Comitatus: Beiträge zur Erforschung des spätantiken Kaiserhofes 3050032103, 9783050032108

Die folgenden Aufsätze sind aus Vorträgen entstanden, die im Wintersemester 1995/96 im Bielefelder Althistorischen Kollo

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Comitatus: Beiträge zur Erforschung des spätantiken Kaiserhofes
 3050032103, 9783050032108

Table of contents :
Einleitung / Aloys Winterling 7
Strukturen und Funktionen des spätantiken Kaiserhofes / Karl Leo Noethlichs 13
Der oberste Hofeunuch. Die politische Effizienz eines gesellschaftlich Diskriminierten / Helga Schölten 51
Der Prätorianerpräfekt und der kaiserliche Hof im 4. Jahrhundert n. Chr. / Andreas Gutsfeld 75
Im Zentrum der Macht. Zur Rolle der Kaiserin an spätantiken Kaiserhöfen am Beispiel der Eusebia in den 'Res gestae' des Ammianus Marcellinus / Anja Wieber-Scariot 103
Dem Kaiser folgen. Kaiser, Senatsadel und höfische Funktionselite ('comites consistoriani') von der 'Tetrarchie' Diokletians bis zum Ende der konstantinischen Dynastie / Dirk Schlinkert 133
Bibliographie / Tassilo Schmitt 161
Register 175

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Aloys Winterling (Hg.) Comitatus

COMITATUS Beiträge zur Erforschung des spätantiken Kaiserhofes

Herausgegeben von Aloys Winterling

Akademie Verlag

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Comitatus : Beiträge zur Erforschung des spätantiken Kaiserhofes / hrsg. von Aloys Winterling. - Berlin : Akad. Verl., 1998 ISBN 3-05-003210-3

© Akademie Verlag GmbH, Berlin 1998 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Photokopie, Mikroverfilmung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Datenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Satz: Werksatz J. Schmidt, Gräfenhainichen Druck: WB-Druck, Rieden Bindung: Buchbinderei N. Klotz, Jettingen-Scheppach Printed in the Federal Republic of Germany

Inhalt

Einleitung. Von Aloys Winterling Strukturen und Funktionen des spätantiken Kaiserhofes. Von Karl Leo Noethlichs

7 . .

13

Der oberste Hofeunuch. Die politische Effizienz eines gesellschaftlich Diskriminierten. Von Helga Schölten

51

Der Prätorianerpräfekt und der kaiserliche Hof im 4. Jahrhundert n. Chr. Von Andreas Gutsfeld

75

Im Zentrum der Macht. Zur Rolle der Kaiserin an spätantiken Kaiserhöfen am Beispiel der Eusebia in den Res gestae des Ammianus Marcellinus. Von Anja Wieber-Scariot

103

Dem Kaiser folgen. Kaiser, Senatsadel und höfische Funktionselite (comites consistoriani) von der „Tetrarchie" Diokletians bis zum Ende der konstantinischen Dynastie. Von Dirk Schlinkert

133

Bibliographie. Von Tassilo Schmitt

161

Register

175

Einleitung Von Aloys Winterling *

Die folgenden Aufsätze sind aus Vorträgen entstanden, die im Wintersemester 1995/96 im Bielefelder Althistorischen Kolloquium gehalten wurden. Sie setzen verschiedene zeitliche wie regionale Schwerpunkte und verfolgen unterschiedliche inhaltliche Fragestellungen. Ihre gemeinsame Publikation erscheint jedoch angebracht, da sie einerseits zentrale Aspekte des monographisch bisher noch nicht behandelten spätantiken Kaiserhofes thematisch abdecken und da sie andererseits gemeinsam einer neuen Sichtweise verpflichtet sind, die die Bedeutung und Eigengesetzlichkeit höfischer Strukturen in Rechnung stellt. Sieht man von Untersuchungen der politischen Ereignisgeschichte im unmittelbaren Umfeld der Kaiser ab, so nahm die Forschung seit dem 19. Jahrhundert den spätantiken Kaiserhof vornehmlich als organisatorisches Phänomen wahr und bemühte sich um die Rekonstruktion des Systems der Hofämter, die als Zentren der staatlichen Verwaltung des spätantiken Kaiserreiches erschienen. 1 Zum anderen wurde - vornehmlich von der byzantinischen Überlieferung ausgehend - das Hofzeremoniell als Ausdruck einer spätantiken „Kaiser- und Reichsidee" gedeutet. 2 Das reale Leben am Hof, die typische, Verwaltungsstrukturen und zeremonielle Ordnung konterkarierende Bedeutung von Gunst, Macht, Schmeichelei, Rivalität und Intrigen, von Aufstieg und Sturz der daran Beteiligten wurde demgegenüber - in Übernahme der Wertungen antiker Zeitgenossen - durchweg nur in Form von Hofkritik zur Sprache gebracht, gelegentlich auch der „Schwäche" einzelner Kaiser zugerechnet, nicht aber als Forschungsgegenstand ernstgenommen.

* Ich danke den Autoren dieses Sammelbandes für die gegenseitige konstruktive Kritik ihrer Beiträge, Bert Hildebrand, Tanja Schaufuß und Tassilo Schmitt für die Unterstützung bei der redaktionellen Arbeit, Claudia Beyer-Fusco und Thomas Kruse für die Hilfe beim Korrekturlesen. 1 Entsprechend wird auch in neueren Handbüchern und Forschungsüberblicken der spätantike Kaiserhof durchweg unter den Überschriften „Staat", „Verwaltung" oder „Administration" abgehandelt. Vgl. z . B . Arnold H. M. Jones, The Later Roman Empire 2 8 4 - 6 0 2 . A Social, Economic and Administrative Survey, 3 Bde., Oxford 1964, Bd. 1, 3 6 6 - 3 7 3 ; Jochen Martin, Spätantike und Völkerwanderung, München 1987, 8 4 - 8 7 ; Alexander Demandt, Die Spätantike, München 1989, 2 3 1 - 2 4 4 . 2

Siehe Andreas Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (1934. 1935), Darmstadt 1970; Otto Treitinger, Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938 ( N D 1956).

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Aloys

Winterling

Nach Keith Hopkins, der in einer Analyse der politischen Rolle der Eunuchen bereits grundlegende Mechanismen der Machtstrukturen spätantiker Höfe freigelegt hatte - ohne allerdings den höfischen Kontext insgesamt zum Thema zu machen - , 3 war es Henrik Löhken, der die Bedeutung des Hofes für das Verhältnis von Kaiser und Aristokratie in den Blick nahm und im Zusammenhang seiner Frage nach der „Neukonstituierung" der spätantiken Führungsschicht - vornehmlich auf der Basis der Rechtsquellen - erstmals auch das Hofzeremoniell als „geregelte Rangdarstellung" untersuchte.4 Er ließ sich dabei von den seinerzeit aktuellen Thesen der frühneuzeitlichen Hofforschung, namentlich von Norbert Elias anregen. Dieser hatte für den französischen Königshof im Absolutismus einen Zusammenhang zwischen der Zentrierung adliger Rangmanifestation auf das höfische Zeremoniell einerseits und dem Ausnutzen adligen Rangstrebens durch den König und der damit erfolgenden Domestikation des Adels am Hof andererseits hergestellt.5 Löhken stellte die Anwendbarkeit des Eliasschen Modells nicht grundsätzlich in Frage. Seine Ergebnisse dokumentieren jedoch, daß die politisch-sozialen Verhältnisse am spätantiken Hof erheblich von denjenigen abwichen, die Elias für den Hof Ludwigs XIV. beschrieben hatte.6 So kann für das 4. Jahrhundert, dem der Schwerpunkt seiner Untersuchung gilt, keineswegs von einer dauernden höfischen Interaktionsgemeinschaft von Kaiser und größeren Kreisen der politisch relevanten Senatsaristokratie - der sachlichen Voraussetzung für domestizierende Wirkungen des Hofes - ausgegangen werden.7 Sodann zeigt die Ranggesetzgebung des späten 4. Jahrhunderts, daß das Ergebnis der strukturellen Veränderungen der Oberschicht des Reiches seit Diokletian keineswegs als „Verhofung" (Elias) der senatorischen Aristokratie, vielmehr als

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Keith Hopkins, The Political Power of Eunuchs (1963), in: ders., Conquerors and Slaves. Sociological Studies in Roman History, Cambridge 1978, Bd. 1, 172-196. Henrik Löhken, Ordines dignitatum. Untersuchungen zur formalen Konstituierung der spätantiken Führungsschicht, Köln, Wien 1982. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft. Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichte, Darmstadt, Neuwied 1969. Zur Relativierung der auf dem Forschungsstand der dreißiger Jahre beruhenden Eliasschen Domestikationsthese in der neueren Forschung zum absolutistischen Hof vgl. Arlette Jouanna, Le devoir de revolte. La noblesse fran5ai.se et la gestation de l'etat moderne 1559-1661, Paris 1989; Ronald G. Asch, Der Hof Karls I. von England. Politik, Provinz und Patronage, 1625-1640, Köln u. a. 1993, bes. 25 ff.; Aloys Winterling, Der Hof der Kurfürsten von Köln (1688-1794): Eine Fallstudie zur Bedeutung „absolutistischer" Hofhaltung, Bonn 1986, 13ff., 151 ff.; Rainer A. Müller, Der Fürstenhof in der frühen Neuzeit, München 1995, bes. 94ff. Entsprechend nimmt Löhken, Ordines dignitatum (wie Anm. 4) 58-62, eine Domestikationsfunktion des Hofes auch lediglich für die frühe Kaiserzeit an, wo eine „Interaktionsgemeinschaft" zwischen Kaiser und Aristokratie am Hof bestanden habe. Eine Detailuntersuchung der engsten kaiserlichen Umgebung im 1. Jahrhundert zeigt demgegenüber jedoch gerade das Bestreben der Kaiser, Mitglieder vornehmer aristokratischer Familien aus diesem Kreis nach Möglichkeit fernzuhalten und die persönliche Kommunikation mit ihnen auf formalisierte Anlässe wie salutatio und Gastmähler sowie auf Senatssitzungen zu beschränken. Vgl. Aloys Winterling, Hof ohne „Staat". Die aula Caesaris im 1. und 2. Jahrhundert n. Chr., in: ders. (Hg.), Zwischen „Haus" und „Staat". Antike Höfe im Vergleich, (HZ Beiheft 23) München 1997, 91-112, bes. 101-103.

Einleitung

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„Senatorisierung" (Löhken) der in dieser Zeit meist aus niedrigen sozialen Verhältnissen aufgestiegenen höfischen Eliten zu beschreiben ist.8 Die folgenden Aufsätze tragen der skizzierten Forschungssituation Rechnung. Weder reduzieren sie den spätantiken Kaiserhof auf seine administrativen Strukturen, noch sehen sie in ihm per se ein kaiserliches Domestikationsinstrument gegenüber der Aristokratie. Ihnen lag vorab als Denkangebot ein idealtypisches Hofmodell vor, 9 das von den spezifisch höfischen, schon von den Zeitgenossen häufig kritisierten Kommunikationsverhältnissen ausgeht und deren Bedeutung zu analysieren versucht. Die Verlagerung von Macht vom Herrscher selbst auf die in seiner engsten Umgebung agierenden und in besonderer „Gunst" stehenden Personen wird dabei als notwendige Folge und funktionales Erfordernis von Alleinherrschaft unter vormodernen Bedingungen gedeutet. Die soziale Rekrutierung dieses „engen Hofes" und die Bedeutung gesamtgesellschaftlicher Rangmanifestation im höfischen Zeremoniell erscheinen dagegen als historisch variabel. Ihre Analyse erlaubt Aussagen über die Position des Monarchen und die gesellschaftsstrukturellen Bedingungen der Umwelt des Hofes. Ausgehend von diesen Gesichtspunkten seien die Beiträge des vorliegenden Sammelbandes einleitend kurz vorgestellt. Karl Leo Noethlichs gibt einen generalisierenden Überblick, der die drei grundlegenden Dimensionen des Hofes behandelt: den Hof als Ort (Raumstrukturen der Paläste), den Hof als Gesellschaft (kaiserliche Familie, Verwandte und ,Freunde'; Amtsträger des Palastes und der Reichsverwaltung; vorübergehend anwesende Personen) und den Hof als Handlungskomplex (Zeremoniell, kaiserliche Tafel). Er konzentriert sich dabei auf die Verhältnisse im Osten zur Zeit Justinians, zieht aber aufgrund der Forschungslage für den dritten Aspekt vornehmlich die byzantinischen Quellen heran, deren Aussagewert für die Zeit des 4. bis 6. Jahrhunderts zu relativieren ist. Noethlichs betont die Funktion des Hofes als politischgesellschaftliches Machtzentrum und bezieht die höfischen Kommunikationsverhältnisse (Schmeichelei, Bestechung, Erpressung) einerseits auf die prinzipiell ungesicherte, von der kaiserlichen Gunst abhängige Stellung der beteiligten Personen, andererseits auf deren umfangreiche Chancen, durch informelle Einflußnahme auf den Kaiser eigene Vorteile zu erringen. 10 Kann dies als Charakteristikum monarchischer Höfe schlechthin gelten, so arbeitet Noethlichs bei Analyse des Verhältnisses von höfischer und gesamtgesellschaftlicher Rangordnung eine Besonderheit spätantiker Kaiserhöfe heraus, die sie von den Höfen der hellenistischen Zeit und denen der späteren europäischen Geschichte unterschied. 11 Zwar „adelte" Kaisernähe und führte zur Aufnahme von höfischen Amtsträgern in die höchsten gesell-

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Löhken, Ordines dignitatum (wie Anm. 4) 1 1 2 - 1 3 4 ; vgl. John F. Matthews, Western Aristocracies and Imperial Court A . D . 3 6 4 - 4 2 5 , Oxford 1975 ( N D 1991). Siehe A l o y s Winterling, „ H o f . Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, in: ders. (Hg.), Antike Höfe (wie Anm. 7) 1 1 - 2 5 .

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Vgl. dazu jetzt Christian Gizewski, „Informelle Gruppenbildungen" in unmittelbarer U m g e b u n g des Kaisers an spätantiken Höfen, in: Winterling (Hg.), Antike H ö f e (wie Anm. 7), 1 1 3 - 1 4 9 , der sich auf den „illegitimen" Aspekt höfischer Verhaltensweisen konzentriert.

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Siehe dazu A l o y s Winterling, Vergleichende Perspektiven, in: ders. (Hg.), Antike H ö f e (wie Anm. 7) 1 5 1 - 1 6 9 , bes. 1 6 0 - 1 6 5 .

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Winterling

schaftlichen Rangklassen, die aristokratische Hierarchie selbst nahm aber seit ihrer Formalisierung im späten 4. Jahrhundert nicht von Hofrängen ihren Ausgang, sondern modifizierte und differenzierte die traditionelle, auf den städtisch-politischen Verhältnissen der römischen Vergangenheit basierende senatorische Rangordnung. Die drei folgenden Beiträge behandeln drei prominente Rollen am spätantiken Kaiserhof. Ihre Analyse gibt Aufschluß über informelle höfische Einflußstrukturen und die latente Gefahr, die die abgeleitete Macht von Personen seiner engsten Umgebung für den Kaiser selbst bedeuten konnte. Helga Schölten untersucht die zentrale Bedeutung von Eunuchen an spätantiken Kaiserhöfen am Beispiel des praepositus

sacri cubiculi. Sie zeigt, daß die - auch

durch die Aufnahme in die höchsten senatorischen Rangklassen nicht eliminierbare - physische und soziale Diskriminierung des „Vorstehers des kaiserlichen Wohn- und Schlafgemachs" Voraussetzung war für seine außergewöhnliche, auf persönlicher Nähe zum Kaiser basierende Machtstellung am Hof. Er kanalisierte den informellen, die zuständigen Hofämter umgehenden Kontakt mit dem Kaiser und wurde zu prekären Missionen eingesetzt, die höchste Zuverlässigkeit erforderten, ohne dabei seinerseits dem Kaiser zum Rivalen werden zu können. Die Stellung der Prätorianerpräfekten des Ostens im 4. Jahrhundert, die Andreas Gutsfeld untersucht, zeichnet sich durch genau entgegengesetzte Charakteristika aus und dokumentiert so aus umgekehrter Perspektive die Wirksamkeit derselben höfischen Mechanismen. Meist in hohem Alter und nach einer längeren höfischen Laufbahn in ihr A m t berufen, war ihre Position mit hohem Sozialprestige und großer administrativer Eigenständigkeit verbunden. Gleichzeitig wurden sie jedoch aus der engsten kaiserlichen Umgebung und den damit verbundenen Machtchancen tendenziell ferngehalten. Gutsfeld zeigt anhand einer Analyse der literarischen Quellen, daß selbst diejenigen Präfekten, die als proximi

der Kaiser

bezeichnet werden, in der informellen Hierarchie nach kaiserlicher Gunst keineswegs eine herausragende Stellung einnahmen, daß die Kaiser vielmehr offensichtlich bestrebt waren, eine ihnen potentiell gefährliche Kombination von hohem gesellschaftlichem Rang und großem höfischem Einfluß nach Möglichkeit zu vermeiden. Für die Position der Kaiserin, die Anja Wieber-Scariot behandelt, zeigen sich besondere Bedingungen. Aufgrund ihrer Bedeutung als Ehefrau des Kaisers und (potentielle) Mutter seines Nachfolgers war sie einerseits von aktuellen, oft labilen höfischen Machtstrukturen weitgehend unabhängig und konnte so eigenständige Einflußmöglichkeiten nutzen und „Matronage" betreiben. Andererseits war ihre Stellung aber gerade deshalb in hohem M a ß e von der Fruchtbarkeit ihrer Ehe abhängig und gefährdet, wenn diese ausblieb. Das konnte, wie Wieber-Scariot am Beispiel von Eusebia und Helena zeigt, zu Rivalitäten zwischen weiblichen Mitgliedern der Kaiserfamilie, zur Anwendung zweifelhafter und gesundheitsgefährdender gynäkologischer Behandlungsmethoden oder im Gegenzug zu Intrigen führen, die durch pharmakologische Übergriffe die Fertilität von Konkurrentinnen zu beeinträchtigen suchten. Dirk Schlinkerts Beitrag zielt auf Ansätze einer Integration der senatorischen Aristokratie in den Hof in der ersten Hälfte des 4. Jahrhunderts. Er schildert den Versuch Konstantins, durch die Vergabe der abgestuften Ehre eines kaiserlichen „Gefolgsmannes erster, zweiter und dritter Ordnung" (comes primi, secundi und tertii ordinis) eine nach formalisierter Nähe

Einleitung

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zum Kaiser strukturierte höfische Rangordnung zu etablieren, die die im kaiserlichen Dienst Aufgestiegenen und Personen senatorischer Herkunft gemeinsam erfaßte. Diese verlor dann allerdings mit den Valentinianischen Ranggesetzen - die Schlinkert nicht mehr behandelt weitgehend an Bedeutung. Die im kaiserlichen Rat (consistorium) auftretenden Inhaber der obersten Hofämter entstammten bekanntlich überwiegend niedrigeren sozialen Schichten und erlangten erst durch ihre Tätigkeit die Aufnahme in senatorische Rangklassen. Schlinkert führt jedoch auch eine Reihe von Personen senatorischer Herkunft an, denen es gelang, am Hof zu reüssieren. Dies zeigt, daß die Kaiser gelegentlich auch geborenen Aristokraten ihr Vertrauen schenkten - und daß jene selbst die aus senatorischen Kreisen überlieferte Aversion gegenüber der „entwürdigenden" höfischen Konkurrenz überwanden, um ihren politisch-sozialen Rang zu erhöhen. Versucht man ein Resümee, so zeichnen sich drei Thesen und ein Desiderat ab: 1. Die von zeitgenössischer und moderner Hofkritik verurteilten Machtstrukturen und Kommunikationsverhältnisse an spätantiken Kaiserhöfen hatten zentrale Funktionen hinsichtlich der Ausübung kaiserlicher Herrschaft einerseits, der Sicherung der kaiserlichen Position andererseits. 2. Die Bevorzugung von Personen niedriger Herkunft in der engsten kaiserlichen Umgebung läßt auf eine latente Bedrohung der Kaiser durch Personen hohen aristokratischen Prestiges schließen. Die Analyse des Hofes dokumentiert somit eine tendenzielle Schwäche der Stellung spätantiker Kaiser. 3. Der spätantike Kaiserhof nahm Einfluß auf die Zusammensetzung der Oberschicht durch Förderung sozialer Mobilität, hatte jedoch nicht zur Folge, daß die traditionelle, städtischpolitische Prägung der Aristokratie dauerhaft durch eine auf den Kaiser zentrierte höfische Hierarchie ersetzt wurde. 4. Es mangelt an einer Studie, die anhand einer Analyse der literarischen Quellen die zeremoniellen Regelungen formalisierter höfischer Interaktion sowie die daran beteiligten Personenkreise im 4. und 5. Jahrhundert untersucht, die die realhistorische Bedeutung der normativen Regelungen der Rechtsquellen überprüft und die Differenz gegenüber den Verhältnissen der byzantinischen Zeit herausarbeitet.

Strukturen und Funktionen des spätantiken Kaiserhofes Von Karl Leo Noethlichs

I. Themenabgrenzung* Die folgende Darstellung des spätantiken ,Hofes' bezieht sich räumlich auf Konstantinopel 1 und versucht, eine synchrone Analyse etwa für die Zeit Justinians I. mit einigen Rückblicken auf die Entwicklung vom 4 . - 6 . Jahrhundert n. Chr., einigen Vorgriffen aus dem Werk des Constantinos Porphyrogennetos „De caerimoniis aulae Byzantinae" 2 und einem Ausblick ins 9./10. 3 und 15. Jahrhundert 4 zu geben. Konstantinopel war, seit Konstantin I.

* Gliederung: I. Themenabgrenzung; II. Grundlagen: 1. Begrifflichkeit ,Kaiserhof in den antiken Quellen; 2. Hof und Kaiser: Grundzüge der spätantiken Herrschaftsform; III. Die Gebäude: Räumliche Strukturen des Kaiserhofes und ihre Funktionen: 1. Allgemeines zu den römischen Kaiserpalästen seit Augustus; 2. Die Palastgebäude in Konstantinopel; 3. Der ,Große Palast' und andere Gebäude in diesem Palastbezirk; 4. Palast und Hauptstadt; IV. Die Personen: ,Hofbeamte' und andere Personen am Hof: 1. Allgemeines zur Personal- und Verwaltungsstruktur des Hofes; 2. Palastfunktionäre; 3. Amtsträger der Reichsverwaltung am Kaiserhof; 4. Das Rangsystem: Höfische und gesamtgesellschaftliche Rangordnung; 5. Ausblick auf die weitere Entwicklung in Byzanz: Das Kletorologion des Philotheos und Ps-Kodinos, De Officiis; 6. Zeitlich variierende Personengruppen am Hof; V. Die Funktionen des Kaiserhofes: 1. Das Kaiserzeremoniell innerhalb und außerhalb des Palastes und die Festzeiten des Jahres; 2. Der Hof als politisch-gesellschaftliches Machtzentrum; 3. Die bildungspolitischen und sozialen Funktionen des Hofes; VI. Ausblick: Der Einfluß des byzantinischen Hofes auf andere Machtzentren; VII. Schlußbemerkungen. 1

2

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Eine Forschungsübersicht über den antiken ,Hof' gibt Aloys Winterling in der Einleitung des von ihm herausgegebenen Bandes „Zwischen ,Haus' und ,Staat'. Antike Höfe im Vergleich", (HZ Beiheft 23) München 1997, 1-8. Speziell zum Hof in Konstantinopel, allerdings mehr vom kulturhistorischen Gesichtspunkt, vgl. Herbert Hunger, Der Kaiserpalast zu Konstantinopel. Seine Funktion in der byzantinischen Außen- und Innenpolitik, JOEByz 36, 1986, 1-11; Peter Schreiner, Charakteristische Aspekte der byzantinischen Hofkultur: Der Kaiserhof in Konstantinopel, in: Reinhard Lauer, Hans G. Majer (Hg.), Höfische Kultur in Südosteuropa. Bericht der Kolloquien der Südosteuropa-Kommission 1988 bis 1990, Göttingen 1994, 11-24. I. I. Reiske (Hg.), CSHB, 2 Bde., Bonn 1829-30; PG 112, 73-1446; A. Vogt, Le livre des ceremonies, 2 Bde., Paris 1935. 1940 (ND 1967; jeweils in Text- und Kommentarband unterteilt, nur Buch 1 bis Kap. 83). Das Kletorologion des Philotheos vom 1. September 899: J. B. Bury (Hg.), The Imperial Admini-

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Karl Leo Noethlichs

es am 11. Mai 3 3 0 als .seine' Stadt feierlich eingeweiht hatte, 5 die jüngste unter einer Vielzahl von Kaiserresidenzen, deren Anzahl insbesondere durch das sog. ,tetrarchische' Regierungssystem Diokletians gestiegen war. N e b e n R o m gab es Kaiserpaläste in Antiochia, Aquileia, Arles, Mailand, Nicomedia, Ravenna, Sirmium, Thessaloniki und Trier. 6 D i e Beschränkung auf Konstantinopel hat ihren Grund in der historischen Entwicklung dieser Stadt, die innerhalb v o n ca. drei Generationen faktisch zur Zentrale des Reiches wurde. Damit hängt auch die Quellenlage zusammen, die für den wichtigsten spätantiken Kaiserhof im Westen, Ravenna, zumindest aufgrund der literarischen Zeugnisse für unsere Fragestellung weniger ergiebig ist. Zudem kann man bezüglich des Kaiserzeremoniells, das besonders unter Theodosius II. eine spezifisch religiöse Ausprägung erfuhr, 7 von einer Sonderentwicklung im Osten reden, wenngleich die grundsätzliche Organisations- und Personalstruktur in Ost und West gleich oder sogar identisch war. 8

