Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle [1. Aufl.] 9783658308964, 9783658308971

In der regionalen Wirtschaftsentwicklung nehmen Clusterinitiativen eine große Bedeutung ein, gerade wenn es um die Steig

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Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle [1. Aufl.]
 9783658308964, 9783658308971

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XV
Einleitung: Clustermanagement in der Praxis (Gerd Meier zu Köcker, Thomas Wolf)....Pages 1-2
Transformation einer Clusterinitiative am Beispiel von TechnologyMountains e. V. (Thomas Wolf, Yvonne Glienke)....Pages 3-23
Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO) (Anja Zühlsdorf, Ingrid Lange)....Pages 25-41
Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche (Klaus Eichenberg)....Pages 43-53
Silicon Saxony (Frank Bösenberg, Gitta Haupold)....Pages 55-67
Clusterpreneurship – Nachhaltige Geschäftsmodelle von Clusterinitiativen (Christoph Runde)....Pages 69-83
Clusterinitiativen als Instrument der Regionalentwicklung in Niederösterreich (Stefan Liebert, Simone Hagenauer)....Pages 85-102
Packaging Valley Germany e. V. (Kurt Engel, Gerd Meier zu Köcker)....Pages 103-111
Entwicklungstrends von Clusterinitiativen in Deutschland (Silvia Palka, Benedikt Sedlmayr)....Pages 113-120

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Gerd Meier zu Köcker Thomas Wolf Hrsg.

Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle

Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle

Gerd Meier zu Köcker · Thomas Wolf (Hrsg.)

Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle

Hrsg. Gerd Meier zu Köcker ClusterAgentur Baden-Württemberg Stuttgart, Deutschland

Thomas Wolf TechnologyMountains e.V Villingen-Schwenningen, Deutschland

ISBN 978-3-658-30896-4 ISBN 978-3-658-30897-1  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Planung/Lektorat: Susanne Kramer Springer Gabler ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Vorwort

Wer heutzutage über die neuen Ansätze der regionalen Wirtschaftsentwicklung oder Steigerung der Innovationskraft von kleineren und mittleren Unternehmen spricht, kommt um das Wort „Cluster“ nicht mehr herum. Es taucht ebenso häufig wie undifferenziert in der Öffentlichkeit auf. Hinzu kommen Ausdrücke wie „Clusterinitiative“ oder „Clustermanagement“. Eine Abgrenzung zu anderen Begriffen wie „Netzwerke“ fehlt in der Regel. Obwohl es zwischen all diesen Begriffen grundlegende Unterschiede gibt, werden sie in den meisten Fällen synonym verwendet. Bereits 1890 beschrieb Alfred Marshall die ökonomischen Vorteile der regionalen Agglomeration: Diese „Ur-Cluster“ waren aus sich heraus gewachsen, ohne dass jemand im Sinne einer Clusterinitiative die Richtung und Entwicklung vorgegeben oder gestaltet hätte. Beispiele dafür sind bis heute zu finden. Die Ansiedlung von Medizintechnik-Unternehmen im Raum Tuttlingen etwa entstand aus einer Keimzelle heraus, der Produktion chirurgischer Messer ab dem 19. Jahrhundert. Das klassische Ruhrgebiet war bis vor wenigen Jahrzehnten eine Anhäufung von Firmen, die sich der Kohleförderung und Metallverarbeitung widmeten – sozusagen ein „Montancluster“. Aus der Erfahrung heraus, dass sich Nähe und Kooperation vorteilhaft auf die Ergebnisse der Unternehmen auswirken, wurde das Clusterkonzept recht bald als Instrument eines regional konzentrierten Technologietransfers entdeckt. Daher ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung damit – ebenso wie die praktische Erlebbarkeit – nicht neu: Während Cluster schon im 19. Jahrhundert wissenschaftliche Beachtung fanden (vgl. Scheuplein 2006), erlebte das Clusterkonzept mit den Publikationen des US-amerikanischen Wissenschaftlers Michael E. Porter seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Diskussionen darüber sind in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik bis heute nicht abgeebbt.

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Vorwort

Da Cluster als „natürliche“ Agglomeration von Akteuren zu verstehen sind, dreht sich die Frage seit einigen Jahren verstärkt darum, wie diese am besten unterstützt werden bzw. wie diese als Instrument in die Regionalentwicklung eingebettet werden können. Hier kommt dann der Begriff „Clusterinitiative“ zum Tragen, also eine gemeinsame Initiative einer ausgewählten Gruppe von Akteuren eines Clusters, um ein oder mehrere gemeinsame Ziele zu erreichen. Oder auch „Clustermanagement“, das in der Regel die Aufgabe hat, die Arbeiten und Aktivitäten einer Clusterinitiative zu koordinieren. In den letzten Jahren gab es vermehrt gute Beispiele, wie Clusterinitiativen Mehrwerte im Sinne ihrer Akteure generieren können. Werden diese dann auch noch professionell gemanagt und sind in eine regionale Entwicklungsstrategie eingebettet, können signifikante positive Effekte erzielt werden. Somit kommt dem Management derartiger Clusterinitiativen eine oftmals unterschätzte Schlüsselfunktion zu. Die Praxis zeigt aber auch, dass vor allem dort gute Erfolge in Clusterinitiativen erreicht werden, wo das Clustermanagement einen unternehmerischen Spirit hat. Es geht also nicht nur darum, die Interessen der Mitglieder „zu managen“, sondern einen unternehmerischen Geist mit allen Akteuren zu entwickeln, sich gemeinsam neuen Herausforderungen zu stellen und diese anzugehen. Dieser oft auch als „Clusterentrepreneurship“ verstandene Duktus ist gerade in Zeiten der industriellen Transformation ein Schlüssel zum Erfolg und sorgt dafür, dass Clusterinitiativen nicht dem gefürchteten „Lock-in“ verfallen, also dem Trend, sich allein aktuellen, sektoralen Herausforderungen zu widmen. Geschäftsmodelle “Products and companies do not differentiate winners from losers; it is the right business models that do.” (Oliver Gassmann 2014)

„Survival of the fittest“ ist im wirtschaftlichen Wettlauf immer wieder neu definiert worden: Zunächst galt die Gewissheit, dass die Großen die Kleinen fressen, später die Schnellen die Langsamen. Mittlerweile schlucken Unternehmen mit einem aktuellen Geschäftsmodell jene, die ohne klare Ausrichtung oder mit einem veralteten Geschäftsmodell im Markt aktiv sind. Größe und Schnelligkeit sind zweitrangig geworden. Das Schlagwort „Fitness“ bezieht sich in diesem Kontext auf die Fähigkeit, auf Veränderungen rechtzeitig und richtig reagieren zu können. Prominentes Beispiel ist der Film- und Kamerahersteller Kodak, dessen Geschäftsmodell über

Vorwort

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Jahrzehnte bestens funktioniert hat, der dann aber den digitalen Anschluss verpasste – obwohl das Unternehmen selbst sogar als Erfinder der Digitalkamera gilt. Heute ist der einstmalige Branchenprimus der Fotografie in einer Art Bedeutungslosigkeit verschwunden. Dieses Schicksal droht etlichen weiteren Unternehmen, sowohl jungen als auch etablierten – und es droht auch Clusterinitiativen. Denn die Rahmenbedingungen der Geschäftstätigkeit ändern sich inzwischen nahezu täglich. Unter anderem haben Internationalisierung und Digitalisierung die Welt komplexer gemacht. Die Innovationszyklen bei Produkten oder Fertigungsprozessen werden immer kürzer. Das richtige Geschäftsmodell entscheidet mehr denn je über Erfolg oder Misserfolg. In diesem Band geht es darum, die verschiedenen Geschäftsmodelle von Clusterinitiativen vorzustellen. Wahrscheinlich gibt es in Deutschland so viele unterschiedliche Geschäftsmodelle wie Clusterinitiativen selbst. Darunter befinden sich einige vielversprechende Formate. Die folgenden Kapitel widmen sich der Darstellung der diversen Geschäftsmodelle und deren Entwicklungen. Wir – die Autoren und Herausgeber – wünschen Ihnen viel Spaß bei der Lektüre, vor allem aber wertvolle Impulse für das eigene Geschäftsmodell und für das Tagesgeschäft im Clustermanagement. Stuttgart Villingen-Schwenningen Januar 2020

Dr. Gerd Meier zu Köcker Thomas Wolf

Literatur Scheuplein, C. (2006). Der Raum der Produktion. Wirtschaftliche Cluster in der Volkswirtschaftslehre des 19. Jahrhunderts. Berlin: Duncker & Humblot.

Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung: Clustermanagement in der Praxis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Gerd Meier zu Köcker und Thomas Wolf 2 Transformation einer Clusterinitiative am Beispiel von TechnologyMountains e. V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Thomas Wolf und Yvonne Glienke 3 Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Anja Zühlsdorf und Ingrid Lange 4 Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 Klaus Eichenberg 5 Silicon Saxony. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 Frank Bösenberg und Gitta Haupold 6 Clusterpreneurship – Nachhaltige Geschäftsmodelle von Clusterinitiativen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Christoph Runde 7 Clusterinitiativen als Instrument der Regionalentwicklung in Niederösterreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Stefan Liebert und Simone Hagenauer 8 Packaging Valley Germany e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Kurt Engel und Gerd Meier zu Köcker 9 Entwicklungstrends von Clusterinitiativen in Deutschland. . . . . . . . . 113 Silvia Palka und Benedikt Sedlmayr

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Autorenverzeichnis

Frank Bösenberg  Silicon Saxony e. V., Dresden, Deutschland Klaus Eichenberg BioRegio STERN Management GmbH, Stuttgart, Deutschland Kurt Engel  Schwäbisch Hall, Deutschland Yvonne Glienke  TechnologyMountains e. V., Tuttlingen, Deutschland Simone Hagenauer Ecoplus. Niederösterreichs Wirtschaftsagentur GmbH, St. Pölten, Österreich Gitta Haupold  Silicon Saxony e. V., Dresden, Deutschland Ingrid Lange  Netzwerk Industrie RuhrOst e. V., Unna, Deutschland Stefan Liebert  Wien, Österreich Gerd Meier zu Köcker VDI/VDE Innovation  +  Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland Silvia Palka  VDI/VDE Innovation+Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland Christoph Runde Virtual Dimension Center w. V. (VDC), Fellbach, Deutschland Benedikt Sedlmayr  VDI/VDE Innovation+Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland Thomas Wolf TechnologyMountains e. V., Villingen-Schwenningen, Deutschland Anja Zühlsdorf  Netzwerk Industrie RuhrOst e. V., Unna, Deutschland XI

Abbildungsverzeichnis

Abb. 2.1 Abb. 2.2 Abb. 3.1 Abb. 3.2 Abb. 3.3 Abb. 4.1 Abb. 4.2 Abb. 4.3 Abb. 5.1 Abb. 5.2 Abb. 5.3 Abb. 5.4 Abb. 5.5 Abb. 5.6 Abb. 5.7

Abb. 5.8

Cross-sektorale Aufstellung von TechnologyMountains e. V.. . . 12 Schematische Darstellung von TechnologyMountains e. V. als cross-sektorale Clusterinitiative. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Schematische Darstellung der Struktur von Netzwerkverein und Tochtergesellschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 Das NIRO-Team in Unna. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 So könnte eine IIoT-Plattform für NIRO-Mitglieder aussehen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 Landkarte der BioRegion STERN. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Einschnitte – Einblicke: Live-Diskussion mit ärztlichen Direktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 Live-OP mit Direktübertragung zur Diskussion von Ärzten und Ingenieuren im Hörsaal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 Entwicklung des Standortes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Erstmalige Nutzung des Namens durch Richard Hornik im Time Magazin (1998). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Logoentwicklung des Silicon Saxony e. V. . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Strategiemodell des Silicon Saxony e. V. vor und nach der Anpassung 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 Dashboard von Silicon Saxony e. V. nach der Anpassung 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 Dienstleistungsspektrum von Silicon Saxony e. V. . . . . . . . . . . . 63 Erwartete Entwicklung der Beschäftigtenzahlen (ohne Mitarbeitende bei Forschungsinstituten und Zulieferbetrieben). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 Digitalhubs in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

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Abb. 6.1 Abb. 7.1 Abb. 7.2 Abb. 7.3 Abb. 8.1 Abb. 8.2 Abb. 9.1

Abbildungsverzeichnis

Das heutige VDC-Geschäftsmodell. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 Clusterentwicklung im zeitlichen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Organigramm. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Schwerpunktthemensetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 VR-Center der Clusterinitiative Packaging Valley Germany e. V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Das Messestandkonzept von Packaging Valley Germany e. V.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Übersicht über die Benchmarking-Indikatoren. . . . . . . . . . . . . . 115

Tabellenverzeichnis

Tab. 2.1 Tab. 2.2 Tab. 2.3

Kennzahlengestützte Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 Inhaltsgestützte Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Fehler und Chancen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14

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Einleitung: Clustermanagement in der Praxis Gerd Meier zu Köcker und Thomas Wolf

Zusammenfassung

Das vorliegende Buch befasst sich weniger mit der wissenschaftlichtheoretischen Arbeit im Clustermanagement – dazu gibt es Abhandlungen in ausreichender Zahl. Es gibt vielmehr praktisch-handfeste Hilfestellung: Clustermanager berichten aus ihrem reichen Erfahrungsschatz für Clustermanager – fundierte Informationen für das alltägliche Cluster-Geschäft.

In den letzten Jahren hat sich das Management von Clusterinitiativen in der Praxis deutlich verändert: Reines Netzwerken oder das unstrukturierte Zusammenbringen von Akteuren reichen heute nicht mehr aus, um für die Unternehmen wirklich Mehrwerte zu erreichen. Clustermanager müssen sich als Moderatoren zwischen Unternehmen, regionalen Wirtschaftsentwicklern und der Politik bewähren. Sie müssen auch einen unternehmerischen Geist mitbringen, da letztlich Clusterinitiativen wie ein Unternehmen (natürlich ohne Profitabsichten) zu führen sind. Sie müssen daher neben einer moderierenden Rolle auch eine stark agierende Rolle einnehmen und die verschiedenen Interessenlagen von Wirtschaft, Wissenschaft und Regionalentwicklung zusammenzubringen. Einige G. Meier zu Köcker (*)  VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] T. Wolf  TechnologyMountains e. V., Villingen-Schwenningen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_1

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G. Meier zu Köcker und T. Wolf

tun dies sehr erfolgreich. Und gerade hier setzt dieses Buch an: Es füllt eine Nische, die bislang kaum Beachtung gefunden hat. Ein Vergleich macht deutlich, wo genau sich die Nische befindet: die wissenschaftliche und praktische Literatur im Verhältnis zu den Themen „Cluster“ und „Clustermanagement“. Wissenschaftliche Literatur über „Cluster“ gibt es in großer Menge. Theoretische Abhandlungen und Handbücher über „das Managen von Clusterinitiativen“ sind ebenfalls in beinahe überbordender Menge vorhanden. Bei der praktischen Literatur sieht die Lage jedoch anders aus. Zum Thema „Clustermanagements in der Praxis“ existieren kaum praktische Hilfestellungen in gedruckter Form. Dabei ist in der jüngsten Vergangenheit ein signifikantes impliziertes Wissen entstanden. Einen kleinen Teil davon präsentiert das vorliegende Buch. Thomas Wolf, einer der Autoren und Herausgeber dieser Publikation, kennt diesen Mangel aus eigener Erfahrung: Zu Beginn seiner Laufbahn als Clustermanager ging er auf die Suche nach hilfreichen Informationen. Die gewünschten Quellen sollten keine wissenschaftlichen Abhandlungen oder theoretischen Denkmodelle aus akademischer Sicht bieten, sondern klipp und klar aufzeigen, wo in der Clusterpraxis die Fallstricke lauern. Aber nichts dergleichen war im Literaturmarkt vorhanden. So blieb letztlich nur, eine solche Hilfestellung selbst in Angriff zu nehmen. Davor hieß es jedoch, die gleichen Gespräche zu führen und Fragen zu stellen wie unzählige andere junge Clustermanager zuvor – und dabei vermutlich das gleiche Lehrgeld zu bezahlen. Viel Zeit wurde vertan, die besser in die tägliche Clusterarbeit investiert worden wäre, hätte man denn im Vorfeld von der Erfahrung anderer profitieren können. Das vorliegende Erfahrungskompendium stellt nun die aktuellen Herausforderungen des täglichen Cluster-Geschäfts und die praxisrelevanten Handlungsempfehlungen von ausgesuchten Clustermanagern aus ganz Deutschland und Österreich vor: Es bietet somit eine praxisorientierte Hilfestellung und viele Best-Practice-Beispiele von Clustermanagern für Clustermanager, ist aber auch für Wirtschaftsförderungen, Kommunen und Verwaltung, Unternehmen, Wissenschaft, Verbände oder Vereine eine sinnvolle Lektüre. Vor allem soll die vorliegende Publikation die nachfolgende Generation Clustermanager ansprechen. Ziel ist es, dass das Buch jüngeren Kolleginnen und Kollegen hilft – auf dass sie nicht die gleichen, teilweise schmerzhaften Lernerfahrungen machen müssen, welche andere zuvor gemacht haben.

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Transformation einer Clusterinitiative am Beispiel von TechnologyMountains e. V. Thomas Wolf und Yvonne Glienke

Zusammenfassung

Dieses Kapitel beschreibt die Erfahrungen und Ergebnisse aus dem grundlegenden Wandlungsprozess eines technologiegetriebenen Unternehmernetzwerks aus Sicht seines Managements: TechnologyMountains e. V. wurde 2005 in der südwestdeutschen Industrieregion Schwarzwald-Baar-Heuberg ins Leben gerufen, um Impulse für die regionale Wirtschaft, speziell für die Mikrosystemtechnik und die Medizintechnik, zu generieren. Der Verein blieb damit jedoch weit hinter den eigenen inhaltlichen Erwartungen zurück. Erst mit dem 2011 initiierten Wandel zu einem kunden- und dienstleistungsorientierten Initiator für cross-sektorale Kooperationen zwischen Unternehmen und Forschungseinrichtungen erreichte TechnologyMountains e. V. sein Ziel. So wuchs die Organisation zwischen 2011 und 2019 nicht nur von 40 auf mehr als 350 Mitglieder, sondern hat für die Region durch ihren Schwerpunkt auf Projekte und mit spezifischen Weiterbildungsangeboten eine zentrale Funktion im Wirtschaftsleben übernommen.

T. Wolf (*)  TechnologyMountains e. V., Villingen-Schwenningen, Deutschland E-Mail: [email protected] Y. Glienke  TechnologyMountains e. V., Tuttlingen, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_2

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2.1 Einleitung Steigende Rohstoffpreise. Wirtschaftliche Stagnation nach der Dotcom-Krise. Immerhin: Erfolge beim Export. Alarmierende Fehlentwicklung des Staatshaushalts. Wachsende Hightech-Konkurrenz aus Fernost. Und Vorahnungen einer digitalen Revolution… So ließen sich in den Jahren 2004 und 2005 die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Deutschland skizzieren. Der IFO-Geschäftsklimaindex bewegte sich auf einem niedrigen Niveau (Juni 2005: 93,3 Punkte; ifo.de). Das Statistische Bundesamt ermittelte ein geringes Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 0,9 % für 2005 und eine um 0,3 % sinkende Erwerbstätigkeit (Räth et al. 2005). Selbst die Euro-Abwertung brachte keine spürbaren Impulse. Die Politik sorgte für zusätzliche Unsicherheit. Gerhard Schröder (SPD) trat vorzeitig als Bundeskanzler zurück. Der Bundestag zog die Wahlen vor. In diesem wenig ermutigenden Umfeld suchten Unternehmer in der industriell geprägten Region Schwarzwald-Baar-Heuberg nach Perspektiven. Das gehört zu ihrem Charakter, so hatten sie es schon in früheren Krisen getan: sei es in den ersten Tagen der Metallpräzisionsbearbeitung Mitte des 19. Jahrhunderts oder als die Quarztechnologie vor 50 Jahren die traditionelle Uhren- und Phonoindustrie verdrängte. Ihre Suche führte zu Gesprächen mit der Industrie- und Handelskammer (IHK) Schwarzwald-Baar-Heuberg. Gemeinsam entwickelte man die Idee eines technologiegetriebenen Netzwerkes. Auslöser waren die Erkenntnisse, • dass Eigeninitiative im ländlichen Raum zu mehr Erfolg für alle führt und • dass Unternehmen gerade heute regional kooperieren sollten. Ein Netzwerk könnte: • Impulse für die Wirtschaft und den Standort schaffen, • Technologietransfer koordinieren (etwa auf zukunftsträchtigen Feldern wie der Mikrosystemtechnik und Medizintechnik) sowie • Hightech-Gründungen erleichtern. Die beste Form für ein Netzwerk ist ein Verein. Daher planten die IHK und die Unternehmer, einen Verein mit dem Charakter eines regionalen Netzwerkes zu gründen. Er sollte den Namen MicroMountains Network e. V. tragen. Micro stand für Mikrotechnologien, Mountains für die Region. Die Ziele des Vereins ließen

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sich etwa mit „die technologische Leistungsfähigkeit der Region nachhaltig vorantreiben“ zusammenfassen. Neben der Mikrosystemtechnik öffnete sich der Verein auch für andere Technologiesektoren. Beispielsweise spielen in der Region die Zerspanungstechnik, Medizintechnik und Kunststofftechnik eine wichtige Rolle. Erwartet wurde, dass der Verein Programme aufstellt, die Innovationen initiieren und vorantreiben. Er sollte Existenzgründer von der Geschäftsidee bis zum Marktauftritt fördern. Er sollte Nachwuchskräfte unter anderem durch Wettbewerbe und Patenschaften gewinnen. Konkret angestrebte Maßnahmen waren zum Beispiel: • RoboCamps – Robotik-Kurse für Schülerinnen und Schüler, • „Haus der kleinen Forscher“ – Aktionen, die Kinder für Technik begeistern, • Beratung, Preise und Businessplan-Wettbewerbe für Hightech-Gründungen. Die Vorschläge für die thematische Arbeit des Netzwerkes zielten nicht zwangsläufig darauf ab, unmittelbar Mehrwert für die beteiligten Unternehmen zu schaffen. Der Fokus lag anfangs eher auf regionalökonomischen und allgemein wirtschaftsfördernden Aspekten. Diese Ausrichtung war von den im Verein engagierten Unternehmen auch so gewollt. Folgende Struktur ergab sich zum Start von MicroMountains Network e. V. im Jahr 2005: • IHK als Geschäftsstelle des Netzwerkes (1 Teilzeitstelle, 25 %), • Mitglieder aus 20 km Umkreis rund um Villingen-Schwenningen, • 23 Gründungsmitglieder: Unternehmen, IHK, Institutionen aus Forschung und Entwicklung, Hochschulen und Verbände. Die Entscheidung, die IHK als Geschäftsstelle des Netzwerkes zu wählen, wurde aus folgenden Gründen getroffen: • Die wirtschaftsfördernden Absichten der Mitglieder deckten sich mit dem Auftrag der IHK. Sie ist neutral und in der Lage, die Mitglieder zu organisieren. • Es musste keine weitere Infrastruktur, wie Büroräume etc., geschaffen werden. Das Netzwerk blieb somit schlank und effizient.

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2.2 Herausforderungen und Wandel Der damals verfolgte Ansatz stellte MicroMountains Network e. V. bald vor mehrere Herausforderungen. Sie motivierten langfristig zum Wandel. In den Gründungsjahren setzte das Netzwerk viele der geplanten Maßnahmen und Projekte erfolgreich um. Dennoch fehlte es – von außen betrachtet – an Dynamik. Die Mitgliederzahl stieg bis 2012 zwar auf 40 Unternehmen und Institutionen. Das „Vereinsleben“ erzeugte jedoch kaum nachhaltige gemeinsame Aktivitäten oder Synergien zwischen den Mitgliedern. Rückblickend ist auch festzuhalten, dass typische „Anfängerfehler“ ähnlich wie bei vielen Existenzgründungen gemacht wurden: Es fehlte ein Businessplan und die Ziele waren nicht ausreichend präzise und motivierend formuliert.

2.2.1 Motive, das ursprüngliche Modell infrage zu stellen Woran machte das Management von MicroMountains Network e. V. ab 2011 fest, dass ein Wandel erfolgen musste? Es lagen keine klassischen Gründe vor, wie Personalwechsel oder finanzielle Not. Dennoch war offensichtlich eine Veränderung nötig. Die Gründe waren: 1. Zur Zeit der Gründung von MicroMountains Network e. V. und wenige Jahre danach gab es noch kein tragfähiges Geschäftsmodell. Vielmehr ging das Management nach dem Trial-and-Error-Prinzip vor. Tatsächlich fehlten zur Gründung 2005 noch konkrete Vorstellungen über Kundensegmente, Nutzen bzw. Wertangebote, Kommunikations- und Vertriebskanäle, Kundenbeziehungen, Einnahmequellen, Schlüsselressourcen, Schlüsselaktivitäten und Schlüsselpartner. 2. Eine Herausforderung zeigte sich durch die Art und Weise, wie Dienstleistungen entwickelt wurden. Die Angebote entstanden zumeist über eine Top-down-Arbeitsweise. Vorschläge und Wünsche kamen nur selten aus der Mitgliedschaft. 3. Die Mitgliedergewinnung gestaltete sich schwierig. Die Intention der Gründerjahre – „Wir wollen etwas für die Region tun“ – genügte den meisten angesprochenen Unternehmen nicht mehr. Es fehlte der individuelle Mehrwert, der sie zu einer Mitarbeit motiviert hätte. 4. Unternehmen beteiligten sich wenig an den Angeboten von MicroMountains Network e. V. Es fehlten ein Geschäftsmodell und die dazu passenden Dienstleistungen. Zwar waren fast keine Austritte aus dem Netzwerk zu verzeichnen.

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Die Unternehmen blieben aber eher aus ideellen Gründen im Verein. Ihr Verbleib stand in keinem Zusammenhang mit den angebotenen Aktivitäten. 5. Es fehlte ein konkreter Eindruck davon, wie das Netzwerk in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Es fehlte eine markante Außenwirkung. Die Reflexion über die Gesamtsituation, die oben genannten und etliche weitere Indikatoren fanden Eingang in eine Checkliste. Sie soll in Tab. 2.1 und 2.2 mit einigen Hinweisen zum Hintergrund der Fragen aufgeführt werden. Einige dieser Indikatoren werden auch in anderen Kontexten bereits verwendet (zum Beispiel seitens des European Secretariat for Cluster Analysis, ESCA).

Tab. 2.1   Kennzahlengestützte Indikatoren • Hat sich die Anzahl von Anfragen aus den Mitgliederreihen verändert?



• Veränderte sich die Anzahl von Teilnehmenden bei Veranstaltungen und der Mitgliederversammlung?



• Wie häufig wurde in der Tagespresse im Vergleich zu vor zwei Jahren über Ihre    Clusterinitiative berichtet? (Hinweis: Das Führen eines Pressespiegels erlaubt nicht nur die inhaltliche Analyse der Art der Berichterstattung – also positiv oder negativ –, sondern auch eine quantitative Übersicht über die Relevanz Ihrer Organisation für die Öffentlichkeit.) • Sind weitere Akteure (z. B. neue Clusterinitiativen, Kammern, Verbände, Wirt-    schaftsförderungsgesellschaften …) mit ihren Kernaktivitäten auf den Markt gekommen? (Hinweis: Wichtiger Aspekt des Clustermanagements ist die Radarfunktion. Sie sollten stets auf dem Laufenden sein, ob sich in dem von Ihnen bearbeiteten Themengebiet neue Marktbegleiter entwickeln.) • Wie oft wurde das Geschäftsmodell kritisch hinterfragt und/oder aktualisiert?



• Haben Sie im vergangenen Jahr eine Fluktuation/Weggänge unter Kolleginnen und Kollegen in Ihrem Clustermanagement festgestellt?



• Wie viel Prozent der Mitglieder erscheinen bei der Mitgliederversammlung? (Hinweis: Beachten Sie hierbei unbedingt Veränderungen gegenüber den Vorjahren.)



• Wie sieht die finanzielle Entwicklung der Clusterinitiative aus? Gibt es ein Defizit?



• Entwickeln sich die finanziellen Ressourcen des Clustermanagements positiv oder negativ?



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Tab. 2.2   Inhaltsgestützte Indikatoren • Wie gestaltet sich die Kommunikation zwischen dem Clustermanagement und den Clusterakteuren?



• Wie funktioniert die Einbindung der unterschiedlichen Akteure der Clusterinitiative?



• Wie häufig werden Prozesse bzw. Aktivitäten für die (Weiter-)Entwicklung der Clusterstrategie genutzt?



• Wurde die Clusterstrategie hinreichend dokumentiert?



• Gibt es eine Übersicht zu den daraus folgenden operationalen Zielen und dem Arbeitsplan des Clustermanagements?



• Gibt es ein inhaltliches Controlling und eine Weiterentwicklung der Clusterstrategie?



• Wie sehen die Schwerpunkte der Clusterstrategie aus?



• Wie werden erreichte Erfüllungsgrade der Clusterstrategie bzw. des Arbeitsplans    gemessen und dokumentiert? • Wie oft wird die Internetpräsenz der Clusterinitiative besucht?



• Gibt es mindestens drei leicht zu benennende Erfolgsgeschichten aus dem Vorjahr?



2.2.2 Gründe für den Wandel zur cross-sektoralen Organisation Für das Netzwerk stellte sich neben den zuvor genannten Indikatoren mit ihren insgesamt wenig befriedigenden Ergebnissen noch ein weiterer Sachverhalt ein. Er erhöhte den Druck zum Wandel. In der Region gründeten sich zwischen 2008 und 2011 gleich drei weitere Technologie-Organisationen. Teilweise standen sie im direkten Wettbewerb zu MicroMountains Network e. V. Diese drei Gründungen von Organisationen bzw. Instituten fassten die Sektoren Medizintechnik, Kunststofftechnik und Mikrotechnik als Innovationsfelder ins Auge. Aus regionaler Sicht waren diese Ambitionen sinnvoll. Eine Clusterinitiative für Medizintechnik („Medical Mountains“), eine Entwicklungseinrichtung für Kunststofftechnik („Kunststoff-Institut Südwest“) sowie ein MikrotechnikDienstleister („MicroMountains Applications AG“) hätten die regionalen Strukturen gut abgebildet und sinnvoll bedient. Allerdings hätten sich die drei neuen Organisationen und der bestehende Verein gegenseitig „das Leben schwer gemacht“. Es wäre ein Wettbewerb um die

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gleichen Mitglieder oder Kunden in der Region entstanden. Dieser Wettbewerb wäre für die Unternehmen und die Organisationen gleichermaßen nicht zielführend gewesen. Etliche Unternehmen wären gezwungen gewesen, mehrere Mitgliedschaften einzugehen, um sinnvolle Impulse und Synergien für ihre Entwicklung zu gewinnen. Die Öffentlichkeit hätte wenig Verständnis gehabt für diese Konkurrenz regionaler Organisationen. Daher bot es sich für MicroMountains Network e. V. an, den Wandel von einem Technologienetzwerk zu einer gemeinsamen oder übergeordneten Clusterinitiative einzuleiten. Diese Clusterinitiative könnte ein Dach für die drei separat geplanten Organisationen bilden. Doch es sprachen auch noch andere Aspekte für einen Wandel. Aus der neuen Situation ergab sich wie von selbst das Geschäftsmodell, das dem Verein MicroMountains Network e. V. bisher fehlte. Seine Aufgabe könnte es künftig sein, Synergien zwischen den Technologiesektoren der drei anderen Organisationen (Medizintechnik, Kunststofftechnik, Mikrotechnik) herzustellen. Zudem hatte sich die Erwartungshaltung der Mitglieder in den sieben Jahren verändert. Gab anfangs das Anliegen „Wir tun etwas für die Region“ den Antrieb für eine Mitgliedschaft, so rückte nun der eigene Benefit aus einer Mitgliedschaft stärker in den Mittelpunkt.

2.2.3 Schritte zur Transformation – Gestaltung des Wandels Das Management arbeitete folglich an einer Evolution des Netzwerkes. Der Wandel sollte bewusst, durchdacht und argumentativ überzeugend entwickelt werden. Er setzte voraus, dass der Verein nicht mehr als „Verein“, sondern als „Clusterpreneur“1 agiert, eine Mischung aus Cluster und Entrepreneur. Ein Entrepreneur agiert, anstatt zu reagieren. Deshalb suchte das Management ab 2011 aktiv das Gespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden und später auch mit

1Der

Begriff ist dem Buch „Clustermanagement: Wie Cluster die Innovation und die Wettbewerbsfähigkeit unterstützen“ von Eduard Hauser (Herausgeber) entlehnt (erschienen 2016 im Springer-Verlag, ISBN 978-3-658-13635-2) und meint die Eigenschaft eines Clustermanagers, zugleich auch unternehmerisches Denken in die praktische Clusterleitung einfließen lassen zu können.

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dem Gesamtvorstand. Ziel war, ein gemeinsames Verständnis des Ist-Zustands zu bestimmen. Das war leichter gesagt als getan. Dafür stand das Bild des Wasserglases, das Management, Vorstand und Mitglieder je nach Sichtweise als „halb voll“ oder „halb leer“ hätten beschreiben können. Ein gemeinsames Verständnis der Situation war unabdingbar. Nur so konnte eine Basis für sämtliche weiteren Schritte im Transformationsprozess gebildet werden. Die Frage, wo die Organisation als Netzwerk steht, musste von sämtlichen Verantwortlichen in der Organisation gleich beantwortet werden können. Schließlich wurde die Mitgliederversammlung informiert und überzeugt. Kern der Überzeugungsarbeit war sicherlich, dass Management und Vorstand geschlossen hinter dem Transformationsprozess und dem zwischenzeitlich entwickelten Konzept standen. Die Erfahrungen bei MicroMountains Network e. V. zeigen, dass es im Transformationsprozess vor allem auf die Kommunikation ankommt. Folgende Punkte sind zu beachten: • Offene Gespräche fördern den Dialog zur Sache. Nicht beschönigende, klare Aussagen ergeben klare und offene Rückmeldungen. • Im Laufe der Gespräche kann es notwendig werden, Positionen zu überprüfen und gegebenenfalls an der Strategie zu feilen. Es ist jedoch auch Sinn der Gespräche, weitere Perspektiven zu gewinnen. Gespräche mit Kollegen aus dem Management sollten zu einem relativ frühen Zeitpunkt der Planung erfolgen. Die Bereitschaft zum und die Offenheit für den Wandel sind oft unterschiedlich ausgeprägt. Falls widersprüchliche Argumente auftreten, kann Unsicherheit entstehen. • Diesen Faktor gilt es ebenso zu berücksichtigen wie den Umstand, dass zu späte Besprechungen im Planungsprozess auch Misstrauen hervorrufen können. Kolleginnen und Kollegen fühlen sich unter Umständen vor mehr oder weniger vollendete Tatsachen gestellt. Sie könnten in Opposition treten und den Wandlungsprozess beeinträchtigen. • In der Präsentation vor den Mitgliedern kommt es darauf an, eine schlüssige Argumentationskette vorstellen zu können. Eine ausführliche und klare Schilderung der Sachlage bildet den Kern. Idealerweise basiert sie auf einer Auswertung der zuvor ermittelten Indikatoren. • Danach gilt es, die bereits entwickelten Lösungen vorzustellen. Ab hier ist es erforderlich, dass die Mitglieder selbst etwas beitragen können. Der Wandel

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muss zu ihrem eigenen Projekt werden. Nur dann ist gesichert, dass er mitgetragen wird und sich zügig umsetzen lässt. • Intensive Kommunikation zählt zu den Schlüsselaufgaben, um den Transformationsprozess zu bewältigen: Statusberichte an Vorstand und Mitglieder sind unerlässlich, um Fortschritte, aber auch Herausforderungen im Fortgang aufzuzeigen. Externe Beratung – Chance und Risiko Oft wünschen Vorstände und Aufsichtsräte externe Hilfe im Wandlungsprozess. Beratende können sehr hilfreich sein, jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen. Positiver Effekt einer externen Beratung: Andere oder neue Perspektiven kommen aufs Tapet. Wichtige Themen, die im Wandlungsprozess entscheidend sind, werden offen diskutiert. In der Regel eignen sich Clustermitglieder, Mitglieder des Clustervorstands oder andere erfahrene Clustermanagements für die Beratung. Allerdings sollten die Argumente des hauseigenen Clustermanagements stets stärker gewichtet werden. Er/Sie ist der/die ExpertIn für die Region, die Technologie und die Mitglieder des Clusters. Idealerweise führen Clustermanagements und Beratende einen Konsens herbei, bevor sie an den Vorstand berichten. Ist kein Konsens möglich, sollte der Vorstand sich eher auf das Urteil des eigenen Clustermanagements stützen. Diese/r ist im Zweifel auch dazu aufgefordert, für seine Sichtweise gegenüber dem externen Beratenden stark einzustehen.

