Ciceros Emanzipatorische Leserfuhrung: Studien Zum Verhaltnis Von Dialogisch-Rhetorischer Inszenierung Und Skeptischer Philosophie in 'de Natura Deorum' 3515130268, 9783515130264

Wollte Cicero mit seinen philosophischen Dialogen seiner romischen Leserschaft lediglich einen Uberblick uber die antike

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Ciceros Emanzipatorische Leserfuhrung: Studien Zum Verhaltnis Von Dialogisch-Rhetorischer Inszenierung Und Skeptischer Philosophie in 'de Natura Deorum'
 3515130268, 9783515130264

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
1. Fragestellung der Untersuchung
2. Leitthese: De natura deorum als skeptischer Dialog mit emanzipatorischer Zielsetzung
II. Cicero und die Quellen: Zur Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedingungen
1. Die Prämissen und Begründungslinien der älteren Quellenforschung
2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung
3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs in Ciceros De natura deorum
III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung
1. Die Proömialtopoi in Ciceros skeptischen Dialogen – ein Kategorisierungsversuch
2. Das Proömium von De natura deorum
IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung
1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie
2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero
V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede am Beispiel der Rede des Epikureers Velleius
1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung
2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil
3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung
4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius
5. Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede
6. Zur Probe aufs Exempel: Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Velleius-Rede und der Balbus-Rede
VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden
1. Ein Überblick über die verschiedenen Widerlegungsstrategien
2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas
3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?
4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium
VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift
Literaturverzeichnis
Griechische und lateinische Textausgaben
Weiterführende Literatur
Stellenregister

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Christopher Diez

Ciceros emanzipatorische Leserführung Studien zum Verhältnis von dialogisch-rhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum

Klassische Philologie Franz Steiner Verlag

Palingenesia | 128

Palingenesia Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft Begründet von Rudolf Stark Herausgegeben von Christoph Schubert Band 128

Ciceros emanzipatorische Leserführung Studien zum Verhältnis von dialogischrhetorischer Inszenierung und skeptischer Philosophie in De natura deorum Christopher Diez

Franz Steiner Verlag

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT

Coverabbildung: Phönix aus einem byzantinischen Mosaik aus Antiochia am Orontes, jetzt im Louvre (Paris) © akg-images / Erich Lessing Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2021 Layout und Herstellung durch den Verlag Druck: Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-13026-4 (Print) ISBN 978-3-515-13029-5 (E-Book)

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die geringfügig überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Sommersemester 2020 von der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) angenommen worden ist. Von Herzen spreche ich all denen meinen Dank aus, die mich bei der Entstehung dieses Buches tatkräftigt unterstützt haben. Allen voran danke ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Walter Kißel, der mit einem Hauptseminar zu Ciceros De natura deorum meine Faszination für diese Schrift schon während des Studiums geweckt hat und meinen Werdegang stets mit größtem Wohlwollen und Interesse gefördert hat. Er hat mir als seinem Assistenten viel Raum gelassen, um an meinem Cicero arbeiten zu können. Gerade weil er in mancher Hinsicht ein anderes Cicero-Bild als ich vertritt, machten mich unsere Gespräche auch auf eigene „blinde Flecken“ aufmerksam. Dass sich Erkenntnisfortschritt idealiter im kontroversen Ringen um das probabile und im offenen Austausch von Argumenten einstellt, habe ich nicht nur bei Cicero gelesen, sondern durfte es während meines Studiums und auch danach bei Walter Kißel erfahren. Ganz herzlich möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Christoph Schubert danken, der nicht nur das Zweitgutachen erstellt und mir die Fertigstellung der Arbeit auf der Erlanger Assistentenstelle ermöglicht hat, sondern sie durch wertvolle Ratschläge, Ermutigungen und nicht zuletzt auch durch die gemeinsame Ausrichtung einer internationalen und interdisziplinären Tagung zu De natura deorum im Januar 2018 in vielfacher Weise gefördert hat. Dass er die vorliegende Arbeit in seine Palingenesia aufgenommen hat, freut mich daher besonders. Mit Herrn Prof. Dr. Christian Tornau (Würzburg) nahm ein ausgewiesener Kenner der antiken Philosophie und der rhetorischen Analyse antiker Texte die Mühen des externen Drittgutachtens auf sich. Seinen hilfreichen Anregungen und Hinweisen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Dankbar bin ich auch dafür, dass die VG Wort die Druckkosten übernommen hat und dass der Steiner-Verlag, allen voran Katharina Stüdemann, mich seit der ersten Kontaktaufnahme in allen Belangen unterstützt und aus meiner Dissertation ein ansehnliches Buch gemacht hat. Dass ich einzelne Aspekte meiner Arbeit auf Vorträgen und Tagungen in Erlangen, Würzburg, Bamberg, München, Halle-Wittenberg und Zürich vorstellen durfte, hat

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Vorwort

mich ebenso vorangebracht wie die anregende Arbeitsatmosphäre am Erlanger Institut für Alte Sprachen. Der freundschaftliche und konstruktive Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen, auch aus benachbarten Fachgebieten, half mir auch über schwierigere Schreibphasen hinweg. Stellvertretend für viele andere sei an dieser Stelle Florian Zacher (Patristik) gedankt, mit dem ich mich bei Weitem nicht nur in der Kritik an der älteren Quellenforschung verbunden weiß; dankenswerterweise hat er Teile des Manuskripts durchgesehen. Der größte Dank gilt jedoch meinen Eltern, Doris und Gerald Diez, die mich, seitdem ich denken kann, auf jede erdenkliche Weise begleitet und gefördert haben, und meiner Frau, Dr. Sonja Diez, die durch ihre immerwährende und bedingungslose Unterstützung dieses Buch von Beginn an begleitet und dessen Fertigstellung erst ermöglicht hat. Ihnen sei dieses Buch in Liebe und Dankbarkeit gewidmet. Erlangen im Dezember 2020

Christopher Diez

Inhaltsverzeichnis I. 1.

2. II. 1. 2.

3.

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellung der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Besonderheiten und hermeneutische Bedeutung der dialogischen Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die rhetorische Gestaltung: Kompositorische Brüche und rhetorische Überformung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitthese: De natura deorum als skeptischer Dialog mit emanzipatorischer Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cicero und die Quellen: Zur Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Prämissen und Begründungslinien der älteren Quellenforschung . . . . . . Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ciceros proömiale Aussagen (fin. 1,6) zum eigenen Quellengebrauch . . . . . . . b) Ciceros Äußerungen in der Atticus-Korrespondenz zum eigenen Quellengebrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Überlegungen zu zwei missverstandenen Briefstellen (Att. 12,52 und Att. 16,6,4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die definitorischen Schwierigkeiten des Quellenbegriffs im Falle von Cicero . Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs in Ciceros De natura deorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Annahme von Ciceros besonderer Hast bei der Abfassung der Schrift . . . b) Die Annahme von Ciceros fehlender natur- und religionsphilosophischer Expertise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Annahme divergierender Zeitkonzepte in De natura deorum . . . . . . . . . d) Zur Frage der in der Atticus-Korrespondenz erwähnten möglichen Prätexte für De natura deorum (Att. 13,8; 13,38,1; 13,39,2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 1. Die Proömialtopoi in Ciceros skeptischen Dialogen – ein Kategorisierungsversuch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105

8 2.

Inhaltsverzeichnis

Das Proömium von De natura deorum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Die rhetorische Dimension des Proömiums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 b) Das Proömium als zweifache Lesehilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung . . 1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Bewusste brevitas der dialogischen Rahmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Vorstellung der Gesprächspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Einblendung eines Abwesenden – zum Fehlen eines peripatetischen Gesprächspartners . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zum Gesprächszeitpunkt und -ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Überblick über die bisherigen Forschungsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Der junge Cicero – Paradigma des idealen Rezipienten . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Der Dialogschluss als Bestätigung der selbstständigen Urteilsbildung . . . . . . . V. 1.

2.

3.

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Die Modellierung einer dogmatischen Rede am Beispiel der Rede des Epikureers Velleius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 a) Der Kompilationsvorwurf: Quellenkritische Untersuchungen zur Velleius-Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Der Manipulationsvorwurf: Philosophiehistorische und rhetorische Untersuchungen zur Velleius-Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 c) Zielsetzung und Methodik der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil . . . . . . . . . . . 176 a) Umrahmung des polemischen Hauptteils als kohärenzstiftendes Mittel . . . . . 176 b) Gliederung und Kohärenz der Anfangspolemik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 c) Gliederung und Kohärenz der Doxographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Überlegungen zu den verschiedenen Argumentationstechniken . . . . . . . . . . . . 190 b) Verhältnis der Argumentationstechniken in der Anfangspolemik . . . . . . . . . . 193 (1) Erster allgemeinrationaler Argumentationstyp: Kritik durch Aufsplitterung eines Begriffs, Ernstnehmen einer Metapher, Weiterführung eines Bildes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 (2) Zweiter allgemeinrationaler Argumentationstyp: Erweis einer Ansicht als Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 (3) Dritter allgemeinrationaler Argumentationstyp: Widersprüchlichkeit von Lehrvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 (4) Zur Frage nach dezidiert epikureischen Argumentationsweisen . . . . . . . 204

Inhaltsverzeichnis

4.

5.

6.

9

c) Verhältnis der Argumentationstechniken im doxographischen Mittelteil . . . . 207 (1) Zu den Arten und Schwerpunkten der Argumentationsstruktur . . . . . . 207 (2) Der einführende Charakter der ersten fünf Philosophen . . . . . . . . . . . . . . 212 (3) Zum Einsatz dezidiert epikureischer Argumentationen innerhalb der Mitteldoxographie bei der Besprechung des Speusipp und Kleanthes . . . 218 (4) Die argumentative Hervorhebung bestimmter Philosophen innerhalb der Mitteldoxographie: Pythagoras, Platon, Zenon . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius . . . . . . . . . . . . . . . 238 a) Zu den Forschungsfragen und -positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 b) Die Charakterisierung der epikureischen Lehre als Heilslehre . . . . . . . . . . . . . 239 (1) Das komplementäre Verhältnis von Widerlegungs- und Lehrteil . . . . . . 239 (2) Zur Grobgliederung und Schwerpunktsetzung innerhalb der Lehrentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 c) Argumentationsstrategien innerhalb der Lehrentfaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 (1) Argumentationsstrategien innerhalb des philosophischen Basiskurses . . 245 (2) Argumentationsstrategien innerhalb der Frage nach der Göttergestalt . . 253 d) Inhaltliche Überschneidungen mit dem Widerlegungsteil? Zur Diskussion des Götterlebens und dessen kultischer Vorbildhaftigkeit . . . . 259 Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede . . . . . . . . . . . . . . 263 a) Die Kritik an der epikureischen Position durch direkte und indirekte Charakterisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 b) Die Aufwertung des Velleius im sprachlich-stilistischen und kompositorischen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 c) Die kontrapunktische Inszenierung des Velleius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265 Zur Probe aufs Exempel: Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Velleius-Rede und der Balbus-Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 a) Zur komplementären Gestaltung der beiden dogmatischen Reden . . . . . . . . . 268 b) Zur Verwendung weiterer dialogischer Bauelemente in der Balbus-Rede . . . . 280

VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden . . . . 287 1. Ein Überblick über die verschiedenen Widerlegungsstrategien . . . . . . . . . . . . 287 2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 a) Kompositorische Unterschiede zwischen dogmatischer und skeptischer Rede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 b) Persönliche Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 c) Sachlich unmotivierte und verzerrende Angriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 d) Standpunktgebundene oder dogmatisch fundierte Angriffe . . . . . . . . . . . . . . . . 324 3. Schonung und Verzicht auf Angriffe? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 a) Dogmatische Einschübe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 b) Bewusste Schonung gegnerischer Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

10 4.

Inhaltsverzeichnis

Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 a) Hinweis auf epistemologische Schwachstellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (1) Grundsätzliche Kritik an der epistemologischen Ausrichtung der Epikureer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 (2) Rückgriff auf bereits von Velleius eingeführte Widerlegungstechniken . . . 342 b) Hinweis auf die Auswirkungen philosophischer Positionen auf den Staatskult . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350

VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Griechische und lateinische Textausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 Weiterführende Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 Stellenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

I. Einleitung 1. Fragestellung der Untersuchung Während die Ciceroforschung im Zuge der Frage nach einer dezidiert römischen Philosophie1 in den letzten Jahren eine Renaissance erfahren hat, in richtungsweisenden Untersuchungen Ciceros staatsphilosophische (De re publica, De oratore, De legibus)2 und individualethische Schriften (De finibus bonorum et malorum, Tusculanae disputationes, De officiis)3 einer neuen Bewertung unterzogen und manch einseitig negatives Urteil der älteren Forschung korrigiert hat, konnten Ciceros religionsphilosophische Schriften, allen voran seine drei Bücher De natura deorum, nur in geringerem Umfang von dem neuen Forschungsinteresse profitieren.4 Dies nimmt wunder, da es sich bei De natura deorum um eine der wirkmächtigsten Schriften Ciceros handelt, deren geistesgeschichtlicher Einfluss von den Kirchenvätern bis hin zu den französischen und englischen Aufklärern nachgewiesen werden kann.5 Zudem nimmt die Schrift inner-

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3

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5

Vgl. dafür bspw. Müller/Zini 2018 mit einem Überblick über gegenwärtige Forschungsschwerpunkte. Vgl. für De oratore bspw. Fantham 2004, Müller 2011, für De legibus u. a. Hentschke 1971, Gigon 1975, Girardet 1983, Dyck 2004, Krebs 2004 und vor allem Sauer 2007, für die staatsphilosophischen Schriften im Gesamten bspw. Krarup 1974, Mitchell 2001, Jehne 2003, Reggi 2005, Meyer 2006, Atkins 2013, Begemann 2013 (mit dem Konnex zu Ciceros religionsphilosophischen Schriften), Sauer 2013, Sauer 2015. Vgl. für De finibus bspw. Collins 1995, Peetz 2008 und vor allem Annas/Betegh 2016, für die Tusculanen Douglas 1995, Görler 1996, Seng 1998, Gildenhard 2007, Lefèvre 2008, für De officiis Dyck 1984, Frings 1993, Kennerly 2010, Luciani 2013, Lévy 2014 sowie übergreifend Habinik 1994 und Erskine 2003. Vgl. Lévy 1992, 557, dessen Urteil auch heute immer noch Geltung hat: „Le De natura deorum est certainement, de tout le corpus philosophique cicéronien, le traité dont l’exploration, malgré tout le travail déjà entrepris, offre, pour de très longues années encore, le plus de possibilités à la recherche.“ Vgl. für einen allgemeinen Überblick über die Cicero-Rezeption immer noch Zielinski 1908, für den Einfluss von De natura deorum auf die Kirchenväter und frühen Christen im Allgemeinen Gawlick 1966 und Opelt 1966, mit Blick auf Arnobius le Bonniec 1984, auf Laktanz Kendeffy 2015, auf Augustinus bspw. Foley 1999 und Bolyard 2006, auf Minucius Felix Schubert 2014, 69 f. und für die Rezeption von De natura deorum zur Zeit der Renaissance Marsh 2012 und Gawlick 2014, zur Zeit der Aufklärung u. a. Gawlick 1963, Price 1963, Price 1964, Danford 1982, Vink 1986 und Fox 2012.

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I. Einleitung

halb von Ciceros Spätwerk in vielerlei Hinsicht eine erklärungsbedürftige Sonderrolle ein, sodass andernorts gewonnene Erkenntnisse zu Ciceros literarischen Darstellungstechniken und seiner philosophischen Zielsetzung nicht unmittelbar auf De natura deorum übertragen werden können. Die Sonderrolle dieser Schrift steht in enger Verbindung mit den vermeintlichen kompositorischen Spannungen, konzeptionellen Brüchen und philosophiehistorischen Unschärfen, die von der Forschung in großer Anzahl herausgearbeitet worden sind und die die Rezipienten von De natura deorum vor größere hermeneutische Herausforderungen stellen. Sie sind bislang noch keiner zusammenhängenden Erklärung zugeführt worden, die den Dialog als philosophische Literatur und Cicero als Autor von philosophischer Literatur ernst nimmt. Deshalb soll im Folgenden eine Lesart vorgeschlagen werden, die De natura deorum vor dem Hintergrund des neuen Cicero-Bildes analysiert und ihm sowohl literarisch als auch philosophisch eine größere Eigenleistung zutraut. Bevor dieser Ansatz entfaltet und begründet wird, sollen zunächst die problematischen Aspekte des Dialogs, die in der Forschung der vergangenen Jahre bereits im Einzelnen kontrovers diskutiert worden sind, vorgestellt werden. Sie lassen sich in einer vornehmlich literaturwissenschaftlich-philologischen Betrachtungsweise vor allem zwei Bereichen zuordnen, nämlich einerseits der dialogischen, andererseits der rhetorischen Dimension von De natura deorum. a) Besonderheiten und hermeneutische Bedeutung der dialogischen Gestaltung Hinsichtlich des Aufbaus und der philosophischen Grundausrichtung lässt sich De natura deorum in die Untergruppe der skeptisch-dialektischen Dialoge einordnen, zu der auch die beiden früheren Dialoge Academica und De finibus bonorum et malorum sowie der auf De natura deorum folgende Dialog De divinatione gehören.6 In diesen vier Dialogen lässt Cicero Mitglieder der römischen Oberschicht als Vertreter je einer hellenistischen Philosophenschule auftreten und sie jeweils eine philosophische Spezialfrage aus verschiedenen Schulperspektiven dialektisch erörtern. Die Dialoge dieser Untergruppe sind nach einem erkennbaren Schema aufgebaut. So folgt auf ein Proömium,7 in dem sich Cicero als Autor jenseits der dialogischen Szenerie zu 6

7

Vgl. Görler 1994, 1023 f. und Auvray-Assayas 2006, 42 für die Einteilung von Ciceros skeptischen Schriften in die zwei Untergruppen dicere contra (Tusc.) und in utramque partem disserere (ac., fin., nat. deor., div.), wobei in der Übersicht von Auvray-Assayas bei der ersten Untergruppe noch Ciceros fragmentarisch überlieferte Schrift De fato zu nennen wäre. Vgl. darüber hinaus Steel 2013 zur Schwierigkeit, Ciceros Œuvre in passende und v. a. trennscharfe Untergruppen einzuteilen. Vgl. v. a. Becker 1938, 7–10, Ruch 1958 und Plezia 1989 zur Art und Gestaltung der ciceronischen Proömien.

1. Fragestellung der Untersuchung

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Wort meldet und nicht nur das Thema des entsprechenden Dialogs vorbereitet, sondern sich mancherorts auch allgemein zur Zielsetzung seiner philosophischen Schriftstellerei äußert, ein kurzer dialogischer Auftakt,8 der vor allem der Vorstellung der Dialogpartner und der Situierung des Dialoggeschehens dient. Der sich anschließende Hauptteil der Dialoge besteht aus mehreren dogmatisch-skeptischen Redepaaren. Auf jede Rede, in der ein Vertreter einer der zentralen dogmatischen Schulen9 monologisch seine Ansichten zu dem philosophischen Thema der Schrift präsentiert, folgt im Sinne der akademisch-skeptischen Praxis, für und gegen jede Position Stellung beziehen zu können (in utramque partem disserere)10, eine wiederum monologisch gestaltete Gegenrede, die aus der Warte der akademischen Skepsis mögliche Kritikpunkte gegen die zuvor vorgetragene Position darbietet. Nach den einzelnen Reden und Gegenreden enden die Werke, teilweise auch die einzelnen Redepaare, mit einem knappen dialogischen Abschluss, der die Diskussion der Gesprächsteilnehmer in urbanem Ton ausklingen lässt.11 Auch De natura deorum ist nach diesem skeptisch-dialektischen Gliederungsprinzip aufgebaut. Nachdem Cicero im Proömium der Schrift sein religionsphilosophisches Thema umrissen und gegliedert, dessen epistemologische Schwierigkeit, politische Bedeutung sowie kultische Relevanz betont und seinen akademisch-skeptischen Ansatz samt Zurückhaltung des eigenen Urteils (ἐποχή) rekapituliert hat,12 stellt er in einer kurzen dialogischen Rahmenpartie drei Mitglieder der römischen Oberschicht als Hauptredner des Dialogs vor.13 Die epikureische Position weist er dabei dem Senator Gaius Velleius zu, dessen Rede sich in der ersten Hälfte des ersten Buches findet.14 Die stoische Position legt er Quintus Lucilius Balbus in den Mund, dem er beinahe das gesamte zweite Buch für seine Lehrentfaltung zugesteht.15 Die Widerlegung der

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Neben dem dialogischen Auftakt zu Beginn eines Gesprächs verdienen auch die anderen dialogischen Binnenelemente, die die langen Monologe mancherorts durchbrechen, Beachtung. Vgl. dafür Gorman 2005. Dazu lassen sich vor allem die mittlere Akademie (Cic. ac.), der Peripatos (Cic. fin.), die Stoa (Cic. fin., nat. deor., div.) und der Epikureismus (Cic. fin., nat. deor.) rechnen. Vgl. vor allem Cic. de orat. 3,80, ac. 2,7, fin. 5,10, Tusc. 1,8.2,9, nat. deor. 1,11 f. und fat. 1 zum programmatischen Anspruch einer skeptisch-dialektischen Ausrichtung der ciceronischen Philosophie. Auvray-Assayas 2006 und Woolf 2015 erkennen in Ciceros dialektischer Dialoggestaltung und der literarischen Modellierung des skeptischen Wahrscheinlichkeitsmodells seinen philosophischen wie literarischen Eigenbeitrag. Vgl. Becker 1938, 16–25.35 f. zum ciceronischen Dialogende und zur Inszenierung der urbanitas der Gesprächsteilnehmer und De Giorgio 2010 für die Funktion der stummen Dialogteilnehmer. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1–14; Cicero verweist für eine ausführlichere Begründung seiner Wahl der akademischen Skepsis philonischer Prägung auf die zweite Auflage seiner Academica (vgl. Cic. nat. deor. 1,11). Vgl. Görler 1994, 1116 f. zum ἐποχή-Begriff bei Cicero. Vgl. Cic. nat. deor. 1,15–17. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18–56. Vgl. Cic. nat. deor. 2,4–167.

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I. Einleitung

epikureischen16 und der stoischen Position17 überträgt Cicero dem pontifex und skeptischen Akademiker Gaius Aurelius Cotta, in dessen Haus er das Gespräch während der feriae Latinae stattfinden lässt.18 Nach Cottas Kritik an der stoischen Position im dritten Buch wird das Ende des Gesprächs innerdialogisch mit dem Einbruch des Abends begründet.19 Nachdem man einander zugesichert hat, die Diskussion zu einem anderen Zeitpunkt fortsetzen zu wollen, dürfen in einem kurzen dialogischen Abschluss noch die beiden (zuletzt) stummen Gesprächsteilnehmer Velleius und Cicero ihre Einschätzungen äußern.20 Auch wenn De natura deorum also formal dieses Gliederungsschema mit den anderen skeptisch-dialektischen Dialogen teilt, nimmt die Schrift mit Blick auf die Dialogzeit und auf Ciceros eigene Dialogrolle eine deutliche Sonderrolle innerhalb der Untergruppe ein. Während nämlich die anderen drei skeptisch-dialektischen Dialoge in Ciceros Gegenwart spielen,21 verlegt Cicero das Dialoggeschehen von De natura deorum zurück in die siebziger Jahre vor Christus, genauer gesagt in das Jahr 77 oder 76  v. Chr. Die Rückverlegung des Dialoggeschehens sowie die Wahl der Dialogteilnehmer verhindern es, dass Cicero selbst als Velleius’ und Balbus’ Dialogpartner auftreten kann, da er zum Zeitpunkt der Dialoghandlung als junger, knapp dreißigjähriger Mann noch vor der Übernahme der Quästur erst am Beginn seiner politischen und philosophischen Karriere stand und – zumal als homo novus – noch nicht die nötige gravitas besaß, um im Kreise arrivierter, älterer Römer als skeptischer Gegenredner gerade die heikelste Rolle innerhalb des Dialogs übernehmen zu können. Folglich überträgt er den Part der skeptischen Widerlegung auf Cotta und begnügt sich innerhalb des Dialogs mit einer weitgehend stummen Beobachterrolle.

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,57–124. Vgl. Cic. nat. deor. 3,10–93. Vgl. Cic. nat. deor. 1,15. Vgl. Cic. nat. deor. 3,94a: quoniam advesperascit. Vgl. Cic. nat. deor. 3,94b–95. In unmittelbarer Nähe zur Abfassungszeit steht das dialogische Setting in den Academica posteriora (vgl. Reid 1885, 49) sowie in De divinatione (vgl. Philippson 1939a, 1157). Die Academica priora spielen 61/60 v. Chr. (vgl. Philippson 1939a, 1130), die ersten vier Bücher De finibus 50 v. Chr. (Buch eins und zwei) bzw. 52 v. Chr. (Buch drei und vier) (vgl. Philippson 1939a, 1136); auch wenn deren Dialoggeschehen zu einem früheren Zeitpunkt stattfindet, stehen sie in engerem Bezug zu Ciceros Gegenwart, da Cicero sein Konsulat bereits hinter sich hat und somit bedenkenlos als Konsular im Kreise anderer arrivierter, angesehener Römer als skeptischer Gegenredner auftreten kann. (Dagegen Steel 2013, 224, die Ciceros Stellung vor und nach seinem Konsulat keine größere Bedeutung beimisst und die Academica priora und De finibus ebenso wie De natura deorum der Vergangenheit zuordnet.) Eine Ausnahme, auf die später noch näher einzugehen sein wird, bildet fin. 5, dessen Szenerie im Jahr 79 v. Chr. spielt und damit sogar noch weiter in der Vergangenheit liegt als die Dialoghandlung von nat. deor. Auch wenn dort also ein vergleichbares Problem vorliegt, löst Cicero es anders, indem er eine grundsätzlich andere dialogisch-szenische Inszenierungsart wählt.

1. Fragestellung der Untersuchung

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Es stellt sich daher die Frage, wieso Cicero gerade und ausschließlich22 für De natura deorum eine solche Zeit- und Rollenkonzeption gewählt hat, die sich nicht ohne Weiteres in Ciceros selbst aufgestellte Alternative von aristotelischem und herakleidischem Dialog einordnen lässt. In einem von der Forschung viel beachteten Brief an Atticus23 macht Cicero den Unterschied zwischen den beiden dialogischen Konzepten nämlich gerade an der jeweiligen Personenwahl und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die Dialogzeit fest. Findet das Dialoggeschehen in Ciceros Gegenwart (his temporibus) statt, so möchte er selbst die führende Rolle (principatus) innerhalb des Dialogs übernehmen. Dieses Vorgehen beansprucht er explizit für die Dialoge seines Spätwerks, von denen De finibus zum Zeitpunkt des Briefes bereits vorliegt und die Academica von Cicero gerade überarbeitet werden. Verlegt er das Dialoggeschehen in die Vergangenheit, treten auch ausschließlich Männer der Vergangenheit (antiquis personis) auf, ohne dass Cicero selbst am Gespräch teilnehmen kann und sich mit einer stummen Rolle (κωφὸν πρόσωπον) begnügen muss; als Beispiel für diese Inszenierungstechnik führt er seine frühen Dialoge De re publica und De oratore an.24 Nimmt man Ciceros Unterscheidung der beiden Dialogtypen ernst,25 so nähme De natura deorum eine Mittelstellung ein. Das Dialoggeschehen spielt hier weder in der entfernteren Vergangenheit noch in Ciceros Gegenwart, sondern in der nahen Vergangenheit. Zudem übernimmt Cicero weder die führende Rolle noch hält er sich vollständig aus

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Selbst die sich anschließenden religionsphilosophischen Schriften De divinatione und De fato, die Cicero in div. 2,3 als Ergänzungen zu De natura deorum beschreibt und die gemeinsam mit nat. deor. eine religionsphilosophische Trias bilden, weisen eine andere dialogische Inszenierung auf. Während Cicero in De divinatione zum „aristotelischen“ Typus zurückkehrt, gestaltet er De fato als monologischen Traktat. Vgl. Cic. Att. 13,19,3–5. Da Cicero die beiden frühen Dialoge zeitlich weit in die Vergangenheit zurückverlegt, ist ihm dort nicht einmal die innerdialogische Teilnahme als Beobachter möglich, sodass er eine andere Beglaubigungsstrategie wählt und Gewährsleute einführt, die ihm das jeweilige Gespräch geschildert hätten. Becker 1937, 2 f. spricht mit Blick auf rep. und de orat. deshalb von doppelt referierten Dialogen. So beruft sich Cicero in rep. auf die Vermittlung durch P. Rutilius Rufus (vgl. Cic. rep. 1,13 unius aetatis clarissimorum ac sapientissimorum nostrae civitatis virorum disputatio repetenda memoria est, quae mihi tibique quondam adulescentulo est a Publio Rutilio Rufo, Smyrnae cum simul essemus complures dies, exposita), in de orat. auf Erzählungen Cottas (vgl. bspw. Cic. de orat. 1,26 Cotta […] narrabat oder 1,29 solebat Cotta narrare […]). Die Begriffe „aristotelischer“ bzw. „herakleidischer Dialog“ sollten nicht als literaturwissenschaftlich exakte Begriffe verwendet werden, da Cicero es augenscheinlich nicht darum geht, sich unmittelbar in deren Gattungstradition zu stellen. Er zieht diese Begrifflichkeiten nur heran, um mit ihrer Hilfe seine Rollen- und Zeitkonzeptionen zu beschreiben, ohne sich damit auch hinsichtlich anderer Kriterien dem jeweiligen Dialogtyp zu verpflichten. Daher ist es unsauber, bei De natura deorum ganz allgemein von einem herakleidischen Dialog zu sprechen. Soweit es sich noch rekonstruieren lässt, wiesen die Dialoge des Herakleides Pontikos selbst kein einheitliches Erscheinungsbild auf und unterschieden sich in mancherlei Hinsicht deutlich von Ciceros Dialogen, beispielsweise durch den Einsatz mythologischer Personen als Dialogfiguren und fiktionaler Geschehnisse, zu denen Totenauferstehungen, göttliche Strafen oder Epiphanien zählen; vgl. zu den herakleidischen Dialogen v. a. Gottschalk 1980, 6–11 und Fox 2009.

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I. Einleitung

dem Dialoggeschehen heraus, sondern inszeniert sich als teilnehmenden Beobachter und Zuhörer, der am Ende des Gesprächs überraschenderweise doch noch seine Einschätzung äußert. Gerade dieses innerdialogische Schlussvotum Ciceros hat dazu geführt, dass die Forschung eine konzeptionelle Spannung zwischen dem Proömium des ersten Buches und dem dialogischen Abschluss des dritten Buches konstatiert hat. Während Cicero anfangs nämlich ausführlich die Zurückhaltung seines eigenen Urteils unterstreicht und die mögliche Frage des Rezipienten nach Ciceros eigener Ansicht als illegitim zurückweist,26 äußert er als letzter Sprecher der Schrift seine Sympathien in akademisch vorsichtiger, aber doch eindeutiger Weise für die stoische Position.27 Wie lässt es sich erklären, dass Cicero hier von seiner eigenen Ankündigung abrückt und sich am Ende der Schrift nicht nur überhaupt äußert, sondern gerade für eine dogmatische Position Partei ergreift und nicht Cottas Rede den Vorzug gibt, obwohl dieser doch Cicero sowohl biographisch als auch philosophisch am nächsten stehen müsste?28 In diesem Zusammenhang stellt sich neben der Klärung der Frage nach Ciceros eigener Rollengestaltung die grundsätzlichere Frage, welche Bedeutung der literarischen Form, das heißt der (in De natura deorum auffallend knappen) dialogischen Szenerie und vor allem der dialogischen Rollenverteilung zukommt.29 Welchen her26 27 28

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,10: Qui autem requirunt, quid quaque de re ipsi sentiamus, curiosius id faciunt quam necesse est. Vgl. Cic. nat. deor. 3,95: […] mihi Balbi [erg. disputatio] ad veritatis similitudinem videretur esse propensior. Die Nähe zu Cotta gesteht Cicero in Att. 13,19 selbst ein, wenn er die Frage diskutiert, ob er in den überarbeiteten Academica Cotta oder sich selbst die akademische Widerlegung übertragen soll. Die beiden verbindet jenseits ihrer skeptischen Haltung zudem die Erfahrung des Exils aus politischen Gründen und der späteren Rückkehr nach Rom (vgl. etwa Cic. de orat. 3,11 für Cottas Exil), ihre Stellung als pontifex sowie als Konsul, ihre Bedeutung als herausragende Redner ihrer Zeit und darüber hinaus sogar der Umstand, dass beide dazu gezwungen waren, ihren Redestil an ihre körperliche Konstitution anzupassen (vgl. Cic. Brut. 202 für Cottas virium imbecillitas und Cic. Brut. 313 f. für Ciceros anfängliche körperliche Probleme, die er durch eine geänderte consuetudo dicendi aus der Welt schaffen konnte). Die Frage nach der Bedeutung der literarischen Form (antiker) Philosophica ist sowohl im Allgemeinen als auch vornehmlich mit Blick auf Platons Dialoge ausgiebig diskutiert worden; vgl. hierfür vor allem Brandt 1985, Hadot 1989, Gabriel 1990, Gabriel 1991, Gabriel 2013 und Gabriel 2015, 147–175. Da Ciceros Schriften jedoch lange Zeit nicht als philosophisch ernstzunehmende Beiträge galten, sondern vornehmlich zur philosophiehistorischen Rekonstruktion der hellenistischen Philosophenschulen herangezogen worden sind, steht eine solche Beurteilung für sie in weiten Teilen noch aus. Schanz 1907, 382 spricht den ciceronischen Dialogen sogar fast vollständig ihren dialogischen Charakter ab, indem er sie als „Scheindialog“ charakterisiert: „nur die Scenerie und einige eingestreute Worte erinnern an den Dialog.“ Eine immer noch brauchbare Übersicht bietet Becker 1938, dessen Beurteilung der dialogischen Gestalt sich jedoch vor allem daran orientiert, inwieweit es Cicero gelungen ist, platonische Inszenierungsformen nachzubilden. Dass man der Gattungsfrage größere hermeneutische Relevanz beimessen sollte und Ciceros Dialoge nicht als dialogisch aufgelockerte Lehrbücher verstehen sollte, hat bereits Süss 1952 postuliert. Für manche ciceronische Dialoge ist die hermeneutische Bedeutung der Dialogizität erkannt und in vielen Aspekten bereits analysiert worden, vgl. hierfür grundlegend Auvray-

1. Fragestellung der Untersuchung

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meneutischen Mehrwert hat etwa der Umstand, dass Cicero die einzelnen Positionen und Widerlegungen nicht auktorial selbst vorträgt, sondern die jeweilige Kontroverse in die Form eines Dialoges gießt und die einzelnen Reden in De natura deorum vollständig auf andere Personen überträgt? Welche Strategien setzt Cicero zur Charakterisierung seiner Dialogfiguren ein? Zudem wird danach zu fragen sein, wie sich die zahlreichen formalen und inhaltlichen Verbindungen zwischen De natura deorum und anderen ciceronischen Dialogen (auch jenseits der drei anderen dezidiert skeptischen Dialoge) erklären lassen30 und welche Konsequenzen für die Beurteilung der Schrift sich daraus ergeben. Die Frage nach der Bedeutung der Gattungswahl verschärft sich schließlich auch mit Blick auf andere Autoren des ersten Jahrhunderts vor und nach Christus, die für ihre theologisch-religionsphilosophischen Werke teils ähnliche (Varro)31, teils andere Gattungen (Lukrez, Plutarch)32 gewählt haben. b) Die rhetorische Gestaltung: Kompositorische Brüche und rhetorische Überformung? Die Quellenforschung und ihr Bild von Cicero als dilettantischem Kompilator. Neben der Frage nach Ciceros literarischer Rollen- und Dialoggestaltung hat vor allem die Quellenforschung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts ihr Augenmerk auf einen zweiten Problembereich gerichtet und den Aufbau der einzelnen Reden innerhalb der Schrift genauer untersucht.33 Dabei hat sie mit Blick auf deren jeweilige Gliederungen

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Assayas 2001, Müller 2011, Müller 2015. Für De natura deorum stellt dies immer noch ein Desiderat dar, wenngleich sich erste Überlegungen bei Auvray-Assayas 2015 finden. Mit Recht konstatiert Steel 2013, 224, dass man zwischen denjenigen Dialogen, die formale  – und es wäre zu ergänzen: inhaltliche – Gemeinsamkeiten aufweisen, substantielle Verbindungen findet. Neben den Academica, De finibus und De divinatione, die sich mit Blick auf Entstehungszeitraum, die Redengestaltung und den akademisch-skeptischen Ansatz zum Vergleich anbieten, wird deshalb auch zu fragen sein, ob sich hermeneutisch relevante Linien zu De oratore ziehen lassen, wo Velleius, Balbus und Cotta bereits Erwähnung finden, bzw. zu De re publica und De oratore, wo Cicero auch eine stumme Rolle einnimmt, sowie zu denjenigen Werken mit einem staatspolitischen (De re publica, De legibus) bzw. religionsphilosophischen (De divinatione, De fato) Schwerpunkt. Ein Vergleich mit Varros Werk ist dabei sowohl mit Blick auf die dialogische Konzeption seines Lehrdialogs De re rustica als auch mit Blick auf die Gestaltung des religiös-kultischen Themengebiets in den leider nur fragmentarisch erhaltenen Schriften Curio de cultu deorum und den Antiquitates rerum divinarum lohnenswert. Vgl. dafür Skydsgaard 1968, 89–100, Lehmann 1997 und v. a. Diederich 2007, 172–209; vgl. Baier 1997, 15–70 und Rösch-Binde 1998 zum Verhältnis von Varro und Cicero. Vgl. Gabriel 1970, Schröder 1990, Beer 2009. Vgl. insbesondere Auvray-Assayas 1999b für das Verhältnis von Lukrezens Lehrgedicht und Ciceros De natura deorum. Grundlegende Quellenstudien zu allen drei Büchern finden sich bei Krische 1840, Hirzel 1877, Schwenke 1879, Reinhardt 1888, Hoyer 1898, Philippson 1939–1945; vgl. ausschließlich für das erste Buch nat. deor. vor allem Schwenke 1882, Kleve 1963, Essler 2011a,b,c und für das

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I. Einleitung

eine Vielzahl von konzeptionellen Spannungen und kompositorischen Brüchen sowohl innerhalb der jeweiligen Einzelrede als auch zwischen dogmatischer Rede und skeptischer Gegenrede erkennen wollen. Überprüft man nämlich die Binnenstruktur der Einzelreden, so zeigt sich, dass sie mancherorts von sachlichen Doppelungen und exkursartigen Digressionen, mancherorts aber auch von schroffen Kürzen, Abweichungen vom ursprünglich angekündigten Konzept und Auslassungen geprägt sind, die sich nur in wenigen Fällen mit einem überlieferungsbedingten Textausfall erklären lassen. Außerdem fällt bei einem Vergleich von Rede und Gegenrede auf, dass Cottas Erwiderungen oftmals nicht direkt zu Velleius’ und Balbus’ Ausführungen passen, sondern manche dogmatischen Positionen und Argumente übergehen, manche über die Maßen ausdehnen und manchmal sogar Schulpositionen angreifen, die sich in den dogmatischen Ausgangsreden selbst überhaupt nicht oder zumindest in kürzerer oder anderer Form finden. Die Quellenforscher erklärten diese Brüche und Inkohärenzen damit, dass Cicero in hohem Maß von seinen griechischen Primärquellen abhängt und diese ohne allzu große Änderungen übernommen hat.34 Eine Einzelrede bestehe daher eigentlich aus mehreren Einzeltexten, welche Cicero aus dem Griechischen übersetzt, gekürzt oder gegebenenfalls erweitert und anschließend zusammengefügt habe.35 Auf diese Weise ließen sich nicht nur die teilweise unorganisch wirkenden Gliederungen der Einzelreden, sondern auch die fehlende Passung von Rede und Gegenrede oder die dogmatische Färbung der skeptischen Gegenreden erklären. So nahm man an, dass die dogmatischen Reden und ihre skeptischen Widerlegungen meistens verschiedenen Quellen entnommen sind, die nicht von vorneherein aufeinander zugeschrieben worden waren und inhaltlich und konzeptionell daher nicht miteinander harmonierten. Da eine Harmonisierung des zum Teil sperrigen Quellenmaterials jedoch ungleich aufwändiger gewesen wäre, habe sich Cicero damit begnügt, die kompositorischen Nahtstellen oberflächlich zu glätten und seine Quellen in diejenige literarische Form zu gießen, bei der dem Leser der Verzicht auf Stringenz und Systematik nicht

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zweite (bzw. dritte Buch) unter anderem Vick 1902, Jeanmaire 1933, 34–57, Edelstein 1934, Kleywegt 1961, der trotz anderslautender Bekundung im Vorwort letztlich doch eine Quellenstudie präsentiert und Ciceros „eigene Teile“, zu denen er nur Cic. nat. deor. 2,4–12.56 und 3,1– 18.20–22 zählt (vgl. Kleywegt 1961, 222), vom weitaus dominierenden Quellenmaterial abgrenzt, sowie Wisniewski 1990 für das dritte Buch und Weische 1961 für die skeptischen Widerlegungsreden. Vgl. bspw. Schanz 1907, 381 ff. für eine Einschätzung dieses Forschungsansatzes; als Ciceros Primärquellen vermutet er vor allem kompendienartige Handbücher, nicht die Originalschriften der philosophischen Meister. Auf Cicero selbst möchte er lediglich das Einfügen „moralische[r] Gemeinplätze“ und historischer exempla zurückführen (vgl. ebd. 382); alles andere habe er den hellenistischen Handbüchern zu verdanken. Vgl. darüber hinaus Boyancé 1936, Görler 1994, 1026–1028 und Schallenberg 2008, 47 f. zur ciceronischen Quellenforschung. Vgl. Süss 1966, 93, der ein drastisches, aber treffendes Bild für das De natura deorum-Verständnis der älteren Quellenforschung geprägt hat: „[S]ie [die Schrift, erg. C. D.] wurde geradezu ein Beinhaus modernder Leichenteile, eine noch dazu unter häufigen Mißverständnissen aller Art angelegte Zusammenstellung unvereinbarer Exzerpte.“

1. Fragestellung der Untersuchung

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allzu störend auffalle. Der Gattung des Dialogs wurde von der älteren Forschung daher keine eigenständige hermeneutische Funktion beigemessen; sie galt ihr lediglich als geeignete Hülle, in die Cicero seine Quellen ohne größere Änderungen einfügen konnte.36 Dort, wo die dialogische Inszenierung hermeneutisch ausgewertet worden ist, führte dies jedoch (v. a. im Fall von De natura deorum) zu einer weiteren Bestätigung der quellenkritischen Prämissen. So kam etwa R. Hirzel zu dem Ergebnis, dass Cicero dort, wo er andere Sprecher in zusammenhängender Form Lehrpositionen vortragen lässt, seinen Quellen viel mechanischer und engmaschiger folgt als dort, wo er in eigenem Namen auftritt und die einzelnen Beweisgänge selbst durchführt.37 Cicero wurde daher als großer Kompilator angesehen, dessen Philosophica vor allem ein philosophisch unkundiges römisches Publikum über die Positionen der hellenistischen Philosophenschulen informieren sollten, ohne dass Cicero selbst einen philosophisch relevanten Eigenbeitrag für sich beanspruchen könnte. Seinen Hauptverdienst sah man vielmehr in der Schaffung eines kohärenten lateinischen Sprachsystems für den philosophischen Diskurs38 und eines enzyklopädischen Überblickswerks über zentrale Aspekte der hellenistischen Philosophie, mit dessen Hilfe er seinen Mitbürgern einen wichtigen Bereich der griechischen Geistes- und Kulturwelt eröffnen wollte.39 Da die Quellenforscher den Cicerotext wegen dieser kompositorischen Mängel als defizitär beurteilten, untersuchten sie ihn in weiten Teilen auch nicht um seiner selbst willen, sondern zogen ihn vornehmlich zur Rekonstruktion von Ciceros Prätexten heran. Da diese in den meisten Fällen im Laufe der Überlieferung verloren gegangen waren und da man annahm, dass Cicero sie – wenn überhaupt – meistens nur wenig adaptiert hatte, sah man sich dazu berechtigt, Ciceros Eigenleistung zu marginalisieren und seine Quellen unmittelbar aus dem Cicerotext heraus zu rekonstruieren. Paradoxerweise führte, wie Cl. Auvray-Assayas treffend bemerkt, der weitgehende Verlust der Schriften der hellenistischen Philosophen dazu, dass Cicero zu einer Quelle für die Rekonstruktion dieser Philosophenschulen wurde, ohne dass er selbst sich als Philosophiehistoriker verstanden hat und ohne dass er seine Schriften als philosophiehistorische Werke verstanden wissen wollte, da für ihn die Philosophiegeschichte stets nur ein Mittel, kein Selbstzweck gewesen ist.40

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Vgl. Becker 1938, 36–40. Vgl. Hirzel 1877, 1–3. Vgl. immer noch grundlegend Hartung 1970 für Ciceros sprachschöpferische Tätigkeit und Etablierung neuer Termini sowie Debru 2001 mit Blick auf Cic. nat. deor. 2; weitere Literaturhinweise bei Fögen 2000, 94 (Anm. 51). Vgl. dazu bspw. Schanz 1907, 382: „sein Verdienst ist in der Latinisierung und Popularisierung der griechischen Philosophie zu suchen“ (Hervorhebung bereits bei Schanz). Unter der „Latinisierung“ versteht Schanz nicht nur die Schaffung einer lateinischen Fachterminologie, sondern auch Ciceros stilistisch kunstvolle Darstellung. Vgl. Auvray-Assayas 2006, 27 f.; vgl. dazu auch die folgenden Ausführungen zu Velleius’ Mitteldoxographie.

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I. Einleitung

Das Erkenntnisinteresse der Quellenforscher richtete sich vor allem auf eine möglichst exakte Abgrenzung und Identifizierung der einzelnen Quellen, auf deren philosophiehistorische Einordnung, auf die Zuordnung der rekonstruierten Quellen zu einem hellenistischen Philosophen und auf dieser Grundlage schließlich auf die systematische Rekonstruktion der Ansichten der verschiedenen hellenistischen Philosophenschulen,41 deren Positionen sich in dieser Ausführlichkeit oftmals nur noch im Cicero-Text finden. De natura deorum liefert beispielsweise die einzig überlieferte Gesamtdarstellung der epikureischen und stoischen Götterlehre, wodurch der Dialog bis heute notgedrungen eine hohe philosophiehistorische Relevanz für sich beanspruchen kann.42 Die intensive quellenkritische und philosophiehistorische Beschäftigung mit Ciceros Schriften führte alsbald jedoch zu einer neuerlichen Enttäuschung, da sich einerseits keine konsensfähigen Ergebnisse über Art und Anzahl der von Cicero verwendeten Quellen erzielen ließen. Denn so einig man sich in den allgemeinen Prämissen zu Ciceros Quellenabhängigkeit war, so wenig konnte man bei den Untersuchungen im jeweiligen Einzelfall Einigkeit darüber erzielen,43 an welcher Stelle die Naht zwischen den Quellen verlaufen solle, mit wie vielen Quellen man rechnen müsse und wer der Autor der jeweiligen griechischen Primärquelle sein könnte. Mit Recht konstatiert daher W. Görler: Es gibt zwar kaum eine ‚dogmatische‘ Partie Ciceros, die nicht irgendwann einmal Panaitios, Poseidonios oder Antiochos aus Askalon zugeschrieben worden ist, kaum eine ‚skeptische‘ Partie, die man nicht mit Kleitomachos oder Philon in Verbindung gebracht hat. Aber beweisbar ist davon nichts.44

Weil Cicero selbst nämlich nur in wenigen Fällen auf seine Gewährsleute verweist und die vermeintlich von ihm herangezogenen Quellen in den meisten Fällen überlieferungsbedingt verloren sind, stand den Quellenforschern kein textexternes Instrumentarium zum Abgleich zur Verfügung, sodass sie sich nur auf textimmanente Beobachtungen stützen konnten. Andererseits gelang es der philosophiehistorischen Forschung nicht, aus dem Cicerotext die Positionen der einzelnen Philosophenschulen systematisch zu rekonstruieren. In etlichen Fällen nahm man nämlich nicht nur Ciceros literarische Darbietung, sondern auch die inhaltliche Darstellung als anachronistisch,

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Frühe Quellenforscher erhoben sogar den Anspruch, mithilfe ihrer Quellenstudien „den ursprünglichen Aufbau der griechischen Abhandlung im großen und ganzen wiederherzustellen“ (Lörcher 1911, VI). Vgl. Philippson 1941, 11 für die ältere Quellenforschung mit Blick auf die stoische Theologie sowie jüngst Essler 2011b und Dienstbeck 2015 für moderne Rekonstruktionsversuche. Vgl. Görler 1994, 1026, der in der fehlenden Konsensfähigkeit ihrer Ergebnisse den Erweis des Scheiterns einer derart „naive[n] ‚Quellenforschung‘“ sah. Görler 1994, 1027.

1. Fragestellung der Untersuchung

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sprunghaft, oberflächlich und im Einzelnen sogar als fehlerhaft wahr.45 Diesen Befund erklärte man damit, dass Cicero bei der Kürzung des Quellenmaterials und bei dessen allzu schneller Zusammenstellung46 im Einzelnen Missverständnisse unterlaufen seien und er manche Querverweise und Verbindungen sachwidrig getätigt habe.47 Ciceros Quellen seien zum Leidwesen der Philosophiehistoriker nicht in dem Maße unverändert bewahrt, wie man es sich anfangs erhofft hatte, sodass sich die Rekonstruktion der jeweiligen orthodoxen Schullehre mithilfe des Cicerotextes als schwierig erwies. Vielmehr rechnete man nun damit, dass die Quellen von ihm selbst im Vorgang der Zusammenstellung korrumpiert worden seien,48 sodass man es vielerorts bedauerte, dass ausgerechnet der philosophiehistorisch kritikwürdige Cicerotext überliefert worden ist und Ciceros als wertvoller betrachtete Quellen verlorengegangen sind. So äußerte beispielsweise H. Usener im Vorwort seiner Epicurea sein Missfallen darüber, dass Cicero seine Quellen nicht unverändert überliefert, sondern sie zuvor noch einer Bearbeitung unterzogen habe: „bene profecto actum nobiscum esset, si optimorum librorum vel Panaetii ac Posidonii apographa nobis reliquisset.“ 49 Die philosophiehistorische Forschung stand damit vor der Herausforderung, auf den Cicerotext als wichtige und mitunter einzige Quelle rekurrieren zu müssen, obwohl immer deutlichere Kritik an der philosophischen Qualität von Ciceros Ausführungen laut wurde.

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Vgl. u. a. Schanz 1907, 360 (zu Cic. nat. deor.): „Auch in philosophischer Beziehung lässt sich der Verfasser die grössten Blössen zu schulden kommen.“ Vgl. bspw. McKirahan 2001, 204 für die These einer raschen Übertragung der Primärtexte durch Cicero. Vgl. bspw. Philippson 1939a, 1181 (zu Ciceros Philosophie), der Ciceros Charakter als Begründung für inhaltliche Brüche, Sprünge oder Widersprüche anführt: „Schon aus diesen Gründen ist es oft schwer zu sagen, was seine wahre Überzeugung war, ja ob er überhaupt eine solche hatte. […] Er war von Haus kein philosophischer Geist. Sein wissenschaftliches Denken war unselbständig, wurde immer nur durch fremdes ausgelöst, ermangelte der Ruhe und Stetigkeit, wurde wie im praktischen und politischen Leben bei seiner angeborenen Reizbarkeit im hohen Grade durch Einfälle und lebhafte Gefühle des Augenblicks bestimmt. Das was [sic!] ihn zum größten Redner seiner Zeit und seines Volkes machte, stand ihm als Philosophen im Wege.“ Vgl. darüber hinaus auch Gigon 1973, 243; gleichzeitig gesteht Gigon es Cicero aber auch zu, die Ordnung und Stringenz mancherorts auch ganz bewusst und aus Gründen der Abwechslung mithilfe von exempla, eigenen Gedanken, Dichterzitaten etc. gestört zu haben (vgl. Gigon 1973, 247 f.). Methodisch sind hier große Bedenken angesagt, da dieses Forschungsparadigma weder den Umstand berücksichtigt, dass auch die hellenistische Philosophie kein erratisch-unveränderlicher Block ist, sondern sich auch innerhalb einzelner Schulen verschiedene Ansätze und Forschungsrichtungen finden, noch der Frage nachgeht, ob es sich bei derartigen, von Cicero angeblich unbemerkten „Patzern“ nicht vielmehr um intentionale Modifikationen handelt, die der jeweiligen argumentativen Zielsetzung geschuldet sind. Zu Recht betont Koch 2006, 29 den situativen Charakter der Lehrgespräche, die keinerlei Streben nach Vollständigkeit implizieren, sondern die jeweils relevanten Aussagen der Philosophenschulen für die jeweilige Fragestellung adaptierten: „Cicero sucht keine Standpunkte außerhalb dessen, was er situativ vorfinden kann.“ Usener 1887, LXV.

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I. Einleitung

W. Burkert kommt daher, diese spätestens ab Hegel 50 nachweisbare Forschungstendenz zusammenfassend, zu dem Ergebnis, dass [m]an […] Cicero aus den Reihen der Philosophen längst gestrichen [hat], und wenn die Philosophiegeschichte ihn als Quelle nicht entbehren kann, so geht es doch nicht ab ohne Klage über Ciceros Oberflächlichkeit und Ungenauigkeit.51

Der quellenkritische Ansatz führte schließlich dazu, dass sich das Bild von Cicero als Dilettanten weiter festigte, da es ihm nicht einmal gelungen sei, der Nachwelt eine literarisch und philosophiehistorisch saubere Darstellung der einzelnen hellenistischen Dogmata zu hinterlassen.52 Dennoch glaubte man sich lange Zeit in der Lage, den durch Cicero verschuldeten Depravationsprozess umkehren und trotz der inhaltlichen wie kompositorischen Mängel die griechischen Quellen freilegen zu können. Als repräsentativ kann R. Hoyers Urteil gelten, der die quellenkritische Untersuchung des zweiten Buches von De natura deorum trotz dessen vermeintlicher literarischer und philosophischer Mängel mit dem Vertrauen in seine eigenen philologischen Fähigkeiten rechtfertigte: Und es ist möglich, die wüste Verworrenheit Ciceros mit klarem Blicke zu durchschauen; man muss ihn nur mit einer Liebe lesen, die er eigentlich nicht verdient. Als Philologe aber sieht man durch den trüben Unverstand des römischen Dilettanten hinein in die Tiefen edler griechischer Geister. […] Dass Cicero […] wirklich nicht verstanden hat, was und wie er schrieb, werden wir für manche andere Schriften wie besonders für de nat. deor. II annehmen müssen […].53

Auch wenn die Quellenforschung mittlerweile mit Recht etwas zurückhaltender geworden ist und aufgrund von methodischen Bedenken und fehlender Konsensfähigkeit ihrer Ergebnisse gegenwärtig nicht mehr auf diese Weise betrieben wird, haben die diesem Ansatz zugrunde liegenden Prämissen zu Ciceros Arbeitsweise und seiner Zielsetzung die Cicero-Forschung über Jahrzehnte geprägt und tun es mancherorts immer noch.54 Daher scheint B. Kochs Urteil, dass „ein Cicerobild, das in diesem Den50 51 52 53 54

Vgl. Gawlick 1956, I. Burkert 1962, 176. Vgl. Mommsen 1904, (III) 623 als prominenter Multiplikator der Prämissen der älteren Quellenforschung sowie Bringmann 1971, 10 f. Hoyer 1898, 39.41. Dass ein derartiges Verständnis von Ciceros Werken als philosophischer Steinbruch auch in heutigen fachdidaktischen Publikationen noch durch die Hintertür an Schulen verbreitet wird, belegt Cl. Wiener eindrücklich anhand einer Analyse mehrerer jüngst erschienenen Schulausgaben zu Ciceros Philosophica, die bspw. einzelne Sätze aus De natura deorum ohne jeden Kontext heranziehen, um mit deren Hilfe Lateinschülerinnen und -schülern ein Bild der griechischen Vorsokratiker vermitteln zu wollen (vgl. Wiener 2009, 60 f.). Den Schülerinnen und Schülern wird dabei implizit der Eindruck vermittelt, dass Ciceros Werk als eine Art antike Enzyklopädie in neutralinformierender Weise Hintergrundwissen zu verschiedenen, diachronen Philosophenschulen lie-

1. Fragestellung der Untersuchung

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ker der Römischen Republik einen bloßen und teilweise dilettantischen Übermittler griechischen Gedankenguts sehen wollte, als einseitig“55 erwiesen werden konnte, Forschungswirklichkeit eher vorwegzunehmen als zu beschreiben. Eine alternative Deutung der in der Tat erklärungsbedürftigen Struktur von Einzelrede und Gegenrede und der mancherorts zu beobachtenden philosophiehistorischen Unschärfen steht daher vornehmlich vor der Herausforderung, sich mit den der Quellenforschung inhärenten Prämissen auseinanderzusetzen und eine alternative Sicht auf die ciceronischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen vorzustellen.56 Die Rhetorikforschung und ihr Bild von Cicero als Manipulator. Neben der erklärungsbedürftigen Struktur der einzelnen Reden und Gegenreden wird außerdem auch deren rhetorische Gestaltung kritisch beurteilt. So hat vor allem die neuere Forschung, die dem „rhetorical approach“ verpflichtet ist,57 darauf hingewiesen, dass nicht nur die skeptischen Gegenreden, sondern auch die dogmatischen Einzelreden nicht die Form sachlich-informierender Referate der einzelnen Schulpositionen annehmen, sondern mit Polemik, Angriffen und mancherorts sogar Verzerrungen einzelner Ansichten nicht sparen. Damit ist das seit spätestens Platon fassbare, spannungsvolle Verhältnis von Rhetorik und Philosophie angesprochen, dessen Grundkonflikt aus den scheinbar unvereinbaren Zielsetzungen der beiden Bereiche resultiert. Während nämlich der Philosoph nach der objektiven Wahrheit hinter den Dingen fragt, ist die Wahrheitsfrage für den Redner zweitrangig, da er seine persuasiven Techniken auf jede beliebige Position applizieren und somit auch bedenklichen Ansichten zum Sieg verhelfen kann.58 Der Gebrauch der rhetorischen Techniken, die Cicero in jahrelangen Prozes-

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fert. Dass Cicero stets, wie es die Dialogform, deren Komposition und der Einsatz verschiedener Dialogpartner nahelegen, diese Thesen mit einer klaren Wertung versieht, wird in einer solchen Darbietung nicht deutlich. Koch 2006, 15. Erstaunlicherweise wurde die Frage, inwiefern die beobachteten Brüche im Aufbau von De natura deorum als intentionale Gestaltungsmittel Ciceros und nicht als quellenbedingte Spannungen erklärt werden könnten, bereits früh von Edelstein 1934, 131 gestellt, in der Folgezeit jedoch meist nicht mehr aufgegriffen und erst von der Rhetorikforschung und ihrer Manipulationsthese wieder entdeckt. Vgl. Leonhardt 1999, 89–95 und Sauer 2007, 17–20 für einen konzisen Überblick über die rhetorische Analyse der ciceronischen Philosophica samt kritischer Würdigung und v. a. Schäublin 1990 für eine Anwendung der rhetorischen Analyse auf das Redepaar Velleius-Cotta im ersten Buch von De natura deorum und jüngst auch Wierzcholowski 2019. Zu einem differenzierten Ergebnis kommt die großangelegte Studie von Michel 1960, der nach der inneren Verbindung von Rhetorik und Philosophie bei Cicero fragt. Auch Sauer 2007 konzentriert sich bei seiner Studie zum ersten Buch von De legibus auf die argumentative Struktur des Textes; dabei gelingt es ihm überzeugend, eine innere Verbindung von rhetorischer Darstellung und philosophischer Stoßrichtung bzw. Romanisierung der griechischen Theorie nachzuweisen. Vgl. zum Spannungsverhältnis von Philosophie (Logik) und Rhetorik im Allgemeinen Gabriel 1997, 13–24, mit Blick auf die Antike Stroh 2011 und für einen Ausblick auf die Weiterentwicklung des Problems bis ins 12. Jahrhundert Kobusch 2016; vgl. für das Problem speziell bei Cicero v. a. Peetz 2000 und Peetz 2007.

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I. Einleitung

sen eingeübt hat und die ihm des Öfteren zum Sieg vor Gericht verhalfen, erscheint in seinen Philosophica unpassend. Gerade die Analyse der argumentativen Strukturen in De natura deorum hat Cicero als einen tendenziösen Autor erscheinen lassen, der seine Leser nicht objektiv informiert, sondern sie auf eine subtile Weise lenken und beeinflussen möchte.59 Wie lassen sich diese Beobachtungen jedoch mit Ciceros im Proömium geäußerten Anspruch in Einklang bringen, seine Leser mit den authentischen Ansichten der einzelnen Philosophenschulen zu konfrontieren60 und ihnen dadurch eine eigenständige Auseinandersetzung mit den verschiedenen Positionen zu ermöglichen? Anstelle einer objektiv-fairen Darstellung scheint es, als ob Cicero die Gewichte der einzelnen Schulen auf mehreren Ebenen ungleich verteilt hat und die Gewinner (Balbus bzw. die Stoa) und die Verlierer (Velleius bzw. die Epikureer) der philosophischen Debatte von vornherein feststehen. Indizien dafür liefern die innerdialogische Charakterisierung des jeweiligen Redners,61 der ihm für seine Darstellung zugestandene Umfang,62 der Überzeugungsgrad seiner Rede sowie die Schärfe der folgenden akademischen Widerlegung. Wie bereits bei der Frage nach den Prätexten und der Komposition der einzelnen Reden beobachtet, steht auch die Frage nach der Funktion der rhetorischen Ausgestaltung von De natura deorum in engem Zusammenhang mit den Fragen nach Ciceros Zielsetzung, seinen intendierten Rezipienten und seiner literarisch-philosophischen Eigenständigkeit bzw. Aufrichtigkeit, deren Beantwortung die eigentliche Analyse des Textes maßgeblich beeinflusst und daher im Vorfeld geklärt werden wird. 2. Leitthese: De natura deorum als skeptischer Dialog mit emanzipatorischer Zielsetzung Die vorliegende Arbeit hat es sich daher zum Ziel gemacht, die gerade umrissenen Brüche, Besonderheiten und Spannungen nicht nur zu sichten, sondern sie als intentionale rhetorisch-dialogische Gestaltungsmittel zu erklären, die nicht im Gegensatz zu Ciceros philosophischem Ansatz, sondern auf unterschiedliche Weise nachgerade im Dienste der skeptisch-emanzipatorischen Zielsetzung der Schrift stehen. Dieser

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Bei De natura deorum richtet sich die Kritik vor allem auf Ciceros Darstellung der epikureischen Lehre sowie auf deren allzu scharfe Kritik durch Cotta; vgl. besonders Schäublin 1990, Erler 1992, McKirahan 1996, Obbink 2001, Classen 2008, Erler 2012. Vgl. Cic. nat. deor. 1,13: Sed iam, ut omni me invidia liberem, ponam in medio sententias philosophorum de natura deorum. Vgl. bspw. Cic. nat. deor. 3,3 f., wo Cotta zunächst die epikureische Lehre abwertet und im Anschluss daran die stoische Lehre als kohärenten und ernstzunehmenden Beitrag würdigt. Während der Entfaltung der epikureischen Lehre nämlich nicht einmal ein halbes Buch zur Verfügung gestellt wird, nimmt die Darstellung der stoischen Position im zweiten Buch einen ungleich breiteren Raum ein.

2. Leitthese: De natura deorum als skeptischer Dialog mit emanzipatorischer Zielsetzung

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Ansatz fußt auf neueren Forschungsansätzen, welche Cicero sowohl in literarischer als auch in philosophischer Hinsicht eine ernstzunehmende Eigenleistung zutrauen,63 und setzt sich von den wirkungsmächtigen Fragestellungen der Vergangenheit ab, die Ciceros literarische wie philosophische Eigenleistung gering einschätzten und sich, von verschiedenen Seiten her kommend, in der defizitären Bewertung des Cicero-Textes einig waren. Deshalb möchte die vorliegende Arbeit eine alternative Lesart vorschlagen, die De natura deorum als kohärenten literarischen Text ernst nimmt und die inkriminierten Aspekte nicht als Fehler, Manipulationen oder Verzerrungen, sondern als ciceronische Gestaltungsmittel versteht, die mit Ciceros (philosophischer) Intention und Grundhaltung und den von ihm anvisierten Rezipienten harmonieren. Dass es sich hierbei nicht um eine Überhöhung des Schriftstellers und Philosophen Cicero handelt, soll der erste Teil der vorliegenden Untersuchung zeigen, der anhand einer Rekonstruktion der ciceronischen Produktions- und Rezeptionsbedingungen die Berechtigung dieser Lesart ausführlich begründet. Dabei soll zunächst gezeigt werden, dass die ältere Forschung im Fall von Ciceros Philosophica von teilweise allzu einseitigen Prämissen zu Ciceros Arbeitsweise und Vorbildung bzw. zu seiner Wirkungsabsicht und seinem intendierten Leserkreis ausgegangen ist. Aus diesem Grund soll den beiden Paradigmen der Vergangenheit (Cicero als dilettantischer compilator und Cicero als manipulativer orator) ein differenzierteres Bild gegenübergestellt werden, welches Cicero als einen Autor akzentuiert, dessen literarische und philosophische Leistung sich bei weitem nicht in der schnellen Übersetzung oder manipulativen Zusammenstellung griechischer Primärtexte erschöpft. Vielmehr soll Cicero als ein Autor vorgestellt werden, der nicht an einer neutralen philosophiehistorischen Darstellung und einer rein informierenden Vermittlung der verschiedenen hellenistischen Philosophenschulen interessiert war, sondern der souverän auf die Texte und Gedanken der hellenistischen Philosophenschulen zurückgriff und sie eigenständig für sei-

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Mit Blick auf die neuere Forschungsliteratur, die Cicero als philosophischen Autor ernst nimmt, soll für den Moment nur darauf hingewiesen werden, dass die vorliegende Arbeit den Ansätzen und Arbeiten von W. Görler, Cl. Auvray-Assayas und W. Süss maßgebliche Impulse verdankt. So hat Görler (vgl. v. a. Görler 1974) gezeigt, dass sich vermeintliche Widersprüche, Spannungen und Brüche innerhalb von Ciceros philosophischem Spätwerk als intentionale Gestaltungsmittel erklären lassen, mit deren Hilfe er unterschiedliche Plausibilitätsgrade und Erkenntnisstufen innerhalb eines Werkes abbildet. Cl. Auvray-Assayas hat De natura deorum in vielfacher Hinsicht über mehrere Jahrzehnte hinweg immer neuen Untersuchungen zugeführt. Ein besonders wichtiger Impuls für die vorliegende Arbeit haben ihre genaue Verortung Ciceros innerhalb der akademischen Skepsis sowie das Ernstnehmen des Cicerotextes jenseits der Quellenforschung geliefert. Zudem sei auch auf Süss 1952 hingewiesen, der seiner Zeit in vielerlei Hinsicht voraus war, indem er die vermeintlichen Brüche und Ungeschicklichkeiten der Schrift nicht auf einen schlecht kompilierenden Cicero zurückführt, sondern sie als „ganz raffiniert[e], in [ihrer] Wirkung wohldurchdacht[e] Kunstmittel“ (ebd., 430) erklärt, allerdings ohne sie mit der philosophischen Dimension der Schrift zu verbinden.

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I. Einleitung

ne eigenen Zielsetzungen einsetzte.64 Dabei soll keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass Cicero in größerem Umfang auf verschiedene Prätexte zurückgegriffen hat. Stattdessen soll anhand der methodisch valide nachgewiesenen Prätexte gezeigt werden, dass Cicero einen souveränen Umgang mit ihnen pflegte, sie bewusst auswählte und zudem derart modifizierte, dass sie mit seiner Zielsetzung harmonierten. Auf dieser Grundlage wird der Blick wieder auf De natura deorum gerichtet. Anhand des Proömiums von De natura deorum soll gezeigt werden, welche Hinweise Cicero selbst für das rechte Verständnis seiner Schrift gibt und auf welchen Ebenen er seine Leser zu einer gewinnbringenden Lektüre führen möchte.65 Die sich anschließende Untersuchung der dialogischen Rahmenpartie soll ihrerseits herausarbeiten, dass Cicero dort die direkten Leseanweisungen des Proömiums innerdialogisch übersetzt und als indirekte Lesehinweise aufgreift. Wenn im Anschluss daran die dogmatischen und skeptischen Reden analysiert werden und dabei allen voran die Grob- und Feingliederungen der einzelnen Redeteile, die verwendeten Begründungsstrategien und die Bezüge der Reden aufeinander im Zentrum des Interesses stehen, dann soll demonstriert werden, inwieweit und mit welchen literarisch-rhetorischen Mitteln Cicero diese Zielsetzungen erreicht. Dafür soll die Gattung des Dialogs ernst genommen und streng zwischen dem Autor Cicero einerseits und der dialogischen Szenerie und den Reden der Dialogfiguren andererseits unterschieden werden. Wenn im Folgenden der Schwerpunkt der Redenanalyse auf den beiden Reden des ersten Buches liegt, so hat dies mehrere Gründe. Zum einen ermöglicht hier die direkte Gegenüberstellung von dogmatischer und skeptischer Rede eine genauere Verhältnisbestimmung der beiden Redetypen, die im Falle des zweiten und dritten Buches durch die große Lücke innerhalb des dritten Buches vor allem dadurch erschwert wird, dass sich die skeptischen Widerlegungsreden nicht engmaschig an der jeweiligen dogmatischen Ausgangsrede orientieren, sondern ihrerseits Umstellungen und Neuponderierungen vornehmen. Zum anderen sind gerade für das zweite und dritte Buch bereits Untersuchungen erschienen, die die Grundlagen für eine philosophisch wie literarisch ausgewogenere Analyse gelegt haben, auf die hier zurückgegriffen werden kann. Für das erste Buch hingegen existiert noch keine zusammenhängende Analyse, die die epikureische Rede und die skeptische Gegenrede als ernsthafte Beiträge liest, mit deren Hilfe Cicero seinen Rezipienten die Ausbildung eines kritischen und poli64

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Vgl. dazu bspw. auch Erskine 2003, 6, wobei der dort aufgemachte Gegensatz zwischen „user“ und „participant“ hier nicht geteilt wird: „For all his writings Cicero was not a Hellenistic philosopher. […] He had his own perspective on philosophy. For Cicero philosophy should be useful and solve problems, an approach which we should be careful not to read back onto the Hellenistic schools. […] Essentially Cicero was more a user of philosophy than a participant.“ Vgl. dazu schon Fuchs 1959, 9 f., der Ciceros philosophisches Interesse richtig in der „Vergewisserung über die Möglichkeiten der Erkenntnis und d[em] Versuch, zu annehmbaren Meinungen über die Ordnung der Welt und über das richtige Verhalten des Menschen zu gelangen“, gesehen hat, ohne jedoch daraus die nötigen interpretatorischen Konsequenzen zu ziehen.

2. Leitthese: De natura deorum als skeptischer Dialog mit emanzipatorischer Zielsetzung

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tisch wie kultisch sensiblen Urteilsvermögens ermöglichen möchte. Dabei wird sich zeigen, dass sich gerade am ersten Redepaar die literarische Umsetzung von Ciceros philosophischer wie politischer Zielsetzung in besonders deutlicher Form zeigen lässt. Nichtsdestoweniger werden die Bücher zwei und drei exemplarisch für die Analyse der Schrift berücksichtigt, um die anhand des ersten Buches gewonnenen Erkenntnisse abzusichern und zu zeigen, dass es sich hierbei um literarische Darstellungstechniken handelt, die repräsentativ für das gesamte Werk sind. Auch an den zum Teil deutlichen Unterschieden zwischen den einzelnen Reden lässt sich dadurch eine komplementäre Gestaltung der Reden durch Cicero plausibilisieren, die eine hohe intentionale Kompositionsleistung nahelegt. Für die Analyse von De natura deorum wird im Folgenden ausführlicher als mancherorts üblich auf die drei zentralen Kommentare rekurriert, die sich dieser Schrift gewidmet haben. Dies liegt einerseits daran, dass die Kommentare zu De natura deorum jeweils einem ganz spezifischen Cicero-Bild verpflichtet sind, von dem sie sich bei der Deutung der einzelnen Passagen leiten lassen. So folgt der monumentale Kommentar von A. S. Pease 66, dessen kundige Sach- und Worterklärungen und Verweise auf Parallelstellen ihresgleichen suchen, in vielerlei Hinsicht den Prämissen der älteren Quellenforschung. Der neuere Kommentar von A. R. Dyck 67 beschränkt sich lediglich auf das erste Buch von De natura deorum; auch wenn er den Cicero-Text zwar in philosophischer Hinsicht ernster nimmt und vor allem viele weiterführende Einsichten zu dessen rhetorischer Gestaltung liefert, so ist er an vielen Stellen doch der Manipulationsthese verpflichtet und kommt zu Deutungen, die dem hier vertretenen Ansatz diametral entgegenstehen. Andererseits soll die Beschäftigung mit dem dritten Kommentar aus der Feder von O. Gigon 68 vor allem dazu beitragen, ihn überhaupt erst in den Forschungsdiskurs einzubringen. Dass es bislang zu keiner nennenswerten Auseinandersetzung mit ihm gekommen ist, ist wohl vornehmlich dessen Veröffentlichung als Anhang zur Tusculum-Ausgabe zu De natura deorum von O. Gigon und L. Straume-Zimmermann geschuldet. Auch wenn die Ausgabe tatsächlich ihre Schwächen besitzt,69 zeichnet sich der dort zu findende Kommentar dadurch aus, dass er eine durchgehend philosophiehistorische Kommentierung des Textes bietet und untersucht, inwiefern die Ausführungen der einzelnen Redner in den antiken Philosophiediskurs eingeordnet werden können und inwiefern es zu Verkürzungen, Abweichungen oder argumentativen Innovationen kommt. Die Stärke dieses Kommentars 66 67 68 69

Vgl. Pease 1955 (für Buch 1) und Pease 1958 (für Buch 2 und 3). Vgl. Dyck 2003. Da der Kommentar und die Übersetzung maßgeblich von O. Gigon verfasst worden sind und von L. Straume-Zimmermann lediglich für die Veröffentlichtung nochmals durchgesehen worden sind (vgl. dazu Kohl 1997, 199), erscheint der Kommentar im Folgenden als Gigon 1996. Als besonders problematisch sei an dieser Stelle nur auf die Druckfehler hingewiesen, die sich im lateinischen Text finden und die dem Preis dieser Ausgabe nicht angemessen sind. Vgl. bspw. oculus (S. 174 = Cic. nat. deor. 2,104) statt oculis oder haex (S. 176 = Cic. nat. deor. 2,106) statt haec.

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I. Einleitung

ist jedoch interpretatorisch zugleich auch seine größte Schwäche. So gelingt es ihm an vielen Stellen nicht, sich auf die Perspektive und Fragestellung des Dialogs einzulassen; stattdessen werden die Ausführungen der einzelnen Redner vor dem Hintergrund einer philosophiehistorischen Rekonstruktion der hellenistischen Philosophenschulen beurteilt und ciceronische Abweichungen oftmals schnell als Verflachungen, Missverständnisse oder niederschwellige Kürzungen beurteilt. Trotz dieser zum Teil anachronistischen Perspektive bietet der Kommentar wichtige Textanalysen und Erklärungen an, die im Folgenden diskutiert werden sollen. Auch die übrige Forschungsliteratur zu Cicero und seinen Philosophica soll überall dort, wo es angeraten scheint, kritisch gewürdigt werden – freilich ohne Anspruch auf enzyklopädische Vollständigkeit, die mit Blick auf die schier uferlose Cicero-Forschung der letzten 150 Jahre ohnehin nicht erreicht werden könnte.70 Zudem sollen auch Vergleiche mit anderen ciceronischen Philosophica im Verlauf der Einzelanalysen nicht nur kontrastiv zeigen, worin das Spezifische dieser Schrift zu sehen ist, sondern auch die Gemeinsamkeiten mit den anderen Dialogen Ciceros genauer beschreiben. Die so gewonnenen Erkenntnisse erlauben daher auch Rückschlüsse auf Ciceros literarisch-philosophische Technik. Auch soll danach gefragt werden, welche Rolle De natura deorum bei der Herausbildung eines dezidiert römischen Religionsdiskurses spielt71 und wie sich die Bedingungen, Mechanismen und Zielsetzungen des Akkulturationsprozesses beschreiben lassen, den Cicero durch den Transfer hellenistischer Denkmodelle in denjenigen Bereich des römischen Staates einleitet, der sich traditionell einer rationalen Durchdringung entzieht.72 Auf einem positiven Cicero-Bild fußend wollen die vorliegenden Studien damit einen Beitrag zur präziseren Beschreibung und Erklärung von Ciceros Schriften als philosophisch-politische Dialoge dezidiert römischer Couleur leisten.

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Erst nach Abschluss des Manuskripts wurde ich auf das neue Buch von J. P. F. Wynne aufmerksam gemacht (Cicero on the philosophy of religion. On the Nature of the Gods and On Divination, Cambridge 2019). Auch wenn eine detaillierte Auseinandersetzung mit Wynnes weniger philologisch als vielmehr philosophisch ausgerichteten Ansatz hier nicht erfolgen kann, scheint uns doch das Interesse daran zu einen, De natura deorum als einen dezidiert skeptischen Dialog ciceronischer Provenienz ernst zu nehmen, auch wenn Wynne dabei im Einzelnen zu anderen Ergebnissen zu kommen scheint. Den Leserinnen und Lesern liegen somit zwei voneinander gänzlich unabhängige, offensichtlich zeitgleich entstandene Deutungsvorschläge zu De natura deorum vor, die einen Beitrag zu einem neuen Verständnis der Schrift leisten möchten. Vgl. Goar 1978, Begemann 2012, Begemann 2013, MacRae 2016, Rüpke 2016 für die Frage nach dem Wechselverhältnis von römischer Kultpraxis und religionsphilosophischem Diskurs. Vgl. Cic. nat. deor. 3,5 f. für den Vorrang der auctoritas maiorum und der Erfahrung ihrer Wirksamkeit vor der rationalen Durchdringung kultisch-religiöser Phänomene.

II. Cicero und die Quellen: Zur Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedingungen Die Quellenforschung1 erwies sich über mehrere Jahrzehnte hinweg als maßgebliche Untersuchungsmethode für Ciceros philosophische Schriften, wobei manche Dialoge wie De natura deorum bei den Quellenforschern auf ein besonderes Interesse stießen. Deren Ergebnisse sowie Prämissen und Paradigmen haben nicht nur das Bild des Autors und Philosophen Cicero maßgeblich geprägt, sondern haben in vielen Fällen auch die Fragestellungen und Ansätze der nachfolgenden Forschergenerationen beeinflusst, auch wenn diese sich selbst nicht mehr der Quellenforschung verschrieben hatten. Ähnliches gilt für die Ciceroforschung benachbarter Disziplinen wie der Geschichtswissenschaft und der Philosophiegeschichte, deren Untersuchungen oftmals auf den Grundannahmen und Ergebnissen der Quellenforschung fußten und sie dadurch weitertransportierten.2 Auch heute werden die quellenkritischen Untersuchungen zu Ciceros Philosophica rezipiert und üben gerade mit dem hinter ihnen stehen1

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Terminologisch hat sich für diesen Methodenschritt kein einheitlicher Begriff durchgesetzt. Während in der biblischen Exegese die Frage nach den schriftlichen Quellen eines Textes meist unter dem Stichwort der Literarkritik diskutiert wird (vgl. Merk 1991, 223 zur Begriffsgeschichte; vgl. L. Schmidt 1991, 211 f. zur Abgrenzung der Literarkritik von der Redaktionsgeschichte, die sich – anders als die Literarkritik – nicht so sehr für die Rekonstruktion der einzelnen Quellen interessiert, sondern vor allem den z. T. komplexen redaktionellen Prozess von Quellenrekurs, Quellenadaption und Quellensynthese rekonstruiert), finden sich in der klassischen Philologie die synonym verwendeten Bezeichnungen „Quellenkritik“, „Quellenanalyse“ und „Quellenforschung“. Da sich letzterer Begriff (z. T. sogar in der internationalen Forschung als stehender, wenn auch meist negativ besetzter Begriff) in der klassischen Philologie etabliert hat und weniger häufig für die Quellenarbeit des Historikers verwendet wird (dort dominieren die anderen beiden Begriffe; vgl. zur Kritik der Quellenforschung als Methodenschritt innerhalb der Geschichtswissenschaft bspw. van Compernolle 1981), soll er im Folgenden überwiegend verwendet werden. Dass auch diejenigen Forscher, die sich im Zuge des Historismus von dem philhellenischen Genieparadigma des Neuhumanismus explizit distanziert hatten, sich in vielen Fällen in ihrer eigenen Forschung von diesem Ansatz nicht lösen konnten, zeigt bspw. Rebenich 2014, 420 f. anhand einer wissenschaftsgeschichtlichen Auswertung des Wirkens von Eduard Schwartz. Dass gerade die philosophiehistorische Forschung an einem von der Quellenforschung gezeichneten CiceroBild interessiert war, liegt daran, dass es ihr dadurch umso leichter gelingen konnte, aus seinem Œuvre die Positionen der hellenistischen Philosophenschulen zu rekonstruieren, ohne sich allzu lange bei Cicero selbst aufhalten zu müssen.

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II. Cicero und die Quellen

den Cicerobild einen immer noch nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die moderne Forschung aus, obwohl sie selbst in weiten Teilen mittlerweile auf eine Weiterführung quellenkritischer Untersuchungen verzichtet. Umso wichtiger ist es deshalb, diese implizite und oftmals unbemerkte Beeinflussung aufzuzeigen und zu prüfen, inwieweit die moderne Ciceroforschung den Prämissen und Arbeitsweisen der älteren Quellenforschung noch folgen kann und wo im Lichte neuer Erkenntnisse eine deutlichere Abgrenzung angezeigt ist. Im Folgenden soll daher gezeigt werden, dass sich die Quellenforschung im Falle von Ciceros Philosophica als eine problematische Untersuchungsmethode erwiesen hat; der vorliegende Ansatz unterscheidet sich deshalb nicht nur in der Fragestellung und Zielsetzung von den quellenkritischen Untersuchungen klassischer Provenienz, sondern möchte auch die hinter ihnen stehenden Prämissen offenlegen und ein alternatives Analyseinstrumentarium und Paradigma vorschlagen. Deshalb soll ein Rückblick auf die Arbeitsweise und die Ergebnisse der Quellenforschung zunächst deren methodische Probleme deutlich machen; sie sollen vor allem daran festgemacht werden, dass es der Quellenforschung nicht geglückt ist, tragfähige Methodenschritte zu etablieren, die konsensfähige Ergebnisse über die Art, die Anzahl und den Charakter der ciceronischen Prätexte erzielten. Nach der kritischen Würdigung des quellenkritischen Ansatzes soll ein differenzierteres Bild der ciceronischen Produktionsbedingungen gezeichnet werden, deren Rekonstruktion eine andere philologische Fragerichtung als die der Quellenforschung nahelegt. 1. Die Prämissen und Begründungslinien der älteren Quellenforschung Die Quellenforschung nimmt ihren Ausgangspunkt bei der Beobachtung, dass antike Autoren des Öfteren und aus verschiedenen Motiven in kleinerem und größerem Umfang auf Texte anderer Autoren rekurrieren, sich an diesen fremden Texten orientieren, sie teilweise sogar in ihren eigenen Text integrieren und sie damit nicht nur als Informationsquelle benutzen, sondern mit ihnen auch in ästhetischer Hinsicht in ein produktives Konkurrenzverhältnis treten.3 Die Quellenforschung zielt daher darauf ab, die Art, den Umfang und die Zielsetzung dieser Bezugnahme auf vorausgehende Texte im jeweiligen Einzelfall zu dokumentieren. Durch die Frage nach den einem Text zugrunde liegenden Prätexten4 und nach der Art und Weise ihrer Adaption 3 4

Mit Recht spricht daher Kaminski 1998, 238 vom imitativen Charakter weiter Teile der antiken Literatur. Der hier verwendete Prätext-Begriff soll zunächst rein deskriptiv die Beziehung eines Textes auf andere, ihm vorausgehende Texte bezeichnen, ohne dass damit bereits a priori eine Entscheidung über autorbezogene Intentionalität oder rezipientenbezogene Erkennbarkeit getroffen werden soll. Daher unterscheidet er sich von der Verwendung innerhalb der neueren Intertextualitätsforschung, die ihn deutlich enger definiert. Vgl. dazu etwa Pfister 1985, 23: „Prätexte […] sind nur

1. Die Prämissen und Begründungslinien der älteren Quellenforschung

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bzw. Integration leistet sie einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zu einer schärferen Profilierung eines Textes hinsichtlich seines historischen, literarischen und geistesgeschichtlichen Kontextes, um auf dieser Grundlage ein detaillierteres Bild über die verschiedenen Einflüsse auf den jeweiligen Text, über den Innovationswillen und die Zielsetzung des jeweiligen Autors und über die Rezeptionsmöglichkeiten der jeweils intendierten Leserschaft zeichnen zu können.5 Besonders dort, wo sie die Bezugnahme eines Autors auf Prätexte durch eine dezidierte Quellennennung im Text bzw. durch einen Vergleich mit seinen Prätexten methodisch kontrolliert nachgewiesen hat, konnte die Quellenforschung wichtige Erkenntnisse erzielen.6 Methodische Problematik. Gerade im Bereich der lateinischen Literatur erfreute sich die Quellenforschung als eigenständige philologische Fragestellung beachtlicher Beliebtheit. Die Dominanz quellenkritischer Untersuchungen resultierte dort vor allem aus der Einsicht, dass sich die lateinische Literatur maßgeblich anhand der Auseinandersetzung mit der griechischen Literatur entwickelt hat, sich in fast allen Gattungen und Themen auf griechische Vorgängertexte bezieht und ausgerechnet (und scheinbar paradoxerweise) in der Bezugnahme auf griechische Prätexte ihren Originalitätsanspruch behauptet.7 Jenseits der Einsicht in den imitativen Charakter der lateinischen Literatur sah sich die klassische Quellenforschung jedoch bei der konkreten Durchführung der quellenkritischen Analyse einzelner Texte mit einer Vielzahl von praktischen Problemen konfrontiert, welche die Suche nach den vermuteten Prätexten erschwerten. Eine der größten Schwierigkeiten resultierte aus dem Umstand, dass lateinische Autoren ihre Gewährsleute großenteils weder nennen noch im Text selbst explizit auf den Rekurs auf andere Texte hinweisen, sodass oftmals nicht nur die Her-

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solche, auf die der Autor bewußt, intentional und pointiert anspielt und von denen er möchte, daß sie vom Leser erkannt und als zusätzliche Ebene der Sinnkonstitution erschlossen werden.“ Vgl. zur positiven Würdigung einer so verstandenen Quellenforschung jüngst Schmitz 2015, 531 f. Mit Recht weist bspw. Schmitz 2015, 532 auf die Arbeit von G. Knauer („Die Aeneis und Homer. Studien zur poetischen Technik Vergils mit Listen der Homerzitate in der Aeneis“) hin, die eine instruktive Zusammenstellung der Parallelen zwischen Homer und Vergil bietet. Dass jedoch auch solchen Ansätzen, die um die Schwierigkeiten der Quellenrekonstruktion wissen und sich bemühen, diese methodisch zu berücksichtigen, enge Grenzen gesetzt sind, ist in vielen Fällen deutlich geworden; vgl. für Cicero e. g. Bringmann 1971, 138 (Anm. 3), der am Beispiel von Cic. fin. überzeugend gegen den Versuch argumentiert, aus Übereinstimmungen bei Cicero und anderen, späteren Philosophiehistorikern (wie Diogenes Laertios und Johannes Stobaios) eine gemeinsame doxographische Quelle zu erschließen. Mit Recht begründet er seine Kritik an der Rekonstruktion allzu einfacher Abhängigkeitsverhältnisse mit dem üblicherweise „tralatizisch weitergetragen[en]“ (ebd.) doxographischen Material. Auch in solchen Fällen sollte also nicht mit einfachen Abhängigkeitsverhältnissen gerechnet werden. Vgl. grundlegend Zintzen 1986, 18: „Die römische Literatur ist in einzigartiger Weise von ihrem Beginn bis zum Ende der Antike mit der griechischen Literatur rezipierend verbunden.“ Dass sich jedoch gerade in der Kaiserzeit auch Gegenbeispiele finden lassen, die zeigen, dass sich die lateinische Literatur gegenüber der griechischen nicht prinzipiell im Rezeptionsmodus befindet, lässt Zintzen außer Acht. Vgl. zudem auch Beck 2012 für einen nach Gattungen geordneten Nachweis der Rezeption griechischer Literatur in Rom.

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II. Cicero und die Quellen

kunft der vermeintlichen Prätexte unsicher blieb, sondern es auch fraglich war, wo der Rekurs im Einzelnen beginnt und endet, ja sogar ob der jeweilige römische Autor an der entsprechenden Stelle überhaupt auf Prätexte rekurriert. In den Fällen, in denen man von weitgehend unmarkierten Prätexten ausging,8 stützte sich die Forschung daher vornehmlich auf textimmanente Beobachtungen von kompositorischen Brüchen, inhaltlichen Inkohärenzen, Doppelungen, Auslassungen oder sprachlich-stilistischen Spannungen, die nicht als intentionale Gestaltungsmittel oder als bewusste Marker, sondern als unbeabsichtigt hinterlassene Nahtstellen verstanden wurden, welche auf das Einfügen und Zusammensetzen verschiedener Prätexte durch einen römischen Autor hinweisen würden. Den vermuteten Grad der Quellenabhängigkeit versuchte man durch eine Rekonstruktion der Produktions- und Rezeptionsbedingungen für einzelne Autoren und Werke jeweils eigens zu bestimmen. Weil den Interpreten in den meisten Fällen jedoch die jeweils vermuteten Prätexte überlieferungsbedingt für einen Abgleich nicht mehr zur Verfügung standen, ließen sich die so erzielten Ergebnisse der Quellenrekonstruktionen weder verifizieren noch falsifizieren. So kam es dazu, dass die einzelnen quellenkritischen Untersuchungen ganz unterschiedliche Vermutungen darüber anstellten, woran sich eine nicht-intentionale Nahtstelle erkennen und von einer Zitation, die der Autor intentional eingefügt hat und die der Leser als solche erkennen sollte, unterscheiden lässt. Auch über die Fragen, wo sich im Text Spuren von Prätexten finden ließen, auf welchen Autor sie zurückgeführt werden könnten, wie viele Quellen verwendet worden sind und in welchem Grad sie modifiziert worden sind, herrschte keine Einigkeit. Dies hatte zur Folge, dass die verschiedenen quellenkritischen Studien zu einem Werk in etlichen Fällen kein konsensfähiges Ergebnis erzielten. Definitorische Unschärfen. Neben diesem methodischen Grundproblem resultierten etliche Irrtümer der Quellenforschung daraus, dass sie nicht mit einem einheitlichen Quellenbegriff arbeitete. So fasste sie mit dem Begriff der „Quelle“ (oder mit verwandten Bezeichnungen) unterschiedliche literarische Prozesse und Praktiken zusammen und erschwerte durch eine begriffliche Unschärfe lange Zeit wichtige Unterscheidun-

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Vgl. zur Frage nach der Markierung von Prätexten die umfassende Studie von Helbig 1996, die u. a. auf Vorarbeiten von U. Broich (bswp. Broich 1985) fußt. Für die antike Literatur hat sich die Forschung vor allem für die Markierung von Zitaten und Anspielungen im Folgetext interessiert und vor allem jüngst wichtige Erkenntnisfortschritte erzielt; vgl. bspw. Schubert 2006 für die indirekte Markierung eines Zitates bzw. einer Anspielung aus einem poetischen Prätext in einem prosaischen Folgetext sowie die für Cicero besonders relevanten Arbeiten von Behrendt 2010 für die Markierungselemente von Zitaten mithilfe neuerer literatur- und kommunikationswissenschaftlicher Theorien sowie insbesondere für die Markierung von Zitaten in Cicero-Briefen (dazu sowohl in der Theorie als auch mit Blick auf die Anwendung bei den Cicero-Briefen viel ausführlicher Behrendt 2013); vgl. außerdem Tischer 2010 für die Möglichkeiten der Klassifizierung und Analyse antiker Zitate mithilfe neuerer literaturwissenschaftlicher Modelle sowie Tischer 2013, 412 f. für die Praxis der Zitatwiedergabe und -markierung in lateinischer Sachprosa.

1. Die Prämissen und Begründungslinien der älteren Quellenforschung

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gen.9 Diese Problematik zeigt sich unter anderem daran, dass oftmals nicht sauber unterschieden worden ist, ob man unter einer „Quelle“ diejenigen Texte versteht, denen der Autor eine eigene literarische Qualität beigemessen hat, sodass er mit ihnen in eine literarische Konkurrenz im Sinne der imitatio und aemulatio getreten ist, die von einem kundigen Rezipientenkreis erkannt und goutiert werden sollte, oder ob damit diejenigen Texte bezeichnet werden sollen, derer sich der Autor als bloße Informationsquelle bzw. als stoffliche Grundlage für seine eigene Darstellung bedient, um auf deren Grundlage sein eigenes Werk zu verfassen, ohne in diesem Rekurs einen genuinen Teil seiner literarischen Leistung zu sehen. Zur ersten Kategorie zählen diejenigen Prätexte, die einem Autor als nachzuahmendes, aufzugreifendes, zu adaptierendes oder zu korrigierendes Vor- und Urbild dienten und die er dennoch in entscheidenden Gesichtspunkten abänderte, um mithilfe dieser modifizierenden Bezugnahme sein eigenes Werk in souveräner Eigenständigkeit zu verfassen. Diese Art der Bezugnahme auf Prätexte ermöglicht es dem kundigen Rezipienten, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Text und Prätext zu entdecken und die Eigenleistung des Autors anzuerkennen. Zur zweiten Kategorie gehören diejenigen Prätexte, die der jeweilige Autor partiell-situativ oder umfassend-grundlegend als Informationsquelle oder Nachschlagewerk heranzog, um sich über spezifische historische Hintergründe, philosophische Detailfragen oder andere fachwissenschaftliche Themen zu informieren, ohne dass diese Texte von ihm in ihrer ästhetischen Form ernst genommen oder mit dem Ziel der Wiedererkennung in den eigenen Text integriert worden sind.10 Neben dieser ersten Unterscheidung, die auf die Intention des Prätextbezugs abzielt und einen eher rezeptionsorientierten von einem eher produktionsorientierten Rekurs unterscheidet, ließe sich zudem größere Klarheit verschaffen, wenn man den Prätextbezug konsequent

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Vgl. bspw. Schmitz 2015, 528–532 für eine Vielzahl von Begriffen am Beispiel der Vergilforschung („Nachahmung“, „Wetteifern“, „Tradition“, „Allusion“, „Intertextualität“, „reference“, „influence“, „Rezeption“, „Einfluss“, „Quelle“, „Übernommenes“, „Vorbilder“ etc.), mit denen der Rekurs eines Autors auf Prätexte oftmals inkohärent und ohne nähere Differenzierung beschrieben worden ist. Vgl. für eine begriffliche und sachliche Differenzierung immer noch Reiff 1959, der auf der Grundlage antiker Begrifflichkeiten zwischen interpretatio (wörtliche Übersetzung meist geringeren Umfangs), imitatio (Übernahme einer Passage unter Beibehaltung entweder ihrer inhaltlichen oder sprachlichen oder stilistischen Dimension) und aemulatio (modifizierende Übernahme einer Passage mit dem Ziel der Überbietung) unterscheidet. Auch Zintzen 1986, 18 schlägt eine Unterscheidung nach Grad und Umfang der Textübernahme vor und unterscheidet dabei zwischen einer „direkte[n] Vorlage, […] Orientierungsmarke, an der man sich ausrichtet“ und einem „Fundus, aus dem man einzelne Motive schöpft“. Neben diesen beiden möglichen Hauptformen sind auch Mischformen denkbar, die auch für Cicero zu prüfen sind; so könnte ein Autor intensiv an für ihn ästhetisch und strukturell wichtigen Prätexten arbeiten, sie modifizieren, erweitern und kürzen, ohne dass er damit notwendigerweise die Absicht verbindet, dass das Publikum dies erkennen und an dieser Form der intertextuellen Kunst seine Freude haben soll. Dieser Mischtyp würde also einen produktionsästhetisch relevanten, rezeptionsästhetisch jedoch irrelevanten Bezug auf Prätexte implizieren.

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II. Cicero und die Quellen

auch danach unterscheiden würde, in welchem Umfang (großflächig vs. punktuell11) er stattgefunden hat, welche Dimension des Prätextes (einzelne Gedanken, größere Strukturen, sprachliche Wendungen, stilistische Besonderheiten etc.) übernommen, welche abgeändert worden ist und wodurch der Prätextrekurs vom Autor (dezidiert vs. verdeckt) markiert worden ist. Im Fall der Ciceroforschung zielte die Quellenforschung unabhängig von den im Einzelnen verwendeten Begriffen meistens einseitig auf die von Cicero vor allem aus Informationsgründen herangezogenen Prätexte ab. Sie suchte nach schriftlich fixierten Prätexten größeren Umfangs, die Cicero ohne größere Überarbeitung und ohne dezidierte Markierung als Grundlage seiner eigenen Darstellung verwendet habe und die vom Leser nicht als Prätexte erkannt werden sollten, ja die aufgrund der fehlenden philosophischen Bildung der Rezipienten und der fehlenden Markierung der Prätexte auch gar nicht als solche erkannt werden konnten. Ciceros Rekurs auf Prätexte sollte daher nicht zum Ziel gehabt haben, mit den griechischen Texten in eine literarische oder philosophische Konkurrenz zu treten, sondern Cicero ausreichend zu informieren und in die Lage zu versetzen, einem unkundigen Publikum die hellenistischen Philosophenschulen bekannt zu machen. Die ciceronischen Prätexte, nach denen die Forschung lange Zeit suchte, unterscheiden sich somit nicht nur von den Prätexten, auf die ein Autor mit dem Anspruch auf Eigenständigkeit rekurriert, sondern auch vom Zitat, das nur geringen Umfang aufweist und oftmals durch eine deutlichere Markierung als solches leichter erkannt werden kann.12 Die klassische Quellenforschung

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Eine Sonderform des punktuellen, dabei jedoch alle Bereiche des Prätextes übernehmenden und meist mehr oder weniger deutlich markierten Rekurses auf Prätexte stellt das Zitat dar. Die Zitatforschung hat bald eigene Wege beschritten und sich von der Quellenforschung gelöst. Dennoch lassen sich etliche wissenschaftsgeschichtliche Parallelen zwischen der Zitat- und der Quellenforschung erkennen. Während klassische Fragestellungen sich den Zitaten vor allem aus editorischem Interesse genähert haben und sie als indirekte Überlieferungsträger zur Gewinnung und Sicherung der Textkonstitution herangezogen haben, widmen sich neuere, literaturwissenschaftlich orientierte Studien vor allem der Frage nach der Zitatmarkierung, der Genauigkeit der Zitation (Zitation vs. Anspielung) und der Auswahl und der Funktion des Zitats innerhalb seines neuen Kontextes. Im Fall von Cicero ist der Quellen- und der Zitatforschung gemein, dass die ältere Forschung in beiden Fällen darauf abzielte, die dahinter stehenden Prätexte zu sichern; so werden die Zitate, die sich in Ciceros Philosophica finden, in vielen Fällen als Fragmente des altrömischen Dramas herangezogen, um so einen präziseren Eindruck von der altlateinischen Komödie oder Tragödie zu gewinnen. Vgl. zum Zitat in Ciceros Philosophica, seiner Funktion in den philosophischen Argumentationsgängen und der Frage nach der Kenntnis von dessen Ursprungskontext beim Publikum grundlegend Jocelyn 1973 und Spahlinger 2005, der auch neuere literaturwissenschaftliche Fragestellungen in seine Untersuchung integriert, sowie Behrendt 2013 für Ciceros Briefe. Freilich kommt es auch beim Zitat vor, dass eine Markierung durch den Autor unterbleibt. So untersucht bspw. v. Möllendorff 2010 anhand von Lukian den Fall einer bewussten Nichtmarkierung eines Zitats, die den gebildeten und nach anspruchsvoller Lektüre verlangenden Leser zu dessen Identifizierung anregen soll. Darüber hinaus widmet sich auch Tischer 2013 am Beispiel von Gellius’ Rekurs auf Ciceros Homerzitation in De gloria der Frage nach richtigem und falschem

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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nimmt im Fall von Cicero zudem an, dass er einzelne Prätexte nicht so sehr zur Orientierung und zur Gewinnung eines sachlichen Überblicks vor dem Verfassen eines philosophischen Dialogs oder als Korrektiv und Überprüfungshilfe nach dessen Verfassen herangezogen habe, sondern den Prätext nahezu unverändert ins Lateinische übertragen und – von der Übersetzung und ggf. Kürzung abgesehen – keiner größeren Modifikation unterzogen hat.13 Folgerichtig galten Ciceros Philosophica daher lange Zeit nicht als ernstzunehmende Literatur, sondern als Fachschriftstellerei, die jenseits der Information eines unkundigen Publikums mithilfe einer informationsdienlichen rhetorischen Gestaltung keine überschießende ästhetische Komponente besitzt.14 Als eigentlich wertvolle Literatur galten Ciceros hellenistische Prätexte, die man aus dem Cicerotext so weit als irgend möglich wiederzugewinnen erhoffte.15 2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung Im Folgenden soll ein Gegenvorschlag unterbreitet werden, der die Frage nach den ciceronischen Produktionsbedingungen, allen voran die Frage nach dem Verhältnis Ciceros zu seinen Prätexten, anders beantwortet als die ältere Quellenforschung. Dafür sollen vor allem Ciceros Selbstaussagen zu seinen Prätexten ausgewertet und neu interpretiert werden. Gerade weil mit ihrer Hilfe auch ein mechanistisches Quellenmodell und ein defizitäres Bild der ciceronischen Produktionsbedingungen etabliert werden konnten, soll mithilfe einer genaueren Verortung der Passagen innerhalb ihres Kontextes und einer stärkeren Berücksichtigung ihrer jeweiligen argumentativen Zielsetzung eine alternative Erklärung der einzelnen ciceronischen Aussagen vorgeschlagen werden.

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Zitieren und weist dabei auf die Gemeinsamkeiten, aber auch auf die Unterschiede zwischen antiker und moderner Zitationspraxis hin. Vgl. Boyancé 1936 zum Cicero-Bild der älteren Quellenforschung vornehmlich deutscher Provenienz: „On est plus éloigné de considérer le travail de Cicéron comme une simple mosaïque, plus ou moins réussie, de traductions.“ (ebd., 293) Dass die Methode der Quellenkritik, die den Cicerotext zunächst und primär mit einem Interesse an den ciceronischen Prätexten untersucht, zu bedenklichen Ergebnissen führt, zeigt Boyancé 1962 am Beispiel des zweiten Buches von De natura deorum auf. Auch Zintzen 1986, 15 f., der ansonsten ein differenziertes Urteil zu den einzelnen Spielarten der römischen Rezeption aufweist, klammert die Philosophie bewusst aus und scheint sie nicht im selben Maße als Literatur ernst zu nehmen wie andere Texte. Kritisch zu beurteilen ist seine Bewertung der ciceronischen Philosophica als „Versatzstücke griechischer Philosophie“ (ebd. 30). Vgl. für den geistesgeschichtlichen Hintergrund der Quellenforschung, der eine Erklärung für die Höherschätzung der griechischen „Originale“ bietet, meinen im Erscheinen begriffenen Beitrag („Ciceros De natura deorum und die deutsche Quellenforschung. Wissenschaftsgeschichtliche Überlegungen zu einer problematischen Verbindung“) im Sammelband „Zwischen Skepsis und Staatskult. Neue Perspektiven auf Ciceros De natura deorum“ (hrsg. von Christopher Diez und Christoph Schubert).

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II. Cicero und die Quellen

a) Ciceros proömiale Aussagen (fin. 1,6) zum eigenen Quellengebrauch Dass Cicero sein philosophisches Werk in Auseinandersetzung mit verschiedenen Prätexten verfasst hat, kann als unbestritten gelten. Doch um welche Art von Quellenrekurs handelt es sich hierbei? Anhand von Ciceros Proömien lässt sich feststellen, wie Cicero selbst den literarischen Wert seiner Philosophica einschätzt. Im Proömium zum ersten Buch von De finibus bonorum et malorum verteidigt Cicero sich gegen Vorwürfe, die seine philosophische Schriftstellerei betreffen. Neben einer zweifachen, auf der Sachebene liegenden Kritik an einer (übermäßigen) Beschäftigung mit der Philosophie als solcher, welche die wohl in weiten Teilen der römischen Oberschicht verbreitete Skepsis gegenüber der griechischen Philosophie wiedergibt,16 grenzt Cicero sich von zwei weiteren Vorwürfen ab, die seine dezidiert literarische Beschäftigung mit der Philosophie betreffen. Er verteidigt sich dabei einerseits gegen die Kritik, die auf seine lateinische Umsetzung eines als genuin griechisch empfundenen Genres abzielt. Andererseits thematisiert er den Tadel, den ihm seine Fokussierung auf dieses eine literarische Genre einbringen könnte. Es gilt also, sich insgesamt mit vier Vorwürfen auseinanderzusetzen.17 Cicero gliedert diese anticipatio möglicher bzw. schon geäußerter Kritik nach zwei Prinzipien. Neben der paarartigen Hauptgliederung, die die zusammengehörenden Themengebiete auch gemeinsam behandelt – zunächst führt Cicero die zwei gegnerischen Argumente gegen das Philosophieren an sich auf, im Anschluss daran die zwei Argumente, die sich gegen sein literarisch ausgelebtes Philosophieren richten  – besteht zwischen diesen beiden Blöcken eine kreuzartige Verbindung. Der erste und der dritte Kritikpunkt äußern jeweils Bedenken grundsätzlicher Art, sei es gegen das Philosophieren an sich, sei es gegen Sinn und Zweck einer Übertragung griechischer Philosophica ins Lateinische; der zweite und der vierte Einwand zielen auf die Intensität und Quantität des Philosophietreibens ab, indem sie die einseitige bzw. übermäßige Fokussierung auf die Philosophie als solche sowie auf die Produktion ausschließlich philosophischer Bücher in den Blick nehmen. Sowohl in der Abfolge der beiden Hauptvorwürfe als auch in der Abfolge der jeweiligen Unterpunkte schreitet Cicero also vom Allgemeinen zum Speziellen und schafft dadurch die Grundlage für seine eigene Widerlegung der vier Kritikpunkte.

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Neben der grundsätzlichen Kritik am Philosophieren wird die intensive Tätigkeit des Philosophierens kritisiert, welches an sich, si remissius agatur (Cic. fin. 1,1), akzeptiert werden könnte. Vgl. Cic. fin. 1,2 f. für Ciceros Widerlegung dieser beiden Vorwürfe. Komplementär zu diesem apologetischen Proömium im ersten Buch von De finibus entwirft Cicero im Proömium zum ersten Buch der Tusculanen in positiver und umfassenderer Weise eine Würdigung der römischen Kulturgeschichte, mit deren Hilfe er den römischen Primat begründen möchte. Vgl. zum Tusculanenproömium bspw. Bringmann 1971, 102 f. und Gildenhard 2007, 89–156.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Für die hier verhandelte Fragestellung ist vor allem Ciceros Widerlegung des dritten Kritikpunktes relevant. Zunächst gibt Cicero in größerer Allgemeinheit die Kritik gebildeter Leser wieder (1,1): Erunt etiam, et ii quidem eruditi Graecis litteris, contemnentes Latinas, qui se dicant in Graecis legendis operam malle consumere.

Bezeichnenderweise beschränkt er in einer explikativen Apposition sogleich den Bereich, in dem solche Kritiker als eruditi bezeichnet werden können, auf das Gebiet der griechischen Literatur und charakterisiert sie dadurch als gegenüber dem Lateinischen wenig aufgeschlossen. Damit legt er bereits in die Beschreibung seiner Kritiker die Grundlage seiner anschließenden Widerlegung. Ciceros Gegenargumentation richtet sich im Folgenden nämlich zunächst gegen die eruditi selbst, indem er in zweifacher Weise deren Bildung und somit auch deren Berechtigung, Kritik zu äußern, anzweifelt. Die oftmals von ihm beobachtete Diskrepanz dieser eruditi, die das Griechische bei gewichtigen literarischen Themen bevorzugen, das Lateinische hingegen stillschweigend nur bei einfachen Geschichtchen (fabellas) gelten lassen,18 will Cicero so nicht stehen lassen: Wem die Medea des Euripides gefalle, der könne Ennius’ Bearbeitung desselben Stoffs nicht kategorisch ablehnen. Ciceros Kritik setzt somit bei dem Umstand an, dass die lateinische Bearbeitung wichtiger Stoffe von solchen Kritikern von vornherein, und d. h. ohne fundierte Prüfung, ablehnt wird. Syntaktisch ist diese Passage stark von Ciceros rhetorischen Fragen geprägt, die die Fragwürdigkeit einer derartig vorurteilsbelasteten Haltung zum Ausdruck bringen. Anschließend stimmt er im Sinne einer aus gerichtlichem Kontext bekannten concessio dem Schein nach zunächst der These der eruditi zu, der zufolge es sich gerade bei lateinischen Übersetzungen um epigonale Produkte von niedrigem Wert handele. Selbst dann jedoch müsse ein gebildeter Mensch diese Übersetzungen zumindest wahrnehmen, um sich auf einer angemessenen Weise am Diskurs beteiligen zu können.19 Cicero gelingt es dadurch, seine Kritiker zweifach zu desavouieren, noch bevor er ihrer Kritik an seinem eigenen Werk überhaupt substantiell begegnet. Dem Leser wird dadurch gleich zu Beginn die Fragwürdigkeit dieses Kritikpunktes aufgezeigt. Die Schuld an einem negativen Urteil über lateinische Literatur, die in einem engen Konnex zu ihren griechischen Vorbildern steht, liege, so die Quintessenz der Passage, nicht am literarischen Schaffen des jeweiligen Autors, sondern an den Vorurteilen der Rezipienten.

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Vgl. Cic. fin. 1,4. Ganz anders argumentiert Cicero in Tusc. 2,7, wo er selbst die Lektüre anderer lateinisch schreibender Philosophen ablehnt, da deren Bücher ohne jeden sprachlich-stilistischen oder kompositorischen Schmuck verfasst worden seien. Der situative Argumentationsrahmen ist dort ein anderer, da es Cicero in Tusc. 2,7 um eine konkrete Polemik gegen konkurrierende philosophische Schriftsteller geht.

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II. Cicero und die Quellen

Geschickt leitet Cicero im Folgenden zur Rechtfertigung seiner eigenen literarischen Produktion in lateinischer Sprache über, indem er seine Werke zunächst entschieden von Übersetzungen im größeren Stil abgrenzt und seinen schriftstellerischen Eigenanteil höher gewichtet. Vor diesem Hintergrund wird ersichtlich, wieso sich Cicero im Vorfeld überhaupt länger beim Phänomen der Übersetzungen aufgehalten hat. Indem er nämlich sogar ihnen eine Existenzberechtigung und einen eigenen literarischen Wert beimisst, kann er mithilfe eines a minore ad maius-Schlusses seine eigenen Werke umso einfacher und überzeugender als ernstzunehmende Produkte herausstellen, da sie sich von einfachen Übersetzungen in vielerlei Hinsicht unterscheiden und sie von den Vorwürfen überhaupt nicht betroffen sind, die den Übersetzungscharakter weiter Teile der lateinischen Literatur betreffen (1,6): Quid? si nos non interpretum fungimur munere, sed tuemur ea, quae dicta sunt ab iis, quos probamus, eisque nostrum iudicium et nostrum scribendi ordinem adiungimus, quid habent, cur Graeca anteponant iis, quae et splendide dicta sint neque sint conversa de Graecis?

Cicero nimmt hier, was seine literarisch-philosophische Eigenleistung angeht, eine Mittelposition ein. So grenzt er sich nach unten von bloßen Übersetzungen ab, da er nur einzelne, herausragende Passagen v. a. aus den Werken des Platon und Aristoteles wörtlich ins Lateinische übertragen möchte.20 Nach oben grenzt er sich im Anschluss von der vollkommen eigenständigen Erschaffung eines neuen philosophischen Systems ab, da er eine solche Neuschöpfung, auch für griechisch schreibende Philosophen, innerhalb der schon vorhandenen Schultraditionen für nicht mehr möglich hält.21 Seine eigene Leistung verortet er hingegen auf drei verschiedenen Ebenen. Inhaltlich geht es ihm um eine bewusste und eigenständige Auswahl geeigneter Gedanken und deren sachgemäße inhaltliche Wiedergabe,22 kompositorisch um deren kunstvolle, argumen-

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Vgl. Cic. fin. 1,7; Görler 1994, 1027 betont, dass Cicero also bis zur Veröffentlichung von De finibus die Möglichkeit einer solchen Übersetzung bestimmter Einzelstellen aus Platon und Aristoteles noch nicht genutzt habe: „Das heisst: Keine der bislang vorliegenden Schriften ist eine Übersetzung.“ Vgl. Cic. fin. 1,6, wo dies wiederum mit etlichen rhetorischen Fragen hervorgehoben wird. Mit Recht betont Bringmann 1971, 106, dass sich Cicero hier mithilfe der verwendeten forensischen Sprache als treuer „Sachwalter“ (ebd.) inszeniert, der die jeweiligen Positionen mit eigenem kritischen Urteil und in der ihm einleuchtenden Reihenfolge so darstellt, dass er dem Dargestellten gerecht wird und dem Leser kein Zerrbild präsentiert. Woolf 2015, 127 bemerkt, dass Cicero sich im Proömium an dieser Stelle nur auf diejenigen Philosophenschulen zu beziehen scheint, die er selbst für gut befunden hat, und erst in der dialogischen Überleitung explizit auch diejenigen Philosophenschulen erwähnt, die nicht seine persönliche Billigung gefunden haben (vgl. Cic. fin. 1,12: Nos autem hanc omnem quaestionem de finibus bonorum et malorum fere a nobis explicatam esse his litteris arbitramur, in quibus, quantum potuimus, non modo quid nobis probaretur, sed etiam quid a singulis philosophiae disciplinis diceretur, persecuti sumus.) Allerdings scheint in Cic. fin. 1,6 und 1,12 ein unterschiedlicher Gebrauch von probare vorzuliegen, der formal bereits durch die Diathese des Verbs angezeigt wird. Die Gegenüberstellung in Cic. fin. 1,12 zwischen den Aussagen der Philosophen, die im Folgenden dargestellt werden sollen, und Ciceros persönlicher philosophi-

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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tative und dialektische Anordnung und stilistisch-sprachlich um eine dem Gedanken und der Intention des Werkes angemessene und einladende Formulierung. Gerade in diesem letzten sprachlich-stilistischen Bereich sieht er mit Blick auf seine eigene oratorische Erfahrung das Lateinische dem Griechischen gegenüber im klaren Vorteil.23 Diesen Ausführungen kann auch jenseits ihres ursprünglichen Kontextes eine programmatische Dimension zugesprochen werden. So finden sich erstens vergleichbare Überlegungen auch in anderen Vorworten wieder. Im Proömium zu De officiis beispielsweise gebraucht Cicero fast dieselben Worte, um seinen eigenen literarischen und philosophischen Beitrag zu bestimmen (1,6):24 Sequimur igitur hoc quidem tempore et hac in quaestione potissimum Stoicos, non ut interpretes, sed, ut solemus, e fontibus eorum iudicio arbitrioque nostro, quantum quoque modo videbitur, hauriemus.

Hier wie dort charakterisiert er sein literarisches Schaffen dadurch, dass er sich einerseits von der Tätigkeit des Übersetzers (interpres) abgrenzt und andererseits seine Eigenleistung vor allem in der bewussten Auswahl, kritischen Sichtung und eigenständigen Beurteilung (iudicio arbitrioque nostro) der philosophischen Tradition sieht.25 Cicero beschreibt sein Vorgehen in beiden Fällen also im Rahmen seiner skeptischprüfenden Haltung, verlagert jedoch die Gewichte, welche philosophische Schule im Fokus steht, je nach dem zu untersuchenden Gegenstand und der damit verbundenen Zielsetzung, und passt dementsprechend auch die jeweils gewählte Gattung dieser Zielsetzung an; vor diesem Hintergrund überrascht es weit weniger, dass Cicero für De officiis nicht auf die Gattung des skeptischen Dialogs, sondern des skeptisch gefärbten, aber stoisch ausgerichteten Traktats zurückgreift. Zum zweiten plausibilisiert der Blick auf die individuellen Produktionsbedingungen der ciceronischen Philosophica die in Cic. fin. 1,6 vertretene Auffassung. Die drei

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scher Einschätzung macht deutlich, dass probare hier als dezidiert skeptischer Terminus verwendet wird, mit dem Cicero auch andernorts sein vorsichtiges, ausgewogenes Urteil bezeichnet (vgl. TLL 10,2,1466,57 ff. zur Bezeichnung eines persönlichen Urteils mithilfe der Formulierung aliquid mihi probatur i. S. v. aliquid mihi placet, gratum est). In ersterem Fall (1,6) liegt keine eindeutig skeptische Färbung des Begriffs vor; vielmehr liegt es nahe, ihn in seiner landläufigen Verwendung (vgl. TLL 10,2,1463,9 f. s. v. probo) als Billigung derjenigen Positionen zu verstehen, die der philosophischen ratio entsprechen und dementsprechend ernst zu nehmen und zu beachten sind. Vgl. Cic. fin. 1,10. Vgl. darüber hinaus u. a. auch noch Cic. Tusc. 1,6 f., wo Cicero seine Tätigkeit mithilfe der Verben disponere und inlustrare ähnlich umschreibt und ebenso auf den Konnex von Rhetorik und Philosophie eingeht (dazu auch Cic. Or. 9–12); vgl. auch Tusc. 2,5–9 zu Ciceros Haltung und Leistung. Neben dieser hohen Übereinstimmung liegt ein gewichtiger Unterschied zu De finibus in der hier bereits im Proömium festgesetzten Entscheidung, im Falle von De officiis vor allem der stoischen Position zu folgen, dies aber eben nur so weit, wie er es für plausibel und seinem Interesse zuträglich einschätzt; in De finibus bonorum et malorum werden dagegen die Positionen dreier Philosophenschulen hinsichtlich ihrer Einschätzungen über eine strittige Einzelfrage verglichen, ohne eine Präferenz schon im Voraus zu äußern.

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II. Cicero und die Quellen

dort dargestellten Ebenen bilden den rhetorisch-literarischen Rahmen, in dem Cicero seine Eigenständigkeit verstanden wissen möchte und wofür er auch auf die nötige Erfahrung zurückgreifen kann. Sie können ihrerseits nämlich als literarische Umsetzung der ersten drei Arbeitsschritte verstanden werden, die traditionell bei der Erstellung einer antiken Rede befolgt werden und über die Cicero sich neben der häufigen Anwendung in seiner forensischen Praxis ausführlich auch theoretisch im zweiten und dritten Buch von De oratore geäußert hat.26 Zunächst geht es darum, sich den geeigneten Stoff nach dem Gesichtspunkt der probabilitas auszusuchen (inventio), dann um dessen sach- und zielgemäße Ordnung in Form einer durchdachten Komposition (dispositio)27 und schließlich noch um die konkrete stilistisch-sprachliche Ausformulierung der jeweiligen Gedanken (elocutio).28 Das, was Cicero als Redner und Rhetor in herausragender Weise beherrscht, kann er nun auch in einem neuen Kontext für die Produktion seiner philosophischen Werke anwenden. Berechtigterweise betont W. Süss daher die organische Verbindung des Advokaten Cicero mit dem Philosophen Cicero, genauer gesagt mit Cicero als Adepten Philons, der das Prinzip des in utramque partem disserere sowohl juristisch als auch philosophisch beherrscht.29 Drittens: Die Rezeptionsbedingungen in der zweiten Hälfte des ersten Jahrhunderts vor Christus zeichnen sich dadurch aus, dass Ciceros Leser in aller Regel selbst einen fundierten Rhetorikunterricht genossen haben, der seit dem zweiten Jahrhundert vor Christus für die römische Oberschicht den Abschluss des dreigliedrigen Schulsystems aus Elementar-, Grammatik- und Rhetorikunterricht bildete30 und das praktisch ausgerichtete, traditionelle tirocinium fori ergänzte. Eine grundständige philosophische Bildung wurde dabei mehr und mehr mit dem Rhetorikunterricht verbunden,31 auch wenn die Philosophie anfangs lediglich als Lieferantin eines geeigneten Übungsmaterials diente. Ciceros Leser waren somit einerseits großenteils in der Lage, eine vor allem stilistisch aufbereitete Darstellung in ihrer rhetorischen Dimension wahrzunehmen und goutieren zu können und philosophische Grundbegriffe in ihrem Zusam-

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Vgl. bspw. Fuhrmann 2005, 52–60 zu De oratore. Selbst Hirzel 1877, 21 als Vertreter einer konservativen Ausrichtung der Quellenforschung traut Cicero immerhin die „selbständige Anordnung des von Andern entlehnten Stoffes“ zu. Vgl. Brandt 1985, 547, der diesen Gedanken in nuce, jedoch lediglich mit Blick auf die ersten beiden Schritte der inventio und der dispositio und ohne dezidierten Bezug auf Cicero formuliert hat. Auch Fuchs 1959, 11 f. geht auf die innere Verbindung zwischen Rhetorik und Philosophie bei Cicero ein. Und Görler 1994, 1028 betont den „urbanen Glanz“ der ciceronischen Dialoge, der vor allem beim Vergleich mit den „uns vorliegenden spärlichen Fragmente[n] von Abhandlungen hellenistischer Philosophen“ ins Auge fällt. Vgl. Süss 1952, 419 ff. Vgl. Fuhrmann, 2005, 43–48, der den Einzug der rhetorischen Ausbildung aus Griechenland nach Rom skizziert und betont, dass der Rhetorikunterricht auch Grundkenntnisse in der hellenistischen Philosophie vermittelte (vgl. ebd., 43 f.); vgl. auch Christes 1997, 50–56 für die verschiedenen Bildungsphasen innerhalb der römischen Republik. Vgl. Fuhrmann 2005, 43 f.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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menhang zu verstehen. Andererseits waren römische Leser dieser Zeit schon imstande, Ciceros hohen Selbstanspruch auch philosophisch überprüfen zu können. Cicero hätte sich daher höchstwahrscheinlich nicht allzu weit davon entfernen dürfen, ohne Gefahr zu laufen, genau hierfür von Mitgliedern der römischen Bildungselite kritisiert zu werden. Der Erweis, dass es sich bei Ciceros Werken lediglich um übersetzte Kopien griechischer Bücher handele – ein Erweis, der für Ciceros Zeitgenossen aufgrund der damals noch verfügbaren Referenztexte mit größerer Leichtigkeit möglich gewesen wäre – wäre Ciceros Ruf mehr als abträglich gewesen. Dennoch muss man diese auf einem argumentum e silentio beruhende Schlussfolgerung mit Vorsicht behandeln. Denn aus der Tatsache, dass es (heute) keine Zeugnisse (mehr) über zeitgenössische Kritik an Ciceros literarischer Leistung bei seinen Philosophica gibt, kann nicht ohne Weiteres geschlossen werden, dass sich Cicero im Großen und Ganzen an seine eigenen Vorgaben gehalten hat, da antike Plagiatsjäger dies andernfalls kritisiert hätten. So kann nicht mit Sicherheit konstatiert werden, dass das Fehlen derartiger Nachrichten in einem ursächlichen Zusammenhang mit der zu beweisenden These steht. Die Tatsache (heute) fehlender Kritik könnte nämlich auch auf den überlieferungsbedingten Verlust solcher Quellen zurückgeführt werden. Um größere Plausibilität zu gewinnen, muss dieses Argument daher weiter unterfüttert werden, beispielsweise durch den Verweis auf die durchgehend positive Rezeption der ciceronischen Philosophica. Während Cicero als Person, als Politiker und als Poet bereits unter seinen Zeitgenossen umstritten war, genießen neben den Reden gerade seine philosophischen Schriften hohe Zustimmung.32 Vor allem deren literarisch hochwertige Dimension wird später unter anderem von Quintilian und Laktanz hervorgehoben, die Cicero mit Blick auf die Art und Weise seiner Dialoggestaltung als legitimen Nachfolger Platons kennzeichnen.33 Auch unterscheidet sich die antike Beurteilung von Ciceros Quellengebrauch, die von der älteren Quellenforschung oftmals vernachlässigt worden ist, auffallenderweise stark von ihrer modernen Beurteilung. So kann Plinius d. Ä., der selbst durch den akkuraten Verweis auf (Haupt-)Quellen unter allen anderen römischen Schriftstellern hervorragt,34 in der praefatio zu seiner Naturalis historia Cicero als Musterbeispiel für einen Autor nennen, der in vielen Fällen zumindest die entscheidende Hauptquelle nennt.35 Vergleicht man Ciceros Art der referentiellen Transparenz mit Schriftstellern wie Tacitus, die in vergleichbarer Weise ihrerseits auf historische Quellen angewiesen sind, um auf deren Grundlage ihr literarisches Werk zu formen, ihre

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Vgl. Becker 1957, 90 f. Vgl. bspw. Zoll 1962, 12–21 für die Zeugnisse bei Quintilian und Laktanz. Vgl. v. Albrecht 2003, 1004. Vgl. Plin. nat., praef. 22; Plinius verweist hier auf drei Werke, in denen Cicero seine Hauptquelle offenlegt, nämlich auf De re publica (mit Platon als Hauptquelle), auf die Consolatio (mit Krantor als Hauptquelle) und auf De officiis (mit Panaitios als Hauptquelle); vgl. zur Cicero-Bewertung bei Plinius d. Ä. Richter 1968, 165–168.

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II. Cicero und die Quellen

Quellen jedoch meist nicht explizit nennen,36 wird Plinius’ Urteil verständlich. Dank der vielen ausgesprochen positiven Rezeptionszeugnisse ergibt das Fehlen kritischer Stimmen ein geschlossenes Gesamtbild. b) Ciceros Äußerungen in der Atticus-Korrespondenz zum eigenen Quellengebrauch Auch Ciceros Korrespondenz hält an manchen Stellen weiterführende Hinweise auf die Frage bereit, auf welche Weise, in welchem Umfang und mit welcher Zielsetzung Cicero bei der Fertigstellung seiner Philosophica auf unterschiedliche Prätexte rekurrierte. Ciceros Bibliothek. So lässt sich den Atticus-Briefen zunächst entnehmen, dass seine eigene Bibliothek ein großes Hilfsmittel für Cicero darstellte;37 mit Atticus’ Hilfe konnte er sie über die Jahre hinweg zusammenstellen38 und peu-à-peu durch eigene Erwerbungen, Erbschaften oder Schenkungen39 erweitern,40 sodass es ihm zeitweise 36

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Dieser Verzicht der meisten historischen Schriftsteller wird vor allem mit ihrem Bestreben zu erklären sein, ein homogenes Werk aus einem Guss zu erschaffen. So ist für Tacitus der explizite Verweis auf Quellen nie Selbstzweck, sondern wird bewusst eingesetzt, bspw. beim Anführen mehrerer konkurrierender Ansichten, bei denen sich Tacitus für keine eindeutig entscheiden kann (vgl. Schmal 2011, 104–119 für die taciteische Art der Quellenbearbeitung). Es bliebe zu bedenken, ob sich nicht auch im Fall von Cicero stilistische Motive als Erklärung dafür anführen lassen, dass er mancherorts nicht auf seine Prätexte hinweist. Dass sich die Erwähnung von Bibliotheken in Ciceros philosophischen Schriften nicht ohne Weiteres als Zeugnis für den Einsatz von Primärtexten heranziehen lässt, hat Frampton 2016 mit Blick auf den Beginn von Cic. fin. 3 gezeigt (vgl. Tutrone 2013 zur Gegenposition). Daher liegt der Fokus hier auf Ciceros Briefkorrespondenz. Vgl. Cic. Att. 1,7 (aus dem Jahr 68 oder 67 v. Chr., als frühesten Beleg für Ciceros Wunsch nach einer eigenen, wie Dix 2013, 212 gezeigt hat, wohl griechischen Bibliothek): Tu velim ea, quae nobis emisse te et parasse scribis, des operam, ut quam primum habeamus, et velim cogites, id quod mihi pollicitus es, quem ad modum bibliothecam nobis conficere possis. Omnem spem delectationis nostrae, quam, cum in otium venerimus, habere volumus, in tua humanitate positam habemus. Vgl. ähnlich noch Cic. Att. 1,4,3 und 1,11,3. Für die Schwierigkeiten, eine Bibliothek zu erwerben, vgl. etwa Cic. ad Q.fr. 3,4,5. Dass Cicero mehrere (nämlich drei, vgl. Dix 2013, 222: „the suburban villa at Tusculum, the town house on the Palatine, and the house at Antium“) Bibliotheken besaß, wird bspw. anhand der Briefe Att. 4,4a und 4,5,4 deutlich, wo er davon spricht, mit der Hilfe von Atticus’ librarii die Bibliothek seines Hauses in Antium auf Vordermann zu bringen. Vgl. Cic. Att. 1,20,7, wo bereits deutlich wird, dass Cicero nicht nur auf griechische, sondern auch auf lateinische Quellen zurückgreift und bereits im Jahr 60 v. Chr. (wieder?) intensiv mit literarischen Studien beschäftigt ist: Nunc ut ad rem meam redeam, L. Papirius Paetus, vir bonus amatorque noster, mihi libros eos, quos Ser. Claudius reliquit, donavit. Cum mihi per legem Cinciam licere capere Cincius amicus tuus diceret, libenter dixi me accepturum, si attulisset. Nunc si me amas, si te a me amari scis, enitere per amicos, clientes, hospites, libertos denique ac servos tuos, ut scida ne qua depereat; nam et Graecis iis libris, quos suspicor, et Latinis, quos scio illum reliquisse, mihi vehementer opus est. Ego autem cotidie magis, quod mihi de forensi labore temporis datur, in iis studiis conquiesco. Vgl. Dix 2013 für einen umfassenden Überblick über Ciceros Bibliothek, angefangen von den Plänen ihrer Einrichtung über die Arten des Büchererwerbs bis hin zu zwei bedeutenden Bücherverlusten und der Frage nach ihrem Fortleben nach Ciceros Tod; dort finden sich auch weitere

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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sogar gelang, mehrere Privatbibliotheken in seinen Landsitzen zu halten.41 Auch nutzte Cicero die Bibliotheken von Freunden und Bekannten, um sich dort der Lektüre von Büchern zu widmen, die er nicht in seinem Bestand hatte; allen voran lobte Cicero natürlich Atticus’ Bibliothek, die wohl früh ein Modell für seine eigene Sammlung wird.42 Hier wie dort fanden sich zweifelsohne grundlegende Nachschlage- und Überblickswerke zu wichtigen philosophischen Positionen sowie einzelne Spezialuntersuchungen,43 sodass ihm die Privatbibliotheken als zentraler Ort seiner Studien galten;44 all das, was er dort nicht finden konnte, ließ er sich in Form von Leihgaben und Abschriften von Bekannten und Freunden zuschicken.45 Darüber hinaus stellte St. Maso jüngst die Vermutung auf, dass Cicero neben einer Sammlung von Büchern auch über eine Sammlung von Exzerpten und Mitschriften verfügte, die er vor allem während seiner Studien als junger Mann angelegt hatte und seitdem weiter pflegte, da sich nur so Ciceros souveräne Handhabe und schnelle Fertigstellung seiner Philosophica erklären lasse.46 Cicero und die Quellenfrage im Falle von De officiis. Eindrücklich dokumentiert Cicero in einem Brief an Atticus47 seine Arbeitsweise für sein Spätwerk De officiis, welches hier als Beispiel für die Art und Weise des ciceronischen Rekurses auf Prätexte herangezogen werden soll. Dieses letzte philosophische Werk Ciceros eignet sich deshalb besonders gut für Überlegungen zu Ciceros Umgang mit verschiedenen Arten von Prätexten, da sich hier nicht nur innerhalb der Atticus-Korrespondenz,48 sondern auch

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Belegstellen aus Ciceros Korrespondenz, die die angezeigten Arten der Bibliotheksvergrößerung belegen. Vgl. Pöhlmann 1994, 51 f. für die Belegstellen und eine konzise Übersicht über Atticus’ und Ciceros Bibliotheken sowie für die These, dass sich die anhand von Varro, Atticus und Cicero ermöglichten Rekonstruktionen von Privatbibliotheken durchaus verallgemeinern lassen und man von einer weiten Verbreitung zumindest kleinerer Privatbibliotheken innerhalb der römischen Oberschicht des 1. Jh. v. Chr. ausgehen kann. Vgl. zu Atticus’ Bibliothek etwa Att. 1,10,4: Bibliothecam tuam cave cuiquam despondeas, quamvis acrem amatorem inveneris; nam ego omnes meas vindemiolas eo reservo, ut illud subsidium senectuti parem. Darüber hinaus vgl. bspw. Cic. Att. 4,10,1 für Ciceros Aufenthalt in Bibliotheken befreundeter Männer: Ego hic pascor bibliotheca Fausti. Fortasse tu putabas his rebus Puteolanis et Lucrinensibus. Ne ista quidem desunt, sed mehercule ut a ceteris oblectationibus deseror et voluptatibus propter rem publicam, sic litteris sustentor et recreor maloque in illa tua sedecula quam habes sub imagine Aristotelis sedere quam in istorum sella curuli tecumque apud te ambulare quam cum eo, quocum video esse ambulandum. sowie Cic. fam. 9,4 für die Arbeit in Atticus’ Bibliothek. So auch Dix 2013, 221: „[…] presumably his library included the basic literary works needed for his work and literary activities.“ Vgl. Cic. fam. 7,28,2 (im August 46 v. Chr.): Cum enim salutationi nos dedimus amicorum, quae fit hoc etiam frequentius, quam solebat, quod quasi avem albam videntur bene sentientem civem videre, abdo me in bibliothecam. Itaque opera efficio tanta, quanta fortasse tu senties. Auch davon finden sich – vgl. dazu die folgenden Ausführungen – in der Atticus-Korrespondenz etliche Belege. Vgl. Maso 2015, 13 f. Vgl. Cic. Att. 16,11,4. Vgl. Cic. Att. 16,11.

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II. Cicero und die Quellen

innerhalb des Werkes selbst49 im großen Umfang Angaben zur Quellenlage und -nutzung finden; gerade die brieflichen Aussagen, die von Cicero ja nicht zur Kenntnisnahme durch eine breite Öffentlichkeit bestimmt waren, ermöglichen dem heutigen Interpreten ein unverfälschteres Bild auf Ciceros Quellenrekurs. Darüber hinaus war De officiis in jüngster Zeit Gegenstand grundlegender Untersuchungen,50 auf die die folgenden Überlegungen aufbauen können. Als maßgebliche Arbeitsgrundlage für De officiis dient Cicero, wie er Atticus gegenüber äußert, Panaitios’ Schrift über die Pflichtenlehre, die er für seine Erörterung des honestum und des utile heranzieht. Da Cicero Panaitios eine zum Teil unnötig ausführliche Argumentationsweise vorwirft,51 kürzt er dessen Werk in einem nicht zu unterschätzenden Umfang und erörtert die Frage nach dem honestum und dem utile, anders als Panaitios, nicht in drei, sondern lediglich in zwei Büchern.52 Darüber hinaus betont Cicero, seine Panaitios-Quelle weder übersetzt zu haben noch ihr inhaltlich in allen Punkten gefolgt zu sein, sondern sie durch eigene Überlegungen ergänzt zu haben.53 Schließlich kommt Cicero zu dem Schluss, dass Panaitios trotz anderslautender eigener Ankündigung den in Ciceros Augen zentralen Konflikt zwischen den beiden ethischen Kategorien des honestum und des utile in seiner Schrift nicht beantwortet hat.54 Deshalb zieht Cicero Poseidonios für die Darstellung und Lösung des ethischen Konfliktfalls, d. h. wohl vor allem für den Anfang des dritten Buches von De officiis, als weitere Quelle heran,55 wobei er auch an dessen allzu kurzer Darstellung Kritik übt56 49 50

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Vgl. vor allem Cic. off. 1,6 f. und 3,7–13.33 f. Vgl. neben dem ausführlichen Kommentar von Dyck 1996, der auch in den Einzelerklärungen immer wieder quellenkritische Fragen anspricht, Gigon 1969 für einen Überblick über die Quellenlage und für eine Auswertung der verschiedenen Zeugnisse, die Ciceros Rekurs auf Panaitios und Poseidonios in den Vordergrund stellt. Für eine hohe Eigenständigkeit Ciceros und dessen souveränen Quellenrekurs plädieren etwa Lefèvre 2001, Erskine 2003, 5 f.10–15 und Gärtner 2003, vorsichtiger urteilt Wiemer 2016, der sich mehr für die Rekonstruktion der Lehre des Panaitios interessiert und De officiis unter dieser Prämisse analysiert. Vgl. zudem für Ciceros Platon-Rekurs in De officiis Woolf 2013, der die Quellendiskussion anhand der Gyges-Episode um eine neue Nuance bereichert. Vgl. Cic. off. 2,16; vgl. erläuternd dazu auch Dyck 1996, 28. Vgl. Gigon 1969, 271. Vgl. v. a. Cic. off. 2,60 (ut et hic ipse Panaetius, quem multum in his libris secutus sum, non interpretatus) und Cic. off. 3,7 (Panaetius igitur, […] quemque nos correctione quadam adhibita potissimum secuti sumus, […]); beides Mal greift Cicero auf das Verb sequi zurück, das durch die Abgrenzung von interpretari (off. 2,60) und durch die Erklärung, selbst Ergänzungen und Änderungen vorgenommen zu haben (off. 3,7), Ciceros Eigenständigkeit hervorhebt und kein mechanistisches Abhängigkeitsverhältnis nahelegt. Vgl. Cic. Att. 16,11,4. Vgl. Cic. Att. 16,11,4. Vgl. Cic. off. 3,8 (Quem locum miror a Posidonio breviter esse tactum in quibusdam commentariis, praesertim cum scribat nullum esse locum in tota philosophia tam necessarium) und Cic. off. 3,34 (Hanc igitur partem relictam explebimus nullis adminiculis, sed, ut dicitur, Marte nostro), wodurch deutlich wird, dass Poseidonios nur für den ersten Teil des dritten Buches der grundlegende Primärtext war.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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und daher selbst noch mehrere Ergänzungen vornimmt. Beide von Cicero explizit genannten Prätexte bedürfen laut eigener Aussagen somit in nicht geringem Umfang der korrigierenden Modifikation; sie können nicht in ihrer Gesamtheit übernommen werden, sondern werden von ihm sowohl gekürzt als auch ergänzt, dabei sicherlich neu geordnet und miteinander verbunden. Bereits dieser Umstand zeigt, dass Cicero zwar auf Prätexte zurückgreift, diese jedoch – wie in fin. 1,6 dargelegt – bewusst auswählt und souverän bearbeitet, um auf deren Grundlage sein eigenes Werk zu verfassen. Für unsere Fragestellung kann dem Atticus-Brief zudem noch entnommen werden, dass Cicero neben Primärquellen auch auf Sekundärquellen zurückgreift. So schreibt Cicero, dass er sich Poseidonios’ Buch bereits beschafft hat,57 aber auch einen gewissen Athenodorus Calvus58 um τὰ κεφάλαια dieses Buches gebeten hat,59 welche er wenige Tage später erhalten und gegenüber Atticus als satis bellum ὑπόμνημα bezeichnet hat.60 Darf man der Konnotation der beiden griechischen Substantive Glauben schenken,61 dann handelt es sich dabei um eine wohl thesenartige Zusammenfassung von Poseidonios’ Werk, die selbst noch Raum für Athenodorus’ Kommentierung und Bearbeitung des philosophischen Problems ließ.62 Während mit τὰ κεφάλαια wohl eine Art Epitome des Werkes gemeint ist, welche deskriptiv dessen Hauptpunkte und -themen zusam-

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Anders Shackleton Bailey 1967, 301 f. ad loc., der mit Blick auf die Konnotation von arcessivi (Att. 16,11,4) bestreitet, dass Cicero Poseidonios’ Buch zum Zeitpunkt des Briefes bereits vorgelegen hat. Wieso das von ihm beanstandete Verb, dessen Tempus darauf schließen lässt, dass Cicero das Werk bereits herangeschafft hatte, jedoch problematisch sein und gegen Ciceros Kenntnis des Buches sprechen soll, lässt er unbeantwortet. Vgl. Dyck 1996, 486 zur Frage, welcher Athenodorus hier von Cicero gemeint sein könnte. Vgl. Cic. Att. 16,11,4. Vgl. Cic. Att. 16,16,4. Anders als in Cic. Att. 12,52 lässt sich der sachlich zutreffende Gebrauch der griechischen Fremdwörter an dieser Stelle damit erklären, dass es sich bei Athenodorus’ Werk um ein griechisches Werk handelt, dessen Einordnung und Klassifizierung von Cicero folgerichtig auch auf Griechisch vorgenommen wird, obwohl ihm durchaus äquivalente lateinische Begriffe (bspw. commentarius) zur Verfügung gestanden hätten. Damit trägt er nicht nur an dieser Stelle dem gebildeten Umgangston seiner Zeit Rechnung (vgl. Steele 1900, 392: „The use of Greek by Cicero may be compared with the use of French by English-speaking people“); auch andernorts lässt sich beobachten, dass Cicero in der Atticus-Korrespondenz (anders als in den Philosophica) auf eine Latinisierung griechischer Werkstitel und Gattungsbezeichnungen verzichtet und die griechischen Ausdrücke als die jeweils passenden Bezeichnungen beibehält; so schon Font 1894, 55: „Quemadmodum non M. Tullium reprehendere possis, quod peregrinos poetas commemorans propia eorum effata transcripsit, nec latine interpretatus est, ita scriptores et libros externos suis ipsorum nominibus indicanti ei, aut mores atque instituta Graiorum graecis vocabulis demonstranti assentiri aequum est.“ und Font 1894, 55–62 für eine Zusammenstellung solcher Fälle in den Cicero-Briefen. Vgl. weiterführend auch Oksala 1953, 99–103 für den Einsatz griechischer Lehnwörter in den AtticusBriefen. Wenn Gigon 1969, 273 davon spricht, dass Athenodorus’ Schriftstück lediglich eine „Inhaltsübersicht“ sei, berücksichtigt er das zweite griechische Substantiv nicht ausreichend. Ebenso auch Dyck 1984, 224; Tyrell/Purser 1933, 41 (zu Att. 16,14,4) bezeichnen sogar das zweite Substantiv ὑπόμνημα lediglich als „memorandum“.

