principaliter ducit nos ad Patris congregantis unitatem: et secundum hoc est lignum vitae, quia per hoc medium redimus et vivificamur in ipso fonte vitae. […] sic dicat quilibet: Domine, exivi a te summo, venio ad te summum et per te summum. […] Et sic eris verus metaphysicus. Si vero declinamus ad notitiam rerum in experientia, investigantes amplius, quam nobis conceditur; cadimus a vera contemplatione et gustamus de ligno vetito scientiae boni et mali, sicut fecit Lucifer. Si enim Lucifer, contemplando illam veritatem, de notitia creaturae reductus fuisset ad Patris unitatem; fecisset de vespere mane diemque habuisset; sed quia cecidit in delectationem et appetitum excellentiae, diem amisit. Sic Adam similiter. Istud est medium faciens scire, scilicet veritas, et haec est lignum vitae; alia veritas est occasio mortis, cum quis ceciderit in amorem pulcritudinis creaturae.” 101

To our surprise and in addition to the biblical account, before Adam and Eve, Lucifer himself is said to have eaten of the prohibited Tree and to have left the Tree of Life, which is the Word. So, the distinction between lignum vitae and lignum scientiae is rather a distinction between two different ways of approaching the Word. There is only one veritas: for those who do not complete the circle, it becomes lignum scientiae. Bonaventure interprets sin as a privatiza-

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Bernardus de hoc ligno ita ait: ‘Cum sapientia secundum nomen suum dicta sit saporosa scientia, in ligno crucis stude’”. Id., Collationes in Hexaëmeron, 23, 31, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 449. Cf. Hex 14.17, OO, vol. 5, 396: “In paradiso fuit lignum vitae, et fuit lignum scientiae boni et mali, et sic in omnibus Scripturae mysteriis explicatur Christus cum corpore suo, et antichristus et diabolus cum corpore suo.”; ibid., 14, 30, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 398: “Haec sunt ergo mysteria circa lignum vitae, scilicet Scripturae, quae incipit ab aeternitate et terminata est ad aeternitatem.” Cf. Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, 3, 2, 17, ed. Delorme (nt. 19), 163: “in ligno vitae explicatur Christus, in ligno scientiae boni et mali antichristus et sua membra qui per totam Scripturam describuntur.” Bonaventure’s interpretation is not far from the Judaic (and Cabbalistic) one (cf. Prov 3,18. 11,30. 13,12). Cf. Bonaventura, Lignum Vitae, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 8) Quaracchi 1898, 68–87 and id., Sermones de diversis 34, redactio breuis, 6 (and 8–9), ed. Bougerol (nt. 27), vol. 2, 456. Id., Collationes in Hexaëmeron, 1, 17, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 332.

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tion of good: an appropriated good is no longer a good; evil is a ‘privation’ (lack) of good because it is a ‘privatization’ of it, due to an incomplete reductio 102. 3. Natural and Corrupted Desire for Knowledge The desire for knowledge and happiness is a principle per se notum 103. But if “omnes homines naturaliter scire desiderant” 104, why does Salomon say he who increases knowledge, also increases pain 105? And why do so many people reject knowledge 106? The difference between natural desire 107 and willing choice makes it possible 108. The perversion of the natural desire of knowledge is curiosity as a consequence of an incomplete circle: “Adam cum uxore sua contraxit vitium curiositatis, quando diabolus dixit eis: ‘Eritis sicut dii, scientes bonum et malum’, contraxit etiam vitium carnalitatis, quando comedit de fructu; contraxit etiam vitium vanitatis, quando voluit esse sicut dii. Audite, fratres: qui scientiam habent Sanctorum, scilicet clerici, caveant sibi, ne aliquid vitiositatis habeant admixtum; quia si admisceat homo aliquid vitiositatis, amittit scientiam discernendi inter bonum et malum.” 109

There is a heterogenesis of ends: whoever wants to possess science to distinguish between good and evil, loses it. So, recognizing true limitations makes us unlimited while refusing them makes us even more limited. Even studying Holy Scripture poses a risk of passing from the Tree of Life to the lignum scientiae: “we are allowed to look at the lignum scientiae, but not to eat of it”; “eating of 102 103

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Cf. id., Breviloquium, 2, 7, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 20), 225. Cf. id., Quaestiones disputatae de Mysterio Trinitatis, q. 1, a. 1, 6, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 46: “Item, insertus est mentibus hominum appetitus sapientiae, quia dicit Philosophus: ‘Omnes homines natura scire desiderant’”; id., Sermones de tempore, 3, 2, ed. Bougerol (nt. 35), 48: “Et secundum Philosophum, X Ethicorum: ‘Ultima felicitas hominis consistit’ in cognitione maximorum intelligibilium”. Id., Commentarius in Ecclesiasten, 2, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 21. Ibid. Cf. Id., In Evangelium sancti Iohannis, 3, 3, 37, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 6), Quaracchi 1893, 284; id., Commentarius in Primum Librum Sententiarum, In prologum, dub 6, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 15), 24: “omnes enim naturaliter desiderant illuminari. Est iterum loqui quantum ad effectum consequentem, qui est arguere; et hunc habet in malis. Manifestando enim mala redarguit mala facientem; et inde est, quod mali odiunt veritatem”. Cf. id., Collationes in Hexaëmeron, 1, 26, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 333: “Diabolus enim paralogizavit primum hominem et supposuit quandam propositionem in corde hominis quasi per se notam, quae est: creatura rationalis debet appetere similitudinem sui Creatoris, quia scilicet est imago – unde in damnatis erit maxima poena, quia, cum imago sit animae essentialis, similiter et talis appetitus erit essentialis in damnatis – sed si comederis, assimilaberis: ergo bonum est comedere de vetito, ut assimileris.” Cf. id., Commentarius in Secundum Librum Sententiarum, d. 22, dub. 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 32), 528: “sicut contingit aliquid nosse in universali et ignorare in particulari, sic contingit aliquid appetere in universali, et tamen contemnere in particulari. […]. Etsi omnes homines natura scire desiderent et velint esse scientes, scientiam tamen mandatorum Dei plurimi aspernantur. – Et sic patet responsio ad illa duo obiecta; nam scientiam recusare, hoc non est naturae, sed voluntatis electivae.” Id., Collationes de donis 4, 21, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 41), 478.

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the lignum scientiae means dying” because “the letter kills” 110, and so does any merely literal or intellectual interpretation of it 111. 4. The Necessary but Unattainable Philosophical Pursuit of Wisdom 112 In his ‘Collationes in Hexaëmeron’, Bonaventure distinguished between philosophical sciences (scientiae, among which there is metaphysics) and philosophical wisdom (sapientia, that is contemplation or experiential knowledge of God which makes us happy): “Has novem scientias dederunt philosophi et illustrati sun. ‘Deus enim illis revelavit’. Postmodum voluerunt ad sapientiam pervenire, et veritas trahebat eos; et promiserunt dare sapientiam, hoc est beatitudinem, hoc est intellectum adeptum; promiserunt, inquam, discipulis suis[”] [“]sed defecerunt” 113.

In this speculative wisdom, Bonaventure synthesizes Socratic and Aristotelian traditions 114. In this perspective, wisdom is not only comprehension, but application; not only diagnosis, but therapy. Yet, as Aristotle himself said, “no one has been healed through merely understanding the physician’s prescription, but through putting it into practice” 115. Here is the paradox: philosophy is a necessary but useless cure. Naturally born as a pursuit of wisdom, philosophy actually produces only sciences. Ancient philosophers justly promised to give wisdom, 110

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Id., Collationes in Hexaëmeron, 16, 22, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 406: [also the “Church” of the Ancient Testament] “habuit lignum vitae, scilicet fidem, […]; habuit etiam lignum scientiae, scilicet Legem, quae remansit sibi ad videndum et legendum, non ad vescendum; immo in quocumque die comederis ex eo, morte morieris. Unde lignum scientiae potes videre, non manducare, quia destrueres quidquid Christus fecit; et necesse esset, subintrare mortem, quia littera occidit.” Cf. ibid., 16, 23, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 407: “Doctores autem illi […] comederunt de ligno scientiae, ut Legem observarent, et consenserunt serpenti, qui suadebat Legem observandam; et inde orta est haeresis Ebionitarum, quod Lex observanda esset cum Evangelio”; ibid., 17, 25, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 413: reading the Bible, it is better to look directly at its Truth, rather than search for a mirror, in order to look at it. Cf. F. Tinivella O.F.M., De impossibili sapientiae adeptione in philosophia pagana iuxta ‘Collationes in Hexaëmeron’ S. Bonaventurae, in: Antonianum 11 (1936), 27–50. 136–186. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 5, 22–23, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 357; id., Collationes in Hexaëmeron, reportatio altera, 1, 2, 22, ed. Delorme (nt. 19), 27. Cf. A. Speer, Triplex Veritas. Wahrheitsverständis und philosophische Denkform Bonaventuras (Franziskanische Forschungen 32), Werl 1987; A. Di Maio, La divisione bonaventuriana delle scienze. Un’applicazione della lessicografia all’ermeneutica testuale, in: Gregorianum 81/1 (2000), 101– 136 and 81/2 (2000), 331–351. Cf. Bonaventura, Soliloquium, 4, 5, 24, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 8), Quaracchi, 1898, 65: “O anima, quae naturaliter scire desideras, hoc speculum [scilicet: Deum] videre affecta, in illo studere et legere desidera, quia hoc semel vidisse est omnia didicisse. Ibi revera stultitia videbitur et reputabitur Platonis theoria, Aristotelis philosophia, Ptolomaei astronomia, quia quidquid hic de veritate intelligimus minima pars eorum est, quae ignoramus.” Cf. P. Courcelle, “Connais-toi toi-même” de Socrate à saint Bernard, 3 vol., Paris 1974–1975. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 2, 3, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 337.

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Andrea Di Maio

but they could not keep their promise. In fact, no one can know their origins unless someone tells them. So, in order to know and to obtain Health, the Healer and the cure, a divine word and grace are required 116. 5. Conclusion: Wisdom as “Water Totally Converted into Wine” Bonaventure is a more original thinker and with a wider influence than was suspected. His approach resumes a long and wide tradition and opens new horizons. His effort to negotiate in his Order between diverging issues regarding studies, and his ‘conceptual engineering’ of the terms ‘curiositas’ and ‘studiositas’, is clever and wise. His relational view of knowledge is farsighted: since “things are words” 117, curiosity is knowing things self-referentially without recognizing their meaning, like looking at a finger and not at what it indicates, which is foolish; studiousness is going beyond the sign towards the meaning. His idea of unattainable philosophy is certainly not naive; rather, it is wise and more acceptable today, and his theory of the ‘checkmate’ of modalities (‘we must, but we cannot’) reveals the intrinsic existential paradox of human life and allows the discovery of the idea of grace. Let us go back to the original question: did medieval thinkers really repress the desire to know because of their faith? Furthermore, are the myths of Ulysses and Faust incompatible with the medieval horizon? Although Bonaventure never mentions Ulysses (nor Aeneas), he quotes an interesting Patristic text, comparing the ancient pagan philosophers to him who claims to navigate the non-navigable ocean 118. Anyway, in the light of his theory about philosophy, this navigation (and even that of the Ulysses episode in the ‘Commedia’), although impossible, is necessary and not forbidden. Besides, recounting an earlier short version of the myth of Faust 119 (an anonymous scholar, wanting to become wealthy, in116 117 118

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Cf. ibid., 2, 3; ibid., 5, 22; ibid., 7, 8–11, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 337. 357. 366 sq. Id., Commentarius in Ecclesiasten, 1, q. 2, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 35), 16: “Verbum divinum est omnis creatura, quia Deum loquitur”. Cf. id., Commentarius in Evangelium S. Lucae, 10, 22, 40, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 34), 265: “Unde Chrysostomus: ‘Philosophi de Deo quaerere contendentes, nihil aliud se invenisse confessi sunt, nisi quod incognoscibilis est Deus, sicut qui innavigabilem oceanum usurpat navigare, cum non potest transire, necesse est, ut per eandem viam revertatur; sic illi ab ignorantia coeperunt et in ignorantiam finierunt’.” According to the Quaracchi edition the quote is by Pseudo-Chrisostomus. Cf. Collationes de decem Praeceptis, 2, 23, ed. Collegium S. Bonaventurae (Opera Omnia 5), Quaracchi 1891, 514: “Huius exemplum habemus in quodam litterato, qui diu studuerat, qualiter possit effici dives, et linguam suam fecit venalem longo tempore, et tamen semper egebat. Cogitavit autem sic: ex quo non possum ditari per Deum, ditabor per diabolum. […] venit diabolus et dixit: quid petis a me? Respondit ille: ut facias me divitem. Cui diabolus: oportet, quod prius adores me. Et tunc ille incurvavit se et adoravit eum. Et statim diabolus habuit potestatem in ipsum et ludificavit eum: fecit, quod omnes illi lapides videbantur ei esse aurum. Et dixit ei daemon: accipe satis de auro. Et tunc ille gaudens oneravit se lapidibus, et cum venit domum, posuit lapides in quodam angulo domus; et accensi sunt lapides, et combusta est domus et quidquid in ea erat, ita quod ipse vix evasit. Cogitavit iterum redire ad locum pristinum dicens: ibo et accipiam satis de auro. Et cum venit ad locum, tunc vidit, quod nihil esset ibi nisi lapides; et sic ludificatus est.”. Cf. A. Di Maio, Bonaventure on Evil and ‘Nothingness’, in: T. Johnson e. a. (eds.), ‘Frater, Magister,

At the Crossroads between the two Biblical Trees

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voked and adored the devil, who deceived him), Bonaventure far from stigmatizing free pursuit of knowledge, condemns the shift from the quest (i. e. asking to know or to enjoy) to the request (i. e. asking to possess), and from knowledge as contemplation to knowledge as domination (which leads to adoration of the devil). Being aware of the existing limits of human knowledge but far from ending the quest, Bonaventure urged his listeners and readers to dare to ask and to answer, “to fill the jars with water to the brim” (that is to fill the human cognitive capacity) and even go beyond, through faith in Christ, in order to “transform the water of human science” (philosophy, or even theology) “into the wine of wisdom” so as to get “water totally converted into wine” 120. However, putting so much water in the wine to turn “wine into water”, “this would be a very bad miracle!” 121 Bonaventure, who qualified this wisdom as Christian 122, wanted to safeguard the primacy of faith and love in every study. Besides, medieval intellectuals were so fond of learning that it was easy for them to exaggerate (e. g. the years they dedicated to scholarly studies often occupied most of their lives): it is not surprising, therefore, that Bonaventure denounced the risks of excessive study. Of course, medieval thinkers were not free thinkers, in the modern sense of the word, but it would be unfair and erroneous to underestimate their intellectual effort.

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Minister et Episcopus’. The Works and Worlds of Saint Bonaventure, St. Bonaventure University 2020, 294. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 19, 8, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 421: “Spiritus sanctus non dat spiritualem intelligentiam, nisi homo impleat hydriam, scilicet capacitatem suam, aqua, scilicet notitia litteralis sensus, et post convertit Deus aquam sensus litteralis in vinum spiritualis intelligentiae”; ibid., 19, 14, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 422: “Non igitur tantum miscendum est de aqua philosophiae in vinum sacrae Scripturae, quod de vino fiat aqua; hoc pessimum miraculum esset; et legimus, quod Christus de aqua fecit vinum, non e converso.” Cf. A. Hayen, Aqua totaliter in vinum conversa: Philosophie et Révélation chez Saint Bonaventure et Saint Thomas, in: P. Wilpert/W. P. Eckert (eds.), Die Metaphysik im Mittelalter: ihr Ursprung und ihre Bedeutung (Miscellanea Mediaevalia 2), Berlin 1963, 317–324. Cf. Bonaventura, Collationes in Hexaëmeron, 19, 8. 14, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 421. 422. Cf. ibid., 1, 9–10 and 2, 29, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 19), 330. 341; id., Itinerarium, prologus 3 and 1, 4, ed. Collegium S. Bonaventurae (nt. 87), 295. 297.

„Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Der Widerstreit zwischen theoretischer Neugierde und Traditionalismus am Beispiel der Kontroverse zwischen Roger Bacon und Bonaventura. Nikolaus Egel (Münster) I. Der wissenschaftliche Messianismus Roger Bacons und die Reaktion des Vorwurfs der curiositas durch das Ordenskapitel der Franziskaner unter Einfluss Bonaventuras im 13. Jahrhundert sind zwei historisch bedeutsame Pole der Spannung zwischen theoretischer Neugierde 1 und christlichem Traditionalismus. Diese Auseinandersetzung war weder neu, noch ist sie seitdem erloschen. Sie bestimmt auf die eine oder andere Art das wissenschaftliche Denken seit Platon und den Sophisten; sie hat uns durch die Renaissance und Frühe Neuzeit, die Romantik und durch das 20. Jahrhundert begleitet; und sie wird uns auch heute auf den verschiedensten Feldern sowohl der Theorie wie des praktischen Lebens auf bisweilen bestürzende Weise vor Augen geführt: diese Auseinandersetzung kann als anthropologische Grundkonstante durch die Zeiten hindurch betrachtet werden. Das Anliegen dieses Beitrags ist es, anhand der Darstellung der Auseinandersetzung Bonaventuras mit Roger Bacon die lebensweltliche Berechtigung dieser beiden Positionen darzustellen. Ich werde im Folgenden zuerst über Roger Bacons Werk und dessen Intention sprechen, ihn dann mit Bonaventuras Haltung zur Neugierde kontrastieren, und abschließend ein kurzes Resümee über diese Kontroverse ziehen sowie deren weitere Entwicklung in der Renaissance zumindest andeuten. Hierbei konzentriere ich mich auf Roger Bacon und Bonaventura als zwei Archetypen im Verhältnis zur curiositas, ohne ihre Lehrmeinungen und Differenzen zu detailliert verfolgen zu wollen. Auch das Problem der Machtausübung resp. der Organisation einer pastoralen Macht, wie sie Michel Foucault in seinen ‚Skizzen zum Pastorat‘ 2 ausführt, können hier trotz ihrer Bedeutung für die Kontroverse nur angedeutet werden, weil das eine eigene Arbeit erfordern würde. 1 2

Cf. zu diesem Begriff: H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt am Main 1973. Zu diesem Gedanken grundlegend: M. Foucault, Geschichte der Gouvernementalität I. Sicherheit, Territorium, Bevölkerung. Vorlesung am Collège de France 1977–1978, ed. M. Sennelart, Frankfurt am Main 2004, 173–368.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-015

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II. Roger Bacon ist nach wie vor im deutschsprachigen Raum wenig gewürdigt. Ein Grund dafür mag darin zu sehen sein, dass er seine Ansichten und Überzeugungen weniger in systematischen Schriften geäußert hat, sondern vor allem in Überzeugungsschriften und Traktaten, die zugleich auch alle den Charakter einer vorläufigen Meinungsbildung hatten. Ein weiterer Grund liegt vielleicht darin, dass Roger Bacon ein anderes Mittelalter als das der „großen Denkkathedralen“ 3 verkörpert, ein Gegenbild, das eher mit den Namen Abaelard, Boethius von Dacien und Siger von Brabant umrissen werden kann 4. Diese Haltung wird an seiner Hinneigung zur scientia experimentalis und seiner Abneigung gegenüber dem deutlich, was wir seit Grabmann als „scholastische Methode“ 5 benennen, die hochintellektuell bis hin zu den calculatores 6 der Merton-Schule in Oxford um Thomas Bradwardine und Richard Swineshead Fragen generierte und Antworten daraus imaginierte, die keinen Realbezug mehr hatten 7. Damit befand sich Bacon außerhalb des wissenschaftlichen Diskurses und der Rezeption seiner Zeit. Er wollte eine neue Wissenschaft und fand für diese neue Ziele: den Nutzen für die Gesellschaft, den Sieg über die Feinde des Glaubens und den Aufbau einer neuen wissenschaftlichen Methode. Zudem wird neben seiner schwierigen Persönlichkeit und Eitelkeit auch seine soziale Stellung als verarmter Aristokrat und säkularer Magister in einer bewegten Zeit zu dieser mangelnden Anerkennung und Aufmerksamkeit beigetragen haben: er war ein Beispiel für das damalige akademische Prekariat. Seine Tätigkeit als Magister der Philosophie fiel in die Zeit großer Auseinandersetzungen an der Pariser Universität während des Mendikantenstreits 8. Hierbei ging es in erster Linie um Lehr- und Geldprivilegien. Von Bacons Position in diesen Auseinandersetzungen ist uns nichts überliefert, außer dass er in dieser Zeit in den Franziskanerorden eintrat. Entscheidender als diese Gründe für seine mangelnde Präsenz in der Philosophiegeschichte ist jedoch noch ein weiterer, der gewagt klingen mag, der sich mir in meiner Lektüre der Hauptwerke Bacons jedoch zusehends aufgedrängt 3 4

5 6

7 8

So die Formulierung Loris Sturleses in: L. Sturlese, Philosophie im Mittelalter. Von Boethius bis Cusanus, München 2013, 7 sq. Cf. zu diesem Ansatz: K. Flasch, Aufklärung im Mittelalter? Die Verurteilung von 1277, Mainz 1989, 13–86; id. (ed.), Das Licht der Vernunft. Die Anfänge der Aufklärung im Mittelalter, München 1997. Cf. M. Grabmann, Die Geschichte der scholastischen Methode, 2 voll., Freiburg 1909–1911. Cf. E. Sylla, The Oxford Calculators, in: N. Kretzmann e. a. (eds.), The Cambridge History of Later Medieval Philosophy: From the Rediscovery of Aristotle to the Disintegration of Scholasticism 1100–1600, Cambridge (NY) 1982, 540–563. Siehe hierzu auch die kleine Schrift: J. L. Vives, Gegen die Pseudodialektiker, lat.-dt., ed. N. Egel (Philosophische Bibliothek 714), Hamburg 2018. Cf. J. LeGoff, Die Intellektuellen im Mittelalter, Stuttgart 31991, 105 sqq.; A. Zimmermann (ed.), Die Auseinandersetzungen an der Pariser Universität im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 10), Berlin 1976.

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hat und der ihn für mich in die Nähe des Goethe᾿schen ‚Faust‘ rückt: Christus war nicht in der Weise das Zentrum seines Lebens 9 wie für Bonaventura, für den Christus im Zentrum seiner Erkenntnistheorie stand 10, sondern für ihn gelten eher die Worte Margarethens: „Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen, / Steht aber doch immer schief darum; / Denn du hast kein Christentum.“ 11 Mit anderen Worten, er verkörperte alles, wogegen Bonaventura stand, dessen Mitte Christus und die Kirche waren, und dessen Aufgabe und Anliegen als Generalminister des Franziskanerordens in dem Ausgleich zwischen dessen widerstreitenden Flügeln sowie in der Harmonie im Verhältnis zur Weltkirche bestand 12. Um ihre Differenz mit den Worten Camille Bérubés zu formulieren: „Nach unserer Ansicht muß das Ideal Roger Bacons als ein Messianismus der neuen Wissenschaften gekennzeichnet werden und nicht als ein Messianismus einer durch Anwendung der Wissenschaften erneuerten Theologie. […] Bacon verbrennt, was Bonaventura anbetet, und betet an, was Bonaventura gerne verbrennen würde.“ 13

Roger Bacon stellt uns sein Ideal wissenschaftlicher Forschung im ‚Opus tertium‘ aus dem Jahr 1267 vor, in dem er Peter von Maricourt 14 beschreibt: „Denn ich kenne nur einen [Peter von Maricourt], der in den Arbeiten der Erfahrungswissenschaft rühmend genannt werden kann. Ihm geht es nicht um schönes Gerede und Wortgefechte, sondern er geht allein den Werken der Weisheit nach und findet darin Befriedigung. Was andere nur blind zu sehen vermögen, wie die Fledermäuse im Zwielicht, ergreift er in vollem Licht, weil er der Meister des Experimentes ist. Daher erhält er sein Wissen über die Dinge der Natur durch die Erfahrung, ebenso wie über medizinische und alchemische Dinge und über alle Phänomene im Himmel und auf der Erde. Er schämt sich, wenn Laien, alte Weiblein, Soldaten oder Bauern Dinge wissen, die er nicht weiß. Deswegen hat er sich alle Werke, die sich mit Metallen, Gold, Silber und anderen Metallen und Mineralen beschäftigen, genau angeschaut. Er weiß alles, was mit der Kriegskunst, mit Waffen und mit der Jagd zu tun hat. Er hat sich eingehend mit der Landwirtschaft, der Landvermessung und der Arbeit der Bauern beschäftigt; sogar über die Erfahrungen der alten Weiblein und der Wahrsagerei, ihrer und der Magier Zaubersprüche hat er sorgfältig nachgedacht, ebenso wie über die Täuschungen und Tricks der Gaukler, damit ihm nichts Wissenswertes entgeht und er fähig ist, alle Falschheiten und alle Magie zu entlarven. Daher ist es ohne ihn unmöglich, die Philosophie zu vollenden und sie auf nützliche und sichere Weise zu gebrauchen.“ 15 9 10

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Cf. F. Alessio, Mito e Scienza in Ruggero Bacone, Mailand 1957, 15 sqq. Cf. W. Dettloff, „Christus tenens medium in omnibus“. Sinn und Funktion der Theologie bei Bonaventura, in: Wissenschaft und Weisheit. Zeitschrift für Augustinisch-Franziskanische Theologie und Philosophie in der Gegenwart 20 (1957), 120–140. J. W. Goethe, Faust, ed. A. Schöne, Frankfurt am Main, 150, l. 3466 sqq. Cf. D. Groh, Schöpfung im Widerspruch, Frankfurt am Main 2003, 458. C. Bérubé, Der „Dialog“ S. Bonaventura – Roger Bacon, in: F. Uhl (ed.), Roger Bacon in der Diskussion, 2 voll., Frankfurt am Main 2001, vol. 1, 114. 135. P. de Maricourt, Opera. Epistula de Magnete. Nova compositio astrolabii particularis. edd. L. Sturlese/R. B. Thomson, Pisa 1995. R. Bacon, Opus tertium, lat.-dt., ed. N. Egel (Philosophische Bibliothek 718), Hamburg 2019, 94: „Non enim cognosco nisi unum, qui laudem potest habere in operibus hujus scientiae; nam ipse non curat

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Bacon beschreibt hier einen neuen Typus eines experimentellen Wissenschaftlers, der durch praktische Erfahrung wissenschaftliche Fortschritte zu machen suchte: ähnlich wie Bacon selbst, der sich mit Mathematik und Optik beschäftigte und seine scientia experimentalis entwarf, die er in seinen Hauptwerken beschreibt 16. Es gibt neben Bacon und Peter von Maricourt in ihrem Pariser Gelehrtenmilieu aber noch weitere Beispiele für eine ganz praktische Neugierde im Mittelalter auf einem anderen, eher ‚adeligen‘ Feld, die uns deutlich machen, dass theoretische Neugierde, curiositas in einem positiv bewerteten Sinne als sapientia saecularis im Geist der Zeit lag 17: Die ‚Hippiatrik‘ des Jordanus Rufus 18 (Friedrichs II. maresacalcia equorum ) und das Falkenbuch Friedrichs II. selbst: ‚De arte venandi cum avibus‘. Friedrich formuliert seine wissenschaftliche Maxime hier fast wie Bacon: „Unsere Absicht ist es, die Dinge, die sind, so sichtbar zu machen, wie sie sind“ 19. Das sind sozusagen Beispiele aus dem Herrscherkreis adligen Vergnügens, aber experimentell betrachtet und zu weiterer Verbesserung aufgezeichnet. Zugleich sind es Beispiele für die Neugierde, die im ‚Wörterbuch der philosophischen Begriffe‘ als ein „als Reiz auftretendes Verlangen, Neues zu erfahren, insbes[ondere], Verborgenes kennenzulernen“ 20 bezeichnet wird, eben das Verlangen, das uns in der schönen Erzählung in Genesis 3 begegnet, als „das Weib schauete an, daß von dem Baum gut zu essen wäre, und lieblich anzusehen, daß es ein lustiger Baum wäre, weil er klug machte; und nahm von der Frucht, und aß, und gab ihrem Manne auch davon, und er aß“ 21. Es sind auch Beispiele für das für den Menschen typische Staunen, mit dem bereits Platon im ‚Theätet‘ 22 die Philosophie beginnen ließ und die Aristoteles in Folge

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de sermonibus et pugnis verborum, sed persequitur opera sapientiae, et in illis quiescit. Et ideo quod alii caecutientes nituntur videre, ut vespertilio lucem solis in crepusculo, ipse in pleno fulgore contemplatur, propter hoc quod est dominus experimentorum; et ideo scit naturalia per experientiam, et medicinalia, et alkimistica, et omnia tam coelestia quam inferiora; immo verecundatur si aliquis laicus, vel vetula, vel miles, vel rusticus de rure sciat quae ipse ignorat. Unde omnia opera fundentium metalla, et quae operantur auro, et argento, et caeteris metallis, et omnibus mineralibus, ipse rimatus est; et omnia quae ad militiam, et ad arma, et ad venationes ipse novit; omnia quae ad agriculturam, et ad mensuras terrarum et opera rusticorum, examinavit; etiam experimenta vetularum et sortilegia, et carmina earum et omnium magicorum consideravit; et similiter omnium joculatorum illusions et ingenia; ut nihil quod sciri debeat lateat ipsum, et quatenus omnia falsa et magica sciat reprobare. Et ideo sine eo impossibile est quod compleatur philosophia, nec tractetur utiliter nec certitudinaliter.“ Cf. allgemein: A. G. Little (ed.), Roger Bacon Essays, Oxford 1914; J. Hackett (ed.), Roger Bacon and the Sciences, Leiden e. a. 1997; N. Egel, Einleitung, in: Bacon, Opus tertium, ed. Egel (nt. 15), XIII-CXXI. Cf. Blumenberg, Prozeß (nt. 1), 105 sqq. Cf. J. Rufus, La Science du Cheval au Moyen Age: Le Traité d’hippiatrie de Jordanus Rufus, ed. B. Prévot, Paris 1992. Friedrich II., De arte venandi cum avibus, ed. C. A. Willemsen, 2 voll., Leipzig 1942, vol. 1, 2: „Intentio vero nostra est manifestare ea quae sunt sicut sunt.“ A. Regenbogen/U. Meyer (edd.), Wörterbuch der philosophischen Begriffe (Philosophische Bibliothek 500), Hamburg 2013, 451. 1 Mose 3,6. Platon, Theätet, 155d.

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in seiner ‚Metaphysik‘ 23 als einen natürlichen menschlichen Wissensdrang beschrieben hatte. Die Breite von Roger Bacons wissenschaftlichen Interessen ist beeindruckend. Er beschreibt nicht nur die „Sprachen der Weisheit“ (Hebräisch, Griechisch und Arabisch) 24, die zu lernen für alle Studenten die Grundlage ihrer Studien sein müsste, er kritisiert mit seinen „sieben Sünden der Theologie“ 25 nicht nur den theologischen Unterricht seiner Zeit, er schreibt nicht nur über Grammatik, Mathematik, Optik, Musik, Alchemie, Astrologie und Astronomie, sondern er widmet einen Teil seines Werkes auch der Geographie, weil ihn die Neugier auf neu auftretende Völker und die Welt selbst fesselte, wie wir sie aus seinen Aufzeichnungen zu Wilhelm von Rubrucks Reise zum Großkhan 26 der Mongolen in seinem ‚Opus maius‘ entnehmen können 27, der im Auftrag Ludwig IX. gereist war 28. Dabei ist seine Zielsetzung die Verbesserung der Zustände seiner Zeit, die er im Jahr 1272 in seinem ‚Kompendium für das Studium der Philosophie‘ nachdrücklich kritisiert hatte. Für Bacon waren alle zeitgenössischen Missstände eine Folge mangelnden Wissens und einer schlechten Ausbildung der damaligen Eliten, die in den für Bacon grundlegenden und wichtigen philosophisch-mathematischen Wissenschaften keine hinreichenden Kenntnisse und Erkenntnisinteressen hatten 29. Bacon schreibt: „Aber bis auf wenige Ausnahmen verachten unsere Zeitgenossen diese Wissenschaften und folgen ihnen nicht. Das gilt vor allem für diese neuen Theologen, die Jungen aus den beiden Orden. Sie haben dafür keinen anderen Trost als ihre Unerfahrenheit und zeigen ihre törichten Eitelkeiten der ganzen Welt […]. Diese [verachteten] Wissenschaften sind: Die Wissenschaft von den Sprachen der Weisheit, die Mathematik, die Perspektivik, die Alchemie und die Erfahrungswissenschaft.“ 30 23 24 25 26

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Cf. Aristoteles, Metaphysik, A 1, 1, 980a21. Cf. R. Bacon, Opus maius, ed. J. H. Bridges, 3 voll., Oxford 1897–1900, vol. 1, 66–96. Cf. id., Opus minus, in: id., Opera quaedam hactenus inedita, ed. J. S. Brewer, 313–389. 322– 357. Cf. W. v. Rubruk, Reisen zum Großkhan der Mongolen: von Konstantinopel nach Karakorum 1253–1255, ed. H. D. Leicht, Wiesbaden 2012; N. Egel, Die Welt im Übergang. Der diskursive, subjektive und skeptische Charakter der Mappamondo des Fra Mauro, Heidelberg 2014, 147 sqq. Siehe die Erwähnungen Wilhelm von Rubrucks in: Bacon, Opus maius, ed. Bridges (nt. 24), vol. 1, 303. 305. 322. 356. 400, sowie ibid., vol. 2, 368. Die Informationen, die Bacon aus dem Bericht Wilhelm von Rubrucks entnommen hat, sind aufgeführt in: J. Charpentier, William of Rubruck and Roger Bacon, in: Geografiska Annaler 17 (1935), 255–267. Weiterführend auch: M. Guéret-Laferté, Le voyageur et le géographe. L’insertion de la relation de voyage de Guillaume de Rubrouck dans l’Opus Majus de Roger Bacon, in: La Géographie au Moyen Age. Espaces pensées, espaces vécus, espaces révés, (Perspectives médiévales 24, Suppl.), 1998, 81–96. Cf. J. LeGoff, Ludwig der Heilige, Stuttgart 2000, 488 sqq. Cf. R. Bacon, Kompendium für das Studium der Philosophie, ed. N. Egel (Philosophische Bibliothek 683), Hamburg 2015, 20 sqq.; R. Bacon, Compendium of the Study of Philosophy, 1, 17, lat.-engl., ed. T. S. Maloney, Oxford 2018, 10 sqq. Ibid., 6, 84, 82: „Sed moderni omnes praeter paucos despiciunt has scientias et gratis persequuntur, et maxime theologi isti novi, scilicet pueri duorum ordinum, ut solatium suae imperitiae habeant et suas ostendant coram

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Diese Wissenschaften aber sind die Grundpfeiler für Bacons Wissenschaftsprogramm: die Reform seiner Zeit durch das Wiederauffinden eines allumfassenden „Wissens in Weisheit“ durch die von Bacon beschriebenen Wissenschaften, das „von einem Gott einer Welt zu einem Ziel gegeben worden ist“ 31. Und dieses Ziel ist der Nutzen für den Menschen und die Verbesserung der Gesellschaft in vier Bereichen: „Denn durch das Licht der Weisheit wird die Kirche Gottes geleitet; das Gemeinwesen der Gläubigen wird durch sie gelenkt; die Bekehrung der Ungläubigen wird durch sie vorangetrieben; und jene, die in ihrer Böswilligkeit verharren, können durch die Kraft der Weisheit in Schranken gehalten werden, sodass sie von den Grenzen der Kirche weit besser ferngehalten werden als durch das Vergießen von Christenblut. So können alle Angelegenheiten, die der Führung der Weisheit bedürfen, auf diese vier Bereiche eingeschränkt werden; denn mehr lassen sich nicht hinzufügen.“ 32

Für Bacon sind die philosophischen Wissenschaften zudem Gegenstand der göttlichen Offenbarung, ganz so wie die Heilige Schrift, und unterscheiden sich von ihr nur durch ihren Grad an Vollkommenheit, weshalb „die ganze geschmückte Kraft der Philosophie im Literalsinn der heiligen Mysterien der Gnade und des Ruhmes [der Heiligen Schrift] verborgen“ 33 liegt. Roger Bacon weist den philosophischen Wissenschaften damit eine Gewichtung zu, die ihn in Konflikt mit seiner Zeit und mit seinen Ordensoberen gebracht hat: Die Theologie ist zwar die Herrin aller Wissenschaften, die Heilige Schrift deren Gegenstand, und die übrigen Wissenschaften ihre Dienerinnen. Zugleich aber ist diese Herrin für die Erläuterung der in der Heiligen Schrift enthaltenen, allumfassenden und ursprünglich durch Gott geoffenbarten Weisheit auf die anderen Wissenschaften angewiesen, weil erst diese die „geschlossene Faust der Weisheit“ in eine „offene Hand“ zu verwandeln vermögen 34, was nichts anderes heißt, als dass die übrigen

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multitudine stulta vanitates. […] Hae vero scientiae sunt istae: scientia linguarum sapientialium, mathematica, perspectiva, alkimia, scientia experimentalis“. R. Bacon, Opus maius, Teile I, II u. VI, ed. N. Egel (Philosophische Bibliothek 697), Hamburg 2017, 103; Bacon, Opus maius, ed. Bridges (nt. 24), vol. 3, 36: „quoniam ab uno Deo data est tota sapientia et uni mundo, et propter finem unum.“; siehe dazu allgemein: F. Kolbinger, Zeit und Ewigkeit: Philosophisch-theologische Beiträge Bonaventuras zum Diskurs des 13. Jahrhunderts um tempus und aevum, Berlin 2012. Bacon, Opus maius, ed. Egel (nt. 31), 57; Bacon, Opus maius, ed. Bridges (nt. 24), vol. 3, 1: „Nam per lumen sapientiae ordinatur ecclesia Dei, respublica fidelium disponitur, infidelium conversio procuratur, et illi qui in malitia obstinati sunt valent per virtutem sapientiae reprimi , ut melius a finibus ecclesiae longius pellantur, quam per effusionem sanguinis Christiani. Omnia vero quae indigent regimine sapientiae ad haec quattuor reducuntur nec potest pluribus comparari.“ Bacon, Opus maius, ed. Egel (nt. 31), 124; Bacon, Opus maius, ed. Bridges (nt. 24), vol. 3, 53: „Unde tota philosophiae virtus jacet in sensu literali sacris mysteriis gratiae et gloriae decorata, tanquam quibusdam picturis et coloribus nobilissimis redimita.“ Cf. Bacon, Opus maius, ed. Egel (nt. 31), 103; Bacon, Opus maius, ed. Bridges (nt. 24), vol. 3, 36: „Expositio etenim veritatis divinae per illas scientias habetur. Nam ipsa cum eis velut in palmam explicatur, et tamen totam sapientiam in pugnum colligit per seipsam; […].”

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Wissenschaften der Theologie methodologisch und propädeutisch vorgeordnet und damit für diese notwendig sind 35. Mit dem Gedanken einer Reform der Theologie, der Kirche und der Gesellschaft durch die Wissenschaften eng verbunden ist zudem Bacons Grundüberzeugung von der Einheit aller Wissenschaften 36, von der Überzeugung also, dass alle Wissenschaften in dem Lehrgebäude der Weisheit notwendig und aufeinander bezogen sind. Bacons Anliegen war es, alle philosophischen Wissenschaften nutzbringend in einen methodischen Rahmen zu integrieren, der jeder Wissenschaft ihr Recht und ihren Nutzen für die Ausbildung und damit – als Folge – der Menschheit zuspricht. Das ist der Gedanke, den ich als „wissenschaftlichen Messianismus“ 37 im Denken Roger Bacons bezeichnen möchte: In der Verfolgung seines Ideals, die Wissenschaft wieder in den Zustand zu versetzen, den sie bei den Propheten, Patriarchen und Philosophen der Vorzeit hatte, schuf Bacon einen neuen methodologischen Rahmen, innerhalb dessen jede Wissenschaft ihren notwendigen Platz einnimmt. Es handelt sich bei Bacons Reformprojekt um einen Messianismus der Wissenschaft, in dem Papst Clemens IV., dem Bacon seine Hauptwerke in der Hoffnung auf Förderung und Protektion geschickt hatte 38, die Rolle zufallen sollte, die Sache der neuen Wissenschaften innerhalb der Kirche in die Hand zu nehmen und die Welt von allen Missständen durch die richtige Bildung zu befreien und damit die Welt als „Engelspapst“ 39 zu retten: „Denn wenn alles meinen Darlegungen entsprechend geschehen würde, würde das gesamte Studium von selbst verbessert und die ganze Kirche wie zu den Zeiten der Heiligen gelenkt werden; und es würde einen allgemeinen Frieden sowohl bei Kirchenangelegenheiten als auch bei den Angelegenheiten der Fürsten und Laien geben. Wenn das aber nicht durch Eure Weisheit verwirklicht wird, so glaube ich, dass es niemals geschehen wird.“ 40

Die Philosophie liefert aber nicht nur die spekulativen Prinzipien, sondern auch deren praktische Nutzanwendung. Denn die Wissenschaften haben für Bacon keinerlei Wert, wenn sie nicht im praktischen Dienst für die Menschheit 35 36 37 38

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40

Cf. F. Uhl, Roger Bacon: Die Wissenschaften als Weg zu Nutzen und Heil, in: id. (ed.), Roger Bacon in der Diskussion (nt. 13), vol. 2, 257–277. Cf. Egel, Einleitung (nt. 15), XLI sqq. Cf. Bérubé, Der „Dialog“ S. Bonaventura – Roger Bacon (nt. 13), 89 sqq. Cf. E. Massa, Roger Bacons Werke für Papst Clemens IV. Textkritische Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte von Opus maius, Opus minus und Opus tertium, in: Uhl (ed.), Roger Bacon in der Diskussion (nt. 13), vol. 2, 13–100; Egel, Einleitung: Entstehungshintergrund und Konzeption des Opus maius, in: Bacon, Opus maius Teile I, II u. VI (nt. 31), XXI sqq. Cf. F. Baethgen, Der Engelspapst: Idee und Erscheinung, Leipzig 1943, sowie weiter zum joachimitischen Hintergrund dieser Überlegungen Bacons: B. Töpfer, Das kommende Reich des Friedens. Zur Entwicklung chiliastischer Zukunftshoffnungen im Hochmittelalter, Berlin 1964, 206. Cf. Bacon, Opus tertium, ed. Egel (nt. 15), 170: „Quia si fiant, quae narro, tunc totum studium rectificabitur per seipsum, et tota ecclesia regetur, sicut in temporibus sanctorum, et fiet pax universalis, tam apud ecclesiastica negotia quam apud regimen principum et laicorum. Et nisi per vestram fiant haec sapientiam, non credo quod unquam fient.“

„Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“

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stehen. Was Bacon den geistigen Eliten seiner Zeit vorwirft, ist ihr rein spekulatives Interesse an der Wissenschaft, das zum Wohl der Menschheit nichts beitrage 41. Die Umstände der Zeit ließen eine Reform für Bacon dringlich erscheinen. Die Zeit des Antichrist und des darauf folgenden Weltenendes schien nahe zu sein: die Mongolen hatten gerade Asien und Teile Europas verwüstet, und das christliche Europa hatte ihnen aufgrund innerer Zerwürfnisse und Uneinigkeiten nichts entgegenzusetzen 42. Dagegen standen für Roger Bacon seine neuen wissenschaftlichen Methoden. So schreibt Bacon im ‚Opus tertium‘ über die Nützlichkeit der Wissenschaften in der Kriegführung: „Danach habe ich die Werke der Geometrie, der Arithmetik und der Musik hinzugefügt, die auch von den größten Geheimnissen der Natur und der Künste handeln. An ihnen ist in Wahrheit und auch in ihrer Erscheinung nichts magisch, sondern es entstehen mit deren Hilfe entsprechend der Wahrheit der Philosophie die nützlichsten Werke, die so viel Weisheit enthalten, dass es hier gar kein Ende gibt. […] So kann ich zum Beispiel sagen, dass es Brennspiegel gibt, mit denen man aus jeder Entfernung alles tun kann, was man möchte: Man kann damit alle Feinde des Gemeinwesens verbrennen, seien es Burgen, Heere, Städte oder was auch immer. Ich kann auch über Fluginstrumente sprechen und über Schiffe, die unglaublich schnell und zudem schwer bewaffnet sind, und die trotzdem nur einen Seemann benötigen. Und über Sichelwagen, die vollkommen bewaffnet durch wunderbare Kunst vollständig ohne die Hilfe von Tieren angetrieben werden, und die alle Hindernisse durchbrechen und zerteilen können.“ 43

Die seit Augustinus᾿ Kritik 44 wirkmächtigen Ressentiments gegenüber der curiositas als „Unreflektiertheit des Gebrauchs der Vernunft, die als solche schon Verweigerung der Dankesschuld für die Kreatürlichkeit ist“ 45, traten dagegen für Bacon zurück, obwohl er sich ihrer bewusst war 46. Zumindest diskutiert er 41

42 43

44 45 46

Siehe zum franziskanischen Kontext des Predigens als praktischer Anwendung der Wissenschaften und Bacons Kritik an der Theologie: T. J. Johnson, Roger Bacon’s Critique of Franciscan preaching, in: F. J. Felten e. a. (eds.), Institution und Charisma. Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, Köln 2009, 541–548; id., Preaching precedes Theology: Roger Bacon and the Failure of Mendicant Education, in: Franciscan Studies 68 (2010), 83–95. Cf. D. Bigalli, I Tartari e l’Apocalisse. Ricerche sull’escatologia in Adamo Marsh e Ruggero Bacone, Florenz 1971; P. Jackson, The Mongols and the West 1212–1410, New York 22014. Bacon, Opus tertium, ed. Egel (nt. 15), 698: „Post hec adjunxi opera geometrie et arismetice et musice, que sunt similiter de maximis secretis nature et arcium magnalium; et ibi nichil secundum veritatem est magicum, nec secundum apparentiam, sed fiunt opera utilissima secundum veritatem philosophie et tante sapientie quod non est finis. […] ut scilicet est de speculis conburentibus in omni distantia quam volumus, ut omne contrarium reipublice comburatur, sive castrum sive exercitus sive civitas seu quodcunque. Et de instrumento volandi, et de instrumento navigandi, uno regente navem plenam multitudine armatorum cum incredibili velocitate. Et de curribus falcatis, qui armatis pleni arte mirabili currerent sine beneficio animalis, et omnia obstantia rumperent et secarent.“ Cf. Augustinus, Confessiones, V, 3, 3 und X, 35, 54, ed. M. Skutella, Stuttgart/Leipzig 1996, 78 sq. 250 sq. Blumenberg, Prozeß (nt. 1), 106. Cf. Bacon, Opus tertium, ed. Egel, (nt. 15), 639. 643. 655.

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sie in seinem Werk nicht. Ihn bestimmte die wissenschaftliche Forschung und ein in der Tat ‚neugieriges‘ Interesse an der Zukunft, eine szientistische Hoffnung, die er mit Seneca als antikem Bürgen über die Zeiten hinweg benennt: „Es wird eine Zeit kommen, in der der Tag und die Sorgfalt einer weiter entfernten Zeit das, was nun verborgen ist, ans Licht bringen werden.“ 47 III. Demgegenüber stand nun die Haltung des Ordensgenerals der Franziskaner, Bonaventura, der zur selben Zeit wie Roger Bacon in Paris lebte und der, wie Andreas Speer andeutet, „unter den Philosophen nicht unbedingt den besten Ruf“ 48 genießt. Konnte Bonaventura diese Rückführung der Theologie auf die philosophischen Wissenschaften, die Bacon betrieb, konnte er dessen „wissenschaftlichen Messianismus“, der die curiositas implizit zur wichtigsten Tugend erhob, gutheißen? Ich denke, nein. Beleg dafür sind eine Reihe von Vorträgen zu zentralen Fragen der Theologie, der Lehre von der Kirche, des Ordenslebens, der Spiritualenkontroverse und anderer Themen, die er im Jahr 1273 in Paris gehalten hat und die als ‚Collationes in Hexaemeron‘ bekannt sind. Bonaventura hat seine Reihe von Vorträgen auch gehalten, um den Brüdern die christliche Weisheit nahezubringen und sie vor der heidnischen Weisheit zu warnen: „Aber das Wort soll an die Männer der Kirche und der Spiritualität ergehen, auf dass sie mehr und mehr zur christlichen Weisheit hingezogen werden und nicht in Irrtum abgleiten durch das Begehren nach Lauch und Zwiebel und dem Knoblauch Ägyptens, will sagen nach einem menschlich-irdischen Wissen, das abwegig ist.“ 49 Einige Abschnitte weiter erklärt Bonaventura seine Ausführungen dieses Bildes, das ursprünglich von Augustinus stammt, durch den Vergleich einer Erkenntnis und einer Erfahrung der Dinge, die das von Gott gesetzte Maß überschreiten, mit jener Neugier, durch die Luzifer und Adam und Eva zu Fall kamen. Er sieht zum einen eine Wissenschaft der Betrachtung des Schöpfers, die über die Vermittlung der Geschöpfe geht und zum Schöpfer zurückkehrt. Das ist der Lebensbaum. Er sieht aber, zum anderen, auch eine Wissenschaft, die vom Schöpfer zu den Geschöpfen geht, dort verharrt – und zum Tode führt. Das ist der verbotene Baum. Diese Wissenschaft führt zum Tode, weil 47

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Bacon, Kompendium, ed. Egel (nt. 29), 70; Bacon, Compendium, 6, 98, ed. Maloney (nt. 29), 98: „‚Veniet tempus quando ista quae nunc latent in lucem dies extrahat et longioris aevi diligentia.‘“. – Cf. Seneca, Naturalium quaestionum libri, VII, 25, 4, ed. H. M. Hine, Stuttgart/Leipzig 1996, 311. A. Speer, Bonaventura. Die Gewissheit der Erkenntnis, in: T. Kobusch (ed.), Philosophen des Mittelalters, Darmstadt 2000, 167–185, hier 167. Bonaventura, Collationes in hexaëmeron et Bonaventuriana quaedem selecta, ed. F. M. Delorme (Bibliotheca Franciscana Scholastica Medii Aevi 8), Florenz 1934, 4: „Sed viris ecclesiasticis et spiritualibus est loquendum, ut magis ac magis versus sapientiam christianam trahantur, et ne labantur in errores desiderando porros et cepe et allia Aegypti, scilicet carnalem sapientiam quae deorsum est.“

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sie bei den Schönheiten der Schöpfung stehen bleibt und dabei die Betrachtung des Schöpfers außer Acht lässt 50 – also genau die Intention, die wir oben bei Roger Bacon und Friedrich II. gesehen haben: „Wenn wir vom Weg abschweifen zur Erkenntnis und Erfahrung von Dingen über das durch Gottes Willen Zugestandene hinaus, so verfallen wir dem Verlangen nach dem verbotenen Baum, wie es offenkundig bei Luzifer und Adam der Fall war. […] Und beachte, dass es eine Wissenschaft gibt, die Wissen verleiht durch unerschütterliche, niemals irrende, unbestechliche Wahrheit und durch die Betrachtung des Schöpfers in seinen Geschöpfen wieder zum Schöpfer zurückkehrt. Diese Wissenschaft heißt Baum des Lebens. […] Es gibt aber auch eine Wissenschaft, die durch die Betrachtung des Schöpfers zu den Geschöpfen geht und dort haltmacht. Das ist eine Wissenschaft, die zum Tod führen kann. Daher wird sie der verbotene Baum genannt.“ 51

Worauf Bonaventura hier abzielt, ist klar: eine Bestimmung des Verhältnisses der Theologie, dem Baum des Lebens, zu den philosophischen Wissenschaften, die – sofern sie nicht zum Schöpfer führen – dem Verdikt der curiositas verfallen und im Bild des verbotenen Baums zum Tod der Seele und des Geistes führen. Bonaventura ist deutlich: er sieht im eigenen Orden Brüder, die sich genau dieser Sünde der curiositas schuldig machten und die mit ihrer Konzentration auf die Philosophie von dem verbotenen Baum der philosophischen Wissenschaften ihre Früchte pflückten: „Aber wehe! Heutzutage schießen viele ehebrecherische Studien ins Kraut, wobei eine so große Anzahl derer, die der Kirche nützlich sein sollten, nachdem sie das erstrangige Studium der Heiligen Schrift, der Herrin aller Wissenschaften, im Stich gelassen haben, sich nun, entzündet an der Flamme verderblicher Neugier, jenen ägyptischen philosophischen Wissenschaften, jenen kleinen Dienerinnen der kanonischen Schrift, hingeben und, was noch verächtlicher ist, auf den Abweg zu dirnenhaften, ja schändlichen Wissenschaften geraten; und was sich als zutiefst verwerflich zeigt: mitunter tun dies jene, die nach der Berufung ihres Standes und Ordens zuallererst der Heiligen Schrift verpflichtet sind und ihr in ehelicher Treue verbunden sein sollten. Nun wird aus ihrer Verbindung der zottige Esau geboren, der mit seinen Stößen den Schoß

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Gilson beschreibt das folgendermaßen: „Denn eine Vernunft, die über ihre eigenen Grenzen nicht hinauskommt, bleibt stehen – der Irrtum liegt aber eben im Verweilen und Stehenbleiben der Vernunft bei sich selbst. […] So hat die Metaphysik alle Philosophen, auch die weisesten, in Irrtum gestürzt, weil Ihnen das Glaubenslicht fehlte. Die Philosophie ist nur die Wegbereiterin zu höheren Wissenschaften, wer bei ihr stehenbleibt, stürzt in die Finsternis: das ist die ewige Folge eines dauernd sich gleichbleibenden Irrtums.“ (É. Gilson, Die Philosophie des Heiligen Bonaventura, Darmstadt 1960, 120.) Bonaventura, Collationes in hexaëmeron, ed. Delorme (nt. 49), 7: „Si vero declinamus extra ad rerum notitiam et experientiam ultra quam nobis concedere voluit, cadimus in gustum ligni vetiti, sicut accidisse videtur Lucifero et Adae. […] Et nota quod est scientia faciens scire per veritatem inconcussam, infallibilem, incorruptibilem, quae est per contemplationen Creatoris in creaturis iterum rediens in Creatorem. Haec dicitur lignum vitae. […] Est scientia per contemplationem Creatoris ad creaturas et ibi sistens, quae est occasio mortis. Unde dicitur lignum vetitum.“

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seiner Mutter, der Kirche, erschüttert, er, der unstet Schweifende, der ohne Heimstatt ist.“ 52

Bonaventura thematisiert, dass es eine Hinneigung zu den philosophischen Wissenschaften nicht nur in der Artistenfakultät an der Universität, sondern auch innerhalb des Ordens gab, teilweise zum Schaden der Mitbrüder und des Theologiestudiums. „Dennoch nimmt Bonaventura „keinesfalls eine antiphilosophische Haltung ein, wie ihm bisweilen vorgeworfen wird. Die Überzeugung von der Notwendigkeit einer auf Vernunft beruhenden Auseinandersetzung […] bestimmt auch noch die letzte Predigtreihe zum Sechstagewerk, mit der Bonaventura an eine alte Kommentartradition anknüpft.“ 53

Indem er sich in den ‚Collationes‘ an seine Mitbrüder wandte, wollte der Generalminister dem Übel der curiositas Einhalt gebieten, wobei er die philosophische Erkenntniskritik „zudem in einen geschichtstheologisch-eschatologischen Entscheidungshorizont stellt“ 54. Die ‚Collationes‘ waren zugleich sein geistiges Vermächtnis, denn die Reihe von Vorträgen wurde durch seine Erhebung zum Kardinal unterbrochen, und im Jahr darauf starb er. IV. Ich habe dieses Spannungsfeld zwischen Bacon und Bonaventura gewählt, weil an ihm eine Ambivalenz deutlich wird, die wir in allen Epochen der Philosophiegeschichte sehen: wissenschaftliche Neugierde versus Traditionalismus 55. Beide Haltungen haben ihre Berechtigung. Fortschritt und Sorge hinsichtlich dessen Folgen – deswegen als mögliche Option das Bemühen um Eindämmung der Neugierde. Wie die Kontroverse zwischen Bonaventura und Bacon historisch ausging, ist bekannt: Bonaventura hatte sich kurzfristig durchgesetzt, Roger Bacon wurde – folgen wir der Eintragung einer franziskanischen Chronik aus dem 14. Jahrhundert – zu Kerkerhaft und erzwungenem Schweigen verurteilt: „Hier verwarf und verurteilte der Ordensgeneral Hieronymus [von Ascoli] auf Beschluß vieler Brüder die Lehre des englischen Bruders Roger Bacon, Magister der 52

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Ibid., 59: „Sed heu! Multa hodie succrescunt studia adulterina, dum plurimi, qui deberent utiles esse Ecclesiae, relicto principali studio sacrae Scripturae, quae est domina omnium scientiarum, succensi flamma pernitiosae curiositatis, scientiis illis aegyptiis philosophicis, ancillulis Scripturae canonicae, insistunt et, quod magis est despicabile, ad meretricales scientias, videlicet inhonestas, divertunt; et quod maxime reprobum videtur, quandoque hoc faciunt qui ex professione sui status et Ordinis principaliter sacrae Scripturae sunt et debent esse mariti: ex quorum coniugio nascitur Esau pilosus, stirps nefanda ventrem matris Ecclesiae concutiens, venaticus, in habitatione divisus.“ Cf. A. Speer, Einleitung, in: Bonaventura, Quaestiones disputatae de scientia Christi, lat.-dt., ed. A. Speer (Philosophische Bibliothek 446), Hamburg 1992, XLV. Ibid., XLVI. Cf. K. Flasch, Kampfplätze der Philosophie. Große Kontroversen von Augustin bis Voltaire, Frankfurt am Main 2008.

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heiligen Theologie, da sie einige verdächtige Neuerungen enthalte, aufgrund deren jener Roger zu Kerkerhaft verurteilt wurde, wobei für alle Brüder die Vorschrift gilt, dass niemand sich an diese Lehre halten dürfe, sondern sie vielmehr zu meiden habe, da sie vom Orden verworfen ist.“ 56

Auf lange Sicht verhält es sich jedoch anders: Die ‚theoretische Neugierde‘ hat ihr Potential weiter entfaltet, sei es als Wiederaufleben der scientia experimentalis, der „Kritik der Irrtümer“ und neuer politischer Modelle und Methoden bei Francis Bacon, sei es auf so verschlungenen Wegen wie der Wiedergeburt des Skeptizismus aus dem Geist des Fideismus bei Savonarola und Gianfrancesco Pico della Mirandola 57, was dann, durch die „List der Vernunft“ 58, direkt in die Aufklärung führt. Womit neue Problem- und Auseinandersetzungsfelder in der Exploration der Welt und des Menschen eröffnet werden, deren Ziele immer wieder neu zu gewichten sind. In jedem Falle zeigt sich hier ein Spannungsfeld, über das in jeder Zeit wieder neu reflektiert werden muss: Forschungseifer nicht als Lust an der verbotenen Frucht, sondern in reflektiertem Gebrauch der Vernunft (Hans Blumenberg) und in Verantwortung für die Schöpfung. Als Schluss sei daher eine Bemerkung Joseph Ratzingers zitiert: „So können wir den Streit, in dem Bonaventura stand, in mancher Hinsicht wieder besser verstehen. Heute wie damals ist dies kein rein akademischer Disput, sondern ein Ringen darum, wie Geschichte recht gestaltet werden kann und wie sie verdorben wird.“ 59

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Collegium S. Bonaventurae, Chronica XXIV Generalium Ordinis Minorum, in: Analecta franciscana, 4 voll., Florenz 1898, vol. 3, 360: „Hic Generalis frater Hieronymus de multorum fratrum consilio condemnavit et reprobavit doctrinam Fratris Rogerii Bachonis Anglici, sacrae theologiae magistri, continentem aliquas novitates suspectas, propter quas fuit idem Roderius carceri condemnatus, praecipiendo omnibus fratribus, ut nullus illam teneret, sed ipsam vitaret, ut per Ordinem reprobatam.“ Siehe hierzu: C. B. Schmitt, Gianfrancesco Pico della Mirandola (1469–1533) and his Critique of Aristotle, Den Haag 1967; R. H. Popkin, The History of Scepticism from Savonarola to Bayle, Oxford 2003, 20 sqq.; G. M. Cao, Scepticism and Othodoxy. Gianfrancesco Pico as a Reader of Sextus Empiricus, Pisa–Rom 2007; L. Pappalardo, Gianfrancesco Pico della Mirandola: fede, immaginazione e scetticismo, Turnhout 2014. Cf. G. W. F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, edd. E. Moldenhauer/ K. M. Michel (Theorie Werkausgabe 12), Frankfurt am Main 1970, 49. J. Ratzinger, Die Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura [Neuausgabe 1992], in: id., Gesammelte Schriften, vol. 2: Offenbarungsverständnis und Geschichtstheologie Bonaventuras, Freiburg im Breisgau e. a. 2009, 427.

„Nobis ad certam regulam loqui fas est“. Die Kritik Johannes Gersons (1363–1429) an der curiositas als Anstoß zu einer praktischen und mystischen Theologie Cornelius Roth (Fulda) Um mit einer positiven Aussage zur curiositas zu beginnen: In seiner Vorlesung ‚De duplici logica‘ schreibt Johannes Gerson (1363–1429), über dessen Leben und Werk wir an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen machen müssen 1, dass er bestimmte Dinge, in diesem Fall das Leben Johannes des Täufers in der Wüste, auch „mit frommer Neugierde (pia curiositate )“ erforscht habe 2. Man kann – das sei schon zu Beginn gesagt – dem Kanzler der Sorbonne und scholastisch geschulten Theologen auch sonst nicht vorwerfen, dass er das Streben nach Wissen und Erkenntnis grundsätzlich ablehnen oder dem philosophischen Forschen generell skeptisch gegenüberstehen würde. Dennoch ist die weitaus größte Zahl von Gersons Anmerkungen zur curiositas – nicht nur, aber vor allem im Bereich des Studiums – einem anderen Leitsatz verpflichtet, nämlich dem augustinischen Wort: „Nobis ad certam regulam loqui fas est“ 3, was Wolfgang Hübener schon vor knapp 50 Jahren als das „Fundamental1

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Beispielhaft sei nur auf das derzeit aktuelle Sammelwerk hingewiesen: B. P. McGuire (ed.), A Companion to Jean Gerson (Brill’s Companion to the Christian Tradition 3), Leiden–Boston 2011. Neben Beiträgen verschiedener Autoren, die sich unter andrem mit seiner biblischen und mystischen Theologie, seiner Rolle als Humanist, Konziliarist und Prediger und seinem Verhältnis zu Frauen beschäftigen, gibt McGuire, In Search of Jean Gerson: Chronology of His Life and Works, ibid., 1–39, auch einen aktuellen Überblick zu Gersons Leben und Werk. Die Werke Gersons werden nach der gängigen (unkritischen) Ausgabe von P. Glorieux zitiert: Jean Gerson, Oeuvres complètes. 10 voll., Paris 1960–1973. Zum obigen Zitat cf. Jean Gerson, De duplici logica, ed. Glorieux, vol. 3, 57: „Dum enim scrutari pia curiositate conatus sum quid ageret Joannes et solus et in desertum.“ Die Vorlesung ‚De duplici logica‘ gehört in eine Reihe von biblischen Vorlesungen zum Markusevangelium, ebenso wie die unten behandelte Doppelvorlesung ‚Contra curiositatem studentium‘. Dabei ist zu beachten, dass Gerson das Markusevangelium nicht konsequent chronologisch Vers für Vers besprochen hat, sondern einzelne Verse gerne zum Anlass nahm, allgemeine Themen zu behandeln, so dass sie den Charakter eines Traktates bekamen. Cf. C. Burger, Aedificatio, Fructus, Utilitas. Johannes Gerson als Professor der Theologie und Kanzler der Universität Paris, Tübingen 1986, 35–40. Augustinus, De civitate Dei, 10,23 (= Corpus Christianorum Series Latina 47), 297. Gerson bezieht sich ausdrücklich auf diese Augustinus-Stelle in seinem Brief an Pierre d’Ailly vom 1. April 1400 (cf. ed. Glorieux [nt. 2], vol. 2, 26) und sie wurde auch in der Verurteilung der Thesen des Dominikaners Jean de Montson durch die Pariser Fakultät zitiert. Cf. Burger, Aedificatio (nt. 2), 47. 119.

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prinzip seines Verständnisses des theologischen Lehramts“ 4 bezeichnet hat. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen zur curiositas in eine lange Tradition einzureihen, die in ihr eine eitle und schädliche Wissbegier sehen 5. Für Gerson sind hier neben Augustinus und Gregor vor allem Bernhard von Clairvaux 6, Thomas von Aquin und Bonaventura zu nennen. Hinsichtlich der Lehre Bonaventuras zur curiositas ist freilich zu bedenken, dass er sie zwar als „spezifische Form des inordinatus amor“ und „geistige Habgier“ 7 kritisiert, sie aber nicht nur negativ sieht, weil er sie in Beziehung zur studiositas setzt. In manchen Fällen erschienen daher manche Theologen als curiosi, obwohl sie studiosi seien und selbst Heilige könnten zu ihrer Zeit als curiosi angesehen worden sein 8. Gerson, der in einer völlig anderen historischen Situation als Bonaventura lebt, sieht die curiositas hingegen fast ausschließlich negativ, obwohl er die Unterscheidung von curiositas und studiositas der Sache nach auch kennt 9. Diese würde besonders die Studierenden dazu verleiten, ihre Gedanken von nützlichen Dingen ab- und sie weniger nützlichen, unerreichbaren oder schädlichen Dingen zuzuwenden 10. In seiner einflussreichen Doppelvorlesung ‚Contra curiositatem studentium‘ setzt sich Gerson als Kanzler der Pariser Universität ausführlich mit der problematischen Wirkung der curiositas auseinander 11; es gibt aber auch andere Stellen, an denen er vor der curiositas warnt 12. 4

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W. Hübener, Der theologisch-philosophische Konservativismus des Jean Gerson, in: A. Zimmermann (ed.), Antiqui und Moderni. Traditionsbewußtsein und Fortschrittsbewußtsein im späten Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 9), Berlin–New York 1974, 171–200, 172. Cf. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Neue Folge 39), Paderborn 1995 (zu Gerson ibid., 35). Hier dürfte Bernhards Schrift ‚De gradibus humilitatis et superbiae‘, in der die curiositas als erste Stufe des Hochmuts genannt wird, eine besondere Rolle gespielt haben. Cf. H. Smolinsky, Johannes Gerson (1363–1429), Kanzler der Universität Paris, und seine Vorschläge zur Reform der theologischen Studien, in: id., Im Zeichen von Kirchenreform und Reformation. Gesammelte Studien zur Kirchengeschichte in Spätmittelalter und früher Neuzeit, Münster 2005, 337– 362, besonders 354–357. Cf. M. Schlosser, Cognitio et amor. Zum kognitiven und voluntativen Grund der Gotteserfahrung nach Bonaventura, Paderborn e. a. 1990, 94. Cf. S. Grosse, Johannes Gerson und Bonaventura. Kontinuität und Diskontinuität zwischen Hoch- und Spätmittelalter, in: J. A. Aertsen / M. Pickavé (eds.), „Herbst des Mittelalters“? Fragen zur Bewertung des 14. und 15. Jahrhunderts (Miscellanea Mediaevalia 31), Berlin–New York 2004, 340–348, 344 sq. Cf. auch den Beitrag von Andrea Di Maio in diesem Band. Darauf macht Grosse (ibid., 345 sq.) zu Recht aufmerksam. Cf. die Definition Gersons in Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 230: „Curiositas est vitium, quo dimissis utilioribus homo convertit studium suum ad minus utilia vel inattingibilia sibi vel noxia.“ Cf. Burger, Aedificatio (nt. 2), 110–125; Smolinsky, Johannes Gerson (nt.6), 344–350; L. B. Pascoe, Principles of church reform, Leiden 1973, 99–104; Grosse, Johannes Gerson und Bonaventura (nt. 8), 340–343. Cf. e. g. Jean Gerson, De mystica theologia practice conscripta, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 8, 27; id., Metrum contra curiositatem scribendi plures libros, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 4, 160; id., Enumeratio peccatorum ab Alberto posita, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 159. In seiner Predigt ‚A Deo exivit‘ vom Gründonnerstag 1402 betont Gerson, dass drei Dinge der Demut entgegenste-

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Im Folgenden wird zunächst genauer auf das Wesen der curiositas bei Gerson anhand der Vorlesung ‚Contra curiositatem studentium‘ eingegangen. In einem zweiten Schritt soll dann die Frage gestellt werden, ob seine Grundkritik an der Philosophie und an unnützen Spekulationen über das Wesen Gottes nicht auch positiv aufgegriffen und weitergeführt werden kann im Blick auf eine praktisch ausgerichtete und mystisch orientierte Theologie. I. Das Gr undproblem der curiositas In seinen Vorlesungen gegen die curiositas, die der Kanzler von Paris am 8. und 9. November 1402 gehalten hat, ist der Ausgangspunkt die Bibelstelle Mk 1, 15: „Tut Buße und glaubt an das Evangelium.“ Gerson nimmt diese biblische Stelle zum Anlass, aus der eigentlichen biblischen Vorlesung einen Grundsatztraktat gegen die schädliche Neugier der Studenten zu machen. Buße (poenitentia ) und christliche Gläubigkeit (credulitas ), die im Lauf der Doppelvorlesung immer wieder erwähnt werden, sind für ihn die entscheidenden Korrektive beim Studium der Theologie. Damit macht er von vornherein deutlich, dass seine Kritik an der curiositas biblisch bzw. geistlich motiviert ist. Denn mit der Buße verbindet Gerson die Demut (humilitas ), die wiederum das Gegenteil des Hochmuts (superbia ) ist. Die curiositas und die singularitas – ihre Schwester – sind gleichsam zwei Töchter des Hochmuts 13. Wer Theologie lehrt und lernt, soll mit Demut an die Sache herangehen – das ist Gersons Grundanliegen. Und dieser Rat gilt für Studierende ebenso wie für Lehrende. Was aber beinhaltet die curiositas/singularitas/curiosa singularitas genau? Gerson nennt insgesamt sieben Kennzeichen, wobei sich manche sehr ähneln 14: 1. Ein erstes Kennzeichen ist die Geringschätzung und Verschmähung beschlossener und breit diskutierter Lehren und die Hinwendung zu unbekannten, ungeprüften Lehrmeinungen 15. Gerson geht es dabei um eine unreflektierte

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hen: curiositas, singularitas, impatientia. Cf. Jean Gerson, A Deo exivit, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 5, 23. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 239: „Superbiae vero duas esse filias scholasticis adversas pridie docuimus: curiositatem scilicet et singularitatem.“ Die singularitas definiert Gerson in ‘Contra curiositatem studentium‘ folgendermaßen: „Singularitas est vitium quo dimissis utilioribus homo convertit studium suum ad doctrinas peregrinas et insolitas“ (ed. Glorieux [nt. 2], vol. 3, 230). Damit betrifft sie das gleiche Feld wie die curiositas und wird fast synonym bzw. in Relation zu und in Kombination mit ihr (curiosa singularitas etc.) gebraucht. Cf. Pascoe, Principles (nt. 11), 99. Ich orientiere mich im Folgenden an Pascoe, Principles (nt. 11), 100 sqq.; Burger, Aedificatio (nt. 2), 117 sq. geht nur von vier Kennzeichen aus, weil allein in den considerationes 2, 3, 5 und 8 explizit vom „signum curiositatis“ oder „signum curiosae singularitatis“ die Rede ist. Aber auch die anderen considerationes beschreiben auf ihre Weise Dinge, die mit der curiositas verbunden sind und können daher als Kennzeichen gewertet werden. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 238: „Signum curiosae singularitatis est fastidire doctrinas resolutas et plene discussas, et ad ignotas vel non examinatas velle converti.“

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Begeisterung für alles Neue, die er an seiner Fakultät wohl zu beobachten glaubte, nicht um eine generelle Absage an jeglichen theologischen Fortschritt. Dabei ist für ihn aber immer die Tradition wertzuschätzen, und zwar in dem Sinn, dass man deren Ergebnisse zunächst einmal bedenkt und geistlich betrachtet, bevor man sich dem Neuen zuwendet. Die curiositas möchte nämlich am liebsten nur nach den noch zu erforschenden Dingen fragen, anstatt die gefundenen Erkenntnisse mit strebsamer Verehrung zunächst einmal zu bedenken 16. 2. Eine ungebührliche Annäherung bzw. Anhängerschaft an bestimmte Lehrer und Lehren ist ein weiteres Kennzeichen der curiosa singularitas 17. Gerson verbindet damit eine unkritische Begeisterung für einen einzigen Theologen bzw. dessen Lehrmeinung ohne Berücksichtigung anderer Lehrer und Lehren. Letztendlich gleiche ein Lehrer dem anderen wie die Sterne einander gleichen. Auch hier aber gilt es zu differenzieren: Es geht nicht darum, dass man überhaupt keiner theologischen Schule folgen darf, sondern dass man nicht blind werden sollte gegenüber Fehlern, Irrtümern und Einseitigkeiten dieser Schule bzw. dieses Lehrers. Die singularitas als exklusivistische Haltung ist daher wie ein Fenster, durch das Irrtümer im Glauben, Schismata und allerlei Streitigkeiten in die christliche Religion gelangen 18. Gerson könnte dabei Jean de Montson im Sinn gehabt haben, dessen Verurteilung für ihn „geradezu ein Schlüsselerlebnis“ 19 war. Vor allem aber denkt er an die Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Ordensschulen bzw. den Vertretern der via antiqua (Realisten: Thomas von Aquin, Duns Scotus) und der via moderna (Nominalisten: Wilhelm von Ockham), in denen er ja selbst involviert war. 3. Typisch für die curiositas ist für Gerson weiterhin die falsche Beschäftigung mit Zugängen, die nicht der theologischen Wissenschaft entsprechen. Das „Gift“ der curiositas sei von den Vätern dadurch dem Studium entzogen worden, als man darauf geachtet habe, dass in der Fakultät der artes nicht rein theologische und in der theologischen Fakultät nicht rein logische und philosophische Themen behandelt werden. Daher solle man beim Studium sorgfältig darauf achten, für wen welche Inhalte für das jeweilige Alter, Ort, Zeit und Beruf angemessen sin 20. Nach dem klassischen ancilla-Modell sollen die Fächer der philosophischen Fakultät – Gerson nennt in diesem Zusammenhang die Logik, Rhetorik, Poetik, Physik und die Mathematik – die Theologie wie eine Magd begleiten und schmücken. Der Kanzler von Paris möchte diese Hilfswissenschaften keinesfalls missen; sie sind wichtig als Vorbereitung auf die Theologie, 16 17 18 19 20

Ibid.: „Mavult enim curiositas quaerere invenienda quam inventa cum veneratione studiosa intelligere.“ Cf. ibid., 239: „Signum curiosae singularitatis est indebita doctorum et doctrinarum appropriatio.“ Ibid.: „Quae singularitas, doctorum et doctrinarum, quantam fenestram aperiat ad errores in fide, ad schismata et contentiones in christiana religione.“ Burger, Aedificatio (nt. 2), 120. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 239: „Patres nostri curiositatis venenum tollere volentes, sancte statuerunt ut neque apud artistas materiae pure theologicae, neque apud theologos materiae pure logicales, aut philosophicae tractarentur. Admonet nos haec consideratio solerter attendere quid cuique aetati et loco et tempori et professioni sit congruum.“

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aber sie haben eben ihre Orte und Zeiten. Wer sich zu sehr oder immer wieder mit diesen Fächern beschäftige, möge lieber nochmal an die Artistenfakultät gehen, bis er zur theologischen Spekulation fähig ist. Im Bereich der Theologie sind sie hingegen vorsichtig zu genießen bzw. sollte man nicht allzu sehr in sie eindringen. Was aber gehört dann zur Theologie im strengen Sinn? Gerson nennt als Materie der Theologie mit seinem Gewährsmann Augustinus alles, was den Glauben aufbaut, die Hoffnung aufrichtet und die Liebe entflammt 21. 4. Ein Kennzeichen der curiositas und der singularitas – und gleichzeitig ein Hindernis für Buße und Glauben – besteht in der Respektlosigkeit gegenüber Lehrern der Theologie, die sich darin äußert, dass man mehr Freude daran hat, bestimmte Lehrer anzugreifen und die eigene Meinung hartnäckig zu verteidigen, als dazu beizutragen, dass verschiedene Meinungen miteinander in Einklang gebracht werden können 22. Mit Wilhelm von Paris (ca. 1180–1249) hält es Gerson für unerträglich, beständig angesehenste Sucher der Wahrheit zu beurteilen und des Irrtums zu bezichtigen. Hier kommt sehr deutlich der Hochmut ins Spiel, der im Zusammenhang mit der curiositas immer wieder erwähnt wird. In der theologischen Wissenschaft sind die Positionen anderer Lehrer – vor allem wenn sie sich durch Frömmigkeit und Kirchlichkeit einen Namen gemacht haben – liebevoll zu erforschen, bevor man ein Urteil abgibt. Und ganz allgemein sei es allemal besser, zum Frieden als zum ständigen Streit beizutragen 23. Es wundert nicht, wenn Gerson in diesem Zusammenhang seinen Lieblingstheologen Bonaventura als Beispiel anführt. Er habe häufig aus einer Ansammlung vieler Positionen eine hervorgeholt, diese im intensiven Studium geklärt und durch Reinigung mit der Lehrmeinung wieder vereint 24. Diese etwas nebulöse Formulierung meint wohl die Fähigkeit, auch fremde theologische Meinungen wohlwollend zu betrachten, was nach einer intensiven Auseinandersetzung dann dazu führen kann, deren Kompatibilität mit der authentischen Lehre zu erkennen. Bei Bonaventura kommt für Gerson aber darüber hinaus zur Geltung, dass er in seiner Theologie grundsätzlich Bildung und Frömmigkeit miteinander verbindet, was auch das eigentliche Ziel des Kanzlers von Paris (nicht nur in dieser Vorlesung) ist 25. Dabei habe sich Bonaventura, wie Gerson später einmal schreibt, „soweit er konnte, von der curiositas ferngehalten, indem er keine frem21 22

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Ibid., 240: „Ita materia illa proprie dicenda est theologica quae fidem aedificat, spem erigit, caritatem inflammat.“ Ibid.: „Signum curiositatis et singularitatis poenitentiam atque credulitatem impedientis apud scholasticos est gaudere potius in impugnatione doctorum aut in defensione unius pertinaci quam ad eorum dicta concordanda operam dare.“ Dass Gerson – obwohl er ja die via antiqua durchaus kritisierte – doch am Ende auf einen Einklang der theologischen Lehren Wert legt, ist typisch für sein Streben nach einem Mittelweg. Ibid., 240 sq.: „Nonne satius est ad pacem quam rixam perpetuam inducere?“ Ibid., 241: „Devotus et elevatus doctor Bonaventura, dum saepius ex multarum positionarum collatione unam elicit, eas quoque in quodam studii conflatorio eliquans et purgans unit.“ Cf. Grosse, Johannes Gerson und Bonaventura (nt. 8), 346: „Es fällt auf, daß Gerson immer wieder, wo er Bonaventura rühmt, beiderlei an ihm hervorhebt: die Größe der Bildung des Verstandes und die Tiefe seiner Frömmigkeit.“

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den Positionen oder obskure weltliche Lehren dialektischer und philosophischer Art mit theologischen Begriffen vermischte, wie es so viele tun, sondern sich um die Erleuchtung des Verstandes bemühte und alles auf die Frömmigkeit des Affekts bezog“ 26. Neben Bonaventura wird hier auch Heinrich Totting von Oyta (ca. 1330– 1397), einer der Mitbegründer der Wiener Fakultät, genannt, der für Gerson zu den gelehrtesten Logikern, Metaphysikern und Theologen zählt, nicht zuletzt, weil er in theologischen Fragen versuchte, eine Harmonie herzustellen und Extreme zu reduzieren 27. In Auseinandersetzung mit der skotistischen Position zur Dreifaltigkeit und deren Versuch, diese intellektuell zu durchdringen, wo doch nur der Glaube am Platz sein kann, macht Gerson in zweiten Teil dieser consideratio deutlich, dass es theologisches Wissen gibt, das zum Aufbau dient, während anderes Wissen nur eitel, hochmütig und neugierig aufbläht 28. In diesem Zusammenhang sollte man auch die Grenzen der Metaphysik erkennen (was wiederum nicht bedeutet, dass diese ebenso wie die Logik nicht ihre Berechtigung in der Theologie hätten) 29. Philosophische Gotteslehre kann sicher eine Hilfe sein, nachzuweisen, dass Gott Einer und als solcher das Prinzip aller Schöpfung ist, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann (im Sinn des ontologischen Gottesbeweises Anselms). Sie kann aber nicht erklären, wie Gott in sich selbst ist. Da bedarf es für die Theologie einer gewissen Demut. 5. Im Zusammenhang mit der Trinitätstheologie ist auch der nächste Punkt zu sehen, bei dem es Gerson um die Schaffung einer neuen Terminologie in spekulativen theologischen Fragen geht, besonders wenn sie das Geheimnis der Göttlichkeit betrifft. Er bezeichnet dies als eine schädliche curiositas 30. In diesem Zusammenhang beruft er sich auch auf das oben bereits erwähnte Augustinuszitat „Nobis autem ad certam regulam loqui fas est“ 31. Es ist unsere Pflicht, uns an 26

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Cf. Jean Gerson, De examinatione doctrinarum, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 475: „recedit a curiositate quantum potest non immiscens positiones extraneas vel doctrinas saeculares dialecticas et philosophicas terminis theologicis obumbratas more multorum sed dum studet illuminationi intellectus, totum refert ad pietatem et religiositatem affectus.“ Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 241 sq.: „Venerabilis et venerandus doctor magister Henricus de Hoyta qui pro suo merito veteribus aequari et inter eruditissimos logicos, metaphysicos et theologos numerari potest, dum hanc materiam tractaret, ad concordiam conatus est extrema reducere.“ Burger, Aedificatio (nt. 2), 119, bemerkt dazu im Hinblick auf 1 Kor 8, 1, wo von der aufgeblasenen Erkenntnis und der aufbauenden Liebe die Rede ist: „Die Alternative heißt für ihn (sc. Gerson, CR) nicht scientia oder caritas, sondern falsche oder rechte scientia.“ Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 241: „Nihilominus fateor nequaqum omnia ad logicam solam debere referri; habet metaphysica suas considerationes.“ Ibid., 244: „Gaudere novis adinventionibus terminorum in materiis speculativis theologiae, praesertim divinitatis arcanum tangentibus, curiositas est perniciosa et tollenda, tanquam etiam poenitentiae et credulitati contraria.“ Cf. oben nt. 3. Die ganze Stelle im 10. Buch von De Civitate Dei, bei der es um die Lehre der Platoniker über die Urgründe der Seelenreinigung geht, lautet (eigene Übersetzung): „Philosophen reden nämlich mit freien Worten und fürchten bei schwer verständlichen Dingen nicht, fromme Ohren zu verletzen. Für uns aber besteht die Pflicht, uns beim Reden an eine feste Regel zu binden, damit nicht die Willkür der Worte von den betreffenden Dingen ein unfrommes Verständnis erzeuge.“

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die etablierte, tradierte Begrifflichkeit zu halten (so würde Gerson in diesem Zusammenhang wohl die „certa regula“ übersetzen), und wenn man tatsächlich mal neue, ungewohnte Begriffe benutzt, sollten diese gut erklärt werden. Am besten aber sei es, die von den bekannten Lehrern 32 benutzten Begriffe ebenfalls zu verwenden, besonders in den Fragen der Trinitätstheologie, die in sich so komplex ist, dass man hierbei keine neuen Begriffe einführen sollte. Am Ende dieses Arguments wird deutlich, wen der Kanzler von Paris (neben Duns Scotus) dabei besonders im Blick hat: Raimundus Lullus (1232–1316). Dessen Lehre war von der Pariser Fakultät vor allem deswegen verurteilt worden, weil sie Begriffe verwendet, die von keinem anderen Lehrer benutzt werden 33. An anderer Stelle präzisiert Gerson seine Position zu Raimundus Lullus noch: Obwohl vieles in seiner Lehre hochwertig, wahr und bereichernd gewesen sei, hatte er eine Art zu lehren, die mit bestimmten ungewöhnlichen Namen, Charakteren und Figuren arbeitet und daher tendenziell gefährlich ist 34. 6. In diesem Zusammenhang kritisiert der Kanzler von Paris auch die Tendenz vieler Theologen seiner Zeit, Prinzipien von antiken und heidnischen Philosophen allzu leicht zu übernehmen. Dies sei eine gefährliche curiositas in der theologischen Erziehung und im Hinblick auf die Buße und den Glauben unbedingt zu vermeiden. Auch Origenes, der zu sehr aus dem goldenen Kelch Babylons getrunken habe, zählt für ihn dazu. Aber auch islamische Gelehrte wie Avicenna und Algazel 35 wären hier zu nennen, die eine neuplatonische Einheitsmetaphysik vertreten, die für Gerson irrig ist 36. Insbesondere die von Platon und anderen Philosophen entwickelte Idee der ewigen Wesenheiten (quidditates ) der Dinge, die unabhängig von Gott existieren, widersprechen der katholischen Lehre, wie dies schon Wilhelm von Paris (von Auvergne) und Bonaventura für die Pariser Fakultät zum Ausdruck gebracht hätten. Gerson ‚outet‘ sich hier – so sehr er selbst doctor scholasticus ist – einmal mehr als Vertreter einer monastisch-sapientialen Theologie, die auf der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern aufbaut und für ihn am besten von Bonaventura vertreten wird 37. Im Lauf seiner Kritik an der curiositas kommt er immer wieder 32 33

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Neben Augustinus nennt Gerson hier Hieronymus, Basilius, Johannes Damascenus, Richard von St. Viktor, Hilarius von Poitiers und immer wieder auch Dionysius Areopagita. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 245: „Ex hac consideratione maxime moti sunt magistri nostri et ego ne doctrina illa Raymundi Lulli publicetur; habet enim terminos a nullo doctore usitatos.“ Cf. Jean Gerson, De examinatione doctrinarum, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 465. Cf. Z. Flanagin, Making sense of it all: Gerson’s Biblical Theology, in: McGuire (ed.), A companion (nt. 1), 133– 177, 166. Gemeint ist wohl der persische Mystiker und Theologe al-Ghazālī (1055–1111). Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 245 sq.: „Fundamenta nimio studio accipere a philosophantibus paganis, curiositas est in theologica eruditio periculosa, et tanquam ademptrix poenitentiae et credulitatis evitanda. Tradunt hi qui conversationem et doctrinam Origenis conscripserunt, quod nimis biberat de aureo calice Babylonis … Hic potest inferri quod Haymon posuit, Avicenna et Algazel, et multi similium quia pro principio habuerunt ex uno inquantum unum non provenire nisi unum.“ Besonders das ‚Itinerarium mentis in Deum‘ ist für Gerson ein „wunderschönes einleuchtendes Kompendium (pulcherrimum et evidentissimum compendium )“ und ein „Büchlein, das über jedes Lob

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auf die Bibel und die eingangs zitierte Stelle aus Mk 1,15 zurück und betont die Notwendigkeit von Buße und Glaube. Letztendlich sei jetzt nicht die Zeit zu diskutieren, sondern zu beten, und sein Ende Gott anzuempfehlen. Und mit Hinweis auf 1 Tim 1,4 38 macht er deutlich, dass viele Diskussionen sich wiederholen, nur Streit mit sich bringen und am Ende unnütz sind. Das Ende aller Lehre (auch der theologischen) ist für ihn die Liebe aus reinem Herzen und ein gutes Gewissen 39. 7. Schließlich nennt Gerson noch ein letztes Kennzeichen der curiositas: die Verachtung klarer und solider Lehren, nur weil sie leicht erscheinen, und die Hinwendung zu dunklen, unklaren Meinungen. Er sieht darin sogar einen Bezug zur „Urverführung (originalis corruptela )“ 40. Gegen alles Obskure und Dunkle, das mit der Neugierde verbunden ist, setzt er die Klarheit (claritas ) in Lehre und Gebet. Damit verbunden sind Nüchternheit, Mäßigung, Aufbau und Nutzen. Allerdings macht er auch einen Unterschied: Wenn man sich als Theologe hauptsächlich mit unklaren Dingen aus Grammatik, Geschichte, Poetik, Rhetorik oder der Mathematik beschäftige anstatt mit der Theologie, handle man falsch und mache aus einer Zugabe die Hauptsache; wenn man sich aber als Theologe quasi im Vorbeigehen (in transitu ) oder zu seiner oder eines anderen Erholung (recreatione ) an diesen Dingen erfreue und sie benutze, ist dies zu loben, denn das belebt den Geist, der nur vom theologischen Studium gefesselt ist und kann manchmal sogar zu gelehrter Bildung und Zurüstung (im Kampf gegen andere Meinungen) beitragen 41. Das entspricht genau der Art und Weise, wie Gerson selbst sich der freien Künste (artes ) und der antiken Autoren bediente, seien es Plato, Aristoteles, Seneca oder Horaz. Sie dienten ihm zur Bildung und zur Ausschmückung bzw. Untermauerung eigener Gedanken 42. Von ihren philosophischen Lehren selbst ließ er sich nicht beeinflussen und blieb seiner biblischsapientialen Theologie treu 43.

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erhaben ist (libellus, omni laude superior )“. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 231. Timotheus wird hier ermahnt, „in Ephesus zu bleiben, damit du bestimmten Leuten verbietest, falsche Lehren zu verbreiten und sich mit Fabeleien und endlosen Geschlechterreihen abzugeben, die nur Streitfragen mit sich bringen, statt dem Heilsplan Gottes zu dienen, der sich im Glauben verwirklicht“ (1 Tim 1,3 sq.). Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 247: „Finis autem pracepti est caritas de corde puro et conscientia bona.“ Cf. ibid., 247 sq.: „Contemnere claras et solidas doctrinas, quia leves videntur, et ad obscuriores se transferre, signum est curiositatis et originalis corruptelae.“ Cf. den Schluss des Arguments ibid., 248: „Si autem aliquis theologizans talibus vel delectetur vel utatur solum in transitu, et pro sua vel aliorum quadam interim recreatione, haec laudanda est, quae et recreat animum fessum in theologico studio, et nonnihil affert eruditionis et ornatus.“ Auf Horaz bezieht sich Gerson e. g. im Zusammenhang mit der ruminatio, dem wiederkäuenden, wiederholenden Lesen der Mönche. Denn auch der römische Dichter habe gesagt, dass ein Gedicht erst dann wirklich Gefallen finden kann, wenn man es zehnmal wiederholt hat. Die Stelle findet sich in: Jean Gerson, De libris legendis, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 613. Cf. Grosse, Johannes Gerson und Bonaventura (nt. 8), 345 sq. Zur Frage des ‚Humanismus‘ Gersons, den besonders Gilbert Ouy vertreten hat, cf. als Summarium seines Schaffens G. Ouy, Discovering Gerson the humanist: Fift years of serendipity, in:

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Fassen wir das Gesagte zusammen, so kann man festhalten, dass die curiositas und singularitas dazu führen, die Grenzen theologischer Erkenntnis zu überschreiten und dadurch Spaltungen hervorzurufen, die bis zur Zerstörung der Kirche führen können. Als Symbol für diese Haltung nennt Gerson den Turmbau zu Babel, der zu einer Verwirrung der Sprache(n) geführt hat. Weil dies so ist, bedarf es klarer Regelungen im Studium der Theologie, und der Theologe braucht als Wissenschaftler Tugenden wie Demut, Maß und Bescheidenheit sowie die Bereitschaft zu Umkehr und Buße. Er sollte sich mehr von der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern als von den Philosophen beeinflussen lassen. Die Orientierung an den Aussagen der Heiligen Schrift bedeutet für den Kanzler von Paris Sicherheit und Zuverlässigkeit. Es soll das theologische Bemühen nicht einschränken, sondern in richtige Bahnen lenken. Er will damit ausdrücklich nicht der Trägheit im Studium das Wort reden 44. Am Ende seiner Vorlesung gegen die curiositas der Studierenden gibt Gerson einige praktische Reformvorschläge, die sich aus seiner Sicht des Theologiestudiums ergeben 45: – Es sollte – zumindest für Frankreich, aber vielleicht sogar für die Gesamtkirche – nur ein einziges Generalstudium für die ganze Theologie geben, und dieses möglichst in Paris. Daraus könnten dann die anderen Standorte ihre „Bächlein“ ableiten 46. – Da die Heilige Schrift als Grundlage von so immenser Bedeutung ist, sollte es möglichst keine volkssprachlichen Bibelübersetzungen geben. – Auch die Volksprediger sollten sorgfältiger ausgesucht, ausgebildet und ihre Zahl begrenzt werden. Ebenso ist auf ihre moralische Integrität zu achten. – Im Zaum zu halten sind die Theologen, die nur spekulativ arbeiten, besonders dann, wenn sie unbekannte und fremde Begriffe einführen und so mehr zur Verwirrung als zum fruchtbaren Aufbau der Kirche beitragen. – Anfangs- und Zielpunkt der Theologie sind Buße und rechter Glaube. Sie sind sozusagen die beiden Zügel, die das theologische Forschen in richtige Bahnen lenken.

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McGuire (ed.), A companion (nt. 1), 79–132. So sehr die Beobachtungen des Altmeisters der Gerson-Forschung zutreffen, dass Gerson ein neues Interesse an der Antike, der Person, der Volkssprache, der Situation von Frauen und an der Religion hatte (ibid., 126–132), so sehr würde ich doch McGuire zustimmen, dass Gerson ein mittelalterlich denkender und kein moderner Mensch und Theologe war. Die Beschäftigung mit den genannten Themen bleibt an der Oberfläche und durchdringt letztlich nicht sein Denken. Dennoch können von seinem theologischen Denken auch Linien zu (spät)-modernen theologischen Konzeptionen gezogen werden. Cf. Jean Gerson, Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 233: „Nolo tamen ut haec nostra curiositatis inculpatio nutriat secordem ignaviam eorum qui de divinis ea quae possunt debentque intelligere vel negligunt vel non negligentibus detrahunt.“ Cf. Burger, Aedificatio (nt. 2), 123. Zur Bedeutung der Pariser Fakultät, die Gerson gerne und häufig hervorhebt, cf. Burger, Aedificatio (nt. 2), 114.

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Mit dem Hinweis auf die Buße ist Gerson wieder an der Bibelstelle angekommen, mit der die Vorlesung ‚Contra curiositatem studentium‘ begonnen hat und diese wie ein cantus firmus durchzieht: „Kehrt um und glaubt an das Evangelium“ (Mk 1,15). Die Betonung des Evangeliums und die Überzeugung, dass die Buße und damit ein Affekt des Willens letztlich zu einer klareren Erkenntnis Gottes führen als das menschliche Suchen mit dem Verstand, bringt ihn zur mystischen Theologie. Sie ist für ihn so etwas wie ein Gegenprogramm zur curiositas 47. II. Positive Folg er ung en aus Gersons curiositas-Kritik Die Kritik Gersons an der curiositas und singularitas hat eine positive Kehrseite. Es wurde ja schon deutlich, dass er mit ihr keineswegs das wissenschaftliche Arbeiten als solches oder die Philosophie in Frage stellt, sondern nur ihre Auswüchse aufzeigen möchte. Er warnt vor einer Theologie, die sich allzu sehr mit spekulativen Fragen und Randproblemen auseinandersetzt und das Wichtigste, den Glauben, nicht mehr im Blick hat. Positiv gewendet bedeutet das, dass die Theologie zu „Aufbau, Frucht und Nutzen“ (Aedificatio, Fructus, Utilitas ) der Kirche und des einzelnen Gläubigen beitragen muss – wie es Christoph Burger 1986 in seiner Monografie zu Gersons Wirken im Bereich der Studienreform treffend zusammengefasst hat. Im zweiten Teil soll nun zunächst anhand der Werke Gersons selbst kurz aufgezeigt werden, was seine Theologie positiv ausmacht und dann daraus in aller Kürze einige Folgerungen für die heutige Theologie gezogen werden. 1. Gersons mystische Pastoraltheologie als Verbindung von Theologie und Spiritualität Johannes Gerson treibt Theologie aus einem dezidiert pastoralen und geistlichen Interesse. Auch wenn er systematische Fragestellungen nicht außer Acht lässt und immer wieder zu aktuellen theologischen und kirchenpolitischen Fragen Stellung bezogen hat (von den tagespolitischen Fragen in Paris angefangen bis hin zu seinen Reden auf dem Konzil von Konstanz), liegt doch sein Schwerpunkt auf dem Gebiet der Katechese, Pädagogik und der praktischen Spiritualität 48. Gerson hat kein systematisches Oeuvre wie andere große Theologen des 47

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Cf. Grosse, Johannes Gerson und Bonaventura (nt. 8), 343: „Die curiositas täuscht also den Menschen darüber hinweg, daß er nicht durch den Verstand, sondern durch den Willen das Ziel seines Daseins, die Vereinigung mit Gott, erreicht. Dies ist der letzte Grund von Gersons Kritik der curiositas.“ Zum Feld der praktischen Spiritualität sind unter anderem die zahlreichen Traktate zur Unterscheidung der Geister zu zählen. Cf. C. Roth, Discretio spirituum. Kriterien geistlicher Unterscheidung bei Johannes Gerson, Würzburg 2001. Die Einschätzung und Auseinandersetzung mit der weiblichen Spiritualität behandelt W. L. Anderson, Gerson’s Stance on Women, in: McGuire (ed.), A Companion (nt. 1), 293–315.

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Mittelalters entwickelt, sondern in unzähligen Vorlesungen, Predigten 49, Briefen, Gedichten, Reden und Traktaten praktische und geistliche Ratschläge für die verschiedensten Gruppen und Stände gegeben. Exemplarisch seien als Adressaten genannt: – Seine leiblichen Schwestern, die in einer Art Hauskommunität zusammenlebten und für die er etliche geistliche Traktate schrieb 50. Dabei sind als unausgesprochene Adressaten immer auch alle anderen einfachen Leute (simples gens, illiterati, idiotae ) mitgemeint. Gerson will deutlich machen, dass das geistliche Leben und die Erfahrungen der Mystiker nicht nur etwas für Gebildete und/ oder Kleriker sind, sondern für alle Menschen. Damit trägt er zu einer Art ‚Demokratisierung‘ im geistlichen Leben bei. Ja, er ist davon überzeugt, dass gerade die einfachen Menschen „durch Glaube, Hoffnung und Liebe schneller und einfacher zur mystischen Theologie gelangen als die in der Scholastik ausgebildeten Theologen, weil sie sich durch konträre Meinungen weniger aus der Ruhe bringen lassen, aber auch, weil sie demütiger und stärker um ihr Heil besorgt sind“ 51. Für ihn sind viele Menschen ‚an der Basis‘ daher näher am Heil als die Theologen, auch weil sie meistens frei von den Lastern der curiositas und singularitas sind. – Allgemein verunsicherte Gläubige, denen er als ‚doctor consolatorius‘ Trost und Hoffnung im Hinblick auf die Gewissensangst und das Sterben vermitteln wollte 52. Dabei hat er viele katechetische Werke geschrieben, die bewusst für das gläubige Volk gedacht sind bzw. als Hilfe für Seelsorger, die den Menschen in den verschiedenen Situationen ihres Lebens beistehen 53. Kinder hat er dabei ebenso im Blick wie Frauen, Verheiratete wie Unverheiratete, Kranke wie Gesunde. – Ordensleute, vor allem die Cölestiner und Kartäuser, mit denen er durch seinen Bruder Jean, der Cölestiner war, regen Kontakt hatte, besonders in seinem letzten Lebensabschnitt in Lyon. Dabei geht es um Fragen wie die evangelischen Räte, den Fleischverzicht bei den Kartäusern (ursprünglich eine biblische Vorlesung zu Mk 1,6), die Mäßigung der Zunge, die Zurechtweisung 49

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Eine Predigt spricht etwa dem König ins Gewissen. Cf. Jean Gerson, Vivat rex, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 7/2, 1137–1185. Cf. Roth, Discretio spirituum (nt. 48), 295–300. Die Predigten Gersons bilden noch ein weites Forschungsfeld. Cf. e. g. Jean Gerson, La montaigne de contemplation, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 7/1, 16–55; id., Des diverses tentations de l’ennemi, ibid., 343–360; id., Dialogue spirituel, ibid., 158–193; id., Neuf considérations, ibid., 1 sqq. Cf. Roth, Discretio spirituum (nt. 48), 322–330; B. P. McGuire, Late medieval care and control of women: Jean Gerson and his sisters, in: Revue d’Histoire Ecclésiastique 92 (1997) 5–37. Roth, Discretio spirituum (nt. 48), 97. Cf. S. Grosse, Heilsungewißheit und Scrupulositas im späten Mittelalter. Studien zu Johannes Gerson und Gattungen der Frömmigkeitstheologie seiner Zeit, Tübingen 1994. Wichtig ist besonders das ‚Opus tripartitum‘ bestehend aus: Jean Gerson, Miroir de l’âme, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 7/1, 193–206; id. Examen de conscience selon le sept péchés mortels, ibid., 393–400; id., Science de bien mourir, ibid., 404–407.

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des Nächsten oder das Einsiedlerleben 54. Die singularitas kann hier im Gebetsleben eine Rolle spielen, wenn man sich etwa vom geregelten Gebet der Gemeinschaft absondert. – Priester in ihren seelsorglichen Aufgaben der Predigt und Sakramentsverwaltung, vor allem der Beichte 55. Gerson will dabei besonders den Weltpriestern gegenüber den Mendikanten den Rücken stärken 56. Er behandelt aber auch so praktische (für uns heute skrupulante) Fragen, ob die Feier der Eucharistie nach einem nächtlichen Samenerguss erlaubt sei oder nicht 57. – Bischöfe in ihrer pastoralen Hirtensorge für die Gläubigen 58. In diesem Zusammenhang ist auch sein Einsatz für die Beilegung des Schismas von Bedeutung. Was er Bischöfen hinsichtlich der pastoralen Klugheit, Mäßigung, Demut und Buße ins Stammbuch schreibt, gilt ebenso für den Papst/die Päpste. Davon zeugen seine ekklesiologischen Traktate. Dieser breite Adressatenkreis zeigt zum einen, dass es keinen Stand in der Kirche gab, den er nicht im Blick gehabt hätte und der ihm keinen Traktat Wert gewesen wäre. Seine Sympathie für die Laien und all diejenigen, die in Gewissensnöten sind, ist dabei besonders hervorzuheben. Zum anderen wird durch die Themen deutlich, dass es häufig Fragen des praktischen geistlichen Lebens waren, die ihn beschäftigten. Theologie vollzieht sich für ihn nicht nur an den Kathedern der Universitäten, sondern muss konkret werden im Alltag der gläubigen Menschen, aber auch in den Entscheidungen der Verantwortlichen. Für beide ist daher die Tugend bzw. das Charisma der Unterscheidung der Geister von großer Wichtigkeit. So kann man ihn als einen Pastoraltheologen sui generis bezeichnen, der Theologie und Spiritualität miteinander zu verbinden sucht. Was bedeutet aber in diesem Zusammenhang seine Betonung der mystischen Theologie? Die Vorlesung gegen die curiositas der Studenten wurde ja fortgesetzt in seinen zu einem Traktat ausgebauten Vorlesungen zur spekulativen mysti54

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Cf. Jean Gerson, De consiliis evangelicis et statu perfectionis, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 10– 26; id., De non esu carnium apud Carthusienses, ibid., 77–95; id., Pour qu’on réfrène sa langue, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 7, 400–404; id., De correptione proximi, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 171–173.; id., Brief an den Einsiedler Antonius, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 2, 80–84. Cf. Roth, Discretio spirituum (nt. 48), 309–321; B. P. McGuire, Loving the holy order. John Gerson and the cartusians, in: J. Hogg (ed.), Die Kartäuser und ihre Welt – Kontakte und gegenseitige Einflüsse (Analecta Cartusiana 62), 3. voll., Salzburg 1993, vol. 1, 100–139. Cf. die Rede ‚Bonus pastor‘ auf dem Konzil von Reims 1408: Jean Gerson, Bonus pastor, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 5, 123–144; id., De arte audiendi confessiones, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 7, 10–17. Cf. Roth, Discretio spirituum (nt. 48), 301–309. Cf. N. McLoughlin, Gerson as a preacher in the conflict between mendicants and secular priests, in: McGuire (ed.), A Companion (nt. 1), 249–291. Cf. Jean Gerson, De pollutione nocturna et praeparatione ad missam, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 9, 35–50. Cf. Jean Gerson, Brief an die Bischöfe, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 2, 108–116; id., De desiderio et fuga episcopatus, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 326–333. Cf. Burger, Aedificatio (nt. 2), 149– 158.

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schen Theologie 59, dem später noch ein praktischer Teil folgen sollte 60. Auch wenn man über die direkte Abhängigkeit beider Vorlesungsreihen geteilter Ansicht sein kann 61, so ist doch deutlich, dass für Gerson zu einer Reform der theologischen Studien immer auch der Blick auf die Mystik gehört. Es kann hier offengelassen werden, ob Gerson am Ende seines Lebens selbst irgendeine Art mystische Erfahrung gehabt hat, wie André Combes vermutete (was von der übrigen Forschung eher angezweifelt wird) 62. Ebenso können wir an dieser Stelle nicht näher auf die Entwicklung seines Verständnisses mystischer Theologie eingehen, i. e. der Frage, ob sich Gerson am Ende seines Lebens tatsächlich jenseits aller kognitiven und affektiven Kräfte bei der unio mystica in die negative Theologie „flüchtete“ 63. Wichtig ist vielmehr, dass seine Theologie von Anfang an die geistliche Dimension mitberücksichtigte, die er die meiste Zeit seines Lebens mit der affektiven Erfahrung des Glaubens in Verbindung brachte. Im Lauf seines Lebens, das durch wenigstens zwei größere Krisen gekennzeichnet war (in Brügge 1401/02 aufgrund einer längeren Krankheit und nach dem Konzil von Konstanz, als er ins Exil gehen musste), hat sich die Wichtigkeit der Erfahrungsdimension für die Theologie immer stärker gezeigt. Gerson steht für eine Theologie, welche die Schultheologie insofern in Frage stellt, als er auf die Relevanz der (biografischen) Erfahrung, moralischen Integrität und persönlichen Frömmigkeit Wert legt. Damit hängt die Betonung der Wichtigkeit der Tradition zusammen, denn für Gerson haben gerade die großen Lehrer der alten Zeit wie Augustinus, Gregor, Bernhard und Bonaventura, aber auch Dionysius Areopagita (den Gerson noch für einen Paulusschüler hielt) genau dies in die Tat umgesetzt – die Verbindung von Theologie und Spiritualität. 2. Impulse aus der Theologie Gersons Was kann dies nun für heute bedeuten? Inwiefern ist die Kritik an der curiositas der Studierenden und Lehrenden ein ‚eye-opener‘ für moderne Lehrkonzepte? Natürlich muss man sich hier davor hüten, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Die 59 60

61

62 63

Cf. Jean Gerson, De mystica theologia speculative conscripta, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 3, 250– 292. Id., De mystica theologia practice conscripta, ed. Glorieux (nt. 2), vol. 8, 18–47. Beide Traktate sind auch von A. Combes herausgegeben worden, in: id., Thesaurus mundi, Lugano 1958, 1– 123. 125–217. Burger, Aedificatio (nt. 2), 125, betont „den tiefgehenden Unterschied zwischen beiden Vorlesungsreihen“ (gegen André Combes). Smolinsky, Johannes Gerson (nt. 6), meint hingegen, dass durch die Betonung der Demut und der Buße „der Schritt zur mystischen Theologie nicht mehr weit ist“ (ibid., 350). Cf. A. Combes, La théologie mystique de Gerson. Profil de son évolution, 2 voll., Paris 1963/ 64, 536. 671. Cf. J. Fisher, Gerson’s Mystical Theology. A new Profile of its evolution, in: McGuire (ed.), A Companion (nt. 1), 205–248.

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Zeit des ausgehenden Mittelalters mit ihren alle Bevölkerungsschichten ergreifenden Heilsängsten und den verschiedensten Frömmigkeitsbewegungen ist kaum zu vergleichen mit dem 21. Jahrhundert, in dem Religion und Glaube in erster Linie Privatsache geworden sind. Dennoch können für heute meines Erachtens Impulse aus der Theologie Gersons gewonnen werden. Ein erster Punkt: In vielen neuen Konzepten des Universitätsstudiums wird die Praxisrelevanz großgeschrieben. Es gibt kaum noch einen Studiengang ohne Praktikum, in welcher Form auch immer. Konzepte wie das ‚Service learning‘ 64, bei dem das intellektuelle, akademische Studium ergänzt wird durch handlungsorientiertes, soziales Engagement, zeigen, dass Studium und Lernen nicht nur auf die Universität im engeren Sinn bezogen ist, sondern viele neue Orte kennt. Im Bereich der Theologie wären das e. g. Pfarreien, Seniorenheime, Krankenhäuser, Behinderteneinrichtungen etc. Bei einem Engagement an diesen Orten spielen dann natürlich auch seelsorgliche, katechetische und spirituell-praktische Dimensionen eine Rolle, die uns an die vielfältigen Tätigkeiten Gersons erinnern. Gerson wurde als Berater von vielen Menschen geschätzt (von seinen leiblichen Schwestern und Brüdern angefangen bis hin zu anderen Laien, Mönchen, Priestern, Professoren und Königen) und hat nicht umsonst den Beinamen ‚doctor consolatorius‘ bekommen. Das seelsorgliche Moment war ihm ein Leben lang wichtig und sein Engagement verstand er als (geistlichen) Aufbau (aedificatio ) der einfachen Menschen. Auch das Studium solle den Studenten vor allem Frucht und Nutzen bringen, wobei er dabei besonders ein Wachsen im Glauben im Sinn hatte. Sicher ist ihm die moderne Idee der Praxisrelevanz des Studiums, wie wir sie heute verstehen, fremd. Dennoch hat er die Meinung vertreten, dass man nicht nur für das Studium bzw. akademische Ehren studiert, sondern für das Leben. Insofern wäre ihm das Konzept des Lernens durch Engagement (Service learning) gar nicht so fremd gewesen. Auch auf die Bedeutung der mystischen Dimension wird in der Theologie seit langer Zeit hingewiesen. Zwei der einflussreichsten katholischen Theologen des 20. Jahrhunderts, Karl Rahner (1904–1984) und Hans Urs von Balthasar (1905–1988), haben in je eigener Weise auf die Wichtigkeit einer „knienden Theologie“ hingewiesen 65. Und so wie Gerson zu seiner Zeit eine Alternative zur scholastischen Theologie aufzeigen wollte, haben Theologen wie Rahner und Balthasar ein „Gegenprogramm zur neuscholastischen Apologetik“ 66 entworfen. 64

65

66

Cf. im Rahmen der Hochschulen H. Backhaus-Maul/C. Roth, Service Learning an Hochschulen in Deutschland. Ein erster empirischer Beitrag zur Vermessung eines jungen Phänomens, Wiesbaden 2013; K. Altenschmidt/J. Miller/W. Stark (eds.), Raus aus dem Elfenbeinturm? Entwicklungen in Service Learning und bürgerschaftlichem Engagement an deutschen Hochschulen, Weinheim–Basel 2009; A. M. Baltes/M. Hofer/A. Sliwka (eds.), Studierende übernehmen Verantwortung – Service Learning an deutschen Universitäten, Weinheim–Basel 2007. Cf. U. Winkler, Kniende Theologie. Eine religionstheologische Besinnung auf eine Spiritualität komparativer Theologie, in: F. E. Dobberahn/J. Imhof (eds.), Wagnis der Freiheit. Perspektiven geistlicher Theologie. FS für Paul Imhof, Taufkirchen (Vils) 2009, 162–198. URL: (Stand: 09. 01. 2021). Ibid., 169.

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Rahners berühmtes Diktum, dass der Fromme von morgen ein Mystiker (oder nicht mehr) sein wird 67, hat in der Theologie ein breites Interesse zu Fragen der Mystik und Spiritualität und der Beziehung von Theologie und geistlichem Leben hervorgerufen 68. Rahner macht hinsichtlich der Theologie beispielsweise geltend: „Sie ist keine Wissenschaft um ihrer selbst willen, sie muß als solche vielleicht keine betende und kniende Theologie sein, weil sie eine kritische Theologie werden muß, aber sie sollte doch mehr als in den letzten hundert Jahren vom Gebet herkommen, sich nicht in bloßer theologischer, historischer und spekulativer Gelehrsamkeit erschöpfen, sie sollte soweit wie möglich die Existenz des Menschen im realen Leben erhellen und ihm den Mut geben, sich anbetend einzulassen auf die Unbegreiflichkeit des Daseins, in deren Grund Gott in seiner Gnade waltet, sich auf diese Unbegreiflichkeit einzulassen in tapferer Hoffnung und in Liebe, die Gott und den Menschen in einem meint.“ 69

Natürlich schreibt Rahner in einem völlig anderen historischen Kontext als Gerson und ist alles andere als ein Theologe, der sich nicht den Mühen der philosophischen Durchdringung des Glaubens gestellt hätte, und doch erinnern manche Formulierungen, die er im Blick auf die Zukunft der Theologie benutzt, an Gerson, etwa die Hinweise auf die Grenzen der ‚spekulativen Gelehrsamkeit‘ oder die theologischen Tugenden als Ziel aller Theologie. Ähnliches gilt für Hans Urs von Balthasar. Sein Statement zur Theologie als Wissenschaft geht in die Richtung, die auch Gerson bei seiner Studienreform einschlägt: „Wo eine Wissenschaft, die sich als Theologie bezeichnet, aufhört, in der Nachfolge des apostolischen Zeugnisses, und damit in der Sendung Jesu in der sie tragenden Heiligkeit, zu sein, hat sie aufgehört, für den kirchlichen Glauben belangvoll zu sein.“ 70 Es geht darum, „die Brücke … zwischen Philosophie und Theologie zu bauen. […] Das ist es, was die Heiligen wissen. Sie verlassen keinen Augenblick ihr Zentrum in Christus. […] Wenn sie philosophieren, tun sie es als Christen, i. e. als Glaubende, als Theologen.“ 71 In ähnlicher Weise hat auch Gerson seinen Rückgriff auf Bonaventura und andere Kirchenväter verstanden. Es ging ihm nicht darum, die Philosophie als solche zu diskredi67 68

69 70 71

Cf. K. Rahner, Frömmigkeit früher und heute, in: id., Schriften zur Theologie, vol. 7, Einsiedeln 2 1971, 11–31, ibid., 22 sq. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass nicht etwa Bonaventura, sondern Thomas von Aquin als Beispiel genannt wird. Cf. Rahner, Glaube, der die Erde liebt, Freiburg 1966, 152: „Thomas hat seine Theologie als sein geistliches Leben und sein geistliches Leben als seine Theologie. Es gibt bei ihm noch nicht jenen grässlichen Unterschied, den man in der späteren Theologie oft beobachten kann, zwischen Theologie und dem geistlichen Leben. Er denkt die Theologie, weil er sie in seinem geistlichen Leben als seine wesentlichste Voraussetzung braucht, er denkt sie so, dass sie dafür ‚existenziell‘ auch wirklich bedeutsam werden kann.“ Rahner, Die Zukunft der Theologie, in: Schriften zur Theologie, vol. 9, Einsiedeln 1970, 148– 157, 156 sq. Cf. H. U. v. Balthasar, Theologie und Heiligkeit, in: IKaZ 16 (1987), 483–490, 488. Cf. id., Theologie und Heiligkeit [1948], in: id., Verbum caro (Skizzen zur Theologie I), Einsiedeln 21965, 195–225, 210 sq.

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tieren oder in Frage zu stellen, sondern sie im Kontext bzw. Dienst des Glaubens und mit Blick auf das Seelenheil zu gebrauchen. Nach Balthasar sei schon in der Hochscholastik ein folgenschwerer Abschied von der knienden Theologie hin zu einer sitzenden Theologie eingeleitet worden. Sachlich ist das dieselbe Kritik, die Gerson als Kanzler von Paris am Studienbetrieb seiner Zeit geübt hatte. Die Bedeutung der Spiritualität für die Theologie wird in der gegenwärtigen theologischen Diskussion immer häufiger angemahnt. Die AGTS (Arbeitsgemeinschaft Theologie der Spiritualität 72 ) versammelt e. g. Theologinnen und Theologen verschiedenster Konfessionen und Fächer (Moraltheologie, Pastoraltheologie, Liturgiewissenschaft, Kirchengeschichte, Bibelwissenschaft etc.), die in ihren Forschungen bewusst die spirituelle Dimension berücksichtigen, was in dem Fall keinen frommen Rückzug ins Gebet bedeutet, sondern die Theologie als „Andersort“ 73 (Michel de Certeau SJ) zu begreifen, die vom Schreibtisch und den Hörsälen der Universitäten weggeht und sich eben an andere Orte (auf die Straße, in die sozialen Brennpunkte, aber auch ins Internet) begibt. Damit verbunden ist eine Theologie, die nicht nur affirmative Aussagen über Gott tätigt, sondern Begriffe wie ‚Andersheit‘, ‚Fremdheit‘, ‚Leere‘ und ‚Schweigen‘ ins Spiel bringt 74. Im Zusammenhang mit Michel de Certeau wäre vor allem der Hinweis auf eine mögliche Hinwendung Gersons zur negativen Theologie am Ende seines Lebens interessant 75. Und die Tatsache, dass Certeau als „Pilger zwischen den Fronten“ 76 bezeichnet wurde, erinnert ebenfalls an Gerson, der häufig als Pilger dargestellt wurde (erste Drucke von Gersons Schriften zeigen ihn als Pilger mit Stab 77 und der Name ‚Ger‘ ist das hebräische Wort für ‚Pilger‘). Sicher: Vieles von dem scheint konstruiert. Gerson ist nicht der Wegbereiter spätmoderner negativer Theologie und steht selbst viel zu sehr in der patristischen und mittelalterlichen Tradition. Dennoch ist sein Anliegen, Theologie auf Mystik hin zu denken, bleibend aktuell. So kann die Theologie Gersons auch eine gewisse Relevanz für heutige Denkerinnen und Denker haben und seine Kritik an der curiositas als einer schädlichen Neugier, die letztlich nur um fruchtlose Spekulationen über Gottes Wesen kreist, kann positiv aufgegriffen werden im Blick auf eine pastoral und spirituell ausgerichtete Theologie, die sich (auch) an ‚Andersorten‘ abspielt. 72 73 74 75 76 77

Cf. als erste Information die Homepage (Stand 11. 01. 2021). Cf. M. de Certeau, Le lieu de l’autre. Histoire religieuse et mystique, Paris 2005. Cf. C. Bauer / M. A. Sorace (eds.), Gott, anderswo? Theologie im Gespräch mit Michel de Certeau, Ostfildern 2019. Wobei Certeau selbst Gerson mit der „beständigen Ablehnung der negativen Theologie“ verbindet. Cf. Michel de Certeau, Mystische Fabel, Berlin 2010, 162. Cf. A. Falkner (ed.), Michel de Certeau. Täglich aufbrechen zu den anderen. Reflexionen zur christlichen Spiritualität, Würzburg 2020, 8. Cf. den Holzschnitt auf dem Frontispiz der Gerson-Ausgabe von Johannes Geiler von Kaysersberg (Straßburg 1488) bei Grosse, Heilsungewißheit (nt. 52), 245.

IV. Staunen über die Natur – Exempla und Enzyklopädien

Big Book of Little Curiosities. Exempla in Albert the Great’s ‘De animalibus’ Evelina Miteva (Cluj/Köln) I. Introduction Readers of Albertus Magnus’ works on natural philosophy would most probably be astounded by the numerosity and character of the examples that they encounter in their reading. His works on zoology and biology, like ‘De animalibus’, ‘De vegetabilibus’, or ‘De mineralibus’ contain an astonishing number of examples, curiosities, and anecdotes 1. These examples are of a varied and often peculiar nature, and the reader might notice in astonishment that Albert sometimes tells the most embarrassing stories with a kind of scientific ease and confidence. The remarkable attention paid to particular and single cases as well as a certain scientific zeal that does not even omit the smallest argument seem to be two distinctive features of Albert’s natural philosophy. We usually tend to focus on the theoretical basis of natural philosophy, such as method and division of the sciences, as well as on the theoretical arguments for or against a certain doctrine rather shunning away from what we deem strange, irrelevant, or indecent. Albert however seems to consider curiosities an essential part of his natural philosophy. This is why curiosities, their role in the exposition of an argument and their place in the complex net of sources, are going to be the focus of this article. I will focus on ‘De animalibus’ 2, offering a first attempt at understanding the role of certain accounts and examples in natural philosophy. However, a small 1

2

For curiosities in botany, cf. G. Wöllmer, Albert the Great and His Botany, in: I. M. Resnick (ed.), A Companion to Albert the Great. Theology, Philosophy, and the Sciences (Brill’s Companions to the Christian Tradition 38), Leiden–Boston, 2013, 221–268. For a detailed list of accounts of first-hand experiments and experiences in Albert, cf. P. Hossfeld, Die eigenen Beobachtungen des Albertus Magnus, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 53 (1983), 147– 174. Cf. further M. de Asua, El ‘De animalibus’ de Alberto Magno y la organización del discurso sobre los animales en el siglo XIII, in: Patristica et Mediaevalia 15 (1994), 3–26; M. Tkacz, Albert the Great and the Revival of Aristotle’s Zoological Research Program, in: Vivarium 45 (2007), 30–68; S. Perfetti, La disseminazione del sapere sugli animali (dalla tarda antichità al XIII secolo) e l’iperaristotelismo di Alberto Magno, in: M. M. Sassi (ed.), La zoologia di Aristotele e la sua ricezione, dell’età ellenistica e romana alle culture medioevali, Pisa 2017, 269–297. Albertus Magnus, De animalibus libri XXVI, ed. H. Stadler, 2 voll. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters 15–16), Münster 1916–1920.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-017

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preliminary distinction has to be made. On the one hand, examples play an epistemological role in certain disciplines. Aristotle speaks of their rhetorical and didactical value, and Albert recognizes this value as well. Albert tenaciously seeks to establish a valid scientific method for acquiring knowledge. While syllogisms are valid means for gaining certain knowledge, he admits of other means as well, namely enthymemes and examples. The purpose of examples, he states, is to “teach and persuade” 3. Examples are, for Albert, particularly useful in disciplines and arts that have to work with imperfect argumentation, like ethics 4. However, despite being imperfect modes of argumentation, examples are not the same as single cases and stories. Examples go beyond the particular; strictly speaking, they do not refer to individual cases, but to the universal, represented in the individual 5. Singular, individual examples however do not have an argumentative value but are mere anecdotes, stories, or curiosities. Such elements do not amount to general principles and are only employed by phantasy and estimation, that is, by the sensitive faculties of the soul, and not by reason 6. Having expounded the methodological distinction that Albert makes, it is all the more fascinating how frequently and readily he uses narrative elements. Far from being exhaustive, the present article will outline some of these anecdotes as a kind of praelibatio to Albert’s extensive use of cases and stories of various nature. As mentioned above, I will mainly focus on ‘De animalibus’, but will occasionally take other works into account as well. In a second step, I will trace the complex net of sources that is behind many of Albert’s examples. The anecdotes are often either presented as having been told by trustworthy witnesses or as actual eyewitness accounts. Parts three and four of this article will then attend to these two categories of curiosities. In the last part, I will focus on the curious cases that Albert claims to have witnessed himself in Cologne. The reference to a specific place makes such anecdotes particularly persuasive and believable due to the concreteness of the reference. Because such anecdotes are 3

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5

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Id., De V universalibus, I, 1, ed. M. Santos-Noya (Editio Coloniensis 1/1), Münster 2004, 1,16– 21: “Modus autem omnis doctrinae logicus est, eo quod aliquo genere persuasionis utitur omnis, qui docet vel astruere conatur aliquid; omnis autem persuasio per sermonem logica est, sive syllogismo sive enthymemate sive inductione sive exemplo utatur, qui docet vel persuadet.”; cf. Aristotle, Prior Analytics, II, 24, 68b38. 69a14; id., Rhetoric, II, 19, 1393a25–27); id., Topics, VIII, 2, 157a14. Albertus Magnus, Super Ethica, I, 2, ed. W. Kübel (Editio Coloniensis 14/1), Münster 1968, 11,11–17: “Figuraliter autem dicit, quia huiusmodi artes, quae non sunt demonstrativae, utuntur argumentationibus imperfectis, sicut enthymemate et exemplo, propter hoc quod altera propositio vel similitudo non potest usque quaque confirmari, et haec sunt quasi figurae perfectae argumentationis.” Id., De praedicamentis, II, 3, edd. M. Santos-Noya/C. Steel/S. Donati (Editio Coloniensis 1/ 1b), Münster 2013, 23,26–30: “Exempla autem non sunt posita de individuo signato, sed de individuo vago ideo, quia hoc individuum habet aliquid de natura speciei, ut in scientia de universalibus diximus, et ideo attingit naturam incorruptionis et aeternitatis et sic magis convenit scientiae.” In fact, Albert suggests that higher animals, such as primates and pygmies, use imperfect syllogisms and phantasies, but not examples, since these require a higher level of abstraction. Cf. id., De animalibus, XXI, 1, 3, ed. Stadler (nt. 2), vol. 2, 1331,22–1332,8, especially 1332,7 sq.: “Exemplo autem haec animalia nullo modo utuntur: eo quod exemplum fieri non potest sine aliqua rationis collatione.”

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used by Albert as narrative arguments, it is particularly interesting to examine their use in larger argumentative contexts. Thus, the present article examines the context and the role of single, anecdotic cases in Albert’s natural philosophy, especially of those that do not amount to generalizations that could become examples in the methodological sense of the word. II. De animalibus Aristotle’s ‘De animalibus’ was translated before 1220 by Michael Scot in Toledo. By the time he finished the translation, he was in Sicily and dedicated it to Frederick II of Hohenstaufen. In Sicily, Michael Scot continued translating works on natural philosophy, an interest that he shared with the emperor, among which probably also was Averroes’ middle commentary on ‘De animalibus’ 7. While the latter had limited circulation, the Avicennian commentary was widely disseminated (64 manuscripts in the 13th and 14th centuries) 8 and Albert drew on it in his own works. Written between 1258 and 1262/3, Albert’s commentary is by far the most detailed and comprehensive Latin commentary on ‘De animalibus’. It comprises 24 books, the first 10 of which comment on Aristotle’s ‘Historia animalium’. The ensuing four books comment on ‘De partibus animalium’ and the subsequent five on ‘De generatione animalium’. Books 20 and 21 are Albert’s own account of the nature and perfection of animated bodies, while books 22 to 26 make up a long and detailed catalogue with descriptions of all animal species, based on the encyclopaedic work ‘De natura rerum’ by Thomas of Cantimpré, including Albert’s own insertions, observations, and amendments 9. In this, it seems as if no remark is too small or irrelevant to be included in a book on animals, such as that the hamster is an “animal very prone to biting” 10. 7

8

9 10

Cf. D. N. Hasse, Latin Averroes Translations of the First Half of the Thirteenth Century, Hildesheim e. a. 2010 (plenary session paper read on 21 September 2007 in Palermo at the XII International Congress of Medieval Philosophy, also printed in: A. Musco [ed.], Universalità della Ragione. Pluralità delle Filosofie nel Medioevo, Palermo, 2012, 149–177). On the reception of ‘De animalibus’ in the Latin Middle Ages, cf. B. Van Den Abeele, Le ‘De animalibus’ d’Aristote dans le monde latin: modalités de sa réception médiévale, in: Frühmittelalterliche Studien 33/ 1 (1999), 287–318. Cf. A. M. I. van Oppenraay, Michael Scot’s Translation of Aristotle’s Books on Animals and the Pleasures of Knowledge, in: P. Porro/L. Sturlese (eds.), Quaestio. Yearbook of the History of Metaphysics, 15, Special Issue: The Pleasure of Knowledge/Il piacere della conoscenza. Proceedings of the International Congress of Medieval Philosophy, Société Internationale pour L’Étude de la Philosophie Médiévale, Freising August 20–25 2012. Turnhout–Bari 2015, 413– 422. Cf. P. Aiken, The Animal History of Albertus Magnus and Thomas of Cantimpré, in: Speculum 22/2 (1947), 205–225. Albertus Magnus, De animalibus XXII, 2, 1, ed. Stadler (nt. 2), vol. 2, 1375,1 sq.: “Cricetus autem est animal quod nos hamester Germanice vocamus et est animal mordax valde et iracundum.”

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‘De animalibus’ is part of the huge Aristotelian project of Albert the Great 11. Albert, as he famously explains in the prologue to his ‘Physics’ commentary, devoted himself to the task of commenting on the entire Aristotelian corpus. 12 His aim was not merely to write a commentary, but to establish a perfect (that is, complete) system of sciences, which is why he added chapters or entire treatises whenever he thought a branch of knowledge was missing. On the textual level, Albert does not simply present Aristotle’s text, but meticulously compares it with other philosophers and authorities, considering recent debates, and often making subtle additions or corrections. These variations and appropriations on a textual level become most apparent in ‘De animalibus’, where argumentative and experimental material jointly complement Aristotle, whose work Albert read side by side with Avicenna’s 13. Albert himself regarded ‘De animalibus’ as а finis of physics, that is, as a final and conclusive part of natural philosophy. It is once again in the ‘Physics’, which, as has just been mentioned, introduces the comprehensive commentary on the Corpus Aristotelicum, that Albert provides a division of the sciences. His classification runs from the bottom up, from the simple to the complex, starting with the four elements and the celestial bodies, proceeding through nature to the human intellect. Albert devotes an own treatise to each branch of knowledge. At the very end of his classification, the treatment culminates in ‘De animalibus’; it is thus suggested that Albert’s book on animals is the work which investigates the natural world most carefully and in greatest detail. “Now that we have established that, it suffices to add the science of the animated vegetable and sensible body, whose differences with respect to the vegetable body are investigated in the book ‘On Plants’, and as to the differences of animals, sufficient knowledge handed down in the book ‘On animals’. That book is the end of natural science.” 14

Albert, in fact, puts extra effort into explaining the double difficulty involved in the science of animals. On the one hand, Albert searches for a solution to the methodological problem of defending zoology as a science, rather than a 11

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14

On the structure of ‘De animalibus’ and an evaluation of H. Stadler’s edition, see C. Hünemörder, Die Zoologie des Albertus Magnus, in: G. Meyer/A. Zimmermann (eds.), Albertus Magnus, Doctor universalis 1280/1980 (Walberger Studien 6), Mainz 1980, 235–248. Albertus Magnus, Physica, I, 1, 1, ed. P. Hossfeld (Editio Coloniensis 4/1), Münster 1987, 1,48 sqq. In Stadler’s edition, Albert’s own words are marked by single and double vertical lines. The double lines mark the beginning of Albert’s words, the single line marks the beginning of the words of an authority. This method indeed visualizes how the commentary and the original text are intertwined, but it is not always easy to follow. Ibid., I, 1, 4, ed. Hossfeld (nt. 12), 7,59–64: “Quibus habitis sufficit addere scientiam de corpore animato vegetabili et sensibili, cuius differentiae quoad vegetabilia traduntur in libris De vegetabilibus, et quoad differentias animalium traditur scientia sufficiens in libris De animalibus. Et ille liber est finis scientiae naturalis.”; cf. De animalibus I, 1, 1, ed. Stadler (nt. 2), vol.1, 1,1 sqq.: “Scientiam de animalibus secundum eam quam in principio praemisimus divisionem post scientiam de vegetabilibus in huius nostrae naturalis philosophiae calce ponemus.” Translations from Latin in this article are mine, unless otherwise stated.

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mere description without any scientific value, according to the rigid standards of necessity set up in the ‘Posterior Analytics’. On the other hand, the order of the sciences puts it in a privileged position, despite its particular and changeable subject. By emphasising the necessity of the final cause in the natural sciences, Albert confronts these difficulties and thus ventures on an unprecedented defense of studying the particular 15. III. An ‘Obser vation’ and Its Sources An essential part of ‘De animalibus’, whose subject is the animated body, is dedicated to the human being. T. W. Köhler suggests that, for many 13th-century masters, ‘De animalibus’ represented the proper place for a scientia de homine, insofar as the human body is the most perfect of all animal bodies 16. The human body, its sexuality, generation, and development occupy a large part of the ‘De animalibus’ corpus. Most of the examples in the present article draw on human reproduction and embryonic development as well, rather than attending to the rest of the animal species. Albert often refers to ‘facts’, which he simply presents as general rules; yet, the reader is left wondering where these ‘facts’ come from. Presented as general principles of physiology and often supported by either direct observations or second-hand accounts of trustworthy physicians and midwives, some peculiar cases were given scientific validity. Albert often considered his claims as describing generally valid processes and principles. An example of this is the claim that women who consume too much salt during pregnancy give birth to babies without finger- or toenails: “Some [women] when they are pregnant use a great deal of salt and tangy (acutus ) warm food because of the acidity (acumen ) of the bile which is dominate in them; and, because of the corrosiveness (acumen ) of the nourishment produced, they bear children without any nails. This is because salty nourishment consumes the earthy vapors with its heat, and is driven by its corrosiveness (acumen ) to the extremities, and eats away the roots of the nails.” 17 15

16

17

Albert dedicated several chapters of ‘De animalibus’ to the methodology of natural science, cf. ibid., I, 1, 1, ed. Stadler (nt. 2), vol.1, 1–4; ibid., XI, 2, 1–4, ed. Stadler (nt. 2), vol.1, 780–797. Cf. H. Möhle, Albertus Magnus und die Vielheit der Wissenschaften, in: L. Honnefelder (ed.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2012, 301–331; H. Anzulewicz, Albertus Magnus und die Tiere, in: S. Obermaier (ed.), Tiere und Fabelwesen im Mittealter, Berlin–New York 2009, 29–54. T. W. Köhler, Die wissenschaftstheoretische und inhaltliche Bedeutung der Rezeption von De animalibus für den philosophisch-anthropologischen Diskurs im 13. Jahrhundert, in: C. Steel/G. Guldentops/P. Beullens (eds.), Aristotle’s Animals in the Middle Ages and Renaissance (Mediaevalia Lovaniensia 1/27), Leuven 1999, 249–274, especially 252. Albertus Magnus, On Animals, vol.1, translated by K. F. Kitchell/I. Resnick [edited by R. M. Schneider], Baltimore–London 1999, 794. Albertus Magnus, De animalibus IX, 1, 5, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 696,19–24: “Quaedam etiam quando impraegnantur, utuntur multo sale et || acutis calidis

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This text sample discusses, in the context of embryonic development and possible dangers to pregnancy, why consuming salt during pregnancy causes the child to have no nails. Albert takes this causal connection for granted and suggests a physiological explanation. But where does this peculiar statement actually come from? The vertical lines by the editor suggest that these are not originally Albert’s words, but that he is referring to a source here. The thought that the consumption of salt during pregnancy causes babies to be born without nails is a topos. The mere statement, without any further elaboration, is found in Aristotle: “When women have partaken of salt in overabundance their children are apt to be born destitute of nails.” 18 Pliny, who appeared in various medieval compendia on plants and animals 19, also stresses the importance of the nutritional regimen of pregnant women and refers to the link between salt consumption during pregnancy and a newborn’s lack of nails. Nonetheless, his remark is not explained in more detail either: “The gait in walking and every thing that can be mentioned are so important during pregnancy that mothers eating food that is too salty bear children lacking nails, and that not holding the breath makes the delivery more difficult.” 20 This curious assumption is mentioned also by Avicenna, whose commentary on ‘De animalibus’ was Albert’s steady point of reference for his own commentary on the work. Avicenna, as well, writes as much as a line on the issue: “When the woman eats a lot of salt, no nails are born to her child because of the sharpness [acumen] of the salt.” 21 Unlike his predecessors, Albert expounds the causes of this otherwise peculiar ‘observation’. He speculates that the salt “corrodes” the roots of the nails. Albert referred to this statement on at least one more occasion, precisely in his disputations on ‘De animalibus’ held in Cologne in 1258. In the reportatio of these disputed questions, there is a question dealing with the causes of this ‘nail problem’. Albert pays attention to the causes of this curious problem in the framework of his systematization – as cursory as it might be – of possible complications during pregnancy. He mentions five possible complications and searches for their causes. In addition to the problem of determining the due date, premature birth in the eighth month, pain during delivery, and early miscarriage, the link between salt consumption and missing nails is the fifth complication. Here,

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propter acumen colerae quae dominatur in ipsis et propter acumen nutrimenti quod exinde procreatur, | genuerunt filios sine unguibus, || quoniam nutrimentum salsum sua caliditate consumpsit fumos terrestres et suo acumine expellebatur ad extremitates et corrosit radices unguium.” Aristotle, Historia Animalium, VII, 5, 585 a 27. For the reception of Pliny in the Middle Ages, as well as specifically in Albert the Great, cf. A. Borst, Das Buch der Naturgeschichte: Plinius und seine Leser im Zeitalter des Pergaments, Heidelberg 1994, 285–292. Pliny, Natural History, VII, 6, translated by H. Rackham, Pliny. Natural History, vol 2, Books 3–7 (Loeb Classical Library 352), Cambridge MA. 1942, 535. Avicenna, De animalibus, IX, 9, Venice 1500, f. 24v,18 sq.: “Et quando mulier comedit multum sal non nascuntur filio eius ungues propter acumen salis.”

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Albert once again ponders on the causes of this phenomenon and suggests that the salt causes the retention of liquids necessary for the formation of the nails of the fetus 22. Generally speaking, this explanation could be based on the empirical knowledge that a high salt consumption causes retention of water in the body. Albert’s speculation on the causes of this problem is based on generic physiological prerequisites taken from the humoral theory. Albert elucidates the Aristotelian corpus by offering causes for a certain phenomenon that had been left without a specific explanation by Aristotle and his commentators. These causes are extrapolated from a generic speculative framework. However, Albert does not question the validity of the discussed phenomenon. Do babies really get born without nails? And did their mothers consume more salt than others? Albert does not doubt the validity of this phenomenon, which had been transmitted by many authorities he relies upon, Aristotle and Avicenna being the major ones among them. The aim of Albert is rather to confirm their claim and to strengthen it by providing a physiological explanation for a dubious phenomenon. IV. “ Tr ustwor thy Accounts” Another kind of interference with the Aristotelian text are the accounts of credible witnesses. Especially in matters of embryology, Albert often invokes the authority of experienced women who have given birth, of midwives and trustworthy physicians 23. Their testimonies are used as confirmation or even as an argument in an otherwise purely speculative discussion, for instance, when discussing fetal development. Little was actually known about the process, so that the development stages were calculated in a purely mathematical manner and mathematical symmetries were paired with physiological principles. These calculations were then supported by the observations of a trustworthy and experienced woman: “Others of the tribe of physicians say that when the young has been formed, it moves after there has elapsed twice the period that existed between conception and formation. Then, once twice the time span that exists after movement (that was the time from conception to its own movement) has passed, it is brought forth into the light of the day. Thus one whose formation is completed within thirty days moves at the 22

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Albertus Magnus, Quaestiones super de animalibus, IX, qq. 19–25, ed. E. Filthaut (Editio Coloniensis 12), Münster 1955, 211,37 sqq.: “Quinto quaeritur, quare comestio salis a muliere impraegnata est causa, quare fetus generator sine unguibus.”; ibid., 212, 41–46: “Ad quintum dicendum, quod sal conservat a putrefactione et consumit humiditates viscosas, et ex humiditatibus illis generantur ungues. Et ideo si impraegnata multum utatur sale, humiditates, quae essent convertibiles in ungues, consumuntur, et fetus erit sine unguibus.” These references have a similar form and wording as is found, e. g., in: Albertus Magnus, De animalibus IX, 2, 5, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 724,28 sq.: “Dixit autem michi una matrona fide digna, in talibus multum experta”; ibid., IX, 1, 5, 693, 17–18: “et narratum es mihi a veridico et experto medico.”

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end of the third month and comes forth into the light in the seventh month. And one whose formation is completed in sixty days moves after four months and is brought into the light in the ninth month. In matters such as these a great deal of credence must be placed in women worthy of trust who have given birth to a number of children. For one matron worthy of trust told me that when the mother is on good terms with the husband at the time of impregnation, so that the husband presents himself most happily to the wife, the fetus sometimes moves eight days sooner than occurs when the mother is upset with her husband.” 24

Ursula Weisser, however, hints at Albert’s dependence on earlier sources. The ‘trustworthy woman’ is an example of a topos, which is to be found already in the Corpus Hippocraticum 25. Another unsolved question that Aristotle – being the son of a physician himself – left to posterity concerns the maximum number of multiples that a woman may be pregnant with at once. Aristotle suggests it is quintuplets, that is, five children. In this case, Albert does not search for the causes that could prove a certain number of foetuses, as a natural maximum, to be correct, but he rather follows his curiosity for the unusual and the peculiar. Albert retells a wondrous story, which he had heard from a credible source, of a woman who gave birth to no less than sixty children, always five at a time: “Also, a physician, a truthful man and an expert, told me that a certain noblewoman in Germany has given birth to sixty children, five each time, although none of them lived to an age of half a year.” 26 The same ‘trustworthy physician’ had also told Albert of another noble woman he had treated, who had aborted 150 well-formed foetuses, all as big as a human little finger, who were pulsating and showing various signs of life and even had formed fingers and toes, which were as fine as a hair 27. As trustworthy 24

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Kitchell/Resnick, On Animals (nt. 17), 821 sq. Cf. Albertus Magnus, De animalibus, IX, 2, 5, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 724,19–725,4: “Alii etiam de medicorum gente dicunt quod postquam natus formatus a tempore formationis habuerit duplum tempus, quod fuit a conceptu ad formationem, quod tunc movetur: et postquam duplum temporis a motu transierit, quod fuit a conceptu ad suum motum, tunc parietur extra. Unde cuius formatio completur in triginta diebus, movetur in fine tertii mensis, et in septimo procedit ad lucem. Et cuius formatio completur in LX ta diebus, movetur post quatuor menses, et in nono mense paritur ad lucem. In talibus tamen multum est credendum mulieribus fide dignis, quae multos pepererunt parvulos. Dixit autem michi una matrona fide digna, in talibus multum experta, quod quando mater laetatur cum marito tempore impraegnationis, ita quod vir se laetius exhibet uxori, octo diebus aliquando citius movetur, quam facit quando mater est in taedio cum viro.” U. Weisser, Die Harmonisierung antiker Zeugungstheorien im islamischen Kulturkreis und ihr Nachwirken im europäischen Mittelalter, in: A. Zimmermann/I. Craemer-Ruegenberg (eds.), Orientalische Kultur und europäisches Mittelalter (Miscellanea Mediaevalia 17), Berlin–New York 1985, 301–326, especially 305, nt. 24. Kitchell/Resnick, On Animals (nt. 17), 792. Albertus Magnus, De animalibus, IX, 1, 5, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 693,17–22: “narratum est mihi a veridico et experto medico, quod quaedam nobilis mulier in Germania peperit sexaginta filios qualibet vice quinqne, et nullus eorum venit ad aetatem dimidii anni: et nos inferius revertemur et narrabimus mirabilia de multitudine geminorum quae ad nos devenerunt.” Ibid., ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 693,24–32. The status of such eyewitness accounts in Albert is an open issue in literature; Siraisi, e. g., mentions the example of the 150 aborted fetuses as a

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as his source might have been, it could have rather been Avicenna than a physician Albert knew. While the numbers differ, Albert’s account might, however, have been taken from or at least inspired by Avicenna’s ‘De animalibus’: “Aristotle said that sometimes five children are born in one womb. The ancient scholars were telling of a woman who gave birth four times and in those four times she gave birth to twenty children. And some woman miscarried thirtythree formed children as I have heard from trustworthy people about the woman that miscarried.” 28 Leaving aside the question of the source, that is, whether Albert was actually recounting a story told to him by an eyewitness or whether he rather ‘appropriated’ the truthful account of a credible written source, the focus of the present paper is on the methodology of these ‘curiosities’. Albert takes these exempla – now in the sense of the literary genre of storytelling –, single cases or stories, usually used in sermons, in literature, in chronicles, and sometimes in medicine 29, and applies them to natural philosophy. Despite his own claim that single cases do not contribute to scientific arguments unless they are standardized examples, he nevertheless uses and is even fascinated with these kinds of peculiar stories. He takes them as generalizations and uses them in a theoretical argument, usually to support his own position. When these accounts were not turned into arguments, they served the purpose of satisfying a certain curiosity, simply reporting strange and fascinating cases that a writer and naturalist just could not keep to himself.

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case in which Albert “showed himself perhaps too ready to believe what his medical friends told him”, cf. N. Siraisi, The medical learning of Albertus Magnus, in: J. Weisheipl (ed.), Albertus Magnus and the Sciences. Commemorative Essays 1980 (Studies and Texts of the Pontifical Institute 49), Toronto 1980, 379–404, especially 384. Demaitre/Travill interpret Albert’s usage of eyewitness accounts (taking the example of what a certain “experienced and trustworthy” midwife told him about pregnancy, “Dixit autem michi una matrona fide digna in talibus multum experta” (De animalibus IX, 2, 5, ed. Stadler [nt. 2], vol. 1, 724,28 sq.) as a corrective to the theoretical accounts of Aristotle and Avicenna, cf. L. Demaitre/A. A. Travill, Human Embryology and Development in the Works of Albertus Magnus, in: Weisheipl (ed.), Albertus Magnus and the Sciences (nt. 27), 405–440, especially 426. Weisser, Harmonisierung (nt. 25), 305, on the other hand, argues that in many of these cases Albert refers to popular topoi, as in the case of the midwife account, actually coming from the Corpus Hippocraticum. Avicenna, De animalibus, IX, 9 (nt. 21), f. 24v,7 sqq.: “Et dixit Aristoteles quod aliquando nascuntur v. proles in uno ventre; et dixerunt antiqui quod mulier peperit quattuor in illis quattuor vicibus xx. filios. Et quaedam mulier abortit xxxiii filios figuratos et audivi a fidelibus quod una mulier aborsit.” E. Rauner/K. Bitterling/A. Vitale-Brovarone/A. M. J. van Buuren, Exempel, Exemplum, in: Lexikon des Mittelalters, vol. 4, München 2003, 161–165; T. Ricklin (ed.), Exempla docent. Les exemples des philosophes de l’Antiquité à la Renaissance. Actes du colloque international 23– 25 octobre 2003, Université de Neuchâtel. Paris 2006. On the role of exempla in medicine, cf. C. Crisciani, Exempla in medicina: epistemologia, insegnamento, retorica (secoli XIII–XIV). Una proposta di ricerca., in: M. Gadebusch Bondio/T. Ricklin (eds.), Exempla medicorum. Die Ärzte und ihre Beispiele (14.–18. Jahrhundert) (Micrologus Library 26), Florence 2008, 89–108. For the role of the narrative and singular examples in Albert the Great, cf. T. W. Köhler, „Processus narrativus“. Zur Entwicklung des Wissenschaftskonzepts in der Hochscholastik, in: Salzburger Jahrbuch für Philosophie, 39 (1994), 109–127.