2.3 Die cross-sektorale Clusterinitiative entsteht Die umsichtige Herangehensweise führte zum gewünschten Erfolg. Am 13. November 2012 beschloss die Mitgliederversammlung von MicroMountains Network e. V. die Umbenennung des Vereins in TechnologyMountains e. V. und die Transformation zu einer cross-sektoralen Initiative. Der Name des neuen Vereins steht für die technologische Stärke der Unternehmen im montanen Schwarzwald. Er unterstreicht die Innovationskraft des Südwestens. Das Wortspiel soll auch einen Kontrapunkt zu dem bekannten Begriff „Silicon Valley“ setzen. TechnologyMountains e. V. kann in ähnlicher Weise zu einer bekannten Standortmarke für Technologie werden. Diese Neuausrichtung folgte dem zuvor beschriebenen Muster der Transformation. Wie erfolgreich der Prozess und seine permanent andauernde Feinjustierung tatsächlich sind, lässt sich an folgenden Daten ablesen: • 90 % der Mitglieder sind Unternehmen. Es folgen Forschungs-, Entwicklungsund Bildungseinrichtungen mit 6 % sowie Kommunen und Verwaltungseinheiten (4 %).

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• 85 % der Mitglieder kommen aus der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg, die Übrigen aus anderen Regionen (8 %) oder aus dem Ausland (7 %). • TechnologyMountains e. V. finanziert sich zu 100 % aus Mitgliedsbeiträgen, Sponsoring, Teilnahmegebühren und Entgelten aus kommerziellen Dienstleistungen. • Das Europäische Sekretariat für Clusteranalysen hat TechnologyMountains e. V. mit dem „Cluster Management Excellence Gold Label – Proven for Cluster Excellence“ ausgezeichnet. Damit ist TechnologyMountains e. V. eine von nur zwölf Clusterinitiativen in Deutschland, die dieses Prädikat tragen. • Seit 2012 bündelt TechnologyMountains e. V. als cross-sektorale Clusterinitiative die Bedürfnisse von mehr als 250 Mitgliedern. • Mitte 2019 zählte die Initiative 333 Mitglieder. Die erfolgreiche cross-sektorale Aufstellung basiert auf der in Abb. 2.1 dargestellten Formel. Der Weg dahin war nicht einfach. Es galt, diverse Lernprozesse zu durchlaufen: • So musste das Management zunächst cross-sektorales Denken als Prinzip und wesentlichen Teil des Geschäftsmodells verinnerlichen. • Eine deutlich intensivere Kommunikation unter den Akteuren war zu bewältigen. Die Abstimmung über Dienstleistungsangebote und die daraus entstehenden Synergien wurden zu wesentlichen Bestandteilen der gelungenen Arbeit der Clusterinitiative und förderten die Einheit. Gleichzeitig musste das Geschäftsmodell der Clusterinitiative in mehreren Evaluationsschritten wiederholt überprüft werden, um seine Funktion gewährleisten zu können. Dies schließt die Selbstüberprüfung des Clustermanagements mit ein.

Abb. 2.1   Cross-sektorale Aufstellung von TechnologyMountains e. V.

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Hilfreich war sicher auch, das Management der cross-sektoralen Clusterinitiative, wie zuvor das Netzwerk-Management, in die IHK einzubetten. Hier stehen alle nötigen Ressourcen für die tägliche Arbeit und Kommunikation unmittelbar zur Verfügung. Von der IHK selbst erwarten die Unternehmen eher andere Dienstleistungen, etwa Ausbildungsberatung oder Weiterbildung, aber nicht vorrangig Technologietransfer. Clusterinitiative und Kammer bildeten somit gewissermaßen eine Symbiose.

2.3.1 Fehler und Lernerfahrungen Beim Wandel von MicroMountains Network e.  V. zur Clusterinitiative TechnologyMountains e. V. wurden – trotz des letztlich erfolgreichen Ergebnisses – auch Fehler und Versäumnisse begangen. Das Management versteht diese als wichtige Lernerfahrungen, die in einem solchen Prozess unabdingbar sind. In Tab. 2.3 sind einige der Fehler und deren Wandlung in Chancen aufgeführt. Der grundlegende Sinn einer Clusterinitiative ist die Kooperation zwischen Unternehmen. Die Vernetzung durch eine Clusterinitiative entlang einer klassischen Wertschöpfungskette hat jedoch natürliche Grenzen. Innovationen finden eher ihren Weg aus den im Cluster propagierten Technologien heraus als von außen in die Mitgliedsunternehmen hinein. Daher ist der Blick über den Tellerrand unerlässlich, um Innovation beschleunigen zu können. Die technologische Konvergenz – inzwischen gefolgt vom Thema der Digitalisierung – führt seit langer Zeit dazu, dass cross-sektorale Ansätze mehr Innovationskraft hervorbringen als die klassische, lineare Produktentwicklung. Die Übersetzung von Ideen anderer Sparten auf die eigenen Bedürfnisse einer Branche wirkt als starke Triebfeder. Kurz gesagt: Querdenken ist angesagt. Entsprechend wandeln sich Clusterinitiativen. Cross-Clustering bringt Innovationsprozesse offenbar effizient voran. Cross-Clustering liegt vor, wenn Clusterinitiativen unterschiedlicher Technologiesektoren oder Branchen kooperieren und es dadurch zu einer organisierten Zusammenarbeit kommt. Cross-sektorale Clusterinitiativen – also die gewollt erzeugte Breite über Technologien und Branchen hinweg – benötigen jedoch bereits in den frühesten Stadien einen thematischen Kern. Angebote und Dienstleistungen der Clusterinitiative drehen sich um diesen Kern. Bei TechnologyMountains e. V. dient die Präzisionstechnik als Klammer der Kompetenzfelder Kunststoff-, Mikro- und Medizintechnik (vgl. Abb. 2.2).

Finanzierung ausschließlich über Mitglieds- Problematisch ist, schon einmal kostenbeiträge und Dienstleistungen frei angebotene Dienstleistungen später zu monetarisieren. Dies muss bei der Einrichtung von Dienstleistungen immer beachtet werden.

Alle Dienstleistungen wurden kostenfrei angeboten.

(Fortsetzung)

Kein „Dienstleistungs-TÜV“ im Sinne eines Regelmäßige Abfrage von Erwartungen und Das Controlling deckt auch unrentable Controllings Zufriedenheit der Mitglieder bzw. nicht benötigte Dienstleistungen der Clusterinitiative auf und ermöglicht die frühzeitige Anpassung oder Streichung.

Die cross-sektorale Ausrichtung der Clusterinitiative steigert die Innovationskraft.

Die Verknüpfung der Sektoren Medizintechnik, Kunststoff- und Mikrotechnik ergibt die Erfolgsformel von TechnologyMountains e. V.

Kein Alleinstellungsmerkmal, keine Erfolgsformel

Der Ansatz „Wir können alles“ ist nicht glaubhaft zu vermitteln – weniger ist mehr! Die Einbindung der Mitglieder führt zur breiten Akzeptanz des Geschäftsmodells. Sie bringen eigene Ideen und Vorschläge ein. Ein selbst kreierter DienstleistungsTÜV steuert die Implementierung der Vorschläge.

Der Fokus liegt auf dem Voranbringen von Technologien in den Bereichen Medizin-, Kunststoff- und Mikrotechnik.

Es gab keinen thematischen oder inhaltlichen Fokus.

Auswirkungen und Hinweise

Ein Geschäftsmodell wurde entwickelt, Kein Geschäftsmodell, keine Strategie, keine gemeinsamen Werte (Anfangs war die die Stakeholder bei diesem Prozess eingebunden. Notwendigkeit nicht gegeben).

Heute: TechnologyMountains e. V.

Früher: MicroMountains Network e. V.

Tab. 2.3   Fehler und Chancen

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Das Namenselement „Mountains“ wurde als geistige Brücke zur neu aufgestellten Clusterinitiative beibehalten. Inzwischen hat sich eine Namensfamilie entwickelt, die eine Identifikation mit der Region fördert: TechnologyMountains, MedicalMountains, DigitalMountains.

Cross-Sektoralität setzt ein besonderes Design für eine Clusterinitiative voraus: TechnologyMountains e. V. versteht sich als „One-Stop-Shop“, verweist bei Anfragen nach Medizintechnik, Kunststoffoder Mikrotechnik nicht weiter, sondern stellt passende Verbindungen zwischen Fragestellern und Problemlösern her. In Tuttlingen als Welthauptstadt der Medizintechnik hätte die Etablierung von Angeboten für andere Branchen nur wenig Sinn.

Als Zeichen des Wandels, des neuen Geschäftsmodells und der neuen Ausrichtung wurde der Name „TechnologyMountains“ gewählt.

Reguläre Organe: Vorstand, Geschäftsführung, Steuerkreis und ArbeitskreisSprecher

Unterschiede in zwei Ausprägungen: • Erfolgsformel: Medizintechnik + Kunststoff- + Mikrotechnik = TechnologyMountains • Initiieren und Vorantreiben von Entwicklungsprojekten • nicht nur Durchführung von Informationsveranstaltungen TechnologyMountains e. V. bildet die technologischen Stärken der Region ab und fördert diese mit dem dafür sinnvollen Angebot aus Dienstleistungen und Projekten.

„MicroMountains Network“ war kein selbstsprechender Name, er führte nicht zu einer Identifikation.

Keine Professionalisierung über Organe oder Wirtschaftsplan

Fehlende Abgrenzung zu weiteren Clusterinitiativen

Keine Nutzung regionaler Stärken (vorhandenes Potenzial entwickeln, nicht alles machen wollen)

(Fortsetzung)

Die Kriterien des „Gold Label of the European Cluster Excellence Initiative“ (ECEI) geben Orientierung. Anhand dieses Standards kann sich die Initiative optimal aufstellen.

Auswirkungen und Hinweise

Heute: TechnologyMountains e. V.

Früher: MicroMountains Network e. V.

Tab. 2.3   (Fortsetzung)

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Mitgliederversammlung als Quelle für Inputs und Mandatierung

Zwischen 2012 und 2018 hat sich die Anzahl der Mitglieder versiebenfacht.

Top-down-Ansatz

Keine „kritische Masse“ an Mitgliedern erzielt

Es kommt wesentlich darauf an, bei der mittelständischen Unternehmerschaft eine hohe Akzeptanz zu erzielen.

Eine Clusterinitiative ist kein Selbstzweck, sondern orientiert sich an den Bedürfnissen ihrer Mitglieder. Demokratische Aspekte sind integriert; es erfolgt ein fairer, transparenter Ausgleich von Interessen.

Schaffung von Mehrwert und Wettbewerbs- Mittelbare Stärkung der Region: Die vorteilen für Mitgliedsunternehmen ursprünglichen Ziele entfallen nicht, sie verlagern sich aber.

Die überregionale und internationale Vernetzung der regionalen Wirtschaft ist integriert.

Regionalökonomische und wirtschaftsfördernde Ausrichtung

Sehr regional aufgestellt, nur Mitglieder aus Überregionale Ausrichtung: Keine Einder näheren Umgebung schränkungen für eine Mitgliedschaft aufgrund Grund von Entfernungen oder Landesgrenzen

Orientierung am ECEI-Gold Label als Best Auch wenn in den ersten zwei Jahren Practice keine Gold-Zertifizierung erreichbar sein sollte, sollten die Label-Kriterien gleich zu Beginn der Ausrichtung einer Clusterinitiative zugrunde gelegt werden.

Keine Orientierung an Standards für Clusterinitiativen

Auswirkungen und Hinweise

Heute: TechnologyMountains e. V.

Früher: MicroMountains Network e. V.

Tab. 2.3   (Fortsetzung)

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Abb. 2.2   Schematische Darstellung von TechnologyMountains e. V. als cross-sektorale Clusterinitiative

2.3.2 Vorteile einer cross-sektoralen Clusterinitiative 2.3.2.1 Abgestimmtes Dienstleistungsangebot in Verbundprojekten In Verbundprojekten unter dem Dach von TechnologyMountains e. V. kooperieren unterschiedliche Unternehmen mit den zugehörigen Instituten, Organisationen und Dienstleistern (Kunststoff-Institut Südwest GmbH & Co. KG, HahnSchickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e.  V., MedicalMountains GmbH. Die Akteure behalten ihre unterschiedlichen Rechtsformen sowie wirtschaftliche und juristische Eigenständigkeit. Das jeweils beauftragte Institut entwickelt für die Projektpartner ein innovatives, praxisnahes Thema. Es erfordert stets ein hohes technologisches Know-how. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich über die Beiträge der Teilnehmenden. Vorteile eines solchen Verbundprojektes sind: • Cost-Sharing: Mehrere Unternehmen teilen sich die Projektkosten. • Geringe Personalbindung: Weil die Institute die Entwicklungsarbeit erledigen, können die Unternehmen ihre Spezialisten anderweitig einsetzen. Sie müssen meist nur an Projekttreffen teilnehmen.

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• Technologische Marktführerschaft: Die Entwicklungsergebnisse stehen am Ende des Projektes ausschließlich den beteiligten Unternehmen zur Verfügung. Dadurch erlangen sie Wettbewerbsvorteile. • Netzwerkbildung: Die gemeinsame Projektarbeit ergibt oft auch auf anderen Ebenen Anknüpfungspunkte und Synergieeffekte. • Interdisziplinärer Austausch: Das Zusammentreffen von Unternehmen verschiedener Branchen und Technologiesektoren weitet den eigenen Horizont in unterschiedlichsten Themen. • Weiterbildung und Qualifizierung: Die interdisziplinäre Kooperation ergibt automatisch zusätzliche Erkenntnisse im jeweiligen Fachgebiet durch Wissensergänzung aus verwandten, aber bislang noch unbekannten Aspekten anderer Branchen.

2.3.2.2 Intensive Kommunikation Cross-sektorale Clusterinitiativen behandeln naturgemäß komplexe Themen. Daraus folgt, dass umfangreiche Abstimmungen erforderlich sind. Der Technologietransfer funktioniert nur, wenn die Initiative in der Lage ist, die Vorteile der technologischen Schnittmengen zu vermitteln. Mitglieder und Projektteilnehmende müssen die verschiedenen Aspekte leicht verstehen können. Die Sache muss begreifbar gemacht werden. Andernfalls bleibt sie nutzlos. Für TechnologyMountains e.  V. sind drei Kommunikationsaspekte entscheidend: • Die cross-sektorale Clusterinitiative kommuniziert Alleinstellungsmerkmale. Im ganzen Design des Vereins wurde und wird darauf geachtet, die Schnittmengen zwischen Mikro-, Medizin- und Kunststofftechnik zu betonen. Dies macht die Initiative aus und soll daher deutlich kommuniziert werden. • Die Kommunikation lenkt den Blick auf Erfolgsgeschichten. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Management sind in der Lage, binnen drei Minuten die Vorteile des Vereins und konkrete Beispiele zu beschreiben. Das Motto lautet: Keep it short and simple. • Das Management stellt nicht auf theorielastige Methoden, Techniken und aufwendige Kampagnen ab. Die Kommunikation zielt auf simple Weiterempfehlung. Die Aufforderung lautet stets: „Sagen Sie es weiter!“ Weiterempfehlungen von Mensch zu Mensch bringen bekanntlich die größten Erfolge.

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2.3.2.3 Antwort auf technologische Konvergenz Cross-sektorale Innovation kann eine Antwort auf die wachsende technologische Konvergenz sein. Innovationen als Insellösungen sind inzwischen eher die Ausnahme. Bei der Etablierung eines strukturierten Technologietransfers durch cross-sektorale Clusterinitiativen ist es wichtig, dass die Kompetenzfelder mehrere und/oder bedeutende Schnittmengen aufweisen (z. B. das Umspritzen von Mikroteilen mit Kunststoffen). Eine professionelle und interdisziplinäre Begleitung von zwei Querschnittstechnologien durch zwei Akteure innerhalb der Clusterinitiative bringt eine Reihe von Vorteilen. Gerade die Betreuung über Technologiegrenzen hinweg wird von vielen TechnologyMountains-Mitgliedern als eine Qualität der Initiative geschätzt. Deshalb nehmen sie wiederholt an Projekten teil. Solo-Clusterinitiativen können solche Vorteile nur schwer abbilden.

2.3.2.4 “One-Stop-Shop” oder die “No-Wrong-Door-Policy” Ein wesentlicher Aspekt des Erfolgs einer cross-sektoralen Clusterinitiative sollte das Prinzip des “One-Stop-Shop” sein. Die Geschäftsstelle von TechnologyMountains e. V. betreut jede Anfrage aus einem der Sektoren Medizintechnik, Kunststofftechnik oder Mikrotechnik. Man ist hier immer richtig aufgehoben. Es gibt keinen „falschen“ Ansprechpartner. Medizin-, Kunststoff- und Mikrotechnik zählen zu den industriellen Schwerpunkten der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg. Daher ist die Wahrscheinlichkeit recht hoch, Anfragen aus diesen Sektoren zu bekommen. Unternehmer rufen lediglich TechnologyMountains e. V. an und die Geschäftsstelle sucht aus den bekannten Akteuren die beste Konstellation für das angefragte Projekt aus. Ein fachkundiger Lotse gibt die Sache exakt an die Person/en, die die größte Expertise für den konkreten Fall vorweisen. Langes Suchen und wiederholtes Telefonieren entfällt, weil die Geschäftsstelle die kompetenten Personen kennt. Wichtig ist, dass das Clustermanagement eine hohe Methodenkompetenz aufweist und unmittelbar Verständnis für die jeweilige Anfrage entwickelt. Das nötige Fachwissen sitzt bei den Akteuren bei der MedicalMountains GmbH, der Kunststoff-Institut Südwest GmbH & Co. KG und der Hahn-SchickardGesellschaft für angewandte Forschung e. V. Clustermanagement und Akteure bilden eine Symbiose aus dem breiten, übergreifenden Wissen und dem tiefen Fachwissen. Dies entspricht dem sogenannten T-Shape-Modell.

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2.3.2.5 Synergetische Nebeneffekte Die gemeinsame Verwaltung von Mitgliedern durch die cross-sektorale Clusterinitiative entlastet die untergeordneten Einheiten. Einzel-Clusterinitiativen müssten getrennte Mitgliederbestände verwalten, eigene Kommunikationswege unterhalten. Ihr Management würde viel Zeit durch Koordinationstätigkeiten verlieren. Die Organisation durch die cross-sektorale Clusterinitiative ermöglicht eine zentrale Verwaltung der Mitglieder, effiziente Kommunikationswege, schnellere Antworten auf alle Fragen, gemeinsame Messeauftritte usw. Das spart Zeit und Geld und nutzt daher allen Mitgliedern. Beiträge müssen nur einmal statt dreimal vereinnahmt und abgerechnet werden. Also ergeben sich nicht nur im technologischen Bereich Synergien und Schnittmengen, sondern auch im Management und Marketing.

2.3.2.6 Stärkere Sichtbarkeit Die drei untergeordneten Einheiten behalten nicht nur innerhalb der crosssektoralen Clusterinitiative TechnologyMountains e. V. ihre Rolle. Sie bleiben auch nach außen hin eigenständige Institutionen. Bei ihren Marktauftritten machen sie jedoch auch auf TechnologyMountains e. V. als cross-sektorale Clusterinitiative aufmerksam. Sie werben damit nicht nur für sich, sondern auch für die jeweils anderen beiden Institutionen und für ihr Zusammenwirken.

2.3.3 Herausforderungen einer cross-sektoralen Clusterinitiative 2.3.3.1 Abstimmungs- und Kommunikationsaufwand Zumindest in den ersten Phasen des Aufbaus und der Etablierung einer crosssektoralen Clusterinitiative besteht ein erheblicher Kommunikationsbedarf. Im konkreten Beispiel von TechnologyMountains e. V. galt es, drei Projektpartner und Sektoren (Mikrotechnik, Kunststofftechnik, Medizintechnik) einzubinden und zu harmonisieren. Für diesen Zweck bildeten die Partner einen Steuerkreis, dessen Treffen zentrale Bedeutung erhielten. So agierte der Steuerkreis als Korrektiv, das die Aufbauphase inhaltlich und organisatorisch lenkte. Der Steuerkreis wurde zu einer Instanz, die von allen Projektpartnern anerkannt wurde. Er bekam Entscheidungskompetenz und Verantwortung zugeschrieben. Das Vertrauen entstand aufgrund einer transparenten Kommunikation von Entscheidungen und Argumenten.

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2.3.3.2 Ausfallrisiken Fällt innerhalb einer cross-sektoralen Clusterinitiative ein Akteur eines Technologietransfer-Projektes aus, so ist das Gesamtprojekt gefährdet. Wenn im konkreten Fall das Kunststoffinstitut Südwest als Kompetenzträger für Kunststofftechnik ausfallen würde, wäre ein Drittel des Gesamtkonzepts von TechnologyMountains e. V. gefährdet. Dieses Risiko muss bei der Planung einer cross-sektoralen Clusterinitiative unbedingt beachtet werden. Es ist notwendig, die Folgen einer Havarie zu bedenken. Den Akteuren müssen für solche Fälle Handlungsmöglichkeiten an die Hand gegeben werden.

2.3.3.3 Gefahr durch Partikularinteressen Verfolgt ein Akteur innerhalb einer cross-sektoralen Clusterinitiative starke eigene Interessen, erweist sich das insbesondere in der Anfangsphase als kritisch. Eine solche Interessenlage kann das Vertrauen unter den Akteuren empfindlich stören. Gemeinsame Ziele – sowohl in inhaltlicher als auch in monetärer Hinsicht – könnten gefährdet werden. Grundsätzlich sollten alle Aktivitäten innerhalb einer cross-sektoralen Clusterinitiative darauf ausgelegt sein, dass die Akteure untereinander und voneinander profitieren. Der Einzelne tritt etwas zurück, damit alle einen Nutzen haben. Transparenz, Vertrauen und Fairness zählen zu den höchsten Werten einer crosssektoralen Clusterinitiative. Wenn alle Beteiligten gleichermaßen darauf achten, funktioniert die Initiative. Das beweist TechnologyMountains e. V.

2.4 Fazit Aus Sicht der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg hat sich die Transformation des eher unverbindlich agierenden Technologienetzwerks zu einer crosssektoralen Clusterinitiative gelohnt. Die moderne, arbeitsteilige, interdisziplinäre Organisationsform nutzt allen Akteuren. Professionell, schnell, zielbewusst und kostensensibel gelangen die Unternehmen zu neuen, wettbewerbsfähigen Entwicklungen. Das dient nachhaltig dem gesamten Standort. TechnologyMountains e. V. erfüllt nun den praktischen Sinn und Zweck, zu dem Netzwerke und Clusterinitiativen eigentlich geschaffen werden. Der Verein konzentriert sich ganz darauf, den Transportriemen des Technologietransfers in Schwung zu halten. Partner und Akteure können sich auf ihre Fachgebiete konzentrieren, anstatt sich mit organisatorischen und ähnlichen Aufgaben zu belasten.

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Unternehmen machen die Erfahrung, dass sie Ideen und Wünsche einfach abgeben können und bald darauf eine Lösung erhalten. Mitglieder der Clusterinitiative profitieren durch die Vernetzung und Bündelung der Kräfte und Kompetenzen. Somit erhalten sie entscheidende Wettbewerbsvorteile, Kontakte und einen Informationsvorsprung. Es entstehen Sektor und branchenübergreifende Synergien. Die Transformation war ein mutiger Weg. Ohne die Eigeninitiative und ehrliche Selbstkritik des Managements und ohne eine immense Kommunikationsleistung wäre der Wandel niemals angepackt worden. Das darf aus heutiger Sicht und mit Blick auf die Entwicklung zahlreicher anderer Cluster-Organisationen durchaus festgestellt werden. Es ist gelungen, die Unternehmen, Akteure, Partner und Institutionen mitzunehmen. Alle Seiten haben erkannt, dass es klug ist, einer gemeinsamen Mission zu folgen. Transparenz, Vertrauen und Fairness zählen zu den höchsten Werten einer cross-sektoralen Clusterinitiative. Sie waren zwingende Voraussetzungen für den erfolgreichen Wandel. Für diese Transformation gibt es kein Muster und keine Methode. Sie geschah vor dem Hintergrund regionaler Charakteristika, historischer Erfahrungen und des bereitwilligen Engagements einiger Führungspersonen. Bis zu einem gewissen Grad war „Trial-and-Error“ geduldet. Wichtig waren: ehrliche Reflektion, Phantasie für eine bessere Lösung, hartnäckige Überzeugungsarbeit. Aufgrund ihrer hohen Industriedichte – das verarbeitende Gewerbe erschafft 47 % der Bruttowertschöpfung – kann die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg gar nicht umhin, weiterhin technologische Stärke zu fördern und zu entwickeln. Die cross-sektorale Clusterinitiative TechnologyMountains e. V. kann zusammen mit ihren Partnern einen entscheidenden Beitrag dazu leisten.

Kurzprofil

Medizintechnik  + Mikrotechnik  + Kunststofftechnik  = TechnologyMountains. So lautet die Erfolgsformel der Cross-Innovation-Technologieoffensive, die branchenübergreifend Unternehmen vernetzt und fördert. Im Verbund gibt es drei Organisationen, die sich speziell eines dieser drei Kompetenzfelder annehmen. Für die Medizintechnik ist die MedicalMountains GmbH verantwort­ lich, für das Kompetenzfeld Mikrotechnik die Hahn-Schickard-Gesellschaft für angewandte Forschung e. V. sowie die Kunststoff-Institut Südwest GmbH & Co. KG für die Kunststofftechnik.

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Die nunmehr 350 Mitglieder sind vor allem von der grundlegenden Erkenntnis geleitet, gemeinsam schneller voranzukommen, und motiviert von der praktischen Erfahrung, im interdisziplinären Dialog Lösungen auch bei anspruchsvollen Fragen zu finden. TechnologyMountains e. V. ist Mitglied im Bundesprogramm go-cluster des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, trägt das GoldLabel der European Cluster Excellence Initiative sowie das Qualitätslabel „Cluster-Exzellenz Baden-Württemberg“ des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg. Darüber hinaus gehört TechnologyMountains e. V. zu den 100 Preisträgern des Wettbewerbs „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen 2016“ Web: www.technologymountains.de

Literatur ifo Geschäftsklima Deutschland. (2006). Ergebnisse des ifo Konjunkturtests im Juni 2006. www.ifo.de. Räth, N., Dipl.-Ökonom Albert Braakmann sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Bruttoinlandsprodukt. (2005). Statistisches Bundesamt. Wiesbaden: satjs.

Thomas Wolf  ist Geschäftsführer von TechnologyMountains e. V. und Geschäftsbereichsleiter unter anderem für Innovation/Technologie bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Er ist regionaler Cluster-Kontakt des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg für die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg und Mitglied der Cluster Excellence Expert Group der European Cluster Excellence Initiative. Er hat in Konstanz Wirtschaftsinformatik studiert und in Vaduz (FL) einen MBA in Entrepreneurship absolviert. Yvonne Glienke  ist Geschäftsführerin von TechnologyMountains e. V. und seit 2011 zudem Geschäftsführerin der MedicalMountains GmbH in Tuttlingen. Sie ist ebenso Mitglied der Cluster Excellence Expert Group der European Cluster Excellence Initiative. Yvonne Glienke studierte in Furtwangen Wirtschaftsingenieurwesen und sammelte ihre ersten Berufserfahrungen in der Medizintechnik und bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg.

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Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO) Selbstfinanziert und branchenübergreifend Anja Zühlsdorf und Ingrid Lange Zusammenfassung

Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO) wurde Ende 2006 gegründet. Mit 69 produzierenden Mitgliedsunternehmen (Stand September 2019) aus dem Maschinenbau sowie der Metall- und Elektronikbranche ist NIRO das zweitgrößte Netzwerk für Industrieunternehmen in Nordrhein-Westfalen. Mit Sitz in Unna organisiert das Management-Team unter Leitung von Geschäftsführerin Ingrid Lange die vielfältige Netzwerkarbeit. Einem kurzen Überblick über die Entwicklung des Netzwerkes folgen Beispiele aktueller Projekte sowie die Vorstellung des Geschäftsmodells. Abschließend werden einige Vorhaben für die nächste Zeit skizziert.

3.1 Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO) Der Nährboden für das Netzwerk Die Region Ruhr-Ost – dazu gehören die kreisfreien Städte Dortmund und Hamm sowie der Kreis Unna – im Zentrum Nordrhein-Westfalens ist wandlungsfähig und wandlungserprobt. Im östlichen Rand des Ruhrgebiets löst sich der von Stadt zu Stadt ineinander übergehende industrielle Ballungsraum langsam auf und wird A. Zühlsdorf · I. Lange (*)  Netzwerk Industrie RuhrOst e. V., Unna, Deutschland E-Mail: [email protected] A. Zühlsdorf E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_3

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ländlicher. Kohlekrise und Stahlkrise führten zu einem tief greifenden Strukturwandel, der die gesamte Region auszeichnet. Die Montanindustrie ist Geschichte. Zahlreiche Universitäten, Technologiezentren und Logistikparks sind entstanden. Eine heterogene Branchen- und Unternehmenslandschaft begegnet heute neuem Wandel, weiteren Transformationen und Disruptionen: Digitalisierung, Industrie 4.0 und ein technologisch befeuerter Strukturwandel weisen den Weg in eine „Smart Urban Area Ruhr“, die jedoch das Land vor den Toren der Städte mitnimmt. In diesem Umfeld ist das Netzwerk Industrie RuhrOst seit seiner Gründung 2006 mit Sitz in Unna angesiedelt. Die ersten Fäden werden gesponnen Die Wurzeln von NIRO liegen in dem auf drei Jahre angelegten Projekt „KompetenzCentrum Fabrikautomation“, das die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Unna mbH durchführte. Das Projekt wurde vom Land und von der EU gefördert und setzte einen Schwerpunkt auf die Kooperation von Forschung und Wirtschaft im Bereich Maschinenbau, um die Regionalentwicklung voranzutreiben. Der Transfer von Forschungsergebnissen sollte beschleunigt, Partner sollten vernetzt und weitere Verbundprojekte initiiert werden. Auch die gemeinsame Erschließung neuer Auslandsmärkte und innovativer Qualifizierungsmöglichkeiten für Mitarbeitende gehörten zu Zielen des Projektes. Daraus erfolgte am 2. November 2006 die Gründung des Vereins Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. in Unna. Acht Visionäre, darunter sechs regionale Produktionsunternehmen aus dem Maschinenbau und der Metall- und Elektronikbranche, gehörten zu den Gründungsmitgliedern und waren gleich zu Beginn der Netzwerkaktivitäten Botschafter einer Initiative, die das Gemeinschaftliche im Sinn hat: den gemeinsamen Austausch von Erfahrungen, Wissen und Ressourcen, Fachkräftesicherung für die Region sowie gemeinschaftlichen Einkauf und die Erschließung internationaler Märkte. Fädenzieher und Knotenpunkte Ein Netzwerk hat die faszinierende Eigenschaft, weder von oben nach unten noch von unten nach oben zu wachsen. Es gibt jedoch immer einen Beginn, einen ersten Faden. Dieser lag für NIRO im Projekt „KompetenzCentrum Fabrikautomation“. Darüber entwickelten sich wertvolle Kontakte, die Projektleiter Pascal Lampe – später langjähriger NIRO-Geschäftsführer – als Treiber und Kommunikator für ein größer werdendes, branchenübergreifendes Industrienetzwerk nutzen konnte, um NIRO auf- und auszubauen.