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II. Cicero und die Quellen

menfasst,63 kann hinter τὸ ὑπόμνημα beispielsweise ein philosophischer Traktat oder die Kommentierung eines solchen stehen; das zweite Substantiv impliziert also eine höhere geistige Eigenständigkeit und literarische Leistung seines Verfassers.64 Wenn Cicero zunächst von τὰ κεφάλαια spricht und Athenodorus’ Werk nach dessen Erhalt als ὑπόμνημα bezeichnet, so sah man darin in der älteren Forschung meist eine bloße begriffliche variatio und erklärte das semantisch breitere ὑπόμνημα als Synonym zu den vorausgehenden κεφάλαια. Die hier vorgeschlagene Deutung möchte jedoch den Bezeichnungswechsel ernst nehmen. Er lässt sich wohl am ehesten damit erklären, dass Cicero der genaue Charakter von Athenodorus’ Werk anfangs nicht bekannt war und er lediglich von einer thesenartigen Zusammenfassung ausgegangen ist. Sobald er Athenodorus’ Text jedoch zur Kenntnis genommen hatte, kam er zu einem anderen Urteil; in der Bezeichnung satis bellum ὑπόμνημα lässt sich somit eine bewusste Aufwertung bzw. eine correctio gegenüber der früheren Aussage sehen, die nunmehr auf eine Kommentierung durch Athenodorus bzw. allgemein auf dessen höhere gedankliche Eigenleistung hinweist.65 Ein solch hochwertiges, kommentierendes Aide-mémoire kann für Cicero eine überprüfend-korrektive Funktion mit multiplen Verwendungsmöglichkeiten erfüllen. Einerseits wird er so in die Lage versetzt, vor der (nochmaligen)66 Lektüre von Poseidonios’ Buch prüfen zu können, ob sich die statarische Lektüre dieses Buches für seine eigene Bearbeitung der Frage nach den Pflichten überhaupt lohne beziehungsweise in welcher Hinsicht er für seine eigene Fragestellung einen Nutzen aus ihr ziehen könnte. Andererseits kann Cicero sich mithilfe einer derartigen kommentierten Auflistung nach der Lektüre von Poseidonios’ Buch und vor der eigenen Arbeit die poseidonischen Hauptgedanken nochmals zusammengefasst vor Augen führen und überprüfen, welche Gedankengänge des Poseidonios tatsächlich für seine eigenen Zwecke relevant sind, sei es zur Übernahme in seine Argumentation, sei es zur offen formulierten Kritik. Schließlich würde sie ihm auch erlauben, nach der eigenen Arbeit zu überprüfen, ob er für seine Zwecke wichtige Gedanken des Poseidonios übersehen oder einzelne

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Vgl. LSJ 944 s. v. κεφάλαιος, Nr. 2 („chief or main point“). Vgl. LSJ 1889 s. v. ὑπόμνημα, Nr. 5a („dissertations or treatises“) und Nr. 5c („explanatory notes, commentaries“). Vgl. darüber hinaus Bömer 1953, 215–226, der das weite semantische Spektrum dieses griechischen Substantivs exemplifiziert, und v. a. Dorandi 1991, der ὑπόμνημα als „die endgültige Redaktion, die Reinschrift des Werkes“ (Dorandi 1991, 33) definiert und dafür vor allem philosophische Zeugnisse derselben Zeit ausgewertet hat. Von einem solchen Verständnis von ὑπόμνημα als kommentierte Zusammenfassung scheinen nur Pohlenz 1934, 7 f. und Philippson 1939a, 1172 auszugehen, begründen dies jedoch nicht mit Blick auf die beiden Briefstellen, sondern vor allem deshalb, um dadurch noch eine weitere Quelle generieren zu können, die als ciceronische Grundlage für off. 3 gelten könnte. Begemann 2015, 263 lässt die Frage offen und weist auf die beiden Bedeutungsnuancen (Inhaltszusammenfassung und Kommentar) hin. Vgl. Gigon 1969, 272 f., der davon ausgeht, dass Ciceros Lektüre des eigentlichen Werkes schon länger zurückliegt.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Punkte möglicherweise missverstanden habe. In welcher Hinsicht Cicero nun tatsächlich auf diese Sekundärquelle zurückgegriffen hat bzw. ob er sie letztendlich überhaupt benutzt hat, lässt sich aufgrund des überlieferungsbedingten Verlustes von Athenodorus’ Schrift nicht sagen. Aufgrund der Kritik auch an Poseidonios’ allzu kurzen Ausführungen67 hinsichtlich des für Cicero relevanten Problemfelds scheint die Sekundärquelle in diesem Fall eher in einem korrektiv-informierenden Sinn den nicht allzu großen Nutzen der Primärquelle aufgezeigt zu haben68 und, um eine weiterführende Hypothese anzudeuten, vielleicht auch alternative Lösungswege aufgezeigt zu haben, wie sich der Konflikt zwischen dem honestum und dem utile lösen ließe.69 Auf der einen Seite ist deshalb bei den Gesichtspunkten, bei denen Cicero Panaitios’70 bzw. Poseidonios’ Position teilt, mit einer hohen inhaltlichen Übereinstimmung zwischen Ciceros Darstellung und seinen Prätexten zu rechnen, die er mancherorts auch offenlegt. H. A. Gärtner kann daher in seiner kurzen, methodisch durchdachten71 Studie herausarbeiten, welche grundsätzlichen Argumente Cicero mit hoher Wahrscheinlichkeit Panaitios verdankt, ohne dabei die Fehler mancher älteren Quellenforscher zu wiederholen und einzelne Sätze oder Wortverbindungen direkt auf Panaitios zurückführen zu wollen.72 Auf der anderen Seite haben sich weitere Detailstudien darüber hinaus bemüht, für De officiis herauszuarbeiten, dass sich die hier entfalteten Aussagen über Ciceros Rekurs auf Primärtexte, die sich in Ciceros Korrespondenz finden lassen, bei der Analyse des Texts nachweisen lassen und Cicero nicht hinter seinen Hauptquellen verschwindet, sondern vielmehr einen souveränen Umgang mit ihnen pflegt.73 So weist etwa E. Lefèvre in einer Untersuchung nach,

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Vgl. Cic. off. 3,8. Zu einem ähnlichen Urteil kommt auch Gigon 1969, 276 f. Vgl. darüber hinaus auch Begemann 2015, 262 f., die auf die Deutung dieser Briefpassage im 19. Jahrhundert hinweist; dort wurde sie (v. a. von Reinhardt 1888) als Beleg dafür herangezogen, dass Cicero durchgehend auf die Hilfe des Athenodorus Calvus zurückgegriffen habe und sich von ihm den philosophischen Rohstoff für seine Bücher habe zusammenschreiben lassen. Inhaltlich handelt es sich dabei vor allem um die ersten beiden Gliederungspunkte honestum an turpe und utile an inutile. Vgl. Cic. Att. 16,11,4: de duobus primis praeclare disseruit. Methodisch überzeugend untersucht Gärtner 1974 zunächst diejenigen inhaltlichen Aspekte, die durch Namensnennung als auf Panaitios fußend gekennzeichnet werden, anschließend diejenigen Passagen, in denen sich Cicero expressis verbis von Panaitios distanziert, um auf dieser Grundlage den Grad der Adaption und Eigenständigkeit auch anderer Stellen bestimmen zu können. Vgl. Gärtner 1974, 11–15.65–68. Vgl. Dyck 1996, 18–21 für einen konzisen Überblick über diejenigen Prätexte von De officiis, von deren Benutzung man ausgeht, und für generelle Bemerkungen zur Art und Weise der Quellenbenutzung. Vgl. außerdem Dyck 1984, 215 f. für eine kritische Durchsicht bisheriger, v. a. auf die Quellenfrage bedachter Forschungsrichtungen und für einen nuancierten Neuansatz mit Blick auf die Passung von exempla Romana und philosophischer Argumentation, der freilich seinerseits stark auf die Quellenfrage eingeht und letztlich demselben Dualismus von „übernommen“ und „selbstständig“ anheimfällt.

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II. Cicero und die Quellen

dass Cicero gerade gegenüber Panaitios’ Werk, das sich, soweit man es rekonstruieren kann, durch einen stark theoretischen Schwerpunkt auszeichnete, mit Blick auf die Zielsetzung, den argumentativen Aufbau und den praktisch-politischen Charakter seiner Schrift eine hohe Eigenständigkeit bewahrt hat.74 Zusammenfassend lässt sich aus der Atticus-Korrespondenz und aus Ciceros auktorialen Aussagen in De officiis entnehmen, dass Cicero hier aus mehreren Gründen und auf unterschiedliche Weise auf verschiedene Arten von Prätexten zurückgreift, die ihm entweder als Primär- oder als Sekundärquelle vorliegen und die er souverän zur Gestaltung seines eigenen Werkes einsetzt. Mit deren Hilfe konnte er sich einerseits einen Überblick über sein Thema verschaffen; andererseits ist anzunehmen, dass er unterschiedliche und verschiedenartige Primär- und Sekundärquellen als Grundlage der eigenen Darstellung, als sachliche Ergänzung, als Nachschlagewerk und als Korrektiv verwendet.75 Offen bleibt, zu welchem Zeitpunkt der literarischen Produktion, d. h. vor, während oder nach der Bearbeitung, er jeweils auf seine Prätexte zugegriffen hat und ob er alle brieflich angeforderten Werke auch tatsächlich für seine Philosophica nutzen konnte. Es zeichnet sich somit ab, dass Cicero nicht eindimensional-mechanistisch auf seine Quellen zurückgreift; vielmehr ist mit einem hochkomplexen Verhältnis des ciceronischen Textes zu seinen Prätexten zu rechnen. Inwieweit die hier angestellten Überlegungen zur Quellenlage und zum ciceronischen Quellengebrauch mit Recht den Anspruch erheben können, allgemeingültige Aussagen treffen zu können, muss im jeweiligen Einzelfall aufs Neue überprüft werden. Dass Cicero innerhalb eines philosophischen Werkes in dieser Ausführlichkeit auf Prätexte verweist, die in weiten Teilen die Grundlage für seine eigene Darstellung gebildet haben sollen, kommt neben De officiis so nur noch im Fall des fünften Buches von De finibus und bei den Academica vor.76

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Vgl. Lefèvre 2001, 189–216; so sehr den generellen Überlegungen zur Andersartigkeit der beiden Schriften zugestimmt werden kann, so kritisch scheint doch Lefèvres Vorgehen im interpretatorischen Hauptteil, da er alten Forschungstendenzen verpflichtet eine durchgehende Scheidung von Ciceros Eigenarbeit und Übernahmen aus Panaitios versucht, ohne in den meisten Fällen einen dezidierten Nachweis für seine Entscheidung bringen zu können. Daher häufen sich apodiktische Formulierungen wie „Die Partie 5–6 gehört mit Sicherheit Cicero.“ (ebd., 17) oder „Panaitios dürfte sich unbefangener geäußert haben, so daß man 13a Cicero zuweisen wird.“ (ebd., 19), ohne dies nachweisen zu können. Auch scheint Lefèvres Optimismus, aus Ciceros De officiis einen genauen Überblick über Panaitios’ Schrift gewinnen zu können, über das methodisch Gesicherte hinauszugehen. Vgl. Zoll 1962, 25–46 für einen Rekonstruktionsversuch, in welchem Umfang Cicero ganz allgemein griechische wie lateinische Primär- und Sekundärquellen rezipierte. Zolls Studien belegen dabei Ciceros hohes Vorwissen sowie seine quellenkritische Kompetenz. Darauf weisen mit Recht Görler 1974, 14 und Frings 1993, 169 hin. Es bleibt zu fragen, wie sich diese Beobachtung auswerten lässt und wieso Cicero gerade bei den genannten drei Werken so ausführlich auf Prätexte verweist. Sieht er anderswo die Notwendigkeit dafür nicht gegeben, da er sich dort nicht auf zentrale Primärquellen beruft, sondern lediglich mit Sekundärquellen arbeitet? Oder liegt es vielmehr daran, dass er andernorts auf mehrere Prätexte rekurriert und somit keinem

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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c) Überlegungen zu zwei missverstandenen Briefstellen (Att. 12,52 und Att. 16,6,4) Im Zuge der älteren Quellenforschung77 brachten es zwei Passagen aus Ciceros Atticus-Briefen zu zweifelhaftem Ruhm. Sie wurden regelmäßig als Ciceros unfreiwilliges Eingeständnis gelesen, mit dem er selbst seine allzu schnelle Arbeitsweise und seinen mechanischen Quellenrekurs offenlege. Im Folgenden soll durch eine Analyse der brieflichen Kommunikationssituation gezeigt werden, dass es sich bei den beiden Stellen nicht um programmatische Aussagen Ciceros über seine philosophische Schriftstellerei handelt; auf der Grundlage dieser Einsicht soll deshalb ein differenzierteres Verständnis der beiden Briefpassagen vorgeschlagen werden. Att. 12,52. In dem kurzen Gelegenheitsbrief Att. 12,52, den Cicero am 21. Mai 45 v. Chr. an Atticus sendete, scheint Cicero selbst die inhaltlich-philosophische Dimension seiner Philosophica durch deren Bezeichnung als „Abschriften“ (ἀπόγραφα) abzuwerten und seine Eigenleistung lediglich auf der sprachlichen Seite zu sehen. Dieser Brief, seines Zeichens eine Melange aus diversen, unzusammenhängenden Alltagsangelegenheiten, setzt mit Ciceros Bitte an Atticus ein, einen finanziell in Not geratenen Bekannten seines Sohnes, L. Tullius Montanus, durch ein Eintreten für ihn bei Plancus, dem zuständigen praefectus urbi, und gegebenenfalls – dezent angedeutet78 – durch finanzielle Tat zu unterstützen oder Cicero zumindest weitere Informationen zu liefern, mit deren Hilfe er sich selbst um die Angelegenheit kümmern könne.79 Nachdem Cicero weitere Themen angesprochen hat, die von Atticus’ Meinung über sein Sendschreiben an Cäsar über Maklerangelegenheiten bis hin zu Spinthers Scheidung reichen, beendet Cicero seinen Brief mit folgenden, von der Forschung oft zitierten und textkritisch umstrittenen80 Sätzen:

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prominenten philosophischen Entwurf folgt, der eindeutig mit einem bestimmten Denker in Verbindung gebracht werden kann, sodass sich die Quellenlage daher als noch komplexer darstellt? Dass gerade Ciceros Atticus-Briefe für Mommsens und Drumanns düsteres Cicero-Bild Munition lieferten, sah schon Plasberg 1926, 15. Vgl. zudem Begemann 2015, 248 f. für eine Zusammenstellung der Urteile der älteren Forschung, die diese Briefpassage als Bekenntnis Ciceros über sein eigenes Philosophieren las, sowie Görler 1974, 17 (Anm. 29) für einen Forschungsüberblick über all diejenigen Untersuchungen, die sich gegen eine wörtliche Interpretation dieser Briefpassage ausgesprochen haben. Am Beispiel von McKirahan 1996, 865 lässt sich zeigen, dass auch die neuere Quellenforschung noch auf diese Briefstellen rekurriert, um Ciceros Hast und die daraus entstandene Notwendigkeit eines intensiven, unselbstständigen Quellenrekurses zu belegen. Vgl. Cic. Att. 12,52,1: Sane velim, sive Plancus est rogandus sive qua re potes illum iuvare, iuves. Vgl. für die Hintergründe und die auftretenden Personen Shackleton Bailey 1966, 341 ad loc. Vgl. Shackleton Bailey 1960, 61 f. und v. a. Bringmann 2012, 26 f. für die textkritische Diskussion der inkriminierten Passage; die Codices Mediceus und Taurinensis bieten die ursprüngliche Lesart (qui aliaque scribis), die von R leicht korrigiert worden ist (qui taliaque scribis) und die wegen der ins Leere führenden Konjunktion -que mit Recht als problematisch angesehen worden ist. Während die überzeugendste Lesart, die sich in späteren Konjekturen und älteren Ausgaben häufig findet, dahin geht, das -que zu emendieren und die Konjunktion wohl als fehlerhafte Auflösung

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II. Cicero und die Quellen

De lingua Latina securi es animi. Dices: „Qui alia scribis?“ ἀπόγραφα sunt; minore labore fiunt, verba tantum adfero, quibus abundo.

Der gesamte Brief ist Teil einer längeren, lose aufeinander aufbauenden Korrespondenz. Für den heutigen Leser mangelt es ihr an sachlicher Vollständigkeit. Dieses Fehlen von Informationen lässt sich zunächst durch den Umstand erklären, dass nur Ciceros Briefe ediert und überliefert wurden, Atticus’ Erwiderungen jedoch nicht. Darüber hinaus überbringen des Öfteren die jeweiligen Briefboten – vor allem wenn es sich dabei um Ciceros Vertrauten Tiro handelte – Cicero neben dem schriftlich verfassten Brief auch noch zusätzlich mündliche Nachrichten von Atticus und im Gegenzug auch Atticus ergänzende Hinweise und Informationen von Cicero.81 Auch wird die schriftliche Korrespondenz der beiden durch regelmäßige persönliche Treffen unterbrochen, sodass bestimmte Angelegenheiten zwar in den Briefen angedeutet werden, letztendlich jedoch im persönlichen Gespräch genauer erörtert werden und daher in den folgenden Briefen keine Berücksichtigung mehr finden.82 Auch wenige Tage vor dem Abschicken dieses Briefes kam es nach längerer Zeit zu einem Treffen zwischen Atticus und Cicero auf dem Tusculanum, bei dem sicherlich auch über manche der hier von Cicero aufgegriffenen Themen gesprochen worden ist, wodurch genauere briefliche Erklärungen überflüssig wurden.83 Darüber hinaus gibt es mehrere Phasen, in denen die Korrespondenz der beiden aussetzt bzw. dort ausgetauschte Briefe nicht in die Edition mit aufgenommen worden sind.84

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der Abbreviatur des Präfixes con- aufzufassen, und somit qui alia scribis liest, spricht sich jüngst Bringmann 2012, 30 f. für die Lesart der beiden maßgeblichen Codices aus, die er durch die Hinzufügung eines weiteren alia ergänzt. Die dadurch entstehende Geminatio qui alia aliaque scribis („Wie schreibst du nur eins nach dem anderen?“) sei, so Bringmann, durch Haplographie bereits vor der Lesart des Archetypus verloren gegangen. Vgl. e. g. Cic. Att. 12,51,3: De Caerellia quid tibi placeret, Tiro mihi narravit; Cic. Att. 16,13,3: Rem tibi Tiro narrabit. So kündigt Cicero in den Briefen teilweise an, worüber er sich mit Atticus beim nächsten Treffen genauer austauschen möchte; vgl. e. g. Cic. Att. 12,2,2, a. E.: Sed quid multa? Iam te videbo et quidem, ut spero, de via recta ad me; simul enim et diem Tyrannioni constituemus et si quid aliud; Cic. Att. 12,19,1: Cogito interdum trans Tiberim hortos aliquos parare […]. Sed quos, coram videbimus, ita tamen, ut hac aestate fanum absolutum sit. Zudem verschiebt Cicero seine Antwort manchmal auch auf das nächste gemeinsame Treffen, vgl. bspw. Cic. Att. 12,34,2: Quibus de rebus ad me scripsisti, quoniam ipse venio, coram videbimus. Vgl. Cic. Att. 12,50: Ut me levarat tuus adventus, sic discessus adflixit. Gleichwohl weist die gedrungen-elliptische Form und die konsequente Verwendung der Verweispräposition de ab Paragraph zwei des Briefes (Cic. Att. 12,52,2) darauf hin, dass sich die von Cicero hier angesprochenen Themen in einem unmittelbar vorausgehenden Brief des Atticus gefunden haben. Bei diesen Lücken in der Korrespondenz scheint es sich nicht um einen überlieferungsbedingten Abbruch zu handeln, da das Altertum mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr Briefe an Atticus kannte als wir; vgl. dazu Büchner 1939, 1197.1223; diese These wird u. a. dadurch gestützt, dass sich alle Zitationen der Atticus-Briefe bei anderen lateinischen Autoren mit der überlieferten Sammlung decken und dort nirgends auf Briefe angespielt wird, die uns nicht vorliegen. Wahrschein-

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Für die fragliche Passage fällt eine Rekonstruktion der einzelnen, jeweils angesprochenen Sachverhalte leichter als andernorts, da sich alle Themen des vorliegenden Briefs zumindest andeutungsweise in vorausgehenden oder später noch folgenden Briefen desselben Korrespondenzmonats wiederfinden. So ist die epistula ad Caesarem bereits im vorausgehenden Brief behandelt worden,85 und auf die Ersteigerung von Scapulas bzw. Clodias Gärten mit dem Ziel, dort für seine verstorbene Tochter eine Gedenkstätte zu errichten, wurde von Cicero seit März 45 v. Chr. in zahlreichen Briefen an Atticus teils aufs Energischste insistiert.86 Die in Att. 12,52,1 erstmals angesprochene ideelle bzw. finanzielle Hilfe für Montanus hingegen findet ihren Niederschlag in etlichen nachfolgenden Briefen und beschäftigt Cicero sogar bis hin zum letzten veröffentlichten Atticus-Brief, der in den Dezember 44 v. Chr. zu datieren ist.87 Schwieriger fällt das Verständnis von Ciceros abschließender Bemerkung zur lingua Latina. Mit Blick auf die für Ciceros Briefstil typische Verweispräposition de88 und den Verzicht auf einführende Erklärungen lässt sie sich als Erwiderung auf eine vorausgehende Nachricht des Atticus erklären, in welcher Atticus offensichtlich seiner Sorge um Ciceros lingua Latina Ausdruck verliehen hatte. Die exponierte Stellung des Adjektivattributs securi sowie der zentral stehende Imperativ es machen deutlich, dass Cicero Atticus mit der hiesigen Erwiderung beruhigen und dessen Bedenken zerstreuen möchte. Dem Antwortcharakter der Passage ist es geschuldet, dass Cicero an dieser Stelle nicht näher darauf eingeht, worauf genau Atticus’ Sorge abgezielt hat und wie sich die Formulierung lingua Latina verstehen lässt; Atticus weiß ja als derjenige, der die Bedenken überhaupt erst formuliert hat, um die genauen Umstände bestens Bescheid und muss deshalb von Cicero nicht mehr daran erinnert werden.

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licher ist daher die Annahme, dass die Briefe jener Zeiträume dem postumen Herausgeber nicht mehr vorlagen und er sie deshalb nicht in die Sammlung aufgenommen hat. Vgl. Cic. Att. 12,51,2, dort allerdings mit Blick auf Ciceros Situation; vgl. zur epistula ad Caesarem auch Cic. Att. 13,26,2. Vgl. zu Scapulas Gärten v. a. Cic. Att. 12,37,2; 12,40; 12,41,3 und zu Clodias Gärten Cic. Att. 12,38,2; 12,41,3; 12,42; 12,43; 12,47,1 f.; 13,26. Ein bestimmendes Thema dieser Monate war Ciceros Plan, seiner verstorbenen Tochter Tullia eine Art Schrein (fanum) zu errichten, dessen erste explizite Erwähnung sich in Cic. Att. 12,18,1 findet, jedoch schon vorher in Andeutungen nachzuweisen ist, vgl. Cic. Att. 12,13,2: Ego autem volo aliquod emere latibulum et perfugium doloris mei. Die Korrespondenz mit Atticus zeugt von Ciceros Versuch, dafür ein geeignetes Grundstück zu erwerben. Vgl. Cic. Att. 12,53, dann wieder im Mai 44 v. Chr. mit der wiederholten Bitte an Atticus, sich um die Angelegenheit zu kümmern (Cic. Att. 14,16,4; 14,17,6; 14,18,3), und schließlich im Dezember 44 v. Chr. mit der Aussage, selbst Montanus finanziell unterstützen zu wollen (Cic. Att. 16,15,5). Vgl. zur Verwendung der Präposition de an dieser Stelle Kühner/Stegmann II/1 51976, 500 (§ 91): „Oft steht de c. abl. zu Anfang des Satzes ohne Rücksicht auf die Konstruktion des Satzes = quod attinet ad.“ Die in TLL 5,1,76 (s. v. de) versammelten Belegstellen sowie eine stichprobenartig durchgeführte Corpusanalyse weisen darauf hin, dass Cicero vor allem in den Atticus-Briefen auf diese stakkatoartige Formulierungsweise zurückgreift und sie auf die kommunikative Zielsetzung von Briefen zurückzuführen ist, die z. T. mehrfach am Tag ausgetauscht worden sind und vor allem dem schnellen Informationsaustausch dienten.

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II. Cicero und die Quellen

Berücksichtigt man die vorausgehenden Briefe und den sich anschließenden Satz in Att. 12,52,3, in dem Cicero Atticus’ Vorwurf weiterführt und konkretisiert, so lässt sich Atticus’ Anliegen mit einiger Wahrscheinlichkeit rekonstruieren. Zunächst lässt sich Atticus’ Haltung und der Tonfall seiner Kritik näher bestimmen. Aus der mit der Verbform dices, die im potentialen Futur formuliert ist,89 eingeleiteten Prokatalepsis kann zunächst geschlossen werden, dass es Atticus in seinem vorausgehenden Schreiben wohl dezent bei einer nur angedeuteten, nicht weiter ausgeführten Kritik belassen hatte, die Cicero nun ausformuliert, um sie dadurch umso treffender widerlegen zu können. Hätte Atticus nämlich selbst die Kritik konkreter dargestellt, dann hätte Cicero sie im vorliegenden Brief nicht weiter verbalisieren müssen.90 Dass Atticus seine Bedenken zwar angesprochen hat, dabei jedoch wohl mit großer Vorsicht und Dezenz vorgegangen sein mag, lässt sich mit Ciceros seelischem Zustand gegen Mitte Mai 45  v. Chr. erklären. Bis in den Mai hinein beherrschte nämlich die Trauer um seine Tochter Tullia voll und ganz Ciceros Schreiben. Die Briefe, die uns – nach einer Pause seit Ende November 46 v. Chr. – für den Zeitraum ab Anfang März 45 v. Chr. wieder vorliegen, dokumentieren Ciceros von starker Trauer geprägten Gemütszustand.91 Zurückgezogen auf seinem Landgut bei Astura widmete er sich vor allem seinen Plänen, einen Schrein für Tullia zu errichten, worüber es zu einer Auseinandersetzung mit Atticus kam, der Ciceros nachgerade obsessives Pochen mit zunehmendem Unverständnis begleitete; zunehmend stürzte sich Cicero in die literarische Arbeit, die exzessive Ausmaße annimmt und wohl eine kompensatorisch-betäubende Funktion erfüllt.92 Auftritte in Rom beschränkte er auf ein Mindestmaß und überließ Atticus weitgehend die Besorgung seiner Angelegenheit. Tröstungsversuche des Brutus und des Atticus verfehlten ihre Wirkung; selbst die Arbeit an der eigenen Consolatio bringt keine maßgebliche Linderung. Bis zum 21. Mai (Cic. Att. 12,52) hat sich die Lage jedoch gewandelt. Nach einem kurzen Besuch des Atticus verlässt Cicero Astura, um sich wieder nach Tusculum zu begeben und sich mit seinen dortigen Erinnerungen an Tullia zu konfrontieren. Der Inhalt der Briefe dreht sich nun zunehmend weniger um Cicero selbst und die Errichtung von Tullias fanum, sondern thematisiert immer mehr die Belange gemeinsamer Bekannter sowie eigene politische Ideen und literarische Pläne. Atticus mag sich durch Ciceros zunehmende Stabilisierung ermutigt gefühlt haben, ihn mit Bedenken zu konfrontieren, für die er jedoch keine allzu drastischen Formulierungen gewählt hat, um Ciceros frische Stabilisierung nicht auf die Probe zu stellen.

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Vgl. zum potentialen Aspekt des Futurs Kühner/Stegmann II/1 51976, 142 (§ 36). Würde Cicero hier auf eine bereits durch Atticus ausformulierte Kritik reagieren, so müsste man zudem mit einer Verbform wie dixisti o. ä. rechnen, die einen Hinweis auf Atticus’ vorherige Äußerungen geben würde. Vgl. für das Folgende vor allem die Briefe ab Cic. Att. 12,13. Vgl. Cic. Att. 12,44,4: Nullo enim alio modo a miseria quasi aberrare possum. Vgl. dazu auch Schuller 2013, 159.179 f.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Auch wenn die genaue Textgestalt an dieser Stelle umstritten ist, verweist Cicero bei seiner Konkretisierung von Atticus’ Kritik mit dem Verb scribis zweifelsfrei auf seine eigene literarische Produktion; dabei legt er Atticus die Frage in den Mund, wie es ihm denn gelänge, derartige Werke zu verfassen. Mit Blick auf die vorausgehenden Briefe liegt es nahe, hierin eine Anspielung auf diejenigen Werke zu sehen, von deren intensiver literarischer Produktion Cicero mehrfach berichtet hatte und deren Abfassung Cicero in der ersten Jahreshälfte 45 v. Chr. nachgerade pausenlos beschäftigt hielt – eine Arbeit, die er dezidiert als Trauerbewältigung verstand.93 Nimmt man diese Hinweise zusammen, so scheint sich Atticus mit Blick auf Ciceros intensive literarische Produktion eine Bemerkung erlaubt zu haben, die Cicero hier als Nachfrage interpretiert, wie und ob es ihm denn gelingen könne, bei einer solch intensiven und schnellen Arbeit sein hohes sprachlich-stilistisches Niveau im Lateinischen zu halten.94 Zwei konkurrierende Deutungen der Forschung zu der Frage, wie sich die Formulierung de lingua Latina und Atticus’ Nachfrage im Gesamten verstehen ließe, kommen zu anderen Erklärungen. So schlägt – erstens – Shackleton Bailey vor,95 dass es sich bei de lingua Latina nicht um Ciceros Sprache und Stil, sondern um einen Werkstitel handelt. Er vermutet dahinter ein von Cicero geplantes Werk über die lateinische Sprache, dem Cicero selbst allerdings geringeren Wert beigemessen habe als seinen Philosophica. Deswegen habe er Atticus auf seine Nachfrage, wie die Arbeit an diesem Werk vorangehe,96 auch versichern können, dass er schnell vorwärtskomme, da es sich bei De lingua Latina lediglich um eine Abschrift handele, die ihm weniger Mühe bereite als seine im engeren Sinne philosophischen Werke. Gegen diese Lesart spricht jedoch der Umstand, dass es für ein Werk Ciceros mit dem Titel De lingua Latina sonst nirgends Belege gibt und es unwahrscheinlich ist, dass sich Cicero mit dieser für ihn untypischen Materie beschäftigt hat, die einen Fremdkörper innerhalb seines philosophischen Großprojekts bilden würde. Zudem würde ein solches Werk in eine erklärungsbedürftige Konkurrenz zu Varros gleichnamigem Projekt treten und würde, worauf Bringmann mit Recht hinweist,97 aufgrund der Größe des Gegenstandes und des Fehlens von Vorgängerwerken wohl kaum als leicht anzufertigende „Abschrift“ bezeichnet werden können. Zweitens wurde vor allem von der älteren Forschung und

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Vgl. bspw. aus demselben Monat (Mai 45 v. Chr.) Cic. Att. 12,44,4: Ego hic duo magna συντάγματα absolvi; nullo enim alio modo a miseria quasi aberrare possum und Cic. Att. 13,26,2: Equidem credibile non est, quantum scribam, quin etiam noctibus; nihil enim somni. Zu einem ähnlichen Urteil kommen (jedoch ohne Begründung) Tyrell/Purser 1915, 89 ad loc. Vgl. dafür vor allem Shackleton Bailey 1966, 342 ad loc., später auch Kasten 21976, 1160 ad loc. und mit noch gewagteren Hypothesen Glucker 1978, 407 ff., die von Bringmann 2012, 27–29 widerlegt worden sind. Dementsprechend schlägt Shackleton Bailey 1966, 342 ad loc. auch die editorisch wenig überzeugende Lesart Quid ad illa, quae scribis? Minore labore fiunt vor, die stärker als andere Konjekturen Ciceros gerade stattfindenden Schreibprozess anspricht. Vgl. Bringmann 2012, 27.

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II. Cicero und die Quellen

jüngst wieder von Bringmann versucht,98 den vorliegenden Passus nicht auf Ciceros Stil im Gesamten zu beziehen, sondern als Ausdruck von Atticus’ Sorge aufzufassen, dass Cicero bei einer solch intensiven literarischen Aktivität an der Herausforderung scheitern könnte, griechische philosophische Fachtermini ins Lateinische zu übersetzen. So wolle Cicero Atticus hier mit dem Verweis auf eine Zusammenstellung der relevanten griechischen philosophischen Fachtermini beruhigen, die ihm vorläge und die er nun nur noch ins Lateinische übertragen müsse, was ihm allerdings leicht falle. Mit dem griechischen Substantiv ἀπόγραφα habe Cicero also diese Sammlung philosophischer Termini gemeint. Allerdings liefert weder der Brieftext selbst einen Hinweis auf ein solch partikulares Verständnis noch lässt sich diese Deutung mit Blick auf den Kontext und Ciceros andere Äußerungen in Einklang bringen, die die Existenz einer solchen Begriffssammlung belegen würden. Für gewöhnlich sieht Cicero die Übersetzung solcher Termini ins Lateinische als eine seiner hervorstechenden Fähigkeiten und Verdienste an. Wieso sollte Atticus also gerade in diesem Punkt an Ciceros Fähigkeiten zweifeln, von dem er wie kein anderer weiß, dass er sie meisterhaft beherrscht? In der hier vorgeschlagenen Lesart gilt Atticus’ Sorge also nicht einem sonst nirgends bezeugten Werk De lingua Latina und auch nicht der partiellen Wiedergabe griechischer Fachtermini ins Lateinische, sondern ganz allgemein der sprachlich-stilistischen Qualität99 von Ciceros Werken, die bei einer derartig schnellen Fertigstellung der Werke in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.100 Cicero reagiert in seinem Antwortschreiben nun souverän auf die Bedenken seines Freundes. Dem urbanen Briefton angemessen, antwortet er auf Atticus’ besorgte Nachfrage mit einem humorvollen Understatement. Dabei bemüht er sich darum, die Sorgen des Freundes zu zerstreuen, indem er seine literarische Tätigkeit sowie seine literarischen Produkte hyperbolisch als ein für ihn leichtes Unterfangen darstellt.101

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Sowohl Tyrrell/Purser 1915, 89 ad loc. als auch Shackleton Bailey 1966, 341 ad loc. weisen auf die ältere Forschung hin, die hier nicht Ciceros Stil im Gesamten, sondern lediglich Ciceros vermeintliche Schwierigkeiten bei der Übersetzung griechischer Termini ins Lateinische verhandelt wissen möchte. In der neueren Forschung wird diese These wieder vertreten von Kasten 1 1959, 1143 ad loc., der (nur) in der ersten Auflage seiner Übersetzung dieser Ansicht folgte, und jüngst auch von Bringmann 2012, 32–36. 99 Vgl. für dieses Verständnis von lingua OLD 1033 s. v. lingua (Nr. 4b) und TLL 7,2,1477 f. s. v. lingua, genauer zur Spezialbedeutung ad artem dicendi (sive in universum de facundia sive de elocutione vel stilo singulorum). Die Wendung lingua Latina scheint hier also nicht deskriptiv die lateinische Sprache oder ein gleichnamiges Werk zu bezeichnen, sondern qualitativ auf einen hochwertigen, korrekten Stil und Ausdruck im Lateinischen (i. S. v. Latinitas) abzuzielen. 100 Alternativ könnte man auch daran denken, dass hiermit Atticus’ Sorge ausgedrückt wird, Cicero vernachlässige die praktische Handhabung der lateinischen Sprache, d. h. die Rhetorik, indem er seine praktischen Übungen in der Rhetorik, die er sonst laufend auch in höherem Alter noch betrieb, schleifen lasse und nur noch schreibe. 101 Wenn Shackleton Bailey 1966, 341 f. ad loc. anmerkt, dass Atticus Ciceros Versicherung, es handele sich bei seinen Philosophica um bloße Abschriften, kaum als Beruhigung wahrgenommen haben könnte, wenn es hier um die stilistische Qualität dieser Werke gehe, so übersieht er die

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Durch eine geschickte Wortwahl gelingt es ihm, einerseits seine eigene Tätigkeit zu marginalisieren und als nachgerade mühelos erscheinen zu lassen. So steht die geringe Anstrengung, die ihm die literarische Tätigkeit bereitet, im modifizierenden Komparativ102 (minore labore) exponiert am Beginn von Ciceros Erläuterung. Zudem wirkt es durch die Wahl des passivischen Verbs fiunt nachgerade so, als ob die einzelnen Werke ganz ohne Ciceros Zutun entstehen und sein eigener Beitrag dabei nicht mehr ins Gewicht fällt; er selbst kommt als Akteur und Verfasser der Werke sprachlich gar nicht in den Blick. Wenn er seine eigene Tätigkeit im Anschluss dann doch anspricht, stilisiert er sie mithilfe der Wendung verba adferre als einen lediglich technisch-mechanischen Vorgang, der keine tiefere geistige Tätigkeit vermuten lässt.103 Vielmehr greife er einfach auf Wörter zurück, die ihm als Rohmaterial zur Verfügung stünden. Ähnlich wie die Wahl des vorausgehenden fieri steht beim abschließenden, stark metaphorisch gefärbten Verb abundare Ciceros Passivität im Vordergrund; die Wahl dieses Verbs verdeutlicht, dass Cicero nicht nach den passenden Wörtern suchen muss, sondern sie ihm scheinbar ohne eigenes Zutun zufallen.104 Neben der Marginalisierung der eigenen literarischen Tätigkeit greift Cicero andererseits auf die Strategie zurück, auch die Erzeugnisse seines literarischen Schaffens zu marginalisieren. Wie schon bei der Beschreibung seiner literarischen Tätigkeit verwendet Cicero mit dem Substantiv ἀπόγραφα ein Wort, das einen dezidiert technisch-nüchternen Charakter aufweist. Da es – abgesehen von einer späteren Verwendung beim älteren Plinius, wo es schon den Charakter eines Lehnworts in lateinischer Umschrift angenommen hat105 – sonst weder in der griechischen noch in der lateinischen Literatur weitere Belegstellen für dieses substantivierte Adjektiv im Neutrum Plural gibt,106 kann durch die starke Hyperbolik angezeigte humorvolle Nuancierung dieser Passage. Auch Bringmann 2012, 26 urteilt, dass sich die beiden Sätze nicht als kohärente Aussage verstehen lassen, wenn sie sich auf die sprachlich-stilistische Qualität der ciceronischen Philosophica beziehen sollten; auch ihm entgeht Ciceros urbaner Briefton. 102 Vgl. Menge/Burkhard/Schauer 42009, 65 f. (§ 30). Als zu ergänzender Vergleichsgegenstand ließe sich beispielsweise hinzusetzen: „Sie entstehen mit geringerer Mühe (als du denkst)“. 103 Dass es sich dabei um eine bewusste Marginalisierung durch Cicero handelt, wird auch durch den Einsatz des Adverbs tantum deutlich. 104 Vgl. TLL 1, 232 f. s. v. abundo für die hier relevante figurative Bedeutung aliquid abunde habere, die den resultativen Charakter des übermäßigen Vorhandenseins von etwas betont. 105 Shackleton Bailey 1966, 342 ad loc. verweist (dort jedoch in latinisierter Form) lediglich auf Plin. nat. 35,125 (Huius tabulae exemplar, quod apographon vocant, L. Lucullus duobus talentis emit), wo die Kopie eines Gemäldes mit diesem Wort bezeichnet wird. Daneben scheint es nur noch eine einzige weitere Stelle zu geben (vgl. TLL 2,243,66 ff. s. v. apographon), die apografa im Plural angibt und als „Abschriften“ oder „Kopien“ versteht, nämlich eine Stelle aus den Briefen des Symmachus (Symm. epist. 2,12: apografa epistularum mearum), die aufgrund des langen zeitlichen Abstandes zu Cicero jedoch nur geringe Bedeutung für die hier diskutierte Frage besitzt. 106 Hinzuweisen sei hier jedoch auf eine Passage bei Dionysios von Halikarnassos (De Isaeo 11,4), wo das substantivierte Adjektiv zumindest im Singular erscheint und dort als Gegensatz zu archétypon verwendet wird, sowie auf Philodem, Pros tous hetaírous (PHerc. 1005, col. 100, Z.5), wo auf die Abschrift eines Werkes verwiesen wird.

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II. Cicero und die Quellen

zumindest anhand des Bedeutungsspektrums des dazugehörigen Verbs ἀπογράφω und des eng verwandten Substantivs ἀπογραφή dessen semantischer Gehalt herausgearbeitet werden. Beide Wörter drücken als terminus technicus ein Abschreiben offizieller Amtsbeschlüsse oder Anklageschriften, das Eintragen bestimmter Namen oder Gegenstände in (Steuer-)Listen, (Inventar-)Verzeichnisse oder (Handels-)Register und (in medialer Verwendung) das Anfertigen privater Notizen aus;107 allen Aspekten gemeinsam ist der Umstand, dass jeweils eine mechanische Schreibtätigkeit im Vordergrund steht, die sich nicht mit dem Verfassen literarischer Werke in Einklang bringen lässt. Die durch die metaphorische Verwendung des Wortes stark gemachte Verkleinerung der eigenen literarischen Erzeugnisse als „Abschriften“108, „Notizen“ oder „Niederschriften“ wird zudem noch dadurch verstärkt, dass Cicero seine Philosophica nicht mit solchen unliterarischen Textarten vergleicht („sie sind wie ἀπόγραφα“), sondern sie hyperbolisch sogar mit ihnen gleichsetzt („sie sind ἀπόγραφα“), wodurch ein wörtliches Verständnis der Passage ausgeschlossen wird. Auf sprachlicher Ebene wird ein solcher Verfremdungseffekt auch dadurch erzeugt, dass Cicero auf ein griechisches Fremdwort zurückgreift; dessen Einsatz als ein „bewußtes Stilisierungsmittel“109 lässt sich damit erklären, dass Cicero Atticus keine terminologisch schärfere Information liefert, als es ihm mit lateinischen Begriffen möglich gewesen wäre. Vielmehr unterstreicht er den humorvoll-urbanen Tonfall der Briefpassage, wenn er gerade dort, wo er seine sprachlich-stilistische Leistung bei der Schaffung lateinischer Philosophica herausstellt, auf ein griechisches Fremdwort zurückgreift. Spätestens mit Blick auf den Kontext und die gerade herausgestellte rhetorische Strategie Ciceros lässt sich die These nicht mehr aufrechterhalten, dass Cicero mit der Aussage ἀπόγραφα sunt eine programmatische Definition seiner Philosophica bietet.110 Vielmehr überträgt er einen eigentlich unpassenden Begriff hyperbolisch auf seine literarischen Erzeugnisse selbst, um dadurch einmal mehr Atticus’ Bedenken durch die Darstellung der eigenen Mühelosigkeit zu zerstreuen. Philosophica zu verfassen, so lie-

107 Vgl. LSJ s. v. ἀπογραφ-, 194 f. 108 So Kasten 21976, 823. 109 Hofmann-Szantyr 1965, 759. Die Frage nach dem Einsatz griechischer Lehn- und Fremdwörter in Ciceros Briefen beschäftigte vor allem die ältere Forschung; vgl. besonders Steele 1900 für eine Kategorisierung der von Cicero verwendeten griechischen Wörter; vgl. auch Rose 1921 für einen Überblick über die ältere Forschung und für eine Liste aller von Cicero verwendeten griechischen Wörter sowie Baldwin 1992 für eine Analyse der Verwendung griechischer Wörter in den Briefsammlungen an die Freunde und an den Bruder Quintus. 110 So eignet sich die vorliegende Passage auch nicht für die Untermauerung der These von Ciceros mechanistischem Quellengebrauch. Denn selbst in diesem Fall würde ἀπόγραφα nicht mit „nahezu unveränderte Übersetzungen“ wiedergegeben werden können, sondern müsste metaphorisch aufgefasst werden. Der Lösungsversuch bei van den Bruwaene 1937, 57, hinter ἀπόγραφα gar nicht Ciceros philosophische Schriften zu sehen, sondern eine kleinere Arbeit zur Grammatik, scheint die Frage auf ähnlich problematische Weise lösen zu wollen wie der Versuch, hinter der Formulierung de lingua Latina ein ciceronisches Werk zu vermuten.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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ße sich der Gedankengang erklärend paraphrasieren, sei für ihn so leicht wie das Aufschreiben von Notizen oder das Abschreiben von Verordnungen, da sie ihm keinerlei Mühen machten und die konkrete Ausformulierung ihm aufgrund seiner sprachlichstilistischen Fähigkeiten ohnehin leichtfalle. Mutatis mutandis ist diese rhetorische Strategie mit anderen literarischen Verkleinerungstopoi vergleichbar; man denke nur an das berühmte Beispiel in Catulls Widmungsgedicht an Nepos, wo Catull seine stilistisch ausgefeilten Gedichte lediglich als nugae („Spielereien“, „Kleinigkeiten“) bezeichnet.111 Die Verkleinerungsstrategien treten im Atticus-Brief in so dichter Zahl auf, dass sie einen humorvoll-ironischen Tonfall erzeugen und dadurch – paradoxerweise – gegenüber Atticus gerade die Größe der ciceronischen Leistung sowie Ciceros souveränen Umgang damit demonstrieren sollen. Hinter der inszenierten Bescheidenheit verbirgt sich (nicht allzu deutlich versteckt und für Atticus als Ciceros Vertrauten wohl deutlicher hörbar als für den sekundären Leserkreis) das kokettierende Bewusstsein der eigenen Leistung.112 Indem er eine an sich schwierige und anspruchsvolle Aufgabe als eine für ihn mit großer Leichtigkeit zu vollziehende beschreibt, stellt Cicero geschickt und mit urbanem Understatement seine eigene Meisterschaft dar.113 Das griechische Substantiv ἀπόγραφα kann daher weder als Zugeständnis mangelnder Mühe noch als Ausdruck großer Bescheidenheit gedeutet werden. Die Atticus-Korrespondenz in der zweiten Hälfte des Mai 45 v. Chr. lässt sich also als Beleg für Ciceros hohen Arbeitseifer, sein gesteigertes Tempo bei der literarischen Produktion und gerade für das Bewusstsein um die eigenen stilistisch-sprachlichen Fertigkeiten lesen. Sie sollte jedoch nicht herangezogen werden, um Cicero sich selbst als reinen Kompilator demontieren zu lassen. Ciceros Rückkehr zu einem urban-heiteren Briefton verdeutlicht, dass er tatsächlich Fortschritte in seiner Trauerarbeit erzielen konnte und beinahe schon wieder zu jener leichteren Kommunikation mit Atticus zurückgekehrt ist, die er vor Tullias Tod so leidenschaftlich pflegte. Att. 16,6,4. Am Ende des Briefes Att. 16,6, der in den Sommer 44 v. Chr. zu datieren ist, berichtet Cicero, dass er aus Unachtsamkeit dasjenige Proömium, welches er bereits an den Beginn des dritten Buches der Academica posteriora gesetzt hatte, doppelt verwendet hat und es, ohne es gemerkt oder beabsichtigt zu haben, für seine Schrift De gloria erneut verwendet hat. Erst bei der wiederholten Lektüre der Academica sei ihm dieser Lapsus aufgefallen, sodass er für De gloria unverzüglich ein neues Proömium verfasst habe. Atticus solle daher das alte Proömium aus seinem Exemplar von De gloria entfernen und an dessen Stelle das neue Proömium setzen, das Cicero ihm zuschi-

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Vgl. Catull. 1,4. Mit Recht spricht Görler 1971, 17 daher von Ciceros „affektiver Bescheidenheit“ an dieser Stelle. Verwunderlich erscheint es, dass Tyrell/Purser 1915, 89 ad loc. zwischen den beiden Sätzen (nämlich De lingua Latina […] animi und Dices […] abundo) keinen Zusammenhang herstellen: Während es im ersten Satz um Ciceros Stil gehe, wechsele er im zweiten Satz das Thema („he anticipates another question“) und distanziere sich von seinen eigenen literarischen Zeugnissen.

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II. Cicero und die Quellen

cken wolle. Cicero erklärt diesen Fehler damit, dass er eine Sammlung von Proömien (volumen prohoemiorum) besitzt, aus welcher er für gewöhnlich für ein neues Werk ein Proömium auswählt, ohne dass er sich im Fall von De gloria daran erinnert hatte, das entsprechende Proömium bereits verwendet zu haben. Obwohl sowohl die entsprechenden Proömien als auch die dazugehörenden Werke zu den verlorenen Schriften Ciceros zählen und für eine Analyse und einen Abgleich somit nicht mehr zur Verfügung stehen, schenkte die Forschung dieser Briefstelle große Beachtung und wollte ihr entscheidende Hinweise für das Verständnis ciceronischer Proömien entlocken.114 Bei der Deutung dieser Briefpassage lassen sich zwei unterschiedliche Tendenzen herausarbeiten, die sich im vielbeachteten RE-Artikel von R. Philippson unverbunden nebeneinander finden.115 So zieht Philippson aus der Art der in Att. 16,6,4 beschriebenen Verwechslung einerseits Rückschlüsse über den Charakter der von Cicero verfassten Proömiensammlung. Da Cicero in der Briefpassage nämlich nur daran Anstoß nehme, ein und dasselbe Proömium doppelt verwendet zu haben, von einer etwaigen fehlenden inhaltlichen Passung jedoch nichts erwähnt, schlussfolgert Philippson, dass Ciceros volumen prohoemiorum nur die allgemein-apologetischen Proömien enthalten haben könne, nicht jedoch diejenigen Vorworte, die auf den Inhalt der einzelnen Dialoge vorbereiten.116 Denkt man diesen Gedanken mit Blick auf die überlieferten ciceronischen Proömien weiter, so müsste man annehmen, dass Cicero in seiner Proömiensammlung verschiedene Proömien mit einem allgemein-apologetischen Schwerpunkt bereitgehalten hat, die er relativ mechanisch auswählen konnte und im Einzelfall gegebenenfalls noch mit einer mehr oder weniger ausführlichen inhaltlichen Hinführung zu dem jeweiligen Dialog angereichert hat. Auch M. Plezia spricht sich dafür aus, in dem volumen prohoemiorum vor allem eine Sammlung allgemein-apologetischer Proömialtopoi zu sehen;117 er geht dabei jedoch noch einen Schritt weiter und beschreibt, wie man sich diese Sammlung im Einzelnen vorstellen könnte. Dafür wertet er die Beobachtung, dass Cicero die allgemein-apologetischen Topoi innerhalb der überlieferten Proömien meistens als Reaktion auf Anfragen und Kritikpunkte seiner Leser präsentiert, dahingehend aus,

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Vgl. bspw. Schanz 1907, 384; dort wird im zusammenfassenden Kapitel zur „Charakteristik der philosophischen Schriftstellerei Ciceros“ (§ 172) bei der Würdigung der Proömien ausschließlich auf Att. 16,6,4 verwiesen. Auch Becker 1938, 10 nimmt diese Passage als Ausgangspunkt, um die These eines mechanistisch-oberflächlichen Verhältnisses von Proömium und Haupttext zu belegen: „Sie [gemeint: die Proömien in Ciceros späten philosophischen Dialogen, erg. C. D.] sind nicht auf den jeweiligen Dialog bezogen, ja nicht einmal eigens dafür verfaßt. […] Es ist daher natürlich, daß die Verknüpfung der meisten Proömien mit dem Dialog nur äußerlich und gezwungen erscheint und der Übergang nicht selten durch ein ‚Saltomortale‘ erfolgt (Pohlenz, Einl. z. den Tusc. S. 23).“ Vgl. Philippson 1939a. Vgl. Philippson 1939a, 1127 f. Vgl. Plezia 1989.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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dass sich eine solche Frage-Antwort-Form auch im volumen prohoemiorum gefunden habe. Cicero habe sich im Vorfeld mögliche Anfragen potenzieller Leser überlegt und dazu jeweils apologetische Antworten entworfen, die er für die einzelnen Proömien heranziehen konnte. Dem Proömium kommt in solchen Deutungsansätzen keine allzu große hermeneutische Bedeutung für das Verständnis des Hauptwerkes zu. Vielmehr wird es vor allem als derjenige Ort verstanden, an dem Cicero seinen Rezipienten sein philosophisch-literarisches Programm näherbringen wollte; eine innere Verbindung zwischen Proömium und Dialogtext wird nicht angenommen. Andererseits deutet Philippson den Umstand, dass Cicero ein solches volumen prohoemiorum besitzt, als Hinweis darauf, dass Cicero tatsächlich von Beginn an das Vorhaben verfolgt habe, eine Gesamtdarstellung der Philosophie auf Lateinisch zu verfassen.118 Philippsons Gedanke lässt sich dahingehend ausbuchstabieren, dass Cicero zunächst einen Gesamtplan der von ihm zu verfassenden Werke ausgearbeitet hat, im Anschluss daran einzelne Proömien für die jeweiligen Dialoge verfasst und sich erst danach an die Ausarbeitung der einzelnen Schriften gemacht hat. Diese Vermutung steht bei Philippson jedoch in Spannung zu seiner Charakterisierung des volumen prohoemiorum als Sammlung ausschließlich allgemein-apologetischer Topoi. Wenn er nämlich damit rechnet, dass sich in Ciceros Proömienbuch letztlich nur austauschbare Vorworte gefunden haben, die relativ beliebig vor die jeweiligen Werke gesetzt werden konnten, so ist nicht ersichtlich, wie sich aus einer solchen Konzeption des Proömienbuches die These eines Gesamtplans Ciceros ableiten lassen kann. Eine solche These funktioniert nämlich nur unter der Annahme, dass in der Proömiensammlung von vornherein eine Zuordnung einzelner Proömien zu speziellen Dialogen vorgesehen war und sich demnach dort auch diejenigen Proömien finden lassen müssten, die einen inhaltlichen Schwerpunkt aufweisen.119 Diese argumentative

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Vgl. Philippson 1939a, 1127 f.; ebenso Bringmann 1971, 94, der für eine frühe Datierung (vor dem Hortensius) des volumen prohoemiorum plädiert. Denn schon für den Hortensius sei mit einem Proömium zu rechnen, das Cicero aus seiner Sammlung herausgezogen haben könnte, und später habe Cicero keine Zeit mehr gehabt, um aufwändige Proömien zu konzipieren, deren besonders sorgfältige Ausarbeitung Bringmann betont (vgl. Bringmann 1971, 257). Zwar teilt auch Baraz 2012, 6 f. die beiden, bei Philippson vorfindlichen problematischen Prämissen und kommt zu dem Ergebnis, dass die Proömiensammlung erstens lediglich eine werkunspezifische Materialsammlung darstellt, aus der Cicero Anregungen für seine Proömien gewinnen konnte, und dass sie zweitens gleichzeitig einen Hinweis auf Ciceros „philosophical production as a unified project“ (ebd., 6) bildet. Doch gleichzeitig umgeht sie das bei Philippson aufgetretene Problem, indem sie den Begriff des daraus ablesbaren Gesamtplans in einem offeneren und allgemeineren Sinn auffasst. So sieht sie den Umstand, dass Cicero dort einen allgemeinen Antwortkanon entwickelt habe, mit dem er immer wieder seinen Lesern sein philosophisches Projekt vorstellen und sich gegen kritische Anfragen verteidigen könne, als Indiz dafür, dass hinter Ciceros Werken eine kohärente philosophische Konzeption und einheitliche Zielsetzung stehe, ohne dass schon im Einzelnen der Plan für jedes Werk ausgearbeitet sein müsste. Bescheidener mutet der Ansatz von Steel 2005, 138 f. an, die aus der Tatsache, dass ein Proömium zu ac. 3 (veröffentlicht Mitte 45 v. Chr.) auch zu De gloria (veröffentlicht Mitte 44 v. Chr.) gepasst hätte, wenn es nicht

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II. Cicero und die Quellen

Schwachstelle umgeht K. Bringmann, der sich ebenfalls dafür ausspricht, aus der Existenz eines volumen prohoemiorum auf die Existenz eines frühen Gesamtplans für die lateinische Entfaltung der gesamten hellenistischen Philosophie zu schließen.120 Anders als in Philippsons erster These kommt er nämlich zu dem Ergebnis, dass sich im volumen prohoemiorum auch die Proömien mit einem dezidiert inhaltlichen Schwerpunkt befunden haben. Für die Begründung seiner These rekurriert er nicht auf den Atticus-Brief, sondern auf die torsoartige Einführung der dialogischen Szenerie in Ciceros fragmentarischem Dialog Timaeus. Da dort sowohl ein Proömium als auch eine inhaltliche Hinführung auf die naturphilosophische Fragestellung des Dialogs fehlen, nimmt Bringmann an, dass sich die fehlende inhaltliche Hinführung im fehlenden Proömium hätte finden müssen, welches Cicero erst für die Veröffentlichung der Schrift aus der Proömiensammlung ausgewählt und vor den heute überlieferten Anfang des Werkes gesetzt hätte. Da die erst postum veröffentlichte Schrift von Cicero selbst jedoch nicht mehr fertiggestellt worden sei, fehle ein solches Proömium. Aus dem Fehlen der beiden Elemente schlussfolgert er also, dass sich in Ciceros Proömiensammlung auch die Vorworte mit inhaltlichem Schwerpunkt gefunden haben müssten. Eine Schwachstelle dieser Herleitung liegt allerdings darin, dass Bringmann die beiden Aspekte „fehlendes Proömium“ und „fehlende inhaltliche Hinführung“ allzu schnell kombiniert. In Ciceros Spätwerk gibt es nämlich auch Proömien ohne einen oder mit kaum einem inhaltlichen Schwerpunkt,121 sodass es denkbar wäre, dass Cicero (ähnlich wie in fin. 1) für seine Timaeus-Übersetzung auch ein allgemein-apologetisches Proömium hätte heranziehen können. Zudem ist ja selbst die im Timaeus vorhandene dialogische Vorstellung der Personen und des Settings nur fragmentarisch überliefert,122 sodass nicht auszuschließen ist, dass Cicero hier (ähnlich wie in ac. 1) gänzlich auf ein Proömium hätte verzichten wollen und die inhaltliche Hinführung erst im Anschluss an die Personenvorstellung zu finden war, später jedoch dem Textverlust zum Opfer gefallen ist. Der Beweisgang über Ciceros Timaeus-Fragment beruht daher auf zu vielen unsicheren Prämissen und scheint nicht geeignet, um auf eine fertige Sammlung vollständiger Proömien zu schließen. Auch die These, dass Cicero sich schon früh dazu entschlossen habe, eine philosophische Gesamtdarstellung zu

schon verwendet worden wäre, schlussfolgert, dass sich Ciceros philosophischer Ansatz nach Cäsars Ermordung nicht grundlegend von seinem vorherigen philosophischen Ansatz unterschieden haben könne. 120 Vgl. Bringmann 1971, 94 f. 121 Vgl. dafür im Folgenden das Kapitel zu den ciceronischen Proömialtopoi. 122 Der Text bricht in der Vorstellung des dialogischen Settings mitten im Satz in Cic. Tim. 2 ab (Ac primum quidem tempus salutationis in percunctione consumpsimus, ***) und setzt in Tim. 3 mit der Übersetzung von Plat. Tim. 27d10 (Quid est, quod semper sit neque ullum habeat ortum, et quod gignatur nec umquam sit?) wieder ein.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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verfassen, sollte wohl nicht so sehr der nicht überlieferten Proömiensammlung, sondern vielmehr anderen Aussagen Ciceros entnommen werden.123 Mit dem Wegfall des Timaeus-Fragments bleiben – neben den überlieferten Proömien selbst – lediglich Ciceros Aussagen in Att. 16,6,4 übrig, um Erkenntnisse über die ciceronische Proömiensammlung zu gewinnen. Neben den bereits angesprochenen Schwierigkeiten der bisherigen Deutungen scheint deren gemeinsames Hauptproblem darin zu liegen, dass sie allzu schnell dazu bereit gewesen sind, der Briefpassage eine programmatische Dimension zuzugestehen, ganz als ob sich Cicero hier grundlegend und für ein breites Publikum zu seinen philosophischen Proömien geäußert habe. Im Folgenden soll daher ein anderes Herangehen vorgeschlagen werden, welches den situativen und brieflichen Charakter dieser Stelle stärker als bislang berücksichtigt. So soll danach gefragt werden, wie Ciceros Aussagen verstanden werden können, wenn man sie als eine punktuelle Reaktion auf die nicht reibungslose Entstehung von De gloria erklärt und wenn Atticus als Adressat des Briefes ernst genommen wird. Erst im Anschluss daran soll danach gefragt werden, ob bzw. welche allgemeinen, d. h. über die konkrete historische Entstehungssituation hinausweisenden Erkenntnisse sich aus Att. 16,6,4 gewinnen lassen: Sed de his satis, metuoque, ne tu nimium putes. Nunc neglegentiam meam cognosce. De gloria librum ad te misi. At in eo prohoemium idem est, quod in academico tertio. Id evenit ob eam rem, quod habeo volumen prohoemiorum. Ex eo eligere soleo, cum aliquod σύγγραμμα institui. Itaque iam in Tusculano, qui non meminissem me abusum isto prohoemio, conieci id in eum librum, quem tibi misi. Cum autem in navi legerem Academicos, adgnovi erratum meum. Itaque statim novum prohoemium exaravi et tibi misi. Tu illud desecabis, hoc adglutinabis. Piliae salutem dices et Atticae, deliciis atque amoribus meis.

Im Zentrum der Briefpassage steht der Vorgang um das doppelt eingesetzte Proömium; er lässt sich in vier Schritte unterteilen, die trotz ihrer jeweils eigenen Nuancierung eine gemeinsame briefliche Kommunikationsstrategie aufweisen. Den Anfang bilden Ciceros Auswahl eines Proömiums für De gloria und sein diesbezüglicher Rückgriff auf das volumen prohoemiorum. Dabei beschreibt Cicero den Auswahlprozess und die Entscheidung für eines der dortigen Proömien mit dem Verb conicere. Es findet sich in Ciceros Briefen immer dann, wenn von einem Einfügen von Sätzen, Argumenten oder Gedanken in einen Text die Rede ist, die mit dem Hauptthema des entsprechenden Textes thematisch oder chronologisch nur lose zusammenhängen.124 123

So weist Stroh 2008, 88 f. beispielsweise auf Cic. orat. 148 als frühen Beleg für Ciceros Gesamtplan hin. Vgl. weiterhin Görler 1994, 1019–1021 für die Frage nach Ciceros Plan einer Gesamtdarstellung. 124 Vgl. TLL 4,305–311 s. v. conicio, hier 311, Nr. BIIb: cogitata, verba, nomina, res scriptas aliquo assumere, in unum colligere, dort auch ein expliziter Verweis auf Att. 16,6,4; vgl. noch deutlicher OLD 406 f. s. v. conicio, Nr. 2c: „to place, include, insert (in a speech or literary composition)“. Eine Analyse der Belegstellen zeigt, dass Cicero conicere meistens dort verwendet, wo er ausdrücken möchte, dass

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II. Cicero und die Quellen

Auch der Aspekt der Eile und Schnelligkeit, der in der Grundbedeutung des Verbs noch eine größere Rolle spielt,125 verschwindet in seiner übertragenen Verwendung nicht vollständig,126 sodass bereits conicere nicht nur die thematisch lose Verbindung des Proömiums zum Haupttext des Dialogs, sondern auch dessen schnelle Auswahl ausdrückt. Der Eindruck einer eher mechanischen Auswahl eines Proömiums wird auch dadurch noch verstärkt, dass von einer genaueren inhaltlichen Prüfung der Proömien, einem Abgleich mit den bereits verwendeten Proömien oder einer Kürzung oder Erweiterung des ausgewählten Proömiums durch Cicero nicht die Rede ist. Ganz im Gegenteil scheint er das Proömium so, wie er es in seinem volumen prohoemiorum findet, im Gesamten zu übernehmen. Zweitens wird die Entdeckung des Fehlers als bloßer Zufall stilisiert. Bezeichnenderweise erinnert sich Cicero beim Auswahlprozess selbst nicht mehr daran, das Proömium bereits herangezogen zu haben. Vielmehr betont er, dass er das Versehen erst bemerkte, als er auf einer Schiffsreise (in navi) seine ein Jahr zuvor fertiggestellten127 Academica erneut las und dabei zufällig auf das doppelt verwendete Proömium stieß. Mit der Betonung seines Nichterinnerns lässt Cicero nicht nur den Auswahlprozess als allzu schnell und oberflächlich erscheinen, sondern unterstreicht dadurch auch die generelle Austauschbarkeit des Proömiums; nur so ist es zu erklären, dass es – nimmt man Ciceros Formulierungen ernst – ohne Modifikationen sowohl an den Anfang des

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er mehrere Themen ohne inneren Konnex in einem Brief zusammengetragen hat bzw. dass er nach dem Hauptteil eines Briefes abschließend noch mehrere andere, kürzere Themen ohne größeren Konnex anfügt, vgl. dafür vor allem Cic. ad Q.fr. 3,1,23: Quod multos dies epistulam in manibus habui propter commorationem tabellariorum, ideo multa coniecta sunt aliud alio tempore, velut hoc: […]; Att.  7,16,1: De mandatis Caesaris adventuque Labieni et responsis consulum ac Pompei scripsi ad te litteris iis, quas a. d. V Kal. Capua dedi pluraque praeterea in eandem epistulam conieci. Vgl. darüber hinaus auch Tusc. 3,76, wo Cicero mit Blick auf seine Consolatio seine eigene literarische Tätigkeit – wohl auch mit einem gewissen Understatement – mit conicere bezeichnet und sie dadurch vom bewussten Sammeln (colligere) anderer Autoren abgrenzt: Sunt etiam, qui haec omnia genera consolandi colligant (alius enim alio modo movetur), ut fere nos in Consolatione omnia in consolationem unam coniecimus. (Vgl. in diesem Sinn auch Cic. de orat. 2,314). Vgl. TLL 4,305 s. v. conicio und OLD 406 s. v. conicio. Vgl. bspw. Cic. Att. 8,5,1, wo Cicero seinen vorschnell abgeschickten Brandbrief an Dionysius mittlerweile bereut und Atticus, der Dionysius den Brief aushändigen sollte, um eine rasche Rückgabe des Briefes bittet: Sed vide mansuetudinem meam. Conieceram in fasciculum una cum tua vehementem ad illum epistulam. Hanc ad me referri volo nec ullam ob aliam causam Pollicem servum a pedibus meum Romam misi. Eo autem ad te scripsi, ut, si tibi forte reddita esset, mihi curares referendam, ne in illius manus perveniret. Vgl. Cic. Att. 13,44,2 für die Übergabe der fertigen Bücher an Varro und Att. 14,23,3 für Ciceros letzte Korrekturbitten; beide Briefstellen sind auf Mitte bzw. Ende Juli 45 v. Chr. zu datieren.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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dritten Buches der Academica posteriora128 als auch an den Beginn von De gloria gestellt werden konnte.129 Im Anschluss daran berichtet Cicero drittens, dass er nach Erkennen seines Fehlers sofort (statim) – und das heißt wohl noch während der Schiffsreise – ein neues Proömium verfasst habe. Den Vorgang des Verfassens bezeichnet er dabei mit dem Verb exarare. Im Gegensatz zu verwandten Ausdrücken wie conscribere oder conficere, die eher auf den Inhalt des Geschriebenen oder auf dessen besondere Kunstfertigkeit abzielen, betont exarare den technisch-materialen Vorgang des Schreibens, allem voran des eigenhändigen Schreibens.130 Die Hervorhebung des eigenhändigen Schreibens bringt es mit sich, dass Cicero in den Briefen gerade dann auf exarare zurückgreift, wenn er erwähnt, dass er selbst nur kurz und schmucklos antworten konnte, beispielsweise weil ihm zu einer besonders frühen Tageszeit weder angemessene Lichtverhältnisse noch ein Sekretär zur Verfügung standen oder weil er einen Brief aufgrund anderer Verpflichtungen nur in großer Eile verfassen konnte und eine ausführlichere Antwort auf einen späteren Zeitpunkt verschieben musste.131 Wenn Cicero hier also davon spricht, nun nicht ein anderes Proömium aus der Sammlung ausgewählt zu haben, sondern für De gloria beim zweiten Anlauf ein neues Proömium verfasst zu haben, sollte dieser Aspekt also nicht überbetont werden. Da er auf der Seereise das volumen prohoemiorum nämlich sicherlich nicht zur Hand hatte,132 kam er wohl gar nicht umhin, ein neues Proömium zu verfassen. Vor allem sollte hier nicht ein scharfer Gegensatz zur vorherigen Auswahl eines bereits vorbereiteten Proömiums angenommen werden. Auch beim Abfassen des neuen Proömiums kommt es Cicero lediglich auf dessen schnelle Fertigstellung und dadurch auf einen schnellen Austausch des bereits verwendeten Proömiums an. Zu diesen Beobachtungen passt es, dass viertens auch die Schlussaufforderung an Atticus, das alte Proömium abzutrennen und durch das neue zu ersetzen, durch eine parallel gebaute, pointiert-geraffte Satzkonstruktion (tu illud desecabis, hoc adglutinabis) und durch die stark technisch geprägten Verben desecare und adglutinare aus-

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Dass Cicero für das dritte Buch der Academica posteriora gerade ein vornehmlich allgemein-apologetisches Proömium gewählt haben könnte, müsste nicht verwundern, da dort eine inhaltliche Vorbereitung nicht in dem Maße gefordert ist wie am Beginn eines Werkes. Anders als Philippson a. a. O. es vermutet, ergibt sich aus diesem einen Fall jedoch nicht die Notwendigkeit anzunehmen, dass alle Proömien der Sammlung einen solchen Schwerpunkt aufgewiesen haben. Vgl. TLL 5/2, 1184 s. v. exaro, Nr. IB1: usu fere technico i. q. ceram stilo sulcare sc. litteras incidendo; vgl. auch OLD 632 s. v. exaro, Nr. 4: „to write (properly with a stilus on wax), pen“. Vgl. Cic. Att. 12,1,1: undecimo die, postquam a te discesseram, hoc litterularum exaravi egrediens e villa ante lucem; Att. 14,22,1: certior a Pilia factus mitti ad te Idibus tabellarios statim hoc nescio quid exaravi; Att. 15,1a,1: mansi igitur eo die in Sinuessano atque inde mane postridie Arpinum proficiscens hanc epistulam exaravi. Vgl. auch Cic. fam. 9,26,1: Accubueram hora nona, cum ad te harum exemplum in codicillis exaravi; 12,20: Plura otiosus; haec, cum essem in senatu, exaravi. Vgl. dazu Weinreich 1941, 72.

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II. Cicero und die Quellen

gedrückt wird. Durch die technisch konnotierten Verben wird das Austauschen von Cicero in einer sachlich-kühlen Haltung als ein rein mechanischer Vorgang beschrieben,133 der lediglich ein scheinbar unbedeutenderes Versehen beseitigen soll. Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass Cicero erstaunlicherweise selbst in dem kurzen Brieftext auf verschiedene Weise den mechanischen Auswahl- und Schaffensprozess des Proömiums und die nur lose Verbindung zwischen dem Proömium und dem Hauptteil der Schrift betont und nachgerade in den Vordergrund seiner Darstellung rückt; dabei scheint er dem Vorwort für das Verständnis von De gloria keine allzu große Bedeutung beizumessen, sondern hebt letztlich vielmehr dessen Austauschbarkeit hervor. Auffällig ist, dass Cicero diese Aspekte nicht etwa kleinredet, kaschiert oder auslässt, sondern sie vielmehr noch betont. Hinter dieser Darstellung lässt sich allerdings weniger das offenherzige Bekenntnis eines Autors erkennen, der es mit der literarischen Qualität seiner Werke nicht allzu ernst nimmt, sondern vielmehr eine bewusste Kommunikationsstrategie, mit der Cicero im Brief an seinen Freund und Herausgeber Atticus auf seinen eigenen Fehler reagiert und ihn ohne größeres Aufsehen aus der Welt schaffen möchte. Im Umgang mit seinem Fehler standen Cicero grundsätzlich mehrere Möglichkeiten offen. So hätte er ihn entweder ignorieren, die Verantwortung dafür abstreiten bzw. abwälzen oder dessen Reichweite und Bedeutung marginalisieren können. Dass Cicero sich nicht für die erste Möglichkeit entschieden hat, ist plausibel, da er damit rechnen musste, dass Atticus als aufmerksamem und kritischem Leser seiner Schriften dieser Fehler aufgefallen wäre, spätestens jedoch seine spätere Leserschaft darauf stoßen würde. Außerdem zeigt sich Cicero auch andernorts in seinen Briefen darum bemüht, seine Schriften in bestmöglicher Form herauszugeben und etwaige Fehler so schnell als möglich zu korrigieren. Bei der Wahl der zweiten Möglichkeit hätte Cicero hingegen durchaus Entschuldigungsgründe für sein Versehen anführen können. Vor allem die Planungen und seine Versuche, im Sommer nach Griechenland zu reisen, sowie seine Bemühungen, auf die Entwicklungen der Republik nach Cäsars Tod Einfluss zu nehmen,134 beeinflussten bereits zuvor die Arbeit an De gloria. Da diese Umstände Cicero schon vorher zu kleineren Revisionen und punktuellen Korrekturen an De gloria veranlasst hatten, hätten sie auch genügend Material für eine Entschuldigung des eigenen Fehlers geboten.135 Andererseits hatte er die-

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Vgl. dazu Weinreich 1941, 76, der den technischen Aspekt der Verben betont. Baraz 2012, 6 macht darüber hinaus deutlich, dass sich hinter der Marginalisierung des Vorgangs mithilfe dieser technischen Ausdrücke Ciceros Selbstironie verbirgt, die sich in den Atticus-Briefen auch an anderen Stellen beobachten lässt, an denen Cicero von seinen eigenen Werken spricht; als Beleg rekurriert sie auf Att. 12,52,3. Vgl. Bringmann 2010, 253 ff. für einen konzisen Überblick über den historischen Hintergrund. Schon vor der Bitte um den Austausch des Proömiums wandte sich Cicero mit Änderungswünschen und Verbesserungen für De gloria brieflich an Atticus, vgl. Cic. Att. 16,3,1. Die Kritik an diesem Prozedere, die sich bspw. bei Coleman-Norton 1939, 223 findet, mutet allerdings anachronistisch an. So lässt sich auch an anderen Stellen zeigen, dass Cicero an seinen Schriften auch

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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se Karte wohl bereits zu oft gespielt. Cicero entschied sich deshalb anders und wählte die dritte Möglichkeit. Er lässt die besagte Briefpassage daher offenherzig mit dem Bekenntnis seiner eigenen Nachlässigkeit beginnen136 und bemüht sich darum, durch die Marginalisierung des Proömiums und dessen Entstehungsprozesses die Bedeutung und die Reichweite des Fehlers kleinzuschreiben. Indem er dem Proömium von De gloria in einem urbanen Understatement allzu deutlich die Wichtigkeit abspricht, zielt er also darauf ab, dessen unbeabsichtigte doppelte Verwendung als weniger tadelnswert erscheinen zu lassen und nach einem schnellen Austausch der Proömien diesen als marginal stilisierten Lapsus schnell in Vergessenheit geraten zu lassen. Dass es sich hierbei nicht um Ciceros allgemeingültige Ansicht zum philosophischen Proömium, sondern um eine situative Rechtfertigungsstrategie handelt, wird neben der Inszenierungsweise innerhalb des Briefes auch dadurch deutlich, dass sich Cicero der fundamentalen Bedeutung eines spezifisch auf die jeweilige Schrift hinführenden Proömiums bewusst ist. Im zweiten Buch von De oratore äußert er sich nämlich selbst kritisch gegenüber der mechanistischen Übernahme allgemein formulierter Proömien, die nicht eigens für das jeweilige Werk verfasst worden sind, und betont die notwendige innere wie äußere Verbindung zwischen Proömium und Haupttext:137 (315) […] Principia autem dicendi semper cum accurata et acuta et instructa sententiis, apta verbis, tum vero causarum propria esse debent. Prima est enim quasi cognitio et commendatio orationis in principio, quaeque continuo eum, qui audit, permulcere atque allicere debet. […] (318) Haec autem in dicendo non extrinsecus alicunde quaerenda, sed ex ipsis visceribus causae sumenda sunt; idcirco tota causa pertemptata atque perspecta, locis omnibus inventis atque instructis considerandum est, quo principio sit utendum. (319) Sic et facile reperientur; sumentur enim ex eis rebus, quae erunt uberrimae vel in argumentis vel in eis partibus, ad quas dixi digredi saepe oportere; [ita] et momenti aliquid adferent, cum erunt paene ex intima defensione deprompta, et apparebit ea non modo non esse communia nec in alias causas posse transferri, sed penitus ex ea causa quae [tum] agatur, effloruisse. […] (325) Conexum autem ita sit

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nachträglich kleinere Änderungen vorgenommen hat und sie Atticus mitgeteilt hat, der Ciceros Werke dafür in aller Regel nicht sofort einem größeren Leserkreis zur Verfügung stellte, sondern sie höchstens in kleineren Privatlesungen zu Gehör gab (vgl. für Ciceros Erlaubnis, aus De gloria vortragen zu lassen, v. a. Att. 16,2,6 und 16,3,1). Zumindest für Cicero ist eine Weiterarbeit am Text trotz eines ersten Schrittes an die Öffentlichkeit keine Besonderheit; hier lässt sie sich wohl vor allem damit erklären, dass der Entstehungsprozess der Schrift durch Ciceros Reiseaktivitäten im Sommer 44 v. Chr. von größerer Eile geprägt war; vgl. Steel 2005, 138 f. zur politisch-zeitgeschichtlichen Situation im Juli 44 v. Chr. Vgl. darüber hinaus Freund 2015, 249–251 für einen Überblick über die Entstehungszeit, den Inhalt, die Testimonien und Fragmente von De gloria. Vgl. Att. 16,6,4: Nunc neglegentiam meam cognosce. Vgl. Cic. de orat. 2,315.318 f.325; vgl. dazu auch Weinreich 1941, 72 (zu 2,318 f.) und Ruch 1958, 330 f. (zu 2,325). Vgl. ebenso Cic. inv. 1,26 für das Plädoyer gegen die certissima vitia exordiorum, zu denen Cicero auch ein allzu allgemeines Proömium (exordium vulgare) zählt; dort spricht er sich außerdem gegen ein Proömium aus, das losgelöst vom eigentlichen Fall funktioniert und keine Verbindung zum Hauptteil der Rede aufweist (exordium separatum).

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II. Cicero und die Quellen

principium consequenti orationi, ut non tamquam citharoedi prooemium adfictum aliquid, sed cohaerens cum omni corpore membrum esse videatur. Nam non nulli, cum illud meditati ediderunt, sic ad reliqua transeunt, ut audientiam fieri sibi non velle videantur. Atque eius modi illa prolusio debet esse, non ut Samnitium, qui vibrant hastas ante pugnam, quibus in pugnando nihil utuntur, sed ut ipsis sententiis, quibus proluserint, vel pugnare possint.

Auch wenn es sich dabei um Empfehlungen zum Einsatz eines Proömiums zu Beginn einer Rede handelt, zeigen Ciceros Ausführungen deutlich auf, dass er sich der Bedeutung eines gelungenen und mit dem eigentlichen Thema zusammenhängenden Einstiegs bewusst ist. Da es sich dabei nicht um ein Alleinstellungsmerkmal rhetorischer Texte handelt, lassen sich Ciceros Empfehlungen zum Redeeinstieg auch auf andere Gattungen übertragen. Auch vor diesem Hintergrund wird es wahrscheinlicher, dass Cicero im vorliegenden Atticus-Brief auf eine einmalige Situation mit einer bestimmten rhetorischen Strategie reagiert, die passgenau auf Atticus abzielt und für kein breiteres Publikum bestimmt war.138 Pointiert formuliert könnte man sagen, dass die generelle Bedeutung des Proömiums für Ciceros Schriften gerade daran deutlich wird, dass er ihm hier die Bedeutung bewusst abzusprechen versucht. Die einzige Information, die über den konkreten Fall des doppelt eingesetzten Proömiums hinausweist, ist die Existenz eines volumen prohoemiorum, aus dem Cicero nach eigenem Bekunden auswählt: Id evenit ob eam rem, quod habeo volumen prohoemiorum. Ex eo eligere soleo, cum aliquod σύγγραμμα institui.139 Cicero kommt nur hier auf diese Sammlung zu sprechen, zu der sich jenseits ihrer bloßen Existenz wenig anderes gesichert sagen lässt. Die von Cicero gewählte Formulierung legt nämlich einerseits nahe, dass der Rückgriff auf die Proömiensammlung zwar regelmäßig, jedoch nicht unbedingt in jedem Fall erfolgt (eligere soleo). Andererseits lässt die Aussparung des Objekts auch offen, was genau Cicero aus dieser Sammlung auswählt, d. h. ob es sich dabei immer um fertige Proömien handelt oder ob Cicero dort auch einzelne proömiale Versatzstücke bereitgehalten hat, die er frei kombiniert, um inhaltliche Hinführungen ergänzt oder auch kürzt.140 Die gewählte Formulierung und der Charakter 138

Vgl. Manuwald 2018, 41 f. für die grundsätzliche Frage, inwiefern sich in den Briefen Ciceros „authentische“ Stimme finden lässt. Während von mir vor allem die konkrete briefliche Kommunikationssituation stark gemacht worden ist, fragt Manuwald stärker nach Ciceros Selbststilisierung gerade auch in den privaten Briefen. 139 Vgl. Cic. Att. 16,6,4. Vgl. zur offenen Konnotation des griechischen Substantivs σύγγραμμα jüngst Landolfi 2018, die in einer diachronen Analyse relevante Belegstellen sichtet und zu dem Schluss kommt, dass das Substantiv „dunque non è un genere letterario“ (ebd. 231), sondern allgemein alles Geschriebene bezeichnen kann; vgl. ad loc. Landolfi 2018, 222. 140 Anders Ruch 1958, 331, der sich dafür ausspricht, in dem volumen prohoemiorum mit Verweis auf Demosthenes’ Proömiensammlung nur „un ensemble de matériaux réunis dans un but protreptique“ zu sehen; ähnlich auch Baraz 2012, 6, die in den Texten der Proömiensammlung lediglich „basic material“ bzw. „prefatory material“ sieht, das in jedem Fall weiterer Ausarbeitung bedurfte. Nimmt man Att. 16,6,4 hingegen ernst, so kommt man nicht umhin anzunehmen, dass sich in der

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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der überlieferten Proömien legen nahe, die Proömiensammlung in ihrer Bedeutung für Cicero jedenfalls nicht überzustrapazieren und sie eher als Stoffsammlung, als Aufbewahrungsort schon vorbereiteter Stücke, als Gedächtnisstütze oder – in Weinreichs Worten – als „ein praktischer Nothelfer, ein Zeiteinsparer und En-tout-cas“141 zu charakterisieren, die Cicero souverän und in unterschiedlicher Weise heranziehen kann. Jedenfalls lässt sich aus Ciceros Bemerkungen in Att. 16,6,4 nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass Ciceros Dialoge aus nicht miteinander zusammenhängenden Einzeltexten zusammengestückelt sind. d) Die definitorischen Schwierigkeiten des Quellenbegriffs im Falle von Cicero Die Frage nach Ciceros Abhängigkeit bzw. Eigenständigkeit verkompliziert sich mit Blick auf die Weite des Begriffs „Quelle“. Cicero greift, wie wir gerade exemplarisch gesehen haben, aus verschiedenen Gründen auf unterschiedliche Arten von Prätexten zurück. Einen Teil von ihnen kennen wir durch seine Korrespondenz, wenn er sie dort aus meist pragmatischen Gründen erwähnt, etwa wenn er sie selbst nicht besitzt und Atticus oder andere Bekannte um die entsprechenden Werke, deren Abschriften, Zusammenfassungen oder Kommentierungen bitten muss, oder wenn er sich in seltenen Fällen darüber beschwert, dass der entsprechende Autor für ihn entscheidende Fragen übersieht oder nur defizitär abhandelt. Und selbst wenn er seine Prätexte in der Korrespondenz erwähnt, ergibt sich aus dem brieflichen Zusammenhang meist keine Gewissheit, in welcher Form und für welchen Zweck Cicero die jeweilige Quelle tatsächlich benutzt hat. Da Cicero seinen Rekurs auf Prätexte häufig nicht offenlegt, die entsprechenden Bücher darüber hinaus nicht mehr erhalten sind und er sie nach eigenen Angaben nicht unverändert übernimmt, erscheint es in den meisten Fällen nicht möglich, aus dem Cicero-Text heraus seine Prätexte unmittelbar extrapolieren zu können. Neben seiner Korrespondenz äußert sich Cicero in einigen Fällen auch innerhalb des jeweiligen philosophischen Werkes zu von ihm herangezogenen Denkern. In den seltensten Fällen, zu denen De officiis und das fünfte Buch von De finibus gehören, verweist er allerdings auf konkrete Einzelwerke. Da wir aus der Atticus-Korrespondenz wissen, dass Cicero sowohl Primär- als auch Sekundärquellen heranzieht, bleibt meist

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Sammlung auch fertige Stücke befunden haben müssen; auch der Verweis auf Demosthenes ist irreführend, da es sich – anders als der Titel es nahelegt – vornehmlich um eine postum herausgegebene „Fragmentsammlung, die aus dem Archiv des Demosthenes stammt“ (Rupprecht 1927, 368), handelt, jedoch nicht um eine Sammlung von Proömien, die eine ähnliche Funktion wie bei Cicero erfüllen könnte. Weinreich 1941, 76.

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II. Cicero und die Quellen

offen, ob er die Theorien eines Philosophen unmittelbar dessen eigenen Schriften entnimmt, sie mittelbar bereits in sekundärer Systematisierung eines späteren Überblickswerkes rezipiert oder beide Arten von Prätexten ergänzend heranzieht. Daher kann meist nicht entschieden werden, ob lediglich eine gedanklich-mittelbare oder auch literarisch-unmittelbare Bezugnahme besteht. Wenn er beispielsweise in einem Abschnitt in De officiis, den er explizit auf Panaitios zurückführt, weitere stoische Philosophen nennt, so kann nicht nachgewiesen werden, ob er diese Zitationen seiner Hauptquelle entnimmt, ob es sich hierbei um die Hauptquelle ergänzende Sekundärquellen handelt oder ob Cicero aus dem Gedächtnis referiert. Darüber hinaus muss die Vorstellung der schriftlichen Quelle auch zugunsten anderer Faktoren, vor allem zugunsten vielfältiger Formen der Mündlichkeit, transzendiert werden und die Frage nach den Quellen um die Frage nach den vielen Einflüssen,142 die Cicero geprägt haben, erweitert werden.143 So kam Cicero auch in den Genuss einer gründlichen philosophischen Bildung, die das damals übliche Maß überstieg und sich über mehrere Phasen seines Lebens erstreckte.144 Neben den im Proömium von De natura deorum genannten vier philosophischen Lehrern (Philon und Antiochos aus dem akademischen Lager, Poseidonios und Diodotos als Stoiker)145 hörte Cicero auch die Epikureer Phaidros146 und Zenon147. Den Stoiker Diodotos nahm er im Alter sogar in sein eigenes Haus auf,148 wodurch ihm bis zu dessen Tod die Möglichkeit offen stand, philosophische Diskussionen auch in kurzen Momenten des häuslichen otium zu führen.149 Auch sein hoch gebildeter Sklave bzw. Freigelassener Tiro bot sich ihm als kritischer und kundiger Gesprächspartner an;150 darüber hinaus sollte auch Atticus nicht nur als Ciceros Freund und Ratgeber, sondern auch als philosophischer Gesprächspartner151 ernst genommen werden. 142 Die germanistische Literaturwissenschaft hat bspw. den starren Quellenbegriff schon früher zugunsten einer offeneren Quellen- und Einflussforschung aufgegeben, die auch „[h]istorische Kontexte und Umstände“, „[p]sychische Dispositionen und Erlebnisse des Autors“ und „[m]ündlich oder schriftlich tradierte Einzeltexte und ihre Bestandteile (wie Stoff, Motiv, Symbol, Figur, Thema)“ berücksichtigt und nach solchen Einflussfaktoren fragt (vgl. konzis Berndt/Tonger-Erk 2013, 65 für die Doppelausrichtung der Quellenforschung als Quellen- und Einflussforschung). 143 Auf diesen Aspekt weist bereits Plasberg 1926, 161 hin, ohne dass es jedoch zu einem ernsthaften methodischen Umdenken innerhalb der älteren Forschung geführt hat. 144 Vgl. so auch Fuchs 1959, 10 f., der zur Bestätigung von Ciceros umfassender und außergewöhnlicher Bildung vor allem auf dessen Bildungsschriften aus der frühen Schaffensphase verweist. 145 Vgl. Cic. nat. deor. 1,6. Den Einfluss Diodotos’ auf Cicero betont auch Smiley 1934, 651. 146 Vgl. Cic. fam. 13,1,2 und 13,1,5 sowie Cic. fin. 1,16. 147 Vgl. Cic. fin. 1,16. 148 Vgl. Philippson 1939a, 1175 für die entsprechenden Belegstellen in Ciceros Werk. 149 Vgl. Graff 1963, 54 für eine Zusammenschau der wichtigsten Passagen innerhalb von Ciceros Werk, die seine philosophischen Lehrer beschreiben. Vgl. auch Süss 1965, 213–228 für eine luzide Gesamtdarstellung derjenigen philosophischen Perspektiven, die Cicero in seinem Leben begegnet sind und sein eigenes Denken geformt und nachhaltig beeinflusst haben. 150 So auch v. Albrecht 2003, 431. 151 Vgl. Leslie 1950 für Atticus als Epikureer. Vgl. dazu als innerdialogischen Beleg bspw. Cic. fin. 1,16.

2. Zur Art und Weise von Ciceros Quellenbenutzung

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Neben den Vorträgen seiner Lehrer und Gesprächen mit philosophisch interessierten Zeitgenossen stellen Ciceros zeitlebens nachweisbare Studien die entscheidende Grundlage seiner umfassenden philosophischen Bildung dar. R. Philippson sichtet dafür alle Äußerungen Ciceros über seine eigenen Studien und rekonstruiert auf dieser Grundlage etliche Phasen philosophischer Betätigung, die bereits vor Ciceros dreijähriger Griechenlandreise (79–77 v. Chr.) beginnt und bis in die Bürgerkriegsphasen vor Sullas Machtantritt zurückreicht, sich in Form privater Lektüre für die Zeit bis vor dem Konsulat nachweisen lässt und nach dem Konsulat bis kurz vor der Verbannung wieder einsetzt.152 Ciceros intensive philosophische Beschäftigung reicht demnach über seine zwei aktiven literarischen Schaffensphasen weit hinaus. Angesichts der in der römischen Oberschicht immer noch verbreiteten Skepsis gegenüber allzu großer Begeisterung für die an sich zweckfreie griechische Bildung und Philosophie153 fällt es nicht schwer zu verstehen, wieso Cicero sich lange Zeit darum bemühte, seine intensiv gepflegten Studien und Interessen an eben diesem Bereich zu verschleiern154 und seinen philosophischen Eifer nicht in den Vordergrund treten zu lassen. Bezeichnenderweise datieren, wie J. Graff betont, die ersten Zeugnisse darüber, dass Cicero sich öffentlich zu seiner leidenschaftlichen Verpflichtung gegenüber der griechischen Philosophie und Wissenschaft äußert, auf das Ende des Jahres 60 v. Chr.155 Erst jetzt, als Konsular und Elder Statesman, kann er sich dazu äußern, ohne befürchten zu müssen, als homo novus dafür abgestraft zu werden. Daher ist mit Blick auf die umfangreichen Zeugnisse für Ciceros philosophische Studien damit zu rechnen, dass er neben verschiedenen literarischen Quellen auch auf seine eigene, vertiefte philosophische Bildung sowie auf Gespräche und Diskussionen im Freundeskreis zurückgreifen kann und zum Teil wohl auch muss. Zu Recht bezweifelt nämlich etwa W. Süss, dass zu jeder von Cicero verhandelten Teilfrage wirklich akademische Widerlegungen im Sinne der Neuen Akademie zur Verfügung standen, sodass Cicero in etlichen Fällen auf seine eigenen Fertigkeiten sowie verschiedene Exzerpte angewiesen war.156 Dies wird auch mit Blick auf den knappen Zeitraum der Veröffentlichung deutlich. Die schnelle Produktion spricht angesichts des Gesamtcharakters der ciceronischen 152 153

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Vgl. Philippson 1939a, 1176–1180. Vgl. neben Fuhrmann 2011, 46 f. vor allem auch ausführlicher Christes 1975, 169–180 für den Nachweis, dass diese Skepsis auch im 1. Jahrhundert vor Christus noch stark ausgeprägt war und dass sich römische Bildungsbestrebungen entgegen dem griechischen ars gratia artis-Prinzip stets als utilis erweisen mussten. Vgl. Philippson, 1939a, 1174. Vgl. Graff 1963, 46 f. Vgl. Süss 1952, 424 f.; schon Schwenke 1879, 57 betont, dass Cicero „durch die art seiner philosophischen bildung“ vor allem in dogmatisch geprägten Passagen stark auf Prätexte angewiesen war, während er hingegen für die skeptischen Gegenreden zwangsweise auf eigene Überlegungen und Widerlegungstechniken zurückgreifen musste, da nicht zu jedem dogmatischen Werk und Thema eine passende skeptische Widerlegung bereitgestanden habe.

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II. Cicero und die Quellen

Philosophica nicht für ein einfaches Kopieren griechischer Quellen, sondern ist nur möglich auf der Grundlage einer vertieften philosophischen Bildung, die ihm die Verschriftlichung der eigenen Position unter Zuhilfenahme ausgesuchter Quellen erlaubt. Daher konstatiert H. Fuchs: [I]n der Tat hätte diese große Leistung auch von einem so beweglichen und unermüdlich fleißigen Künstler, wie Cicero es war, niemals in so kurzer Zeit bewältigt werden können, wenn ihm nicht sehr reichliche eigene Vorarbeiten und Vorentscheidungen zur Verfügung gestanden hätten.157

Die vorausgehenden Überlegungen erlauben berechtigte Zweifel an einer philologischen Erforschung ciceronischer Philosophica im Sinne der allzu einfachen Kompilationsthese der älteren Quellenforschung.158 Auf der literarischen Ebene unterscheidet sich Cicero nicht grundsätzlich von anderen antiken Schriftstellern; seine Texte sind das Ergebnis eines intentionalen Wirkens, das auf seinem eigenen geistigen Horizont und bestimmten Prätexten fußt, deren Integration in den eigenen Texten, anders als im modernen Wissenschaftsdiskurs, nicht durchgehend explizit gemacht werden muss. Als Fazit kann somit festgehalten werden, dass Ciceros literarischer Anspruch mit Blick auf seine eigenen programmatischen Äußerungen, die individuellen Produktionsbedingungen und kollektiven Rezeptionszeugnisse und die knappen Hinweise auf die Art und Weise seines Quellengebrauchs sowohl relativ konkret rekonstruiert als auch als plausibel erwiesen werden konnte. Er bietet ein heuristisches Kriterium, mit dessen Hilfe die philologische Interpretation der ciceronischen Einzelwerke einsetzen kann. Was den Bereich des Schriftstellers angeht, kann mithilfe externer Quellen wie beispielsweise Ciceros Atticus-Korrespondenz nicht erwiesen werden, dass es ihm lediglich um die Aneinanderreihung und Übersetzung verschiedener griechischer Quellentexte geht. Vielmehr sieht er seine literarische Leistung in Bereichen, die er aufgrund seiner Biographie beherrscht und die vom römischen Publikum des 1. Jahrhunderts vor Christus auch erkannt und geschätzt werden können. A priori auch dort von mechanistisch eingefügten und von Cicero nicht weiter veränderten Quellenstücken auszugehen, wo Cicero selbst nicht auf eine Quelle verweist, scheint nicht mit den hier rekonstruierten ciceronischen Produktionsbedingungen vereinbar zu sein. So spricht sich auch W. Görler dafür aus, nur dort nach einer Quelle zu fragen, wo Cicero selbst einen expliziten Hinweis auf einen Quellenautor nennt: „Die Vermutung drängt sich auf, dass Cicero dort, wo er keine Quelle nennt, auch keine zitierbare Quel-

157 158

Fuchs 1959, 6; Fuchs zeigt zu Beginn seines Aufsatzes auf, wie sehr Cicero schon vor seinen eigentlichen Schaffensphasen implizit seine philosophische Grundausrichtung durchscheinen lässt (vgl. ebd., 1–6). Vgl. dazu auch Wiemer 2016, 7, der die Quellenforschung alter Couleur auch deshalb kritisiert, weil „zu viele Unbekannte in die Rechnung ein[gehen].“

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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le benutzt hat.“159 Damit ist das Paradigma einer mechanistischen und unsouveränen Quellenbenutzung nicht mehr zu halten. Ciceros literarisches Schaffen stellt sich vielmehr als das Ergebnis eines multifaktoriellen, komplexen Erkenntnisprozesses dar, der sich neben eindeutig nachweisbaren Hauptquellen vielen anderen Arten von Quellen verdankt, die Cicero gezielt und in modifizierter Form für sein eigenes philosophisches Programm verwendet. 3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs in Ciceros De natura deorum Mit dem Einsetzen der quellenkritischen Cicero-Forschung änderte sich nicht nur die Beurteilung von Ciceros philosophischem Spätwerk im Gesamten, sondern vor allem die Sichtweise auf sein religionsphilosophisches Hauptwerk De natura deorum. Zuvor erfuhren Ciceros religionsphilosophische Schriften nämlich noch eine ganz andere, durchgehend wohlwollende Beurteilung. So schätzten vor allem die Denker und Dichter der Aufklärung (wie Molière, Voltaire und Hume) De natura deorum und sahen in Cicero unter anderem einen wortmächtigen Vertreter ihrer Sache, d. h. eines auf dem Rationalismus fußenden Antiklerikalismus,160 da sie bei ihm nützliche Argumentationshilfen für ihre eigene Religionskritik finden konnten und Cicero auch bei der Formulierung eines deistischen Gottesverständnisses als ernstzunehmende und wertvolle Autorität ansahen. Zutreffend resümiert daher M. Fox: Certainly, his views on religion are one area where he can be thought to be particularly influential, and where the influence was recognized explicitly.161

159

Görler 1994, 1028 (Hervorhebung C. D.). Vgl. dazu auch Görler 1971, 17: „Es wird jedoch daran zu erinnern sein, daß nur in ganz wenigen Fällen der Beweis dafür erbracht werden kann, daß Cicero tatsächlich über größere Strecken einer Quelle gefolgt ist, nämlich dort, wo er selbst darauf hinweist.“ Wenn allerdings Auvray-Assayas 2006, 23 f. angesichts der angesprochenen Probleme so weit geht, Ciceros Rekurs auf andere Autoren nur dann als relevant zu erachten, wenn Cicero diesen Rekurs offenlegt und es tatsächlich auf die Gegenüberstellung verschiedener Positionen ankommt, formuliert sie ein anderes Extrem, das Gefahr läuft, einen offensichtlichen, aber von Cicero nicht markierten Quellenrekurs, wie er etwa im Falle von De natura deorum bei Ciceros Rekurs auf Philodems De pietate vorliegt, zu ignorieren. 160 Vgl. für einen hilfreichen Überblick über die Cicero-Rezeption während der Aufklärung immer noch Zielinski 1908, 260–287.303–319 und Gerlach/Bayer 1990, 819–848, wo die Wirkung von De natura deorum auf die europäische Aufklärung und explizit auch auf den englischen Deismus konzis nachgezeichnet wird, sowie nun auch Fox 2012 und Sharpe 2015. Sharpe konzentriert sich vor allem auf Voltaire und Montesquieu und dokumentiert bspw. auch den Voltaire’schen Ausspruch, Ciceros De natura deorum sei vielleicht das beste Buch des Altertums (vgl. Sharpe 2015, 352). Vgl. mit einem Schwerpunkt auf die Cicero-Rezeption Humes (v. a. mit Blick auf Ciceros religionsphilosophische Schriften) Price 1965 und Battersby 1979. 161 Fox 2012, 322.

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II. Cicero und die Quellen

Während die Aufklärung De natura deorum also noch nicht als historische Schrift um ihrer selbst willen analysierte, sondern als antiken Kronzeugen für ihre eigene Religionskritik oder zur Formulierung ihres deistischen Gottesverständnisses verzweckte,162 geriet die Schrift unmittelbar danach, d. h. spätestens ab dem späten 18. bzw. frühen 19. Jahrhundert, in das Interesse der Quellenforschung.163 In vielerlei Hinsicht unterscheiden sich die Begründungslinien der Quellenforschung im Fall von De natura deorum dabei grundsätzlich nicht von denjenigen, die auch bei den anderen Schriften aus Ciceros philosophischem Spätwerk zur Rechtfertigung des quellenkritischen Ansatzes dienten. Dennoch fällt die Intensität und die besondere Schärfe auf, die die Suche nach Ciceros hellenistischen Prätexten bei dieser Schrift auszeichnet.164 Im Folgenden sollen daher die Argumente der älteren Forschung, mit denen die besondere Dringlichkeit von Quellenstudien im Fall von De natura deorum begründet worden ist, aufgezeigt und kritisch bewertet werden. a) Die Annahme von Ciceros besonderer Hast bei der Abfassung der Schrift Zunächst begründete man die Suche nach den Prätexten auch im Fall von De natura deorum damit, dass Cicero die schnelle Fertigstellung der Schrift nur durch eine mechanistische Übernahme hellenistischer Prätexte möglich gewesen sei.165 Wenn Cicero zuvor intensive Recherchen hätte betreiben müssen oder sich die komplexen religionsphilosophischen Problemfelder erst noch hätte erschließen müssen, hätte er weitaus mehr Zeit für die Konzeptionierung und Ausarbeitung einplanen müssen. Stattdessen habe er seine Prätexte ohne ernstzunehmende Modifikationen in größerem Umfang in sein Werk eingefügt, da er – wie er es auch im Proömium von De natura deorum äußere166 – die hellenistische Philosophie lediglich einem unkundigen römischen Publikum in lateinischer Sprache eröffnen wollte.

Vgl. zum Einfluss von De natura deorum auf den englischen Deismus treffend Gerlach/Bayer 1990, 819 f. 163 Vgl. Auvray-Assayas 2006, 13 f., die das 19. Jahrhundert als Umbruch markiert, seit dem man Cicero vornehmlich nicht mehr um seiner selbst willen gelesen hat: „On a alors cessé de lire Cicéron pour lui-même: on l’a lu seulement pour y retrouver les Grecs. Son œuvre fut réduite au statut de compilation, simple agencement d’exposés derrière lesquels il fallait ‚reconstruire‘ une ou plusieurs sources grecques obscurcies ou trahies par la traduction en latin.“ Vgl. darüber hinaus vor allem auch Begemann 2015 für die Beurteilung von De natura deorum und der anderen beiden theologischen Schriften Ciceros im 19. Jahrhundert. 164 Vgl. dazu auch Süss 1966, 93: „Das 19. Jahrhundert hat dann bei vielfach veränderter geistiger Grundhaltung das Verhältnis gerade zu dieser Schrift ganz verloren; nirgends sonst wütete die Quellenanalyse grausamer als hier.“ 165 Vgl. für diese Ansicht im Fall von De natura deorum e. g. Schäublin 1990, 88. 166 Vgl. Cic. nat. deor. 1,8 f.; dass das Proömium von De natura deorum jedoch gerade nicht auf einen dokumentarischen Anspruch Ciceros hinweist, soll im Folgenden gezeigt werden.

162

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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Zur Überprüfung der These einer allzu schnellen Abfassung der Schrift und daraus resultierenden kompositorischen und inhaltlichen Mängeln ist ein Blick auf diejenigen Hinweise hilfreich, mit deren Hilfe für gewöhnlich der Entstehungszeitraum von De natura deorum rekonstruiert wird. Dabei handelt es sich zunächst um drei AtticusBriefe aus dem dreizehnten Buch der Briefsammlung, mit deren Hilfe vor allem der Beginn von Ciceros Arbeit an De natura deorum bestimmt wird.167 Auch wenn sich weder in diesen noch anderen Briefen eine direkte Erwähnung der Schrift findet, so werden doch Ciceros in Att. 13,8 und Att. 13,39,2 geäußerte Bitten um Bücher und Zusammenfassungen, die Atticus ihm schicken solle, als Hinweise darauf ausgewertet, dass Cicero zu diesem Zeitpunkt mit De natura deorum beschäftigt ist.168 Auch Ciceros Bemerkung in Att. 13,38,1, in der er hervorhebt, dass er noch vor Tagesanbruch und vor dem Verfassen des Briefes contra Epicureos geschrieben habe,169 wird als Hinweis darauf gedeutet, dass Cicero gerade dabei ist, die skeptische Widerlegung der epikureischen Theologie zu verfassen.170 Da der erste Brief Anfang Juni verfasst worden ist und die letzten beiden in die Mitte des August 45 v. Chr. zu datieren sind, gilt der Sommer des Jahres 45 v. Chr. als derjenige Zeitpunkt, zu dem Cicero die Arbeit an De natura deorum aufgenommen hat, teilweise parallel zu bzw. unmittelbar nach der Entstehung der Tusculanen.171 Weil Ciceros Korrespondenz mit Atticus in der zweiten Hälfte des Jahres 45 v. Chr. abbricht und somit keine weiteren Hinweise auf den genauen Zeitpunkt der Fertigstellung oder Veröffentlichung der Schrift liefert, kann erst seine Schrift De divinatione und deren mutmaßliche Publikation in der ersten Hälfte des Jahres 44 v. Chr172 als terminus ante quem dienen; von besonderer Relevanz ist dabei deren berühmter Werks167 Vgl. Cic. Att. 13,8.38.39. Darüber hinaus weist Philippson 1939a, 1151 noch auf zwei weitere Briefe aus dem August 45 v. Chr. hin (nämlich Att. 13,45,2 sowie 13,47), die in ihrer Allgemeinheit jedoch nur bezeugen, dass Cicero sich in dieser Zeit mit philosophischen Studien beschäftigt hat, ohne dabei einen Anhaltspunkt für seine Arbeit an De natura deorum zu liefern. 168 Vgl. zur inhaltlichen Auswertung der beiden Buchbitten und der Frage, inwiefern sich daraus Rückschlüsse auf Ciceros Arbeitsweise ziehen lassen, die folgenden Ausführungen. 169 Vgl. Cic. Att. 13,38,1: Ante lucem cum scriberem contra Epicureos, de eodem oleo et opera exaravi nescio quid ad te et ante lucem dedi. 170 Dass sich die Briefstelle auf Cic. nat. deor. 1 bezieht, kann als gesichert gelten; Cic. fin. 2, wo Cicero bereits vorher eine Widerlegung der epikureischen Lehre unternommen hatte, ist zum Zeitpunkt des Briefes bereits abgeschlossen; vgl. Cic. Att. 13,19,4 (Ende Juni 45 v. Chr.) für den Hinweis auf die Vollendung von De finibus. 171 Vgl. Schanz 1907, 361. 172 Eine Datierung von De divinatione gestaltet sich seit jeher als schwierig, da zwar bereits Cäsars Tod explizit vorausgesetzt wird, andere Passagen allerdings noch von Cäsars Alleinherrschaft ausgehen. Für die hiesige Fragestellung genügt es festzuhalten, dass auf der Grundlage dieser Zeugnisse De divinatione mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen Ende 45 v. Chr. und Anfang 44 v. Chr. verfasst, frühestens Ende März 44 v. Chr. herausgegeben wurde und somit „das Werk unmittelbar vor dem Abschluß stand, als Caesar ermordet wurde, und Cicero noch einiges einfügte, besonders das Proömium zum zweiten Buche, was der neuen Situation Rechnung trägt“ (Bringmann 1971, 171 Anm. 1).

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II. Cicero und die Quellen

katalog zu Beginn des zweiten Buches, der De natura deorum als bereits veröffentlicht apostrophiert.173 Plasbergs Versuche, aus diesen Angaben im Werkskatalog auf eine postume Publikation von De natura deorum zu schließen, können als widerlegt angesehen werden.174 So wollte Plasberg den in De divinatione verwendeten Ausdruck quibus rebus editis tres libri perfecti sunt de natura deorum als Beleg für die Unfertigkeit von De natura deorum und deren noch ausstehende, aber letztlich erst postum erfolgte und damit die letzte Hand des Autors entbehrende Publikation auslegen. Während nämlich die Tusculanen dezidiert als bereits herausgegeben (editi) bezeichnet werden,175 würden die drei Bücher De natura deorum „lediglich“ als fertiggestellt (perfecti) beschrieben. Weder Kontext noch Semantik untermauern jedoch Plasbergs Deutung, der, von einem kritikwürdigen Zustand von De natura deorum ausgehend, Ciceros Ehrenrettung betreibt, indem er eine Veröffentlichung dieser Schrift grundsätzlich in Zweifel zieht und ihren seines Erachtens defizitären Zustand dadurch zu erklären sucht, dass De natura deorum in der vorliegenden Form von Cicero gar nicht freigegeben worden ist. Denn neben Philippsons plausibler Entgegnung, in den beiden Partizipien lediglich eine nicht weiter bedeutungstragende Variation zur Vermeidung einer Wortwiederholung zu sehen, ist Plasbergs Prämisse einer postumen Veröffentlichung der Schrift abzulehnen. Wenn De natura deorum nämlich noch nicht veröffentlicht worden wäre, würde die Veröffentlichung von De divinatione und De fato, die sich dezidiert als eine ergänzende Fortsetzung von De natura deorum begreifen, sowie die expliziten Verweise in De divinatione und De fato auf De natura deorum wenig sinnvoll erscheinen, sodass man in diesem Fall davon ausgehen müsste, dass all diese Schriften nicht von Cicero selbst veröffentlicht worden seien, sondern erst nach 173 174

175

Vgl. Cic. div. 2,3. Vgl. Philippson 1939a, 1151 f. für Plasbergs Argumentation in seiner alten Teubnerausgabe und für Philippsons Widerspruch. Vgl. darüber hinaus auch Levine 1957, 8 f.25 mit (zustimmenden) Hinweisen auf die ältere Forschung, die von einer postumen Veröffentlichung von De natura deorum ausgegangen ist. Spitzfindig weist Philippson 1939a, 1151 darauf hin, dass Cicero in div. 2,3 mit dem Ausdruck quibus rebus editis gerade nicht davon spricht, dass die Tusculanen veröffentlicht worden sind; stattdessen möchte er die Junktur eas res edere i. S. v. eas res proponere verstanden wissen, um dadurch den Gegensatz zwischen „veröffentlichen“ (edere) und „fertigstellen“ (perficere) zu nivellieren. Ähnlich auch Pease 1923, 348, der edere i. S. v. proferre oder exponere auffasst und den Ausdruck damit nicht als Hinweis auf die Veröffentlichung der Tusculanen in Buchform versteht, sondern als Vorstellung des in den Tusculanen behandelten Themas; res wäre dabei als Rückgriff auf den vorausgehenden Satz zu lesen, in dem der Gehalt der Tusculanen mit docet enim ad beate vivendum virtutem se ipsa esse contentam (Cic. div. 2,2) zusammengefasst wird. E. A. Schmidt 1978, 66 unterstreicht dies mit dem Hinweis, dass auch sonst im Werkskatalog von Cic. div. 2 nirgends von der materialen Herausgabe oder tatsächlichen Veröffentlichung der Werke die Rede ist. Mit Blick auf die detaillierte Analyse von Dortmund 2001, 107–124, die das Verb edere als publizitischen terminus technicus untersucht, bleibt jedoch anzumerken, dass mit edere durchaus die Veröffentlichung, Freigabe bzw. Herausgabe eines Buches impliziert ist: „Edere bezeichnet eine rein qualitative Veränderung, den Übergang von einem ‚Innen‘ zu einem ‚Außen‘, meist der Öffentlichkeit in einem ganz unspezifischen Sinn.“ (Dortmund 2001, 112).

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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seinem Tod den Weg in die Öffentlichkeit gefunden hätten. Da sich für eine postume Veröffentlichung dieser Werke jedoch keine Hinweise finden und im Werkskatalog diejenigen Schriften, bei denen man damit rechnen darf, dass Cicero sie nicht selbst veröffentlicht hat, auch keine Erwähnung finden (wie bspw. De legibus), liegt es nahe, nicht an der Veröffentlichung der Schrift zu zweifeln.176 Außerdem scheint es auch aus semantischen Gründen nicht möglich zu sein, gerade in der Partizipialform perfecti eine Allusion auf einen unvollendeten und noch bearbeitungswürdigen Zustand des Werks sehen zu wollen.177 Mit dem Wegfall dieses Einwands lässt sich festhalten, dass die Arbeit an De natura deorum damit am wahrscheinlichsten auf die Mitte bzw. zweite Hälfte des Jahres 45 v. Chr. fällt, während mit einer Veröffentlichung spätestens in den ersten Monaten des Jahres 44 v. Chr. zu rechnen ist. Da Ciceros vorsichtig-freundliche Äußerungen über Cäsars Diktatur178 darauf hinweisen, dass sie zum Zeitpunkt der Abfassung noch bestanden hat,179 liegt es nahe, von einer Veröffentlichung vor den Iden des Märzes 44 v. Chr. auszugehen. Eine weitere Konkretisierung bzw. Eingrenzung der Bearbeitungsdauer lässt sich angesichts fehlender weiterer Zeugnisse nicht leisten. Was den Zeitpunkt und die Dauer der Abfassung angeht, kann man mit Blick auf die vorhandenen Zeugnisse180 also weder eine Besonderheit erkennen, die De natura deorum in negativer Weise auszeichnen würde, noch eine schnellere Fertigstellung als bei anderen ciceronischen Philosophica des Spätwerks annehmen.181 Die These einer allzu schnellen Bearbeitung der Schrift durch Cicero kann somit durch keine textexternen Zeugnisse erhärtet werden. b) Die Annahme von Ciceros fehlender natur- und religionsphilosophischer Expertise Eine besondere Rechtfertigungsstrategie der Quellenforschung, die vor allem De natura deorum betrifft, liegt in der Rekonstruktion von Ciceros Kenntnissen und Interessen auf dem jeweiligen philosophischen Gebiet. Je weniger Expertise und Interesse

176 177

Ähnlich argumentieren auch Philippson 1939a, 1152 und Bringmann 1971, 268. Vgl. TLL 10/1, 1367 s. v. perficio, Nr. caput primum IA1δ, für weitere Belegstellen zur Bezeichnung eines vollendeten oder abgeschlossenen Werkes mithilfe des Verbs perficere. 178 Vgl. Cic. nat. deor. 1,7: Nam cum otio langueremus et is esset rei publicae status, ut eam unius consilio atque cura gubernari necesse esset, […]. 179 So auch Schanz 1907, 361. 180 Anders als im Falle von De natura deorum, wo sich der Bearbeitungszeitraum der Schrift nicht wirklich eingrenzen lässt und sich nur der Beginn und der spätestmögliche Abschluss benennen lassen, lässt sich durch die brieflichen Zeugnisse bspw. ein sehr kurzer Bearbeitungszeitraum von ca. sechs Wochen für Ciceros De finibus nachweisen (vgl. für die Zeugnisse Schanz 1907, 340). 181 Ähnlich auch Levine 1957, 10 f.

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II. Cicero und die Quellen

man Cicero an einem Teilbereich der Philosophie zutraute, desto mechanischer und ausführlicher stellte man sich seinen Quellenrekurs bei den entsprechenden philosophischen Schriften vor. Mit Blick auf De natura deorum betonte man meistens Ciceros fehlende Expertise bzw. sein fehlendes Interesse an natur- und religionsphilosophischen Fragen. Während man annahm, dass Cicero sich zeitlebens wenig mit diesem Bereich der Philosophie beschäftigt hatte,182 konnte man zumindest für seine dezidiert staatspolitischen und individualethischen Schriften eine gewisse geistige wie literarische Eigenständigkeit plausibilisieren, indem man die innere Verbindung dieser Schriften mit Ciceros politischer und oratorischer Tätigkeit sowie eine wechselseitige Befruchtung dieser Bereiche betonte.183 So traute man Cicero in Dialogen wie De finibus, De re publica oder De legibus eher zu, den jeweiligen Stoff aufgrund eigener politischer Erfahrungen und aufgrund der Konfrontation mit ethischen Dilemmata während seiner Tätigkeit als Redner und Politiker souverän und eigenständig bearbeitet zu haben, ohne für den religionsphilosophisch-physikalischen Diskurs184 eine ähnliche Verbindung zu Ciceros Tätigkeitsfeldern ziehen zu können. Während diese biographisch begründete Unterscheidung somit zu einer Aufwertung der staatspolitischen, rhetorischen und teilweise auch individualethischen Werke führte, sah man sich berechtigt, die religionsphilosophischen Schriften umso intensiver mit quellenkritischen Studien zu bedenken und Ciceros philosophisch-literarische Eigenleistung dort von vorneherein als geringer zu erachten. Prägnant fasst R. Hirzel als einer der ersten Quellenforscher diese Unterscheidung im Vorwort seiner Untersuchungen zu Ciceros philosophischen Schriften zusammen: Endlich kommt auch der Gegenstand der Schrift in Betracht; denn wo es sich wie in den Tusculanen um Themata aus der praktischen Moral handelte, um Fragen, über die ihm eigne Gedanken zu Gebote standen und die eine rhetorische Behandlung vertrugen, wird er natürlich nicht mit derselben Aengstlichkeit seinen griechischen Gewährsmännern ge-

182

Als Motive für die vermeintliche Vernachlässigung dieses Bereiches wird entweder Ciceros fehlendes persönliches Interesse an naturphilosophischen Themen (vgl. Görler 1994, 1021, der davon spricht, dass „physikalisch-ontologische Grundfragen […] seinem Wesen besonders fernstanden“) angeführt oder die fehlende Relevanz solcher Fragestellungen für seinen skeptischen Ansatz (vgl. Bringmann 1971, 177 f.) betont. 183 Vgl. Mommsen 1904, III 622 f. zumindest für Ciceros staatsphilosophische und rhetorische Schriften de orat., Brut., rep., leg.; Ciceros individualethische Schriften klammert er bei seiner positiven Bewertung jedoch aus: „Es sind keine großen Kunstwerke, aber unzweifelhaft diejenigen Arbeiten, in denen die Vorzüge des Verfassers am meisten und seine Mängel am wenigsten hervortreten. […] Wenn diese philosophisch gefärbten rhetorischen und politischen Schriften Ciceros nicht ohne Verdienst sind, so fiel dagegen der Kompilator vollständig durch, als er in der unfreiwilligen Muße seiner letzten Lebensjahre (709, 710 45, 44) sich an die eigentliche Philosophie machte und mit ebenso großer Verdrießlichkeit wie Eilfertigkeit in ein paar Monaten eine philosophische Bibliothek zusammenschrieb.“ 184 Ähnliches gilt für den Bereich der Logik, den Cicero vor allem in seinen Academica abgehandelt hatte, vgl. dazu Hirzel 1877, 2.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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folgt sein, mit der er diess [sic!] auf dialektischem und naturphilosophischem Gebiet zu thun allen Grund hatte.185

Selbst A. S. Pease sah vor diesem Hintergrund Ciceros Eigenleistung in De natura deorum lediglich in der (oberflächlichen) Romanisierung des Textes, die Cicero durch das Einfügen römischer Beispiele und lateinischer Dichterzitate, allgemein römischer Lebensweisheiten oder eigener Beobachtungen vollzogen habe.186 Kritisch bleibt hingegen anzumerken, dass eine strikte Trennung der einzelnen philosophischen Teildisziplinen für den antiken Diskurs selbst keine allzu große Rolle gespielt hat. Gerade die Teilbereiche der Physik und der Epistemologie werden nicht isoliert für sich betrachtet, sondern sind oftmals eng auf den ethischen Diskurs bezogen. Dies lässt sich nicht nur prägnant anhand von Lukrez’ physikalischem Lehrgedicht zeigen, dessen Ziel vor allem darin liegt, den Menschen durch die Erklärung der Naturprozesse die Angst vor deren Unberechenbarkeit zu nehmen und ihnen dadurch ein von dieser Angst befreites Leben und Handeln zu ermöglichen;187 auch Cicero selbst verweist auf den engen Konnex von Physik und Ethik,188 sodass sich selbst dann, wenn man ausschließlich ethische Fragestellungen als den Ort von Ciceros geistiger Eigenständigkeit ansehen möchte, physikalische Problemstellungen nicht ausschließen lassen. Darüber hinaus lässt sich anhand etlicher ciceronischer Werke zeigen, dass sich Cicero zeitlebens mit Fragestellungen beschäftigt hat, die sich der Physik und allen voran der Kosmologie, die in antikem Verständnis die Spitze der Physik bildet, zuordnen lassen. Zu den prominentesten Beispielen zählen etwa der Beginn der Staatsschrift De re publica, die sich dem Phänomen der Doppelsonne widmet und eine enge Verbindung zwischen kosmologischen und staatsethischen Problemen herstellt,189 und deren Abschluss mit dem berühmten somnium Scipionis, welches eine komplexe Behandlung der Sphärenharmonik bietet.190 Auch Ciceros Übersetzung von Arats astronomisch-

185

Hirzel 1877, 2. Bis in jüngste Zeit findet sich dieser Ansatz immer noch, allen voran in literaturgeschichtlichen Überblickswerken, bspw. bei v. Albrecht 2003, 430 f., der betont, dass „nicht alle Schriften mit gleicher Sorgfalt ausgearbeitet [sind]; so ist vor allem in der Spätzeit eine mechanistische Quellenbenutzung nicht auszuschließen. Vor allem wird man je nach der Intention jedes Werkes und der einzelnen Stelle fein zu unterscheiden haben: Wo Cicero seinen Text spürbar künstlerisch gestaltet und zugleich mit einer gewissen Kompetenz spricht – also auf dem Gebiet der Politik und Rhetorik, stellenweise auch dem der Moral –, modifiziert er seine Vorlagen […]; genauer hält er sich an seine Vorgänger beim Referat von Lehrmeinungen (von den Academica bis De fato) […].“ 186 Pease 1955, 47 f. 187 Vgl. bspw. Farrell 2007 zur Zielsetzung des Lukrez und deren literarischer Umsetzung. 188 Vgl. Cic. ac. 2,147. 189 Vgl. Cic. rep. 1,15–22 sowie Büchner 1984, 96–105 ad loc. 190 Vgl. Büchner 1984, 427–508 ad loc. zum somnium Scipionis.

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II. Cicero und die Quellen

meteorologischem Lehrgedicht ist hier zu nennen.191 Nachdem er das Lehrgedicht bereits in früher Jugend übersetzt hatte,192 zog er es auch später heran193 und fügte es in größerem und kleinerem Umfang in seine theologischen Schriften ein.194 Es ist daher nicht abwegig, wenn O. Gigon Ciceros ernsthafte Bemühungen um die Kosmologie anerkennt und das Interesse an kosmologischen Fragen kohärent in ein Charakterbild Ciceros einfügt, das die Beschäftigung mit der Physik nicht als eine Verlegenheitslösung erscheinen lässt, die Cicero notgedrungen getroffen habe, um das Ganze der hellenistischen Philosophie abbilden zu können, sondern als Ausdruck eines wirklichen Interesses an solchen Fragestellungen deutet: Es ist sicher kein Zufall, daß Cicero noch als junger Mann auf den Gedanken verfiel, das Sterngedicht des Aratos ins Lateinische zu übertragen. Gewiß spricht einiges dafür, daß die Anregung dazu von Poseidonios ausging. Richtet man aber den Blick auf De rep., die Reste des Hort., Tusc. disp., De nat. deor. und schließlich den ‚Timaeus‘, so zeigt sich, daß Cicero sein Leben lang das Interesse für die Organisation der Gestirnwelt und den Bau des Kosmos bewahrt hat. Und weiter: Man wird es auch echt ciceronisch nennen dürfen, wenn im Anblick der Größe, Weite und Ewigkeit des Kosmos die Nichtigkeit der menschlichen πολυπραγμοσύνη spürbar wird. Cicero hat, wir wissen es übergenug, den Ruhm geliebt; aber es war keine naive Liebe, und zum nüchternen Abwägen, wie prekär ein solcher Ruhm ist, war er durchaus fähig. Selbst die Herrlichkeit des Imperium Romanum wurde belanglos, wenn man sie an den Dimensionen des Kosmos maß.195

Neben Ciceros Interesse an religionsphilosophisch-kosmologischen Fragen ist auch seine Einsicht in dezidiert religiös-theologische Bereiche zu betonen. Auch wenn die römische Religion in De natura deorum nicht ins Zentrum der Abhandlung gerückt wird, wird sie von Cicero an entscheidenden Stellen des Werkes eingeblendet und dem Leser als zentrale Bewertungsfolie für die Ansichten der einzelnen Philosophenschulen anempfohlen. Auch im Bereich der römischen Religion lässt sich dabei Ciceros Engagement und Kenntnisstand vorbringen.196 Mit Blick auf seine Biographie zeigt sich seine Kenntnis in religiösen Dingen vor allem anhand seiner eigenen sakralen Aufgabe als Augur seit dem Jahr 53 v. Chr.;197 zwar stellt M. Gelzer zu Recht heraus, 191

Vgl. zu Ciceros Arat-Übersetzung Gee 2001, v. a. 521, wo Gee u. a. mit Blick auf Cic. Att. 2,1,11 darlegt, wieso man annehmen darf, dass Cicero sich zeitlebens für die Themenstellung der Aratea interessiert hat. 192 Vgl. Cic. nat. deor. 2,104. 193 Vgl. Cic. Att. 2,1,11. 194 Vgl. Cic. nat. deor. 2,104b–114 und Cic. div. 2,14. 195 Gigon 1973, 257 f. 196 Vgl. zu Cicero und der römischen Religion bspw. Burriss 1926 oder Brunt 1989 sowie jüngst Manuwald 2018, 45–49.51, die Ciceros Selbstinszenierung als „fromme[n] Anhänger der römischen Staatsreligion“ (45) in seinen Reden analysiert und Ciceros Äußerungen über den Götterglauben in seinen Briefen zusammenträgt. 197 Vgl. Gelzer 1939, 967.

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dass es sich bei diesem Amt vor allem um eine politische Ehrung handelt, die nicht auf eine besondere persönliche Frömmigkeit Ciceros hinweisen muss, doch darf man damit rechnen, dass diese Tätigkeit Cicero tiefere Einblicke in die Funktionsweise des römischen Kultes einbrachte und er sich somit zu diesem Zeitpunkt intensiver mit der kultischen Dimension der römischen religio auseinandersetzte. Hierfür konnte er auf Kenntnisse über die römische Religion zurückgreifen, welche er sich spätestens für seine Reden De domo sua und De haruspicum responso in den Jahren 57 bzw. 56 v. Chr. angeeignet hatte. Dort inszeniert er sich als einen „religionsfromme[n] Staatsbürger“198, der das Anliegen, sein durch Clodius’ Bestrebungen mittlerweile der Libertas geweihtes Grundstück wieder für die eigene Bebauung nutzen zu dürfen, mit profunden fundamentaltheologischen Bezügen zum römischen Sakralrecht vertritt. Neben einer kurzen, den historischen Sinn römischer religio erhellenden Passage in De re publica199 beweist Cicero darüber hinaus auch im zweiten Buch von De legibus eine hohe gedankliche Eigenständigkeit, indem er das römische Ziel der pax deorum et hominum auf philosophischer Grundlage neu durchbuchstabiert.200 Jedes dieser ganz unterschiedlichen Werke unterstreicht dabei auf verschiedenen Ebenen die praktische Bedeutung der Religion für das römische Leben, sei es mit Blick auf die historischen Erfordernisse, die die religio als die wilden Römer zähmende Einrichtung begründeten (De re publica), sei es mit Blick auf den gegenwärtigen Zusammenhang von Staat und Recht, bei dem die Religion eine das Handeln und Denken der Menschen bindende Rolle gewinnt (De legibus), oder sei es mit Blick auf Ciceros eigenen Grundbesitz, der ihm nach der Zeit im Exil auf Betreiben des Clodius mit quasi-religiösen Argumenten zwischenzeitlich entzogen wurde (De domo sua bzw. De haruspicum responso).201 Das Timaeus-Fragment. Die Annahme von Ciceros besonders ausgeprägter Quellenabhängigkeit in naturphilosophischen Fragen plausibilisierte man auch mit Ciceros anderen, dezidiert naturphilosophischen Abhandlungen, deren Übersetzungscharakter vor allem in zwei prominenten Fällen Anstoß erregt hatte. So sah man es nicht nur mit Blick auf Ciceros Arat-Übersetzung,202 sondern vor allem für Ciceros

198 199 200 201 202

Stroh 2010, 11. Ähnliches lässt sich außerdem bereits in Ciceros Verres-Reden beobachten, wo er sich bspw. im fulminanten Abschlussgebet (Cic. Verr. 2,5,184–189) als frommen Bürger inszeniert. Vgl. Cic. rep. 2,26 f. Vgl. Stroh 2010, 13 ff. für einen konzisen Überblick über die religiöse Dimension dieser beiden Werke. Vgl. Stroh 2010, 3–11 für eine Analyse der historischen Umstände. Vgl. darüber hinaus Dyck 2003, 2, der auf Cic. Mil. 83 f. verweist, wo Cicero gegen Ende einer forensischen Verteidigungsrede eine dezidiert religiöse Argumentation heranzieht. Vgl. zur Arat-Übersetzung vor allem die späteren Ausführungen zur Balbus-Rede; schon an dieser Stelle sei allerdings darauf hingewiesen, dass auch hier der Begriff der Übersetzung ggf. überdacht werden sollte. Mit Blick auf die durch Cicero vorgenommene Romanisierung und Adaption auf sein Zielpublikum liegt keine reine Übersetzung vor.

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Timaeus-Fragment als erwiesen an,203 dass Cicero seinen naturphilosophischen Stoff nicht eigenständig durchdacht und nicht einmal in eine neue literarische Form gebracht habe, sondern lediglich eine lateinische Übersetzung des griechischen Primärtexts angefertigt habe.204 Vor allem Ciceros Timaeus-Fragment, welches aus einem Teil des Proömiums zu einem nicht vollendeten oder überlieferungsbedingt verstümmelten Dialog und einem Teil aus dessen vermeintlichem Hauptteil besteht, galt der älteren Forschung als wichtiges Zeugnis für Ciceros Quellenabhängigkeit gerade in naturphilosophischen Fragen. Nachdem nämlich Cicero in Tim. 1 f. die dialogische Szenerie des Dialogs vorgestellt und sich selbst, den Peripatetiker Cratippus und den Pythagoreer P. Nigidius als Gesprächspartner eingeführt hat,205 setzt unvermittelt – vermutlich als Teil des Beitrags eines der Dialogteilnehmer – eine Übersetzung des ersten Hauptteils von Platons Timaios-Dialog206 ein, die bis zum überlieferten Ende des ciceronischen Fragments nicht wesentlich unterbrochen wird.207 Als besonders problematisch erscheint dabei, dass der Platon-Text ab Tim. 3 nicht als Übersetzung oder platonische Übernahme gekennzeichnet wird. Die ältere Forschung wertete das Timaeus-Fragment daher nicht nur als Indiz für Ciceros mangelhafte Sachkenntnis in naturphilosophischen Fragen, sondern zog die fehlende Markierung des Textes als Übersetzung auch als Beweis für die These heran, dass Cicero in großem Umfang hellenistische Prätexte ohne nennenswerte Änderungen übersetzte, in sein eigenes Werk einfügte und seine Übernahme nicht einmal als solche kenntlich machte,208 sodass die Quellenforschung tatsächlich dazu berechtigt sei, aus den ciceronischen Schriften dessen lediglich ins Lateinische übersetzte, aber ansonsten nicht weiter modifizierte Primärtexte zu extrapolieren. Berücksichtigt man jedoch den fragmentarischen Zustand des Timaeus-Fragments, so scheint es nicht ohne Weiteres möglich zu sein, mithilfe der nicht-markierten Platon-Übersetzung Cicero als Plagiator zu überführen und auch andernorts die quellenkritische Suche nach nicht-markierten, ciceronischen Übersetzungen größeren Um-

203 Die Frage, inwiefern mit den neu entdeckten Papyri, auf denen sich Teile von Philodems Werk De pietate finden ließen, ein direkter, von Cicero übernommener Prätext für Teile der Velleius-Rede aus dem ersten Buch von De natura deorum vorliegt, wird bei der Analyse der Velleius-Rede diskutiert werden. 204 Vgl. Poncelet 1957 und Lambardi 1982 zur sprachlich-stilistischen Würdigung von Ciceros Timaios-Übersetzung, Giomini 1967 für textkritische Überlegungen und v. a. für die Gegenüberstellung des Platontextes mit der Übersetzung Ciceros sowie des Calcidius; vgl. zudem Lévy 2003 und Sedley 2013 für eine umfassende Untersuchung des literarischen Charakters und der Zielsetzung des ciceronischen Timaeus. 205 Vgl. Cic. Tim. 1 f. 206 Vgl. Plat. Tim. 27d–47b. 207 Vgl. Cic. Tim. 3–52. 208 Vgl. bspw. Hirzel 1877, 2 und vor allem Schanz 1907, 359: „Für die Beurteilung der philosophischen Schriftstellerei ist aber das Stück nicht ohne Interesse, weil wir hier an einem deutlichen Beispiel sehen, dass Cicero mit Recht seine philosophischen Schriften Apographa nannte.“

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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fangs zu rechtfertigen. Das Proömium bricht in den uns vorliegenden Handschriften nämlich unerwartet und mitten innerhalb des Satzes ab, als Cicero gerade damit beginnt, das Zusammentreffen der drei Dialogpartner in Ephesus näher zu charakterisieren (Cic. Tim. 2): Ac primum quidem tempus salutationis in percunctatione consumpsimus ***. Ohne dass der Leser erfährt, wie sich das Gespräch der drei Unterredner nach den ersten höflichen Erkundigungen (in percunctatione) weiter entwickelt, mit welchem Thema sich ihr dialogisches Gespräch beschäftigen soll und wie Cicero eine dialogische Überleitung gestaltet hätte, fährt der Text im unmittelbaren Anschluss abrupt mit dem Beginn der Platon-Übersetzung fort (Cic. Tim. 3). Quid est, quod semper sit neque ullum habeat ortum, et quod gignatur nec umquam sit? Seit Mitte des 16. Jahrhunderts209 wird daher mit Recht angenommen, dass man von einer Lücke zwischen Cic. Tim. 2 und Cic. Tim. 3 auszugehen hat. Mit Blick auf den syntaktisch wie inhaltlich unvermittelten Abbruch in Tim. 2 und auf das Fehlen einer Überleitung lässt sich diese Lücke als ein mechanischer Textausfall bestimmen, der mindestens den Abschluss des Proömiums, vermutlich aber auch die dialogische Rahmenpartie sowie den Beginn der ersten Rede betrifft.210 Auch wenn sich mit verlorenen Texten nicht gut argumentieren lässt, sollte man in diesem Fall doch mit einiger Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass sich dort zu Beginn der Rede eines der Dialogpartner auch die Markierung des Timaeus-Textes als Übersetzung gefunden hat. Diese Vermutung lässt sich mithilfe von Vergleichstexten aus Ciceros Werk untermauern, die in ähnlichen Fällen eine längere Übersetzung dezidiert auch als eine solche einführen. Als prominentes Beispiel dafür kann Ciceros Arat-Übersetzung herangezogen werden, die in das zweite Buch von De natura deorum eingelegt ist. Dort lässt Cicero den Stoiker Balbus die Arat-Übersetzung mit einer genauen Nennung des ursprünglichen Verfassers und des Übersetzers, mit einer kurzen Beschreibung des Übersetzungszeitpunktes und mit einer Würdigung der ästhetischen Dimension der lateinischen Übersetzung einführen, bevor die Übersetzung selbst einsetzt (Cic. nat. deor. 2,104): Atque hoc loco me intuens „Utar“, inquit, „carminibus Arateis, quae a te admodum adulescentulo conversa ita me delectant, quia Latina sunt, ut multa ex is memoria teneam. Ergo, ut oculis adsidue videmus, sine ulla mutatione aut varietate ‚cetera labuntur […]‘“.

209 Plasberg/Ax 1965 verweisen im textkritischen Apparat ad loc. auf eine Ausgabe (Cratandrina) aus dem Jahr 1528, die die Lücke als erste erkannt haben wollte. 210 Die Annahme eines überlieferungsbedingten Textverlustes an dieser Stelle des Proömiums kann zudem mit Blick auf die handschriftliche Situation plausibilisiert werden. So wird das TimaeusFragment in einer Gruppe von insgesamt acht ciceronischen Werken (nat. deor., div., Tim., fat., top., parad., ac. 2, leg.) überliefert, die auf einen in karolingischer Zeit kopierten Archetypus zurückzuführen sind. Alle älteren Handschriften (ab dem 9. Jahrhundert) weisen an etlichen Stellen kleinere sowie auch größere Lücken auf; zu letzteren zählen etwa die Lücken im dritten Buch von De natura deorum, am Beginn von De fato und spätestens nach dem dritten Buch von De legibus (vgl. zum Zustand des Archetypus bspw. die Praefatio von Powell 2006, XXXIII f. zu De legibus oder von Plasberg/Ax 1965, Vff. zu De natura deorum).

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II. Cicero und die Quellen

Zudem äußert sich Cicero auch andernorts explizit gegen die nicht-markierte Übernahme fremder Texte, die er als geistigen Diebstahl brandmarkt,211 und hätte schließlich gerade im Fall des bereits in der Antike kontrovers diskutierten und breit rezipierten Timaios-Dialogs damit rechnen müssen, dass etliche seiner Leser gerade dort ein solches Plagiat erkennen und kritisieren könnten. Ein Verschweigen der Urheberschaft Platons würde damit nicht nur Ciceros sonstigen Gepflogenheiten und Überzeugungen entgegenlaufen, sondern gerade bei diesem bekannten Text ein unnötig hohes Risiko für Ciceros Ruf als Schriftsteller implizieren. Darüber hinaus lässt sich aus Ciceros Arat- und Platon-Übersetzungen schwerlich die Schlussfolgerung ableiten, dass Cicero gerade in Fragen der Naturphilosophie auf die Übernahme fremder Prätexte angewiesen und in besonderer Weise fachlich überfordert war. So kann man Ciceros Arat-Übersetzung ganz im Gegenteil als Hinweis auf die frühe Faszination des jungen Cicero für astronomische Fragen verstehen, deren Wiederaufnahme im zweiten Buch von De natura deorum eine nicht-apophantische Weise des Redens neben dezidiert philosophische Redeweisen stellt und damit ein mehrstufiges Erkenntnis- und Wissensmodell in den stoischen Diskurs einführt.212 Auch die nach dem fragmentarisch überlieferten Proömium einsetzende TimaeusÜbersetzung Ciceros kann nicht ohne Weiteres als Zeichen von Ciceros Überforderung mit einer komplexen naturphilosophischen Materie beurteilt werden. Denn Cicero rekurriert auch andernorts des Öfteren auf die im platonischen Timaios verhandelten Fragestellungen213 und beweist in verschiedenen Kontexten und mit unterschiedlichen argumentativen Zielsetzungen, dass er zu einem eigenständigen Umgang mit den dort erörterten Fragen um Zeit, Ewigkeit und Erschaffung der Welt imstande ist. Nicht nur dort, sondern auch in der Übersetzung selbst dokumentiert er etwa ein eigenes Verständnis des in der Platon-Rezeption viel besprochenen, logischen Problems, ob die nicht-lineare Ewigkeit einmal einen linearen Anfang hatte oder nicht. Jüngere Untersuchungen zu Ciceros Übersetzungsmethodik und vor allem zu seinen Abweichungen, Ergänzungen, Kürzungen und freieren, interpretierenden Wiedergaben des platonischen Textes konnten zeigen, dass er sich gerade bei grundlegenden hermeneutischen Fragestellungen und zentralen Passagen, deren Verständnis schon im Hellenismus umstritten war,214 für eine kohärente philosophische Lesart entschie-

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Vgl. Cic. Brut. 76 sowie weiterführend dazu Jones 1959, Zintzen 1986, 25 f. und Powell 1995 zu Cicero als Übersetzer. 212 Vgl. zur genauen Funktion der Passage die Überlegungen zur Balbus-Rede in der vorliegenden Arbeit. 213 Vgl. für die Sammlung relevanter Stellen bspw. Lévy 2003, 105 f. 214 Vgl. Dillon 2003 für die Versuche der Alten Akademie, den platonischen Timaios bspw. durch eine Entmythologisierung salonfähig zu machen bzw. zu aktualisieren und vor allem den als anstößig empfundenen Schöpfungsakt und die Instanz eines Schöpfers zu entschärfen.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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den215 und in die Übersetzung ein eigenes philosophisches Urteil eingeflochten hat. So betont D. Sedley, dass Cicero sich mit der Wahl eines eindeutigen Vokabulars – wie die Verwendung des Verbs oriri und die Wiedergabe der Wendung ἀπ᾽ ἀρχῆς τινος mit ab aliquo temporis principatu – durchgehend für die wörtliche Lesart und die Auffassung entschieden hat, dass die Welt und die Ewigkeit einmal einen punktuellen Beginn in der Zeit hatten.216 C. Lévy fragt danach, wie Cicero das Konzept des platonischen Demiurgen ins Lateinische überträgt, und zeigt mit Blick auf die von Cicero gewählten Substantive (artifex, opifex, genitor etc.), dass er die Rolle des Demiurgen abschwächt und dafür die Natur als eigene Macht stärker in den Vordergrund stellt.217 Darüber hinaus lässt es sich mit Blick auf das vorliegende Fragment nicht mehr beurteilen, in welches dialogische Gesamtkonzept sich der erhaltene Teil des Dialogs einfügen sollte und wieso Cicero gerade die Form der Übersetzung gewählt hat.218 Auch wenn die beiden überlieferten Paragraphen des Proömiums ein eigenständiges dialogisches Konzept vermuten lassen, welches in typisch ciceronischer Manier einen Konnex zwischen dem vorliegenden Dialog und Ciceros vorausgehenden Schriften herstellt219 und nicht nur die dialogische Szenerie,220 sondern auch die Dialogpartner221 umsichtig vor-

Die hier beobachtete ciceronische Tendenz, Leerstellen und unklare Passagen in Platons Timaios in seiner eigenen Übersetzung zu glätten, kann als logische Schlussfolgerung Ciceros aus seiner Einschätzung des Dialogthemas gesehen werden. In Cic. fin. 2,15 findet sich nämlich das Urteil, dass die im naturphilosophischen Gegenstand begründete epistemologische Schwierigkeit der Fragestellung (rerum obscuritas) ein vertieftes Verständnis bei manchem Rezipienten verhindert. 216 Vgl. Sedley 2013, 196–199. Zudem untersucht Sedley auch die ciceronischen Kürzungen und die Gründe, wieso gerade die vorliegende Passage von ihm übersetzt worden ist (Sedley 2013, 200 f.). 217 Vgl. Lévy 2003, 100–103. Neben Sedley und Lévy plädiert auch Reydams-Schils 2013 dafür, Ciceros Timaios-Übersetzung nicht als Übersetzung mit rein dokumentarischem Anspruch zu verstehen, sondern sie als eigenständigen ciceronischen Beitrag ernst zu nehmen. 218 Vgl. Sedley 2013, 194–196 für den Versuch, auf der Grundlage von z. T. sehr spekulativen Prämissen eine mögliche Rekonstruktion des ursprünglich geplanten Dialogfortgangs zu entwerfen. 219 Vgl. Cic. Tim. 1, wo Cicero gleich zu Beginn des Proömiums einen Verweis auf die Academica als Schrift einfügt, in der er bereits naturphilosophische Fragen behandelt habe. Der sich anschließende Hinweis, mit P. Nigidius schon des Öfteren dialektisch (Carneadeo more et modo) über naturphilosophische Fragen diskutiert zu haben, soll einen Konnex des Dialogthemas in Ciceros Lebenswelt und zu seiner philosophischen Haltung herstellen. Vgl. auch Lévy 2003, 97 für die Beurteilung des Proömiums als (philosophiehistorischer) Kontinuitätsmarker. 220 Vgl. Cic. Tim. 2, wo sich Cicero große Mühe gibt, Ephesus als Gesprächsort plausibel zu machen. Zur Erzeugung größerer Plausibilität zeichnet er die Reiserouten der drei Gesprächsteilnehmer nach, die sich aus glücklicher Fügung in Ephesus kreuzen bzw. Ephesus als Treffpunkt möglich machen. Während er selbst (von Italien aus) auf dem Weg nach Kilikien ist, befindet sich Nigidius von einer legatio kommend auf dem Weg nach Rom, und auch Mytilene ist für Kratipp in nicht allzu weiter Entfernung zu Ephesus. Die Reiseroute Ciceros ermöglicht zudem eine Datierung des Dialoggeschehens auf 51 v. Chr., da er in diesem Jahr zu seiner Statthalterschaft nach Kilikien aufgebrochen ist. 221 Vgl. Cic. Tim. 1 f., wo – typisch für das ciceronische Proömium – dem Leser zunächst die philosophische Schulzugehörigkeit der Dialogpartner genannt wird und sie sodann als herausragende Vertreter ihrer jeweiligen Disziplin beschrieben werden (vgl. für Nigidius als Neugründer der pythagoreischen Schule Cic. Tim. 1: denique sic iudico […] hunc extitisse, qui illam renovaret; für 215

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stellt, ist dem Text nicht mehr zu entnehmen, welchen Titel der Dialog ursprünglich trug, welche naturphilosophischen Fragestellungen im Einzelnen zur Diskussion standen und wie sich die Timaios-Übersetzung in den Gesamtkontext der Schrift einfügen sollte. Da Cicero selbst den Dialog nicht in den Überblick über sein philosophisches Œuvre einreiht,222 nirgends auf ihn rekurriert und er auch im weiteren Verlauf der Antike und des Mittelalters keine nennenswerte eigenständige Wirkung entfaltet hat, ist anzunehmen, dass dessen fragmentarische Form nicht nur auf einen überlieferungsbedingten Textausfall innerhalb des überlieferten Textes zurückzuführen ist, sondern auch daraus resultiert, dass er gar nicht zur Veröffentlichung vorgesehen war und mehr durch Zufall als aus Absicht postum aus Atticus’ oder Ciceros Archiv223 herausgegeben worden ist.224 Da sich mit Ausnahme des abrupt abbrechenden Proömiums nicht mehr rekonstruieren lässt, welcher Textausfall auf einen überlieferungsbedingten Textverlust und welcher Textausfall auf den fehlenden Vollendungsgrad der Schrift zurückzuführen ist, inwieweit Cicero den Dialog schon fertiggestellt hatte und aus welchen Gründen es nicht zu dessen Vollendung und Veröffentlichung gekommen ist, eignet sich der Sonderfall des Timaeus-Fragments nicht, um daraus Ciceros Unsicherheit bei naturphilosophischen Fragestellungen abzuleiten. c) Die Annahme divergierender Zeitkonzepte in De natura deorum Daneben argumentierte die ältere Quellenforschung auch mit der als besonders problematisch beurteilten Gestalt des Cicero-Textes selbst. Innerhalb von De natura deorum bemerkte man eine beachtliche Vielzahl von kompositorischen Spannungen, philosophiehistorischen Inkonsistenzen225 oder inhaltlichen Brüchen, die man zwar vielerorts in Ciceros philosophischem Spätwerk sehen wollte,226 die den Befund bei anderen philosophischen Schriften Ciceros jedoch deutlich überstiegen. Dabei hanKratipp als prominenten Vertreter des Peripatos Cic. Tim. 2: Cratippus Peripateticorum omnium, quos quidem ego audierim, meo iudicio facile princeps). 222 Vgl. für die ciceronische Werksübersicht Cic. div. 2, 1–4. Vgl. dazu auch Sedley 2013, 193. 223 Dass Texte aus Ciceros Nachlass herausgegeben worden sind, zeigt allein die Veröffentlichung seiner Briefsammlungen durch Tiro; zudem wird an der Überlieferungslage der ciceronischen Academica deutlich, dass nicht immer die von Cicero freigegebene oder überarbeitete Version ihren Weg in die Überlieferung fand. 224 Anders Sedley 2013, 189, der damit rechnet, dass das Timaeus-Fragment intentional ein Torso geblieben ist, ohne dabei die Lücke zwischen Tim. 2 und Tim. 3 adäquat erklären zu können. Lévy 2003, 96 spricht die Frage, ob der fragmentarische Zustand des Timaeus-Fragments intentional oder überlieferungsbedingt zu erklären sei, zwar an, lässt sie jedoch offen. 225 Vgl. wiederum Schanz 1907, 360: „Auch in philosophischer Beziehung lässt sich der Verfasser die grössten Blössen zu schulden kommen.“ 226 Vgl. bspw. v. Albrecht 2003, 430 f.: „[…] genauer hält er sich an seine Vorgänger beim Referat von Lehrmeinungen (von den Academica bis De fato), obwohl Irrtümer und Vereinfachungen nicht ausgeschlossen sind. Bei der Dogmenkritik spielt Cicero jeweils die Argumente verschiede-

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delt es sich beispielsweise um die Einlage der Arat-Übersetzung in Balbus’ Rede sowie um den mythologischen Katalog in Cottas Kritik an der stoischen Theologie.227 Auch Velleius’ doxographischer Überblick im Mittelteil seiner Rede zählt zu den Partien, die den dialogischen Charakter in den Augen der älteren Forschung über Gebühr strapazieren und als zusammenhangslose Einlage beurteilt worden sind. Als exemplarisch kann das Urteil von Schanz zu De natura deorum gelten: „Diese Schrift ist ganz besonders flüchtig gearbeitet.“228 Während die folgenden Einzeluntersuchungen den Nachweis erbringen wollen, dass es sich bei diesen und weiteren Textauffälligkeiten um eine intentionale Textgestaltung handelt, die im Dienst von Ciceros philosophischer Zielsetzung steht, soll an dieser Stelle lediglich auf einen Aspekt näher eingegangen werden. Ihr Urteil einer besonders inkohärenten Textgestalt gründet die ältere Forschung nämlich vor allem darauf, dass sich innerhalb von De natura deorum Hinweise auf zwei unterschiedliche dialogische Zeitkonzepte finden, die sich nicht ohne Weiteres miteinander harmonisieren lassen.229 Einerseits scheint nämlich das gesamte, sich über drei Bücher erstreckende Gespräch an einem einzigen Tag stattzufinden. So setzt das Gespräch zwischen den Dialogteilnehmern nach der Ankunft des jungen Cicero in Cottas Haus ein, ohne dass der Leser nähere Informationen über die Tageszeit erhält. Einzig aus dem Umstand, dass alle anderen Dialogteilnehmer bereits versammelt sind und Velleius schon mit der Entfaltung der epikureischen Theologie begonnen hatte, lässt sich vermuten, dass das Eintreffen des jungen Cicero nicht unmittelbar in den ersten Morgenstunden zu verorten ist.230 Die beiden folgenden Bücher beginnen jeweils ohne neue Proömien lediglich mit dialogischen Überleitungen, ohne dass sich an den Buchgrenzen eine Unterbrechung des Gesprächsflusses erkennen lässt oder das Gespräch nach einer Pause oder nach Ablauf eines Tages neu einsetzt.231 Erst mit dem am Ende des dritten Buches angezeigten Einbruch des Abends scheint das Gespräch nach einem einzigen, langen Tag, an dem alle Gesprächsteilnehmer ihre Reden gehalten haben, zu

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ner Schulen gegeneinander aus; auch hier kann er ordnend und zurechtrückend eingreifen; doch sind Lehrvortrag und Widerlegung nicht immer genau aufeinander abgestimmt.“ Vgl. Pease 1955, 27 für diese beiden Stellen (Cic. nat. deor. 2,104–114 und 3,43–60). Schanz 31907, 360. Ähnlich äußert sich Hirzel 1895, 529 (Anm. 3): „[…] mag es auch sonst gerade in dieser Schrift an Flüchtigkeitsproben nicht fehlen.“ Vgl. Pease 1955, 26 f. zur Charakterisierung der beiden Zeitkonzepte und den jeweils relevanten Fundstellen aus De natura deorum, sowie maßgeblich auch E. A. Schmidt 1978 mit einer Auswertung der verschiedenen Konzepte, Lösungs- und Harmonisierungsversuche samt Zusammenstellung auch der älteren Literatur, auf die hier nur im Bedarfsfall rekurriert wird. E. A. Schmidt 1978, 59 geht deshalb sogar so weit, davon zu sprechen, dass das Dialoggeschehen lediglich während „eines einzigen Nachmittags“ stattfindet. Dass die Einteilung des Werkes in drei Bücher somit keine dialogische Funktion erfüllt bzw. nicht in das dialogische Setting eingeflochten wird, wertet Schäublin 1990, 88 f. als Hinweis auf eine zweite Auflage des Werkes.