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V. First-person Accounts from Cologne The insertions that are usually considered most interesting are those in which Albert speaks from a first-person perspective. These are marked by expressions such as ‘ego vidi’, ‘ego expertus sum’, and the like. The personal observations, to which Albert often recurs, especially in his works on natural philosophy, have been regarded as precursors of scientific experiments in the subsequent development of natural sciences 30. While the role of Albert’s experimental observations for this later development might be unclear, the reader is rather inclined to trust Albert’s accounts based on first-hand experience than a rendering of a secondary source. The stories in which Albert refers to a certain place where he had actually spent his time, which are known from his biography, appear particularly convincing. Albert spent some of his most active years in Cologne. It thus seems particularly fitting to discuss Albert’s curious stories from Cologne in the framework of a conference that was dedicated to the topic of curiosity and took place in Cologne. Shortly after arriving in Cologne at the newly created Dominican studium generale, as its master regent, Albert wrote ‘De natura loci’ (ca. 1251–54). In this work, he presents the city as one of the famous Roman cities, “Agrippina, which is now called Cologne” 31; he specifies its geographical coordinates quite adequately 32, and tells of the beautiful ancient mosaics he saw, which have recently been uncovered by chance and were previously covered by ground and buildings 33. In one of his stories from Cologne, for instance, Albert tells about a little girl who was nine years old but as small as a one-year-old child 34. He introduces 30 31

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Cf. Hossfeld, Beobachtungen (nt.1). Albertus Magnus, De natura loci, III, 2, ed. P. Hossfeld (Editio Coloniensis 5/2), Münster 1980, 33,24–34: “Famosa autem oppida eius et civitates in Augusti descriptione habuit: Ravennam, Aquilegiam, Mediolanum, Arelatum, Ticinum, Armotum, Calpos, Calpis, Spalis sive Hispalis, secundam Calpis, Cordubam, Betones, Toletum, Bracaram, Lucasam Augustam, Hispaniae civitatem, Vacam, Celtiberiam, Caesaream Augustam, Tarraconam, Cerareatum, Ambianis, Tungram Octaviam, quae nunc deleta est et redacta ad parvam villam, iuxta quod est civitas, quae Leodium vocatur, Agrippinam, quae nunc Colonia vocatur, in qua et istud volumen compilatum est”. The modern topographical reference point for Cologne is the point of the northern tower of the Cologne cathedral. It is located at 50° 56# 33$ northern latitude and 6° 57# 32$ eastern longitude. Albert the Great estimated almost correctly that Cologne was located at 48° latitude. Cf. Albertus Magnus, Meteora, III, 4, 11, ed. P. Hossfeld (Editio Coloniensis 6/1), Münster 2003, 186,50–53: “Esto enim quod simus in fine septimi climatis, cuius latitudo est versus aquilonem quadraginta octo graduum, qualis est latitudo civitatis Coloniensis fere.” Albertus Magnus, De causis proprietatum elementorum, I, 2, 4, ed. P. Hossfeld (Editio Coloniensis 5/2), Münster 1980, 67,17–26: “Et quod dicunt de fodiente puteum, qui remum invenit, dicendum ibi remum ab antiquo fuisse repositum et terram congestam fuisse super eum et frigiditate terrae a putredine fuisse conservatum aut fuisse ibi mare aliquando et per accidentalem causam a loco illo recessisse. Quia et nos in Colonia vidimus altissimas fieri foveas, et in fundo illarum inventa sunt pavimenta mirabilis schematis et decoris, quae constat ibi homines antiquitus fecisse et congestam fuisse terram super ea post ruinas aedificiorum.” Albertus Magnus, De animalibus, XVI, 1, 16, ed. Stadler (nt. 2), vol. 2, 1110,8 sq.: “Amplius non semper totum sperma vadit ad matricem nec semper totum quod vadit ad matricem, operatur, sed aliqua pars

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this case in a chapter that discusses the role of the sperm in the animation of the embryo, citing it as an example for cases in which the quantity or the operative virtue of the sperm are insufficient, so that the foetus formed is too small. On another occasion, in the context of a discussion of nutritional regimens, establishing what kinds of food contribute to the preservation of health, Albert tells a peculiar story of a three-year-old girl from Cologne, which many of his brethren, he claimed, could testify to as well: “as soon as she was set down from her mother’s arms, the girl ran about the corners of the wall seeking spiders and ate them all, large and small. Further, she did well on this food and desired it over all others.” 35 Many of Albert’s first-hand accounts from Cologne can be found in the reportatio of the questions on animals that he had disputed in Cologne. In these orally disputed questions, put into writing by Albert’s confrère Conrad of Austria 36, many such stories and occasional remarks with reference to Cologne can be found. In the “beautiful city of Cologne”, Albert had a little dog with one white and one black eye. Albert conjectures that this heterochromia might be due to a certain predominance of white humour, which also caused the little dog’s lightness of character 37. Albert had another pet as well – a serpent, to which he gave wine. This serpent, as is typical for these animals, Albert claims, drank the wine “without measure” and then appeared half-dead due to its drunkenness. Albert tells the story of his own serpent to prove the general zoological observation that cold-blooded animals drink milk or wine to warm their bodies, without being able to estimate how much they should drink, so that they sometimes need to vomit 38. Warm-blooded animals, in contrast, easily get angry when they see some of their own blood “outside of their body”, as the otherwise good warm blood becomes bad once it flows out of the body.

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illius quae virtute et qualitate sua operatur potius quam quantitate: et aliquando est adeo parva, quod valde parvum conceptum operatur: sicut ego vidi in Colonia puellam quae in aetate novem annorum non habebat quantitatem pueri unius anni.” Kitchell/Resnick, On Animals (nt. 17), 648; Albertus Magnus, De animalibus, VII, 2, 5, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 554,13–18. Albertus Magnus, Qaestiones super De animalibus, XIX, q. 12–13, ed. Filthaut (nt. 22), 309,30– 35: “Expliciunt quaestiones super de animalibus, quas disputavit frater Albertus repetendo librum animalium fratribus Coloniae. Quas reportavit quidam frater et collegit ab eo audiens dictum librum nomine Cunradus de Austria. Hoc actum est anno domini MCCLVIII.” Ibid., I, q. 29–31, ed. Filthaut (nt. 22), 99,52–56: “Et caniculam etiam habui pulcherrimam Coloniae, quae unum album, alium nigrum oculum habuit. Et forte hoc fuit propter multitudinem albuginei humoris et bonitatem spirituum et lucis visivae.” Ibid., VII, q. 19, ed. Filthaut (nt. 22), 178,31–41: “Unde per vinum intenditur calor eorum et frigiditas minuitur, et laetificantur per hoc, quod nesciunt, quid faciunt – sicut sum expertus de serpente quodam quem habui Coloniae, et vino ipsum inebriavi, et nutabat huc et illuc per claustrum quasi semivivus, quia ebrius dicitur ab ‘e’, quod est ‘extra’, et ‘bria’, quod est ‘mensura’, quasi extra mensuram naturae positus – , ideo appetunt vinum. Unde talia animalia frequenter assumunt tantum de lacte vel de vino, quod statim evomunt, quia plus recipiunt quam retinere possunt, quod est una de causis vomitus.”

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Albert reports to have witnessed this together with his confrères in Cologne in the case of a bull 39. Turning to the topics of human generation and female anatomy, Albert recites the accounts of women whose confessions he had personally heard. Without any shyness, the scholar explicitly explains why women become aroused and “burn like fire” when one touches their breasts and belly. The reason for this, Albert assumes, is that the female testicles are located inside the womb and nerves connect these organs. Thus, when women get excited, their testicles ejaculate inside, the liquid sperm evaporates because of the heat and causes “vehement” sexual desire. The fine suitors, who tempt the women in Cologne with care and tact, know this very well, as Albert states. The women refuse in order to appear chaste, but they actually desire the sexual pleasures 40. One woman who Albert knew in Cologne appeared to be a saint, but in reality had quickly entangled everyone in her amorous affairs 41. However, not only women are said to be afflicted by excessive sexual desires. A certain friar, Clemens of Bohemia, had told Albert of a “grey monk”, i. e. probably a Franciscan, who had intercourse with a woman sixty-six times in a single night, which caused his death. Since he was a nobleman, the story continues, an autopsy was performed, and one could see that his brain was completely dried up. This case is introduced as an example of the physiological connection of the testicles and the brain. Apparently, these kinds of stories were not deemed too improper to be included in a scientific discussion in the 13th century, no matter whether they came from Albert or from a different source, since this story is also found in the ‘Quaestiones super De animalibus’ 42. Another interesting detail contained in this story is the reference to the dissection of a body, as it is generally assumed that autopsies of human bodies were not habitually performed before the early modern ‘scientific revolution’ in the

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Ibid., VIII, q. 2, ed. Filthaut (nt. 22), 187,80–188,2: “Sanguis enim bonus in corpore est amicabile, qui tamen extra corpus est, inimicus. Unde si bos aspiciat sanguinem suum extra corpus suum, incidit in rabiem, quod probavi Coloniae semel coram fratribus.” Ibid., XIII, q. 19, ed. Filthaut (nt. 22), 248,7–24: “Unde nota, quod quando mulier palpatur per mamillas et ventrem, quod tunc multum irritatur ad coitum et, licet celet, ardet tamen tunc ut ignis. Et hoc accidit ideo, quia testiculi eius siti in matrice dependent per quosdam nervos et cottilidones a mamillis et a ventre. Unde per tactum mamillarum excutitur sperma de eis, et evomunt in matricem. Quod effusum in matricem caliditatem sopitam in ea excitat, sicut aqua proiecta super calcem; propter quod maxime tunc appetunt mulieres coitum. Unde tunc prae vehementia desiderii mingunt occulte et spermatizant et quandoque mundant. Unde et subtiles proci, ut in confessionibus Coloniae audivi, cum tali cautela [et] tactu temptant mulieres. Quae quanto magis videntur recusare talia, secundum rei veritatem tanto plus appetunt et consentire proponunt, sed ut videantur esse castae, quasi talia renuunt; etc.” Ibid., XV, q. 11, ed. Filthaut (nt. 22), 265,62–68: “Dicitur enim communiter et proverbialiter et vulgariter, quod mulieres sunt magis mendaces et fragiles, diffidentes, inverecundae, eloquentes deceptorie, et breviter mulier nihil aliud est quam diabolus specie humana effigiatus. Unde vidi quandam Coloniae, quae videbatur esse sancta et tamen breviter omnes in amorem suum illaqueabat.” Ibid., XV, q. 14, ed. Filthaut (nt. 22), 268,41–56.

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15th century. In any case, it is one of the earliest mentions of human dissections before the 14th-century anatomist Mondino de Liuzzi 43. A less indecent, yet still astonishing story is Albert’s account of a mouse he saw in the “upper parts of Germany”, which was trained to hold a candle at dinner for the dining party at its master’s order. This example appears in a discussion on tameable animals (animales disciplinabiles ). Usually, only superior animals, which have a certain imaginative power, like dogs, were considered trainable 44. However, the story of the mouse seems to confute this theoretical assumption. Nevertheless, Albert does not elaborate further on this problem. Even in these cases, in which Albert tells a story as an eyewitness and refers to a certain place where he had made his observation, it is still challenging to draw a clear line between the seen, the convincing, and the imagined. In any case, Albert was surely driven by his own fascination with the particular as well as his aim to establish a scientia perfecta, a complete science, reaching from the universal to the particular, without dismissing anything as unworthy of scientific examination.

VI. Conclusion In the present article, I have referred to many stories, and yet only a small fraction of the many cases contained in Albert’s corpus of natural works has been mentioned. With the choice of examples, I have tried to provide an insight into their abundance and ‘liberty’ and to demonstrate the scientific seriousness with which Albert tells the stories of midwives, little girls, spiders, or mice. Now, what is the role of such curious and at times even lewd stories? What is the function of these exempla in the natural philosophy of Albert the Great? For Albert, all these hundreds of stories are not – or at least not only – tokens of curiosity, oddity or laughter, but they represent serious observational arguments. Unfortunately, Albert did not address his own use of curiosities in his works on natural philosophy in a methodological manner. He did, however, occasionally address the notion of curiosity. He did so in two very different ways. In most of the occurrences Albert addresses curiositas in a theological context and in these cases, he regards curiosity in a negative manner. Albert – following Augustine and Bernard of Clairvaux – defines curiosity as a vain, useless and inconti43

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Mondino de’ Liuzzi, Anothomia di Mondino de’ Liuzzi da Bologna, XIV secolo, edd. P. P. Giorgi/G. F. Pasini, Bologna 1982. Mondino mentions two human dissections in his work. Cf. K. Park, Liuzzi, Mondino de’, in: T. F. Glick/S. J. Livesey/F. Wallis (eds.), Medieval Science, Technology, and Medicine: An Encyclopedia, New York 2005, 310 sq. Albertus Magnus, De animalibus, VIII, 6, 1, ed. Stadler (nt. 2), vol. 1, 668,3 sqq.: “Et nos in partibus superioris Germaniae mure vidimus, qui tenendo candelam ministrabat lumen comedentibus ad praeceptum magistri sui.”

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nent desire for knowledge 45. Curiosity is considered an investigation of things that one does not need to know, either because they are illicit or simply superficial. Albert’s own description of ‘curiosity’ actually could have fitted well with all the ‘curiosities’ in his texts as tokens of ‘vain’ knowledge. However, unlike the theological works, in one of his Aristotelian commentaries Albert puts curiositas into a much more favourable interpretation. Commenting on the notorious Aristotelian adage “all men desire to know” in his ‘Metaphysics’ commentary, Albert takes a very different perspective and defends the desire to know for the very pleasure of knowing 46. The defence of the desire to know makes part of the argumentation of the fundamental character of metaphysics as a first philosophy. Its fundamental nature is grounded in the natural desire of the knowing subject. Albert dedicates an entire chapter to the defence of the desire to know and focuses on three main points: In a first step, he takes the argument that desire for knowledge is a natural desire and nothing natural could be vain 47. All people desire to know, and yet nothing that is universal to an entire genus or species and is natural to it, can be vain. In a second step, Albert declares the delight of knowledge a distinctive feature of the human being. It is only in humans that every kind of sensitive knowledge serves for the sake of intellective knowledge. While all the other animal species profit from their sensitive knowledge for its usefulness, it is only humans that are able to enjoy the sensitive knowledge they acquire – for only in humans’ sensitive knowledge, as well as any accidental knowledge, is ordered towards a higher rank knowledge, the intellective one 48. “Homo solus” is a recurring trope in Albert’s works on natural 45

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Albertus Magnus, De bono, art. 4, edd. H. Kühle/C. Feckes/B. Geyer/W. Kübel (Editio Coloniensis 28), Münster 1951, 233,61–64: “Prima patet per se, secunda probatur per dictum Augustini et Bernardi dicentium, quod curiositas est investigatio eorum, quae ad rem et ad nos non pertinent.” Cf. id., Quaestiones de vitiis capitalibus, art. 3, edd. W. Kübel/H. Anzulewicz (Editio Coloniensis 25/ 2), Münster 1993, 167,39 sq.: “curiositas, quae est inordinatio circa amorem scientiae”; id., Super Mattheum, IV, 25, ed. B. Schmidt (Editio Coloniensis 21/1–2), Münster 1987, 100,53 sq.; ibid., XVI, 1, ed. Schmidt, 451,42 sq.: “Quarto curiositatem: et rogaverunt, non de salute, sed ut signum de caelo manducaverunt manna in deserto. Quidam tamen dicunt, quod gratia curiositatis petebant signum de caelo.”; ibid., XXV, 1, ed. Schmidt, 585,43 sqq.; ibid., XXVII, 49, ed. Schmidt, 648,13 sq.; id., Summa theologiae, I, 1, edd. D. Siedler/W. Kübel/H. G. Vogels (Editio Coloniensis 34/1), Münster 1978, 6,15 sq.; ibid., I, 2, edd. Siedler e. a., 8,12–16. Albertus Magnus, Metaphysica, I, 1, 4, ed. B. Geyer (Editio Coloniensis 16/1), Münster 1960, 6,80–7,12: “Omnes igitur homines, per hoc quod sunt homines, per intellectum in specie et natura hominum constituti, naturaliter scire desiderant. […] Haec autem inter alios sensus maxime fit in exercitio visus, quod fit per oculos; in curiositate enim oculorum delectamur non solum, ut agamus quippiam conferentium ad vitam quod vivere quaerimus, concupiscimus tamen videre propter ipsum videre prae omnibus aliis sola illecti curiositate videndi.” Cf. Aristotle, Metaphysics, I, 1, 980a21. Albertus Magnus, Metaphysica, I, 1, 4, ed. Geyer (nt. 46), 6,18–21: “Subiciatur ergo nobis primum, quod non potest esse vanum naturale et toti speciei conveniens desiderium. Hoc enim supposito probabimus, quod omnes homines natura scire desiderant et cum non sit vanum desiderium.” Albertus Magnus, Metaphysica, I, 1, 4, ed. Geyer (nt. 46), 6,65–72: “Homo autem solus delectatur in usu sensuum in sensibili per se et per accidens et sensibili proprio et communi propter ipsum sentire praeter omnem aliam adiunctam delectationem vel commodum vel incommodum vel quaecumque utilitatem ad vitam conferentium, et hac est delectari in ipsa cognitione sensibilium, secundum quod cognitione quaedam est de fonte cognitionis omnis emanans.”

Big Book of Little Curiosities

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philosophy 49. Here it appears in the ‘Metaphysics’ commentary, providing yet another distinction of the human species among the natural world – their natural desire for knowledge. In a final, third step, Albert introduces curiosity. It acquires a certain legitimacy for providing us that delight in sensitive knowledge that is characteristic only to humans. Curiosity brings us pleasure of knowing without any further utility, only for the sake of the intellectual knowledge it would, or could, lead up to 50. As we have seen, Albert’s obvious interest in the manifold examples he tells in his commentaries on the libri naturales reflects more the affirmative approach to curiosity in the opening of the ‘Metaphysics’ than to the theological reservation against the vain and useless curiosity. This we have tried to show in the three groups of cases we have presented and analysed in the realm of curiosities: the elaboration or explanation of an empirical claim by Aristotle; testimonies and hearsay; personal accounts. These three types of additions to the textual basis of Aristotle’s zoological corpus are used by Albert to corroborate the theoretical arguments he elucidated. These exempla, used in the context of natural philosophy, do not have a didactic character, unlike in ethics or homilies. Neither are they case studies of practical relevance, unlike frequent exempla in medical literature. In natural philosophy, the exempla serve as single cases, verifying, or at times even falsifying, a theory. While Albert himself denies the scientific and methodological validity of single-case examples, his own curiosity prompted him to use such stories and cases to prove certain points he was making; and, to be honest, he also wanted to catch the readers’ attention. While the secondary literature still tends to discard these curiositates as too numerous, too irrelevant, too narrative, they actually constitute an essential part of Albert’s account. With this, he surely follows in the footsteps of Aristotle and Avicenna, but he also validates individual observations. ‘Ego vidi’ first acquired a value in natural philosophy and then gave rise to further investigation in natural science.

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Cf. T. W. Köhler, Homo animal nobilissimum, Konturen des spezifisch Menschlichen in der naturphilosophischen Aristoteleskommentierung des dreizehnten Jahrhunderts, Teilband 1, Leiden– Boston 2008, 203–225. Albertus Magnus, Metaphysica, I, 1, 4, ed. Geyer (nt. 46), 7,14: “concupiscimus tamen videre propter ipsum videre prae omnibus aliis sola illecti curiositate videndi. Huius autem causa est, quam diximus, quia videlicet sensibilium cognitio, quando sine alia utilitate desideratur, ad scientiam intcllectivam ordinatur et propter ipsam appetitur.”

The Dominican Botanical Culture: the Rehabilitation of Curiositas in Albert the Great’s ‘De vegetabilibus’ and in Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’ Marilena Panarelli (Lecce) I. Introduction The notion of curiositas within the medieval philosophical tradition may be approached in different ways. One of these is to investigate it as an explicative term that is able to shed light on the linkage between intellectual history and political as well as institutional developments. Thus, the idea of curiositas, conceived as the intention to focus on neglected fields of knowledge, may be considered the driving force of a certain ideological intent. The history of the term curiositas may be studied by taking its dichotomy with the history of bans, prohibitions and censorship into account. Consequently, the interpretation of the idea of curiosity might have a precise political and moral meaning, which is dependent on the dominant ideology. The first half of the thirteenth century was indeed a time during which the attitude towards knowledge, and therefore towards curiosity, was ambivalent: on the one hand, the phenomenon of the translatio studii led to the circulation of a great amount of texts, and thus to the possibility for the Latin West to gain access to kinds of knowledge previously unapproachable; on the other hand, precisely due to this large number of new texts, the study of them was regulated and controlled through several prohibitions. In this sense, the historical reconstruction of an idea such as curiositas should be put into the historical context of cultural institutions, such as the University of Paris and the studia of the Dominican Order. The time between 1215 and 1259 represents a turning point in the history of philosophy: this period encompasses the first statutes of the University of Paris, which prohibited the study of natural philosophy and of Aristotelian writings 1, as well as the new statutes of 1255, which, on the contrary, made this kind of study within the faculty of arts mandatory. Further, the Dominican General Chapter of Valenciennes, which took place in 1259 and resulted in the reformulation of the ratio studiorum of the Dominican Order, officially institutionalizing the studia artium, falls within this period. 1

Chartularium Universitatis Parisiensis, edd. H. Denifle/A. Chatelain, Paris 1889.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-018

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Within this context, the case of the scientia plantarum is peculiar, as it experienced a radical change between the 12th and 13th centuries: its rehabilitation somehow seems to coincide with the rehabilitation of curiositas itself, and it is included in the process of institutionalizing the philosophia naturalis. During this period, a new all-purpose science was established, paving the way for a kind of scientific renewal that, however, was the result of a tense climate. More specifically, Isabelle Draelants has observed how this new model of science was constituted during this period mainly by the Friar Preachers within “la tension entre la curiosité intellectuelle et les obligations morales de l’Ordre” 2. In fact, this period also coincides with the first fifty years of the activities of the Dominican Order, during which the first constitutions of the order were written 3. These were conceived as the legislative instruments that the friars needed to organize and acquire theological and philosophical competences 4. In this regard, one of the prominent features of the newly founded order was the programmaticity of the intellectual activity. Moreover, during these years, especially between 1254 and 1256, the conflict between seculars and mendicant orders took place. Paradoxically, this led to a deeper institutionalization of the mendicant orders themselves and a more far-reaching aknowledgment of the papal authority 5. During those years, some of the most influential Friar Preachers were active, among them Albert the Great, Thomas of Cantimpré and Vincent of Beauvais, whose works clearly portray the direction of the cultural policy of the order. These representatives have contributed most incisively to the creation of a “Dominican culture”, shaping the way of knowledge conception and organization as well as the scientific research promoted by the Dominican Order. Thus, the objective of the present paper is to explore this historical context in order to show how the idea of curiositas was rehabilitated, revealing its close connection to the study of natural philosophy. Moreover, I will examine how the vegetal world was investigated within the Dominican Order, mainly in Albert 2

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I. Draelants, avec la collaboration de Monique Paulmier-Foucart, Les Dominicains et la dynamique de la science: les Specula de Vincent de Beauvais, in: Memorie domenicane (Atti del convegno «Contemplata aliis tradere», Gennaio 2017), Firenze 2022, 25. Die Constitutionen des Prediger-Ordens vom Jahre 1228, edd. H. Denifle/F. Herle (Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des Mittelalters 1), Berlin 1885, 193–227. Regarding a historical reconstruction of the first years of the Dominican Order, cf. L. Robles, El studio de las Artes liberales en la primitiva legislaciòn dominicana. Antecedentes historicos, in: Arts libéraux et philosophie au moyen âge. Actes du quatrième Congrès international de philosophie médiévale, Montréal–Paris 1969, 65–186; W. A. Hinnebusch, The History of the Dominican Order. Intellectual and Cultural Life, (vol. II), New York 1973; L. Cinelli, L’ordine dei Predicatori e lo studio: legislazione, centri, biblioteche (secoli XIII-XV), in: G. Festa/M. Rainini (a cura di), L’ordine dei Predicatori. I Domenicani: storia, figure e istituzioni, Bari–Rome 2016, 278–303. M. M. Dufeil, Guillaume de Saint-Amour et la polémique Universitaire Parisienne 1250–1259, Paris 1972; Cinelli, L’ordine (nt. 4), 14 sqq.

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the Great’s ‘De vegetabilibus’ 6 and Vincent of Beauvais’s ‘Speculum naturale’ 7 – being the first works to use both philosophical and pharmacological sources –, to demonstrate how “the Dominican botanical culture” may be considered a case study of the rehabilitation of curiositas. In order to reach this goal, the dynamic of the tension between curiosity and prohibitions needs to be investigated. This will clarify how it was possible that, at the beginning of this phase, the study of natural philosophy was forbidden exactly because it was considered as belonging to the studia curiosa, while it later assumed a leading position in philosophical investiagtions promoting curiositas as such, as the cases of Albert the Great and Vincent of Beauvais show. II. T he state of the scientia plantar um in the 13 t h centur y To investigate the legitimatization of curiositas from the viewpoint of the scientia plantarum, some light has to be shed on the state of this science before the natural sciences were newly systematized and investigated in the 13th century. During the first half of the 12th century, immediately before the heyday of the translatio studii, the scientia plantarum was indeed mostly concerned with pharmacology, as the study of plants was limited to the medical and dietetic use of them. Moreover, before the reorganization of the sciences, which began in the second half of the 12th century, the tradition regarding this matter was mostly based on two fundamental ancient sources, in particular Pliny’s ‘Naturalis historia’ and Dioscorides’ ‘De materia medica’, as has been pointed out by Iolanda Ventura 8. These texts, together with the agronomical works of Columella and Palladius, represent the most significant legacy of classical antiquity to medieval Latinity. Some noteworthy examples of the early medieval sources that transmit these texts are book XVII of Isidore of Seville’s ‘Etymologiae’, in which most of the ancient naturalistic sources are gathered, the ‘Herbarium Apuleii’ 9 – a collection of the medical uses of plants, written in the 4th century A.D., which is directly dependend on Dioscorides –, and the ‘Hortulus’ of Walafrid Strabo 10, redacted around the mid-9th century A.D. 6 7 8 9

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Albertus Magnus, De vegetabilibus libri VII, edd. E. Meyer/C. Jessen, Berlin 1867. Vincentius Bellovacensis, Speculum Quadruplex sive Speculum Maius, tom. 1: Speculum naturale, Douai 1624 (repr. Graz 1964). I. Ventura, Introduzione, in: Bartholomeus Anglicus, De proprietatibus rerum, Vol. VI: Liber XVII, ed. ead. (De diversis artibus 79 [N. S. 42]), Turnhout 2007, VII–XII. Liber Pseudo Apulei Herbarius, in: Antonii Musae de herba vettonica, Liber Pseudo-Apulei Herbarius, Anonymi de taxone Liber, Sexti Placiti Liber medicinae ex animalibus, edd. E. Howald/H. E. Sigerist (Corpus Medicorum Latinorum IV), Leipzig–Berlin 1927. On this text, cf. I. Müller, Pseudo-Apuleius, in: Lexikon des Mittelalters 7, 1995, col. 306; L. Ehrsam Voigts, The Significance of the Name Apuleius to the “Herbarium Apulei”, in: Bulletin of the History of Medicine 52/2, (1978), 214–227. Walahfrido Strabone [Walafridus Strabo], Hortulus, ed. C. Roccaro (Athena. Collana di saggi e testi classici e medievali 1), Palermo 1979.

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During the first half of the 11th Century, this textual tradition was then highly influenced by the so-called Corpus constantinianum. The medical and botanical sciences had indeed anticipated the ‘Arabic revolution’, thanks to an extensive translation enterprise led by Constantine the African 11. The most important of Constantine’s translations were the ‘Pantegni’ and the ‘Liber de gradibus’. Constantine’s translations had a great impact on the so-called Corpus salernitanum, which, in turn, contributed significantly to the evolution of this kind of knowledge. It included works written between 1150 and 1170, such as the ‘Circa instans’, one of the most famous manuals of medieval pharmacology 12, or the ‘Liber iste’ and the ‘Antidotarium Nicolai’, two collections that deal with the properties of simple and of composed medicine, respectively. Until that time, the study of plants was thus closely connected with medicine, aiming at understanding their medical features. Then, at the end of the 12th century, during the period of the so-called translatio studii, several texts were translated from the Arabic, giving a new impulse to that science: the most significant in this context are probably the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’ 13 translated by Alfred of Sareshel, and Avicenna’s ‘Canon’, translated by Gerard of Cremona, as well as several other Arabic texts. The introduction of these new texts necessitated the systematization of the data, leading to what Ventura has defined as a “momento di svolta” 14. Indeed, the 13th century is a salient time regarding the reformulation of academic pharmacology and, in a broader sense, of the scientia plantarum as such. The translation of the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’ represents a caesura in the history of this textual tradition. The attribution of the text to Aristotle facilitated the inclusion of this kind of inquiry in philosophical investigations. Indeed, the text was soon commented on, although it should be mentioned that the first commentaries on the text stem from the English Franciscan milieu 15.

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On this, cf. I. Ventura, Lo sviluppo della farmacopea salernitana ed il ruolo del Corpus Constantinianum per una mise au point, in: Medicina nei secoli. Arte e scienza 30/2 (2018), 641–686, 643. Ventura observed that the era of translations of medical works from Arabic into Latin could be divided into three main steps. It began with the partial translation of the ‘Kitāb al-Malakī’ by Alī ibn al-Abbās al-Mağusī, the ‘Pantegni’ by Constantine the African, went on with the translation of Avicenna’s ‘Canon of Medicine’ by Gerard of Cremona at the end of the 11th century and ended with the translation of Averroes’ ‘Colliget’ by Banacolsa in Padua at the end of the 12th century. I. Ventura, Medieval Pharmacy and Arabic Heritage: The Salernitan Collection Circa Instans, in: A. P. Bagliani (ed.), The Impact of Arabic Sciences in Europe and Asia (Micrologus 24), Firenze 2016, 339–401. Nicolaus Damascenus, De plantis, Five translations, edd. H. J. Drossaart Lulofs/E. L. J. Poortman (Aristoteles Semitico-Latinus 4), Amsterdam e. a. 1989. Ventura, Introduzione (nt. 8), IX. For further proof of this, cf. M. Panarelli, Albert the Great’s De vegetabilibus and its unique position among the medieval commentaries on De plantis, in: G. Giglioni/M. F. Ferrini (eds.), Trattati greci di Botanica in Occidente e in Oriente, Macerata 2020, 137–161.

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These were the commentaries of Alfred of Sareshel and Adam of Buckfield 16, which are characterized by their closeness to the original text, not attempting to significantly augment it. At the same time, the arrival of this text in the Parisian environment did not lead to an immediate rehabilitation of the scientia plantarum. Although it was included in the curriculum studiorum of the faculty of arts, in the middle of the 12th century, the study of plants seems to have been despised in the Parisian environment, as is testified by some introductory manuals to philosophy 17: an explicative case is the ‘Philosophica disciplina’ 18, circulating in Paris around 1245, in which its anonymous author states that the “obiectum” of the “scientia de vegetabilibus” is “innobilius nec tanta egeat perscrutatione” 19, meaning that the object of this science does not require investigation as it is ignoble. Furthermore, these kinds of manuals, on the one hand, confirm the introduction of the scientia de plantis into the curriculum studiorum, while, on the other hand, they clearly testify to the separation of the philosophia naturalis and the artes mechanichae, which also included agriculture and medicine. The ‘Divisio scientiarum’ of Arnulfus Provincialis 20 as well as the ‘De ortu scientiarum’ of Robert Kilwardby 21 clearly attest to the strict division of physica and mechanica. Consequently, the treatment of the scientia plantarum was fragmented and divided between philosophia and the artes, unable to integrate the different kinds of sources available on this matter 22. Nevertheless, the increase of sources available led to a new kind of analysis, which considered this object of study – that is, the plants – as being worth of a wider discussion, not merely restricting it to its pharmacological uses. In this crucial moment, when knowledge was reformulated and newly systematized, all the notions that had their sources in pharmacological texts could be employed to establish a new kind of science, namely a philosophical science in which the study of the vegetal world was not only geared towards its medical utility, but which aimed at a theoretical explanation of nature. 16

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Alfredus de Sareshel, Super librum De vegetabilibus, ed. R. J. Long, in: Medieval Studies, 47 (1985); Adam de Bockenfield, Glossae super de vegetabilibus et plantis, ed. R. J. Long (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 111), Leiden–Boston 2013. Cf. J. Hamesse, Manuels, Programmes de cours et techniques d’enseignement dans les universités médiévales, Louvain-la-Neuve 1994. Anonymi magistri artium Philosophica disciplina, in: C. Lafleur (ed.), Quatre introductions à la philosophie au XIII siècle, 255–287. C. Lafelur, Scientia et Ars dans les introductions à la philosophie des maitres des arts de l’Universitè de Paris au XIIIe siècle, in: I. Craemer-Reugenberg/A. Speer (eds.), Scientia und ars im Hoch und Spätmittelalter. Albert Zimmermann zum 65. Geburtstag (Miscellanea Mediaevalia 22), Berlin–New York 1994, 45–65. Anonymi magistri artium Philosophica disciplina (nt. 18), 264. 149 sq. Lafleur, Scientia et ars (nt. 18), 55–62. Robert Kilwardby, De ortu scientiarum, ed. A. G. Judy (Auctores Britannici medii aevi 4), Toronto–Oxford 1976. G. Dahan, Les classifications du savoir aux XIIe et XIIIe siècles, in: L’Enseignement Philosophique 40 (1990), 5–27.

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With regard to the academic context, the philosophical and theoretical study of plants had many obstacles to overcome, as will be shown later. However, one of the environments in which the dignity of this science was first restored was the Dominican Order in which the coincidence of the rehabilitation of curiositas and the organization of a new type of knowledge – such as that of natural philosophy – becomes evident: Albert the Great and Vincent of Beauvais were indeed the first Dominicans who commented on and employed the pseudoAristotelian ‘De plantis’, combining its notional contents with those of the pharmacological texts. These two did not limit themselves to simply giving space to an issue considered innobilius, but they also superseded the ordinary system of the classification of sciences, showing interest in the artes mechanichae as well. After the emergence of the new sources, the scientia de plantis could not simply be reduced to the pharmacopeia anymore, but the necessity to investigate it in a philosophical framework arose. This kind of investigation was indeed carried out within the Dominican Order, with Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’, Albert the Great’s ‘De vegetabilibus’ and Thomas of Cantimpré’s ‘De natura rerum’, being its most authoritative textual representatives.

III. Confining curiositas: T he Dominican constitutions and the statutes of the University of Paris As is well known, the Dominican Order was founded by Saint Dominic in 1216, with the declared intent to oppose heresy. To achieve the main goal of the order, namely the salus animarum, the Dominican friars were supposed to practice the praedicatio, which presupposed the studium. Studying was thus the core activity of the friars. However, the study was not considered an individual end in itself, but rather a benefit for the community 23. The Ordo Praedicatorum constituted a novitas regarding this model of religious life founded on study. It had a strong collective personality, so that Paul Classen interestingly defined it as a movement of students 24. The order right away obtained the pope’s support, as it followed the Augustinian rule 25, which highly influenced the organization of the order’s daily life. Already in the first years of their activity, the Preachers established a very comprehensive set of constitutions for themselves. Saint Dominic himself wrote the first Constitutiones in 1220 26, 23 24 25

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Humbertus de Romanis, Opera de vita regulari, vol. II, ed. J. J. Berthier, Romae 1889, 28: “Studium enim est ordinatum ad praedicationem; praedicatio ad animarum salutem, quae est ultimus finis.” P. Classen, Libertas scolastica – Scholarenprivilegien – Akademische Freiheit im Mittelalter, in: Id., Studium und Gesellschaft im Mittelalter, Stuttgart 1983, 238–284. G. Barone, Il papato e i Domenicani nel Duecento, in: Il papato duecentesco e gli ordini mendicanti, Atti del XXV Convegno internazionale della Società internazionale di studi francescani, Assisi, 13–14 febbraio 1998, Spoleto 1998, 81–103. Constitutionen, edd. Denifle/Herle (nt. 3), 193–227.

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which were subsequently reviewed by Raymond of Peñafort and Humbert of Romans. This is a significant aspect of the order: the fact that it was equipped with a very detailed normative apparatus is highly explicative with regard to the Dominican cultural policy. The constitutions indeed regulated the everyday life of the order and, first of all, its main activity, the study 27. It is noteworthy that these first constitutions forbid the study of pagans and philosophers: “In libris gentilium et philosophorum non student, etsi ad horam inspiciant. Seculares scientias non addiscant, nec etiam artes quas liberales vocant, nisi aliquando circa aliquos magister ordinis vel capitulum generales voluerit aliter dispensare; sed tantum libros theologicos tam iuvenes quam alii legant.” 28

These prohibitions were, however, in line with those decreed in the Parisian environment at that time. The Preachers actually established such a close relation with the Parisian university environment that the history of these two institutions is closely intertwined in this first phase. A clear sign of this is the rapid development of the Dominican Convent of Saint-Jacques in Paris, which became the epicenter of the intellectual life of the friars. Once they came to Paris to study at the universitas magistrorum, the Preachers were supposed to appropriate their intellectual activity to the directives of the Synod of Paris held in 1210 29 that forbid the study of natural philosophy: “1210 Parisiis […] nec libri Aristotelis de naturali philosophia nec commenta legantur Parisius publice vel secreto, et hoc sub penae excommunicationis inhibemus” 30. The prohibition to study natural philosophy was then restated in the statutes of the University of Paris, promulgated by Robert of Courçon in 1215, which stated: “1215, mense Augusto, Parisiis […] Non legantur libri Aristotelis de methafisica et de naturali philosophia, nec summe de eisdem” 31. Thus, during the first decades of the thirteenth century, both the University of Paris and the Dominican Order, being the most important cultural institutions, forbade the study of the rediscovered Aristotelian natural philosophy 32. 27

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To this regard cf. C. Douais, Essai sur l’organisation des études dans l’ordre des frères prêcheurs au treizième et au quatorzième siècle (1216–1342), Paris–Toulouse 1884; M. M. Mulchahey, First the Bow is Bent in Study. Dominican Education before 1350 (Pontifical lnstitute of Medieval Studies, Studies and Texts 132), Toronto 1998; A. Duval, L’étude dans la législation religieuse de saint Dominique, in: Mélanges offerts à M.-D. Chenu (Bibliothèque thomiste 37), Paris 1967, 221–247; W. Frank, Die Spannung zwischen Ordensleben und wissenschaflicher Arbeit im fru¨hen Dominkanenorden, in: Archiv fu¨r Kulturgeschichte 49 (1967), 164–207. Constitutionen, edd. Denifle/Herle (nt. 3), 222. R. Lemay has observed how the expression ‘libri naturales’ should first and foremost be seen as referring to the translations from the Arabic: “ce sont toutes les traductions de l’arabe traitant de la nature selon Aristote qui sont déclarées suspectes”. Cf. R. Lemay, De la scolastique à l’histoire par le truchement de la philologie: itinéraire d’un médiéviste entre Europe et Islam, in: La diffusione delle scienze islamiche nel Medio Evo europeo, Roma 1987, 528 sq. Chartularium, 11, edd. Denifle/Chatelain (nt. 1), 70. Ibid., 20, (nt. 1), 78 sq. J. Verger, L’Essor des Universités au XIIIe siècle, Paris, 1997; O. Weijers/L. Holtz, L’enseignement des disciplines à la Faculté des Arts (Paris et Oxford, XIIIe–XVe siècles), Turnhout 1997;

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After some years, precisely in 1231, the bull of Gregory IX, the Parens scientiarum, renewed the aforementioned prohibitions, adding, however, that those texts could not be read until they were emended 33: “1231, Aprile, 13, Parisiis […] Ad hec jubemus, ut magistri artium unam lectionem de Prisciano et unum post alium ordinarie semper legant, et libris illis naturalibus, qui in Concilio provinciali ex certa causa prohibiti fuere, Parisius non utantur, quousque examinati fuerint et ab omni errorum suspitione purgati.” 34 Nevertheless, Luca Bianchi has considered the bull Parens scientiarum a temporary prohibition that aimed at the purgatio Aristotelis 35. The bull aimed at focusing on the most significant problems concerning the interpretation of texts of natural philosophy, since the Latins did not have the lexical instruments to approach such a technical knowledge as that of natural philosophy. Indeed, as a consequence of the bull, a commission was instituted, comprising three members – William of Auxerre, Stephen of Province and Simon of Authie – who were supposed to examine the texts in question. Bianchi has observed that the study of Aristotle was gradually allowed thereafter, transforming the previous interdictions “de perpétuelle en provisoire” 36. Indeed, Pope Gregory IX’s attitude during the decade after the bull facilitated that no serious measures were taken against the study of Aristotle. Quite the contrary: J. Williams has demonstrated that Gregory IX approached the study of natural philosophy with quite an open mind on several occasions 37. Meanwhile, on the Dominican front, the rigidity of cultural policy continued to be reiterated. This is testified first of all by the Paris General Chapter of 1243, which renewed these regulations, warning against the studia curiosa: “Fratres non studeant in libris philosophicis, nisi secundum quod scriptum est in constitucionibus. nec eciam scripta curiosa faciant” 38. Furthermore, these renewed constitutions were then commented on by Humbert of Romans, the fifth general of the order, who explained some aspects of them in detail in his Expositio super constitutiones.

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O. Weijers, Le maniement du savoir. Pratiques intellectuelles à l’époque des premières universités (XIIIe–XIVe siècle) (Studia Artistarum, Subsidia), Turnhout 1996; M. M. Mulchahey, The Dominican Studium System and the Universities of Europe in the Thirteenth Century. A Relationship Redefined, in: Hamesse (ed.), Manuels (nt. 17), 277–324. With regard to these three interdictions, cf. M. Grabmann, I Divieti ecclesiastici di Aristotele sotto Innocenzo III e Gregorio IX (Miscellanea Historiae Pontificiae, V, 7), Roma 1941; F. Van Steenberghen, La philosophie au XIIIe siècle (Philosophes médiévaux 28), Louvain-la-Neuve 1991; L. Bianchi, Les interdictions relatives à l’enseignement d’Aristote au XIIIe siècle, in: C. Lafleur/J. Carrier, L’enseignement de la philosophie au XIII siècle. Autour du «Guide de l’étudiant» du ms. Ripoll 109 (Studia Artistarum, 5), Turnhout 1997, 109–137; S. J. Williams, Repenser l’intention et l’effet des décrets de 1231 du pape Grégoire IX sur l’étude des libri naturales d’Aristote à l’Université de Paris, in: Carrier/Lafleur (eds.), L’enseignement, 139–163. Chartularium, 79, edd. Denifle/Chatelain (nt. 1), 138. Bianchi, Les interdictions relatives (nt. 33). Ibid., 136. Cf. S. J. Williams, Repenser l’intention (nt. 33), 139–150. Acta capitulorum generalium ordinis praedicatorum, vol. I, ed. B. M. Reichert (Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum Historica 3), Rome 1898–1900, 26.

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Humbert of Romans played a crucial role in this context, since his activity as general master of the order was highly moralizing, being strongly inspired by the Augustinian influence. On the basis of the Augustinian doctrine, he thought of curiositas as an intellectual defect: Unde sequitur: et studium nostrum ad hoc debeat principaliter intendere ut proximorum animabus possimus utiles esse. Et attendendum est secundum Bernardum quod quidam student ut sciant, et turpis curiositas est; quidam ut sciantur, et turpis vanitas est; quidam ut scientiam vendant, et turpis quaestus est; quidam ut proficiant; et prudentia est; quidam ut alios aedificent, et charitas est. Et tale debet esse studium nostrum, secundum quod hic dicitur 39.

This passage clearly reveals that utilitas and curiositas were considered opposite terms. According to Humbert, the regulatory principle of the intellectual activity of the friars was its utility for the soul of believers, excluding everything that did not contribute to this purpose, therefore also excluding curiosity as such: it was not allowed to gain knowledge to fulfill the desire to know 40.

IV. Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’ It is hence clear that, in order to rehabilitate curiositas as such, the relation between curiosity and the notion of utilitas needed to be reassessed. With utilitas being the main goal of the order, the semantic and notional field of curiositas had to be integrated into it. This is exactly what Vincent of Beauvais and Albert the Great did 41. Only one year after the Chapter of Paris, in 1244, Vincent of Beauvais finished the bifaria version of his ‘Speculum maius’ 42. The bifaria version was divided into the ‘Speculum doctrinale’ and the ‘Speculum naturale’ 43. The ‘Speculum naturale’, however, was presented as a work that aimed at gaining knowledge of God through the history of creation. Thus, in the program of the work, the study of the res naturae was always dedicated to reaching knowledge of God. 39 40

41

42 43

Humbertus de Romanis, Opera de vita regulari, ed. Berthier (nt. 23), 41. Cf. A. Nadeau, Faire œuvre utile. Notes sur le vocabulaire de quelques prologues dominicains du XIIIe siècle, in: M.-C. Duchenne/S. Lusignan/M. Paulmier-Foucart (eds.), Lector et compilator. Vincent de Beauvais, Grâne 1997, 77–96. Cf. I. Draelants/M. Paulmier-Foucart, Échanges dans la societas des naturalistes au milieu du XIIIe siécle, in: D. James-Raoul/O. Soutet, Par les mots et les textes. Mélanges de langue, de littérature et d’histoire des sciences médiévales offerts à Claude Thomasset, Paris 2005, 219– 238; I. Ventura, extraire, organiser, ttransmettre le savoir dans les Encyclopédies du Moyen Âge tardif: Albert le Grand dans le Speculum Naturale de Vincent de Beauvais et la Catena Aurea Entium d’Henry d’Herford, in: S. Morelt (ed.), Lire en extraits. Lecture et production des textes de l’Antiquité à la fin du Moyen Âge, Paris 2015, 443–464. M. Paulmier-Foucart/S. Lusignan, Vincent de Beauvais et l’histoire du Speculum maius, in: Journal des Savants (1990), 97–124. Cf. M. Paulmier-Foucart/M.-C. Duchenne, Vincent de Beauvais et le Grand miroir du monde (Témoins de Notre Histoire 10), Turnhout 2004.

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Nevertheless, such an enterprise was also supposed to be useful for the reader. Indeed, the notion of utilitas occupied a preeminent position already in the ‘Libellus apologeticus’, the long prologue to his work. What is interesting is that the prologue seems to announce the possibility of a certain conciliation between utilitas and curiositas. While, according to Humbert of Romans, curiositas should be considered an intellectual defect, according to Vincent of Beauvais, it began to indicate the desire to know. In fact, after having declared how the work he was going to write served the purpose of utility – “ad fidei nostrae dogmatis abstractionem, vel ad morum instructionem, sive ad excitandam charitatis devotionem, aut divinarum scripturarum mysticam expositionem, vel ad ipsius veritatis manifestam aut symbolicam declarationem” – , he claims that curiosity would be the driving force of his work – “ut et studio meo quasi modum quendam imponens curiositati meae ceterorumque” – and declares that in this way he would satisfy the lector curiosus 44. A highly significant text passage regarding the purpose of the present paper is chapter 18 of the ‘Libellus’, in which it becomes clear that the investigation of nature is conceived as the study of the history of creation, although it is declared early on that the work is not meant as a mere exegesis. With regard to botanical issues, it has to be mentioned that, in this chapter, Vincent openly declares that his investigation deals with plants not quoted in Holy Scripture 45. In this way, although the study of plants remains closely connected to the theological investigation, it begins to become more autonomous 46. This is a crucial point regarding the process of the legitimation of natural studies: nature is studied in order to know God, but at the same time the Bible does not cover the entire scope of the investigation. The Bible is not the only source, there are 44

45 46

Vincentius Bellovacensis, Libellus apologeticus, I, 1, ms. Dijon, BM 568, URL: : “Quoniam multitudo librorum et temporis brevitas, memorie quoque labilitas non paciuntur cuncta que scripta sunt pariter animo comprehendi, michi omnium fratrum minimo plurimorum libros assidue ex longuo tempore revolventi, ac studiose legenti, visum est tandem accedente eciam maiorum suorum consilio, quosdam flores pro modulo ingenii mei electos ex omnibus fere quos legere potui, sive nostrorum id est catholicorum doctorum, sive gentilium scilicet philosophorum et poetarum et ex utrisque historicorum in unum corpus voluminis quodam compendio et ordine summatim redigere ex hiis dumtaxat precipue que pertinere videntur vel ad fidei nostre dogmatis astructionem, vel ad morum instructionem sive ad excitandam caritatis devotionem, aut ad divinarum scripturarum mysticam expositionem, uel eciam ad ipsius veritatis manifestam aut symbolicam declarationem, ut et studio meo quasi modum quemdam imponens, desiderio meo ceterorumque non nullorum forsitan mei similium quorum studium et labor est plurimos legere eorumque flores excerpere, per hoc unum granderi opus utcumque satisfacerem, et laboris mei fructum poscentibus non negarem. Si quidem facienti plures libros nullus est finis, et curiosi lectoris non saciatur oculus visu nec auris impletur auditu. Ad id ipsum quoque provocauit me plurimum falsitas vel ambiguitas quaternorum, in quibus auctoritates sanctorum adeo plerumque mendaciter scriptoribus vel notariis intitulabantur aut scribebantur, ut que sentencia cuius auctoris esset omnino nesciretur, dum verbi gratia quod Augustini vel Iheronimi vel Crisostomi forsitan erat ascribebatur Ambrosio vel Gregorio, aut Ysodoro vel econverso, aut verborum aliqua parte dempta vel addita, vel mutata sensus actoris corrumpebatur. Sic et de dictis philosophorum aut poetarum, sic et de narrationibus historicorum fiebat dum vel unius nomen pro alio sumebatur, vel dictorum veritas similiter evertebatur.” Paulmier-Foucart/Duchenne, Vincent de Beauvais (nt. 43), 44. Draelants/Paulmier-Foucaurt, I domenicani (nt. 2), 6 sq.

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several other sources that had to be included and used to properly study nature, for instance, Pliny, Avicenna, and others, who Vincent explicitly mentions 47. Immediately after having stated this, he seems to allude to the notion of curiosity with a certain jauntiness, and Paulmier-Foucart even discerns an ironic undertone of the Dominican friar when he claims: “itaque dum curiosi morem gerere volui, vicium curiositatis incurri” 48. This underlying irony is kind of explicative with regard to the result of this undertaking: a compilation of chosen sources that were able to systematize theological and philosophical knowledge and to initiate a certain interaction with the reader 49. Regarding the lectores, some considerations are in order. Faced with such a controversial subject as natural philosophy and the abundance of often contradictory sources, Vincent is cautious not to force the conciliation of opposite philosophical positions on the reader, but rather allows them to make up their own minds, thus promoting a kind of unbiased reading of his work. Moreover, he does not seem to be concerned with the emendation of these texts, but simply provides some extracts. In order to justify his choice, he employs a metaphor taken from the pharmacopeia, which allows him to subtly invoke a kind of relativeness of knowledge. To be precise, he uses the metaphor of the flower of papaver, which is described as toxic by some and as edible by others: “Nam verbi gratia, papaver nigrum in medicorum libris venenum esse describitur, quod tamen apud nos communiter in cibum assumitur”. 50 Shifting the focus to the biography of the friar, it should be noted that Vincent was sent to Royaumont as a lector of the Cistercian convent in the year after editing the bifaria version of his ‘Speculum’. It was exactly during that time that he was able to work on the second version of his work, the so-called trifaria version, edited around 1260. One of the most significant differences between the two versions is the length of the ‘Speculum naturale’. In the first version, it contained 14 books, while the trifaria version counts 32 books. This is a clear sign of the growing interest in its subject and, more generally, in the newly available sources. Indeed, one of the parts that was elaborated to greater detail in the trifaria version was the one approaching the third day of creation, which corresponds 47

48 49

50

A. Wingell, Rhetorical Rules and Models for the Libellus apologeticus of Vincent of Beauvais, in: M. Paulmier-Foucart/S. Lusignan/A. Nadeau (eds.), Vincent de Beauvais: intentions et réceptions d’une oeuvre encyclopédique au Moyen Age (Cahiers d’études médiévales. Cahier spécial 4), Saint-Laurent–Paris 1990, 33–55. Paulmier-Foucart/Duchenne, Vincent de Beauvais (nt. 43), 28. Vincentius Bellovacensis, Libellus apologeticus, I, 7 (nt. 44): “Sed quoniam in istis et in aliis huiusmodi pars utralibet contradictionis absque periculo fidei nostre potest credi vel discredi, lectorem admoneo ne forsan abhorreat si quas huiusmodi contrarietates sub diversorum actorum nominibus, in plerisque locis huius operis insertas inveniat, presertim cum ego iam professus sum in opere hoc me non tractatoris, sed excerptoris morem gerere, ideoque non magnopere laborasse dicta philosophorum ad concordiam redigere, sed tantum quid de unaquaque re quilibet eorum senserit aut scripserit recitare, lectoris arbitrio reliquendo cuius sententie potius debeat adherere.” Ibid.

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to the creation of the earth and of plants. Therefore, it is within this part that Vincent of Beauvais deals with botanical issues, by assembling an enormous corpus of texts, coming from different traditions: the Salernitan texts, new Arabic sources, Latin encyclopedias and the works of his fellow friars, first and foremost of Thomas of Cantimpré. This systematic compilation and the comprehensive research regarding naturalistic sources testify to Vincent’s intent to indulge in curiosity while transmitting knowledge. Thus, Vincent was among the first who attempted to re-elaborate botanical issues, drawing on various available sources. This is one of the first works in the Dominican milieu in which contents coming from the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’ are linked to botanical data of pharmacological sources. Again, the two versions’ difference in length with regard to this topic is quite remarkable. Books IX to XIV of his ‘Speculum naturale’ in the trifaria are devoted to botanical issues, covering a total of 1228 chapters, compared to 379 in the bifaria. Each book, dealing with different classifications of plants, provides six main classification systems: de herbis aromaticis, de herbis hortulanis, de seminibus herbarum, de succis herbarum, de arboribus in generali, de arboribus frugiferis, de fructibus arborum. Keeping in mind that it is a compilation, its structure and the compilative method as such play a key role in explaining the choices that Vincent made regarding the length of certain lemmata and the organization of the sources. Taking the treatment of aromatic herbs, dealt with in book IX, into consideration, it should first be observed that, in the majority of cases, Vincent adheres to a certain order of reporting the sources. If applicable, he begins with Isidore – who usually explains the etymology of the lemmata –, continues with Pliny – who often provides a kind of morphological description of the species but also describes the various uses of the plant in question –, from whom Vincent excerpts long passages, before quoting medical sources, such as Dioscorides, pseudo-Platearius and Avicenna, who allow him to list the qualities and proprieties of the analyzed plant. Vincent’s compilation method reveals his intent to provide a schematic set of information that contributed to the accessibility of his work. With reference to the structure of the work, the prominence of the part devoted to agriculture is quite noteworthy. It is incorporated into the botanical treatise of the trifaria, occupying the main part of the discussion: of the nine books devoted to botany, four – precisely books X, XI, XIII and XIV – deal with cultivated species. It is thus legitimate to ask why a Dominican friar would write about agriculture. A partial answer may be found just at the beginning of book X 51. 51

Vincentius Bellovacensis, Speculum Naturale, X, 2, ed. Douai (nt. 7), 670: “Hortorum autem et agrorum cultura quanta sit voluptas et utilitas humana, iam ex parte ostensum est supra, huic denique vacabant antiqui delectabiliter, non solum nostri, id est fideles, ut eremites ac sancti patres sed etiam gentiles usque ad reges et principes: unde Hieronymus ad Rusticum de vita monachi anachorite scribens inter cetera eiusdem vite documenta que scribit, hec etiam ponit, fac inquit et aliquid operis, ut te semper inveniat diabolus occupatum, humus sarriatur, equo limite areole dividantur. In quibus cum olera plantata iactata fuerint semina vel plante per ordinem posite, aque inducantur irrigue, ut tu denique pulcherrimorum versuum spectator assistas. Inserantur

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The study of the art of agriculture likewise deals with voluptas and utilitas. The utility of it concerned monks, laymen, princes and kings. It is thus a kind of study that led to the conciliation of pleasure and utility. This is interesting if it is taken into consideration that Vincent of Beauvais updated his work during his stay at Royaumont: for the Cistercians, agriculture was a daily practice and therefore its treatment contributed to the purpose of dealing with useful work. In the second chapter of book X, Vincent considers the effects of taking care of the fields, describing it as a matter that unites pleasure and utility. On the one hand, someone who takes care of the fields may observe the most beautiful things (tu denique pulcherrimorum versuum spectator assistas ); on the other hand, they are likewise able to transform sterile plants into fruitful trees (Inserantur et arbores infructuose vel gemmis vel surculis, ut parvo post tempore laboris tam dulcia poma decerpas ). In the botanical books of Vincent’s ‘Speculum naturale’, the conciliation of the ideal of utility and curiosity – considered as a desire to know – culminates in agriculture: the botanical discussion has reached its peak here, and only later, when new sources were available, it could be further developed. Still, a question remains: What happened between the bifaria and the trifaria version from an institutional point of view? Some relevant events had taken place that allowed a certain treatment of natural matters. These events involved significant representatives of the order, like Albert the Great. V. Alber t the Great’s ‘De veg etabilibus’ Albert the Great was master of theology at the University of Paris from 1245 to 1248. During those years, the study of philosophy was not yet allowed for preachers. Nonetheless, the works written at that time testify to his ample knowledge of Aristotelian philosophy. In 1249, he was then sent to establish the studium generale in Cologne, where he began the project of reformulating the concept of knowledge 52. What he accomplished in Cologne may be considered a direct consequence of the papal bull Parens scientiarum, in which the study of philosophical texts was legitimated to a certain extent after some experts had verified its coherence. This was also tacitly announced in the Chapter of Bologna in 1252, in which a reformatio studii was advertised. In Cologne, the doctor universalis started his project of commenting on and restructuring Aristotelian philosophy, openly declaring his intent to make it available to the Latins (restituire Latinis Aristotelem ). Loris Sturlese has

52

et arbores infructuose vel gemmis vel surculis, ut parvo post tempore laboris tam dulcia poma decerpas. Hec Hieronymus. Fertur etiam de quodam rege Romanorum, quod cum a senatu exilio relegatus esset et horti sui culture vacaret, tandem remisit ad eum senatus nuncium ut rediret ac denuo regnum susciperet. Qui iam huius culture voluptatem expertus, bonum horti sui proventum respiciens, noluit acquiescere, sed dixisse nuncio fertur. Si scirent inquit, qualia vel quam pulchra sint olera mea, nunquam mandassent mihi talia.” L. Sturlese, Il razionalismo filosofico di Alberto il Grande, in: Documenti e studi sulla tradizione filosofica medievale I/2 (1990), 373–426.

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defined these years as an “esperimento culturale” 53, a kind of proof for what was established some years later in Valenciennes. In this context, the rehabilitation of the idea of curiositas promoted by Albert seems to be an integral part of the cultural strategy of the master. Sturlese has observed how Albert, up to that point, had acted and thought like a theologian, whereas the moment of the foundation of the Dominican studium generale in Cologne constituted a “svolta epocale”, as the Dominican master from then on made some choices that opposed the direction of the cultural policy of the order 54. His intent was stated clearly in the prologue of his ‘Physica’ 55, where he seems to justify the enterprise that he was going to undertake. The literary topos of the fratres rogantes, already detectable in Vincent’s ‘Libellus’, recurs here. However, although the image of fulfilling the request of his con-friars may be considered a kind of rhetorical means, the incipit of his ‘Physica’ reveals that he conceived his project to serve the purpose of the studium he had just established. Furthermore, also in the incipit, he clearly states that his intent was to understand Aristotle competenter and to draft a scientia naturalis perfecta 56. Köhler has noted that the concept of the scientia naturalis perfecta should be understood, on the one hand, as referring to the method that is able to reach the highest certitude with regard to argumentation and, on the other hand, as referring to the comprehensive understanding of the content, so that the subjects of the sciences could be investigated in their entirety. Thus, it seems clear that between the prohibitions of studying Aristotelian writings and the institutionalization of them, the foundation of the studium in Cologne played a crucial role 57. Unfortunately, it is not possible to investigate and analyze the division of the sciences proposed by Albert at this place, as it would require an extensive treatment. Yet, some observations are necessary. According to the Dominican master, the subject of the scientia naturalis is the corpus mobile, and each natural science 53 54 55

56

57

Ibid., 382. Ibid., 383 sq. Albertus Magnus, Physica, I, 1, 1, ed. P. Hossfeld (Editio Coloniensis 4/1), Münster 1987 1, 9– 22: “Intentio nostra in scientia naturali est satisfacere pro nostra possibilitate fratribus ordinis nostri nos rogantibus ex pluribus iam praecedentibus annis, ut talem librum de physicis eis componeremus, in quo et scientiam naturalem perfectam haberent, et ex quo libros Aristotelis competenter intelligere possent. Ad quod opus licet non sufficientes nos reputemus, tamen precibus fratrum deesse non valentes, postquam multotiens abnuimus, tandem annuimus et suscepimus devieti precibus aliquorum ad laudem primo dei omnipotentis, qui fons est sapientiae, et naturae sator et institutor et rector, et ad utilitatem fratrum, et per consequens omnium in eo legentium et desiderantium adipisci scientiam naturalem.” T. W. Köhler, Scientia perfecta. Zur Konzeption philosophischer Erschließung, in: J. A. Aertsen/ A. Speer (eds.), Was ist Philosophie im Mittelalter? (Miscellanea Mediaevalia 26), Berlin–New York 1998, 749–755; S. Donati, Alberts des Großen Konzept der scientiae naturales: Zur Konstitution einer peripatetischen Enzyklopädie der Naturwissenschaften, in: L. Honnefelder (ed.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011, 354–381. Köhler, Scientia perfecta (nt. 56); H. Anzulewicz, Alberts Konzept der Bildung durch Wissenschaft, in: Honnefelder (ed.), Albertus Magnus (nt. 56), 382–397.

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should investigate a degree of abstraction: the ‘Physica’ deals with the highest level of abstraction, that is, with the corpus mobile in se et absolute sive simpliciter et universaliter, while the other sciences investigate the following divisions of this subject in less and less abstract ways, until the study of the corpus commixtum inanimatum vel animatum is reached, which is dealt with in ‘De mineralibus’, ‘De vegetabilibus’ and ‘De animalibus’ 58. By comparing Albert’s division of the sciences to those proposed in the manual of philosophy analyzed above, a fundamental difference is revealed, namely that Albert assigns an entirely new position to the study of nature. Additionally, he augmented the treatment of this subject by non-philosophical sources, rethinking and redrawing the line between natural philosophy and the ars mechanica, which was so strong in the introductory manuals of philosophy before. Hence, part of this program was also to comment on the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’, with the intent to construct a comprehensive science on the issue in his ‘De vegetabilibus’. This work constitutes the apex of the scientia de plantis in the 13th century: for the first time in the Latin West, this science acquired its dignity through a detailed philosophical analysis. Albert’s intent to reach a scientia naturalis perfecta emerges clearly also in this field: the ‘De vegetabilibus’ is composed of 7 Books, the first five of which deal with philosophical issues, while the sixth and seventh have an encyclopedic form, dealing with individual plant species and agricultural matters, respectively. Seizing the issues found in the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’, Albert constructs a comprehensive science, able to explain the life of plants, the function of their souls, but also the modality of their generation and propagation, the cause of the different forms and flavors of their leaves and fruits, their individual proprieties, and the proper way to cultivate some useful species, thus dealing also with arguments that could legitimately be defined as “curious”, but which aimed at investigating the causes of natural phenomena. Indeed, focusing on the idea of curiosity, one of the textual places in which Albert the Great rehabilitates curiositas is exactly the incipit of Book VI of his ‘De vegetabilibus’: the sixth book is a list of plants, the properties and the medical uses of which are described, on the basis of several medical sources such as Avicenna’s ‘Canon’, Isaac Israeli’s ‘De diaetis universalibus et particularibus’, the Salernitan Circa instans, and several others. Thus, the sixth book is that in which Albert discontinues the philosophical treatment in order to commence a more encyclopedic one: “In hoc sexto libro vegetabilium magis satisfacimus curiositati studentium quam philosophiae” 59. This applies to curiositas, as it deals with the particular, whereas philosophy always deals with the universal. Once more, the rhetorical topos of a request of his confreres is 58

59

Id., Physik als Grundlagenwissenschaft der Naturphilosophie, in: Albertus-Magnus-Institut (ed.), Albertus Magnus und sein System der Wissenschaften. Schlüsseltexte in Übersetzung, Lateinisch – Deutsch. Ludger Honnefelder zum 75. Geburtstag, Münster 2011, 93–153. Albertus Magnus, De vegetabilibus, VI, 1, 1, n. 1, edd. Meyer/Jessen (nt. 6), 340.

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employed, but this time in order to justify a kind of digression that could not be defined as philosophical. What is also interesting here is this opposition between philosophical investigation and curiositas. Being outside the boundaries of philosophy, the investigation of particular plants satisfies the curiositas studentium, while still serving the purpose of the order by reporting their utilitates, precisely their possible employments and uses. The epistemology of the particular is one of the most interesting aspects of this reformulation of knowledge. One of the key terms in this context is the notion of experimentum, which represents the methodological possibility to know the particular: “Experimentum enim solum certificat in talibus, eo quod de tam particularibus nature sillogismus haberi non potest” 60. Thus, Albert explains the necessity to know the particular substances and their proprieties through a specific method of research based on the idea of the experimentum 61. As the subject of this science is indeed a particular one, namely the plant, it is necessary to collect data in order to comprehensively investigate it. After having stated that the investigation will treat the particular, Albert then explains his method: “Earum autem, quas ponemus, quasdam quidem ipsi nos experimento probavimus, quasdam autem referimus ex dictis eorum, quos comperimus non de facili aliqua dicere nisi probata per experimentum” 62. By using the lexicon of the experimentum from the artes mechanicae, first of all from medicine, Albert manifests the intent to achieve knowledge also through a method that is not philosophical as such, but nevertheless valid. What may be understood as a “collection of data”, as has been pointed out by Chiara Crisciani 63, does not just refer to his direct experience, but it may also refer to the experiences of some of his authoritative sources 64. In the same way as syllogisms enable rational discourse, the experimentum validates the practical aims of this science. Furthermore, at the beginning of the seventh book, which is devoted to agriculture, Albert explicitly justifies this treatment, as Vincent did, by recurring to the conciliation of pleasure and utility: “Hoc enim scire non solum delectabile est studenti naturam rerum cognoscere, quin immo est utile ad vitam et civitatum permanentiam” 65. This sentence acquires a different meaning if contextualized in the previously analyzed background. It seems clear that Albert becomes a promoter of a differ60 61

62 63 64

65

Ibid. G. Wöllmer, Albert the Great and his Botany. in: I. M. Resnick (ed.), A Companion to Albert the Great. Theology, Philosophy and the Sciences (Brill’s Companions to the Christian Tradition 38), Leiden–Boston 2013, 221–267. Ibid. C. Crisciani, Experientia e opus in medicina ed alchimia: forme e problemi di esperienza nel tardo Medioevo, in: Quaestio 4 (2004), 149–174. Cf. I. Draelants, Expérience et autorités dans la philosophie naturelle d’Albert le Grand, in: T. Bénatouil/I. Draelants (eds), Expertus sum. L’expérience par les sens dans la philosophie naturelle médiévale (Micrologus Library 40), Firenze 2011, 89–121. Albertus Magnus, De vegetabilibus, VII, 1, 1, n. 1, edd. Meyer/Jessen (nt. 6), 590.

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ent kind of cultural policy, which considers the study of natural things interesting in itself, finding in this kind of knowledge an ‘openly declared’ source of pleasure. The libri philosophici and the scripta curiosa – banned by the previous Dominican Chapters and constitutions – then began to become an integral part of Dominican intellectual activity. Hence, that which one likes to know, that is, which gives pleasure, and that which one needs to know, that is, which is useful, are no longer opposed, but strictly connected: a thorough investigation of the scientiae particulares may result in a kind of knowledge that is likewise ‘curious’ and useful for everyday life. VI. Concluding remarks In order to draw a conclusion, first of all it is necessary to retrace the common traits of botanical studies within the Dominican order and then recall the institutional development. Thus, the conclusion will be split into two parts, as the legitimation and rehabilitation of curiositas in the case of the scientia plantarum appears to be an effect of a broader epistemological progress. 1. The Dominican botanical culture By referring specifically to the study of the vegetal word, it should be asked if it is possible to speak of a “Dominican botanical culture” 66. The works of the two Dominicans examined above led to a different collocation of the scientia plantarum within the systems of the classification of sciences, in a certain way restoring its dignity. The relation between the works of Vincent and Albert and, more generally, the other Dominican works, led to the idea that the propagation of the sciences in the 13th century was conceived by them as a collective work. Therefore, with regard to botanical issues, it is possible to individuate a particular tradition within the order. In this tradition, a certain basic structure remains the same, some topoi recur – like that of the conciliation between voluptas and utilitas or that of satisfacere curiositati studentium. Maintaining the order’s ideal of utility, the two friars rethought the possibility of investigating botanical matters. The preachers were supposed to avail the believers in saving their souls, but they were also expected to provide useful support for everyday life. By reformulating the ideal of utilitas, 66

M. M. Mulchahey, Dominican Educational Vocabulary and the Order’s Conceptualization of Studies before 1300. Borrowed Terminology, New Connotations, in: M. C. Pacheco (ed.), Le vocabulair des écoles des Mendiants au moyen âge. Actes du colloque de Porto, Portugal, 11– 12 octobre 1996 (Études sur le vocabulaire intellectuel du moyen âge 9), Turnhout 1999, 89– 118.

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also the concept of curiositas could be reviewed: considering it the desire to know, it could be the driving force in the quest for utilitates, which had previously not been discovered. Thus, the case of botanical studies demonstrates how an epistemological reform took place that implied a certain liberalization of knowledge, without losing sight of the fundamental aim of the order, namely utility. Another aspect that should be taken into consideration is that different sources are investigated in a sort of team effort: Pliny is, for example, one of the most important sources for Vincent’s ‘Speculum’, whereas he is almost absent in Albert’s work, who gives preference to Arabic sources such as Avicenna’s ‘Canon’. Furthermore, Thomas of Cantimpré, who was, like Albert, in Cologne at the time of the foundation of the studium, appears as a fundamental source in both. Draelants speaks of a constellation of exchanges between them due to the programmatic necessity to find something new and to systematize the available sources 67. Moreover, despite the similar argumentative structure, its contents were different also due to the different intents of the two: Vincent of Beauvais wanted to gather and organize as much information as possible while Albert considered his work a philosophical investigation, aiming for completeness with regard to its subject. Trying to reconstruct the common traits of the Dominican botanical culture therefore means to recognize the common features of a cultural program. A science such as the scientia plantarum, which arrived in Europe in a scattered way through the pseudo-Aristotelian ‘De plantis’ and which was partially dealt with in medical and pharmacological sources, found the systematization that it missed thanks to the Dominican order.

2. The turning point in Valenciennes The subtle new idea of culture promoted by Vincent and Albert seems to have been fulfilled in Valenciennes in 1259, which is the final destination of this historical reconstruction. It had, however, been ‘tested’ in Cologne and preannounced by the general Chapter of Bologna in 1252 68, where a reformatio studii was advertised. It was also in line with the new statutes of the Parisian faculty of arts, enacted in 1255, which included the text of natural philosophy and metaphysics in the programs of university lectures 69. In Cologne, Albert had the opportunity to experiment with the program of studies that he later promoted in Valenciennes, commenting on the entire Aristotelian work. Sturlese linked his activity in Cologne already to the vote of the Valenciennes commission, which resulted in the adoption of the programs 67 68 69

Draelants/Paulmier-Foucart, Échanges (nt. 41), 236 sqq. Acta, vol. I, ed. Reichert (nt. 38), 65, 3. Chartularium, 246, edd. Denifle/Chatelain (nt. 1), 278.

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of the Faculty of Arts by the Dominicans 70, thus constituting a turning point in the history of the order. Within this new program, also the scientia de plantis gradually occupied an important place, being systematized in the works of the Dominican friars 71. For the first time, all aspects of the vegetal world were coherently examined, conciliating not only philosophical and medical sources, but also different methodologies, as the employment of the lexicon of the experimentum by Albert proves. In the stretch of almost forty years, an epistemological turn took place within the Dominican order, in which the notion of curiositas was legitimated, promoting the idea of a liberated kind of knowledge, assigning a central role to the study of nature. The possibility to study the most particular aspects of nature was no longer discredited as it allowed to arrive at a useful and complete science.

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Acta, vol. I, ed. Reichert (nt. 38), 99, 27 sq. However, the complete institutionalisation of the studia naturarum in all the provinces of the Order only came in 1305, see Acta, vol. II, ed. Reichert, 12,26–28: “Et quia premissa non possunt sine studio arcium observari, volumus et ordinamus, quod omnes provincie ad providendum de naturarum studiis teneantur”. See also, Cinelli, L’ordine (nt. 4), 286.

The Good, the Bad, and the Ugly Animals: Signs of the Creator and His Attributes in Medieval Islamic Encyclopaedias and Zoological Works * Sarah Virgi (München) According to H. Blumenberg’s analysis in ‘The Legitimacy of the Modern Age’, Christian theologians in the pre-modern period often scorned theoretical curiosity as a vice. For Augustine, for instance, curiositas represented a ‘temptation’ to the pious, which could turn into sin – the famous concupiscentia oculorum – , as it took pleasure in its own searching and experience of the world without recognizing its limits and, more importantly, without considering its divine cause 1. In this respect, one may argue that the Islamic theological tradition adopted a considerably different approach. For many medieval Muslim scholars, investigating the diversity of beings and their particular characteristics was perceived as a virtuous endeavour, for it allowed humans to acknowledge the faultless and admirable wisdom of the creator. The presence of this theological theme in medieval Islamic encyclopaedias and works pertaining to natural science has been frequently noted in modern scholarship. In her article about the 13th century encyclopaedia entitled ‘Book of Wonders of Creation and Strange Things (Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt waġarāʾib al-maugˇūdāt, henceforth Book of Wonders)’, by the Persian intellectual Zakarīyāʾ ibn Muh ammad al-Qazwīnī (d. 682 H./1283 C.E.), S. von Hees points out that the purpose of writing such a work was precisely “to guide the reader through the study of nature to the knowledge of God” 2. *

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2

The present paper was written with the support of the project “Animals in the Philosophy of the Islamic World”, which has received funding from the European Research Council (ERC), under the European Union’s Horizon 2020 research and innovation programme (grant agreement No. 786762). I would like to thank Peter Adamson, Alexander Lamprakis, Nicolas Payen, Robert Maximilian Schneider, Jens-Ole Schmitt, and Bethany Somma for their comments and suggestions that helped to improve this paper. H. Blumenberg, Die Legitimität der Neuzeit [1966]. Erneuerte Ausgabe [1988], III, 6, (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996, 82017, 358–376; Augustine, Confessiones, X, 35, ed. P. Knöll (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 33/1), Vienna 1896, 267–272. S. von Hees, Al-Qazwīnī’s ʿAjāʾib al-makhlūqāt: an Encyclopaedia of Natural History?, in: G. Endress (ed.), Organizing Knowledge: Encyclopaedic Activities in the Pre-Eighteenth Century Islamic World, Boston 2005, 183 sq. Other scholars have made similar affirmations concerning other medieval Islamic works: Ch. Pellat, The Life and Works of Al-Jāh iz , London 1969, 21 sq.: “The Book of Animals is zoology in the sense that as a disciple of Aristotle Jāh iz is interested

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This assertion, however, often appears as a general or introductory remark to the study of these works, and its elaboration throughout the texts remains to be analysed. Hence, in the present study, I chose to reconstruct the way in which this theme unfolds throughout some of these works by focusing on one particular subject, namely that of nonhuman animals. I propose to evaluate the extent to which Muslim scholars use the discussion concerning the features, capacities, and behaviour of nonhuman animals to denote the existence and the attributes of a unique and wise creator. As I will show, small insects, weak, and dangerous animals play a prominent role in unravelling this theological motif thanks to the difficulties that they pose in the general coherence of divine creation and providence. To this end, I will present a selection of relevant excerpts from two important ˇ āh iz ’s (d. 255 H./ 868– works that address this issue, namely Abū ʿUtmān al-G 9 C.E.) ‘Book of Animals (Kitāb al-H  ayawān)’ and the already mentioned ‘Book of Wonders’ by al-Qazwīnī. Firstly, I will look at a passage by al-Qazwīnī on the behaviour of the ant. I argue that the author’s description of the ant’s behaviour aims to convey the idea of an intelligent creator by implying that God provided the ant with the necessary notions to perform its action. As I will show, his ˇ āh iz ’s ‘Book of account has roots in previous zoological works, including al-G ˇ āh iz ’s discussion on the mole’s sensory Animals’. Secondly, I will analyse al-G deficiencies and its feeding behaviour, and the extent to which it reflects the idea of divine providence. Lastly, I will tackle the topic of poisonous and dangerous animals, where I show how, in their depictions of some of these animals, alˇ āh iz and al-Qazwīnī attempt to reconcile their existence with the notion of a G single and beneficial creator. It may be useful, however, to start with a brief ˇ āh iz ’s ‘Book of Animals’ and al-Qazwīnī’s ‘Book of Wonders’. introduction to al-G ˇ āh iz : Medieval Islamic Authors I. Al-Qazwīnī and al-G Eng aging in Natural T heolog y Following the Quʾranic verse which states that everything in the world contains “signs for those who reflect” 3, the investigation of natural objects and

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in the structure, habits and behaviour of animals. It is also theology, for the author is continually at pains to demonstrate that everything in nature has its uses and is evidence of the existence and wisdom of God. This is the cardinal theme to which he reverts time and again”; J.-Ch. Ducène, Les animaux dans les cosmographies arabes médiévales, in: S. Peperstraete (ed.), Animal et religion, Brussels 2016, 132: “Cependant ces animaux sont issus de la création pour être au service de l’homme […] et ils sont aussi des signes de la puissance manifeste de Dieu […], comme les oiseaux qui volent uniquement grâce à Son soutien. Cette interprétation de l’animal comme expression de la puissance de Dieu sera à la base des motivations des cosmographes ultérieurs”. “In the creation of the heavens and earth; in the alternation of night and day; in the ships that sail the seas with goods for people; in the water which God sends down from the sky to give life to the earth when it has been barren, scattering all kinds of creatures over it; in the changing of the winds and clouds that run their appointed courses between the sky and earth: there are

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worldly phenomena has often been regarded by Islamic religious thinkers as a way of discerning divine traces in creation. As such, it was ultimately perceived as a virtuous venture. The 12th-century theologian Abū H  āmid al-Ġazālī (d. 505 H./1111 C.E.) refers specifically to the importance of contemplating nature, living beings, and the parts of their bodies, as well as the oceans, the mountains, and the planets, in his ‘Book of Reflection (Kitāb al-Tafakkur)’, included in his masterwork ‘Revival of the Religious Sciences (Ih yāʾ ʿulūm al-dīn)’: “That is the way of pondering upon the creation of God Almighty, its diversity and composition, and everything existent which God created and assorted. The reflection and thinking about it knows no limits, and one may only achieve it through the power with which one has been endowed.” 4 Considering nature, “its diversity and composition, and everything existent”, should thus be pursued within the limits of one’s capacities, so as to bring one’s attention to the presence and mark of the creator in each and every existent. 5 Moreover, this manner of reflecting about the natural world is, for al-Ġazālī, also a way of conveying theological doctrines about the divine entity. On the one hand, it conveys the belief in the creation of the world. On the other hand, as al-Ġazālī constantly reminds his readers throughout this treatise, it brings about God’s attributes of wisdom, power, and oneness, namely through the evidence of purpose and intelligent design in his works. Both al-Ġazālī’s ‘Book of Reflection’ and his other treatise entitled ‘The Wisdom in God’s Creation (alH  ikma fī mah˚ lūqāt Allāh)’ reflect this theological effort and take support in various aspects of the natural world to guide those already initiated in the doctrines of the Islamic faith to the cognition of God and his attributes 6. Naturally, the act of bringing together theology and natural science is not specific to al-Ġazālī, nor indeed exclusive to the Islamic tradition. Galen (fl. 2nd century C.E.) had also used evidence from the complex and purposeful arrangement of nature, and especially of the parts of the animal bodies, to convey the

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signs in all these for those who reflect”. Qurʾān, 2: 164, trans. M. A. Haleem, The Qurʾan. A New Translation, Oxford 2004, 18 (with modifications). Abū H  āmid al-Ġazālī, Ih yāʾ ʿulūm al-dīn, XXXIX, Cairo 1937–39, 2834. Ibn Rušd (Averroes) made use of this emphasis in al-Ġazālī’s works to defend the philosophical sciences in the beginning of his ‘Decisive Treatise’: “If the activity of philosophy is nothing more than reflection upon the existents and consideration of them insofar as they are a sign of the Maker – I mean insofar as they are produced for the existents indicate the Maker only through cognizance of the art in them, the more complete cognizance of the art in them is, the more complete the cognizance of the Maker” (Ibn Rušd, Kitāb Fasl al-maqāl, ed. and trans. Ch. Butterworth, Provo, Utah 2008, 1, with modifications). It should be noted that the contemplation and study of God’s creation in al-Ġazālī’s ethics is also connected with the virtue of gratitude, for, as he develops in ‘The Book of Patience and Gratitude’ of the ‘Revival’, it is only when one knows the specificities and the functions of each created thing that one is able to acknowledge the way in which it is beneficial to us and to consider it as a divine blessing. alĠazālī, Ih yāʾ (nt. 4), XXXII, 2209–83. On al-Ġhazālī’s ‘The Wisdom in God’s Creation’, see: A. El Shamsy, Al-Ghazālī’s Teleology and the Galenic Tradition. Reading The Wisdom in God’s Creations (al-H  ikma fī makhlūqāt Allah), in: F. Griffel (ed.), Islam and Rationality, vol. 2, Leiden 2016, 90–112.

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idea of the existence of a wise creator, referred to as the ‘demiurgos’, or simply as ‘physis (nature)’. For Galen, the pursuit of scientific observation and investigation did not simply amount to an epistemic exercise, but was also seen as a form of contemplation, as well as an homage to divine providence and wisdom 7. As he writes in his ‘On the Usefulness of the Parts’: “I am composing [this book] as a true hymn of praise to our Creator. And I consider that I am really showing him reverence not when I offer him unnumbered hecatombs of bulls and burn the weight of countless cassias, 8 but when I myself first learn to know his wisdom, power, and goodness, and then make them known to others.” 9 It is plausible that this aspect of Galen’s approach to scientific investigation, and in the zoological and medical fields in particular, may have inspired theologians and intellectuals of the Islamic world to use it as evidence for the existence of the creator and his attributes. In fact, recent scholarship has shown that there are significant parallels between this Galenic motif and theological texts on the marvels of creation in the medieval Islamic world 10. What differentiates this tradition from Galen, however, is that his approach is primarily a scientific one, namely one which intends to contribute to progress in knowledge of the natural sciences, while also echoing the sense of a ‘directed teleology’, as Hankinson puts it, as a way to evoke the idea of a conscious plan or a design, which in the case of Galen involves the belief in a creative entity 11. Al-Ġazālī’s approach in the ‘Revival’ and in ‘The Wisdom in God’s Creation’ is, inversely, primarily theological, using science as a means to convey doctrinal truths about the divine. Another important function of studying natural objects connected to the idea of divine signs was to nourish religious polemical debates. In this sense, it served not so much to remind believers of God but, rather, to defend the doctrine of creation and of God’s oneness against those who denied divine creation or believed that there were two distinct creative forces, such as the Manicheans ˇ āh iz ’s ‘Book and other religious dualists. This is the case, for instance, of Ps.-G of Proofs and Reflection regarding Creation and Divine Governance (Kitāb al7 8 9

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R. Flemming, Demiurge and Emperor in Galen’s World of Knowledge, in: C. Gill/T. Whitmarsh/J. Wilkins (eds.), Galen and the World of Knowledge, Cambridge 2009, 59–84. Cinnamon cassia is a type of plant that was used in religious rituals in Ancient Greece. Galen, De usu partium, III, 10, ed. K. G. Kühn (Galeni opera III), Leipzig 1822, 237; trans. M. May, in Galen on the Usefulness of the Parts of the Body, Ithaca, New York 1968, 189 (with modifications). See, for instance: El Shamsy, Al-Ghazālī’s Teleology (nt. 6), 90–112; E. Wakelnig, Medical Knowledge as Proof of the Creator and the Arabic Reception of Galen’s On The Usefulness of the Parts, in: P. Bouras-Vallianatos/S. Xenophontos (eds.), Greek Medical Literature and its Readers. From Hippocrates to Islam and Byzantium, London and New York 2018, 132–149. The influence of Galen’s notion of divine wisdom and providence in creation in Avicenna has also been recently discussed in B. Somma, Avicenna on Animal Goods, in: Journal of Islamic Ethics 5 (2021), 1–34. R. Hankinson, Galen and the Best of All Possible Worlds, in: The Classical Quarterly 39 (1989), 206–227.

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Dalāʾil wa-l-iʿtibār ʿalā l-h˚ alq wa-l-tadbīr)’, where the author explicitly reveals that his intention in writing about the composition of the natural world is to disprove the dualists and those who deny creation: “This will serve to discredit those who say that [the universe] is left to chance and those who say [that there are] two opposite origins. Chance could not produce correctness and opposing forces could not produce order.” 12 ˇ āh iz proposes to use the results of scientific investigaIn other words, Ps.-G tion, and of the natural sciences, such as meteorology, zoology, and anatomy in particular, as part of cosmological arguments for the existence of a single creator. However, this theological tradition was not the only domain of Muslim literature where the concern with the presence of the divine in the natural world was present. Medieval Arabic and Persian cosmographies, which have been frequently classified under the category of ‘wonders literature’ 13, also carried out the task of pondering upon the natural world as God’s creation and an indicator of his providence and purpose. Although often criticized for not being sufficiently systematic and rigorous, especially given their entertaining and rhetorical style, as well as their references to popular culture and elements of the fantastic, some of these works achieved considerable detail and accuracy in their approach to natural objects, and thus, constitute a significant contribution to the develop-

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ˇ āh iz , Kitāb al-Dalāʾil wa-l-iʿtibār ʿalā al-h˚ alq wa-l-tadbīr, Beirut 1987–1988, 6; translation Ps.-G M. A. Haleem, in: Chance or Creation? God’s Design in the Universe, London 1995, 4, with modifications. The Manicheans, or the followers of Mani (al-manānīya ), are explicitly mentioned in a previous paragraph as belonging to the group of those who do not acknowledge the idea ˇ āh iz ’s treatise go back to Galen’s of design in creation. Many of the arguments used in Ps.-G ‘De usu partium’, as recently shown in Wakelnig, Medical Knowledge (nt. 10), and to the early Christian work ‘On Providence’ by Theodoret of Cyrus. In fact, Galen also explicitly mentions that one of the uses of his ‘De usu partium’ is to disprove those who believe that the world was created by chance (Galen, De usu partium, XVII.2). The work ‘Kitāb al-Dalāʾil wa-l-iʿtibār’ is considered to date from the 8th–9th century, at the time when Galen’s works were being ˇ āh iz translated into Arabic. The doubts concerning the authorship of the book attributed to al-G are due to the existence of a very similar version of the text extant in a manuscript with the title of ‘Kitāb al-Fikar wa-l-iʿtibār (Book of Reflection and Consideration)’ and attributed to the ˇ ibrīl Ibn Nūh Ibn Abī Nūh al-Anbārī (fl. 9th century). One could say that it Christian author G is part of an interreligious tradition of cosmological arguments for creationism and the existence of God. Later on, it influenced the already mentioned ‘The Wisdom in God’s Creation’ by alĠazālī, as well as the Andalusi Jewish thinker Bah ya Ibn Paqūda (d. unknown) in his ‘Guide to the Duties of the Heart (Kitāb al-Hidāya ʿilā farāʾid al-qulūb)’. For further information about this tradition, see: D. Lobel, A Sufi-Jewish Dialogue: Philosophy and Mysticism in Bah ya Ibn Paqūda’s Duties of the Heart, Philadelphia 2006, 119 sq.; El Shamsy, Al-Ghazālī’s Teleology (nt. 6), 103 sq.; Wakelnig, Medical Knowledge, 132–149 (nt. 10). For a more detailed account of the wonders literature in the Islamic world see: C. E. Dubler, ʿAdjāʾib, in: H. A. R. Gibb/J. H. Kramers/E. Lévi-Provençal/J. Schacht (eds.), The Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 1, Leiden 1986, 203 sq. The denomination of ‘wonders literature’ has been disputed by S. von Hees, The Astonishing: a critique and re-reading of ʿAgˇāʾib literature, in: Middle Eastern Literatures 8/2 (2005), 101–120.

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ment of a theoretical attitude in the Islamic world in pre-modern times 14. This is the case, for instance, of al-Qazwīnī’s ‘Book of Wonders’, which counts among the most influential medieval Islamic encyclopaedias 15. There the author touches upon various topics related to astronomy, meteorology, zoology, and botany, using acknowledged scientific sources in considerable detail. Moreover, as S. von Hees and J.-Ch. Ducène have argued, it is characterized by a coherence and systematicity that distinguish it from previous cosmographies 16. Yet, it should be noted that the contents of al-Qazwīnī’s work echo a strong theological approach too. One of its prevailing goals is to cause a feeling of wonder, 17 or ‘frapper les esprits’ 18, even regarding the most common aspects of nature, and, in doing so, to bring about the idea of the existence of an intelligent and almighty entity capable of creating such beings, hence also excluding the possibility that they were generated by mere chance 19. In fact, this is 14

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Examples of works pertaining to this cosmographical tradition and the so-called ‘wonders literature’ are, for instance, ‘The Book of Wonders’ by al-Qazwīnī, Abū H  āmid al-Ġarnātī’s (d. 565 H./1169–70 C.E.) ‘Gift of the Hearts (Tuh fat al-albāb)’, Muh ammad b. Mah mūd al-Salmānī’s (fl. 12th century) ‘Book of Wonders of Creation and Strange Things’ (the same title of alQazwīnī’s encyclopaedia), and ‘The Book of the Quintessence of Time Regarding the Wonders of the Land and the Sea (Kitāb Nuh˚ bat al-dahr fī ʿagˇāʾib al-barr wa-l-bah r)’ by Šams al-Dīn alDimašqī (d. 727 H./1327 C.E.). For a more detailed account about cosmographical and encyclopaedic tradition see: J.-Ch. Ducène, Les Encyclopédies et les sciences naturelles dans le monde arabe médiéval (XIIe–XIVe siècle), in: A. Zucker (ed.), Encyclopédire. Formes de l’ambition encyclopédique dans l’Antiquité et au Moyen Âge, Turnhout 2013, 201–212. For a detailed overview of the history of illustrated manuscripts pertaining to this tradition, including alQazwīnī and al-Salmānī’s books, see: P. Berlekamp, Wonder, Image & Cosmos in Medieval Islam, New Haven–London 2011. On the influence of al-Qazwīnī’s Book of Wonders in Arabic literature see: Dubler, ʿAdjāʾib (nt. 13), 203 sq.; Berlekamp, Wonder (nt. 14), 26–32. S. von Hees has argued for the reconsideration of al-Qazwīnī’s ‘Book of Wonders’, which was usually classified as a ‘cosmography’ pertaining to ‘wonders literature’, as an encyclopaedia of natural history, thus, emphasising its systematicity as a knowledge compendium: von Hees, AlQazwīnī’s ʿAjāʾib (nt. 2), 171–186. This is followed by Ducène, who sees in al-Qazwīnī’s text as a development in the encyclopaedic tradition based on its rigour and coherence, which contrasts with previous cosmographies, cf. Ducène, Encyclopédies (nt. 14), 204. This is stated in the introduction of the book: Zakarīyāʾ ibn Muh ammad al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt wa-ġarāʾib al-maugˇūdāt, MS München, Bayerische Staatsbibliothek, Cod. arab. 464, fol. 2v. In this article, I chose to translate and refer primarily to the Munich manuscript, as it is considered to be the oldest extant copy of al-Qazwīnī’s Book of Wonders, and even supposed to have been produced for the author himself in 1280, in Wāsit. Cf. Berlekamp, Wonder (nt. 14), 14 sq. There is an edition from 1849, which I also add for further reference: F. Wüstenfeld, Zakarija Ben Muhammed Ben Mahmud el-Cazwini’s Kosmographie. Die Wunder der Schöpfung, Göttingen 1849. Note that Wüstenfeld did not use the aforementioned Munich manuscript for his edition (he used instead manuscripts from Berlin, Gotha, Dresden, and Hamburg), so his version differs at times. Ducène, Encyclopédies (nt. 14), 205. In this respect, al-Qazwīnī’s appeal to wonder differs from the philosophical (Aristotelian) approach, which was seen as an epistemic emotion caused by the ignorance of the cause of a given phenomenon. Al-Qazwīnī’s understanding of wonder is to be understood rather as a form of ‘contemplative wonder’, which does not cease after discovering the cause, but remains as a

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suggested by the very title of the book, which associates the idea of existents (maugˇudāt ) with that of creatures (mah˚ lūqāt ). The theme of divine attributes is, likewise, part of al-Qazwīnī’s project, as he writes in the introduction: “In all of that there is space for reflection and thinking. No particle in the skies and on earth moves without there being in its movement one, two, one hundred, or a thousand [divine] wisdoms. All of that is a sign for (dalīl ʿalā ) its Creator’s oneness and for His power, greatness and magnificence, like Abū al-ʿAtāhīya said: ‘By God, in each motion, in each rest, you may always contemplate God. / Each thing carries a sign that He is one’”. 20

Hence, it is clear that the focus, as has been suggested in the case of Galen, is not only on the study of natural phenomena but also on the act of contemplation of the divine in them. Commenting on this point, von Hees remarks that the aim of the author is “to examine things, not for themselves”, but rather for “the wisdom of God hidden in them” 21. Presented in this way, this is perhaps too radical a claim, since, throughout his work, al-Qazwīnī does demonstrate a genuine interest in the analysis of natural objects that is not exhausted by their referential character, as the scholar herself claims elsewhere 22. In this context, nonhuman animals occupy a prominent place. They were a favourite theme of Muslim encyclopaedists and cosmographers, especially for the diversity of astonishing specimens they were able to provide. This can be noticed in the extensive list of animal species comprised in the already mentioned ‘Book of Wonders’, but also in other cosmographies, such as the Andalusi Abū H  āmid al-Ġarnātī’s (d. 565 H./1169 C.E.) ‘Gift of the Hearts’, and Muh ammad al-Tūsī’s Persian cosmography, which also circulated with the title of ‘Book of Wonders’ 23.

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state of astonishment. On this topic see the article by Alexander Lamprakis included in this volume. al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt (nt. 17), fol. 7v; ed. Wüstenfeld (nt. 17), 13. Abū alʿAtāhīya, to whom al-Qazwīnī refers here, was an acclaimed Arab poet from the 9th century C.E. The idea conveyed here by al-Qazwīnī appears in other medieval Islamic works with a slightly different phrasing. Similar passages are mentioned by Ducène, Encyclopédies (nt. 14), 203 sq. An instance from a non-encyclopaedic text is also found in al-Ġazālī: “Know that everything that exists outside God is an act and a creation of God. And every particle, substance, accident, quality or qualified thing contains marvels and extraordinary things which manifest the knowledge, power, magnificence and greatness of God.” Al-Ġazālī, Ih yāʾ (nt. 4), 2812. S. von Hees, Enzyklopädie als Spiegel des Weltbildes, Wiesbaden 2002, 97. von Hees, Al-Qazwīnī’s ʿAjāʾib (nt. 2), 171–186. Al-Ġarnātī dedicates the third chapter of ‘Gift of the Hearts’ to the description of the wonders of animals, focusing in particular on aquatic animals. Abū Hāmid al-Ġarnātī, Tuh fat al-albāb wa-nuh˚ bat al-aʿgˇāb, ed. I. al-ʿArabī, al-Maġrib 1993, 115–140. Muh ammad al-Tūsī’s ‘Book of Wonders’ (ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt) comprises two sections on nonhuman animals, one on birds and another on quadrupeds. For a more detailed account of the contents of Muh ammad alTūsī’s book see B. Radke, Die älteste islamische Kosmographie. Muh ammad-i Tūsī’s ʿAgˇāʾib almah˚ lūqāt, in: Der Islam 64 (1987), 278–288; Henri Massé, Le Livre des merveilles du monde, Paris 1944, 7–16. As for al-Qazwīnī’s own ‘Book of Wonders’, it comprises an even more extensive treatment of animals, not only dealing with aquatic animals, birds, and quadrupeds,

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This theological approach was not limited to encyclopaedias but also extended to the sciences. We have already mentioned Galen, who introduced the idea of a conscious design in his medical writings 24. One finds a similar approach ˇ āh iz . This in ‘The Book of Animals’, written by the 9th century intellectual al-G extensive text, which predates al-Qazwīnī’s ‘Book of Wonders’ by more than three centuries, is devoted to the study of various species of animals, their physical features, organs, psychological faculties, behaviour, breeding, and nutrition habits, and constantly articulates these aspects with the notion of wonder and the ultimate creative power that brought them into existence. The following passage is representative of this aspect: “It is not the intrinsic worth of the dog and the rooster, their price, their looks or the place they occupy in the hearts of the common people that led us to write this dissertation […]. Rather we are thinking about what God, the Mighty and the Majestic, placed in them as signs of [His existence] (mina l-dalāla ʿalaihi ), of the perfection of his art, of His wondrous dispositions and of His subtle wisdom; and by the amazing understanding He instilled into them, the mysteries He implanted in them and the tremendous advantages He bestowed upon them, He shows that it is He who made all these dispositions for them and vouchsafed them this wisdom, and [also] bestows upon us to think about these two beings, to consider them, and to praise God, the Mighty and Majestic, in them. He covered the outsides of their bodies with His testimony and filled the inside with wisdom, and made us to think and learn the lesson, so that every man endowed with reason may know that God did not create his creatures without purpose, and did not abandon his creatures to fate; that He overlooked nothing, left nothing without its distinctive mark, nothing in disorder and nothing unprotected” 25.

ˇ āh iz ’s considerations in this powerful passage show that his theoretical Al-G interest in nonhuman animals, here specifically referring to the dog and the rooster, is, in truth, motivated by the ambition to achieve the cognition of God, namely through the ‘signs (dalāla )’ that he left imprinted in his creatures. This aspect of his work has sometimes led scholars to consider ‘The Book of Animals’ less as a work of natural science, and more as a text inclined toward the genre of literature and theology 26. However, these factors can be reconciled

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but also all kinds of beasts of prey, cattle, insects, and other small crawling animals, cf. von Hees, Enzyklopädie als Spiegel (nt. 21). This is also noticed in the philosophical tradition. Al-Fārābī writes in his Epistle on What Must Precede the Study of Philosophy: “As for the intended goal in the study of philosophy, it is the knowledge of the Creator, the Almighty (maʿrifat al-h˚ āliq taʿālā ), that He is one, not a composite, and that He is the utmost maker of everything existent” (Abū Nāsr al-Farābī, Risāla fī mā yanbaġī ʾan yuqaddama qabla taʿallum al-falsafa, ed. F. Dieterici, in: Alfārābī’s philosophische Abhandlungen: aus Londoner, Leidener und Berliner Handschriften, Leiden 1890, 53). ˇ āh iz , Kitāb al-H Abū ʿUtmān al-G  ayawān, ed. ʿA. Hārūn, vol. 2, Beirut 1949–1950, 109–111; trans. Pellat, Life and Works (nt. 2), 141 sq. (with modifications). Concerning this question, N. Bel-Haj writes: “Le Kitāb al-H  ayawān qui est un ouvrage d’adab de caractère religieux et non des sciences naturelles, est caractérisé par un grand désordre” (N. Bel-Haj Mahmoud, La Psychologie des animaux chez les arabes: notamment à travers le Kitāb al-Hayawān de Djāh iz , Paris 1977, 9). Pellat also states the difficulty of classifying ‘The Book of Animals’ as a fully-fledged work of natural science, cf. Pellat, Life and Works (nt. 2),

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with the scientific spirit. As mentioned above, theoretical investigation does not necessarily exclude a theological dimension. Moreover, investigating all the vehicles that convey God’s wisdom and providence in creation also leads to a thorough understanding of creation itself. As ˇ āh iz argues in this passage, those higher meanings are conveyed through al-G the outsides and the insides of the bodies of living beings, through their dispositions and the advantages they provide. Consequently, every detail and specificity of animal life becomes relevant, as every notion becomes divine 27. In what ˇ āh iz and follows, I will show how this idea is developed throughout both al-G al-Qazwīnī’s works, more specifically concerning animals regarded as pernicious and deficient. Being the ones that raised more difficulties in explaining a divine and provident design, they also stimulated the most interesting accounts on this issue. II. Al-Qazwīnī on the behaviour of insects After my discussion so far, one would expect that most of the content of the ‘Book of Animals’ and of the ‘Book of Wonders’ would focus on species that are most aesthetically beautiful and powerful, or directly beneficial to humans. However, this is not always the case. In fact, many of the animals mentioned in these writings are significantly small and weak, they are not exactly pleasant to look at, such as insects, reptiles, and other kinds of crawling animals, and are of no direct use to humans. This is meant to emphasise that every creature, regardless of its power, size, or visual aesthetics, is worthy of admiration, as al-Qazwīnī writes in one of the introductory sections of his ‘Book of Wonders’: [May you contemplate], moreover, the shapes [of animals], their forms, their distinctive properties and actions, so as to see the wonders (ʿagˇāʾib ) [in them] whereby the minds become astonished – [may you contemplate] even the bedbug, or the ant, or the bee, or the spider [for] they are among the weakest animals, so as to see something that will astonish you, namely in the way that they build their houses, that they collect their food and hoard it until the winter, and in their ability to build and set up nets for hunting. There is no small or big animal that does not contain countless wonders. 28

27

28

21 sq. More recently, M. Ben Saad, A. Aarab and Ph. Lherminier have focused on the scientific ˇ āh iz ’s book: M. Ben Saad, La classification des animaux chez le savant arabe character of al-G al-Jâhiz (776–868) : discussions zoologiques autour des distinctions genre/espèce dans le ‘Kitâb al-Hayawân’, in: J. Förstel (ed.), L’animal : un objet d’étude, Paris 2020, 50–68; A. Aarab/ Ph. Lherminier, Le ‘Livre des animaux’ d’al-Jâhiz, Paris 2015. For a more comprehensive account of the nature and scope of ‘The Book of Animals’, cf. J. Montgomery, Al-Jāh iz : In Praise of Books, Edinburgh 2013. Al-Ġazālī conveys a similar idea in his ‘Book of Reflection’, where he suggests that increasing one’s knowledge about the aspects of the created world increases one’s knowledge of God, and, therefore, also one’s gratitude towards the blessings that God bestowed upon his creatures. AlĠazālī, Ih yāʾ (nt. 4), 2275. al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt (nt. 17), fols. 3v sq. The 1849 edition differs slightly, cf. ed. Wüstenfeld (nt. 17), 8.

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Here, al-Qazwīnī refers to the sophisticated technical skills of insects, namely their ability to build their own shelters and instruments for hunting and collecting food, with the intent of striking the reader’s interest, which might otherwise only be attracted by more obviously impressive creatures. The last statement that “there is no small or big animal that does not contain countless wonders”, almost immediately recalls the famous passage of Aristotle’s ‘Parts of Animals’ I, 5, where he states that one “must not recoil with childish aversion from the examination of the humbler animals” because “every realm of nature is marvellous (thaumaston )” 29. Whether al-Qazwīnī based his thought directly on philosophical sources falls outside the scope of my analysis. In fact, it is more likely that he was inspired by other Islamic reference works on wonders that likewise reflect this idea 30. Still, the continuity existing between these two traditions is remarkable. On the other hand, it is because they are small and more commonly regarded as weak and lowly beings, that the study of these animals proves to be more challenging and thus, better supports the theological aim of Islamic scholars. In this respect, al-Qazwīnī’s account of the behaviour of ants (nimāl, sing. naml ) is particularly revealing of the relevance of these insects in denoting God’s wisdom: “When [the ant] has collected grains in its hole and there is moisture in it, and it fears that they start to sprout and to perish, it splits each grain in half so that it removes their capacity to germinate. It cuts the big [grains] into four parts, because these do not lose their germination capacity when they are [only] cut in halves. If it is barley grain, lentils, or beans, it peels them and does not break them, as their germination capacity is lost when they their skin is removed. Exalted be He, Who supplied the ant 29

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Aristotle, Parts of Animals, I, 5, 645a15; translation by W. Ogle, in:. J. Barnes (ed.), Complete Works of Aristotle. The Revised Oxford Translation, vol. 1, Princeton 1991, 1004. Aristotle’s ‘Parts of Animals’ was available in Arabic since the 10th century, in a translation commonly ascribed to Yah yā ibn al-Bitrīq (d. 806), but which was most probably written by another scholar from the same school, as recent scholarship has shown. It circulated along with other zoological works by Aristotle in a comprehensive volume entitled ‘Kitāb al-H  ayawān (The Book of Animals)’, and was a main source for both authors from the philosophical circles and for other Arabic and Persian specialists in the natural sciences, including al-Qazwīnī, who refers to Aristotle by name in ‘The Book of Wonders of Creation’. For a detailed account of the transmission of Aristotle’s ‘Parts of Animals’ in the Arabic tradition see R. Kruk, Reception of De Animalibus in the Arabic Tradition, in: L. S. Fillius (ed.), The Arabic Version of Aristotle’s Historia Animalium. Book I–X of Kitāb al-H  ayawān, Leiden 2018, 15–21. The idea and formulation expressed in this passage is also present in other Arabic books which are closer to the aims and scope of al-Qazwīnī in this work. For instance, in the aforementioned ˇ āh iz , the author also emphasises the significance of insects and small ‘Kitāb al-Dalāʾil’ by Ps.-G animals despite their size: “Never disregard what can be learned from moths and ants, and similar small things; great significance can be gleaned from small examples with no loss of validity, even as a golden dinar can be weighed against an iron or stone weight with no loss of ˇ āh iz , Kitāb al-Dalāʾil, (nt. 12), 35; trans. Haleem, Chance or Creation (nt. 12), 60 sq. value”. Ps.-G Al-Ġazālī concurs with al-Qazwīnī on this point, not only in the argument, but in the particular choice of words: “There is no small or big animal that does not have in it endless wonders” (Al-Ġazālī, Ih yāʾ [nt. 4], 2823).

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with these subtle notions (hādß ihi l-maʿānī l-daqīqa ) about the right way of restoring its nourishment!” 31

In Greek-Hellenistic philosophy, ants are usually mentioned as examples of “industrious” and cooperative animal behaviour, referring back to Aristotle’s remarks in the ‘History of Animals’ 32. The Islamic tradition, on the other hand, tends to emphasise other characteristics and abilities attributed to them, for instance, speech, and even discursive thought, as well as their small size, taking the Qurʾān as the main source 33. Here, however, al-Qazwīnī is interested in yet another aspect concerning these insects, namely the way in which they are able to store their food, which seems to have been a prevalent topic in Arabic zoological works, and whose earliest mention, to my knowledge, can be found in the Roman work ‘Natural History’ by Pliny the Elder (d. 79 AD) 34. The implicit idea in this account is that the ants’ behaviour is based on rather complex cognitive capacities. To a certain extent, they manifest a conception of the future, as they make the effort to preserve their food for a later time; they are equipped with notions of quantity and quality (the size and number of parts of the grains, and their different kinds); and, finally, they demonstrate a capacity for problem-solving, both in understanding the causal factors involved and in manipulating objects to overcome an obstacle and achieve their desired goal. In sum, the text suggests that, despite their small size, these insects exhibit an impressively intelligent behaviour. As mentioned above, this surprisingly accurate account of the behaviour of ants is not a personal observation of the author. The same phenomenon is discussed in greater or lesser detail in earlier medieval Arabic texts, such as, for ˇ āh iz , and the zoologiinstance, the already mentioned ‘Book of Animals’, by al-G 31 32

33

34

al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt, (nt. 17), fol. 207r. The 1849 edition differs slightly, cf. ed. Wüstenfeld (nt. 17), 447. Aristotle, History of Animals, IX, 38, 622b20–27; translation by A. W. Thompson, in: Barnes (ed.), Complete Works, vol. 1 (nt. 29), 969. See also: Plato, Phaedo, 82b6f; trans. Fowler, in: Euthyphro. Apology. Crito. Phaedo. Phaedrus, Cambridge–London 2005 (reprint), 286 sq. Ants are a paradigmatic example for insects of small size. Besides from ‘naml’, they are also referred to as ‘dß arra’ (usually used to designate small red ants), which, in Arabic, is connected to the idea of small particle and atom. For an account of the way ants are depicted in the Qurʾān and in medieval Islamic exegesis see S. Tlili, Animals in the Qurʾān, New York 2012, 181, 184–191, 258. Similar descriptions of ants and the way they store food appear in several other works and encyclopaedias dedicated to animals, which circulated in the Islamic world: Anecdota Syriaca, ˇ āh iz , Kitāb al-H vol. 4, ed. J. Land, London 1875, 70 sq.; al-G  ayawān, ed. Hārūn (nt. 25), vol. 4, 2; Abū H  ayyān al-Tauh īdī, Kitāb al-Imtāʿ wa-l-muʾānasa (Book of Enjoyment and Conviviality), X, edd. A. Amīn/A. al-Zayn, vol. 1, Cairo 1939–44, 193; cf. L. Kopf, The Zoological Chapter of the Kitāb al-Imtāʿ wa-l-muʾānasa of Abū H  ayyān al-Tauh īdī (10th century), in: Osiris, 12 (1956), 451; Kamāl al-dīn al-Damīrī, H  ayāt al-h ayawān al-kubrā, Damascus 1992, 160. For further references on the sources of this account of the ant see Kopf, 451, n. 167 (1), (2) and (3). The earliest description I have found of this aspect of ants’ behaviour is in Pliny the Elder, as pointed out by Kopf. See: Pliny the Elder, Naturalis historia, XI, 36, edd. T. E. Page/E. Capps/ W. H. D. Rouse/L. A. Post/ E. H. Warmington, vol. 3, Cambridge–London 1967, 498. 500.

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cal chapter of Abū al-H  ayyān al-Tauh īdī’s (d. 1023) ‘Book of Enjoyment and ˇ āh iz ’s previous account explicitly Conviviality’ 35. In addition to al-Qazwīnī, al-G claims that the ant has some knowledge about the way in which grains begin to germinate, and that it exceeds all the other animals in cleverness (fitøna ), thus openly acknowledging that it has some sort of intelligence. In an ironic tone, he even notes that they can be cleverer than many human beings 36. However, and even though such behaviour is, indeed, interesting in itself, the ant’s sophisticated capacities are not everything these scholars aim to convey. Another crucial point is to show that, as al-Qazwīnī concludes in the passage quoted above, an external agent “supplied [it] with these subtle notions (almaʿānī al-daqīqa )”. In other words, the conclusion of the study is, ultimately, that the ant’s nature is not entirely responsible for these wonderful actions, but that there is an external entity, God, who endowed it with such ‘notions’, of which they are recipients. In short, the mention of this apparently intelligent behaviour of the ants is, in truth, a way of evoking God’s intelligence 37. The fact that the author chose to focus on such a small and seemingly insignificant animal turns out to be rather important for the purpose of this conclusion. Not only because it is in line with the previously mentioned idea of the ubiquity of God’s signs, but also because it increases the feeling of awe. Indeed, the ants’ behaviour is surprising, at first glance, due to the insect’s minute size, which makes their diligence seem implausible. Two aspects can be highlighted here: on the one hand, the need to acknowledge the existence of a creator who endowed them with those notions; on the other hand, it also denotes his wisdom, as well as his providence, in designing these animals with perfection and in directing them in such a way that they are capable of performing these actions. Al-Ġazālī also introduces this approach in his ‘Revival’ to suggest that the wisdom and guidance of God is manifest even in his smallest creatures. For instance, after a detailed description of the complexity and precision whereby the spider builds its web, he writes: “Do you think that the spider learned this art by itself or that it brought itself into being? Or [do you think] that a human 35 36

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See nt. 34. ˇ āh iz writes: “If [the ant] fears that [the grain] sprouts, it pecks the place where the kernel Al-G opens in the middle of the grain, and it knows (taʿlimu ) that it is from there that it is originated, germinates and transforms, so it splits the whole grain in halves. If, moreover, the grain is a coriander seed, it splits it in four, because coriander seed geminates from the whole surface of the grain. Thus, in this respect, [the ant] exceeds all the animals in cleverness (fitøna ), and, in ˇ āh iz , Kitāb al-H this, it is sometimes even more resolute (ʾahø zam ) than many people” (Al-G  ayawān, ed. Hārūn [nt. 25], vol. 4, 2). The 13th-century philosopher and theologian Fah˚ r al-Dīn alRāzī also mentions this example in his report of the arguments that some theologians and traditionalists brought forth in favour of animal intelligence. See: Fah˚ r al-Dīn al-Rāzī, al-Matālib al-ʿāliya, VII, 3, ed. A. Saqqā, Beirut 1987, 304 sq. This idea was also present in the philosophical tradition. For instance, in his ‘De Anima’, Ibn Sīnā (Avicenna) conceives of animal instincts as emanating from God’s benevolence. See: Ibn Sīnā, Kitāb al-Šifāʾ: al-Nafs, IV, 3, ed. F. Rahman, in: Avicenna’s De Anima, London 1959, 183 sq.

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brought it and its knowledge into being? Do you think that it has no guide or master?” 38 Clearly, these rhetorical questions are intended to emphasise the need to acknowledge the existence of an intelligent creator who guides and provides for the spider, which seems too lowly and feeble to possess the skills and capacity to make its web all by itself. Like al-Qazwīnī in his encyclopaedia, the theologian searches first to generate a feeling of perplexity and then, to accommodate it to the knowledge of the ultimate cause behind this phenomenon: God. ˇ āh iz on the mole III. Al-G ˇ āh iz ’s ‘Book of Let us now look at another passage, this time taken from al-G Animals’, concerning the mole (al-h˚ uld ), and how it provides evidence of God’s attribute of wisdom and of his providential intervention in creation: “What could be more marvellous than the mole! How it obtains its food and how God makes it possible for it, although it is blind – does not see –, deaf – does not hear –, apathetic – does not react – and stupid – has no knowledge! Moreover, it never goes beyond the limits of its burrow and does nothing more than receiving what its Provider (rāziquhu ) brings to it, as He [also] provides for others.” 39

ˇ āh iz evokes the reader’s wonder before some surprising In this passage, al-G facts about this animal. First of all, by its own nature, it lacks the most basic equipment for the procurement of food and hunting, namely a functional sensory apparatus. It should be noted that this is not an isolated example in the history of thought. In fact, the mole seems to be a paradigmatic case when it comes to animals’ innate deficiencies. Already Aristotle had emphasised this point in his ‘De Anima’, as well as in the ‘History of Animals’, “to show how it differs from other animals”, as D. Balme has pointed out 40. This specificity of the mole’s constitution, which distinguished it from other viviparous species, was then reproduced in other Late Ancient and early Islamic zoological sourˇ āh iz ’s account even more interesting is that he adds ces 41. Yet, what makes al-G 38 39 40

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Al-Ġazālī, Ih yāʾ (nt. 4), 2823. ˇ āh iz , Kitāb al-H Al-G  ayawān, ed. Hārūn (nt. 25), vol. 2, 112. D. M. Balme, The Place of Biology in Aristotle’s Philosophy, in: A. Gotthelf/J. G. Lennox (eds.), Issues in Aristotle’s Biology, New York 1987, 9. For instance, in the section of ‘De anima’ concerning the sense of sight, Aristotle writes that, despite the fact that it is “undeveloped” or “maimed”, “even the mole, we find, has eyes under the skin”. Aristotle, On the Soul, III, 1, 425a10–12, ed. W. S. Hett, Cambridge–London 1957, 142 sq. In the ‘History of Animals’, Aristotle once more alludes to the fact that the mole does not possess the sense of sight because its eyes are under the skin, cf. Aristotle, History of Animals, I, 9, 491b26–33; translation by A. W. Thmopson, in: Barnes (ed.), Complete Works, vol. 1 (nt. 29), 783. It is also reported that some scholars held the view that the mole had no eyes: al-Fārābī, Abū Nasr, Risāla fī aʿd āʾ alh ayawān wa-afʿālihā wa-quwāhā, ed. ʿA. Badawī, Beirut 1997, 99. Timotheus of Gaza, On Animals, trans. F. S. Bodenheimer/A. Rabinowitz, Paris–Leiden 1949, 41; Pliny the Elder, Naturalis historia, XI, 52, edd. Page, e. a. (nt. 34), 518; Galen, De usu partium, XVI. 6, ed. Kühn (nt. 9), 4.160; al-Tauh īdī, Kitāb al-Imtāʿ, edd. Amīn/Al-Zayn (nt. 34),

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to this primary lack of sight a set of other natural incapacities, such as the inability to hear, to react to sensible stimuli and to discern, here most probably indicating its incapability to distinguish one thing from another due to its lack of sensation 42. Moreover, he adds, it also does not even come out of its burrow, that is, it does not actively engage with the object of its procurement, as it makes almost no movement in the direction of its prey. Yet, astonishingly, it still ˇ āh iz , this constitutes a clear sign that an external agent, obtains its food. For al-G here referred to as “its provider (rāziquhu )”, intervenes to make up for the mole’s original deficiencies and to supply it with the nourishment that it needs to survive. This leaves no doubt about what is at stake in the author’s account: divine providence. In fact, the term ‘rāziq’ is a derived form of one of the divine names in Islam – al-razzāq (‘the Maintainer’, or ‘the Provider’) –, and, thus, a clear reference to God 43. However, this is put in slightly different terms in relation to the previous passage from ‘The Book of Wonders’, for, in this case, it seems that God does not provide the mole with any ‘innate notions’ or instinctive capacities to survive. In fact, it appears that, by contrast with the example of the ant and the spider, the mole is created completely deprived of mechanisms of sustenance. ˇ ah iz , God is providing for it, in a way that remains obscure, almost Yet, for al-G like a miracle. ˇ āh iz ’s last word on the mole’s feeding behaviour. This, however, is not al-G Later in his book, he introduces the following more natural explanation: The mole is a deaf and blind tiny animal, which cannot recognize what is approaching it but by the smell. It comes out of its burrow, even though it knows that it cannot hear or see, and it stops for a moment at the entrance of the burrow; then, if a fly comes and falls in the corner of its mouth, or if it passes in between its jaws, it closes its mouth on it and seizes it by aspiring it with its breath. It knows that that is its nourishment and its share. It behaves in this way during the day, not during the night, and during the hours of the day when there are a lot of flies [around]. It never renounces the procurement and does not reduce [the amount of time spent] in procuring. It does not make mistakes about the time and does not exceed in quantity. 44

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193; cf. Kopf, The Zoological Chapter (nt. 34), 452. The rest of the description here concerning the mole’s other sensory deficiencies does not feature in any of these sources, at least in the way the texts came down to us. This is a rather uncommon description of the mole. Most Ancient and Late Ancient texts only mention its blindness when referring to this animal’s lack of sense-perception, as referred in the previous note. Likewise, al-Tauh īdī does not mention these deficiencies: Kitāb al-Imtāʿ, edd. Amīn/Al-Zayn (nt. 34), 193; cf. Kopf, The Zoological Chapter (nt. 34), 452. Moreover, as I shall discuss below, Arabic authors often mention a compensatory sense of hearing, smell, or even taste, like it is the case with the Ih˚ wān al-S afāʾ and al-Qazwīnī. “God is the Provider (al-razzāq ), the Lord of Power, the Ever Mighty”. Qurʾān, 51: 58; trans. Haleem (nt. 3), 344. ˇ āh iz , Kitāb al-H Al-G  ayawān, ed. Hārūn (nt. 25), vol. 6, 411. This account differs considerably from other Greek and Arabic zoological treatises, which describe moles as herbivores, eating roots they capture by digging through the soil, cf. Timotheus of Gaza, On Animals, trans. Bodenheimer/Rabinowitz (nt. 41), 41; al-Tauh īdī, Kitāb al-Imtāʿ, edd. Amīn/Al-Zayn (nt. 34), 193. It has been suggested that, in fact, the ‘blind-rat’ mentioned in ancient texts might be

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ˇ āh iz ’s first account of God’s miraculous At first glance, it appears that al-G assistance to the mole is replaced here by the idea that the mole’s ability to procure its food is a feature of its own nature. It is the mole’s sense of smell, its awareness of the most appropriate times for hunting, and other physical capacities that enable it to capture its prey. At the end of the description, the author even stresses some characteristics that make it superior in relation to humans, namely that it does not overeat, which means that it does not go to extremes when pursuing its natural appetite 45. In other words, since there is an explanation for its behaviour, no reference to providence is required. The awareness of the mole’s possession of faculties enabling it to provide for itself is sufficient to explain its behaviour. Yet, I believe these two approaches can be reconciled, insofar as, even in this last description, there are implicit allusions to providence. Take, for instance, the reference to the compensatory mechanisms of survival, namely the sense of smell and instinctive knowledge. Indeed, as has been pointed out, the mole’s inability to see due to a lack or underdevelopment of the organs of sight, is mentioned in various earlier Greek sources, namely Aristotle’s ‘History of Aniˇ āh iz ’s mals’ and Timotheus of Gaza’s ‘On Animals’, both considered among al-G sources. However, neither of these texts, at least in the way in which they came down to us, refer to the other traits pointed out by the author in this description ˇ āh iz may as a means of compensation for its blindness 46. It appears that al-G have supplemented this additional sense and instinctive knowledge to highlight the idea that there is a wise arrangement in nature organizing and balancing the constitution of this frail species. Thus, in the same spirit of Plato’s myth of Prometheus, the fact that creatures are endowed with specific appropriate survival mechanisms that outweigh original shortages is, for the Muslim author, a sign or a ‘testimony’ of the creator himself and of his infallible providential wisdom.

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connected with two animals very similar in shape, but distinct from one another, one being ˇ ah iz is herbivore and one preying on insects and worms, which seems to be the one al-G referring to. Cf. D. W. Thompson, The ‘Mole’ in Antiquity, in: The Classical Review 32 (1918), 10. I am grateful to Robert M. Schneider for this reference. This feature is also emphasised in other medieval texts in the Islamic world. For instance, Abū Bakr al-Rāzī writes in his ‘Spiritual Medicine’: “[B]easts gratify their urge to the amount required by nature to get rid of that sensation of suffering and pain which urges them in that direction – so much and no more” (Abū Bakr al-Rāzī, al-T ibb al-rūh ānī, ed. P. Kraus, in: Rasāʿil falsafīya, Cairo 1939, 39; trans. A. Arberry, in: The Spiritual Physick of Rhazes, London 1950, 41). The Ih˚ wān al-S afāʾ put these words in the mouth of the animals themselves, in this case of a parrot: “We eat only what we need day by day, one food and flavour at a time. So we’re not stricken by the mob of diseases and ills that afflict you [i. e. humans]” (Ih˚ wān al-S afāʾ, Rasāʿil, XXII, edd. L. E. Goodman/R. McGregor, Oxford 2009, 249 [translation, 290]). The only earlier source I am aware of that alludes to a compensatory sense is Pliny the Elder. However, the Roman author mentions the sense of hearing, rather than smell, cf. Pliny, Naturalis historia, X, 84, edd. Page e. a. (nt. 34), 191. Likewise, al-Qazwīnī thinks that the mole is blind, but has a strong sense of hearing, by which it is able to sense movement from a great distance, cf. al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt, fol. 204r (nt. 17); ed. Wüstenfeld (nt. 17), 441.

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The group of Muslim intellectuals known as the Ih˚ wān al-S afāʾ47 pushes this argument even further. Their epistle dedicated to nonhuman animals provides an account about an unnamed animal that shares significant resemblances with the mole, which states that this small mammal’s visual deficiency is, in fact, an intended feature produced by the creator: “Others, higher and more perfect, are the varied swarming and crawling creatures that burrow in dark places. They have touch, taste, smell, and hearing, but not sight. For it is by touch that they stay alive, by taste that they can discern their nourishment, by smell that they locate their food, and by hearing that they sense the thread of assailants and arm against attack. But they are given no sense of sight, since they live in dark places and have no need to see. If they had sight they would only have trouble of guarding it and shielding their eyes from debris. For divine wisdom gives no animal any organ or sense that serves no need or affords for it no benefit.” 48

Despite the obvious divergence concerning this creature’s actual sensory powˇ āh iz and the Ih˚ wān al-S afāʾ make the mole a recipient of divine ers, both al-G providence by acknowledging that its deficiencies are covered by additional faculties. Moreover, the Ih˚ wān show a stronger, even radical teleological approach to this animal’s constitution by expressly making each external sense correspond to a specific function that is purposefully designed to enable it to survive – even the one that it does not possess, namely sight. Indeed, the lack of sight is not considered a privation here; rather, it is understood as a power, willed and produced by the creator for its own protection and, ultimately, for the survival of the species. ˇ āh iz This approach is very much in line with the framework expressed by al-G in his ‘Book of Animals’, where he states that the creator “overlooked nothing, left nothing without its distinctive mark, nothing in disorder and nothing unprotected” 49. The example of the mole is particularly relevant, since it sheds light on the purposefulness of every feature of the animal’s constitution, where even the lack of sensation is seen as a power and is conform to teleology. However, some aspects of animal life and of their constitution, although beneficial for their own subsistence, can also cause harm to others. Predators, parasites, and poisonous animals, for instance, may be seen as disturbing elements within God’s providential order. In the following, I examine the way in ˇ āh iz and al-Qazwīnī dealt with this problematic in their writings. which al-G

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The exact date and place of this group’s activity, also commonly known as the ‘Brethren of Purity’, is still a matter of debate, but most modern scholars point to the period between the second half of the 9th century and the first half of the 10th century. For a more detailed account of this cf. Y. Marquet, Ikhwān al-S afāʾ, in: B. Lewis/V. L. Ménage/Ch. Pellat/J. Schacht (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 3, Leiden–London 1986, 1071–1076. Ih˚ wān al-S afāʾ, Rasāʾil, XXII, edd. Goodman/McGregor (nt. 45), 11 sq. (translation, 75). I am grateful to Bethany Somma for having brought this passage to my attention. See page 402 (nt. 25).

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IV. Poisonous and dang erous animals and the problem of evil The analysis presented so far provided examples of the ways in which alˇ āh iz sought to convey God’s existence and his attributes of Qazwīnī and al-G wisdom and providence based on the wonders of animals’ traits, capacities, and behaviour. In this final section, I will focus on another significant divine attribute particularly relevant for Islam, namely God’s oneness and the relevance of dangerous and poisonous animals to clarify it. None of the animals examined so far is, from a human perspective, harmful or dangerous, despite not appearing particularly beautiful or attractive at first glance, and not being directly useful for humans. However, some animals may cause harm, pain, and even death, both to humans and other animals. In this sense, they may be considered as evil and raise the classical problem of compatibility between the existence of evil in the world and the belief in a unique and benevolent creator. How can there be a harmonious and coherent creation, originating from the will of one almighty God, if there are unfitting elements in it? Now, the general topic of theodicy was a widely debated problem in Islamic speculative theology (kalām ) and philosophy (falsafa ), which I do not wish to explore here, for it would deflect from the focus of this study. Yet, in what concerns nonhuman animals in particular, it is worth mentioning that Muslim thinkers paid considerable attention to this question and attempted to articulate possible responses to the problem. For instance, the philosopher Abū Bakr alRāzī (d. 313 H./925 C.E.) held that, under certain circumstances, and especially when the pain or damage caused by animals is greater than their overall benefit, as in the case of snakes or scorpions, it is permissible to kill them. 50 This concurred, moreover, with the verdict of some medieval Islamic legal schools. 51 However, such a position calls the status of these species as God’s creatures into question, and, therefore, also the unity of creation itself. This also has implications concerning the interreligious debate between Islam and other neighbouring beliefs, namely the dualism of the Manicheans and Zo50

51

I refer to the following passage: “With regard to hunting and chasing, exterminating and destroying, this should be reserved for animals like lions, leopards, jackals, which feed only on meat, and those like serpents and scorpions, which cause the greatest harm, which people have no interest in taming, and for which there is no need to otherwise use. (…) As for serpents, scorpions, hornets, and so forth, the fact that they both harm animals and are of no use to humans, the way beasts of burden are, combine to permit their destruction and extermination” (Abū Bakr al-Rāzī, Kitāb al-Sīrat al-falsafīya [The Philosophical Life], ed. Kraus [nt. 45], 104 sq.; translation: J. McGinnis/ D. Reisman, in: Classical Arabic Philosophy. An Anthology of Sources, Indianapolis, Cambridge 2007, 40 (with modifications). For an account of al-Rāzī’s views on animals cf. P. Adamson, Abū Bakr al-Rāzī on Animals, in: Archiv für Geschichte der Philosophie 94/3 (2012), 249–273. On this topic see: S. Tlili, Animals would follow Shāfiʿism: Legitimate and Illegitimate Violence to Animals in Medieval Islamic Thought, in: I. Kristó-Nagy/R. Gleave (eds.), Violence in Islamic Thought from the Qurʾān to the Mongols, Edinburgh 2015, 225–244.

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roastrianism. Indeed, as mentioned before in this article, in the ‘Book of Proofs and Reflection’, teleological arguments are specifically used to prove the oneness of the creator against religious dualists who believed in two distinct creative forces. Moreover, when it comes to the problem of harmful animals, the quarrel with Zoroastrianism seems to be particularly relevant. This belief, which continued to be influential during the Islamic period, taught that there are two different and opposing deities and that creation is polarized by an essential duality, as it derives from these two forces. Thus, the existence of ‘evil’ animals, as well as of evil in general, was often explained by declaring them to be the creations of the ‘evil spirit’ (Ahriman), whereas the docile creatures were believed to have been created by the ‘wise’ and ‘good’ one (Ohrmazd). 52 Such a metaphysical framework, however, was unacceptable for the upholders of God’s oneness, who did not pass these challenges unnoticed 53. ˇ āh iz and al-Qazwīnī. In fact, looking at Neither did our chosen authors al-G both the ‘Book of Animals’ and the ‘Book of Wonders’, one finds meaningful allusions to the way in which harmful animals, including scorpions, snakes, and dangerous beasts of prey, fitted into the unity of creation, as well as to the role ˇ āh iz , for instance, claims that they are integral to the they played in it. al-G creator’s perfect plan and, therefore, should be admired as much as any other creature, as the following passage shows: If you see some animal that is far from [providing] benefit and does not know the reason why [it should] make itself useful, or is downright dangerous and to be guarded against, such as those that have fangs, like snakes and wolves, and those that have sharp claws like lions and panthers, and those that have stings and prickles like scorpions and wasps, know that that in which their usefulness lies is the testing (imtihø ān ), the trial (ih˚ tibār ), and that which God prepared for those who are patient and who understand Him, and those who know that free will and experience do not exist in a world which is all bad or [all] good. For, indeed, that can be only by the pairing between the horrible and the loveable, the painful and the pleasant, the despicable and the honourable, the safe and the perilous. Since the most fortunate fate is in the trial and in free will, and through them one can come close to God, the Mighty, the 52

53

Take the following excerpt from the Gathas: “The Ohrmazd fashioned forth the form of His creatures from His own self, from the substance of light – in the form of fire, bright, white, round, visible afar. The Evil Spirit shaped his creation from the substance of darkness, that which was his own self, in the form of a toad, black, ashen, worthy of hell, sinful as is the most sinful noxious beast” (Gathas, Verses from Yasna 30: 44. 47 sqq., in: S. H. Nasr/ M. Aminrazavi [eds.], An Anthology of Philosophy in Ancient Persia, vol. 1, London–New York 2008, 57). For an account of the conception of nonhuman animals in Zoroastrianism cf. R. Folz, Zoroastrian Attitudes toward Animals, in: Society and Animals 18 (2010), 367–378; H.-P. Schmidt, Ancient Iranian Animal Classification, in: Paul Thieme zur Vollendung des 75. Lebensjahres (= Studien zur Indologie und Iranistik 5–6 [1980]), 209–44. ˇ abbār, engaged in Hourani has shown that some Muʿtazilite theologians, such as ʿAbd al-G discussions about theodicy, specifically defying Zoroastrian arguments, cf. G. F. Hourani, Islamic and non-Islamic Origins of Muʿtazilite Ethical Rationalism, in: International Journal of Middle Eastern Studies 7 (1976), 59–87.

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Venerable, and enjoy his mercy, and if this can only be in a place where the good and the bad are in a close union, the useful and the harmful are combined and concurrent, the easy and the difficult are similar – then one understands the place of the usefulness in the creation of the scorpion, and the place of the purposefulness in the creation of the snake. Then do not despise the midge, the butterfly, the ant, nor the fly, but stop and think about the point in which I am putting you. Then you will multiply the praises for God, the Mighty, the Venerable, for creating the gnats and the insects, as well as the poisonous and the one with fangs, as you praise him for creating food from water and air. 54

This passage comprises two main arguments. First, it suggests that harmful and dangerous animals have a moral significance. If there were nothing analogous to evil in the world, humans would not know how to distinguish right from wrong, or even to conceive of such a difference, and, therefore would not be able to exercise their free will. Vicious and dangerous animals are there to exemplify the alternative. Thus, one could state that they present us not with evil itself, but with an analogy of evil, embodying the possibility of choosing the wrong path instead of the right path, according to the “test” and the “trial” of free-will 55. On the other hand, they also assume a harmonizing function, namely that of contributing to the balance of creation, which is, according to the author of the ‘Book of Animals’, formed by the combination of the extremes of good and bad, useful and harmful, safe and perilous. In this sense, dangerous animals are not evil in themselves and do not defy its unity or the oneness of its creator. On the contrary, they are instrumental in the proportion and cohesion of the created world, hence, proving to be generated from the same source as docile ˇ āh iz does not advance here the specific and beneficial animals. However, al-G ways in which these creatures are tied to the general harmony of creation or the particular ways in which they are useful. In fact, it seems that these are not immediately apparent but, as he puts it, must be “understood”. This could be interpreted as an invitation from the author to his readers to investigate these matters. It is noteworthy that the concern with understanding the usefulness and benefit behind these animals’ apparent ‘evilness’ is present throughout al-Qazwīnī’s ‘Book of Wonders’, too. For instance, when tackling the nature of scorpions and snakes, he strives to point out their versatility and the ways in which they can assist humans: “What is wonderful about this species is that every one that makes its poison the cause of damage to a living being makes its own flesh resistant to this damage. The ancient doctors found in the snake’s flesh a resistance to its own poison, and they

54 55

ˇ āh iz , Kitāb al-H Al-G  ayawān, ed. Hārūn (nt. 25), vol. 3, 300 sq. ˇ āh iz embraces the Muʿtazilite ethical views on human free-will. H. A. Wolfson, The PhiAl-G losophy of the Kalam, Cambridge–London 1976, 624–655.

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made antidote out of it. Experience also shows that whoever is stung by the scorpion can kill it and smear its body fluid on the sting. Then the pain immediately vanishes.” 56

Although seemingly implausible, the idea suggested by al-Qazwīnī is, as he states, in accordance with ancient medicine and pharmacology. One of the most popular antidotes found to revert the effects of a snakebite was a medicament called ‘theriac’, which contained substances taken from the snake’s flesh itself 57. Healing scorpion stings by squashing a scorpion and applying it on the wound was also a practice recommended by some doctors in the Islamic world 58. But for al-Qazwīnī, the meaning of these astonishing facts is not exhausted by these observations. What is at stake is that these species, even though being poisonous, are still, in some way, beneficial, for they allow to counter their harmful effects. Moreover, this shows that creation is perfectly equipped to counter its own perils and repair its self-inflicted damage by itself. This may be interpreted as a sign of its harmony and unity, and, ultimately, as a way of defending the existence of a single creator, who formed it with such consistency. Yet, to understand this, one must be brave enough to be curious and start investigating. V. Conclusion To sum up, in this article, I have presented some of the different ways in which the doctrine of creation, intelligent design, and divine attributes are ˇ āh iz and al-Qazwīnī’s texts. My attention was spelled out throughout both al-G drawn specifically to their descriptions of creatures often regarded as lower in rank, such as insects, crawling animals, and to poisonous species. As I hope to have shown, despite their seemingly deficient or dangerous character, these animals deserved as much interest as other nobler animals for the authors discussed here. I do not intend that they constitute an exception. In fact, Muslim scholars also praised beautiful and great nonhuman animals, as well as human beings, by bringing forth the teleological fashion in which their bodies and capacities were formed. What I attempted to demonstrate is that those lower species are all the more fascinating, as they are counter-intuitive to the obvious harmony and beauty of creation. In this sense, they represented a challenge for these intellectuals, who not only needed to find ways to display their role in God’s creation, but 56 57

58

Al-Qazwīnī, Kitāb ʿAgˇāʾib al-mah˚ lūqāt (nt. 17), fol. 197v; ed. Wüstenfeld (nt. 17), 428. This recipe was spelled out in various medical and pharmacological books in Antiquity and in the Middle Ages. One of them was On Theriac to Piso, attributed to Galen. See the passage where this ingredient is mentioned: On Theriac to Piso, VII, ed. and trans. R. Leigh, Leiden– Boston 2016, 95 sq. For a more detailed account of the history of the theriac see: V. BoudonMillot, Aux origins de la thériaque : la recette d’Andromaque, in: Revue d’Histoire de la Pharmacie 97 (2010), 261–270. Abū Bakr al-Rāzī mentions this treatment in his Comprehensive Book on Medicine (Kitāb alH  āwī fī l-tibb), X, Hyderabad 1955–71, 102. cf. M. Ullmann, Islamic Medicine, Edinburgh 1978, 109. I am grateful to Nicolas Payen for this reference.

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also to justify and rethink their apparent deficiencies and perils. Such an enterprise directed them towards a detailed – even though at times not too thorough – inquiry into their features and the subtle ways by which they witnessed the mark of a unique, wise, and provident creator.

The Marvellous and Uncanny Matters (ʿAgˇāʾib wa Ġarāʾib ): Two Objects of Curiosity in Medieval Islamic Natural Sciences Fateme Mehri (Tehran)* In Persian and Arabic literature, the title ‘ʿAgˇāʾib’ is used to name a small group of texts which focus on the natural world and its creatures and natural phenomena. One of the most significant and famous Arabic texts is ‘ʿAgˇāʾib ulMah˚ lūqāt wa Ġarāʾib ul-Maugˇūdāt’ by Qazwīnī (13th century), although there exist at least two important Persian books from the 11th and 12th centuries as well. These texts are very similar to some natural encyclopaedias which classify the sciences and talk about animals, plants and inanimate beings under a branch of the natural sciences called the ‘Science of Properties’. For instance, we have ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’, a text from the 11th century that has allocated a major part to the properties, benefits, and natures of the human, different types of animals, plants, and minerals in its general classification. It should be considered that based on the Science of Properties every single object in the world has numerous properties, so they are infinite. It is also important to know that the spectrum of these properties is considerably wide containing some well-known properties (like the properties of the medicinal plants) and at the same time, some special, unknown, and unusual properties. In this situation, a criterion has been used by the authors to select and relate the properties: being ‘marvellous’ and ‘uncanny’, two concepts which have been differentiated by Qazwīnī. According to him, a ‘marvellous matter (ʿAgˇīb )’ is something observable by human beings even though we cannot explain the reasons for it nor understand the quality of its occurrence. In other words, humankind is not able to understand how it happens more often because of a lack of knowledge. On the other hand, an ‘uncanny matter (Ġarīb )’ is something unusual that rarely occurs. Here ‘unusual’ means something which happens against natural rules. Since marvellous and uncanny matters have a principal role in communicating with readers who are curious to know the world, it seems that there is a relation between these concepts and the concept of curiosity. Tūsī, the author of a Persian ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’, describes the readers as those who have no longer need to travel around the world in order to ease their curiosity. The concept of travel is also worth paying attention to, because a remarkable part of ʿAgˇāʾib texts has *

Fateme Mehri is Assistant Professor at the Faculty of Letters and Human Sciences at Shahid Beheshti University, Tehran.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-020

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been drawn out of the oral and written reports of travelers, globe-trotters, and sailors. In an attempt to shed some light on the concept of curiosity in Islamic civilization, it can be helpful to reconsider ʿAgˇāʾib texts and encyclopaedic texts and focus on their shared concepts about the Science of Properties and their contents indebted from travelogues. I. Introduction In an article reviewing the ʿAgˇāʾib texts (texts of marvels) in Arabic and Persian literature, Syrinx von Hees has explained the misconceptions and misjudgements regarding this genre in the contemporary period, focusing on several texts including Qazwīnī’s ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt wa Ġarāʾib ul-Maugˇūdāt’ 1. Her main argument is that in order to read such texts, one must distance oneself from today’s epistemological premises and read them in the intellectual context of medieval ages. In other words, a reading that presupposes the nature of such texts as unscientific, considering them to be only amusing and originating from popular culture, has made an incorrect interpretation. In another paper about the encyclopaedic nature of Qazwīnī’s book, von Hees has attempted to show in a compiled manner that Qazwīnī’s work is in fact an encyclopaedia of natural history based on nine criteria 2, considering the necessity of such literature in the Middle Ages. In this essay, I will also concentrate on texts written in the ʿAgˇāʾib genre and like von Hees, I will argue that if we read these texts in the historical context of their creation, we would perceive them much more differently than from their contemporary representations. Here, I attempt to show the relationship between some of the theoretical foundations of these texts and the manner of which their content is selected, which had most of the time strongly emphasized on using resources – what von Hees correctly points out –, and the concept of curiosity. In order to do so, firstly, I will briefly explain about such texts and their structure. Apart from Qazwīnī’s book which was originally written in Arabic, I will also discuss some older books written in Persian; these texts are as follows: ‘Tuh fat ul-Ġarāʾib’ attributed to H  āsib-i Tabarī (11th century 1 2

S. von Hees, The Astonishing: a critique and re-reading of ʿAgˇāʾib literature, in: Middle Eastern Literatures 8/2 (2005), 101–106. These criteria are summarized as follows: 1. Providing a coherent and systematic collection of knowledge; 2. Following brevity in presenting scientific material; 3. Concentrating on educational methods; 4. Providing up-to-date knowledge manifested in the usage of contemporary and valid resources (in choosing the data and gathering them); 5. the ease of access to the texts and their easy to find order; 6. using examples, narratives, and images, helping the readers to understand better; 7. emphasizing on being loyal to the scientific resources in use; 8. contributing to preserving and protecting the public cultural memory; 9. having the characteristic of medieval encyclopaedias which tried to guide the readers toward god through understanding nature. See: S. von Hees, Al-Qazwīnī’s ʿAgˇāʾib ul-makhlūqāt: An Encyclopædia of Natural History? in: G. Endress (ed.), Organizing knowledge, Encyclopædic Activities in the Pre-Eighteenth Century Islamic World, Leiden–Boston 2006, 174–184.

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AD), which became an important resource for ʿAgˇāʾib books and encyclopaedias, including ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’ by Qazwīnī and ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ 3, ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ by Šahmardān-i Rāzī (written between 1097–1102 AD), and ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt wa Ġarāʾib ul-Maugˇūdāt’ by Tūsī (written between 1161– 1178 AD). Among these three books, ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ has no mention of ʿAgˇāʾib literature in its title 4 and is mostly considered an encyclopaedic text rather than belonging to the ʿAgˇāʾib literature. In spite of that, there are many similarities between this book and other ʿAgˇāʾib books; in addition, in this text, there is a crucial and clear reference to one of the intellectual resources of ʿAgˇāʾib books which is very valuable. Moreover, I will try to give a brief introduction of the structure and content of these texts and recount the similarities between the ʿAgˇāʾib texts and the natural history encyclopaedias, as well as clarify the reason why I put these two categories together. More than anything, in this introduction, I will refer directly to these texts, instead of the given introductions, which in my opinion is not devoid of Orientalist views. For instance, elsewhere in this article, I mention an example, demonstrating how the hurried and incorrect judgment of Orientalists about one of the texts has cast a shadow on not only its general understanding but also how it is perceived in the Persian language. An Orientalist view on such texts, mostly lacks textological accuracy, so I, on the contrary, will refer directly to these texts in an extreme manner and use the literature used to describe them. II. Introduction to the texts and some key conce pts: pleasure, curiosity, the mar vellous ( ʿAgˇ īb ), and the uncanny ( Ġarīb ) Both ʿAgˇāʾib and encyclopaedic texts, including ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ 5, have common characteristics in structure and content which places them all in the same category; the core concept in all of these texts is nature and its different manifestations. By examining the natural world, creatures, and phenomena, ʿAgˇāʾib texts try to portray an image of the universe in the eyes of the beholder which discusses the sky and earth and their inhabitants. In these texts, information can be found on the circumstance of creation, the ‘upper world (ʿĀlam-i ʿUlwī )’ and the ‘lower world (ʿĀlam-i Suflī )’, lands, seas and oceans, their geo3

4

5

Qazwīnī had referred to Tuh fat ul-Ġarāʾib but although Šahmardān most likely had the book ˇ . Matīnī, Muqaddamain hand and quoted from it, he had not made any clear references. See: G ˇ . Matīnī, Tehran 2012, 34 sq. 36 sq. yi Wīrāstār, in: H  āsib-i Tabarī, Tuh fat ul-Ġarāʾib, ed. G von Hees has mentioned that recognizing the ʿAgˇāʾib genre as a text category whose title contained either of this word, ʿAgˇāʾib, is based on H  āgˇī H ˚ alīfa’s bibliographic book, ‘Kašf ulZ unūn’, which, in fact, consisted of a form of scientific classification as well. See: von Hees, The Astonishing (nt. 1), 102. 112 sq. There are two other Persian encyclopaedic texts with the same characteristics: ‘Farruh˚ -nāma’ ˇ amālī-yi Yazdī and ‘Nawādir ul-Tabādur li Tuh fat il-Bahādur’ (1270–1271 AD) (1184 AD) by G by Šams ul-Dīn-i Dunaysarī.

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graphical coordinates, marine animals, birds, the people and creatures of islands, rivers, springs, wells, mountains and rocks, cities, wonderful buildings, animals, plants, stones, their properties and benefits, occult sciences such as alchemy, and talismans. This way of dealing with the natural world, above all, engaged the authors of such texts – although they did not mention it explicitly – with concepts such as definition, description, and classification, whose scientific aspect cannot be dismissed. These concepts were used in the entire texts; each phenomenon was defined, their apparent features described, their properties and benefits listed, and all of this was set in a system of classification which divided animals, plants, and inanimate things into smaller subdivisions based on their similarities and differences. These are the same concepts that cross a bridge between ancient ʿAgˇāʾib texts and encyclopaedias because the latter tried to portray a hierarchical, ordered, and categorized image of the natural creatures without emphasizing on a particular field of specialization, and, accordingly, explained the sciences briefly, which helped understand them. In fact, these texts in a way dealt with the concepts of definition, description, and classification; Meanwhile, always paying attention to some details and marginal aspects, has distinguished these texts from one another, but their overall layout is similar to a large extent, which also enables us to use the term ‘ʿAgˇāʾib texts’ when referring to both groups of texts, the ʿAgˇāʾib-nāmas and encyclopaedias of natural sciences. As another way to introduce these texts, I will discuss the concepts emphasized by the authors in their prefaces: Tūsī, the author of ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’, begins his preface by praising the intellect (ʿAql ) as the place of understanding the creator and continues by writing about the virtue of speech (Nutøq ) and the power of comprehension (Fikr ), which is what makes humans superior to animals 6. Here he explains what is meant by ‘speech’ in detail: something that leads to the comfort and contentment of the listener due to its sweetness and freshness 7. Tūsī’s words lean towards literary techniques, so it would not be possible to comment about them with certainty. Furthermore, we will see that Qazwīnī expresses these matters more explicitly and clearly. In Tūsī’s opinion, only a speech that is described as such is worth recording to be used later as an example for thinking and learning 8. Apart from that, the narratives in the beginning of Tūsī’s text are all about the sanctity of science and the glorification of scientists and scholars 9. Moreover, in many statements of the preface and the rest of the text, verses of the Quran are mentioned as evidence. Apart from that, on several occasions, he gives narratives under the title of ‘news (H ˚ abar )’, which is a term used in the science of H ø aditß, meaning the sayings obtained from the great men of religion and the companions of the Prophet (of Islam). Addition6 7 8 9

Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt wa Ġarāʾib ul-Maugˇūdāt, ed. M. Sutūda, Tehran 2003, 1. Ibid., 2. Ibid. For example, see: Ibid., 5 sq. 7 sq. 9.

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ally, Tūsī’s approach when posing a problem (Masʾala ) or question (Suʾāl ) and ˇ awāb )’ 10, resembles the methods stating his opinion under the term ‘answer (G of studying science in schools and seminaries. In general, in addition to emphasizing the importance of thinking and speech, he considers it to have a form of comforting and soothing quality. About one century later, Qazwīnī 11 wrote in the same manner in ‘ʿAgˇāʾib ulMah˚ lūqāt’ about the reason for writing his book: by referring to a verse in the Quran, he mentions the importance of thinking, and by giving reference to a saying by the prophet of Islam, he points out the significance of understanding objects and acknowledges thinking to be the reason for human’s superiority over other creatures. In his opinion, thinking about the quality of objects leads to obtaining “pleasure in this world and reaching happiness in the afterlife” 12. Here, I would like to highlight the concept of pleasure, which, in my opinion, Tūsī also had in mind in his literary expression. In the existing manuscript of ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’ in the Bayerische Staatsbibliothek whose preface has been damaged and is now unreadable in some lines, Qazwīnī talks about human’s interest in domination (ʾIstīlāʾ) and how having knowledge about something is a form of domination 13. Due to the illegibility of the words in this part of the manuscript, I will get aid from one of the Persian translations of the book which was made for Ibrāhīm ʿĀdilšāh (r. 1580–1627 AD), the king of the ʿĀdilšāhī dynasty in India so that the text is narrated more accurately; the Persian translator writes, “human beings love domination over all objects. When they are unable to reach domination, they love to reveal the truth of that thing because having knowledge of things is akin to a kind of domination over that object” 14. Here, Qazwīnī talks about human’s intrinsic desire to have command over things which is not always attainable. However, there is another desire, which on another level, instead of material domination, is pleased with mental domination, which becomes the new object of desire. Here, what incites the desire to know is the desire for domination, but what matters, in the end, is the desire to understand which I call ‘curiosity’. In another Persian translation of ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’, whose translator and date of translation is unknown, it is written: “A human being wants to know 10 11

12

13 14

Ibid., 4. 23. 27 sq. The existing manuscripts of Qazwīnī’s ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’ have some discrepancies in their prefaces; here, I mainly refer to the manuscript of the Bayerische Staatsbibliothek, which is the oldest and most dated known version of the piece. Occasionally, I have compared it with Wüstenfeld’s edition and other Persian translations of it. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt wa Ġarāʾib ul-Maugˇūdāt, Ms. of the Bayerische Staatsbibliothek, Cod.arab. 464, fol. 2r, URL: (last access on April 10, 2021). Ibid. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, Lucknow 1912, 3 sq. These sentences or sentences as such is not available in the Wüstenfeld edition. See: Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. F. Wüstenfeld, Göttingen 1849, 3 sq.