3  Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO)

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Ein Knotenpunkt von vielen war für alle Mitgliedsunternehmen von Beginn an der Aufbau eines Einkaufspools für die indirekten Bedarfe, der später durch die Bündelung von Volumen zu besseren Konditionen und optimierten Rahmenbedingungen führte. Daher engagieren sich Einkaufsleitende und Einkaufsverantwortliche aus Mitgliedsunternehmen in zahlreichen Verhandlungsgruppen und organisieren die Ausschreibung, Verhandlung und den Abschluss neuer, attraktiver Rahmenverträge. Zusätzlich zum Einkauf haben sich in den weiteren Handlungsfeldern Innovation, Logistik/Im- und Export, Industrie 4.0, Personal und Marketing Arbeitsgruppen gebildet, in denen sich Mitarbeitende aus den jeweiligen Bereichen regelmäßig zu aktuellen Themen und Problemstellungen treffen und in unterschiedlichen Veranstaltungsformaten austauschen. Neben den Arbeitsgruppen mit ihren jeweiligen inhaltlichen Ausrichtungen stellt die enge Verbindung zu wissenschaftlichen Einrichtungen in der Region einen weiteren Knotenpunkt für die Mitgliedsunternehmen dar. Die Technische Universität (TU) Dortmund mit dem Institut für Produktionssysteme (IPS) der Fakultät Maschinenbau, die FOM Hochschule Dortmund oder das Zentrum für Produktionstechnologie Dortmund (ZfP) finden sich unter den NIRO-Mitgliedern. Die Fädenzieher, die Akteurinnen und Akteure sowie Gestaltenden des Netzwerkes, haben viele Gesichter. Neben dem Organisationsteam und dem Vorstand – bestehend aus acht Verantwortlichen von Mitgliedsunternehmen – sind weitere überzeugte Geschäftsführende und engagierte Mitarbeitende der Mitgliedsunternehmen Teil des Netzwerkes: aus allen Bereichen in allen Positionen bis hin zu den Auszubildenden. Sie arbeiten aktiv in unterschiedlichsten Veranstaltungsformaten mit, machen Themenvorschläge, bringen Problemstellungen ein oder sind über das Intranet „NIRO-Wissen“ involviert. Der persönliche Kontakt auf Augenhöhe ist entscheidend für ein vertrauensvolles Miteinander, nimmt andere mit, zieht weiter Fäden und eröffnet vielfältige Möglichkeiten für Kommunikation und Austausch. Meilensteine im Netzwerk Nach seiner Gründung im November 2006 nahm NIRO Anfang 2007 die Netzwerkarbeit auf und zählte schon nach zwei Jahren 40 Mitgliedsunternehmen. Zum fünfjährigen Bestehen 2011 waren 65 Unternehmen NIRO-Mitglied. Mitte 2019 ist die Mitgliederanzahl mit 69 Mitgliedsunternehmen, darunter auch einige fördernde und assoziierte Mitglieder, weiterhin stabil. Das schnelle Wachstum führte zu neuen Arbeitsgruppen, weiteren Rahmenverträgen für den Einkaufspool und der Initiierung und Etablierung von zwei dualen Studiengängen: Seit September 2008 gibt es an der FOM Dortmund

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(früher Hessische Berufsakademie) die Studiengänge Bachelor Maschinenbau und Mechatronik. NIRO wurde 2009 mit dem Robert-Jungk-Preis für Bürgerengagement ausgezeichnet. 2010 kam es zur Einführung des datenbankbasierten Intranets „NIRO-Wissen“. Seit 2012 gibt es die 100-prozentige Tochter byNIRO GmbH mit dem Einkaufspool onepower und der NIRO-Akademie. Es fanden bereits in den Jahren zuvor EinkäuferInnen-Schulungen statt, die nur für Mitgliedsunternehmen netzwerkintern durchgeführt wurden. Mit der byNIRO GmbH fiel der offizielle Startschuss für die Akademie, die Angebote sind seitdem für alle produzierenden Unternehmen geöffnet.

3.2 NIRO als Verein für produzierende Unternehmen in der Region NIRO ist kein reines Branchennetzwerk. Im Fokus stehen kleine und mittelständische Unternehmen, die in den Bereichen Metall, Maschinenbau und Industrieelektronik agieren und in der Region verwurzelt sind. Es gilt das Konkurrenz-Ausschluss-Prinzip. Dies ermöglicht ein sehr vertrauensvolles Miteinander in der gemeinsamen Netzwerkarbeit, da kein Mitgliedsunternehmen im direkten Wettbewerb mit einem anderen steht. Auch überaus heterogene Unternehmen können vor gleichen Herausforderungen stehen: Fachkräftemangel ist in der Region Ruhr-Ost keine Seltenheit und die gemeinsame Lösung des Problems in einem Netzwerk war für viele Unternehmen von Interesse. Zudem garantierte der Einkaufspool finanzielle Vorteile. Mit dem Austausch in Fachgruppen ergaben sich immaterielle Vorteile und Wissenstransfer. Die enge Zusammenarbeit mit dem Institut für Produktionssysteme (IPS) der Fakultät Maschinenbau an der Technischen Universität Dortmund führte Mitgliedsunternehmen schon zu Beginn auf eine produktionsbezogene Benchmark-Reise und machte eine Verortung der Unternehmen möglich. Mit der Initiierung von zwei dualen Studiengängen schuf NIRO 2008 für seine Mitgliedsunternehmen eine attraktive Möglichkeit, Fachkräfte im Unternehmen hochschulgebunden auszubilden und zu binden. Später wird das Netzwerk eine eigene Akademie von Produktionsunternehmen für Produktionsunternehmen gründen und in der Region etablieren. Der Erfolg des Einkaufspools spricht eine eindeutige Sprache: Seit dem ersten Einkaufsjahr 2008 wurden die Jahresumsätze von anfänglich 800.000 Euro kontinuierlich gesteigert. Nach zehn Jahren seines Bestehens erreichte der Einkaufspool 2018 rund 31 Mio. Euro mit seinen inzwischen 40 aktiven Rahmenverträgen.

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NIRO unterstützt eine intensive Verbindung von Wissenschaft und Industrie, unter anderem mit unterschiedlichsten Projekten in Zusammenarbeit mit Hochschulen und Universitäten in der Region, ermöglicht Kommunikation und Austausch und steigert die Wirtschaftlichkeit seiner Mitgliedsunternehmen durch kostengünstigeren Einkauf und optimierte Prozesse. Vom Wirtschaftsförderungsprojekt zum selbstfinanzierten Industrienetzwerk NIRO ist Ausdruck und Enabler einer (Unternehmens-)Kultur, die vom Vertrauen der Partnerinnen und Partner untereinander getragen wird. Gemeinsame Werte, darunter die fast schon typisch westfälische Bodenständigkeit und das Bekenntnis zur Region und ihren Menschen, aktiver, dynamischer U ­ nternehmenden-Geist, Mut sowie das Wissen um die Notwendigkeit von Innovationen und frühzeitiger Einflussnahme auf anstehende Veränderungsprozesse – all dies sind Charakteristika des Netzwerkes. Hinzu kommen als Alleinstellungsmerkmale die freiwillige Mitgliedschaft und das Agieren in einem konkurrenzfreien Netzwerkraum. Vorstandssprecher Jens te Kaat kennt und begleitet NIRO überzeugt wie engagiert seit der Gründung und konstatiert: „Für NIRO entscheidet man sich freiwillig, wir haben keine Pflichtmitgliedschaft. Dieses klare, aktive Zugeständnis von Unternehmer*innen als Clusterpreneure ist sehr wichtig für das Netzwerk. Außerdem sind wir kein reines Ein-Branchennetzwerk. Unsere Mitgliedsunternehmen sind ganz unterschied­ lich aufgestellt und haben keine Wettbewerber neben sich. Dies wiederum ermöglicht eine selten vertrauensvolle Netzwerkarbeit. So können sich zum Beispiel Verantwortliche aus der Produktentwicklung sicher fühlen, keine Strategien oder sensible Daten an Mitbewerber offenzulegen. Zugleich vernetzen sie sich und das Commitment ist sehr hoch.“

Nicht zuletzt stellt die finanzielle Unabhängigkeit von NIRO eine Besonderheit dar. Anfänglich noch von Fördermitteln unterstützt, war perspektivisch eine Selbstfinanzierung durch Mitgliedsbeiträge vorgesehen. Mit dem absehbaren Ende des geförderten Projektes wurden die Möglichkeiten der eigenständigen Finanzierung geprüft, da bei den Mitgliedsunternehmen der ersten Stunde ein sehr großes Interesse an der Weiterführung des Netzwerkes bestand. Kontinuierliche Netzwerkarbeit, nachhaltige Strukturen und eigenständige, von Projektfinanzierungen unabhängige Aktivitäten erfordern eine sichere Finanzierung, die mittlerweile komplett durch Mitgliedsbeiträge abgedeckt werden kann.

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Dieses Konzept beinhaltet, dass das Netzwerkmanagement eine ausgeprägte Dienstleistungsmentalität zu beweisen hat und die hohe Qualität der Netzwerkarbeit kontinuierlich erhalten muss. Nicht nur finanziell sichern die Mitgliedsunternehmen die Existenz des Netzwerkes: Auch inhaltlich gestalten sie den größten Teil der Netzwerkaktivitäten, bringen Themen und Problemstellungen ein, formulieren Trendthemen und aktuelle Interessen. Ein gern als „Mindset“ bezeichneter Gemeinschaftssinn der Mitgliedsunternehmen ist sicherlich einer der Hauptgründe, warum der Transfer zum selbstfinanzierten Netzwerk gelingen konnte. Die vielfältigen Möglichkeiten des Austausches, die Entwicklung regionaler Standortvorteile durch gemeinsame, innovative Praxislösungen und Kooperationen, wie zum Beispiel ein gemeinsames Standortmarketing und die Positionierung der Mitgliedsunternehmen durch Benchmark-Reisen, gehören zu besonders attraktiven Vorteilen, die das Netzwerk bietet. Die Präsentation als attraktiver Arbeitgeber in der Region über das Netzwerk oder auch die Schaffung neuer Wege in der Personalentwicklung und -rekrutierung gehören desgleichen dazu. Sensible Themen werden vertrauensvoll und auf Augenhöhe behandelt. Hinzu treten die eindeutig materiellen Vorteile, die sich für die Mitgliedsunternehmen durch die Nutzung der Rahmenverträge aus dem Einkaufspool ergeben. Einsparungen bei der indirekten Beschaffung und eine Optimierung der Einkaufsprozesse sind rein rechnerisch eindeutige Vorzüge des Netzwerkes. Nicht zu vergessen: Die Entwicklung eines Netzwerk-Managements, das für die organisatorischen Belange des Netzwerkes zuständig ist und die Durchführung von Aktivitäten, Kommunikation und Information professionell sichert. NIRO ist seit mittlerweile 13 Jahren sehr erfolgreich und hat sich zum zweitgrößten Maschinenbau-Netzwerk in Nordrhein-Westfalen entwickelt. Etwa fünf Jahre nach der Gründung, als sich NIRO in der Region gefestigt und einen Namen gemacht hatte, mehrten sich Anfragen von Unternehmen mit Interesse an einer Mitgliedschaft, die aber aus unterschiedlichen Gründen kein Mitglied werden konnten. Die Geschäftsführung entwickelte daher ein Konzept, um das Geschäftsmodell zu erweitern. Exkurs: NIRO erweitert sein Geschäftsmodell mit der Netzwerktochter byNIRO GmbH 2012 wurde als 100-prozentige Netzwerktochter die byNIRO GmbH gegründet. In enger Anlehnung an das Netzwerk, aber selbstfinanziert, stellt die byNIRO GmbH mit dem Einkaufspool onepower und der NIRO-Akademie ausgewählte Lösungen und Vorteile des Netzwerkes allen interessierten Unternehmen zur Verfügung, unabhängig von deren Größe und Branchenzugehörigkeit.

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Der damalige NIRO-Geschäftsführer Pascal Lampe präsentierte das Konzept zunächst dem Vorstand. Nach seiner Zustimmung wurde die Gründung einer Tochter-GmbH in der jährlich stattfindenden Mitgliederversammlung, zu der alle Geschäftsführenden eingeladen sind, vorgestellt und verabschiedet. Die zu erwartenden Vorteile durch die Erweiterung überwogen und bestehende Vorbehalte konnten ausgeräumt werden. Nicht alle Mitgliedsunternehmen waren überzeugt von der Öffnung des Netzwerkes für andere Unternehmen. Entscheidend war jedoch unter anderem, dass mit der erweiterten Nutzung der Angebote der geplanten NIRO-Akademie ein größerer Kundenkreis erschlossen werden konnte. Hinsichtlich des Einkaufspools bestand die Befürchtung, dass Nicht-Mitgliedsunternehmen von den Rahmenverträgen des Netzwerkes ohne Mitgliedschaft profitieren. Die Kunden des Einkaufspools onepower nutzen die meisten Rahmenverträge, die im Netzwerk erprobt sind, und vergüten dies, indem ein Teil der erzielten Ersparnisse als Serviceentgelt an die byNIRO GmbH geht. Die Auswahl neuer Themen für weitere Rahmenverträge und die Verhandlungshoheit liegen nach wie vor bei den NIRO-Mitgliedsunternehmen, hier gibt es keinerlei Einfluss von außen. Die wachsenden Volumina durch insgesamt noch mehr Einkäufer wirken sich zudem positiv auf kommende Rahmenvertragsverhandlungen aus. Den Einkaufspool onepower nutzen derzeit rund 150 Unternehmen. Auch bei den Lieferanten findet das Konzept große Zustimmung. Sie steuern Empfehlungen und Tipps für zukünftige Nutzende des Einkaufspools bei und profitieren von seiner Marketingunterstützung. Die deutliche Trennung der beiden Einkaufsgemeinschaften betont auch das Corporate Design von onepower: Als eigenständige Marke der byNIRO GmbH stellen zwei Kettenglieder das verbindende Element zur Netzwerkmutter dar. Die Schriftart variiert und auch der Farbraum ist ein anderer. Die NIRO-Akademie ist die zweite Marke der byNIRO GmbH. Logo und Design spiegeln eindeutig die Netzwerkanbindung wider. Die Akademie wurde von Mitgliedsunternehmen initiiert, da ein sehr konkreter Schulungsbedarf zu unterschiedlichsten Themen für Beschäftigte von produzierenden Unternehmen bestand und auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Fach- und Persönlichkeitsschulungen fehlten. Eine Öffnung der Akademieangebote auch für Nicht-Mitglieder wurde mit der byNIRO GmbH möglich. Seitdem sich die Fortbildungslandschaft in den letzten Jahren weiter ausdifferenziert, individualisiert und spezialisiert hat, bietet auch die NIRO-Akademie ein ausgewähltes Programm an, das bestimmte Themen fokussiert. Kooperatives Lernen in den Unternehmen und die Verlagerung des Lernens an Orte der Arbeit sorgen für Praxisnähe und Effizienz.

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Als „Akademie auf Nachfrage“ organisiert die NIRO-Akademie Fortbildungen zu Themen, die Personalverantwortliche der Mitgliedsunternehmen einbringen, sowie Inhouse-Seminare und bietet als einen weiteren Schwerpunkt spezielle Weiterbildungsprogramme an, die über einen längeren Zeitraum laufen. Gerade für betriebliche Führungskräfte und Talente stellen diese intensiven Fortbildungen, die alle eine ausgiebige Projektphase beinhalten und zu einem Großteil in den Unternehmen stattfinden, eine sehr gute Möglichkeit für gemeinsames Lernen inklusive Vernetzung dar. Mit der byNIRO GmbH öffnet sich das Netzwerk und eröffnet ­Nicht-Mitgliedsunternehmen ausgewählte Vorteile, die bei NIRO entwickelt und etabliert werden. Alle drei Parts sind selbstfinanziert (vgl. Abb. 3.1).

Abb. 3.1   Schematische Darstellung der Struktur von Netzwerkverein und Tochtergesellschaft. (Quelle: © NIRO e. V.)

3  Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO)

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3.3 In der Region fest verwurzelt: 13 Jahre konstante Netzwerkarbeit NIRO ist seit seiner Gründung zu einem festen Bestandteil der Region Ruhr-Ost geworden. Im September 2019 bilden 69 Mitgliedsunternehmen das Netzwerk, darunter Marktführer und bekannte Unternehmen, aber auch Hidden Champions und kleinere Unternehmen, die alle sehr unterschiedlich aufgestellt sind. Im Vordergrund der Netzwerkarbeit stehen nie die Produkte der Mitglieder, sondern vorrangig die Prozesse in den Unternehmen. Seit April 2018 leitet Ingrid Lange als Clustermanagerin und Geschäftsführerin die Geschicke von NIRO und der byNIRO GmbH und organisiert mit ihrem Team die Netzwerkarbeit (vgl. Abb. 3.2). In den letzten zwei Jahren bot NIRO die Teilnahme an durchschnittlich 60 Veranstaltungen pro Jahr in den Handlungsfeldern Einkauf, Logistik/Im- und Export, Innovation, Industrie 4.0, Personal und Marketing an. Dazu gehörten in

Abb. 3.2   Das NIRO-Team in Unna. (Quelle: © NIRO e. V.)

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erster Linie Treffen der einzelnen moderierten Arbeitsgruppen, Exkursionen zu Mitgliedsunternehmen oder Lieferanten, Kollegiale Fallberatungen, Erfahrungsaustausche, Workshops, Fachtagungen, World Cafés und Informationsveranstaltungen zu teilweise handlungsfeldübergreifenden Themen. Im Fokus stehen Kommunikation und Austausch zu aktuellen Problemen und Schwerpunkten. Ingrid Lange zur aktuellen Netzwerkarbeit: „NIRO lebt von den zahlreichen Entrepreneuren in den Mitgliedsunternehmen und von den vielen einzelnen, sehr engagierten Mitarbeitenden, deren großer Einsatz viele andere mitnimmt. Das hält das Netzwerk lebendig und innovativ. Natürlich müssen wir ein Gespür für die Bedürfnisse unserer Mitglieder haben und Themen und Schwingungen aufnehmen. Nicht zuletzt haben wir umso mehr den Anspruch, eine zeitgemäße Netzwerkarbeit auf hohem Niveau zu realisieren, da wir nicht über Fördergelder finanziert werden.“

Dazu gehört auch, Tendenzen, Trends und Entwicklungen auszuloten und in die Netzwerkaktivitäten zu integrieren. So hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Rahmenverträge des Einkaufspools zusätzlich zu Produkten auch Dienstleistungen mit in den Fokus der Einkaufsverantwortlichen rücken. Nach Rahmenverträgen mit Partnern aus dem Bereich Unfallverhütungsvorschrift-Prüfung (UVV-Prüfung) kamen weitere zu Übersetzungsdienstleistungen sowie aus dem Personal-, Recruiting- und Stellenanzeigenbörsenbereich hinzu. Laufend werden andere Rahmenvertragsthemen geprüft, die für Mitgliedsunternehmen attraktiv sein könnten. Ingrid Lange konstatiert: „Vernetzung findet überall statt. Wir machen Netzwerkarbeit nach innen und außen. Auch die Öffnung nach außen ist in einigen Fragen immens wichtig, um neue Impulse zu bekommen und den Blick über den Tellerrand hinaus zu wahren. Wir verfolgen einen ganzheitlichen Ansatz, der die komplette Informations- und Wertschöpfungskette im Blick behält. Handlungsfelder greifen ineinander und stehen nicht mehr isoliert da. Gerade mit wachsender Digitalisierung in den Unternehmen in allen Bereichen gibt es immer mehr übergreifende Themen.“

Exkurs: NIRO öffnet sich in Kooperationen Zusätzlich zu den Netzwerkveranstaltungen, die nur für Mitglieder organisiert werden, gibt es offene Workshops und Informationsveranstaltungen. NIRO ist Mitglied des Programms „go-cluster“, der clusterpolitischen Exzellenzmaßnahme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Im Rahmen der zweiten bundesweiten Clusterwoche im April 2019, in der deutsche Netzwerkinitiativen rund 200 Aktionen und Veranstaltungen anboten, hat NIRO einen Workshop zum Thema „Lösungsorientiert mit Widerständen umgehen“ durchgeführt. Neben

3  Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO)

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einem Porträt über NIRO für die Clusterplattform erhöhte dies die Sichtbarkeit des Netzwerkes in der Region und darüber hinaus. Gemeinsam mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Unna mbH konzipierte und realisierte NIRO den „1. Tag der Fördermöglichkeiten“ für die Region im Juni 2019. An einem Nachmittag drehte sich alles um Fördermöglichkeiten und -mittel. Elf Institutionen informierten und berieten die Besucherinnen und Besucher, die für ihre Unternehmen teils schon sehr konkrete Fragestellungen klären wollten oder allgemeinere Interessen hatten, so etwa zum Thema Elektromobilität, zu Energieprojekten, Abfallvermeidung oder Finanzierungskonzepten. Voraussichtlich wird es nach der gelungenen Premiere des neuen Veranstaltungsformats eine Fortsetzung geben. Die „Digitale Woche Dortmund“, initiiert von der Wirtschaftsförderung Dortmund, gilt als sehr erfolgreiches Digitalfestival, das in die Region abstrahlt. Im November 2019 stand die dritte Runde mit über 100 Veranstaltungen an mehr als 50 Orten an; NIRO bot in Zusammenarbeit mit der IPS Engineers GmbH in einem Workshop zum Thema „Industrial Internet of Things (IIoT) – Anwendungsmöglichkeiten und potenzieller Nutzen“ allen interessierten Unternehmen die Gelegenheit, sich genauer darüber zu informieren. Themen- oder anlassbezogen ergeben sich vielfältige Möglichkeiten, ausgewählte Veranstaltungen auch für Nicht-Mitglieder zu öffnen und damit weitere Kooperationsformen zu etablieren und zu nutzen, um sich als Netzwerk für Unternehmen in der Region zu präsentieren und neue Impulse zu geben.

3.4 In zunehmend digitalen Zeiten (auch) analoges Netzwerken managen „Der Blick in die Glaskugel – wie begegnen Unternehmen in der Region Ruhr-Ost dem allpräsenten Wandel und bleiben zukunftsfähig? Das ist eine ­ Frage, die wir uns fast täglich stellen und die wesentlich unsere Netzwerkarbeit mitbestimmt, um Menschen sinnvoll zusammen zu bringen“, stellt Ingrid Lange fest. Bei NIRO werden die Herausforderungen der Zeit – mittlerweile von Digitalisierungs- und Changeprozessen kaum mehr zu trennen – immer sehr konkret und wenig allgemein thematisiert. Da zählt umso mehr der Input der Mitgliedsunternehmen. Einzelne Problemstellungen, zum Beispiel in der Produktion, bei der Entscheidung über eine bestimmte Beschaffungsplattform oder zu drängenden Fragen der Informationssicherheit, werden in das Netzwerk getragen, gemeinsam oft auch bei Unternehmen vor Ort analysiert, diskutiert und

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idealerweise gelöst. Dies kann am besten im persönlichen Austausch geschehen, unter Zuhilfenahme des Experten- und Erfahrungswissens von Kolleginnen und Kollegen aus anderen Mitgliedsunternehmen oder auch von externen Fachleuten, in Arbeitsgruppen, themenbezogenen Ad-hoc-Gruppen oder Kollegialen Fallberatungen. Es gilt, ganz konkret Prozesse zu verbessern, um zukunftsfähig zu bleiben. Da hilft „Google“ nicht immer weiter. Digital und Analog sind keine voneinander isolierten Welten; ihre gelungene Kombination kann die Netzwerkarbeit bereichern. Seit 2010 können ­NIRO-Mitglieder das Online-Portal NIRO-Wissen nutzen, sich zusätzlich darüber austauschen, Informationen eingeben oder ansehen, Dokumente veröffentlichen, Protokolle einsehen, einen Marktplatz in Form von „Suche-Biete“ nutzen etc. Für das NIRO-Team erleichtert diese Art der Informationsvermittlung und Kommunikation die Veranstaltungsorganisation wesentlich. Die NIRO-Akademie ist sehr erfolgreich mit ihren Präsenzangeboten und hat sich als regionaler Weiterbildungsanbieter für regionale Produktionsunternehmen etabliert. Doch auch hier existieren Überlegungen, digitale Lernformate und virtuelle Lernumgebungen, zeit- und ortsungebunden, ergänzend für ausgewählte Lerninhalte zur Verfügung zu stellen. Noch viel mehr Mitarbeitende sollten auf dem Weg in eine digitalisierte Arbeitswelt kompetent geschult werden, um den künftigen Herausforderungen der „New Work“ gestärkt begegnen zu können. Im Bereich Einkauf können die NIRO-Mitgliedsunternehmen zwischen zwei E-Procurement-Plattformen wählen. Als feste Rahmenvertragspartner bieten sie eine zukunftssichere Anbindung, um Prozesse im Einkauf zu digitalisieren und zu optimieren. Das Geschäftsmodell von NIRO ist erprobt und erfolgreich. Ingrid Lange fasst zusammen: „NIRO kann schon seit vielen Jahren auf eigenen Beinen stehen und das soll auch so bleiben. Natürlich müssen wir dafür einige Anstrengungen unternehmen und mit unseren Dienstleistungen für unsere Mitglieder hilfreich und up to date sein. Wir halten auch nach neuen Mitgliedsunternehmen Ausschau, aber es muss passen. Wir werden also kontrolliert wachsen, denn die Qualität der Arbeit soll sichergestellt werden. Eine größere Sichtbarkeit und Präsenz des Netzwerkes in den nächsten Jahren zu erlangen, ist sicherlich ein Ziel, und auch eine noch bessere Einbindung in andere regionale und lokale Netzwerke wie die IHKs und Wirtschaftsförderungen in unserer Region.“ Exkurs: NIRO auf dem Weg in die Smart Urban Area Ruhr: Industrial Internet of Things und Produktions-IT Zwei neue Projekte für die nächste Zeit haben Mitgliedsunternehmen in das Netzwerk eingebracht.

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Zum Thema Industrial Internet of Things (IIoT) beschäftigen sich viele Produktionsunternehmen mit den Anwendungsmöglichkeiten und dem potenziellen Nutzen einer gemeinsamen Plattform. Die Chancen und Risiken müssen ausgelotet und die Rentabilität geklärt werden. Dazu starteten im Sommer 2019 Vorbereitungen in Zusammenarbeit mit der IPS Engineers GmbH, einem aus dem Institut für Produktionssysteme der Fakultät Maschinenbau an der Technischen Universität Dortmund stammenden Team von Fachleuten, das explizit zum Thema IIoT forscht. Das Projekt sieht die wissenschaftlich gestützte Analyse und Verortung der Mitgliedsunternehmen hinsichtlich ihres ­IIoT-Potenzials in Workshops vor, um später eine gemeinsame Plattform entwickeln zu können (vgl. Abb. 3.3). Daraus wiederum könnten im Netzwerk Themen für neue Rahmenverträge aufgegriffen werden, etwa wenn es um mögliche Provider oder benötigte Software geht. Das Thema Fachkräfte hat nach wie vor eine sehr hohe Relevanz im Netzwerk. Rund zehn Jahre, nachdem NIRO die Einführung zweier dualer Studiengänge mit initiierte, zeigt sich mittlerweile der Bedarf an qualifizierten Fachkräften der Richtung „Produktions-IT“. Doch es gibt (noch) keine passende

Abb. 3.3   So könnte eine IIoT-Plattform für NIRO-Mitglieder aussehen. (Quelle: © IPS Engineers GmbH)

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Ausbildung dazu. Klassische (Ingenieurs-)Ausbildungen in Produktion und IT nähern sich mit ihren Lehr- und Studieninhalten einander an, und erste Studiengänge – wie „Master Digital Transformation“ oder „Master Embedded Systems for Mechatronics“ – weisen in die richtige Richtung, können jedoch die Lücke derzeit nicht füllen. Data Analysts, Data Scientists oder Big Data Engineers kursieren im Kosmos der angesagten Jobs, doch auch hier ist in den seltensten Fällen eine engere Anbindung an die Produktion zu finden. NIRO-Mitgliedsunternehmen benötigen Spezialisten, die beide Bereiche ­ abdecken; vielleicht kann man diese gemeinsam nutzen oder aber entsprechend ausbilden. Daher prüft NIRO zusammen mit Personalverantwortlichen aus den Unternehmen und verschiedenen Expertinnen wie Experten von Universitäten und Bildungseinrichtungen, welche Möglichkeiten es gibt, zeitnah den Engpass durch spezielle Fortbildungen oder Studienmodule zu beheben. Dies sind nur zwei aktuelle Beispiele für den Weg des Netzwerks in eine Smart Urban Area Ruhr. Die Region ist (wieder einmal oder immer noch) im Umbruch. Kaum scheint der eine Strukturwandel gemeistert, steht auch schon der nächste in den Startlöchern und man ist sich einig: Die Digitalisierung greift in alle unsere Lebensbereiche ein, Ignorieren ist keine Option, tief greifende Veränderungen stehen an. Da sind Konstanten manchmal besonders wertvoll, betont Ingrid Lange: „Versprechen und Ansporn oder Vision und Ziel – gleichzeitig ist bei NIRO das ,Mit Vertrauen gemeinsam‘ stark. Das hat in den letzten 13 Jahren gut funktioniert und ich hoffe, das wird so bleiben. Ein starkes Netzwerk bietet immer auch Sicherheit, und das wissen viele unserer Mitgliedsunternehmen zu schätzen.“

3.5 Tipps und Erkenntnisse NIRO konnte sich in einer Region ansiedeln und etablieren, die zahlreiche strukturelle Veränderungen durchlaufen hat, sich immer wieder auf Neues einlassen musste und die Bedeutung verlässlicher Partnerschaften hoch schätzt. Daher waren die Rahmenbedingungen für ein neues Netzwerk sicherlich günstig. Einige davon lassen sich verallgemeinern und für andere Organisationen nutzen. Es braucht die richtige Zeit, den richtigen Ort und die richtigen Menschen Netzwerke entstehen nicht einfach, eine Verordnung „top-down“ ist selten erfolgreich. Viele einzelne Komponenten müssen den passenden Nährboden bilden. Die richtige Zeit ist gekommen, wenn mehrere Unternehmen vor gleichen Heraus-

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forderungen stehen und gemeinsame Lösungen in den Blick geraten. Es braucht den richtigen (nicht zwingend realen) Ort, der Zusammenhalt bietet und Identität stiftet. Nur mit den richtigen Menschen lässt sich gute Netzwerkarbeit realisieren: Überzeugungstäterinnen und -täter, die engagiert und mit langem Atem den Aufbau meistern, eine solide Basis an aktiven Netzwerkmitgliedern, die es weiter entwickeln und lebendig halten und ein kompetentes Netzwerkmanagement für die allgemeine Organisation der Netzwerkaktivitäten und Wahrung der Kontinuität. Hinzu kommen verlässliche Partnerinnen und Partner, die als Lieferanten oder in Kooperationen das Netzwerk bereichern. Im Netzwerk ist Mehrwert Das Netzwerk muss seinen Mitgliedern eindeutigen Mehrwert und Nutzen bringen. Im Netzwerk zu sein, muss sich lohnen. Bei NIRO geschieht das über unterschiedlichste materielle wie immaterielle Vorteile. Der Einkaufspool bringt für die Mitgliedsunternehmen mit der Nutzung der Rahmenverträge rechenbare Einsparungen und verbesserte Konditionen. Austausch und innovativer Wissenstransfer, die in zahlreichen Netzwerkveranstaltungen stattfinden, haben Beratung, Analyse, Benchmarking, Bestätigung, Therapie, Gemeinschaft, neue Impulse, Sicherheit und den Blick über den Tellerrand im Gepäck. Die Angebote der NIRO-Akademie sind exakt auf die Bedarfe der Unternehmen zugeschnitten und ermöglichen zusätzlich Vernetzung. Dynamisch, agil, bodenständig und treu Keine Gegensätze, sondern ein Konglomerat, das zukunftsfähig hält und individuelle wie aktuelle Aspekte berücksichtigt. NIRO hat für sich diese klaren Werte formuliert, die den notwendigen Wandel sowie den Mut zu Veränderungen beinhalten und für Dynamik sorgen. „Agil“ und „flexibel“ charakterisieren unabdingbare Eigenschaften eines Netzwerkes, das auf Perspektive konzipiert ist. Sie spiegeln Prinzipien der Netzwerkarbeit wider. Die Menschen in Nordrhein-Westfalen und auch die Region Ruhr-Ost kämpfen manchmal ­ dagegen an und sind durchaus auch ein wenig stolz darauf: Das Image, bodenständig zu sein. Die Verwurzelung in der Region, die Pflege und Nutzbarmachung alter „Kumpeltugenden“ wie Solidarität, Geradlinigkeit, Ehrlichkeit und hemdsärmelige Tatkraft korrespondieren mit Loyalität und Treue. Diese Grundstimmung wirkt bei NIRO verstärkt, da keine miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen gleichzeitig Mitglied sein können. Klar formulierte und gelebte Werte schaffen Identität, ein vertrauensvolles Miteinander und geben Kontur. Ein Ausdruck von Treue oder Kontinuität ist auch die geringe Fluktuation der Mitgliedsunternehmen. Der Großteil kam in den ersten Jahren in das Netz-

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werk. Gründe für Austritte in der Vergangenheit lagen fast ausschließlich in Übernahmen, Insolvenzen oder Standortschließungen. Vertrauen ist besser NIRO bietet einen Raum, in dem vieles möglich ist. Dazu braucht es Vertrauen, das sich nur über einen längeren Zeitraum entwickeln und wachsen kann. Hinzu treten gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse, die dieses Vertrauen stützen. Im Netzwerk begegnet man sich auf Augenhöhe und respektvoll in einem fairen, kollegialen Umgang. Es gibt eindeutige Spielregeln: Unternehmensinterna verbleiben im Netzwerk, und in Einkaufsverhandlungen werden von NIRO ermittelte Preise, Zahlungs- und Lieferkonditionen von Lieferanten nicht für eigene Nachverhandlungen mit bestehenden Lieferanten missbraucht. Das Abwerben von Fach- und Führungskräften anderer Mitgliedsunternehmen ist tabu. Ohne Netzwerkphilosophie ist alles nichts Jedes Netzwerk benötigt ein philosophisches Gerüst, das eine spezifische Netzwerkkultur ermöglicht, sichert und fortschreibt. NIRO hat sich mit seinen klar definierten Werten eine derartige Grundlage geschaffen. Mit der Mitgliedschaft werden diese akzeptiert, bestätigt und getragen. Es existiert eine Kultur, die Experimente zulässt und auch Angebote oder Themen ausprobiert, deren Zeit vielleicht (noch) nicht gekommen ist. Das Management-Team verfolgt eine lernende Grundhaltung, ist am Ohr der Mitgliedsunternehmen und ermöglicht vieles, verordnet jedoch nichts. Auch für NIRO ist der stete Wandel zum Alltag geworden: Themen und Menschen ändern sich, aber die Basis bleibt gleich. Netzwerken ist auch immer ein bisschen Nach-Hause-Kommen.

Kurzprofil

Das Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (NIRO) wurde 2006 gegründet und vernetzt Unternehmen aus den Branchen Maschinenbau sowie Metall- und Industrieelektronik in der Region Ruhr-Ost. Derzeit (Stand September 2019) profitieren 69 Mitglieder mit ca. 17.000 Beschäftigten von den umfassenden materiellen und immateriellen Vorteilen der Kooperation und des eigenen Einkaufspools. Gemeinsam werden innovative Lösungen für die Handlungsfelder Einkauf, Logistik und Import/Export, Innovation, Industrie 4.0, Personal und Marketing erarbeitet.

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NIRO ist eines der anerkanntesten Netzwerke in Deutschland und Teil der Initiative „go-cluster“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Die byNIRO GmbH als Tochterunternehmen von NIRO stellt allen Unternehmen deutschlandweit Vorteile des Netzwerkes zur Verfügung: Der onepower-Einkaufspool greift auf die leistungsstarken Rahmenverträge zurück, die gemeinsam mit NIRO-Mitgliedern ausgehandelt wurden. Die NIRO-Akademie bietet Fort- und Weiterbildungen sowie Angebote der „Akademie auf Nachfrage“ auch für Nichtmitglieder des Netzwerkes. www.ni-ro.de

Weiterführende Literatur Athanas, C., & Graf, N. (Hrsg.). (2013). Innovative Talentstrategien. Talente finden, Kompetenzen fördern, Know-how binden, darin: Die Außensicht – Fallbeispiel Netzwerk Industrie RuhrOst e. V. (S. 235–242). Freiburg. Bensmann, D. (2018). Netzwerke. Eine innovative Organisationsform nutzen und managen. Freiburg. Thiel, S. (2007). Das „Netzwerk Industrie RuhrOst“ (NIRO) – Bewertung des Leistungspotenzials eines Netzwerkes (Diplomarbeit). Dortmund.