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einem Ende zu kommen.232 Andererseits finden sich überraschenderweise nicht in den dialogischen Rahmenpartien, sondern innerhalb der einzelnen Reden zwei Passagen, die der eintägigen Dialoginszenierung deutlich zu widersprechen scheinen und von der Forschung vornehmlich als Hinweise auf ein anderes, mehrtägiges Zeitkonzept gelesen worden sind.233 Zunächst ist eine Stelle in der Mitte des zweiten Buches zu nennen. Als Balbus am Anfang seines dritten Gliederungspunktes festhält, dass er sich im Folgenden vor allem mit den Skeptikern auseinandersetzen müsse und nicht so sehr mit den Epikureern, die das Konzept der providentia ohnehin falsch verstanden und illegitim personalisiert hätten, rekurriert er explizit auf Velleius’ Rede aus dem ersten Buch und dessen Aussagen zur providentia als anus fatidica;234 dabei gibt Balbus an, dass sich Velleius am gestrigen Tag (hesterno die) derartig über die providentia geäußert habe.235 Diese Formulierung legt die Deutung nahe, dass Velleius’ und Balbus’ dogmatische Reden an zwei aufeinander folgenden Tagen stattgefunden haben, ohne dass sich jedoch nach Velleius’ Rede oder Cottas Gegenrede andere Hinweise auf eine Unterbrechung des Gesprächs und den Beginn eines neuen Tages finden lassen. Die zweite Passage, die das eintägige Dialogkonzept in Frage stellt, findet sich im dritten Buch, genauer gesagt am Ende von Cottas Widerlegung des ersten Teils von Balbus’ Rede, in dem er die Existenz der Götter aus der Warte der stoischen Physik und Kosmologie nachgewiesen hatte.236 Cotta stellt dabei in Aussicht, mehrere Beweisgänge des Balbus nicht jetzt, sondern zu einem späteren Zeitpunkt gesondert widerlegen zu wollen. Dabei bezieht er sich mit den Worten omniaque quae a te nudius tertius dicta sunt auf Balbus’ naturphilosophisch-kosmologische Ausführungen zur Götterexistenz. Zwischen Balbus’ Beweis der Götterexistenz in Buch zwei und Cottas Widerlegungen in Buch drei scheinen mit Blick auf die Formulierung nudius tertius („vorgestern“)237 sogar zwei Tage zu liegen. In der Forschung hat sich die Ansicht durchgesetzt, diese beiden innerdialogischen Zeitangaben als Hinweise auf ein ursprünglich von Cicero geplantes, mehrtägiges 232

Vgl. Cic. nat. deor. 3,94 f.; dass es sich hier um ein Relikt aus der ersten, mehrtätigen Fassung des Dialogs handelt, wie E. A. Schmidt 1978, 65 f. vermutet, überzeugt nicht. Gerade angesichts von Ciceros sparsamem Einsatz des dialogischen Settings ist der Einsatz des Abends die einfachste und ökonomischste Möglichkeit, das Gespräch zu einem Ende zu bringen. 233 Auch wenn weitere Stellen in De natura deorum als mögliche Hinweise auf ein mehrtägiges Konzept gelesen worden sind, wird es sich im weiteren Verlauf der Analyse zeigen, dass sie stets auch innerhalb ihres jetziges Kontextes und mit dem eintägigen Dialogkonzept adäquat erklärt werden können, sodass sie hier (anders als etwa bei Kleywegt 1961, 116 ff. und E. A. Schmidt 1978, dessen Analyse darunter leidet, dass er auch jene Passagen als notwendigerweise zu berücksichtigende Passagen missversteht) nicht auf die gleiche Ebene gesetzt werden wie bei beiden folgenden Textstellen, die eindeutig ein anderes Zeitkonzept implizieren. 234 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18. 235 Vgl. Cic. nat. deor. 2,73. 236 Vgl. Cic. nat. deor. 3,18. 237 Vgl. OLD 1199 s. v. nudius: „It is the third day since, three days ago (i. e., by Roman reckoning, the day before yesterday)“.

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Dialogkonzept aufzufassen. In der Folge hat sie viel Mühe darauf verwendet, Ciceros ursprüngliches Zeitkonzept zu rekonstruieren, d. h. die Frage zu beantworten, an wie vielen Tagen das Gespräch in einer vermeintlich früheren Version von De natura deorum stattgefunden hat bzw. (je nachdem, ob man von der tatsächlichen Umsetzung dieses Konzept ausgegangen ist oder nicht) hätte stattfinden sollen und wie sich in dieser früheren Form die einzelnen Tage und Reden auf die einzelnen Bücher verteilen ließen. Das Hauptproblem bei der Rekonstruktion eines ursprünglichen Zeitkonzeptes liegt dabei in Cottas Formulierung nudius tertius; sie impliziert nämlich, dass zu dem Zeitpunkt, als Cotta im dritten Buch zur Widerlegung der stoischen Theologie ansetzt, Balbus’ Ausführungen zur Existenz der Götter aus dem zweiten Buch bereits zwei Tage zurückliegen. Wie lässt sich dieser zweitätige Abstand zwischen den beiden direkt aufeinander folgenden Büchern zwei und drei erklären und dabei auch noch mit Balbus’ innerdialogischer Zeitangabe aus dem zweiten Buch in Einklang bringen, die Velleius’ Rede aus dem ersten Buch als gestrigen Beitrag beschreibt? Hirzel löst das Problem dadurch,238 dass er zwar von insgesamt drei Tagen Dialogdauer ausgeht, dabei jedoch die Koinzidenz von Tages- und Buchgrenze auflöst.239 So umfasst bei ihm der erste Gesprächstag nicht nur Velleius’ Rede und Cottas dazugehörige Gegenrede (Buch eins), sondern auch die ersten beiden Gliederungspunkte von Balbus’ vierteiliger stoischer Rede, die den Anfang des zweiten Buches bilden. Am zweiten Tag schließt in dieser Lesart Balbus mit dem dritten (göttliche providentia im Allgemeinen) und vierten (Sorge der Götter um die Menschen) Gliederungspunkt sodann seine Rede ab und rekurriert dabei am Beginn seines dritten Gliederungspunktes mit der Zeitangabe hesterno die folgerichtig auf Velleius’ Ausführung zur providentia; an einem dritten Tag übernimmt Cotta schließlich die Widerlegung der stoischen Position und kann sich dadurch wiederum folgerichtig mit der Zeitangabe nudius tertius auf Balbus’ ersten Gliederungspunkt als vorgestern getätigte Ausführungen beziehen. Positiv ist zu bemerken, dass Hirzels These die beiden strittigen Passagen logisch korrekt in ein Dreitagesmodell überführt, das gut zu den dreitägigen feriae Latinae passen würde;240 das dreitägige Fest würde dadurch in seiner Dauer ernst genommen und 238 Vgl. Hirzel 1895, 529 f. (Anm. 3). Vgl. dazu auch E. A. Schmidt 1978, v. a. 63–67, der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Hirzels Vorschlag gegenüber anderen Vorschlägen als den einzig plausiblen und möglichen zu rechtfertigen und der in diesem Zuge für Hirzels z. T. sehr knappe Überlegungen stichhaltige Begründungen anführt. 239 Wenn Dyck 2003, 4 seine tabellarische Übersicht zu Hirzels Position jeweils mit dem Begriff „original Book“ beginnen lässt, so scheint er Hirzels Rekonstruktionsversuch in diesem Punkt misszuverstehen bzw. eine von dessen Schwierigkeiten stillschweigend zu glätten; Hirzel selbst lässt nämlich nirgends erkennen, dass er von einer ursprünglich anderen Buchaufteilung ausgeht, sondern beschränkt sich auf die andere Tagesaufteilung. Auch Schmidt 1978, 63 kommt bei seiner Rekonstruktion zu dem Ergebnis, dass Hirzel eine andere Buchaufteilung annimmt. 240 So auch Dyck 2003, 3. Auch Gigon 1996, 503 ad loc. spricht sich für ein ursprünglich von Cicero geplantes Dreitageskonzept aus, schlägt jedoch eine andere Aufteilung vor und möchte jedem Schulvertreter (Epikureer – Stoiker – Akademiker) einen Tag zugestehen, sodass Cotta in dieser

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die Größe und Bedeutung des Themas durch eine dreitätige Unterhaltung auch auf der Dialogebene umgesetzt. Darüber hinaus kann sich die Aufteilung der Balbusrede in zwei Teile durchaus auch auf weitere Bemerkungen im Cicerotext stützen, die zwar nicht zwingend ein mehrtägiges Dialogkonzept implizieren, in der Vergangenheit jedoch oftmals als schwächere bzw. flankierende Hinweise darauf gelesen worden sind. So verweist Hirzel mit Recht auf eine Passage zu Beginn des zweiten Buches, wo „Balbus […] keineswegs von vornherein geneigt ist, den ganzen Vortrag in einem Athem zu halten, sondern viel lieber den zweiten Theil für eine spätere Zeit aufsparen möchte.“241 Zudem weist E. A. Schmidt auf eine weitere Stelle innerhalb des zweiten Buches hin,242 wo der zweite Teil der Balbus-Rede mit der Formulierung restat, ut eingeleitet wird. Diese Formuliertung verleiht bereits diesem Teil der Balbus-Rede einen abschließenden Charakter, obwohl der dritte und vierte Gliederungspunkt der Rede in der uns vorliegenden Fassung von De natura deorum im selben Buch und am selben Tag noch folgen.243 Beide Passagen sprechen jedoch nicht notwendigerweise für ein ursprünglich mehrtägiges Zeitkonzept, sondern lassen sich auch jeweils als innerdialogische Strategien erklären, mit denen der Leser auf die Balbus-Rede vorbereitet werden soll. So entgegnet Cotta am Beginn des zweiten Buches unmittelbar nach Balbus’ Bedenken, die gesamte theologische Argumentation am Stück zu entfalten, dass man sich in Momenten des otium, wie es die Feiertage des Latinerfestes bieten, Zeit für derartige, auch komplexere Diskussionen nehmen könne, die mehr Raum erfordern, als sie ein gewöhnlicher Tag böte und die ohnehin den trivialeren negotia vorzuziehen seien.244 Cotta scheint Balbus’ Sorge also nicht so aufzufassen, dass dessen stoischer Vortrag den zeitlichen Rahmen sprengen könnte und eine Aufteilung auf mehrere Tage erzwinge, sondern sieht hier Balbus’ Befürchtung, seine Zuhörer allzu lange und mit der Gefahr, dadurch unhöflich zu wirken, beanspruchen zu müssen. Cicero nutzt Cottas Replik also vor allem dazu, auch innerdialogisch die Bedeutung und Wichtigkeit des Themas, die er bereits im Proömium hervorgehoben hatte, zu markieren.

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Lesart seine Widerlegung gegen beide dogmatischen Vorredner am Stück hätte abhalten müssen. Da Gigon auf weitere Erklärungen oder Belege verzichtet, kann sein Vorschlag schon allein mit Blick auf Ciceros andere dezidiert skeptischen Dialoge, in denen stets auf eine dogmatische Rede die entsprechende skeptische Gegenrede folgt, nicht überzeugen. Hirzel 1895, 530 (Anm. 3). Bei der Stelle handelt es sich um Cic. nat. deor. 2,3: Nos autem hoc sermone, quae priora duo sunt, sumamus; tertium et quartum, quia maiora sunt, puto esse in aliud tempus differenda; diese Passage spielt auch bei der Quellendiskussion des zweiten Buches eine größere Rolle. Wie Besnier 1996, 133 f. darlegt, könnte Balbus’ Bemerkung auch als innerdialogischer Hinweis darauf zu sehen sein, dass Cicero für die ersten beiden Hauptteile der Balbus-Rede auf einen anderen Prätext zurückgegriffen hat als für die letzten beiden Hauptteile. Da Cicero jedoch gerade im zweiten Buch ausführlich seine Zitatspender benennt, ist es fraglich, ob er zu Beginn einen versteckten Hinweis auf unterschiedliche Prätexte gibt, die für die Rezipienten offensichtlich keine weitere Rolle spielen sollen. Vgl. Cic. nat. deor. 2,45. Vgl. E. A. Schmidt 1978, 59 f. Vgl. Cic. nat. deor. 2,3.

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Während Balbus’ Aussage innerdialogisch demnach als Ausdruck urbaner Höflichkeit gelten kann,245 dient sie mit Blick auf die Leserführung dazu, den Rezipienten dadurch bereits vor der eigentlichen Rede auf längere und komplexere stoische Ausführungen einzustimmen und ihn mit einer typisch stoischen Darstellungsweise vertraut zu machen. Auch die zweite Passage zu Beginn von Cottas zweitem Gliederungspunkt liefert keinen zwingenden Hinweis auf eine von Cicero ursprünglich geplante Zweiteilung der Balbus-Rede. Mit Recht wendet Schmidt selbst ein, dass durch die restat, utFormulierung, die den zweiten Gliederungspunkt eng mit dem ersten Gesichtspunkt verknüpft, die besondere inhaltliche Nähe der ersten beiden Gliederungspunkte auch formal ausgedrückt wird.246 Durch die enge Verknüpfung der ersten beiden Gliederungspunkte wird somit verdeutlicht, dass mit dem dritten Gliederungspunkt tatsächlich etwas Neues innerhalb der Balbus-Rede beginnt und sich die zweite Hälfte deutlich von der ersten Hälfte der Rede unterscheidet. Auch diese beiden flankierenden Passagen plausibilisieren das mehrtägige Dialogkonzept somit nicht maßgeblich; zudem kann eingewendet werden, dass sich Hirzels Vorschlag die Lösung des Problems auf Kosten eines  – im Vergleich mit den folgenden Tagen  – überladenen ersten Tages erkauft, der nicht nur die Vorstellung und die Widerlegung des Epikureismus, sondern sogar noch den Beginn einer weiteren dogmatischen Rede beinhaltet hätte, scheinbar ohne Not über die hermeneutisch wichtige Buchgrenze hinweg reicht und dadurch Balbus’ zweiten Redeteil torsoartig für einen inhaltlich wenig ausgefüllten zweiten Tag übrig lässt. Mit Blick auf andere Dialoge, in denen ein einzelner Tag für die dogmatische Vorstellung und skeptische Widerlegung einer philosophischen Richtung herangezogen wird, würde die von Hirzel vorgeschlagene, unproportionierte Aufteilung eine singuläre Rolle in Ciceros Werk einnehmen und bedürfte daher einer starken Erklärung, die eine solche Ausnahme plausibilisieren würde. Eine beachtenswerte Erklärung für eine solche Aufteilung der Gesprächsteile auf drei Tage liefert E. A. Schmidt, der Hirzels These konkretisiert und ihre Leerstellen durch weiterführende Erklärungen füllt;247 so vermutet er, dass in der ursprünglichen Version von De natura deorum der erste Tag durch das Auftreten aller drei Dialogpartner eine stark expositorische Funktion einnimmt und zugleich eine strukturelle Polemik gegen den Epikureismus vorbereite. Während Cotta auf Velleius, der nur ein Drittel eines Tages für die Darstellung seiner Lehre zugestanden bekommen habe, nämlich unmittelbar reagiere, könne er sich im Fall der stoischen Theologie ein bzw. sogar zwei Nächte Zeit nehmen, um sich auf die komplexeren und ernstzunehmenden Ausfüh-

245 In ähnlicher Form so auch E. A. Schmidt 1978, 59. 246 Vgl. E. A. Schmidt 1978, 59 f. 247 Vgl. E. A. Schmidt 1978, 64 f.

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rungen vorzubereiten.248 Zudem rücke dadurch der dritte und vierte Gliederungspunkt der Balbus-Rede, d. h. die stoische Lehre der göttlichen Fürsorge um die Welt und insbesondere um den Menschen, die nach der Grundlegung der Prämissen stoischer Theologie in den ersten beiden Gliederungspunkten nun das inhaltliche Kernstück der Balbus-Rede bilde, auch strukturell in den Mittelpunkt des Werkes. Auch gegen diese Deutung bleibt jedoch einzuwenden, dass eine inhaltlich und formal derart eindeutige Bevorzugung einer dogmatischen Lehre gegenüber einer anderen für Ciceros Werk eine unerklärliche Sonderrolle einnähme und seinem im Proömium zu De natura deorum geäußerten Anspruch, dem Leser selbst die Möglichkeit zur eigenständigen Beurteilung der verschiedenen Schulansichten zu gewähren, entgegenlaufen würde. Pease hingegen versucht die beiden fraglichen Passagen zu harmonisieren, indem er sie als Hinweise auf ein viertägiges Zeitkonzept erklärt.249 Er kommt zu dem Ergebnis, dass in der ursprünglichen Fassung von De natura deorum ein Buch für einen Tag stand, wobei er nach dem zweiten Buch bzw. zweiten Tag einen Pausentag postuliert, sodass Cottas Widerlegung der stoischen Theologie im dritten Buch bzw. am vierten Tag der Unterredung stattgefunden habe. Da er zudem annimmt, dass Cotta mit seiner Formulierung omniaque quae a te nudius tertius dicta sunt nicht nur auf den ersten Gliederungspunkt von Balbus rekurriert, sondern damit dessen gesamte stoische Rede meint („referring to Book 2 in general“250), muss er die Balbus-Rede nicht auf mehrere Tage aufsplitten. Damit gelingt es Pease zwar, die beiden problematischen Passagen in ein stringentes Zeitkonzept zu überführen, die Buchgrenzen als solche ernst zu nehmen und dadurch ein ökonomischeres Modell als Hirzel zu präsentieren, das zudem mit Ciceros auch andernorts beobachteten dialogischen Gepflogenheiten in den meisten Punkten besser harmoniert; allerdings muss er dafür auf den Kunstgriff eines Pausentages zurückgreifen, ohne dass er dafür weitere Hinweise aus dem Text anführen oder dessen innerdialogische Funktion gerade mit Blick auf die dreitätigen feriae Latinae plausibilisieren kann. Zudem scheint es fraglich, ob man Cottas Bemerkung im dritten Buch tatsächlich auf die gesamte Balbus-Rede beziehen kann. Denn ihre Stellung innerhalb des dritten Buches legt den Bezug zu Cottas Widerlegung von Balbus’ erstem Gliederungspunkt nahe. Betrachtet man außerdem ihre unmittelbare Einbettung in den Kontext, so fällt auf, dass Cotta gegen Ende dieser ersten Widerlegung all diejenigen Argumente aus Balbus’ Rede anführt, die Balbus zwar zum Beweis der Götterexistenz angeführt hatte, die in Cottas Augen mit diesem Beweisziel jedoch nichts zu tun haben und die er deshalb später, d. h. dort, wo sie seines Erach-

248 Dass ein Pausentag vor Cottas Widerlegung der stoischen Theologie eben diese als besonders anspruchsvoll und einer gesonderten Vorbereitung bedürfend kennzeichnet, hat bereits Philippson 1941, 14 vermutet. 249 Vgl. Pease 1955, 26 f. Vgl. darüber hinaus Schmidt 1978, 60 (Anm.  5) für weitere Ansätze, die schon vor Pease von einem viertägigen Konzept ausgegangen sind. 250 Pease 1955, 26.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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tens systemisch eigentlich hingehörten, gesondert behandeln möchte.251 Dabei nennt er der Reihe nach Balbus’ Argumente, fasst sie nochmals kurz zusammen und kündigt jeweils eine spätere Widerlegung an. Während er am Anfang dabei kleinschrittig und relativ ausführlich vorgeht,252 neigt er gegen Ende dieses Abschnittes zu einer immer stärkeren Raffung und Kondensierung von Balbus’ Positionen.253 Der hier relevante Satz (3,18) bildet das Ende von Cottas Rekurs auf Balbus und fasst auf engem Raum den sechzehn Paragraphen umfassenden Abschluss von Balbus’ erstem Gliederungspunkt254 zusammen: Omniaque, quae a te nudius tertius dicta sunt, cum docere velles deos esse, quare et mundus universus et sol et luna et stellae sensum ac mentem haberent, in idem tempus reservabo.

Auch wenn das dem Relativsatz vorausgehende Universalnumerale omnia dem Satz – gemeinsam mit der enklitisch angeschlossenen Konjunktion -que  – auf den ersten Blick den Charakter einer Zusammenfassung der Balbus-Rede als solcher zu geben scheint, führt Cotta hier lediglich seine Zusammenfassung des ersten Gliederungspunktes der Balbus-Rede weiter und beendet sie.255 So greift bereits der temporale Adverbialsatz cum docere velles deos esse, der durch die Verwendung und die mittige Stellung des Modalverbs velle einen polemischen Unterton erhält, explizit Balbus’ ersten Gliederungspunkt nochmals auf. Zudem fasst der sich anschließende indirekte Fragesatz deren letzten Gedankengang zusammen, der die Existenz der Götter durch den Nachweis einer mit Empfindung und Verstand ausgestatteten Welt256 plausibilisieren möchte. Wie in Cottas Replik steht auch bei Balbus zunächst der mundus als solcher im Vordergrund,257 während er sich später klimaktisch vor allem mit den Gestirnen und Planeten beschäftigt, die die höchste Form der göttlichen Durchdringung darstellen.258 Der hier im Vordergrund stehende Satz nimmt also, anders als Pease es postuliert,

251 Vgl. Cic. nat. deor. 3,16–19a. 252 Vgl. dafür Cic. nat. deor. 3,16–18a, wo er ausführlich auf Cleanthes’ und Chrysipps Argumente rekurriert, die Balbus in Cic. nat. deor. 2,13–16(.17–19) erläutert (und weiterführt). 253 Vgl. Cic. nat. deor. 3,18b, wo Cotta nur noch summarisch auf Zenons Argumente (Cic. nat. deor. 2,20–22), die These einer göttlichen vis ignea bzw. eines göttlichen calor (Cic. nat. deor. 2,23–28) und die Ausstattung des Kosmos mit einer fühlenden und denkenden Kraft (Cic. nat. deor. 2,29– 44) anspielt. 254 Vgl. Cic. nat. deor. 2,29–44. 255 Die Verwendung von omnia lässt sich daher am ehesten so erklären, dass dadurch auf die Fülle der Einzelargumente in Cic. nat. deor. 2,29–44 angespielt wird, die Cotta hier in aller Kürze zusammenfasst. 256 Die in Cic. nat. deor. 3,18 verwendete Junktur sensum ac mentem habere fndet sich in Variationen mehrfach in der Balbus-Rede, etwa in Cic. nat. deor. 2,30 (in partibus mundi […] inesse sensum atque rationem) oder in 2,38 (nihil autem est mente et ratione melius). 257 Vgl. Cic. nat. deor. 2,29–39a. 258 Vgl. Cic. nat. deor. 2,39b–44; vgl. für die von Cotta gebrauchte Formulierung et sol et luna et stellae prominent in der Balbus-Rede solem et lunam et sidera omnia (Cic. nat. deor. 2,44).

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II. Cicero und die Quellen

keine Sonderstellung ein, sondern reiht sich kohärent in Cottas Widerlegungsstrategie ein und sollte nicht von seinem Kontext gelöst betrachtet werden. Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Versuche, aus dem vorliegenden Cicerotext unter Zuhilfenahme der beiden divergierenden Angaben das Zeitkonzept einer ursprünglichen Version von De natura deorum zu rekonstruieren, zu keinem überzeugenden Ergebnis gekommen sind. Alternativ dazu sind drei andere Erklärungsansätze denkbar, die die beiden innerdialogischen Zeitangaben auf eine andere Art und Weise erklären. Erstens ließe sich der Befund als ein punktueller Fehler Ciceros in der dialogischen Konzeption seines Werkes erklären. Die Entstehung dieses punktuellen Fehlers könnte dabei so erklärt werden, dass Cicero das im Text vorfindliche Drei- oder Viertageskonzept entweder nie fertig ausgearbeitet hat, sondern es relativ bald durch das eintägige Dialogkonzept ersetzt und, von den inkriminierten Passagen abgesehen, nie weiter umgesetzt hat,259 oder dass er die Umstellung auf das nun vorliegende dialogische Konzept, von den beiden erratischen Passagen abgesehen, so gründlich und gewissenhaft durchgeführt hat, dass sich aus der vorliegenden Textgestalt das ursprüngliche Zeitund Dialogkonzept tatsächlich nicht mehr rekonstruieren lässt und die beiden inkriminierten Passagen die einzig verbleibenden Rudimente des ursprünglichen Konzeptes darstellen. Für beide möglichen Erklärungen ließe sich die These eines partiellen Flüchtigkeitsfehlers einerseits mit der Stellung der beiden Passagen innerhalb des Werkes begründen. Da sie sich nämlich nicht an den überleitenden Rändern der Bücher befinden, an denen sich derartige Angaben zu Ort und Zeit der Dialoghandlung für gewöhnlich finden, sondern an unverdächtigen Stellen innerhalb der Einzelreden, könnte man annehmen, dass Cicero sie bei seiner Überarbeitung übersehen und sie daher unabsichtlich nicht mehr getilgt hat. Andererseits ließe sich dieser partielle Fehler auch vor dem Hintergrund von Ciceros Arbeitsweise erklären, wie sie am Beispiel anderer Dialoge sichtbar wird. Dass Cicero einzelne Parameter des jeweiligen dialogischen Konzepts während der Bearbeitung und z. T. sogar noch nach der Fertigstellung eines Dialogs geändert hat, würde nämlich keinen Einzelfall darstellen.260 Neben De natura deorum finden sich auch im Falle von De re publica und den Academica vor allem in der reichhaltigen Atticus-Korrespondenz Überlegungen, die darauf abzielen, Dialogpartner, Dialogsituation und Dialogzeit zu modifizieren, um das dialogische Konzept dadurch besser in den Dienst der jeweiligen Intention der Schrift zu stellen

259 Für diese Variante plädiert zuletzt Bringmann 1971, 267 (ebd. [Anm. 6] mit Hinweisen auf ältere Ansätze). 260 Vgl. für diesen Hinweis Levine 1957, 13–16. Vgl. darüber hinaus auch Sommer 1926 sowie Phillips 1986 für eine Darstellung der Rolle und des Vorgehens des Atticus bei der Veröffentlichung der ciceronischen Werke.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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und vor allem deren Glaubwürdigkeit zu erhöhen.261 Darüber hinaus sollte nicht übersehen werden, dass das moderne Verständnis eines abgeschlossenen Werkes, das nach Freigabe durch den Autor in den Druck geht und anschließend nicht mehr verändert werden kann, im Falle von Cicero anachronistisch ist und nicht ohne Weiteres auf die Verbreitung seiner Bücher übertragen werden kann. So bemüht Cicero sich mitunter darum, auch nach abgeschlossener Arbeit an einem Buch Änderungen im Detail einzufügen; dies dokumentiert etwa ein Atticus-Brief, in dem Cicero Atticus bittet, den von Atticus wohl vorgeschlagenen, von Cicero tatsächlich auch übernommenen und seines Erachtens nun aber doch unpassenden nautischen terminus technicus inhibere in seiner Ausgabe der Academica durch das passendere Verb sustinere zu ersetzen und auch Varro dazu aufzufordern, es ihm in seinem Exemplar gleichzutun.262 Auch später finden sich Briefe, die Zeugnis davon ablegen, dass Cicero Atticus mehrfach überarbeitete und ergänzte Auflagen seiner Schriften zuschickte. Ohne den Titel des Werkes zu nennen,263 kündigt Cicero Atticus beispielsweise im Juli 44 v. Chr. an, ihm ein schon bekanntes Werk zu schicken, das er jedoch mit Ergänzungen und Überarbeitungen versehen habe und das von Atticus nur noch in dieser Form verwendet werden solle.264 Außerdem darf nicht vergessen werden, dass zu Ciceros Zeiten noch kein zentraler Buchmarkt existierte, der für eine größere Leserschaft die Vervielfältigung und Verbreitung eines autorisierten Exemplars sicherte. Vielmehr verbreiteten sich Schriften unter anderem dadurch, dass einzelne Römerinnen und Römer sich Abschriften anfertigen ließen und dadurch in den Besitz eines Buches kamen. Eindrücklich wird diese mitunter problematische Praxis in einem Brief Ciceros an Atticus dokumentiert, in dem er Atticus für die vorschnelle Weitergabe seines Manuskripts von De finibus bonorum et malorum rügte, da Cicero es noch nicht zur Weitergabe freigegeben hatte.265 Atticus’ vorschnelle Weitergabe des Manuskripts führte dazu, dass ein gewisser Balbus und eine Caerellia nun in den Besitz des Werkes gekommen sind, obwohl Cicero selbst noch einige Änderungen an der Schrift vorgenommen hatte, die in deren

261 262 263 264

265

Vgl. aufgrund der zeitlichen, sachlichen und dialogischen Nähe zu De natura deorum vor allem die Belegstellen zu den Academica: Cic. Att. 13,12,3; 13,13,1; 13,14,2; 13,16; 13,19,2. Vgl. zur wechselvollen Geschichte der Academica und ihrer Auflagen den Überblick bei Griffin 1997. Vgl. Cic. Att. 13,21,3. Vgl. zur metaphorischen Ausgestaltung der ἐποχή bereits die erste Auflage, wo sich sustinere innerhalb der von Cicero im Atticus-Brief angesprochenen Metaphorik des Wagenlenkers findet (ac. 2,94). Gurd 2012, 74 f. nimmt mit Blick auf die Abfassungszeit des Briefes an, dass es sich dabei um Ciceros verlorene Schrift De gloria gehandelt haben müsse. Vgl. Cic. Att. 16,3,1: Quod Erotem non sine munusculo exspectare te dicis, gaudeo non fefellisse eam rem opinionem tuam; sed tamen idem σύνταγμα misi ad te retractatius et quidem ἀρχέτυπον ipsum crebris locis inculcatum et refectum. Hunc tu tralatum in macrocollum lege arcano convivis tuis, sed, si me amas, hilaris et bene acceptis, ne in me stomachum erumpant, cum sint tibi irati. Vgl. für Ciceros Bitte, im Falle der Academica und von De finibus mit der finalen Herausgabe bis zur Freigabe durch ihn zu warten, auch Att. 13,21a und 13,22.

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Ausgaben nicht mehr aufgenommen werden konnten.266 Cicero sah sich somit mit der Situation konfrontiert, dass sich von ihm nicht autorisierte Vorstufen des Werkes verbreiten konnten, ohne dass er deren Verbreitung effektiv aufhalten konnte. Schließlich rechnete Cicero grundsätzlich mit mechanischen Fehlern (librariorum menda),267 die beim Abschreiben und Vervielfältigen seiner Schriften durch Schlampereien mittelmäßiger Kopisten entstehen konnten und mitunter unentdeckt blieben. Diese kurz umrissenen Umstände bieten vielfältige Erklärungsansätze für die Genese von Fehlern an, die aus der Art und den Mechanismen des damaligen Literaturbetriebes resultierten und nicht auf einen allzu schlampig und hastig arbeitenden Cicero zurückgeführt werden können. Nimmt man im Falle von De natura deorum an, dass sich Cicero schließlich gegen ein drei- oder viertägiges und für ein eintägiges Dialogkonzept entschieden hat und, von den verbleibenden zwei Passagen abgesehen, die dialogische Szenerie daraufhin fast vollständig abgeändert hat, so lässt sich diese Änderung am kohärentesten und einfachsten mit Ciceros an vielen Stellen bemerkbarer Intention erklären, bei De natura deorum (anders als bei vielen vorherigen Dialogen) auf alles zusätzliche, rein schmückende dialogische Beiwerk zu verzichten268 und nur diejenigen Angaben zu nennen, die entweder unverzichtbar sind, damit sich der Leser die dialogische Szenerie zumindest grob vorstellen kann, oder die Cicero in den Dienst seiner politisch-skeptischen Gesamtausrichtung der Schrift stellen kann. In dieser Lesart würden die beiden inkriminierten Passagen also den letzten Rest eines ursprünglich anders geplanten Dialogkonzepts bilden, ohne dass sich weitere Hinweise entdecken ließen, die notwendigerweise auf die frühere Auflage hinweisen.269 Sie geben dem modernen Interpreten daher nicht die Berechtigung, aus einem punktuellen Flüchtigkeitsfehler die These eines unvollendeten und nicht veröffentlichten Werkes270 oder einer allgemein hastigen und halbherzigen Aus- bzw. Überarbeitung der Schrift mit mangelnder Sorgfalt und in allzu großer Schnelligkeit zu begründen.

266 Vgl. Cic. Att. 13,21a. 267 Vgl. v. a. Cic. Att. 13,23,2. 268 Ähnlich auch Dyck 2003, 4 (allerdings ohne Deutung des Befundes): „[…] he decided not to elaborate the scenery but concentrate on the arguments.“ 269 Anders Levine 1957, der mehrere Besonderheiten in De natura deorum (v. a. die Änderungen im Zeitkonzept, die Auskernung der dialogischen Szenerie sowie Ciceros Verzicht auf die Übernahme der skeptischen Widerlegung) als Änderungen interpretiert, die Cicero erst nachträglich umgesetzt hat und die allesamt dazu dienen sollen, seine Bedenken wegen des potentiell staatszersetzenden und die religio erschütternden Charakters der Schrift zu zerstreuen. Dass diese Besonderheiten mit Blick auf Ciceros auktoriale Aussagen im Proömium kohärenter erklärt werden können und dass die These, Cicero fürchte die negativen Folgen der Veröffentlichung, in dieser Schärfe nicht zu halten ist, sollen die nachfolgenden Kapitel zeigen. 270 So auch Pease 1955, 27, E. A. Schmidt 1978, 66 (der lediglich von „kleinen Inkonsistenzen“ spricht) und Dyck 2003, 4 (Anm. 15).

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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In einem zweiten Erklärungsansatz würde man die beiden divergierenden Tagesangaben nicht auf Ciceros Verschulden zurückführen, sondern sie als spätere Ergänzungen eines Cicero-Lesers erklären, der an dem vorliegenden Zeitkonzept Anstoß genommen hat und der an zwei unverdächtigen Stellen, an denen die Sprecher ohnehin auf das jeweils vorausgehende Buch zurückverweisen, die Tagesangaben selbstständig ergänzt hat, um auf diese Weise zumindest ex post die Plausibilität der dialogischen Szenerie von De natura deorum zu erhöhen. In diesem Sinn erklärt etwa J. Fr. v. Meyer die beiden Passagen zu Glossen, die von einem späteren Leser vor allem aus Gründen der Glaubwürdigkeit eingefügt worden seien, da ihm die eintätige Dauer des Gesprächs für eine derartig lange Unterhaltung (wohl auch mit Blick auf Ciceros sonstige dialogische Gepflogenheiten) allzu unrealistisch erschienen sein mag.271 Zwar würde die Beurteilung der beiden Tagesangaben als Glossen die Verantwortung von Cicero auf einen späteren Leser und die verworrenen Wege der Überlieferung abwälzen, doch erkauft sich die ältere Forschung diese Lösung unter Zuhilfenahme der Beurteilung der zwei Passagen als Glossen, die durch keinerlei Indizien in den vorliegenden Handschriften gestützt werden kann, sodass man damit rechnen müsste, dass die Glossierung bereits vor den Beginn der heute greifbaren Überlieferung zu datieren wäre und sich die vorliegende Lesart bereits im Archetypus befunden habe. Darüber hinaus würden die Probleme lediglich von Cicero auf einen unbekannten Korrektor verschoben werden. Während nämlich die erste Forschungsposition von einem ungeschickten Autor ausgeht, müsste man in diesem Fall von einem ungeschickten Korrektor ausgehen, der es nicht bemerkt hat, dass er mit seiner Einfügung kein einheitliches Dialogkonzept geschaffen habe, sondern mit Cottas Rückverweis auf Balbus’ Rede einen allzu langen Zeitabstand zwischen Buch zwei und Buch drei etabliert habe, der zu nicht-kohärenten Zeitkonzepten im vorliegenden Dialog führt. Drittens lohnt es sich zu prüfen, ob es sich bei den beiden inkriminierten Passagen überhaupt um einen Fehler handelt oder ob sie nicht auch als eine bewusste ciceronische Inszenierung angesehen werden könnten, die nicht in Konkurrenz zum eigentlichen Zeitkonzept des Dialogs tritt, sondern als nicht wörtlich zu verstehende Aussage der Dialogpersonen verstanden werden soll. In dieser Lesart könnten die beiden innerdialogischen Zeitangaben etwa als hyperbolisches Mittel der Polemik aufgefasst werden, mit deren Hilfe Balbus und Cotta ihre jeweiligen Vorredner kritisieren und ihrer Kritik dadurch eine größere Anschaulichkeit verleihen.272 Wenn Balbus mit 271

Vgl. v.Meyer 1806, 156 f. (Anm. t). Auch hier lässt sich der tiefe Forschungsbruch erkennen, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Prämissen der Quellenforschung Einzug in die CiceroForschung gefunden hat. Denn für v.Meyer, dessen Veröffentlichung vor diesen Einschnitt fällt, ist die Annahme einer Glosse viel wahrscheinlicher als ein ciceronischer Inszenierungsbruch oder Flüchtigkeitsfehler. 272 Vgl. Naschert 1998, 116, der auf den Einsatz der Hyperbel zum Zweck des Lobens und Tadelns hinweist. Vgl. darüber hinaus auch Gans 1975, der die strukturelle Nähe der Hyperbel zu Ironie und Polemik darlegt.

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II. Cicero und die Quellen

dem Temporaladverbiale hesterno die auf Velleius’ Ausführungen, die innerdialogisch eigentlich erst wenige Stunden zurückliegen, rekurriert, so würde er damit seine Kritik an den mangelnden epistemologischen und intellektuellen Fähigkeiten der Epikureer unterstreichen. Velleius’ Rede wäre dann nicht nur deshalb nicht wahr, weil sie das Konzept der stoischen providentia missverstanden habe, sondern auch deshalb, weil sie schon nicht mehr aktuell ist und für den eigentlichen philosophischen Austausch, der sich lediglich zwischen der Stoa und der Akademie vollziehen soll, gar keine Rolle mehr spielen könne. Auch Cotta würde in seiner Kritik an der Stoa dann auf diese Art der Polemik zurückgreifen und Balbus’ Ausführungen in bewusster Übertreibung in die Vergangenheit setzen, doch würde er damit eine andere Stoßrichtung verfolgen. Während man im Falle von Balbus’ Kritik an Velleius der polemischen Übertreibung eine exkludierende Funktion beimessen würde, die Velleius als nicht weiter ernstzunehmenden Gesprächspartner darstellen soll, würde man sie im Falle von Cottas Kritik an Balbus als Kritik an der ausufernden Länge von Balbus’ erstem Gliederungspunkt (esse deos) auffassen. Cotta würde damit also  – frei paraphrasiert  – aussagen, dass das, was Balbus am Beginn seiner Rede gesagt hat, mittlerweile schon so lange her ist, dass es ihm wie vorgestern vorkomme. Plausibilität könnte diese von der Forschung bislang kaum geprüfte273 These zunächst durch den Kontext, in dem die beiden Zeitangaben stehen, erhalten. Denn sie finden beide sich in Zusammenhängen, in denen die jeweiligen Redner polemisch auf ihre Vorredner Bezug nehmen, sie direkt ansprechen und sich somit nicht nur mit den Inhalten ihrer Reden auseinandersetzen, sondern sie auch persönlich angreifen. Mit Blick auf den polemischen Kontext könnte man also argumentieren, dass die Rezipienten hier eher mit dem Einsatz von Ironie, Polemik und hyperbolischer Redeweise rechnen, als sie es in rein darbietenden Passagen tun würden. Zudem ließe sich die hier eingesetzte Hyperbel durch das Mehrwissen der Rezipienten plausibilisieren. Der Widerspruch zwischen den Zeitangaben in den dialogischen Zwischenpartien und den polemischen Redepassagen könnte somit dazu führen, dass sie die beiden Tagesangaben tatsächlich nicht als ernsthafte Aussagen, sondern als hyperbolische Mittel der Polemik verstehen könnten. Darüber hinaus würde eine so verstandene Lesart der beiden Passagen auch zu andernorts zu findenden Wertungen der jeweils kritisierten Reden passen. So bemüht sich Balbus des Öfteren darum, die epikureische Position von vorneherein als nicht satisfaktionsfähig darzustellen und den Diskurs vor allem auf eine Auseinandersetzung mit Cotta zu verengen.274 Außerdem kritisiert nicht nur Cotta die

273 Vgl. v. Meyer 1806, 156 f. (Anm. t), der wohl als einziger die Möglichkeit einer bewussten Inszenierung („für einen figürlichen Ausdruck […], womit eine Redezeit bezeichnet worden wäre“) kurz ins Auge fasst, sie jedoch dann wegen der für ihn fehlenden Evidenz („scheint zu weit gesucht“) nicht weiter verfolgt und sich stattdessen für die Erklärung der beiden Zeitangaben als Glossen entscheidet. 274 Vgl. bspw. Cic. nat. deor. 2,73 f.

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Länge und den überbordenden Aufbau von Balbus’ erstem Gliederungspunkt und die damit verbundene Schwächung der stoischen Position,275 die umso mehr ins Gewicht fällt, da Balbus die Frage nach dem esse deos als derart evident beschrieben hatte, dass sie eigentlich keiner Beweisführung bedürfe;276 auch Balbus selbst geht mehrfach auf den Umstand ein, dass seine Ausführungen vor allem am Beginn seiner Rede viel ausführlicher als geplant geraten sind.277 Daher würde es naheliegen, hierin eine hyperbolische und ironische Formulierung Cottas zu sehen, mit der er seine Sachkritik an der Länge der Balbus-Rede auf eine subtile Weise wiederholt. Schließlich würde die Erklärung einer intentionalen Inszenierung den Umstand aufgreifen, dass die bisherigen Versuche der Forschung, ein ursprüngliches Zeitkonzept zu rekonstruieren, als erfolglos angesehen werden müssen und dass eine intentionale Erklärung dem hier vorgeschlagenen Cicero-Bild näher kommt, welches in Cicero nicht mehr den allzu schnell und dilettantisch arbeitenden Autor, sondern einen ernstzunehmenden Philosophen sieht, der die rhetorisch-dialogische Dimension seiner Schrift ganz bewusst in den Dienst der philosophischen Darstellung und politischen Intention des Werkes stellt. Kritisch hingegen bleibt anzufragen, ob der polemische Kontext, die Übereinstimmung mit der allgemeinen Stoßrichtung der jeweiligen Polemik und das dialogische Mehrwissen der Rezipienten tatsächlich ausreichen, um den Rezipienten ein sicheres Erkennen des hyperbolischen Gehalts der beiden Zeitangaben zu ermöglichen. Um eine hyperbolische Aussage kenntlich zu machen, greift ein Sprecher oftmals auf Signale zurück, die jenseits der reinen Textebene liegen. Zu ihnen zählt etwa die Änderung der Intonation, der Mimik oder der Gestik, die anzeigen soll, dass der Sprecher sich nunmehr auf eine andere Sprachebene begibt und die folgenden Ausführungen nicht als wörtlich und ernst gemeinte Sprechweise verstanden wissen möchte. Solche Signale, die sich durch entsprechende auktoriale Erzählerkommentare oder -beschreibungen auch in literarisch umgesetzter Kommunikation finden lassen, fehlen jedoch an der vorliegenden Stelle. Allenfalls ließe sich die Zeitangabe nudius tertius als markante Hyperbel deuten, da durch die Wahl des vorgestrigen Tages dem Leser tatsächlich deutlich werden kann, dass ein wörtliches Verständnis der Passage ausgeschlossen ist. Im Falle von Balbus’ hesterno die jedoch fehlt ein ähnliches Textsignal, da eine derartige Bezugnahme auf das vorausgehende Buch mit Blick auf Ciceros Dialogtechniken von den Rezipienten tatsächlich als konkurrierende Zeitangabe, nicht jedoch als sicheres Kennzeichen einer Hyperbel aufgefasst werden kann,278 vor allem da sich zei275 276 277 278

Vgl. Cic. nat. deor. 3,8–11. Vgl. Cic. nat. deor. 2,4. Vgl. v. a. Cic. nat. deor. 2,20. Naschert 1998, 116 weist daher mit Recht darauf hin, dass die Hyperbel, ebenso wie die Ironie, als „Differenzfigur“ darauf angewiesen ist, dass die Rezipienten den „Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeintem, bzw. zwischen Darstellung und Wirklichkeit“ durch textinterne Signale oder textexternes Wissen erkennen können und es somit nicht zu einer Verwechslung von Hyperbel

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II. Cicero und die Quellen

gen lässt, dass Cicero ebendiese Junktur andernorts zweifelsfrei dafür verwendet, um seine Dialogfiguren damit auf einen früheren Dialogtag rekurrieren zu lassen.279 Wenn sich für Balbus’ Temporaladverbiale hesterno die die These einer hyperbolischen Polemik also nicht halten lässt, so bliebe zu prüfen, ob sich die vorliegende Wendung nicht vielmehr als Kritik an Balbus selbst verstehen ließe. Indem Cicero Balbus diese Zeitangabe in den Mund legt, würde er ihn als einen Redner charakterisieren, der sich selbst von seiner eigenen Rede derart mitreißen lässt und von der Länge seiner eigenen Ausführungen derart eingenommen ist, dass ihm die Rede des Epikureers tatsächlich schon wie gestern gehalten erscheint; die Fokussierung auf seine eigenen Gedanken würde Balbus also zu diesem Lapsus führen, durch den er sich selbst ungewollt als einen Redner charakterisiert, der sich in seinen überbordenden Ausführungen verliert. Plausibilität gewinnt diese Deutung dadurch, dass sie sich nahtlos in andere Inszenierungstechniken einfügt, mit deren Hilfe Balbus’ Rede als überlang charakterisiert wird.280 Zudem entfiele hier der Einwand der fehlenden Markierung von hesterno die als Hyperbel, da Balbus die Wendung ja nicht in polemischer Absicht uneigentlichen Sprechens verwendet, sondern für den Moment fälschlicherweise annimmt, dass Velleius tatsächlich bereits gestern gesprochen hat. Schließlich würden die beiden inkriminierten Zeitangaben hesterno die und nudius tertius dadurch in engem Zusammenhang stehen und das gemeinsame Ziel verfolgen, auf indirekte und auf direkte Weise Kritik an Balbus’ überlangem Redekonzept zu üben. Auch wenn man dieser kühnen dritten Erklärung nicht folgen mag, so lässt sich doch bereits mithilfe der ersten Erklärung sicherstellen, dass die beiden innerdialogischen Zeitangaben nicht herangezogen werden können, um die These einer defizitären Textgestalt von De natura deorum zu begründen.

und eigentlichem Sprechen kommt. Vgl. auch Westra 2010 für die Herausforderung, Phänomene wie Ironie und Ambiguität gerade in antiken Texten sicher zu erkennen. 279 Vgl. Cic. de orat. 2,109: An vero narrationem quod iubent veri similem esse et apertam et brevem, recte nos admonent; quod haec narrationis magis putant esse propria quam totius orationis, valde mihi videntur errare; omninoque in hoc omnis est error, quod existimant artificium esse hoc quoddam non dissimile ceterorum, cuius modi de ipso iure civili hesterno die Crassus componi posse dicebat: ut genera rerum primum exponerentur, in quo vitium est, si genus ullum praetermittitur; deinde singulorum partes generum, in quo et deesse aliquam partem et superare mendosum est; tum verborum omnium definitiones in quibus neque abesse quicquam decet neque redundare. und 2,137: Una est enim, quod et ego hesterno die dixi et aliquot locis antemeridiano sermone significavit Antonius, eloquentia, quascumque in oras disputationis regionesve delata est. 280 Vgl. dazu im Folgenden die Überlegungen zum zweiten Buch von De natura deorum.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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d) Zur Frage der in der Atticus-Korrespondenz erwähnten möglichen Prätexte für De natura deorum (Att. 13,8; 13,38,1; 13,39,2) Anders als im Fall von De officiis finden sich in De natura deorum weder innerhalb des Werkes noch in der Korrespondenz mit Atticus belastbare und sichere Quellenhinweise, die es ermöglichten, Art und Umfang von Ciceros Rekurs auf Prätexte genauer zu bestimmen. Marginale Hinweise auf mögliche Prätexte finden sich nur an drei Stellen aus dem dreizehnten Buch der Atticus-Briefe. Cic. Att. 13,8. In einem Brief aus dem Juni 45 v. Chr. bittet Cicero Atticus um Brutus’ Epitome des Geschichtswerks von L. Coelius Antipater281 sowie um Panaitios’ Schrift περὶ προνοίας, die Atticus ihm von einem gewissen Philoxenus besorgen soll.282 Da es sich bei Panaitios’ Werk um eine Primärquelle, bei der Coelius-Epitome um eine Sekundärquelle handelt, dokumentiert auch dieser Brief zunächst die verschiedenen Arten von Referenztexten, auf die Cicero zurückgreift. Allerdings nennt Cicero in diesem Brief keine konkrete philosophische Schrift, für die er die angeforderten Werke benötigt – wahrscheinlich deshalb, da er Atticus erst kurz zuvor persönlich getroffen hatte283 und mit ihm bei dieser Gelegenheit über seine aktuellen literarischen Vorhaben und Projekte sprechen konnte, sodass Atticus bereits informiert ist. Auch ohne eine auktoriale Zuordnung der Prätexte zu einer philosophischen Schrift scheint es dennoch zumindest möglich zu sein, die beiden Schriften als Prätexte für De natura deorum anzusehen. Einerseits fällt nämlich der Zeitpunkt der brieflichen Anfrage in den Produktionszeitraum von De natura deorum. Die Tusculanen, die kurz vorher bzw. parallel zu De natura deorum verfasst werden, kommen nicht unmittelbar in Frage, da sich Coelius’ Werk in den Tusculanen nirgends als explizite Referenzquelle findet und

Die Forschung nimmt einstimmig und meist ohne Begründung an, dass bei der Formulierung epitomen Bruti Caelianorum das erste Genitivattribut nicht als ein genitivus possessivus (i. S. v. „Brutus’ Exemplar der Epitome“ – wer sie zusammengestellt hat, wäre dieser Lesart also nicht zu entnehmen), sondern als ein genitivus subiectivus (i. S. v. „die von Brutus erstellte Epitome“) zu verstehen ist und Brutus als derjenige gelten kann, der die Zusammenfassung des Geschichtswerks erstellt hat. Da diese Briefpassage die einzelne Belegstelle dafür darstellt (vgl. HRR I, CCXXV), lässt sich diese Lesart nur dadurch plausibilisieren, dass Brutus auch andernorts als Epitomator historiographischer Werke in Erscheinung getreten ist, nämlich einerseits als Epitomator der Annales des C. Fannius (vgl. Cic. Att. 12,5,3) sowie als Epitomator des Polybios (vgl. Plut. Brut. 4 a. E.: αὐτὸς ἄρχι τῆς ἑσπέρας ἔγραφε συντάττων ἐπιτομὴν Πολυβίου), was von Plutarch als Brutus’ Nebentätigkeit während des Bürgerkriegs, sogar unmittelbar vor der Schlacht von Pharsalos, beschrieben wird. 282 Die adverbiale Bestimmung a Philoxeno lässt sich am ehesten als Bezeichnung derjenigen Person beschreiben, von welcher Atticus Panaitios’ Schrift für Cicero besorgen soll (vgl. Kühner/ Stegmann II/1, 51976, 347 § 78.2: Ablativ zur Bezeichnung des „Verhältnis[ses] des räumlichen Woher“); so auch Tyrell/Purser 1915, 114 ad loc. Vgl. Shackleton Bailey 1966, 307 ad loc. für die prosopographische Einordnung des Philoxenus. 283 Vgl. für die chronologische Rekonstruktion anhand der Cicero-Briefe Shackleton Bailey 1966, 306 f. 281

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II. Cicero und die Quellen

alle dortigen Verweise auf Panaitios284 nicht auf ein Werk über die Vorsehung hinweisen. Andererseits werden sowohl Coelius als auch Panaitios tatsächlich im zweiten Buch von De natura deorum erwähnt. So wird Coelius als Gewährsmann für ein berühmtes exemplum aus der Zeit des Zweiten Punischen Krieges herangezogen, welches Balbus am Beginn seiner Rede (2,8) anführt, um die göttliche Vorsehung und damit die Existenz der Götter zu beweisen: Flaminium Coelius religione neglecta cecidisse apud Trasumenum scribit cum magno rei publicae vulnere. Dass Coelius hier explizit als Referenzautor genannt wird, lässt sich mit Gigon wohl am ehesten damit erklären,285 dass Flaminius in dessen Geschichtswerk durchgehend und anders als bei anderen republikanischen Historikern eine Einschwärzung erfahren hat und als frevelhafter Feldherr modelliert worden ist. Die Erwähnung des Quellenautors dient also dazu, eine singuläre Lesart des Flaminius zu plausibilisieren. Panaitios hingegen wird – passenderweise bei der Darstellung der stoischen Providenzlehre286 – von Balbus als innerstoisch-zweifelnde Gegenstimme gegen die stoisch-orthodoxe ἐκπύρωσις-These angeführt und verdankt seine explizite Erwähnung wohl ebenso wie im Falle des Coelius der Legimitierung einer Sonderstimme (2,118): Ex quo eventurum nostri putant id, de quo Panaetium addubitare dicebant, ut ad extremum omnis mundus ignesceret, cum umore consumpto neque terra ali posset nec remearet aer, cuius ortus aqua omni exhausta esse non posset.

Vor allem im Falle von Coelius’ Geschichtswerk spricht nichts gegen die Annahme, dass die angeforderte Epitome für eine Verwendung in De natura deorum vorgesehen war, beispielsweise um Cicero einen schnellen Überblick über die Inhalte des Geschichtswerkes zu vermitteln, um auf dieser Grundlage über dessen genauere Prüfung und Lektüre zu entscheiden.287 Ciceros gewissenhafte Recherche gerade historischer Details zeigt sich auch andernorts in der Atticus-Korrespondenz. Am eindrücklichsten lässt sich dies an einem Brief zeigen, in dem Cicero Atticus mit einer Vielzahl von Fragen konfrontiert, die sich ihm im Zuge seiner Arbeit an den Academica stellten; für deren Klärung soll Atticus mithilfe von Apollodors Chronik sorgen.288 Anders steht 284 Bei den fünf Passagen, in denen Panaitios in den Tusculanen explizit erwähnt wird, findet sich sein Name in einer katalogartigen Aufzählung stoischer Philosophen (Cic. Tusc. 5,107), als autorisierender Zeitzeuge verschiedener Geschehnisse (Cic. Tusc. 1,81; 4,4) oder in ganz anderen philosophischen Kontexten, wie etwa der Frage nach dem Urstoff (Cic. Tusc. 1,42) oder der Sterblichkeit der Seele (Cic. Tusc. 1,79); einen Hinweis auf das Thema der providentia findet sich hier nicht. 285 Vgl. Gigon 1996, 451. 286 Vgl. Cic. nat. deor. 2,73–153. 287 Mit Recht weist Pease 1958, 565 darauf hin, dass spätestens die häufige Panaitios-Zitation in De divinatione dafür spricht, dass Cicero nicht nur Brutus’ Epitome, sondern auch das vollständige Werk selbst vorlag. 288 Vgl. Cic. Att. 12,32,2; dabei handelt es sich beispielsweise um die Frage, aus welchem Grund die karneadische Philosophengesandtschaft nach Rom kam, welche bedeutenden Epikureer zu dieser Zeit in Athen lebten und welche bedeutenden Politiker es zu dieser Zeit in Athen gab.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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es um Panaitios’ Schrift. Gegen eine Verwendung an der angegebenen Stelle von De natura deorum führt R. Philippson schwere Bedenken ins Feld; er betont dafür vor allem die unterschiedliche Art der Quellen.289 Während Cicero Atticus um Panaitios’ Originalschrift bittet, nehmen die Ausführungen, die Cicero dem Balbus in den Mund legt, eine stoisch-orthodoxe Sichtweise ein, die Panaitios bei der Lehre vom Weltenbrand von der communis opinio der Stoa abgrenzt und ihm eine Sonderrolle zuweist. Beachtlicherweise stellt weder Balbus selbst diese Diskrepanz fest noch wird sie aus Panaitios’ Perspektive beschrieben; stattdessen legt Balbus sie anderen stoischen Philosophen in den Mund, die als Subjekt eine prominente Rolle innerhalb des Satzes einnehmen, ohne dabei jedoch von Balbus benannt oder genauer beschrieben zu werden: Ex quo eventurum nostri putant id, de quo Panaetium addubitare dicebant, ut ad extremum omnis mundus ignesceret, […].290 Die Passage erweckt den Anschein, dass Balbus selbst sich hier auf eine sekundäre, stoisch-orthodoxe Quelle bezieht, die wiederholt291 auf Panaitios’ Abweichen von der stoischen Lehre eingeht und Panaitios aus orthodoxer Sicht heraus lediglich als innerstoische Gegenstimme umreißt, was Panaitios’ eigenes Werk nicht als Prätext nahelegt. Philippsons Einwand erweist sich der Sache nach als berechtigt, allerdings bezüglich der Quellenfrage als zu eindimensional formuliert. Auch wenn er richtig gesehen hat, dass die infrage kommende Passage nicht aus Panaitios’ Sicht formuliert ist, sondern die orthodox-stoischen Ansichten vertritt, schließt dies dennoch nicht aus, dass Cicero Panaitios’ Schrift gelesen hat und einen freieren Umgang mit ihr pflegte. Wenn man Panaitios’ Werk als Ciceros Prätext annimmt, dann ließe sich argumentieren, dass es an dieser Stelle von ihm deutlich abgeändert worden ist. Ohne den folgenden Einzeluntersuchungen vorzugreifen, ließe sich Ciceros Modifikation mit der Absicht erklären, Balbus gerade am Beginn seiner Rede als einen Stoiker zu modellieren, der sich von Randpositionen abgrenzt, um dadurch möglichst viele stoische wie nicht-stoische Ansichten zu einem großen Konsens zu vereinigen. Darüber hinaus ist auch eine andere Verwendungsweise von Panaitios’ Schrift denkbar. So könnte sie Cicero als Absicherung gedient haben, um mit ihrer Hilfe zu überprüfen, inwiefern sich Panaitios’ Standpunkt von der stoischen Position unterscheidet. Zudem ist es auch denkbar, dass Cicero Panaitios’ Schrift andernorts in De natura deorum als Orientierung oder Korrektur für die Darstellung oder die Kritik der stoischen Theologie herangezogen hat, ohne dies im Text kenntlich zu machen.

289 Vgl. Philippson 1939a, 1151. 290 Cic. nat. deor. 2,118. 291 Der iterative Aspekt des Imperfekts scheint die einzig sinnvolle Deutung von dicebant zu sein; weder eine konative noch eine durative Bedeutung sind mit Blick auf Schulstreitigkeiten plausibel, wohl aber ein immer wieder aufgenommener, u. U. kritischer Hinweis auf Panaitios’ Gegenmeinung.

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II. Cicero und die Quellen

In jedem Fall lässt sich also mit Blick auf Att. 13,8 festhalten, dass Cicero die beiden genannten Werke für De natura deorum als Primärquelle bzw. Sekundärquelle herangezogen haben könnte. Sicher scheint zu sein, dass es sich bei den beiden Werken nicht um Prätexte gehandelt haben wird, die als Grundlage für einen längeren Abschnitt oder gar ein ganzes Buch gedient haben, sondern eher um Prätexte, die nur punktuell verwendet worden sind und vor allem dazu gedient haben könnten, jeweils eine Spezialansicht zu plausibilisieren bzw. zu verifizieren. Cic. Att. 13,38,1 und 13,39,2. Diesen Befund unterstreichen auch die anderen beiden zusammenhängenden Briefstellen, die mit einiger Wahrscheinlichkeit in Bezug zur Entstehung des ersten Buchs von De natura deorum stehen.292 Cicero bittet Atticus dort Mitte August 45 v. Chr.293 brieflich um eine wohl theologische Schrift des Epikureers Phaidros,294 nachdem er tags zuvor davon berichtet hatte, dass er gerade dabei sei, contra Epicureos zu schreiben.295 Die beiden Briefe gehören zu den letzten Briefen, die vor der nach Att. 13,51 einsetzenden Korrespondenzlücke stehen. Zwar dokumentieren auch die unmittelbar nachfolgenden Briefe Ciceros intensive philosophische Tätigkeit in der Augustmitte,296 doch lassen sich diesen Briefen darüber hinaus keine weiteren Hinweise auf mögliche Prätexte entnehmen.

292 Vgl. Cic. Att. 13,38,1 und 13,39,2. 293 Vgl. Shackleton Bailey 1966, 386 zur Datierung der Briefe. 294 Vgl. Cic. Att. 13,39,2: Libros mihi, de quibus ad te antea scripsi, velim mittas et maxime Φαίδρου περὶ † ΟΣΩΝ et ΠΛΛΙΔΟΣ †. Für die Buchstabenfolge περὶ † ΟΣΩΝ hat sich mittlerweile die Konjektur περὶ θεῶν als die ursprüngliche und richtige Lesart durchgesetzt (vgl. Shackleton Bailey 1966, 387 und Obbink 2001, 204 mit Anm. 4); die handschriftlich überlieferte Lesart ΟΣΩΝ lässt sich paläographisch durch die Ähnlichkeit von Theta und Omikron sowie Sigma und Epsilon tatsächlich leicht als Abschreibfehler aufgrund ähnlicher Buchstaben erklären, die bei griechischen Eigennamen in den Manuskripten in sehr großer Anzahl zu beobachten sind (vgl. zu den Problemen griechischer Buchstaben in lateinischen Manuskripten bspw. Riesenweber 2014, 416), und ist überzeugender als die von Summers 1997 vorgeschlagene Konjektur περὶ ὁσίων. Für das zweite Wort hat sich noch keine Lesart durchgesetzt; zu diskutieren wären hier vor allem die Vorschläge von Beaujeu 1983 und Böhm 1984. Beaujeu 1983 schlägt vor, in der Bitte in Att. 13,39,2 nur die Bitte um einziges Werk des Phaidros zu sehen, nämlich um ein Werk des Phaidros, das sich mit den Göttern (περὶ θεῶν) beschäftigt, genauer gesagt um ein Werk, das sich mit Pallas (Παλλάδος) näher beschäftigt. Auch Böhm 1984 geht nicht von zwei Werken des Phaidros aus, da er das lateinische et als fehlerhaft beurteilt und als Konjektur des letzten Wortes ἐπαλλήλως vorschlägt. Gegen den Hinweis auf ein Werk des Phaidros sprechen sich bspw. van den Bruwaene 1970 und Obbink 2001 aus; van den Bruwaene 1970, 15 (mit Anm. 2) schlägt die Ergänzung des Namens Apollodor vor; Obbink 2001, 204 hält περὶ Παλλάδος nicht für ein Werk des Phaidros, sondern für einen Hinweis auf das dem Diogenes von Babylon zugeschriebene Werk περὶ τῆς Ἀθηνᾶς; darin folgt ihm auch Maso 2015, 41 (mit Anm. 41). 295 Vgl. Cic. Att. 13,38,1: Ante lucem cum scriberem contra Epicureos, de eodem oleo et opera exaravi nescio quid ad te et ante lucem dedi. 296 So äußert Cicero in Att. 13,40, dass er intensiv mit Büchern beschäftigt sei (in libris haereo), während er in Att. 13,45 betont, dass Atticus mit seiner Aufforderung, die freien Tage für seine Philosophica zu nutzen, bei Cicero offene Türen einrenne.

3. Die Begründungslinien der älteren Quellenforschung für einen starken Quellenrekurs

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Philippson folgert daraus,297 dass Cicero zum Abfassungszeitpunkt der beiden Briefe die positive Darstellung des epikureischen Systems bereits abgeschlossen hat und Phaidros’ Schrift ihm als „Kontrolle oder Ergänzung“298 für seine Darstellung der epikureischen Götterlehre dienen sollte. Diese Ansicht gewinnt ihre Plausibilität zunächst dadurch, dass sich in De natura deorum nur ein einziger expliziter Bezug auf Phaidros findet (1,93), der allerdings auf die Persönlichkeit dieses epikureischen Philosophen abzielt, nicht auf dessen Schriften oder philosophische Ansichten. Philippsons These beruht somit auf den zwei Annahmen, dass Phaidros’ Schrift aufgrund ihrer fehlenden Erwähnung innerhalb von De natura deorum Cicero nicht als grundlegende Primär-, sondern allenfalls als korrigierende Sekundärquelle diente und Cicero De natura deorum, anders als etwa Vergil seine Aeneis, auch in der überlieferten Reihenfolge verfasst hat und erst dann mit einem neuen Gliederungspunkt bzw. der Widerlegung einer dogmatischen Rede begonnen hat, wenn der vorherige Gedankengang bzw. die positive Darstellung der jeweiligen Lehrposition bereits abgeschlossen war.299 Von einer sukzessiven Fertigstellung des Werkes geht auch A. Dyck aus, der sich die enge Verzahnung von dogmatischer Rede und skeptischer Gegenrede nur so erklären kann. Anders als Philippson nimmt er jedoch an, dass Phaidros’ Schrift Cicero vor allem dazu diente, Lücken innerhalb der dogmatischen Rede aufzufüllen, die er zunächst offenlassen musste und nun mithilfe von Phaidros’ Schrift füllen möchte.300 Über Philippsons allzu eindeutig formulierte These hinausgehend kann Phaidros’ Schrift Cicero jedoch nicht nur als korrektive Ergänzung, sondern auch als weitere Quelle gedient haben. So lässt unter anderem der gerade skizzierte Umstand, dass Cicero bereits im Juni desselben Jahres Quellenmaterial für seine Bearbeitung des zweiten Buchs angefordert hat, Philippsons Annahme einer streng sukzessiven Bearbeitung fragwürdig erscheinen. Daher könnte man sich vorstellen, dass Cicero bei der Widerlegung des epikureischen Systems gemerkt hat, dass ihm im Darstellungsteil zentrale Punkte entgangen sind, die er mit Phaidros’ Hilfe nachtragen möchte. Auch könnte er die positive Darstellung im Wissen um ihre Unvollständigkeit nur vorläufig beiseitegelegt haben und die Zeit bis zum Eintreffen weiterer Literatur genutzt haben, um bereits mit der Widerlegung der epikureischen Position zu beginnen. Darüber hinaus weist H. Essler darauf hin, dass sich auch in dezidiert epikureischen Schriften eine Auseinandersetzung mit gegnerischen Argumenten findet, die dafür eigens vom

297 Vgl. Philippson 1939b, 15 f. 298 Vgl. Philippson 1939b, 15. 299 Anders als Philippson rechnet Gigon 1969, 277 f. mit einer komplexeren Entstehungssituation der ciceronischen Philosophica. Er plädiert gegen ein mechanistisches Entstehungsbild, indem er die thematische Ausgewogenheit eines philosophischen Werkes wie De natura deorum oder De finibus dadurch erklären möchte, dass nach dem ersten Entwurf glättende, umstellende und kürzende Korrekturgänge folgen müssten, um ein derartig geschlossenes Bild herzustellen. 300 Vgl. Dyck 2003, 7.

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II. Cicero und die Quellen

jeweiligen Epikureer nochmals wiederholt werden, bevor er sie schließlich widerlegt.301 Cicero kann somit auch ein epikureisches Werk zu Rate gezogen haben, um die darin vorfindlichen und zugleich widerlegten Argumente gegen die Epikureer für den eigenen skeptischen Widerlegungsteil zu benutzen. Eine kühnere These formulierte jüngst C. Auvray-Assayas, die annahm, dass sich die Wendung contra Epicureos auch als Sammelbegriff für das gesamte erste Buch verstehen lässt, da bereits die Art und Weise, wie und in welchem Umfang Cicero Velleius die epikureische Position vertreten lässt, weniger einen informierenden als vielmehr einen polemischen Charakter aufweist.302 Wohlgemerkt kann man hier über den Stand von Spekulationen nicht hinauskommen, da Cicero in De natura deorum nirgends explizit auf Phaidros als Referenzautor rekurriert, dessen Schrift nicht erhalten ist und im entsprechenden Atticus-Brief gerade die Passage, die den Titel des verlangten Werks von Phaidros aufführt, aufgrund ihrer Verderbtheit nicht mehr mit letzter Sicherheit erschlossen werden kann. Daher lässt sich mit Blick auf die drei in Frage kommenden Briefpassagen festhalten, dass die dortigen Verweise auf mögliche Prätexte im Vergleich zu anderen Philosophica keinerlei Besonderheiten aufzeigen. Mithilfe der spärlichen brieflichen, rein aufgrund eines konkreten Bedarfs geäußerten Bitten um neue Bücher und nach dem Abgleich dieser Angaben mit dem jeweiligen Text gewinnt man ein grobes Bild davon, dass Cicero wohl auch im Fall von De natura deorum verschiedene Arten von Quellen zu verschiedenen Zwecken eingesetzt hat. Auf welche Weise, zu welchem Zeitpunkt innerhalb des Schreibprozesses und mit welchem Ziel Cicero welchen Prätext herangezogen hat, kann nicht mithilfe externer Zeugnisse konkretisiert werden, sodass der älteren Quellenforschung auch im Fall von De natura deorum lediglich die Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedingungen und textimmanente Hinweise zur Etablierung ihrer quellenkritischen Untersuchung zu Gebote standen. Da die vorausgehenden Ausführungen es zum Ziel hatten, deren Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedingungen als problematisch zu erweisen, bleibt nun zu zeigen, dass auch die textimmanenten Beobachtungen anders zu erklären sind.

301 Vgl. Essler 2011b, 191 mit Blick auf Philodems Schrift De signis. 302 Vgl. Auvray-Assayas 2011, 231. Bereits Shackleton Bailey 1966, 386 ad loc. deutet diese Vermutung als Frage an: „Is this Book 1 de Natura Deorum?“

III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung Die entscheidenden Hinweise darauf, wie Cicero De natura deorum verstanden wissen möchte und wie seines Erachtens die gelingende Lektüre des Werkes aussehen könnte, finden sich im Proömium der Schrift. Daher sollen im Folgenden zunächst die Besonderheiten der Proömien von Ciceros dezidiert skeptischen Dialogen vorgestellt werden, bevor vor diesem Hintergrund das Proömium von De natura deorum untersucht wird und die beiden zentralen Leseanweisungen, die sich dort finden lassen, als hermeneutischer Schlüssel für die Lektüre der einzelnen Reden herausgearbeitet werden. 1. Die Proömialtopoi in Ciceros skeptischen Dialogen – ein Kategorisierungsversuch Cicero lässt die meisten1 seiner dezidiert skeptischen Dialoge mit einem Proömium2 beginnen, in dem er sich als Autor jenseits der dialogischen Szenerie zu Wort meldet. Er bedient sich dabei einer überschaubaren Auswahl verschiedener Proömialtopoi, die

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Manchmal finden sich auch innerhalb eines Werkes mehrere Proömien, wie etwa in div. 1 und div. 2 sowie am Anfang von fin. 1 und fin. 3. Einen Sonderfall stellt das erste Buch der Academica dar. Dort findet sich nämlich kein eigenes Proömium; stattdessen übernimmt ein ausführlicher dialogischer Auftakt (ac. 1,1–14) dessen Rolle. Nach einer kurzen Vorstellung der Szenerie (vgl. ac. 1,1–2a) entwickelt sich innerhalb dieses dialogischen Auftakts ein Gespräch zwischen Varro und Cicero, in dem nach dem Sinn und Zweck lateinischer Philosophica (vgl. ac. 1,2b–12) gefragt wird sowie der später im Hauptteil entfaltete Konflikt zwischen den beiden akademischen Ansätzen (vgl. ac. 1,13 f.) vorbereitet wird. Mit dem allgemein-apologetischen Auftakt und der inhaltlichen Vorbereitung des Folgenden finden sich hier also die beiden Kategorien der Proömialtopoi vertreten. Der Umstand, dass der dialogische Auftakt das auktoriale Proömium ersetzt, lässt sich wohl am ehesten damit erklären, dass auf diese Weise Varro, der mehrfach großen Wert auf eine Erwähnung in Ciceros Dialogen gelegt hat (vgl. Baier 1997, 23–27 für Varros seit 54 v. Chr. mehrfach geäußerten Wunsch), von Beginn an eine gewichtige Rolle spielt und eine noch größere Ehrung erfährt. Vgl. v. a. Becker 1938, 7–10, Ruch 1958 und jüngst auch Baraz 2012 zur Gestaltung der ciceronischen Proömien im Allgemeinen, auch zu den anderen philosophischen Werken Ciceros jenseits der hier untersuchten, dezidiert skeptischen Dialoge. Janson 1964 beschäftigt sich zwar ausführlich mit dem lateinischen Prosaproömium, doch klammert er Ciceros dezidiert philosophische Werke bei seiner Untersuchung weitgehend aus.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

sich formal dahingehend unterscheiden lassen, ob sie mit dem Inhalt des jeweils folgenden Dialogs in unmittelbarer Verbindung stehen oder nicht.3 So kann man zunächst diejenigen Topoi zusammenfassen, die in einem engen inhaltlichen Verhältnis zum jeweiligen Dialog stehen und mit deren Hilfe Cicero seine Rezipienten materialiter auf die Lektüre der Schrift vorbereiten möchte.4 Im Einzelnen zählen hierzu einerseits die schlaglichtartige Vorwegnahme der im Dialog selbst entfalteten Hauptargumente der einzelnen philosophischen Schulen,5 die Vorstellung und Entfaltung der zentralen Fragestellung des Dialogs6 oder auch eine Art doxographischer Überblick über die wichtigsten Ansichten zu dem jeweiligen Thema;7 mitunter geht Cicero bereits im Proömium einen Schritt weiter und nimmt schon hier eine erste Bewertung einzelner Positionen vor, indem er auf problematische Aspekte und Schwachstellen wichtiger Argumente hinweist.8 Andererseits lassen sich unter diesem ersten Oberpunkt auch diejenigen Passagen rubrizieren, in denen Cicero die gesellschaftliche Bedeutung und die epistemologische Schwierigkeit des jeweiligen Dialogthemas hervorhebt.9 Einen Sonderfall der themengebundenen Proömialtopoi stellt die Vorstellung und Rechtfertigung einer Dialogperson bereits im Proömium dar, die so nur im zweiten Buch der Academica priora vorkommt, für gewöhnlich jedoch der dialogischen Einführung nach dem Proömium vorbehalten ist.10

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Vgl. ähnlich Becker 1938, 8: „Die Proömien sind Geleitworte des Autors an den Leser, sei es, daß er eine Einführung in das folgende Gespräch geben will, sei es, daß er, wie es bei Cicero meistens der Fall ist, zu persönlichen Darlegungen, die zum folgenden Gespräch vielfach nicht in Beziehung stehen, das Wort ergreift“. Ob sich die zweite Kategorie allerdings tatsächlich als „persönliche“ Darlegung beschreiben lässt, scheint fraglich, da es Cicero nur selten um sich als Person geht, sondern meistens um seine Schriftstellerei, um das Philosophieren oder um sein Zielpublikum, weshalb dieser Bereich hier als „allgemein-apologetisch“ bezeichnet wird. Auch Ruch 1958, 332 f. spricht von einer ähnlichen Leitunterscheidung, indem er das ciceronische Proömium einerseits als Vorwort des Autors („préface“), andererseits als Vorbereitung auf den Dialog („exposition“) versteht; als dritte Dimension führt er noch die Glaubbarmachung der historischen Dimension durch das Proömium ein. Diese dritte Dimension scheint jedoch nicht auf derselben Ebene zu liegen wie die ersten beiden und dient wohl vor allem dazu, sein literaturgeschichtliches Genesemodell des ciceronischen Proömiums als Rückgriff auf Platon („exposition“), Aristoteles („préface“) und Herakleides Pontikos (historische Dimension) schon hier vorzubereiten. Vgl. dafür vor allem Cic. ac. 2,1–4, fin. 1,11b–12, fin. 3,1–3a, nat. deor. 1,1–5b.13 f., div. 1,1–7. Vgl. Cic. nat. deor. 1,2–5b. Vgl. Cic. fin. 1,11b. Vgl. Cic. div. 1,1–7a. Vgl. Cic. fin. 3,1–3a, nat. deor. 1,2–5b.13 f. Vgl. Cic. fin. 1,11b–12, nat. deor. 1,1–5b.13 f., div. 1,7b. Vgl. Cic. ac. 2,1–4; diese Besonderheit ist dem Umstand geschuldet, dass der zuvor in philosophischen Kontexten nicht weiter hervorgetretene Lucullus einer Rechtfertigung als akademischer Dialogpartner bedarf. Cicero selbst spricht davon, mit diesem Proömium Lucullus ehren zu wollen, ebenso wie er es im Falle des ersten Buches der Academica priora mit Catulus getan habe, vgl. Cic. Att. 13,32,3: Torquatus Romae est. Misi, ut tibi daretur. Catulum et Lucullum, ut opinor, antea. His libris nova prohoemia sunt addita, quibus eorum uterque laudatur. Eas litteras volo habeas, et sunt quaedam alia.

1. Die Proömialtopoi in Ciceros skeptischen Dialogen – ein Kategorisierungsversuch

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Darüber hinaus lassen sich all diejenigen Proömialtopoi zu einer zweiten Hauptgruppe zusammenfassen, in denen sich Cicero ohne unmittelbaren Bezug zur Thematik der jeweiligen Schrift in einer allgemein-apologetischen Manier über seine philosophische Schriftstellerei äußert.11 Er nutzt diese allgemein-apologetischen Passagen erstens dazu, um sein Philosophieren als solches zu rechtfertigen. Dabei verteidigt er es gegen die Kritik als ausländisch-fremdes Kulturgut und zeigt am Beispiel berühmter römischer Staatsmänner auf, dass die Philosophie nicht im Konflikt mit römischer Lebens- und Denkweise stehen muss.12 Er stellt die Philosophie dadurch als einen Gegenstand vor, der gerade für den römischen Staatsmann angemessen ist,13 da er durch das Philosophieren seinen Mitbürgern in einer turbulenten Zeit, in der durch Cäsars Alleinherrschaft eine direkte politische Betätigung nicht möglich ist, von Nutzen sein kann.14 Sich selbst stilisiert er dabei als einen Staatsmann, der seine grundlegende philosophische Bildung zeitlebens aufrechterhalten hat, sie in Zeiten persönlicher Anfechtung und politischer Herausforderungen heranziehen konnte und sie nun zur richtigen Zeit für seine Mitbürger fruchtbar macht.15 Für eine tiefergehende Rechtfertigung verweist Cicero auf seinen Hortensius, den er als großangelegte Verteidigungsschrift der Philosophie preist.16 Zweitens finden sich auch Passagen, in denen er die akademische Skepsis als seine eigene philosophische Haltung rechtfertigt.17 Er verteidigt sie dabei gegen den Vorwurf, die Menschen durch die akademische Kritik an allen anderen Schulpositionen zu verunsichern und in die Aporie zu führen, ohne ihnen einen Ausweg aus der so entstandenen Erkenntnis- und Handlungsunfähigkeit anzubieten. Stattdessen hebt Cicero die eigenständige Suche nach dem probabile als zentralen epistemologischen und ethischen Grundsatz der akademischen Skepsis hervor, der seine Rezipienten auf epistemologisch und ethisch verantwortbare Weise erkenntnis- und handlungsfähig werden lässt.18 Auch hier verweist Cicero auf ein anderes Werk, nämlich die zweite Auflage seiner nun vierbändigen Academica posteriora, in welcher der Leser eine ausführliche Rechtfertigung der akademischen Skepsis finden

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Vgl. dafür vor allem Cic. ac. 2,5–9a, fin. 1,1–11a, fin. 3,3b–6, nat. deor. 1,5c–12, div. 2,1–7. Vgl. darüber hinaus Graff 1963, 46–62, der diese und weitere Passagen aus den Proömien in einen weiteren Zusammenhang einordnet und unter Zuhilfenahme mehrerer Aussagen aus den Cicero-Briefen „Ciceros Selbstauffassung gegenüber der Philosophie“ (ebd., 46) zu rekonstruieren versucht. Vgl. Cic. ac. 2,5. Vgl. Cic. ac. 2,6. Vgl. Cic. nat. deor. 1,7, div. 2,1a.6 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,6b.9; div. 2,7. Vgl. Cic. fin. 1,2a. Dass Baraz 2012, 7 f. es als besonderes Spezifikum des ciceronischen Proömiums hervorhebt, dass dort die Philosophie und Ciceros philosophische Motivation keine größere Rolle spielen, kann vor dem Hintergrund dieses Unterpunktes nicht überzeugen, ebenso wie ihre Aussage, dass philosophische Streitigkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen philosophischen Schulen hier noch keine Rolle spielen. Vgl. Cic. ac. 2,7b–9a, nat. deor. 1,10–12.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

soll.19 Neben den ersten beiden Unterpunkten, die vor allem auf die Rechtfertigung der Philosophie als solcher abzielen, nutzt Cicero die Proömien drittens auch dazu, um den literarischen Charakter seiner Dialoge näher zu bestimmen. Er äußert sich dabei nicht nur grundlegend zu dem Grad der von ihm beanspruchten literarischen Eigenständigkeit, dem Verhältnis seiner Werke zu ihren griechischen Vorlagen und der Berechtigung des Lateinischen als angemessener Sprache für seine philosophischen Schriften,20 sondern auch zu Detailfragen wie der Wahl geeigneter Dialogpartner,21 der Schaffung bzw. Neuprägung lateinischer Fachtermini,22 zu Brutus als Widmungsträger23 und zu dem von ihm intendierten Publikum.24 Besondere Aufmerksamkeit erfuhr dabei der Werkskatalog im Proömium zum zweiten Buch von De divinatione,25 in dem Cicero selbst alle von ihm veröffentlichten bzw. noch geplanten philosophischen Werke aufzählt, zu Gruppen zusammenfasst, mitunter kurz beschreibt und dadurch unter anderem seinen enzyklopädischen Anspruch untermauert.26 Diese beiden Schwerpunkte und die darunter jeweils zu rubrizierenden Unterpunkte treten in unterschiedlicher Gewichtung und Ausführlichkeit in den einzelnen Proömien der dezidiert skeptischen Dialoge auf. Mancherorts finden sich beide Schwerpunkte innerhalb eines Proömiums neben- bzw. ineinander,27 während andere Proömien einen deutlichen Schwerpunkt aufweisen und entweder (fast) ausschließlich auf den Inhalt des Dialogs vorbereiten28 oder mehrere allgemein-apologetische Gesichtspunkte zusammenstellen.29

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,11. Vgl. Cic. fin. 1,4–10. Vgl. Cic. ac. 2,7a. Vgl. Cic. fin. 3,3b–5a; vgl. dazu vor allem Fögen 2000, 87–91.124 f. Vgl. Cic. fin. 3,6; Ruch 1957, 336–359 betont darüber hinaus auch die generelle Wichtigkeit des Proömiums als Ort der Widmung eines Werkes an eine bestimmte Person. Vgl. Cic. nat. deor. 1,8, div. 2,4b–5. Vgl. Cic. div. 2,1b–4a. Vgl. Cic. div. 2,4a: […] nullum philosophiae locum esse pateremur, qui non Latinis litteris inlustratus pateret. Wie schon die vereinzelten Verweise auf andere Werke Ciceros innerhalb seiner Proömien macht auch diese Werksliste deutlich, dass Cicero mit einem Leser rechnet, der seine Werke in ihrer Gesamtheit kennt und in einer bestimmten Reihenfolge liest; vgl. jüngst Scheidegger Lämmle 2016, 80–84 für eine Analyse des Proömiums zu div. 2 als „die ausführlichste Stellungnahme […], die Cicero jemals zum eigenen literarischen Schaffen abgegeben hat“ (ebd. 80). Vgl. darüber hinaus Steel 2005, 138 zur historisch-politischen Verortung des Proömiums zu div. 2. Darauf, dass Cicero manche seiner bereits erschienenen bzw. zumindest schon verfassten Werke bewusst verschweigt, sei hier nur am Rande hingewiesen. Vgl. die Proömien zu ac. 2 (inhaltlicher Schwerpunkt: 1–4; apologetischer Schwerpunkt: 5–9a), fin. 3 (inhaltlicher Schwerpunkt: 1–3a; apologetischer Schwerpunkt: 3b–6) und nat. deor. 1. (inhaltlicher Schwerpunkt: 1–5b.13 f.; apologetischer Schwerpunkt: 5c–12). Vgl. Cic. div. 1,1–7 für einen ausschließlich inhaltlichen Fokus. Vgl. fin. 1,1–12 für einen überwiegend (Ausnahme: fin. 1,11b–12) und div. 2,1–7 für einen ausschließlich allgemein-apologetischen Fokus.

2. Das Proömium von De natura deorum

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Aus diesem Befund ergeben sich etliche Fragen zum Charakter, den Kompositionstechniken und der Zielsetzung der einzelnen Proömien sowie zum generellen Verhältnis von Proömium und Haupttext eines ciceronischen Dialogs. So bleibt zu fragen, nach welchen Kriterien und Gesichtspunkten Cicero die unterschiedlichen Proömialtopoi jeweils auswählt und zusammenstellt, wieso er mancherorts auf eine inhaltliche Vorbereitung des Folgenden verzichtet und mancherorts ausführlich zu den zentralen philosophischen Fragestellungen einer Schrift hinführt. Zudem stellt sich die Frage, unter welchen Gesichtspunkten er die allgemein-apologetischen Ausführungen auf die verschiedenen Werke aufteilt und ob sie mittelbar auch mit dem Inhalt und der Zielsetzung des jeweiligen Dialogs in Verbindung gebracht werden können; auch ist zu untersuchen, mit welchen literarischen Mitteln Cicero für die Kohärenz gerade der Mischproömien sorgt und welche literarische Zielsetzung er mit seinen Proömien im Gesamten verbindet. Gerade bei der Analyse der Mischproömien, zu denen auch das Proömium von De natura deorum gehört, wird deutlich, dass die Unterscheidung zwischen themengebundenen und allgemein-apologetischen Topoi nicht allzu trennscharf aufrechterhalten werden kann. So bleibt beispielsweise zu fragen, ob die Verteidigung der akademischen Skepsis im Proömium zum zweiten Buch der Academica priora30 wirklich ausschließlich zur allgemein-apologetischen Kategorie gerechnet werden muss oder ob es sich hier nicht bereits um eine inhaltliche Vorbereitung des folgenden Dialogs handelt, der sich ja auch thematisch mit den verschiedenen Spielarten der skeptischen Schule beschäftigt. Es lohnt sich also zu überprüfen, ob die allgemein-apologetischen Proömialtopoi nicht auch andernorts zumindest mittelbar in einem engeren Zusammenhang zum Haupttext stehen als bislang gedacht und auch der inhaltlichen Vorbereitung des jeweiligen Dialogs dienen. 2. Das Proömium von De natura deorum Im Folgenden soll danach gefragt werden, auf welche Weise Cicero im Proömium von De natura deorum mit seinen Rezipienten in Kontakt tritt,31 welche Lesehaltung ihnen empfohlen wird und was sie schon dort über Art und Charakter des Dialogs erfahren. Das Proömium von De natura deorum gewinnt als Untersuchungsgegenstand gerade dadurch an Reiz, dass sich in diesem Mischproömium die beiden proömialen Schwerpunktthemen prominent neben- bzw. ineinander vertreten finden. Während Cicero zu Beginn und am Ende des Proömiums den Lesern eine inhaltliche Vorentlastung und Vorstrukturierung des im Folgenden diskutierten Themas bietet,32 nutzt er den 30 31 32

Vgl. Cic. ac. 2,7b–9a. Vgl. Baraz 2012, die ihrer Analyse der ciceronischen Proömien diese Prämisse der Kontaktaufnahme zugrunde legt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1–5b.13 f.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

Mittelteil des Proömiums zu einer breit angelegten Apologie seiner philosophischen Schriftstellerei;33 die allgemeinen Überlegungen mit dem Schwerpunkt auf Ciceros philosophischer Kompetenz und philosophischer Haltung werden also in die materiale Vorbereitung des Dialogs eingebettet. Dabei bleibt unter anderem danach zu fragen, wie sich das Verhältnis der beiden Teile zueinander gestaltet, ob bzw. inwiefern auch die allgemein-apologetischen Passagen auf die Lektüre des Dialogs vorbereiten und auf welche Weise trotz der beiden unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte innerhalb des Proömiums Kohärenz hergestellt wird. a) Die rhetorische Dimension des Proömiums Das Proömium von De natura deorum erhält zunächst dadurch eine äußere Kohärenz, dass Cicero im allgemein-apologetischen wie im themenspezifischen Teil versucht, seine Rezipienten sowohl emotional als auch kognitiv auf die Lektüre des Hauptteils des Dialogs vorzubereiten. Er verfolgt dabei offensichtlich ein Ziel, das er in seinen rhetorischen Schriften in ähnlicher Form auch als Zielsetzung für das Proömium einer Rede ausgibt. Dort führt er aus, dass die geeignete Vorbereitung der Zuhörer dadurch erfolgt, dass sie in einen bestimmten geistigen Zustand versetzt werden, in dem sie sowohl willens als auch fähig sind, den sich anschließenden Ausführungen zu folgen und sich auf die Argumentationsgänge sowie auf die Person des Redners einzulassen.34 Cicero beschreibt diese Aufgabe des Proömiums mit dem oft zitierten Trikolon auditorem benivolum, attentum, docilem facere.35 Auch wenn die rhetorische Theorie sich vornehmlich auf die Gattung der Rede konzentriert und danach fragt, wie ein Redner seine Zuhörer schon zu Beginn für sich und seine Sache einzunehmen vermag, so lässt sich diese proömiale Gestaltungstechnik und Zielsetzung mutatis mutandis auch für das Proömium von De natura deorum nachweisen. Von besonderer Wichtigkeit ist es für Cicero dabei zunächst, das Interesse seiner Rezipienten für das vorliegende Thema zu gewinnen (attentum facere). Dies gelingt ihm dadurch, dass er die unmittelbare Bedeutung des Themas für seine Rezipienten unterstreicht. Indem Cicero im Proömium die religionsphilosophische Frage nach dem Wesen der Götter als eine kultisch relevante und dezidiert politische Fragestellung aktualisiert, die nicht nur für einen kleinen Kreis von Gelehrten und an griechischem Geistesgut Interessierten, sondern für alle römischen Bürger relevant sein muss, ge-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,5c–12. Vgl. Cic. inv. 1,20 zum Ziel des Proömiums: Exordium est oratio animum auditoris idonee comparans ad reliquam dictionem. Vgl. bspw. Cic. inv. 1,20. Vgl. darüber hinaus Polara 1974, 137–139 für eine gelungene Zusammenstellung aller Belegstellen, wie gemäß den verschiedenen lateinischen Rhetorikern dieses Ziel (auditores benivolos, attentos, dociles facere) im Einzelnen erreicht werden kann.

2. Das Proömium von De natura deorum

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lingt es ihm, deren Bedeutung gemäß den von ihm selbst festgehaltenen rhetorischen Richtlinien herauszustellen. Der Verweis auf die unmittelbare Bedeutung des Themas für die Rezipienten,36 zudem der Verweis auf die Götter und auf die Grundpfeiler des Staates wird von Cicero schon in De inventione ausdrücklich als Möglichkeit beschrieben, sich der Aufmerksamkeit des Publikums zu versichern (1,13): Attentos autem faciemus, si demonstrabimus ea, quae dicturi erimus, magna, nova, incredibilia esse, aut ad omnes aut ad eos, qui audient, aut ad aliquos inlustres homines aut ad deos immortales aut ad summam rem publicam pertinere; et si pollicebimur nos brevi nostram causam demonstraturos atque exponemus iudicationem aut iudicationes, si plures erunt.

Leitmotivisch und kohärenzstiftend rekurriert Cicero dafür an drei zentralen Stellen innerhalb des Proömiums, nämlich unmittelbar zu Beginn, in der Mitte und als letzten Gedanken,37 auf den Zusammenhang zwischen philosophischer Erkenntnis und gesellschaftlich-kultischer Wirklichkeit. Vor allem anhand der Fragestellung, ob sich die Götter um die Belange der Menschen sorgen oder nicht, zeigt er auf, inwiefern eine religionsphilosophische Spezialfrage nicht nur die kultische Praxis, die von in das Leben der Menschen eingreifenden Göttern ausgeht, sondern die eng mit der kultischen Praxis verwobenen gesellschaftlichen Solidartugenden (fides, societas, iustitia) beeinflusst. Dem Rezipienten wird dadurch verdeutlicht, dass eine Beschäftigung mit der Religionsphilosophie zentrale Werte und Institutionen des römischen Staates tangiert, deren Bestand von der sich letztlich durchsetzenden religionsphilosophischen Ansicht entweder gesichert oder gefährdet werden kann. In diesem Sinne kann Cicero seine religionsphilosophische Fragestellung als eine für den Bestand des römischen Kultes notwendige apostrophieren38 und zeigen, dass es sich bei der Frage nach der Religionsphilosophie nicht um ein bloßes Teilgebiet der hellenistischen Physik handelt, sondern um eine Frage, die letztlich jeden römischen Bürger unmittelbar betrifft. Neben dem Bemühen, sich durch die Hervorhebung der Bedeutung des Themas die Aufmerksamkeit seiner Rezipienten zu sichern, nutzt Cicero das Proömium dazu, um seine Rezipienten auf den religionsphilosophischen Inhalt des Dialogs vorzubereiten (dociles facere). Auch hierbei macht sich Cicero in De inventione vorbereitete Erkenntnisse zunutze, die davon ausgehen, dass Zuhörer umso aufmerksamer und be-

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Vgl. dazu auch Cic. part. 30, wo die Frage, warum das jeweilige Thema gerade für das jeweilige Auditorium von Bedeutung ist (coniuncta cum ipsis, apud quos res agetur), als entscheidende Strategie zur Erzeugung von Interesse und Aufmerksamkeit akzentuiert wird. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1.3 f.14; auch sprachlich werden die drei Passagen durch Wiederaufnahme der zentralen Stichwörter verknüpft. So nimmt nat. deor. 1,3 den religio-Begriff aus nat. deor. 1,1 wieder auf, während nat. deor. 1,14 die Trias religio, sanctitas und pietas sowie den fides-Begriff aus nat. deor. 1,3 f. aufgreift. Vgl. dazu auch Cic. part. 30, wo die Klassifizierung des Gegenstands einer Rede explizit als proömiale Strategie beschrieben wird, um die Aufmerksamkeit des Hörers zu gewinnen.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

reitwilliger folgen können, wenn im Proömium schon die inhaltlichen Grundlagen des (forensischen oder politischen) Streitfalls dargelegt werden (1,23): Dociles auditores faciemus, si aperte et breviter summam causae exponemus, hoc est, in quo consistat controversia. Nam et, cum docilem velis facere, simul attentum facias oportet. Nam is est maxime docilis, qui attentissime est paratus audire.

Cicero gelingt eine solche inhaltliche Vorentlastung, indem er im Proömium zu De natura deorum nicht nur alle relevanten religionsphilosophischen Fragestellungen und Leitunterscheidungen benennt, sondern sie sogleich gewichtet und das für ihn Relevante vom Irrelevanten abtrennt, um dadurch das zentrale religionsphilosophische Problem (summa causae) pointiert darstellen zu können.39 Als mögliche religionsphilosophische Fragestellungen benennt er die fundamentaltheologische Frage nach der Existenz der Götter sowie die Spezialfragen nach dem Aussehen der Götter, ihrem Wohnsitz, ihren Tätigkeiten und ihrem (etwaigen) Eingreifen in das Leben der Menschen. Zugleich legt er fest, welche dieser Fragestellungen innerhalb des philosophischen Diskurses die eigentlich relevanten Fragestellungen sind und deshalb im weiteren Fortgang des Textes auch von besonderer Bedeutung sein werden. Da er die Frage nach der Existenz der Götter mithilfe des consensus-Arguments als nahezu beantwortet festlegt,40 möchte er sich vor allem auf die Spezialfragen konzentrieren und dort wiederum in besonderer Weise der Frage nach der göttlichen Fürsorge für Welt und Mensch nachgehen.41 Da diese Frage im Zentrum des Dialogs stehen soll und von Cicero als wichtigste Leitunterscheidung innerhalb der philosophischen Diskussion akzentuiert wird, stellt er die zwei zentralen Antwortmöglichkeiten auf die Frage nach der göttlichen Fürsorge ausführlich vor. Ohne explizit einzelne Philosophen oder philosophische Schulen zu benennen,42 widmet er sich zunächst der Ansicht, dass die Götter sich nicht um die Welt kümmern; anschließend kommt er auf diejenigen Philosophen zu sprechen, die von einer göttlichen Fürsorge und Lenkung der Welt ausgehen. Beides Mal konfrontiert er die Leser sogleich auch mit möglichen Schwachstellen der beiden Argumentationsstränge.43 39

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,2–5a; vgl. dazu auch Cic. part. 29, wo betont wird, dass eine Vorstellung und Gliederung der jeweiligen causa bereits im Proömium zu einer größeren Verständnisbereitschaft und Aufmerksamkeit der Hörer führen kann: Sed facillime auditor discit et, quid agatur, intellegit, si complectare a principio genus naturamque causae, si definias, si dividas, si neque prudentiam eius impedias confusione partium nec memoriam multitudine. Vgl. Manuwald 2018, 49 f., die in Ciceros Bewertung des esse deos einen Hinweis auf Ciceros tatsächliche Haltung sieht; auch sie spricht, wie im Folgenden vorgeschlagen, von Ciceros Leserlenkung mithilfe solcher Gewichtungen und Vorentscheidungen, ohne dies jedoch mit Ciceros philosophischem Programm zu verbinden. Vgl. Cic. nat. deor. 1,2. Vgl. Cic. nat. deor. 1,3 (sunt enim philosophi et fuerunt, qui …) und 1,4 (sunt autem alii philosophi, …). Vgl. Cic. nat. deor. 1,3–5a; Schäublin 1990, 93 beobachtet, dass Cicero hier „eine klare Wertung zum Ausdruck“ bringt, indem er die erste Philosophengruppe voller Empörung angreift und die

2. Das Proömium von De natura deorum

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Während Cicero also diejenigen Passagen, die unmittelbar auf das Thema des Dialogs hinführen, vor allem dazu nutzt, um das Interesse und die Aufmerksamkeit seiner Rezipienten zu gewinnen, beschreitet er bei den allgemein-apologetischen Passagen des Proömiums einen anderen Weg. Dort kommt es ihm vor allem darauf an, sich vor seinen Rezipienten als ein für das Thema geeigneter und fähiger Autor zu stilisieren. Cicero greift dafür auf das Mittel der captatio benevolentiae zurück, mit deren Hilfe er seine bisherigen Verdienste und Leistungen herausstellen und mögliche Bedenken seiner Leser zerstreuen möchte. Zu einer solchen captatio benevolentiae ab nostra persona zählt er in De inventione mehrere Bestandteile (1,22): Ab nostra, si de nostris factis et officiis sine arrogantia dicemus; si crimina inlata et aliquas minus honestas suspiciones iniectas diluemus; si quae incommoda acciderint aut quae instent difficultates proferemus; si prece et obsecratione humili ac supplici utemur.

Diese Bestandteile werden von ihm auch im Proömium von De natura deorum eingesetzt. Formal inszeniert er die Darstellung seiner philosophischen Kompetenz und die Beschreibung seines philosophischen Standortes als Reaktion auf drei Kritikpunkte, mit denen er sich seit der Herausgabe seiner philosophischen Bücher konfrontiert sieht. So reagiert er zunächst auf die Kritik am vermeintlich späten Beginn seines Philosophierens, indem er die Kontinuität seiner zeitlebens verfolgten philosophischen Studien bis zu seiner jetzigen literarischen Produktion hervorhebt, die er seinerseits als Fortsetzung seines politischen Engagements mit anderen Mitteln beschreibt. Indem er als Reaktion auf diesen ersten Kritikpunkt seine wichtigsten philosophischen Lehrer benennt,44 seine stets fortgeführten Bemühungen um die Philosophie anspricht und

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zweite Philosophengruppe sogar lobt, indem er sie als magni atque nobiles bezeichnet. Gegen Schäublin lässt sich anmerken, dass Cicero die Ansicht der ersten Philosophengruppe nur kurz umreißt und den meisten Platz innerhalb der Darstellung ihrer staatsgefährdenden Dimension zugesteht, während hingegen die Lehre der zweiten Philosophenschule ausführlich dargestellt wird und die epistemologische Kritik einen knapperen Raum am Ende der Darstellung einnimmt. Diese Wertung dient allerdings nicht einer generellen Auf- oder Abwertung einzelner Philosophenschulen, sondern steht in engem Zusammenhang mit der politischen Dimension der von Cicero aufgezeigten Alternative. Während die erste Philosophengruppe dadurch in ihrem kult- und staatsgefährdenden Charakter herausgestellt wird, kennzeichnet die anfängliche Beschreibung der zweiten Gruppe als magni atque nobiles einen deutlichen Gegensatz und stellt heraus, dass von dieser zweiten Gruppe eine solche Gefahr nicht ausgeht. Erstaunlicherweise rekurriert er umrahmend lediglich auf seine beiden stoischen Lehrer Diodotos und Poseidonios sowie, von ihnen umschlossen, auf seine beiden akademischen Lehrer Philon und Antiochos; dass er auch bei den epikureischen Philosophen Phaidros und Zenon gehört hat, lässt er an dieser Stelle unerwähnt, während er andernorts (vgl. bspw. Cic. ac. 1,46; fin. 1,16; Tusc. 3,38 sowie fam. 13,1,2; Att. 13,39,2 und Phil. 5,13) lobend auf sie eingeht. Die Erklärung dafür, dass beide hier fehlen, ist wohl nicht darin zu sehen, dass Cicero sich auf einmal ihrer schämte, sondern darin, dass er keinen Inszenierungsbruch mit dem eigentlichen Dialog riskieren wollte. Dort inszeniert er nämlich Cotta als Philosophen, der mit in Athen lebenden Epikureern persönlich bekannt war (vgl. Cic. nat. deor. 1,59.93) und deswegen aus erster Hand intime Kenntnis des Epikureismus für sich beanspruchen darf. Dass Cicero bei der Modellierung Cottas auf seine eigenen Erfahrungen

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

mit seinen Reden45 gerade ein Genre als Zeugnis seiner philosophischen Bildung anführt, dessen philosophische Dimension nicht unmittelbar auf der Hand liegt, gelingt es ihm, die eigene philosophische Kompetenz in das Zentrum der Darstellung zu rücken.46 Die erst spät begonnene literarische Produktion rechtfertigt Cicero dabei mit seinem politischen Engagement, welches ihm vorher allzu wenig Raum für eine Verschriftlichung gelassen habe. Unter Cäsars Alleinherrschaft gilt sie Cicero hingegen als geeignetes Mittel, um seinen Mitbürgern auch jenseits der direkten politischen Betätigung von Nutzen zu sein. Neben dem allgemeinen Nutzen lateinischer Philosophica betont er auch den persönlichen therapeutischen Nutzen, den er nach dem Tod seiner Tochter Tullia aus seiner philosophischen Schriftstellerei gezogen habe.47 Auch gegenüber den nächsten beiden Vorwürfen, gerade die in Griechenland selbst gegenwärtig nicht mehr betriebene akademische Skepsis philonischer Prägung als philosophische Schule ausgewählt zu haben und sich im Sinne dieser Schule eines eigenen Urteils zu enthalten, verteidigt er sich mit einem ausführlichen Plädoyer für die Berechtigung dieses Ansatzes.48 Cicero stilisiert sich in dieser Passage des Proömiums als ein Autor, der nicht nur die nötige philosophische Kompetenz besitzt, sondern seinen Mitbürgern einen politisch wie intellektuell nützlichen Dienst erweist. Mit Blick auf die rhetorischen Vorschriften für eine captatio benevolentiae versucht er also an diesen Stellen, sowohl seine eigenen philosophischen und politischen Verdienste herauszustellen (de nostris factis et officiis dicere) als auch potentielle Kritikpunkte im Vorfeld abzuwehren (crimina et suspiciones diluere). Dieser kurze Blick auf das Proömium mit dem Raster der Rhetorik erlaubt es also, das Proömium als einen kohärenten Einstieg anzusehen, selbst wenn man davon ausgehen würde, dass zumindest Teile davon einer Proömiensammlung entnommen wor-

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und Erlebnisse zurückgreifen konnte, ist zwar richtig gesehen worden, doch wurde der Aspekt der einfachen Übertragung der Erfahrungen von Cicero auf Cotta (bspw. bei Pease 1955, 452 zu Cic. nat. deor. 1,93) in dem Sinne überbetont, dass die historische Plausibilität dieser „Übertragung“ übersehen worden ist. Eine Begegnung des historischen Cotta mit den genannten Epikureern in Athen ist, soweit wir Cottas Lebenslauf überblicken, durchaus möglich und stellt, sollte sie realiter nicht stattgefunden haben, zumindest eine plausible Erfindung Ciceros dar. Vgl. zur Frage, inwieweit sich Ciceros philosophische Bildung tatsächlich auch in seinen Reden und Briefen widerspiegelt, McConnell 2014. Vgl. Cic. nat. deor. 1,6 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,7–9; an dieser Passage zeigt sich zudem, dass ein allzu einfacher Schematismus in der rhetorischen Funktionsbeschreibung der Stelle zu kurz greift. Sie kann nämlich nicht nur als Teil der captatio benevolentiae verstanden werden, sondern auch als Mittel, um die Aufmerksamkeit des Lesers (lectores attentos facere) zu gewinnen. Während Cicero dies in den bereits besprochenen Passagen anhand des religionsphilosophischen Themas vollzieht, zeigt er hier die allgemeine Bedeutung und Relevanz des Philosophierens für den Römer auf. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10–12; auch hier lässt sich eine stärkere Differenzierung der rhetorischen Funktion vornehmen, da die vorliegende Passage  – wie es das folgende Unterkapitel zum Proömium als Leseanweisung zeigen wird – durch die Explikation des ciceronischen Ansatzes auch dazu dient, den Leser auf die Lektüre des Dialogs vorzubereiten (lectores dociles facere).

2. Das Proömium von De natura deorum

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den und im Zuge der Endredaktion mit den übrigen Ausführungen verbunden worden sind. Dass das Proömium in der vorliegenden Form auf De natura deorum hin konzipiert worden ist und in einem engen Zusammenhang mit den sich anschließenden dogmatischen Reden und skeptischen Gegenreden steht, ist indes keine neue Entdeckung; selbst die ältere Quellenforschung konnte den inhaltlichen Konnex zwischen Proömium und Hauptteil der Schrift anerkennen, auch wenn sie davon abgesehen den Beginn der Schrift lediglich als Nachweis dafür ansah, dass Cicero in der Lage gewesen ist, auch ohne Vorlagen und Prätexte den Kernpunkt eines philosophischen Problems und die zentralen dogmatischen Unterscheidungen zu benennen.49 b) Das Proömium als zweifache Lesehilfe Eine derartige rhetorisch inspirierte Lektüre erklärt allerdings nicht ausreichend, wieso von Cicero beispielsweise gerade dieser apologetische Schwerpunkt ausgewählt worden ist50 und inwiefern die beiden Teile des Proömiums auch eine innere Verbindung eingehen. Im Folgenden soll daher eine ergänzende Lesart des Proömiums vorgeschlagen werden, welche die beiden Teile des Proömiums als doppelte Vorbereitung des Lesers auf eine gewinnbringende Lektüre des skeptischen Dialogs beschreiben möchte.51 Den Ausgangspunkt bildet Ciceros anfängliche Charakterisierung seines Untersuchungsgegenstandes. So beschreibt er unmittelbar am Beginn des Proömiums die Religionsphilosophie als einen epistemologisch hoch anspruchsvollen und zugleich kultisch-gesellschaftlich zentralen Untersuchungsgegenstand.52 Aus dieser zweifachen Charakterisierung der Religionsphilosophie ergibt sich für den Leser die Notwendigkeit, den folgenden Dialog sowohl einer skeptisch sensibilisierten als auch einer politisch verantworteten Lektüre zu unterziehen. Anders als bisherige Ansätze kön-

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Vgl. dazu vor allem Reinhardt 1888, 1: „Wenn sie [die Einleitung, erg. C. D.] auch inhaltlich nicht von grosser Bedeutung ist, so lehrt sie doch wenigstens, dass Cicero auch ohne irgend welche Vorlage angeben konnte, um welche Fragen es sich bei seinem Problem handelte und wer die Hauptvertreter der verschiedenen Antworten seien, dass er sich also nicht ohne Grund auf seine frühzeitig begonnenen und lange Jahre fortgeführten philosophischen Studien berufen konnte.“ Während sich Cicero in den allgemein-apologetischen Passagen des Proömiums von De natura deorum vor allem darum bemüht, seine philosophische Kompetenz und seinen philosophischen Ansatz darzustellen, legt er beispielweise in den allgemein-apologetischen Passagen im Proömium von fin. 1 einen anderen Schwerpunkt und stellt dort ausführlich seine literarische Kompetenz und Zielsetzung dar. Eine solche Lesart des Proömiums scheint bislang noch nicht vertreten worden zu sein; lediglich einzelne Stimmen fragen partiell nach der Übereinstimmung von Proömium und Reden, so etwa Rüpke 2014, 198. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1, wo die quaestio de natura deorum als ad cognitionem animi pulcherrima und als ad moderandam religionem necessaria beschrieben wird.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

nen so vor allem die allgemein-apologetischen Passagen des Proömiums nicht nur als eine selbstreferentielle Rechtfertigung Ciceros, sondern als Lesehinweise an seine Rezipienten verstanden werden, die die sich anschließenden Reden und Gegenreden in eigener Verantwortung auf diese Weise prüfen sollen. Ein zentrales Ziel des Proömiums besteht also darin, dem Leser begreiflich zu machen, dass ihn im Folgenden keine philosophiehistorische Überblicksdarstellung über die hellenistische Religionsphilosophie erwartet, in der Cicero ihn über die einzelnen Positionen informiert und ihm anschließend selbst ein tragfähiges Konzept präsentiert. Vielmehr soll ihm durch das Proömium vermittelt werden, dass er als Leser im hohen Maße selbst gefordert ist, und zugleich soll auch gezeigt werden, wie er die von Cicero aufbereiteten Reden und Gegenreden stets selbst auf die Wahrheitsfrage und auf ihre politische Tragfähigkeit hin prüfen soll. Das epistemologische Grundproblem: Die Aufforderung zu einer skeptischen Lektüre. Als gemäßigter Skeptiker philonischer Prägung glaubt Cicero zwar, dass es die Wahrheit an sich gibt,53 dass der Mensch sie jedoch nicht erkennen kann, da sie nirgends in Reinform auftritt und das menschliche Urteilsvermögen zu anfällig für Fehlurteile ist.54 Aufgrund der Ähnlichkeit von vera und falsa sei es dem Menschen nicht möglich, beides trennscharf voneinander zu unterscheiden und die Wahrheit anhand bestimmter Kriterien mit Sicherheit als solche zu erkennen (1,12):55 Non enim sumus i, quibus nihil verum esse videatur, sed i, qui omnibus veris falsa quaedam adiuncta esse dicamus tanta similitudine, ut in is nulla insit certa iudicandi et adsentiendi nota.

Der Mensch sieht sich daher mit der ernüchternden Einsicht konfrontiert, dass er nirgends seine sichere Zustimmung geben kann und die Wahrheit niemals zweifelsfrei als solche erkennen und benennen kann. Aus diesem Befund ergibt sich für Cicero jedoch nicht die radikalskeptische Forderung, auf jedes Urteil zu verzichten, sondern der Impuls, auch weiterhin nach dem Wahren zu suchen und durch die kritische Prüfung aller bisherigen Ansätze zumindest diejenige Position herauszufinden, die der Wahrheit am nächsten zu kommen scheint. Eine radikale Skepsis wird von Cicero nicht als eine ernstzunehmende Alternative angesehen, da eine Leugnung jeder Erkenntnis-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,12. Vgl. für diese doppelte Begründung der Schwierigkeit jedes Erkennens Cic. ac. 2,7: Etsi enim omnis cognitio multis est obstructa difficultatibus eaque est et in ipsis rebus obscuritas et in iudiciis nostris infirmitas, […]. Vgl. darüber hinaus Cic. ac. 2,68 für die ontisch-phänomenologische Nähe von vera und falsa. Cicero rekurriert hier auf das spätestens seit Arkesilaos fassbare Aparallaxie-Argument (vgl. Frede 1999 zu einer philosophiehistorischen Verortung), wodurch deutlich wird, dass er sich von der radikalen Skepsis nicht hinsichtlich der Beschreibung der epistemologischen Herausforderungen unterscheidet, sondern erst hinsichtlich der Frage, wie man auf diese Problematik reagieren kann. Philons Spuren folgend vertritt Cicero einen gemäßigteren Ansatz.

2. Das Proömium von De natura deorum

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möglichkeit letztlich zur Lebensunfähigkeit des Menschen führen würde.56 Als zentrale philosophische Aufgabe ergibt sich also die eigenverantwortliche Suche nach dem Wahrscheinlichen (probabile bzw. verisimile).57 Durch diese epistemologische Akzentuierung gelingt es Cicero als akademischem Skeptiker philonischer Prägung, seine Rezipienten nicht in die Aporie zu führen, sondern sie auf eine epistemologisch verantwortliche Weise handlungsfähig werden zu lassen; hat man nämlich das probabile bzw. verisimile nach einer kritischen Prüfung aller relevanten Positionen erkannt, kann die gebilligte Position eine handlungsleitende Funktion einnehmen und als epistemologisch legitime Ausrichtung des eigenen Handelns dienen. Das epistemologische Gefälle zwischen Wahrem und Wahrscheinlichem wird dabei daran deutlich, dass man zwar nur der Wahrheit zustimmen darf (adsentiri), dem Wahrscheinlichen jedoch immerhin folgen kann (sequi).58 Wenn Cicero zu Beginn des Proömiums angesichts der Vielzahl der Meinungen also die akademische Weigerung einer Zustimmung zu einer einzelnen Position hervorhebt,59 dann vertritt er auch dort keinen radikalen Skeptizismus, sondern bezieht sich lediglich auf den akademisch-skeptischen Verzicht, eine gewisse Position als die alleinig wahre Position zu kennzeichnen. Ciceros ausführlicher Rekurs auf seine eigenen epistemologischen Prämissen, die er in seinen zuvor veröffentlichen Academici libri, auf die er im Proömium von De natura deorum selbst verweist,60 entfaltet hat, steht in engem Zusammenhang mit dem Untersuchungsgegenstand des religionsphilosophischen Dialogs. Bereits im ersten Satz des Proömiums weist Cicero nämlich darauf hin, dass sich gerade bei der Frage nach dem Wesen der Götter die Schwierigkeit richtiger Erkenntnis in besonderer Weise zeigt (1,1): Cum multae res in philosophia nequaquam satis adhuc explicatae sint, tum perdifficilis, Brute, quod tu minime ignoras, et perobscura quaestio est de natura deorum […].

Als Nachweis der besonderen epistemologischen Herausforderung religionsphilosophischer Fragestellungen führt Cicero mehrfach die hohe Zahl divergierender Gelehrtenmeinungen an, die trotz eines langen, intellektuell anspruchsvollen und intensiven Diskurses keinerlei Einigkeit über die religionsphilosophischen Spezialfragen erzielen

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Vgl. zu diesem Apraxie-Argument der älteren Skepsis auch Cic. off. 2,7: non modo disputandi, sed etiam vivendi ratione sublata. Vgl. zum Begriff des verisimile bzw. probabile Fuhrer 1993, Görler 1994, 1092–1094, Glucker 1995, Peetz 2005 und Auvray-Assayas 2006, 36–39, die die besondere Nuancierung des probabile-Begriffs auf Cicero selbst zurückführt. Vgl. darüber hinaus Lévy 1992, 59–126 zu Ciceros Positionierung innerhalb der Neuen Akademie. Vgl. dazu auch grundlegend Cic. ac. 2,8. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1. Vgl. Cic. nat. deor. 1,12; ähnlich geht er auch in Cic. off. 2,8 vor, wo er explizit auf die Academica verweist: Sed haec explanata sunt in Academicis nostris satis, ut arbitror, diligenter.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

konnten,61 sowie den Umstand, dass eine Einigkeit nicht zuletzt aufgrund der Unverfügbarkeit und der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes auch für die Zukunft nicht zu erwarten sei.62 Deshalb befürwortet Cicero gerade in diesem Fall die akademische Haltung, auf die definitive Zustimmung zu einer bestimmten philosophischen Position zu verzichten;63 zugleich akzentuiert er die skeptische Methode als einen geeigneten Neuansatz, der nicht den Anspruch erheben muss, einen originellen Eigenbeitrag zu leisten, sondern der die Gelegenheit bietet, die bereits vorhandenen Positionen kritisch zu prüfen und sich durch deren kritische Prüfung dem Wahrscheinlichen zu nähern. Die Frage nach dem Wesen der Götter ist für Cicero also der ideale Gegenstand, um seine skeptischen Prämissen an einem geeigneten Thema anzuwenden und verantwortliche Grundprinzipien des Erkennens sowohl e negativo als auch in positiver Weise aufzuzeigen.64 So kann er zunächst bei der Darstellung des bisherigen philoso-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,1 (de qua tam variae sint doctissimorum hominum tamque discrepantes sententiae […]), 1,5 (quorum opiniones cum tam variae sint tamque inter se dissidentes, alterum fieri profecto potest, ut earum nulla, alterum certe non potest, ut plus una vera sit), 1,14 (profecto eos ipsos, qui se aliquid certi habere arbitrantur, addubitare coget doctissimorum hominum de maxuma re tanta dissensio). Vgl. zur Stelle treffend Gigon 1996, 312: „Wenn also die Theologie, anders als die Ethik, in ihrem vollen Umfang auf bloße Probabilitäten reduziert werden muß, wird sie der eindrücklichste Beleg für die Richtigkeit der akademischen These, daß der Mensch auf das Suchen nach der Wahrheit beschränkt bleibt ohne die Gewißheit, sie jemals erreichen zu können.“ Darüber hinaus resultiert die Schwierigkeit der Religionsphilosophie auch aus ihrer Vernetzung mit allen drei philosophischen Teildisziplinen; auf die generelle Vernetzung einer philosophischen Fragestellung mit verschiedenen Teilgebieten der Philosophie weist Cicero selbst im Proömium hin (vgl. Cic. nat. deor. 1,9: est enim admirabilis quaedam continuatio seriesque rerum, ut alia ex alia nexa et omnes inter se aptae conligataeque videantur); am Beispiel der Religionsphilosophie lässt sich dies besonders gut zeigen. Während die Logik die Grenzen und Möglichkeiten der Erkenntnis göttlicher Dinge diskutiert, fällt die Frage nach der Beschaffenheit und Lenkung der Welt in den Bereich der Physik. Die von der providentia deorum abhängige Frage nach dem Verhalten des Menschen gehört hingegen in den Bereich der Ethik. Dass der zentrale Bereich der Religionsphilosophie, nämlich die Physik, gerade im Bereich der Astronomie ein äußerst komplexes Feld der Philosophie ist, legt Cicero auch in ac. 2,116–128 dar. Vgl. dazu zentral Cic. ac. 2,122: Latent ista omnia, Luculle, crassis occultata et circumfusa tenebris, ut nulla acies humani ingenii tanta sit, quae penetrare in caelum, terram intrare possit. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1b. Vgl. dazu Ciceros anfängliche Charakterisierung der Religionsphilosophie als ad cognitionem animi pulcherrima (Cic. nat. deor. 1,1); das Adjektivattribut pulcherrima wurde bislang vor allem als lobendes Beiwort angesehen, welches – mit Blick auf andere Passagen wie Cic. fin. 4,42 und Sen. dial. 12,20,2 und Sen. nat. 1 praef. 1 (vgl. TLL 10,2,2567 f. s. v. pulc(h)er), wo pulcher in solchen Zusammenhängen absolut gebraucht wird und unmittelbar neben Adjektiven wie admirabilis erscheint – zur Qualifizierung eines besonders edlen und hochstehenden Bereichs der Philosophie dienen soll (vgl. so v. a. Bringmann 1971, 178 [mit Anm. 26], Gigon 1996, 312 und Dyck 2003, 57). Da Cicero pulcherrima hier jedoch nicht absolut gebraucht, sondern den Ausdruck durch die präpositionale Wendung ad cognitionem animi hinsichtlich eines Zieles, in Bezug auf welches die Frage nach den Göttern als pulcherrima beschrieben werden kann, näher bestimmt, drückt das Adjektiv hier eher eine besonders herausragende Nützlichkeit bzw. Eignung aus (vgl. zu dieser Nuance von pulcher TLL 10,2,2565). Dass die Wendung cognitio animi Ciceros Versuch darstellt,

2. Das Proömium von De natura deorum

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phischen Diskurses zeigen, dass alle philosophischen Ansichten natürlicherweise und in unterschiedlichem Grad und Umfang mit Ansichten durchmischt sind, denen man nach einer kritischen Prüfung nicht zustimmen kann. Daneben verfolgt Cicero jedoch auch ein positives didaktisches Interesse. So kann er seinen Lesern die Möglichkeit eröffnen, an den von ihm vorbereiteten Reden die Prinzipien der skeptischen Urteilsbildung anzuwenden, sich auf die Suche nach dem Wahrscheinlichen zu begeben, dadurch die skeptische Methode einzuüben und zu einem selbstverantworteten Urteil zu gelangen. Wodurch zeichnet sich laut Cicero nun eine Position aus, die von seinen Lesern als probabile erkannt werden kann? In den Academici libri setzt sich Cicero mit dem platonisch motivierten Vorwurf auseinander, dass Skeptiker, die dem Menschen die Fähigkeit absprechen, die Wahrheit sicher erkennen zu können, ebenso wenig in der Lage seien, das Wahrscheinliche zu erkennen. Denn um das Wahrscheinliche erfassen zu können, müsste man ja zunächst einen sicheren Wahrheitsbegriff samt sicheren Kriterien zur Erkenntnis der Wahrheit haben, der das Wahrscheinliche als schwächere Form der Wahrheit erkennbar machen könnte. Entweder gebe es daher eindeutige Erkenntniskriterien, die Wahres von Falschem unterscheiden könnten, oder es gebe überhaupt keine Erkenntnis.65 Cicero steht daher vor der Herausforderung zu beschreiben, welche Kriterien erfüllt sein müssen bzw. nicht erfüllt sein dürfen, damit eine Position als probabile, d. h. als epistemologisch plausibel, beurteilt werden kann, ohne jedoch dafür eindeutige Wahrheitskriterien anführen zu können. Deshalb begründet er die These, dass das probabile das Handeln des Menschen bestimmen darf, auch wenn es nicht mit dem verum gleichgesetzt werden kann, mit dem vagen Kausalsatz quia visum quendam haberent insignem et inlustrem.66 Das Indefinitpronomen quendam, welches die Erscheinungsform des probabile zunächst beschreibt, verdeutlicht den bewussten Gegensatz zu den zuvor genannten, sicheren Wahrheitskriterien (certa iudicandi et adsentiendi nota), von denen beispielsweise die Stoiker ausgehen;67 es stellt

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das griechische Substantiv θεωρία zu umschreiben und damit die theoretische Erkenntnisweise von den durch religio ausgedrückten, praktischen Bereich abzugrenzen, haben Bringmann 1971, 178 [Anm. 26] und Gigon 1996, 312 nachgewiesen und sich mit Recht gegen platonisierende Erklärungsmuster (die Erkenntnis des göttlichen Geistes führe zur Erkenntnis des menschlichen Geistes) ausgesprochen. Im Gesamten lässt sich die Charakterisierung der Religionsphilosophie als ad cognitionem animi pulcherrima somit dahingehend verstehen, dass sie in herausragender Weise Einsichten in die Möglichkeiten und Grenzen menschlicher Erkenntnis erlaubt und sich daher als besonders geeigneter Gegenstand für eine akademisch-skeptische Untersuchung erweist. Vgl. Cic. ac. 2,18 (Philo iudicium tollit incogniti et cogniti) sowie ausführlich zur Kritik der gemäßigten Skepsis Cic. ac. 2,23–36. Vgl. Cic. nat. deor. 1,12. Vgl. zur Konnotation von nota Cic. ac. 2,33 sowie Bächli/Graeser 1995, 216 f. (Anm. 92) ad loc., wo nota als lateinische Wiedergabe des griechischen, von Seiten der Stoa bzw. des Antiochos verwendeten ἰδίωμα-Begriffs vorgeschlagen wird und eine spezifische Erscheinung bezeichnet, die sich aufgrund des Spezifischen eindeutig von anderen Erscheinungen unterscheidet und dadurch sicher erkannt werden kann.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

die sich anschließenden Attribute unter das relativierende Vorzeichen des epistemologischen Vorbehaltes, der das probabile als eine für Revisionen offene Form des Erkennens akzentuiert. Die folgenden attributiven Adjektive insignem und inlustrem liefern deshalb eine nur allgemeine Charakterisierung der Erscheinungsform des probabile, die nicht darauf abzielen kann, den Lesern eine immergültige, inhaltlich klare Erkennungshilfe zu vermitteln, sondern ihnen vielmehr eine Grundeinsicht in das Wesen des probabile zu ermöglichen. Anders als das Wahrheitskriterium zeichnet sich die Erscheinungsform des probabile durch das spannungsvolle Nebeneinander einer deutlich erkennbaren Erscheinungsform aus (insignem et inlustrem)68, die jedoch zugleich stets vorläufigen Charakter haben (quendam) und für eine Revision offenstehen muss. Worin diese Erscheinungsform des probabile bestehen kann, teilt Cicero seinen Rezipienten bei der Kurzdarstellung seines skeptischen Ansatzes mit. Allen voran lehnt Cicero all diejenigen Positionen ab, deren Gültigkeit nicht auf der rationalen Prüfung durch den Einzelnen basiert, sondern lediglich auf dem Einfluss eines Lehrers oder Meisters (1,10):69 Qui autem requirunt, quid quaque de re ipsi sentiamus, curiosius id faciunt, quam necesse est; non enim tam auctoritatis in disputando quam rationis momenta quaerenda sunt. Quin etiam obest plerumque iis, qui discere volunt, auctoritas eorum, qui se docere profitentur; desinunt enim suum iudicium adhibere, id habent ratum, quod ab eo, quem probant, iudicatum vident. […] Tantum opinio praeiudicata poterat, ut etiam sine ratione valeret auctoritas.

Für Cicero bilden die auctoritatis momenta, d. h. Autoritätsargumente, und die rationis momenta, d. h. die Vernunftargumente, den entscheidenden Gegensatz. Er grenzt die philosophische Erkenntnis dabei von allen arationalen und autoritativ begründeten Positionen ab. Sich auf externe Autoritäten zu verlassen, ungeprüften Meinungen zu folgen und blindlings die Ansichten vermeintlicher Meister nachzusprechen, ohne diese Ansichten selbst erklären zu können oder verstanden zu haben (opinio praeiudicata), kann für Cicero keine philosophische Relevanz besitzen. In den Academica geht Cicero noch näher darauf ein, wie es zu einer solchen ungeprüften Übernahme einer philosophischen Position kommen kann. Als wichtigste Gründe nennt er dort eine allzu frühe Festlegung für eine philosophische Schule im Jugendalter, den Einfluss von Freunden, die sich bereits einer Schule angeschlossen haben, oder die Beeinflussung

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Beide Adjektive sind eng miteinander verwandt und bezeichnen vor allem im nicht-gegenständlichen Bereich die dezidierten Unterscheidungsmerkmale eines Sachverhaltes (vgl. TLL 7,1,1905 s. v. insignis sowie 7,1,395 s. v. illustris), die mitunter im stoischen Sinn auch als Kennzeichnung des verum verwendet werden und einen Gegensatz zu Attributen wie obscurus bilden; dadurch unterstreicht Cicero an dieser Stelle die Nähe des probabile zum verum. Dass sich auch in Ciceros früheren Schriften Spuren dieses Ansatzes finden, lässt sich u. a. mit Blick auf Cic. leg. 1,36 f. zeigen, wo bereits der Gegensatz zwischen der Anwendung eines eigenen Urteils (iudicium) und der bloßen Ausrichtung an der auctoritas eines Meisters gezeichnet wird.

2. Das Proömium von De natura deorum

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durch die herausragende Rede eines Schulvertreters.70 Daher betont Cicero auch in De natura deorum die Notwendigkeit der genauen und eigenständigen Prüfung aller Positionen. Merkmal jeder epistemologisch verantworteten philosophischen Rede sollen dabei die rationis momenta sein, d. h. die eigenständig geprüften, rational vermittelten, widerspruchsfreien,71 intersubjektiv darstellbaren und logisch konsistenten Beweisgründe. Indem Cicero ankündigt, sein eigenes Urteil aus didaktischen Gründen zurückzuhalten,72 verweist er den Leser seines Dialogs an dieser Stelle auf die eigenständige Prüfung der verschiedenen Positionen, die im Hauptteil des Dialogs vorgestellt werden. Zudem zeigt sich Cicero auch zurückhaltend gegenüber all denjenigen Ansätzen, die allzu großes Vertrauen in ihre Erkenntnisfähigkeit setzen und einen absoluten Wahrheitsanspruch vertreten. So kritisiert er bei der Charakterisierung der Ansätze, die von aktiv in die Welt eingreifenden und für das Wohl der Menschen sorgenden Göttern ausgehen, die Extremposition, die vermutet, dass der gesamte Kosmos lediglich auf den Menschen hin geordnet und für ihn geschaffen worden ist.73 Der sich unmittelbar anschließende Verweis auf die Widerlegung dieser Ansicht durch Karneades verdeutlicht, dass Cicero sie wegen ihrer anthropozentrischen Schwerpunktsetzung und wegen ihrer allzu großen Gewissheit, die Wahrheit entdeckt zu haben,74 als problematisch beurteilt. Daher verwundert es auch nicht, dass er das Proömium mit der Mahnung gegenüber all denjenigen enden lässt, die zu großes Vertrauen in ihre Fähigkeit besitzen, die Wahrheit sicher zu erkennen (1,14): Profecto eos ipsos, qui se aliquid certi habere arbitrantur, addubitare coget doctissimorum hominum de maxuma re tanta dissensio.

Damit verweist Cicero ringkompositorisch auf den Beginn des Proömiums, wo er die energische Verteidigung bestimmter dogmatischer Lehrsätze, die die Grenzen der 70

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Vgl. Cic. ac. 2,8 f.; Cicero kritisiert eine allzu frühe Entscheidung für eine Philosophenschule, die oftmals als „a virtually religious commitment to the authority of a founder figure“ (Sedley 1989, 97) in Rom weit verbreitet war und ein zentrales Hindernis für die eigenständige Urteilsbildung darstellt. Vgl. Cic. ac. 2,33, wo dieses Prinzip einer probabilis visio, die durch den Zusatz et quae non inpediatur als Forderung der Widerspruchslosigkeit erkennbar wird und auf Karneades als Urheber zurückgeführt wird. Auch in Cic. ac. 2,102b–105a wird das Fehlen widersprechender Sinneseindrücke als zentrales Merkmal des probabile eingeführt. Vgl. zentral dazu Cic. ac. 2,104: Neque tamen omnia eius modi visa adprobari, sed ea, quae nulla re impedirentur. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10. Vgl. Cic. nat. deor. 1,4; vgl. dazu auch Auvray-Assayas 1996, 72 f. Vgl. dazu auch Cic. ac. 2,86b–87, wo Cicero exkursartig in ähnlicher Form gegen die stoische Ansicht einer planvollen Schöpfung durch die Götter spricht und dabei allen voran das stoische Pochen kritisiert, die Wahrheit entdeckt zu haben (adsentiri), ohne die damit einhergehenden, epistemologischen Zweifel ernst zu nehmen. Görler 1997, 50 betont dabei, dass Cicero in ac. 2 grundsätzlich darüber Klage führt, dass die Stoiker ein hoch spekulatives Lehrsystem entwerfen und dieses dann sogar als sicheres Wissen verkaufen.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

eigenen Erkenntnis nicht berücksichtigt, als Gegenteil einer vernünftigen philosophischen Haltung kennzeichnet.75 Während also die Mahnung zur epistemologischen Vorsicht das Proömium umrahmt, zeigt Cicero im Mittelteil des Proömiums, auf welche Weise seine Rezipienten dennoch zu epistemologisch verantwortbaren Erkenntnissen kommen können. Ihm kommt es dabei vor allem darauf an, seinen Lesern die eigenständige Prüfung der Reden, die er ihnen im Folgenden präsentieren wird, ans Herz zu legen. Auch die skeptischen Gegenreden, mit deren Hilfe Cicero seinen Rezipienten das Prinzip des in utramque partem disserere76 veranschaulicht, werden ihnen von Cicero nicht als skeptisches Lösungsbuch anempfohlen, das ein für alle Mal das probabile festlegt. Religion und Staat: Die Aufforderung zu einer politisch verantworteten Lektüre. Das Proömium zu De natura deorum dient nicht nur dazu, den Leser auf die probabilistische Lektüre des Dialogs vorzubereiten, sondern ihm zudem auch die gesellschaftlich-politische Notwendigkeit zu vermitteln,77 sich in der Religionsphilosophie auf die Suche nach dem probabile zu begeben. Der Leser kann sich nämlich gerade in dieser Frage nicht in einer Urteilsenthaltung üben und die Frage nach den Göttern aufgrund ihrer Schwierigkeit offenlassen, da Cicero bereits im ersten Satz der Schrift darauf hinweist, dass die theoretische Frage nach den Göttern nicht nur innerhalb der philosophischen Diskussion eine prominente Rolle einnimmt, sondern zudem auch große Relevanz für die römische religio besitzt. Durch die Junktur religionem moderari lässt sich der schillernde religio-Begriff hier als Hinweis auf die korrekte Religionsausübung lesen. Die religionsphilosophische Frage und die Art ihrer Beantwortung beeinflusst, so Cicero, die Frage nach der richtigen Kultpraxis.78 Der Zusammenhang von philosophischer Erkenntnis und römischer Religion wird am Beginn des Proömiums von Cicero nur 75 76

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,1: Quid est enim temeritate turpius aut quid tam temerarium tamque indignum sapientis gravitate atque constantia quam aut falsum sentire aut, quod non satis explorate perceptum sit et cognitum, sine ulla dubitatione defendere? Vgl. Cic. ac. 2,7 grundsätzlich für die skeptische Methode: Neque nostrae disputationes quicquam aliud agunt, nisi ut in utramque partem dicendo et audiendo eliciant et tamquam exprimant aliquid, quod aut verum sit aut ad id quam proxime accedat. Vgl. darüber hinaus Cic. Tusc. 2,9 für Ciceros philosophiehistorische Einordnung dieses Prinzips und dessen Wurzeln in Akademie und Peripatos. Vgl. Rawson 1974 für die Anfänge der Verquickung von Religion und Politik in Rom ab dem 2. Jh. v. Chr. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1: ad moderandam religionem necessaria. Vgl. Gigon 1996, 312 sowie Dyck 2003, 57 zutreffend für das Verständnis von religionem moderari als „die rechten Bestimmungen über die Religionsausübung treffen“, „die Kultpraxis in rechte Bahnen lenken“. Anders Pease 1955, 112, der hier nicht so sehr die kultische Ausübung als solche, sondern die Haltung des Menschen hinsichtlich der Kultausübung sehen möchte; dabei scheint er jedoch den Gegensatz zwischen theoretischer Betrachtung (cognitio animi) und praktischer Ausübung (religio), auf den Cicero hier abzielt, nicht deutlich genug zu sehen. Vgl. grundlegend Feil 1986, 39–49 zum römischen religio-Begriff gerade auch mit Blick auf De natura deorum. Er definiert die Bedeutung des Substantivs religio bei Cicero als „die merkwürdige Verbindung von Scheu und Sorgfalt den Göttern gegenüber, die gleichwohl eine innere Beteiligung nicht verlangte“ (ebd. 49). Auch Wlosok 1970, 39 versteht

2. Das Proömium von De natura deorum

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postuliert, ohne näher erläutert zu werden. Erst in der Mitte des Proömiums trägt er nach, auf welche Weise eine philosophische Erkenntnis Einfluss auf die römische religio und in der Folge sogar auf die gesamte römische Gesellschaft ausüben kann.79 Im Zentrum dieser zweiten Passage zur gesellschaftlich-politischen Bedeutung der Religionsphilosophie stehen die beiden Leitbegriffe pietas und iustitia, die die Bereitschaft des Menschen beschreiben, sich innerhalb der beiden Kommunikations- und Handlungssysteme Kult (pietas) und Gesellschaft (iustitia) angemessen zu verhalten. Während pietas als die Haltung des Menschen verstanden werden kann, innerhalb des kultischen Kommunikationsprozesses den Göttern das ihnen Zustehende zukommen zu lassen,80 gilt iustitia als innerweltliches Pendant zur pietas und beschreibt die Haltung des Menschen, seinen Mitmenschen das ihnen Zustehende zukommen zu lassen.81 Gemeinsam umschreiben die beiden Wertbegriffe also das Ethos des Menschen mit Blick auf die beiden Kommunikationssysteme, in denen er sich bewegt und die ihn mit bestimmten Verhaltenserwartungen konfrontieren. Beiden Begriffen gemein ist zudem ihr Charakter als Fundamentaltugenden; indem sie nämlich die generelle Bereitschaft des Menschen beschreiben, sich kultisch bzw. ethisch einem Kommunikationspartner gegenüber angemessen zu verhalten, bilden sie die Grundlage für dessen konkretes Handeln, das durch untergeordnete Partikulartugenden im Einzelnen näher beschrieben wird. So werden in der vorliegenden Passage der pietas die beiden Partikulartugenden sanctitas und religio beigefügt, der iustitita die Wertbegriffe fides und societas generis humani. Während im kultischen Bereich sanctitas einen stärker intellektuellen Zugang impliziert und das Wissen um die rechte Gottesverehrung ausdrückt,82 kann religio komplementär als die affektive Dimension des religiösen Gefühls oder wiederum als konkrete religiöse Praxis verstanden werden.83 Im zwischenmenschlichen Bereich bildet fides als Haltung, seine Pflichten tatsächlich erfüllen zu wollen, die Grundlage der iustitia, während societas generis humani das Resultat eines dauerhaften auf fides beruhenden iustitia-Handelns beschreibt.84 Außerdem werden die beiden Haupttugenden

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unter religio vor allem „eine peinlich genaue Befolgung des überkommenen Ritus, der Kultvorschriften“. Vgl. Cic. nat. deor. 1,3 f. Vgl. Feil 1986, 43, der mit Recht davon spricht, dass die pietas in De natura deorum „in einem Fundierungsverhältnis zu anderen Tugenden erschein[t]“. Cicero selbst lässt Cotta pietas als auf die Götter bezogene iustitia definieren (vgl. Cic. nat. deor. 1,116: est enim pietas iustitia adversum deos). Die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Vorstellungen besteht jeweils darin, einem Gegenüber das ihm Zustehende zukommen zu lassen. Auch später wird der Charakter der beiden Begriffe als Fundamentaltugenden von Balbus explizit herausgestellt (vgl. Cic. nat. deor. 2,153), sodass ausgeschlossen werden kann, dass Cotta hierbei ein lediglich partikulares Verständnis der Begriffe entfaltet. Vgl. wiederum Cic. nat. deor. 1,116: sanctitas autem est scientia colendorum deorum. Vgl. für diese Konnotation der religio OLD 1605 f. s. v. religio. Zu dem Zusammenhang dieser Begriffe und ihrer Hierarchisierung äußert sich Cicero später explizit und in größerer Ausführlichkeit, vgl. dazu Cic. off. 1,20–23.