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the truth of objects and if faced with a problem, it causes him misery and when the problem is solved, it gives him pleasure.” 15 In this sentence, we are faced with two concepts of pleasure and misery; Although, here, I consider the Arabic text the original one, I do not evaluate the translated Persian text outside the intellectual atmosphere of the piece; these sentences can be formulated as follows: firstly, the desire to know, then, the emergence of an obstacle in the way of this desire, leading to suffering, and, eventually, the removal of that obstacle and obtaining the object of desire which results in pleasure. Even though these sentences do not contain a word explicitly referring to curiosity, the emphasis on the human desire and tendency to know, shows the insistence on curiosity as inherent in human beings. The process of achieving the object of desire which can have its peaks and valleys, gives birth to pleasure: curiosity can be pleasurable. To thoroughly assess the words of the authors of ʿAgˇāʾib texts in the prefaces of their works, I must specify another conceptual distinction in the definition of the words ‘ʿAgˇīb’ and ‘Ġarīb’, which Qazwīnī also clearly had pointed out. In his preface, when explaining the concept of wonder (ʿAgˇab ), Qazwīnī considers the marvellous matter, the thing that humans are surprised to see because at first glance they have no knowledge of its cause and reason 16. The state humans find themselves in when faced with such observation is surprise and astonishment. In Qazwīnī’s opinion, all natural creations, be it creatures or phenomena fall into this category. One of his examples for the marvellous matter is the honeybee, a feeble insect that builds a wonderful house like a skilled engineer and stores food. According to Qazwīnī, as humans encounter these phenomena during their intellectual growth from childhood to adulthood, they become familiar with them. They become accustomed to them and that state of astonishment when faced with nature gradually disappears into adulthood because the intellectual power of humans is slowly engaged more and more with meeting their needs and desires and removing suffering from themselves 17. He uses the concept of accustoming to later define the uncanny matter: a phenomenon that rarely occurs which is, thus, contrary to habit and in many cases understanding its cause is beyond human’s comprehension 18. By referring to these two concepts in Qazwīnī’s view, my aim is to highlight the relationship between the 15

16

17 18

Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. M. H  ānsārī, Tehran 1865, 2. Neither in the manuscript, nor in Wüstenfeld’s edition, do such sentences or similar ones exist. We do no not know which version of the text the translator had in hand. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt (nt. 12), fol. 2v, URL: (last access on April 10, 2021). Ibid.; also see: Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 116. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, fol. 6r (nt. 12), URL: (last access on April 10, 2021).

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concept of curiosity and the desire to understand and the concept of wonder and astonishmen. This state of wonder and astonishment, which is aimed at being provoked in such texts, should be understood in context of the theological knowledge of nature among Muslims as one of the means of understanding God. Quoting verses from the Quran or prophetic sayings which encourage people to think about the creation of the world and understand the truth of things in the heart of these texts is to strengthen this relationship: by understanding the creatures, one gains knowledge of the creator. In the course of a conflict in Islamic civilization that existed between the intellectual sciences and the transmitted sciences, which sometimes escalated, the latter considered worldly (non-religious) science useless and pointless for the afterlife 19, being in odds with the path ʿAgˇāʾib texts had taken. While the scholars of theology considered science to be limited to religious science, and regarded the intellectual sciences that dealt with mathematics, natural sciences and their various branches to be useless or even harmful to human’s spiritual well-being, the view of the ʿAgˇāʾib texts was that thinking about nature and natural phenomena is one of the ways of understanding the creator, which was even justified by referring to some religious texts. III. Travel and its sur rounding implications ʿAgˇāʾib texts place great emphasis on the use of past resources and scholars. An examination of the resources used shows that the authors of these texts were well-versed with the body of the natural sciences of their time. It should be noted that the methods of using resources belonging to previous centuries should not be compared with today’s precise methods. The use of resources in these texts was sometimes indicated only by mentioning the names of the authors, or by referring to the general titles of the works, but often without giving any reference at all. In different sections of these texts, depending on what field they are talking about, the authors refer to works of the same field, such as astronomy, medicine, geography, zoology, etc. Here, I do not intend to delve deeper into the details of the resources of these texts, but rather study the emphasis of these texts on the use of resources mentioned in the prefaces, and focus, in particular, on the category of resources which are more oral in nature. 1. Travel as a resource In ‘Tuh fat ul-Ġarāʾib’, the author introduces his book as a compilation of sayings from sages, philosophers, travellers, and globe-trotters. He also includes 19

For a thorough read, see: D  . S afā, Tārīh˚ -i ʿUlūm-i ʿAqlī dar Tamaddun-i Islāmī, Tehran 1977, 138–151.

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the things that the wise had seen or examined themselves through experience 20. He further emphasizes that what he quoted in his book is what he had found in the books of his predecessors and contemporaries 21. This emphasis is also seen in the preface of ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’ by Qazwīnī, where he swears that he has not fabricated the contents of his book but quoted them from written works or from what he had heard (narrations) 22. Tūsī also uses the phrase ‘collection of contents’ in writing his book in the preface; His resources fall into two categories: what was written in the books and what he had heard from voyagers and excursionists 23. The author of ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ calls himself the gatherer of his work twice in the preface as well 24. As we can see, this emphasis on using resources and gathering information from them implicitly introduces us to two categories of resources: written and oral; the oral resources are the travellers, explorers, and globe-trotters. This is where the concept of travel gains particular significance. It should not be overlooked that before the formation of the ʿAgˇāʾib genre and the relative explanation of its boundaries, some geographical texts that specifically contained information about seas, sea voyages, and destination lands, including China and India 25, spoke of wonders. One of the most significant works in this field is ‘Al-S ah īh min Ah˚ bār-i al-Bih ār wa ʿAgˇāʾibihā’ (10th century AD). The book contains reports and narratives of sea voyages from sailors and merchants who travelled specifically to India and China. It was first known as ‘ʿAgˇāʾib ul-Hind’ and attributed to a sailor named Nāh˚ udā Buzurg ibn-i Šahrīyār-i Rāmhurmuzī; however, with the discovery of a more complete manuscript, and the research of Yūsuf al-Hādī, it became clear that its actual author was Abū ʿImrān-i Sīrāfī and the original title was ‘Al-S ah īh min Ah˚ bār-i al-Bih ār wa ʿAgˇāʾibihā’. Abū ʿImrān-i Sīrāfī was one of the great Muʿtazilī scholars of his time. The work was created based on oral resources, that is, the narratives were quoted from witnesses and observers who were present at the scene of events. Yūsuf al-Hādī had studied the life of one of the well-known and frequently referenced narrators of the book and, with the help of historical sources, showed the veracity of his voyages to Sindh, Andalusia, Sudan and the surrounding areas of Nubia 26. Among the narratives available in 20 21 22

23 24 25

26

ˇ . Matīnī, Tehran 2012, 1. H  āsib-i Tabarī, Tuh fat ul-Ġarāʾib, ed. G Ibid., 6. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, fol. 2v (nt. 12), URL: (last access on April 10, 2021). Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. M. Sutūda (nt. 6), 16. ˇ ahānpūr, Tehran 1983, 7. 28. Šahmardān-i Rāzī, Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī, ed. F. G In ʿAgˇāʾib texts these two lands count as resources. In this regard, it has been written, “God divided the wonders into ten parts. Nine of which were designated to the east, and one to the west, north and south. Among those nine parts, eight belong to India and China and the remaining part was given to the rest of the east.” Abū ʿImrān-i Sīrāfī, Al-S ah īh min Ah˚ bār-i alBih ār wa ʿAgˇāʾibihā, ed. Yūsuf al-Hādī, Damascus 2006, 43. Yūsuf al-Hādī, Muqaddama, in: Abū ʿImrān-i Sīrāfī, Al-S ah īh min Ah˚ bār-i al-Bih ār wa ʿAgˇāʾibihā, ed. Yūsuf al-Hādī, Damascus 2006, 23 sqq.

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this book, reports can be found of giant marine animals, giant birds, tremendous storms, island people and animals, and half-humans-half-fish creatures. In this book, which is closely connected to the ʿAgˇāʾib literature – especially the part related to the seas in these texts – we witness a connection between geography and travel. Meaning that we read the geographical observations from the travellers themselves; in ʿAgˇāʾib texts we do not necessarily find this immediate connection, but their authors always emphasize on the authority of globetrotters and travellers. Beyond that, we encounter clear references implying the relationship between these works and the concept of travel. In the preface of his work, Tūsī states his purpose for writing the book as follows: “I wrote this book so that its reader would be aware of the ʿAgˇāʾib and Ġarāʾib [the marvellous and uncanny matters] without wandering around the world and crossing the lands and seas.” 27 In fact, he wanted to overcome spatial and geographical limitations by writing his work. That is why, elsewhere in the preface, he considers ˇ ām-i Gītīhis book as an example of what is known in Persian literature as the ‘G namā’ (A mythical cup that revealed the state of the world): “If someone asked ˇ ām-i Gītī-namā was, say it is this book that shows you all the you what the G ˇ ām-i Gītī-namā in Persian things in the universe.” 28 The earliest reference to the G texts is seen in Firdausī’s ‘Šāh-nāma’, who used older sources in this work. ˇ ām-i Gītī-namā was a cup in which, in addition According to ‘Šāh-nāma’, the G to constellations of stars and and planets, the seven lands were displayed and the events that took place in remote parts of the globe were reflected 29. In fact, this cup had the ability to reveal the state of the globe. Making such a connection between this cup and geography had led some writers of geographical texts to use its name as title for their works for several centuries to come because, apparently, they had seen a relevance between this cup and the geographical ˇ ām-i Gītī-namā, Tūsī combines the sphere 30. By interpreting his book as the G mysterious nature of this mythical cup with geography. Elsewhere, he compared his book to a mirror which can show the ʿAgˇāʾib 31. A few lines before this description, he narrates a dream he had in his youth: he saw a high palace, and a woman riding on a four-legged animal coming out of it, which gave him a mirror and told him something wise. Later, Tūsī interpreted his dream. The interpretation of the mirror is as follows: God shows one something which one 27 28 29 30

31

Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 2 sq. Ibid., 18. ˇ ām-i G ˇ ahān-namā, in: Dāniš 1/6 (1949), 301. M. Muʿīn, G ˇ ām-i Gītī-namā is also known as G ˇ ām-i G ˇ ahān-namā or Ibid., 305. In Iranian-Islamic culture G ˇ ām-i G ˇ ahān-bīn, the Mirror of Solomon or the Mirror of Alexander, which refers to the Minaret G of Alexander. In addition to some mythical figures in ancient Iran such as Kay-H ˚ usrau and ˇ amšīd, it is also sometimes attributed to Solomon or Alexander. For more information in this G ˇ ām-i G ˇ am, in: A. Karīmī/M. G ˇ aʿfarī (Qanawātī) (eds.), Dānišregard, see: A. Akbarī Mafāh˚ ir, G nāma-yi Mardum-i Īrān, URL: (last access on April 12, 2021). ˇ ām-i Gītī-namā and the mirror, see: M. Muʿīn, G ˇ ām-i G ˇ ahānAbout the relationship between G ˇ ām. namā (nt. 29), 304 sq.; still in Persian the counting unit for mirrors is G

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is unable to see. He then immediately compared his book to a mirror: his book was a cup/mirror that could reveal/reflect the wonders of the world to an audience bound by spatial limitations 32. In fact, it could fix a flaw in those unable to travel 33, and it did so with the help of reports from people who had overcome spatial/geographical limitations, namely travellers and globe-trotters. This statement in fact implies the spiritual superiority of travellers over residents, which can be discerned from some examples by Tūsī. For instance, he mentions that Jesus Christ (Masīhø ), who was called so because of his great journeys across the globe, was a wonder (ʾUʿgˇūba ) of his time 34. The word here refers to a person who did strange things. 2. Travel, wisdom and ignorance Now I am going to attempt to state another aspect of the spiritual superiority of the travellers. The emphasis of the ʿAgˇāʾib texts on their resources, that is, on the one hand, the scholars and the sages and, on the other hand, the travellers, voyagers, and globe-totters, in fact, puts the two concepts of wisdom and travel together as if they were given the same value. The observing act of the travellers had turned them into a form of reference. To show how strong this relationship is, I refer to the definitions given by Abū H  āmid-i Ġarnātī (1080– 1170 AD) of wisdom/wise and ignorance/ignorant, especially because he was a tourist and geographer himself and his book is one of the main resources of Qazwīnī in ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’ and ‘Ātār ul-Bilād’. In the short preface of ‘Tuh fat ul-Albāb wa Nuh˚ bat ul-ʾIʿgˇāb’ (1162 AD), which is one of his most prominent works, when defining the wise person, he states: “When a wise person hears of a possible marvellous matter, he would appreciate it and not consider its narrator a liar and attribute flaws to him.” The ignorant, on the other hand, is the one who, “when hearing something that he has not seen, would believe it to be false and attribute its narrator to fraud, and this is due to his lack of intellectual powers” 35. Here the gap between seeing and hearing is filled with the testimony of a person who has witnessed an event or phenomenon and illuminates the role of travellers and globe-trotters in the process of understanding. In other words, the dichotomy of wisdom and ignorance for Ġarnātī is that of acceptance and denial. The latter was also recognized by Tūsī. He also believed that denying things that one has not seen for oneself, but others have seen and retold, is obscene and ominous 36. Hence, the theoretical foundations of the ʿAgˇāʾib authors about travel can be asserted to some extent. Travel is one way of gaining knowledge and understand32 33 34 35 36

Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 11. Ibid., 5. Ibid., 3. Ġarnātī, Tuh fat ul-Albāb wa Nuh˚ bat ul-ʾIʿgˇāb, ed. ʿAlī ʿUmar, [Cairo] 2003, 15. Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 17 sq.

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ing (the Creator); therefore, the globe-trotters are superior to residents in this regard and can be cited as a reference. Turning away from them and denying them is a sign of ignorance.

3. Travel and the marvellous matter Travel is also important from another viewpoint in the context of ʿAgˇāʾib texts, which is the role it plays in breaking habits. Earlier, I mentioned the definition of the two concepts of ʿAgˇīb and Ġarīb by Qazwīnī. In defining the ʿAgˇīb, Qazwīnī points out that the viewer of phenomena and events may no longer be astonished by them due to his familiarity with them, which can be the result of repeated observation. If we extend his idea in the domain of geography, we can say that many phenomena that belong to a certain area are considered normal for its inhabitants because they have seen them from childhood and become accustomed to them. However, the same ordinary phenomena can be new and unfamiliar to the travellers, leading to their amazement and arousing their curiosity.

IV. T he criterion for choosing the contents in ʿAgˇ ā ʾib texts and its connection to curiosity So far, I have touched upon the goals that the authors of ʿAgˇāʾib texts had set for writing their pieces, and now I would like to discuss the methods they mention in their books on how they chose their contents because, in my opinion, the concept of curiosity is related to the methods they had adopted. I mentioned earlier that nature and its phenomena were key concepts in ʿAgˇāʾib texts and encyclopaedias of natural sciences. When dealing with these texts, at first, the authors define and describe those events in a classified system. This is also the case in many texts written in the field of natural sciences, such as zoology, botany, and mineralogy. However, what distinguishes the ʿAgˇāʾib texts from scientific ones of other fields is to some extent what followed these definitions and descriptions, which was discussing the advantages (Manāfiʿ) and disadvantages (Madø ārr ), or in other words, the properties (H ø awwāsø ) of natural phenomena. As though understanding the creatures and phenomena was incomplete without knowing their properties and benefits. Conveying the importance of the properties of phenomena is evident in all the texts I have focused on in this article. Without providing a precise definition of the concept of property in the preface of his book, H  āsib-i Tabarī has arranged the chapters of his book, especially the introductory ones, based on the properties of different things. The range of properties he covers is quite broad. There, he talks about the impact of different things, for example, that of hearing,

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seeing, smelling, tasting, and gives examples for each 37. These are the ways through which things reveal their properties or benefits. He uses familiar examples pointing out that hearing the sound of an instrument leads to inner transformation and vitality, or that smelling some perfumes or eating some herbs affect the human body. In fact, properties are uncovered through smelling or eating. The following chapters of his book deal more thoroughly with these ways, but the examples provided in them are different from those given in the preface. Although they follow the same logic, they are not familiar to the reader, which is a crucial point. What confirms and complements the contents of ‘Tuh fat ul-Ġarāʾib’ is Šahmardān’s reference to the subject of the property of things in ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’. He also begins his book by tackling the concept of the impact of the properties of creatures on humans, different kinds of animals, plants, stones, and metals, and explains the concept of property from the beginning: there is no creature without any property. Although we have knowledge of some of them, we are unable to understand most of them 38. He then deals with the ways in which a property can have an influence and adds other methods to the senses mentioned in ‘Tuh fat ul-Ġarāʾib’, meaning that in addition to seeing, hearing, smelling, and tasting, some things show their properties by being next to each other, or by being touched. The important aspect about Šahmardān’s indications of the concept of property is that he cites the sources he uses to make his claim. In this respect, his work distinguishes itself from other ʿAgˇāʾib texts and encyclopaedias of natural sciences because in fact, by referring to this source, it resolves the concept of property. The resource cited by him is the book ‘Kitāb ˇ ābir ibn-i H ul-H  awwās il-Kabīr’ by G  ayyān, a famous alchemist and one of the greatest philosophers of natural sciences in Islamic civilization (8th century AD). ˇ ābir and his system of thinking here. Great scholars I do not wish to discuss G such as Eric John Holmyard, Julius Ruska, and Paul Kraus have conducted valuable and extensive research on him, each examining different aspects of his life, thought, and work. However, as far as the subject of this article is conˇ ābir’s thought is the particular attention cerned, one of the main principles of G to the science of properties, a force that exists in animals, plants and minerals ˇ ābir discusses the subject in several and manifests its influence in various ways. G of his works and his absorption in this science is marked by the title of some of his works 39. Examining the examples narrated in ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ on 37 38

39

H  āsib-i Tabarī, Tuh fat ul-Ġarāʾib, ed. Matīnī (nt. 20), 5 sq. ˇ ahānpūr (nt. 24), 30. For another implication Šahmardān-I Rāzī, Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī, ed. G of this belief in an encyclopaedic text which focuses on natural sciences, see: Dunaysarī, Nawādir ul-Tabādur li Tuh fat il-Bahādur, ed. M. T. Dānišpagˇūh/I. Afšār, Tehran 2008, 215. ˇ ābir used the science of properties to formulate his preeminent theory known as balance (AlG Mīzān ). In ʿIlm ul-Mīzān, he tries to demonstrate that the quality of things can be determined on the basis of numerical quantities by using mathematical logic. His aim was to elaborate on the nature of properties. In what follows, I will show that such a goal is not pursued in the ʿAgˇāʾib texts as there it is believed that one cannot master the causation of many of the properˇ ābir in explaining ties with human knowledge; These texts are not on the same page with G

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the various ways in which things express their properties demonstrates that even ˇ ābir’s book. In addition to using G ˇ ābir’s examples, they are derived from G Šahmardān had also quoted other phrases from him, showing that he was directˇ ābir’s works. In a chapter of his book on alchemy, he ly acquainted with G explains that he had studied the science thoroughly and “read and written more than five thousand folios about it” 40. In the same part, he mentions some of ˇ ābir’s works, referring and quoting some of them 41. G Šahmardān’s book is significant as it shows which previous scientific system the ʿAgˇāʾib texts are indebted to; however, the general awareness of this text, which has become widespread, in my opinion, under the influence of an Orientalist view, portrays another image of this text. As already mentioned, Šahmarˇ ābir directly. dān’s references indicate that he was familiar with the works of G Apart from ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’, he had another book about properties and benefits called, ‘Kitāb ul-Badāyiʿ’, and had written a treatise on numbers. Besides these two, of which manuscripts have not been found, Šahmardān has the authorship of yet another renowned work in the field of astronomy called ‘Rawd at ul-Munagˇ gˇimīn’. With these explanations, it seems that he can be considered remarkably adept in the aforementioned fields of science. Moreover, as a binding ˇ ābir’s legacy, his book is link between encyclopaedias of natural science and G considered vital. Having said that, according to modern researchers, this text is introduced as a ‘folksy’ encyclopaedia. As far as I know, it was Gilbert Lazard, who made such a remark in the first place. In a short essay he has written on Šahmardān, he has regarded his work folksy by misinterpreting some words in the preface where Šahmardān mentions that he has written the text in Persian so that the common person could also use it 42. Later, Živa Vesel, who was the author of a book on Persian encyclopaedias, repeated the same view about ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ 43. It is interesting that in introducing the piece, the editor of the Persian book has said, “As the author of the book claims himself, its content is not written for the specialist and distinguished, but shed some light on the level of general knowledge of the common science of the time.” 44 But the aspect neglected here is that Šahmardān’s suggestion of the two groups of distinguished and common is, in fact, alluding to linguistic classes 45 and has no relation with the readers’ level of understanding or the ability of compre-

40 41 42 43 44 45

how properties work but refer to him for his belief in the existence of properties. For a concise ˇ ābir’s theory of Mīzān, see: F. Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, overview of G vol. 4: Alchimie-Chemie, Leiden 1971, 145–150. ˇ ahānpūr (nt. 24), 505. Šahmardān-i Rāzī, Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī, ed. G Ibid., 506. 510 sq. G. Lazard, Un amateur de sciences au Vème siècle de l’hégire, Shahmarân de Rai, in: M. T. Māyilī (ed.), Mélanges d’orientalisme offerts a Henri Massé, Tehran 1963, 220. Ž. Vesel, Les Encyclopédies Persanes, Paris 1986, 27. ˇ ahānpūr, Fasl-i Haftum, in: F. G ˇ ahānpūr (ed.), Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī, Tehran 1983, 74. F. G ˇ āliš Mīyān-i Fārsī wa ʿArabī Sada-hā-yi Nah˚ ust, Tehran 2006, 280; additionally, A. Ād arnūš, G for more examples of the usage of the words distinguished and common in the same meaning in other texts, see: Ibid., 275–280.

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hending. The ‘distinguished (H ø awwāsø )’ were those who knew the Arabic language well as opposed to the majority who only knew Persian. Šahmardān wrote the book in Persian so that those who were considered the ‘common (ʿAwām )’ could make use of it. His interest in writing in Persian can be seen in the preface of his other book, ‘Rawd at ul-Munagˇ gˇimīn’, saying, “[in the science of astronomy], there are many books written in Arabic, but I write my book in Persian so that more people could benefit from it” 46. Evidently, the interpretation made by the two words, ‘distinguished’ and ‘common’, was based on their modern and usual connotations, disregarding their idiomatic meanings. Whilst in many prefaces of the books translated from Arabic to Persian, in the past centuries, these two words meant those who knew Arabic and those who only knew Persian. Overlooking this context and a linguistic misunderstanding has affected the modern understanding of the ‘Nuzhat-nāma’ as a recurring information. What is intriguing for me is that the editor of the text, who must have been aware of the special usage of these two words in Persian language, apparently, failed to free himself from the influence of this Orientalist judgement and, inevitably, repeated the same mistake. This is an example of what I call inaccuracy in the Orientalist view, which has resulted in such texts being drawn out of the circle of attention and serious study and being pushed to the margins. ˇ ābir in ‘Nuzhat-nāma-yi ʿAlāyī’ also reveals the Šahmardān’s reference to G source of some of the contents of other texts for us. For example, in ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt’, in the chapter dedicated to properties, Tūsī quotes the same influˇ ābir even though he does not mention his ences and the same examples as G 47 name . ˇ ābir is recognized as the source of the science of properties in Now that G the ʿAgˇāʾib texts, I will briefly explain the science of properties according to him. In his ‘Kitāb ul-H  awwās il-Kabīr’, in defining property he writes: “Property is the impact of the nature of things, either quickly or slowly.” 48 He then lists how these properties would appear in eight ways (hanging something on something else, drinking, seeing, placing things opposite to each other, hearing, smelling, tasting, and touching) and provides examples for each 49, which are often the same ones we encounter in ʿAgˇāʾib texts. For centuries later, these properties of objects were introduced as science in other texts. For instance, in some texts related to the classification of ancient sciences, which delve into the sub-branches of physics, properties are considered one of them in the category of sciences. Here, as an example, I will cover two encyclopaedic works that are essential ˇ āmiʿ ulin the field of classification of ancient sciences. One of these texts is ‘G 46 47 48

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ˇ . Ah˚ awān-i Zangˇānī, Tehran 2003, 3. Šahmardān-i Rāzī, Rawd at ul-Munagˇ gˇimīn, ed. G Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 458 sq. ˇ ābir ibn-i H ˇ ābir G  ayyān, Kitāb ul-H  awwās il-Kabīr, in: P. Kraus (ed.), Magˇmūʿa min Rasāʾil-i G ˇ ābir explains about property and its means of impact in his ibn-i H  ayyān, Paris 2009, 271. G ˇ ābir ibn-i H other works, for example, see: G  ayyān, Kitāb-u ʾIh˚ rāgˇ-i Mā fi-l Qūwa ʾila-l Fiʿl, in: Kraus (ed.), Magˇmūʿa min, 144. ˇ ābir ibn-i H G  ayyān, Kitāb ul-H  awwās il-Kabīr, in: Kraus (ed.), Magˇmūʿa min (nt. 48), 271–274.

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ʿUlūm’, written by Fah˚ r-i Rāzī, an Iranian Faqīh (Islamic jurist), philosopher and scientist, who lived in the 12th and early 13th century. In his book, he divides science into 60 disciplines (Sittīnī, another title of this book, refers to the same sixty divisions). One of the sciences he refers to after dealing with nature is properties. The way this scientific branch is introduced by Fah˚ r-i Rāzī is interesting because he seems to be in the middle of a dichotomy between acceptance and denial, saying, “right and wrong has been combined a lot in this science” 50. Despite that, he states what he found more rational. He then relates nine issues about the unfamiliar and unaccustomed properties of things, in the same manner he usually does in his entries in this book, and, in the end, emphasizes that he is not able to confirm the accuracy of what he has quoted according to his personal experience, but since he has gained this knowledge through the sources of his predecessors (the reference he quotes – without mentioning the name – belongs to Muh ammad ibn-i Zakarīyyā [Rāzī] 51 ), he includes it in his book 52. Perhaps such a position corresponds to that of Tūsī’s, who in the narratives quoted in the preface of the book, some of which are about giving credit to the book (what was already written), he reasons that the wise do not despise books and respect the words of the scholars. It is noteworthy that Tūsī here narrates a story belonging to books or writings whose readers did not initially grasp the wisdom behind them but was eventually revealed to them 53. Another significant work is ‘Nafāʾis ul-Funūn’ by Šams ul-Dīn-i Āmulī, the great scientist of the 14th century AD, in which we come across a comprehensive classification of various transmitted and intellectual sciences. He divides natural science into ten sub-categories, one of which is the science of the properties of objects. He defines this science as follows: “The science of properties is the knowledge of the properties of the creatures of the lower world (ʿĀlam-i Suflī ) and their benefits and attributes.” 54 These beings of the lower world are usually mentioned in a threefold classification of animals, plants, and minerals, but Āmulī covers only animals and minerals under the subject of properties 55 because earlier in another category, under the science of medicine, he briefly pertains to the properties of plants 56. Āmulī’s method, especially when dealing with animals and minerals, is to first introduce and describe each, then mention its properties and benefits. Here Āmulī’s work is very similar to two genres of text: one is the ʿAgˇāʾib texts when they point out the benefits of creatures, and the other is 50 51

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ˇ āmiʿ ul-ʿUlūm (Sittīnī), ed. S. A. Āl-i Dāwūd, Tehran 2003, 310. Fah˚ r-i Rāzī, G Ibid.; for works by Muh ammad ibn-i Zakarīyyā-yi Rāzī on the subject of properties, see: F. Sezgin, Geschichte des arabischen Schrifttums, vol. 3: Medizin – Pharmazie – Zoologie – Tierheilkunde, Leiden 1970, 285 sq. ˇ āmiʿ ul-ʿUlūm, ed. Āl-i Dāwūd (nt. 50), 312. Fah˚ r-i Rāzī, G Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 13 sq. Āmulī, Nafāʾis ul-Funūn, ed. A. Šaʿrānī, Tehran 2002, vol. 3, 303 Ibid., 303. 331. Ibid.,133–138. This part is so concise that it appears to be even incomplete because mostly the name of the plants that are covered there start with the first word of the Persian alphabet.

The Marvellous and Uncanny Matters

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the works pertaining solely to zoology or mineralogy, which base their texts on defining, describing, and listing the properties and benefits of animals and minerals. The important point regarding the position found in Āmulī’s text, which is central to my discussion, is that at the beginning of the chapter on the science of properties, he acknowledges that “the breeds of creatures are infinite, each having many properties, hence totally mastering them would be impossible” 57. This is not new to us as the ʿAgˇāʾib texts also mention this point; what is crucial is his pointing to the criterion for choosing among these infinite properties to include in his book: among the properties, he deals with those that are more useful or uncanny 58. Here, usefulness refers to how the science of properties is utilized because it was often used for treatment and ways to achieve wishes and purposes. Yet it is the subject of uncanniness that is highlighted in ʿAgˇāʾib texts, which is unfamiliar and odd for us and can arouse more amazement and curiosity. This is the criterion which, although not all of them have unequivocally referred to, authors of ʿAgˇāʾib texts have taken into account, which can be deduced from some of their references. H  āsib-i Tabarī believes that it is not possible to know the properties of all things (because of their boundlessness), but a wise person is someone who can reach a lot from just a little and discover something that cannot be observed by looking at something that can be observed. Nevertheless, he admits that many people who read the book will not accept the properties written in his book; this is the same duality of denial and acceptance that I mentioned earlier, and when H  āsib-i Tabarī points to the wise person’s power of reason, it also relates to the definition of wisdom/ignorance according to Ġarnātī. In his preface, Qazwīnī also addresses the issue of the properties of objects and warns his readers against denying the content of his book, which may be considered extraordinary. This prohibition of denial is due to the fact that it may mean the opposing the power of the Creator in creating extraordinary things. It takes a very long time to empirically prove some of the uncanny properties, so much that it may not last one’s lifetime, yet it is not appropriate to deny them all because there are doubts and uncertainties about things that cannot be experienced in a short period of time. Another warning Qazwīnī gives is that there are subtleties that only scholars of the science of properties are aware of, and a person who intends to experience these properties may not obtain the desired outcome due to their unfamiliarity, and as a result, rule out the contents on properties in the book as invalid 59. In Qazwīnī’s statement, ˇ ābir’s definition of property can be inferred, where he says an implicit hint at G 57 58 59

Ibid., 303. Ibid. Qazwīnī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, fol. 2v (nt. 12), URL: (last access on April 10, 2021).

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that properties either show themselves quickly or slowly. This slowness can indicate extended periods of time and make it difficult or impossible for individuals to experience them. When specifying his criteria, Tūsī classifies the marvellous and uncanny matters in his book according to a linguistic system, so it is different from the works of others in this respect; in fact, he recognizes different degrees of uncanniness in what he narrates. Although this system is largely lost in the published edition of his work, I refer to what he noted there. He categorizes phenomena and properties based on their magnitude, duration of influence, endorsement by scriptures, repetition in written sources, and quotation in hearings which have not been proven, yet cannot be rejected as lies. He then designates a word for each, for which he then assigns an abbreviation, using it when he writes in the margins so that he can share his opinion about that phenomenon based on that explanation 60. These annotations are missing in some manuscripts as well as in the printing of the book. Despite that, one can discern Tūsī’s view in selecting and assessing the contents of his work from this explanation. Obviously, I have placed special emphasis here on the subject of properties, and I basically view it as one of the features of ʿAgˇāʾib texts. It is the basis of quotations in these texts, and even if it is not clearly mentioned there, it is in fact recognized by their authors throughout their works. The focus of ʿAgˇāʾib texts on the subject of properties is what distinguishes them from other scientific texts related to the natural sciences. Although this subject can be found in other fields such as zoology, medicine, botany, and mineralogy, they do not concentrate on the matter as much, and the amount of content on properties is comparatively small. Scientific texts often pertain to more well-known properties, but the authors of ʿAgˇāʾib texts try to collect and quote more uncanny ones because one of their main goals is to arouse the sense of curiosity in their readers even though they acknowledge that it is a vulnerable objective because as much as it can guide the reader to understand their intended meaning, it may also lead them to a total denial of the subject. Therefore, they insist on the validity of what they quote as well as trying to argue that failed experiences for testing the properties have practical justifications that are hidden from the eyes of experimenters and that the whole subject cannot be dismissed based on that. V. Conclusion My work in this article has been putting together puzzle pieces derived from texts, which, on the one hand, construe the nature of the ʿAgˇāʾib texts with direct quotations from them, and, on the other hand, display their connection with humanity’s desire to know (curiosity). In the thinking system of ʿAgˇāʾib 60

Tūsī, ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt, ed. Sutūda (nt. 6), 16 sq.

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texts, this curiosity, of course, is not entirely inclined to natural science. It starts with gaining knowledge of nature but is not limited to it and reaches a theological end. It is not always possible to find an explanation for what occurs in nature because the human intellect is unable to comprehend the cause of occurrence or formation of all natural phenomena, but curiosity itself, and the very desire for knowledge, leads humans to a higher level. ʿAgˇāʾib texts first try to remind the readers that everything they see in nature is wonderful and strange, even though many of them no longer arouse their curiosity due to repetition and familiarity. In the meantime, what keeps it alive and dynamic is the encounter with the phenomena that is rare, which removes the familiarity factor. The terms ‘marvellous’ and ‘uncanny’ have been used to describe such situations. But this encounter is not a possibility accessible to everyone and is, above all, takes place during journeys to other lands which are far away and unknown. Therefore, the travellers and globe-trotters have a special credibility as the guides of this encounter due to their experience. Sea voyages are the acme of it, as they had not only been the common means to reach distant lands, but had taken place on the completely unfamiliar bed of seas and oceans, which provided the possibility to encounter more uncanny phenomena. Thus, mariners and sailors have a more prominent position among other travellers and voyagers. By gathering the narratives of these guides, ʿAgˇāʾib texts help to keep the desire to know alive in those who are unable to travel. However, according to ʿAgˇāʾib texts, not everyone is able to accept their contents and may deny them. In the intellectual system of these texts, this acceptance and denial can be associated with wisdom and ignorance. Here wisdom is the power of reasoning that can go beyond the available evidence, the familiar yet strange phenomena of nature, and small personal experiences, and can lead one to the point of accepting the possibility of something one has not witnessed or experienced. Apart from this intellectual capability, believing in the superior power of the Creator, who can create everything is another provocation that guides them towards this acceptance. On the other hand, referring to the system of thought attributes many properˇ ābir ibn-i H ties to phenomenon – of which G  ayyān is one of its well-known figures – is an appropriate backdrop for the argument mentioned above because these properties cover a wide range from familiar, common ones to the rare and uncanny. It is often the case that the familiar and common properties are found in other scientific texts as well, but the unfamiliar and bizarre ones are more frequent in ʿAgˇāʾib texts because this uncanniness is more in line with the main purpose of these texts, which is arousing the sense of curiosity in the reader. Despite that, I emphasize that sometimes contents associated with ʿAˇgāʾib texts can be found in some scientific texts, but often the way of dealing with such contents is different from that of ʿAgˇāʾib texts. In the second approach, according to the common presumptions on ʿAgˇāʾib texts – which are quick to detach these texts from the domain of serious science – this content often disregarding its theoretical backing is viewed in its entirety and without precise judgment as superstition, lacking value to be worth examining. However,

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ˇ ābir, they indicate their belonging to by referring to the scientific heritage of G a complex system of natural knowledge that is generally unfamiliar to today’s readers of these texts. Even though the ʿAgˇāʾib texts do not consider themselves responsible for answering all the questions that arise – which they find actually impossible – they are very successful in their quest to raise questions and point to the desire to know.

V. Weibliches und männliches Begehren

Weibliche curiositas, männliches Begehren. Intellekt als Aspekt konstruierter Attraktivität am Beispiel von Héloise d’Argenteuil Delphine Conzelmann (Basel) I. Einführ ung Im Rahmen der Tagung zur curiositas möchte ich mich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern Neugierde, insbesondere philosophische Neugierde, mit Weiblichkeit zusammenhängt – sowohl mit literarisch konstruierter Weiblichkeit aus der Perspektive eines männlichen Autors als auch mit dem weiblichen Selbstverständnis einer Autorin. Dies möchte ich am Beispiel einer Frau tun, deren Affinität für die Philosophie in einer langen Rezeptionstradition auf ihr Verhältnis mit einem Philosophen reduziert wurde. Die Rede ist von Héloise von Argenteuil (1100–1164) 1. Ihre Affäre mit dem Frühscholastiker Peter Abelard (1079–1142) 2 ist als ein frühes Vorbild freier Liebe in die Geschichte eingegangen. Bis heute übt die Vorstellung, einem der wichtigsten Denker und einer der berühmtesten Äbtissinnen des mittelalterlichen Europa quasi ins Schlafzimmer zu folgen, auf viele eine große Faszination aus. Mit dem Einzug feministischer Kritik in die Mediävistik haben einige Forscher und Forscherinnen begonnen, die Zeugnisse dieser angeblich romantischen Begebenheit kritischer zu lesen. Dabei wurden allerdings oft die misogynen Tendenzen des Abelardschen Texts unterstrichen, und Héloise wurde statt als tragische Verliebte nun einfach als Opfer eines ihr intellektuell überlegenen Mannes dargestellt. Eine solche Herangehensweise stößt meiner Ansicht nach jedoch genauso schnell an ihre Grenzen, wie eine reine Romantisierung. Der Briefwechsel zwischen Héloise und Abelard spielt oft mit rhetorischer Komplexität, Ironie und Bissigkeit 3. Das verstellt seinen Leserinnen und Lesern immer wieder die Sicht auf die historischen Geschehnisse, auf die sich die beiden Protagonisten beziehen, sowie auf die Gefühle, die sie teilweise geschickt zu verstecken suchen. Eine Lektüre, die Héloise als Denkerin ernst nimmt, darf sich 1

2 3

Gemäß den Daten, die Hans-Wolfgang Krautz angibt (Abaelard, Der Briefwechsel mit Heloisa, ed. H.-W. Krautz [Reclams Universalbibliothek 3288], durchgesehene und ergänzte Edition, Stuttgart 2001, 361. 369). ibid. D. Fraioli, Assessing Medieval Moral Outrage: the Correspondence of Abelard and Heloise, in: Mediaevistik 25 (2012), 59.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-021

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deshalb nicht von Abelards Narrativ lenken, aber auch nicht von Héloisens Redekunst ablenken lassen. Im Rahmen der vorliegenden Analyse werde ich mich nicht an das komplexe Unterfangen einer umfassenden Neudeutung der Texte wagen. Stattdessen möchte ich zwei Aspekte literarischer und moralischer Natur als Triebfedern der Beziehung von Abelard und Héloise herausarbeiten. Dabei handelt es sich einerseits um das Motiv der curiositas als Neugierde in einem intellektuellen Sinn, und andererseits um zwischenmenschliches Begehren – die cupiditas – als Form der Neugierde in erotischem Sinne. II. Conversio als zentrale Idee des Abelardschen Selbstverständnisses Der Briefwechsel zwischen Abelard und Héloise beginnt literarisch mit der ‚Historia Calamitatum‘ Abelards 4. Als Brief an einen womöglich fiktiven Freund verfasst, schildert Abelard darin seine Leidensgeschichte. Gelesen als Autobiographie diente Abelards Schilderung über lange Zeit als wichtigste Quelle, um seinen Lebenslauf und insbesondere den chronologischen Ablauf der Beziehung zu Héloise zu rekonstruieren. Die Geschichte, wie sie Abelard seinen Lesern unterbreitet, ist schnell erzählt: Als Hauslehrer wird er von Héloisens Onkel Fulbert für die philosophische Erziehung seiner Nichte angestellt. Schnell macht Abelard aus seiner Schülerin eine Geliebte 5. Er beginnt mit ihr eine intime Beziehung, die spätestens dann ans Licht der Öffentlichkeit kam, als Héloise schwanger wird. Auf familiären Druck erfolgt eine Hochzeit, die aber kurz darauf obsolet wird, weil sowohl Héloise als auch Abelard ins Kloster eintreten. Zu ihrem tatsächlichen Ende kommt die Beziehung jedoch als Fulbert, erbost über die scheinbare Abschiebung seiner Nichte ins Kloster, Abelard in einer Nacht-und-Nebel-Aktion kastrieren lässt. Nach diesem einschneidenden Erlebnis im Leben Abelards endet auch Héloisens Geschichte im Rahmen der ‚Historia‘. Was Abelard hier chronologisch strukturiert präsentiert, ist selbstverständlich kein objektives Nacherzählen der historischen Fakten. Literarisch scheint es sich bei der ‚Historia‘ viel eher um eine Hagiographie, als um eine Autobiographie zu handeln. Dies wird vor allem deutlich, wenn man sich die ‚Historia‘ von ihrem Ende her erschließt, wo sich Abelard als zukünftiger Märtyrer inszeniert. 4

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Die Frage, ob Héloisens erster Brief tatsächlich eine Antwort auf Abelards ‚Historia‘ war, wie dies die literarische Form der Korrespondenz suggeriert, ist umstritten. Einen Überblick der Debatte zur Chronologie des Briefwechsels bietet: D. Fraioli, Heloise’s First Letter as a Response to the „Historia Calamitatum“, in: Mediaevistik 29 (2016), 119–141. Für den Zweck des vorliegenden Aufsatzes soll diese Fragestellung jedoch ausgeklammert werden. The Letter Collection of Peter Abelard and Heloise, 1, 17, ed./trans. D. Luscombe (Oxford Medieval Texts), Oxford 2013, 28: „Primum domo una coniungimur, postmodum animo. Sub occasione itaque discipline, amori penitus uaccamus, et secretos recessus, quos amor optabat, studium lectionis offerebat.“

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Emphatisch versichert er seiner Leserschaft, dass sein gewaltsamer Tod durch die Hände seiner Kritiker unmittelbar bevorsteht 6. So hält er auch die Ironie der Anfeindungen fest, unter denen er angeblich so leidet: Sein redliches Einstehen für klösterliche Disziplin sei es, die ihn nun zur Zielscheibe eines mörderischen Komplotts mache. 7 Ausgerechnet die Ikone des zügellosen Liebeslebens soll nun als Märtyrer für die christliche Sittlichkeit zugrunde gehen. Dieser radikale Identitätswandel ist selbst ein Merkmal hagiographischer Literatur. Abelards Text orientiert sich, wie viele Heiligenviten, am Motiv der conversio 8. Nachdem er seine frühen Jahre in Sünde verbracht hatte, erfuhr er durch göttliche Intervention eine Läuterung, die ihn zur inneren Umkehr bewog und ihn jetzt dazu befähigt, sich authentisch für ein diszipliniertes Mönchtum einzusetzen. Abelards besondere Variation dieses Läuterungsnarrativs dreht sich zentral um die beiden Pole des Hochmuts einerseits und der Demut andererseits. Die intellektuelle curiositas wird dabei als Symptom der Sünde der superbia konzipiert, die in der Tugend der humilitas ihr Gegenstück findet. Einst ein hochmütiger Denker, der sich für den größten Logiker aller Zeiten hielt, wird Abelard von Gott wortwörtlich gedemütigt, und stellt fortan sein Leben in den Dienst des bescheidenen Mönchtums. Aus dem Philosophen der Welt, wird erst durch den göttlichen Eingriff ein Philosoph Gottes im eigentlichen Sinne 9. Dieses Narrativ spiegelt sich auch in seiner literarischen Entwicklung wider. Während er sich in seinen frühen Schriften klar als Dialektiker positionierte, wendete er sich erst nach dem Ende seiner Beziehung mit Héloise intensiv der Exegese und der dogmatischen Theologie zu 10. Zumindest in seiner Selbstdarstellung wird aus dem fehlgeleiteten säkularen Philosophen ein geläuterter christlicher Denker. Interessant ist dies besonders, weil Abelards Wertesystem sich hier zumindest formal mit demjenigen seiner strengsten Kritiker deckt. 6 7

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Ibid., 1, 73, ed. Luscombe (nt. 5), 116: „In quo adhuc etiam laboro periculo, et cotidie quasi ceruici mee gladium imminentem suspitio“. Dies beobachtet er zum Beispiel in folgender Stelle: „cum me nunc frequentior ac maior persecutio filiorum quam olim fratrum“ (Letter Collection, 1, 70, ed. Luscombe [nt. 5], 112). Das Klosterumfeld, indem er sich nun bewegt, ist zur Gefahr geworden, wie er es an dieser Stelle beschreibt: „Hostium uiolentiam in corporis mei periculum uideo, si a claustro procedam; in claustro autem filiorum, id est monachorum mihi tanquam abbati, hoc est patri, commissorum, tam uiolenta quam dolosa incessanter sustineo machinamenta“ (Letter Collection, 1, 71, ed. Luscombe [nt. 5], 112). M. Asper, Rezeptionsästhetik. Leidenschaften und ihre Leser. Abaelard, Heloise und die Rezeptionsforschung, in: D. N. Hasse (ed.), Abaelards ‚Historia Calamitatum‘. Text – Übersetzung – Literaturwissenschaftliche Modellanalysen, Berlin–New York 2002, 112. Barbara Vinken weist des Weiteren darauf hin, dass der Briefwechsel nur aus der „Nach-Konversions-Perspektive“ gelesen werden kann und die conversio „nicht nur die Struktur […], [sondern] auch das Thema des Briefwechsels [ist]“ (B. Vinken, Die Autorität der Form in Abaelard und Heloise, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 76 [2002], 185). Letter Collection, 1, 32, ed. Luscombe (nt. 5), 50: „et ob hoc maxime dominia manu me nunc tactum esse cognoscerem, quo liberius a carnalibus illecebris et tumultosa uita seculi abstractus studio litterarum uaccerem, nec tam mundi quam Dei uere philosophus fierem.“ J. Marenbon, Life, milieu, and intellectual contexts, in: J. Bower/K. Guilfoy (eds.), The Cambridge Companion to Abelard, Cambridge 2004, 15.

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III. Hochmut und Strafe Einer dieser Kritiker war Wilhelm von St. Thierry (ca. 1075–1148) 11. Mit seiner ‚Disputatio adversus Petrum Abaelardum‘ hat er den Häresieprozess in Gang gebracht, der 1141 zu Abelards Verurteilung in Sens geführt hat 12. In seiner Anklageschrift betont Wilhelm Abelards superbia, insbesondere seinen intellektuellen Hochmut, als sündigen Ursprung seiner häretischen Aussagen. Wie Abelard selbst, verknüpft Wilhelm die Sünde des Hochmuts mit der Neugierde „weltlicher Philosophen“ 13. Wahre christliche Lehre, meint er, kann Gott jedoch nur aus einem demütigen – ja, einem gedemütigten – Geist hervorbringen; einem Geist, der annimmt, was ihm von Gott geschenkt wird, und nicht nach mehr verlangt 14. Wilhelms Angriff auf Abelard erfolgte einige Jahre nachdem dieser in seiner ‚Historia‘ verkündet hatte, er habe das Laster des Hochmuts oder vielmehr die Identität des hochmütigen Philosophen abgelegt. Mehr noch: Wilhelm klagt Abelard gerade als christlichen Theologen, als den er sich mittlerweile ausgibt, an. Er habe seine alten Methoden der Dialektik nun schlicht auf die christliche Lehre übertragen und dabei seinen hochmütigen und neugierigen Habitus beibehalten 15. Damit bezichtigt er Abelard zumindest implizit auch der Heuchelei. Aus der Sicht Wilhelms dichte Abelard mit der Postulation eines Läuterungsnarrativs seiner bewegten Biographie ein gereinigtes Gewand an, welches sie in Tat und Wahrheit nicht trage 16. Dieser Vorwurf ließe sich in der Tat noch ausweiten. Nicht nur seine eigene Geschichte unterzieht Abelard einer beschönigenden Verzerrung, sondern auch 11

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B. McGuire, A Chronology and Biography of William of Saint-Thierry, in: F. Tyler Sergent (ed.), A Companion to William of Saint-Thierry (Brill’s Companions to the Christian Tradition 84), Leiden 2019, 11. 14. Die Geschichtsschreibung der Verurteilung Abelards in Sens, und die Rolle, die Wilhelm und seine Anklageschrift dabei gespielt haben, verdankt zentrale Erkenntnisse insbesondere der Forschung von Constant Mews, siehe e. g. C. J. Mews, The Council of Sens (1141): Abelard, Bernard, and the Fear of Social Upheaval, in: Speculum 77/2 (2002), 342–382. Wilhelm etabliert dieses Motiv bereits in seinem Kommentar zum Römerbrief, I, 55, ed. P. Verdeyen, Guillaume de St. Thierry Exposé sur l’épître aux Romains (Sources Chrétiennes 544), Paris 2011, 166 sqq. und greift es dann in der ‚Disputatio‘ wieder auf (Wilhelm von St. Thierry, Disputatio adversus Petrum Abaelardum. Premissa epistula ad Gaufridum Carnotensem et Bernardum Claraevallensem, Library of Latin Texts, URL: (Stand: 27.1. 2021), 7, 44). So weist er mit einer Zitation des Ambrosius von Mailand darauf hin, dass es Glaubenden beispielsweise nur erlaubt sei zu wissen, dass der Sohn Gottes geboren ist, jedoch nicht, wie dies zustande kam (Wilhelm von St. Thierry, Disputatio, Library of Latin Texts [nt. 12], 2, 21). Was nicht Teil der göttlichen Offenbarung war, soll auch nicht eingefordert werden. Wilhelm von St. Thierry, Disputatio, (nt. 12), 2, 14: „[…] agens in Scriptura diuina quod agere solebat in dialectica […].“ Jane Duran macht eine ähnliche Beobachtung, wenn sie sagt: „Abelard seems to want to cloak a good deal of what he has to say in terms of either his status as a known philosopher and thinker, or his status within the Church.“ (cf. J. Duran, Heloise: A Christian View on Ethics and Love, in: New Blackfriars 92, 1037 [2011], 42).

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die Geschichte von Héloise. Um seinen aktuellen Lebenswandel mit einer sündhaften Vergangenheit kontrastieren zu können, muss er auch die gemeinsame Vergangenheit mit Héloise moralisch abwerten. So stellt er die frühe Beziehung der beiden keineswegs romantisch dar, sondern als simple Folge seines Hochmuts und seiner Unfähigkeit, seine körperliche Lust zu zügeln. Héloisens Intellektualität spielt dabei eine große Rolle. Während Abelard nämlich – Nachhinein in kritischem Ton – über sich sagt, dass seine Jugend und Schönheit ihn für Frauen generell attraktiv habe erscheinen lassen, 17 habe er bei Héloise vor allem aufgrund ihres Wissensdursts und Liebe zum geschrieben Wort leichtes Spiel gehabt. 18 Gleichzeitig war es aber auch Héloisens außergewöhnliche Bildung und Begabung, die sie für ihn besonders reizvoll machte 19. Zudem bot ihre geteilte curiositas den beiden die physischen und zeitlichen Gelegenheiten, sich näher zu kommen 20. In Abelards Darstellung handelte es sich bei ihrer Affäre nicht um eine Liebesgeschichte, sondern um den Auswuchs der Sünde zweier Menschen, die sich sowohl in ihrer intellektuellen Überheblichkeit als auch in ihrer körperlichen Zügellosigkeit manifestiert hat. Curiositas und cupiditas gehen in ihrer Sündhaftigkeit miteinander einher. Die Strafe Gottes folgt zunächst subtil. Die körperliche Ablenkung schlägt sich auf Abelards Arbeit nieder. Denn nur den körperlich Enthaltsamen steht der Zugang zur wahren Weisheit frei 21. Doch Abelards Sittenzerfall ist bereits zu weit fortgeschritten, als dass er dies erkennen würde. Seinem Erzählmuster zufolge musste Gott also zu härteren Mitteln greifen, um Abelard zur Umkehr zu bewegen. Das ultimative Katharsismoment ist letztlich erst das körperliche: seine Kastration. Er empfindet sie zutiefst als Strafe für die mit Héloise begangenen Sünden 22. Und auch Héloise soll ihrerseits Konsequenzen aus der Affäre tragen und erfährt Abelard zufolge eine transformative Läuterung 23. An ihrem Eintritt ins 17 18 19

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Letter Collection, 1, 16, ed. Luscombe (nt. 5), 26: „Tanti quippe tunc nominis eram et iuuentutis et forme gratia preminebam, ut quamcunque feminarum nostro dignarer amore nullam uererer repulsam.“ Ibid., ed. Luscombe (nt. 5), 26: „Tanto autem facilius hanc mihi puellam consensuram credidi quanto amplius eam litterarum scientiam et habaere et diligere noueram“. Bekannt ist in diesem Zusammenhang auch das Lob, das Petrus Venerabilis Héloise gegenüber ausgesprochen hat. Sie musste zu ihrer Zeit als Frau von außergewöhnlicher Weisheit und Belesenheit bekannt gewesen sein (A. Nye, A Woman’s Thought or a Man’s Discipline? The Letters of Abelard and Heloise, in: Hypatia 7/3 [1992], 2). Die schriftliche Korrespondenz und die Lehrstunden, die sie gemeinsam verbrachten, boten Anlass für intimen Austausch (Letter Collection, 1, 17, ed. Luscombe [nt. 5], 26). Héloisens intellektuelle Fähigkeiten waren daher für Abelard von Vorteil und besonderem Reiz (Nye, A Woman’s Thought [nt. 19], 3). Letter Collection, 1, 26, ed. Luscombe (nt. 5), 38: „Unde et insignes olim philosophorum, mundum maxime contempnentes, nec tam relinquentes seculum quam fugientes, omnes sibi uoluptates interdixerunt ut in unius philosophie requiescerent amplexibus.“ Ibid., 1, 30, ed. Luscombe (nt. 5), 46: „quam iusto Dei iudicio in illa corporis mei portione plecterer in qua deliqueram“. Ibid., 5, 19, ed. Luscombe (nt. 5), 198: „Vnde etiam pensa quam conuenienter ad hanc te religionem diuina iustitia, immo gratia, traxerit nolentem, cui uerita non es illudere, uolens ut in ipso luas habitu quod in ipsum deliquisti, et simulationis medacio ipsa rei ueritas remedium prestet et falsitatem emendet.“

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Kloster und der Annahme der Pflichten als Nonne zeige sich Héloisens Reue und der Beginn eines neuen Lebens 24. Die Philosophenbraut wird durch ein bindendes Gelübde zur Braut Christi 25; die ehemalige Sünderin wird zur Äbtissin; die einst sittenlose Verführerin trägt nun in hohem Maße die Verantwortung für die Sittlichkeit ihrer Schutzbefohlenen. Héloisens Klostereintritt entbindet Abelard aber auch von seinen ehelichen Pflichten. Literarisch untermauert ihr Schicksal Abelards Loslösung von der niederen Weltlichkeit, mit der er sein vorkathartisches Leben assoziiert. Den heidnischen Philosophen oder auch dem Kirchenvater Hieronymus analog ist Abelard – nun nicht mehr an Frau und Kind gebunden – frei, sich seiner geistlichen Entwicklung zu widmen. Abelards Narrativ erstaunt mit Blick auf sein philosophisches Projekt kaum. In seiner Erzählung wendet er die Formel, die sonst seiner logischen Argumentation zugrunde liegt, auf die Deutung seines eigenen Lebens an. Offenkundig widersprüchliche Aussagen bedürfen einer rationalen harmonisierenden Auflösung. Auf Abelards persönliche Geschichte angewandt heißt dies, dass das Leben des sündigen Philosophen und das des disziplinierten Mönchs nur durch ein klares Läuterungsnarrativ miteinander in Dialog gebracht werden können. IV. Héloise als Kritikerin der Abelardschen Autobiog raphie Dass Abelards Bedürfnis nach rigiden Kategorien mit den Unschärfen einer realen Biographie schlecht vereinbar ist, wird spätestens dann deutlich, wenn wir uns Héloisens Reaktion auf die ‚Historia‘ zuwenden 26. Héloisens Briefe enthalten sowohl implizite als auch explizite Korrekturen der Abelardschen Darstellung 27. In einer subversiven Gegendarstellung übt sie Kritik an Abelards Deutung der Begebenheiten und insbesondere an der Weise, wie sie sich selbst in der ‚Historia‘ repräsentiert findet. Zentral dabei ist ihre Ablehnung der Identität als Braut Christi. In der ‚Historia‘ und im Verlauf des ganzen Briefwechsels spricht Abelard von Héloise nur noch als seine Schwester, nicht mehr als seine Frau. Ihre Empörung darüber äußert Héloise in einer radikalen, vielleicht auch schockierenden Darlegung ihres Selbstverständnisses. In ihren Briefen konstruiert Héloise ihre eigene Identität. 24 25 26

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Ibid., 1, 31, ed. Luscombe (nt. 5), 48/50. Ibid., 5, 4, ed. Luscombe (nt. 5), 180. Abelard suggeriert in seiner Erzählung das nahtlose und geordnete Aufeinanderfolgen zweier Ehen. Von der Ehe mit Héloise geht er direkt in die Ehe zu Christus über. So wird er vom Ehemann zum Bruder, ohne dass dieser Übergang für ihn ein persönliches, emotionales Problem darstellen würde (W. E. Smith III, Two Medieval Brides of Christ: Complicating Monogamous Marriage, in: Queer Christianities. Lived Religion in Transgressive Forms [2014], 73.) Dass dem in Tat und Wahrheit nicht so ist, zeigt sich erst in der Gegendarstellung der Héloise, welche im Weiteren besprochen werden soll. D. Fraioli, Assessing Medieval Moral Outrage (nt. 3), 66.

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Dass sich ihre Eigenwahrnehmung grundsätzlich von derjenigen Abelards unterscheidet, zeigt sich bereits in der Anrede ihres ersten Briefs an ihn. Dort schreibt sie: „Ihrem Herrn, ja vielmehr Vater; ihrem Gatten, vielmehr Bruder – seine Magd, nein, seine Tochter; seine Gattin, nein seine Schwester; ihrem Abaelard – Heloise.“ 28 Aus diesen Zeilen, auf die sie im Verlauf des Briefwechsels immer wieder Bezug nimmt, spricht reiner Trotz: Soll sie sich etwa selbst zensieren, um Abelards neuen Vorstellungen zu entsprechen? Ist sie plötzlich nicht mehr seine Gattin, nicht mehr seine Magd? Nur noch Tochter und Schwester? Aus dieser ironischen Passage wird deutlich, dass sie sich dieser Zuschreibung nicht fügen möchte. Stattdessen steht sie nicht nur für ihren romantischen Platz in Abelards Leben ein, sondern vor allem für ihr Recht als Ehefrau. Abelards Reduktion der Beziehung auf ein spirituelles geschwisterliches Band kommt einer Verweigerung seiner ehelichen Verantwortung gleich. Während es sich bei den anderen Nonnen des Parakleten durchaus um Schwestern Abelards handelt, hebt sie sich von ihnen ab: Sie ist und bleibt seine Frau. Ihr Beharren auf diesem ehelichen Status ist wiederum nicht frei von Ironie. Sowohl Abelard, als auch Héloise bestätigen in ihren Schilderungen, dass Héloise diejenige war, die sich ursprünglich gegen eine Hochzeit gewehrt hatte. Abelard erklärt Héloisens Heiratsverweigerung hauptsächlich mit der Behauptung, sie habe ihn schon damals von einer ehelichen Bindung befreien und zur ganzen Entfaltung seines intellektuellen Potentials ermächtigen wollen 29. Héloise aber weist ihn korrigierend darauf hin, dass für sie ein anderes Argument im Vordergrund gestanden habe: Eine Hochzeit bedeutete für sie die Normierung und Konventionalisierung ihrer Liebe. In einer Umkehr des christlichen Wertesystems verurteilt sie Ehefrauen als Prostituierte, welche sich nach Geld statt Liebe sehnen, und meint, sie selbst hätte es um Abelards Willen bevorzugt, seine „Dirne“ genannt zu werden, sodass die Freiheit ihrer Liebe bewahrt worden wäre 30. In der Umkehr von Moralvorstellungen findet sich auch Héloisens Ablehnung von Abelards Läuterungsnarrativ, welches sie für die Deutung ihrer eigenen Geschichte und Person als unzulänglich empfindet 31. Héloise ist persönlich enttäuscht darüber, dass ihr Mann die Geschichte ihrer Liebe so massiv 28

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Abelard, Briefwechsel, 2, 1, ed. Krautz (nt. 1), 59. Im Lateinischen Original: „Domino svo immo patri, conivgi svo immo fratri; ancilla sva immo filia, ipsivs vxor immo soror; abaelardo heloysa“ (Letter Collection, 2, 1, ed. Luscombe [nt. 5], 122). Letter Collection, 1, 24, ed. Luscombe (nt. 5), 34: „quantas ab ea mundus penas exigere deberet, si tantam ei lucernam auferret; quante maledictiones, quanta dampna ecclesia, quante philosophorum lacrime hoc matrimonium essent sequuture“. Ibid., 2, 10, ed. Luscombe (nt. 5), 132: „ubi et rationes nonnullas quibus te a coniugio nostro et infaustis thalamis reuocare conabar, exponere non es dedignatus, sed plerisque tacitis quibus amorem coniugio, libertatem uincolo preferebam. Deum testem inuoco, si me Augustus uniuerso presidens mundo matrimonii honore dignaretur, totumque mihi orbem confirmaret in perpetuo possidendum, karius mihi et dignius uidetur tua dici meretrix quam illius imperatrix.“ M. Calabrese, Ovid and the Female Voice in the „De Amore“ and the „Letters“ of Abelard and Heloise, in: Modern Philology 95/1 (1997), 21 sq.

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abwertet. Statt Liebe spricht er von rein sündhafter Lust 32. Um sich selbst die Auszeichnung eines geläuterten Sünders zu verleihen, verzerrt er die Realität ihrer Gefühle und ihrer Beziehung. Dem schreibt Héloise vehement entgegen, indem sie Abelard immer wieder auf Inkonsistenzen hinweist. So steht für Abelard beispielsweise fest, dass sie unverheiratet in Sünde gelebt hatten und selbst die späte Hochzeit sie vor Strafe nicht bewahren konnte. Dies kontert Héloise mit der Beobachtung, dass Gott erst nach ihrer Hochzeit, und somit nachdem sie sich den göttlichen Gesetzen unterworfen hatten, interveniert habe. An ihnen beiden, erklärt sie, wären alle Gesetze der Gerechtigkeit in Ungerechtigkeit verwandelt worden 33. Damit möchte sie vor allem eines suggerieren: Könnte die Tatsache, dass Gott während ihrer unehelichen Beziehung nie strafend eingegriffen hatte, nicht vielmehr bedeuten, dass es sich bei ihrer Liebe gar nie um Sünde gehandelt hatte 34? So zeigt sie auf, dass Abelards Vorstellung von göttlicher Gerechtigkeit und menschlicher Moral zwar logisch konsistent, in ihrer Anwendung auf reale Lebensumstände aber verfehlt sind. Menschliche Sünde kann nicht einfach mit Reinheit kontrastiert, nicht einfach durch eine göttliche Strafe aufgelöst werden. Das Leben, in einem dynamischen Spannungsfeld zwischen Sünde und Tugend, lässt sich nicht in klare logische Kategorien einteilen 35. Dass sie sich der moralischen Verurteilung ihrer Vergangenheit als sündig verweigert, heißt auch, dass sie sich der von Abelard eingeforderten Läuterung verweigert. Die reuige Umkehr, die ihr von Abelard in der ‚Historia‘ zugeschrieben wird, weist sie im Verlauf des Briefwechsels immer wieder zurück. So merkt sie an, dass sie der Hochzeit letztendlich nicht zugestimmt hatte, um ihre Tugendhaftigkeit wiederherzustellen, sondern einzig, um in den Augen ihres Geliebten Gefallen zu finden. Nicht Demut gegenüber den Gesetzen Gottes, wie sie Abelard deutet, sondern Demut ihm gegenüber habe sie dazu bewogen 36. Nicht für Moral interessiere sie sich, sondern einzig für ihn. Dies ist eine höchst subversive Vorstellung von humilitas. In ihrer Unterwürfigkeit Abelard gegenüber versteckt sich sogar eine Form der curiositas: Es ist Inte32 33 34

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Letter Collection, 5, 29, ed. Luscombe (nt. 5), 210: „Amor meus, qui utrumque nostrum peccatis inuoluebat, concupiscentia, non amor, dicendus est.“ Ibid., 4, 7, ed. Luscombe (nt. 5), 164: „omnia in nobis equitatis iura pariter sunt peruersa.“ Das vor-eheliche Verhältnis wertet Héloise, ganz im Einklang mit ihren Argumenten gegen die Ehe, gar als von Gott gesegnet (A. Breith, „Gender Studies. ‚Männer‘, ‚Frauen‘, Eunuchen – Geschlecht und Text in der ‚Historia calamitatum‘ und ausgewählten Briefstellen, in: Hasse [ed.], Abaelards ‚Historia Calamitatum‘ [nt. 8], 193). An manchen Stellen erscheint Héloisens Herangehensweise, als vermische sie Begriffspaare aus Unachtsamkeit. Brooke Heidenreich Findley weist jedoch mit Recht darauf hin, dass sich Héloise als talentierte Schülerin Abelards der Bedeutung von Gegensätzen und Begriffsdefinitionen durchaus bewusst sein musste. Offensichtliche Unschärfen und Umdeutungen müssen daher als von ihr gewollt interpretiert werden (cf. B. Heidenreich Findley, Sincere Hypocrisy and the Authorial Persona in the Letters of Heloise, in: Romance Notes 45/3 [2005], 281 sq.). Letter Collection, 2, 5, ed. Luscombe (nt. 5), 164: „Nulla mihi super hoc merces expectanda est a Deo, cuius adhuc amore nihil constat egisse.“

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resse, das sie ihrem geliebten Philosophen entgegenbringt, nicht aber Gott 37. Diese Aussage ist umso radikaler, zumal sie von einer Äbtissin gemacht wird, deren Rolle im klerikalen Sinne die der Braut Christi ist. Im Verlauf des Briefwechsels intensiviert Héloise diese Provokation sogar. Gerade Abelards Darstellung ihres Klostereintritts widerspricht sie besipsielsweise in ihrer eigenen Erzählung. Abelard betont in diesem Zusammenhang die starke Frömmigkeit Héloisens, die sie veranlasst habe, Nonne zu werden. Aus eigenen Stücken habe sie das klösterliche Gelübde abgelegt, und sich so selbst von der Philosophenzur Christusbraut gemacht. Héloise erzählt die Geschichte anders: Auf Abelards Geheiß sei sie ins Kloster eingetreten 38. Aus Liebe zu ihm, nicht aus Liebe zu Gott, sei sie Nonne geworden. Christus, so wird aus vielen Stellen deutlich, ist nicht ihr Herr. Abelard ist es. Die Reue, die er ihr und auch sich selbst zuschreibt, empfinde sie keineswegs. Im Geiste nämlich sündige sie noch immer, und dies mit Genuss 39. Héloisens Aussagen mögen nicht nur auf heutige Leser anstössig wirken, sondern waren im Wissen um ihre Wirkung komponiert 40. Im Verlaufe seiner Rezeptionsgeschichte empfanden gewisse Leser und Leserinnen die Korrespondenz sogar als so abstoßend, dass sie die authentische Verfasserschaft Héloisens bestritten; eine Behauptung, die jedoch in der jüngeren Forschung mit gutem Grund abgelehnt wurde 41. Héloisens Stimme ernst zu nehmen, heißt auch, sie dort auszuhalten, wo sie kontrovers erscheint 42. Abelard konnte oder wollte dies, wie der Briefwechsel zeigt, nicht. Immer wieder deutet er ihre klaren Aussagen um, da er bestrebt war, insbesondere auch die seinem Narrativ entgegenstehenden Passage mit diesem doch noch kompatibel zu machen. Dass Héloise sich gegen die Darstellung als fromme Nonne wehrt, zeige beispielsweise gerade das hohe Maß ihrer Bescheidenheit. Dass sie ihre geistigen Sünden und Begierden offenlegt, zeige bloß, wie hart sie mit sich selbst ins Gericht gehe 43. 37 38 39 40

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Ibid., 4, 14, ed. Luscombe (nt. 5), 172: „In omni autem, Deus scit, uite mee statu, te magis adhuc offendere quam Deum uereor, tibi placere amplius quam ipsi appeto.“ Ibid.: „Tua me ad religionis habitum iussio, non diuina traxit dilectio.“ Ibid., 4, 12, ed. Luscombe (nt. 5), 170. Die Krassheit von Héloisens Wortwahl ist jedoch höchst wahrscheinlich nicht ihrem Leichtsinn geschuldet, sondern bewusst kalkuliert. Fraioli deutet ihre gewagte Sprache als Parodie oder Angriff gegen die im 12. Jahrhundert vorherrschende Sorge um linguistische Präzision (Fraioli, Heloise’s First Letter [nt. 4], 132). Nye, A Woman’s Thought (nt. 19), 4. Verschiedenste Deutungsversuche vermieden es, Héloise als vielschichtige und komplexe Persönlichkeit zu charakterisieren, und haben stattdessen eine scharfe Trennung zwischen der naiven Verliebten und der weisen Äbtissin zu vollziehen ersucht (K. Lochrie, Hetrosyncrasies. Female Sexuality When Normal Wasn’t, Minneapolis 2005, 26). Eine solche ‚Persönlichkeitsspaltung‘ zeigt jedoch wenig Gespür für den Facettenreichtum Héloisens und führt womöglich zu genau solchen Kategorien, gegen welche sie selbst anschreibt. Letter Collection, 5,15, ed. Luscombe (nt. 5), 192: „Approbo autem quod reprobas laudem quia in hoc ipso te laudabiliorem ostendis. Scriptum est enim: ‚Iustus in primordio accusator est sui‘, et ‚Qui se humiliat, se exaltat.‘“

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Der Dialog verharrt so in einer ständigen Dissonanz. Wo Abelard ihre Gefühle kategorisiert, entzieht sich Héloise sogleich wieder diesen Kategorien und umgekehrt. Einig werden sie sich nie. Das liegt nicht etwa daran, dass diese beiden philosophisch versierten Protagonisten sich einfach missverstehen 44, sondern dass sie ihre jeweiligen Prämissen bewusst nicht teilen. In ihrer Gegendarstellung zu Abelards Narrativ entwirft Héloise gleichzeitig auch ein Gegenmodell zu seiner dialektischen Methodik. V. Liebe, Tug end und Logik in der Gedankenwelt Héloisens Die Reaktion Héloisens gegenüber Abelards verzerrender Wiedergabe ihrer gemeinsamen Geschichte zeigt sich besonders, wie bereits Constant Mews festgestellt hat, an ihrer Vorstellung von Liebe 45. In seiner ‚Historia‘ macht Abelard deutlich, dass die sinnliche Erfahrung, die er mit Héloise geteilt hat, lediglich sündige Lust, nicht aber wahre Liebe war. Liebe, so erklärt er, sei einzig, was er jetzt für seine Schwester in Christo spirituell empfinde. Diese Ansicht teilt Héloise, wie wir gesehen haben, nicht. So bestreitet sie grundsätzlich Abelards Reduktion sinnlicher Liebe auf das rein Körperliche 46. Während mit seiner Kastration für Abelard jede Form von Erotik undenkbar wird, erklärt sie, sie erlebe diese nach wie vor, und auch, wenn sie physisch von ihrem Mann getrennt ist. In ihren Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen bleibt diese Form der Liebe erhalten 47. Abelards exklusive Trennung von körperlicher und geistiger Liebe lässt sich, so ihr Argument, nicht auf ihre gemeinsame Geschichte anwenden 48. Am echten Leben scheitert die abstrakte Logik 49. 44

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Dies, obwohl Abelard immer wieder auch auf Héloisens angebliche Defizite auf dem Gebiet der Logik verweist. Diese führt er auf ihre weibliche Anatomie zurück (Nye, A Woman’s Thought [nt. 19], 3 sq.). C. Mews, Bernard of Clairvaux, Peter Abelard and Heloise on the Definition of Love, in: Sapientia Dei – Scientia Mundi (Revista Portuguese de Filosofia 60/3), 2004, 648. Dementsprechend findet nicht nur die Liebe, die sie selbst empfindet, sondern auch die Liebe, die sie von Abelard einfordert, andere Ausdrucksformen als den physischen Liebesakt. Allein an den Lehren und Gedanken ihres Geliebten teilzuhaben, stellt für sie eine Erfüllung ihrer Sehnsüchte dar (M. Bryson/A. Movsesian, Love and its Critics: From the Song of Songs to Shakespeare and Milton’s Eden, Cambridge 2017, 202). Letter Collection, 4, 12, ed. Luscombe (nt. 5), 170: „Nec solum que egimus sed loc pariter et tempora in quibus hec egimus ita tecum nostro infixa sunt animo, ut in ipsis omnia tecum agam nec dormiens etiam ab his quiescam. Nonnumquam etiam ipso motu corporis animi mei cogitationes deprehenduntur, nec a uerbis temperant improuisis.“ Die Liebe zur Philosophie und die Liebe zu einer Frau schließen sich Héloisens Argument zufolge nicht grundsätzlich aus, sondern können einander gar bereichern; cf. C. Nouvet, The Discourse of the „Whore“: An Economy of Sacrifice, in: Modern Language Notes (MLN) 105/ 4 (1990), 754. Andrea Nye zeigt Verständnis für die Gefühle Héloisens und die der modernen Leserin, wenn sie Abelards Vorgehen folgendermaßen beschreibt: „Throughout his ‚rational‘ arguments is evasion and irrelevance that infuriates Heloise and also the reader. The cause of this communicative

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Interessanterweise sind sich Héloise und einige Kritiker Abelards, wie der bereits erwähnte Wilhelm von St. Thierry, in diesem Punkt einig. Während es für Wilhelm unzulässig ist, die Methode der Logik und die hochmütige Haltung der Philosophie auf die christliche Lehre anzuwenden, empfindet Héloise es als unzulässig, eine logisch begründete Morallehre auf die Liebe zwischen zwei Menschen anzuwenden. Für Wilhelm ist es der Glaube, für Héloise die Liebe, die sich abstrakter Reflexion entziehen; die stattdessen erfahrbar sein sollen 50. In dieser Hinsicht zeigt sich Héloise als eigenständige Denkerin, auf Augenhöhe mit Abelard und seinen zeitgenössischen Kritikern. Der Briefwechsel zwischen Abelard und Héloise bezeugt ihre literarische Emanzipation. Die Darstellung Abelards systematisch widerlegend, übernimmt sie die Deutungshoheit über ihre Person und Gefühlswelt. Im Verlaufe des Briefwechsels definiert sie so auch ihre Beziehung zu Abelard und ihre Position als Äbtissin des ihm unterstehenden Klosters neu. Da sie ihren Anspruch auf die eheliche Liebe Abelards nicht durchzusetzen vermag, fordert sie seine Fürsorge in anderer Form ein. Während sie zu Beginn der Korrespondenz noch von seiner Pflicht, sich ihr persönlich zuzuwenden, gesprochen hatte, betont sie nun seine Schuld den Frauen des Parakleten gegenüber 51. In ihrer gewohnt ironischen Art nimmt sie Abelard beim Wort, um ihm dieses dann sogleich im Mund umzudrehen. Besonders schön zeigt sich dies in ihrer Forderung nach biblischen Auslegungen seinerseits: „Allein während wir uns alle Mühe geben und von derjenigen Liebe zu den Wissenschaften ergriffen sind, über die der oben genannte Lehrer einmal sagt: ‚Liebe die Wissenschaften, und du wirst die Laster des Fleisches nicht lieben‘ – erlahmen wir beim Lesen durch die vielen Fragen, die uns verwirren […]. Darum stellen die Schülerinnen ihrem Lehrer, die Töchter ihrem Vater einige Fragen und bitten demütig, du möchtest es nicht unter deiner Würde achten, diese für sie zu lösen. Denn auf dein mahnendes Wort, ja auf deinen Befehl hin haben wir dies Studium in Angriff genommen.“ 52

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disability is the very separation of passion and reason in which he takes such pride as a philosopher“ (Nye, A Woman’s Thought (nt. 19), 15). Die Kompabilität von Héloisens komplexem Verständnis von Liebe als Empfindung, die Regungen von Körper und Geist miteinander verbindet, und dem Verständnis von Weisheit und Wissen, wie Wilhelm es vertritt, lässt sich beispielsweise an Rozanne Elders Definition der frühen Zisterziensischen Lehre illustrieren: „Stored memories of things sensed, things experienced and things understood, vividly or dimly become available to the human imagination which lies ‚on the border line between the material and the spiritual levels of reality‘“ (R. Elder, Formation for Wisdom, Not Education for Knowledge, in: I. Tanaseanu-Döbler/M. Döbler [eds.], Religious Education in Pre-Modern Europe [Numen Book Series 140], Leiden–Boston 2012, 195). Letter Collection, 6, 3, ed. Luscombe (nt. 5), 218. Abelard, Briefwechsel, 9, ed. Krautz (nt. 1), 304 sq. In der bisher zitierten kritischen Ausgabe, ‚The Letter Collection of Peter Abelard and Heloise‘ sind diverse Briefe der Korrespondenz, wie auch der hier zitierte Brief Héloisens, der Einleitungsbrief der ‚Problemata Heloissae‘, nicht enthalten. Das Zitat im lateinischen Original ist dementsprechend aus der Patrologia Latina entnommen: „tuam in hoc quoque quoad possumus implentes obedientiam, dum huic operam studio damus, eo videlicet amore litterarum correptae, de quo praedictus doctor quodam loco meminit: ‚Ama scientiam Scriptura-

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Mit dem Verweis auf den „oben genannten Lehrer“ meint Héloise den von Abelard und ihr selbst viel zitierten Hieronymus. Jedoch erschließt sich aus der früheren Korrespondenz der beiden, dass der zitierte Ausspruch den Aussagen und Lehren Abelards entspricht, und dass er ihn als Mahnung auch den Klosterschwestern gegenüber ausgesprochen hat. Selbstverständlich ist die Aussage vor dem Hintergrund der gemeinsamen Vergangenheit mit Héloise nicht unbelastet. Umso aussagekräftiger ist Héloisens Antwort auf Abelards Forderung: Nur mit enger Betreuung und Instruktion seinerseits können sie ihr nachkommen. Gerade Abelards Insistieren auf das Entflechten ihrer Liebesbeziehung ermöglicht ihr auf der Zuwendung seinerseits zu beharren 53. In den späteren Teilen der Korrespondenz zeichnet sich Héloise vor allem durch das Stellen komplexer Fragen sowohl exegetischer als auch philosophischer und ethischer Natur aus. Wenn sie von Abelard auch keine Bestätigung ihrer Begierde erwarten kann, dann wenigstens ein Stillen ihrer Neugierde. So trägt sie ihm in einem langen Katalog von Thesen und Unklarheiten auf, die Benediktsregel auf den weiblichen Orden anzuwenden, und sie im Befolgen der Regel konkret anzuleiten 54. Ihre Sehnsucht, sich mit ihm über Aspekte der romantischen Liebe zu unterhalten, findet so eine zwar weniger persönliche, jedoch nicht minder intensive Erfüllung. In der Tat wird sie in ihrer Ausdrucksweise sogar expliziter. So zitiert sie beispielsweise aus Ovids ‚Ars Amatoria‘, um auf die Versuchungen hinzuweisen, die beim gemeinsamen Essen und Trinken – auch im monastischen Kontext – lauern könnten, und fordert Abelard so dazu auf, sich zur weiblichen Lust und Versuchung direkt zu äußern 55. Und auch der Auseinandersetzung mit ihrer spezifisch weiblichen Körperlichkeit kann sich Abelard nun, da Héloise sie auf das Feld ordenspraktischer Fragen gezogen hat, nicht mehr entziehen. Mit teils gewichtigen und teils spitzfindigen Fragen demonstriert sie, dass sie sich nach wie vor als ebenbürtige Partnerin Abelards versteht. Obzwar in ihrer cupiditas eingeschränkt, vermag sie es hier, ihrer curiositas, gar mit dem Segen Abelards, freien Lauf zu lassen. Die Intensität, die sie dabei an den Tag legt, lässt darauf schließen, dass sie mit ihrer intellektuellen Leidenschaft ihre unerfüllte körperliche und seelische Leidenschaft zu kompensieren sucht. Anders als es Abelard mit seinem strengen Läuterungsnarrativ vorschlägt, verbannt Héloise ihre Begierde nicht einfach aus

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rum, et carnis vitia non amabis,‘ multis quaestionibus perturbatae, pigriores efficimur in lectione, et quod in sacris verbis magis ignoramus, minus diligere cogimur, dum infructuosum laborem sentimus, cui operam damus. Proinde quaestiunculas quasdam discipulae doctori, filiae Patri destinantes, supplicando rogamus, rogando supplicamus, quatenus his solvendis intendere non dedigneris, cujus hortatu, imo et jusso hoc praecipue studium aggressae sumus.“ (PL 178, 678C). Leclercq deutet dies gar als Versuch, ihre Beziehung zu Abelard am Beispiel des Hieronymus und seiner Beziehung zu Marcella zu transformieren (J. Leclercq, Modern Psychology and the Interpretation of Medieval Texts, in: Speculum 48/3 [1973], 483). Letter Collection, 6, 5/6, ed. Luscombe (nt. 5), 223. Ibid., 6, 3, ed. Luscombe (nt. 5), 218.

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ihrem klösterlichen Leben, sondern verleiht ihr stattdessen kreative neue Ausdrucksformen. Sowohl in ihrer Beurteilung der gemeinsamen Vergangenheit als auch in ihrer Interpretation der Rolle als Äbtissin, widerspricht sie Abelards scharfer Trennung des sündigen vom geheiligten Leben. Mit Subversion, Mut und intellektueller Begabung erkämpft sie sich so auch den Freiraum, als wissbegierige und erotische Frau in der klösterlichen Welt existieren zu dürfen.

„Was will eine Frau eigentlich?“ Zum Phänomen der weiblich vergeschlechtlichten curiositas Richard Newhauser (Tempe, Arizona) und Edward Peters (Philadelphia) I. Vorbemerkung en Der Titel dieses Aufsatzes spielt auf Sigmund Freud an, nicht etwa, weil wir uns auf die psychoanalytische Theorie berufen wollen, sondern weil allein schon diese Frage Freuds (oder wenigstens Freud zugeschrieben) die für unser Thema zentralen Geschlechterungleichheiten verdeutlicht und zugleich auf eine bestimmte Art von Neugierde hindeutet. Wenn in mittelalterlichen Texten curiositas oder ihre volkssprachlichen Entsprechungen erwähnt werden, insbesondere in theologischen Abhandlungen auf Latein, wird vor allem deutlich, dass sich die Begriffe auf kein einheitliches Phänomen beziehen. Klagen über die curiositas eines anderen könnten sich allgemein auf ein fehlgeleitetes Erkenntnisinteresse oder spekulatives Denken beziehen, oder aber andeuten, dass sich jemand mit Dämonologie befasst. Ebenso gut kann curiositas aber auch in sozialen Trivialitäten begründet sein. Anstelle von Fragen der Erkenntnis geht es dann um eine müßige Wissbegierde über den moralischen Zustand eines anderen, eine Bereitschaft, die Fehltritte eines anderen zu missbilligen, oder das leichtsinnige Verbreiten von Gerüchten, gewissermaßen eine Synekdoche für das Laster der acedia. Es ist also sinnvoll, von Anfang an zu präzisieren, welcher Art von unerlaubter curiositas wir uns gerade widmen. Hier liegt unser Hauptaugenmerk auf curiositas als Aussage über die Grenzen des intellektuellen Forschens. Wir hoffen aber, dass die Betrachtung des Themas durch eine Gender-Linse auch Aufschluss über den Zusammenhang zwischen erkenntnisorientierter Neugier und einer sozial orientierten, externalisierten und müßigen Neugier geben kann 1. Konzentrieren werden wir uns zwar auf Aussagen in frühmittelalterlichen Klostertexten über die Notwendigkeit, intellektuelles Forschen einzuschränken, 1

Zum grundlegenden Unterschied zwischen einer erkenntnisorientierten Neugier und einer müßigen Neugier (oder sogar einer lobenswerten Neugier), siehe R. Newhauser, Towards a History of Human Curiosity: A Prolegomenon to its Medieval Phase, in: id., Sin: Essays on the Moral Tradition in the Western Middle Ages (Variorum Collected Studies 869), Aldershot 2007, Aufsatz XIII (Erstdruck in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 [1982], 559–575). Grundlegende Lektüre zur curiositas findet sich auch bei E. Peters, Limits of Thought and Power in Medieval Europe (Variorum Collected Studies 721), Aldershot 2001, Aufsätze I–V.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-022

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doch möchten wir auch klarstellen, dass wir keine großen Anhänger der Blumenberg-Hypothese sind, die aussagt, dass Neugier im Mittelalter im Wesentlichen unterdrückt worden sei 2. Blumenbergs Geschichte der spekulativen Neugier ist um das vertraute Narrativ des Befreiungsschlags herum strukturiert: Es wird so dargestellt, als habe die Moderne durch aktive Selbstbehauptung das Konzept der spekulativen Neugier von den verschiedenen Beschränkungen und Verboten erlöst, die ihr im Mittelalter auferlegt wurden. Das ist ein Narrativ des Triumphalismus, das immer noch gern von denjenigen wiederholt wird, für die das italienische Quattrocento synonym für die Anfänge der Moderne steht. Ein kürzlich erschienenes Buch des Astrophysikers Mario Livio beschreibt beispielsweise Leonardo da Vinci als Vorbild für grenzenlose Neugierde, da sein Verstand in der Lage war, Galens Ansichten über Anatomie, Aristoteles’ Lehre der Physik und Ptolemäus’ Theorie des Sonnensystems zu überwinden, und das alles, weil er eben entschieden nicht mittelalterlich war. „Es ist, als ob die Neugier im Mittelalter erstarrt wäre“, schreibt Livio 3. Auch Stephen Greenblatt schrieb in einem Buch über diese neoburkhardtsche Sicht der Geschichte: „Etwas geschah in der Renaissance, etwas regte sich gegen die Zwänge, die Jahrhunderte um die Neugierde herum aufgebaut hatten 4.“ Greenblatts ‚The Swerve‘ ist wegen dieser Vereinfachung heftig kritisiert worden. Darin bezeichnet er Poggio Bracciolinis Entdeckung von ‚Über die Natur der Dinge‘ des Lukrez als Geburtsstunde der Moderne und Abkehr von einem Mittelalter, in dem es wenig Vergnügen und intellektuelle Neugier gab. Es gibt natürlich wenig Grund, warum Greenblatt Vergnügen nur im körperlichen Sinn verstehen sollte, selbst unter bekennenden Epikuräern, und auch wenig Anlass zu der Annahme, dass Vergnügen im Mittelalter letztlich überall erstickt wurde 5. ‚The Swerve‘ wurde zeitweise als Verirrung in der ansonsten gemäßigteren Sichtweise des Autors auf intellektuelle Neugier vor der italienischen Renaissance gesehen. In Wirklichkeit aber fügt es sich nahtlos in sein früheres Werk ein. Seine 1991 veröffentlichte Analyse von ‚Mandevilles Reisen‘ kommt zu dem Schluss, dieses Werk scheine ein mittelalterliches Beispiel für spekulative Neugier zu sein (und dasselbe hätte er auch über Marco Polos ‚Beschreibung der Welt‘ sagen können) 6. In Greenblatts Analyse stellen 2

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H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde, Frankfurt/Main 1966, 21980. Dies ist eine erweiterte und überarbeitete Neuausgabe des dritten Teils von Blumenbergs Die Legitimität der Neuzeit, Frankfurt/Main 1966. M. Livio, Why? What Makes us Curious. New York 2017, 26. S. Greenblatt, The Swerve. How the World Became Modern, New York 2011, 9. Zur Kritik an Greenblatts neoburkhardtschen Ansichten siehe J. Monfasani, Rezension von S. Greenblatt, The Swerve, in: Reviews in History (Rezension Nr. 1283; Juli 2012), URL: (Stand 04. 02. 2022). Siehe N. Cohen-Hanegbi/P. Nagy (eds.), Pleasure in the Middle Ages (International Medieval Research 24), Turnhout 2018; J. Parker, The Epicurean Middle Ages, in: Exemplaria 25 (2013), 324–329. S. Greenblatt, Marvelous Possessions. The Wonder of the New World, Chicago 1991, 46. Siehe Mandeville’s Travels, ed. M. C. Seymour, Oxford 1967; Marco Polo, The Description of the World, aus dem Franco-italienischen (ins Englische) von S. Kinoshita, Indianapolis–Cambridge 2016.

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Mandevilles Reisen weder einen erkenntnistheoretischen Bruch mit der Vorherrschaft des christlichen Glaubens dar, noch ist das Werk wirklich subversiv. Doch betont er auch, dass es nicht als ein Werk verstanden werden darf, das ein lebhaftes Interesse eines breiten Lesepublikums an unerforschten Erdteilen befriedigen will. Außerdem beruft sich Greenblatt auf nur eine Studie als Beleg für seine Ansicht, dass eine Neugier über damals unbekannte Überzeugungen und Bräuche im mittelalterlichen Europa sicherlich heterodox gewesen sein muss: Hans Blumenbergs ‚Die Legitimität der Neuzeit‘. Wir gehen jedoch davon aus, dass gerade Texte wie ‚Mandevilles Reisen‘ und ‚Die Beschreibung der Welt‘ im Spätmittelalter die Legitimität einer Neugier demonstrieren, die wir als ‚anthropologische Neugier‘ bezeichnen könnten: der weit verbreitete Wunsch, etwas über die Vielfalt der Menschheit zu erfahren, bezeugt durch die große Beliebtheit dieser Reiseberichte und ähnlicher Texte. Auf der anderen Seite hilft eine Figur auf der frivolen Suche nach Neuartigem in der Tat, die frühe Vergeschlechtlichung eines Aspekts der Grenzen des Forschens in der monastischen Tradition zu kristallisieren. Um diesen Prozess der Vergeschlechtlichung zu erfassen, hilft uns die Arbeit von Judith Butler. Insbesondere macht ihre Theorie der Geschlechterperformativität deutlich, dass das soziale Geschlecht getrennt vom biologischen Geschlecht existiert. Es ist kein inhärenter biologischer Aspekt der Identität, sondern ein Produkt der Kultur, wird aber so selbstverständlich, dass angenommen wird, es sei an das biologische Geschlecht gebunden. Butler meint jedoch nicht, dass Geschlecht einfach eine Darbietung oder eine Art dramatische Aufführung ist. Es ist vielmehr performativ als kulturelles Konstrukt, und zwar durch die Inszenierung „einer Identität, die nur schwach in der Zeit begründet ist – einer Identität, die durch eine stilisierte Wiederholung von Handlungen begründet wird“, oder zumindest von anderen als solche behauptet wird, um diese Identität zu begründen 7. Das heißt, dass der Prozess der weiblichen Vergeschlechtlichung innerhalb und als Ausdruck hegemonialer sowie auch untergeordneter Männlichkeiten stattfindet. Dazu gehört in diesem Fall auch die Männlichkeit klösterlicher Einrichtungen 8. Hier finden wir den Kontext, in dem die früheste weibliche Vergeschlechtlichung von curiositas zum Ausdruck kommt, nämlich in der klösterlichen Gesetzgebung und der Exegese der Figur der Dina aus dem Buch Genesis. II. Dina Dina wird im ersten Buch Mose 30,21 als Tochter von Jakob und Lea erwähnt. Sie kommt erst wieder vor, als Jakob ein Feld in der Nähe der Stadt 7 8

J. Butler, Performative Acts and Gender Constitution: An Essay in Phenomenology and Feminist Theory, in: Theatre Journal 40/4 (1988), 519–531, hier 519. R. W. Connell und J. W. Messerschmidt, Hegemonic Masculinity: Rethinking the Concept, in: Gender & Society 19/6 (2005), 829–859.

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Sichem kauft. An diesem Punkt (34,1) geht Dina aus, um die Frauen des Landes zu besuchen und fällt dabei wiederum dem Prinzensohn Sichem ins Auge, der sie entführt und vergewaltigt. Jakobs Söhne sind empört und fordern, dass alle Männer von Sichem beschnitten werden müssen, wenn Sichem ihre Schwester heiraten will. Dem wird zugestimmt, doch am dritten Tag nach der Beschneidung gehen zwei von Dinas Brüdern, Simeon und Levi, in die Stadt, töten alle Männer und holen ihre Schwester zurück (34,25–26). Später, im zwölften Jahrhundert, erklärt Bernhard von Clairvaux sündige Neugier aufgrund ihrer Auswirkungen auf andere sowie auf den Sünder selbst für verwerflich 9. Er erläutert, das Verbrechen Satans habe zu allen anderen Sünden der Menschheit und das Verbrechen Evas habe zur Erbsünde geführt. Am deutlichsten wird die ansteckende Qualität der Sünde Neugier jedoch in der Figur der Dina. Zumindest verbal gibt Bernhard die frühere monastische Tradition wider, denn er konstatiert in Dina eine ‚curiosa otiositas vel otiosa curiositas‘, die Zerstörung über sie selbst und andere in ihrem Umfeld bringt, Freund und Feind gleichermaßen 10. Während Dina außerdem die Frauen von Sichem aus ihrer müßigen Neugier heraus besucht, wird sie selbst mit einem noch größeren Maß an nutzloser Neugierde betrachtet. Das Elend ihrer Sünde ereilt sowohl sie als auch diejenigen, die durch ihr Verhalten zu derselben Sünde verleitet werden. Bernhards Dina-Interpretation ist neuartig in der Geschichte der Sünde, denn sie bekräftigt das Böse, sowohl in der Selbstdarstellung und der dadurch erweckten übermäßigen Neugier anderer als auch im eigenen Frönen einer sündigen curiositas, die den Geist von sich selbst ablenkt und über seine legitimen Grenzen und Interessen hinaustreibt. Bernhard ist der erste, der Dinas curiositas sowohl als Sünde als auch als Ursache von Sünde beschreibt 11. Er lenkt so die Aufmerksamkeit nicht nur auf die curiosi selbst, sondern auch auf den Schaden, den sie anderen zufügen. Diese besondere Idee wird weitere Auswirkungen auf spätere Deutungen dieser Sünde haben. Aber all dies liegt noch in der Zukunft. Der erste notwendige Schritt bestand darin, Dina überhaupt erst in die Sphäre der curiositas-Kritik insgesamt zu bringen.

9 10

11

Bernhard von Clairvaux, Liber de gradibus humilitatis et superbiae, 28, edd. J. Leclercq/H. M. Rochais (Sancti Bernardi opera 3), Rom 1963, 38. Ibid., X, 29, edd Leclercq/Rochais (nt. 9), 39. Zum vitium curiositatis bei den Zisterziensern, siehe R. Newhauser, The sin of curiosity and the Cistercians, in: id., Sin (nt. 1), Aufsatz XV; J. Leclercq, ‚Curiositas‘ et le retour à Dieu chez S. Bernard, in: Bivium: Homenaje a Manuel Cecilio Díaz y Díaz, Madrid 1983, 133–142; A. H. Bredero, Le ‚Dialogus duorum monachorum‘: Un rebondissement de la polémique entre Cisterciens et Clunisiens, in: Studi Medievali, 3. ser. 22 (1981), 501–586. Die traditionellere Vorstellung von Dina als vitium curiositatis, das den Geist von sich selbst weg und auf weltliche Sorgen und irdische Vergnügungen lenkt, die nur für den Sünder selbst eine Bedrohung darstellen, ist in den Predigten Hildeberts von Lavardin gut vertreten, cf. id., In Adventu Domini Sermo Sextus, ed. J. J. Bourassé, (Patrologia Latina 171), Paris 1854, 368 sq.; id., In Coena Domini Sermo Secundus, ibid., 512 sq., id., Sermo 112 de diversis, ibid., 858 sq.

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Das Verständnis von Neugier als Laster von Papst Gregor dem Großen war ein regelmäßiger Bestandteil der frühmittelalterlichen Analyse des Konzepts 12. Der Einfluss der curiositas-Deutung Gregors des Großen findet sich in einem breiten Spektrum von Literatur wieder. Jedoch wurde Gregors Exegese bestimmter biblischer Gestalten – wie der Dina – auch aus anderen Kontexten übernommen, um sie für die Ächtung frevelhafter Neugierde heranzuziehen. Der früheste uns bekannte Autor, der diese Figur aus der Bibel für ein Argument gegen gefährliche curiositas heranzog, war Jonas, Bischof von Orléans († 843), in ‚De institutione laicali‘ 13. Jonas’ Werk wurde nicht für das Kloster geschrieben, spiegelt aber dennoch klösterliche Anliegen wider. Als Beleg für seine Bezugnahme auf Dina bezog sich Jonas jedenfalls ausdrücklich auf ihre Erwähnung in der ‚Cura pastoralis‘ Gregors des Großen 14. Hier setzte Gregor die biblische Geschichte allegorisch als Warnung vor zu großem Vertrauen in das Werk der Barmherzigkeit ein. So wie Sichem Dina nach der Vergewaltigung getröstet hat, so macht auch der Teufel dem Sünder falsche Hoffnung auf Vergebung, nachdem er ihn zur Sünde verführt hat. Gregors Worte dienten als Hintergrund für Jonas’ Deutung. In Wirklichkeit aber war es Letzterer, der Dina in das Thema der curiositas einbezog. Für Jonas war sie der bildliche Ausdruck eines Geistes, der die eigenen Interessen vernachlässigt und sich völlig von den Handlungen anderer vereinnahmen lässt 15. Haymo, Mönch von Auxerre († um 850), wiederholt denselben Gedanken bei seiner Reflexion der klösterlichen Deutung der sündigen curiositas 16. Als Dina das Haus ihres Vaters verlässt, „verlässt sie sich 12

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Gregor der Große, Homiliae in Evangelia, II, 36, 4, ed. R. Étaix (Corpus Christianorum Series Latina 141) Turnhout 1999, 335: „grave namque curiositatis est vitium“. Siehe C. Dagens, Grégoire le Grand et la culture: De la ‚sapientia huius mundi‘ à la ‚docta ignorantia‘, in: Revue des Études Augustiniennes 14 (1968), 17–26. Jonas von Orléans, De institutione laicali, III, 10, ed. O. Dubreucq, Jonas d’Orléans, Instruction de laïcs, tome II (Sources Chrétiennes 550), Paris 2013, 264–270 befasst sich mit dem vitium curiositatis. Jonas mag in seiner Behandlung von Dina innovativ gewesen sein, doch die Quelle für den Großteil seines anderen Materials über die Sünde ist der Liber scintillarum, Kap. 30 und 70, möglicherweise von Defensor von Ligugé (cf. Liber scintillarum, ed. H.-M. Rochais [Corpus Christianorum Series Latina 117], Turnhout 1957). Ibid., 264 sq.: „‚Dina quippe‘, ut beatus Gregorius in libro Pastorali scribit…“. Gregors Worte finden sich in der Regula Pastoralis, III, 29 (adm. 30), ed. F. Rommel, Grégoire le Grand, La règle pastorale, tome II (Sources Chrétiennes 382), Paris 1992, 470–472. Cf. C. Ricci, Chierici e laici allo specchio: testimonianze della recezione della ‚Regula pastoralis‘ di Gregorio Magno nell’occidente Carolingio, in: G. I. Gargano (ed.), L’eredità spirituale di Gregorio Magno tra Occidente e Oriente. Atti del Simposio Internazionale ‚Gregorio Magno 604–2004‘ Roma 10– 12 marzo 2004, Negarine di S. Pietro in Cariano (Verona) 2005, 229–270. Der Text von Jonas kann auch als Beitrag zur karolingischen Repräsentation der Gesellschaft und der öffentlichen Macht verstanden werden, cf. F. Veronese, Contextualizing Marriage: Conjugality and Christian Life in Jonas of Orléans’ De institutione laicali, in: Early Medieval Europe 23/4 (2015), 436–456. Haymo von Auxerre ([Ps.] Haymo von Halberstadt), Homiliae de tempore, Homilia 112, ed. J.P. Migne (Patrologia Latina 118), Paris 603 D–604A): „Quando enim mens infirmantium actiones curiose perscrutatur, quasi Dina filia Jacob mulieres regionis videre desiderans, a paterna domo egreditur, id est a semetipsa recedit.“ Siehe neulich zur Exegese des Haymo von Auxerre: Martin Mayerhofer,

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selbst“ (wörtl.: geht sie von sich selbst fort), und die Schändung ihrer Jungfräulichkeit zeige, dass der curiosus genau den Lastern verfällt, für die er andere zuvor unangemessen scharf verurteilt hat. Was verbirgt sich dahinter, dass Dina – stellvertretend für die Gesamtheit aller Frauen – in die curiositas-Debatte geworfen wird? In der Geschichte der biblischen Exegese deutet jedes Anzeichen eines plötzlichen – oder plötzlich gestiegenen – Interesses an einer zuvor vernachlässigten oder nur beiläufig behandelten Figur bzw. Problemstellung gewöhnlich darauf hin, dass irgendein Interesse außerhalb der Exegese selbst den Exegeten antreibt. Obgleich man allein aus einem neuen Interesse an der Dina-Exegese nicht darauf schließen kann, dass es während der Herrschaft Karls des Großen und Ludwigs des Frommen eine besondere Beschäftigung mit eindeutig Frauen zugeschriebenen Lastern gab, suggeriert die Diskussion von Jonas und Haimo über Dina, die sich so sehr von der Gregors des Großen unterscheidet und sich gleichzeitig auf ihn bezieht, dass die Beschäftigung karolingischer Geistlicher mit der curiositas nun begann, weit über die bisher im Zentrum stehenden männlichen Klostergestalten hinauszureichen 17. Aus dem bisher untersuchten und weiterem Hintergrundmaterial lassen sich einige kategorische Aussagen über die Vergeschlechtlichung unseres Themas ableiten: Erstens geben die klassischen, spätklassischen oder postklassischen Texte auf Griechisch, Hebräisch oder Latein, ob gelehrt oder volkstümlich, keinen Hinweis darauf, dass Neugier als Eigenschaft in irgendeiner Weise charakteristischer für Frauen ist als für Männer, oder dass sie überhaupt in irgendeiner Weise für Frauen charakteristisch ist. Pandora reicht hier nicht aus, denn sie wird in der vorneuzeitlichen Diskussion über die Grenzen der intellektuellen Forschung nie erwähnt, und Psyche ist eine Schöpfung von Apuleius, der im Goldenen Esel die curiositas thematisierte, doch auch sie ist ein Beispiel, das in dieser Diskussion nie erwähnt wird. Zweitens gibt es keinen Hinweis auf die Neugierde von Eva und Adam in der Exegese der Genesis in der jüdischen oder christlichen Deutung bis zum vierten Jahrhundert, vielleicht sogar bis zum Werk von Beda. Im Midrasch Bereishit Rabbah wird zwar Eva in Verbindung mit u. a. ‫( סקרנית‬saqranit ) gebracht, doch erstens hängt diese Textstelle nicht mit der Exegese des Sündenfalls im Paradies zusammen und zweitens muss man sich fragen, ob hier saqranit mehr als auf ein kokettes Benehmen hindeutet. Im Midrasch nämlich fragt sich der Herr bei der Erschaffung Evas, aus welchem Körperteil Adams er sie schaffen soll: nicht aus dem Kopf, damit sie ihren Kopf nicht stolz trägt; nicht aus dem Auge, damit sie nicht neckisch wird; nicht aus dem Ohr, damit sie keine Lausche-

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Höhepunkte mittelalterlicher Paulusexegese: Die Kommentierung des Corpus Paulinum durch Haymo von Auxerre und Bruno den Kartäuser, in Archa Verbi 15 (2018), 25–56. Zur curiositas am karolingischen Königshof, siehe B. Schlieben, Neugier im Mittelalter, in: Historische Zeitschrift 296/2 (2013), 330–353.

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rin wird, etc 18. Es ist aber gemäß dem Text alles umsonst, denn Eva (und Frauen schlechthin) benimmt sich hochmütig, kokett etc. Wichtig für die Bedeutung von ‚saqranit‘ ist hier die Berufung auf Jesaja 3,16 als Referenztext. Dort wird gesagt, dass die Töchter Zions mit hochgerecktem Kopf, verführerischen (‫[ מׂשקרות‬meśaqrot]) Augen, und klingelnden Fußspangen umhergehen. Das bedeutet, dass es sowohl im Midrasch als auch bei dem Propheten um lüsternes Verhalten geht, um auf sich aufmerksam zu machen, nicht um Neugier. Bei christlichen Schriftstellern selbst nach den virtuosen Bezugnahmen von Augustinus blieb curiositas weiterhin ein fast ausschließlich Männern zugeschriebenes Laster 19. Drittens treffen diese beiden Aussagen selbst angesichts der allgemeinen und reichlich dokumentierten Tradition heidnischer, jüdischer und christlicher Frauenfeindlichkeit zu. Die Tradition der Frauenfeindlichkeit ist greifbar und offenkundig, aber curiositas gehörte nicht dazu, zumindest nicht vor dem frühen Mittelalter. Diese Aussagen gelten für das gesamte Spektrum der Phänomene, die die entsprechenden Begriffe umfassen, vom spekulativen, ‚faustischen‘ Wissensdurst bis hin zu übertriebener Schnüffelei, wie sie e. g. von Valmont im Brief 21 von ‚Les Liaisons dangéreuses‘ als selbstverständlich vorausgesetzt wird: „Hier muss ich meiner Madame de Tourvel Gerechtigkeit widerfahren lassen; zweifellos bedauerte sie den Befehl, den sie gegeben hatte, und da sie nicht die Kraft hatte, ihre Neugierde zu bändigen, hatte sie zumindest genug Kraft, sich meinem Verlangen zu widersetzen […]. Einen Moment lang befürchtete ich, sie könnte ihre Befehle widerrufen und mir durch ihre Zartfühligkeit schaden. Ich rechnete ohne die weibliche Neugierde – also irrte ich“. 20

Dies ist ein triviales Beispiel, lässig hingeworfen, als wäre es die offenkundigste Binsenweisheit der Welt. Aber gerade wegen dieser Eigenschaften, an die wahrscheinlich sogar Madame de Tourvel selbst glaubte, ist Valmonts Beobachtung interessant. Wann haben die Menschen begonnen, so zu denken? Oder aber, weil wir schließlich wissenschaftliche Betrachter der Neugier sind und die Wirklichkeit, die wir erforschen und darstellen wollen, in den Quellen suchen: Ab wann haben wir Belege dafür, dass Menschen diese Denkweise angenommen haben, und was für Belege sind das? Was werden sie uns sagen, und was nicht? Wie aus der langen Geschichte der curiositas deutlich wird, sind die spekulativen und ‚neugierigen‘ Aspekte der curiositas miteinander verwandt, wobei jede Seite die andere färbt, bis hin zur Monastisierung der Moraltheologie nach Gre18

19 20

Bereishit Rabbah 18, 2, nach dem Text und der Übersetzung in Sefaria, URL: (Stand 04. 02. 2022). Ich bedanke mich bei Herrn Prof. Dr. David Wirmer für die Diskussion dieser Stelle. Zum Einfluss Augustins auf das Verständnis von curiositas siehe R. Newhauser, Augustinian vitium curiositatis and its Reception, in: id., Sin (nt. 1), Aufsatz XIV. Pierre Ambroise Choderlos de Laclos, Dangerous Acquaintances (Les Liaisons dangéreuses), 21, nach der englischen Übersetzung von R. Aldington, London, [1924], 98 sq.

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gor dem Großen; und selbst danach war die curiositas weitgehend ein männliches Laster. Wie andere Laster auch wurde curiositas im Laufe der Zeit und durch Texte vor allem in klösterlichen Quellen überliefert, die sich weitgehend mit den internen Funktionsweisen des klösterlichen Lebens befassten. Nachverfolgen konnten wir dies in einigen Veröffentlichungen Isidors von Sevilla, über Beda und die Karolinger bis zu Anselm von Canterbury und den Zisterziensern, insbesondere Bernhard von Clairvaux, einem der größten Virtuosen auf dem Gebiet der klösterlichen curiositas. Es überrascht nicht, dass bis zum Werk Anselms von Canterbury der cassianische Sinn klösterlicher curiositas als müßige Schnüffelei und Streuen von Gerüchten gegenüber dem komplexeren und vielfältigeren augustinischen Sinn vorherrschte 21. Als die große karolingische Reform zu Gunsten des benediktinischen Mönchtums am Ende des achten Jahrhunderts endlich in Gang kam, waren die Umrisse der Moraltheologie also gut angelegt, und sie waren im Wesentlichen männlich. Das blieb aber nicht lange so. Die karolingische Reformgesetzgebung über das Leben von Ordensfrauen und ein neues exegetisches Interesse an einem vernachlässigten biblischen Narrativ sind die wichtigsten Belege für die weibliche Vergeschlechtlichung der müßigen curiositas im neunten Jahrhundert. III. K arolingische monastische Gesetzg ebung Natürlich haben die Karolinger die Regelung des Lebens von Ordensfrauen nicht erfunden. Es gibt reichlich Literatur dieser Art im Werk des Augustinus und in den Briefen des Hieronymus sowie in der ‚Regula‘ des Caesarius von Arles und in dessen Briefen und Predigten. In dieser früheren Literatur spielt curiositas jedoch fast überhaupt keine und concupiscentia oculorum, wie die curiositas häufig umschrieben wurde, eine kleine und routinemäßige Rolle 22. In Caesarius’ Brief an seine Schwester und die Ordensfrauen in ihrem Umfeld, dem bekannten Vereor, zitiert er zwar 1. Joh 2,15–16 und den Ausdruck ‚concupiscentia oculorum‘, doch bezieht sich hier das mit diesem Ausdruck bezeichnete Laster auf Eitelkeit und (insbesondere) den Wunsch nach Luxus; in der ‚Regula‘ selbst wird diese concupiscentia als die Reaktion auf Männerblicke identifiziert 23. Soweit uns 21

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In Cassians Schema von den acht Lastern wurde curiositas als eine der Unterkategorien von acedia oder Trägheit analysiert. Siehe Johannes Cassianus, Conlationes V, 16, ed. E. Pichery, Jean Cassien, Conférences I–VII (Sources Chrétiennes 42 bis), Paris 1955, 209; cf. id., De institutis coenobiorum, X, 7, 4, ed. J.-C. Guy, Jean Cassien, Institutions Cénobitiques (Sources Chrétiennes 109), Paris 1965, 394: „Et ut uestra negotia agatis, non curiositate uestra actus mundi uelitis inquirere ac diuersorum conuersationes explorantes operam uestram non erga correctionem uestram seu uirtutum studia, sed ad detractationes fratrum velitis inpendere.“ Man hört hier ein direktes Echo von 1. Thess 4,11. Die Tatsache, dass in den Schriften selbst des frauenfeindlichsten der lateinischen Väter keine Diskussion über weibliche curiositas geführt wurde, spricht stark dafür, dass das Thema in der Spätantike noch nicht existierte. Der von uns herangezogene Text ist Caesarius von Arles, Regula sanctarum virginum, 23, edd. A. de Vogüé/J. Courreau, Césaire d’Arles, Oeuvres monastiques, tome I: Oeuvres pour les moniales (Sources Chrétiennes 345), Paris 1988, 198 sq., der weitgehend von der Regula Sancti

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bekannt ist, hat sich dieser Sinn der concupiscentia oculorum im späteren sechsten, siebten und achten Jahrhundert nicht mehr verändert. Cassians Mentor, Evagrius Ponticus, hatte Nonnen geraten, sich weder um das Leben ihrer Schwestern zu kümmern (periergase ), noch Schadenfreude über das Unglück ihrer Schwestern zu empfinden. Dies vermittelt einen Sinn der curiositas, der auf Frauen und Männer in gleicher Weise angewandt wurde 24. Als karolingische Klosterreformer im späten achten und frühen neunten Jahrhundert ihre Aufmerksamkeit auf Ordensfrauen richteten – auf dem Konzil von Frankfurt 794, dem von Chalons sur Sâone 813 und vor allem dem von Aachen 816 – bestanden sie zunächst darauf, dass Ordensfrauen nach einer Regel leben, dass die ‚Regula Benedicti‘ streng auf sie angewandt wird, dass sie klausuriert leben und dass ihre Häuser der Autorität der Bischöfe unterstellt werden 25. Wie Suzanne Wemple und andere betont haben, haben diese Reformen das religiöse Empfinden und den von den Merowingern ererbten religiösen Stil verändert 26. Zu den wichtigsten Produkten des Konzils von Aachen gehörte auch das, was als ‚duo codices‘ bezeichnet wird: die ‚Institutio Canonicorum Aquisgranensis‘ 27, bestehend aus 145 Kanons zur Regelung des Verhaltens von Mönchen, und die ‚Institutio Sanctimonialium Aquisgranensis‘ 28, bestehend aus 28 Kanons zur Regelung von Leben und Verhalten von Nonnen 29. In zwei Kanons des letzte-

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Augustini secunda, VI, in: Jordani de Saxonia Liber Vitasfratrum, edd. R. Arbesmann/W. Hümpfner (Cassiciacum [American Series] 1), New York 1943, Appendix C, 497–498, abgeleitet ist, wobei die concupiscentia hier sehr eng mit Lust und Männerblicken und weniger mit der eigentlichen curiositas identifiziert wird. Siehe H. Gressmann, Nonnenspiegel und Mönchsspiegel des Euagrios Pontikos zum ersten Male in der Urschrift herausgegeben (Texte und Untersuchungen 39, Heft 4,) Leipzig 1913, 148, Nr. 31. Über Evagrius Ponticus und das Achtlasterschema, das er Cassian beibrachte, siehe C. Stewart, Evagrius Ponticus and the ‚Eight Generic Logismoi‘, in: R. Newhauser (ed.), In the Garden of Evil. The Vices and Culture in the Middle Ages (Papers in Mediaeval Studies 18), Toronto 2005, 3–34. Der Charakter dieser Betonung der Klosterreform Ende des achten und Anfang des neunten Jahrhunderts, insbesondere der Reform und Kontrolle der Nonnenklöster, beschreibt ausführlich S. Fonay Wemple, Women in Frankish Society: Marriage and the Cloister, 500–900, Philadelphia 1981, 143–148 und 165–174. Wemples Schlussfolgerungen unterstützt J. Tibbetts Schulenburg, Women’s Monastic Communities, 500–1100: Patterns of Expansion and Decline, in: Sign 14 (1989), 261–292. Wemple, Women in Frankish Society (nt. 25) diskutiert die unverhältnismäßig rigorose Anwendung der Benediktinerregel auf Frauen (166 sq.) und die allgemein von Ordensfrauen geforderte größere Strenge (168 sq.). Wemple betont auch die geringere Zahl karolingischer weiblicher Heiliger. Sie argumentiert, „the tight controls placed by ninth-century bishops on all forms of female asceticism seem to have inhibited women’s aspirations for heroic sanctity“ (171). Institutio Canonicorum Aquisgranensis, ed. A. Werminghoff (Monumenta Germaniae Historica, Leges, Sectio III: Concilia 2/1), Hannover–Leipzig 1906, 307–421. Institutio Sanctimonialium Aquisgranensis, ed. A. Werminghoff (Monumenta Germaniae Historica, Leges, Sectio III: Concilia 2/1), Hannover–Leipzig 1906, 421–456. Die Quellen der Sammlung sind erforscht von G. Schmitz, Zu den Quellen der Institutio Sanctimonialium Ludwigs des Frommen (a. 816). Die Homiliensammlung des Codex Paris lat.13440, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 68/1 (2012), 23–52. Die Formulierung ‚duo codices‘ findet sich im ‚Chronicon Laurissense breve‘, cf. H. Schnorr von Carolsfeld, Das Chronicon Laurissense breve, Neues Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche

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ren Dokuments finden wir die erste Zuschreibung von curiositas auf Frauen, und zwar nicht, wie in den bereits erwähnten Texten von Evagrius und Caesarius, auf Frauen in gleicher Weise wie auf männliche Ordensleute, sondern in besonderer Weise auf Frauen als femineus sexus. Im Kanon 14 der ‚Institutio Sanctimonialium‘ geht es darum, wie die Äbtissin die ihr anvertrauten Nonnen geistlich nähren sollte. Genauso wie sie die „necessitates corporum“ ihrer Schützlinge sicherstellen sollte, sollte sie ihnen auch „documenta virtutum […] in […] vita, moribus, actu, habitu (Unterweisung in den Tugenden des Lebens, der Moral, des Verhaltens und der Gewohnheiten)“ an die Hand geben und dafür sorgen, dass sie nicht nur gute Vorbilder haben, denen sie folgen können, sondern dass sie ausdrücklich keine Gelegenheit haben, schlechte Vorbilder zu beobachten. Es soll ihnen beigebracht werden, wie sie Stolz, die „radix […] omnium malorum“, sowie Geiz, Neid, Hass, Verleumdung, Gerüchte, Geflüster, Skurrilität, „bilinguitates (Doppelzüngigkeit)“, Meinungsverschiedenheiten, „simulationes (Täuschungen)“, vanas verborum confabulationes (leeres Geschwätz), und ähnliche Dinge vermeiden, die zu ihrem moralischen Verderben führen 30. Nicht weniger nachdrücklich zu vermeiden waren auch „curiositates […], quibus femineus sexus potissimum implicatur (Neugierde, womit vor allem das weibliche Geschlecht zu tun hat)“ 31. In Unkenntnis ihrer eigenen Laster sollten sie nicht neugierig die Laster anderer ausforschen und die Worte des Hieronymus beachten: „Es reicht aus, dass jede [Sünderin] ihre eigenen [Sünden] bereut und nicht über die [Sünden] der anderen klagt.“ 32 In Kanon 18 wird die Äbtissin davor gewarnt, die Nonnen desidia atque incuria (Müßiggang oder Sorglosigkeit) verfallen zu lassen 33 – einem eindeutig etymologischen Echo auf die Ursprünge der Neugierde – zumal das weibliche Geschlecht bekanntlich das sexus fragilior ist. Weiter werden in Kanon 18, der sich der Disziplin sündiger Nonnen widmet, die zuvor in Kanon 14 aufgeführten Vergehen und Laster wiederholt, mit mehreren Ergänzungen, darunter das Vergehen discordiam inter sorores seminare (Säen von Zwietracht unter den Schwestern) 34.

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Geschichtskunde 36 (1911), 39. Für diesen Hinweis bedanke ich mich bei Herrn Robert Maximilian Schneider. Institutio Sanctimonialium, 14, ed. Werminghoff (nt. 28), 448. Ibid. Ibid.: „Defleant propria, aliena curiose non interrogent, adtendentes illud Hieronimi: Sufficit, inquit, unicuique sua plangere, non aliena carpere.“ Werminghoff findet dies nicht im Werk des Hieronymus, aber ähnliches ist doch bei Hieronymus zu finden, cf. id., Epistulae, 102.2, ed. I. Hilberg (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 55), Wien 1912, 235, auf sich selbst bezogen: „Sufficit enim mihi probare mea et aliena non carpere.“ Zu Hieronymus-Zitaten in der ‚Institutio Canonicorum‘, siehe C. D. Fonseca, Gli „excerpta Hieronymi“ nelle sillogi canonicali dei secoli XI e XII, in: F. J. Felten/A. Kehnel/S. Weinfurter (eds.), Institution und Charisma: Festschrift für Gert Melville zum 65. Geburtstag, Köln 2009, 469–480. Institutio Sanctimonialium, 18, ed. Werminghoff (nt. 28), 449. Ibid., ed. Werminghoff (nt. 28), 450.

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Wie aus Werminghoffs redaktioneller Anmerkung hervorgeht, stammt der letzte Satz aus dem Buch der Sprüche und führt uns zu einem zweiten Punkt über die Bedeutung von curiositas in der ‚Institutio Sanctimonialium‘. Sprüche 6,19 ist in der Tat die Quelle unseres Satzes, aber in der Vulgata lautet der Satz „et eum qui seminat inter fratres discordias (und derjenige, der Zwietracht unter Brüdern sät)“. Der Kanon hat hier einfach einen ursprünglich für Männer geltenden Text auf Frauen angewandt. Dass dies nicht nur ein grammatikalischer Vorgang ist, zeigt eine kurze Betrachtung der ‚Institutio Canonicorum‘, des männlichen Pendants zur ‚Institutio Sanctimonialium‘. Ein markantes Merkmal der ‚Institutio Canonicorum‘ ist, dass es trotz seiner Bedeutung und Länge im Gegensatz zu praktisch jedem anderen uns bekannten Dokument über männliche monastische Disziplin nirgends die curiositas als moralische Gefahr für Kanoniker erwähnt. Die Kapitel 123 und 134 der ‚Institutio Canonicorum‘ 35 entsprechen den Kanones 14 und 18 der ‚Institutio Sanctimonialium‘. Es gibt eine Liste charakteristischer Laster im abschließenden Kapitel 145 der ‚Institutio Canonicorum‘ 36, doch nirgends wird discordia inter fratres erwähnt. Also hat sich die ‚Institutio Sanctimonialium‘ nicht nur das vitium curiositatis, das ja bisher fast ausschließlich ein männliches Laster war, angeeignet und ganz allgemein auf Frauen angewendet, sondern die curiositas wird anno 816 im entsprechenden Disziplinartext für Männer merklich nicht erwähnt, obwohl die curiositas männlicher Ordensleute im ‚Diadema monachorum‘ des Smaragdus von Saint-Mihiel, das in unmittelbarer zeitlicher Nähe entstand, besprochen wird 37. Männliche curiositas kommt in der karolingischen Literatur also durchaus vor, wurde aber im Jahr 816 vorübergehend ausschließlich den Frauen zugeschrieben. Wäre die ‚Institutio Sanctimonialium‘ unser einziger Beleg, wäre das Argument schwächer, aber es wäre immer noch ein Argument, und wir hätten zumindest behaupten können, dass weibliche Neugier ursprünglich männliche Neugier war, die von übereifrigen karolingischen Klosterreformern auf Nonnen angewandt wurde. Es gibt jedoch durchaus noch einige weitere Belege. Die Gesetzgebung der Konzile bietet eine Art von Beleg, die Schriftexegese eine andere, und obwohl die beiden freilich nicht unbedingt übereinstimmen müssen, ist für einen Zeitraum wie das frühe neunte Jahrhundert eine Verbindung zwischen zwei so unterschiedlichen Quellenarten doch recht vielsagend.

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Institutio Canonicorum, 123, ed. Werminghoff (nt. 27), 403 sq.; ibid., 134 (nt. 27), 410 sqq. Ibid., ed. Werminghoff (nt. 27), 419–421. Smaragdus von Saint-Mihiel, Diadema monachorum, 73, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 102), 668 sq. Zum Text siehe P.-M. Bogaert, Smaragde, Éphrem latin et le titre du Diadema monachorum, in: Revue Bénédictine 129.2 (2019), 284–289; O. Eberhardt, Via Regia: Der Fürstenspiegel Smaragds von St. Mihiel und seine literarische Gattung (Münsterische Mittelalter-Schriften 28), München 1977, 48–52, 199–201; und F. Rädle, Studien zu Smaragd von Saint-Mihiel (Medium Aevum: Philologische Studien 29), München 1974, 68 sqq.

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IV. Exeg ese Von Augustinus an wurde die Figur der Eva in der Exegese der Genesis oft als Beispiel für curiositas erwähnt, jedoch nicht sehr intensiv ausgestaltet. Wie Elaine Pagels gezeigt hat, stand Evas Ungehorsam, nicht ihre Neugierde, im Mittelpunkt der Exegese von Augustin, das viele Vorteile für die Entwicklung der Macht sowohl in der Kirche als auch im Staat hatte 38. Darüber hinaus schenkte kein früher Exeget der Genesis seine Aufmerksamkeit der Dina, die, wie bereits erwähnt, die Frauen des Landes besuchte, dabei von Sichem erblickt und vergewaltigt wurde und entehrt zu Vater und Brüdern heimkehrte. Gregor der Große hatte nur erwähnt, dass die Geschichte vor allzu großem Vertrauen in das Werk der Barmherzigkeit warnte. Jonas von Orléans hingegen schrieb um 840 ‚De institutione laicali‘ als eine Art Handbuch christlicher Ethik für einen Laien anlässlich seiner Eheschließung. Kapitel 28, ‚De curiositate‘, bot die erste detaillierte Exegese von Dina in Bezug auf das vitium curiositatis. Obwohl Jonas Gregor den Großen als sein Vorbild beanspruchte, ist seine Exegese weitaus detailreicher als alle Ausführungen Gregors zu Dina und hat außerdem einen anderen Schwerpunkt. Darüber hinaus schließt Jonas viele der Texte aus dem ‚Liber scintillarum‘ Kapitel 30 und 70, möglicherweise von Defensor von Ligugé, ein. Obwohl Jonas Dina als den von sich selbst abgekehrten Geist bezeichnet und seine Leser daran erinnert, dass Kanoniker und Mönche, aber auch Laien für diese Sünde anfällig sind, eröffnet er einen neuen Topos in der Exegese, in dessen Zentrum die unachtsame junge Frau steht, die eine bestimmte Art von curiositas effektiver repräsentiert als jede andere Figur in der Heiligen Schrift. In der Tat hat Jonas’ Fokus auf Dina nicht nur viel später Bernhard von Clairvaux stark beeinflusst, sondern auch die ihm im neunten Jahrhundert unmittelbar folgenden Exegeten, nämlich Haymo und Remigius von Auxerre. Die Homilie 112 für den dritten Sonntag nach Pfingsten wird Haymo von Halberstadt in Patrologia Latina 118 zugeschrieben, spätere kritische Studien schreiben ihn jedoch Haymo von Auxerre zu 39. Das Thema der Predigt ist Lukas 14, die Geschichte des Mannes, der zu einem Bankett lädt, aber von geladenen Gästen Absagen erhält. Haymo gibt einen Kommentar zu dem Gast, der fünf Ochsenjoche gekauft hatte und diese besehen muss (Lukas 14,18) – ein Topos für die potenziellen moralischen Gefahren, die seit Origenes und Ambrosius mit den fünf äußeren Sinnen in der Exegese verbunden sind, und welche Augustinus besonders als curiositas identifiziert hat. Haymo setzt ‚concupiscentia oculorum‘ mit ‚curiositas‘ gleich, zitiert Gregor den Großen und bietet dann die Geschichte von Dina als Beispiel für die „mens […] curiose perscrutatur“ 40 an. Indem Dina ihr Zuhause (und vor allem die Aufsicht von Männern) verlässt, 38 39 40

Elaine Pagels, Adam, Eve, and the Serpent, New York 1988, 125. Siehe P. Glorieux, Pour revaloriser Migne. Tables rectificatives (Mélanges de Science religieuse. 9. Cahier supplémentaire), Lille 1952, 57. Haymo von Auxerre ([Ps.] Haymo von Halberstadt), Homiliae, 112, ed. Migne (nt. 16), 603 D.

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verursacht sie ihre eigene Vergewaltigung und das Massaker an Sichem, Sichems Vater und allen Männern ihres Landes wegen der Schande, die sie über ihren Vater und ihre Brüder gebracht hat 41. Dieser Text hat unseres Erachtens eine Hörerschaft des neunten Jahrhunderts auf ganz bestimmte Weise angesprochen, ob sie nun an bildhaften Sinnbedeutungen der Heiligen Schrift interessiert waren oder nicht. Auf der wörtlichen Ebene geht es in der Geschichte schließlich unter anderem um eine Vergewaltigung, gefolgt von einem Heiratsantrag und der Ermordung einer ganzen Sippe, ein Phänomen, das im karolingischen Europa nicht ganz unbekannt ist und dort auf große Resonanz gestoßen sein dürfte. Auf Haymo folgte Remigius und die von diesen beiden und Jonas begonnene Tradition zog sich durch das Studium der Heiligen Schrift und ihrer Exegese bis ins zwölfte Jahrhundert, wo sie von Bernhard von Clairvaux beherzt aufgegriffen wurde 42. Er ist der letzte große Theologe, der sich mit der curiositas als vorwiegend klösterlichem Laster befasst, und bis hin zu Bernhards Schützling Galand von Reigny, dessen ‚De colloquio vitiorum‘ ein dramatisches Porträt von curiositas bietet – diesmal nicht ganz als allegorisierte Personifizierung, sondern als echte Dame namens Curiositas 43. Dennoch ist es gerade die figurative Interpretation von Dina, die nach dem zehnten Jahrhundert wieder auftaucht, vielleicht, weil sich das reformierte Mönchtum auf das Innenleben des Mönchs und der Mönchsgemeinschaft konzentriert. Für Jonas und Haymo steht die Gestalt der Dina in der Tat vielleicht für den menschlichen Geist, der seine eigenen Interessen vernachlässigt und von den Handlungen anderer vereinnahmt wird. Um dies zu erreichen, schufen sie jedoch eine neue Exegese der Dina, der Tochter Jakobs. Eine karolingische Lesung dieses Streits aus der Genesis im neunten Jahrhundert hatte viele zeitgenössische Anklänge, wovon die moralische Allegorie nur eine war. Dina mag in der Tat den menschlichen Geist repräsentieren, sie repräsentiert aber auch die Auffassung eines karolingischen Klosterreformers vom menschlichen Geist und von Frauen als geeignetem Beispiel dieser Art eines makelhaften und müßig umherwandernden Verstandes. Diese Ansicht stand voll im Einklang mit der Sichtweise der ‚Institutio Sanctimonialium‘ und anderer Stränge christlicher Frauenfeindlichkeit, obwohl letztere sich zuvor nicht auf curiositas konzentriert hatten. Unser Argument von eben – nämlich, dass curiositas erstmalig während der karolingischen Klosterreformen im ersten Viertel des neunten Jahrhunderts auf 41

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Weiter bemerkt Haymo in Homilie 112, ed. Migne (nt. 16), 604A): „Et sicut Dina filia Jacob, nisi patre interveniente et fratribus pugnantibus liberari non poterat, ita quoque actio curiositatis eripi non poterit, nisi Domino miserante et sanctorum orationibus intervenientibus.“ Für Remigius, siehe e. g., Commentarius in Genesim, XXXIV, 1, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 131), 110 D–111 A): „Allegorice Dina significat animan sua studia negligentem, et aliorum facta studiosius inquirentem. Quasi enim egreditur ad videndas mulieres, cum sua intima projicit et in exterioribus occupatur.“ Zu den emotionalen Aspekten der religiösen Kultur in den Kommentaren von Haymo und Remigius, siehe Thomas A. Greene, Cum timore et tremore: Religious Culture, Affective States and Bodily Comportment in Auxerrois Commentaries, in: Medieval Perspectives 24 (2011 für 2009), 46–58. Galand von Reigny, De colloquio vitiorum, in Parabolaire, edd. C. Friedlander/J. Leclercq/G. Raciti (Sources Chrétiennes 378), Paris 1992.

„Was will eine Frau eigentlich?“

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Frauen als ausgeprägtes weibliches Laster angewandt wurde, und dass Jonas’ und Haymos neuartige Dina-Exegese von Aussagen über Nonnen in den wohl einflussreichsten Texten der Reformbewegung beeinflusst wurde – stützt sich nicht nur auf diese Texte selbst, sondern auch auf das Fehlen einer solchen Anwendung in allen früher bekannten Texten aus der heidnischen oder christlichen Vergangenheit. So sind die karolingischen Texte nicht nur für sich selbst, sondern auch in ihrem Kontrast zu allem Vorhergehenden einzigartig – unserer Ansicht nach markant genug, dass die erste Hälfte des neunten Jahrhunderts als der Beginn dieser Verbindung von curiositas zunächst mit Nonnen und später mit Laienfrauen gelten muss. Diese fand dann Eingang in spätere Moraltheologie und Frauenfeindlichkeit und fand ihren Ausdruck in den Werken Bernhards von Clairvaux und anderen zisterziensischen Moralisten des zwölften Jahrhunderts. Quantitativ gesehen sind zwei Arten von Quellen freilich besser als eine. Wenn man sich allerdings mit zwei Arten von Quellen begnügen muss, sind konziliare Gesetzgebung und Schriftexegese nicht gerade die idealen Quellenarten für unsere Art Forschungsfrage. Aber dies sind nun einmal die uns vorliegenden Quellen und auch wenn sie freilich nicht so belastbar sind, wie wir uns wünschen würden, so können wir ihnen unserer Ansicht nach doch gerade genug Gewicht beimessen.

V. Schlussfolg er ung Zusammenfassend lässt sich sagen: In der griechischen, hebräischen und lateinischen Antike gibt es keine eindeutigen Belege für irgendeine Form von Neugierde als ein Laster, das allgemein Frauen zugeschrieben wird. Die antiken und frühchristlichen Stränge der Frauenfeindlichkeit, von Juvenal, Paulus, den Pastoralbriefen, Hieronymus und der männlichen Asketenbewegung schufen in der Tat eine anschauliche und breit gefächerte Literatur über das weibliche Laster, doch enthielt diese Literatur keine curiositas. In der Tat blieb die spekulative curiositas (theoretische Neugierde) ein männliches Laster. Dies setzte sich auch nach dem neunten Jahrhundert fort, insbesondere als curiositas in die Universitäten einzog. Die ersten Quellen, in denen curiositas allgemein auf Frauen angewandt wird, sind die Kanons der ‚Institutio Sanctimonialium‘ des Konzils von Aachen im Jahre 816. Trotz der Bemerkung, dass Frauen viel anfälliger für dieses Laster sind als Männer, stammt die Beschreibung von curiositas offensichtlich aus der klösterlichen Tradition der männlichen curiositas über die Sünden des Nächsten und die Vernachlässigung des eigenen spirituellen Zustands, eine von Cassian abgeleitete Sicht des Lasters. Die nächsten Quellen sind die exegetischen Texte von Jonas von Orléans, gefolgt von Haymo und Remigius von Auxerre, die sich auf die Figur der Dina konzentrieren.

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Zweifellos zählte die ‚Institutio Sanctimonialium‘ von 816 als zu vermeidende oder zu züchtigende Laster bei Ordensfrauen eine konventionelle Gruppe von Lastern auf, die bisher vor allem im Kontext des männlichen Ordenslebens diskutiert wurden. Deutlich wird das vor allem im Vergleich mit den Beobachtungen des Caesarius von Arles, der sich eindeutig an Frauen wendet und über Frauen schreibt, und nicht über eine Reihe abstrakter monastischer Laster. Die erste Schlussfolgerung ist also, dass die „curiositates […], quibus sexus femineus potissimum implicatur“ 44, im Großen und Ganzen der alten cassianischen curiositas über die Sünden eines anderen und die Vernachlässigung der eigenen Sünden entsprechen. Niemand hatte vor 816 jemals angedeutet, dass curiositas ein besonders weibliches Laster sei. Und dies legt die Vermutung nahe, dass der gesamte Erzählkontext von Dinas Geschichte auch hier von Bedeutung ist, dass sie eine vergeschlechtlichte Neugier auf eine Art und Weise auslebt, die als weiblich sexualisiert und brutal gerächt wird, und zwar auf eine Weise, die eine hegemoniale Männlichkeit instanziiert. Die Unmoral der müßigen Neugier wird umso abscheulicher, als sie durch männliche Gewalt als rettungsbedürftig dargestellt wird. Zweitens stimmt es, dass Dina immer die Tochter von Lea und Jakob war und immer in Genesis 34 gelebt und gelitten hat, und es stimmt auch, dass sie für Jonas von Orléans eine bestimmte abstrakte Kategorie des Geistes bedeutet. Dennoch muss man sich fragen, warum Jonas (dessen Behauptungen, dass er seine Dina-Interpretation lediglich von Gregor dem Großen und den Rest seines Textes aus dem ‚Liber scintillarum‘ bezieht, schlichtweg nicht dem wahren Ausmaß seiner Entlehnung und Originalität entsprechen) der erste Exeget der Genesis ist, der sich überhaupt mit Dina befasst, was ihm Haymo und Remigius dann nachtun, was wiederum dazu führt, dass Bernhard von Clairvaux der Dina intensive Aufmerksamkeit schenkt. Wir können nicht beweisen, dass hinter der ‚Institutio‘ und etwas später der Dina-Exegese ein tertium quid stand, aber Wemple ist der Ansicht, dass es eine ausgeprägte karolingische Frauenfeindlichkeit gab, die sich von der alltäglichen christlichen Frauenfeindlichkeit der asketischen Tradition unterschied 45, und das sehen wir auch so. Zu Haarspalterei über das Thema Frauenfeindlichkeit mag man nicht geneigt sein. Wenn man es aber tut, erfährt man Genaueres und findet zumindest plausible Erklärungen auf Fragen, auf die es keine anderen offensichtlichen Antworten gibt. Ab der ersten Hälfte des neunten Jahrhunderts war dann der Weg frei für die Ausarbeitung weiblicher curiositas in Exegese, exempla und Moraltheologie, für das Werk von Bernhard und Galand von Reigny, den ‚Malleus Maleficarum‘, John Bunyan, Valmont – aber auch für Lewis Carrolls Alice im Wunderland – der größten curiosa der modernen Literatur. Die Geschichte der curiositas als weibliche Eigenschaft ist nicht immer nur bösartig oder düster, wie Alice im Wunderland beweist, doch ihr Anfang ist es durchaus. Und das ist der Teil der Geschichte, den wir hier zu beschreiben versucht haben. 44 45

Institutio Sanctimonialium 14, ed. Werminghoff (nt. 28), 448. cf. supra, nt. 26.

Concupiscent Curiosity of the Gaze in Medieval Islam: Qurʾān 24:30–31 * Ahmed H. al-Rahim (Charlottesville) They said: ‘He has been stricken by the gaze of a jinni?’ Had they only realized, they would have said: ‘stricken by the eyes of a human’. (Wa-qālū bihi min ʾaʿyuni l-gˇinni nazø ra * wa-lau ʿaqalū qālū bihi ʾaʿyunu l-ʾinsi ) – Magˇnūn Lailā, Dīwān †

The gaze, or the act of seeing the other and the awareness of being seen, has a storied history in the Islamic tradition. In the Qurʾān, the gaze or glance (nazø ar ) 1, along with the “amorous eye” and its attendant curiosity, is associated with the “lust of the eye” or “ocular fornication or adultery” (zinā l-ʿain ) 2, both “acts” reckoned among the lesser moral lapses or sins (søag˙ā ʾir ) as opposed to the grave ones (kabā ʾir ) in Muslim pietistic and jurisprudential literature 3. * †

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I dedicate this paper to Eerik Dickinson, who introduced me to reading the literature of hø adītß at Yale University. Translation adapted from A. E. Khairallah, Love, Madness, and Poetry: An Interpretation of the Magˇnūn Legend (Beiruter Texte und Studien 25) Beirut–Wiesbaden 1983, 89 [meter: al-tøawīl] (see Figure 2); cf. the madness (gˇunūn ) of love, M. W. Dols, Majnūn: The Madman in Medieval Islamic Society, ed. D. E. Immisch, Oxford 1992, 320–339. On the morphological variants of the Arabic root n-zø -r in the Qurʾān, see J. Penrice, A Dictionary and Glossary of the Koran, London 1873, 148 (note: root misprinted as n-zø ); H. E. Kassis, A Concordance of the Qurʾān, Berkeley–London 1983, 884 sqq.; A. H. al-Rahim, Gaze, in: J. Pink (ed.), Encyclopaedia of the Qurʾān Online, Leiden–Boston forthcoming; on the eyes and vision in the Qurʾān more generally, see F. M. Denny, Eyes, in: J. D. McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qurʾān, vol. 2, Leiden–Boston, 153b–143b; A. Buturovic, Vision, in: ibid., vol. 5, 443b–445a; S. Kugle, Vision and Blindness, in: ibid., vol. 5, 445a–447b; on the furtive gaze in Arabic, see M. Ullmann, Der verstohlene Blick: Zur Metaphorik des Diebstahls in der arabischen Sprache und Literatur, Wiesbaden 2017; on the evil eye in Islam, see S. Günther and D. Pielow (eds.), Die Geheimnisse der oberen und der unteren Welt: Magie im Islam zwischen Glaube und Wissenschaft (Islamic History and Civilization: Studies and Texts 158), Leiden–Boston 2019, 29, passim; and Z. Szombathy, Evil Eye, in: K. Fleet/G. Krämer/D. Matringe e. a.; (eds.), Encyclopaedia of Islam, 3rd ed., fasc. 5, Leiden 2020, 30a–35b. Cf. Matthew 5:28–29; and Augustine of Hippo (d. 430) on concupiscence and the matrix of sin, T. Nisula, Augustine and the Functions of Concupiscence (Vigiliae Christianae, Supplements 116), Leiden–Boston 2012, 137–192 [I thank J. D. Teubner for the latter citation]. See I. Goldziher (d. 1921), who (not mentioning the public gaze) noted the social, normative significance of Q. 24:27–34: “the way virtuous people visit one another, how they should announce themselves, greet the people of the house, how women and children are to behave on such occasions”, Introduction to Islamic Theology and Law (Modern Classics in Near Eastern Studies), translated by A. and R. Hamori, Princeton 1981, 28 sq., nt. 37; id. Vorlesungen über

https://doi.org/10.1515/9783110792461-023

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Q(urʾān). 24 4:30–31 instructs the believing men (al-muʾminūn ) and women (almuʾmināt ) to avert their gaze from those of the opposite sex in order to preserve their chastity. Here, attention is drawn to the sexual curiosity attendant on glancing, even momentarily (Augenblick) 5, publicly or mayhap privately, at the other sex 6. The Islamic tradition generally warns against “concupiscent curiosity” 7, particularly the insistent “male gaze” 8, to which the matter of imposing “modest” costume on women 9, to avert that gaze, is connected 10. The

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den Islam (Religionswissenschaftliche Bibliothek 1), Heidelberg 1925, 33 sq., nt. 12.1; J. N. Bell, Love Theory in Later H  anbalite Islam (Studies in Islamic Philosophy and Science), Albany 1979, 19–31, 125–148; on the qurʾānic categories of immoral acts and transgressions against God’s law, see A. J. Wensinck/[L. Gardet], Khatīʾa, in: B. Lewis/Ch. Pellat/E. J. van Donzel (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 4, Leiden 1978, 1106b–1109b; M. Q. Zaman, Sin, Major and Minor, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 5, Leiden–Boston 2006, 19a– 28a; cf. M. N. Swanson, A Study of Twentieth-Century Commentary on Sūrat al-Nūr (24):27‒ 33, in: The Muslim World 74 (1984), 187‒203; and A. H. al-Rahim, Translation as Contemporary Qurʾanic Exegesis: Ahmed Ali and Muslim Modernism in India, in: M. A. Farooqi (ed.), The Two-Sided Canvas: Perspectives on Ahmed Ali, New Delhi–Oxford 2013, 145. Chapter 24, Sūrat al-Nūr (“Light”), of the Qurʾān is best known for its namesake, the famous “light verse” (ʾayat al-nūr ), nº 35, on which exists a rich exegetical history (aspects of which connect the necessary phenomenon of light with the perception of the eye); see G. Böwering, The Light Verse: Qurʾānic Text and S ūfī Interpretation, in: Oriens 36 (2001), 113–144; J. J. Elias, Light, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 3, Leiden–Boston 2003, 186a‒188a; J. Janssens, Avicenna and the Qurʾān: A Survey of His Qurʾānic Commentaries, in: Mélanges de l’Institut dominicain d’études orientales 25‒26 (2004), 180‒185; D. Gutas, Avicenna and the Aristotelian Tradition: Introduction to Reading Avicenna’s Philosophical Works, 2nd rev. ed. (Islamic Philosophy, Theology, and Science: Texts and Studies 89), Leiden 2014, 185 sq.; A. Treiger, Inspired Knowledge in Islamic Thought: al-Ghazālī’s Theory of Mystical Cognition and Its Avicennian Foundations (Culture and Civilization in the Middle East 27), London 2012, 77 sq.; and T. Jaffer, Rāzī: Master of Qurʾānic Interpretation and Theological Reasoning, Oxford 2015, 131–168; cf. the role of sight and vision in Graeco-Arabic philosophical conceptions of desire, B. Somma, Models of Desire in Graeco-Arabic Philosophy: From Plotinus to Ibn Tufayl (Studies in Platonism, Neoplatonism, and the Platonic Tradition 27), Leiden–Boston 2021, passim. On the the philosophical history of this concept, see M. Theunissen, Augenblick, in: J. Ritter/K. Gründer/G. Gabriel (eds.), Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol 1., Basel 1971, 649 sq. On sex in medieval Islam, see F. Rosenthal, Male and Female: Described and Compared, in: D. Gutas (ed.), Man versus Society in Medieval Islam (Brill Classics in Islam 7), Leiden–Boston 2014, 862‒891. Cf. the reports about Avicenna’s “sexual prowess”, J. Lameer, Avicenna’s Concupiscence, Arabic Sciences and Philosophy 23.2 (2013), 277–289. On theories of the perception of the male gaze, see C. Korsmeyer, Feminist Aesthetics, in: E. Craig (ed.), Routledge Encyclopedia of Philosophy, vol. 3, London 1998, 595; cf. J. Derrida, L’animal que donc je suis (à suivre), in: M.-L. Mallet (ed.), L’animal autobiographique (Collection La philosophie en effet), Paris 1999, 251–301; and id., The Animal That Therefore I Am (More to Follow), translated by D. Wills, Critical Inquiry 28.2 (2002), 372–403. On Middle Eastern women’s (and men’s) costume in Islam, see Y. K. Stillman, Libās, pt. 1, in the Central and Eastern Arab Lands, in: C. E. Bosworth/Ch. Pellat/E. van Donzel (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 5, Leiden 1986, 732a–747a; and Y. K. Stillman., Arab Dress from the Dawn of Islam to Modern Times: A Short History, ed. N. A. Stillman (Themes in Islamic Studies 2), Leiden 2000. A. H. al-Rahim, Modest, Modesty, pt. 4, Islam, in: C. M. Furey/B. Matz/S. L. McKenzie e. a. (eds.), Encyclopedia of the Bible and Its Reception, vol. 19, Berlin–Boston 2021, 643 sqq.

Concupiscent Curiosity of the Gaze in Medieval Islam

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indulgence of the gaze is most often presented as the first inauspicious step toward perpetrating (irtikāb ) the grave sins of fornication or adultery, which may be punishable by lapidation 11; of sodomy (liwātø ) or the effeminate pathic act (muh˚ annatß maʾbūn, the Roman Lex Scantinia ); or of pederasty, including that of the catamite 12 – all deemed to be Islamically unlawful sexual acts that, depending on the evidence or a qādø ī’s discretion, may be subject to judicial punishment 13. In this thematic study, I examine the exegetical literature (tafsīr ) 14 on Q. 24:30–31 and the concomitant Muh ammadan traditions, or exegetical hø adītß 15, on the gaze as concupiscent curiosity in medieval (Sunnī) Islam.

I. A Spectacle at the Orchard As regards the ‘Sitz im Leben’ of Q. 24:30–31, Muqātil ibn-Sulaimān (d. 150/ 767), in his haggadic commentary on the Qurʾān 16, tells the story of ʾAsmāʾ bint-Mursˇid 17, a female Companion (søahø ābīya ) of Muh ammad, who, with her 11

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R. Peters, Zinā or Zināʾ, in: P. J. Bearman/Th. Bianquis/C. E. Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 11, Leiden 2002, 509a–510b, and id., Crime and Punishment in Islamic Law: Theory and Practice from the Sixteenth to the Twenty-first Century (Themes in Islamic Law 2), Cambridge 2005, 59–64, passim. Ed., Liwāt, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 5 (nt. 9), 776b–779b; E. K. Rowson, Homosexuality, pt. 2, in Islamic Law, in: E. Yarshater (ed.), Encyclopaedia Iranica, vol. 12, New York 2004, 441b–445b; and Kh. El-Rouayheb, Before Homosexuality in the ArabIslamic World, 1500–1800, Chicago–London 2005, 13–51, passim. See Bell, Love (nt. 3), 30 sq.; Peters, Crime (nt. 11), 36 sq., 61, and El-Rouayheb, Homosexuality (nt. 12), 138 sq., 118–123, passim. See A. Rippin, Tafsīr, in: P. J. Bearman/Th. Bianquis/C. E. Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd edition, vol. 10, Leiden 2000, 83b–88a; and W. A. Saleh, The Place of the Medieval in Qurʾan Commentary: A Survey of Recent Editions, in: C. Lechtermann/M. Stock (eds.), Practices of Commentary (Zeitsprünge: Forschungen zur Frühen Neuzeit 24/1–2), Frankfurt/ Main 2020, 45–54. See G. H. A. Juynboll, H  adīth and Qurʾān, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 2 (nt. 1), 376a‒397b; H. Berg, The Development of Exegesis in Early Islam: The Authenticity of Muslim Literature from the Formative Period (Routledge Studies in the Qurʾān) London– New York 2000, 65–93, passim. Muqātil ibn-Sulaimān, Tafsīr Muqātil ibn-Sulaimān, ed. ʿA. M. Ših āta, vol. 3, Cairo 1984, 195– 197 [on whom, see J. van Ess, Theologie und Gesellschaft im 2. und 3. Jahrhundert Hidschra: Eine Geschichte des religiösen Denkens im frühen Islam, vol. 2, Berlin–New York 1992, 516– 532; and J. Wansbrough, Quranic Studies: Sources and Methods of Scriptural Interpretation, Oxford 1977, 122–148]. On ʾAsmāʾ [bint-Mursˇid/Mursˇida] Ibn-al-H  ārita and her sister Hind, see Muh ammad Ibn-Saʿd (d. 230/845), al-Tabaqāt al-kubrā, ed. ʾI. ʿAbbās, vol. 1, Beirut 1405AH/1985, 497; ibid., vol. 2, 376; ʿIzzaddīn ʿAlī Ibn-al-ʾAtīr (d. 630/1233), ʾUsd al-g˙ āba fī maʿrifat al-sah āba vol. 1, 78 sq.; cf. “ʾAsmāʾ Ibn-H  ārita” in ʾAh mad ibn-H  anbal’s (d. 241/855) Musnad, see A. J. Wensinck/J. P. Mensing, Concordance et indices de la Tradition Musulmane, vol. 8, Leiden 1965, 12a [on this hø adītß collection, see C. Melchert, The Musnad of Ah mad ibn H  anbal: How It was Composed and What Distinguishes It from the Six Books, Der Islam 82 (2005), 32‒51].