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s

strative System in the Ninth Century. With a Revised Text of The Kletorologion of Philotheos, British Acad. Supplemental Papers 1, 1911 (der Text 131-179, allerdings ohne die kirchlichen Ämter). (Ps)-Georgius Codinus, De officialibus palatii Constantinopolitani: I. Bekker (Hg.), CSHB, Bonn 1839; PG 157, 25-122; J. Verpeaux, Pseudo-Kodinos. Traite des Offices. Le monde byzantin, Paris 1966. Vgl. auch die französischen Teilübersetzungen von Rodolphe Guilland, Byzantion 18, 1948, 127-138; Byzantinoslavica 13, 1952/3, 233-251; 15, 1954, 214-229; 16, 1955, 97-112. Cons. Constant. z. J. 330 (Chron. min. 1, 233 f.), vgl. auch Anm. 71. Zum Baubefund der genannten Residenzen vgl. knapp Clemens Heucke, Circus und Hippodrom als politischer Raum, Hildesheim u. a. 1994, 319-394, zu Ravenna vgl. Friedrich W. Deichmann, Ravenna, Hauptstadt des spätantiken Abendlandes, Bd. 2,3, Stuttgart 1989. Man könnte auch Köln erwähnen, das unter den gallischen Sonderkaisern neben Trier oft Residenzort war, vgl. dazu John F. Drinkwater, The Gallic Empire. Separatism and Continuity in the North-Western Provinces of the Roman Empire A . D . 260-274, Stuttgart 1987, 184f.; ferner spielen Vienne und Autun als kurzzeitige Aufenthaltsorte von Kaisern eine Rolle, wo allerdings die Existenz von Palastbauten umstritten ist; vgl. zum Befund in Gallien und Germanien Carlrichard Brühl, Palatium und Civitas, Bd. 1: Gallien, Köln, Wien 1975, 231; 242f.; 249; Bd. 2: Germanien, 1990, 4; 73-75; 260. Die Aufzählung läßt sich durch London, Naissos, Palmyra, Serdica und Siscia erweitern, wenn man die Residenzen von ,Usurpatoren' mit einbezieht, vgl. dazu Noel Duval, Les residences imperiales: leur rapport avec les problemes de legitimite, les partages de 1'Empire et la Chronologie des combinaisons dynastiques, in: Franfois Paschoud, Joachim Szidat (Hg.), Usurpationen in der Spätantike: Akten des Kolloquiums „Staatsstreich und Staatlichkeit", 6.-10. März 1996, Stuttgart 1997, 127-153. Duval geht (143-147) auch auf den Diokletianspalast in Split (Spalato) ein. Die religiöse Lebensweise dieses Kaisers und seiner Schwestern verwandelte den Palast in eine Art Askeseanstalt, vgl. Socr. h. e. 7,22: ovx äkkoiörega öe äaxrixriQioij xaxeaxr]ae xä ßaoikaa, vgl. Theodor, h. e. 5,39. Zu dem literarischen und archäologischen Befund in Ravenna vgl. Deichmann, Ravenna (wie Anm. 6) 49-75. Für unsere Fragestellung sind die Bauphasen unter Valentinian III. und Theoderich interessant, aber vieles bleibt umstritten bzw. unklar, was nicht zuletzt an der Hauptquelle, dem Uber pontificalis des Agnellus v. Ravenna aus der 1. Hälfte des 9. Jahrhunderts liegt. Immerhin lassen sich sowohl in den Grundstrukturen wie in den Bezeichnungen bestimmter Palastbereiche (Chalke, Secretarium, Scubitum, Triclinium) Übernahmen oder Einflüsse aus Konstantinopel feststellen. Deichmann selbst geht auch öfters auf Parallelen zu den östlichen Palästen ein, vgl. den Index ebd. S. 45.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

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Ein entscheidendes Kriterium für die Qualität einer Stadt als Residenzstadt' ist immer die Dauer des kaiserlichen Aufenthaltes und nicht nur der Baubefund eines palatium.9

In

dieser Hinsicht war Konstantinopel ab Theodosius I. konkurrenzlos, weil die amtierenden Kaiser, von wenigen Ausnahmen abgesehen, bis 1453 ihre Residenz nicht mehr verließen. Es wird im folgenden versucht, grundlegende Koordinaten für den spätantiken östlichen Hof aufzuzeigen. Dazu bedarf es eines hohen Abstraktionsgrades, der es auch mit sich bringt, daß die chronologische Entwicklung bis zum 6. Jahrhundert nicht eigentlich thematisiert wird. Hier bieten die übrigen Beiträge hinreichenden Ersatz. Die Belege und Literaturhinweise sind auf ein Minimum beschränkt und haben oft lediglich exemplarischen Charakter.

II. Grundlagen 1. Begrifflichkeit, Kaiserhof in den antiken Quellen Die antike Terminologie geht, wie Dirk Schlinkert zu Recht betont, vom ,Haus' aus, 1 0 das als domus Augusta

kultische Verehrung g e n o ß . " Es finden sich z. B. folgende Bezeichnun-

gen: domus nostra

(CTh 1,32,2; 7; 7,5,2), domus sacra (CTh 7,10,1), domus

(CTh 1,11,1), domus ßaai>iü)5 o m a

divina

(CTh 5,16,34; 15,3,6), domus

aeternalis

sacratissima

(CTh 5,16,32), xa

(Procop. aed. 1,10,10), ctvaxTOQixoi o l x o i , ßaaiXeia, ßaaiXeitov avkr\

(Script, orig. Constant. 2, ed. Preger, Index 2, 368), aula (CTh 6,30,12; 6,35,11), aula lis (CTh 13,3,12), summa aula (Amm. 15,1,2), aü>.r| (Lyd. mag. 2,6,2), palatium 6,35; 7,10; 1 2 6,22,3; 5), 1 3 auch 6eiov

9

10

1

raXäuov

rena-

(CTh Tit.

(CJ 1,15,2,1; 4,59,1,1; 8,10,12,7b) oder

Dazu Herbert Hunger, Reditus Imperatoris, in: Gunter Prinzing, Dieter Simon (Hg.), Fest und Alltag in Byzanz, München 1990, 17-35. Ein Beispiel dafür, wie ein Privathaus ad hoc zu einem Palast umdefiniert werden konnte, gibt Herodian 2,8,6 für Pescennius Niger, dessen Privathaus die Soldaten dadurch in einen Palast (ßaoÜEioi; aüX.f|) umwandelten, daß sie es mit den Kaiserinsignien schmückten. Vgl. Dirk Schlinkert, Dem Kaiser folgen. Kaiser, Senatsadel und höfische Funktionselite (comites consistoriani) von der „Tetrarchie" Diokletians bis zum Ende der konstantinischen Dynastie, in diesem Band S. 133-159, und ders., Vom Haus zum Hof. Aspekte höfischer Herrschaft in der Spätantike, Klio 78, 1996, 521-549, hier 525-531; vgl. auch Aloys Winterling, „ H o f . Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, in: ders. (Hg.), Antike Höfe (wie Anm. 1) 11-25, 13f. mit Hinweis auf Otto Brunners .ganzes Haus'. Die Entwicklung der domus Caesaris zum sacer comitatus könnte einen zusätzlichen Bedeutungshintergrund insofern haben, als damit dokumentiert wird, wie die Grenzen der Bereiche domi (= domus Caesaris) und militiae (= sacer comitatus) durch die Stellung des Kaisers völlig aufgehoben werden. Ich lege den Schwerpunkt für die Einzelbelege im folgenden auf Nachweise in der Kaisergesetzgebung, also auf offiziell verwendete Terminologie im Codex Theodosianus und Codex Justinianus.

' Belege für die Verehrung des numen domus Augustae z. B. CIL 6, 30983; ILS 6242. Bei Herodian findet sich sogar der ,königliche Herd' (ßaoCXeioi; eoxta) als Palastbezeichnung: z. B. 2,3,1; 2,10,9. 12 S. u. S. 16. 13 Bei Lyd. mag. 2,6,2 heißt es zu palatium: nur in Rom finde sich die Bezeichnung JiaXüuov, vgl.

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Karl Leo

Noethlichs

regia (Amm. 15,1,2; 15,5,31 [Köln]), daneben castra (CTh 6,36,1, vgl. Hofdienst als castrensis militia: CTh 16,5,65), sacer comitatus (CTh 7,8,8) oder sacratissimus comitatus (CTh 6,23,4).

2. Hof und Kaiser: Grundzüge der spätantiken Herrschaftsform Der Begriff ,Hof/Palast' geht also weit über ein bestimmtes einzelnes Bauwerk hinaus. Dies spiegeln insbesondere die Bezeichnungen castra und comitatus wider, die den Hof als nicht ortsgebundenes Heerlager verstehen. Auch nachdem Konstantinopel feste Residenz geworden war, fielen Palast und Heerlager durchaus nicht immer zusammen.14 Zur Präsenz des Kaisers im Gesamtreich gibt es zwei aufschlußreiche Gesetze im CTh 7,10 (Ne quis in palatiis maneat), die nicht in den CJ übernommen wurden, weil mittlerweile die Bindung des Herrschers an eine feste Residenz das Normale geworden war: „Niemandem steht die Erlaubnis zu, in unseren Palästen in einer Stadt oder Poststation zu verweilen ... Die kaiserlichen Wohnungen sollen von der illegalen Inbesitznahme solcher Leute verschont bleiben, die sich daran gewöhnt haben, auf der Durchreise in diesen zu logieren".15 Dann aber zwei Jahre später: „In Städten, die, weitab von Hauptverkehrsadern, einsam gelegen sind und keine Dienstwohnungen haben, dürfen Statthalter in (anderen) Häusern, auch wenn sie ,Palast' heißen, Unterkunft suchen, ohne Gefahr zu laufen, nach dem (o. g.),Gesetz über die Paläste' bestraft zu werden".16

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Procop. Vand. 1,21. Dies sind gelehrte Reminiszenzen, der Ortsbezug ist sonst längst verschwunden, vgl. z. B. Cass. Dio 53,16,5 f., der eigens darauf hinweist, daß der jeweilige Aufenthaltsort des Kaisers überall im Reich gemeint ist. Der letzte Beleg für die Ursprungsbedeutung ist wohl die Subskription zu CTh 10,8,3 v. J. 326. - Wie der Palatin mit Rom und dieses mit dem Sitz des Kaisers identifiziert wird, zeigt die bekannte Äußerung des Cl. Pompeianus Commodus gegenüber, Rom sei immer dort, wo der Kaiser sei (Herodian 1,6,5), und dem entspricht auch die Regelung bei Verbannungen: relegati bzw. ignominia missi dürfen sich nie in Rom, aber auch nie am jeweiligen Aufenthaltsort des Kaisers bzw. der Stadt, wo er durchzieht, aufhalten: Dig. 3,2,2,4; 48,22,18 (19), pr; vgl. 49,16,13. Zur begriffsgeschichtlichen Entwicklung von palalium vgl. bes. Helmut Castritius, Palatium. Vom Haus des Augustus auf dem Palatin zum jeweiligen Aufenthaltsort des römischen Kaisers, in: Franz Staab (Hg.), Die Pfalz. Probleme einer Begriffsgeschichte vom Kaiserpalast auf dem Palatin bis zum heutigen Regierungsbezirk, Speyer 1990, 9 - 4 7 . So erwähnt z. B. Liutprand v. Cremona in seiner legatio (§ 25) aus der Zeit des Nikephoros II. Phokas (963-969) die (.lEtaaiaaig, das Heerlager des Kaisers außerhalb Konstantinopels. Die im folgenden noch öfters zitierten Werke Liutprands, die legatio und die antapodosis ('AvTCCiööooiq) bei J. Becker, MGH, SS Rer. Germ, in usum schol., Hannover, Leipzig 1915. 7,10,1 (405, aus Ancyra): nulli manendi intra palatia nostra in qualibet civitate vel mansione facultas pateat ...ab eorum usurpatione, qui in his transeuntes manere consueverant, sacrae domus serventur immunes ... 7,10,2 (407, aus Konstantinopel): ordinarii iudices in remotis ab aggerepublico civitatibus, si praetoria non sint, metu legis adempto, quae de palatiis lata est, in aedibus, etiamsi palatii nomine nuncupentur, commeandi habeantfacultatem. Vgl. dann CJ 1,40,15 (von Leo I?).

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

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Auch an abgelegenen Orten ist der Kaiser also quasi ,gebäudemäßig' gegenwärtig. Bis etwa zu Theodosius I. entsprach dem eine z. T. rege Reisetätigkeit der Kaiser selbst, die Helmut Halfmann bis zum Ende des 3. Jahrhunderts (Carinus) untersucht hat. 17 Dies verlangte von den Höflingen natürlich ein hohes Maß an .Mobilität'. 1 8 Überall, w o der Princeps Station machte, wurde ihm mit dem Zeremoniell des adventus19

gehuldigt, und diese Hul-

digung erfolgte auch in einer anderen, gleichsam personifizierten Form stellvertretender reichsweiter Allgegenwart des Kaisers, nämlich durch die Verehrung seines Bildes. Sogar in christlicher' Zeit ließen sich die Kaiserbilder in den Ritus des adventus

einbinden, auch

wenn nun der Kaiser nicht mehr als Gott galt, aber immerhin als von ,Gottes Gnaden'. 2 0 Nach dem Tod Theodosius I. konzentriert sich oströmisches Kaisertum, mit ganz wenigen Ausnahmen, örtlich ausschließlich auf Konstantinopel. Dies hatte verschiedene Folgen: S o erhöhte sich die Bedeutung des , Volkes' der Residenz. Es wurde für jeden Kaiser jetzt, wie in Rom vorher, ein zu berücksichtigender politischer wie religiöser Faktor schon bei der Kaiserproklamation. 21 Es wuchs andererseits das Interesse der Bevölkerung der Residenzstadt auch gerade an privaten Dingen, die im Palast geschahen. 2 2 Bestimmte Formen kaiserlicher Repräsentation konnten erst jetzt, an einem stationären Hof', entstehen, genau wie der permanente ,Sogeffekt' aus dem Gesamtreich zum Palast hin, ob gewollt oder ungewollt. 2 3 Die Entscheidung für eine Dauerresidenz (und damit Delegation aller Außenaktivitäten an andere) spiegelt eine Herrschaftsauffassung wider, die der

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Helmut Halfmann, Itinera Principum. Geschichte und Typologie der Kaiserreisen im römischen Reich, Stuttgart 1986. Vgl. Schlinkert, in diesem Band S. 143 f. Dazu Joachim Lehnen, Adventus Principis. Untersuchungen zum Sinngehalt und Zeremoniell der Kaiserankunft in den Städten des Imperium Romanum, Frankfurt am Main 1997. Gregor Magn. ep. 2,364/5; Constant. Porph. caer. aul. Byz. 1,87 (395/6): Anthemius schickt nach seiner Kaiserproklamation i. J. 467 sein Bild nach Konstantinopel, vgl. dazu Sabine MacCormack, Change and Continuity in Late Antiquity: The Ceremony of Adventus, Historia 21, 1972, 721-752, hier 735ff.; 747ff.: Schon ab Augustus wurden Kaiserbilder bei bestimmten Gelegenheiten in Städte und Provinzen geschickt, um anstelle des Kaisers verehrt zu werden. Ihre Verletzung war laesa maiestas. Ab Konstantin verschwinden die göttlichen Attribute beim Adventus und tauchen (auch unter Julian) nicht mehr auf; Jochen Martin, Zum Selbstverständnis, zur Repräsentation und Macht des Kaisers in der Spätantike, Saeculum 35, 1984, 127f. spricht sogar von ,dauerndem adventus'. Es gab besondere Vereine zur Verehrung der Kaiserbilder, vgl. nur CIL 14, 4570; ILS 238; 7215. So fordert ab dem 5. Jahrhundert das Volk immer nur einen ,orthodoxen' Herrscher. Bei der Kaisererhebung nimmt das Volk in gewisser Weise die Stelle des Militärs ein: War bis zu Leo die torquesVerleihung entscheidend, so tritt die Akklamation und mit Leo (457) die Krönung mit dem Diadem in den Vordergrund, letztere schon bei Anastasius 491 vor der Akklamation; dazu z.B. Martin, Selbstverständnis (wie Anm. 20) 129-131. Zur Rolle des Hippodroms, dem Ort für politische Betätigung des Volkes, vgl. Heucke, Circus (wie Anm. 6) 216-248 und u. S. 24. Aurel. Vict. epit. 48,18: iam illa minutiora et, ut dicitur, intra aulam, quae quidem, quia occulta sunt, magis naturae hominum curiosae oculos auresque ad se trahunt; zum Problem von öffentlich' und .privat' bei Kaisern vgl. Alexander Demandt, Das Privatleben der römischen Kaiser, München 1996, 22-32. Vgl. dazu u. S. 48.

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Autopsie des eigenen Herrschaftsbereiches entsagen zu können glaubt. 24 Sie drückt in gewisser Weise eine ,entpersonalisierte' Herrschaft aus, einen Grundzug byzantinischen Kaisertums, der sich auch sonst aufzeigen läßt. 25 Sich im Palast quasi einzuschließen bedeutet hingegen prinzipiell keinen militärischen Vorteil, wie etwa größeren persönlichen Schutz. Eher war es umgekehrt: Man wußte immer, wo der Kaiser war, und konnte somit auch dessen Fluchtmöglichkeiten kalkulieren. 26 Allerdings haben wir es in Byzanz, wie unten nochmals verdeutlicht wird, 27 nicht mit einem sich völlig von der Außenwelt abschließenden Herrscher zu tun, weil die Selbstdarstellung des Kaisertums immer auch einer Öffentlichkeit bedurfte. Bei permanenter Anwesenheit des Herrschers in einer festen Residenz wurde diese dann auch der zentrale Ort der Kaiserverehrung, deren Formen wiederum Ausdruck des Herrschaftsverständnisses waren. Das äußere Kennzeichen der neuen Herrschaftsauffassung ab Diokletian ist die adoratio,28 die die frühere salutatio ablöste. 29 Schon ab Diokletian wurde diese adoratio religiös begründet (Iovius/Herculius-Kuh), wodurch der von der Person des Kaisers weitgehend abgelöste und sich verselbständigende , Amtscharakter' als solcher betont wird. Der Rücktritt Diokletians zeigt, daß die adoratio tatsächlich dem Amt galt und keine Form von ,Personenkult' darstellte; insofern hat die Terminologie adoratio purpurne ihren Sinn. 30 Ab Konstantin I. verstärkte sich dieses religiöse Element durch die mehr und mehr reichsumfassende, exklusive und mit absolutem Wahrheitsanspruch auftretende Reichsreligion des Christentums (jenseits aller Orthodoxieprobleme) und eine Herrschaftslegitimation direkt von Gott, wie sie z. B. von Justinian formuliert wird. 31 Wir haben es also auf

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Auf andere Formen reichsweiter Präsenz mußte dabei nicht verzichtet werden, s. o. S. 16f. Damit erhält die Informationsorganisation aus ,zweiter Hand', z . B . durch agentes in rebus, einen hohen Stellenwert, wobei die Grenzen zwischen Informationsbeschaffung und ,Spitzelwesen' fließend sind.

25

S. u. S. 40; 48. Ein eindrucksvolles Beispiel, wie Justinian im Palast weitgehend hilflos der aufständischen Bevölkerung ausgesetzt war und die Palastwachen sich passiv verhielten, ist der Nika-Aufstand v.J. 532, vgl. Procop. Pers. 1,24,39. S. u . S . 42. Dazu Henrik Löhken, Ordines Dignitatum. Untersuchungen zur formalen Konstituierung der spätantiken Führungsschicht, Köln, Wien 1982, 4 8 - 6 8 . Die Hauptquellen sind: Eutr. 9,26, Aur. Vict. Caes. 39,4 und Amin. 15,5,18. Zur adoratio vgl. William T. Avery, The Adoratio Purpurae and the Importance of the Imperial Purple in the Fourth Century of the Christian Era, MAAR 17, 1940, 6 6 - 8 0 : Die erste Erwähnung ist wohl Amm. 14,9,1-2, der Zeitpunkt der Einführung umstritten: ohne Kußzeremonie wohl schon auf einem Aureus des Postumus ca. 260/270 n.Chr. abgebildet, dann Paneg. Lat. 11,1-3 v.J. 291. Lactanz, mort. pers. 2 1 , 1 - 2 schreibt das Ritual Galerius zu, ca. 297, Eus. v. C. 4,67 erst den Konstantinsöhnen. Die erste Erwähnung im CTh ist 8,7,4 v.J. 353/4, vgl. auch Schlinkert, in diesem Band S. 139.

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Dazu Löhken, Ordines (wie Anm. 28) 65 f. CJ 7,37,3,5 (531): ... haec ... ex eo tempore valitura, ex quo nutu divino imperiales suscepimus infulas. Es wurde schon darauf hingewiesen, daß vor allem mit Theodosius II. ein besonderer .religiöser Schub' für das kaiserliche Selbstverständnis nachweisbar ist; vgl. Anm. 7.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

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den ersten Blick mit einer zentralisierten, religiös legitimierten absoluten Monarchie zu tun. 32 Die Konzentration aller politischen Macht auf die Person und damit den Aufenthaltsort des Kaisers hat für die Rolle des Hofes unmittelbare Folgen: Bis Diokletian galt der Hof als Quelle informaler Macht; die formale Macht lag nach wie vor beim römischen Senat. Ab Diokletian und Konstantin wird der Kaiserhof, wo auch immer er sich befindet, die alleinige Quelle formaler und informaler Macht und Würden. Damit ergeben sich besondere Verhaltensformen im Umgang der ,Normalsterblichen' mit dem Kaiser, lateinisch mit dem Begriff admissio umschrieben. 33 Allerdings sind an der .absoluten' monarchischen Herrschaftsform auch der Spätantike Abstriche zu machen, denn diese Monarchie war immer noch an ihre Entstehung aus der römischen Republik in gewisser Weise rückgebunden; die Vorstellung der Volkssouveränität und Entstehung des Prinzipats aus der Übertragung von , Volksrechten' spielt in der klassisch-juristischen Tradition auch bei Justinian theoretisch noch eine Rolle. 34 Der Träger der ,Volksrechte' wird in der Kaiserzeit der Senat, wie es schon die republikanische Realität weitgehend zeigt. Wie sich der Senat auch in der Spätantike als Inbegriff republikanischer Herrschaft versteht, zeigen die Vorgänge bei der Verkündung des Codex Theodosianus in Rom am 25.12.438. 3 5 Die relevante Stellung des Senats in der Spätantike 36 hat mittelbar und unmittelbar Auswirkungen auf den Kaiserhof: - Der Senat ist weiterhin in die Kaiserwahl und Kaiserkrönung einbezogen. 37 - Der Kaiser rechnet sich selbst zu den Senatoren. 38 - Die Senatssitzungen werden in den Palast hineingeholt. Hof und Kurie stehen in einem baulichen Zusammenhang. 39

32

Zu den theoretischen Bedingungen in Anlehnung an Norbert Elias vgl. Winterling, in diesem Band S. 8 mit Anm. 5 und 6.

33

Vgl. dazu auch u. S. 30 und Schlinkert, in diesem Band S. 140f. Immerhin kennt auch die Republik schon besondere Formalitäten bei der Einführung in den Senat, vgl. z. B. Schol. Bob. zu Cic. pro Plane. 33 (158 Stangl); Liv. 30,40,4; 45,44,6. Inst. 1,2,6 (vgl. Dig. 1,4,1): ... quodprineipi placuit, legis habet vigorem, cum lege regia, quae de imperio eius lata est, populus ei et in cum omne suum imperium et potestatem concessit.

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35

Die Gesta Senatus (bei Mommsen im CTh, Bd. 1,2, 1 - 4 ) § 5: Akklamationen: Deus vos (= Kaiser) nobis dedit ... Dann aber auch: Zum Wohl des Menschengeschlechtes, des Senats und des Staates: bono generis humani, bono senatus, bono rei publicae ... haec sunt vota senatus, haec sunt vota populi Romani!

36

Vgl. auch die Begründung des cn. 28 von Chalcedon: in Konstantinopel gebe es Kaiser „und Senat" und gleiche Stadtrechte wie in Rom. Einen Überblick über die Entwicklung des östlichen Senats 3 3 0 - 6 1 0 gibt Franz Tinnefeid, Die frühbyzantinische Gesellschaft, München 1977, 5 9 - 9 9 .

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Novell. Maior. 1,1 v.J. 458; bei Constant. Porph. caer. aul. Byz. 1 detaillierte Schilderungen von Kaiserwahl und -krönung. CTh 9,2,1 = CJ 12,1,8 (361): ins senatorum et auetoritatem eius ordinis, in quo nos quoque ipsos numeramus, necesse est ab omni iniuria defendere. Ferner hierzu: CTh 6,2,22: Arkadios und Honorios zahlen die gleichen Steuern wie Senatoren! CTh 9,14,3: Senatoren sind pars nostri corporis; vgl. Syn. reg. 15; Novell. Maior. 1,1,18; Beat Näf, Senatorisches Standesbewußtsein in spätrömischer Zeit, Freiburg (Schweiz) 1995, 1 2 - 1 4 mit Anm. 3.

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Lyd. mag. 2,9; Procop. aed. 1,10,7ff., vgl. auch u. S. 2 4 f .