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durch den steten Bezug auf ein Gegenüber nicht als Individualtugenden, sondern als relationistische Tugenden charakterisiert. So ist in dieser Lesart ein Handeln im kultischen bzw. zwischenmenschlichen Bereich nicht an und für sich gut, sondern kann erst mit Blick auf die Erfüllung berechtigter Erwartungen eines Gegenübers als gut beurteilt werden. Schließlich ist mit beiden Grundtugenden auch die Erwartungshaltung des Menschen verbunden, infolge seines angemessenen Handelns von seinem jeweiligen Gegenüber responsorisch ein angemessenes Handeln erwarten zu dürfen. An dieser Stelle setzt Cicero nun an, um die Bedeutung religionsphilosophischer Fragestellungen für die römische Gesellschaft zu demonstrieren. Anhand der von einigen Philosophen vertretenen These, dass die Götter sich nicht um die Welt sorgten und sich nicht um die Belange der Menschen kümmerten, macht er deutlich, wie eine solche philosophische Ansicht zunächst den kultischen Bereich beeinflussen könnte. Müsste man nämlich die These der passiven Götter ernst nehmen, so würde auch die kultische Praxis zum Erliegen kommen, da sie ihrerseits auf die Vorstellung angewiesen ist, dass die Götter die menschlichen Kulthandlungen nicht nur wahrnehmen, sondern auch wohlwollend auf sie reagieren und die Menschen in der Folge unterstützen.85 Cicero begreift die kultischen Handlungen hier nicht als ein starres Ritual, sondern vor allem als ein kommunikativ-responsorisches Geschehen, welches den Menschen die Möglichkeit eröffnet, mit den Göttern in einen interaktiven Austauschprozess zu treten, d. h. den Göttern das ihnen Zustehende zukommen zu lassen, um im Anschluss daran von ihnen das den Menschen Zustehende zu erhalten. Da diese kultische Kommunikation, ähnlich wie im zwischenmenschlichen Bereich, auf den Glauben an ihre Wirksamkeit und an ein adäquat reagierendes Gegenüber angewiesen ist, würde der religiöse Austauschprozess hinfällig werden, wenn es sich aufgrund einer philosophischen Erkenntnis herausstellen sollte, dass die Götter an diesem Austausch nicht teilhaben könnten oder wollten und weder die menschlichen Kulthandlungen wahrnähmen noch ihrerseits mit reziproken Handlungen darauf reagierten. Als Folge der gestörten kultischen Kommunikationsgemeinschaft mit den Göttern weist Cicero auf eine dominosteinartige Wechselwirkung mit dem zwischenmenschlichen Bereich hin, die er als eine Erosion des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalts und der bürgerlichen Wertevorstellungen beschreibt.86 Die philosophische These der fehlenden providentia deorum könnte laut Cicero somit nicht nur den ihr unmittelbar zugeordneten 85

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Dass es sich hierbei um ein Gedankenmodell handelt, das Cicero auch andernorts entfaltet, zeigt Rüpke 2014, 190 mit Blick auf De legibus auf: „Die Existenz der Götter oder, genauer gesagt, der Glaube, dass Götter sich um Menschen kümmern, ist die Voraussetzung von religio, nicht Teil davon.“ Bezeichnenderweise legt Cicero Lucullus in Cic. ac. 2,27.30 f. einen ähnlichen Vorwurf in den Mund, dort jedoch mit Bezug auf die akademische Skepsis und den Bereich der richtigen Erkenntnis. Durch die akademische Absage an sichere Erkenntnis würde nämlich die Grundlage des gesamten öffentlichen wie privaten Lebens gefährdet, sodass eine derart destruktive Skepsis alle gesellschaftlichen Errungenschaften in Frage stelle.

2. Das Proömium von De natura deorum

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kultischen Bereich, sondern auch die römische Gesellschaft im Gesamten beeinflussen und in ihren Grundpfeilern erschüttern. Cicero beschreibt dabei die menschliche Kommunikation mit den Göttern und die zwischenmenschliche Kommunikation als zwei Kommunikationssysteme, die durch ein gemeinsames Wertemodell miteinander verbunden sind. Indem Cicero von Beginn der Passage an die hinter den kultischen Handlungen und Institutionen stehenden Wertevorstellungen in das Zentrum der Darstellung gerückt hat und auf eine Konkretisierung anhand einzelner Kulteinrichtungen verzichtet hat, kann er den von ihm konstruierten Zusammenhang zwischen Kult und Ethos als dominosteinartige Kettenreaktion im römischen Wertekosmos modellieren. Sobald die zentrale kultische Kategorie der pietas hinfällig wird, stürzen nicht nur die ihr untergeordneten übrigen kultischen Wertvorstellungen, sondern die mit ihr verknüpften zwischenmenschlich-gesellschaftlichen Wertvorstellungen. Spiegelbildlich zur pietas steht chiastisch am Ende der Aufzählung die Bedrohung der Kardinaltugend iustitita, die für den zwischenmenschlichen Bereich dieselbe Funktion einnimmt wie die pietas für die kultische Kommunikation mit den Göttern.87 Cicero geht also von der nicht explizit genannten Prämisse aus, dass die beiden Interaktionsebenen nicht in einem bloßen Analogieverhältnis aufeinander zu beziehen sind, sondern in einem direkten ontologischen Zusammenhang stehen. Die Erschütterung des Glaubens an die Funktionsweisen der kultischen Kommunikation mit den Göttern hätte den Verlust eines Urvertrauens zur Folge, der auch das Vertrauen in die Funktionsweisen des zwischenmenschlichen Austauschsystems erschüttern würde und die übrigen Wertvorstellungen ungültig werden ließe.88 Mit Recht kommt daher A. Wlosok in ihrer Untersuchung zum römischen religio-Begriff zu dem Ergebnis, dass in der Vorstellung der Römer „das Imperium Romanum mit der Religion steht und fällt“89. Während in der Mitte des Proömiums die Religionsphilosophie dadurch in den römischen Wertekanon eingebettet wird, holt Cicero am Ende des Proömiums zu einer großen Synthese aus, in der er die bisher von ihm genannten Wertbegriffe noch einmal versammelt.90 Nach einem neuerlichen Verweis auf die Bedeutung religionsphilosophischer Fragestellungen finden sich dort nicht nur die drei bereits vorher genannten religiös konnotierten Begriffe religio, pietas und sanctitas, sondern auch die zwei zwischenmenschlichen Wertvorstellungen fides und ius iurandum. Bei dem innerweltli-

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Dieser Zusammenhang sowie die generelle Bedeutung der iustitia innerhalb der Passage wird von Pease 1955, 130 f. ad loc. übersehen, wenn er die Hinzufügung von una excellentissima virtus nur mit prosodischen und emphatischen Gesichtspunkten begründet. Vgl. auch Cic. leg. 1,42 f. für die Vorstellung einer allgemeinen Werteerosion beim Fall eines Grundwertes, der auch dort in der iustitia gesehen wird. Darüber hinaus scheint für diese Passage auch ein in De legibus zu verortendes Verständnis der Welt als gemeinsame und eng miteinander verwobene Gemeinschaft von Göttern und Menschen relevant zu sein (vgl. dafür etwa Cic. leg. 1,23 und später auch ähnlich in Cic. fin. 3,64 und Cic. nat. deor. 2,154). Wlosok 1970, 43. Vgl. Cic. nat. deor. 1,14.

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

chen Bereich vermeidet Cicero also eine allzu sklavische Systematik und verzichtet dabei auf eine Aufnahme aller vorher genannten Begriffe (v. a. auf die abstrakteren Begriffe societas und iustitia), um mit fides und ius iurandum diejenigen Wertvorstellungen in den Mittelpunkt zu stellen, die sich auch im religiösen Sektor nicht nur gut in den Zusammenhang der übrigen Wertbegriffe einordnen, sondern vor allem durch die größere Konkretheit bestechen. Darüber hinaus konkretisiert er den bislang lediglich abstrakt anhand der miteinander korrespondierenden Wertvorstellungen aufgezeigten Zusammenhang von Religionsphilosophie und Staatskult, indem er nun auch auf die im Einzelnen betroffenen kultischen Orte (templa, delubra) sowie Einrichtungen und Handlungen (caerimonia, sacrificia sollemnia, auspicia) hinweist.91 Er führt dadurch seinen Lesern konkret vor Augen, was seines Erachtens auf dem Spiel steht und welche römischen Kulteinrichtungen und -örtlichkeiten von einer religionsphilosophischen Untersuchung bedroht werden könnten. Von besonderer Bedeutung sind diese Überlegungen für die Reden von zwei der drei Dialogredner, die philosophische Ansichten äußern, die den Glauben an aktiv eingreifende Götter gefährden könnten. Dabei handelt es sich einerseits um die Rede des Epikureers Velleius, der von Göttern ausgeht, die sich nicht um die Belange der Menschen kümmern könnten, da dies ihre ewige Glückseligkeit gefährden würde.92 Andererseits handelt es sich dabei um Cottas skeptische Widerlegungsreden, die jeweils auf die dogmatischen Reden des Velleius und Balbus folgen. In seinen Widerlegungsreden zeigt Cotta die epistemologischen Schwachstellen seines jeweiligen Vorredners auf und weist dabei auf inhaltliche Widersprüche, unlogische Formulierungen und systemische Inkohärenzen hin. Als besonders problematisch erweist sich dabei Cottas Widerlegung der stoischen Position. Denn auch wenn es keine natürliche, d. h. gewachsene Verbindung zwischen der stoischen Theologie und der römischen Religion gibt, so gehen doch sowohl die römische Religion als auch die Stoa von der Prämisse aus, dass die Götter aktiv in das Geschehen der Welt eingreifen und sich um die Geschicke der Menschen sorgen. Wenn Cotta also im dritten Buch der Schrift die Problemstellen der stoischen Theologie aufzeigt und sie in entscheidenden Punkten widerlegt, so ließen sich diese Zweifel mutatis mutandis ohne größere Mühen auch auf die römische Religion übertragen. Besonderes Gewicht erhält Cottas Widerlegungsrede der stoischen Position zudem dadurch, dass sie die letzte Rede innerhalb von De natura deorum ist, sodass ihr als sozusagen abschließender Rede kompositorisch besonderes Gewicht zukommt. Es wird daher im Folgenden danach zu fragen sein, ob bzw. inwieweit die Reden des Velleius und Cotta eine kult- und dadurch auch staatsgefährdende Dimension entfalten und welche innerdialogischen Hilfestellungen die Rezipienten von Cicero erhalten, um damit angemessen umzugehen. 91 92

Vgl. für eine genaue Abgrenzung dieser und der vorher genannten Begriffe trefflich Gigon 1996, 328 ff. ad loc. Vgl. e. g. Cic. nat. deor. 1,51.

2. Das Proömium von De natura deorum

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Das Proömium als implizite Regimekritik? Eine ganz andere politische Lesart des Proömiums hat jüngst Y. Baraz vorgeschlagen.93 Unter Bezugnahme auf Ciceros im Mittelteil des Proömiums formulierte Rechtfertigung seiner philosophischen Beschäftigung94 kommt sie zu dem Ergebnis, dass Cicero in einem Akt des „doublespeak“95 zwar einerseits Cäsars Alleinherrschaft diplomatisch als notwendige Einrichtung beschreibt, andererseits durch die Art der Beschreibung seiner philosophischen Tätigkeit implizit jedoch Kritik an ihr übt.96 Indem Cicero nämlich dezidiert politisches Siegesvokabular wie laus und decus oder praeclarus und gravis heranzieht, um die Vorzüge einer lateinisch verfassten Philosophie zu beschreiben, ziele er darauf ab, die Abwesenheit dieser Tugenden in ihrem eigentlichen, politischen Bereich aufzuzeigen, dessen Restitution anzumahnen und dadurch Cäsars Alleinherrschaft als einen schnell zu beendenden Zustand zu klassifizieren. Auch wenn Baraz mit Recht darauf hinweist, dass sich aus der Atticus-Korrespondenz Ciceros tiefe Ablehnung von Cäsars Alleinherrschaft rekonstruieren lässt,97 so scheint es fraglich, ob man diesen Umstand tatsächlich als Erklärung für die Proömiumspassage heranziehen kann. Während Cicero in seiner Privatkorrespondenz seinem Ärger und seiner Frustration Ausdruck verleihen darf und gerade gegenüber Atticus über seine wahren Ansichten schreiben kann, lässt sich daraus nicht ableiten, dass Cicero diese Haltung deswegen versteckt auch in das Vorwort von De natura deorum transportieren muss. Zudem dient die zweifelsfrei vorsichtig-distanziert formulierte Erwähnung von Cäsars Alleinherrschaft einem ganz bestimmten Zweck, nämlich der Begründung, wieso sich Cicero nicht mit einer offenkundig politischen Aufgabe beschäftigt und stattdessen seine gesamte Zeit für die philosophische Schriftstellerei einsetzt. Wenn er im Anschluss daran seine philosophische Tätigkeit gerade mit Attributen beschreibt, die normalerweise politischen Tätigkeiten und Verdiensten vorbehalten sind, so werden diese Attribute von Cicero nun ausdrücklich auf den literarisch-philosophischen Bereich übertragen. Durch diese Übertragung kennzeichnet er seine philosophische Schriftstellerei als eine Tätigkeit, die der politischen Tätigkeit in Ansehen und Bedeutung gleichkommt und die somit einen alternativen, aber gleichberechtigten Tätigkeitsbereich darstellt. Gerade im Falle Ciceros scheint es nicht unplausibel zu sein anzunehmen, dass es ihm sehr darauf ankommt, sein eigenes Tun als ein Tun von größerer Bedeutung zu stilisieren;98 indem er also dezidiert politische Attribute auf seine philosophische Schriftstellerei überträgt, 93 94 95 96 97 98

Vgl. Baraz 2012, 98–101. Vgl. Cic. nat. deor. 1,7 f. Baraz 2012, 100 (Anm. 11). Damit stellt sich Baraz in die Tradition von Strasburger 1990, der Ciceros philosophisches Spätwerk im Gesamten als einen subversiven Akt der Herrscherkritik aufgefasst hat. Vgl. Baraz 2012, 100 (mit Anm. 10). Vgl. Rüpke 2014, 201, der in anderem Zusammenhang mit Recht für Ciceros philosophisches Spätwerk festhält: „Zu philosophieren ist genauso ehrenwert wie das Handeln auf dem Forum und folgt ähnlichen Normen.“

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III. Das Proömium als Ort der direkten Leserführung

scheint er vielmehr seine gegenwärtige Abwesenheit vom Feld der Politik zu rechtfertigen und seine Alternativtätigkeit als gleichberechtigte Tätigkeit zu stilisieren. Ergebnis. Das Proömium als Leserführung. Die Lektüre des Proömiums setzt Ciceros Rezipienten in die Lage, die folgenden Reden und vorgestellten Positionen dahingehend zu prüfen, inwiefern sie einem idealen Argument nahekommen. Das ideale Argument zeichnet sich seinerseits dadurch aus, dass es erstens rational plausibel argumentiert, das heißt allgemein nachvollziehbare, sich nicht widersprechende Begründungen und Belege anführt und sich nicht ausschließlich auf die Autorität eines Meisters beruft. Zweitens zeichnet es sich dadurch aus, dass es sich der epistemologischen Grenzen jeder Erkenntnis bewusst ist und daher allzu große Sicherheit und Allgemeinheit meidet und dass es drittens auf die kultisch-politischen Folgen achtet, die es nach sich zieht. Je mehr Kriterien ein Argument erfüllt, desto größere Plausibilität und Gültigkeit im philosophisch-politischen Diskurs kann es für sich beanspruchen. Allerdings wird sich im Verlauf der weiteren Analyse zeigen, dass die beiden Leseaufforderungen durchaus auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zueinander stehen können. So ist es möglich, dass gewisse Positionen zwar mithilfe allgemein-rationaler Begründungsstrategien logisch und kohärent entfaltet werden, sie aber dennoch aus kultischer Perspektive als problematisch erscheinen können. Ebenso wird danach zu fragen sein, ob in vielen Fällen nicht erst die kritische Nachfrage und das Beharren auf einer rationalen Durchdringung kultische Selbstverständlichkeiten hinterfragt und in ihrem traditionellen Bestand gefährden könnte. Gerade an solchen Stellen wird deutlich, dass die römische Religion nicht für eine intellektuelle Durchdringung gewisser Glaubenssätze angelegt ist, sondern die kultische Orthopraxie ins Zentrum ihres Interesses rückt. Müsste man daher, so bleibt zu fragen, nicht nur von einem Spannungsverhältnis von hellenistisch geprägter Philosophie und römisch tradierter Religion sprechen, sondern nachgerade von einem Gegensatz? Bei der folgenden Analyse der einzelnen Dialogelemente wird demnach also auch danach zu fragen sein, wie die von Cicero postulierte Verschränkung von Religion und Philosophie im Einzelnen ausgestalten wird, wo es sich dabei doch um eigentlich inkompatible Sprach- und Denkräume handelt.

IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung Die dialogische Rahmenpartie fällt in De natura deorum merklich knapp aus. Sie umfasst ein kurzes Anfangsgespräch1 zwischen den Dialogteilnehmern, in welchem die Hauptredner kurz vorgestellt werden und das Gespräch in einem (mehr oder weniger) konkreten historischen Kontext verortet wird, sowie einen noch kürzeren dialogischen Abschluss am Ende des dritten Buches,2 welcher den Dialog nach Cottas Widerlegungsrede der stoischen Position knapp abschließt. Die dialogische Rahmenpartie erfüllt damit jedoch nicht nur das äußerste Minimum an dialogischer Konvention und sachlicher Informierung des Lesers, sondern leistet darüber hinaus auch einen wichtigen Beitrag zur Leserführung. So überträgt Cicero in den dialogischen Rahmenpartien zentrale Leseanweisungen des Proömiums in das dialogische Konzept und verzahnt dadurch auf verschiedene Weise seine auktorialen Aussagen aus dem Proömium mit dem nachfolgenden Dialog, dessen Verständnis dadurch nochmals abgesichert wird. Mithilfe des Ansatzes, die dialogischen Rahmenpartien als Mittel der indirekten Leserführung zu verstehen, lässt sich schließlich auch die vieldiskutierte Frage nach dem innerdialogischen Auftreten des jungen Cicero einer neuen Erklärung zuführen. 1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie a) Bewusste brevitas der dialogischen Rahmung Im Vergleich zu den philosophischen Werken seiner ersten Schaffensphase verzichtet Cicero in De natura deorum auf eine ausführliche dialogische Rahmung. Dieser Verzicht wird von ihm innerdialogisch zunächst durch einen medias in res-Einstieg plausibilisiert. Zu dem Zeitpunkt, als der junge Cicero die Dialogbühne betritt und bei Cotta eintrifft, sind alle anderen Dialogteilnehmer schon versammelt und das philo-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,15–17. Vgl. Cic. nat. deor. 3,94 f.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

sophische Gespräch ist bereits im Gange.3 Velleius unterbricht aufgrund von Ciceros Eintreffen seinen Vortrag über die epikureische Position und wiederholt nach einer kurzen Unterhaltung auf Cottas Bitten hin den Anfang seiner Rede,4 damit der junge Cicero  – und dadurch auch der Leser  – Velleius’ Ausführungen von Beginn an folgen kann. Durch das späte Eintreffen des jungen Cicero und die dadurch verursachte Unterbrechung von Velleius’ Vortrag wird plausibel gemacht, wieso der Erzähler Cicero selbst die drei Hauptgesprächspartner, ihre philosophische Position sowie den Ort und den Zeitpunkt des Treffens für den Leser in aller Kürze vorstellt5 und wieso eine urbane, dialogische Hinführung, welche die Dialogteilnehmer bereits ausführlich charakterisiert, hier keinen Platz mehr hat. Vielmehr vermittelt die dialogische Szenerie die Notwendigkeit, das unterbrochene Gespräch schnellstmöglich wieder aufzunehmen. Auch am Ende des dritten Buches wird mit dem Einbruch des Abends6 eine innerdialogisch plausible Erklärung für das schnelle Gesprächsende angeführt.7 Der Verzicht auf alles schmückende Beiwerk und die damit verbundene Fokussierung auf die für das Verständnis der folgenden Reden notwendigen Angaben ist für Ciceros dezidiert skeptische Dialoge nicht ungewöhnlich, auch wenn die Kargheit der Dialoggestaltung von De natura deorum dennoch auffällt.8 Sie lässt sich als intentionales Gestaltungsmittel Ciceros erklären, das darauf abzielt, die einzelnen dogmatischen und skeptischen Reden in den Mittelpunkt der Darstellung zu rücken.9 Alle anderen dialogischen Bauelemente treten in den Hintergrund und erfüllen vornehmlich eine dienende Funktion. Sie führen auf die Reden hin, bereiten sie inhaltlich vor und ver3 4 5 6 7

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9

Vgl. Cic. nat. deor. 1,15: […] offendi eum sedentem in exedra et cum C. Velleio disputantem. Vgl. Cic. nat. deor. 1,17: „Quam ob rem“, inquit, „Vellei, nisi molestum est, repete, quae coeperas.“ Vgl. Cic. nat. deor. 1,15. Vgl. Cic. nat. deor. 3,94: Sed quoniam advesperascit, […]. Deutliche Kritik an dieser dialogischen Begründung des Buchendes findet sich bei Hirzel 1895, 534 f. So bezeichnet er den plötzlichen Einbruch des Abends als deus ex machina-Kunstgriff, der sich im Vorfeld nicht angekündigt hatte und daher den Leser durch seine Plumpheit überraschen muss. Er führt diese Inszenierungsweise vor allem auf Ciceros fehlende „Sorgfalt der Ausarbeitung“ (Hirzel 1895, 535) zurück. Mit Recht weist Becker 1938, 53 auf die Ausnahme von Cic. fin. 5 hin, wo dem gemeinsamen Spaziergang durch Athen viel Raum zugestanden wird. Auch die dialogische Szenerie in ac. 2 verdient gerade durch ihre innerdialogische Verflechtung mit erkenntnistheoretischen Fragen (bspw. Cic. ac. 2,80 f., wo die Frage nach der epistemologischen Relevanz der sinnlichen Wahrnehmung mit Blick auf Orte und Schiffe demonstriert wird, die sich von Hortensius’ villa aus, in der das Gespräch stattfindet, in unterschiedlicher Weise erkennen lassen) durchaus Beachtung. Anders urteilt Becker 1938, 26, der in der stiefmütterlichen Ausgestaltung der Szenerie und der Dialoghandlung in Ciceros späten Dialogen keinen intentionalen Gestaltungswillen Ciceros erkennen möchte, sondern vielmehr die „Hast seiner schriftstellerischen Produktion“ (ebd.) dafür verantwortlich macht und Ciceros Konzentration auf das „Stoffliche“ (ebd.) als eine Konzentration auf die Übersetzung seiner Quellen missversteht. Auch Levine 1957, 10 beurteilt die szenische Gestaltung von De natura deorum als „extremely disappointing“ (ebd.) und kommt zu dem Schluss: „the De natura deorum in its present form retains the merest skeleton of a dramatic introduction, quite devoid of local color and spontaneous conversation“ (Levine 1957, 12); Levine führt dies ebenfalls auf die allzu schnelle Ausarbeitung Ciceros zurück.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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deutlichen den Rezipienten, mit welcher Haltung sie die Reden im Sinne des Autors lesen sollen. b) Die Vorstellung der Gesprächspartner Gesellschaftliche Stellung. Innerhalb des dialogischen Auftakts lernt der Leser C. Velleius, Q. Lucilius Balbus und C. Aurelius Cotta als die drei Hauptredner des Dialogs kennen. Wie üblich wählt Cicero mit ihnen drei Römer aus, die eine höhere gesellschaftliche Stellung innerhalb der politischen Führungsschicht Roms einnahmen, wodurch der politisch-gesellschaftlichen Bedeutung des behandelten Themas auch auf der Personenebene Ausdruck verliehen wird. In der dialogischen Anfangspartie von De natura deorum wird allerdings nur Velleius’ politisch-gesellschaftliche Stellung ausdrücklich angesprochen; so wird er explizit als Senator eingeführt10 und später sogar als familiaris des bedeutenden Redners und Konsuls L. Crassus (cos. 95 v. Chr.) apostrophiert.11 Darüber hinaus erfährt der Leser im weiteren Verlauf des Dialogs nur noch, dass Velleius dem municipium Lanuvium entstammt.12 Mit Ausnahme einer kurzen Erwähnung in De oratore13 tritt Velleius auch andernorts nicht mehr in für uns greifbare Erscheinung. Wann er beispielsweise in den Senat aufgenommen worden ist und welches Amt des cursus honorum er dafür ausgeübt hat, lässt sich nicht mit Sicherheit rekonstruieren.14 Auch bei Balbus beschränken sich die von Cicero genannten biographischen Informationen auf ein Minimum. Obwohl der Leser weder hier noch im weiteren Verlauf des Dialogs etwas über Balbus’ politisch-gesellschaftliche Position erfährt, lässt sich zumindest aus dem Umstand, dass Balbus’ Vater gegen Mitte des 2. Jahrhunderts vor Christus Senator gewesen ist,15 schließen, dass auch er der römi-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,15. Vgl. Cic. nat. deor. 1,58.; vgl. zur prosopographischen Einordnung MRR 2,474 und Castner 1988, 75 f. Vgl. die zwei dezenten Anspielungen in Cic. nat. deor. 1,79 (Verweis auf den berühmten Schauspieler Q. Roscius Gallus als municeps des Velleius) und in Cic. nat. deor. 1,82 (Verweis auf den Tempel der Juno Sospita in Lanuvium), die Velleius’ Heimatstadt ganz nebenbei in Cottas Gegenrede einbauen. Auch hier handelt es sich nicht um zweckfreie biographische Details, da Lanuvium an beiden Stellen als illustratives exemplum in Cottas Rede vorkommt. Vgl. Cic. de orat. 3,78. Vgl. FTP 426–428 für die Vermutung, dass Velleius über das Volkstribunat die senatorische Stellung erreicht hat. Dass dies theoretisch möglich wäre, lässt sich mithilfe der lex Atinia plausibilisieren, die für gewöhnlich in die Mitte des 2. Jahrhundert vor Christus datiert wird und die eine Aufnahme von Volkstribunen in den Senat ermöglichte (vgl. zur lex Atinia Thommen 1989, 33–35). Vgl. dazu Cic. nat. deor. 2,11; vgl. dazu Münzer 1927, 1639 f. und Dyck 2003, 6. Nicht zutreffend ist es, wenn Pease 1955, 28 (Anm. 11) auf Brut. 154 und Digest. 1,2,42 verweist; an beiden Stellen handelt es sich nicht um diesen Balbus, sondern um dessen Bruder, den Rechtsgelehrten L. Lucilius Balbus.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

schen Oberschicht entstammt.16 Cotta, der prosopographisch gut belegt ist und der, anders als Velleius und Balbus, auch jenseits der ciceronischen Schriften auch heute noch greifbare Spuren hinterlassen hat,17 wird zwar nicht in der dialogischen Anfangspartie, jedoch im weiteren Verlauf von De natura deorum dezidiert als pontifex eingeführt und angesprochen;18 von seinem späteren Konsulat (cos. 75 v. Chr.) ist in De natura deorum hingegen noch kein Reden, woraus sich ein terminus ante quem für die Datierung des dialogischen Geschehens gewinnen lässt. Dass Cottas Stellung als pontifex nicht bereits in der dialogischen Anfangspartie erwähnt wird, lässt sich wiederum mit Ciceros funktionaler Verwendung biographischer Informationen erklären. Cicero rekurriert erst dann auf Cottas kultische Stellung, als er sie für sein Argument benötigt und er an ihr das Spannungsverhältnis zwischen Philosophie (d. h. Cotta als akademischer Skeptiker) und Kult (d. h. Cotta als pontifex) demonstrieren kann. In der dialogischen Rahmenpartie kommt es Cicero hingegen vor allem darauf an, Cotta als Gastgeber der Unterredung und als eigenen Bekannten zu stilisieren.19 Darüber hinaus durfte er bei seinen Rezipienten wohl voraussetzen, dass ihnen Cotta – anders als vielleicht Velleius oder Balbus – aufgrund seiner noch nicht allzu lange zurückliegenden politischen und rhetorischen Karriere ohnehin noch bekannt war.20 Philosophische Qualifikation. Während die gesellschaftlich-politische Stellung der Hauptredner im dialogischen Rahmen also eine untergeordnete Rolle spielt, widmet sich Cicero hier vor allem ihrer philosophischen Qualifikation.21 So erfährt der Leser zu Beginn der Dialoghandlung nicht nur, dass Velleius die epikureische Position und Balbus die stoische Position vertreten; darüber hinaus erwähnt Cicero auch, dass sich beide innerhalb ihrer philosophischen Schule hervorgetan haben und dort jeweils eine herausgehobene Stellung genießen.22 16 17 18 19

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Auvray-Assayas 1995, 74 (mit Anm. 5) geht so weit anzunehmen, dass Balbus selbst Senator gewesen sein muss. Vgl. den Überblick der Zeugnisse bei ORF Nr. 80, 286–290 und MRR 2,96; vgl. zur Rolle Cottas bei Sallust v. a. Malitz 1972, Gärtner 2011 und Rosenblitt 2011. Vgl. Cic. nat. deor. 2,2.168; 3,5 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,15; man muss wohl nicht so weit gehen wie Gigon 1996, 332, der Ciceros ausdrücklichen Verweis auf seine persönliche Einladung durch Cotta (ad eum ipsius rogatu arcessituque venissem) als „ein Stück begreiflicher Eitelkeit“ beschreibt. Es liegt näher, darin die formale Erklärung Ciceros für seine Anwesenheit zu sehen, die sogleich seine Verbundenheit mit Cotta herausstellen soll. Anders Gigon 1996, 332, der annimmt, dass alle drei Dialogpartner Ciceros Lesern nicht mehr bekannt gewesen sein dürften; zumindest im Fall von Cotta scheint es plausibel, von dessen Bekanntheit beim römischen Publikum auszugehen. Dessen Bedeutung zeigt sich nicht zuletzt an der Rolle, die er in Ciceros Schriften (vgl. etwa Cic. de orat. 1,25.2,98.3,31, Brut. 183.202–210.297.317, orat. 106.132, div. 1,8, off. 2,59) und bei Sallust (or. Cott.) einnimmt. Ciceros vor allem in De natura deorum zu beobachtende Fokussierung auf die philosophische Qualifikation seiner Dialogredner wird von Hirzel 1895, 534 scharf kritisiert, indem er betont, dass dadurch „die römischen Staatsmänner unter Ciceros Händen mehr und mehr sich in philosophirende [sic!] Griechen verwandeln.“ Vgl. Cic. nat. deor. 1,15.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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Oftmals wurde darauf hingewiesen, dass durch diese Beschreibung bereits an dieser Stelle ein Gefälle zwischen den beiden dogmatischen Gesprächspartnern hergestellt wird.23 Während nämlich Velleius lediglich der Vorrang innerhalb der römischen Epikureer zugestanden werde (ad quem tum Epicurei primas ex nostris hominibus deferebant), wird Balbus sogar im Vergleich mit den griechischen Stoikern als herausragend beschrieben (qui tantos progressus habebat in Stoicis, ut cum excellentibus in eo genere Graecis compararetur). Balbus’ Stellung wird zudem auch durch Cottas Hinweis darauf unterstrichen, dass der damals führende Vertreter der Akademie, Antiochos von Askalon, Balbus ein Buch gewidmet haben soll, das sich mit den gemeinsamen Überzeugungen von Stoikern und Peripatetikern beschäftigt.24 Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass ein etwaiges philosophisches Gefälle zwischen Velleius und Balbus nicht allzu stark betont werden sollte. Denn zum einen charakterisiert der junge Cicero kurz darauf alle drei Gesprächspartner explizit als führende Vertreter ihrer jeweiligen philosophischen Schule, ohne dass Velleius ausgeschlossen oder herabgesetzt wird;25 außerdem spricht auch die Charakterisierung der drei vertretenen Philosophenschulen als achtbare Disziplinen gegen die Annahme einer pauschalen Epikurkritik Ciceros.26 Zum anderen holt Cotta zu einem späteren Zeitpunkt die Charakterisierung des Velleius als eines Epikureers, der auch den Vergleich mit griechischen Epikureern nicht scheuen muss, nach. So betont Cotta innerhalb der dialogischen Binnenhandlung nach Velleius’ Rede,27 dass L. Crassus (cos. 95 v. Chr.), den Cicero in De oratore neben Antonius als Hauptredner auftreten ließ, ihm gegenüber Velleius als einen nicht nur im römischen, sondern auch im griechischen Kontext herausragenden Epikureer charakterisiert hat (1,58): Saepe enim de L. Crasso illo familiari tuo videor audisse, cum te togatis omnibus sine dubio anteferret, paucos tecum Epicureos e Graecia compararet, […].

Für diesen späteren Nachtrag einer adäquaten Charakterisierung des Velleius lässt sich vor allem eine dialogökonomische Erklärung anführen. Cicero spart Velleius’ Charakterisierung nämlich bewusst für Cottas binnendialogische Aussage nach der VelleiusRede auf, da sie dort als Gegengewicht und Abmilderung der sich anschließenden Widerlegungsrede eine wichtigere Rolle einnimmt. Um die dadurch in der dialogischen Anfangspartie entstandene Diskrepanz zwischen der Charakterisierung des Velleius und des Balbus nicht allzu deutlich aufscheinen zu lassen, beschreibt Cicero Velleius (anders als Balbus, der lediglich hinsichtlich seiner philosophischen Qualifikation be-

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Anders Levine 1957, 8, der bereits in den Formulierungen des Proömiums lediglich Variationen für die Aussage, dass beide dogmatischen Redner hervorragend qualifiziert seien, sehen möchte. Vgl. Cic. nat. deor. 1,16: liber Antiochi nostri, qui ab eo nuper ad hunc Balbum missus est. Vgl. Cic. nat. deor. 1,16: Tres enim trium disciplinarum principes convenistis. Cic. nat. deor. 1,16: […] nullius philosophiae, earum quidem, quae in honore sunt, vacaret locus. Vgl. Cic. nat. deor. 1,57–61.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

schrieben wird) dort nicht nur als führenden Vertreter des römischen Epikureismus, sondern auch als römischen Senator. Die explizite Nennung von Velleius’ politischer Stellung und deren fehlende Nennung im Fall von Balbus lässt sich daher wiederum mit Ciceros funktionalem Einsatz biographischer Angaben erklären; sie dient an dieser Stelle dazu, ein Gleichgewicht zwischen Velleius und Balbus in der dialogischen Anfangspartie herzustellen. Somit liegt es nicht nahe anzunehmen, dass der Leser Velleius im Gegensatz zu Balbus als einen nachgeordneten oder mittelmäßigen Vertreter seiner philosophischen Schule wahrnehmen soll; vielmehr handelt es sich bei den zwei Beschreibungen der dogmatischen Philosophen wohl eher um Varianten im Ausdruck, die – gerade mit Blick auf die späteren Passagen – beide dogmatischen Vertreter als geeignete und kompetente Sprecher charakterisieren möchten. Während Velleius und Balbus somit bereits zu Beginn der dialogischen Rahmenhandlung mit Blick auf ihre philosophische Haltung direkt charakterisiert werden, fehlt bei Cotta zunächst eine solche Einführung. So erfährt der Leser anfangs nur, dass sich zwischen Velleius und Cotta bereits eine Auseinandersetzung entwickelt hat28 und dass innerhalb des versammelten Gesprächskreises lediglich die peripatetische Position unbesetzt ist.29 Mit Blick darauf, dass Cicero im Proömium bereits eine dialektische Entfaltung des Themas angekündigt hatte,30 wird der Rezipient schon an dieser Stelle annehmen können, dass Cotta die Rolle des skeptischen Gegenredners einnimmt. Gewissheit hingegen erhält er erst am Ende des dialogischen Gesprächsanfangs, wo Velleius den bereits im Proömium vorgestellten Philon als gemeinsamen Lehrer Cottas und Ciceros benennt und anhand der polemischen Aussage nihil scire didicistis auf die skeptische Zurückhaltung des Urteils anspielt, die ein genuines Kennzeichen der philonischen Akademie darstellt.31 Fragt man nach dem Grund, wieso Cottas philosophische Schulzuordnung erst am Ende der dialogischen Anfangspartie genannt wird, lässt sich dies vor allem damit erklären, dass die späte Schulzuordnung es Cicero ermöglicht, an exponierter Stelle Cotta und den jungen Cicero als akademische Skeptiker einzuführen und zur gleichen Zeit ihr jeweiliges Rollenverständnis dennoch deutlich voneinander abzugrenzen. Durch das Nebeneinander Cottas und des jungen Cicero gelingt es ihm, den jungen Cicero vor einer skeptischen Vereinnahmung zu bewahren und ihm ein eigenständiges Profil jenseits einer automatischen Parteinahme für Cotta zu verleihen.32 Historische Plausibilität. Auch wenn anhand anderer Dialoge nachgewiesen werden konnte, dass Cicero die biographischen Details seiner Dialogpartner akribisch recher-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,15: magna de re altercatio cum Velleio. Vgl. Cic. nat. deor. 1,16: M. enim Piso si adesset, nullius philosophiae […] vacaret locus. Vgl. Cic. nat. deor. 1,11 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,17. Vgl. Cic. nat. deor. 1,17.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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chierte und selbst kleinere Anachronismen zu vermeiden suchte,33 gilt diese Prämisse nicht zwangsweise für die philosophische Kompetenz, die er seinen Hauptrednern attestierte.34 Das prominenteste Beispiel für die philosophische Überforderung der von ihm ausgewählten Gesprächspartner findet sich in der ersten Auflage der Academica, in der Cicero dem römischen Feldherrn Lucullus die Darstellung der antiochenischen Akademie überträgt und selbst Zweifel daran hegte, ob diese Inszenierung als glaubhaft eingeschätzt werden würde;35 auch deshalb dürfte Cicero für die zweite Auflage der Academica Lucullus durch Varro ersetzt haben. Im Falle von De natura deorum existieren jenseits von Ciceros eigenen Angaben keine Zeugnisse, die bestätigen oder widerlegen würden, dass die drei historischen Personen Velleius, Balbus und Cotta tatsächlich eine führende Stellung innerhalb der jeweiligen philosophischen Schulen einnahmen oder inwieweit sie überhaupt mit den jeweiligen philosophischen Ansichten in Verbindung standen. Dass die drei Hauptredner auch realiter den drei Philosophenschulen nahestanden, lässt sich dennoch erstens aufgrund der Beobachtung plausibilisieren, dass Cicero ihren dialogischen Einsatz nicht eigens rechtfertigt, wie er es im Falle von Lucullus als notwendig erachtete. Aus dem Fehlen einer gesonderten Rechtfertigung lässt sich schließen, dass er seine Rollenverteilung als so plausibel einschätzte, dass sie dem Leser als glaubhaft erscheinen könne.36 Zwei-

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Vgl. Jones 1939 für den Nachweis anhand der Dialoge De senectute, De re publica, De amicitia, De oratore, Brutus und Academica. Vgl. Becker 1938, 14: „Das Bildungsniveau der beteiligten Personen ist erheblich, wenngleich Cicero ihnen bisweilen an philosophischer Bildung wohl mehr zuweist, als ihnen in Wirklichkeit zukam.“ Vgl. dazu Ciceros briefliche Aussagen, die die philosophische Überforderung des ursprünglichen Personals explizit bestätigen: Cic. Att. 13,16,1: Illam totam Ἀκαδημικὴν σύνταξιν ad Varronem traduximus. Primo fuit Catuli, Luculli, Hortensi; deinde quia παρὰ τὸ πρέπον videbatur, quod erat hominibus nota non illa quidem ἀπαιδευσία, sed in iis rebus ἀτριψία, simul ac veni ad villam, eosdem illos sermones ad Catonem Brutumque transtuli. Cic. Att. 13,19,4 f.: Haec Academica, ut scis, cum Catulo, Lucullo, Hortensio contuleram. Sane in personas non cadebant; erant enim λογικώτερα, quam ut illi de iis somniasse umquam viderentur. Ciceros Zweifel an einer Eignung der Dialogpartner lassen sich auch daran erkennen, dass er im Proömium zu ac. 2 viel Mühe darauf verwendet, eine möglichst plausible Erklärung für den Einsatz des Lucullus zu liefern und etwaige Zweifel an Lucullus’ philosophischer Eignung zu entkräften, indem er Lucullus’ Affinität zu und Umgang mit Antiochos hervorhebt, welche – gepaart mit Lucullus’ erstaunlicher Gedächtnisleistung – dazu führten, dass er sich in der Philosophie des Antiochos bestens ausgekannt habe (vgl. Cic. ac. 2,4). Kritiker, die an der philosophischen Kompetenz des Lucullus zweifelten, weist er zudem schroff zurück: Sunt etiam, qui negent in is, qui nostris libris disputent, fuisse earum rerum, de quibus disputatur, scientiam. Qui mihi videntur non solum vivis, sed etiam mortuis invidere. (Cic. ac. 2,7) Darüber hinaus weist Steel 2005, 113 darauf hin, dass sich die tatsächliche philosophische Qualifikation der als Dialogteilnehmer herangezogenen Römer daran erkennen lässt, dass sie (vielleicht mit Ausnahme von Cotta) eher zu den unbekannteren Römern zu rechnen sind. Aus dem Umstand, dass Cicero auf die zweite Reihe der damaligen Führungsschicht zurückgegriffen hat und das Kriterium größerer Prominenz dadurch entfällt, schließt Steel, dass gerade deren philosophische Qualifikation dazu geführt hat, dass Cicero auf sie zurückgegriffen hat.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

tens finden sich auch jenseits dieses argumentum ex silentio37 in anderen ciceronischen Schriften Hinweise, die eine Verbindung dieser Dialogpartner mit ihren philosophischen Schulen nahelegen. So zählt Cicero bereits in seinem etwa zehn Jahre zuvor verfassten Dialog De oratore Velleius und Balbus zu denjenigen Römern, die sich für eine bestimmte philosophische Richtung entschieden haben und diese nun konsequent vertreten;38 dabei führt er nur Velleius als Beispiel für einen römischen Epikureer an und stellt im Anschluss Balbus in eine Reihe mit anderen Römern, die sich wie Balbus der Stoa angeschlossen haben.39 Die Nennung einzelner Römer dient an dieser Stelle der Crassus-Rede im dritten Buch von De oratore dem Zweck, anhand konkreter Persönlichkeiten zu demonstrieren, dass die Trennung von Rhetorik und Philosophie aufseiten der Stoiker und Epikureer eine Fehlentwicklung darstellt und nicht mit den platonischen und peripatetischen Einheitskonzepten konkurrieren kann. Die Namensnennung in De oratore ist aufgrund des anderen Themas und des anderen Charakters der Schrift unverdächtig, erfolgte weit vor der Arbeit an De natura deorum und ist für den Erfolg ihres Beweisziels nachgerade darauf angewiesen, dass es sich tatsächlich um zutreffende historische Beispiele und nicht um bloße Erfindungen Ciceros handelt. Zwar erscheint auch Cotta in De oratore, doch verdankt er sein Auftreten als Nebenfigur wohl vor allem seiner Stellung als bedeutender römischer Nachwuchsredner, der gemeinsam mit P. Sulpicius Rufus die junge Generation verkörpert und ein Gegengewicht zu den arrivierten Rednern Crassus und Antonius bildet.40 Dennoch liefert auch De oratore einen Vorverweis auf Cottas Nähe zur akademischen Skepsis; als Reaktion auf Crassus’ Rede lässt Cicero Cotta äußern, dass in ihm nun das Verlangen geweckt sei, sich der akademischen Skepsis zu widmen und allen voran ihre rhetorisch-philosophische Technik, für und gegen jede Sache sprechen zu können, zu erlernen (3,145): Sed apud hos, quid profeceris, nescio, me quidem in Academiam totum compulisti. In qua velim sit illud, quod saepe posuisti, ut non necesse sit consumere aetatem atque, ut possit is illa omnia cernere, qui tantum modo aspexerit; sed etiam si est aliquando spissius aut si ego sum tardior, profecto numquam conquiescam neque defatigabor ante, quam illorum ancipitis vias rationesque et pro omnibus et contra omnia disputandi percepero.

Auch wenn hier wohl die rhetorische Dimension des in utramque partem disserere im Vordergrund steht,41 weist die Intensität, mit der sich Cotta für die akademische 37

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Für sich allein genommen ist dieses argumentum ex silentio noch nicht überzeugend. Anders als im Falle des Lucullus könnte Cicero möglicherweise zumindest für Velleius und Balbus auch damit gerechnet haben, dass die Mehrzahl seiner Rezipienten mit den Personen gar nicht mehr allzu viel verbindet und deshalb an einer philosophischen Überformung keinen Anstoß nehmen würde. Vgl. Cic. de orat. 3,77. Vgl. Cic. de orat. 3,78. Vgl. bspw. Cic. de orat. 1,96–98, wo Sulpicius und Cotta um eine Fortsetzung des Gesprächs der beiden älteren Redner bitten. Auf die rhetorische Dimension der philonischen Akademie weist etwa Cic. de orat. 3,110 hin.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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Skepsis begeistert, deutlich über den konkreten Gesprächszusammenhang hinaus. Mit Recht deutet D. Mankin diese Passage daher als einen Vorverweis auf Cottas philosophische Studien, zu denen ihm das Exil, das ihn kurz nach dem Zeitpunkt von De oratore nach Griechenland geführt hat, die Möglichkeit eröffnet.42 Cottas Eignung als skeptischer Gegenredner wird darüber hinaus auch in einem Cicerobrief fassbar, der sich der Neugestaltung der Academica widmet.43 Dort geht Cicero auf Atticus’ Vorschlag ein, Lucullus durch Varro zu ersetzen und ihn als Vertreter der durch Antiochos wiederbelebten dogmatischen Richtung der Akademie einzusetzen; zudem schlug Atticus vor, ihm Cotta als Vertreter der skeptischen Akademie philonischer Prägung gegenüberzustellen. Auch wenn sich aus Ciceros Antwort nicht entnehmen lässt, mit welchen Argumenten Atticus gerade Cotta vorgeschlagen hat, so wird er ihn mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht nur aufgrund seiner rhetorischen und politischen Stellung, die für die Academica keine zentrale Rolle spielt, sondern aufgrund einer philosophischen Nähe zu Philon empfohlen haben. Atticus wird sich darüber im Klaren gewesen sein, dass er Cicero eine starke und überzeugende Alternative präsentieren müsse, um ihn davon zu überzeugen, nicht selbst als Dialogpartner aufzutreten und stattdessen seine eigene Rolle neu zu vergeben. Zwar entscheidet sich Cicero letztlich anders, doch äußert er in seinem Antwortschreiben keine philosophischen, sondern ausschließlich literarische Bedenken gegen Atticus’ Vorschlag. Wenn er sich nämlich für Cotta entscheiden würde, so bliebe ihm selbst nur eine stumme Rolle übrig, auf die er sich in den Academica nicht beschränken wollte. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass Cicero für De natura deorum solche Römer als Dialogredner ausgewählt hat, die sich prosopographisch tatsächlich als Vertreter bzw. Sympathisanten der ihnen zugewiesenen Philosophenschulen plausibilisieren lassen. Durch ihre Wahl stellt er zudem eine Verbindung zu seinem Werk De oratore her, in dem bereits alle drei Philosophen aufgetreten sind bzw. erwähnt worden sind. Durch die Personenwahl erscheint De natura deorum daher als Umsetzung der in De oratore proklamierten Einheit von Beredsamkeit und Philosophie.44 c) Einblendung eines Abwesenden – zum Fehlen eines peripatetischen Gesprächspartners In De natura deorum entfaltet sich die religionsphilosophische Kontroverse lediglich zwischen zwei dogmatischen Schulen, die nach der Präsentation ihrer theologischen Ansichten jeweils einer skeptischen Widerlegung unterzogen werden. Der Verzicht auf 42 43 44

Vgl. Mankin 2011, 34 f.232 f. Vgl. Cic. Att. 13,19,3; vgl. weiterführend Griffin 1997, 10 f. zu Ciceros Überlegungen hinsichtlich der Personenwahl für die zweite Auflage seiner Academica. Ähnlich auch Auvray-Assayas 2001, 244 f.

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den Peripatos, welcher als die dritte relevante dogmatische Schulrichtung innerhalb der hellenistischen Philosophie gelten kann, wird in der dialogischen Anfangspartie von den Dialogpartnern kontrovers und in einer angesichts der sonst zu beobachtenden Knappheit an Informationen erklärungsbedürftigen Ausführlichkeit diskutiert.45 Es stellt sich daher nicht nur die Frage, wieso Cicero für De natura deorum auf das Einbringen der peripatetischen Position verzichtet hat, sondern vor allem danach, wieso ihr Fehlen in der dialogischen Anfangspartie so ausführlich diskutiert wird. Eine erste, gesprächsökonomische Erklärung für den Verzicht auf die peripatetische Perspektive kann auf das dualistisch angelegte Konzept des Dialogs verweisen, das Cicero bereits im Proömium entfaltet hatte. Wenn Cotta in der dialogischen Anfangspartie nämlich mit Verweis auf Antiochos anführt, dass die Unterschiede zwischen der Stoa und dem Peripatos nicht grundsätzlicher Art seien und die Einbringung der peripatetischen Position somit nichts grundlegend Neues beitragen würde,46 so lässt sich dieses Argument als innerdialogischer Rekurs auf das Proömium und die dortige inhaltliche Vorstrukturierung auffassen. Cicero legte dort nämlich großen Wert darauf, die religionsphilosophische Kontroverse im Kern als eine Kontroverse um die Frage nach der providentia deorum zu akzentuieren.47 Der von ihm im Proömium aufgezeigte Hauptunterschied zwischen denjenigen Positionen, die von fürsorgenden Göttern ausgehen, und denjenigen Philosophen, die eine solche Fürsorge in Abrede stellen, wird im Dialog selbst durch die Gegenüberstellung von Stoikern und Epikureern abgedeckt. Die Erweiterung der Untersuchung um eine zusätzliche dritte Perspektive würde das dualistisch angelegte Dialogmodell untergraben.48 Mit dem Verzicht auf den Peripatos gelingt es Cicero jedoch nicht nur, die religionsphilosophische Kontroverse auf die seines Erachtens entscheidende Alternative hin zuzuspitzen und dadurch eine zentrale Aussage des Proömiums in das innerdialogische Setting zu transportieren. Zugleich lässt sich Ciceros Absage an den Peripatos auch als eine philosophische Aussage über seinen in De natura deorum angewandten skeptischen Ansatz, genauer gesagt über die Möglichkeit eines philosophisch vertretbaren Lösungsansatzes verstehen. Dem Leser soll innerdialogisch auf diese Weise vermittelt werden, dass sich der skeptische Ansatz in De natura deorum von dem skep-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,16. Vgl. vor allem Schofield 2012b für eine Diskussion der relevanten Stellen in Ciceros philosophischem Spätwerk, an denen er das Argument der inhaltlichen Kongruenz bei sprachlicher Verschiedenheit unterschiedlicher Philosophenschulen heranzieht. Vgl. Cic. nat. deor. 1,3–5. Auch Furley 1989, 204 betont als Erklärungsansatz die dualistische Darstellungsabsicht Ciceros, geht jedoch noch einen Schritt weiter und meint, dass es sich bei der stoischen Position im Folgenden tatsächlich um eine peripatetisch angereicherte Sichtweise auf die stoische Religionsphilosophie handelt. Trotz der Passagen, die Furley anführt und die Aristoteles-Bezüge im ersten und vor allem zweiten Buch aufweisen, ist es fraglich, ob man aus einem partiellen Aristoteles-Rekurs tatsächlich in grundsätzlicher Weise auf eine peripatetisch-stoische Mischlehre schließen sollte.

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tischen Ansatz und der Art der philosophischen Problemlösung, die Cicero in dem vorher veröffentlichen Dialog De finibus bonorum et malorum entfaltet hat, in einer zentralen Hinsicht unterscheidet. Auch wenn beide Dialoge nämlich in vielerlei Hinsicht übereinstimmen und in beiden Werken zunächst die epikureische, dann die stoische Position zu einem philosophischen Spezialthema dargestellt werden, bevor beide dogmatischen Ansätze jeweils einer skeptischen Widerlegung unterzogen werden, folgt in De finibus – anders als in De natura deorum – im Anschluss daran noch die Darstellung der peripatetischen Position. Philosophiehistorisch handelt es sich bei Pisos peripatetischer Rede im fünften Buch von De finibus um einen eigenwilligen Beitrag. Auch wenn Piso für den Peripatos spricht, wird bereits zu Beginn seiner Rede deutlich, dass sein Beitrag nicht zwischen der peripatetischen und der altakademischen Güterlehre unterscheidet49 und in weiten Teilen der Ethik des Antiochos von Askalon verpflichtet ist. Dieser Linie folgend bemüht sich Piso vor allem darum, zentrale Gemeinsamkeiten zwischen den hellenistischen Philosophenschulen aufzuzeigen und (alt-)akademische, peripatetische und auch stoische Gedanken zu einer gemeinschaftlichen Lehre zu vereinen.50 Diese dergestalt überblendete synkretistische Schlussrede

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Sowohl Piso als auch der junge Cicero weisen innerdialogisch explizit und mehrfach darauf hin, dass die Piso-Rede Vorstellungen des Peripatos und der alten Akademie in Form einer gemeinsamen Lehre vorstellt. Der junge Cicero plausibilisiert diese synkretistische Lehrdarstellung innerdialogisch damit, dass Piso durch den Peripatetiker Staseas von Neapel und den Akademiker Antiochos von Askalon profunde Kenntnisse über beide philosophische Disziplinen erlangt habe. Vgl. dazu Cic. fin. 5,7: Tum Piso: „Etsi hoc“, inquit, „fortasse non poterit sic abire, cum hic adsit“ – me autem dicebat – „tamen audebo te ab hac Academia nova ad veterem illam vocare, in qua, ut dicere Antiochum audiebas, non ii soli numerantur, qui Academici vocantur, Speusippus, Xenocrates, Polemo, Crantor ceterique, sed etiam Peripatetici veteres, quorum princeps Aristoteles, quem excepto Platone haud scio an recte dixerim principem philosophorum.“ sowie Cic. fin. 5,8: Atque ego: „[…] Studet enim meus audire Cicero, quaenam sit istius veteris, quam commemoras, Academiae de finibus bonorum Peripateticorumque sententia. Censemus autem facillime te id explanare posse, quod et Staseam Neapolitanum multos annos habueris apud te et complures iam menses Athenis haec ipsa te ex Antiocho videamus exquirere.“ Darüber hinaus wendet sich der Erzähler Cicero vor Beginn der Piso-Rede in einem auktorialen Kommentar an den Widmungsträger Brutus mit der Aufforderung, die folgenden Ausführungen dahingehend zu überprüfen, ob sie der Lehre des Antiochos auch wirklich entsprechen (mit Recht spricht Görler 2011, 333 davon, dass der philosophisch auf Seiten des Antiochos stehende Brutus hier als „Zeuge und Garant für die Richtigkeit von Pisos Darstellung“ im Sinne der Lehre des Antiochos eingesetzt wird); von einem gesonderten peripatetischen Gewährsmann ist nun keine Rede mehr, sodass der Leser hier einen deutlichen Hinweis darauf erhält, dass die synkretistische Güterlehre des Antiochos maßgeblich hinter den folgenden Ausführungen steht. Vgl. Cic. fin. 5,8 a. E.: Cuius oratio, attende, quaeso, Brute, satisne videatur Antiochi complexa esse sententiam, quam tibi, qui fratrem eius Aristum frequenter audieris, maxime probatam existimo. Vgl. auch Inwood 2012, 189 f. für die Beurteilung von fin. 5 als dezidiert antiochenischer Rede sowie Ciceros in fin. 5,7 f. eingesetzte Beglaubigungsstrategien. Schließlich findet sich in fin. 5,75 nach Pisos erster Rede innerdialogisch durch Ciceros Bruder Quintus ein Hinweis darauf, dass die eben gehörten Ausführungen Pisos mehr dem Antiochos als dem Staseas entsprochen hätten. Die neuere philosophiehistorische Forschung hat sich verstärkt für Antiochos’ Philosophie interessiert. Sie stützt sich dabei vor allem auf Ciceros Academica sowie auf das fünfte, gelegentlich auch auf das vierte Buch De finibus. Dabei geht es ihr vor allem darum zu zeigen, inwiefern es An-

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

wird von Cicero als derjenige philosophische Ansatz akzentuiert, der die Frage nach dem höchsten Gut, an dem sich alles Handeln der Menschen auszurichten habe, am besten beantwortet und somit vom Leser als Lösung des anfangs aufgeworfenen Problems angesehen werden kann.51 Diese Sonderstellung des fünften Buches und sein auktorialer Antwortcharakter lassen sich an mehreren inhaltlichen wie dialogischen Aspekten zeigen. So nimmt, um nur den gewichtigsten Punkt zu nennen, die peripatetische Rede den Großteil des fünften Buches ein52 und erfährt im Anschluss keine ausführliche akademische Widerlegung. Anders als im Falle des Epikureismus und der Stoa widmet Cicero der Kritik am Peripatos kein eigenes Buch, sondern gesteht ihr nur wenige Paragraphen des fünften Buches zu.53 Dabei konzentriert sich die Kritik auch nur auf einen einzigen Aspekt, der zudem eher eine transitorische Funktion erfüllt.54 Mit der dort formulierten Kritik an Pisos zuvor vorgetragener These, dass der

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tiochos gelingt, mithilfe platonischer, peripatetischer und stoischer Inhalte eine „altakademische“ Einheitslehre zu (re-)konstruieren. So zeigt, um nur einen kurzen Blick auf neuere Arbeiten zu werfen, Bonazzi 2009 am Beispiel von fin. 5,36, wie Antiochos Ideen der stoischen Affektenlehre in den platonischen Tugendbegriff integriert. Auch Irwin 2012 arbeitet an der antiochenischen Ethik und kommt zu dem Ergebnis, dass Antiochos die stoische Ethik bewusst dort einsetzt, wo er im Bereich der peripatetischen Ethik Leerstellen und Inkongruenzen vorfand. Während Inwood 2012 (vgl. v. a. Inwood 2012, 216) im Bereich der Physik des Antiochos ein komplexes und vielschichtiges Bezugssystem von (möglichen) Übereinstimmungen und (bewussten) Parallelen zwischen den einzelnen Schulsystemen feststellte, betonen Brittain 2012 und Boys-Stones 2012 im Bereich der Logik vor allem den stoischen Einfluss auf Antiochos’ Denken. Vgl. immer noch maßgeblich Giancotti 1961 für die Beurteilung des progressiven Charakters von De finibus und der Sonderstellung von fin. 5; Leonhardt 1999, 54 f. geht sogar so weit, in der von Piso vertretenen Position Ciceros persönliche Auffassung sehen zu wollen, und zieht dafür Aussagen aus anderen Werken Ciceros heran, die diese Präferenz belegen sollen. Vor einer solchen Gleichsetzung warnt jüngst mit Recht Brittain 2016, der sich dagegen ausspricht, das antiochenische Plädoyer in fin. 5 isoliert zu betrachten und darin Ciceros Überzeugung entdecken zu wollen. Etwas vorsichtiger plädiert Tsouni 2012 dafür, dass die Attraktivität von Antiochos’ Konzept in fin. 5 vor allem darin bestanden haben mag, dass hier ein philosophisch fundierter Konnex von der theoretischen Anschauung hin zum praktischen Handeln des Menschen geschaffen wird. Deutlich herausgearbeitet wird der Charakter von fin. 5 als „Synthese“ von Görler 2011; so nehme fin. 5 die Mittelstellung zwischen der sensualistischen Position Epikurs und der idealistischen Lehre der Stoa ein, indem sie drei Arten von Gütern (körperlich, äußerlich, seelisch) als glücksnotwendig beschreibt. Vgl. darüber hinaus bspw. auch Classen 1989 zur Bestimmung der Rolle des Peripatos in Ciceros anderen Schriften, v. a. in den Tusculanae disputationes. Vgl. Cic. fin. 5,9–74. Vgl. Cic. fin. 5,75–86. Wenn sich Gill 2016, 245 f. darum bemüht, Ciceros knappe Kritik in fin. 5 stärker zu betonen und neben Ciceros Kritik an Pisos partieller Inkonsistenz noch weitere, implizite Kritikpunkte anzuführen, ohne näher auf sie einzugehen, lässt er sich trotz seines ansonsten wohlüberlegten Ansatzes an dieser Stelle dazu verleiten, die Sonderstellung der antiochenischen Position zu wenig zu berücksichtigen und sie zugunsten einer Lesart von De finibus, die auch hier eine deutliche Urteilsenthaltung sehen möchte, zu nivellieren. Vgl. für einen ähnlichen Ansatz auch Bringmann 1971, 140 f.156 f., der auch fin. im Gesamten für einen skeptisch-aporetischen Dialog hält und zu dem Ergebnis kommt, dass die Schrift unentschieden endet, sodass auch er Ciceros Kritik an Pisos Rede etwas überzeichnet und überbetont. Mit Recht betont dagegen Görler 2011, 346–348 den dialektisch-produktiven Charakter von Ciceros kurzer Intervention in fin. 5,77–86: Auch wenn

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Weise immer glücklich und doch auch auf äußere Güter angewiesen sei, weist Cicero nämlich vor allem auf die offene Frage nach der Glückseligkeit des Weisen und seiner dennoch postulierten Verhaftung in der Welt hin. Auch wenn Piso nochmals das Wort ergreifen darf, die Frage am Ende des fünften Buches auch zur Zufriedenheit des Dialogteilnehmers Cicero ausführlicher beantwortet und damit das letzte Wort behält,55 sieht Cicero die Frage des beate vivere doch als so grundlegend an, dass er ihr im Folgenden mit den Tusculanae disputationes eine eigene Schrift widmen wird, die das in De finibus entfaltete Gespräch in mancherlei Hinsicht ergänzen soll.56 Während Cicero De finibus somit als eine gemäßigt skeptische,57 progressiv-akademische Schrift mit einem dezidiert probabilistischen Lösungsansatz am Ende präsentiert, verzichtet er in De natura deorum auf eine solche peripatetisch-synkretistische Lösungsfolie. Stattdessen gestaltet er die Schrift mithilfe eines radikaleren skeptischen Ansatzes. Während die skeptische Prüfung im Bereich der Individualethik am Ende dazu führen kann, einen philosophischen Ansatz grundsätzlich als den wahrscheinlichsten benennen zu können, kann dies im epistemologisch anspruchsvolleren Bereich der Religionsphilosophie nicht gelingen. Wenn der ausführlich begründete Verzicht auf den Peripatos daher auch als Hinweis auf die Art des in De natura deorum herangezogenen Skeptizimus gelesen werden kann, dann greift die dialogische Anfangspartie auch hierin eine wichtige Aussage des Proömiums auf. Bereits dort hatte Cicero mehrfach darauf hingewiesen, dass sich gerade bei der Frage nach dem Wesen der Götter eine besonders große Uneinigkeit zwischen den einzelnen Philosophenschulen zeigt und die Wahrscheinlichkeit, eine einzelne Position zu finden, die als tragfähige philosophische Antwort gelten könnte, sehr gering ist.58 Indem Cicero durch den ausführlich begründeten Verzicht auf den Peripatos auf einen zentralen Unterschied zur Vorgängerschrift De finibus aufmerksam macht, konkretisiert Cicero hier seine Aussagen aus dem Proömium und steuert die Erwartungen seiner Leser, die erst kurz vorher De finibus mit dem dort vertretenen skeptischen Ansatz gelesen haben. Er gibt seinen Lesern dabei

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Cicero dort die stoische Position für ihre Stringenz lobt, so trennt er doch deutlich zwischen der Kohärenz einer Lehre und ihrer Wahrheitsnähe. Görler weist nach, dass Ciceros Kritik vor allem als Vorlage für Piso dient, seine Aussage um einen zentralen Punkt zu korrigieren bzw. zu präzisieren und die seelischen Güter noch stärker zu gewichten, sodass fin. 5,86–95 als eigentliches Fazit und als eigentliche Lösung der Güterfrage erscheint. Vgl. Cic. fin. 5,87–95 für Pisos Reaktion auf Ciceros Kritik sowie Cic. fin. 5,95 f. für die abschließende Zustimmung der Gesprächsteilnehmer. Vgl. bspw. Bringmann 1971, 139 f. (auf der Grundlage von Cic. div. 2,2) für den grundsätzlichen Konnex von De finibus und den Tusculanae disputationes. Da Bringmann 1971, 140 f.156 f. annimmt, dass die Tusculanae disputationes in die von De finibus offen gehaltene Leerstelle treten, legt er großes Gewicht auf Ciceros knappe Reaktion in fin. 5 und kommt zu dem Ergebnis, dass fin. im Gesamten unentschieden endet. Treffend fasst Leonhardt 1999, 53 f. den Stand der Forschung zusammen, wenn er bemerkt, dass De finibus „die am wenigsten im eigentlichen Sinne skeptische Schrift innerhalb des skeptischen Spätwerkes“ ist. Vgl. Cic. nat. deor. 1,1.5.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

den entscheidenden Hinweis darauf, dass sie selbst im höheren Maße bei der Suche nach dem probabile gefordert sein werden. Dass der gesamte Paragraph, der die Frage nach einer zusätzlichen peripatetischen Perspektive behandelt, dabei auffällig von einem Rekurs auf Ciceros Schrift De finibus geprägt ist, lässt sich nicht nur als typisch ciceronische Technik erklären, sein Œuvre durch Anspielungen und Querverweise eng miteinander zu verknüpfen, sondern vielmehr als ein Hilfsmittel für den Leser, mit dessen Hilfe er die Absage an den Peripatos auch tatsächlich als Absage an den Lösungsversuch und den skeptischen Ansatz, wie er in De finibus vorkommt, verstehen kann. Tatsächlich lassen sich in der dialogischen Anfangspartie von De natura deorum auf mehreren Ebenen Bezüge auf De finibus finden. So bemerkt der junge Cicero zu Beginn der Unterhaltung das Fehlen eines peripatetischen Gesprächspartners und weist im Anschluss sogleich auf M. Piso als geeigneten peripatetischen Gesprächspartner hin, der bereits im fünften Buch von De finibus diese Rolle eingenommen hatte und in den Augen des jungen Cicero auch in diesem Gespräch die philosophische Runde komplettieren könnte. Wenn Cotta daraufhin dem jungen Cicero widerspricht und die Notwendigkeit einer gesonderten Behandlung der peripatetischen Theologie in Abrede stellt, indem er die Unterschiede zwischen der Stoa und dem Peripatos lediglich als Unterschiede auf der Ebene der Bezeichnungen festmacht und ansonsten von einem gemeinsamen inhaltlichen Kern der beiden Lehren ausgeht, rekurriert er auf eine zentrale Argumentationslinie von De finibus,59 vor allem da er auch den für das fünfte Buch von De finibus wichtigen akademischen Philosophen Antiochos von Askalon als Gewährsmann dieser Ansicht anführt. Schließlich lässt sich auch in Balbus’ Reaktion60 auf Cottas These eine deutliche Bezugnahme auf zentrale Argumentationslinien von De finibus erkennen. So argumentiert Balbus gegen eine inhaltliche Ähnlichkeit zwischen Peripatos und Stoa und hebt die grundsätzliche Andersartigkeit beider Schulen hervor; er belegt seine Gegenthese jedoch nicht etwa mit Beispielen aus dem religionsphilosophischen Bereich, sondern mit dem in De finibus ausführlich verhandelten Thema der Güterlehre.61 Zwar bietet sich die Güterlehre thematisch tatsächlich eher als die Religionsphilosophie an, um an ihr den Unterschied zwischen der Stoa und dem Peripatos zu exemplifizieren,62

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Vgl Dyck 2003, 72 f. für die Belegstellen und Erläuterungen. Dass Cotta Balbus um seine Einschätzung zur Ansicht des Antiochos fragt, verlangt bereits der urban-respektvolle Charakter des Gesprächs. Darüber hinaus gibt es Balbus die Gelegenheit, sich von den Einheitsbestrebungen, die wohl nicht nur auf Antiochos zurückzuführen sind, sondern in gewisser Weise typisch für die nachhellenistische Philosophiegeschichte sind (vgl. dazu prägnant Pease 1955, 167), abzugrenzen und sich als Vertreter einer reinen stoischen Lehre zu empfehlen. Außerdem wird dem Leser bereits an dieser Stelle in Erinnerung gerufen, dass die Philosophiegeschichte und die Fragen philosophischer Abgrenzungen selbst philosophische Streitfragen sind und sich auch in solch scheinbar objektiven Fragen keine Gewissheiten finden lassen. Vgl. Pease 1955, 168 f. sowie Gigon 1996, 333 f. für die Belegstellen und Erläuterungen. Vgl. Pease 1955, 168.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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doch stellt Balbus’ Begründung dadurch inhaltlich einen markanten Fremdkörper innerhalb des religionsphilosophischen Oberthemas dar. Auch Balbus’ abschließende Aufforderung, die Diskussion an dieser Stelle nicht weiter zu vertiefen und wieder auf das Thema der Religionsphilosophie zurückzukommen,63 kann als Verweis auf die im fünften Buch von De finibus entfaltete Diskussion (verum hoc alias) gelesen werden, deren Dialoghandlung zudem ungefähr zur selben Zeit wie das Gespräch von De natura deorum spielt. d) Zum Gesprächszeitpunkt und -ort Die Datierung der Dialoghandlung. Eine genaue Datierung des Dialoggeschehens erweist sich als schwierig. Als terminus ante quem lässt sich der Monat Juli des Jahres 76 v. Chr. bestimmen; wäre Cotta zum Zeitpunkt des Dialoggeschehens nämlich bereits consul designatus (ab Juli 76 v. Chr.),64 consul (75 v. Chr.) bzw. consularis oder proconsul (74 v. Chr.),65 so hätte er als solcher vorgestellt werden müssen. Dies hätte nicht nur römischen Gepflogenheiten entsprochen,66 sondern hätte auch den Konflikt zwischen Cottas Rollen als kultisch handelndem und philosophisch diskutierendem Römer weiter zugespitzt. Die Frage, wieso sich Cicero diese Möglichkeit entgehen lässt und darauf verzichtet, Cotta dezidiert als Konsul oder ehemaligen Konsul einzuführen, lässt sich formal mit einem Blick auf Cottas Biographie erklären. Denn weder 75 v. Chr. noch 74 v. Chr. hätte Cotta an einem solchen Gespräch während der feriae Latinae, an denen das Dialoggeschehen stattfindet, teilnehmen können. Wie jeder Beamte musste wohl auch er als Konsul des Jahres 75 v. Chr. an den Feierlichkeiten der feriae Latinae in den Albaner Bergen teilnehmen oder hätte seine Nichtteilnahme zumindest innerdialogisch plausibilisieren müssen;67 unmittelbar nach seinem Konsulat brach er 74 v. Chr. als Prokonsul nach Gallien auf und verstarb noch im selben Jahr,68 ohne den ihm zugestandenen Triumph zu erleben.69 Da Cicero zudem im Jahr 75 v. Chr. als

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,16 a. E. Vgl. Kunkel/Wittmann 1995, 86–90 für die Frage des Termins der Konsulatswahlen und die Stellung eines designierten Konsuls. Vgl. MRR 2,96 sowie ORF (Nr. 80) 286–291 zu Cottas Lebenslauf. So etwa Pease 1955, 25. Vgl. zu dieser Pflicht Strab. 5,3,2: ἐνταῦθα Ῥωμαῖοι σὺν τοῖς Λατίνοις Διὶ θύουσιν, ἅπασα ἡ συναρχία ἀθροισθεῖσα. Vgl. allgemein für einen Überblick über die feriae Latinae Baudy 1998. Smith 2014 führt Beispiele v. a. aus Livius an, die die Brisanz der Teilnahmepflicht mithilfe von historischen exempla belegen, in denen hohe Beamte in Einzelfällen nicht teilgenommen haben und dies im Nachhinein als Grund für militärische Misserfolge o. ä. gewertet worden ist. Vgl. Cic. in Pis. 62. Die Frage, wieso Cicero den Dialog nicht in der zweiten Hälfte des Jahres 76 v. Chr. hat spielen lassen, ist nicht mit letzter Sicherheit zu erklären. Da es sich bei den feriae Latinae um bewegliche Festtage handelte, die stets aufs Neue terminiert worden sind, lässt sich die Vermutung, dass das

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Quästor auf Sizilien weilte,70 fällt 75 v. Chr. auch aus diesem Grund als Zeitpunkt der Dialoghandlung aus.71 Der terminus post quem ist weniger deutlich eingrenzbar; untersucht man den Dialog nach zeitgeschichtlichen Anspielungen, so finden sich Hinweise auf Ereignisse bis etwa 78 v. Chr.;72 berücksichtigt man noch den Umstand, dass Cicero erst 77 v. Chr. von seiner zweijährigen Studienreise aus Griechenland zurückkehrt,73 so lässt sich das Dialoggeschehen entweder direkt im Anschluss daran für das Jahr 77 v. Chr. oder für die erste Hälfte des Jahres 76 v. Chr. plausibilisieren.74 Da Cicero auch andernorts dazu neigt, das Dialoggeschehen zeitlich nahe an den Tod derjenigen Dialogfigur zu verorten, die das politische Schwergewicht innerhalb der jeweiligen Schrift darstellt, erscheint 76 v. Chr. als dasjenige Jahr, das am nächsten an Cottas Tod liegt, die etwas plausiblere Alternative zu sein.75 Die inszenierte Offenheit der dialogischen Anfangspartie. Auch wenn die Jahre 77/76 v. Chr. als Zeitpunkt des Dialoggeschehens als wahrscheinlich erwiesen werden konnten, überrascht die Beobachtung, dass es Cicero auf eine exakte und für den Leser leichter nachzuvollziehende zeitliche Verortung des Dialoggeschehens gar nicht angekommen zu sein scheint, da Cicero andernorts in der dialogischen Anfangspartie eine exakte zeitliche Datierung des Dialoggeschehens präsentiert. So erfährt etwa der Leser seines frühen politischen Dialogs De re publica gleich zu Beginn der dialogischen Anfangspartie nicht nur, dass das dortige Dialoggeschehen ebenfalls an den feriae Lati-

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Dialoggeschehen am ehesten im Jahre 76 v. Chr. spielte, so fortsetzen, dass die feriae Latinae in diesem Jahr vor dem 1. Juli stattgefunden haben. Da jedoch externe Belege für die Terminierung der feriae Latinae fehlen, ist hier über Vermutungen nicht hinauszukommen. Vgl. Cic. Brut. 318. Da Cicero auch in anderen Dialogen auf die historische Plausibilität der Dialoghandlung achtet (so etwa Steel 2013, 225 f.), erscheinen solche Überlegungen, die die dialogische Szenerie jahrgenau verorten wollen, als berechtigt. Vgl. Pease 1955, 25. Auf die Studienreise bzw. auf Ciceros Lerneifer in philosophischen Fragen mag auch Cotta in der dialogischen Anfangspartie anspielen, wenn er Ciceros Teilnahme am folgenden Gespräch mit einer Nützlichkeit für dessen Studien begründet, vgl. Cic. nat. deor. 1,15: cui pro tuo studio non est alienum te interesse. Anders argumentiert Dyck 2003, 72, der die Phrase pro tuo studio lediglich als Hinweis darauf sieht, dass den anderen Gesprächsteilnehmern Ciceros philosophische Interessen bekannt seien. Mit Recht weist Pease 1955, 165 darauf hin, dass sich in diesem Ausdruck Ciceros Bekenntnis aus dem Proömium (vgl. Cic. nat. deor. 1,6) gespiegelt findet, sich von Beginn seiner Studien für die Philosophie interessiert zu haben. Vgl. auch Daly 1950 und Habicht 1997 zur Einordnung und Charakterisierung von Ciceros Bildungsreise. Vgl. Dyck 2003, 7 für einen ähnlichen Datierungsvorschlag, dort jedoch ohne Begründung für die Festlegung auf 77/76 v. Chr. Eine letztgültige Entscheidung für eines der beiden Jahre lässt sich nicht mit Sicherheit treffen, da es sich weder rekonstruieren lässt, wann genau Cicero von seiner Bildungsreise nach Rom zurückgekehrt ist (vgl. zur Diskussion Marinone/Malaspina 2003, 59 f.), noch wann die feriae Latinae als zeitlich nicht fixierte Feiertage in diesen Jahren stattgefunden haben. Vgl. Steel 2005, 112 für 76 v. Chr. als dialogisches Datum, dort jedoch ohne Begründung oder Herleitung.

1. Zur Vorstellung der dialogischen Szenerie

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nae spielt,76 sondern auch, dass sich das Gespräch im Jahre 129 v. Chr. unter dem Konsulat des Tuditanus und Aquilius zugetragen haben soll (rep. 1,14):77 Nam cum P. Africanus, hic Pauli filius, feriis Latinis Tuditano consule et Aquilio, constituisset in hortis esse, familiarissimique eius ad eum frequenter per eos dies ventitaturos se esse dixissent, Latinis ipsis mane ad eum primus sororis filius venit Quintus Tubero.

Zu der zeitlichen Unbestimmtheit tritt in De natura deorum auch eine örtliche Unbestimmtheit hinzu. Jenseits der Tatsache, dass das Gespräch auf einem Anwesen Cottas (apud Cottam) stattfindet und Cotta und Velleius zu Beginn der Dialoghandlung bereits in der exedra eines Hauses diskutieren,78 erhält der Leser keine weiteren Informationen. Dass es sich bei dem Treffpunkt etwa um Cottas Stadthaus und nicht um eine ländliche Villa handeln soll, wie mehrfach vermutet worden ist,79 ist zwar denkbar, doch schließt der Text auch den für Ciceros Dialoge typischen Ort des Landhauses nicht aus und legt ihn durch die assoziative Offenheit der Szenerie vielleicht sogar näher als das ungewöhnlichere Stadthaus, für das es deutlichere Indizien im Text geben müsste.80 Diese Offenheit der Szenerie setzt sich auch bei den örtlichen und zeitlichen Detailangaben fort. So erfährt der Leser weder, in welchem Jahr und an welchem Ort sich das Gespräch abspielt, noch, zu welcher Jahreszeit, Tageszeit oder in welcher Umgebung.81 Auch in dieser Hinsicht lässt sich die bereits beobachtete Entkernung der

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Vgl. Auvray-Assayas 2001, 243 f., die die Wiederaufnahme der feriae Latinae als bewusste Bezugnahme Ciceros auf De re publica sieht und als Aufforderung, nach dem Zusammenhang der beiden Dialoge zu fragen. Ähnlich geht Cicero auch in de orat. 1,24 vor, wo das Dialoggeschehen durch die Konsulatsangabe eindeutig auf das Jahr 91 v. Chr. datiert werden kann. Dass De oratore auch an den feriae Latinae stattfindet, wie Hirzel 1895, 529 behauptet, ist nicht zutreffend; De oratore spielt während der ludi Romani (vgl. Cic. de orat. 1,24). Vgl. Cic. nat. deor. 1,15. Vgl. Pease 1955, 162 für eine Diskussion der Alternative und die Entscheidung für das Stadthaus. Wenn Gigon 1999, 333, ohne Gründe anzugeben, für das Landhaus plädiert, kann das nicht so überzeugen wie seine Beobachtung, dass die halbrunde exedra „zur Diskussion auf das beste geeignet“ (ebd.) ist. Dyck 2003, 5 lässt die Frage offen. Die Vermutung liegt nämlich näher, dass ein Leser, der aufgrund seiner Lektüreerfahrung das andernorts von Cicero gewählte Landhaus im Hinterkopf hat, die hiesige Leerstelle in diesem Sinn füllt und auch hier eher an ein Landhaus denkt, zumal da das Zusammentreffen an einem Feiertag die auch sonst von Cicero gesuchte Atmosphäre eines Gesprächs fernab der Hauptstadt und der alltäglichen Verpflichtungen evoziert. Vgl. Becker 1938, 13 für eine Zusammenstellung der Orte, an denen die ciceronischen Dialoge spielen. Die überwiegende Mehrzahl spielt auf dem Lande oder im Freien oder in anderer Weise in einer abgeschiedenen Gegend. Anders in den Academica, wo die Örtlichkeit im Golf von Neapel, die Villa des Hortensius bei Bauli und der dortige Hafen in das Gespräch mit eingebunden werden und für das philosophische Argument eine dezidierte Funktion erfüllen. Vgl. etwa den dialogischen Beginn und Abschluss Cic. ac. 2,9.148 oder die Beispiele zum Erweis der Unzuverlässigkeit der Sinneseindrücke in Cic. ac. 2,79–82, wo die dialogische Inszenierung dergestalt in den Beweisgang eingeflochten wird, dass Sinnestäuschungen und verzerrte Wahrnehmungen mithilfe der entfernten anderen villae, der am Horizont erscheinenden Schiffe und der im Wasser schwimmenden Fische demonstriert werden.

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dialogischen Szenerie und der damit verbundene Verzicht auf alle topischen Dialogelemente feststellen, die Cicero nebensächlich scheinen. Umso deutlicher rücken dadurch diejenigen Orts- und Zeitbestimmungen in das Blickfeld, die von Cicero in der dialogischen Anfangspartie explizit genannt werden. Dabei handelt es sich vornehmlich um die Angabe, dass das Gespräch während der feriae Latinae stattfindet. Durch die Nennung gerade dieser Feiertage überträgt Cicero die im Proömium geäußerte Bestimmung des Dialogs als einer politisch relevanten Schrift in die dialogische Inszenierung.82 Denn einerseits findet nur noch Ciceros früher Dialog De re publica an den feriae Latinae statt, wodurch Cicero eine feine Verbindung zwischen den beiden Werken schafft. Andererseits handelt es sich bei den feriae Latinae um politische Festtage par excellence. Passenderweise lässt Cicero De natura deorum eben an denjenigen Feiertagen stattfinden, die den inneren Zusammenhalt des Römischen Reiches kultisch zelebrieren. Auch wenn es sich bei den feriae Latinae ursprünglich lediglich um die „Bundesfeier aller latinischen Städte auf dem Albanerberg“83 handelt, kommt ihnen im Laufe der Zeit eine über ihren Entstehungszusammenhang hinausreichende hohe politische Bedeutung zu. Sie wird nicht zuletzt daran ersichtlich, dass das Fest sukzessive auf drei Tage erweitert worden ist und laut Dionysios von Halikarnassos auch an die Vertreibung der Könige, die Einrichtung der Republik und die damit einhergehende innere Einigung und den inneren Frieden erinnert.84 Die Veranstaltung der feriae Latinae ist trotz ihres rituellen Charakters, der etwa an der durchgeführten lustratio und dem gemeinsamen Opfer mit verteilten Rollen und Verpflichtungen der Opfernden sichtbar wird,85 als eine politische Handlung zu sehen, die auf die kultisch inszenierte Bewahrung und den Erhalt der res publica abzielt.86

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Anders Gigon 1996, 332 f., der eine politische Bedeutung der feriae Latinae in Abrede stellt und in ihnen lediglich freie Tage sah, an denen „man sich unbedenklich mit unpolitischen [sic!] Problemen befassen konnte.“ Baudy 1998, 477. Vgl. Dion. Hal. ant. 6,95,3: ἐψηφίσατο δὲ καὶ θυσίας ἀποδοῦναι τοῖς θεοῖς ἡ βουλὴ χαριστηρίους ἐπὶ ταῖς πρὸς τὸν δῆμον διαλλαγαῖς, προσθεῖσα μίαν ἡμέραν ταῖς καλουμέναις Λατίναις ἑορταῖς δυσὶν οὔσαις, τὴν μὲν πρώτην ἀνιερώσαντος βασιλέως Ταρκυνίου, καθ᾽ὃν χρόνον ἐνίκησε Τυρρηνούς: τὴν δ᾽ἑτέραν τοῦ δήμου προσθέντος, ὅτε τοὺς βασιλεῖς ἐκβαλὼν ἐλευθέραν ἐποίησε τὴν πόλιν: αἷς ἡ τρίτη τότε προσενεμήθη τῆς καθόδου τῶν ἀποστάντων ἕνεκα. Vgl. dazu vor allem Smith 2012 für eine Auswertung der Zeugnisse über die feriae Latinae und einen darauf aufbauenden Überblick über die Entwicklung dieses Festes im Laufe der römischen Geschichte. Vgl. Baudy 1998, 477. Vgl. Pina Polo 2011 für die dezidiert politische Deutung der feriae Latinae. Auch Simón 2011 betont den politischen Charakter des Festes und geht sogar soweit, die feriae Latinae vor allem als Initiations- und Legitimationsfeier für die Konsuln zu charakterisieren, während Smith 2012, 276–278 vor allem ihre Rolle als kultische Vorbereitung eines sich anschließenden Krieges betont. Treffend charakterisiert Smith 2012, 267 f. den Charakter des Festes: „The feriae Latinae were in a sense a ritual performance of community, but also a reflection upon community.“

2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero

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2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero Wenn die Datierung des Dialoggeschehens auf die feriae Latinae die bereits im Proömium hervorgehobene politische Dimension des Dialogthemas widerspiegelt, ist nun danach zu fragen, welche Funktion die Rückverlegung des Dialoggeschehens in die Vergangenheit erfüllen soll. Dabei wird sich zeigen, dass die Frage nach der eigenwillig passiven und scheinbar inkohärenten Rollengestaltung des jungen Cicero in der dialogischen Anfangs- und Schlusspartie des Dialogs eng mit der Rückverlegung des Dialogs in die Vergangenheit verknüpft ist. Cicero erscheint innerhalb des Dialoggeschehens von De natura deorum als junger Mann, der nicht die ihm sonst zukommende Rolle des akademischen Skeptikers übernimmt, sondern sich mit der Rolle eines Zuhörers und weitgehend stummen Beobachters zufriedengibt. Mit Blick auf die anderen dezidiert skeptischen Dialoge, in denen Cicero innerdialogisch eine zentrale Rolle spielt und auf diese auch nicht leichtfertig verzichten möchte,87 erscheint seine Beschränkung auf eine solche Rolle erklärungsbedürftig. Als besonders problematisch gilt jedoch das ciceronische Schlussvotum am Ende des dritten Buches, wo es scheinbar zu einem Bruch mit dem Rollenverständnis kommt, welches der junge Cicero in der dialogischen Anfangspartie entfaltet hatte. Am Ende des dritten Buches gibt der junge Cicero nämlich seine Beschränkung auf das Zuhören auf und meldet sich überraschenderweise doch noch mit einem Schlussplädoyer zu Wort, in dem er sich für die stoische Position des Balbus ausspricht (3,95): Haec cum essent dicta, ita discessimus, ut Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi ad veritatis similitudinem videretur esse propensior.

Selbst Ciceros sehr vorsichtige Formulierung ändert nichts daran, dass dieses Schlussvotum seine Leser im ersten Moment überrascht haben wird. Denn einerseits hatte sich Cicero im Proömium von De natura deorum als leidenschaftlicher Vertreter der skeptischen Akademie philonischer Prägung vorgestellt. Am Ende von De natura deorum plädiert er jedoch nicht für Cotta, sondern ergreift Partei für die Stoa. Andererseits hatte Cicero im Proömium erklärt, dass er seine eigenen Ansichten hintanstellen möchte, um seine Leser nicht in eine bestimmte Richtung zu lenken und sie dadurch davon abzuhalten, selbst nach dem probabile zu suchen.88 Am Ende von De natura deorum enthält sich Cicero, anders als angekündigt, jedoch nicht eines eigenen Urteils, sondern plädiert für Balbus.

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Vgl. dazu Cic. Att. 13,19,3 und die Diskussion um die zweite Auflage der Academica. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

a) Überblick über die bisherigen Forschungsansätze Ciceros Rückverlegung des Dialoggeschehens in die Vergangenheit, sein Verzicht auf die Übernahme der skeptischen Widerlegung sowie die Spannung zwischen den auktorialen Aussagen im Proömium und Ciceros innerdialogischem Schlussvotum haben die Forschung zu vielfältigen Erklärungsversuchen veranlasst. Diese sollen im Folgenden kritisch vorgestellt werden, bevor im Anschluss daran eine eigene Deutung vorgeschlagen wird, welche die vordergründig problematische Inszenierung als konsequente Entfaltung des skeptischen Ansatzes erklären möchte, den Cicero im Proömium entwickelt hatte. Formale Erklärungsansätze. Einige Forschungsansätze, die nach einer Erklärung für die angesprochenen Spannungsfelder suchen, nehmen ihren Ausgangspunkt bei der Beobachtung, dass Cicero De natura deorum nicht in seiner Gegenwart stattfinden lässt, sondern in die Zeit um 77/76 v. Chr. verlegt. Beurteilt man Ciceros Entscheidung, das Dialoggeschehen in die Vergangenheit zu verlegen, als primäre Entscheidung, so lässt sich Ciceros Rollengestaltung als eine sich daraus ergebende, formal notwendige Folgerung erklären. So wäre es Cicero nicht möglich gewesen, sich selbst eine tragende Rolle zuzuschreiben, da sie ihm mit Blick auf die Dialogzeit noch gar nicht zugestanden hätte. Denn zum Zeitpunkt der Dialoghandlung ist Cicero als Endzwanziger gerade erst von seiner Studienreise aus Griechenland zurückgekehrt; seine wichtigen politischen Ämter, rhetorischen Erfolge und philosophischen Veröffentlichungen liegen allesamt noch vor ihm, sodass er nicht als Dialogteilnehmer auf Augenhöhe an dem Gespräch hätte teilnehmen können.89 Da Cicero in seinen Dialogen auf das römische Standesbewusstsein achtet und, wie E. Becker feststellt, dem Alter und der auctoritas Vorrang gewährt,90 wäre es nicht vorstellbar gewesen, dass ein junger Cicero als skeptischer Gegenredner zwei ältere und erfahrenere Römer nach ihren jeweiligen Beiträgen kritisiert. Cicero habe diese Rolle deshalb an Cotta übertragen müssen, der in einer Liga mit Velleius und Balbus spielt, ja sogar das eigentliche politische und rhetorische Schwergewicht innerhalb der Gesprächsrunde darstellt. Wieso verzichtet Cicero nun allerdings nicht vollständig auf eine Teilnahme am Dialog und schreibt sich als stummen Beobachter in den Dialog hinein? Vertreter dieses ersten Erklärungsansatzes verstehen Ciceros Teilnahme meist als innerdialogische Beglaubigungsstrategie. Laut R. Hirzel erhält die Szenerie dadurch zusätzliche Glaubwürdigkeit, dass Cicero sich als Augenzeuge und Gewährsmann des Gesprächs inszeniert.91 E. Begemann hingegen erklärt Ciceros Dialogteilnahme mit ihrer Konnexfunktion

89 90 91

Vgl. Gigon 1996, 335 ad loc. Vgl. Becker 1938, 15 f. Vgl. Hirzel 1895, 530. Ähnliches würde auch für die dialogische Inszenierung von De re publica gelten, wo Cicero großen Wert darauf legt zu beschreiben, wie er über Rutilius Rufus Kenntnis von dem weit zurückliegenden Gespräch erlangt habe (vgl. dazu Cic. rep. 1,13).

2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero

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zwischen Damals und Heute. Denn mit der Rolle des stummen Beobachters schafft Cicero eine Brücke zwischen dem Gespräch in der Vergangenheit und dem Leser des Jahres 44 v. Chr., der auf diese Weise die Relevanz des Themas leichter erkennen soll.92 Während dieser erste Erklärungsansatz Ciceros Rollen- und Zeitgestaltung in De natura deorum vorwiegend formal mithilfe derjenigen Prinzipien erläutert, denen Cicero auch in seinen anderen Dialogen folgt, setzen die anderen drei Erklärungsansätze vor allem auf eine inhaltliche Klärung. Sie versuchen dabei meistens, ein Gleichgewicht zwischen Ciceros skeptischer Haltung und seinem stoischen Schlussplädoyer herzustellen, oder bemühen sich darum, die eine Position der anderen unterzuordnen oder zuzuweisen. Cotta als Ciceros „alter ego“. Eine Schwachstelle des ersten, formalen Erklärungsansatzes liegt darin, dass er von der Rückverlegung des Dialoggeschehens in die Vergangenheit ausgeht und von diesem Ansatzpunkt her zwar alle weiteren Gestaltungsmerkmale als logische Folge benennen kann, jedoch keine adäquate Erklärung dafür liefert, wieso Cicero überhaupt das Jahr 77/76 v. Chr. als Dialogzeitpunkt wählt und darauf verzichtet, das Gespräch zu seiner eigenen Zeit stattfinden zu lassen, wie es bei den dezidiert skeptischen Dialogen meistens der Fall ist. Diese Lücke füllt der zweite Erklärungsansatz. Die Rückverlegung des Dialoggeschehens in die Vergangenheit wird dort damit erklärt, dass es sich bei De natura deorum nicht nur um einen religionsphilosophischen, sondern vor allem auch um einen politischen Dialog handelt. Wie in De re publica und in De oratore verlege Cicero deshalb das Dialoggeschehen in die Vergangenheit, um ein politisch relevantes Thema behandeln zu können, ohne sich dabei in tagespolitische Entwicklungen zu verstricken und dadurch ungewollte Nebenkriegsschauplätze zu eröffnen. Zudem entgehe Cicero mit dem Verzicht auf die Rolle des skeptischen Gegenredners dem Vorwurf, selbst gegen den Götterglauben gesprochen zu haben und damit einen wichtigen Grundpfeiler des Staates gefährdet zu haben.93 So geht dieser Erklärungsansatz davon aus, dass Cicero auch in De natura deorum akademischer Skeptiker ist, seine skeptische Haltung jedoch verschleiert und am Ende bewusst für die stoische Position plädiert, um den Vorwurf des Atheismus von sich weisen zu können. Mit Cotta habe er eine Dialogfigur als akademischen Gegenredner gewählt, die sich zwar von ihm unterscheidet, die jedoch idealiter als sein Sprachrohr fungieren kann, da zwischen Cotta und Cicero zahlreiche biographische Parallelen bestehen. Beide sind rhetorisch versierte, philosophisch an der skeptischen Akademie interessierte Römer, die es im cursus honorum nicht nur bis zum Konsulat gebracht haben, sondern auch sakrale Ämter übernommen haben und im Laufe ihrer politischen Tätigkeit die bittere Erfahrung des Exils durchlitten und überstanden haben. Mit Cotta habe Cicero also einen idealen Stellvertreter gefunden, der dieselbe 92 93

Vgl. Begemann 2012, 24. Vgl. Pease 1913, 27–30 für eine Darstellung dieser Ansicht, die vor allem von den christlichen Autoren der Spätantike vertreten wird; vgl. dazu auch Hirzel 1895, 532 f.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

Funktion erfüllen könne wie er selbst. Zusammenfassend erscheint die Rückverlegung des Dialoggeschehens in die Vergangenheit und der daraus ermöglichte Verzicht auf die Rolle des skeptischen Gegenredners dabei als doppelte Vorsichtsmaßnahme, welche den Autor und sein Werk vor möglichen politischen Konsequenzen schützen soll. Besonders prominent ist in dieser Hinsicht der Erklärungsversuch von Ph. Levine, der Ciceros dialogisches Konzept in De natura deorum als Schutzstrategie vor negativen Konsequenzen erklärt. Er unterfüttert diese These mit der Vermutung, dass De natura deorum einen mehrstufigen Entstehungsprozess durchlaufen hat und dass sich die Spuren verschiedener dialogischer Konzeptionen immer noch im uns heute vorliegenden Text erkennen lassen.94 So kommt Levine zu dem Ergebnis, dass Cicero das Dialoggeschehen in einer ersten Auflage von De natura deorum nicht nur an einem einzigen Tag, sondern – passend zu den dreitätigen feriae Latinae – an mehreren Tagen hatte stattfinden lassen und dass sich dort nicht nur eine ausführlichere dialogische Rahmenhandlung entfaltet hatte, sondern Cicero selbst die Rolle der akademischen Widerlegung übernommen hatte. Später änderte er dies jedoch, bündelte das Dialoggeschehen auf einen einzigen Tag, entkernte die dialogische Szenerie auf einen unverzichtbaren Mindestkern und strich sich selbst als aktiven Gesprächspartner aus dem Dialog heraus. Da Cicero jedoch immer noch fürchtete, dass das destruktive Moment von Cottas Widerlegungen auf ihn selbst zurückfallen könne, setzte er an das Ende der zweiten Auflage sein stoisches Schlussvotum, um sich durch diese weitere Vorsichtsmaßnahme abzusichern. Da Cicero jedoch trotzdem noch Bedenken hatte, habe er De natura deorum weder in der ersten noch in der zweiten Auflage zu seinen Lebzeiten veröffentlicht, sodass der Dialog, dessen Überarbeitung Cicero in großer Hast übernommen habe, postum in einem defizitären Zustand veröffentlicht worden sei. Auch wenn sich im überlieferten Cicerotext tatsächlich verschiedene Zeitangaben finden, die die Vermutung erlauben, dass Cicero ursprünglich an ein mehrtätiges Dialoggeschehen gedacht hatte,95 wendet Taran mit Recht ein, dass sich weder im Text selbst noch in Briefen an Atticus ein Hinweis darauf findet, dass auch andere Bereiche der Schrift davon betroffen sein könnten.96 Ohne externe Zeugnisse, wie sie etwa für die Academica in Ciceros Atticus-Briefen vorliegen, lässt sich weder auf eine umfas-

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96

Vgl. Levine 1957. Vgl. Cic. nat. deor. 2,73 und 3,18. Diese beiden Stellen sind der einzige Hinweis auf mechanistische Fehler im vorhandenen Text und sollten nicht überbewertet werden, da die übrige Konzeption des Dialogs unabhängig von der Dauer des Gesprächs ist. Vgl. zu diesen beiden Stellen bspw. Hirzel 1895, 529 f. (Anm. 3). Dass auch Cic. nat. deor. 3,2 auf einen Bruch im dialogischen Setting hinweist, wie Levine 1957, 9 vermutet, ist unwahrscheinlich. Wenn Velleius dort seiner Hoffnung Ausdruck verleiht, dass Cotta gut vorbereitet zur Widerlegung der stoischen Position kommt, impliziert das nicht notwendigerweise einen Tageswechsel zwischen dem zweiten und dritten Buch, sondern drückt vielmehr Velleius’ Erwartungshaltung gegenüber Cotta und der sich anschließenden Widerlegung aus. Vgl. Taran 1987.

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sende Revision des Textes noch auf ein divergierendes Personen- und Szenenkonzept schließen. Levines Argument, dass die für Cicero untypische Personen- und Szenenkonzeption auf eine Überarbeitung und eine nicht mehr ausreichend fertiggestellte zweite Auflage hinweist, kann daher auch nicht mit den ausführlichen Vergleichen begründet werden, in denen er De natura deorum anderen ciceronischen Schriften gegenüberstellt und die singuläre Gestaltung der Schrift herausarbeitet. Auch kann das Argument nicht überzeugen, dass Cicero De natura deorum nicht selbst herausgegeben hat, vor allem da Cicero den Dialog explizit in den Werkskatalog am Beginn von De divinatione aufgenommen hat. Gegen Levine (und Major, dessen These der postumen Herausgabe von De natura deorum Levine hier aufgreift) bleibt einzuwenden, dass die Formulierung in div. 2,3 (quibus rebus editis tres libri perfecti sunt de natura deorum) gerade die Vollendung des Dialogs betont. Das Schlussstatement als Ciceros ehrliche philosophische Überzeugung. Der dritte Erklärungsansatz nimmt Ciceros Schlussstatement im dritten Buch ernst und beurteilt es als ein von Ciceros Überzeugung getragenes Statement für die Stoa. So sieht R. Hirzel in Ciceros Schlussworten dessen ehrliches Bekenntnis für die stoische Position.97 Überraschenderweise bemerkt er zwischen der im Proömium formulierten Rückweisung des Leserwunsches nach Ciceros eigener Ansicht und der im Schluss des Dialogs geäußerten Ansicht Ciceros keinen Widerspruch: „Offenbar erfüllt er damit einen Wunsch seiner Leser, dessen er in der Vorrede an Brutus gedenkt […] und den er dort als unberechtigt ablehnt.“98 Diesen Meinungsumschwung erklärt Hirzel damit, dass Cicero im Laufe seiner philosophischen Tätigkeit das Scheitern seines akademischskeptischen Projekts, welches seine römischen Leser überfordert hat, erkennen musste. Anstatt neue skeptische Leser ausbilden zu wollen, beschränke sich Cicero in De natura deorum nun auf die bloße Belehrung seiner Landsleute, die durch die Lektüre des Dialogs die religionsphilosophischen Positionen der hellenistischen Philosophenschulen kennenlernen sollten. Die akademische Ausrichtung des Proömiums sei daher nur das „akademisch-sokratische Mäntelchen“, welches Cicero „noch nicht abgelegt“ habe und womit er noch „kokettirt“99 [sic!]. In Hirzels Augen steht Cicero in Sachen Religionsphilosophie tatsächlich auf Seiten der Stoa, ohne dies bereits zu Beginn offen eingestehen zu können. Auch J. Glucker versucht den Gegensatz zwischen Proömium und Schlussvotum durch eine philosophische Neusituierung Ciceros abzumildern. Dabei belässt er ihn jedoch in der Akademie und erklärt das Schlussvotum vielmehr als Ciceros Tribut an seine antiochenische Phase.100 Er rekurriert damit auf 97

Vgl. Hirzel 1895, 533; vgl. darüber hinaus zur Frage nach Ciceros persönlicher religiöser Gesinnung Hooper 1917, Kroymann 1975, Görler 2015 und Manuwald 2018; vgl. für eine Sammlung von Ciceros Aussagen zur Religion in seinen verschiedenen Werken Heibges 1969 und Goar 1978. 98 Hirzel 1895, 533. 99 Hirzel 1895, 534. 100 Vgl. Glucker 1992.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

Ciceros zweiten akademischen Lehrer Antiochos von Askalon; während Philon die skeptische Ausrichtung der Akademie stark gemacht hatte, betonte Antiochos ihren dogmatischen Charakter und suchte in vielen Punkten den Schulterschluss mit der Stoa. Ciceros Schlussvotum könne man daher in diesem Licht als ein punktuelles Abweichen von seiner skeptischen Haltung und eine auch andernorts beobachtete Nähe zur Stoa interpretieren, die er seinem akademischen Lehrer Antiochos verdanke. Plausibilität gewinnt Gluckers These durch die Dialogzeit. Denn in der Tat lässt Cicero den Dialog ja just nach seiner Rückkehr aus Griechenland zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem er gerade mit Antiochos’ Lehren in Berührung gekommen war.101 Dass das Plädoyer für die stoische Position in Dingen der Religion tatsächlich Ciceros ganz persönlichem Urteil entspreche, möchte L. Taran nachweisen, indem er die in anderen ciceronischen Philosophica geäußerten Ansichten über die Götter zusammenstellt.102 Überall dort, wo er Parallelen zwischen der stoischen Position, die Balbus in De natura deorum vorstellt, und Äußerungen in anderen Schriften findet, möchte er Ciceros eigene Position durchscheinen sehen. Durch diese Zusammenstellung kommt er zu dem Schluss, dass Cicero gewisse Sympathien für die Stoa und insbesondere für die stoische Theologie hegte. Dabei benennt er vor allem zwei stoische Ansichten, die sich Cicero hier zu eigen macht, nämlich die stoischen Überzeugungen, dass die Welt von den Göttern erschaffen worden sei und dass der natürliche Glaube der Menschen an die Götter auf deren Existenz hinweise. Harmonisierungsversuche. Während der zweite und der dritte Erklärungsansatz versuchen, je einen Pol stark zu machen, und Cicero entweder als heimlichen Akademiker oder heimlichen Stoiker verstehen wollen, bemüht sich eine vierte Erklärung darum, diese beiden Pole in ein spannungsvolles Gleichgewicht zu bringen. So versucht man zu zeigen, dass sich gerade in Ciceros Schlussvotum für die Stoa der akademische Skeptiker Cicero zeige. Denn der Skeptiker müsse ja nicht immer nur gegen jede Position sprechen, sondern könne sich durchaus auch für eine Position aussprechen, wenn sie seines Erachtens dem probabile entspreche. A. S. Pease kommt daher zu dem Schluss, dass Cotta und Cicero innerdialogisch die beiden möglichen Facetten der akademischen Skepsis vertreten. Während Cotta also das dicere contra übernehme,

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Grundsätzliche Einwände gegen die Annahme einer antiochenischen Phase, die sich in Ciceros Werk abgebildet finde, führen mit Recht Görler 1995 sowie Auvray-Assayas 2006, 23 an. Vgl. Taran 1987. Vgl. darüber hinaus Pease 1913, 30 f. für einen knappen Überblick über die ältere Forschung, die in Ciceros Schlussurteil ebenfalls Ciceros ehrliches Votum für die stoische Position sehen wollte. Auch Fuchs 1959, 14 äußert sich auf der Grundlage der ciceronischen Schriften über Ciceros persönliche Religiosität, d. h. sein religiöses Empfinden: „Eben das Denken nämlich über die Macht und das Wesen der Götter entflammt sein Streben, jener Ewigkeit gleichzukommen, und er glaubt nicht, dass ihm nur dieses kurze Leben bestimmt sei, wenn er sieht, wie die Ursachen der Dinge sich eine an die andere anschließen und durch Notwendigkeit verknüpft sind in einem Strome, der von Ewigkeit her dahinfließt und den doch in Ewigkeit die Vernuft und der Geist beherrscht.“

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falle Cicero am Ende der Part des dicere pro zu, wodurch ein Patt zwischen den beiden skeptischen Ansätzen hergestellt wird.103 Diese komplementäre Konzeption der Dialogrollen Cottas und Ciceros harmoniere laut Pease mit dem enzyklopädisch-informierenden Charakter des Dialogs und trage zu dessen Neutralität bei. Eine ähnliche Linie verfolgt E. Becker, der in Ciceros Schlussvotum vor allem das vorsichtige Bekenntnis von Ciceros eigener Unsicherheit sowie den Versuch sieht, gerade durch sein Schlussvotum eine Urteilsenthaltung zu formulieren. Indem Cicero sein Votum für Balbus nämlich mit solch großen epistemologischen Kautelen präsentiere, stelle er sicher, dass man ihn weder als wirklichen Befürworter der Stoa noch als Unterstützer der akademischen Skepsis beurteilen könne. So stimme er niemandem wirklich zu, grenze sich sowohl von Balbus’ affirmativer Rede als auch von Cottas skeptischen Anfragen ab und vermeide ein klares Urteil; für Becker endet De natura deorum daher nicht mit einem Urteil Ciceros für die stoische Position, sondern ohne Entscheidung als ergebnisoffene Schrift.104 In diesem Sinn deutet er auch Ciceros Schweigen während des Dialogs, das er als markantes Kennzeichen von Ciceros Zurückhaltung des eigenen Urteils auffasst.105 J. DeFilippo hingegen konstatiert einen scharfen Kontrast zwischen Cotta und Cicero, indem er Ciceros Schlussvotum als eine deutliche Kritik an Cottas skeptischem Ansatz versteht.106 Indem Cicero am Ende für Balbus stimme, stimme er nämlich auch und vor allem Balbus’ Kritik an Cottas Skeptizismus zu, der einen allzu scharfen Kontrast zwischen Denken und Handeln aufweise. DeFilippo begründet seine These unter anderem mit Blick auf das Ende des zweiten und den Beginn des dritten Buches von De natura deorum. Am Ende seiner Rede warnt Balbus Cotta davor, es zu einem Bruch zwischen Denken und Handeln, genauer gesagt zwischen seinen Rollen als akademischer Skeptiker und als pontifex kommen zu lassen; daher solle er sich die akademische Freiheit herausnehmen, nicht gegen, sondern für Balbus’ Sache zu sprechen und sich nicht von seiner Rolle als pontifex abzuwenden, sondern beide Rollen miteinander zu vereinen.107 Cotta selbst unterstreicht in seiner Antwort jedoch den unüberbrückbaren Gegensatz der beiden Bereiche, indem er sein persönliches Festhalten an der römischen Religion hervorhebt, von welcher er durch keine philosophische Einsicht abrücken wolle. Für Cotta stehen die von den Vorfahren 103

Vgl. Pease 1913; auch Papadimitriou 2003 sieht in Ciceros Schlussvotum die akademisch-skeptische Freiheit des dicere pro verwirklicht. Anders als Pease betont sie jedoch noch den Umstand, dass sich der junge Cicero am Ende nicht für die stoische Position, sondern für Balbus’ Rede ausspricht, worin sie einen selbstreferenziellen Verweis auf Ciceros Eigenständigkeit bei der Bearbeitung der Balbus-Rede sehen möchte. Allerdings ist zu fragen, ob die von Papadimitriou gemachte Unterscheidung zwischen Balbus und der stoischen Position tatsächlich naheliegt und ob ein allgemeines, apersonales Plädoyer Ciceros für die Stoa und ohne Rekurs auf Balbus überhaupt möglich gewesen wäre oder nicht die urbanitas des Dialogabschlusses allzu stark verletzt hätte. 104 Vgl. Becker 1938, 47–50. 105 Vgl. Becker 1938, 50. 106 Vgl. DeFilippo 2000. 107 Vgl. Cic. nat. deor. 2,168.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

übernommene Religion und die römische Tradition über der akademischen Skepsis und über ihrer rationalen Prüfung,108 sodass es bei ihm in der Tat zu einer Segmentierung des öffentlich handelnden und privat philosophierenden Römers kommt und die Tradition nicht Teil des philosophischen Diskurses werden kann. Ciceros Votum für Balbus sei nach DeFilippo nun nicht als ein dezidiertes Votum für die dogmatischen Ansichten der Stoa zu verstehen, sondern vielmehr als ein Votum gegen Cotta und dessen erratisches Verständnis der Tradition. Genau wie Balbus meine Cicero nämlich, dass eine solch scharfe Trennung der beiden Bereiche intellektuell unlauter und wenig zielführend sei. Man dürfe sie nicht ohne jeden Konnex einfach nebeneinander herlaufen lassen, sondern müsse sich um eine – wenn auch sicher schwierige – Vermittlung bemühen. Indem Cicero sich hier also auf Balbus’ Seite schlägt, entpuppe er sich als ein viel radikalerer und umfassenderer Skeptiker als Cotta, da er begriffen habe, dass die Tradition Teil des öffentlichen Diskurses werden müsse, um der Öffentlichkeit ein kritisches Verständnis der Tradition zu ermöglichen. Zur Bewertung der bisherigen Erklärungsansätze. Blickt man nun auf die Erklärungsversuche zurück, so lassen sich jenseits der einzelnen Kritikpunkte, die bereits angeführt worden sind, vielerorts grundsätzlichere Probleme ausmachen. Mit Recht wendet beispielsweise A. S. Pease gegen den zweiten Ansatz ein, dass Cicero De natura deorum nicht in dieser Form veröffentlich hätte, wenn er dem Dialog ein staatszersetzendes und persönlich korrumpierendes Potential zugetraut hätte.109 Wenn Cicero nämlich diese Gefahren gesehen hätte, würde die Schrift einerseits auch mit Cotta als skeptischem Sprecher eine staatsgefährdende Wirkung besitzen, die Cicero als leidenschaftlicher Kämpfer für die Restitution der alten res publica nicht gewollt haben könnte. Andererseits hätte die Wahl Cottas wenig genutzt, wenn er durch die starken biographischen Parallelen ohnehin als Ciceros Sprachrohr hätte erkannt werden sollen. Auch durch diese dialogische Inszenierung wäre Cicero also nicht geschützt gewesen. Darüber hinaus weist Pease mit Blick auf den spätrepublikanischen Buchmarkt darauf hin, dass der Dialog sich zweifelsfrei nicht einer schnellen Verbreitung bei einer großen Öffentlichkeit erfreuen konnte, sondern vornehmlich von einer kleinen, elitären Oberschicht gelesen worden ist und dadurch ohnehin nicht unmittelbar eine gefährliche Breitenwirkung entfalten konnte. Darüber hinaus sind all diejenigen Erklärungen als problematisch zu beurteilen, die mit Blick auf den Nachfolgedialog De divinatione und auf dessen dialogische Inszenierung entkräftet werden können. Der zweite Erklärungsansatz beispielsweise deutet die Rollenverteilung in De natura deorum als Konsequenz aus der Rückverlegung des Dialogs in die Vergangenheit, die durch dessen politische Dimension notwendig geworden sei. Blickt man hingegen auf De divinatione, so stellt man fest, dass Cicero hier

108 Vgl. Cic. nat. deor. 3,5 f. 109 Vgl. Pease 1913, 29 f.

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eine Rückverlegung in die Vergangenheit offensichtlich nicht als notwendig beurteilt hat, und das, obwohl die politische Dimension in De divinatione noch viel augenfälliger ist.110 Außerdem lässt Cicero De divinatione nicht nur in der Gegenwart spielen, sondern übernimmt dort selbst in aller Schärfe die skeptische Gegenrede, wodurch er noch viel deutlicher als in De natura deorum traditionelle römische Einrichtungen, kultische Gewohnheiten und religiöse Überzeugungen in Frage stellt.111 Es scheint daher ratsam, die Dialogzeit nicht als hermeneutische Grundlage für alle weiteren Überlegungen anzusetzen. Wenn Cicero sich wirklich vor negativen Konsequenzen hätte fürchten müssen, so hätte er auch in De divinatione solche Vorsichtsmaßnahmen treffen und die Widerlegung einer anderen Dialogperson übertragen müssen. Zudem gelingt es gerade den letzten drei Erklärungsansätzen, die eher auf einer inhaltlichen Ebene arbeiten, nicht, die verschiedenen Aussage- und Dialogebenen klar voneinander zu unterscheiden. Sie ignorieren meistens, dass es sich bei De natura deorum um einen literarisch-philosophischen Dialog handelt, aus dem sich nicht ohne Weiteres Rückschlüsse über Ciceros eigentliche und wahre Ansichten gewinnen lassen. So unterscheiden sie meistens nicht zwischen dem Autor Cicero und der Dialogfigur Cicero, nicht zwischen extradialogisch-programmatischen Aussagen und innerdialogischen Statements einzelner Dialogfiguren. Diese Nichtbeachtung der literarischen Form hat zur Folge, dass der Dialog selbst zum Steinbruch verkommt, aus dem einzelne dicta probantia gewonnen werden und Cicero im Anschluss einmal diese, einmal jene Gesinnung zugewiesen wird. Auch die Isolierung eines einzelnen Satzes, nämlich des Schlusssatzes der Schrift, scheint problematisch. Wenn Pease und DeFilippo ihre Ansätze, die die überzeugendsten Erklärungsansätze liefern und ihrerseits treffende Punkte benennen, ausschließlich auf diesen einen Satz beziehen und aus ihm heraus eine komplementäre oder kritische Haltung Ciceros gegenüber Cotta konstruieren, scheinen sie ihm doch allzu großes Gewicht beizumessen. Wenn in diesem einen Satz Ciceros zentrale Aussage liegen sollte, dann hätte er sie aller Wahrscheinlichkeit nach schon im Vorfeld vorbereitet oder doch zumindest ausführlicher begründet. Zudem beachten auch sie

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Schon Augustinus bemerkte diesen Gegensatz und versuchte ihn damit zu erklären, dass Cicero in nat. deor. davor zurückschrecke, gegen die Existenz von Göttern als solche zu argumentieren, und dass es sich bei div. eher um eine theologische Spezialfrage handele, gegen die er in eigenem Namen vorgehe, um so die Theorie des freien Willens zu retten; vgl. Aug. civ. 5,9: […] sed non ex sua persona. Vidit enim, quam esset invidiosum et molestum ideoque Cottam fecit disputantem de hac re adversus Stoicos in libris de deorum natura et pro Lucilio Balbo, cui Stoicorum partes defendendas dedit, maluit ferre sententiam quam pro Cotta, qui nullam divinam naturam esse contendit. In libris vero de divinatione ex se ipso apertissime oppugnat praescientiam futurorum. Hoc autem totum facere videtur, ne fatum esse consentiat et perdat liberam voluntatem. Putat enim concessa scientia futurorum ita esse consequens fatum, ut negari omnino non possit. Ähnlich auch Becker 1938, 48.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

zu wenig, dass hier nicht Cicero als Autor spricht, sondern der junge Cicero als Teilnehmer des Dialogs. b) Der junge Cicero – Paradigma des idealen Rezipienten Welche Folgerungen ergeben sich daraus für einen neuen Vorschlag und wie lassen sich die Ansätze von Pease und DeFilippo weiterentwickeln? Cicero selbst weist seine Leser mit dem ersten Satz der dialogischen Anfangspartie darauf hin, die sich anschließende Unterredung als Exemplifizierung seines skeptischen Ansatzes zu lesen, der von ihm zuvor im Proömium entfaltet worden ist. Durch den relativen Satzanschluss, mit dem der erste Satz der dialogischen Anfangspartie eng mit dem letzten Satz des Proömiums verknüpft wird,112 charakterisiert Cicero das sich entfaltende Gespräch in Cottas Haus über das Wesen der Götter als ein beachtenswertes Beispiel dafür, dass sich die Wahrheit als solche gerade bei religionsphilosophischen Fragen auch trotz einer gelehrten und intensiven Diskussion nicht sicher finden lässt und die Suche nach dem probabile den einzigen epistemologisch vertretbaren Ansatz darstellt (1,14 f.): Profecto eos ipsos, qui se aliquid certi habere arbitrantur, addubitare coget doctissimorum hominum de maxuma re tanta dissensio. Quod cum saepe alias, tum maxime animadverti, cum apud C. Cottam familiarem meum accurate sane et diligenter de dis immortalibus disputatumst.

Durch die Rückverlegung des Gesprächs in eine zeitlich nicht näher bestimmte Vergangenheit (tum) steigert Cicero nicht nur dessen Charakter als allgemeines Exempel für ein philosophisches Gespräch, anhand dessen sich die epistemologischen Grenzen jeder Erkenntnis und Ansicht erkennen lassen, sondern markiert dadurch umso deutlicher den formalen Einschnitt zwischen Proömium und dialogischer Anfangspartie. Durch die zeitliche Rückverlegung werden nämlich das Ende des auktorialen Proömiums und der Beginn der Dialoghandlung für den Rezipienten deutlicher markiert. Die dadurch hergestellte Trennung zwischen Proömium und Dialogbeginn erleichtert vor allem die Unterscheidung zwischen Cicero, der sich im Proömium als Autor im eigenen Namen auktorial über die Art und Zielsetzung seines Dialogs geäußert hat, und dem jungen Cicero, der innerdialogisch als eine weitgehend stumme Nebenfigur am philosophischen Diskurs teilnimmt. Die Rückversetzung des Dialogs in die Vergangenheit bleibt auch deshalb zeitlich unbestimmt, da es Cicero offensichtlich nicht darum geht, dem Leser eine exakte Datierung des Gesprächs zu ermöglichen. Vielmehr soll ihm die Rückversetzung des Dialoggeschehens lediglich begreiflich machen, dass Cicero im Folgenden nicht mehr in seiner Rolle als Autor und arrivierter Philosoph

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Vgl. Dyck 2003, 71, der 1,15 als „the formula for passing from general to specific“ beschreibt.

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am Dialoggeschehen teilnimmt. Darüber hinaus ermöglicht sie es Cicero überhaupt erst, die Widerlegungen an eine andere Person abgeben zu können und sich auf eine stumme Rolle zu beschränken. Hätte er den Dialog in der Gegenwart spielen lassen, so wäre es wenig plausibel erschienen, wenn er als führender Vertreter der akademischen Skepsis nicht selbst als Gegenredner aufgetreten wäre. Die Rückverlegung des Dialogs in die Vergangenheit erscheint hierbei also als eine Entscheidung Ciceros, die ihm die Übernahme der stummen Rolle überhaupt erst ermöglicht, und nicht als eine Entscheidung, die ihn notgedrungen in eine stumme Rolle drängt. Diese deutliche Rollentrennung, die durch die Rückverlegung des Dialogs markiert und ermöglicht wird, erlaubt es dem jungen Cicero, innerdialogisch eine andere Rolle als im Proömium einzunehmen. Anders als die formalen Erklärungsversuche, die Ciceros Auftreten in der dialogischen Anfangspartie als Glaubwürdigkeits- (Hirzel) oder Aktualisierungsstrategie (Begemann) interpretieren, kann Ciceros Rolle als junger, fast durchgehend stummer Dialogteilnehmer vielmehr als weiteres Mittel der indirekten Leserführung erklärt werden, mit dem Cicero sein Ziel erreichen will. Denn der dialogische Auftakt legt nahe, dass Cicero sich innerdialogisch genau diejenige Rolle zuweist, die er im Proömium seinen Lesern zugeschrieben hat. Frei von anderen Zwängen möchte auch er nur derjenigen Ansicht zustimmen, die ihn überzeugt, ganz unabhängig davon, wer sie äußert (1,17): Quid didicerimus, Cotta viderit, tu autem nolo existimes me adiutorem huic venisse, sed auditorem, et quidem aecum, libero iudicio, nulla eius modi adstrictum necessitate, ut mihi velim, nolim sit certa quaedam tuenda sententia.

Bevor der junge Cicero sein eigenes Rollenbild positiv definiert, reagiert er auf die kurz zuvor von Velleius formulierte Befürchtung, dass mit Ciceros Anwesenheit nun zwei akademisch-skeptische Vertreter anwesend seien und Cotta dadurch zusätzliche Hilfestellung erhalten würde. Diese Befürchtung stellt den Anlass für die Abgrenzung des jungen Cicero von einer skeptischen Vereinnahmung seiner Person dar. Durch den negierten Wiederaufgriff des Substantivs adiutor, welches Velleius in seiner kritischen Bemerkung zuvor bereits verwendet hatte, unterstreicht der junge Cicero, dass er nicht als Cottas akademischer Gefolgsmann auftreten werde, obwohl er und Cotta beide Schüler Philons seien. Würde der junge Cicero nämlich als Unterstützer Cottas auftreten, so bliebe ihm innerdialogisch nur die Möglichkeit, sich an Cottas Kritik der einzelnen dogmatischen Reden zu beteiligen, sie wohlwollend zu begleiten oder zu ergänzen oder ihm jeweils bei den einzelnen Kritikpunkten zuzustimmen. Da Cotta seinerseits nämlich auf den Part der skeptischen Widerlegung festgelegt ist, obliegt es ihm, die jeweils präsentierten dogmatischen Entwürfe mit allen relevanten Kritikpunkten zu konfrontieren und – unabhängig von seiner jeweiligen persönlichen Einschätzung – als advocatus diaboli gegen die epikureischen und stoischen Entwürfe zu

158

IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

sprechen.113 Im weiteren Verlauf des Dialoges wird deutlich, dass sich Cotta bewusst auf die Rolle des Gegenredners beschränkt und darauf verzichtet, eigene Ansichten oder auch nur eine vorsichtige Zustimmung zu einer der vorgetragenen Positionen zu äußern.114 Durch den Verzicht darauf, selbst eine wahrscheinliche Position zu benennen, verzichtet Cotta tatsächlich auf eine der entscheidenden Neuerungen, die Philon in die skeptische Akademie eingeführt hatte, wodurch er sich als ein radikal-aporetischer Skeptiker erweist, der das Aufzeigen epistemologischer Schwachstellen und der Unmöglichkeit wirklich sicheren Wissens als seine vornehmliche Aufgabe ansieht.115 Während der junge Cicero sich also von einer ausschließlich kritisierenden, radikalskeptischen Position abgrenzt, bestimmt er seine eigene innerdialogische Rolle als die eines auditor.116 Damit zeigt er an, dass er als einziger Gesprächsteilnehmer von Beginn an wirkliche Urteilsfreiheit genießt, da er ohne Schulzwang jenseits des philosophischen Streites steht, sowohl den dogmatischen Reden als auch den skeptischen Gegenreden zuhört, beide Seiten einer kritischen Beurteilung unterziehen kann und dadurch diejenigen Ansichten benennen kann, die seines Erachtens als probabile gelten können. In der Formulierung seiner gemäßigt-skeptischen Position greift er dabei Formulierungen auf, die kurz zuvor im Proömium als auktoriale Leseanweisungen formuliert worden sind. Die beiden ersten Attribute, mit denen er seine Zuhörerrolle beschreibt, d. h. das Adjektivattribut aecus und der Ablativus qualitatis libero iudicio, drücken dabei die unparteiliche Unvoreingenommenheit des jungen Cicero aus und setzen die zentrale Aufforderung des Proömiums, sich ein eigenständiges Urteil zu bilden (suum iudicium adhibere),117 innerdialogisch um. Die sich anschließende Bemerkung, keine Ansicht oder Schulrichtung von vorneherein und aufgrund prärationaler Gründe oder Verpflichtungen verteidigen zu wollen (nulla eius modi […] certa quaedam tuenda sententia), drückt den Gedanken der Urteilsfreiheit von einer negierten Seite aus, indem sie dasjenige Verhalten beschreibt, welches im philosophischen Diskurs gemieden werden soll. Sie rekurriert dadurch auf die im Proömium formulierte Kritik an all denjenigen Philosophenschulen und Philosophen, die das blinde Befolgen von Meisterworten (opinio praeiudicata) über deren rationalen Nachvollzug und epistemologisch solide Billigung stellen.118 Dadurch lädt sie auch diejenigen Leser, die 113 114 115

116 117 118

So zutreffend auch Pease 1913. Vgl. bspw. Cic. nat. deor. 1,57.60 und 2,2 f. für Cottas Weigerung bzw. die von ihm behauptete Unfähigkeit, selbst Stellung zu beziehen und eine positive Aussage zu den Göttern zu formulieren. Daher ist es verwunderlich, wenn Weische 1961, 35 Cottas Fokussierung auf das dicere contra als „die neuakademische Position“ beschreibt, einerseits weil es sich dabei eher um eine Haltung oder Herangehensweise und gerade nicht um eine Position handelt, andererseits weil er die Konkurrenz innerhalb der Akademie nicht berücksichtigt. Durch die morphologischen Ähnlichkeiten zwischen adiutor und auditor, die Cicero durch die Paronomasie an dieser Stelle hervorruft (vgl. zu diesem rhetorischen Stilmittel Pease 1955, 170 f.), treten die semantischen Unterschiede zwischen den beiden Begriffen umso deutlicher hervor. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10.

2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero

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bereits mit einer philosophischen Präferenz oder als Anhänger einer philosophischen Richtung den Dialog lesen, ein, sich unvoreingenommen auf die jeweiligen Argumente einzulassen und die verschiedenen Positionen rational und vorurteilsfrei zu prüfen. Zusammenfassung. Der junge Cicero präsentiert sich am Gesprächsauftakt als der ideale Rezipient und nimmt damit innerdialogisch genau diejenige Haltung ein, die einzunehmen Cicero seine Leser im Proömium aufgefordert hatte. Indem der junge Cicero innerdialogisch gerade diese Rolle übernimmt, bietet er dem Rezipienten ein starkes Identifikationsangebot und eine implizite Einladung an, es ihm gleichzutun und alle Reden, d. h. die dogmatischen wie die skeptischen Reden, kritisch, unbefangen und rational zu prüfen. Er reagiert dadurch auch innerdialogisch auf die von ihm im Proömium aufgeworfene Frage nach seiner eigenen Einschätzung, die er hier offenlässt, indem er sich nicht einmal von der akademisch-skeptischen Seite vereinnahmen lässt. c) Der Dialogschluss als Bestätigung der selbstständigen Urteilsbildung Auch Ciceros Schlussvotum am Ende des dritten Buches kann als letztes Mittel der indirekten Leserführung angesehen werden, welches Cicero – wie bereits in der dialogischen Anfangspartie – als idealen Rezipienten darstellt und nicht im Widerspruch zur skeptischen Grundausrichtung des Dialogs steht. Formale Einordnung. Die große Aufmerksamkeit, die dem Schlussvotum in der Forschung bislang entgegengebracht worden ist, stellt aus zwei Gründen zweifelsohne eine Überbewertung der Passage dar. Einerseits nämlich handelt es sich dabei nicht um eine auktoriale Aussage des Autors Cicero, der dem Leser seine persönliche Überzeugung mitteilt, sondern lediglich um das innerdialogische Urteil des jungen Dialogteilnehmers Cicero.119 Durch die im Schlussvotum vorgenommene Gegenüberstellung von Velleius’ und Ciceros Bewertungen,120 den Verweis auf das folgende Gesprächsende und das Auseinandergehen der Dialogteilnehmer121 wird nämlich deutlich, dass es zu keinem Wechsel der Erzählebene gekommen ist und das innerdialogische Setting nicht verlassen worden ist. Wenn Cicero am Ende des Buches also in der ersten Person von seinen Ansichten spricht,122 dann handelt es sich immer noch um den jungen Cicero, der in der dialogischen Anfangspartie so dargestellt worden ist, dass der Leser ihn nicht mit dem Autor Cicero gleichsetzt.123 Andererseits handelt es sich bei Ciceros 119

Anders Leonhardt 1999, 61 f., der diese Trennung nicht vollzieht und hierin „eine persönliche Äußerung Ciceros“ (ebd. 62) erkennen möchte. 120 Vgl. Cic. nat. deor. 3,95: Velleio Cottae disputatio verior, mihi Balbi […]. 121 Vgl. Cic. nat. deor. 3,95: ita discessimus, ut […]. 122 Vgl. Cic. nat. deor. 3,95: mihi Balbi ad veritatis similitudinem […] videretur esse propensior. 123 Dass auch jüngst diese Unterscheidung nicht immer gemacht wird, zeigt sich beispielsweise bei Whitmarsh 2015, 212 („Cicero, after all, was a theist; he concludes On the Nature of the Gods

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

und Velleius’ Schlussvotum strenggenommen auch nicht um ein Fazit zum gesamten Gespräch, sondern lediglich um einen nicht ungewöhnlichen Abschluss der Diskussion zwischen Balbus und Cotta. Dass sich das Schlussvotum eigentlich nur auf die Diskussion über die stoische Theologie und deren Widerlegung bezieht, wird daran deutlich, dass lediglich Balbus’ und Cottas Reden zur Abstimmung stehen. Denn nach einem kurzen Gespräch zwischen Balbus und Cotta, aus dem deutlich wird, dass beide auch nach der kontroversen Debatte um die stoische Theologie weiterhin die von ihnen vorgestellten Positionen vertreten,124 dürfen sich mit Velleius und dem jungen Cicero diejenigen Gesprächsteilnehmer äußern, die (im Falle von Velleius) zuletzt bzw. (im Falle des jungen Cicero) grundsätzlich eine stumme Rolle bekleidet hatten.125 Der Vergleich mit anderen dezidiert skeptischen Dialogen zeigt, dass es sich bei dem Abschlussvotum der zuletzt bzw. grundsätzlich stumm gebliebenen Dialogteilnehmer um keine Besonderheit handelt. Auch in den Academica126 und am Ende des zweiten Buches von De finibus127 dürfen zum Abschluss einer Diskussionsrunde die stummen Teilnehmer ihr Abschlussvotum äußern. Dieses Votum soll seinerseits keine neue Diskussion mehr entfachen, sondern das Gespräch im Sinne der urbanitas versöhnlich abschließen. Dass das Dialogende grundsätzlich dazu dient, eine kontrovers und zum Teil auch hitzig geführte Debatte in einem urbanen Ton ausklingen zu lassen,128 lässt sich auch daran erkennen, dass Balbus viel Raum gewährt wird, um die Ernsthaftigkeit und Relevanz der stoischen Position zu betonen, dass ihm die Möglichkeit eröffnet wird, sich zu einem anderen Zeitpunkt substantiell zu Cottas Anfragen äußern zu dürfen, sowie daran, dass auch Cotta seine skeptische Kritik dahingehend abschwächt, dass er – wie O. Gigon treffend bemerkt – „mit römischer Höflichkeit und etwas so-

saying, in his own voice, that he sides with the Stoic Balbus, wo has argued for a providentially just god.“). 124 Vgl. Cic. nat. deor. 3,94–95a. 125 Vgl. Becker 1938, 16–25 zum ciceronischen Dialogende und zur Inszenierung der urbanitas der Gesprächsteilnehmer sowie v. a. DeGiorgio 2010 für die Funktion der stummen Dialogteilnehmer. 126 Vgl. Cic. ac. 2,147, wo die zuletzt stumm gebliebenen Gesprächspartner Catulus und Hortensius ihre Ansichten äußern dürfen. 127 Vgl. Cic. fin. 2,119 mit der Frage nach Triarius’ Ansicht zur Debatte um den epikureischen Lustbegriff. 128 Diese Technik lässt sich auch in anderen dezidiert skeptischen Dialogen Ciceros finden. So gehört es zum urbanen Ausgang eines Dialoges, dass Cicero seine Gesprächspartner nicht auseinandergehen lässt, ohne dass sie zuvor einander versichert hätten, dass derartige Gespräche höchst fruchtbar seien und nach einer Wiederholung verlangten (vgl. Cic. ac. 2,147; fin 4,80; div. 2,150). Zudem dürfen auch die kritisierten Vertreter dogmatischer Positionen ihr Gesicht wahren, da Cicero sie eine Entgegnung auf die akademische Widerlegung zu einem anderen Zeitpunkt ankündigen lässt (vgl. Cic. fin. 2,119 für Trebatius’ Ankündigung; fin. 4,80 für Catos Ankündigung; nat. deor. 3,94 für Balbus’ Ankündigung) oder ihnen auf anderem Wege lobende Worte zukommen lässt (vgl. bspw. Cic. nat. deor. 1,57–59).

2. Zur Gestalt und Rolle des jungen Cicero

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kratischer Ironie“129 Balbus als in jedem Fall gleichberechtigten und fast schon überlegenen Gesprächspartner anspricht. Wieso votieren die beiden stummen Gesprächspartner nun jedoch auf die in De natura deorum vorfindliche Weise? Dass Velleius für die Position des Balbus stimmen würde, ist unmöglich, da während des gesamten Dialogs die Rivalität zwischen der Stoa und dem Epikureismus hervorgehoben worden ist. Velleius muss daher nachgerade für Cotta stimmen, da er in Cotta als Kritiker der stoischen Position einen natürlichen Verbündeten sieht. Mit dem abschließenden Votum des jungen Cicero für Balbus ist zumindest auf formaler Ebene ein Gleichstand erzielt,130 da der Vorteil, den Ciceros Votum durch den Umstand, dass der junge Cicero es äußert, gewinnen könnte, durch die vorsichtige Formulierung des jungen Cicero wettgemacht wird, die sich durch eine möglichst große Distanzierung und Abwägung auszeichnet.131 Auf einer formalen Ebene dient Velleius’ Votum für Cotta und Ciceros Votum für Balbus also zunächst dazu, einen Gleichstand zu schaffen und das Gespräch versöhnlich zu beenden. Philosophische Funktion des Abschlusssatzes. Wenn man dem Satz darüber hinaus noch eine inhaltlich-philosophische Funktion zuweisen möchte, so muss sie sich organisch in die Gesamtintention der Schrift einfügen. Vor diesem Hintergrund lässt es sich erklären, dass der Dialogteilnehmer Cicero am Ende des Gesprächs nicht automatisch für Cottas Position, sondern vorsichtig für Balbus stimmt. Dieses sicher auch für den römischen Leser zunächst überraschende Votum lässt sich daher als letzte Ermutigung an den Leser verstehen, sich frei von vermeintlichen Verpflichtungen und liebgewonnenen Vorurteilen allein nach seinem eigenen rationalen Urteil zu entscheiden. Da das Votum mit größter epistemologischer Kautel formuliert worden ist, soll der Leser damit nicht zwangsweise dazu gebracht werden, ebenfalls für die Stoa zu stimmen oder Balbus’ Position als die siegreiche anzuerkennen. Und da Cicero bereits in der dialogischen Anfangspartie deutlich gemacht hat, dass der junge Cicero nicht als seine eigene auktoriale Stimme verstanden werden soll,132 soll der Leser im Schlussvotum auch nicht die persönliche Meinung des Autors Cicero entdecken. Vielmehr soll der Umstand, dass selbst der junge Cicero innerdialogisch nicht automatisch für seinen Schulkollegen Cotta plädiert, dem Leser als Vorbild dienen und ihn zu einer eigenen, freien Urteilsbildung ermutigen. Wichtiger als die Frage, wie sich die Rezipienten am

129 130 131

132

Gigon 1996, 581. So auch Lévy 1992, 562 f. und Gigon 1996, 581. Vgl. Gigon 1996, 582: „Vorsichtiger als er […] kann man allerdings kaum formulieren.“ Vgl. zudem auch Görler 2015, 408: „Aber wie er es formuliert! Da ist ein skeptischer Vorbehalt an den anderen gereiht: Nicht Wahrheit scheinen ihm die Ausführungen des Stoikers zu enthalten, sondern ‚Ähnlichkeiten mit der Wahrheit‘; und auch das nicht einfach so: sie waren ‚zugeneigter‘ (propensior) einer Ähnlichkeit mit der Wahrheit; nein, nicht so grob: sie ‚schienen‘ (viderentur) diese Tendenz zu haben. Also Vorsichtsklauseln jeder Art […].“ Vgl. auch Auvray-Assayas 2001, 247 für das Plädoyer einer hermeneutischen Unterscheidung zwischen dem Autor Cicero und der Dialogfigur des jungen Cicero.

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IV. Die dialogische Rahmenpartie als Mittel der indirekten Leserführung

Dialogende entscheiden, ist der Umstand, dass sie sich überhaupt entscheiden und sich angesichts der kontroversen Diskussion nicht in die Aporie flüchten. Zudem sollen sie bei ihrer Entscheidung erkennen, dass ein uneingeschränktes Votum für einen der beiden vorgestellten Ansätze nicht möglich ist. Selbst wenn sie sich also, womit man wohl für viele Leser rechnen wird, wie der junge Cicero für die stoische Seite entscheiden, sollten sie dies nur im Bewusstsein der epistemologischen und kultischen Schwierigkeiten tun, von denen auch die stoische Position nicht frei ist. Ergebnis. Die besondere Rollenverteilung in De natura deorum lässt sich also ebenso wie andere Gestaltungstechniken als dialogische Mittel beschreiben, mit denen dem Leser eine dezidiert skeptische Lesart des Dialoges ermöglicht werden soll. Die Rollenverteilung und die Rücksetzung des Dialogs in die Vergangenheit erscheinen in dieser Lesart nicht als eine Verlegenheitslösung oder als ein Bruch zu dem im Proömium angekündigten Charakter des Dialogs als skeptisches Werk, sondern ganz im Gegenteil als eine hermeneutisch ernstzunehmende Ausschöpfung und souveräne Handhabe aller Cicero zur Verfügung stehenden Techniken, um De natura deorum als einen skeptischen Dialog zu gestalten.

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede am Beispiel der Rede des Epikureers Velleius „Erkenntnis hat kein Licht, als das von der Erlösung her auf die Welt scheint: alles andere erschöpft sich in der Nachkonstruktion und bleibt ein Stück Technik.“1 Th. W. Adorno, Minima Moralia

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung Nach dem Proömium und dem dialogischen Einstieg in das Gespräch setzt die eigentliche Auseinandersetzung mit Velleius’ Redebeitrag ein, der die Frage nach dem Wesen der Götter aus einem dezidiert epikureischen Standpunkt heraus behandelt. In der Forschung wurde der Velleius-Rede nicht nur in philologisch ausgerichteten Studien zu De natura deorum, sondern auch in philosophiehistorischen Untersuchungen zum Epikureismus einige Aufmerksamkeit zuteil. Dabei hat sich eine vornehmlich kritische Sichtweise etabliert, die an der rhetorischen Form sowie am philosophischen Inhalt der Rede Anstoß nimmt. a) Der Kompilationsvorwurf: Quellenkritische Untersuchungen zur Velleius-Rede Beobachtungen am Text: Inkohärenzen und Doppelungen innerhalb der Rede? An erster Stelle steht die vielfach geäußerte Kritik am Aufbau und an der Struktur der Rede; so wird kritisiert, dass die Velleius-Rede keinen kohärenten und logischen Gesamtaufbau aufweist, sondern vielmehr in inkompatible, sich inhaltlich partiell überschneidende

1

Adorno 1951, 333 (= MM 153, „Zum Ende“).

164

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

und eigentlich unverbundene Einzelteile zerfällt, die sowohl Redundanzen als auch inhaltliche Lücken aufweisen. Deutlich wird diese Kritik bereits bei einer ersten Betrachtung der Gliederung der Rede. Velleius’ Ausführungen lassen sich mit Blick auf ihren Inhalt und ihre argumentative Stoßrichtung in zwei größere Hauptteile untergliedern, nämlich einerseits in Velleius’ ausführliche Kritik an den religionsphilosophischen Ansichten konkurrierender Philosophenschulen, Einzelphilosophen, Dichter, fremder Völker und des einfachen Volkes (Widerlegungsteil),2 andererseits in die eigentliche, knapper ausfallende Darstellung der epikureischen Theologie (Lehrteil),3 die auf den polemischen Teil folgt.4 Vor allem der erste der beiden Hauptteile der Rede, der sich konkurrierenden theologischen Ansichten widmet, gerät immer wieder in den Verdacht, eigentlich aus mehreren inkohärenten Passagen zu bestehen, deren Zusammengehörigkeit lediglich oberflächlich durch das sie verbindende Moment der Polemik hergestellt wird. Zu den drei Einzelstücken, in welche der erste Hauptteil der Rede zerfalle,5 zählen erstens Velleius’ Anfangspolemik gegen die platonische Akademie und die Stoiker,6 die unter Zuhilfenahme einer Vielzahl rhetorischer Mittel einen scharfen Angriff gegen diese beiden Schulen formuliert und sich dabei auf deren Lehre von der göttlichen Erschaffung der Welt fokussiert. Auf die Anfangspolemik folgt zweitens Velleius’ ausführliche doxographische Widerlegung der theologischen Ansichten von insgesamt siebenundzwanzig Einzelphilosophen,7 die sich bereits formal durch ihre katalogartige Behandlung der einzelnen Philosophen von der Anfangspolemik unterscheidet und auch inhaltlich nicht auf die Schöpfungsthematik festgelegt ist. An Velleius’ Doxographie fügt sich drittens appendixartig eine abschließende Kritik des Velleius an der theologia mythica an;8 da in diesem Anhang die den Mittelteil prägende chronologische Reihung aufgegeben wird und weder Philosophenschulen noch einzelne ihrer Vertreter angegriffen werden, sondern stattdessen Berufs- oder Volksgruppen in deutlicherer Pauschalisierung aufgrund ihrer (in Velleius’ Augen fragwürdigen) religiösen Überzeugungen kritisiert werden, lag es aus formalen und inhaltlichen Gründen nahe, die Zugehörigkeit dieser Appendix zur Mitteldoxographie zunächst in Frage zu stellen. Als beson2 3 4 5 6 7 8

Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b–43a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b–56a. So auch Philippson 1939, 16, der von einem „kritischen“ und einem „dogmatischen Teil“ spricht, sowie Maso 2015, 30, der in diesem Sinne von der pars destruens (Widerlegungsteil) und der pars construens (Lehrteil) spricht. Die Dreiteilung des Widerlegungsteils wird in den meisten Untersuchungen vorausgesetzt und findet sich bspw. bei Schwenke 1879, 49 („von den drei abschnitten, in welche der vortrag zerfällt“), Philippson 1939, 16, McKirahan 1996, 866 und anderen herausgearbeitet. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b–24; Philippson 1939, 16–27 spricht hier vom „polemischen Vorspiel“ der Velleius-Rede und trennt durch diese Formulierung den ersten Teil der Velleius-Rede allzu scharf vom Rest der Rede ab. Vgl. Cic. nat. deor. 1,25–41. Vgl. Cic. nat. deor. 1,42–43a.

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

165

ders problematisch erscheint dabei die Frage, wieso die den Anfang bildende Polemik gegen Platon und die Stoa nicht in die darauf folgende ausführliche doxographische Philosophenkritik integriert worden ist, die ihrerseits explizit auf die beiden bereits angesprochenen Philosophenschulen rekurriert, indem sie auch Platon9 und Zenon10 sowie weitere Stoiker behandelt und erneut an deren Ansichten Kritik übt, ohne dabei inhaltlich auf die vorausgehenden Ausführungen Bezug zu nehmen.11 Zusätzlich zur Kritik am dreifachen Polemik-Teil der Velleius-Rede wird auch die Feingliederung des zweiten Hauptteils als kritikwürdig empfunden. Dort fällt auf, dass durch die Überlänge des Widerlegungsteils der eigentlichen Lehrentfaltung lediglich ein relativ knapper Raum zugestanden wird, der durch ein erneutes Einflechten polemischer Passagen nochmals gemindert wird. Sogar innerhalb der Lehrentfaltung wird nämlich von Velleius die Polemik gegen die Stoa wiederum aufgegriffen.12 Neben einer erneuten Kritik am stoischen Pantheismus13 und am stoischen Konzept der Welterschaffung14 kommt Velleius gegen Ende seiner Rede auf die psychischen Folgen zu sprechen, welche die Lehre eines stoischen Bewachergottes mit sich bringen würde.15 Die ältere Forschungstradition sieht vor allem in diesen Doppelungen,16 aber auch im gesamten, erratisch wirkenden Aufbau der Rede einen Beleg für die These, dass Cicero für die einzelnen Teile der Velleius-Rede verschiedene Vorlagen benutzt hat und ihm in der großen Eile seiner Bearbeitung keine Glättung der Passage durch Einfügen erklärender Zwischenverweise, durch die Tilgung der vermeintlichen Doppelungen oder durch eine stärkere Harmonisierung der disparaten Einzelteile geglückt sei.17 Wenn die ältere Forschung über die kompositorischen Mängel hinaus auch inhaltliche Unschärfen oder gar Fehler im Widerlegungs- oder Lehrteil auffinden wollte, so sah

9 10 11

12 13 14 15 16 17

Vgl. Cic. nat. deor. 1,30. Vgl. Cic. nat. deor. 1,36. Vgl. Philippson 1939b, 16, der genau jene fehlende sprachliche Verknüpfung der beiden Unterpunkte als Ausgangspunkt seiner quellenkritischen Analyse wählt. Auch Schwenke 1879, 51 f. sieht ein Hauptproblem der Velleius-Rede in der mehrfach vorkommenden Polemik gegen Platon und die Stoa. Vgl. Colish 1985, 113 f. für einen Überblick über Velleius’ polemische Bezugnahmen auf die Stoa. Vgl. Cic. nat. deor. 1,52. Vgl. Cic. nat. deor. 1,53. Vgl. Cic. nat. deor. 1,54 f. Vgl. Schwenke 1879, 51 f. paradigmatisch für die ältere Quellenforschung. Vgl. Süss 1952, 428, der dort diese Tendenz der älteren Forschung bündelt und seinerseits der Kritik aussetzt. Vgl. Philippson 1939b, 16 („Schon das läßt vermuten, Cicero folge hier zwei irgendwie verschiedenen Vorlagen, ohne sie in der Eile, mit der er auch nach anderen Beweisen der Flüchtigkeit diese Schrift verfaßt hat, in Verbindung zu bringen.“), der dieser von ihm beobachteten Doppelung mit quellenkritischen Untersuchungen begegnen möchte.