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sister Hind 18, appears in the sources as either his (freewoman 19 ) domestic servant (h˚ ādim ) 20 or slave (mamlūk ) 21, from among “the Helpers” (al-ʾansøār ), of the town of Yatrib (Madīna). There, on the estate of her clan, the Banū-H  ārita, she had an orchard of date palms 22, called al-waʿl (possibly meaning “the refuge”). One day, we are told, the womenfolk who gathered there arrived without veils (g˙air mutawārīyāt ), which revealed the cleavage of their bosoms (mā ʿalā øsudūrihinna ), their legs (ʾargˇul ), and their hair (ašʿār ) 23. Shocked and horrified by the spectacle of these women, ʾAsmāʾ exclaimed: “Oh, how vulgar is this [sight] (mā ʾaqbahø a hadß ā )”. God thereupon revealed to Muh ammad Q. 24:31, translated here with Muqātil’s glosses: “And say to the believing women to lower their gaze and to guard their pudenda (yag˙dø udø na min ʾabsøārihinna wa-yahø fazø na furūgˇahunna ), and not to reveal their adornments (wa-lā yubdīna zīnatahunna ) save those that normally appear, and to draw their veils over their cleavage (wa-l-yadø ribna bi-h˚ umurihinna ʿalā ˇguyūbihinna ), and not to reveal their adornments (zīna ) save to their husbands 24, their fathers, or their husbands’ fathers, or their sons, [etc.,] or what their right hands possesses (mā malakat ʾaimānuhunna, that is, of male and female slaves [mina l-ʿabīd]), or their agamous male attendants (wa-ltābiʿīna ˙gairi ʾūlī l-ʾirba mina l-rigˇāl, that is, men with no sexual desire for women [man lā hø āgˇa lahu fī l-nisāʾ], e. g., the senile old man [al-sˇaih˚ al-harim] and the eunuch [alh˚ asøī] 25 ), or children who have yet to attain knowledge of women’s pudenda (ʿaurāt alnisāʾ, that is, youthful, prepubescent boys [al-g˙ilmān al-søig˙ār (infra )], before whom a woman may lay down her outer wrapping garment [fa-lā baʾs bi-l-marʾa ʾan tadø aʿ alˇgilbāb ʿinda hāʾulāʾ]). And let them (the believing women) not stamp their feet so that 18 19

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“Hind Bint-H  ārita”, appears also in ʾAh mad ibn-H  anbal’s Musnad, see Wensinck/Mensing, Concordance (nt. 17), vol. 8, 288b. See F. Rosenthal, H  urriyya, in: B. Lewis/V. L. Ménage/Ch. Pellat e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 3, Leiden 1971, 589; and A. H. al-Rahim, Liberty, pt. 4, Islam, in: C. M. Furey e. a. (eds.), Encyclopedia of the Bible and its Reception, vol. 16, Berlin–Boston 2018, 480 sq. H ˚ ādim also means a female slave, see R. Brunschvig, ʿAbd, in: H. A. R. Gibb/J. H. Kramers/ E. Lévi-Provençal e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 1, Leiden 1960, 24b; and J. H. Hagedorn, Domestic Slavery in Syria and Egypt, 1200–1500 (Mamluk Studies 21), Go¨ttingen 2019, 13–16. The Companion ʾAbū-Huraira (infra ) is quoted to have said that he considered ʾAsmāʾ and Hind to be only slaves of Muh ammad (mamlūkān ); see the chapter on Muh ammad’s servants and clients (fī h˚ adam rasūl-ʾallāh wa-mawālīhi ), Ibn-Saʿd, Tabaqāt, vol. 1, 497. On Madīnan date palms, see Sahl ibn-Muh ammad al-Sigˇistānī (d. 255/869), Kitāb al-Nah˚ la, ed. H  . S . al-D  āmin, Beirut 1422AH/2002, 24 (Yatrib), 40, 60, 65, 74 sq. [on whom and for other editions of ‘al-Nah˚ la’, see R. Weipert, ʾAbū H  ātim al-Sijistānī, in: K. Fleet/G. Krämer/D. Matringe e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 3rd ed., Yearbook 2007, Leiden–Boston 2019, 130b‒ 132a]; and F. Viré, Nakhl, in: C. E. Bosworth/E. van Donzel/W. P. Heinrichs e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 7, Leiden 1993, 923a–924b. See A. H. al-Rahim, Nakedness, pt. 5, Islam, in: C. M. Furey e. a. (eds.), Encyclopedia of the Bible and its Reception, vol. 20, Berlin–Boston 2022, 644 sq. On marriage among Muslim freemen and slaves, see A. H. al-Rahim, Marriage, pt. 8, Islam, in: C. M. Furey e. a. (eds.), Encyclopedia of the Bible and its Reception, vol. 17, Berlin–Boston 2019, 1023–1026; Hagedorn, Domestic Slavery (nt. 20), 139–153. See Ch. Pellat, Khasī, in: Lewis e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam., vol. 4 (nt. 3), 1087a–1092a.

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their hidden adornments may be known. O believers, all of you turn in repentance [to God] so that you may achieve salvation” 26.

Why and with respect to whom the antecedent verse, Q. 24:30 – “Say to the believing men to lower their gaze and to guard their pudenda; that is (morally) purer (ʾazkā ) for them. God knows what they do” – was revealed, Muqātil does not say; and the menfolk in question (whose presumable ogling of, or leering with concupiscent curiosity at, the women that day led God to reveal this verse) withal fail to make an appearance in the story of ʾAsmāʾ’s orchard (to say nothing of Muh ammad’s whereabouts). As for the various parts of a woman’s anatomy “that normally appear”, that is, that do not have to be veiled, Muqātil says, these are the face (wagˇh ), the two palms of the hand (kaffān ), and that part of the body where the two bracelets are worn (maudø iʿ al-siwārain ), that is, the wrists. The believing freewomen may then reveal their adornments only to the familial categories and social classes of people arrayed in Q. 24:31, before whom they may remove their “outer wrapping garments” (gˇalābīb, a hapax legomenon in the Qurʾān, 33:59, where Muh ammad warns his “wives and daughters and the believing women to draw their outer wrapping garments close to them; this being a more befitting way for them to be recognized [publicly as freewomen], and not to fall victim to [sexual] impropriety [ʾan yuʿrafna falā yuʾdß aina]” 27; elsewhere the “outer wrapping garments” often serve as a gloss for “veils” [h˚ umur, also a hapax legomenon in the Qurʾān, 24:31] 28 ). To illustrate the relationship between the master and her slave concerning modesty, costume, and privacy, the Šāfiʿī ˇ alāladdīn al-Suyūtī (d. 911/1505) quotes, on the authority of one traditionalist G of the last Companions, ʾAnas ibn-Mālik (d. 93/711) 29, a parabolic hø adītß in which Muh ammad presents his daughter Fātima (d. ca. 11/32) (wahaba lahā ) with a slave, while she (in the presence of her father and the male slave) is wearing a tunic (tßaub ) such that when she veils her head with it, the tunic does not cover her legs (ʾidß ā qannaʿat bihi raʾsahā lam yablug˙ rigˇlaihā ) and when she covers her legs with it, it does not veil her head. When Muh ammad saw this sight, at the threshold of her house, he said to her: “Do not worry [about covering] yourself, for it is only your father and your (new) slave servant (g˙ulām )” 30. As regards women stamping their feet to reveal their hidden adorn26

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Cf. the translations by A. J. Arberry, The Koran Interpreted, vol. 2, London–New York 1955, 49 sq.; R. Paret, Der Koran, Stuttgart 1979, 246; id., Der Koran: Kommentar und Konkordanz, Stuttgart 1980, 359; and A. Jones, The Qurʾān, Exeter 2007, 323 sq. Cf. Arberry, Koran (nt. 26), vol 2, 128; and A. Geissinger, Gender and Muslim Constructions of Exegetical Authority: A Rereading of the Classical Genre of Qurʾān Commentary (Islamic History and Civilization 117), Leiden 2015, 207–247. On ˇgilbāb and h˚ imār in Q. 33:59 and 24:31, respectively, see Stillman, Dress (nt. 9), 140‒141; and on h˚ imār in the hø adītß, G. H. A. Juynboll, Encyclopedia of Canonical H ø adīth, Leiden–Boston 2007, 165b. See ibid., 131a‒134b. ˇ alāladdīn al-Suyūtī, Tafsīr al-Durr al-mantūr fī l-tafsīr bi-l-maʾtūr, vol. 18, Beirut 1432‒33AH/ G 2011, 183 [E. Geoffroy, al-Suyūtī, in: C. E. Bosworth/E. van Donzel/W. P. Heinrichs e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 9, Leiden 1997, 913a–916a]; and on household relations between master and slave in later Islam, see Hagedorn, Domestic Slavery (nt. 20), 15–20.

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ments, Muqātil describes the adornments as anklets (h˚ alāh˚ il ) which when worn and deliberately jiggled cause a jingling sound (søautø al-gˇalāgˇil ). In closing his interpretation of Q. 24:31, Muqātil reminds his audience that the latter ostentatious behavior of the womenfolk at ʾAsmāʾ’s orchard appears to have been intended to attract not only the ocular concupiscent curiosity of the believing men but also the aural – both acts are enumerated among the misdeeds (dß unūb ) of the believing women who visited the orchard on that fateful day in Yatrib. Not many commentaries on Q. 24:31 tell the story of ʾAsmāʾ’s orchard, and Muqātil nowhere cites an authority for the narrative of this occasion of revelation (sabab al-nuzūl ). ʾAsmāʾ’s orchard does, however, appear again in slightly reworded and reordered form mainly in the Šāfiʿī tradition of qurʾānic exegesis, specifically, in the philologist ʿAlī ibn-ʾAh mad al-Wāh idī’s (d. 468/1076) long qurʾānic commentary, ‘al-Basīt’ 31. Here, the story is reproduced on the authority of Muqātil 32 and his namesake, the hø adītß transmitter Muqātil ibn-H  ayyān (d. 135/753) 33, who was active in Balh˚ . Al-Wāh idī, using the dual form, refers to both as the two Muqātils (al-Muqātilān) 34. This version further appears in the Šāfiʿī traditionalist ʾIsmāʿīl Ibn-Katīr’s (d. 774/1373) ‘Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaz īm’, where Muqātil ibn-H  ayyān also serves as the authority for the story; but in this narration he heard it from someone or possibly read it somewhere (balag˙anā 35 ) ˇ ābir ibn-ʿAbdallāh al-H on the authority of the Companion G ˚ azragˇī (d. ca. 78/ ˇ ābir reports or transmits (hø ad697) 36, who, like ʾAsmāʾ, was of the Helpers 37; G 31

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al-Wāh idī, al-Tafsīr al-Basīt (Silsila al-rasāʾil al-gˇāmiʿa 100/111), edd. ʿA.ʿA. M. al-Mudaimīg˙ / S. ʾI. M. al-H  ussain, vol. 16, Riyadh 1430AH; on which, see W. A. Saleh, The Introduction to Wāh idī’s al-Basītø: An Edition, Translation, and Commentary, in: K. Bauer (ed.), Aims, Methods and Contexts of Qurʾanic Exegesis (2nd/8th–9th/15th c.) (Qurʾanic Studies Series), London 2013, 67‒100. On whom, with respect to hø adītß criticism, see Juynboll, Canonical (nt. 28), 431a–434a. On whom, see van Ess, Theologie (nt. 16), vol. 2, 510–516. al-Wāh idī, al-Basīt, vol. 16 (nt. 31), 199. On balag˙anī/nā as a source of written transmission (kitāb ), see E. Dickinson, The Development of Early Sunnite H ø adīth Criticism: The Taqdima of Ibn Abī H  ātim al-Rāzī (240/854‒327/938) (Islamic History and Civilization. Studies and Texts 38), Leiden 2001, 109 sq. On whom, see Muh ammad ibn-H  ayyān al-Bastī (d. 354/965), al-T iqāt, ed. M. ʿA.-M. H ˚ ān, vol. 3, Hyderabad Deccan 1393AH/1973, 51 = Taʿrīf al-T iqāt, ed. H ˚ . M. Šīh ā, Beirut 1428AH/ 2007, 297 (no. 2303); Muh ammad ibn-ʾAh mad al-D  ahabī (d. 748/1348), Siyar ʾaʿlām al-nubalāʾ, edd. Š. al-ʾArnāʾūt/H  . ʾAsʿad/M. S āg˙ argˇī e. a., vol. 4, Beirut 1405AH/1984, 336 = Wafāyāt Siyar ʾaʿlām al-nubalāʾ, ed. H ˚ . M. Šīh ā, Beirut 1428AH/2007, 423 (no. 3511); and Juynboll, Canonical (nt. 28), 262b. ˇ ābir and ʾAsmāʾ also appear together, the former again as the informant, in a well-known G hø adītß on menstruation and the ritual prayer (søalāt ), wherein ʾAsmāʾ bint-Mursˇida (nt. tāʾ almarbūtøa ) asks Muh ammad if she can perform her ritual prayers after the menstrual ablution (g˙usul al-hø aydø ) while still experiencing intermenstrual bleeding, or metrorrhagia, that is, a discharge that ˇ āmiʿ al-masānīd wa-lexceeds the legal duration set for the menses (istihø ādø a ); see Ibn-Katīr, G sunan al-hādī li-ʾqwam sunan, ed. ʿA-M. A. Qalʿagˇī, vol. 15, Beirut 1994, 265–266 (no. 2379); G. H. Bousquet, H  ayd , in: Lewis e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 3 (nt. 19), 315b; and M. H. Katz, Prayer in Islamic Thought and Practice (Themes in Islamic History), Cambridge 2013, 177 sqq.

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datßa 38 ) the events of this story that hastened God to reveal Q. 24:31 39. Notwithstanding this Companion’s authority, Ibn-Katīr’s audience is seemingly left in some doubt about the story’s soundness and truth (søihø hø a ) on account of his interjection, wa-llāhu ʾaʿlam, that is, “God knows best [of its veracity]” 40, before he reports it – a hesitation not found in al-Wāh idī’s presentation of the story. As for the text of the story, Muqātil ibn-Sulaimān’s version appears to be the earliest. While quoting the two Muqātils, al-Wāh idī provides an apparently redacˇ ābir ibnted version of the latter’s text and/or the narrative text ascribed to G ʿAbdallāh. Al-Wāh idī’s text of the orchard story is principally the same as that ˇ alāladdīn al-Suyūtī quote, on the authority, also, of which Ibn-Katīr 41 and G 42 Muqātil ibn-H  ayyān . The textual variance between Muqātil ibn-Sulaimān’s orchard story and that of al-Wāh idī is that in the latter’s the womenfolk arrive not having donned “a long loin cloth” or “waist cloth” (g˙air mutaʾzzirāt ), that is, an ʾizār 43, and with their tresses (dß awāʾib ), their legs and the anklets around them exposed, while in the former’s the women are simply “unveiled (g˙air mutawārīyāt )”, etc.; and Muqātil ibn-Sulaimān reports what appears to be the name of the orchard, al-waʿl – a literary detail apparently lost in the transmission of alWāh idī’s text. The corresponding orchard texts read as follows: Muqātil ibn-Sulaimān’s Orchard Nazalat hādß ihi l-ʾāya wa-latti baʿdahā fī ʾAsmāʾ bint-Mursˇid kāna lahā fī Banī-H ø āritßa nah˚ l yusammā l-waʿl fa-gˇaʿalat al-nisāʾ yadh˚ ulnahu ˙gair mutawārīyāt yuzø hirna mā ʿalā øsudūrihinna wa-ʾargˇulihinna wa-ʾsˇ ʿārihinna faqālat ʾAsmāʾ mā ʾaqbahø a hadß ā.

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Muqātil ibn-H  ayyān’s Orchard ˇ H ø addatß Gābir ibn-ʿAbdallāh ʾanna ʾAsmāʾ bint-Mursˇida kānat fī nah˚ l lahā fī Banī-H ø āritßa fa-gˇaʿalat al-nisāʾ yadh˚ ulnahu ʿalaihā ˙gair mutaʾzzirāt fa-yubdī mā fī ʾargˇulihinna mina l-h˚ alāh˚ il wa-tubdī øsudūrahunna wadß awāʾibahunna fa-qālat ʾAsmāʾ mā ʾaqbahø a hadß ā.

On the use of hø addatßanī/nā in hø adītß criticism, see Dickinson, Criticism (nt. 35), 67, 107 sqq.; and ˇ ābir ibn-ʿAbdallāh as a link in a broken, or mudallis, chain of transmission, see J. Brown, on G The Canonization of al-Bukhārī and Muslim: The Formation and Function of the Sunnī H ø adīth Canon (Islamic History and Civilization. Studies and Texts 69), Leiden–Boston 2007, 285. ʿImādaddīn ʾIsmāʿīl ibn-ʿUmar Ibn-Katīr, Tafsīr al-Qurʾān al-ʿaz īm, vol. 4, Beirut 1986, 239. Ibid. Cf. al-Wāh idī’s nah˚ l (“date palm orchard”) and Ibn-Katīr’s mahø all (“abode”); the latter is likely a misreading of nah˚ l, since the two words share a similar consonantal skeleton, respectively in alBasīt (nt. 31), vol. 16, 199 and Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 239. al-Suyūtī, al-Durr (nt. 30), vol. 18, 179. On the ʾizār and early Islamic law on costume, see Stillman, Libās, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 5 (nt. 9), 735a; Stillman, Dress (nt. 9), 13 sq., 22 sqq., passim; and, in the hø adītß, Juynboll, Canonical (nt. 28), 115, 193, passim.

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II. Concupiscent Curiosity and the Second Glance In his paraphrastic glosses on Muh ammad cautioning the believing men and women, in Q. 24:30–31, “to lower their gaze (yag˙udø dø ū min ʾabsøārihim/yag˙dø udø na min ʾabsøārihinna )”, Muqātil ibn-Sulaimān states that the believers should “avert their gaze entirely from that upon which it is impermissible to gaze (yahø fazø ū ʾabsøārahum kullahā ʿammā lā yuhø illu l-nazø ar ʾilaihi )” 44. Relatedly, al-Wāh idī quotes the formative qurʾānic authority ʿAbdallāh Ibn-ʿAbbās (d. ca. 68/687) 45, Muh ammad’s first cousin, who says that the believers are urged “not to gaze upon that which is not permitted to them (lā yanzø urū ʾilā mā lā yuhø illu lahum )”. The latter reading (qaul ) of “to lower their gaze”, al-Wāh idī writes, is the one agreed upon by nearly all exegetes of the Qurʾān (ʿāmma al-mufassirīn ) 46. In his ‘Kitāb Taʾwīlāt al-Qurʾān’, the theologian Muh ammad al-Māturīdī (d. 333/944) quotes Ibn-ʿAbbās who also says that the visually represented (passive) object – authorially intended – whence the believers ought to avert their gaze, is nothing but from their own carnal desires (sˇahawātuhum ) 47. In contrast to Muqātil’s and al-Wāh idī’s laconic glosses on “to lower their gaze”, Ibn-Katīr provides, citing a catalogue of Muh ammadan hø adītß, a disquisition on the hermeneutics of averting the concupiscent gaze 48. Lowering their gaze, he writes, is a divine injunction (ʾamr ) either to avert the gaze from or to shut the eyes in the face of that which is proscribed (al-mahø ārim ). Ibn-Katīr describes glancing or steadily gazing as an intentional act that embodies the observer’s sexual objectification of the (passive) object (infra ). Another type of glance, described by Ibn-Katīr, is the unexpected one (nazø ar al-fagˇ ʾa/al-fugˇāʾa ), when something impermissible catches one’s eye unintentionally (waqaʿa l-basøar ʿalā muhø arram min ˙gair qasød ) and causes an involuntary sexual arousal. In a hø adītß, Muh ammad is asked: “[What say ye] of the unexpected glance?” The questioner, ˇ arīr ibn-ʿAbdallāh al-Bagˇalī (d. after 55/675) 49, who the early Basran orator G 44 45

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Muqātil ibn-Sulaimān, Tafsīr (nt. 16), vol. 3, 195. On Ibn-ʿAbbās, see Juynboll, Canonical (nt. 28), 1a–2b; Cl. Gilliot, ʿAbdallāh b. ʿAbbās, in: K. Fleet/G. Krämer/D. Matringe e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 3rd ed., fasc. 1, Leiden 2012, 30–43; and Berg, Exegesis (nt. 15), 129–137, passim. al-Wāh idī, al-Basīt (nt. 34), vol. 16, 197; cf. the H  anbalī traditionalist ʿAbd-al-Rah mān ibn-ʿAlī ˇ auzī (d. 597/1200), who also considers this reading to be that of the majority (alIbn-al-G ˇgumhūr ) of exegetes, Zād al-masīr fī ʿilm al-tafsīr, Beirut 1423AH/2002, 994. Muh ammad ibn-Muh ammad al-Māturīdī, Taʾwīlāt ʾahl al-sunna, ed. M. Bāsallūm, vol. 7, Beirut 1426AH/2005, 543 [on whom and which, see U. Rudolph, al-Māturīdī and the Development of Sunnī Theology in Samarqand (Islamic History and Civilization: Studies and Texts 100), translated by R. Adem, Leiden 2015, 125‒132, 183‒189, respectively]; cf. al-Suyūtī, al-Durr (nt. 30), vol. 18, 177. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237‒243. On whom, see al-Bastī, al-T iqāt, vol. 6, 143 = Taʿrīf, 304 (no. 2407); al-D  ahabī, Siyar, vol. 4, 141 = Wafāyāt (nt. 36), 428 (no. 3561); and T. Qutbuddin, Arabic Oration: Art and Function (Handbuch der Orientalistik. Erste Abteilung, Nahe und der Mittlere Osten 131), Leiden 2019, 179, 556.

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converted to Islam shortly before Muh ammad died, relays Muh ammad’s response: “He instructed me [when the unexpected glance befalls me] to avert my gaze (ʾamaranī ʾan ʾasørufa basøarī )” 50. In other words, by this, Ibn-Katīr explains, ˇ arīr, “Cast your eyes down to the ground! (ʾunzø ur ʾilā Muh ammad commands G l-ʾardø )”, and so by extension the believers. Yet another type of gaze that Ibn-Katīr enumerates is the second glance 51. In a commonly cited hø adītß, Muh ammad says to ʿAlī ibn-ʾAbī-Tālib, his cousin and son-in-law, who became the fourth caliph (r. 35–40/656–661) and first Šīʿī ʾImām: “O ʿAlī, do not glance twice (lā tatbaʿ al-nazø ra al-nazø ra ) [upon what is forbidden to you], for the (pleasure of) the first glance is [solely 52] your own, whilst the second is not” 53. In the same vein, on the authority of al-H  asan alBasrī (d. 110/728) 54, Muh ammad heralds: “O Son of Adam, the first glance is yours, whilst the second is [held] against you (wa-ʿalaika l-tßānīya )”, that is, the former (the unexpected glance), though possibly relished, does not involve intent, thus is not sinful, while the latter involves intent, rendering it sinful. On the matter of the intent of the second glance, the Šāfiʿī qādø ī and political theorist ʿAlī ibn-Muh ammad al-Māwardī (d. 450/1058) writes that what is forbidden is not necessarily the second glance but the intent behind it (yahø rumu mina l-nazø ar mā qusøida ) 55, that is, the gaze becomes total intentionality, or the constitutive presence of the observer of the observed 56. The hø adītß of the first and second glance are most frequently quoted to curb the male gaze and feature in nearly all commentaries on Q. 24:30. On the warning against the second glance (fa-ʾiyyāka l-tßānīya 57 ), al-Māturīdī says that the second glance is as though the observer did nothing but repeat the first glance 50

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For this hø adītß, see Wensinck/Mensing, Concordance (nt. 17), vol. 5, 71b; al-Māturīdī, Taʾwīlāt (nt. 47), vol. 7, 543; Fah˚ raddīn al-Rāzī (d. 606/1210), Tafsīr al-kabīr ʾau-Mafātīh al-g˙ aib, edd. M. M. ʿAbd-al-H  amīd/ʿA. ʾI. al-Sāwī, vol. 24, Beirut 1401AH/1981, 203; and al-Suyūtī, al-Durr (nt. 30), vol. 18, 177. Cf. Bell, Love (nt. 3), 133 sqq. The restrictive particle ʾinnamā appears in al-Māturīdī’s version of the hø adītß, Taʾwīlāt (nt. 47), vol. 7, 545. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237; and Wensinck/Mensing, Concordance (nt. 17), vol. 6, 482b. On whom, see S. A. Mourad, Early Islam between Myth and History: al-H  asan al-Basrī (d. 110H/728CE) and the Formation of His Legacy in Classical Islamic Scholarship (Islamic Philosophy, Theology and Science: Texts and Studies 62), Leiden–Boston 2006, 19–58; and Juynboll, Canonical (nt. 28), 176–177b. al-Māwardī, al-Nukat wa-l-ʿuyūn, tafsīr al-Māwardī, ed. ʿA.-M. Ibn-ʿAbd-al-Rah īm, vol. 4, Beirut s. a., 89. Cf. J. Lacan, Du regard comme objet petit a, Séminaire 6, La schize de l’œil et du regard, in: Le séminaire de Jacques Lacan, vol. 11, Les quatre concepts fondamentaux de la psychanalyse 1964, ed. J.-A. Miller, Paris 1973, 69; and id., Of the Gaze as Objet Petit a, pt. 6, The Split between the Eye and the Gaze, in: The Four Fundamental Concepts of Psycho-Analysis, ed. J.-A. Miller, translated by A. Sheridan, New York–London 1977, 71. This reading, instead of ʿalaika l-tßānīya, of the aforesaid hø adīt is the one printed in al-Māturīdī, Taʾwīlāt (nt. 47), vol. 7, 543.

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over and over again (li-ʾannahu ka-ʾannahu ʾinnamā karrara l-nazø ar fī l-tßānīya ), to wit, gazing lecherously – the act of which ignites carnal desire and lust (sˇahwa ) in the heart 58; or that the passive object of the antinomic gaze, which may not be attainable, sets that desire into motion 59. On this theme, the H  anafī jurisconsult ʾAbū-l-Lait al-Samarqandī (d. ca. 373/983) quotes a saying attributed to Jesus: “Beware of the gaze for it[s object] will be sewn in the heart (tuzraʿu fī l-qalb )” 60. Withal the metaphorical, literary motif of the gaze being a poisoned arrow that pierces the heart is a common one in the commentaries on Q. 24:30 61. In interpreting the dictum, “The gaze is an arrow that poisons the heart (al-nazø ar sahm samm ʾilā l-qalb )” 62, ascribed to an anonymous pious forefather of Islam (baʿdø as-salaf ), Ibn-Katīr says that God, because the concupiscent gaze corrupts the heart, enjoins the believers to guard their pudenda and to avert their gaze (in this order), that is, the only guarantee against the heart not being entirely corrupted by the gaze is to hold fast to the divine dictate to guard the pudenda (infra ) 63. In a related tradition, “Gazing at the charms of a woman (mahø āsin al-marʾa )”, Muh ammad reputedly said, “is a poisoned arrow of ʾIblīs (sahm min nibāl ʾIblīs masmūm )” 64. In an apparent hø adītß qudsī, a category of extraqurʾānic sayings attributed to God, most often, on the authority of Muh ammad, God spoke: “The gaze is a poisoned arrow from ʾIblīs[’ quiver], whosoever refrains from [gazing] out of fear of me, I will exchange [that averted gaze] with him (ʾabdaltuhu ) for a faith whose sweetness he shall discover in his heart (ʾimān yagˇidu hø alāwatahu fī qalbihi )” 65. On the same theme of the sweetness of faith 66, Muh ammad reportedly said: “Should any Muslim glance upon a woman’s charms, but thereupon avert his gaze, God will reward him with devotional service (ʿibāda ), whose sweetness he shall discover” 67. Concerning the coda of Q. 24:30, “God knows what they do”, al-Wāh idī writes, God’s omniscience encompasses his knowledge of what particular acts 58 59 60 61

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Ibid., 545. Cf. Lacan, Regard (nt. 56), 65–74; and id., Gaze (nt. 56), 67–78. al-Samarqandī, Tafsīr al-Samarqandī, al-musammā Bah r al-ʿulūm, edd. ʿA. M. Muʿauwad / ʿĀ. ʾA. ʿAbd-al-Maugˇūd/Z. ʿA.-M. al-Nauwatī, vol. 2, Beirut 1413AH/1993, 437. On the playful motif of Eros’ bow and arrow in classical Greek literature, see G. M. A. Hanfmann/J. R. T. Pollard/K. W. Arafat, Eros, in: S. Hornblower/A. Spawforth (eds.), The Oxford Classical Dictionary, 4th ed., Oxford 2012, 536; on bows and arrows in the Qurʾān and hø adītß, see A. Boudot-Lamotte, K  aws, in: Lewis e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 4 (nt. 3), 795b–803a; on the arrow motif in S ūfism, see A. Schimmel, Eros, Heavenly and Not So Heavenly, in Sufi Literature and Life, in: A. L. al-Sayyid-Marsot (ed.), Society and the Sexes in Medieval Islam (Giorgio Levi Della Vida Conferences), Malibu, California 1979, 134–141. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237 sq. Ibid. Ibid., 238; on ʾIblīs, likely a corruption of the Greek diabolos, the devil (sˇaitøān ), see A. Rippin, Devil, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 1, Leiden–Boston 2001, 524‒527. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 238. On the literary motif of sweetness in medieval Arabic literature, see F. Rosenthal, “Sweeter than Hope”: Complaint and Hope in Medieval Islam, Leiden 1983, 119‒129. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 238.

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the believing men commit with their pudenda and to what objects they direct their gaze 68. In a Qurʾān qua Qurʾān interpretation, Ibn-Katīr writes that the meaning of this coda is found in Q. 40:19, “God knows the treachery of the eyes (h˚ āʾina al-ʾayʿun ) and what the breasts conceal (tuh˚ fī l-søudūr )” 69. In the commentary literature on Q. 40:19, Ibn-ʿAbbās is quoted to have said that the treachery of the eyes consists of the second glance; that is, its corruption of the heart is concealed by the bosom. Expanding on the latter point and on the nature of God’s omniscience, Ibn-Katīr recalls an illustrative story, involving stolen glances, reported also on the authority of Ibn-ʿAbbās, telling of a man who visits a family (ʾahl al-bait ) with whom a beautiful woman (hø asnāʾ) who catches his eye lives. Whenever the family, amid his visit, was unmindful (g˙afalū ) of him, the man would observe the woman (lahø azø a ʾilaihā ); and when they noticed, he would avert his gaze or furtive glance from her (g˙adø dø a basøarahu ʿanhā ) 70. God then became cognizant of this man’s heart’s desire (qad ʾitøøtalaʿa ʾallāh min qalbihi ) to behold her pudendum (wadda lau ʾitøøtalaʿa ʿalā fargˇihā ) 71, that is, the concupiscent curiosity that the man conceals from his hosts is in full view of God. Mentioned there also among the treacheries of the eyes, of which God is cognizant, is the wink (al-g˙amz ), which, elaborated on in the hø adītß literature 72, appears only once in the Qurʾān, 83:30 73, where Muh ammad scorns the nonbelievers for mocking the believers by “winking at each other (yatag˙āmazūn )” as they passed them 74. And the recusant Šāfiʿī exegete ʾAbū-ʾIsh āq al-Taʿlabī (d. 427/1035), on the authority of the ailurophile Companion ʾAbū-Huraira al-Zahrānī (d. ca. 57/ 677) 75, reports a story about a man who is praying when a woman saunters by him, drawing his gaze, whereupon he follows her with his eyes (ʾatbaʿahā basøaruhu ) whilst continuing to pray; as the story goes, he, because of this act, lost his eyesight 76. In considering the gaze, Ibn-Katīr, in the company of the other 68

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al-Wāh idī, al-Basīt (nt. 34), vol. 16, 199; and on Muh ammad gesturing God’s all-seeing (al-basøīr ) and all-hearing (al-samīʿ), omniscience, see L. Holtzman, Gestures in the Process of H ø adīth Transmission: The Case of Divine Hearing and Seeing, Jerusalem Studies in Arabic and Islam 46 (2019), 291‒301. Arberry, Koran (nt. 26), vol. 2, 177. Cf. Ullmann, Blick (nt. 1), 47–80 Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 5, 189 (nt. the use of the verbal root, form VIII, of øt-l-ʿ to express, by antanaclasis, God’s omniscience and the man’s carnal desire). Wensinck/Mensing, Concordance (nt. 17), vol. 5, 1. Cf. Proverbs 6:13, 10:10, 16:30; Psalms 35:19. See H. Ethé, Das Schlafgemach der Phantasie, Leipzig 1868, 113; Ullmann, Blick (nt. 1), 160– 163; A. H. al-Rahim, The Wink in Medieval Islam: Qurʾān 83:30, forthcoming; and on other less subtle gestures in Islam, see I. Goldziher, Über Gebärden- und Zeichensprache bei den Arabern, Zeitschrift für Völkerpsychologie und Sprachwissenschaft 16 (1886), 369–386; Ed., Ishāra, in: Lewis e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 4 (nt. 3), 113b–114a; and Holtzman, Gestures (nt. 68), passim. See Juynboll, Canonical (nt. 28), 45b–47a; and id., Abū Hurayra, in: Fleet e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 3rd ed., Yearbook 2007 (nt. 22), 133b‒136a. ʾAbū-ʾIsh āq ʾAh mad ibn-Muh ammad al-Taʿlabī, al-Kasˇf wa-l-baiān, al-maʿrūf Tafsīr al-Taʿlabī, edd. ʾA.-M. Ibn-ʿĀsˇūr/N. al-Sāʿidī, vol. 7, Beirut 1422AH/2002, 87 [on whom and which, see W. A. Saleh, The Formation of the Classical Tafsīr Tradition: The Qurʾān Commentary of al-

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exegetes of Q. 24:30–31, employs language that is etiological, wherein those acts of failing to abide by God’s commandments, that is, to preclude the gaze from being concupiscently curious and to guard the pudenda against committing adultery and fornication, are (sufficient) causes (bawāʿitß ) and reasons for the depravity and corruption of the heart (al-nazø ar dāʿiya ʾilā fasād al-qalb ) 77. More generally, Ibn-Katīr’s typology and hermeneutics of the concupiscent gaze also reflects an Islamic hamartiology and indicates by extension some of the vices and virtues of the believers who belong to an Islamic polity (ʾumma ) 78. III. T he Objects of the Concupiscent Gaze In a hø adītß regarding the gaze and the pastime of people-watching 79, Ibn-Katīr cites Muh ammad warning his Companions: “Beware of street loitering (al-gˇulūs ʿalā l-tøuruqāt )” 80, to which they responded: “O Apostle of God, but it is inescapable that our gathering (magˇālis ) take place there where we may converse with each other”. Muh ammad replied: “If you insist on gathering in the street, then give the street its due”, to which they said: “And what right is due to the street (hø aqq al-tøarīq ), O Apostle of God?” He therewith announced unto them the following public obligations: “Averting the gaze, avoiding trouble (kaff al-ʾadß ā ), replying to the salutation of ‘peace be with you (radd al-salām )’ 81, and commanding right and forbidding wrong (al-ʾamr bi-l-maʿrūf wa-l-nahy ʿan al-munkar )” 82. What this hø adītß attempts to do, inter alia, is to regulate the ‘public gaze’, particularly that of the male, between the sexes. In the exegetical hø adītß on the gaze, the public gaze is differentiated from the permissible, private, even concupiscent, gaze that is described as necessary in the context of the “demand in marriage (h˚ itøba )” 83, or betrothal, among Muslim

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Taʿlabī (d. 427/1035) (Texts and Studies on the Qurʾān 1), Leiden–Boston, 25‒52. 67‒76, respectively]; and Kugle, Vision, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 5 (nt. 3), 445a–447b. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237. On this theme, see A. El Shamsy, Shame, Sin, and Virtue: Islamic Notions of Privacy, in: J. Rüpke/Ch. Uehlinger (eds.), Public and Private in Ancient Mediterranean Law and Religion (Religionsgeschichtliche Versuche und Vorarbeiten 65), Berlin–Boston 2015, passim. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237. For related hø adītß on disorderly conduct (adab ), including loitering and voyeurism (tahø rīm al-nazø ar fī bait al-g˙air ), see Muslim ibn-al-H  agˇ gˇāgˇ (d. 261/875), S ah īh Muslim, ed. N. M. al-Fāryābī, Riyadh 1427AH/2006, 1034, 1032‒1033. On the public forms of salutation in Islam, including among Muslims, between a horseman (rākib ) and a pedestrian (māsˇī ), on whether responding to a child’s greeting is necessary, and on salutations from Muslims to Jews and Christians, see ibid., 1034‒1037. On this duty to stop others from doing wrong, specifically, on the street, see M. A. Cook, Commanding Right and Forbidding Wrong in Islamic Thought, Cambridge 2001, 94, 444. See J. Schacht, Nikāh , in: C. E. Bosworth/E. van Donzel/W. P. Heinrichs e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 8, Leiden 1995, 26b‒29a; and al-Rahim, Marriage (nt. 24), 1023–1026.

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freemen or slaves, and when purchasing a slave but especially a concubine (gˇārīya ) 84. Apart from the male to female gaze, Ibn-Katīr addresses the matter of the male gaze directed toward handsome, beardless youths, or prepubescent boys, as regards the public duty of commanding right and forbidding wrong 85. He says emphatically (indicating that this pedophilic practice was familiar to the earliest Muslims 86 ) that the pious forefathers of Islam would stop men from fixing their gaze upon the beardless youths (kānū yanhūna ʾan yahø udda l-ragˇul nazø arahu ʾilā l-ʾamrad ) – an obligation that is not, Ibn-Katīr observes, followed by all masters of S ūfism (ʾaʾimma al-søūfīya ) 87. Ibn-Katīr is here referring to the mystical, pedophilic practice and theory of Šāhid-Bāzī, or “Playing the Witness” 88. As for the practice, this involves the S ūfī “spiritual oratorio (samāʿ)” 89 accompanied by the ejaculatory litany (dß ikr ) 90. This then is followed by the contemplation of divine beauty in the earthly form of a handsome, beardless youth, who has been especially adorned for this occasion as a witness (šāhid ), whose beauty in their eyes represents that of God (see Figure/Tafel 4). As for the theory of Šāhid-Bāzī, some S ūfī masters postulated that, based on the theosophical thesis that the deity manifests itself in humanity (hø ulūl al-lāhūt fī l-nāsūt ) 91, God caused himself to be reincarnated in the form of the boy witness;

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M. H. Katz, Concubinage, in Islamic Law, in: K. Fleet/G. Krämer/D. Matringe e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 3rd ed., fasc. 4, Leiden 2014, 42–47; and Hagedorn, Domestic Slavery (nt. 20), 64–68. Cf. the proscription against the pursuit of beardless youths in Twelver-Šī ʿism, Cook, Commanding (nt. 82), 300 sq. On the qurʾānic “immortal boys” of paradise (wildān muh˚ alladūn, Q. 56:17, 76:19), see E. K. Rowson, Homosexuality, in: McAuliffe (ed.), Encyclopaedia of the Qur’ān, vol. 2 (nt. 1), 444a– 445b; on (mortal) prepubescent boys as objects of the homoerotic gaze in Islam, Ed., Homosexuality, pt. 3, in Persian Literature, in: E. Yarshater (ed.), Encyclopaedia Iranica, vol. 12 (nt. 12), 445b–453b; also, on women as objects of the male gaze, El-Rouayheb, Homosexuality (nt. 12), 111–151; on love poems to young craftsmen, J. T. P. de Bruijn, Shahrangīz, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 9 (nt. 30), 212; and on apologetic youthful facial hair epigrams, etc., Th. Bauer, Male-Male Love in Classical Arabic Poetry, in: E. L. McCallum/M. Tuhkanen (eds.), The Cambridge History of Gay and Lesbian Literature, Cambridge–New York 2014, 107–124. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 238; cf. Bell, Love (nt. 3), 139–144. See H. Ritter, Das Meer der Seele: Mensch, Welt und Gott in den Geschichten des Farīduddīn ʿAttār, Leiden 1978, 470–506; id., The Ocean of the Soul: Men, the World and God in the Stories of Farīd al-Dīn ‘Attār (Handbuch der Orientalistik. Erste Abteilung, Der Nahe und der Mittlere Osten 69), translated by J. O’Kane/ed. B. Radtke, Leiden 2003, 484–519; and L. Ridgeon, Awh ad al-Dīn Kirmānī and the Controversy of the Sufi Gaze (Routledge Sufi Series 21), Oxford– New York 2018. J. During, Samāʿ, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 8 (nt. 83), 1018a–1019b. L. Gardet, Dhikr, in: B. Lewis/Ch. Pellat/J. Schacht (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 2, Leiden 1965, 223b–227a. R. Arnaldez, Lāhūt and Nāsūt, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 5 (nt. 9), 611b–614b.

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the worldly love of, or infatuation with, beardless youths is then for the postulant (murīd ) a prerequisite to realizing the eternal, true love of God. The ambiguity here between Platonic and carnal love is left for the reader to consider. IV. Guarding ag ainst the Gaze As for the second injunction that the believers “guard their pudenda (yahø fazø ū furūgˇahum/yahø fazø na furūgˇahunna )” in Q. 24:30–31 92, Muqātil ibn-Sulaimān writes that to acquit oneself of this obligation as well as the former – that is, to lower or avert one’s gaze from the objects of concupiscent curiosity – is more virtuous (h˚ airun min ) than not doing so, because, if the concupiscent gaze is not averted, it may lead to the male and female pudenda being unprotected against the enormity of the sin of adultery or fornication 93. This, Muqātil writes, is what is meant by “that is (morally) purer for them” 94, namely, the believing men addressed in Q. 24:30. Consonant with Muqātil, al-Wāh idī glosses “guarding the pudenda” with “against acts of fornication (ʿan al-fawāhø iš )”, which he writes is the interpretation of the majority of Qurʾān exegetes 95. In juxtaposition with the latter interpretation, al-Wāh idī provides an exegetical narration (riwāya ) ascribed to ʾAbū-l-ʿĀliya Rufaiʿ ibn-Mihrān [al-Riyāh ī] (d. ca. 90/709) 96, a client (maulā ) and a first generation Successor (tābiʿ) of the Companions, on the authority of al-Rabī ʿ ibn-ʾAnas [al-Bakrī] (d. 139/756) 97, which states: “Every qurʾānic verse that addresses the guarding of the pudenda intends them to be guarded ‘against acts of fornication or adulterous acts’ (mina l-zinā ) save this verse, which means that the pudenda should be covered ‘lest anyone see them (ʾallā yarāhā ʾahø ad )’”, that is, as objects of the concupiscent gaze 98. Al-Wāh idī says that ʾAbū-l-ʿĀliya’s explanation (taʾwīl ), of the elided prepositional phrase in 92

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Cf. the qurʾānic use of the verbal root, form IV, of hø -sø-n (“to guard, preserve”, whence is derived the active participle muhøøsina, that is, “chaste”) with the direct object fargˇ (“vulva, pudendum”) in reference to Mary, the mother of Jesus: once directly, in Q. 66:12, and the other by antonomasia, ʾallatī ʾahøøsanat fargˇahā (“the one who guarded her pudendum”), in Q. 21:91; and on the Islamic Mary, the only woman directly named in the Qurʾān, see B. F. Stowasser, Mary, in: Encyclopaedia of the Qurʾān, vol. 3 (nt. 4), 288b‒295b. Muqātil ibn-Sulaimān, Tafsīr (nt. 16), vol. 3, 196. Ibid. al-Wāh idī, al-Basīt (nt. 34), vol. 16, 199. See al-D  ahabī, Siyar, vol. 5, 207 = Wafāyāt (nt. 36), 306‒307 (no. 2389); R. Blachère, Abū-’lʿĀliya Rufayʿ b. Mihrān al-Riyāh ī, in: Gibb e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 1 (nt. 20), 104b‒105a; and Juynboll, Canonical (nt. 28), 41b–42b. See al-D  ahabī, Siyar, vol. 6, 379 = Wafāyāt (nt. 36), 513 (no. 4348); and Juynboll, Canonical (nt. 28), 191b–192a. The concern with concealing the pudenda from the human gaze extends to that of the jinn, as ˇ umada I 1423AH/25 July 2002, asking: in a solicitation of a legal ruling (fatwā ), dated 16 G “How should men and women conceal their pudenda, or nakedness, from the gaze of the jinn? (kaifa yasturu l-rigˇāl wa-l-nisāʾ ʿaurātahum ʿan ʾaʿyun al-gˇinn )”; for the ruling, see (last access on 30 March 2021).

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the qurʾānic verse, is the soundest 99. On the empyrean and seraphic recompense awaiting the believer who guards his pudendum, Ibn-Katīr quotes the following two traditions: The first is a Muh ammadan intercessory hø adītß, from ‘Sah īh alBuh˚ ārī’ 100: “Whosoever guards that which is between his beard and between his legs, out of respect for me, I will guarantee him [entry] into heaven” 101, which is to say, salvation is offered to those who neither speak lies nor commit adultery or fornication. The second tradition is given on the authority of the prominent Companion ʿAbdallāh ibn-Masʿūd [al-Hud alī] (d. ca. 32/652) 102, who reports that Muh ammad declared: “Every eye on Judgment Day shall weep save the eye averted from [gazing upon] what God forbids, the eye that passed the night awake for the sake of God (saharat fī sabīl ʾallāh, doubtless preforming the supererogatory nightly prayers or recitation of the Qurʾān [tahagˇ ˇgud] 103 ), and the eye that secretes [even] something as insignificant [in size] as the head of a fly, for fear of God (mitßl raʾs al-dß ubāb min h˚ asˇyat ʾallāh )” 104.

Additionally, Ibn-Katīr, on the authority of ʾAbū-Huraira, quotes a Muh ammadan tradition on the fatalism of human beings committing, inter alia, the transgression of adultery or fornication: “The destiny of a human being (ibn-ādam) to commit [the sins of] adultery or fornication (hø azø zø uhu mina l-zinā ), which doubtless he will, has been preordained – for adultery or fornication of the eye is [the act of] the gaze 105, of the tongue [the act of] speech (nutøq ), of the ears eavesdropping ( ʾistimāʿ), of the hands committing violence (batøˇs ), of the feet trespassing (h˚ atøā ), and of the soul desiring and coveting – whereby the pudenda will confirm that or deny it (yusøaddiqu dß ālika ʾau-yukadß dß ibuhu )” 106,

that is, if one acted on the curiosity of the concupiscent gaze. In this hø adītß, the pudenda not only serve as the (external genital) organs with which the pro99 100

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al-Wāh idī, al-Basīt (nt. 34), vol. 16, 198. On this, the earliest of the “Six Books” of canonical Sunnī hø adītß, see Brown, Canonization (nt. 38), passim; and on intercession in Islam, see A. J. Wensinck/[D. Gimaret]/A. Schimmel, Shafāʿa, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 9 (nt. 30), 177b–179b. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 237; cf. Wensinck/Mensing, Concordance (nt. 17), vol. 2, 226a. On whom, see Juynboll, Canonical (nt. 28), 7b–8a. See A. J. Wensinck, Tahadjdjud, in: Bearman e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, 2nd ed., vol. 10 (nt. 14), 97b–98a. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 238; for another hø adītß wherein tears (dumūʿ) resemble the head of a fly, see Muh ammad Ibn-Māgˇa (d. 273/887), al-Sunan, edd. Š. al-Arnāʾūt/M. K. Qura-Balilī, vol. 5, Beirut 2009, 287 (no. 4197); in explicating the meaning of this hø adītß, Sulaimān ibn-ʿAlī al-H  arīrī (d. 1292/1875) says that the head of the fly rhetorically is a metonymy for something that is insignificant and slight (kināya ʿan al-hø aqīr al-qalīl ), Risāla fī l-Qahwa: Abhandlung über den Cafe, Paris 1860, 12 [Ch. Pellat, Kināya, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 5 (nt. 9), 116b–118a]; and Th. P. Hughes, Khauf, in: A Dictionary of Islam: Being a Cyclopaedia of the Doctrines, Rites, Ceremonies, and Customs, Together with the Technical and Theological Terms, of the Muhammadan Religion, London 1885, 270. Cf. al-Rāzī, Tafsīr (nt. 50), vol. 24, 203. Ibn-Katīr, Tafsīr (nt. 39), vol. 4, 238.

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scribed sexual intercourse is performed – the means through which the concupiscent wish behind the gaze is realized – but also bear witnesses to that act, and thus against its perpetrator, on the Day of Judgment 107. V. Conclusion In medieval Islamic culture, the preoccupation with the gaze largely centers on its role in concupiscent curiosity and romantic love. Much of the discourse on the gaze has been generated by the hermeneutics around Q. 24:30–31, with respect to averting the public gaze of men and the veiling of freewomen’s bodies as a technique for achieving the latter. The gaze and the bodies of slaves, concubines, and eunuchs are not as strictly regulated as that of freemen; this differentiation, or alterity within the private and public realms, served to identify and mark the social, legal, and economic status of freemen and slaves. As for the female gaze, the commentators on Q. 24:31 generally address it with reference to the public modesty and morality as well as the sexual dignity of freewomen. The primary exegetical themes associated with Q. 24:30–31 include (1) the impertinent gaze of the concupiscent eye and its carnal corruption of the heart; (2) the virtues of averting the gaze, the vices of gazing, and their soteriology; (3) the objects of the antinomic or furtive gaze; and (4) love-madness (ʿisˇq ) and the motif of “the romantic fool”, the unassuageable bondservant of the amorous gaze 108 (see Figure/Tafel 5). Lastly, there is little if any discussion, in the exegetical literature on Q. 24:30–31, of the gaze as a mental event that is of a morally discrete order and that is distinct from that of a physical act; athwart Islamic theology (ʿilm al-kalām ), for instance, wherein acts of the heart (ʾaf ʿāl al-qulūb ), like volition (ʾirāda ) and ratiocination (also nazø ar ), are categorically distinct from those of the limbs (ʾaf ʿāl al-jawārihø ), such as motion 109. The taxonomy and nomenclature with which medieval qurʾānic exegetes examine the concupiscent curiosity of the gaze is, then, mainly that of Islamic hamartiology and law, inasmuch as the interiority of the gaze is made indistinguishable from corporeal action.

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Cf. Q. 24:24; 41:20; and 36:65, wherein the eyes, ears, tongue, hands, feet, and skin bear true witness against the miscreant of whom they are member parts. On the theme of the romantic fool, see Dols, Majnūn (nt. †), 313–348; and Khairallah, Love (nt. †), passim. Cf. A. Shihadeh, Theories of Ethical Value in Kalām: A New Interpretation, in: S. Schmidtke (ed.), The Oxford Handbook of Islamic Theology, Oxford 2016, 392 sqq.; and Tj. de Boer/[H. Daiber], Naz ar, in: Bosworth e. a. (eds.), Encyclopaedia of Islam, vol. 7 (nt. 22), 1050a–1052a.

VI. Lust auf Neues? Reisen und Pilgern

Literarische Erkenntnisreisen im Spannungsfeld von curiositas und conversio voluntatis Verena Ebermeier (Regensburg) I. Literarische Inselreisen als Reisen eines nach Erkenntnis strebenden Denkens Der mittelalterliche Blick auf Facetten der Neugier ist hoch komplex. Ist diese in ihrer Ausprägung als curiositas aus der Perspektive der Theologie negativ konnotiert, so verfügt sie dennoch über weitere Varianten, die nicht „erst in literarischen und naturkundlichen Diskursen der Frühen Neuzeit allmählich positiviert [werden]“ 1, sondern in Diskursivierungen bereits im Mittelalter selbst als Gegengewicht zu ihrer Negativität „faszinierende Anhaltspunkte erzählerischen Interesses bilden“ 2. Die Vielfalt möglicher Codierungen adäquater und inadäquater Neugier sowie deren potentielle Folgen für den Neugierigen verhandeln in eindrucksvoller Weise literarische Werke, denen mit der Schilderung spezifischer Reisen die Thematisierung eines Aufbruchs zu Neuem genuin zu eigen ist. Anhand der Analyse der Heiligenlegende ‚Navigatio Sancti Brendani Abbatis‘ aus dem 9. respektive 10. Jahrhundert sowie des Antikenromans ‚Trojanerkrieg‘ des Dichters Konrad von Würzburg aus dem 13. Jahrhundert kann das Spektrum divergierender Neugier-Konzepte aufgefächert und ihre Relevanz für Jahrhunderte über Gattungs- und Sprachgrenzen hinweg aufgezeigt werden. Mit der Konkretisierung des Reisens als Inselreise wählen beide Werke einen Assoziationskontext in der Tradition der Homerischen ‚Odyssee‘ und ihres Helden als homo viator und ermöglichen zugleich eine Ausdifferenzierung der Neugier im Spannungsfeld ihrer Ausprägung als oberflächliche curiositas oder aber zu Erkenntnis befähigender conversio voluntatis. Unter Berücksichtigung der antiken und mittelalterlichen Kartographie, Kosmologie und Philosophie sowie literarischer Traditionen können Inselreisen so als Erkenntnisreisen decodiert werden, deren Gelingen von der Realisierung adäquater Neugier abhängig ist. Dabei zeigt sich die Insel als ambiger Raum. Kartographisch sowohl an der Peripherie der Welt verortet 3, als auch, Jerusalem repräsentierend, in deren Zen1

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J. Eming, Neugier als Emotion. Beobachtungen an literarischen Texten des Mittelalters, in: M. Baisch/E. Koch (eds.), Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens (Rombach Wissenschaften, Reihe Scenae 12), Freiburg im Breisgau e. a. 2010, 107–130, hier 122 sq. Ibid., 123. Cf. E. Edson/E. Savage-Smith/A.-D. von den Brincken, Der mittelalterliche Kosmos. Karten der christlichen und islamischen Welt, Darmstadt 22011, 72.

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trum 4, ist sie Fernes und gedanklich Nahes – ein Zeichen im Sinne der augustinischen Semiotik, ein zu ‚Lesendes‘, das Neugier zu seiner Dechiffrierung erfordert. Mit jener Balance aus Unbekanntem und Bekanntem bindet das Zeichen die Aufmerksamkeit des Adressaten 5, irritiert Perzeptionsgewohnheiten, evoziert jedoch nicht Unverständnis, da es zu der Erfahrungswelt in Relation gesetzt werden kann und auf diese Weise Reflexion anzuregen vermag 6. Unter Berücksichtigung der Tendenz der mittelalterlichen Wissensorganisation zur Analogie 7 öffnet sich hinsichtlich des inselspezifischen Zeichengehalts als Referenz der Neugier der Blick auf einen Konnex literarischer Inselschilderungen und antiker sowie mittelalterlicher Kosmologie. Als durch das Meer umschlossen, durch die Raumsphären des Ausgangs-, des Transgressions- und des Anlandungsgebietes zu erreichen und sich in der Obhut Gottes respektive antiker Gottheiten befindende Konstrukte erinnern Inseln an die sphärischen Kosmoskonzeptionen des Eudoxus, Hipparch und Ptolemäus 8, die als „osmotische[s] Wissen[…]“ 9 des Mittelalters angenommen werden können. Auch der Kosmos gilt als geschlossenes System, das harmonisch komponiert ist 10, einen synthetischen Rezeptionsmodus erfordert 11 und in Gottes Unendlichkeit ruht 12. Jener Modus ist unmittelbar an Fragen nach einer adäquaten Neugier gebunden, über die der Reisende respektive ‚Lesende‘ verfügen muss, wendet er sich

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Cf. ibid., 57. Cf. Augustinus, In Iohannis Evangelium Tractatus, CXXIV, 25, 11, ed. R. D. Willems (Corpus Christianorum Series Latina 36), Turnhout 1954, 253 sq. Cf. Augustinus, De Doctrina Christiana, II, 1, 2, ed. J. Martin (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 32 sq. Mit den Prämissen der Deutung und Interpretation eines Zeichens nach Augustinus befassen sich eingehend U. Wienbruch, „Signum“, „Significatio“ und „Illuminatio“ bei Augustin, in: A. Zimmermann (ed.), Der Begriff der Repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild (Miscellanea Mediaevalia 8), Berlin 1971, 76–93, hier 78 sq. sowie R. Markus, Communication and Transcendence in Augustine’s De Trinitate, in: J. Brachtendorf (ed.), Gott und sein Bild – Augustins De Trinitate im Spiegel gegenwärtiger Forschung, Paderborn 2000, 173–181, hier 175. Cf. K. Kellermann, Wissen im Wandel. Von Kosmos, Körper und Kometen, in: H.-D. Heimann/M. M. Langner/M. Müller/B. Zacke (eds.), Weltbilder des mittelalterlichen Menschen (Studium Litterarum. Studien und Texte zur deutschen Literaturgeschichte 12), Berlin 2007, 53– 68, hier 53. Cf. R. Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter. Das Weltbild vor Kolumbus, München 1992, 17. R. Finckh, Minor Mundus Homo. Studien zur Mikrokosmos-Idee in der mittelalterlichen Literatur (Palaestra. Untersuchungen aus der deutschen und skandinavischen Philologie 306), Göttingen 1999, 251; cf. auch M. L. Ranald, Shakespeare and His Social Context. Essays in Osmotic Knowledge and Literary Interpretation, New York 1987, XI. Die Codierung des Kosmos als Einheitliches und die Relevanz der Beziehung von ἀταξία und τάξις für diesen thematisieren W. Kranz und G. Vlastos in ihren Analysen zur Kosmologie der Antike (cf. W. Kranz, Kosmos, in: Archiv für Begriffsgeschichte 2 [1955], 13; G. Vlastos, Plato’s Universe, Seattle 1975, 25). Cf. Finckh, Minor Mundus Homo (nt. 9), 26. Cf. Simek, Erde und Kosmos im Mittelalter (nt. 8), 16 sq.

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doch in der Insel nicht per se „verschlossene[m], ja verbotene[m] Wissen“ 13 zu. Gemäß der Mikrokosmos-Idee, die eine Verwandtschaft zwischen Makro- und dem Menschen als Mikrokosmos postuliert, ist dieser dazu angehalten, sich zur Welt zu positionieren 14, ein Verstehen des göttlichen ordo und Gottes anzustreben 15. In der Insel als vermittelnder Mesoinstanz ‚er-fährt‘ der Reisende als homo viator so sich und den Kosmos, an dessen Vollkommenheit es sich zu orientieren gilt, erlangt Erkenntnis ähnlich der platonischen anamnesis. Eine mangelnde Passung der kognitiven Konstitution des Reisenden zur Insel, der Neugier zu ihrer Referenz, offenbart aber eine diesem Erkenntnispotential inadäquate Prägung der Neugier als curiositas, die sich nach Augustinus in der Variante einer concupiscentia oculorum, einer oberflächlichen Augenlust, oder in ihrer Verwandtschaft zu den vitia der superbia und der concupiscentia carnis respektive voluptas carnis präsentiert 16. Ihr ist notwendig eine andere Codierung der Neugier entgegenzusetzen, deren Formung zur conversio voluntatis. Welche Aspekte diese konstituieren, verdeutlichen insbesondere die für die mittelalterliche Gedankenwelt relevanten Ausführungen Platons und des Augustinus zu Facetten philosophischer Reisen des Denkens 17. 13

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S. Glauch, Apologie der Neugier. Wissensdurst und Grenzüberschreitungen in der Hochzeit Merkurs und der Philologie und ihrer frühmittelalterlichen Rezeption, in: M. Baisch/E. Koch (eds.), Neugier und Tabu (nt. 1), 73–86, hier 77. R. Finckh betont die besondere Bedeutung, die der Bestimmung der „Rolle des Individuums im Universum“ (Finckh, Minor Mundus Homo [nt. 9], 56) im Kontext der Mikrokosmos-Idee zukommt. Cf. A. J. Gurjewitsch, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 1982, 59. Cf. G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der Mittelalterlichen Theologie und Philosophie, Neue Folge 39), Paderborn 1995, 100 sq. H. Blumenberg spricht in diesem Zusammenhang von Augustinus’ Aufnahme der curiositas in den Lasterkatalog (cf. H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von ‚Die Legitimität der Neuzeit‘, dritter Teil [Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 24], Frankfurt a. M. 31984, 103). In Bezug auf die Rezeptionsgeschichte antiker philosophischer Werke im Mittelalter konstatiert R. L. Fox eine Tradierung der Schriften Platons insbesondere durch Cicero und Plotin, dessen Ausführungen dem Mittelalter in Übersetzungen des Marius Victorinus zugänglich sind (cf. R. L. Fox, Augustinus. Bekenntnisse und Bekehrungen im Leben eines antiken Menschen, Stuttgart 2017, 270 sq.). Zentrale Werke Platons finden so Eingang in die Schriften des Augustinus (cf. K. Rosen, Augustinus. Genie und Heiliger, Darmstadt 22017, 79) und können dank (Teil-)Übersetzungen des Calcidius (cf. Finckh, Minor Mundus Homo [nt. 9], 29 sq.) als bekannt gelten (cf. K. Flasch, Das philosophische Denken im Mittelalter. Von Augustin zu Machiavelli, Stuttgart 32013, 366). Im Kontext der Hochscholastik und des Voluntarismus erlangen Neuplatonismus und augustinische Philosophie wesentliche Bedeutung, von deren Verdrängen auch trotz der Relevanz des Aristotelismus nicht ausgegangen werden kann (cf. W. Röd, Der Weg der Philosophie. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, I. Altertum. Mittelalter. Renaissance, München 1994, 356 sq.). Ch. Horn verweist auf eine „anti-thomistische […] Erneuerung des Augustinismus“ (Ch. Horn, Augustinus [Beck’sche Reihe Denker 531], München 22012, 158) für das 13. Jahrhundert und auch F. C. Copleston betont einen „selbstbewußten Augustinus, der im Lichte der Verurteilungen von 1270–1277 gesehen werden muß“ (F. C. Copleston, Geschichte der Philosophie im Mittelalter, München 1976, 154).

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Ähnlich der Inselreise als Narrativ physischer und kognitiver Bewegung zeichnet Platon für das nach Erkenntnis strebende Denken ein ‚Über-setzen‘ zwischen einem Ufer des Menschlichen, der Immanenz, und des Göttlichen, der Transzendenz 18. Das Meer als Medium des Denkens verweist mit seiner Einbindung in eine etymologische Konnotation des Meeresgottes Thaumas 19 mit dem Wahrnehmungsmodus eines aktiven Staunens, θαυμάζειν 20, das Platon als Ursprung des philosophischen Denkens versteht 21, selbst auf die Prämissen einer erfolgreichen Transgression. Die Notwendigkeit der sich hier andeutenden Anstrengung, aber auch die Verheißung auf ein Gelingen offenbaren sich in der mythologischen Genealogie des Eros als Vermittler zwischen den Ufern. Während die Mutter, Penia, etymologisch auf Mühe und Eigenverantwortung verweist, verspricht der Vater, Poros, Erfolg und begründet das Vertrauen in die Sinnhaftigkeit der Fahrt 22, die der Reisende in einem Transfer des Verinnerlichten in den Ausgangsraum und in seine Lebensführung abzuschließen aufgefordert ist 23. Das Postulat einer aktiven Wahrnehmung, die Relation von Mühe und Vertrauen sowie den Anspruch eines Transfers artikuliert in einer interpretatio christiana auf ähnliche Weise Augustinus. Seine Schilderung der Dynamik aus munus und pondus stellt dem durch göttliche Gnade einem Erkennen Preisgegebenen die Herausforderung der Überwindung eigener kognitiver Dunkelheit zur Illumination zur Seite 24, von der der Mensch zu einem Erwachen des homo interior Gebrauch machen muss 25. Allein mit ihrer Hilfe und innerer Vorbereitung auf die angestrebte Erkenntnis, da „[d]ie göttliche Illumination […] zwar die notwendige, nicht aber die hinreichende Bedingung geistigen Sehens [bildet]“ 26, einer visio interna, ist eine Reise des Denkens zu bewältigen. Die von Augustinus formulierte conversio voluntatis als konsequente Hinwendung zu Erkenntnispoten18 19

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Cf. K. Albert, Platonismus. Weg und Wesen abendländischen Philosophierens, Darmstadt 2008, 30. Diesen Rückbezug in Platons konnotativer Verknüpfung des Thaumas mit einem aktiven Staunen stützt sich auf die ‚Theogonie‘ Hesiods (cf. Albert, Platonismus [nt. 18], 31), die diesen als Meeresgott und Vater der Götterbotin Iris schildert (cf. Hesiod, Theogonia Opera Et Dies Scutum, ed. F. Solmsen, Oxford 1970, V. 265 sq.). Cf. Albert, Platonismus (nt. 18), 31. Cf. Platon, Theaitetos, 155d. Cf. Platon, Symposion, 203c–203d. In seiner Auseinandersetzung mit den Konstituenten einer Denkreise, die Platon skizziert, hebt auch K. Albert das Moment der Rückreise in ihrer Relevanz für den Reisenden hervor, dem als Sterblichem nur ein zeitlich begrenzter Aufenthalt im Raum der Erkenntnis zugestanden ist (cf. Albert, Platonismus [nt. 18], 30 sq.). Cf. Augustinus, Confessiones, X, 4, 5, ed. L. Verheijen (Corpus Christianorum Series Latina 27), Turnhout 1981, 154. Ch. Horn betont in seiner Analyse der Philosophie des Augustinus die Problematik eines nur seltenen Gebrauchs des Menschen von dieser Quelle der Einsicht (cf. Horn, Augustinus [nt. 17], 79 sq.). Ibid., 80.

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tialen 27 umfasst so eine Offenheit der Wahrnehmung, Zielfokussierung, Eigenverantwortlichkeit, die Bereitschaft zur Anstrengung und Vertrauen in das Unterfangen, Reflexionsfähigkeit, Verinnerlichung und Transfer. II. Auf br uch zur imitatio – Die Heilig enleg ende ‚Navig atio Sancti Brendani Abbatis‘ Das Spektrum defizitärer Neugier sowie gelingender conversio voluntatis zeigt eindrucksvoll die Legende ‚Navigatio‘, die anhand des Heiligen Brendan, eines „irischen Odysseus“ 28, zu einer imitatio dessen realisierter conversio appelliert, die die Prämisse für das Erreichen der terra repromissonis sanctorum als Ziel der peregrinatio 29 und Erkenntnisreise bildet, anhand seiner Mitbrüder aber vor oberflächlicher curiositas warnt. So ist sie keineswegs als Werk zu begreifen, dessen „‚Sinn‘ sich darin erschöpft, dem Leser eine möglichst große Zahl von Wundern zu zeigen“ 30, eine rezipierende Augenlust zu befriedigen, sondern thematisiert in einer Verbindung aus irischen Reisegeschichten, immrama 31 und echtrae 32, orientalischen und antiken Traditionen 33 Facetten der Transgression des Meeres als Denkmedium und der Begegnung mit Inseln als Erkenntnisräumen. Eine Hinwendung zu Erkenntnis, zu „intensiver Gottes- (oder Heiligen-)Nähe“ 34, gelingt 27 28

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Cf. Augustinus, De Trinitate, VIII, 3, 5, edd. W. J. Mountain/F. Glorie (Corpus Christianorum Series Latina 50), Turnhout 1968, 273 sq. Die Assoziation des Heiligen mit Odysseus benennt J. Semmler, Navigatio Brendani, in: P. Wunderli [ed.], Reisen in reale und mythische Ferne. Reiseliteratur in Mittelalter und Renaissance (Studia humaniora. Düsseldorfer Studien zu Mittelalter und Renaissance 22), Düsseldorf 1993, 103–123, hier 104). C. Strijbosch verweist auf die Verbindung aus Heiligenvita, wundersamer Fahrt und allegorischer Lebensreise, die sich hinsichtlich der ‚Navigatio‘ konstatieren lässt (cf. C. Strijbosch, Searching for a versatile Saint: Introduction, in: G. S. Burgess/C. Strijbosch [eds.], The Brendan Legend. Texts and Versions [The Northern World. North Europe and the Baltic c. 400–1700 AD. Peoples, Economies and Cultures 24], Leiden 2006, 1–10, hier 1). Die Kontextualisierung der Reise des Heiligen in irische Codierungen einer peregrinatio pro Christo nimmt J. Weitbrecht vor (cf. J. Weitbrecht, Aus der Welt. Reise und Heiligung in Legenden und Jenseitsreisen der Spätantike und des Mittelalters [Beiträge zur Älteren Literaturgeschichte], Heidelberg 2011, 183). H. Brunner, Die poetische Insel. Inseln und Inselvorstellungen in der deutschen Literatur, Stuttgart 1967, 41. Mit Definitionen und Konstituenten der immrama befasst sich W. Haug, The Little Man on the Leaf and the two Concepts of the Dutch/German Reise, in: G. S. Burgess/C. Strijbosch (eds.), The Brendan Legend (nt. 28), 81–98, hier 83. Cf. Strijbosch, Searching for a versatile Saint (nt. 28), 1; cf. auch Semmler, Navigatio Brendani (nt. 28), 119. Cf. A. M. Fagnoni, Oriental Eremitical Motifs in the Navigatio Sancti Brendani, in: G. S. Burgess/ C. Strijbosch (eds.), The Brendan Legend (nt. 28), 53–79, hier 53. M. McNamara verweist auf den möglichen Einfluss apokrypher Schriften auf die Legende ‚Navigatio‘ (cf. M. McNamara, Navigatio sancti Brendani. Some Possible Connections with Liturgical, Apocryphal and Irish Tradition, in: G. S. Burgess/C. Strijbosch [eds.], The Brendan Legend [nt. 28] 159–192, hier 159). Ch. L. Diedrichs, >… die Seele aus dem Feuer springt.< Transgressionen im Reliquienwesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit, in: K. Audehm/H. R. Velten (eds.), Transgression.

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dem Reisenden und dem Publikum nur in einer sensiblen Reflexion der vielfältigen Ausprägungen der Neugier. Brendans Kompetenz zur Neugier und zu aktivem Staunen offenbart sich zunächst in seiner Kommunikation, in einer fragenden Haltung, auf deren Grundlage er Reiseziel und -bedingungen zu evaluieren und die Inseln selbst in ihrer Konstitution zu decodieren vermag, ohne die Grenzen des Fragens, die durch Inselbewohner aufgezeigt werden, zu überschreiten 35. Voraussetzung für jene Berücksichtigung der augustinischen Forderung nach einer fragenden Annäherung an Erkenntnis 36, einer Suche nach Bedeutung und innerem Sehen des physisch Wahrgenommenen, ist Brendans Fähigkeit zur Perspektivierung der Innerlichkeit, die vor oberflächlicher curiositas bewahrt. Ausdrücklich wendet sich Brendans „voluntas“ 37 – „cor“ 38 und „cogitaciones“ 39 – auf die Reise 40 und beantwortet mit der Möglichkeit zur visio interna Gottes Willen zur Präsentation und ‚Er-fahrung‘ der Schöpfung 41. Die zur conversio voluntatis zudem konstitutive Balance aus Mühe und Vertrauen zeigt Brendan mit der eigenhändigen Fertigung eines Schiffes, dem Einsatz der Navigationsinstrumente nur unter günstigen Wetterverhältnissen sowie der Deutung von Widrigkeiten als göttliche Weisung 42. Brendans Vorbildlichkeit führt ihn zur Erfüllung seines Strebens, zu den für Sterbliche zugänglichen Gebieten der erst nach dem Tod gänzlich erreichbaren terra repromissionis, über die er, zurück in Irland, als Initiator weiterer Neugier zu berichten vermag – eine Tätigkeit, die neben einem in der Erinnerung der Reise erfüllten Leben als Transferleistung verstanden werden kann. Was Brendan zu verinnerlichen fähig ist, können seine Mitbrüder hingegen nur oberflächlich wahrnehmen. Die mangelnde Bereitschaft zu aktivem Staunen deutet sich bereits im Kontext des Reisebeschlusses an, in dessen Aushandlung die Mönche ihrem Abt gegenüber mit den Worten: „uoluntas tua ipsa est et nostra“ 43 ihre Gefolgschaft versichern, sich „quasi uno ore“ 44 der vorgezeichneten

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Hybridisierung. Differenzierung. Zur Performativität von Grenzen in Sprache, Kultur und Gesellschaft (Rombach Wissenschaften, Reihe Scenae 4), Freiburg im Breisgau 2007, 225–247, hier 241. Cf. Navigatio Sancti Brendani Abbatis, 12, ed. C. Selmer (Publications in Mediaeval Studies XVI), Notre Dame 1959, 23–28. Cf. Augustinus, Confessiones, X, 6, 8–X, 7, 11, ed. Verheijen (nt. 24), 158–161. Cf. Navigatio, 2, ed. Selmer (nt. 35), 5. Ibid., ed. Selmer (nt. 35), 4. Ibid. Brendans Formulierung: „Tantum si uoluntas Dei est, terram, de qua locutus est pater Barinthus, repromissionis sanctorum in corde meo proposui querere.“ (ibid., 2, ed. Selmer [nt. 35], 5 sqq.) setzt nicht nur die zuvor genannte voluntas Brendans in Relation zur göttlichen voluntas, sondern greift im Verb querere auch den von Augustinus postulierten Wahrnehmungsmodus des Fragens, interrogare und quaerere, auf, um Erkenntnis erlangen zu können (cf. Augustinus, Confessiones, X, 6, 9, ed. Verheijen [nt. 24], 159 sq.). Cf. Navigatio, 28, ed. Selmer (nt. 35), 28, 24–27. Cf. ibid., 6, ed. Selmer (nt. 35), 1–9. Ibid., 2, ed. Selmer (nt. 35), 10. Ibid., ed. Selmer (nt. 35), 9.

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Neugier ohne eigene kognitive Aktivität und Verantwortlichkeit hingeben. So betonen die Gefährten nicht etwa Aspekte der Innerlichkeit, sondern akzentuieren ihre Bereitwilligkeit, Materielles zurückzulassen und der Reise gar ihr Leben zu opfern 45 – Verlust, nicht einen durch Neugier zu erlangenden Gewinn. An Brendans Initiativen gebunden, bleiben die Mönche sowohl an den Reisevorbereitungen als auch an der Erkundung der Inseln nahezu unbeteiligt. Das Defizit an offener Wahrnehmung verleitet sie unweigerlich zu Missinterpretationen, zu überstürztem Handeln, infolgedessen die Inseln in der Sorge um Alltägliches pragmatisch genutzt 46 und in ihrer Transzendenzbindung verkannt werden. In der literarischen Inszenierung des Todes einiger Mönche wird jener Rezeptionsmodus als verfehlte Welt- und Lebensanschauung zum Ausdruck gebracht. III. Auf br uch und Scheiter n – Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘ Während die Legende das Spannungsfeld problematischer Neugier, curiositas, und vorbildlicher Neugier als Erkenntnisdrang, als conversio voluntatis, vorrangig anhand der Konstellation des Figurenpersonals zeichnet, gliedert Konrads von Würzburg Antikenroman die Thematik der Neugier in verschiedene Episoden auf, die von den Reisen des Agamemnon, Paris, Jason und Achill erzählen. In jeweils unterschiedlicher Akzentuierung wird das Scheitern der Reisenden an Erkenntnis dargestellt, sodass die Notwendigkeit eines eigenen Fazits in der Synopsis des Geschilderten an das Publikum vermittelt wird. 1. Reisen ohne Neugier? Agamemnon und der Zufall Ist Neugier potentiell sündhaft konnotiert, überschreitet sie den „finis quaerendi“ 47, so verdeutlicht Agamemnons Begegnung mit der Insel Aulis, dass es doch eines initium quaerendi bedarf, Neugier nicht per se zu negieren ist 48. Nur auf ihrer Grundlage kann der Blick des Reisenden zur Transzendenz geöffnet und 45 46

47 48

Cf. ibid., ed. Selmer (nt. 35), 10–13. Besonders eindrucksvoll begegnet diese an Pragmatismus ausgerichtete Wahrnehmung der Mönche in deren Auseinandersetzung mit dem Wal Jasconius. In der Annahme, einen Ort für Rast und Ruhe gefunden zu haben, vermögen es die Mönche nicht, zwischen Insel und Lebewesen zu unterscheiden (cf. ibid., 10). Tertullianus, De praescriptione haereticorum, 10, 7, ed. E. Kroymann (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 70), Wien 1942, 15. Cf. H. A. Oberman, Contra vanam curiositatem. Ein Kapitel der Theologie zwischen Seelenwinkel und Weltall (Theologische Studien 113), Zürich 1974, 16. Oberman legt die grundsätzliche Bedeutsamkeit der Neugier am Beispiel von Tertullianus’ Verständnis einer iusta curiositas dar (cf. ibid., 16 sq.). Auch H. Blumenberg betont, dass ein „Wissenwollen als solches […] keineswegs schon curiositas [ist]“ (Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde [nt. 16], 105), die in ihren Ausprägungen zu kritisieren ist.

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der Weg zu Erkenntnis beschritten werden. Gelingt dies nicht, bleibt eine fragende Haltung gegenüber der Welt und dem Selbst aus, wankt der Mensch, wie Agamemnon, unreflektiert und von Zufällen geleitet durch sein Leben. Wie sehr dieses Desinteresse an Fragen einer sinnhaften Lebensführung in Orientierung an Transzendenz widerspricht, artikuliert sich in der mangelnden räumlichen und interaktionalen Passung des Reisenden und der Insel Aulis. So verkennt Agamemnon diese, die er auf seinem Kriegszug nach Troja nur als Zwischenstation besucht, als lohnendes Reiseziel und beweist seine Bindung an Kontingenz und Arbitrarität auch mit der Tötung einer Hirschkuh der Göttin Diana, einer Patronin der Insel, die „von geschihte“ 49 erfolgt. Ursache für jene orientierungslos taumelnde Verschlossenheit der Wahrnehmung, die an Neugier und einem ‚Lesen‘ der Insel hindert, ist Agamemnons Selbstgewissheit als Kriegsherr. Zwar entgeht der Grieche der Gefahr, wie diejenigen, die sich „amore […] subditi“ 50 Erkenntnis verwehren, doch sein adversatives Gebaren „in zornes wîs“ 51 erzielt einen vergleichbaren Effekt. Die Dynamik dieser Emotion, die kognitive Distanz kaum zulässt, muss nicht nur Agamemnon selbst, sondern allen Kämpfern tief „ze herzen gân“ 52, Reflexion und Verinnerlichung erschweren. Nicht von ungefähr spart Agamemnon seine Kräfte für den Kampf, delegiert die Mühe des Schiffbaus an „wercliute“ 53 und verweigert auf diese Weise Eigenverantwortlichkeit sowie eine Auseinandersetzung mit dem Meer als Denkmedium. Nicht von ungefähr auch obsiegt in der Schilderung der Reisevorbereitungen eine Konzentration auf das, „swaz in der welt iemanne frumt / ze strîteclicher arebeit“ 54, und jenes, das für den Zweck der Reise „wart allez nütze“ 55, über eine innere Präparation – Pragmatismus über Neugier. Diesem Vorzeichen der Nützlichkeit, in dem sich Agamemnons problematische Weltbetrachtung durchaus mit der augustinischen Differenzierung zwischen usus und fruitio berührt, ordnet der Grieche ebenfalls die Insel unter, die er keineswegs als Neues begreift, sondern in der bestmöglichen Verwendung der Inselressourcen 56 als Gebrauchsort versteht, der keiner Deutung bedarf 57. Wie „der Grundcharakter des 49

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Cf. Konrad von Würzburg, ‚Trojanerkrieg‘ und die anonym überlieferte Fortsetzung. Kritische Ausgabe von Heinz Thoelen und Bianca Häberlein, edd. H. Brunner/D. Huschenbett/E. Ruhe/ R. Sprandel/N. R. Wolf (Wissensliteratur im Mittelalter 51), Wiesbaden 2015, V. 24033. Augustinus, Confessiones, X, 6, 10, ed. Verheijen (nt. 24), 160. Augustinus formuliert hier die Gefahr, durch Liebe zu dem Wahrgenommenen an der Reflexion dessen Bedeutung und Erkenntnisgehalt gehindert zu werden. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 23541. Ibid., V. 23544. Ibid., V. 23558. Ibid., Vv. 23564 sq. Ibid., V. 23571. Cf. ibid., Vv. 24025–24031. Als Angebot einer veränderten Welt- und Selbstbetrachtung zeigt sich Aulis bereits in seiner Gestaltung als Waldinsel. Als „wunnecliche[r] walt“ (ibid., V. 24014), der „reht als ein einlant / und als ein insel in dem mer“ (ibid., Vv. 24022 sq.) verortet ist, kontrastiert sie räumlich Agamemnons Handeln. Während bei den Vorbereitungen zur Abreise in Griechenland „die wilden oeden welde / ze schiffen wurden ab gedrumt“ (ibid., Vv. 2356 sq.), materielle Quantität gegenüber inneren Bewe-

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Weltlichen für den Menschen […] seine utilitas [ist], seine Instrumentalität ad salutem“ 58, so agiert Agamemnon im potentiellen Erkenntnisort und offenbart mit der Tötung der Hirschkuh, dass er selbst das Göttliche dem uti unterstellt 59. Mit einem lebensbedrohlichen Unwetter als korrigierendem Sprechen zu den Reisenden beantwortet Aulis deren ausbleibendes Fragen und mangelnde Interpretationskompetenz, spiegelt in der Verdunkelung des Himmels die kognitive Dunkelheit der Gäste, die sich nun verspätet zwar zur Deutung bemühen, ohne die Grundlage einer conversio voluntatis jedoch in eine Missinterpretation verfallen 60. In dem Seher Calcas, der als Vermittler zwischen Immanenz und Transzendenz jenes Sprechen zu übersetzen vermag 61, artikuliert sich eine Abhängigkeit der Erkenntnis von adäquaten Wahrnehmungsqualitäten, wie sie auch Augustinus formuliert: „Nec respondent ista interrogantibus nisi iudicantibus nec uocem suam mutant, id est speciem suam, si alius tantum uideat, alius autem uidens interroget, ut aliter illi appareat, aliter huic, sed eodem modo utrique apparens illi muta est, huic loquitur: immo uero omnibus loquitur, sed illi intellegunt, qui eius uocem acceptam foris intus cum ueritate conferunt.“ 62

Angst, nicht Neugier, bedingt eine zumindest vermittelte Auseinandersetzung mit Tiefendimensionen der Insel, die aber weniger Erkenntnis als vielmehr der Vermeidung weiterer Bedrängnisse dient 63. Verinnerlichung und Transfer des staunend Wahrgenommenen bleiben Agamemnon in seiner mangelnden Neugier, der fehlenden Passung von Reiseintention und Raum sowie in der Perspektivbegrenzung auf pragmatische Aspekte des Reisens verwehrt. 2. Reisen als concupiscentia oculorum? Paris und die „ougenweide“ Erweist sich Neugier grundsätzlich als notwendig, so muss sich diese jedoch zugleich in einem adäquaten Modus und einer geeigneten Referenz eines Blickes zeigen, der staunend, nicht starrend, umfassend, nicht selektiv ist. Bereits im

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gungen bevorzugt wird, offeriert Aulis in jener Konzeption eine Revision der auf Pragmatismus basierenden Haltung des Griechen. Im Mesokosmos der Insel stellen sich Makro- und Mikrokosmos so einem Erkennen zur Verfügung. Dieses aber erfordert kognitive Bereitschaft zu einer Reise aus der Welt des Bekannten in eine Welt des Deutens, Erkennens und Verinnerlichens. H. Blumenberg, Augustins Anteil an der Geschichte des Begriffs der theoretischen Neugierde, in: Revue d’Études Augustiniennes 7 (1961), 35–70, hier 39. Cf. ibid., 39. Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 24124–24153. Cf. ibid., Vv. 24208–24221. Augustinus, Confessiones, X, 6, 10, ed. Verheijen (nt. 24), 160. Der Eingriff in den familiären Mikrokosmos des Agamemnon, den die Opferung seiner Tochter Iphigenie darstellt, ist als Spiegelung der Verletzung des Mesokosmos der Insel zu verstehen, dessen Verlust an Vollständigkeit reziprok in die Gemeinschaft der Reisenden eingeschrieben wird. Die existentielle Bedeutung der kognitiven Reise, der Erkenntnis des Kosmos und Selbst sowie einer entsprechenden Lebensführung, wird auf diese Weise literarisch zum Ausdruck gebracht.

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Kontext des Apfelurteils, in dem „der sehr sinnliche Paris“ 64 als Auftakt seiner Reise zur Helena-Insel Kythera physisches gegenüber geistigem Sehen favorisiert, offenbart sich die Problematik einer Überspannung der Visualität, wird dessen „gir“ 65 respektive „girde“ 66 als zur Erkenntnis ungeeignete concupiscentia oculorum entlarvt. In einem Sog des Sehens gefangen 67, vermag Paris weder die Konstruktion des Apfels als Vorverweis auf Helena in geeigneter Relation von Nähe und Distanz zu dechiffrieren 68 noch die Folgen seiner figuren-, nicht auch raumbezogenen Gier abzusehen, Helena als die Schönste nicht nur visuell in Besitz zu nehmen, um durch sie nicht etwa Erkenntnis, sondern „kurzewîle und […] gelust“ 69 zu finden 70. Folgen dieser Unzuverlässigkeit des physischen Blickes, seiner Anfälligkeit durch „Störung[en] der visuellen Wahrnehmung“ 71, schreiben sich notwendig in Paris’ Innerlichkeit, seine memoria als Instanz potentiellen Transfers, ein. Paris’ Sehnsucht als Seh-Sucht etabliert einen Hiatus zwischen Altem und Neuem, Erinnern und Begehren, ist er doch so verstrickt in „niuwer minne, / daz er der alten niht enpfant“ 72, seine Geliebte, Oenone, „vergaz dô sâ zehant“ 73. Einem Reisenden aber, der ein Ufer seines physischen und kognitiven 64

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J.-M. Pastré, Typologie und Ästhetik: Das Porträt der Helena im ‚Trojanerkrieg‘ Konrads von Würzburg, in: H. Brunner (ed.), Konrad von Würzburg. Seine Zeit, sein Werk, seine Wirkung (Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 5), Stuttgart 1988/1989, 397–408, hier 408. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 18904. Ibid., V. 18910. So betont Konrad bezüglich der Schilderung des Apfelurteils die Dominanz des Auges in Paris’ Abwägungen unter Rückgriff auf Formulierungen, die der Darstellung des Denkprozesses eine visuelle Codierung verleihen. Mithilfe seiner „ougen“ (ibid., V. 2706) und dessen, was Paris im Göttinnenstreit „vil gar betrahten“ (ibid., V. 2709) kann, fällt er seine Entscheidung zugunsten der Venus respektive der Helena. Nur ein naher und zugleich aufmerksamer Blick ist fähig, dies hebt die Schilderung des Apfels hervor, dessen Materialien, Textur und Komposition zu decodieren – ein Verweis auch auf Problematiken der Weltbetrachtung, erinnert doch der Apfel in seiner hemisphärischen Konstruktion nicht von ungefähr an antike und mittelalterliche Kosmosvorstellungen (cf. ibid., Vv. 1390–1433). Ibid., V. 2725. Ähnlich der Relation, die R. Schlesier hinsichtlich der Kardinallaster in Augustinus’ ‚Confessiones‘ konstatiert, ist hier „die Augenlust […] nicht strikt von der Fleischeslust zu trennen, da auch sie der Sinnlichkeit zumindest als ihrem Medium zugeordnet bleibt“ (R. Schlesier, Die Schmerzlust des Zuschauers. Dramatisierungen der Neugier bei Euripides und Augustinus, in: M. Baisch/E. Koch [eds.], Neugier und Tabu [nt. 1], 27–44, hier 33). Paris’ Wahrnehmung unterliegt damit von Beginn an der durch Augustinus artikulierten Gefahr, in amor, in faszinierter Begeisterung für das zu Erblickende, zu einem Verzicht auf dessen Reflexion verführt zu werden, cf. Augustinus, Confessiones, X, 6, 10, ed. Verheijen (nt. 24), 160. A. Schulz, Schwieriges Erkennen. Personenidentifizierung in der mittelhochdeutschen Epik, Tübingen 2008, 462. Auf die Problematik der sinnlichen Wahrnehmung des Apfels geht auch W. Freytag in ihrer Betonung der „affektische[n] Urteile“ ein, die die Betrachtenden angesichts des Übermaßes an visuellen Reizen bei gleichzeitiger Unsichtbarkeit Discordias erkennen lassen, cf. W. Freytag, Zur Logik wilder âventiure in Konrads von Würzburg Paris-Urteil, in: Brunner (ed.), Konrad von Würzburg (nt. 64), 373–395, hier 382. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 4376 sq. Ibid., V. 4378.

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Bewegungsraumes aus dem Blick verliert, bleiben Verinnerlichung, visio interna und conversio voluntatis versagt. Mit der Problematik eines Transfers wird Paris schon bei seiner verzögerten Ausfahrt zur Insel konfrontiert, da es ihm nicht gelingt, die Neugier in Taten zu übersetzen, sich physisch wie kognitiv auf den Weg zu begeben. Orientierungsloses Warten, zu dem Paris in Ermangelung eines handlungskompetenten Agens für sein begehrendes Auge gezwungen ist, verdeutlicht die Diskrepanz kognitiver Passivität und zur Erkenntnis erforderlicher Aktivität 74, die auch in Paris’ quälender Neugier als paradoxer Kumulation aus Langeweile und Kurzweil zum Ausdruck kommt. Ohne Möglichkeit, Helena zu „beschouwen“ 75, etabliert Paris auf der Suche nach kompensatorischer „kurzewîle“ 76, mit deren Hilfe er „die stunde lanc / mit ougenweide kürzen“ 77 kann, ablenkende ‚Neben-Schau-Plätze‘, wie etwa die Jagd 78. Das retardierende Irren im Ausgangsraum als statischer Umweg scheint die Irrfahrt des homo viator Odysseus zu kontrastieren, verweigert Paris doch in „triebhafte[r] Selbstgenügsamkeit des Sich-Überlassens an die Welt der Erscheinungen“ 79 einen Progress, sodass es in seiner „bloßen, wiederholten Befriedigung der Schaulust […] keinen reflexiven Fortschritt [gibt], die ästhetische Neugierde ohne bewusste Reflexion […] in Wahrheit nichts Neues [sucht]“ 80 – Neugier zur vana curiositas gerät 81. Dass jenes ‚Er-warten‘ nicht dem für eine conversio konstitutiven ‚Er-fahren‘ entspricht, Paris’ concupiscentia oculorum sich selbst zelebriert und Erkenntnis verhindert, da sie diesen „ze herzen und ze sinne“ 82 vereinnahmt, spiegelt auch die Erzähltechnik. Indem der Roman den zur Bewegung unfähigen Paris verlässt und erst nach weiteren Episoden zu ihm zurückfindet, wird dem Publikum die statische Gier übersetzt 83. 74

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Facetten des Verständnisses der Neugier als Laster, das auf einer Wahrnehmung der Welt „als eine[r] Sphäre blockierter Unmittelbarkeit“ (Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde [nt. 16], 107) gründet, können in Paris’ neugieriger Passivität erkannt werden. Wenngleich sich die Überfahrt nach Kythera nicht per se als gefährlich erweist, zeugt das ausführlich inszenierte Warten von der Notwendigkeit einer adäquaten Dechiffrierungsstrategie, die jedoch durch Seh-Sucht nicht evaluiert und realisiert werden kann. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 18914. Ibid., V. 18815. Ibid., Vv. 18842 sq. Nicht zufällig umfasst jene von Paris gesuchte ougenweide diese Tätigkeit (cf. ibid., Vv. 18812– 18825), ist doch „[a]uch der Antrieb zur Jagd […] Schaulust“ (H. Bleumer, Entzauberung des Wissens. Ästhetik und Kritik in Konrads von Würzburg Partonopier und Meliur, in: M. Baisch/E. Koch [eds.], Neugier und Tabu [nt. 1], 207–233, hier 220). Auf den Konnex von Neugierde, „Müßiggang und unnützem Zeitvertreib“ (Bös, Curiositas [nt. 16], 103) in den Schriften des Augustinus und durch ihn zitierter Autoren geht G. Bös ausführlich ein (cf. ibid., 103 sqq.). Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde (nt. 16), 106. Bleumer, Entzauberung des Wissens (nt. 78), 221. So erweist sich Paris’ gelangweilte Gier nach einem visuellen Erfassen Helenas in ihrer Codierung als concupiscentia oculorum als eine Art „Verzettelungsprozeß“ (Oberman, Contra vanam curiositatem [nt. 48], 20) der Sinne, da sie „sich in der Vielfalt der vorfindlichen Welt verliert“ (ibid., 20). ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 18798. Auch in Paris’ Worten, die er an die trojanischen Krieger richtet, um sie von einer Reise nach Kythera zu überzeugen, kommt mit der Wiederholung und Umrahmung des Verbes versehen

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Für Paris hingegen bleibt die zu Erkenntnis bedeutsame Sprache 84 in seiner Seh-Sucht wirkungslos. Ein Brief der Venus, in Visualität übersetzte Sprache, in dem sie Paris zur Reise ermuntert, fällt erneut dessen concupiscentia zum Opfer, weil sich Paris’ Blick in der Schrift verliert 85. Eine Hinwendung des Auges auf Transzendenz, die der Ungeduldige keineswegs als erkenntnisrelevant erachtet, sondern an die er den Vorwurf richtet, Venus stille sein Verlangen „alze spâte“ 86, misslingt notwendig. Nicht in ihr, sondern in den trojanischen Kriegern findet Paris in mangelnder Eigenverantwortung das ersehnte Agens, das aber in seinem Pragmatismus jene Problematik offenbart, die auch Agamemnon an Erkenntnis hindert 87. Wie wenig das physische Auge allein zu Erkenntnis fähig ist, verdeutlicht der Roman sowohl durch die Knappheit der Reiseschilderung 88, in der die geistige Bewegung nahezu unerzählt bleibt, als auch durch die iterative Darstellung seines Versagens. So steigert sich Paris’ Passivität auf Kythera als potentiellem Erkenntnisort, da er von Helenas „inkommensurable[r] Schönheit“ 89 überwältigt „in unmaht nider fiel“ 90 und sich erneut als auf die Hilfe eines Agens, seines „gesinde“ 91, angewiesen zeigt 92. In der Konfrontation des Subjekts und Objekts

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durch das Verb geschehen (cf. ibid., Vv. 18937–18940) sein Selbstverständnis als zentripetale Referenz der Ereignisse zum Ausdruck, die ihm widerfahren, nicht aber durch ihn initiiert werden. Paris’ eigene Tätigkeit artikuliert sich in dem Verb versehen, in seinem Warten und Hoffen, das sprachlich nicht von ungefähr visuelle Konnotationen in sich birgt. Die Bedeutung der Sprache zeigt sich bereits in Platons Schilderung einer Reise des Denkens, das sich wie ein Fährmann respektive Übersetzer zwischen den beiden Ufern des Alltäglichen und des Transzendenten bewegt (cf. Albert, Platonismus [nt. 18], 30). Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 18930 sq. Ibid., V. 18866. Die Divergenz des durch Paris personifizierten Auges und der Krieger als performanzorientiertem Agens deutet sich auch in der Überzeugungsrede des Paris an, die er zur Reisemotivation an die Kämpfer richtet. In seiner visuell codierten Sprache formuliert Paris beinahe trotzig die Möglichkeit, seine Augenlust mit den Interessen der Krieger zu verbinden. Die mangelnde Passung dieser Intentionen legt jedoch Paris selbst offen, indem er um die Reflexion seines Alternativvorschlags zu kriegstaktischem Agieren bittet, wenngleich sein Bruder und Vorredner, der Heerführer Hektor, eine geeignete Kampfstrategie „gar sinneclich“ (ibid., V. 18763) – und nicht, wie Paris, sinnlich motiviert – vorgetragen habe (cf. ibid., Vv. 18755–18775). Cf. ibid., Vv. 19435–19449. E. Lienert, Helena – thematisches Zentrum von Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘, in: Brunner (ed.), Konrad von Würzburg (nt. 64), 409–420, hier 411. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 22396. Ibid., V. 22400. Helenas Schönheit erweist sich in ihrer Wirkung als äußerst ambig, da die Königin selbst als „das ideale Porträt der verführerischen und fatalen Schönheit“ (J.-M. Pastré, Typologie und Ästhetik [nt. 64], 408) sowohl voluptas wie auch sich bis in Passivität steigernde Überwältigung evoziert, eine „Dialektik von Negativität und Positivität“ (Lienert, Helena [nt. 89], 418) anzeigt. In Abhängigkeit von der Distanz ihrer Betrachtung und der Vermeidung möglicher Vereinnahmung durch unreflektiertes visuelles Begehren und maßlosen amor verbleibt ihr Bild als sinnlich Erfahrbares an einer physisch-rezipierenden Oberfläche oder kann als Verweisendes decodiert werden, um über personale Liebe hinaus die Relevanz der Liebe als Kraft im Menschen und im Kosmos zu erkennen. Weniger ihre Schönheit führt, wie E. Lienert in Bezug auf Helenas Ein-

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der concupiscentia oculorum, in dem überforderten Verschließen des Blickes, kann aktives Staunen nicht geleistet werden. Dass diese Codierung der Neugier weder Befriedigung noch Sinnhaftigkeit findet, artikuliert sich in der Modifikation des Transfers, der sich nicht auf das geistig Erfahrene bezieht, sondern auf Helena, die zurück in Troja eine Diffusion der Augenlust evoziert. Als instrumentalisierte Extension Paris’ Selbst sind nun auch die Krieger von ihr befallen, da jeder Kämpfer angesichts Helenas in Trance gerät 93, „der sich an ir figûre / sô lange dô verkapfte“ 94, dass er zu Passivität genötigt den Tod erleidet, sinnhafte Lebensführung in Erkenntnis verfehlt – eine Warnung ebenfalls an das Publikum, durch die Schilderung der Schönheit Helenas und der Grausamkeiten des Krieges nicht in eine rezipierende concupiscentia oculorum zu verfallen. In jenem verkapfen deutet sich die Ambivalenz einer literarisch inszenierten Augenlust an, die „keineswegs nur nach positiven, sondern ebenso nach negativen Empfindungen strebt“ 95 und sich als „besonders gefährliche Versuchung“ 96 präsentiert. Die augustinische Differenzierung zwischen voluptas und Augenlust: „Ex hoc autem euidentius discernitur, quid uoluptatis, quid curiositatis agatur per sensus, quod uoluptas pulchra, canora, suauia, sapida, lenia sectatur, curiositas autem etiam his contraria temptandi causa non ad subeundam molestiam, sed experiendi noscendique libidine. Quid enim uoluptatis habet uidere in laniato cadauere quod exhorreas? Et tamen sicubi iaceat, concurrunt, ut contristentur, ut palleant.“ 97

stellt sich als Reflexionsanforderung an das Publikum. Einer Neugier nach Abstoßendem zu widerstehen, nicht etwa einem morbus cupiditatis 98 zu verfallen und eine pathologische Neugier 99 zu entwickeln oder sich der Wucht des Tragischen hinzugeben 100, ist Anspruch an eine zwischen Nähe und Distanz balancierende Rezeptionshaltung.

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fluss konstatiert, „zwangsläufig ins Verderben“ (ibid., 414), als vielmehr die Art ihrer Rezeption in ungehemmter concupiscentia. Intensiver noch als die Wirkung der Schönheit Polixinas, mit der Helena gemeinsam das Schlachtfeld beobachtet, schildert der Roman jene Effekte, die der Anblick Helenas auf die Krieger erzielt (cf. ‚Trojanerkrieg‘ [nt. 49], Vv. 39242–39281). Ibid., Vv. 39270 sq. Schlesier, Die Schmerzlust des Zuschauers (nt. 70), 34; cf. auch Bös, Curiositas (nt. 16), 100. Schlesier, Die Schmerzlust des Zuschauers (nt. 70), 34. Augustinus, Confessiones, X, 35, 55, ed. Verheijen (nt. 24), 184 sq. Cf. ibid. Cf. Schlesier, Die Schmerzlust des Zuschauers (nt. 70), 34. Die Raum- und Figurenkonstellation, die Konrad in seiner Schilderung der Kriegsgeschehnisse vor Troja entwirft, offenbart durchaus Anklänge an die von Augustinus mit jener krankhaften Augenlust respektive Neugier in Verbindung gebrachte Problematik des Theaters. Die Liebe zum Schmerz um seiner selbst willen, die insbesondere dem Tragödienpublikum zuzuordnen ist (cf. ibid., 35 sq.), und die Augustinus mit den Worten: „Ex hoc morbo cupiditatis in spectaculis exhibentur quaeque miracula.“ (Augustinus, Confessiones, X, 35, 55, ed. Verheijen [nt. 24], 185) fasst, erinnert so an das starrende verkapfen als wechselseitig konzipierte Verfallenheit. Hilflos blicken die dem Tod geweihten Kämpfer aus den Untiefen des Schlachtfeldes auf Helenas Schönheit, hilflos wiederum blickt Helena in einer Teichoskopie auf das grausame Schauspiel des Krieges – und mit ihr das Romanpublikum. Für dieses jedoch gilt es, das dem geistigen Auge Präsentierte nicht ohne reflektierende vernunst mit wohligem Schauer zu betrachten, son-

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3. Reisen als Wechselspiel aus fama und superbia? Jason und seines „freche[n] herzen girde“ Dem Vorwurf mangelnder Handlungsfähigkeit entgeht hingegen Jason, der durch keine Warnung von seiner Reise zur Insel des Goldenen Vlieses abgehalten werden kann. Seine Zielfokussierung und Bereitschaft zur Anstrengung erweisen sich jedoch kaum als Realisierung einer conversio voluntatis, da sie in ein Wechselspiel aus fama und superbia eingebettet sind und der Gefahr einer Entäußerung unterliegen, die einer Verinnerlichung adversativ entgegensteht. Vorrangig dient Jason die Inselreise der Maximierung von wirde, lop und prîs im Ausgangsraum 101, denn dort verlangt es ihn, zu „ganzer wirde“ 102 zu gelangen, als „gar vollekomen / und für den besten ûzgenomen“ 103 zu gelten. Das Streben nach fama entlarvt Jasons Neugier als eines „freche[n] herzen girde“ 104, die – mit dem Ziel, diesen selbst zu einem Objekt rühmender Augenlust werden zu lassen 105 – Jasons Reise dem bewertenden Blick anderer unterordnet. Indem sowohl ein Gelingen der Fahrt als auch, in der Sorge, als „ein verschampter zage“ 106 angesehen zu werden, deren mögliches Scheitern der Beurteilung durch Außeninstanzen ausgesetzt ist, wird eine komplexe Relation von Eigenverantwortung und Abhängigkeit etabliert, die eine Fragmentierung und Disruption jener conversioKonstituenten bedingt. Mit der Gier, sich im Kontext der Insel als Neuartigem zu beweisen, um auf dem Festland als Vertrautem das Ansehen zu steigern, verharrt Jason, anders als der seine Reiseufer sprunghaft wechselnde Paris, kognitiv partiell in seinem Ausgangsraum. Nur durch die Performanz körperlicher Anstrengung, die sich über das als möglich Angenommene ohne Selbstzweifel und Selbstreflexion hinwegsetzt, kann jene fama erlangt werden, die notwendig die der Lastertrias zugehörige Problematik der superbia berührt. Fama und superbia bewirken so ein Spannungsfeld der übermäßigen Konzentration auf Außeninstanzen und zugleich auf die Pflicht zur eigenen Bewährung, die eine Balance aus Mühe und Vertrauen nicht zulässt.

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dern dessen Bedeutsamkeit in kognitiver Nähe und Distanz zu dechiffrieren. Auf die Bedeutung der vernunst für die Poetik Konrads geht W. Freytag ausführlich ein, cf. Freytag, Zur Logik wilder âventiure (nt. 71), 391–394. B. Hasebrink, Rache als Geste. Medea im ‚Trojanerkrieg‘ Konrads von Würzburg, in: M. Meyer/ H.-J. Schiewer (eds.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters, Tübingen 2002, 209–230, verweist ebenfalls auf die besondere Bedeutung des Ansehens und des Ruhmes in Bezug auf Jasons Motivation zur Inselreise und betont, „die Fahrt Jasons [werde so] zu einer Aventiure um den stratifikatorischen Rang des Besten“ (ibid., 212). ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 6659. Ibid., Vv. 6663 sq. Ibid., V. 6740. Die Angewiesenheit von „Repräsentation auf das ‚Auge des Anderen‘“ (Hasebrink, Rache als Geste [nt. 101], 215) wird für Jason in den Konnex von fama, superbia und curiositas verortet und auf eine Aktionsebene bezogen. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 6748.

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Bereits hinsichtlich der Reiseinitiation offenbaren sich spezifische Fallstricke der fama. Die Intrige seines Onkels Peleus, der in seinem „negativ konnotierten Affekt“ 107 des Neids 108 die Ambivalenz externer Bewertungsinstanzen verdeutlicht, pervertiert die zur Erkenntnis relevante Sprache zu einem Täuschungsinstrument, die eine Fehlkontextualisierung der Insel in Jasons Vorstellung bedingt 109. In seiner Überantwortung des Selbst an Peleus manifestiert sich nicht allein Jasons Außenorientierung, sondern die von Augustinus dargelegte Problematik der Erhebung einer Lehrmeinung über den vorliegenden Sachverhalt 110, begeht Jason doch den Fehler, im inselunerfahrenen Onkel einen „unwissende[n] Lehrer für gebildet [zu] halten“ 111. Auch in Bezug auf Jasons Reise, die in jener Entäußerungstendenz kognitive Prozesse vermissen lässt und daher nur kurz geschildert wird 112, sowie auf seinen Inselaufenthalt zeigen sich die Dynamiken einer fama-zentrierten und superbia-basierten Neugier. Wenngleich Jason in der Logik seiner Performanzverpflichtung nach eigenen Worten die Reise zwar zu „leisten mit gedult“ 113 bereit ist, delegiert er dennoch die Mühen der Vorbereitungen an den Schiffskonstrukteur Argus, der eine eigenständige Auseinandersetzung mit dem Meer obsolet erscheinen lässt. Besonders eindrucksvoll jedoch schildert der Roman die Asymmetrie der Inselanforderungen und des Verhaltens des Reisenden anhand Jasons Kampfs um das Vlies. Den Formeln seines bisherigen fama-Erwerbs folgend, vertraut Jason zunächst ausschließlich der eigenen Kampfkraft und offenbart in dieser Hinwendung zu Bekanntem eine Ignoranz gegenüber den Anweisungen Medeas, die als inselerfahrene „Personifikation eines mittelalterlichen Bildungsprogramms“ 114 und einer Transzendenzbindung 115 anders als Peleus zur Belehrung geeignet ist. In Liebe zu Jason zeichnet die Insel-Übersetzerin Medea den 107 108 109

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Hasebrink, Rache als Geste (nt. 101), 214. Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 6611. Dem Erkenntnisanspruch der Insel wird auf diese Weise ihre Imagination als zu Bewältigendes, nicht zu ‚Lesendes‘, entgegengestellt. Die fehlerhafte Belehrung des Jason durch Peleus bewirkt so a priori eine Konzentration auf physische Aktionen und eine Vernachlässigung zentraler Aspekte der Innerlichkeit. Augustinus, De magistro, 45, ed. G. Weigel (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 77), Wien 1961, 53 sq. Bös, Curiositas (nt. 16), 105. Sowohl Jasons Überfahrt in das Land der Medea (cf. ‚Trojanerkrieg‘ [nt. 49], Vv. 6902 sqq.) als auch von dort zur Insel des Goldenen Vlieses (cf. ibid., Vv. 9464–9477) wird nur in wenigen Versen erzählt. Ibid., V. 6744. Hasebrink, Rache als Geste (nt. 101), 220. In ihrer Macht über Flüsse und Gewässer, ihrer Kenntnis der Gestirne, ihrem Wissen „der siben houbetliste“ (‚Trojanerkrieg‘ [nt. 49], V. 7451), ihren Anleitungen zum Umgang mit der Insel des Goldenen Vlieses und den ihr zugewiesenen Gottheiten (cf. ibid., Vv. 8128–8234) befindet sich Medea im Konnotationskontext einer Vermittlungsinstanz zwischen Immanenz und Transzendenz (cf. ibid., Vv. 7416–7453), der sie zur Inselautorität qualifiziert, jedoch zugleich eine reflektierte Positionierung des Reisenden zu ihr erfordert.

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Weg zu einem ‚Lesen‘ des Mesokosmos vor, der Jason „gar endelîche vor geseit“ 116 wird, doch der Reisende verfällt einem „[a]mor […] agendi“ 117, einer „der Verbindlichkeit des Wahren sich entziehende[n] Betriebsamkeit“ 118, in der er seine „superbia des Gott-gleichenwollens“ 119 respektive eine Überhebung der eigenen Handlungskompetenz über Medea 120 artikuliert. Sowohl eine „Lust zum Ausprobieren“ 121, „wolt er doch versuochen daz“ 122, was bisher die Grundlage seines Erfolges bilden konnte, als auch Pflichtbewusstsein, da „wird unde prîs er wolte / ân arbeit niht verschulden“ 123, bewegen Jason jenseits eines Verständnisses der Sinnhaftigkeit seines Handelns zu diesem Agieren, „swie lützel ez im töhte“ 124 – erst resigniert gibt Jason jenes auf. Ähnlich Paris vermag Jason in Medea und dem Vlies Inselcodiertes in den Ausgangsraum zu transferieren, mit der Erringung „ganze[r] wirdikeit“ 125 sogar seine Gier zu befriedigen, nicht aber Erkenntnis zu erlangen. So findet er zurück in Griechenland alsbald den Tod durch Medeas Hand als Zeichen verfehlter Lebensführung und defizitärer Transferleistung, nachdem Jason die Ereignisse der Inselreise „hete gar vergezzen“ 126. In seinem Streben nach maximaler fama und 116 117 118 119 120

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Ibid., V. 9692. Augustinus, De musica, VI, 13, 39, ed. M. Jacobsson (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 102), Berlin–Boston 2017, 222. Blumenberg, Augustins Anteil (nt. 58), 44. Ibid. Während Medeas Fähigkeiten und Anweisungen sich im Kontext der Insel noch in Kohärenz mit der Sphäre des Göttlichen befinden, berücksichtigen sie doch Gebete, so werden sie erst nach ihrer Missachtung durch Jason und seiner Intention, sie für persönliche Zwecke – die Verjüngung seines Vaters – zu nutzen, in ihrem Bezug zur Thematik der curiositas problematisch. Zauberkunst und Astronomie erweisen sich außerhalb der Insel, außerhalb dessen, was dem Menschen zur Erkenntnis preisgegeben, beinahe geschenkt (cf. W. Schröder, Über die Scheu vor der Tragik in mittelalterlicher Dichtung. Jason und Medea im ‚Trojanerkrieg‘ Konrads von Würzburg [Abhandlungen der Marburger Gelehrten Gesellschaft 22], München 1992, 14 sq.) wird, als Instrumente der Neugier, die Augustinus „als Hilfsmittel der curiositas kritisiert“ (Bleumer, Entzauberung des Wissens [nt. 78], 224). So zeigt sich Medea „als Meisterin der Septem artes liberales“ (Hasebrink, Rache als Geste [nt. 101], 217; cf. auch A. Sieber, Medeas Rache. Liebesverrat und Geschlechterkonflikte in Romanen des Mittelalters [Literatur – Kultur – Geschlecht. Studien zur Literatur- und Kulturgeschichte, Große Reihe 46], Köln e. a. 2008, 75), die nicht zum Selbstzweck geraten (cf. Bös, Curiositas [nt. 16], 98) oder von dem Erkenntnisziel abgelenkt werden dürfen, in ihrer Wirkung ähnlich ambig wie Helena. Neben „mariologischen Referenzen“ (Hasebrink, Rache als Geste [nt. 101], 217) wird Medea auch mit unmittelbarer Gewalt und Rache (cf. ibid., 229) assoziiert. Bös, Curiositas (nt. 16), 105. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 9692–9707. H. Blumenberg betont in seiner Analyse der augustinischen curiositas-Konzeption die Vorstellung der Welt als versucherische, die neben einem „Sichversuchen an und mit dem Widerständigen und Ungewöhnlichen (tentandi causa ) zugleich das Versuchtwerden (tentatio )“ herausfordert und bedingt. In seiner superbia unterliegt Jason beiden Varianten des „versuchte[n] Versuchen[s]“ (Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde [nt. 16], 107). ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 9710 sq. Ibid., V. 9708. Ibid., V. 10285. Ibid., V. 11213.

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in mangelnder temperantia 127 erweist sich Jason als zur Verinnerlichung unfähig, verdeutlicht die Codierung der „curiositas als negatives Korrelat der memoria“ 128. Eine anamnesis hinsichtlich seines Selbst und dessen Relation zum Kosmos, der eigenen „metaphysische[n] ‚Geschichte‘ und […] transzendente[n] Bedingtheit“ 129 bleibt Jason in seiner Entäußerungstendenz versagt. Ihre Gefahr vermittelt der Erzähler, wie Paris’ concupiscentia oculorum, auch an das Publikum. Die vorgebliche erzählerische Unkenntnis Medeas weiteren Lebensweges 130 spiegelt so in jenem Entgleiten Medeas als Personifikation des Wissens die Entäußerung erkenntnisrelevanter Verinnerlichungspotentiale. 4. Reisen als Eintauchen in Erkenntnis? Achill und „daz tiefe mer“ Als Personifikation von Wissen und Transzendenz kann auch die Meeresgöttin Thetis, die Mutter des Achill, verstanden werden, die in ihrer Zuordnung zu jenem Konnotationskomplex aus Meer, Staunen und Erkenntnis 131 dessen Reise zur Insel Skyros vermeintlich als vielversprechend ausweist, in ihrem Sohn jedoch auf einen heroischen Kämpfer trifft, der in seiner Affektbindung zunächst kaum zur conversio voluntatis geeignet scheint. Die Bereitschaft, zur Erkenntnis bereist zu werden, artikuliert das Meer, Thetis, daher nicht zufällig, indem es Achills Tendenz zu kriegerischer Gewalt durch einen Gewaltakt zur Erkenntnis beantwortet 132. Schlafend wird Achill von seiner Mutter entführt und im Erwachen aus physischer und kognitiver Dunkelheit der Wucht einer Konfrontation mit der Insel als Erkenntnisort preisgegeben. Eine gänzliche Verfehlung kognitiver Vorbereitung und Bewegung sowie Anstrengung, Zielorientierung und Transferleistung als Anforderungen einer conversio bedeutet dies aber nicht unweigerlich. Entscheidend ist Achills Erwachen noch im Kontext des Denkmediums, das der Grieche in einer Unterwasserreise 133, einer Pergression, durch127 128 129 130 131

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Die Relevanz der temperantia für eine angemessene Neugier legt H. Blumenberg dar, cf. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde (nt. 16), 110. Ibid. Ibid., 110 sq. Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 11350–11355. Neben der philosophischen Implikation des Meeres als Medium des Thaumas, die einen engen Konnex zu Staunen und Neugier anzeigt, affirmieren auch Schilderungen von Meerfrauen als Erzieherinnen in der mittelalterlichen epischen Literatur (cf. R. Simek, Monster im Mittelalter. Die phantastische Welt der Wundervölker und Fabelwesen, Köln e. a. 2015, 125) Assoziationen des Meeres mit kognitiven Prozessen. So erinnert die Darstellung der Reise des Achill an den Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Gewalt, den Platon in seinem Höhlengleichnis darlegt. Auch hier artikuliert sich eine Gewalt zur Erkenntnis, um aus den Fesseln eines Daseins in kognitiver Dunkelheit in deren Licht treten zu können, auch hier finden sich Schmerzen, die das Auge im Erkennen zu ertragen genötigt ist, Wahrnehmungsirritationen und die Tendenz des Erblickenden, in das gewohnte Dunkel zurückzueilen, cf. Platon, Politeia, VII, 515c–516b. Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 14010–14058.

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quert. Jene Verortung in der Liminalität des Uferbereichs bildet den Rahmen für Liminalitätsverhandlungen, die sich auf Achills Identität beziehen, dessen Ambiguität offenbaren und seine Impulsivität zum Vehikel von Neugier werden lassen. In Ermangelung einer aktiven physischen Bewegung trifft Achill die Wucht der zu erbringenden kognitiven Leistung zwar vermeintlich unvorbereitet, doch anders als Paris begreift Achill seine Situation sofort als „ein wunderlichiu sache“ 134, die es mit seinen Sinnen aktiv zu erkunden gilt 135. Mit der Entdeckung der Neugier als Existential und einer mühevollen Reflexionsanstrengung, die sich in einer fragenden Haltung gegenüber Mikro- und Makrokosmos, in Achills diskursiver Betrachtung von Ausgangs- und Ankunftsraum, äußerer und innerer Perzeptionsprozesse sowie Eigen- und Fremdverantwortung zeigt, vermag Achill Nähe und zugleich Distanz zu wahren. Die sich in dem Zweifel: „bin ich ACHILLES oder niht“ 136 artikulierende Identitätsirritation 137 betont die Bedeutsamkeit der Reiseerfahrung für Achills Innerlichkeit und markiert den Scheideweg problematischer curiositas, die mit dem „ihr immanenten Unordnungsgehalt“ 138 eine potentielle „Gegenrichtung zur Selbsterkenntnis“ 139 vorzeichnet, und Erkenntnis ermöglichender conversio. In seinem Erinnern an die Tauchfahrt Alexanders des Großen, „der in daz tiefe mer sich lie“ 140, und damit Anlass zu einem Vergleich gibt, eröffnet Achill nicht nur die Perspektive auf Aspekte der memoria, sondern nimmt in diesem Wissen um ein Konzept der Neugier als Moment der Welterkundung bei gleichzeitiger Distanzierung von Alexanders superbia offenbarender Neugier 141 eine reflektierte Selbstpositionierung vor, eine Ordnung der Neugier zur beginnenden conversio voluntatis 142. 134 135

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Ibid., V. 14072. Anders als Paris verlässt sich Achill nicht allein auf die visuelle Wahrnehmung. Ausdrücklich wendet er sich sowohl dem zu, was „er umbe sich dô sehen“ (ibid., V. 14069) kann, als auch dem, was er zu hören vermag, und nicht zuletzt ebenfalls in seiner eigenen Stimme vernimmt. Erst die Verbindung aus den Perzeptionsmodi ermöglicht Achills Vergegenwärtigung seiner Situation (cf. ibid., Vv. 14122–14129). Ibid., V. 14094. Achills verunsicherte Frage nach der eigenen Identität und das Pseudonym, das der Reisende für die Zeit seines Inselaufenthalts annimmt (cf. ibid., Vv. 15290–15299), rücken die Pergression in den Kontext einer Taufe. Blumenberg, Augustins Anteil (nt. 58), 39. Ibid., 40. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), V. 14080. Alexanders Maßlosigkeit in seiner Eroberungs- und Erkundungslust bedingt dessen ambivalente Konnotation in mittelalterlicher Perspektive (cf. F. Reichert, Das Bild der Welt im Mittelalter, Darmstadt 2013, 13). Unter Berücksichtigung der Ausführungen des Augustinus zu Fragen der Konkupiszenz betont J. P. Andre die Bedeutung einer „Ordnung der Leidenschaften“ (J. P. Andre, Concupiscentia und temperantia. Auf der Suche nach einem realistischen Bild christlicher moralischer Tugend mit Thomas von Aquin [Theologische Reihe 108], Sankt Ottilien 2019, 152), die neben ihrer Codierung als Heilung durch Gnade auch „die Verantwortung und das Bemühen des Menschen“ (ibid.) erfordert.

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Als ein fragiler Dialog aus Affekten und temperantia 143 ist auch Achills Aufenthalt auf der Insel Skyros konzipiert, die der Reisende in einer Art teilnehmenden Beobachtung zu erkunden fähig ist. Motiviert durch seine erotische Neugier gegenüber Deidamia, der Tochter des Inselkönigs, wird Achill zwar in die Gefahr einer concupiscentia carnis gerückt 144, seine geduldige Berücksichtigung einzelner Raumsphären der Insel sowie deren an Schutzgottheiten ausgerichteten Kalenders 145 formt die Affekte jedoch zu einem Vehikel von Welt- und Selbsterfahrung. Ohne sich selbst gänzlich zu revidieren, gelingt Achill auf der als Gegenwelt zu seinen Sozialisationskontexten gestalteten Insel 146 die Erweiterung des Selbst durch die Wahrnehmung einer bisher unentdeckten Hemisphäre seines Mikrokosmos. Nicht von ungefähr vermag Achill seinem Aufenthalt über die Erfüllung seines erotischen Begehrens hinaus Sinn und Dauer zu verleihen, Deidamia zu heiraten und eine Familie zu gründen. Affekte aber, die mit Blick auf die List des Odysseus erneut durch eine fremde Instanz evoziert werden und sich gewaltsam-explosiv in Achills Agieren äußern, das sich unvermittelt bekannten Mustern heroischen Kriegertums zuwendet, pointieren das Defizit an Präparation und Eigenverantwortlichkeit als Bedingungen einer conversio voluntatis. Noch im Raumkontext der Insel wird Achill in die Heeresgemeinschaft der Griechen wiederaufgenommen, wird – abermals ohne selbstständige Bewegung im Raum – zu einem Transfer als genuines Moment einer Erkenntnisfahrt aufgerufen. Erneut offenbart hinsichtlich seiner Abreise ein Liminalitätsraum die Ambivalenz Achills Verhaftetseins in Affekten und seiner Fähigkeit zu Verinnerlichung. Auf die Insel und Deidamia, Raum und Figur 147, zurückblickend, wendet Achill äußeres und inneres Sehen Makro- und 143

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Auf die Relevanz der temperantia und patientia für die Ordnung des Verlangens verweist J. P. Andre in seiner Analyse der Konkupiszenz- und Tugendvorstellungen des Augustinus (cf. ibid., 131–152). Die besondere Bedeutung der minne und des Begehrens für Achills Inselaufenthalt thematisiert L. Miklautsch, Das Mädchen Achill. Männliches Crossdressing und weibliche Homosexualität in der mittelalterlichen Literatur, in: M. Meyer/H.-J. Schiewer (eds.), Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters, Tübingen 2002, 575–596, hier 588. Mit verschiedenen Arten der Liebe als amor, cupiditas und laetitia sowie der Relation zwischen Willen und Passion in der stoischen Philosophie und bei Augustinus befasst sich eingehend C. Newmark, Passion – Affekt – Gefühl. Philosophische Theorien der Emotionen zwischen Aristoteles und Kant (Paradeigmata 29), Hamburg 2008, 64 sq. Indem Achill sein Verhalten den räumlichen und zeitlichen Strukturen der Insel anpasst, während des Festes zu Ehren der Göttin Pallas im Tempelbezirk dieser entsprechend zurückhaltend agiert, bei den Bacchus-Festlichkeiten im Wald dagegen diesem entsprechend ausgelassen, kann der Reisende seinen Aufenthalt auf Skyros in Einklang mit den Inselbewohnern respektive -bewohnerinnen und der Gottheiten gestalten. Die überwiegend von Frauen bevölkerte Insel präsentiert sich als Kontrastwelt zu Achills Kindheit und Jugend im, so betont A. Moshövel, männlich codierten und kriegerisch dominierten Sozialisationskontext des Kentauren Chiron, cf. A. Moshövel, wîplich man. Formen und Funktionen von >Effemination< in deutschsprachigen Erzähltexten des 13. Jahrhunderts (Aventiuren 5), Göttingen 2009, 358. Anders als Paris fokussiert Achill nicht nur eine Figur, sondern auch die Insel, gestaltet seinen Blick nicht allein als Suche nach ougenweide prospektiv-vereinnahmend, sondern vermag erinnernd zurückzublicken.

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Mikrokosmos zu 148. Die Verbindung zwischen Reisendem und Insel verdeutlicht sich dabei in der Reziprozität des inneren Blickes, da Deidamia „sîn ze guote niht vergaz“ 149 und „ouch hete niht der reinen / ACHILLES dô vergezzen“ 150. Verinnerlichung ist Achill möglich, doch das Wissen der Rezipierenden, dass sein Vorhaben, „daz er dâ widerkaeme“ 151 – in einer wiederholten Reise nun auch eine eigenverantwortliche Bewegung zu vollziehen und Versäumnisse der Prozessualität zu kompensieren – misslingen wird, entlarvt jene als fragil. Über die Folgen seiner Verfehlungen auf dem Weg zu Erkenntnis schweigt der Fragment gebliebene Roman. IV. Eine Poetik der Neugier? Literarische Navig ation und Reze ptionsreisen Nicht allein auf intradiegetischer Ebene aber, sondern auch für Rezipierende literarischer Werke sind Erkenntnisreisen, die Reflexion problematischer curiositas sowie vorbildlicher conversio voluntatis von zentraler Bedeutung. Eine Poetik der Neugier, eine erzählerische Navigation, spiegelt daher die Postulate der Neugier für eine Rezeptionsreise – kontextualisiert in einen Appell zur imitatio, wie dies für die Legende ‚Navigatio‘ zu konstatieren ist, oder eine Warnung vor Verfehlungen wie in Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘. Gemeinsam mit Brendan begibt sich das Publikum der Legende auf eine zyklische Reise, die in der Schilderung wechselnder Ansteuerungen bekannter und neuer Inseln eine Balance aus kognitiver Nähe und Distanz erfahrbar macht. In Erinnerung an bereits Rezipiertes und mit der Fähigkeit, dieses zu Neuem in Relation zu setzen und mit einer fragenden Haltung als Relevantes zu begreifen, erfordert auch die Rezeptionsreise eine Dynamik aus Mühe bis zur Erfüllung der Neugier in der Rezeption der terra repromissionis und erzählerischer Bereitstellung. Anamnesis, Orientierung und Reflexion ermöglichen dem aufmerksamen Publikum in einer conversio die Dechiffrierung der Verweiskraft des Erzählten: Erkenntnis, Verinnerlichung und Transfer. Mit der Etablierung einer selbstbewussten Erzählerinstanz 152, die in miteinander verflochtenen Episoden als Erzählinseln verschiedene Figuren fokussiert 153, 148 149 150 151 152

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Cf. ‚Trojanerkrieg‘ (nt. 49), Vv. 29338–29341. Ibid., V. 29341. Ibid., Vv. 2932 sq. Ibid., V. 29177. Cf. E. Lienert, Geschichte und Erzählen. Studien zu Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘ (Wissensliteratur im Mittelalter. Schriften des Sonderforschungsbereichs 226 Würzburg–Eichstätt 22), Wiesbaden 1996, 16. Die Gliederung des Antikenromans in Episoden bedeutet einen besonderen Anspruch an die Rezeption. Diese ist synthetisch und ganzheitlich zu leisten, geben doch auch für die erzählten Ereignisse scheinbar wenig relevante Nebenhandlungen (cf. Lienert, Helena [nt. 89], 415) Aufschluss über Facetten der Neugier. Die Mühe des Dichters zur synthetischen Betrachtung der Quellen und literarischen Traditionen im Dienst eines homogenen Erzählens (cf. B. Kellner, daz alte buoch von Troye […] daz ich ez welle erniuwen. Poetologie im Spannungsfeld von ‚wieder-

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vermeintlich unüberblickbare wildekeit 154, gar eine „Verunklärung des Sinns“ 155 evoziert, stellt Konrad die Fähigkeit seines Publikums zur Neugier auf eine anspruchsvolle Probe. Die Vermeidung jener Nachlässigkeiten der reisenden Figuren in der eigenen Rezeptionsreise ist Prämisse für die Decodierung einer Poetik der Neugier. Nur wer über Neugier verfügt, diese nicht in superbia verweigert, und nur wer sich von rezipierender Augenlust löst, vermag in einem synthetischen Betrachtungsmodus, den auch die mittelalterliche Kosmologie für Makround Mikrokosmos postuliert, über den Literalsinn hinauszublicken 156, der Problematik oberflächlicher Sinnlichkeit 157 zu entgehen. Dem Wechsel der Episoden ist daher mit aktivem Staunen und Zielfokussierung in der Balance von Vertrautem und Neuem zu begegnen, die dem Appell zur Anstrengung Folge leistet und nicht einer concupiscentia, einer aus Spannung und Retarsion gespeisten Lese- respektive Rezeptionslust 158, verfällt. Sprachlich dient eine rhetorische obscuritas nicht nur der Vermeidung einer inadäquaten Simplifizierung des Erzählten 159, sondern fungiert als Staunen Evozierendes, das sich einem schnellen

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holen‘ und ‚erneuern‘ in den Trojaromanen Herborts von Fritzlar und Konrads von Würzburg, in: G. Dicke/M. Eikelmann/B. Hasebrink [eds.], Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter [Trends in Medieval Philology 10], Berlin–New York 2006, 231–262, hier 251 sq.), wird auf diese Weise als Appell an das Publikum vermittelt. So konstatiert E. Lienert, der Roman verfüge über eine Erzähltechnik, die Kohärenz vermissen lasse, cf. E. Lienert, wildekeit und Widerspruch. Poetik der Diskrepanz bei Konrad von Würzburg, in: S. Köbele/J. Frick (eds.), wildekeit. Spielräume literarischer obscuritas im Mittelalter. Züricher Kolloquium 2016 (Veröffentlichungen der Wolfram von Eschenbach-Gesellschaft, Wolfram-Studien XXV), Berlin 2018, 323–341, hier 326. Auch Ch. Cormeau benennt „Fragwürdigkeiten“ des Erzählens sowie Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Erzählkomposition (Ch. Cormeau, Quellenkompendium oder Erzählkonzept? Eine Skizze zu Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘, in: K. Grubmüller/E. Hellgardt/H. Jellissen/M. Reis [eds.], Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft, Tübingen 1979, 303–319, hier 308). Lienert, wildekeit und Widerspruch (nt. 154), 325. Geradezu eine Passion für die Inszenierung von Oberfläche stellt J.-D. Müller in seiner Analyse der Erzähltechnik Konrads fest, cf. J.-D. Müller, Häutungen und neue Kleider. Zum ‚wilden‘ Subtext der Medea-Episode in Konrads von Würzburg ‚Trojanerkrieg‘, in: S. Köbele/J. Frick (eds.), wildekeit. (nt. 154), 297–322, hier 308, betont jedoch zugleich, dass hinter der Fassade des Vollkommenen stets die Gefahr dessen Disruption angedeutet wird, cf. ibid., 316. Cf. Freytag, Zur Logik wilder âventiure (nt. 71), 383. Einen Konnex von „Liebes- und Leselust“ hinsichtlich der Relation von Verzögerung und Erfüllung des Begehrens konstatiert J. Grethlein bereits für Homers ‚Odyssee‘, die den Inselreisen des ‚Trojanerkriegs‘ thematisch wie auch stoff- und rezeptionsgeschichtlich nahesteht, cf. J. Grethlein, Die Odyssee. Homer und die Kunst des Erzählens, München 2017, 266. Wie Grethlein fasst P. Brooks, Reading for the Plot. Design and Intention in Narrative, Oxford 1984, die Rezeption literarischer Werke „als eine Form des Verlangens“ (ibid., 37), das die Literatur in der Verbindung erzählten und rezipierenden Begehrens „als die Dynamik der Bedeutungsbestimmung“ (ibid.) generiert und nutzt, das jedoch zu reflektieren ist. Cf. C. Cardelle de Hartmann, Obscuritas bei Augustin, in: S. Köbele/J. Frick (eds.), wildekeit. (nt. 154), 53–90, hier 54 sq.

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Decodieren verschließt und Rezeptionsmühe erfordert 160, sowie als Stimulans erkenntnisbringender Neugier. Wildekeit resultiert so vielmehr aus einer diffusen Rezeptions-curiositas, sie bedarf eines „rationalen Durchdringens“ 161, um „in ihm scientia, doctrina und disciplina“ 162 und das „Konzept des vernünftig ergründenden Dichtens“ 163 zu entdecken 164, das seine Motivation und sein Ziel außerhalb der Dichtung und des Dichters hat 165 – Erkenntnis über Selbst und Welt zu erlangen und zu vermitteln 166.

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Cf. Müller, Häutungen und neue Kleider (nt. 156), 315. C. Cardelle de Hartmann verweist ebenfalls auf die Rezeptionsanstrengung, die eine dunkle Ausdrucksweise erfordert, hebt aber hervor, dass diese gemäß der Redelehren nicht unergründlich sein darf, sondern mithilfe jener Mühe Verständnis ermöglichen soll, cf. Cardelle de Hartmann, Obscuritas bei Augustin (nt. 159), 54 sq. cf. Freytag, Zur Logik wilder âventiure (nt. 71), 383. Ibid., 383. cf. ibid., 393. Intra- wie extradiegetisch wird auf diese Weise in Konrads Erzählen „dem denkenden Subjekt ein bestimmtes Eigengewicht“ (ibid., 393) verliehen, da die literarischen Figuren wie auch die Rezipierenden aufgefordert sind, dem Anspruch einer zur Erkenntnis des Selbst und des Kosmos führenden Neugier im Sinne einer conversio voluntatis gerecht zu werden. Cf. T. Ehlert, Zu Konrads von Würzburg Auffassung vom Wert der Kunst und von der Rolle des Künstlers, in: Brunner (ed.), Konrad von Würzburg (nt. 64), 79–107, hier 93. W. Freytag konstatiert bezüglich Konrads Erzähltheorie ebenfalls eine „Berührung mit der Erkenntnistheorie der Zeit“, cf. Freytag, Zur Logik wilder âventiure (nt. 71), 383, nt. 57.

Neugier auf Pilgerreise: Curiositas im ‚Liber peregrinationis‘ des Riccoldo da Monte di Croce (ca. 1301) und in Felix Fabris ‚Evagatorium’ (nach 1484) Susanna Fischer (München) und Jacob Langeloh (Freiburg i. Br.) I. Einleitung „Vielleicht überkommt dich das Verlangen (cupiditas ), das Rote Meer zu sehen, (…). Wenn du dort hinkommst, sinne nicht nach über die indischen Düfte und orientalischen Waren, (…) sondern über das Volk, das mit Gottes Hilfe trockenen Fußes mitten durch die Fluten hindurchzog.“ 1

Mit diesen Worten ermahnt Petrarca in seinem ‚Itinerarium ad sepulcrum Domini nostri‘ aus dem Jahr 1358 den Leser, am Roten Meer an die dort geschehenen biblischen Ereignisse zu denken. Diese Ermahnung mag überraschend erscheinen, denn das biblische Ereignis steht in Texten, die über eine Reise ins Heilige Land erzählen, üblicherweise im Zentrum. Bis ca. ins 13. Jahrhundert dominiert eine deutlich selektive Wahrnehmung des Heiligen Landes und Ägyptens, die alles Sichtbare einzig in biblischem Kontext darstellt. Petrarcas Worte geben anschaulich einem neuen Interesse Ausdruck. Seit dem 13. Jahrhundert wird in Pilgertexten zunehmend Bezug auf die fremde Umgebung genommen. Die Entwicklung zu neuen Inhalten setzt sich im 14. Jahrhundert fort. Die Texte übernehmen zusehends eine enzyklopädische Gebrauchsfunktion und es lässt sich Neugier auf Themen wie Klima, Flora und Fauna, wirtschaftliche und ethnologische Aspekte oder weltliche Wunder beobachten 2. Um uns diesem Zusammenhang von Pilgertexten und Neugier anzunähern, fragen wir als Erstes danach, welche Aspekte des vielschichtigen Worts curiositas in Pilgertexten eine Rolle spielen. Nach diesen allgemeinen Überlegungen untersuchen wir in zwei Fallbeispielen die Werke zweier herausragender Autoren, an denen die Dimensionen der Neugier in Missions- und Pilgertexten verdeutlicht 1

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Petrarca, Itinerarium ad sepulcrum Domini nostri, c, 69 in der Übersetzung von J. Reufsteck: Francesco Petrarca, Reisebuch zum Heiligen Grab. Lateinisch/Deutsch, Stuttgart 1999, 65. Francesco Petrarca, Itinerario in Terra Sancta (1358), c. 69, ed. F. Lo Monaco, Bergamo 1990, 80: „Incidet forte cupiditas maris rubri videndi […] Quo cum perveneris, non odores Indicos et eoas merces illis faucibus in Aegyptum atque inde nostrum in mare convectas, sed populum Deo adiutum per medios fluctus sicco pede transitum meditabere.“. S. Fischer, Erzählte Bewegung. Narrationsstrategien und Funktionsweisen lateinischer Pilgertexte (4.–15. Jahrhundert) (Mittellateinische Texte und Studien 52), Leiden–Boston 2019, 64 sqq.

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werden. Wir betrachten zunächst den ‚Liber peregrinationis’ des Riccoldo da Monte di Croce aus dem 13. Jahrhundert und anschließend das ‚Evagatorium’ des Felix Fabri aus dem 15. Jahrhundert, in dem curiositas verstärkt thematisiert wird. II. Curiositas in Pilg er- und Missionstexten Reisen und Neugier hängen aus heutiger Sicht eng zusammen. Für den mittelalterlichen Heilig-Land-Pilgerreisenden eröffnete dieser Zusammenhang jedoch ein größeres Problemfeld, denn das sich von der Spätantike an entwickelnde Pilgerwesen wurde vielfach kritisiert. Hintergrund war die Ansicht, dass der Aufenthaltsort keine Rolle bei der Verehrung Gottes spielen sollte 3. In Pilgertexten musste daher zunächst die Notwendigkeit der Pilgerreise überhaupt gerechtfertigt werden. Eine dort in Prologen oft genannte Motivation ist es, das Heilige Land und die Orte der Heilsgeschichte mit eigenen Augen zu sehen 4. Wer einen Pilgertext verfasste, schrieb sich in seinen Text als Augenzeuge ein 5, der die Wahrheit der biblischen Geschehnisse bezeugte. Das Sehen der heiligen Orte kann daneben als ‚Sehen mit den Augen des Glaubens‘ beschrieben werden, i. e. im Pilgertext wird erzählt, wie am jeweiligen Heilsort das zugehörige Heilsgeschehen visualisiert wird. Diese Form des Sehens wird in zahlreichen Pilgertexten erwähnt 6. Dennoch birgt die Betonung des Sehens und Erlebens der heiligen 3

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So bezeichnet Jesus im Johannesevangelium (Io. 4, 19 f.) die Anbetung Gottes in Geist und Wahrheit als die richtige Form der Verehrung Gottes: „spiritus est Deus et eos qui adorant eum in spiritu et veritate oportet adorare“ (Io. 4, 24). Cf. etwa Riccoldo da Monte di Croce, Liber peregrinationis, ed. R. Kappler, in: Riccold de Monte Croce, Pérégrination en terre sainte et au proche orient. Texte latin et traduction, Paris 1997, 38. Schon Paulinus von Nola spricht in einem Brief von dem Verlangen, die heiligen Orte zu sehen und zu berühren, id., Epistula 49, 14, ed. W. v. Hartel (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 29), Wien e. a. 1894, 402: „non enim alter affectus homines ad Hierosolymam rapit, nisi ut loca, in quibus corporaliter praesens fuit Christus, videant atque contingant“. Zum Sehen und Berühren der heiligen Orte cf. G. Frank, The Pilgrim’s Gaze in the Age before Icons, in: R. S. Nelson (ed.), Visuality before and beyond the Renaissance. Seeing as others saw, Cambridge 2000, 98–115, hier 104 sqq. Cf. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 38–42. Das innere Sehen mit den oculi mentis als Visualisierung biblischer Szenen zielt auf die Imagination biblischen Geschehens ab. Dieses innere Sehen wird zum Teil kontrastierend zum äußeren Sehen genannt. Wie im Heiligen Land die historische Wahrheit der Figur Jesus Christus erblickbar wird, dokumentiert der Pilgertext. So spricht e. g. innerhalb der Texte des 12. Jahrhunderts Johannes von Wu¨rzburg von dem „körperlichen Blick (intuitus corporeus )“, Iohannes Wirziburgensis, Descriptio terre sancte, ed. R. B. C. Huygens, in: Peregrinationes Tres: Saewulf, Iohannes Wirziburgensis, Theodericus (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 139), Turnhout 1994, 79–138, hier 79, 24. Im 13. Jahrhundert verwendet Burchardus de Monte Sion ‚intuitus mentis‘ im Gegensatz zum körperlichen Betrachten mit den oculi corporei. Cf. die Kurzfassung der ‚Descriptio‘ §1, ed. J. R. Bartlett, in: Burchard of Mount Sion, OP: Descriptio Terrae Sanctae, Oxford 2019, 226. Auch Riccoldo, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4), 68 nennt die oculi corporis fu¨r das a¨ußere Sehen und die oculi fidei, mit denen das Heilsgeschehen erblickt wird. Zum

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Orte die Gefahr, dass dem Reisenden schädliche Neugier vorgeworfen werden könnte. Trotz der Spiritualität der Reise führt dies wohl dazu, dass die von Augustinus mit der concupiscentia oculorum in Zusammenhang gebrachte curiositas 7 von den Autorinnen und Autoren lateinischer Pilgererzählungen zunächst nicht als Motivation angeführt wird. Vielmehr werden die Wörter curiositas oder curiosus bis ca. ins 14. Jahrhundert eher vermieden. Dass sich eine Autorin oder ein Autor einer Pilgererzählung als neugierig bezeichnen ist die Ausnahme. Ein seltenes Beispiel dafür ist die Bemerkung des Erzähler-Ichs Egeria im ‚Itinerarium Egeriae‘ aus dem 4. Jahrhundert: „Ego, ut sum satis curiosa […]“ 8. Die im ‚Itinerarium Egeriae‘ genannte Neugier bezieht sich jedoch allein auf die intensive Ergründung biblischer Gegenstände. In späteren Texten, als Beispiel sei die vielrezipierte ‚Descriptio terrae sanctae‘ des Burchardus de Monte Sion 9 aus dem 13. Jahrhundert genannt, treten die Begriffe curiositas oder curiosus nicht auf. Da curiositas eng mit dem vitium curiositatis assoziiert war, überrascht die Vermeidung des Begriffs kaum, denn Pilgerreisenden konnte dieser Vorwurf leicht gemacht werden. Jacques de Vitry klagt in seiner vermutlich 1224 abgeschlossenen ‚Historia orientalis‘ 10 darüber, „unter welcher Plage von Menschen das Heilige Land zu leiden und allmählich zu verkommen begann“ 11. Er unterstellt einigen Pilgerreisenden, die Reise aus reiner levitas und curiositas zu unternehmen, um die Wunder zu betrachten, von denen ihnen erzählt wurde. Um dieser Entwicklung keinen Vorschub zu leisten, zieht Jacques die Konsequenz, in seine Beschreibung nur wenige dieser mirabilia aufzunehmen 12.

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Sehen mit den inneren und äußeren Augen in Pilgererzählungen cf. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 70 sqq. Augustinus, Confessiones, X, 35, 54, ed. L. Verheijen (Corpus Christianorum Series Latina 27), Turnhout 1981, 184 (im Anschluss an I Io 2,16): „Huc accedit alia forma temptationis multiplicius periculosa. Praeter enim concupiscentiam carnis, […] inest animae per eosdem sensus corporis quaedam non se oblectandi in carne, sed experiendi per carnem vana et curiosa cupiditas nomine cognitionis et scientiae palliata. Quae quoniam in appetitu noscendi est, oculi autem sunt ad noscendum in sensibus principes, concupiscientia oculorum eloquio divino appellata est.“ Ibid., X, 35, 57, 185–186: „Verum tamen in quam multis minutissimis et contemptibilibus rebus curiositas cotidie nostra temptetur et quam saepe labamur, quis enumerat?“ Itinerarium Egeriae 16, 3, 12, edd. A. Franceschini/R. Weber, in: Itineraria et alia Geographica (Corpus Christianorum Series Latina 175), Turnhout 1965, 35–90. Cf. Burchardus de Monte Sion, Descriptio, ed. Bartlett (nt. 6). Zur Datierung cf. J. Donnadieu, Introduction, in: Jacques de Vitry, Histoire orientale = Historia orientalis, ed. J. Donnadieu, Turnhout 2008, 5–71, hier: 10 sq. Jacques de Vitry, Historia orientalis, I, 83, ed. Donnadieu (nt. 10), 334: „Quali hominum peste ceperit Terra sancta laborare et paullatim degenerare“. Ibid., 334–336: „Nonnulli autem ex his quos animi vanitas et inconstantie levitas impellebant non tam causa devotionis loca sancta visitaturi peregre procedebant quam causa curiositatis et novitatis, ad partes sibi incognitas transmigrabant, ut mira inexpertis stupenda que de partibus orientis audierant, non sine magno labore probarent. Multa enim in partibus illis mirabiliter operatus est Dominus que sicut iusti et bene affecti et prudentes homines ad laudem Dei convertunt et gloriam, quemadmodum beatus Brandanus longo tempore per maria navigavit ut videret mirabilia Dei in profundo; ita leves et curiosi homines ad vanitatem retorquent que Dominus in argumentum potentie sue et materiam laudis dignatus est operari. Ex quibus pauca de multis, presenti operi dignum duximus, adnectenda diligentibus et studiosis lectoribus forsitan profutura.“

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Wenn curiositas als Sünde verstanden wird (vitium curiositatis ) 13, muss sie einer Person zugeschrieben werden, entweder als Selbst- oder als Fremdzuschreibung. Eine Selbstzuschreibung kann Teil einer Umkehrerzählung werden (siehe unten Abschnitt II). Die Abwendung von der curiositas stellt dann eine Rückwendung (conversio ) zu dem dar, was wirklich wichtig ist 14. Denkbar sind aber auch andere narrative Konstellationen, in denen sich etwa ein Erzähler selbst kritisiert und ironisiert. Auf der anderen Seite kann curiositas als Laster von außen zugeschrieben werden, so wie Jacques de Vitry dieses Laster einigen Pilgern zuschreibt. Im 13. Jahrhundert ist das vitium curiositatis zudem eng mit dem Aufstieg der artesFakultät und dem breiten Studium des Corpus Aristotelicum verbunden. Den Repräsentanten der artes-Fakultät wurde unterstellt, sich aus reinem und damit gefährlichem Wissensdurst mit Naturphilosophie auseinanderzusetzen und damit weniger gefestigte Geister, die davon hörten, in ihrem Heil zu gefährden 15. Beide Formen des Umgangs mit curiositas, die Selbstdiagnose, auf welche die Abwendung von der Neugier folgt, sowie die von extern diagnostizierten Gefahren der Naturwissenschaft sind präfiguriert in Augustinus’ ‚Bekenntnissen‘ 16. Betrachtet man diese Kritik an der Beschäftigung mit Naturwissenschaft, so lässt sich fragen, ob die Sünde der Neugier hier primär vom Erkenntnisinteresse oder vom Erkenntnismaterial abhängt. In der Begriffsgeschichte der curiositas sind beide Dimensionen nachzuweisen 17. Es wäre beispielsweise nicht per se 13

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In Hinblick auf die sonstigen Bedeutungen und die komplexere Wortgeschichte, cf. A. Labhardt, Curiositas: Notes sur l’histoire d’un mot et d’une notion, Museum Helveticum 17,4 (1960), 206– 224. Labhardt vermutet, dass das Substantiv curiositas, im Gegensatz zum schon etablierten Adjektiv curiosus, eine spontane Neuschöpfung Ciceros war, cf. ibid., 209. Cf. auch die Belege zu beiden Wörtern in: Thesaurus Linguae Latinae 4, 1489–1491. 1492–1495. Zum Verhältnis von curiositas und conversio, cf. B. Vinken: Curiositas/Neugierde, in: K. Barck/ D. Fontius/D. Schlenstedt, Ästhetische Grundbegriffe (ÄGB): historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart–Weimar 2000–2010, Bd. 1, 794–813, hier 800. R. Newhauser, Towards a history of human curiosity. A prolegomenon to its medieval phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559– 575, hier 562: „There were a surprisingly varied number of areas which vitium curiositatis came to define, areas which are only partially covered by the English ‚curiosity‘, and they amount to one of the complexities which have not been handled sufficiently by previous scholarship. Not just a means of dealing with man’s right to free speculation, the moral discussion of this vice also came to include a preoccupation with such this-worldly matters as rhetorical flourishes or elaborate dress. Not just the criticism of a too-great or evilly-intended in the affairs of another, vitium curiositatis was also used to describe a perceived secularization of theological studies, an intrusion of the liberal arts, especially the trivium (grammar, logic, and rhetoric), into theological education.“ Cf. besonders Augustinus, Confessiones, V, 3, 4–5 und X, 35, ed. Verheijen (nt. 7), 58 sq. 184 sqq. Grundlegend zum Begriff bei Augustinus: H. Blumenberg, Augustins Anteil an der Geschichte des Begriffs der theoretischen Neugierde, in: Revue d᾿Études Augustiniennes et Patristiques 7 (1961), 35–70; id., Curiositas und veritas. Zur Ideengeschichte von Augustin, Confessiones X, 35, in: Studia Patristica 6 (1962), 294–302 und id., Die Legitimität der Neuzeit. Erneuerte Ausgabe [1988] (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996, 358–376. Cf. zu diesem Zusammenhang Newhauser, History (nt. 15), passim.