Dr. Anja Zühlsdorf ist Kultur- und Medienwissenschaftlerin. Nach Stationen im ­Medien-und Agenturbereich ist sie seit 2018 bei NIRO zuständig für die Handlungsfelder Personal und Marketing und verantwortet dort die Kommunikation. Ingrid Lange ist Wirtschaftswissenschaftlerin und Organisationspsychologin. Sie begleitete Unternehmen in Team- und Führungsentwicklungsprozessen. Bei einem weltweit agierenden Anlagenbauer gestaltete sie ein umfangreiches Change-Projekt und baute den Bereich Operational Excellence und Lean in der Produktion auf. Sie leitet seit 2018 NIRO als Geschäftsführerin und betreut zudem die Handlungsfelder Produktion und Digitalisierung.

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Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche Erfolgreiche Clusterinitiative: BioRegio STERN Management GmbH Klaus Eichenberg Zusammenfassung

Die BioRegio STERN Management GmbH ist ein bedeutender Wirtschaftsentwickler für die Life-Sciences-Branche. Für Gründer und Unternehmer aus den Regionen Stuttgart und Neckar-Alb mit den Städten Tübingen und Reutlingen ist sie die zentrale Anlaufstelle. In der Region mit ihrer Konzentration starker Branchen wie der Automobil- und Zulieferindustrie entwickelt die BioRegio STERN Management GmbH ein neues Cluster. Sie verknüpft die Akteure des Life-Sciences-Clusters mit der Automatisierungstechnik sowie dem Maschinen- und Anlagenbau. Außerdem führt sie etablierte Familienbetriebe der Medizintechnik mit den jungen Biotechnologie-Unternehmen zusammen. Leitthemen wie „Automatisierung“ oder „Internationalisierung“ werden mithilfe der Clusterakteure mit Leben gefüllt, beispielsweise durch erfolgreiche Unternehmenskooperationen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die wichtigsten Verbindungen nicht durch digitale Netzwerke geknüpft werden, sondern durch persönliche Gespräche.

K. Eichenberg (*)  BioRegio STERN Management GmbH, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_4

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K. Eichenberg

4.1 Die Clusterinitiative: Entstehung und Struktur Vor über 20 Jahren hat das damalige Bundesministerium für Forschung den Wettbewerb „BioRegio“ zur Gründung von Biotechnologie-Clustern ausgerufen. Ziel war die Etablierung einer Life-Sciences-Industrie in Deutschland nach dem Vorbild der USA. Das Konzept der BioRegionen war so erfolgreich, dass das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF 2001) erneut eine Förderausschreibung auflegte: den „BioProfile-Wettbewerb“. Diesen gewann ein Zusammenschluss der Städte und Regionen Stuttgart, Tübingen, Esslingen, Reutlingen und Neckar-Alb mit dem Thema „Regenerationsbiologie“. Gemeinsam gründeten sie die BioRegio STERN Management GmbH mit Sitz in der Landeshauptstadt Stuttgart. Zu diesem Zeitpunkt standen bereits mehrere Firmengründungen im Bereich Regenerative Biologie in der Region an; daher war es naheliegend, eine entsprechende Clusterinitiative zu schaffen, um die entstehende Dynamik positiv zu verstärken. Gleichzeitig sollte diese Gesellschaft auch die bisherigen Aktivitäten des Verbandes Region Stuttgart und des Regionalverbandes Neckar-Alb im Bereich Biotechnologie neu strukturieren, bündeln und zu einer „Metropolregion“ führen. Heute ist die BioRegio STERN Management GmbH ein bedeutender Wirtschaftsentwickler für die gesamte Life-Sciences-Branche in der Region und zentrale Anlaufstelle für Gründer und Unternehmer – auch aus kooperierenden Hightech-Branchen wie Automatisierung und IT. Die BioRegio STERN Management GmbH bietet ein breites Spektrum an Dienstleistungen. So forciert sie Neugründungen und Kooperationen, unterstützt bei Finanzierung und Fördermitteln, bietet Dienstleistungen und Services wie spezielles Coaching zum Thema Produktzulassung und Fachveranstaltungen an und stellt Anträge für Förderprojekte, die ausschließlich eine Clusterorganisation einreichen kann. Den Unternehmen bietet das Clustermanagement darüber hinaus einen professionellen Presseservice, eine Unternehmensdatenbank sowie ein Online-Jobportal an. Diese Leistungen sind für die „Mitglieder“ der BioRegion STERN allesamt kostenfrei – auch wenn der Begriff „Mitglied“ irreführend ist. Denn die Akteure, die die Basis der BioRegion STERN bilden, bezahlen weder einen Beitrag noch haben sie einen Vertrag unterzeichnet. Sie haben lediglich zugestimmt, sich in der Unternehmensdatenbank und einer Landkarte eintragen zu lassen. Die 366 Clusterakteure tauschen jedoch Informationen aus, nehmen an Veranstaltungen teil, diskutieren, engagieren sich – und identifizieren sich dadurch auch mit der Region. Die BioRegio STERN Management GmbH involviert ihre Clusterakteure zwar mittels Rundbriefen, Homepage und

4  Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche

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Pressearbeit. Die wichtigsten Verbindungen werden jedoch nicht durch digitale Netzwerke geknüpft, sondern durch persönliche Gespräche. So kontaktierten die Mitarbeitenden der BioRegion STERN für die Aktualisierung der Landkarte im Jahr 2016 alle auf der Landkarte sowie in der Online-Unternehmensdatenbank vertretenen Unternehmen, Dienstleister und Institute (vgl. Abb. 4.1). Die Erfahrung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass vertrauliche Gespräche und kleine Fachevents mehr Identität mit der Region bzw. dem Cluster stiften als Fragebögen und „Mission Statements“. Es gibt daher nur eine große

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Biotechnologie

1

Medizintechnik

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Engineering

35

BietigheimBissingen 3

4

10

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Services

Backnang

1 1

Institute

2

2 1

10

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Ludwigsbur g

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6 9

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9 6 7

Leonberg

3

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Stuttgar t

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9

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Fellbach

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8

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23 38 39

10 11

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24

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21 50 38 39 22 24

Ost- 22 49 23 20 fildern

18

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Esslingen

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23

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Filderstadt

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25

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Göppingen

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Kirchheim unter Teck

Nürtingen

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27 53 28 55 29

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Tübingen

Schorndorf

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Herrenberg 29 50

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Leinfelden- 43 Echterdingen 26

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© Qblau GmbH | Stand Februar 2017

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www.bioregio-stern.de

Abb. 4.1   Landkarte der BioRegion STERN. (Quelle: BioRegio STERN Management GmbH)

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Veranstaltung, die inzwischen längst ein sehr beliebter „Pflichttermin“ aller Clusterakteure ist: den jährlichen Sommerempfang. Wer die Entscheider, Treiber und Stakeholder der Clusterinitiative kennenlernen möchte, trifft sie hier. Das Event bildet auch den Rahmen für die Preisverleihung von „Science2Start“. Dieser Wettbewerb zeichnet die Ideen von Nachwuchswissenschaftlern oder Gründern aus den Life-Sciences in der BioRegion STERN für ihre wissenschaftliche Exzellenz und ihr wirtschaftliches Potenzial aus und erfährt regelmäßig große öffentliche Aufmerksamkeit.

4.2 Herausforderungen und Lösungen Die BioRegio STERN Management GmbH stand von Anfang an vor der Herausforderung, dass sie an einem produktionsgetriebenen Standort, der jahrzehntelang fast ausschließlich – und sehr erfolgreich – durch die Fahrzeugindustrie, den Maschinenbau und ihre Zulieferer geprägt wurde, die Biotechnologie als neue, ebenfalls relevante Branche etablieren sollte. Die Technologien dieser Branche sind hochinnovativ und forschungsintensiv, sie müssen anfangs bezuschusst werden; lange Entwicklungs-, Erprobungs- und Zulassungszeiten machen ihre Produkte, wenn sie denn bereits marktreif sind, teuer. Das heißt, die meisten der jungen Unternehmen in der Region benötigen noch über längeren Zeitraum hinweg finanzielle Unterstützung, ehe sie mit ihren Ideen Geld verdienen können. Als öffentlich finanzierte Wirtschaftsförderungseinrichtung soll die BioRegio STERN Management GmbH also Arbeitsplätze schaffen in einem Sektor, der als solcher noch gar nicht existiert, mit Unternehmen, die noch gar kein Geld verdienen. Hinzu kommt, dass die BioRegio STERN Management GmbH interkommunal aufgestellt ist und bei der Bewältigung dieser Aufgabe die Interessen mehrerer Städte und Regionen mit teilweise unterschiedlichen Anliegen und Zielsetzungen zusammenführen muss. Die Management GmbH hat aktuell vier Gesellschafter: die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart mit 50 % der Anteile sowie die Universitätsstadt Tübingen, die Stadt Reutlingen und den Regionalverband Neckar-Alb, die jeweils 16,7 % der Anteile halten. Das Alleinstellungsmerkmal Die BioRegio STERN Management GmbH hat die Herausforderung, in einer Region mit einer außergewöhnlich starken Ansammlung spezieller Branchen ein neues Cluster zu etablieren, als Chance gesehen und Synergieeffekte gesucht – und gefunden. So ist diese Region, die weltweit berühmt für ihre Automobilhersteller ist, auch Heimat von über 120 mittelständischen

4  Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche

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­ edizintechnik-Unternehmen. Die Kombination aus diesen etablierten FamilienM betrieben, „Hidden Champions“ und den jungen Biotechnologie-Unternehmen ist ein Alleinstellungsmerkmal des Clusters. Folgerichtig ist es die Strategie der BioRegio STERN Management GmbH, ihr Life-Sciences-Cluster mit der hiesigen Automatisierungstechnik sowie dem Maschinen- und Anlagenbau zu verknüpfen und somit eine außergewöhnliche Mischung von HightechKompetenzen aus ­ Start-ups und Weltkonzernen entstehen zu lassen. Die wirtschaftliche Prosperität wird durch wissenschaftliche Exzellenz aus zahlreichen renommierten Forschungsinstituten und drei Universitäten ideal ergänzt. Hilfreich ist der BioRegio STERN Management GmbH dabei auch ihre Position als interkommunale Gesellschaft. Gerade weil sie unterschiedliche Regionen und Städte mit ihren unterschiedlichen Branchenverteilungen und Zielsetzungen vertritt, konnte sie Strukturen etablieren, die den verschiedensten Anforderungen gerecht werden. Außergewöhnlich und hilfreich war und ist dabei, dass sie für ihre Arbeit mit einer unbefristeten Grundfinanzierung ausgestattet ist. Verbunden mit dem Vertrauen des Aufsichtsrates, der sich aus Vertretern der Regionen und Städte zusammensetzt, hat sie eine starke Position zur Etablierung eines erfolgreichen Biotech-Standortes. Dass diese Strategie überzeugt, wird der BioRegio STERN Management GmbH auch von unabhängiger Seite bescheinigt: Sie wurde mehrfach für ihr erfolgreiches Clustermanagement mit dem Silver Label des European Secretariat for Cluster Analysis (ESCA) ausgezeichnet. Und die gemeinsame Standortinitiative von Politik und Wirtschaft „Deutschland – Land der Ideen“ hat das Unternehmensnetzwerk „ELSA – Automatisierungslösungen für die Biowissenschaften“ 2016 unter die 100 besten Projekte gewählt. Die BioRegion STERN ist dadurch offiziell ein „Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen“. Die Strategie Projekte müssen in die Strategie passen und das Cluster weiterentwickeln. Nach dieser Devise entscheidet die BioRegio STERN Management GmbH über die Teilnahme an Förderwettbewerben und -projekten. Es geht also nicht primär um Fördermittelakquise, sondern darum, durch konkrete Projekte, die einen hohen Nutzen für die Clusterakteure haben, das Cluster weiterzuentwickeln. Für ein Projekt – beispielsweise ELSA zum Thema „Automatisierung“ – bewirbt sich das Team des Clustermanagements nur, wenn es in die Region und zu den Akteuren des Clusters passt oder es ideal ergänzt. Diese projektorientierte Strategie der BioRegio STERN Management GmbH zielt dabei stets auf Kooperation statt auf Konfrontation, auf Branchenverknüpfung statt Branchenwettbewerb, gerne mit unkonventionellen Kooperationen und Aktionen wie etwa „Einschnitte – Einblicke“

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(vgl. Abb. 4.2). Diese außergewöhnliche Workshop-Reihe organisiert die BioRegio STERN Management GmbH mit dem Interuniversitären Zentrum für Medizinische Technologien Stuttgart – Tübingen (IZST) und dem Verein zur Förderung der Biotechnologie und Medizintechnik e. V. „Einschnitte – Einblicke: Medizintechniker und Ärzte im Dialog“ bringt zahlreiche verschiedene Fachärzte zu den jeweiligen Themen, zum Beispiel „Bauchchirurgie“ oder „Kopf, Hals“, gemeinsam an einen (OP-)Tisch in der Anatomie. Ingenieure aus der Medizintechnik erfahren von den Medizinern direkt vor Ort den „Medical Need“ und gewinnen bei der interdisziplinären Zusammenarbeit exklusiven Wissensvorsprung sowie konkrete Ideen für die Neu- und Weiterentwicklung von Instrumenten und Geräten. Ein anderes wichtiges Element der Strategie der BioRegio STERN Management GmbH ist es, die cross-sektorale Zusammenarbeit zu fördern. Die Fachveranstaltung „Synergien entdecken – Medtech und Biotech“ war ein erster

Abb. 4.2   Einschnitte – Einblicke: Live-Diskussion mit ärztlichen Direktoren. (Quelle: BioRegio STERN Management GmbH)

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wichtiger Schritt im Jahre 2006, die Clusterakteure mit Akteuren der Medizintechnik zusammenzubringen. Das Clustermanagement war hier ein wesentlicher Treiber. Inzwischen ist die Biologisierung der Medizintechnik in der klinischen Erprobung angekommen: Gefäßprothesen, die Medikamente freisetzen, oder mit Zellen beschichtete Implantatoberflächen sind längst keine Zukunftsvisionen mehr. Ein anderes Beispiel, wie die BioRegio STERN Management GmbH ihre cross-sektorale, projektbasierte Strategie umsetzt, ist die Clusterinitiative ELSA „Engineering – Life Sciences – Automation“, die 2010 ins Leben gerufen wurde. Hier ging es darum, gezielt die Verknüpfung von Life-Sciences mit dem ingenieurgetriebenen Mittelstand aus dem Maschinenbau und der Automobilzulieferindustrie zu erreichen. Für die Schlüsselbranchen Automatisierungstechnik und Anlagenbau, die sich in der Region traditionell auf den Automobil- und Maschinenbau konzentrierten, schafft die Biotech-Branche ganz neue Märkte und – nicht erst in Zeiten der Dieselkrise – auch dringend notwendige neue Perspektiven. Ein Transformationsprozess zweier Branchen, wie er von ELSA unterstützt wird, kann schwerlich auf eine Region oder ein Land begrenzt werden. Folgerichtig wuchs der Bedarf der Clusterakteure, sich international zu engagieren, auch um durch eine verstärkte internationale Sichtbarkeit weitere Wettbewerbsvorteile zu erreichen. Die BioRegio STERN Management GmbH entwickelte daher das Projekt international weiter. Erste Schritte in diesem Sinne waren etwa Delegationsreisen von Automatisierern und Sondermaschinenbauern aus der BioRegion STERN zu Life-Sciences-Unternehmen in Flandern, Belgien. Die Erfahrungen der vergangenen Jahre im Kontext der Internationalisierung haben bewiesen, dass die gezielte Vernetzung des Clusters über die eigenen Grenzen hinaus von großer Bedeutung für die beteiligten Unternehmen ist. Gerade die Start-ups profitieren im Cluster nicht nur von der räumlichen Nähe zu Zulieferern und Forschungseinrichtungen – sie knüpfen auch leichter internationale Kontakte zu Kooperationspartnern und Kunden. Die BioRegio STERN Management GmbH hat daher eine Internationalisierungsstrategie für das Cluster gemeinsam mit den Akteuren der regionalen Branche erarbeitet, um dem steigenden Bedarf entsprechen zu können. Die Treiber Ein erfolgreiches Cluster benötigt ein zielgerichtetes Management, das den Akteuren Angebote macht, die ihnen konkret nützen. Die BioRegio STERN Management GmbH liefert neue Ideen und Inspirationen für die Region, aber sie vermeidet es, die Beteiligten mit Clusteraktivitäten zu übersättigen. Leitthemen

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wie „Biologisierung“ oder „Automatisierung“ werden zunächst im Team entwickelt und dann mit Hilfe der Clusterakteure mit Leben gefüllt, beispielsweise durch erfolgreiche Unternehmenskooperationen. Eine große Mehrheit der Unternehmen und Forschungseinrichtungen misst dem regionalen Umfeld daher auch eine entscheidende Bedeutung für die Entstehung und kommerzielle Umsetzung von Innovationen bei. Insbesondere kleine und mittlere Unternehmen profitieren vom Informationsnetzwerk und der Infrastruktur im Cluster (vgl. Abb. 4.3). Der thematische Fokus des Clusters hat sich dabei im Laufe der Zeit von der Konzentration auf die Regenerative Medizin zu einer branchenübergreifenden Kooperation von Medizintechnik und Biotechnologie, später dann von Automatisierung und Digitalisierung ausgeweitet. Dieser Prozess lief nicht von allein ab, sondern wurde durch das Clustermanagement aktiv vorangetrieben. Die kontinuierliche Weiterentwicklung der Strategie basiert auch auf Industrie- und Marktanalysen, die der interregionalen Zusammenarbeit einen dynamischen Bedeutungszuwachs bescheinigen.

Abb. 4.3   Live-OP mit Direktübertragung zur Diskussion von Ärzten und Ingenieuren im Hörsaal. (Quelle: Michael Latz/BioRegio STERN Management GmbH)

4  Nachhaltige Strategie: Persönliche Gespräche

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Die Wichtigkeit der Politik für eine Clusterentwicklung wird oftmals unterschätzt, vor allem wenn es darum geht, was die Politik über eine reine Bereitstellung von Fördermitteln hinaus leisten kann. Die Politik liefert für ein Cluster die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen; sie ist aber auf Informationen aus dem Cluster heraus angewiesen, um diese Bedingungen ausgestalten zu können. Die BioRegio STERN Management GmbH engagiert sich daher gemeinsam mit dem Arbeitskreis der BioRegionen bei „Biotech > Inside“, einer bundesweiten Informationsinitiative, die Parlamentarier über Themen und Anliegen von Wirtschaft und Wissenschaft informiert, um den Dialog mit der Politik zu intensivieren. Und es gibt viel Gesprächsbedarf! Wissen Politiker, dass es zwar eine staatliche Förderung für Brandmelder gibt (bei jährlich etwa 600 Toten infolge von Bränden in Deutschland), aber keine Förderungsmaßnahme für die Entwicklung eines Mittels gegen Sepsis (bei 70.000 Toten pro Jahr durch Blutvergiftung)? Das Cluster – heute und morgen In der Biotechnologie sind drei Jahre nur eine sehr kurze Zeitspanne. Entwicklungszeiten von zehn Jahren und mehr sind keine Seltenheit. Ein Blick in diese fernere Zukunft ist entsprechend unsicher. Gewiss ist, dass der Branche – neben der finanziellen Förderung – vor allem Zeit gegeben werden muss. Die Clusterinitiative sollte entsprechend aufgestellt sein, um die Akteure über diesen Zeitraum begleiten zu können. Dazu gehören die Vertiefung von Branchenkooperationen sowie der Internationalisierungsstrategie. Nach der Automatisierung wird die Digitalisierung, Stichwort Industrie 4.0, KI und Big Data, für die Life-Sciences rasant an Bedeutung gewinnen. An insgesamt 23 Clusterprojekten ist oder war die BioRegio STERN Management GmbH inzwischen beteiligt, zwölf davon führt bzw. führte sie in Eigenregie durch. Dafür konnte sie bisher knapp vier Millionen Euro an Fördermitteln für die GmbH einwerben. Inzwischen hat sich die BioRegio STERN Management GmbH als national wichtiger Akteur etabliert und engagierte sich in verschiedenen Projekten mit bundesweiter Bedeutung wie „BioProfile“ zum Thema Regenerationsbiologie und die „Gesundheitsregion REGiNA“. Letztere hatte als Pilotprojekt das Ziel, die Regenerative Medizin in die Gesundheitsversorgung einzuführen. Um die Bildung einer neuen Wertschöpfungskette entlang von intelligenter Logistik, Digitalisierung und Automatisierung zu realisieren, kooperiert die BioRegio STERN Management GmbH aktuell mit dem dänischen Cluster Welfare Tech. Dieses Projekt verdeutlicht, wofür die BioRegio STERN Management GmbH heute steht.

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4.3 Fazit Die Entwicklung der Clusterinitiative durch die BioRegio STERN Management GmbH verlief nicht „wie aus dem Lehrbuch“. Natürlich gab und gibt es Strategien zur Entwicklung eines Clusters, seiner Internationalisierung und Interregionalisierung. Aber so wenig eine Theorie den Erfolg einer Verhandlung von zwei Geschäftspartnern garantieren kann, so wenig kann die Anbahnung von Kooperationen zwischen Branchen durch einen 10-Punkte-Plan standardisiert werden. Um die bodenständigen Familienbetriebe aus der Medizintechnik zur Kooperation mit unkonventionellen Biotech-Start-ups zu bewegen, war mehr notwendig als eine ausgeklügelte Strategie. Vielmehr machten viele persönliche Gespräche, in denen Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, den Erfolg aus. Um für „Einschnitte – Einblicke“ ein halbes Dutzend Ärztliche Direktoren gleichzeitig an einen OP-Tisch zu bekommen, um mit Medizintechnikern über Innovationen zu diskutieren, sind Diplomatie und Geduld erforderlich. Jeder Clusterakteur muss individuell entsprechend seinen Bedürfnissen angesprochen und betreut werden. Die konkrete Handlungsempfehlung zur nachhaltigen Entwicklung von Clusterinitiativen lautet: mit den Akteuren sprechen! Zehn vertrauliche Gespräche am Telefon oder am Rande einer Veranstaltung ersetzen eine Rede vor 1.000 Zuhörenden. Die Erfolge der BioRegio STERN Management GmbH sind auch Ergebnis einer jahrelangen vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Forschern, Gründern und Unternehmern. Akteure inspirieren, Politiker und Investoren für die Biotechnologie begeistern und so zur Identifikation mit der Branche und dem Standort beitragen sowie Rahmenbedingungen gestalten, in denen die Unternehmen erfolgreich und ungestört agieren können – das ist unser Auftrag. Wirtschaftsförderung in unruhigen Zeiten kann auch mal Wirtschaftsberuhigung sein: Dann heißt es, Ruhepol und First Mover mit neuen Ideen für die Branche gleichzeitig zu sein.

Kurzprofil

Die BioRegio STERN Management GmbH bietet interkommunale Wirtschaftsförderung für eine Region mit 248 Städten und Gemeinden und insgesamt 3,3 Millionen Einwohnern. Mit über 150 Mrd. Euro Bruttoinlandsprodukt ist die Wirtschaftskraft dieser Region vergleichbar mit der von Ungarn.

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120 Medtech-Unternehmen mit über 12.000 Mitarbeitenden sowie 110 Biotech-Unternehmen mit über 4.500 Beschäftigten bilden den Kern des Clusters. Von wachsender Bedeutung sind die mehr als 1.000 ­Engineering-Unternehmen, von denen etwa 40 bereits in den Life-Sciences tätig sind. Insgesamt sind in der Region, inklusive der Forschungseinrichtungen, etwa 18.500 Arbeitsplätze im Life-Sciences-Bereich angesiedelt. Zur BioRegion STERN gehören aktuell 366 „Mitglieder“; der überwiegende Teil gehört zu den KMU (55  %). Außerdem sind Großunternehmen (3  %), Hochschulen und Forschungseinrichtungen (18 %) sowie sonstige Organisationen (24 %) dabei. Die BioRegio STERN Management GmbH wird zu 20 % durch öffentliche Förderung finanziert; die Gesellschafterzuschüsse betragen 75 %, 5 % sind Umsatzerlöse. 1,5 Mrd. Euro Investitionen und 120 Mio. Euro Fördermittel allein des Bundes sind in die 110 Biotech-Unternehmen der Region bisher geflossen. Die Arbeitsplätze im Life-Sciences-Bereich gelten längst als Wachstumsmotor. Seit ihrer Gründung begleitete das Team der BioRegio STERN Management GmbH die Gründung von 75 Unternehmen, die über 2.500 Arbeitsplätze schufen. Web: www.bioregio-stern.de/de Twitter: www.twitter.com/BioRegioSTERN Dr. Klaus Eichenberg leitet die BioRegio STERN Management GmbH seit 2004. Im öffentlichen Auftrag ist der Diplombiologe und geprüfte Investmentanalyst mit seinem Team initiativ, um die Life-Sciences-Unternehmen in der Region zu stärken, die Clusterbildung durch internationale und interregionale Kooperation zu forcieren und dadurch wirtschaftliche Perspektiven für Existenzgründer, Unternehmer und Forscher in einer der großen bundesdeutschen BioRegionen zu schaffen.

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Silicon Saxony Vom Zuliefererverbund zur global agierenden Clusterorganisation Frank Bösenberg und Gitta Haupold Zusammenfassung

Der Artikel beschreibt den Aufbau des Silicon Saxony von einem Netzwerk von Zulieferern der Halbleiterindustrie hin zum größten MikroelektronikCluster Europas. Dabei wird neben der Beschreibung der Rahmenbedingungen und der damit verbundenen Vor- und Nachteile und der Darstellung der Struktur des Clusters in organisatorischer und thematischer Hinsicht vor allem auf den Prozess zur Strategie-/Geschäftsmodellentwicklung eingegangen. Eine besondere Rolle für das unabhängige und eigenfinanzierte Cluster nimmt dabei die Zusammenarbeit mit politischen Akteuren ein. Zudem widmet sich der Beitrag den drei größten Herausforderungen für die nähere Zukunft (Fachkräftesicherung, Sicherung der Position im globalen Wettbewerb sowie Digitale Transformation) und beschreibt Lösungsansätze. Abschließend werden Erfolgsfaktoren für eine nachhaltige Clusterstruktur auch im Sinne einer Regionalentwicklung erörtert.

F. Bösenberg (*) · G. Haupold  Silicon Saxony e. V., Dresden, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Haupold E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_5

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5.1 Die Clusterinitiative: Entstehung und Struktur Der Silicon Saxony e. V. ist mit rund 350 Mitgliedern das größte Hightechnetzwerk Sachsens und eines der größten Mikroelektronik- und IT-Cluster Deutschlands sowie Europas. Als eigenfinanzierter Verein verbindet Silicon Saxony seit seiner Gründung im Jahr 2000 Hersteller, Zulieferer, Dienstleister, Hochschulen/Universitäten, Forschungsinstitute, öffentliche Einrichtungen sowie branchenrelevante Start-ups am Wirtschaftsstandort Sachsen und darüber hinaus. Zu den bekanntesten Mitgliedern zählen neben der Exzellenzuniversität TU Dresden und zahlreichen Fraunhofer-Instituten Großfirmen der Branchen wie Infineon Technologies AG, GLOBALFOUNDRIES Management Services Limited Liability Company & Co. KG, Robert Bosch GmbH, SAP SE oder die T-Systems Multimedia Solutions GmbH. Übergeordnete Ziele der Netzwerkarbeit sind u. a. der Ausbau sowie die Stärkung des führenden Mikroelektronikstandortes Europas als auch das Vorantreiben der parallel verlaufenden Entwicklung hin zu einem Softwareland Sachsen. Dies geschieht in enger Abstimmung mit der sächsischen Landesregierung und den Wirtschaftsförderinstitutionen im Freistaat. In dieser Konstellation unterstützt der Verein auch das regionale Standortmarketing. Der thematische Fokus des Clusters liegt auf den technologischen Trends der Gegenwart und Zukunft – z. B. Künstliche Intelligenz, Robotik, Automatisierung, Internet of Things, Sensorik, Energieeffizienz, Neuromorphes bzw. Edge Computing und natürlich auch auf der Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen. Als enger Kooperationspartner des Dresdner Smart Systems Hubs sowie des Leipziger Smart Infrastructure Hubs bietet Silicon Saxony zudem direkten Zugang zu den Themen, Projekten und Standorten der Digital Hub Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Als öffentlichkeitswirksame Informations-, Kommunikations- und Kooperationsplattform sowie durch die Teilnahme an und die Organisation von Branchenevents fördert der Verein die regionale, nationale und internationale Vernetzung seiner Mitglieder. Gezielte Lobbyarbeit gewährleistet z.  B. die Mitgestaltung von Förderprogrammen – von der lokalen bis zur europäischen Ebene. Experten des Netzwerkes stellen zudem in Arbeitskreisen und weiteren Formaten den Know-howTransfer sowie enge wirtschaftliche Beziehungen zwischen den Mitgliedern sicher und treiben Innovationen voran. Die Initialisierung des Spitzenclusters Cool Silicon e. V. sowie die Schaffung der Silicon Europe Alliance, eines Dachverbandes auf europäischer Ebene, zählen neben der Unterstützung zahlreicher vor allem kleiner und mittlerer Unternehmen beim Wachstum zu den Schlüsselerfolgen der Clusterorganisation. Seit 2012 wurde der Silicon Saxony insgesamt drei Mal mit dem Gold Label für exzellentes Clustermanagement ausgezeichnet (vgl. Abb. 5.1 und 5.2).

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Abb. 5.1   Entwicklung des Standortes

5.2 Das Geschäftsmodell als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung Herausforderung zu Beginn Während die Geschichte des Clusters als Wirtschaftsstandort bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zurückreicht, entstand die Clusterinitiative erst nach der Jahrtausendwende. Im Jahr 2001 bekam der nach der Wende durch nachhaltige Ansiedlungspolitik wieder gestärkte sächsische Halbleiterstandort dabei erstmals ein Gesicht. Das hat die Dresdner Werbeagentur Friebel in Form eines Logos gezeichnet. Ein stilisierter Chip, eine wehende Fahne und die Weltkugel sind in der Bildmarke miteinander verknüpft und symbolisieren die Branche, ein klares Bekenntnis und die weitreichenden Ambitionen der neu geschaffenen Organisation, die den Namen „Silicon Saxony“ trägt (vgl. Abb. 5.3). Der erste Auftritt auf einem vom Technologiezentrum Dresden organisierten Gemeinschaftsstand – bis heute ist dies eine wichtige Säule im wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb des Vereins – auf der SEMICON in München lockte zahlreiche Firmen an den Stand, die Teil der Vision sein wollten. Es sei aber nicht verschwiegen, dass die bereits damals postulierte Vision eines weltweit anerkannten Netzwerkes auch Reaktionen von „zu gewagt“ bis „völlig abgehoben“ hervorrief.

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Abb. 5.2   Erstmalige Nutzung des Namens durch Richard Hornik im Time Magazin (1998)

Abb. 5.3   Logoentwicklung des Silicon Saxony e. V.