166

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

sie in ihnen Mängel, die auf Ciceros vermeintlich oberflächliche philosophische Bildung und seine allzu schnelle Fertigstellung des Werkes zurückgeführt worden sind.18 Philodems „De pietate“ und die Etablierung einer quellenkritischen Lesart. Neben den Beobachtungen am Text selbst scheint die quellenkritische Herangehensweise im Falle der Velleius-Rede durch ein externes Textzeugnis eine singuläre Bestätigung zu erfahren. Als nämlich im Zuge der Entzifferung der herkulanensischen Papyri19 ein Auszug aus Philodems Schrift De pietate entdeckt wurde, der enge Berührungen mit dem doxographischen Mittelteil der Velleius-Rede20 aufweist, glaubte man zum ersten Mal einen von Cicero im Text selbst zwar nicht genannten, doch erwiesenermaßen von ihm herangezogenen Prätext gefunden zu haben, der die herkömmlichen Prämissen zu den ciceronischen Produktionsbedingungen zu bestätigen schien. In der Folge sah sich die quellenkritische Forschung berechtigt, auch jenseits dieses Fundes im Cicerotext nach weiteren immanenten Spuren und kompositorischen Spannungen nicht gesondert markierter Prätexte zu suchen und die quellenkritische Methode als legitimes Untersuchungsinstrumentarium verstärkt anzuwenden.21 Die Entdeckung des Philodem-Textes bot ihrerseits einen Ausgangspunkt für weitere quellenkritische Untersuchungen zur Velleius-Rede.22 Neben dem doxographischen Mittelteil, für den man seitdem meistens Philodems Schrift De pietate als Prätext festlegte23 und dem man zugleich Velleius’ appendixartige Abschlusskritik an der theologia

18 19 20 21 22 23

Vgl. beispielshalber Hoyer 1898, 48: „Er [gemeint Cicero, Anm. C. D.] greift vereinzelte Gedanken [erg. aus seinen Quellen, Anm. C. D.] heraus und führt sie mit mehr oder weniger Verständniss [sic!], aber mit vielen Worten an.“ Vgl. Gigante 2001b zu den herkulanensischen Papyri und ihrer Erforschung im deutschsprachigen Raum. Vgl. Cic. nat. deor. 1,25–43a. Vgl. bspw. Hirzel 1877, 1: „Die Quellenuntersuchung der philosophischen Schriften Ciceros ist durch die Auffindung des herculanensischen Fragments aus Philodems’ Schrift über die Frömmigkeit in überraschender Weise gefördert worden […].“ Vgl. für die Velleius-Rede vor allem Hirzel 1877, Schwenke 1879, Diels 1879, Reinhardt 1888, Hoyer 1898, Philippson 1939b, Kleve 1963, Obbink 2001, Obbink 2002, Essler 2011a, Essler 2011b. Für Philodems De pietate als Prätext des doxographischen Mittelteils sprechen sich Hirzel 1877, Reinhardt 1888, Obbink 2001, Obbink 2002, Essler 2011a und Essler 2011b aus; andere Untersuchungen sehen zumindest einen mittelbaren Einfluss Philodems. So erklärt Diels 1879 (und neuerdings auch Papadimitriou 2002) die Unterschiede zwischen Cicero und Philodem damit, dass beide auf dieselbe Quelle rekurrieren – nämlich auf Phaidros –, diese jedoch auf unterschiedliche Art und Weise umformen; auch Erler 1994, 328 stellt zumindest die Frage, ob Philodem und Cicero nicht beide auf eine gemeinsame Quelle rekurrieren. Philippson 1939b und Kleve 1963 hingegen vermuten, dass Cicero nicht direkt auf den Philodem-Text zurückgegriffen hat, sondern auf eine (esoterische) Epitome, die ihm allerdings direkt von Philodem angefertigt worden ist, sodass der inhaltliche Bezug zu De pietate gesichert wäre. Allerdings finden sich auch quellenkritische Untersuchungen, die ohne den Rekurs auf Philodem auskommen. Während man vor der Entdeckung der herculanensischen Papyri von Phaidros als Ciceros Bezugsautor ausging (so Phi lippson 1939b, 15 f.), geht auch nach der Entdeckung des Papyrus Schwenke 1879 davon aus, dass die Velleius-Rede auf Zenon rekurriert; auch Auvray-Assayas 1991, 52 spricht sich für

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

167

mythica beigab, blieben noch Velleius’ Anfangspolemik gegen ausgewählte Aspekte der platonischen und stoischen Theologie24 sowie die Lehrentfaltung der eigenen epikureischen Theologie übrig, deren Prätexte meist unabhängig vom doxographischen Mittelteil ermittelt worden sind; die beiden flankierenden Teile der Velleius-Rede sind dabei in aller Regel auf andere Autoren zurückgeführt worden,25 da sich für sie bei Philodem keine direkten Parallelen finden ließen und sie sich hinsichtlich ihrer argumentativen Struktur und ihres Stils signifikant vom doxographischen Mittelteil unterscheiden. Infolge dessen setzte sich in späteren Untersuchungen zur Velleius-Rede nicht eine inhaltlich begründete Zweiteilung der Rede (Widerlegung  – Lehrentfaltung) durch, sondern eine quellenkritisch begründete Dreiteilung in Anfangspolemik, Doxographie (samt der appendixartigen Kritik an der theologia mythica, die sich auch bei Philodem findet) und Lehrentfaltung, an der sich auch die vorliegende Untersuchung der Velleius-Rede aufgrund ihrer heuristischen Praktikabilität orientieren wird. Um die Art der ciceronischen Quellenabhängigkeit bzw. die Art des ciceronischen Rekurses auf Prätexte genauer bestimmen zu können, lohnt es sich, noch einmal einen Blick auf die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Philodems De pietate und Ciceros Mitteldoxographie zu werfen.26 Als wichtigste Gemeinsamkeit fällt auf,27 dass beide Texte einen Überblick über die Ansichten verschiedener Philosophen bieten und dabei nicht nur beide mit Thales beginnen und mit Diogenes von Babylon enden, sondern – soweit der überlieferungsbedingte, schlechte Zustand des Philodem-Textes diese Erkenntnis zulässt – die meisten Philosophen auch in der gleichen, chronologischen Reihenfolge präsentieren. Zudem stimmen Philodem und Cicero auch darin überein, dass beide bei der Besprechung der einzelnen Philosophen zum Teil dieselben Referenzwerke nennen und auf die gleichen Lehrinhalte rekurrieren. Zu den

24 25

26 27

Zenon als gemeinsamen intellektuellen Bezugspunkt, wenn auch nicht textuelle Vorlage für Philodem und Cicero aus. Hoyer 1898 rückt Antiochos (jedoch mit fremden Einschüben) als Quellenautor in den Vordergrund. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18–24. Lediglich Philippson 1939b und (darauf aufbauend) Kleve 1963 nehmen an, dass Philodem auch für die Anfangspolemik und die epikureische Lehrentfaltung Pate gestanden habe. Davon abgesehen postuliert Hirzel 1877, dass Cicero für die beiden übrigen Teile der Velleius-Rede auf Schriften des Epikureers Zenon zurückgegriffen habe; Schwenke 1879, 57 nimmt an, dass alle Teile der Velleius-Rede auf Zenon zurückzuführen seien; Reinhardt 1888 nimmt dies nur für den epikureischen Lehrteil an und traut Cicero für die Anfangspolemik eine eigenständige Bearbeitung zu. Gigon 1996, 345 äußert sich nicht zu einem möglichen Quellenautor, stellt jedoch die Vermutung auf, dass Anfangspolemik und Lehrentfaltung ursprünglich beieinanderstanden und von Cicero die Mitteldoxographie erst später eingeschoben worden ist (wogegen allerdings bereits Schwenke 1879 gewichtige Argumente vorgebracht hat). Vgl. Schwenke 1879, 50 f. und Philippson 1939b, 15.27.30 für die Sammlung der folgenden Argumente. Als wichtigstes Hilfsmittel zur Beschreibung der Gemeinsamkeiten erweist sich immer noch die kolumnenartige Gegenüberstellung der beiden Texte bei Diels 1879. Vgl. zudem auch die Gegenüberstellung der Gliederungen der beiden Texte bei Obbink 2001, 206 f., die die kompositorischen Gemeinsamkeiten und Unterschiede verdeutlicht.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Unterschieden zwischen beiden Texten zählt zum einen der Umstand, dass Cicero in vielen Fällen die einzelnen Philosophen deutlich knapper würdigt als Philodem und zahlreiche Umstellungen vornimmt; dazu gehören nicht nur kleinere Umstellungen innerhalb der Besprechung eines Philosophen, sondern auch Umstellungen größeren Umfangs, die auch kompositorisch von Bedeutung sind. Während beispielsweise Philodems Darstellung mit einer breiten Kritik an der theologia mythica beginnt, kürzt Cicero diese Darstellung auf wenige Sätze und stellt sie ans Ende der Doxographie. Auch lassen sich bei Cicero etliche Auslassungen und Ergänzungen feststellen.28 So verzichtet er nicht nur auf die Besprechung einzelner Philosophen, die von Philodem gewürdigt werden (wie bspw. Herakleitos oder Prodikos), sondern verzichtet auch auf die ausführliche Gesamtwürdigung der Stoa, die sich bei Philodem nach der Besprechung der einzelnen Stoiker findet. Darüber hinaus wurden auch divergierende Darstellungstendenzen bei Philodem und Cicero bemerkt. Gerade anhand des Vergleichs der jeweiligen Modellierung der Stoiker, deren Ansichten im vorhandenen PhilodemText besonders gut erhalten sind,29 lässt sich zeigen, dass Velleius’ Rede einen deutlich polemischeren Tonfall aufweist als der Philodem-Text, der eher wie eine objektive Doxographie wirkt.30 Schließlich befinden sich beide Texte in ganz unterschiedlichen Kontexten. Während Ciceros Velleius eine Darstellung des Ansatzes und der Inhalte der epikureischen Theologie vornehmen möchte und dafür auch dezidiert physikalische Fragestellungen abarbeitet, behandelt Philodem in De pietate die Frage nach der rechten Frömmigkeit des Menschen. Diese Gemeinsamkeiten und Unterschiede, die bereits seit längerem bekannt sind, stellten die ältere Quellenforschung vor ein Dilemma. Während einerseits die Gemeinsamkeiten als so deutlich ausgeprägt empfunden worden sind, dass eine Abhängigkeit der beiden Texte voneinander schwer zu leugnen war, traten andererseits jedoch die Unterschiede zwischen Philodem und Cicero so deutlich und umfangreich hervor, dass man sie nicht auf eine intentionale Bearbeitung des Textes durch Cicero zurückführen wollte, der – so die vorherrschende Annahme – seine Quellen jeweils ohne größere Modifikationen übernahm und sie lediglich ins Lateinische übersetzte. In der Folge bemühte man sich um Hilfskonstruktionen, die beiden Aspekten Rechnung tragen sollten. So nahm man entweder an, dass Philodem und Cicero die Doxographie einer gemeinsamen Quelle verdanken, oder vermutete, dass Cicero gar nicht der Philodem-Text selbst vorlag, sondern lediglich eine Epitome von De pietate, die sich in mancherlei Hinsicht vom Originaltext unterschied.

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Daher kommt van den Bruwaene 1970, 15 auch zu dem Schluss, dass die Unterschiede zwischen den beiden Texten höher einzuschätzen sind als die Gemeinsamkeiten, vor allem da seiner Ansicht nach auch mit Blick auf den erhaltenen Philodem-Text nur eine geringe Anzahl von Passagen direkte Übereinstimmungen mit Cicero aufweisen. Vgl. bspw. Obbink 2001, 214, der den Vergleich anhand der Darstellung Chrysipps vollzieht. Vgl. vor allem McKirahan 1996, 875 und Obbink 2001, 214 für diese Beurteilung.

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

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Da man Cicero im Lichte der neueren Cicero-Forschung mittlerweile jedoch durchaus eine Eigenständigkeit zutrauen darf, die sich im vorliegenden Fall als ein Kürzen, Umstellen, Ergänzen und inhaltliches Modifizieren eines Prätextes konkretisieren lassen kann, sind solche Hilfskonstruktionen nicht mehr vonnöten. Als ökonomischere These lässt sich demnach Philodems De pietate als ciceronischer Prätext plausibilisieren, welcher jedoch nicht mechanistisch als „source textuelle“ von Cicero in sein Werk integriert worden ist, sondern vielmehr als „source de réflexion“31 als die Grundlage für Ciceros eigene Darstellung und Inszenierung des Epikureers Velleius dienen konnte und von ihm im Sinne seiner skeptischen Zielsetzung vielfach überarbeitet worden ist. Dass sich Ciceros inhaltliche Bearbeitung des Philodem-Textes nicht einfach als Zunahme des polemischen Moments beschreiben lässt, soll eine eingehende Analyse ausgewählter Passagen aus der Mitteldoxographie zeigen. Es ist vor allem das Verdienst von Cl. Auvray-Assayas, gerade mit Blick auf die Velleius-Rede eine neue Fragerichtung in die Erforschung von De natura deorum eingebracht zu haben. So insistiert sie darauf, vom Paradigma der schriftlich fixierten und unverändert übernommenen Quellen abzukommen und stattdessen auch nach literarischen und philosophischen Vorbildern zu suchen, die Cicero zu einer eigenständigen Bearbeitung seines Textes angeregt haben.32 Deshalb regt sie neben der Neubewertung des Einflusses von Philodems De pietate an, stärker nach dem möglichen Einfluss von Lukrez‘ Lehrgedicht zu fragen.33 b) Der Manipulationsvorwurf: Philosophiehistorische und rhetorische Untersuchungen zur Velleius-Rede Daneben steht die Velleius-Rede auch bei philosophiehistorischen Untersuchungen jüngeren Datums in Misskredit. Ein vornehmlich negatives Urteil über den epikureischen Redebeitrag ergibt sich vor allem durch den Vergleich mit den beiden anderen epikureischen Autoren Philodem und Lukrez, die zur selben Zeit und im selben kulturellen Kontext wie Cicero schrieben, sich jedoch in vielerlei Hinsicht deutlich von ihm unterscheiden. Auch wenn Philodem und Lukrez beispielsweise in der Wahl der Sprache und der Gattungen ihrer Werke unterschiedliche Wege beschritten haben, so eint beide doch das Bestreben, den hellenistisch geprägten Epikureismus und die römi31 32 33

Vgl. Auvray-Assayas 2001a, 227 für die Begrifflichkeiten. Vgl. Auvray-Assayas 1999b, 101, wo sie noch nicht vom Konzept einer „source de réflexion“ spricht, sondern den Begriff des „modèle“ als Gegenbegriff zur „source“ vorschlägt. Vgl. Auvray-Assayas 1999b, 101, die u. a. folgende Aspekte der Velleius-Rede auf den Einfluss des Lukrez zurückführt, allerdings ohne dies mit konkreten Verweisen auf den Lukrez-Text zu belegen: Kritik an einer pantheistischen Gottesvorstellung mit Verweis auf die notwendige Teilhabe einer so verstandenen Gottheit an Verfalls- und Krankheitserscheinungen, polemischer Tonfall gegenüber allen anderen Philosophenschulen, Verehrung für Epikur.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

sche Gesellschaft näher zueinander zu bringen und zwischen diesen beiden zunächst nur schwer kompatiblen Sprach- und Denkräumen zu vermitteln.34 So konnte gerade durch die Entzifferung und Interpretation der Philodem-Papyri gezeigt werden, dass Philodem in manchen Punkten von einer dogmatisch-konservativen Lesart der Meisterworte abweicht und durch deren partielle Neuinterpretation35 gerade solche epikureischen Lehrsätze, die dem Selbstverständnis eines Mitglieds der römischen Oberschicht zuwiderlaufen, entschärft und einem neuen kulturellen Kontext anpasst.36 Im Bereich der Religion ist Philodems Versuch zu nennen, die Menschengestalt der Götter und vor allem die Vorstellung von Gestirngöttern aufgrund eines wachsenden römischen Interesses an derartigen Vorstellungen zu etablieren;37 im Bereich der Politik ist Philodems Ansatz zu erwähnen, gemäßigtes Ruhmesstreben für manche Menschen als naturgemäßes Verlangen innerhalb des Epikureismus salonfähig zu machen und politische Betätigung als Abwehr von gesellschaftlicher Unruhe und Chaos als zeitweise notwendigen Teil im Leben eines Epikureers zu rechtfertigen;38 im Bereich der Bildung zielt Philodem darüber hinaus darauf ab, eine intensivere Beschäftigung mit den artes liberales zu begründen, indem er sie als wirksames Mittel für die Propagierung der epikureischen Lehre beschreibt und ihnen als Anschauungsmaterial für die Wirkungsweisen und den Einfluss von Affekten praktischen Nutzen in der Festigung

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Vgl. Beer 2009 für eine Untersuchung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Lukrez und Philodem; in den vier Hauptkapiteln ihrer Arbeit arbeitet sie heraus, wie Lukrez und Philodem hinsichtlich ihres poetologischen, semiotischen, rhetorischen und therapeutischen Ansatzes innerhalb des Jungepikureismus zu verorten sind. Dass die beiden Philosophen hinsichtlich ihrer Zielsetzung und ihrer Auffassung über die Dichtung übereinstimmen, zeigt bereits Arrighetti 2001. Vgl. darüber hinaus zur „Einbürgerung des Epikureismus in Rom“ den Überblick bei Erler 1994, 363–380 und Sedley 2009, daneben aber auch Kimmich 1993 sowie Malitz 2012 zur Frage nach der Vereinbarkeit eines römischen Politikerlebens mit einem Bekenntnis zum Epikureismus. Mit Recht betont Erler 1992a, 309, dass derartige Neuinterpretationen „zwar subjektiv offenbar nicht als Abweichung von der Orthodoxie gewertet wurden, […] objektiv aber doch als Aspektverschiebungen und Versuche gedeutet werden können, sich den Wertvorstellungen anzupassen.“ Weiterführend auch Erler 1993, der urteilt, dass in den Weiterentwicklungen des Kepos dem „subjektiven Streben nach Orthodoxie objektive Originalität gegenübersteht“ (ebd. 301), womit sich eine philosophiehistorische Parallele zwischen dem Platonismus und dem Epikureismus ergibt. Dass Begriffe wie „Orthodoxie“ und „Originalität“ in diesem Lichte kritisch und nachgerade anachronistisch scheinen, stellt Erler 1993, 301 f. dabei mit Recht fest. Vgl. Gigante 1999 für einen Gesamtblick auf Philodem, seine Zielsetzung und seine Verortung innerhalb der römischen Kultur- und Geisteswelt sowie Dorandi 1992 für einen Überblick über Philodems Leben und Werk. Vgl. dazu vor allem Erler 1992a, 311–314 sowie Erler 1992b, 192–195; zu Philodems theologischer Schrift De dis vgl. Erler 1992a, 314 und Erler 1992b, 195, der danach fragt, ob es sich hierbei um Philodems Antwort auf Ciceros De natura deorum handelt, sowie Essler 2011a, der nach dem Grad und der Art der Übereinstimmung zwischen Ciceros De natura deorum und Philodems De dis fragt. Vgl. grundlegend zur epikureischen Theologie Essler 2011b, der dafür vor allem auf Ciceros De natura deorum und Philodems De pietate rekurriert. Vgl. Erler 1992a, 314–317 sowie Erler 1992b, 195–198 und ausführlich (mit Blick auf Philodems Schrift De bono rege) Fish 2011.

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

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der eigenen philosophischen Haltung zugesteht;39 im Bereich der Ethik schließlich erklärt Philodem den natürlichen, kurzen Zorn des Menschen als naturgemäße Reaktion auf äußere Umstände und bewertet ihn dabei sogar als Gut;40 darüber hinaus öffnet er sich auch einem breiteren Feld von Erwerbs- und Verdienstmöglichkeiten für Philosophen.41 Am Beispiel des Lukrez kann zudem gezeigt werden, welches Potential die epikureische Heilslehre42 gerade für das von Bürgerkriegen geplagte Rom entfaltet43 und welche sprachlichen, literarischen und intellektuellen Anstrengungen ein epikureischer Autor auf sich nimmt, um einer gebildeten Oberschicht die physikalischen Grundlagen des Epikureismus näherzubringen44 und dabei zugleich in der Gattung des Lehrgedichts literarische Pionierarbeit zu leisten.45 Mit Recht gelten Philodem und Lukrez der jüngeren Forschung daher als positive Beispiele, anhand derer sich eine dogmatische Weiterentwicklung, sprachliche Anpassung und kulturelle Adaption des Epikureismus an die gesellschaftlich-kulturellen Bedingungen des römischen Reiches im ersten Jahrhundert vor Christus beobachten lassen.

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Vgl. Erler 1992a, 317–319; vgl. darüber hinaus auch Erler 1992b, 177–187, Erler 2012, 83–89 und vor allem Erler 2006, 246–256, wo die bei Philodem fassbare Aufwertung von Bildungsgütern, allen voran von Literatur, als Methode beschrieben wird, mit deren Hilfe der Leser seine theoretisch erworbenen philosophischen Kenntnisse, bspw. über die Affekte, anwenden und festigen kann (dort auch mit Bezügen zu Lukrez, dessen poetologischer Anspruch sich mit Philodems Aussagen besser kontextualisieren lässt; zudem bietet Erler 2006, 252–255 auch eine Erklärung, wie sich Lukrezens Pestschildungerung am Ende seines Werkes als eine solche finale Konfrontation, d. h. als ein finaler Test für den epikureisch instruierten Leser, verstehen lässt). Dass gerade Cicero den engen Konnex von (epikureischer) Philosophie und (neoterischer) Dichtung in Philodems Umfeld kritisiert, macht Tilg 2006 mit Blick auf Cic. Tusc. 3,45 (cantores Euphorionis) plausibel. Vgl. Erler 1992b, 187–192. Vgl. Erler 2012, 81–83. Vgl. Fauth 1973 und Maier 1984 zur Akzentuierung von Lukrez als Erlöser vor allem mit Blick auf Lucr. 3,1–30. Vgl. grundlegend Fowler 1989 für Lukrezens Bezüge zur römischen Politik. Vgl. darüber hinaus auch Schiesaro 2007 für den Versuch, Lukrezens politische Stoßrichtung zu rekonstruieren, die er mit seinem Lehrgedicht verfolgt; dafür berücksichtigt Schiesaro nicht nur diejenigen Passagen, die eindeutig auf den Bürgerkrieg abzielen, sondern fragt danach, welche politischen Folgen sich aus der lukrezischen Darstellung ergeben. Vgl. zuletzt v. a. Sedley 1998 für den Versuch, Lukrezens mehrdimensionale Übersetzungsleistung zu kategorisieren und zu analysieren; vgl. für die Frage nach der Kompatibilität der bei Lukrez vorfindlichen epikureischen Theologie und der römischen Religion Hadzsits 1918, Sier 1998 (zur Deutung des Venus-Hymnus), Cottier 1999 sowie Erler 1994, 451 zu Lukrezens grundsätzlicher Zurückhaltung gegenüber ausgelebter Religiosität. Mit Recht spricht sich Asmis 2016 dagegen aus, einen Gegensatz zwischen epikureischem Lehrinhalt und poetischer Darstellung zu sehen; vielmehr plädiert sie dafür, in der Form des Lehrgedichts ein Mittel zu sehen, mit dessen Hilfe dem Leser eine Art philosophisches Bekehrungserlebnis angebahnt werden soll. Vgl. zur Verortung des lukrezischen Lehrgedichts innerhalb des antiken Epos die kleine Studie von Gale 2001 sowie zur Einordnung des Lukrez in den Epikureismus de Lacy 1949. Inwiefern Cicero direkt von Lukrez beeinflusst worden ist, fragen bspw. TrencsényiWaldapfel 1958 und Pucci 1966.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Vergleicht man diese Tendenzen mit Ciceros Darstellung des Epikureismus, so lassen sich bei ihm nur wenige Spuren davon finden. Die jüngere philosophiehistorische Forschung wirft Cicero deshalb vor, in seinen Schriften nicht den aktuellen Stand der epikureischen Lehrentwicklung römischer Couleur abgebildet zu haben, sondern durch seine Fixierung auf einen eher konservativen, hellenistisch geprägten Epikureismus46 dessen strukturelle Inkompatibilität mit römischem Denken auf die Spitze getrieben zu haben und ihn dadurch für römische Rezipienten weniger attraktiv erscheinen zu lassen. Im Falle des Epikureismus gehe es Cicero daher nicht um eine ausgewogene und vornehmlich sachlich-informierende Darstellung; vielmehr zeige dessen Erscheinungsbild in Ciceros Philosophica bestenfalls Ciceros Desinteresse an einer ihm wenig attraktiv erscheinenden Schule, deren für römische Augen mitunter problematische Lehransichten er nicht durch die Vermittlung einer zeitgenössischen Lehrentwicklung abfedern möchte. Stattdessen lasse er durch die Darstellung einer konservativen Epikur-Interpretation die Unvereinbarkeit dieser Lehre mit der römischen Welt umso deutlicher hervortreten.47 Andere Forschungspositionen urteilen noch härter und unterstellen Cicero sogar eine manipulative Kampagne, die die römischen Leser aufgrund von Ciceros subjektiver Ablehnung des Epikureismus48 von vorneherein davon abbringen soll, die epikureische Position als ernsthafte Alternative anzusehen.49 Cicero beschränke sich in De natura deorum nämlich nicht nur darauf, einen längst vergangenen Lehrstand des Epikureismus zu verbreiten, sondern schrecke nicht einmal davor zurück, gewisse epikureische Positionen übergebührlich zu überzeichnen und sogar fehlerhafte Aussagen in seine Darstellung einzuflechten, die die epikureische Position unvorteilhafter erscheinen lassen.50 Diese bewusste Missdeutung diene dazu, dass der akademische Gegenredner die epikureische Position in seiner Widerlegung korrigieren könne,51 sodass der epikureische Redner dadurch als eine Figur erscheine, die nicht einmal in der Lage ist, ihre eigene Lehre adäquat darzustellen. Auch die allzu kurze Darstellung der epikureischen Theologie, die die Behandlung etlicher Spezialfragen vermissen lässt

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Vgl. Erler 1992a, 317, der in diesem Sinn von Ciceros „Fixierung auf den Meister der Schule“ spricht. Vgl. grundlegend auch Maslowski 1974 für einen chronologischen Überblick über „Cicero’s anti-Epicureanism“ (ebd. 55). Vgl. dazu FitzGerald 1951, der Ciceros „impatience in explaining a system of thought for which he had so little sympathy“ (ebd. 196) als ausschlaggebendes Motiv seiner (unbeabsichtigt) tendenziösen Darstellung herausarbeitet. Vgl. Maso 2015, 25–46 zu Ciceros persönlicher Haltung gegenüber dem Epikureismus. Vgl. hierfür vor allem Schäublin 1990, 95, der betont, dass Velleius es seinem skeptischen Gegenredner nicht besonders schwer macht, sowie Erler 1992a, McKirahan 1996 und Spahlinger 2005, 73 f. Vgl. Erler 1992a, 321, der Ciceros in fin. 2,67 geäußertes Urteil, dass „Geschichte und geschichtliche exempla im Kepos keine Rolle spielten“, mit Blick auf Philodem und Lukrez als fehlerhaft erweist. So etwa Maso 2015, 14.

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

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und den Epikureismus dadurch als intellektuell nicht satisfaktionsfähig erscheinen lässt, wird auf eine polemische Intention Ciceros zurückgeführt.52 Dazu gehört auch die Kritik an Velleius’ Mitteldoxographie, die in weiten Teilen keine objektive, philosophiehistorische Darstellung bietet, sondern durch einen polemischen Ton geprägt ist und Velleius’ epikureisch gefärbte Bewertung der Philosophiegeschichte präsentiert.53 Diese Kritik zielt nicht nur auf die Velleius-Rede in De natura deorum, sondern auch auf die Darstellung der epikureischen Position in De finibus bonorum et malorum, die Cicero dem Torquatus überträgt.54 Im Fall von De natura deorum scheint die philosophiehistorische Kritik jedoch nicht nur besonders scharf auszufallen, sondern erweist sich als umso problematischer, da sich Cicero im Proömium dieser Schrift dezidiert für eine andere Art und Zielsetzung seiner philosophischen Darstellung ausgesprochen hatte. Der Widerspruch zwischen Ciceros auktorialen Aussagen im Proömium und seiner Personen- und Redegestaltung innerhalb des eigentlichen Dialogs wird dabei meistens dahingehend aufgelöst, dass man das Proömium nicht als hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis des Werkes auffasst, sondern sich vielmehr von Ciceros dortigen Äußerungen freimachen möchte, da man sie nicht als Mittel der Leserführung, sondern der Lesermanipulation deutet. Ciceros im Proömium geäußerter Anspruch, die einzelnen Philosophen innerhalb des Dialogs selbst zu Wort kommen zu lassen und dem Leser dadurch einen unverfälschten Blick auf deren Ansichten zu gewähren, verkommt in dieser Lesart somit zu einem bloßen Lippenbekenntnis Ciceros, welches seine Rezipienten in einer trügerischen Sicherheit wiegen und sie, ohne dass sie selbst es merken, zu einer Ablehnung der epikureischen Theologie führen soll.55 Cicero schrecke deshalb auch nicht davor zurück, Velleius noch vor Beginn sei-

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So etwa Gigon 1996, 336, der sogar so weit geht zu betonen, dass selbst Epikur sich differenzierter über die Götter geäußert habe. Vgl. etwa McKirahan 1996, 868 f. mit einem kurzen Überblick über die ältere Forschung, die den philosophiehistorischen Wert der Mitteldoxographie in Frage stellt. Vgl. darüber hinaus auch Classen 2010, 201 f.205 f., der die These entfaltet, dass Velleius vorgibt, von einem neutralen Standpunkt aus auf die Philosophiegeschichte zurückblicken zu wollen. Eine solche Zielsetzung äußert er jedoch nirgends, sondern betont von Beginn an, dass er die Philosophiegeschichte als eine Geschichte des epistemologischen Scheiterns darstellen wird. Vgl. für De finibus etwa das Urteil bei Erler 1992a, 320: „Cicero ist die eigentliche Position also wohlbekannt. Doch ist er offenbar nicht bereit, auf sie einzugehen. Mehr noch: Er glaubt offenbar, Epikurs Auffassung besser zu kennen als die Vertreter seiner Lehre selbst. In De finibus jedenfalls läßt er gerade gegenüber dem Kepos eine Haltung erkennen, die nicht so recht zu seiner andernorts beanspruchten Toleranz passen will.“ Ähnlich auch Classen 2008, 175, der die Art und Weise, wie Torquatus in De finibus von Cicero angegriffen wird, mit Ciceros Umgang mit Prozessgegnern in seinen Reden vergleicht. Ciceros manipulative Strategie, die seine Rezipienten vom Epikureismus abbringen solle, lasse sich laut Erler 1992a, 320 f. damit erklären, dass Cicero damit dem Erstarken eines romanisierten Epikureismus innerhalb der römischen Oberschicht entgegentreten wollte, freilich ohne eine wirkliche philosophische Auseinandersetzung zu suchen. Unter anderem aus Ciceros zunehmender Polemik gegen den Epikureismus schließt Erler 1992b, 176, dass sich der Epikureismus immer

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

ner Rede zu diskreditieren,56 die epikureische Rede mit falschen und missverständlichen Äußerungen zu füllen57 und solche Einflussnahmen durch doxographische Formelemente zu kaschieren, die dem Leser den Eindruck einer objektiv-informierenden Darstellung vermitteln sollen.58 Gemäßigtere Positionen sehen indes keinen scharfen Gegensatz zwischen dem Objektivitätsanspruch des Proömiums und der tendenziösen Gestaltung der epikureischen Rede, da sie andere Passagen des Proömiums stärker gewichten und den im Proömium formulierten Objektivitätsanspruch außen vor lassen.59 Sie weisen stattdessen vor allem auf den Beginn des Proömiums hin, in dem Cicero all diejenigen Positionen, die von untätigen Göttern ausgehen, als gesellschaftlich-politische Gefahr kennzeichnet, sowie auf das Ende des Proömiums, wo Cicero deutliche Kritik an der pythagoreischen auctoritas-Gläubigkeit äußert.60 Diese beiden Passagen werden dabei als ciceronische Ankündigungen verstanden, mit denen der Leser von Beginn an darauf vorbereitet werde, dass der Epikureismus im Folgenden nicht wertfrei, sondern pejorativ dargestellt werden wird. Kritisch bleibt dagegen anzumerken, dass eine stärkere Gewichtung dieser Passagen das grundsätzliche Spannungsverhältnis mit dem Objektivitätsanspruch nicht löst, sondern schlichtweg ignoriert; außerdem werden hierbei die beiden Proömiumspassagen allzu eindeutig auf die epikureische Position hin ausgedeutet. Wie bereits gezeigt worden ist, wird in beiden Fällen der Epikureismus nicht als Beispiel genannt. Vielmehr geht es Cicero hier darum, seinen Lesern allgemeine Kriterien mitzuteilen, mit deren Hilfe sich die im Folgenden vorgestellten Positionen auf ihre epistemologische Plausibilität und ihre politische Eignung hin überprüfen lassen. Die beiden Lesehinweise vorschnell und ausschließlich auf den Kepos zu beziehen, greift zu kurz, da es sich hier um Lesehinweise handelt, die durchaus auch auf andere philosophische Strömungen und einzelne Lehrsätze bezogen werden könnten.

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größerer Beliebtheit erfreute und gerade aufgrund der durch Philodem und Lukrez etablierten Lehranpassungen für eine wachsende Zahl an Römern attraktiv wurde. Vgl. dazu Classen 2010, 196 f., der hervorhebt, dass Cicero bereits in der auktorialen Einführung des Velleius dem Leser ein wenig schmeichelhaftes Bild des Epikureers vermittle: Tum Velleius fidenter sane, ut solent isti, nihil tam verens quam ne dubitare aliqua de re videretur, tamquam modo ex deorum concilio et ex Epicuri intermundiis descendisset, „Audite“, inquit, „[…].“ (Cic. nat. deor. 1,18). So etwa Papadimitriou 2002 mit Blick auf Fehler und Missverständnisse in Cic. nat. deor. 1,25–41. McKirahan 1996, 877 f. hingegen eröffnet die Möglichkeit, dass Cicero doxographische Fehler bewusst eingebaut haben könnte, um seine gebildeten Leser zur Überprüfung an den griechischen Originalen anzuregen und dadurch Velleius’ doxographisches Unvermögen zu erkennen. Auch wenn McKirahans Deutung hier widersprochen werden soll, so ist sein methodischer Ansatz, Textbeobachtungen nicht auf Ciceros Unvermögen zurückzuführen, sondern als bewusste Inszenierungsstrategien zu begreifen, zu begrüßen. Vgl. zur Mitteldoxographie und einem detaillierten Vergleich mit Philodem Obbink 2001. Vgl. dazu etwa Colish 1985, 111: „The De natura deorum is one of those works in which a hidden agenda lies behind the veil of apparently objective doxography.“ Vgl. dazu vor allem FitzGerald 1951 sowie Schäublin 1990, 93 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,3–4a.10.

1. Überblick über den Aufbau der Rede und deren bisherige Behandlung in der Forschung

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Unterstützung erfährt eine kritische Lesart der epikureischen Reden durch sprachlich-rhetorische Untersuchungen der Redebeiträge in Ciceros Dialogen, die im Zuge des „rhetorical approach“ Ciceros Eigenleistung gerade dort suchen wollten, wo man sie dem Redner Cicero sowohl mit Blick auf seine theoretische Beschäftigung mit der Rhetorik als auch auf seine eigenen rhetorischen Erfahrungen zutrauen konnte. Cicero erscheint in solchen Untersuchungen jedoch nicht als ein Autor, der das vermeintlich spröde Material, welches er hellenistischen Lehrbüchern entnommen habe, mithilfe der Rhetorik seinen Lesern besser verständlich gemacht hat.61 Vielmehr beklagt man Ciceros intensiven Einsatz forensischer Rhetorik, die sich sowohl in den epikureischen Reden als auch in den skeptischen Gegenreden finden lässt. Im Falle des Velleius (bzw. Torquatus) diene die Rhetorisierung des dogmatischen Beitrages dazu, den Lesern zu demonstrieren, dass die epikureischen Redner nicht in der Lage seien, die Sprache des philosophischen Diskurses anzuwenden („überzeugen“), sondern marktschreierisch auf billige Überwältigungsstrategien („überreden“) setzen müssten, um ihre diskursive Unfähigkeit zu überspielen.62 Der allzu dominante Einsatz rhetorischer Mittel vor allem aus dem Bereich der Polemik63 führe dazu, dass Velleius nicht als typischer Epikureer gezeichnet wird, für den eine gewisse polemische Grundhaltung durchaus charakteristisch wäre, sondern durch eine starke Überzeichnung des polemischen Moments der Lächerlichkeit preisgegeben wird.64 Cicero entwerfe ein karikierendes Spottbild,65 dessen „arrogantes und rechthaberisches Wesen“66 durch diese Art der Inszenierung betont werden solle. Auch im Falle der skeptischen Gegenreden entdeckte man einen überraschend starken Einsatz rhetorischer Mittel, wertete ihn jedoch meist anders aus. So diene die Verwendung rhetorischer Strategien hier nicht dazu, den skeptischen Gegenredner zu desavouieren. Vielmehr würden sie von Cicero bewusst eingesetzt, um den skeptischen Gegenredner zu stärken und ihn in die Lage

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Vgl. Leonhardt 1999, 89–95 grundsätzlich zur Problematik der rhetorischen Analyse von Reden in Ciceros philosophischem Werk. Auf den Gegensatz von aggressiv-destruktiver Form der Velleius-Rede und eigentlich im Proömium angekündigter, instruktiver Funktion der einzelnen Philosophenreden zielt auch Classen 2010, 206 f. ab, der daraus die polemische Funktion der Velleius-Rede ableitet, mit der Cicero die epikureische Position von Grund auf diskreditieren möchte. Classen 2008, 175 wertet bereits die Grobgliederung der Rede in diesem Sinne aus („giving the impression as if Epicurus and his school were primarily interested in attacking others rather than disproving their views“). Vgl. McKirahan 1996, 877 f. So auch Clausen 1975, der die Ergebnisse aus der älteren Quellenforschung mit einer rhetorischen Analyse der Rede verbindet und zeigen möchte, dass Cicero das von ihm vorgefundene Material derart zusammenstellt und überzeichnet, dass es schließlich zur Karikatur eines epikureischen Philosophen verkomme. Classen 2008 kommt vor allem durch einen Vergleich mit Lukrezens Argumentationsmethode zu dem Ergebnis, dass Cicero in De natura deorum die epikureische Position auf vielfache Weise nicht nur kritisiert und lächerlich macht, sondern ihr keinerlei Möglichkeit einräumt, als ernstzunehmender Beitrag verstanden zu werden. Gigon 1996, 336.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

zu versetzen, die epikureische Position mit allen Mitteln zu schlagen. Dabei schrecke er allerdings auch vor Strategien nicht zurück, die zwar bei der Anklage vor Gericht gang und gäbe seien, auf dem Gebiet der Philosophie jedoch abzulehnen seien, da sie beispielsweise durch den Einsatz von ad personam-Argumenten oder dem bewussten Überzeichnen oder Missverstehen von Positionen eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den philosophischen Inhalten verhinderten und auf einen oberflächlichen Sieg setzten, nicht jedoch auf eine substantielle Kritik an bestimmten dogmatischen Positionen oder an fragwürdigen Einzelpunkten aus deren Lehre abzielten und daher nicht im Dienste der Wahrheitssuche stünden.67 c) Zielsetzung und Methodik der Untersuchung Die nachfolgende Untersuchung möchte zeigen, dass es sich bei der Velleius-Rede um eine kohärente Rede handelt, die nicht aus zusammenhangslosen Einzelblöcken, Dubletten oder allzu knappen und fehlerhaften Ausführungen besteht, sondern einen stringenten Gesamtaufbau aufweist. Mit Blick auf die verschiedenen Argumentationsformen, die Velleius in den unterschiedlichen Teilen seiner Rede verwendet, soll zudem gezeigt werden, dass es Cicero nicht darum geht, die epikureische Position von vorneherein zu diskreditieren oder in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. Vielmehr handelt es sich um einen Redebeitrag, der mit Recht den Auftakt des Werkes bildet, den Leser auf verschiedene Weisen in das religionsphilosophische Thema einführt und in mancher Hinsicht die Möglichkeit eröffnet, den beiden zentralen Leseaufforderungen des Proömiums nachzukommen und den epikureischen Beitrag auf seine epistemologische Stringenz und politisch-kultische Tragfähigkeit hin zu prüfen. 2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil a) Umrahmung des polemischen Hauptteils als kohärenzstiftendes Mittel Gegen die Kompilationsthese kann zuvörderst die Beobachtung ins Feld geführt werden, dass sich die Struktur des Widerlegungsteils bei einer genaueren Analyse als eine wohldurchdachte, geschlossene Komposition auf mehreren Ebenen erweist. So werden zunächst dessen Auftakt und Abschluss inhaltlich wie sprachlich durch eindeutige Signale aufeinander bezogen. Beide Randstücke eint nämlich ringförmig Velleius’ Be67

Vgl. dazu vor allem Schäublin 1990, der Cottas Gegenrede im ersten Buch von De natura deorum unter diesem Gesichtspunkt analysiert und zu dem Ergebnis kommt, dass Cotta inhaltlich oftmals keine substantielle Auseinandersetzung mit den epikureischen Thesen sucht: „Aussage steht im Kern gegen Aussage, was lediglich durch moralisches Pathos verdeckt wird“ (ebd. 97).

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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wertung der anderen, d. h. nicht-epikureischen religionsphilosophischen Aussagen als lediglich von Menschen erfundene Geschichten, die mit der philosophischen Wahrheit nichts zu tun hätten. Während sich der pejorative Fiktionalitätsbezug zu Beginn von Velleius’ Ausführungen als scharfe, publikumswirksame68 Polemik gegen gewisse Ansichten Platons und Zenons realisiert, welche Velleius zufolge mehr mit Märchen als mit der Philosophie zu tun hätten,69 endet der erste Hauptteil der epikureischen Rede mit dem Verweis auf die tatsächlichen, von Dichtern verfassten Mythen, die von Göttern erzählen, welche sich hinsichtlich ihrer Leidenschaften und moralischen Verfehlungen in keiner Weise von den Menschen unterscheiden und es daher nicht verdienten, als Götter bezeichnet zu werden.70 Sprachlich-formal wird dieser Konnex zwischen dem Beginn und dem Abschluss des Widerlegungsteils dadurch unterstützt, dass sich zentrale Schlagwörter wie somnia und portenta, mit denen die gegnerischen Ansichten bezeichnet werden, in variierender lexikalischer Realisation, zum Teil sogar in ähnlicher syntaktischer Struktur71 als Marker jeweils am Anfang72 und am Ende73 des Widerlegungsteils finden. Diese Gleichsetzung verbindet die Legenden der Dichter und die Lehren der akademisch-stoischen Philosophen durch deren vermeintlich gemeinsamen Fiktionalitätsrekurs miteinander und wertet dadurch die Theorien der beiden Philosophenschulen radikal ab. Während sich nämlich die Dichter sowie deren Publikum der Fiktionalität der Mythen idealiter bewusst sind74 und diese als genuinen, intendierten Bestandteil mythologischer Geschichten anerkennen und goutieren können, versteht sich die antike Philosophie in gewisser Weise wenn nicht als Gegen-, dann doch zumindest als Alternativbewegung,75 welche die Gegebenheiten der Welt nicht durch die 68 69 70 71 72 73 74 75

Vgl. Dyck 2003, 75: „The polemical prologue […] captures the reader’s interest and at the same time singles out from the mass of predecessors and focuses attention on the two principal rival schools, Plato’s Academy and the Stoa.“ Bezeichnenderweise sind dies gerade die ersten Worte von Velleius’ Rede: „Audite“, inquit, „non futtilis commenticiasque sententias […]“ (1,18b). Vgl. Cic. nat. deor. 1,42, wo diese Gleichsetzung explizit kenntlich gemacht wird: Exposui fere non philosophorum iudicia, sed delirantium somnia. Nec enim multo absurdiora sunt ea, quae poetarum vocibus fusa ipsa suavitate nocuerunt […]. So fällt auf, dass sowohl in Cic. nat. deor. 1,18b als auch in 1,42 der Gegensatz zwischen philosophischen Ansätzen und mythologischen Erzählungen durch eine direkte, antithetische Gegenüberstellung ausgedrückt wird. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b: portenta et miracula non disserentium philosophorum, sed somniantium. Vgl. Cic. nat. deor. 1,42: Exposui fere non philosophorum iudicia, sed delirantium somnia bzw. 1,43: Cum poetarum autem errore coniungere licet portenta magorum Aegyptiorumque in eodem genere dementiam […]. Vgl. Stroh 2010, 12 für den Nachweis, dass das gebildete römische Publikum in aller Regel die Mythen als erfundene Geschichten zu seiner Unterhaltung, nicht als rationale Erklärungsmodelle rezipiert. Vgl. Leidhold 2006 sowie Stapelfeldt 2007, 52–80 für eine Beschreibung des spannungsvollen Verhältnisses von Mythos und Logos, theologia mythica und philosophia, die neben einem Dualismus auch wechselseitige Bezüge zeigt.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

eigene Phantasie transzendieren und erweitern, sondern mithilfe der eigenen Vernunft methodisch kontrolliert verstehen und erklären möchte. Da sich, wie bereits Nestle gesehen hat, in aller Regel „das mythische Denken durch den völligen Mangel einer Prüfung seiner Vorstellungen an der Wirklichkeit, also einer Abgrenzung von Schein und Sein“76 auszeichnet, zielt Velleius’ Polemik auf den Vorwurf ab, dass die Akademie sowie die Stoa ihre Theorien nicht durch kritisches Nachforschen und Nachprüfen im Sinne einer verantwortungsvollen epistemologischen Arbeitsweise verifiziert haben und somit kein fundiertes Wissen, sondern lediglich ein beliebig anmutendes Fürwahrhalten für sich in Anspruch nehmen können. Inhaltlich stellt diese Rahmung von Auftakt und Ende der Passage die dazwischen liegenden Ausführungen damit unter das Vorzeichen der epistemologischen Zweifel an anderen religionsphilosophischen Entwürfen, die im Laufe des Widerlegungsteils auf verschiedene Weise sprachlich-formal wie inhaltlich umgesetzt werden. Bereits an dieser Stelle kann festgehalten werden, dass der Widerlegungsteil der Velleius-Rede durch seine äußere Verzahnung als geschlossener Angriff erscheint, dessen Gedankengang sich klimaktisch von der Auseinandersetzung mit philosophischen Ansichten, die für Velleius wie Mythen wirken, hin zu einer Auseinandersetzung mit tatsächlichen Mythen entwickelt und alle nicht-epikureischen Ansichten mit dem Vorwurf der epistemologischen Unredlichkeit kritisiert. b) Gliederung und Kohärenz der Anfangspolemik Der expositorische Auftaktsatz der Anfangspolemik. Der Auftaktsatz der Velleius-Rede in 1,18b erfüllt in mehrfacher Hinsicht die Rolle einer Exposition für den ersten Teil der Widerlegungsrede: Audite, inquit, non futtilis commenticiasque sententias, non opificem aedificatoremque mundi Platonis de Timaeo deum, nec anum fatidicam Stoicorum Pronoeam, quam Latine licet Providentiam dicere, neque vero mundum ipsum animo et sensibus praeditum, rutundum, ardentem, volubilem deum – portenta et miracula non disserentium philosophorum, sed somniantium.

Zunächst erfährt der Leser hier die Zielsetzung, die Velleius nicht nur mit der Anfangspolemik, sondern mit dem gesamten Widerlegungsteil seiner Rede verbindet. So wird deutlich, dass es ihm darum gehen wird, die konkurrierenden religionsphilosophischen Ansichten als epistemologisch fragwürdig zu erweisen. Diese Zielsetzung umrahmt den Auftaktsatz der Anfangspolemik, indem Velleius die anderen religionsphilosophischen Entwürfe zunächst mit dem Hendiadyoin futtilis commenticiasque77 76 77

Nestle 1942, 2. Das Verhältnis der beiden Adjektive zueinander lässt sich am besten so erklären, dass Velleius mit dem vorausgehenden Adjektiv futtilis die gegnerischen Ansichten resultativ als unzuverlässig

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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abwertet und sie am Ende des Satzes in einer Art explikativen Epiphrase mit dem substantivischen Hendiadyoin portenta et miracula beschreibt, welches wiederum die Nähe der nicht-epikureischen religionsphilosophischen Entwürfe zu Märchen und Legenden verdeutlicht. Durch eine derart stärker metaphorische Ausdrucksweise78 und die Gleichsetzung solcher Philosophen mit Träumenden wird die Kritik am Ende des Auftaktsatzes intensiviert. Bereits dadurch wird dem Leser deutlich gemacht, dass die gesamte inhaltliche Auseinandersetzung unter dem Vorzeichen einer epistemologisch begründeten und rhetorisch ausgefeilten Kritik stehen wird. Der nochmalige Rekurs auf diesen Gedanken innerhalb der Anfangspolemik, genauer gesagt bereits dessen Wiederaufnahme nach dem ersten Unterpunkt der Rede, in dem Velleius den Vorgang der Weltenerschaffung durch Götter problematisiert,79 sorgt für eine rasche Wiederholung dieses epistemologischen Leitmotivs, das sich dadurch dem Leser schnell einprägt. Diese exponierte Bewertung der anderen Philosophenschulen umrahmt eine inhaltliche Vorentlastung der Anfangspolemik, die sich im Mittelteil des Auftaktsatzes findet. Dem Leser werden dort mit der Frage nach der göttlichen Erschaffung der Welt sowie der Frage nach der Koinzidenz von Schöpfer und Schöpfung die beiden Themen präsentiert, denen sich Velleius im Folgenden widmen wird. So zeigt Cicero dem Leser damit an, dass sich Velleius’ Anfangspolemik zunächst mit der Frage nach der Rolle der Götter bei der Erschaffung der Welt (creatio prima) beschäftigen wird, die Velleius sowohl in ihrer platonischen (non opificem aedificatoremque80 mundi Platonis de Timaeo deum) als auch in ihrer stoischen Ausprägung (anum fatidicam Stoicorum Pronoiam, quam Latine licet Providentiam dicere)81 kritisieren wird. Auf sie folgt

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und unnütz (vgl. TLL 6/1,1662,63–1663,10 s. v. futtilis i. S. v. vanus, inanis, inutilis oder mendax) beschreibt, während er mit dem zweiten Adjektiv commenticius eine Begründung für dieses Urteil anführt, indem er sie als bloße Erfindungen abtut, die nicht den Anspruch erheben können, die Wirklichkeit abzubilden und Wahrheit für sich zu beanspruchen (vgl. TLL 3,1862 f. s. v. commenticius i. S. v. fictus, confictus oder ementitus). Vgl. TLL 10/2,19,39–20,14 s. v. portendo für den metaphorischen bzw. metonymischen Gebrauch von portentum, mit dem all das bezeichnet werden kann, was sich entweder gegen die mores richtet oder der Wahrheit widerspricht. Vgl. Cic. nat. deor. 1,19 a. E.: quae talia sunt, ut optata magis quam inventa videantur. Die Antithese von optata und inventa greift chiastisch das Gegensatzpaar der philosophi disserentes und philosophi somniantes auf. Das Verhältnis der beiden Substantive zueinander lässt sich hier am besten als Moment der Steigerung bzw. Konkretisierung beschreiben, das vom einfachen opifex (jemand, der ein opus verfertigt) hin zu artifex schreitet, dem ein deutlich höherer Grad an Kunstfertigkeit und Bewusstheit innewohnt. Vgl. dazu auch Pease 1955, 175 f. ad loc. Darauf, dass die Stoa nicht von einer gesonderten personalen Gottheit ausgeht und es sich hierbei also um eine Art vereinfacht-überzogene Darstellung handelt, weist bereits Balbus Velleius hin (vgl. Cic. nat. deor. 2,73; vgl. zur Stelle auch Dyck 2003, 77). Aus diesem intratextuellen Bezug, den Cicero dem Balbus in den Mund legt, lässt sich zunächst die Gewissheit ableiten, dass es sich nicht um einen ciceronischen Lapsus handelt, der auf mangelnde philosophiehistorische Kenntnisse des Autors schließen ließe, sondern um eine bewusste ciceronische Inszenierung. Darüber hinaus

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

als zweiter Themenkomplex der Anfangspolemik die Frage nach der creatio continua, das heißt die Frage nach der Anwesenheit der welterschaffenden Gottheit in der von ihr erschaffenen Welt, ja sogar nach der Übereinstimmung von erschaffender Gottheit und erschaffener Welt (mundum ipsum […] deum) und den sich daraus ergebenden, problematischen Folgen für ein pantheistisch verstandenes Gottesbild. Diese doppelte Themenwahl erscheint für die Anfangspolemik als plausibel, da sich beim Thema der creatio mit Leichtigkeit assoziative Bezüge zwischen dem Mythos und der Philosophie aufzeigen lassen. Velleius unterstreicht diesen von ihm hergestellten Konnex zwischen philosophischer und mythologischer creatio sprachlich durch eine parallele Satzstruktur82 und die anaphorisch wiederholte Konjunktion non, welche die Vorstellung des weltenerschaffenden Gottes (non opificem aedificatoremque deum) syntaktisch mit den zuvor genannten, fiktionalen Sagengeschichten der Mythenwelt (non futtilis commenticiasque sententias) gleichsetzt. Die inhaltliche Vorbereitung des Lesers im Auftaktsatz reicht allerdings noch weiter, da Velleius im mittleren Satzteil im Kleinen sogar bereits die Struktur und thematische Abfolge der Argumente vorstellt, die er im weiteren Verlauf der Anfangspolemik entfalten wird. Die hier aufgezeigte Zweiteilung der creatio-Thematik in die Kritik an der Vorstellung eines göttlichen Erbauers der Welt (deus als aedificator mundi) und in die Kritik an der Vorstellung einer Koinzidenz von Gottheit und Welt (mundus als deus) findet sich im Folgenden nämlich unter Beibehaltung der von Velleius vorgestellten Reihenfolge in ausführlicher Form realisiert. So widmet sich der erste Teil der Anfangspolemik83 tatsächlich dem Problemkreis der Erschaffung der Welt durch einen Schöpfergott; hier fragt Velleius danach, wie es einem Schöpfergott möglich gewesen sein soll, die Welt (entweder als eine ewig bestehende oder als eine vergängliche Welt) zu erschaffen,84 wann er mit der Erschaffung der Welt begonnen hat85 und für wen bzw. wieso er die Mühen der Weltschöpfung überhaupt auf sich genommen hat.86 Vergleicht man den Auftaktsatz mit dieser Feingliederung des ersten Teils der Anfangspolemik,

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scheint es zunächst ungewöhnlich, der stoischen Providentia neben ihrer Lenkung des Weltgeschehens auch die Erschaffung der Welt zuzuschreiben und ihren Einfluss damit auch auf den Anfang der Ereigniskette auszudehnen; Gigon 1996, 337 hingegen hält es für plausibel, dass es auch innerhalb der Stoa zu einer derartigen Personalisierung des Pronoia-Konzepts gekommen sei. Auch Dyck 2003, 76 weist nach, dass es bereits eine antike Vorstellung ist, dass die Gottheit, die für die Lenkung der Welt zuständig ist, auch für deren Erschaffung verantwortlich gewesen sein muss. Die parallele Satzstruktur reicht so weit, dass in beiden Satzteilen die Negation am Anfang, das eigentliche Substantiv am Ende steht und beides Mal davon ein attributives bzw. appositionelles Hendiadyoin umschlossen wird. Die Häufung synonymer bzw. sich gegenseitig erklärender Ausdrücke im Auftaktsatz der Anfangspolemik lässt sich damit erklären, dass Velleius dadurch ein rhetorisch stark aufgeladener Einstieg in seine Rede gelingt, die ihm die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sichern soll. Vgl. Cic. nat. deor. 1,19–23a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,19 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,21–22a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,22b–23a.

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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so zeigt sich, dass sich der Auftaktsatz lediglich auf den ersten Gliederungspunkt, nämlich die Frage nach dem Wie der Erschaffung der Welt durch einen Schöpfergott, konzentriert und mit der Erwähnung der platonischen und der stoischen Schöpfergottheit den Anfangs- und Endpunkt dieses ersten Unterpunktes angibt. Während die Kritik am unvorstellbaren Schöpfungsakt nämlich direkt mit einem Platon-Verweis beginnt,87 bildet der Rekurs auf die stoische Providentia den Abschluss dieses ersten Unterpunktes, der die Frage nach der zeitlichen Beschaffenheit (mortalis vs. sempiternus) einer göttlich erschaffenen Welt diskutiert.88 Anders als beim folgenden zweiten Teil rekurriert Velleius hier nicht auf alle Unterpunkte der sich anschließenden Rede, sondern wählt den wohl eindrücklichsten und problematischsten Aspekt der Themenstellung aus, der für den Leser nicht nur mit Leichtigkeit die Assoziation mit mythologischen Schöpfungsvorstellungen ermöglicht, sondern Velleius durch die starke Metaphorik die Aufmerksamkeit seiner Zuhörer sichert und ihm zugleich die Möglichkeit eröffnet, die beiden Philosophenschulen, an denen sich Velleius in der Anfangspolemik abarbeiten wird, zu charakterisieren und voneinander zu unterscheiden.89 Der zweite Satzteil des Auftakts bereitet sodann auf den zweiten Teil der Anfangspolemik vor, der sich dem Bereich der creatio continua widmet und hinterfragt, ob erstens eine als beseelt und empfindungsfähig vorgestellte Welt tatsächlich als göttlich angesehen werden sollte,90 ob zweitens die Gottheit wirklich in der Kugelform der Planeten vorgestellt werden sollte91 und ob sie drittens in steter Einheit mit der empfindungsfähigen Welt gedacht werden kann.92 Mit dieser Dreiteilung greift Velleius im Folgenden nicht nur alle Aspekte des zweiten Satzteils des Auftakts auf, sondern präsentiert sie darüber hinaus sogar in derselben Reihenfolge, in der er sie dort zu Beginn seiner Rede vorstellt. So bezieht sich im Auftaktsatz der Anfangspolemik der Ausdruck mundum ipsum animo et sensibus praeditum auf den ersten Gliederungspunkt

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,19 mit dem Platon-Verweis: Quibus enim oculis animi intueri potuit vester Plato […]. Vgl. für den Verweis auf die stoische Providentia Cic. nat. deor. 1,20: Pronoea vero si vestra est, Lucili, eadem, […]. Pease 1955, 176 ad loc. bemerkt lediglich, dass in 1,18 sowie in 1,20 f. beides Mal die Akademie und die Stoa angesprochen werden, ohne jedoch die expositorische Funktion von 1,18 zu erkennen. Eine solche Differenzierung wie bei der Frage nach dem Schöpfungsakt und der Rolle des Schöpfers, wie sie hier zwischen dem platonischen Demiurgen auf der einen und der stoischen Providentia auf der anderen Seite vollzogen wird, findet sich in den sich anschließenden Unterpunkten zur creatio ex nihilo (Schöpfungszeitpunkt; Schöpfungsgrund) nicht mehr. Vgl. Cic. nat. deor. 1,23b. Vgl. Cic. nat. deor. 1,24a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,24b. Dabei handelt es sich um Gedankengänge, die ihrerseits zwar mit Platon und der Stoa verbunden werden können, allerdings auch anderen Philosophenschulen zu eigen sind. So kritisiert Velleius im zweiten Widerlegungsteil derartige pantheistische Ansätze nicht nur bei diesen beiden Schulen, sondern auch bei Pythagoras und Aristoteles. Bei Cic. nat. deor. 1,24 wird somit unter dem Dach der gemeinsamen Kritik an Platon und der Stoa implizit bereits die zweite, doxographisch geprägte Passage der Velleius-Widerlegung vorbereitet.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

der beseelten und empfindungsfähigen Gottheit, das darauffolgende Adjektivattribut rutundum auf den zweiten Aspekt, nämlich die Kugelgestalt der Götter, während die beiden abschließenden Attribute ardentem volubilem zwei der Probleme ansprechen, die im dritten Gliederungspunkt bei der Frage nach der körperlichen Gleichsetzung von Gottheit und Welt näher ausgeführt werden. Anders als bei der Vorstellung des ersten Hauptteils der Anfangspolemik setzt Velleius hier nicht auf eine gezielte Auswahl und auf die Präsentation des stärksten bzw. grundlegenden Arguments, sondern auf Vollständigkeit, die freilich dasselbe Ziel verfolgt wie zuvor und auf die epistemologischen Schwächen des philosophischen creatio-Konzepts hinweisen möchte. Durch die dichte, asyndetische Aneinanderreihung der verschiedenen Attribute verdeutlicht Velleius bereits an dieser Stelle, dass er ein solches pantheistisches Konzept für eine Überladung mit unpassenden, da menschlichen oder dinglichen Eigenschaften hält.93 Zusammenfassend lässt sich also festhalten, dass der Auftaktsatz der Anfangspolemik den Leser nicht nur auf die Art und Stoßrichtung der epikureischen Widerlegung einstimmt, sondern ihn auch entlastend auf die Hauptthemen und die Feingliederung vorbereitet, die sich dann in der genannten Art und Reihenfolge tatsächlich im Hauptteil der Anfangspolemik so auch vorfinden lassen, und diejenigen Philosophenschulen vorstellt, gegen die der Angriff innerhalb der Anfangspolemik geführt werden soll. Kohärenzstiftende Überleitungen in der Anfangspolemik. Die Anfangspolemik gewinnt ihre strukturelle Kohärenz außerdem auch durch ein System von Überleitungen und Verweisen zwischen den einzelnen Argumenten. Nachdem für den Leser die Gliederung der Anfangspolemik durch den expositorischen Auftaktsatz hinlänglich bekannt gemacht worden ist, zeichnet sich der Beginn von Velleius’ Rede durch einen assoziativen Übergang zwischen dem Auftaktsatz und der sich anschließenden inhaltlichen Auseinandersetzung aus. Dieser assoziative Übergang nimmt dem argumentativen Neueinsatz, welcher durch den Wechsel von der Kritik an einem pantheistischen Gottesbild am Ende des Auftaktsatzes94 wieder hin zu Platon und der Weltenschöpfung95 nötig wird, seine Härte und wirkt auf einer formal-sprachlichen Ebene kohärenzstiftend. So beginnt Velleius’ ausführliche Kritik an Platons Schöpfergott mit dem Interrogativsatz quibus enim oculis animi intueri potuit vester Plato fabricam illam tanti operis,96 während im letzten Satz des vorausgehenden Paragraphen die Theorie einer pantheistischen Welt mithilfe der Wendung mundum ipsum animo et sensibus

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Wenn Gigon 1996, 338 bemerkt, dass Velleius hier „den flagranten Widerspruch zwischen den personalen und den dinglichen Attributen des Kosmos-Gottes heraus[arbeitet]“, dann erfasst er damit Velleius’ Darstellungsstrategie nicht ausreichend, da Velleius nicht auf den Widerspruch zwischen diesen beiden Prinzipien hinausmöchte, sondern vielmehr zeigt, dass beide in dieser Form ungeeignet seien, um die Götter adäquat zu erfassen. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b. Vgl. Cic. nat. deor. 1,19. Cic. nat. deor. 1,19.

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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praeditum97 beschrieben wird. Das die beiden Stellen verbindende Substantiv animus ist dabei jeweils mit unterschiedlichen Konnotationen verbunden. Während animus im Expositionssatz in dem Hendiadyoin animo et sensibus erscheint, mit dessen Hilfe die Welt mit den zentralen Eigenschaften eines Lebewesens, nämlich Bewusstsein und Empfindungsfähigkeit, affiziert wird,98 grenzt es in der Fügung oculis animi Platons „innere Augen“, d. h. ein beinahe seherisches Erschauen der Schöpfungsvorgänge,99 polemisch von den realen, körperlichen Augen ab.100 Dieser durch animus hergestellte Konnex impliziert dabei jedoch keine inhaltliche Nähe zwischen den beiden Stellen, sondern glättet stichwortartig die Überleitung zwischen dem Abschluss der Ausgangsthese und dem Beginn des ersten Gliederungspunktes; auch die Verwendung des Adverbs enim nimmt dem Neueinsatz seine Härte. Anders steht es mit den Überleitungen zwischen einzelnen Argumenten und Teilargumenten, die einen inhaltlichen Bezug der unterschiedlichen Lehrtraditionen und Themenfelder zueinander auch sprachlich abbilden möchten. So finden sich sowohl bei der Frage nach dem Vorgang der Welterschaffung101 als auch nach der (Un-)Sterb-

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Cic. nat. deor. 1,18. Vgl. TLL 2,91,47–2,95,73 s. v. animus, Nr. 2: cogitandi facultas bzw. TLL 2,97,79–2,104,71 s. v. animus, Nr. 4: sentiendi facultas. 99 Vgl. TLL 2,90,6–2,91,47 s. v. animus, Nr. 1: animus universe omnes facultates ψυχικὰς comprehendit, opponitur corpori plerumque, sed etiam singulis suis viribus et animae. 100 Pease 1955, 180 f. ad loc. bezweifelt, dass es sich bei dem Genitivattribut animi um den ciceronischen Originaltext handelt; dabei folgt er einer der ersten Editionen des Textes, die 1471 in Venedig erschienen ist. Er meint, dass es sich bei oculi um eine Marginalglosse handelt, mit der ein Platon zugeneigter Leser die anstößige Formulierung, dass Platon mit seinen Augen so etwas hätte sehen können, abgemildert habe. Zudem argumentiert Pease, dass der erste Teil der epikureischen Polemik mit dem Ausdruck oculis animi i. S. v. „imagination“ seine Pointe verlöre, da doch Velleius selbst in 1,49 (vgl. ebd. mit fast identischer Wortwahl: Epicurus autem, qui res occultas et penitus abditas non modo videat animo […], docet eam esse vim et naturam deorum, ut primum non sensu, sed mente cernatur) behaupte, dass man das Wesen der Götter eben nur mithilfe des eigenen Geistes erkennen könne. Pease übersieht dabei, dass gerade auf der Grundlage epikureischer Epistemologie ein derartiges Sehen, wie es Platon unterstellt wird, nicht möglich ist. Die Wahrnehmung des Wesens der Götter ist deshalb möglich, da sich von ihnen Atome lösen und auf den Geist des Menschen treffen können. Die Tätigkeit der Götter kann aber nicht wahrgenommen werden, sondern wird von Epikur selbst aus der Deduktion des vollkommenen Glücks abgeleitet (vgl. Hossenfelder 1998, 79 f.). Darüber hinaus ist allerdings zu fragen, ob für die Klärung dieser Fragestellung der Bezug zu 1,49 überhaupt gesucht werden muss. Viel plausibler ist es, dass der Ausdruck oculis animi dieses quasi prophetische Sehen Platons von einem Sehen im biologischen Sinn abgrenzen möchte und ihm dadurch die ernstzunehmende Grundlage entzieht, sodass sich die Schlussfolgerung einzustellen habe, dass Platons Theorien eben weder mit den körperlichen Augen noch auf andere Weise wirklich beobachtbar sind, sondern es sich lediglich um Erfindungen handelt. Zudem bemerkt Schoemann 1850, 39 ad loc. mit Recht, dass Velleius mit der Formulierung oculis animi dem möglichen Einwand, dass Platon ja kein eigentliches Sehen mit körperlichen Augen gemeint habe, die Grundlage entzieht. Außerdem ist es mit Gigon 1996, 338 ad loc. auch möglich, in der Formulierung oculis animi eine „ironische Anspielung auf Platons Der Staat 533 D“ zu sehen, die die Bezugnahme auf platonische Theorien auch sprachlich nachbildet. 101 Vgl. Cic. nat. deor. 1,19.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

lichkeit der erschaffenen Welt102 zentrale Substantive in identischer bzw. leicht variierender Form. Durch diese Wiederaufnahme verdeutlicht Velleius die Parallelität zwischen der platonischen Position, die bei der Frage nach dem Vorgang der Welterschaffung im Vordergrund steht, und der stoischen Position, die erst bei der Frage nach der (Un-)Sterblichkeit der erschaffenen Welt in Velleius’ Blickwinkel rückt. An beiden Stellen103 verweist Velleius mit den Substantiven ministri bzw. ministros und machinae bzw. machinas auf die Hilfsmittel, die der Gottheit bei ihrer Tätigkeit zu Hilfe kommen sollen, ebenso wie auf die unvorstellbare Dimension eines derartigen Werks, das als tanti operis und tanti muneris bzw. totius operis bezeichnet wird.104 Anders als im ersten Fall der assoziativen Glättung erfüllt die Wiederholung der Nomina hier jedoch auch eine inhaltliche Funktion. Da Substantive wie ministri und machinae ein mythologisches Schöpfungsgeschehen mit Göttern evozieren, die sich wie menschliche Architekten mit Gehilfen und Gerätschaften an die Konstruktion der Welt wie an die Erbauung eines Hauses wagen,105 heben die zwei Substantive in beiden Fällen die fiktionale Dimension der eigentlich philosophisch zu begründenden Schöpfungstheorie hervor und desavouieren sie dadurch. Der repetierende Gebrauch dieser pejorativ konnotierten Wörter soll sie für den Leser fest mit den beiden Schultraditionen verbinden und sie als deren gemeinsames Problem herausstellen. Diese Verbindung der beiden Schultraditionen wird auch beim Übergang zwischen der kurzen Kritik an der Stoa und der Kritik an schulübergreifenden Gesichtspunkten hergestellt. Während die Stoa schon im ersten Gliederungspunkt der Anfangspolemik106 kaum ein eigenes Profil entfaltet und die stoische Pronoia kurzerhand mit dem platonischen Schöpfungsgott gleichgesetzt wird, werden ab dem zweiten Gliederungspunkt nur noch Kritikpunkte angesprochen, mit denen die beiden Schulen gemeinsam getroffen werden sollen. Während am Beginn des stoischen Teils mit Pronoea vero si vestra est, Lucili, eadem die exponierte Endstellung des Demonstrativpronomens am Ende des konditionalen Nebensatzes auffällt, findet sich am Beginn des neuen Paragraphen mit Ab utroque autem sciscitor ein Indefinitpronomen, das in exponierter Anfangsstellung nochmals auf die Parallelität der beiden Lehren hinweist. Der Konnex zwischen den zwei Abschnitten wird also durch die syntaktisch auffällige Positionie-

102 Vgl. Cic. nat. deor. 1,20. 103 Vgl. für die folgenden Schlagwörter jeweils Cic. nat. deor. 1,19 mit 1,20b. 104 Jenseits dieser wörtlichen Aufnahmen nehmen einzelne abstrakte Substantive in Cic. nat. deor. 1,20b Gedanken aus dem vorausgehenden Paragraphen auf, die dort das jeweils Gemeinte ausführlicher und konkreter darstellen; so rekurriert die coagmentatio einzelner Elemente auf illae quinque formae, ex quibus reliqua formantur, während dissignationem atque apparatum sowohl die Bezeichnung des Demiurgen als architectus aufgreift als auch alle vorbereitend-planenden Verben (construi atque aedificari) und Substantive (fabricam, molitio etc.) impliziert. 105 Vgl. dazu die Bezeichnung der platonischen Gottheit als opificem aedificatoremque (1,18) oder als architecti (1,19). 106 Vgl. dafür vor allem Cic. nat. deor. 1,20b.

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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rung von Wörtern derselben Wortart hergestellt und verknüpft die beiden Schulpositionen auch auf einer strukturellen Ebene miteinander. Neben den Überleitungen wird die Kohärenz der Anfangspolemik innerhalb der einzelnen Argumente durch dezente Wiederholungen und Variationen des zur Schöpfungsmetaphorik gehörenden Vokabulars sichergestellt. So greift der Ausdruck mundi aedificatores zu Beginn der indirekten Frage nach dem Anfang des Schöpfungshandelns107 eine leitmotivische Formulierung aus dem Auftaktsatz auf, mit der Velleius den platonischen Demiurgen (opificem aedificatoremque mundi) bezeichnet hatte.108 Der Wechsel in den Plural unterstreicht den Umstand, dass nunmehr beide Philosophenschulen gemeinsam angesprochen werden. Am Ende dieses Abschnittes rekurriert Velleius mit dem Asyndeton caelum, ignes, terrae, maria darüber hinaus auf die vier Elemente Luft, Feuer, Erde und Wasser,109 die er in ähnlicher Form (aer, ignis, aqua, terra) bereits bei der Frage nach dem Vorgang der Weltenschöpfung angesprochen hatte.110 In beiden Fällen verbindet Velleius das explizite Anführen der vier Elemente mit der Frage, wie der Schöpfergott die einzelnen Elemente dazu bringen könne, seinem Willen zu gehorchen und sich in diejenigen Verbindungen und Formen zu begeben, die er möchte.111 Während er seine epistemologischen Zweifel an der ersten Stelle in einer direkten Frage offen formuliert,112 wählt er für das zweite Beispiel das Mittel der Ironie, mit deren Hilfe er die Vorstellung eines die Elemente befehligenden Gottes ad absurdum führt.113 Durch das zweimalige explizite Vorbringen der einzelnen Elemente und die jeweils aufgeworfenen Zweifel macht Velleius deutlich, dass sich gewisse epistemologische Problemstellungen auf verschiedene Bereiche der Schöpfungsthematik auswirken. Schließlich findet sich auch der Gedanke, dass die Weltenschöpfung eine für die Gottheit inadäquate Mühe und Anstrengung darstellen könnte, in unterschiedlicher

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,21. Vgl. Cic. nat. deor. 1,18. Vgl. Cic. nat. deor. 1,21. Vgl. Cic. nat. deor. 1,19. Dementsprechend finden sich an beiden Stellen auch hierin sprachliche Parallelen, nämlich durch die Verwendung von Verben des Gehorchens (1,19: oboedire et parere; 1,22: parerent) sowie durch die Formulierung des Willens der Schöpfergottheit als Dativobjekt (1,19: voluntati architecti; 1,22: numini divino). Vgl. Cic. nat. deor. 1,19: Unde vero ortae […]? Die Ironie wird in Cic. nat. deor. 1,22 zunächst anhand von hyperbolischen Formulierungen deutlich, die sich bei der Bezeichnung der Elemente finden. So werden sie nicht nur abstrakt als omnes naturae bezeichnet, sondern nochmals in vierfacher Form exemplifiziert. Darüber hinaus wird sie mit Blick auf den Kontext deutlich. Denn für die Frage, wieso die stoische Pronoia so lange Zeit mit der Weltenschöpfung gewartet habe, schlägt Velleius als Antwort vor, dass sie unter Umständen die damit verbundenen Mühen gescheut habe – um im Anschluss daran gleich festzuhalten, dass die Gottheit ja bei der Weltenschöpfung keine Mühen erfahren könne, da ihr ja alle Elemente gehorchten.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Deutlichkeit und bei verschiedenen Fragestellungen wiederholt.114 Durch solche Bezüge innerhalb der Anfangspolemik gelingt es Cicero, Velleius’ Redeauftakt als einen inhaltlich dichten und sprachlich eng verwobenen Text zu gestalten, der die creatioThematik aus mehreren Perspektiven heraus kritisch beleuchtet. Kohärenzstiftende Deixis. Kohärenzstiftend wirken darüber hinaus die zahlreichen dialogischen Elemente, die du-deiktisch die jeweiligen Kritikpunkte eng mit den dem Gespräch beiwohnenden Vertretern der beiden Schulpositionen, nämlich mit Cotta (und ggf. Cicero)115 als Akademiker und vor allem Balbus als Stoiker, verbinden und sie somit zu Gewährsleuten der jeweiligen Lehre werden lassen. Derartige Elemente finden sich vor allem bei den direkten und indirekten Fragen, die durch Erwähnungen der Gesprächsteilnehmer im Vokativ ihre rhetorische Unverbindlichkeit verlieren und an Profil gewinnen.116 Zudem erfüllen sie gemeinsam mit den ich-deiktischen Elementen auch eine gliedernde Funktion, die vor allem in überleitenden Passagen zu beobachten ist117 und die Anfangspolemik in einen ersten Teil untergliedern, der dezidiert schulartspezifische Angriffe durchführt, und einen zweiten Teil, in dem Velleius zwar die platonische oder stoische Position mitunter erwähnt, in dem es ihm aber doch hauptsächlich um einen Angriff gegen Ansichten geht, die beiden Philosophenschulen gemein sind.118 In beiden Fällen bringt Velleius sich und seine beiden Gesprächspart114 115

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,19 (molitio […] tanti operis) und 1,23 (tanta […] rerum […] molitio) sowie in abgewandelter lexikalischer Realisierung in Cic. nat. deor. 1,22 (laboremne fugiebat?). Vgl. Pease 1955, 181, der die Wendung vester Plato auf alle drei Gesprächsteilnehmer beziehen möchte. Ob Cicero als dramatis persona hier evoziert werden sollte, ist allerdings fraglich. Er wird von Velleius innerhalb seiner Abhandlung nirgends erwähnt; vielmehr konzentriert sich Velleius meist auf Balbus als seinen stoischen Gegenspieler. Auch die Frage, ob sich Cotta als akademischer Skeptiker tatsächlich mit den dogmatischen Schöpfungsaussagen des platonischen Timaios identifizieren könnte, scheint fraglich. Dennoch ist es nicht abwegig, wenn Velleius Cotta hier in polemischer Absicht als Platoniker anspricht (so auch Dyck 2003, 78 ad loc.) und ihn (sicherlich gegen seinen Willen) für Platons dogmatische Aussagen in die Verantwortung nimmt, da sowohl die dogmatisch als auch die skeptisch ausgerichtete Akademie auf Platon rekurriert und für die jeweils eigene Lehre das einzig angemessene Platon-Verständnis beansprucht. Dass Velleius mit vester Plato auch Balbus und die Stoa als Erben der platonischen Tradition einschließt, scheint zumindest möglich, da Platon (so auch explizit von Balbus in 2,32, wie Pease 1955, 181 bemerkt) als Urvater aller nachfolgenden Philosophenschulen gilt, wenn auch nicht zwingend zu sein; in 1,20 bezieht sich die Ansprache Pronoea vestra auch eindeutig ausschließlich auf Balbus (vgl. Pease 1955, 186 ad loc.), sodass sich vester Plato ebenso auf Cotta allein beziehen könnte. Vgl. bereits im Auftakt imperativisch audite (1,18b), dann innerhalb der direkten Fragen vester Plato (1,19), hunc credis (1,20a), vokativisch Lucili (1,20b) und quaero, Balbe (1,22) sowie innerhalb einer indirekten Frage ab utroque autem sciscitor (1,21). Auch hier realisiert sich der du-deiktische Aspekt sprachlich auf variantenreiche Weise. Vgl. in der Überleitung zur Kritik an beiden Schulen ab utroque autem sciscitor (1,21), zum Verweis auf eine ausführlichere Behandlung de quo dicam equidem paulo post (1,23) sowie zum Beginn des letzten Kritikpunktes admirabor (1,24). Der Versuch von Gigon 1996, 335–338, neben Velleius’ Angriff auf die Stoa und die Akademie in der Anfangspolemik auch einen Angriff gegen die peripatetische Theologie zu sehen, ist zurückzuweisen. Auch wenn sich gerade in 1,23 f. manche von Velleius angesprochenen Aspekte durchaus auch bei Aristoteles finden lassen, so liegt dies doch vor allem daran, dass es sich dabei um

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

187

ner in die philosophische Auseinandersetzung ein, sodass Velleius’ Anfangspolemik die Auseinandersetzung mit einem rhetorisch-persönlichen Paukenschlag beginnen lässt.119 c) Gliederung und Kohärenz der Doxographie Die sich anschließende katalogartige Widerlegung anderer Philosophen in der Mitteldoxographie versteht sich als argumentativer Neueinstieg. Die überleitende Passage120 markiert im ersten Satzteil deutlich das Ende der Anfangspolemik, indem sie mit dem Possessivpronomen vestra und dem Vokativ Lucili121 zwar auf den Beginn der VelleiusRede und die dortige Auseinandersetzung mit Balbus und den stoisch-platonischen Schöpfungskonzepten rekurriert, durch das Demonstrativpronomen haec allerdings bereits aus einer gewissen Distanz heraus auf sie zurückblickt. Der zweite Satzteil kennzeichnet den Neueinstieg durch die adversative Konjunktion vero, die den Gegensatz zum Vorgehen innerhalb der Anfangspolemik markiert; zudem erläutert Velleius sein Vorhaben, sich nun anderen Philosophen zu widmen und dafür mit dem frühesten Vertreter zu beginnen,122 bevor er mit Thales als erstem Philosophen ansetzt. Übernahmen aus Platon und der Stoa handelt und die von Gigon als peripatetisch verstandenen Elemente allesamt auch als stoisch oder akademisch klassifiziert werden können; Gigon 1996, 342 führt selbst den Nachweis, dass sich gerade in 1,18.23 f. stoische Theoreme finden lassen, ohne sich jedoch von der These einer peripatetischen Theologie zu verabschieden. Zudem wird eine Behandlung der peripatetischen Theologie in der dialogischen Rahmenhandlung nur kurz davor explizit ausgeschlossen (vgl. Cic. nat. deor. 1,16); auch Velleius’ Aussage, sich fortan mit Ansichten zu beschäftigen, die sowohl die Stoa als auch die Akademie betreffen (vgl. Cic. nat. deor. 1,21), sowie die darauffolgende direkte Ansprache an Balbus (1,22) und die Erwähnung Platons (1,24) legen eine verborgene Behandlung des Peripatos durch Velleius nicht nahe. 119 Vgl. Süss 1952, 428, der in der Inszenierung des Velleius als „Polterer“ einen gelungenen Einstieg in das Thema sieht, welche vor allem „die Gefahr der Langeweile“ beim Leser bannen sollte. 120 Vgl. Cic. nat. deor. 1,25 (gegen den Text von Plasberg/Ax, sondern unter Berücksichtigung der Lesart von B2): Atque haec quidem vestra, Lucili; qualia vero alia sint, ab ultimo repetam superiorum. 121 Auffallenderweise wird hier lediglich Balbus angesprochen, nicht jedoch Cotta, obwohl die stoische Position im Vergleich zur platonischen Sicht in der Anfangspolemik die kleinere Rolle spielt. Das spräche dafür, dass sich der Angriff in der Anfangspolemik tatsächlich vornehmlich gegen Balbus und die Stoa richtet, nicht jedoch gegen Cotta. Die Integration von Schöpfungsvorstellungen aus Platons Timaios ließe sich dann am ehesten mit der sachlichen Nähe zur stoischen Theologie erklären sowie dem Bestreben, mithilfe der sehr viel konkreteren Ausführungen Platons einen schärferen Angriff gegen derartige creatio-Vorstellungen durchführen zu können. 122 Dies lässt der Text qualia vero * est, ab ultimo repetam superiorum deutlich erkennen, auch wenn der Fortgang des Relativsatzes bzw. indirekten Fragesatzes nach vero und vor ab ultimo textkritisch umstritten ist. Dass hier viel Text ausgefallen ist, wie Plasberg/Ax in ihrer Ausgabe vermuten und auch Pease 1955, 204 f. ad loc. annimmt, ist mit Blick auf die transitorische Funktion des Satzes nicht plausibel. Vielmehr scheint die Konjektur qualia vero alia sint (so in B2 sowie in den auf B2 fußenden Codices F und M) oder qualia vero cetera sint (so u. a. bei Schoemann 1850) dem ursprünglichen Textsinn nahezukommen und adäquat auf den doxographischen Überblick überzuleiten. Das gegen diese Konjektur vorgebrachte Argument, welches besagt, dass alia oder cetera

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Auch formal orientiert sich der zweite Teil von Velleius’ Widerlegungsrede nicht mehr am rhetorisch aufgeladenen, polemischen Angriff, sondern am Formelement der Doxographie; er reiht sich damit in die Riege solcher Texte ein, „die eine Übersicht über Lehrmeinungen […] eines oder mehrerer Philosophien geben“123. Einer bereits aristotelischen Methode folgend,124 gewinnt die Doxographie ihre Kohärenz allen voran durch eine stringent-einheitliche Gliederung, die, mit Thales von Milet als dem frühesten Philosophen beginnend,125 in meist chronologischer Reihenfolge126 bis Diogenes von Babylon insgesamt siebenundzwanzig griechische Einzelphilosophen und somit einen Zeitraum von knapp fünfhundert Jahren Philosophiegeschichte in unterschiedlicher Ausführlichkeit durchmustert. Die Tatsache, dass auch unbedeutendere Schüler größerer Philosophen an manchen Stellen zumindest mit einem kurzen Beitrag aufgeführt werden, ohne dass sie selbst die Entwicklung der jeweiligen Schule maßgeblich beeinflusst hätten, evoziert im Sinne der amplificatio-Technik den Eindruck von großer Fülle, ohne dass die Doxographie hier tatsächlich philosophiehistorische Vollständigkeit erzielen kann; Sokrates beispielsweise findet, ebenso wie andere Philosophen, keine Erwähnung.127 Auch in diesem Abschnitt lassen sich etliche Techniken ausmachen, welche den Eindruck einer engen Zusammengehörigkeit der einzelnen doxographischen Elemente bewirken und dadurch die Mitteldoxographie als kohärenten Textabschnitt erscheinen lassen. Neben allgemeineren Bezügen, die meist durch kopulative oder adversative Konjunktionen eine inhaltliche Überleitung zwischen einzelnen Denkern herstellen,128 indem sie auf sachliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu dem jeweils unmittelbar zuvor beschriebenen Philosophen hinweisen, finden sich in den meisten Fällen zu Beginn der Darstellung eines Philosophen Verweise auf chronolo-

implizieren würde, dass die Stoa lediglich in der Anfangspolemik abgehandelt wird und deshalb in der Doxographie selbst nicht mehr erscheinen müsse, scheint ein zu enges Textverständnis an den Tag zu legen (vgl. dazu Pease 1955, 205 ad loc.). Gerade die Neutrumform alia bzw. cetera würde sicherstellen, dass damit nicht nur die anderen Philosophen oder Philosophenschulen gemeint sein müssten, sondern auch deren Ansichten und Lehrmeinungen impliziert werden könnten. In diesem Sinn könnte alia bzw. cetera auch als „die anderen, d. h. von der creatio-Thematik abgesehenen religionsphilosophischen Dogmata“ verstanden werden. 123 Mejer 2000, 28, der den Begriff selbst auf H. Diels Doxographi Graeci aus dem Jahr 1879 zurückführt. Vgl. auch Lévy 1996 für die Verwendung der Doxographie in Cic. ac. 2. 124 Vgl. Mejer 2000, 24 f. für die Bezüge zwischen Aristoteles und der Form des doxographischen Schreibens. 125 Vgl. Cic. nat. deor. 1,25: […] ab ultimo repetam superiorum. Thales enim Milesius […]. 126 Vgl. Pease 1955, 203 f. ad loc.; Dyck 2003, 83 f. ad loc. 127 Vgl. dazu auch Maso 2015, 116, der das Fehlen von Heraklit und Gorgias bemerkt. 128 Vgl. Cic. nat. deor. 1,29: nec vero Protagoras; 1,30: iam de Platonis inconstantia; 1,32: atque etiam Antisthenes; 1,35: nec vero Theophrasti inconstantia; 1,36: Zeno autem; 1,39: iam vero Chrysippus.

2. Zur Kohärenz und Stoßrichtung von Velleius’ Widerlegungsteil

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gische,129 verwandtschaftliche130 oder schulische131 Verbindungen zu anderen der dargestellten Denker. Die dadurch hergestellten Vernetzungen zwischen zwei oder mehreren Gelehrten lassen die katalogartige Liste als eine zusammenhängende und eng miteinander verwobene Philosophengeschichte erscheinen. Dieser Eindruck wird darüber hinaus durch Velleius’ Verweise auf zahlreiche dogmatische Übereinstimmungen zwischen einzelnen Philosophen unterstrichen.132 Diese Verweise dienen nicht nur dazu, aus ökonomischen wie stilistischen Gründen sachliche Doppelungen in den Ausführungen überall dort zu vermeiden, wo sie nicht für Velleius’ Darstellungsziel herangezogen werden können, sondern lassen gemeinsam mit den anderen Referenzarten die aufgeführten Philosophen, ungeachtet der zum Teil erheblichen Unterschiede in den Lehrpositionen, als eine eng zusammengehörende Gruppe erscheinen, die mit Blick auf die Rahmung der gesamten Widerlegungsrede in Velleius’ Augen133 als eine Gruppe des epistemologischen Scheiterns erscheint. Die epikureische Doxographie erweist die Philosophiegeschichte somit als vielfach ineinander verwobenes Kontinuum von Denkfehlern und falschen Ansichten, die nur noch von den sich direkt anschließenden religiösen Vorstellungen der Dichter, der ausländischen Völker und des einfachen Volkes134 übertroffen wird. Die Überleitung zum mythologischen Abschluss des Widerlegungsteils der Velleius-Rede wird bereits in der Darstellung der letzten beiden von Velleius aufgeführten Philosophen Chrysipp und Diogenes vorbereitet.135 Bei beiden Philosophen nimmt der Mythos schon eine entscheidende Rolle in der epikureischen Philosophenkritik ein. So wird Chrysipp gleich zu Beginn als Stoicorum somniorum vaferrumus […] interpres136 eingeführt und mithilfe des gliedernden Schlagwortes somniorum explizit in die Nähe der theologia mythica gerückt. Inhaltlich kündigen sich die Mythen der Dichter dadurch an, dass 129 130 131

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,26: post Anaximenes; 1,28: tum Xenophanes; 1,41: quem Diogenes Babylonius consequens. Vgl. Cic. nat. deor. 1,32, hier gemeinsam mit einem chronologischen und kopulativen Marker: nec multo secus Speusippus Platonem avunculum subsequens. Die schulischen Verweise erfolgen entweder durch Darstellung des Schüler-Lehrer-Verhältnisses, der Schultradition oder der gemeinsamen Schülerschaft bei einem philosophischen Meister. Vgl. dazu im Einzelnen vor allem den Bezug des Anaxagoras auf Anaximenes (1,26), des Xenophon (1,31), Aristoteles (1,33) und Herakleides (1,34) auf Platon, des Xenokrates auf Aristoteles (1,34), des Straton auf Theophrast (1,35), des Ariston auf Kleanthes (1,37) und des Ariston (1,37), Kleanthes (1,37), Persaios (1,38) und Chrysipp (1,39) auf den Stoiker Zenon. Vgl. Cic. nat. deor. 1,28 bei Xenophanes: de ipsa mente item reprehendetur ut ceteri; 1,28 bei Parmenides: eademque de sideribus, quae reprehensa in alio iam in hoc omittantur; 1,31 bei Xenophon: quae sunt isdem in erratis fere, quibus ea quae de Platone diximus. Wenn Maso 2015, 117 den Abschluss der Mitteldoxographie (Cic. nat. deor. 1,42: exposui fere non philosophorum iudicia, sed delirantium somnia) als Urteil Ciceros über die epikureisch-polemische Art der Doxographie versteht, so übersieht er, dass Velleius diesen Satz ausspricht und nichts darauf hindeutet, in ihm eine auktoriale Aussage Ciceros zu sehen. Vgl. Cic. nat. deor. 1,42–43a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,39–41. Cic. nat. deor. 1,39.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Velleius die Bemühungen beider Philosophen, die alten Erzählungen zu entmythologisieren137 und somit ihren wahren, philosophisch brauchbaren Kern freizulegen, aufs Schärfste kritisiert. Gerade die stoische Übergriffigkeit, selbst im Mythos den Logos aufscheinen zu sehen, findet Velleius’ scharfe Missbilligung, der auf der Grundlage der epikureischen πρόληψις-Theorie für eine klare Trennung der beiden unvereinbaren Bereiche plädiert.138 3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung a) Überlegungen zu den verschiedenen Argumentationstechniken Die bisherige Analyse der zwei Hauptteile von Velleius’ Widerlegungsrede konnte zeigen, dass es sich bei den beiden Blöcken um zwei eigenständige, jeweils kohärente Passagen handelt, die zwar in der Intention geeint sind, die epistemologische Fragwürdigkeit anderer philosophischer Ansichten herauszuarbeiten, dieses Ziel jedoch mit Blick auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung und auf die sprachlich-stilistische Gestaltung der beiden Unterabschnitte auf unterschiedlichen Wegen erreichen möchten. Blickt man nun auf die argumentative Gestaltung der Gesamtpassage, lassen sich weitere auffällige Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Blöcken erkennen. So können in den beiden Widerlegungspassagen bestimmte wiederkehrende argumentative Techniken139 aufgezeigt werden, mit deren Hilfe andere philosophische Lehren von Velleius kritisiert werden. Allgemeinrationale, rhetorisch geprägte Argumentationen. Einerseits versucht Velleius von einem epistemologisch neutralen Standpunkt aus Widersprüche innerhalb des jeweils kritisierten philosophischen Systems aufzuzeigen oder gewisse Aspekte eines Theorems durch konsequentes Weiterdenken oder Ernstnehmen einer metaphorischen Ausdrucksweise als wenig plausibel zu erweisen. Auch dient der Einsatz syllogistischer Argumentationstechniken dazu, Widerlegungsargumente auf der Grundlage allgemein akzeptierter Prämissen140 zu entwickeln und so zu Aussagen zu gelangen, 137

Vgl. Grondin 2001, 41 f. für die stoische Mythenallegorese; vgl. darüber hinaus Wlosok 1970, 520 f. und Radke 2003, 107 ff. für die Mythenallegorese in der römischen Literatur, v. a. mit Blick auf die Aeneis-Exegese. 138 Vgl. Cic. nat. deor. 1,41 für Chyrsipp: […] ut etiam veterrimi poetae, qui haec ne suspicati quidem sint, Stoici fuisse videantur. und für Diogenes: Quem Diogenes Babylonius consequens […] partum Iovis ortumque virginis ad physiologiam traducens deiungit a fabula. 139 Vgl. Sauer 2007 für die Ergiebigkeit einer Analyse der Argumentationsstrukturen innerhalb ciceronischer Philosophica, die er am ersten Buch von De legibus vollzieht. Dass solche Fragestellungen auch für andere Werke, Autoren und Epochen der (spät-)antiken Literatur von Relevanz sein können, zeigt bspw. die Studie von Tornau 2006 zu Augustins De civitate Dei. 140 Vgl. Kienpointner 1992, 889, der wahre bzw. richtige Prämissen als notwendige Bedingung für gültige Argumente herausstellt.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

191

die mit allgemeiner Zustimmung rechnen dürfen. Gerade solche Passagen zeichnen sich durch den gehäuften Einsatz rhetorischer Techniken, epistemologisch neutraler Begründungen und Argumentationstechniken, zu denen etwa der Syllogismus oder das Epicheirem (ratiocinatio)141 gehören, aus, über deren Funktion sich Cicero nicht zuletzt in seinen rhetorischen Schriften Klarheit verschafft hat. Von epikureischen Prämissen geprägte Argumentationsstrategien. Andererseits vollzieht sich Velleius’ Kritik mitunter auf der Grundlage einer dezidiert epikureischen Epistemologie. Dabei werden gerade diejenigen Aspekte einer anderen philosophischen Position von Velleius kritisiert, die auf der Grundlage der Prämissen Epikurs nicht plausibel scheinen. Diese Prämissen beruhen ihrerseits auf einer „konsequent atomistisch-sensualistischen“142 Grundausrichtung des Epikureismus, der die Sinneswahrnehmung (αἴσθησις) als das entscheidende und primäre Wahrheitskriterium anerkennt.143 Die Sinne, die ihrerseits aufgrund ihrer Passivität „als rein rezeptiv aufgefaßt werden“144, geben laut Epikur die Wahrnehmungen in eben jener Form wieder, in der sie sie empfangen. Da die Sinne aufgrund ihrer Passivität und Rezeptivität nicht in der Lage sind, diese Eindrücke zu verändern, muss jede Erkenntnistheorie dort ihren objektiven Ausgang nehmen. Die Wahrnehmungen selbst lassen sich atomistisch dadurch erklären, dass sich die abbildhaften Atome einer Person oder eines Gegenstandes (εἴδωλα) von ihrem Ursprungsort lösen und entweder in das Auge oder direkt in den animus des Menschen treffen. Wahrnehmungsfehler kann es für Epikur deshalb nicht geben; offenkundige Irrtümer werden ihrerseits nie als Fehler der Sinnesorgane beschrieben, sondern ebenso atomistisch als Veränderung der εἴδωλα auf dem Weg von ihrem Ausgangspunkt hin zum erkennenden Subjekt oder als fehlerhafte Beurteilung der εἴδωλα durch den Menschen erklärt. Wenn ein Turm aus der Ferne (um ein epikureisches Standardbeispiel anzuführen) dem Betrachter nicht eckig, sondern zylinderförmig erscheint, so liegt das daran, dass die vom Turm ausgehenden εἴδωλα beim Überwinden der großen Distanz zwischen Turm und Betrachter verformt wurden.145 Die mit den Sinnesorganen wahrgenommenen Erscheinungen (φαντασίαι) sind somit stets mit den εἴδωλα identisch, nicht jedoch zwangsweise mit dem realen Ausgangsobjekt. Vgl. dazu Ciceros ausführliche Beschreibung in Cic. inv. 1,57–76; gerade die ratiocinatio erscheint ihm dort als eine oratio ex ipsa re probabile aliquid eliciens (1,57). Vgl. zur ratiocinatio in Ciceros rhetorischer Theorie sowie am praktischen Beispiel von Pro Milone ausführlich Michel 1960, 173–187. 142 Erler 1994, 126. 143 Vgl. Hossenfelder 1998, 111 f.; vgl. darüber hinaus Erler 1994, 131–136 für einen Überblick und eine Diskussion über die epikureischen Erkenntniskriterien und Asmis 1984, die sich einer Gesamtdarstellung der epikureischen Kanonik widmet. 144 Hossenfelder 1998, 112. 145 Vgl. Essler 2011b für die epikureischen Belegstellen, Erler 1994, 133 für weitere Beispiele vermeintlicher Sinnestäuschungen wie etwa das im Wasser gekrümmt aussehende, de facto jedoch gerade Ruder oder für die atomistische Erklärung für eigentlich nicht existierende Fabelwesen wie den Kentauren, sowie Asmis 1984, 141–166 für die Fehler im epikureischen Erkenntnisprozess und die Rolle der menschlichen Interpretation der Sinneseindrücke. 141

192

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Als Folge aus dieser Setzung wird die Natur ohne jede teleologische Durchdringung als sich selbst genügend beschrieben, weil sie aus sich selbst heraus mithilfe des atomistisch geprägten Kausalitäts- und Massenerhaltungsprinzips erklärbar ist, ohne einen göttlichen Willen als Letztbegründung anführen zu müssen.146 Der Sensualismus prägt dabei alle weiteren Bereiche der epikureischen Lehre, auch die Theologie.147 Zentrales Kriterium für die Formulierung einer epikureischen Theologie bilden aufgrund ihres der unmittelbaren Wahrnehmung entzogenen Gegenstandes nicht direkte Sinneswahrnehmungen, sondern einerseits Deduktionen aus epikureischen Grundprinzipien, andererseits indirekte Sinneswahrnehmungen, die dem Menschen eine Vorstellung von nicht unmittelbar wahrnehmbaren Objekten und abstrakten Begriffen gewähren.148 So kann Epikur mithilfe der πρόληψις-Theorie die Götter als unsterbliche und glückselige Wesen in Menschengestalt definieren,149 da sich die meisten Menschen die Götter aufgrund der einströmenden, feinen Bildchen in eben dieser Weise vorstellen und sich dadurch eine einheitlich-kohärente Vorstellung von Göttern etablieren konnte.150 Zugleich warnt er jedoch davor, sich den falschen Vorstellungen von den Göttern hinzugeben, die die einfache Masse hegt und die deshalb nicht als durch Prolepse vermittelte Gotteserkenntnis anzusehen sind, da sie den beiden zentralen Vorstellungen der Unsterblichkeit und Glückseligkeit der Götter widersprechen.151 Auch Velleius hält sich an Epikurs Vorgabe aus dem Menoikeus-Brief, nur diejenigen Gottesvorstellungen und göttlichen Attribute gelten zu lassen, die mit der epikureischen Vorstellung von glückseligen und unsterblichen Göttern kompatibel sind, und all diejenigen religionsphilosophischen Entwürfe abzulehnen, die den Göttern diese zentralen epikureischen Kriterien direkt oder implizit absprechen.152

146 Vgl. Hossenfelder 1998, 122 ff. 147 Vgl. für einen Überblick über die epikureische Theologie mit jeweils unterschiedlicher Schwerpunktsetzung und Ausführlichkeit bspw. Lemke 1973, Asmis 1984, 316–320, Erler 1994, 149–153, O’Keefe 2010, 155–162, Hessler 2014, 104–107. 148 Vgl. Manuwald 1972, Erler 1994, 134 f. und umfassend Morel 2008 zur epikureischen Prolepsis-Theorie. 149 Vgl. dafür vor allem Epikur, Menoikeus-Brief 123,2: πρῶτον μὲν τὸν θεὸν ζῷον ἄφθαρτον καὶ μακάριον νομίζων sowie den ersten Satz seiner Kyriai doxai; vgl. Konstan 2011, 53 ff. für eine Kontextualisierung der Belegstellen bei Epikur und seinen Schülern. 150 Vgl. grundlegend Epikur, Menoikeus-Brief 123,2, wo die allgemeine Gottesvorstellung explizit als Erkenntnisquelle thematisiert wird (ὡς ἡ κοινὴ τοῦ θεοῦ νόησις ὑπεγράφη) und 123,4, wo sie als verlässliche Erkenntnisquelle charakterisiert wird (ἐναργὴς γὰρ αὐτῶν ἐστιν ἡ γνῶσις); vgl. dazu auch Kleve 1960, 117 f. sowie Erler 1994, 150, der auf das Zeugnis bei Lukrez verweist; dort werden die communis opinio (Lucr. 1,422) und nächtliche Traumbilder von den Göttern (Lucr. 5, 1161–1185) als Erkenntnisquelle genannt. 151 Vgl. Epikur, Menoikeus-Brief 123,5 (οἵους δ᾽αὐτοὺς οἱ πολλοὶ νομίζουσιν, οὐκ εἰσίν) und 124,1 (οὐ γὰρ προλήψεις εἰσίν, ἀλλ᾽ ὑπολήψεις ψευδεῖς). 152 Vgl. Epikur, Brief an Menoikeus 123,2 f.: μηθὲν μήτε τῆς ἀφθαρσίας ἀλλότριον μήτε τῆς μακαριότητος ἀνοίκειον αὐτῷ πρόσαπτε. πᾶν δὲ τὸ φυλάττειν αὐτοῦ δυνάμενον τὴν μετὰ ἀφθαρσίας μακαριότητα περὶ αὐτὸν δόξαζε.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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Die Götter, deren Atome eine vollkommen andere Struktur haben als alles Weltliche, können nicht als Teil dieser Welt gedacht werden, weil einerseits die Sorge um die Welt, andererseits die atomare Beschaffenheit der Welt die Glückseligkeit und Unsterblichkeit der Götter gefährden würden. Die wiederum atomistisch angelegte Begründung dafür findet sich unter anderem bei Lukrez, der die strukturelle Unvereinbarkeit von Sterblichem und Unsterblichem betont,153 sodass die epikureischen Götter sich weder um die Welt kümmern wollen noch dies überhaupt könnten. Epikur rettet somit zwar die antike Vorstellung von Göttern in sein atomistisch-sensualistisches Weltbild, spannt zugleich jedoch den denkbar weitesten Dualismus zwischen die aus normalen Atomen zusammengesetzte und dadurch notwendigerweise sterbliche Welt154 und den in Intermundien lebenden, unsterblichen Göttern. Damit stellt er sicher, dass die Götter nicht als Grund für Furcht gelten können und die Seelenruhe der Menschen nicht gefährden,155 sondern ihnen vielmehr als Vorbild dienen können. Als genuin epikureisch kann daher die Tendenz angesehen werden, die Theologie nicht um ihrer selbst willen oder als zweckfreie Erklärung der Welt zu betreiben, sondern sie in ihr therapeutisches Globalziel zu integrieren.156 Mischformen. Jenseits der beiden argumentativen Haupttypen finden sich mancherorts auch Verbindungen aus den beiden Argumentationsstilen, indem beispielsweise ein Kritikpunkt, der sich der epikureischen Kanonik verdankt, mithilfe allgemeinrationaler Gedanken begründet wird oder sich beide Argumentationsstränge relativ unabhängig in einem Gedankengang nebeneinander finden. b) Verhältnis der Argumentationstechniken in der Anfangspolemik Velleius greift nun an ganz bestimmten Orten seiner Argumentation gezielt auf eine der beiden Argumentationstechniken zurück bzw. kombiniert sie in unterschiedlichen Mischverhältnissen. Blickt man innerhalb von Velleius’ Widerlegungsrede auf die Anfangspolemik, so fällt auf, dass dort Velleius’ Bemühung dominiert, die beiden konkurrierenden philosophischen Systeme mithilfe allgemein verständlicher, schulungebundener Argumentationsstrategien in die Enge zu treiben.157 Diese schulunge-

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Vgl. Lucr. 3,800–805 sowie Konstan 2011, 55 ff., der auf der Grundlage dieser und anderer Stellen der Frage nachgeht, wie man die Götter als „unsterblich“ denken kann, wo sie doch selbst aus Atomen bestehen sollen. Vgl. Kleve 1960, 116. Vgl. Erler 1994, 126. Vgl. Erler 1994, 126, der „Epikurs Philosophie als philosophia medicans“, d. h. als „Lebenshilfe (ars vitae)“ erklärt. Schwenke 1879, 52 f. präsentiert mit Lucr. 5,110–234 und Ps.-Plut. plac. phil. 1,7,4–10 zwei Vergleichstexte, in denen sich manche inhaltliche Parallele zu Cic. nat. deor. 1,18–24 nachweisen lässt. Schwenkes Versuch, auf der Grundlage dieser Übereinstimmungen eine ältere epikureische

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

bundenen Argumentationsstrategien, die an vielen Stellen eine hohe Plausibilität für sich beanspruchen können,158 lassen sich zu drei Gruppen zusammenfassen, die sich in unterschiedlicher Ausprägung innerhalb der Anfangspolemik finden. Dezidiert epikureisch schulgebundene Argumentationsformen finden sich hingegen nur am Rande. (1) Erster allgemeinrationaler Argumentationstyp: Kritik durch Aufsplitterung eines Begriffs, Ernstnehmen einer Metapher, Weiterführung eines Bildes Am deutlichsten fällt innerhalb der Anfangspolemik Velleius’ Strategie auf, einen der schöpfungstheologischen Begriffe oder eine der schöpfungstheologischen Vorstellungen aufzugreifen und durch Aufsplitterung des Begriffs in seine einzelnen Bestandteile bzw. durch konsequentes Weiterdenken einer schöpfungstheologischen Fragestellung deren epistemologische Schwierigkeiten zu demonstrieren. Schwächen der creatio-Metaphorik. Velleius setzt diese argumentative Technik gleich zu Beginn der Anfangspolemik ein.159 Dort kritisiert er die Vorstellung göttlicher Baumeister der Welt,160 indem er die vielfach herangezogene Metapher des mundi aedifiQuelle zu rekonstruieren, weist allerdings einen hohen Grad an Spekulation auf. Auch wenn sich Cicero durchaus an einer solchen Quelle orientiert haben mag, so lässt sich anhand der beiden von Schwenke herangezogenen Vergleichstexte zunächst einmal festhalten, dass die Antike (und darunter gerade auch die epikureische Tradition!) einen Fundus von Argumenten gegen schöpfungstheologische Vorstellungen kennt, auf den Cicero – in welcher Form auch immer – für seine eigene Darstellung zurückgreifen konnte. Generell ist die Tendenz der älteren Forschung zu beobachten, Cicero aufgrund des stark rhetorischen Charakters der Anfangspolemik eine relativ große Eigenständigkeit zuzugestehen, vgl. etwa Reinhardt 1888 und Hoyer 1898, 48; letzterer verbindet die These der ciceronischen Eigenständigkeit dort allerdings sofort mit einer Kritik am inhaltlichen Niveau der Passage: „[…] dass Cicero sich formell weniger eng an seine Quelle angeschlossen hat. Er greift vereinzelte Gedanken heraus und führt sie mit mehr oder weniger Verständniss [sic!], aber mit vielen Worten an.“ Auch Philippson 1939b, 18–27 betont die Berührungspunkte zwischen der Anfangspolemik und dem fünften Buch von Lukrez und führt als weitere Vergleichstexte noch einige Epikur-Fragmente (fr.82–87 Usener), Aetios 1,7,5–10 und Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 3,9–12 an, um in einem methodisch z. T. fragwürdigen Unterfangen eine komplexe Quellen-Stemmatologie zu erstellen und auf eine jungepikureische Schrift als ciceronischen Prätext zu schließen. 158 Anders urteilt Classen 2010, 198, der sich vor allem für die rhetorische Gestaltung der VelleiusRede interessiert und die Anfangspolemik aufgrund ihres Invektiven-Charakters und des Einsatzes rhetorischer Mittel als großangelegte Vermeidungsstrategie des Velleius interpretiert, mit dessen Hilfe er sich um den für ihn problematischen Hauptpunkt – nämlich die Entfaltung der epikureischen Theologie  – drücken möchte. Velleius erscheint dadurch bei ihm von Beginn an als ein hinsichtlich seiner eigenen Lehre unfähiger Philosoph. Classen untermauert seine These dadurch, dass er diese Strategie als eine rhetorische Technik nachweist, die Cicero selbst in problematischen Reden anwendet. 159 Vgl. Cic. nat. deor. 1,19. 160 Es ist mehrfach bemerkt worden (vgl. Gigon 1996, 337–339 ad loc., Dyck 2003, 78 f. ad loc.), dass Velleius hier verstärkt auf Vorstellungen rekurriert, die sich in Platons Timaios finden. Da Ciceros intensivere Beschäftigung gerade mit dieser platonischen Schrift nachweislich in die Zeit der Ent-

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cator nicht nur im wörtlichen Sinne ernst nimmt,161 sondern auch konsequent weiterdenkt und sie in die sich aus ihr ergebenden Einzelteile zerlegt. Dadurch zeigt Velleius die Grenzen einer Metapher auf, die Begriffe aus dem Bereich der Architektur und des Baubereichs auf die göttliche Sphäre überträgt. Velleius vergleicht dafür die göttliche Erschaffung der Welt nicht nur allgemein mit der Planung und Erbauung eines menschlichen Hauses, sondern baut die Bildebene weiter aus, indem er die mit ihr verbundenen Detailfragen weiterführt. Er erweitert sie um die Aspekte der zur Erbauung eines Hauses nötigen Hilfsmittel und Helfer, des dafür erforderlichen Materials und dessen Herkunft und Formbarkeit durch den Willen der Gottheit. Indem er diese Details weiter konkretisiert, zeigt er auf, welchen Beschränkungen die creatio-Metaphorik unterliegt, wenn man das Bild der göttlichen Erbauung der Welt tatsächlich ernst nimmt und versucht, die menschliche Dimension des Hausbaus konsequent auf den göttlichen Bereich zu übertragen. Das, was dabei selbstverständlich in den Bereich des menschlichen Erbauens eines Hauses gehört, erweist sich für die Vorstellung eines göttlichen Erbauens des Kosmos bei genauerem Hinsehen nämlich als problematisch. So stellt Velleius infrage, dass man die Vorstellung von Hilfsmitteln wie Gerüsten und Gerätschaften, die für den menschlichen Hausbau notwendig sind, auf das kosmische Bauprojekt übertragen könne. Allein die erforderliche Größe und die Vielzahl an Hilfsmitteln übersteigt bei weitem das Vorstellungsvermögen. Darüber hinaus wird mit der Frage nach den Materialien und Hilfsmitteln auch das Problem berührt, dass all diese Hilfsmittel und Materialien ja ihrerseits eigentlich Teil des erst noch herzustellenden Kosmos sind und der Schöpfungsgottheit daher nicht bereits vorliegen können. Mit der Rückfrage, woher der Schöpfer selbst denn die Materialien für die Schöpfung bezogen habe, wendet Velleius die Argumentationsform des regressus ad infinitum an, die sich des Umstandes bedient, dass eine Schöpfungstheorie nie einen definitiven Ausgangspunkt benennen kann, ohne erklären zu können, woher dieser Ausgangspunkt selbst stammt und was wiederum dessen Ausgangspunkt war. Die Frage, wie eine Gottheit mit einer begrenzten Anzahl von Elementen eine so komplexe Welt aus scheinbar unbegrenzten Erscheinungsformen erschaffen konnte, schließt den ersten Argumentationsgang wiederum mit Blick auf die Unvorstellbar-

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stehung von De natura deorum fällt, ist es nicht abwegig, im Auftakt der Anfangspolemik Ciceros eigenständige und rhetorisch geschickte Reaktion auf die dortige creatio-Metaphorik zu sehen. Dass es sich hier um eine Widerlegungstechnik handelt, die auch andernorts in philosophischer Polemik vorkommt, zeigt Marković 2016, 159 mit Blick auf Diogenes von Oenoanda, der die Vorstellung eines Erfinders von Sprache auf ähnliche Weise behandelt. So mit Recht Gigon 1996, 338 ad loc. Anders als es Dyck 2003, 77 ad loc. bemerkt, handelt es sich bei dem Ernstnehmen und Weiterführen der creatio-Metaphorik wohl aber nicht um eine karikierende Darstellungstechnik, da er auf eine polemische Überzeichnung und auf das Herantragen von sachlich nicht dazugehörenden Aspekten verzichtet. Lediglich bei der Personifikation der stoischen Pronoea als anus fatidica liegt eine Karikatur vor, da dort das Wissen der Vorsehung um die Zukunft durch das Bild einer abergläubischen alten Frau ad absurdum geführt wird.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

keit eines Schöpfungsaktes ab.162 Paradoxerweise zeigt Velleius also gerade durch das Ernstnehmen der creatio-Vorstellung, dass sie sich nicht eignet, um eine religionsphilosophische Vorstellung adäquat zu beschreiben. Die ausführliche Gleichsetzung der göttlichen mit der menschlichen Tätigkeit führt vielmehr dazu, dass die Rezipienten die Idee eines Schöpfergottes durch ihre allzu große Nähe zum Bereich des Menschlichen als problematisch erkennen können. Stilistisch auffallend ist, dass die Passage von zahlreichen rhetorischen, stakkatoartig mit oft wechselnden Interrogativpronomina aneinander gereihten direkten Fragen163 geprägt ist, mit deren Hilfe Velleius auf die systemischen Problemstellen der platonischen Schöpfungstheorie abzielt. Sie dienen allesamt dazu, den Schöpfungsakt als etwas Irrationales und mit philosophischen Prinzipien Unvereinbares zu diskreditieren, ohne dass Velleius die fehlende Passung explizit aussprechen muss. Durch die Fülle der rhetorischen Fragen werden die Rezipienten vielmehr selbst dazu ermutigt, die Antworten eigenständig zu ergänzen, wobei von Beginn an deutlich wird, in welche Richtung Velleius seine Rezipienten lenken möchte (1,19):164 Quibus enim oculis […]? Quae molitio, quae ferramenta, qui vectes, quae machinae, qui ministri […]? Quem ad modum autem […]? Unde vero […]?

Gerade der häufige Wechsel der Pronomina unterstreicht die Fülle der möglichen Argumente, aus denen Velleius scheinbar beliebig viele auswählen könnte, und verleiht der Passage ihren scharf-polemischen Unterton. Auch der diesen Gedankengang abschließende Satz unterstreicht mit dem Realis bei longum est165 die Fülle von Gegenargumenten, die, so Velleius’ Intention, nach Belieben noch weiter hätten angeführt werden können. Fehlen einer adäquaten Motivation für die Schöpfergottheit. Eine ähnliche argumentative Strategie wendet Velleius an, als er danach fragt, wieso bzw. für wen ein Schöpfergott erst nach einem langen Zeitraum ohne messbare Zeit die Welt erschaffen habe.166

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Dass Velleius hierbei zu einem übertragenen Verständnis der Schöpfungsmetapher zurückkehrt, wie Gigon 1996, 338 f. ad loc. meint, ist nicht einsichtig, da die Technik der Weiterführung und Zersplitterung eines Begriffs auch hier von Velleius fortgeführt wird; eine nähere Begründung bleibt Gigon schuldig. 163 Vgl. Cic. nat. deor. 1,19. Pease möchte in diesem Gestaltungselement Velleius’ Versuch sehen, Epikurs Stil selbst zu kopieren (vgl. Pease 1955, 181 ad loc.). Ob die Rekonstruktion eines typischen Stils von Epikur mit Blick auf den geringen Überlieferungsbefund seiner Schriften ohne Weiteres möglich ist, scheint fraglich. Philippson 1939b, 17 spricht mit Blick auf diese und die weiteren Fragen des Velleius abwertend von „einige[n] höhnische[n] Fragen“, deren Funktion im Text er nicht weiter bestimmt. 164 Classen 2010, 198 sieht hierin eine bewusste Verspottung der gegnerischen Schulansichten durch Velleius, der dafür auf rhetorische Techniken aus der Forensik zurückgreift, die Cicero selbst in vielen Reden angewandt hat. 165 Vgl. Cic. nat. deor. 1,19: Longum est ad omnia, quae talia sunt, ut optata magis quam inventa videantur. 166 Vgl. Cic. nat. deor. 1,22b–23a.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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Auch hier arbeitet Velleius mit einer Vielzahl von Fragesätzen, die sich auf den ersten Blick allerdings stark von denjenigen Interrogativsätzen unterscheiden, die sich am Beginn der Anfangspolemik finden. Während es dort darum ging, mithilfe gezielter, relativ kurzer Fragen gleich zu Beginn eine möglichst große Fülle an epistemologischen Zweifeln zu säen, bedient sich Velleius hier der rhetorischen Technik der percontatio.167 Hierbei überlässt er – anders als bei den Fragen zur creatio-Metapher – die Ergänzung einer vorzugsweise negativen Antwort nicht den Rezipienten, sondern nimmt mögliche Antworten seiner Diskussionspartner vorweg, nur um jedes Mal im Anschluss zu erklären, dass es sich bei dem jeweiligen Antwortvorschlag nicht um eine tragfähige Antwort handeln kann. Zu Recht weist H. Lausberg darauf hin, dass diese rhetorische Strategie darauf abzielt, monologisch die Situation eines gerichtlichen Verhörs nachzuahmen.168 Indem Velleius eine Vielzahl von Antwortmöglichkeiten als nicht tragfähig erweist, zeigt er an, dass die gegnerische Seite für das aufgeworfene Problem gar keine zufriedenstellende Antwort liefern könnte, ohne sie selbst zu Wort kommen zu lassen und ihr tatsächlich die Möglichkeit zu geben, eine unter Umständen treffendere Antwort zu geben. Entscheidend ist hier der Umstand, dass Velleius, sozusagen Ankläger und Angeklagter in geschickter Personalunion, die Rolle der angeklagten Philosophenschulen so formen kann, dass sowohl ihre Position in einem fragwürdigen Licht erscheint als auch seine Widerlegung als der jeweils stärkere Redebeitrag aus der Diskussion hervorgeht. Konkret geht Velleius dabei der Frage nach, für wen die Götter den Kosmos überhaupt erschaffen hätten. Er ordnet die einzelnen Elemente der percontatio dabei so an, dass die jeweiligen Fragen einen möglichen Adressaten der Schöpfung nennen, die von ihm gegebenen Antworten hingegen jedes Mal erklären, warum dieser Adressat nicht der entscheidende Grund für das Schöpfungshandeln der Gottheit gewesen sein könne. Die Adressatenebene zeichnet sich dabei durch eine dreifache Hierarchie aus, indem Velleius von der Gottheit ausgehend über die ihr am nächsten stehenden, weisen Menschen antithetisch hin zu den Toren gelangt. Die jeweiligen von Velleius selbst gegebenen Antworten zeigen auf, dass die Erschaffung der Welt, wäre sie für die Gottheit notwendig oder angenehm und würde daher auf sie selbst abzielen, in jedem Fall früher erfolgt wäre. Würde man zudem die These bejahen, dass die Gottheit die Welt für sich selbst erschaffen habe, dann würde der Begriff der Schöpfergottheit durch den Umstand, dass sie die Welt brauche und demnach in gewisser Hinsicht auf sie angewiesen ist, unangemessen geschwächt. Wäre die Welt hingegen allein für die Weisen gemacht worden, dann würde es nicht einsichtig sein, wieso die Gottheit für eine so kleine Personengruppe solche Mühe auf sich genommen habe. Und wenn sie für die Törichten geschaffen sei, dann sei es weder ersichtlich, 167 Vgl. Lausberg 1990, § 433; eine Verwandtschaft mit der rhetorischen Form der concessio, die Cotta seinerseits für die Widerlegung des Velleius anwendet (vgl. Cic. nat. deor. 1,61–120 passim), ist offenkundig. 168 Vgl. Lausberg 1990, § 433.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

wieso man sich gerade für solche Menschen Mühe gemacht habe, noch wäre dieses Unterfangen mit Erfolg gekrönt; denn die stulti seien irreversibel in ihrer Situation gefangen, da sie nicht in der Lage seien, sich den incommoda des Lebens anzupassen.169 Je tiefer Velleius in seiner Argumentation von den Göttern über die Weisen bis hin zu den Toren schreitet, desto stärker potenziert sich die fehlende Begründbarkeit einer späten Erschaffung bzw. einer Erschaffung der Welt überhaupt. Inhaltlich kann man innerhalb dieser Anordnung deshalb eine chiastische Gestaltung erkennen. Während nämlich die Fragen die möglichen Personengruppen abfallend vom Größeren zum Kleineren hin nennen, nimmt der Grad der Unwahrscheinlichkeit im Bereich der Antworten klimaktisch zu. Der syllogistische Abschluss der Anfangspolemik. Schließlich lässt sich auch der Abschluss der Anfangspolemik diesem Begründungsschema zuordnen. Dort zeigt Velleius die Folgen auf, die eine Gleichsetzung der Gottheit mit der Welt implizieren würde.170 Die Überlegung, dass die Gleichsetzung der Gottheit mit Himmelskörpern dazu führen würde,171 dass sie unter der ständig auf sie einwirkenden planetaren Rotation zu leiden hätte, bildet den Übergang von der Kritik an der Ansicht der Kugelgestalt der Götter hin zur abschließenden Kritik an der pantheistischen Gleichsetzung der Gottheit mit dem Kosmos, da hier die Kugelgestalt der Gottheit172 bereits als Grund für potentielle Leiderfahrungen dargestellt wird, die sich aus einem pantheistischen Gottesbild ergeben müssen. Im Anschluss daran wird von Velleius die These entfaltet, dass die Gleichsetzung der Gottheit mit der Welt zwangsweise dazu führen würde, dass die Gottheit auch an den verschiedenen Aggregatzuständen der Welt, wie beispielsweise extremer Kälte oder Hitze, teilhaben müsste, in der Folge an diesen extremen Aggregatzuständen leiden würde und sie dadurch in einen der Gottheit nicht zukommenden Zustand versetzt werden würde.173 Velleius präsentiert diese These zunächst mithilfe eines doppelten a minore ad maius-Schlusses, indem er von der Beeinträchtigung des menschlichen Wohlbefindens bereits durch kleinere körperliche Einschränkungen ausgeht und diese Erfahrung – abgemildert durch die Form der rhetorischen Frage – auf die Gottheit überträgt. Ein doppelter a minore ad maius-Schluss liegt hier deshalb vor, da von Velleius nicht nur der Schluss vom Menschen zur Gottheit gemacht wird, sondern implizit auch von den kleineren körperlichen Einschränkungen im Bereich des menschlichen Körpers (si minima ex parte significetur) auf größere Beeinträchti-

169 Vgl. Essler 2011a, 132 f., der auf ein Fragment aus Philodems De dis 3 hinweist, wo ebenfalls das Problem, das sich aus dem Nebeneinander von Weisen und Toren ergibt, aus einer dezidiert epikureischen Warte diskutiert wird. 170 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24. 171 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24b: nempe ut bis possit insistere. 172 Vgl. zur Problematik der Kugelgestalt der Götter Cic. nat. deor. 1,24a: admirabor eorum tarditatem bis isti rutundo deo. 173 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24c ab quodque in nostro corpore.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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gungen im Bereich des göttlichen Körpers vorbereitet wird.174 Der folgende Gedankengang konkretisiert diese größeren Beeinträchtigungen nicht nur, sondern liefert mithilfe der Schlussformel des Epicheirems (ratiocinatio)175 auch eine ausführliche und mehrfach syllogistisch hergeleitete Begründung dafür, dass eine pantheistische Gottheit an vielen Stellen ihres Körpers Beeinträchtigungen durch die unterschiedlichen klimatischen Extremsituationen176 erfährt und ununterbrochen an verschiedenen, teils extremen Aggregatzuständen leiden muss: Obersatz:

Die Erde (terra) besteht in weiten Teilen aus unbewohnbaren und rauen Gegenden. Begründung des Obersatzes: An vielen Stellen beeinträchtigen nämlich allzu starke bzw. allzu schwache Sonneneinstrahlung sowie Schnee oder Regenfälle die Erde. Untersatz: Die Erde bildet einen Teil der Gottheit. Begründung des Untersatzes: Wenn die Gottheit mit dem Kosmos (mundus) identisch ist und die Erde Teil des Kosmos ist, dann ist die Erde auch ein Teil der Gottheit. Schlussfolgerung: Die Gottheit hat Anteil an unbewohnbaren und rauen Gegenden.

Velleius nutzt damit auch hier die Möglichkeit, durch die bildliche Konkretisierung und ausführliche Entfaltung eines im a minore ad maius-Schluss vorbereiteten abstrakten Gedankens seinen Rezipienten dessen problematischen Gehalt unmittelbar vor Augen zu stellen.177 Der Umstand, dass er hierfür gerade die Schlussformel des Epicheirems auswählt, ermöglicht es Velleius, die jeweiligen adprobationes für die adsumptio und die propositio explizit anzuführen und seinen Rezipienten den logischen Nachvollzug des Arguments dadurch Schritt für Schritt zu erleichtern.

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Zusammengefasst lautet der doppelte a minore ad maius-Schluss hier also: Wenn schon kleinste Beeinträchtigungen am menschlichen Körper genügen, um den Menschen in seinem Wohlgefühl zu beeinträchtigen, um wie viel schlimmer sind dann für die Gottheit die Beeinträchtigungen an weiten Teilen ihres Körpers? Vgl. zum Epicheirem Cic. inv. 1,57–76. Cicero umrahmt diese Beispiele dabei durch extreme Temperaturverhältnisse, die sich als allzu starke (adpulsu solis) bzw. allzu schwache (chiastisch: solis abscessu, vgl. auch Dyke 2003, 83 ad loc.) Präsenz der Sonne erklären lassen; diese Formulierungen umschließen dabei die beiden Wetterphänomene Schnee und Hagel, die als Beispiele für zwei unangenehme Erscheinungsformen des Regens herangezogen werden. Wieso Gigon 1996, 344 ad loc. gerade diese syllogistisch fein ausgearbeitete Passage als „grobschlächti[g]“ bezeichnet, wird von ihm weder plausibel begründet, noch überzeugt sein Urteil mit Blick auf die argumentative Struktur der Passage.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Festzuhalten bleibt also, dass Velleius am Beginn, in der Mitte sowie am Ende seiner Anfangspolemik bei der Frage nach den göttlichen Erbauern der Welt, nach dem Grund für das göttliche Schöpfungshandeln und nach der Gleichsetzung der Gottheit mit der Welt auf diese allgemeinrationale Argumentationsstrategie zurückgreift und sie demnach gerade dort einsetzt, wo es ihm darum geht, grundlegende und besonders überzeugende Zweifel an zentralen Fragestellungen der Schöpfungstheologie zu säen. (2) Zweiter allgemeinrationaler Argumentationstyp: Erweis einer Ansicht als Setzung Velleius’ zweite Strategie besteht darin, eine philosophische Ansicht dadurch als epistemologisch fragwürdig zu klassifizieren, dass er sie als menschliche Setzung erweist, die durch eine systemische Schwach- bzw. Leerstelle erforderlich geworden ist. Wann beginnt die Weltenschöpfung? Den Nachweis, dass schöpfungstheologische Ansätze nicht ohne Setzungen auskommen, bringt Velleius zunächst bei der Frage nach dem Beginn der Weltenschöpfung.178 Nachdem er nach Art einer Digression scharfsinnig den Zeitbegriff hinsichtlich seiner verschiedenen Dimensionen analysiert hat,179 kommt er zu der Schlussfolgerung, dass es so etwas wie eine nicht-lineare Zeit (quaedam ab infinito tempore aeternitas) auch schon vor der Erschaffung der Welt und der durch die Entstehung der Gestirne möglich gewordenen Einteilung der linearen Zeit gegeben haben muss. Dieser exkursartig eingeführte Nachweis dient nicht nur Velleius’ Selbstdarstellung als kundigen Philosophen, sondern ermöglicht es ihm, danach zu fragen, wieso sich die Schöpfungsgottheit scheinbar plötzlich dazu entschieden habe, aus der Ewigkeit herauszutreten, und wieso sie sich gerade zu diesem Zeitpunkt (und nicht schon viel früher oder erst später) dazu entschieden habe. Auch wenn Velleius dabei Begriffe der linearen Zeitlichkeit180 zur Beschreibung der nicht-linearen Ewigkeit heranzieht, sichert er sich mithilfe der eingeschobenen Digression bewusst gegen den Vorwurf ab, eigentlich inkommensurable Ausdrucksebenen zu vermischen; vielmehr verdeutlicht er dadurch das Problem des Anfangs von Welt und Kosmos, vor dem jede Schöpfungstheorie steht und das sich nur mithilfe einer Setzung lösen lässt. Gegen den drohenden regressus ad infinitum, das heißt gegen die stets aufs Neue zu stellende Frage nach dem Ausgangspunkt des Ausgangspunkts,181 hilft lediglich die epistemo178 179

Vgl. Cic. nat. deor. 1,21–22a. Bei der Digression, die die verschiedenen Zeitbegriffe (nicht-linear bzw. linear) darbietet, greift Velleius auf die Darstellungstechnik der Aufgliederung eines Begriffs zurück, hier jedoch im Kleinen und mithilfe des locus a definitione. 180 Vgl. repente exstiterint (Cic. nat. deor. 1,21) und cessaverit (Cic. nat. deor. 1,22). 181 Dieser Zirkel kann nicht logisch, sondern nur durch eine Setzung beendet werden, wie es beispielsweise Aristoteles (vgl. Arist. Met. 12, 1071b3 f.1073a25) mit seiner Rede vom ersten unbewegten Beweger (πρῶτον κινοῦν ἀκίνητον) versucht hat. Strenggenommen handelt es sich hierbei

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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logisch unbefriedigende Annahme, dass sich der Zeitraum vor der Schöpfung nicht mit den Maßstäben und Kriterien menschlicher Erfahrung und Einsicht beschreiben lässt und demnach dem menschlichen Verständnis letztlich versperrt bleibt. Der einzige, jedoch unbefriedigende Ausweg aus der tendenziell endlos wiederholbaren Frage nach dem Anfang des Anfangs besteht, so zeigt es Velleius’ Analyse, darin, scheinbar willkürlich einen Ausgangspunkt zu definieren, an dem die lineare Zeit und das schöpferische Handeln der Gottheit beginnen. Velleius’ Frage nach der Tätigkeit der Gottheit während der nicht-linearen Ewigkeit (dormire) und ihrer Motivation, in eine Zeitlichkeit zu treten, arbeitet diese systemische Schwachstelle heraus und erweist sie als eine menschliche Setzung.182 Warum soll die Gottheit gerade die Gestalt einer Kugel annehmen? Eine ähnliche Argumentation findet sich innerhalb von Velleius’ Kritik an der pantheistischen Verbindung von Schöpfer und Schöpfung. Dort zeigt er auf, dass ein ästhetisches Werturteil, wie Platon es äußert, wenn er das Runde als ideale Form für die mit Planeten gleichzusetzenden Götter definiert, eine gewisse Beliebigkeit aufweist und ebenso durch andere mögliche Urteile ersetzt werden kann, die er dem platonischen Urteil gegenüberstellt.183 Indem er Platons Ansicht etliche andere subjektive Wertungen über die ideale Form gegenüberstellt, wendet Velleius selbst die von ihm kritisierte Methode in hyperbolischer Weise an und zeigt durch diese bewusste Überzeichnung ihre fehlende Konsensfähigkeit und ihre epistemologische Beliebigkeit auf. Velleius’ Kritik beruht also darauf, dass für Platons Urteil über die Gestalt der Götter letztlich subjektive Vorlieben ausschlaggebend sind, nicht jedoch rational nachvollziehbare Gründe. Im Kleinen findet sich diese Argumentationstechnik zudem auch am Auftakt der Anfangspolemik, wo Velleius in dichter Form darauf hinweist, dass die platonische Theorie die Frage offen lässt, wie aus nur fünf Grundformen alle anderen Formen entstehen

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jedoch nicht mehr um eine Erklärung, sondern lediglich um ein systemrelevantes Postulat, das selbst nicht mehr hinterfragt werden kann; somit ist Aristoteles’ Erklärung keine philosophischlogische, sondern theologisch-kosmologische Deutung (vgl. bspw. Oehler 1955 für die aristotelische Argumentationsstruktur bei der Herleitung des unbewegten Bewegers). Auch Gigon 1996, 341 ad loc. betont, dass sich diese Art der Nachfrage letztlich auf alle schöpfungstheologischen Entwürfe beziehen müsse: „Die gesamte Argumentation ist geschickt aufgebaut. Sie geht letztlich davon aus, daß die Relation zwischen Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit asymmetrisch ist. Der Schluß von einer zeitlichen auf eine zeitlose Realität ist legitim, doch der Schritt von einer sich selbst genügenden Zeitlosigkeit zu einer zeitlichen Realität bleibt unbegreiflich.“ Wenn er später (ebd., 342) jedoch diese Darstellung als dezidiert epikureisch bezeichnet, wählt er zumindest eine unglückliche, wenn nicht unpassende Formulierung. Vgl. zudem die vorausgehenden Überlegungen zu Cic. nat. deor. 1,19, wo bereits der regressus ad infinitum bei der Frage nach den Schöpfungsmaterialien angeklungen ist. Vgl. Cic. nat. deor. 1,24a. Dass sich die hier allgemein-rational formulierte Kritik an der Kugelgestalt der Götter auch dezidiert epikureisch formulieren lässt, zeigt Essler 2011a, 133 f. mit Blick auf Philodems De dis 3 auf.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

können und wie nicht-wahrnehmbare Grundformen die Grundlage menschlicher Wahrnehmung bilden sollen.184 Blickt man auf die drei Stellen zurück, an denen Velleius auf diese Argumentationsform zurückgreift, so fällt auf, dass er sie nicht für eine grundsätzliche Kritik nutzt, sondern bei der Diskussion von Spezialfragen heranzieht, die sich aus den schöpfungstheologischen Grundentscheidungen platonisch-stoischer Lehrsätze ergeben. (3) Dritter allgemeinrationaler Argumentationstyp: Widersprüchlichkeit von Lehrvorstellungen Die Methode, auf vermeintliche Widersprüche innerhalb einer philosophischen Schule, zwischen verschiedenen Vertretern einer philosophischen Schule und zwischen den Ansichten verschiedener Philosophenschulen hinzuweisen, findet sich vor allem im doxographischen Mittelteil der Velleius-Rede. Gleichwohl setzt Velleius diese Methode, die auf der Argumentationsstrategie des locus a differentibus beruht,185 bereits in der Anfangspolemik an ausgewählten Stellen, wenn auch noch dezent, als variierende Widerlegungsstrategie ein. Widersprüche zwischen Akademie und Stoa. Bereits beim zweiten Unterpunkt der Anfangspolemik186 variiert Velleius seine Angriffstechnik; nach der Dekonstruktion der Metapher vom creator mundi verweist er nämlich auf einen Bruch zwischen der akademischen und der stoischen Vorstellung bei der Frage nach der Qualität der erschaffenen Welt, der gerade angesichts der anderen Gemeinsamkeiten in den Schöpfungsvorstellungen besonders auffällt. Beide Schulen, so argumentiert Velleius, gingen von einer die Welt erschaffenden Gottheit aus, wobei Platon die göttlich erschaffene Welt für unvergänglich, die Stoa sie für vergänglich halte. Seine Kritik zielt darauf ab, die methodische Inkonsistenz dieser beiden Positionen zu erweisen, die, obgleich sie vom gleichen Ausgangspunkt ausgehen, zu verschiedenen Ergebnissen kommen. Velleius verdeutlicht, dass beide Antwortmöglichkeiten ihrerseits problematisch sind und keinen Wahrheitsanspruch behaupten können. Er konzentriert sich dabei vor allem auf die platonische Ansicht einer unvergänglichen Welt, die er mit einem Verweis auf die grundlegende Ansicht aus der Naturwissenschaft, dass alles Entstandene einmal vergeht, d. h. dass ein Anfang nicht ohne ein Ende zu denken ist, kritisiert. Ohne seine Prämissen im Einzelnen zu definieren und ohne zu begründen, inwiefern allgemein menschliche Einsichten auf die Welterschaffung übertragen werden können, setzt er vielmehr auf die suggestive Überzeugungskraft, die die Erwähnung dieses allgemein 184 Vgl. Gigon 1996, 339 ad loc. für eine philosophiehistorische Kontextualisierung und eine Rekonstruktion des platonischen Gedankengangs, auf den Velleius hier rekurriert. 185 Vgl. Sauer 2007, 261–265 für eine Übersicht über die verschiedenen loci und Schlussverfahren. 186 Vgl. Cic. nat. deor. 1,20.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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nachvollziehbaren und vielerorts unmittelbar zu beobachtenden Naturgesetzes entfaltet.187 Die Kritik an der stoischen Antwort, die von vergänglichen Welten ausgeht188 und damit eine Alternativantwort anbietet, fällt hingegen auffällig sanft aus und nimmt eher den Charakter einer interessierten Nachfrage an, die sich nach dem genauen Inhalt und der Begründungsstrategie der stoischen Schöpfungstheorie erkundigt. Nach der Argumentation mithilfe eines locus a similitudine189 entfaltet Velleius den eigentlichen Kritikpunkt nicht, sondern deutet seine Kritik an einer vergänglich geschaffenen Welt nur an. Bezeichnenderweise nutzt er diesen Anlass nicht, um etwa danach zu fragen, ob denn die stoische Pronoia nicht in der Lage gewesen sei, eine bessere Welt zu erschaffen.190 Der Grund dafür kann wohl nicht so sehr in Ciceros andernorts zu beobachtenden Tendenz gesucht werden, anwesende Dialogpartner auf verschiedene Weisen zu schonen,191 sondern lässt sich einerseits inhaltlich damit erklären, dass die stoische Position hier nicht dieselbe Angriffsfläche bietet wie die platonische Vorstellung eines Demiurgen, deren Nähe zu mythologischen Vorstellungen Velleius leichter herausarbeiten und kritisieren kann. Andererseits lässt sich hierin wohl am ehesten das dialogökonomische Bestreben erkennen, eine Doppelung zwischen der Anfangspolemik und der folgenden Mitteldoxographie zu meiden, die ihrerseits ausführlich auf verschiedene stoische Vorstellungen eingeht.192 Widersprüche zur epikureischen Lehre. Aus einem ähnlichen Grund wird von Velleius die grundsätzliche Widersprüchlichkeit der epikureischen Lehre zur Theorie

187

Vgl. dazu Gigon 1996, 339 f. ad loc., der diesen physikalischen Grundsatz zwar auf Aristoteles zurückführt, ihn jedoch seitdem als philosophisches Allgemeingut beschreibt. Vgl. auch Dyck 2003, 79 ad loc. für weitere Belegstellen unterschiedlicher philosophischer Provenienz, die diesen Grundsatz ebenfalls vertreten und ihn dadurch tatsächlich zu philosophischem Allgemeingut werden lassen. 188 Den Hintergrund bildet hier wohl die stoische Weltenbrandtheorie (ἐκπύρωσις bzw. conflagratio), die davon ausgeht, dass der Kosmos innerhalb eines bestimmten Zeitraums vergeht und wieder aufs Neue entsteht. Vgl. dazu Pease 1955, 187 ad loc. 189 Vgl. Cic. nat. deor. 1,20: Wenn die Stoa von einer unvergänglichen Welt ausgehe, dann gelten die gleichen Nachfragen wie im Falle der platonischen Lehre. 190 Diese (von Velleius nicht genutzte) Möglichkeit der Kritik deutet Gigon 1996, 340 ad loc. an, wenn er auf die unterschiedliche Macht zu sprechen kommt, die den beiden Gottheiten jeweils zugeschrieben wird. 191 Vgl. dazu immer noch Becker 1938, 18 ff. 192 Dass Velleius die stoische Position hier absichtlich schont, da sie gewisse Parallelen zur epikureischen Ansicht einer vergänglichen Welt aufweist, kommt unter Umständen noch hinzu, sollte allerdings nicht als maßgeblicher Faktor angesehen werden. Auch wenn beide Schulen nämlich darin übereinstimmen, weisen die Begründungen und systemischen Hintergründe dieser Ansicht derart diametrale Unterschiede auf, dass es schwerfällt, epikureische Sympathien für die stoische Ansicht zu vermuten. Gigon 1996, 340 ad loc. weist mit Recht darauf hin, dass das epikureische System vollständig auf das göttliche Eingreifen verzichtet und der stoischen Ansicht ein Ungleichgewicht zwischen der Theorie einer göttlichen Erschaffung der Welt und ihrer dennoch angenommenen Endlichkeit vorwerfen muss.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

eines pantheistischen Gottesbegriffs nur bemerkt, nicht jedoch weiter vertieft.193 Der explizite Verweis auf eine spätere Herleitung der epikureischen Begründung, wieso dem Kosmos keinerlei göttliche Eigenschaften zugesprochen werden können, dient vornehmlich als Überleitung zur Kritik an den beiden pantheistischen Spezialfragen, nämlich der Kugelgestalt der Götter und ihrer Gleichsetzung mit dem Kosmos bzw. der Erde;194 zudem wird durch den Verzicht auf eine ausführlichere Widerlegung sichergestellt, dass es zu keinen unnötigen inhaltlichen Überschneidungen mit späteren Ausführungen kommt. Fazit. Velleius weist in der Anfangspolemik einerseits auf Widersprüchlichkeiten zwischen den einzelnen Lehrpositionen hin, um diese später öfter herangezogene Widerlegungsstrategie bereits hier en passant einzuführen. Andererseits nutzt er den Hinweis auf Widersprüchlichkeiten vor allem auch dazu, um seine Kritik nicht im Einzelnen entfalten zu müssen und aus Gründen der Dialogökonomie auf eine spätere Diskussion der entsprechenden Themen verweisen zu können. (4) Zur Frage nach dezidiert epikureischen Argumentationsweisen Bezeichnenderweise finden sich nirgends innerhalb der Anfangspolemik dezidiert epikureische Argumente. Besonders auffallend ist dies an Stellen, wo Velleius mit Leichtigkeit seine Kritik an den platonisch-stoischen Schöpfungsentwürfen durch Einsichten aus der epikureischen Physik oder Epistemologie unterfüttern könnte, darauf jedoch konsequent verzichtet. So wird von Velleius beispielsweise der auch von epikureischer Seite geteilte Grundsatz eingebracht, dass nichts Gewordenes ewig existieren könne,195 um auf diese Weise die mit der Annahme einer Schöpfung einhergehende Ansicht Platons, dass die erschaffene Welt ihrerseits auch als ewig existierend zu denken sei, zu kritisieren. Obwohl es sich hierbei auch um ein genuin epikureisches Gedankenmodell handelt,196 verzichtet Velleius an dieser Stelle darauf, es als ein solches zu benennen und es in der Tradition Epikurs materialistisch mit den notwendigerweise wieder lösbaren Atomverbindungen zu begründen. Vielmehr setzt Velleius durch den Verweis auf die Natürlichkeit jedes Entstehens und Vergehens auf die allgemein beobachtbare

193

Vgl. Cic. nat. deor. 1,23b. Darauf geht Dyck 2003, 76 zu wenig ein, wenn er konstatiert, dass Velleius an dieser Stelle erstmalig eine Kritik auf Grundlage der epikureischen Theologie formuliert. 194 Obwohl sich gegen die These, dass Vernunft und Psyche in nicht-menschlichen Körpern existieren könnten, mit Leichtigkeit auch auf einer allgemein-rationalen Ebene (bspw. mithilfe eines locus a differentibus) argumentieren ließe, verzichtet Velleius hier auf eine solche Auseinandersetzung und beschränkt sich auf das Festhalten der Unvereinbarkeit der Lehren. Vgl. dazu Gigon 1996, 342 ad loc., der auch aristotelische Argumentationsmuster gegen die Übertragung des animus in beliebige Körper anführt. 195 Vgl. Cic. nat. deor. 1,20. 196 Vgl. Kleve 1960, 116.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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Evidenz seiner These. Epikur selbst wird als Gewährsmann nicht genannt, sondern die Argumentation mit Verweis auf eine wohl aristotelisch fundierte Naturlehre, d. h. auf eine allgemeingültige Gesetzmäßigkeit der Physik, plausibilisiert.197 Ähnliches lässt sich auch im Fall der sich anschließenden Digression beobachten, die verschiedene Zeitbegriffe voneinander abgrenzt. Velleius greift für seine Definition der Ewigkeit und der Zeitlichkeit auf Überlegungen zurück, die sich in etlichen philosophischen Schulen der Antike und auch anderen, nicht-philosophischen Kontexten nachweisen lassen.198 Dennoch ließe sich das Gesagte auch als dezidiert epikureische Position begreifen, da die Kategorie der Zeit, für Epikur ein Sonderfall eines σύμπτωμα, sich der sinnlichen Wahrnehmung entzieht und der menschlich gesetzten Einteilung bedarf.199 Genau für eine solche Einteilung braucht es aber die Existenz der Gestirne und somit den Wechsel von Tag und Nacht. Eine Unterscheidung zwischen ontologischer NichtZeit vor der Schöpfung und einer ontisch-phänomenologisch feststellbaren Zeit nach der Schöpfung bewegt sich demnach in einem epikureischen Sprachraum, zumal da für Epikur die Erörterung von etwas nicht Beweisbarem epistemologisch auch mithilfe der Technik des Epilogismos, den M. Schofield als „a vindication of our everday procedures of assessment and appraisal“200 definiert, legitim ist. Gerade für das Thema der Zeit ist eine epilogistische Abhandlung Epikurs bekannt,201 wo die Einteilung der Zeit mithilfe allgemeiner Beobachtungen begründet wird.202 Diese Überlegungen sind also für einen Epikureer nichts Ungewöhnliches, auch wenn hier wiederum zugunsten einer allgemein-rationalen Fundierung auf jeden Bezug auf Epikur als Autoritätsfigur oder auf dezidiert epikureische Begrifflichkeiten verzichtet wird.203 Besonders auffallend ist der Verzicht auf epikureische Begründungen bei der Kritik an den kugelförmigen Gottheiten. So ließe sich Velleius’ nicht-epikureisch begründeter Vorwurf der Beliebigkeit und der menschlichen Setzung auch mithilfe der

197 198 199 200 201 202

203

Vgl. Cic. nat. deor. 1,20a: Hunc censes primis ut dicitur labris gustasse physiologiam id est naturae rationem, qui quicquam quod ortum sit putet aeternum esse posse? Vgl. für eine Zusammenstellung der Parallelstellen Pease 1955, 188 f. Vgl. Hossenfelder 1998, 127 f. Schofield 1996, 222. Vgl. Epikur, Herodot-Brief, 72 f. Vgl. dazu Essler 2011b, 203. Zudem ließe sich mit Asmis 1984, 284 f. und Dyck 2003, 80 ad loc. anführen, dass die Theorie eines plötzlichen Wechsels der nicht-linearen Ewigkeit zu linearer Zeitlichkeit der epikureischen Ansicht zuwiderläuft, dass sich der Kosmos durch immergleiche Prozesse und Abfolgen auszeichnet, die sich ihrerseits nicht fundamental ändern. Auch hierin verzichtet Velleius also auf eine dezidiert epikureische Herleitung. Mit Recht weist Pease 1955, 187 ad loc. auf Lucr. 5,168–175 hin, wo auch Lukrez Kritik an der Vorstellung eines Schöpfungshandelns äußert, das die Frage nach der göttlichen Tätigkeit vor der Schöpfung und für den Grund ihres Heraustretens aus der Ewigkeit in die Zeitlichkeit stellt. Auch Lukrez arbeitet hier mit ähnlichen allgemeinrationalen Mustern, dem dichten Einsatz direkter Fragen und z. T. vergleichbaren Formulierungen (ast, credo, in tenebris vita ac maerore iacebat, Lucr.  5,174; si ut deus ipse melius habitaret, antea videlicet tempore infinito in tenebris tamquam in gurgustio habitaverat, Cic. nat. deor. 1,21).