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Karl Leo

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- Der Kaiser zieht den Senat zu Beratungen heran. 40 - Das consistorium wird zeitweise um den Senat erweitert. 41 - Der Senat wirkt bei der Rechtsprechung 42 und bei der Gesetzgebung mit. 43 - Das Kuppelmosaik mit der Darstellung des Vandalen- und Gotenfeldzuges Justinians in der Chalke (Vorhalle) des Palastes zeigt in der Mitte Justinian und Theodora, umringt vom Senat. 44 - Schließlich orientieren sich die Rangklassen, also die Motivationsmittel für den kaiserlichen Dienst, an den senatorischen Kategorien der Republik und frühen Kaiserzeit mit den Rangprädikaten clarissimus (bzw. aufgefächert als illuster-spectabilis-clarissimus) 45 und dem patricius-Titel. Für den Kaiser war es also wichtig, den Senat an den Hof zu binden. Kaiser und Senatoren konnten oder wollten nicht aufeinander verzichten. Dieser Bindung diente, ob intendiert oder nicht, auch der Abbau des cursus honorum, der die politischen Ambitionen des Senatorenstandes nun nur noch über die Hofämter erfüllte, die in der Regel die Voraussetzung für hohe Posten der Reichsverwaltung waren. Somit erfolgte auch eine ab dem 4. Jahrhundert wachsende senatorische Einbindung in das christliche Hofzeremoniell 4 6 Eine weitere Einschränkung absolutistischer Macht, hier bezogen auf Residenzformen außerhalb des Kaiserpalastes, stellte zeitweise die Ernennung eines Caesar (Gallus, Julian) 47 sowie möglicherweise auch die Einführung der Prätorianerpräfektur dar, deren feste Verwaltungsbezirke sich ab den Konstantinsöhnen ausbildeten. Die Präfekten regieren an Kaisers Statt, sie sprechen Recht vive sacra iudicantes (CTh 11,30,16; CJ 7,62,19), von ihnen ist keine Appellation mehr möglich, d.h. sie verkörpern eine gewisse Dezentralisation der Herrschaft, die sich aus den Erfahrungen des 3. Jahrhunderts und der diokletianischen Tetrarchie ergab. Es ist davon auszugehen, wenn auch kaum untersucht, daß auch bei den praefectipraetorio eine Art,Hofhaltung', wie sie bei den Caesares gut bezeugt ist, stattfand. Deren Bedeutung angesichts der Zuständigkeiten und Kompetenzen muß beträchtlich gewesen sein etwa im Vergleich zum .Hofstaat' der Vikare oder Statthalter, den es im Prinzip

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CJ 1,14,8. Der Senat wirkt auch mit bei Vorentscheidungen über Berufungen von Professoren für Konstantinopel, bei Prüfung der Lehrerfolge dieser Professoren und ihrer moralischen und sittlichen Lebensweise; dazu Heinrich Schlange-Schöningen, Kaisertum und Bildungswesen im spätantiken Konstantinopel, (Historia Einzelschr. 94) Stuttgart 1995. Lyd. mag. 2,9. 17; vgl. Andreas Gutsfeld, Der Prätorianerpräfekt und der kaiserliche Hof im 4. Jahrhundert n. Chr., in diesem Band S. 87, vgl. auch u. S. 33. Insbesondere bei der Appellationsgerichtsbarkeit: Novell. Iust. 62 (silentium in conventu), vgl. Procop. arc. 27,29-31; 29,10; Goth. 3,32,42-51. CTh 6,24,11; Novell. Theod. 15,1; Novell. Valent. 14,1; Novell. Marc. 5,1, vgl. Näf, Senatorisches Standesbewußtsein (wie Anm. 38) 28 Anm. 4. Procop. aed. 1,10,10 ff., bes. 18. S. u. S. 34. Vgl. Näf, Senatorisches Standesbewußtsein (wie Anm. 38) 1 2 - 4 8 ; 65 ff. Für das 4. Jahrhundert verlangte dies von den Senatoren allerdings ein hohes Maß an Mobilität; s. o. S. 17 und Schlinkert, in diesem Band S. 143 f. Zum Hof Julians als Caesar vgl. Schlinkert, in diesem Band S. 139f., Anm. 19.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

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Kaiserhofes

natürlich auch gab. 4 8 Eine Sicherung g e g e n allzu große Verselbständigung der Präfekten (und aller anderen Funktionäre) war allerdings ihre jederzeitige Absetzbarkeit, 4 9 die ihnen die Möglichkeit nahm, längerfristig Macht aufzubauen, zumal sie auch nicht über Militäreinheiten verfügten. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach der räumlichen Nähe oder Ferne von Kaiser und Caesar bzw. Prätorianerpräfekten zu bedenken. 5 0 Ihre Amtssitze waren z . T . recht weit von der Kaiserresidenz entfernt, die regionale Abgrenzung folgte in etwa dem diokletianischen Schema. Eine räumliche Nähe von Kaiser- und Präfektursitz gab es nur bei der Präfektur Oriens (Konstantinopel) und öfter, aber nicht immer, für Italia (abwechselnd R o m , Mailand, Ravenna). Weniger unmittelbarer Kontrolle ausgesetzt waren die Präfekturen Illyricum (Verwaltungssitze Sirmium oder Thessaloniki), Gallia

(Verwaltungssitze

Trier, ab ca. 4 0 0 Arles) und zeitweise Africa. D i e s e Amtssitze stellten sicher keine , Konkurrenzsituation' im mittelalterlich-frühneuzeitlichen Sinne wetteifernder Fürstenhöfe dar, 51 konnten sich aber u. U. verselbständigen. Eine Sicherung dagegen war neben dem schon genannten Fehlen größerer Militärverbände im Ostreich die Einbeziehung sowohl des tus praetorio

orientis

w i e der magistri

praefec-

militum in den Hofrat. 5 2

48

Eine Auflistung der Ausstattung eines Prätorianerpräfekten bietet neben der Notitia Dignitatum Justinians Gesetz zur Neuordnung Africas CJ 1,27,1. Danach hatte der Präfekt 396 Beamte, die (nach der Ausgabe von Krüger, § 39) insgesamt 4.172 solidi (d.h. annonae und capita) kosteten. Dazu kam das Gehalt des Präfekten selbst von 100 Pf. Gold = 7 2 0 0 solidi (ebd. § 21); d.h. bei einem Etat von 400 centenarii (Anm. 82) betrug das Gehalt des Spitzenfunktionärs immerhin ein Viertel Prozent des Gesamtetats! Statthalter hatten, bei einem persönlichen Gehalt von 448 solidi, nach derselben Quelle (§ 40) 50 Beamte zur Verfügung, die 160 solidi kosteten; d.h. ihr Gehalt betrug nur ca. 6 % eines Präfekten bei einem Personalstab von ca. 12% eines Präfekten. Angaben zu Vikaren sind mir leider nicht bekannt.

49

Wie schwer dies in der Praxis sein konnte, zeigt Ammian am Beispiel des Gallus. Zum ,renitenten' Verhalten der Prätorianerpräfekten gegenüber Caesares s. Amm. 14,7,10-12, vgl. Gutsfeld, in diesem Band S. 92. Es ist eine Frage der Perspektive, ob man die praefecti praetorio mehr als .Abhängige' auffaßt, wie es Gutsfeld insgesamt tut, d. h. mehr die Position der kaiserlichen Zentrale einnimmt, oder quasi ,von unten' in ihnen die Stellvertreter des Kaisers sieht. Liest man die Erlasse von Prätorianerpräfekten, die unter den Justinianischen Novellen erhalten sind (Novell. Iust. 166-168), ist in der Diktion der Anweisungen kaum ein Unterschied zu einem Kaisererlaß. Zur Entwicklung der Prätorianerpräfektur vgl. Arnold H. M. Jones, The Later Roman Empire, Oxford 1964, 370-372; Alexander Demandt, Die Spätantike, München 1989, 245-248. Zur Absetzung der Präfekten vgl. Gutsfeld, in diesem Band S. 90f.

50

Gutsfeld, in diesem Band S. 81-85, untersucht diesen Aspekt gemäß seiner Fragestellung nur für den Osten und wäre für den Westen wohl zu differenzieren. Dazu Aloys Winterling, „ H o f ' . Versuch einer idealtypischen Bestimmung anhand der mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geschichte, Mitteil. d. Residenzenkomm. d. Akad. d. Wiss. Göttingen 5, 1995, 16-21. Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 339; skeptisch Gutsfeld, in diesem Band S. 87. Ab ca. 440 gibt es bezeichnenderweise am Hof magistri militum praesentales, vgl. Alexander Demandt, Magister militum, RE Suppl. 12, 1970, 783 f.

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III. Die Gebäude: Räumliche Strukturen des Kaiserhofes und ihre Funktionen 1. Allgemeines zu den römischen Kaiserpalästen seit Augustus Für die architektonische, g e b ä u d e m ä ß i g e U m s e t z u n g der Kaiseridee, wie sie von K o n stantin I. bis Justinian I. in B y z a n z realisiert wurde, g a b es b e s t i m m t e Vorgaben, die sich aus verschiedenen Funktionen des Palastes ableiteten. Unmittelbares Vorbild w a r das Bauprog r a m m des Augustus auf d e m Palatin und die Weiterentwicklung bis zu den Palästen der Tetrarchie. Die G r u n d e l e m e n t e sind: Z u s a m m e n f a l l von Privathaus und D i e n s t w o h n u n g , die baulichen Möglichkeiten, Senatssitzungen im oder b e i m Palast abzuhalten, e b e n s o Gerichtssitzungen, V e r b i n d u n g des Hauses mit einem Kultbau (Tempel), weil der Kaiser i m m e r auch pontifex

maximus

war, 5 3 ein enger baulicher Z u s a m m e n h a n g der K a i s e r w o h n u n g mit

einem R a u m f ü r öffentliche V e r s a m m l u n g e n und Lustbarkeiten wie Zirkus, Theater oder H i p p o d r o m sowie Bildungseinrichtungen wie Bibliotheken in unmittelbarer Nähe. 5 4 Veranstaltungen im H i p p o d r o m m a c h e n das persönliche Schicksal des Kaisers zu d e m des Volkes, z . B . bei Geburtstagsfeiern, haben also in der Regel systemstabilisierenden Charakter, zumal das , V o l k ' (konkret: die Zirkusparteien), aber auch die Senatoren hier Gelegenheit hatten, politische Forderungen öffentlich vorzubringen. 5 5 D e r Kontakt z u m Volk erscheint u m s o wichtiger, als sich das byzantinische Kaisertum nicht auf eine stabile Adelsschicht stützen konnte und z. B. die N a c h f o l g e r e g e l u n g nicht .institutionell' abgesichert war.

2. Die Palastgebäude in Konstantinopel A u c h unter Justinian ist der Hof nicht auf ein einzelnes G e b ä u d e beschränkt. 5 6 Die Urbis 53

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56

Constantinopolitanae

Notitia

nennt insgesamt f ü n f Paläste. Namentlich bekannt sind das

Paul Zanker, Augustus und die Macht der Bilder, München 1987, 60 spricht von dem Konzept des ,Wohnens beim Gott'. Die o. g. Gesamtkomposition der späteren Paläste ist schon bei Augustus vorhanden, der wiederum hellenistische Vorlagen kopiert. Ein Teil seines Privathauses auf dem Palatin, in dem der Kaiser z. B. auch Recht sprach, war .öffentlich' (domuspublica), d.h. seit 12 v.Chr. für den Vestakult des pontifex maximus Augustus reserviert. Des weiteren war das Haus mit einem Apollotempel verbunden, der auch gelegentlich als Versammlungsort des Senats diente und von zwei Bibliotheken umgeben war. Vom Palatin blickte man auf den Circus Maximus: Suet. Aug. 29, 31, 33, 45; Tac. ann. 13,5; Cass. Dio 53,1; 58,9,4. Castritius, Palatium (wie Anm. 13) 9-47, bes. 12f.; Zanker, Augustus (wie Anm. 53) 59f., 210; Dietmar Kienast, Augustus. Princeps und Monarch, Darmstadt 1982, 193-196. Die Ausdehnung des römischen Palastbezirkes bis zum 3. Jahrhundert nahm riesige Ausmaße an. Als die Söhne des Septimius Severus, Caracalla und Geta, den Plan faßten, den Palast unter sich aufzuteilen, bestand er nach Herodian (4,1,2) aus einem Komplex „größer als eine ganze Stadt". Zur Architektur der römischen Paläste vgl. Karl M. Swoboda, Römische und romanische Paläste. Eine architekturgeschichtliche Untersuchung, 3. Aufl., Köln u. a. 1969, bes. 257; 301 ff. Heucke, Circus (wie Anm. 6) 248-310; 400-404; zu den verschiedenen (regelmäßigen und unregelmäßigen) Spielen und Feiern im Hippodrom vgl. ebd. 62-190. Quellen: Notitia Urbis Constantinopolitanae (z.Z. Theodosius II.), ed. Otto Seeck im Anhang seiner Ausgabe der Notitia Dignitatum, und die Patria (ca. 10. Jahrhundert), ed. Theodor Preger,

Strukturen und Funktionen des spätantiken Palatium

Magnum,

Palatium

Kaiserhofes

Flacillianum,

Palatium

23 Placidianum,

(ab dem 13. Jahrhundert Hauptpalast) und der Palast von Hebdomon neben werden separat sechs domus divinae Augustarum sog. Heraion

('HQCÜOV)

bzw. Hieron

einen Palast in den sog. Jukundianai.5S fizierbar: Der Blachernenpalast

('IEQOV),

der

Blachernai-Palast

am Goldenen Tor. Da-

ausgewiesen. 5 7 Justinian erbaute das

das einen Teil der Seepaläste bildete, ferner

Nach heutigem archäologischen Befund sind identi-

(ab dem 5. Jahrhundert), der Bukoleonpalast

(ab Theodo-

sius IL, am Meer, Teil des späteren größeren Seepalast-Komplexes, südlich des ,Großen Palastes'), der Große

Palast

(ab Konstantin I.) und der Myrelaion-Palast

(ab Mitte des

5. Jahrhunderts, nahe dem Theodosius-Forum). 5 9 Es gab getrennte Paläste oder wenigstens Palastbereiche für Kaiser und Kaiserin. 60 Daher war auch der größte Teil der persönlichen Dienerschaft doppelt vorhanden. 6 ' Über das getrennte Eheleben von Theodora und Justinian in verschiedenen Palästen berichtet Procop (arc. 15,36), wonach Theodora zuweilen den größten Teil des Jahres im Hieron-Palast am Meer verbrachte. Für die Möglichkeiten, die einer Kaiserin wie Theodora gebäudemäßig zur Verfügung standen, ist aufschlußreich, daß in ihrer Zeit als häretisch (,monophysitisch') beurteilte Kirchenmänner, darunter drei Patriarchen, in ihrem Palast 6 2 Aufnahme fanden und dort z.T. jahrelang entweder offiziell oder versteckt (und sicher nicht schlecht) wohnen konnten. 6 3 Es gab also nicht immer eine .Lebensgemeinschaft' des Kaiserpaares, allerdings gelegentlich ein gemeinsames Zeremoniell im Hauptpalast.

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Scriptores Originum Constantinopolitanarum 2, Leipzig 1907. Auch die von Theodor Mommsen herausgegebenen Chronica Minora (MGH, AA 9, 11 und 13) enthalten zur Stadt selbst und zu den Palästen eine Menge Informationen, vgl. ebd. Bd. 3, 648-650. Namentlich genannt werden zwei domus Placidiae, zwei domus Pulcheriae und eine domus Eudociae. Als sechster Palast könnte der der Helena gemeint sein, den Procop. Pers. 1,24,30 erwähnt. Procop. aed. 1,11,16. Wolfgang Müller-Wiener, Bildlexikon zur Topographie Istanbuls, 2. Aufl., Tübingen 1964; vgl. ders., Die Häfen von Konstantinopel - Byzanz - Istanbul, Tübingen 1994. Vgl. Procop. Pers. 1,24,30, wo besondere Paläste der Helena und der Flacilla genannt werden. Sie waren vom ,Großen Palast' getrennt, so daß sie als neue Regierungssitze im Nika-Aufstand hätten fungieren können, wie es der Senator Origines vorschlug. Dies hat man z. B. auch für den Hof von Ravenna unter Valentinian III. und Galla Placidia anzunehmen, vgl. Deichmann, Ravenna (wie Anm. 6) 2, 3, 58. Seit Anfang des 5. Jahrhunderts ist ein eigener praepositus sacri cubiculi für die Kaiserin in Konstantinopel nachweisbar, möglicherweise eine Folge des jetzt .stationären' Hofes, vgl. Helga Schölten, Der oberste Hofeunuch. Die politische Effizienz eines gesellschaftlich Diskriminierten, in diesem Band S. 63. Allerdings kommt es auch vor, daß die Kaiserin überhaupt nicht (mehr) im Palast wohnt, wie im Fall der Frau Theodosius II., Athenais-Aelia Eudokia, die ab 443 in Jerusalem lebte. Vielleicht handelte es sich um den Hormisdaspalast, wo um 536/7 ein monophysitisches Kloster eingerichtet wurde, vgl. Müller-Wiener, Topographie Istanbuls (wie Anm. 59) 178. Bei den Patriarchen handelte es sich um Severus v. Antiochia (i.J. 518 Ende des Akakianischen Schismas abgesetzt, wohnt bis 536 bei Theodora), Anthimus (Patriarch v. Konstantinopel seit 535, lebt schon vorher bei Theodora, 536 abgesetzt, ,verschwindet' im Palast Theodoras) und Theodosius, Patriarch v. Alexandria (538 abgesetzt, weil er das Chalcedonense nicht unterschreiben will, wird ab dann von Theodora versteckt). Dazu demnächst Karl L. Noethlichs, Justinian I., RAC (im Druck).

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Karl Leo Noethlichs

3. Der ,Große Palast' und andere Gebäude in diesem Palastbezirk Zunächst eine kurze Baubeschreibung des Hauptpalastes z.Z. Justinians I.:64 Der Große Palast befand sich in der regio 1 und bestand aus isolierten Gruppen von Gebäuden mit Wohnräumen, Thronräumen, Empfangsräumen, Kirchen, Sommerhäusern, Bad und Gärten, Personalräumen und Militärzonen. Der gesamte, wohl rechteckige Komplex wurde vermutlich seit Konstantin I. von einer Mauer umschlossen. Dort war an der westlichen Seite das Hippodrom

als Raum der Öffentlichkeit, des Kontaktes des Kaisers zum ,Volk', angebaut.

Hippodrom und Palast müssen also von der Kaiseridee her als zusammengehörig gedeutet werden. 65 Vom Palast aus war die Kaiserloge, das Kathisma, unmittelbar zu erreichen, allerdings bestand vom Hippodrom aus kein offizieller, repräsentativ ausgebauter Zugang. 66 Den Eingangsbereich (Propyläen: Procop. aed. 1,10,3; 5) des Palastes erreichte man über das Augusteum,

einen säulenumbauten Vorplatz. Von ihm gelangte man im Norden zur

Hagia Sophia und im Osten zur Kurie, deren Front ein von vier riesigen weißen Säulen getragenes Kuppeldach bildete (Procop. aed. l,10,8f.). An die Palastpropyläen schloß sich nach Südwesten die Chalke (Xataöj) an, deren Name vielleicht von dem Bronzedach über dem Vestibül abgeleitet ist. 67 Hinter dem Eingang waren die scholae als Palastwache stationiert. Nach Westen lag das Zeuxipposbad und, in südlicher Fortsetzung, der Palast von Daphne mit dem Augusteus (Chrysotriklinos),

dem Thronraum. Nach der Beschreibung des

Eusebius (v. C. 3,49; 4,66) befand sich an der Decke ein großes goldenes Kreuz mit Edelsteinen. Dann kam die Akkubita, die Halle der 19 Tische für feierliche Bankette. Dieser

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65 66

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Neben den Patria (wie Anm. 56) z.B. 1, S. 20,8; 82,9; 2, S. 216,1.7; 219,13 finden sich auch bei Constant. Porph. caer. aul. Byz. Hinweise auf Gebäude bzw. Gebäudeteile des Palastes, etwa S. 16; 32; 47; 118; 422; 556; 560 (ed. Reiske); ders., de insidiis 150; 187; ders. de admin. imp. 29, wo ein .Kleiner Palast' genannt ist. Eine Beschreibung des .Großen Palastes' z. B. bei J. B. Bury, History of the Later Roman Empire, 1923 (ND 1958), Bd. 1, 78-80 und A. Vogt in seiner Ausgabe des Const. Porphyr., Bd. 1, Kommentar 177-184; vgl. auch Wilhelm Enßlin, Theoderich der Große, 2. Aufl., München 1959, 15-17 (freundl. Hinweis von Dirk Schlinkert), wo allerdings die archäologischen Defizite durch den Erzählstil geschickt vertuscht werden. Das diachronische Element, also die Bauentwicklung seit Konstantin I., wird hier bewußt ausgespart. Dazu z.B. Gisela Hellenkemper-Salies, Die Datierung der Mosaiken im Großen Palast zu Konstantinopel, BJ 187, 1987, 273-308. Vgl. S. 17. Bei der Schilderung des Nika-Aufstandes erfahren wir aber von Procop. Pers. 1,24,41-42; 49, daß es einen schmalen Zugang über eine kleine Pforte von der Halle der ,Grünen' aus gab. Auch Malalas 18,71 (475f.) scheint diese Möglichkeit vorauszusetzen. Zur Verbindung Kathisma - Hippodrom - Palast vgl. auch Alan Cameron, Porphyrius the Charioteer, Oxford 1973, 55-58. Heucke, Circus (wie Anm. 6) weist auf die Lage des Kathismas an der südöstlichen Längsseite des Hippodroms hin. Das bedeutet, daß der Kaiser für die Zuschauer im .Gegenlicht' saß; man blickte, um den Kaiser zu sehen, empor in die Sonne, der Kaiser blickte .herab': ebd. 94; 191 f. Vgl. dazu die Statue Konstantins auf einer Purpursäule, wo sich der Kaiser mit einem Kranz von Sonnenstrahlen dem Volk präsentierte: Preger, Patria (wie Anm. 56) 138,11 f. Bei Procop. aed. 1,10,11-20 eine Beschreibung der Architektur und Innenausstattung mit Malereien der Vandalen- und Gotenkriege, vgl. auch o. S. 20.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

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Raum war zweigeteilt und hatte unterschiedliche Niveaus: Ein durch Vorhänge abgetrennter höherer Teil wurde wohl ausschließlich für Festessen benutzt. Hier saß in einer Apsis der Kaiser mit 12 ausgewählten Gästen, meist Senatoren. Der niedere Teil diente als Triklinos (Empfangsraum, auch Speiseraum). In der Mitte des Baukomplexes befand sich das Tribunal (als offene Terrasse für Rechtsprechung), im Ostteil das Consistorium. Es schloß sich die Kapelle 6 XUQIOI; mit den Kreuzreliquien an, daran wiederum die Quartiere der Wachund Bedienungsmannschaften. Unklar ist bis heute offenbar, wo die Privatgemächer von Kaiser und Kaiserin waren, ebenso unklar blieb bisher, wo sich die Büros der Reichsverwaltung befanden. Für die Kaiserideologie wiederum ist wichtig, daß es eine bauliche Verbindung zum Versammlungsraum der Senatoren, zur Magnaura gab, die im 10. Jahrhundert zu einer dreischiffigen großen Basilika ausgebaut wurde. 68 Im Süden, zum Meer hin, lag das Haus des Hormisdas, benannt nach dem unter Konstantin zu den Römern geflohenen persischen Prinzen gleichen Namens (Zos. 2,27; 3,13; Zon. 13,5), das von Justinian erweitert und baulich angeglichen in den Seepalast Bukolion einbezogen wurde (Procop. aed. 1,10,4). Nördlich des Eingangs erbaute Constantius II. die Hagia Sophia, die dann unter Theodosius II. und Justinian I. umgebaut und erweitert wurde. Als Grabkirche diente seit Konstantin I. die Apostelkirche. Sie wurde seit Constantius II. durch Stoen zum Mausoleum erweitert, in dem die Sarkophage von Konstantin I. bis Konstantin VIII. (gest. 1028) untergebracht waren, seit dem 10. Jahrhundert übrigens auch der Julians. 69 Um den Palastvorplatz (Augusteion) gruppierten sich somit, sicher nicht zufällig, Kirche, Senatsgebäude und der Meilenstein als die wichtigsten Symbole des Gesamtreiches. Hier stand denn auch ein ehernes Bildnis Justinians, das einen treffenderen Standort kaum hätte finden können. 70 Innerhalb des Palastgeländes lassen sich verschiedene örtliche Bereiche ausmachen, die unterschiedlichen Funktionen entsprachen: 1. Das bzw. die Palastgebäude als äußere, sichtbare Machtzentrale(n). 2. Das Palastinnere als Privatwohnung des Kaisers und der Kaiserin. 3. Der Palast als Ort der Selbstdarstellung des Kaisertums in der entsprechenden räumlichen Ausgestaltung: Hier, also von innen, ergeben sich Entsprechungen zwischen Zeremoniell und Architektur. 4. Der Palast als politisch-administratives Zentrum: Er ist Sitz der Reichsverwaltung und verfügt über besondere örtliche Bereiche mit Publikumsverkehr. 68

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In den Patria (wie Anm. 56) 2,139,3; 201,4; 7; 13 erscheinen Senatsgebäude unter dem Namen Sevaia = olxoi Tfjq air/x/.riTou ßcruMji;. Vgl. G. Downey, The Tombs of the Byzantine Emperors, JHS 79, 1959, 27-51. Hauptquellen sind die Beschreibung des Nikolaos Mesarites (Kap. 39 und 40) und das ,Zeremonienbuch' (2,42). Zu den weiteren Palästen und zum Hippodrom vgl. Heucke, Circus (wie Anm. 6) 81-86. Grundrißrekonstruktion des großen Palastes bei Müller-Wiener, Topographie Istanbuls (wie Anm. 59) 232, des Bukolen-Palastes ebd. 226. Viele Querverweise auf die konstantinopolitanischen Paläste finden sich bei Deichmann, Ravenna (wie Anm. 6), vgl. ebd. 45. Procop. aed. 1,10,5, vgl. auch Enßlin, Theoderich (wie Anm. 64) 16.