Die Namensschöpfung ist dabei jedoch keine sächsische Erfindung, sondern wurde zwei Jahre zuvor durch das renommierte Time Magazin geprägt (vgl. Abb. 5.2). Im Dezember 2000 wurde der Verein gegründet, zu dessen Mitgliedern neben den lokalen kleinen und mittelständischen Firmen von Anfang an auch Infineon zählte. Obwohl die Ziele des Vereins und insbesondere der tatsächliche Nutzen für die Mitglieder zu dieser Zeit noch nicht klar definiert waren, gab der Chip-Riese den Vereinsgründern einen Vertrauensbonus von fünf Jahren. Dies

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half, von Anfang auch viele eher skeptische kleine und mittlere Unternehmen (KMU) als Mitglieder für die Clusterinitiative gewinnen zu können. Diese Frist lief im Jahr 2006 ab, doch das Ergebnis sprach für sich. Im Verein waren mittlerweile 220 Mitglieder registriert. Und die Zeichen standen weiter auf Wachstum. Das bedarfsorientierte Servicespektrum der Clusterinitiative reichte in dieser Zeit von der Förderung konkreter Innovations- und Kooperationsprojekte über den Aufbau einer Informations- und Kommunikationsplattform und eines gemeinsamen Marketings bis hin zu Fachinformationsveranstaltungen. Insbesondere die Ausrichtung großer europäischer Konferenzen der Branche, darunter die APC|M-Konferenz, stellte in diesem Zusammenhang einen weiteren Baustein in der Sicherung einer nachhaltigen Eigenfinanzierung der Vereinsstrukturen dar. Dieses Servicespektrum war sicherlich einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren, da es so gelang, den Mitgliedern schnell konkrete Mehrwerte zukommen zu lassen. Die Herausforderungen, die zu Beginn der Clusterorganisation bestanden, dauern dabei häufig bis in die Gegenwart an: eine durch sehr schnelle Innnovationszyklen geprägte, hochgradig internationalisierte Branche sowie eine durch starke Kleinteiligkeit geprägte Wirtschaftsstruktur in der Region, in der die ansässigen Großkonzerne einen wichtigen Baustein bilden, jedoch häufig nicht die gleichen Impulse setzen können, wie dies an den jeweiligen Hauptsitzen geschieht. Im Gegenzug weist die hiesige KMU-Landschaft jedoch nicht nur eine große Innovationskraft, sondern auch eine hohe Flexibilität in der Anpassung an geänderte Rahmenbedingungen auf. Diese Herausforderungen setzten letztlich den Rahmen für die Dienstleistungen der Clusterinitiativen. Prozess zur Strategie-/Geschäftsmodellentwicklung Die Bottom-Up-Dynamik des Standortes macht sich das Clustermanagement bis heute zu Nutze – so werden regelmäßig neue Arbeitskreise auf Initiative einzelner Mitglieder aufgesetzt und betrieben – zuletzt die Arbeitskreise Global Service Management, Artificial Intelligence und Diversity Management. Seit 2009 wird im Clustermanagement, welches neben 13 hauptamtlich Beschäftigten auf zwölf ehrenamtliche Vorstände sowie einen wissenschaftlichen Beirat zurückgreifen kann, aber auch ein koordinierter Strategieprozess betrieben. Dazu bediente man sich Methodiken der großen Unternehmen und passte diese auf das Clusterumfeld an. Mit dem Gold Labelling durch das European Secretariat for Cluster Analysis (ESCA) wurde eine weitere wertvolle Orientierung zur Clusterausrichtung gewonnen. Dieser durch den Vorstand initiierte Strategieprozess ist auch für die Geschäftsmodellentwicklung maßgebend. So erfolgte ebenfalls 2009 mit der Gründung der Silicon Saxony Management GmbH ein weiterer wichtiger Meilen-

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stein. Hauptaufgabe war damals die administrative Leitung des Spitzenclusters Cool Silicon. Der Gewinn des Spitzenclusters Cool Silicon war ein konkretes Ergebnis dieses Strategieprozesses im Cluster. Hintergrund hierfür war, dass deutlich wurde, dass die lokale Industrie dem Trend, die Energieeffizienz im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) massiv zu steigern, folgen musste, um weiter erfolgreich am Markt bestehen zu können. Hierzu waren aber signifikante FuE-Investitionen und ein gezieltes, gemeinsames Agieren notwendig. Mit dem Cool Silicon folgte die Clusterinitiative einem Diversifizierungsansatz. Die Kernkompetenzen am Standort Silicon Saxony lagen und liegen heute noch im Bereich der Mikro- und Nanoelektronik sowie den Branchen, in denen diese maßgeblich Anwendung finden. Als Schlüsselbranche ist dabei die moderne IKT zu sehen. Parallel zur Mikroelektronik haben sich daher in der Region umfangreiche Kompetenzen für zwei Hauptanwendungen der IKT etabliert: Breitband-Funksysteme und vernetzte Sensorik. Das Produktspektrum der Partner im Cluster reicht damit von Prozessoren über Grafikchips, Speicher, Controller, Sensoren und Mobilfunkchips bis hin zu Analog- und Mixed-Signal-Produkten. Mit dem Konzept „Cool Silicon“ positionierte sich das Cluster im Bereich Computing, Mobilfunk und vernetzter Sensorik als Lösungsanbieter für energieeffiziente Konzepte – bis hin zu energieautarken Systemen neu. Unter dem Label Cool Silicon wurde gemeinsam eine FuE-Agenda mit den Clusterakteuren entwickelt, um Forschungs- und Innovationskompetenz in diesen wichtigen Themenfeldern im Cluster signifikant weiter auszubauen. Der Gewinn des BMBF-Spitzenclusters ermöglichte es den Clusterakteuren, die Kofinanzierung von 40 Mio. Euro für die notwendigen FuE-Projekte zu generieren. Noch fungiert Cool Silicon als der Forschungsarm des Silicon Saxony, der Arbeitskreis FuE des Silicon Saxony wurde zum Beispiel komplett durch Cool Silicon übernommen. Methodisch wurde die Strategiedarstellung 2017 mit einer Angleichung des sogenannten Freiburger Modells (Schwarz et al. 2009) besser an den Charakter des Vereins, nämlich den einer zwar wirtschaftlich tätigen, aber ohne Gewinnerzielungsabsicht arbeitenden Organisation, angepasst. Bei der Strategieerarbeitung bzw. -anpassung bediente sich der Silicon Saxony dabei seit 2009 eines interaktiven und inklusiven Prozesses unter Einbindung möglichst vieler Akteure des Netzwerks (vgl. Abb. 5.4). Neben einem dedizierten jährlichen, zweitägigen Strategiemeeting unter Beteiligung aller Vorstände, Beiräte sowie Arbeitskreisleiter werden Strategiebausteine in monatlichen Meetings des Vorstandes, jährlichen Treffen der Arbeitskreisleiter sowie halbjährlichen Treffen des wissenschaftlichen Beirates reflektiert und ggf. nachjustiert. Im

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Abb. 5.4   Strategiemodell des Silicon Saxony e. V. vor und nach der Anpassung 2017

Rahmen von jeweils zwei Mitgliederforen, dem Silicon Saxony Day sowie der Jahreshauptversammlung werden richtungsweisende Entscheidungen zudem mit der Mitgliederbasis diskutiert. Schließlich erfolgen regelmäßige Abstimmungstreffen sowohl mit der Wirtschaftsförderung Sachsen als auch mit relevanten politischen Vertretern der Region. Als besonderes Spannungsfeld der strategischen Arbeit stellte sich mit zunehmendem Erfolg des selbsttragenden Netzwerks der Umgang mit den politischen Vertretern dar. Während in der Vergangenheit zugunsten einer Unabhängigkeit und auch Neutralität die entsprechenden Stakeholder nur punktuell in die Strategieentwicklung und -umsetzung eingebunden waren, erfolgte hier spätestens 2017 mit der gemeinsamen Schaffung eines Digital Innovation Hubs (Smart Systems Hub GmbH) ein Wandel, der aktuell noch vollzogen wird und in dessen Ergebnis der Silicon Saxony auch eine aktivere Rolle in der Gestaltung der insbesondere regionalen Rahmenbedingungen einnimmt (vgl. Abb. 5.5). So ist die Clusterinitiative aktiv und umfangreich in den Prozess der Entwicklung regionaler Innovationsstrategien involviert. Auch politische Ereignisse haben regelmäßig Auswirkungen auf die strategische Arbeit – so gehört der Silicon Saxony zu den Gründungsmitgliedern des Vereins „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen e. V.“, welcher sich insbesondere für eine Stärkung

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Abb. 5.5   Dashboard von Silicon Saxony e. V. nach der Anpassung 2017

von Werten wie Weltoffenheit, Vielfalt und Toleranz in der Region einsetzt. Als Ergebnis wird die Clusterinitiative nunmehr von Akteuren der Politik und der Regionalentwicklung aktiv genutzt. Die Clusterinitiative heute Der Gewinn des Spitzenclusterwettbewerbes stellte einen großen Erfolg, aber auch eine große Herausforderung dar. Durch den Spitzenclusterwettbewerb gab es eine langjährige Forschungsagenda und eine finanzielle Sicherheit für das stark wachsende Clustermanagement. Nach dem Auslaufen der Förderung stellte sich aber die strategische Frage, ob und wie es mit dem Cluster und seinem Management weitergehen sollte. Während viele andere Spitzencluster nach dem Auslaufen der Förderung Probleme hatten sich entsprechend zu positionieren oder Umfang und Qualität der Clusterarbeit auf hohem Niveau weiter zu halten, gelang Silicon Saxony dies. Heute erwirtschaftet der Silicon Saxony bei einem sehr vielfältigen Angebot für seine Mitglieder einen Jahresumsatz von 1,4 Millionen Euro. Die wichtigsten Säulen stellen dabei neben den Mitgliedsbeiträgen professionelle Dienstleistungen, Veranstaltungen und Messestände sowie das Projektgeschäft im Umfeld von Innovationsaktivitäten, darunter auch die eigene Beteiligung an geförderten Projekten, dar (vgl. Abb. 5.6). So gelang es, eine erfolgreiche Mischung aus Standardangeboten aber auch sehr bedarfsgerechten Dienstleistungen zu etablieren. Somit konnte der Übergang vom geförderten Spitzen-

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Abb. 5.6   Dienstleistungsspektrum von Silicon Saxony e. V.

cluster zu einer professionellen Clusterinitiative gemanagt werden. Die weitere Ausrichtung auf die Bedarfe der Fach- und Standortpolitik ermöglichte ein weiteres wichtiges finanzielles Standbein.

5.3 Die Clusterinitiative morgen Für die nahe und mittlere Zukunft sind aktuell drei große Herausforderungen identifiziert, welche in den kommenden Jahren auch inhaltlich Schwerpunkte in der Arbeit des Silicon Saxony bilden werden und zugleich die Möglichkeit für die Weiterentwicklung der bestehenden Geschäftsmodelle bieten. Fachkräftesicherung Die positive Standortentwicklung erhöht zugleich den Bedarf an entsprechenden Fachkräften. Schon jetzt ist klar, dass selbst bei steigenden Studierendenzahlen zusätzliche Anstrengungen unternommen werden müssen, um den Fachkräftebedarf auch in Zukunft decken zu können (vgl. Abb. 5.7). Insbesondere eine noch stärkere internationale Perspektive ist hier auch jenseits reiner Marktbetrachtungen gefragt.

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Abb. 5.7    Erwartete Entwicklung der Beschäftigtenzahlen (ohne Mitarbeitende bei Forschungsinstituten und Zulieferbetrieben). (Quelle: statistisches Bundesamt (historische Werte), Positionspapier Softwareland (Prognose Software), Schätzung auf Basis bekannter Großansiedlungen / Expansionen (Prognose Hardware))

Mit den Projekten METIS sowie INTAP (intap 2020) wurden hier auch erste Maßnahmen in die Wege geleitet. Positionssicherung im globalen Wettbewerb Insbesondere die Mikroelektronik als eine der Hauptbranchen innerhalb des Silicon Saxony steht der ständigen Herausforderung des globalen Wettbewerbs gegenüber. Durch die strategischen Investments, die auf anderen Erdteilen, vor allem in China und den USA, auch unter massiver Beteiligung des Staates bzw. nachgelagerter Behörden getätigt werden, stellt die Positionssicherung der sächsischen, deutschen und letztlich europäischen Unternehmen in diesem Feld eine der wichtigsten Aufgaben für die kommenden Jahre dar. Die enge Verzahnung von Aktivitäten auf Europa-, Bundes- und Landesebene ist hierbei ein Schlüsselfaktor. Durch die Einbindung von Akteuren des Silicon Saxony in entsprechende Gremien besteht die Möglichkeit, auch die Belange von vor allem klein- und mittelständischen Unternehmen maßgeblich mit zu vertreten. Nicht zuletzt durch die Gründung des Arbeitskreises International Business Development wird dies auch durch die Aktivitäten des Clusters reflektiert.

5  Silicon Saxony

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Abb. 5.8   Digitalhubs in Deutschland

Digitale Transformation Die dritte und größte Herausforderung, vor der sowohl die Gesellschaft als auch Silicon Saxony als Clusterorganisation steht, ist die Gestaltung des digitalen Wandels. Hier spielen aus Sicht des Silicon Saxony vor allem Möglichkeiten in der Neugestaltung von Netzwerkarbeit über geografische und institutionelle Grenzen hinaus eine Rolle. Mit der Beteiligung an der Smart Systems Hub GmbH als dediziertem Digital Innovation Hub innerhalb der deutschen Initiative sieht sich die Clusterorganisation hier ebenfalls gut aufgestellt (vgl. Abb. 5.8).

5.4 Resümee/Fazit Wenngleich eine nachhaltige Geschäftsmodellentwicklung und -umsetzung für Clusterorganisationen immer im Spannungsfeld von existierenden, staatlich finanzierten Wirtschaftsförderungsinstitutionen, privaten Beratungsunternehmen oder auch sehr leistungsfähigen und transferstarken Forschungseinrichtungen stattfindet, zeigt das Beispiel Silicon Saxony, dass dies auch langfristig und unter sich ändernden Rahmenbedingungen gelingen kann. Der durch Silicon Saxony gewählte Weg des „Bootstrapping“, also des organischen und langsamen

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Wachstums, ist dabei ein Gegenentwurf zu einem in der Regel geförderten, schnellen Aufbau einer entsprechenden Clusterorganisation. Elementar für das Gelingen gleich welchen Ansatzes ist jedoch das Vorhandensein einer „kritischen Masse“ an potenziellen Mitgliedern bzw. Kunden des Clusters – die Zielsetzung der Ansiedlung kann und sollte im Kontext von sich selbst tragenden Organisationen immer nur als Ergänzung angesehen werden. Ein kontinuierlicher Ausbau des Qualitätsmanagements auch und vor allem unter Einbeziehung wertvoller externer Benchmarks wie der des LabelingProzesses ist eine weitere wichtige Voraussetzung für ein Gelingen. Im Sinne einer Neutralität als entscheidendem Verkaufsargument jedweder Dienstleistungen in Richtung von Mitgliedern bzw. anderen Stakeholdern ist durch die Clusterorganisation auf ein gesundes Gleichgewicht aus Zusammenarbeit und Unabhängigkeit von politischen Entscheidungsträgern zu achten. Schließlich gilt es zur langfristigen Absicherung gegen eventuelle Schwankungen jeglicher Natur auf eine Diversifizierung sowohl im Geschäftsmodell als auch in der Mitgliederstruktur zu achten – dabei aber Kerngruppen und Schwerpunkte nicht aus den Augen zu verlieren. Zahlreiche Beispiele in der deutschen Clusterlandschaft auch außerhalb des Silicon Saxony zeigen, dass die erfolgreiche Umsetzung dieser Maßnahmen einen entscheidenden Beitrag zur wirtschaftlichen und auch gesellschaftlichen Entwicklung einer ganzen Region leisten kann.

Kurzprofil

Der Silicon Saxony e. V. ist mit mehr als 350 Mitgliedern das größte Hightechnetzwerk Sachsens und eines der größten Mikroelektronik- und IT-Cluster Deutschlands sowie Europas. Als eigenfinanzierter Verein verbindet Silicon Saxony seit seiner Gründung im Jahr 2000 Hersteller, Zulieferer, Dienstleister, Hochschulen/Universitäten, Forschungsinstitute, öffentliche Einrichtungen sowie branchenrelevante Start-ups am Wirtschaftsstandort Sachsen und darüber hinaus. Der thematische Fokus des Clusters liegt auf den technologischen Trends der Gegenwart und Zukunft – z. B. Künstliche Intelligenz, Robotik, Automatisierung, Internet of Things, Sensorik, Energieeffizienz, Neuromorphes bzw. Edge Computing. Als enger Kooperationspartner des Dresdner Smart Systems Hubs sowie des Leipziger Smart Infrastructure Hubs bietet Silicon Saxony zudem direkten Zugang zu den Themen, Projekten und Standorten der Digital Hub Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums. Web: www.silicon-saxony.de

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LinkedIn: www.linkedin.com/company/silicon-saxony-e-vTwitter: www.twitter.com/sisax_de Facebook: www.facebook.com/siliconsaxony

Literatur Hornik, R. (27. Apr. 1998). Silicon Saxony – One eastern German state is working hard to create an economic miracle of its own. Time Magazin. Intap. (2020). Homepage. www.intap-network.de. Zugegriffen: 28. Mai 2020. Schwarz, P., Purtschert, R., et al. (2009). Das Freiburger Management-Modell für Nonprofit-Organisationen. Basel: Haupt.

Frank Bösenberg absolvierte an der TU Dresden Bauingenieurwesen und Wirtschaftswissenschaften und ist seit Ende 2018 Vorstandsmitglied des Silicon Saxony e. V. sowie Leiter des Clusterbüros. Davor war er seit 2014 als Geschäftsführer der Silicon Saxony Management GmbH für die Leitung von nationalen und internationalen Großprojekten des Silicon Saxony zuständig und betreute in dieser Funktion Silicon Europe sowie Cool Silicon. Er ist seit 2019 Mitglied der European Commission Expert Group on Clusters. Nach ihrem Studium der Physik an der TU Dresden war Gitta Haupold bis 1990 auf dem Gebiet der Elektronenmikroskopie im Zentrum Mikroelektronik Dresden tätig. Nach einigen Jahren Lehrtätigkeit in der Erwachsenenbildung und der Leitung von Bildungsprojekten in Mittel- und Osteuropa gründete sie 2000 als eine der Initiierenden und Wegbereitenden und Wegbereiter das Netzwerk Silicon Saxony e. V. und war bis zu ihrem Ausscheiden Ende 2018 als Vorstandsmitglied und Leiterin des Clusterbüros für die strategische und operative Entwicklung des Clusterbüros verantwortlich.

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Clusterpreneurship – Nachhaltige Geschäftsmodelle von Clusterinitiativen Am Beispiel des Virtual Dimension Centers (VDC) Fellbach Christoph Runde Zusammenfassung

Virtual Dimension Center w. V. (VDC) ist Deutschlands führendes Netzwerk für Virtual Engineering. Seit 2002 schafft das VDC Synergien zwischen seinen Mitgliedern und fördert den Technologietransfer. In der Clusterinitiative arbeiten über 100 Mitglieder und Assoziierte – unter ihnen Forschungseinrichtungen, Technologielieferanten, Dienstleister, Anwender und Multiplikatoren – entlang der gesamten Wertschöpfungskette Virtual Engineering zusammen, und zwar in den Themen Simulation, Visualisierung, Product Lifecycle Management (PLM), Computer Aided Engineering (CAE) und Virtual Reality (VR). Sie setzen damit auf eine höhere Innovationsfähigkeit und Produktivität durch Informationsvorsprung und Kostenvorteilen gegenüber Unternehmen außerhalb des Netzwerks. Erreicht wird dieses durch transparente Kompetenzen, schnelleren Informationsfluss und leichtere Geschäftskontakte. Kernleistungen des VDC sind u. a. Informationsbeschaffung zum dynamischen Themenfeld Virtual Engineering, Außendarstellung und Marketing, Kontaktvermittlung ins In- und Ausland, Technologietransfer und Fördermittelmanagement. Das VDC veranstaltet in jedem Jahr zahlreiche Workshops, Matchmaking-Events und Fachkongresse.

C. Runde (*)  Virtual Dimension Center w. V. (VDC), Fellbach, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_6

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6.1 Kurzbeschreibung der Clusterinitiative Das Virtual Dimension Center w. V. (VDC) ist eine Clusterinitiative zu den Methoden und Technologien Virtuelle Realität/Virtual Reality (VR) und Erweiterte Realität/Augmented Reality (AR). VR und AR werden in der Region Stuttgart seit 1991 behandelt: 1991 startete das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (Fraunhofer IAO) in Stuttgart seine Forschungsarbeiten zu VR in Produktentwicklungsanwendungen, zeitgleich suchte das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung nach VR-Einsatzmöglichkeiten für die Produktionsplanung. Das Höchstleistungsrechenzentrum Stuttgart (HLRS) wurde 1995 gegründet und widmete sich seitdem ebenfalls der Entwicklung von VR-Software, vor allem für die Darstellung und Interaktion mit Daten aus der Struktur- und Strömungssimulation. Die in der Region ansässige Automobilindustrie, speziell Daimler und Porsche, aber auch größere Zulieferer wie Bosch nahmen sich des Themas VR/AR seit Mitte der 1990er Jahre an und setzten diese Methode und Technologie in ihren Planungs- und Entwicklungsprozessen ein. Die Diffusion zu Zulieferern und in andere Branchen hält bis heute an. Sowohl aus dem Fraunhofer IAO als auch aus dem HLRS wurden schon in den 1990er Jahren Unternehmen ausgegründet, welche die dort prototypisch entwickelten Software-Lösungen professionalisierten und am Markt vertrieben. Neue Spin-offs von bestehenden Unternehmen ergaben sich in der Folge zusätzlich. Insgesamt bestand damit seit Mitte/Ende der 1990er Jahre ein ökonomisches VR-Ökosystem in der Region aus Forschungseinrichtungen, Technologiefirmen und industriellen Endanwendern. Ähnliche, kleinere Ökosysteme konnten auch in Turin (Standort Fiat) und Göteborg (Standort Volvo) beobachtet werden. Das VDC wurde 2002 als Initiative zur Bündelung von Kräften im Themenfeld VR in der Region Stuttgart gegründet. Firmen wie die Vircinity GmbH und BARCO übernahmen die Initiative: Sie suchten nach Mitstreitern für diese Idee und nach möglichen Unterstützungsmitteln. Zu dieser Zeit forcierte die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart GmbH (WRS) die Bildung sogenannter Kompetenzzentren (im Rahmen der „Kompetenzzentren-Initiative“ der WRS); finanzielle, konzeptionelle und methodische Unterstützung sollten dabei helfen, für die Region Stuttgart wichtige strategische Themen im Rahmen vernetzter Initiativen zu befördern. Da VR eine wichtige Methode in den für Baden-Württemberg so wichtigen Industrien Automobil- und Maschinenbau darstellt, war die Relevanz gegeben. Die Stadt Fellbach setzte sich in einem Standortwettbewerb gegenüber Stuttgart durch. Mit 13 Mitgliedern wurde dann 2002 der Verein mit der Rechtsform w. V. (wirtschaftlicher Verein) gegründet. Diese Rechtsform ermöglicht es

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gegenüber einem (gemeinnützigen) eingetragenen Verein, reguläre Projekte mit Gewinnerzielungsabsicht abzuwickeln. Gleichzeitig werden die Vorteile der Vereinsstruktur (einfache Aufnahme und Entlassung von Mitgliedern) genutzt. Da der w. V. im Handelsregister eingetragen ist, bestehen allerdings Buchhaltungspflichten analog zu einer GmbH, unter anderem der Jahresabschluss aus Gewinnund Verlustrechnung sowie die Bilanzlegung. Bei der Besetzung des Vorstands wird darauf geachtet, ein breites Interessensspektrum abzubilden (Industrie vs. Forschung, Kleinunternehmen vs. Großunternehmen, Technologieentwickler vs. Technologieanwender, Unternehmen vs. öffentliche Hand). Das VDC ist seit seiner Gründung stetig gewachsen, sowohl inhaltlich als auch organisatorisch. Im September 2018 sind rund 100 Mitglieder sowie über 30 Partner und Assoziierte Mitglieder des VDC-Netzwerkes. Der Themenfokus liegt nach wie vor auf VR, wurde in den Jahren aber um sehr nahe Themen wie Augmented Reality (AR) und benachbarte Felder wie Simulation, Produktlebenszyklusmanagement etc. erweitert. Als Anwendungsfokus wurden und werden professionelle VR/AR-Anwendungen betrachtet: Gaming (Ausnahme Serious Games) und Entertainment sind nicht Bestandteil des VDC-Interesses, sondern Anwendungsfelder wie Produktentwicklung, Fertigungsplanung, Training, Marketing, Service in den Industrie-Branchen, der Architektur, Medizin, Handel oder Handwerk. Das VDC unterstützt über Fachinformationsbeschaffung, Matchmaking, Technologiemarketing, Technologietransfer und die Projektentwicklung. Instrumente dafür sind eine starke Öffentlichkeitsarbeit, das Erstellen eigener Publikationen, eine Vielzahl von Veranstaltungen in verschiedenen Formaten, eine eigene Fachbibliothek sowie die Projektentwicklung einschließlich Konsortialbildung und Antragsstellung.

6.2 Geschäftsmodell als Treiber einer nachhaltigen Entwicklung 6.2.1 Herausforderung und Lösung des VDC Die Hauptherausforderung des VDC bei seiner Gründung 2002 war zweifelsohne das aus heutiger Sicht viel zu kleine Netzwerk mit nur 13 Gründungsmitgliedern. Zwar hatte die Stadt Fellbach bei der Ersteinrichtung der 2003 neu eröffneten Büroräume in Fellbach unterstützt; jedoch reichten die Mitgliedsbeiträge bei weitem nicht aus, die Gehälter für Geschäftsführer plus Assistenz sowie die laufenden Kosten – Miete, Reinigung, Heizung, Infrastruktur etc. – zu bestreiten. Zeitgleich hatte man sich im Vorstand darauf verständigt, die Aufnahme von

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Wettbewerbern von VDC-Bestandsmitgliedern zu begrenzen, um damit eine offene Kooperationskultur im VDC sicherzustellen. Schließlich verfügte das VDC damals weder über die notwendige Fachkompetenz in Thema VR, um auf dieser Basis eigene Dienstleistungen (etwa Beratung) anbieten zu können, noch über die Kompetenz, Forschungsförderanträge zu stellen. Drei Jahre nach Gründung stand das VDC damit finanziell in einer Sackgasse. Interimsweise übernahm Personal der Stadt Fellbach die Geschäftsführung in Form einer für das VDC kostengünstigen Teilzeittätigkeit, das VDC erhielt einen jährlichen Personalkostenzuschuss. Gleichzeitig hielt der Vorstand die VDC-Mitglieder dazu an, das VDC bei der Förderprojektbeantragung in die Konsortien mit aufzunehmen. Als in der Folge einige Projektanträge bewilligt wurden, verfügte das VDC über die Mittel zur Anstellung eines neuen Geschäftsführers in Vollzeit, der seinerseits selbst Akquise betreiben konnte. Die Beschränkungen zur Aufnahme neuer Mitglieder wurden beseitigt, stattdessen ein Verhaltenskodex innerhalb des Netzwerkes verfasst („Code of Conduct“). Es bleibt die Aufgabe der VDC-Geschäftsstelle, Unterstützungsformate zu finden und zu nutzen, bei der auch Wettbewerber voneinander profitieren können.

6.2.2 Prozess zur Strategie-/Geschäftsmodellentwicklung Es gibt seit vielen Jahren – teils sogar aus der Zeit vor Gründung des VDC – Netzwerke, Initiativen und Verbände, die sich der Förderung der Vernetzung im Themenfeld VR widmen. Dazu zählen eine Initiative für VR im Schiffbau und für Offshore-Anwendungen (beispielsweise Windkraftanlagen auf See) in Mecklenburg-Vorpommern, eine Initiative für VR-Anwendungen im Maschinenbau in Ostwestfalen oder eine Initiative für VR-Anwendungen für die Bergbau-, Öl- und Gasindustrie bei Bonn. Diese genannten Regionen verfügen sämtlich über Forschungseinrichtungen, die sich unter anderem der Erforschung von VR-Methoden in den genannten Regionalkontexten widmen. Alle diese Initiativen sind also bezüglich ihrer Branche fokussiert auf Industriezweige und Know-how in ihrer jeweiligen Region. Dieses ist grundsätzlich nachvollzieh­ bar, stellt aber auch einen limitierenden Faktor dar. Das VDC begann seine Arbeit 2002 ebenso in den Branchen, in denen die Region Stuttgart traditionell sehr stark vertreten ist: Im Automobil- und Maschinenbau. Nach wenigen Jahren wurde allerdings die Anzahl der durch das VDC betrachteten Branchen stark ausgeweitet. Ausgenommen blieben weiterhin der Schiff- und der Bergbau (da diese in Baden-Württemberg kaum vertreten sind) und die Verteidigung (da dieses ein vorwiegend staatlicher Auftragsvergabemarkt ist, der anders funktioniert als

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die sonst betrachteten Industriemärkte). Das VDC ist mit dieser Herangehensweise zum größten Verein mit institutionellen Mitgliedern zum Thema VR in Deutschland geworden. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die sehr starke Stellung der Region in diesem Themenfeld. Der branchenübergreifende Charakter des VDC hat nicht nur das Wachstum generell unterstützt, sondern ermöglicht auch Vorteile der Quervernetzung zwischen Branchen, die einen anderen Umsetzungsstand an VR-Methoden haben oder deren Herausforderungen, die mit VR zu lösen sind, schlicht andere sind. Das zur Gründung des VDC angedachte Geschäftsmodell mit einem Schwerpunkt auf Dienstleistungen neben den Mitgliedsbeiträgen musste schnell revidiert werden, denn es gab nie eine ernsthafte Nachfrage nach den Räumlichkeiten des VDC und seiner technischen VR-Infrastruktur. Heute wissen wir, dass dieses Angebot bei keinem VR-Kompetenzzentrum – egal, ob in Deutschland oder im Ausland – funktioniert: Firmen gehen mit sensiblen Entwicklungsdaten grundsätzlich nicht außer Haus. Sogar die Mitglieder eines VR-Kompetenzzentrums schicken ihre jeweiligen Kunden nur selten in dieses, da dort auch der Wettbewerber nicht weit entfernt ist. Andere Dienstleistungen wie Beratung konnte das VDC damals nicht anbieten. Selbst wenn dies möglich gewesen wäre, so hätte damit sofort folgende Frage im Raum gestanden: Kann und darf man als Netzwerk Dienstleistungen anbieten, die auch Mitglieder durchführen könnten? Das kann sicher nicht Sinn und Zweck einer Netzwerkgeschäftsstelle sein. Im Zuge einer Strategierevision versuchte man zunächst, das Kapital des VDC in einer Wissensbilanz zu erfassen. Gemeinsam mit einem externen Dienstleister wurden das Humanstruktur- und Beziehungskapital des VDC bilanziert. Diese Erfassung hat sicherlich dazu beigetragen, die Augen dafür zu öffnen, was die eigentlichen „Assets“ eines Netzwerkes sind und wie diese weiterzuentwickeln und zu pflegen sind; dafür ist unter anderem ein effizientes und schlagkräftiges Customer Relationship Management (CRM) nötig. Nach einigen Jahren mit diesem VDC-zentrierten Ansatz versuchte man, die Mitglieder, Fördernden und Unterstützende des VDC noch stärker in den Fokus zu rücken, indem deren individuellen Bedarfen stärker entsprochen wurde. In der Folge entstand eine Segmentierung der Mitgliederschaft mit der Zielsetzung, homogene Gruppen in Bezug auf deren Bedarfs- und Angebotslage in Richtung VDC zu bilden. Diese wurden in eine „Wertschöpfungskette Virtual Engineering“ eingeordnet, die heute aus den Bausteinen Finanzierung, Forschung & Lehre, Technologie-Provider, Technologie-Anwender & -Berater sowie Multiplikatoren besteht. Gezielt wurde zudem nach Netzwerken und Verbänden gesucht, die entweder Technologiezuliefernd sind, z. B. optische Technologien, Methoden der Produktentwicklung, Methoden des Designs oder die VR-Technologienutzen,

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wie Maschinenbau, Prozessanlagenbau, Nutzfahrzeugbau. Mit diesen Netzwerken und Verbänden wurden Partnerschaften geschlossen, um gemeinsame Schnittstellenthemen – z. B. „Virtuelle Techniken im Nutzfahrzeugbau“ – zu bearbeiten. Die Bedarfe und Kenntnisse aller Mitglieder und Partner wurden erhoben. In einem nächsten Schritt wurden Maßnahmen und Instrumente entwickelt, die die Angebotsmöglichkeiten der Mitglieder und Partner wiedergaben und gleichzeitig an der Bedarfslage orientiert waren. Dazu zählten spezielle Veröffentlichungs- und Veranstaltungsformate. Mit dem Aufkommen des Cluster-Labelling-Prozesses des European Secretariat for Cluster Analysis (ESCA) wurde dessen Ansatz im Verständnis als „Best Practice“ übernommen und am VDC umgesetzt. Die im E ­ SCAZertifizierungsprozess zu prüfenden Indikatoren sind eine der zentralen Maßgaben zur Ausrichtung der VDC-Strategie. Inhaltlich richtet sich das VDC einerseits selbstverständlich am Willen seiner Mitglieder aus. Es ist jedoch unumgänglich, das die VDC-Geschäftsstelle auch eigene Vorschläge zur Weiterentwicklung der Strategie macht: mit dem Anspruch, Trends und technische Entwicklungen stets im Blick zu haben. Der Treiber des Wandels in der VDC-Strategie war stets die ­VDC-Geschäftsstelle (außer während der Auswechslung der ersten Geschäftsführung). Das liegt an der Tatsache, dass sich die VDC-Geschäftsführung einerseits im engsten Austausch mit allen Netzwerk-Mitgliedern befindet und andererseits auch die Finanzlage, Einkommensströme und Kostenfelder am besten kennt. Die Machbarkeit und prospektive Attraktivität neuer Geschäftsfelder war damit am ehesten durch die Geschäftsstelle zu bewerten. Im Zentrum der Geschäftsmodellentwicklung standen einerseits immer die Sicherung der Finanzierung der VDC-Geschäftsstelle, andererseits die Stabilisierung und der Ausbau der Mitgliederbasis. Das Erreichen der ersten Zielsetzung ist die essenzielle Grundlage aller Geschäftstätigkeit und damit eine Mindestanforderung. Die zweite Zielsetzung besagt, die Fluktuation der Mitglieder möglichst gering zu halten, auch auf Kosten eines möglichen schnelleren Wachstums: Die Integration eines jeden Mitglieds in das Netzwerk bedeutet Chancen, aber auch Arbeitsaufwand; der Verlust eines jeden Mitglieds kann negativ auf das Netzwerk und andere Mitglieder zurückfallen. Das VDC verzichtet daher auf intensive Mitgliederwerbung, sondern wächst organisch – es ergibt schlicht keinen Sinn, durch aggressive Mitgliederwerbung Firmen nur zu „überreden“, ins Netzwerk einzusteigen. Der Prozess der Geschäftsmodellentwicklung folgte damit immer den Prämissen der Finanzierung und/oder Mitgliedergewinnung und -zufriedenheit (was Wachstum und damit Stärkung der Einnahmeseite aus Mitgliedschaftsbeiträgen

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bedeutet). Verschiedene Optionen zur Generierung von Einnahmen wurden in den vergangenen Jahren entwickelt oder von anderen Netzwerken und Verbänden auf das VDC zu übertragen versucht. Dazu zählten unter anderem die Bereitstellung technischer Infrastruktur im Bereich VR, die Vermietung von Räumlichkeiten, kostenpflichtige Veranstaltungen und kostenpflichtige Beratungen, das Angebot einer Stellenbörse sowie die Unterstützung bei der Internationalisierung. Letztlich zeigte sich die Beteiligung an öffentlich geförderten Vorhaben als die nachhaltigste und ertragreichste Finanzierungsquelle, denn diese Mittel sind meistens erheblich, langfristig und fließen zuverlässig, gegebenenfalls über mehrere Jahre. Dabei stehen jeder Clusterinitiative prinzipiell beide Stoßrichtungen ihrer beiden Kernkompetenzfelder offen: So können Projekte im eigentlichen Themenfeld der Clusterinitiative – im Fall des VDC im Bereich VR/ AR – angegangen werden. Innerhalb solcher Vorhaben kann die Clusterinitiative sehr sinnvoll Aufgaben im Projektmanagement, in der Anforderungsaufnahme, der Ergebnisverbreitung und der Öffentlichkeitsarbeit übernehmen. An dieser Stelle spielt also das formelle und informelle Netzwerk der Clusterinitiative eine gewichtige Rolle, weil dieses Netzwerk die Eintrittskarte in das Projektkonsortium darstellt. Je nach Qualifikation der Netzwerk-Geschäftsstelle sind auch inhaltliche Beiträge denkbar, die sich am VDC in erster Linie anhand der Erarbeitung von Studien, Roadmappings, (Delphi-)Analysen etc. zeigen. Auch im zweiten Kernkompetenzfeld der Clusterinitiative können Projekte angegangen werden, namentlich im Clustermanagement und Technologietransfer: Projekte und Aktivitäten zur Vernetzung, zum Technologie- und Innovationsmanagement oder zum Aufbau von Wissensgemeinschaften werden durch die Region, das Land, den Bund und die EU ausgeschrieben. Nachweislich gut arbeitende Clusterinitiativen haben damit reelle Chancen, sich hier auf verschiedene Ebenen und mit unterschiedlichem wissenschaftlichen Anspruch einzubringen. Der wissenschaftliche Anspruch definiert dabei im Allgemeinen die Förderquote – Grundlagenforschung resultiert in Vollförderung, deren Ergebnisse sind aber häufig schwieriger in die Arbeitspraxis der Clusterinitiativen zu überführen. Stärker angewandte und marktorientierte Aktivitäten sind wesentlich leichter transferierbar, dafür niedriger gefördert. Die Teilnahme an öffentlich geförderten Projekten bringt einer Clusterinitiative mindestens vier Vorteile: • Es werden erhebliche, langfristige, gut planbare Finanzmittel zur Sicherung des eigenen Haushalts akquiriert. • Die Integration von Mitgliedern in Förderprojekte ist ein substanzieller ­Mitglieder-Service: Mitglieder erhalten ihrerseits Förderung, können sich in

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prospektiven Zukunftsfeldern aufstellen und mit anderen Projektpartnern vernetzen – im Idealfall natürlich mit weiteren Mitgliedern der Clusterinitiative. • Die Netzwerk-Geschäftsstelle kann Know-how in für sie wichtigen Themenfeldern aufbauen. • Die Netzwerk-Geschäftsstelle kann sich im Projekt mit weiteren Organisationen von außerhalb der eigenen Clusterinitiative vernetzen.