206

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

epikureischen Physik untermauern. Mithilfe der atomistisch-materialistischen Wahrnehmungstheorie könnte nämlich die epistemologische Beliebigkeit im Fall der Kugelgestalt der Götter dadurch erklärt werden, dass sich das Urteil des menschlichen animus (hier: Kugelgestalt der Götter) fälschlicherweise von der eigentlich sinnlichen Wahrnehmung (hier: menschliche Gestalt der Götter, die durch das Einströmen von deren feinen Atomen vermittelt wird) löst und es somit zu einer fehlerhaften Beurteilung der menschlichen Wahrnehmung kommt. Auch wenn andernorts im ersten Widerlegungsteil epikureische Ansichten subkutan anklingen204 und Velleius manchmal sogar auf epikureisch gefärbte Begriffe zurückgreift, so werden sie nirgends als dezidiert epikureische Termini eingeführt oder benannt, sondern fügen sich in ihren Kontext ein und erfahren eine nicht-schulgebundene Herleitung.205 Als besonders geschickt hingegen erscheint es, wenn Velleius in seiner Kritik an akademisch-stoischen Überlegungen nicht nur auf allgemein-rationale Widerlegungsstrategien zurückgreift, sondern sogar die Prämissen gerade derjenigen philosophischen Schule einflicht, die er gerade kritisiert. So steht am Ende der Frage nach dem Grund für das Schöpfungshandeln der Gottheit die Frage, ob die Welt denn für die Weisen oder die Toren geschaffen worden sei.206 Indem Velleius hier implizit eine stoische Leitkategorie aufgreift und am Endpunkt seiner percontatio zeigt, dass beide stoischen Antwortmöglichkeiten keine hinreichende Lösung bieten, gelingt es ihm, die Stoa mit ihren eigenen Waffen zu schlagen.

204 Vgl. dafür vor allem zwei Stellen, nämlich Cic. nat. deor. 1,22: Laboremne fugiebat? At iste nec attingit deum […] und Cic. nat. deor. 1,24: In qua non video, ubinam mens constans et vita beata possit insistere. Die an beiden Stellen im Hintergrund stehende Idee, dass sich Mühe und Anstrengung nicht mit dem Begriff der Gottheit vertragen, wird nur angedeutet, nie jedoch ausgeführt. Auch die Formulierung apte cadentes (1,19), mit der Velleius die Hervorrufung von Geisteskraft und Sinnen durch die fünf Grundformen anzweifelt, bedient sich auffallenderweise des Verbs cadere, das unter anderem Lukrez dafür verwendet, um das Fallen der Atome im Vakuum zu beschreiben; vgl. Lucr. 2,184–215 für die Atombewegungen und Lucr. 2,209 für cadere. Zudem vermutet Dyck 2003, 79 wohl zu Recht, dass Cicero mit dem Neologismus coagmentatio (1,20) das griechische Substantiv σύγκρισις wiedergibt, welches Epikur zur Beschreibung der Zusammensetzung der Atome verwendet. Auch diese Verwendung ließe sich damit erklären, dass Cicero Velleius’ Rede dadurch eine dezente epikureische Färbung verleiht, ohne dass die Verwendung eines solchen Terminus die allgemein-rationale Darstellungstendenz gefährden würde. 205 Daher ist Gigon 1996, 335 nicht zuzustimmen, der Velleius in der Anfangspolemik vorwirft, „mehrere epikureische Thesen vorweg[zunehmen]“, ohne sie hier oder im Folgenden detailliert zu begründen. Vielmehr sollte der Umstand betont werden, dass gerade dezidiert epikureische Ansichten allgemein-rational hergeleitet werden und bewusst auf schulgebundene Herleitungen verzichtet wird. 206 Vgl. Dyck 2003, 76 für den Nachweis der stoischen Unterfütterung in Cic. nat. deor. 1,23.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

207

c) Verhältnis der Argumentationstechniken im doxographischen Mittelteil Im zweiten, doxographisch angelegten Teil der Velleius-Rede findet keiner der philosophischen Entwürfe Velleius’ Zustimmung. Auch wenn die Besprechung der konkurrierenden Philosophen unter dem Strich also stets auf eine negative Beurteilung hinausläuft, unterscheidet sich die epikureische Kritik sowohl hinsichtlich ihrer inhaltlichen Ausrichtung als auch hinsichtlich der jeweils herangezogenen Begründungen und der daraus resultierenden Plausibilitätsgrade im Einzelnen deutlich voneinander. (1) Zu den Arten und Schwerpunkten der Argumentationsstruktur Inhaltliche Zweiteilung der Kritik. Inhaltlich lassen sich zwei unterschiedliche Anlässe ausmachen, die Velleius’ Kritik provozieren. So stößt sich Velleius einerseits an denjenigen Positionen, die mit den theologischen Ansichten Epikurs nicht in Einklang zu bringen sind; andererseits kritisiert er diejenigen Ansichten, die er als in sich widersprüchlich und inkohärent wahrnimmt. Die epikureisch fundierte Kritik, die in der vorausgehenden Anfangspolemik niemals direkt formuliert worden war und auch implizit nur an wenigen Stellen durchschien, findet sich in dieser Deutlichkeit erst in der Mitteldoxographie und prägt dort Velleius’ Durchgang durch die Philosophiegeschichte, da er die von ihm behandelten Einzelphilosophen vorwiegend aus einem dezidiert epikureischen Blickwinkel heraus bewertet.207 Kritik erfahren die anderen philosophischen Ansichten immer dann, wenn ihre Annahmen gegen die epikureische Überzeugung der Körperlichkeit (1), der Unsterblichkeit (2) oder der Glückseligkeit (3) der Götter verstoßen. So kritisiert Velleius zuvörderst Gottesvorstellungen, die von körperlosen Gottheiten208 ausgehen, da Velleius ihnen sowohl ihre Empfindungsfähigkeit abspricht als auch die Möglichkeit, allein durch ihren Willen auf die Welt einzuwirken. Darüber hinaus werden diejenigen philosophischen Ansichten kritisiert, die von der Sterblichkeit der Götter bzw. Gottes 207 Hoyer 1898, 49 übersieht, dass diese Art der epikureisch fundierten Kritik die Mitteldoxographie stark prägt. Er sieht darin nur einzelne „Zusätz[e]“ und behauptet, dass die epikureisch fundierte Kritik davon abgesehen „dem ganzen Excerpt fern liegt“. Vielmehr, so Hoyer 1898, 48, „entpuppt sich Velleius in dem größten Theil seiner Rede […] als Skeptiker“; auch wenn er somit als erster zumindest implizit auf die verschiedenen Perspektiven innerhalb der Velleius-Rede aufmerksam macht, so geht er im Gesamten zu holzschnittartig vor und übersieht die epikureische Fundierung innerhalb der Mitteldoxographie. Auch Classen 2010, 199 äußert die erstaunliche und nicht weiter unterfütterte Behauptung, dass die epikureische Perspektive hier keine größere Rolle spielt und Cicero Velleius vornehmlich auf die Inkonsistenz der einzelnen philosophischen Ansichten abzielen lässt. 208 Da auch Velleius im Folgenden ohne erkennbare inhaltliche Unterschiede zwischen dem Begriff „Gott“ im Singular und dessen Pluralform wechselt, hat auch der Wechsel hier zwischen beiden Formen keinen hermeneutischen Mehrwert.

208

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

ausgehen oder diese zumindest laut epikureischer Sichtweise implizieren, indem sie die Gottheit mit etwas Gewordenem und dadurch Sterblichem, wie bspw. Planeten, verbinden oder explizit von Geburt und Vergehen der Gottheiten sprechen. Schließlich werden auch diejenigen Gottesvorstellungen angegriffen, welche die Götter in einer solchen inneren Unruhe oder äußeren Zerrüttung sehen, dass eine derartige göttliche Existenz nicht mit der ihr notwendigerweise zukommenden Glückseligkeit verbunden werden könne. Während die Kritik an der fehlenden oder inadäquat beschriebenen Körperlichkeit den Schwerpunkt von Velleius’ Ausführungen bildet, folgt mit größerem Abstand an zweiter Stelle die Kritik an all denjenigen Ansichten, die durch ihre Ausführungen die Unsterblichkeit der Götter gefährden. Weit abgeschlagen steht erst an dritter Stelle die Kritik an denjenigen philosophischen Lehrsätzen, welche die Glückseligkeit der Götter gefährden; lediglich an drei Passagen innerhalb der Mitteldoxographie greift Velleius auf diesen Kritikpunkt zurück. Dies wird man wohl damit erklären können, dass Velleius die meisten philosophischen Ansichten auf einer grundlegenderen Ebene kritisiert. Wenn die zu kritisierende Ansicht in Velleius’ Sichtweise nämlich nicht einmal die materiale oder epistemologische Grundlage eines satisfaktionsfähigen Gottesbegriffs erfüllt, dann stellt sich die für den Epikureer eigentlich grundlegende Frage nach der Glückseligkeit der Gottheit gar nicht, da die meisten der kritisierten Gottesvorstellungen nicht einmal in die Nähe der epikureischen Gottheit kommen. Die in diesem Widerlegungsteil seltener vorkommende allgemein-rationale Kritik an gewissen Philosophen bemüht sich in den meisten Fällen darum, jeweils offensichtliche systemische Inkonsistenzen aufzuzeigen, womit Velleius eine Widerlegungsstrategie aufgreift, die er bereits in der Anfangspolemik eingeführt hat. Meist greift er dann auf sie zurück, wenn ein Philosoph den Begriff der Gottheit mit verschiedenen, disparaten Inhalten füllt oder in verschiedenen Büchern unterschiedlich definiert.209 Hier kann Velleius allgemein-rational auf die Inkonsistenz bzw. Inkonsequenz der jeweiligen Position hinweisen. Mitunter vereinigt Velleius auch beide Argumentationstypen zu einem forcierten Angriff und greift auch dafür auf Argumentationsstrategien zurück, die die Rezipienten bereits aus der Anfangspolemik kennen. Argumentative Auffächerung der Kritik. Untersucht man die Begründungen, mit denen von Velleius die einzelnen schulgebundenen wie schulungebundenen Widerlegungen untermauert werden, so fällt auf, dass sich in beiden Bereichen unterschiedliche Plausibilitätsgrade finden lassen. Im Falle der epikureisch fundierten Widerlegungen fallen zunächst solche Argumentationen auf, deren Plausibilitätsgrad als relativ

209 Classen 2010, 199 stellt diejenigen Verben zusammen, die Velleius in solchen Fällen verwendet und die er als eine „impartial and appropriate language“ beurteilt. Dazu gehören laut Classen etwa non vidit, non sensit, quod fieri non potest, neque […] quisquam suspicari potest. Die inconstantia benennt, so Classen, Velleius entweder direkt (so etwa in Cic. nat. deor. 1,30.35) oder zeigt sie durch korrespondierende Adverbien wie tum-tum oder modo-modo auf.

209

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

niedrig einzustufen ist. In solchen Passagen stellt Velleius die religionsphilosophische Ansicht des jeweiligen Philosophen meist schlaglichtartig vor und konfrontiert sie soTabelle Überblick über die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Widerlegungen Philosoph

(Paragraphenangaben)

Thales (25)

epikureisch fundierte Kritik Körperlichkeit

Glückseligkeit

x

Anaximander (25)

x

Anaximenes (26)

x

Anaxagoras (26 f.)

x

Alkmaion (27)

Unsterblichkeit

allgemein-rationale Kritik

x

(x)210 x*211

(x)

x212

Pythagoras (27 f.)

x

(x)

x

Xenophanes (28)

x

Parmenides (28)

x

x

(x)

Empedokles (29)

x

x

Protagoras (29)

(x)

Demokrit (29)

(x)

Diogenes (29)

x

Platon (30)

x

Xenophon (31)

x

x x

x x

Antisthenes (32)

x

Speusippos (32)

x

Aristoteles (33)

x

x

x

Xenokrates (34)

(x)

x

x

Herakleides (34)

x

x

Theophrast (35)

(x)

x

Straton (35)

x

Zenon (36)

x*

Ariston (37)

x

210 211 212

(x) x*

Die Klammer signalisiert, dass dieser Aspekt jeweils nur implizit angebracht wird. Das Sternchen weist darauf hin, dass sich bei dem entsprechenden Philosophen Argumente finden, die sonst nirgends anders aufgeführt werden. Die Unterstreichung zeigt an, dass es sich hierbei um eine besonders grundlegende Argumentation handelt.

210

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Philosoph

(Paragraphenangaben)

Kleanthes (37)

epikureisch fundierte Kritik Körperlichkeit (x)*

Persaios (38) Chrysipp (39–41) Diogenes (41)

Unsterblichkeit

Glückseligkeit

allgemein-rationale Kritik x

x (x)

(x)

x x

dann im unmittelbaren Anschluss mit einem der drei epikureisch geprägten Kritikpunkte.213 Allein die fehlende Übereinstimmung der vorgestellten Ansicht mit der epikureischen Position bringt Velleius zu einem ablehnenden Urteil, das von ihm oftmals apodiktisch angeführt und nicht weiter untermauert wird. Da in solchen Widerlegungen nachgerade ein Verzicht auf eine Begründung der jeweiligen Ablehnung festzustellen ist, kann ihnen meistens214 nur geringe Plausibilität zugesprochen werden. Sie setzen nämlich einen Leser voraus, der die epikureischen Prämissen nicht nur kennt, sondern sie vor allem auch schon teilt. Neben diesen Passagen finden sich Widerlegungsabschnitte, deren Kritik inhaltlich zwar auf den epikureischen Prämissen beruht, im Fortgang des Arguments jedoch mithilfe von allgemeinverständlichen Begründungen unterfüttert wird, die den Rezipienten bereits in der Anfangspolemik begegnet sind.215 Solche Widerlegungen können eine höhere Plausibilität für sich beanspruchen, da die einzelnen allgemein-rationalen Begründungen, z. T. sogar unter namentlicher Nennung der jeweils referenzierten Schriften des kritisierten Philosophen,216 selbst solchen Lesern einleuchten können, für die die epikureischen Prämissen als solche keine unmittelbare Überzeugungskraft 213

Neben den ersten Vorsokratikern Thales, Anaximander, Anaximenes und Alkmaion (1,25–27), die im Folgenden noch genauer untersucht werden, finden sich solche Argumentationsgänge bei Xenophanes, Parmenides (1,28), Empedokles, Diogenes von Apollonia (1,29), Speusipp (1,32), Xenokrates (1,34), Herakleides (1,34), Straton (1,35), Zenon (1,36, Mischung verschiedener Begründungsmuster) und Ariston (1,37). 214 Jenseits der geringen Plausibilität, die durch allgemein-rationale Begründungen erzielt werden würde, lässt sich gerade bei den Widerlegungen, die auf den Aspekt der Sterblichkeit bei einzelnen der philosophischen Gottesvorstellungen hinweisen, zumindest mit einer gewissen Suggestionskraft rechnen, die bei den Rezipienten Zustimmung hervorrufen kann, da die epikureischen Prämissen hier mit einem allgemeinen Gottesverständnis koinzidieren; vgl. dazu im Folgenden bspw. die Besprechung des Alkmaion (Cic. nat. deor. 1,27). Auch bei Parmenides’ Divinisierung abstrakter Zustände wie Krieg und Lust (Cic. nat. deor. 1,28) kann man mit einer höheren, suggestiven Plausibilität rechnen. 215 Dazu zählen unter anderem Anaxagoras (1,26 f.), Pythagoras (1,27 f.) und Zenon (1,36), die im Folgenden noch näher analysiert werden, sowie Persaios (1,38), dessen euhemeristischer Ansatz breit entfaltet und kritisiert wird, und Diogenes von Babylon (1,41), auf dessen Mythenallegorese abgezielt wird. 216 So weist Velleius bei der Besprechung des Xenokrates (1,34) auf dessen De natura deorum hin; auch am Ende der Doxographie findet sich bei der abschließenden Kritik an Diogenes (1,41) ein Verweis auf dessen Schrift De Minerva.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

211

haben. Überraschenderweise verzichtet Velleius allerdings während der gesamten Mitteldoxographie darauf, seine epikureischen Prämissen im Vorfeld herzuleiten, genauer zu erläutern oder zumindest als solche explizit einzuführen.217 Wenn sie von ihm mit weiterführenden Begründungen versehen werden, so lassen sich lediglich schulungebundene, allerdings fast nie dezidiert epikureische Begründungen finden. Es bleibt im weiteren Fortgang der Untersuchung also zu fragen, wie sich dieser Befund erklären lässt. Auch im Falle der allgemeinen Widerlegungen kann man unterschiedliche Plausibilitätsgrade erkennen. Während solche Widerlegungen, die divergierende Lehrinhalte eines Philosophen im Laufe seines Wirkens lediglich benennen, ohne die dahinterstehende Problematik weiter zu beleuchten,218 oftmals auf eine eigentliche argumentative Auseinandersetzung verzichten, lassen sich auch Beispiele finden, die die systemischen Inkonsistenzen nicht nur durch die Angabe der jeweiligen Fundstellen219 und unter Berücksichtigung unterschiedlicher Sprecherinstanzen220 näher beschreiben, sondern in ihrer Problematik auch eingehend darstellen, auswerten und in allgemein-

217

Mit Recht weist auch Classen 2010, 200 auf diesen Umstand hin und benennt vor allem den häufigen Einsatz der ersten Person Plural (z. B. in comprehendimus, volumus esse, nobis occurrit) als ein sprachliches Merkmal, anhand dessen sich erkennen lässt, dass Velleius seine eigene, epikureische Perspektive als eine allgemein gültige Perspektive einführt. 218 Dazu zählen bspw. die Kritik an Demokrit (1,29), an Herakleides (1,34), Theophrast (1,35) und Kleanthes (1,37). 219 Vgl. Cic nat. deor. 1,30, wo Velleius auf theologische Unterschiede zwischen Platons Timaios und den Nomoi hinweist, sowie Cic. nat. deor. 1,32 für den Rekurs auf Antisthenes’ Physicus und Cic. nat. deor. 1,33, wo er auf das dritte Buch des Aristoteles De philosophia anspielt und auf Widersprüchlichkeiten innerhalb des Buches hinweist. Genaue Buchangaben liefert Velleius auch im Fall von Chrysipp (vgl. Cic. nat. deor. 1,39–41) und dessen Werk De natura deorum. Vagere Angaben finden sich hingegen im Falle Zenons (vgl. Cic. nat. deor. 1,36); nachdem sich Velleius ohne Angabe eines Buches über Zenons Ansichten zum göttlichen Naturgesetz geäußert hat, leitet er mit der Formulierung alio loco zur Behandlung von Zenons Ansicht über, dass der Äther göttlich sei, um schließlich mit der Formulierung aliis autem libris zur göttlichen Weltenseele zu kommen. Dyck 2003, 106 f. ad loc. sieht in diesen Überleitungen einen Erweis für Ciceros allzu flüchtiges Exzerpieren, da er es versäumt habe, bei der anfänglichen Diskussion des göttlichen Naturgesetzes ein Buch Zenons mit Titel zu zitieren. Diese Schlussfolgerung Dycks verkennt jedoch die argumentative Zielsetzung des Velleius an dieser Stelle: Es kommt ihm hier lediglich darauf an zu zeigen, dass Zenon sich in drei unterschiedlichen Werken unterschiedlich über die Gottheit geäußert habe. Da er auch im Fortgang keinerlei Titel nennt, lässt sich aus dem Fehlen eines Buchtitels am Beginn der Zenon-Passage kein Kennzeichen von ciceronischer Flüchtigkeit ablesen. Auch am Ende von Zenons Behandlung weist Velleius lediglich knapp auf Zenons Allegorese der Theogonie Hesiods hin, ohne anzuführen, ob es sich dabei um einen gesonderten Kommentar Zenons zu Hesiods Theogonie handelt oder ob er auf ein physikalisches Werk Zenons anspielt (vgl. zur Diskussion Pease 1955, 255 ad loc. und Dyck 2003, 107 ad loc.). Auch im Falle des Kleanthes wird der Buchtitel nur ungenau wiedergegeben (vgl. Cic. nat. deor. 1,37; zum Titel der Schrift De voluptate vgl. Pease 1955, 259 ad loc.). 220 Vgl. Cic. nat. deor. 1,31, wo Velleius dezidiert darauf hinweist, dass Xenophon in seinen sokratischen Schriften nicht in eigenem Namen spricht, sondern Sokrates als Sprecher auftreten lässt.

212

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

verständlicher Weise hinterfragen,221 sodass ihnen eine höhere Plausibilität und Überzeugungskraft beigemessen werden kann. Einsatz der einzelnen Widerlegungs- und Argumentationsstrategien. Aus der Übersicht der vorherigen Seiten lassen sich bereits mehrere Schlüsse über die Gestaltung der Mitteldoxographie ziehen. Zunächst fällt auf, dass sich die Argumentation inhaltlich hier vornehmlich auf zwei Grundtypen von Argumenten stützt, nämlich allen voran auf den dezidiert epikureisch geprägten Aspekt der Körperlichkeit der Götter und auf die systemische Inkonsistenz einiger philosophischer Ansätze.222 Zudem fällt auf, dass sich Velleius in der gesamten doxographischen Passage zwar eines eher eingeschränkten Repertoires an Begründungs- und Widerlegungsstrategien bedient, dieses jedoch je nach behandeltem Philosophen unterschiedlich stark gewichtet und teilweise in Reinform, oftmals jedoch in einem bunten Mischverhältnis anbringt. Möchte man die Plausibilität einer Widerlegung beurteilen, stellt sich in manchen Passagen die Beobachtung ein, dass Velleius bei der Kritik an einem Philosophen teils sowohl auf epistemologisch valide als auch auf weniger plausible Begründungen zurückgreift, teils jedoch auch mehrere plausible Argumentationsstrukturen zusammenspannt. Daher stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien Velleius sein Repertoire an inhaltlichen Kritikpunkten und unterschiedlichen Begründungen innerhalb der Doxographie verteilt und wie sich sein variantenreicher Einsatz eines an sich überschaubaren Tableaus von Kritikpunkten und Argumentationsstrategien erklären lässt. Im Folgenden soll daher die These erläutert werden, dass sich an zentralen Stellen der Mitteldoxographie ein kompositorisch bedachter Einsatz der jeweiligen Argumentationsweise beobachten lässt, der den Leser behutsam mit den verschiedenen Argumentationsstrategien vertraut macht und vor allem dazu dient, bestimmte Philosophen besonders herauszustellen. (2) Der einführende Charakter der ersten fünf Philosophen Am Beginn der Mitteldoxographie schlägt Velleius, anders als bei dem stark affektiv aufgeladenen Einstieg zu Beginn seiner Anfangspolemik, stillere Töne an, die den argumentativen Neueinstieg als solchen kenntlich machen. Um die Kohärenz der Velleius221

Vgl. dazu vor allem die Widerlegung Platons (1,30), des Antisthenes (1,32), des Aristoteles (1,33), Zenons (1,36), des Kleanthes (1,37) und Chrysipps (1,39–41). 222 Daher trifft die von Pease 1955, 204 geäußerte These, dass die gesamte Argumentation innerhalb der Doxographie auf den zwei „fundamental axioms of Epicurus that the gods must be conceived as eternal and happy“ fußt, nicht zu. Besser fasst es Auvray-Assayas 1996, 69, die von den drei epikureischen Prämissen der proleptischen Gotteserkenntnis, der Unsterblichkeit und der menschlichen Gestalt der Götter ausgeht; auch Auvray-Assayas lässt sich allerdings ausschließlich von den in der Lehrentfaltung präsentierten Prämissen leiten, ohne zu prüfen, ob sich aus einer Analyse der Mitteldoxographie nicht andere Schwerpunkte ergeben.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

213

Rede zu sichern, lassen sich dennoch auch stilistische Bezüge zur Anfangspolemik erkennen. Bei Thales und Anaximander, den ersten beiden behandelten Philosophen, finden sich deshalb etliche rhetorische Fragen, wie sie Velleius bereits in der Anfangspolemik an prominenter Stelle eingesetzt hat. Anders als dort treten sie hier jedoch nicht in dichter Reihung auf, sondern weisen einführend bei den beiden ersten Philosophen jeweils nur auf einen einzigen Kritikpunkt hin.223 Bei Thales (1,25), dem ersten Philosophen der Mitteldoxographie, wird anhand von dessen Theorie der körperlosen Gottheit, die die Welt aus dem Wasser erschafft,224 das Problem der Körper- und der damit verbundenen Empfindungslosigkeit der Gottheit eingeführt. Dadurch lässt Velleius seinen doxographischen Überblick gerade mit demjenigen Kritikpunkt beginnen, der auch im Folgenden am häufigsten verwendet wird. Anders als in der Anfangspolemik werden die rhetorischen Fragen und Interjektionen hier dafür eingesetzt, um epikureische Grundsätze einzuführen, ohne sie näher begründen, als solche benennen oder langwierig herleiten zu müssen. Wenn Velleius nach der Vorstellung der Grundthese des Thales nämlich parenthetisch seine eigene Bewertung anführt (Si dei possunt esse sine sensu!), so handelt es sich dabei um die affektiv formulierte, epikureische These, dass Götter nicht ohne Empfindungen vorstellbar sind. Erst der folgende Satz macht deutlich, inwiefern die Ansicht einer körperlosen Gottheit die Frage nach deren Empfindungsfähigkeit evoziert. Da Empfindungen nämlich für Velleius an die Körperlichkeit gebunden sind, bereitet dieser erste Ausruf die Einführung der eigentlichen These vor,225 die sich sodann in der abschließenden rhetorischen Frage findet: Et men223

Auch im Fortgang der Doxographie wird Velleius (wie auch im Falle von Thales und Anaximander) gerade dort auf rhetorische Fragen zurückgreifen, wo er die Position eines Philosophen schlaglichtartig mit epikureischen Prämissen konfrontiert, dabei auf eine weiterführende argumentative Untermauerung seiner Kritik verzichtet und stattdessen auf die suggestive Wirkung der rhetorischen Fragen setzt. 224 Mit Recht wird darauf hingewiesen, dass die ciceronische Darstellung, eine göttliche mens habe aus dem Wasser als Grundstoff die Welt erschaffen, für Thales nicht im maßgeblichen Zeugnis (Aristoteles, Metaphysik 1,3,983b18 ff.), sondern nur noch an wenigen anderen Stellen belegt ist (vgl. dafür vor allem Gigon 1996, 348 f.). Da es sich dabei jedoch um eine von Cicero unabhängige Überlieferung handelt, darf man davon ausgehen, dass es sich hier nicht um einen ciceronischen Lapsus oder eine bewusste Überzeichnung (so McKirahan 1996, 870) handelt, sondern dass bewusst auf einen Aspekt der Thales-Lehre rekurriert wird, der es Cicero erlaubt, Velleius seine zentrale Prämisse einführen zu lassen und zudem mit der Thematik der creatio mundi einen dezenten, kohärenzstiftenden Verweis auf die Anfangspolemik einzuflechten. 225 Für Pease 1955, 207 ad loc. (und unverändert auch bei Dyck 2003, 85 ad loc.) erfüllt dieser erste kommentierende Ausruf des Velleius nicht die Funktion einer Überleitung zum eigentlichen Argument der fehlenden Körperlichkeit, sondern steht für sich alleine und verweist auf die fehlende Glückseligkeit der Götter: Wenn die Gottheit nämlich keine Empfindungsfähigkeit besitzt, dann bestünde für sie auch keine Möglichkeit, ewig glückselig zu sein. Von den Belegstellen aus dem weiteren Verlauf der Doxographie, auf die Pease als Beleg für seine These verweist, findet sich nur an einer einzigen Stelle eine Verbindung von Sensualismus und Glückseligkeit (Cic. nat. deor. 1,34); dort allerdings bezeichnet sensus nicht die allgemeine Empfindungsfähigkeit (i. S. v. OLD 1735 s. v. sensus, Nr. 1 „Capacity to perceive by the senses, sensation“ bzw. Nr. 4 „The faculties of perception“) der astralen Gottheiten, sondern ihre konkreten Empfindungen (i. S. v. OLD 1735 s. v.

214

V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

tem cur aquae adiunxit, si ipsa mens constare potest vacans corpore? Velleius’ Nachfrage macht dabei deutlich, dass seines Erachtens kein Geist ohne Körper gedacht werden könne.226 In beiden Fällen werden die epikureischen Prämissen als Kommentare zu Thales’ Lehre in einer affektiv aufgeladenen sprachlichen Form präsentiert, welche den Verzicht auf eine ausführlichere, begründende Herleitung kaschiert und die epikureischen Prämissen als Selbstverständlichkeiten ausgibt, die – so Velleius’ Taktik – nicht weiter begründet werden müssten und unmittelbar einleuchtend seien. Wenn Velleius sodann bei Anaximander (1,25), dem zweiten Philosophen der Mitteldoxographie, die Frage aufwirft, ob Götter auch als sterbliche Wesen227 gedacht werden können, die sowohl geboren werden als auch sterben können,228 führt er sogleich denjenigen epikureisch geprägten Kritikpunkt an, der nach der Kritik an der fehlenden Körperlichkeit innerhalb der Mitteldoxographie am zweithäufigsten begegnet. Auch hier führt die rhetorische Frage Sed nos deum nisi sempiternum intellegere qui possumus? den epikureischen Grundsatz ein, der darauf hinausläuft, dass Götter für Velleius nur als unsterbliche Wesen vorstellbar sind. Velleius verzichtet auch hier auf eine Herleitung dieser Prämisse;229 mithilfe der Form der rhetorischen Frage verdeckt er dies je-

226

227 228

229

sensus, Nr. 7 „A mental feeling, emotion“) der Planetenrotation, der Hitze oder der körperlichen Dissoziation, die die Glückseligkeit der Götter verhindern. Die Empfindungsfähigkeit der Gottheit bildet daher höchstens die allgemeine Voraussetzung ihrer Glückseligkeit, steht mit dieser aber nicht in unmittelbarer Verbindung und verweist auch nicht unmittelbar auf sie. Cicero entfaltet den hier nur angedeuteten Kritikpunkt nicht weiter, der darauf abzielt, die Sinnlosigkeit des Wassers als Schöpfungsmittlerin bzw. Schöpfungsmaterie aufzuzeigen, wenn man davon ausgeht, dass die göttliche mens auch ohne jeden Körper existieren und auf andere Körper einwirken könne. (Dass die rhetorische Frage darauf abzielt, dass die Verbindung von Wasser und Geist für Velleius deshalb unsinnig sei, da sich der göttliche Geist für den Epikureer nur mit einem menschlich aussehenden Körper verbinden könne, wie Gigon 1996, 350 meint, wird durch die exponierte Voranstellung des Pronomens ipsa sowie durch die Formulierung constare potest vacans corpore nicht nahegelegt.) Diese argumentative Zurückhaltung lässt sich am ehesten damit erklären, dass komplexere, allgemein-rationale Überlegungen an einer Stelle eher hinderlich sind, wo es Cicero zunächst darauf ankommt, den Leser mit Velleius’ Prämissen und Darstellungsweisen vertraut zu machen. Durch die abschließende Erläuterung eosque innumerabilis esse mundos, durch die deutlich wird, dass Anaximanders Gottheiten als vergehende und wieder entstehende Welten zu verstehen sind, wird ein Bogen zur Anfangspolemik geschlagen. Dyck 2003, 85 f. zeigt auf, dass Cicero Velleius, wie bereits im ersten Teil der Widerlegung, mit einer gewissen Vereinfachung arbeiten lässt, da Anaximander wohl von einem mehrgliedrigen Göttersystem ausgeht und zwischen dem ewigen ἄπειρον und den daraus hervorgehenden, vergänglichen Welten unterscheidet (die laut Aetius 1,7,12 jedoch auch als „göttlich“ bezeichnet werden können). Die Vereinfachung lässt sich an dieser exponierten Stelle innerhalb der Mitteldoxographie am ehesten damit erklären, dass ein komplexer philosophischer Gedankengang aus didaktischen Erwägungen heraus elementarisiert wird, um dem Leser die epikureischen Bewertungsmaßstäbe vorzuführen, ohne ihn durch Aspekte abzulenken, die für das Verständnis des von Velleius angesprochenen Problems nicht weiter relevant sind. Mit Recht weist Auvray-Assayas 1996, 70 darauf hin, dass Velleius bereits in der Anfangspolemik (1,20) die These eingeführt hat, dass alles Gewordene auch vergeht. Cicero kann also mit der Vertrautheit des Lesers mit dieser Prämisse rechnen.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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doch wiederum, indem er (wohl auch mit einem gewissen Recht) auf eine allgemeine Plausibilität seiner These hofft. Bei Anaximenes (1,26), dem dritten Philosophen der Mitteldoxographie, der die Luft als Gottheit ansieht, finden sich diese beiden ersten Kritikpunkte zu einer Synthese vereint, indem Anaximenes’ Annahme kritisiert wird, dass die Gottheit weder figürlich fixiert noch unvergänglich sei. Da diese beiden epikureisch gefärbten Prämissen durch die Kritik an den ersten beiden Philosophen als eingeführt gelten können, nutzt Velleius die sich anschließende Besprechung des Anaximenes nicht nur dazu, um sie durch deren Wiederholung als wichtig zu kennzeichnen und sie dem Leser einzuprägen, sondern auch dazu, um deren Kritikwürdigkeit deutlicher darzustellen. Die Kritik an einer nur aus Luft bestehenden Gottheit wird im Gegensatz zu Thales dabei explizit an der fehlenden Körperlichkeit festgemacht und durch den Gedanken ergänzt, dass der Gottheit nicht nur eine beliebige Gestalt, sondern die vollkommene Gestalt zukommen müsse. Zudem zeigt Velleius, dass bereits die Vorstellung, dass die Gottheit eines Tages entstanden sei, problematisch sei und notwendigerweise auf deren Sterblichkeit abziele, da der Gedanke des Entstehens notwendigerweise den Gedanken des Vergehens impliziere.230 Beide Ergänzungen greifen damit Überlegungen auf, die bereits in der Anfangspolemik angeklungen sind; anders als dort werden sie hier allerdings nicht weiter erläutert oder unterfüttert, sondern lediglich in ausführlicherer Form in Erinnerung gerufen. Während im letzteren Fall Velleius darauf setzen kann, dass seinen Zuhörern die Erklärung aus der Anfangspolemik noch präsent ist, liefert er im ersteren Fall zwar eine Ergänzung der epikureischen Sicht auf die Göttergestalt, ohne dabei jedoch zu einer befriedigenden oder umfassenderen Klärung beizutragen.231 Die Kritik an Anaximenes erscheint dadurch mit Blick auf den Plausibilitätsgrad ihrer Argumentation als eine durchmischte Widerlegung, in der sich allgemein-rational nachvollziehbare Überlegungen mit weniger überzeugenden Aspekten verbinden. Das erste Triptychon zeigt dem Leser somit die beiden im Folgenden am häufigsten eingesetzten epikureischen Kritikpunkte in inhaltlich wie stilistisch steigernder Form auf. Die überaus kurze Besprechung der ersten drei Vorsokratiker bringt allerdings auch den Nachteil mit sich, dass dem Leser keine vertiefende Begründung für Velleius’ 230 Die ältere Forschung (vgl. Pease 1955, 210 ad loc. für einen Forschungsüberblick) hat an der Formulierung eumque gigni Anstoß genommen, da die Luft als Grundelement für Anaximenes sonst nirgends als vergänglich vorgestellt wird. Dass dieser Umstand weder auf Ciceros Flüchtigkeit noch auf eine bewusste Verzerrung der Lehre durch Velleius zurückgeführt werden muss, hat Gigon 1996, 350 f. überzeugend gezeigt, indem er u. a. darauf hinweist, dass mit gigni kein kontinuierlicher Prozess impliziert wird, sondern vielmehr eine einmalige Entstehung, die für Anaximenes selbst nicht notwendigerweise eine Vergänglichkeit bedeutet haben müsse. 231 Da es sich bei der Vorstellung, dass den Göttern die schönste Gestalt zukomme, um eine Idee handelt, die zwar von den einzelnen Philosophenschulen unterschiedlich konkretisiert wird, doch als solche von den meisten geteilt wird (darauf weist Dyck 2003, 86 ad loc. hin), kann Velleius mit der Zustimmung seiner Rezipienten rechnen, auch wenn er seine These hier weder genauer ausführt noch begründet.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Beurteilungsmaßstäbe an die Hand gegeben wird. Vielmehr erweckt ein derartiger Einstieg den Eindruck, dass Velleius schablonenartig einzelne Punkte der jeweiligen philosophischen Lehre mit grundlegenden Axiomen der epikureischen Physik konfrontiert und Abweichungen zunächst vorsichtig, im Verlauf der Erörterung allerdings immer selbstbewusster brandmarkt. Eine Erläuterung der epikureischen Kanonik, deren Kenntnis notwendig wäre, um Velleius’ Entscheidungen auf einer sicheren Ebene nachvollziehen und rational überprüfen zu können, wird an keiner Stelle dieser Widerlegungen gegeben. Bei der Behandlung der folgenden zwei Vorsokratiker allerdings trägt Velleius zumindest in Grundzügen Erklärungsansätze zu den beiden epikureischen Hauptkritikpunkten (Körperlichkeit und Unsterblichkeit der Götter) nach. So erklärt er bei der Widerlegung des Anaxagoras (1,26 f.),232 des vierten Philosophen der Mitteldoxographie, wieso der Gedanke an eine personale Gottheit, die als körperlose, ordnende Kraft für die Erschaffung des Kosmos verantwortlich sei, nicht haltbar sei und notwendigerweise deren Körperlichkeit erfordere. Die beiden Teile233 dieser recht ausführlichen Widerlegung können unterschiedliche Plausibilitätsgrade für sich beanspruchen. Der erste Teil spricht einer solchen Schöpfungskraft sowohl die Empfindungsfähigkeit (sensus) als auch die Bewegungsfähigkeit (motus) im unendlichen Raum ab, aus dem heraus sie ihr Schöpfungswerk initiiert. Im Hintergrund dieser Kritik stehen die epikureischen Prämissen, die besagen, dass sowohl Empfindungen und Empfindungsfähigkeit als auch Bewegungen und Bewegungsfähigkeit234 zwangsweise auf Körperlichkeit angewiesen sind. Da dieser erste Teil des Arguments in dichter Weise235 As-

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Mit Recht weist Maso 2015, 122 auf Cic. ac. 2,118 als Vergleichstext hin, wo Anaxagoras’ Lehre ohne epikureische Brille mit einer anderen Schwerpunktsetzung kurz umrissen wird. 233 Auch Gigon 1996, 352 f. geht von einem zweigeteilten Argument aus; anders als hier vorgeschlagen, nimmt er nicht an, dass sich beide Teilaspekte um den Aspekt der Körperlichkeit drehen, sondern dass es Velleius um den Zusammenhang von „Geist, Wahrnehmung und Körper“ (ebd. 352) gehe; gerade im ersten Teilaspekt der Widerlegung sieht er einen anderen Schwerpunkt, indem er die Kritik am „Begriff eines kompakten Unbegrenzten“ (ebd. 353) als dessen zentralen Inhalt bestimmt. Diese Schwerpunktsetzung Gigons ist vor allem deshalb problematisch, da er die Anaxagoras-Passage isoliert betrachtet und sie nicht in die übrigen doxographischen Kritikpunkte einbettet, sodass ihm das übergeordnete Moment der Körperlichkeit hier entgeht. 234 Diese zweite Prämisse scheint sich nur hier zu finden und ist vor dem Hintergrund der epikureischen Physik zu verstehen, die Bewegung nur für körperlich-gegenständliche Objekte annimmt (vgl. dazu Pease 1955, 213 f. ad loc. und Erler 1994, 139 f.). 235 Gigon 1996, 352 bemüht sich aus philosophiehistorischem Interesse um die vollständige Rekonstruktion des Arguments, das den ersten Teil der Anaxagoras-Widerlegung bildet. Dabei zeigt er, dass Cicero das ursprüngliche Argument, das er in einer Vorlage gefunden haben mag, beträchtlich gekürzt und in stark kondensierter Form dem Velleius in den Mund gelegt hat. Verbindet man diesen Befund mit der hier angestellten Beobachtung, dass es sich bei dem ersten Widerlegungsteil um eine bloße Gegenüberstellung von Anaxagoras’ Theorie mit epikureischen Prämissen der Körperlichkeit handelt, so lässt sich das Motiv hinter dieser Vermutung Gigons erklären: Cicero kürzt und bearbeitet das von ihm vorgefundene Argument so lange, bis sich daran Velleius’ epikureische Binnenperspektive zeigen lässt. Daher ist es wenig zielführend, wenn McKirahan 1996,

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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pekte von Anaxagoras’ Lehre mit diesen epikureischen Prämissen konfrontiert, ohne sie dabei näher zu beschreiben oder zu explizieren, entfalten Velleius’ Ausführungen an dieser Stelle keine große Schlagkraft und dokumentieren lediglich seine Ablehnung des Anaxagoras. Der zweite Teil der Widerlegung besticht hingegen durch einen höheren Plausibilitätsgrad. Dort zeigt Velleius in grundlegender Weise die Problematik einer körperlosen Schöpfungskraft auf.236 Bezeichnenderweise greift Velleius dafür allerdings nicht auf eine epikureisch-materialistische Erklärung zurück, die die These der Körperlichkeit beispielsweise mithilfe der einströmenden εἴδωλα erläutern würde, sondern begründet seine These durch einen Widerspruchsbeweis.237 Dieser Widerspruchsbeweis greift auf den locus ex definitione238 zurück und etabliert dabei eine definitorische Differenzierung, welche zeigt, dass die Konnotation des Substantivs mens zwangsweise auf eine Innerlichkeit abzielt, die ihrerseits nur als ein Gegenüber zu etwas Äußerlichem, d. h. Körperlichem, gedacht werden kann.239 Der Gedanke, dass ein Wesen (animal aliquod) ausschließlich als mens gedacht werden könne und dass etwas rein Geistiges Einfluss auf etwas Körperliches nehmen könne, wird daher als definitorisch unsauber und unlogisch abgelehnt, da die Vorstellung einer mens immer sogleich ein körperliches Gegenüber erforderlich werden lässt. Zudem wird bei der sich anschließenden Besprechung von Alkmaion (1,27), dem fünften Philosophen der Mitteldoxographie, und dessen Rede von der Divinisierung der Himmelskörper und der menschlichen Seele die Ansicht, dass man scharf zwischen Sterblichem und Unsterblichem unterscheiden müsse und dass den unsterblichen Göttern keine sterblichen Attribute zugeschrieben werden dürfen,240 wenn schon nicht ausführlich erklärt, so doch zumindest einmal in abstrahierter und eindeutiger Form benannt,241 sodass dem Leser spätestens von nun an das epikureische Axiom von der Unsterblichkeit der Götter bekannt ist. Da diese definitorische Setzung hier ohne weitere Unterfütterung bleibt, kann man ihr zwar einen höheren Plausibilitätsgrad

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237 238 239 240 241

871 Cicero hier eine „not necessarily correct interpretation that Anaxagoras’ mind is sentient and an animate being“ vorwirft; für den Epikureer impliziert der Begriff mens nämlich zwangsweise die Konnotation des Fühlens und Belebtseins. Wenn McKirahan 1996, 871 f. sein Hauptaugenmerk darauf lenkt, ob Anaxagoras mit Blick auf die bei Platon und Aristoteles greifbare Tradition tatsächlich eine solche Schöpfungsvorstellung zugeordnet werden kann, dann scheint er damit einen Aspekt in Velleius’ Darstellung überzubetonen, auf den Velleius selbst nicht sein Hauptaugenmerk lenkt; vielmehr geht es ihm hier um die Bestimmung des Verhältnisses von Innerlichkeit und Äußerlichkeit. Vgl. Pease 1955, 215 ad loc. und Dyck 2003, 89 ad loc., die auf diese reductio ad absurdum hinweisen. Vgl. Cic. de orat. 2,107.146 f. zum locus ex definitione. Vgl. Cic. nat. deor. 1,26: quid autem interius mente: cingatur igitur corpore externo; quod quoniam non placet, aperta simplexque mens nulla re adiuncta, qua sentire possit, fugere intellegentiae nostrae vim et notionem videtur. Vgl. Cic. nat. deor. 1,27: Alcmaeo […] non sensit sese mortalibus rebus inmortalitatem dare. Daher kann man auch hier davon sprechen, dass der locus ex definitione als Begründungsmuster im Hintergrund dieser Widerlegung steht.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

zusprechen als einer schulgebundenen Widerlegung, die auf eine Offenlegung ihrer Prämissen verzichtet, doch einen geringeren als denjenigen Kritikpunkten, die ihre Prämissen mit weiteren Erläuterungen untermauern.242 Der Einstieg in die Doxographie mithilfe der ersten fünf Vorsokratiker bietet somit die beiden zentralen epikureischen Prüfkriterien für die Beurteilung anderer theologischer Entwürfe (Körperlichkeit und Unsterblichkeit der Götter) in steigernder Weise zunächst medias in res dar, um sie dann einmal auf allgemein-rationale Weise, einmal durch eine Kurzdefinition näher zu beschreiben.243 Cicero stellt seinen Rezipienten hier im Kleinen bereits wichtige Widerlegungs- und Begründungstechniken vor, die ihnen auch im weiteren Verlauf der Doxographie begegnen werden, und präsentiert ihnen mithilfe der unterschiedlichen Plausibilitätsgrade die Art und Weise, in der Velleius die Form der Doxographie im Folgenden weiter prägen wird. Eine bewusste Manipulation oder Verfälschung der Lehrdarstellungen lässt sich nicht erkennen, wohl aber eine Auswahl, Nuancierung und Gewichtung der einzelnen Aspekte.244 (3) Zum Einsatz dezidiert epikureischer Argumentationen innerhalb der Mitteldoxographie bei der Besprechung des Speusipp und Kleanthes Die Tendenz, auf dezidiert epikureische Erläuterungen bzw. auf eine Herleitung der epikureischen Prämissen zu verzichten, lässt sich auch im weiteren Fortgang der Mitteldoxographie beobachten. Lediglich an wenigen Stellen weicht Velleius davon ab und unterlegt seine Kritik mit Überlegungen aus dem Bereich der epikureischen Kanonik. Besonders bei der Besprechung des Speusipp (1,32) und des Kleanthes (1,37) fällt auf, dass Velleius’ Widerlegung sich inhaltlich deutlicher an epikureischen Theorien orientiert. An beiden Stellen spielt Velleius auf die epikureisch-atomistische Epistemologie an, die damit rechnet, dass dem Menschen mithilfe der πρόληψις die Erkenntnis der Existenz der Götter und ihrer wichtigsten Eigenschaften auf natürli-

242 Der Plausibilitätsgrad der Widerlegung des Alkmaion wird zudem dadurch gemindert, dass er mit Blick auf die Himmelskörper und die Seele als Beispiele für Vergängliches nicht unbedingt mit der intuitiven Zustimmung des Lesers rechnen darf, wie er es bei vorausgehenden Beispielen tun konnte. Denn auch wenn für den Epikureer deren Vergänglichkeit feststeht (vgl. Dyck 2003, 90 ad loc.), so kann er gerade bei diesen Beispielen nicht darauf setzen, dass seine Rezipienten deren Vergänglichkeit aus eigener Anschauung bestätigen können. 243 Classen 2010, 199 entgeht diese Dimension der Kritik an den Vorsokratikern, da er sich lediglich auf die sprachliche Ebene konzentriert, mit deren Hilfe er zu dem Ergebnis eines „unbiased account of the teaching about the gods“ kommt. Er übersieht dabei, dass Velleius dies dezidiert vor dem Hintergrund epikureischer Prämissen tut. 244 Vgl. dazu auch Zawadzki 2011, der die Passage Cic. nat. deor. 1,25–27 einer ausführlichen philosophiehistorischen Untersuchung unterzieht, alle relevanten Parallelstellen auswertet und zu dem Ergebnis kommt, dass Cicero die Lehren der entsprechenden Naturphilosophen nirgends verzerrt oder tendenziös darstellt.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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chem Wege vermittelt wird.245 Speusipp und Kleanthes allerdings würden sich, so Velleius’ Vorwurf, dieser natürlichen Gotteserkenntnis verweigern. Im Fall von Speusipp spricht Velleius davon, dass jener den Menschen die natürliche Gotteserkenntnis aus ihren Seelen reiße, und prägt mit der Wendung evellere ex animis conatur cognitionem deorum (1,32) ein drastisches Bild. Bezeichnenderweise verzichtet Velleius allerdings darauf, weiterführende Erläuterungen beizubringen und dieses starke Bild zu erläutern,246 sondern vertraut auf die suggestive Wirkkraft der starken Metaphorik. Ein knapper, erklärender Nachtrag hierzu findet sich erst bei der Kritik an Kleanthes. Ähnlich wie bei Alkmaion, wo das epikureische Fundament der Unsterblichkeitsthese der Götter zumindest einmal explizit benannt worden war, wird hier die These der natürlichen Gotteserkenntnis in thetischer Merksatzform angeführt: Ita fit, ut deus ille, quem mente noscimus atque in animi notione tamquam in vestigio volumus reponere, nusquam prorsus appareat (1,37).247 Auch wenn sich hinter dieser Formulierung wiederum die Schlussformel eines locus ex definitione verbirgt und Velleius das abstrakte Konzept der Prolepsis mithilfe des Fußabdruckvergleichs (tamquam in vestigio)248 treffend erläutert, können diese im Relativsatz nachgetragenen Ergänzungen zur epikureischen Physik den Eindruck einer gewissen argumentativen Oberflächlichkeit nicht bannen. Die entscheidende epikureische Pointe, die von einer natürlichen Gotteserkenntnis als Erkenntnis von deren menschlicher Gestalt ausgeht, wird von Velleius nämlich gerade nicht ausgeführt. Stattdessen setzt er auch hier vornehmlich auf die suggestive Wirkung der natürlichen Gottesvorstellung und hofft darauf, mit der Kritik an vergöttlichten Gestirnen und am vergöttlichten Verstand auf Zustimmung zu stoßen, die er nicht durch Nennung epikureischer Termini oder Offenlegung seiner epikureischen Prämissen gefährden möchte.

245 Vgl. Erler 1994, 134 zur epikureischen Prolepsis-Lehre, der auch den engen Konnex zur Sprache und zur für Epikur eindeutigen Bedeutung von Wörtern hervorhebt: „Prolepsis ist demnach eine mit der Wortbedeutung wesentlich verbundene Vorstellung, die aus wiederholter Erfahrung gewonnen wird.“ (ebd. 135). 246 Vgl. Dyck 2003, 100 ad loc.: „The criticism could hardly be formulated more generally.“ 247 Dyck 2003, 109 f. ad loc. weist darauf hin, dass mit dem hier verwendeten Substantiv notio der für Cicero übliche lateinische Terminus für das epikureische Phänomen der Prolepse gebraucht wird. Der Rekurs auf den notio-Begriff begegnet innerhalb der Mitteldoxographie zum ersten Mal am Abschluss der Besprechung des Anaxagoras (vgl. Cic. nat. deor. 1,27); die dortige Verbindung fugere intelligentiae vim et notionem videtur lässt die epikureische Färbung allerdings hinter dem Appell an die allgemeine Einsicht zurücktreten. 248 Vgl. Dyck 2003, 109 f. ad loc. für die hier verwendete Metaphorik.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

(4) Die argumentative Hervorhebung bestimmter Philosophen innerhalb der Mitteldoxographie: Pythagoras, Platon, Zenon Während vielerorts innerhalb der Mitteldoxographie die beiden Kritikpunkte der Körper- und Empfindungslosigkeit sowie der Sterblichkeit in variierter Form erscheinen und Velleius durch diese Form der amplificatio den Eindruck vermitteln möchte, dass die gesamte Philosophiegeschichte eine immergleiche Geschichte des gedanklichen Scheiterns ist, fällt darüber hinaus die argumentative Gestaltung bei zentralen Gestalten der Philosophiegeschichte besonders auf. Es scheint so, als ob Cicero Velleius gerade bei wichtigen Philosophen eine besonders geschickte Widerlegungs- oder Begründungsstrategie an die Hand gibt, die die beiden Hauptkritikpunkte mit anderen Gesichtspunkten kombiniert und durch weitere Überlegungen oder besonders variantenreiche Verbindungen ausschmückt. Solche Passagen heben sich damit deutlich von denjenigen Passagen ab, die lediglich die beiden Hauptkritikpunkte in variierender Form präsentieren; mit dieser Art der Gestaltung zielt Cicero darauf ab, die Glanzlichter der Philosophiegeschichte besonders hervorzuheben und auf deren Kritik größeren Wert zu legen. Pythagoras und die Kritik an pantheistischen Gottesvorstellungen. So kommt beispielsweise mit Pythagoras (1,27 f.) zum ersten Mal innerhalb der Mitteldoxographie ein pantheistischer Vertreter in Velleius’ Blickfeld. Dass er stellvertretend für alle pantheistischen Theorien steht, deren Ansatz gleich beim ersten Vorkommen mit gewichtigen Kritikpunkten geschwächt werden soll, wird dadurch deutlich, dass Velleius sein Widerlegungsrepertoire hier fast vollständig ausschöpft und den ersten Angriff gegen derartige Ansichten zu einer Fundamentalkritik ausbaut. Velleius’ Interesse daran, den pantheistischen Ansatz gleich beim ersten Vorkommen mit gewichtigen Argumenten zu konfrontieren, lässt sich auch damit begründen, dass die Auseinandersetzung mit pantheistischen und astralen Gottesvorstellungen einen Schwerpunkt innerhalb der Mitteldoxographie bildet.249 An dieser Schwerpunktsetzung lässt sich zudem die Komplementarität von Anfangspolemik und Mitteldoxographie erkennen. Während Velleius sich in der Anfangspolemik vor allem mit Ansätzen beschäftigt, die das primäre Schöpfungshandeln der Götter thematisieren, konzentriert er sich in der Mitteldoxographie auf die bleibende Präsenz der Götter in der Welt.250 Den inhaltlichen Ausgangspunkt bildet die pantheistisch-pythagoreische These, dass man sich Gott als allumfassende Weltseele vorstellen muss, aus der die Seelen der Menschen hervorgingen. Diese These wird von Velleius mit drei Kritikpunkten konfrontiert. Umrahmt wird die Kritik an Pythagoras dabei erstens von dem Kritikpunkt, der die fehlende Körperlichkeit einer pantheistisch verstandenen Gottheit in 249 Vgl. dazu Auvray-Assayas 1996, 74. 250 Vgl. für die Mitteldoxographie Auvray-Assayas 1996, 76, die wohl diese Schwerpunktsetzung als Interesse an „dieu-monde“ und an den „dieux-astres“ umschreibt.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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den Vordergrund rückt.251 Während Velleius seine Kritik an Pythagoras damit beginnen lässt, dass er die völlige körperliche Desintegration der pythagoreischen Gottheit als Folge der pantheistischen Theorie aufzeigt, spricht er abschließend (wie bereits bei der Besprechung des Anaxagoras)252 das kritische Verhältnis von Geist und Materie an, indem er danach fragt, wie etwas Nichtgegenständliches in die gegenständliche Welt einfließen könne.253 Velleius gewährt dem doppelt ausgeführten, das Pythagoraskapitel umrahmenden ersten Kritikpunkt wohl deshalb eine solch prominente Stellung, da er sich bei einem pantheistischen Gottesbild, das nicht von einer figürlich greifbaren Gottheit ausgehen kann, unmittelbar anbietet und sich hieran ein eindeutiger inhaltlicher Gegensatz zum Epikureismus aufzeigen lässt. Zudem ermöglicht es dieser Kritikpunkt Velleius auch, mit einem starken Bild einzusteigen, indem er die abstrakte pythagoreische Vorstellung visualisiert und anhand einer solchen Visualisierung deren problematische Implikationen augenscheinlich aufzeigen kann. Velleius wendet dabei zu Beginn seiner Widerlegung eine Darstellungsstrategie an, wie er sie in ähnlicher Form bereits in der Anfangspolemik an zentralen Stellen eingesetzt hat. Das bewusste Wörtlichnehmen254 des Gedankens einer Weltenseele, die über die Welt gespannt ist und aus der heraus die menschlichen Seelen gepflügt werden, ermöglicht es Velleius, die dadurch hervorgerufene körperliche Desintegration der pythagoreischen Gottheit in einem drastischen Ausdruck als einen Akt der Selbstzerstückelung zu stilisieren.255 Auch wenn Velleius es nicht explizit benennt, so erschließt sich als Folge der körperlichen Desintegration der pythagoreischen Gottheit gerade mit Blick auf die stark pejorativen Verben discerpi et lacerari256, dass eine so verstandene Gottheit notwendigerweise der Vergänglichkeit anheim gegeben ist und damit gegen ein weiteres Kriterium 251

Anders Pease 1955, 218 f. ad loc., der den Beginn und den Abschluss der Pythagoras-Widerlegung nicht unter dem Oberpunkt der Kritik an der fehlenden Körperlichkeit zusammenfasst, sondern als zwei eigene Punkte anführt und deshalb insgesamt auf vier Kritikpunkte an Pythagoras kommt. 252 So auch Dyck 2003, 92 ad loc. 253 Dieser abschließende Gesichtspunkt wiederholt lediglich bereits eingeführte, epikureische Prämissen (so auch Gigon 1996, 354 ad loc.) und konfrontiert sie ohne weitere Auseinandersetzung oder Begründung mit der pythagoreischen Ansicht der Weltenseele, sodass diesem Abschluss die geringste Überzeugungskraft zukommt. 254 Auch Gigon 1996, 354 ad loc. spricht davon, dass Velleius das pythagoreische Bild hier bewusst wörtlich versteht. 255 Vgl. Cic. nat. deor. 1,27: discerpi et lacerari deum. Das erste Verb discerpere greift dabei das Verbum simplex carpere auf (so auch Pease 1955, 219 ad loc.), mit dem bereits das Herausfließen der menschlichen Seelen aus der Weltenseele als ein gewaltsamer Akt des Herausgreifens beschrieben wird (ex quo nostri animi carperentur; in carpere hier lediglich ein Synonym zu excerpere oder eligere zu sehen, wie es in TLL 3,494, s. v. carpo ad loc. vorgeschlagen wird, greift deshalb zu kurz; vielmehr liegt es mit Blick auf den Kontext nahe, hier die wörtliche Bedeutung von carpere i. S. v. discerpere, discindere, lacerare [TLL 3,493, s. v. carpo] mitzudenken), um die Drastik durch die Zusammensetzung mit dem Präfix dis- und die Zusammenstellung mit lacerare nochmals zu verschärfen. Auch der vorangehende Ausdruck distractione humanorum animorum trägt dazu bei, die drastische Metaphorik auf engem Raum zu entfalten. 256 Vgl. zur Konnotation der Verben Dyck 2003, 91 ad loc.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

(Unsterblichkeit der Götter) nicht nur der epikureischen Gotteslehre, sondern auch der landläufigen Gottesvorstellung verstößt. Zudem müsse – zweitens – die permanente Verbindung der einzelnen Seelenteile der Gottheit mit den Seelen jedes einzelnen Menschen dazu führen, dass die pythagoreische Gottheit als vollkommen unglückliches Wesen zu gelten habe. Wenn die Menschen nämlich in ihrer Mehrzahl unglücklich seien, so gelte dies in gesteigerter Weise für die Gottheit, die in einer pantheistischen Vorstellung ja Anteil an der miseria aller Unglücklichen haben müsse. Dieser zweite Gesichtspunkt zeichnet sich dadurch aus, dass die beatitudo deorum hier zum ersten Mal innerhalb der Doxographie explizit als Argument verwendet wird.257 Auch wenn dieser Gesichtspunkt nach Art eines Schlusses a minore ad maius258 plausibilisiert wird und ihm durch die Vorstellung einer über die Maßen unglücklichen Gottheit zu einer größeren Drastik verholfen wird, so lässt er eine Begründung für die Prämisse, dass sich die Gottheit durch Glückseligkeit auszeichnen müsse, vermissen. Stattdessen endet dieser Beweisgang apodiktisch damit, dass die fehlende Vereinbarkeit von Gottheit und miseria konstatiert wird. Die dritte Widerlegung arbeitet mit einer reductio ad absurdum, die die logischen Schwachstellen der Prämissen einer pantheistischen Gottesvorstellung aufzeigen möchte.259 Wenn die menschliche Seele ein Ausfluss aus der göttlichen Seele ist, dann müsste sie, so Velleius, auch an den göttlichen Eigenschaften teilhaben; so müssten im Umkehrschluss die Menschen selbst beispielsweise allwissend sein, wenn jeder von ihnen in seiner Seele mit der allwissenden Gottheit verbunden sei. Da dies offenkundig nicht der Fall ist, könne eine derartige These auch nicht vertreten werden. Mithilfe dieser Schlussfolgerung gelingt es Velleius, die Problematik der asymmetrischen Übertragung nur mancher göttlichen Eigenschaften auf den Menschen deutlich werden zu lassen, die die meisten pantheistischen Gottesmodelle auszeichnet. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Pythagoras durch die Heranziehung aller von Velleius in der Mitteldoxographie verwendeten, auf den Prämissen der epi257 Da Velleius hierbei, anders als bei den Gesichtspunkten der Körperlichkeit und der Unsterblichkeit der Götter, nicht ohne Weiteres auf intuitive Zustimmung hoffen kann, führt er die beatitudo geschickt an diesem Beispiel der pythagoreischen Weltenseele ein, wo er mit dem Bild einer am Unglück aller Menschen teilhabenden Gottheit zumindest e contrario plausibel machen kann, wieso der Gedanke des Unglücklichseins nicht zur Gottheit passt, sondern vielmehr von deren Glückseligkeit auszugehen ist. 258 Die Formulierung „nach Art eines Schlusses a minore ad maius“ ist so zu verstehen, dass die Schlussfolgerung vom Kleineren auf das Größere nicht explizit markiert und zu Ende geführt wird, inhaltlich aber durch den Schluss vom Unglück eines einzelnen Menschen hin zum Unglück der göttlichen Seele, die am Unglück aller unglücklichen Menschen teilhat, nahegelegt wird. 259 Pease 1955, 219 wundert sich darüber, dass gerade ein Epikureer auf ein derartiges Argument zurückgreift, wo er doch selbst nicht zwangsweise von allwissenden Göttern ausgehen müsse. Auch Dyck 2003, 91 ad loc. formuliert allzu vage und vorsichtig: „perhaps Velleius would claim to be using a common view as his premise.“ Dabei übersehen beide, dass Cicero Velleius des Öfteren und auch schon in der Anfangspolemik derartige Argumente in den Mund legt und ihn seine Argumentationsgänge auch mit dezidiert allgemein-rationalen Begründungen untermauern lässt.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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kureischen Theologie fußenden Kritikpunkte und durch deren Begründungen, die zumindest mancherorts durch den Einsatz allgemein-rationaler Argumentationstechniken hohe Plausibilität für sich beanspruchen können, besonders gekennzeichnet wird. Verhältnis zur Anfangspolemik? Da Velleius mit der Pythagoras-Widerlegung zum ersten Mal innerhalb der Mitteldoxographie grundsätzlich auf pantheistische Vorstellungen eingeht, liegt es nahe, nach dem Verhältnis dieser Passage zu ihrem Pendant in der Anfangspolemik260 zu fragen und zu überprüfen, ob es hier tatsächlich zu den von der älteren Forschung inkriminierten, sachlichen Doppelungen kommt. Ein Vergleich der beiden Passagen zeigt, dass die beiden Redeteile sich sachlich nicht überschneiden, sondern vielmehr in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen. Beide Passagen verfolgen dabei zwar dasselbe Ziel, da sie nachweisen wollen, dass die These einer von Gott beseelten Welt widersinnig ist, bemühen sich jedoch darum, dieses Ziel auf unterschiedlichen Wegen zu erreichen. Die Anfangspolemik greift dafür, wie gezeigt worden ist, auf einen Widerspruchsbeweis zurück, der die Ansicht, die unbelebte Welt selbst sei mit Gott zu identifizieren, dadurch hinterfragt, dass er die Folgen einer solchen Annahme aufzeigt. Eine pantheistische Theorie komme nämlich nicht umhin, sich Gott auch in verschiedenen Aggregatzuständen von glühend heiß bis eiskalt vorstellen zu müssen. Das dadurch evozierte Bild einer Gottheit, deren Glieder erfroren und gleichzeitig verbrannt sind, kann mit einer unmittelbaren Ablehnung durch den Rezipienten rechnen. Während sich Velleius’ Ausführungen in der Anfangspolemik somit auf die unbelebte Natur konzentrieren, rückt innerhalb der Mitteldoxographie die belebte Welt, genauer gesagt der Mensch, in das Zentrum seiner Argumentation. Die Folgen eines pantheistischen Gottesbildes werden hier sowohl drastischer als auch deutlicher von einer epikureischen Warte aus durchbuchstabiert. Die Fokussierung auf den unglücklichen Menschen ist bei einer epikureisch gefärbten beatitudoArgumentation der Endpunkt der Klimax. Während Zustände wie Frost oder Verbrennung noch als äußerliche Zustände gelten konnten, die den Weisen nicht tangieren müssten,261 ist die innere Verbindung mit einer Vielzahl an miserrimi aus epikureischer Sicht wohl die größte Gefahr, die die ewige Glückseligkeit der Götter irreversibel zerstören könnte. Die Tatsache, dass Velleius deshalb hier Pythagoras’ Position auf die Verbindung der göttlichen mit der menschlichen Seele beschränkt und beispielsweise den Bereich der Tiere, der andernorts für Pythagoras belegt ist, weglässt, ist nicht 260 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24b (24a widmet sich dem platonischen Gestaltproblem der Gottheit und gehört dadurch nicht im engeren Sinne zur pantheistischen Problematik). 261 Laut Epikur können körperliche Schmerzen durch eine innere Glückseligkeit kompensiert werden, während dies umgekehrt nicht möglich ist: „Da nun die Seele das eigentlich glücksempfindende Organ und die Ataraxie das ist, was die Glückseligkeit im eigentlichen Sinne ausmacht, so darf man sagen, daß der Epikureische [sic!] Weise, trotz körperlicher Irritationen, sich in einem ununterbrochenen Glückszustand befindet. Epikur soll sogar so weit gegangen sein zu behaupten, daß der Weise, wenn er bei lebendigem Leibe geröstet werde, noch ausrufen werde: ‚Wie angenehm! Wie unberührt es mich läßt!‘ (Us. Fr. 600 f.)“ (Hossenfelder 1998, 97).

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

auf Velleius’ Unkenntnis bzw. Ciceros Nachlässigkeit zurückzuführen, sondern ist am ehesten damit zu erklären, dass ein Bezug auf die Tierseelen hier keine argumentative Funktion erfüllen würde und die beabsichtigte Steigerung sogar schwächen würde.262 Die Verbindung der Gottheit zunächst mit den verschiedenen unwirtlichen Teilen der Welt (Anfangspolemik) und schließlich mit unglücklichen Menschen (Mitteldoxographie) zeigt eine inhaltliche Intensivierung, die die pantheistische Theorie einmal allgemein-rational, einmal deutlicher vor dem Hintergrund epikureischer Prämissen desavouiert. Darstellung der Schulgründer Platon und Zenon. Dass in der Mitteldoxographie bedeutende Philosophen kompositorisch besonders hervorgehoben werden, ohne dass es dabei zu inhaltlichen Doppelungen oder Überschneidungen mit der Anfangspolemik kommt, lässt sich auch anhand der Schulgründer Platon und Zenon zeigen, die nicht nur in der Anfangspolemik, sondern auch im zweiten Teil der Doxographie eine herausragende Stellung einnehmen.263 Platon. Die Bedeutung Platons (1,30) wird kompositorisch dadurch unterstrichen, dass er von Velleius als erster Philosoph explizit wegen seiner systemischen Inkonsistenz (inconstantia) kritisiert wird.264 Velleius stützt sich dafür auf die Beobachtung, dass sich Platon in verschiedenen Schriften unterschiedlich zur Gottesfrage geäußert habe, sodass der Eindruck eines disparaten Gottesbildes entsteht. Auf die Kritik an skeptischen Überlegungen Platons aus den Nomoi und dem Timaios, die die menschliche Unfähigkeit betonen, Gott zu erkennen und über ihn angemessen sprechen zu können, folgt in Velleius’ Darstellung ohne Nennung eines Referenzwerkes die Kritik an der platonischen Ansicht einer körperlosen Gottheit, bevor Velleius schließlich wiederum auf die Nomoi und den Timaios Bezug nimmt und Stellen anführt, in denen Platon das Göttliche mit dem Himmel, der Welt, der menschlichen Seele oder mit

262 Gigon 1996, 353 ad loc. wundert sich darüber, dass Cicero hier lediglich berichtet, dass die menschlichen Seelen aus der göttlichen Weltenseele hervorgingen, ohne anzuführen, dass nach Pythagoras auch die Tierseelen aus ihr hervorgingen. Wenn Cicero diese pythagoreische Lehre gekannt haben sollte (wofür es auch in seinem weiteren Werk keinen Beleg gibt), dann würde sie das beatitudo-Argument allerdings schwächen, da die Tiere anders als die Menschen nicht als miserrimi gelten können und das Bild einer traurigen Gottheit dadurch ohne Not geschwächt werden würde. 263 Bezeichnenderweise konzentriert sich Velleius auf die beiden Schulgründer, deren Ansichten er bereits in der Anfangspolemik attackiert hatte, und legt dafür geringeres Gewicht auf Aristoteles (vgl. zu Aristoteles in der Mitteldoxographie und der philosophiehistorischen Einordnung der dortigen Darstellung bspw. Bos 1988, Furley 1989 und Runia 1989). 264 Das Motiv der Inkohärenz umrahmt leitmotivisch den Beginn (iam de Platonis inconstantia longum est dicere) sowie den Abschluss (quae et per se sunt falsa et inter se vehementer repugnantia) der Platon-Kritik. Dyck 2003, 97 weist darauf hin, dass Velleius bereits mit Demokrit (vgl. Cic. nat. deor. 1,29: qui tum imagines […] in deorum numero refert, tum illam naturam, quae imagines fundat ac mittat, tum sententiam intelligentiamque nostram) einen Philosophen wegen seines disparaten Gottesbildes kritisiere; im Gegensatz zur Kritik an Platon fehlt dort Velleius’ Kritik noch die Schärfe, u. a. deshalb, da Velleius dort die inconstantia nicht als solche benennt.

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den traditionellen Göttern des Mythos gleichsetzt. Velleius schreitet somit in einem klimaktischen Dreischritt von der Kritik an einer agnostisch-skeptischen Position Platons über die Vorstellung einer körperlosen Gottheit hin zur Identifikation der Gottheit mit einzelnen gegenständlichen Objekten innerhalb der Welt voran.265 Die Kritik an der vermeintlichen Inkohärenz der platonischen Theologie, die nicht nur die Antike, sondern sogar die moderne Platon-Forschung kennt, ermöglicht es Velleius, „zu kritisieren, ohne sich mit einer eigenen Meinung exponieren zu müssen“266, da seine Kritik noch vor der Inhaltsebene den platonischen Ansatz als defizitär kennzeichnet; eine vertiefte inhaltliche Auseinandersetzung erscheint somit überflüssig. Während sich Velleius beim ersten und beim dritten Element seiner Platon-Kritik an dieses Vorgehen hält, kommt es im Mittelteil der Platon-Widerlegung überraschenderweise zu einer beachtenswerten inhaltlichen Auseinandersetzung, da Velleius seine Kritik am platonischen Konzept einer körperlosen Gottheit anders gestaltet als seine sonst stereotype Konfrontation derartiger Ansätze mit der epikureischen Forderung nach der Körperlichkeit Gottes. Im Falle der Platon-Widerlegung findet sich nämlich zum ersten Mal eine Begründung, die plausibel macht, wieso gerade der epikureische Gottesbegriff so stark auf die Körperlichkeit Gottes setzt. Mit dem anaphorischen Trikolon careat enim sensu necesse est, careat etiam prudentia, careat voluptate zeigt Velleius klimaktisch die Folgen auf, die eine körperlose Gottesvorstellung mit sich brächte. Eine solche Gottheit wäre nämlich, wie bereits mehrfach von Velleius angeführt, nicht in der Lage, etwas sinnlich wahrzunehmen und zu empfinden (sensus), da die Fähigkeit zu sinnlichen Wahrnehmungen für Epikur an einen Körper gebunden ist, der zu solchen Wahrnehmungen imstande ist. Da die sinnliche Wahrnehmungsfähigkeit ihrerseits jedoch die Grundlage bildet, um mithilfe der eigenen Einsicht (prudentia)267 die gemachten Wahrnehmungen zu bewerten und angemessen auf sie zu reagieren, könnte eine solche Gottheit auch nie in den Zustand der höchsten Lust (voluptas) kommen, die als das Ergebnis der richtigen Bewertung und des richtigen Umgangs mit Sinneseindrücken am Ende des Trikolons steht. Anders formuliert: Nur wer einen Körper besitzt, kann mit dessen Hilfe die Welt wahrnehmen, diese Wahrnehmungen bewerten und auf der Basis einer angemessenen Bewertung dieser Wahrnehmungen 265 Gigon 1996, 359 geht zwar zu kleinschrittig vor, indem er hier ein fünfstufiges Argumentationsschema identifiziert, trifft jedoch den Punkt, wenn er von einem klimaktischen Aufbau des Arguments spricht. 266 Gigon 1996, 358 ad loc. 267 Mit Recht weist Dyck 2003, 98 ad loc. darauf hin, dass mit prudentia hier nicht die platonischstoische providentia aus der Anfangspolemik gemeint ist, sondern vielmehr auf den epikureischen φρόνησις-Begriff angespielt wird, wie er bspw. in Epicur. Men. 132,2 (τούτων δὲ πάντων ἀρχὴ καὶ τὸ μέγιστον ἀγαθὸν φρόνησις. διὸ καὶ φιλοσοφίας τιμιώτερον ὑπάρχει φρόνησις, ἐξ ἧς αἱ λοιπαὶ πᾶσαι πεφύκασιν) entfaltet wird. Auch wenn er dies erkennt, äußert er sich nicht über das Verhältnis der drei zentralen Begriffe zueinander, sondern konstatiert lediglich die stilistisch bedachte Gestaltung des Satzes. Vgl. zur Einordnung des φρόνησις-Begriffs bei Epikur v. a. Hessler 2014, 280–285.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

in den Zustand des höchsten Glücks gelangen. Die drei Substantive sensus, prudentia und voluptas bilden damit drei aufeinander aufbauende Stufen ab, die auf der Körperlichkeit eines Wesens beruhen und deren Zielpunkt dessen Glückseligkeit darstellt. Cicero hebt die Besprechung Platons also auch dadurch hervor, dass er Velleius hier zum zweiten Mal überhaupt innerhalb der Mitteldoxographie das voluptas-Kriterium anführen lässt und es zum ersten Mal in stilistisch exponierter Weise mit dem Kriterium der Körperlichkeit verbindet und diese Verbindung nachvollziehbar werden lässt. Nach dieser Herleitung kennzeichnet Velleius die dreifache Bestimmung darüber hinaus auch ausdrücklich als Zusammenstellung derjenigen Bestandteile, die für eine epikureische Gottesdefinition relevant sind.268 Durch diesen definitorischen Nachschub präsentiert er seine eigenen epikureischen Prämissen so deutlich wie nirgends in der Mitteldoxographie. Dass den Rezipienten an dieser Stelle eine grundsätzlichere Entfaltung der Körperlichkeits-Prämisse erwartet, macht Cicero formal bereits zu Beginn des zweiten Teilaspekts der Platon-Widerlegung durch die Anführung des griechischen Terminus ἀσώματος deutlich, der parenthetisch zur ciceronischen Formulierung sine corpore hinzutritt. Sieht man in dieser späten Einführung des Begriffs eine Markierungsstrategie, mit der der grundsätzliche Charakter dieser Passage von Cicero zusätzlich unterstrichen wird, so lässt sich der handschriftlich einhellig überlieferte Text an dieser Stelle nicht nur halten, sondern auch erklären, ohne dass man ihn zur Glosse erklären muss.269 Dem höheren Plausibilitätsgrad, den die Platon-Kritik durch die Verwendung des inconstantia-Vorwurfs und die Fundierung des Körperlichkeits-Arguments beanspruchen kann, stehen allerdings die zahlreichen philosophiehistorischen Anfragen gegenüber, die Cicero hier entweder eine unbewusste Verfälschung (Stichwort: Kompilationsthese) oder eine gezielte Diskreditierung (Stichwort: Manipulationsthese) der platonischen Theologie vorwerfen. Vor allem der erste Teilaspekt des Arguments, der mithilfe zweier Passagen aus dem Timaios und den Nomoi Platons skeptischen Ansatz in theologischen Fragen demonstrieren möchte, stieß auf große Bedenken der Forschung. Während Pease zu dem Schluss kommt, dass Cicero die beiden Stellen allzu ungenau wiedergibt,270 hebt Dyck hervor, dass Cicero darüber hinaus auch den Kontext ignoriert, in dem die beiden Passagen in ihren Ausgangswerken erscheinen, und auch nicht ausreichend den Unterschied zwischen Autor und Dialogfiguren bedenkt. Denn in beiden Werken spricht Platon an den zitierten Stellen nicht im eigenen

268 Vgl. Cic. nat. deor. 1,30: Quae omnia una cum deorum notione comprehendimus. Auch hier lässt sich also wieder die Schlussformel eines locus ex definitione erkennen. 269 Vgl. Pease 1955, 234 ad loc. für die Glossierungsthese; zwar stimmt er ihr nicht zu, doch liefert er selbst keine Erklärung dafür, wieso sich der griechische Fachterminus erst so spät in der Mitteldoxographie findet, während Cicero ansonsten dazu neigt, bei der ersten Gelegenheit seine eigene lateinische Terminologie einzuführen und dem griechischen Begriff gegenüberzustellen. 270 Vgl. Pease 1955, 232 f. ad loc.

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Namen,271 sondern lässt den Timaios bzw. den athenischen Fremden Gedanken artikulieren, die nicht ohne Weiteres auch als Ansicht Platons zu verstehen seien. Da es sich hierbei um einen Fall handelt, in dem der zitierte Prätext nicht nur von Cicero selbst benannt und dadurch leicht identifizierbar ist, sondern der Prätext selbst auch heute noch überliefert ist, lohnt es sich, die Möglichkeit eines ausführlicheren Abgleichs zu nutzen, um dadurch Erkenntnisse über Ciceros Umgang mit Primärtexten zu gewinnen. Plat. Tim. 28c:

τὸν μὲν οὖν ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦδε τοῦ παντὸς εὑρεῖν τε ἔργον καὶ εὑρόντα εἰς πάντας ἀδύνατον λέγειν Cic. nat. deor. 1,30: qui in Timaeo patrem huius mundi nominari neget posse Cic. Tim. 6: atque illum quidem quasi parentem huius universitatis invenire difficile, et cum iam invenerit, indicare in vulgus nefas

Prüft man den ersten Vorwurf der ungenauen Zitatwiedergabe, so lässt sich bei beiden Zitaten eine Modifikation des Prätextes durch Cicero beobachten. Beim ersten Zitat (Plat. Tim. 28c) konstatiert Timaios in Platons gleichnamiger Schrift, dass es einerseits für den Philosophen ein schwieriges Unterfangen darstellt, den göttlichen Erschaffer der Welt (welchen er hier ausdrücklich als Vater bezeichnet) zu erkennen, dass es andererseits jedoch nachgerade unmöglich ist, ihn, wenn man ihn doch gefunden hat, der Menge gegenüber verständlich und nachvollziehbar darzustellen. Die eigentliche Erkenntnis Gottes als Weltenschöpfer bleibt für Timaios somit lediglich einem kleinen Kreis an Gelehrten vorbehalten, die nach anspruchsvollen Studien möglicherweise zu dieser Erkenntnis gelangen können. Cicero legt Velleius in De natura deorum nun eine verkürzte Version des Zitats in den Mund. Genauer gesagt berücksichtigt Cicero lediglich ein Teilelement vom Beginn des Zitats (πατέρα τοῦδε τοῦ παντός), das von der philosophischen Gotteserkenntnis spricht und die starke Vatermetapher enthält, und einen Teil vom Ende des Prätextes (ἀδύνατον λέγειν), welches bereits die Erkennbarkeit Gottes durch die einfachen Leute in Abrede stellt, und fügt die beiden Teilelemente neu zusammen. Durch die Verkürzung und die Neuzusammenstellung des Zitats fehlt bei Cicero die Abstufung zwischen der Schwierigkeit (aber dennoch Möglichkeit), als Philosoph und Naturforscher den göttlichen Schöpfer zu erkennen, und der Unmöglichkeit, diese Erkenntnis einem breiteren Publikum im Anschluss an die eigene Erkenntnis zu vermitteln. Stattdessen wird bei Cicero die Aussage des Zitats dadurch intensiviert, dass es nun als Plädoyer für eine allgemeine Unmöglichkeit, Gott als Weltschöpfer zu erkennen, verstanden werden kann, die auch den Philosophen keine gesonderte Möglichkeit der Gotteserkenntnis mehr einräumt. Neben dieser Verkürzungsstrategie fällt auf, dass Cicero das Zitat an einer entscheidenden Stelle modifiziert. Anstelle des griechischen λέγειν, welches Cicero in seiner

271

Vgl. Dyck 2003, 97 f. ad loc.

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fragmentarischen Timaeus-Übersetzung treffender mit indicare wiedergibt, findet sich in De natura deorum der semantisch offenere Infinitiv nominari. Hierbei lässt sich nicht zweifelsohne angeben, ob nominari im eigentlichen Sinne nur in Abrede stellt, eine solche Schöpfergottheit benennen zu können, d. h. sie mit einer korrekten Bezeichnung zu versehen,272 oder ob nominari in einem weiteren Verständnis als „sich anführen lassen“ zu verstehen ist und damit als Synonym zu invenire anzusehen ist. Im ersteren Fall würde nominari als Wiedergabe des zweiten Infinitivs λέγειν, in letzterem Fall eher als Wiedergabe des ersten Infinitivs εὑρεῖν anzusehen sein. Da jedoch sowohl die beiden unterschiedlichen Personenkreise als auch die qualifizierenden Attribute, die Cicero in seiner fragmentarischen Timaeus-Übersetzung mit difficile und nefas wiedergibt, von Cicero hier ausgespart worden sind, lässt sich nicht bestimmen, ob Cicero mit nominari Platon eine radikal skeptische oder lediglich gemäßigt skeptische Haltung in schöpfungstheologischen Fragen unterstellt. Vielmehr scheint es so, als ob im Infinitiv nominari beide Aspekte des griechischen Zitats zusammenfallen.273 Durch seine Kürzung und Modifikation des Platon-Zitats gelingt es Cicero an dieser Stelle, den platonischen Gedanken gekonnt zu kondensieren, ohne ihn dabei jedoch zu verfälschen und ihn Velleius als Erweis für die platonische Skepsis gegenüber sicherer Gotteserkenntnis anführen zu lassen. Plat. leg. 7,821a:

Cic. nat. deor. 1,30: […]

τὸν μέγιστον θεὸν καὶ ὅλον τὸν κόσμον φαμὲν οὔτε ζητεῖν δεῖν οὔτε πολυπραγμονεῖν τὰς αἰτίας ἐρευνῶντας – οὐ γὰρ οὐδ᾽ ὅσιον εἶναι – τὸ δὲ ἔοικεν πᾶν τούτου τοὐναντίον γιγνόμενον ὀρθῶς ἂν γίγνεσθαι. in Legum autem libris, quid sit omnino deus, anquiri oportere non censeat.

Auch beim nachfolgenden Platon-Zitat fällt eine starke Kürzung durch Cicero auf. Cicero hat es dem siebten Buch der Nomoi entnommen, wo sich die Diskussion über angemessene Unterrichtsgegenstände für die Jugend im Idealstaat der Astronomie als möglichem Lerninhalt zuwendet. Zunächst referiert der athenische Fremde die landläufige Ansicht, dass es sich nicht gehöre, allzu genau nach dem höchsten Gott zu fragen, der hier mit dem Kosmos gleichgesetzt wird, da die Frage nach den ersten

272 Plausibilisieren ließe sich diese wörtliche Lesart dadurch, dass das Problem der angemessenen Benennung des Urgrunds der Welt im platonischen Timaios unmittelbar vor der Zitatfundstelle angesprochen worden ist, vgl. Plat. Tim. 28b: ὁ δὴ πᾶς οὐρανὸς  – ἢ κόσμος ἢ καὶ ἄλλο ὅτι ποτὲ ὀνομαζόμενος μάλιστ᾽ ἂν δέχοιτο, τοῦθ᾽ ἡμῖν ὠνομάσθω  – σκεπτέον δ᾽ οὖν περὶ αὐτοῦ πρῶτον, ὅπερ ὑπόκειται περὶ παντὸς ἐν ἀρχῇ δεῖν σκοπεῖν, πότερον ἦν ἀεί, γενέσεως ἀρχὴν ἔχων οὐδεμίαν, ἢ γέγονεν, ἀπ᾽ ἀρχῆς τινος ἀρξάμενος. 273 Auch der Kontext, d. h. das unmittelbar folgende Zitat aus den Nomoi, liefert keinen helfenden Verständnishinweis, da dort die Frage nach der Angemessenheit religionsphilosophischen Fragens angesprochen wird („es gehört sich nicht, nach Gott zu fragen“), nicht jedoch dessen epistemologische Möglichkeit.

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Ursprüngen nicht mit der sich ziemenden Achtung und Scheu vor dem Heiligen vereinbar sei. Er selbst jedoch plädiert im Folgenden für die gegenteilige Auffassung und spricht sich für die Astronomie als Lerngegenstand aus, da sie weder gegen die rechte Frömmigkeit verstoße274 noch besonders schwierig zu erlernen sei. Letzteren Punkt veranschaulicht er damit, dass er zugibt, sich selbst erst als alter Mann mit astronomischen Fragen beschäftigt zu haben, und sich damit brüstet, sich diesen Gegenstand nicht nur schnell angeeignet zu haben, sondern seinen Gesprächspartnern die astronomischen Grundzüge über die Bahn der Planeten in kurzen Worten verständlich machen zu können. In Ciceros Wiedergabe des Zitats findet dessen ursprünglicher Kontext, d. h. die Frage nach der Astronomie als angemessenem Lerngegenstand für die Jugend, keine Erwähnung; stattdessen scheint es in De natura deorum so, als ob es Platon in den Nomoi um die Gottesfrage im Allgemeinen gehe. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Cicero in den indirekten Fragesatz das Adverb omnino aufnimmt, das im griechischen Original keine Entsprechung hat und die Frage als eine grundsätzliche275 religionsphilosophische Frage markiert. Außerdem gibt Cicero den Platon-Text lediglich bis δεῖν wieder, sodass der zweite Teil des Satzes wegfällt, welcher zur eigentlichen Meinung des athenischen Fremden überleitet, die der landläufigen Ansicht deutlich widerspricht; in Velleius’ Darstellung erscheint daher die landläufige, aber vom athenischen Fremden abgelehnte Auffassung als Platons eigentliche Ansicht276 zu dem Thema. In beiden Fällen gelingt es Cicero also, partielle und kontextgebundene Aussagen platonischer Dialogfiguren durch geschickte Verkürzung, sanfte Modifikationen und Nichtbeachtung des Kontextes zu generalisierenden Aussagen umzuformen, die gerade aus zwei von Platons dogmatischeren Schriften Kronzeugen für einen skeptischen Ansatz machen. Da sich in beiden Fällen die gleichen Strategien Ciceros im Umgang mit den Platon-Zitaten beobachten lassen, fällt es schwer, hinter den Änderungen gegenüber dem Prätext unbewusste Lapsus277 zu sehen. Auch wenn Cicero an diesen Stellen die eigentliche Aussage seiner Zitate stark modifiziert und ihrer eigentlichen

274 Der athenische Fremde begründet diese Ansicht damit, dass gerade ein rechtes Wissen um die Planetenbahnen die fromme Verehrung der Himmelsgottheiten ermögliche, da man sonst falsch und beleidigend über die und zu den Göttern spreche, vgl. Plat. leg. 7,821c-d: ταῦτ᾽ ἔστι τοίνυν, ὦ Μέγιλλέ τε καὶ Κλεινία, νῦν ἃ δή φημι δεῖν περὶ θεῶν τῶν κατ᾽ οὐρανὸν τούς γε ἡμετέρους πολίτας τε καὶ τοὺς νέους τὸ μέχρι τοσούτου μαθεῖν περὶ ἁπάντων τούτων, μέχρι τοῦ μὴ βλασφημεῖν περὶ αὐτά, εὐφημεῖν δὲ ἀεὶ θύοντάς τε καὶ ἐν εὐχαῖς εὐχομένους εὐσεβῶς. 275 Vgl. TLL 9,2,595 s. v. omnino allgemein zur Konnotation des Adverbs: ad exprimendam rationem quandam totam, universalem. Zur Konnotation in Cic. nat. deor. 1,30 vgl. TLL 9,2,599 s. v. omnino: -o affirmat aliquid esse, ita ut negetur non esse. 276 Verstärkt wird dies dadurch, dass gerade bei Cicero (vgl. etwa Cic. fam. 4,9,1 oder Cic. S. Rosc. 38) die Junktur oportere censere eingesetzt wird, wo jemand seine Meinung als persönliche Empfehlung äußert (vgl. so auch OLD 297 s. v. censeo, Nr. 3). 277 Vgl. etwa Schwenke 1879, 56, der in der Mitteldoxographie eine Vielzahl von „Epikureischen entstellungen und misverständnisse[n]“ [sic!] entdecken wollte.

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Aussageabsicht entzieht, so lässt sich dennoch nicht ohne Weiteres von einer Verfälschung der platonischen Lehre sprechen. In anderen Dialogen Platons lassen sich nämlich, wie M. Erler mit Recht beobachtet,278 durchaus Passagen finden, die sich als Plädoyer für eine „Art negativer Theologie“279 lesen lassen und deutlicher die Unfähigkeit des Menschen beschreiben, Gott zu erkennen und ihm nahe zu kommen. Die Vorwürfe, die dem zweiten und dritten Teilargument der Platon-Widerlegung entgegengebracht worden sind, wiegen weniger schwer. So wird bei Velleius’ Kritik an Platons körperloser Gottesvorstellung eingewendet, dass Platon nirgends explizit von einer körperlosen Gottheit spricht und dass das Adjektiv ἀσώματος, welches Cicero Velleius hier in den Mund legt, von Platon nirgends in Bezug auf die Gottheit bzw. Götter verwendet wird.280 Mit Blick auf Platons Ideenlehre greift diese Kritik allerdings zu kurz, da Platon die oberste Idee des Guten mit Attributen versieht, die er auch der obersten Gottheit prädiziert.281 Auch wenn Platon also die Idee des Guten nicht expressis verbis mit der Gottheit identifiziert, so liegt dieser Schluss nicht nur für Teile der modernen Platon-Forschung,282 sondern auch für die antike Rezeption der platonischen Ideenlehre283 nahe. Nimmt man also an, dass Velleius mit seiner Kritik an Platons körperloser Gottheit auf die divinisierte Idee des Guten284 rekurriert, so wird auch verständlich, wieso er seine Kritik nicht unter Angabe eines Buches an einem Einzelzitat belegen kann, sondern stattdessen das Konzept als solches angreift und diesen Angriff, wie gezeigt worden ist, vor allem zur Explikation seiner eigenen Prämissen der Körperlichkeit der Götter nutzt. Dem dritten Teilargument der Platon-Kritik wird schließlich vorgeworfen, dass Cicero hier nicht bedenkt, dass Platon selbst die verschiedenen, von Velleius angeführten Gottesvorstellungen nicht gleichberechtigt nebeneinandersetzt, sondern sie teilweise mithilfe einer hierarchischen Ordnung systematisiert und in unterschiedlichen Kontexten entfaltet.285 Neben den obersten Gott treten beispielsweise im Timaios verschiedene andere Götter, die Timaios als von der obersten Gottheit abhängige Seelen 278 Vgl. Erler 2007, 471 f. für die Stellenangaben, v. a. aus dem Phaidros und Kratilos. 279 Erler 2007, 471. 280 Vgl. Pease 1955, 233 f. ad loc.; Gigon 1996, 358 f. ad loc. vermutet, dass Cicero nicht auf Platon direkt zurückgreift, sondern eine spätere Zusammenfassung seiner Lehre heranzieht, die durch die Betonung der Körperlosigkeit eine direkte Linie zum aristotelischen Gott und anderen, späteren Gottesmodellen herstellt. 281 Vgl. Erler 2007, 465; Bordt 2009, 203 f. 282 Hierbei handelt es sich vor allem um die metaphysische Interpretation der platonischen Theologie, wie sie bspw. von E. Zeller und W. Jaeger etabliert worden ist. Vgl. zur Charakterisierung dieses Ansatzes Bordt 2009, 203–205, Bordt 2006, 21–42 sowie Karfik 2010, 83 (Anm. 5) für einen Überblick über die Forschung zu Platons Theologie. 283 Vgl. Pease 1955, 233 f. für die Belegstellen. 284 Eine alternative Deutung, die neuerdings wieder von Bordt 2009 (und auch Karfik 2010) ins Spiel gebracht worden ist, sieht die Vernunft (νοῦς) als Platons obersten Gott an. Auch hierbei würde Velleius die Körperlosigkeit kritisieren können. 285 So auch Auvray-Assayas 1996, 77 f. (Anm. 2).

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der Himmelskörper beschreibt, deren Unsterblichkeit lediglich auf dem Willen der obersten Gottheit beruht.286 Gegen die Kritik an dieser Passage lässt sich anführen, dass sich für alle Objekte, denen Platon laut Velleius in den beiden Werken Göttlichkeit zugeschrieben hat, Belege finden lassen,287 dass ihnen allen von Platon zudem auch das Attribut der Göttlichkeit verliehen wird und dass auch Platon nur partiell um eine Vermittlung der einzelnen Gottesvorstellungen bemüht ist. Auch wenn er nämlich im Timaios das Verhältnis zwischen göttlicher Urseele und den göttlichen Seelen der Himmelskörper expliziert, so wird den Göttern des Mythos zwar eine Berechtigung zugestanden, doch ohne dass er sie in seine kosmologische Theologie einordnet. Beurteilt man im Gesamten die Zuverlässigkeit und den philosophiehistorischen Wert der Platon-Kritik, so lässt sich zunächst über deren Gesamtbild und generelle Stoßrichtung sagen, dass Velleius mit ihr genau diejenigen Punkte trifft, die die nachplatonische Philosophie an Platon kritisiert. So zielt Velleius darauf ab, dass ein Philosoph, der in vielen Schriften einen skeptischen Ansatz vertritt, in einigen seiner dogmatischen Schriften die Frage nach der Gottheit bzw. den Göttern nicht nur positiv beantwortet, sondern dies auf unterschiedliche und teils unsystematische Weise tut, sodass es nicht gelungen ist, aus den mal kosmologisch, mal metaphysisch, mal mythologisch akzentuierten Passagen eine platonische Theologie zu rekonstruieren.288 Während Velleius’ Kritik also philosophiehistorisch plausibel ist, hat die zurückliegende Analyse ergeben, dass er im Einzelnen mit beträchtlichen Verkürzungen, Modifizierungen und Dekontextualisierungen arbeitet.289 Da die einzelnen Zitate von Cicero auf vergleichbare Weise abgeändert worden sind und der Blick auf De legibus und die fragmentarische Timaeus-Übersetzung zeigt, dass Cicero die entsprechenden Werke Platons nicht nur ausführlich zur Kenntnis genommen hat, sondern z. T. sogar die inkriminierten Passagen selbst anderswo originalgetreu und ohne die beanstandeten Änderungen ins Lateinische übertragen hat, wäre es wenig plausibel, von unbewussten Fehlern Ciceros auszugehen. Anders als die Vertreter der Manipulationsthese be286 Vgl. Bordt 2006, 86–93 (i. A.) und 95–144 (im Speziellen) für die Eigenschaften, die dem einen Gott (im Gegensatz zu den abgeleiteten Göttern) bei Platon zukommen. 287 Vgl. darüber hinaus den Testimonienapparat in der Ausgabe von Plasberg/Ax sowie Dyck 2003, 98 ad loc. für die Belegstellen im Timaios und in den Nomoi. Vgl. darüber hinaus auch Erler 2007, 465: „Der Begriff Gott ist bei Platon auf alle Seinsstufen anwendbar, für die Ideen, für den Demiurgen und für die Welt und die Götter in ihr.“ 288 Erler 2007, 467 verweist auf Proklos als ersten, der das Fehlen einer theologischen Abhandlung Platons kritisiert, die die verschiedenen, allesamt stark kontextgebundenen Aussagen in den Dialogen systematisiert. 289 Die ausführliche Analyse ergibt im Fall von Platon also ein differenziertes Ergebnis für die Frage nach der philosophiehistorischen Plausibilität der Mitteldoxographie; auch ein modifizierendes Aufgreifen Ciceros von unabhängig überlieferten Zitaten darf nicht einfach als fehlerhafte Übertragung abgetan werden. So macht es sich McKirahan 1996, 873 zu einfach, wenn er einen Vergleich zwischen Velleius’ Xenophon-Darstellung und Xenophons Memorabilia anstellt und die fehlende direkte Übereinstimmung schlicht als Erweis ciceronischer „inaccuracies“ und „errors“ (ebd. 875) deutet.

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haupten,290 sollen diese intentionalen Änderungen jedoch nicht so erklärt werden, dass Cicero mit ihrer Hilfe Velleius demaskieren und als unkundigen Schwätzer entlarven möchte.291 Vielmehr soll der Rezipient gerade an einer Passage, wo auf eine rational anmutende Begründung zurückgegriffen wird, skeptisch werden und merken, dass selbst Darstellungen, die wie der Erweis von systemischen Inkohärenzen auf eine vordergründige Wertung verzichten, subjektiv gefärbt sein können und der individuellen Prüfung bedürfen. Mit dieser Aufgabe überfordert Cicero seine Rezipienten indes nicht, da er ihnen genügend Hilfestellungen an die Hand gibt, mit deren Hilfe sie zur Überprüfung der Darstellung angehalten werden. So nennt er erstens die Referenzwerke, in denen er die jeweiligen Aspekte gefunden hat, sodass er theoretisch sogar eine konkrete Überprüfung der Zitate ermöglicht.292 Zweitens verzichtet er darauf, zwischen dem Autor Platon und den Dialogfiguren zu unterscheiden, denen die jeweiligen Aussagen in den Mund gelegt werden.293 Dass Velleius diese Unterscheidung kennt und anderswo auch berücksichtigt, wird dem Leser spätestens beim Blick auf Xenophon (1,31) deutlich, der sich unmittelbar an Platon anschließt. Dort unterscheidet Velleius nämlich deutlich zwischen dem Autor Xenophon und der Dialogfigur Sokrates. Drittens wird dem Leser auffallen, dass diejenigen Aspekte der platonischen Theologie, die Velleius in der Anfangspolemik ausgebreitet hat und die sich vor allem dem platonischen Konzept des Demiurgen als Schöpfer des Kosmos gewidmet haben, hier nicht nur fehlen, sondern sogar mit dem ersten Teilargument (patrem huius mundi nominari neget posse) in unmittelbarer Spannung stehen.294 Spätestens daran können Ciceros Rezipienten erkennen, dass es sich bei Velleius’ Kritik nicht um eine im Einzelnen vollständige und unhinterfragbare Darstellung handelt. Durch diese drei Inszenierungshilfen ermöglicht Cicero es seinen Lesern, gerade bei der Besprechung eines der prominentesten Philosophen

290 Vgl. dazu für die Mitteldoxographie vor allem McKirahan 1996, Obbink 2001 und Papadimitrou 2002. 291 Eine solche Erklärung schlägt bspw. Maso 2015, 127 vor: „So he ridicules the Epicurean approach to prepare the way for a more radical rejection of this doctrine and to strengthen the beliefs of the Academic school.“ 292 Wenn McKirahan 1996, 878 allerdings sogar mit ciceronischen Lesern rechnet, denen einzelne philosophiehistorische Unschärfen beim Lesen unmittelbar auffallen und die über deren Entdeckung intellektuelle Freude empfinden, stellt sich die Frage, ob dies wirklich auf normale Leser zutreffen mag oder ob McKirahan nicht eher einen philologisch lesenden, modernen Rezipienten mit Kommentaren und Konkordanzen vor Augen hat. 293 Im Falle von Platon und dieser beiden prominenten Schriften darf man damit rechnen, dass den Rezipienten zumindest der Umstand bewusst ist, dass Platon dort wie auch anderswo nicht in eigenem Namen auftritt, sondern in Dialogen andere Figuren sprechen lässt. Wenn Maso 2015, 126 ff. bei der Besprechung der Platon-Kritik des Velleius die Namen der platonischen Dialogfiguren einsetzt und so tut, als würde Velleius deren Ansichten kritisieren, so verschleiert er eine wichtige ciceronische Darstellungstechnik an dieser Stelle. 294 Gigon 1996, 359 ad loc. weist darauf hin, dass neben dem Demiurgen aus dem Timaios ebenso die theologischen Aussagen aus dem zweiten Buch der Politeia fehlen.

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der Antike skeptisch zu werden und einer rational anmutenden Begründung, die hohe Suggestivkraft für sich beansprucht, nicht vorbehaltlos zu glauben. Zenon. Die Kritik an Zenon (1,36), der als stoisches Schuloberhaupt durch eine Apostrophe an Balbus hervorgehoben wird,295 besticht auch kompositorisch dadurch, dass sich hier zwei singuläre Widerlegungsfiguren finden, die nirgends sonst in der Mitteldoxographie verwendet werden und die Velleius’ Versuch darstellen, gerade am Beispiel des Schulgründers die fehlende Passung stoischer Lehren mit dem römischen Kult aufzuzeigen und im Umkehrschluss – für manchen römischen Leser sicherlich überraschend  – die epikureische Position als eine Lehre zu erweisen, der kultische Fragen eminent wichtig sind. Mit Blick auf die verwendeten Widerlegungsstrategien lässt sich die Kritik an Zenon in vier Teile untergliedern, nämlich erstens in die Kritik an der stoischen naturalis lex,296 zweitens an der Vorstellung eines göttlichen aether, drittens an der Divinisierung der ratio sowie der Himmelskörper und der sich daraus ergebenden Jahreszeiten bzw. Zeiteinteilungskonzepte297 und viertens an der stoischen Mythenallegorese. Besondere Beobachtung verdienen hierbei vor allem der zweite und der vierte Kritikpunkt. So kritisiert Velleius als zweiten Punkt die stoische Annah-

295 Auch Dyck 2003, 105 ad loc. deutet die Apostrophe an Balbus (ut iam ad vestros, Balbe, veniam) als Markierung, mit der nicht nur Zenon, dessen Rolle als Schuloberhaupt und -gründer bei weitem nicht die Bedeutung besaß wie in anderen philosophischen Schulen (so Gigon 1996, 365), sondern grundsätzlich die Kritik an der Stoa als zentraler Gegenspielerin der Epikureer hervorgehoben wird. Die ältere Forschung (vgl. Pease 1955, 250 ad loc. für weitere Literaturhinweise) sah hierin eine unbeabsichtigte Doppelung zu Cic. nat. deor. 1,25 (atque haec quidem vestra, Lucili); sie übersah dabei die inhaltliche Relevanz und die polemische Zielsetzung dieser Markierung, die sich zudem durch den Wechsel vom Gentilnamen zum cognomen stilistisch von der vorausgehenden Apostrophe unterscheidet. Vgl. darüber hinaus auch Vallot 1962/63 für eine Charakterisierung der Stoa-Kritik in Velleius’ Mitteldoxographie. 296 Nach einer kurzen Charakterisierung der naturalis lex kritisiert Velleius diesen stoischen Lehrsatz vor dem Hintergrund der epikureischen Prämisse der notwendigen Körperlichkeit Gottes und lehnt ihn ohne weitere Begründung ab. Dennoch ist zu fragen, ob der Plausibilitätsgrad hier nicht doch höher ist als an vergleichbaren Stellen, die eine Ablehnung ohne weitere Begründung nur auf Grundlage der epikureischen Prämissen liefern, da Velleius hier das Körperlichkeitsargument in einem weitaus umfassenderen Sinn versteht und hinterfragt, ob es sich bei einer derart verstandenen Gottheit überhaupt um ein „Lebewesen“ (so Gigon 1996, 366 für animans) handelt. Durch die Hinzusetzung des Adverbs certe in der nachgeschobenen Präsentation seiner Prämisse (deum autem animantem certe volumus esse) wird deutlich, dass zumindest Velleius’ Erwartungshaltung dahin geht, sich einer breiteren Zustimmung sicher sein zu können. 297 Indem Velleius die fünf verschiedenen Objekte aneinanderreiht, die laut Zenon Göttlichkeit für sich beanspruchen, greift er auf die bei Platon eingeführte Widerlegungsstrategie zurück, ohne weitere Beschreibung oder Diskussion einen philosophischen Ansatz mit Blick auf dessen divergierende Göttlichkeitszuschreibungen als inkohärent und in sich widersprüchlich (inconstantiaMotiv) zu kritisieren und dadurch von vornherein als nicht diskussionswürdig einzustufen. Dass die ratio (i. S. des stoischen λόγος-Gedankens) hier gemeinsam mit den Himmelskörpern und den sich daraus ergebenden Jahreszeiten genannt wird, lässt sich damit plausibilisieren, dass Velleius alle Göttlichkeitszuschreibungen zusammenfasst, die einem pantheistischen Konzept zugeordnet werden können. Daher überrascht es auch nicht, dass die ratio hier als per omnium naturam rerum pertinens beschrieben wird.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

me, dass der Äther eine Gottheit sei, indem er die fehlende Wahrnehmungsfähigkeit einer solchen Gottheit (nihil sentiens deus) darlegt.298 Dieses epikureische Standardargument, das innerhalb der Mitteldoxographie, wie gezeigt worden ist, des Öfteren begegnet, erfährt an dieser Stelle jedoch eine überraschende Wendung. Aus dem Umstand, dass eine solche Gottheit nicht wahrnehmungsfähig ist, leitet Velleius nämlich die Folgerung ab, dass ein solcher Gott aufgrund seiner fehlenden Körperlichkeit299 nicht verehrt werden und man nicht mit Gebeten oder Gelübden an ihn herantreten könne. Dass Velleius als Epikureer ein derartiges Argument anführen kann, ist vor dem Hintergrund der epikureischen Theologie nicht verwunderlich. Denn auch für Epikur ist es belegt, dass er dem Gebet eine große Rolle beimessen konnte, indem er es nicht als Bitte um das weltliche Eingreifen der Götter, sondern als eine Art meditativer Übung verstanden hat. Das Gebet an die Götter zielt bei Epikur nicht auf die Beeinflussung der Götter und auf deren Eingreifen, sondern auf den Betenden selbst ab. Im Gebet vergegenwärtigt sich nämlich der Weise seines Ideals, das er in den Göttern als Inbegriff der Weisheit und Glückseligkeit verwirklicht sieht, und bemüht sich darum, diesem Ideal dadurch näherzukommen. Mit Recht fasst P.-M. Morel diese epikureische Art der Frömmigkeit wie folgt zusammen: De manière analoge, les épicuriens voient dans la béautitude du dieu un modèle de stabilité et d’absence de trouble, modèle dont le sage est l’instanciation ou la réalisation mortelle. […] Philodème rapporte ainsi qu’Épicure tenait la prière pour une activité appropriée ou convenable (oikeion), non pas pour s’assurer la bienveillance des dieux, mais parce qu’elle est un moyen de bien agir en se référant à la notion d’être supérieurs, à la fois en puissance et en vertu.300

298 Wenn Pease 1955, 252 ad loc. Velleius vorwirft, er habe die stoische Theorie nicht richtig begriffen, da für Zenon eine ätherische Gottheit durchaus wahrnehmungsfähig ist („another Epicurean misunderstanding of Zeno’s views“; zu den stoischen Belegen vgl. Dyck 2003, 106 ad loc.), verkennt er grundsätzlich Velleius’ Herangehensweise an die Theorien anderer Philosophen: Selbst wenn Zenon eine Wahrnehmungsfähigkeit der ätherischen Gottheit postuliert, so kann dies für Velleius aufgrund seiner epikureischen Prämissen keine Gültigkeit besitzen, da er die Wahrnehmungsfähigkeit eines Wesens stets an dessen Körperlichkeit bindet. 299 Der gedankliche Übergang von der Kritik am nihil sentiens deus zu dessen kultischer Ungeeignetheit ist hier stark kondensiert und lässt sich wohl am ehesten so begreifen, dass ein wahrnehmungsunfähiger Gott auch nicht die kultischen Handlungen der Glaubenden wahrnehmen könne und deshalb keinen Teil an der kultischen Kommunikation haben könnte, die für die römische Gesellschaft so grundlegend ist. Dieser Punkt wiegt für den Römer wohl schwerer als die fehlende Vorstellbarkeit eines körperlosen Gottes, die für den atomistisch denkenden Epikureer von größerer Bedeutung ist. Bezeichnenderweise lässt sich das von Velleius verwendete Verb occurrere einmal im allgemeinen Sinne verstehen (eine körperlose Gottheit kann dem kultisch Handelnden eben nicht begegnen, da sie dessen Handlungen weder wahrnimmt noch auf sie reagieren kann), einmal jedoch auch dezidiert epikureisch auffassen, indem man in occurrere einen Terminus für das Einströmen der Götter-Atome auf den menschlichen animus sieht (vgl. auch Dyck 2003, 106 ad loc., der dies möglichweise im Sinne hat, wenn er von einem „divine image“ schreibt). 300 Morel 2009, 94. Vgl. auch Erler 1994, 150 für die Vorbildhaftigkeit der epikureischen Götter.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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Darüber hinaus betont Morel auch, dass Epikureer dem Gebet neben einer vornehmlich individualistischen Bedeutung auch einen ethischen Nutzen zuschreiben können.301 Auch Dedikationen und Gelübden konnte Epikur positiv gegenüberstehen,302 wenn sie nicht auf die Beeinflussung der Gottheit abzielten, sondern der Erbauung des Weisen hin zu einer den Göttern ähnlichen Haltung (ὁμοίωσις θεῷ) führen sollten. Velleius’ knappe Ausführungen in De natura deorum lassen an dieser Stelle allerdings nicht erkennen, welche Rolle und welchen Nutzen er als Epikureer der Frömmigkeit, dem Kult und dem Gebet in einem dezidiert römischen Kontext zugesteht und auf welche Weise er römische Begrifflichkeiten und Vorstellungen umdeuten oder modifizieren wollte. Vielmehr greift Velleius mit dem Trikolon neque in precibus neque in optatis neque in votis kumulierend auf typische Begrifflichkeiten der römischen religio zurück,303 ohne dass er eine ethische Umdeutung des Gebets durchführt. Velleius unterfüttert vielmehr seine Widerlegung mit einer für römische Ohren vertrauten Begrifflichkeit, wobei er den Bezug zwischen Epikureischem und Römischem nicht auf eine erklärende, sondern eine synkretistisch-assoziative Weise herstellt. Diese Technik verleiht seinem Argument quasi en passant eine ungezwungene Natürlichkeit. Man kann daher von einem schwebenden Verhältnis zwischen der epikureisch-subjektivistischen und der römisch-sakralen Gebetstheorie sprechen, das auf der gemeinsamen Bejahung eines Gebets an personale Götter beruht, ohne die dahinter stehenden, diametralen Unterschiede offenzulegen oder zu überwinden. Für das vorliegende Argument ist es einzig entscheidend, dass Velleius aus einer epikureischen Warte heraus die fehlende Kultfähigkeit der stoischen Theologie ansprechen kann, nicht jedoch, wie er dies im Einzelnen begründen würde. Vielmehr kommt es ihm darauf an, Zweifel an der Staatstauglichkeit der stoischen Ansicht zu säen. Ähnlich verfährt Velleius, wenn er darüber hinaus als vierten und letzten Punkt304 die stoische Mythenallegorese kritisiert, da sie das mit den Götternamen Bezeichnete verkenne und durch fremde Inhalte ersetze. Auch hier verbindet Velleius in eigen-

301 Vgl. Morel 2009, 94 f. 302 Vgl. v. a. Erler 1994, 167–169 für die epikureische Frömmigkeit. Vgl. darüber hinaus aus Rüpke 2006, 162 ff. für das Gelübde, das zwar eine mythologische Rahmung besitzt, die vom aktiven Eingreifen der Götter ausgeht, jedoch auch entmythologisiert werden kann als „psychologische[r] Mechanismus“, der „in einer Notsituation Ressourcen verfügbar macht, die unter pragmatischen Gesichtspunkten eigentlich gar nicht zur Verfügung stehen“ (ebd. 163). 303 Vgl. Pease 1955, 252 ad loc. für die entsprechenden Belegstellen. 304 Die inhaltliche „Sonderstellung“ dieses Punktes, die auch Gigon 1996, 367 betont, lässt sich kompositorisch an der engen Verzahnung des letzten Kritikpunktes innerhalb der Zenon-Widerlegung belegen. Während bereits am Ende des dritten Kritikpunktes bei der Aufzählung der divinisierten anni, menses und annorum mutationes auf die Vergöttlichung abstrakter Begrifflichkeiten vorbereitet wird, lässt sich auch eine enge Verbindung zum ersten Kritikpunkt beobachten. Durch die Begriffe non animans (1. Kritikpunkt) und inanimus (4. Kritikpunkt) wird darauf verwiesen, dass das stoische Gotteskonzept für Velleius vor allem und grundlegend an der fehlenden Personalität der Gottheit krankt.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

tümlicher Weise eine Grundthese der epikureischen Linguistik, der zufolge es einen inneren, nicht zu hinterfragenden Konnex zwischen einem Begriff und dem damit Bezeichneten gibt,305 mit der römischen religio, die von einem polytheistischen Götterbild ausgeht und jeder Gottheit ein mit ihrem Namen verbundenes Aufgabengebiet zuweist. Dass sich das epikureische Götterverständnis auch hier von der römischen Vorstellung aktiv in das Weltgeschehen eingreifender Götter unterscheidet, ist für Velleius irrelevant. Wiederum zielt er darauf ab, die Unvereinbarkeit von Stoa und römischer Religion aufzuzeigen, und wiederum sucht er stillschweigend eine schwebende Verbindung zwischen seiner epikureischen Ausgangsthese und ihrer Illustration mit Begriffen und Gedanken aus der Welt der römischen Religion. Zum Verhältnis der Kritik an Platon und der Stoa in der Anfangspolemik und der Mitteldoxographie. Abschließend soll auch hier das Verhältnis des ersten zum zweiten Widerlegungsteil hinsichtlich der in beiden Blöcken behandelten Philosophen Platon und Zenon untersucht werden. Platon nimmt in Velleius’ Anfangspolemik306 eine herausragende Rolle ein. Der Darstellungsschwerpunkt liegt hier eindeutig auf der creatio ex nihilo, die ausführlich von Velleius kritisiert wird. Angesprochen wird zudem noch Platons These von der Kugelgestalt der Götter, die aufgrund ihrer epistemologischen Beliebigkeit307 abgelehnt wird. In der Mitteldoxographie308 werden die Gewichte anders verteilt. Velleius zeigt dort die inconstantia der platonischen Theorie anhand der Frage nach der Körperlichkeit Gottes auf und stellt hierfür die platonischen Extrempositionen einer negativen Theologie, der Körperlosigkeit und des Pantheismus gegenüber. Zu deren Gunsten wird die schon im ersten Teil behandelte Kugelform völlig ausgespart, die allenfalls durch die Annahme, Gott zeige sich auch in der Form von Sternen, angedeutet wird. Auch auf die platonische Schöpfungstheologie wird, abgesehen von der anfänglichen Rede von Gott als dem Vater des Kosmos, nicht weiter eingegangen. Beide Teile, die ihrerseits jeweils unterschiedliche argumentative Schwerpunkte setzen, teilen sich dialogökonomisch die Platonkritik also so auf, dass die jeweils zu kritisierenden Elemente auf den passenden Bereich der Erörterung verteilt werden. Der Verzicht auf einen erneuten Rekurs auf den platonischen Demiurgen innerhalb der Mitteldoxographie vermeidet nicht nur unnötige Doppelungen, sondern dient, wie gezeigt worden ist, den Rezipienten als eine von mehreren Lesehilfen, die das kritische Bewusstsein der Rezipienten schärfen und sie zu einer skeptisch-überprüfenden Lesart der vorliegenden Passage ermutigen sollen.

305 Vgl. Erler 1994, 136 f. sowie Hossenfelder 1998, 119 f. 306 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b.19–20a.21–24a. 307 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24a: At mihi vel cylindri vel quadrati vel coni vel pyramidis [erg. forma] videtur esse formosior. 308 Vgl. Cic. nat. deor. 1,30.

3. Argumentationstechniken in beiden Teilen der Widerlegung

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Ein komplementäres Verhältnis kommt auch bei der Darstellung der Stoa zum Tragen.309 Zunächst fällt innerhalb der Anfangspolemik310 auf, dass die Stoa selbst kaum ein eigenes Profil entwickelt, sondern ihre Lehre in weiten Teilen mit Platons Theorie von der geschaffenen Welt gleichgesetzt wird. Diese vage Allgemeinheit findet ihre sachliche Berechtigung darin, dass Cicero hier einerseits darum bemüht ist, anwesende Dialogpersonen zu schonen und sie nicht in den Mittelpunkt eines Angriffs zu rücken; andererseits wird die stoische Position innerhalb der Anfangspolemik nur oberflächlich beschrieben, um weder Doppelungen mit Velleius’ Mitteldoxographie noch mit Balbus’ Entfaltung der stoischen Theologie im zweiten Buch von De natura deorum zu riskieren. Eine erste Ausdifferenzierung in die Ansichten Zenons als Schulgründers und seiner Adepten wie Ariston, Kleanthes, Persaios oder Chrysipp erfolgt erst innerhalb der Mitteldoxographie. Darüber hinaus finden sich für die Stoa auch inhaltlich keine Überschneidungen zwischen den beiden Teilen der Velleius-Rede. Innerhalb der Anfangspolemik stellt Velleius lediglich zwei dezidiert stoische Nuancen vor, indem er die stoische Pronoia als alte, weissagende Frau polemisch vom platonischen Schöpfergott abgrenzt311 und die stoische Ansicht von der Vergänglichkeit der Welt der platonischen Idee einer unvergänglichen Schöpfung gegenüberstellt. Beide Elemente finden sich im zweiten Widerlegungsteil nicht, wo die stoischen Einzelphilosophen vor allem hinsichtlich ihrer epistemologischen Unzulänglichkeiten kritisiert werden, die anhand ihrer systemischen Inkonsequenz oder der stoischen Mythenallegorese exemplifiziert werden. Damit kann man für Platon und die Stoa mit zwei verschiedenen Differenzierungstechniken rechnen, die beide zur Vermeidung unnötiger Redundanzen ihren komplexen Gegenstand auffächern.312 Während bei Platon die Ausdifferenzierung durch die komplementäre Anordnung einzelner Elemente seiner Lehre über verschiedene Passagen hinweg vollzogen wird, wird die Stoa zunächst als geschlossenes Schulsystem angesprochen, dessen führende philosophische Vertreter erst in einem zweiten, konkretisierenden Schritt ins Blickfeld geraten. Auf diese Weise wird die Anfangspolemik dem Umstand gerecht, dass wohl Platon stärker als herausragende Einzelperson denn 309 Hirzel 1877, 18 f. sieht bereits die Anrede an Balbus in Cic. nat. deor. 1,36 (ut iam ad vestros, Balbe, veniam) als Erweis dafür, dass die Mitteldoxographie auf einer anderen Quelle als die Anfangspolemik fußt, da Velleius hier nicht mehr auf seine vorausgehenden Ausführungen rekurriert. Dass Cicero sich bei der Einfügung dieses dialogischen Elements schon nicht mehr an seine Anfangspolemik erinnern könne, scheint allerdings selbst bei der Annahme eines schnell arbeitenden Autors unwahrscheinlich zu sein. 310 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b.20b.21–23. 311 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b. 312 Paradoxerweise konstatiert auch Philippson 1939b, 16 f., dass sich die Widerlegungen in der Anfangspolemik und der Mitteldoxographie voneinander unterscheiden, doch wertet er gerade die fehlende Überschneidung als Zeichen dafür aus, dass beide Teile unterschiedlichen Prätexten entnommen seien und Cicero es „in der Eile“ und „Flüchtigkeit“ versäumt habe, sich darum zu kümmern, beide Widerlegungsteile deutlicher aufeinander zu beziehen.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

als Gründer einer klar fassbaren Schultradition wahrgenommen wird, während Zenon zwar als Begründer der stoischen Philosophie gilt, nicht jedoch als ihr kanonischer Vertreter, da sich die Stoa auch nach und unabhängig von Zenon als geschlossenes, aber erweiterbares System auf einer festen Grundlage etablieren konnte.313 4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius a) Zu den Forschungsfragen und -positionen Auf die Anfangspolemik und die Mitteldoxographie folgt als dritter und letzter Teil die Entfaltung der epikureischen Theologie. Seit jeher war es gerade der Abschluss der Velleius-Rede, der im Mittelpunkt der philologischen und philosophiehistorischen Kritik stand. Mit einem gewissen Recht beobachtete man zunächst die auffälligen quantitativen Unterschiede zwischen der epikureischen Rede und ihrem stoischen Pendant sowie zwischen der epikureischen Rede und ihrer skeptischen Widerlegung. Während Velleius’ Rede im Vergleich mit Balbus’ Rede und Cottas Widerlegung ohnehin einen deutlich geringeren Umfang innerhalb des Werkes einnimmt, verwendet Velleius zudem auch noch viel Zeit auf die zweifache Widerlegung gegnerischer Ansichten, sodass die epikureische Theologie selbst nur auf engem Raum dargestellt wird. Die ältere Quellenforschung ging davon aus, dass man anhand der unterschiedlichen Ausführlichkeit und Genauigkeit erkennen könne, dass die Velleius-Rede eigentlich aus mehreren inkompatiblen Einzeltexten bestehe. Während Cicero für den Widerlegungsteil der Rede umfangreiche Texte vorgelegen haben müssten, bei denen es sich am ehesten um epikureische Polemiken gegen konkurrierende Philosophenschulen handelte, konnte er für die Lehrentfaltung wohl lediglich auf eine knappe Zusammenfassung oder eine esoterische Epitome zurückgreifen, die die wichtigen Aspekte der epikureischen Theologie mit wenigen erklärenden Hinweisen genannt habe.314 Da es Cicero weder zeitlich möglich gewesen sei, einen ausführlicheren Prätext aufzutreiben noch die fehlenden Erklärungen selbst zu ergänzen, habe er sich mit diesem defizitären Prätext begnügen müssen.

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Ein Personenkult um Zenon scheint sich nicht eingestellt zu haben, da das stoische System eine gewisse Eigenständigkeit entwickelt hatte, ohne dezidierte „Meisterworte“ auskam und sich sofort Nachfolger fanden, die die stoische Tradition bewahrten und weiterentwickelten (vgl. Long 1974, 108–114). Die Akademie andererseits konnte sich nicht nur infolge der Etablierung des Peripatos durch Aristoteles, sondern auch durch innere Streitigkeiten innerhalb der Akademie nicht als klar umrissene Schultradition etablieren. Pease 1955, 292 weist darauf hin, dass die hohe Stellung gerade von Platon (und Pythagoras) auch andernorts in De natura deorum deutlich wird, so v. a. in 2,32 für Platon (Platonem quasi quendam deum philosophorum) und in 1,10 für Pythagoras (ipse dixit). Anders Hoyer 1898, 50, der die Kürze und Allgemeinheit der Lehrentfaltung dadurch erklärt, dass Cicero sie selbstständig extemporiert hat („Cicero konnte sie selbst im Kopf haben“).

4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius

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Andere, vor allem neuere Ansätze nehmen an, dass Cicero mit Absicht den Widerlegungsteil überaus ausführlich gestaltet und die Lehrentfaltung stark gekürzt hat, um Velleius dadurch als einen Epikureer darzustellen, der zwar mit großer Verve und vollmundig buchstäblich alle anderen philosophischen Ansätze kritisieren kann, selbst jedoch nicht in der Lage ist, seine eigene Lehre suffizient und in der nötigen Ausführlichkeit und Klarheit vorzustellen. Eine solche Charakterisierung entspreche Ciceros Geringschätzung315 der epikureischen Position und solle dazu beitragen, dass auch seine Leser zu dem Schluss kommen, in der epikureischen Theologie keinen ernstzunehmenden philosophischen Beitrag zu sehen. b) Die Charakterisierung der epikureischen Lehre als Heilslehre (1) Das komplementäre Verhältnis von Widerlegungs- und Lehrteil Wenn vor allem die an der philosophiehistorischen Rekonstruktion der epikureischen Lehre interessierten Forschungsansätze die Kürze der Lehrentfaltung und die Länge des Widerlegungsteils innerhalb der Velleius-Rede beklagen, so nehmen sie meist stillschweigend an, dass Cicero in De natura deorum einen umfassenden, quasi-wissenschaftlichen Überblick über die Inhalte und Lehrmeinungen der epikureischen Theologie präsentieren wollte.316 Blickt man jedoch auf die Einbettung der epikureischen Lehrentfaltung in den unmittelbaren Kontext sowie auf ihre Gliederung und ihre inhaltliche Schwerpunktsetzung, so zeigt sich, dass eine objektiv-umfassende Darstellung der epikureischen Theologie nicht das Hauptziel der Velleius-Rede zu sein scheint. Bereits mit der Positionierung der Lehrentfaltung hinter die Kritik an anderen theologischen Ansätzen verbindet Velleius nämlich innerdialogisch das Ziel, den Wahrheitsanspruch der epikureischen Position umso deutlicher hervortreten zu lassen. Nachdem er zunächst die gesamte Geistes- und Kulturgeschichte als eine Geschichte des religionsphilosophischen Scheiterns beschrieben hat, erscheint Epikur bei ihm als eine umso größere Lichtgestalt, die sich von allen anderen Ansätzen nicht graduell,

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Vgl. Pease 1955, 294, der eher eine gemäßigte Position vertritt und in der Kürze der Lehrentfaltung ein Zeugnis dafür sehen möchte, dass Cicero die epikureische Position als deutlich weniger relevant beurteilt. Wäre dies so, dann müsste man sich allerdings fragen, wieso er sie überhaupt aufgenommen und ihr eine so prominente Position in seinem Buch zugewiesen hat. Darüber hinaus zeigt sich an Pease, dass sich die Manipulationsthese durchaus auch mit der Kompilationsthese kombinieren lässt, da auch er damit rechnet, dass Cicero für die Lehrentfaltung auf einen anderen Primärtext zurückgegriffen hat, ohne für eine Harmonisierung dieser beiden Positionen zu sorgen. So auch die Erwartungshaltung von McKirahan 1996, Classen 2008, Classen 2010.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

sondern grundsätzlich unterscheidet.317 Mit dem vor der Lehrentfaltung erbrachten Nachweis, dass alle anderen religionsphilosophischen Ansätze auf die eine oder andere Weise an der Wahrheit vorbeigehen,318 unterfüttert Velleius seine These, dass alleine Epikur die Wahrheit erkannt habe, noch bevor er sie überhaupt formuliert. Der Widerlegungsteil bildet mit der eigentlichen Lehrentfaltung daher eine enge Einheit; beide Teile der Velleius-Rede verfolgen das Ziel, auf unterschiedlichem Weg die Überlegenheit der epikureischen Position zu erweisen.319 Der Erweis der Einzigartigkeit Epikurs, der innerhalb der Mitteldoxographie bewusst ausgespart worden ist und nun ohne Beachtung der chronologischen Reihenfolge320 vorgestellt wird, ist daher auf die Negativfolie des Widerlegungsteils angewiesen, dessen Voranstellung vor die eigentliche Entfaltung der Lehre als strategisches Gliederungsmoment zu verstehen ist. Darüber hinaus lässt sich die Kürze der epikureischen Lehrentfaltung auch damit erklären, dass sie in weiten Teilen auch auf die Überlegungen zurückgreifen kann, die Velleius in der Mitteldoxographie entfaltet hat. Wie gezeigt worden ist, dient die Mitteldoxographie nicht nur dazu, die gegnerischen Ansichten zu widerlegen. Gerade durch ihre Konfrontation mit dezidiert epikureischen Prämissen erfährt der Leser Schritt für Schritt diejenigen Kriterien, die für Velleius entscheidend für die Konstituierung eines epikureischen Gottesbildes sind.321 Die Mitteldoxographie entfaltet in dieser Lesart also bei weitem nicht nur eine widerlegende, sondern auch eine darbietende Funktion, sodass deutlich wird, dass eine allzu starre Trennung von Lehrentfaltung und Widerlegung nicht aufrechtzuerhalten ist; auch Redeteile, die sich vornehmlich der Widerlegung anderer Ansichten widmen, können Funktionen der Lehrentfaltung übernehmen, während es andererseits auch innerhalb von Redeteilen, die sich vor allem der Lehrentfaltung widmen, widerlegende Passagen geben kann. Diese Überlegung ermöglicht es, die inhaltliche Dimension von Mitteldoxographie und Lehrentfaltung zum Teil als komplementär zu erklären. So lässt sich einerseits die Kürze, die vor allem im zweiten, mit quasi corpus einsetzenden Teil der Diskussion um die forma 317

Überzeugend weist Gigon 1996, 374 ad loc. auf eine Parallele zu Platon und dem „Aufstieg aus der dunklen Höhle zur Sonne des agathon“ hin; beides Mal wird der Weg zur Wahrheit in einem scharfen Dualismus beschrieben, mit dem gewichtigen Unterschied jedoch, dass sich Epikur selbst als Führer zur Wahrheit stilisiert. 318 Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b als abschließendes Fazit zum Widerlegungsteil der Velleius-Rede: Ea qui consideret, quam inconsulte ac temere dicantur, […]. 319 Daher greift es zu kurz, wenn bspw. Classen 2008, 175 die Voranstellung der breiten Polemik vor die kürzere Lehrentfaltung als Mittel Ciceros ansieht, mit dessen Hilfe ein Desinteresse der Epikureer an ihrer eigenen Lehre und eine allgemeine Streitlust dieser Schule dargestellt werden soll. 320 Vgl. Dyck 2003, 118, der vor allem die chronologische Durchbrechung im Falle Epikurs als Markierungsstrategie hervorhebt. Treffend auch McKirahan 1996, 866, der darauf hinweist („omitting the Epicureans for obvious reasons“). 321 Vorsichtig formuliert auch McKirahan 1996, 867 in diese Richtung, wenn er annimmt, dass der Mitteldoxographie auch inhaltlich eine vorbereitende Funktion für die Lehrentfaltung zukommt, ohne allerdings zu konkretisieren, worin er diese Vorbereitung sieht, und ohne das komplementäre Verhältnis dieser beiden Redeteile zu erkennen.

4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius

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deorum vielfache Kritik hervorgerufen hat, damit erklären, dass Velleius gerade den Aspekt der Körperlichkeit in mehrfacher Hinsicht innerhalb der Mitteldoxographie entfaltet hat. Ähnlich ließe sich auch für die These von der Unsterblichkeit der Götter argumentieren, die in der epikureischen Lehrentfaltung lediglich kurz konstatiert wird, dafür aber innerhalb der Mitteldoxographie an zentralen Stellen entfaltet worden ist. Andererseits bietet die ausführliche Besprechung der Glückseligkeit der Götter, die Velleius nicht nur zu Beginn der Lehrentfaltung, sondern auch bei der anschließenden Diskussion der vita deorum entfaltet, eine weitere Erklärung dafür, wieso dieser eigentlich zentrale epikureische Gesichtspunkt innerhalb der Mitteldoxographie kaum vertreten und erst zum Höhepunkt der Velleius-Rede entfaltet wird. (2) Zur Grobgliederung und Schwerpunktsetzung innerhalb der Lehrentfaltung Dass sich die epikureische Lehre in einer grundsätzlichen Weise von allen bisher vorgestellten Ansätzen unterscheidet, lässt sich auch daran erkennen, dass Velleius die epikureische Lehre als eine umfassende Heilslehre charakterisiert, die nicht nur auf die intellektuelle Einsicht ihrer Adepten abzielt, sondern deren ganzes Leben betreffen soll. Auch im Falle der Theologie geht es dem Epikureer nicht darum, zweckfreies Wissen über die Götter zu erlangen, sondern mithilfe der richtigen Gotteserkenntnis ein angstbefreites Leben in voluptas führen zu können. Velleius selbst macht diesen Ansatz an exponierten Stellen, das heißt zu Beginn, in der Mitte und am Ende seiner Lehrentfaltung, deutlich. Epikur als Heilsbringer. Bereits unmittelbar zu Beginn seiner Lehrentfaltung unterstreicht Velleius nämlich die herausragende Bedeutung des Schulgründers Epikur (1,43b): Ea qui consideret quam inconsulte ac temere dicantur, venerari Epicurum et in eorum ipsorum numero, de quibus haec quaestio est, habere debeat. Solus enim vidit primum esse deos, […].

Epikur erscheint hier mit Blick auf die exponierte Anfangsstellung des Pronominaladjektivs solus und die direkte Gegenüberstellung zu den anderen theologischen Entwürfen nicht nur als der einzige Philosoph, dessen religionsphilosophischer Ansatz ernst genommen werden kann. Vielmehr setzt Velleius sogleich mit einem Preis Epikurs ein. Während das Schüler-Lehrer-Verhältnis zwischen einem philosophischen Schulgründer und dessen Anhängern meist mit Verben wie sequi ausgedrückt wird, wird Epikur nicht nur quasi-kultische Verehrung (venerari) entgegengebracht. Vielmehr wird er in einer Art Apotheose nachgerade selbst in den Kreis der Götter aufgenommen,322 322 Mit Recht weist Dyck 2003, 118 auf Lucr. 5,8 (deus ille fuit, deus, inclute Memmi) hin, wo mithilfe der Geminatio des zentralen Substantivs deus ebenfalls eindrücklich von einer Vergöttlichung Epikurs gesprochen wird.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

da sich seine Lehre einer die üblichen Wissenschaften transzendierenden Schau des eigentlichen Wissens verdankt. Daher deutet Velleius durch die Wahl des Verbs vidit nicht so sehr den sensualistischen Charakter jedes epistemologisch sicheren Wissens als ein Sehen von simulacra an, da das atomistische Modell Epikurs erst am Ende der Lehrentfaltung explizit ins Blickfeld rückt, sondern charakterisiert dadurch in typisch epikureischer Weise323 Epikurs Lehre als außergewöhnlich. So ist es folgerichtig, wenn Epikurs Schrift De regula et iudicio, auf die im Folgenden für eine genauere Beschreibung des Prolepsis-Arguments verwiesen wird, als caeleste volumen324 beschrieben wird. Bereits im Auftakt wird dem Leser also deutlich gemacht, dass Velleius Epikur als einen Heilsbringer ansieht, dessen Wirken sich bei weitem nicht auf die Formulierung einer intellektuell überzeugenden Lehre beschränkt. Zwei Arten philosophischen Wissens. Auch die Grobgliederung der Lehrentfaltung spiegelt dieses Verständnis der epikureischen Lehre wider. Während Velleius sich zunächst in einer Art philosophischem Basiskurs um den Beweis der Götterexistenz (esse deos)325 und die grundlegende Bestimmung der Götter als glückselige und unsterbliche Wesen (esse deos beatos et immortales)326 kümmert, widmet er sich in einem zweiten Teil den beiden Spezialfragen327 der Göttergestalt328 und des göttlichen Lebens329. In 323 324

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Vgl. den eindrücklichen Epikur-Preis bei Lucr. 1,71–79, v. a. 1,71 ff.: extra / processit longe flammantia moenia mundi / atque omne immensum peragravait mente animoque […]. Vgl. dazu auch Morel 2009, 15 ff. und Pease 1955, 292 ad loc., der auch auf Lucr. 3,1042–1044 hinweist. Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b. Das Adjektiv caelestis wird hier in übertragener Bedeutung synonym zu divinus gebraucht (vgl. TLL 3,71 s. v. caelestis); anders fasst es Pease 1955, 297 ad loc. auf, der mit Blick auf Cic. fin. 1,63 (servata illa, quae quasi delapsa de caelo est ad cognitionem omnium, regula) caelestis hier im eigentlichen Sinne als „vom Himmel kommend“ verstanden wissen möchte. Dabei übersieht er jedoch, dass Torquatus in fin. dieses kühne Bild durch das Hinzufügen des Adverbs quasi abschwächt und auch nicht im wörtlichen Sinne auffasst, sondern hyperbolisch zur Qualifizierung eines außergewöhnlichen Gegenstands benutzt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b–44a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,44b–45a. Blickt man auf die in Cic. nat. deor. 1,45 präsentierte divisio der philosophischen Spezialfragen, so lässt sich die Formulierung anquirit animus et formam et vitam et actionem mentis atque agitationem in deo als anaphorisches Trikolon verstehen und eine inhaltliche Dreiteilung (Gestalt, Leben, geistige Aktivität) des Hauptteils erwarten. Tatsächlich werden die beiden Gesichtspunkte der Gestalt (vgl. Cic. nat. deor. 1,46: ac de forma quidem […]) und des Lebens (vgl. Cic. nat. deor. 1,51: et quaerere a nobis, Balbe, soletis, quae vita deorum sit […]) genannt; die Formulierung actio mentis atque agitatio in deo hingegen wird nicht als gesonderter Punkt angeführt, sondern verbindet sich eng mit der sachlich naheliegenden Frage nach der vita deorum: Nur ein ruhiger Geist ermöglicht den Göttern ein Leben in ewiger Glückseligkeit (vgl. Cic. nat. deor. 1,52 f.). Hoyer 1898, 49 f. bemerkt die problematische Form dieser divisio und sieht in ihr den (letztlich gescheiterten) Versuch, hier eine Parallele zur Vierteilung der stoischen Lehre durch Balbus zu etablieren. Vgl. Cic. nat. deor. 1,46–50. Vgl. Cic. nat. deor. 1,51–54a. Anders Dyck 2003, 121 ad loc., der die abschließende Gegenüberstellung der Folgen, die das stoische bzw. das epikureische Gottesbild auf die menschliche Psyche haben, noch der zweiten Spezialfrage zurechnet. Zwar ist ihm zuzustimmen, dass sie sich aus der Frage nach der vita deorum ergibt; jedoch setzt sie mit Blick auf die Folgen im Leben der Menschen einen gänzlich neuen Schwerpunkt, sodass es gerechtfertigt scheint, sie gerade mit Blick auf den

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einem Verbindungsstück330 zwischen diesen beiden Teilen macht Velleius nicht nur die Gliederung der beiden Teile transparent, sondern bewertet sie auch hinsichtlich ihrer Bedeutung. Dort unterstreicht er, dass der philosophische Basiskurs eigentlich ausreichen würde, um all das über die Götter zu wissen, was für deren Verehrung und für die Befreiung des Menschen von der Angst vor den Göttern ausreichen würde. Der Spezialteil hingegen erfüllt laut Velleius lediglich die Funktion einer intellektuellen Versicherung, ohne dabei jedoch substantiell etwas Neues liefern zu können, das für die rechte Gottesverehrung und das daraus resultierende rechte Selbstverständnis des Menschen von Belang wäre.331 Diese epistemologische Gewichtung zeigt, dass die religionsphilosophische Erkenntnis für einen Epikureer nicht um ihrer selbst willen angestrebt wird, sondern sich der Zielsetzung einer rechten Gottesverehrung unterzuordnen hat. Die befreiende Wirkung der epikureischen Lehre. Besonders eindrücklich vergleicht Velleius deshalb in einem abschließenden Fazit,332 auf das nur noch eine knappe, urbane Beendigung der Rede folgt,333 die Folgen, die das stoische und das epikureische Gottesbild für die menschliche Psyche haben. Für Velleius affiziert die Vorstellung eines allwissenden stoischen Überwachergottes,334 der alle Handlungen des Menschen auf sich bezieht, die Menschen nicht nur mit einem diffusen Angstempfinden,335 sonabschließenden Epikurpreis als rhetorisch aufgeladenen Abschluss der Velleius-Rede (peroratio) zu verstehen. Das die Gegenüberstellung einleitende itaque (Cic. nat. deor. 1,54b) ist deshalb nicht als kausale Konjunktion (ítaque), sondern als Markierung des Fazits (itáque) aufzufassen. Gigon 1996, 389 sieht in der abschließenden peroratio lediglich einen weiteren Exkurs des Velleius und ordnet die Passage weder der zweiten Spezialfrage noch dem Schluss zu, sondern spricht davon, dass sie „locker“ an die zweite Spezialfrage „angehängt“ sei. 330 Vgl. Cic. nat. deor. 1,45b. 331 Der Text legt es nicht nahe, diese intellektuelle Versicherung anhand der Spezialfragen lediglich auf die sich durch das philosophische Fachgespräch zwischen Velleius, Cotta und Balbus ergebende Notwendigkeit zu beziehen (so Pease 1955, 303 ad loc.). Die Formulierung animus anquirit, mit der die Berechtigung und gleichzeitig Begrenztheit der Spezialfragen eingeführt wird, setzt allgemein ein intellektuelles Interesse voraus, das nicht an einen philosophischen Fachdiskurs gebunden ist. 332 Vgl. Cic. nat. deor. 1,54b–56a. 333 Vgl. Cic. nat. deor. 1,56b. 334 Velleius gelingt es hier, das Schreckbild eines solchen Gottes zu zeichnen, indem er die zeitliche, örtliche und sachliche Totalität des Überwachtwerdens eindrücklich herausstellt. Vgl. dazu das Adjektivattribut sempiternus, welches zu dem als dominus beschriebenen stoischen Gott hinzutritt, den Akkusativ der zeitlichen Ausdehnung dies et noctes und das anaphorische omnia, welches die verschiedenen Dimensionen des Überwachtwerdens charakterisiert. Auch stellt Velleius diesen stoischen Gott als eifersüchtigen Tyrannen dar, was nicht nur am Substantiv dominus deutlich wird, sondern auch daran, dass ein solcher Gott in nachgerade neurotischer Art und Weise alle Handlungen des Menschen auf sich selbst bezieht. Vgl. darüber hinaus auch Essler 2011a, 134 f., der mit Blick auf Philodems De dis 3 zeigt, dass die Angst vor allwissenden Göttern ein dezidiert epikureisches Argument darstellt. 335 Mit der metaphorischen Wendung inposuistis in cervicibus nostris sempiternum deum gelingt es Velleius, das diffuse Gefühl des Beobachtetwerdens, ohne den Beobachter sehen zu können, als das Empfinden einer drückenden, aber unsichtbaren Last wiederzugeben. Dyck 2003, 133 ad loc. hat

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

dern veranlasst sie in der Folge,336 auch von der Unfreiheit des eigenen Willens auszugehen.337 Zudem verleitet sie zu einer abergläubischen Haltung, in der den verschiedenen Zukunftsdeutern338 aus Angst vor den Göttern eine übersteigerte Bedeutung zugestanden und eine nachgerade religiöse Verehrung entgegengebracht wird. Die epikureische Gottesvorstellung hingegen befreit ihre Anhänger von einer solchen, ungerechtfertigten Angst339 und einem daraus resultierenden Aberglauben, da sie nicht von Göttern ausgeht, die strafend in das Leben der Menschen eingreifen. c) Argumentationsstrategien innerhalb der Lehrentfaltung Auch anderswo340 hat Cicero zu verstehen gegeben, dass er den Epikureismus als eine philosophische Richtung ansieht, die ihrem Schulgründer einen außergewöhnlich hohen Platz zugesteht und auf die innere Befreiung des Menschen abzielt. Obwohl er selbst diesen Ansatz aus vielerlei Gründen wohl nicht geteilt hat, bemüht er sich mit Blick auf die Kontextualisierung und Gliederung der epikureischen Lehrentfaltung darum, sie authentisch durch Velleius darstellen zu lassen. Nimmt man Velleius’ Stiligut beobachtet, dass sempiternum deum hier an die Stelle von iugum tritt und der stoische Gott dadurch mit einer unfreiwillig aufgenommenen und ungern ausgehaltenen Last assoziiert wird. Bezeichnenderweise schließt sich Velleius durch das Hinzufügen des Possessivpronomens noster ausdrücklich mit in den Kreis derjenigen ein, die von dieser Vorstellung betroffen sind. Durch die dadurch erzielte Verallgemeinerung des Bedrohungsgefühls gelingt es ihm, den stoischen Überwachergott als ein umfassendes Problem zu stilisieren, das sich nicht nur auf die Gruppe der Stoiker bezieht, sondern quasi in die gesamte Gesellschaft diffundieren konnte. Mit Recht bewertet Gigon 1996, 389 die Schilderung des Velleius hier als „brutal realistisch“. 336 Vgl. Pease 1955, 339 ad loc., der (anders als Gigon 1996, 389 f., der gerade zwischen der Kritik am stoischen Überwachergott und an der sich anschließenden fatalis necessitas keinen Konnex erkennt) ebenfalls den resultativen Charakter der fatalis necessitas und der divinatio herausarbeit, ohne jedoch ausreichend auf dessen pejorative Konnotierung einzugehen. 337 Für Velleius ergibt sich aus dem Glauben an einen allwissenden und alles bestimmenden Gott notwendigerweise die Vorstellung einer fatalis necessitas (Cic. nat. deor. 1,55), d. h. eines alles bestimmenden Schicksals, das die Autonomie des Einzelnen, die gerade für Epikur von zentraler Bedeutung ist und bereits in seinem Atomismus fundiert ist, empfindlich einschränkt. 338 Wenn Pease 1955, 342 ad loc. mit Blick auf Cic. div. 1,132 hervorhebt, dass die Stoiker selbst zwischen verschiedenen Formen der divinatio unterscheiden und bei weitem nicht alle gelten lassen, und in der Folge Velleius für dessen Unterstellung kritisiert, so übersieht er, dass Velleius die abergläubische Verehrung verschiedener Zukunftsdeuter nicht als Teil der stoischen Lehre versteht, sondern als eine sich natürlich daraus ergebende Folge brandmarkt. 339 Die Abwertung der stoischen Theologie erreicht durch die Gleichsetzungen mit terrores hier zweifelsohne einen Höhepunkt, der dazu dient, den befreienden Charakter der epikureischen Heilslehre deutlich zu machen. Explizit wird dieser von Velleius durch die Wendung in libertatem vindicati (Cic. nat. deor. 1,56a) hervorgehoben, die den Akt der Freilassung einer zu Unrecht in Unfreiheit gehaltenen Person bezeichnet (so Dyck 2003, 134 ad loc.). 340 Mit Recht weist Pease 1955, 292 auf Cic. Tusc. 1,48 hin, wo sich eine derartige Charakterisierung in geraffter Kurzform und z. T. mit denselben Einzelformulierungen findet und alle hier herausgearbeiteten Elemente aufgreift.