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Karl Leo Noethlichs

5. Der Hofkomplex als Teil der Hauptstadt Konstantinopel. Dies kommt am deutlichsten im Hippodrom zum Ausdruck: Die Stadt bildet den Raum der Öffentlichkeit, der Außenkontakte des Kaisers.

4. Palast und Hauptstadt Konstantinopel wurde als Residenzstadt gegründet, war also zunächst keineswegs als ,Neues Rom' geplant. Es gab anfangs entweder gar keinen Senat oder nur einen „zweitrangigen", secundi ordinis, wobei die Senatoren nur in die Rangkategorie clari fielen. 71 Ein Stadtpräfekt ist erst ab dem 11.12.359 nachweisbar (Chron. min. 1,239; Socr. h. e. 2,41,1); bis dahin wurde Konstantinopel durch einen proconsul verwaltet, was zwar einen eigenständigen Verwaltungsbereich belegt, aber einen deutlichen Unterschied zu Rom zeigt. Es gab zunächst auch keinen cursus honorum.12 Das ius Italici erhielt Konstantinopel 370/3 (CTh 14,13,1), die rechtliche Gleichstellung mit Rom wurde nicht vor 421 erreicht (CJ 11,21,1). Parallel dazu entwickelte sich die kirchliche Stellung ab dem 1. Konzil von Konstantinopel (380), cn. 3 bis zum cn. 28 von Chalcedon (451). 73 Unter Anastasius wird die Stadt dann regia urbs genannt (CJ 12,1,18). Um überhaupt Senatoren zur Übersiedlung nach Konstantinopel zu bewegen, mußten Anreize zum Bau von Häusern dort gegen Landzuteilung in Asia und Pontica geboten werden (Novell. Theod. 5,1,1). Am .Geburtstag' Konstantinopels (11. Mai) gab es (zumindest bis ins 10. Jahrhundert bezeugte) große Feiern, unter denen die Volksspeisung (Verteilung von Kuchen, Gemüse, Fisch) besonders hervorzuheben ist. Das gleichzeitige Festmahl im Palast suggerierte die Teilnahme aller an der ,KaisertafeP, dem faktischen Kulminationspunkt von ,Kaisernähe'. 74

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So Exc. Val. 1,30, vgl. auch Philost. h. e. 2,9; Soz. h. e. 2,3,6; 3,34,4, die von einem Senat von Anfang an ausgehen. Zos. 3,11,3 hingegen behauptet, ein Senat sei erst von Julian eingerichtet worden. Vgl. zur Entwicklung Konstantinopels Gilbert Dagron, Naissance d'une capitale. Constantinople et ses institutions de 330 ä 451, 2. Aufl., Paris 1984; Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 83 f.; 132f.; Heinrich Chantraine, Konstantinopel - vom zweiten Rom zum neuen Rom, GWU 43, 1992, 3—15; Näf, Senatorisches Standesbewußtsein (wie Anm. 38) 246 mit Anm. 1. Der erste Prätor ist erst 340 nachweisbar: CTh 6,4,5; 6. Einen Quästor alter Art hat es dort wohl nie gegeben, vgl. Wolfgang Kuhoff, Studien zur zivilen senatorischen Laufbahn im 4. Jahrhundert n. Chr. Ämter und Amtsinhaber in Clarissimat und Spektabilität, Frankfurt am Main, Bern 1983, 23. Die rechtliche Gleichstellung ist eine der Begründungen des cn. 28 von Chalcedon (s. o. Anm. 36). Zur kirchlichen Rangerhöhung durch Bauten und Reliquien ab Constantius II. und zu den Münzen Roma-Constantinopolis vgl. Chantraine, Konstantinopel (wie Anm. 71) 11 ff.; Gilbert Dagron, Constantinople. Les sanctuaires et F Organisation de la vie religieuse, (Actes du Xle. congr. intern, d'archeol. ehret.) Paris 1989, 1069-1085. Zu den Bevölkerungszahlen, die man für unsere Zeit auf einige Hunderttausende ansetzen darf, vgl. D. Jacoby, La population de Constantinople ä l'epoque byzantine: un probleme de demographie urbaine, Byzantion 31, 1961, 81-109. Zu den Feiern zum 11. Mai vgl. ausführlich Heucke, Circus (wie Anm. 6) 80-105. Zur Kaisertafel im Palast vgl. auch u. S. 43f.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

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Unklar ist bis heute, wo genau die Amtssitze des praefectus urbi und des praefectus praetorio orientis waren. Allerdings gibt Malalas einen Hinweis darauf, daß zumindest das Dienstgebäude des Stadtpräfekten mit Sicherheit in unmittelbarer Nähe des Augusteum zu suchen ist. 75 Für das Verhältnis des Palastes zur Residenz- und Hauptstadt spielen neben den zahlreichen Kirchen und Klöstern mit ihrer Einbindung in das kirchliche Zeremoniell 76 auch die karitativen Bauten der Kaiser eine Rolle: Waisen-, Armen- und Krankenhäuser, Alters- und Mädchenheime, Herbergen für obdachlose Besucher Konstantinopels (^evwvai) 77 sowie schließlich bauliche Maßnahmen zur Förderung der Wissenschaft in Konstantinopel, insbesondere der Ausbau der dortigen Universität. 78

IV. Die Personen 1. Allgemeines zur Verwaltungs- und Personalstruktur am Hof Zunächst zu den verschiedenen Personenkategorien, die sich am Hof finden: Es sind, von Angehörigen, Verwandten und Freunden der kaiserlichen Familie abgesehen, einmal die dort ,von Amts wegen' Tätigen, die mit der Person des Kaisers und der kaiserlichen Familie, mit dem inneren und äußeren Betrieb des Palastes und seines Schutzes zu tun haben, sodann die Beamten der Reichsverwaltungszentrale, gelegentlich aus dienstlichen Gründen Prätorianerpräfekten und Generäle. Davon unterscheiden sich prinzipiell alle anderen Besucher, die nur zu bestimmten Zwecken und damit zeitlich begrenzt erscheinen, seien es Römer oder Ausländer, Laien oder Kleriker, von Amts wegen Vorgeladene oder private Bittsteller, auch Künstler und Wissenschaftler, Geiseln oder Söhne vornehmer Familien, besondere Berater des Kaisers u. ä. Über die Anzahl der sich ständig am Hof aufhaltenden Personen läßt sich nur schwer etwas aussagen, weil wir zwar viele Funktionsträger mit Namen kennen, kaum aber Zahlen. 79 Während die Hofdienerschaft im engeren Sinn schwer kalkulierbar ist, hat man bei 75

76 77

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79

Im Nika-Aufstand zündete das empörte Volk von Konstantinopel das praetorium des praefectus urbi an. Das Feuer griff auf die Chalke, die Hagia Sophia und die Säulenhallen über: Jo. Mal. chron. 18,71 (474). Vgl. Gutsfeld, in diesem Band S. 86f. Anm. 82. S. u. S. 40. Procop. aed. 1,11,23-27. Für die Sozialpolitik Justinians vgl. Helmut Krumpholz, Über sozialstaatliche Aspekte in der Novellengesetzgebung Justinians, Bonn 1992. Dazu Wolfgang Liebeschuetz, Hochschule, RAC 15, 1991, 858-911; Schlange-Schöningen, Kaisertum (wie Anm. 40). Deichmann, Ravenna (wie Anm. 6) 2,3, 58; 114 nimmt für den Hofstaat in Ravenna unter Valentinian III. ca. 1500 Beamte an. Das kann sich aber nur auf die unmittelbar mit dem Palast zusammenhängenden Funktionen beziehen, nicht aber auf die Palasttruppen und die Leibwache. Als Reisebegleitung in der Frühkaiserzeit geht man von einer Größenordnung von ca. 5000 Personen aus, vgl. Castritius, Palatium (wie Anm. 13) 14, Halfmann, Itinera Principum (wie Anm. 17) 110. Diese Größenordnung bliebe doch hinter dem späteren stationären Hofstaat zurück, wie in Anm. 81 gezeigt werden soll.

Karl Leo

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Noethlichs

den Zentralbehörden einige konkrete Angaben, die für den Bereich .Schriftlichkeit' einen für heutige Verhältnisse eher kleinen Personalbestand aufweisen. 8 0 Als Gesamtzahl der Funktionäre am Hof in Konstantinopel etwa z. Z. Justinians halte ich eine Größenordnung von etwa 6 5 0 0 Personen für diskutabel, wobei hier die Palastwachen eingeschlossen sind. Rein ,zivile' Amtsträger beliefen sich wohl auf etwas über 2 0 0 0 Personen. 8 1 D i e jährlichen Personalkosten betrugen für die gesamte Palastorganisation

vielleicht

1 5 0 0 0 0 bis 2 0 0 0 0 0 Solidi, etwa 6 % des Gesamtetats, w o v o n weniger als 2 % auf die zivilen Bediensteten entfielen. 8 2 D i e fest angestellten Personen am Hof lassen sich weitgehend nach den Hauptfunktionen des Palastes kategorisieren: Bedienstete für die privaten Belange der kaiserlichen Familie waren vorwiegend Eunuchen, deren familiäre und gesellschaftliche Bindungen gering und

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So wissen wir aus der Zeit Leos (CJ 12,19,10), daß 62 Beamte im scrinium memoriae, 34 im scrinium ab epistulis, 34 im scrinium a libellis arbeiteten, dazu weitere 4 antiquarii im scrinium memoriae. In den Quellen genannte Zahlen: ein quaestor, zwei comites domesticorum (equitum et peditum), ein primicerius sacri cubiculi, vier (fünf) magistri scriniorum (memoriae, epistolarum, libellorum, graecarum, [dispositionum]), alle ohne officium; 1174 agentes in rebus, unter Leo erhöht auf 1248, ein comes sacrarum largitionum mit (i. J. 384) 446 Beamten, bzw. (i. J. 399) 224 statuti im Osten (610 supernumerarii) und 546 im Westen, ein primicerius notariorum (ohne officium) mit 520 notarii im Osten, scriniarii: 62 memor., 34 epist., 34 libell., 4 antiquarii. (Belege bei Karl L. Noethlichs, Hofbeamter, RAC 15, 1991, 1111-1158, hier 1138; 1143; 1151; 1153). Die für den Osten genannten Zahlen belaufen sich schon auf über 2000 Personen. Man wird aber bei den agentes in rebus nicht davon ausgehen dürfen, daß sie alle gleichzeitig immer am Hof anwesend waren. Keine Gesamtzahlen haben wir für folgende Funktionärsgruppen am Hof (nach der Notitia Dignitatum): Zwei praepositi sacri cubiculi mit cubicularii (darunter silentiarii), einen magister officiorum mit scholae, mensores et lampadarii, ammissionales, cancellarii und einem officium-, ein officium des comes sacrarum largitionum, ein comes rerum privatarum mit officium, einen castrensis, dem die paedagogia, die ministeriales, die curae palatiorum und ein officium unterstehen, insgesamt vielleicht 400-500 Personen. Die militärischen Einheiten am Hof waren z. Z. Justinians 3 500 scholares (ohne protectores et domestici und natürlich ohne supernumerarii gerechnet). Damit ergibt sich eine mutmaßliche Größenordnung von weit über 6000 Personen. Hinzurechnen müßte man außerdem noch die Militäreinheiten des magister militum praesentalis: 6 vexillationes palatinae, 6 vexillationes comitatenses, 6 legiones palatinae, 17 auxilia palatina und ein officium. Man versteht angesichts dieser großen Zahlen, daß die scholae von der Stadtverwaltung und nicht vom Hof verpflegt wurden, vgl. u. S. 45. Dazu wage ich, mit allem Vorbehalt, eine ganz grobe Überschlagsrechnung für die justinianische Zeit: Laut Procop. arc. 19,8 betrugen die Einkünfte des Reiches pro Jahr 400 centenarii, d.h. 2880000 solidi, vgl. auch Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 463 f. Ein centenarium sind 7200 solidi. Als Grundsold erhielt der Beamte mindestens eine annona, die damals zu 5 solidi Wert berechnet wurde (CJ l,27,l,22ff.; l,27,2,20ff.). Dies ergibt bei etwa 6500 Funktionären 32500 solidi. Rechnet man wegen der differenzierten Gehaltszahlungen das 5fache des Grundbetrages, ergeben sich 162500 solidi, d.h. etwas unter 6 % des Gesamtetats, für die zivilen Beamten etwas unter 2%. Möglicherweise ist aber das 5fache zu viel; man vergleiche als Gegenrechnung das Büro des praefectus praetorio Africae: 4172 solidi für 396 Personen entspricht einem Mehr in bezug auf die einfache annona zu 5 solidi [= 1980 solidi] von nur dem 2, lfachen. Man hat aber wohl auf jeden Fall mit einer höheren Bezahlung in der Zentrale als in der .Provinz' zu rechnen.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

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Kaiserhofes

die von daher sehr auf den Kaiser fixiert waren. Der Dienst am Hof verschaffte ihnen einen Lebensinhalt, der nicht nur ein .Familienersatz' war, sondern, im Selbstverständnis des Systems, eine gesamtgesellschaftlich hohe Bedeutung hatte. Die Eunuchen bildeten insofern ein zentrales herrschaftsstabilisierendes Element, das in der nachjustinianischen Zeit noch zunahm. 83 Zum engeren Palastbereich gehörten ferner Personen, die für den Erhalt, die Funktion und den militärischen Schutz des Palastes verantwortlich waren, sowie die Beamten der Zentral- und der Reichsverwaltung. Deren Spitzen wurden zwar ab einer bestimmten Zeit im consistorium zusammengefaßt, die Ressorts blieben aber prinzipiell unabhängige Verwaltungsstränge ohne organisatorische Verbindungen untereinander. Damit ergaben sich drei .Quellen' (mit abnehmender .Kaisernähe') für die Möglichkeit, an staatlicher, d.h. kaiserlicher Macht in Form der militia teilzuhaben: 1. über das cubiculum, 2. über die zentralen Verwaltungsressorts und 3. über die Reichsverwaltung, die im praefectus praetorio (militärisch im magister militum) mündete. Diese drei ,Säulen' treten bei den Anstellungsgebühren klar zutage, die z. B. Statthalter unter Justinian zu zahlen hatten. 84

2. Palastfunktionäre Sie heißen palatini oder sacer comitatusP Der Arbeitsbereich in unmittelbarer Nähe des Kaisers ließ es zumindest seit Leo nicht mehr zu, hier Unfreie zu beschäftigen. So verfügte er in CJ 12,5,4,1, daß cubicularii im Kaiserdienst immer Freie sind bzw. durch diese Tätigkeit zu solchen werden. 86 Das gilt auch für bereits Tote, wie das Gesetz rückwirkend verfügt. Die Tätigkeitsbereiche der für den Palast unmittelbar zuständigen Amtsträger lassen sich nach ,innerem' und ,äußerem' Palast unterscheiden: a) Das Personal

des ,inneren'

Hofes

Für die privaten Belange standen dem Kaiserpaar jeweils getrennte persönliche Diener zur Verfügung (vgl. CJ 12,59,10,5), die sich zum Teil aus Eunuchen rekrutierten. Der Rückgriff auf diese Personenkategorie wirkte sich insgesamt sicher systemstabilisierend aus. 87 Die wichtigsten Funktionäre waren die praepositi sacri cubiculi (je einer für Kaiserin und K a i s e r ) 8 8 m i t d e n cubicularii,

83 84

85

86

87 88

f e r n e r d e r primicerius

sacri

cubiculi,

der wahrscheinlich den

S. u. S. 36. Vgl. das Verzeichnis am Ende von Novell. Iust. 8, wo die Zahlungen differenziert werden nach: 1. cubiculum, 2. primicerius notariorum und adiutor und 3. praefectus praetorio. Dazu Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 566-572; Noethlichs, Hofbeamter (wie Anm. 81) 1111-1158. Bei Ammian ist zuweilen von proximi die Rede, was gegenüber der offiziellen Verwendung in den Kaisergesetzen als unscharf angesehen werden muß. Im CTh sind die proximi die Stellvertreter der magistri scriniorum, vgl. die Titel CTh 6,26; CJ 12,19. ... hoc Privilegium videatur principalis esse proprium maiestatis, ut non famulorum, sicut privatae condicionis homines, sed liberorum honestis utantur obsequiis ... S. o.; vgl. dazu vor allem Schölten, in diesem Band, bes. S. 73. Vgl. dazu Helga Schölten, Der Eunuch in Kaisernähe. Zur politischen und sozialen Bedeutung des praepositus sacri cubiculi im 4. und 5. Jahrhundert n.Chr., (Prismata 5) Frankfurt am Main 1995

30

Karl Leo

Noethlichs

kaiserlichen Haushalt überwachte, insbesondere wohl das Personalbüro für die

cubicularii

bildete und den privaten Schriftverkehr der kaiserlichen Familie tätigte. 89 Die

cubicularii

schirmten den inneren Palastbereich vor Unbefugten ab, zu denen auch hohe zivile oder militärische Beamte gehörten, und zwar auch in Abwesenheit des Kaisers. 90 Bestimmte Teile des Palastes dienten der Repräsentation, d. h. der Sichtbarmachung der kaiserlichen Amtswürde. Dieser Bereich des Palastes war ein Ort des Schweigens, der Ruhe, weshalb tranquillitas

nostra als kaiserliche Selbstbezeichnung erscheint. 91 Für die Ein-

haltung dieser besonderen Ruhe waren die silentiarii

zuständig, die dem praepositus

sacri

cubiculi unterstanden. 92 Dem Schutz der Person von Kaiser und Kaiserin dienten die Leibwache unter den comites domesticorum die excubitores.

(equitum et peditum) und die protectores

(et dornestici), dazu, seit Leo I.,

Auf die körperliche Gesundheit achteten fest am Palast angestellte Ärzte,

die comites archiatri sacri palatii (CTh 13,3; CJ 10,53). Zur Unterrichtung der Prinzen, bes. des Thronfolgers, konnte es Lehrer am Hof geben. 9 3 Die Erziehung der kaiserlichen Kinder barg u. U. ein Konfliktpotential zwischen Kaiser, Söhnen und Kaiserin, worauf Anja WieberScariot zu Recht hinweist. 94 Für den praktischen Umgang mit einem sakralen Herrscher in einem sakralen Gebäudekomplex ist die Zugangsregelung, die admissio,

zentral, 93 ebenso alle anderen Außenkon-

takte (in beiden Richtungen). Dies regelte der magister

officiorum,96

der sämtliche

Schlüsselfunktionen für die ,Innen-Außen-Beziehungen' des Palastes besaß, wie die Notitia Dignitatum (or. 11; occ. 9) zeigt: Ihm unterstanden die admissionales,

femer die Palasttruppen

der scholae, darunter besonders die scholae der agentes in rebus, und die Waffenfabriken (fabricae),

sodann die für die Versorgung von Palastbewohnern und Gästen zuständigen

und Dirk Schlinkert, Ordo senatorius und nobilitas. Die Konstitution des Senatsadels in der Spätantike, (Hermes-Einzelschr. Bd. 72) Stuttgart 1996, mit einem Appendix über den praepositus sacri cubiculi, den „allmächtigen" Eunuchen am Kaiserhof. Seit Anfang des 5. Jahrhunderts ist ein eigener praepositus sacri cubiculi für die Kaiserin nachweisbar, vgl. Schölten, in diesem Band S . 6 3 u . o. S. 23. 89

90

91 92 93 94

95 96

Zum Fortleben des primicerius vgl. das Kleterologion des Philotheos (wie Anm. 3) 721,20f. Die Tätigkeit eines primicerius überhaupt galt offenbar soviel, daß die Funktion zum Titel wurde, wie Malalas 18,71 (474) bezeugt: Bei jährlichen Pferderennen an den Iden des Januar wurden anschließend bestimmte Personen v o m Kaiser bewirtet und mit der Würde eines primicerius geehrt. Priscus fr. 63 (Blockley, S. 372): Unter Leo dringt ein General in den Palast ein, weil er das Innere sehen (erforschen) will. Das gelingt nur durch die Unachtsamkeit der cubicularii Misael und Cosmas. CTh 1,2,10; 1,6,4; 5,15,18 u.a., vgl. u. S. 40. CJ 5,62,25 v.J. 499; 12,16,4 von Zeno, vgl. Noethlichs, Hofbeamter (wie Anm. 81) 1130. Vgl. auch u. S. 45. Vgl. Anja Wieber-Scariot, Im Zentrum der Macht. Zur Rolle der Kaiserin an spätantiken Kaiserhöfen am Beispiel der Eusebia in den Res gestae des Ammianus Marcellinus, in diesem Band S. 1 1 5 - 1 3 0 . S. o. S. 19 und Schlinkert, in diesem Band S. 140f. Dazu Noethlichs, Hofbeamter (wie Anm. 81) 1133-1139.

Strukturen und Funktionen des spätantiken

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Kaiserhofes

mensores et lampadarii, die für den Kontakt zu den Provinzen wichtigen Informationsbeamten der curiosi per omnes provincias mit der ständig am Hof anwesenden Kontaktp e r s o n d e s curiosus

cursus publici

praesentalis,

die D o l m e t s c h e r (interpretes

diversarum

gentium) sowie die verschiedenen Schreibbüros, die quasi die schriftlichen' Außenbeziehungen reichsweit behördenintern, mit Privatpersonen und mit dem Ausland verkörperten: scrinium

memoriae,

b) Das Personal

epistolarum,

des ,äußeren'

libellorum,

graecarum

und

dispositionum.

Hofes

Die Verwaltung des Palastbereiches geschah durch den castrensis, dessen Name die militärischen Wurzeln der Kaiserresidenz bewahrt hat. In sein Ressort fallen der Sache nach das gesamte Dienstpersonal (ministeriales dominici) für den technischen Ablauf des Hoflebens, für die Räume, die Tafel, die Ausrichtung von Empfängen usw., also die decuriones, decani, stratores und castrensiani. Es sind in etwa alle sachbezogenen Funktionen, für die der castrensis

verantwortlich war, die curae palatiorum,

d . h . die V e r a n t w o r t u n g f ü r die G e -

bäude und den Fuhrpark, für die Versorgung mit Lebensmitteln und Materialien und für die Hofbediensteten (paedagogia),97 nicht hingegen die personenbezogenen Funktionen, für die der magister

officiorum

z u s t ä n d i g war.

Vom castrensis getrennt ist der militärische Schutz des Hofes, die Palastwache der scholae, die, wie gesagt, ebenfalls dem magister officiorum unterstanden.

3. Amtsträger der Reichs Verwaltung 48 Für Sachentscheidungen, Personalentscheidungen und Rechtsprechung, für relationes, consultationes und supplicationes war der Kaiserhof die letzte Instanz. Innerhalb des Gebäudekomplexes gab es also auch die höchsten Verwaltungs- und Rechtsressorts. Die Gliederung geht im Prinzip auf Augustus, sicher auf Claudius zurück. Die zunächst zentrale Privatverwaltung der kaiserlichen Provinzen und des kaiserlichen Privatvermögens wird im Laufe von ca. 400 Jahren eine ,Reichsverwaltung'. Die Funktionäre, ursprünglich Freigelassene, z. T. Ritter, werden in dieser Zeit aufgewertet und erhalten ab etwa dem letzten Drittel des 4. Jahrhunderts die höchsten Senatorenränge. Erst ab jetzt gibt es eine einheitliche Personalstruktur der Gesamtverwaltung. 99 Die Organisation dieser Reichsverwaltung besteht in Ressorts, die je in einer Spitze zusammenlaufen, darüber aber nur noch vom Kaiser selbst koordiniert und kontrolliert werden. Die Zuständigkeiten sind klar gegeneinander abgegrenzt, zuweilen gab es aber wohl

97

98 99

So werden paedagogiani, die eine besondere Kleidung tragen (Amm. 26,6,15), z. B. beim Tischdienst eingesetzt: Dig. 33,7,12,32: ... paedagogia: ... ut ... praesto essent in triclinio ... (vgl. auch CTh 8,7,5; CJ 12,59,10,5), aber z.B. auch außerhalb des Palastes, vgl. Amm. 29,3,3: als Hundeführer bei der Jagd. Dazu generell Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 572-586. Dazu u. S. 34.

32

Karl Leo

Noethlichs

Kompetenzverschiebungen. 1 0 0 Inhaltlich entsprechen diese Ressorts, in gewisser W e i s e mit unseren ,Ministerien' vergleichbar, kaum neuzeitlichen Vorstellungen. 1 0 1 Hingegen ist die Organisationsstruktur schon eher mit modernen Formen vergleichbar. 1 0 2 D i e sachliche Gliederung bis Ende des 6. Jahrhunderts ist grundsätzlich folgende: stor

(Rechtspflege, Gesetzesformulierungen),

rerum privatarum büro), magistri

(Finanzen), primicerius scriniorumm

(Schriftverkehr), dispositionum

(memoriae,

comes

notariorum epistularum,

sacrarum

largitionum

mit d e m laterculum libellorum,

maius

epistolarum

und

quaecomes

(Personalgraecarum)

(Koordinierung des Tagesablaufs des Kaisers, insbesondere

bei Reisen, sofern solche noch vorkamen) 1 0 4 und magister

officiorum.