6.2.3 Einbindung der Mitglieder oder sonstige Stakeholder Das VDC führt in regelmäßigen Abständen, etwa alle zwei Jahre, Mitgliederbefragungen durch. Über geschlossene Befragungsanteile hat das VDC das Mitgliederinteresse für eine Reihe von Vorschlägen für VDC-Leistungen oder für neue Themen erhoben. Über offene Befragungsanteile konnten Mitglieder eigene Vorschläge und Ideen einbringen. Daneben bleiben das persönliche Gespräch und Besuche beim Mitglied vor Ort unersetzlich: Das Clustermanagement muss verstehen, mit welchen Branchen, Anwendungsfeldern und Technologien ein Mitglied sich auseinandersetzt, wo bereits profunde Erfahrungen vorhanden und welches die Zukunftsthemen eines Mitglieds sind. Vor allem die letzte Information wird häufig eher im persönlichen Gespräch offenbart als über gut dokumentierte, schriftliche Befragungen. Die Einbindung von ­Netzwerk-Mitgliedern in Fördervorhaben erfordert zunächst die Information über Fördermöglichkeiten, dann aber auch die operative Integration in den Prozess der Antragsstellung. Je nach bisherigem Erfahrungshintergrund des Mitglieds ist der Betreuungsaufwand unterschiedlich, kann aber beträchtlich sein. Bei der Entwicklung neuer Leistungsangebote als Einnahmequellen trat eine ganze Reihe von Hindernissen auf: Für eine kommerzielle Nutzung der technischen VR-Infrastruktur wären auch kommerziell einsetzbare ­ Software-Lizenzen notwendig gewesen – eine nicht darstellbare Investition von mehreren hunderttausend Euro. Weiterhin stellte sich heraus, dass ein Markt zur externen Nutzung von VRInfrastruktur nicht tragfähig ist, da sensible Entwicklungsdaten ungerne außer Haus gegeben werden. Der Markt der VR war jahrelang ein zweiseitiger Oligopolmarkt mit wenigen Anbietenden und wenigen Nachfragenden, was die Notwendigkeit des Matchmakings und von generelleren Informationsveranstaltungen stark einschränkte. Mit dieser Erkenntnis ging das VDC zu stark spezifischen Fachveranstaltungen über, z. B. Arbeitskreise zu einzelnen Brancheneinsätzen oder zu einzelnen VR-Anwendungsfeldern. Generell haben sich Veranstaltungen im VR-Bereich nie zu „Cash Cows“ entwickelt, weder am VDC noch bei anderen

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Organisationen im Blickfeld des VDC. Bei Veranstaltungen wurde vereinzelt von VDC-Mitgliedern versucht, andere Mitglieder fernzuhalten. Dies wurde durch die Entwicklung eines VDC-eigenen „Code of Conduct“ (Verhaltenskodex) abgestellt: Das VDC wird sich an keinerlei Aktivität beteiligen, bei der Mitglieder ausgeschlossen sind. Das wiederholte und massive Zuwiderlaufen des Code of Conduct kann sogar den Vereinsausschluss nach sich ziehen. Kostenpflichtige Beratungen werden auch von ­VDC-Mitgliedern angeboten – sowohl aus dem Kreis der Unternehmensberatungen als auch aus dem Kreis der Forschungseinrichtungen. Hier tätig zu werden hätte also bedeutet, deren Mitgliedschaft zu riskieren. Auch für Stellenbörsen gibt es heute sehr starke Konkurrenz, fast ausschließlich aus dem Onlinebereich. Die Internationalisierung ist nur für einen sehr kleinen Teil der VDCMitglieder relevant: Großunternehmen internationalisieren sich ohne Hilfe des VDC, Kleinunternehmen fokussieren sich auf ihren Heimatmarkt. Der Mittelbau an Mitgliedern, der groß genug ist für die Internationalisierung, aber klein genug, um dafür Unterstützung zu benötigen, muss dann für sich auch noch das strategische Ziel „Internationalisierung“ definiert haben. Die verbleibende Anzahl ist also gering. Von individuellen Dienstleistungen ist das VDC insgesamt weitgehend abgerückt. Neben dem selbst auferlegten Wettbewerbsverbot zwischen seinen Mitgliedern spielt auch eine Rolle, dass eine solche Dienstleistung in Sinne eines Geschäftsmodells schlecht skaliert: Mehr Dienstleistungen benötigen mehr Mitarbeitende; darüber hinausgehende Effekte werden erst einmal nicht erzielt. Anders verhält es sich mit der Öffentlichkeitsarbeit (etwa Newsletter) oder mit Veranstaltungen. Hier kann man die Zahl der berücksichtigten Mitglieder steigern, ohne proportional ebenso viele Personal-Ressourcen zu investieren. Die Beantragung und Bearbeitung von Fördervorhaben weist mehrere Schwierigkeiten auf: Die Beantragung kann – je nach adressierter Ausschreibung – sehr aufwendig sein, sogar im Umfang eines Personenjahrs bei größeren EU-Projektanträgen. Demgegenüber steht die Tatsache, dass nicht jeder Antrag genehmigt wird. Die Bewilligungsquoten erreichen bei manchen Ausschreibungen sogar nur wenige Prozent. Auch die Förderquote, also das Verhältnis der Zuwendung zum eigenen Aufwand, liegt im Allgemeinen deutlich unter 100 Prozent. Damit müssen Projektaufwände kofinanziert werden, was bei kleinen Netzwerken und großen Projekten schwierig werden kann. Schließlich fließen Fördermittel aufgrund der unsicheren Bewilligung nur unregelmäßig. Diese Unregelmäßigkeit kann dazu führen, das bei einem Non-Profit- oder gemeinnützigen Netzwerk ohne größere Rücklagen die Personaldecke kurzfristig auf- oder abgebaut werden muss. Der Ausweg liegt darin, permanent intensiv zu akquirieren, um Finanzierungslücken zu vermeiden, sehr große Projekte auf ein machbares Maß zu begrenzen und Ausschreibungen mit niedrigen Förderquoten

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zu meiden. Die enge Zusammenarbeit mit Forschungseinrichtungen und Projektentwicklern, die die Antragsstellung professionalisiert haben, kann helfen, eigene Aufwände in der Antragsstellung zu reduzieren. Das Dienstleistungsspektrum Das VDC hat grundsätzlich ein seit wenigen Jahren konstantes Dienstleistungsspektrum aus folgenden fünf Geschäftsfeldern (vgl. Abb. 6.1):

ProjektEntwicklung

TechnologieTransfer

Match Making

Fachinformationen

Technologieu. StandortMarketing

• Fachinformationsbeschaffung In der Fachinformationsbeschaffung beobachtet das VDC permanent den VR/ AR-Markt und VR/AR-Technologien. Neuigkeiten zu Produkten, Anwendungen,

Dienstleistungen

Städtische Förderung

Förderprojekte: Zuwendungen für das VDC





zufriedene Mitglieder: Mitgliedsbeiträge



€ Kofinanzierung

Haushalt VDC

Abb. 6.1   Das heutige VDC-Geschäftsmodell

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Projekten, Unternehmen, Trends und Terminen (Fachveranstaltungen etc.) werden in die VDC-Wissensdatenbank aufgenommen und kategorisiert, sodass diese leichter auffindbar sind. Ein eigens erstellter K ­ ategorien-Index unterstützt dabei. Das VDC sammelt weiterhin strategische Informationen mit Relevanz, z. B. Marktstudien, Positionspapiere oder technische Analysen. Diese werden in einer elektronischen Fachbibliothek abgelegt und stehen exklusiv den VDCMitgliedern zur Verfügung. Matchmaking Das VDC leitet interne und externe Anfragen nach Lösungen oder spezifischen Kompetenzen möglichst an seine Mitglieder weiter. Gleichzeitig wird proaktiv nach Möglichkeiten der Kooperation zwischen einzelnen Mitgliedern gesucht. Auch die vom VDC verfassten Whitepaper dienen der internen Vernetzung, da sie meist ein Themenfeld abbilden und dabei die Beiträge einzelner Mitglieder im Thema zeigen, gegebenenfalls aber an anderen Positionen in der Wertschöpfungskette. Das VDC betreibt eine eigene Stellenbörse mit Web-Portal für den Fachbereich VR/AR. Technologie- und Standortmarketing Das VDC sieht sich in der Mission, Unternehmen – auch und speziell kleine und mittelständische Unternehmen – dafür zu befähigen, neueste ­3D-Technologien einzusetzen, um so ihre Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. In diesem Verständnis informiert das VDC über VR und AR und bewirbt den Nutzen sowie die Einsatzmöglichkeiten dieser Methoden und Technologien intensiv. Technologietransfer Das VDC betreibt Technologietransfer an mehreren Stellen. Zum einen wird versucht, die Technologieprovider im Netzwerk über die Entwicklungen in der Forschung – sowohl bei den Forschungslaboren innerhalb des VDC als auch bei externen Forschungseinrichtungen – auf dem Laufenden zu halten. Bestehende und prospektive VR-/AR-Endanwender werden über die Leistungen und technischen Möglichkeiten der Lösungen der Technologieprovider informiert. Auch erfahren die Endanwender durch die Beiträge der Forschungseinrichtungen, was in einigen Jahren unter Umständen auf dem Markt sein wird. Die Lehrenden im VDC werden ihrerseits über die Ausbildungsbedarfe der Industrie und Forschung in Kenntnis gesetzt. Die Technologieprovider erhalten durch das VDC-Netzwerk Kenntnis von den Anforderungen der Endanwender. Projektentwicklung Das VDC beobachtet Förderausschreibungen und dauerhafte Förderprogramme für Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Mittels eines

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Förder-Newsletters werden die Mitglieder über neue Fördermöglichkeiten informiert. Sehr spezifische Ausschreibungen werden an passende Mitglieder weitergeleitet. Jedes Mitglied hat darüber hinaus stets die Möglichkeit, beim VDC nach offenen Ausschreibungen zu fragen. Das VDC unterstützt sowohl bei der Konsortialbildung als auch bei der Antragsstellung. Daneben besteht am VDC eine „Einkaufsgemeinschaft Strom“, die interessant ist für alle Mitglieder, die größere Rechner-Cluster betreiben. Aktuell eruiert das VDC das Technologie-Assessment als neues Betätigungsfeld. • Technologie-Assessment Mit dem Aufkommen eines sehr großen, aber kleinteiligen Markts der Consumer-Geräte für VR und AR entstand bei den Mitgliedern der Bedarf, diese auf Tauglichkeit für ihre Anwendungen zu testen. Damit könnte es für das VDC interessant sein, gebündelt für alle Mitglieder in die Beschaffung zu gehen und neue Produkte, Prototypen, Kick-Starter-Lösungen zu testen sowie – wenn möglich – Testprotokolle unter den Mitgliedern zu verteilen. Damit sparen sich die Mitglieder individuelle Anschaffungen und gegebenenfalls sogar den Aufwand für eigene Tests.

6.2.4 Erfolgsstories Öffentlichkeitsarbeit Der Anspruch des VDC ist es, eine sehr gut sichtbare, wenn nicht sogar führende Rolle in der Diskussion um B2B-Anwendungen von VR/AR in Deutschland auszufüllen. Davon sollen in der Folge die Netzwerk-Mitglieder profitieren. • Mit der Größe des Netzwerkes ist es nun möglich, eine Ausstellungsmesse zu betreiben, die zum großen Teil von den Mitgliedern getragen wird. Auf der 2018er „VR Expo“, die in Stuttgart stattfand, zeigten rund 40 Mitglieder des VDC ihr Leistungsangebot. Sprecher von Daimler AG, Dr. Ing. h.c. F. Porsche AG, AUDI AG, Robert Bosch GmbH, Microsoft Corporation u. v. m. unterstrichen die Bedeutung dieser Veranstaltung, insbesondere für die Industrie. • Das VDC etablierte vor Jahren einen „Whitepaper-Prozess“, um gezielt Veröffentlichungen zu strategisch wichtigen Themen des VDCs zu erarbeiten. Die VDC-Mitglieder lieferten dazu eigene Inhalte. Über 20 VDC-Whitepaper erläutern aktuell einzelne Branchen-Einsätze von VR/AR, Anwendungsfelder von VR/AR oder VR-/AR-Technologien. Dem VDC ist es mit den Whitepapers gelungen, eigene Sichtbarkeit im Thema herzustellen – beispielsweise in Suchmaschinen –, Mitgliedern eine Veröffentlichungsplattform zu bieten und die

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beteiligten Mitglieder miteinander zu vernetzen. Ein weiterer wichtiger Aspekt war, dass sich auch die VDC-Geschäftsstelle mittels der Whitepaper selbst weiterqualifizieren konnte, denn die Whitepaper geben einen guten Einblick unter anderem in die Herausforderungen spezifischer Branchen bezüglich VR und AR. Projekt 3D-GUIde Die Bedienung von 3D-Software und VR-/AR-Systemen weist gegenüber den Bedienungen von Standard-Desktop-Lösungen (z.  B. ­ OfficeProgrammpakete) oder von Touch-Systemen wie Smartphones und TabletPCs noch immer eine gravierende Schwachstelle auf: Das Fehlen allgemein akzeptierter Interaktionsstandards. Am Desktop hat sich das ­ Windows-IconMenu-Pointer-Interaktionsparadigma durchgesetzt; auch die Benutzung von Touch-Systemen ist einfach dank hinlänglich bekannter Schiebe-, Skalier- und Rotationsgesten. Wechselt man hingegen von einer VR-/AR-Lösung auf eine andere, sind Benutzende häufig mit der Schwierigkeit konfrontiert, dass die neue Lösung zunächst gar nicht, nur schwer, langsam oder nur fehlerhaft bedient werden kann. Das VDC hat mit dieser Erkenntnis ein Projekt im Rahmen des Förderschwerpunkts Mensch-Technik-Interaktion des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie aufgesetzt. Innerhalb des Projektes „3D-GUIde“ werden nun, gemeinsam mit VDC-Mitgliedern, aber auch mit externem Know-how, Best Practices der 3D-Interaktion entwickelt und wissenschaftlich evaluiert. Dieses Wissen wird an die Wirtschaft transferiert. Das VDC organisiert dafür zur Projektlaufzeit einen Industriebeirat zum Projekt, in dem sich viele VDC-Mitglieder befinden und plant, die Arbeit im Thema nach dem Auslaufen des Projektes über eine Facharbeitsgruppe im VDC-Netzwerk fortzusetzen. Damit sollen den ­VDC-Mitgliedern langfristige Wettbewerbsvorteile erschlossen werden, denn gute Interaktionskonzepte führen zu zufriedenen Kunden; diese wiederum sind die Basis einer guten wirtschaftlichen Zukunft der VDC-Mitglieder.

6.3 Clusterinitiative morgen Das VDC ist heute in einer guten Position, was die Größe des Netzwerkes, die Zahl seiner Aktivitäten und der Mitarbeitenden in der Geschäftsstelle betrifft. Dennoch gibt es eine Reihe von Trends, die die Geschäftstätigkeit des ­VDC-Netzwerkes betreffen und auf die das VDC reagieren muss. Der VR-/AR-Markt wandelt sich aktuell von einem zweiseitigen Oligopolmarkt zu einem bilateralen Polypol: Viele Elektronik-, Unterhaltungs- und

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Engineering-IT-Konzerne sind in das Thema VR/AR eingestiegen, hinzu kommen die großen Plattformbetreiber wie Microsoft, Google und Apple. Damit wird das Technologieangebot unübersichtlicher – dies stellt eine Chance für das VDC dar, wenn es hier eine Scouting-Rolle für seine Mitglieder übernehmen kann. Social-Web-Plattformen wie Meetup, Xing und LinkedIn sind heute bereits Wettbewerbsplattformen: Auch sie bündeln eine Fachcommunity, ermöglichen die Diskussion und arrangieren physische Treffen. Die VR-/AR-Meetups im Silicon Valley erreichen so teils mehrere tausend Mitglieder mit einer gewaltigen Interessentenschar in der Größenordnung von zehntausenden Mitgliedern. Hier muss sich eine Clusterinitiative sichtbar absetzen können, etwa durch die Tiefe und Nachhaltigkeit des Dialogs. Gleichzeitig muss man sich mit der Frage beschäftigen, wie Social-Web-Plattformen in die Clusteraktivitäten einbezogen werden können, ohne jedoch exklusive Vorteile für die Netzwerkmitglieder zu gefährden. Das Online-Informationsangebot ist heute in nie da gewesener Weise breit, jederzeit und überall verfügbar. Die Clusterinitiativen, die in der Fachinformationsbeschaffung tätig sind wie das VDC, müssen daher permanent beobachten, sortieren und einordnen, um ihren Mitgliedern auf effiziente Weise einen Überblick gewähren zu können. Automatische Such-Robots (Crawler) helfen enorm; als Aufgabe des Netzwerkes verbleibt damit die Einordnung in einen Kontext, die Bewertung, die Dokumentation und Verbreitung an seine Mitglieder. Das ubiquitäre Informationsangebot wirkt sich weiterhin auf das Messegeschäft aus: Dieses erfährt seit vielen Jahren einen Wandel. Zum einen sinkt der Zulauf zu Messen insgesamt, zum anderen geht der Trend in Richtung kleinerer Fachmessen und weg von großen, breit aufgestellten Messeformaten. Das Thema VR/AR nimmt wahrscheinlich eine Sonderstellung ein: Zwar ist online viel über die technischen Eigenschaften von Hardware und Software zu erfahren; da es sich aber um Interaktionstechnik handelt, ist persönliches Ausprobieren enorm hilfreich, um die Qualität einer Lösung subjektiv einschätzen zu können. Damit ist dieses Thema prädestiniert für eine Ausstellungsmesse. Im Rahmen der XR Expo wird sich das VDC daher weiter intensiv engagieren und exklusive Mitgliedervorteile im Rahmen der XR Expo anbieten. Weiterhin erleben wir geradezu eine „Inflation“ von Veranstaltungen und Workshops generell und speziell im Thema VR/AR. Deren Organisation und Bewerbung ist auch über die o. a. Social-Web-Plattformen schlicht einfacher geworden als früher. Hier kann eine Clusterinitiative als Reaktion ebenfalls – s. o. – den Dialog tiefer, nachhaltiger und exklusiver führen. Die Clusterinitiative muss ferner ihre Professionalität und Manpower ausspielen, etwa über sichtbar

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hochwertigere Programme oder professionellere konzeptionelle und technische Umsetzung. So wird das VDC voraussichtlich damit beginnen, seine Veranstaltungen zu streamen, um überall sichtbar zu sein.

Kurzprofil

Das Virtual Dimension Center w. V. (VDC) ist ist das größte B2B-Netzwerk mit institutionellen Mitgliedern im Themengebiet VR/AR in Deutschland. Seit der Gründung ist das VDC kontinuierlich gewachsen: Rund 100 Mitglieder aus zahlreichen Branchen, natürlich aus der Informationstechnik, aber auch aus Anwendungsbranchen wie Automobilbau, Maschinenbau, Bauwesen, Handel oder Kleidung, arbeiten im VDC zusammen. Damit ist deutschlandweit das VDC die inhaltlich am breitesten aufgestellte VR/AR-Initiative. Mit über 20 Laboren (Universitäten, Fraunhofer, DFKI, Hochschulen), sehr vielen ­Technologie-Providern und Technologie-Endanwendern im Netzwerk ist das VDC auch inhaltlich die am profundesten aufgestellte Initiative mit einer gleichzeitig unerreichten Abbildung der Wertschöpfungskette im Thema. Durch die Mannschaftsstärke von fünf Vollzeitäquivalenten kann das VDC jetzt viel Mehrwert für die Mitglieder erwirtschaften und auch größere Projekte bearbeiten. Das VDC organisiert ca. 40 Veranstaltungen pro Jahr und hat eine enorme, auch internationale Sichtweite im Thema durch intensive Marketing- und Informationsarbeit. In den vergangenen Jahren konnte eine große Zahl an Projekten von der Lokal-, Regional-, Landes-, Bundes- und EU-Ebene zum VDC geholt werden. Seitdem es den ESCA-Cluster-Labelling-Prozess gibt, hat sich das VDC an diesem beteiligt und 2013 – als eines der ersten Netzwerke – den ­Gold-Status erreicht und seitdem gehalten. Das VDC arbeitet permanent daran, sich noch besser aufzustellen. Die Abhängigkeit von der Projektfinanzierung bringt aber auch die oben genannten Herausforderungen mit sich, denen sich das VDC heute und in Zukunft stellen muss. Prof. Dr.-Ing. Dipl.-Kfm. Christoph Runde studierte Elektrotechnik und Betriebswirtschaftslehre. 2007 promovierte er an der Universität Stuttgart, 2017 folgte die Honorarprofessur der Hochschule Heilbronn. Nach beruflichen Stationen bei Porsche und dem Fraunhofer IPA leitet Christoph Runde seit 2007 das Virtual Dimension Center w. V. (VDC). Das VDC erhielt unter seiner Führung zahlreiche Auszeichnungen, so unter anderem 2013, 2016 und 2019 das European Cluster Management Excellence Label in Gold.

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Clusterinitiativen als Instrument der Regionalentwicklung in Niederösterreich „Innovation durch Kooperation“ als kontinuierlicher Ansatz regionaler Wirtschaftspolitik Stefan Liebert und Simone Hagenauer Zusammenfassung

Dieser Beitrag zeichnet die Entwicklung der niederösterreichischen Clusterpolitik als regionales, wirtschaftspolitisches Instrument von 2000 bis heute nach. Daraus abgeleitete Erkenntnisse: Die Einbettung in eine regionale Wirtschaftsstrategie ist unerlässlich, diese bildet den notwendigen Rahmen. Erfolgskennzahlen für Cluster sind sinnvoll und schaffen Akzeptanz. Clusterinitiativen sind nachhaltige Instrumente und eignen sich nicht für Spontanmaßnahmen. Cluster sind soziale Netzwerke handelnder Personen und basieren auf gegenseitigem Vertrauen, das sich stetig entwickelt. Kooperationsprojekte (B2B, B2R&D) schaffen langfristige und nachhaltige Beziehungen und sind ein Alleinstellungsmerkmal der Cluster. Und Cluster müssen lokal akzeptiert und gefestigt sein, damit eine Zusammenarbeit zwischen Clustern und Regionen funktioniert.

S. Liebert  Wien, Österreich E-Mail: [email protected] [email protected] S. Hagenauer (*)  Ecoplus. Niederösterreichs Wirtschaftsagentur GmbH, St. Pölten, Österreich E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_7

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7.1 Einleitung Der Beginn der Clusterinitiativen im Land Niederösterreich reicht in das Jahr 1999 zurück, als dazu erste Überlegungen bei ecoplus. Niederösterreichs Wirtschaftsagentur GmbH und im Wirtschaftsressort des Landes getätigt wurden. Als Vorbild dienten damals die im Aufbau oder bereits in Umsetzung befindlichen Clusterinitiativen in den österreichischen Bundesländern Steiermark und Oberösterreich. Nach eingehender Potenzialanalyse und unter Einbindung zahlreicher Stakeholder wurden Anfang 2001 zwei Clusterinitiativen zu den Themen Automotive und Holz gestartet. Es folgten weitere, in drei Fällen regionenübergreifende Clusterinitiativen in Kooperation mit anderen Bundesländern. Erfolgreiche Clusterinitiativen sind bis heute tatkräftig unterwegs; in einem Fall wurden zwei Initiativen zu einer zusammengeführt, drei der Clusterinitiativen wurden, als das Interesse der Wirtschaft nach einigen Jahren dauerhaft nachgelassen hatte, nach eingehender Prüfung eingestellt. Heute verfügt das Programm Cluster Niederösterreich (NÖ) über fünf Clusterinitiativen. Die strategisch-methodische Ausrichtung der Cluster NÖ war seit ihrem Beginn an die jeweilige Strategie des Wirtschaftsressorts gebunden und folgt drei wesentlichen Prämissen: Innovation durch Kooperation, Projektorientierung und Vorwettbewerblichkeit. Über die Zeit wurden jedoch thematische Schwerpunksetzungen aktuellen Herausforderungen angepasst, Kooperationsprojekte weisen einen immer stärkeren F&E-Bezug auf und Projektvolumina wuchsen deutlich an. Ging man zu Beginn von einem PPP-Modell (Public Private Partnership) mit hoher finanzieller Beteiligung durch die Wirtschaft bis hin zur ­De-facto-Selbstständigkeit aus, so wurde in den ersten sechs Jahren rasch klar, dass bei Beibehaltung des hohen Anteils kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) – mangels ausreichender Anzahl an Großunternehmen in der Region – eine Eigenfinanzierung unter den oben genannten Prämissen nicht zu realisieren gewesen wäre. Gleichzeitig wären so auch die Cluster NÖ als wirtschaftspolitisches Instrument, „Tor zur Wirtschaft“ und dadurch Mitumsetzer der landeseigenen Wirtschaftsstrategie abhandengekommen. Heute haben sich die ecoplus-Cluster Niederösterreich als anerkannte Branchennetzwerke mit Drehscheiben- und Türöffnerfunktion etabliert und bilden gemeinsam mit den Technopolen das Rückgrat der niederösterreichischen Innovationspyramide.

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Bildet die Niederösterreichische Wirtschaftsstrategie das Rückgrat für die Clusterentwicklung, so bilden einerseits die FTI-Strategie (Forschung, Technologie und Innovation) des Landes Niederösterreich und andererseits auch die Smart Spezialisation Strategy (S3) – in der die Cluster als Methode der Innovationsentwicklung dargestellt werden – gut aufeinander abgestimmte und ergänzende strategische Leitlinien. Dies bindet und verankert die Cluster NÖ als wirtschafts- und technologiepolitisches Instrument fest an und in das niederösterreichische Wirtschaftssystem. Bei allen strategischen, finanziellen und organisatorischen Überlegungen darf jedoch nicht übersehen werden, dass Cluster hochkomplexe Geflechte aus sozialen Beziehungen und Erfahrungen darstellen. Erfolgreiche Clusterarbeit gelingt letztlich nur dann, wenn Kontinuität und Stabilität dafür sorgen, dass das notwendige gegenseitige Vertrauen zwischen den wesentlichen Playern entsteht, ausgebaut und gepflegt wird.

7.2 Clusterlandschaft Niederösterreich – die ersten Schritte Das Bundesland Niederösterreich ist mit 19,1  Tsd.  km2 das flächenmäßig größte Bundesland und mit rund 1,7 Mio. Einwohnern nach Wien das zweitbevölkerungsreichste Bundesland Österreichs. Als klassisches Flächenbundesland mit einer Gesamtaußengrenze von 414 km zu den benachbarten Staaten Tschechische Republik und Slowakei ist die historische Entwicklung Niederösterreichs stark von der Kopplung an die Bundeshauptstadt Wien und von den Entwicklungen im und nach dem Kalten Krieg geprägt. Dabei hat sich Niederösterreich von einer Agrarregion mit industriellen Nischen zu einer modernen, an Innovation, Forschung und Entwicklung ausgerichteten europäischen Region entwickelt. Erst im Jahr 1920 erfolgte die verwaltungstechnische Trennung von Niederösterreich und Wien in zwei selbstständige Bundesländer. 1986 wurde St. Pölten zur Landeshauptstadt Niederösterreichs gewählt und bis 1996 zum Sitz der Landesregierung und -verwaltung ausgebaut. St. Pölten ist mit 54.000 Einwohnern die größte Stadt Niederösterreichs (vgl. Wien 1,8 Mio.). Sämtliche Magistralen – Straße und Schiene – schneiden oder tangieren Wien. Neben Niederösterreich selbst ist Wien der wesentliche lokale Markt für die niederösterreichische Wirtschaft. Bis in die 1990er Jahre verfügte Niederösterreich über keinen nennenswerten tertiären Bildungssektor. Niederösterreichische Studierende waren gezwungen, die Universitätsstandorte Wien,

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Linz und Graz aufzusuchen. Ergänzend kommt hinzu, dass zwischen 1945 und 1989 der „Eiserne Vorhang“ zur Verlangsamung der wirtschaftlichen und regionalen Entwicklung sowie zur weiteren strukturellen Schwächung der grenznahen Regionen geführt hat. Mit dem Ziel, speziell diese Regionen zu stärken, wurde am 1. Februar 1987 das niederösterreichische Regionalförderprogramm gestartet und die Wirtschaftsagentur ecoplus mit der Durchführung betraut. Dieses Programm begleitet seitdem Initiativen und unterstützt Projekte, die Nachhaltigkeit, Innovation, regionaler Verankerung und Vernetzung sowie der Nutzung regionaler Ressourcen dienen: Damit schaffen und sichern sie Wertschöpfung und Arbeitsplätze in den Regionen. Diese umfängliche Einleitung ist notwendig, um den ursprünglichen Impetus der niederösterreichischen Clusterentwicklung zu verstehen, die letztlich aus dem Bereich Regionalförderung heraus entstand. Die Grundintention war weniger die Stärkung von Forschung und Innovation als vielmehr die Idee, durch wirtschaftliche Kooperationsbildung den regionalen und interregionalen Zusammenhalt zu festigen, um dadurch Strukturen und Wirtschaft zu stärken. Die ersten Konzepte und Umfeldanalysen gehen auf das Jahr 1999 zurück. Zu dieser Zeit hatten zwei österreichische Bundesländer bereits erste konkrete Schritte der Clusterbildung gesetzt, jedoch mit unterschiedlichen Zugängen. In der Steiermark wurden Clusterinitiativen disloziert und wirtschaftlich selbstständig in eigenen GmbHs organisiert, mit dem klaren Ziel der stufenweisen Selbstfinanzierung und einer starken F&E-Ausrichtung. Das Bundesland Oberösterreich startete die ersten Clusterinitiativen als Teil des in der Wirtschaftsagentur beheimateten Bereichs Clusterland Oberösterreich. Der Bereich wurde später ausgegliedert, ist aber aktuell wieder Teil der Wirtschaftsagentur Business Upper Austria und zentrale Clustermanagement-Organisation. Aufgrund der starken Industrieballung rund um Linz und Wels ist Clusterpolitik neben der gewünschten Mitwirkung von KMU auch auf Großunternehmen ausgerichtet. Der Fokus liegt auf kooperativen Projekten mit vorwettbewerblicher Orientierung. Auch bei den oberösterreichischen Clustern war eine zunehmende Finanzierung durch private Beiträge fixiert und wurde schrittweise so implementiert. Auf Basis dieser Vorbilder und eingehender Potenzialanalysen wurden in Niederösterreich die Themen Automotive und Holz als geeignet angesehen, „geclustert“ zu werden. Der weiteren Erläuterung dieser Entwicklung ist vorwegzuschicken, dass Niederösterreich mit einem verhältnismäßig geringen Anteil großer Unternehmen

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(KMU-Anteil  ~97 %) unternehmerisch sehr klein strukturiert ist; dies stellt jedoch nur eine quantitative, aber keine qualitative Aussage dar. Durch die hohe Bindung an die Stadt Wien und den beinahe unstillbaren Hunger nach Baustoffen und Arbeitskraft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts ist bis heute in beinahe ganz Niederösterreich eine vielfältige sowie zumeist kleinstrukturierte Handwerkswelt erhalten geblieben, die von einer ebenso unterschiedlich ausgeprägten Baustofferzeugung ergänzt wird. So befinden sich bis heute zum Beispiel sowohl die weltberühmte Ziegelerzeugung Wienerberger AG als auch eines der größten Spanplattenwerke Europas in Niederösterreich. Zurück zur Clustergründung 2001 mit den Themen Automotive und Holz, die nach eingehenden Sondierungsphasen auch unterschiedlich strukturiert aufgesetzt wurden. Diese Sondierungsphase war überaus wichtig, um die Clusterstruktur so aufzusetzen, dass sie den Bedarfen der KMU angepasst waren. Der Automotive Cluster Vienna Region wurde als Projekt einer gemeinsamen Gesellschaft der Bundesländer Wien, Niederösterreich und Burgenland mit Sitz in Wien gestartet. Dies erfolgte auch unter dem Gesichtspunkt, dass viele Unternehmen zwar den Produktionsstandort in Niederösterreich, das Headquarter jedoch in Wien hatten. Das zweite Thema war – wie in vielen anderen Regionen auch – das Thema Holz: ein Umstand, der einerseits durch die wirtschaftliche und regionale Bedeutung dieses Naturstoffs begründet war. Andererseits war er auch dem Faktum geschuldet, dass es seitens der in dieser Branche traditionell vernetzten Wirtschaft auch entsprechende Vorstellungen einer Clustergründung gab. Das Management dieser Clusterinitiative war von Beginn an in St. Pölten beheimatet und war einzig ein Projekt der ecoplus im Bereich Netzwerke & Cluster. Ende 2002 folgte mit dem Wellbeing Cluster der erste Dienstleistungscluster mit dem Ziel, die mannigfaltigen Anbieter im gesundheitstouristischen Bereich zu bündeln – von Ernährungsberatern über Kuranstalten bis zur Entwicklung von Heil- und Pflegebehelfen. Mitte 2004 wurde mit dem Ökobau-Cluster Niederösterreich ein Netzwerk im Baubereich geschaffen, welches primär die damals aktuellen Bemühungen um das neue Thema Passivhaus und nachhaltiges Bauen bündeln sollte. Die vorhandenen inhaltlichen Überschneidungen mit dem Holz-Cluster wurden zu diesem Zeitpunkt in Kauf genommen, fanden jedoch später eine erfolgreiche Lösung. Mit der Etablierung des Kunststoff-Clusters in Niederösterreich Ende 2004 wird in der Nachbetrachtung die erste Phase der Clusterentwicklung abgeschlossen – wobei diese Grenzziehung keine eindeutige ist und mehr einen

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Übergang als einen Umbruch darstellt. Im Rahmen der Sondierung des Themas Kunststoff wurde sehr rasch klar, dass die betreffenden Branchen in Niederund Oberösterreich untereinander bereits hochvernetzt waren und das Land Oberösterreich bereits über einen etablierten Kunststoff-Cluster verfügte. Vom Willen zur Zusammenarbeit geleitet, wurde gemeinsam ausgelotet, inwieweit eine gemeinsame Clusterführung sinnvoll und auch möglich wäre. Dabei mussten selbstverständlich Vorbehalte, Argwohn, regionale Gepflogenheiten und Traditionen auf beiden Seiten berücksichtigt werden. Am Ende stand jedoch fest, dass die Bundesländer Ober- und Niederösterreich nicht nur Kooperation „predigen“, sondern auch selbst danach handeln und einen gemeinsamen ­Kunststoff-Cluster unterstützen. Die organisatorische Durchführung erfolgte so, dass unter einer gemeinsamen Dachmarke zwei eigenverantwortliche Teams an zwei Standorten, Linz (Oberösterreich) und Wiener Neustadt (Niederösterreich), den Cluster in ihrer Region managten, die grundsätzliche Themen- und Schwerpunktsetzung jedoch aufeinander abgestimmt wurde. Dieses Modell entwickelte sich so erfolgreich, dass es bis heute besteht. Der Kunststoff-Cluster ist derzeit der größte Cluster in Österreich und umfasst Mitglieder vom Burgenland bis nach Tirol. Auch 2010, bei der Etablierung des Mechatronik-Clusters in Niederösterreich, kam wieder dieses regionenübergreifende Modell zur Anwendung. In den ersten Jahren waren die Clusterteams – rund vier Mitarbeitende pro Team – sehr selbstständig und auch grosso modo für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. In der Zentrale der ecoplus befand sich die Bereichsleitung Netzwerke & Cluster mit strategischer, programmtechnischer und finanzieller Gesamtverantwortung. Die Zusammenarbeit zwischen den Clusterinitiativen war eher eingeschränkt, einerseits aufgrund der räumlichen Trennung der Teams, andererseits wegen der im eigenen Netzwerkaufbau gebundenen Ressourcen. Die von Beginn an wahrnehmbare Projektorientierung hin zu Kooperationsprojekten der Wirtschaft mit möglicher Einbeziehung von F&E-Institutionen war zwar gegeben, jedoch sind die Projektvolumen und -inhalte mit heutigen Kooperationsbemühungen in keiner Weise zu vergleichen. Auch die Fördermöglichkeiten von Projekten waren noch deutlich breiter, zum Beispiel wurden teilweise auch Marketingaktivitäten von Wirtschaftskooperationen gefördert. Abb. 7.1 zeigt die Clusterentwicklung in Niederösterreich im zeitlichen Kontext.