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sierung der epikureischen Lehre als befreiende Heilslehre ernst, so erklärt sich damit auch die ausführliche Widerlegung gegnerischer Ansichten sowie die Rahmung und Schwerpunktsetzung innerhalb der Lehrentfaltung. Als problematischer hingegen erweist sich die konkrete Durchführung der Lehrentfaltung durch Velleius, die sich oftmals den Vorwurf der Oberflächlichkeit und Unverständlichkeit gefallen lassen musste. Mithilfe einer Analyse der jeweiligen Argumentationsstrategien soll im Folgenden untersucht werden, inwiefern Velleius hier auf argumentative Techniken zurückgreift, die er bereits im Widerlegungsteil verwendet hatte, und wie sich auf dieser Grundlage die Plausibilität der epikureischen Darstellung beurteilen lässt. Schwerpunktmäßig sollen einerseits der philosophische Basiskurs, andererseits die Spezialfrage nach der forma deorum untersucht werden, da sich an diesen beiden Textabschnitten Velleius’ Darstellungsmittel besonders eindrücklich zeigen lassen. (1) Argumentationsstrategien innerhalb des philosophischen Basiskurses Die Existenz der Götter. Zu Beginn der epikureischen Lehrentfaltung stellt Velleius die Behauptung auf, dass sich die Existenz von Göttern aufgrund einer natürlichen Gotteserkenntnis beweisen lässt.341 Diesen Beweisgang vollzieht er in zwei Schritten. Nach der Formulierung seiner These342 begründet er die natürliche Gotteserkenntnis zunächst mit der Beobachtung, dass jedes Volk ein Verständnis von der Existenz der Götter besitzt, die sich ohne jede Lehre oder vorherige Unterrichtung einstellt, sodass die Natur als diejenige Instanz angenommen werden kann, die den Menschen den Begriff der Gottheit vermittelt. Dass Cicero Velleius diese Begründung343 in Form einer rhetorischen Frage formulieren lässt, dient wohl nicht nur dazu, eine bereits im Widerlegungsteil der Velleius-Rede oft verwendete Darstellungsform kohärenzstiftend aufzugreifen und dabei auf den Effekt unmittelbarer Plausibilität zu setzen, sondern auch dazu, der consensus omnium-Begründung ihre problematische Schärfe zu nehmen. Auch wenn die rhetorische Frage quae est enim gens aut quod genus hominum, quod non habeat sine doctrina anticipationem quandam deorum? (1,43b) die Behauptung impliziert, dass es keinen Menschen gibt, der nicht eine natürliche Vorstellung von den Göttern besitzt, lässt sich Velleius durch die vorsichtigere Formulierung als Frage nicht 341

Ähnlich argumentiert Epikur selbst in seinem Brief an Menoikeus, wo er von einer allgemeinen Gotteserkenntnis ausgeht (vgl. 123,2: ὡς ἡ κοινὴ τοῦ θεοῦ νόησις ὑπεγράφη), die unmittelbare Evidenz (vgl. 123,4: ἐναργὴς γὰρ αὐτων ἐστιν ἡ γνῶσις) entfaltet; zugleich betont Epikur jedoch deutlicher als Velleius, dass die Mehrheit der Menschen dennoch falschen Meinungen anhängt (vgl. 123,6). 342 Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b: Solus enim vidit primum esse deos, quod in omnium animis eorum notionem inpressit ipsa natura. 343 Anders urteilt Essler 2011b, 40, der der rhetorischen Frage ihren Begründungscharakter abspricht und in ihr nur eine den vorausgehenden Inhalt wiederholende Funktion sieht.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

darauf festnageln, alle Ausnahmen ausgeschlossen zu haben. Somit wird demjenigen Kritikpunkt, den alle consensus omnium-Argumente am meisten fürchten müssen, nämlich dem Anführen möglicher Ausnahmen und dem Vorbringen anderslautender Einzelfälle, etwas vorgebaut. Da sich Velleius hier nicht explizit auf die Gesamtheit aller Menschen und Völker festlegt, würde ihm bei der Konfrontation möglicher Ausnahmen leichter der Weg offenstehen, diese Ausnahmen entweder als unberechtigt abzutun oder sich zumindest auf die Mehrheit der relevanten (d. h. zivilisierten, gebildeten, frommen o. ä.) Meinungen zu beziehen. Auf diese erste Begründung natürlicher Gotteserkenntnis mithilfe des consensus omnium-Arguments folgt im Anschluss eine erklärende Definition des epikureischen πρόληψις-Begriffs. Diese Definition erhält dadurch Gewicht, dass Velleius explizit den griechischen Fachbegriff πρόληψις,344 Epikur als dessen Urheber und dasjenige Werk Epikurs angibt,345 in dem sich die Herleitung und Untermauerung dieses epikureischen Konzepts finden. Dadurch wird der Passus nicht nur formal als Definition erkennbar, die sich der allgemeinen Überprüfbarkeit öffnet, sondern auch als erste Stelle innerhalb der Velleius-Rede markiert, in der eine dezidiert epikureische Begrifflichkeit eingeführt wird und das damit verbundene epistemologische Konzept Epikurs offengelegt wird. Inhaltlich erfährt die πρόληψις-Definition auch dadurch eine Unterfütterung, dass sie als allgemeines Erkenntnismodell eingeführt wird, welches nicht auf den Bereich der Gotteserkenntnis beschränkt bleibt. Anhand der drei sich gegenseitig erklärenden Infinitive intellegi, quaeri und disputari wird vielmehr verdeutlicht, dass Epikur das πρόληψις-Konzept als Voraussetzung für das Verständnis und die Diskussion jeder abstrakten, nicht-gegenständlichen res annimmt, die einem unmittelbar sensualistischen Zugriff entzogen ist. Die beiden lateinischen Substantive anticipatio und informatio, die das griechische Substantiv πρόληψις wiedergeben, zeichnen sich dabei durch größere Exaktheit aus als das zunächst genannte, semantisch breitere Substantiv notio346 und erklären den πρόληψις-Begriff auf unterschiedliche Weise. Während es sich bei anticipatio um eine

344 Während die Überlieferung in Cic. nat. deor. 1,44 die geläufige Form πρόληψιν nahelegt, spricht sie in 1,43b für πρόλημψιν. Während Pease 1955, 297 ad loc. keinen Anstoß daran nimmt und Plasberg/Ax darin folgt, scheint es doch schwer vorstellbar zu sein, dass Cicero Velleius zwei verschiedene Versionen des griechischen Begriffs in so kurzem Abstand in den Mund legt, sodass sich mit Blick auf die generellen Probleme bei der Überlieferung griechischer Wörter in lateinischen Texten und mit Blick auf die orthographische Ähnlichkeit von Eta und My die Form πρόλημψιν am ehesten als eine Art Dittographie erklären lässt und wohl doch zu πρόληψιν emendiert werden kann. 345 Wenn Classen 2010, 202 den Bezug auf das epikureische Werk „as a source and (sole) justification“ beurteilt, dann berücksichtigt er die argumentative Dimension von Velleius’ Begründung des esse deos zu wenig. 346 Mit Blick auf Cic. Top. 31 (notionem appello, quod Graeci tum ἔννοιαν, tum πρόληψιν) scheint es sich bei notio auch eher um die Wiedergabe des griechischen Substantivs ἔννοια zu handeln, das Cicero in den Topica als rhetorischen Terminus einführt und als Synonym von πρόληψις auffasst.

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wörtliche Übersetzung des griechischen Terminus handelt,347 der den vorläufigen, d. h. den eigentlichen Erscheinungen vorauslaufenden Charakter der geistigen Vorstellung betont,348 konzentriert sich informatio auf den ontologischen Charakter der Prolepse als innere, nicht-körperliche Vorstellung.349 Mithilfe der beiden Begriffe und der sie ergänzenden Erläuterungen bemüht sich Velleius also darum, das epikureische πρόληψις-Konzept auf eine allgemeinverständliche Weise darzustellen. Nach diesem ersten dichten Beweisgang bietet Velleius in einem zweiten Schritt350 weiterführende Erläuterungen, die das Konzept einer auf dem consensus omnium gründenden proleptischen Göttererkenntnis begründen und den ersten Beweisgang stützen sollen. Zunächst wird die natürliche Gotteserkenntnis im Ausschlussverfahren gegen konkurrierende Erkenntnisquellen verteidigt. Während sich Velleius anfangs gegen die Unterweisung (doctrina) als mögliche Erkenntnisquelle ausgesprochen hatte, wendet er sich nun gegen eine verordnete Gotteserkenntnis. Im klimaktisch angeordneten Trikolon non instituto aliquo aut more aut lege werden mögliche staatliche oder kulturelle Verordnungs- bzw. Sanktionierungsinstanzen genannt, die sich mit Blick auf die gleichbleibende und gemeinschaftlich geteilte Annahme der Existenz von Göttern nicht als plausible Alternativen erweisen.351 Da der Gottesglaube also weder auf menschliche Unterweisung noch auf staatliche Anordnung oder kulturelle Gepflogenheiten zurückgeführt werden kann und damit jede Form der menschlichen Setzung352 ausgeschlossen ist, bleibt als einzige Erläuterung die natürliche Gotteserkenntnis übrig, die hier sogar als angeboren bezeichnet wird und damit in ihrer Allgemeinheit bekräftigt wird.353 Die Vorstellung einer Gotteserkenntnis, die jedem Menschen zu eigen

347 So auch Pease 1955, 295 ad loc. 348 Vgl. TLL 2,167 s. v. anticipo, das als Verb dem Substantiv anticipatio zugrunde liegt und hier synonym zu praevenio (Nr. 1) zu verstehen ist. 349 Vgl. TLL 7,1,1473 s. v. informatio, die mit Blick auf Cic. phil. unter der Rubrik creatio – incorporaliter synonym zu imaginatio verwendet wird; vgl. ähnlich auch TLL 7,1,1478 s. v. informo, wo informare synonym zu animo concipere und fingendo creare aufgefasst wird. 350 Der erste Satz in Cic. nat. deor. 1,44 (quod igitur fundamentum huius quaestionis est, id praeclare iactum videtis) gibt dem Rezipienten zu erkennen, dass der erste Beweisgang abgeschlossen ist und Velleius nun mit einem zweiten Schritt fortfährt. 351 Dieser Gedankengang wird von Velleius recht knapp abgehandelt; man vermisst eine weiterführende Erläuterung, die ausführt, inwiefern eine firma consensio, die keine Ausnahmen kennt, gegen die Annahme einer verordneten Gläubigkeit spricht. 352 Gigon 1996, 375 ad loc. fasst all diese Unterpunkte als „geschichtlich zufälligen Vorgang“ zusammen; dadurch allerdings erhält die epikureische Theorie im Umkehrschluss eine Art vorgeschichtlich-teleologische Nuance, die von Velleius trotz der fast schon personalisierten Einführung der natura als Akteurin nicht gemeint sein kann. Etwas unscharf fasst Dyck 2003, 118 ad loc. die Unterpunkte als „a product of human culture“ zusammen. 353 Mit Recht weist Essler 2011b, 36 darauf hin, dass die durch die Verben inpressit (Cic. nat. deor. 1,43) und insculpsit (Cic. nat. deor. 1,45) evozierte Konnotation gegen die These der angeborenen Gotteserkenntnis zu sprechen scheint und stattdessen einen durch die Natur immer erst zu vollziehenden Vorgang implizieren könnte. Esslers Beobachtung lässt sich dahingehend auswerten, dass es Velleius nicht auf diese Unterscheidung anzukommen scheint, sondern in beiden Fällen

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ist, bildet sodann die Grundlage für den syllogistischen Abschluss des Arguments: Da jede Erkenntnis durch die natura als wahr zu gelten hat und da der Mensch durch die natura erkennt, dass es Götter gibt, kann als Schlussfolgerung mit Recht die These vertreten werden, dass eine durch die natura vermittelte Gotteserkenntnis wahr ist. Cicero gewährt Velleius damit einen starken Auftakt seiner Lehrentfaltung, indem er ihn die These einer natürlichen Gotteserkenntnis in einem zweistufigen Beweisgang entfalten und mithilfe verschiedener, allgemeinverständlicher Begründungen belegen lässt.354 Dass Velleius dabei das epikureische πρόληψις-Konzept in singulärer Weise nicht atomistisch-sensualistisch, sondern mithilfe des consensus omnium-Arguments begründet, ist von der philosophiehistorischen Forschung nicht nur bemerkt,355 sondern auch mehrfach kritisiert worden.356 Die Forschung hat Anstoß daran genommen, dass Velleius ein epikureisches Konzept nicht mithilfe dezidiert epikureischer, sondern allgemein-rationaler Begründungen entfaltet, was als Schwächung der epikureischen Position wahrgenommen worden ist, da sie dem Leser nämlich nicht auf authentische Weise vorgestellt worden sei. Indes sind Zweifel darüber angebracht, ob sich auf der Grundlage der dünnen Quellenlage und der wenigen erhaltenen Schriften epikureischer Philosophen die These der atomistischen Herleitung des πρόληψις-Konzepts als einzig möglicher Variante tatsächlich überzeugend behaupten lässt. Gerade die Schriften Philodems, der zur gleichen Zeit wie Cicero wirkte, zeigen in mehrfacher Hinsicht, dass auch der früher als statisch wahrgenommene Epikureismus in der Lage war, seine die natura als alleinige Akteurin herausgestellt werden soll. Beachtung verdient zudem die These von Kleve 1963, 23–34, der die Rede von der angeborenen Gotteserkenntnis als eine dem Menschen (im Gegensatz zum Tier) von Geburt an gegebene Möglichkeit der Gotteserkenntnis erklärt. 354 Mit Recht hebt Classen 2010, 202 die häufigere Verwendung von necesse est und ähnlichen zwingenden Formeln hervor, mit deren Hilfe Velleius die logische Notwendigkeit seiner Argumentation auch sprachlich ausdrückt. 355 Vgl. prägnant Auvray-Assayas 1997b für eine Rekonstruktion des epikureischen Prolepsis-Diskurses anhand von Epikurs Herodot-Brief sowie von Bemerkungen bei Plutarch, Diogenes Laertios und Sextus Empiricus; im Gegensatz dazu konstatiert sie beträchtliche Unterschiede in Ciceros Rekonstruktion des Prolepsis-Begriffs, wie er sich nicht nur in De natura deorum, sondern auch in der Torquatus-Rede in De finibus bonorum et malorum findet. Vgl. auch Essler 2011b für eine Rekonstruktion der epikureischen Redeweise über die Gotteserkenntnis. Dabei kommt er zu dem Ergebnis (vgl. ebd., 43 f.), dass Cicero zwar den Prolepsis-Begriff durchaus so verwendet wie Epikur, ihn aber flankierend mit dem consensus omnium-Argument verknüpft, welches nicht notwendigerweise mit dem Prolepsis-Begriff einhergeht. 356 Vgl. beispielsweise Manuwald 1972, 111–114, die nach der Auswertung aller Belege zur ProlepsisLehre in den Schriften Epikurs zu dem Ergebnis kommt, dass sich für Epikur die proleptische Erkenntnis aus der genauen Beachtung der ursprünglichen Konnotation eines Wortes ergibt und dadurch von ihm nicht als angeboren bezeichnet werden kann. Allerdings vermutet sie (vgl. Manuwald 1972, 13–16), dass Cicero sich hier an einer jungepikureischen Ausweitung des Prolepsis-Begriffs orientiert hat, die tatsächlich eine gewisse Nähe zu stoischen Theorien sucht. Vgl. zudem auch Essler 2011b, 47, der die hier vertretene These einer angeborenen, natürlichen Gotteserkenntnis als „eine Unterstellung Ciceros“ und als eine „verzerrende und rhetorisierende Behandlung der epikureischen Lehre“ (ebd. 56) bewertet.

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Positionen und Herleitungen an die jeweilige Zeit und sein kulturelles Umfeld anzupassen. Darüber hinaus lässt sich ganz im Gegenteil die allgemein-rationale Unterfütterung des epikureischen Auftakts nachgerade als Stärkung der epikureischen Position begreifen. Cicero modelliert Velleius dadurch als einen Philosophen, der in der Lage ist, zentrale epikureische Inhalte in einer Weise zu präsentieren, die auch einem nicht-epikureischen Publikum die Möglichkeit gibt, einzelne epikureische Konzepte kennenzulernen und auf ihre Plausibilität hin zu prüfen, ohne dafür die gesamte epikureische Epistemologie teilen zu müssen. Didaktisch geschickt lässt Cicero Velleius daher zunächst auf das von ihm gerne eingesetzte consensus omnium-Motiv zurückgreifen und den atomistischen Sensualismus Epikurs erst zu einem späteren Zeitpunkt innerhalb der Lehrentfaltung357 nachtragen. Eine positive Deutung des Lehrauftakts wird auch dadurch nahegelegt, dass Cicero Velleius hier eine Ansicht vortragen lässt, die als solche nicht nur von allen maßgeblichen Philosophenschulen geteilt wird, sondern die Cicero selbst im Proömium zu De natura deorum wegen ihrer allgemein anerkannten, hohen Plausibilität nicht als zentrales religionsphilosophisches Problem eingestuft hat.358 Bezeichnenderweise setzt auch Cicero dort das consensus omnium-Motiv (plerique … dixerunt) als Begründung ein, das er ebenfalls auf die Natur als Urheberin (natura duce) zurückführt. Cicero selbst vertritt also im Proömium die Ansicht einer natürlichen Gotteserkenntnis, die sich von Velleius’ Position nur dahingehend unterscheidet, dass Cicero auf das Konzept der Prolepse verzichtet und die These des esse deos nicht als verum, sondern lediglich als maxime veri simile einstuft und pflichtschuldig die drei prominenten Philosophen anführt, die sich diesem Konsens verweigern und agnostische bzw. atheistische Positionen vertreten.359 Ciceros auktoriales Plädoyer für eine natürliche Gotteserkenntnis und die dortigen, deutlichen Parallelen zu Velleius’ Argumentation unterstützen also die These, dass der Auftakt der epikureischen Lehrentfaltung eine starke Plausibilität für sich beanspruchen darf360 und die epikureische Position nicht schwächt, sondern ihr einen starken Einstieg ermöglicht. Auch das Nebeneinander von Mitteldoxographie und Lehrentfaltung führt Velleius’ Auftaktthese nicht ad absurdum. So ist von der jüngeren Forschung ein Bruch zwischen der Mitteldoxographie, in der Velleius die Thesen aller anderen Philosophen als falsch und irrsinnig erwiesen hat, und der Lehrentfaltung, in der er von einer natür-

357 Vgl. dafür vor allem Cic. nat. deor. 1,54a. 358 Vgl. Cic. nat. deor. 1,2. 359 Vgl. Pease 1955, 294 f., der Belegstellen aus Tusc. und leg. anführt, wo Cicero die Götterexistenz ebenfalls mit dem consensus omnium-Argument herleitet. Vgl. Essler 2011b, 47 für Ciceros Vorliebe des consensus-Arguments. 360 Darüber hinaus weist Gigon 1996, 376 ad loc. mit Blick auf Cic. nat. deor. 2,5.12 berechtigterweise darauf hin, dass sich letztlich auch Balbus auf ein consensus-Argument beruft, sodass von Cicero auch zwischen den beiden konkurrierenden Schulen in dieser Frage ein sachliches und methodisches Einvernehmen hergestellt wird. Anders Essler 2011b, 49 f., der hier von einem dezidiert stoischen Argument ausgeht, das Cicero Velleius untergeschoben habe.

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lichen, allgemeinen Gotteserkenntnis ausgeht, behauptet worden.361 Wenn nämlich alle anderen Philosophen außer Epikur Unzutreffendes über das Wesen der Götter behaupteten, so habe Velleius selbst mithilfe der ausführlichen Kritik an deren Ansichten vor seiner Lehrentfaltung bewiesen, dass es keine allgemeine Gotteserkenntnis gebe. Gegen diesen Einwand bleibt allerdings anzumerken, dass für den Gesichtspunkt des esse deos kein Widerspruch besteht; denn auch wenn sich die Ansichten der anderen Philosophen im Einzelnen stark voneinander unterscheiden, so stimmen sie doch alle darin überein, dass es Götter gibt, sodass sich Velleius mit Recht auf eine allgemeine Erkenntnis über das esse deos berufen kann.362 Die Bestimmung der Götter als glückselige und unsterbliche Wesen. Umso überraschender hingegen gestaltet sich die Fortsetzung des philosophischen Basiskurses, die sich der These widmet, dass die Götter nicht nur existieren, sondern auch als glückliche und unsterbliche Wesen (esse deos beatos et immortales) zu gelten haben.363 Velleius rekurriert hierfür ausschließlich auf das zuvor entfaltete πρόληψις-Konzept, ohne es für seine neue These der Glückseligkeit und Unsterblichkeit der Götter erneut zu begründen. Stattdessen sieht er den Erweis der Gültigkeit des πρόληψις-Konzepts, den er punktuell für die These des esse deos erbracht hatte, als Lizenz an, um auch weitere Thesen mit dessen Hilfe zu begründen. Als besonders problematisch erweist sich dieses Vorgehen dadurch, dass Velleius darauf verzichtet, über Kriterien für eine Argumentation mithilfe des πρόληψις-Konzepts nachzudenken. Somit erweckt er den Eindruck, dass sich mithilfe des πρόληψις-Konzepts willkürlich Begriffszuschreibungen vornehmen ließen, die ihrerseits keiner weiterführenden Begründung mehr bedürfen. R. Philippson zeigt mit Blick auf Sextus Empiricus364, dass die epikureische These, mithilfe der Prolepse neben der Existenz und dem Aussehen der Götter auch auf deren Unsterblichkeit und Glückseligkeit schließen zu können, auch andernorts als problematisch empfunden worden ist;365 dadurch wird deutlich, dass Cicero gerade

361 Vgl. Essler 2011b, 49 mit einer Einordnung dieser These in die Forschungsdiskussion. 362 Auch was die aus der Prolepse abgeleiteten Göttereigenschaften angeht, könnte, wie Dyck 2003, 119 ad loc. vorschlägt, von Velleius so argumentiert werden, dass die anderen Philosophen sich der natürlichen Gotteserkenntnis verschließen und auf der Grundlage von falschen Prämissen auf falsche Erkenntnisse kommen. Für Epikur besteht tatsächlich kein Erkenntnisdeterminismus, da es dem Menschen frei steht, sich von der eigentlichen Bedeutung einer Sache, die er durch die genaue Beobachtung der jeweiligen Wortbedeutung gewinnen könne, abzuwenden und sich stattdessen falschen Vorstellungen zuzuwenden, die, wie Kleve 1963, 108–114 betont, eben durch den schlechten Einfluss der Umwelt erzeugt und verstärkt werden, sodass die Einwände von Obbink 1992 gegen ein konsensualistisches Prolepsis-Verständnis entkräftet werden können. 363 Vgl. Cic. nat. deor. 1,44b–45a. 364 Vgl. Sextus Empiricus, Adversus mathematicos 9,45 f. 365 Vgl. Philippson 1916, 574 f. Vgl. darüber hinaus auch Kleve 1963, 80–92 und Lempke 1973, 55 f., die auf der Grundlage von Philodem und Lukrez einen epikureischen Lösungsansatz für diese Problematik anbieten: Indem die Menschen die Götter mithilfe der Prolepse immer in der gleichen Form wahrnehmen, kämen sie auf die Erkenntnis, dass sie unveränderlich und daher ewig exis-

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denjenigen Aspekt der Prolepsis herausgegriffen hat, der auch anderswo auf Kritik gestoßen ist. Die epistemologische Problematik dieses Gedankengangs wird dem Leser auf verschiedenen Ebenen angezeigt. So entfaltet Velleius seine Schlussfolgerung von der Götterexistenz auf die zwei zentralen Eigenschaften der Götter zunächst in zwei unmittelbar aufeinanderfolgenden, inhaltlich ähnlichen Sätzen. Beide Sätze rekurrieren dabei auf den am Beginn der Lehrentfaltung erbrachten Erweis einer natürlichen Gotteserkenntnis und der Existenz der Gottheit mithilfe des πρόληψις-Konzepts366 und formulieren im Anschluss die sich daraus ergebende Berechtigung, die Götter mit Blick auf einen allgemein geteilten Gottesbegriff ebenfalls als glückselig und unsterblich anzunehmen. Während sich beide Sätze inhaltlich ähneln, unterscheiden sie sich hinsichtlich ihrer jeweiligen Länge stark voneinander. Während der zweite Satz den oben skizzierten Gedanken knapp und prägnant entfaltet, fällt der erste Satz durch seine syntaktische Länge und semantische Umständlichkeit auf. Bei der Übertragung des πρόληψις-Konzepts auf die Attribute der Glückseligkeit und Unsterblichkeit scheint sich Velleius mit den lateinischen Übertragungen von πρόληψις derart schwerzutun, dass es zum Satzbruch kommt; nach einer umständlichen parenthetischen Rechtfertigung dafür, mit praenotio einen weiteren lateinischen Terminus für das griechische Substantiv geprägt zu haben, greift Velleius das bereits zuvor verwendete Demonstrativpronomen hanc unter Zuhilfenahme des Adverbs igitur nochmals auf und fällt dabei aus der Konstruktion. Während er nämlich zunächst eine von fatemur constare abhängige Infinitivkonstruktion (habere) gewählt hatte, wird im zweiten Formulierungsanlauf aus dem Infinitiv ein finites Verb (habemus), das syntaktisch auf der gleichen Ebene wie fatemur steht und sich als Bemühung um eine vereinfachte Satzkonstruktion erklären lässt.367 Vor diesem Hintergrund wird die rhetorische Funktion des zweiten, inhaltlich identischen Satzes plausibel. Nachdem Velleius beim ersten Anlauf ins Stocken gekommen ist, bemüht er sich mit dem zweiten Satz darum, seinen Gedanken noch einmal klar, knapp und kohärent zu formulieren. Das sachlich unmotivierte, erneute Ringen um eine angemessene lateinische Terminologie, die eigentlich bereits bei der tieren müssten; aus dieser Erkenntnis würden sie sodann die Glückseligkeit der Götter schlussfolgern, da sie nicht von der Angst vor dem Tod betroffen seien. 366 Eine gewisse variatio ergibt sich dadurch, dass der erste Satz explizit auf das consensus omniumMotiv (vgl. Cic. nat. deor. 1,44b: quod quoniam fere constat inter omnis non philosophos solum, sed etiam indoctos), der zweite Satz hingegen auf die natura als dessen Urheberin abzielt (vgl. Cic. nat. deor. 1,45a: quae enim nobis natura informationem ipsorum deorum dedit), wodurch zentrale Schlagworte aus dem ersten Beweisgang aufgegriffen werden. 367 Vgl. Kühner/Stegmann II/2 51976, 584–589 (§ 244), wo ausführlich nachgewiesen wird, dass das Anakoluth gerade in Ciceros philosophischen Dialogen häufig zum Einsatz kommt, sich dort (wie auch im hier beschriebenen Satz) oftmals nach einer Parenthese findet (vgl. bes. § 244.4) und dazu dient, die Rede einer Person als authentisch zu kennzeichnen, indem der Redende an dieser Stelle als besonders erregt oder bemüht, einen schwierigen Gedanken zu entfalten, charakterisiert wird.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

These des esse deos differenziert eingeführt worden war,368 und das damit verbundene Anakoluth spiegeln auf semantisch-syntaktischer Ebene die inhaltlich-argumentative Problematik des Gedankengangs wider und markieren sie für den Leser. Es liegt daher nahe, in der hiesigen Modellierung des Velleius eine Verstehenshilfe zu sehen, mit der Cicero seine Leser auf die Problematik dieser unbegründeten Übertragung aufmerksam machen möchte. Eine ganz andere Deutung dieses zweiten Teils des philosophischen Basiskurses liefert C. J. Classen,369 ohne allerdings das wiederholte Ansetzen des Velleius zu berücksichtigen. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Velleius hier deshalb so kurz spricht und seine Prämissen nicht mehr herleitet, da er damit rechnen kann, dass seine Hörer sie noch aus der Mitteldoxographie präsent haben. Indem er bereits dort von glückseligen und unsterblichen Göttern gesprochen habe, habe er diese Ansicht vorbereitet und kann nun auf sie als eine bekannte These zurückkommen, ohne sie nochmals herleiten zu müssen. Für Classen ist dies ein erneuter Erweis dafür, dass Velleius manipulative Techniken aus dem Feld der forensischen Rhetorik einsetzt, mit deren Hilfe er seine Zuhörer überrumpeln möchte. Dagegen ist allerdings nicht nur einzuwenden, dass er Velleius’ Ringen um die Prolepse ignoriert, sondern dass die These von unsterblichen und glückseligen Göttern in der Mitteldoxographie selbst nur eine untergeordnete Rolle spielt. Es ist daher fraglich, ob die in der Mitteldoxographie vorfindlichen Passagen tatsächlich ausreichen, um von einer manipulativen Beeinflussung des Rezipienten sprechen zu können. Als Abschluss des Gedankengangs folgt eine wörtliche und als solche markierte370 Übersetzung des ersten Satzes der Kyriai doxai. Epikur legt dort die Implikationen dar, die sich aus dem Konzept eines glückseligen und unsterblichen Wesens ergeben. Für ihn zeichnet es sich durch Sorglosigkeit und fehlendes Interesse für negotia aller Art aus, da die damit verbundenen Affekte, die am antithetischen Begriffspaar ira und gratia versinnbildlicht werden, zwangsweise zu einer Beeinträchtigung von dessen otium und dadurch zu einer illegitimen Schwächung eines solchen Wesens führen würden. Auch durch das Zitat kommt es allerdings nicht zu einer epistemologischen Aufwertung des Arguments. Die Kyriai doxai zeichnen sich nämlich nicht durch einen dezidiert argumentativen Charakter aus, sondern entfalten Grundsätze der epikureischen 368 Die begriffliche Problematik ergibt sich erst hier, wo Velleius mit den verschiedenen lateinischen Substantiven nicht mehr unterschiedliche Aspekte der epikureischen Prolepse ausdrückt, sondern sich unbegründet in den lateinischen Substantiven verliert; mit Ciceros Tendenz (vgl. dafür Görler 1994, 1028), in seinen Philosophica für einen griechischen Fachbegriff mehrere lateinische Varianten nebeneinander auszuprobieren, lässt sich dieses Ringen nicht mehr erklären. Wenn Dyck 2003, 117 im gesamten philosophischen Basiskurs Velleius’ Unsicherheit mit dem Prolepsis-Konzept erkennen möchte, geht er deshalb zu weit und übersieht die explikative Funktion der einzelnen Substantive am Beginn der Passage. 369 Vgl. Classen 2010, 202 f. 370 Vgl. Cic. nat. deor. 1,45a: illa sententia […] ab Epicuro, quod […]. Mit dem Pronomen illa wird, wie Pease 1955, 300 ad loc. richtig sieht, auf die allgemeine Bekanntheit und Berühmtheit dieses ersten Satzes aus den Kyriai doxai hingewiesen.

4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius

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Lehre in prägnanter Merksatzform, die von den Anhängern Epikurs auswendig gelernt werden sollen. Der philosophische Basiskurs weist also ein deutliches epistemologisches Gefälle auf. Während es Velleius anfangs gelingt, epistemologisch valide die Existenz der Götter zu begründen, schafft er dies im Fall der beiden zentralen göttlichen Attribute nicht auf dieselbe überzeugende Weise.371 (2) Argumentationsstrategien innerhalb der Frage nach der Göttergestalt Ein ähnliches argumentatives Gefälle lässt sich auch bei der Gestaltung der ersten philosophischen Spezialfrage beobachten, die sich dem Aussehen der Götter (forma deorum) widmet. Auch hier begründet Velleius die These einer menschlichen Gestalt der Götter zunächst auf epistemologisch starke Weise, wobei sich deren Auftakt wiederum durch einen zweifachen Argumentationsgang auszeichnet, welchen Velleius selbst zu Beginn seiner Ausführungen (partim-partim) ankündigt.372 Die Formulierung natura admonet steht für einen ersten Argumentationsgang,373 der die menschliche Gestalt der Götter wiederum mithilfe eines auf dem consensus omnium-beruhenden Prolepsis-Arguments begründet. So formuliert Velleius zunächst seine These, dass alle Menschen eine natürliche Vorstellung von den Göttern als Wesen in Menschengestalt haben. Dass es sich hierbei um eine natürliche, d. h. von keiner menschlichen Beeinflussung abhängige Erkenntnis handelt, plausibilisiert er dadurch, dass er sie als eine unwillkürlich eintretende, vorreflexive Vorstellung beschreibt, die sich unmittelbar bei dem Gedanken an die Götter einstellt. Das von ihm aufgestellte antithetische Begriffspaar aut vigilanti cuiquam aut dormienti soll nicht nur im Sinne einer Akkumulation die Gesamtheit der Menschen erfassen,374 sondern durch die In-

371

Auch Schwenke 1879, 54 f. beobachtet dieses Phänomen, konzentriert sich dabei jedoch lediglich auf die Länge und Ausführlichkeit der Darstellung, ohne nach dem jeweiligen Plausibilitätsgrad zu fragen. Er erklärt das Gefälle zwischen einem ausführlichen Beginn von Velleius’ Ausführungen und einem sich jeweils anschließenden, auffallend knappen zweiten Teil mit Ciceros „schlechter excerptorenmanier“ [sic!] (ebd., 55). Aufgrund seiner Zeitnot habe er jeweils nur den Beginn eines Kapitels aus seinem Primärtext ins Lateinische übertragen und „das folgende einfach weggelassen“ (ebd. 55). 372 Vgl. Cic. nat. deor. 1,46: Ac de forma quidem partim natura nos admonet, partim ratio docet. Gigon 1996, 379 bezeichnet die Voranstellung der Frage nach der Göttergestalt als „[m]ethodisch geschickt“, da Velleius hier zweisträngig argumentieren kann. Pease 1955, 305 f. ad loc. zeigt mit Blick auf Stellen wie Cic. fin. 1,30 f. und Tusc. 1,29, dass sich die Etablierung zweier Erkenntniswege, nämlich einmal der natürlichen, einmal der logischen Erkenntnis, nicht nur in anderen ciceronischen Werken, sondern auch allgemein bei späteren Epikureern plausibilisieren lässt. 373 Vgl. Cic. nat. deor. 1,46. 374 Unterstützend setzt er unmittelbar vor das Begriffspaar das Temporaladverb umquam, das ebenfalls den umfassenden Anspruch der Begründung unterstreicht.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

klusion des schlafenden Zustandes auch die Unmittelbarkeit dieser Vorstellung375 plausibilisieren. Auch hier setzt Velleius eine rhetorische Frage ein, mit deren Hilfe er nicht nur die Zustimmung seiner Rezipienten erzielen möchte, sondern auch die knappe Form der Begründung kaschieren kann. Ein zweiter Argumentationsgang376 hingegen konzentriert sich, wie bereits die Formulierung ratio docet vermuten lässt, auf eine syllogistische Argumentation, die auf einen Rückgriff auf das πρόληψις-Konzept verzichtet und eine echte Alternativerklärung liefert. In einem ersten Syllogismus begründet Velleius hier die Menschengestalt der Götter mit deren Schönheit. Velleius entfaltet dieses Argument auf kleinschrittige Weise. Nachdem er zunächst aus der Vorstellung, dass das Wesen der Götter in jeder Hinsicht herausragend sei (praestantissuma natura), abgeleitet hat, dass ihnen nicht nur Glückseligkeit und Unsterblichkeit, sondern auch Schönheit zukommen müsse, bestimmt er die menschliche Gestalt als die schönste denkbare Gestalt.377 Die dafür gewählte Formulierung als rhetorische Frage sucht nicht nur allgemeine Zustimmung,378 sondern als dialogisches Element vor allem die Zustimmung des Balbus, den er im Anschluss direkt anspricht. Indem Velleius den Schulterschluss mit der Stoa sucht, die dem wohlgeformten Körper des Menschen neben dessen praktischem Nutzen (usus) auch Schönheit (venustas) zugesteht, stärkt Velleius gerade hier, wo er mit dem Syllogismus eine typisch stoische Begründung einsetzt, auf rhetorisch geschickte Weise seine eigene Position; wie bereits bei der Frage nach der Götterexistenz ist hier das Bestreben zu beobachten, eine auf einem breiten Konsens beruhende Argumentation aufzubauen. Im Anschluss werden die zuvor hergeleiteten Prämissen noch einmal in verkürzter Form379 genannt und schließlich explizit syllogistisch miteinander verbunden. 375 376 377

378 379

Dass gerade dem Schlafenden das Bild der Götter erscheint, weil der animus im Schlaf nicht auf die unmittelbar einströmenden Atome aus nächster Nähe konzentriert sein muss, sondern für feinere Atome wie die Götter-Atome sensibilisiert ist, betont auch Lukrez (vgl. Lucr. 5, 1169–1174). Vgl. Cic. nat. deor. 1,47 f. Wenn Pease 1955, 308 ad loc. diese beiden Prämissen als „two particular weaknesses“ charakterisiert, so gelangt er nur mit Blick auf Cottas spätere Widerlegung, der er scheinbar die Rolle einer auktorialen Widerlegung zuspricht, zu diesem Urteil. Er lässt auch unberücksichtigt, dass Velleius sich nicht nur mit der Stoa, sondern z. T. auch mit dem Peripatos in Übereinstimmung wissen darf. Dass die rhetorischen Fragen hier, wie Classen 2010, 203 behauptet, jegliche Diskussion als überflüssig erscheinen lassen sollen, scheint ihnen allzu großes Gewicht beizumessen. Während die erste Prämisse, die die menschliche Gestalt als die schönste Gestalt aller Lebewesen beschreibt, noch vollständig wiedergegeben wird, wird die zweite Prämisse, dass der Gottheit die schönste Gestalt aller Lebewesen zukommt, nur verkürzt dargestellt, ebenso wie die Schlussfolgerung, die ihnen lediglich eben diese schönste Gestalt attribuiert, ohne sie explizit nochmals als die menschliche Gestalt zu benennen; dass in der conclusio (ea figura profecto est, quae pulcherrimast omnium) der deus aus dem vorherigen Satzteil noch das Subjekt ist und ea figura als Ablativus qualitatis aufzufassen ist, scheint im Übrigen nicht immer (u. a. mit der Ausnahme von Dyck 2003, 123 ad loc.) erkannt worden und dem Verständnis dieser Passage abträglich gewesen zu sein. Diese verkürzte Darstellung lässt sich als Versuch deuten, den ohnehin schon vorhandenen schulbuchartigen Eindruck der Passage abzumildern.

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In einem zweiten Syllogismus, der die Form eines Kettenschlusses annimmt, vertritt Velleius die Ansicht, dass die Götter deshalb ein menschliches Aussehen haben müssten, da sie nur auf diese Weise als glückselige, tugendhafte und vernünftige Wesen vorstellbar seien. Zunächst greift er dafür die im philosophischen Basiskurs entfaltete These auf, dass die Götter glückselig (beatus) seien. Glückseligkeit allerdings, so fährt er fort, sei untrennbar mit Tugendhaftigkeit (virtus) verbunden, welche wiederum auf die Vernunft (ratio) angewiesen sei, die ihrerseits nur in menschlichen Gestalten existiere. Möchte man also daran festhalten, dass die Götter glückselige Wesen sind, dann muss ihnen nicht nur Tugendhaftigkeit und Vernunft, sondern allen voran Körperlichkeit in Gestalt von Menschen zukommen. Durch eine geschickte Begriffsverknüpfung380 gelingt es Velleius, das Attribut der menschlichen Gestalt in einem einzigen, syntaktisch dichten Satz als notwendige Folgerung zu modellieren, die sich aus der zuvor hergeleiteten Prämisse des esse deos beatos ergibt. Dass die epikureische Theologie einen Vernunftbeweis, der hier in zweifacher Ausführung vorliegt, zwar innerschulisch als nicht notwendig betrachtet, solche Argumentationsformen aber dennoch kennt, weisen R. Philippson und Cl. AuvrayAssayas nach.381 Daraus lässt sich schließen, dass Velleius eine für einen Epikureer zwar eher ungewohnte Argumentationsweise benutzt, die sich aber dennoch noch innerhalb des Rahmens bewegt, den man von einem kundigen Epikureer erwarten darf. In dem Verzicht auf eine rein atomistische Erklärung lässt sich sowohl im Falle des esse deos als auch für die forma deorum das Bemühen des Epikureers erkennen, eine mit der atomistischen Theorie einhergehende Passivität des Menschen, der lediglich rezeptiv auf das Einströmen der Atome angewiesen ist, zu überwinden und mit der Etablierung einer auf der eigenen ratio basierenden Argumentation das aktive Bemühen um die Erkenntnis in den Vordergrund zu rücken.382 Nachdem Velleius die menschliche Erscheinungsform der Götter mit hohem Plausibilitätsgrad nachgewiesen hat, bemüht er sich im Folgenden383 darum, dem möglichen Einwand zuvorzukommen, der eine grundlegende Differenz zwischen Menschen und Göttern behaupten würde und daraus schlussfolgern würde, dass den Göttern gerade wegen ihrer praestantissuma natura kein menschliches Aussehen zukommen könne. Daher versucht Velleius zu zeigen, dass die Götter zwar ein menschliches Aussehen

380 Plausibilität gewinnt dieser Kettenschluss dadurch, dass die einzelnen Thesen und Schlussfolgerungen, wie Pease 1955, 310 f. ad loc. zeigt, durchaus mit der Zustimmung der Stoa und teilweise sogar anderer philosophischer Richtungen rechnen können. 381 Vgl. Philippson 1916, 577–583 und Auvray-Assayas 1991, 54 f. Letztere betont dennoch, dass es sich bei Velleius’ Syllogismen nicht um eine typisch epikureische Argumentationsweise handelt und sie sich erst bei Philodem als Vertreter eines weiterentwickelten Epikureismus nachweisen lässt. 382 Vgl. Auvray-Assayas 1997b, 174 f. für den Gegensatz von passiv-rezeptiver und aktiv-rationaler Erkenntnis. 383 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49 f.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

besitzen, sich ihr Körper allerdings in stofflicher Hinsicht grundlegend vom menschlichen Körper unterscheidet und ihnen deshalb die menschlichen Schwächen nicht zukommen. Ähnlich, wie es bereits im philosophischen Basiskurs beobachtet worden ist, weist auch hier der zweite Teil der Darstellung epistemologische Schwachstellen auf, die von Cicero wiederum explizit als solche gekennzeichnet werden. Diese Kennzeichnung erfolgt zunächst dadurch, dass Cicero Velleius seine intellektuellen Schwierigkeiten mit diesem Themenbereich offen bekennen lässt. Gleich zu Beginn des Abschnittes weist Velleius auf die grundsätzliche Unterscheidung zwischen dem menschlichen Aussehen (species humana) der Götter und ihrem dennoch nicht-menschlichen Körper hin, welchen er als quasi corpus bezeichnet und durch die Formulierung quasi sanguis ergänzt. Diese vage und an sich bereits problematische Bezeichnung384 wird von ihm im Anschluss nicht weiter erklärt.385 Anstatt zu erläutern, wie sich die so verstandene Körperlichkeit der Götter im Einzelnen vorstellen lässt, verweist er lediglich auf Epikur als Urheber dieses Gedankens. Obwohl Velleius erkennt und selbst ausspricht, dass gerade dieser Sachverhalt einer detaillierteren Besprechung bedürfe,386 verzichtet er auf weiterführende Erklärungen, da er wegen der enormen Schwierigkeit des Themas niemandem – abgesehen von Epikur – eine solche Erkenntnis- und Erörterungsfähigkeit zutraut. Damit gesteht Velleius ein, dieses epikureische Lehrstück selbst nicht erklären zu können, es unter Umständen sogar selbst gar nicht bis ins Letzte verstanden zu haben, es aber im Vertrauen auf Epikur dennoch zu vertreten. Cicero porträtiert also am Beispiel des Velleius eine Haltung, die er selbst im Proömium scharf abgelehnt hatte, nämlich die ungeprüfte Übernahme und Verteidigung von Einsichten, die nicht auf eigener Überprüfung und Erkenntnis beruhen, sondern sich lediglich der Autorität eines Meisters verdanken.387 Die Markierung dieser Geisteshaltung lässt sich weder auf Ciceros dilettantischen Umgang mit seinen Prä-

384 Als problematisch kann diese Bezeichnung deshalb gelten, da sie so verstanden werden könnte, als ob die Götter überhaupt keinen richtigen Körper hätten, sondern nur eine Art Körper, was im Gegensatz zu Velleius’ Pochen auf die Körperlichkeit der Götter innerhalb der Mitteldoxographie stünde. So macht es Velleius seinem Gegenüber leicht, seine ursprüngliche Aussageabsicht, die ja darauf abzielt auszusagen, dass die Götter zwar einen Körper, allerdings keinen menschlichen Körper haben, bewusst falsch zu verstehen. 385 Vgl. Philippson 1939b, 33, der diesen inhaltlichen Bruch bemerkt und sich darüber wundert, dass die Rede vom quasi corpus und quasi sanguis im Folgenden nicht weiter erläutert wird. Vgl. darüber hinaus Essler 2011c, 23, der Velleius’ Körper- und Blut-Analogie in die epikureische Tradition einordnet. 386 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49: dissero brevius quam causa desiderat; Velleius federt diesen harten Einschnitt ein wenig durch eine Captatio benevolentiae ab, indem er auf die hohe Einsicht seiner Zuhörer baut, die auch ohne weitere Erläuterungen den Sachverhalt verstünden ( fretus intellegentia vestra). 387 Vgl. Cic. nat. deor. 1,10 und die dortige Ablehnung einer opinio praeiudicata und eines reinen auctoritas-Arguments.

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texten388 noch als Versuch der Demontage des Velleius,389 sondern eher als didaktisch überzeichnete Erinnerung an die Leseaufforderung aus dem Proömium verstehen. Im weiteren Fortgang spricht Velleius die Konsequenzen an, die sich aus der besonderen Art der göttlichen Körper für deren Wahrnehmbarkeit durch den Menschen ergeben;390 zudem stellt er abschließend die Frage, wie viele göttliche Körper (bzw. Götter) es überhaupt gibt.391 Auch hierbei lässt sich beobachten, dass Cicero seinen Rezipienten die Problematik dieser epikureischen Lehrsätze aufzeigt. Während der auctoritas-Rekurs auf Epikur hier lediglich an einer Stelle vorkommt und den Übergang von der quasi corpus-Thematik zur Frage nach der Wahrnehmbarkeit der göttlichen Körper bildet,392 greift Cicero auf andere Darstellungstechniken zurück, die seinen Rezipienten die Problematik der epikureischen Position vor Augen führen sollen. Dazu zählt vor allem die extreme Kürze der Darstellung, welche, gepaart mit der Verwendung einer Vielzahl dezidiert epikureischer Termini,393 deren Bedeutung nicht erklärt wird, das Verständnis der Passage nachhaltig beeinträchtigt. Nicht umsonst gehören die beiden Paragraphen zu denjenigen Einzelstellen, die die meiste philologische und vor allem philosophiehistorische Aufmerksamkeit erfahren haben.394 Erschwert

388 Spätestens hier gerät der Erklärungsansatz von Schwenke 1879, 55 an seine Grenzen; so führt er Velleius’ Bekenntnis einer allzu kurzen Erklärung als Beleg dafür an, dass Cicero als schlechter Exzerptor nur den ersten Teil eines Kapitels aus seinen Quellen übertragen habe und danach radikal gekürzt habe. Wieso sollte er dann jedoch eine solche Kürzung dialogisch explizit anführen, wenn es ihm ohne Weiteres möglich gewesen wäre, sie zu übergehen? 389 Dass Cicero Velleius dadurch diskreditieren möchte, meint Dyck 2003, 125 ad loc.; frühere Forscher haben die Kürze der Darstellung mit dem Fehlen geeigneter Quellentexte (so Philippson 1939b oder Kleve 1963, die von einer Epitome als Vorlage ausgehen) oder Ciceros eigenen Verständnisproblemen (so etwa Philippson 1916 und auch Gigon 1996, 382 ad loc., der „nicht ausschließen“ mag, „daß er [Cicero] die Meinung Epikurs da und dort mißverstanden hat“) erklärt. 390 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49b; mit Recht betont daher Philippson 1916, 568, dass die Passage sich sowohl der „Erkenntnisweise“ als auch der „Beschaffenheit der Götter“ widmet. 391 Vgl. Cic. nat. deor. 1,50. 392 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49b; auch hier bezeichnet Velleius seinen Gegenstand als ausgesprochen anspruchsvoll und unzugänglich (res occultas et penitus abditas) und Epikur als denjenigen, der in singulärer Weise damit umgehen konnte (non modo videat animo, sed etiam sic tractet ut manu). Während Cicero in rep. 1,15 fast auf die gleichen Worte (sic affirmat, ut oculis ea cernere videatur aut tractare plane manu) zurückgreift, um Scipio eine Kritik an Panaitios’ allzu genauen naturphilosophischen Forschungen in den Mund zu legen, verwendet Velleius sie hier in lobender Absicht (vgl. zu diesem Gegensatz auch Gigon 1996, 382 ad loc.). 393 Dass Cicero die Termini als solche kennzeichnet, auch wenn er sie ins Lateinische überträgt, wird von ihm bspw. anhand von Indefinitpronomina (soliditate quadam, so Pease 1955, 315 ad loc.) kenntlich gemacht. 394 So auch Pease 1955, 312 ad loc.: „This sentence is the most difficult and disputed in the whole work, if not in all the works of Cicero, despite the fact that the text is not notably corrupt.“ Neben der Klärung des Gedankengangs und der einzelnen epikureischen Termini besteht die philosophiehistorische Herausforderung vor allem darin, die z. T. singulären Überlegungen zur Körperlichkeit und Wahrnehmbarkeit der epikureischen Götter in das epikureische Lehrsystem einzuordnen. Inhaltlich dreht sich die Kontroverse hier vor allem darum, ob Velleius von unterschiedlichen Gruppen von Göttern bzw. von real existierenden oder lediglich atomar sich ausbildenden Göttern ausgeht.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

wird das Verständnis der Passage zudem noch durch eine stark hypotaktische Ausdrucksweise, die vor allem bei der Frage nach der Wahrnehmbarkeit der Götterkörper den ohnehin bereits komplexen und voraussetzungsreichen Gedankengang durch den intensiven Einsatz von Partizipialkonstruktionen und antithetischen Unterordnungen weiter verdichtet. Schließlich lässt sich auch die fehlende Verankerung der Paragraphen 49b und 50 innerhalb des Gedankengangs um die forma deorum bemerken. So scheint es einerseits so, als ob Velleius bei der Frage nach der Wahrnehmbarkeit der epikureischen Götter eine atomistische Erklärung der Prolepse und eine atomistische Begründung für die Charakterisierung der Götter als glückselige und unsterbliche Wesen nachträgt, ohne den hier skizzierten Gedanken explizit mit der Prolepse und dem vorausgehenden Gedankengang in Verbindung zu bringen. Andererseits wird nicht ersichtlich, wie sich die abschließende Entfaltung der aequabilis tributio in die Diskussion der göttlichen Körper einreiht; vielmehr scheint Velleius hier lediglich das im vorherigen Absatz genannte395 Stichwort der infinitas aufzugreifen und es zu nutzen, um einen knappen Exkurs zur Anzahl der Götter folgen zu lassen.396 Diese Inszenierungstechniken, d. h. der Einsatz des auctoritas-Motivs, die Kürze der Darstellung,397 der Einsatz von Fachtermini ohne Einführung und Erklärung, die syntaktische Dichte und die Dekontextualisierung, führen dazu, dass Velleius in diesem Vgl. für einen Überblick über die ältere Forschung bspw. Hirzel 1877, 46–97 und Schwenke 1882, für die jüngere Forschung Lemke 1975, 43–56; vgl. allgemein zu den zwei Gruppen von Göttern Philippson 1918, Philippson 1934, Freymuth 1953, Freymuth 1955, Obbink 2002, Wifstrand Schiebe 2003 und Konstan 2011. Vgl. jüngst Maso 2015, 47–58.81–101, der allerdings die Velleius-Rede selbst kaum berücksichtigt, sondern gleich Cottas Ergänzungen zur epikureischen Lehre betrachtet. Die ausführlichste und philosophiehistorisch überzeugendste Analyse der Passage findet sich bei Essler 2011b, 67–108. Als weitere, richtungsweisendere Studien sind u. a. zu nennen Pfligersdorffer 1957, Kany-Turpin 1986, Sanders 2004 und Sedley 2011. 395 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49b: infinita simillumarum imaginum species. 396 Gigon 1996, 383 f. ad loc. versucht den Übergang zu glätten, indem er die Rede von der natürlichen Begrenztheit und der „universale[n] Gleichgewichtigkeit“ als folgerichtige Ergänzung zur Rede von der zuvor entfalteten Unbegrenztheit ansieht. Philippson 1939b, 34 vermutet, dass dieser abschließende Gedankengang das mögliche Gegenargument entkräften soll, dass derart aus Atomen zusammengesetzte Götter laut epikureischen Prämissen ja der Sterblichkeit ausgeliefert sein müssten; als Unterfütterung der göttlichen Unsterblichkeit fasst auch Lemke 1973, 37 f. Velleius’ Rede von der Isonomie auf. Dieses Problem der „physikalischen Beschaffenheit der Götter“, das Cotta in seiner Widerlegung stark machen wird, wird von Essler 2011c, 13 als „Hauptproblem“ der epikureischen Theologie beschrieben. Vgl. zum Isonomie-Gesetz auch Kleve 1979. 397 So auch Philippson 1916, 584–605, der die Kürzung durch Cicero als zentrales Darstellungskriterium benennt, auch wenn er es ausschließlich mit dem Paradigma von Ciceros intellektueller Unfähigkeit verbindet. Später (Philippson 1939, 36) gesteht er den ciceronischen Kürzungen zwar zu, dass sie mit „auffallendem Geschick und Verständnis“ vollzogen worden sind. Diese positive Beurteilung veranlasst ihn jedoch dazu, die Kürzungen nicht Cicero selbst zuzuschreiben, sondern von vorneherein eine Epitome als Prätext anzunehmen; er traut Cicero somit nicht einmal den Vorgang der intelligenten Kürzung zu. Freymuth 1954, 102 f. zeigt am Beispiel des IsonomieGesetzes, dass erst mit Blick auf Cottas Widerlegung wirklich ersichtlich wird, worum es sich hierbei handelt. Diese komplementäre Darstellungsweise in nat. deor. spricht allerdings für eine bewusst intendierte Kürze innerhalb der Velleius-Rede.

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Teil seiner Darstellung als ein Epikureer erscheint, der einzelne epikureische Lehrsätze, Termini und Überlegungen zusammenbringt, ohne sie einem schulfremden Fachpublikum adäquat und in der gebotenen Ausführlichkeit zu erklären.398 d) Inhaltliche Überschneidungen mit dem Widerlegungsteil? Zur Diskussion des Götterlebens und dessen kultischer Vorbildhaftigkeit Auch innerhalb der Lehrentfaltung kritisiert Velleius konkurrierende Schulansichten. Der erneute Einsatz polemischer Elemente verwundert vor allem deshalb, da Velleius dadurch den Eindruck erweckt, dass er seine ohnehin kurze Vorstellung der epikureischen Theologie nochmals und scheinbar ohne Not verkürzt und mit Blick auf den Widerlegungsteil Redundanzen riskiert. Kritik an anderen philosophischen Ansätzen findet sich vor allem bei der zweiten philosophischen Spezialfrage, nämlich der Frage nach der epikureischen vita deorum, und dem sich unmittelbar anschließenden Abschluss der Velleius-Rede. Dies scheint sich vor allem dadurch erklären zu lassen, dass Velleius dort vor einer besonderen Darstellungs- und Begründungsproblematik steht. Bei Epikur ist die vita deorum nämlich vor allem e negativo als vollkommenes Freisein von allen Lasten und Beschwernissen bestimmt, während sich hingegen ihr daraus ergebendes positives Gegenstück, das Epikur als das Verweilen der Götter in ewiger, höchster Lust bestimmt, jenseits einer allgemeinen Bestimmung399 nur schwer darstellen lässt, ohne dafür Metaphern und Analogien heranzuziehen, die Velleius zu Beginn seiner Rede den anderen Philosophenschulen vorgehalten und als illegitime Redeweise gebrandmarkt hatte. Zudem wurden die Götter bereits im philosophischen Basiskurs von Velleius als glückselige Wesen beschrieben und ihre Glückseligkeit als Freisein von Aufgaben und Affekten näher bestimmt;400 die aus epikureischer Warte entscheidenden Kriterien, die das Leben der Götter kennzeichnen, sind von Velleius also bereits eingeführt worden.

398 Nur mit Blick auf diese Passage erhält das Urteil bei Kleve 1963, 125 ein gewisses Recht: „Velleius gibt somit dem Leser nur Brocken der epikureischen Lehre von der Gotteserkenntnis. Auf Grund seiner Darstellung kann man weder den inneren Zusammenhang dieser Lehre erkennen noch ihr Verhältnis zum Epikureismus im allgemeinen bestimmen. Als eine Präsentation der Lehre für ein römisches Publikum […] lässt sich deshalb der Vortrag von Velleius schwerlich als geglückt ansprechen.“ 399 Mit Recht unterstreicht Gigon 1996, 386 ad loc. daher, dass die höchste Lust der Götter gerade darin besteht, dass sie wissen, dass sie nicht nur die höchste Lust besitzen, sondern dies immer tun werden. Daher könnte man sogar so weit gehen zu konstatieren, dass sich die göttliche Glückseligkeit gar nicht weiter entfalten oder konkretisieren lässt, da es für die epikureischen Götter schlichtweg keiner Konkretisierung oder Füllung dieses Lustempfindens bedarf. 400 Vgl. Cic. nat. deor. 1,44b–45a.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Anstatt lediglich die Gedanken aus dem philosophischen Basiskurs zu wiederholen, wählt Cicero für Velleius hier nach einer zweifachen Definition der vita deorum401 einen anderen Weg, indem er ihn die epikureische Vorstellung durch eine Abgrenzung zu drei konkurrierenden Ansätzen verdeutlichen lässt.402 Velleius kritisiert dafür nacheinander pantheistische, theistische und dezidiert schöpfungstheologische Ansätze, indem er sie kurz charakterisiert und im Anschluss jeweils begründet, warum sie mit der epikureischen Vorstellung einer vollkommenen vita deorum nicht in Einklang zu bringen sind.403 Durch den Blick auf mögliche Gefährdungen der göttlichen Glückseligkeit, welche die Ansichten der anderen Schulen für Velleius implizieren, werden die epikureischen Prämissen der göttlichen Glückseligkeit e negativo veranschaulicht. Vor allem anhand der ersten beiden Ansätze wird dem Leser vermittelt, wieso die Vorstellung eines glücklichen Götterlebens auf das Kriterium der körperlichen (quies) und vor allem innerlichen (animi securitas bzw. omnium vacatio munerum) Ruhe angewiesen ist.404 Die Darstellung des Gegenteils, nämlich eines sich mit hoher Geschwindigkeit um sich selbst bewegenden und sich um alle Angelegenheiten kümmernden Gottes, soll die Problematik dieser Ansichten und die Plausibilität der epikureischen Theorie vor Augen führen. Velleius hofft hier, ähnlich wie es bereits mehrfach in der Mitteldoxographie zu beobachten war, die Evidenz der epikureischen Prämissen durch die Darstellung gegenteiliger Ansichten zu erweisen, ohne diese Prämissen dabei gesondert und für sich genommen zu explizieren. Der erneute Rückgriff auf die Form der Polemik lässt sich also nicht per se als eine Strategie Ciceros interpretieren, mit deren Hilfe der ohnehin kurzen Lehrentfaltung wichtiger Platz genommen wird; vielmehr erscheint sie als eine epistemologisch plausible Strategie, mit deren Hilfe Cicero Velleius etwas an sich schwer Vermittelbares darstellen lassen möchte, ohne dabei dessen eigene Prämissen zu verletzen. Zudem eröffnet die Form der Polemik Velleius die Möglichkeit, auch inhaltlich auf den Widerlegungsteil seiner Rede zurückzukommen. Vor allem in der Anfangspole401 Vgl. Cic. nat. deor. 1,51; nachdem Cicero dort das Leben der Götter als das glücklichste bestimmt hat, vollzieht er eben genau diesen Zweischritt und beginnt mit einer Definition dessen, was das göttliche Leben nicht enthalten dürfte, um schließlich allgemein zu beschreiben, wie es sich stattdessen vorstellen lässt. Die auffallende Wiederholung von Negationen (nihil, nullis, nulla etc.) sollte wohl nicht vornehmlich als bloße rhetorische Strategie gedeutet werden, wie dies etwa Classen 2010, 204 tut, sondern in ihrer sachlichen Berechtigung ernst genommen werden. 402 Dass diese Auseinandersetzung mit konkurrierenden Ansichten dem Beweisziel dient, die vita deorum aus epikureischer Sicht zu erläutern, ist nicht überall gesehen worden; Philippson 1939b, 34 bspw. lässt die bei ihm dann sehr knappe Erörterung der vita deorum vor der ersten Polemik enden. Essler 2011c, 13 betont an anderer Stelle, dass die negative Formulierung göttlicher Eigenschaften für den epikureischen Diskurs typisch ist; auch hierin ließe sich also Ciceros Versuch erkennen, eine typisch epikureische Denk- und Formulierungsweise nachzubilden. 403 Auch hierbei wirft Classen 2010, 204 Velleius vor, lediglich auf epikureische Prämissen zu rekurrieren; er übersieht dabei die epistemologische Funktion der Polemik an dieser Stelle. 404 Die Bedeutung der inneren Ruhe wird von Velleius bereits in nat. deor. 1,45 vorbereitet, wo er die Frage nach der vita deorum um die göttliche actio mentis und agitatio ergänzt.

4. Die Darstellung der epikureischen Theologie durch Velleius

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mik übte Velleius bereits scharfe Kritik an schöpfungstheologischen, pantheistischen und theistischen Entwürfen und griff diese Kritik in der Mitteldoxographie bei der Besprechung ausgewählter Philosophen wieder auf. Der Rückgriff innerhalb der Lehrentfaltung sorgt also zunächst dafür, dass die drei Teile der Rede als ein kohärentes Ganzes erscheinen. Wie auch schon bei der Verzahnung des Widerlegungsteils greift Velleius auch hier an den Randstücken der Lehrentfaltung auf die gleichen Schlagworte zurück, die schon den Widerlegungsteil unter das Vorzeichen der epistemologischen Kritik an allen nicht-epikureischen Ansätzen gestellt haben.405 Allerdings handelt es sich dabei nicht um eine bloße Wiederholung bereits angeführter Punkte, sondern um eine Fokussierung und Verschärfung der Kritik. So wird der im Widerlegungsteil lediglich implizit hergestellte Konnex zwischen der stoischen Theologie und der theologia mythica der Dichter hier explizit hergestellt, indem Velleius ausdrücklich die stoische Theologie als eine nicht-apophantische Redeweise brandmarkt, die einen deus ex machina konstruiert,406 um für sie nicht erklärliche Phänomene dennoch lösen zu können. Während Velleius in der Anfangspolemik diese Kritik vor allem an der platonischen Theologie geübt hat und die stoische Position deutlich im Hintergrund blieb, überträgt er seine Kritik hier in intensivierter Form explizit auf die stoische Position.407 Außerdem nutzt Velleius vor allem die erneute Auseinandersetzung mit schöpfungstheologischen Aussagen dazu, um das epikureische Weltentstehungsmodell als Gegenentwurf zu präsentieren. Zum ersten Mal innerhalb der Velleius-Rede findet sich hier nicht nur ein Gegenentwurf zu den von Velleius sonst lediglich kritisierten Schöpfungsmodellen, sondern auch eine dezidiert atomistische Erklärung für die Entstehung der Welt. Velleius erklärt in knapper Form408 Grundbegriffe und -einsichten der epikureischen Atomistik, zu denen etwa die Atome, ihr Fallen und ihre Verbindung im leeren Raum und die sich daraus ergebenden Formen zählen. Er nimmt seinen Ausgangspunkt bei Epikurs Theorie des unendlichen Raums, die Cicero im zweiten Buch 405 Vgl. Cic. nat. deor. 1,53: nihil opus fuisse fabrica sowie ut tragici poetae; Cic. nat. deor. 1,54: sine follibus et incudibus; Cic. nat. deor. 1,55: tamquam aniculis et his quidem indoctis. 406 Auf die dramatische Technik des deus ex machina spielt der Vergleichssatz ut tragici poetae, cum explicare argumenti exitum non potestis, fugitis ad deum (1,53) an. Am Beginn des Satzes lässt sich mit der Formulierung quod quia quemadmodum tatsächlich, wie Classen 2010, 205 feststellt, eine typisch ciceronische Häufung von Relativpronomina und Subjunktionen finden; dass sie allerdings dazu dienen sollen, die Rezipienten zu verwirren, wie Classen meint, scheint die Auffassungsgabe des antiken Rezipienten zu gering zu erachten. 407 Diese Beobachtung kann ex post auch eine Erklärung dafür liefern, wieso die stoische Position in der Anfangspolemik deutlich in den Hintergrund gerückt ist, da Velleius sie für seine abschließende epistemologische Kritik aufgespart hat; auch hier lässt sich also ein bewusster Einsatz unterschiedlicher Schwerpunkte und inhaltlicher Kritikpunkte beobachten, aus dem sich Ciceros Absicht einer dialogökonomischen Vermeidung von Redundanzen ableiten lässt. 408 Die Knappheit fällt vor allem beim Blick auf Lukrez’ Ausführlichkeit auf, der sich in den ersten beiden Büchern der atomistischen Grundlage seiner Theorie und den damit zusammenhängenden Aspekten widmet.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

von De divinatione nicht nur auf eine epistemologisch plausible Art und Weise, sondern auch in begeistertem Ton näher entfalten wird.409 Die natürliche Bewegung und Verbindung der Atome bedarf dabei, wie Velleius betont,410 keiner ordnenden göttlichen Macht, sondern vollzieht sich aus der Kraft der Atome, sodass die Natur selbst als autarke Akteurin apostrophiert werden kann.411 Das späte Anführen des epikureischen Weltentstehungsmodells und dessen atomistischer Grundlage lässt sich einerseits damit erklären, dass Velleius das epikureische Kernstück bewusst an das Ende seiner Rede setzt, um ihm durch die Endstellung auch formal eine höhere Bedeutung zuzugestehen. Zudem lässt sich die Endstellung didaktisch auch damit erklären, dass ein Lehrstück, dessen atomistische Grundlage nicht mit der unmittelbaren Zustimmung durch die Rezipienten rechnen darf, mit Absicht nicht als grundlegende Erklärung angeführt wird, um die Zustimmung zur epikureischen Position nicht zu verhindern, sondern den Rezipienten die Möglichkeit zu geben, Schritt für Schritt epikureische Prämissen kennenzulernen. Schließlich bildet der Exkurs zur atomistischen Weltentstehung auch die geeignete Folie, vor deren Hintergrund sich am Schlusspunkt der Rede die Folgen der stoischen Schöpfungstheologie und der epikureischen Atomistik auf die Psyche der Menschen darstellen lassen. Diese abschließende Polemik gegen die Stoa drückt aus epikureischer Sicht die höchstmögliche Stufe an Kritik aus. Laut Epikur sind Mythen mit ihren Erzählungen über eine strafende und omnipräsente Bewachergottheit nicht nur falsch, sondern werden von ihm als Quelle schlimmer psychischer Qualen beurteilt.412

409 Vgl. Cic. div. 2,103 f.; Beachtung verdient diese Passage auch deshalb, da hier die epikureische Methode, mithilfe von Bekanntem und Erwiesenem plausibel auf eine res dubia zu schließen, nachdrücklich gelobt wird. 410 So durchzieht die natura efficit-Thematik weite Teile der zweiten Spezialfrage; die Hervorhebung der Eigendynamik der natura wird bspw. anhand der Derivatio ut innumerabiles natura mundos effectura sit, efficiat, effecerit (Cic. nat. deor. 1,53) deutlich. Dass die epikureische natura einen deutlichen Gegensatz zur stoischen fabrica bildet, wird unter anderem anhand des Chiasmus docuit enim nos idem, qui cetera, natura effectum esse mundum, nihil opus fuisse fabrica ersichtlich. 411 Ähnlich bereits zu Beginn der Lehrentfaltung (vgl. Cic. nat. deor. 1,43b), wo damit die Grundlage für diese Theorie bereits gelegt worden ist. Gigon 1996, 387 f. ad loc. wundert sich über die prominente Rolle, die der natura zugeschrieben wird: „Da scheint also ‚die Natur‘ einfach die Stelle des platonischen Demiurgen oder der stoischen Pronoia besetzt zu haben; und was jenen nur mit größter Anstrengung zu gelingen scheint, das vollbringt sie mit aller Leichtigkeit.“ Sein vorsichtig formulierter Erklärungsversuch, dass Velleius durch eine derartige Betonung der natura dem Einwand vorbauen könnte, dass die Atome selbst nie zu einer solchen Ordnung und Vollkommenheit kommen könnten, scheint plausibel und passt zur Linie von Velleius’ Lehrentfaltung. 412 Vgl. Lieberg 1982 für die Einschätzung der Dichter-Mythen durch Epikur.

5. Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede

263

5. Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede a) Die Kritik an der epikureischen Position durch direkte und indirekte Charakterisierung Velleius wird von Cicero als eine Figur charakterisiert, an der Ciceros Rezipienten eine zentrale Leseaufforderung einüben können, die Cicero in allgemeiner Form im Proömium und in konkreter Form in der dialogischen Rahmenpartie angeführt hat. So betont Cicero in der dialogischen Rahmenpartie, dass sich Velleius als Epikureer durch große Selbstsicherheit und durch die epistemologische Gewissheit auszeichnet, selbst über gesicherte Wahrheiten zu verfügen und innerhalb der Philosophiegeschichte einen privilegierten Standpunkt einzunehmen.413 Damit greift er diejenige Leseaufforderung aus dem Proömium auf, mit der er seine Leser vor all denjenigen Ansätzen warnt, die sich mehr auf die Autorität eines Schulgründers oder -oberhauptes stützen als auf eine allgemein nachvollziehbare Argumentation. Durch diese doppelte Leseaufforderung sind die Rezipienten darauf eingestellt, Velleius’ Redebeitrag unter diesem Gesichtspunkt zu prüfen. Und tatsächlich haben die zurückliegenden Analysen ergeben, dass Velleius auch innerhalb der Rede von Cicero dergestalt modelliert worden ist, dass dem Leser durch eine Vielzahl von Inszenierungsmitteln eine dementsprechende Prüfung erleichtert wird. So lassen sich die personale Selbstsicherheit und der epistemologische Optimismus des Velleius etwa bereits aus der Strukturierung seiner Rede ableiten. Velleius beginnt seine Ausführungen nicht mit der induktiven Darlegung der eigenen epikureischen Position, sondern bestätigt die ihm von Cicero attestierte, quasi olympische Selbstgewissheit414 unmittelbar auf die indirekte Leseaufforderung folgend415 dadurch, dass er seine Ausführungen nicht nur mit der Kritik an anderen theologischen Positionen und deren Vertretern beginnen lässt, sondern diese anfangs sogar als eine direkte Polemik gegen Ansichten derjenigen Schulen gestaltet, deren Vertreter sich direkt vor ihm befinden. Cicero inszeniert Velleius durch diesen rhetorisch überrumpelnden Auftakt als eine Figur, die sich ihrer intellektuellen Ansichten und ihrer selbst so sicher ist, dass sie die Gesprächsteilnehmer – und dadurch auch die Rezipienten – dies deutlich spüren lässt. Auch die Mitteldoxographie ist dergestalt von der epistemologischen Gewissheit des Epikureers geprägt, dass die anderen philosophischen Ansichten vor allem aus einer epikureischen Perspektive heraus kritisiert werden, ohne dass Velleius diese zuvor offengelegt hatte. Seine Überzeugung von der eigenen Wahrheit erscheint dadurch als ein prärationaler Akt, der sich der von Cicero im Proömium angesprochenen und als notwendig gekennzeichneten epistemologischen Bedenken nicht bewusst ist. Klimak413 Vgl. dafür vor allem Cic. nat. deor. 1,18a. 414 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18a. 415 Vgl. Cic. nat. deor. 1,18b ff.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

tisch ist zudem die folgende Darstellung der epikureischen Theologie angelegt, die die als typisch epikureisch geltende epistemologische Gewissheit durch den gezielten Rekurs auf Ansichten und Worte Epikurs noch steigert. Die Thesen, mit denen Velleius die epikureische Theologie entfaltet, sind teilweise von einem deduktiven Argumentationsduktus geprägt, der Velleius als einen Epikureer akzentuiert, der den Meisterworten zum Teil größeres Gewicht beimisst als deren Erklärung. Zweifelsohne ist diese indirekte Charakterisierung in ihrer Gesamtheit nicht als eine realistische, sondern als eine didaktisch überformte Inszenierung zu sehen. Ciceros Modellierung des Velleius zielt somit nicht darauf ab, eine philosophiegeschichtliche Abhandlung zu verfassen;416 vielmehr macht er sich die dialogisch-rhetorischen Möglichkeiten zunutze und baut in diesem Sinne eine epikureische Rede, die die von ihm beanstandeten Aspekte selbst offenbart; auch hier bilden Form und Inhalt somit eine genuine Einheit. b) Die Aufwertung des Velleius im sprachlich-stilistischen und kompositorischen Bereich Die damit verbundene Einschätzung einer hohen Eigenständigkeit Ciceros bestätigt sich mit Blick auf den sprachlich-stilistischen Aspekt der Velleiusrede. So wird Velleius trotz der deutlichen Kritik an den Inhalten und dem epistemologischen Charakter seiner Lehre in den dialogischen Binnenpartien nicht destruiert. Vielmehr spricht Cotta Velleius nach dessen Rede ein Lob für die Art und Weise aus, wie er seine Ausführungen sprachlich-stilistisch gestaltet.417 Dies kann, wie E. Becker bemerkt, nicht allein mit dem ciceronischen Streben nach einem urbanen Gesprächston erklärt werden.418 Vielmehr deckt sich dieses Lob mit den hier vorgelegten Untersuchungen zur Gliederung und sprachlichen Ausgestaltung der Velleiusrede. Es konnte gezeigt werden, dass ihre einzelnen Hauptteile in hohem Maße in sich kohärent sind. Neben der Kohärenz der einzelnen Hauptblöcke konnten auch kompositorische und sprachliche Bezüge zwischen ihnen aufgezeigt werden, die der Rede trotz ihrer in sich geschlossenen Einzelteile auch im Gesamten eine kohärente Struktur verleihen. Dass es darüber hinaus keine funktionslosen Doppelungen gibt, die auf das ungenaue Verarbeiten inkohärenter Quellen schließen lassen können, zeigt unter anderem das Beispiel der dreifachen Kritik an der Stoa, die innerhalb des jeweiligen Kontextes und der Argumentationsstruktur eine nachvollziehbare Funktion erfüllt.

416 Mit Recht kritisiert daher auch Görler 2001, 234 diesen Ansatz, der übersieht, dass es Cicero nicht um eine wissenschaftlich-objektive Darstellung einzelner Philosophenschulen ging. 417 Vgl. Cic. nat. deor. 1,57–59. 418 Vgl. Becker 1938, 22 f., der die gelegentliche Abkehr von der urbanitas gerade in De natura deorum als intentionales Stilmittel Ciceros begreift.

5. Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede

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c) Die kontrapunktische Inszenierung des Velleius Im Proömium vertrat Cicero die Ansicht, dass eine allgemeingültige Scheidung von Wahrheit und Irrtum zwar gerade bei theologischen Fragen mit Blick auf die ihr zugeteilte Praxis der Religion und des Kultes besonders wichtig ist, jedoch letztendlich ein Desiderat bleiben muss. Der ciceronische Weg mutet daher bescheidener an. Durch die Darstellung der Ansichten der wichtigsten Schulrichtungen soll der Leser selbst von Fall zu Fall entscheiden, wie die Gewichte des Wahren und des Falschen verteilt sind, sowie damit rechnen, dass sich innerhalb einer Position die beiden Gegensätze untrennbar vereinen. Es bleibt daher abschließend zu fragen, inwieweit sich auch dieser Aspekt in Velleius’ Rede wiederfindet. In der Tat ergab die Analyse der argumentativen Strukturen, dass sich Velleius’ Argumentationstechnik im Widerlegungs- und im Lehrteil auf unterschiedlichen Ebenen vollzieht. Neben einer allgemeinen, rational zustimmungsfähigen Argumentation auf der einen Seite und einer Darstellung, die nur Epikureern plausibel erscheinen kann, auf der anderen Seite, finden sich immer dann auch Mischverhältnisse, wenn beispielsweise eine epikureische Position mithilfe allgemeiner Argumentationstechniken erläutert oder eine epikureische Kritik durch Gedankengänge dargestellt wird, die auch von einem breiten, nicht-epikureischen Publikum geteilt werden können. Bezeichnenderweise verteilen sich die verschiedenen Plausibilitätsgrade über die drei Hauptteile der Velleiusrede.419 So ist die am Anfang stehende Polemik gegen Platon und die Stoa vor allem von allgemein nachvollziehbaren Überlegungen und Anfragen geprägt, wohingegen ein dezidiert epikureischer Schwerpunkt kaum merklich erst gegen Ende dieses Abschnittes zum Tragen kommt. Zwar wird Velleius dadurch, wie bereits erwähnt, auf einer dialogisch-kompositionellen Ebene in angriffslustiger Selbstsicherheit charakterisiert, doch bietet dieser Abschnitt inhaltlich einen gelungenen Einstieg in das Thema. So wird das Leserinteresse durch die polemisch geprägte, doch argumentativ nachvollziehbare Fundamentalkritik an den zwei profiliertesten und darüber hinaus im Gespräch noch vertretenen Philosophenschulen geweckt.420 Die Rezipienten werden dabei mithilfe von überzeugenden Anfragen mit grundlegenden religionsphilosophischen Problemen konfrontiert, deren Darstellung dazu dienen soll, einen fesselnden Einstieg ins Thema zu ermöglichen und auf eine weitere Auseinandersetzung Lust zu machen. In der sich anschließenden Mitteldoxographie findet sich eine deutlichere Mischung unterschiedlicher Plausibilitätsgrade. Während Velleius zwar allgemeinver-

419 Anders Spahlinger 2005, 69, der trotz der von ihm bemerkten stilistischen Unterschiede zwischen den drei Hauptteilen von einer gleichmäßig irrationalen Argumentationsstrategie des Velleius ausgeht. 420 Wäre, so Süss 1952, 420 f., der Einstieg gleich durch den doxographischen Teil erfolgt, so hätte dies beim Leser eine schulmeisterliche Langeweile hervorgerufen.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

ständlich auf Brüche innerhalb einzelner Theorien hinweist oder ihre Unverträglichkeit mit dem (römischen) Kult hervorhebt, werden viele Philosophen auch durch eine ausschließlich epikureische Brille betrachtet; die sich daraus ergebenden Widersprüche werden von Velleius angesprochen, ohne dass dem Leser allerdings Velleius’ epikureische Beurteilungsrichtlinien und -maßstäbe mitgeteilt werden. Daher kann die Doxographie, sozusagen als Herzstück der Velleiusrede, als ein erster Test für die Rezipienten verstanden werden. Die doxographischen Ausführungen des Velleius zeigen den Rezipienten an, dass es, wie im Proömium angeführt, keinen „festen Boden“ für die Beurteilung von Richtig und Falsch gibt, auch bzw. gerade nicht in objektiv wirkenden Formen wie einer doxographischen Übersicht, die per se den Anschein von Objektivität erweckt.421 Gerade die Passagen, die scheinbar objektive Kritik mit einer epikureischen Position vereinen, exemplifizieren Ciceros Diktum aus dem Proömium, dem zufolge sich des Öfteren ein kaum zu entwirrendes Geflecht von Wahr und Falsch innerhalb eines einzigen Arguments findet. Es gilt daher von Fall zu Fall zu prüfen, inwiefern Velleius’ Kritik als überzeugend gelten kann und wo sie lediglich von Anhängern Epikurs nachvollzogen werden kann. Dass gerade Velleius diesen Part übernimmt, kann daher nicht als Verlegenheitslösung Ciceros erklärt werden, der dadurch den Platz für die Darlegung der epikureischen Theologie weiter minimieren wollte. Hätte nämlich Cotta diese Darstellung übernommen, so hätte die Doxographie wiederum einen autoritär-objektiven Charakter erhalten, der den Leser eher zur stillschweigenden Akzeptanz als zum aktiven Widerspruch angeregt hätte. Wäre Cicero selbst als auktorialer Erzähler aufgetreten, wäre dies weder mit seinem im Proömium lancierten Streben nach Zurückhaltung des Urteils noch mit der von ihm gewählten dialogischen Form vereinbar gewesen.422 Dadurch dass er Velleius diese Aufgabe überträgt, kann Cicero dem Leser zu Beginn des Werkes einen knappen materialen Überblick über die bisherige theologische Geistesgeschichte in ihrer ganzen, sich widersprechenden Disparatheit liefern und ihn gleichzeitig mit dem im Proömium formulierten Anspruch konfrontieren, auch innerhalb einzelner objektiv erscheinender Gedankengänge scharf zwischen einer argumentativ nachvollziehbaren und einer lediglich auf autoritären Setzungen beruhenden Doktrin

421 Mit Recht stellt Auvray-Assayas 2006, 24 daher für Cicero im Allgemeinen fest, dass er nicht an der Philosophiegeschichte als solcher interessiert ist, sondern dass er sie sich für sein eigenes Weiterdenken und seine eigene Zielsetzung zunutze macht: „De là vient que Cicéron n’est pas un historien de la philosophie mais un philosophe voulant construire une histoire de la philosophie qui fournisse à ses lecteures des outils pour penser.“ 422 Die Begründung, die Pease 1955, 204 anführt, scheint weniger plausibel zu sein. So argumentiert er, dass Cicero das odium von sich auf Velleius leiten wollte, indem er ihm die Fundamentalkritik in den Mund legt, anstelle sie selbst zu formulieren. Doch hätte Cicero wirklich Grund zur Sorge vor Anfeindungen seiner Mitbürger haben müssen, wo doch die meisten der aufgeführten Philosophen schon seit langem keine Anhänger mehr um sich versammelten?

5. Fazit: Die kontrapunktische Inszenierung der Velleius-Rede

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zu unterscheiden. Cicero gestaltet die Doxographie somit auf doppelte Weise als eine Einführung und Exemplifizierung der Problematik einer Theologiegeschichte. Auch bei der Entfaltung der epikureischen Lehre finden sich unterschiedliche Plausibilitätsstufen. So ist Velleius oftmals zu Beginn eines Gedankengangs darum bemüht, dezidiert epikureische Thesen auf eine allgemeinverständliche Weise herzuleiten, indem er ihren epistemologischen Ausgangspunkt auf eine breite empirische Basis stellt. Geht es jedoch um eine spezialisierte Diskussion einzelner theologischer Feinheiten, so begegnet dem Leser mancherorts Velleius’ Unzulänglichkeit, auch solche Theoriestücke jenseits des Rekurses auf Meisterworte darzustellen.423 Die Konstituierung eines derartigen argumentativen und epistemologischen Gefälles möchte W. Görlers Stufenschema ergänzen, das er vor allem anhand positiver Aussagen der Stoiker und Akademiker (und dies vornehmlich bei individualethischen Themen) entfaltet und das dort mit entgegengesetzten Vorzeichen arbeitet.424 Während nämlich bei Görler in der Darstellung der von Cicero als relevant beachteten Positionen eine rein rationale Argumentation den sichersten, aber gleichzeitig auch untersten Standpunkt abbildet, ist die höchste, stark spekulative Stufe dort positiv besetzt und stellt eine die rationalen Gewissheiten transzendierende Stufe der Lebenskunst dar. In der hier vorgestellten Deutung der Velleius-Rede kehrt sich dieses Verhältnis um. Die spekulativste Position muss auf der Grundlage der Lesehinweise aus dem Proömium kritisiert werden, während rationale Erwägungen und epistemologisch solide Argumentationen eine positive Grundlage für weitere Überlegungen darstellen. Als Fazit der zurückliegenden Untersuchungen kann daher von einer kontrapunktischen Inszenierung des Velleius und seiner Rede gesprochen werden. Velleius’ epikureische Position wird sowohl direkt durch Ciceros auktoriale Kommentare als auch indirekt durch die Art der dialogischen Inszenierung so modelliert, dass die Rezipienten sowohl materialiter etwas lernen können als auch Ciceros skeptische Methode einüben können. So dient Velleius’ Rede Cicero im positiven Sinne dazu, die direkt vorher geäußerten epistemologischen Leseanweisungen in die Tat umzusetzen und dem Leser gleich ein erstes Eingangsbeispiel zu präsentieren. Die Gesamtausrichtung der epikureischen Rede verbindet sich somit im Gesamten zu einer vielstimmigen Harmonie.

423 Dass es sich hierbei nicht um eine ausschließlich epikureische Besonderheit, sondern um eine typisch ciceronische Modellierung seiner dogmatischen Dialogredner handelt, zeigt ein Blick auf De divinatione. Auch dort fällt nämlich auf, dass Quintus an etlichen Stellen seiner Rede gebetsmühlenartig bestimmte stoische Leitsätze wiederholt, die er nicht weiter entfaltet oder erläutert. 424 Vgl. Görler 1974, 20–62 (45–48 explizit für nat. deor.).

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

6. Zur Probe aufs Exempel: Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Velleius-Rede und der Balbus-Rede a) Zur komplementären Gestaltung der beiden dogmatischen Reden Dass die beiden dogmatischen Reden in De natura deorum kompositorisch eng aufeinander bezogen sind und in einem komplementären Verhältnis dem Leser nicht nur verschiedene philosophische Darstellungsformen, sondern nachgerade konträre Weltzugriffe präsentieren, lässt sich anhand von zahlreichen Vergleichspunkten zeigen. Am deutlichsten sichtbar wird dies an der Länge der beiden Reden. Während Velleius’ Lehrentfaltung nämlich durch ihre Kürze besticht und die zentralen Aspekte der epikureischen Religionsphilosophie in kondensierter Dichte präsentiert, stellt Balbus die stoische Theologie in großer Ausführlichkeit vor und schreckt bei der Präsentation von Argumenten und Beispielen selbst vor scheinbaren Doppelungen und Redundanzen nicht zurück.425 Die Vorstellung von Balbus’ Darstellungsmethode im ersten Redeteil. Besonders deutlich ist dieses Darstellungsprinzip im ersten der vier Redeteile426 zu beobachten, wo Balbus die Existenz der Götter zu erweisen sucht.427 In prägnanter Weise entfaltet er dort zunächst seine grundlegende These, derzufolge die Existenz der Götter jedem

425 Kritisch äußert sich auch Edelstein 1934, 148 f. zu dieser mehrfach von Cicero als intentional gekennzeichneten Inszenierungsweise. Dass sich scheinbare Redundanzen jedoch auflösen, wenn man den Kontext und die Darstellungsunterschiede beachtet, weist Besnier 1996, 128 f. mit Blick auf den zweiten Hauptteil der Balbus-Rede nach, der oftmals als überflüssig bezeichnet worden ist, weil sich bereits in der zweiten Hälfte des ersten Hauptteils Hinweise zur Bestimmung der göttlichen Eigenschaften finden. Indem Besnier zeigt, dass sich der zweite Hauptteil vielmehr der Frage widmet, welche Kriterien eine Gottheit erfüllen muss und wie man auf dieser Grundlage falsche von echten Gottheiten unterscheiden kann, liefert er einen wichtigen Beitrag zur Bestimmung der Eigenheiten dieses oftmals unterschätzten Redeteils. Auch Gorman 2005, 159–168 analysiert Balbus’ Rede hinsichtlich ihrer Kohärenz und ihrer aufeinander verweisenden Redeteile. 426 Vgl. zur Gliederung der Balbus-Rede Cic. nat. deor. 2,3, wo Balbus die vierfache Gliederung seiner Rede vorgibt, sowie Cic. nat. deor. 3,6, wo Cotta Balbus’ divisio nochmals anführt; die vier Hauptteile werden von beiden unter den vier folgenden Beweiszielen zusammengefasst: esse deos (2,4–44), quales sint (2,45–72), mundum ab his administrari (2,73–153) und consulere eos rebus humanis (2,154–167). Vgl. dazu auch Edelstein 1934, der die Balbus-Rede ausführlich paraphrasiert und dabei die inhärenten Brüche analysiert, ohne sogleich auf die Quellenfrage abzuzielen. Trotz der scharfsinnigen Argumente, die Cl. Auvray-Assayas in vielen Abhandlungen gegen diese Anordnung des zweiten Buches präsentiert hat (vgl. etwa Auvray-Assayas 1997a, 1999a, 2005, 2016), soll hier doch an ihr festgehalten werden, da die von Auvray-Assayas restituierte Textreihenfolge inhaltlich auf mehreren Ebenen problematisch ist und Cottas Reprise von Balbus’ Argumentationsstruktur entgegenläuft. Schwenke 1879, 140 führt die Gliederung der Balbus-Rede darauf zurück, dass Cicero die vier ersten theologischen Bücher des Poseidonios gekürzt und zu je einem Gliederungspunkt umgearbeitet hat, wobei er freilich „mehrfach den inhalt seines originals nicht richtig aufgefaszt“ habe. 427 Vgl. Cic. nat. deor. 2,4–44; vgl. Besnier 1996, 142 f. zu quellenkritischen Erwägungen zum ersten Hauptpunkt der Balbus-Rede.

6. Zur Probe aufs Exempel

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Menschen aufgrund seiner eigenen Einsicht und Erfahrung, die sich beispielsweise beim Blick in den Himmel einstellt, evident ist428 und sich im Laufe der Geschichte immer wieder als evident erwiesen hat, während sich hingegen falsche Ansichten im Laufe der Geschichte immer als falsch erweisen. Die auffälligen sprachlichen und sachlichen Übereinstimmungen mit Velleius’ Beweisgang429 lassen sich als innerdialogische Umsetzung der proömialen Vorentscheidung Ciceros (1,2) verstehen. Wenn nämlich Velleius und Balbus gerade beim Erweis des esse deos gleichermaßen und z. T. unter Verwendung des gleichen Vokabulars auf eine konsensualistische Begründung zurückgreifen, die Cicero selbst am Beginn des Werkes als probabile gekennzeichnet hat, dann lässt sich dies nicht nur als ein Hinweis auf einzelne Bücher übergreifende Darstellungsprinzipien, sondern vor allem auch als Lesehilfe für den Rezipienten auffassen, welche ihm bei der Beurteilung des hohen Plausibilitätsgrades dieser These helfen soll.430 Nachdem Balbus seine Grundthese mithilfe des consensus omnium-Arguments und eines beglaubigenden Ennius-Zitats knapp, aber allgemein einleuchtend entfaltet hat,431 folgen im weiteren Fortgang dieses ersten Redeteils noch drei weitere Beweisgänge, die aus unterschiedlichen Perspektiven, mit wechselndem Plausibilitätsgrad und mithilfe verschiedener Begründungen die These der Götterexistenz weiter untermauern. So begründet Balbus die Götterexistenz zweitens mit dem Eingreifen der Götter,432 das sich anhand ihrer direkten433 und indirekten434 Interaktion mit den Menschen im Laufe der Geschichte erkennen lasse. Plausibilität erhofft sich Balbus hier nicht nur durch die Verwendung allgemeinrationaler Begründungsmuster, die die Rezipienten bereits aus dem ersten Buch kennen,435 sondern vor allem durch den dichten Einsatz römischer exempla,436 bei denen Balbus damit rechnen darf, dass sie jenseits 428 Vgl. Schofield 1980 zum stoischen Evidenzbegriff gerade mit Blick auf religionsphilosophische Fragestellungen. 429 Vgl. Cic. nat. deor. 2,5 (und später noch einmal in 2,12b) v. a. mit 1,43bf. 430 Zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommt Gigon 1996, 446, der annimmt, dass diese sachliche Parallele nur philosophiehistorisch zu erklären sei, dass sie zudem Cicero störe und er deswegen „sein möglichstes“ tue, „damit sie nicht gar zu auffallend wird“. 431 Vgl. Cic. nat. deor. 2,4 f. 432 Vgl. Cic. nat. deor. 2,6–12; Philippson 1940, 16–18 weist darauf hin, dass sich mit Blick auf Cic. div. 1,79 und die dort auf Poseidonios zurückgeführte Lehre zeigen lässt, dass ein unmittelbares Eingreifen der Götter vor allem von der mittleren Stoa nicht mehr ohne Weiteres geteilt wird. Auch daran lässt sich Balbus’ Tendenz erkennen, alle Argumente, mit denen er seine These beweisen kann, zu benutzen, ganz gleich, woher sie stammen. 433 Vgl. Cic. nat. deor. 2,6. 434 Vgl. Cic. nat. deor. 2,7–12. 435 Vgl. etwa den Widerspruchsbeweis in Cic. nat. deor. 2,7 f., das syllogistische Fazit in 2,12, welches vom Deuter auf das Objekt der Deutung schließt, oder die Verwendung des Vergleichs mit Ärzten in 2,12. 436 Vgl. etwa Walter 2002, 329 f. für die hohe Bedeutung von exempla innerhalb der römischen Erinnerungskultur. Auch Rawson 1972 weist auf den hohen argumentativen Wert gerade von historischen exempla hin, die der Rede auctoritas und iucunditas verleihen sollen.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

von philosophischen Schulzugehörigkeiten eine hohe Suggestivkraft entfalten. Gerade mit Blick auf die unterschiedlichen historischen exempla wird an dieser Stelle ein wichtiger Unterschied zur Velleius-Rede ersichtlich. Anders als dieser beschränkt sich Balbus nämlich nicht auf philosophische Begründungen, sondern schöpft auch aus anderen, nicht-philosophischen Quellen, um die Berechtigung seiner These auf möglichst umfassende Weise zu plausibilisieren. Eine Gemeinsamkeit zur Velleius-Rede kann hingegen darin gesehen werden, dass auch Balbus darauf Wert legt, seine Rede mit einem allgemeinverständlichen Auftakt zu beginnen. So betont Philippson mit Recht, dass bis zum Abschluss dieses Beweisgangs kein einziger Philosoph von Balbus explizit aufgeführt wird und sich dies erst mit 2,13 ändert.437 Damit übertrifft Balbus sogar noch Velleius’ Anfangspolemik. Während Velleius dort nämlich nur darauf verzichtete, die epikureische Position einzuführen, und stattdessen auf einen rhetorisch geschickten Angriff auf die gegnerische Vorstellung einer göttlichen creatio setzte, verzichtet Balbus für seinen Auftakt vollständig auf eine philosophische Unterfütterung seiner These,438 um durch einen konsensualistischen und anschließend durch einen dezidiert römischen Beginn noch größere Plausibilität für sich beanspruchen zu können. Inhaltlich lässt sich Balbus’ stoische Brille freilich bereits daran erkennen, dass die gewählten historischen Beispiele nicht nur die Götterexistenz als solche, sondern die Existenz von aktiv in das Weltgeschehen eingreifenden Göttern, wie sie sich die Stoiker vorstellen, nahelegen.439 Im Anschluss daran ändert Balbus seine Argumentationsweise und setzt drittens zu einem stoisch-kosmologischen Beweisgang an,440 innerhalb dessen er unter Rekurs auf Kleanthes vier Argumente anführt, die von der besonderen Beschaffenheit der Welt und des Kosmos Rückschlüsse auf die Existenz von Göttern liefern sollen. Großes Gewicht liegt hier auf dem finalen Argument, in dem er von der Ordnung und besonderen Einrichtung der Welt auf die notwendigerweise anzunehmenden Erbauer dieser Welt schließt. Kleanthes’ Argumente werden innerhalb dieses Beweis-

437 Vgl. Philippson 1941, 15. 438 Einem Hinweis bei Gigon 1996, 446 f. folgend kann man jedoch sehen, dass Balbus dennoch gerade ab 2,5 stoisch gefärbtes Vokabular einfließen lässt, um die Vorstellung der allgemeinen Evidenz zu belegen. Auch hierbei ließe sich also eine Parallele zu Velleius erkennen, der in der Anfangspolemik quasi en passant an unverdächtigen Stellen mit epikureisch konnotierten Wörtern gearbeitet hat, um auf diese maskierte Weise bereits eine dogmatische Grundierung vorzubereiten. Vgl. Pease 1958, 550 ff. ad loc. für die Belegstellen, wo er in opinio das stoisch gefärbte Substantiv δόξα, im Partizip conprehensum eine Allusion auf die stoische κατάληψις und im natura-Begriff die stoische φύσις durchscheinen sieht. 439 Vgl. dafür besonders Cic. nat. deor. 2,6. 440 Vgl. Cic. nat. deor. 2,13–22; mit Recht betont Boyancé 1962, 49 die geschickte Überleitung von einer schulungebundenen zu einer stoischen Argumentation mithilfe der vier Kleanthes-Gründe, die inhaltlich eng an den vorausgehenden Abschnitt anknüpfen; vgl. zudem auch Gelinas 2006, der die stoische Beweisform des in 2,18–20 vertretenen argumentum ex gradibus entium vorstellt, philosophiehistorisch einordnet und mit Anselms ontologischem Gottesbeweis vergleicht.

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gangs noch durch Chrysipps und Zenons Gottesbeweise ergänzt.441 Durch diesen Nachtrag gelingt es Balbus, die wichtigsten drei Vertreter der älteren Stoa gleich zu Beginn seiner dogmatischen Grundierung zu Wort kommen zu lassen. Dabei übt er, ähnlich wie es auch Velleius im Falle Epikurs gemacht hat, durchaus dezente Kritik an der allzu dichten Ausdrucksweise gerade Zenons (2,20), die dem Verständnis und der Akzeptanz der Lehre im Wege stehen könnte. Anders als Velleius (in 1,49) belässt Balbus es jedoch nicht dabei, die allzu knappen Ausführungen seines Schuloberhaupts lediglich wiederzugeben, sondern ergänzt sie durch eine eigene Kommentierung und Erklärung (2,21 f.) und vertieft sie im Folgenden (2,23–44) durch eine dogmatische Weiterführung des Gedankens. Dadurch wird Balbus an dieser Stelle als ein Philosoph modelliert, der souverän und eigenständig mit den Ausführungen der maßgeblichen Schulvertreter umgeht und sie auch für Rezipienten, die nicht der Stoa angehören, verständlicher machen möchte. Vertiefend führt Balbus viertens noch eine letzte Begründungslinie an. Er argumentiert dort wiederum aus stoischer Perspektive, dieses Mal jedoch mithilfe eines physikalischen Gottesbeweises, welcher die Existenz der Götter über den Erweis der Göttlichkeit der Welt selbst herleitet.442 Balbus’ erster Gliederungspunkt seiner Rede, der sich dem Erweis des esse deos widmet, vereint somit nicht nur ganz unterschiedliche Begründungsmuster, sondern weist – wie es schon bei der Velleius-Rede zu beobachten war – ein stimmiges Gesamtkonzept auf. So werden nach einer allgemeinplausiblen, dezidiert nicht-philosophischen ersten Argumentationslinie (2,4 f.6–12) die zentral stoisch-kosmologischen Begründungslinien in z. T. gedrängter Form vorgestellt (2,13–22), bevor sie im Anschluss ausführlich anhand einer Spezialfrage entfaltet werden (2,23–44).

441 Vgl. Cic. nat. deor. 2,16–22 für diesen Nachtrag, den die ältere Quellenforschung als Erweis einer „probably hasty composition“ (Pease 1958, 591 ad loc.) sieht. Gerade das unverbundene Einfügen des Chrysipp-Arguments (2,16) an Kleanthes’ vierte und letzte Begründung stieß auf Kritik; Pease 1958, 589 ad loc. beurteilt es als einen „abrupt shift“ und als „injected“. Es wurde bislang noch nicht ausreichend deutlich gemacht, dass sich das Chrysipp-Argument ganz im Gegenteil organisch in den Gedankengang einfügt: Da die vier Kleanthes-Gründe vage mit dem Gedanken enden, dass die Bewegungen in der Natur ab aliqua mente bewirkt werden (2,15), konkretisiert das Chrysipp-Zitat (2,16), wie man sich diese mens von Seiten der Stoa vorstellt: nämlich als deus! Man könnte daher das Chrysipp-Argument als Fußnote zur vierten Ursache des Kleanthes bezeichnen. 442 Vgl. Cic. nat. deor. 2,23–44; vgl. für die dezidiert stoischen Begründungsmuster zum Erweis der Göttlichkeit des Kosmos und eine philosophiehistorische Einordnung der Balbus-Passage vor allem Powers 2012. Andere Studien beschäftigen sich mit weiteren Details dieser Passage, so etwa Kleywegt 1984 mit dem Kleanthes-Rekurs Ciceros (2,24), der ebenfalls auf die Integration unterschiedlicher dogmatischer Standpunkte abzielt. Auch Besnier 1996, 153–164 widmet sich ausführlicher dieser Passage. Philippson 1944, 7 f. macht die wichtige Beobachtung, dass mit dem Motiv der Durchwanderung einer Region (hier das Feuer als alle Ebenen der Welt durchwanderndes Element) bereits an dieser Stelle ein wichtiges Darstellungsmotiv des dritten Hauptteils der Balbus-Rede eingeführt wird.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Leserlenkende Verstehenshinweise zur stoischen Ausführlichkeit als zentrales Darstellungsprinzip des Balbus. Dass sich die Ausführlichkeit von Balbus’ Beweisgängen tatsächlich als intentionales Inszenierungsmittel erklären lässt, lässt sich nicht nur aufgrund des deutlichen Kontrastes zu Velleius’ Lehrentfaltung, sondern auch mithilfe von mehreren leserlenkenden Hinweisen plausibilisieren, die sich in drei verschiedenen Teilen des Werkes finden und ein angemessenes Verständnis dieser Inszenierungsweise sicherstellen. Als erstes lenkt Balbus selbst die Aufmerksamkeit der Rezipienten auf die Besonderheit dieser Darstellungsweise, indem er am Beginn seiner Rede konstatiert, dass es für die Frage nach dem esse deos eigentlich keiner weiteren Erklärung bedarf. Damit rekurriert er auf einen Satz, den er selbst kurz zuvor in der dialogischen Anfangspartie des zweiten Buches gegenüber Cotta geäußert hatte (2,3): Geram tibi morem et agam, quam brevissume potero. Rhetorisch verfolgte Balbus mit der Betonung der Kürze dort auch das Ziel, seinen Verzicht auf eine ausführliche Epikur-Kritik zu plausibilisieren. Durch den Hinweis darauf, dass deren Widerlegung eigentlich den größten Teil seiner Rede eingenommen hätte, seine eigene Lehrentfaltung dagegen wohl für sich selbst spricht und deshalb nicht so detailliert ausgeführt werden müsste, äußert er sich subtil gegen die epikureische Position. Während Balbus in der dialogischen Anfangspartie seinen Vorsatz, kurz sprechen zu wollen, also in allgemeiner Form und mit polemischer Zielsetzung präsentiert, bezieht er ihn nun am Beginn seiner Rede direkt auf seinen ersten Gliederungspunkt. So beginnt Balbus’ Rede bezeichnenderweise unmittelbar mit dem hyperbolischen Ausruf „Ne egere quidem videtur“, inquit, „oratione prima pars“ (2,4), mit dem er seine Rede einleitet und die Evidenz der Götterexistenz prominent in den Vordergrund rückt. Dadurch allerdings, dass er im weiteren Verlauf des ersten Hauptteils das Abweichen von seinem ursprünglichen Plan selbst bemerkt und in der Mitte seiner Ausführungen zum esse deos sogar thematisiert,443 fällt der Bruch zwischen seinem anfänglich mehrfach geäußerten Anspruch auf brevitas und der tatsächlichen, konträren Umsetzung umso deutlicher auf. Später trägt Balbus noch eine Erklärung nach, wieso er sich schließlich doch für eine andere Art der Darstellung entschieden hat. Besonders aufschlussreich ist dabei eine Bemerkung des Balbus, deren Stellung am Ende seiner Rede sie auch kompositorisch hervorhebt.444 Dort begründet Balbus die Vielzahl der von ihm versammelten Argumente damit, dass es ihm nicht so sehr auf die Schlagkraft des einzelnen Arguments ankomme, sondern vielmehr auf die Wirkung des Gesamttableaus. Ihm kommt es also darauf an, durch die Integration vieler unterschiedlicher Bereiche eine geschlossene Gesamttheorie der Welt (univer-

443 Cic. nat. deor. 2,20, wo er seine Ausführlichkeit als Verteidigungsstrategie gegen die Academicorum calumnia rechtfertigt und gegen Zenons allzu knappe Schlussformeln abgrenzt, sowie vor allem auch 2,23: Sed quoniam coepi secus agere atque initio dixeram (negaram enim hanc primam partem egere oratione, quod esset omnibus perspicuum deos esse), tamen […]. 444 Vgl. Cic. nat. deor. 2,163.

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sa […] inter se conexa atque coniuncta) zu entwerfen.445 Ähnlich äußerte sich Balbus bereits im ersten Teil seiner Rede, wo er seine Kommentierung der knappen Syllogismen Zenons begründet.446 Sein dortiger Vergleich einer idealen Rede mit einem reißenden Fluss stellt die Zielsetzung dieses Argumentationsprinzips in den Vordergrund. Indem er nämlich eine knappe Darstellung mit einem stehenden Gewässer vergleicht, welches durch gegnerische Argumente leichter verunreinigt, d. h. widerlegt, werden könne, gilt ihm eine ausführliche Darstellung als Garant dafür, potentielle Einwände durch die Vielzahl von Argumenten ebenso leicht unschädlich zu machen, wie in einem schnellfließenden Fluss alles Schädliche durch dessen Strömung hinweggespült wird.447 Gerade durch die von Balbus verwendete Metaphorik der Verunreinigung erhalten alle Einwände den Status von Bedrohungen, deren Beseitigung für Balbus das oberste Ziel darstellt. Diese Bewertung von potentiellen Einwänden legt es nahe, dass ihm das präventive Entkräften möglicher Gegenargumente wichtiger ist als eine rationale und solide, aber unter Umständen bescheidener anmutende Argumentation. Als zweites zielt auch Cotta bei seiner späteren Widerlegung dieses ersten Gesichtspunktes vor allem auf die auffällige Länge von Balbus’ Ausführungen ab, indem er explizit auf den Widerspruch zwischen Balbus’ Evidenzbehauptung der Götterexistenz und der sich anschließenden, mehrfachen Begründungslinie hinweist.448 Daraus schlussfolgert Cotta, dass Balbus selbst von der Evidenz des esse deos nicht überzeugt sein kann, da er andernfalls auf seine überbordenden Beweisgänge verzichtet hätte.449 Indem er den von Balbus angeführten Vergleich philosophischer Erörterungen mit Gerichtsreden aufgreift, mit dem dieser die Vielzahl seiner Argumente als dezidiertes Darstellungs- und Beweismittel rechtfertigen wollte und dabei Cotta selbst als Beispiel für rhetorisch ausgefeilte Reden angeführt hatte,450 stellt Cotta die These auf, dass ein an sich evidenter Sachverhalt durch das Anführen weiterer Beweisgründe nicht etwa noch weiter abgesichert wird, sondern paradoxerweise an Glaubwürdigkeit verliert.451 Dabei unterstreicht Cotta nicht nur die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen philoso445 Vgl. Pease 1958, 966 ad loc., der auf die typisch ciceronische Strategie einer kumulativen Darstellung verweist. 446 Vgl. Cic. nat. deor. 2,20. 447 Vgl. dazu auch Gorman 2005, 143 f., der auf die Parallele zu Cic. fin. 2,3 hinweist, wo ebenfalls der Vergleich zwischen einer ausführlichen oratio perpetua und einer kleinschrittig vorgehenden Redeweise (in rebus singulis insistere) gezogen wird; auch dort wird eine mit vielen Argumenten gefüllte Rede mit einem reißenden Fluss verglichen (quasi torrens oratio). Während allerdings Balbus diese Art der Rede bevorzugt, äußert sich Cicero in De finibus gegenteilig und plädiert für ein kleinschrittiges Vorgehen, welches eine genaue Prüfung zulässt. 448 Vgl. Cic. nat. deor. 3,8a mit einem wörtlichen Rekurs auf Balbus’ Worte. 449 Vgl. Cic. nat. deor. 3,9–10a. 450 Vgl. Cic. nat. deor. 3,8b. 451 Vgl. Cic. nat. deor. 3,9; hier lassen sich deutliche Parallelen zu Cic. ac. 2,17 ziehen, wo das Prinzip der perspicuitas bzw. evidentia kritisch vorgestellt wird und ebenfalls darauf verwiesen wird, dass eine an sich evidente These nicht durch weitere Beweismittel gestützt werden muss bzw. kann. Vgl. zum Evidenz-Begriff bei Cicero auch Görler 1997b.

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phischer und forensischer Rhetorik beim Beweisen strittiger Punkte, sondern konkretisiert innerdialogisch die Problematik, die Cicero bereits im Proömium452 bei der Vorstellung derjenigen Philosophen angesprochen hatte, die von der providentia deorum ausgingen. Bereits dort deutete er nämlich kritisch deren Tendenz an, eine Vielzahl an Begründungen zusammenzusuchen, mit denen sie die göttliche Fürsorge für den Menschen plausibilisieren wollten. Spätestens dadurch wird dem Rezipienten deutlich gemacht, dass es sich bei dieser Darstellungstechnik des Balbus hinsichtlich der Frage nach dem probabile um eine zumindest partiell bedenkliche Argumentationsform handelt. Schließlich fällt Balbus’ Ausführlichkeit gerade bei diesem Gliederungspunkt auch deshalb ins Auge, da Cicero in der proömialen Vorstellung der religionsphilosophischen Themen die Frage nach dem esse deos als eine weniger relevante, da weniger umstrittene Frage bewertet hatte,453 weshalb die Rezipienten bei diesem Gesichtspunkt wohl nicht mit einer langen Beweisführung gerechnet haben und umso mehr von Balbus’ Ausführlichkeit überrascht gewesen sein dürften. Zwischenfazit. Indem Cicero dieses Darstellungsprinzip gerade am Beginn von Balbus’ Erörterung einführt, mithilfe leserlenkender Hinweise vorbereitet und auch ex post absichert, stellt er Balbus als einen stoischen Philosophen vor, dessen Darstellungskonzept sich grundlegend von dem epikureischen unterscheidet. Zudem sensibilisiert er die Rezipienten dafür, auf dieses durchgehend bei Balbus zu beobachtende Darstellungsprinzip zu achten, es hinsichtlich seiner Plausibilität kritisch zu überprüfen und es danach zu hinterfragen, inwieweit es sich hierbei um eine rhetorische Strategie des Balbus handelt, mit der er mehr beeindrucken als überzeugen möchte. Der weitere Verlauf der stoischen Lehrentfaltung. Dass es sich hierbei um ein zentrales Darstellungsprinzip des Balbus handelt, lässt sich an vielen Beispielen auch im weiteren Fortgang der Lehrentfaltung zeigen. So nutzt Balbus den zweiten Gliederungspunkt seiner Rede454 nicht nur dazu, um nach einer Epikur-Polemik ausführlich die stoischen Himmelsgötter zu beschreiben,455 sondern auch dazu, um die Integration anderer, mythologischer Gottesvorstellungen mittels Mythenallegorese456 zu skizzieren. Auch hier zeigt sich Balbus’ Tendenz, nicht nur ein stoisches Theorem in großer Ausführlichkeit zu entfalten, sondern zusätzlich noch auf die Integration eines dezidiert nicht-philosophischen Beweisgangs zu setzen. Während es sich im ersten Hauptteil dabei um die römische Geschichte und den römischen Kult handelte, rückt hier der Mythos stärker in Balbus’ Blickfeld. Wiederum wird von ihm ein mögliches Inein452 453 454 455 456

Vgl. Cic. nat. deor. 1,4. Vgl. Cic. nat. deor. 1,2. Vgl. Cic. nat. deor. 2,45–72 (quales sint). Vgl. Cic. nat. deor. 2,49b–60a. Vgl. Cic. nat. deor. 2,60b–72; vgl. zur stoischen Mythenallegorese und Balbus’ Anwendung dieses Prinzips v. a. Long 1992 mit Blick auf Cic. nat. deor. 2,63–72. Vgl. allgemein zum Mythos bei Cicero Canter 1936 und Thompson 1979/80.

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ander von hellenistischem Denken und römischem Kulturgut aufgezeigt. Mit Recht weist J. Rüpke darauf hin, dass Balbus dem Kult und der Verehrung der Götter nur geringe Aufmerksamkeit schenkt und stattdessen auf die intellektuelle Vermittlung der unterschiedlichen philosophischen und nicht-philosophischen Konzepte abzielt.457 Während Balbus’ Schwachstelle, so muss man auf der Grundlage dieser Beobachtung schlussfolgern, gerade in der fehlenden Berücksichtigung der kultischen Praxis liegt, verhält es sich mit Velleius’ Rede genau anders herum, da dort zwar die kultische Praxis beleuchtet wird, dafür allerdings die Vermittlung zwischen epikureischer Theologie und römischem Kultverständnis zu wenig reflektiert wird. Noch auffallender zeigt sich dieses Darstellungsprinzip beim dritten Teil seiner Rede.458 Wenn Balbus dort nach einer kurzen Einleitung samt divisio zunächst einen ontologischen Gottesbeweis entfaltet,459 der bereits aus der Existenz der Götter ihre notwendigerweise damit einhergehende Fürsorge für die Welt schlussfolgert, dann findet sich am Beginn dieses Redeteils eine knappe, aber an sich bereits epistemologisch valide Beweisführung, auf die er dennoch zwei weitere Beweisgänge folgen lässt. Dort postuliert er einerseits aus der schöpferischen Urkraft der Gottheit auch ihre bleibende Fürsorge für die Welt;460 andererseits weist er mithilfe einer ausführlichen und detailreichen Beschreibung des Himmels,461 der Erde462 und des Menschen463 die göttliche Lenkung der Welt nach. Auffallend knapp hingegen gerät der vierte Teil der Balbus-Rede, der die besondere Fürsorge der Götter um die Menschen thematisiert.464 Die hier zu beobachtende Kürze lässt sich wohl vor allem damit erklären, dass Balbus bereits viele der Argumente, mit deren Hilfe er die göttliche Fürsorge für die Menschen beweisen könnte, im ersten und dritten Teil seiner Rede eingesetzt und breit dargestellt hatte und aus dialogökonomischen Gründen auf ein erneutes Anbringen

457 Vgl. Rüpke 2014, 195 f. 458 Vgl. Cic. nat. deor. 2,73–153 (mundum ab his administrari). Mit Recht weist Philippson 1942, 9 f. darauf hin, dass sich ab dem dritten Hauptteil die Darstellungsart dergestalt ändert, dass nun nicht mehr die Theorien verschiedener Philosophen und unterschiedliche nicht-philosophische Modelle zusammengespannt werden, sondern dass ab jetzt eine „geschlossene Darstellung“ vorliegt. Dennoch stellt dies keinen Widerspruch zur hier zu belegenden These dar. Während Balbus nämlich sein Darstellungsprinzip der Ausführlichkeit dort durch viele verschiedene Modelle erreicht, zielt er hier auf einen zentralen Gedanken ab, der systematisch und mit dem Hang zur Vollständigkeit entfaltet wird. 459 Vgl. Cic. nat. deor. 2,76–80. 460 Vgl. Cic. nat. deor. 2,81–90a. 461 Vgl. Cic. nat. deor. 2,91–119; das hier angeführte sog. aristotelische Höhlengleichnis hat in der philosophiehistorischen Forschung große Beachtung gefunden, vgl. dazu e. g. Chroust 1973 und Chroust 1975a. 462 Vgl. Cic. nat. deor. 2,120–132. 463 Vgl. Cic. nat. deor. 2,133–153. 464 Vgl. Cic. nat. deor. 2,154–167 (consulere deos rebus humanis).

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

verzichten muss.465 Darüber hinaus scheint er die Theodizee-Problematik,466 die die stoische Theologie vor zentrale Schwierigkeiten stellt, bewusst nur in aller Kürze behandelt zu haben, um sich – ähnlich wie Velleius im Fall der quasi corpus-Thematik – dadurch nicht mit problematischen Anfragen beschäftigen zu müssen. Positive Deutung der stoischen Ausführlichkeit. Wie im Falle der epikureischen Kürze erscheint die stoische Ausführlichkeit jedoch nicht als ein ausschließlich kritikwürdiges Darstellungsprinzip, mit dessen Hilfe Balbus lediglich auf einen schnellen rhetorischen Sieg abzielt. Vielmehr zeigen sich auch bei Balbus in dieser Darstellungsweise die Grundzüge seines philosophischen Ansatzes verwirklicht, der eine ernstzunehmende Gegenposition zu den bei Velleius zu beobachtenden Tendenzen einnimmt. So gelingt es Balbus, mithilfe seiner ausführlichen und mehrschichtigen Argumentation gleich im ersten Hauptteil seiner Rede sein Proprium darzustellen, welches darin besteht, verschiedene Begründungsarten zusammenzuführen und unterschiedliche Sprachräume zu vereinigen, die traditionell wenig miteinander zu tun haben. Dies lässt sich daran erkennen, dass er mit seiner Grundthese einer evidenten Götterexistenz zunächst eine Position und eine Argumentationsweise aufgreift, die in ähnlicher Weise auch von Velleius vertreten worden ist,467 sogar von Cotta akzeptiert worden ist und darüber hinaus auch in Übereinstimmung mit den proömialen Ausführungen Ciceros steht. Dadurch präsentiert Balbus eine valide, allgemeinverständliche Position, die die Rezipienten schon im Vorfeld mehrfach als treffende Ansicht kennenlernen konnten. Wenn Balbus in einem nächsten Schritt die Götterexistenz mit Blick auf die direkte und indirekte Interaktion der Götter mit den Menschen plausibilisiert, unternimmt er den Versuch, sowohl die römische Geschichte als auch die einzelnen kultischen Einrichtungen Roms und die damit zusammenhängenden kultischen Handlungen in sein eigenes philosophisches Argument zu integrieren und dadurch die bislang bestehende, strikte Trennung zwischen hellenistischer Philosophie und römischem Kult zu überwinden. Gerade an dieser Stelle arbeitet er, anders als Velleius, der kein einziges Mal auf römische Beispiele und Zitate zurückgreift,468 mit einer Vielzahl von prominenten römischen exempla, auf deren unmittelbare Suggestivkraft er zweifelsohne nicht ohne Recht setzt. Zwischenfazit: Balbus und die römische Religion. Balbus thematisiert hier und am Ende des zweiten Hauptteils (2,71 f.) explizit die römische Religion. Dabei lässt sich beobachten, dass auch hier ein komplementäres Vorgehen der beiden dogmatischen 465 Ähnlich erklärt auch Philippson 1944, 25 f. die Kürze des vierten Hauptteils der Balbus-Rede. 466 Vgl. Cic. nat. deor. 2,164–167; vgl. zudem Frede 2002 zur Theodizee-Problematik innerhalb der Stoa. 467 Vgl. Auvray-Assayas 2005, 237, die darauf hinweist, dass Balbus großenteils sogar auf die gleichen Wörter wie Velleius zurückgreift; vgl. besonders prägnant die Reprise von Cic. nat. deor. 1,43b–45a in Cic. nat. deor. 2,12: Itaque inter omnis omnium gentium summa constat: Omnibus enim innatum est et in animo quasi insculptum esse deos. 468 Vgl. Spahlinger 2005, 69 für diesen Befund.

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Reden zu beobachten ist. Während Velleius eine philosophische Neukonzeptionierung des pietas-Begriffs vorschlägt und dabei eine echte Alternative zum traditionellen römischen Kultverständnis bietet, bezieht Balbus beide Bereiche unmittelbar aufeinander und sieht die Bereiche der römischen Geschichte, des römischen Mythos und des römischen Kultes als Bestätigung der stoischen Theologie, die ihrerseits eine Stützfunktion für die traditionellen Vorstellungen übernimmt. Eine Vermittlung mit Blick auf diejenigen Bereiche, die inkompatibel scheinen, findet allerdings nicht statt. So wird nicht deutlich, wie sich die Vorstellung einer alles planenden providentia mit dem Vorkommen von Übeln vereinbaren lässt und wieso die Menschen sich kultisch betätigen sollen, wenn doch ohnehin die Gottheit für alles bereits gesorgt hat. Zumindest ersterer, in der modernen Philosophie als Theodizeefrage bekannter Problempunkt wird von Balbus kurz ansprochen, indem er die Übel damit erklärt, dass die Götter sich einerseits nur um das große Ganze kümmern können (2,167: magna di curant, parva neglegunt), andererseits sich die Dinge für magni viri immer zum Guten wenden (was wohl so zu verstehen ist, dass denjenigen, denen das Glück nicht beschieden ist, daran selbst schuld seien) – eine Steilvorlage für Cottas Kritik. Didaktisch geschickt werden die Rezipienten erst im nächsten Schritt mit dezidiert stoischen Argumentationsstrategien konfrontiert. Und auch innerhalb der beiden abschließenden, dogmatisch ausgerichteten Begründungslinien des esse deos lässt sich Balbus’ integrative Tendenz beobachten, da es ihm gelingt, unterschiedliche stoische Einzelstimmen zu einem großen Argument zusammenzuspannen. Darüber hinaus lässt sich die besondere Form des ersten Hauptteils auch mit Ciceros Zielsetzung erklären, den Leser auf die einzelnen Argumentationsschritte vorzubereiten. Indem er Balbus hier bereits Gedanken entfalten lässt, die im zweiten und dritten Hauptteil konkretisiert werden, werden die Rezipienten nicht nur auf die kommenden Inhalte vorbereitet. Vielmehr wird ihnen durch diese Darstellungsweise auch praktisch gezeigt, dass tatsächlich alle Themenbereiche inhaltlich eng miteinander zusammenhängen. Indem Balbus bereits hier andere Fragestellungen aufgreift, demonstriert er, dass man nicht über das esse deos sprechen kann, ohne zugleich auf die Frage nach den Göttereigenschaften und nach den Tätigkeiten der Götter einzugehen.469 Während Velleius darauf setzte, die epikureische Position durch eine scharfe Abgrenzung von allen anderen Ansätzen als die einzig überzeugende Antwort zu plausibilisieren, wählt Balbus den gegenteiligen Weg und sucht den Schulterschluss mit anderen Ansätzen, um seine eigene Darstellung dadurch auf ein möglichst breites Fundament zu stellen. Auch in den anderen drei Hauptteilen der Balbus-Rede lässt sich diese Tendenz nachweisen. So widmet er sich beispielsweise am Ende des zweiten 469 Edelstein 1934, 153–158 hingegen rekurriert auf diese besondere Form der Rede und wertet sie im Sinne der Manipulationsthese als Hinweis darauf aus, dass Cicero die Balbus-Rede vor allem in den ersten beiden Hauptteilen deshalb inhaltlich so überladen hat, damit Cotta sie später umso besser widerlegen kann.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Hauptteils (quales sint) der Frage, inwiefern sich traditionelle Göttervorstellungen in die stoische Theologie integrieren lassen.470 Indem Balbus dort den Nachweis führt, dass die Götter des Mythos tatsächlich als Vergöttlichung der Ergebnisse göttlichen Wirkens,471 des göttlichen Wirkens selbst472 oder verdienstvoller Männer473 erklärt werden können, nimmt er den Mythos als solchen ernst und transformiert ihn gleichzeitig in den philosophischen Diskurs, indem er ihn mithilfe der stoischen Mythenallegorese als nicht-apophantische Sprechweise über wahre Begebenheiten aktualisiert,474 gleichzeitig aber auch auf die Grenzen einer Integration mythologischer Sprech- und Denkfiguren in den philosophischen Diskurs hinweist.475 Wenn sich Balbus abschließend allerdings der Frage zuwendet, welche Folgerungen sich daraus für die Götterverehrung ergeben, bleibt er auffallend vage.476 So unterscheidet er zwar etymologisch zwischen religio und superstitio, lässt dabei jedoch offen, wie sich die beiden Begriffe mit Blick auf die konkrete Kultpraxis unterscheiden und welche Folgerungen sich aus einem stoisch aufgeladenen Verständnis des römisches Kultes ergeben. Einzig der Hinweis darauf, dass es nicht nur auf die korrekte Kulthandlung ankommt, sondern auch auf die passende innere Haltung,477 mag ein Hinweis sein, der auf eine zu vollziehende Modifikation der römischen Kultpraxis verweist. Eine positive Deutung dieses integrativen Darstellungskonzepts lässt sich mit Blick auf leserlenkende Hinweise in Balbus’ Rede, in Cottas Widerlegungsrede und im Proömium plausibilisieren. So ist es zunächst Balbus selbst, der am Ende seiner Rede an exponierter Stelle erkennen lässt, dass er durch die Verknüpfung verschiedener Bereiche die Plausibilität seiner Darstellung erhöhen möchte.478 Dass ihm dies tatsächlich gelungen ist, bestätigt ihm Cotta kurz darauf innerhalb des dialogischen Anfangsgesprächs des dritten Buches, noch bevor er zu seiner eigentlichen Widerlegung ansetzt. Auch wenn Cotta Balbus’ einzelne Argumente und Begründungslinien dabei als nicht immer überzeugend beurteilt, so würdigt er den Gesamtaufbau der Rede gerade deshalb als positiv, da es Balbus gelungen sei, im Gesamten eine kohärente Darstellung zu

470 471 472 473 474

475 476 477 478

Vgl. Cic. nat. deor. 2,60b–72. Vgl. Cic. nat. deor. 2,60b. Vgl. Cic. nat. deor. 2,61–62a. Vgl. Cic. nat. deor. 2,62b. Vgl. Cic. nat. deor. 2,63–69.71a; die Rezipienten allerdings werden sich noch daran erinnern, dass Velleius die Stoiker gerade für dieses Vorgehen in seiner Mitteldoxographie scharf kritisiert hat und ihnen eine sachlich unangemessene Tendenz der Vereinnahmung aller anderen Ansätze für ihre eigene Theorie vorgeworfen hat. Auch hieran wird also deutlich, dass Balbus’ integratives Moment durchaus auch kritisch zu beleuchten ist. Vgl. Cic. nat. deor. 2,70. Vgl. Cic. nat. deor. 2,71b–72; ahnlich urteilt auch Gigon 1996, 502 ad loc. Vgl. vor allem den emphatischen Spitzensatz in Cic. nat. deor. 2,71b: Cultus autem deorum est optumus idemque castissimus atque sanctissimus plenissimusque pietatis, ut eos semper pura, integra, incorrupta et mente et voce veneremur. Vgl. Cic. nat. deor. 2,163: universa certe […] inter se conexa atque coniuncta movere debebunt.

6. Zur Probe aufs Exempel

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präsentieren, mit der Religionsphilosophie zusammenhängende Aspekte zu integrieren und zu einer überzeugenden Darstellung zusammenzusetzen.479 Durch die Voranstellung dieser Würdigung vor die eigentliche Widerlegung erhält Cottas Bewertung ein umso größeres Gewicht. Dass Cicero selbst diese Darstellungsweise als vorteilhaft ansieht, lässt sich mit Blick auf das Proömium plausibilisieren. Als er sich dort dafür rechtfertigt, dass er nicht nur philosophische Bücher gelesen, sondern selbst auch verfasst hat, begründet er diesen Schritt damit, dass ihm erst durch die eigene schriftstellerische Tätigkeit die Verbindung der einzelnen philosophischen Themen zueinander und die unlösbare Verbindung eines Themas zu benachbarten Fragestellungen bewusst geworden ist.480 Nicht nur der Gedankengang als solcher, sondern auch die hier von Cicero verwendeten Wörter weisen dabei deutliche Parallelen zu den Ausführungen auf, die er Balbus und Cotta in den Mund gelegt hat. Fazit. Vergleicht man die beiden dogmatischen Reden hinsichtlich ihrer Ausrichtungen und Zielsetzungen, so ist es Cicero gelungen, seinen Rezipienten zwei grundlegend verschiedene philosophische Ansätze zu präsentieren, die in einem komplementären Verhältnis zueinander stehen.481 So setzt Velleius in seiner Lehrentfaltung auf eine bewusst kurze Darstellung, die ihre Plausibilität gerade dadurch zu erreichen sucht, dass sie sich auf die epistemologisch nachvollziehbare Entfaltung ausschließlich derjenigen Lehrsätze konzentriert, die notwendig sind, um den befreienden Charakter der epikureischen Religionsphilosophie zu begreifen. Um dies einem möglichst breiten Publikum verständlich zu machen, setzt Velleius oftmals auf allgemeinverständliche, schulungebundene Begründungen, die gemeinhin nicht mit der Schule Epikurs assoziiert werden, auch wenn sie sich durchaus in der zeitgenössischen Strömung des Jungepikureismus in verstärktem Ausmaß finden. Zudem unterfüttert Velleius die herausragende Stellung, die die epikureische Lehre als Heilslehre einnimmt, dadurch, dass er sie scharf von allen anderen philosophischen wie nicht-philosophischen Ansätzen abgrenzt und ihre epistemologische wie eudaimonistische Qualität als Alleinstellungsmerkmal charakterisiert. Durch vielfache Lesehinweise wird den Rezipienten jedoch auch die Problematik dieses Ansatzes deutlich gemacht. So lässt sich die Kürze von Velleius’ Darstellung mancherorts nicht als das Bemühen um eine prägnante Darstellung deuten, sondern muss als Hinweis auf Velleius’ Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit

479 Vgl. Cic. nat. deor. 3,4: etiam si minus vera, tamen apta inter se et cohaerentia; auch Gorman 2005, 147 spricht sich dafür aus, in dieser Passage eine ernstgemeinte Würdigung von Balbus’ Redeweise zu sehen. 480 Vgl. Cic. nat. deor. 1,9: Est enim admirabilis quaedam continuatio seriesque rerum, ut alia ex alia nexa et omnes inter se aptae conligataeque videantur. Bezeichnenderweise formuliert Cicero hier das, was er Balbus mit größerer Selbstsicherheit vertreten lässt, mit einem skeptischen Vorbehalt, indem er das subjektive Moment dieser These in den Vordergrund stellt. 481 Vgl. auch Auvray-Assayas 2001, 252, die die These aufstellt, dass Cicero durch divergierende rhetorische Techniken darauf abzielt, die einzelnen Dialogpartner und vor allem ihre dogmatischen Positionen deutlicher und leichter voneinander zu unterscheiden.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

interpretiert werden, tiefergehende und komplexere Lehrinhalte zu entfalten, bei denen er sich lediglich auf die auctoritas Epikurs zurückzieht. Auch das Beharren darauf, als einzige Schule im Besitz der Wahrheit zu sein, wird deutlich als die Überschätzung der eigenen epistemologischen Fähigkeiten gekennzeichnet. Balbus hingegen entfaltet die stoische Religionsphilosophie in großer Ausführlichkeit und unter deutlicherem Verzicht auf diejenigen dialogischen Inszenierungsweisen, durch die die orationes perpetuae aufgelockert werden und sich partiell echten Dialogen nähern.482 Dabei zielt er darauf ab, in einer Art Synthese verschiedene stoische Ansätze ausführlich zu Wort kommen zu lassen, sie eng aufeinander zu beziehen und bewusst auch nicht-stoische, ja sogar nicht-philosophische Welterklärungsmodelle in seine Argumentation zu integrieren, um dadurch die Plausibilität des eigenen Ansatzes zu unterstreichen und gleichzeitig eine integrative Gesamttheorie zu entfalten, die den Bereich der Religionsphilosophie samt der benachbarten Bereiche in seiner Gänze abdeckt. Dass die Ausführlichkeit der Darstellung mitunter jedoch dazu dienen soll, die Rezipienten durch die Fülle der Argumente zu überwältigen, ist die epistemologische Kehrseite dieses Darstellungsprinzips. b) Zur Verwendung weiterer dialogischer Bauelemente in der Balbus-Rede Auch wenn Velleius’ und Balbus’ Reden sich mit Blick auf ihre Grundausrichtung in vielerlei Hinsicht voneinander unterscheiden, ja mitunter in diametralem Gegensatz zueinander stehen, so konnte gezeigt werden, dass sich dieser Gegensatz positiv ausdeuten lässt. Beide Reden, so die hier vorgeschlagene Deutung, stehen in einem komplementären Verhältnis zueinander und präsentieren zwei sich ergänzende philosophische Modelle. Ein ähnliches Bild ergibt sich, wenn man nicht die Grundausrichtungen der beiden Reden in den Blick nimmt, sondern die kleineren dialogischen Bauelemente analysiert, die sich zwar in beiden Reden finden, mitunter jedoch ganz unterschiedlich eingesetzt werden. Erlösung vs. Bewunderung. Velleius selbst hatte mehrfach innerhalb seiner Rede darauf verwiesen, dass Epikur ihm nicht nur als Begründer derjenigen Schultradition gilt, der er sich angeschlossen hat, sondern nachgerade die quasi-religiöse Stellung eines Erlösers einnimmt, der mithilfe seiner exzeptionellen Lehre seinen Anhängern Wahrheit und Glückseligkeit vermittelt. Als eigentlicher Zielpunkt der epikureischen Religionsphilosophie erscheint daher folgerichtig die Befreiung ihrer Anhänger von den beiden zentralen menschlichen Ängsten, d. h. der Angst vor dem strafenden Handeln der Götter in der Welt und vor ihrem rächenden Handeln nach dem Tod. Indem 482 Vgl. Auvray-Assayas 1995, 74 für die Beobachtung des geringeren Einsatzes solcher Darstellungsmittel („marques d’oral“) im Falle der Balbus-Rede und den dortigen Einsatz verstärkt monologischer Inszenierungsweisen.

6. Zur Probe aufs Exempel

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Cicero Velleius diesen Umstand darstellen lässt, macht er deutlich, dass die Zielsetzung des Epikureismus nicht in der zweckfreien Erklärung und Durchdringung der Welt besteht, sondern außerhalb einer rein rational vermittelten Weltsicht liegt. Ein Vergleichspunkt ergibt sich mit Blick auf Balbus’ Bewunderung des göttlichen Wirkens und seine Hochschätzung des geordneten Kosmos. So bildet Balbus’ Beschreibung der gesamten Welt483 nicht nur den inhaltlichen Schluss- und Höhepunkt seines dritten Hauptpunktes, der sich dem Beweis der göttlichen Fürsorge für die Welt verschrieben hat, sondern nimmt darüber hinaus mit über sechzig Paragraphen auch den größten Raum innerhalb der Balbus-Rede ein. Außerdem macht Balbus gleich zu Beginn dieses Abschnittes seine Stoßrichtung deutlich, indem er überschriftsartig von der admirabilitas caelestium rerum atque terrestrium spricht, deren Erweis er sich im Folgenden widmen wird.484 Dafür verzichtet er weitgehend auf die Entfaltung einer allgemein-rationalen Argumentation, die sich überhaupt nur in knapper Form in überleitenden Passagen zwischen den einzelnen Beschreibungen findet,485 sondern stellt stattdessen die detailreiche Beschreibung himmlischer Phänomene,486 irdischer Phänomene487 und des menschlichen Körpers488 in den Mittelpunkt seiner Darstellung. Die genauen Beschreibungen dieser drei Teilbereiche dienen allesamt dem Ziel, die in allen Einzelheiten und Elementen zu beobachtende Ordnung der Welt nachzuweisen, die laut Balbus auf einen intelligenten Schöpfer hinweisen muss. Dabei transzendiert nicht nur die Ausführlichkeit als solche die philosophische Redeart,489 sondern vor allem auch die Verseinlage zu den Fixsternen,490 die am Abschluss der Beschreibung der caelestia steht. Treffend urteilt Pease mit Blick auf den philosophischen Gehalt der Verse: „These lines […] add nothing to the progress of the argument.“491 Auch Gigon kommt zu dem Ergebnis, dass die Verseinlage für die eigentliche philosophische Diskussion nichts austrägt: „Der Stoiker begnügt sich damit, zuweilen auf das wunder-

483 Vgl. Cic. nat. deor. 2,90b–153. 484 Vgl. Cic. nat. deor. 2,90b; dass es sich bei der Bewunderung für die Natur als „natura meravigliosa“ um eine Darstellungstendenz handelt, die die gesamte Balbus-Rede durchzieht, weist Calcante 1990/91 nach. Vgl. Besnier 1996, 164–175 zum natura-Begriff im zweiten Buch von De natura deorum und Reydams-Schils 2016a im Allgemeinen zu Ciceros „study of nature“. Schon Philippson 1944, 7 akzentuiert mit Blick auf Cic. nat. deor. 2,98 (Licet oculis quodam modo contemplari pulchritudinem rerum earum, quas divina providentia dicimus constitutas) die bewundernde Darstellung der Schönheit des Kosmos als zentrales Ziel des Balbus in diesem Teil seiner Rede. Dass es sich bei der Bewunderung des Kosmos und der Gestirne um ein Motiv handelt, das auch Ciceros gesamtes Leben durchzieht, zeigt Gigon 1973, 257 f. 485 Vgl. dazu etwa Cic. nat. deor. 2,115a.133a.153b. 486 Vgl. Cic. nat. deor. 2,91–119. 487 Vgl. Cic. nat. deor. 2,120–132. 488 Vgl. Cic. nat. deor. 2,133–153. 489 Vgl. Gorman 2005, 147–159 für die rhetorische wie philosophische Beurteilung der ciceronischen ubertas. 490 Vgl. Cic. nat. deor. 2,104b–114. 491 Pease 1958, 803 ad loc.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

bare Schauspiel und die vollkommene Unveränderlichkeit der Sternenkonstellationen hinzuweisen und auf die göttliche Planung, die dahintersteht.“492 Andererseits weist er jedoch auch darauf hin, dass sich gerade hier Bezugnahmen auf den Mythos und die Naturphilosophie finden lassen. Daher kann man Ciceros Wahl seiner Arat-Übersetzung auch damit begründen, dass sie ihrerseits gut zu Ciceros Modellierung des Balbus als eines alle Bereiche integrierenden Stoikers passt.493 Indem Cicero Balbus hier seine Arat-Übersetzung in den Mund legt, dessen Gedicht vor allem in den Werken von Ciceros erster philosophischer Schaffensphase des Öfteren gelobt worden ist,494 gibt er den Rezipienten mit Blick auf die Stilhöhe der Verseinlage einen überaus deutlichen Hinweis darauf, Balbus’ Ausführungen an dieser Stelle nicht so sehr als Wiedergabe der stoischen Lehre, sondern als Ausdruck seiner persönlichen, quasi-religiösen Bewunderung des Kosmos und dessen Schönheit zu lesen. Bezeichnenderweise wiederholt Balbus unmittelbar nach der Verseinlage nochmals seine eingangs formulierte These, die auf die Bewunderung des Kosmos hindeutet, und verknüpft dadurch zugleich die Fixstern-Verseinlage mit den abschließenden Überlegungen zur Kohärenz des mundus (2,115b): Nec vero haec solum admirabilia, sed nihil maius, quam quod ita stabilis est mundus […].495 Die eingelegten Verse erfüllen hier – ähnlich wie im Fall des Lukrez496 – die Funktion, den Inhalt zu veredeln und ihn deutlich von einer dogmatischen Prosa-Argumentation abzugrenzen, sodass es verständlich wird, wieso W. Süss Balbus hier einen „warmen Predigerton“497 unterstellt. Anders als bei Velleius bildet bei Balbus dieses quasi-religiöse Element allerdings nicht das Ziel seiner Lehrentfaltung, sondern resultiert aus ihr. Gemeinsam ist beiden Ansätzen die Eigenart, dass sie im spekulativen Überschreiten des rationalen Bereichs und im Verzicht auf eine argumentativ-darlegende Darstellungsweise keine Abwer-

492 Gigon 1996, 517 ad loc. 493 Vgl. grundlegend zu Ciceros Aratea Gee 2001 sowie Pellacani 2015; vgl auch Dueck 2009 zu den Arten und Funktionen von Verseinlagen in philosophischen Prosawerken Ciceros sowie Pease 1917 für die Frage nach der Datierung der Übersetzung und möglichen Alternativversionen. 494 Vgl. Cic. rep. 1,22 und Cic. de orat. 1,69. 495 Mit Recht verweist Calcante 1990/91 darauf, dass die rhetorische Umformung eines philosophischen Konzepts dazu beiträgt, Balbus’ Bewunderung adäquat auszudrücken, sowie darauf, dass Philosophie und Rhetorik hier eine enge Einheit bilden (vgl. ebd. 13 zur Einheit von Philosophie und Rhetorik als „la forma di un parallelismo e di un isomorfismo tra modelli filosofici e retorici“). Dies trifft umso mehr zu, als Pellacani 2015, 23–27 zeigen konnte, dass sich Ciceros Arat-Übertragung im Vergleich zum griechischen Ausgangstext durch ein gesteigertes Pathos und eine deutlichere Humanisierung der Natur auszeichnet. 496 Zudem stellt sich die Frage, inwieweit man in dem Umstand, dass Cicero Balbus gerade zum Erweis einer stoischen These Auszüge aus der lateinischen Bearbeitung des Arat-Lehrgedichts in den Mund legt, zumindest im Kleinen eine konkurrierende Bezugnahme auf das lukrezische Lehrgedicht sehen kann, von dem es sich auch stilistisch deutlich unterscheidet. Vgl. zum Stil von Ciceros Dichtungen u. a. Knox 2011, der Cicero als einen hellenistischen, wenngleich aber nicht als kallimacheischen Dichter akzentuiert. 497 Süss 1952, 431.