100

Noethlichs, Hofbeamter (wie Anm. 81) 1224—1226. Nicht folgen kann ich Schlinkert, Vom Haus zum Hof (wie Anm. 10) 531, der meint, Konstantin habe bewußt Kompetenzüberschneidungen und Kompetenzkonkurrenz bei Hofbeamten zur besseren Kontrolle eingebaut. Der Hinweis auf Novell. Iust. 35 ist nicht überzeugend: Hier geht es um Rückkehr zu alten Beamtenzahlen beim quaestor, um Regelung der Nachfolger und Ämterverkauf. Dies hat aber nichts mit Kompetenzen zwischen quaestor und magister officiorum zu tun. Immerhin akzeptiert Schlinkert doch eine Kompetenzverteilung nach „relativ ,rationalen' Regeln" (ebd. 531), sieht aber dann keinen Widerspruch in angeblich beabsichtigten systemintemen Kompetenzüberschneidungen. Das System lebte gerade von penibler Abgrenzung. Die Rubriken sub dispositione der Notitia Dignitatum sind ein augenfälliger Beweis für die sorgfältigen Kompetenzabgrenzungen. Allerdings gibt es einen anderen Kontrollmechanismus im System, nämlich die disziplinarrechtliche Unabhängigkeit bestimmter Unterbeamten vom Ressortleiter durch Unterstellung unter einen anderen ,Minister', so z.B. bei den magistriani der scrinia, für die der magister officiorum zuständig ist, vgl. S. 31. Was allerdings eine Rolle spielt, sind fehlende Kompetenzregelungen für verschiedene Problembereiche wie z. B. die .Religionspolitik', vgl. die folgende Anmerkung.

101

Wenn Martin, Selbstverständnis (wie Anm. 20) 127 bemerkt, Außenpolitik und Religionspolitik seien zwei Bereiche ohne institutionelle Verankerung gewesen, kann man ergänzen, daß es auch keine institutionelle Verankerung (sprich: .Ministerium') für .Innenpolitik' im modernen Sinn mit all ihren Abspaltungen gab. Damit eröffnen sich aber systemimmanente und insofern durchaus .legale' Spielräume informeller Einflußnahme. Diese bieten für die Bürger Vor- und Nachteile zugleich: Nachteilig ist die Unberechenbarkeit des Erfolges solcher Initiativen, vorteilhaft ist die größere Palette der formellen wie inhaltlichen Möglichkeiten. Man muß deshalb vorsichtig sein, Aktivitäten solcher Art von vornherein als ,Bestechung' oder .Bestechlichkeit' im modernen strafrechtlichen Sinne zu charakterisieren. Man könnte sie m. E. funktional durchaus mit dem Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland vergleichen: Die Rolle des Kaisers entspricht der .Richtlinienkompetenz' unseres Bundeskanzlers nach Art. 65 GG. Bezüglich der .Ministerien' gilt nach dem GG das .Ressortprinzip', d.h. die ministerielle Eigenverantwortlichkeit, im Gegensatz zum ,Ministerialprinzip', das die Ressortleiter zu einem ,Staatsrat' zusammenfaßt, der alle Entscheidungen mehrheitlich trifft und den Einzelminister zum reinen Exekutivorgan degradiert. Für Konfliktfälle der Minister untereinander allerdings gilt auch bei uns das ,Ministerialprinzip'. Die Spätantike arbeitete in dieser Hinsicht m. E. nach denselben Grundvorstellungen, nämlich dem .Ressortprinzip'. Dem Gremium der .Bundesregierung' (Art. 62 GG) entspricht das consistorium, das die obersten Ressorts zusammenfaßt, darüber hinaus aber auch für andere Personen nach Entscheid des Kaisers offen ist; hier endet allerdings die funktionale Parallelität. Die Bürobeamten der magistri unterstehen allerdings dem magister officiorum, vgl. o. Anm. 100. Der Tätigkeitsbereich des comes dispositionum ist nirgends genauer beschrieben, vgl. Jones, Later Roman Empire (wie Anm. 49) 578: „Its duties are nowhere described". Eine vage Andeutung liefert

102

103 104

Strukturen und Funktionen des spätantiken

33

Kaiserhofes

Die Koordination erfolgte im consistorium\Wi

Darin waren (aus Sachgesichtspunkten)

im 6. Jahrhundert vertreten: der quaestor, die Finanz-comites,

der magister officiorum, die

notarii, der Prätorianerpräfekt, 1 0 6 dazu ein offener Kreis von comites consistoriani.wl zugezogen wurde ferner der praepositus

Hin-

sacri cubiculi, wenngleich offenbleiben muß, ob er

ständiges Mitglied war. Manchmal erweiterte man das consistorium

um den Senat (Lyd.

mag. 2,17). Schließlich noch ein Wort zum Zusammenhang von Stadtverwaltung und Palast in Konstantinopel: Es zeigt sich, daß der Bereich der Hauptstadt als erweiterter Palast- und Hofbereich angesehen wurde, für den die Kaiser sich neben anderen Maßnahmen 1 0 8 auch personell in besonderer Weise verpflichtet fühlten: So wurden unter Justinian folgende Beamte für Konstantinopel neu geschaffen: praetores populi (Novell. Iust. 13 v.J. 535) für die Überwachung von Ruhe und Ordnung in Konstantinopel, mit richterlicher Gewalt bei Mord, Ehebruch, Aufruhr und Gewaltanwendung ausgestattet. Der quaesitor war als Fremdenpolizei in Konstantinopel gedacht (Novell. Iust. 80 v.J. 539). Ihm oblag die Kontrolle der Neuankömmlinge in der Residenzstadt und die Beschleunigung von Prozessen, deretwegen viele in die Hauptstadt strömten, ferner die Rücksendung entlaufener Sklaven an ihre Besitzer und die Verpflichtung von kräftigen jungen Leuten, die sich in Konstantinopel herumtrieben, zur Zwangsarbeit (z.B. als Bäcker oder Gärtner), damit sie nicht kriminell wurden. Auch Echtheitsprüfungen von Urkunden fielen in sein Ressort. Damit wurde versucht, den Palastbereich gegen potentielle Unruhestifter in der Hauptstadt im Vorfeld abzuschirmen.

4. Das Rangsystem: Höfische und gesamtgesellschaftliche Rangordnung Die (weltliche) Stellung einer Person in der spätantiken Gesellschaft definierte sich wesentlich nach der Nähe zum Kaiser, also konkret danach, ob man an kaiserlichen Mahlzeiten, an der Purpurverehrung oder gar an der Kußzeremonie teilzunehmen berechtigt war. Dies

CTh 6,26,9 v.J. 397: his, a quibus dispositionum nostrarum norma seriesque servatur, vgl. zum Vorgang des disponere auch Cassiod. var. 4,46: petitiones supplicum salubri ordinatione disponere. In der Notitia Dignitatum kommt er nicht vor. Er heißt selten magister scrinii dispositionum (z. B. CTh 6,26,2), meist comes (CTh 6,26,10; 14; CJ 12,19,8), was wohl damit zusammenhängt, daß die Tätigkeit nicht im .Schriftlichen' bestand wie bei den übrigen magistri scriniorum (CJ 12,19,8 [um 443/4]: litterata militia im Gegensatz zum comes dispositionum, denprobitas und strenuitas auszeichnen sollen). In CJ 12,19,15,4 erscheint als viertes scrinium ein scrinium cognitionum. 105 Zum Begriff vgl. Schlinkert, in diesem Band S. 139; vgl. auch Wolfgang Kunkel, Consilium, Consistorium, JbAC 11/12, 1968/69, 230-248, bes. 242-248, vgl. o. Anm. 102. 106 Gutsfeld, in diesem Band S. 87; Lyd. mag. 2,9 beschreibt wohl die Situation ab 440. 107 Ygi CTh 11,18,1 v. J. 409/12: neben mag. off., quaestor, comes s. larg., comes rei priv., primicerius notariorum, magistri scriniorum und tribuni et notarii werden als besondere Gruppe eigens comites consistoriani genannt, vgl. CTh 6,7,12; 7,8,3. 108 S. u. S. 45.

34

Karl Leo Noethlichs

drückt z.B. CTh 6,13,1 v.J. 413 aus: Eine besondere Rangklasse bilden alle, qui et divinis epulis adhibentur

et adorandiprincipis

facultatem

antiquitus

meruerunt.m

Kaiserliche Nähe ,adelt' (CTh 6,25,1), aber diese Nähe läßt sich auch künstlich herstellen: Eine solche Formalisierung der Nähe stellt die Verleihung des comes-Titels (mit drei Rängen) dar, eine Erfindung Konstantins, wie Eusebius behauptet (v. C. 4,1,2).' 10 Damit gab es, reichsweit instrumentalisierbar, ein besonderes Motivations- und Disziplinierungsmittel.111 Der Glanz des Kaiserdienstes, sofern er besondere Privilegien nach sich zog, erstreckte sich auch auf die Familie inklusive Diener und Sklaven (CJ 12,10,2; 12,21,8). Die Besonderheit des Kaiserdienstes reichte über die aktive Dienstzeit hinaus, insofern es häufig Privilegierung von ehemaligen Hofbediensteten gab (vgl. CTh Buch 6 und CJ Buch 12). Durch die im Prinzip willkürlichen kaiserlichen Verleihungen wurden aber auch herkömmliche Gesellschaftskategorien z. T. außer Kraft gesetzt. Dies betrifft vor allem die Eunuchen. 112 D.h. die Kaiser versuchten, eine eigene Werteskala durchzusetzen, die gesamtgesellschaftlich so nicht unbedingt geteilt wurde, insbesondere nicht bezüglich der Hochschätzung von Eunuchen. 113 Kaisemähe konnte also gesellschaftliche Nachteile außer Kraft setzen und sogar sublimieren. Bezeichnend für das spätantike Denken ist nun aber, daß solche Privilegierungen aufgrund der Kaisernähe, die comites-Ränge also, zuerst etwa ab dem Jahr 370, besonders dann aufgrund der Neuordnung unter Theodosius II. in CTh 6,13,1 und 6,14,3 v.J. 413, 114 in die vorgegebene Rangskala der senatorischen Titel integriert wurden, z.B. CTh 6,12,1 (399?): comites consistoriani, eine Spezialkategorie, die immer zur ersten Klasse zu rechnen ist, erhalten den Rang von proconsulares, d. h. sie rangieren unter den spectabiles (CJ 12,10,1), die vier Hofämter sogar unter den illustres. Allgemein formuliert CTh 6,2,26: Hofbeamte erhalten als Belohnung senatoriae dignitates.

109

Zur Bedeutung der .Freunde' des Kaisers vgl. Schlinkert, in diesem Band S. 133-135. Dazu Ralf Scharf, Comites und Comitiva Primi Ordinis, Stuttgart 1994. Der erste Beleg für einen comes 2. und 1. Ordnung ist L. Aradius Valerius Proculus: CIL 6, 1739; 1741-1742 (vgl. Scharf, S. 7). Unklar ist nach wie vor, was genau mit den unter Konstantin I. belegten comites Flaviales gemeint war (vgl. Scharf, S. 65-71). Die Bezeichnung drückt zumindest die enge Beziehung der Amtsträger zu einer bestimmten kaiserlichen Dynastie aus und könnte vielleicht die zeitlich früheste Form gewesen sein. 111 Scharf, Comites (wie Anm. 110) 5 hält den Comitat ab dem späten Konstantin wegen der Trennung von Funktion und Titel für eine „rein gesellschaftliche Würde". Das erscheint mir insofern mißverständlich, als die Träger des Titels immer aktive oder ehemalige Amtsträger waren, niemals, soweit ich sehe, reine Privatleute. Nach Scharf hat es für die comites mit Beraterfunktion unter den Konstantinsöhnen zunächst unterschiedliche Bezeichnungen gegeben: comites domestici ordinis primi unter Konstantin II., comites intra palatium für Constans, comites ordinis primi intra consistorium unter Constantius, dessen Terminologie in der Folgezeit die reichsweite wurde; vgl. zur Praxis der Vergabe im 4. Jahrhundert Schlinkert, in diesem Band S. 150f., zur Rangabstufung und äußeren Kennzeichnung ebd. S. 145-147. 112 Zu den Sklavens. o. S. 29. 113 Vgl. Schölten, in diesem Band S. 64-71. 114 Vgl. Scharf, Comites (wie Anm. 110) 24-31; Löhken, Ordines (wie Anm. 28) passim. 110

Strukturen und Funktionen des spätantiken

Kaiserhofes

35

Insofern spiegelt sich also in den höfischen Titeln die traditionelle Führungsschicht formal wider, die comitiva ist damit kein neuer Adel, der vom Senat unabhängig wäre.115 Damit boten sich für Aufsteiger neuartige gesellschaftliche Chancen, die aber auch für geborene Senatoren durch die damit verbundene Kaisernähe zunehmend interessant wurden.116 War somit eine .höfische Elite' an die Person des Kaisers durch den comes-TiieX ,vertikal' gebunden, kann man die Einordnung in die Senatorenkategorien auch als ,horizontale' Bindung auffassen, als kollegiale Ebene, sofern die Kaiser sich selbst als Senatoren verstanden.117 Anzeichen dafür, daß diese ,höfische' Ordnung im Reich außerhalb des unmittelbaren kaiserlichen Nahbereiches offenbar nicht immer problemlos durchsetzbar war, zeigen etwa folgende Kaisererlasse: CTh 6,24,4: dornestici und protectores dürfen Vikare mit einem Kuß begrüßen. Verweigerung ist ein Sakrileg, weil diese genannten Beamten auch den kaiserlichen Purpur berühren dürfen (nostram purpuram contingere). Oder CTh 6,25,5: scriniarii des Kaisers haben immer Zutritt zum Statthalter, weil sie auch Zutritt zum kaiserlichen consistorium haben. Der gesetzliche Hinweis zeigt, daß dies offenbar nicht immer der Fall war.118

5. Ausblick auf die weitere Entwicklung in Byzanz: Das Kletorologion des Philotheos und Ps-Codinus, De Officiis 119 Hier sei lediglich eine kurze Übersicht über das Ämtersystem z.Z. des Philotheos geboten: Kennzeichnend ist, daß die Unterscheidung von Ämtern als Funktionen (ätjicn öiä ^oyou) und als Titel (ü'^iou öiä ßapßeicov) zum System erhoben wird. Das Kletorologion unterscheidet sieben Klassen von aktiven Beamten (ä^iai öia Xöyou), die keine Eunuchen sind: 1. strategoi

(otgairiYOi)

2. domestikoi (öo|xeouxot) 3. kritai (xoucu)

4. sekretikoi (aexgeuxoi) 5. demokratai 6.

stratarchai

(&T)|AOXQaTai) (OTQGITÜQXGU)

7. Verschiedene' (Ä^iai E ' I Ö I X C U ) Die allgemeinen Änderungen gegenüber der Zeit Justinians kann man wie folgt beschreiben: Bestand bisher die Tendenz zur Subordination und Machtkonzentration bei eher wenigen Beamten, ging jetzt der Trend zur Koordination und Vervielfachung höchster Ämter,

115

116

117 118 119

Das heißt aber nicht, daß Träger des Titels auch wirklich Senatoren im (steuer)rechtlichen Sinne wurden. Schlinkert, in diesem Band S. 151-154; Scharf, Comites (wie Anm. 110). Schon ab Konstantin I. finden sich Senatoren im sacer comitatus, vgl. Schlinkert, in diesem Band S. 154f. Vgl. o. S. 19f. Zum Problem der Durchsetzung vgl. auch Schlinkert, in diesem Band S. 149f. Vgl. Anm. 3 u. 4.

36

Karl Leo Noethlichs

verbunden mit einem Ansteigen reiner Titularwürden und der Einordnung bisheriger übergreifender Titel in die Rangordnung, z. B. patricius, eine Kombination von patricius

und proconsul.

geteilt in einen e i n f a c h e n ' Patriziat und Bemerkenswert ist das Anwachsen der

ursprünglichen Eunuchenposten. Deren Funktionen sind jetzt aber teilweise auch mit Nichteunuchen besetzbar, während andererseits Eunuchen auch für die meisten anderen staatlichen und kirchlichen Ämer zugelassen waren. Für die Hofbeamten gilt: Funktionen werden zu Titeln, insbesondere die früher nur Eunuchen vorbehaltenen. Das ist ein weiterer Schritt zur Ausweitung der unmittelbaren kaiserlichen Dienstfunktion auf eine reichsweite Rangkategorie. 1 2 0 Konkret gab es folgende Hauptänderungen: Der magister militum und der praefectus Ämter des magister officiorum,

praetorio

verschwinden. 121 Die

des comes rei privatae und des comes sacrarum

zerfallen in verschiedene selbständige Einzelbüros, von dem des castrensis curapalati

ab. 122 Der Titel kouropalates,

largitionum

spaltet sich die

wohl ein Äquivalent zu Caesar, wurde von Justi-

nian an seinen Neffen Justin verliehen (Coripp. 134 ff.) und war später der dritthöchste Rang unter nobilissimus

und Caesar, vielleicht ein Zeichen für die noch gestiegene gesamtgesell-

schaftliche Bedeutung des Hofes. Die Entwicklung läßt sich kaum an einzelnen Kaisern festmachen, sondern war eine allmähliche. Im folgenden seien nur solche Posten herausgegriffen, die mit dem Hof unmittelbar zusammenhängen, also nicht die Provinz- bzw. Themenverwaltung und das Militär betreffen: Einschlägig sind von den sieben o.g. Gruppen hier: Nr. 3, die .Richter' ( x o u a i ) , Nr. 4, die Sekretäre

(OEXQETIXOO,

Nr. 5, die .Demokraten', d.h. die Vorsteher der städtischen Demen-

organisation, und Nr. 7, ä^iai EiöixaL Vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Hoforganisation läßt sich dazu folgendes bemerken: Zu Nr. 3 gehört insbesondere der quaestor sacri palatii, der mit einem eigenen Gerichtshof auch die Funktionen des von Justinian eingesetzten quaesitor scrinia des magister libellorum

und epistularum

chen nicht zugänglich. Der magister memoriae

übernimmt und dem die

unterstellt wurden. Dieses Amt war Eunu(6 EM

xd)v

ÖETIOECOV)

bleibt ein selbständiges

Amt. Zu Nr. 4 zählen der Kanzleivorsteher (protoasecretis) sacellarius,

tamias, logothetae,

und alle Finanzfunktionäre wie

der magnus curator, seit Basilius der curator für den Man-

ganapalast u. a. In die Zuständigkeit dieser Beamtenkategorie fallen ferner die fabricae,

eine

besondere Militärkasse, der cursus publicus und natürlich das Steuerwesen. Zu Nr. 5 zählen die Vorsteher (Demarchen) der .Blauen'

und .Grünen'

in der

Hauptstadt. 1 2 3 Unter die Sammelbezeichnung von Nr. 7 fallen der .Kaiserinnenvater' (basileopator),

120 121

122 123

eingesetzt von Leo VI. um 892/3, der

QOUXTCOQ

(rector domus bei Liutprand,

Bury, Imperial Administrative System (wie Anm. 3) 20. Wegen der Themenordnung: Die Themengouverneure, meist strategoi, sind direkt dem Kaiser unterstellt. Chron. Pasch. 613; Thphn. chron. a. 6015; Jo. Mal. chron. 413. Bury, Imperial Administrative System (wie Anm. 3) 105f.; zur Einsetzung vgl. Constant. Porphyr, caer. aul. Byz. 1,64 (55).

37

Strukturen und Funktionen des spätantiken Kaiserhofes

antap. 6,10) mit gewissen, konkret unbekannten Aufsichtsfunktionen über den kaiserlichen Haushalt, der vom Kaiser eingesetzte kirchliche synkellos für den Patriarchen von Konstantinopel, der wohl für die Kommunikation zwischen Kaiser und Patriarch zuständig war, ein sichtbarer Hinweis auf die unmittelbare und institutionalisierte Verbindung von Kaiser und Klerus der Hauptstadt. Es gab ferner Ränge für den kaiserlichen Schreibgriffel ('/GtQTouX.aQioc; xoü xaviodeiou), besonders für die spezielle rote Tinte des Kaisers, einen Helfer für das Besteigen des Pferdes, wenn der Kaiser ritt (,stra?o/-Dienst), Reste des alten Amtes des magister officiorum (6 eiti xfjc; xaxaaTaaewc;) mit admissionales

und

silentiarii.124

Die Hauptfunktionen der Eunuchen ( ä | i a i öia ßaoßeitov) waren nach dem Kletorologion: 6 JtaQaxoi|A(bn.evo5 xoü öeojiotou, jetzt nicht mehr als Untergebener des

-

sacri

praepositus

cubiculi,

- 6 TOMToßEGTiaoioq toi) öeojtotod (comes sacrae vestis) für die Privatkleidung des Kaisers, im Gegensatz zu dem öffentlichen Ornat, wofür der chartularius

vestiarius

zustän-

dig war, -

ö fem xfjc; xoajt£^r)5 toxi 6e(ot6tou mit Untergebenen für das Tafelgeschirr u. ä.,

-

6 e m xf)5 AüyoiJOTTiq für die Versorgung der Kaiserin,

-

6 JTOuuac xoü (XEyä/vOi) ira>,Xr|.

Zur Rolle der Kaiserin

109

daß nicht die Teilnahme einer Kaiserin ein Bestimmungskriterium für den offiziellen oder nicht-offiziellen Charakter der Beratung liefert. Szidat geht im Gegenteil davon aus, daß es sich bei der in den Res gestae

beschriebenen Sitzung um eine Beratung des

consistorium

handelt, und vermutet, daß Ammian sie absichtlich nicht mit dem Terminus technicus belegt, um gerade dadurch die Einflußnahme der Mächtigen hinter dem Thron hervorzuheben. 3 2 Ammian stellt in seiner Schilderung einen Zusammenhang zwischen dem Engagement Eusebias und der Entscheidungsfindung des Kaisers her. Eusebias Einwirken auf den Kaiser zugunsten eines Dritten ist der sozialen Verkehrsform der Patronage 3 3 zuzuordnen. B e z o g e n auf eine Frau müßte man von Matronage reden, zumal ja die Worte patrona

und

matrona

die gleiche Bildung aufweisen. 3 4 Derzeit liegen Ergebnisse über weibliche Patronage nur sehr verstreut vor, eine systematische Abhandlung zur Matronage fehlt. 35 Bei den Belegen, die Salier für die Patronage römischer Kaiserinnen und anderer weiblicher Verwandter bis zum Beginn des 3. Jahrhunderts zusammengestellt hat, verweist er darauf, daß es zwar von aristokratischer Seite Kritik an diesem Wirken der Frauen gab, daß die antiken Berichte diesen Einfluß aber auch für die Regierungszeit sogenannter guter Kaiser in neutraler Form thematisieren. 36 Das zeigt, wie Patronage der Kaiserinnen für die antiken Zeitgenossen im Bereich des Normalen liegen konnte.

32 33

34

35

36

Szidat, Ammian (wie Anm. 9) 110 Anm. 21, zu Amm. 15,2. Patronage steht hier nicht im Sinne der Beziehung zwischen patronus und libertus; vgl. dazu Richard P. Salier, Personal Patronage under the Early Empire, Cambridge u.a. 1982, l f f . und Andrew Wallace-Hadrill (Hg.), Patronage in Ancient Society, London, New York 1989, bes. 3 f. seiner Einleitung in diesem Band; zu den fließenden Übergängen zwischen clientela und amicitia in der Kaiserzeit vgl. Richard P. Salier, Patronage and Friendship in Early Imperial Rome: Drawing the Distinction, in: ebd. 49-62. Marie-Luise Deißmann, Aufgaben, Rollen und Räume von Mann und Frau im Antiken Rom, in: Jochen Martin, Renate Zoepffel (Hg.), Aufgaben, Rollen und Räume von Frau und Mann, Freiburg, München 1989, Bd. 2, 501-565, hier 524. Vornehmlich Belege aus der Republik bei Suzanne Dixon, A Family Business: Women's Role in Patronage and Politics at Rome 80-44 B.C., C & M 34, 1983, 91-112 und bei Anthony J. Marshall, Roman Women and the Provinces, AncSoc 6, 1975, 109-127. Zu Heiratsprojekten als Matronagehandlung s.u. Anm. 61 f.; zum Rückgang der (lokalen) Städtepatronage in der Spätantike und neuen Patronageformen für Frauen im kirchlichen Rahmen vgl. Elizabeth A. Clark, Gender and Power in Late Ancient Christianity, Gender & History 2, 1990, 253-273, 260 über Kaiserinnen als Stifterinnen. Salier, Personal Patronage (wie Anm. 33) 57 mit Anm. 98: Senecas Rückkehr aus dem Exil durch gratia Agrippinae\ ferner: 64-66, 68-69; zu Livias Matronage vgl. auch Perkounig, Livia (wie Anm. 4) 173-177 und Nicolas Purcell, Livia and the Womanhood of Rome, PCPS 23, 1986, 78-105, hier 87; eine Reihe kaiserlicher Intervenientinnen der frühen und hohen Kaiserzeit bei Ramsay MacMullen, Women's Power in the Principate, Klio 68, 1986, 434-443, hier 434 Anm. 1; zur antiken Kritik an der Matronage mit Ausnahme der der virgines Vestales vgl. Werner Eck, Einfluß korrupter Praktiken auf das senatorisch-ritterliche Beförderungswesen in der Hohen Kaiserzeit?, in: Wolfgang Schuller (Hg.), Korruption im Altertum, München, Wien 1982, 135-151, hier 150 mit Anm. 81.