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falsch, sich für Naturwissenschaft zu interessieren. Es wäre aber falsch, dies übermäßig und auf Kosten anderer Sorgepflichten zu tun 18. Dennoch könnte man auch argumentieren, dass bestimmte Stoffe besonders dazu verleiten, dies zu tun, wie etwa die Wissenschaft oder eben ferne Länder. Auf ähnliche Weise bedürfen die Erfahrungen auf Reisen und insbesondere auf Pilgerreisen besonderer Rechtfertigung 19. Sofern die Erfahrungen über das Erleben der Heiligen Stätten hinausgehen, können sie dem Verdacht unterliegen, nicht unmittelbar heilsdienlich zu sein. Sicherlich ist es möglich und wichtig, in der Schöpfung Gott zu erkennen 20, aber Umwege können zu Abwegen führen, insofern verband sich mit Reisen oft eine „Sorge um einen der Welterfahrung korrespondierenden Selbst- und Heilsverlust“ 21. Ein im Gegensatz zum vitium curiositatis wohlgeleitetes Interesse kann, wie andere Beiträge in diesem Band an Beispielen aus dem 13. Jahrhundert darstellen, etwa durch Begriffe wie studiositas oder humilitas charakterisiert werden 22. Auch in Pilgertexten lässt sich ein vergleichbarer, positiv konnotierter Begriff finden, der keinen ‚Heilsverlust‘ impliziert. Bei den Begründungen und Rechtfertigungen, welche Verfasser von Pilgertexten zum Teil topisch in ihren Prologen anführen, um ihre Reise zu begründen, wird nicht auf curiositas, sondern auf das desiderium (oder wie oben bei Petrarca auf die cupiditas ), die heiligen Orte zu sehen, verwiesen – so bei Egeria, Burchardus de Monte Sion oder Wilhelm von

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Zur Rolle des Übermaßes in der Bestimmung der curiositas, cf. Newhauser, History (nt. 15), 571– 575. Cf. zum Zusammenhang von curiositas und Pilgerreisen ab dem 14. Jahrhundert U. Ganz-Blättler, Andacht und Abenteuer. Berichte europäischer Jerusalem- und Santiago-Pilger (1320–1520), Tu¨bingen 1990, 237–247; H. Ehrlicher, Literatura peregrina. Kuriose Pilgertexte zwischen Weltlichkeit und Spiritualität, in: W. Nitsch/B. Teuber (eds.), Zwischen dem Heiligen und dem Profanen. Religion, Mythologie, Weltlichkeit in der spanischen Literatur und Kultur der Frühen Neuzeit, München, 2008, 141–169 und C. K. Zacher, Curiosity and pilgrimage. The literature of discovery in fourteenth-century England, Baltimore–London 1976. Die letztgenannte Studie bezieht sich auf volkssprachliche Texte des 14. Jahrhunderts. Zacher sieht Pilger als „curious in the modern sense of the word“ (ibid., 16) an, scheint dann aber anzunehmen, dass auch das so beschriebene Verhalten im Mittelalter grundsätzlich verurteilt wurde. Dass dies nicht der Fall ist, zeigt der genannte Aufsatz von Newhauser, der pointiert kommentiert (Newhauser, History [nt. 15], 567): „Zacher is more stringent in accusing pilgrims of vitium curiositatis than were moralists themselves.“ Weitere Anmerkungen ibid., 567 sq. Cf. die Darstellung anhand von Römer 1.20 bei J. F. Hamburger, Idol curiosity, in: K. Krüger/ L. Daston (eds.), Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 15), Göttingen 2002, 19–57, hier 34– 42 und bes. 35. C. Kiening, Ordnung der Fremde. Brasilien und die theoretische Neugierde im 16. Jahrhundert, in: Krüger/Daston (eds.), Curiositas (nt. 20), 59–109, hier 67. Auch Augustinus thematisiert die Freude an der Schöpfung, die wiederum zu Gott führen kann. Aber wäre es nicht besser, direkt zu Gott zu gelangen? Confessiones X, 35, 57, ed. Verheijen (nt. 7), 186: „Pergo inde ad laudandum te, creatorem mirificum atque ordinatorum rerum omnium, sed non inde esse intentus incipio. Aliud est cito surgere, aliud est non cadere.“ Vergleiche die weiteren Beiträge in diesem Band etwa von Andrea Di Maio und Silvia Negri.

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Boldensele (14. Jh.) 23. Dieser Begriff tritt besonders dann auf, wenn es in den Prologen der von Klerikern verfassten 24 Pilgertexten darum geht, die Notwendigkeit der Reise zu rechtfertigen und auf die vielgestaltige Kritik an Pilgerreisen 25 zu reagieren. Zunächst lässt sich eine curiositas oder ein desiderium beobachten, die/das auf biblische Aspekte konzentriert ist. Wie eingangs erwähnt, lässt sich ab dem 13. Jh. auch eine weitere Form der Neugier finden, die sich auf exotische oder ethnographische Themen richtet, wobei sich bestimmte mirabilia (e. g. Giraffen, Elefanten oder eine Hühnerbrutstation in Kairo) in der Folge als feste Bestandteile der Texte etablieren 26. Während sich diese Aspekte der Neugier auf der Seite der Autoren verorten lassen, finden wir auch Belege dafür, dass von den Autoren auch auf der Seite der Rezipienten eine Neugier oder ein Verlangen, die heiligen Orte kennenzulernen, erwartet wird. Auch das Bedürfnis der Rezipienten, die Reise mittels der Lektüre in der Imagination nachzuvollziehen, solle – so die Prologe – berücksichtigt werden. Verwendet wird in diesem Zusammenhang wiederum das Wort desiderium. Beispiel dafür ist die ‚Descriptio‘ des Theodericus aus dem 12. Jahrhundert 27 und die des schon genannten Burchardus aus dem 13. Jahrhundert 28. Äußerungen in Pilgererzählungen im Zusammenhang mit curiositas können nicht als authentische Zeugnisse behandelt werden, sondern sind vielmehr immer im Zusammenhang des literarisch konstruierten Werkes zu sehen, in wel23

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Itinerarium Egeriae, 3, 2 und passim, edd. Franceschini/Weber (nt. 8), Burchardus de Monte Sion, Descriptio Terrae sanctae, Prologus 2, 1, ed. Bartlett (nt. 6): „quid mirum, si Christiani terram illam, quam Christi sonant ecclesie universe, videre et visitare desiderant?“; Wilhelm von Boldensele, Liber de quibusdam ultramarinis partibus et praecipue de terra sancta, Prolog, ed. C. Deluz, in: Guillaume de Boldensele sur la Terre Sainte et l’égypte (1336). Liber de quibusdam ultramarinis partibus et praecipue de Terra Sancta. Suivi de la trad. de Jean le Long, Paris 2018. Zu den späteren weltlichen Pilgern, die Reiseerzählungen verfassen, gibt es deutliche Unterschiede, da diese ihre (weltlichen) Interessen ohne Konflikte vertreten können, cf. Ganz-Bla¨ttler, Andacht und Abenteuer (nt. 19), 239, die auch betont, dass Zacher, Curiosity (nt. 19) auf die Unterschiede zwischen adligen und klerikalen Pilgerautoren nicht eingeht. Zur frühen patristischen Kritik cf. Hieronymus, Epistula 58, 2, 16 sqq. (Hieronymus, Sancti Eusebii Hieronymi Epistulae, Pars I, ed. I. Hilberg, editio altera supplementis aucta, [Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 54], Wien 1996, 529) und Gregor von Nyssa, Epistula 2, 8 sq. (Gregor von Nyssa, Epistulae, ed. G. Pasquali, Leiden 1959); cf. Ehrlicher, Literatura peregrina (nt. 19), 141 sq.; B. Ko¨tting, Gregor von Nyssas Wallfahrtskritik, in: Studia Patristica 5 (1962), 360–367; E. D. Hunt, Holy Land Pilgrimage in the Later Roman Empire AD 312– 460, Oxford 1982, 91 sqq. Cf. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 198 sqq. Theodericus quidam, Peregrinatio, ed. Huygens (nt. 6), 143–197, hier ll. 9–13: „Ea que de locis sanctis […] vel ipsi visu cognovimus vel aliorum veraci relatu didicimus, cedulis et apicibus annotare curavimus, ut desideriis eorum, qui, cum corporali gressu illuc sequi non possunt, in declaratione eorum, que visu nequeunt attingere, vel auditu percipiant, pro posse satisfaciamus.“ Burchardus de Monte Sion, Descriptio terrae sanctae, Prologus, 4, 17, ed. Bartlett (nt. 6): „Verum uidens quosdam affici desiderio ea saltem aliqualiter imaginari, que non possunt presencialiter intueri, et cupiens eorum desiderio satisfacere, quantum possum, terram ipsam, quam pedibus meis pluries pertransiui, quantum potui, consideraui, et notaui diligenter, et studiose descripsi […]“.

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chen dem ‚Ich‘, wie umfangreich auch immer es in Erscheinung tritt, je nach Textfunktion eine spezifische Rolle zukommt 29. Der Anschein von Unmittelbarkeit und restloser Offenheit ist somit als literarisches Gewand zu betrachten 30 und alle Äußerungen müssen in Zusammenhang mit der literarischen Tradition der Texte bewertet werden 31. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Autoren von Pilgertexten den Begriff curiositas bis ins 13. Jahrhundert weitgehend meiden. Dennoch spielen verschiedene Dimensionen des Begriffs der curiositas eine Rolle. Die Motivation zu reisen, könnte man der Neugier als einem menschlichen Naturverlangen zuschreiben. Die Objekte der Neugierde sind divers. Sie ist sowohl auf die Orte des Heils gerichtet als eine Art spirituelle Neugier, daneben aber auch auf Fremdes und Exotisches. Die Schreibenden versuchen, den Vorwurf der übermäßigen Neugierde zu vermeiden, und müssen daher ihr Schreiben und Schauen rechtfertigen. Neugier tritt zuletzt nicht nur auf Seite der Textproduzenten auf, sondern die auf Nachvollzug ausgelegten Pilgertexte setzen auch eine Neugier der Rezipienten voraus und suchen sie zu befriedigen. Aufbauend auf diesen Vorüberlegungen untersuchen wir nun die Texte zweier Autoren, die exemplarisch beleuchten, welche Dimensionen der curiositas auf Pilgerreisen relevant werden. III. Die Inszenier ung der Umkehr : Der ‚Liber pereg rinationis’ des Riccoldo da Monte di Croce Der Dominikaner Riccoldo da Monte di Croce trat vermutlich 1267/68 in das Konvent Santa Maria Novella in Florenz ein und diente in dieser Ordensprovinz als lector der artes liberales 32. Auf dem Provinzkapitel von 1272 wurde ihm die Leitung des studium dieser Künste in Pisa übertragen, während Thomas von Aquin die Gestaltung der theologischen Studien auferlegt wurde. Riccoldo und Thomas waren auch darüber hinaus verbunden. Sie kannten einander und nach Thomas’ Tod schrieb Riccoldo gemeinsam mit Johannes von Pistoia eine Widerlegung der Vorwürfe gegen Thomas’ Lehre, die nach dessen Tod und insbesondere aus dem Kreis der Franziskaner laut geworden waren 33. Riccoldo war 29 30

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Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 38–42. Zur Vielzahl von Funktionen und Erwartungen, die derartige Texte erfüllen konnten und unter Umständen mussten, cf. C. Sittig, Reiseliteratur, in: G. Ueding (ed.), Historisches Wörterbuch der Rhetorik, vol. 7, Tübingen 2005, 1144–1157. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 22–27. Die meisten Autoren nennen das Jahr 1267, etwa Kappler, Introduction, in: Riccoldo, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4), 13. Zu seinem Leben und Werken bietet die Webseite von Emilio Panella das beste Kompendium, (Stand: 06. 02. 2022). Die biographischen Belege sind gesammelt in E. Panella, Ricerche su Riccoldo da Monte Croce, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 58 (1988), 1–85, hier 5–18. Zum Korrektorienstreit grundlegend L. Hödl, Korrektorienstreit, in: J. Ritter/K. Gründer (eds.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, vol. 4, Basel 1976, 1138 sq. Zur Frage, inwieweit Thomas von der Verurteilung von 1277 betroffen war, cf. den Überblick in J. M. M. H. Thijssen,

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insofern mittendrin in der Kontroverse, die sich um den Unterricht der aristotelischen Naturphilosophie in der artes-Fakultät entwickelte. Von seiner Karriere als Lehrer der artes sind ansonsten nur die ‚Scripta super II Peryhermenias‘ erhalten 34. Zum Provinzkapitel 1288 in Lucca weilte Riccoldo noch in Italien 35. Ende des Jahres finden wir ihn schon im Orient in Akkon. Wie sollte man diesen Aufbruch eines geschätzten Lehrers der artes deuten, der mit über 40 Jahren keineswegs mehr jung war 36? Dorothea Weltecke hat suggeriert, dass dieser scheinbare Umbruch auch daraus resultiert haben könnte, dass Riccoldo kein Fortkommen in seiner bisherigen Tätigkeit sah und bei einer derartigen Unternehmung seine Sprachbegabung gut einsetzen konnte. So sei es „wohl folgerichtig, dass gerade dieser Arteslehrer aus der Toskana sich 1288 auf eine Missionsreise in den Orient begab“ 37. Obgleich ihm „das Predigtamt tatsächlich viel bedeutete“, könnte es auch „Neugier und Lust auf neue Erfahrungen“ gewesen sein, die „ihn auf die Reise lockten“ 38. Riccoldo zeichnete sich auch durch eine gewisse „ethnologische Neugier“ aus, die im Orient besser befriedigt werden konnte 39.

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Censure and heresy at the University of Paris 1200–400, Philadelphia 1998, 52–56. Der Pariser Bischof Étienne Tempier zensiert zwar nicht curiositas, aber immerhin: „vanitates et inanias falsas“ (D. Piché, La Condamnation parisienne de 1277: Nouvelle édition du texte latin, traduction, introduction et commentaire, Paris 1999, 72). Panella, Ricerche (nt. 32), datiert das Werk auf ca. 1275–85. Ibid., 8: „Capitolo Provinciale Lucca 1288: ‚Ad conventum Florentinum ibunt fratres Ricaldus Florentinus cui hoc anno parcimus a lectione, Gratia Florentinus‘“. Als Riccoldo 1267/68 in den Orden eintrat, hatte er bereits die artes studiert, wofür ein Mindestalter von 15 Jahren galt. Insofern erscheint ein Alter von mindestens 40 Jahren plausibel. Mandonnet schlug in einer frühen Studie das Geburtsjahr 1243 vor (cf. R. George-Tvrtkovic, A Christian Pilgrim in Medieval Iraq. Riccoldo da Montecroce’s Encounter with Islam [Medieval Voyaging 1], Turnhout 2012, 3), insofern wäre Riccoldo bei seinem Aufbruch etwa 45 Jahre alt gewesen. D. Weltecke, Die Macht des Islam und die Niederlage der Kreuzfahrer: Zum Verständnis der Briefe an die himmlische Kurie des Riccoldo da Monte di Croce OP, in: Saeculum 58 (2007), 265–296, hier 273. Ibid., 273. Auch J. Schiel, Der ‚Liber Peregrinationis‘ des Ricoldus von Monte Croce. Versuch einer mittelalterlichen Orienttopografie, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 55 (2007), 5– 17, hier 9, konstatiert, Riccoldo erscheine im Teil zu Turkmenen und Tataren als „neugieriger Reisender“. Weltecke, Die Macht (nt. 37), 284: „Das Itinerar ist ungewöhnlich in seiner ethnologischen Neugier, aber nicht so ungewöhnlich für das 13. Jahrhundert, in dem eine Reihe Itinerare verfasst wurden, die individuelle Beobachtungen und neue Erfahrungen mit orientalischen Christen, mit Muslimen und anderen Religionen, wie dem Buddhismus, darstellen und in die traditionelle Gattung einarbeiten. Riccoldos Itinerar folgt also durchaus bereits erkundeten literarischen Wegen.“ Anführen könnte man ebenfalls, dass im Florentiner Umfeld, aus dem er stammte und in dem er lebte, Orientreisen deutlich häufiger geworden waren: „Because travelling east was so popular at the time, it is not surprising that Riccoldo desired to visit not only the Holy Land (a fairly common Christian aspiration) but also places much further afield.“ (George-Tvrtkovic, Christian Pilgrim [nt. 36], 6 sq., hier 7).

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Riccoldo pilgerte zunächst durch das Heilige Land und reiste dann als Missionar Richtung Osten. Er gelangte schließlich nach Bagdad, wo er Arabisch lernte und sich mit dem Koran in seiner Originalgestalt auseinandersetzte. Der Fall Akkons im Jahr 1291, den er dort erfuhr, löste bei ihm eine schwere spirituelle Krise aus, die er in drei ‚Epistole ad ecclesiam triumphantem‘ verarbeitete. Nach seiner Rückkehr, die vor oder in dem Jahr 1300 zu datieren ist, schrieb er seine Hauptwerke nieder: den ‚Liber peregrinationis‘ 40, den Libellus ‚Ad nationes orientales‘ 41 und sein vielleicht wichtigstes Werk, eine polemische Widerlegung des Islam mit dem Titel ‚Contra legem Saracenorum‘ 42. Obwohl die Redaktion dieser Werke sich scheinbar überlappte, spricht viel dafür, dass das Material für den ‚Liber peregrinationis‘ älter ist als dasjenige der anderen Werke und vielleicht schon unterwegs notiert wurde 43. Bis zu seinem Tod am 31. Oktober 1320 hoffte Riccoldo darauf, wieder in den Orient zu reisen und seine Missionarstätigkeit fortzusetzen. Der ‚Liber peregrinationis‘, um den es hier zuvorderst gehen soll, schildert Riccoldos Reiseerfahrungen. Die Schrift beginnt mit der Pilgerfahrt durch das Heilige Land, es folgt eine Beschreibung der Völker, denen der Autor unterwegs begegnet, darunter auch die Tataren. Am Ende steht eine systematische Widerlegung des Islam, der später noch kurze Kapitel mit den Titeln De monstris und De Sabbeis hinzugefügt wurden 44. Gleich zu Anfang des ‚Liber‘ inszeniert Riccoldo 45 seine Reise als eine Umkehr und Rückkehr zum rechten Weg. Von Christus beschämt, der schon als Kleinkind eine Pilgerreise unternommen habe, fühle er sich verpflichtet, seine religiöse Pilgerreise nun mit dem gleichen Eifer anzugehen wie zuvor seine 40 41

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Ricoldus de Monte Crucis, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4). Id. [Riccoldo Florentini], Libelli ad nationes orientales, editio secunda telina, ed. K. Villads Jensen, 2014, (Stand: 06. 02. 2022). Riccoldus de Monte Crucis, Contra legem Saracenorum, ed. J.-M. Mérigoux, in: L’ouvrage d’un frère prêcheur florentin en Orient à la fin du XIIIe siècle. Le ‚Contra legem Sarracenorum‘ de Riccoldo da Monte di Croce, Memorie domenicane 17 (1986), 59–144. Cf. George-Tvrtkovic, Christian Pilgrim (nt. 36), 40: „Indeed, given the embryonic nature of the Liber’s polemic, its numerous anecdotes and first-hand descriptions and frequent use of the first person, it is possible that Riccoldo took notes for, and perhaps even wrote parts of, the Liber while he was still in Baghdad and completed the text upon his return to Florence.“ Cf. E. Panella, Presentazione, in: Memorie domenicane 17 (1986), V–XL, hier: XXVIII–XXXI. Eine grundlegende Einführung in das Werk gab zuletzt M. Robecchi, Riccold de Monte die Croce, ,Liber peregrinationis‘, traduit par Jean de Long d’Ypres, Straßburg 2020, 6–18. Robecchi ediert die französische Übersetzung des Jean de Long zusammen mit einer lateinischen Fassung, die dem Exemplar des Jean de Long nahe kommt, siehe ibid., 186. Aus einer strengeren narratologischen Perspektive wäre es geboten, hier die Funktionen des Autors (wer schreibt?) und des Erzählers (wer sieht, erlebt und schildert die Ereignisse?) immer deutlich voneinander abzugrenzen. Gerade in Hinblick auf Felix Fabri ist dies auch sehr sinnvoll (cf. unten, nt. 72). In Hinblick auf Riccoldo erschien uns dies die Darstellung unnötig zu verkomplizieren daher können im Folgenden mit ‚Riccoldo‘ beide Funktionen angesprochen werden.

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akademische: „Ich beschloss, dass es für mich sehr schändlich wäre, wenn ich nach dem Erhalt von Gott-weiß-wie-vielen Wohltaten […] untätig bliebe und keine Anstrengung der Armut und langen Pilgerfahrt unternähme, vor allem, da ich im Geiste bedachte, wie lange und mühsame Pilgerfahrten ich unternommen hatte, als ich noch ein Laie war, um jene weltlichen Wissenschaften zu erwerben, die man ‚freie Künste‘ nennt.“ 46 Damit gibt er auch preis, dass er schon vor dem Eintritt in den Dominikanerorden ausführlichere Studien betrieb. Er war einer derjenigen Studenten des Weltwissens, die in den 50er und 60er Jahren des 13. Jahrhunderts als neugierige Gefahr für die rechte Lehre und für das menschliche Seelenheil gedeutet wurden. Ebenfalls auf eine Umkehr verweist ein Vers aus Psalm 118 (Vulgata), den Riccoldo sowohl im ‚Liber peregrinationis‘ wie auch in ‚Contra legem Saracenorum‘ als Motto verwendet. Er lautet: „cogitavi vias meas et converti pedes meos in testimonia tua“ [Ps. 118,59] 47. Die Einheitsübersetzung gibt dies als Wendepunkt wieder: „Ich überdachte meine Wege, ich lenkte meine Schritte zu deinen Zeugnissen zurück.“ Riccoldo erzählt seinen Lebensweg somit als eine Rückwendung (conversio ) von der weltlichen, neugierigen Wissenschaft hin zum nützlichen Wissen und Tun 48. Er verwendet damit das narrative Schema, das Augustinus in seiner curiositasKritik der ‚Bekenntnisse‘ entwirft 49. Augustinus thematisiert in diesem Werk seine eigene Wende. Auch er habe sich vorher für die Wissenschaft von der Welt interessiert, besonders für die Astronomie, dann aber realisiert, dass diese Tätigkeiten vom wahren Glauben ablenken. Insofern wendete er seine intellektu46

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Riccoldus de Monte Crucis, Liber peregrinationis, c. 1, ed. Kappler (nt. 4), 36: „decrevi quod esset michi valde ignominiosum, quod ego post tot beneficia suscepta que solus ipse novit […] otiosus essem et non probarem aliquid de labore paupertatis et longe peregrinationis, maxime cum in mente mea revolverem quam longas et laboriosas peregrinationes adsumpseram adhuc secularis existens, ut addiscerem illas seculares scientias quas liberales appellant.“ Ibid., aber auch Riccoldus, Contra legem Saracenorum, Prologus, ed. Mérigoux (nt. 42), 62,55. Auch in seinem Werk ‚Ad nationes orientales‘ zitiert Riccoldo Psalm 118 zur Begründung der Abfassung, allerdings andere Verse. Siehe Riccoldus, Ad nationes orientales, Prohemium, ed. Villads Jensen (nt. 41), 1: „Ad hoc igitur efficatius prosequendum, tria principaliter mouere debent predicatores, scilicet status mundi periculosus, actus peccatorum infructuosus, respectus diuinus affectuosus et uiscerosus. ‚Longe a peccatoribus salus‘, ecce primum [Ps. 118,155]; ‚Iustificationes tuas non exquisierunt‘, ecce secundum [Ps. 118,155]; ‚Miseracordie tue multe, Domine‘, [Ps. 118,156] ecce tertium.“ Wie George-Tvrtkovic, Christian Pilgrim (nt. 36), 32–33 betont hat, dient der Besuch der Heiligen Stätten dazu, Hilfe bei dieser persönlichen Umkehr zu erhalten: „rogavi Christum quod sicut aquam in uinum conuerterat, ita aquam mee insipiditatis et indeuotionis conuerteret in uinum compunctionis et spiritualis saporis.“ Insofern stehen die verschiedenen Reisebestandteile nicht unverbunden nebeneinander, sondern: „Riccoldo sees his Holy Land pilgrimage as the spiritual basis for his entire missionary journey.“ (ibid., 33) Cf. Augustinus, Confessiones, V, 3, 3–6, ed. Verheijen (nt. 7), 58–60. Zum narrativen Schema curiositas-conversio, cf. Vinken, Curiositas (nt. 14). Augustinische Motive aufzugreifen, liegt Riccoldo nahe. Für ‚Contra legem Saracenorum‘ ist Augustinus die dominierende Autorität und auch die Epistulae weisen enge Parallelen zu Augustinus auf, cf. M. M. Bauer, Bekenntnisse eines Dominikanermönchs: die ‚Epistole ad Ecclesiam triumphantem‘ des Ricoldus de Monte Crucis und ihr augustinisches Vorbild, in: Mittellateinisches Jahrbuch 51 (2016), 369–387.

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elle Energie von der saecularis scientia ab und hin zu den Wissensgegenständen, die erlaubt und heilsdienlich sind. Indem er seine autobiographische conversio beschreibt, warnt er nun von außen vor den Gefahren des neugierigen Wissenserwerbs um seiner selbst willen 50. Riccoldo stellt sich in ähnlicher Weise dar. Sein übermäßiger Drang nach weltlichem Wissen erscheint in der Erzählung des eigenen Lebens als überwundenes Moment, das ihm zugleich als Antrieb für die Pilgerreise und die Mission im Orient dient. Auch wenn Riccoldo seine Abkehr von der curiositas inszeniert: Erlaubt es sein Werk dennoch, ihn als neugierigen Beobachter zu charakterisieren? Gemäß der offiziellen Intention des Werks wäre dies ausgeschlossen, denn Riccoldo behauptet eingangs, sein Werk sei zuvorderst zweckdienlich. Er schreibe über den Orient, damit „die Brüder, die sich für Christus und zur Verbreitung des Glaubens Mühe auferlegen wollen, wissen, was sie benötigen und wo und wie sie mehr bewirken können.“ 51 Als weitere Motivation nennt er, zwar nicht im Prolog, aber an prominenter Stelle, das desiderium, das Heilige Grab zu besuchen 52. Bei einigen Teilen des Werkes fällt es jedoch schwer, sie unmittelbar der Vorbereitung seiner Brüder auf die Missionsreise zuzuordnen. Gerade die ausführliche Beschreibung, die er den Tatari widmet (gemeint sind damit die Mongolen, die mit ihren Kriegszügen auch Europa in Angst und Schrecken versetzt hatten), wirkt bunt und von Wundern geprägt, und wurde, wie gesagt, in der Forschung als Indiz von Neugier gedeutet. Zu diesem Eindruck trägt bei, dass er nun das Gesehene nicht mehr in strenger Bezugnahme zur Bibel deuten kann, sondern für sich steht 53. Die Analysen Juliane Schiels haben allerdings gezeigt, dass Riccoldos Beschreibungen nicht neu sind 54. Bereits das weit verbreitete ‚Speculum historiale‘ 50

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Wie Blumenberg, Legitimität (nt. 16), 360 sq. festhält, wird hier nicht die Philosophie an sich verurteilt, sie hebt sich vielmehr positiv vom dogmatischen Manichäismus ab (cf. Augustinus, Confessiones, V, 3, 6, ed. Verheijen [nt. 7], 59–60). Problematisch sei lediglich, wenn man sie unreflektiert studiere. Doch ibid., 361: „In dieser Subtilität war der Gedanke freilich nicht traditionsfähig.“ Riccoldus, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4), 36: „Incipit liber peregrinationis fratris R. ordinis predicatorum. Continentur autem in hoc libro sub brevitate regna, gentes, provincie, leges, ritus, secte et hereses et mostra que inveni in partibus orientis ut fratres qui vellent laborem pro Christo adsumere pro fide dilatanda sciant quo indigent et ubi et qualiter magis possunt proficere.“ Ibid., 62: „Venientes autem in Iherusalem ut compleremus desiderium nostrum de uisitatione sepulcri, iterum ascendimus in montem Syon“. Der letzte biblische Referenzpunkt ist die Ebene zwischen den „Bergen des Libanon“ und dem „Mons Niger“ (gemeint ist wohl der Berg al-Qurnat as-Sauda), wo Noah die Arche gebaut haben soll. Riccoldus, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4), 74: „venimus prope Tortosam et inde ostenderunt nobis planiciem inter montes Libani et montem Nigrum ubi Moyses fabricauit archam et postea intrauimus Armeniam apud Laiacium.“ Auch später dient die Sintflut als Referenzpunkt; etwa erreicht er den Berg, wo die Arche landete (ibid., 114) und Riccoldo berichtet ebenfalls von der Behauptung gewisser schamanenähnlicher baxitas, dass die Sintflut ihr Land nicht erreicht habe (ibid., 92). J. Schiel, Mongolensturm und Fall Konstantinopels: dominikanische Erzählungen im diachronen Vergleich, Berlin 2010, 132–135.

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des Vinzenz von Beauvais, das Riccoldo rezipiert hat, enthält eine ausführliche Beschreibung der Tataren 55, die sich wiederum auf mehrere franziskanische Erkundungsmissionen stützte 56. Wie bei Riccoldo erscheinen sie als rohe, unzivilisierte Menschen, die merkwürdige Begräbnisriten befolgen und sich als von Gott gesandtes Volk verstehen. Auch der Gedanke, die Mongolen mit den biblischen Völkern Gog und Magog zu assoziieren, um ihr plötzliches Auftreten zu erklären, ist nicht neu 57. Riccoldo spiegelt hier aber nicht nur ein Standardrepertoire, wie Schiel suggeriert. Seine Beschreibung ist vielmehr knapper als die bei Vinzenz und gleichzeitig mit neuen Beobachtungen und hilfreichen exempla angereichert. Die Erzählung von Gog und Magog ergänzt er etwa um die Beschreibung, wie Hase und Uhu den eigentlich von Alexander dem Großen eingesperrten Völkern zum Ausbruch verhalfen 58. Riccoldo arbeitet also ergänzend, er sammelt nicht blind und er reflektiert über den Wahrheitsgehalt seiner Funde. Wenn er ganz am Ende seines Werks auf die monstra in Bagdad eingeht, so beschränkt er die Darstellung auf pygmäenartige Menschen und Krokodile, die in der modernen Edition nicht mehr als 15 Zeilen umfasst 59. Wenn man also die Wissensgegenstände betrachtet, die Riccoldo vorbringt, so scheint seine Grundhaltung nicht übermäßig neugierig zu sein. Indem er nahe am Terrain des Bekannten bleibt, das er durch zusätzliche Beobachtungen ergänzt, erscheint seine Neugier, zumindest was die Inhalte angeht, durchgängig als eine gezügelte. Warum kann man dann dennoch den Eindruck erhalten, Riccoldo sei genuin neugierig? Dies hat aus unserer Sicht mit der Art der Erzählung zu tun. Im Gegensatz zu den systematisch auflistenden Texten der zum Mongolenstudium ausgesandten Franziskaner, erzählt Riccoldo weniger systematisch und abgeklärt. Seine Erzählung verspricht dem Leser, um es mit den Kategorien von Monika Fluderniks ‚natural narratology‘ zu sagen 60, mehr ‚tellability‘ und mehr ‚point‘. Riccoldo suggeriert in seiner Erzählung, etwas beson55 56

57 58 59 60

Vinzenz von Beauvais, Speculum historiale 29,69–89, Douai 1624, 1209–1216. Erhalten sind insbesondere die Berichte des bereits um 1245 durch Papst Innozenz IV. ausgesandten Botschafters Johannes de Plano Carpini (bei Vinzenz von Beauvais abgekürzt als cap. 32 aufgenommen) und Wilhelms von Rubruk, der vom französischen König Ludwig IX. beauftragt wurde. Beide rechtfertigen ihre Erkundungen durch den offiziellen Auftrag, den sie erhalten haben. Die Darstellungen gehen meist sehr systematisch die Erkenntnisinteressen der westlichen Herrscher durch. Editionen: Giovanni di Pian di Carpine: Storia dei Mongoli, edd. E. Menestò e. a., Spoleto 1989; Wilhelmus Rubruquensis, Itinerarium ad partes orientales, in: A. van den Wyngaert (ed.), Sinica Franciscana. vol. 1: Itinera et relationes Fratrum Minorum saeculi XIII et XIV, Florenz 1929, 164–332. Cf. auch den Beitrag von Helmut Walther in diesem Band. Diese Sicht hat ihren Ursprung in der Prophezeiung des Ps.-Methodius, cf. Schiel, Mongolensturm (nt. 54), 136 sqq. Riccoldo, Liber peregrinationis, ed. Kappler (nt. 4), 98–101. Ibid., 200–203. Cf. besonders die Zusammenfassung M. Fludernik, Die natürlichkeitstheoretische Erzähltheorie (Natural Narratology) und das Problem der kognitiven Wahrnehmungsraster, in W. Eckel/ A. Müller-Wood (eds.), Die Macht des Erzählens. Transdisziplinäre Perspektiven (Komparatistik im Gardez! 7), Remscheid 2017, 60–88.

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ders Spannendes, selbst Erlebtes wissen zu lassen, und verbindet dies mit moralischer Beurteilung. Insgesamt ergibt sich dadurch eher der Eindruck, es finde „Erzählung als Teilhabe an menschlichem Bewusstsein“ 61 statt. Die Erzählung wirkt dadurch lebendiger und dynamischer, was wiederum dazu beigetragen haben könnte, dass Riccoldos Darstellung neugieriger erscheint 62. Will man Riccoldo schlussendlich dennoch ein vitium curiositatis zuschreiben, das sich aus einer übermäßigen Beschäftigung mit den falschen Gegenständen ergibt, dann vielleicht ein solches, das heidnischen und häretischen Meinungen zu viel Raum lässt. Er akzeptiert etwa die Annahme der Mongolen, ein von Gott gesandtes Volk zu sein, um sie erst im Anschluss zu relativieren. Er verzeichnet die „tugendhaften Werke der Sarazenen“ (Opera perfectionis Sarracenorum ) 63 und widerlegt erst dann ihren Glauben. Auch die Rezeption seines Hauptwerks ‚Contra legem Saracenorum‘, auf die wir hier nicht eingehen können, suggeriert, dass Riccoldo einigen Lesern zu unentschieden wirkte 64. In Riccoldos Werk lassen sich somit drei Formen der curiositas diagnostizieren. Erstens erscheint sie als Teil eines von Augustinus kopierten narrativen Schemas und zugleich als Gegenteil der Leistung, die im Werk vollbracht werden soll. Zweitens könnte man Riccoldo Neugier bei der Betrachtung fremder Völker unterstellen, wobei wir dafür argumentiert haben, dass es sich hier um ein inhaltlich klar begrenztes Interesse handelt, das hauptsächlich aufgrund seiner literarischen Form neugierig wirkt. Zuletzt wäre eine Art akademischer curiositas zu beobachten, die zunächst offen für das gegnerische Argument ist, bevor es widerlegt wird. IV. Curiositas vs. de votio in Felix Fabris ‚Evag atorium‘ Während die Verwahrung vor curiositas in den meisten Pilgererzählungen bis ins 14. Jahrhundert dazu führte, dass das Wort nicht verwendet wurde, – auch wenn das nicht bedeuten muss, dass die Werke keine Neugier ausdrücken 65 –, zeigt sich in dem umfangreichen lateinischen Pilgertext des Dominikaners Felix Fabri, dem ‚Evagatorium in Terrae Sanctae Arabiae et Egypti peregrinationem‘ (datiert auf ca. 1484–88) ein anderes Bild. Wie es im Prolog heißt (1,4), soll das ‚Evagatorium‘ nicht nur Wissen vermitteln und zu einer mentalen Pilgerreise 61 62 63 64

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Ibid., 64. Schiel, Der ‚Liber peregrinationis‘ (nt. 38), 9 ist insofern zuzustimmen, dass, wie oben zitiert, Riccoldo als „neugieriger Reisender“ erscheint. Riccoldus, Liber peregriationis, ed. Kappler (nt. 4), 158–173. Die breite Rezeption von Riccoldos Werk ist nur wenig erforscht, aber viele Facetten werden erscheinen im Sammelband K. Villads Jensen/D. Scotto (eds.), Riccoldo da Monte di Croce († 1320): Missionary to the Middle East and Expert on Islam, Stockholm (in Vorbereitung). Wie beispielsweise die ausführliche Erzählung über Wunder, so die Beschreibung verschiedener mirabilia bei Wilhelm von Boldensele oder Ludolf von Sudheim. Cf. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 267–283.

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anregen, sondern auch unterhalten 66. Felix Fabri hebt sich von seinen Vorgängern schon allein durch den Umfang seines Werkes ab und nimmt auch insofern eine Sonderrolle ein, als er vieles, was in früheren Texten nur angedeutet wird, genauestens ausarbeitet, erläutert und anhand zahlreicher Quellen untermauert. Felix Fabri wurde als Felix Schmid in Zu¨rich um 1437/38 geboren 67. In Basel trat er 1452 in den Dominikanerkonvent ein. Ab 1468 hielt er sich im Dominikanerkloster Ulm auf, wo er im Jahr 1502 starb. Er unternahm zwei Reisen ins Heilige Land, die auf die Jahre 1480 und 1483/84 datiert werden 68. Diese Reisen verarbeitete er in mehreren Schriften 69. Nach der ersten Reise verfasste er das ‚Gereimte Pilgerbu¨chlein‘, in dem in poetischer Form die Reise der adligen Ritter gewu¨rdigt wird 70. Nach der zweiten Reise schrieb Fabri das in der Ich-Form verfasste ‚Evagatorium‘. Von dieser Schrift hat sich das auf die Jahre 1484–1488 datierte Autograph erhalten, das auch Änderungen und Nachträge beinhaltet 71. Zahlreiche Passagen des ‚Evagatorium‘ sind durch persönliche Schilderungen gefärbt und mit vielfältigen Details ausgeschmückt. Der Leser verfolgt nicht 66

67

68 69 70 71

Felix Fabri, Evagatorium in Terrae Sanctae, Arabiae et Egypti peregrinationem, 3 voll., ed. C. D. Hassler (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart 2–4), Stuttgart 1843–1849 sowie id., Les errances de frère Félix, pèlerin en Terre Sainte, en Arabie et en Égypte (1480–1483), 9 voll., edd. J. Meyers/N. Chareyron, Montpellier 2000–2021. Wir zitieren noch nach der Ausgabe von Hassler, da bei der Fertigstellung des Beitrags noch nicht alle Bände der französischen Ausgabe erschienen waren. In den in diesem Beitrag verwendeten Passagen gibt es keine maßgeblichen Abweichungen im Vergleich mit der Edition von Meyers. Zu Felix Fabri cf. F. Reichert/A. Rosenstock (eds.), Die Welt des Frater Felix Fabri, Weißenhorn 2018; H. Wiegand, Felix Fabri. Dominikaner, Reiseschriftsteller, Geschichtsschreiber 1441/42– 1502, in: Lebensbilder aus Schwaben und Franken 15 (1983), 1–28; W. Carls, Felix Fabri. Die Sionpilger, Berlin 1999, hier: 53–56; Felix Fabri, Les errances, edd. Meyers/Chareyron (nt. 66), vol. I, VII–XIX; J. Klingner, Fabri, Felix, in: Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter, vol. 3, Berlin–Boston 2012, 922–935; Felix Fabri, Tractatus de civitate Ulmensi. Traktat u¨ber die Stadt Ulm, ed. F. Reichert, Konstanz 2012, 407–415; K. Beebe, Pilgrim and Preacher: The Audiences and Observant Spirituality of Friar Felix Fabri, Oxford 2014; Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 215–235. Mit den Schriften von Felix Fabri und dessen Fremd- und Selbstwahrnehmung beschäftigt sich S. Schro¨der, Zwischen Christentum und Islam. Kulturelle Grenzen in den spa¨tmittelalterlichen Pilgerberichten, Berlin 2009. Cf. Klingner, Fabri (nt. 67), 923 sq. Cf. ibid., 922 sq. Cf. ibid., 923 sq., zur Überlieferung, ibid., 927. Ulm, StB, cod. 19555, 1 und 2 (vormals 6718). Cf. Klingner, Fabri (nt. 67), 925; Carls, Sionpilger (nt. 67), 59. Zur Überlieferung cf. C. Halm, Europäische Reiseberichte des späten Mittelalters. Eine analytische Bibliographie, ed. W. Paravicini, vol. 1: Deutsche Reiseberichte (Kieler Werkstücke Reihe D: Beiträge zur europäischen Geschichte des späten Mittelalters 5), Frankfurt am Main 1994, hier: 211 sq.; Schröder, Christentum (nt. 67) 61 sq. Insgesamt sind neben dem Autograph sieben Handschriften sowie Fragmente einer weiteren Handschrift überliefert. Conrad Dietrich Hassler edierte 1843–49 den Text nach dem Autograph. Die neue Edition von Jean Meyers (nt. 66) berücksichtigt neben dem Autograph die Abschrift von Hartmann Schedel (München, BSB, clm. 188–189) und diejenige von Johannes Nuer (München, BSB, clm. 2826– 2827). In deutscher Sprache geschrieben ist das ‚Pilgerbuch‘, das Verweise auf das ‚Evagatorium‘ enthält, cf. Klingner, Fabri (nt. 67), 925. Ebenfalls in deutscher Sprache verfasst ist die Schrift ‚Sionpilger‘, cf. die Edition von Carls (nt. 67).

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irgendeine Reise, sondern er verfolgt die Reise der Erzählerfigur Felix Fabri, der sich als in allen Lebenslagen unermüdlicher, neugieriger Reisender und Autor darstellt und selbst auf dem Esel reitend noch Notizen verfasst 72. Im Gegensatz zu der Tendenz in vielen früheren Pilgertexten, persönliche Involviertheit eher zu vermeiden, inszeniert sich Fabri sowohl als Erzähler als auch als Augenzeuge und schildert sein eigenes Erleben sehr ausführlich. Anders als in den bisher genannten Pilgererzählungen wird die curiositas des Erzählers und anderer Personen im ‚Evagatorium‘ häufig explizit benannt. Curiositas begegnet dabei in zwei einander entgegengesetzten Dimensionen: einerseits als vitium curiositatis, andererseits als positiv konnotierte Neugier im Sinne eines Forscherdrangs oder Wissensdursts. Ferner kann diese curiositas auch den Rezipienten zugeschrieben werden. Bei der Zuschreibung der curiositas an mögliche Rezipienten spielt Felix Fabri mit der ambivalenten Bedeutung des Begriffs. Zwar soll die Lektüre des ‚Evagatorium‘ dessen „bewundernden Geist (animum admirantem )“ und „neugierigen Sinn (mentem curiosam )“ 73 zufriedenstellen – so heißt es im Prolog zur ersten Reise. Doch an anderer Stelle wird Kritikern des Werks schädliche curiositas vorgeworfen. Im Zusammenhang mit den unglaublichen ägyptischen Wundern unterscheidet Fabri drei Leser-Typen, die sein Werk aus unterschiedlichen Gründen kritisieren könnten: Sie seien „neidisch (legens inuidus )“, „kenntnislos (legens inexpertus )“ oder eben „allzu neugierig (legens curiosus uel plus quam oportet studiosus )“ 74. Aufgrund der generellen Kritik an Pilgerreisen ist die Verwahrung des Verfassers vor einer schädlichen curiositas ein zentraler Aspekt, der sich im ‚Evagatorium‘ gattungstypisch besonders zu Beginn der Schilderung der Reisen findet 75. Daneben ist er in einigen Anekdoten ausgeführt. Fabri erzählt von seinem ernsthaften desiderium 76, die Heiligen Orte (wieder) zu besuchen, das vor der zweiten Reise zu einem brennenden desiderium wird 77. Dieser Topos 78 wird ergänzt durch die Betonung, dass eine Pilgerfahrt nicht aus curiositas und levitas unternommen werden darf 79. Damit bezieht sich Fabri auf die „Idealvorstellung“ eines Pilgers 80, der ins Heilige Land reist. Am Ende der Beschreibung der ersten Reise wird nochmals unterstrichen, dass für die Reise Kühnheit (audacia ) und Tapferkeit (fortitudo ) vonnöten seien – die der Autor besitzt, wie impliziert wird –, statt ihrer unter den Reisenden aber häufig lasterhafte Unbesonnenheit (vitiosa temeri72

73 74 75 76 77 78 79 80

Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 66: „Non enim praetermisi nec unum diem in itinere existens, quin aliquid scriberem, etiam in mari tempore tempestatum, in terra sancta, et per desertum saepe scripi sedens in asino, vel in camelo, vel noctibus, quando alii dormiebant, ego sedi et visa in scriptis deduxi.“ Sprechen wir in der Folge von ‚(Felix) Fabri‘ beziehen wir uns damit auf die Erzählerfigur. Ibid., vol. 1, 4. Ibid., vol. 3, 78. Ibid., vol. 1, 27. Ibid., 9 sqq. Ibid., 61 sqq. Cf. supra, 509 sqq. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 27. Ganz-Blättler, Andacht (nt. 19), 238.

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tas ) und neugierige Unbeständigkeit (curiosa instabilitas ) zu finden seien 81. Vor seiner zweiten Reise beschreibt er sein fieberhaftes desiderium und zugleich die Sorge, dass man glauben könnte, er sei wegen seiner erneuten Reiselust „vom Laster der curiositas befallen (vitio curiositatis infectum )“ 82. Der curiositas-Vorbehalt wird klar ausgesprochen und Fabri macht in wörtlicher Anlehnung an Jacques de Vitry deutlich, dass er nicht zu den von diesem verurteilten Pilgerreisenden gehört 83. Im ‚Evagatorium‘ selbst wird das vitium curiositatis zunächst bewusst vermieden, indem Fabri betont, dass er über bestimmte Stoffe nicht schreibt, so beispielsweise über die Grenzbereiche der Welt: „De extremis mundi finibus, etsi mentionem faciam, non tamen describam. Si quis autem legere cupit de his, legat narratorium fratris Odorici, ordinis minoris, qui orientem pervagatus mira sub testimonio iurandi dicit se vidisse.“ 84 Neben Odoricus von Pordenone 85 wird Diodor von den Autoren genannt, die diese Bereiche beschreiben und die Neugier der Leserinnen und Leser befriedigen könnten: „Illi legantur et interrogentur, et curiosis satisfacient.“ 86 Es kommt also auch darauf an, was nicht gesagt wird. Die in Venedig stattfindenden „neugierigen Ausschweifungen“ oder „Ausflüge (curiosas evagationes )“ im Gegensatz zu den „ehrbaren und heiligen (honestas et sanctas evagationes )“ 87 werden in der Beschreibung ausgespart – darauf verweist Fabri explizit. Diese Äußerungen lassen erkennen, wie Fabri den Vorwurf des vitium curiositatis zu vermeiden sucht. Wie ambivalent und an die jeweilige Erzählsituation angepasst das curiositasMotiv verwendet wird, zeigt sich jedoch darin, dass sich das Erzähler-Ich Felix Fabri an zahlreichen Stellen selbst als curiosus charakterisiert. Mit diesem Wort lassen sich sein Forscherverlangen und sein Wissensdurst als Reisender im Sinne einer theoretischen Neugier beschreiben. In diesem Zusammenhang ist zwischen einer formelhaften Verwendung von curiosus im Sinne von diligens, e. g. in der häufig gebrauchten Wendung curiosius inspeximus/perspexi 88 und einer Verwendung im Sinne von sciendi cupidus zu unterscheiden 89. Zudem ist die Verwen81 82 83 84 85 86 87

88 89

Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 60. Ibid., 62. Cf. supra, nt. 12. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 3. Cf. dazu die Edition: Odorico da Pordenone: Relatio de mirabilibus orientalium Tatarorum. Edizione critica a cura di Annalia Marchisio, Florenz 2016. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 3. Ibid., 106. Evagatio ist im ‚Evagatorium‘ Programm. Der Titel des Werkes unterstreicht, dass exkurshaftes Abschweifen ein zentraler Bestandteil der Schrift ist. Cf. J. Meyers, L’Evagatorium ˆ ge. Revue de Frère Félix Fabri: de l’errance du voyage à l’ errance du récit, in: Le Moyen A d’ histoire et de philologie 114 (2008), 9–36. Im Text des ‚Evagatorium‘ selbst heißt es dazu: „decrevi, hunc librum non Peregrinatorium, nec Itinerarium, nec Viagium, nec alio quovis nomine intitulare, sed EVAGATORIUM Fratris Felicis juste dici, nominari, et esse statui. Ex quo titulo, materia confusa et diversa libri, et compositionis indispositio et distractio patesceret.“ (Fabri, Evagatorium, ed. Hassler [nt. 66], vol. 1, 3 sq.) Das Wort ist vor Fabri nicht bezeugt. Cf. dazu das Nachwort der Edition von Fabris Traktat über die Stadt Ulm, ed. Reichert (nt. 67), 410. Cf. e. g. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 1, 175. 328. vol. 2, 334. 345. Cf. dazu Thesaurus (nt. 13), 1492–1495.

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dung des curiositas-Motivs erzählerisch motiviert: So inszeniert das Erzähler-Ich seine eigene Neugier, die in ihrem Drang zur Autopsie manchmal über das eigentlich erlaubte Maß hinausschießt. Curiositas als Forscherverlangen und Wissensdrang äußert sich in Sätzen, wo das Neugierige neben das Neue gestellt ist: „Quamvis autem ego ipse libenter nova et curiosa videam […]“ 90. Die Faszination, Neues zu entdecken, ist hier gepaart mit Bewunderung, wie folgende naturbetrachtende Passage über die Reise durch die Wüste unterstreicht: „Semper enim aliquid novi occurrit, quo homo in admirationem rapitur, vel propter mirabiles habitudines montium, vel propter colorem terrae et rupium et lapillorum varietatem, vel propter nimiam asperitatem, sterilitatem et vastitatem, quae omnia curiosos delectant“ 91. In dieser und vergleichbaren Stellen zeigt sich eine weitere Nuancierung des Begriffs. So kann ‚curiositas‘ respektive das zugehörige Adjektiv im Zusammenhang mit Staunen etwas wie ‚neugierige Bewunderung‘ meinen. Im Kontext von Wundern wird curiosus im ‚Evagatorium‘ daher häufig gemeinsam mit mirans oder admirandus verwendet 92. Ebenfalls bedeutsam ist die Verwendung des curiositas-Motivs für die Inszenierung und Charakterisierung der Persönlichkeit des Erzähler-Ichs. Dabei spielt und kokettiert die Erzählerfigur, wie eine weitere Episode zeigt, mit der Gefahr der Sünde curiositas 93. Es wird erzählt, wie Fabri in der Wüste alleine einen Berg besteigen will. Dieses Unterfangen wird zum Abenteuer, weil er sich verirrt und nur mit größter Mühe den Weg zurück findet. Im Rahmen dieser dramatischen Episode wird das Motiv der curiositas verwendet. Das Erzähler-Ich, das sich schon nicht mehr als Felix, sondern als infelicissimus sieht, macht sich Vorwürfe wegen der eigenen Neugier (curiositas ) und Vermessenheit (praesumptio ) 94. In dieser Episode, die schließlich gut ausgeht, spiegelt sich die Gefahr der curiositas auf der Reise, der (sogar) Felix Fabri ausgesetzt ist. So wird auch eine Erkrankung der Pilgergruppe im Zusammenhang mit curiositas gedeutet 95. Statt von einer Vergiftung geht der Erzähler davon aus, dass die Krankheit von Gott geschickt worden sei, um die Neugier der Pilger, die sich über verschiedene Optionen der Weiterreise stritten, zu verringern (ad humiliandam curiositatem ) 96. Der Topos der Sünde der curiositas taucht noch häufiger auf. Dies betrifft nicht nur größere Verfehlungen, wenn etwa Adelige (nobiles curiosi ) aus lasterhafter Neugier heraus (vitiosa curiositas – non devotionis causa ) Steine aus der Grabeskirche mit Werkzeugen entfernen 97. Auch kleinere Sünden der curiositas, sogar der 90 91 92

93 94 95 96 97

Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 2, 229. Ibid., 424. E. g. ibid., vol. 1, 474 bei dem Schlangenwunder in der Geburtskirche, ibid., vol. 2, 172 bei der Salzsäule von Loths Frau, ebenso bei einem weltlichen Wunder, nämlich einem kleinen Krokodil, ibid. vol. 3, 111. Ibid., vol. 2, 423. Ibid. Ibid., 375. Ibid. Ibid., 97.

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eigenen, werden erzählt. Ein Beispiel dafür ist eine Anekdote, die gleichzeitig den nicht zu bremsenden Forscherdrang des Erzählers herausstellt: In einem fremden Kloster öffnet dieser neugierig einen Riegel, nur um dann sofort von Bienen verfolgt zu werden, die nur schwer loszuwerden sind 98. Auch an weiteren Beispielen zeigt sich, wie neugierige Personen in ihrem unangemessenen und vorwitzigen Verhalten sogleich bestraft werden: Sarazenische Jungen, die in die Geburtskirche einsteigen, werden von einer unerklärlichen Angst ergriffen 99. Eine Pilgerin, die durch starke Neugier und Geschwätzigkeit auffällt, wird bei der Abfahrt des Schiffes auf Rhodos vergessen, worüber fast niemand traurig ist 100. Diese Beispiele zeigen, wie nah positiv konnotierte curiositas als Wissensdrang und ihre problematische Seite zusammenliegen können. Doch es finden sich in der Darstellung des Wissensdrangs verschiedene Aspekte, nämlich die negative Charakterisierung anderer und die Selbstcharakterisierung. Fabri stellt sich dar als jemand, der Autopsie betreibt und hinter die Kulissen schaut, wobei das eigene Verhalten explizit als Gegensatz zu curiositas charakterisiert wird. Dies verdeutlicht eine Passage besonders, in der diskutiert wird, ob ein Christ sine peccato eine Moschee besuchen dürfe (solum ad videndum ) 101. Fabri habe dies getan und es sei dadurch gerechtfertigt, dass der Besucher nur scheinbar neugierig sei, wenn ihn devotio und nicht curiositas angetrieben habe. Im hier genannten Beispiel handle es sich um devotio, da die Moschee an einem heiligen Ort stehe. Auch die häufig beschriebene Pilgerpraktik 102, sich in den Körperabdruck der Heiligen Katharina am Katharinenberg hineinzulegen 103, finde, wie betont wird, „nicht aus Neugier (curiositas ) oder Vermessenheit (praesumptio ), sondern aus Frömmigkeit (pietas )“ 104 statt. Wie wichtig es auch im ‚Evagatorium‘ noch ist, sich von negativ konnotierter curiositas abzugrenzen, zeigen die der curiositas gegenübergestellten Kontrastbegriffe, der bei Jacques de Vitry genannten devotio, oder der pietas, die im Zusam98 99 100

101 102 103 104

Ibid., vol. 3, 235. Ibid., vol. 1, 476. Ibid., 150. Die Passage über die vergessene Pilgerin ist auffällig, da sehr lang davon berichtet wird. Zu neugierigen Frauen im ‚Evagatorium‘ siehe auch ibid., vol 3, 435 und vol. 1, 473. Allgemein cf. den Beitrag von Newhauser in diesem Band. Weiter äußert sich Fabri etwa über Frauen, als er mythologische Beispiele von Frauen nennt, die Verderben brachten (ibid., vol. 2, 365). Auch wenn es Beispiele frommer und tapferer Christinnen gäbe, sei es am besten, alle Frauen zu meiden, so heißt es dort. Insgesamt betont Fabri die erwarteten Geschlechterrollen. Cf. L. A. Craig, ‘Stronger than men and braver than knights’: women and the pilgrimages to Jerusalem and Rome in the later middle ages, in: Journal of Medieval History 29 (2003) 153– 175, hier 158 sqq. Allgemein: id., Wandering Women and Holy Matrons: Women as Pilgrims in the Later Middle Ages, Leiden 2009, 131 sqq. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 2, 229. Cf. auch ibid., 541 über Interesse am schwebende Grab Mohammeds. Fischer, Erzählte Bewegung (nt. 2), 212. Fabri, Evagatorium, ed. Hassler (nt. 66), vol. 2, 465 sqq, Ibid., 467.

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menhang mit der Rechtfertigung der Reise oder einzelner Erlebnisse verwendet werden. Im Prolog stellt Fabri sich in eine lange Reihe andächtig Reisender und grenzt sich deutlich von den neugierigen ab: „in curiosis id locum habeat, qui vanitatis ducti spiritu scrutandorum locorum causa eo pergunt, nullum referentes fructum ex tanto labore et sumptu […] At non sic in his, qui devotionis venerationisque gratia illo proficiscuntur“ 105. An einer letzten Episode lässt sich verdeutlichen, dass das Problem des vitium curiositatis durchgängig bedacht wird und sogar auf theoretischer Ebene diskutiert wird. Bei der Erzählung über den Besuch der Insel Zypern bringt Fabri den Vorwurf eines imaginierten älteren frater auf, der ihn für den Besuch antiker Stätten tadelt: „Sed diceret mihi aliquis frater maturus: ut quid, frater mi, quaesivisti loca Veneris visitatis locis sanctis […]? numquid conscientia tua curiositatis vitio te arguit?“ 106 Bei dieser Gelegenheit wird der Vorwurf des vitium curiositatis ausführlich durch Zitate aus den vitae patrum und durch andere Beispiele heiliger Männer widerlegt. Dieses Beispiel zeigt, dass das Problem des vitium curiositatis mehr als ein Relikt ist, das aus vorangegangenen Pilgertexten übernommen wurde, sondern dass sich hier ein Konflikt manifestiert, der besonders den Mönch und den Humanisten betrifft – wobei Felix Fabri beides in Personalunion ist 107. Die seit der Antike in dem Begriff curiositas steckende Ambivalenz als Tugend und Laster 108 macht sich aufgrund des reflektierten Sprachgebrauchs im ‚Evagatorium‘ deutlich bemerkbar. Auffallend ist im ‚Evagatorium‘ das Eingeständnis der eigenen curiositas, das die Abenteuerlichkeit der Reise und den eigenen Forscherdrang, der über das normale Maß hinausgeht, dokumentiert und erzählerisch hervorhebt. V. Zusammenfassung Das Verhältnis von Pilgerreisen und Neugier ist komplex. Gegenstände der Fremde sind grundlegend verlockend und um Gott zu verehren ist keine Reise ins Heilige Land notwendig. Insofern stehen Pilgerreisen unter Rechtfertigungszwang. Die aus den Reisen resultierenden Erzählungen positionieren sich zum Verdacht, dass die Reise aufgrund von curiositas stattgefunden haben könnte, etwa indem andere Beweggründe wie das desiderium, die Orte des Heils zu sehen, angeführt werden. Die Komplexität der Lage spiegelt sich in den zwei analysierten Beispielen. Riccoldo äußert sich im Gegensatz zu Felix Fabri nicht explizit zur curiositas. Er inszeniert seine Pilger- und Missionsreise aber als eine Um- und Abkehr von 105 106 107 108

Ibid., vol. 1, 24. Ibid., vol. 3, 223. Ganz-Blättler, Andacht (nt. 19), 240. Cf. die Einleitung zu diesem Band. Siehe auch M. Seel, Neugier als Laster und als Tugend, Merkur 62 (2008), 824–832; T. Fuhrer, Das Verlangen nach Unbekanntem. Zum Neugier-Diskurs in der Antike: Von der Theorie des Thales von Milet zur curiositas Ciceros, von Augustins Neugierkritik zum mittelalterlichen Lasterkatalog, in: Akademie Aktuell 69 (2019), 20–25. Cf. Thesaurus (nt. 13) und Labhardt, Curiositas (nt. 13).

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curiositas. Das, was berichtet wird, wird in einen Kontext der Nutzbarkeit gestellt. Wenn Wissen präsentiert wird, dann wird es häufig reflektiert und abgewogen, auch im Dialog mit den Autoritäten. Wir deuten den ‚Liber peregrinationis‘ somit als eine indirekte Auseinandersetzung mit dem Vorwurf der curiositas gegenüber Reisenden, die das Werk formt. Es ist zu vermuten, dass auch Riccoldos persönliche Erfahrungen als Lehrer der artes in der Mitte des 13. Jahrhunderts und Verteidiger der Theologie des Thomas von Aquin eine Rolle spielten. Die literarische Gestalt des ‚Liber‘ lässt es zwar manchmal attraktiv erscheinen, eine grundlegend neugierige Natur zu vermuten, aber Rückschlüsse auf den Autor und seine tatsächliche Haltung bleiben schwierig. Zuletzt haben wir dargestellt, dass auch Riccoldos ausführliche Beschäftigung mit dem Islam als curiositas gelesen werden könnte. Offensichtlich anders ist, dass Felix Fabri Ende des 15. Jahrhunderts die Begriffe curiositas und curiosus explizit verwendet, während sie vorher eher gemieden wurden. Bedeutsam erscheint, wie Felix Fabri sich im Spannungsfeld der zwei Dimensionen der curiositas positioniert. Er spielt sowohl mit der positiven curiositas als Forscherverlangen als auch mit dem vitium curiositatis. Im ‚Evagatorium‘ scheint der Gebrauch der curiositas auf den ersten Blick augustinisch verwurzelt, andererseits geht das Erzähler-Ich mit curiositas wissensbegierig der biblischen Wahrheit nach. Betrachtet man curiositas jedoch im Rahmen der Narration, so erscheint sie auch als erzählerisches Motiv, als Topos, welcher an die Situation angepasst verwendet wird, und dazu dienen kann, um Abenteuer noch ‚ruchloser‘ und abenteuerlicher erscheinen zu lassen oder den Erzähler in besonderer Weise zu charakterisieren und als neugierigen Forscher zu präsentieren, der sich nicht nur auf Gehörtes und Gelesenes, sondern vor allem auf die eigene Betrachtung und Untersuchung verlässt. Im Zusammenhang mit den erzählten Inhalten wird man Felix Fabri auf jeden Fall Neugier unterstellen können. Denn neben heilsrelevantem Wissen werden zahlreiche Anekdoten erzählt, welche die Neugier und Erwartungshaltung des Rezipienten ansprechen. Abschließend lässt sich sagen, dass die Problematik des Umgangs mit dem Komplex curiositas in Pilgertexten, ob sie explizit ausgesprochen wird oder nicht, als eine Konstante zu sehen ist, die noch im 15. Jahrhundert über einen topischen curiositas-Vorbehalt im Prolog hinausgeht. Dadurch, dass sie nun benannt wird, ist sie keineswegs überwunden.

Wie neugierig war man an der päpstlichen Kurie im ausgehenden 13. Jahrhundert? Helmut G. Walther (Jena) Im Frühjahr 1244 spitzte sich der Konflikt zwischen Kaiser Friedrich II. und dem neuen Papst Innocenz IV. erneut zu. Während der Staufer noch auf einen Verhandlungskompromiss angesichts der für ihn vorteilhaften politischen Kräfteverhältnisse in Mittelitalien setzte, konnte der Papst wegen der anhaltenden militärischen Bedrohung durch die im Kirchenstaat stationierten kaiserlichen Truppen sich kaum Vorteile aus einer solchen Lösung erhoffen und ließ die Verhandlungen mit Friedrich nur noch zum Schein weiterführen. Nicht zuletzt dadurch gelang es ihm, seine Planung einer Flucht aus Rom mit Hilfe der Flotte seiner Heimatstadt Genua in Gebiete außerhalb des kaiserlichen Machtbereichs vor dem Kaiser geheimzuhalten. Die Durchführung des Plans gelang. Entsprechend verärgert zeigte sich deshalb Friedrich ob des erfolgreichen Coups des Kontrahenten 1. Am 29. Juni 1244 schiffte sich Papst Innocenz IV. heimlich mit nur fünf Kardinälen, Nepoten und Kurialen in Civitavecchia auf dem Galeerengeschwader ein, das ihm sein Bruder Opizo und der Podestà aus seiner Heimatkommune Genua gesandt hatten. Nur wenige Personen waren in den päpstlichen Fluchtplan eingeweiht; auch gegenüber der Mehrheit der eigenen Parteigänger konnte er ihn geheim halten. Auch durfte nur eine kleine Personengruppe Innocenz auf der Flucht begleiten. Hatte der Papst noch am 18. Mai in Rom das damals nur noch sieben Kardinäle umfassende Kardinalskollegium um zwölf neue ergänzt, so begrenzte er nun seine Begleitung auf der Flucht auf die Personen, auf die er als Berater nicht verzichten wollte. Erst Anfang Dezember 1244 traf Innocenz in Lyon mit inzwischen wieder gewachsener Entourage ein; denn auf mehreren nordwestitalienischen Zwischenstationen hatte sich die Kurie durch inzwischen

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Zur historischen Situation W. Stürner, Friedrich II., vol. 2: Der Kaiser 1220–1250, Darmstadt 2000, 520 sqq.; A. Melloni, Innocenzo IV. La concezione e l’esperienza della cristiantià come regimen unius personae, Genova 1990, 74–77. Reaktion Friedrichs II.: Annales Ianuae, ed. G. H. Pertz (Monumenta Germaniae historica, Scriptores 18), Hannover 1863, 215; dt.: Kaiser Friedrich II. in Briefen und Berichten seiner Zeit, ed./trans. K. J. Heinisch, Darmstadt 1972, 558 („Als ich mit dem Papste Schach spielte, stand die Partie für mich bereits derart, daß ich ihm ‚Schachmatt‘ sagen oder doch den Turm nehmen konnte! Aber da kamen die Genuesen, legten ihre Hände an das Brett und stießen das ganze Spiel um.“).

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auf dem Landweg aus Mittelitalien und Frankreich angereiste Kardinäle wieder erheblich vergrößert 2. Lyon wurde dann für mehrere Jahre Sitz der päpstlichen Kurie und im Sommer 1245 zusätzlich Ort eines allgemeinen Konzils. Für diese Anfang Januar von ihm einberufene allgemeine Synode formulierte Innocenz drei Beratungspunkte: als wichtigster galten ihm die zu beklagenden mehrfachen militärischen Niederlagen der Christen in jüngster Zeit gegen die nach Westen vorstoßenden Mongolen, als zweitwichtigster folgte die missliche Lage der Christen im Heiligen Land, und schließlich als letzter das Vorgehen gegen den nun als Feind der Kirche überführten Friedrich II. Welch hohe prioritäre Bedeutung also das Mongolenproblem für den Papst bei den Konzilsberatungen besaß, zeigt sich auch daran, dass er bei der Flucht aus Rom ein Dossier von 91 Briefen mitnahm, das an der Kurie inzwischen zu diesem Problem gesammelt worden war 3. Dabei hatte Sinibaldo Fieschi als Innocenz IV. bei seinem Pontifikatsbeginn im Sommer 1243 die Mongolengefahr offensichtlich zunächst noch ganz traditionell wie seine Vorgänger bewertet, wie sich am Tenor des Briefes von Juli 1243 an den Patriarchen von Aquileja ablesen lässt 4. Die überraschende militärische Konfrontation der westlichen christianitas mit dem ihr unbekannten Volk der Mongolen von 1241 hatte wegen der verbreiteten eschatologischen Stimmung oft zu einer Gleichsetzung mit den apokalyptischen Völkern Gog und Magog geführt. Für eine satanische Herkunft aus dem Tartarus sprach auch schon ihr Name ‚tartari‘. Noch während des vierten Kreuzzugs in Ägypten hatte man dagegen in den zwanziger Jahren infolge von Nachrichten über Herrschaftsverschiebungen in Asien vergeblich auf militärische Hilfe aus dem asiatischen Osten durch den dort im Weltbild verorteten legendären christlichen Priesterkönig Johannes als Bundesgenossen gegen die Muslime gesetzt 5. 2

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Stürner, Friedrich II. (nt. 1), 523 sqq.; zur Rolle der Kardinäle, A. Paravicini Bagliani, Cardinali di curia e ‚familie‘ cardinalizie dal 1227 al 1254, vol. 1 (Italia Sacra 18), Padua 1972, 163–167, vol. 2, 387–395; Melloni, Innocenzo IV. (nt. 1), 78 sqq.; F. Schmieder, Europa und die Fremden. Die Mongolen im Urteil des Abendlandes vom 13. bis in das 15. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 16), Sigmaringen 1994, 74 sq. Konzilseinladungen: Epistolae selectae ex Innocenti IV registro, 78, ed. C. Rodenberg (Monumenta Germaniae Historica. Epistolae saeculi XIII/2), Berlin 1877, 56 sqq. (= Matthaeus Parisiensis, Chronica Maior IV, ed. H. R. Luard, London 1877, 410 sqq.); Eröffnungsansprache des Papstes, 28. Juni 1245: Brevis nota (Druck: Relatio de concilio Lugdunensi, ed. L. Weiland [Monumenta Germaniae Historica, Constitutiones et acta publica imperatorum et regum II], Berlin 1896, 513–516, hier 514). Zur Sache: H. Wolter, Lyon I, in H. Wolter/H. Holstein, Lyon I und II (Geschichte der ökumenischen Konzilien 7), Mainz 1972, passim und Melloni, Innocenzo IV. (nt. 1), 77 sq. Innocenz IV. an Bela IV., 21. 7. 1243: Druck: Epistolae selectae, 2, ed. Rodenberg (nt. 3), 3 sq. = A. Theiner, Vetera monumenta historica Hungariam Sacram illustrantia I, Rom 1860, 187 sq. G. A. Bezzola, Die Mongolen in abendländischer Sicht (1220–1270). Ein Beitrag zur Frage der Völkerbegegnungen, Bern–München 1974, 13–66; J. Fried, Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Die Mongolen und die europäische Erfahrungswissenschaft im 13. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 241 (1985), 291–332; Schmieder, Europa (nt. 2), 13–20. 198–206; die Rahmenbedingen, Voraussetzungen und Wandlungen des abendländischen Mongolenbildes fasste unter begriffsgeschichtlichen Aspekten 1990 noch einmal die Aachener Dissertation Klopprogges zu-

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Den veränderten Wissensstand des Westens nach 1241 spiegeln die sorgfältig mit Hilfe eines großen Korrespondenznetzes vom englischen Mönchschronisten Matthaeus Paris aus St. Albans zusammengetragenen widersprüchlichen und unklaren Nachrichten. Auch an der päpstlichen Kurie Gregors IX. selbst waren eschatologische Stimmungen weit verbreitet, am deutlichsten vielleicht im Umkreis des sich als unnachsichtiger Propagandist gegen Friedrich II. profilierenden Kardinals Raniero Carpocci von Viterbo. Auch der Papst selbst hatte den Gerüchten über den Kaiser als Helfer oder als der Antichrist selbst verdächtigten Friedrich II. Vorschub geleistet, Friedrich habe die Mongolen als Helfer gegen die Christenheit gerufen 6. Nach der im Juni 1243 endlich beendeten fast zweijährigen Sedisvakanz nach dem Tod Gregors IX. war die erste Reaktion des neuen Papstes in der Mongolenangelegenheit ein im Brief an den Patriarchen von Aquileja enthaltener Kreuzzugsaufruf zur Unterstützung des ungarischen Königs Bela IV. Innocenz wollte diesen nicht mehr länger vertrösten, wie es wohl noch ein Jahr zuvor die Kardinäle, die noch immer keinen neuen Papst gewählt hatten, es in ihrem Schreiben taten, sondern er rief nun zur militärischen Aktion gegen die Mongolen als „Sathane nuntii tartarique ministri“ auf 7. Freilich war 1243 der Vorstoß der mongolischen Heere ins östliche Mitteleuropa wegen der notwendig gewordenen Neuordnung ihrer Großkhanat-Herrschaftsordnung damals schon seit län-

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sammen: A. Klopprogge, Ursprung und Ausprägung des abendländischen Mongolenbildes im 13. Jahrhundert. Ein Versuch zur Ideengeschichte des Mittelalters (Asiatische Forschungen 122), Wiesbaden 1993. Bezzola, Mongolen (nt. 5), 75–81; Fried, Suche (nt. 5), 291–294; Stürner, Friedrich II. (nt. 1), 470–480. 502–509. 530–533. Zum Stilwandel in der päpstlichen Kanzlei unter Innocenz IV. P. Herde, Ein Pamphlet der päpstlichen Kurie gegen Kaiser Friedrich II. von 1245/46 („Eger cui lenia“), in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 23 (1967), 468–538, hier 493– 499. ‒ Die institutionellen Konsequenzen der Veränderungen bei den Entscheidungsfindungen an der päpstlichen Kurie, vor allem unter den Aspekten der rechtlichen Verschriftlichung und der Beteiligung des Kardinalkollegiums, unter Innocenz IV. hebt hervor M. Kaufhold, Die Rhythmen politischer Reform im späten Mittelalter. Institutioneller Wandel in Deutschland, England und an der Kurie 1198–1400 im Vergleich (Mittelalter-Forschungen 23), Ostfildern 2008, 160–180. Zur dagegen polemischen bis antirationalen Ausrichtung der Pamphlete aus dem Umkreis von Kardinal Raniero Capocci: K. Hampe, Über die Flugschriften zum Lyoner Konzil von 1245, in: Historische Vierteljahrschrift 11 (1908), 297–313; Stürner, Friedrich II. (nt. 1), 530–533. Kritische Edition der Texte jetzt in Das Brief- und Memorialbuch des Albert Behaim, ed. T. Frenz/P. Herde (Monumenta Germaniae Historica, Briefe des späteren Mittelalters 1), München 2000; zuvor F. Graefe, Die Publizistik in der letzten Epoche Kaiser Friedrichs II. Ein Beitrag zur Geschichte der Jahre 1239–1250 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 24), Heidelberg 1909 mit deutscher Übersetzung. Brief der Kardinäle: W. Wattenbach, Zum Mongolensturm 1241, in: Forschungen zur deutschen Geschichte 12 (1872), 643–648, 643 sq., wohl als Antwort auf die Gesandtschaft mit Hilfsersuchen Belas IV. an die Kurie von ca. Februar 1242, ed. J.-L.-A. Huillard-Bréholles (Historia diplomatica Friderici Secundi 6/2), Paris 1861, 902–904; dazu Bezzola, Mongolen (nt. 5), 77. Mongolen als Boten Satans im Brief Innocenz IV. an Bela: Theiner, Historia (nt. 4 ) und ed. Rodenberg (nt. 4), 3.

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gerem zum Stillstand gekommen. Doch der Papstbrief benutzte noch immer das geläufige Bild, dass diese tartari wohl Werkzeuge Gottes zur Strafe der sündhaften Christen seien. Diese sollten Gott um Schutz bitten und auf seine Hilfe hoffen, wenn sie diesem grausamen Gegner, der weder Alter noch Geschlecht schonte, militärisch entgegentreten würden 8. Offenkundig hatte der neue Papst aber schon damals erhebliche Zweifel an der Richtigkeit dieses älteren Mongolenbildes. Für Sinibaldo Fieschi, einen der führenden Kanonisten seiner Zeit, entsprachen diese gesicherten Kenntnisse in ihren Prämissen keineswegs dem ihm als Juristen gewohnten Maßstab, i. e. als Grundlage für eine sichere Urteilsbildung. Schon vor seiner Ankunft in Lyon hatte sich der Papst intensiv mit dem offenkundig schon auf Geheiß Gregors IX. an der Kurie angelegten Mongolendossier beschäftigt. Es traf sich deshalb gut, dass noch vor der Ankunft in Lyon ein Augenzeuge des Mongolenvorstoßes im Herbst 1244 in Norditalien eintraf, nämlich der aus Russland stammende Erzbischof Peter, der als Augenzeuge des Mongolensturms Bericht erstatten konnte. Zusammen mit den Kardinälen unterzog der Papst diesen Zeugen einer genauen Befragung und bilanzierte dessen Aussagen in einem systematischen Katalog, der deutlich machte, wie groß die Fehlstellen im Wissen noch waren. Das lässt sich aus den Unterschieden der beiden Fassungen des Berichts über die Befragung Peters beim Chronisten Matthäus Parisiensis und in den ‚Annales Burtonenses‘ ablesen 9. Die Befragung Peters fand nach den ‚Annales Burtonenses‘ erst auf dem Konzil 1245 statt, während Matthäus sie schon auf 1244 noch als cisalpin datiert. Es scheint nun tatsächlich eine zweimalige Befragung Peters gegeben zu haben: Er stand zuerst schon im November

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Bezzola, Mongolen (nt. 5), 76 sq.: „Neue Gedanken finden sich in den kurialen Schreiben nicht: Die Tartaren sind Werkzeuge Gottes zur Strafe für die Sünden der Menschen. Mutig sollen die Christen der Gefahr entgegentreten, Gott um Schutz bitten und auf seine Hilfe hoffen. Die Tartaren, die Gott nicht kennen, erstreben die Vernichtung des Christentums, doch Gott wird sich seines Volkes erbarmen, wenn es demütig ist. Die Tartaren sind grausam, schonen weder Alter noch Geschlecht.“ Matthaeus Parisiensis, Chronica maior IV, ed. Luard (nt. 3), 386–389; Annales Burtonenses, ed. R. Pauli (Monumenta Germaniae Historica, Scriptores 27), Berlin 1885, 474 sq. Synoptischer Druck und Vergleich der Befragungstexte bei H. Dörrie, Drei Texte zur Geschichte der Ungarn und Mongolen. Die Missionsreisen des fr. Julianus O.P. ins Uralgebiet (1234/5) und nach Rußland (1237) und der Bericht des Erzbischofs Peter über die Tartaren (Nachrichten der Akademie der Wissenschaften Göttingen, Philosophisch-historische Klasse 1956/6), Göttingen 1956, 187– 194. Bei Matthäus ist deutlich spürbar, dass er die Aussagen Peters stark an das traditionelle apokalyptisch gefärbte Tartarenbild der älteren Chronistik anpasst, dessen Aufgreifen er durch Zeitgenossen an anderer Stelle in seine Chronik einreiht (Dörrie, Drei Texte [nt. 9], 182; Bezzola, Mongolen [nt. 5], 113–118). Die Fassung der ‚Annales Burtonenses‘, die offensichtlich den Wortlaut des kurialen Protokolls genauer beibehält, ist dagegen im Tonfall nüchterner. Zum Mongolenbild des Matthäus cf. J. J. Saunders, Matthew Paris and the Mongols, in: T. R. Sandquist/M. R. Powicke (eds.), Essays in Medieval History presented to Bertie Wilkinson, Toronto 1969, 116–132; K. Rudolf, Die Tartaren 1241/1242. Nachrichten und Wiedergabe: Korrespondenz und Historiographie, in: Römische Historische Mitteilungen 19 (1977), 79–107.

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1244 dem Papst und den Kardinälen Rede und Antwort, also wahrscheinlich in einem Konsistorium noch in Susa, als Innocenz durch Kreation das Kardinalskollegium erweiterte 10. Unklar war aber auch nach dieser Erweiterung des Wissensstandes, wie die Kurie sich gegenüber den Mongolen nun konkret verhalten sollte. Der Papst zog aus dem letztlich doch diffus bleibenden Ergebnissen der Befragung die für ihn logische Konsequenz und beschloss daher, durch Gesandtschaften zu den Mongolen die verbliebenen Wissenslücken schließen zu lassen. Denn die Vernehmung Erzbischof Peters hatte ihm klar erwiesen, dass dieser sein Wissen zum großen Teil aus zweiter oder gar dritter Hand bezogen hatte und ein weiterer Erkenntnisgewinn also nur empirisch durch die Möglichkeiten der via inquisitionis zu erzielen sei. Dem Kanonisten war ja bewusst, welche Verbesserungen sich im kirchlichen Strafrecht durch den Übergang vom alten Akkusations- zum sogenannten Inquisitionsprozess ergeben hatten 11. Bei seiner ersten Kardinalskreation hatte Innocenz denn auch einen Repräsentanten der innovativen Tendenzen in der Kanonistik, den renommierten älteren Kollegen Gottoffredo da Trani, zum Kardinaldiakon von S. Adriano erhoben 12. Dass die Mongolen an der Kurie nun nicht länger als apokalyptisches Volk galten, wird aus dem mit den Aussagen Peters erstellten Fragenkatalog für das weitere Vorgehen deutlich 13. Wie ungewohnt diese nüchterne und sachliche Lis-

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Dörrie, Drei Texte (nt. 9), 184 (Unterschiede beider Fassungen); Paravicini Bagliani, Cardinali (nt. 2), 164 sq. (Kardinalkreation in Susa November 1244). Zur Rolle des Kardinalskollegs im Pontifikat Innocenz’ IV. J. Johrendt, Zwischen Autorität und Gehorsam: Papst und Kardinalskolleg im 13. Jahrhundert, in: H. Seibert/W. Bomm/V. Türck (eds.), Autorität und Akzeptanz. Das Reich im Europa des 13. Jahrhunderts, Ostfildern 2013, 65–89. K. W. Nörr, Von der Textrationalität zur Zweckrationalität. Das Beispiel des summarischen Prozesses, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 81 (1995), 1–25; Id., Ideen und Wirklichkeiten. Zur kirchlichen Rechtsetzung im 13. Jahrhundert, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, kanonistische Abteilung 82 (1996), 1– 12; H. G. Walther, Das Papsttum und die Entwicklung des hochmittelalterlichen Ketzerstrafrechts, in: K. Kühl/G. Seher (eds.), Rom, Recht, Religion. Symposium für Udo Ebert zum 70. Geburtstag (Politika 5), Tübingen 2011, 133–149. Der neue ordo iudiciarius des Bologneser Kanonisten Tancred, die Konstitutionen der Konzilien von Lyon I (1245) und Lyon II (1274) und der während seines Pontifikats von ihm verfasste Glossenapparat (um 1250) zur Dekretale Gregors IX., X 5.1.26 ‚Olim I. V. et P. ordinis Tyronensis‘ (Innocenz IV., Commentaria Apparatus in V libros decretalium, Frankfurt am Main 1570, Reprint 1968, foll. 496 sq.) erweisen sich als Schlüsseltexte für die inzwischen veränderte juristische Denkweise. Zur Kardinalserhebung Gottofredos da Trani Paravicini Bagliani, Cardinali (nt. 2), 164 sq., 273– 278; Matthaeus Paris, Chronia maior IV (nt. 3), 415: „non erat aliquis domino pape alius specialior vel utilior vel scientia et moribus clarior“. Bezzola, Mongolen (nt. 5), 113 sq.; Fried, Suche (nt. 5), 298–30; H. G. Walther, Erfahrungen aus den Reisen in die Mongolenreiche und ihre Rückwirkungen im Abendland, in: T. Tomasek/ H. G. Walther, Gens consilio et sciencia caret ita, ut non eos racionabilem extimem. Überlegenheitsgefühl als Grundlage politischer Konzepte und literarischer Strategien der Abendländer bei der Auseinandersetzung mit der Welt des Orients, in: O. Engels/P. Schreiner (eds.), Die Begegnung des Westens mit dem Osten, Sigmaringen 1993, 243–262.

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te auf die Zeitgenossen wirkte, ist an beiden Fassungen der englischen Mönchschronisten abzulesen. Im Vergleich zur Textfassung in den ‚Annales Burtonenses‘ ist bei Matthäus noch ein von Pseudo-Methodius gespeister eschatologischer Unterton spürbar, den auch seine sonstigen in die Chronik aufgenommenen Berichte über den Mongolensturm aufweisen 14. Es zeigt sich damit deutlich, dass im Unterschied zum Urteil des jüngsten Biografen des Papstes, für Innocenz IV. das Konzil keineswegs ein „laboratorio ideologico“ 15 darstellte. In seiner Eröffnungsansprache auf dem Konzil bekräftigte Innocenz den Prioritätsrang einer Lösung der Mongolenfrage für ihn. Eine Konzilskommission von inquisitores durfte deshalb erneut Erzbischof Peter vernehmen, um ihren Wissensstand zu aktualisieren und bekam dafür auch den schon in Susa angewandten Fragenkatalog präsentiert 16. Die Konzilsväter stimmten dem vom Papst bereits eingeschlagenen Weg der Wissenserweiterung durch Empirie zu. Schon vor Konzilsbeginn hatte der Papst sich nämlich nach Beratung mit den Kardinälen entschlossen, die für eine politische Reaktion der Kurie notwendigen Informationen, die sich nach neun bis elf Gesichtspunkten gliedern ließen, durch Boten zu den Mongolenherrschern einholen zu lassen 17. Deshalb wurde aus den beiden Mendikantenorden der Franziskaner und Dominikaner je zwei Gesandtschaften zusammengestellt, die auf verschiedenen Wegen, sowohl nördlich über Osteuropa als auch südlich über das Heilige Land und Kleinasien zu den mongolischen Befehlshabern vordringen und durch ihre Erfahrungen auf der Reise den Fragenkatalog abarbeiten sollten. Ursprünge, Glaubensinhalte, Lebensformen, Kampfverhalten, Bevölkerungsgröße, politische Ziele, Vertragsverhalten und Behandlung von Gesandten sollten damit geklärt werden und zur Grundlage der künftigen Politik der Christen gegenüber den Mongolen gemacht werden 18. 14

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Bezzola, Mongolen (nt. 5), 117 und passim zu den Wandlungen des älteren Mongolenbildes; cf. A.-D. v. den Brincken, Die Mongolen im Weltbild der Lateiner um die Mitte des 13. Jahrhunderts unter besonderer Berücksichtigung des „Speculum Historiale“ des Vincenz von Beauvais OP, in: Archiv für Kulturgeschichte 57 (1975), 117–140; Fried, Suche (nt. 5), 298 sqq.; Tomasek/ Walther, Gens (nt. 13); H. G. Walther, Die Veränderbarkeit der Welt. Von den Folgen der Konfrontation des Abendlandes mit dem „Anderen“ im 13. Jahrhundert, in: J. A. Aertsen/A. Speer (eds.), Geistesleben im 13. Jahrhundert (Miscellanea Mediaevalia 27), Berlin–New York 2000, 625–638. Vorliegende Studie erweitert diese früher gemachten Aussagen in Bezug auf ihre wissenschaftsgeschichtlichen wie institutionellen Grundlagen. Melloni, Innocenzo IV. (nt. 1), 101–134. Bezzola, Mongolen (nt. 5), 117 sq. Das berichtet der englische Franziskaner Adam von Marsh in einem Brief an seinen Provinzialminister: Adam Marsh, Letter 213 to Geoffrey de Brie, ed. C. H. Lawrence, The Letters of Adam Marsh, vol. 2 (Oxford Medieval Texts), Oxford 2010: „Iterum proponit dominus papa mittere fratres Minores electos in instanti passagio veris ad gentes, quae destruxerunt, ut dicitur, Terram Sanctam, Chorasmenos sc., et ad Tartaros, ed ad Saracenos, qui perferant mandata apostolica ad illos; et eorum responsa, si dominus fuerit propitius, ad dominum papam referant.“ Zum Entschluss zu Gesandtschaften „domini Pape et venerabilium Cardinalium voluntatem“ cf. B. Roberg, Die Tartaren auf dem 2. Konzil von Lyon 1274, in: Annuarium Historiae Conciliorum 5 (1973), 241–302, hier 254, nt. 64. Erste Gesandtschaft OFM: Giovanni di Pian di Carpine und Benedikt von Polen über Kiew (Epistulae, 105, ed. Rodenberg [nt. 3], 74 sq.), Rückkehr nach Lyon, Allerheiligen 1247; zweite

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Das erläuterte Innocenz auch noch einmal in der die Beratungen abschließenden konziliaren Konstitution zur Tartarenfrage ‚Christianae religionis‘, die freilich in keine konkreten Handlungsanweisungen mündete, da die Gesandtschaften ja noch nicht zurückgekehrt waren und deren Berichte und Antworten auf den Fragenkatalog noch nicht vorlagen. Deswegen fand diese Konstitution auch keinen Eingang in die kirchenrechtlichen Kodifikationen und die kanonistische Diskussion 19. Die Entsendung der verschiedenen Gesandtschaften hatte der Papst schon im Januar in einem Lyoner Konsistorium beschlossen, wenn auch die genauen Umstände der Auswahl des Personals und die chronologische Abfolge nicht mehr präzise zu rekonstruieren sind. Den Gesandtschaften wurden Schreiben an die mongolischen Regenten und Befehlshaber mitgegeben. Ihr Wortlaut wich dabei erheblich ab und schwankte zwischen Missionsanspruch und Klage über die militärischen Gräuel. Über das mongolische Regierungssystem und die Existenz eines Großkhanats war man an der Kurie anhand der bisherigen Zeugenaussagen noch nicht orientiert. Erst durch die Gesandtschaften sollten ja die im Fragenkatalog gelisteten Wissenslücken per Augenzeugenschaft vor Ort geschlossen werden, um sich nicht mehr wie bislang nur auf Auskünfte vom Hörensagen verlassen zu müssen 20. Nicht alle der vier Gesandtschaften waren so erfolgreich wie die des Franziskaners Giovanni di Pian di Carpine, die als einzige

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Gesandtschaft OFM: Laurentius von Portugal über Bulgarien (Epistolae, 102, ed. Rodenberg [nt. 3], 72 sq.) Rückkehr wahrscheinlich Juli 1246. Dritte Gesandtschaft OP: Ascelin von Cremona über Georgien (Tiflis) und Tauris in Großarmenien (Bericht des Simon von St. Quentin und im ‚Speculum historiale‘ des Vinzenz von Beauvais); Rückkehr wohl Herbst 1248 mit Gesandten des Mongolengenerals Baidschu. Vierte Gesandtschaft OP: Andreas von Longjumeau, kommt nur bis Mossul (Bericht bei Matthaeus Parisiensis, Chronica maior); Rückkehr 1247 nach Lyon. Zu den Gesandtschaften cf. Dörrie, Drei Texte (nt. 9), 188; Fried, Suche (nt. 5), 302 sqq. (in nt. 66 zu einer möglichen fünften Gesandtschaft unter Dominikus von Aragon OFM), ibid., 315 sq. (Fragekatalog an Erzbischof Peter und für die vier Gesandtschaften). Cf. Roberg, Tartaren (nt. 17), 254 sqq.; Schmieder, Europa (nt. 2), 75–78. D. Berg, Papst Innocenz IV. und die Bettelorden in ihren Beziehungen zu Kaiser Friedrich II. in: F. J. Felten/N. Jaspert (eds.), Vita Religiosa im Mittelalter. FS für Kaspar Elm zum 70. Geburtstag (Berliner Historische Studien 31 = Ordensstudien 13), Berlin 1999, 461–481. Constitutio De Tartaris ‚Christiane religionis‘, Druck: Conciliorum Oecumenicorum Decreta, edd. J. Alberigo e. a., Bologna 31973, 297. Ed. nova vol. 2/1, A. Larson – K. Pennington (eds.), Turnhout 2013, 240. Cf. Roberg, Tartaren (nt. 17), 257–261 (auch zur Textüberlieferung und jüngeren Forschungsdiskussion). Bester Druck der erhaltenen Texte der Begleitbriefe für Giovanni di Pian di Carpine und Laurentius von Portugal nun bei K.-E. Lupprian, Die Beziehungen der Päpste zu islamischen und mongolischen Herrschern im 13. Jahrhundert anhand ihres Briefwechsels (Studi e Testi 291), Vatikanstadt 1981, no. 20, 141–145 (März 5, 1245 Laurentius), no. 21, 146–149 (März 13, 1245 Giovanni). Cf. Roberg, Tartaren (nt. 17), 255 sq., Schmieder Europa (nt. 2), 75–78., sowohl zu den unterschiedlichen Ausrichtungen der päpstlichen Brieftexte als auch zum Teil korrigierend zur Beurteilung der Haltung Innocenz IV. bei J. Muldoon, Popes, Lawyers and Infidels. The Church and the Non-Christian World 1250–1550, Philadelphia 1979, wiederholt in id., The Nature of the Infidel. The Anthropology of the Canon Lawyers, in: Discovery of New Worlds. Essays in medieval Exploration and Immigration, ed. S. D. Westrem, New York 1991, 115–124.

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bis an den Hof des Großkhans gelangte, indem ihr Leiter geschickt die Hierarchiestufen mongolischer Herrschaft für seinen Auftrag nutzte. Die anderen Gruppen brachten zwar ebenfalls wichtiges neues Detailwissen an die Kurie, gelangten jedoch nur zu verschiedenen regionalen mongolischen Befehlshabern. Der Dominikaner Ascelin verweigerte sogar das Angebot, von Baidschus Feldlager aus weiter an den Hof des Großkhans zu reisen, da man von dessen Existenz bei seiner Abreise noch nichts wusste und sein päpstlicher Auftrag deshalb nur bis zum regionalen Mongolenbefehlshaber reichte. Der offensichtlich weltgewandtere (und wissbegierigere) Giovanni di Pian di Carpine sah das anders 21. Bei der Rückkehr der Gesandten wurden an allen christlichen Machtzentren deren Berichte mit großem Interesse gehört und auch in ihrer verschriftlichten Form rezipiert. Das Einflusspotential solcher Berichte auf die gängigen Vorstellungen von diesen fremden Lebenswelten und auch auf das geografische Weltbild der Europäer erschließt sich erst genauer durch differenzierende Untersuchungen; denn repräsentativ für die Wirkung auf die Zeitgenossen ist die lakonisch bis resignativ klingende Schlussfolgerung des auf die Verarbeitung des neuen Erfahrungswissen geradezu fixierten Franziskaners Roger Bacon gewiss nicht, der als Resultat des Berichtes von der Reise seines franziskanischen Ordensbruders Wilhelm von Rubruk bis zum Großkhan Möngke in Qaraqorum formulierte: „Nam pauci sunt Christiani, et tota mundi latitudo est infidelibus occupata; et non est, qui eis ostendat veritatem“ 22. Innocenz IV. hatte mit seiner Entscheidung für eine Initiative zur Erkundung des Fremden durch fragende Empirie sein eigenes Wissenschaftsverständnis zur Grundlage politischer Entscheidungen und praktischen Verhaltens erhoben. Für gelehrte Juristen des Mittelalters spielte freilich weder in ihrem Studium noch in ihrer Methodik die Aristotelische Wissenschaftslehre eine Rolle, wie sie sich damals stufenweise durch Artisten und Theologen an den studia generalia nicht ohne Widerstand der Traditionalisten angeeignet wurde. Die Durchsetzung des korporativen Modells der universitas magistrorum et scholarium bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts ging bekanntlich Hand in Hand mit der Rezeption des nun vollständig bekanntgewordenen Kanons der Schriften des Stagiriten 23. Das galt 21

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G. G. Guzman, Simon of Saint-Quentin and the Dominican Mission to the Mongol Baju: A Reappraisal, in: Speculum 46 (1971), 232–249; id., The encyclopedist Vincent of Beauvais and his Mongol extracts from John of Plano Carpini and Simon of Saint-Quentin, in: Speculum 49 (1974), 287–307; cf. Bezzola, Mongolen (nt. 5), 118–124; Fried, Suche (nt. 5), 303 sq.; F. E. Reichert, Begegnungen mit China. Die Entdeckung Ostasiens im Mittelalter (Beiträge zur Geschichte und Quellenkunde des Mittelalters 15), Sigmaringen 1992, 140 sqq. Roger Bacon, Opus maius, III, 13, ed. J. H. Bridges, Cambridge 2010 [1897], vol. 2, 122. Roger hält auf alle Fälle Mission mit Waffengewalt für ein untaugliches Mittel. Cf. Walther, Veränderbarkeit (nt. 14), 629 sq. Zu den Auswirkungen der Mongolenbegegnung auf die Lateiner, Bezzola, Mongolen (nt. 5), 124–149; Fried, Suche (nt. 5), passim; Walther, Erfahrungen (nt. 13) und id., Veränderbarkeit (nt. 14), passim; Schmieder, Europa (nt. 2), 138 sq.; Reichert, Begegnungen (nt. 21), 230 sq. Die jüngsten auf gründlichen prosopographischen Detailuntersuchungen beruhenden Darstellungen des Formationsprozesses des Typs der Universität durch N. Gorochov, Naissance de l’Université. Les écoles de Paris d’Innocent III à Thomas d’Aquin (v. 1200–v. 1250), Paris

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in der Folge auch für die Curricula in den Generalstudien der Mendikanten. Die Topik der gelehrten Juristen blieb dagegen ‚old-fashioned‘, was die Artisten und Theologen zu polemischen Ausfällen gegen die „Unwissenschaftlichkeit“ dieser „Experten der Nützlichkeit“ (F. Rexroth) und der an schnödem Mammon statt an Wahrheitsstreben ausgerichteten scientia lucrativa reizte 24. Auch die kanonistische Wissenschaft des Sinibaldo Fieschi kam deshalb ohne jeden konkreten Aristoteles-Bezug aus, auch wenn hinter der Fragemethodik der Juristen natürlich die durch Boethius vermittelte aristotelische Kategorienlehre steckte. Dennoch war das Vertrauen in eine via inquisitionis zum Erkenntnisgewinn für sie um die Mitte des 13. Jahrhunderts alles andere als eine bereits traditionelle Methodik. Mochten sie sich zwar auch weiterhin in der Kommentierung der antiken leges und vor allem bei der Neuformulierung kanonischen Rechts in Form von päpstlichen Dekretalen und ihrer Kommentierung an der Topik des Boethius orientieren, eignete sich deren Anwendung durchaus auch für einen starken Rationalisierungsschub, den beide gelehrte Rechtswissenschaften, prioritär jedoch die Kanonistik, bis 1250 erfuhren. Zunächst stand das Prozessrecht im Focus, bei dem es um die Erweiterung des Wissens über die substantia eines Objektes bei der Beweisführung ging 25.

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2012, und von S. E. Young, Scholarly Community at the Early University of Paris. Theologians, Education and Society, 1215–1248, Cambridge 2014, ergänzen und differenzieren den älteren Forschungsstand von S. C. Ferruolo, The Origins of the University. The Schools of Paris and their Critics, 1100–1215, Stanford 1985 und J. Verger, A propos de la naissance de l’université de Paris: contexte social, enjeu politique, portée intellectuelle (1986), in: id., Les universités françaises au Moyen Âge (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 7), Leiden e. a. 1995, 1 36. F. Rexroth vertrat in zahlreichen Vorstudien und 2018 dann auch monografisch die These, dass die Durchsetzung der Wissenschaftsorganisation in Form von universitates, die als disziplinübergreifende kartellartige Gilden geordnet werden, sich keineswegs als ein Sieg der „Einheit der Wissenschaft“ darstelle. Doch kann durch den nach Meinung des Autors sich seit dem 12. Jh. nun aus bloßen Spannungen zum festen Gegensatzpaar entwickelnden Dualismus von disziplinärem Eigensinn und zunehmend reglementiertem Wissenschaftsbetrieb kaum die mannigfachen Stränge und Interessengruppierungen in den Hohen Schulen unterschiedlichen Typs ausreichend erklärt werden, F. Rexroth, Fröhliche Scholastik. Die Wissenschaftsrevolution des Mittelalters, München 2018, 22019, 311–342. H. G. Walther, „Verbis Aristotelis non utar, quia ea iuristae non saperent.“ Legistische und aristotelische Herrschaftstheorie bei Bartolus und Baldus, in: J. Miethke (ed.), Das Publikum politischer Theorie im 14. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 21), München 1992, 111– 126; id., Una Relación complicada. Los juristas y Aristóteles. In: Patristica et Medievalia 22 (2001), 3–16; id., Canon Law and Theology: John of Legnano’s Part in the Quarrels between Aristotelians and Jurists in the Era of the Beginning Theological Faculty at the FourteenthCentury University of Bologna, in: J. Goering/S. Dusil/A. Thier (eds.), Proceedings of the Fourteenth International Congress of Medieval Canon Law, Toronto, 5–11 August 2012 (Monumenta Iuris Canonici, Series C, Subsidia 15), Vatikanstadt 2016, 1121–1130. Juristen als „Experten der Nützlichkeit“: Rexroth, Fröhliche Scholastik (nt. 23), 286–299. Nörr, Ideen (nt. 9); die Entwicklung in den gelehrten Rechten luzid zusammenfassend: K. W. Nörr, Drei Proben aus dem Fragenkreis „Erfahrung“ im mittelalterlichen gelehrten Recht, in: Das Mittelalter 17/2 (2012), 34–46.

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Neue Erkenntnisse konnten also auch im Wirkungsbereich der Juristen durch empirische Erhebungen gesichert werden. Es entsprang daher dem Wissenschaftsverständnis des Kanonisten-Papstes Innocenz IV., dieses Verfahren bei der Erkundung der Mongolen und ihrer Lebenswelt anzuwenden, auch ohne selbst mit Einzelheiten der aristotelischen Wissenschaftslehre vertraut zu sein. Die in aristotelischer Methodik ausgebildeten Artisten fanden es dagegen normal, mit Erforschung der Akzidentien einen Zuwachs an Kenntnis der substantia zu erreichen. Für beide Wissenschaftsbereiche war es daher ein legitimes Verfahren, wenn gezielte Erkundungsreisen unternommen werden sollten, um zunächst systematisch die accidentiae eines neuen Objekts zu erforschen. Dabei konnte man sich an die bereits geläufige Methode der informatio per praedicationem halten, die sich auf die traditonellen rhetorischen Fragemuster nach Boethius stützte 26. Die Übernahme wissenschaftlicher Erkenntnismethoden in die päpstliche Politik entsprach voll dem neuen sachlichen und nüchternen Stil, der mit Innocenz IV. generell Einzug in die päpstliche Kurie hielt, und stand damit in deutlichem Gegensatz zu der Emotionalität und aggressiven Polemik, die zuletzt die Politik der Kurie Gregors IX. und seiner Helfer geprägt hatte 27. Sie beruhte nicht zuletzt auf dem Vertrauen des Kanonisten-Papstes in die Erlangung gesicherter Erkenntnisse durch wissenschaftliche Methoden. Hierin dürfte aber auch die Basis der päpstlichen Entscheidung Innocenz’ IV. zu suchen sein, die sich als institutionalisierte Personenverbände konsolidierenden Hohen Schulen auffällig umfassend zu fördern. Innocenz ging damit über seinen Vorgänger Gregor IX. hinaus. Die inzwischen als universitates magistrorum et scholarium anerkannten Gilden konnten nun durch Innocenz IV. im Regelfall den Status päpstlich privilegierter studia generalia erlangen. Am erst vor kurzem begründeten Studium in Toulouse förderte der Papst dabei ungeachtet des weiterhin geübten Ausschlusses der Methodik des Stagiriten aus dem Wissenskanon der juristischen Disziplinen ausdrücklich die Auseinandersetzung mit Aristoteles. Bislang wurde aber meist in diesem Zusammenhang die gewichtige Facette unterschätzt, dass Inno26

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Eine Präzisierung des Stands der zeitgenössischen Methodendiskussion um 1250 über den Erkenntnisprozesses in Bezug auf accidentia und substantia gegenüber Fried, Suche (nt. 5), 305 sqq., bietet M. Münkler, Erfahrung des Fremden. Die Beschreibung Ostasiens in den Augenzeugenberichten des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin 2000, 35–37 (insbesondere zur aristotelische informatio per praedicationem ). Zur Wirkungsgeschichte der Boethianischen Rhetorik cf. J. Fried (ed.), Dialektik und Rhetorik im früheren und hohen Mittelalter. Rezeption, Überlieferung und gesellschaftliche Wirkung antiker Gelehrsamkeit vornehmlich im 9. und 12. Jahrhundert (Schriften des Historischen Kollegs. Kolloquien 27), München 1997; R. Berdt/M. Lutz-Bachmann e. a. (eds.), ‚Scientia‘ und ‚Disciplina‘. Wissenstheorie und Wissenschaftspraxis im 12. und 13. Jahrhundert (Erudiri sapientia 3), Berlin 2002. Cf. supra. Cf. auch den Forschungsüberblick bei P. Segl, Die Feindbilder in der politischen Propaganda Friedrichs II. und seiner Gegner, in: F. Bosbach (ed.), Feindbilder. Die Darstellung des Gegners in der politischen Publizistik des Mittelalters und der Neuezit, Köln–Weimar–Wien 1992, 41–71.

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cenz mit der Gründung einer eigenen Universität an der päpstlichen Kurie die päpstliche Wissenschaftsförderung komplettierte. Sie erfolgte zusammen mit dem Beschluss zur inquisitio des Mongolenproblems, bevor noch das Konzil abgeschlossen war 28. Dieses neue kuriale studium generale erhielt im Unterschied zur Pariser Universität nur eine Theologische und eine Juristische Fakultät (mit Lehre in beiden Rechten), war also ganz auf die praktische Anwendung von Wissenschaft ausgerichtet und entsprach damit dem päpstlichen Verständnis von Wissenschaft aus nützlicher Neugier 29. Die Neuordnung der päpstlichen Kurie, die Rolle der Konsistorien dort mit den Kardinälen als zentrales Beratungsgremium und als kollegiales Wahlorgan, für das die neue Rechtsform des Konklaves geschaffen wurde, die Art der Befragung Erzbischof Peters bei der Eruierung des bislang Unbekannten und die Förderung der Wissenschaft durch Privilegierung von studia generalia schließen sich als Aspekte zu einem Gesamtbild zusammen, in dem Wissenserweiterung nach der Methode der via inquisitionis zur Grundlage kurialer Politik wurde 30. Die gleichzeitige Entsendung von mindestens vier Gesandtschaften auf verschiedenen Wegen nach Osten zur plötzlich im östlichen Mitteleuropa und im 28

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Zur Entwicklung zusammenfassend und die zentrale Rolle Innocenz’ IV. betonend H. G. Walther, Studia generalia ex privilegio. Das Papsttum und die Institutionalisierung der Universitäten seit dem 13. Jahrhundert. In: N. Moczarski/K. Witter (eds.), Thüringische und Rheinische Forschungen. Bonn–Koblenz–Weimar–Meiningen. Festschr. f. Johannes Mötsch zum 65. Geburtstag, Leipzig–Hildburghausen 2014, 19–36, besonders 23 sq. Zur Privilegierung der universitates durch den Fieschi-Papst und zu seiner Rekrutierungspraxis neuer Kardinäle mehrheitlich aus dem Kreis der Universitätsgraduierten J. Miethke, Die Kirche und die Universitäten im 13. Jahrhundert [1986], in: id., Studieren an mittelalterlichen Universitäten. Chancen und Risiken (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 19), Leiden–Boston 2004, 207–251, besonders 222 sq. Zur Gründung der Kurienuniversität B. Schwarz, Kurienuniversität und stadtrömische Universität von ca. 1300 bis 1471 (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 46), Leiden–Boston 2013, 12–15; Gründungskonstitution Innocenz’ IV. „Cum de diversis“ (VI.5.7.2, A. Potthast, Regesta Pontificum Romanorum II, Berlin 1875, no. 15128, 1245); dazu R. Creytens, Le ‚Studium Romanae Curiae‘ et le maître du Sacré Palais, in: Archivum Fratrum Praedicatorum 12 (1942), 5–31, hier 16 sqq. und A. Paravicini Bagliani, La fondazione dello ‚Studium Curiae‘. Una rilettura critica, in: id., Medicina e scienze della natura alla corte dei Papi nel Duecento, (Biblioteca di Medioevo Latino 4), Spoleto 1991, 363–390; H. Denifle, Die Entstehung der Universitäten des Mittelalters bis 1400, vol. 1 (alles Erschienene), Berlin 1885, Neudruck Graz 1965, 302 sqq. Bester Druck der Gründungskonstitution nun bei Schwarz, Kurienuniversität, Anhang I/I, 453 sq., kritischer Text zuvor nur Denifle, Entstehung, 303, nt. 327. Cf. Niccolò da Calvi von Assisi, Vita Innocentii pape IV. c. 16, ed. Melloni (nt. 1), 269: „Et ut de plenitudine gratis gaudeant universi, secundo anno sui pontificatus apud Lugdunum in sua curia generale studium ordinauit, tam de theologia, quam de dercretis, decretalibu pariter et legibus, ad eruditionem uidelicet rudium et incrementum sapientum, cum audiens sapiens sapientor semper fiat.“; Paravicini Bagliani, Studium (nt. 28), 366 sqq. 370. 372 (zu den übrigen Quellenzeugnissen über die Intentionen und Maßnahmen des Papstes bei der Gründung der Kurienuniversität). Dazu Fried, Suche (nt. 5), 315 sq.; cf. die Beiträge in L. Honnefelder (ed.), Albertus Magnus und der Ursprung der Universitätsidee. Die Begegnung der Wissenschaftskulturen im 13. Jahrhundert und die Entdeckung des Konzepts der Bildung durch Wissenschaft, Berlin 2011.

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Nahen Osten übermächtig präsenten Großmacht der Mongolen unter der Leitung von methodisch trainierten Mendikanten fügt sich in dieses Bild einer wissenschaftsgesteuerten Reaktion der päpstlichen Kurie. Die schriftliche Auftragserteilung und die Kredenzbriefe, die offensichtlich alle Gesandtschaften für mongolische Herrscher mitbekamen, weisen genau auf diesen Hintergrund eines Vertrauens auf gesicherten Erkenntnisgewinn durch Anwendung von wissenschaftlicher Methodik. Freilich zeigte sich auch, dass sich in der Praxis jeder der Gesandten auf der Reise nicht ausschließlich an der neuen rationalen Methode der via inquisitionis orientierte 31. Der Papst hielt denn auch nicht mit Kritik zurück, wenn er abweichendes Verhalten konstatieren musste. Gegen solche päpstlichen Vorhaltungen musste sich auch der ungarische König Bela IV. im November 1250 verteidigen. Er bestritt in seiner Antwort an den Papst, dass sich seine Politik nicht an der Methode des concludere super per experienciam facti ausrichte. Innocenz hatte offenkundig in seinem Tadelsschreiben an den ungarischen Hof ausdrücklich betont, dass das von ihm gewünschte empirische Verfahren zur Gewinnung neuer Erkenntnisse keine unerlaubte curiositas, sondern für die Erzielung nützlicher Kenntnisse notwendig sei 32. Gegenüber dem am sizilischen Hof Friedrichs II. herrschenden Wissenschaftsbetrieb, der in der älteren Forschung meist als ‚modern‘ beschrieben und 31

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Zum Verhalten des Dominikaners Ascelin bei General Baidschu und dessen dabei nicht konsequent gezeigter curiositas als Voraussetzung für eine erfolgreiche via inquisitionis gab Auskunft die im Original verlorene ‚Historia Tartarorum‘ seines Ordensbruders Simon von St. Quentin, teilweise erhalten durch die Auszüge im ‚Speculum historiale‘ des Vinzenz von Beauvais. Cf. supra mit nt. 21. Beste Edition: Simon de Saint-Quentin, Histoire des Tartares, ed. J. Richard (Documents relatifs à l’histoire des Croisades 8), Paris 1965. Die gesamten Passagen des ‚Speculum historiale‘ über die Mongolen, ergänzt von Vinzenz durch Auszüge aus Giovanni di Piano di Carpines Reisebericht, sind am besten zu benutzen im Inkunabeldruck des ‚Speculum‘, Nürnberg 1483 (Online-Ausgabe Düsseldorf. Universitäts- und Landesbibliothek, 2011; URL: [Stand: 09. 02. 2022]). Zur Textgeschichte des ‚Speculum‘ und zur Konzeption seines Autors A.-D. von den Brincken, Geschichtsbetrachtung bei Vincenz von Beauvais. Die Apologia Actoris zum Speculum Maius, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 34 (1978), 410–499. Pian di Carpine erweist sich dagegen als perfekter Vertreter der via inquisitionis und betonte deshalb im Schlusskapitel seines Reiseberichts, dass alles von ihm Geschilderte unbedingt glaubwürdig sei, weil es durch Empirie gesichert sei: „Rogamus cunctos qui legunt predicta, ut nichil minuant nec apponant, quias nos omnia vidimus vel audivimus ab aliis, quos credebamus fide dignos, sicut Deus testis est, nichil scienter addentes, scripsimus previa veritate.“ (Giovanni di Pian di Carpine, Storia dei Mongoli, ed. E. Menestò, Spoleto 1989, 332); cf. auch die Beurteilung des Franziskaners als Berichterstatter bei Reichert, Begegnungen (nt. 21), 140 sq. Bela IV.: „Nos autem hec scribimus principaliter propter duo, ne possimus argui super possibilitate et negligencia. Super possibilitatis articulo dicimus, quod quicquid adesse possibilitatis nostre super hoc per experienciam facti concludi potuit, nos conclusimus, nos et nostra Thartharorum viribus et ingeniis nondum cognitis exponentes. Super negligencia vero nequaquam redargui possumus.“ (Theiner, Vetera monumenta [nt. 4], no. 440, 230 sqq., Zitat 231). Deutsche Übersetzung bei H. Göckenjahn/J. R. Sweeney, Der Mongolensturm. Berichte von Augenzeugen und Zeitgenossen 1235–1250 (Ungarns Geschichtsschreiber 3), Graz e. a. 1985, 306–310, zur Datierung, ibid., 299 sq. Cf. Fried, Suche (nt. 5), 298 (zu den Argumenten im verlorenen päpstlichen Tadelsbrief, Nützlichkeit erlaubt curiositas ).

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bewundert, zuletzt auch mehrfach detailliert untersucht wurde, zeichnet sich Innocenz durch seine einheitliche und konsequente Einstellung zu Wissenschaft und Erkenntnisgewinn aus. Der Staufer hatte in seinen Briefen an verschiedene Herrscher dagegen für die Mongolen vor dem Sturm 1241 zunächst noch traditionell das apokalyptische Deutungsraster benutzt und schwankte dann in seinem Urteil über Belas IV. Politik der Abwehr und Verteidigung zwischen Zustimmung und Kritik 33. Wo ist die durch Innocenz IV. propagierte Methode der experiencia facti und ihrer Rechtfertigung als eine als legitim angesehene, weil erlaubte curiositas wissenschaftsgeschichtlich einzuordnen? Besonders, wenn es nach Hans Blumenbergs These einen wann auch immer chronologisch genau anzusetzenden Hiatus im prozessualen Verlauf von den mittelalterlichen Formen der Neugierde und denjenigen des frühneuzeitlichen Forscherdrangs gegeben hätte 34?

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A. Paravicini Bagliani, Federico II e la corte dei Papi: Scambi culturali e scientifici, in: id., Medicina (nt. 28), 55–84; Stürner, Friedrich II. (nt. 1), 342–457 (Hof und Wissenschaft), 502– 506 (Mongolensturm); G. Grebner/J. Fried (eds.), Kulturtransfer und Hofgesellschaft im Mittelalter. Wissenskultur am sizilianischen und kastilischen Hof im 13. Jahrhundert (Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel 15), Berlin 2008; zum methodischen Ansatz J. Fried, Wissen als soziales System: Wissenskultur im Mittelalter, in: J. Fried/M. Stolleis (eds.), Wissenskulturen. Über die Erzeugung und Weitergabe von Wissen, Frankfurt am Main–New York 2009, 12–42. H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Erweiterte und überarbeitete Neuausgabe von ‚Die Legitimität der Neuzeit‘, Dritter Teil (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 24) Frankfurt am Main 1973, 145–165 („Grenzüberschreitung“). Zur Kritik an Blumenbergs Modell aus der Sicht vornehmlich der neuzeitlichen Naturwissenschaften K. Krüger (ed.), Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit (Göttinger Gespräche zur Geisteswissenschaft 15), Göttingen 2002. Differenzierend gegenüber Blumenbergs Darstellung der nahezu unveränderten Denuntiation der menschlichen curiositas durch das Christentums als Laster schon G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffs durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Theologie und Philosophie. Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995. S. E. Young fand aber den Text einer Pariser Universitätspredigt eines namentlich nicht bekannten Pariser Theologiemagisters, die noch vor Gregors IX. grundlegendes Privileg von 1231 (Parens scienciarum ) zu datieren ist und damit einen bemerkenswerten Beitrag zur damaligen Diskussion um eine für die Wissenschaft legitime curiositas liefert, die vom Theologielehrer freilich zum amor scientiae entschärft wird: „Sed amor scientie vel divitiarum vel honorum non est innaturalis; nec malum in se sed ab altero, scilicet ab excessu, id est amor scientie et divitiarum vel honorum ultra quam oportet. Hoc enim est cupiditas, scilicet appetitus vel amor habendi plusquam oportet, ut dicit Glosa super 1 Thi. VI“ (Douai, Bibl. Munic. Ms 434 II, fol. 71 vb, zitiert bei Young, Scholarly Community (nt. 23), 191. ‒ Dagegen kaum im methodischen Ansatz überzeugend, da vorwiegend nur von Interpretationen literarischer Werke her argumentierend: P. Clare Ingham, The Medieval New. Ambivalence in an Age of Innovation, Philadelphia 2015. Eine eingehende Auseinandersetzung mit differenzierten neueren curiositas-Konzepten erfolgt in anderen Beiträgen dieser Tagung. ‒ M. Münkler glaubt, die von Innocenz propagierte und den Mongolenreisenden praktizierte Methode folgendermaßen fassen zu können: „Der geordnete Dreischritt von Augenzeugenschaft – Kenntnis der Tatsachen ‒ Schlußfolgerungen bezeichnet vielleicht am prägnantesten die Methode, mittels derer neben dem Papst auch der ungarische und der französische König Gewißheit über das befremdliche Volk zu erlangen suchten.“ Münkler, Erfahrung (nt. 26), 42.

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Eine rein auf den Zweck der Theoriebildung ausgerichtete curiositas zieht der Papst offensichtlich als ausgebildeter Kanonist nicht als legitim in Betracht. Es entsprach vielmehr seinem Wissenschaftsverständnis, dass er wie auch seine Gesandten in ihren Berichten stets den Zweck ihrer Wissbegierde benannten und damit die utilitas ihrer empirisch erhobenen Kenntnisse betonten. Auch Giovanni di Pian di Carpine versicherte ja, wie wir gesehen haben, bei seinen mündlichen Berichten auf der Rückreise von den Mongolen und ebenso eindringlich in der späteren schriftlichen Fassung, dass er sich bei der Erkundung des Neuartigen nicht von bloßer Neugier habe leiten lassen, sondern stets im Rahmen des auf Nutzen für die heimischen Christen ausgerichteten Fragenkatalogs nur Erkenntnisse vermittle, die durch eigenes verlässliches Augenzeugnis und rationale Einsicht abgesichert sei. Beim franziskanischen Chinareisenden des frühen 14. Jahrhunderts, Odoricus von Pordenone, werden einerseits vom Reisenden die Grenzen des Nutzens der experiencia facti deutlich benannt: „Viele andere unerhörte Dinge gibt es dort, von denen ich nichts schreibe; denn wenn sie jemand nicht selbst gesehen hat, kann er es nicht glauben, weil es in der ganzen Welt nicht solche Wunder gibt wie in diesem Land. Dies aber ließ ich aufschreiben, weil ich mir ganz sicher bin und überhaupt nicht daran zweifle, daß es sich so verhält, wie ich es berichte.“ Doch bekräftigt er seine Überzeugung von der Leistungsfähigkeit der Wissenserweiterung durch die experiencia durch den von ihm 1330 geleisteten Wahrheitseid vor dem heimischen Provinzialminister in Padua und verweist für die Richtigkeit des von ihm Mitgeteilten auf seine Augenzeugenschaft, die Berichte von glaubwürdigen Zeugen und auf die in der Fremde von ihm gesammelten dort allgemein verbreiteten Kenntnisse 35. Der Franziskaner C. de Bridia hörte wohl in Breslau seinen Ordensbruder Pian di Carpine auf dessen Rückreise von den Mongolen über seine Erfahrungen berichten und interviewte auch noch dessen Begleiter Benedikt von Polen. Die Auskünfte beider Gewährsleute fasste er in einer an seinen Provinzialminister gerichteten ‚Hystoria Tartarorum‘ zusammen. Als Zweck seiner Aufzeichnungen nennt er ausdrücklich, dass es sich um utilia handele, nicht um bis zum Ende der Tage nach Gottes Ratschluss verborgen bleibende mirabilia. Was er also in seiner ‚Hystoria‘ an irdischem Neuen schildert, entstammt nicht verbotenem Geheimwissen, entspringt also nicht dem Laster der curiositas. Er greift damit wie schon implizit Innocenz IV. auf die Definition einer durch Augustin schon legitimierten pia curiositas zurück 36. 35

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Die Reise des seligen Odorich von Pordenone nach Indien und China (1314/18–1330), ed. F. Reichert, Heidelberg 1987, XVIII.5, 79 (Zitat), XXXVIII.6, 128 (Wahrheitseid). Ordorichus de Pordenone, Relatio, in: A. van den Wyngaert (ed.), Sinica Franciscana 1: Itinera et relationes fratrum minorum saeculi XIII et XIV, Quaracchi 1929, 413–494, Zitat 457. 494 (communis autem locutio illarum contratarum ). Cf. Reichert, Begegnungen (nt. 21), 120–123. Ähnliche Äußerungen über Grenzen des Vermittelbaren durch den Katholischen Bischof von Zaitun, Andreas von Perugia OFM, bei Walther, Veränderbarkeit (nt. 14), 629. C. de Bridia monachus, Hystoria Tartarorum, 1, ed. A. Önnerfors (Kleine Texte für Vorlesungen und Übungen 186), Berlin 1967, 3: „breviter in scripto posui cauens fastidium lectorum et ut uestra hec audiens deuocio, que de terrenicis nouit utilia elicere ex mirabilibus dei omnipotentis iudicijis tam occultis, que

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Die erlaubte Neugierde der Mongolenreisenden stieß freilich nicht nur mit der im Untersuchungsauftrag vorgegebenen Form ihres Fragens und durch die kulturellen Rahmenbedingungen ihrer Perzeptionsfähigkeit an dadurch implizierte Grenzen. Die vom traditionellen Wissenshorizont der Lateiner gezogene Beschränkung in ihrem Einfluss zeigt sich freilich ebenso deutlich an der mündlichen und verschriftlichten Kommunikation ihrer Wahrnehmungen und Eindrücke und damit bei der inhaltlichen Rezeption der Berichte in der Heimat: Pian di Carpine hatte recht schnell auf seiner nicht vorgeplanten Reise bis zum Lager Qaraqorum des Großkhans erkannt, dass die Mongolen kein apokalyptisches Volk waren, dass sie nicht aus dem Tartarus stammten, sondern richtig ‚tatari‘ genannt werden müssten. Ordensbruder Salimbene von Parma berichtet nach der persönlichen Begegnung mit Pian di Carpine, dass dieser nicht müde werde, diese Erkenntnis überall zu betonen und schrieb deshalb selbst danach konsequent in seiner Chronik nun von den ‚tattari‘. Dennoch behielten fast alle Abschriften des Reiseberichts Carpinis unbeeindruckt von den inhaltlichen Ausführungen des Autors die Namensform tartari bei 37. Pian di Carpines und Benedikts Zuhörer in Breslau, der Ordensbruder C. de Bridia, baut gern ihm vertraute mirabilia als Zusatz zu den Berichten der beiden Mongolenreisenden ein und zieht eigene Schlüsse aus dem Gehörten, die ihm das traditionelle biblisch fundierte Weltbild bestätigen 38. Weltbild und Sprachgebrauch waren bei der Mehrheit der Rezipienten offensichtlich nur schwer zu verändern. Denn diese interessierte die empirisch erkundete Wirklichkeit der Verhältnisse bei den Mongolen weniger als das Fremdartige und Wunderbare. Im Spätmittelalter ist ein deutliches Spannungsverhältnis zwischen der wissenschaftlichen Wahrnehmung neuer Erkenntnisse von gelehrten Reisenden und der literarischen Verarbeitung der Reiseberichte spürbar.

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in fine iam clarescunt seculorum“; ibid., c. 37, 24: „De vestibus eorum sciendum est, quod vniformes uestes habent viri cum feminis, et ideo non subito disnoscuntur. Et quia hec magis curiosa quam utilia uidentur, idcirco de uestibus cetera et ornatu eorum scribere non curaui.“; (Provinzialminister als Adressat); Bös, Curiositas (nt. 34), 127 sq. und Blumenberg, Prozeß (nt. 34), 104 zu pia curiositas. Cf. Reichert, Begegnung (nt. 21), 140 sq.; Bezzola, Mongolen (nt. 5), 122 sq. (zu Pian di Carpine und C. de Bridia). Diese gewichtige wie folgenreiche Erkenntnis Pian di Carpines fand leider keinen Niederschlag in der jüngsten kritischen Edition seines Berichts durch Menestò (Pian di Carpine, Storia, V, 2, ed. Menestò [nt. 31], 252). Im ehemals Lemberger Ms. R. [15. Jh.], jetzt in Breslau, das nur den Text von Pian di Carpines Reisebericht in seiner ersten Redaktion enthält, wird konsequent Tatar und Tatari geschrieben (Menestò, 213 f.), und auch die noch aus dem 13. Jh. stammende Pariser Hs. P verzeichnet an dieser wichtigen Stelle die Schreibweise Tatar. Cf. Zur Handschriftenüberlieferung Menestò, 100–185, das Stemma dann 186. Der Ordensbruder Salimbene schreibt in seiner Chronik (Autograph erhalten!) entsprechend der von Pian di Carpine erhaltenen mündlichen Auskunft konsequent „Tattari“. Salimbene de Adam, Cronica I, a. 1168–1249, ed. G. Scalia (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 125), Turnhout 1998, 311–14. 320 sq. Cf. Roberg, Tartaren (nt. 17), 242, nt. 3. Doch Matthaeus Parisiensis übernimmt zwar in seiner ‚Chronica maior‘ aus Pian di Carpine die Ableitung des Volksnamens vom Fluß Ta(r)tar: (ed. Luard [nt. 3], IV, 78), nimmt dies jedoch inkonsequent als Beleg für den Namen ‚Tartar‘! de Bridia, Hystoria, c. 15, ed. Önnerfors (nt. 36), 11; Fried, Suche (nt. 5), 323: „Nicht das Mirakel, die Wirklichkeit festzuhalten bereitet Schwierigkeiten“.

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Dabei ist in jüngster Zeit insbesondere von literaturwissenschaftlicher Seite versucht worden, nicht allein das scholastische Paradigma des Fragens und dialektischen Argumentierens (im Sinne der kanonistischen experiencia per factum ) zur Erklärung von Inhalt und Form der Reiseberichte und ‚Reiseliteratur‘ über den Orient heranzuziehen, sondern das Verhältnis von tradiertem Wissen und neuem Erfahrungswissen in beiden Formen durch einen „diskursanalytischen Ansatz“ zu erklären, in dem die Differenz zwischen Beobachten und Beschreiben thematisiert wird 39. An der päpstlichen Kurie wirkte die Nobilitierung der pia curiositas bei der Beschaffung neuer Erkenntnisse auf der Grundlage empirischen Wissens durch Innocenz IV. durchaus traditionsbildend. Auch die nachfolgenden Päpste Alexander IV. und Urban IV. nutzten empirischen Wissenszuwachs in ihrer Politik gegenüber den Mongolen, die nun seit der Mitte der fünfziger Jahre direkt gegen Palästina/Syrien und das Zweistromland militärisch vorgingen. Davon geprägt wurden nicht allein die direkten diplomatischen Beziehungen der Kurie zum Großkhan in Khanbaliq und zu den Ilkhanen, sondern sie führte zumindest bei einzelnen Gelehrten und Persönlichkeiten im Umkreis der Kurie zu Einsichten, die nach einer grundsätzlichen Veränderung der bisherigen Kreuzzugspolitik zur Sicherung des Heiligen Landes verlangten 40.

39

40

So Münkler, Erfahrung (nt. 26), 228–230 mit Kritik an Fried, Suche (nt. 5), 234 sq., auch an der von mir (Walther, Erfahrungen [nt. 13], 258) konstatierten unterschiedlichen Darstellungsweisen des Orients in den Reiseberichten und in den literarischen mirabilia-Bearbeitungen; ihr „diskursanalytischer Ansatz“ am Beispiel von Marco Polos „Divisament dou monde“, Münkler, Erfahrung (nt. 26), 237–240; ibid., 239: „Die Aneignung der Fremde erfolgte durch die Aneignung der Texte, und diese Aneignung war so erfolgreich, daß der Begriff des Originals selbst einem Topos gleichkommt, dessen argumentative Funktion für die Suche nach der Wahrnehmung unabdingbar, angesichts der medialen Systeme einer Handschriftenkultur aber völlig obsolet ist.“ – Cf. dagegen den von vormoderner ‚symbolischer Kommunikation‘ ausgehenden Ansatz bei C. Garnier, Die Zeichen der Fremden. Zur Bedeutung symbolischer Kommunikationsformen im interkulturellen Gesandtenaustausch des 13. Jahrhunderts, in: Frühmittelalterliche Studien 40 (2006), 199–221. Alexander IV. setzte mit seiner Tatarenenzyklika vom 17. November 1260 die Linie Innocenz’ IV. des nützlichen Wissensgewinns durch Gesandtschaften fort; Druck: Theiner, Vetera monumenta, 454 (nt. 4), 239–241; dazu Bezzola, Mongolen (nt. 5), 187 sq. 195–198 (zum neuen Mongolenvorstoß mit Fall Bagdads 1258 und des Heiligen Landes 1259); cf. Roberg, Tartaren (nt. 17), 269–284; id., Lyon. II. Konzil von 1274, in: Theologische Realenzyklopädie 21 (1992), 637–642; Edition des Briefwechsels der Kurie bei Lupprian, Beziehungen (nt. 20), no. 40–64, 213–279; Walther, Veränderbarkeit (nt. 14), 627–634 (alle auch zum Wandel der Kreuzzugspolitik unter erneuter Kontaktaufnahme mit den Ilkhanen). ‒ Die Päpste wurden jedoch niemals den großen Erwartungen gerecht, die Roger Bacon 1267 gegenüber Papst Clemens IV. in seinem ‚Opus Tertium‘ formulierte, dass sie nämlich eine Wiedervereinigung mit der Orthodoxen Kirche herbeiführen, einen entscheidenden Sieg über die Muslime erzielen und die Bekehrung der Tataren erreichen würden (Roger Bacon, Opus Tertium, c. 24, ed. J. S. Brewer, London 1859, 86); dies blieb denn auch noch der Kern des Programms für das 2. Konzil von Lyon, das Papst Gregor X. mit seiner Enzyklika ‚Salvator noster‘ am 31. März 1272 ankündigte (Potthast, Regesta [nt. 28], no. 20525).

Wie neugierig war man an der päpstlichen Kurie im ausgehenden 13. Jahrhundert?

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Eine allgemeine Wirksamkeit solcher Einsichten ist jedoch nur marginal festzustellen, wie nicht zuletzt das Argumentationsspektrum der Gutachten aus dem Umkreis des 2. Konzils von Lyon 1274 beweist 41. Selbst der endgültige Verlust des Hleiligen Landes 1291 brachte keinen Einschnitt, zumal keine unmittelbare militärische Bedrohung des Westens durch die Mongolen mehr bestand und damit interne politische Probleme des christlichen Westens nun an die Spitze der Prioritätenliste rückten. Curiositas galt an der Kurie weiterhin wegen der durch sie beförderten utilia als legitim, aber nur deshalb. Was hinfort als nützlich gelten wollte, musste sich hier in Konkurrenz mit einem ganzen Spektrum politischer Tagesinteressen behaupten 42. So blieb theoretische Neugier nun einerseits auf die Möglichkeiten von methodischen Innovationen im scholastischen Schulbetrieb beschränkt, zum anderen prägte sie dennoch ein sich stetig durch Fernreisen und Kommunikationsaustausch erweiterndes geografisches Weltbild 43. Augenschein und Empirie erschienen legitimiert, auch Koryphäen antiker Weisheit und Wissens des Irrtums überführen und korrigieren zu können. Der franziskanische Mongolenreisende Wilhelm von Rubruk degradierte in seinem Bericht nicht nur den legendären Priesterkönig Johannes zu einem unbedeutenden nestorianischen Nomadenchef, sondern erwies auch durch die eigene Umrundung des Kaspischen Meeres, dass dieses ein Binnenmeer war und nicht, wie die bislang als Autoritäten unhinterfragt akzeptierten antiken Gelehrten Plinius und Isidor behauptet hatten, eine Einbuchtung des Okeanos. Der im eigenen Orden wegen seiner wissenschaftlichen Methoden stets angefochtene, von Papst Clemens IV. aber während seines Pontifikats in seinen wissenschaftlichen Bemühungen und als Autor gestützte Franziskaner Roger Bacon erklärte stolz, gewissermaßen das Kaspische Meer als pars pro toto nutzend: „sed experientia hujus temporis 41

42

43

Cf. 1274, Année charnière, mutations et continuités (Colloques internationaux du Centre National de la Recherche Scientifique 558), Paris 1977; B. Roberg, Das Zweite Konzil von Lyon [1274], Paderborn e. a. 1990, 89–126; S. Schein, Fideles Crucis. The Papacy, the West, and the Recovery of the Holy Land 1274–1314, Oxford 1992; Walther, Veränderbarkeit (nt. 14), 632– 634; Schmieder, Europa (nt. 2), 85–109. R. Hiestand, “Gott will es!” ‒ Will Gott es wirklich? Die Kreuzzugsidee in der Kritik ihrer Zeit (Beiträge zur Friedensethik 29) Stuttgart e. a. 1988, 23–34; Schmieder, Europa (nt. 2), 109–122. Spielerisch als kontrafaktische historische Spekulation angelegt, was wäre, wenn tatsächlich einer der Pläne für ein passagium generale durchgeführt worden und erfolgreich gewesen wäre, H. G. Walther, Die Wiedereroberung des Heiligen Landes durch ein gesamt-abendländisches Kreuzfahrerheer 1325/28 und die Öffnung des Seeweges nach Indien, in: M. Salewski (ed.), Was wäre wenn. Alternativ- und Parallelgeschichte: Brücken zwischen Phantasie und Wirklichkeit (Historische Mitteilungen der Ranke-Gesellschaft, Beiheft 36), Stuttgart 1999, 81–90. A.-D. von den Brincken, Das geographische Weltbild um 1300, in: P. Moraw (ed.), Das geographische Weltbild um 1300 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 6), Berlin 1989, 9–32; I. Baumgärtner, Weltbild und Empirie. Die Erweiterung des kartographischen Weltbilds durch die Asienreisen des späten Mittelalters, in: Journal of Medieval History 23 (1997), 227–253; F. Reichert, Erfahrung der Welt. Reisen und Kulturbegegnung im späten Mittelalter, Stuttgart 2001; F. Schmieder, Das Werden des mittelalterlichen Europa aus dem Kulturkontakt: Voraussetzungen und Anfänge der europäischen Expansion, in: R. Dürr/G. Engel/J. Süßmann (eds.), Expansionen in der Frühen Neuzeit (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 349), Berlin 2005, 27–41.

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facta per fratrem Willielmum et homines alios fideles docet – aber die jetzt durch Bruder Wilhelm gemachte Erfahrung belehrt auch die übrigen gläubigen Menschen“ 44.

44

In Rubruks Reisebericht wird in c. 17 der legendäre mächtige christliche Priesterkönig Johannes, auf den das Heer im Fünften Kreuzzug noch seine Hoffnung auf Bundesgenossenschaft im Kampf gegen die Muslime gesetzt hatte, ganz beiläufig als kleiner nestorianischer Häuptling eines Hirtenstammes identifiziert: „erat quidam nestorinus, pastor potens et dominus super populum qui dicebatur Naiman, qui erant christiani nestorini. Mortuo Cichran, elevavit se ille nestorinus in Regem et vocabant eum nestoriani Regem Iohannem et plus dicebant de ipso in decuplo quam veritas est.“ (Itinerarium Willelmi de Rubruc, in: Sinica Franciscana 1 [nt. 35], 206). Cf. Walther, Veränderbarkeit (nt. 14), 631. ‒ Roger Bacon, Opus maius IV, 17: „A portis vero Caspiis incipit mare Caspium extendi in longum od orientrem; et in latum ad aquilonem, et est non minus quam Ponticum mare, ut dicit Plinius, et habet spatium quatuor mensium in circuitu. Frater vero Willielmus in redeundo ab imperatore Tartarorum circuivit latus orientale; et in eundo ad eum perambulavit latus aquilonare, ut ipse retulit Domino regi Franciae qui nunc est, anno Domini 1253. Et a parte aquilonis habet vastam solitudinem, in quas sunt Tartari. Et ultra eos sunt multae regiones aquilonares antequam perveniatur ad Oceanum; et ideo non potest illud mare esse sinus Oceani, quod tamen fere omnes auctores scribunt; sed experientia hujus temporis facta per fratrem Willielmum et homines alios fideles docet, quod non venit a mari, sed fit per flumina magna et multa, quorum congregatione fit hoc mare Caspium et Hyrcanium.“ (ed. Bridges [nt. 22], vol. 1, 365 sq.). Cf. D. Woodward/H. M. Howe, Roger Bacon on Geography and Cartography, in: J. Hackett (ed.), Roger Bacon and the Sciences. Commemorative Essys (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 57), Leiden e. a. 1997, 199– 222. ‒ Roger ist auch anhand des Berichts des befreundeten Wilhelm von Rubruk vom Verlauf der Disputation des Franziskaners mit nestorianischen Christen, Muslimen und Buddhisten am Hof des Großkhans Möngke in Qaraqorum 1254 (Sinica Franciscana 1 [nt. 35], c. 33, 289– 297) fest davon überzeugt, dass überlegenes abendländisches rationales Argumentieren heidnische Unwissenheit belehren und bekehren könne. Entsprechend formuliert er im moralphilosophischen Teil seines Opus maius VII, iv, 2, 1: „sicut patui per imperatorem Tartarorum, qui convocavit ante se Christianos, Saracenos et Idolatras, ut de sectae veritate conferrent, et statim confudebantur Idolatrae et convincebantur. Istud factum patet ex libro De moribus Tartarorum domino regi Franciae, qui nunc est, directo“, Roger Bacon, Opus maius. Eine moral-philosophische Auswahl, ed. P. A. Antolic-Piper (Herders Bibliothek der Philosophie des Mittelalters 13) Freiburg e. a. 2008, 148. Die Gewaltmission des Deutschen Ordens gegenüber den Pruzzen lehnt er dagegen ab; sie ziele eigentlich nur auf eine Unterwerfung (ibid.). Ähnlich Rogers Ausführungen über die Erfolge des rationalen Argumentierens Rubruks bei den Mongolen in Opus maius VII, iv, 1, c. 1, ed. Bridges (nt. 22), vol. 2, 368 sq., 387 sq.

Problematische Neugier – Jüdische Reiseberichte im Mittelalter Carsten Schliwski (Köln) I. Einleitung: Heilig e und profane Literatur In der Mischna findet sich folgende Aussage: „Ganz Israel hat Anteil an der kommenden Welt, wie es heißt (Jes 60, 21): ‚Und dein Volk sollen lauter Gerechte sein. Sie werden das Land ewiglich besitzen als der Spross meiner Pflanzung und als ein Werk meiner Hände mir zum Preise.‘ Diese haben keinen Anteil an der kommenden Welt: Derjenige, der sagt, die Auferstehung der Toten folge nicht aus der Torah, derjenige, der sagt, die Torah komme nicht aus dem Himmel, und der Verächter der Torah. Rabbi Akiva sagt: Auch derjenige, der Bücher von Außerhalb liest, und derjenige, der über eine Wunde folgendes flüstert (Ex 15, 26): ‚So will ich dir keine der Krankheiten auferlegen, die ich den Ägyptern auferlegt habe, denn ich bin der Herr, dein Arzt.‘ Abba Ša’ul sagt: Auch derjenige, der den Gottesnamen mit seinen Buchstaben ausspricht.“ 1

Rabbi Akiva erweitert also die Liste der Juden, die keinen Anteil an der kommenden Welt haben werden, um diejenigen, die ‚Bücher von Außerhalb‘ (sefarim hø isøonim ), lesen, wobei der Begriff nicht weiter erläutert wird. Gemeint sind Bücher außerhalb des Kanons der heiligen Schriften, wobei die Rabbinen darunter häretische Schriften verstehen und das Buch ‚Jesus Sirach‘ als ein solches benennen, während Bücher außerhalb der jüdischen Welt keine Beachtung in der talmudischen Diskussion finden 2. Eine entsprechende Beschreibung der sefarim hø isøonim findet sich im Kommentar des Maimonides (1138–1204) zu dieser Mischnah-Stelle: „Sie besitzen keinen Sinn oder Nutzen, außer mit Nichtigkeiten Zeit zu verschwenden, wie beispielsweise diejenigen Bücher, die sich bei den Arabern finden, nämlich historische Geschichten, Fürstenspiegel, Genealogien der Araber, Liederbücher und dergleichen, also Bücher, die keine Weisheit oder Nutzen außer Zeitverschwendung besitzen.“ 3

Damit bringt Maimonides Beispiele seiner islamischen Umgebungskultur, wobei ihm vor allem das Interesse an Geschichte und Staatsführung suspekt ist 4. 1 2 3 4

Mischna, Sanhedrin, X, 1. Cf. Talmud Bavli, Sanhedrin, 100b. J. Kafih (ed.), Mišnah ʿim peruš rabbenu Mošeh ben Maymon. Seder Neziqin, Jerusalem 1963, 140 sq. Cf. dazu auch S. W. Baron, The Historical Outlook of Maimonides, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 6 (1934/35), 7–12.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-027

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Ähnlich, aber mit einer interessanten Ergänzung beschreibt der italienische Mischna-Kommentator Ovadja da Bertinoro (ca. 1445–ca. 1515) die sefarim und denjenigen, der sie liest und dadurch seinen Anteil an der kommenden Welt verliert: „Bücher von Außerhalb: Bücher von Häretikern, beispielsweise die Bücher des Griechen Aristoteles und seiner Genossen, im allgemeinen derjenige, der Geschichtsbücher fremder Könige, Liebesgedichte und Worte des Verlangens liest, die keine Weisheit besitzen und deren Nutzen nur in Zeitverschwendung besteht.“ 5

Der italienische Jude Ovadja schließt sich damit in seiner Interpretation der aschkenasischen Haltung an, das ein eher distanziertes Verhältnis zur Philosophie pflegte 6. Auffällig, aber zugleich auch verständlich ist das Fehlen des Verweises auf Aristoteles bei Maimonides, der den griechischen Philosophen sehr schätzte. Gerade die mittelalterliche Deutung der sefarim hø isøonim zeigt das Unbehagen von Juden, sich mit ihrer nichtjüdischen Umwelt auseinanderzusetzen: Die Beschäftigung mit nichtjüdischem Gedankengut ist bestenfalls Zeitverschwendung und kann sogar bis zur Häresie führen. Trotzdem haben Juden ihre Umwelt aufmerksam betrachtet und sich auswärtige Erkenntnisse zunutze gemacht. Gleichzeitig ist auch die Grenze zwischen Bestärkung des eigenen Glaubens und Befriedigung von Neugierde in der jüdischen Literatur des Mittelalters fließend: So bestehen zwar die historiographischen Schriften dieser Zeit im Wesentlichen aus drei Genres, nämlich der Darstellung biblischer Inhalte in neuer Form, Verfolgungschroniken und Geschichte der rabbinischen Tradition 7, aber zugleich findet man beispielsweise im ‚Sefer Yosippon‘, einer hebräischen Bearbeitung der Chroniken des Flavius Josephus, einen größeren Abschnitt mit Legenden um Alexander den Großen, die eine jüdische Variante des im Mittelalter kulturübergreifend populären Alexanderromans darstellen, der auch Thema weiterer Versionen in hebräischer Sprache war 8. Ein weiteres Beispiel sind jüdische Reiseberichte: Juden unternahmen entweder Pilgerfahrten zu heiligen Stätten, vor allem ins Land Israel, aber auch Geschäftsreisen, und verfassten darüber Berichte, deren Ziel in erster Linie darin bestand, die Leser über Juden aus anderen Ländern zu informieren 9, was halachisch nicht sonderlich problematisch war. Zugleich enthalten diese Berichte aber auch Beschreibungen der nichtjüdischen Welt und beflügeln damit die Neu5 6 7 8 9

Mišnayyot mi-Seder Neziqin ʿim peruš ha-rav ha-muvhaq ha-gaʾon be-mhr“r ʿOvadya mi-Bartenura, Venedig 1548, 43a sq. Cf. J. M. Davis, Philosophy, Dogma, and Exegesis in Medieval Ashkenazic Judaism: The Evidence of Sefer Hadrat Qoshi, in: AJS Review 18 (1993), 195. Cf. A. Tropper, The Fate of Jewish Historiography after the Bible: A New Interpretation, in: History & Theory 43 (2004), 179–197. Cf. I. J. Kazis, The Book of the Gests of Alexander of Macedon, Cambridge (Mass.) 1962, 26– 39. Cf. E. Mirones Lozano, Jewish People always on the move: Jewish Travelers in the Middle Ages, in: Trames 22 (2018), 125–135.

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gierde der Leser allgemein, wodurch sie Gefahr laufen, zur Beschäftigung mit Nichtigkeiten zu verführen. Die beiden bekanntesten Reiseberichte, nämlich die des Benjamin von Tudela und des Petachja von Regensburg, stammen aus dem zwölften Jahrhundert und stellen wichtige historische Quellen dar, daneben gibt es allerdings auch noch andere Reisende in der Zeit vom achten bis zum fünfzehnten Jahrhundert, die ihre Fahrten dokumentierten und somit der Nachwelt überlieferten. Insgesamt finden sich laut Abraham David 10 in der Zeit zwischen dem zwölften und dem fünfzehnten Jahrhundert nicht weniger als acht Reiseberichte, die sich besonderer Beliebtheit unter den Lesern erfreuten. Judah D. Eisenstein präsentiert in seiner Edition 11 insgesamt elf Reiseberichte für den genannten Zeitraum, Elkan N. Adler bietet in seiner englischsprachigen Anthologie 12 sechzehn Berichte, wobei er allerdings nicht sauber zwischen Reiseberichten im eigentlichen Sinne und entsprechenden Erwähnungen in Werken anderer Genres unterscheidet. Eine Grundfrage, die sich zunächst einmal stellt, ist die nach der ‚Jüdischkeit‘ solcher Reiseberichte 13. Das Genre der Reiseliteratur ist nicht spezifisch jüdisch, sondern ein kulturübergreifendes Phänomen, es gibt deutlich umfangreichere Reiseliteraturen im christlichen und islamischen Raum. Das wichtigste Element, das Reiseberichte zu jüdischen macht, dürfte die intendierte Leserschaft darstellen: Ein Reisebericht sollte dann als ‚jüdisch‘ bezeichnet werden, wenn er sich an jüdische Leser richtet und den Fokus auf deren spezifische Interessen legt: damit ist natürlich nicht gemeint, dass nur jüdische Personen und Orte dargestellt werden, aber insgesamt sollte schon eine genuin jüdische Weltsicht repräsentiert werden. Ein weiteres Element besteht dabei in der Sprache: In der Regel ist ein mittelalterlicher jüdischer Reisebericht auf Hebräisch abgefasst, also in der Sprache, die allen Juden als lingua franca diente. Nicht alle Reiseberichte, die sich in den genannten Sammlungen finden, können daher als jüdische Reiseberichte bezeichnet werden, bei Adler reichte es beispielsweise aus, dass der Verfasser eines Berichts Jude war oder dass ein anderer Bericht einen Juden erwähnte. Ein Beispiel dafür ist die Unternehmung eines gewissen Isaak, der im Auftrage Karls des Großen als Mitglied einer fränkischen Delegation nach Bagdad reiste 14. Diese Reise wird in den Annales regni Francorum erwähnt 15, einen eigenen Bericht hat Isaak nicht hinterlassen; trotzdem wird die Erwähnung in den Annales gerne als der früheste Reisebericht eines Juden aus Europa erwähnt. 10 11 12 13 14

15

Cf. A. David, Jewish Travelers from Europe to the East, 12th–15th Centuries, in: Miscelánea de Studios Árabes y Hebraicos. Sección Hebreo 62 (2013), 11–39. J. D. Eisenstein, Ozar Massaoth, New York 1926, 15–130. Cf. E. N. Adler, Jewish Travellers, London 1930, 1–250. Cf. M. Jacobs, Reorienting the East. Jewish Travelers to the Medieval Muslim World, Philadelphia 2014, 12 sq. Cf. Adler, Travellers (nt. 12), 1. Zur Reise Isaaks cf. H. Altmann, Die Reise des Isaak und die politische Situation um 800, in: W. Dreßen (ed.), Ex Oriente: Isaac und der weiße Elephant. Bagdad– Jerusalem–Aachen; eine Reise durch drei Kulturen um 800 und heute, vol. 1: Die Reise des Isaak, Mainz 2003, 28–35 F. Kurze (ed.), Annales regni Francorum, ed. F. Kurze (Monumenta Germaniae Historica. Scriptores rerum Germanicarum 6), Hannover 1895, 116.