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Abb. 7.1   Clusterentwicklung im zeitlichen Kontext

7.3 Die „Außerirdischen“ sind gelandet Die an die erste Phase anschließenden Jahre 2004 bis 2010 waren durch die folgenden vier wesentlichen Faktoren geprägt: • Abgang vom PPP-Modell, da es sich aufgrund der Kleinteiligkeit der Betriebe nicht erfolgreich umsetzen ließ. • Einführung der Erfolgsmessung durch eine Balanced Score Card (BSC, 2007). • Eingliederung in den neuen ecoplus-Unternehmensbereich „Unternehmen & Technologie“ (2007). • Zentralisierung aller Cluster am neuen Standort in St. Pölten, um die Vernetzung und Zusammenarbeit der Clustermanagements untereinander zu fördern (2008). Zu Beginn der ersten Clustergründungen 2001 wurde die Finanzierung der Initiativen stets als gleitendes PPP-Modell mit steigender Beteiligung der Wirtschaft dargestellt.

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War die Clusterpartnerschaft zu Beginn kostenlos, wurden ab 2003 moderate Clusterbeiträge bei den einzelnen Clusterpartnern je nach Unternehmensgröße erhoben. Der Zeitpunkt der Beitragseinführung führte zu einem spürbaren Rückgang der Clustermitgliedschaften, was nachträglich betrachtet einen durchaus positiven „Reinigungseffekt“ hatte, weil dadurch die Zahl der „Trittbrettfahrer“ deutlich abnahm. An dieser Stelle ist auch zu erwähnen, dass von der Finanzierung der niederösterreichischen Clusterinitiativen immer nur das Management, d. h. die Personalkosten für Programmleitung, Cluster- und Projektmanager sowie Assistenz, sowie die laufenden Kosten wie Büromiete etc. umfasst waren und sind. Die Förderung von Kooperationsprojekten und Forschungsvorhaben erfolgt über regionale, nationale und europäische Förderinstrumente, die von den Projektpartnern eingereicht werden. Die Clusterteams haben auch keinen Einfluss auf Förderentscheidungen regionaler oder nationaler Förderstellen noch irgendeine Form der Priorisierung. Nach den ersten Jahren der Clusterführung wurde rasch klar, dass mit den Clustermitgliedsbeiträgen ein PPP-Modell nicht zu finanzieren wäre, da bei einem durchschnittlichen KMU-Anteil von 80 bis 90 Prozent pro Clusterinitiative die kalkulierbaren Beiträge keine ausreichende Höhe erreicht hätten. Unabhängig davon stellte sich auch strukturell die Frage, wie ein aus maßgeblich privaten Mitteln finanziertes Konstrukt nach wie vor in einer regionalen Wirtschaftsagentur verankert bzw. als wirtschaftspolitisches Instrument fortgeführt werden kann. Die Wirtschaftsabteilung des Landes NÖ (WST) begann ab 2007, eigene Maßnahmen, aber auch von den landeseigenen Gesellschaften umgesetzte Programme, einer auf der Balanced Score Card (BSC) basierten Ergebnisund Erfolgsmessung zu unterziehen. Diese BSC wurde auf Basis der gerade neu entwickelten Wirtschaftsstrategie 2015 des Landes NÖ erstellt und die Cluster NÖ wurden auserkoren, sich prototypenhaft diesem BSC-Prozess zu stellen. Dies stellt in der Nachbetrachtung eigentlich zwei wesentliche Meilensteine dar: Einerseits wurde das Programm Cluster NÖ erstmals als wirtschaftspolitisches Instrument in der landeseigenen Wirtschaftsstrategie dargestellt, andererseits wurde mit der BSC ein System implementiert, das bis heute erfolgreich das Wirken der einzelnen Clusterinitiativen messbar und nachvollziehbar macht. Somit wurde das Verhältnis zwischen der programmgebenden Landesabteilung und der programmumsetzenden Wirtschaftsagentur auf ein solides und konstruktives Fundament gestellt. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde das Wirken der einzelnen Cluster zwar bewertet, jedoch unterlag diese Bewertung immer sehr subjektiven Kriterien. Die Einführung der BSC brachte klare Messgrößen mit einem dahinterliegenden Reglement der Berechnung. Grundsätzlich werden nur in Umsetzung gegangene Kooperationsprojekte und die darin involvierten Kooperationspartner einer klaren Messung in Form einer Zählung unterzogen.

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Im Jahr 2007 wurde innerhalb der ecoplus ein dreiteiliges Bereichsmodell integriert, was bedeutete, dass der Bereich Netzwerke & Cluster mit dem Technopolprogramm und dem Programm Internationalisierung im neuen Unternehmensbereich „Unternehmen & Technologie“ zusammengefasst wurde. Damit war das nunmehrige Geschäftsfeld „Cluster NÖ“ integrativer Bestandteil des Bereichs der ecoplus, der Forschung, Innovation, Qualifizierung, Kooperation und Vernetzung sowie Internationalisierung im Land NÖ durch gezielte Maßnahmen vorantreiben soll (vgl. Abb. 7.2). Die Cluster wurden eng mit den fast zeitgleich und auch sukzessive errichteten Technopolstandorten vernetzt. Die Technopole als geografische Hotspots von Forschung, Ausbildung und F&E-naher Wirtschaft zu einem bestimmten Thema (zum Beispiel Wiener Neustadt: Material & Oberfläche) bilden mit dem Clusterprogramm und dem außerhalb der ecoplus betreuten Technologie- und Innovationspartner-Programm die niederösterreichische „Innovationspyramide“. Dabei stehen die Technopole für wirtschaftsnahe Wissenschaft und Ausbildung. Für die Cluster NÖ besteht die Möglichkeit, das dort generierte Know-how rasch in die Netzwerke und Projekte einfließen zu lassen; bei Bedarf können sie die Forschungsleistung der Technopolstandorte für Kooperationsprojekte nutzen. Diese Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren sehr positiv entwickelt, ohne dabei die Eigenständigkeit und Identität der Technopole auf der einen und der Cluster NÖ auf der anderen Seite zu gefährden oder auszuhöhlen.

Abb. 7.2   Organigramm

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Durch die Einbindung in die Wirtschaftsstrategie und die Bündelung in einem eigenen Unternehmensbereich der ecoplus wurde eine weitere wesentliche Entwicklung angestoßen: Cluster waren spätestens zu diesem Zeitpunkt als Instrument – Tor zur Wirtschaft – mit der Kernaufgabe „Innovation durch Kooperation“ in Niederösterreich angekommen und akzeptiert. Durch die enge Zusammenarbeit mit den Technopolen wurden in den Clustern immer stärker auf F&E basierende Kooperationsprojekte angestoßen; ein Prozess, der sich bis heute permanent weiterentwickelt. In der Folge entstanden immer komplexere und auch regionsübergreifende Forschungsprojekte, damit einhergehend auch ganze Projektketten zu bestimmten Themen. Durch diese Entwicklung wurde aber auch die thematische Führungsrolle der einzelnen Clusterinitiativen gestärkt, indem begonnen wurde, nicht einen „bunten Bauchladen“ von unterschiedlichen und aufeinander wenig abgestimmten Themenstellungen zu präsentieren, sondern aktiv und unter Einbeziehung der Wirtschaft konkrete Schwerpunktthemen zu definieren und darin entsprechende Projektentwicklungen voranzutreiben. So wurde zum Beispiel 2007 im Kunststoffbereich das Thema Biokunststoffe entwickelt. 2008 wurde in St. Pölten das neue Wirtschaftszentrum errichtet und alle Abteilungen der Wirtschaftsagentur ecoplus an diesem Standort gebündelt. Auch alle Clustermanagement-Teams wurden an diesem Standort zusammengezogen und – soweit möglich – alle gemeinsamen Dienste wie Backoffice und Öffentlichkeitsarbeit organisatorisch gebündelt. Dies war auch der Startschuss für eine verstärkte clusterübergreifende Zusammenarbeit. Dieser Prozess des Zusammenwachsens war aber auch davon geprägt, das richtige Maß der Zentralisierung und Standardisierung zu finden, ohne die branchenspezifischen Bedürfnisse und Herangehensweisen der einzelnen Clusterinitiativen zu untergraben. Die dabei auftretenden Unterschiede sind nicht zu unterschätzen und müssen auch im Sinne einer Identitätsstiftung gewahrt bleiben. Die bereits angesprochene inhaltliche Überschneidung von Holz- und Ökobau-Cluster NÖ wurde im Laufe der Jahre insofern prekärer, als sich ­ historische Konkurrenzverhältnisse bestimmter Baustoffgruppen immer stärker auch in der Clusterwelt widerzuspiegeln begannen. Dies war dem Grundsatz Innovation durch Kooperation wenig förderlich und führte zu beiderseitiger Stagnation. Personelle Änderungen in den einzelnen Teams führten dann schließlich dazu, dass 2007 die Idee der Fusionierung keimte und im Herbst 2007 der „Bau.Energie.Umwelt Cluster NÖ“ als material- und technologieunabhängiges Netzwerk für nachhaltiges Bauen aus den beiden Vorgängerclustern hervorging. Der in der Kurzform BEUC genannte Cluster konnte seine Materialunabhängigkeit zunehmend für die Entwicklung neuer Themen und Technologien

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nutzen, wie BIM (Building Information Modeling), Urban Cooling etc., die sich horizontal über alle Baustoffe erstrecken. Es wurde eine Plattform geschaffen, die einen Dialog über „Baustoffgrenzen“ hinweg ermöglicht. Wird bei Diskussionen über Clusterentwicklungen gerne das Argument ins Spiel gebracht, einmal begonnene Clusterinitiativen würden nicht mehr beendet, so ist bezogen auf Niederösterreich anderes zu berichten. Der Wellbeing-Cluster und der Logistik-Cluster wurden nach einigen Jahren wieder eingestellt, da es trotz zahlreicher Versuche nicht gelang, die wesentlichen Player in diesen Clustern zu ernsthaften, innovativen sowie F&E-relevanten Kooperationen zu bewegen bzw. eine inhaltliche Weiterentwicklung sicher zu stellen. Die genauen Ursachen für diese Entwicklung werden sich nicht endgültig erläutern lassen. Jedoch wird in der Rückbetrachtung schon eine leichte Tendenz sichtbar, dass dienstleistungsorientierte Clusterinitiativen wie der Wellbeing-Cluster, aber auch der Logistik-Cluster, größere Akzeptanzprobleme aufweisen als materialfokussierte Cluster bzw. dass das projektorientierte Vorgehen der Cluster NÖ in diesen Branchen keinen Rückhalt findet. Auch der seit 2001 gemeinsam mit Wien unterstützte Automotive Cluster Vienna Region wurde ab 2010 nicht weitergeführt, da die inhaltlichen und vor allem methodischen Vorstellungen der beiden Bundesländer nicht mehr kongruent waren. Versuche des Landes Wien, den Cluster allein weiterzuführen, waren auch nicht von Erfolg gekrönt, sodass der Cluster endgültig beendet wurde.

7.4 Die Jahre 2010 bis heute Die Jahre ab 2010 verliefen erfolgreich und können in der Rückblende als die Jahre bezeichnet werden, in denen das „Clustern“ in Niederösterreich angekommen ist und aktiv genutzt wird. Die einzelnen Clusterinitiativen wuchsen nicht nur organisatorisch stetig zusammen, sondern entwickelten auch gemeinsame Sichtweisen, Themen und Methoden. Gleichzeitig wurden aber die Spezifika der einzelnen Clusterthemen und Branchen sichtbar, was letztlich auch eine größere gegenseitige Akzeptanz unter den Clusterteams bewirkte. Die Einführung der programmweiten BSC war abgeschlossen, und die ersten Erfahrungen mit der programmgebenden Abteilung des Landes wurden in den halbjährlichen Reviews gemacht. Dabei wurde das Berichten von Daten und Fakten zunehmend durch einen sehr fruchtbaren Dialog ergänzt und so auch eine gemeinsame Sichtweise erreicht. Auf Basis dieser guten Entwicklung wurde eine neue Clusterinitiative im Bereich Mechatronik gestartet. Das oben beschriebene Ende des gemeinsamen

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Automotive Cluster Vienna hatte gezeigt, dass die Bedürfnisse vieler ­Automobil-Zulieferbetriebe in Niederösterreich weniger in fahrzeugtechnischen Bereichen lagen als eher im Bereich der jeweiligen Materialverarbeitung und in der Mechatronik. Dem erfolgreichen Modell im Kunststoff-Cluster folgend und aufgrund der ohnehin engen Verschränkung der Unternehmen beider Bundesländer, schlossen Oberösterreich und Niederösterreich auch hier eine Kooperationsvereinbarung. Somit wurde 2010 der Mechatronik-Cluster in Niederösterreich gestartet. Wie auch im Kunststoff-Cluster werden seither die Unternehmen aus den Büros in Linz und St. Pölten betreut und es können Projekte über die Bundesländergrenzen hinweg entwickelt werden. Auf niederösterreichischer Seite werden das Kunststoff- und das Mechatronik-Clusterteam von einem Clustermanager in Personalunion geleitet und so Synergien, die sich aus der inhaltlichen Überschneidung beider Themen ergeben, erfolgreich genutzt. War beim Start des Mechatronik-Clusters die leise Hoffnung gegeben, durch die Erfahrungen des Kunststoff-Clusters den Mechatronik-Cluster schneller hochfahren zu können, so wurden alle eines Besseren belehrt. Der Weg war nicht minder steinig und steil als bei jedem anderen Start einer Clusterinitiative: Die Eingewöhnungsphase braucht ihre Zeit und darf nicht leichtfertig übergangen werden. Das Kennenlernen und die Bildung gegenseitigen Vertrauens stellen einen zwischenmenschlichen Vorgang dar, der Zeit benötigt, damit die Dinge in einer Qualität reifen, die dann auch große Forschungskooperationen möglich machen. In der praktischen Erfahrung zeigen sich bestimmte Zeiträume der Entwicklung, die bei jeder Clusterimplementierung fast identisch festgestellt werden können: • Die Phase der „Aussaat“: Diese dauert im Normalfall zwei, eher drei Jahre. Diese Phase ist der Implementierung und der Vertrauensbildung vorbehalten. Hier große Projektentwicklungen oder Kooperationen zu erwarten, ist beinahe vermessen. Kleine Kooperationen mit Vorzeigecharakter, Qualifizierungsprojekte zum gegenseitigen Kennenlernen und eine Etablierung des Clusterteams sind erforderlich. • Die Phase der „Ernte“: Erst auf den Ergebnissen der ersten „Aussaat“-Phase aufbauend können viele Projektideen leichter realisiert werden, Projektumfang und Komplexität steigen. Natürlich sind das nie Selbstläufer, aber schließlich wächst das Vertrauen und die Erwartungen werden realistischer. Wichtig erscheint hier auch der Hinweis, den in einem Kooperationsprojekt entstehenden Schwung und die vorhandene Energie nicht verpuffen zu lassen. Erfahrenes Clustermanagement bedeutet, gegen Ende jedes Kooperationsprojektes rechtzeitig danach zu trachten, das vorhandene Wissen und die

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Stimmung in eine weitere Kooperation überzuführen. So entstehen über Jahre Projektketten, die im Programm Cluster NÖ schon zu dem einen oder anderen „Projektstammbaum“ geführt haben. Als letzte Maßnahme wurde 2010 auch die Elektromobilitätsinitiative „e-mobil in niederösterreich“ gestartet, um dieser neuen Technologie „eine Stimme“ zu geben und allen potenziellen Beteiligten, d. h. Verwaltung, Wirtschaft, Nutzenden und übriger Bevölkerung, eine Anlauf- und Koordinationsstelle zu bieten. Sie unterscheidet sich von den Clusterinitiativen, da die kritische Masse an Unternehmen fehlt und die Zielgruppe deutlich breiter ist. Diese Initiative hat in Österreich so etwas wie Modellcharakter erlangt, wiewohl die breite inhaltliche Aufstellung auch eine Herausforderung hinsichtlich der effizienten Schwerpunktsetzung darstellt (vgl. Abb. 7.3). Ab 2015 unterstützt das Programm Cluster Niederösterreich somit vier Clusterinitiativen – Bau, Lebensmittel, Kunststoff und Mechatronik – sowie die Elektromobilitätsinitiative des Landes Niederösterreich, die alle von der Wirtschaftsagentur als zentrale Clustermanagement-Organisation betreut werden.

Abb. 7.3   Schwerpunktthemensetzung

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Alle vier Clusterteams wurden bereits zwei Mal mit dem Europäischen Cluster Management Excellence Gold Label ausgezeichnet. Die oft gestellte Frage nach weiteren Themen kann grundsätzlich so beantwortet werden: Es gab seit der Gründung der ersten Cluster in Niederösterreich 2001 mehrere Ideen im Hinblick auf neue Clusterbildungen, die nach eingehenden Analysen fallen gelassen wurden. Die klare thematische Zuordnung der Clusterinitiativen hat sich in den letzten Jahren als stabiles Konstrukt erwiesen, das auch ausreichend Möglichkeit für clusterverbindende Projektentwicklungen bietet, ohne sie zu erzwingen. Die besten clusterübergreifenden Kooperationen entstanden zumeist eher aus spontanen Notwendigkeiten oder Überlegungen – ähnlich verhält es sich zum Teil auch im Bereich der überregionalen Zusammenarbeit. Standen in den Anfangsjahren wesentliche material- und branchenbezogene Fragestellungen im Vordergrund, so kamen in den letzten zehn Jahren verstärkt themenübergreifende und „globale“ Schwerpunktsetzungen hinzu, die auch eine große wirtschaftspolitische Bedeutung aufwiesen. Angefangen beim Thema der Ökologie, über den Einsatz von NAWAROs, Nachhaltigkeit, CSR, Energieeffizienz und Regionalität, weiter über klassische Managementmethoden wie KVP, Six Sigma und Lean Management bis zu Fragestellungen im Bereich Innovations- und Wissensmanagement wurde zumeist erfolgreich versucht, die Partnerbetriebe und die Wirtschaft zu informieren, zu sensibilisieren sowie zu entsprechenden Kooperationsprojekten zu aktivieren. Die hier dargestellte Entwicklung und die damit einhergehende feste wirtschaftspolitische Rolle der Cluster NÖ im niederösterreichischen Unterstützungsnetzwerk fußen auch in der entsprechenden strategischen Verankerung. Hier bildet die Niederösterreichische Wirtschaftsstrategie das unumstößliche Rückgrat, hier sind die FTI-Strategie des Landes Niederösterreich und die Smart Spezialisation Strategy/S3 darauf aufbauende, gut untereinander abgestimmte und ergänzende Strategien, welche die Funktion der Cluster NÖ als wirtschafts- und technologiepolitisches Instrument und Teil eines Ganzen definieren wie spezifizieren.

7.5 „Europäische Tangente“ So sehr die niederösterreichischen Clusterinitiativen auf regionale Innnovationsund Wirtschaftsentwicklung ausgerichtet sind, agieren sie natürlich nicht in einem abgeschlossenen Raum. Sie stehen vielmehr in Austausch mit anderen Clustern mit dem regionalpolitischen Ziel, Wissen in die Region zu holen. Dies geschieht

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zum einen in interregionalen kooperativen Forschungsprojekten, kofinanziert aus Mitteln des Collective Research Networks CORNET (https://www.cornet.online). Zum anderen stellt sich aber auch das Clustermanagement dem europäischen Vergleich, entwickelt seine Dienstleistungen mithilfe europäischer Projektpartner weiter und erhöht somit die Sichtbarkeit Niederösterreichs bzw. der niederösterreichischen Cluster in Europa sowie darüber hinaus. Der Linie der europäischen Clusterpolitik folgend, engagierte sich ecoplus von 2006 bis 2009 in der Diskussion zur Definition von Clustern, Clusterinitiativen oder Clustermanagement und vernetzte sich insbesondere mit Clustern in Mittel- und Osteuropa im Rahmen des Pro-INNO-Europe-Projekts „CEE-ClusterNetwork“. Daraus entwickelte sich eine Mitarbeit an der ­ European Cluster Excellence Initiative (2009–2012), einem Schlüsselprojekt der europäischen Clusterpolitik, in welchem Qualitätskriterien und ein Gütezeichensystem für Clustermanagement definiert wurden. Der Clusterbegriff der ersten Zeit in der Diskussion mit der Kommission und in der European Cluster Alliance war vom Ansatz der „World Class Cluster“ bestimmt, global sichtbarer und von regionalen Interventionen möglichst nicht zu störender Branchen-Agglomerationen. Der Satz: „The real challenge for cluster policy is now to show, that it is not just a minor new process tool for economic development practitioners.“ wurde auf Initiative Niederösterreichs und anderer Regionen zwar aus dem European Cluster Memorandum (2007) gestrichen; es dauerte aber noch einige Zeit, bis die Rolle von Clustern als regionalpolitisches Instrument in der europäischen Diskussion ankam. Vom reinen Branchendenken in NACE-Codes wechselte der Fokus auf neu entstehende Industrien (emerging industries) bzw. branchenübergreifende Innovation – und erkannte damit die mögliche Rolle von Clustern bei der Entwicklung von neuen wirtschaftlichen Stärkefeldern an. Einen weiteren Impuls lieferte die ex-ante-Konditionalität einer regionalen Innovations- und Spezialisierungsstrategie für den Einsatz von Europäischen Strukturfondsmittel in Forschung und Innovation. Der ecoplus Cluster Niederösterreich beteiligte sich schon früh an der Diskussion und Interpretation dieses Konzepts, unter anderem im Rahmen des OECD-Projekts „Smart Specialisation Strategies for Innovation-driven Growth“ (2011–2013). Das Resultat war eine weiter intensivierte Zusammenarbeit der strategieverantwortlichen Wirtschaftsabteilung des Landes mit den Clustern nicht nur in der Umsetzung, sondern auch in der Weiterentwicklung der regionalen Innovations- und Spezialisierungsstrategie. Transversale Themen wie Ressourceneffizienz oder Digitalisierung werden nicht mit neuen Strukturen, sondern unter Nutzung der bestehenden Initiativen clusterübergreifend umgesetzt. Wie – das lernen ecoplus Cluster und

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S. Liebert und S. Hagenauer

Wirtschaftsabteilung gemeinsam, etwa im Austausch mit Partnerregionen in ganz Europa in den Interreg-Europe-Projekten (ClusteriX 2012–2014, ClusteriX 2.0 2016–2021).

7.6 Fazit Zusammenfassend lassen sich aus der Entwicklung der Cluster NÖ seit dem Beginn folgende Erkenntnisse bzw. Beobachtungen ableiten, ohne dabei Anspruch auf Vollständigkeit und Erfolgsgarantie zu erheben, da viele Entwicklungen nur möglich waren, weil das Umfeld entsprechend gestaltet und entgegenkommend war: • Die Einbettung der Clusterentwicklung bzw. Clusterumsetzung in (­über-) regionale Wirtschaftsstrategien als Methode der Kooperationsbildung und Innovationsstärkung fördert die Ernsthaftigkeit und gleichzeitig die Akzeptanz des Vorhabens und bildet letztlich auch die Basis für eine Plan- und Messbarkeit. • Die Gründung eines neuen Clusters bedarf einer sachlichen und objektiven Voranalyse. • Clusterentwicklung ist eine Frage der anfänglichen Geduld und des Raumes der gegenseitigen Vertrauensbildung: Es kooperieren immer Menschen, nie Unternehmen. • Bestehende und arrivierte Clusterinitiativen sind in der Lage, unterschiedlichste Trendthemen über bestehende Netzwerke und Kanäle zu transportieren. • Kooperationsprojekte von Unternehmen schaffen langfristige und nachhaltige Beziehungen – sie sind ein Alleinstellungsmerkmal der Cluster. • Veranstaltungen und ähnliche Formate sind demgemäß nur unterstützendes Werkzeug der Projektentwicklung und -initiierung; sie sind kein Alleinstellungsmerkmal. • Mangels entsprechender Ausbildungsangebote müssen Clustermitarbeitende intern qualifiziert werden. Das erfordert Zeit und Vertrauen! Branchenkenntnis ist von großem Vorteil, da sonst die Akzeptanz in der Branche lange auf sich warten lässt. • Die langfristige Entwicklung der Cluster wird auch davon abhängen, die wahren Trends von kurzfristigen Moden zu unterscheiden, um nicht sprunghaft zu werden. • Cluster- und regionenübergreifendes Handeln kann erst gelingen, wenn die einzelnen Clusterinitiativen selbst gefestigt und akzeptiert sind.

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• Clusterinitiativen benötigen ein kontinuierliches und fundiertes Monitoring für eine faktenbasierte Steuerung (und gegebenenfalls auch Beendigung). Dazu bedarf es jedoch entsprechender übergeordneter Strategien als Basis.

Kurzprofil

Die ecoplus. Niederösterreichs Wirtschaftsagentur GmbH leitet aktuell vier Clusterinitiativen: • Das Bau.Energie.Umwelt Cluster Niederösterreich als gewerkeübergreifendes und materialunabhängiges Netzwerk mit den Schwerpunktthemen Klimaadaptive Technologien, Konstruktive Effizienz und Digitalisierung im Bau vereint 230 Clustermitglieder. • Das Lebensmittel Cluster Niederösterreich hat 110 Mitglieder aus der gesamten Wertschöpfungskette, von der Landwirtschaft über die verarbeitenden Betriebe bis hin zum Handel. Der Fokus liegt auf Lebensmittelqualität und Lebensmittelsicherheit, Regional- und Bioprodukten sowie Ressourceneffizienz. • Sowohl Kunststoffals auch Mechatronik-Cluster sind regionenübergreifende Netzwerke, die von ­ Clustermanagement-Teams in Niederösterreich und Oberösterreich geleitet werden. Der ­ KunststoffCluster gehört mit ca. 400 Mitgliedern zu den größten Clustern Europas; Schwerpunktthemen in Niederösterreich sind Biokunststoffe, multifunktionale Bauteilentwicklung und Stoffkreislauf/Recycling. Das branchenübergreifende Mechatronik-Cluster vereint mehr als 300 Mitglieder und setzt vor allem auf die Themen generative Fertigung, intelligente Produktion, Wirtschaft 4.0/Industrie 4.0 und Energietechnologie. Web: www.ecoplus.at LinkedIn: www.linkedin.com/company/ecoplus-the-business-agency-of-loweraustria Twitter: www.twitter.com/ecoplus_noe Facebook: www.facebook.com/ecoplus.noe Stefan Liebert leitete 2010 bis 2018 das Geschäftsfeld Cluster Niederösterreich in der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus und war damit federführend für die Umsetzung des niederösterreichischen Clusterprogramms verantwortlich. Davor war er ebenda ab 2002 zuerst Projekt- und dann Clustermanager des Holz Clusters Niederösterreich und erlangte große Kenntnisse in Bezug auf Aufbau und Weiterentwicklung von Clustern

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S. Liebert und S. Hagenauer

und die Initiierung von Kooperationsprojekten. Seinen Ursprüngen als Qualitätsmanager in der Industrie folgend, trat er auch für die Implementierung von einheitlichen Standards und Prozessen in den Clusterteams ein. Simone Hagenauer ist als Projektleiterin bei der niederösterreichischen Wirtschaftsagentur ecoplus für europäische und internationale Clusterkooperationen zuständig. Als Expertin für das European Cluster Management Excellence Label hat sie seit 2012 Clusterorganisationen in Ungarn, Italien, Deutschland, Schweden und Österreich begutachtet. Simone Hagenauer ist Mitglied des globalen Clusternetzwerks TCI, des Lenkungsausschusses der österreichischen Clusterplattform und des deutschen “go ­cluster”-Beratungsausschusses.

Packaging Valley Germany e. V. Stark im Verbund – weltweit bekannt – mehr als ein Firmennetzwerk Kurt Engel und Gerd Meier zu Köcker Zusammenfassung

Die Welt der Verpackungsmaschinenhersteller liegt im Landkreis Schwäbisch Hall. Individuelle Kundenwünsche zu erfüllen und dies mit der höchstmöglichen Qualität, ist seither ein Alleinstellungsmerkmal dieser Branche. Was früher Unternehmen mit Unternehmergeist und Innovationsfähigkeit allein schafften, würde nicht für immer so funktionieren. Damit begann die Geburtsstunde von Packaging Valley Germany e. V. (Packaging Valley) vor 10 Jahren. Doch wie hat es Packaging Valley geschafft, aus vielen Individualisten ein Team zu formen? Ein wesentlicher Erfolg für Packaging Valley fußt auf zwei Säulen. Zum einen die aktive, langfristige Einbindung von führenden Unternehmerpersönlichkeiten als wesentliche Treiber. Zum anderen die Bereitschaft aller Beteiligten, sich einem kontinuierlichen Wandel zu unterziehen. Wie die Rolle des Clustermanagements hierbei aussieht, wird diesem Kapitel beschrieben. Der Beitrag zeigt außerdem, dass Clusterinitiativen auch erfolgreich sein können, wenn sie auf öffentliche Förderung verzichten.

K. Engel (*)  Schwäbisch Hall, Deutschland E-Mail: [email protected] G. Meier zu Köcker  VDI/VDE Innovation + Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_8

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K. Engel und G. Meier zu Köcker

8.1 Kurzbeschreibung der Clusterinitiative Schon Jahre vor der Gründung 2007 gab es bei den Unternehmen der Region Überlegungen, die Interessen der Branche zu bündeln. Durch die gemeinsamen Entstehungsgeschichten der Firmen und viele persönliche Verbindungen gab es bereits viele firmenübergreifende Kontakte. Immer wichtiger wurden dann die Kontakte zu Hochschulen sowie der Wunsch, bedarfsgerechte Studiengänge mit zu entwickeln. Zur Gründung von Packaging Valley kam es vor allem deshalb, weil zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Menschen zusammengefunden haben. Unternehmerpersönlichkeiten wie Hans Bühler (Optima Packaging Group), Bernd Hansen (Rommelag Gruppe) und Gerhard Schubert waren die Treiber der Initiative. Die Marketingleiterin der Optima Packaging Group, Sabine Gauger, und Kurt Engel, damals neuer Manager des Schwäbisch Haller Technologiezentrums, machten sich auf den Weg nach Göttingen zum Measurement Valley und fanden dort ein gutes Beispiel für eine erfolgreiche Clusterinitiative, von der man schon zu Beginn einiges lernen konnte. Dieser Kontakt zu Measurement Valley half, in der Anfangsphase vieles zu beschleunigen. Satzung und Beitragsordnung von Measurement Valley waren die Basis, um interessierte Unternehmen aus der Region einzuladen, die sich dann innerhalb weniger Tage auf eine Satzung und Beitragsordnung verständigen konnten, um schließlich den Verein Packaging Valley Germany e. V. zu gründen. War es schon eine kleine Sensation, als sich im Oktober 2007 fünfzehn, teilweise im harten Wettbewerb stehende Unternehmen zusammen gefunden haben, um den Verein zu gründen, so ist es ein schöner Erfolg für den Verein, dass sich heute über 40 Mitgliedsfirmen aus dem Landkreis Schwäbisch Hall und darüber hinaus im Packaging Valley organisiert haben, um gemeinsam Flagge zu zeigen. Interessierte Kunden können sich dadurch in der Region um Kocher und Jagst auf kleinstem Raum überführende Verpackungslösungen informieren, was auch weite Reisen sehr informativ und effizient werden lässt. Dem Clustermanagement gelang es dabei, auch die Wettbewerber an einen Tisch zu holen sowie Misstrauen und Vorurteile abzubauen. Neben professionellem Moderieren seitens des Clustermanagements war ein anderer Grund für den Erfolg, Wettbewerber an einem Tisch zu vereinen, das Vermögen, Themen zu identifizieren, an denen selbst Wettbewerber ein gemeinsames Interesse hatten.

8  Packaging Valley Germany e. V.

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8.2 Geschäftsmodell als Treiber der nachhaltigen Entwicklung Das Packaging Valley verstand und versteht sich noch heute als Unternehmernetzwerk. Konsequent wurde das Netzwerk auch ohne öffentliche Förderung initiiert und betrieben, was eher ein seltenes Geschäftsmodell für Clusterinitiativen darstellt. Neben den Vorteilen (etwa keine politischen Einflussnahmen, unabhängiges Agieren oder anderweitige Abhängigkeiten) gab es natürlich auch eine Reihe an Herausforderungen, die ohne eine derartige Förderung zu meisten waren. Diese waren und sind zum Beispiel: • • • •

ein vergleichsweise hoher Mitgliedsbeitrag, hohe Erwartungen seitens der Mitglieder an das Netzwerkmanagement, eine begrenzte Anzahl an Unternehmerinnen und Unternehmern sowie eine begrenzte Managementkapazität.