110

Anja

Wieber-Scariot

Semantisch ist nun bemerkenswert, daß A m m i a n den Einsatz der Kaiserin Eusebia mit dem Verb suffragari,

einem politischen Terminus technicus, belegt: 3 7 D i e Bandbreite des

Ausgangssubstantivs suffragium

reicht von den Volksabstimmungen der römischen Repu-

blik über die Fürsprache eines Mächtigen seit der frühen Kaiserzeit bis zur Bestechung in der Spätantike. 3 8 Während das Substantiv bei A m m i a n positiv konnotiert im Sinne der Entscheidung, 3 9 der Urteilsfällung, 4 0 auch bei Rangerhebungen 4 1 bis zum Caesar/Kaiser vorkommt, beschreibt das Verb, häufig negativ konnotiert, die Fürsprache, 4 2 besonders am H o f e 4 3 und für hohe Ämter. 4 4 Eine negative Bedeutung hat das N o m e n actionis

sujfragatio,

das die unbekannte Fürsprache für den ungerechten Freispruch des aus A m m i a n s Warte ausn a h m s w e i s e zu Recht der Majestätsbeleidigung verurteilten Serenianus bezeichnet s o w i e an anderer Stelle die relativ schnell schwindende Unterstützung für einen Verwandten Jovians anläßlich der Wahl des neuen Kaisers. 4 5 Im vorliegenden Fall steht das Verb suffragari

für

die Fürsprache einer Mächtigen für einen Angeklagten und bezeichnet somit eine der m ö g lichen Patronagehandlungen, die mächtige Frauen und damit besonders die Kaiserinnen ausüben konnten. 4 6 D a s N o m e n agentis suffragator

37 38

39 40 41

42

43

44

45 46

findet Anwendung auf eine Person, die

Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 426. Geoffrey E. M. de Ste. Croix, Suffragium: From Vote to Patronage, BJS 5, 1954, 3 3 ^ 8 ; im höfischen Kontext kann suffragium dann die durch Bestechung erreichte Fürsprache beim Kaiser u. a. zwecks Amtseinsetzung bezeichnen, vgl. Hans Volkmann, Suffragium, KP1 5, 1975, 414f., hier 415 und Karl L. Noethlichs, Beamtentum und Dienstvergehen. Zur Staatsverwaltung der Spätantike, Wiesbaden 1981, 69, 89, 94; Jens-Uwe Krause, Spätantike Patronatsformen im Westen des Römischen Reiches, München 1987, 50-65; dazu auch Eck, Korrupte Praktiken (wie Anm. 36); vgl. auch die Diskussion ebd. 152-161, bes. 160f., über das bezahlte suffragium im Unterschied zur Fürsprache bei Abstimmungen. Amm. 17,5,3; 26,9,3: Dem Usurpator Prokop scheint die Option auf Rettung genommen. Amm. 21,13,14; 27,6,9; 27,9,9. Amm. 15,8,7: Den in der Rede des Constantius über die Caesarenerhebung Julians vorkommenden Begriff nostri vestrique consulti suffragium übersetzt Wolfgang Seyfarth, Ammianus Marcellinus, Römische Geschichte, Lat. u. Dt., 4 Bde., 5. Aufl., Darmstadt 1985, Bd. 1, 139, als „das Urteil unseres und eures Beschlusses". Der Begriff enthält wohl aber auch das Moment der Entscheidung für Julian als Kandidaten der Rangerhebung; 25,5,3: Nach dem Tode des Julian geht es im Heer um die vereinte Wahl eines neuen Kaisers (consociata suffragia). Amm. 28,1,27: Fürsprache des Victorinus für Angeklagte bei der Prozeßwelle in Rom; 30,4,12: Rechtskniffe begünstigen Freispruch bei Muttermord. Amm. 16,6,3: erfolgreiche Fürsprache der Eunuchen für den unter Anklage stehenden Arbitio; 26,7,6: Unterstützung einer Beförderung im Dienst des Usurpators Prokop. Amm. 20,5,7: Julian verspricht in seiner programmatischen Rede Beförderung nur aufgrund von Leistung; 29,2,23: Terrorjustiz empfiehlt Maximin für die Beförderung zum ppo; 30,7,4: eigene Leistung unterstützt die Beförderung zum Kaiser im Falle Valentinians. Amm. 14,7,7; 26,1,4. De Ste. Croix, Suffragium (wie Anm. 38) 38-46, mit Belegstellen: z.B. für frühkaiserzeitliche Matronage der Fall der Urgulania, die sich durch die Unterstützung der Livia einer Vorladung vor Gericht entziehen kann (Tac. ann. 2,34); Salier, Personal Patronage (wie Anm. 33) 42 mit Anm. 11, 44 mit Anm. 25f., 48 mit Anm. 47, 50 mit Anm. 55: Belege für das suffragium von Kaiserinnen und anderen weiblichen Verwandten des Kaisers als Amterpatronage.

Zur Rolle der

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Kaiserin

beim Kaiser zugunsten anderer interveniert.47 Der Patronageeinsatz Eusebias ist aber nicht eine Empfehlung für ein Amt, sondern läßt sich vielmehr als Gerichtspatrocinium einstufen.48 Damit vergleichbar ist das Eintreten anderer kaiserlicher Frauen für Gerichtsentscheidungen, wie Ammians Bericht über das Eintreten der Constantina für die Verurteilung des Clematius,49 des Gerontius Schilderung der Unterstützung Serenas für Melania bei Vermögensstreitigkeiten50 sowie des Malalas Darstellung des Erscheinens der Athenais vor Pulcheria in einer Erbschaftsangelegenheit zeigen.51 Das Gerichtspatrocinium der Kaiserin ist dann auch Thema der Leichenrede auf die Kaiserin Flacilla: Der Freispruch unzähliger Verurteilter sei ihr Werk.52 Werfen wir einen Blick in die Parallelquelle, nämlich Julians Lobrede auf Eusebia, so stellen wir fest, daß den Autor genau diese Frage der kaiserlichen Matronage verschiedentlich beschäftigt: Mit einer Euergetismusdebatte eröffnet er die Rede, um dann von den allgemein lobenswerten Qualitäten der Kaiserin auf den speziellen Anlaß der Rede zu kommen. 53 Die erhaltene Gunst verpflichte gegenüber einer Frau genauso wie gegenüber einem Manne zur Dankbarkeit.54 Semantisch schlägt sich dieses Verpflichtungsverhältnis bei Julian in der vielfachen Benutzung des Vokabulars der geschuldeten Dankbarkeit und des Zurückzahlens nieder.55 Die Inhalte der Matronage Eusebias nennt er dann in den folgenden Paragraphen

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48

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54

Adolf Berger, Encyclopedic Dictionary of Roman Law, Philadelphia 1953, s.v. suffragatorlsuffragium. Krause, Spätantike Patronatsformen (wie Anm. 38) 13, 40; Belege für Kaiserinnen als Intervenientinnen für Frauen unter Anklage bei Anthony J. Marshall, Women on Trial before the Roman Senate, EMC 34, 1990, 333-366, hier 342, 344. Amm. 14,1,3. Geront. v. Melan. 11-12. Jo. Mal. chron. 14,4,1-2 (PG 97,353C-354B). Gr. Nyss. in Flac. 884B (PG 46); Spira, 480. Jul. or. 3,102A-104D; 102B: ... T0Ü5 EiJEüYEraq; zur Verleihung des Titels Euergetes an Wohltäterinnen vgl. Hahn, Die Frauen des römischen Kaiserhauses (wie Anm. 4) 26f.; Belege zur Verehrung der Kaiserinnen/Frauen des Kaiserhauses als 0 t a EÜEQYETI^: Livia, 52f.; Iulia maior, 109; Antonia Minor, 121; Domitia Longina, 240, 243; Matidia Minor, 270f.; Vibia Sabina, 285f. Jul. or. 3,104D:

tivoc; CR/a8oi), O|XIXQOFI TE 6|XCHOJC; x a l öeJ;6[i£0a, TT]V öe ejt' RÖTW yaQiv äiumvEiv öxvf|ao[XEv; („Aber abgesehen davon, sollen wir es andererseits zulassen, zwar Wohltaten zu erfahren und zu bekommen, gleichermaßen große und kleine, genauso von einer Frau wie von einem Mann, dann aber versäumen, den Dank dafür abzustatten?") Jul. or. 3.102A: TWV öcpedovtwv // äitouveiv // TÖ öcpVnna; 102B: cr/ayiaioc;; 103C: -/aoiceaöai; 104D: yapiv cotoiiveiv öxvf|ao(xev. - Zu dem lateinischen Wortfeld Patronage für die frühe Kaiserzeit vgl. Salier, Personal Patronage (wie Anm. 33) 7 - 2 2 ; 21 f.: gratia und die Verbindung mit Verben wie debere, referre, persolvere etc.; die Begrifflichkeiten für die lateinische Spätantike behandelt auch Krause, Spätantike Patronatsformen (wie Anm. 38) 6 - 6 7 , allerdings mit dem Schwerpunkt auf den einzelnen Substantiven, nicht auf den phraseologischen Fügungen; für die griechischen und lateinischen Begriffe vgl. Peter Krafft, Gratus animus (Dankbarkeit), RAC 12, 1983, 732-752, hier 734-738; zur Reziprozität in den Patronagebeziehungen vgl. auch Egon Flaig, Loyalität ist keine Gefälligkeit. Zum Majestätsprozeß gegen C. Silius 24 n. Chr., Klio 75, 1993, 289-305, bes. 301 f.; eine ausführlichere monographische Abhandlung zu diesem Wortfeld in der spätantiken JIQOC; ÖE ffcxaiXiuK IxEiEue öuyoniya. Berger s.v. (wie Anm. 47); Max Käser, Römisches Privatrecht. Ein Studienbuch, 15. Aufl., München 1989, 389; Noethlichs, Beamtentum (wie Anm. 38) 160 und Moritz A. von Bethmann-Hollweg, Der römische Civilprozeß, Bd. 3: Cognitiones, Bonn 1866, 92f., 338-341. Jean Beranger, Julien l'Apostat et l'heredite du pouvoir imperial, BHAC 1970, 75-93, hier 81. Zum Innuendo bei Ammian: Roger C. Blockley, Tacitean Influence upon Ammianus Marcellinus, Latomus 32, 1973, 63-78, hier 67 und R. N. Mooney, Character Portrayal and Distortion in Ammianus Marcellinus, Diss. Michigan 1955, 138 Anm. 9; als Beleg vgl. Amm. 16,11,12-13: die Vernichtung der Lebensmittel während Julians Gallienfeldzug durch den magister peditum Barbatio wird entweder auf dessen Dummheit zurückgeführt oder als Auftrag des Kaisers Constantius gedeutet; letztere Alternative erhält unausgesprochen den Vorrang durch die Verbindung mit dem folgenden Paragraphen, in dem Ammian das Gerücht wiedergibt, Constantius habe Julian nur nach Gallien geschickt, um sich seiner zu entledigen. Dazu würde auch passen, daß einer der kaiserlichen Schergen Julians Erfolge sabotierte; zu den Innuendotechniken, insbesondere der Präsentation von Alternativen bei Tacitus vgl. Stephen G. Daitz, Tacitus' Technique of Character Portrayal, AJPh 81, 1960, 30-52, hier 46.

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daß Ammian Eusebias Motiv als ein staatspolitisches Anliegen darstellt. 68 Darüber hinaus ist sie aktiv an der Wahl eines Herrschaftsträgers beteiligt, wodurch dieser Fall sich von ihrem Schutzgestus für Julian bei der Anklage wegen Majestätsverbrechen abhebt und damit dem Patronagetypus der Förderung zuzurechnen ist. Aus welchen Gründen aber die Kaiserin Julian unterstützt, kann eine Interpretation dieser Beziehung unter dem Gesichtspunkt der höfischen Kräftefelder ergeben. Aujoulat hat vermutet, Eusebia habe sich Julian verpflichten wollen. 6 9 Das ließe sich dahingehend erweitern, daß die Kaiserin sich am Hofe eine Machtbasis erst aufbauen mußte, da sie im Gegensatz zur ersten Frau des Constantius nicht von kaiserlichem Geblüt und ihre Zugehörigkeit zur Hofgesellschaft noch relativ jung war. 70 Zwar besaß sie das Vertrauen des Kaisers und hatte sich bereits einmal für Julian eingesetzt, aber sie verpflichtete sich in diesem Fall, indem sie Julians Wahl zum Caesar unterstützte, ein Mitglied der inneren Hofgesellschaft und nicht einen jungen begnadigten Verwandten, der im Bildungsexil weilte. Dieser Ansatz würde zumindest die Reziprozität der Beziehung verständlich machen, die neben dem personalen Moment der Beziehung und der Asymmetrie im Status der Beteiligten als drittes Charakteristikum der Patronage anzusehen ist. 71 Eusebia bekleidete als Kaiserin einerseits eine höhere Position als Julian, der ja den in Ungnade gefallenen Familienzweig repräsentierte, andererseits konnte sie als Förderin aus seiner Dankbarkeit auch einen Vorteil ziehen, zumal ihr als Aufsteigerin im Gegensatz zu Julian die Sozialisationserfahrung der kaiserlichen Familie fehlte.

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71

Die Formulierung consulens in commune kann man wohl auf den seit Seneca üblichen Begriff des bonum commune beziehen und somit als Einsatz für das Gemeinwohl verstehen; dazu Art. Gemeinwohl, in: Hist. Wörterbuch der Philosophie 3, 1974, 248-258, 249; vgl. auch Andreas Alföldi, Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreiche (1934. 1935), Darmstadt 1970, 198. Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 90, 433; 428 äußert er die Vermutung, Eusebia habe Julian als Vermittler zwischen Christen und Heiden gewinnen wollen. Zu der nichtaristokratischen Herkunft des Flavius Eusebius, Consul von 347, der wahrscheinlich ihr Vater war, vgl. Otto Seeck, Eusebia (1), RE 6, 1, 1907, 1365-1366, hier 1365; die erste Frau des Constantius war die uns namentlich nicht bekannte Halbschwester Julians und Schwester des Gallus, ihr Vater war der Onkel des Constantius, Iulius Constantius, vgl. dazu J. Moreau, Constantius II., JAC 2, 1959, 162-179, hier 164 und Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 422. Auf die Schwierigkeiten für Frauen bei virilokalen Ehen hat Pomeroy am Beispiel hellenistischer Höfe hingewiesen, an denen die Frauen sogar oft als Angehörige der gegnerischen Seite (Heirat aus Bündniszwecken) Geiseln waren (Sarah B. Pomeroy, Women in Hellenistic Egypt, New York 1984, 3-40, hier 17 [„Hellenistic Queens"]); damit waren sie zwar Fremde am neuen Hof, aber im Unterschied zu der Situation der Kaiserin Eusebia verfügten diese Frauen über die Sozialisationserfahrung in einer Herrscherfamilie. Vgl. die beiden Artikel: Salier, Patronage and Friendship (wie Anm. 33) 51 f. und Andrew WallaceHadrill, Patronage in Roman Society: From Republic to Empire, in: ders. (Hg.), Patronage in Ancient Society (wie Anm. 33) 63-87, hier 77: Austausch zwischen denen, die näher am Zentrum der Macht stehen, und denen, die diesem entfernter sind - ein Modell, das auch auf die höfische Gesellschaft paßt; auf 82: der Vergleich mit dem absolutistischen Frankreich, wo die Gegenleistung der Klienten in der allgemeineren Konstituierung eines Gefolges bestand und nicht, wie im republikanischen Rom, in der Abgabe einer Stimme bei einer Wahl.

115

Zur Rolle der Kaiserin

III. Höfische Konflikte Das nächste Mal wird Eusebia im 16. Buch in Zusammenhang mit dem Besuch des Constantius in Rom erwähnt, auf dem sie ihren Gemahl begleitete ( 1 6 , 1 0 , 1 8 - 1 9 ) : Inter Helenae,

sorori Constanti,

tunc insidiabatur fraudem in Galliis,

Eusebia,

Iuliani coniugi Caesaris, ipsa, quoad vixerat,

illexit, ut, quotienscumque cum marem genuisset

cede mox natum praesecto opera navabatur,

concepisset, infantem,

sterilis,

viri suboles

quaesitumque

immaturum

hoc perdidit

plus, quam convenerat,

ne fortissimi

Romam ajfectionis abiceret

specie ductae venenum

partum,

dolo, quod obstetrix

umbilico

necavit:

haec regina

bibere

nam et corrupta

tanta tamque

per

pridem merdiligens

appareret.12

Mag auch Ammian vorher dem Leser nicht völlige Klarheit über den Charakter der Eusebia vermittelt haben, so überrascht doch der Bericht an dieser Stelle. Ammian begnügt sich nicht damit anzudeuten, Eusebia habe etwas mit den Fehlgeburten Helenas, der Frau Julians, und dem frühen Tod ihres in Gallien geborenen Kindes zu tun, er läßt vielmehr keinen Zweifel an der Schuld Eusebias, die ja somit, auch wenn das Wort nicht fällt, eine Mörderin wäre. Nun muß man sich fragen, wie das von Ammian geschilderte Handeln Eusebias in der Antike aufgefaßt wurde. Zwar haben sich zum Thema Abtreibung 71 viele antike Autoren heidnischer Provenienz negativ geäußert, 74 im römischen Recht aber galt diese Handlung

72

73

74

„Unterdessen hatte es damals die Kaiserin Eusebia auf Helena, die Schwester des Constantius, die Ehefrau des Caesars Julian, abgesehen. Helena war nämlich unter dem Schein der Zuneigung nach Rom zitiert worden. Eusebia selbst war, solange sie lebte, unfruchtbar und verleitete jene nun, nachdem sie Gift ausfindig gemacht hatte, durch Betrug dazu, es zu trinken, so daß sie, sooft sie schwanger geworden war, die Leibesfrucht frühzeitig verlor. Denn auch früher schon ließ sie, nachdem Helena in Gallien ein männliches Kind geboren hatte, es durch die List umbringen, daß die Hebamme, mit einer Belohnung bestochen, das Neugeborene tötete, indem sie die Nabelschnur weiter als üblich abschnitt: So weitreichend und gründlich wurde Mühe aufgewandt, damit es keine Nachkommenschaft des tüchtigsten Mannes gebe." Zur Abtreibung allgemein: Sheila K. Dickison, Abortion in Antiquity, Arethusa 6, 1, 1973, 159-166 (Rez. zu Enzo Nardi, Procurato aborto nel mondo greco romano, Mailand 1971); Emiel Eyben, Family Planning in Graeco-Roman Antiquity, AncSoc 11/12, 1980/81, 5-81; Jane F. Gardner, Women in Roman Law and Society, London 1986, 158-159; Daniel Gourevitch, Le mal d'etre femme, ou la femme et la medicine dans la Rome antique, Paris 1984, 206-216; Keith Hopkins, Contraception in the Roman Empire, CSSH 8, 1965/66, 121-151; Werner Krenkel, Erotica I: Der Abortus in der Antike, WZRostock 20, 1971, 442-452; J. H. Waszink, Abtreibung, RAC 1, 1950, 55-60; zur Abtreibung in Spätantike und Mittelalter: Carolina Cupane, Ewald Kislinger, Bemerkungen zur Abtreibung in Byzanz, JOEByz 35, 1985, 21-49; Gillian Clark, Women in Late Antiquity. Pagan and Christian Life-styles, Oxford 1993, 4 6 - 4 8 , 86f.; Evelyne Patlagean, Zur Beschränkung der Fruchtbarkeit in der frühbyzantinischen Zeit, in: Jochen Martin, Barbara Quint (Hg.), Christentum und antike Gesellschaft, Darmstadt 1990, 270-299; U. Weisser, Abtreibung, LdM 1, 1980, 65. Vgl. die medizinischen Abhandlungen: Paul Diepgen, Die Frauenheilkunde der Alten Welt, München 1937, 297-302 und R. Hähnel, Der künstliche Abortus im Altertum, Archiv für Geschichte der Medizin 29, 1937, 224-255 (mir nicht zugänglich). Quellen bei Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 39-43, 50-54.

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nicht als Mord, sondern vielmehr seit einem Reskript der Severerzeit als Betrug am Ehemann, der um ein Kind gebracht wurde. 7 5 Personen aber, die schädliche Medikamente verabreichten, sollten laut Kommentar des Juristen Paulus mit unterschiedlichen Strafen bis hin zur Hinrichtung im Todesfall der medikamentierten Person belegt werden. 7 6 D a g e g e n setzte sich bei den Kirchenvätern 7 7 und im Kirchenrecht 7 8 der Spätantike die Beurteilung der Abtreibung als Mord früh durch. S o vertritt Basileios der Große in einem seiner Briefe die Anschauung, daß die abtreibende Frau ebenso eine Mörderin sei w i e die Verabreicherin von Giften zur Abtreibung. 7 9 In der antiken Medizinliteratur wird die Abtreibung eher als ein notwendiges Übel im Krankheitsfall dargestellt denn empfohlen. 8 0 Das andere Vergehen

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Dig. 47,11,4; vgl. auch Dig. 48,19,39 (Tryphoninus) und Dig. 48,8,8 (Ulpianus) mit Ausweitung der Strafe auf unverheiratete und geschiedene Frauen; Strafe sollte Relegation sein; in den Novellen Justinians gibt es widersprüchliche Informationen, da die Abtreibung einmal als Scheidungsgrund erscheint, um dann wenige Jahre später nicht mehr erwähnt zu werden (Novell. Iust. 22,16,1; 117); Kommentar bei Cupane, Kislinger, Abtreibung in Byzanz (wie Anm. 73) 23-25, 25-27 über die Gesetzgebung bis einschließlich ins byzantinische Mittalter; vgl. dagegen Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 28 Anm. 84, der auf der Grundlage der Digestenstellen nicht von der Bestrafung der Abtreibung als solcher ausgeht.

76

Dig. 48,19,38,5: Qui ahortionis aut amatorium poculum dant, etsi dolo non faciant, tarnen quid mali exempli res est, humiliores in metallum, honestiores in insulam amissa parte bonorum relegantur. Quod si eo mutier aut homo perierit, summo supplicio adficiuntur. Gefängnis war die Strafe für humiliores, Verbannung und Vermögensentzug für die honestiores, Hinrichtung beim Todesfall; zur Giftmischerei vgl. den entsprechenden Abschnitt bei Theodor Mommsen, Römisches Strafrecht, Leipzig 1899, 635-637, 839 f.; CTh 11,36,1: Giftmischer verlieren ihr Appellationsrecht. - Die meisten mittelalterlichen Volksrechte (5.-9. Jahrhundert) bestrafen nicht die Eigenabtreibung, sondern die Person, die den Abort verursachte, dazu Andrea Kammeier-Nebel, Wenn eine Frau Kräutertränke zu sich genommen hat, um nicht zu empfangen ... Geburtenbeschränkung im frühen Mittelalter, in: Bemd Herrmann (Hg.), Mensch und Umwelt im Mittelalter, Frankfurt am Main 1989, 65-73, hier 67f. Zur Verbindung von Gift mit Liebestränken und Zaubermitteln im Mittelalter und dem Strafmaß der Todesstrafe in den Constitutiones von Melfi (1231) vgl. F.-J. Kuhlen, Gift, LdM 4, 1989, 1446-1447, hier 1447.