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II. Zwei Beispiele für jüdische Reiseberichte und ihre Weltsicht Von allen jüdischen Reiseberichten des Mittelalters erfreuten sich die beiden frühesten einer besonderen Aufmerksamkeit, die sich in der Zahl der erhaltenen Manuskripte und frühen Drucke niederschlug. Deswegen erscheint es sinnvoll, sich im Rahmen dieses Artikels auf diese beiden Werke zu konzentrieren, die im zwölften Jahrhundert entstanden sind, nämlich das ‚Sefer ha-Massaʿot‘ des Benjamin von Tudela und das ‚Sibbuv‘ des Petachja von Regensburg. 1. Benjamin von Tudela, ‚Sefer ha-Massaʿot‘ Der populärste jüdische Reisebericht des Mittelalters ist der des Benjamin von Tudela, dessen Reise wohl zwischen 1165 und 1173 stattfand. Ob es sich dabei um eine Pilgerfahrt oder um eine geschäftlich motivierte Unternehmung handelte, ist nicht sicher, aber beides wäre möglich 16. Dieser Bericht ist in zahlreichen Handschriften und Drucken überliefert 17. Benjamin stammte aus Tudela in Navarra, seine weitere Herkunft und Details seines Lebens sind unbekannt. Seine Reise führt von Nordspanien über Südfrankreich, Italien, Griechenland, Kleinasien, Palästina, Babylonien, die arabische Halbinsel bis nach Basra. Von dort reiste er per Schiff nach Ägypten und später über Sizilien zurück nach Spanien. In seinem Bericht spielen die jüdischen Gemeinden der Orte, die er besuchte, die Hauptrolle; er schildert sie in vielen Details, interessiert sich jedoch auch für die nichtjüdische Umgebung 18. Inwieweit die Schilderungen wirklich zuverlässig sind, ist bis heute Gegenstand von Debatten 19. Auch stellt sich die Frage, inwieweit die Schilderungen Benjamins tatsächlich auf eigenen Beobachtungen basieren, schließlich besitzen weite Teile des Berichtes einen unpersönlichen Charakter und machen nicht den Eindruck einer persönlichen Erfahrung 20. Dabei nimmt sein Bericht oftmals den Charakter eines Reiseführers ein: Benjamin von Tudela schildert Orte, die 16 17 18

19

20

Zum Charakter dieses Reiseberichtes cf. David, Travelers (nt. 10), 13. Eine Auflistung der Handschriften, Drucke, Editionen und Übersetzungen findet sich bei David, Travelers (nt. 10), 13–17. Eine neuere knappe Analyse des Buches liefert P. Starkey, Rabbi Benjamin of Tudela: a 12thCentury Traveller to the Middle East, in: N. Cooke (ed.), Journeys Erased by Time: The Rediscovered Footprints of Travellers in Egypt and the Near East, Oxford 2019, 1–15. Zur Zuverlässigkeit cf. R. Schmitz, Benjamin von Tudela. „Das Buch der Reisen“. Realität oder Fiktion, in: Henoch 16 (1994), 295–314; Y. Levanon, The Holy Place in Jewish Piety: Evidence in Two Twelfth-Century Itineraries, in: The Annual of Rabbinic Judaism 1 (1998), 103–118; D. Jacoby, Benjamin of Tudela in Byzantium, in: Palaeoslavica 10 (2002), 180–185. Für die Verlässlichkeit des Reiseberichts plädierte zuletzt M. Pyka, Das Judentum des XII. Jahrhunderts und der Reisebericht („Sefär Massa‘ôt“) des Benjamin von Tudela, in: F. Steger (ed.), Kultur: ein Netz von Bedeutungen. Analysen zur symbolischen Kulturanthropologie, Würzburg 2002, 55 sq. Cf. M. Jacobs, From Lofty Caliphs to Uncivilized ‚Orientals‘ – Images of the Muslim in Medieval Jewish Travel Literature, in: Jewish Studies Quarterly 18 (2011), 70 sqq.

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er angeblich besucht hat, gerne wie ein Tourist, der die wichtigsten Sehenswürdigkeiten einer bestimmten Stadt abarbeitet. Ihn interessieren nicht nur die Juden, denen er auf seiner Reise begegnet, sondern auch Menschen anderer Religionen sowie Gebäude und kulturelle Gegenstände. Zu dem Bericht existiert das Vorwort eines anonymen Herausgebers 21, der kurz den Sinn dieses Textes darlegt, nämlich Informationen über Orte zu liefern, die bislang nicht in Spanien bekannt waren und die entweder vom Verfasser selber stammen oder ihm von verlässlichen Zeugen zugetragen wurden. Insgesamt wird die Zuverlässigkeit der Beschreibungen betont, die der Herausgeber selber punktuell überprüft habe. Der Reisbericht selbst ist in der Ich-Form verfasst, erhebt also den Anspruch des Autors, alle geschilderten Orte wirklich besucht zu haben. Die jeweilige Schilderung eines Ortes erfolgt nach einem relativ einheitlichen Schema: Zunächst wird der Ort genannt, die nachfolgenden Beschreibungen enthalten Informationen über die dort ansässigen Juden, die Größe der Gemeinde und wichtige Persönlichkeiten werden genannt. Bei größeren Städten werden wichtige Sehenswürdigkeiten kurz beschrieben. Außerdem wird die nichtjüdische Mehrheitsbevölkerung charakterisiert. Die Reihenfolge dieser Elemente kann durchaus variieren. Je nachdem wie bedeutend Benjamin die Stadt einschätzt, erfolgt die Beschreibung mal ausführlicher, mal knapper. Zur Illustration folgen hier die Beschreibungen von Pisa und Lucca: „Pisa ist eine sehr große Stadt. In ihr, an den Häusern ihrer Bewohner, gibt es an die zehntausend Türme, von denen aus zur Zeit des Streites gekämpft wird. Alle ihre Bewohner sind kriegstüchtige Leute. Kein König und kein Fürst herrscht über sie, sondern Richter, die sie über sich einsetzen. In der Stadt leben etwa zwanzig Juden, an ihrer Spitze Rabbi Mosche, Rabbi Chajim und Rabbi Joseph. Sie ist nicht von einer Mauer umgeben und liegt sechs Meilen vom Meer entfernt: man verläßt sie oder gelangt zu ihr mit dem Schiff über den Fluß, der mitten durch sie hindurchfließt. Von dort sind es vier Parasangen bis zur Stadt Lucca, die ganz an der Grenze zum Gebiet der Lombardei liegt. In der Stadt Lucca leben etwa vierzig Juden. Die Spitze der Judenschaft bilden Rabbi Dawid, Rabbi Schemuʾel und Rabbi Jaʿakov.“ 22

Obwohl die Stadt Lucca aus jüdischer Sicht vielleicht als quantitativ wichtiger eingeschätzt würde, widmet Benjamin der Stadt Pisa mehr Raum. Die Juden beider Städte werden gleich knapp abgehandelt, wie es solch kleinen Gemeinden durchaus angemessen zu sein scheint. Die nichtjüdische Gemeinschaft in Pisa wird nicht nur charakterisiert, es werden auch Informationen zur Stadtordnung 21 22

Cf. M. N. Adler, The Intinerary of Benjamin of Tudela. Critical Text, Translation and Commentary, London 1907, 1 sq. (hebräischer Teil). Ibid., 6 (hebräischer Teil). Übersetzung nach St. Schreiner, Benjamin von Tudela/Petachja von Regensburg: Jüdische Reisen im Mittelalter, Köln 1998, 13 sq. Bei Zitaten der Übersetzung wurden die ursprüngliche Rechtschreibung und die Ergänzungen in eckigen Klammern beibehalten.

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gegeben, indem Benjamin kurz den wichtigsten Unterschied einer Stadtrepublik zu einem monarchischen System anführt. Dabei stellt die Information, die Benjamin über Pisa liefert, eine Art Ergänzung zur Stadt Genua dar, die er zuvor bereist hat 23. Auch dort werden die Türme erwähnt, die eine wichtige Rolle bei der Austragung innerstädtischer Streitigkeiten spielen. Es gibt in der Charakterisierung einen bedeutenden Unterschied: Während die Beschreibung der Pisaner eher als neutral bis wohlwollend bezeichnet werden kann, ist die Charakterisierung der Genuesen eindeutig negativ: „Die Genuesen sind die Herren auf dem Meere. Sie bauen Schiffe, die sie Galeeren nennen. Jeden Tag stechen sie in See, um Christen und Muslime bis nach Griechenland und Sizilien hin zu berauben und auszuplündern; und von überallher bringen sie Beute und Diebesgut nach Genua mit. Mit den Leuten von Pisa kämpfen sie alle Tage.“ 24

Die Seeherrschaft Genuas empfindet Benjamin nicht als positiv, sondern lediglich als ein Ergebnis von Piraterie. Zugleich prangert er die religiöse Indifferenz der Genuesen in der Wahl ihrer Opfer an, wobei Juden in diesem Denken keine Rolle spielen. Vielleicht empfand Benjamin den jüdischen Anteil an den Opfern im Vergleich zu Christen und Muslimen als zu gering; dies könnte möglicherweise zu einer gewissen Enttäuschung der Leser geführt haben, die sich vielleicht eher für die Auswirkungen der Seeräuberei auf die jüdischen Gemeinden der Mittelmeerwelt interessiert hätten. 2. Petachja von Regensburg, ‚Sibbuv‘ Ähnlicher Beliebtheit wie der Reisebericht des Benjamin von Tudela erfreute sich der des Petachja von Regensburg. Seien Reise fand wohl in den frühen 70er Jahren des zwölften Jahrhunderts statt, also ungefähr zur selben Zeit wie die Reise Benjamins. Sie begann entweder in Regensburg oder Prag und führte über Polen und Russland, den Kaukasus und Kleinasien bis nach Babylonien, Persien, Syrien sowie ins Heilige Land 25. Auch wenn die Anzahl der erhaltenen Handschriften und Drucke nicht so beeindruckend ist wie die des ‚Sefer ha-Massaʿot‘, kann man trotzdem ein großes Interesse an dieser Schrift feststellen 26. Auch bei Petachja wird der Grund der Reise nicht wirklich erläutert, auch wenn im Vorwort des Herausgebers als Zweck des Berichts die Stärkung des jüdischen Bewusstseins und Glaubens durch Berichte von unbekannten jüdischen Gemeinden angibt 27. Es gibt Vermutungen, dass Petachja die Reise im Auftrage des Juda he-H  asid unternommen 23 24 25 26 27

Cf. Adler, Itinerary (nt. 21), 5 sq. (hebräischer Teil). Ibid., 6 (hebräischer Teil). Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 13. Cf. David, Travelers (nt. 10), 21. Eine Auflistung der Handschriften, Drucke, Editionen und Übersetzungen findet sich bei David, Travelers (nt. 10), 22–25. Cf. Eisenstein (nt. 11), 47.

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haben könnte, der vielleicht auch die Herausgeberschaft übernommen hatte. Juda he-H ø asidey Aškenaz,  asid ist zweifelsohne der wichtigste Vertreter der H einer jüdischen Frömmigkeitsbewegung, die nach Verfolgungen der rheinländischen Juden im Zuge des Ersten Kreuzzuges entstanden war. Ziel dieser Bewegung war es, durch persönliche Frömmigkeit auf die Härten der Zeit zu reagieren, um diese Prüfungen zu überwinden. Dabei wurde neben Mystik vor allem auf Ethik Wert gelegt, wobei Juda he-H  asids ‚Sefer ha-H  asidim‘ das bekannteste Werk dieser Bewegung darstellt 28. Wenn sich Petachja tatsächlich im Kreis der H ø asidey Aškenaz bewegte und seine Reise tatsächlich im Auftrage der wichtigsten Persönlichkeit dieser Bewegung unternommen hatte, dann liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei Petachjas Reise um eine Pilgerfahrt gehandelt haben könnte. Für diese Annahme spricht die regelmäßige Erwähnung von Heiligengräbern, die Petachja laut Aussage des Berichtes besucht, um dort zu beten. Andererseits wäre es aber auch möglich, dass diese Reise nach der Erfahrung der verheerenden Verfolgungen im Rheinland dazu dienen sollte, Informationen über andere jüdische Gemeinden zu sammeln, um die Möglichkeiten von Zufluchtsorten für verfolgte Juden zu eruieren 29. Auch in Petachjas Bericht mischt sich das Interesse an der Situation jüdischer Gemeinden mit einem allgemeinen geo- und ethnographischen Interesse. Auch Petachja schildert die nichtjüdische Umwelt und befriedigt so die Neugierde des Lesers auf fremde Welten. Der Bericht ist deutlich kürzer als der Benjamins und auch nicht so systematisch. So hat der Herausgeber des Werkes nicht immer die zeitliche Reihenfolge der Reiseorte eingehalten, zudem werden nicht alle Stationen der Reise beschrieben, sondern eher eklektisch abgehandelt. Ein besonderes Augenmerk legt der Bericht auf die Beschreibung von jüdischen Heiligengräbern, zu denen Petachja pilgert 30. Anders als der Text des Benjamin ist Petachjas Bericht eindeutig indirekter Natur, er hat anderen seine Reiseerlebnisse geschildert, die sie dann für ihn aufgeschrieben haben. Außerdem liegt das Hauptaugenmerk des Berichtes vor allem auf Babylonien und dem Heiligen Land, wobei es sich hierbei möglicherweise um einen Eingriff des Redaktors handelt, der diesem Bericht vielleicht eine größere Jüdischkeit verleihen wollte 31. Auf der anderen Seite scheint der Redaktor auch aus anderen Gründen in den Text eingegriffen zu haben: In 28 29

30 31

Cf. I. G. Marcus, Hierarchy, Religious Boundaries and Jewish Spirituality in Medieval Germany, in: Jewish History 1/2 (1986), 13–22. Cf. A. Kuyt, Die Welt aus sefardischer und ashkenazischer Sicht: Die mittelalterlichen hebräischen Reiseberichte des Benjamin von Tudela und des Petachja von Regensburg, in: X. von Ertzendorff/G. Giesemann, (eds.), Erkundung und Beschreibung der Welt. Zur Poetik der Reise- und Länderberichte (Chloe. Beihefte zum Daphnis 34), Amsterdam–New York 2003, 214 sq. Cf. David, Travelers (nt. 10), 21 sq. Cf. A. David, R. Petahiah of Regensburg’s Itinerary – A Reconsideration, in: D. Iancou-Agou/ C. Agou (eds.), L’écriture de l’histoire juive. Mélanges en l’honneur de Gérard Nahon (Collection de la Revue des études juives 46), Paris e. a. 2012, 321.

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Mossul befragt R. Petachja einen Astrologen nach der Ankunft des Messias und erhält eine entsprechende Antwort, die R. Juda he-H  asid ausdrücklich nicht überliefert. Lediglich die älteste Handschrift enthält diese Antwort, die einen relativ nahen Zeitpunkt der Ankunft andeutet 32. Diese messianische Spekulation war im elften und zwölften Jahrhundert nicht ungewöhnlich 33 und auch die Anhänger der H ø asidey Aškenaz waren daran beteiligt 34. Allerdings scheint R. Juda he-H  asid dem gegenüber eher eine ablehnende Haltung eingenommen zu haben 35. Was die Astrologie betrifft, so war diese im zwölften Jahrhundert in aschkenasischen Kreisen weitgehend akzeptiert 36. III. Muslime, Juden und K aräer bei Benjamin und Petachja Bei Benjamins und Petachjas Reiseberichten spielt natürlich auch das Zusammentreffen mit Menschen anderer Kulturen eine wichtige Rolle, wobei man betonen muss, dass diese Begegnungen auch fiktiver Natur sein können. Trotzdem spielen sie in den Darstellungen eine wichtige Rolle, da sie zum einen der Neugierde der Leser dienen und zum anderen die Weltsicht der Autoren besonders illustrieren. 1. Die Schilderung Bagdads Beiden Reiseberichten gemeinsam ist die Tatsache, dass die Schilderung Bagdads jeweils einen wichtigen Raum einnimmt. Bei Benjamin ist die Beschreibung der Hauptstadt der Abbasiden sogar ausführlicher als die der heiligen Stadt Jerusalem 37. In seiner Schilderung konzentriert sich Benjamin auf den Kalifen, der in Bagdad residiert: „Das ist die größte Stadt, die Hauptstadt des Reiches des abbasidischen Kalifen, des Amir al-Muʾminin [des Führers der Gläubigen] aus der Familie des Propheten [Muhammad]. Er ist zum religiösen Oberhaupt aller Muslime eingesetzt, und die Könige aller islamischen Reiche huldigen ihm. Er ist [für die Muslime so etwas] wie der Papst für die Christen.“ 38 32 33 34

35 36 37 38

Cf. David, Itinerary (nt. 31), 325 sqq. Cf. D. Cohn-Sherbok, The Jewish Messiah, Edinburgh 1997, 102–105. Cf. E. Kanarfogel, H  išuvey ha-qes šel h ak mey ʾAškenaz me-Raši u-vney doro we-ʿad li-tqufat baʿaley ha-tosafot, in: A. Grossman/S. Japhet (eds.), Raši. Demuto we-yesirato, vol. 2, Jerusalem 2008, 389 sq. Cf. A. David, Sibbuv R. Petah yah me-Regensburg be-nusah h adaš, in: Qoves ῾al yad 13 (1996), 242 sq. Cf. R. Leicht, The Reception of Astrology in Medieval Ashkenazi Culture, in: Aleph 13/2 (2013), 201–234. Cf. Jacobs, Reorienting the East (nt. 13), 125. Adler, Itinerary (nt. 21), 35 (hebräischer Teil). Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 61.

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Benjamin schildert im Folgenden 39 das Kalifat der Abbasiden in all seinem Glanz, den es einmal besessen hatte, der allerdings im zwölften Jahrhundert nur noch der Vergangenheit angehörte. Wenn wir annehmen, dass es sich bei dem Kalifen um den zwischen 1160 und 1170 amtierenden al-Mustangˇid handelt, dann genoss dieser, wie sein Vater al-Muqtafī, der von 1132 bis 1160 regierte, zwar größere Freiheiten und Einflussmöglichkeiten als viele seiner Vorgänger und Nachfolger 40, war allerdings auch ein eher inaktiver Herrscher, der sich mehr für die Jagd als für Regierungsgeschäfte interessierte 41. Diese wenig realistische Schilderung könnte man dahingehend deuten, dass Benjamin zum einen nicht persönlich in Bagdad war und zum anderen auf Schilderungen der Vergangenheit zurückgriff, die noch aus einer Zeit stammten, in der Bagdad eine der wichtigsten Metropolen der Welt war, und damit zugleich die Erwartungen der Leserschaft erfüllt, die sich nach der Märchenwelt des Orients sehnen. Zugleich erklärt er den Juden in der christlichen Welt die Funktion, die das Kalifat einmal einnahm, indem er es mit dem Papsttum vergleicht. Wenn Martin Jacobs einen gewissen Widerspruch zwischen der Erwähnung des arabischen Titels des Kalifen, der eine besondere Würde verleiht und der Erwähnung seiner Abstammung vom Propheten Muhammad postuliert 42, der in einigen Handschriften jüdischer Gewohnheit gemäß als Verrückter (mešuggaʿ) tituliert wird, so kann man dem entgegen halten, dass dieser Terminus zwar in allen Handschriften Verwendung findet 43, aber vielleicht keine so große Rolle spielt, da Benjamin die positive Rolle des Kalifen in Bezug auf die Juden auch später betont. Auch Petachja schildert, wenn auch um einiges knapper, die Bedeutung Bagdads als Sitz des Kalifen, die eigentlich eher der Vergangenheit angehört: „Bagdad ist die Königsstadt, in ihr residieren die Repräsentanten der Macht, das ist der Großkönig, der über alle Völker herrscht und regiert. Die Stadt ist sehr groß, mehr als eine Tagesreise in der Länge, von Anfang bis Ende, und im Umfang mehr als drei Tagesreisen.“ 44

2. Die Juden Bagdads und des Zweistromlandes Deutlich mehr Interesse zeigt Petachja für die Juden in der Gegend der abbasidischen Hauptstadt: „In der Stadt leben tausend Juden. Sie tragen Kopftücher 39 40 41 42 43 44

Cf. Adler, Itinerary (nt. 21), 35–38 (hebräischer Teil). Cf. Jacobs, Reorienting the East (nt. 13), 126. Cf. E. J. Hanne, Putting the Caliph in His Place. Power, Authority, and the Late Abbasid Caliphate, Madison–Teaneck 2007, 192. Cf. Jacobs, Reorienting the East (nt. 13), 125 sq. Cf. Adler, Itinerary (nt. 21), 35 (hebräischer Teil). Eisenstein, Ozar Massaoth (nt. 11), 49, Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 131.

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und sind in wollene Gebetsmäntel mit Schaufäden gehüllt.“ 45 Benjamin teilt folgendes mit: „In Bagdad leben etwa vierzigtausend Juden [nach anderer Lesart: tausend]. Unter der Herrschaft des Kalifen leben sie in Sicherheit, Ruhe und Anerkennung. Unter Juden gibt es große Gelehrte, die Oberhäupter der Jeschivot, die mit der Tora befaßt sind.“ 46 Bezüglich der Einwohnerzahl der Juden Bagdads findet man in den Handschriften des Reiseberichts von Benjamin die Angabe ‚vierzigtausend‘; die kleinere Angabe ‚tausend‘ entstammt der Edition Ashers 47, der sich auf die beiden frühesten Drucke Konstantinopel 1543 und Ferrara 1556 stützte, aber keinen Zugang zu handschriftlichen Zeugnissen besaß 48, wobei sie sich mit der Angabe Petachjas deckt und vielleicht auch nach dieser Quelle in den Drucken korrigiert wurde. Petachja betont mit der Beschreibung der Kleidung der Juden von Bagdad deren Frömmigkeit, ein Thema, dem er sich später noch einmal widmet. Was die großen Gelehrten betrifft, die Benjamin erwähnt, so listet er sie ausführlich auf und nennt die zehn Jeschivot der Stadt mit ihren Oberhäuptern, beginnend mit dem wichtigsten: „Das Oberhaupt der größten Jeschiva ist der Oberrabbiner Rabbi Schmuʾel ben ʿEli, Oberhaupt der Jeschiva ‚Gaon Jaʿaqov‘ [‚Stolz Jaʿaqovs‘], ein Levit, der seinen Stammbaum bis Mosche Rabbenu, er ruhe in Frieden, zurückführt. Das Oberhaupt der zweiten Jeschiva ist dessen Bruder, Rabbi Chananja, der Vorsteher der Leviten. Rabbi Daniʾel ist das Oberhaupt der dritten Jeschiva, Rabbi Elʿasar ha-Chaver [der Gelehrte] das Oberhaupt der vierten Jeschiva. Rabbi Elʿasar ben Tsemach ist ‚der Studienleiter‘. Er führt seinen Stammbaum bis zum Propheten Schmuʾel ha-Qorachi zurück. Er und seine Brüder verstehen es, die liturgischen Gesänge so vorzutragen, wie man sie zu der Zeit gesungen hat, als der Tempel noch gestanden hat. Rabbi Elʿasar ben Tsemach ist das Oberhaupt der fünften Jeschiva. Rabbi Chisdai, ‚die Krone der Gelehrten‘, ist das Oberhaupt der sechsten Jeschiva. Rabbi Chaggai ha-Nasiʾ das Oberhaupt der siebenten Jeschiva. Rabbi ʿEsra, den man ‚die Säule der Jeschiva‘ nennt, ist das Oberhaupt der achten Jeschiva, Rabbi Avraham, den man Abu Tahir nennt, das Oberhaupt der neunten Jeschiva und Rabbi Sakkai ben Bustanai ha-Nasiʾ das Oberhaupt der letzten Jeschiva. Diese Männer heißen die zehn ‚Batlanim‘ [die sich der Privatgeschäfte Entsagenden], weil sie sich mit nichts anderem als Gemeindeangelegenheiten befassen. An allen Tagen der Woche sprechen sie Recht für alle Juden des Landes, außer am Zweiten Tag [Montag], denn an diesem Tag versammeln sie sich alle beim Oberrabbiner Rabbi Schemuʾel, dem Oberhaupt der Jeschiva ‚Gaon [Jaʿaqov]‘. In der Gemeinschaft der zehn Batlanim spricht er dann Recht für alle, die zu ihm kommen.“ 49 45 46 47 48 49

Ibid. Adler, Itinerary (nt. 21), 38 (hebräischer Teil), Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 67. Cf. Adler, Itinerary (nt. 21), 38, nt. 25 (hebräischer Teil). Cf. ibid., xiii. Ibid., 38 sq. (hebräischer Teil), Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 67 sq.

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Durch die Nennung der Namen der einzelnen Gelehrten, die den jeweiligen rabbinischen Lehrhäusern vorstehen, wird deutlich, dass es sich um große Gelehrte handelt, deren Kompetenz und Einfluss zum Teil durch ehrende Beinamen besonders betont wird. Zugleich wendet Benjamin das Schema an, das er auch bei anderen Städten benutzt hat, indem er die wichtigsten Autoritäten einer Stadt nennt. Dass diese im Fall Bagdads besonders lang – länger als in anderen Beschreibungen – ausfällt, beweist nur die Wichtigkeit dieser Stadt für das Judentum und das Niveau der Gelehrsamkeit dort. Die zehn Oberhäupter werden vor allem in ihrer Eigenschaft als Richter geschildert, die sich vollkommen der Gemeindearbeit widmen und keinerlei privaten Berufstätigkeit nachgehen. Zugleich wird die Vorrangstellung des Oberhauptes der ersten Jeschiva betont, dessen Urteile von den anderen Rabbinen durch deren Anwesenheit anerkannt werden. Bei Petachja findet man lediglich die Erwähnung einer Jeschiva: „Das Oberhaupt der Jeschiva ist Rabbi Schmuʾel ha-Lewi ben ʿEli. Er ist Minister und voll Wissen in der schriftlichen und mündlichen Lehre und in allen Weisheiten Ägyptens. Nichts ist ihm verborgen. Er hat Kenntnis von den Namen [Gottes], und den gesamten Talmud kennt er auswendig. Im gesamten Lande Babel und im Lande Assur, im ganzen Land Medien und Persien gibt es keinen Ungebildeten, der nicht alle vierundzwanzig Bücher [der hebräischen Bibel], die Punktion und die Grammatik, die Defektiv- und die Pleneschreibung kennt; denn nicht ein Chassan liest aus der Tora vor, sondern der, der zur Tora aufgerufen wird, liest vor. Das Oberhaupt der Jeschiva hat mitunter an die tausend Schüler auf einmal, durchschnittlich sind es fünfhundert und mehr. Alle begreifen gut. Wenn sie noch kein gutes Wissen haben, lernen sie in der Stadt zu Füßen anderer Lehrer. Erst wenn sie Wissen erworben haben, kommen sie zum Oberhaupt der Jeschiva.“ 50

Petachja setzt in seiner Beschreibung einen anderen Schwerpunkt als Benjamin: Er betont die Gelehrsamkeit des Oberhauptes der ersten Jeschiva, die umso beeindruckender erscheint, wenn man sie vom Blickwinkel des allgemeinen Bildungsniveaus der Juden des Zweistromlandes betrachtet, das Petachja behauptet. Dass dabei die Zahl der Schüler in der Jeschiva maßlos übertrieben ist und in keinem Verhältnis zur angegebenen Gesamtzahl der Juden steht, dient weniger einer statistischen Information als vielmehr der Betonung der Bedeutung des Lehrhauses. Anders als bei der Beschreibung des Kalifates ist die Schilderung der wichtigsten Jeschiva der Stadt von Aktualität geprägt. Rabbi Samuel ben Ali war in der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts der führende Gelehrte im Judentum des Zweistromlandes, der unter anderem als Kritiker des Maimonides in Erscheinung getreten ist 51. Entweder standen beiden Autoren aktuellere Beschreibungen der Situation der jüdischen Gemeinde Bagdads zur Verfügung oder die 50 51

Eisenstein, Ozar Massaoth (nt. 11), 49, Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 131 sq. Cf. S. A. Horodezky, Samuel Ben Ali, in: Encyclopedia Judaica, vol. 17, Detroit 22007, 768.

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Intention der Schilderung ist anders gelagert als bei der Beschreibung der islamischen Herrschaft: Während es bei letzterer vor allem darum geht, einer gewissen Erwartung nach exotischen Schauplätzen und prächtigen Gegebenheiten zu entsprechen, die das Klischee des Orients widerspiegeln, geht es bei der jüdischen Gemeinde einerseits vielleicht um handfeste Situationsbeschreibungen, andererseits kann man aber auch vermuten, dass sich die Lage so positiv darstellt, dass sie keine Übertreibungen benötigt hätte. Diese positive Darstellung der jüdischen Gelehrsamkeit in Bagdad wird auch auf die Gemeinden des Landes selbst ausgedehnt, in Bezug auf den Gottesdienst heißt es: „In Babylonien gibt es dreißig Synagogen, außer der Daniʾels. Es gibt dort keinen Chassan [Vorbeter]; wem es das Oberhaupt der Jeschiva gebietet, der betet vor. (…) Dann betet wiederum ein anderer vor. So verteilt man das Gebet auf einige Vorbeter. Und niemand unterhält sich in der Synagoge mit seinem Nachbarn; alle stehen sie in Ehrfurcht. Alle sind barfuß, ohne Schuhwerk, in der Synagoge. Wenn sie lernen und sich in der Melodie irren, zeigt sie ihnen das Oberhaupt in der Jeschiva mit dem Finger, und sie verstehen, wie die Melodie geht.“ 52

Diese religiöse Kompetenz hat auch Auswirkungen auf den moralischen Zustand der Juden Bagdads: „Niemand sieht dort eine Frau; und niemand betritt dort das Haus seines Freundes, damit er nicht die Frau seines Freundes erblickt. Sofort würde dieser ihm sagen: ‚Frechling, warum bist du gekommen?‘ Vielmehr klopft man mit einem Eisen an die Tür, und jener kommt dann heraus und spricht mit ihm.“ 53 Diese Beobachtungen macht Petachja im ganzen Zweistromland: „Weiterhin hat er [Rabbi Petachja] erzählt, daß er die ganze Zeit über, die er im Lande Babel war, niemals das Gesicht einer Frau gesehen hat, weil sie verhüllt und verschleiert gehen. Jeder hat eine Miqweh auf seinem Hof, und niemand betet, bevor er ein Tauchbad genommen hat. Wer eine Reise unternimmt, reist nur des Nachts wegen der Hitze. Die ist dort an den Wintertagen so groß wie hier an den Sommertagen. Auch seine Arbeit verrichtet man dort nachts. Es ist in jeder Hinsicht eine andere Welt. Die Leute befassen sich mit der Torah und sind gottesfürchtig. Auch die Muslime sind gläubige Leute.“ 54

Diese Schilderung vermischt Reisebeschreibungen mit einer Kritik an den Zuständen in der eigenen Umgebung. Die Neugier der Leserschaft befriedigt der Autor mit der Erwähnung der klimatischen Bedingungen im Zweistromland, die sich deutlich von den heimatlichen Verhältnissen unterscheiden. Aber diese Schilderung wird umrahmt von einem Lobpreis auf die Frömmigkeit der jüdischen und sogar der muslimischen Bevölkerung, die sich durch ein besonders reinheitsbewusstes Leben auszeichnet. Hier findet sich wieder das Programm 52 53 54

Eisenstein, Ozar Massaoth (nt. 11), 53; Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 151. Ibid., 49; Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 131. Ibid., 53; Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 150.

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der H ø asidey Aškenaz, die eine Belebung der jüdischen Religiosität in Mitteleuropa anstrebt. Besonders heftig werden in dieser Schilderung die Bedeutung des Vorbeters im aschkenasischen Raum und das Verhalten der Gemeinde in der Synagoge kritisiert, indem die kultische Kompetenz eines jeden einzelnen babylonischen Juden und die allgemeine Religiosität betont wird 55. Letztlich wird hier die Fiktion geschaffen, dass in anderen Ländern eine solche Frömmigkeit, wie sie die H ø asidey Aškenaz anstreben, bereits existiert, und der Leser zwischen den Zeilen dazu aufgefordert, sein eigenes religiöses Verhalten zu überdenken, schließlich möchte er sich ja nicht sagen lassen, dass sogar die Muslime frömmer sein könnten als er selbst. 3. Begegnungen mit Karäern R. Petachja begegnete nicht nur Juden auf seiner Reise, sondern auch Angehörigen der Glaubensrichtung der Karäer, auch als Karaiten bezeichnet, die sich von den rabbinischen Juden darin unterscheiden, dass sie die mündliche Torah nicht anerkennen. Ob die geschilderte Begegnung auf der Krim tatsächlich so abgelaufen ist wie in dem Bericht dargestellt sei dahingestellt: „Im Lande Qedar gibt es keine [rabbanitischen] Juden, sondern nur Minim [Abtrünnige], Karaiten nämlich. Rabbi Petachja hat sie gefragt: ‚Warum glaubt ihr nicht an die Worte unserer Weisen?‘ Sie haben ihm geantwortet: ‚Weil unsere Väter sie [uns] nicht gelehrt haben.‘ Am ʿErev Schabbat [Sabbatvorabend] schneiden sie alles Brot auf, dass sie am Schabbat essen. Sie essen im Dunkeln und sitzen den ganzen Tag auf demselben Platz. Sie beten nur Psalmen. Als Rabbi Petachja ihnen unsere Tephillah [das Hauptgebet] und die Birkat ha-mason [den Tischsegen] vortrug, fanden sie Gefallen daran und sagten: ‚Noch nie haben wir gehört, was der Talmud [die Lehre der Weisen] ist.‘“ 56

Karäer bilden für den rabbanitischen Juden Petachja eine besondere Gruppe, die als minim, also Abtrünnige, charakterisiert wird. Diese Charakterisierung wird von Benjamin von Tudela nicht dermaßen scharf vorgenommen, der die Karäer als besondere Untergruppe des Judentums aufführt, ihnen aber auch keine besondere Beachtung schenkt, wie es bei der Schilderung der Juden Konstantinopels deutlich wird: „Dort leben etwa zweitausend rabbanitische Juden, daneben noch fünfhundert Karaiten. Zwischen ihnen besteht eine scharfe Trennung.“ 57 Die Karäer erkennen die mündliche Torah nicht an, gelten jedoch zugleich nicht als Heiden. R. Petachja hat offenbar keine Probleme damit, mit dieser 55 56 57

Cf. Jacobs, Reorienting the East (nt. 13), 173 sq. Eisenstein, Ozar Massaoth (nt. 11), 47 sq., Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 125 sq. Adler, Itinerary (nt. 21), 47 (hebräischer Teil). Übersetzung nach Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 29 sq. Zur Charakterisierung der Karäer in einem Reisebericht des fünfzehnten Jahrhunderts cf. Jacobs, Reorienting the East (nt. 13), 180 sqq.

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Gruppe den Schabbat zu verbringen 58. Allerdings empfindet er die Art, wie die Karäer den Ruhetag begehen, als trostlos: sie verbringen die Nacht wach im Dunkeln, sitzen den ganzen Tag an demselben Ort 59 und kennen nur die Psalmen als Gebetstext. R. Petachja tritt hier als Lehrer auf, der ihnen die Schönheit der rabbinischen Tradition nahebringt, indem er zum einen das Achtzehnbittengebet, zum anderen den Tischsegen rezitiert, was natürlich zu einer positiven Reaktion führt, zumal er das Achtzehnbittengebet in der kürzeren SchabbatFassung rezitiert haben dürfte 60, in der die Verfluchung der Abtrünnigen, die auch auf die Karäer bezogen werden könnte, nicht vorkommt 61. Zugleich sieht R. Petachja das Problem weniger bei den Karäern, denen er begegnet, als vielmehr bei ihren Vorfahren, die sie die falsche Tradition gelehrt hätten. Damit weichen die Karäer zwar immer noch vom jüdischen Glauben ab, allerdings wird ihnen unterstellt, dass sie sich nicht bewusst gegen das rabbinische Judentum gewandt haben, sondern lediglich einer falschen Tradition folgen, und damit in Vergleich zu Ungläubigen einen minderschweren Fall darstellen. Trotzdem besteht wohl Petachjas Ansicht nach die Verpflichtung, sie wieder auf den richtigen Weg zu bringen, was er versucht, indem er ihnen den rabbanitischen Schabbat näher bringt. Zugleich dient diese Passage der Bestärkung der rabbanitischen Leser in der Überlegenheit ihrer Traditionen. IV. Zusammenfassung Wenn man die beiden hier vorgestellten Reiseberichte charakterisieren möchte, so lassen sich verschiedene Elemente herausarbeiten: zum einen handelt es sich weniger um Reiseberichte, die tatsächlich auf eigenen Beobachtungen fußen, auch wenn diese durchaus vorkommen. Vielmehr geht es darum, das Interesse des Lesers zu wecken und seine Neugier zu befriedigen. Gleichzeitig soll diese Neugierde auch in geordnete Bahnen gelenkt werden, indem neben Schilderungen fremder Sitten und Bräuche vor allem jüdische Gemeinden im Mittelpunkt stehen, wodurch das Zusammengehörigkeitsgefühl der Juden als auserwähltes Volk gestärkt werden soll. 58

59

60 61

Zu rabbinisch-karaitischen Beziehungen im elften Jahrhundert cf. Z. Ankori, Some Aspects of Karaite-Rabbanite Relations in Byzantium on the Eve of the First Crusade, in: Proceedings of the American Academy for Jewish Research 24 (1955), 1–38 und 25 (1956), 157–176. Hierbei handelt es sich wohl um eine wörtliche Auslegung von Ex 16,29, cf. Schreiner, Benjamin/Petachja (nt. 22), 232. Eine andere Interpretation dieses Brauches bietet Z. Cahn, The Rise of the Karaite Sect: A New Light on the Halakah and Origin of the Karaites, New York 1937, 113 sq. Zum karaitischen Schabbat cf. J. E. Heller/L. Nemoy, Karaites: Karaite Doctrine, in: Encyclopaedia Judaica, vol. 11, Detroit 22007, 799. Zum Achtzehnbittengebet cf. U. Ehrlich, Amidah, in: Encyclopaedia Judaica, vol. 2, Detroit 2 2007, 73–76. Zur Verfluchung der Abtrünnigen cf. U. Ehrlich, Birkat ha-Minim, in: Encyclopaedia Judaica, vol. 3, Detroit 22007, 711 sq.

VII. Materielle Kultur und rituelle Zeichen

Zu viel des Guten? Materielle Kultur und sinnliche Wahrnehmung im frühen Mittelalter Matthias Friedrich (Wien) Dieser Artikel widmet sich ästhetischen und sensorischen Strukturen in der materiellen Kultur des frühen Mittelalters – eine Zeit, die zumeist noch von spätantiken Einflüssen durchdrungen ist. Anhand von Objekten, insbesondere aus archäologischen Kontexten, wird visuelle und materielle varietas als grundlegendes ästhetisches Prinzip herausgestellt 1. Dabei spielen neben ästhetischen Grundbegriffen aus Antike und Mittelalter auch das relativ neue Forschungsfeld der ‚Sensory Archaeology‘ – eine Archäologie der Sinne – eine grundlegende Rolle bei der Betrachtung materieller Kultur des frühen Mittelalters. Ein zentrales Forschungsfeld der Archäologie des frühen Mittelalters in Zentral- und Westeuropa sind Grabfunde aus sogenannten Reihengräberfeldern (Tafel 6). Die zahlreichen und gut dokumentierten Gräber und ihre umfangreichen Beigabenausstattungen bilden eine wichtige und umfangreiche Quellengattung im nachrömischen Europa – sowohl forschungsgeschichtlich 2 als auch angefacht durch neue und kontrovers diskutierte genetische Untersuchungsmöglichkeiten 3. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde viel über die ethnische Aussagekraft von Grabfunden – oder das ‚Germanenhafte‘ von Gräbern an

1 2

3

Für den byzantinischen Bereich: B. V. Pentcheva, Hagia Sophia and Multisensory Aesthetics, in: Gesta 50 (2011), 93–111. Zur Forschungsgeschichte und Interpretation der Reihengräberfelder zusammenfassend: G. Halsall, The Origins of the Reihengräberzivilisation. Forty Years on, in: J. F. Drinkwater/H. Elton (eds.), Fifth-Century Gaul. A Crisis of Identity?, Cambridge 1992, 196–207; H. Fehr, Germanische Einwanderung oder kulturelle Neuorientierung? Zu den Anfängen des Reihengräberhorizontes, in: S. Brather (ed.), Zwischen Spätantike und Frühmittelalter. Archäologie des 4. bis 7. Jahrhunderts im Westen (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 57), Berlin–New York 2008, 67–102. Cf. M. Meier/S. Patzold, Gene und Geschichte. Was die Archäogenetik zur Geschichtsforschung beitragen kann (Zeitenspiegel Essay), Stuttgart 2021. Zur mittlerweile umfangreichen Diskussion um Grenzen und Aussagemöglichkeiten von DNA-Analysen in den historischen Wissenschaften siehe außerdem: S. Brather, New Questions instead of Old Answers. Archaeological Expectations of aDNA Analysis, in: Medieval Worlds 4 (2016), 22–41; M. Meier/S. Patzold, Big Picture? Anmerkungen zu DNA-Analysen und historischen Fragestellungen, in: NTM, Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 26 (2018), 325–330; P. von Rummel, Gene, Populationen und Identitäten: Genetic History aus archäologischer Sicht, in: NTM, Zeitschrift für Geschichte der Wissenschaften, Technik und Medizin 26 (2018), 345–350.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-028

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sich 4 – diskutiert. Die gleiche Skepsis dürfte auch bei sogenannter ‚germanischer‘ Kunst im heutigen Zentral- und Nordwesteuropa angebracht sein. I. ‚Ger manische‘ Kunst? Das Beispiel der fr ühmittelalterlichen Tieror namentik Die frühmittelalterliche Tierornamentik, häufig auch als ‚Tierstil‘ bezeichnet, ist ein klassisches Thema nicht nur der deutschsprachigen, sondern insbesondere auch der britischen und skandinavischen Archäologie und Kunstgeschichte. Bereits im 19. Jahrhundert war die verschlungene und vermeintlich etwas befremdlich wirkende Ornamentik Gegenstand von Interesse; einschneidend ist dabei vor allem das bekannte Werk ‚Die altgermanische Thierornamentik‘ von Bernhard Salin, das 1904 veröffentlicht wurde 5. An dieser Stelle soll nicht auf die komplexe Forschungs- und Deutungsgeschichte des Tierstils eingegangen 6, sondern vor allem die damit verbundenen aktuellen Interpretationen thematisiert werden, um so einen bisher eher vernachlässigten Aspekt hervorheben. Hierbei sollen vor allem die beiden Stilvarianten I und II in den Blick genommen werden, die späteren wikingerzeitlichen Kunststile des Nordens sind hier ausgeklammert. Stil I trat etwa in der Mitte des 5. Jahrhunderts im heutigen Norddeutschland und Südskandinavien auf und kann bis etwa in die Zeit um 600 nachverfolgt werden. Stil II breitete sich seit dem späten 6. Jahrhundert zunehmend aus und ist vor allem für das 7. Jahrhundert charakteristisch. Je nach Definition lässt sich das Verbreitungsgebiet der zweiten Stilvariante etwa von England bis nach Pannonien sowie von Südskandinavien bis nach Oberitalien eingrenzen. Die Unterscheidung der beiden Stile fußte ursprünglich auf den unterschiedlichen Darstellungsweisen der Tierköpfe, wobei in Stil I u-förmige und in Stil II rechtwinklige Köpfe vorherrschten 7. In der heutigen Forschung spielt dieses Kriteri4

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Exemplarisch für die Debatte um ‚germanische‘ Gräber ist die Diskussion bei Fehr, Einwanderung (nt. 2) und M. Schmauder, Transformation oder Bruch? Überlegungen zum Übergang von der Antike zum Frühen Mittelalter im Rheinland, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 76 (2012), 34–52. B. Salin, Die altgermanische Thierornamentik. Typologische Studie über germanische Metallgegenstände aus dem IV. bis IX. Jahrhundert, nebst einer Studie über irische Ornamentik, Stockholm 1904. Siehe hierzu: H. Ament/D. M. Wilson, s. v. Tierornamentik, Germanische, in: J. Hoops (ed.), Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Berlin–New York 22005, 586–605; A. Pesch, Fallstricke und Glatteis. Die germanische Tierornamentik, in: H. Beck/D. Geuenich/H. Steuer (eds.), Altertumskunde, Altertumswissenschaft, Kulturwissenschaft. Erträge und Perspektiven nach 40 Jahren Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 77), Berlin–Boston 2012, 633–687; K. Høilund Nielsen, Germanic Animal Art and Symbolism, in: Beck/Geuenich/Steuer (eds.), Altertumskunde, (nt. 6), 595–602. Salin, Thierornamentik (nt. 5), 245 sq.

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um jedoch eher eine untergeordnete Rolle: Signifikant ist vor allem das ‚Kompositionsprinzip‘, also die Anordnung der Tierdarstellungen, sowie die stilistische Ausführung der jeweiligen Tiere 8. Während bei Stil I die Tiere flächig dargestellt, durch Konturlinien gekennzeichnet und aneinandergereiht werden 9, sind „[i]m Stil II […] Köpfe und andere Tierkomponenten nicht mehr rein additiv zusammengestellt, sondern in ein Bandgeflecht integriert“ 10. Diesen Unterschied illustrieren zwei Funde aus dem späten 6. und 7. Jahrhundert, heute im Metropolitan Museum of Art. Die vermutlich aus Italien stammende Bügelfibel (Tafel 7) wird in die Zeit um 600 datiert und ist eine späte Ausdruckform von Tierstil I 11. Die Kopf- und Fußplatte sind mit Tierkörpern verziert, die sich aus Vorder-, Hinterbein und Kopf zusammensetzen und mit Konturlinien verbunden sind. Ein bichrom tauschierter und plattierter Gürtelbeschlag 12 (Tafel 8) aus der Mitte bis zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts 13 zeigt im Vergleich zur Bügelfibel die formalen Unterschiede zwischen Tierstil I und II deutlich auf: Das zentrale Flechtbandornament mit zwei stilisierten Tierköpfen ist durch vier weitere Köpfe an den Rändern des Beschlags ergänzt. Ob nun Stil I oder II, frühmittelalterliche Tierornamentik wird häufig als „Bildersprache“ 14 oder auch als „Hieroglyphen-Schrift“ 15 bezeichnet. Die Grundannahme zur Deutung ist die symbolische ‚Lesbarkeit‘ des Tierstils, die aus methodischer Sicht nur durch die dünne schriftliche Quellenlage eingeschränkt sei. Tierstil ist den gängigen Forschungsmeinungen innerhalb der Frühmittelalterarchäologie zufolge somit nicht ‚bloße‘ Ornamentik – in ihr zeige sich vielmehr ein uns heute nicht mehr verständlicher Bildinhalt. Die aktuellen Meinungen zum Tierstil lassen sich auf drei allgemeine Bereiche reduzieren: ethnische Identität, Religion, Mythologie. 1. Ethnische Identität Zunächst zur (ethnischen) Identität: Eine identitätsstiftende Lesart der Tierornamentik ist sicherlich die häufigste – und auch akzeptierteste – Interpretationsmöglichkeit. Im Vordergrund steht dabei zumeist eine ‚germanische‘ Identität, 8 9 10 11

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Pesch, Fallstricke (nt. 6), 661. Ibid., 654 sq. Ibid., 661. Unbekannter Fundort (wahrscheinlich Italien), Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 55.56: K. R. Brown/D. Kidd/C. T. Little (eds.), From Attila to Charlemagne. Arts of the Early Medieval Period in the Metropolitan Museum of Art, New York 2000, 155–158. 358. Unbekannter Fundort, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 17.191.324: ibid., 297 sq. 349. Cf. M. Friedrich, Archäologische Chronologie und historische Interpretation. Die Merowingerzeit in Süddeutschland (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 96), Berlin–Boston 2016, 164, Abb. 61. Pesch, Fallstricke (nt. 6), 637. E. Wamers, Salins Stil II auf christlichen Gegenständen. Zur Ikonographie merowingerzeitlicher Kunst im 7. Jahrhundert, in: Zeitschrift für Archäologie des Mittelalters 36 (2008), 67.

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die durch Tierornamentik zum Ausdruck gebracht werde. So schreibt beispielsweise Alexandra Pesch: „Im Tierstil sprechen die germanischen Völker in ihrer Bildkunst eine gemeinsame Sprache. […] Damit fungierte die Tierornamentik auch als germanisches ‚Corporate design‘.“ 16 Tierornamentik und ‚germanische Bildersprache‘ allgemein werden daher „als Ausdruck einer gemeinsamen ElitenIdentität“ 17 verstanden. Jedoch hat bereits vor einigen Jahren Orsolya HeinrichTamaska die einseitige Reduzierung von Tierstil auf germanische Eliten hinterfragt 18. An dieser Stelle soll aber noch einen Schritt weitergegangen und Tierstil gänzlich vom ‚Germanischen‘ losgelöst werden. Dies hat mehrere Gründe: zum einen die Tatsache, dass der Germanenbegriff in Spätantike und Frühmittelalter kaum Verwendung findet 19 – und somit an sich ein eher unzureichender historischer Begriff für diese Zeit ist 20. Zum anderen spielt in diesem Zusammenhang auch die Auffassung eine wichtige Rolle, es gäbe ein pan-germanisches Identitätsbewusstsein, getragen von Traditionskernen, die sich ihrer ethnischen, sprachlichen und kulturellen Ähnlichkeit und Kontinuität bewusst seien und dies auch in der materiellen Kultur zeigen – und zwar über große zeitliche und geographische Distanzen 21. 2. Religion Die zweite Kategorie, die für die Interpretation von Tierornamentik herangezogen wird, ist Religion bzw. Kosmologie. Auch hier spielt der Germanenbegriff eine zentrale Rolle, denn häufig wird Tierornamentik als genuin heidnische Ausdruckform betrachtet. Da germanische Kunst grundsätzlich als „Heilsbilder“ 22 16 17 18

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20 21 22

Pesch, Fallstricke (nt. 6), 660. Ibid. O. Heinrich-Tamaska, Tierornamentik auf Gold und Silber. Zeichen von Herrschaft und Identität?, in: M. Hardt/O. Heinrich-Tamaska (eds.), Macht des Goldes, Gold der Macht. Herrschaftsund Jenseitsrepräsentation zwischen Antike und Frühmittelalter im mittleren Donauraum (Forschungen zu Spätantike und Mittelalter 2), Weinstadt 2013, 381–405. Grundlegend: J. Jarnut, Germanisch. Plädoyer für die Abschaffung eines obsoleten Zentralbegriffs der Frühmittelalterforschung, in: W. Pohl (ed.), Die Suche nach den Ursprüngen. Von der Bedeutung des frühen Mittelalters (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 8), Wien 2004, 107–113. Für eine ausführliche Quellendiskussion siehe R. Steinacher, Rome and Its Created Northerners, in: M. Friedrich/J. M. Harland (eds.), Interrogating the ‘Germanic’. A Category and its Use in Late Antiquity and the Early Middle Ages (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 123), Berlin 2021, 31–66. Cf. J. M. Harland/M. Friedrich, Introduction: The ‘Germanic’ and its Discontents, in: Friedrich/ Harland (eds.), Interrogating the ‘Germanic’ (nt. 19), 1–18. E. g. W. Heizmann/S. Oehrl (eds.), Bilddenkmäler zur germanischen Götter- und Heldensage (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 91), Berlin 2015, 1, nt. 1. H. Zeiss, Das Heilsbild in der germanischen Kunst des frühen Mittelalters (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Abteilung 2 [8]), München 1941. Cf. H. Steuer, s. v. Heilsbild, in: Hoops (ed.), Reallexikon (nt. 6), 233–236.

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zu verstehen seien (ein Begriff, der nur selten kritisch hinterfragt wird), werden sie der religiösen Sphäre zugerechnet, wie das folgende Zitat von Pesch vor Augen führt: „Tiere und Mischwesen gelten als Vermittler zwischen Menschen und Göttern. In den Bilddarstellungen sind sie mit Rollen in religiösen Vorgängen betraut, indem sie Heilsgeschehnisse und göttliche Epiphanien flankieren und durch ihre Anwesenheit betonen.“ 23 Hier ist die religiöse bzw. numinos-kosmologische Interpretation nicht spezifisch heidnisch gemeint – doch häufig gehen die Interpretationen noch einen Schritt weiter. Dabei besagt eine Theorie zum Entstehen des Tierstils beispielsweise, er habe sich im Norden als heidnische Gegenreaktion zur christlich-narrativen Kunst des Mittelmeerraumes entwickelt. So stünden die mehrdeutigen, stilisierten, verschlungenen und heidnischen Bilderwelten des Nordens als ontologisches Gegenmodell zur naturalistisch geprägten Kunst und Kultur der Antike 24. Doch gibt es auch Versuche einer christlichen Deutung, die in den letzten Jahren insbesondere durch Egon Wamers vertreten wurden 25. Ähnliche Deutungen wurden bereits von Birgit Arrhenius in den 1980er Jahren vorgeschlagen 26. Weiterhin wurde Tierstil I mit einer apokalyptischen „Endzeiterwartung“ während der Spätantike in Verbindung gebracht 27. Doch stellt sich die Frage, ob religiöse Kategorien sinnvolle Einteilungsmuster für Tierornamentik darstellen. Ist dieser Stil überhaupt primär religiös konnotiert, i. e. können wir durch ihn die religiöse Zugehörigkeit erschließen? Auch hier sollte wieder eine gewisse Skepsis und methodische Vorsicht angebracht sein 28: Nach derzeitigem Stand lässt sich weder klären, ob Tierornamentik heidnisch oder christlich ist (bzw. ob dies überhaupt Kategorien sind, die wir der Interpretation zugrunde legen sollten), noch, ob sich darin numinose, kosmologische oder ontologische Ansichten ausdrücken.

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Pesch, Fallstricke (nt. 6), 685. N. L. Wicker, The Scandinavian Animal Styles in Response to Mediterranean and Christian Narrative Art, in: M. Carver (ed.), The Cross Goes North. Processes of Conversion in Northern Europe, AD 300–1300, Woodbridge–Rochester, NY 2003, 531–550. Wamers, Salins Stil II (nt. 15); id., Behind Animals, Plants and Interlace. Salin’s Style II on Christian Objects, in: J. Graham-Campbell/M. Ryan (eds.), Anglo-Saxon-Irish Relations before the Vikings (Proceedings of the British Academy 157), Oxford 2009, 151–204. B. Arrhenius, Einige christliche Paraphrasen aus dem 6. Jahrhundert, in: H. Roth (ed.), Zum Problem der Deutung frühmittelalterlicher Bildinhalte. Akten des 1. Internationalen Kolloquiums in Marburg a. d. Lahn, 15. bis 19. Februar 1983 (Veröffentlichungen des Vorgeschichtlichen Seminars der Philipps-Universität Marburg a. d. Lahn Sonderband 4), Sigmaringen 1986, 129– 151. K. Høilund Nielsen, Endzeiterwartung. Expecting the End of the World, in: C. Ruhmann/V. Brieske (eds.), Dying Gods. Religious Beliefs in Northern and Eastern Europe in the Time of Christianisation (Neue Studien zur Sachsenforschung 5), Stuttgart 2015, 23–50. Cf. M. Helmbrecht, Bild und Bildträger während der Vendelzeit, in: Heizmann/Oehrl (eds.), Bilddenkmäler (nt. 21), 187.

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3. Mythologie Der dritte Punkt – Mythologie – wird insbesondere durch die dänischen Archäologinnen Lotte Hedeager und Karen Høilund Nielsen vertreten: „Besonders für die Bevölkerungen in den […] germanischen Königtümern auf dem Kontinent lässt sich ein gewisser Zusammenhang zwischen Tierstil, Entstehungsmythen und politischer Orientierung erkennen.“ 29 So vertritt Høilund Nielsen die Ansicht, Tierstil I sei in Südskandinavien als politisches Propagandamedium während der Formierung des dänischen Königreiches entstanden und anschließend durch andere ‚germanische‘ Gruppen verwendet worden, um ihre mythologische Herkunft aus Skandinavien zu demonstrieren. Im langobardenzeitlichen Tierstil II in Oberitalien drücke sich die schriftlich überlieferte mythische Herkunft aus Skandinavien aus. Daraus wird nun abgeleitet, dass auch die Ursprungsmythen anderer ‚germanischer‘ gentes, die ebenfalls Tierstil verwendeten, gleichermaßen im Norden begründet seien 30. Zuvor hatte bereits Hedeager die Verbindung von Kosmologie und politischem Bewusstsein, das sich im Tierstil ausdrücke, betont 31. Die drei genannten Deutungsfelder – Identität, Religion bzw. Kosmologie und Mythologie – bedingen sich häufig gegenseitig und sind nicht immer klar voneinander zu unterscheiden. Alle drei Aspekte bergen jedoch das Problem in sich, dass sie von Prämissen geprägt sind, die häufig weder im Material noch in der textlichen Überlieferung der Zeit begründet sind. Wie bereits erwähnt beruhen die meisten Interpretationen auf der Annahme, dass Tierstil einen spezifischen semantisch-symbolischen Inhalt kommuniziere. Dies ist jedoch ein Postulat, dem man nicht unbedingt folgen muss: Zunächst wissen wir nicht, ob hinter Tierstil eine spezifische Symbolik steht; weiterhin, gesetzt die Annahme eines dezidierten Inhaltes, können Vermutungen zur Semantik nicht mit anderen Quellen unterfüttert werden – bzw. nicht mit solchen, die Auskunft über Symbolik und dergleichen geben. Daher soll hier eine Interpretation des Tierstils – und frühmittelalterlicher Kunst aus Zentral- und Nordwesteuropa im Allgemei-

29 30 31

K. Høilund Nielsen, Stil II als Spiegel einer Elitenidentität?, in: Brather (ed.), Zwischen Spätantike und Frühmittelalter (nt. 2), 298. Ead., Animal Style. A Symbol of Might and Myth, in: Acta Archaeologica 69 (1998), 1–52; ead., Animal Art (nt. 6), 605 sq. L. Hedeager, Kingdoms, Ethnicity and Material Culture. Denmark in a European Perspective, in: M. Carver (ed.), The Age of Sutton Hoo. The Seventh Century in North-Western Europe, Woodbridge 1992, 279–300; ead., Myth and Art. A Passport to Political Authority in Scandinavia during the Migration Period, in: T. M. Dickinson/D. Griffiths (eds.), The Making of Kingdoms. Papers from the 47th Sachsensymposium York, September 1996 (Anglo-Saxon Studies in Archaeology and History 10), Oxford 1999, 151–156; ead., Skandinavisk dyreornamentik. Symbolsk repræsentation af en førkristen kosmologi, in: I. Fuglestvedt/T. Gansum/A. Opedal (eds.), Et hus med mange rom. Vennebok til Bjørn Myhre på 60-årsdagen (AmS-Rapport 11), Stavanger 1999, 219–237.

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nen 32 – vorgestellt werden, die sich nicht primär an religiöser, mythologischer oder identitätsstiftender Kommunikation orientiert, sondern sozial-anthropologische und ästhetische Ansätze heranzieht. II. „Wirkmächtig e“ Ding e und eine Archäologie der Sinne Alfred Gell, der insbesondere durch sein vielzitiertes Werk ‚Art and Agency‘ 33 bekannt ist, definiert Kunstwerke als eine Komponente von Technologie: „art objects are the only objects around which are beautifully made, or made beautifully“ 34. Kunstobjekte im Sinne Gells sind demnach Produkte komplexer Technologien; sie verkörpern den technologischen Prozess, der zu ihrer Entstehung geführt hat. Diese Komplexität ‚verzaubert‘ und schlägt die Betrachtenden des Kunstobjektes in ihren Bann. Besonders eindrücklich ist dieser Ansatz für Ornamentik, die Gell als Mechanismus beschreibt, um Gegenstände an Menschen zu ‚binden‘ (i. e. sie für uns interessant zu machen) 35. Ähnliches beschreibt Lars Spuybroek mit einer grundlegenden „Sympathie“ für und mit den Dingen, die insbesondere durch Ornamente aktiv geschaffen werde 36. Signifikant ist dabei vor allem die Komplexität der Ornamentik, deren Vielfältigkeit und Ambiguität. Das Betrachten komplexer Ornamentik ist somit ein Prozess des Sich-Auseinandersetzens mit dem Gegenstand, eine „pleasurable frustration“ oder „mind-trap“, wie Gell es bezeichnet hat 37. Versteht man Ornamentik im Sinne Gells, so ist sie niemals ‚bloße‘ Ornamentik; ihre Wirkungsmacht – oder agency – besteht darin, den Blick des Betrachters immer wieder neu auf sich zu ziehen und einzufangen. Ornamentik ist damit auch ohne vermuteten symbolischen Inhalt funktional 38. Sie macht Gegenstände interessant und wertvoll – eine nicht zu gering einzuschätzende Funktion. Gells Konzept betont vor allem die komplexe technische Beschaffenheit von Kunstobjekten und Ornamentik. Doch spielen auch Ästhetik und Sensorik der Objekte eine entscheidende Rolle. Unter Ästhetik wird an dieser Stelle nicht eine universelle Schönheit im modernen Sinne verstanden, sondern vielmehr die im griechischen Ursprung des Wortes ‚aisthesis‘ angedeutete sinnlich-sensorische Wahrnehmung 39. 32 33 34

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Cf. M. Friedrich, Image and Ornament in the Early Medieval West, 400–800. New Perspectives on Post-Roman Art, Cambridge (in Vorbereitung). A. Gell, Art and Agency. An Anthropological Theory, Oxford 1998. Id., The Technology of Enchantment and the Enchantment of Technology, in: J. Coote/ A. Shelton (eds.), Anthropology, Art, and Aesthetics (Oxford Studies in the Anthropology of Cultural Forms), Oxford 1992, 40–63. Gell, Art and Agency (nt. 33), 74. L. Spuybroek, The Sympathy of Things. Ruskin and the Ecology of Design, London 22016, 53– 105, hier 94 sq. Gell, Art and Agency (nt. 33), 80. Ibid., 74. Zur Bedeutungsgeschichte des Ästhetik-Begriffs: K. Barck/J. Heiniger/D. Kliche, Ästhetik/ ästhetisch, in: Iid. (eds.), Ästhetische Grundbegriffe, vol 1. Absenz − Darstellung, Stuttgart 2000,

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Im Zuge dessen hat sich in den letzten Jahren in der englischsprachigen Archäologie eine Sensory Archaeology herausgebildet. Maßgeblich beteiligt am Erstarken dieses Forschungszweiges innerhalb der Archäologie, ist die Arbeit ‚Archaeology and the Senses‘ von Yannis Hamilakis: „To say that the bodily senses are fundamental for human social experience is almost a truism. Yet, we rarely reflect seriously on what that means.“ 40 Wichtig ist die Betonung, dass eine sensorische Archäologie oder eine Archäologie der Sinne kein festes Methodenoder Theorienkorpus umfasst. Es geht nicht nur um die Rekonstruktion vergangener sensorischer Lebenswelten, sondern immer auch um die Wechselwirkung mit weiteren gesellschaftlichen Phänomenen und deren Implikationen für die historischen Wissenschaften 41. Während in der prähistorischen Archäologie und den klassischen Altertumswissenschaften Forschungsansätze, die sich mit sinnlicher Wahrnehmung beschäftigten, durchaus gängig sind 42, besitzen sie in der europäischen Mittelalterarchäologie, national wie international, durchaus Seltenheitswert 43. So widmet sich im ‚Routledge Handbook of Sensory Archaeology‘ nur eines von 32 Kapiteln dem europäischen Mittelalter 44. Dagegen haben in der Mediävistik Ästhetik und Sensorik derzeit Konjunktur 45, wie das Tagungsthema ‚Sinne/Senses‘ des ‚6. Forum Kunst des Mittelalters‘ (2021/2022) gut demonstriert. Doch auch die Perspektive der europäischen Mittelalterarchäologie, die ein breites Quellen- und Methodenspektrum aufweist, lässt zum Thema sinnliche Wahrnehmung substantielle Aussagen und neue Erkenntnisse erwarten. Grundsätzlich sind die Einsatzmöglichkeiten einer sensorischen Archäologie vielfältig und, wie bereits erwähnt, aufgrund der Fülle und Verschiedenartigkeit sensorischer Lebenswelten in unterschiedlichen Gesellschaften zu unterschiedlichen Zeiten nicht unmittelbar standardisiert einsetzbar. Dennoch lassen sich

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308–399. Zur Relevanz vor allem in der englischsprachigen Archäologie: T. Taylor/M. Vickers/ H. Morphy/R. R. Smith/C. Renfrew, Viewpoint. Is there a Place for Aesthetics in Archaeology?, in: Cambridge Archaeological Journal 4 (1994), 249–269. Y. Hamilakis, Archaeology and the Senses. Human Experience, Memory, and Affect, New York 2013, 1. Ibid., 199 sq. Cf. R. Skeates/J. Day, Afterword. Sensory Archaeology – A Work in Progress, in: Iid. (eds.), The Routledge Handbook of Sensory Archaeology, London 2020, 556–562. Cf. die sechsbändige Reihe ‚The Senses in Antiquity‘ (Routledge) mit je einem Band zu den fünf Sinnen sowie einem zur Synästhetik. E. g. N. L. Wicker, Dazzle, Dangle, and Jangle. Sensory Effects of Scandinavian Gold Bracteates, in: Das Mittelalter 25 (2020), 358–381. B. O’Neill/A. O’Sullivan, Experimental Archaeology and (re)-Experiencing the Senses of the Medieval World, in: Skeates/Day (eds.), Handbook of Sensory Archaeology (nt. 41), 451–466. E. g.: B. V. Pentcheva, The Sensual Icon. Space, Ritual, and the Senses in Byzantium, University Park 2010; R. G. Newhauser (ed.), A Cultural History of the Senses in the Middle Ages, London 2014; M. Bagnoli (ed.), A Feast for the Senses. Art and Experience in Medieval Europe, Baltimore 2016; F. Griffiths/K. Starkey (eds.), Sensory Reflections. Traces of Experience in Medieval Artifacts (Sense, Matter, and Medium 1), Berlin–Boston 2018; K. W. Jager (ed.), Vernacular Aesthetics in the Later Middle Ages. Politics, Performativity, and Reception from Literature to Music (The New Middle Ages), Cham 2019; K. Dempsey/J. Jaspers (eds.), Getting the Sense(s) of Small Things. Sinn und Sinnlichkeit kleiner Dinge, in: Das Mittelalter 25 (2020).

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zumindest Grundzüge und Tendenzen ausmachen, wie die Sinne in der archäologischen Forschung sinnvoll eingesetzt werden können. Eine wesentliche Voraussetzung ist dabei eine ‚Ästhetik des Alltags‘ oder ‚Eyeryday Aesthetics‘ – eine noch recht junge ästhetische Strömung, die im Gegensatz zur kunsttheoretischen Ästhetik die sensorischen Erfahrungen der alltäglichen Welt und deren sozialen Implikationen in den Fokus rückt 46. Der archäologische Befund ist geradezu prädestiniert für eine ästhetisch-sensorische Analyse des Einfachen, Alltäglichen oder auch des Gewöhnlichen – was hier explizit nicht abwertend gemeint ist. Das Gros des archäologischen Materials, nicht nur aus dem Mittelalter, besteht aus unscheinbaren, schlichten und ubiquitären Objekten: Gefäße aus Keramik, Glas oder Holz, in der Neuzeit auch Steingut und Porzellan und zahlreiche weitere Funde, sowie epochenübergreifend pflanzliche und tierische Essensreste. Diese „Fundmassen“ 47 sind zwar mitunter eine archivalische Herausforderung für die jeweiligen Denkmalbehörden, liefern jedoch zugleich eine breite empirische Datenmenge für die wissenschaftliche Erschließung alltäglichen Lebens. Gleichzeitig ist eine sensorische Betrachtung nicht auf das Alltägliche oder Gewöhnliche beschränkt – einerseits liegt dies am Begriff des Alltäglichen selbst, denn für Eliten gehören außergewöhnliche und wertvolle Gegenstände mitunter zum alltäglichen Leben, andererseits spielen die Sinne gerade auch bei religiösen und herrschaftlichen Ritualen, Zeremonien oder Festen eine wesentliche Rolle. Eine ‚sensorische‘ Mittelalter- und Neuzeitarchäologie kann beispielsweise die ästhetische Analyse von Kleidung und Kleidungsbestandteilen umfassen, die Struktur und Farbigkeit von Gewändern, die Lichtreflexionen und Oberflächen der metallenen Kleidungsbestandteile wie Gürtelschnallen und Fibeln. Gefäße, von einfacher keramischer ‚Massenware‘ bis zu elitären Trinkgefäßen aus Metall und Glas, wurden betrachtet, angefasst und im synästhetischen Zusammenspiel mit den darin enthaltenen Getränken und Speisen benutzt. Kachelöfen des Spätmittelalters spenden fühlbar Wärme und weisen in der frühen Neuzeit zudem zahlreiche Bilddarstellungen auf 48. Tabakpfeifen des 17. und 18. Jahrhunderts sind nicht nur Ausweis von weiträumigen kolonialen Handelsbeziehungen 49, sondern machen sich auch bei Benutzung durch ihren Geruch bemerkbar (auch im sozialen Sinne). Weitaus eindrücklicher sind Funde von Schuheisen aus Kon46 47

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Maßgeblich: Y. Saito, Everyday Aesthetics, Oxford 2007. Cf. S. Brather/D. Krausse (eds.), Fundmassen. Innovative Strategien zur Auswertung frühmittelalterlicher Quellenbestände (Materialhefte zur Archäologie in Baden-Württemberg 97), Stuttgart 2013; N. Hofer (ed.), Fachgespräch ‚Massenfunde – Fundmassen. Strategien und Perspektiven im Umgang mit Massenfundkomplexen‘ (Fundberichte aus Österreich, Tagungsband 2), Wien 2015. E. Roth Heege, Ofenkeramik und Kachelofen. Typologie, Terminologie und Rekonstruktion im deutschsprachigen Raum (CH, D, A, FL) (Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters 39), Basel 2012. N. Mehler, The Archaeology of Mercantilism. Clay Tobacco Pipes in Bavaria and Their Contribution to an Economic System, in: Post-Medieval Archaeology 43 (2009), 261–281.

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zentrationslagern, kündigte doch das Klappern und Lärmen der an die Stiefel angebrachten Eisen vom Nahen der Aufseher 50. Um das Potential einer ‚sensorischen‘ Mittelalterarchäologie zu demonstrieren, möchte ich nun die zuvor diskutierte Tierornamentik und verwandte Objekte aus dem Frühmittelalter einer ästhetischen Analyse unterziehen, die im Vergleich zu den bisherigen Forschungsmeinungen zur ‚germanischen‘ Kunst neue Schwerpunkte setzt. III. Das ‚Bewilder ment Principle‘: varietas und materielle Kultur in Spätantike und Fr ühmittelalter Varietas – Vielfalt, Buntheit, Abwechslung, Verschiedenheit 51 – hat eine lange und vielfältige Begriffsgeschichte, von der römischen Republik bis zur Renaissance 52. Mary Carruthers sieht varietas „not as a concept“, sondern vielmehr „as a word covering many degrees of experience along a continuum between opposites, ‚too much‘ and ‚too little‘“ 53. Varietas ist wie curiositas ein ästhetischer Begriff, der auch die sinnliche Wahrnehmung des Materiellen umfasst und derart Kunst und Architektur – oder ganz allgemein: materielle Kultur – beeinflusst bzw. vom Materiellen beeinflusst wird: „Curiositas umfaßt […] seit der Spätantike ein Bündel von Einstellungen und Verhaltensweisen, angefangen von alltäglicher Neugierde auf das, was einen nichts angeht, bis hin zur Suche nach den Wundern der Welt; von […] der Hingabe an den sinnlichen Reiz des Sehens bis hin zum Forschen nach den verborgenen Gesetzen der Natur und der Wissenschaft von Dingen, die Gott dem Menschen entzogen hat.“ 54

Ästhetische Vielfalt und Abwechslung setzt daher auch Neugierde voraus. Varietas ist damit auch an curiositas geknüpft – zu viel ästhetische Vielfalt und Neugierde schlägt in sumptuositas um, so zumindest kann Bernhard von Clairvaux interpretiert werden 55. Aber ist das wirklich der Fall – gibt es ein ‚zu viel des Guten‘? Ausschlaggebend für eine nähere Beschäftigung mit varietas war ein Vortrag von Carruthers im Januar 2015 an der Unviersity of York mit dem Titel ‘Polyfocal Perspective and the ‚Bewilderment‘ Principle in Medieval Art and Rhetoric‘. 50 51 52

53 54 55

C. Theune, Spuren von Krieg und Terror. Archäologische Forschungen an Tatorten des 20. Jahrhunderts, Wien 2020, 29. K. E. Georges, Ausführliches lateinisch-deutsches Handwörterbuch, Hannover 81918 (Nachdruck 1998), URL: , vol. 2, 3367 sq. Zur Begriffsgeschichte von varietas: M. J. Carruthers, Varietas. A Word of Many Colours, in: Poetica 41 (2009), 11–32; ead., The Experience of Beauty in the Middle Ages (Oxford – Warburg Studies), Oxford 2013, 135–164; W. Fitzgerald, Variety. The Life of a Roman Concept, Chicago 2016. Carruthers, Experience (nt. 52), 136. B. Vinken, Curiositas/Neugierde, in: Barck (ed.), Ästhetische Grundbegriffe, vol. 1 (nt. 39), 798. Carruthers, Experience (nt. 52), 149 sq.

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Grundlage dafür bildet das 2013 veröffentlichte Buch ‚The Experience of Beauty in the Middle Ages‘ 56. Carruthers kann herausarbeiten, dass sich die Auffassung von varietas in Rhetorik und Kunst von der ‚klassischen‘ Antike bis ins Mittelalter hinein gewandelt hat. Varietas war nach dem klassischen Verständnis von Rhetorik, Kunst und Architektur die Vielfalt an verschiedenen Stilen, die aber alle eigenständig blieben und so ihre dignitas bewahrten. Dies änderte sich zunehmend in der Spätantike, indem nun mixtura – das Vermischen von verschiedenen Stilen – positiv bewertet wurde 57. Diversitas stand nun im Vordergrund. Deutlich wird dies beispielsweise bei der Beschreibung der Hagia Sophia durch Prokop: Im Werk ‚De aedificiis‘ bemerkt Prokop die Vielfalt an Ausstattungsdetails und Farben, die es unmöglich machen, lange bei einem Detail zu verweilen, da ständig neue und unterschiedliche Dinge die Aufmerksamkeit auf sich ziehen: „All die Bauglieder, die sich da – es ist kaum zu glauben – hoch droben ineinander gefügt gegenseitig in Schwebe halten und nur auf ihre nächste Umgebung stützen, leihen dem Werk eine einzigartige, ganz ausgezeichnete Harmonie, lassen aber das Auge des Betrachters nicht lange an einer Stelle, sondern jeder Einzelteil zieht den Blick ab, um ihn schnellstens auf sich zu lenken. Rasch wandert unausgesetzt das Auge hin und her, da sich der Betrachter nicht im Stande fühlt auszuwählen, was er mehr von all dem anderen bewundern soll. Indessen mögen die Menschen auch so nach allen Seiten hin ihr Augenmerk richten und voll Staunen über alles ihre Brauen zusammenziehen, es übersteigt doch ihre Kräfte, die Kunst ganz zu verstehen, und so entfernen sie sich stets von dort ganz benommen von der überwältigenden Größe des Eindrucks.“ 58

Diese Auffassung von Ästhetik und varietas blieb maßgebend bis ins Mittelalter. Beispielweise berichtet die ‚Schedula Diversarum Artium‘ 59 bezüglich der Inneneinrichtung von Kirchen: „Kann doch das menschliche Auge nicht entscheiden, auf welche Darstellung es zuerst den Blick richten soll. Betrachtet es die (bemalte) Holzdecke, so leuchtet sie wie (bunte) Stoffvorhänge; wenn es die Wände betrachtet, so zeigt sich das Bild des Paradieses, 56 57 58

Ibid., besonders 135–164.; siehe auch ead., Varietas (nt. 52), 11–32. Carruthers, Experience (nt. 52), 151–155. Prokop, De aedificiis, I, 1, 47–49, ed. O. Veh (Tusculum-Bücherei), München 1977, 26–29: „ταῦτα δὲ πάντα ἐς ἄλληλά τε παρὰ δόξαν ἐν μεταρσίῳ ἐναρμοσθέντα, ἔκ τε ἀλλήλων ͺἠ ωρημένα καὶ μόνοις ἐναπερειδόμενα τοῖς ἄγχιστα οὖσι, μίαν μὲν ἁρμονίαν ἐκπρεπεστάτην τοῦ ἔργου ποιοῦνται, οὐ παρέχονται δὲ τοῖς θεωμένοις αὐτῶν τινι ἐμφιλοχωρεῖν ἐπὶ πολὺ τὴν ὄψιν, ἀλλὰ μεθέλκει τὸν ὀφθαλμὸν ἕκαστον , καὶ μεταβιβάζει ῥᾶͺ στα ἐφ' ἑαυτό. ἀγχίστροφός τε ἡ τῆς θέας μεταβολὴ ἐς ἀεὶ γίγνεται, ἀπολέξασθαι τοῦ ἐσορῶντος οὐδαμῆ ἔχοντος ὅ τι ἄν ποτε ἀγασθείη μᾶλλον τῶν ἄλλων ἁπάντων. ἀλλὰ καὶ ὡς ἀποσκοποῦντες πανταχόσε τὸν νοῦν, τάς τε ὀφρῦς ἐπὶ πᾶσι συννενευκότες, οὐχ οἷοί τέ εἰσι ξυνεῖναι τῆς τέχνης, ἀλλ' ἀπαλλάσσονται ἀεὶ ἐνθένδε καταπεπληγμένοι τῇ ἐς τὴν ὄψιν ἀμηχανίᾳ.“ Cf. Carruthers, Experience (nt. 52), 136 sq.

59

Cf. A. Speer (ed.), Zwischen Kunsthandwerk und Kunst. Die ‚Schedula diversarum artium‘ (Miscellanea Mediaevalia 37), Berlin–Boston 2014; H. C. Gearhart, Theophilus and the Theory and Practice of Medieval Art, University Park 2017.

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wenn es die Überfülle des Lichts der Fenster erschaut, bewundert es den unschätzbaren Schmuck des Glases und die Vielfalt wertvoller Werke.“ 60

Sowohl Prokop als auch Theophilus beziehen sich auf die komplexe und vielfältige Raumwahrnehmung in Kirchen. Beide Textstellen sollen hier nicht direkt auf Tierstil bezogen werden – die hier angeführte Textstelle dient vielmehr als prägnantes Beispiel eines übergeordneten Phänomens, was sich auch anhand weiterer Schriftzeugnisse und anderer Quellengattungen von der Spätantike bis ins Hochmittelalter verfolgen lässt. Denn auch in anderen Bereichen der materiellen Kultur zeigt sich die Komplexität um der schieren Komplexität Willen. Als ein solches Beispiel führt Carruthers eine reich verzierte Buchseite des Ormesby-Psalters (Tafel 9) aus dem frühen 14. Jahrhundert an 61, auf der neben dem eigentlichen Text Ornamentik und figürliche Bilder eng miteinander verwoben sind 62. Polychromie, Vielfalt, Abwechslung, Verschiedenheit, und Mehrdeutigkeit sind demnach Grundprinzipien mittelalterlicher ästhetischer Wahrnehmung – und die ersten Ansätze dazu finden sich bereits in der Spätantike. Und hier kann auch wieder eine Brücke zur (Tier-)Ornamentik geschlagen werden. Am auffälligsten sind die Übereinstimmungen sicherlich ebenfalls in der frühmittelalterlichen Buchmalerei. Ein frühes Beispiel – etwa aus der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts – ist das bekannte ‚Book of Durrow‘ 63. Am Beispiel der bekannten Teppichseiten (Tafel 10 mit Tierornamentik) zeigt sich, dass die Charakteristika von varietas auch hier gegeben sind: Komplexität, Mehrfarbigkeit und die daraus folgende ästhetische Abwechslung und Verschiedenheit. Sehr auffällig ist ebenfalls, insbesondere bei insularer Buchmalerei, dass verschiedene ‚Stile‘ – ‚germanischer‘ Tierstil, ‚keltische‘ Ornamentik und ‚mediterrane‘ Flechtbänder – verwendet werden, die den Kontrast der Bilder untereinander nochmals verstärken. Varietas als ein wesentliches Ziel der Ausdruckform wird in der Incipit-Seite des Matthäus-Evangeliums der Lindisfarne Gospels verdeutlicht (Tafel 11) 64. Die Abwechslung von komplexen Formen und Verzierungen werden durch eine Fülle an verschiedenen Farben kontrastiert. 60

61 62 63 64

Theophilus, The Various Arts (De diversis artibus), ed. C. R. Dodwell (Oxford Medieval Texts), Oxford 1986, Buch 3, Prolog; zit. n. Carruthers, Experience of Beauty (nt. 52), 152, 193 nt. 47: „Nec enim perpendere valet humanus oculus, cui operi primum aciem infigat: si respicit laquearia, vernant quasi pallia; si consideret parietes, est paradysi species; si luminis abundantiam ex fenestris intuetur, inestimabilem vitri decorem et operis pretiosissimi varietatem miratur.“ Deutsche Übersetzung: E. Brepohl, Theophilus Presbyter und das mittelalterliche Kunsthandwerk. Gesamtausgabe der Schrift ‚De diversis artibus‘ in einem Band, Köln 22013, 246. Bodleian Libraries, Oxford, MS. Douce 366. Cf. F. C. Law-Turner, The Ormesby Psalter. Patrons and Artists in Medieval East Anglia, Oxford 2017. Carruthers, Experience (nt. 52), 155. Trinity College Dublin, IE TCD MS 57. Cf.; J. J. Alexander, Insular Manuscripts, 6th to the 9th Century (A Survey of Manuscripts Illuminated in the British Isles 1), London 1978, no 6. 30 sqq. British Library, Cotton MS Nero D IV. Cf. ibid., no 9, 35–40; M. P. Brown, The Lindisfarne Gospels. Society, Spirituality and the Scribe (The British Library Studies in Medieval Culture), London 2003.

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So ist für die Betrachtenden abermals unklar, wohin sich der Blick zuerst richten soll – es werden vielmehr je nach Blickwinkel und Dauer des Betrachtens immer wieder neue Details und Zusammenhänge sichtbar. Doch auch außerhalb der Buchmalerei kann varietas als wesentliches Merkmal herausgestellt werden. Als gutes Beispiel kann dafür die Kingston Brooch (um 600) aus England angeführt werden 65. Sie misst ca. 8,5 cm im Durchmesser und vereint dabei verschiedene Stile und Farben. Varietas drückt sich hier vor allem in der Vielfalt auf verschiedenen Ebenen aus: Die Kingston Brooch besticht so vor allem durch die Verwendung von verschiedenen Techniken und Stilen – und ebenso durch die Mehrfarbigkeit der verschiedenen Elemente. Ähnliches lässt sich für vergleichbare Fibeln, sogenannte ‚composite disc brooches‘, feststellen, von denen derzeit 20 weitestgehend intakte Funde aus dem heutigen Südostengland bekannt sind (Tafel 14) 66. Das gut erhaltene Exemplar aus Milton 67 (Tafel 12) verdeutlicht die materielle und visuelle varietas von Scheibenfibeln im 7. Jahrhundert: Cloisonné mit Granateinlagen, Goldfolien mit Tierstil-Filigranauflagen, kontrastiert von einer zentralen und vier radial angeordneten Muscheleinlagen, die wiederum von je einer Granateinlage abgeschlossen werden. Auf dem europäischen Festland sind zeitgleich formal ähnliche Filigranscheibenfibeln weit verbreitet (Tafel 14). In ihrem Materialkorpus führt Gabriele Graenert insgesamt 657 Filigranscheibenfibeln von 343 Fundplätzen an 68. Die Verbreitung ist hauptsächlich auf das heutige Nordostfrankreich, die Beneluxstaaten, sowie West- und Süddeutschland beschränkt und umfasst damit das klassische Gebiet der Reihengräberfelder (cf. Tafel 6). Von den vielen sehr unterschiedlich gestalteten Fibeln möchte ich hier ein Exemplar aus Soest herausgreifen. Die mit einem Durchmesser von 3,5 cm recht kleine Scheibenfibel aus Kammergrab 165 (Tafel 13) besteht aus mindestens 580 Einzelteilen und weist für ihre geringe Größe und Schaufläche bemerkenswert viele Details auf: In Cloisonné-Technik sind insgesamt 111 Zellen mit roten, grünen oder blauen Glaseinlagen versehen, während auf der noch verbleibenden Fläche Filigranverzierungen aufgebracht wurden 69. 65

66 67 68

69

Kingston, Kent; heute in den National Museums Liverpool. Zum Objekt siehe: R. Avent, AngloSaxon Garnet Inlaid Disc and Composite Brooches (British Archaeological Reports 11), Oxford 1975, no. 179; L. Webster/J. Backhouse (eds.), The Making of England. Anglo-Saxon Art and Culture AD 600–900, London 1991, 50; M. Welch, s. v. Kingston, in: Hoops (ed.), Reallexikon (nt. 6), 551 sqq. H. Hamerow e. a., A High-Status Seventh-Century Female Burial From West Hanney, Oxfordshire, in: The Antiquaries Journal 95 (2015), 93. Milton, Oxfordshire; heute im Victoria and Albert Museum. Zum Objekt siehe: Avent, Disc and Composite Brooches (nt. 66), no. 183. G. Graenert, Merowingerzeitliche Filigranscheibenfibeln westlich des Rheins (Europe médiévale 7), Montagnac 2007, 8 sq. Die Ortsangabe und Herkunft von 58 Fibeln bleibt unklar; diese sind nicht in der Verbreitungskarte (Tafel 14) aufgeführt. D. Peters, Das frühmittelalterliche Gräberfeld von Soest. Studien zur Gesellschaft in Grenzraum und Epochenumbruch (Veröffentlichungen der Altertumskommission für Westfalen 19), Münster 2011, 61 sq. Entgegen den Erwartungen konnte eine kürzlich durchgeführte Materialanalyse an der Soester Fibel zeigen, dass keine Granate oder Almandine, sondern ausschließlich Glasein-

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Auch sind unterschiedliche Materialien, komplexe Verzierungsstile sowie sich abwechselnde Formen und Farben auf geringer Fläche zu finden. Als gänzlich anderes Beispiel kann in diesem Zusammenhang die Trossinger Leier (Tafel 15) angeführt werden. Dieser exzeptionelle Holzfund wurde auf der Baar zwischen Schwarzwald und Schwäbischer Alb im Winter 2001/02 geborgen und stammt aus dem Grab eines etwa 40-jährigen Mannes, das mittels Dendrochronologie auf das Jahr 580 datiert werden konnte 70. Das etwa 80 cm lange Musikinstrument ist auf beiden Seiten mit nur etwa 0,1 bis 0,2 mm tiefen und ursprünglich mit Holzkohle gefüllten Ritzungen versehen, die sich deutlich vom hellen Ahornholz abgehoben haben dürften 71. Die Vorderseite (Resonanzdecke) zeigt neben einigen Tierstilornamenten auf den Jocharmen eine figürliche Szene: zwei Gruppen von je sechs bewaffneten Figuren sind mittig auf eine Lanze ausgerichtet. Diese Komposition ist als Akklamationsgestus aus der spätantiken und frühmittelalterlichen Ikonografie gut bekannt. 72 Die Rückseite ziert ein komplexes Arrangement in Tierstil II: „44 schlangenartige Tiere sind diagonal so mit einander verflochten, dass jeweils ein Schlangenkopf in den Schwanz eines Tieres der gegenüberliegenden Seite beißt.“ 73 Die Trossinger Leier zeigt damit ein aufwendiges Bildprogramm, dass sich ursprünglich kontrastreich vom hellen Holz der Leier abhob, wie auch eine moderne Rekonstruktion in veranschaulicht. 74 Im Sinne einer sensorischen Archäologie ist nun dieser Fall besonders, da es sich um ein Musikinstrument handelt, das primär auf die auditive Wahrnehmung ausgerichtet war. In Kombination mit den bildlichen und ornamentalen Darstellungen überlagern sich wirkungsvoll verschiedene Sinneswahrnehmungen zu einer synästhetischen Erfahrung. Silvan Wagner argumentiert auf Basis eines Gesprächs mit dem Musiker Eberhard Kummer, der sich ‚experimentalarchäologisch‘ mit einem Nachbau der Trossinger Leier auseinandersetzte, dass zusammen mit mehrstimmigem Gesang ein komplexerer Klangraum erzeugt werden kann, als ursprünglich angenommen. 75 Hier lässt sich wieder auf Carruthers’ ‚Bewilderment Principle‘ rekurrie-

70

71 72 73 74 75

lagen verwendet wurden: S. Jülich/E. Müsch, Die Herstellung der Filigrangoldscheibenfibel aus Soest in der Computeranimation, in: Archäologie in Westfalen-Lippe 2018 (2019), 289–292. Zur Trossinger Leier: B. Theune-Großkopf, Krieger oder Apostel – Bilderwelt im frühen Mittelalter. Eine vollständig erhaltene Leier aus Trossingen, in: B. Päffgen (ed.), Cum grano salis. Beiträge zur europäischen Vor- und Frühgeschichte (Festschrift Volker Bierbrauer), Friedberg 2005, 303–315; ead., Die vollständig erhaltene Leier des 6. Jahrhunderts aus Grab 58 von Trossingen, Ldkr. Tuttlingen, Baden-Württemberg. Ein Vorbericht, in: Germania 81 (2006), 93– 142; ead., Mit Leier und Schwert. Das frühmittelalterliche ‚Sängergrab‘ von Trossingen, Friedberg 2010. Theune-Großkopf, Grab 58 (nt. 70), 113. Zur Diskussion: Friedrich, Image and Ornament (nt. 32), Chapter: Acclaiming the Dead: Vendel Helmets and the Trossingen Lyre. Theune-Großkopf, Grab 58 (nt. 70), 120. Ibid., 139, Abb. 38. S. Wagner, Vergleich, Übertragung und performatives Entdecken. Die methodischen Ansätze Eberhard Kummers bei der musikalischen (Wieder-)Erweckung eines musealen Artefakts, der sog. ‚Trossinger Leier‘, in: Phoibos: Zeitschrift für Zupfmusik (2/2009), 85 sq.

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ren, das nicht nur visuelle, sondern auch auditive Elemente umfasst. 76 Die Trossinger Leier kombiniert so im archäologischen Befund die im besten Sinne des Wortes ‚vielstimmige‘ ästhetische Vielfalt. IV. Fazit: Zu viel des Guten? Zu Beginn dieses Beitrages wurde ‚germanische‘ Kunst als Begriff und Konzept kritisch beleuchtet und die forschungsgeschichtlichen Fallstricke bei der Interpretation von ‚nachrömischer‘ frühmittelalterlicher Kunst aufgezeigt, die in der Forschung häufig auf germanische Identität, Religion und Mythologie reduziert wird. Neben der problematischen Annahme eines pan-germanischen Kulturraumes, der durch Raum und Zeit einen gemeinsamen kulturellen und identitären Zusammenhalt suggeriert, mangelt es der frühmittelalterlichen Archäologie und Kunstgeschichte im nachrömischen Westen und Norden bisweilen an detaillierten kunst- und bildtheoretischen Grundlagen. Als Alternative wurden daher Wirkmächtigkeit von Objekten und Bildern (agency) sowie ‚sensorische‘ Ansätze vorgestellt, die einen Germanenbegriff für die Interpretation von Bildern und Ornamentik nicht unmittelbar voraussetzen. Um das interpretatorische Potential im Rahmen einer ästhetischen Neuinterpretation frühmittelalterlicher Kunst im nachrömischen Westen zu verdeutlichen 77, wurde Tierornamentik oder Tierstil als Fallstudie vorgestellt und ästhetische Vielfalt und Abwechslung (varietas ) als grundlegendes gestalterisches Prinzip in der materiellen und visuellen Kultur des frühen Mittelalters herausgestellt. An dieser Stelle kommt auch das im Titel angeführte ‚Zu viel des Guten?‘ wieder ins Spiel, eine zu gleichen Teilen rhetorische wie offene Frage. Die Kunst und materielle Kultur des frühen Mittelalters kennt kaum ein ‚zu viel des Guten‘: komplexe Ornamentik, verschiedenste Materialien und Techniken, mehrdeutige Bilder und Buntheit sind überrepräsentiert. Kurz: Je aufwändiger, je komplexer desto besser. Die Frage hat daher zwei Dimensionen: eine (kunst-)historische und eine wissenschaftsgeschichtliche. Ganz in der Tradition des Diktums Winkelmanns von edler Einfalt und stiller Größe wird ‚nachrömische‘ oder ‚barbarische‘ Kunst und deren vermeintlich ‚unklassische‘ Buntheit und Abstraktion immer noch als Gegenstück zum naturalistischen Ideal der griechisch-römischen Kunst gesehen. Bezeichnend für diese Sichtweise ist ein kürzlich erschienener Sammelband mit dem Titel ‚Barbaric Splendour‘ 78, der sich mit eisenzeitlichen und frühmittelalterlichen Bildern in komparativer Perspektive befasst. Hier wird konstatiert: „Only very rarely do any of these images approach the illusion of lifelike forms held in such esteem by Greek and Roman art, as well as in western 76 77 78

Carruthers, Experience (nt. 52), 161. In Vorbereitung: Friedrich, Image and Ornament (nt. 32). T. F. Martin/W. A. Morrison (eds.), Barbaric Splendour. The Use of Image Before and After Rome, Oxford 2020.

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art from the Renaissance to the present day.“ 79 Der Dualismus von ‚barbarischer‘ und ‚klassischer‘ Kunst, von Abstraktion und Naturalismus, von Ornament und Figur, wird durch varietas gewissermaßen konterkariert – handelt es sich doch um einen rhetorisch-ästhetischen Begriff, der von der römischen Republik bis in die Renaissance Konjunktur hatte und so Antike und Mittelalter verbindet. An den hier diskutierten Objekten zeigt sich, dass varietas – und damit das ‚Bewilderment Principle‘ – ein entscheidender Faktor bei der Auswahl und Gestaltung derjenigen Objekte ist, die mit Tierornamentik oder anderen Verzierungsformen versehen wurden. Weniger die Kommunikation einer ‚barbarischen‘ Identität oder Religion ist entscheidend, sondern vielmehr ästhetische und sensorische Abwechslung, die einer einseitigen Interpretation geradezu zuwiderläuft. Dieser Perspektivwechsel in der Erforschung materieller und visueller Kultur des frühen Mittelalters schließt eine identitätsstiftende, religiöse oder auch mythologische Deutung nicht per se aus; doch zeigen sich bei einem alleinigen Fokus auf die zu Beginn diskutierten Deutungsmuster bezüglich ‚germanischer‘ Kunst auch Grenzen. Analysen im Hinblick auf die technologische Komplexität, welche die Objekte verkörpern, und die ästhetisch-sensorische Wahrnehmung, die über größere diachrone Vergleiche zumindest abstrakt erschlossen werden kann, bieten daher zuverlässigere Anhaltspunkte für die ‚Funktion‘ frühmittelalterlicher Kunst im Allgemeinen und Tierornamentik im Speziellen. Bei den in diesem Beitrag genannten Fällen zeigt sich, dass die Wirkung oder agency der Objekte eben genau darin liegt, vielfältig und vielschichtig zu sein, um auf diese Weise sinnliche Wahrnehmung zu stimulieren – und so die Objekte selbst interessant und wertvoll zu machen. Das dieser Umstand nicht auf die hier diskutierten Fallbeispiele beschränkt ist, lässt sich an einigen weiteren Beispielen des 5. bis 9. Jahrhunderts aus unterschiedlichen kunsthistorischen und archäologischen Überlieferungskontexten verdeutlichen. Die Scheibenfibeln von Unterhaching (Tafel 16) aus der Zeit um 500 zeigen neben Polychromie auch ikonografische Ambiguität (Blüte oder Flügel?) – das Grabensemble aus Lauchheim Mittelhofen, Grab 24 (Tafel 17), welches neben einer mit Halbedelsteinen und antiken Gemmen besetzten Kreuzfibel im Stile einer crux gemmata noch eine polychrome Kette, goldene Ohrringe und einen Münzanhänger enthielt – die Stephansbursa aus dem frühen 9. Jahrhundert, die mit zahlreichen Edelsteinen, Glas- und Perleneinlagen versehen ist – oder der Buchdeckel des Lindauer Evangeliars (Tafel 18), dessen ausführliche Beschreibung hier wohl zu weit führen würde (was im Sinne von varietas beabsichtigt ist!). Auch wenn Harmonie und Ausgewogenheit eine wichtige Rolle spielten, scheint es ein ‚zu viel des Guten‘ in der materiellen Kultur des Frühmittelalters nicht recht gegeben zu haben.

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T. F. Martin, Barbaric Tendencies?, in: Id./Morrison (eds.), Barbaric Splendour (nt. 78), 13.

Neugierde und Entdeckerlust. Möglichkeiten und Grenzen der theoretischen Neugier am Beispiel der historisierten Kapitelle von Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand Jeannet Hommers (Köln) Betritt man die romanischen Kirchen entlang des Jakobsweges fallen unweigerlich die zahlreichen Kapitelle mit biblischen Themen, Monstern, Tieren und anthropomorphen Szenen ins Auge. Den praktischen Nutzen dieser Kapitelle, die kurz vor 1100 die Kreuzgänge und sakralen Innenräume für nur kurze Zeit eroberten, hat wohl am eindrücklichsten Bernhard von Clairvaux um 1125 in seiner ‚Apologia ad Guillelmum Abbatem‘ in Frage gestellt: „Aber wozu dienen in den Klöstern, vor den Augen der lesenden Brüder, jene lächerlichen Mißgeburten, eine auf wunderliche Art entstellte Schönheit und schöne Scheußlichkeit? Was bezwecken dort die unflätigen Affen, die wilden Löwen? Was die widernatürlichen Zentauren, die halbmenschlichen Wesen, die gefleckten Tiger? […] Mit einem Wort, es zeigt sich überall eine so große und so seltsame Vielfältigkeit verschiedener Gestalten, daß einen mehr die Lust ankommt, in den Marmorbildern statt in den Codices zu lesen, daß man eher den ganzen Tag damit verbringen möchte, diese Dinge eins nach dem anderen zu bewundern, statt über das Gesetz Gottes zu meditieren.“ 1

Diese oft zitierte Passage beschreibt die grundlegende Schwierigkeit der romanischen Kapitellplastik, dass diese mit den vielfältigen Tieren, Monstern und Dämonen auf den ersten Blick vielmehr zum neugierigen Schauen und Entdecken einlädt, als zur Vermittlung der christlichen Heilslehre. Im Rahmen des Beitrags soll daher gezeigt werden, dass gerade der curiositas aufgrund ihres zweifelhaften Charakters bei der Bildbetrachtung ein gewichtiger Nutzen zukommen kann: Die Bilder dienten nicht nur der geistigen Abwechslung, sondern waren auch besonders geeignet, um eine intensive Auseinandersetzung mit dem Bildwerk und der Heiligen Schrift zu fördern. Dazu sollen zunächst die Besonderheiten der Bildbetrachtung romanischer Kapitelle herausgestellt werden, um in einem anschließenden Teil die theologischen Möglichkeiten und Gefahren der 1

Bernhard von Clairvaux, Apologia ad Guillelmum Abbatem, 29, edd. J. Leclercq/H. M. Rochais (S. Bernardi Opera 3), Rom 1963, 81–108, hier 106: „Ceterum in claustris, coram legentibus fratribus, quid facit illa ridicula monstruositas, mira quaedam deformis formositas ac formosa deformitas? Quid ibi immundae simiae? Quid feri leones? Quid monstruosi centauri? Quid semihomines? Quid maculosae tigrides? […] Tam multa denique, tam que mira diversarum formarum apparet ubique varietas, ut magis legere libeat in marmoribus, quam in codicibus, totum que diem occupare singula ista mirando, quam in lege Dei meditando.“

https://doi.org/10.1515/9783110792461-029

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romanischen Bilderwelt im Hinblick auf die curiositas zu hinterfragen und das Verhältnis von theoretischer Neugierde und praktischem Nutzen anhand ausgewählter Kapitelle der Romanik zu untersuchen. Im Zentrum steht dabei die ehemalige Wallfahrts- und Stiftskirche Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand in der Auvergne, die in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts begonnen wurde und im Innenraum eine Vielzahl romanischer Kapitelle beherbergt 2. I. Die K apitellplastik von Notre-Dame-du-Por t Die Kirche Notre-Dame-du-Port wurde im 6. Jahrhundert vom Heiligen Avitus (Avitus II. von Clermont), dem Bischof von Clermont und einem Freund Gregors von Tours, gegründet 3, und zwar, wie es in der ‚Vita S. Aviti‘ aus dem 12. Jahrhundert heißt, „in honore S. Dei genitricis et Virginis Mariae“ 4. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts, die genaue Datierung ist unklar, begann man mit dem Bau einer neuen Kirche im romanischen Stil an eben jener Stelle 5. Es wird angenommen, dass die Kirche mit Ende des 12. Jahrhunderts weitgehend fertiggestellt war 6. Im Grundriss weist sie bis heute mit umlaufendem Umgangschor und Kapellenkranz die typischen Merkmale einer sogenannten Pilgerkirche auf 7. Auch wenn Clermont-Ferrand den Ausgangspunkt einer der wichtigsten Pilgerrouten des Mittelalters nach Santiago de Compostela bildete, war Notre-Damedu-Port wie die meisten anderen Kirchen am Jakobsweg nicht als reine Pilgerkir2

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4 5 6

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Einführend zur Architektur und Ausstattung von Notre-Dame-du-Port cf. B. Craplet, Auvergne romane, Pierre-qui-Vire 1960, 81–120; P. Balme/R. Grègut, Notre-Dame du Port. Le pèlerinage. L’église, Bussac 1961; A. Tourreau, Notre-Dame-du-Port Clermont-Ferrand. Un parcours commenté en seize points de découverte, Clermont-Ferrand 2017. Heute nicht mehr erhaltenes Dokument aus der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts. Erstmals publiziert bei J. Savaron, De Sanctis ecclesiis, et monasteriis claromontii, Paris 1608, 14: „Hoc templum sanctus primo fundavit Avitus, Inclytus antystes, nobilis et genere.“ Daran anschließend auch in der ‚Vita S. Aviti‘ aus dem 12. Jahrhundert. Cf. Bibl. Clermont, MS 149, fol. 91; abgedruckt in: D. Morel, Tailleurs de pierre, sculpteurs et maiˆtres d’œuvre dans le Massif central. Grands sanctuaires du XIIe siècle en Basse Auvergne, Diss., Université Clermont-Ferrand II 2009, vol. 3, 24 sq. Vita S. Aviti, Bibl. Clermont, MS 149, fol. 91, in: Morel, Grands sanctuaires (nt. 3), 24 sq. Zur Baugeschichte cf. zuletzt mit ausführlicher Forschungsdiskussion und weiterführender Literatur Morel, Grands sanctuaires (nt. 3), 24–30. Das Jahr 1185 wird in der Forschung immer wieder als Jahr der Vollendung genannt. Auf dieses Jahr wird ein Brief des Bischofs von Clermont, Pons de Polignac, datiert, in dem er die Menschen seiner Diözese auffordert, sich an der Errichtung des Heiligtums zu beteiligen. Cf. A.D. P.D.D., 4G 4, nr. 2; abgedruckt in: Morel, Grands sanctuaires (nt. 3), 28 sq. Aufgrund der dort verwendeten Formulierung „ad constructionem“ ist jedoch fraglich, ob die Kirche bis dahin tatsächlich vollendet war. Ein Teil der Forschung hatte demnach angenommen, dass die Arbeiten an der Kirche erst um 1220 beendet wurden. Cf. e. g. M. Aubert, Notre-Dame du Port (Clermont-Ferrand), in: Congrès archéologique de France 87 (1924), 27–59; G. Rouchon/P. Balme, L’Église Notre-Dame-du-Port à Clermont-Ferrand. Le quartier de l’ancienne paroisse NotreDame-du-Port (L’Auvergne littéraire, artistique et historique 51), Clermont-Ferrand 1930, 9. Cf. A. K. Porter, Romanesque sculpture of the pilgrimage roads, 10 voll., Boston 1923.

Neugierde und Entdeckerlust

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Plan de l’église Notre-Dame du Port, Clermont-Ferrand (par Eugène Viollet-Le-Duc, 1856).

che geplant, sondern auch dort war wahrscheinlich schon seit dem 10. Jahrhundert ein Stift angegliedert 8. Im Inneren der Kirche (Tafel 19 & 20) befinden sich zahlreiche Kapitelle, vornehmlich mit Blattwerk, aber auch rund 30 historisierte Kapitelle mit biblischen Themen, anthropomorphen Darstellungen sowie bis heute ungeklärten Bildern 9. 8

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Cf. G. Vinken, Baustruktur und Heiligenkult. Romanische Sakralarchitektur in der Auvergne, Diss. FU Berlin, Worms 1997, 25. Mitte des 13. Jahrhunderts wurde Notre-Dame-du-Port säkularisiert, zwischen 1438 und 1520 dann reorganisiert, bis das Kapitel in der Französischen Revolution dann endgültig aufgelöst wurde. Cf. Morel, Grands sanctuaires (nt. 3), 30. Der Begriff des historisierten Kapitells entstand in Anlehnung an den französischen Begriff des ‚chapiteau historié‘. Mit diesem werden Kapitelle bezeichnet, auf denen erzählende Momente zu finden sind, wobei die Abgrenzung zu anthropomorphen und zoomorphen Kapitellen bisweilen schwerfällt. Zu den Kapitellen von Notre-Dame-du-Port siehe ausführlicher L. Bréhier, Les

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Sie wurden wahrscheinlich zwischen 1120 und 1140 gefertigt 10. Als Bildhauer der meisten Kapitelle gilt ein gewisser Rotbertus, der seinen Namen mit der berühmt gewordenen Inschrift „R(O)TB(ERT)TUS ME FECIT“ auf einem Kapitell des Chorumgangs mit der Verkündigung an Josef (Tafel 21) anbrachte 11. Die historisierten Kapitelle umfassen thematisch drei Hauptthemen: dem Patronat der Kirche entsprechend zunächst Szenen des Marienlebens (wie Verkündigung, Heimsuchung und Himmelfahrt Mariens), außerdem Szenen der Erlösung (wie Adam und Eva oder die Versuchung Christi) und abschließend einige Kapitelle des Kampfes der Tugenden und Laster 12. Es ist wichtig zu betonen, dass bei der Vielfalt der Themen kein stringentes Programm vorliegt, bei dem alle Kapitelle einem einheitlichen ikonographischen System folgen, sondern vielmehr werden an einzelnen Orten unterschiedliche Akzente gesetzt. Ein solches Vorgehen findet sich an beinahe allen romanischen Kirchen entlang des Jakobsweges, so dass es angebracht ist, nicht nach dem ikonographischen Programm zu fragen, sondern vielmehr danach, wie die ein-

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chapiteaux historiés de Notre-Dame-du-Port à Clermont-Ferrand, in: Revue de l’art chrétien 62 (1912), 249–262; Craplet, Auvergne romane (nt. 2), 82–85. 116–119; A.-L. Miller, The sculptural decoration of Notre-Dame-du-Port: its place in the romanesque sculpture of the Auvergne, Mémoire de Thèse, Johns Hopkins University, Baltimore, Maryland, 1964 (aktuell nicht einsehbar); Z. Świechowski, Sculpture romane d’Auvergne, Clermont-Ferrand 1973, 111–152; A. Rißmann, Fläche und Raum in Bau- und Bildwerk von Notre-Dame Du Port Clermont-Ferrand, Diss. Bochum 1991; J. Baschet/J.-C. Bonne/P.-O. Dittmar, Notre-Dame-du-Port: un puissant végétalisme et sa relève architecturale, in: Images Re-vues 3 (2012), URL: (Stand: 12. 02. 2022). Die Datierung romanischer Kirchen und ihrer Kapitelle erweist sich in beinahe allen Fällen als außergewöhnlich schwierig, da zumeist datierte Dokumente zur Entstehungsgeschichte fehlen und für die Datierung daher stilistische Einordnungen entscheidend sind. Da man sich aber um 1120 nahezu in allen Städten, Dörfern und Gemeinden in Frankreich und Nordspanien entschied, einen noch größeren Bau anstelle der bereits vorhandenen Kirche errichten zu lassen, müssen viele Datierungen reine Spekulation bleiben. Insofern kommen – so oft die Datierung der Kapitelle zu Notre-Dame-du-Port auch Gegenstand der Forschung ist – die Arbeiten beinahe alle zu einem Entstehungszeitraum in den 1130er Jahren. Cf. e. g. é. Vergnolle, L’art roman en France, Paris 1994, 195 sqq.; L. Cabrero-Ravel, Notre-Dame-du-Port et la sculpture ornementale des églises romanes d’Auvergne, les chapiteaux corinthiens et leurs dérivés (fin Xie–XIIe siècle), 2 voll., Diss. Université de Franche-Comté, Besanc¸on 1995 (aktuell nicht einsehbar); Miller, Sculptural decoration (nt. 9). Eine gute Übersicht der Datierungsvorschläge gibt zusammenfassend Morel, Grands sanctuaires (nt. 3), 34–37. Für eine späte Datierung zwischen 1140 und 1150 sind dagegen Porter, Romanesque sculpture (nt. 7), vol. 1, 236 und Świechowski, Sculpture romane (nt. 9), 360–378. Die Abbildungen der Kapitelle sind entnommen dem Abbildungskatalog im Beitrag von: Jérôme Baschet, Jean-Claude Bonne & Pierre-Olivier Dittmar, Chapitre IV – Notre-Dame-du-Port: un puissant végétalisme et sa relève architecturale, Images Re-vues [En ligne], Hors-série 3 | 2012, mis en ligne le 21 novembre 2012, consulté le 01 mars 2022. URL: http://journals.openediti on.org/imagesrevues/1865; DOI: https://doi.org/10.4000/imagesrevues.1865 (à disposition selon les termes de la Licence Creative Commons Attribution − Pas d’Utilisation Commerciale 4.0 International). Dass all diese Themen damit einen vornehmlich marianischen Charakter aufweisen, zeigt Świechowski, Sculpture romane (nt. 9), 111.

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zelnen Themen den Betrachtern vermittelt werden können. Hierbei erweist sich das romanische Kapitell als besonders herausfordernd, denn anders als bei ‚normalen‘ (einansichtigen) Bildern kann der Betrachter immer nur einen Teil des Kapitells und ebenso nur einen Teil der Kapitelle überhaupt sehen. Zudem geraten immer wieder auch andere, oftmals weiter entfernt angebrachte Bilder mit in das Blickfeld. Gerade dieser Umstand macht die Kapitellskulptur zu einem höchst spannenden Untersuchungsgegenstand, denn um die Bilder in ihrer Gesamtheit sehen zu können, muss man sich sowohl um das einzelne Kapitel herum als auch durch den Innenraum der Kirche bewegen 13. Dadurch entstehen zahlreiche Blickmöglichkeiten und -inszenierungen, die im Folgenden in einem ersten Schritt erläutert werden sollen. II. Bildstrategien der mehransichtig en Bildträg er Betritt man die Kirche durch das Südportal, dem ursprünglichen Zugang vom Kreuzgang des ehemaligen Stiftes, sieht man neben einer Reihe von Blattkapitellen unmittelbar auf der rechten Seite auch dasjenige mit der Versuchung Christi (Tafel 22). Dargestellt ist die Szene von Christus in der Wüste, über die es im Evangelium nach Markus nur sehr knapp heißt: „Danach trieb der Geist Jesus in die Wüste. Dort blieb Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1,12 sq.) Ausführlicher dagegen sind die Schilderungen bei Matthäus (Mt 4,1–11) und Lukas (Lk 4,1–13), nach denen die Versuchung in drei Schritten erfolgte: erstens die Aufforderung, Steine in Brot zu verwandeln, zweitens, sich von einem Tempel herabzustürzen und drittens, das Angebot des Teufels, alle Reiche an Christus zu übergeben, wenn er nur den Teufel anbeten würde. Auf der mittleren Kapitellseite stehen Christus und der Teufel, der von der rechten Seite an ihn herantritt. Beide blicken aus dem Kapitell heraus, doch deutet sich bereits aus ihren Gesten die kommunikative Situation zwischen ih13

Die folgenden Ausführungen zur Vielansichtigkeit des Bildträgers und der daraus resultierenden Bildstrategie romanischer Kapitelle beruhen in den entscheidenden Thesen auf meiner Dissertation zu Saint-Lazare in Autun (cf. J. Hommers, Gehen und Sehen in Saint-Lazare in Autun. Bewegung – Betrachtung – Reliquienverehrung, Diss. Universität Potsdam 2012, Köln e. a. 2015) sowie auf einem Aufsatz zur Kapitellskulptur von Saint-Andoche in Saulieu (cf. J. Hommers, Kaleidoskop der Bilder. Zur Mehransichtigkeit historisierter Kapitelle am Beispiel von SaintAndoche in Saulieu, in: D. Ganz/F. Thürlemann [eds.], Das Bild im Plural. Mehrteilige Bildformen zwischen Mittelalter und Gegenwart, Berlin 2010, 161–179). Zur Bedeutung der Mehransichtigkeit der Kapitelle für die Bilderzählung siehe auch W. Sauerländer, Die gestörte Ordnung oder ‚le chapiteau historié‘, in: H. Beck/K. Hengevoss-Dürkop (eds.), Studien zur Geschichte der europäischen Skulptur im 12./13. Jahrhundert, Frankfurt am Main 1994, vol. 1, 431–456; P. A. Patton, Pictorial Narrative in the Romanesque Cloister: Cloister Imagery and Religious Life in Medieval Spain, New York 2004; F. Seehausen, Wege zum Heil – Betrachterlenkung durch Architektur, Skulptur und Ausmalung im Panteón de los Reyes in León, in: kunsttexte.de 4 (2009), URL: (Stand: 12. 02. 2022).

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nen an, die sich als die Versuchung Christi herauskristallisiert, selbst wenn in der Darstellung auf den ansonsten meist üblichen Stein in der Hand des Teufels verzichtet wurde 14. Es ist nun für das historisierte Kapitell der Romanik entscheidend, dass dieses nicht von einem Standpunkt aus erfasst werden kann, und so erkennt man als vom Südportal eintretender Betrachter erst beim Umrunden des Kapitells, dass sich auf der linken Seite zudem ein Engel mit Weihrauchfass befindet, der unmissverständlich versichert, dass die Versuchung durch den Teufel erfolglos bleiben wird. Man erkennt bei diesem Kapitell zudem, dass die Grundanlage solcher Bildträger vom korinthischen Kapitell abgeleitet wurde 15, bei der die Voluten an den Kapitellecken zu Figuren umgewandelt wurden. So befinden sich an den Übergängen der jeweiligen Kapitellseiten die Figuren von Christus und dem Teufel, wobei die beiden leicht nach vorne geneigten Köpfe formal die Voluten des korinthischen Kapitells aufgreifen. Die Mehransichtigkeit des Bildträgers ermöglicht es nun, unterschiedliche Akzente in der Bildbetrachtung zu setzen: Betritt man nämlich die Kirche durch das Südportal, fällt zunächst nur der Teufel ins Auge, dessen Oberkörper so auf dem Kapitell platziert ist, dass man, um ihn besser sehen zu können, um das Kapitell herumgehen muss. Aufgrund der Komposition wird der Betrachter eingeladen, der Hinwendung des Teufels zu folgen, was hier noch dadurch hervorgehoben wird, dass sich auf der dem Portal zugewandten Seite der rechte Flügel des Teufels befindet, der ihn zunächst nicht als Teufel, sondern möglicherweise als Engel ausweist – man ihm also nur allzu gerne folgen möchte. Erst wenn man dem Teufel in seiner Körperwendung folgt, tritt Christus (von der linken Seite) hinzu, der beim Betreten der Kirche zunächst nicht vollständig zu sehen war. Er ist nur dann sichtbar, wenn man die Kirche durch das Westportal betreten hat und sich im Langhaus sukzessive auf den Chor hinbewegt. Nur in dieser Bewegung ist auch der Engel mit dem Weihrauchfass auf der linken Kapitellseite sichtbar. Je nachdem also von welcher Seite man sich dem Kapitell nähert, also vom Südportal oder vom Westportal, werden unterschiedliche inhaltliche Akzente gesetzt, die entweder die Versuchung in den Fokus rücken oder deren erfolgreiche Abwehr. Doch erst wenn man sich um das Kapitell herumbewegt, nimmt man alle Seiten und folglich die gesamte Geschichte wahr. Wie wichtig es zudem ist, dass man den Teufel aufgrund seiner Flügel zunächst als Engel deuten könnte, zeigt sich im Vergleich mit dem zweiten historisierten Kapitell, das man beim Betreten der Kirche durch das Südportal auf der gegenüberliegenden Seite sehen kann: den Kampf der Erzengel mit Dämonen 14

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Anders sieht dies beispielsweise bei der Versuchung Christi in Saulieu aus, wo der Teufel den Stein an Christus übergibt. Zur Kapitellskulptur von Saulieu siehe ausführlicher V. Terret, Saulieu et la collégiale Saint-Andoche. Étude historique et archéologique publiée à l’occasion du 8e centenaire de la consécration de l’église par le Pape Callixte II le 23 décembre 1119, Autun 1919; R. Oursel, Bourgogne Romane, Paris 61974; K. A. ter Horst-Arriëns, Zwischen Gut und Böse. Auf dem Pilgerpfad in Saulieu, Dornach 1982; Hommers, Kaleidoskop (nt. 13). Cf. É. Vergnolle, Fortune et infortunes du chapiteau corinthien dans le monde roman, in: Revue de l’Art 90 (1990), 21–34; Sauerländer, Gestörte Ordnung (nt. 13).

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(Tafel 23). Auf dem Kapitell, und für den eintretenden Betrachter unmittelbar sichtbar, ist ein Erzengel auf der rechten Kapitellecke, der ein Schild schützend vor sich hält. Er zeigt, dass das Gute über das Böse siegen wird bzw. der Engel auf eine Konfrontation mit dem Bösen bestens vorbereitet ist. Durch die inhaltliche Akzentuierung und aufgrund der kompositorischen Anordnung der Szene lädt das Kapitell, anders als jenes der Versuchung, wahrscheinlich weniger ein, um dieses herumzugehen, da man ja eigentlich nur Dämonen auf der anderen Seite erwarten sollte. Umso überraschender ist es daher, dass auf der anderen Kapitellecke ebenfalls ein Engel zu finden ist, der von den Dämonen gefangen genommen wurde. Der Kampf zwischen Gut und Böse, der in der romanischen Kapitellskulptur insgesamt einen gewichtigen Anteil einnimmt und so auch in Notre-Dame-duPort, wird hierbei bereits durch die Kapitellskulptur am Eingang aufgegriffen, da der eintretende Betrachter auf der einen Seite den Teufel der Versuchung sieht, der aufgrund der Flügel auf den ersten Blick sogar mit einem Engel verwechselt werden kann, und auf der anderen Seite den Engel, der sich mit einem Schild schützt. Auf diese Weise kann sich der Betrachter gewissermaßen zwischen den beiden Szenen entscheiden und dieser Prozess wird damit unmittelbar am Eingang der Kirche als Entscheidungsfindung offengelegt. Zusammengefasst offenbart sich hier die Frage, wem man denn eigentlich folgen möchte – eine Entscheidung, die vor allem für die eintretenden Betrachter, also die Kleriker, wesentlich ist, auch wenn ihre Antwort eigentlich klar sein sollte 16. Bei einer Vielzahl von romanischen Kirchenräumen wird der Betrachter bereits am Eingang mit solch mehransichtigen und gleichermaßen mehrdeutigen Kapitellen konfrontiert, um schon zu Beginn mit den Möglichkeiten des dreiseitigen Bildträgers vertraut zu machen. Der Betrachter sieht zwar immer nur eine geringe Auswahl an Kapitellen und nur einen Teil des jeweiligen Kapitells, doch wird ihm deutlich vor Augen geführt, dass sich ein Blick auf die Seiten immer lohnt, um etwa das Kapitell in seiner Ganzheit zu sehen oder zusätzliche Informationen oder Ergänzungen der dargestellten Szene zu erhalten. Eine solche Bildstrategie lässt sich dann auch an anderen Kapitellen der Kirche fortführen, wie jenem in der Chorapsis, das sich der Marienverehrung widmet. Das Kapitell (Tafel 24–27) besteht im Grunde genommen aus vier Bildseiten, die erneut über die Eckfiguren zusammengeführt werden 17. Gezeigt werden die Paradiespforte (Tafel 24), die Präsentation des Buchs des Lebens durch einen Engel mit den Worten „ECCE LIBRO: VI(t)E / ECCE: MARIA E[ST] NOBI[S] AS[s]V[mp]TA“ 18 (Tafel 25), Mariä Himmelfahrt (Tafel 26) sowie einen hornblasenden Engel mit der Fahne der Wiederauferstehung als Zeichen des Triumphs Mariens (Tafel 27). Für die Konzeption des Kapitells entscheidend ist, 16 17 18

Zu der Tatsache, dass unterschiedliche Eingänge unterschiedliche Lesarten der Kapitelle ermöglichen, cf. Hommers, Kaleidoskop (nt. 13). Cf. weiterführend Rißmann, Fläche und Raum (nt. 9), 64–74. Zitiert nach Świechowski, Sculpture romane (nt. 9), 127.

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dass die vier Seiten miteinander verbunden werden, indem die meisten Figuren auf den Kapitellecken angebracht sind und zudem oftmals schon auf eine andere Kapitellseite blicken, auch wenn ihr Körper noch auf der einen verhaftet ist. Der Betrachter wird hierbei aufgefordert sich alle Seiten zu erschließen, was sich exemplarisch am hornblasenden Engel zeigt, von dem der Betrachter nur sehen kann, dass er das Horn bläst und nach links geht, wo ihn bereits ein anderer Engel erwartet. Man erkennt bei frontaler Position bereits, dass sich hier eine Architektur befindet oder – je nachdem wo man steht, dass eine Tür geöffnet ist –, doch dass es sich hierbei um die Pforte des himmlischen Paradieses in Form einer Kirche handelt, zeigt sich nur dann, wenn man um das Kapitell herumgeht. Es ist für die Rezeption der Kapitelle daher entscheidend, dass der Betrachter die einzelnen Bilder nur sukzessive erfassen kann. Die Bildwerke geben ihm durch die Komposition eine erste Orientierung zum Verständnis der Einzelwerke und fördern außerdem über motivische, inhaltliche oder visuelle Verknüpfungen, die zwischen den einzelnen Bildern bestehen, die schrittweise Begehung des Kirchenraumes. Dass nämlich bewusst motivische Verknüpfungen angeboten werden, die der Betrachter erkennen kann, aber für das Verständnis des Bildes keineswegs gesehen haben muss, verdeutlicht auch das hier angeführte Beispiel. So findet sich die Architektur des himmlischen Paradieses – dargestellt als Arkadenbogen, von einem Dach überfangen und mit darinstehendem Altar und hängender Lampe – in signifikant ähnlicher Weise auch auf dem romanischen Südportal. Das Portal (Tafel 28) zeigt im oberen Bildfeld Christus auf einem Thron, umgeben von zwei Engeln 19, darunter im Türsturz auf der linken Seite die Anbetung der Könige, auf der rechten Seite die Taufe Christi und im Zentrum die Darbringung im Tempel. Letzteres findet außerhalb des Gebäudes statt, das in der Mitte des Türsturzes prominent in Szene gesetzt ist und ebenfalls als Arkadenbogen mit darinstehendem Altar und Lampe dargestellt wurde. Auf der rechten Seite des Tempels stehen der ikonographischen Tradition entsprechend Simeon und von links kommend Maria, die den Jesusknaben übergibt. Die Tatsache, dass der leere Tempel hier so zentral platziert wurde, wohingegen die eigentliche Szene außerhalb des Gebäudes dargestellt wird, lässt erwarten, dass dem Betrachter dies auffällt und er dieses Bild dann auch im Inneren der Kirche aufrufen kann, wenn er, wie bei dem Kapitell der Marienverehrung, erneut eine solche Architektur im Bild entdeckt. Dass dieses Vorgehen keineswegs zufällig ist, zeigt sich unter anderem daran, dass sich auch auf dem Kapitell mit der Verkündigung (Tafel 29) und der Heimsuchung (Tafel 30) im Chorumgang eine solche Architektur befindet, die folglich nicht nur eine Verbindung zwischen den einzelnen Bildwerken herstellt, sondern dazu einlädt, sich auf die Suche nach anderen motivischen Übereinstimmungen zu machen 20. 19 20

Zum ikonographischen Programm des Portals siehe Świechowski, Sculpture romane (nt. 9), 111–123. Dass die Darstellungen der Kleinarchitektur auf den Kapitellen im Chor sogar so angebracht wurden, dass sie einander zugewandt sind, bestätigt diese Lesart, da davon ausgegangen werden

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III. Neugierde und Entdeckerlust: Möglichkeiten und Grenzen der Bildbetrachtung Eine derart komplexe Bildstrategie wird durch die Grundstruktur des romanischen Kapitells befördert und eingefordert und liegt doch zugleich maßgeblich in der Entdeckerlust und Neugierde des Betrachters begründet. Dass man diese dermaßen fördert, erstaunt, galt doch die curiositas als zweifelhafte Charaktereigenschaft des Menschen 21. So hatten mehrere christliche Autoren, wie etwa Augustinus, betont, dass die übereifrige Neugierde und die daraus resultierende ‚Augenlust (concupiscentia oculorum )‘ schädlich sei, wohingegen die Neugierde zur Bestärkung des Glaubens durchaus nützlich sein könne 22. Die Wissbegier als solche sei eine Möglichkeit der Wissenserweiterung, die Augenlust dagegen eine Versuchung 23. Wenn einen, wie Bernhard von Clairvaux beklagt, „mehr die Lust ankommt, in den Marmorbildern statt in den Codices zu lesen“ 24, wie es in der

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kann, dass man auf diese Weise – unabhängig davon, von welcher Seite man kommt – immer ein solches Motiv zu sehen bekommt. Auffällig ist zudem, und dies kann im Rahmen dieses Beitrags leider nicht ausführlicher dargelegt werden, dass die Motive in Notre-Dame-du-Port vor allem Türen und Fenster sind, die entsprechend der ikonographischen Tradition immer schon auf das Sehen und das Visionäre verweisen. Darüber hinaus ist der Tempel mit Säulen als Selbstreferenz auf den Kirchenbau zu beziehen. Erste Überlegungen zu diesem Motiv bei Rißmann, Fläche und Raum (nt. 9), besonders 72 sq. Da in dem vorliegenden Beitrag vor allem der praktische Nutzen der curiositas untersucht werden soll, soll auf die Darlegung der Vielschichtigkeit des Begriffs, die unterschiedlichen Auslegungen der ‚theoretischen‘ Neugierde bei einzelnen Autoren verzichtet und stattdessen auf die weiteren Beiträge des Bandes verwiesen werden. Cf. einführend G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen Philosophie und Theologie, Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995, 12–39; K. Krüger, Einleitung, in: Id. (ed.), Curiositas. Welterfahrung und ästhetische Neugierde in Mittelalter und früher Neuzeit (Göttinger Gespräche zur Geschichtswissenschaft 15), Göttingen 2002, 7–18; H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugierde. Erweiterte und überarbeitete Ausgabe von „Legitimität der Neuzeit“, dritter Teil, Frankfurt am Main 1973. Augustinus, Confessiones, X, 35, 54, ed. L. Verheijen (Corpus Christianorum Series Latina 27), Turnhout 1981, 184: „huc accedit alia forma temptationis multiplicius periculosa. praeter enim concupiscentiam carnis, quae inest in delectatione omnium sensuum et uoluptatum, cui seruientes depereunt qui longe se faciunt a te, inest animae per eosdem sensus corporis quaedam non se oblectandi in carne, sed experiendi per carnem uana et curiosa cupiditas nomine cognitionis et scientiae palliata. quae quoniam in appetitu noscendi est, oculi autem sunt ad noscendum in sensibus principes, concupiscentia oculorum eloquio diuino appellata est.“ Zu dieser Passage cf. e. g. Blumenberg, Prozeß (nt. 21), 106–113; R. Newhauser, Augustinian ‚vitium curiositatis‘ and its Reception, in: E. B. King/J. T. Schaefer (eds.), Saint Augustine and His Influence in the Middle Ages, Sewanee 1988, 99–124, hier 106 f.; Bo¨s, Curiositas (nt. 21), 97– 102. Augustinus bezieht sich hier auf den 1. Brief des Johannes, in dem die Augenlust, neben der Fleischeslust und dem Ehrgeiz zu den drei Versuchungen in der Welt gezählt wurde: „Nolite diligere mundum, neque ea quae in mundo sunt. Si quis diligit mundum, non est caritas Patris in eo: quoniam omne quod est in mundo, concupiscentia carnis est, et concupiscentia oculorum, et superbia vitae: quae non est ex Patre, sed ex mundo est. Et mundus transit, et concupiscentia ejus: qui autem facit voluntatem Dei manet in aeternum.“ (1 Jo 2,15–17). Cf. supra (nt. 1).

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eingangs zitierten Passage aus der ‚Apologia‘ heißt, dann ist damit zwar eine mögliche Gefahr der romanischen Kapitellplastik benannt, doch bezieht er sich mit diesen Vorwürfen keineswegs auf die Bildwerke im Allgemeinen, wie das Zitat oftmals falsch ausgelegt wird. Vielmehr wird hier die Verantwortung der Mönche angesprochen, nicht die reine ‚Bewunderung der Bilder‘ über die ‚Meditation über das Gesetz Gottes‘ in Gestalt der Schrift zu stellen 25. Gerade die Forschungen zur romanischen Kapitellplastik in den Kreuzgängen haben gezeigt, dass die Kapitelle innerhalb der benediktinischen Lese- und Lernpraxis eine wichtige Rolle einnahmen 26. So hat etwa Leah Rutchick am Beispiel des Kreuzganges von Moissac überzeugend dargelegt, dass die Bilder der Aneignung und Vertiefung der jeweiligen Textstellen dienen konnten, da es zur Praxis der Mönche gehörte, nicht die gesamten Passagen zu zitieren, sondern sich entsprechende Schlüsselwörter zu merken, mit deren Hilfe eine verbesserte Memorierung der textlichen Vorlage möglich war 27. Es ist gerade eine solch selektive Aneignung des Dargestellten, die eine dezidierte Auseinandersetzung mit den Bildwerken begünstigt und einfordert. Die scheinbar unübersichtliche Anordnung der Figuren und Szenen, die Anbringung von verwandten Themen an unterschiedlichen Orten und das Auftauchen einzelner Motive an verschiedenen Kapitellen bewirkt, dass man sich intensiv mit dem Dargestellten beschäftigt. Dass nämlich die Neugierde auch innerhalb der monastischen Lebenswelt durchaus nützlich sein kann, bezeugt etwa Aelred von Rievaulx († 1167) in seiner Schrift ‚De institutione inclusarum‘. Auch wenn er sich nicht eigens mit der Neugierde beschäftigt, betont er die ‚gesunde Abwechslung‘ innerhalb der geistigen Aktivitäten, um sich vor der Trägheit (acedia ) schützen zu können: „Solange dich die Psalmen erfreuen, bediene dich ihrer. Wenn sie anfangen, dir zur Last zu fallen, gehe über zur Lesung; wenn dir diese Ermüdung bereitet, erhebe dich zum Gebet, und wenn du von alledem [den geistigen Tätigkeiten] erschöpft bist,

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Cf. T. Frese, Die Bildkritik des Bernhard von Clairvaux. Die Apologia im monastischen Diskurs, Bamberg 2006. Cf. e. g. L. Rutchick, Sculpture Programs in the Moissac Cloister. Benedictine Culture, Memory Systems and Liturgical Performance (Diss. Chicago 1991); ead., Visual Memory and Historiated Sculpture in the Moissac Cloister, in: P. K. Klein (ed.), Der mittelalterliche Kreuzgang. The medieval Cloister – Le cloître au Moyen Age. Architektur, Funktion und Programm, Regensburg 2004, 190–211; E. Hold, Visuelle Exegese und Bilderzählung. Beispiele aus dem Kreuzgang von Moissac (1100), in: K. Bernhardt/P. Piotrowski (eds.), Grenzen überwinden. Festschrift für Adam S. Labuda zum 60. Geburtstag (CD-Rom), Berlin 2006. Cf. Rutchick, Sculpture Programs (nt. 26); ead., Visual Memory (nt. 26). Rutchick und andere Autoren übertragen hierzu die seit dem frühen Mönchtum praktizierte lectio divina auf die Bildwerke. Bei der Lektüre und Rezitation werden einzelne Passagen in ständiger Wiederholung halblaut aufgesagt. Die sogenannte ‚ruminatio‘, das ‚Wiederkäuen‘ größerer Texteinheiten, und die daraus resultierende Möglichkeit, die Texte immer wieder – auch unterwegs und während der Arbeit – aufzusagen, ermöglicht die sukzessive, langfristige Verinnerlichung. Cf. F. Ruppert, Meditatio – ruminatio. Zu einem Grundbegriff christlicher Meditation, in: Erbe und Auftrag 53 (1977), 83–93.

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gehst du weiter zum Handwerk, um so durch gesunde Abwechslung deinen Geist zu erfrischen und die Trägheit zu vertreiben.“ 28 Die hier genannten wechselnden Tätigkeiten, die sowohl der Ermunterung des Geistes als auch als Mittel gegen die Trägheit dienen, beruhen auf ähnlichen Prämissen wie die Neugierde, denn auch wenn die übergeordnete Struktur des alltäglichen Lebens und des Raumes (was man gemeinhin als ‚ordo‘ bezeichnet) zwar grundsätzlich bestimmend ist, kann der Abwechslung, der Entdeckerlust, durchaus ein gewichtiger Nutzen innerhalb des christlichen Lebens zukommen. So hat auch Mary Carruthers am Beispiel der Initialseite des Matthäusevangeliums im ‚Book of Kells‘ (fol. 34r) anschaulich gemacht, dass durch die komplexe Anordnung sowie die versteckten Figuren und Tiergestalten innerhalb des verschlungenen Weges der Initiale der Blick des Betrachters innerhalb der historisierten Initiale geführt und gehalten wird: „The emotion of surprise in itself makes the page effective in memory, whatever the meanings we may later give to its many forms.“ 29 Dies kann auch für die romanische Kapitellplastik insofern gelten, als der Betrachter gezwungen ist, die einzelnen Bestandteile des Kapitells sukzessive wahrzunehmen und stets mit zuvor Gesehenem zu verbinden, so dass er während der Bewegung im Kirchenraum fortwährend zwischen der Erschließung des Einzelbildes und der Erfassung des gesamten Bildensembles hinund herwechseln muss. Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang auch den Inschriften zu. Ilene H. Forsyth hat in ihrem Aufsatz über die Inschriften der Kapitelle des Kreuzganges von Moissac deutlich gemacht, dass die dortigen Inschriften-Permutationen und Buchstabenspiele eine Art „word-puzzles or word-play“ 30 für die Mönche waren. Indem dort einzelne Buchstaben fehlen oder diese beinahe collageartig auf dem Kapitell angeordnet wurden, waren sie zwar besonders schwer lesbar, doch gerade dadurch auch besonders geeignet, um eine intensive Auseinandersetzung mit der Inschrift und dem Bildwerk zu fördern, indem man einzelne Buchstaben ersetzen musste und dies in den meisten Fällen auch nur durch einen immerwährenden Abgleich von Bild und Buchstaben ermöglicht werden konnte. Dies gilt auch für die Kapitelle von NotreDame-du-Port, auf denen die Inschriften zwar keineswegs so kompliziert wie in Moissac angebracht worden sind, doch ist hierbei zu bedenken, dass es sich in 28

29

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Aelred von Rievaulx, De institutione inclusarum, 9, ed. C. H. Talbot (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 1), Turnhout 1971, 645,279–282: „quandiu te psalmi delectant, utere illis. si tibi coeperint esse oneri, transi ad lectionem, quae si fastidium ingerit, surge ad orationem, sic ad opus manuum his fatigata pertransiens, ut salubri alternatione, spiritum recrees, et pellas acediam.“ M. J. Carruthers, The Book of Memory. A Study in Medieval Culture (Cambridge Studies in Medieval Literature 70), Cambridge 22008, 337. Siehe auch in ähnlicher Weise B. Rowland, The Art of Memory and the Bestiary, in: W. B. Clark/M. T. McMunn (eds.), Beasts and Birds of the Middle Ages. The Bestiary and Its Legacy, Philadelphia 1989, 12–25. I. H. Forsyth, Word-play in the cloister at Moissac, in: C. Hourihane (ed.), Romanesque art and thought in the twelfth century. Essays in honor of Walter Cahn, Princeton (NJ) 2008, 154–178, 166.

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Moissac auch um eine außergewöhnliche intellektuelle Übung für die Betrachter handelt. Dennoch zeigt sich auch in Clermont-Ferrand, dass die Inschriften zwar als Erklärung des dargestellten Bildes zu verstehen sind, doch dass dies eine mehrfache Auseinandersetzung mit den Inschriften und dem Bild voraussetzt, wie das bereits gezeigte Beispiel der Himmelfahrt Mariens (Tafel 26) verdeutlicht. Auf dem Kapitell befindet sich in zentraler Position Christus, der die in Leichentücher eingewickelt Figur der Maria aus dem Grab hebt, begleitet durch zwei Engel, die jeweils ein Buch tragen. Im linken Buch steht „MARI / A: HON: [orata]“, im rechten Buch: „IN CE: LV.M“. Die Himmelfahrt Mariens wird demnach hier inschriftlich bestätigt, bzw. erst eigentlich dadurch deutlich, da die in Leichentücher eingewickelte Figur der Maria zunächst nicht vermuten lässt, dass es sich hierbei um die Himmelfahrt Mariens handelt, sondern möglicherweise um eine klassische Auferweckung oder Auferstehung. Erst in der Kombination von Bild und Text wird das Thema offensichtlich und muss durch den Betrachter stetig aktualisiert werden. Eine solch aktive Bildbetrachtung erlaubt es auch, dass sich die Bilder besser ins Gedächtnis einprägen, was zudem vor dem Hintergrund der topologischen Mnemotechnik verständlich wird, wie sie Cicero in ‚De oratore‘ 31 und Quintilian in seiner ‚Institutio oratoria‘ 32 am Beispiel der Redner beschrieben haben, die sich eine (imaginäre) Architektur und den durch sie führenden Weg für ihre Rede zu Nutze machen können 33. In den von Quintilian und Cicero geschilderten Techniken, die im Mittelalter ebenso gebräuchlich waren, zeigt sich, wie wichtig die Verknüpfung von Orten (loci ) und Bildern (imagines ) gewesen ist und darüber hinaus, dass dem Abschreiten des Ortes – sei es nun körperlich oder im Geiste – eine besondere Bedeutung innerhalb dieser Mnemotechnik zukommt. Dieser Umstand macht es möglich, dass Orte vor dem inneren Auge immer wieder aufgesucht werden können und sich diese darüber hinaus – auch vor dem Hintergrund individueller Erfahrungen und Geschichten – im Gedächtnis festsetzen. IV. Zusammenfassung und Ausblick Mittels der vorgestellten Bildstrategie wird eine Betrachtungsweise gefördert, die hierbei nicht nur das Einzelbild in den Fokus rückt, sondern auf eine Betrachtung der gesamten Bilder ausgerichtet ist. Narrative Elemente, bildu¨bergreifende Blicke und Gesten der Figuren, vor allem aber die Suche nach ‚versteckten Figuren‘ und ähnlichen Motiven, zu denen auch die charakteristischen Engel, Teufel und Dämonen gezählt werden dürfen, ermöglichen zahlreiche ikonogra31 32 33

Cf. Cicero, De oratore, II, 353 sq., ed. K. F. Kumaniecki, Stuttgart–Leipzig 1995, 254 sq. Cf. Quintilian, Institutio oratoria, XI, 2, 17–22, ed. L. Radermacher, vol. 2, Leipzig 1959, 317 sq. Siehe weiterführend F. A. Yates, The Art of Memory, Chicago 1966, 22 sq.; J. Coleman, Ancient and Medieval Memories. Studies in the Reconstruction of the Past, Cambridge 1992, 52 sq.; Carruthers, Book of Memory (nt. 29), 89–93.

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phische und visuelle Bildzusammenha¨nge und erweisen sich hierbei als äußerst nützlich, um das Einzelbild eingehend zu betrachten und die dort gemachten Beobachtungen in einem zweiten Schritt dann auch vergleichend an anderen Bildern vertiefen zu können. Erst die Neugierde des Betrachters begünstigt eine solche aktive Bildbetrachtung und so erweist sich die bei Bernhard von Clairvaux geäußerte Sorge, dass man eher in den Marmorbildern statt in den Codices lesen möchte, zwar als grundsätzlich berechtigt, aber sie ist letztendlich auch der Ausgangspunkt für eine intensive Betrachtung der Bilder 34. Die Grenzen zwischen der reinen Neugierde und der Wissbegierde sind hierbei fließend und diese Ambivalenz bestimmt auch die Betrachtung der Kapitellskulptur. Hierbei kommt es jedoch zu einem höchst bemerkenswerten Unterschied. Hatte nämlich Augustinus der Neugierde vor allem deshalb höchst kritisch gegenübergestanden, weil sie eine Anmaßung gegenüber dem Schöpfer bedeutete, wird dem Betrachter der Kapitellskulptur von Notre-Dame-du-Port stets deutlich vor Augen geführt, dass er den Standort Gottes niemals einnehmen kann. Die Kapitelle verweigern die ‚göttliche Sicht‘ von oben und der Betrachter kann die einzelnen Bildwerke niemals von einem einzigen Standpunkt aus wahrnehmen, so dass damit eine größere Diskrepanz zwischen dem menschlichen und göttlichen Sehen geschaffen wird. Erst die sukzessive Begehung des Raumes erlaubt eine – im wahrsten Sinne des Wortes – schrittweise Erkenntnis des göttlichen Heilsplans.

34

Und so befindet sich gerade am Eingang eine wunderbare Gegenüberstellung von zwei Kapitellen, von denen das rechte reines Blattwerk zeigt und das linke ein attisches Profil, das an ein geschlossenes Buch erinnert. Auch wenn die Lesart des Kapitells als geschlossenes Buch eher assoziativ zu verstehen ist, mag vielleicht der ein oder andere Betrachter dies ebenfalls als solches erkannt haben. Hier ließe sich dann eine zugespitzte Zusammenfassung der Kapitellskulptur von Notre-Dame-du-Port ablesen: die sorglosen Spiele auf der einen Seite, die Verkörperung der heilsgeschichtlichen Lehre auf der anderen Seite. Zu diesem Kapitell cf. Baschet/Bonne/ Dittmar, Notre-Dame-du-Port (nt. 9), 22.

Cura und Curiositas als Wege zur Entschlüsselung ritueller Zeichensprache in der Zeit der Hochscholastik Hanns Peter Neuheuser (Köln) In den Gottesdiensten jüdisch-christlicher Provenienz werden nicht nur die unhinterschreitbaren göttlichen Gnadengaben gefeiert, vielmehr entfalten liturgische Vollzüge zugleich ein Verfahren zur Enkodierung und Dekodierung ihrer Zeichenhandlungen – das eine erhofftes Geschenk, das andere Erbringung vor allem kognitiver, ästhetischer und spiritueller Wirkungen, die durch Gehalt und Gestalt affizieren und Erwartungen evozieren. Zeitüberschreitend lassen sich in theologischer Reflexion und Religionspraxis des Westens hinsichtlich der Realisierung solcher Vorstellungen zwei Wege erkennen, nämlich die ekklesiogene cura der Glaubensverkündigung und die von der Kirche delegitimierte curiositas der Einzelinitiativen zur Erfüllung dieser Erwartungen. Das Spannungsverhältnis des hier aufscheinenden Begriffspaars ist insoweit sprachlich prekär, da sich curiositas etymologisch von cura ableitet 1, und historisch, weil es offensichtlich entwicklungsgeschichtlich unterschiedliche Bewertungen insbesondere der curiositas gab 2. Es wird deutlich, dass es im Zusammenhang mit der persönlichen ‚Heilssorge‘ in Laienkreisen ein Mindestverständnis des desiderium naturale als Objekt der cura animarum gegeben hat, die sich in der Katechese, aber auch in der Liturgiefeier, verwirklichte oder doch verwirklichen sollte. Gerade aber in beziehungsreichen und bedeutungsschweren Gottesdiensten finden sich jene Partizipationsbemühungen vor die Probleme der Entschlüsselung der Zeichensprache und der Differenzerfahrung eines metaphernimmanenten Kategorienfehlers gestellt 3. Stehen diese im operativen Kontext zu dynamischen Aktionen, muss dann methodisch die Performanz rekonstruiert und – gegebenenfalls unter 1 2

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Cf. Mittellateinisches Wörterbuch bis zum ausgehenden 13. Jahrhundert, vol. 2, 2121–2125 s. v. cura, 2136 sqq. s. v. curiositas. Cf. den Überblick bei R. Newhauser, Towards a history of human curiosity. A prolegomenon to its medieval phase, in: Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 56 (1982), 559–575, insbesondere zum frühmittelalterlichen Kontext. Cf. die frühere Darstellung bei A. Labhardt, Curiositas. Notes sur l’histoire d’un mot et d’une notion, in: Musaeum Helveticum 17 (1960), 206–224. Cf. P. Ricœur, Die lebendige Metapher, 3. Auflage, München 2004, 181–192, nach Gilbert Ryle. Cf. allgemein H. Schröer, Das Paradox als Kategorie systematischer Theologie, in: R. Hagenbüchle e. a. (eds.), Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, Würzburg 2002, 61–70.

https://doi.org/10.1515/9783110792461-030

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Vernachlässigung des verwendeten Beschreibungsvokabulars – systematisiert werden. Die Mediävistik übersteigt hier gelegentlich die Grenze des authentischen und autorisierten Wortgebrauchs, um sich der realen ‚Sache‘ anzunähern. Mit der Systematisierung wird ausgeglichen, was schon die Zeitgenossen im hohen Mittelalter teils bewusst versäumten, indem sie häufig die Reportage über curiositasFälle über die Ausprägung eines reflektierten Vokabulars stellten: Schon der Novize des Caesarius von Heisterbach wollte „Wissens-Darstellungen lieber durch Beispiele als durch theoretische Überlegungen erfahren (magis exemplis quam sententiis scire desidero )“ 4 und gesteht, dass er nach Kenntnisnahme von Schriftbeweisen erst dann zufrieden sei, wenn die Aussagen „an lebendigen Beispielen“ verdeutlicht wurden („nisi eadem vivacibus declares exemplis“ 5 ). Die Frage, ob die Delegitimierung der curiositas in geistlichen Dingen und damit die Desavouierung jeglichen epistemischen Anliegens in liturgicis angemessen ist, erscheint delikat, wenn sogar ein (angehender) Papst bei der Lösung eines spekulativen Problems der hochmittelalterlichen Liturgik empfiehlt, solche Fragen unberührt zu lassen und nicht über die „Grenzen der Erörterung hinwegschreiten (ultra rationem excedere ) zu wollen“ 6. Gerade der nichtakademisch gebildete oder spirituell unerfahrene Laienkreis stand aber in der Situation, sich angesichts des göttlichen Heilswirkens in der Geschichte 7 existentiell zu verorten und sich die der Glaubensgemeinschaft und ihm angebotenen Heilsinstrumente und Heilszeichen ‚anzueignen‘ oder sie wenigstens kognitiv zu erfassen. Die moralisch konnotierten und performativen Ausdrucksformen des Annäherungsbestrebens an Wissens- und Erfahrungsobjekte mögen dabei, entsprechend den genannten zwei Wege, umstritten sein und (zusätzlich) durch individuelles Explorationsverhalten provozieren. Das (Spannungs-) Verhältnis der Wege zueinander kann im Rahmen einer sakralen Oikonomia als Konstellation von Angebot (I.) und Nachfrage (II.) aufgefasst und sodann in Bezug auf die in der Zeit der Hochscholastik formulierten, theologiegeschichtlich greifbaren Antworten (III.) analysiert werden. Schließlich soll dann die faktisch gelebte Symbiose (IV.) Aufmerksam erhalten, bevor dann als Forschungsimpuls ein Überblick über die Ertrag versprechenden Quellengruppen vorgelegt wird (V.). 4

5 6

7

Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, ed. J. Strange, 3 voll., Köln e. a. 1851–1857, hier 8, 1, vol. 2, 81. Ähnliche Formulierung ibid., 11, 1, vol. 2, 267 (Übersetzung: Caesarius von Heisterbach, Dialogus miracolorum – Dialog über die Wunder, Lateinisch-Deutsch, edd. N. Nösges/H. Schneider, 5 voll. [Fontes Christiani 86], Turnhout 2009, hier vol. 4, 1506,19 sq. und vol. 5, 2038–2039,16 sq.). ibid., 5, 1, ed. Strange (nt. 4), vol. 1, 276 (edd. Nösges/Schneider. [nt. 4], vol. 3, 952,14 sqq. Cf. Innocenz III. (Lothar von Segni), De missarum mysteriis, 4, 8, ed. S. Fioramonti, Innocenzo III: Il sacrosanto mistero dell’altare (De sacro altaris mysterio). Romani pontificis mysteriorum evangelicae legis et sacramenti eucharistiae libri sex (Monumenta, studia, instrumenta liturgica 15), Vatikanstadt 2002, 268. Cf. die Darstellungen zu dieser Begrifflichkeit in dem Sammelband von J. Frey e. a. (eds.), Heil und Geschichte. Die Geschichtsbezogenheit des Heils und das Problem der Heilsgeschichte, Tübingen 2009.