In langen Diskussionen entschieden sich die wesentlichen Treiber von Packaging Valley, diesen risikoreichen Weg von Beginn an einzuschlagen. Damit war auch das Geschäftsmodell von Anfang an klar: Professionelle Dienstleistungen für vergleichsweise hohe Mitgliedsbeiträge. Keine Förderung oder (internationale) Projekte, die zwar eine Finanzierung sicherstellen mögen, aber in der Regel den Unternehmen nicht zugutekommen. Daher fokussierte sich das Netzwerk auf das, was vor allem für die Mitgliedsunternehmen wichtig war. Diese Fokussierung und hohe Bedarfsorientierung kann als wesentliche Philosophie und Geschäftsmodell des Netzwerkes angesehen werden. Das Clustermanagement verstand es durch seine hohe Kompetenz, das Vertrauen der Akteure zu gewinnen. Die enge Anbindung an das Technologiezentrum Schwäbisch Hall ermöglichte es, auch technische Fragestellungen schnell und professionell zu lösen. Das klare Kommitment der regionalen Wirtschaftsförderung tat ihr Übriges. So konnten auch die verschiedenen Instrumente, die eine Wirtschaftsförderung elegant in die Arbeiten des Netzwerkes eingebaut hat, implementiert werden. Den Mitgliedern war es letztlich egal, woher die Unterstützung kam, die immer über das Netzwerkmanagement gebündelt eingebracht wurde. Von Anfang an wurde auf große Strategiebildungsprozesse verzichtet; dagegen wurden schnell solche Maßnahmen implementiert, die für die Gründungsmitglieder wichtig waren und die schnelle Vorteile bzw. Mehrwerte erwarten ließen. Das Resultat waren zum einen konkrete Aktivitäten zur nationalen und internationalen

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Geschäftsanbahnung (gezieltes B2B-Matching, Steigerung der internationalen Sichtbarkeit, Messen etc.). Zum anderen nahm sich das Netzwerk auch rasch komplexeren Problemstellungen an: Spezialisierte Hochschulbildung, bedarfsorientierte, betriebliche Weiterbildung und Kongressveranstaltungen waren Themen, um die sich der Verein von Beginn an kümmerte. Auch die gemeinsame Personalgewinnung sowie der Erfahrungsaustausch im Bereich Wissenschaft und Forschung wurde rasch weiter vorangebracht werden. Dabei war es dem Vorstand besonders wichtig, dass der Verein nicht in die Eigenständigkeit der Unternehmen eingriff, sondern dort unterstützte, wo sich für die Beteiligten ein Mehrwert im globalen Wettbewerb ergab. Dazu gehört es zukünftig auch, verbesserte Konditionen im Einkauf zu erreichen oder bei gemeinsamen Veranstaltungen mit attraktiven Angeboten potenzielle und Bestandskunden in die Region zu bringen. Sollte das gelingen, zahlen sich die vergleichsweise hohen Mitgliedsbeiträge rasch aus. Am Anfang, 2007/2008, verdeutlichte vor allem die Hochschuldiskussion am Standort Schwäbisch Hall, wie wichtig eine Bündelung der Interessen der Verpackungsunternehmen ist, um als Cluster mit gewichtiger Stimme Gehör zu finden. Nachdem schnell die ersten Erfolge erreicht wurden und kaum noch Zweifel an der Wichtigkeit und Notwendigkeit von Packaging Valley bestand, wurde die nächste Herausforderung angegangen: Die Markenbildung. Bei vielen bekannten Mitgliedern muss die Marke des Netzwerkes ebenfalls nationale und internationale Sichtbarkeit erreichen. Die Bezeichnung Packaging Valley wurde auch schon von Prof. Dr. Hermann Simon in seinem Buch „Hidden Champions des 21. Jahrhunderts“ im Zusammenhang mit der einzigartigen Entwicklung von Maschinenbauern in der Region erwähnt. So waren sich die Gründungsmitglieder schnell darin einig, die gemeinsame Stärke im Vereinsnamen „Packaging Valley Germany e. V.“ zum Ausdruck zu bringen. Als ein wichtiger Schritt auf diesem Weg wurde die Markenbezeichnung Packaging Valley Germany als Europäische Marke eingetragen und darf nur noch durch den Verein und seine Mitglieder verwendet werden. Dieser Name steht für die gebündelte Verpackungskompetenz der Region und wird weltweit kommuniziert. Es gibt kaum andere Fälle, in denen Unternehmen den Namen des Netzwerkes, in dem sie Mitglied sind, so aktiv für das Marketing nutzen. Viele Netzwerke haben es versucht oder versuchen es noch heute. Nur wenigen, wie Packaging Valley, Medicon Valley (Dänemark) oder Packabridge (Schweden) ist es wirklich gelungen. Es verwundert daher nicht, dass nach wie vor ein wesentliches Alleinstellungsmerkmal von Packaging Valley das konsequente Marketing und die damit verbundene Markenbildung ist. Eine Reihe von Aktivitäten des Vereins haben daher das Ziel, Packaging Valley und seine Unternehmen weltweit noch bekannter zu machen.

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Trotz aller Erfolge, die auf dem Geschäftsmodell und dem professionellen, bedarfsorientierten Clustermanagement fußen, gab es im Gegensatz zu den geschilderten Erfolgen auch Ziele, die nicht im erhofften Maße erreicht wurden. Ein Beispiel dafür ist die nachhaltige Beeinflussung der Hochschullandschaft in der Region hinsichtlich einer besseren und zielorientierteren Zusammenarbeit mit der Industrie. Letztere erwies sich jedoch als deutlich träger als erwartet, sodass Veränderungen hier nur über lange Zeit erreicht werden können.

8.3 Die Clusterinitiative heute Packaging Valley Germany e. V. kann nach über zehn Jahren eine positive Bilanz ziehen und zuversichtlich nach vorne blicken. Das unternehmensgetriebene Cluster hat es geschafft, eine vertrauensvolle Grundlage für erfolgreiche Netzwerkarbeit zu schaffen. Von einer „Clustermüdigkeit“, wie sie oftmals nach rund zehn Jahren auftritt, ist wenig zu spüren. Zwar hat sich das Wachstum an Mitgliedern verlangsamt, aber es gibt auch nur wenige Austritte. Somit verfügt Packaging Valley über eine solide Unternehmensbasis, die gelernt hat vertrauensvoll zusammenzuarbeiten. Durch die regionale Verankerung und die Konzentration auf Mitglieder aus dem Verpackungsmaschinenbereich ist ein fachlicher Austausch auf persönlicher Ebene möglich. Das führt unterm Strich zu einem Mehrwert für alle Beteiligten. Dabei hat sich das Clustermanagement als neutraler Partner für alle etabliert. Auch nach zehn Jahren zeigt sich, dass es sich lohnt, in neuen Bereichen zusammenzuarbeiten. Die gestiegene Mitgliederzahl und die langjährige Mitgliedschaft der Unternehmen ermöglichen seit der Gründung bis heute die sichere Finanzierung der Vereinsarbeit und damit ein kontinuierliches Arbeiten mit und für die Unternehmensmitglieder. Zahlreiche Projekte konnten durch Anteilsfinanzierung der beteiligten Partner auf den Weg gebracht werden. Förderlich für die Vernetzung und für den gegenseitigen Know-how-Gewinn sind gemeinsame Weiterbildungsthemen oder Rechtsfragen zu Themen wie Datenschutz, Geheimhaltungsvereinbarungen oder Allgemeine Geschäftsbedingungen. Doch auch Schulungen von Mitarbeitenden bei übergreifenden Aufgaben, wie Messetraining, Verhalten bei Auslandskontakten oder Weiterbildung von Führungskräften, sind anerkannte Weiterbildungsmaßnahmen, die seitens Packaging Valley initiiert und umgesetzt werden. Als Beispiel für eine zunehmende Bereitschaft, sich gemeinsam komplexeren und risikoreicheren Projekten zu widmen dient das Virtual Reality Center, welches als gemeinsame Investition der Netzwerkmitglieder realisiert wurde.

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Ohne diesen gemeinsamen Ansatz hätte dies keiner der Akteure, auch nicht die großen Unternehmen der Region, geschafft. Das Virtual Reality Center war die gemeinsame Antwort auf steigende Anforderungen der Kunden, die mit klassischen Ansätzen der Prototypenentwicklung (Mock-ups aus Holz) nicht mehr realisierbar waren. Virtual Engineering war das Zauberwort – kürzere Entwicklungszeiten bei besserer Kundeninteraktion. Die Entwicklung einer neuen Maschine und dazugehöriger Systeme (z. B. Software-Plattformen, Steuerungs-, etc.) unter Berücksichtigung steigender Kundenwünsche wird somit immer aufwendiger. Ein Lösungsansatz bei Prototypenentwicklung sind Holzmodelle, sogenannte Mock-ups, die die Maschinen für Entwickler und Kunden erlebbar machen. Dieser Prozess ist allerdings sehr zeitaufwendig und kostenintensiv. Die durch das Clustermanagement initiierte Diskussion führte zu der Idee, ein Labor zu schaffen, in dem die Infrastruktur aus Hard- und Software gemeinsam genutzt werden konnte. Die Idee für ein Virtual Reality Center Schwäbisch Hall (nachfolgend: VR-Center) entstand (vgl. Abb. 8.1)! Da ein solches Gemeinschaftsprojekt einen hohen Koordinationsaufwand benötigte, trugen die Unternehmen als Mitglieder der Clusterinitiative Packaging Valley ihren Bedarf an das Clustermanagement heran, um das Projekt gemeinsam zu realisieren.

Abb. 8.1   VR-Center der Clusterinitiative Packaging Valley Germany e. V.

8  Packaging Valley Germany e. V.

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Das Clustermanagement identifizierte geeignete Kooperationspartner für dieses komplexe Vorhaben. Die Initiative Virtual Dimension Center w. V. (VDC) half, die Anforderungen und Bedarfe an so ein VT-Center zu definieren. Auch organisierte das Clustermanagement letztlich die Finanzierung, da die Kosten trotz der Innovationsbereitschaft sehr hoch waren. Durch den Zuschlag für eine Förderung in Höhe von 200.000 Euro konnte ein wichtiger Impuls für die Realisierung des Projektes gesetzt werden. Zusammen mit der finanziellen Beteiligung der Unternehmen standen somit insgesamt rund 700.000 Euro für die Realisierung des VRCenters Schwäbisch Hall zur Verfügung. Dies sicherte die Inbetriebnahme des VR-Centers und eine weitere Nutzung für die nächsten drei Jahre. Aber es sind nicht nur die komplexen Herausforderungen, die es zu meistern galt, um Packaging Valley erfolgreich zu machen. Auch nach über zehn Jahren erfreuen sich gemeinsame Messeauftritte (national und international) einer hohen Beliebtheit und Nachfrage seitens der Mitglieder. Dies wird durch Gemeinschaftsstände auf den Leitmessen in Deutschland, wie Interpack in Düsseldorf und Fach Pack in Nürnberg, besonders deutlich (vgl. Abb. 8.2). Auf einer Fläche von aktuell über 1.200 m2 ist Packaging Valley mit zwölf Mitausstellern rund um die Packaging Valley Lounge einer der größten Aussteller auf der Nürnberger Messe.

Abb. 8.2   Das Messestandkonzept von Packaging Valley Germany e. V.

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Internationale Aufmerksamkeit finden die alle drei Jahre stattfindenden „Packaging Valley Days“. Der Branchentreffpunkt mit Fachkongress, Firmenbesuchen und Rahmenprogramm hat regelmäßig über 250 Teilnehmer aus bis zu 20 Ländern. Turnusmäßig war die letzte Veranstaltung im Sommer 2019. In den Arbeitskreisen von Packaging Valley können Erfahrungen ausgetauscht werden, die alle Beteiligten besser und schneller bei fachbezogenen Themen voranbringen. Regelmäßig finden Strategieworkshops statt, an denen ein großer Teil der Geschäftsführer teilnimmt, um die Weichen für die Zukunft zu stellen und Schwerpunkte der künftigen Aktivitäten festzulegen. Jedes Jahr organisiert Packaging Valley ein Treffen von Studierenden aus ganz Deutschland unter dem Motto „Studenten treffen Unternehmer“. Bei Firmenbesuchen und Gesprächen mit den Firmeninhabern haben jeweils ca. 60 potenzielle Nachwuchskräfte die Möglichkeit, innovative Unternehmen der Region hautnah zu erleben. Regelmäßige Exkursionen von branchenbezogenen Studentengruppen aus den USA tragen dazu bei, dass Packaging Valley nachhaltig auch dort im Gedächtnis bleibt.

8.4 Packaging Valley Germany e. V. in der Zukunft Für die nächsten Jahre haben sich die Mitglieder und das Clustermanagement viel vorgenommen und möchten die Clusterarbeit weiter ausbauen. Insbesondere sollen die Themen Weiterbildung und gemeinsame Projektarbeit vorangebracht werden. Dann wird es auch gelingen, weitere Unternehmen aus der Branche und aus der Region von einer Mitgliedschaft zu überzeugen. Das VR-Center muss trotz der Anfangserfolge weiterhin zeigen, dass die Investitionen notwendig und nachhaltig waren. Wichtig ist hierbei, dass alle interessierten Akteure des Netzwerkes einen fairen Zugang haben. Auch hierfür ist das Clustermanagement verantwortlich. Beim letzten Strategieworkshop brachte es Optima-Chef und Gründungsvorstand Hans Bühler auf den Punkt: „Das Netzwerk ist notwendig, um mit einer gemeinsamen Idee erfolgreich zu sein. Teilweise sind wir Wettbewerber. Um aber unserem gemeinsamen Anspruch gerecht zu werden, unseren Kunden die bestmögliche Technologie zu präsentieren, müssen wir im Team arbeiten. Wir gehören zusammen.“

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8.5 Auf den Punkt gebracht Die bisherige Erfolgsgeschichte von Packaging Valley Germany e. V. wurde möglich, weil erfolgreiche Unternehmerpersönlichkeiten zur richtigen Zeit am richtigen Ort waren und eine wegweisende Entscheidung getroffen haben. Es sind vor allem die Menschen, die vertrauensvoll zusammenarbeiten können, ob an der Werkbank oder in der Chefetage: Alle sind wichtig, um mit Begeisterung gemeinsame Ziele verfolgen zu können. Gemeinsame Kontakte werden auch als Chance zur persönlichen Weiterentwicklung gesehen. Das ist das Fundament, auf dem eine gesicherte Zukunft für alle Clusterakteure aufgebaut ist. Aber auch die frühe Entscheidung, ein konkretes Geschäftsmodell auszuwählen und konsequent umzusetzen, muss als Schlüssel zum Erfolg angesehen werden. Der Verzicht auf öffentliche Förderung (außer später nach zehn Jahren als Ko-Investition in das VR-Center) war richtig, da so der positive „Druck“ entstand, dass das Clustermanagement professionell und unternehmerisch handelte. Von EU-Förderprogrammen wurde und wird auch weiterhin die Finger von gelassen.

Kurzprofil

Packaging Valley Germany e. V. vernetzt seit mehr als zehn Jahren über 40 Unternehmen aus der Verpackungsindustrie mit dem Schwerpunkt Verpackungsmaschinenbau in der Region Heilbronn-Franken. Die einmalige Konzentration von Verpackungsmaschinenbauern rund um die Stadt Schwäbisch Hall und der zunehmende Bedarf der strukturierten Zusammenarbeit waren der Grund für die Gründung des Netzwerkes mit der Bezeichnung Packaging Valley Germany. Die Unternehmen sind weltweit führend im Verpackungsmaschinenbau. In den Mitgliedsunternehmen arbeiten ca. 7.000 Beschäftigte. Der Exportanteil liegt bei ca. 80 %. Packaging Valley Germany e. V. hat seinen Sitz und seine Geschäftsstelle in Schwäbisch Hall, das Clustermanagement ist beim Technologiezentrum Schwäbisch-Hall angesiedelt. Web: www.packaging-valley.com Kurt Engel  war bis zum Jahre 2019 langjähriger Netzwerkmanager von Packaging Valley Germany e. V. und der wesentliche Erfolgsgarant für das Netzwerk. Als Akteur der ersten Stunde hat er maßgeblich die Entwicklung des Netzwerkes mitgestaltet. Dr. Gerd Meier zu Köcker ist promovierter Maschinenbauer und dem Thema Verpackung seit Jahren verbunden. Er hat die Clusterinitiative in den letzten Jahren intensiv begleitet und den Strategieprozess in 2019 moderiert.

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Entwicklungstrends von Clusterinitiativen in Deutschland Silvia Palka und Benedikt Sedlmayr

Zusammenfassung

Die in diesem Erfahrungskompendium aufgeführten Beispiele zeigen eindrucksvoll, wo typische Fallstricke in der täglichen Clusterarbeit lauern, wie bestimmte Handlungsansätze zu positiven Effekten geführt haben und wo Erkenntnisse in praxistaugliche Empfehlungen münden. Damit liefert dieses Buch eine wertvolle Inspirationsquelle und Richtschnur – nicht nur für andere Clustermanager und solche, die es noch werden wollen, sondern für alle, die direkt oder indirekt mit dem Thema Clusterentwicklung zu tun haben. Weitet man den Blick nun von konkreten Good Practices hin zur gesamten deutschen Clusterlandschaft, so lassen sich nach mehr als zehn Jahren der Clusterförderung und -entwicklung sowie Wirkungsmessung auch allgemeingültige Aussagen zu Entwicklungstendenzen von Clusterinitiativen in Deutschland treffen.

S. Palka (*) · B. Sedlmayr  VDI/VDE Innovation+Technik GmbH, Stuttgart, Deutschland E-Mail: [email protected] B. Sedlmayr E-Mail: [email protected] © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2020 G. Meier zu Köcker und T. Wolf (Hrsg.), Clustermanagement in der Praxis: Geschäftsmodelle, https://doi.org/10.1007/978-3-658-30897-1_9

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9.1 Benchmarking von Clusterorganisationen – ein erster Schritt zur Excellence Im Unterschied zu klassischen Evaluierungen und wirtschaftlichen Wirkungsanalysen stellt das Benchmarking des European Secretariats for Cluster Analysis (ESCA) ein effizientes und effektives Instrument für Clusterinitiativen dar, um das Potenzial der Clustermanagementorganisation zu identifizieren und innerhalb kurzer Zeit strategische Empfehlungen zu für seine Weiterentwicklung zu erhalten. Anhand des international anerkannten Indikatorensets der European Cluster Excellence Initiative (ECEI) (vgl. European Commission 2020) werden sie mit anderen Clusterinitiativen in Bezug auf die Struktur des Clusters, das Clustermanagement, die Finanzierung sowie die von der Clustermanagementorganisation erbrachten Dienstleistungen und Services verglichen. Der Benchmarkingprozess für die Clusteranalyse basiert auf einem persönlichen Interview mit dem/der ClustermanagerIn. Die Daten werden mit einem Portfolio von mehr als 1.300 Clustern aus verschiedenen europäischen Ländern verglichen. Ziel des Benchmarkings ist es, von den leistungsfähigsten Clusterinitiativen und Clustermanagements zu lernen, um die eigenen Strukturen, Prozesse, Produkte und Dienstleistungen zu verbessern. Es dient damit als Steuerungsinstrument für das strategische Management der Clusterinitiative. Clustermanagements, die ein Benchmarking durchführen, streben nach Exzellenz. Mit dieser Reputation sendet die Clusterorganisation ein klares Signal an Clusterakteure wie Unternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen sowie an potenzielle Mitglieder – und auch an politische Entscheidungsträger. Daher werden primär vor allem leistungsfähige Clusterinitiativen analysiert, die sich stetig verbessern möchten (vgl. Abb. 9.1). In Anbetracht der Tatsache, dass Clusterinitiativen ein wichtiges Instrument der wirtschaftlichen Entwicklung und Innovationspolitik darstellen, gewinnt die Qualitätskennzeichnung von Clustern und ihren Managementorganisationen aus Sicht der politischen Entscheidungsträger und Programmagenturen zunehmend an Bedeutung. Vor diesem Hintergrund erhalten die Clustermanagementorganisationen neben einem ­Benchmarking-Zertifikat auch das Bronze-Label der European Cluster Excellence Initiative (ECEI). Hierdurch wird ihnen die erste Stufe zur internationalen Anerkennung von Exzellenz im Clustermanagement verliehen.

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Overview of cluster benchmarking indicators STRUCTURE OF THE CLUSTER Age of the cluster organisation Legal form of the cluster organisation Nature of the cluster: driving forces Nature of the cluster: degree of specialisation Composition of the cluster participants(Committed participants) Geographical concentration of the cluster participants(Committed participants) Utilisation of regional growth potential International participantsof the cluster Nature of cooperation between cluster participants CLUSTER MANAGEMENT AND GOVERNANCE / STRATEGY OF THE CLUSTER ORGANISATION Clear definition of the roles of the cluster manager / Implementation of a governing body / Degree of involvement of the participantsof the cluster in the decision makingprocess Number of cluster participantsper employee (fulltime - equivalents) of the cluster organisation Human resource competences and development in the cluster organisation Strategic planning and implementation processes Thematic and geographical priorities of the cluster strategy FINANCING OF THE CLUSTER MANAGEMENT Repartition of the different financial sources (public funding, chargeable services, membership fees and other private sources) in the total budget of the cluster organisation in relation to the age of the cluster Financial sustainability of the cluster organisation SERVICES PROVIDED BY THE CLUSTER ORGANISATION (SPECTRUM AND INTENSITY) Acquisition of third party funding Collaborative technology development, technology transfer or R&D without third party funding Information, matchmaking and exchange of experience among participants Development of human resources Development of entrepreneurship Matchmaking and networking with external partners / promotion of cluster location Internationalisation of cluster participants CONTACTS AND INTERACTION WITH RELEVANT PLAYERS Regular contacts with cluster participants Integration of the cluster management organisation in the local and national system of innovation Customer and membership satisfaction ACHIEVEMENTS AND RECOGNITION OF THE CLUSTER ORGANISATION Number of external cooperation requests received by the cluster organisation Institutional origin of external cooperation requests Geographical origin of external cooperation requests Characteristics of cooperation with other international clusters Visibility in the press Impact of the work of the cluster organisation on R&D activities of the cluster participants Impact of the work of the cluster organisation on business activities of the cluster participants Impact of the business-oriented services of the cluster organisation on SME participants Degree of internationalisation of cluster participants Impact of the work of the cluster organisation on international activities of the cluster participants

Abb. 9.1   Übersicht über die Benchmarking-Indikatoren. (Quelle: European Secretariat for Cluster Analysis 2020)

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9.2 Zeitreihenanalyse deutscher Clusterinitiativen seit 2010 Seit 2010 beteiligen sich Managementorganisationen deutscher Clusterinitiativen am Benchmarkingprozess. Mehr als 30 von ihnen haben seither im Abstand von einigen Jahren bereits wiederholt teilgenommen. Diese Clusterinitiativen repräsentieren dabei einen Querschnitt der deutschen Clusterlandschaft. Verortet in allen Teilen des Landes, werden unterschiedlichste Technologie- und Themenfelder von ihnen abgedeckt. Gemein haben die Clusterinitiativen, dass sie alle seit vielen Jahren bestehen und ein erfahrendes, professionelles Clustermanagement unterhalten. Die meisten von ihnen sind Teil eines der beiden clusterbezogenen Exzellenzprogramme des Bundes „go-cluster“ (BMWi: Bundesministerium für Wirtschaft und Energie) und „Spitzencluster-Wettbewerb“ (BMBF: Bundesministerium für Bildung und Forschung). Im Rahmen der Studie Trendatlas: Entwicklungsdynamiken von Clusterinitiativen in Deutschland im Zeitverlauf (Buhl et al. 2019) wurden die gewonnenen Benchmarkingdaten im Zeitraum von 2010 bis einschließlich 2017 ausgewertet und miteinander verglichen. Im Ergebnis konnten so interessante wie aussagekräftige Entwicklungsverläufe in den unterschiedlichen Teilbereichen der Analyse skizziert werden. Einige zentrale Beobachtungen und Ableitungen werden im Folgenden kurz dargestellt. Sie bieten für alle Clustermanagementorganisationen wertvolle Erkenntnisse mit richtungsweisendem Charakter. #1 Etablierte und professionell gemanagte Clusterinitiativen können auch nach vielen Jahren ein Akteurswachstum verzeichnen Die Analyse hat gezeigt, dass langjährig bestehende Clusterinitiativen keineswegs zwangsläufig an eine Sättigungsgrenze bei den Mitgliederzahlen angelangen. Gerade professionell und strategisch aufgestellte Clustermanagementorganisationen beweisen, dass mit erfolgreicher und bedarfsorientierter Clusterarbeit eine ohnehin breite und solide Akteursbasis noch weiter ausgebaut werden kann. Der positive „Spirit“ und die Zufriedenheit unter den Akteuren dürften wesentlich dazu beitragen, dass neue Clusterakteure, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, für ein Engagement in der Clusterinitiative motiviert werden können. #2 Auch die Zahl der im Clustermanagement tätigen Personen nimmt entsprechend zu Dass erfolgreiches Clustermanagement bei steigenden Akteurszahlen auch mit einer Zunahme an Personalkapazitäten in der Clustermanagementorganisation

9  Entwicklungstrends von Clusterinitiativen in Deutschland

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einhergehen muss, liegt eigentlich auf der Hand. Das Ergebnis der Studie untermauert jedoch, wie wichtig eine ausreichende Betreuung mittels qualitativ hochwertiger Services für ein lebendiges Clustergefüge ist. Nur wenn dies dauerhaft gewährleistet ist, fühlen sich Clusterakteure zugehörig und können Mehrwerte für sich erkennen. Letztlich ist das auch die wesentliche Basis für einen langfristigen ökonomischen Erfolg im Cluster. #3 Etablierte und professionell gemanagte Clusterinitiativen kompensieren eine geringere öffentliche Förderung durch eine Ausweitung von kostenpflichtigen Serviceleistungen Der rückläufige Anteil an öffentlicher Förderung für Clusterinitiativen stellte in den vergangenen Jahren viele Clustermanagementorganisationen vor finanzielle Herausforderungen. Der betrachtete Ausschnitt an Clusterinitiativen zeigt, dass es dennoch möglich ist, das Serviceangebot nicht nur zu konsolidieren, sondern auch zusätzlich weiterzuentwickeln. Die im Clustermanagement Verantwortlichen haben es geschafft, über das Angebot von kostenpflichtigen Services spezifische Bedarfe der Clusterakteure zu adressieren – mit dem Ergebnis, dass fehlende Fördergelder kompensiert und die Zufriedenheit der Clusterakteure weiter erhöht werden konnten. Trotz allem wird auch ersichtlich, dass ein gesicherter Finanzierungshorizont heute deutlich kürzer ausfällt, was eine langfristige Planung erschwert. #4 Clusterinitiativen sind heute stärker in das regionale Innovationssystem integriert Die in Deutschland vorherrschende regionale Innovationspolitik wurde in den vergangenen Jahren zum großen Teil durch das Konzept der RIS3 (Regionale Innovationsstrategien für intelligente Spezialisierung) geprägt, das in der ­EU-Förderperiode 2014–2020 Einzug hielt. Dieser integrierte Ansatz sieht bei der Entwicklung und Umsetzung von regionalen Innovationsstrategien eine stärkere Einbindung von Clusterinitiativen, aber auch weiterer relevanter Innovationsintermediäre vor. Der Trendatlas zeigt, dass die Clusterinitiativen im Vergleich zu 2010/2011 tatsächlich aktiver im regionalen Innovationssystem integriert und dementsprechend beteiligt sind. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass nach wie vor Luft nach oben besteht, d. h. die Rolle von Clusterinitiativen als Treiber einer strategischen Regionalentwicklung und damit auch die Interaktion mit anderen Einrichtungen der Regionalentwicklung (z. B. Wirtschaftsförderungen, Kammern, Hochschulen oder Innovations- und Gründerzentren) noch weiter gestärkt werden sollten.

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S. Palka und B. Sedlmayr

Die dargestellten Beobachtungen der iit-Studie zeigen vor allem Fortschritte auf, die seit 2010 gemacht wurden. Die rückläufige Nachhaltigkeit der Finanzierung des Clustermanagements und die stärkere Einbindung von Clusterinitiativen in Regionalentwicklungsprozesse begründen andererseits einen Verbesserungsbedarf. Weiterhin ergeben die Analysen, dass die Wahrnehmung von Clusterinitiativen in der Öffentlichkeit nach wie vor eher gering ausfällt, und dass die erfolgreiche Wirkung von Clusteraktivitäten oft nicht in ausreichendem Maße belegt wird. Beide Aspekte sind nicht zu unterschätzende Faktoren für den nachhaltigen Fortbestand einer Clusterinitiative.

9.3 Schlüsselfaktoren für ein nachhaltiges Clustermanagement und Fazit Wie zu Beginn des Buches dargestellt, blicken viele Clusterinitiativen auf eine lange Entstehungsgeschichte zurück. Auch wenn nach fast 30 Jahren kein idealtypischer Lebenszyklus von Clusterinitiativen festzustellen ist, so können im Rahmen des Benchmarkings wesentliche Faktoren für ein erfolgreiches Clustergeschehen identifiziert werden. Dazu gehören vor allem: Eine gesicherte Finanzierung, kompetentes Clustermanagement, Kooperationswille und Vertrauen, maßgeschneiderte Dienstleistungen sowie eine dokumentierte Strategie. Auch wenn die harten Faktoren, wie eine solide und nachhaltige Finanzierung sowie eine dokumentierte Strategie, für den Erfolg einer Organisation essenziell sind und die Leitplanken der Clusterarbeit bilden, so liegt der „Motor“ einer jeden Clusterorganisation im Clustermanagement. Passion, technisches oder sektorspezifisches Wissen und Kommunikationstalent bilden hierbei die Haupteigenschaften eines erfolgreichen Clustermanagers. Fachliche, interkulturelle sowie rhetorische Kompetenz sind für das Berufsbild einer Clustermanagerin, eines Clustermanagers ausschlaggebend, um im entsprechenden Innnovationsfeld erfolgreich agieren zu können. Gleichwohl haben diese Qualifikationen positive Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung einer Clusterinitiative, d. h. auf die Implementierung neuer, bedarfsgerechter Dienstleistungen, auf den dadurch generierten Nutzen für die Clusterakteure und somit auch auf deren Engagement in der Clusterinitiative, deren Zufriedenheit sowie langfristige Bindung. Last but not least sind Vertrauen und Transparenz signifikante Faktoren für eine erfolgreiche Clusterarbeit. Sie stellen ein unerlässliches Fundament einer jeden Clusterorganisation dar, auch wenn sie im klassischen Sinne schwer messbar sind. Diese Eigenschaften bilden die Grundlage für langfristige und produktive

9  Entwicklungstrends von Clusterinitiativen in Deutschland

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Kooperationen zwischen den Clusterakteuren. Da bei Kooperationen immer relevante Unternehmensinformationen ausgetauscht werden, ist Vertrauen unabdingbar. Auch wenn die hier dargelegten Erkenntnisse nicht völlig neu sind, so sind diese Faktoren auch heute relevant und dürften in der Zukunft – in Zeiten dynamischer Transformationsprozesse – noch mehr an Bedeutung gewinnen. Dieses ist auch aus den Beiträgen des Kompendiums zu entnehmen. In den vorgestellten Beispielen schaffen die Clustermanagementorganisationen in ihren Clusterinitiativen eine Vertrauensbasis und bieten den Clusterakteuren durch ihre innovativen Services einen signifikanten Mehrwert. Dabei binden sie nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch Partner außerhalb des Netzwerks gezielt ein. Diese Herangehensweise ist auch essenziell, um agil auf Veränderungsprozesse reagieren zu können und durch vielseitige Verbindungen, wie z. B. zu Intermediären der Regionalentwicklung, zur Politik sowie zu Hochschul- und Forschungseinrichtungen, Synergien zu schaffen. Die Beiträge im Kompendium stellen exemplarisch dar, wie die erwähnten Schlüsselfaktoren erfolgreich in die Tat umgesetzt werden. Sie zeigen auf anschauliche Weise, wie auf Basis einer professionellen Clustermanagementstruktur einerseits und der Kooperationsbereitschaft der Mitglieder andererseits neue Geschäftsmodelle und branchenübergreifende Zusammenarbeit erfolgreich initiiert werden können. Wie Clusterinitiativen als Plattform für Open Innovation, Technologieentwicklung sowie Produktvermarktung fungieren können. Und wie sie damit letztlich ein langfristiges Erfolgsmodell schaffen, an dem sich insbesondere „Clusterpraktiker“ Inspiration und wertvolle „How-Tos“ holen können. Das European Secretariat for Cluster Analysis hat seinen Sitz in Berlin und ist bei der VDI/VDE Innovation+Technik GmbH angesiedelt. Die Geschäftsstelle unterstützt insbesondere Clustermanager und politische Entscheidungsträger durch Beratung bei der Clusterentwicklung.

www.cluster-analysis.org.

Literatur Buhl, C. M., Sedlmayr, B., & Meier zu Köcker, G. (2019). Trendatlas: Entwicklungsdynamiken von Clusterinitiativen in Deutschland im Zeitverlauf. Berlin. European Commission. (2020). European Clusters Excellence. https://ec.europa.eu/growth/ industry/policy/cluster/excellence_en. Zugegriffen: 01. Mai 2020. European Secretariat for Cluster Analysis. (2020). Benchmarking of Cluster Organisations. https://www.cluster-analysis.org/benchmarking-in-a-nutshell. Zugegriffen: 01 Mai 2020.

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S. Palka und B. Sedlmayr

Silvia Palka absolvierte ihr Masterstudium der ADG Business School (zugehörig zur Steinbeis Hochschule Berlin) mit der Vertiefung „Digital Innovation & Business Transformation“. Sie ist Beraterin bei VDI/VDE Innovation+Technik GmbH und berät primär im Rahmen der ClusterAgentur Baden-Württemberg Clustermanagementorganisationen, Wirtschaftsförderungsgesellschaften sowie das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg in den Bereichen Identifizierung regionaler Stärkefelder (Strategieentwicklung), regionale Transformation, Kommunikation sowie Wirtschaft 4.0. Benedikt Sedlmayr  studierte Geografie und Betriebswirtschaftslehre an der Ludwig-Maximilians-Universität München, Strategische Wirtschaftsförderung und ­ regionale Entwicklung an der Hochschule München sowie Regionalmanagement und Wirtschaftsförderung an der HAWK Göttingen. Erste berufliche Erfahrungen sammelte er im Bereich der regionalen Wirtschaftsförderung, ehe er 2017 als Berater für die VDI/ VDE Innovation+Technik GmbH tätig wurde. Zu seinen Kompetenzfeldern zählen Clusterund Innovationspolitik sowie regionale Innovationsprozesse und strategische Wirtschaftsförderung. Die Analyse und Bewertung von regionalen Innovationspotenzialen und die Entwicklung von Innovations- und Clusterstrategien bilden den Schwerpunkt seiner Arbeit. Darüber hinaus unterstützt er im Rahmen der ClusterAgentur Baden-Württemberg diverse Clustermanagement- und Wirtschaftsförderungsorganisationen bei ihrer strategischen Weiterentwicklung.