77

Quellen bei Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 66-72; Cupane, Kislinger, Abtreibung in Byzanz (wie Anm. 73) 29-31; vgl. auch J. T. Noonan, Contraception. A History of its Treatment by Catholic Theologians and Canonists, Cambridge 1966 (mir nicht zugänglich); zu der Kritik im antiken Judentum an Abtreibung vgl. Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 5 8 - 6 1 . Ab der Synode von Elvira (annähernde Datierung: zwischen 295 und 314 n. Chr.) beschäftigen sich die Kirchenversammlungen immer wieder mit der Frage der Abtreibung und den Strafen dafür (Taufverbot; Exkommunikation für eine unterschiedliche Anzahl von Jahren): Der entsprechende Canon 63 der Synode von Elvira behandelt den Fall der Abtreibung zur Vertuschung eines Ehebruches, dazu Eckhard Reichert, Die Canones der Synode von Elvira. Einleitung und Kommentar, Diss. Hamburg 1990, 190; vgl. Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 73; Aline Rousselle, Der Körper und die Politik. Zwischen Enthaltsamkeit und Fortpflanzung im Alten Rom, in: Pauline Schmitt Pantel (Hg.), Geschichte der Frauen, Bd. 1: Antike, Betr. d. dt. Ausg. v. Beate WagnerHasel, Frankfurt am Main 1993, 323-372, hier 369 und Cupane, Kislinger, Abtreibung in Byzanz (wie Anm. 73) 31-35 mit Behandlung der mittelalterlichen Kanonistik, ebd. 35-38 über die Bewertung der Abtreibung in den Bußbüchem. Bas. ep. 188,2; 8 (PG 32,672; 677); Clark, Women in Late Antiquity (wie Anm. 73) 86f. Quellen bei Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 43-48; als spätantike Stimme vgl. ebd. 48

78

79 80

Zur Rolle der Kaiserin

117

Eusebias, die Anstiftung zur Tötung eines Neugeborenen, dürfte sicherlich auch im römischen Recht Mord gewesen sein, die Tötung selbst wird jedenfalls in einem Gesetz des Jahres 374 als Kapitalverbrechen beurteilt.81 Die Aussetzung und Tötung Neugeborener wird sowohl von heidnischer wie von christlicher Seite abgelehnt. 82 Man kann daher auch bei einem heidnischen Autor wie Ammian von einer grundsätzlich negativen Einschätzung der Abtreibung und Kindstötung ausgehen. Einerseits verabreichte Eusebia also Gift zwecks Abtreibung, andererseits gab sie Kindsmord in Auftrag. Den Wiederholungsaspekt ihres Tuns bringt das abschließende iterative Imperfekt navabatur

zum Ausdruck. Aber auch durch seine Wortwahl (per

fraudem/illexit/

dolo) kennzeichnet Ammian die Machenschaften der Eusebia. Alles deutet auf List und Tücke. Zwar wird durch die passive Partizipialkonstruktion nicht grammatisch angezeigt, wer Helena nach Rom kommen ließ, aber als logisches Subjekt muß man wohl Eusebia annehmen. Als Motiv und Zweck dieser Tat nennt Ammian an dieser Stelle ohne Umschweife ihre eigene Kinderlosigkeit und die Ausschaltung möglicher Thronprätendenten. Was die Einnahme des Gifts betrifft, ist der Text hingegen nicht eindeutig. Der Konjunktiv Plusquamperfekt concepisset

liefert nämlich zwei mögliche Semantiken. Zum einen kann er die

Absicht Eusebias bezeichnen, durch die einmalige Verabreichung von Gift künftige Schwangerschaften Helenas jeweils mit einer Fehlgeburt zu beenden. 83 Dabei bleibt aber die

81

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83

die Kritik an der Abtreibung in der Schrift Euporista des Theodorus Priscianus (3,6,23; um 400 n.Chr.). CTh 9,14,1; CJ 9,16,7; in der spätantiken Gesetzgebung ist Infantizid verboten, die Situation bezieht sich wahrscheinlich auf die Tötung des Neugeborenen durch Eltern, nicht auf die Ermordung durch eine Hebamme bei Anstiftung durch eine dritte Person; vgl. auch CTh 9,15,1 und CJ 9,17,1, wo der Verwandtenmord an Eltern wie an Kindern unter Strafe gestellt wird. Aus der umfangreichen Literatur zum antiken Infantizid, der neben der Tötung von gesunden auch die behinderter Kinder und unterschiedlichste Formen der Aussetzung (mit Todesfolge oder als Findelkinder) sowie die Frage des Mädcheninfantizids umfaßt, nenne ich nur eine kleine Auswahl; zur Geschichte der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Infantizid vgl. Ruth Oldenziel, The Historiography of Infanticide in Antiquity. A Literature Stillborn, in: Josine Blok, Peter Mason (Hg.), Sexual Asymmetry, Amsterdam 1987, 87-107; Quellenangaben und Literaturübersicht zur eigentlichen Kindstötung und deren Beurteilung in der antiken Philosophie, der öffentlichen Meinung, im Christentum bei Eyben, Family Planning (wie Anm. 73) 14f„ 31-38, 48-50, 54f„ 66f.; umfangreiche Quellenangaben zu dem gesamten Themenkomplex immer noch bei Eduard Cuq, Infanticidium, DS 3, 1900, 488-493; H. Leclercq, Infanticide, DACL 7, 1926, 542-546; vgl. auch Thomas Wiedemann, Adults and Children in the Roman Empire, London 1989, Index s.v. infanticide, 218; zur Frage des Mädcheninfantizids vgl. Elisabeth Herrmann-Otto, Ex ancilla natus. Untersuchungen zu den „hausgeborenen" Sklaven und Sklavinnen im Westen des Römischen Kaiserreiches, Stuttgart 1994, 241 ff. Gegen Kindstötung durch Strangulation oder Aussetzung Lact. div. inst. 5,9,15; 6,20,17ff.; Canon 68 der Synode von Elvira behandelt den Fall einer ehebrecherischen Mutter, die ihr Kind im Bett erstickt hat; dazu Reichert, Synode von Elvira (wie Anm. 78) 195 f. So versteht Seyfarth, Ammianus (wie Anm. 41) 179, den Konjunktiv Plusquamperfekt als Ersatz des im Lateinischen nicht vorhandenen Konjunktivs Futur II (dazu Hans Rubenbauer, Johann B. Hofmann, Lateinische Grammatik, neubearb. v. R. Heine, 10. Aufl., München, Bamberg 1980, 269, Anm. 1) und somit das gesamte ut-quotienscumque-Gefüge als nachzeitig zu illexit, womit der

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Frage offen, wie eine einmalige Einnahme von Gift Befruchtung zulassen, aber das Austragen der Leibesfrucht verhindern soll. Eher denkbar ist als Ergebnis eines Gifttrunkes eine völlige Sterilität, die aber jede weitere Schwangerschaft verhindert hätte. Handelt es sich jedoch andererseits bei concepisset um einen iterativen Konjunktiv, 84 so muß Helena mehrfach schwanger gewesen sein und Eusebia ihr jeweils das Mittel zum frühzeitigen Verlust der Leibesfrucht verabreicht haben. Von der Vielzahl der in der Antike bekannten Abtreibungsmethoden war die orale Verabreichung in Form eines Trankes oder die Untermengung unter das Essen diejenige Form, die am ehesten ohne Wissen der betroffenen Schwangeren durchgeführt werden konnte. 85 Auch ist die Bestechung einer Hebamme denkbar. Wie steht es aber abgesehen von dieser prinzipiellen Machbarkeit um die Plausibilität des im Text geschilderten Geschehens? Der hier gelieferte Bericht Ammians steht im Widerspruch zu den von ihm im Vorangegangenen gegebenen Informationen über Eusebia: Warum hätte sie sich zweimal für Julian einsetzen, dann aber verhindern sollen, daß er Nachkommen hat? Das ergäbe nur einen Sinn, wenn Ammian mit dem im folgenden Kapitel der Res gestae erwähnten Gerücht, Julian sei an den gefährlichen Kriegsschauplatz Gallien entsandt worden, weil man sich seiner geschickt entledigen wollte (16,11,13), auf Constantius' und Eusebias gemeinsame Absicht hätte anspielen wollen. 86 Aujoulat hat zu Recht darauf hingewiesen, daß diese Methode, sich eines Konkurrenten zu entledigen, immerhin eine Gefährdung des Reiches bedeutet hätte, da mit Julians Tod die Einfälle der Barbaren nach Gallien weiter ein Problem bereitet hätten. 87 Auch ergäbe es vor diesem Hintergrund keinen Sinn, daß Eusebia als Patronin die Heirat zwischen Julian und Helena vermittelte. 88

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Plan im Vordergrund steht: „Sie hatte es (i. e. das Gift) eigens zu dem Zweck herstellen lassen, daß jene, sooft sie schwanger würde, das Kind vorzeitig verlieren würde." Zum iterativen Konjunktiv in quotienscumque-S'atzen in Analogie zu cum- und M-Sätzen vgl. Johann B. Hofmann, Anton Szantyr, Lateinische Syntax und Stilistik (HdAW 2, 2, 2), München 1965, 606; dazu vgl. Pieter de Jonge, Philological and Historical Commentary on Ammianus Marcellinus XVI, Groningen 1972, 139; als iterativen Konjunktiv mit Vergangenheitsbezug deutet auch Otto Veh die Form in seiner Übersetzung (Ammianus Marcellinus, Das Römische Weltreich vor dem Untergang, München 1974, Bd. 1, 114). Achim Keller, Die Abortiva in der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1988, 32-49: Zu den Mitteln, die oft im Laufe einer Therapie kombiniert wurden, gehörten verschiedenste Tränke, Breie, Zäpfchen, Räucherungen, Sitzbäder, Umschläge, vaginale Eingießungen. So Liselotte Karau, Das Bild der Frau in den Res gestae des Ammianus Marcellinus, Diss. Berlin (Ost) 1971,34. Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 431 f. zu Zosimos (3,1,3), der diesen Vorwurf direkt der Kaiserin macht. Daß der unerfahrene, wissenschaftlich interessierte junge Mann bestenfalls einen militärischen Sieg in Gallien im Namen des Kaisers würde erringen können, schlimmstenfalls aber, wenn er stürbe, ein weiterer Thronkonkurrent ausgeschaltet sei, ist nämlich Inhalt der Argumentation Eusebias. Ähnlich argumentiert Anfang des 5. Jahrhunderts Sokrates, der wegen der Verheiratung der Kaiserschwester Helena mit Julian Constantius' Absicht, Julian nach Gallien in den Tod zu schicken, bezweifelt (h. e. 3,1,16; PG 67,373B); ebenso Sozomenos h. e. 5,2,57 (PG 67.1217B). Bei diesen Quellen bleibt natürlich die christliche Parteinahme für den Christen Constantius und gegen den

Zur Rolle der

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Kaiserin

Sollte es sich bei concepisset

um einen iterativen Konjunktiv handeln, bleibt im Un-

klaren, mit welcher List Eusebia Helena dazu veranlassen konnte, das Gift mehrfach einzunehmen. Der Rombesuch des Constantius dauerte nur über den Mai 357 an, dasselbe dürfte wohl auch für Eusebias Romaufenthalt gelten (16,10,20). Als Julian 360 in Paris von den Soldaten zum Augustus erhoben wurde, war Helena jedenfalls seinem Bericht zufolge wieder in Gallien. 89 Wo weilten beide Frauen in der Zwischenzeit? Nach den Aufenthaltsorten des Constantius im Anschluß an den Rombesuch zu urteilen, hielt sich Eusebia, wenn man ihre Abreise aus Rom zusammen mit Constantius voraussetzt, wohl am ehesten längere Zeit in Sirmium auf. 9 0 Um mit Eusebia zusammenzubleiben, hätte Helena sie demnach nach Sirmium begleiten müssen. Von Sirmium aus hätte sie dann über beträchtliche Entfernungen nach Gallien hin Stippvisiten bei ihrem Mann machen müssen, um mehrfach schwanger zu werden. Wahrscheinlicher ist, daß Helena bereits vor 360 nach Gallien zurückkehrte, wo sie sich ja ab Winter 355 aufhielt. 91 Da Ammian (21,6,4) die Verheiratung des Constantius mit Faustina auf den Winter 360/361 datiert und Anfang 360 noch ein Gesetz zur Steuerbefreiung der Familie Eusebias publiziert wurde, geht Seeck davon aus, daß Eusebia zu Beginn des Jahres 360 noch lebte. 92 Genauere Aussagen über ihr Todesdatum als diese Eingrenzung zwischen Frühjahr und Winter 360 lassen sich nicht formulieren. Wahrscheinlich hatte sie in jenem Jahr den Kaiser in den Osten begleitet, vielleicht, um in einer der Residenzen zu bleiben, vielleicht aber auch, um mit ihm auf den Feldzug zu gehen. 93 Für ihren Aufenthalt im Osten spricht auf jeden Fall, daß sie als erste Frau der kaiserlichen Familie in Konstantinopel bestattet wurde. 9 4 Im selben Jahr muß Helena gestorben sein. Laut Ammian (21,1,5) schickte Julian nämlich vor seinem fünfjährigen Regierungsjubiläum im November 360 9 5 die Leiche seiner Frau aus Gallien zur Bestattung nach Rom. Helena war also im Westen des Reiches ver-

Heiden Julian zu berücksichtigen. Außerdem weiß Zosimos (3,2,3) zu berichten, daß Eusebias Einsatz für Julian über die Abreise nach Gallien hinaus fortdauerte. Denn die Kaiserin habe sich beim Kaiser für eine Erweiterung der Kompetenzen Julians in Gallien eingesetzt. Es sieht also nicht so aus, als hätte die Kaiserin mit der Verheiratung Julians mit Helena, die vor der Abreise stattfand, ihr Engagement für Julian eingestellt; vgl. dazu Karau, Frau in den Res gestae (wie Anm. 86) 54. 89 90

Jul. ad Ath. 284C. Von den RIC VIII (1981, 2 7 - 2 8 ) aufgeführten Aufenthaltsorten des Constantius in den Jahren 357 bis 359 (nach seinem Rombesuch und vor seinem Aufbruch an die Ostfront) waren Sirmium und Konstantinopel Residenzstädte; des Constantius längster Aufenthalt in einer Residenzstadt in jener Zeit ist der in Sirmium ( 2 7 . 1 0 . 3 5 7 - 3 . 3 . 3 5 8 ; 2 1 . - 2 3 . 6 . 3 5 8 ; 1 9 . 1 2 . 3 5 8 - A n f a n g 359, 22. bis 2 8 . 5 . 3 5 9 ) ; so auch Otto Seeck, Regesten der Kaiser und Päpste für die Jahre 311 bis 476 n.Chr., Stuttgart 1919 ( N D 1964), 4 8 0 - 4 8 3 .

91

Der Heiratstermin und die Entsendung Julians nach Gallien liegen nach Amm. 15,8,17-18 im November 355.

92

Seeck, Eusebia (wie Anm. 70) 1366; CTh 11,1,1 vom 1 8 . 1 . 3 6 0 . Aufenthaltsorte des Constantius für das Jahr 360 nach RIC VIII (1981, 28): Konstantinopel, Caesarea, Melitene, Lacotene, Samosata, Edessa, Amida, Bezabde, Hierapolis, Antiochia.

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Barbara Tröger, Posthume Ehrungen für die christlichen Kaiser des 4. Jahrhunderts, Diss. Mannheim 1991, 44f., 133.

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Seyfarth, Ammianus (wie Anm. 41) 201 Anm. 3.

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storben, ohne über längere Zeit mit Eusebia zusammengewesen zu sein. Die mehrfache Verabreichung von Gift könnte Eusebia demnach nur über Mittelspersonen bewerkstelligt haben. Nun finden sich bei Libanios Vorwürfe, Julian selbst habe Helena vergiftet. In seiner 37. Rede, die Libanios seinem Freund, dem ehemaligen consularis von Phoenice, Polycles, gewidmet hat, führt er mit diesem ein Streitgespräch. Polycles behauptet dort, Julian habe den Schmuck seiner Mutter dazu benutzt, um einen Arzt zu bestechen, seine Ehefrau Helena zu vergiften. Polycles muß aber in dieser Rede zugeben, daß er diese Aussage lediglich als Gerücht von einem Mitarbeiter des Elpidius, der 360/61 ppo orientis

war, vernommen

habe. 96 Sollte diese Meldung auch Ammian bekannt gewesen sein, der wahrscheinlich in Briefkontakt mit Libanios stand,97 so könnten die Vorwürfe gegen Eusebia als Verteidigung des von ihm als ideal stilisierten späteren Kaisers, 98 gewissermaßen als Ablenkungsmanöver zu deuten sein. Erstaunlicherweise äußert Julian selbst sich in seinem „Rechtfertigungsschreiben an die Athener" nicht zu der Ermordung seines eigenen Kindes und den Giftattentaten auf seine Frau. Da er dort aber sämtliche panegyrischen Fesseln abgestreift hat und die Familienmorde des Constantius so deutlich erwähnt, 99 wäre es seltsam, wenn er sich bei dieser Thematik Zurückhaltung auferlegt hätte. Für die Kinderlosigkeit der Eusebia gibt es verschiedene antike Quellen,' 00 von Machenschaften Eusebias gegen Helena weiß jedoch nur Ammian. 101 Der Bericht Ammians hat in der Vergangenheit viele Interpreten auf den Plan gerufen, die für oder gegen Eusebia Position bezogen. 102 Anstelle einer moralischen Einschätzung der Persönlichkeit Eusebias möchte ich im folgenden zwei andere Erklärungsansätze vorschlagen.

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Lib. or. 37,3-11; dazu Roger Pack, Note on a Progymnasma of Libanius, AJPh 69, 1948, 299-304; prosopographisch ist jener Elpidius, dessen Amtsgehilfe als Gewährsmann des Gerüchtes in der Rede des Libanios erscheint, schwer zu fassen, ebd. 303 mit Anm. 15. Hinzu kommt das Problem, wie der Informationsstand im Amt eines Präfekten im Ostteil des Reiches über Ereignisse in Gallien bzw. in einer der westlichen Residenzen einzuschätzen ist. In der Kontroverse, ob ein persönlicher Kontakt zwischen Ammian und Libanios bestand, hat Charles W. Fornara, Studies in Ammianus Marcellinus I: The Letter of Libanios and Ammianus' Connections with Antiochia, Historia 41, 1992, 328-344, sich dagegen ausgesprochen, während Klaus Rosen, Ammianus Marcellinus, Darmstadt 1982, 22, 26 f., sowie Matthews, Ammianus (wie Anm. 10) 8 f., 478 f. Anm. 1, dafür plädieren. Beispiele dafür, wie sehr Ammian in seiner Darstellung Parteilichkeit für Julian beweist, bei Rosen, Ammianus (wie Anm. 97) 140ff. und dems., Studien zur Darstellungskunst und Glaubwürdigkeit des Ammianus Marcellinus, Diss. Heidelberg 1968, Teil 1, 10-178; vgl. auch Edward A. Thompson, The Historical Work of Ammianus Marcellinus, Groningen 1969,42 ff., 72 ff. Jul. ad. Ath. 270C-D. Philost. h. e. 4,7; Zon. 13,11,30. Karau, Frau in den Res gestae (wie Anm. 86) 38. Hier sei nur auf die Kritik Wagners und Lindenbrogs an Eusebia verwiesen (Ammiani Marcellini quae supersunt, cum notis integris Frid. Lindenbrogii, Henr. et Hadr. Valesiorum et Iac. Gronovii, quibus Thom. Reinesii quasdam et suas adiecit Io. Aug. Wagner, Editionem absolvit Car. Gottl. Erfurdt, Tom. II, Leipzig 1808, 217f.). Edward Gibbon, The History of the Decline and Fall of the Roman Empire, Leipzig 1829, Bd. 2, 159 Anm. 39, hingegen möchte nicht an eine Schuld der Eusebia glauben. Johannes Geffcken, Kaiser Julianus, Leipzig 1914, 25, zweifelt an der Existenz von

Zur Rolle der Kaiserin

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D i e diskurstheoretische Analyse der Beziehungsmuster am Beispiel der Annalen des Tacitus zeigt, daß das Handeln zwischen Frauen („intra-gender") in der Wahrnehmung des antiken Historikers oft negativ gesehen wird. 1 0 3 Eine Möglichkeit, sich nicht dieser Sicht weiblichen Verhaltens anzuschließen und nicht mit der anthropologischen Konstante weiblicher Machenschaften zu operieren, bietet im Falle der Frauen des Kaiserhauses das Modell der höfischen Konkurrenz. Interpretiert man diese Ereignisse im Rahmen höfischer Interaktion, dann ist davon auszugehen, daß A m m i a n hier ein Bild für höfische Konflikte gefunden hat, die sich in Form einer Intrige 1 0 4 manifestieren. In antiken Berichten haben Giftattentate in republikanischer Zeit häufig die Konnotation des Weiblichen, 1 0 5 seit der Kaiserzeit die des Höfischen. 1 0 6 Als Akteure von Giftmischerei und Vergiftung werden auch in der Kaiserzeit bevorzugt Frauen erwähnt. Im Zusammenhang mit weiblichen Mitgliedern des Kaiserhauses kann man fast v o m topischen Charakter der Giftattentate sprechen 1 0 7 - es sei hier nur auf die Vorwürfe g e g e n die Kaiserinnen L i v i a 1 0 8 und Agrippina 1 0 9 s o w i e

gegen

Kindern aus der Verbindung Julians und Helenas, da Julian sich nichts aus Frauen gemacht habe. Zur Tat der Eusebia heißt es: „... eine Abscheulichkeit, die man der Kaiserin kaum wird zutrauen dürfen." Weitere Positionen bei Karau, Frau in den Res gestae (wie Anm. 86) 176 Anm. 64, und Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 437f. - In der PLRE (I, s.v.) werden weder Eusebias Kinderlosigkeit noch ihre angeblichen Machenschaften angeführt. Unter dem Stichwort „Helena" findet man unter Hinweis auf die Ammianstelle einen Vermerk über die Fehlgeburt, das Abortivum wird aber nicht erwähnt. 103

Späth, Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus (wie Anm. 4) 33-57. Zur Intrige als Teil höfischer Kommunikation vgl. Winterling, Hof (wie Anm. 23) 18. 105 29,2,19 bringt Ammian das exemplum einer anonymen Giftmischerin, die sich vor dem Proconsul Dolabella zu verantworten hat; zur frühen römischen Geschichte vgl. Deißmann, Aufgaben (wie Anm. 34) 508-511; besonders die Essenszubereitung und die Medikamentenherstellung (z.B. war eine Apotheke an den Bona-Dea-Tempel angeschlossen) als weibliche Aufgaben sind laut Deißmann Gründe für diese Konnotation der Giftmischerei als weiblich; M. Jean-Marie Pailler, Les matrones romaines et les empoisonnements criminels sous la Republique, CRAI 1987, 111-128, hat ebenfalls auf die Kulte hingewiesen, in denen die matronae erlaubte Drogen herstellten, und die von Livius geschilderten Prozesse wegen Giftmischerei (331 v.Chr.: 8,18,4-13 und 180 v.Chr.: 40,37) in Verbindung mit der Angst der Bevölkerung vor der Pest/Seuche als Sühnung (expiatio) gedeutet. 104

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Tac. ann. 15,45,3; 15,60,2: mißlungenes Giftattentat Neros auf Seneca; 16,6,2: Gerücht über Vergiftung Poppaeas durch Nero; Hist. Aug. Hadrian 23,9: angebliche Vergiftung Vibia Sabinas durch Hadrian; Vergiftung des Kaisers Jovian bei Eun. hist. frg. 29,1 (Blockley); vgl. die einschlägigen Stellen bei Louis Lewin, Die Gifte in der Weltgeschichte. Toxikologische allgemeinverständliche Untersuchungen der historischen Quellen, Berlin 1920 (ND Hildesheim 1983), 189-202, der aus medizinischer Warte von Caesar bis Caracalla fast jeden der Kaiser eines oder mehrerer Giftmorde überführen zu können glaubt. Vgl. Alphons A. Barb, Gift, RAC 10, 1978, 1209-1247, hier 1225 f., 1237-1239. Tac. ann. 1,5,1; Cass. Dio 56,30,1-2; dazu Perkounig, Livia (wie Anm. 4) 93-105; Purcell, Livia (wie Anm. 36) 95, Anm. 99 auf 105, verweist auf die (um 400 n.Chr. verfaßte [!]) pharmazeutische Schrift des Marcellus de medicamentis, in der verschiedene Rezepte berühmten Frauen des Kaiserhauses zugeschrieben werden, u. a. auch der Livia. Tac. ann. 12,66.

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Livilla, 110 Frau des präsumptiven Tiberiusnachfolgers Drusus, verwiesen, die ihre Ehemänner vergiftet haben sollen, und auf die am julisch-claudischen Hofe beschäftigte Giftmischerin Lucusta. 111 In der Spätantike trifft der Vorwurf der Giftmischerei die Frauen nicht seltener als zuvor, 112 und im sechsten Jahrhundert beschreibt Prokop die Affinität der Kaiserin Theodora zu Giftmischern und Magiern. 113 Ammian macht sich somit diese Topik der weiblichen Giftattentate am Hofe zunutze, um besonders deutlich neben der Opposition der Charaktere Julian und Constantius auch die Helenas und Eusebias herauszuarbeiten. Im Unterschied zu den vorgeführten Belegen für Giftattentate am Hofe, die die Vergiftung eines Erwachsenen mit Todesfolge bezeichnen, liegt allerdings im Falle Eusebias und Helenas eine Schädigung und nicht die Ermordung einer Konkurrentin durch Gift vor. Welcher Art konnte nun die Konkurrenz zwischen den Frauen eines Hofes sein? Die Antwort liefert der Panegyrikus auf Trajan: Im Lob auf Plotina und Marciana hebt Plinius das Fehlen jeglichen Wettstreites zwischen den beiden Frauen, der Kaiserin und der Kaiserschwester, hervor. Dabei bedient er sich agonalen Vokabulars aemulatiolcertamenlcontenf/'o.114 Gegen den Strich gelesen bedeutet dieses Lob des Plinius, daß gerade Konkurrenzkämpfe unter den Frauen des Hofes in der antiken Vorstellung typisch waren. Dieser Konkurrenzkampf konnte um die Gunst 1 1 5 des Herrschers geführt werden. Auch hier spricht Plinius wieder eine deutliche Sprache: Suspiciunt invicem invicem cedunt, cumque te utraque effusissime diligat, nihil sua putant interesse, utram tu magis ames.U(> Was nun das familiale Verhältnis Helenas und Eusebias im möglichen Wettstreit um die kaiserliche Gunst betraf, so war es ja dasselbe wie das bei Plinius beschriebene: Kaiserschwester und Kaiserin. Deutet Plinius nur an, daß diese Gunst dann auch den Vortritt 117 bei

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Tac. ann. 4,3; 4,10. Konrat Ziegler, Lucusta (2), KP1 3, 1969, 769. Z. B. das vermeintliche Giftattentat der Tochter des Visigotenkönigs Theoderich gegen ihren Schwiegervater, den Vandalenkönig Geiserich, bei Priscus 5,20,2 (Blockley); vielleicht ist der Grund dieser Anschuldigung aber auch die Verschlechterung der diplomatischen Beziehungen zwischen Goten und Vandalen. - Zu den gespaltenen Loyalitäten als Erklärungsmodell für höfische Konflikte vgl. unten S. 123; zur Verbindung von Gift und Frauen des Kaiserhauses in der Spätantike vgl. auch Clark, Women in Late Antiquity (wie Anm. 73) 85, die darauf hinweist, daß immerhin das besterhaltene Pflanzenbuch der Spätantike, der Wiener Kodex der Materia medica des Dioskurides, einer Frau gewidmet wurde, nämlich Anicia Juliana, Tochter des Kaisers Olybrius (um 512 n.Chr.; ebd. 69). Procop. arc. 22,27; 22,32. Plin. pan. 84,2-3, zum Konkurrenzkampf um Prestige als Charakteristikum höfischer Gesellschaft vgl. Norbert Elias, Die höfische Gesellschaft, Darmstadt 1969 ( N D Frankfurt am Main 1983), 152f. Zur Gunst als Charakteristikum höfischer Kommunikation und zur daraus resultierenden Hierarchie nach dem Grad der herrscherlichen Gunst vgl. Winterling, Hof (wie Anm. 23) 16 f. Plin. pan. 84,4: „Sie verehren einander und räumen sich gegenseitig den Vorrang ein; und da beide dich auf das ausgiebigste lieben, messen sie dem Umstand keinerlei Bedeutung bei, welche von beiden du mehr liebst." So die Ubersetzung von cedere in Werner Kuhns zweisprachiger Ausgabe des Panegyrikus.