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I. Die theoretische Suffizienz der kirchlichen Glaubensverkündigung – eine Ang ebotsfor m Die Selbstbezeichnung der Apostel als ‚dispensatores mysteriorum Dei‘ (1 Kor 4,1) zeigt zwei wesentliche und von der Antike bis in die Gegenwart wirkmächtige Faktoren des kirchlichen Lehramtes auf: Die sowohl bewahrende als auch fruchtbarmachende Verwaltung des Glaubensgutes einerseits und die Charakterisierung dieses Glaubensgutes als eines Schatzes von Geheimnissen andererseits. Das dispendere setzt hierbei ein Abwägen voraus, um bei aller apostolischen und missionarischen Verpflichtung zum Einsatz der Heilsinstrumente zudem Ehrfurcht vor dem Unbegreiflichen walten zu lassen und das Heilige zu schützen 8. Der Handlungsanleitung für die amtlichen Instanzen der Kirche entspricht die reziproke Haltung der Glaubensgemeinschaft, die der Lehre der Kirche als dem verkündigten Wort Gottes (fides quae ) den von Paulus in Röm 1,5 so benannten „Gehorsam des Glaubens“ (fides qua ) entgegenbringt. Dieses theoretisch suffiziente ‚Modell‘ gilt gleichermaßen für die theologische Reflexion und für die lehramtliche „Auslegung der Glaubensinhalte (explanatio fidei )“ 9 sowie für die Äußerungen der Glaubenspraxis, wozu auch die liturgischen Vollzüge zu rechnen sind. Gerade in diesem letztgenannten Bereich erweist sich nun regelmäßig die Notwendigkeit, einen qualifizierten Gehorsamsbegriff zu verwenden, da nicht wenige dieser Vollzüge die aktive Mitwirkung der Gemeindemitglieder voraussetzen und damit auch einen über die bloße Anwesenheit der Personen hinausgehenden Antagonismus von Nichtklerikern (des gesamten sozialen Spektrums) und ‚Ritenexperten‘ tangieren 10; nur wenige zentrale Beispiele seien genannt: Bereits bei der Taufe wird, wenngleich in standardisierter Dialogform, die Ablegung eines Taufgelübdes erwartet, beim Empfang der Kommunion ein Mindestwissen über die Bedeutung der Eucharistie, bei der Mitfeier der Messe die korrekte orale oder gestische Reaktion innerhalb der rituellen Abfolge, bei der Eheschließung die unverzichtbare Kundgebung des Ehekonsenses etc. Sogar bei den einfacheren Gottesdienstformen aus dem Bereich der Sakramentalien (Begräbnis, Prozessionen, Aschenweihe etc.) und der sogenannten ‚Volksfrömmigkeit‘ war das Mitbeten des katechetisch vermittelten Glaubensbekenntnisses 8

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10

Cf. H. P. Neuheuser, Mysterium fidei – Feier des Geheimnisses und Praxis der Verheimlichung. Liturgie angesichts der hochmittelalterlichen Arkandisziplin, in: Theologie und Philosophie 94 (2019), 321–340. So bereits die Kennzeichnung in der Überschrift des im Jahre 382 formulierten ‚Decretum Damasi (Concilium Urbis Romae sub Damaso Papa)‘, cf. die Edition bei U. Reutter, Damasus, Bischof von Rom 366–384. Leben und Werk, Tübingen 2009, 469. Cf. Y. Congar, Clercs et laïcs au point de vue de la culture au moyen âge. Laicus = sans lettres, in: Id. (ed.), Études d’ecclésiologie médiévale, London 1983 [Erstveröffentlichung 1971], 9– 332. – Cf. die freilich selektiven Veranschaulichungen bei E. C. Lutz e. a. (eds.), Pfaffen und Laien – ein mittelalterlicher Antagonismus?, Fribourg 1999.

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und des Vaterunser 11 angebracht, sodass die schriftliche oder personale Instruktion durch die Geistlichkeit von den teilkirchlichen Instanzen gefordert und in Visitationen überwacht wurde. Seit der Antike entfaltete sich das Bewusstsein von der Unverzichtbarkeit der Katechese, die jenes Mindestmaß an religiösem und liturgiebezogenem Wissen vermittelte, wie es etwa in den Werken des Augustinus und Ambrosius aufscheint. Mystagogische Anweisungen und semiliturgische Predigten 12 mochten weitere Informationen zum Glaubensgut und zu rituellen Abläufen geliefert haben. Uneindeutig ist die nur regional bekannte Praxis der Exultet-Rollen mit ihren kopfstehenden, also den Betrachtenden zugewandten Miniaturen, welche den langen Text des Osterlob-Vortrags einerseits ‚veranschaulichten‘, andererseits lediglich dem engsten Kreis derjenigen zugänglich waren, die den Ambo des Diakons umstanden 13. Das Instrument der Arkandisziplin zeigt indes die abwägenden Intentionen dieser Maßnahmen auf, sodass sich dem Phänomen des transzendenten Geheimnisses Gottes die artifizielle Strategie des Verheimlichens hinzugesellte 14. Beide Erscheinungen sind – wie die Erfahrung lehrt – geeignet, die Suffizienz der kirchlichen Glaubensverkündigung aus dem Blickwinkel des fragenden Menschen zu prüfen. In der Zeit der Hochscholastik und noch darüber hinaus waren die lokalen Schulen den Kathedralen, Klöstern, Stiften und Pfarren zugeordnet, ohne dass wir Näheres über die Inhalte eines ‚Religionsunterrichtes‘ außerhalb der Sakramentenkatechese wüssten. Indispensabel war indes die Vermittlung der lateinischen Sprache mit der Zielsetzung einer minimalverständigen Teilnahme (der Laienkreise) am Gottesdienst 15 – so kann 11 12

13

14 15

Cf. Hinkmar von Reims, Erstes Kapitular, c. 1, edd. R. Pokorny e. a. (Monumenta Germaniae Historica. Capitula episcoporum 2), Hannover 1995, 34 sq. Cf. den quellenbezogenen Essay von J. B. Schneyer, Die Unterweisung der Gemeinde über die Predigt bei scholastischen Predigern, München 1968. – Cf. allgemein J. Longère, La prédication médiévale, Paris 1983. Cf. jetzt N. Bériou/F. Morenzoni (eds.), Prédication et liturgie au moyen âge, Turnhout 2008. Cf. M. Avery, The Exultet Rolls of South Italy, Princeton 1936. Zur Performanz der Rollen(Bilder) cf. N. Zchomelidse, Descending Word and Resurrecting Christ. Moving Images in the Illuminated Liturgical Scrolls of Southern Italy, in: id. e. a. (eds.), Meaning in Motion. The Semantics of Movement in Medieval Art, Princeton 2011, 3–34. Zur unklaren Rezeption cf. A. Barra, Confronto per immagini. Riflessioni sull’Exultet di Salerno, in: M. C. Rossi e. a. (eds.), Le diocesi dell’Italia meridionale nel medioevo, Cerro al Volturno 2019, 163–172. Zu bemerken ist, dass die Bilder der ältesten, aus der Zeit um 985 stammenden Rolle, Vatikanstadt, Bibl. Ap. Vaticana, Vat. lat. 9820, nicht kopfstanden, sondern erst im 12. Jh. im Rahmen der Liturgiereform in diese Stellung gebracht wurden. Cf. Neuheuser, Mysterium fidei (nt. 8). Cf. R. Köhn, Schulbildung und Trivium im lateinischen Hochmittelalter und ihr möglicher praktischer Nutzen, in: J. Fried (ed.), Schulen und Studium, Sigmaringen 1986, 203–284; zum Liturgiebezug des Lateinunterrichts cf. ibid., 226; P. F. Kramml, Die Domschule. Lateinunterricht als bischöfliches Monopol, in: E. L. Kuhn e. a. (eds.), Die Bischöfe von Konstanz, vol. 1, Friedrichshafen 1988, 125–134. Cf. allgemein J. J. Murphy, The teaching of latin as a second language in the 12th century, in: Historiographia linguistica 7 (1980), 159–175, mit starkem Bezug auf die literarische Latinität. Zur hochmittelalterlichen Laienbildung auch P. Riché, Recherches sur l’instruction des laïcs du IXe au XIIe siècles, in: Cahiers de civilisation médiévale 5 (1962), 175–182, und E. B. Vitz, Liturgy as education in the middle ages, in: R. B. Begley

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der alltägliche Gottesdienst als zudem säkular nützliche Lateinschule aufgefasst werden 16, allerdings auch der Lateinunterricht als Liturgieschule, da zusätzlich zu den Texten ihr ‚ritueller Ort‘ gewusst werden musste. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass das Interesse des einzelnen Mitglieds einer Glaubensgemeinde nicht nur auf das kognitive Wissen um die Glaubensgehalte abzielt, wie es ein entfernter Betrachter äußern könnte, sondern auf den Genuss des erstrebten Heilsinstrumentes selbst: Das letzte Ziel der Gottesnähe wird provisorisch bereits durch die Partizipation am Sakrament erreichbar. Die kirchliche Administration der Heilsinstrumente ist somit nach dem bekannten Modell einer vorweggenommenen Antwort auf eine vorausgesetzte – möglicherweise unausgesprochene – Frage des Glaubenden aufzufassen, i. e. auf die unter Umständen mit forcierter Neugier verbundene Heils-‚Sorge‘ des Einzelnen 17. Um dieses Heilsinstrument spirituell und kirchenrechtlich wirksam zu vermitteln, ist daher diesseits und jenseits der semipermeablen Wand des klerikal-laikalen Antagonismus die Wahrnehmung der cura im Sinne einer positiven und operativ ausgestatteten Heils-‚Vorsorge‘ erforderlich. Die Seelsorge muss in dieser Hinsicht auch in hochmittelalterlichen Zeiten als komplexes Geschehen von Messgottesdiensten, okkasionellem Sakramentenempfang sowie der Wahrnehmung zahlreicher Formen der sogenannten ‚Volksfrömmigkeit‘ verstanden werden, welche die Laienwelt keineswegs nur auf eine passive Rolle festlegte und Bestandteil des natürlichen Heils-‚Verlangens‘ war 18. Diese cura tritt deshalb – anders als bei dem wirkmächtigen augustinischen Verdikt 19 und der thomanischen Dichotomie von studiositas und curiositas 20 – gemäß unserem Vor-

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19 20

e. a. (eds.), Medieval education, New York 2005, 20–34. Die Verbindung der liturgischen Laienbildung mit der Gregorianischen Reform betont E. Cattaneo, La liturgia nella riforma gregoriana, in: Chiesa e riforma nella spiritualità del sec. XI (Convegni del Centro di Studi sulla Spiritualita Medievale 6), Todi 1968, 169–190, hier 182. Cf. R. Sharpe, Latin in everyday life, in: F. A. C. Mantello e. a. (eds.), Medieval Latin, Washington 1996, 315–341, mit starkem Bezug auf die pragmatische und ‚lebensweltliche‘ Latinität. Zum Latein im privaten Alltag cf. H.-G. Kirchhoff, Zur deutschsprachigen Urkunde des 13. Jahrhunderts, in: Archiv für Diplomatik 3 (1957), 287–327. Cf. R. Köhn, Latein und Volkssprache. Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der Korrespondenz des lateinischen Mittelalters, in: J. O. Fischer e. a. (eds.), Zusammenhänge, Einflüsse, Wirkungen, Berlin 1986, 340–356. Cf. das Referat germanistischer Quellen bei J. D. Müller, ‚Erfarung‘ [!] zwischen Heilssorge, Selbsterkenntnis und Entdeckung des Kosmos, in: G. Scholz Williams e. a. (eds.), Literatur und Kosmos. Innen- und Außenwelten in der deutschen Literatur, Amsterdam 1986, 307–342, speziell zum religiösen Kontext 312–317. Cf. die Essays bei A. Vauchez (ed.), Les laïcs au moyen âge. Pratiques et expériences réligieuses, Paris 1987. Zur Kennzeichnung der Laienwelt cf. weiterhin das magistrale Werk von G. de Lagarde, La naissance de l’esprit laïque au déclin du moyen âge, 5 voll., Löwen–Paris 1956– 1963. Cf. zusammenfassend R. Newhauser, Augustinian ‚vitium curiositatis‘ and its reception, in: E. B. King e. a. (eds.), Saint-Augustine and his influence in the middle ages, Sewanee 1988, 99–124. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 166, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 10), Rom 1899, 342 sqq. und q. 167, ibid., 345–348; P. Blanchard, Studiosité et curiosité. Le vrai savoir d’après saint Thomas d’Aquin, in: Revue Thomiste 53 (1953), 551–562; G. Bös, Curiositas. Die Rezeption eines antiken Begriffes durch christliche Autoren bis Thomas von Aquin (Veröffentlichungen des Grabmann-Institutes zur Erforschung der mittelalterlichen

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schlag als intentionales Strebevermögen der im Allgemeinen stets pejorativ aufgefassten curiositas gegenüber. Diese insistierende Regung erschien dem Nachfragenden auch angesichts faktisch insuffizienter Antworten stets legitim, weil nach dem ‚Dictum Gratiani‘ Christus selbst stets dasjenige ergänzen werde, was den kirchlichen Akten an Vollkommenheit noch fehlte 21. Die kirchliche Glaubensverkündigung ist idealiter als Angebot der ‚Seelsorge‘ zu begreifen, so wie die deutsche Sprache die kanonistische Formel der cura animarum als Begriff der frühmittelalterlichen Theologie analog übersetzt, und zwar als personale Tätigkeit 22: Daher versteht das Kirchenrecht hierunter zunächst und hauptsächlich die Verpflichtung der regionalen Teilkirchen, konkret aber des örtlich fungierenden Geistlichen im Hinblick auf die obligatorischen Leistungen wie die Spendung der Taufe, das Hören der Beichte, das Lesen der Messe, die Assistenz bei der Eheschließung, die Spendung der unctio extrema und den Vollzug der Beerdigungen 23; diese Begriffsdeutung erscheint offensichtlich durch die Abgrenzung zu Klerikern ohne Seelsorgeverpflichtung (sogenannte ‚Sinekuren‘) und zu Ordensangehörigen, welche die außerordentliche Pfarrbetreuung übernahmen 24. Die pastorale Praxis sieht hingegen verstärkt die spirituelle Betreuung der Laienchristen einschließlich Katechese und Predigt. Dabei wird der Administration der Sakramente eine kurze Instruktion an die Beteiligten (Taufpaten, Brautleute) vorausgegangen sein, sodass insgesamt die Verwendung des Begriffs ‚cura animarum‘ unter Berücksichtigung der früh- und hochmittelalterlichen Standards auch inhaltlich gerechtfertigt gewesen sein dürfte. Einen tiefen Einblick in diese Situation liefern die Sendhandbücher – wie etwa das

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Theologie und Philosophie, Neue Folge 39), Paderborn e. a. 1995, zu den thomanischen Quästionen der Summa theologiae cf. eingehend 176–225. Dictum Gratiani post C. 25 q. 1 c. 16 § 1, ed. E. Friedberg (Corpus Iuris Canonici 1), Leipzig 1879, 1011. Zur Herkunft des deutschen Begriffsfeldes aus curator animae cf. H. Goertz, Deutsche Begriffe der Liturgie im Zeitalter der Reformation, Berlin 1977, 337. Zur Ausprägung von Substanz und Begriff der frühmittelalterlichen cura animarum cf. S. Floryszczak, Die Regula Pastoralis Gregors des Großen. Studien zu Text, kirchenpolitischer Bedeutung und Rezeption in der Karolingerzeit (Studien und Texte zu Antike und Christentum 26), Tübingen 2005; G. Constable, Monasteries, Rural Churches and the cura animarum in the Early Middle Ages, in: Cristianizzazione ed organizzazione ecclesiastica delle campagne nell’alto medioevo. Espansione e resistenze (Settimane di studio del Centro italiano di studi sull’alto medioevo 28), Spoleto 1982, 349–389; cf. M. P. Alberzoni, La cura animarum, in: Città e campagna nei secoli altomedievali, Spoleto 2009, 151–190. Zur Situation in den hoch- und spätmittelalterlichen Pfarren allgemein P. Michaud-Quantin, Les méthodes de la pastorale du XIIIe et au XVe siècle, in: A. Zimmermann/R. Hoffmann (ed.), Methoden in Wissenschaft und Kunst des Mittelalters (Miscellanea Mediaevalia 7), Berlin 1970, 76–91. Cf. die für den französischen Raum sehr instruktiven Beiträge in dem Sammelband: Ministère de l‘éducation nationale, Comité des travaux historiques et scientifiques (ed.), L’encadrement religieux des fidèles au moyen âge et jusqu’au Concile de Trente. La paroisse, le clergé, la pastorale, la dévotion [109e congrès national des sociétés savantes, Dijon, 1984], Paris 1985. Cf. M. Ronzani, L’organizzazione spaziale della cura d’anime e la rete chiese secoli V–IX, in: Chiese locali e chiese regionali nell’alto medioevo, Spoleto 2014, 537–561. Cf. Constable, Monasteries (nt. 23), 362–372.

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berühmte Werk des Regino von Prüm 25 –, kanonistische Aufstellungen oder die Manualien für die Pfarrgeistlichkeit. Die Literaturgattung solcher Handbücher ersetzte über lange Zeit eine elaborierte Pastoraltheologie 26, in deren jeweils zeitgenössischer Ausprägung vorweggenommene Fragen den Erfolg sicherten. II. Die Ar tikulation von cura und curiositas im Kontext liturgischer Vollzüg e – eine Frag efor m Wird in der Sakramententheologie die unausgesprochene Heilssorge des Glaubenden vorausgesetzt respektive rhetorisch evoziert – man denke etwa an die rituelle Tauffrage ‚Quid petis ab ecclesia Dei?‘ –, so setzt notorische Skepsis beim kirchlichen Lehramt dann ein, wenn Laien außerhalb der katechetischen Veranstaltungen und eventuell innerliturgischer Hinweise (Aufforderungen zu Aktionen während der Vollzüge, Modellansprachen etc.) Fragen religiöser Art formulieren oder Erklärungen wünschen. Leider sind für das frühe und hohe Mittelalter manifeste Äußerungen sowie überhaupt Mitteilungen über von Laien reflektierte Glaubensgehalte oder erlebte Gottesdienste kaum in den Quellen überliefert. Hinweise ergeben sich eher aus den Reaktionen kirchlicher Instanzen auf vorgängige Ereignisse, und zwar nicht selten auf spektakuläre, e. g. Ärgernis erregende und disziplinär zu ahndende Geschehnisse. Bei der Interpretation derartiger Zeugnisse, wie sie genüsslich etwa Caesarius von Heisterbach in antischolastischer Intention ausbreitete 27, ist zudem Vorsicht geboten, da sie oft nur wegen des dramatischen Effekts niedergeschrieben und noch ausgeschmückt worden sind. Der Dialogpartner des Caesarius räumt einmal ein, dass die Erzählungen seines Meisters derart befriedigend seien, „dass ich nicht länger sage ‚Ich glaube‘, sondern‚ was viel mehr ist: ‚Ich weiß‘, nämlich, dass sich nach den Wandlungsworten unter der Gestalt des Weines das wahre 25

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Regino von Prüm, Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis, ed. F. W. H. Wasserschleben, Leipzig 1840 (Nachdruck Graz 1964); cf. W. Hellinger, Die Pfarrvisitation nach Regino von Prüm. Der Rechtsgehalt des I. Buches seiner ‚Libri duo de synodalibus causis et disciplinis ecclesiasticis‘, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 48 (1962), 1–116, 49 (1963), 76–137. Cf. vor allem die diversen Forschungen von Leonard E. Boyle zu diesem Thema, teilweise wieder abgedruckt in: L. E. Boyle, Pastoral care, clerical education and canon law 1200–1400, London 1981. Cf. die Editionen von Caesarius von Heisterbach, Dialogus miraculorum, ed. Strange (nt. 4) (edd. Nösges/Schneider [nt. 4]); id., Libri VIII miraculorum, ed. A. Hilka, Die Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach, vol. 3: Die beiden ersten Bücher der Libri VIII miraculorum. Leben, Leiden und Wunder des heiligen Engelbert, Erzbischofs von Köln. Die Schriften über die heilige Elisabeth von Thüringen (Publikationen der Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde 43/3), Bonn 1937, 15–222. – Zum Versuch einer kritischen Bewertung cf. B. P. McGuire, The monk who loved to listen. Trying to understand Caesarius, in: V. Smirnova e. a. (eds.), The act of cistercian persuasion in the middle ages and beyond. Caesarius of Heisterbach’s Dialogue on miracles and its reception, Leiden 2015, 31–47.

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Blut Christi befindet“ 28. Diese Äußerung kann so interpretiert werden, dass dem Novizen die Schilderungen von sehr individuellen Begebenheiten zu einem incrementum fidei und zur certitudo verholfen haben. Dies ist wohl der Grund, warum Magister Caesarius an einer Stelle die höhere Autorität der Schriften gegenüber Visionserzählungen eingesteht, er letztlich aber gleichwohl dazu neigt, den exemplarischen Kolportagen gegenüber den Schriftbeweisen den Vorzug zu geben 29 und mit den Beispielen fortzufahren 30, wobei die unkritische Darbietungsform zwar dem didaktischen Anspruch des Ordensmannes, nicht aber der Vermittlung der Differenz zwischen Beispiel und ‚Sache‘ genügten 31. In der Tendenz deuten derartige Schilderungen jedoch zumindest an, dass Laien mitunter hohes und – aus der Sicht der Amtskirche – übersteigertes, ja illegitimes Interesse an bestimmten Gegebenheiten zeigten. Die Themen, die Gegenstand von liturgiebezogener curiositas wurden, sowie die regionalen oder personalen Kontexte der Interesseartikulation können abseits ihrer tendenziösen Auskleidung auch für die heutige Forschung aufschlussreich sein. Um nur ein von Johannes Diaconus kolportiertes Einzelbeispiel anzuführen, äußerte sich eine irritierende ‚Hostieninspektion‘ in einem grellen Lachen, das eine Frau beim rituell geregelten Kommunionempfang ausstieß (lasciva subrisit ), als sie bemerkte, das die ihr gereichte Hostie von dem Brot stammte, das sie zuvor selbst gebacken hatte 32 und kaum das Manna-gleiche „Himmelsbrot (panis de caelo )“ sein konnte, von dem das Evangelium sprach (Joh 6,31–34) und von welchem die Spendeformel die Bewahrung der Seele versprach (conservet animam tuam ) 33. Eine kontrastierende Bezeichnung, nämlich ‚panis usitatus‘, hatte schon Ambrosius dem noch unkonsekrierten Brot (ante verba sacramentorum ) zugedacht 34. Insgesamt deutet diese Geschichte jene Situation an, als unter den Naturgaben auch Brot und Wein im Rahmen der allgemeinen Gabendarbringung in den Altarraum gebracht wurden und dem Zugriff der Laienöffentlichkeit zugänglich waren und mit entsprechenden, nicht leicht zu deutenden Artikulationen begleitet werden konnten. In einem guten Sinne wurden diese von Hugo von St. Viktor als Heilssuche (salutem quaerere ) gedeutet, 28

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Caesarius, Dialogus, 9, 23, ed. Strange (nt. 4), vol. 2, 182: „ut iam non dico credam, sed quod amplius est, sciam post consecrationem sub specie vini verum esse sanguinem Christi“ (edd. Nösges/Schneider [nt. 4], vol. 4, 1790,17 sqq.). Ibid., 3, 1, ed. Strange (nt. 4), vol. 1, 111: „magis tibi exemplis, quam scripturarum testimoniis ostendere proposui“ (edd. Nösges/Schneider [nt. 4], vol. 2, 502,25 sqq., cf. auch ibid., 3, 1, 500,12 sq.). Ibid., 12, 21, ed. Strange (nt. 4), vol. 2, 331: „referam tamen quod nuper audivi“ (edd. Nösges/ Schneider [nt. 4], vol. 5, 2224,12 sq.). Zum Beispielgebrauch bei den Bettelorden cf. M. Schürer, Das Exemplum oder die erzählte Institution. Studien zum Beispielgebrauch bei den Dominikanern und Franziskanern des 13. Jahrhunderts, Münster 2005. Cf. Johannes Diaconus, Vita S. Gregorii Magni, 2, 41, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 75), Paris 1862, 103C. Ibid. Cf. Ambrosius von Mailand, De sacramentis, 4, 14, ed. O. Faller (Corpus Scriptorum Ecclesiasticorum Latinorum 73), Wien 1955, 51.

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wobei er die verzweifelt Suchenden mit den Schwerkranken verglich, die „mit lautem Schreien (magnis clamoribus )“ nach einem Heilmittel verlangten 35. In der Tat zeigten sich die Artikulationen in einem breiten Spektrum von Ausdrucksweisen, nämlich vom skeptischen Blick, von der vorsichtigen Frage und dem forschen Nachhaken, von der Äußerung von Zweifeln über die eigenmächtige, voyeuristische Investigation bis hin zur ablehnenden Gestik oder zum Ärgernis erregenden Verlachen, sodann zur aggressiven Parodie und zum gedanklichen oder – in der höchsten Eskalationsstufe – tatsächlichen Missbrauch sakraler Elemente 36: Fragen aus der Intention der curiositas konnten sich potenziell zur Häresie und zur Blasphemie entwickeln. Neben dieser sachlichen Perspektive in Bezug auf die Gehalte der Tabus scheint indes das indezente Explorationsverhalten 37 die pejorative und perhorreszierende Bewertung der curiositas wesentlich befördert zu haben: curiositas war demnach in augustinischer Tradition pauschal als Sünde und – in unserem Zusammenhang – als Delikt des Liturgierechts zu klassifizieren 38. Da die konkreten Vorgänge oft gar nicht oder durch eine subjektive Kolportage überliefert sind und daher in einem nicht-authentischen Wortlaut vorliegen, muss die Forschung bei der Analyse solcher Phänomene eine eigene Methode entwickeln: – Es gilt zum einen die dramatisierte Kolportage auf ihren Kerngehalt zu abstrahieren und die gegebenenfalls hochemotionale Äußerung in eine prägnante Frageform umzuwandeln. Grundsätzlich gilt, dass die Artikulationen der curiositas zunächst als eine Frage nach einer Auffälligkeit gedacht werden können, gleich welchen sprachlichen oder gestischen Ausdruck sie dann im situativen Einzelfall gefunden haben mögen. – Die Sorge um das Seelenheil, das Bemühen um eine wissenschaftliche Erkenntnis und Wahrheitssuche – das „inquirendo veritatem percipimus“ 39 – sowie die ungebührliche Neugier im pejorativen Sinne sollten als unterschiedliche Motivationen behandelt werden. – Zum anderen kann von den Reaktionen kirchlicher Instanzen auf das substantielle Anliegen der Artikulation rückgeschlossen werden, da Lehramt und Theologie stets nach dem locus theologicus Ausschau halten. 35 36

37

38 39

Hugo von Sankt Viktor, De verbo incarnato, collatio 1, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 177), Paris 1854, 317A. Cf. H. P. Neuheuser, Das Verlachen des Sakralen. Zur Abwehr eines Delikts des hochmittelalterlichen Liturgierechts, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. Kanonistische Abteilung 104 (2018), 182–235. Cf. hierzu die psychologischen Beiträge in dem Sammelband von H.-G. Voss/H. Keller (eds.), Neugier-Forschung. Grundlagen, Theorien, Anwendungen, Weinheim–Basel 1981, mit umfangreicher Bibliographie. Cf. Newhauser, Augustinian ‚vitium curiositatis‘ (nt. 19); T. Ziolkowski, The sin of knowledge. Ancient themes and modern variations, Princeton e. a. 2000; Bös, Curiositas (nt. 20), 91–129. Petrus Abaelardus, Sic et non, Prologus, edd. B. B. Boyer e. a., Chicago–London 1976, 103. Für die zweite Hälfte des Hochmittelalters cf. D. Perler, Zweifel und Gewissheit. Skeptische Debatten im Mittelalter (Klostermann Rote Reihe 47), Frankfurt am Main 22012.

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Wollte man die in der Zeit der Hochscholastik unübersehbare Flut berechtigter und unberechtigter Fragen an gottesdienstliche Erscheinungen systematisieren, so legen sich – in Weiterführung der aus der Lerntheorie entwickelten Kategorien Daniel Berlynes 40 – aus der Sicht der hochmittelalterlichen Laienwelt etwa folgende ‚provozierende‘ Bereiche und ‚Explorationsverhaltensweisen‘ nahe: – Die unverstandene lateinische Sakralsprache, die zudem mit theologischem Fachvokabular gesättigt ist und eine hochpoetische, literaturwissenschaftlich fassbare Diktion sowie rhetorische Figuren (integumentum, Metaphern, Allegorien) aufweist 41, steht wohl sehr oft einem unmittelbaren Verständnis entgegen und lässt sich nicht ohne weiteres in Bezug zur phänotypisch aufgenommenen liturgischen Handlung setzen. Wie die Verballhornung der Konsekrationsformel ‚Hoc est enim corpus meum‘ im ‚Hokuspokus‘ besagt 42, wird (leises) liturgisches Sprechen wohl oft nur als Gemurmel, dann aber – wie bei der jüdischen Anthologie ‚Sefer Nizzahon Yashan‘ des 13. Jahrhunderts 43 – als Ausgangspunkt theologischer Missverständnisse und Verunehrung des Heiligen durch fehlerhafte und unautorisierte Zitate, wahrgenommen worden sein. Das Problem der lateinischen Sakralsprache muss natürlich im Kontext verbotener Bibelübersetzungen gesehen werden, wie es etwa Papst Innocenz III. in der Epistola ‚Cum ex iniuncto‘ von 1199 einschärfte 44. – Die nichtverbalen Zeichenhandlungen der Liturgie können oft nicht direkt mit der gewünschten Eindeutigkeit aufgeschlüsselt werden, da sie sich von profanen Gebärden und Gesten unterscheiden und nur von kompetenten

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41

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Cf. die Kategorien bei D. E. Berlyne, Conflict, arousal, curiosity, New York e. a. 1960, part. 11: Toward a theory of epistemic behaviour. Conceptual conflict and epistemic curiosity (283–303), hier 286–288: doubt [zwischen gleichberechtigten Positionen schwankender Zweifel], perplexity [hemmende Überraschung], contradiction [Widerspruch zum Erwarteten], conceptual incongruity [fehlende intrinsische Übereinstimmung], confusion [Verwirrung aufgrund überkomplexer Situation e. g. angesichts nicht entschlüsselter Zeichen], irrelevance [abwehrende Verkennung der Aussagen]. Cf. F. Bezner, Vela veritatis. Hermeneutik, Wissen und Sprache in der ‚Intellectual History‘ des 12. Jahrhunderts, Leiden e. a. 2005, insbesondere 33 sq. Cf. die ausgebreiteten Materialien in der literaturwissenschaftlichen Studie von H. Brinkmann, Verhüllung (integumentum) als literarische Darstellungsform im Mittelalter, in: A. Zimmermann (ed.), Der Begriff der repraesentatio im Mittelalter. Stellvertretung, Symbol, Zeichen, Bild (Miscellanea Mediaevalia 8), Berlin–New York 1971, 314–339. Cf. Deutsches Wörterbuch, bearbeitet von J. und W. Grimm, vol. 4, pars 2, Leipzig 1877 [Nachdruck München 1984, vol. 10], 1731 sqq. Cf. die Beispiele bei Neuheuser, Verlachen (nt. 36), 200 sowie 208 sq., aufgrund Sefer Nizzahon Yashan, § 231, ed. D. Berger, The Jewish-Christian Debate in the High Middle Ages, Northvale 1979, zur Formel ‚Miserere‘ 156 und 220, zur Konsekrationsformel sowie zum baptismalen Taufversprechen 155 und 219 sq., zur Taufhandlung selbst ibid., § 157, ed. Berger, 109 und 171. Cf. Innocenz III., Epistola II, 132 (141) ‚Cum ex iniuncto‘, ed. O. Hageneder e. a., Rom 1979, 271–275; cf. hierzu L. Boyle, Innocent III and vernacular versions of Scripture, in: K. Walsh (ed.), The Bible in the medieval world, Oxford 1985, 97–107.

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Personen als mimetische Anspielung auf Traditionen (e. g. biblische Archetypen) bezogen werden können 45. Der Verkündigungsaspekt ästhetischer Formen und Materialien (e. g. in Werken der Goldschmiedekunst, der Textilkunst) wird verkannt und auf die oberflächliche Bewertung verkürzt. Die entsprechenden Gegenstände unterstützen real nicht unmittelbar den Zeichenkosmos, sondern unterstreichen den irritierenden Ersteindruck des Exotischen oder des materiellen ‚Reichtums‘. Rituelle Handlungen, die hinter Abschrankungen oder Verhüllungen (e. g. Lettner, Altarvelum, Zelt bei Kirchweihe, sogenannte ‚Hungertücher‘) vollzogen werden 46, evozieren trotz der Vermittlungsmaßnahmen Nachfragen. Die Varianz verschiedener (e. g. stilistischer) Erscheinungsformen verunsichert die Rezeption der Darstellung, auch wenn sie nicht substantiell mit dem Glaubensgut verbunden ist oder nur eine materielle oder funktionale Realisation darstellt (verschiedene Altarformen, Vielgestalt der Aufbewahrungsformen der Eucharistie im Sakramentshaus, Wandschrank, Altartabernakel etc. 47 ). Objektive Neuigkeiten in den liturgischen Vollzügen (parallele Handhabung der Taufriten als Immersionstaufe und Infusionstaufe, Einführung der hohen elevatio der Eucharistie in der Messfeier, theophorische Prozessionen mit Monstranz anstatt der Pyxis, Einführung neuer Feste) oder aber die subjektiv erstmalige Teilnahme an einer selten gefeierten Gottesdienstform (Osternachtfeier, Kirchweihe, Bischofskonsekration, Reliquienweisung, Besuch einer Coemeterialbasilika, Teilnahme an einer Wallfahrt, Feier eines Gottesdienstes außerhalb der Lateinischen Ritenfamilie) können Fragen unterschiedlicher Motivation auslösen. Exkurs: Der ‚désir de voir l’hostie‘

Die größte unerwünschte Aufmerksamkeit hat von Seiten der Laienchristen zu allen Zeiten der Konsekrationsakt in der Messliturgie auf sich gezogen. Das 1215 definierte Dogma der Transsubstantiation hatte den vorausgegangenen Eucharistiestreit (Berengar-Streit) 48 nur formal befriedet, blieb aber in der theoreti45

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Cf. H. P. Neuheuser, Mimesis und Aktualität. Die Generierung eines nachahmungsgerechten Archetyps für die Vollzüge der mittelalterlichen Liturgie, in: V. Leppin (ed.), Schaffen und Nachahmen. Kreative Prozesse im Mittelalter, Berlin–Boston 2021, 509–525. Cf. die hauptsächlich auf dem ‚Rationale‘ des Durandus von Mende beruhende Studie von P. Nourrigeon, Voiler l’autel. De l’usage du rideau au canon de la messe, in: L.-J. Bord e. a. (eds.), Le rideau, le voile et le dévoilement, Paris 2019, 91–100. Cf. auch die kunsthistorischen Studien von K. Eberlein, Apparitio regis – revelatio veritatis. Studien zur Darstellung des Vorhangs in der bildenden Kunst, Wiesbaden 1982, und J. E. Jung, Beyond the barrier. The unifying role of the choir screen in gothic churches, in: The Art Bulletin 82 (2000), 622–657. Cf. O. Nußbaum, Die Aufbewahrung der Eucharistie, Bonn 1979, 266–454, insbesondere 309. Cf. zu den umfassenden Hintergründen J. de Montclos, Lanfranc et Bérenger. La controverse eucharistique du XIe siècle, Löwen 1971, und T. Holopainen, Dialectic and theology in the eleventh century (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 54), Leiden e. a. 1996.

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schen Lehrentfaltung naturgemäß rational nicht nachvollziehbar und lediglich im Glauben zu ermessen. Eine theologisch ungebildete Person als durchschnittlicher Gottesdienstbesucher sah sich demgegenüber jedoch in der Messliturgie unmittelbar mit jenem Wandlungsakt konfrontiert und erhoffte sich eine Augenzeugenschaft des sensorisch nicht erfassbaren Geschehens. Die Elevation erlaubte einen unmittelbaren Blick auf die konsekrierte Hostie, nicht aber auf den konsekrierten Wein im eucharistischen Kelch, dessen Erhebung gleichwohl nicht als überflüssig angesehen wurde, „mochte auch das Blut nicht gesehen werden können (licet sanguis videri non possit )“ 49. Wie bei Paulus (1 Kor 10,16 und 21 sowie 11,27–28) steht hier der Kelch zeichenhaft „anstelle seines Inhaltes (continens ponitur pro contento )“ 50. Caesarius von Heisterbach liefert etliche Erzählungen zu Messfeiern, in denen dem Priester oder den Umstehenden der eucharistische Wein als reales Blut erschien 51. Durandus von Mende überliefert zudem Missbräuche durch Einfärben von Weißwein (vinum … rosatum ), um die Wandlung in Blut anzudeuten 52. Der Gebrauch von Messkelchen aus Glas oder transparenten Steinen hat solche Irritationen gewiss befördert, aber bereits im ‚Decretum‘ hatte Burchard von Worms den Gebrauch gläserner Messkelche untersagt 53. Die eucharistiebezogene Neugier wurde zudem entfacht durch die Tatsache, dass die Texte des Messkanons und der Konsekrationsformel nicht mitgeteilt werden durften und auch in der Literaturgattung der ‚Messerklärungen‘ übergangen wurden. Die Aufarbeitung des ‚désir de voir l’hostie‘ war durch den um 1200 verbreiteten Elevationsakt der Messe 54 und etwa durch theophorische Prozessionen sowie die im 14. Jahrhundert beginnende Entwicklung der eucharistischen Monstranzen 55 erfolgt, doch blieb das transzendente Geschehen selbst für Theologen inkommensurabel. Die reichlich unpassende Frage nach der Visibilität des Unsichtbaren verdeckt indes die dahinter liegende theologiefachliche Problematik nach dem Moment der Konsekration der in zwei Gestalten getrennten Eucharistie sowie die Verhin49 50 51 52 53 54

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Cf. Durandus von Mende, Rationale divinorum officiorum, 4, 41, 52, edd. A. Davril/T. M. Thibodeau (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 140), Turnhout 1995, 462,763 sq. Cf. ibid., 4, 42, 3, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 465,62 sq. Cf. Caesarius von Heisterbach, Dialogus, 9, 17–25, ed. Strange (nt. 4), vol. 2, 178–183 (edd. Nösges/Schneider [nt. 4], vol. 4, 1780–1794). Cf. Durandus von Mende, Rationale, 4, 42, 9, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 470,229 sq. Cf. Burchard von Worms, Decretum, 3, 96, ed. J.-P. Migne (Patrologia Latina 140), Paris 1853, 692D. Cf. weiterhin die älteren Studien von E. Dumoutet, Le désir de voir l’hostie et les origines de la dévotion au Saint-Sacrement, Paris 1926, und vorher bereits T. W. Drury, Elevation in the Eucharist. Its history and rationale, Cambridge 1907, zum Ersatz des Brotbrechens durch die elevatio und zur Deutung einer ‚presentation to God‘ cf. ibid., 148; H. B. Meyer, Die Elevation im deutschen Mittelalter und bei Luther, in: Zeitschrift für katholische Theologie 85 (1963), 162–217, insbesondere 173–187 zur Beteiligung des Volkes und 188–196 zu „Übertreibungen und Missständen“; V. L. Kennedy, The Moment of Consecration and the Elevation of the Host, in: Mediaeval Studies 6 (1944), 121–150. Zur zeitlichen Einordnung cf. id., The date of the Parisian decree on the elevation of the host, in: Mediaeval Studies 8 (1946), 87–96. Cf. zuletzt F. Tixier, La monstrance eucharistique. Genèse, typologie et fonctions d’un object d’orfèvrerie XIIIe–XVIe siècle, Rennes 2014.

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derung der irrtümlichen Anbetung der gegebenenfalls noch nicht konsekrierten Gaben 56. Die Invention des Elevationsaktes zog im Grunde einen dogmatischjuridischen Schlussstrich unter die spekulative Debatte, welche einerseits die Intention der studiositas, andererseits Elemente der curiositas in sich trug: Beide Beweggründe enthielten delikate Details (e. g. die Frage nach der Wirksamkeit der Brotworte ohne nachfolgende Kelchworte, physische Veränderungen der Spezies nach der Konsekration etc.). Das Schauen sekundierte hierbei ebenso dem Glauben wie dem Nichtwissen, so wie schon traditionell die Bewunderung der goldenen Reliquiare an die Stelle der Heiligenverehrung trat 57 – diese Reliquien wiederum als mediale Surrogate für das Sanctissimum. Im Übrigen wurde die ‚hohe Erhebung‘ (sogenannte ‚große Elevation‘) der eucharistischen Gestalten oft einseitig als Ausdruck einer übersteigerten Laienfrömmigkeit und dem dezidiert aus Laienkreisen generierten Schauverlangen verbunden 58. Die genannte Erscheinung ist allerdings wie gesagt nicht ausschließlich mit der illegitimen curiositas zu erklären, da die dogmatisch-juridische Absicherung (Verhinderung der Idolatrie) ein ernsthaftes lehramtliches Anliegen darstellt und es erlaubt, das Unantastbare vorstellbar zu handhaben und der Öffentlichkeit zu präsentieren, denn die Instrumente und rituellen Verfahren lenkten natürlich auch die fromme Aufmerksamkeit auf das gezeigte Gut. Immerhin sprach selbst das Pariser Dekret die Einführung des Elevationsaktes als (Sekundär-?) Intention der Maßnahme an: „tunc [presbyteri] elevent eam [hostiam] ita quod possit videri ab omnibus“ 59. Nicht also das ‚Schauverlangen‘ als solches galt als Merkmal der curiositas, sondern die Spekulation, durch das Schauen das Unbegreifliche erkunden zu können. Insgesamt ist die Ambiguität des Grundanliegens, nämlich die irritierende Polarität der inkriminierten concupiscentia oculorum (cf. 1 Joh 2,16) und die mystagogische Vermittlung sensorisch nicht erfahrbarer Glaubensgehalte, erhalten geblieben 60. Gerade die konsekrierte Hostie zog viel an unschicklicher Aufmerksamkeit auf sich, um den sensorisch nicht feststellbaren Unterschied zum täglichen Nahrungsmittel zu erkunden. Aus diesem Kontext haben sich zahlreiche Irritationen bis hin zu Irrlehren entwickelt, in der Praxis e. g. auch die realen und angeblichen ‚Hostienmissbräuche‘, die bedauerlicherweise nicht allein Gegenstand von Le56 57

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Hierzu detailreich Kennedy, The Moment of Consecration (nt. 54). Cf. die kunsthistorische Studie von C. L. Diedrichs, Vom Glauben zum Sehen. Die Sichtbarkeit der Reliquie im Reliquiar. Ein Beitrag zur Geschichte des Sehens, Berlin 2001. Die Arbeit von A. Kurtze, Schaubedürfnis. Das Theorem der Schaudevotion in der Kunstgeschichte, Saarbrücken 2008, äußert sich ausschließlich zur modernen kunsthistorischen Terminologie. Cf. die Thematisierung aus dem Blickwinkel von R. W. Scribner, Popular piety and the modes of visual perception, in: Journal of Religious History 15/4 (1989), 448–469.; id., Das Visuelle in der Volksfrömmigkeit, in: id. (ed.), Bilder und Bildersturm im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, Wiesbaden 1990, 9–20. Cf. Synode von Paris (wohl 1208), ed. J. D. Mansi (Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio 22), Florenz 1759–1827 [Nachdruck Florenz 1902], 682. – Cf. Kennedy, The date of the Parisian decree (nt. 54). Cf. das Referat bei Newhauser, Augustinian ‚vitium curiositatis‘ (nt. 19), 109–110.

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genden waren, sondern auch zu antijüdischen Ausschreitungen 61 und magischen Praktiken führten 62. Im Grunde legen die den Juden unterstellten ‚Hostienuntersuchungen‘ nicht realisierte Wünsche und Phantasien der Christen offen. Zu diesen Projektionen zählen genauso die Erzählungen über rituelles Versagen der Kleriker im Umgang mit der eucharistischen Spezies, die neben den angeblichen spektakulären ‚Unfällen‘ (e. g. Umstoßen des gefüllten Messkelches nach der Konsekration des Weines etc.) zumindest belegen, wie stark die Aufmerksamkeit auf die phänotypisch erkennbare ‚Oberfläche‘ des liturgischen Geschehens gerichtet war. In diesen Kontext gehört auch die häufig beklagte physische Nähe von Personen zum Zelebranten während des Konsekrationsaktes 63, um durch bedrängendes Gebaren respektive insistierendes Beobachten der Handlung teilhaftig zu werden. Das kirchliche Lehramt und die ihm folgende theologische Reflexion hat jene Motivation aus den genannten Gründen stets als eine ‚Außenbeobachtung‘ angesehen, die ohne ekklesiale Rückbindung an die probaten und theoretisch suffizienten Medien des Erwerbs von Glaubenswissen und ars liturgica artikuliert wurde; es handelte sich um eine von der Hochscholastik so bezeichnete Artikulation ex inordinatione appetitus 64, deren Verwerflichkeit mit seiner Herleitung aus der prolapsalen Ursünde genügend bewiesen schien 65. Die gegebenenfalls zusätzliche Charakterisierung unerwünschter Artikulationen als Antiklerikalismus und als Infragestellung einer wirksamen Glaubensverkündigung hat in der pastoralen Praxis weitere Probleme erzeugt, welche nach einer systematischen Beantwortung verlangten. III. Die theologische Ref lexion über den Erwerb von Glaubenswissen und ars litur gica – die Entwicklung einer Antwor t Die starke Konzentration zumindest Einzelner aus der Liturgiegemeinde auf die weitgehend unverstandene Liturgiegestalt (forma ) und die damit einhergehen61

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Anstelle der Flut von Veröffentlichungen zum mittelalterlichen Antijudaismus cf. für unseren Zusammenhang nur die durchaus auch systematische Arbeit von F. Lotter, Hostienfrevelvorwurf und Blutwunderfälschung bei den Judenverfolgungen von 1298 und 1336–1338, in: Fälschungen im Mittelalter, vol. 5 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 33/5), Hannover 1988, 533– 583. Eine Konkretisierung bietet E. Marmursztejn, Du récit exemplaire au casus universitaire. Une variation théologique sur le thème de la profanation d’hosties par les juifs (1290), in: La rouelle et la croix. Destins des Juifs d’Occident, Médiévales 41 (2001), 37–64; J.-L. Schefer, L’hostie profanée. Histoire d’une fiction théologique, Paris 2007. P. Browe, Die Eucharistie als Zaubermittel im Mittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 30 (1930), 134–154. – Zum weiteren Kontext cf. die neuere philosophische Darstellung von W. Schmidt-Biggemann, Sakrament: Geheimnis, Magie, Kult und Recht, in: J. Eming e. a. (eds.), Der Begriff der Magie in Mittelalter und Früher Neuzeit, Wiesbaden 2020, 35–46. Einschlägige Quellen finden sich ausgewertet bei A. Franz, Die Messe im Deutschen Mittelalter. Beiträge zur Geschichte der Liturgie und des Religiösen Volkslebens, Freiburg im Breisgau 1902 [Nachdruck Bonn 2003], 21. 32. 510. 699 sq. 706. 771 sq. Thomas von Aquin, Summa theologiae, II-II, q. 167, a. 1, c., ed. Commissio Leonina (nt. 20), 346. Cf. ibid., III, q. 3, a. 8, c. ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 11), Rom 1903, 70.

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de Vernachlässigung des Liturgiegehaltes waren im hohen Mittelalter Gegenstand defensiver und offensiver Maßnahmen des kirchlichen Lehramtes und der theologischen Reflexion. Während nun die pragmatischen Quellen zu disziplinarischen Maßregelungen von Klerikern und auch die oberhirtlichen Verfügungen (e. g. in Synodalbeschlüssen), die sich der Thematik widmen, in großer Fülle vorliegen, sind die methodischen Aussagen über den Erwerb von Glaubenswissen und ‚Liturgiekompetenz‘ (Vollzug der ars liturgica bei den Klerikern, Frage der Liturgiepartizipation bei den Laienchristen) verhältnismäßig spärlich. Zu erörtern bliebe, ob sich die Beantwortung der genannten Fragestellungen, die sich auf Gehalt und Gestalt des Gottesdienstes beziehen, aus der Behandlung des Glaubenserwerbs, das heißt auf einer höheren Reflexionsebene, ergeben. Die große philosophische Frage nach Herkunft und Ausgestaltung von Erkenntnisgewinn muss sich auch die Welt des Glaubens stellen lassen. Ebenso abstrakt erscheint demgemäß die Vorstellung eines natürlichen und moralisch einwandfreien Verlangens des Menschen nach Wissen und dem hiervon unterscheidbaren Laster der Neugier (curiositas ) 66. Die Legitimierung wissenschaftlicher Reflexion im Sinne hochmittelalterlicher Theologie hat gewiss an beiden Ausprägungen Anteil, doch zeigen die Protagonisten Scheu, dies einzugestehen, da es als unvereinbar galt, Glaubensgut mit Hilfe eines Lasters zu erhalten und zu mehren. Ausgehend von den oben genannten Elementen einer Methode zur Erhebung der Artikulation von cura und curiositas wären die Werke unserer drei im Folgenden zu referierenden Protagonisten und ihre eigenen Entwürfe und Konzepte – die Antworten auf die präsumtiven Fragen – mit folgenden Prüfkategorien zu konfrontieren: – Im Zuge der Scholastik müsste der jeweilige Text eine generelle Offenheit für gleichrangige Interpretamente und für die Parallelität divergierender Konzeptionen äußern, wodurch ebenso ein Mindestmaß an selbstkritischer Reflexion erkennbar sein sollte. – Zu prüfen wäre ferner, ob die gegebenenfalls laienhaft formulierte Frage und die subjektiv geäußerte Emotion als Motiv des Wissens- und Kompetenzerwerbs anerkannt wird, i. e. ob der curiositas die Werte von Pluralität und Alterität zugestanden sowie das Problem kritisch einem locus theologicus zugeordnet werden soll. – Letztlich müsste die entsprechende Konzeption zur Problematik zeichenimmanenter und zeichenspezifischer Dynamiken Stellung beziehen, soweit solche (rituellen) Zeichen sich positiv auf die allgemeine Vermittlung von Glaubenswissen beziehen 67. 66

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Zu dieser Abhebung cf. einführend J. A. Aertsen, Thomas von Aquin. Alle Menschen verlangen von Natur nach Wissen, in: T. Kobusch (ed.), Philosophen des Mittelalters. Eine Einführung, Darmstadt 2000, 186–201. Hierzu allgemein für die Zeit der Hochscholastik cf. M. Fuchs, Zeichen und Wissen. Das Verhältnis der Zeichentheorie zur Theorie des Wissens und der Wissenschaften im 13. Jh. (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, Neue Folge 51), Münster 1999.

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(a) Als liturgiehistorisch besonders interessanter Zeitzeuge steht uns am Ende der Frühscholastik Innocenz III. vor Augen, der unter seinem Geburtsnamen Lothar von Segni einen Liturgietraktat verfasste und als Papst – neben dem oben schon herangezogenen Dokument ‚Cum ex iniuncto‘ – in seiner Epistola ‚Cum Marthae circa‘ auf aktuelle Fragen antwortete, die ihm wohl aus dem Blickwinkel eines Gottesdienstteilnehmers gestellt worden waren. Zudem ist der Ende des 12. Jahrhunderts verfasste Traktat ‚De missarum missae‘ für unsere Fragestellung aufschlussreich, da in dieser Messauslegung zunächst eine traditionelle Mischung von historischen und allegorischen Deutungen zu liturgischen Vollzügen vorgelegt wird. Die Messerklärung Lothars weist jedoch zwei weitere Merkmale auf: Zum einen stellt sie rhetorische Fragen, die als Zitate Außenstehender aufgefasst werden könnten, zum zweiten räumt der hochrangige Theologe ein, nicht alle Probleme lösen zu können. Einige Anfragen sind wohl dem klerikalen respektive dem katechetischen Umfeld zuzuschreiben, etwa nach der Anzahl der in der Messpräfation erwähnten Engelchöre: „Verum cum novem sint ordines angelorum, quare tribus exclusis, tantum sex in praefatione ponuntur?“ 68, i. e.: Beten die anderen nichterwähnten Engelgruppen die göttliche Majestät etwa nicht an? Eine weitere Anfrage mag sich auf die Kreuzzeichen gerichtet haben, welche nach Abschluss der Konsekration über die eucharistischen Gaben geschlagen werden und gemäß bloßer Ratio deshalb als überflüssig angesehen werden müssten 69. Hier äußert der Verfasser den Wunsch, dass er über dieses Problem eigentlich „lieber selbst belehrt werden möchte als zu lehren (vellem potius doceri quam docere )“ 70. Ähnlich argumentiert Lothar zur Frage, warum ein Papst Unterschiede bei der Kommunionausteilung an Diakon und Subdiakon mache: Hier halte er es für besser zu schweigen als unbesonnene Erklärungen abzugeben, bevor er nicht persönlich den Grund in einer authentischen Schrift habe finden können 71. Hinsichtlich der Frage, warum der Priester zur Lesung des Evangeliums auf die andere Altarseite wechsele, trägt der Verfasser zwei Meinungen vor und endet schließlich mit der Hoffnung, der „Hörer“ der Messe (prudens auditor ) möge selbst entscheiden, was die richtige Auffassung sei 72. Hier sind ebenfalls Anfragen sowohl aus theologischer Wissbegier als auch laienhafter Neugier denkbar. Das gleiche gilt für die Frage nach der zu differenzierenden Präsenz Christi in der konsekrierten Hostie im Vergleich zu seiner göttlichen Omnipräsenz in allen Dingen: Bezüglich solcher Spekulationen empfiehlt der (künftige) Papst, solche Fragen unberührt zu lassen, also über die Grenzen der Erörterung 68 69

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Innocenz III., De missarum mysteriis, 2, 62, ed. Fioramonti (nt. 6), 204 (Migne PL 217, 837C). Ibid., 5, 2, ed. Fioramonti (nt. 6), 344 (Migne PL 217, 887D); cf. hierzu das Referat zur Bandbreite möglicher Antworten bei R. Haungs, Die Kreuzzeichen nach der Wandlung im römischen Meßkanon, in: Benediktinische Monatsschrift 21 (1939), 249–261. Cf. Innocenz III., De missarum mysteriis, 5, 2, ed. Fioramonti (nt. 6), 344 (Migne PL 217, 887D–888A). Cf. ibid., 6, 9, ed. Fioramonti (nt. 6), 410 (Migne PL 217, 911C). Cf. ibid., 2, 35, ed. Fioramonti (nt. 6), 158 (Migne PL 217, 820 D). Ähnlich ibid., 4, 16 (Migne PL 217,868A)

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nicht hinwegschreiten (ultra rationem excedere ) und unter Hinweis auf Röm 12,3 „keinen Vorwitz üben zu wollen (non oportere nos in talibus curiosos existere )“ 73. Im Hinblick auf die Zeichentheorie beschränkt sich der Autor auf die Warnung, dass der Priester darauf achten möge, das Zeichen „nicht außerhalb der Bedeutungszuschreibung zu verwenden (ut signum sine significatio non ferat )“ 74. Gibt Kardinal Lothar am Ende seiner Liturgik zu, durch eingehende Anfragen bedrängt zu sein, 75 so wird diese Situation nach seiner Papstwahl in den Dekreten noch weiter handgreiflich. Genannt sei die in unserem Zusammenhang ergiebige, 1202 verfasste Epistola ‚Cum Marthae circa‘, die offensichtlich auf Anfragen sowohl aus dem Geiste von cura als auch curiositas antwortet und konkrete Fragen zum liturgischen Zeichenkosmos berührt; nur wenige Details seien hier angedeutet: Gefragt wird nach der Formulierung ‚mysterium fidei‘, mit welcher das Konsekrationsgebet der Messfeier abgeschlossen wird 76. Sie erweckte Anstoß, weil die Formulierung Teil des sogenannten ‚Einsetzungsberichtes‘ ist, welcher prima vista den Anschein evoziert, dem Bericht der synoptischen Evangelien zu entsprechen, faktisch aber vom Bibeltext abweicht. Das Problem der Zuordnung des mysterium-Begriffs erkennend, reagiert der Papst mit dem formalen Hinweis auf die Annahme weiterer Texte, die von den Evangelisten nicht überliefert worden sind. Eine andere Frage tangiert die Tatsache, dass dem eucharistischen Wein Wasser beigemischt wird, obwohl auch diese Tatsache dem biblischen Bericht über das Abschiedsmahl Jesu nicht zu entnehmen ist. Dogmatisch stellt sich das Problem, ob in gleichem Maße – also dem Wein gleichgeordnet – jenes Wasser Gegenstand der Transsubstantiation sei. Der Papst erläutert die Vielfalt der Deutungsmöglichkeiten, entscheidet sich aber für die allegorische Gleichsetzung des Wassers mit der Flüssigkeit aus der Seitenwunde Jesu (Joh 19,34) 77. Die Beispiele zeigen, dass die Motivation und Intention des Fragestellers nicht leicht zu eruieren sind. Die Epistola ‚Cum Marthae circa‘ erscheint überdies von Wert wegen ihres Beitrags zur hochmittelalterlichen figura-Lehre, wobei Innocenz in der Folge den Hierarchienkommentar Hugos von Sankt-Viktor wörtlich zitiert, das heißt figura und veritas gegenüberstellt respektive als gleichzeitige Erscheinungen zulässt 78. In unserem Zusammenhang wird hier eine zentrale Stelle für die liturgie- und sakramententheologische Differenzierung angesprochen, die sowohl cura als auch curiositas affiziert. (b) Das bereits im Mittelalter stark verbreitete ‚Rationale‘ des Durandus von Mende ist auch in der modernen Liturgiegeschichtsforschung stets gern wegen 73 74 75 76

77 78

Cf. ibid., 4, 8, ed. Fioramonti (nt. 6), 268 (Migne PL 217, 861C). Cf. ibid., 1, 64, ed. Fioramonti (nt. 6), 100 (Migne PL 217, 799B). Cf. ibid., conclusio, ed. Fioramonti (nt. 6), 418 (Migne PL 217, 913D–914CD). Cf. Papst Innocenz III., Epistola ‚Cum Marthae circa‘, ed. O. Hageneder, Die Register Innocenz III., vol. 5, Wien 1993, Nr. 120/121, 234–239, hier 234–237. – Zu Einzelheiten der Epistola cf. C. Egger, Papst Innocenz III. als Theologe. Beiträge zur Kenntnis seines Denkens im Rahmen der Frühscholastik, in: Archivum historiae pontificae 30 (1992), 55–123, hier 65–99. Cf. Papst Innocenz III., Epistola ‚Cum Marthae circa‘, ed. Hageneder (nt. 76), 237 sq. Ibid., ed. Hageneder (nt. 76), 236.

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seines Materialreichtums herangezogen worden. Es ist indes evident, dass das Hauptverdienst des Autors in der Sammlung und Systematisierung der kanonistischen und liturgiebezogenen Traktatliteratur besteht, welche oft über lange Passagen hinweg wörtlich zitiert wird. Durch diese Vorgehensweise wird hingenommen, dass gegen Ende des 13. Jahrhunderts noch allegorische Deutungen transportiert werden, deren Methodik Durandus explizit anerkennt 79. Ohne hier auch nur andeutungsweise eine Gesamtwürdigung des juristisch geschulten Bischofs von Mende und seiner Materialsammlung vornehmen zu können, ist offensichtlich, dass in dieser Liturgik keine einheitliche Lehrmeinung vertreten werden soll. Zu vielen ritusbezogenen Fragen werden mehrere Deutungsmöglichkeiten angeboten, sodass die im Prolog angesprochenen klerikalen Adressaten bei ihrer Vermittlungstätigkeit auswählen sollten respektive mussten 80 – vielleicht ist diese Intention der Schlüssel zur Interpretation der Miniaturmalereien in den ‚Rationale‘-Handschriften zu Beginn des fünften Buches? 81 Mit diesem Auftrag an das Lehramt (und die akademische Lehre) war der Wert des Werks als Dokument einer ‚Gottesdienstreform‘ freilich eingeschränkt 82, andererseits gilt es anzuerkennen, dass von ihm in zweierlei Hinsicht innovative Impulse ausgingen, nämlich durch die Einbeziehung bislang nicht diskutierter örtlicher und divergierender Sonderriten 83 und durch die extensive Einbeziehung des seinerzeit ‚modernen‘ Kirchenrechts in den liturgietheologischen Diskurs 84. Der letztgenannte Aspekt betrifft auch die Zeichentheorie, die Durandus an intrinsisch schlüssiger Stelle mit der Besprechung des Messkanons vorlegt 85, obwohl man sie aus systematischer Sicht im allgemeinen Teil des ‚Rationale‘ erwartet hätte. Die Ausführungen und die Charakterisierung des sacramentum-Begriffs bedürfen noch der hier nicht zu leistenden Untersuchung, doch ist der Versuch einer sakramententheologischen Einordnung der Thematik als bemerkenswert zu bezeichnen. Damit wird dem breiten quantitativen Fundament in der Tat qualitatives Material hinzugefügt, um möglichst viele Anfragen zu Liturgiegestalt und Liturgiegehalt beantworten zu können – möglicherweise solche durch cura und curiositas geprägte Fragen, die sich auf solche ‚Neuigkeiten‘ bezogen. 79

80 81 82

83 84 85

Cf. Durandus von Mende, Rationale, Prologus, 9–10, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 6 sq. Cf. hierzu A. Ypenga, De allegorische uitleg van de liturgie en zijn legitimatie. Amalarius von Metz, Hugo von St.-Victor en Durandus van Mende, in: Jaarboek voor liturgie-onderzoek 16 (2000), 259–295. Cf. Durandus von Mende, Rationale, Prologus, 3, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 4. Cf. P. Nourrigeon, De la translatio à la création. Les images dans les manuscrits du Rational des divins offices, Paris 2018, 153–168. Anders hingegen P. Maier, Reform des Gottesdienstes durch Durandus von Mende, in: M. Klöckener e. a. (eds.), Liturgiereformen. Historische Studien zu einem bleibenden Grundzug des christlichen Gottesdienstes, vol. 1, Münster 2002, 346–362. Cf. Durandus von Mende, Rationale, Prologus, 13–15, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 8 sqq. Cf. T. M. Thibodeau, Canon Law and liturgical exposition in Durand’s ‚Rationale‘, in: Bulletin of Medieval Canon Law 22 (1998), 41–52. Cf. Durandus von Mende, Rationale, 4, 42, 20–28, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 473–477.

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Entsprechend unseren oben aufgeführten Prüfkriterien muss noch erörtert werden, wie die (rhetorischen) Fragen innerhalb des Durandus-Textes zu beurteilen sind. In der Tat findet sich dieses Stilmittel gelegentlich, und zwar auf unterschiedlichem Niveau: Neben eher einfachen Fragen zum liturgischen Kalender – etwa, warum das Fest der Unschuldigen Kinder entgegen der biblischen Chronologie vor dem Epiphaniefest gefeiert werde, obwohl Herodes den Tötungsbefehl doch erst nach dem Magierbesuch erteilen konnte 86 – und schlichten Anfragen zur Messliturgie – etwa, warum der Subdiakon anstatt des Diakons die erste Lesung in der Messe vortrage 87 – lesen wir Fragen zur rituellen Praxis, etwa warum die Kantillation der Lesung mit absteigendem Ton beendet werde, der Evangelienvortrag hingegen mit aufsteigendem 88. Auffällig ist, dass das Kapitel zum Konsekrationsgebet ungewöhnlich viele Fragen enthält 89, die jedoch bereits eine stärker reflektierende Haltung voraussetzen. Zudem kann unterschieden werden, dass Durandus einige Fragen aus literarischen Gründen einsetzt, andere aber wohl schlicht kolportiert, etwa mit der Redewendung „Gefragt wird auch… (queritur etiam… )“ 90. Die Fragerichtungen weisen hinsichtlich ihres Niveaus gewiss unterschiedliche Motivationen aus, sodass eine vordergründige Neugier nicht in jedem Falle unterstellt werden kann. Interessant ist, dass Durandus unter den Dubia solche Themen aufgreift, bei denen die kirchliche Liturgietheologie die biblischen Archetypen interpretiert oder sogar modifiziert: Genannt seien nur die Fragen nach den Ungesäuerten Broten der Eucharistie und des in Laienkreisen hart empfundenen Gebots zur Nüchternheit vor dem Kommunionempfang 91. Abweichend von der biblischen Schilderung des Abschiedsmahles Jesu, wonach der eucharistische Ritus postea quam coenatum est erfolgte, verbietet Durandus im Gefolge des Lehramtes (und des Papstes Innocenz III.), dass man erst nach einer Mahlzeit dieses Sakrament empfangen soll 92. Gerade die theologiegeschichtlich bezeugten Modifikationen und Traditionsbrüche haben derartige Fragen provoziert. (c) Als dritten und jüngsten Gewährsmann gilt es, Thomas von Aquin als die wohl höchste theologische Autorität der Hochscholastik heranzuziehen, allerdings hier – schon deshalb naheliegend, weil der Aquinate keinen eigenständigen Traktat zur allgemeinen Theorie der Semiotik verfasste – bewusst fokussiert auf seine Aussagen zum liturgischen Zeichenkosmos. Aber auch bezüglich der 86 87 88 89 90 91

92

Cf. ibid., 7, 1, 40, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 27. Cf. ibid., 2, 8, 4, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 156. Cf. ibid., 4, 16, 11, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 322. Cf. ibid., 4, 41, 11. 13. 31. 34. 38. 41. 44–50, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 444. 445. 450. 451. 454. 455. 457–461. Ibid., 4, 41, 46, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 458. Cf. ibid., 4, 41, 9–11, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 443 sq. – Zum Kontext dieser Problematik cf. H. P. Neuheuser, Tradition als Transformation. Zur Modifikation ritueller Archetypen in der mittelalterlichen Theologie, in: Freiburger Zeitschrift für Philosophie und Theologie (2021) 467– 489. Cf. ibid., 4, 42, 2, edd. Davril/Thibodeau (nt. 49), 464,53 sq.

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Gottesdienstthematik pflegt Thomas einen weiten Blick, thematisiert eher das hier nicht primär interessierende individuell-private Andachtsverhalten 93 und begrenzt rituelle Zeichenhandlungen auf die forma der sakramententheologischen Aspekte 94, während er genuinen Fragen zur Liturgietheologie insgesamt keinen expliziten Raum gewährt 95. Um diese ‚Schnittstellen‘ zwischen den genannten Bereichen schärfer herauszuarbeiten, soll unser Einstieg in das komplexe thomanische Denken mit einer Stelle der ‚Summa contra gentiles‘ beginnen: Im Liber tertius findet sich die zunächst noch offene Feststellung darüber, dass der göttliche Heilsplan es durchaus vorsieht, das postlapsale „Streben des Menschen auf das Göttliche“ durch den Gebrauch sinnenhafter Dinge zu erleichtern 96. Immerhin ist hierdurch Beides, das natürliche Streben selbst (hominis intentio ) sowie die Notwendigkeit der Gottesverehrung 97 einerseits und der Gebrauch der materiellen Dinge andererseits, grundsätzlich gerechtfertigt 98. Zu diesen hilfreichen Elementen zählt Thomas nun ausdrücklich die rituelle Gebärdensprache von Verneigungen (prostrationes ), Kniebeugen (genuflexiones ), lauten Rufen (vocales clamores ) und Gesängen (cantus ). Näher eingeschränkt werden diese Aussagen durch die nachstehenden Feststellungen, wonach solche Handlungen als ‚cultus Dei‘, und dieser als ‚religio‘, jene als ‚pietas‘ bezeichnet werden. Auch in den folgenden Kapiteln ist nicht erkennbar, dass Thomas in seiner ‚Summa contra gentiles‘ eine andere als eine latreutische Auffassung von Gottesdienst und Gottesanbetung verfolgt, welche die Praxis äußerer Handlungen (exteriores actus ) sowie des Vollzugs des Opfers (sacrificium ) und die Handhabung von Bildern (imagines ) einschließt 99. An anderer, allerdings systematisch entfernter Stelle wird deutlich, wie Thomas im Hinblick auf die sacramenta ecclesiae an diese Lehre anschließt, indem er sagt, dass „derartige Heilmittel [!] in Verbindung mit bestimmten sichtbaren Zeichen überliefert werden mussten“ 100. In der Tat folgt nach dieser Ein93 94 95 96

97 98 99 100

Cf. hierzu J. Otter, Adoratio. Theologie der Anbetung in der Scholastik des 13. Jahrhunderts, Münster 2020, zu Thomas insbesondere 316–374. Cf. Fuchs, Zeichen und Wissen (nt. 67), 168–176. Cf. allgemein einführend L. G. Walsh, Liturgy in the theology of St. Thomas, in: The Thomist 38 (1974), 557–583, 559: „St. Thomas did not write a theology of the liturgy“. Das Folgende nach Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, III, 119, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 14), Rom 1926, 370 sq. (Übersetzung: Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, Dritter Band, Teil 2, Buch III, Kapitel 84–163, ed. K. Allgaier, Darmstadt 1996, 178 sqq.). Cf. id., Summa theologiae, III, q. 60, a. 5, ad 3, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 12), Rom 1906, 8: „solo interiori instinctu movebantur ad Deum colendum“. Cf. Aertsen, Thomas von Aquin (nt. 66). Cf. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, III, 120, ed. Commissio Leonina (nt. 96), 372– 376 (ed. Allgaier [nt. 96], 182–192). Ibid., IV, 56, ed. Commissio Leonina (Opera Omina 15), Rom 1930, 189 sq.: „huiusmodi autem remedia oportuit cum aliquibus visibilibus signis tradi“ (Übersetzung: Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, Vierter Band, Buch IV, ed. M. H. Wörner, Darmstadt 1996, 381 sqq.). Cf. auch ibid., IV, 61, ed. Commissio Leonina, 198: „spirituales effectus sub similitudine visibilium congruum fuit“ (ed. Wörner, 393); ibid., IV, 74, ed. Commissio Leonina, 238: „aliquid spirituale sub signo corporali traditur.“ (ed. Wörner, 452).

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führung in nuce eine relativ kurze Darstellung der Sakramententheologie, welche sowohl die dogmatischen als auch die rituellen Anteile berücksichtigt. Hier findet sich auch schon früh das bekannte Diktum, dass die „Sakramente bewirken, was sie bezeichnen (sacramenta efficiunt quod figurant )“ 101, da Instrumente stets im rechten Verhältnis zur Erstursache stehen müssen 102. In unserem Zusammenhang bedeutet dies, dass die cura zwingend auf beide Aspekte gerichtet werden muss und wegen ihres natürlichen, ja indispensablen Interesses an der forma nicht als ‚Äußerlichkeit‘ desavouiert werden darf. Im Umkehrschluss wird deutlich, dass jene ‚Äußerlichkeit‘ Gegenstand einer curiositas werden kann und zum Überstieg in die zentrale Wirksamkeit (efficacitas ) der Gnade zu verhelfen vermag. Die Überleitung unserer Thematik auf die ‚Summa theologiae‘ fällt von diesem Punkt der Argumentation nicht schwer, da dieses Werk wie kaum ein anderes unsere Prüfmerkmale erfüllt. Demnach ist das erste Kriterium – die Ausbreitung paralleler Präsentationen von Aussagen zu Gotteserkenntnis und Gottesdienst – der scholastischen Methode immanent, und damit auch die Selbstverpflichtung zur kritischen Bearbeitung aller Positionen der aufgestellten Systematik. Des Weiteren kommen vor allem in der Entfaltung des Artikels und in der sed-contraArgumentation Vorstellungen zu Wort, die sogar häretischer Provenienz, erst recht aber laienhaften und schülerhaften Fragen unterschiedlicher Motivation entsprungen sein könnten und deren Ausbreitung Thomas nicht zuletzt aus seiner Erfahrung mit akademischen Quästionensammlungen vertraut war 103. Im Folgenden werden nun liturgiebezogene Auffälligkeiten sehr unterschiedlichen Gewichts vorgetragen: Unter anderem werden aufgeführt die (angebliche ‚Unschicklichkeit‘ der) Händewaschung im Lateinischen Ritus und der (unpassende) Gebrauch des Weihrauchs als Nachahmung von Übungen aus der Jüdischen Bibel, die (unangebrachte) Wiederholung von Segnungen (crucesignationes ), die (übertriebene) Form gewisser sazerdotaler Gebärden überhaupt, die (ungehörige) Aufbewahrung überzählig geweihter Hostien, die (unsinnige) Grußformel im Plural, wenn nur eine einzelne Person anwesend ist, etc. Natürlich bleibt Thomas in keinem Falle eine Antwort schuldig, ja legt speziell zur Frage der vielen Kreuzzeichen einen ganzen Traktat vor, obwohl im Einzelfall offenbleiben muss, ob die jeweilige Artikulation von Auffälligkeiten der cura oder der curiositas entsprang. Die Gegenargumentation zur Hostienaufbewahrung erscheint mit dem Hinweis auf Ex 12, 10 und die Wahrheit-Abbild-Relation (veritas debet respondere figurae ) 101

102 103

Cf. ibid., IV, 78, ed. Commissio Leonina (nt. 100), 246 sqq. (zum Ehesakrament) (Übersetzung ed. Wörner [nt. 100], 467–475). Cf. auch ibid., IV, 59, ed. Commissio Leonina (nt. 100), 194 sq. (zum Taufsakrament) (Übersetzung ed. Wörner, 388 sqq.). Zu dieser Formel eingehend J. Fr. Gallagher, Significando causant. A study of sacramental efficiency, Fribourg 1965. – Zum Problem der sakramentalen Wirksamkeit cf. I. Rosier-Catach, La parole efficace. Signe, rituel, sacré, Paris 2004. Cf. Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, IV, 56, secundo, ed. Commissio Leonina (nt. 100), 189 (ed. Wörner [nt. 100], 382 sq.). Cf. die Kurzcharakterisierung bei J.-P. Torrell, Magister Thomas. Leben und Werk des Thomas von Aquin, Freiburg im Breisgau 1995, 348–351.

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derart elaboriert, dass ihr wohl eine (externe) theologische Reflexion zugrunde lag. Die Tatsache, dass sich die reflektierende Dogmatik überhaupt mit den entsprechenden Vorwürfen eines vorgeblich inadäquaten Ritus auseinandersetzt, wertet aber die Haltung der curiositas nicht etwa auf, sondern deutet an, dass sie in jedem Falle selbst unangebracht ist. Im Hinblick auf die rudimentäre Zeichentheorie des Aquinaten 104 sind wir im Wesentlichen auf die Quästionen 60 bis 64 des dritten Teils der ‚Summa theologiae‘ verwiesen 105. Dies bezeichnet insoweit ein gewisses Defizit, da hierdurch erkennbar wird, dass Thomas zwar ein luzides System an Aussagen zur Thematik entwirft, jedoch stets vom Zeichen als einer forma sacramenti ausgeht, mithin wenig Interesse an einer von der Dogmatik distinkten Liturgik zeigt – wobei es offenbleiben muss, welche diesbezüglichen Aussagen sich in einer vollendeten ‚Tertia‘ gefunden hätten, insbesondere was die Arbitrarität des (nonverbalen) Zeichens anbelangt 106. Die gewisse Reserve gegenüber ‚feierlichen‘ Vollzügen 107 bedürfte noch der Untersuchung. Die Problematik wird etwa deutlich dann, wenn Riten konkret angesprochen und gleichwohl aus dem Kanon der Sakramente ausgeschieden werden; genannt seien die Besprengung mit Weihwasser und die Weihe eines Altars, wodurch erwiesen werde, dass nicht jedes Zeichen einer heiligen Sache ein Sakrament sei, sondern nur das, was der menschlichen Vervollkommnung dient 108. Die konvergierende Materialität der sakramentalen Zeichen bleibt in dieser Diskussion jedoch akzeptiert und am Beispiel des Wassergebrauchs bei der Taufe hinsichtlich des physischen sowie spirituellen Reinigungseffekts erläutert 109. Probleme und Auffälligkeiten bei der liturgiepraktischen Handhabung der materiellen Zeichen sieht Thomas nicht, da die Gegenstände nach seiner Auffassung zur Hand seien oder leicht beschafft werden könnten 110; dennoch kann man eine gewisse Sensibilität für Unsicherheiten erkennen: Thomas ist sich des Wandels (resp. Neuentwurfs) der Sakramententheologie bewusst, denn zum einen spricht er von Sakramenten „in dem Sinne, wie wir jetzt [!] von Sakramenten sprechen“ 111, zum anderen räumt er die Zeitgebundenheit von Worten und Dingen bei der Sakramentenverwaltung 104

105

106 107 108 109 110 111

Zu den umfassenderen Zusammenhängen cf. D. Bourgeois, Être et signifier. Structure de la sacramentalité comme signification chez Augustin et Thomas d’Aquin, Paris 2016. – Cf. bereits Fuchs, Zeichen und Wissen (nt. 67), vor allem 145–238. Cf. hierzu einführend K. Hedwig, Efficiunt quod figurant. Die Sakramente im Kontext von Natur, Zeichen und Heil (S. Th. III, qq. 60–65 und q. 75), in: A. Speer (ed.), Thomas von Aquin. Die Summa theologiae. Werkinterpretationen, Berlin 2005, 401–425. – Zu diesen Quästionen cf. auch Bourgeois, Être et signifier (nt. 104), 412–441. Cf. Thomas von Aquin, Summa theologiae, III, q. 60, a. 3, ad 1, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 6: „significat multa“; ibid., q. 60, a. 5, ad 1 (nt. 97), 8: „possit per diversa signa significari“. Cf. etwa ibid., III, q. 64, a. 2, ad 1 und q. 66, a. 3, ad 5, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 43: „ad quandam solemnitatem“. 66: „pertinet ad quandam solemnitatem“. Ibid., q. 60, a. 2, ad 3, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 5. Ibid., q. 60, a. 6, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 8 sqq.; q. 60, a. 7, ad 2 (nt. 97), 10. Ibid., q. 60, a. 5, ad 3, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 8. Cf. etwa ibid., q. 60, a. 1, ad 3, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 4.: „nunc loquimur de sacramentis“.

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ein 112. Lediglich bei der Behandlung der begleitenden Worte werden mögliche Fehler eingeräumt 113, obwohl erfahrungsgemäß nicht nur tradierte, sondern auch neue rituelle Ausdrucksweisen zu einer gesteigerten Aufmerksamkeit, gegebenenfalls zu cura und curositas führen können; dies merkt Thomas im Kontext der Infusionstaufe anstelle der Immersionstaufe an, worunter auch die Zeichenhaftigkeit des Ritus – das Untertauchen nach Röm 6, 4 als Zeichen des MitChristus-Begraben-Werdens – leide. Die besondere Betonung des vereindeutigenden Wortgebrauchs in der Sakramentenhandlung, ja die Überordnung des Wortes über die (nonverbalen) Zeichen sowie die „Formbarkeit des Wortes“ 114, das heißt auch die Anpassungsfähigkeit an das Aufnahmevermögen der Rezipienten, sollen dem Missverstehen des Ritus und damit der liturgiebezogenen curiositas vorbeugen. Grenzen dieser Vorgangsbeschreibung sieht Thomas freilich darin, dass der rituelle Akteur gegen die Autorität der liturgischen Textformulare verstößt und die Erwartungen der Zeichendeutung – und der cura – faktisch nicht mehr erfüllt werden können 115. IV. Die instr umenta zur Befriedung von cura und curiositas im Liturgiekontext – die Symbiose Im voraufgehenden Kapitel haben wir insbesondere versucht, von den Antworten unserer drei theologischen Protagonisten auf die zwischen cura und curiositas oszillierenden Fragen rückzuschließen, da die Artikulationen von Anfragen in den seltensten Fällen in authentischer Form vorliegen. Als Ziel beider Motivationen war einerseits die Gotteserkenntnis und andererseits die Aneignung der ars liturgica, modern gesprochen: der Erwerb einer partizipativen Liturgiekompetenz, auszumachen 116. Abschließend sei der Blick noch einmal auf das Begriffspaar in seiner symbiotischen Erscheinungsform gerichtet. Die Konstituierung einer bipolaren Begrifflichkeit erschien legitim, da sich die curiositas als eine forcierte Artikulationsweise sprachgeschichtlich aus der sehr umfassenden cura heraus entwickelte, während die thomanische Opposition der studiositas in der Regel auf einen bloßen Erwerb von Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten reduziert wird. Die Auffassung des Aquinaten selbst, dass alle Menschen über Glaubenswissen verfügen sollten 117, zeigt, dass ein übergeordnetes (gegebenenfalls ekkle112 113 114 115 116

117

Cf. etwa ibid., q. 60, a. 5, ad 3, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 8. Ibid., q. 60, a. 7–8, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 10–13. Ibid., q. 60, a. 6, resp., ed. Commissio Leonina (nt. 97), 9: „verba diversimode formari possunt“. Ibid., q. 60, a. 8, ed. Commissio Leonina (nt. 97), 12 sq. sowie q. 64, a. 8, ad 1 (nt. 97), 52 und nachfolgender Kontext. Cf. die religionswissenschaftliche Erörterung bei B. Gladigow, Erwerb religiöser Kompetenz. Kult und Öffentlichkeit in den klassischen Religionen, in: G. Binder (ed.), Religiöse Kommunikation. Formen und Praxis vor der Neuzeit, Trier 1997, 103–118. Thomas von Aquin, Summa theologiae I-II, q. 76, 2, ed. Commissio Leonina (Opera Omnia 7), Rom 1892, 53 sq.

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siales) Interesse an der Schaffung entsprechender Vermittlungsinstrumente supponiert werden muss. Umgekehrt wäre zu fragen, ob denn ein Un-Wissen respektive eine mangelnde Intention zum Heil und zur göttlichen Teilhabe führen würde, die nach Paulus durch die „Teilhabe am Tisch des Herrn“ (1 Kor 10,21) und „Teilhabe am Leib Christi“ (1 Kor 10,16 und 11,29), also wesentlich liturgisch, vermittelt wird. Dies wirft die Frage auf, welche Anteile an liturgiebezogener Mystagogik und dogmatikbezogener Katechese in der Zeit der Hochscholastik und ihrer Methode des systematischen Zweifels vorausgesetzt werden können 118. Die Einforderung der spirituellen und ästhetischen instrumenta ist obligatorisches Anliegen der Seelsorge, der cura animarum; ihre Einlieferung wird von den Mitgliedern der Gemeinden erbeten und von den vorgesetzten Instanzen überwacht. Es verwundert daher nicht, wenn bei den Pfarrvisitationen das gleiche Element vom Visitator im Rahmen der cura in einem zugewandten Sinne geprüft und der Vertreter des Laienkreises wegen Äußerung desselben Anliegens, etwa wegen curiositas, desavouiert wird. Betrachtet man die Kataloge der Sendfragen kritisch, so ließe sich bei fast allen Punkten auch das Vorliegen einer unlauteren Absicht konstruieren – hier nur ein Beispiel zur Prävention gegen Hostienfrevel: So lässt Regino von Prüm zum Beispiel erkunden, wie der Priester mit den in Überzahl konsekrierten Hostien verfährt 119. Die Antwort bezieht sich bei einem Kleriker auf die rituelle ‚Nachsorge‘ der Eucharistie (Deponierung respektive Sumption der überzähligen Hostien), bei einem Vertreter des Laienkreises (als einem tendenziell böswilligen Beobachter der Überzahl) hingegen auf die Vorbereitung eines anschließenden Hostienmissbrauchs. Die Nutzung von ‚Negativkatalogen‘, die von Missverständnissen und Irritationen ausgehen, um die reziproke Artikulation von curiositas zu antizipieren, war bereits in augustinischer Zeit in Bezug auf unklare Bibeltexte erprobt worden: Im Grunde besteht Augustins Werk ‚De doctrina christiana‘ im Hinblick auf die kognitive Aneignung der Heiligen Schrift im Wesentlichen aus Ansatzpunkten von curiositas 120. Bezüglich des liturgischen Zeichenkosmos wird dann jedoch über das glaubenskonforme Nicht-Verstehen oder Nicht-Wissen hinaus das Feld der heterodoxen Praxis mit esoterischen Intentionen aller Art beschritten 121. 118

119 120 121

Cf. W. J. Hoye, Zweifel und Staunen als pädagogisch-katechetische Prinzipien in der dogmatischen Theologie des Mittelalters, in: F. P. Tebartz van Elst (ed.), Katechese im Umbruch. Positionen und Perspektiven, Freiburg im Breisgau 1998, 173–187. – Cf. auch den Ansatz bei Perler (nt. 39). Cf. Regino von Prüm, Libri duo, 1, 67, ed. Wasserschleben (nt. 25), 24. Cf. Augustinus, De doctrina christiana, ed. J. Martin (Corpus Christianorum Series Latina 32), Turnhout 1962, 1–167. Forscherdrang in Bezug auf liturgische Zeichen ist ebenso nachweisbar in den hier nicht behandelten Gebieten der Parodie, der Magie, der Astrologie, der Okkultik, der Prognostik und des sonstigen Aberglaubens. Lediglich exemplarisch sei auf folgende neuere und mit Bibliographien versehenen Publikationen hingewiesen: K. Herbers, Prognostik und Zukunft im Mittelalter, Stuttgart 2019; P. Dinzelbacher, Vision und Magie. Religiöses Erleben im Mittelalter, Paderborn 2019; W. Schmidt-Biggemann, Sakrament (nt. 62). Zu den oszillierenden ‚Wissensgebieten‘ und Unterscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf die mirabilia cf. J. le Goff, Le merveilleux scientifi-

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Eine erste Grunderkenntnis unserer Untersuchung zeigt, dass die wertende Beurteilung von Äußerungen der curiositas im Kontext von Gotteserkenntnis und Gottesdienstpartizipation von der je eingenommenen Perspektive abhängt, i. e. von einer eher abwehrenden Position der kirchlichen Glaubenslehre und akademisch-theologischen Reflexion oder von einer ‚emanzipatorisch-annähernden‘ Position vonseiten der artikulierenden, gegebenenfalls dem Laienstand, jedenfalls nicht dem Kreis der ‚Ritenexperten‘ zugehörenden Personen: Modern gesprochen könnte man einen appropriativen Zugriff auf ein kulturhistorischökonomisch interpretierbares ‚Angebots- und Nachfrageszenario‘ in einer Aneignungssituation annehmen 122. Die Forschung hat hierbei zudem stärker zu berücksichtigen, dass der kirchenrechtliche Laienstatus und die fehlende Liturgiekompetenz nicht kongruent sind 123. Der wahrheitswidrige Unwissenheitstopos ist ebenso bei Laien wie bei asketisch gesonnenen Klerikern eine Attitüde 124. Im Bereich der Liturgie verfügen auch nichtklerikale Religiosen einschließlich der weiblichen Ordensangehörigen allein aufgrund des „desire for god“ oft über eine jahre- und jahrzehntelange Erfahrung mit dem rituellen Zeichenkosmos durch unmittelbares Erleben, aber auch aufgrund der angebotenen spirituellen und ästhetischen Vermittlungsinstrumente 125. Zwar mag die Äbtissin Hildegard von Bingen als „Lehrerin des Liturgierechts“ eine Ausnahmeerscheinung darstellen 126, doch erscheint es unangemessen, die rituelle Kompetenz der Ordensleute pauschal und lediglich anhand der Kenntnisse nur weniger (lateinischer) Vokabeln zu bewerten 127. Aber auch außerhalb des Religiosentums eigneten sich

122 123 124 125

126

127

que au moyen âge, in: J.-F. Bergier (ed.), Zwischen Wahn, Glaube und Wissenschaft. Magie, Astrologie, Alchemie und Wissenschaftsgeschichte, Zürich 1998, 87–113. Cf. die Deutung bei dem Historiker W. Frijhoff, Toeëigening. Van bezitsdrang naar betekenisgeving, in: Trajecta 6 (1997) 99–118. Cf. die einschlägigen Beiträge in N. Kruppa (ed.), Kloster und Bildung im Mittelalter, Göttingen 2006. Cf. O. Schmucki, Ignorans sum et idiota. Das Ausmaß der schulischen Bildung des hl. Franziskus von Assisi, in: I. Vázquez (ed.), Studia historico-ecclesiastica, Rom 1977, 283–310. Cf. S. Boyton, Training for the liturgy as a form of monastic education, in: G. Ferzoco e. a. (eds.), Medieval monastic education, London 2000, 7–20; J. Hamburger, Art, Enclosure and the Pastoral Care of Nuns, in: Id. (ed.), The Visual and the Visionary. Art and Female Spirituality, New York 1998, 35–109; M. Long, Condiscipuli sumus. The roots of horizontal learning in monastic cultures, in: Id. e. a. (eds.), Horizontal learning in the high middle ages. Peer-to-Peer Knowledge transfer in religious communities, Amsterdam 2019, 47–63. – Cf. früher J. Leclercq, The love of learning and the desire for God. A study of monastic culture, New York 1961. Cf. den Eucharistietraktat bei Hildegard von Bingen, Sci vias, 2, 6, edd. A. Führkötter/A. Carlevaris (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 43), Turnhout 1978, 225–306. – H. P. Neuheuser, Hildegard von Bingen als Lehrerin des Liturgierechts. Zum Spannungsverhältnis von Visionsverschriftlichungen und normativen Aussagen im hohen Mittelalter, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung 132 (2015), 150–176. Zum liturgiebezogenen Bildungsstand der nichtklerikalen Ordensangehörigen cf. K. Schreiner, Laienbildung als Herausforderung für Kirche und Gesellschaft. Religiöse Vorbehalte und soziale Widerstände gegen die Verbreitung von Wissen im späten Mittelalter und in der Reformation, in: Zeitschrift für Historische Forschung 11 (1984), 257–354, besonders 332–338. – Cf. Boynton, Training for the liturgy (nt. 125).

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Laien aufgrund ihrer routinehaften Partizipation an liturgischen Vollzügen vorreflexiv verfügte Kenntnisse an, deren Defizienz sowohl studiositas als auch curiositas auslösen können. Yves Congar hat daher zu Recht auf den Status „kulturell hochstehender Laien (laïcs cultivés)“ hingewiesen, welcher nicht erst durch den Habitus als Angehörige der gebildeten Aristokraten, Juristen, Händler und Mediziner etc. nachgewiesen werden muss 128. Wie das Beispiel des um 1300 verfassten Textes des ‚Renner‘ zeigt, waren Laien andererseits sehr wohl bereit, bestimmte Themenbereiche – hier die Auslegung der Beichte – den Klerikern und Mönchen zu überlassen 129. Die zweite Grunderkenntnis bezieht sich auf die Situation hochmittelalterlicher Quellen, die im Hinblick auf die Äußerung von curiositas kaum einmal von Authentizität geprägt sind, sondern in der Regel von aufbereiteten Kolportagen Dritter und nicht immer von Augenzeugen. Überdies würde man bei der noch zu leistenden Sichtung einschlägiger Geschichtszeugnisse des genannten Zeitraums eine gänzlich neue Analysemethodik entwickeln müssen, die sich von neuzeitlichen Texten ähnlicher Art zu unterscheiden hätte. Die dritte Grunderkenntnis führt vor Augen, dass und wie der semiotische Ritenkosmos als hilfreich intendierte Unterstützungsmaßnahme die Differenzerfahrung von Zeichen und Bezeichnetem – gegebenenfalls unproduktiv – zu steigern in der Lage ist und die Artikulation von curiositas faktisch fördert. Diese drei vorstehenden Grunderkenntnisse haben in der vorliegenden Untersuchung zur Anwendung spezifischer Methoden geführt: – Verwendung einer dualen Begriffskombination von unangefochtener cura und inkriminierter curiositas – Auffassung der differenzierten Artikulation von cura und curiositas als Anfrage an die Theologie und die liturgische Zeichensprache ihrer Zeit, auch wenn die Wortwahl nicht in grammatischer Interrogativform oder die Zeichen lediglich gestisch oder mimisch vorgetragen wurden – Entwicklung von Prüfkriterien an Werken von drei ausgewählten Protagonisten, um aus ihren Antworten auf gegebenenfalls unzulänglich formulierte Fragen rückschließen zu können. Im Rückblick scheint sich eine Phalanx weiterer Forschungsfragen zu öffnen: – Verstärkte Einbeziehung mentalitätsgeschichtlicher, kulturhistorischer und psychologischer Untersuchungen über die Wahrnehmung von liturgischen Vollzügen bei Klerikern und Laien im hohen Mittelalter 128

129

Cf. Congar, Clercs et laïcs (nt. 10), 315; J. W. Thompson, The Literacy of the Laity in the Middle Ages, New York 1960, sowie weiterhin umfassend Lagarde, La naissance (nt. 18); Cattaneo, La liturgia (nt. 15). Cf. T. Bulang, Zur Positionierung des Laien im Feld des Wissens. Bemerkungen zum ‚Renner‘ Hugos von Trimberg, in: M. Baisch e. a. (eds.), Neugier und Tabu. Regeln und Mythen des Wissens, Freiburg im Breisgau 2010, 153–178. – Cf. hierzu allgemein R. Zerfass, Der Streit um die Laienpredigt. Eine pastoralgeschichtliche Untersuchung zum Verständnis des Predigtamtes und zu seiner Entwicklung im 12. Jahrhundert, Freiburg im Breisgau e. a. 1974.

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– Bestimmung des Verhältnisses von Dogmatik und Liturgik in Bezug auf den Wandel des rituellen Zeichenbegriffs im Zeitalter der Hochscholastik – Beobachtung von Reaktionen bei universalkirchlich und teilkirchlich veranlassten Ritusänderungen sowie bei Änderungen ortsüblicher Bräuche – Erweiterung der Quellenlage auf weitere Textsorten und Themengebiete (wie nachstehend erörtert).

V. Quellen zur Erforschung der liturgiebezog enen Erscheinung en von cura und curiositas – die Gr undlag en Abschließend sollen die im voraufgehenden Kapitel angesprochenen Forschungsfragen zur Erkundung des je zeitgenössischen liturgiebezogenen Wissens und des Umgangs mit fehlendem Wissen wenigstens summarisch im Hinblick auf die zugrundeliegenden Quellengruppen angesprochen werden, und zwar gerade auch deshalb, weil die relevanten Texte unterschiedlichen und deshalb aufschlussreichen Intentionen entspringen. 1. Quellen zur Klerikerbildung und zur Begleitung der Liturgiepraxis Neben den theoretischen Reflexionen in der liturgie- und sakramententheologischen Traktatliteratur, aus welcher oben schon Beispiele herangezogen werden konnten, dienen kanonistische Texte der heutigen Forschung als Informationsgrundlage. Hierzu zählen auch die juristisch relevanten Synodenbeschlüsse und universal- sowie teilkirchlichen Anordnungen. Stärkeren Praxisbezug weisen die Primärquellen der liturgischen Bücher und ferner die Seelsorge-Manualien auf, die jeweils auf die paratextuellen Rubriken 130 und die Literaturgattung der Libri ordinarii 131 rekurrieren. Im fortschreitenden Mittelalter erhalten diese Instruktionen eine zunehmend didaktische Funktion, sodass wir dem ‚Liber ordinarius Hallensis‘ entnehmen, dass der Verfasser seine Darstellung durchaus an einen „halbgebildeten“ Klerikerkreis (semiliteratum ) richtete 132. Bei dieser Quelleninter130

131

132

Zu dieser Textsorte cf. H. P. Neuheuser, Sakralobjekt und Gebrauchsgegenstand. Instruierende Paratexte und Gestaltungselemente in liturgischen Büchern der Lateinischen Ritenfamilie, in: Id. (ed.), Liturgische Bücher in der Kulturgeschichte Europas (Bibliothek und Wissenschaft 51), Wiesbaden 2018, 7–48. Zum Kontext cf. N. Şenocak, Horizontal learning in medieval Italian canonries, in: M. Long e. a. (eds.), Horizontal learning (nt. 125), 217–233, speziell das Kapitel ‚The ordinal as a source for learning‘ (228–232). Cf. Liber ordinarius Hallensis, Bamberg, Bayer. Staatsbibliothek, Msc. Lit. 119, cf. hierzu M. Hamann, Atque quo nihil vel semiliteratum moraretur – und damit auch den Halbgebildeten nichts aufhalte. Die Erneuerung liturgischer Bücher durch Albrecht von Brandenburg im Lichte des Liber ordinarius Hallensis, in: C. Caspers/L. van Tongeren (eds.), Unitas in pluritate. Libri ordinarii als Quelle für die Kulturgeschichte, Münster 2015, 55–79.

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pretation ist stets die je geltende Auffassung des Klerikerbegriffs anzuwenden 133 und die Tatsache zu berücksichtigen, dass ein Theologie- respektive Universitätsstudium für Priesteramtskandidaten im Mittelalter nicht obligatorisch war. 134

2. Quellen zur Gestaltung des Verhältnisses zwischen Klerus und Laienwelt Gemeint sind hier Quellen, die einen konkreten Einblick in das kritische Verhältnis des Seelsorgeklerus zu den Angehörigen der Laienwelt gewähren 135. Es besteht insofern weiterhin ein Forschungsdesiderat in Bezug auf die ‚lebensweltliche‘ Liturgieroutine, innerhalb welcher ein (mehr oder weniger elaboriertes) Expertenwissen einerseits und die (mehr oder weniger fundierten) ästhetischen und spirituellen Ritenerfahrungen (sogenanntes ‚latentes Lernen‘) einander gegenüberstehen. Informationen hierüber gewähren folgende Quellensorten: – Fragenkataloge in Bußbüchern respektive Bußkataloge (dialogische Texte belegen liturgiebezogenen Kenntnisstand, noch mehr freilich spontane Bekenntnisse 136; diese Quellen legen nahe, die Verwaltung des Bußsakraments als fortgesetzte Katechese zu verstehen), – Texte aus der Tradition des ‚Liber quare‘ (Salzburger ‚Liber ordinarius‘ mit Erläuterungen liturgiebezogener Fragen unter ausdrücklichem Bezug auf den ‚Liber quare‘) 137, – Schriftliche Messerklärungen (eigenständige, gegebenenfalls traktatähnliche Literaturgattungen zur systematischen Darlegung der Messliturgie) 138, – Texte der Mystagogie (teils ritusimmanente Belehrungen, bereits traditionell unter den Vorzeichen ‚offener Fragen‘ an Liturgiegestalt und Liturgiegehalt 133 134

135 136

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138

Cf. L. Hardick, Gedanken zu Sinn und Tragweite des Begriffs ‚clerici‘, in: D. Berg (ed.), Spiritualität und Geschichte, Werl 1993, 103–128. Cf. V. Davis, The contribution of university-educated secular clerics to the pastoral life of the English church, in: C. Barron e. a. (eds.), The church and learning in late medieval society, Donington 2002, 255–272; J. Miethke, Karrierechancen eines Theologiestudiums im späteren Mittelalter, in: Id. (ed.), Studieren an mittelalterlichen Universitäten, Leiden 2004, 97–132. Cf. die sozialgeschichtliche Studie von Schreiner, Laienbildung (nt. 127). Zu den im 13. Jh. auftretenden Ermutigungen für die Laienpönitenten, ihre Beichte selbst zu formulieren, cf. M. B. M. Boulton, French treatises on confession, mass and communion in the thirteenth century, in: Ead. (ed.), Literary echoes of the Fourth Lateran Council in England and France 1215–1405, Toronto 2021, 74–98. Liber quare, ed. G. P. Götz (Corpus Christianorum Continuatio Mediaevalis 60), Turnhout 1983; cf. hierzu F. K. Praßl, Der Salzburger Liber ordinarius aus dem Jahre 1198 und seine Liturgiekommentare, in: Caspers/van Tongeren (eds.), Unitas in pluritate (nt. 132), 105–127, insbesondere 120–124. Cf. die instruktiven Überblicke in: K. Ruh (ed.), Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon, vol. 6, Berlin 1987, 443–449; ibid., vol. 11, Berlin 2004, 994; cf. nunmehr: W. Achnitz (ed.), Deutsches Literaturlexikon. Das Mittelalter, vol. 2, Berlin 2011, 958. 1038. 1276. 1443. 1521.

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sowie einer zwischen Dogmatik und Liturgie vermittelnden Methodik praktiziert) 139, – Liturgieimmanente Modellanreden (ritusbezogene, teils vernakulare Belehrungen, vorgelegt in den liturgischen Büchern selbst) 140, – Predigt-Texte und -Literatur (paränetische und darstellende, gegebenenfalls traktatähnliche Belehrungen über Glaubens- und Moralfragen, vorgetragen bei semiliturgischen Gelegenheiten) 141. Die Erkundung des vortheoretischen Wissens vermag es, unter anderem aus den vorgenannten Quellengruppen, etwaige Gesetzmäßigkeiten der Realisierung des liturgischen Zeichenkosmos zu erheben – und damit auch die Bedürfnisse, die zu einschlägigen Äußerungen von curiositas führten.

3. Liturgiebeschreibungen aus der externen Perspektive eines Augenzeugen Derartige Texte wurden weniger aus der Liturgiepartizipation denn aus der mehr oder weniger distanzierten Beobachterperspektive gefertigt, um gottesdienstliche Vollzüge in der Alltagssprache zu berichten. Dabei werden häufig unverstandene und irritierende Phänomene, gegebenenfalls sachlich fehlerhaft und mit falschem Vokabular geschildert, sodass eine Intention der curiositas vermutet werden kann. Mittelalterliche Quellen zu Liturgiebeobachtungen liegen vereinzelt vor, sind aber überwiegend nicht unter den Gesichtspunkten ausgewertet worden, die eine Charakterisierung der Beobachterkompetenz zulassen. Unsere Zusammenfassung sollte gezeigt haben, dass die systematische Trennung von cura und curiositas in Bezug auf den liturgischen Zeichenkosmos einer Differenzierung bedarf, um auch symbiotische Verhältnisse aufzeigen und ambivalente Verhaltensweisen erfassen zu können. 142 Natürlich liegt es nahe, manifeste Geschehnisse wie das Durchbohren von Wänden interdizierter Kirchen, um als unerlaubte Handlungen die eucharistische Elevation zu beobachten 143, 139

140 141

142 143

Zur patristischen Grundlegung der Mystagogie cf. R. Kaczynski, Das Wort Gottes in Liturgie und Alltag der Gemeinden des Johannes Chrysostomus, Freiburg im Breisgau e. a. 1974, und die Zusammenfassung von id., Mystagogie. Ein liturgisches Bildungskonzept der Alten Kirche, in: W. Haunerland/A. Saberschinsky (eds.), Liturgie und Mystagogie, Trier 2007, 32–44. – Cf. ferner die historisch untermauerte Skizze bei A. Schilson, Gedachte Liturgie als Mystagogie. Überlegungen zum Verhältnis von Dogmatik und Liturgie, in: E. Schockenhoff e. a. (eds.), Dogma und Glaube. Bausteine für eine theologische Erkenntnislehre, Mainz 1993, 213–234. Cf. S. Kopp, Volkssprachliche Verkündigung. Die Modellanreden in den Diözesanritualien des deutschen Sprachgebietes, Regensburg 2016. Cf. Longère, Prédication médiévale (nt. 12); Bériou/Morenzoni (eds.), Prédication (nt. 12); Schneyer, Unterweisung (nt. 12); cf. ferner M. Menzel, Predigt und Predigtorganisation im Mittelalter, in: Historisches Jahrbuch 111 (1991), 337–384. Diese Forderung antwortet insoweit auf die eingangs erwähnte Feststellung umfassender Forschungsdesiderate bei Newhauser, History (nt. 2). Cf. J. Helmrath, Das Interdikt in der städtischen Lebenswelt des späteren Mittelalters, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 154 (2018), 259–276, hier 273.

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ausschließlich als Ausdruck der curiositas zu bezeichnen, gleichwohl würde dies den Akteuren pauschal jegliche spirituelle Intention aberkennen. Das gleiche gilt für die Unterscheidung von distinkten Graden bei der Aneignung religiösen Wissens und liturgischer Praxis. Im Hinblick auf diese Differenzierungen muss ein weiterhin bestehender Reflexionsbedarf abseits des Generalverdachts gegenüber einer unangemessenen curiositas diagnostiziert werden. Im Bereich der rituellen Performation sind vor allem die besonderen Gesetzmäßigkeiten der ästhetischen und semiotischen Implikationen (‚Verschlüsselungen‘) mit größerer Sorgfalt zu beachten als dies dem aktuellen, meist zeitüberspannenden und abstrakt ausgreifenden Diskurs über ein indifferentes Gebiet der „theoretischen Neugier“ es bislang zu leisten möglich war 144.

144

Genannt seien lediglich exemplarisch die Publikationen von H. Blumenberg, Der Prozeß der theoretischen Neugier. Erneuerte Ausgabe [1988] (suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1268), Frankfurt am Main 1996. – H. A. Oberman, Contra vanam curiositatem. Ein Kapitel der Theologie zwischen Seelenwinkel und Weltall (Theologische Studien 113), Zürich 1974. – Voss/ Keller (eds.), Neugier-Forschung (nt. 37).

Summaries I. curiositas – Dialektik und longue durée Georgi Kapriev (Sofia) Neugier und Wissbegier. Der Fall Byzanz: ϕιλαλήθεια vs. περιέργεια Hans Blumenberg took the view that theoretical curiosity was the feature that made modern times stand out as a separate epoch. In the Middle Ages, only the knowledge of God was a legitimate subject of theoretical curiosity. The study of nature outside of man should be considered illegitimate curiosity. Theoretical curiosity is the innovative expression of human self-assertion and the reason for the birth of the modern understanding of science. The positions evident to the Byzantines decisively question the Blumenbergian schemes. Already Heraclitus of Ephesus criticized the πολυμάθεια, which ultimately leads to κακοτεχνία. However, he emphasizes that the seekers of wisdom must investigate many things. This position is continued by the Christian authors. In an exemplary manner, Basil the Great contrasts the mental virtues with curiosity in the first place. But he appreciates the ϕιλαλήθια , which he equates with ϕιλομάθεια . This relationship is asserted with emphasis by John of Damascus. The pursuit of knowledge and the acquisition of theoretical content are interpreted as anthropological features. Photios continues this line by emphasizing the personal desire in the desire for knowledge even more. In ‘De omnifaria doctrina’, Michael Psellos offers a description of the possible conditions and a uniform motivational and procedural program for curiosity. He begins with a discussion of faith and basic concepts pertaining to triadology and Christology as well as anthropology and ontology. It follows an interpretation of divine providence and creation. The sources of knowledge of God’s thoughts accessible to man are established: the order of beings, the conforming laws of nature and the all-encompassing divine providence. The basis of the Psellic system of knowledge are the intellect (νοῦς ) and the soul. The human intellect is everlasting in essence, force and activity, and it participates in the existence of the divine νοῦς. The soul, noetic thanks to the intellect, is perpetual in essence, but its activities are of a temporal nature. Therefore, it does not contain all the νοήματα at the same time but proceeds from one thought to another. However, the theoretical procedure of cognition is not about recognizing curious and random phenomena and details. Reason and nous proceed through the συμβεβηκότα and their testimonies to know and determine the principles, causes, truth, and quiddity of beings. The strive for the concrete object of knowledge is motivated by one's own volitional decisions. Theoretical virtue is ultimately a ἕξις προαιρετική. The program drawn up by Psellos remains valid not only for the representatives of the anthropocenhttps://doi.org/10.1515/9783110792461-031

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tric tendency towards knowledge, but for the whole broader Byzantine tradition. The ‘150 Chapters’, the systematic work of Gregorios Palamas, for example, principally follows the same pattern. The Psellian paradigm functioned as a fixed rule for the leading Byzantine thinkers. The case of Byzantium proves the untenability of Blumenberg’s theses. Oleg Voskoboynikov (Moskau) Idle and Useful Curiosity from Peter Damiani to Dante The twelfth century is a period of intense search in all fields of culture and religion, a period of great curiosity. Since Augustine, however, curiosity – an ambiguous term and psychological attitude – was banished as a dangerous sin for centuries. This ascetic perception of goals and methods of human knowledge, not a mere agnosticism, came to compete with a new mundana sapientia, an appeal to philosophical inquiry, to the reception of scientific texts from Arabs and Ancients, represented by some ‘innovators’ (Abelard, Hermann of Carinthia, Thierry of Chartres etc.). In this article, ideas promoted by these thinkers are sequentially compared to the voices of some ‘retrogrades’, such as Peter Damian or Bernard of Clairvaux. This comparison leads to a better understanding of the age of sic et non, an epoch of constant dialogue and dispute. Anne Eusterschulte (Berlin) Epistemologie und Aisthesis in Dantes ‚Paradiso‘. Himmelsreise und liebestheologische Legitimation theoretischen Wahrheitsbegehrens in der ‚Divina Commedia‘ Dante’s interpretation of the character of Odysseus is regarded as a pivotal point in the confrontation with the Augustinian curiositas-verdict and has led to controversial assessments. Is Dante’s Odysseus the embodiment of a wicked kind of curiosity or, on the contrary, the anticipation of a modern emancipation of the theoretical striving for knowledge? And what does this mean regarding the self-image of the poet Dante? The article will attempt to define Dante’s heavenly journey in the ‘Paradiso’ as a negotiation of a legitimate thirst for knowledge, that is, a counter model to the morally incriminated curiositas. In Dante, amazement and shock (stupor) determine the path to the highest experience of God, whereby the knowledge seeking soul is permanently dependent on a revelation of grace. But his framing of the ascent to the highest view of God in terms of a theology of love also offers a scene for the negotiation of empirical knowledge. This leads to the conceptualization of an affective, synesthetic knowledge, a kind of transcendence of the soul’s body-spiritual capacities, which is unfolded in the field of angelology. Amos Edelheit (Maynooth) Negative and Positive curiositas in the Renaissance: A Lesson from Petrarca The starting point of this paper is the negative attitude towards curiositas as part of the anti-Aristotelian campaign we find in Francesco Petrarca’ ‘On Ignorance’

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(1367): “Therefore, the secrets of nature, and higher than those [secrets] – the mysteries of God – which we admire with humble faith, [they] strive to snatch with arrogant ostentation. Certainly they do not reach nor do they come near [those secrets and mysteries], but rather [those] madmen think that they have reached heaven and clutch [it in their] fist. And in the same way they are pleased with themselves believing that they have their own opinion and happy in their error as if they strip off [heaven].” But do we have only a negative approach to curiositas in Petrarca, or can we also find a positive approach, and in which contexts? How does the attitude towards curiositas affect the overall attitude towards the concept of knowledge in Petrarca and in other Renaissance thinkers? What can we learn from this regarding the Renaissance as a historical period and as an ideal? These and other relevant questions will be addressed in the course of the paper. Bernd Roling (Berlin) Suarez, Poza und die Grenzen der theologischen Neugier: Debatten über den Leib Mariens zwischen Mittelalter und Früher Neuzeit Mariology is certainly one of the fields that historians of theology and philosophy have paid little attention to in recent decades, although its body of texts has grown enormously since the 12th century. Like angelology or the doctrine of the two natures, it belonged to the branches of theology in which, since the High Middle Ages, the basic prerequisites of metaphysics and epistemology had to prove themselves as in a laboratory. How could the Blessed Virgin's abnegation from all sin, her gracious predestination, be reconciled with her human nature and her freedom? How did the attributes of their corporeality and their perfection relate to each other, and what could a perfect body be allowed to do? Just as the special predestination of Mary, which was promoted primarily by Scotist Franciscan theologians, led to broader and more subtle distinctions in the debate on freedom, medical progress and ever-improving anatomical knowledge at universities, it also had to be expected that questions were asked regarding the organic framework of Mary’s state of grace. If the consequences of the Fall were passed on through bodily humors, did God take care that the Madonna’s embryo in Anna’s womb would not be supplied with her blood? Had the veins flowed past her? In a visionary dialogue, Mary had already made clear to the passionate Marian devotee Anselm of Canterbury that certain overly curious questions could only be answered with a non decet. According to Mary, the wish to go into all the details was not appropriate. This maxim had not prevented other visionaries, such as St. Birgitta of Sweden, from asking further and more precise questions. Sixteenth-century physicians, such as Julius Caesar Delphinus, had even dealt with Mary’s digestion its possible products in sensitive tracts. However, there was in fact a limit to curiosity: In 1626, the ‘Elucidarium Deiparae’ by the Basque Jesuit Juan Battista Poza was published – probably the most extensive

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work of medieval Mariology, with almost 1200 pages –, which treated all the questions of Marian lore with enormous enthusiasm, paying special attention to the organic aspects of Mary. Poza is, without any doubt, as faithful in his belief as he is thorough in his investigations. In his euphoria, fixated on detail and consistently deductive, he allows himself to be carried away not only by formally dissecting the body of the Virgin Mary, but also by elevating it to become part of the Eucharist. For contemporaries, this kind of curiosity went way too far. Poza’s work was not only vehemently attacked, but eventually indexed. The compatriot of Saint Ignatius, however, was unwilling to humbly accept the sentence, let alone recant his work, but protested with such fervour that his order was forced to exile Poza to Ecuador. Had Poza just been an involuntary heretic who had transgressed theological boundaries in his devotion to Mary? Or was there simply a limit to curiositas? The contribution, which aims to reconstruct Poza's work, but above all his medieval and early modern history, attempts to treat the implosion of Mariology, which is linked to the ‘Elucidarium’, as an episode in the history of theological curiosity and its particular dynamic. II. Der Wille zum Wissen Alexander Lamprakis (München) Philosophisches Staunen und wissenschaftlicher Fortschritt nach al-Fārābī und Avicenna: Eine kleine Spurensuche der arabischen Rezeption von ‚Metaphysik‘ A 2, 982b12–983a21 This article is dedicated to the Arabic reception of wonder as the beginning of philosophizing as described by Aristotle in ‘Metaphysics’ A 2. Although there is no definitive Arabic translation of this passage, a number of texts suggest that the Aristotelian conception of wonder was also known in the Arabic tradition. However, this does not mean that the Aristotelian idea about wonder being also the beginning of philosophizing cannot be inferred. In particular, the two descriptions of scientific and philosophical progress in al-Fārābī’s (d. 399/950–1) ‘Kitāb al-H  urūf ’ and Avicenna’s (d. 428/1037) ‘Kitāb al-Šifā’ should be examined from this point of view. As will be shown, the philosophers treated here develop their own approaches to the treatment of wonder, thereby illuminating various aspects of the Aristotelian analysis of wonder. On an epistemological level, they evaluate this ‘emotion peculiar to philosophers’ (Plato, Theaetetus 155d2–3) rather differently. Isabelle Mandrella (München) Neugier und Warum-Fragen in der Metaphysik des Thomas von Aquin For Thomas Aquinas, following Aristotle, the pursuit of knowledge and the desire for asking why questions essentially belong to human nature. According

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to Aristotle as well, it is even constitutive for scientific knowledge to search for the causes of the object of science because only knowing the cause of something means to achieve well-grounded knowledge. This is also valid in metaphysics, in which the search for the first cause of being leads to ultimate why questions. However, although the contemplation of the first cause in metaphysics entails the highest intellectual perfection of the human being, Aquinas emphasizes that our cognition is not able to grasp the first cause entirely, because we only know the cause by its effects. Then, the only possibility is to know that there is such a first cause. But does this not mean that why questions in metaphysics are useless, senseless, fruitless, in short: the simple result of inane curiosity? Indeed, it is quite crucial to ask how the pursuit of why questions fits in with Aquinas’ conviction that curiosity is a vice. How could it be possible that intellectual or even scientific activity goes wrong? A closer analysis of the question of curiosity in “Summa Theologiae” II-II 167 reveals that the problem with curiosity is not the object of knowledge but the person’s attitude towards knowledge. Transferred to metaphysics, the article wants to show how Aquinas proves that metaphysical why questions are neither curious nor irrelevant, but necessary and rational. Nevertheless, Aquinas’ emphasis of metaphysical why questions and his attempt to define the first cause as being itself (ipsum esse) and highest being (maxime ens) lead to serious problems concerning his comprehension of being between ‘common being’ on the one side and ‘prime being’ on the other. Martin Klein (Würzburg) Allmacht und Gedankenexperiment. Anknüpfen an Blumenberg I examine the connection between the late medieval idea of God’s omnipotence, philosophy’s minimized claim to certainty and thought experiments as established by Hans Blumenberg with regard to his thesis that in the 14th century a rehabilitation of theoretical curiosity begins. Even if medieval thought experiments can do without reasoning about omnipotence, as in Aquinas’ Man-Eater, or such a consideration does not imply that God’s intervention in nature is assumed to be real, as in Occam’s Zombie, Buridan’s reflection on the nature of the human soul is close to the connection asserted by Blumenberg: the natural philosopher includes the miracle of an immortal soul in his philosophy. For him, however, this can only be a thought experiment. Martina Roesner (Wien) Mehr wissen wollen, als zu wissen nötig ist? Die Frage nach den Grenzen theologischer Erkenntnis bei Meister Eckhart The bull ‘In agro dominico’, issued by Pope John XXII, accused Meister Eckhart of “having wanted to know more than was necessary”. This paper intends to examine the legitimacy of this claim by situating Eckhart’s philosophical-theological approach between the two extremes of the traditional patristic criticism

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of excessive “curiosity” on the one hand and the scholastic revaluation of the Aristotelian ideal of theoretical knowledge on the other. Eckhart’s paradigm of knowledge presents two different aspects: with regard to theology, he argues that, by virtue of divine simplicity and generosity, there can be no difference between the knowledge God has of himself and the knowledge he reveals to man through the birth of the Son in the ground of the soul. Precisely because God is not “this or that” (hoc et hoc) but absolutely simple and without any limits, our complete knowledge of his essence is not discursive but intuitive and therefore does not allow for a curious, superficial jumping from “this or that” singular theological question to another. With regard to our knowledge of the natural world, by contrast, Eckhart insists on the necessity of a discursive process that starts from the intelligible form of each created thing or phenomenon and traces it back to its first origin, that is, to the divine intellect, from which all things proceed incessantly in a supra-temporal processuality. Thus, the traditional patristic definition of “curiosity” as the desire to permanently see and know new things is completely subverted: For Eckhart, created beings are subject to temporality and therefore get old. The true, positive desire for “newness”, by contrast, is fulfilled by knowing all things in the everlasting youth and freshness, which they possess in the permanent “outbreak” of their intelligible structure from the divine intellect. Paul D. Hellmeier OP (München) Der Einblick in das Geheime und das geheime Wissen der Alten. Neugier und ‚Altgier‘ des Berthold von Moosburg In his commentary on Proclus’ ‘Elementatio theologica’, Berthold of Moosburg explores the secret reasons behind the macrocosm and microcosm. In doing so, he reckons the triune God as the last reason of the world, who produces the primordial causes and mediates the whole of creation through them. He sees the deepest reason of man in the “one in us”. Only the ecstatic, non-knowing union of this “one in us” with God brings the ascent of human knowledge to a conclusion. Berthold’s search for the secret reasons can be described as curiosity in a positive sense since this curiosity leads to human perfection. In addition to curiosity, Berthold also knows “Altgier” (Heiner Müller) [sc. the desire for knowledge of the ancient], which is articulated in his fondness for old texts and authors. Here, the question as to why Berthold quotes supposedly ancient authors when it comes to the trinitarian constitution of God is pursued. It turns out that the trinitarian statements of the ancients primarily serve to confront Proclus, since in the ‘Elementatio theologica’ he remains silent about the doctrine of the Trinity, which is so important for Berthold, or he even criticizes it. In this discussion, Berthold quotes the ancients because in the ‘Opuscula’ Proclus cites Plato and “the theologians before Plato” as examples of achieving an ecstatic union with the divine.

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Wilhelm Schmidt-Biggemann (Berlin) Vana Curiositas oder Scientia de omni scibili? 500 Jahre Streit um Raimundus Lullus The text features outlines of the five-hundred-years-story of the controversies about Raimundus Lullus, his doctrine and method. It begins with a sketch of Lull’s political and religious environment, his life, his missionary activities, and summarizes pivotal aspects of his theology and philosophical method. It shows how Lull’s theo-philosophy raised controversies in Catalonia, in Paris and in Avignon. These intellectual and ecclesiastical debates did not end with Lull’s life. Quite the contrary, he was posthumously declared a Catalonian hero as well as an arch-heretic by the political and ecclesiastical authorities – and he remained a permanent object of the churchly inquisition. Scholastic polemics mocked his doctrine as “phantasiandi curiositas”. Parallel to these institutional battles, Lull’s combinatorial method was highly appreciated from the 15th to the 18th centuries; Athanasius Kircher and Gottfried Wilhelm Leibniz developed their philosophies on the basis of Lull’s ideas. Some modern contemporaries declare him the medieval grandfather of computer science; and his monastery in Mallorca still tries to promote the process of his ecclesiastical sanctification in order to make him the saint of digital communication.

III. curiositas im theologischen Widerstreit Anne Greule (Jena) Curiositas und Wissbegier im Predigtœuvre des Alain von Lille († 1202/03) Alain of Lille († 1202/03) counts among the most important scholars in Paris at the end of the 12th century. In his extensive oeuvre, he dealt with contemporary problems from a variety of subject areas, such as questions of epistemology and pastoral theology. Besides numerous sermons, the ‘Ars praedicadi’, one of the first theoretical treatises on the art of preaching, which has survived in over a hundred manuscripts, originates from his pastoral activities. Here, he reflected, for instance, about how to preach about various virtues and vices. This article asks which views on human curiosity Alain of Lille held and tried to convey in his practical theology. On the one hand, his understanding of the term ‘curiositas’ will be examined; on the other hand, the views expressed regarding the problem of human curiosity that go beyond this term will be analysed. While one would expect Alain – like his fellow masters elsewhere – to treat the vice of curiosity in sermon theory and practice, this seems not to be the case. There are only two brief passages on curiositas, the analysis of which also shows that the term does not stand for a problem of knowledge, but concerns about worldly things. Therefore, it is closer to the vice of avaritia than that of superbia. Picking up Alain’s ‘art of preaching’, one could not hope for any suggestions for preaching against the vitium curiositatis, since Alain probably did not consider it a priority. Conceptually, it is striking that

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Alain does not recognize any dishonest pursuit of knowledge – if the right method and, more importantly, the right mindset are given. Silvia Negri (Zürich) Curiositas gegen humilitas? Überlegungen zur mittelalterlichen Wissensethik am Beispiel von Pierre de Limoges’ ‚Tractatus moralis de oculo‘ The general aim of this essay is to explore the relationship between medieval representations of intellectual curiosity and intellectual humility using the example of Pierre de Limoges’s ‘Tractatus moralis de oculo’. From the perspective of my research revolving around medieval notions of humility, I contribute to the research desideratum addressed in this volume: the challenge of established paradigms on the role and meaning of theoretical curiositas in the Middle Ages. Andrea Di Maio (Rom) At the Crossroads between the two Biblical Trees: ‘studiositas’ vs. ‘curiositas’ according to Bonaventure The purpose of this contribution is to illuminate the question regarding the attainability of the human pursuit of wisdom in Bonaventure with a lexicographical approach. To do so, the meaning of the term ‘curiositas’ and its antonym ‘studiositas’ and other related terms are investigated, and the metaphors of the Tree of Life and the Tree of Science (representing Christ and the Antichrist, respectively; true wisdom and merely apparent wisdom) are explored. Finally, the specifically Bonaventurian theory that philosophy is a necessary, but actually unachievable, pursuit of wisdom will be examined. Together with his colleagues, Bonaventure distinguished between a good and a bad desire for knowledge, using two different terms: ‘studiositas’ and ‘curiositas’. This concept has already been studied from a historical point of view. Today, however, thanks to the electronic search options of the Library of Latin Texts, it becomes obvious that the opposition between ‘studiositas’ and ‘curiositas’, although observed over centuries, was the subject of extensive reflection by Bonaventure himself. He defined a taxonymy of care, which changes its value and becomes either ‘studiositas’ or ‘curiositas’, depending on whether it is useful or useless. “All human beings by nature desire to know” (in this regard, Bonaventure agrees with Aristotle), but this desire may be corrupted, because any appropriated Good (which is not referred in a metaphysical circle to God, but the essential Good) is no longer a Good. So, whoever wants to possess science, loses it. Nikolaus Egel (Münster) „Sollte Gott gesagt haben: Ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten?“ Der Widerstreit zwischen theoretischer Neugierde und Traditionalismus am Beispiel der Kontroverse zwischen Roger Bacon und Bonaventura The confrontation between theoretical curiosity and traditionalism is a fundamental constant in the history of ideas and science, which has determined scien-

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tific thinking since Plato and the Sophists. Based on the presentation of Bonaventure’s dispute with Roger Bacon, the philosophical and everyday eligibility of these two positions is presented here. For Roger Bacon, it resulted in forced silence, but for the traditional position of a Christian episteme on the part of Bonaventure, it only led to a temporary shift in the scientific development that became manifest with Roger Bacon. Cornelius Roth (Fulda) „Nobis ad certam regulam loqui fas est.“ Die Kritik Johannes Gersons (1363–1429) an der curiositas als Anstoß zu einer praktischen und mystischen Theologie John Gerson has commented on curiositas in various works, mostly in a negative sense, as a vain curiosity that tempts students in particular to turn their thoughts away from useful things and towards less useful, harmful or unattainable things (cf. Contra curiositatem studentium, ed. Glorieux, vol. 3, 230). It should be emphasized that in his proposals for an academic reform, Gerson in no way opposes the pursuit of knowledge as such, nor does he oppose philosophical research in general; on the contrary: diligent study and in-depth research is important to him. But he draws attention to the fact that one should not get lost in the latest speculations but should focus on the nature of theology and the usefulness for practice. The criticism of curiositas, which in terms of content mainly concerns the questioning of established theological knowledge, the absolutisation of school standpoints and the exaggerated treatment of philosophical themes in theology are present in Gerson for two reasons in particular: the concern of a practically oriented theology that promotes the build-up and use of the faithful and an interest in a mystical theology that remains silent before the ultimate mystery of God. Both are concerns that, in a new form, also play a role in modern and late modern concepts of theology.

IV. Staunen über die Natur – Exempla und Enzyklopädien Evelina Miteva (Cluj / Köln) Big Book of Little Curiosities. Exempla in Albert the Great’s ‘De animalibus’ Around 1220, Michael Scott translated the corpus of Aristotle’s zoological works De partibus animalium, De generatione animalium, and Historia animalium. Albert the Great – in his venture to comment on the entire corpus of Aristotelian works and to fill the “knowledge gaps” left by Aristotle – drafted an extremely detailed comment of his own, collectively titled De animalibus. On Animals is, with little if any exaggeration at all, a huge collection of singular curiosities. Albert closely follows Aristotle’s text, but adds numerous examples and explanations that he finds relevant. He comments on, interprets and decides on physiological and theoretical debates, often using examples and curiosities as arguments.

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Most of Albert’s insertions have an empirical character, and the pre-modern empirical approach of Albert the Great was subject to speculation in the literature. However, we do not even have to evaluate the supposed “progressive thinking” of it in order to notice that the empirical material is enormous. Albert often and quite willingly tells stories and recounts events that, rather than constituting an empirical example of a certain theory, testify to his mere curiosity. In a first attempt to examine the role of exempla in Albert’s natural philosophy, the article tackles the question whether these examples are actually derived from the author’s own empirical experience, especially in cases of first-hand accounts, or whether they are mainly borrowed from other sources. In doing so, the article reveals the complex network of textual references that are behind a single example, and it sheds light on the character and role of the vast amount of curiosities in Albert’s De animalibus. Marilena Panarelli (Lecce) The Dominican Botanical Culture: the Rehabilitation of curiositas in Albert the Great’s ‘De vegetabilibus’ and in Vincent of Beauvais’ ‘Speculum naturale’ Prior to the reworking of these two Dominican masters, the medieval scientia plantarum was fragmented and lacked coherency with regard to its content. The concept of knowledge resulting from the works of Albert and Vincent is closely linked to the re-examination of the idea of curiositas. During the friars’ years of activity, an epistemological turn took place within the order, which led to a revaluation of the term curiositas. The gradual reformulation of the idea of curiositas can be reconstructed by means of three distinct works: the two editions of Vincent of Beauvais’ Speculum maius – that is, the bifaria edition of the Speculum maius (before 1244) and the trifaria version (c. 1250–60) – and Albert the Great's De vegetabilibus. Yet, it is also important to analyze the historical background of the Dominican Constitutions that were decreed between 1220 and 1259. The very first Constitutions (1220) explicitly prohibited Dominicans to study books written by pagans and philosophers. This prohibition was firmly reiterated by the General Chapter of the Order in 1243, which took place in Paris and which reaffirmed a cultural policy that was perfectly in line with the precepts of Humbert of Romans. The balance between intellectual curiosity and moral obligations greatly changed with the Chapter of Valenciennes, at which both Albert the Great and Thomas Aquinas were members of the commission. This developing new idea of culture seems to be similar to the one promoted in Cologne, where Albert had shortly before established a Dominican studium generale. Loris Sturlese has linked the master’s activities in Cologne to the vote of the Valenciennes Commission, which led to the Dominicans’ adoption of the programs of the Faculty of Arts. In less than forty years, an epistemological turn had taken place in the Dominican order, and the revaluation of curiosity permits us to better understand this turn. Prohibited by the previous Dominican Chapters, the libri philo-

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sophici and the scripta curiosa eventually became a fundamental part of the Dominican curriculum. Sarah Virgi (München) The Good, the Bad, and the Ugly Animals: Signs of the Creator and his Attributes in Medieval Islamic Encyclopaedias and Zoological Works While pre-modern Christian theologians often disdained theoretical curiosity as a form of temptation, theoretical inquiry, especially regarding natural objects, carried a rather positive connotation for medieval Muslim scholars. This attitude found support in the underlying idea that the natural world is a depository of signs of the creator that need to be interpreted and understood to achieve the knowledge of God. In this article, I aim to examine how some Muslim scholars developed this theoretical attitude in the context of encyclopaedias and works of natural science. More specifically, I propose to look at the extent to which they applied this theological approach to the treatment of nonhuman animals. To this end, I will focus on two main texts, namely ‘The Book of Animals’, by ˇ āh iz (d. 255 H. 868–869 C.E.), and ‘The Book of Wonders’, Abū ʿUtmān al-G by Zakarīyā ibn Muh ammad al-Qazwīnī (d. 682 H./1283 C.E.). Commenting on relevant passages concerning small, weak, and dangerous animals, I will show how these were considered especially pertinent to their purposes thanks to the subtle and astonishing ways by which they were able to signify the creator and his divine attributes. Fateme Mehri (Tehran) The Marvelous and Uncanny Matters (ʿAjāʾib wa Gharāʾib): Two Objects of Curiosity in Medieval Islamic Natural Sciences In Persian and Arabic literature, the title ‘ʿAgˇāʾib’-Nāma’ is used to name a small group of texts which focus on the natural world and its creatures as well as natural phenomena. One of the most significant and famous texts is ‘ʿAgˇāʾib ul-Mah˚ lūqāt wa Ġarāib ul-Maugˇūdāt’ by Qazvīnī (13th century), although there are at least two important books from the 11th and 12th centuries in Persian. These texts are very similar to some natural encyclopaedias that classify the sciences and talk about animals, plants, and minerals under a branch of the natural sciences called the Science of Properties. There is, for instance, ‘Nuzhatnāma-yi Alāyī’, a text from the 11th century that devotes a major part to the properties, benefits, and natures of human beings, different types of animals, plants, and stones in its general classification. It should be considered that, based on the Science of Properties, every single object in the world has numerous properties, so that they are infinite. It is also important to know that the spectrum of these properties is considerably wide containing some well-known properties (like the properties of the medicinal plants) and, at the same time, some special, unknown, and unusual properties. In this situation, a criterion has been used by the authors to select and relate the properties: ‘being marvellous and

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uncanny’, two concepts that have been differentiated by Qazvīnī. According to him, marvellous matter (ʿAgˇīb) is something that human beings may observe, but they cannot explain the reasons for it or understand the quality of its occurrence. In other words, human beings are not able to understand that it comes about more frequently, because of their lack of knowledge. On the other hand, uncanny matter (Ġarīb) is something unusual that barely ever comes into existence. Here, unusual means that it happens against natural rules. Since marvellous and uncanny matters have a principal role in communicating with ‘readers who are curious to know the world’, it seems that there is a relation between these concepts and the concept of curiosity. Tūsī, the author of a Persian ‘ʿAgˇāʾib-Nāma’, describes the readers as those who no longer need to travel around the world to satisfy their curiosity. The concept of travel is also worth paying attention to, because a remarkable part of ʿAgˇāʾib texts has been drafted according to the oral and written reports of travellers, globe trotters and sailors. In an attempt to shed some light on the concept of curiosity in Islamic civilization, it can be helpful to reconsider ʿAgˇāʾib texts and encyclopaedic texts and focus on their shared concepts about the Science of Properties and their contents adopted from travelogues.

V. Weibliches und männliches Beg ehren Delphine Conzelmann (Basel) Weibliche curiositas, männliches Begehren. Intellekt als Aspekt konstruierter Attraktivität am Beispiel von Héloise d’Argenteuil In his autobiographical ‘Historia Calamitatum’, Peter Abelard considers his position as tutor in the house of Fulbert “a convenient means of fate that was illdisposed towards him”; his affair with the talented Héloise is the reason for the divine punishments that befell the two. Their haughty philosophical curiosity and the carnal desires they indulged in provoked the humiliation demonstrated by Abelard’s castration and Héloise’s entry into a monastery. His focus on his own conversio also requires a devaluation of past behaviour, emotions and interests. However, the correspondence with his former lover tells a more complex story: in her letters, Héloise rejects Abelard’s moral categories and constructs her own, more dynamic picture of her new role as abbess. Through explicit corrections to Abelard’s autobiography, she reflects on the actual decisions and actions that led to her monastic life. Constantly demanding marital affection and unbridled pleasure in theological-philosophical discourse, she shows that desire between people and Christian love can exist at the same time and can even enrich one another. In her own portrayal of the legendary relationship with Abelard, she also breaks with his categorical thinking. The present essay attempts to start a conversation between Abelard’s strict purification narrative

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and Héloise’s more complex self-image. Special attention will be paid to the reconstruction of the role of curiositas and cupiditas in the two opposing systems of thought. Richard Newhauser (Tempe, Arizona) und Edward Peters (Philadelphia) Was will eine Frau eigentlich? Zum Phänomen der weiblich vergeschlechtlichten curiositas We are concerned here with capturing the process of gendering of illicit and exaggerated curiositas as it has been described. We suggest that the context in which the earliest female gendering of curiositas is expressed is found in monastic legislation and the exegesis of the character of Dina in the book of Genesis during the reigns of Charlemagne and Louis the Pious. Especially in the exegesis of Jonas of Orléans († 843) and in the ‘Institutio Sanctimonialium Aquisgranensis’ (from the year 816) we find the first attribution of curiositas to women as femineus sexus. It was not until the first half of the ninth century that the way was clear for the elaboration of a curiositas that was considered specifically female. Ahmed H. al-Rahim (Charlottesville) Concupiscent Curiosity of the Gaze in Medieval Islam: Qurān 24:30–31 The gaze, or the act of seeing the other and the awareness of being seen, has a storied history in the Islamic tradition. In the Qurān, the gaze or glance (nazø ar), along with the “amorous eye” and its attendant curiosity, is associated with the “lust of the eye” and its corruption of the heart. The indulgence of the concupiscent gaze is most often also presented as the first inauspicious step toward perpetrating the grave sins of fornication or adultery. The Qurʾān instructs the believing men and women to avert their gaze from those of the opposite sex in order to preserve their chastity and thereby ensure their salvation. This thematic study examines the exegetical literature (tafsīr) on Qurʾān 24:30–31 and the concomitant Muh ammadan traditions, or exegetical hø adītß, on the gaze as concupiscent curiosity in medieval Sunnī Islam.

VI. Lust auf Neues? Reisen und Pilg er n Verena Ebermeier (Regensburg) Literarische Erkenntnisreisen im Spannungsfeld von curiositas und conversio voluntatis The striving for cognition, for an understanding of the cosmos and the self as well as the interrelation between them, is directly linked to questions about the mode of that striving – about adequate and inadequate curiosity. A look at philosophical and literary works reveals that in antiquity and the Middle Ages the departure from the limitations of the familiar world of experience to new

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shores of cognition is connoted with the imagery of physical travel, in which the necessary cognitive movement towards cognition is reflected. In this context, literarily narrated island journeys prove to be particularly suitable for addressing the facets, constituents, and problems of potential forms of curiosity, since they take up the path to cognition in the narrated transgression as well as the goal of cognition on the narratively designed island. Based on the narration of diverse island journeys in the saint’s legend ‘Navigatio Sancti Brendani Abbatis’ from the 9th or 10th century and in Konrad von Würzburg’s ancient novel ‘Trojanerkrieg’ from the 13th century, the field of tension of curiosity as the problematic curiositas and as the conversio voluntatis enabling cognition can be analyzed. Translated into a poetics of curiosity, this spectrum functions as an instruction for the recipients to embark on their own journey of cognition in ideal curiosity. Susanna Fischer (München) und Jacob Langeloh (Freiburg i. Br.) Neugier auf Pilgerreise: Curiositas im ‚Liber peregrinationis‘ des Riccoldo da Monte di Croce (ca. 1301) und in Felix Fabris ‚Evagatorium‘ (nach 1484) Our contribution addresses curiositas in Medieval Latin pilgrimage narratives. In a first step, we explore the role of curiosity in pilgrimage narratives in general. In the next step, we use two outstanding examples to show different dimensions of curiosity in these texts. In the ‘Liber Peregrinationis’ of Riccoldo da Monte di Croce and in Felix Fabri’s ‘Evagatorium’, different functions and dimensions of curiositas are analysed. Even if the use of curiositas and curiosus by Fabri could suggest that many of the taboos that appeared in Riccoldo have now been overcome, a closer analysis shows that many of the reservations still apply in the late 15th century. Helmut G. Walther (Jena) Wie neugierig war man an der päpstlichen Kurie im ausgehenden 13. Jahrhundert? The flight of Innocent IV from Rome to Lyons in June 1244 marks a clear change in the style of papal politics in various respects. It affected both the organization of the Curia and the establishment of a mode of decision-making that was based on the methods of the then reformed canonical science. This can clearly be seen in the Curia’s new Mongol policy around the First Council of Lyons in 1245. There, the pia curiositas, considered legitimate, should serve as the basis for acquiring useful knowledge about the hitherto unknown. The four embassies commissioned by the Curia from the great Mendicant orders to various Mongol rulers, including the Great Khan in Qaraqorum, were supposed to conduct an extensive inquisitio facti fed by a catalogue of questions. At the same time, Innocent IV extensively promoted the high schools and privileged them as studia generalia and in 1245 also founded a curial university. The knowledge about the geographical size of Asia and the ways of life, views and goals of the previously unknown peoples living there, which was collected

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according to scientific methods and caused astonishment and disbelief at home, changed the worldview of the West by 1300. However, the mostly unbroken trust in the superior rationality of Western Christians among travellers and recipients prevented a structural change in the concepts for political dealings with Asian peoples, recommended by many experts, and led to the retention of the traditional Crusade mentality towards the Muslims, even after the Holy Land was permanently lost to the Christians in 1291. In literature, the Asian East continued to be the place for mirabilia mundi. The emergence of a new geographical worldview in the late Middle Ages originated rather in the canonical ideas of science cultivated at the papal curia than with the university teachers in the artistic and theological faculties, who at the time extensively aligned themselves with Aristotle. Not a ‘process of theoretical curiosity’ as Hans Blumenberg once put it, but practical curiosity geared towards utility institutionalized change. The Franciscan Roger Bacon, who relied on an increase of empirical knowledge, ultimately received no thoroughgoing response. Carsten Schliwski (Köln) Problematische Neugier – Jüdische Reiseberichte im Mittelalter Although the Jewish law (halacha) is a little suspicious of the interest in the nonJewish world, such interest did exist in the Middle Ages. An example of the channelling of this kind of curiosity can be found in the reports of Jewish travellers who are not only interested in their fellow brethren in distant lands and pilgrimage sites, but also in the non-Jewish environment. VII. Materielle Kultur und rituelle Zeichen Matthias Friedrich (Wien) Zu viel des Guten? Materielle Kultur und sinnliche Wahrnehmung im frühen Mittelalter Varietas – diversity, colourfulness, alternation – has a long and varied conceptual history, from the Roman Republic to the Renaissance. Mary Carruthers sees varietas “not as a concept”, but rather “as a word covering many degrees of experience along a continuum between opposites, ‘too much’ and ‘too little’.” Therefore, varietas is a concept of aesthetics that also includes the sensual perception of the material and in this way has influence on art and architecture – or more generally: material culture – or is itself influenced by the material. But aesthetic diversity and variety also require curiosity. Varietas is thus inextricably linked to curiositas – too much aesthetic diversity turns into curiositas and sumptuositas, at least in Bernard of Clairvaux’s view. But is that really the case? The article is dedicated to aesthetic structures in the material culture of the early Middle Ages, a time that was largely influenced by late antiquity. Using objects, especially from archaeological contexts, visual and material varietas is highlighted

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as a basic aesthetic principle of the early Middle Ages – a development that also continues in the further course of the Middle Ages, for example, in the ‘Schedula Diversarum Artium’, where it says: “inestimabilem vitri decorem et operis pretiosissimi varietatem miratur.” Varietas can thus be described as a visual-aesthetic form of curiositas. Jeannet Hommers (Köln) Neugierde und Entdeckerlust. Möglichkeiten und Grenzen der theoretischen Neugier am Beispiel der historisierten Kapitelle von Notre-Dame-du-Port in Clermont-Ferrand The historicized Romanesque capitals pose fundamental difficulties for research in the history of art with regard to the theological debate about curiositas, since the variety of Romanesque imagery seems to contradict the theological remarks on and explanations of curiosity at first glance. Based on the figurative capital sculpture of the former pilgrimage and collegiate church of Notre-Dame-duPort in Clermont-Ferrand in Auvergne, the article examines the relationship between theoretical curiosity and practical use. The aim is to show that curiositas could be of great benefit, precisely because of its dubious character, when looking at the picture: motivic analogies, narrative elements as well as cross-picture looks and gestures of the figures depicted promote numerous picture connections for the viewer to discover, while moving through the church interior. In this way, the images not only served as a spiritual kind of diversion and change, but they were also particularly suitable for the promotion of a lasting examination of the imagery and Holy Scriptures. Hanns Peter Neuheuser (Köln) Cura und Curiositas als Wege zur Entschlüsselung ritueller Zeichensprache in der Zeit der Hochscholastik The aim of this study is to determine the intentions, activities and variety of curiositas with regard to medieval liturgical performances. The following questions should be addressed: Which inquiries to church services are possible at all, regarding the transcendent parts of the event? What requests to services are even necessary to get a minimum of ‘understanding’ for the rites and their conditions? How can one distinguish between necessary and impermissible curiositas? Which authority makes this distinction and according to which criteria? Which questions relate to the breakdown of sign systems immanent to liturgy, metaphors, and allegories? Which inquiries promote the collection of a theological liturgical hermeneutics? What phenomena in liturgical practice regularly evoke curiositas? Conversely, can modes of action of curiositas be reconstructed from such phenomena? How is the liturgy-related curiositas actually ‘served’ or satisfied? The case study of liturgical sign language opens the possibility of generalizations regarding the mode of action of active curiositas on the one hand and its reconstruction from its objects and measures of its gratification on the other.

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Verzeichnis der Handschriften Bamberg, Bayerische Staatsbibliothek Msc. Lit. 119: 614 Clermont, Bibliothèque du Patrimoine de Clermont Auvergne Métropole Ms. 149: 576 Dijon, Bibliothèque municipale Ms. 219: 288, 289 Ms. 568: 385 Douai, Bibliothèque Municipale Ms. 434: 537 Dublin, Trinity College IE TCD MS 57: 570 Leipzig, Universitätsbibliothek Rep. II 143: 29 London, British Library Add. 10393: 277, 279 Add. 19767: 282, 288 Cotton MS Nero D IV: 570 München, Bayerische Staatsbibliothek Cod. arab. 464: 158, 159, 400, 404, 405, 414, 420, 421, 423, 431 Clm. 4616: 287 Clm. 188: 518 Clm. 189: 518 Clm. 2826: 518

https://doi.org/10.1515/9783110792461-032

Clm. 2827: 518 Oxford, Bodleian Library MS. Douce 366: 570 Palma de Mallorca, Biblioteca Pública Cod. 771: 262 Cod. 770: 262 Paris, Bibliothèque nationale de France Ms. lat. 16390: 305 Ms. lat. 13440: 458 St. Gallen, Stiftsbibliothek Cod. Sang. 18: 38 Teheran, Bibliothek Majlis Ms. 3998, 104.13: 149 Teheran, Bibliothek Meshkāt Ms. 339: 149 Toulouse, Bibliothèque municipale Ms. 195: 276, 277, 282, 284, 288 Ulm, Stadtbibliothek Cod. 19555: 518 Cod. 6718: 518 Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana ms. Vat. lat. 4567: 215 ms. Reg. lat. 424: 276, 277, 278, 279, 283, 284 ms. Vat. lat. 9820: 591

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Alcalá 1598 Gabriel Vásquez, Commentariorum ac disputationum in I. partem S. Thomae: 249, 250 Alcalá 1764 Diego González Mateo, Theologia scotica in tertium Sententiarum magistri, ad mentem subtilis doctoris Joannis Duns Scoti: 104 Amsterdam 1641 William Harvey, Exercitationes de generatione animalium, quibus accedunt quaedam de partu, de membranis ac humoribus uteri, et de conceptione: 104 Amsterdam 1659 Athanasius Kirchner, Ars Magna Sciendi, in XII Libros Digesta, quo Nova et Universali Methodo, per Artificiosum Combinationum contextum de omne re proposita plurimis et prope infinitis rationibus disputari, omniumque summaria quaedam cognitio comparari potest: 255 Antwerpen 1569 Cornelius Gemma, De arte Cyclognomica: 254 Antwerpen 1578 Nicolaus Sander, De visibili Monarchia Ecclesiae, VII: 89 Antwerpen 1598 Martin Antonio Delrio, Florida mariana sive de laudibus sacratissimae virginis deiparae panegyrici XIII: 87 Antwerpen 1611 Birgitta von Schweden, Revelationes: 115

Antwerpen 1630 Fabius Ambrosius Spinola, Vita P. Caroli Spinolae Societatis Iesu, pro Christiana religione in Japonia mortui: 100 Antwerpen 1634 Pedro Hurtado de Mendoza, Disputationes de Deo Homine sive De incarnatione Filii Dei: 88 Antwerpen 1636 Petrus Wadding, Tractatus de incarnatione: 105 Antwerpen 1645 Gilles de Koninck, Disputationes theologicae de sanctissima Trinitate et Divini Verbi incarnatione, Disputatio V, Dubium 5: 88 Antwerpen 1650 Rodrigo Arriaga, Disputationes Theologicae in tertiam partem D. Thomae, De incarnatione divini Verbi universi cursus theologici Tomus sextus: 88 Franciscus Amicus, Cursus theologicus iuxta scholasticam huius temporis Societatis Jesu methodum 26, 9: 101 Ambrosio de Penalosa Mondejarense, Vindiciae Deiparae virginis de peccato originale et debito illius contrahendi: 115 Antwerpen 1652 Theophile Raynaud, Christus Deus-homo sive De Deo-homine theologia patrum scholastice examinata et sacris emblematis, allegoriis, et moralibus illustrata: 126

Antwerpen 1618 Franciscus Sylvius, Commentaria in tertiam partem S. Thomae Aquinatis: 96

Antwerpen 1657 José de Jesús Maria, Historia de la Virgen Maria, nuestra señora, con la declaracion de algunas de sus excellencias: 116

Antwerpen 1621 Gabriel Vásquez, Commentaria ac disputationes in tertiam partem Sancti Thomae: 87

Antwerpen 1668 Diego de Avendano, Problemata theologica: 115

https://doi.org/10.1515/9783110792461-033

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Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke

Antwerpen 1696 María de Jesús von Ágreda, Mística ciudad de Dios, milagro de su omnipotencia, y abismo de la gracia, historia divina y vida de la Virgen Madre de Dios, manifestada en estos ultimos siglos por la misma Señora a su esclava Sor María de Jesús: 128 Antwerpen 1708 (L. Vileta) Acta B. Raimundi Lulli Majorcensi, Bugiae in Africa Martyris … collecta, digesta et illustrata a Johanne Baptista Sollerio Societatis Jesu Theologo: 244 Antwerpen 1714 Franciscus Sylvius, Commentaria in tertiam partem S. Thomae Aquinatis: 96 Arnstedt 1656 Zacharias Hogel, De immaculata conceptione solius Domini nostri Jesu Christi, Virginis vero Deiparae, Mariae, caeterorumque mortalium omnium, peccato originali maculata, adversus Romanam Ecclesiae heterodoxiam: 120 Augsburg 1477 Pierre de Limoges, Tractatus moralis de oculo: 295, 297, 298, 299, 300, 301, 302, 303, 304 Augsburg 1626 Carl Stengel, Joacimus et Anna, id est Mariae Deiparae Virginis parentum, Iesu Christi Domini Deique nostri avorum vitae Historia: 114 Augsburg 1719 Maria de Jesus von Agrada, Mystica civitas Dei: miraculum ejus omnipotentiae et abyssus gratiae, historia divina, et vita Virginis matris Dei, Reginae Dominae nostrae SS. Mariae, ab hac ipsa Domina manifestata ancillae suae Sorori Mariae de Jesu, abbatissiae Conventus Immaculatae Conceptionis in urbe Agredana: 128 Juan de Ulloa, Theologia Scholastica, quinque tomis comprehensa: 129 Augsburg 1749 Eusebius Amort, Controversia de revelationibus Agredanis explicata cum epicrisi ad earum revelationum vindicias editas a Didaco Gonzalez Matheo et a Landelino Mayr: 128

Augsburg 1751 Eusebius Amort, Nova demonstratio de falsitate revelationum Agredanarum, cum parallelo inter pseudo-evangelia et easdem revelationes, addita excussione novae defensionis Agredanae ab A. R. P. Dalmatio Kick: 128 Augsburg 1767 Damasius Kick, Universa Theologia dogmatico-scholastica pro sacrae scientiae studiosis et amatoribus concinnata: 128 Augsburg 1768 Maria de Jesus von Agrada, Geistliche Stadt Gottes oder Wunderwerk dessen Allmacht und Abgrund der Gnade. Das ist: göttliche Historie und Leben der Mutter Gottes unserer Frauen und Königin Maria, der allerseligsten Jungfrau, Ergänzerin der Schuld Eva, und Mittlerin der Gnade, in diesen letzten Zeiten geoffenbaret durch eben diese göttliche Jungfrau ihrer Dienerin Schwester Maria von Jesu, Äbtissin des Klosters zur unbefleckten Empfängnis in der Stadt Agreda, aus dem seraphischen Orden des Heil. Franciscus. Erster Theil, enthaltend das Leben Maria von Jesu, den Eingang zu dem Leben der Himmelskönigin Maria, und die ersten vier Bucher der Stadt Gottes: 128 Augsburg 1782 Claude Fleury/Dominicus Ziegler/Alexander von Johannes vom Kreuz, Historia ecclesiastica: 119 Avignon 1376 Nicholaus Eymerich, Directorium Inquisitorum: 250 Avignon 1389 Nicholaus Eymerich, Tractatus contra doctrinam Raymundi Lulli: 250 Nicholaus Eymerich, Dialogus contra Lullistas: 250 Avignon 1390 Nicholaus Eymerich, De duplici natura in Christo: 250 Avignon 1394/95 Nicholaus Eymerich, Fascinatio Lullistarum: 250

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Avignon 1396 Nicholaus Eymerich, Incantatio universitatis studii Ilertensis: 250

Bordeaux 1649 Jean Martinon, Disputationes theologicae, vol. 4: De incarnatione et sacramentis: 105

Avignon 1778 Antonius Raimundus Pasqual, Vindiciae Lullianae, sive demonstratio critica immunitatis doctrinae illuminati Doctoris B. Raymundi Lulli, ab errroribus eidem a Nicolao Eymerico impactis […] Fundata in collectione textuum Lulli: 263

Braunschweig 1730 (J. W. Goebel) Hermann Conring, Examen rempublicarum potiorum totius orbis: 120

Basel 1481 (J. Amerbach) Vincentius Bellovacensis, Opuscula: 535 Basel 1533 Claudius Galenus, In librum Hippocratis de victus ratione in morbis acutis commentarii quatuor: 95 Basel 1547 Guillaume Postel, Panthenosia. Compositio omnium dissidiorum circa eternam veritatem aut verisimilitudinem versantium: 132 Guillaume Postel, De nativitate Mediatoris ultima, nunc futura et toti orbi terrarum in singulis praeditis manifestanda opus: 132 Basel 1565 Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae: 252 Basel 1587 (J. Pistorius) Artis cabalisticae, hoc est reconditae theologiae et philosophiae scriptorum tomus 1: 111 Leone Hebreo, Dialogus de amore: 111 Basel 1586/87 Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae: 252 Bologna 1622 Matthaeus Ferchius, Vita Ioannis Dunsii Scoti Franciscani Doctoris Subtilis et Apologiae pro eodem: 102 Bologna 1632–39 Giovanni Battista Novati, De eminentia Deiparae Virginis Mariae semper immaculatae (2 voll.): 109 Bonn 1761–65 Giovanni Crisostomo Trombelli, Mariae Sanctissimae Vita, ac gesta, cultusque illi adhibitus, per Dissertationes descripta: 130

Brixen 1591 Ricardus de Mediavilla, Super quatuor libros Sententiarum Petri Lombardi quaestiones subtilissimae: 95 Brixen 1603 Thomas von Villanova, Conciones sacrae in Dominicas anni et Festa: 113 Chambery 1700 Sebastien Dupasquier, Summa theologiae Scotisticae: 104 Coburg 1611 Johannes Caesar, Mariolatria, Das ist: Christlicher und heylsamer Unterricht von der Abgottischen, Aberglaubischen und auch rechten Gott wolgefelligen Verehrung, so beydes in Papstischen und Lutherischen Kirchen mit der heiligen Jungfrawen Marien gehalten, getrieben, und noch ernstlich verthadigt wird: 86 Coimbra 1749 Manuel de Oliveira de Ferreira, Poema epicum de conceptione Beatae Mariae: 115 Cordoba 1602 Pedro de Cabrera, In tertiam partem Sancti Thomae commentariorum et disputationum: 101 Cuenca 1620 Juan Bautista Poza, Compendium de sacramentis evangelicis in genere et in specie ad instructionem ordinandorum: 107 Cuenca 1647 Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Index doctrinarum pro Deipara Petri Galatini Minoritae, maxime circa Immaculatum conceptum, in opere arcanis catholicae veritatis: 124 Juan de Antonio Fuente, Index sententiarum Petri de Pereia Augustiniani in libro de conceptione iuxta editionem Limensem 1629: 124

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Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Compendium fusioris tractatus circa declarationem Decreti Romani de titulo Immaculatae Conceptionis: 124

Douai 1651 Franziskus von Sancta Clara, De definibilitate controversiae Immaculatae Conceptionis Dei Genitricis opusculum seu disputatio: 123

Dijon 1662 Pierre Courcier, Negotium saeculorum Maria sive Rerum ad Matrem Dei spectantium, Chronologica Epitome, ab Anno Mundi primo, ad annum Christi millesimum sexcentesimum sexagesimum, Anno mundi 1608: 126

Florenz 1759–1827 (J. D. Mansi) Sacrorum conciliorum nova et amplissima collectio 22: 600

Dillingen 1690 Tirso Gonzalez de Santalla, Tractatus theologicus de certitudinis gradu, quem, infra fidem, nunc habet sententia pia de immaculata B. Virginis conceptione: 113 Douai 1597 Iacobus Vitriacensis, Historia orientalis: 43 Douai 1605 Henricus Sommalius (ed.), D. Anselmi Liber de excellentia beatissimae V. Mariae, cui Idiotae, viri tum docti, tum pii tractatus argumenti adiunctus est, item D. Anselmi Liber similitudinum, ad Codices Ms. emendatus, cum nonnullis eiusdem Epistolis: 87 Douai 1620 Jean Bourgeois, Societas Jesu Deiparae Mariae Virgini sacra sive de patrocinio et cultu Deiparae Virginis ad homines eiusdem Societatis liber unus: 88 Douai 1624 Vincentius Bellovacensis, Speculum morale: 29 Vincentius Bellovacensis, Speculum Quadruplex sive Speculum Maius: 377 Vincentius Bellovacensis, Speculum naturale: 377, 387, 388 Vincentius Bellovacensis, Libellus apologeticus: 386 Vincentius Bellovacensis, Speculum historiale: 516 Douai 1629 Antonius de Balinghem, Ephemeris seu Kalendarium SS. Virginis Genetricis Dei Mariae: 109 Douai 1629–32 Jean LePrevost, Commentaria in tertiam partem S. Thomae de incarnatione verbi divini, sacramentis et censuris, 2 voll.: 88

Frankfurt 1570 Innocenz IV., Commentaria Apparatus in V libros decretalium: 529 Frankfurt 1590 Franciscus Valles, Controversiarum medicarum et philosophicarum libri: 111 Frankfurt 1653 Juan Bautista Poza, Geistliche Gold-Grub, oder Practick, Gottselig zu sterben und ewig zu leben: 107 Frankfurt 1654 Juan Caramuel Lobkowitz, Metalogica disputationes de logicae essentia, proprietatibus et operationibus continens: 124 Gergovia 1677 Lodovicus Carterius Vocontius (Honore Fabri), Iusta expostulatio de P. M. Xantes de Mariales, Ordinis Praedicatorum, Authore Bibliothecae Interpretum ad Summam D. Th. quatuor voluminibus distinctae, Venetiis editae anno 1660, et per antichronismum anno 1638: 127 Gerona 1374 Nicholaus Eymerich, Informatio inquisitoris: 250 Grenoble 1643 Theophile Raynaud, Diptycha Mariana, quibus inanes Beatissimae Virginis praerogativae, plerisque novis scriptionibus vulgatae, a probatis et veris apud Patres, theologosque receptis, solide et accurate secernuntur: 126, 127 Hannover-Göttingen 1745 (J. D. Gruber) Commercii epistolici Leibnitiani: ad omne genus eruditionis, praesertim vero ad illustrandam integri propemodum seculi historiam literariam apprime facientis: 120

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Helmstedt 1696 Friedrich Ulrich Calixt, B. Mariae Virginis immaculatae conceptionis historia: 120 Helmstedt 1733 Johannes Andreas Schmidt, Prolusiones Marianae X. Notabiliora sive vera sive ficta ab auctoribus antiquioribus et recentioribus de Beata Maria passim notata exhibentes: 120 Helmstedt 1746–48 Guillaume Postel, Apologia pro Serveto Villanovano, de anima mundi, sive de ea natura, quae omnino necessaria est: 132 Johann Lorenz von Mosheim, Versuch einer unpartheischen Ketzergeschichte: 132 Herborn 1610 Johann Heinrich Alsted, Panacea philosophica: 233 Ingolstadt 1577 Petrus Canisius, De Maria virgine incomparabili et dei genetrice sacrosancta libri quinque atque hic Secundus Liber est Commentariorum de Verbi Dei corruptelis adversus novos et veteres Sectariorum errores: 87 Ingolstadt 1580 (Theodor Anton Peltanus) Victoris Antiocheni In Marcum et Titi Bostrorum Episcopi In Evangelium Lucae commentarii: 117 Ingolstadt 1627 Adam Tanner, Universa theologia scholastica, speculativa, practica: 105 Ingolstadt 1674 Barnabas Kirchhuber, Praerogativae Deiparae Virginis Mariae, ad mentem Joannis Duns Scoti Doctoris subtilis: 104 Kalisz 1681 Johannes Kwiatkiewicz, Primum instans Marianum per gratiam originalem sanctum, seu clarissima et pia sententia de immaculata conceptione Beatae Virginis elucidatio: 125

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Köln 1602 Jacobus Middendorp, Academiarum celebrium universi terrarum orbis libri VIII, partim recens conscripti, partim ita locupletati, ut plane novi videantur: 116 Köln 1617 Blasius Viegas, Commentarii exegetici in Apocalypsin Joannis Apostoli: 112 Köln 1620 Pietro Antonio Spinelli, Amor Deiparae Virginis Mariae. De pietate ac devotione erga Deiparam Virginem Mariam tractatus: 88 Köln 1631 Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae: 252 Köln 1671 Petrus Aureolis Theodor Moretus, Principatus incomparabilis primi filii hominis, Messiae et primae parentis matris virginis in conceptione illius immaculata exhibitus: 106 Leiden 1659–64 Thomas Compton-Carleton, Cursus theologici, 2 voll.: 88 Leiden 1639 Andre Rivet, Apologia pro Sanctissima Virgine Maria matre Domini adversus veteres et novos Antidicomarianitas, Collyridianos et Christianocategoros libris duobus absoluta: 92 Leiden 1646 Thomas Bartholin, De latere Christi aperto, accedit C. Salmasii et aliorum epistolae de cruce: 131 Leipzig 1515 Baptista Mantuanus, Parthenice prima sive Mariana continens vitam actusque sacros beatissimae virginis Mariae dei genitricis: 113

Köln 1514 Petrus de Palude, Scriptum in quartum Sententiarum: 90

Leipzig 1673 Johann Adam Schertzer/Andreas Goldbach (resp.), De conceptione maculata an Immaculata? B. Virginis Mariae Deiparae dissertatio theologica: 120

Köln 1522–1537 Bernhard von Luxemburg, Catalogus haereticorum: 251, 252

Leipzig 1684 Daniel Francke, Disquisitio academica de papistarum indicibus librorum prohibitorum et

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expurgandorum, in qua de numero, autoribus, occasione, contentis, fine, damnis et jure indicum illorum disseritur: 120

plicantur ac suis etiam in locis controversiae omnes fidei elucidantur: 87

Lissabon 1652 Fernandez, Vida da santissima Virgem Maria, May de Deos: 109

Lyon 1607 Martin Antonio del Rio, Opus marianum sive de laudibus et virtutibus Mariae virginis deiparae, in quatuor partes divisum: 87

Lissabon 1642 Andres Pinto Ramirez, Deipara ab originis peccato praeservata, opus cathedris, et suggestibus non inutile: 116

Lyon 1611 Sebastian Barradas, Commentaria in concordiam, et historiam quatuor Euangelistarum: 112

Lissabon 1768 Joseph de Seabra da Silva, Colleccao das provas que forao citadas na parte primeira, e segunda da Deduccao chronologica, e analytica: 121

Lyon 1622 Theophile Raynaud, Theologia naturalis, sive Entis increati et creati, intra supremam abstractionem, ex naturae lumine, investigatio: 126

London 1523 Bernhardus de Lavinheta: Explanatio compendiosaque applicatio artis Raymundi Lullii: 253

Lyon 1623 Jean Lorin, Commentaria in libros Psalmorum: 112

Lublin 1632 Franciscus Stanislaus Phoenicius, Mariae mancipium sive modus tradendi se in mancipium Deiparae virgini: 125 Lyon 1308 Raimundus Lullus, Ars generalis ultima: 241 Raimundus Lullus, Ars brevis: 241 Lyon 1550 (Ioannes Frellonius) Lexicon Graeco-Latinum: quam plurimis locis emendatum, & numerosa verborum accessione cum ex optimis quibusque authoribus, tum e Budaei commentariis postremo editis locupletatum: 6 Lyon 1578 Miguel des Palacios, Disputationes theologicae in libros Sententiarum: 97

Lyon 1627 Juan Bautista Poza, Elucidarium Deiparae, praevius explorator, maiori ex parte pugnax et contentiosus, de Chronographia et Geographia mysteriorum Virginis, Liber I. De re paterna, Liber II. De corpore virginis, Liber III. Supplementum pro definiendo immaculato conceptu, Liber IV: 108, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 116, 117, 118, 119, 131, 133 Lyon 1630 Juan Perlin, Apologia scholastica, sive controversia theologica, pro Magnae Matris ab virginali debito, immunitate: 115 Lyon 1630 (T. Raynaud) Anselm von Canterbury, Opera omnia: 126

Lyon 1581 Petrus Gregorius Tholosanus, Syntaxeon artis mirabilis libri VII: 254

Lyon 1639 Johannes Duns Scotus, Quaestiones in libros Sententiarum (Ordinatio), ed. Wadding (Opera Omnia 7): 97, 102 Theophile Raynaud, Nomenclator Marianus e titulis selectionibus quibus B. Virgo a SS. Patribus honestatur contextus: 110, 111

Lyon 1605 Gregor de Valentia, Commentariorum Theologicorum tomi quatuor, in quibus omnes quaestiones quae continentur in summa Theologica D. Thomae Aquinatis, ordine ex-

Lyon 1641 Severin Pineau, De virginitatis notis, gravitate et partu: 104 Luigi Bonacciuoli, Tractatus de conformatione foetus: 104

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Lyon 1642 Martin Perez de Unanoa, De mirabili divini Verbi incarnatione opus theologicum, quadraginta disputationibus divisum: 101 Lyon 1651 Richardus de Sancto Laurentio, De laudibus Beatae Mariae Virginis, ed. P. Jammy: 86 Lyon 1652 Bernardo de Aldrete, Commentariorum ac disputationum in tertiam partem S. Thomae de Mysterio Incarnationis Verbi Divini: 105 Gabriel de Henao, Empyreologia seu Philosophia christiana de empyreo coelo: 129 Lyon 1655 Gabriel de Henao, De Eucharistiae sacramento venerabili atque sanctissimo tractatio theologica scholaris diffusa et moralis: 130 Lyon 1658 Juan Antonio Velazquez, Dissertationes et adnotationes de Maria immaculate concepta: 125 Lyon 1659 Johannes Eusebius Nieremberg, De perpetuo obiecto festi immaculatae Conceptionis Virginis: 115 Sebastian Izquierdo SJ, Pharus scientiarum, ubi quidquid ad cognitionem humanitus acquisibilem pertinet, ubertim iuxta atque succinte pertractatur: 254

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Lyon 1665 Theophile Raynaud, Marialia: 126 Lyon 1668 Pierre de Bugis, Tractatus de mysterio incarnationis libri XII: 88 Lyon 1669 Diego del Castillo y Artiga, Alphabetum Marianum posthumum: 129, 130 Lyon 1670 Juan de Cardenas, Crisis theologica bipartita, sive disputationes selectae ex morali theologia, in quibus pro votis illustrissimi Ioannis Caramuelis, utque operi eius interrogatorio respondeatur, quam plurimae eius opiniones, et argumentationes ad praefatam crisim vocantur: 124, 125 Lodovicus Carterius Vocontius (Honore Fabri), Apologeticus doctrinae moralis eiusdem Societatis, in qua variis tractatibus, diversorum auctorum Opuscula confutantur: 127 Lyon 1671 Johannes Poncius, Theologiae cursus integer: 104 Lyon 1673 Juan de Cardenas, Geminum sidus mariani diadematis sive duplex disputatio de infinita dignitate Matris Dei atque de eius gratia habituali infinita simpliciter: 101, 111

Lyon 1662 Jose de la Cerda, Maria effigies revelatioque Trinitatis et attributorum Dei: 116

Lyon 1678 Geronimo Perez de Nueros, Lapidicina sacra, ex qua eductus primarius lapis sanctissima Virgo, beatorum Ioachimi, et Annae filia, Iosephi sponsa, Dei mater in gloria splendoribus concepta, opus in tres tractatus diuisum: 108 Alfonso Penafiel, Theologia scholastica naturalis, in qua ad Lydium disputationis lapidem Dei Optimi, maximi natura, proprietates et attributa, entiumque naturalium formalitates controvertuntur ac enodantur: 88 Leonardo Penafiel, Tractatus de Incarnatione Verbi Divini opus posthumum: 130

Lyon 1664 Cristobal de Ortega, Tractatus duo de Trinitate nec non incarnatione: 105

Lyon 1679 Juan de Lugo, Disputationes scholasticae de mysterio incarnationis dominicae: 88

Lyon 1660 Tomas Frances de Uruttigoiti, Certamen scholasticum expositivum argumentum pro Deipara: 130 Lyon 1661 Paulus Zacchia, Quaestiones medico-legales: 104 Georges de Rhodes, Disputationes Theologiae scholasticae: 129

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Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke

Lyon 1688 Francisco Garau, Maria Deipara elucidata theologiae placitis: 115 Lübeck 1707 Georg Heinrich Gotze/Johann Georg Reinesius (resp.), Problema theologicum Num Maria, filium Dei pariens, obstetricis opera fuerit usa? vel Ob Maria den Sohn Gottes mit Hulffe einer Weh-Mutter gebohren habe?: 92 Madrid 1533 Lucio Marineo, Opus de rebus Hispaniae memorabilibus: 117 Madrid 1580 Cristobal de Vega, Liber de arte medendi: 118 Madrid 1602 Alonso Salmeron, Commentarii in Evangelicam historiam et in Acta Apostolorum, vol. 3: De infantia et pueritia nostri Domini: 118 Madrid 1605 Cristobal de Castro, Historia Deiparae Virginis Mariae ad veritatem collecta et veterum partum testimoniis comprobata accurateque discussa: 109 Garcia del Orta, Disputationes medicae super libros Galeni de locis affectis, et de aliis morbis ab eo ibi relictis: 118 Madrid 1615 Juan Bautista Poza, Rhetoricae compendium: 107 Madrid 1616 Juan Bautista Lezana, Liber apologeticus pro Immaculata Deiparae Virginis Mariae Conceptione: 115 Madrid 1618 Fernando Quirino de Salazar, Defensio pro immaculata Deiparae Virginis conceptione: 112 Madrid 1626 Juan Bautista Poza, Elucidarium Deiparae, praevius explorator, maiori ex parte pugnax et contentiosus, de Chronographia et Geographia mysteriorum Virginis, Liber I. De re paterna, Liber II. De corpore virginis, Liber III. Supplementum pro definiendo immaculato conceptu, Liber IV: 108

Madrid 1629 Juan Bautista Poza, Memorial por la Religion de San Francisco, en defensa de las dotrinas del serafico dotor san Buenauentura, del sutilissimo dotor Escoto, y otros dotores classicos de la misma religion, sobre el juramento que hizo la Uniuersidad de Salamanca, de leer, y ensenar tan solamente la dotrina de san Agustin, y santo Tomas, excluyendo las demas que fuessen contrarias: 121 Juan Bautista Poza, Primeras lecciones que por la catedra de Placitis philosophorum y por las de los maestros ausentes hizo en la primera fundacion de los Reales Estudios del Colegio de la Compania de Iesus de Madrid: 121 Madrid 1643 Francisco de Rojas, Eluzidario de las grandezas de la Virgen Maria, eluzidario de las Santas Virgenes y Martires, que como damas de la Reyna de los Angeles salen acompanandola: 109 Madrid 1649 Gaspar de la Fuente – Pedro de Alba y Astorga, Armamentarium seraphicum et Regestum universale tuendo titulo Immaculatae Conceptionis: 106 Madrid 1653 Juan Antonio Velazquez, Vox haec nunciat omnis Maria Inmaculate concepta: 125 Madrid 1666 Gaspar de la Fuente – Pedro de Alba y Astorga, Radii solis zeli seraphici coeli veritatis, pro immaculatae conceptionis mysterio Virginis Mariae, discurrentes per duodecim classes auctorum, vel duodecim Signa Zodiaci sicut Sol, perficientes circulum suum solarem juxta dies anni completi, per trecentos sexaginta sex radios: 106 Madrid 1702 Pedro de Medrano, Rosetum theologicum scholasticum marianum sive Rosae marianae more scholastico elucidatae reflorescentes e veteri sanctorum patrum paradiso: 129 Madrid 1712 Juan de Campoverde, Tractatus de incarnatione Verbi Divini: 105

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Madrid 1721 Antonio de Peralta, Dissertationes scholasticae de Sacratissima Virgine Maria Genitrice Dei, nostraque etiam dilectissima Matre ac Domina, brevi, et perspicua methodo ad scolasticorum captum accomodatissima dispositae, atque eidem Beatissimae Virgini obsequenti animo consecratae: 92 Madrid 1723 Juan Bautista Leon, El animado cielo de Maria, San Joaquin y glorioso en su admirable Vida: 129

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München 1672 Wilhelm Gumppenberg, Atlas Marianus, quo Sanctae Dei Genitricis Mariae imaginum miraculosarum origines duodecim historiarum centuriis explicantur: 94 München 1673 Johannes Dedinger, Hyperdulia Deiparae seu conciones exquisitissimae, in omnia festa Beatissimae Virginis Mariae, verbi Dei Ecclesiasticis, ac sodalitiorum Partheniorum praesidibus apprime proficuae: 129

Madrid 1730 Carlos del Moral, Fons illimis theologiae scoticae Marianae e paradiso virgineo latices suos ubertim effundens: 130

München 1719 Coelestinus Mayr, Tractatus theologicus de mysteriis, divini verbi incarnationem antecedentibus, comitantibus et consequentibus: 101

Madrid 1747 Diego Gonzalez Mateo, Mystica civitas Dei vindicata ab observationibus Eusebii Amort: 127, 128

München 1758 Virgilius Sedlmayr, Theologia mariana, in qua quaestiones de gloriosissima deiparente discutiuntur: 130

Madrid 1762 uan de Palafox y Mendoza, Obras del Ilustrissimo Don Juan de Palafox y Mendoza: 119 Mailand 1617 Franciscus Collius, De sanguine Christi libri quinque, in quibus de illius natura, effusionibus ac miraculis copiose disseritur: 94 Mainz 1600 (J. Busaeus) Peter von Blois, Sermo I de adventu: 118 Mainz 1621 Martin Becanus, Theologia scholastica: 101 Mainz 1721–1742 (I. Salzinger) Beati Raymundi Lulli doctoris illuminati et martyris Opera: 236 Memoriale collationis seu comprobationis centum Articulorum Lullianorum per Nicolaum Eimeric. Raymundi Lulli Opera: 263 Marseille 1681 Andre Feraud, Cursus theologicus in tertiam partem divi Thomae: 101 Messina 1637 Maurizio Centini, De incarnatione dominica disputationes theologicae: 130

Neapel 1630 Marcantonio Capece, Discorsi dell᾿eccellenze di Maria Vergine beatissima: 110 Neapel 1631 Angelus Vulpes, Sacrae theologiae summa Ioannis Duns Scoti et commentaria: 109 Neapel 1635 Juan Serrano, De immaculata prorsusque pura, sanctissimae, semperque virginis genitricis Dei Mariae conceptione libri quinque: 109 Neapel 1653 Cristobal de Vega, Theologia Mariana, hoc est certamina litteraria de Beatissima Virgine Die genitrice Maria: 128 Neapel 1665 Carlo Lanteri, Tractatus de incarnationis mysterio ex nostri subtilissimi Joannis Duns Scoti celebrata doctrina: 104 Neapel 1695 Pietro Antonio Spinelli, Thronus Dei Maria Deipara, exhibens Divae Matris Angelos Supereminentis Excellentiam, sublimen coeli terraeque Reginae Potentiam: 125

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Nürnberg 1636 Daniel Schwenter, Deliciae physico-mathematicae: 257 Padua 1651 Laurentius Chrysogonus, Mundus marianus, hoc est Maria speculum mundi caelestis: 108 Palermo 1646 Vincenzo Fassari, Meditationi dell’infantia, pueritia, eta provetta di Christo Nostro Signore, cominciando dalla Santissima Incarnatione sino alla sua predicatione, divise in dieci parti: 110

Paris 1525 Claudius Galenus, De usu partium corporis humani, magna cura ad exemplaris Graeci veritatem castigatum, universo hominum generi apprime necessarium: 95 Paris 1528 Scotus John Mair, In tertium Sententiarum disputationes theologicae: 96 Paris 1552 Guillaume Postel, Restitutio omnium conditarum per manum Eliae prophetae terribilis, ut fiat in toto mundo conversio perfecta: 132

Palermo 1660 Vincente Fassari, Immaculata deiparae conceptio, theologicae commissa Trutinae: 106

Paris 1553 Guillaume Postel, Les tres merveilleuses victoires des femmes du noveau-monde: 132

Palermo 1747 Benedetto Plazza, Causa Immaculatae Conceptionis Sanctissimae Matris dei Mariae dominae nostrae: 129

Paris 1600 Franciscus Toledus, Commentarii in Sacrosanctum Iesu Christi D. N. Evangelium secundum Lucam: 87 Johannes Forsanus, Resolutiones in quatuor libros Sententiarum Ioannis Duns Scoti: 102 Andre du Laurens, Historia anatomica humani corporis singularum eius partium multis controversiis et observationibus novis illustrata: 118

Paris 1510 Carolus Bovillus, Liber de intellectu, Liber de sensibus, Libellus de nihilo, Ars oppositorum, Liber de generatione, Liber de sapiente, Liber de duodecim numeris, Philosophicae epistolae, Liber de perfectis numeris, Libellus de Mathematicis rosis, Liber de mathematicis corporibs, Libelluns de Mathematicis supplementis: 253 Paris 1516 Jacques Almain, In tertium Sententiarum: 96 Raimundus Lullus, Duodecim principia philosophiae Ręmundi Lulli quae et lamentatio seu expostulatio philosophiae contra Auerroistas et Physica eiusdem dici possunt: 253 Paris 1517 Johannes de Bassolis, Tertium Sententiarum opus, non minus utile quam ingeniosum: 102 Paris 1518 Raimundus Lullus, Duodecim principia philosophiae Ręmundi Lulli quae et lamentatio seu expostulatio philosophiae contra Auerroistas et Physica eiusdem dici possunt: 253 Paris 1518 (J. Badius) Johannes Buridan, In Metaphysicen Aristotelis Quaestiones […] in ultima praelectione: 191, 194, 195

Paris 1605 Juan Bonifacio, Historia virginalis de beatissimae Mariae perpetuae Virginis matris praepotentis Dei vita et miraculis: 109 Paris 1606 [Ps.-] Johannes Gerson, Sermo de conceptione virginis Mariae: 113 Paris 1608 J. Savaron, De Sanctis ecclesiis, et monasteriis claromontii: 576 Paris 1616 Juan de Cartagena, Homiliae catholicae de sacris arcanis Deiparae Mariae et Iosephi: 110 Paris 1625 Fernando Quirino de Salazar, Defensio pro immaculata Deiparae Virginis conceptione: 112 Paris 1633 Louis LeMairat, Disputationes in Summam theologicam S. Thomae: 88

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Paris 1648 Yves de Paris, Digestum sapientiae, in quo habetur scientiarum omnium rerum Divinarum atque humanarum nexus et ad prima principia reductio: 254 Paris 1728 (L.-E. Dupin) Johannes Gerson, Epistula ad Fratrem Bartholomeum Carthusiensem: 245 Paris 1657 Hugues de Saint-Francois, Les grandeurs de sainte Anne, mere de la Vierge Marie et ayeule de Jesus-Christ, dans tous les estats de sa vie, et dans l᾿origine, et progrez miraculeux de sa devotion en Bretagne pres la ville d’Auray: 129 Paris 1661 Johannes Poncius, Commentarii theologici quibus Ioannis Duns Scoti quaestiones in libros Sententiarum elucidantur et illustrantur: 104 Paris 1667 Vincent Baron, Theologiae moralis summa bipartita: 126 Paris 1672 Bernardin de Paris, La communion de Marie, mere de Dieu, recevant le corps de son propre fils en l᾿Eucharistie: 125 Paris 1682 Jean Gabriel Boyvin, Theologia Scoti a prolixitate, et subtilitas ejus ab obscuritate libera et vindicata, seu Opus theologicum studentibus sic attemperatum: 104 Pavia 1673 Francisco Macedo, Collationes doctrinae S. Thomae et Scoti cum differentiis inter utrumque textibus utriusque fideliter productis sententiis subtiliter examinatis: 104 Pisa 1308 Raimundus Lullus, Ars brevis: 241 Prag 1635 Jan Marek Marzi z Kronlandu, Idearum operatricium Idea sive Hypotyposis et detectio illius occultae virtutis, quae semina faecundat, et ex iisdem Corpora organica producit: 131

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Prag 1651 Arnošt z Pardubic, Mariale, sive liber de praecellentibus et eximiis SS. Dei genitricis Mariae supra reliquas creaturas praerogativis: 110 Prag 1652 Juan Caramuel Lobkowitz, Maria liber, id est primi Evangeliorum verbi, quod liber est, et angelorum imperatrici ad scribitur dilucidatio: 124 Prag 1653 Juan Caramuel Lobkowitz, De ecclesiae Romanae hierarchia libri decem: 124 Prag 1662 Jan Marek Marzi z Kronlandu, Philosophia vetus restituta: 131 Prag 1676 Antonius Bruodinus, Armamentarium theologicum ad mentem Doctoris subtilis: 102 Prag 1681 Bernhard Sannig, Schola theologica Scotistarum, seu cursus theologicus completus: 104 Prag 1725 Adrianus Miaskowski, Deus Homo seu Incarnatio Verbi Divini et Excellentia pretiosissimae Deiparae Virginis Mariae, quinque disputationibus theologice propugnata: 106 Praesentatio Beatae Virginis Mariae, eiusdemque in Templo Hierosolymitano conversatio, omnibus Deiparae oblatae amatoribus in solatium, cultoribus in documentum, clientibus in exemplum: 129 Puteoli 1661 Agostino de Angelis, Tractatus theologicus de immaculata conceptione seu praeservatione B. Mariae Virginis: 129 Rom 1525 Bernhardino del Busti, Mariale de singulis festivitatibus Beatae Virginis per modum sermonum tractans: 109 Rom 1570 Christoph Clavius, In Sphaeram Joannis de Sancro Bosco commentarius: 257

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Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke

Rom 1586 Archangelus Piccolomini, Anatomicae praelectiones, explicantes mirificam corporis humani fabricam: 118 Rom 1620 Giovanni Paolo Nazari, Commentaria et controuersiae in tertiam partem Summae D. Thomae Aquinatis: 101 Rom 1648 Ippolito Marracci, Bibliotheca Mariana, alphabetico ordine digesta et in duas partes divisa, qua auctores, qui de Maria Deiparente Virgine scripsere, cum recensione operum, continentur: 125 Rom 1654 Ippolito Marracci, Purpura mariana seu De purpuratis patribus eminentissimis S. R. E. Cardinalibus pietate in Mariam Deiparam Virginem eminentibus liber unus: 116 Rom 1660 Pedro de Alba y Astorga, Sol veritatis, cum ventilabro seraphico, pro candida aurora Maria in suo conceptionis ortu sancta, pura, immaculata et a peccato originali praeservata: 130 Rom 1661 Giovanni Battista Canelotti, Annales Mariani, quibus historia SS. Virginis Mariae Dei Genitricis in singulos annos distribuntur et oppositis subinde rerum humanarum successibus illustrantur: 109 Rom 1682 Lorenzo Brancati, In tertium librum sententiarum magistri fratris Ioannis Duni Scoti eiusdem ordinis doctoris subtilissimi, Tomus I […] De sacrosancto incarnationis diuini verbi mysterio: 104 Rom 1687 Sylvester Mauro, Opus theologicum: 101 Regensburg 1750 Damasius Kick, Revelationum agredanarum justa defensio cum moderamine inculpatae tutelae in qua non solum controversia antiagredana in controversiam vocatur sed et

plurimae difficultates ex theologia Scholastica, positiva et mystica, philosophia et arte critica et examinantur: 128 Salamanca 1599 Juan de Rada, Controversiae theologicae inter Sanctum Thomam et Scotum: 102 Salamanca 1626 Luis de Miranda, Defensio pro inmaculata Sacrae Deiparae Virginis conceptione, ab omni prorsus originali labe: 109 Salamanca 1635 Juan Martinez de Ripalda, Expositio brevis litterae Magistri Sententiarum: 93 Salamanca 1699 Gabriel de Novoa, Palaestra Mariana apologetica, secundo edita, et longe aucta in qua a censura evulgata, quaedam propositiones excertae e primo tomo Mysticae civitatis Dei, edito hispana dialecto a Maria a Iesu, vulgo, de Agreda, et Gallice reddito a Thoma Croset recollecto gallo: 127 Sanlucar 1576 Pedro de Peramato, Opera medicinalia: De elementis, De humoribus, De temperamentis, alia insuper utilissima traduntur opera quae novo titulo et libri principio comprehenduntur: 113 Sevilla 1617 Jacobus von Granada, De Immaculata Beatae Virginis Dei Genitricis Mariae conceptione sive de singulari illius immunitate ab originali peccato, per Jesu Christi filii eius cumulatissimam redemptionem: 112, 114 Sevilla 1659 Francisco Guerra, Maiestas gratiarum ac virtutum omnium deiparae virginis Mariae: 125 Solingen 1533 Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, In Artem brevem Raymundi Lullii Commentaria: 253 Straßburg 1501 Marsilius von Inghen, Quaestiones super quatuor libros Sententiarum: 96

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Straßburg 1609 (L. Zetzner) Johann Heinrich Alstedt, Clavis artis Lulliana et verae logices duos in libellos tributa: 254 Straßburg 1651 (L. Zetzner) Raimundus Lullus, Raymundi Lulli Opera ea, quae ad inventam ab ipso artem universalem scientiarum artiumque omnium brevi compendio firmaque memoria apprehendarum locupletissimaque vel oratione ex tempore pertractandarum pertinent: 240, 253, 254 Sulzbach 1852 Raimundus Sabundus, Theologia naturalis seu liber creaturarum: 253 Tours 1629 Alonso Carranza, Tractatus novus et accuratissimus de partu naturali et legitimo, ubi controversiae iuridicae, philologicae, philosophicae, medicae discutiuntur: 131 Turin 1845 Fidelis Mazzola, De Beata Virgine disputationes historico-theologicae: 112 Tübingen 1691 Johann Adam Osiander, Systema theologicum seu theologia positiva: 120 Valentia 1653 Johannes Eusebius Nieremberg, De perpetuo obiecto festi immaculatae Conceptionis Virginis: 115 Luis Crespi de Borja, Propugnaculum theologicum diffinibilitatis proximae sententiae piae negantis, beatissimam Virginem Mariam in primo suae conceptionis instanti, originali labe fuisse infectam: 123 Valentia 1672 Jacinto Bonaventura de Guere, Opusculum deiparae semper Virgini Mariae absque ulla originalis peccati labe conceptae dicatum: 129 Valladolid 1656 Juan Antonio Velazquez, De augustissimo eucharistiae mysterio sive De Maria forma Dei, pars altera: 125 Venedig 1500 Avicenna, De animalibus: 366, 369

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Venedig 1537 Julius Caesar Delphinus, Mariados libri tres: 86 Venedig 1538 Julius Caesar Delphinus, Mariade de la madre vergine: 86 Venedig 1548 Ovadja da Bertinoro, Mišnayyot mi-Seder Neziqin im peruš ha-rav ha-muvhaq ha-gaon be- mhr“r Ovadya mi-Bartenura: 543 Venedig 1571 Francisco Suárez, Petri Lombardi Sententias theologicas Commentariorum libri IV: 90 Venedig 1582 Bartolomeo de Medina, Expositio in tertiam D. Thomae partem usque ad quaestionem sexagesimam, complectens tertium librum sententiarum: 88 Venedig 1583 Petrus Tartaretus, Lucidissima commentaria sive (ut vocant) reportata in tertium librum Sententiarum Ioannis Duns Scoti: 102 Venedig 1586 Jacobus de Valentia, Expositio in cantica ferialia et evangelia, nec non in cantica canticorum Salomonis: 112 Venedig 1589 Mattia Aquario, In tertium Sententiarum, dist. 4, in: id., Annotationes super quatuor libros Sententiarum Joannis Capreoli: 94 Wilhelm Pepin, Sermones de imitatione sanctorum, pro illorum diebus festis, qui toto anno in ecclesia celebrantur: 113 Venedig 1591 (P. Rodolphus) Bernhardin von Siena, Opera quae extant omnia: 116 Venedig 1607 (F. Peña) Nicholaus Eymerich, Directorium inquisitorum F. Nicolai Eymerici Ordinis Praedicatorum […]: 243, 244, 251 Venedig 1613 Francesco Pitigiani, Summa theologiae speculativae, et moralis, necnon Commentaria in tertium librum Sententiarum doctoris subtilis Ioannis Duns Scoti theologorum facile prin-

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Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke

cipis complectens explicationem eorum, quae de Verbi divini incarnatione, passione, morte et resurrectione a magistro Sententiarum, et a Scoto tractantur: 102, 103

Venedig 1728 Alonso Tostado Ribera y Madrigal, Commentum in Leviticum: 91

Venedig 1613–19 Philippus Faber, Disputationes theologicae libros quatuor Sententiarum continentes: 103

Venedig 1750 Bernardo Maria de Rubeis, De gestis, et scriptis, ac doctrina sancti Thoma Aquinatis dissertationes criticae, et apologeticae: 127

Venedig 1629 Giovanni Maria Zamoro, De eminentissima Deiparae Virginis perfectione libri tres, in quibus primum generatim de summa illius praestantia, deinde vero singillatim de ipsius virtutibus: 109

Venedig 1760 Girolamo Fiorentini, De hominibus dubiis seu De abortivis baptizandis pia prothesis: 130

Venedig 1630 Martino Bonacina, Tractatus de sacrosancta Christi Incarnatione, aliisque praecipuis Vitae Christi et Beatissimae Virginis Mariae Mysteriis: 101 Venedig 1638 Diego de Celada, Appendix, Judith illustris perpetuo commentario literali et morali, cum tractatu appendice de Judith figurata, idest de Virginis Deiparae laudibus: 125 Venedig 1639 Paul Sherlock, Anteloquia in Salomonis Canticorum canticum, ethica pariter et historica: 129 Venedig 1650 Michele Calvo, Assunti sopra i Vangeli della quaresima Parte Seconda, Sabbato della Domenica quinta: 114 Venedig 1660 Xantes Mariales, Bibliotheca interpretum ad universam summam theologiae divi Thomae Aquinatis, Prolegomena adversus novatores: 127 Venedig 1696 Bartholomaeus degli Albizzi, De vita et laudibus B. Mariae Virginis: 104 Venedig 1707 Laurentius Beyerlinck, Magnum Theatrum Vitae Humanae: 252 Venedig 1709 Barthelemy d’Antibes Durand, Clypeus scoticae theologiae contra novos ejus impugnatores: 104

Venedig 1763 Pietro Maria Gazzaniga, Praelectiones theologicae habitae in Vindobonensi universitate: 126 Venedig 1797 Pietro Maria Gazzaniga, Praelectiones theologicae habitae in Vindobonensi universitate: 126 Voigtland 1675 Caspar Schoppe, Alphonsi de Vargas von Toleto Erzehlung der Rancke, Betrugereyen und Politischen Griffe der Jesuiten, wodurch sie eine Monarchiam uber die gantze Welt auffzurichten gedencken: 120, 122 Francesco Roales Munoz, Handelung der Ketzerey wider die Societat Jesu: 122 Francesco Roales Munoz, Entwurf der Lehre Pozas und der Seinigen: 122 Wien 1646 Laurentius Chrysogonus, Mundus Marianus. Maria Speculum Mundi Archetypi seu Divinitatis: 108 Wien 1714 Juan Bautista Poza, Itinerarium pro peregrinis ad aeternitatem seu Praxis iuvandi aegros ad bene moriendum, nec non sanos permovendi ad pie vivendum, ex iis, quae occurrunt et fieri debent in hora mortis: 107 Wien 1760 Johann Ziegler, Die grosund wunder-herrlich machende Mutterschafft. Das ist: Anna, eine dreymal herzlich- und Wunder-grosse Mutter Maria, der Gebahrerin Gottes, in einer LobRed vorgestellt: 108

Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke Wittenberg 1587 Giordano Bruno, De lampade combinatoria Lulliana: 254 Giordano Bruno, De progressu et lampade venatoria logicorum: 254 Wittenberg 1641 Johannes Sperling, Tractatus physicus de formatione hominis in utero: 104 Zaragoza 1631 Juan Bautista Poza, Practica de ayudar a morir, para que cualquiera que supiere leer para ayudar, y consolar a los enfermos: 107 Zaragoza 1639 Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Votum Platonis de iusto examine doctrinarum et de earum probabilitate et de primis instantijs et alijs recursibus praesertim in causis fidei: 123 Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Tabulae sillabi, in quibus doctrinae, et propositiones historicae, philosophicae, medicae, theologicae, circa praerogativas Deiparae, aut earum confirmationes proponuntur solum recitative, aut inquisitive, aut examinative, aut problematice, aut suspensive, aut praesumptive, aut coniecturaliter, exemplo Aristotelis, et S. Augustini, et gravissimorum Doctorum, qui plurimos libros simili stylo sub formidine scripserunt: 123 Zaragoza 1646 Juan Antonio de Fuente (Juan Bautista Poza), Relectiones summariae canonicae, de obligatione libellatorum, et testium, et aliorum cooperantium, aut consentientium in calumniis, et de quibusdam erroribus communibus circa naturam opinionis probabilism, collectae a D. Ioanne de Fonte, ex commentariis M. Ioannis Andreae de Pazo, et compendiose propositae: 123 Zaragoza 1664 Didace Escolano, De magistra fidei et haereseos destructrice Deipara Virgine Maria tractatus apologeticus: 87 Zaragoza 1691 Felipe Aranda, De divini Verbi incarnatione et redemptione generis humani: 101

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Zaragoza 1693 Jeronimo Lorte y Escartin, Mappa subtilis, Orbis Marianus, Fasciculus Dunsius, speculum Scoticum ferme innumera praestantisimorum virorum detegens vocitans eiusdem exambiens elogia venerabilis servi Dei Ioannis Dunsii Scoti: 102 s. l. 1625 Juan Bautista Poza, Memorial a los Iuezes de la verdad, y Doctrina. Porque aviendo llegado a esta Vniversidad de Salamanca vnos papeles muy pios, y catolicos, acerca de la autoridad de los Doctores, algunos los han depravado, anadiendo, y quitando clausulas, o palabras de los verdaderos exemplares: 121 s. l. ca. 1628 Juan Bautista Poza, Sanctissimo Domino nostro Urbano Papa octavo, supplicem libellum pro causa tomi primi Elucidarii: 121 Juan Bautista Poza, Sanctissimo Domino D. N. Urbano Papae octavo, cognatio cantabrica, in causa iudiciali tomi primi Elucidarii: 121 s. l. 1630 Simon Ramos, Antipologia adversus calumniatores doctissimi Patris Ioannis Baptistae Poza, Societatis Iesu, Beatae Mariae semper Virginis propugnatoris acerrimi: 124 s. l. 1636 Juan Antonio Saura (Juan Bautista Poza), Summaria collectio ex Conciliis, Decretalibus, Patribus, Scholasticis, Iuris professoribus, et praxi tribunalium, circa examen doctrinarum tam Magistrale, et consultivum, sive Scholasticum, quam authenticum, et iudiciale, sive iurisdictionale, et circa examen probabilitatis opinionum, tam privatae, quam publicae: 122 s. l. 1640 Juan Bautista Poza, J. B. Poza de la Compania de Jesus prepone a V. A. las doctrinas, que en el appendix se expurgan por el orden que en el estan: 123 s. l. 1642 Caspar Schoppe, Alphonsi De Vargas Toletani Relatio ad Reges et Principes christianos de stratagematis et sophismatis politicis Societatis Jesu ad Monarchiam orbis terrarum sibi conficiendam: 122

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Verzeichnis der Wiegen- und Frühdrucke

s. l. s. a. Juan Bautista Poza, Assertiones theologicae. Quaestio princeps: quis fuerit angelus custos sanctissimae Virginis: 107

Juan Bautista Poza, Assertiones philosophicae et medicae de corpore humano in statu naturae lapsae et integrae: 107 Juan Bautista Poza, Aphorismi conclusionum ex doctoribus recitative solum propositi: 107

Namenregister Abattouy, M. 142 Abba Ša’ul ben Batnit 542 Abbās, I. 467 Abd-al-H  amīd, M. M. 473 Abd-al-Maugˇūd, ā. A 474 Abdallāh Ibn-Abbās 472, 475 Abdallāh ibn-Masūd 479 Abdur-Rahman ibn Sakhr Al-Dawsri Al-Zahrani (Abū-Huraira) 475, 479 Abū Abd Allāh Muh ammad ibn Sad ibn Manī al-Basrī (Muh ammad Ibn-Sad) 467 Abū Abd Allāh Muh ammad ibn Umar ibn alH  usain Fah˚ r ad-Dīn ar-Rāzī (Fah˚ raddīn alRāzī) 406, 429 sq., 466, 473 Abū Abdallāh Muh ammad ibn Yazīd ibn Māgˇa ar-Rabī al-Qazwīnī (Muh ammad Ibn-Māgˇa) 479 Abū al-Faraj Alī ibn al-Husayn ibn Hindū (ibn Hindū) 141, 143 sq. Abū-al-Lait al-Samarqandī 474 Abū Alī al-H  asan bin al-Haitam (Alhazen, Avennathan) 295 Abū Alī al-H  usain ibn Abd Allāh ibn Sīnā (Avicenna) 137, 139–141, 143–145, 147, 149, 151–157, 159, 348, 363 sq., 366 sq., 369, 375, 379, 385, 387, 390, 393, 398, 406, 411, 466 Abū Alī Miskawaih (Ibn Miskawaih) 141 sq., 146, 157 Abū Bakr Muh ammad ibn Abd al-Malik ibn Muh ammad ibn Tufaīl al-Qaīsī al-Andalusī (Ibn-Tufaīl) 466 Abū Bakr Muh ammad ibn al-Qāsim ibn Muh ammad ibn Bashār al-Anbārī 399 Abū Bakr Muh ammad ibn Zakariyyā al-Rāzī (Abū Bakr al-Rāzī) 409, 412, 430, 479 ˇ afar Muh ammad ibn Muh ammad Nasīr Abū G ad-Dīn al-Tūsī 401 sq., 416 sq., 419–421, 423– 425, 429 sq., 432 Abū H  āmid al-Ġarnatī 425, 431 Abū Hāmid Muhammad ibn Muhammad al-Ġazālī (Algazel) 139, 348, 397 sq., 399, 401, 404, 407, 411 Abū H  amza Anas ibn Mālik (Anas ibn Mālik) 469 Abū Hayyān al-Tauh īdī 141 sq., 146, 158, 405, 408 sq. https://doi.org/10.1515/9783110792461-034

Abū-Huraira al-Zahrānī 475, 479 Abu Ishaq Isma’il ibn al-Qasim ibn Suwayd ibn Kaysan (Abū al-Atāhīya) 401 Abū Ish āq Ah mad ibn Muh ammad al-Talabī 475 sq. Abū-l-āliya Rufai ibn-Mihrān 478 Abū l-Faragˇ Abd ar-Rah mān ibn Alī Ibn alˇ auzī 472 G Abūl-Fath Abd al-Rah mān al-Chāzinī (al-H ˚ āzinī) 142 Abū l-Fidā Ismāīl ibn Umar ibn Katīr (IbnKatīr) 470–477, 479 Abū l-H  asan Alī ibn Abī Tālib 473 Abu-’l-H  asan Alī ibn-Ah mad al-Wāh idī 470– 472, 474 sq., 478 sq. Abū l-H  asan Alī ibn Muh ammad ibn H  abīb alBasrī al-Māwardī 473 Abū-l H  assan Muqātil ibn Sulaymān Al-Balkhī (Muqātil ibn-Sulaimān) 467, 469–471, 478 Abū ’l-Husain Muslim ibn al-Haddschadsch ibn Muslim al-Quschairi al-Naisaburi (Muslim ibn-al-H  agˇ gˇāgˇ) 476 Abū l-Muz affar Yūsuf ibn Muh ammad al-Muqtafī l-Mustangˇid bi-’llāh (al-Mustangˇid) 550 Abū l-Qāsim-i Firdausī (Firdausī) 424 Abū l-Walīd Muh ammad ibn Ah mad Ibn Rušd (Averroes) 112, 140, 145, 363, 379, 397 Abū Imrān-i Sīrāfī 423 Abū Jafar Muh ammad ibn Ayyūb al-H  āsib alTabarī (Hāsib-i Tabarī) 417, 422, 426, 431 Abū Muh ammad Abd ar-Rah mān Ibn Abī H  ātim Muh ammad al-H  anz alī ar-Rāzī (Ibn Abī Hātim ar-Rāzī) 470 Abū Muh ammad al-Qāsim ibn Alī b. Muh ammad ibn Utman ibn al-H  arīrī al-Basrī (alH  arīrī) 479 Abū Nasr Muhammad al-Fārābī (al-Fārābī, Avenassar) 137, 139 sq., 144–151, 154–157, 402, 408 Abū Saīd al-H  asan ibn Abi l-H  asan al-Basrī (alH  asan al-Basrī) 473 ˇ āh iz 137, 139, 141 Abū Umān al-G Abū Yahyā Zakarīyā ibn Muhammad al-Qazwīnī (al-Qazwīnī) 139, 158 sq., 395 sq., 400–408, 410 sq., 413–417, 419–422, 425 sq., 431 Achilles 489, 499–502

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Namenregister

Achnitz, W. 615 Adam 318 sq., 324–326, 338 sq., 578 Adam de Marisco (Adam Marsh) 337, 530 Adam de Wodeham 190 sq. Adamson, P. 137, 148, 395, 411 Adamus Bucfeldus 379 Ād arnūš, A. 428 Adelardus Bathoniensis 36 Adem, R. 472 Adimari, Alamanno 244 Adler, E. N. 544 Adler, M. N. 546 sq., 549 sq., 554 Adriaen, M. 89 Aegidius Viterbensis 131 sq. Aelredus Rievalensis 584 sq. Aeneas 61 sq., 328 Aertsen, J. A. 173 sq., 274, 282, 291, 295, 343, 389, 530, 602, 607 Aethicus Ister 220, 225 sq., 228, 230 Afīfī, A. 156 Afšār, I. 427 Agamemnon 489 sq. Agostino de Angelis 129 Agou, C. 548 Agrippa von Nettesheim (Heinrich Cornelius) 253, 263 ˇ . 429 Ah˚ awān-i Zangˇānī, G Ah mad ibn-H  anbal 467 sq. Aiken, P. 363 Akae, Y. 270, 275 Akasoy, A. 156 Akbarī Mafāh˚ ir, A. 424 Akiva ben Josef 542 al-Ahwānī, A. F. 155, 157 al-Arabī, I. 402 al-Arnāūt, Š. 470, 479 al-Dāmin, H  . S . 468 al-Fāryābī, N. M. 476 ˇ āh iz , Ps. 399, 404 al-G al-H  alīm Muntasir, A. 153, 157 al-H  ussain, S. I. M. 470 al-i Dāwūd, S. A. 430 sq. al-Mansūrī, A. 141 al-Mudaimīġ, A.A. M. 470 al-Muqtafī li-amri ’llāh Abū Abd Allāh Muh ammad ibn Al-Mustaz hir (al-Muqtafī) 550 al-Nauwatī, Z. A.-M. 474 al-Rabī ibn-Anas 478 al-Rahim, A. H. 465–480 al-Sāidī, N. 475 Al-Sāwī, A. I. 473 Al-Sayyid-Marsot, A. L. 474 al-Suyuti, Jalal al-Din 471–473 al-Zāriī, M. 156

Al-Zayn, A. 405, 408 sq. Alanus ab Insulis 31, 267–269, 271–280, 282– 291, 314 Alarcón, E. 180 Alberigho, J. 531 Albert, K. 486, 494 Albertus Bohemus 527 Albertus Magnus 93, 97, 202, 222, 229, 231, 268, 288, 314, 343, 361–375, 376–378, 381, 384, 388–394, 535 Alberzoni, M. P. 593 Alcuinus 118 Aldington, R. 456 Alessio, F. 332 Alexander, J. J. 570 Alexander IV. papa (Rinaldo di Segni) 539 sq. Alexander a S. Joanne de Cruce 119 Alexander Aphrodisiensis 21, 140, 150, 152 Alexander Halensis 93, 229, 277, 311 Alexander Halensis, Ps. 314 Alexander Magnus 27, 29 sq., 500, 516, 543 Alexander Neckham 291 Alfano, M. 292 sq. Alfredus Sereshalensis 379 Allgaier, K. 607 ‘Alī Ibn-al-‘Abbās al-Mağūsi 379 Alī Umar 425 Almain, Jacques 96 Alsted, J. H. 233, 254, 263 Altenschmidt, K. 355 Altmann, H. 544 Alvarez, S. 290 Amalarius Metensus 605 Ambrosius, Aurelius sanctus 440, 461 Ambrosius Mediolanensis 94, 111, 116, 591, 595 Ament, H. 560 Amicus, Franciscus 101 Amīn, A. 405, 408 sq. Aminrazavi, M. 412 Amos, T. L. 288 Amphilochius Iconiens 6 ˇ āh iz 396, 399, 402 sq., 405– Amr ibn Bah r al-G 411, 413–415 Anderson, W. L. 351 Andre, J. P. 500 sq. André, M. 89–92, 94–96, 98–101, 106 Andreas de Longiumello 530 Andreas de S. Victore 316 Andreas Perusinus 538 Andresen, C. 153 Andújar, E. 272 Angelus Vulpes 109 Angotti, C. 296 Ankori, Z. 555

Namenregister Anselmus Cantuariensis 33, 85, 87, 89, 92, 98, 111, 113, 117, 126, 347, 457 Anselmus Cantuariensis, Ps. 85, 113 Antolic-Piper, P. A. 541 Antonius Magnus 353 Antonius Patavinus 309 sq. Antonius Musa 378 Anzulewicz, H. 365, 374, 389 Apuleius Madaurensis 31, 455 Apuleius, Ps. (Apuleius Platonicus) 378 Aquario, Mattia 94 Aarab, A. 403 Arafat, K. W. 474 Aranda, Felipe 101 Arberry, A. J. 151, 409, 469, 475 Arbesmann, R. 458 Ariew, R. 103 Ariprandus, eremita 32 Aristophanes 152 Aristoteles 4 sq., 8, 21, 27–29, 58 sq., 81 sq., 91, 95, 111 sq., 118, 137–155, 158, 160–162, 164, 170, 187, 195, 200, 207, 233, 308, 313, 327, 331, 333 sq., 341, 349, 361–369, 374–376, 379, 382 sq., 388 sq., 396, 404, 405, 407, 410, 451, 501, 533 sq., 543 Aristoteles, Ps. 142 Arkoun, M. 139 Armogathe, J.-R. 119 Arnaldez, R. 477 Arnestus de Pardubitz 110 Arno Salisburgensis 270, 282 Arnulfus Provincialis 380 Arosio, M. 311 Arrhenius, B. 563 Arriaga, Rodrigo 88 Asad, H  . 470 Ascelino de Lombardia 530 sq., 535 Asclepius Trallensis 152 Asper, M. 439 Astráin, A. 107 Asztalos, M. 307 Atturo, V. 49, 67 Aubert, H. 118 Aubert, M. 576 Audehm, K. 487 Augustinus, Aurelius 3, 32, 39, 42, 44 sq., 47–55, 59 sq., 67, 70, 73, 76, 89, 91, 112 sq., 116, 153, 184, 200 sq., 222 sq., 225, 228, 231, 269, 273, 275, 277, 280–282, 285, 288–291, 294, 301, 308, 314, 316, 322 sq., 337 sq., 340, 342 sq., 346–348, 354, 373 sq., 395, 456, 457, 461, 465, 484–492, 495, 497 sq., 501, 507 sq., 514 sq., 517, 523, 538, 583, 591 sq., 611 Augustinus Hibernicus 111

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Augustus, Gaius Octavianus 370 Avent, R. 571 Avery, M. 591 Avitus Claromontium II. 576 Avraham Abu Tahir, rabbinus 551 Babbitt, F. C. 110 Backhouse, J. 571 Backhaus-Maul, H. 355 Bacon, Francis 46, 291, 307, 341 Badawī, A 153, 408 Badia, A. 34 Badius, J. 191, 194 sq. Baehrens, E. 284 Baethgen, F. 336 Bafia, S. 284 Bagliani, A. P. 379 Bagnoli, M. 566 Bah yē Ben-Yôsēf 399 Baidschu Noyan 530 sq., 535 Baisch, M. 483, 485, 492 sq., 613 Bakker, P. J. J. M. 192–194 Ball, P. 82 Balme, D. M. 408 Balme, P. 576 Baltes, A. M. 355 Baptista Mantuanus 113 Barck, K. 279, 508 Barnes, J. 404, 408 Barolini, T. 60 Baron, S. W. 542 Baron, Vincent 126 Barone, G. 381 Barra, A. 591 Barradas, Sebastião 112 Barrett, J. L. 292 Barron, C. 615 Barth, F. 62 Barth, R. 52 Bartholin, Thomas 131 Bartholomaeus Anglicus 378 Bartlett, J. R. 506, 510 Bāsallūm, M. 472 Baschet, J. 34, 578, 587 Basilius Caesariensis (Basilius Magnus) 6, 112, 348 Bataillon, L.-J. 274 Battaly, H. 292 Bauer, C. 357 Bauer, K. 470 Bauer, M. M. 514 Bauer, T. 477 Baumann, N. 294 Baumgärtner, I. 540

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Namenregister

Baumgartner, M. 268 Bayle, Pierre 341 Bazán, B. C. 272 Bazzi, P. 173 Bearman, P. J. 467, 479 Beatrice 56, 64–69, 72 Becanus, Martin 101 Beccarisi, A. 222 Beck, H. 560, 579 Beda Venerabilis 95, 314, 322 Beebe, K. 518 Begasse de Dhaem, A. 311 Begley, R. B. 591 Béhar, R. 49 Bel-Haj, N. 403 Bela IV., rex Hungariae 527 Bell, J. N. 466, 473, 477 Ben Saad, M. 403 Benakis, L. 8, 16 Bénatouil, T. 391 Benedict, B. M. 82 Benedictus XVI. papa (Joseph Aloisius Ratzinger) 312, 341 Benedictus Polonus 530, 538 Benjamin, W. 160 Benjamin ben Jonah Tudela 544–555 Benson, R. L. 274 Benz, E. 207 Berdt, R. 534 Berg, D. 615 Berg, H. 467, 472 Berger, D. 597 Bergh, B. 115 Bergier, J.-F. 612 Bériac, F. 287 Bériou, N. 270 sq., 275 sq., 278, 296, 591, 616 Berlekamp, P. 400 Berlynes, D. 597 Bernardinus Parisiensis 125 Bernardinus Senensis 116 Bernardus Carnotensis 284 Bernardus Claraevallensis 34 sq., 37–42, 53, 75, 89, 270 sq., 275, 280 sq., 288, 290 sq., 300, 302, 308, 314, 316, 325, 327, 343, 354, 373 sq., 453, 457, 461–464, 568, 575, 583, 587 Bernardus de Luxemburg 251 sq. Bernardus Silvestris 31 Berndt, R. 286 Bernhardt, K. 584 Bernt, G. 227 Berschin, W. 279 Berthier, J. J. 381, 384 Bertholdus Maisberchensis 215–232 Bertolacci, A. 140, 154, 156

Berton, C. 89–92, 94–96, 98–101, 106 Bertram, G. W. 178 Bérubé, C. 310, 332, 336 Beukers C. 89 Beullens, P. 365 Beyerlinck, Laurentius 252 Bezner, F. 280, 597 Bezzola, G. A. 526–530, 532, 538, 540 Bhattacharyya, U. 307 Bianchi, L. 184, 186, 190, 192, 383 Bianquis, T. 467 Biel, Gabriel 96 Bienak-Nowak, M. 307 Bigalli, D. 337 Billanovich, G. 77 Birgitta Suecica 114 sq. Bitterling, K. 369 Blachère, R. 478 Black, D. L. 144 Blanchard, P. 592 Blander, J. 189 Bleumer, H. 493 Blum, P. H. 127 Blumenberg, H. 3 sq., 25, 44–47, 56, 62, 178 sq., 184–186, 190–192, 197, 199 sq., 294, 307, 330, 333, 337, 341, 395, 451 sq., 485, 489, 491, 493, 498 sq., 508, 515, 536, 538, 583, 617 Boccaccio, Giovanni 239, 276 Bodei, R. 307 Bodenheimer, F. S. 408 sq. Bogaert, P.-M. 460 Boese, H. 220, 222, 229 Borst, A. 366 Bös, G. 31, 41, 199–201, 203, 269 sq., 276, 281, 288, 314, 343, 485, 493, 495, 497, 498, 537 sq., 582, 592 Boethius, Anicius Manlius Severinus 286, 331, 533 sq. Boethius de Dacia 203 sq., 331 Böwering, G. 466 Bonacciuoli, Luigi 104 Bonacina, Martino 101 Bonacossa Paduanus 379 Bonaventura 53, 73, 75 sq., 93, 96, 102, 121, 127, 184, 229, 277, 307, 309–330, 332, 335 sq., 338–341, 343, 346–349, 351, 354, 356 Bonifacio, Juan 109 Bonitz, H. 137 sq., 145 Bonne, J.-C. 578, 587 Bonner, A. 240, 253, 261 Bord, L.-J. 598 Borgnet, A. 97, 222 Bosbach, F. 534 Bossuat, R. 280

Namenregister Bosworth, C. E. 466–469, 471, 476 sq., 479 Botticelli, Sandro 56, 74 Boudet, J.-P. 36 Boudon-Millot, V. 414 Boudot-Lamotte, A. 474 Bougerol, J.-G. 312, 315, 317, 320, 322–326 Boulton, M. B. M. 615 Bourassé. J.-J. 85, 453 Bourgain, P. 37 Bourgeois, D. 609 Bourgeois, Jean 88 Bourke, A. 49, 67 Bournas-Vallianatos, P. 398 Bousquet, G. H. 470 Boutry, M. 275 Bouwsma, W. J. 131 Bower, J. 439 Boyer, B. 596 Boyle, L. 597 Boyton, S. 612 Boyvin, Jean Gabriel 104 Brachtendorf, J. 484 Brack, K. 565, 568 Bradwardine, Thomas 331 Brady, I. 93, 289 Brancati di Lauria, Francesco Lorenzo 104 Brather, S. 559, 567 Bredero, A. H. 453 Brégier, L. 577 Breitenstein, M. 281, 283 Breith, A. 444 Brendanus, sanctus 487 sq., 502 Brentano, Clemens 160 Brésard, L. 274 Brewer, J. S. 334, 540 Bridges, J. H. 334 sq., 532, 541 Brieske, V. 563 Brinkmann, H. 597 Brînzei, M. 296 Briscoe, M. G. 269 Broadie, S. 137 Broggio, P. 106 sq. Brooks, P. 503 Browe, P. 601 Brown, J. 471, 479 Brown, S. 186, 189 Bruce, S. G. 82 Bruder, J. S. 85 Brugarolas, M. 274 Brunner, H. 487, 490–494, 496–500, 502 sq. Bruno, Giordano 254 Bruno Cartusianus 455 Bruns, I. 152 Brunsch, J. 292

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Brunschvig, R. 468 Bruodin, Anthony (Antonius Bruodinus) 102 Bryson, M. 446 Bsteh, P. 281 Bū Milham, A. 145 Bucer, Martin 89 Bulang, T. 613 Bull, C. 222 Bunyan, J. 464 Burchardus de Monte Sion 506 sq., 509 sq. Burchardus Wormaciensis 599 Burger, C. 342–345, 347, 350 sq., 353 sq. Burger, M. 231 Burgess, G. S. 487 Burgundio Pisanus 268 Burmann, T. E. 283 Burnett, C. 36 Busaeus, J. 118 Butler, J. 452 Butterworth, C. 397 Buttimer, C. 37 Buytaert, E. M. 94, 100 Bynum, C. W. 30 C. de Bridia 538 sq. Cabrero-Ravel, L. 578 Caesar, Johannes 86 Caesarius Arelatensis 457, 459, 464 Caesarius Heisterbacensis 594 sq., 599 Cahn, W. 585 Cahn, Z. 555 Cajetan, Thomas 91, 94, 96 Calabrese, M. 443 Calcas 491 Calcidius 485 Calixt, Friedrich Ulrich 120 Calixtus II. papa (Guido von Burgund) 580 Calvo, Michele 114 Canelotti, Giovanni Battista 109 Candiotto, L. 138, 158 Cangrande I. della Scala 53 sq. Canisius, Petrus 87 Cantin, P. 33 Cao, G. M. 341 Capece, Marcantonio 110 Capps, E. 405 Caramuel Lobkowitz, Juan 122 Cardelle de Hartmann, C. 503 sq. Cardullo, R. L. 152 Carlevaris, A. 612 Carls, W. 518 Carnap, R. 165 Carolus V., imperator Sacri Romani Imperii 244

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Namenregister

Carolus Magnus, rex Francorum et imperator Romanorum 270, 455, 544 Carranza, Alonso 131 Carreras y Artau, J. 244–246 Carreras y Artau, T. 244–246 Carrier, J. 296, 383 Carrol, L. 464 Carruthers, M. J. 568 sq., 572 sq., 585 Carver, M. 563 sq. Caspers, C. 614 sq. Castelli, Benedetto 320 Catalani, L. 85 Cathala, M.-R. 161, 171, 202 Catharina Alexandrina 522 Cato, Marcus Porcius Censorius 284 Cattaneo, E. 592 Ceñal, R. 254 Centini, Maurizio 129 Ceyssens, L. 107 Chaggai ha-Nasi, rabbinus 551 Chajim, rabbinus 544 Chananja, rabbinus 551 Chareyron, N. 518–523 Charpentier, J. 334 Chatelain, A. 184, 187, 376, 382 sq., 393 Châtillon, J. 275 Cheneval, F. 60 Chenu, M.-D. 34, 382 Chesnau, C. 254 Chevallier, P. 17 Chisdai, rabbinus 551 Choderlos de Laclos, Pierre-Ambroise-François 456 Christ, K. 199, 205 sq., 209–210 Christen, M. 293 Chroust, A.-H. 139 Chrysogonus, Laurentius 108 Church, I. M. 292 Cicero, Marcus Tullius 3, 31, 199 sq., 281, 485, 508, 586 Cinelli, L. 377 Circe 61 Clark, D. L. 295 Classen, P. 268, 381 Clavius, Christophorus 257 Clemens IV. papa (Guido Fulcodius) 336, 540 sq. Clemens Alexandrinus 10, 112 Clemens de Bohemia 372 Coakley, S. 73 Cohen-Hanegbi, N. 451 Cohn-Sherbok, D. 549 Coleman, J. 586 Colker, M. 30 Collius, Franciscus 94

Colombo, Cristoforo 307 Colomer, E. 253 Columella, Lucius Junius Moderatus 378 Combes, A. 354 Compton-Carleton, Thomas 88 Congar, Y. 590, 613 Connell, R. W. 452 Conradus de Austria (Konrad von Waldhausen) 371 Conradus Herbipolitanus 483, 489 sq., 492, 495, 502 sq. Conring, Hermann 120 Constable, G. 35, 274, 593 Constantinus Africanus 379 Conzelmann, D. 437–449 Cooke, N. 545 Coolman, B. T. 73 Coote, J. 565 Copleston, F. C. 485 Cormeau, C. 503 Cortés Peña, A. L. 106 Costello, H. 111 Courcelle, P. 37, 280, 327 Courcier, Pierre 125 sq. Courreau, J. 457 Courtenay, W. 185, 190 Cousin, Nicolaus 263 Craemer-Ruegenberg, I. 368 Craig, E. 466 Craig, L. A. 522 Craplet, B. 576 Creamer-Reugenberg, I. 380 Crespi de Borja, Luis 123 Creytens, R. 534 Crisciani, C. 369, 391 Cross, R. 92 sq. Crouzel, H. 274 Curtius, E. R. 32 Cyprianus Carthaginiensis d’Alverny, M.-T. 267–269, 272, 274, 277, 285– 287, 290 d’Antibes Durand, Barthelemey 104 d’Avray, D. 270 d’Étaples, Jacques Lefèvre (Jacobus Faber Stapulensis) 253, 263 d’Onofrio G. 286 da Bagnolo, Guido 79 da Bertinoro, Ovadja 543 da Vinci, Leonardo 451 Dagens, C. 454 Dahan, G. 32, 380 dal Covolo, E. 308 Damasus I. papa 590

Namenregister Daniel, rabbinus 551 Daniel 322 Daniel Morlanensis 36 Dānišpagˇūh, M. T. 427 Dante Alighieri 27–30, 43, 44 sq., 47, 49, 51–75, 307 sq., 316 Daston, L. 82, 509 Daur, K.-D. 32 David, A. 544 sq., 547 sq. David, rex Israelis 275 Davis, D. E. 292 Davis, J. M. 543 Davis, V. 615 Davril, A. 599, 605 sq. Dawid, rabbinus 544 Day, J. 566 de Alba y Astorga, Pedro 106 de Aldrete, Bernardo 105 de Asua, M. 361 de Avendaño, Diego 115 de Backer, A 107, 120, 124 de Balinghem, Antoine (Antonius de Balinghem) 109 de Bouelles, Charles (Carolus Bovillus) 253, 263 De Bruijn, J. T. P. 477 de Bugis, Pierre 88 de Cabrera, Pedro 101 de Campoverde, Juan 105 de Cárdenas, Juan 101, 111 de Cartagena, Juan 110 de Castro, Cristóbal 109 de Celada, Diego 125 de Certeau, M. 357 de Fiores, S. 87 de Guere, Jacinto Bonaventura 129 de Guzmán, Gaspar (Conde de Olivares) 122 de Henao, Gabriel 129 de Jesús de Ágreda, María 127 sq. de Jesús María, José 116 de Koninck, Gilles 88 de la Barrera y Leirado, C. A. 122 de la Cerda, José 116 de la Fuente, Gaspar 106 de la Rada, Juan 102 de Lacy, P. 95 de Lagarde, G. 592 de Lavinheta, Bernhardus 253 de le Boë, Franz (Franciscus Sylvius) 96 de Lubac, P. H. 283 de Lugo, Juan 88 de Luna, Pedro 244 de Mañaricua, A. E. 107, 124 de Medina, Bartholomeo 87 de Medrano, Pedro 129

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de Miranda, Luis 109 de Montaigne, Michel 252 de Montclos, J. 598 de Moulin, Pierre 89 de Novoa, Gabriel 127 de Nueros, Géronimo Pérez 108 de Oliveira de Ferreira, Manuel 115 de Orta, Garcia 118 de Ortega, Cristóbal 105 de Palacios, Miguel 87 sq., 97 de Palafox y Mendoza, Juan 119 de Peñalosa Mondejarense, Ambrosio 115 de Peralta, Antonio 92 de Peramato, Pedro 113 de Puig Oliver, J. 250 de Reu, M. 270 de Rhodes, Georges 129 de Ripalda, Juan Martinéz 93 de Rojas Zorrilla, Francisco 109 de Rubeis, Bernardo Maria 127 de Saavedra, Silvestre 130 de Salazar, Fernando Quirino 112 de Seabra da Silva, Joseph 121 de Tárrega, Raymundus 252 de Toledo, Francisco 87 de Ulloa, Juan 129 de Valeriis, Valerio 263 de Vega, Cristóbal de Visch, C. 267 de Vogüé, A. 457 de Wulf, M. 90 Decker, B. 199, 205–207, 209–210 Dedinger, Johannes 129 degli Albizzi, Bartholomaeus 104 Deidamia 501 sq. Dekkers, E. 116, 273 del Busti, Bernhardino 109 del Espino, Juan 122 del Moral, Carlos 130 del Río, Martín Antonio 87 Delcorno, P. 285 Delius, W. 85 Delorme, F. M. 311, 316, 319, 322, 324 sq., 327, 338 sq. Delphinus, Julius Caesar 86 Deluz, C. 510 Demaitre, L. 369 Dempsey, K. 566 Denery II, D. G. 295, 297 Denifle, H. 184, 187, 376 sq., 381–383, 393, 535 Dennett, D. C. 183 Denny, F. M. 465 Descartes, René 46 Descourtieux, P. 10

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Namenregister

Dettloff, W. 332 Deufert, M. 152 Dezzuto, C. 273 di Ceglia, F. P. 93 Di Maio, A. 307–329, 343, 509 Di Vincenzo, S. 154 Díaz y Díaz, M. C. 290 Dicke, G. 503 Dickinson, E. 465, 470, 471 Dickinson, T. M. 564 Diedrichs, C. L. 487, 600 Diels, H. 152 Diesenberger, M. 270 Dietericci, F. 140, 402 Dinzelbacher, P. 611 Diodorus Siculus 520 Dionisotti, C. 78 Dionysius Areopagita, Ps. 21, 56, 63 sq., 217, 219, 231, 312, 348, 354 Dionysius Cartusianus 86 DiPasquale, D. M. 150 Dittmar, P.-O. 578, 587 Dobberahn, F. E. 355 Dodwell, C. R. 570 Döbler, M. 447 Dörrie, H. 528 sq. Dolle, R. 89 Dols, M. W. 465 Dombart, B. 70, 73, 153, 222, 225, 231 Domínguez Reboiras, F. 262 Dominicus, sanctus 381 Dominicus de Alquezar 530 Donati, S. 362, 389 Donnandieu, J. 507 Dontcheva, A. 4 dos Anjos, Manoel Douais, C. 382 Dover, K. J. 152 Draelants, I. 377, 384 sq., 391, 393 Dreßen, W. 544 Drinkwater, J. F. 559 Dronke, P. 39 Drossaart Lulofs, H. J. 379 Drury, T. W. 599 du Laurens, André 118 Dubler, C. E. 399 sq. Dubreucq, O. 454 Ducène, J.-C. 396, 400 Duchenne, M.-C. 384–386 Düring, I. 29 Dürr, R. 541 Dufeil, M. M. 377 Duffy, J. M. 7, 17 Duhem. P. 190

Dunyā, S. 154 Dupasquier, Sebastien 104 Dupin, L.-E. 245 Duràn, E. 253, 261 Duran, J. 440 Durandus de S. Porciano 89–91, 92, 117, 127 During, J. 477 Dusil, S. 533 Duval, A. 382 Eadmer Cantuariensis 85, 111 Ebeling, F. 222 Eberhardt, O. 460 Eberlein, K. 598 Ebermeier, V. 483–504 Ebert, U. 529 Eckel, W. 516 sq. Eckert, W. P. 329 Eckhart, Meister 198 sq., 204–214, 226 sq., 232, 295 Edelheit, A. 77–83 Edson, E. 483 sq. Egel, N. 330–341 Egeria 507, 509 sq. Egger, C. 604 Ehlers, J. 201 sq. Ehlert, T. 504 Ehrenberg, V. 31 Ehrlich, U. 555 Ehrlicher, H. 509 sq. Ehrsam Voigst, L. 378 Eikelmann, M. 503 Eisenstein, J. D. 544, 547, 550, 552 sq. Eisler, R. 160 Elasar ben Tsemach, rabbinus 551 Elasar ha-Chaver, rabbinus 551 El-Rouayheb, K. 67, 477 El Shamsy, A. A. 139, 397 sq., 399, 476 Elder, R. 447 Elias, J. J. 466 Elton, H. 559 Emery, K. Jr. 291, 295 Eming, J. 483, 601 Endress, G. 143, 395, 417 Engel, G. 541 Engelbertus Coloniensis I. 594 Engels, O. 529 Ermengol, Bernhard 242 Esau 339 sq. Escolano, Didace 87 Esra, rabbinus 551 Étaix, R. 89, 454 Ethé, H. 475 Etzkorn, G. 113

Namenregister Eudoxus 484 Euripides 492 Eusterschulte, A. 44–76 Eva 318 sq., 324 sq., 338, 578 Evans, G. R. 268, 280, 284, 286 Evans, R. J. W. 82 Evdokimova, L. 275 Fabri, Felix 506, 513, 517–524 Fabri, Filipo 103 sq., 123 Fabri, Honoré 127 Fagoni, A. M. 487 Fahd, T. 139 Falkner, A. 357 Faller, O. 94, 595 Farīd al-Dīn ‘Attār 477 Farooqi, M. A. 466 Fassari, Vincenzo 106, 110 Fauser, W. 222 Faust, Johann Georg 307 sq., 328 Feckes, C. 374 Fehr, H. 559, 560 Felten, F. J. 337, 459 Feraud, André 101 Ferchius, Matthaeus 102 Fernández, Antonio 109 Ferrari, C. 141 Ferrini, M. F. 379 Ferruolo, S. C. 271, 273, 278, 282, 291, 532 Ferzoco, G. 612 Festa, G. 377 Fetkenheuer, K. 276 Feuerbach, Ludwig 4 Fichant, M. 259 sq. Fidora, A. 156, 234, 286 Fillius, L. S. 404 Filthaut, E. 367, 371 sq. Finckh, R. 484 sq. Fioramonti, S. 589, 603 sq. Fischer, H. 210–212 Fischer, J. O. 592 Fischer, S. 505–524 Fisher, J. 354 Fitzgerald, W. 568 Flach, H. 110 Flanagin, Z. 348 Flasch, K. 49–51, 54 sq., 184 sq., 192, 199, 227, 331, 340, 485 Flavius Josephus 543 Fleet, K. 465, 468, 472, 475, 477 Flemming, R. 398 Fleury, Claude 119 Fiorentini, Girolamo 130 Floryszczak, S. 593

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Fludernik, M. 516 sq. Förstel, J. 403 Folz, R. 412 Fonay Wemple, S. 458 Fonseca, C. D. 459 Fontius, D. 508 Forsanus, Johannes 102 Forsyth, I. H. 585 Foucault, M. 330 Fowler, H. N. 405 Fox, R. L. 485 Fraioli, D. 437 sq., 442, 445 Fraipont, J. 89, 100, 116, 273 Franceschini, A. 507, 510 Franciscus a S. Clara (Francis Davenport) 123 Franciscus Assisiensis 309–311, 315, 612 Francke, Daniel 120 Frank, G. 506 Frank, W. 382 Franz, A. 601 Fredborg, K. M. 287 Frellonius, Johannes 6 Frenz, T. 527 Frese, T. 584 Freud, S. 450 Frey, J. 589 Freytag, W. 492, 496, 503 sq. Frick, J. 503 sq. Fridericus II., imperator Sacri Romani Imperii 31, 43, 333, 339, 363, 525 sq., 534, 536 Fried, J. 180, 526 sq., 529 sq., 532, 534 sq., 539, 591 Friedberg, E. 593 Friedlander, C. 462 Friedrich, H. 41, 62 Friedrich, M. 559–574 Frijhoff, W. 612 Fritz, J.-M. 29 Fuchs, H. 201 Fuchs, M. 602, 607, 609 Führkötter, A. 612 Fuglestvedt, I. 564 Fuhrer, T. 201, 523 Fulgentius Ruspensis 89, 91, 100 Furey, C. M. 466, 468 ˇ ābir ibn-Abdallāh al-H G ˚ azragˇī 470 sq. ˇ ābir ibn-i H G  aiyān 427–429, 431, 433 Gabriel, archangelus 273 Gabriel, G. 466 Gadebusch Bondio, M. 369 ˇ afarī, M. 424 G Gaffuri, L. 270 Gagliardi, D. 28

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Namenregister

ˇ ahānpūr, F. 423, 427 sq. G Gál, G. 186, 189 ˇ alāl-ad-Din ’Abd-ar-Rah mān Ibn-Abī-Bakr AsG Suyūtī 469 Galandus Regniacensis 462, 464 Galatinus, Petrus 132 sq. Galenus 21, 91, 94 sq., 97, 103 sq., 110–112, 118, 138 sq., 398 sq.,399, 401 sq., 408, 414, 451 Galenus, Ps. 95 Galilei, Galileo 38, 320 Gallagher, J. F. 608 Galonnier, A. 286 ˇ amālī-yi Yazdī 418 G Gansum, T. 564 Ganz, D. 579 Ganz-Blättler, U. 509 sq., 519, 523 Garau, Francisco 115 Gardet, L. 466, 477 Gardner, E. G. 54 sq. Gargano, G. I. 454 ˇ arīr ibn-Abdallāh al-Bagˇalī 472 G Garnier, C. 539 Gasparri, F. 289 Gauthier, P. 43 Gauthier, R.-A. 314 Gavrilyuk, P. L. 73 Gazzaniga, Pietro Maria 126 Gearhart, H. C. 569 Geiler von Kaysersberg, Johannes 357 Geissinger, A. 469 Gell, A. 565 Gemma, Cornelius 253 sq. George-Tvrtkovic, R. 512 sq. Georges, K. E. 568 Gerardus Cremonensis 36, 379 Gerhardt, C. J. 259 Geuenich, D. 560 Geyer, B. 199, 202, 374 sq. Giacalone, G. 28 Gibb, H. A. R. 159, 399, 468, 478 Gibson, M. 291 Giese, A. 158 sq. Giesemann, G. 548 Giglioni, G. 379 Gill, C. 398 Gilliot, C. 472 Gilson, É. 165, 280, 339 Gimaret, D. 479 Giorgi, P. P. 373 Giovanni da Legnano (Giovanni Oldrendi) 533 Giraud, C. 37, 282 Gislebertus, sculptor 40 Gladigow, B. 610 Glauch, S. 485

Gleave, R. 412 Glick, T. F. 373 Glorie, F. 44, 50, 54, 76, 487 Glorieux, P. 272, 278, 285, 289 sq., 342–345, 347–350, 352–354, 461 Godefridus Brueriae 530 Godefridus de S. Victore 289 Godefridus de Trano 529 Godman, P. 280 Godefridus Altissiodorensis 39 Godefridus de Fontibus 90 Godman, P. 35, 37 Goebel, J. W. 120 Göckenjahn, H. 536 Görgemanns, H. 260 Goering, J. 533 Goertz, H. 593 Gössmann, E. 280 Goethe, Johann Wolfgang von 332 Götz, G. P. 615 Götze, Georg Heinrich 92 Goldbach, Andreas 120 Goldziher, I. 465, 475 González de Santalla, Tirso 113 Goodman, L. E. 409 sq. Goris, W. 84, 213, 274 Gorochov, N. 532 Gotthelf. A. 408 Gower, John 283 Grabmann, M. 331, 383 Graefe, F. 527 Graenert, G. 571 Grässe, T. 114 Graham-Campbell, J. 563 Graiff, A. 170 Grajewski, M. 103 Grant, E. 190 Grebner, G. 536 Greco, J. 292 Green, W. M. 59, 200 sq. Green-Pedersen, N. G. 203 sq. Greenblatt, S. 451 sq. Greene, T. A. 462 Grégoire, Pierre 254, 263 Gregorius I. papa (Gregorius Magnus) 32, 89, 200, 272, 302, 314, 343, 354, 454 sq., 461, 464, 593, 595 Gregorius IX. papa (Ugolino dei Conti di Segni) 383, 527 sq., 534, 537 Gregorius X. papa (Tedaldo Visconti) 540 Gregorius XI. papa (Pierre Roger de Beaufort) 243 sq. Gregorius de Valentia 87 Gregorius Nazianzenus 21

Namenregister Gregorius Nyssenus 10, 17, 21, 29, 274, 510 Gregorius Palamas 22–26 Gregorius Sinaita 5 Gregorius Turonensis 576 Gregory, T. 33 sq., 36 Grègut, R. 576 Grellard, C. 178, 282 Gressmann, H. 458 Grethlein, J. 503 Greule, A. 267–291 Griffel, F. 139, 393 Griffiths, D. 564, 566 Grignaschi, M. 148 Grillon, G. 267 Grimm, J. 597 Grimm, W. 597 Groh, D. 332 Grosse, S. 343, 346, 349, 351 sq., 357 Grossman, A. 549 Gruber, J. D. 120 Grubmüller, K. 503 Gründer, K. 466, 511 Gryson, R. 273 Gualterus de Castellione 30 sq. Gualterus de Chatton 191 Günther, S. 465 Guéret-Laferté, M. 334 Guerra, Francisco 125 Guerricus de Igny 111 Guhrauer, G. E. 259 Guilfoy, K.439 Guillelmus Altissiodorensis 383 Guillelmus Alvernus 314, 346, 348 Guillelmus de Boldensele 509 sq., 517 Guillelmus de Conchis 34 sq., 43, 286 Guillelmus de Moerbeka 215 Guillelmus de Ockham 179, 185–189, 193, 196 sq., 345 Guillelmus de Rubruquis 180, 334, 516, 532, 540 Guillelmus de S. Amore 377 Guillelmus de S. Theodorico 34 sq., 39, 308, 440, 447 Guillelmus de Ware 106 Guillelmus Durandus 598 sq., 604 sq. Guillelmus Peraldus 270, 272 Guillemain, B. 287 Guldentops, G. 365 Gumppenberg, Wilhelm 94 Gurevich, A. 39 Gurjewitsch, A. J. 485 Gutas, D. 140, 154–157, 466 Guy, J.-C. 457 Guzman, G. G. 531

Haas, A. M. 281 Hackett, J. 333, 541 Häberlein, B. 490–494, 496–500, 502 Häring, N. M. 33, 274 Hagedorn, J. H. 468 sq., 477 Hagenbüchle, R. 588 Hageneder, O. 604 H  āgˇī H ˚ alīfa 418 Haimo Altissiodorensis 454 sq., 461–464 Haimo Halberstadensis 461 Haleem, M. A. 397, 399, 408 Hall, A. 191 Hall, J. B. 36 Halm, C. 518 Halsall, G. 559 Hamann, F. 253 Hamann, M. 614 Hamburger, J. F. 39, 509, 612 Hamerow, H. 571 Hamesse, J. 288, 380, 382 Hamilakis, Y. 566 Hamori, A. 465 Hamori, R. 465 Hampe, K. 527 H ˚ ān, M. A.-M. 470 Hanfmann, G. M. A. 474 Hankey, W. J. 280 Hankinson, R. 398 Hanne, E. J. 550 H  ānsārī, M. 420 Harb, L. 139, 153 Hardick, L. 615 Hardt, M. 562 Harland, J. M. 562 Harsdörffer, Georg Philipp 257 Hartman, J. P. 193 Hārūn, A. 141, 402, 405–407, 408, 413 Harvey, William 104 sq., 130 sq. Hasebrink, B. 496 sq., 503 Haskins, C. 36 Hasnawi, A. 145, 154–156 Hasper, P. S. 143 Hasse, D. N. 156, 363, 439, 444 Hassler, C. D. 518–523 Haubst, R. 253 Haug, W. 272, 295, 487 Haunerland, W. 616 Haungs, R. 602 Hayduck, M. 152 Hayen, A. 329 Hebers, K. 611 Hector 494 Hedeager, L. 564 Hedwig, K. 609

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Namenregister

Heffernan, T. J. 283 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 248, 341 Heidegger, M. 4, 162, 165, 176 Heidenreich Findley, B. 444 Heil, G. 10 Heimann, C. 242–244 Heimann, H.-D. 484 Heimisch, K. J. 525 Heiniger, J. 565 Heinrich-Tamaska, O. 562 Heinrichs, W. P. 468 sq., 476 Heizmann, W. 562,563 Helena 492–495 Helinandus a Frigido Monte 29 Heller, J. E. 555 Heller, J. G. 163 Hellgardt, E. 503 Hellinger, W. 594 Hellmeier, P. D. 215–232 Helmbrecht, M. 563 Helmrath, 616 Helmreich, G. 95 Heloisa 35, 437–439, 441–448 Helsinus Remensis 113 Hengevoss-Dürkop, K. 579 Henricus de Gandavo 92, 113 Henricus de Hervordia 384 Henricus de Langenstein 86 Henricus Totting de Oyta 347 Henry, R. 6 Heraklitos 4 Hercules 28, 47 sq., 57, 61, 307 Herde, P. 527 Herebort von Fritzlar 503 Herle, F. 377, 381 sq. Hermand, X. 288 Hermannus de Carinthia 36 Hermannus de Runa 316 Hermes Trismegistus 220, 222–225, 228, 230 sq. Herodes, rex 606 Herrmann, K. 248 Hertz, W. 29 Hesiod 486 Hett, W. S. 408 Hieronymus, Saphronius Eusebius 282, 348, 442, 448, 457, 459, 463, 510 Hieronymus de Ascoli 340 sq. Hieronymus Stridonensis 31 sq., 89, 91 Hiestand, R. 540 Hilarius Pictaviensis 348 Hilberg, I. 510 Hildebertus Lavardinensis 453 Hildegardis Bingensis 12 Hilka, A. 594

Hillgarth, J. N. 239, 253 Hincmarus Remensis 591 Hine, H. M. 338 Hinnenbusch, W. A. 377 Hiob 275, 286 Hipparchos 484 Hippocrates 21, 398 Hödl. L. 511 Hörmann, W. 308 Hörningk, F. 220 Hofer, M. 355 Hofer, N. 567 Hoffmann, P. 171 Hoffmann, R. 593 Hoffmans, J. 90 Hofmann, U. 96 Hofmeister, A. 272 Hogel, Zacharias 120 Hogg, J. 353 Høilund Nielsen, K. 560, 563 sq. Hold, E. 584 Holder-Egger, O. 43, 223, 231 Holmyard, E. J. 427 Holopainen, T. 598 Holstein, H. 526 Holtz, L. 382 Holtzman, L. 475 Homer 29, 503 Hommers, J. 575–587 Honnefelder, L. 174, 176, 365, 389 sq., 535 Honorius Augustodunensis 217 Hook, J. N. 292 Hoops, J. 560, 562 Horatius, Quintus Flaccus 307 sq., 349 Horn, C. 485, 486 Hornblower, S. 474 Horodezky, S. A. 552 Horowski, A. 307 Horst, U. 106 Hossenfelder, M. 46 Hossfeld, P. 361, 364, 370, 389 Hotson, H. 233 Hourani, G. F. 412 Hourihane, C. 585 Hovingh, P. F. 91 Howald, E. 378 Howe, H. M. 541 Hoye, W. J. 3–5, 611 Hrabanus Maurus 290, 314 Hudry, F. 223 Hübener, W. 257, 342 sq. Hümpfner, W. 458 Hünemörder, C. 364 Huff, D. 84

Namenregister Hughes, T. P. 479 Hugo de S. Caro, Ps. 314 Hugo de S. Victore 35, 37, 111, 276, 283, 304– 306, 314, 322, 595 sq., 604 Hugo Trimbergensis 613 Hugues de Saint-François 129 Huillard-Bréholles, J.-L.-A. 527 Humbertus de Romanis 275, 381, 383–385 Hunt, E. D. 510 Hunt, R. W. 291 Hurst, D. 95 Hurtado de Mendoza, Pedro 88 Huschenbett, D. 490–494, 496–500, 502 Huxtable Eliott, J. 122 Huygens, R. B. C. 506, 510 Iamblichus 21 Iancou-Agou, D. 548 Iason 489, 496–499 Ibn-Abd-al-Rah īm, A.-M. 473 Ibn-āšūr, A.-M. 475 Ibrāhīm Ādilšāh 420 Ierodiakonou, K. 7, 9 Ildephonsus Toletanus 85, 89 Illg, R. 86 Imbach, R. 28, 49, 215 Imhof, P. 355 Immisch, D. E. 465 Inan, I. 292 Ingham, M. B. 105 sq. Ingham, P. C. 537 Innocentius II. papa (Gregorio Papareschi di Guidoni) 37 Innocentius III. papa (Lotario dei Conti di Segni) 35, 277, 314, 597, 603 sq., 606 Innocentius IV. papa (Sinibaldo de Fieschi) 516, 525–540 Iphigenia 491 Irenaeus Lugdunensis 116 Isaac, D. 222 Isaac de Stella 277 Isaak 544 Isaias, propheta 323 Isidorus Hispalensis 111, 316, 322, 378, 457, 541 Ismāīl, A. A. 153 Iustinus Martyr 29 Iuvenalis, Decimus Iunius 35, 281, 287, 463 Ivo Parisiensis 254, 262 sq. Izquierdo, Sebastián 254, 262 sq. Izumi, M. 270 Jaakov, rabbinus 544 Jacapone da Todi (Jacobus de Benedictis) 309

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Jackson, P. 180, 337 Jacob 323 Jacobs, M. 544 sq., 549 sq., 554 Jacobsson, M. 498 Jacobus (Jaume) I. 234 sq. Jacobus (Jaume) II. 235, 261 Jacobus de Granada 112–114, 128 Jacobus de Valentia 112 Jacobus de Vitriaco 43, 271, 507 sq., 520, 523 Jacobus de Voragine 114, 270 Jacoby, D. 545 Jaeger, K. W. 566 Jaffer, T. 466 James, M. R. 40 James-Raoul, D. 384 Jammy, P. 86 Janota, J. 272 Jansen, B. 103 Janssens, J. 466 Japhet, S. 549 Jarnut, J. 562 Jaspers, J. 566 Javary, G. 131 Jaye, B. H. 269 Jellissen, H. 503 Jeschke, T. 90, 296 Jessen, C. 377, 390 sq. Jesus Christus 35, 51, 60 sq., 64, 70, 73, 75, 84, 86 sq., 89, 91–94, 96–98, 100 sq., 103, 106 sq., 110–120, 124, 126, 129–132, 184, 205, 250, 252, 263, 308, 311 sq., 318 sq., 321–325, 327, 329, 332, 340, 356, 425, 442, 445 sq., 474, 478, 487, 506, 510, 513, 515, 578–580, 582, 586, 593, 595, 603 sq., 606, 610 sq. Johannes, apostolus 314, 326 Johannes, evangelista 32, 326 Johannes, rex et sacerdos 526, 540 Johannes XXII. papa (Jacques Arnaud Duèze) 198 sq. Johannes Baptista 342 Johannes Buridanus 179, 191–197 Johannes Capreolus 94 Johannes Cassianus 457 sq., 463 Johannes Chrysostomus 328, 616 Johannes Chrysostomus, Ps. 328 Johannes Cisterciensis 267 Johannes Climacus 5, 38 Johannes Damascenus 21 sq., 93 sq., 230, 348 Johannes Diaconus 595 Johannes de Bassolis 102 Johannes de Montefilla (Jean de Mandeville) 451 Johannes de Montesono 342, 345 Johannes de Plano Carpini 180, 516, 530 sq., 535–539

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Namenregister

Johannes de Rupella 275 Johannes Duns Scotus 93, 96 sq., 101–106, 121, 127, 345, 348 Johannes Gerson 245 sq., 314, 342–357 Johannes Gerson, Ps. 113 Johannes Gerson Coelestinensis, 352 Johannes Herbipolensis 506 Johannes Longus 510, 513 Johannes Pistoriensis 511 Johannes Sarisberiensis 36, 271, 282, 300, 308 Johannes Scotus Eriugena 216 sq. Johnson, T. J. 328, 337 Jonas Aurelianensis 454 sq., 461–464 Jones, A. 469 Jordanus Rufus 333 Joseph, rabbinus 544 Joseph ab Arimathaea 319 Jovinianus 89 Juda le Hassid 548 sq. Judy, A. G. 380 Juergens, H. 48 Julianus, frater O. P. 528 Jung, J. E. 598 Juynboll, G. H. A. 467, 469–472, 475, 478 sq. Kabitz, W. 257 Kaczynski, R. 616 Kafih, J. 542 Kalb, A. 70, 73, 153, 222, 225, 231 Kanarfogel, E. 549 Kant, Immanuel 164, 307, 501 Kappler, R. 506, 511, 513, 515 sq. Kapriev, G. 3–26 Karīmī, A. 424 Karpp, H. 260 Kashdan, T. B. 292 Kassis, H. E. 465 Katz, M. H. 470, 477 Kaufhold, M. 527 Keats-Rohan, K. S. B. 36, 308 Keele, K. D. 105 Kehnel, A. 459 Keller, H. 596 Kellermann, K. 484 Kellner, B. 502 Kennedy, V. L. 599 sq. Kennedy, W. J. 77 Kenny, N. 82 Kern, U. 207 Kessler, H. L. 295 Khairallah, A. E. 465 Khalidi, M. A. 144 Kinoshita, S. 451 Kick, Damasius 128

Kidd, D. 561 Kiening, C. 509 Kienzle, B. M. 268, 271, 278, 285 King, E. B. 269, 583, 592 King, P. 178 Kircher, Athanasius 240, 254–256, 258 sq., 261– 263 Kirchhoff, H.-G. 592 Kirchhuber, Barnabas 104 Kissel, W. 281 Kitchell, K. F. 365, 368, 371 Klein, M. 178–197 Klein, P. K. 584 Kleinhans, A. 132 Klesczewski, R. 53 Kliche, D. 565 Klijn, A. F. J. 223 Klima, G. 191, 193, 195 Klingner, J. 518 Klöckener, M. 605 Klok, J. C. 317 Klopprogge, A. 527 Knibbs, E. 118 Knobloch, E. 259 Knöll, P. 395 Knothe, L.-M. 287 Knuuttila, S. 178, 195 Kobusch, T. 17, 176, 274, 338, 602 Koch, E. 483, 485, 492 sq. Koch, J. 207, 210–212 Köbele, S. 503, 504 Köhler, J. B. 283 Köhler, T. W. 282 sq., 365, 369, 375, 389 Köhn, R. 201, 591 König-Pralong, C. 296 Kötting, B. 510 Kolbinger, F. 73, 335 Kopf, L. 405, 408 Kopp, S. 616 Korsmeyer, C. 466 Kotter, B. 22 Krämer, G. 465, 468, 472 Kramer, Heinrich (Henricus Institoris) 250 Kramers, J. H. 159, 399, 368 Kramml, P. F. 591 Kranz, W. 484 Kraus, P. 409, 412, 427, 429 Krausse, D. 567 Krautz, H.-W. 437, 443, 447 Kretzmann, N. 183, 331 Kristeller, P. O. 77 Kristó-Nagy, I. 412 Kritzeck, J. 35 Kroymann, E. 89, 489

Namenregister Krüger, K. 509, 537, 582 Kruk, R. 404 Kruppa, N. 612 Kübel, W. 362, 374 Kühl, K. 529 Kühle, H. 374 Kühn, K. G. 139, 398, 408 Kühne, U. 178, 183 Kugle, S. 465, 476 Kuhn, E. L. 591 Kukkonen, T. 178, 195 Kumaniecki, K. F. 586 Kummer, E. 572 Kurtze, A. 600 Kurze, F. 544 Kuyt, A. 548 Kzis, I. J. 543 Labeo, Attius 281 Labhardt, A. 508, 523, 588 Labuda, A. S. 584 Lacan, J. 473, 474 Lafleur, C. 296, 380, 383 Lagarde, G. 613 Lambertini, R. 311 Lameer, J. 466 Lamprakis, A. 137–159, 395, 401 Land, J. 405 Langeloh, J. 505–524 Langhade, J. 144 sq., 148, 154 Langner, M. M. 484 Lanham, C. D. 274 Lanteri, Carlo 104 Laourdas, B. 6 Largier, N. 207 Larson, A. A. 85 Laurentius Portugallia 530 sq. Lauritzen, F. 8 Law-Turner, F. C. 570 Lawrence, C. H. 530 Lazard, G. 428 Le Bachelet, X.-M. 106 Le Goff, J. 139, 331, 334, 611 Le Myésier, Thomas 240, 245 Lea, H. C. 119 Leathers Kuntz, M. 132 Lechtermann, C. 467 Leclercq, J. 32, 37 sq., 40–42, 89, 282 sq., 290, 448, 453, 462, 575, 612 Lehmann, P. 32 Leibniz, Gottfried Wilhelm 120, 254, 256–261 Leicht, H. D. 334 Leicht, R. 549 Leigh, M. 5

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Leigh, R. 414 Leinkauf, T. 254 Leinsle, U. 91 LeMairat, Louis 88 Lemay, R. 36, 382 Lennox, J. G. 105, 408 Leo, frater 309 Leo Hebraeus 111 Leo Magnus 89 León, Juan Bautista 129 Leppin, V. 598 LePrevost, Jean 88 Lessing, Gotthold Ephraim 239 Leturia, P. 122 Lévi-Provençal, E. 159, 399, 468 Lewis, B. 410, 466–468, 470, 474 sq., 477 Lezana, Juan Bautista 115 Lherminier, P. 403 Lightfoot, J. 139 Lindsay, W. M. 111 Linert, E. 494, 502 sq. Little, A. G. 333 Little, C. T. 561 Livesey, S. J. 373 Livio, M. 451 Lo, F. 505 Lobel, D. 399 Lochrie, K. 445 Lombardo, E. 285 London, J. 261 Long, M. 614 Long, R. J. 379 Longère, J. 270 sq., 278, 282, 287, 591, 616 Lopez, S. J. 292 López Forjas, M. 122 Lorin, Jean 112 Lorte y Escartín, Jerónimo 102 Lotter, F. 601 Lottin, O. 272 Luard, H. R. 526,528 Lubrich, O. 160 Lucanus, Marcus Annaeus 276 Lucas, evangelista 315, 317 sq., 328, 578 Lucas Tudensis 322 Lucifer 30, 42, 315, 325 sq., 328, 337–339 Lucilius Iunior 284 Lucretius, Titus Carus 152, 284, 451 Ludolphus Suchensis 517 Ludovicus I. Pius 455, 458 Ludovicus IX., rex Francorum 180, 334, 516 Ludueña, E. 215 sq. Lugal, N. 150 Lupprian, K.-E. 531 Luscombe, D. 438 sq., 441–448

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Namenregister

Lusignan, S. 384 sq. Lutz, E. C. 590 Lutz-Bachmann, M. 286, 534 Lychetus, Franciscus 97, 102 Lyons, M. C. 147 Mabille, M. 296 Macedo, Francisco 104 Macrobius, Ambrosius Theodosius 51 Madre, A. 234, 241, 243, 245–248, 250–253, 262 sq. Mahdī, M. 144–150 Maier, A. 190 sq. Maier, P. 605 Maimonides, Moses 542 sq., 552 Major, Johannes 96 Makdisi, G. 271 Mallet, M.-L. 466 Maloney, T. S. 334, 338 Mancini, F. 309 Mandonnet, P. 512 Mandrella, I. 160–177 Manning, P. 119 Manolova, D. 9, 25 Mansi, J. D. 600 Mantello, F. A. C. 592 Maranesi, P. 309 Marcus, evangelista 578 Marcus, I. G. 548 Marenbon, J. 439 Margarethe 332 Maria 71, 84–90, 92–103, 105–116, 118–120, 124–126, 128–132, 240, 251, 273 sq., 314, 478, 578, 581 sq., 586 Mariales, Xantes 127 Marino, G. 122 Markus, R. 484 Marmura, M. 156 Marmursztejn, E. 601 Marquet, Y. 410 Marr, A. 82 Marracci, Ippolito 117, 125 Marschler, T. 93 Marsh, D. 77 sq., 80–82 Marsilius de Inghen 96 sq. Martín, I. P. 9 Martin, J. 59, 285, 484, 611 Martin, T. F. 573 sq. Martinez, M. 307 Martínez Moreno, D. 119 Martinon, Jean 105 Martinus V. papa (Oddo di Colonna) 244 Marzi z Kronlandu, Jan Marek 131 Maspero, G. 274

Massa, E. 336 Massé, H. 402, 428 Mateo, Diego Gonzalez 104, 127 sq. ˇ . 417, 422, 426 Matīnī, G Matringe, D. 465, 468, 472, 477 Matsuda, T. 270 Matter, E. A. 118, 273 Matthaeus Parisiensis 527, 529, 539 Matuschek, S. 53, 55 Matz, B. 466 Maurach, G. 34–36, 43 Mauro, L. 312 Mauro, Sylvester 101 Maurus frater 334 Maximus Confessor 10, 21 May, M. 398 Mayer, S. 282 Mayerhofer, M. 454 Māyilī, M. T. 428 Mayr, Coelestinus 101 Mayronius, Franciscus 102 Mazzola, Fidelis 112 McAuliffe, J. D. 465–467, 475, 477 McCallum, E. L. 477 McCord Adams, M. 188 McGinnis, J. 152, 412 McGregor, R. 409 sq. McGuire, B. P. 342, 348, 350–354, 440, 594 McKenzie, S. L. 466 McLoughlin, N. 353 Medea 497 sq. Mehler, N. 567 Mehri, F. 416–434 Meier, M. 559 Meier-Staubach, C. 280 Meirinhos, J. F. 284 Meliadò, M. 294 Melchert, C. 467 Melloni, A. 525 sq., 530, 535 Melville, G. 281, 337 Ménage, V. L. 410, 467 Menestò, E. 309, 516, 536, 538 sq. Mengaldo, P. V. 43 Mensing, J. P. 467 sq., 473, 475, 479 Menzel, M. 616 Mérigoux, J.-M. 513 sq. Merisalo, O. 94 Messerschmidt, J. W. 452 Meyer, E. 377, 390 sq. Meyer, G. 364 Meyer, H. B. 599 Meyer, M. 496, 501 Meyer, U. 333 Meyers, J. 518–523

Namenregister Mews, C. J. 282 sq., 440, 446 Miaskowski, Adrianus 106 Michael VII. Dukas 9 Michael Psellus 7–22, 25 Michael Scotus 363 Michaud-Quantin, P. 321, 593 Michel, K. M. 341 Middendorp, Jakob Miethke, J. 533, 615 Migne, J.-P. 5 sq., 10, 85, 267 sq., 273–279, 282– 285, 288, 454, 460–462, 595 sq., 599 Miklautsch, L. 501 Mildner, F. M. 105 Miller, A.-L. 578 Miller, J. 355, 403 Miller, J.-A. 473 Millet, B. 103 Mirones Lozano, E. 543 Miteva, E. 361–375 Mithridates VI. Eupator, rex Ponti 414 Mittelstraß, J. 4 Mocchi, G. 131 Moczarski, N. 534 Möhle, H. 365 Möngke Khan 532, 541 Mötsch, J. 534 Mojsisch, B. 49–51, 54 sq., 203, 206, 218 Moldenhauer, E. 341 Monfasani, J. 451 Monica, sancta 51 Montgomery, J. 403 Moraw, P. 540 Morel, D. 576 sq. Morelt, S. 384 Morenzoni, F. 275, 591, 616 Moreri, Ludovico 263 Moretus, Theodorus 106 Morin, G. 314 Morisi, A. 133 Mormann, T. 164 Morphy, H. 566 Morpurgo, P. 30 Morrison, W. A. 573 sq. Morson, J. 111 Mosche, rabbinus 544 Moses 205, 225 Moshövel, A. 501 Mountain, W. J. 314, 487 Mourad, S. A. 473 Movsesian, A. 446 Muauwad , A. M. 474 Mulchahey, M. M. 382, 392 Müller, H. 201 Müller, H. 220

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Müller, I. 378 Müller, J.-D. 44, 50, 54, 76, 503, 504, 592 Müller, M. 484 Müller-Schauenburg, B. 22 Müller-Wood, A. 516 sq. Münkler, M. 534, 537 Muessig, C. A. 269, 271 Muh ammad 550 Muh ammad Ibn-Abd-ar-Rah īm Al-Māzinī 400 sq. Muh ammad ibn-H  ayyān al-Bastī 470, 472 Muh ammad ibn Mahmūd Al-Salmāni 400 Muh ammad ibn Muh ammad ibn Mah mūd Abū Mansūr as-Samarqandī al-Māturīdī al-H  anafī (al-Māturīdī) 472 sq. Muh ammad Ibn-Mūsā Al-Damīrī 405 Muīn, M. 424 Muldoon, J. 531 Muqātil ibn-H  ayyān al-Nabatī 470 sq. Mundinus, Lucius 373 Murdoch, J. E. 190, 307 Murphy, J. J. 591 Mūsā, M. Y. 154 Musco, A. 363 Mutzenbecher, A. 113 Nadeau, A. 384 sq. Nagy, P. 451 Nāh˚ udā Buzurg ibn-i Šahrīyār-I Rāmhurmuzī 423 Napolitano Valditarra, L. M. 139 Nardi, B. 28 Nasr, S. H. 412 Nauta, L. 286 Nazari, Giovanni Paolo 101 Needham, J. 105 Negri, S. 292–306, 509 Nelson, R. S. 506 Nemoy, L. 555 Neuhauser, R. 450–464 Neuheuser, H. P. 588–617 Neumann, W. 52 Newhauser, R. G. 31, 82, 269–278, 290 sq., 294– 296, 301, 304 sq., 456, 508 sq., 522, 566, 583, 588, 592, 596, 600, 616 Newmark, C. 501 Nickel, D. 91, 200 Nicolaus Cusanus 253, 295, 331 Nicolaus Damascenus 379 Nicolaus de Curibo 535 Nicolaus Eymerich 242–246, 250–252, 262 sq. Nicolaus Maniacutius 314 Niederberger, A. 272, 286 Nielsen, L. O. 92 Nieremberg, Johannes Eusebius 115

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Namenregister

Nietzsche, Friedrich 294, 307 Niiniluoto, I. 307 Nishula, T. 465 Nitsch, W. 509 Nitschke, A. 30 Noah 515 Nörr, K. W. 529, 533 Nösges, N. 589, 594 sq., 599 Nourrigeon, P. 598, 605 Nouvet, C. 446 Novati, Giovanni Battista 109 Nuer, J. 518 Nußbaum, O. 598 Nye, A. 441, 445–447 O’Kane, J. 477 O’Neill, B. 566 O’Sullivan, A. 566 Oakley, F. 190 Obermaier, S. 365 Oberman, H. A. 294, 301, 305 sq., 489, 493, 617 Odoricus de Portu Naonis 520, 537 sq. Odysseus 27–30, 45, 47, 56–65, 307 sq., 328, 487, 493, 501 Oehrl, S. 562 sq. Ogle, W. 404 Olympiodorus 21 Önnerfors, A. 538 sq. Offergeld, T. 304 sq. Onnasch, E.-O. 229 sq. Opedal, A. 564 Opizo de Mezzano 525 Orfali, B. 141 Origenes Adamantius 260, 274, 348, 461 Ormsby, E. L. 411 Osiander, Johann Adam 120 Otter, J. 607 Otto de S. Blasio 272 Oursel, R. 580 Ouy, G. 349 Ovidius, Publius Naso 448 Paban, C. 94 Pacheco, M. C. 284, 392 Pacificus Veronensis 38 Pacius de Beriga, Julius 263 Päffgen, B. 572 Page, T. E. 405, 408, 410 Pagels, E. 461 Pagnoni, M. R. 215–219, 223, 226, 231 Pahlsmeier, M. 272, 286 Pahta, P. 94 Palazzo, A. 287 Palladius, Rutilius Taurus Aemilianus 378

Paulmier-Foucart, M. 377, 384–386, 393 Panagopoulos, S. P. 8 sq. Panarelli, M. 376–394 Panella, E. 511 sq. Pappalardo, L. 341 Paravicini, W. 518 Paravicini Bagliani, A. 526, 534 sq. Paret, R. 399, 469 Paris 489, 491–496, 498–501 Park, K. 82, 373 Parker, J. 451 Paschasius Radbertus 84 Pascoe, L. B. 343 sq. Pasini, G. F. 373 Pasnau, R. 191 Pasqual, Antonius Raimundus 263 Pasquali, G. 510 Pastré, J.-M. 492, 494 Patton, P. A. 579 Patzold, S. 559 Pauli, R. 528 Paulinus de Nola 506 Paulus, apostolus 32, 62 sq., 70, 354, 590, 599, 611 Paulus IV. papa (Gian Pietro Carafa) 244 Payen, N. 137, 395 Pedanius Dioscurides 378, 387 Pègues, T. 94 Pegg, S. 307 Peleus 497 Pellat, C. 96, 402 sq., 410, 466–468, 477, 479 Peña, F. 244 Peña Díaz, M. 119 Peñafiel, Alfonso 88 Penrice, J. 465 Pentcheva, B. V. 559, 566 Peperstraete, S. 396 Pépin, Guillaume 113 Pera, C. 181–183 Pereira, M. 252 Pérez de Unanoa, Martín 101 Pérez-Simon, M. 29 Perfetti, S. 361 Perl, C. J. 70 sq., 73 Perler, D. 178, 180–182, 185, 187, 596 Perlin, Juan 115 Perrone, G. 106 Persius, Aulus Flaccus 276, 281 Pesch, A. 560–563 Petachja Ratsibonensis 544–555 Peters, D. 571 Peters, E. 450–464 Peters, E. M. 31, 271 Peters, R. 467

Namenregister Petersens, Johann Wilhelm 259 Petra, G. H. 525 Petrarca, Francesco 49, 77–83, 505 Petrocchi, G. 316 Petrus Abaelardus 34 sq., 37 sq., 41, 202, 268, 322, 331, 437–449, 596 Petrus Alphonsus 36 Petrus Aureoli 106 Petrus Bialogroda 528–531, 535 Petrus Blesensis 118 Petrus Cantor 275 Petrus Cellensis 118 Petrus Damiani 31–33, 37, 111, 116, 314 Petrus de Alliaco 190 sq., 342 Petrus de Lemovicis 291 sq., 295–306 Petrus Hispanus 114 Petrus Lombardus 75, 216, 272, 289, 310 Petrus de Palude 90 Petrus Peregrinus 332 sq. Petrus Pictaviensis 282 Petrus Venerabilis 34 sq., 441 Petry, Y. 132 Phoenicus, Franciscus Stanislaus 125 Photius I. 6, 8 Piccolomini, Archangelus 118 Piché, D. 192, 512 Pichery, E. 457 Pickavé, M. 343 Pico della Mirandola, Giovanni 263, 341 Pielow, D. 465 Pindl, T. 236 Pineau, Severin 104 Pink, J. 465 Piotrowski, P. 584 Pistorius, J. 111 Pitigiani, Francesco 102 sq. Pius IX. papa (Giovanni Maria Mastai Ferretti) 263 sq. Plato 5, 15, 18, 21, 138–140, 148, 150, 155, 158, 220 sq., 223–226, 230–232, 284, 327, 330, 333, 348 sq., 405, 409, 484–486, 494, 499 Platzeck, E.-W. 234–236, 239–241, 247, 253 Plazza, Benedetto 129 Plinius, Gaius Secundus 366, 541 Plinius Valerianus 378, 385, 387, 393, 405, 408, 410 Plotinus 59, 466, 485 Pluta, O. 192, 196 Plutarchus 21, 110 Poggio Bracciolini, Gian Francesco 451 Pohl, W. 562 Pokorny, R. 591 Politis, V. 138, 158 Polixina 495

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Pollard, J. R. T. 474 Polo, Marco 28, 451, 539 Polydamas 281 Pomerantz, M. A. 141 Pomian, K. 31 Poncius, Johannes 103 sq. Pontius Claromontanus 576 Poortman, E. L. J. 379 Popkin, R. H. 341 Porphyrius 228 Porro, P. 363 Porter, A. K. 576 Post, L. A. 405 Postel, Guillaume 131 sq. Power, A. 309 Powicke, M. R. 528 Poza, Juan Bautista 87, 106–133 Praepositinus de Cremona 271 sq. Praßl, F. K. 615 Preus, A. 94 Prévot, B. 333 Primavesi, O. 137 sq., 145, 151 sq. Prinz, O. 226 Proclus 21, 150, 215, 217, 219–222, 225–227, 229–232 Procopius Caesariensis 569 sq. Proksch, B. 281 Ptolemaeus, Claudius 21, 35, 58, 150, 327, 451, 484 Pyka, M. 545 Pythagoras 21 Qalagˇī, A-M. A. 470 ˇ . Š. 154, 156 Qanawātī, G Qāsim, M. 152 sq. Quint, J. 199, 205–210, 213 sq. Quintilianus, Marcus Fabius 586 Quinto, R. 270 Quodvultdeus 223, 231 Qura-Balilī, M. K. 479 Qutbuddin, T. 472 Rabinowitz, A. 408 sq. Raciti, G. 462 Rackham, H. 366 Radermacher, L. 586 Radke, B. 402, 477 Radulfus Ardens 278 Rädle, F. 460 Rahman, F. 154, 157, 406 Rahner, K. 355 sq. Raimundus de Pennaforti 235, 381 Raimundus Lullus 233–264, 348 Raimundus Martinus 235

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Namenregister

Ramírez, Andrés Pinto 116 Ramos, Simón 124 Ranald, M. L. 484 Rainini, M. 377 Ratramnus Corbiensis 84, 86 Rauner, E. 369 Raynaud, Theophile 110, 126 sq. Raynaud de Lage, G. 267 Refoulé, R. F. 89 Regenbogen, A. 333 Regino Prumensis 594, 611 Reichert, B. M. 383, 393 Reichert, F. 500, 518, 520, 532, 536, 538, 540 Reindel, K. 33, 111 Reinesius, Johann Georg 92 Reis, M. 503 Reisman, D. 412 Remigius Altissiodorensis 462–464 Renfrew, C. 566 Rescher, N. 179, 183 Resnick, I. M. 361, 365, 368, 371, 391 Retucci, F. 217 sq., 223–230 Reufsteck, J. 505 Reutter, U. 590 Rexroth, F. 532 sq. Ricci, G. 454 Rice, E. F. Jr. 253 Richard, J. 535 Richardus de Mediavilla 92, 95 Richardus de S. Victore 53, 75, 275, 348 Richardus Swineshead 331 Riché, P. 591 Richter-Bernburg, L. 141 Ricklin, T. 49, 60, 369 Ricœur, P. 588 Ricoldus de Monte Crucis 506, 511–517, 524 Ridgeon, L. 477 Riedlinger, H. 273 Rippin, A. 467, 474 Rißmann, A. 578, 581 sq. Ritter, H. 477 Ritter, J. 466, 511 Rivet, André 92 Roales Muñoz, Francesco 122 sq. Robecchi, M. 513 Roberg, B. 530 sq., 539 sq. Roberts, P. B. 269 Robertus de Basevorn 275 Robertus de Curceto 382 Robertus Holcot 190, 268 Robertus Kilwardby 380 Robertus Sicilianus, rex 80 Robinet, A. 258 Robinson, B. 293

Robles, L. 377 Rocca, J. 139 Roccaro, C. 378 Rochais, H. M. 37 sq., 40–42, 89, 453 sq., 575 Rodenberg, C. 526 sq., 530 Rodinson, M. 139 Rodolphus, P. 116 Röd, W. 485 Roesner, M. 198–214 Rogent, E. 253, 261 Rogers, K. 92 Rogerus Bacon 180, 295 sq., 309 sq., 314, 322, 330–341, 532, 540 sq. Roling, B. 84–133 Rommel, F. 454 Ronca, I. 34 Ronzani, M. 593 Rosen, K. 485 Rosenstock, A. 518 Rosenthal, F. 466, 468, 474 Rosier-Catach, I. 608 Rossi, M. C. 591 Rotbertus 578 Roth, C. 342–357 Roth, H. 563 Roth, U. 253 Roth Heege, E. 567 Rouchon, G. 576 Rouse, M. A. 274 Rouse, R. H. 274 Rouse, W. H. D. 405 Rousseau, A. 116 Rowson, E. K. 467, 477 Rubio, J. E. 234 Rudolf, K. 528 Rudolph, C. 40 Rudolph, U. 472 Rudy, G. 73 Rüpke, J. 476 Rufinus Aquileiensis 274 Ruhe, E. 490–494, 496–500, 502 Ruhmann, C. 563 Ruhn, K. 615 Rupertus Tuitiensis 314 Ruppert, F. 584 Ruska, P. 427 Russell, B. 261 Russell, A. J. 295 Russo, R. 321 Rutchick, L. 584 Ryan, M. 563 Ryle, G. 588 Saberschinsky, A. 616 Sabundus, Raimundus 252, 263

Namenregister Sābūr Ibn-Sahl 468 S afā, D  . 422 Saffrey, H. D. 229 S āġargˇī, M. 470 Šāhid-Bāzī 476 Šahmardān Ibn-Abū al-H ˚ air Rāzī 417, 423, 427– 429 Saito, Y. 567 Sakkai ben Bustanai ha-Nasi, rabbinus 551 Saleh, W. A. 470, 475 Salewski, M. 540 Sālim, M. S. 155 Salimbene Parmensis (Salimbene de Adam) 43, 538 sq. Salin, B. 560 Salmerón, Alonso 118 Salomon, rex 28, 32, 273, 298, 318, 322, 326 Salzinger, I. 236, 254, 262 sq. Šams al-Dīn Muh ammad ibn Ah mad ibn Utmān ibn Qaimāz ibn Abd Allāh al-D  ahabī (Al-D  ahabī) 400, 470, 478 Šams ul-Dīn-i Āmulī 430 Šams ul-Dīn-i Dunaysarī 418, 427 Samuelson, P. L. 292 Sander, C. 84, 91, 119 Sander, Nicolaus 89 Sandkühler, B. 287 Sandquist, T. R. 528 Sannig, Bernhard 104 Sannino, A. 216, 222–225, 228 sq., 231 Santos-Noya, M. 362 Saqqā, A. 406 Šarānī, A. 430 Sasso, M. M. 361 Sato, M. 270 Saunders, J. J. 528 Savage-Smith, E. 142, 483 sq. Savaron, J. 576 Savonarola, Girolamo 341 Sayili, A. 150 Sbrocchi, L. G. 272 Scafi, A. 58 Scalia, G. 539 Schacht, J. 159, 399, 410, 476 sq. Schäfer, J. 264 Schaefer, J. T. 269, 583 Schapiro, M. 40 Schaub, W. 48 Schedel, Hartmann 268, 518 Scheeben, M. J. 263 Schefer, J.-L. 601 Scheffczyk, L. 84 Schein, S. 540 Scheler, M. 160

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Schenkl, C. 111 Schepers, H. 258 Schertzer, Johann Adam 120 Schiel, J. 512, 515 sq. Schiewer, H.-J. 496, 501 Schilson, A. 616 Schimmel, A. 474, 479 Schlenstedt, D. 508 Schlesier, R. 492, 495 Schlieben, B. 269 sq., 280, 290, 455 Schliwski, C. 542–555 Schlosser, M. 314, 343 Schmauder, M. 560 Schmidt, B. 374 Schmidt, F. S. 33 Schmidt, H.-P. 412 Schmidt, Johannes Andreas 120 Schmidt-Biggemann, W. 131, 233–264, 601, 611 Schmieder, F. 180, 526, 531, 540 sq. Schmitt, C. B. 341 Schmitt, F. S. 85 Schmitt, J.-O. 395 Schmitz, G. 458 Schmitz, R. 545 Schmucki, O. 612 Schmuel ha-Lewi ben Eli, rabbinus 544, 551 Schmuel ha-Qorachi, propheta 551 Schmutz, J. 103, 107 Schneider, H. 589, 594 sq., 599 Schneider, C. M. 74 Schneider, H. J. 261 Schneider, R. M. 137, 365, 395, 459 Schneidmüller, B. 281 Schneyer, J. B. 269, 591, 616 Schnorr von Carolsfeld, H. 458 Schockenhoff, E. 616 Schöne, A. 332 Scholem, G. 160 Scholz Williams, G. 592 Schomakers, B. 229 sq. Schopenhauer, Arthur 4 Schoppe, Caspar 120, 122 Schreiner, K. 116, 612, 615 Schreiner, P. 529 Schreiner, S. 546 sq., 550–555 Schröder, S. 518 Schröder, W. 498 Schröer, H. 588 Schürer, M. 595 Schulz, A. 492 Schulze Altcappenberg, H. T. 75 Scotto, D. 517 Scribner, R. W. 600 Sedlmayr, Virgilius 130

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Namenregister

Seehausen, F. 579 Seel, M. 523 Segl, P. 534 Seher, G. 529 Selmer, C. 488 sq. Semmler, J. 487 Seneca, Lucius Annaeus 31, 42, 199 sq., 284, 338, 349 Sennelart, M. 330 S¸enocak, N. 614 Serra, Martin 262 Serrano, Juan 109 Servít, Z. 131 Settis-Frugoni, C. 30 Sextus Empiricus 341 Seymour, M. C. 451 Sezgin, F. 427, 430 Shackleton Bailey, D. R. 307 sq. Sharpe, R. 592 Shelton, A. 565 Sheridan, J. J. 267 Sherlock, Paul 129 Shihadeh, A. 411 Sieber, A. 498 Siedler, D. 374 Sigerist, H. E. 378 Sigerus de Brabantia 170, 331 Sigurdson, O. 92 Šīh ā, H ˚ . M. 470 Ših āta, A. M. 467 Silagi, G. 267 Silvia, P. J. 292 Simek, R. 484, 499 Simon de Alteia 383 Simon de S. Quintino 530 sq., 535 Simonis, L. 62 sq. Simplicius 21 Simpson, J. 283 Sinkewicz, R. 23 Sinnreich, J. 261 Siraisi, N. 368 Siri, F. 269, 284, 287 Sittig, C. 511 Skeates, R. 566 Skutella, M. 48–52, 54 sq., 61, 70, 73, 200, 337 Sliwka, A. 355 Smaragdus S. Michaelis 460 Smirnova, V. 275, 594 Smith, R. R. 566 Smolinsky, H. 343, 354 Snow, N. E. 292 Snyder, C. R. 292 Sobol, P. G. 193 Socrates 280, 282, 303, 327

Solère, J.-L. 286 Somma, B. 146, 395, 398 Sommalius, H. 87 Sommerfeldt, J. R. 276 Sommervogel, C. 87, 107, 120, 124 Sonntag, J. 281 Sorace, M. A. 357 Sourdel, D. 271 Sourdel-Thomine, J. 271 Soutet, O. 384 Sparelli, Pietro Antonio 88 Spawforth, A. 474 Speer, A. 3, 137, 202, 268, 282, 291, 295, 327, 338, 340, 380, 389, 530, 569, 609 Sperling, Johannes 104 Spiazzi, R. M. 202 Spinelli, Pietro Antonio 124 Spinola, Fabius Ambrosius 100 Sprandel, R. 490–494, 496–500, 502 Spuybroek, L. 565 Stadler, H. 97, 361–365, 367–371, 373 Stammberger, R. M. 286 Stark, W. 355 Starkey, K. 566 Starkey, P. 545 Statius, Publius Papinius 283 Staubach, N. 280 Steckel, S. 282 Steel, C. 21, 164, 176, 215, 362, 365 Steger, F. 545 Stegmüller, F. 253 Steinmetz, P. 5 Stekeler-Weithofer, P. 261 Stengel, Carl 114 Stephanus de Borbone 314 Stephanus Provincialis 383 Stephanus Temperius 184, 512 Steuer, H. 560,562 Stewart, C. 458 Stierle, K. 62 Stillman, N. 466, 471 Stock, B. 37 Stock, M. 467 Stoevesandt, H. 70 Stolleis, M. 536 Stolz, M. 160 Stordy, A. 307 Stowasser, B. F. 478 Strange, J. 589, 595 Strijbosch, C. 487 Streijger, M. 192–194 Stürner, W. 30, 525 sq. Sturlese, L. 198, 210, 215–219, 221–223, 226, 231, 331 sq., 363, 388, 393

Namenregister Suárez, Francisco 86–108, 112–115, 117, 121 sq., 126, 130, 133 Suchla, B. R. 217 Süßmann, J. 541 Sutūda, M. 419, 421, 423–425, 429 sq., 432 Sweeney, J. R. 536 Świechowski, Z. 578, 581 sq. Sylla, E. 331 Swanson, M. N. 466 Synesius 110 Szombathy, Z. 465 Talbot, C. H. 38, 40, 585 Tanaseanu-Döbler, I. 447 Tanner, Adam 105 Tartaretus, Petrus 102 Taševsi, K. 26 Tauler, Johannes 232 Taylor, T. 566 Tebartz van Elst, F. P. 611 Teeuwen, M. 296 ter Horst-Arriëns, K. A. 580 Terret, V. 580 Tertullianus, Quintus Septimius Florens 89, 200, 309 Teuber, B. 509 Theiner, A. 526, 536, 540 Themistius 140 Theodericus 510 Theodoretus Cyrrhensis 399 Theodoricus Carnotensis 33 sq. Theodoricus de Freiberg 203 Theophilus Presbyter 570 Theophrastus 5, 111 Thetis 499 Theune, C. 568 Theune-Großkopf, B. 572 Theunissen, M. 466 Thibodeau, T. M. 599, 605 sq. Thieme, P. 412 Thier, A. 533 Thijssen, J. M. M. H. 511 Thimme, W. 153 Thoelen, H. 490–494, 496–500, 502 Thomas de Aquino 70, 72–75, 89, 93–96, 98 sq., 101, 161–177, 179–184, 186, 193, 197, 202 sq., 229, 235, 269, 294, 306, 314, 316, 322, 329, 343, 345, 356, 500, 511, 524, 532, 537, 583, 592, 601 sq., 606–610 Thomas de Cantiprato 363, 377, 381, 387, 393 Thomas de Cobham 275 Thomas de Villanova (Tomás García y Martínez) 113 Thomas de York 224 sq., 228

677

Thomas Gallus 314 Thomasset, C. 384 Thompson, A. W. 408 sq. Thomson, R. B. 332 Thürlemann, F. 579 Tibber, P. H. 278 Tibi, A. 142 Timotheus, episcopus 349 Timotheus Gazaeus 408–410 Tinivella, F. 327 Tixier, F. 599 Tlili, S. 405, 412 Töpfer, B. 336 Tomasek, T. 529 sq. Toom, T. 294 Torrell, J.-P. 608 Tostado, Alonso (Alonso Fernández de Madrigal) 91 Totaro, P. 289 Totelin, L. 414 Tränkle, H. 280, 287 Travill, A. A. 369 Trithemius, Johannes 268 Tromboni, L. 285 Tropper, A. 543 Trottmann, C. 281 Trout, J. M. 273 Tuhkanen, M. 477 Turri, J. 292 Tyler Sergent, F. 440 Ueding, G. 511 Uehlinger, C. 476 Uhl, F. 332, 336 Ullmann, M. 465, 475 Ulricus de Argentina 86 Urbanus IV. papa (Jacques Pantaléon) 539 Urbanus VIII. papa (Maffeo Barberini) 121 Valente, L. 289 Valdarchi, M. 307 Valles, Francesco 111 van Buuren, A. M. J. 369 van de Lugt, M. 93, 111 van den Abeele, B. 363 van den Wyngaert, A. 180, 516 van der Lecq, R. 191 van der Plaeste, R. 89 van der Vekene, E. 243 van Donzel, E. J. 466, 468, 469, 476 van Ess, J. 470 van Leeuwen, J. 142 van Oppenraaij, A. M. I. 91, 95, 363 van Steenberghen F. 383

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Namenregister

van Tongeren, L. 614 sq. Vannier, M.-A. 294 Vansteenberghe, E. 246 Vasiliu, A. 286 Vauchez, A. 592 Vázquez, Gabriel 87, 115, 122, 245, 249 sq. Vázquez, I. 612 Veh, O. 569 Velázquez, Diego 122 Velázquez, Juan Antonio 125 Velten, H. R. 487 Ventura, I. 378 sq., 384 Verdeyen, P. 308, 440 Verger, J. 282, 382, 532 Vergnolle, É. 578 Verheijen, L. 486, 488, 490 sq., 495, 507 sq., 514 sq., 583 Vasalous, S. 141 Vasoli, C. 133 Vaßen, F. 220 Vega, A. 233 Vergilius, Publius Maro 51 Verheijen, L. 32, 39 Vernet, A. 34 Veronese, F. 454 Vesel, Ž. 428 Vetter, F. 232 Vickers, M. 566 Victorinus, Gaius Marius 485 Viegas, Blasius 112 Vigorelli, I. 274 Vileta, Luys Joan 244 Villads Jensen, K. 513 sq., 517 Vincentius Bellovacensis 29, 304, 376–378, 381, 384–388, 391–393, 515 sq., 530 sq., 535 sq. Vincke, J. 242 Vinken, B. 279, 439, 508, 568 Vinken, G. 577 Viré, F. 468 Virgi, S. 137, 395–415 Visonà, G. 308 Vitale-Brovarone, A. 369 Vitz, E. B. 591 Vives, J. L. 331 Vlastos, G. 484 Vogels, H. G. 374 Voltaire (François-Marie Arouet) 340 von Arnim, Achim 160 von Balthasar, H. U. 355–357 von den Brincken, A.-D. 483, 484, 529, 535, 540 von der Leyen, F. 29 von Ertzendorff, X. 548 von Harnack, A. 84, 160 von Hartel, W. 506

von Hees, S. 158, 395, 399–401, 417 sq. von Humboldt, Alexander 3 von Moos, P. 35 von Rommel, C. 120 von Rubruk, W. 334 von Rummel, P. 559 von Wright, G. H. 307 Voskoboynikov, O. 27–43 Voss, H.-G. 596 Vuillemin-Diem, G. 280 Wachinger, B. 272, 295 Wadding, Petrus 105 Wagner, S. 572 Wakelnig, E. 139, 398 Walafridus Strabo 378 Walker Bynum, C. 93 Wallis, F. 373 Walsh, K. 597, 607 Walsh, P. G. 82 Walter, D. 7–10, 12, 17, 21 Walther, H. G. 516, 525–541 Walzer, R. 147 Wamers, E. 561, 563 Wandrey, I. 223 Wansbrough, J. 467 Warmington, E. H. 405 Wasserschleben, F. W. H. 594, 611 Watson, L. 292 Wattenbach, W. 527 Weber, R. 273, 507, 510 Webster, L. 571 Weibel, P. 233 Weijers, O. 296, 382 Weiland, L. 526 Weimar, P. 268 Weinfurter, S. 281, 459 Wensinck, A. J. 466–468, 473, 475, 479 Weipert, R. 468 Weisheipl, J. 369 Weiß, K. 199, 204, 212 Weisser, U. 368 sq. Weitbrecht, J. 487 Welch, M. 571 Weltecke, D. 512 Wenzel, S. 268, 270 sq. Werbeck, W. 96 Werminghoff, A. 458–460 Westerink, L. G. 6, 8–20 Westrem, S. D. 531 Wey, J. C. 186–188, 191, 193 Whitehead, A. N. 158 Wicker, N. L. 563, 566 Wicki, N. 73

Namenregister Wiegand, H. 518 Wienbruch, U. 484 Wilkins, E. G. 280 Wilkins, E. H. 77 Wilkins, J. 398 Wilkinson, B. 528 Willems, R. D. 484 Willemsen, C. A. 43, 333 Williams, S. J. 383 Willis, D. 466 Wilpert, P. 329 Wilson, D. M. 560 Wilson, G. A. 113 Wimmer, F. 118 Wingell, A. 385 Winkler, U. 355 Wippel, J. F. 162, 170 Wirmer, D. 146, 456 Wisnovsky, R. 156 Withcomb, D. 292 Withmarsh, T. 398 Witter, K. 534 Wodd, R. 191 Wöllmer, G. 361, 391 Wörner, M. H. 607 Woerther, F. 151 Wolf, N. R. 490–494, 496–500, 502 Wolfson, H. A. 413 Wolter, A. B. 105 Wolter, H. 526 Woodward, D. 541 Worthington, E. L. Jr. 292 Wüstenfeld, F. 158 sq., 400 sq., 404 sq., 410, 414, 420 Wunderli, P. 487 Xenophontos, S. 398

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Yahyā Ibn al-Batrīq 404 Yarshater, E. 467, 477 Yarza-Urquiola, V. 85 Yates, F. A. 586 Yiğit, S. 292 Young, S. E. 532 Yoshitake, K. 270 Ypenga, A. 605 Yūsuf Al-Hādī 423 Zacchaeus 319 Zacchia, Paulus 104 Zacher, C. K. 509 sq. Zacke, B. 484 Zagzebski, L. 292 Zalta, E. N. 292 Zamoro, Giovanni Maria 109 Zāyid, S. 153 sq. Zchomelidse, N. 591 Zeiss, H. 562 Zerfass, R. 613 Zetzner, L. 240 sq., 253 sq. Ziegler, Dominicus 119 Ziegler, Johann 107 Zielinski, S. 233 Zier, M. A. 268 sq., 271, 278, 285 Zimmermann, A. 165, 169 sq., 174 sq., 268, 280, 331, 343, 364, 368, 380, 484, 593, 597 Zink, M. 295 Ziolkowski, T. 596 Zonta, M. 150 Zucker, A. 400 Zupko, J. 193 Zwinger, Theodor 252 Zycha, J. 3, 71, 73, 91, 289

Abbildungen

Abbildungsnachweise a) Abbildung en im Text S. 41: Central nave of the Fontenay Abbey, (Photo Oleg Voskoboynikov) S. 577: Plan de l’église Notre-Dame du Port, Clermont-Ferrand. Issu du Dictionnaire raisonné de l’architecture française du XIe au XVIe siècle, par Eugène Viollet-Le-Duc, 1856.

b) Abbildung en im Tafelteil Abbildungen zum Beitrag Eusterschulte Tafel 1–3a/3b: © Staatliche Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Kupferstichkabinett, Aufnahmen Philipp Allard: Inf. XXVI; Par. XXVII, XXVIII. Die hier reproduzierten Abbildungen folgen dem Katalog zur Ausstellung: Sandro Botticelli: Der Bilderzyklus zu Dantes Göttlicher Komödie, ed. H.-Th. Schulze Altcappenberg, Ostfildern-Ruit/London 2000, 109. 275. 277.

Abbildungen zum Beitrag al-Rahim Tafel 4: Bibliothèque nationale de France, Paris MS Supplément persan 1029, fol. 120b (open access) Tafel 5: Hermitage Museum, Saint Petersburg, MS VR–1000, fol. 181a (open access)

Abbildungen zum Beitrag Friedrich Tafel 6: J. Engel, Großer Historischer Weltatlas. II. Teil: Mittelalter, München 1970, 8 Tafel 7 & 8: Metropolitan Museum of Art, New York Tafel 9: © Bodleian Libraries, University of Oxford, CC-BY-NC 4.0 Tafel 10: © The Board of Trinity College Dublin Tafel 11: © British Library Board Tafel 12: © Victoria and Albert Museum, London Tafel 13: © LWL-Archäologie für Westfalen, Foto: Stefan Brentführer Tafel 14: Graenert, Merowingerzeitliche Filigranscheibenfibeln (nt. 62); Hamerow e. a., Female Burial from West Hanney (nt. 60), 96 Abb. 4. Tafel 15: © Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Foto: Manuela Schreiner Tafel 16: © Archäologische Staatssammlung München, Foto: Manfred Eberlein Tafel 17: © Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Foto: Yvonne Mühleis Tafel 18: Foto: Autor https://doi.org/10.1515/9783110792461-035

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Abbildungsnachweise

Abbildungen zum Beitrag Hommers Tafel 19: Foto: Autor / Redaktion Tafel 20–27 & 29–30: Jérôme Baschet, Jean-Claude Bonne et Pierre-Olivier Dittmar, «Chapitre IV – Notre-Dame-du-Port : un puissant végétalisme et sa relève architecturale», Images Re-vues [En ligne], Hors-série 3 | 2012, mis en ligne le 21 novembre 2012, consulté le 01 mars 2022. URL: http://journals.openedition.org/imagesrevues/1865; DOI: https://doi.org/10.4000/imagesrevu es.1865 (à disposition selon les termes de la Licence Creative Commons Attribution − Pas d’Utilisation Commerciale 4.0 International). – Die Abbildungen sind dem Katalog entnommen in folgender Referenz: Abb. 2 (=fig. 3), Abb. 3 (=fig. 163); Abb. 4 (=fig. 114), Abb. 5a+b (=fig. 112); Abb. 6 (=fig. 168), Abb. 7 (=fig. 166), Abb. 8 (=fig. 165), Abb. 9 (=fig. 167), Abb. 11 (=fig. 161), Abb. 12 (=fig. 160). Tafel 28: Foto: Jochen Jahnke, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php? curid=5017909

Sandro Botticelli, Blatt zu Inferno XXVI. Der gesamte ‚Commedia‘-Zyklus ist auf Schafspergament im Format etwa 325 auf 475 mm gezeichnet, auf der Rückseite ist später von einem Schreiber der Text je eines Canto niedergelegt. In verschiedenen Braun- und Sepiatönen gezeichnet, der Vorzeichnungen in Graphit unterliegen, gestaltet Botticelli in sukzessiver Heranführung gleich einem Gebirgsgang den Weg Dantes und Vergils in einem Bogen, der über die steinigen, zerklüfteten Wegführungen den Abgrund einfasst, aus dem ihnen eine gespaltene Flamme mit den Andeutungen der Profile von Odysseus und Diomedes entgegenzüngelt.

Abbildungen zum Aufsatz Anne Eusterschulte

Tafel 1

Sandro Botticelli, Blatt zu Paradiso XXVII. Die zweifache Ausrichtung des Geschehens, i. e. das Aufschweben in den Himmel, bei der sich die Figur Dante im Blick auf Beatrice gleichsam unter ihrer Obhut nach oben leiten lässt, und das Herabweisen und -schauen auf das Elend der irdischen Welt wird von Botticelli zeichnerisch so dargestellt, als ginge die Doppelbewegung gleichsam aus einer Figurengruppe hervor, die, zwischen den Welten situiert, simultan in entsprechenden affektiven Gebärden, Gesten und Haltungen erscheint.

Tafel 2 Abbildungen zum Aufsatz Anne Eusterschulte

Sandro Botticelli, Blatt zu Paradiso XXVIII. Die Ps.-Dionysische Hierarchie der Engelsshöre (gekennzeichnet durch Attribute wie eine Skala am Bildrand), in deren Mitte und vor deren Hintergrund Dante und Beatrice hier erscheinen, zeigt sich als Wirbel, Auffliegen und tanzendes Schweben zugleich. Alles ist auf das selbst nicht sichtbare göttliche Zentrum gerichtet. In den Gesten, Körperdrehungen, Berührungen, Bewegungen von Kopf, Händen und Füßen, in der Feinzeichnung der Gliedmaßen, der Differenzierung von Gesten der Anbetung, Erfurcht, des Singens und Schauens sowie in der luftigen Bauschigkeit der Gewänder bzw. der jeweiligen Mitführung der Attritube etc. zeigen sich die Engel als individuierte Wesen mit je ganz eigenen sinnlich-perzeptiven wie affektiven Haltungen und zugleich als eine freudiges Insgesamt.

Abbildungen zum Aufsatz Anne Eusterschulte

Tafel 3a

Tafel 3b

Abbildungen zum Aufsatz Anne Eusterschulte

Sandro Botticelli, Blatt zu Paradiso XXVIII, Detail.

Abbildungen zum Aufsatz Ahmed H. al-Rahim

Ilyās ibn-Yūsuf Niz āmī Gangˇawī (d. ca. 613/1217), H ˚ amsa (“Quintet”), Bibliothèque nationale de France, Paris MS Supplément persan 1029, fol. 120b, dated from the seventeenth century AD.

Tafel 4

Tafel 5

Abbildungen zum Aufsatz Ahmed H. al-Rahim

Laila in the date palm orchard under the gaze of Magˇnūn (Qais ibn-al-Mulauwah ), Niz āmī Gangˇawī, H ˚ amsa (“Quintet”), Hermitage Museum, Saint Petersburg, MS VR–1000, fol. 181a, dated from 1431 AD.

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Tafel 6

Verbreitung der Reihengräberfelder im 7. Jahrhundert nach Joachim Werner (in: J. Engel, Großer Historischer Weltatlas. II. Teil: Mittelalter, München 1970, 8). Obwohl die Karte den Forschungstand von 1970 widerspiegelt und in den letzten 50 Jahren zahlreiche neue Fundplätze hinzugekommen sind, gibt die hier dargestellte Verbreitung in Ermangelung einer aktuelleren Gesamtdarstellung immer noch einen ungefähren Eindruck über die geografische Ausdehnung der Reihengräberfelder; cf. H. Fehr, Germanen und Romanen im Merowingerreich. Frühgeschichtliche Archäologie zwischen Wissenschaft und Zeitgeschehen (Ergänzungsbände zum Reallexikon der germanischen Altertumskunde 68), Berlin 2010, 706.

Tierstil I am Beispiel einer Bügelfibel (um 600 n. Chr.), unbekannter Fundort, vermutlich Italien (Metropolitan Museum of Art, New York).

Tafel 7 Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Tafel 8

Tierstil II am Beispiel eines Gürtelbeschlags aus der Mitte bis 2. Hälfte des 7. Jahrhunderts, unbekannter Fundort (Metropolitan Museum of Art, New York).

Tafel 9

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Ormesby-Psalter, Bodleian Libraries MS. Douce 366, fol. 72r, frühes 14. Jahrhundert (© Bodleian Libraries, University of Oxford, CC-BY-NC 4.0).

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Tafel 10

„Teppichseite“ im Book of Durrow, Trinity College Dublin IE TCD MS 57, fol. 192v, 2. Hälfte 7. Jahrhundert (© The Board of Trinity College Dublin).

Tafel 11

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Incipit-Seite des Matthäus-Evangeliums, Lindisfarne Gospels, um 700 n. Chr. (© British Library Board, Cotton MS Nero D IV, fol. 27r).

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Composite Disc Brooch, Milton, Oxfordshire, 7. Jahrhundert (© Victoria and Albert Museum, London).

Tafel 12

Tafel 13

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Scheibenfibel, Soest, Kammergrab 165, ca. Mitte des 7. Jahrhunderts (© LWL-Archäologie für Westfalen, Foto: Stefan Brentführer).

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Tafel 14

Verbreitung von frühmittelalterlichen Filigranscheibenfibeln und Composite Disc Brooches mit Eintragung der im Text besprochenen Fundorte Milton und Soest. Datenbasis: Graenert, Merowingerzeitliche Filigranscheibenfibeln (nt. 62); Hamerow e. a., Female Burial from West Hanney (nt. 60), 96 Abb. 4.

Leier aus Trossingen, Grab 58, 580 n. Chr. (© Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Foto: Manuela Schreiner).

Tafel 15 Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Scheibenfibeln aus Unterhaching, Grab 5, um 500 n. Chr. (© Archäologische Staatssammlung München, Foto: Manfred Eberlein).

Tafel 16

Beigaben aus Lauchheim, Siedlung Mittelhofen, Grab 24, um 700 n. Chr. (© Archäologisches Landesmuseum Baden-Württemberg, Foto: Yvonne Mühleis).

Tafel 17 Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Abbildungen zum Aufsatz Matthias Friedrich

Tafel 18

Älterer Lindauer Buchdeckel, spätes 8. Jahrhundert/um 800 n. Chr., heute in der Morgan Library, New York. Foto: Autor.

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Notre-Dame-du-Port: Blick nach Osten.

Tafel 19

Tafel 20

Notre-Dame-du-Port: Blick nach Westen

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Tafel 21

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

„Rotbertus me fecit“

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Versuchung Christi

Tafel 22

Tafel 23

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Kampf der Engel mit den Mächten des Bösen

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Paradiesespforte (Himmlische Kirche)

Tafel 24

Tafel 25

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

„Ecce libro“ – Buch des Lebens

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Aufnahme Mariens in den Himmel

Tafel 26

Tafel 27

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Hornblasender Engel mit Olifant und Fahne

Tafel 28

Südportal

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Tafel 29

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Verkündigung an Zacharias

Abbildungen zum Aufsatz Jeannet Hommers

Mariä Heimsuchung

Tafel 30