Zur Rolle der

Kaiserin

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Hofe bestimmt, so ist eine Herodianstelle deutlicher. Jener weiß vom Konkurrenzkampf um den Rang am Hofe in der Beziehung zwischen Julia Mamaea und Sallustia Orbiana, der Ehefrau des Alexander Severus, zu berichten: Julia Mamaea habe keine zweite Kaiserin ertragen und daher die Hinrichtung des Vaters ihrer Schwiegertochter sowie die Verbannung jener verordnet. 118 Eine ähnliche Situation ergibt sich im 6. Jahrhundert, als Kaiserin Sophia vor dem Tode des verrückten Justin II. Tiberius zum Caesar erhebt, ihn aber schwören läßt, sie auch nach dem Ableben des Kaisers zu ehren. Während der vier Jahre, die Tiberius Caesar war, verweigerte Sophia seiner Ehefrau Anastasia den Einzug in den Palast, da sie selbst nicht die Herrschaft aufgeben könne oder zulassen wolle, daß eine andere Frau den Palast betrete. 119 Rivalität um den führenden Rang war auch das Hauptbeziehungsmuster zwischen Aelia Eudokia Augusta und Pulcheria Augusta, der Ehefrau und der Schwester Theodosius' II. 120 Ein anderer Grund für Konflikte konnten unterschiedliche Parteiungen des Hofes sein, die gerade bei allianzstiftenden Ehen innerhalb von Herrscherfamilien bzw. zwischen der Herrscherfamilie und anderen mächtigen Familien in den gespaltenen Loyalitäten der beteiligten Frauen begründet lagen: Während z.B. die Mutter oder weibliche Verwandte des Herrschers auf dessen Seite standen, war die Ehefrau oft nicht nur dem Ehemann, sondern auch ihrer Ursprungsfamilie verpflichtet. 121 Ähnlich ist in der von Ammian beschriebenen Konstellation die Stellung Helenas als Schwester des Constantius. Ihre Verheiratung mit Julian bedeutete eine Art Friedensabkommen des Constantius mit dem letzten Überlebenden des von Theodora, der legitimen Ehefrau des gemeinsamen Großvaters Constantius Chlorus, abstammenden Familienzweiges. Constantius dagegen war ein Enkel Helenas, der Konkubine des Constantius Chlorus. 122 Innerhalb dieser beiden dynastischen Zweige hatte Helena durch ihre Heirat gewissermaßen die Seiten von den Helenanachkommen Konstantins zu dem Theodorazweig gewechselt, was nun aus der Warte der antiken Zeitgenossen die Opposition ihrer Schwägerin Eusebia hätte verständlich machen können. Allerdings muß sogleich eingeräumt werden, daß Ammian diesen Widerspruch zwischen der damals sicher allseits bekannten und nachvollziehbaren dynastischen Opposition der beiden Ehepaare (Eusebia/Constantius vs. Helena/Julian) und dem Eintreten Eusebias für Julian in seiner Schilderung nicht auflöst. Helena bezieht in Gallien jedenfalls Position für ihren Ehemann und gegen ihren Bruder, da der Offizier ihrer Eskorte Julian bei seiner Erhebung zum Augustus gegen die Constantiusanhänger beschützt. 123

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Herodian 6,1,9-10. Averil Cameron, The Empress Sophia, Byzantion 45, 1975, 5 - 2 1 , hier 16f. Holum, Theodosian Empresses (wie Anm. 5) 130f., 175-194. Vgl. dazu oben Anm. 70. Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 421 f.; auf 4 5 0 vertritt er sogar die Meinung, daß der Tod beider Frauen eine Verständigung zwischen Constantius und Julian nach dessen Erhebung zum Augustus verhindert hätte; auf die Schwierigkeit, die Todesdaten zu bestimmen, geht er dabei nicht ein. Jul. ad. Ath. 285 B - C ; Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 99 f.

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Auch der Stellenwert der einzelnen Frau im dynastischen Gefüge, z. B. ihr Verwandtschaftsgrad mit der Kaiserfamilie oder einer wichtigen aristokratischen Familie dürfte bei solchen Konflikten und ihrer Beschreibung in den antiken Quellen eine Rolle gespielt haben. Helena hatte im Gegensatz zur Kaiserin Eusebia in dieser Hinsicht die gleichen Qualifikationen wie ihre Schwester Constantina vorzuweisen, sie war verwandt mit zwei Kaisern: Tochter Konstantins d. Großen und Schwester des Constantius. Diese dynastische Position hatte in der Wahrnehmung Ammians gerade bei Constantina zu Überheblichkeit geführt (14,1,2), über Helena macht er keine derartigen Mitteilungen. Abgesehen vom Extremfall des Endes der jeweiligen Dynastie konnten bereits andere Verschiebungen, wie im vorliegenden Fall der Eusebia und Helena bei einer möglichen Änderung der Nachfolgeregelung denkbar, im Hofgefüge zur Entmachtung einer Kaiserin führen. Rivalitäten zwischen den Frauen des Kaiserhauses hatten somit politischen Charakter, dabei konnte auch ihrer Fruchtbarkeit entscheidende Bedeutung zukommen. 124 Tacitus schildert, wie die Entzweiung des Hofes in eine Drusus- und Germanicuspartei auch die Frauen der Tiberiussöhne betraf: Livilla und Agrippina Maior gerieten dadurch in eine Konkurrenzsituation, Agrippina trug aufgrund ihrer vielen Kinder und ihres Ruhmes (fecunditas ac fama) zeitweilig den Sieg davon. 125 Strukturell damit vergleichbar ist die Konkurrenz unter Frauen anderer, polygamer Monarchien, wie z.B. Belege aus hellenistischen Dynastien 126 , der osmanischen Reiche 1 2 7 oder Chinas 128 zeigen. Es geht dabei stets um den nachfolgeberechtigten Nachwuchs.

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Zu der Fokussierung der taciteischen Annalen auf Fruchtbarkeit der Frauen des Kaiserhauses in Verbindung mit der potentiellen Nachfolge vgl. Späth, Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus (wie Anm. 4) 6 4 - 6 7 mit Quellenbelegen; vgl. auch Dorothee Schürenberg, Stellung und Bedeutung der Frau in der Geschichtsschreibung des Tacitus, Diss. Marburg/Lahn 1975, 42, 100-103. Tac. ann. 2,43,6. Elizabeth D. Carney, Olympias, AncSoc 18, 1987, 35-62, hier 37-40: Konkurrenzkämpfe unter den Frauen des makedonischen Hofes zur Nachfolgeabsicherung ihrer Söhne als Folge der Polygamie. Im osmanischen Bereich tritt neben das Prinzip der Polygamie noch die Unsicherheit der Nachfolgeregelung durch fehlende Primogenitur, vgl. Gülru Necipoglu, Architecture, Ceremonial and Power. The Topkapi Palace in the Fifteenth and Sixteenth Centuries, New York 1991, 162; Pars Tuglaci, Osmanli Saray Kadinlari - The Ottoman Palace Women, Istanbul 1985, liefert einige Beispiele für höfische Konflikte des 17. und 19. Jahrhunderts zwischen den Frauen des Harems, die aus dem Prinzip der hierarchischen Staffelung der Kadins, d. h. Sultansfrauen und der ihnen nachgeordneten Favoritinnen, resultierte, wobei diese Hierarchie grundsätzlich durch die Sultansgunst aufgehoben werden konnte. Ulrike Jugel, Politische Funktion und soziale Stellung der Eunuchen zur Späteren Hanzeit (25-220 n.Chr.), Wiesbaden 1978, 218f.; als Beispiel für diese Konkurrenz vgl. am chinesischen Hof des 1. Jahrhunderts n. Chr. den Kampf der kinderlosen Kaiserin Tou gegen die Kaiserinnen Sung und Liang, die Söhne hatten, ebd. 389 f. In den Quellen der Mingdynastie erscheint dann dem vorliegenden spätantiken Fall vergleichbar der Vorwurf gegen Wan, eine Favoritin des Kaisers Ch'eng-Hua, bei zahllosen Nebenfrauen des Kaisers Abtreibungen verursacht und einige gar vergiftet zu haben; vgl. dazu Ellen Soulliere, Imperial Women in the History of the Ming Dynasty (1368-1644), in: Garlick (Hg.), Stereotypes of Women in Power (wie Anm. 6) 121-140, hier 136;

Zur Rolle der Kaiserin

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Zwar wird zwischen einer Kaiserin und einer Caesarenehefrau als Schwägerinnen im Hinblick auf die Erstgeburt nicht die gleiche Konkurrenz geherrscht haben wie zwischen den Ehefrauen polygamer Monarchen, da die Nachfolgeregelung nicht von vornherein verschiedene potentielle Herrschermütter vorsah. Bereits in der julisch-claudischen Dynastie kam es jedoch zu regelrechten Nachfolgekomplotten unter Beteiligung der jeweiligen Mütter. 129 Um so größer war der Druck auf die Kaiserin in der Spätantike, da aufgrund der Steigerung des dynastischen Prinzips der Absicherung der Dynastie durch Thronfolger (aus dem engsten Familienkreise) große Bedeutung beigemessen wurde. 130 Unfruchtbarkeit konnte somit für eine Kaiserin zum Stigma werden und sie in Konkurrenz zu einer gebärfähigen Verwandten bringen. Hinzu kommt, daß die Geburt eines thronfolgeberechtigten Sohnes für die Kaiserin eine Option auf eine zukünftige Machtposition als Kaiserinmutter bedeutete und von daher besonders wünschenswert war. 131 Da die Ehe des Constantius und der Eusebia im Jahre des Rombesuches 357 bereits vier Jahre kinderlos war und es bis dahin bereits sechs Usurpationen gegeben hatte, hat Aujoulat von einer Fixierung des Hofes auf die Nachfolgefrage gesprochen. 132 Der zweite Erklärungsansatz der von Ammian vorgestellten Ereignisse soll ein medizinischer sein: Robert Etienne 133 hat bei seiner Auswertung der demographischen Daten der Kaiserfamilien des 4. Jahrhunderts vermutet, daß Eusebia durch den Gebrauch der gleichen abortiven Mittel, die sie Helena gegeben habe, selbst unfruchtbar geworden sei, und verweist dazu auf die Koinzidenz, daß gerade der Leibarzt Julians,

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über Kinderlosigkeit in bestimmten Phasen der Mingperiode (1368-1644) und daraus resultierende Nachfolgekonflikte und Konkurrenz zwischen der Kaiserin und den Nebenfrauen, ebd. 131 f.; Rivalitäten zwischen den Frauen anderer chinesischer Dynastien, ebd. 135. Eckhard Meise, Untersuchungen zur Geschichte der julisch-claudischen Dynastie, München 1969; Agrippina Maior vs. Livilla (und Sejan), 49-90 und Agrippina Minor vs. Messalina, 142, jeweils im Kampf um die Nachfolge der Söhne; zu einem ähnlichen Ergebnis über den Zusammenhang weiblicher Intrigen und Nachfolgeregelung kommt auch Linda W. Rutland, Women as Makers of Kings in Tacitus' Annais, CW 72,1, 1978, 15-29; vgl. auch Späth, Männlichkeit und Weiblichkeit bei Tacitus (wie Anm. 4) 52 und Schürenberg, Frau in der Geschichtsschreibung des Tacitus (wie Anm. 124) 9, 32f.,41. Zur Bedeutung des dynastischen Prinzips in der Spätantike vgl. Alexander Demandt, Die Spätantike. Römische Geschichte von Diocletian bis Justinian 284-565 n.Chr. (HdAW 3, 6), München 1989,217. Flaig, Loyalität ist keine Gefälligkeit (wie Anm. 55) 290, betont, wie entscheidend im Patronagesystem der Kaiserzeit die Nähe zum Kaiser war. Kaisernähe habe allerdings auch Kampf um die Nähe zum zukünftigen Kaiser bedeutet. Daraus ergibt sich aber für die Position der Kaiserin als potentieller Kaiserinmutter, daß sie durch die Nähe zum zukünftigen Kaiser zu den besonders privilegierten Personen gehörte. Aujoulat, Eusebie (wie Anm. 17) 83, 94; Usurpatoren waren: Magnentius 350-353, Vetranio 350, Nepotianus 350, Africanus 355, Marinus 355, Silvanus 355. Robert Etienne, La demographie des familles imperiales et senatoriales au IVe siecle apres J. C., in: Transformation et conflits au IVe siecle ap. J.-C., Colloque organise par la Föderation Internationale des Etudes Classiques, Bordeaux 7. au 12. Septembre 1970, Bonn 1978, 133-168 + 16 Tafeln; hier 139, 158.

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O r e i b a s i o s , 1 3 4 z a h l r e i c h e R e z e p t e zur V e r h ü t u n g in s e i n W e r k a u f g e n o m m e n hat. O b e s s i c h d e m z u f o l g e bei d e m v o n L i b a n i o s in s e i n e n P r o g y m n a s m a t a 1 3 5 b e s c h r i e b e n e n h y p o t h e t i s c h e n Fall e i n e s A r z t e s , der G i f t verabreicht, u m e i n e A n s p i e l u n g auf O r e i b a s i o s und s o m i t u m e i n e n Z u s a m m e n h a n g mit der bereits e r w ä h n t e n R e d e d e s L i b a n i o s über e i n e n G i f t a n s c h l a g Julians auf H e l e n a handelt, m u ß o f f e n b l e i b e n . 1 3 6 D e r K i n d s t o d durch das z u kurze A b s c h n e i d e n der N a b e l s c h n u r ist allerdings e i n T h e m a der antiken Medizinliteratur. S o r a n u s ' G y n a e c i a findet s i c h e i n g a n z e s Kapitel e i g e n s z u d i e s e m T h e m a .

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In

Er vertritt d i e

M e i n u n g , die N a b e l s c h n u r m ü s s e v i e r F i n g e r v o m B a u c h d e s N e u g e b o r e n e n entfernt a b g e schnitten w e r d e n . ' 3 8 D a laut S o r a n u s die H e b a m m e n aus e i n e m g e w i s s e n A b e r g l a u b e n heraus unsterile G e g e n s t ä n d e z u m A b t r e n n e n der N a b e l s c h n u r benutzten und dadurch d e n N e u g e b o r e n e n S c h a d e n z u f ü g t e n , 1 3 9 ist v o r d i e s e m Hintergrund e i n e natürliche T o d e s u r s a c h e für das erste K i n d H e l e n a s denkbar. Für e i n e n n a t ü r l i c h e n 1 4 0 T o d spricht a u ß e r d e m d i e h o h e Kinder- und S ä u g l i n g s s t e r b l i c h k e i t der A n t i k e , die auch in r e i c h e n V e r h ä l t n i s s e n w i e d e n e n der k a i s e r l i c h e n F a m i l i e e i n e R o l l e g e s p i e l t hat. 1 4 1

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Sowohl im fragmentarisch als auch im vollständig überlieferten Schrifttum des Oreibasios' ist die Gynäkologie abgehandelt, vgl. dazu Heinrich O. Schröder, Oreibasios, R E Suppl. 7, 1940, 7 9 7 - 8 1 2 , hier 8 0 0 - 8 0 3 ; Etienne, Demographie (wie A n m . 133) 139, Anm. 29, verweist auf angeblich 89 Rezepte des Oreibasios zur Verhütung; zu Oreibasios' Abhängigkeit von Galen und Dioskurides vgl. Keller, Abortiva (wie Anm. 85) 79 und die Beispiele f ü r die bei ihm überlieferten Rezepturen ebd. 7 9 - 8 2 .

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Libanios KaiäiaTQOt) (paynaxew:;. Pack, Progymnasma (wie A n m . 96) 299, 302. 137 Sor. Gynaecia 2,6 (Les Beiles Lettres): jiük ö|.icpa>.OTO|XT)TEOv („Wie der Nabel abzuschneiden ist."). 138 Sor. Gynaecia 2 , 6 , 4 - 6 . 139 Sor. Gynaecia 2 , 6 , 6 - 1 3 ; Es handelt sich dabei um Glasscherben, Schilfrohr, Tonscherben oder Brotkrusten anstelle eines Eisenmessers. 14(1 Burguiere, Gourevitch, Malinas gehen in ihrem K o m m e n t a r zu Soranus (Bd. 2, Paris 1990, 86, A n m . 106) unter Bezugnahme auf die Ammianstelle von einer genetischen Ursache beim Tod des Kindes aus, da Helena bereits vorher mehrere Fehlgeburten gehabt habe. Die zeitliche Reihenfolge ist aber bei A m m i a n umgekehrt. Zudem ist die von ihm beschriebene Ursache der Fehlgeburten durch Fremdeinwirkung hervorgerufen. 136

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Valerie French, Midwives and Maternity Care in the Roman World, in; Marilyn Skinner (Hg.), Rescuing Creusa. N e w Methodological Approaches to W o m e n in Antiquity, Lubbock 1987, 6 9 - 8 4 , hier 69; Beryl Rawson, The R o m a n Family, in: dies. (Hg.), The Family in Ancient Rome, London, Sydney 1986, 1 - 5 7 , hier 8 - 1 2 ; auf 12 verweist sie darauf, daß von den Kaisern von 1 4 - 2 0 0 n . C h r . lediglich Claudius, Vespasian und Marcus Aurelius einen eigenen Sohn hatten; f ü r Livia ist bei Suet. Aug. 63,1 eine Fehlgeburt nach ihrer Eheschließung mit Octavian-Augustus belegt, dazu Perkounig, Livia (wie A n m . 4) 53 mit A n m . 232. - Von einem ähnlichen Nachwuchsmangel im byzantinischen Kaiserhaus berichtet Cameron, Empress Sophia (wie A n m . 119) 20: Für den Zeitraum von 401, der Geburt des Theodosius II., bis 590 ist die Geburt des Theodosius III. als Sohn des Kaisers Maurikios die erste eines porphyrogenneten Erben. Das m a g in diesem Zeitraum z . T . an zu später Eheschließung liegen - Pulcheria war z. B. über 50, als sie Markian heiratete, zudem hatte sie ein Keuschheitsgelübde abgelegt - , andererseits scheinen der frühe Tod des zehnmonatigen Leo II. (kurz vor der Erhebung seines Vaters, des Heermeisters Zeno, zum Mitkaiser ge-

Zur Rolle der Kaiserin

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Des weiteren geht Etienne bei seiner Vermutung über Eusebias Gebrauch des Abortivums nicht der Frage nach, warum sie als Kaiserin ihre eigene Schwangerschaft hätte unterbrechen sollen, außer in dem Falle, daß eheliche Untreue nicht zu kaschieren gewesen wäre. 1 4 2 Gerüchte darüber finden sich in den antiken Quellen nicht. Die von Etienne aufgelisteten Todesursachen der weiblichen Angehörigen der konstantinischen, valentinianischen und theodosianischen Dynastie lassen einen ganz anderen Schluß zu: Von den 2 4 1 4 3 bei ihm aufgeführten Frauen starben immerhin sechs an den Folgen einer Schwangerschaft, Fehlgeburt oder den Behandlungsmethoden gegen Sterilität. Auch für Constantina, die Schwester des Constantius, nimmt Etienne den Tod bei der Geburt eines Kindes an. 1 4 4 Hinzu kommen einige ungeklärte Todesfälle, 1 4 5 die wie im Falle der Stilichotochter Maria durchaus durch das Laborieren an Mitteln zur Empfängnis verursacht worden sein könnten. 1 4 6 Bereits Tacitus hatte Nero in der Totenrede auf Poppaea deren Mutterschaft hervorheben und auf ihre anderen fortunae

munera

hinweisen lassen, ein Ausdruck, der trotz der Bedeu-

tung ,Glücksgaben' (durch die Verbindung mit dem Genitiv) auch die Assoziation nahe-

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boren, also nicht porphyrogennet; dazu Demandt, Spätantike [wie Anm. 130] 188) und die Kinderlosigkeit Theodoras und Justinians als Ehepaar wieder in die Richtung der medizinischen Probleme zu weisen. Auch die Ehe der Kaiserin Sophia und des Kaisers Justin II. war kinderlos geblieben. Rousselle, Körper (wie Anm. 78) 369, setzt diese Verbindung von Abtreibung mit Ehebruch für das römische Recht wie für die spätantiken Kirchenväter voraus; vgl. auch ihren Verweis darauf, daß Ärzte vor der Abtreibung zurückschreckten, da ihnen die Strafe für die Mithilfe zum Ehebruch drohte: ebd. 339. In beiden Fällen bleibt sie die Quellenbelege schuldig. Etienne, Demographie (wie Anm. 133) 143-166; spätantike gallische Quellen zum Schwangerschaftsrisiko bei Jens-Uwe Krause, Familien- und Haushaltsstrukturen im spätantiken Gallien, Klio 73, 1991, 537-562, hier 543 mit Anm. 37; zum höheren Schwangerschaftsrisiko wegen zu geringer Geburtenabstände, dem gerade die Frauen der Oberschicht im frühen Mittelalter unterlagen, vgl. Werner Affeldt, Einführung, in: ders. (Hg.), Frauen in der Spätantike und im Frühmittelalter. Lebensbedingungen - Lebensnormen - Lebensformen. Beiträge zu einer internationalen Tagung am Fachbereich Geschichtswissenschaft der Freien Universität Berlin 18. bis 21. Februar 1987, Sigmaringen 1990, 9-29, hier 16. Etienne, Demographie (wie Anm. 133) 155; Quelle ist Jul. ad Ath. 272D, der eine Tochter erwähnt. Das bei Amm. 14,11,6 und in den anderen Quellen als Todesursache angeführte Fieber könnte demnach eine Art Kindbettfieber sein. Etienne hat entgegen seiner Durchnumerierung der Personen von 1-55 in seinen Stammtafeln (Etienne, Demographie [wie Anm. 133] tableau I + II) die Nr. 16, die Konkubine Minervina, und Nr. 42, die Kaiserin Flacilla, nicht in seinen prosopographischen Anhang aufgenommen; Flacillas Todesursache zu ermitteln, war mir bisher nicht möglich. Schwangerschaft mit Komplikationen oder Behandlung der Sterilität kommen m. E. noch für folgende von den bei Etienne angegebenen Frauen als Todesursache in Frage: für die im Alter von 33 (?) als unfruchtbar gestorbene Constantia (Schwester Konstantins d. Gr.; hier Nr. 13, 150), des weiteren ihre Schwester Anastasia (hier Nr. 14, 151) sowie Constantia (die erste Frau Constantius II. und identisch mit der in der Sekundärliteratur auch oft nur anonym angeführten Gallusschwester; hier Nr. 29, 157). Zos. 5,28,2 geht von zu geringem Alter Marias bei der Verheiratung aus und berichtet, ihre Mutter Serena habe eine Frau kommen lassen, die dieses Problem behoben habe, so daß Maria habe empfangen können; zu präpubertären Frühehen vgl. Rousselle, Körper (wie Anm. 78) 332-336, und Gourevitch, Femme (wie Anm. 73) 109-111.

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Anja

legen könnte, die Mutterschaft sei ein munus

Wieber-Scariot

einer Kaiserin im Sinne der Obliegenheiten

ihrer Position. 1 4 7 D a ß die Frauen des Kaiserhauses sich mit zunehmender Bedeutung des dynastischen Prinzips auch zweifelhaften medizinischen Behandlungen unterzogen, um dieses munus

selbst bei Lebensgefahr 1 4 8 zu erfüllen, steht zu vermuten. 1 4 9 Dazu paßt im

vorliegenden Fall, daß Johannes Chrysostomos in seinem Katastrophenkatalog des Kaiserhauses mit der nicht namentlich genannten Kaiserin, die an den von einer Heilerin mit Medikamenten präparierten Arzneitampons 1 5 0 g e g e n Unfruchtbarkeit starb, auf die Kaiserin Eusebia, vielleicht aber auch auf ihre Schwägerin Helena anspielt. 1 5 1 S o beruft sich der mittelalterliche Historiker Zonaras ebenfalls auf Quellen, denen zufolge Helena bei der Geburt eines Kindes starb. 152 Und im gleichen Kapitel weiß er von dem frühen Tod der Euse-

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Tac. ann. 16,6,2: laudavitque ipse apud rostra formam eius et quod divinae infantis pavens fuisset aliaque fortunae munera pro virtutibus. Diese Stelle ist allerdings in mehrfachem Sinne doppeldeutig: Zum einen scheint Tacitus Nero mit diesem öffentlichen Lob der Poppaea zu desavouieren, da jener schließlich die (zum zweiten Mal, quasi im Dienst der Dynastie) Schwangere durch seinen eigenen Fußtritt zu Tode gebracht hat, zum anderen prangert er mit dem Hinweis, in Ermangelung ihrer Tugenden könne Nero nur diese Anlagen loben, Poppaeas Lasterhaftigkeit an. Zu den grundsätzlichen Risiken einer Schwangerschaft für römische Frauen vgl. Rousselle, Körper (wie Anm. 78) 325-330 und Gourevitch, Femme (wie Anm. 73) 169-193 („l'accouchement et ses drames"). Mittelalterlich byzantinischen Quellen (Kedrenos, Historiarum compendium [Bekker], 585,18-586,2 und Vita acephala Joh. Chrysostomi, An. Boll. 94, 1976, 352f.) zufolge starb die Kaiserin Eudoxia bei der Geburt ihres sechsten Kindes 404. Zum Abgehen des vor der Geburt verstorbenen Fötus hatte man einen Magier zum Auflegen eines Y ^ c w ä i i o v geholt. Angeblich benutzten der Kaiser Romanos III. (1028-1034) und die Kaiserin Zoe Salben gegen Unfruchtbarkeit und behängten sich mit magischen Steinen etc. (Cupane, Kislinger, Abtreibung in Byzanz [wie Anm. 73] 47f. Anm. 145, 146). Zum Einsatz solcher medizinischen Tampons aus Wolle oder Leinen vgl. Gourevitch, Femme (wie Anm. 73) 147 mit Anm. 58: gegen Sterilität; 198ff.: zur Verhütung; als Mittel zur Abtreibung vgl. Keller, Abortiva (wie Anm. 85) 36. loh. Chrysost. ad ep. in Philipp. 15,5 (PG 62,295): "frXkoz, tt]v y w a i x a eIöev üjtö jieoowv öiacpöay e i a a v cb*t|qoi)crv (Konstantin). Vgl. h.e. 10,8,10. 8,1,4: xfjg ßaotXixfj? olxexiaq (Diokletian). 2,4: ev oixETicuq. Jul. or. 2,90 C: aty/tic, olxEia?. Vgl. or. 2,96 A; ep. ad Ath. 277 B. Eus. v. C. 1,16,1: Ei; aüxojv o'ixeicov (Konstantin). 2: ä v a y x a i o ^