6. Zur Probe aufs Exempel

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tung, sondern, um eine Beobachtung W. Görlers weiterzuführen,498 ein Voranschreiten und eine höhere Erkenntnisstufe sehen. Widerlegungsstrategien. Als ein zentrales Charakteristikum der Velleius-Rede wurde herausgearbeitet, dass die epikureische Lehrentfaltung knappgehalten worden ist und der dadurch innerhalb der Rede frei gewordene Platz für verschiedene Arten von Widerlegungen und Polemiken gegenüber anderen philosophischen und nichtphilosophischen Ansätzen genutzt worden ist, die sich hinsichtlich der verwendeten Begründungen, ihrer formalen Einordnung und ihrer thematischen Schwerpunktsetzung voneinander unterscheiden. Betrachtet man die von Velleius’ herangezogenen Widerlegungsargumente, so zeigte sich, dass die einzelnen Widerlegungspassagen von unterschiedlicher epistemologischer Schlagkraft sind. Während Velleius einerseits auf allgemeinverständliche Weise Nachfragen an problematische Aspekte anderer religionsphilosophischer Ansätze stellt, die auch ein akademischer Skeptiker kaum anders formuliert hätte, finden sich auch polemische Passagen, die aus einem ausschließlich epikureischen Blickwinkel Kritik üben und nur demjenigen einleuchten, der die epikureischen Prämissen ohnehin bereits teilt. Bei einer formalen Betrachtung lässt sich sodann festhalten, dass sich die Widerlegungspartien innerhalb der Velleius-Rede sowohl als eigener, klar abgegrenzter Teil der Rede finden als auch exkursartig in den epikureischen Lehrteil eingelegt sind. Schließlich fällt auch das weite Themenspektrum der Widerlegungen ins Auge. Während sich Velleius in der Anfangspolemik und in den polemischen Exkursen inhaltlich auf Platon und die Stoa konzentriert, zeichnen sich die Gegenstände, die in der Mitteldoxographie in den Zielpunkt der Kritik geraten, durch eine thematische und zeitliche Breite aus. Auch Balbus arbeitet in größerem Umfang mit Polemiken und Widerlegungen, wenngleich er sich eines deutlich kleineren Variationsspektrums bedient. So fokussiert sich Balbus thematisch ausschließlich auf Epikur als Gegenstand seiner Kritik, die er (gegebenenfalls abgesehen vom Auftakt des zweiten Hauptteils der Rede)499 nicht als gesonderten Redeteil formuliert, sondern an vielen Stellen500 exkursartig in seine Lehrentfaltung integriert und dabei nicht nur explizit auf den epikureischen Lehr-

498 Vgl. Görler 1974, 51–62. 499 Vgl. Cic. nat. deor. 2,45–49a. 500 Vgl. für die in die Lehrentfaltung eingelegte Epikur-Kritik vor allem Cic. nat. deor. 2,73b–74; 2,87b–90a; 2,93 f.; auffällig ist, dass sich diese maßgeblichen drei Widerlegungspassagen innerhalb des dritten Hauptteils der Balbus-Rede (mundum ab his administrari) finden. Dies lässt sich wohl damit erklären, dass dieser Teil nicht nur den Hauptteil der stoischen Lehrentfaltung bildet, sondern sich hieran auch am leichtesten und am deutlichsten die Unterschiede zwischen den beiden philosophischen Schulen aufzeigen lassen. Vgl. darüber hinaus auch Coleman 1960, 38 (Anm. 1), der noch auf kleinere Epikurpolemiken in Cic. nat. deor. 2,46.59.76 verweist, die ihrerseits wieder deutliche Bezugnahmen auf die Velleius-Rede und die dortigen Argumentationsgänge erkennen lassen.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

teil, sondern auch auf den Widerlegungsteil von Velleius’ Rede Bezug nimmt.501 Auch was die von Balbus herangezogenen Begründungen angeht, dominiert meistens eine Mischform, die eine standortgebunden-stoische Perspektive mit schulungebundenen Überlegungen verbindet. Besonders deutlich wird dieses Vorgehen bei denjenigen Widerlegungspassagen, für die eine skeptische Parallele bei Cotta existiert, mit der sich Balbus’ Widerlegung vergleichen lässt. So zeichnet sich etwa Balbus’ Kritik am epikureischen Atomismus502 dadurch aus, dass sie am Beginn, in der Mitte und am Ende von einer standortgebundenen Kritik geprägt ist, die vor dem Hintergrund ihrer eigenen Beurteilung der Welt als ornatissimus et pulcherrimus mundus ihr Unverständnis darüber ausdrückt, wie Epikur von einer sich ohne göttliche Lenkung vollziehenden Weltentstehung ausgehen konnte. Die dahinterstehende Empörung des Balbus zeigt sich am Beginn und in der Mitte in Form von rhetorischen Fragen, am Ende durch ein stark polemisch geprägtes Abschlussfazit. Während er an diesen exponierten Stellen also vor allem die Unvereinbarkeit seiner eigenen Weltsicht mit der epikureischen Theorie konstatiert, ohne sie näher zu erläutern und argumentativ zu unterfüttern, finden sich dazwischen zwei Beweisgänge, die die Unglaubwürdigkeit der epikureischen These mithilfe von verschiedenen Schlussformeln belegen möchten. Im ersten Fall handelt es sich um einen Vergleich der verschiedenen Atome mit den Buchstaben des Alphabets – eine naheliegende und treffende Analogie, die auch andernorts bereits des Öfteren verwendet worden ist.503 Indem Balbus nach der Wahrscheinlichkeit fragt, mit der sich die Annalen des Ennius oder auch nur ein einziger Vers daraus504 ergeben würden, wenn man aus einer unendlich großen Anzahl von Buchstaben zufällig einzelne Buchstaben herausgreifen würde, zeigt er auf, dass der Zufall nicht einmal bei diesem zwar hoch komplexen, gemessen am Kosmos aber immer noch trivialeren Beispiel als Ur-

501

Vgl. bspw., um die wichtigsten Stellen zu nennen, Cic. 2,46 mit einer Bezugnahme auf die von Velleius in Cic. nat. deor. 1,47 eingeführte praestantissuma natura als Kriterium für die göttliche forma, sowie Cic. nat. deor. 2,47 für einen Rekurs auf Velleius’ Kritik (1,24) an der Wahl der Kugelgestalt als schönstmöglicher Gestalt; vgl. darüber hinaus Cic. 2,73 f. für eine explizite Auseinandersetzung des Balbus mit Velleius’ Anfangspolemik und der dortigen Charakterisierung der stoischen providentia als anus fatidica. 502 Vgl. für Balbus Cic. nat. deor. 2,93 f. 503 Vgl. Pease 1958, 781 ad loc. für eine Auswahl von Belegstellen. Die Parallele, die den Analogieschluss ermöglicht, besteht darin, dass es bei den Buchstaben zwar auch eine beschränkte Anzahl unterschiedlicher Varianten gibt (hier weist Balbus auf 21 Buchstaben hin), es aber dennoch vorstellbar ist, diese 21 Buchstaben in einer unendlich großen Anzahl zur Verfügung zu haben. Vgl. dazu auch Auvray-Assayas 1999b, die in Cic. nat. deor. 2,93 f. eine Auseinandersetzung mit Lukrezens Lehrgedicht sieht, da dort die Parallele zwischen Atomen und Buchstaben an fünf Stellen (Lucr. 1,196–198.817–829.907–914; 2,688–699.1007–1022) ausführlich entfaltet worden ist und der Verweis auf Ennius’ Annales zugleich ein Hinweis auf das Epos darstellt, zu der das Lehrgedicht nach antiker Definition zu rechnen ist. 504 Da es sich zum Zeitpunkt des Dialogs bei Ennius’ Annalen um das, wie Gigon 1996, 513 ad loc. festhält, „klassische Epos Roms“ handelt, lässt sich auch hierbei Balbus’ Strategie erkennen, eine These durch dezidiert römische, bei seinen Rezipienten schlagende Beispiele zu unterstützen.

6. Zur Probe aufs Exempel

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heber in Frage kommen kann. Wenn also selbst bei weniger komplexen Gebilden eine Entstehung ohne einen Schöpfer unvorstellbar wäre, dann gilt dies in verstärktem Maß auch für die Entstehung des noch komplexeren Kosmos (a minore ad maius-Schluss). Während es sich bei dem Ennius-Vergleich lediglich um eine Veranschaulichung mithilfe eines Analogieschlusses handelt, überträgt Balbus in einem zweiten Schritt den Gedanken in variierter Form unmittelbar auf den Bereich der Weltentstehung, indem er den der epikureischen Vorstellung inhärenten Widerspruch bemerkt, dass der Zufall zwar den hochkomplexen Kosmos geschaffen haben soll, jedoch nicht in der Lage gewesen ist, weniger komplexe Gebilde wie einzelne Gebäude zu erschaffen (a maiore ad minus-Schluss). Neben dieser Mischung aus schulgebundenen und allgemein argumentierenden Überlegungen, die sich in argumentativ ähnlicher Form auch bei Velleius finden ließen, nutzt Balbus die Widerlegung auch zu dogmatischen Konkretisierungen. Da Velleius selbst in seiner epikureischen Lehrentfaltung dem Atomismus eine überraschenderweise nur marginale Rolle zugestanden hatte, fällt es umso mehr auf, dass Balbus ergänzende Aspekte zum Atomismus nachliefert, die sich bei Velleius selbst so gar nicht finden. Damit greift er eine Tendenz auf, die sich auch in Cottas Widerlegungsrede finden lässt. Auch dort kann gezeigt werden, dass Cotta seine Widerlegungen mitunter zu dogmatischen Nachträgen nutzt, die die eigentlich zu kritisierende Lehre inhaltlich ergänzen. Dass die atomistischen Nachträge hier tatsächlich eher eine informierende Funktion erfüllen, lässt sich auch daran erkennen, dass Balbus die von ihm angedeuteten Kritikpunkte505 im Anschluss nicht weiter ausführt, sondern es bei der emphatischen Zurschaustellung seiner Empörung über die epikureische Religionsphilosophie belässt. Auch die Einführung des Fachterminus qualitas, der das griechische Substantiv ποιότης wiedergeben soll, unterstreicht den impliziten Lehrcharakter der Passage. Gerade am Beispiel von Balbus’ Atomismuskritik wird also deutlich, dass Balbus’ dogmatische Perspektivität nicht nur als ein Hindernis, sondern nachgerade als Hilfestellung bei der Kritik gegnerischer Ansichten verstanden werden kann. Durch seine eigene stoische Weltsicht ist Balbus für bestimmte Problemstellungen besonders sensibilisiert und kann dadurch Cotta durch das Einbringen seiner stoischen Binnenperspektive Schützenhilfe leisten. Dialogökonomisch zeigt sich an dieser und vergleichbaren Stellen eine deutliche Verzahnung von Balbus’ Kritik mit Velleius’ Ausgangsrede und mit Cottas Kritik am Atomismus, sodass man auch hier von einer bewussten Aufteilung und Modellierung der einzelnen Argumentationsgänge durch 505 So weist Gigon 1996, 514 ad loc. darauf hin, dass der Widerspruch eigentlich darin besteht, dass aus Atomtypen, die selbst keine bestimmten Eigenschaften aufweisen, „Wahrnehmbarkeit und Wahrnehmung“ entstehen. Auch die Theorie der unendlich vielen, stets neu entstehenden und vergehenden Welten wird nicht weiter mit dem Atomismus in Verbindung gebracht, weshalb es nicht passend scheint, wenn Gigon 1996, 514 davon spricht, dass diese Theorie von Balbus gegen Epikur „ausgespielt“ wird, da Balbus hier lediglich sein eigenes Unverständnis zum Ausdruck bringt.

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V. Die Modellierung einer dogmatischen Rede

Cicero ausgehen darf. Im Fall des Balbus lässt sich zusammenfassend also nicht nur zeigen, dass er – wie schon Velleius – auf die eigentlich Cotta vorbehaltene Form der Widerlegungsrede zurückgreift und diese zu Angriffen mit unterschiedlichem Plausibilitätsgrad nutzt, sondern dass er, ähnlich wie Cotta, in diese Widerlegungen auch dogmatische Ergänzungen einbaut, die nicht nur dem rhetorischen Ziel dienen, durch Konkretisierungen die Problematik des Atomismus evident werden zu lassen, sondern die darüber hinaus den Rezipienten ergänzende, sachliche Hinweise zum epikureischen Atomismus vermitteln.506 Balbus soll ihnen in dieser Hinsicht als ein Philosoph erscheinen, der nicht nur seine eigene Schullehre beherrscht, sondern sogar intime Kenntnisse über andere Schulpositionen besitzt und in der Lage ist, konkurrierende Ansätze zu ergänzen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Ähnliches ließe sich für Velleius mit Blick auf die Mitteldoxographie konstatieren.

506 Vgl. Cic. nat. deor. 1,65 f. für Cottas Besprechung des Atomismus; vergleicht man die beiden Passagen, so fällt auf, dass auch hier auf Doppelungen verzichtet wird; während Cotta die verschiedenen Atomformen erwähnt, konzentriert sich Balbus auf die grundlegende Beschaffenheit (Cic. nat. deor. 2,93; so nur in Cic. fin. 1,17 f.), die Eigenschaftslosigkeit und die fehlende Wahrnehmungsfähigkeit der Atome (Cic. nat. deor. 2,94, nur hier bei Cicero).

VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden 1. Ein Überblick über die verschiedenen Widerlegungsstrategien Cicero modelliert Cotta als einen skeptischen Gegenredner, der auf ganz unterschiedliche Art und Weise auf die dogmatischen Reden seiner Vorredner rekurriert. Seine Widerlegungsstrategien in den beiden Reden lassen sich mit Blick auf den Inhalt, die Ausrichtung und die Stoßrichtung des jeweiligen Angriffs zu drei größeren Gruppen zusammenfassen. Zu einer ersten Gruppe können diejenigen Angriffe Cottas zusammengefasst werden, die aus philosophischer Perspektive als problematisch zu beurteilen sind, etwa weil Cotta dort auf eine sachliche Auseinandersetzung mit den dogmatischen Positionen seines Vorredners verzichtet und ihn oder dessen Schulgründer stattdessen persönlich angreift1 oder andere rhetorische Strategien einsetzt, die einer ernsthaften philosophischen Auseinandersetzung im Wege zu stehen scheinen und eine Diskussion auf der Sachebene offenbar verhindern. Zentral ist hier die rhetorische Analyse von Schäublin 1990, der Cottas Rede gegen die epikureische Position mit einer Gerichtsrede vergleicht, die beabsichtigt, „die Gegenseite zu überwinden – und zwar mit allen Mitteln“ (95). Damit taucht das spätestens seit Platon fassbare Problem auf, dass die Rhetorik in gewisser Hinsicht in Spannung, wenn nicht gar im Gegensatz zur Philosophie steht. Auch Wierzcholowski 2019 analysiert Cottas Gegenrede in Buch 1 mit Blick auf deren rhetorische Gestaltung. Indem er sich vor allem auf die polemischen Passagen gegen Epikur selbst konzentriert und Cotta eine konsistente Widerlegungsstrategie nachweisen kann, gehen seine Beobachtungen über die Ergebnisse von Schäublin 1990 hinaus. Dennoch ist auch seine Analyse dem traditionellen Schema der Rhetorikforschung verhaftet:

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Diese ad personam-Angriffe und weitere, einer philosophischen Auseinandersetzung nicht angemessene Widerlegungsstrategien bilden, so Pease 1955, 31 f., im Falle der Widerlegung der Velleius-Rede Ciceros eigene Ablehnung der epikureischen Position ab, von der er sich hier nicht distanziert, da er die epikureische Lehre wegen ihrer voluptas-Fokussierung ablehne und nicht objektiv darstellen könne.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Cotta wird eben doch als Ciceros Sprachrohr verstanden (307), der darauf abzielt, „dem Rezipienten des Dialogs die Unvereinbarkeit epikureischer Philosophie mit römischen Werten zu suggerieren“ (298, vgl. auch 354: „[…] ist nachgewiesen worden, wie Cicero die Theologie Epikurs diskreditiert“). Eine Gegenposition nimmt E. G. Schmidt 1995 ein, der Ciceros „philosophische Polemik“ deutlich von der Invektive abgrenzt: „In ihrem Kern sind Ciceros philosophische Schriften weder Prozeßreden noch Dramen noch Invektiven.“ (224) Denn: „Von der Invektive unterscheiden sich Ciceros philosophische Schriften, bei Ähnlichkeiten im einzelnen, nach Methode und Wirkensabsicht: Die Invektive will bloßstellen; Übertreibungen, Unsachlichkeiten sind ihre legitimen Gattungsmerkmale. Philosophische Polemik dient der Wahrheitsfindung; im Einsatz ihrer Mittel ist sie fair – dies wenigstens ist Ciceros Ideal“ (224, Anm. 7). Zu dieser Gruppe gehören auch all diejenigen Passagen, in denen Cotta sich selbst zu widersprechen scheint,2 seinem Vorredner Argumente und Positionen unterschiebt, die dieser gar nicht geäußert hatte, dessen Ansichten trivialisiert, missversteht oder überzeichnet3 und dies in einem viel breiteren Umfang oder in einer anderen Reihenfolge und Gewichtung tut als sein dogmatischer Vorredner.4 Als bedenklich erschienen der älteren Forschung auch diejenigen Widerlegungspassagen, in denen Cotta nicht von einem allgemein-rationalen Standpunkt aus Kritik äußert, sondern seine Kritik auf dogmatischen Prämissen beruhen lässt, ohne diese im Vorfeld offen zu legen;5 dadurch würden auch innerhalb der Widerlegungsreden inhaltliche Brüche 2

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Vielbeachtet ist in diesem Zusammenhang Cottas anfängliche Behauptung, dass Epikur kein Atheist sei (vgl. Cic. nat. deor. 1,85 f.), und seine abschließende Behauptung, Epikur glaube doch nicht an die Götter. Während ältere Arbeiten dies mit inkohärenten Quellen erklären (vgl. bspw. Philippson 1939), sehen neuere Arbeiten darin eine bewusste polemische Strategie Cottas (vgl. bspw. Wierzcholowski 2019). Dass Cottas Widerlegung der epikureischen Position bspw. an manchen Stellen an Velleius’ Aussagen vorbeizugehen scheint, wurde damit erklärt, dass Cicero für beide Reden nicht nur auf verschiedene Prätexte zurückgegriffen hat, sondern dass diese auch unterschiedliche Stufen der innerepikureischen Lehrentwicklung abbilden. Während die Velleius-Rede mit ihrem PhilodemRekurs nämlich auf einer jungepikureischen Quelle fuße, bilde die Cotta-Kritik eher altepikureische Positionen ab. Vgl. gegen diese Prämisse etwa Dyck 2003, 9 f. Essler 2011b, 109 sieht in den „Vereinfachungen und Auslassungen der gegnerischen Auffassung“ ein polemisches Mittel, welches oftmals „den Angriff erst ermöglich[t]“. Dass Cicero Cotta mit intimen Kenntnissen der zeitgenössischen epikureischen Methodendiskussion ausgestattet hat, zeigt hingegen AuvrayAssayas 1991, die Philodems De signis als wichtiges Grundlagenwerk, wenn auch nicht als textuelle Quelle, für die Gestaltung der Cotta-Rede vorschlägt. Vor allem mit Blick auf die knappe epikureische Lehrentfaltung und die ausführliche skeptische Widerlegung wird dieses Missverhältnis von Pease 1955, 31 mit unterschiedlichen, nicht aufeinander abgestimmten Quellen erklärt. Schäublin 1990, 95 f. sieht hingegen in der Länge und Anordnung der beiden Reden eine bewusste Entscheidung Ciceros, die zur Schwächung der epikureischen Position führen soll. Für die Widerlegung der epikureischen Rede wurde beobachtet, dass sie vor allem gegen Ende hin immer deutlichere Kritik aus einer stoischen Perspektive formuliert; Hirzel 1877, 33 weist vor allem auf Cic. nat. deor. 1,100.121 hin und fragt, ob es sich hierbei um „einen unverarbeiteten

1. Ein Überblick über die verschiedenen Widerlegungsstrategien

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zwischen einerseits dogmatisch, andererseits skeptisch gefärbten Passagen riskiert.6 Daher kommt R. Hoyer beispielsweise für die Widerlegungsrede der epikureischen Theologie zu einem kritischen Gesamturteil, welches den disparaten Charakter von Cottas Beitrag unterstreicht: Zu Anfang schon (§ 61–64) macht er Zugeständnisse und verwickelt sich dann in historische Betrachtungen, in deren Verlauf er immer dogmatischer wird (z. B. § 96, 102, 116, 121), bis er mit einem Lobe des Stoikers Posidonius abschliesst. Dazwischen fuchtelt Cicero selbst als gelehriger Schüler karneadischer Prägung überall herum.7

Zu einer zweiten Gruppe gehören all diejenigen Passagen, in denen Cotta nicht nur auf eine scharfe Polemik, sondern grundsätzlich auf eine Widerlegung dogmatischer Positionen verzichtet. Stattdessen führt er mancherorts Erläuterungen oder Hintergrundinformationen an, die der dogmatische Vorredner selbst gar nicht genannt hat, und übernimmt dabei sozusagen ein dogmatisches Korreferat.8 Auch das Nichtberücksichtigen von dogmatischen Argumenten sowie die bewusste Schonung des dogmatischen Vorredners zählen zu dieser zweiten Gruppe. Zu einer dritten Gruppe können schließlich all diejenigen Angriffe zusammengefasst werden, die die ciceronischen Leseaufforderungen aus dem Proömium von De natura deorum tatsächlich zu beantworten scheinen und dafür auf die epistemologische Schwäche eines dogmatischen Arguments hinweisen, die beispielsweise aus dem allzu großen Vertrauen in die eigene Erkenntnisfähigkeit, der blinden Übernahme von

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Rest aus Ciceros Quellenschrift“ handelt. Pease 1955, 43 fasst die zurückliegende Forschung zusammen und vermutet zwei Einflussquellen innerhalb der ersten Cotta-Rede, indem er die skeptischen Elemente über eine Vermittlung durch Kleitomachos auf Karneades zurückführt und für die stoischen Elemente Poseidonios als Urheber vorschlägt. Vgl. auch Pease 1955, 43 f. für einen Überblick über die unterschiedlichen Thesen zu den literarischen Quellen der Cotta-Rede im ersten Buch von De natura deorum. Allerdings zeigt Coleman 1960 am Beispiel von Cic. nat. deor. 1,65 (physicorum oracla fundo), dass sich auch für den Beginn von Cottas Widerlegungsrede Hinweise auf eine stoische Grundierung von Gegenargumenten finden lassen. Hirzel 1877, 36 und Pease 1955, 44 weisen dabei für die erste Cotta-Rede vor allem auf den Widerspruch zwischen Cic. nat. deor. 1,85 f. und 1,123 hin, da Cotta Epikur einmal als einen zutiefst abergläubischen Menschen, einmal als Atheisten beschreibt. Hirzel 1877, 36 wertet dabei diesen inhaltlichen Bruch als Hinweis auf „die Nachlässigkeit, mit der Cicero gerade diese Schrift über die Götter gearbeitet hat“. Schäublin 1990, 89 f. untersucht Cottas Diskussion der epikureischen Annahme der Menschengestalt der Götter. Bei der Analyse dreier Passagen (Cic. nat. deor. 1,84.87.95– 97) bemerkt er, dass Cotta in 1,87 mit der Formulierung aut solem aut mundum aut mentem aliquam sempiternam stoisch geprägte Gedanken aufgreift, die er weder eingeführt hat noch im Folgenden aufgreifen wird. Hoyer 1898, 48. Vgl. dazu Philippson 1939, 32, der den dogmatisch ergänzenden Charakter der Cotta-Rede hervorhebt; vgl. darüber hinaus auch Essler 2011a, 140, der „general objections and remarks in addition to specific responses to Velleius’ own arguments“ als treffende Charakterisierung von Cottas Gegenrede vorschlägt, sowie Essler 2011b, 109, der den philosophiehistorischen Wert all derjenigen dogmatischen Aussagen in Frage stellt, die sich lediglich in Cottas Widerlegungen finden, da sie stets unter dem Verdacht einer tendenziösen Darstellung stehen müssten.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Meisterworten oder aus systemischen Widersprüchen resultieren kann. Auch Cottas Auseinandersetzung mit dogmatischen Argumenten, die den römischen Staatskult und dadurch das innere Bestehen des Staates gefährden könnten, zählt zu dieser dritten Kategorie.9 Diese drei Arten von Widerlegungsstrategien sollen im Folgenden nicht nur exemplarisch vorgestellt und mit Beispielen aus den beiden Widerlegungsreden illustriert werden, sondern auch hinsichtlich ihres Erkenntnisgewinns für die Leser analysiert werden. Dabei stellt sich vor allem die Frage, wie sich der Einsatz der tendenziell kritikwürdigen Widerlegungsstrategien beurteilen lässt, die scheinbar im Gegensatz zur akademisch-skeptischen Suche nach dem probabile stehen. Sie sollen im Folgenden weder mit Ciceros allzu schnellem und oberflächlichem Rekurs auf inkompatible Prätexte10 noch mit einer manipulativen Absicht Ciceros erklärt werden, die ihn dazu veranlasst habe, Cotta insgeheim als tendenziösen Ankläger zu modellieren und die von ihm wenig geschätzte epikureische Philosophie zu desavouieren und die Stoa im Gegenzug zu schonen. Stattdessen soll die Tatsache, dass Cicero in De natura deorum ganz bewusst nicht selbst die akademische Widerlegung übernommen hat, in dem Sinne ernst genommen werden, dass Cottas Reden weder als durchgängiges akademisches Lösungsbuch noch als heimliche Meinung des Autors Cicero gelesen werden sollen, sondern als gleichberechtigte Beiträge neben den dogmatischen Reden, welche vom Leser ebenso mit kritischen Augen gelesen werden müssen wie die Entwürfe des Velleius und Balbus. Schließlich soll im Folgenden auch dort, wo es sich anbietet, danach gefragt werden, ob bzw. inwiefern sich die Widerlegungsstrategien in den beiden Gegenreden unterscheiden und wie sich etwaige Unterschiede oder die Bevorzugung bestimmter Widerlegungsstrategien innerhalb der beiden Widerlegungsreden erklären lassen. Der Schwerpunkt wird dabei auf Cottas Widerlegungsrede der epikureischen Position liegen, wobei die Kritik an der Stoa an passenden Stellen einbezogen werden wird.

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Vgl. dazu Pease 1955, 32, der Cicero ein fehlendes Verständnis des epikureischen religio-Konzepts unterstellt. Vgl. Philippson 1940, 21, der die grundsätzliche Problematik der Widerlegungsreden darin sieht, dass Ciceros Prätexte für seine Widerlegungsreden nie mit der Gliederung, der Ausrichtung und nicht einmal mit dem Stand der Lehre der gegnerischen Schule übereinstimmen und dass Cicero nicht nur auf skeptische Gegenreden, sondern auch auf dogmatische Reden oder eigene Überlegungen zurückgegriffen haben könnte, sodass er die Frage nach den Prätexten im Falle der Widerlegungsreden mit Recht als noch schwieriger und spekulativer ansieht.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas a) Kompositorische Unterschiede zwischen dogmatischer und skeptischer Rede Velleius-Cotta. Vergleicht man die Grobgliederungen der dogmatischen Ausgangsreden und der skeptischen Widerlegungen, so fallen erhebliche kompositorische Unterschiede zwischen Velleius’ und Cottas Beitrag auf.11 Cotta scheint sich nämlich kaum an der Reihenfolge und der Schwerpunktsetzung seines epikureischen Vorredners zu orientieren; stattdessen weist seine Grobgliederung einen stärker systematischen Charakter auf.12 Dieser zeigt sich unter anderem daran, dass Cotta dem Atomismus nicht nur eine deutlich größere Rolle zugesteht, sondern durch die Voranstellung von dessen Kritik13 vor die eigentliche Besprechung der Göttereigenschaften auch dessen Bedeutung für die epikureische Theologie viel deutlicher abbildet, als Velleius dies tut. Velleius hatte dem Atomismus innerhalb seiner Lehrentfaltung nämlich nur eine marginale Rolle zugestanden und dessen grundlegende Funktion innerhalb des epikureischen Systems bewusst marginalisiert. Darüber hinaus orientiert sich Cotta deutlicher an dem von Cicero im Proömium vorgestellten Gliederungsschema und den im Proömium eingeführten, zentralen religionsphilosophischen Fragestellungen.14 Nachdem Cotta die Götterexistenz nämlich nur sehr kurz besprochen hat,15 behandelt er in großer Ausführlichkeit die Frage der Göttergestalt (de figuris deorum),16 sodann das Problem des göttlichen Wohnsitzes (de locis atque sedibus)17 sowie des göttlichen Lebens (de

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So auch Philippson 1940, 21 f., der diese Beobachtung quellenkritisch auswertet, und Weische 1961, 35 ff., der die fehlende Passung einzeln aufzeigt und von einer dreifachen Gliederung der Cotta-Rede (57–62.62–64.65–121) ausgeht. Auch Schäublin 1990, 96 betont den ordnenden Charakter von Cottas Widerlegungsrede; anders als es im Folgenden vorgeschlagen werden soll, sieht Schäublin hierin jedoch keinen alternativen Zugang zur epikureischen Religionsphilosophie, sondern eine Korrektur der Grobgliederung des Velleius, wodurch implizit deren problematischer Zustand hervorgehoben werden solle. Anders urteilt Schwenke 1879, 58, der nach einem tabellarischen Vergleich von Velleius’ Rede und Cottas Gegenrede zu dem Ergebnis kommt, dass Cotta „in der hauptsache der ordnung des Epikureischen abschnittes folgt“, dafür jedoch eine stark selektive Sicht auf die Gliederung der Cotta-Rede in Kauf nehmen muss. Vgl. Cic. nat. deor. 1,65–75. Vgl. Cic. nat. deor. 1,2; vgl. dazu auch Essler 2011a, 143, der die Nähe zwischen der in 1,2 entworfenen und der in 1,65 vorgestellten Gliederung betont. Wenig überzeugen kann der Versuch von Hoyer 1898, 50–53, Cottas Widerlegungsrede in das viergliedrige Schema zu pressen, nach dem die stoische Lehrentfaltung und deren Widerlegung aufgebaut sind, da er dafür Cottas mehrfach unterbrochene und wieder aufgegriffene Argumentationsführung künstlich in ein allzu starres Schema drängt und sich zudem vor allem der dritte von Hoyer postulierte Gesichtspunkt der göttlichen Fürsorge für die Welt nicht als geeignete Überschrift für Cic. nat. deor. 1,90–115 erweist. Vgl. Cic. nat. deor. 1,61b–64. Vgl. Cic. nat. deor. 1,76–102. Vgl. Cic. nat. deor. 1,103–110a.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

actione vitae),18 bevor er sich abschließend im Sinne eines lebenspraktischen Fazits zur epikureischen Frömmigkeit19 äußert. Dieser Befund lässt sich allerdings nicht ohne Weiteres als eine manipulative Schwächung der Velleius-Rede oder als ungewolltes, der ciceronischen Eile und Unachtsamkeit geschuldetes Nebeneinander inkompatibler Quellentexte erklären; vielmehr lassen sich an den divergierenden Kompositionen der beiden Reden zwei grundlegend verschiedene Zugänge zum Epikureismus erkennen. Velleius’ Grobgliederung zielt nämlich darauf ab, den Heilscharakter und die epistemologisch-eudaimonistische Besonderheit der epikureischen Lehre in der Komposition seiner Rede abzubilden. Die ausführliche Widerlegung konkurrierender Ansichten soll gemeinsam mit der Herausstellung der wichtigsten Einsichten, die für die innere Befreiung des Menschen von den grundlegenden Ängsten notwendig sind, den Heilscharakter des Epikureismus demonstrieren, ihn als dessen Alleinstellungsmerkmal akzentuieren und dem Leser nachgerade performativ erfahrbar machen. Im Lehrteil seiner Rede zeigt Velleius zwar, dass er die wichtigsten epikureischen Positionen allgemeinverständlich darstellen kann und dafür in weiten Teilen und gerade zu Beginn eines Arguments seine Thesen nachvollziehbar herleiten und sie auch für ein exoterisches Publikum plausibilisieren kann. Doch wird im Umkehrschluss daran deutlich, dass die Erläuterung der epikureischen Lehrsätze für ihn nur so weit nötig ist, wie sie dazu dienen, den Heilscharakter der epikureischen Lehre begreifbar zu machen. Die Darstellung epikureischer Lehrinhalte um ihrer selbst willen ist nicht in Velleius’ Interesse; ja mitunter erweckt er den Eindruck, komplexere Inhalte, die keine unmittelbare Relevanz für die Befreiung der Menschen von ihren Ängsten besitzen, auch nicht entfalten zu können. Während Velleius’ dogmatische Rede dadurch streckenweise den Charakter eines Evangeliums annimmt, bietet Cottas Widerlegungsrede einen komplementären Zugang zum Epikureismus. Durch eine systematischere Grobgliederung, die deutlichere Züge einer Lehrbuchdarstellung aufweist, vermittelt Cicero dem Leser mit Cottas Rede einen alternativen Zugang zum Epikureismus.20 Bereits anhand dieser kompositorischen Entscheidung wird deutlich, dass Cottas Widerlegungsrede des Epikureismus eine stärker belehrend-darstellende Funktion übernimmt, als man es gemeinhin von einer skeptischen Widerlegungsrede erwarten würde. Die folgende Analyse

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,110b–114. Vgl. Cic. nat. deor. 1,115–124. Mit Recht erklärt Philippson 1940, 32 f. die Unterschiede zwischen den beiden Reden auch damit, dass Velleius’ Ansatz eher jungepikureisch geprägt ist und Cotta oftmals eine konservativere Lesart des Epikureismus pflegt. Dies lässt sich, anders als Philippson das tut, nicht allein mit divergierenden Prätexten erklären; vielmehr lässt sich hier auch Ciceros Intention erkennen, jüngere Lehrentwicklungen als solche nicht stehenlassen zu wollen, sondern sie mit dem orthodoxen Kern der jeweiligen Lehre zu konfrontieren. Auch im Falle des zweiten und dritten Buches lässt sich die Tendenz beobachten, dass Cotta gerade Balbus’ innovativere Lehrkonzeptionen angreift und sie einer traditionell-konservativeren Lesart der Stoa gegenüberstellt.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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der Rede wird auch in anderen Details nachweisen, dass die Cotta-Rede neben ihrer Widerlegungsfunktion auch eine darstellend-entfaltende Dimension aufweist und die fehlende Passung von dogmatischer Ausgangsrede und skeptischer Widerlegungsrede daher in vielen Fällen als bewusst komplementäre Inszenierungsweise erklärt werden kann. Balbus-Cotta. Was die Grobgliederung angeht, lässt Cicero Cotta im Fall der stoischen Widerlegungsrede eine andere Strategie verfolgen. Soweit es sich aufgrund des überlieferungsbedingten Verlustes weiter Teile von Cottas Widerlegung feststellen lässt, gliedert Cotta seine Widerlegung „probably […] in somewhat similar order to that used in the second book“21. Anders als im Falle der epikureischen Widerlegung liegt der Darstellungsschwerpunkt daher nicht darin, mithilfe einer veränderten Grobgliederung eine alternative Sicht auf die dogmatische Schule zu präsentieren. Allerdings lässt sich anhand eines Vergleichs zwischen Balbus’ stoischer Lehrentfaltung und Cottas skeptischer Gegenrede zeigen, dass Cotta eine nicht geringe Umordnung von Balbus’ Feingliederung der ersten beiden Hauptpunkte vornimmt. Diese Umstellungen, die auch in der Vergangenheit mehrfach bemerkt worden sind und oftmals quellenkritisch erklärt worden sind,22 werden von Cotta selbst ausführlich beschrieben.23 So unterbricht sich Cotta mitten innerhalb der Kritik an den vier Argumenten, die Balbus auf Kleanthes zurückgeführt hatte und mit deren Hilfe er Rückschlüsse von der Beschaffenheit der Welt auf die daraus zu schließende Existenz von Göttern ziehen wollte,24 und gibt zu verstehen, dass er die übrig gebliebenen Kleanthes-Argumente gemeinsam mit den von Balbus angeführten Chrysipp- und Zenon-Argumenten25 sowie dem physikalischen Gottesbeweis26 zu einem späteren, passenderen Zeitpunkt diskutieren möchte. Cotta selbst nennt die Besprechung des dritten Hauptpunktes als geeigneten Ort, an dem er die hier ausgesparten Argumente

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Pease 1955, 32; als Beleg dafür lässt sich anführen, dass Cotta in Cic. nat. deor. 3,6 Balbus’ vierfache divisio rekapituliert und im darauffolgenden Paragraphen seine Absicht erkennen lässt, sich für seine Widerlegung daran zu orientieren (vgl. dazu auch noch Cic. nat. deor. 3,10: Mandavi enim memoriae non numerum solum, sed etiam ordinem argumentorum tuorum). Zudem lässt sich in 3,7 der Beginn der Widerlegung des esse deos erkennen, die er in 3,20 als abgeschlossen markiert; in 3,20 leitet er auch zur Widerlegung des zweiten Hauptpunktes (quales sint) über. Erst in 3,65 stellt Cotta fest, dass die Besprechung der ersten beiden Hauptpunkte nun beendet ist und er sich an die Widerlegung der zwei verbleibenden Hauptpunkte machen wird. Nach der unmittelbar danach einsetzenden Lücke setzt der Text dann mitten in der Widerlegung des vierten Hauptpunktes (3,65–93a) ein, sodass die Widerlegung des dritten Hauptpunktes als vollständig verloren zu gelten hat. Vgl. für die ältere Forschung v. a. Krumme 1941, der sich vor allem dem Verhältnis von Buch zwei und drei widmet, und Philippson 1945. Vgl. Cic. nat. deor. 3,17 f. Vgl. Cic. nat. deor. 2,13–15. Vgl. Cic. nat. deor. 2,16.20–22. Vgl. Cic. nat. deor. 2,23–44.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

besprechen will.27 Indem sich Cotta hier nur mit dem ersten Teil von Balbus’ Argumentation zum esse deos beschäftigt, nimmt er eine kritische Haltung gegenüber Balbus’ Versuch ein, nicht-philosophische und philosophische Argumente zum Erweis seiner ersten These heranzuziehen, von der er ohnehin mehrfach gesagt hatte, dass sie an sich schon evident sei. Wenn sich Cotta also nicht auf Balbus’ Konzept einlässt, verschiedene Argumente und Themenbereiche zusammenzuspannen und miteinander ins Gespräch zu bringen, dann lässt sich das im Kleinen als Versuch erklären, eine orthodoxe Ordnung wiederherzustellen, die der dogmatische Vorredner selbst nicht eingehalten hat. Cottas ordnende Umstrukturierung lässt sich daher als bewusste Reaktion Cottas auf Balbus’ Darstellungstendenz erklären und ist dabei durchaus mit Cottas Strategie im Falle der Velleius-Rede vergleichbar. In beiden Fällen weigert sich Cotta, sich auf ein innovatives und rhetorisch geschicktes Konzept seines Vorredners einzulassen, und ordnet stattdessen die zu widerlegenden Argumente derart um, dass sie an der Stelle stehen, die ihnen innerhalb einer lehrbuchartigen Besprechung zukommen würde. Während Cotta im Falle von Velleius von der Grobkomposition des epikureischen Redners abweicht und diese an entscheidenden Stellen ändert, vollziehen sich Cottas Änderungen im Falle von Balbus’ Rede im Bereich der Feinkomposition und der Aufteilung der einzelnen Teilargumente auf die Hauptpunkte der Rede. Kompositorisch sind Cottas Gegenreden somit als der Versuch einer Versachlichung in dem Sinne zu verstehen, dass die Lehrinhalte als solche in ihrem orthodoxen Zusammenhang durchmustert werden, ohne die jeweils schulspezifischen, die rationale Entfaltung transzendierenden Zielsetzungen (epikureische Heilslehre bzw. stoische Universallehre) zu berücksichtigen. Die bislang von der Forschung als kritisch beurteilten Divergenzen von Rede und Gegenrede verlieren vor diesem Hintergrund ihre pejorative Beurteilung und können vielmehr als weiteres Inszenierungsmittel beschrieben werden, mit dessen Hilfe dem Leser eine mehrperspektivische Prüfung der einzelnen Schulpositionen ermöglicht und Einsichten in die Unterschiede von schulgebunden-esoterischer und schulungebunden-exoterischer Lehrdarstellung vermittelt werden sollen.

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Da jedoch genau dort die große Lücke einsetzt, lässt sich nicht beurteilen, inwiefern er dieses Versprechen tatsächlich im Einzelnen eingelöst hat. Allerdings ist zu beobachten, dass Cotta etliche Argumente auch in die Besprechung des sich anschließenden, zweiten Hauptpunktes einfließen lässt, sodass Cottas Ausführungen zumindest partiell greifbar sind. So setzt sich Cotta in 3,20–28 etwa mit der pantheistischen Gottesvorstellung auseinander, die Balbus angeführt hatte, und widmet sich in 3,35–37 zudem auch der Deifizierung des Feuers, die er scharf kritisiert.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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b) Persönliche Angriffe An drei Stellen innerhalb der ersten Widerlegungsrede28 formuliert Cotta scharfe ad personam-Angriffe, die aufgrund ihres polemischen Charakters und der Betonung nicht-sachlicher Aspekte zu den problematischen Passagen innerhalb der skeptischen Gegenreden zählen:29 1 1,72–73a Epikur als Autodidakt 2 1,85–87a Epikurs Aberglaube und Götterfurcht 3 1,93–94a Epikurs Streitlust Cottas Schwerpunkte und Methoden. Inhaltlich konzentriert sich Cotta an diesen Stellen auf die Beschreibung moralischer, psychischer und kognitiver Mängel, die er zunächst dem Schulgründer Epikur attestiert. Dieser erscheint bei ihm als ein unaufrichtiger und plagiierender Philosoph,30 dessen angstgeprägter31 und streitsüchtiger32 Charakter die Ausgestaltung der epikureischen Lehre ebenso geprägt hat wie dessen fehlende inhaltliche und sprachliche Präzisionsfähigkeit.33 Cotta arbeitet diese charakterlichen Mängel vor allem anhand von Epikur selbst heraus, überträgt sie jedoch stets auch auf andere Epikureer,34 sodass der mögliche Eindruck der Zufälligkeit vermieden und die 28

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Als vierte Passage wäre zudem noch 1,111 f. (das problematische Lustverständnis Epikurs) denkbar; da dort jedoch die sachliche Auseinandersetzung überwiegt und Epikur und andere Epikureer nicht direkt angegriffen werden, weist die Passage einen deutlich schwächeren polemischen Tonfall auf und fällt auch aufgrund der Dominanz lehrbezogener Aspekte nicht in die Kategorie der scharfen ad personam-Angriffe. Vgl. grundlegend Lévy 2001, der den Charakter solcher Passagen als „l’éloge paradoxal“ treffend erfasst, deren epistemologische Komplexität herausstellt und sie vor allem in einen weiteren textuellen und geistesgeschichtlichen Kontext stellt. Vgl. Schäublin 1990, 97 f., der in diesen exkursartigen Polemiken vor allem Cottas Versuch sieht, auf eine substantielle inhaltliche Auseinandersetzung zu verzichten und Epikur auf unlautere Art und Weise zu diskreditieren. Anders Wierzcholowski 2019, 354, der die persönliche Diskreditierung Epikurs und die gleichzeitige Aufwertung der Person des Velleius als Versuch Ciceros interpretiert, „den Rezipienten die Unvereinbarkeit der Velleius exemplarisch zugeschriebenen römischen Werte und Normen mit dem Epikureismus glauben zu machen“. Diese „Strategie der Dissoziierung“ (329) soll also darauf abzielen, zwischen Velleius dem Römer und Velleius dem Epikureer zu unterscheiden; ersterer Aspekt wird gelobt, zweiterer getadelt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,73a, wo Cotta die von Epikur verschleierten Anleihen in Demokrits Physik herausstellt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,85 f., wo Cotta Epikur als einen über die Maßen von der Angst vor den Göttern und dem Tod bestimmten Menschen charakterisiert. Vgl. Cic. nat. deor. 1,93 für die Streitsucht als zentrale epikureische Eigenschaft. Vgl. Cic. nat. deor. 1,72 für Cottas Verdikt über die fehlende epistemologische Qualität der epikureischen Lehre sowie Cic. nat. deor. 1,85 f. für den Vorwurf der fehlenden sprachlichen Präzision (inscitia plane loquendi; ambigue loqui). Vgl. Cic. nat. deor. 1,72a für die Fundamentalkritik an der epikureischen auctoritas-Gläubigkeit, Cic. nat. deor. 1,85 für die Behauptung einer allgemein abergläubischen Haltung der Epikureer (novi ego Epicureos omnia sigilla venerantes), Cic. nat. deor. 1,86 für die bei Epikur und Metrodor bezeugte Gläubigkeit der Epikureer sowie Cic. nat. deor. 1,93 f. für den doxographischen Überblick über verschiedene polemische Äußerungen zahlreicher Epikureer.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

gesamte Anhängerschaft Epikurs in Misskredit gebracht wird. Die Epikureer erscheinen daher bei Cotta als eine Versammlung charakterlich fragwürdiger Philosophen. Cicero stattet Cotta für die drei polemischen Exkurse mit einem wiederkehrenden Methodenrepertoire aus. Eines der auffallenden Elemente von Cottas polemischer Strategie ist es, seinen philosophischen Gegner und dessen Lehren in mehrfacher Hinsicht dem Schein nach zu schonen, um auf der Grundlage dieser vermeintlichen Schonung einen umso schärferen Angriff zu formulieren. Die Schonung des Velleius. Diese polemische Strategie lässt sich zunächst an Cottas vermeintlicher Schonung des Velleius zeigen, die bereits in der dialogischen Überleitung nach Velleius’ Lehrentfaltung eingeführt wird. Dort lässt sich nicht nur Cottas auffällige Betonung von Velleius’ innerepikureischer Stellung und ein ausführliches Lob für die rhetorische Art und Weise der epikureischen Lehrentfaltung beobachten,35 sondern auch zum ersten Mal Cottas Wunsch lesen, eher mit Epikur selbst als mit Velleius streiten zu wollen.36 Dadurch scheint es so, als ob Cottas Kritik an der epistemologischen Fragwürdigkeit der epikureischen Position37 gar nicht Velleius treffen soll, sondern ausschließlich Epikur gilt. Velleius hingegen wird als begabter und fähiger Römer apostrophiert,38 der unverständlicherweise die falsche Philosophenschule ausgewählt habe. Auch innerhalb der Widerlegungsrede wird – mit Ausnahme der letzten

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,58 für dieses doppelte, „nachdrücklich[e] Lob des Velleius“ (Gigon 1996, 392 ad loc.) durch Cotta. Dieses Lob gilt jedoch nicht nur Velleius’ rhetorischen Fähigkeiten, wie etwa Dyck 2003, 140 ad loc. behauptet. Die Hervorhebung der herausragenden Stellung des Velleius, die Cotta auf L. Crassus zurückführt, sowie dessen Apostrophierung als tantum ingenium lassen sich nicht ausschließlich auf die rhetorische Dimension seiner Rede beschränken, sondern kennzeichnen ihn im Gesamten als einen herausragenden Philosophen. Vgl. Cic. nat. deor. 1,61; Schäublin 1990, 98 sieht darin nicht nur eine urbane Schonung des Velleius, sondern eine innerdialogische Versicherung, sich tatsächlich mit den Ansichten des Schulgründers zu beschäftigen und nicht lediglich mit einer „ungenügende[n] Wiedergabe aus zweiter Hand“. Die epistemologische Fragwürdigkeit der epikureischen Lehre wird von Cotta mehrfach innerhalb der dialogischen Überleitung angeführt; vgl. dafür Cic. nat. deor. 1,59 (Apostrophierung als tam leves, ne dicam […] tam ineptas sententias) und 1,61 (Apostrophierung als dignum […] mediocri prudentia, womit, wie Dyck 2003, 142 ad loc. richtig bemerkt, den Epikureern sogar die Bezeichnung als Philosophen abgesprochen wird). Vgl. Cic. nat. deor. 1,59, wo Velleius als tantum ingenium apostrophiert wird; dass Velleius hier und in 1,58 als rhetorisches und intellektuelles Ausnahmetalent gelobt wird (und das auch noch, als er selbst zugegen war; vgl. Dyck 2003, 140 ad loc. für die Besonderheit eines solchen Lobes), muss jedoch als deutliche Abwertung gegenüber den anderen Epikureern gesehen werden. Im Sinne der a maiore ad minus-Schlussfolgerung evoziert Cotta hier also die Rückfrage, wie schlimm es um die übrigen Epikureer bestellt sein muss, wenn selbst die Darstellung eines exzeptionellen Epikureers wie Velleius mit solch scharfer Kritik gewürdigt werden muss. Daher greift es zu kurz, wenn Pease 1955, 345 ad loc. das Lob des Velleius durch Cotta lediglich als Ciceros innerdialogische Bestätigung, treffliche Gesprächspartner gewählt zu haben, beurteilt.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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polemischen Passage39 – diese Schonungsstrategie von Cotta aufgegriffen.40 Eine vergleichbare Tendenz der persönlichen Schonung lässt sich auch im dritten Buch beobachten. Dort hat R. Philippson eine Reihe von Passagen analysiert, die den Bezug zur stoischen Lehre nicht mithilfe der zweiten Person Singular herstellen – dies wäre das übliche Verfahren, um die Auseinandersetzung mit dem dogmatischen Redner zu suchen –, sondern die dritte Person Plural bemühen.41 Auch durch diese Inszenierungsweise wird für eine Schonung des dogmatischen Redners gesorgt, durch die der Eindruck vermittelt wird, dass Cotta nicht mit Balbus persönlich abrechnet, sondern vielmehr die Auseinandersetzung mit der stoischen Lehre als solcher sucht. Weitere persönliche Angriffe auf Velleius. Eine direkte, schärfere Invektive gegen Velleius persönlich findet sich nicht innerhalb der drei ad personam-Exkurse, sondern an ausgewählten Passagen innerhalb der sachlichen Auseinandersetzung mit der epikureischen Lehre; gerade weil diese Angriffe von Cotta so selten eingesetzt werden, fallen sie dort deutlich ins Auge. Sie lassen sich als Inszenierungsstrategie erklären, mit deren Hilfe sachlich besonders problematische Aspekte der epikureischen Lehre auch formal deutlich gekennzeichnet werden. Am auffälligsten ist dies bei Cottas Kritik an Velleius’ quasi corpus-Formulierung zu beobachten, die von Cotta in mehrfacher Hinsicht kritisiert wird. Durch den scharfen persönlichen Angriff, in dem Cotta Velleius ein Nicht-Verstehen der eigenen Lehre unterstellt,42 wird für die Rezipienten die problematische Dimension des quasi corpus-Begriffs eindeutig markiert.

Nimmt man die dialogische Inszenierung ernst, so lässt sich an den angegebenen Stellen in Cottas Rede trotz dieser Schonungsstrategie ein polemisches Moment gegen Velleius nicht leugnen. Denn auch wenn Cotta betont, auf Epikur abzuzielen, und diesen auch namentlich anspricht, so werden sich die Leser das dialogische Setting dabei doch so vorstellen müssen, dass Cotta sich bei den persönlich adressierten Angriffen auf Epikur und auf die Epikureer im Allgemeinen dennoch Velleius zuwendet und stellvertretend auf ihn zeigt bzw. ihn anspricht, sodass er Velleius dadurch mittelbar zum Zielobjekt der persönlichen Invektive macht. Durch diese Art der verdeckten persönlichen Invektive gerät Velleius wohl oder übel ins Kreuzfeuer der Kritik, gegen die er sich zudem nicht ohne Weiteres zur Wehr setzen kann, da sich Cotta stets auf die formal korrekte Behauptung, lediglich Epikur attackiert zu haben, zurückziehen kann. Vermeintliche inhaltliche Schonung. Eine vermeintliche Schonung, die sich als kaschierte Form der Polemik erweist, lässt sich auch auf der Inhaltsebene beobachten. 39 40

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,94a; dort wendet sich Cotta auch direkt gegen Velleius. Erst am Ende der zweiten Polemik, d. h. auffallend spät, verbalisiert Cotta in einer Parenthese aufs Neue seine (zum ersten Mal am Beginn der Widerlegungsrede in 1,61 geäußerte) Vorliebe, mit seiner direkten Anrede nicht Velleius, sondern unmittelbar Epikur anzusprechen (vgl. Cic. nat. deor. 1,87: iam enim cum ipso Epicuro loquar). Vgl. Philippson 1945, 19–22. Vgl. Cic. nat. deor. 1,74.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Besonders auffallend ist dabei Cottas Strategie, Epikur vor bestimmten Vorwürfen gegnerischer Philosophen scheinbar in Schutz zu nehmen, um diese Schonung im Anschluss daran zu einem umso schärferen Angriff umzuwandeln. Wenn Cotta beispielsweise Epikurs Anspruch, Autodidakt zu sein,43 zunächst verteidigt, beabsichtigt er damit keine wirkliche Aufwertung Epikurs, sondern bereitet lediglich eine umso schärfere Kritik vor. So bekräftigt Cotta zwar nominell Epikurs Anspruch, wertet ihn jedoch diametral anders aus, als Epikur selbst es intendiert hatte. Während nämlich Epikur aus dem Umstand, Autodidakt zu sein, die Größe seiner eigenen schöpferischen Leistung sowie die Besonderheit der eigenen Lehre und ihre Unabhängigkeit von allen anderen, seines Erachtens defizitären Philosophenschulen ableitet, sieht Cotta darin die Erklärung für die intellektuelle Fragwürdigkeit des Epikureismus. Hätte er, wie es bestimmte Gegner Epikurs vermuten, tatsächlich philosophische Lehrer gehabt, dann befände sich, so Cottas Widerspruchsbeweis, die epikureische Lehre in einem epistemologisch besseren Zustand. Anhand des Vergleichs Epikurs mit einem Hausherrn,44 dessen Behauptung, keinen Architekten herangezogen zu haben, durch ein schlecht gebautes Haus augenscheinlich bestätigt wird, stellt Cotta gleich zu Beginn seiner Darlegung dar, dass er Epikurs Anspruch, Autodidakt zu sein, als unfreiwilliges Geständnis und als treffende Erklärung für die fehlende Qualität der epikureischen Lehre auffasst.45 Ähnlich geht Cotta vor, als er Epikur gegen den Vorwurf verteidigt, er habe die Götter nur aus Angst vor gesellschaftlicher Ächtung und persönlicher Strafverfolgung in sein philosophisches System integriert, da er insgeheim Atheist sei.46 Auch hier nutzt er die von ihm verteidigte These von Epikurs Glauben an die Götter dazu, um Epikur auf dieser Grundlage mit einem umso gravierenderen Vorwurf zu konfrontieren. So möchte Cotta den Atheismus-Vorwurf47 vor allem dadurch abweisen, dass er Epikur eine übersteigert-pervertierte Form der Frömmigkeit unterstellt, die letztlich aus Epikurs Furcht vor den Göttern resultiere. Dabei holt Cotta zu einer weiteren Verallgemeinerung aus und schreibt Epikur auch noch eine zweite Grundangst zu, nämlich die Angst vor dem Tod, die Epikur außergewöhnlich stark beschäftige. Cotta nimmt Epikur also deshalb in Schutz, um das Charakterbild eines Mannes zu zeichnen, der gerade von denjenigen Ängsten gequält wird, von denen er seine Anhänger eigentlich befreien möchte. Durch diese Polemik bezweifelt Cotta letztlich den

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Vgl. hier und im Folgenden Cic. nat. deor. 1,72–73a. Der enge Bezug zwischen der Bild- und Sachhälfte des Vergleichs wird vor allem durch eine syntaktische Gleichsetzung des Hausherrn mit Epikur hergestellt, welche durch die beiden Dativ-Partizipien praedicanti (im Falle Epikurs) und glorianti (im Falle des Hausherrn) hervorgerufen wird. Die pejorative Konnotation von Cottas Bestätigung des epikureischen Anspruchs wird zudem auch an der hyperbolischen Zustimmung zu Epikur (vgl. bspw. Cic. nat. deor. 1,72: credo plus nemini) sichtbar, deren ironischer Charakter dadurch deutlich wird. Vgl. hier und im Folgenden Cic. nat. deor. 1,85–87a. Vgl. grundlegend Giannantoni 1996 zum antiken Atheismusvorwurf gegenüber Epikur.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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Heilsanspruch der epikureischen Lehre und ihren Anspruch, ihre Anhänger von den beiden Grundängsten befreien zu können. Weitere polemische Motive. Daneben finden sich auch andere polemische Inszenierungstechniken wie beispielsweise der vermehrte Einsatz von Ironie.48 Besondere Beachtung verdient zudem Cottas Rekurs auf die Form der doxographischen Kritik,49 mit der er gerade dort eine formale Verbindung50 zu Velleius’ Ausgangsrede herstellt, wo er dezidiert auf Velleius’ epistemologischen Ansatz, den er im Widerlegungsteil der epikureischen Rede entfaltet hatte, hinweist und dabei die epikureische Streitlust thematisiert. Durch den kunstvollen Einsatz51 der polemisch geprägten Doxographie zielt Cotta hier darauf ab, Velleius und Epikur mit deren eigenen rhetorischen Waffen zu schlagen. Bereits die Gliederung von Cottas knapper Doxographie52 ist geschickt gestaltet. Während Cotta durch die Nennung der ersten drei großen Epikureer Epikur, Metrodor und Hermarch, auf die unmittelbar die meretricula Leontium folgt, die Allgemeingültigkeit der epikureischen Streitsucht durch ein größtmögliches hierarchisches Gefälle (von ganz groß bis ganz klein) ausdrückt, wird das Herzstück der Doxographie, die Kritik an Epikurs Streitsucht, durch eine Kritik an Zenons streitsüchtigem Charakter umrahmt. Dem Epikureer Zenon wird wohl deshalb hier eine solch prominente Rolle zugestanden, da er zur Zeit des fiktiven Dialoggeschehens als Leiter der epikureischen Schule in Athen tätig war. Somit wird durch die Kritik am Schulgründer und an demjenigen Epikureer, der zur Zeit des fiktiven Dialoggeschehens als führender Epikureer gelten konnte, ein größtmögliches zeitliches Gefälle, welches vom Beginn des Epikureismus bis zur Dialogzeit reicht, hergestellt. Aufgelockert wird dieses doppelte Gefälle durch die Nennung der Epikureer Albucius und Phaidros, die vor allem den Eindruck großer, potentiell durch weitere Beispiele erweiterbarer Fülle evozieren sollen. Dass sie primär keine inhaltliche Funktion erfüllen, wird einerseits durch die praeteritio im Falle von Albucius,53 andererseits durch die urban-humorvolle, nachgerade topische Würdigung des Phaidros als geistvollen Mannes, aber nörgelnden Greises deutlich.

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52 53

Vgl. für den Einsatz der Ironie neben den bereits erwähnten Fällen auch Cic. nat. deor. 1,86, wo Cotta auf die fehlende Angst vor Götterzorn oder Todesstrafe bei Tempelräubern oder Mördern mit den credo aut illos mortis timor terret aut hos religionis hinweist. Vgl. hier vor allem Cic. nat. deor. 1,93–94a. Vgl. Dyck 2003, 175 ad loc., der darauf hinweist, dass Cotta hier vor allem am Ende, als er sich explizit Velleius zuwendet, ähnliche Wortfelder und Vorstellungen verwendet wie Velleius. Neben der geschickten Gliederung der Passage ist vor allem auf das breite Wortfeld hinzuweisen, mit dem Cotta die epikureische Streitsucht ausdrückt. Neben den verbalen Ausdrücken contra dicere, contra scribere, queri, litigare, stomachari, ingratum esse, male accipere, maledictis figere ist auch noch auf die superlativischen Formulierungen contumeliosissime vexare und turpissime male dicere sowie die substantivischen Schmähungen scurra Atticus und Chrysippa hinzuweisen, welche der doxographischen Passage eine dichte Kohärenz verleihen. Vgl. Cic. nat. deor. 1,93. Vgl. Cic. nat. deor. 1,93: Quid dicam Albucium?

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Kontextualisierung der drei polemischen Passagen. Auch wenn sich die drei Passagen in unterschiedlichen Teilen der Cotta-Rede finden, so stehen sie doch allesamt in einem auffallend engen inhaltlichen Zusammenhang mit Cottas Kritik an Epikurs These von der Menschengestalt der Götter.54 So steht die erste Polemik zwar noch innerhalb der propädeutischen Kritik am epikureischen Atomismus;55 dort jedoch befindet sie sich im zweiten Abschnitt der Passage, der sich schon ausgiebig denjenigen Problemen widmet, die sich für die epikureische Religionsphilosophie aus Epikurs atomistischen Grundüberzeugungen ergeben.56 Bereits hier wird Velleius’ Rede vom quasi corpus der epikureischen Götter aufgegriffen und scharf kritisiert. Die anderen beiden ad personam-Angriffe stehen innerhalb von Cottas drittem Hauptpunkt, d. h. der Kritik an der These der menschlichen Gestalt der Götter,57 genauer gesagt innerhalb der abschließenden Passage, die gegen die epikureische Annahme argumentiert, dass sich nur in menschlicher Gestalt Intellekt und Geist manifestieren können.58 Cotta greift also ausgerechnet bei derjenigen Fragestellung dreimal auf die Form der Invektive zurück, der er breiten Raum innerhalb seiner Widerlegung zugesteht und auf die er bei unterschiedlichen Fragestellungen immer wieder zu sprechen kommt. Mit Blick auf den Makrokontext lässt sich daher festhalten, dass Cotta bei dem Lehraspekt, dessen Kritik ihm besonders wichtig zu sein scheint, das gesamte Methodenrepertoire ausschöpft und auch vor persönlichen Angriffsformen nicht zurückschreckt, um mit deren Hilfe die Fragwürdigkeit dieser epikureischen These mit allen Mitteln zu demonstrieren. Untersucht man den Mikrokontext der drei Polemiken, so lässt sich darüber hinaus feststellen, dass sie innerhalb des jeweiligen Argumentationszusammenhangs stets die Funktion erfüllen, die für Cotta anders nicht erklärbare Lehre Epikurs von der Menschengestalt der Götter zu erklären. So fungiert die Polemik über Epikurs fehlende akademische Lehrer als Erklärung dafür, wie er überhaupt derartige Vorstellungen entwickeln und sich dabei so ungeschickt ausdrücken konnte,59 während die Polemiken

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Der inhaltliche Zusammenhang der drei Passagen scheint bislang noch nicht gesehen worden zu sein; lediglich Gigon 1996, 420 weist (allerdings unspezifisch) darauf hin, dass Cic. nat. deor. 1,93–94a die erste Polemik ergänzt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,65–75. Vgl. Cic. nat. deor. 1,68–75. Vgl. Cic. nat. deor. 1,76–102. Vgl. Cic. nat. deor. 1,84b–102. Die erste Polemik steht in einem engen Zusammenhang mit Cottas erster Kritik an Velleius’ Rede von einem quasi corpus der epikureischen Götter. So stellt Cotta die Behauptung auf, dass diese Formel eine Verlegenheitslösung Epikurs darstellt, mit deren Hilfe er verhindern möchte, entweder die atomistische Grundausrichtung seiner Lehre oder die Annahme der Götterexistenz aufgeben zu müssen. Dass er dafür ein sacrificium intellectus in Kauf nimmt, weist Cotta anhand von drei weiteren Beispielen nach, bei denen es zu solchen epikureischen Notkonstrukten komme. Die Polemik dient ihm sodann als Erklärung dafür, wie Epikur gerade im Falle der Rede vom quasi corpus auf solche Verlegenheitslösungen kommen könne. Hätte Epikur, so muss man Cottas Ge-

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über Epikurs Angstbesessenheit und Streitlust die Erklärung liefern, wieso er an dieser Ansicht trotz rationaler Bedenken festhält und sich nicht von den Ansichten anderer Philosophen überzeugen lässt. Da Cotta mithilfe der drei Polemiken also ausdrückt, dass sich die epikureische Lehre von der Menschengestalt der Götter nur noch mit Blick auf die bedenkliche psychische und intellektuelle Verfasstheit des Schulgründers erklären lässt, stellen sie eine besonders scharfe Form der Kritik dar. Wenn Dyck für die erste ad personam-Invektive festhält, dass sie als „an attempt to discredit Epicurus as lacking a philosopher’s proper credentials“60 zu beschreiben ist, so kann dieses Urteil einerseits nicht nur für die erste Polemik gelten, sondern kann auf alle drei polemischen Passagen übertragen werden; andererseits sollte mit Blick auf die inhaltliche Funktion der Polemiken nicht übersehen werden, dass es sich hierbei nicht nur um einen bloßen Diskreditierungsversuch Cottas handelt, sondern sie auf sachliche Probleme der epikureischen Ansicht von der Menschengestalt der Götter hinweisen. Die Invektive als Mittel sachlicher Auseinandersetzung? Die persönliche Diskreditierung Epikurs erfüllt für Cotta also keinen Selbstzweck, sondern dient dazu, mit besonderem Nachdruck auf grundlegende Probleme der epikureischen Lehre hinzuweisen. So leitet Cotta die Kritik an Epikurs Anspruch, Autodidakt zu sein, gleich zu Beginn der Passage mit der Kritik an den Anhängern Epikurs ein, welche Epikurs Thesen nicht kritisch und selbstständig prüfen, sondern lediglich aus Bewunderung für ihren Meister nachbeten.61 Indem Cotta die von Epikur selbst beanspruchte Sonderstellung dekonstruiert, macht er deutlich, dass das blinde Befolgen philosophischer Lehren nicht nur allgemein abzulehnen ist, sondern vor allem im Falle Epikurs problematisch ist, da sich dieser durch seine Ausgrenzung vom philosophischen Diskurs auf mehreren Ebenen selbst diskreditiert hat. Somit dient Cottas Polemik dem Ziel, das Fehlen einer eigenständigen Urteilsbildung aufseiten der Epikureer zu kritisieren und ihnen durch das Hinterfragen ihres Schulgründers die Problematik einer nachgerade kultischen Verehrung philosophischer Lehrer aufzuzeigen. Die Polemik liegt damit auf der Linie der epistemologischen Leseanweisung, die Cicero seinen Lesern am Ende des Proömiums anhand einer Kritik an Pythagoras und dessen Anhängern aufgezeigt hat.62 Ähnliches lässt sich auch im Fall von Cottas Kritik an Epikurs Aberglauben und dessen übersteigerter Angst vor den Göttern und dem Tod beobachten. Auch hier wird an exponierter Stelle, nämlich am Ende der polemischen Ausführungen, der polemische Charakter der Passage durch allgemeinere Überlegungen transzendiert. Indem Cotta dort die Behauptung aufstellt, dass Epikur selbst gerade von denjenigen Ängsten in überzogener Weise betroffen ist, von denen er seine Anhänger befreien möchte, stellt

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danken weiterführen, bei anderen Philosophen gehört, so hätte er niemals eine derartige Lehre formulieren können. Dyck 2003, 152. Vgl. Cic. nat. deor. 1,72: ista enim a vobis quasi dictata redduntur. Vgl. Cic. nat. deor. 1,10: Tantum opinio praeiudicata poterat, ut etiam sine ratione valeret auctoritas.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

er die epikureischen Heilmittel gegen diese Ängste in Frage. Wie glaubwürdig kann nämlich eine Heilslehre sein, die nicht einmal ihren Begründer von den zwei Grundängsten befreit? Noch entscheidender ist jedoch Cottas explizite Kritik an der epikureischen Grundannahme, dass es sich hierbei tatsächlich um grundlegende Ängste handelt, die die Menschheit in einem permanenten Griff hält. Durch die Polemik gegenüber Epikur stellt er vielmehr die Gegenthese auf, dass es sich hierbei um Angstzustände handelt, die Epikur in besonderer Weise betreffen und ihn dadurch als einen nachgerade pathologischen Fall erscheinen lassen, während sich normale Menschen (mediocres homines) davon nicht im selben Maß beeinflussen lassen. Dadurch werden der Anspruch und die Zielsetzung der epikureischen Lehre im Gesamten in Frage gestellt und der Leser zur Reflexion darüber angeregt, ob es sich bei den beiden Ängsten tatsächlich um anthropologisch konstante Grundängste handelt. Schließlich lässt sich auch hinter der dritten Polemik, die sich der vermeintlichen Streitsucht der Epikureer widmet, ein sachlicher Kritikpunkt beobachten. Dieser wird nicht, wie im Fall der ersten beiden Passagen, durch eine Verallgemeinerung, sondern vielmehr durch die komplementäre Inszenierungstechnik der Konkretisierung erreicht. Indem Cotta nur hier auf Velleius und dessen Polemik im doxographischen Mittelteil der epikureischen Rede hinweist, macht er auf den überzogenen Wahrheitsanspruch der epikureischen Schule aufmerksam. Für den Skeptiker Cotta muss eine philosophische Schule, die behauptet, einzig im Besitz des verum zu sein, während hingegen alle anderen Schulen im Irrtum seien, epistemologisch bedenklich scheinen.63 Problematische Aspekte von Cottas Polemik. Auch wenn sich hinter Cottas Polemik also durchaus ein ernsthaftes sachliches Interesse erkennen lässt, das gerade auf solche Aspekte der epikureischen Lehre hinweist, die vor dem Hintergrund der ciceronischen Leseanweisungen des Proömiums als bedenklich einzustufen sind, sind etliche Passagen und Argumentationsgänge seiner polemischen Passagen dennoch als problematisch zu beurteilen. So weisen vor allem Cottas Argumentations- und Begründungsformen einige kritische Aspekte auf. Beispielsweise werden negative Urteile über die epikureische Lehre von Cotta oftmals lediglich angeführt, ohne dass er sein Urteil im Einzelnen begründet. Stattdessen setzt er auf die Suggestivkraft seiner Beurteilungen, die den Verzicht von Begründungen kaschieren soll.64 Besonders deutlich wird dies im Fall seiner Kritik an Epikur als Autodidakt. In dem Vergleich Epikurs mit einem Hausherrn, dessen schlecht gebautes Haus ein beredtes Zeugnis von dessen Verzicht auf einen Architekten gibt, wird die epikureische Lehre mit eben jenem Haus gleichgesetzt;

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Vgl. etwa Cic. nat. deor. 1,1 für eine Kritik an einer sine ulla dubitatione-Verteidigung nicht vollständig durchdachter Positionen. Vgl. Wierzcholowski 2019 zu den einzelnen rhetorischen Strategien wie dem „Evozieren von Sachlichkeit“ (307), der „Technik des Nahelegens“ (308), dem Etablieren des Angstmotivs als Leitkategorie der Epikur-Polemik (313), der concessio-Technik (319) und der enumeratio (323), mit denen Cotta seinen Kritikpunkten Evidenz verleiht.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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während allerdings im Falle des Hauses dessen minderwertige Qualität wohl jedem Betrachter ins Auge fällt und unmittelbar einleuchtet, kann eine solche Evidenz nicht ohne Weiteres auf eine philosophische Lehre übertragen werden. Cotta nimmt diese argumentative Unschärfe, die durch die Übertragung des Beispiels auf die Sachebene hervorgerufen wird, jedoch bewusst in Kauf und geht nach der Formulierung dieses Gleichnisses fortan einfach von einem problematischen Zustand der epikureischen Lehre aus, ohne ihn anhand von konkreten Beispielen hergleitet zu haben.65 Auch andernorts schwächen der Verzicht auf Beispiele bzw. unglücklich gewählte Beispiele die rationale Schlagkraft von Cottas Gegenargumenten.66 Da der Leser diese epistemologisch weniger valide Argumentationsform bereits aus Velleius’ Rede kennt, fällt es ihm leichter, sie auch in der Cotta-Rede zu identifizieren. Darüber hinaus rekurriert Cotta in vielen Fällen auf topische Elemente der antiken Epikur-Polemik und übernimmt deren Deutung zu einzelnen Aussagen und Lebensstationen Epikurs, ohne dabei den Versuch einer abwägenden und im Gesamten gerechteren Beurteilung zu wagen. Epikurs Geringschätzung einer allgemeinen Bildung wird hier ebenso angeführt wie Epikurs Behauptung, keine Lehrer gehabt zu haben, obwohl sich doch die Nähe der epikureischen Physik zu den Lehren Demokrits nicht in Abrede stellen lässt. In beiden Fällen lässt sich eine polemisch motivierte Dekontextualisierung der einzelnen Aussagen Epikurs beobachten. So lehnt Epikur eine allgemeine Bildung nicht grundsätzlich ab, sondern spricht ihr lediglich die Bedeutung für die eigentliche Glückseligkeit ab; bedenklich wird das Bildungsstreben für Epikur erst dann, wenn der Mensch versucht, sich mit Hilfe einer allgemeinen, an einem Bildungskanon orientierten Ausbildung der Glückseligkeit zu nähern.67 Darüber hinaus lässt sich Epikurs Anspruch, Autodidakt zu sein, und sein Rekurs auf Demokrits Phy65

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Diese Problematik hat wahrscheinlich auch Gigon 1996, 402 ad loc. vor Augen, wenn er von einem „bösartigen Vergleich Epikurs mit dem Bewohner eines dilettantisch gebauten Hauses“ spricht. Während Gigon vermutet, dass Cicero diesen Vergleich seinem Prätext entnommen hat, führt Dyck 2003, 152 ihn auf Cicero selbst zurück. Vgl. dazu etwa Cic. nat. deor. 1,86 a. E.; dort belegt er die These, dass die Angst vor Tod und Göttern normale Menschen (mediocres homines) nicht im selben Umfang affiziert wie Epikur, gerade am Beispiel von Mördern und Religionsfrevlern. Es ist zu fragen, ob gerade diese beiden Gruppen mit Recht für die Allgemeinheit der Menschen stehen oder nicht ihrerseits zu den Randgruppen gehören, die nicht dafür geeignet sind, Epikurs Sonderstellung zu belegen. Darüber hinaus werden von Cotta keine Belege angeführt, woran man Epikurs Ängstlichkeit erkennen könne. Gigon 1996, 415 ad loc. kommt daher zu dem Ergebnis, dass Cicero vermutlich die entsprechenden unterstützenden Beispiele aus seinem Prätext gestrichen habe, sodass Cotta in der Folge hier „polemisch […] grob argumentiert“. Die Raffung eines möglichen Prätextes bzw. (allgemeiner formuliert) der deutlich erkennbare Verzicht auf unterstützende Beispiele und Begründungen könnten daher als ciceronische Inszenierungsweise erklärt werden, mit deren Hilfe die problematische Dimension der Invektiven trotz ihrer insgesamt instruktiven Funktion deutlich hervorgehoben wird. Vgl. dafür Gigon 1996, 403 ad loc., der auf eine Verzerrung der epikureischen Bildungsskepsis durch Cotta hinweist. Vgl. darüber hinaus Pease 1955, 382 für eine Einordnung der epikureischen Bildungsskepsis, die – so Pease mit Recht – in einer gewissen Nähe zu Sokrates’ Skepsis gegenüber allem erlernten, abrufbaren Wissen steht.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

sik zumindest dahingehend in Übereinstimmung bringen, dass Epikur vor allem für seine eudaimonia-Lehre Originalität beansprucht hat; wie die allgemeine Bildung hat auch die Physik bei Epikur nur eine dienende Funktion, derer er sich nicht gerühmt hat. Cottas Ausprägung der skeptischen Position. Als besonders unverdächtig erschien bislang Cottas Fazit am Ende der dritten ad personam-Polemik, mit dem er die epikureische Streitsucht im Allgemeinen und Velleius’ doxographischen Überblick im Speziellen aus einer scheinbar dezidiert skeptischen Warte kritisiert. So wurde besonders die Nähe von Cottas polemischem Abschlusssatz zum Proömium von De natura deorum betont. In der Folge wurde Cotta hier mehr oder weniger deutlich als Ciceros Sprachrohr apostrophiert.68 Ein genauer Vergleich der beiden Stellen eröffnet jedoch den Blick auf einen zentralen, bislang nicht gesehenen Unterschied: Quorum opiniones cum tam variae sint tamque inter se dissidentes, alterum fieri profecto potest, ut earum nulla, alterum certe non potest, ut plus una vera sit. (1,5) Quorum si nemo verum vidit de natura deorum, verendum est, ne nulla sit omnino. (1,94)

Zwar verweist der Beginn beider Sätze mit einem Relativpronomen im Genitiv Plural formal ebenso aufeinander wie die beiderorts angesprochene Problematik, angesichts der großen Divergenz religionsphilosophischer Lehrmeinungen die Wahrheit über die Götter herausfinden zu können. Im Detail ergeben sich jedoch gewichtige Unterschiede. Im Proömium nutzt Cicero die epistemologische Herausforderung, die sich aus den divergierenden Ansichten zu den Göttern ergibt, um grundsätzliche Überlegungen über das verum anzustellen. So hält er fest, dass überhaupt nur eine der religionsphilosophischen Ansichten wahr sein kann, da die Wahrheit als dualistisches Konzept nicht für unterschiedliche Ansichten zugleich in Anspruch genommen werden kann.69 Wahrscheinlicher ist es jedoch anzunehmen, dass keines der angesprochenen philosophischen Konzepte das verum für sich beanspruchen darf, sodass die Meinungsdifferenz der Philosophenschulen notwendigerweise dazu führen muss, dass der akademische Skeptiker seine sichere Zustimmung keiner der Schulen zuspricht,70 sondern jede Position auf das probabile prüft und dabei verschiedene Ansichten in unterschied-

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Vgl. dazu bspw. Gigon 1996, 424 und Dyck 2003, 178, die die Nähe der Passage zu Cic. nat. deor. 1,5 betonen. Spricht man von dem verum als solchem, so vertritt der skeptische Akademiker einen platonischen Dualismus, wonach eine Ansicht entweder wahr oder falsch ist (tertium non datur!), ohne dass es zu einem Wahrheitspluralismus kommen kann. Vgl. dazu vor allem Cic. nat. deor. 1,1 zur skeptisch begründeten Ablehnung des adsentiri: De qua tam variae sint doctissimorum hominum tamque discrepantes sententiae […], prudenterque Academici a rebus incertis adsensionem cohibuisse.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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lichem Ausmaß und Umfang als probabilia bezeichnet.71 Während sich für Cicero im Proömium aus der Meinungsdivergenz also die Absage an das eine verum und die Notwendigkeit der Suche nach den probabilia ergibt, urteilt Cotta in seiner ersten Widerlegungsrede deutlich rigoroser. Sollte Velleius, so Cotta, tatsächlich Recht haben und keiner der von ihm diskutierten Philosophen das verum erkannt haben, so sei zu befürchten, dass es die natura deorum überhaupt nicht gebe; eine Abstufung zwischen wahrscheinlicheren und weniger wahrscheinlichen Ansichten ist hier nicht angedeutet. Der entscheidende Unterschied zwischen Ciceros proömialer Aussage und Cottas polemischem Fazit besteht demnach in der Beurteilung der Konsequenzen, die sich aus den divergierenden Philosophenmeinungen ergeben. Während Cicero mit der Möglichkeit rechnet, dass keine von ihnen das verum für sich beanspruchen darf, sondern stattdessen der Einzelne selbsttätig auf die Suche nach dem probabile gehen muss und zu einem differenzierten Urteil gelangen mag, zieht Cotta die weitaus radikalere Schlussfolgerung und sieht, da die epikureische Position für ihn nicht die Rolle der Wahrheitsbringerin erfüllen kann,72 im Falle des tatsächlichen Irrtums aller von Velleius kritisierten Philosophenschulen die gesamte Frage nach den Göttern – und damit wohl auch die Ansicht ihrer Existenz überhaupt – gefährdet. Dieser Befund lässt sich in mehrfacher Hinsicht ausdeuten. Zunächst kann nach dessen konkreter rhetorischer Funktion innerhalb von Cottas Argumentation gefragt werden. Indem Cotta hier einen scharfen Dualismus zwischen dem mit Velleius’ Prämissen nicht zu erreichenden verum und dem überall lauernden falsum vertritt, deutet er nicht nur die Möglichkeit einer religionsphilosophischen Aporie an, sondern zeichnet zudem die Drohkulisse einer sich daraus ergebenden agnostischen oder atheistischen Haltung. Auf hintersinnige Weise desavouiert Cotta Velleius’ epistemologischen Ansatz, indem er mit der allgemeinen Angst vor agnostischen bzw. atheistischen Folgen des epikureischen Ansatzes arbeitet. Cottas Radikalisierung ist vor diesem Hintergrund somit als polemische Verzerrung des skeptischen Ansatzes, wie Cicero ihn im Proömium vertreten hat, zu erklären. Durch sie rückt Cotta Velleius und die epikureische Religionsphilosophie unter dem Deckmantel der skeptischen Widerlegung abschließend doch in die Nähe von atheistischen und potenziell staatsgefährdenden Ansätzen, jedoch ohne dies argumentativ zu entfalten, sondern stattdessen auf den suggestiven Effekt dieser Drohkulisse zu setzen. Jenseits dieser konkreten rhetorischen Funktion lässt sich an der vorliegenden Passage jedoch auch erkennen, dass Cottas skeptischer Ansatz nicht ohne Weiteres 71

72

Vgl. dazu vor allem Cic. nat. deor. 1,12 für die Bevorzugung des sequi: Non enim sumus i, quibus nihil verum esse videatur, sed i, qui omnibus veris falsa quaedam adiuncta esse dicamus tanta similitudine, ut in is nulla insit certa iudicandi et adsentiendi nota. Ex quo exsistit et illud multa esse probabilia, quae, quamquam non perciperentur, tamen, quia visum quendam haberent insignem et inlustrem, his sapientis vita regeretur. Vgl. unmittelbar im Anschluss Cic. nat. deor. 1,94b: Nam ista, quae vos dicitis, sunt tota commenticia, vix digna lucubratione anicularum.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

und nicht durchgehend mit Ciceros skeptischem Ansatz, den er im Proömium und in den Academica entfaltet hatte, in Einklang gebracht werden kann. Während Cicero eine gemäßigte, probabilistische Form des Skeptizimus vertritt, erscheint Cotta hier als radikal-dualistischer Skeptiker. Für den aufmerksamen Leser kommt diese Modellierung Cottas indes nicht überraschend. Schon in der dialogischen Überleitung nach Velleius’ Rede macht Cotta deutlich, dass er selbst zwar Irrtümer und problematische Positionen erkennen, im Zweifelsfall jedoch nichts über die natura deorum sagen könnte.73 Da er lediglich die Unterscheidung zwischen verum und falsum zu kennen scheint und das verum nicht erkannt zu haben glaubt, bleibt ihm lediglich die Aufdeckung des falsum bei der Besprechung der anderen philosophischen Ansichten übrig. Cotta konzentriert sich daher auf das dicere contra und teilt nicht Ciceros proömiale Zielsetzung, nach dem probabile zu suchen. Besonders deutlich wird Cottas Haltung auch am Simonides-Gleichnis, mit dem die dialogische Überleitung endet;74 dessen zunehmende Verzweiflung bei der Suche nach der Wahrheit und den daraus resultierenden Verzicht auf eine eigene Antwort macht sich Cotta zu eigen und nutzt ihn als Rechtfertigung dafür, selbst keine Antwort geben zu müssen. Die Pointe des Gleichnisses ist ja gerade darin zu suchen, dass Simonides schließlich jede Hoffnung aufgegeben haben mag, die Wahrheit jemals zu finden.75 Darüber hinaus nutzt Cotta auch schon zu Beginn der Widerlegungsrede die inhaltlich nicht weiter ins Gewicht fallende Kritik am epikureischen esse deos dazu, um die Stoßrichtung des skeptischen Ansatzes zu konkretisieren. Als Zielpunkt gibt er dort nicht etwa die Suche nach dem probabile, sondern das zweifelsfreie Überzeugtwerden von der Wahrheit an,76 die für einen radikalen Skeptiker jedoch in so weiter Ferne liegt, dass die Rezipienten damit rechnen können, dass Cotta selbst nirgends innerhalb des Dialogs seine Zustimmung zu bestimmten Positionen geben wird. Daher sollte Cotta nicht ohne Weiteres als skeptisches Sprachrohr Ciceros interpretiert werden.77

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,57. Vgl. Cic. nat. deor. 1,60. Anders Dyck 2003, 141 f. ad loc., der keinen Unterschied zu Ciceros proömialem Ansatz erkennen möchte und das Simonides-Gleichnis „as an example of prudent deliberatio in the face of a difficult question“ und daher als eine dialogische Umsetzung von 1,1 ansieht. Dabei übersieht er allerdings den Unterschied zwischen adsentiri und sequi, den Cicero im Proömium hervorhebt. Auch wenn Cicero dazu rät, seine Zustimmung bei unklaren Fragen zurückzuhalten, plädiert er dennoch dafür, das probabile als handlungsleitende Kategorie zu akzeptieren und ihm nach einem Prüfungsprozess zu folgen. Vgl. Cic. nat. deor. 1,61: persuaderi mihi non opinione solum, sed etiam ad veritatem plane velim. Vgl. dazu auch Dyck 2003, 143, der diesen Unterschied hinsichtlich des skeptischen Ansatzes von Cicero und Cotta mit Blick auf Cic. nat. deor. 1,61 herausstellt.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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c) Sachlich unmotivierte und verzerrende Angriffe? In Cottas Widerlegungsreden finden sich Passagen, in denen er seine Vorredner für etwas angreift, das zwar durchaus Teil der jeweiligen philosophischen Lehre ist, vom dogmatischen Redner im vorliegenden Fall jedoch gar nicht (näher) ausgeführt worden ist. Lassen sich solche Passagen als Beleg für die These anführen, dass Cicero für die dogmatische Rede und die sich anschließende skeptische Widerlegungsrede auf unterschiedliche Prätexte zurückgegriffen hat, die nicht von vorneherein aufeinander abgestimmt waren und deren unterschiedliche Schwerpunktsetzungen von Cicero entweder nicht bemerkt78 oder zumindest billigend in Kauf genommen worden sind? Noch bedenklicher erscheinen diejenigen Passagen, in denen Cotta eine dogmatische Position verzerrt, ungenau oder überzeichnet wiedergibt und auf der Grundlage eines solchen Missverständnisses bzw. einer solchen Missdeutung einen Angriff gegen dogmatische Ansichten führt. Auf den ersten Blick basiert ein solches Vorgehen auf den Prinzipien einer forensischen oder politischen refutatio;79 es bleibt daher danach zu fragen, in welchem spannungsvollen Verhältnis forensisch-politische Rhetorik und skeptische Philosophie stehen. Kompositorische Brüche? Besonders auffallend ist es, dass Cotta mehrfach nach dem Wohnort der epikureischen Götter fragt,80 obwohl sich Velleius selbst nirgends zu den Intermundien als epikureische sedes divina geäußert hatte.81 Mit dieser Nachfrage geht 78

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Philippson 1940, 24 hingegen nimmt an, dass sich solche Passagen dadurch erklären lassen, dass Cicero fälschlicherweise meint sich zu erinnern, auch dem dogmatischen Vorredner dieses Thema in den Mund gelegt zu haben, auch wenn dies de facto nicht der Fall war. Als Beispiel führt er Cottas Frage nach dem Wohnort der epikureischen Götter an (Cic. nat. deor. 1,103 f.); zwar hatte Velleius darüber nicht gesprochen, doch erinnerte sich Cicero, so Philippson, nur an seine proömiale Gliederung, in der die Frage nach dem Wohnort als typisch religionsphilosophische Frage angesprochen worden ist, sodass er fälschlicherweise davon ausging, dass sich auch bei Velleius dazu eine Antwort finde. Da diese Gliederung des Proömiums auf Karneades zurückzuführen sei (dies erschließt Philippson nur aus dessen Erwähnung in Cic. nat. deor. 1,4), gehe auch die Widerlegung des ersten Buches auf ihn zurück. Der Grad der Spekulation, den Philippsons Ausführungen an dieser Stelle erreichen, ist selbst für die ältere Quellenforschung außergewöhnlich. Vgl. grundlegend Schäublin 1990 für die forensische Dimension der Widerlegungsrede Cottas gegen Epikur. Vgl. die den Themenkomplex umrahmenden Fragen in Cic. nat. deor. 1,103: Quod eius est domicilium? Quae sedes, qui locus, […]? und in 1,104: Quaero igitur, vester deus primum ubi habitet, […]. Vgl. darüber hinaus bereits für eine erste Erwähnung der Frage Cic. nat. deor. 1,65: ubi sint? Dass Velleius sich nicht über die Intermundien äußert, bezeichnet Gigon 1996, 430 ad loc. als „Rätsel“. Der ironische Dialogeinstieg in Cic. nat. deor. 1,18 zeigt zumindest, dass Cicero die Intermundien-Theorie Epikurs kannte, sodass das Fehlen dieses Lehrteils nicht mit Ciceros fehlenden Kenntnissen erklärt werden kann. Vor dem Gesamteindruck der Velleius-Rede scheint es eher so, als ob sich der Verzicht auf diese Theorie ebenso wie der Verzicht auf eine prononcierte atomistische Unterfütterung der Religionsphilosophie als Velleius’ Versuch deuten lassen kann, potentiell problematische und leicht zu kritisierende Aspekte seiner Lehre, die nicht zur eudaimonistischen Zielsetzung beitragen, auszuklammern, um dadurch einen überzeugenderen Gesamteindruck herzustellen.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Cotta über das Themenspektrum hinaus, welches Velleius kurz zuvor in seiner Rede präsentiert hat, und orientiert sich eher an den Fragestellungen, die Cicero am Beginn des Proömiums als typisch religionsphilosophische Detailfragen angesprochen hat.82 Bezeichnenderweise hat es Cotta allerdings bei seiner Nachfrage belassen. Nach der Frage nach dem göttlichen Wohnort, auf die ein exkursartiger Überblick über die Wohnorte verschiedener Lebewesen folgt, setzt Cotta in 1,103 f. zu einer korrigierenden Kritik an Velleius’ Ausführungen zur besonderen Erkenntnisweise der Götteratome an, bevor er sich der Frage der actio vitae der epikureischen Götter zuwendet. Die ältere Quellenforschung hat diesen Befund als Hinweis auf unsauber zusammengefügte Prätexte gedeutet. So nahm man an, dass es sich bei Cottas Ankündigung, über den Wohnsitz der Götter sprechen zu wollen, um unbeabsichtigt im Text verbliebene Reste aus Ciceros Quellenschrift handelt, die dort die Behandlung der Götterwohnsitze einleitete. Während Cicero jedoch die eigentliche Kritik an den epikureischen Intermundien gestrichen habe, um mit Blick auf die Velleius-Rede Inkohärenzen zu vermeiden und nichts zu widerlegen, was Velleius gar nicht behauptet hatte, habe er versehentlich vergessen, die einleitenden und gliedernden Passagen zu tilgen, sodass sie jetzt als quellenbedingter Fremdkörper im Text erscheinen.83 Bei näherem Hinsehen lässt sich jedoch eine alternative Erklärung für diesen auffälligen Textbefund finden. So kann man Cottas wiederholt gestellte Frage nach der epikureischen Lehre zum Wohnort der Götter als die Frage nach einem wichtigen Teilgebiet verstehen, zu dem Velleius keine Antwort geliefert hat. Der Teil der Cotta-Rede, der sich eingehend mit dieser Frage beschäftigt,84 dient dazu zu entfalten, welche Aspekte dieser Themenkomplex enthält und welchen inhaltlichen Anforderungen eine Antwort genügen müsste. Mithilfe eines kurzen, aristotelisch geprägten85 Exkurses, mit dem Cotta aufzeigt, dass verschiedene Lebewesen aus bestimmten Gründen an unterschiedlichen Orten und in unterschiedlichen Elementen leben, die ihrem Wesen und ihren Bedürfnissen gerecht werden, macht Cotta deutlich, dass für den epikureischen Gott ein Ort gefunden werden müsste, welcher seiner materialen Beschaffenheit und der Art seines Lebens gerecht werden kann.86 Anders als an anderen Stellen trägt Cotta hier nicht die fehlende epikureische Position nach, sondern verweist explizit auf die von Velleius’ gelassene Leerstelle und gibt zugleich vor, welche Aspekte eine epikureische Antwort idealiter

82 83 84 85 86

Vgl. Cic. nat. deor. 1,2: de locis atque sedibus. Vgl. dazu prominent Schwenke 1879, 63 f. und später auch Philippson 1940, 23 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,103 f. Vgl. Philippson 1940, 36. Eine gewisse „Hilfestellung“ für eine potentielle epikureische Antwort leistet Cotta im Folgenden dann doch, da er im Fortgang zunächst über die materiale Beschaffenheit der epikureischen Götter (vgl. Cic. nat. deor. 1,105–110a), dann über die Art ihres Lebens (vgl. Cic. nat. deor. 1,110b–114) sprechen wird und damit genau diejenigen Punkte abhandeln wird, die er selbst als maßgeblich für eine Antwort auf die Frage nach dem Götterwohnsitz bestimmt hat.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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enthalten sollte.87 Indem Cotta hier also deutlich auf ein Desiderat hinweist, das durch Velleius’ knappe Abhandlung entstanden ist, wird ersichtlich, in welch hohem Maß die epikureische Rede und die skeptische Gegenrede aufeinander bezogen sind. Cottas Modellierung vermeintlich epikureischer Zitate. Bei Cottas Widerlegung der epikureischen Rede fällt auf, dass Cotta des Öfteren auf Zitate zurückgreift, mit deren Hilfe er die epikureische Position nochmals in Erinnerung ruft, bevor er sie im Anschluss kritisiert. Meist stehen diese Zitate am Anfang eines neuen Gedankengangs und dienen dadurch nicht nur als prägnanter Einstieg in ein neues Thema,88 sondern erleichtern es Cotta, nach einem Exkurs elegant zum eigentlichen Thema zurückzukehren. Problematisch ist dieses Verfahren jedoch deshalb, weil sich die als Zitate markierten Sätze in den meisten Fällen so weder bei den uns überlieferten Epikur-Schriften noch in Velleius’ Rede finden. Oftmals wird daher nicht ersichtlich, ob es sich bei den als Zitate markierten Sätzen um die Übersetzung eines nur hier überlieferten oder von Cotta erfundenen Epikur-Zitates oder um die freiere Wiedergabe einer Aussage des Velleius handeln soll. Die von Cotta mehrfach innerhalb der Rede wiederholte Doppelansprache an Velleius und Epikur führt ihrerseits nämlich zu einer Rollenüberlagerung, teilweise auch zu einer Rollendiffusion, sodass es des Öfteren unklar bleibt, wer von Cotta jeweils angesprochen oder angegriffen wird.89 Modifizierte Zitation von Velleius’ Äußerungen. Versucht man die von Cotta angeführten, vermeintlichen Zitate trotz ihrer unklaren Adressierung zu kategorisieren, so lassen sich mehrere Verwendungsweisen feststellen. Eine erste Kategorie stellen diejenigen Zitate dar, die sich zwar nicht als wörtliche Wiederaufnahme90 einer vorausgehenden Aussage des Velleius nachweisen lassen, aber dennoch als kondensierte und pointierte Reprise einer seiner religionsphilosophischen Ansichten erklärt werden können. Bedenklich ist dabei meistens nicht die kondensierte Wiedergabe als solche, sondern Cottas Umgang mit dem von ihm selbst modifizierten Zitat, da er die durch 87

88

89 90

Wenn Essler 2011a, 145 den Zielpunkt dieses Gedankengangs darin sieht, der epikureischen Position in rhetorischer Verzerrung zu unterstellen, dass sie nichts zu dem Thema der göttlichen Wohnsitze zu sagen habe, dann übersieht er, dass dies für Velleius tatsächlich zutrifft, da er sich über dieses Thema wirklich nicht geäußert hatte. Vgl. für eine vor allem gliedernd-einleitende Funktion eines Velleius zugeschriebenen, bei Velleius so aber nicht vorfindlichen Zitats bspw. Cic. nat. deor. 1,115.122, wo der Verweis auf Epikurs Schriften über die rechte Gottesverehrung Cottas Kritik an Epikurs Frömmigkeitskonzept umrahmt und von seiner auf Poseidonios beruhenden, finalen Kritik (1,123 f.) abgrenzt. Neben dieser vornehmlich gliedernd-strukturierenden Funktion wird durch den Verweis auf Epikurs Bücher über die rechte Gottesverehrung bereits inhaltlich der Gegensatz zu seinem Leben bzw. seinen eigentlichen Absichten und Überzeugungen vorbereitet. Philippson 1940, 25 f. erklärt die Ansprache an Velleius lediglich als oberflächliches dialogisches Moment, durch das die fehlende inhaltliche Passung von Rede und Gegenrede überspielt werden soll. Allerdings sollte nicht übersehen werden, dass es tatsächlich auch zu wörtlichen Reprisen von Velleius’ Äußerungen kommt, bspw. in Cic. nat. deor. 1,71, wo Cotta Velleius’ quasi corpus-Formulierung aufnimmt; vgl. dazu die folgenden Ausführungen.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

die Komprimierung und Kondensierung hervorgerufene Offenheit bzw. Mehrdeutigkeit nutzt, um der epikureischen Theologie in seiner anschließenden Widerlegung Positionen zu unterstellen, die nicht ohne Weiteres mit Velleius’ Ausführungen oder mit anderen epikureischen Einsichten kompatibel sind. Cotta nutzt an diesen Stellen das von ihm modellierte Zitat also als vermeintlich epikureische Beglaubigung einer These, die zwar auf einem sachlich zutreffenden Kern beruht, ihm jedoch aufgrund ihrer Offenheit bzw. Mehrdeutigkeit umso leichter die Möglichkeit einer schärferen Widerlegung eröffnet. „Difficile est negare.“ Ein erstes Beispiel für ein derart verwendetes Zitat findet sich gleich zu Beginn von Cottas Auseinandersetzung mit der epikureischen Theologie. Nach der knappen Überleitung,91 die mit dem erstmals geäußerten Wunsch Cottas, lieber mit Epikur als mit Velleius diskutieren zu wollen, endet, bestimmt Cotta die Frage nach der Existenz der Götter als den ersten Gliederungspunkt seiner Widerlegungsrede.92 Unmittelbar danach folgt der Satz difficile est negare, den alle modernen Ausgaben mit Blick auf die vorausgehende Frage und die sich anschließende Erwiderung Cottas mit Recht als Zitat kennzeichnen. Das vermeintliche Zitat beantwortet Cottas Frage nach der Existenz der Götter dahingehend, dass eine Leugnung ihrer Existenz schwierig sei. Eine solche Aussage findet sich in dieser Form weder in der Velleius-Rede noch in den überlieferten Epikur-Schriften. Dennoch ließe sich der Satz als komprimierte Zusammenfassung von Velleius’ Position auffassen. Der Satz difficile est negare könnte dann als Hinweis darauf gelesen werden, dass es für Velleius schwierig, ja nachgerade unmöglich scheint, die Existenz von Göttern zu leugnen, da ja alle Menschen aufgrund einer natürlichen Gotteserkenntnis darin übereinstimmten, dass es Götter gibt.93 Cotta nutzt nun jedoch die durch die Kürze des Satzes evozierte Offenheit und fasst das Adjektiv difficile im Folgenden nicht als Hinweis auf die epistemologische, sondern vielmehr auf die politisch-gesellschaftliche Schwierigkeit einer Leugnung der Götterexistenz auf.94 Damit legt er der epikureischen Position den Einwand in den Mund, die Frage nach den Göttern ohnehin nicht offen diskutieren zu können, sondern in jedem Fall positiv beantworten zu müssen, um keine atheistische und dadurch sich selbst und den Staat gefährdende Position zu vertreten.95 Bezeichnenderweise be-

91 92 93 94 95

Vgl. Cic. nat. deor. 1,57–61a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,61b: quaeritur primum in ea quaestione, quae est de natura deorum, sintne dei necne sint. Im Sinne des Velleius müsste mit difficile daher die faktische Unmöglichkeit einer solchen Leugnung ausgedrückt werden (vgl. TLL 5,1,1089 s. v. difficilis i. S. v. quod fieri non potest). Vgl. für diese Konnotation von difficile TLL 5,1,1082–1085 s. v. difficilis i. S. v. id quod cum difficultate, cum labore, aegre perficitur, interdum cum notione molestiae. Vgl. Gigon 1996, 394 ad loc., der ebenfalls auf den Verdächtigungscharakter dieses Zitats abzielt, dessen polemische Stoßrichtung allerdings allzu scharf herausarbeitet und zu wenig beachtet, dass Cotta es vor allem als Einstieg in eine grundsätzliche Diskussion verschiedener Kommunikationsräume heranzieht.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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lässt es Cotta jedoch bei dieser impliziten Unterstellung und nutzt diesen Aufhänger nicht dazu, um die epikureische Position, wie er es gegen Ende der Widerlegungsrede tut,96 schon unmittelbar zu Beginn seiner Rede mit dem Vorwurf zu konfrontieren, eine kryptoatheistische Position zu vertreten. Vielmehr nutzt er die durch das Zitat angedeutete Sorge Epikurs bzw. des Velleius dazu, um zu grundsätzlichen Überlegungen anzusetzen und den öffentlichen Kultraum und das private philosophische Gespräch als zwei gegensätzliche Kommunikationsräume mit jeweils eigenen Gesetzlichkeiten vorzustellen.97 Dabei macht Cotta deutlich, dass sein kultisches Handeln als pontifex von philosophischen Anfragen nicht in Frage gestellt wird und er die Götterexistenz in öffentlichen Diskursräumen (in contione) niemals bezweifeln würde. In diesem Sinne könnte er also einer politisch-gesellschaftlichen Schwierigkeit der Götterleugnung zustimmen. Dem privaten philosophischen Austausch (in huius modi sermone) hingegen eröffnet er einen so großen Spielraum, dass es hier sogar möglich wird, die Frage nach der Götterexistenz offen und kontrovers zu diskutieren und auch diejenigen Argumente zu beleuchten, die gegen eine Existenz der Götter zu sprechen scheinen. Hierin würde er also einem Diskursverbot widersprechen. Indem Cotta seinem epikureischen Gegner diese Sorge in den Mund legt, dient er ihm hier also als Stichwortgeber, der ihm die Möglichkeit eröffnet, seine eigene Doppelrolle vorzustellen, die er im weiteren Verlauf des Dialogs in diesem Sinn entfalten wird, und verschiedene Diskursräume voneinander abzugrenzen. Dass dabei unterschwellig durchaus der Atheismusvorwurf gegenüber Epikur vorbereitet wird, nimmt Cotta sicherlich nicht ungern in Kauf. Dass er diesen Vorwurf hier jedoch nicht weiter ausbaut und ihn auch nicht ins Zentrum seiner Darstellungsabsicht rückt, ist wohl nicht nur einem dramatischen Gesamtkonzept der Widerlegungsrede und Cottas Plan, mit diesem Vorwurf bis zum Finale seiner Rede zu warten, geschuldet, sondern ist auch mit der Tendenz Cottas zu erklären, bei der Diskussion des esse deos eine gewisse Schonung an den Tag zu legen und auf einen Angriff der epikureischen Herleitung der Götterexistenz in weiten Teilen zu verzichten. Für das erste Beispiel lässt sich also festhalten, dass das von Cotta geprägte Zitat erst durch Cottas Deutung eine kritikwürdige Dimension erhält, die hier allerdings nur dezent gegen Epikur eingesetzt wird und vielmehr einem allgemeineren Darstellungsziel untergeordnet ist. „Numquam vidi.“ Cotta verwendet einen großen Teil seiner Widerlegungsrede für den Nachweis, dass die epikureische Theologie fälschlicherweise darauf besteht, dass die Götter ausgerechnet und ausschließlich in menschlicher Gestalt vorzustellen

96 97

Vgl. Cic. nat. deor. 1,123 f. Vgl. Dyck 2003, 142 ad loc., der hier nur en passant auf „the difference between public and private discourse“ hinweist. Pease 1955, 351 ad loc. hingegen weist in einer breiten Stellensammlung nach, dass es sich bei dieser Unterscheidung, die Cotta anstellt, um eine genuin antike Scheidung von Diskursräumen handelt, die von Platon ausgehend bis in die Spätantike hinein nachgewirkt hat.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

seien.98 In einem ersten Zitat lässt er Velleius bzw. Epikur in ironischer Weise die Gegenthese angreifen, die auch die Gestirne als mögliche Erscheinungsform der Götter vorschlägt.99 Wenn dort als Gründe gegen Gestirngötter angeführt wird, dass Sterne und Planeten weder glückselig noch vernunftbegabt sein können, dann handelt es sich dabei um die beiden Gründe, die von Velleius sowohl im Widerlegungsteil als auch im Lehrteil seiner Rede mehrfach an getrennten Stellen angeführt und begründet worden sind,100 sich allerdings nirgends in dieser komprimierten Zusammenfassung finden lassen. Das von Cotta modellierte Einstiegszitat dient also zunächst dazu, die beiden zentralen epikureischen Begründungsfiguren und Erkenntniskriterien gebündelt zu präsentieren, bevor sie im Folgenden durch weitere Zitate einzeln aufgegriffen und widerlegt werden. Nach einem Exkurs über Epikurs vermeintlichen Aberglauben widmet sich Cotta sodann zunächst der epikureischen These, dass sich vernünftiges Denken nur im Menschen zeige und die Vernunft dementsprechend auf die menschliche Gestalt angewiesen sei. Eben diese Position legt er Velleius bzw. Epikur nochmals pointiert in den Mund: „Numquam vidi“, inquit, „animam rationis consilique participem in ulla alia nisi humana figura.“ (1,87) Auch wenn Cotta diesen Satz hier explizit Epikur und nicht Velleius zuschreibt,101 findet sich dazu eine unmittelbare Entsprechung in Velleius’ Rede. In dem Kettenschluss, mit dessen Hilfe Velleius die Verbindung zwischen dem schönstmöglichen und dem menschlichen Aussehen beweisen will, findet sich nämlich die Aussage, dass die ratio ausschließlich in der hominis figura existiere.102 Nach der Präsentation der epikureischen Ausgangsthese sucht Cotta sie dadurch zu widerlegen, dass er ausführlich auf die planvollen und z. T. aufeinander abgestimmten Bewegungen und Erscheinungsformen der Sonne, des Mondes und der Planeten eingeht, um durch diese Gegenbeispiele zu zeigen, dass es neben dem menschlichen Körper noch andere Körper gibt, in denen sich ratio und consilium nachweisen las98

Vgl. Auvray-Assayas 1991, 53 f., die die Widerlegung der epikureischen „conception anthropomorphique des dieux“ in 1,76–102 als Schwerpunkt von Cottas Widerlegungsrede bestimmt und gerade für 1,87 f.97 Philodems De signis als maßgebliches Grundlagenwerk für Cottas Argumentation vorschlägt. Schäublin 1990, 97 wertet die unverhältnismäßig lange Kritik an der epikureischen These zum menschlichen Aussehen der Götter als Hinweis auf „den ‚rhetorischen‘ Charakter“ der Cotta-Rede, da sich an diesem Aspekt am besten die fehlende Satisfaktionsfähigkeit der epikureischen Position zeigen lasse. 99 Vgl. Cic. nat. deor. 1,84b: „Quid ergo, solem dicam aut lunam aut caelum deum? Ergo etiam beatum: Quibus fruentem voluptatibus? Et sapientem: Qui potest esse in eius modi trunco sapientia?“ Haec vestra sunt. 100 Vgl. dazu vor allem 1,24b.27.30.52–53a gegen die voluptas von Sternengöttern sowie 1,23b.30 gegen die sapientia bzw. prudentia von Sternengöttern. 101 Neben dem eingeschobenen inquit in der dritten Person wird die Zuschreibung an Epikur auch mit Blick auf die unmittelbar vorausgehende Parenthese iam enim cum ipso Epicuro loquar (1,87) deutlich. 102 Vgl. Cic. nat. deor. 1,48: nec ratio usquam inesse nisi in hominis figura, worauf auch Dyck 2003, 169 ad loc. hinweist.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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sen. Unmittelbar nach dieser astronomischen Beispielreihe holt Cotta zu einer umfassenden Kritik am epikureischen Sensualismus aus, für deren Formulierung er sich die semantische Offenheit des Verbes videre zunutze macht. Das anfängliche numquam vidi fiel zunächst nicht weiter auf, da das Verb videre hier als die Beschreibung einer erfahrungsbezogenen, allgemeinmenschlichen Einsicht aufgefasst werden konnte,103 die nicht im Widerspruch zu Velleius’ konsensualistischer Argumentation stand. Cotta allerdings verschiebt für den weiteren Verlauf der Argumentation die Konnotation von videre zugunsten der sensualistisch-atomistischen Erkenntnistheorie Epikurs.104 Mit der Frage num quid tale, Epicure, vidisti? verweist Cotta darauf, dass sich bereits die planvollen Bewegungen der Sterne und Planeten nicht mehr mithilfe einer unmittelbaren Wahrnehmung erschließen lassen, sondern dass es sich dabei um eine durch jahrelange Beobachtung gewonnene Erkenntnis handelt. In der Folge führt Cotta diesen Gedankengang weiter und schlussfolgert, dass sich nicht nur die planvollen Bewegungen der Sterne und Planeten, sondern auch die Sterne und Planeten als solche sowie die Gottheit selbst einer unmittelbaren Wahrnehmung entzögen und Epikur deren Existenz aufgrund seines eigenen, sensualistisch-atomistisch geprägten Ansatzes eigentlich nicht mehr behaupten dürfte. Nach einem kurzen Fazit, das jede Art der historisch gewachsenen oder ausschließlich auf der Grundlage allgemeiner Vernunft gewonnenen Erkenntnis für Epikur in Frage stellt, zeigt Cotta mithilfe einer reductio ad absurdum auf, wie unsinnig es wäre, nur das als existent anzunehmen, was sich der eigenen, unmittelbaren Wahrnehmung zeigt.105 Cottas Angriff auf die sensualistische Erkenntnistheorie Epikurs ist allerdings deshalb als problematisch zu beurteilen, weil sie sich in dieser Form in Velleius’ Ausgangsrede gerade nicht findet. Bezeichnenderweise greift Velleius an den zentralen Stellen seiner Argumentation nicht auf den epikureischen Sensualismus zurück, sondern begründete die Erkenntnis der Existenz der Götter und ihrer zentralen Eigenschaften mithilfe des consensus omnium-Arguments oder mithilfe syllogistischer Schlussfolgerungen. Und selbst wenn er bei der Behandlung der philosophischen Spezialfragen auf die besondere Art der Wahrnehmung der Götterbilder zu sprechen kommt, so stellt er dabei heraus, dass es sich um eine be103 Vgl. OLD 2059 s. v. video (Nr. 14): „To note with understanding, appreciate, perceive“. 104 Vgl. OLD 2058 f. s. v. video (Nr. 1): „To see with the eyes“ und (Nr. 7): „To obtain a mental picture of, see with the mind’s eye.“ Cottas Spiel mit den verschiedenen Konnotationen von videre wurde bislang noch nicht ausreichend erkannt; Gigon 1996, 416 ad loc. spricht hingegen von einem „merkwürdig schief formulierten Text“, dessen inneren Bruch er nicht als intentionale rhetorische Strategie erfasst. 105 Mit einem gewissen Recht weist Gigon 1996, 417 ad loc. darauf hin, dass die hyperbolische Beispielreihe beim Leser den Eindruck erwecken soll, dass Cotta dadurch von dem eigentlichen Problem ablenkt und auf Velleius’ These gar nicht weiter eingeht. Das von Cicero gewählte, griechische Beispiel der Insel Seriphos (ebenso wie die Beispielreihe in Cic. nat. deor. 1,97) muss nicht zwangsweise auf eine griechische Vorlage schließen lassen, wie Gigon 1996, 416.426 ad loc. meint; gerade die Insel Seriphos wird in der Antike nämlich topisch zum Beleg einer abgelegenen und verlassenen Ortschaft herangezogen (vgl. Pease 1955, 437 ad loc. für die Belegstellen).

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

sondere Art des Sehens handelt, die nicht mit dem Sehen unmittelbar vorhandener Gegenstände vergleichbar ist.106 Auch an diesem Beispiel zeigt sich demnach, dass das Ausgangszitat mithilfe des numquam vidi-Schlagwortes von Cicero bewusst so modelliert worden ist, dass es einerseits die von Velleius dargestellte These zunächst treffend wiedergibt, andererseits aber auch die Grundlage bildet, um in einem nächsten Schritt durch eine gewisse polemische Überzeichnung auf ein epistemologisches Grundproblem hinzuweisen. Wenn Velleius nämlich bezeichnenderweise gerade an dieser Stelle seiner Ausführungen vornehmlich syllogistisch und konsensualistisch argumentiert, lässt sich Cottas Pochen auf die typisch epikureische, sensualistische Argumentation nicht als reine Polemik auffassen, sondern als berechtigte Nachfrage nach der Vereinbarkeit von Velleius’ exzeptionell-jungepikureischer Begründung mit der orthodoxen Erklärung des Epikureismus. Indem Cotta Velleius also gerade mit einem alternativen Erklärungsmodell konfrontiert, fragt er nach der Vereinbarkeit miteinander konfligierender Erklärungsansätze innerhalb des Epikureismus.107 Ähnliches lässt sich einige Paragraphen später beobachten, wo sich Cotta nach einem kurzen Exkurs der zweiten Teilthese zuwendet und nun gegen die epikureische Ansicht argumentiert, dass keine andere Form als die menschliche Gestalt für die Glückseligkeit der Gottheit sorgen könne.108 Wiederum lässt sich die hier Epikur in den Mund gelegte These numquam vidi solem aut mundum beatum (1,96) als komprimierter Ausdruck der auch von Velleius vertretenen Ansicht beurteilen, dass der Mensch aufgrund einer proleptischen Gotteserkenntnis erkennt, dass die Götter in Menschengestalt glückselig sind und andere Gottheiten nicht existieren und daher auch nicht glückselig sein können. In diesem Fall lässt sich die eigentliche, d. h. auf Velleius’ Rede abzielende Bedeutung von videre als ein epistemologischer terminus technicus bestimmen. Cotta jedoch nutzt auch hier wiederum die semantische Offenheit des Verbs videre, indem er in seiner Entgegnung von dem konkreten Akt des Sehens ausgeht und Epikur unterstellt, eine solche Aussage gar nicht treffen zu können, weil er keine andere Welt kennt als die unsere und sich deshalb jede Art der Verallgemeinerung verbietet. Bedenklich erscheint Cottas Widerlegung vor allem deshalb, weil 106 Daher beurteilt Dyck 2003, 169 ad loc. die vorliegende Stelle als „at best a caricature of Epicurean epistemology“. Zu präzisieren ist dies dahingehend, dass Cotta hier eine mögliche Erkenntnisform des Epikureismus herausgreift und sie auch für Phänomene heranzieht, deren Erkenntnis laut Epikur auf anderem Wege ermöglicht wird. 107 Mithilfe einer scharfsinnigen Rekonstruktion des innerepikureischen Diskurses, wie er in Philodems De signis sichtbar wird, weist Auvray-Assayas 1991 nach, dass Cicero hiermit tatsächlich auf eine Diskussion rekurriert, die innerhalb des Epikureismus zur Zeit von Cicero geführt worden ist und die sich aus der Öffnung des jüngeren Epikureismus für neuere Diskursformen und dem gleichzeitigen Festhalten an den kanonischen Meisterworten ergeben hat. Anders Schäublin 1990, 98, der hierin lediglich eine sensualistische Kritik sieht und daher zu dem Schluss kommt, dass „das eigentliche Problem […] im Grunde unberührt [bleibt]“. 108 Vgl. Cic. nat. deor. 1,95b–97a.

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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sie unberücksichtigt lässt, dass Velleius in seiner Rede durchaus auch andere, dezidiert allgemein-rationale Gründe angeführt hatte, wieso eine als Gott vorgestellte Welt nicht als glücklich gedacht werden kann.109 Weitere Zitate kleineren Umfangs. Diese Art der Zitatgestaltung und -verwendung, die sich vor allem anhand der zentralen difficile est negare- und numquam vidi-Passagen nachweisen lässt, findet sich in kleinerer Form auch an etlichen anderen Stellen innerhalb von Cottas Rede gegen die epikureische Position. So präsentiert Cotta auf die Frage, wieso Velleius niemals von der epikureischen Philosophie ablassen würde, gleich zu Beginn der Widerlegung ein vermeintliches Zitat des Velleius, in dem er aussagt, dass die epikureische Philosophie für ihn den Weg zum persönlichen Glück und die einzige philosophische Wahrheit darstellt.110 Mit dieser sehr vagen Antwort, die ohne Bezug zur Religionsphilosophie auskommt, werden diejenigen Beweggründe, die an vielen Stellen von Velleius’ Rede entweder durchscheinen oder einzeln von ihm genannt werden,111 in einem einzigen Satz sehr viel prägnanter auf den Punkt gebracht, als dies Velleius selbst tut. Diese allgemeine Charakterisierung der epikureischen Zielsetzung dient Cotta als Vorlage, um sie im Anschluss auf die Frage nach den Göttern zu übertragen und sie dabei durch verschiedene Formen des Spottes als unvereinbar mit der Religionsphilosophie zu erweisen. In einer scheinbaren Schonung deutet Cotta dabei zunächst an, über den epikureischen Glücksbegriff hinweggehen zu wollen (de vita beata nihil repugno), nur um dann dessen Betonung des otium als zentrale Glücksvoraussetzung112 durch eine hyperbolische Ausdrucksweise (plane otio langueri) ins Lächerliche zu ziehen und ein derartiges Glückskonzept für die Götter dadurch in Frage zu stellen. Deutlich größeren Raum nimmt Cottas Kritik am epikureischen Wahrheitsanspruch ein, die die Diskussion der vita beata umrahmt und auf zwei epikureische Ansichten abzielt, die für Nicht-Epikureer besonders anstößig erscheinen müssen,

109 Vgl. dafür vor allem Cic. nat. deor. 1,24, wo Velleius dem mundus aufgrund seiner Achsenrotation die für die Glückseligkeit notwendige innere Ruhe und Beständigkeit abspricht und aufzeigt, dass die extremen Formen von Kälte und Hitze, die den mundus affizieren, dessen Glückseligkeit verhindern würden. 110 Vgl. Cic. nat. deor. 1,67: Quid enim mereas, ut Epicureus esse desinas? „Nihil equidem“, inquis, „ut rationem vitae beatae veritatemque deseram.“ 111 Die Betonung des epikureischen Wahrheitsanspruchs tritt vor allem an den Rändern des Widerlegungsteils, die befreiende und eudaimonistische Dimension der epikureischen Philosophie innerhalb der Lehrentfaltung an zahlreichen Stellen auf. Wenn Gigon 1996, 398 ad loc. auf 1,45 verweist, wo sowohl das Wahrheits- als auch das Glücksprinzip Epikurs angesprochen werden, so übersieht er dabei, dass dort nicht über die Wahrheit als solche gesprochen wird, sondern lediglich die basale religionsphilosophische Ansicht Epikurs als „wahr“ beschrieben wird; daher eignet sich die Passage nicht als Nachweis für eine Stelle, in der Velleius beide Prinzipien gleichberechtigt diskutiert. 112 Bereits die Verwendung des otium-Begriffs kann als polemische Strategie angesehen werden, da Velleius selbst ihn nicht verwendet, worauf auch Dyck 2003, 148 ad loc. hinweist. Dass Velleius den Begriff nicht verwendet, kann wiederum als Nachweis dafür gesehen werden, dass er mancherorts potentiell problematische Begriffe meidet.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

nämlich die Theorie der permanenten Entstehung und Zerstörung verschiedener Welten sowie die atomistische Weltentstehungslehre, die von der führungslosen Kraft der Atome ausgeht, die quasi zufällig die Welt in ihrer vorhandenen Form erschaffen haben. Durch die Frage sed ubi est veritas? und die sich anschließende Frage danach, ob sich die Wahrheit in den entstehenden und vergehenden Welten Epikurs oder in seinen die Welt erschaffenden Atomen befindet, personifiziert Cotta das abstrakte veritas-Konzept. Durch das groteske Bild einer sich selbst versteckenden epikureischen veritas stellt Cotta dabei deren Existenz sowie die Existenz der atomistischen Welten und Atome in Frage.113 Die formale Nähe der hier eingesetzten polemischen Strategie zum difficile est negare-Zitat ist nicht zu übersehen. In beiden Fällen geht der Widerlegung ein sehr allgemein gehaltenes Zitat voraus, das durchaus als treffende Zusammenfassung der epikureischen Position aufgefasst werden könnte, wie sie von Velleius dargestellt worden ist. In beiden Fällen nutzt Cotta die Offenheit des von ihm präsentierten Zitates jedoch aus, um durch eine tendenziöse Konkretisierung eine stark polemisch geprägte Widerlegung zu beginnen. Auch zur polemischen Technik, wie sie anhand des numquam vidi-Zitats entfaltet worden ist, gibt es Parallelen im weiteren Verlauf der Cotta-Rede. So legt Cotta Velleius bzw. Epikur bei der Frage, woran sich die Existenz der Götter objektiv erkennen lasse, einen Verweis auf das epikureische Prolepsis-Konzept in den Mund. Die Antwort „Habebam“, inquit, „in animo insitam informationem quandam dei“114 lässt sich auf den ersten Blick als eine Zusammensetzung derjenigen Schlagworte erkennen, die Velleius selbst in seinem philosophischen Basiskurs verwendet hatte. Bei einem genaueren Vergleich mit der Velleius-Rede fällt allerdings auf, dass bereits die Zitatzusammensetzung als solche und nicht erst Cottas anschließende Widerlegung von deutlicher Polemik geprägt ist. Bezeichnenderweise finden sich bei Velleius selbst nämlich die einzelnen Teile, die hier die Prolepsis umschreiben sollen, getrennt voneinander,115 doch stellt Velleius sie nirgends in dieser Form zusammen. Durch die hier vorfindliche Neukombination des Adjektivs insitus und der Phrase informatio quaedem dei scheint Cotta die schon bei Velleius vorgefundene Ausdrucks- und Kombinationsvielfalt um eine weitere Variante zu ergänzen und damit Velleius’ begriffliche Unsicherheit in polemischer Absicht nachzuahmen. Durch die Kontrastierung dieses knappen Zitats mit der zuvor angeführten, stoischen Ansicht, die in auffallend größerer Ausführlichkeit die natürliche Ordnung des Kosmos und der Welt als Erweis göttlichen Wirkens anführt, erlangt darüber hinaus das zunächst unverdächtig wirkende Prädikat habebam eine polemische Note. Durch dessen exponierte Stellung, die Formulierung in

113 114 115

Mit Recht führt Pease 1955, 367 ad loc. das parenthetische credo als ein deutliches Ironiesignal an. Cic. nat. deor. 1,100. Vgl. Cic. nat. deor. 1,43b (anteceptam animo rei quandam informationem) sowie Cic. nat. deor. 1,44a (insitas eorum vel potius innatas cognitiones) und Cic. nat. deor. 1,45 (quae enim nobis natura informationem ipsorum deorum dedit).

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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der ersten Person und den Gebrauch eines iterativ-konativen Imperfekts wird Velleius’ Prolepsis-Arguments seiner zentralen Stütze beraubt, auf die sich Velleius im philosophischen Basiskurs als Absicherung der These stützte. Vielmehr wirkt es nun so, als ob es sich hierbei nicht um eine allgemein-konsensualistische Gotteserkenntnis, sondern lediglich um die partikulare These eines einzelnen Philosophen handelt, die der jedermann zugänglichen Sicht auf die kosmische Ordnung diametral entgegensteht. Ähnlich wie bei den numquam vidi-Zitaten liegt die Polemik nicht vornehmlich in Cottas Widerlegung, sondern im Zitat als solchem begründet.116 Cottas korrigierender Rekurs auf Velleius’ Ausführungen. Zu einer weiteren Kategorie lassen sich all diejenigen Passagen zusammenfassen, in denen Cotta explizit auf Velleius’ Ausführungen rekurriert, sie wörtlich zitiert und durch eine damit verbundene Kommentierung und Erläuterung ein Verständnis von Velleius’ Ausführungen zum Teil erst ermöglicht. So greift Cotta mehrfach auf den von Velleius eingeführten quasi corpus- bzw. quasi sanguis-Begriff zurück. Velleius selbst hatte diesen Ausdruck in seiner Lehrentfaltung geprägt, um damit zu verdeutlichen, dass der Körper der epikureischen Götter zwar so aussieht wie ein menschlicher Körper, sich aber dennoch in grundlegender Weise vom menschlichen Körper unterscheidet. Jedoch hatte Velleius darauf verzichtet, diese Differenzierung in der gebotenen Ausführlichkeit zu entfalten und zu erklären, worin genau Ähnlichkeit und Unterschiedlichkeit bestehen, was er selbst entschuldigend eingestanden hatte.117 Es nimmt daher nicht wunder, dass Cotta gerade diesen Begriff in verschiedener Hinsicht kritisiert.118 Cottas Behandlung des quasi corpus-Zitats ist in mehrfacher Hinsicht auffällig. Während Velleius diesen Gedanken in einem einzigen Satz in denkbar knapper Form 116

117 118

Weitere Zitatformungen dieser Couleur lassen sich bspw. auch in 1,111a beobachten; die dortige Begründung der göttlichen vita beata weist zwar der Sache nach enge Berührungen mit Velleius’ Ausführungen in 1,51 auf, doch bereiten die stärker aktivisch geprägten Formulierungen suppeditatio bonorum (im Gegensatz zu omnibus bonis affluentius) und nullo malorum interventu (im Gegensatz zu den eher allgemeinen Umschreibungen der mala als opera und occupatio) bereits die Kritik an der körperlichen, permanenten Güterzufuhr vor, die im Folgenden im Zentrum stehen wird und die Grenzen des epikureischen voluptas-Konzepts bei der Anwendung auf die Götter aufzeigt. Zudem sei noch auf 1,114 hingewiesen, wo die aristotelisch inspirierte Konkretisierung des epikureischen Götterlebens, das einzig im Denken des Satzes ego beatus sum bestehen könne, in Form eines Zitates einen bei Velleius nur vage formulierten Gedanken durch radikale Konkretisierung als eine wenig attraktiv wirkende Form des Glücks beschreibt. Schließlich fällt auch bei dem Zitat in 1,116 („at est eorum eximia quaedam praestansque natura, ut ea debeat ipsa per se ad se colendam elicere sapientem.“) auf, dass es zwar inhaltlich auf Velleius’ Äußerungen abzielt (vgl. etwa 1,45b und vor allem 1,56a). Stilistisch jedoch wird durch die Pronominalhäufung, d. h. vor allem durch das Nebeneinander von per se und ad se sowie die Hinzusetzung des Pronomens ipsa, der in Cottas Augen fehlende Beweggrund für eine solche Verehrung bereits dem Zitat selbst beigegeben. Vgl. Cic. nat. deor. 1,49. Ähnliches ist für die stoische Diskussion am Beispiel der Theodizee-Problematik zu erkennen. Während gerade dieses zentrale Problem von Balbus auffallend kurz abgehandelt worden ist (vgl. Cic. nat. deor. 2,164–167), widmet sich Cotta ausführlich und mit besonderer Schärfe gerade dieser Problemstellung (vgl. Cic. nat. deor. 3,65–93).

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

anspricht, widmet Cotta ihm gleich mehrere Paragraphen.119 Dort kritisiert er jedoch nicht nur die quasi corpus-Formulierung als solche, sondern zeigt durch Exkurse120 auf, inwiefern die hinter ihr stehende Problematik als symptomatisch für die epikureische Lehre im Gesamten gelten kann. Dadurch erhält die Diskussion dieses einen Zitats einen exemplarischen Charakter, wodurch die Ausführlichkeit der Besprechung und ihre Stellung am Anfang der Widerlegungsrede gerechtfertigt erscheinen. Cotta spricht dabei im Einzelnen mehrere Kritikpunkte an, die das quasi corpusZitat als solches sowie die gesamte epikureische Lehre betreffen. Wenn Cotta die quasi corpus-Formulierung unmittelbar nach der Besprechung des epikureischen Atomismus als eine Verlegenheitslösung Epikurs beschreibt, mit deren Hilfe er das Eingeständnis vermeiden möchte, dass atomistische Götter weder unsterblich noch glücklich sein können, so sieht er darin ein Beispiel für Epikurs grundsätzliche Strategie, mit epistemologischen Problemen umzugehen.121 Anhand von drei weiteren Beispielen möchte er dabei zeigen, dass Epikur epistemologische Probleme, die sich durch einen Konflikt zwischen einer seiner Lehrmeinungen und dem allgemeinen Weltverständnis ergeben, durch die Etablierung einer Hilfskonstruktion, die Vermeidung einer eindeutigen Festlegung oder die Absolutsetzung einzelner Aspekte zu lösen sucht, sich dadurch jedoch immer weiter von einem allgemeinen Weltverständnis verabschiedet und das epistemologische Problem, welches er eigentlich beheben wollte, schließlich sogar vergrößert. Außerdem nutzt er den sich anschließenden Exkurs zu Epikurs Behauptung, Autodidakt zu sein, als Erklärung dafür, wieso Epikur oftmals nicht in der Lage ist, passende, verständliche oder eindeutige Formulierungen zu prägen. Die wiederholte Nennung des quasi corpus-Begriffs dient Cotta dazu, den Beginn der Diskussion zu markieren122 und nach den beiden eingelegten Exkursen jeweils wieder elegant und ohne ausschweifende Überleitungen zu seinem eigentlichen Thema zurückkehren zu können.123 Dadurch stellt er auch formal eine enge Verbindung zwischen Exkurs und eigentlichem Thema her. Cotta begnügt sich allerdings nicht damit herauszuarbeiten, dass es sich beim quasi corpus-Begriff um einen unpassenden Begriff handelt. Vielmehr greift er am Ende des quasi corpus-Abschnittes korrigierend in den epikureischen Diskurs ein und zeigt auf, dass Formulierungen wie simile corporis oder sanguinis similitudo eindeutiger und

119 Vgl. Cic. nat. deor. 1,68–76a. 120 Dazu zählen hier Cic. nat. deor. 1,69 f. (Exkurs zur epikureischen Lehre des clinamen, der Ablehnung einer diiunctio necessaria und der Absolutsetzung sinnlicher Wahrnehmungen) und Cic. nat. deor. 1,72 f. (Epikur als Autodidakt). 121 Vgl. Cic. nat. deor. 1,69: Hoc persaepe facitis, ut, cum aliquid non veri simile dicatis et effugere reprehensionem velitis, adferatis aliquid, quod omnino ne fieri quidem possit […]. 122 So in Cic. nat. deor. 1,68. 123 Vgl. dazu jeweils den Beginn von Cic. nat. deor. 1,71 und 1,74.

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treffender das von Velleius Gemeinte ausdrücken würden.124 Außerdem unterbreitet er nicht nur Vorschläge für angemessenere Formulierungen, sondern erläutert im Gegensatz zu Velleius nun ausführlich, was genau mit dieser Vorstellung der Körperähnlichkeit ausgedrückt werden soll. Mithilfe eines Vergleichs der epikureischen Vorstellung mit antiken Plastiken geht er auf die grundlegende Unterscheidung zwischen Aussehen und Beschaffenheit der Götter ein.125 Dabei wird deutlich, dass die epikureischen Götter zwar menschlich aussehen, sich materialiter jedoch deutlich von der menschlichen Natur unterscheiden. Erstaunlicherweise beschreibt Cotta die so verstandenen epikureischen Götter mit solchen Attributen, mit denen Balbus die stoische Äthergottheit versehen wird,126 womit sich – ähnlich wie im Fall der Argumentation zum esse deos – eine Art interfraktioneller Minimalkonsens in der Frage nach der Bestimmung der göttlichen Körperlichkeit herauskristallisiert. Dass sich der Minimalkonsens in diesem Fall der skeptischen correctio verdankt, kann als Hinweis darauf verstanden werden, wo Cicero selbst eine Position sieht, die dem probabile am nächsten kommt. Freilich kann Cotta dort, wo er ergänzend und korrektiv wirkt, auch auf offen ausgesprochene Polemik nicht verzichten. So nutzt er seine finale Neudefinition des epikureischen Gedankens mithilfe des similitudo-Begriffs, um assoziativ auf die Vorstellung zu schließen, dass es sich bei den epikureischen Göttern ebenfalls nicht um etwas tatsächlich Existierendes (res) handelt, sondern sie nur Ähnlichkeit mit dem Wirklichen (rerum similitudines) besitzen.127 Darüber hinaus lässt sich diese Art der korrigierend-ergänzenden Zitatverwendung auch an Cottas Diskussion der besonderen Wahrnehmungsweise der Götter durch die Menschen erkennen.128 Dort rekurriert er nicht auf einen einzelnen Begriff, den er (wie im Fall von quasi corpus) mehrfach zitiert, sondern auf eine Vielzahl von direkten Zita-

124 Vgl. Cic. nat. deor. 1,75; auch Philippson 1940, 24 erkennt die korrigierend-ergänzende Funktion der Passage, erklärt dies jedoch damit, dass Cicero [!] die epikureische Theorie zunächst nicht verstanden hatte und erst mithilfe des Prätextes der Cotta-Widerlegung ergänzen konnte. Wieso Cicero dann jedoch nicht wenigstens im Nachhinein noch den Velleius-Text ergänzt habe (ein Vorgang, der mit Blick auf die in den Atticus-Briefen fassbaren Überarbeitungen der Academica nicht ohne Präzendenzfall gewesen wäre), lässt Philippson unbeantwortet. 125 Vgl. Cic. nat. deor. 1,75; vorbereitet wird dieser Gedanke bereits am Ende von 1,71: hoc intellegerem, quale esset, si in cereis fingeretur aut fictilibus figuris. 126 Vgl. Gigon 1996, 407 ad loc., der auf die Parallele zwischen 1,75 (sitque pura, levis, perlucida) sowie 2,30 (mundi ille fervor purior, perlucidior mobiliorque multo ob easque causas aptior ad sensus commovendos quam hic noster calor) und 1,42 hinweist. 127 Vgl. Cic. nat. deor. 1,75; mit dieser assoziativen Polemik greift Cotta auf eine Widerlegungstechnik zurück, die bereits bei der ersten Kategorie von Zitaten angesprochen worden ist. 128 Vgl. Cic. nat. deor. 1,108b (ab vos autem non modo oculis) bis 109.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

ten,129 indirekten Zitaten130 und Stichworten,131 die sich in Velleius’ Ausführungen zum selben Themenkomplex132 finden lassen. Dabei fällt auf, dass er Velleius’ Ausführungen nicht nur aufnimmt, sondern durch deren polemische Kommentierung, syntaktische Entzerrung und semantische Modifizierung zuvörderst dafür sorgt, dass sie in ihren Einzelschritten besser verständlich werden.133 Nachdem Cotta zunächst überschriftsartig die geistige Aufnahme der Atome (über den animus) als zweite Wahrnehmungsquelle neben der körperlichen Aufnahme der Atome (über die Augen) benannt hat,134 führt er aus, dass die Wahrnehmung eines kohärenten Bildes durch die dichte Abfolge mehrerer Bilder entsteht.135 Nachdem er diese Wahrnehmungsart kurz charakterisiert hat, stellt er im Fortgang jeweils eine weiterführende Frage, deren Beantwortung mithilfe eines Zitats eine nächste Frage evoziert, die wiederum unter Rekurs auf von ihm modellierte, epikureische Sätze beantwortet wird. Durch dieses kleinschrittig-systematisierende Frage-Antwort-Verfahren gelingt es Cotta viel stärker als Velleius, den Zusammenhang zwischen geistiger Wahrnehmung der Götteratome, dem unaufhörlichen Bilderfluss, der dazu benötigten, unbegrenzten Anzahl von Atomen und dem Gleichgewicht136 zwischen sterblichen und unsterblichen sowie erhaltenden und

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,109: „Fluentium frequenter transitio fit visionum, ut e multis una videatur“; „Innumerabilitas“, inquit, „suppeditat atomorum“; „Et quia sunt, quae interimant, sint, quae conservent“. Vgl. Cic. nat. deor. 1,109: […] ais, quoniam sit natura mortalis, inmortalem etiam esse oportere. Vgl. Cic. nat. deor. 1,108b: Vos autem non modo oculis imagines, sed etiam animis inculcatis sowie Cic. nat. deor. 1,109: Confugis ad aequilibritatem (sic enim ἰσονομίαν, si placet, appellemus). Vgl. Cic. nat. deor. 1,49 f. Umso auffallender ist dieses ordnend-systematische Verfahren dadurch, dass Cotta in 1,105 bereits die Thematik anspricht und ebenfalls auf Velleius’ Ausführungen aus 1,49 f. verweist, wobei er sich dafür jedoch noch eng an Velleius’ Darstellungsart hält. Die eigenständige Bearbeitung und ordnende Korrektur erfolgt erst in 1,108b–109. Dass Cicero [!] aber auch hier die epikureische Position missverstanden habe, möchte Philippson 1940, 31 zeigen. Für größere Klarheit sorgt bereits der Umstand, dass Cotta die geistige Wahrnehmungsart der Götter explizit mit der atomistischen Grundlage der epikureischen Physik in Verbindung bringt und herausstellt, dass nicht die Götter als solche mithilfe des menschlichen animus erkannt werden, sondern eben deren Atome. Zudem fällt auf, dass er einerseits die körperliche Wahrnehmungsart mithilfe des Ablativus instrumentalis oculis (anstatt des allgemeineren sensu bei Velleius), andererseits die geistige Wahrnehmungsart mithilfe des epikureischen t. t. animis (anstatt von mente, dessen Semantik fälschlicherweise den aktiven Part des Menschen überbetont) deutlicher als Velleius beschreibt. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verständlich, wenn Dyck 2003, 191 ad loc. bemerkt, dass Cottas Ausführungen hier „as a strange variation“ dargestellt werden. Vgl. zum Gegensatz Cic. nat. deor. 1,49, wo Velleius die fehlende körperliche Beständigkeit der Götterbilder (nec soliditate quadam nec ad numerum) zwar nennt, den Gedankengang jedoch durch einen Exkurs zu den Steremnien unterbricht und die Art der Wahrnehmung nicht in einen eindeutigen Bezug zur besonderen Art ihrer Körperlichkeit stellt. Auch hier fällt eine deutliche Korrektur durch Cotta auf; während Velleius die ἰσονομία als griechisches Fremdwort einführt und sie mit zwei Worten (aequabilem tributionem) umständlich umschreibt, prägt Cotta mit dem Substantiv aequabilitas ein einziges, griffigeres Wort. Durch die doppelte Nennung des griechischen Fachbegriffs und Cottas korrigierenden Eingriff wird von Cicero ein deutlicher Bezug der beiden Stellen aufeinander hergestellt und ein Vergleich zwischen den beiden Übersetzungsvorschlägen nahegelegt.

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zerstörenden Kräften,137 die einen Hinweis auf die Unsterblichkeit der Götteratome liefern, zu erläutern. Während Velleius dies zunächst in einem syntaktisch hoch komplexen Satz tat, dessen logische Bezüge zueinander durch den vielfältigen Einsatz von Partizipialkonstruktionen zum Teil verunklart worden sind, modelliert Cotta die einzelnen Lehrzitate in kurzen, syntaktisch wie semantisch einfacheren Sätzen. Auch wenn Cotta Velleius’ Ausführungen nicht ohne Kritik darstellt, dient die Polemik hier eher der dialogischen Überleitung zwischen den einzelnen Lehrsätzen, da Cotta seine in Frageform präsentierte, epistemologische Kritik138 durch das Anbringen weiterer Erklärungen selbst ein Stück weit untergräbt und am Ende dem epikureischen IsonomieGesetz sogar zustimmt, sodass seine Abschlusskritik, die auf dessen fehlende Relevanz für den Erweis epikureischer Götter hinweist, merklich blass bleibt. Im Gesamten wirkt es daher so, als ob Cicero Cottas Kritik hier nicht so sehr für eine Widerlegung, sondern eher für eine bessere Darstellung der epikureischen Position mithilfe einer geschickten Modellierung der einzelnen epikureischen Zitate heranzieht.139 Cottas Umgang mit sicher nachweisbaren Epikur-Zitaten. An einigen Stellen lässt sich nachweisen, dass Cotta Zitate einbaut, deren Zuschreibung zu Epikur nicht bloß der urbanen Milderung der Polemik dient, sondern die tatsächlich auf Epikur zurückzuführen sind. Am eindrücklichsten ist wohl Cottas Wiedergabe des ersten Satzes der Kyriai doxai.140 Der Umstand, dass dieser Satz nicht nur in seiner ursprünglichen, griechischen Form bei Epikur überliefert ist, sondern auch von Velleius wenige Paragraphen zuvor wiedergegeben worden ist, lädt zu einem Vergleich ein: Τὸ μακάριον καὶ ἄφθαρτον οὔτε αὐτὸ πράγματα ἔχει οὔτε ἄλλῳ παρέχει, ὥστε οὔτε ὀργαῖς οὔτε χάρισι συνέχεται · ἐν ἀσθενεῖ γὰρ πᾶν τὸ τοιοῦτον. (Epikur, Kyriai doxai Nr. 1)

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Cottas Systematisierung funktioniert hier durch eine syntaktische Trennung der beiden Teilaspekte Sterblichkeit/Unsterblichkeit und zerstörende/erhaltende Kräfte, die bei Velleius in einem einzigen Gedankengang vorkommen (vgl. Cic. nat. deor. 1,49: Ex hac igitur illud efficitur, si mortalium tanta multitudo sit, esse immortalium non minorem, et si, quae interimant, innumerabilia sint, etiam ea, quae conservent, infinita esse debere.) 138 Daher lässt sich anhand dieser Stelle festhalten, dass die Polemik als solche durchaus in vergleichbarer Art und Weise wie in früheren Aussagen (worauf auch Dyck 2003, 191 ad loc. hinweist) auf den epistemologisch fragwürdigen Zustand der epikureischen Lehre verweist und diese wörtlichen und sachlichen Parallelen dennoch die eigentliche Funktion der Polemik an dieser Stelle eher verdunkeln als erklären. 139 Aus philosophiehistorischer Sicht bleiben freilich auch bei Cottas Darstellung Desiderate offen; dennoch urteilt Gigon 1996, 434 zu kritisch, wenn er bemerkt, dass Cicero an dieser Stelle „[nicht] mehr als Andeutungen gibt“, da ihm ein vornehmlich philosophiehistorisches Interesse an dieser Passage den Blick auf den qualitativen Unterschied zwischen Cottas und Velleius’ Bearbeitung desselben Themas versperrt. 140 Vgl. Cic. nat. deor. 1,85.102, wo Cotta den ersten Satz der Kyriai doxai zunächst vollständig wiedergibt und später partiell erneut auf ihn verweist. Ein weiteres Beispiel für Cottas Rekurs auf tatsächlich bei Epikur vorzufindende Zitate lässt sich in Cic. nat. deor. 1,111b finden. Das dortige, indirekte Epikurzitat widmet sich der Körperlichkeit aller Lust und dient dazu, die epikureische voluptas-Lehre durch ein Meisterwort in ein bedenkliches Licht zu rücken.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

(Quod si ita est, vere exposita illa sententia est ab Epicuro) quod beatum aeternumque sit, id nec habere ipsum negotii quicquam nec exhibere alteri, itaque neque ira neque gratia teneri, quod, quae talia essent, inbecilla essent omnia. (1,45) (Itaque in illis selectis eius brevibusque sententiis, quas appellatis κυρίας δόξας, haec, ut opinor, prima sententia est:) „Quod beatum et inmortale est, id nec habet nec exhibet cuiquam negotium.“ (1,85)

Anders als bei Velleius, der diesen Satz ebenfalls am Ende seines philosophischen Basiskurses zitiert hat, erscheint der Satz bei Cotta nicht als indirektes, sondern als direktes Zitat. Darüber hinaus verweist Cotta sogar ausdrücklich auf die Kyriai doxai als Fundquelle, während Velleius lediglich von einer sententia Epikurs spricht und damit wohl ausdrückt, dass der Satz für ihn nicht auf die schriftliche Formulierung innerhalb des einen Werkes beschränkt ist, sondern den Charakter eines lebendigen Merksatzes141 angenommen hat, der innerhalb der epikureischen Schule häufig zitiert und von allen Epikureern memoriert worden ist.142 Schließlich lassen sich auch kleinere sprachliche Unterschiede zwischen den beiden Zitaten feststellen, die ja beide eine Übersetzung des griechischen Originaltextes darstellen und beide das Original sanft abändern. Während Velleius durch die parallele Setzung nec habere ipsum – nec exhibere alteri und die Verwendung eines partitiven Genitivs bei negotii quicquam eine deutlichere Zentrierung des mittig stehenden Hauptbegriffs negotium erreicht, als dies bei Epikur zu beobachten ist, verschiebt sich das Gewicht in Cottas Version leicht. Indem er das von Epikur gesetzte αὐτὸ streicht und das epikureische Pronominaladjektiv ἄλλῳ mit dem Indefinitpronomen cuiquam wiedergibt, werden die epikureische Gottheit als solche und ihr passives Verhältnis zur Welt nicht mehr gleichberechtigt nebeneinander beschrieben. Stattdessen verlagert sich das Gewicht hin zur fehlenden Beeinflussung der Welt und der Menschen durch die Gottheit. Verstärkt wird dieser Eindruck dadurch, dass Cottas Wiedergabe des Zitats nach dem ersten Teilsatz abbricht und die weiteren Ausführungen, die die Gottheit als solche beschreiben, ausspart. Die deutliche Kürzung und die dezente Ponderierung des Schlussteils des verbleibenden Zitats lassen sich dadurch erklären, dass es auf diese Weise bereits eine spätere Invektive Cottas vorbereitet. Dort wird er sich über den Aberglauben Epikurs äußern und Epikur und den Epikureern unterstellen, insgeheim die Götter und ihren Einfluss auf die Welt doch zu fürchten. Die Hervorhebung der Passivität der Götter, die in dem von Cotta modellierten Epikur-Zitat deutlicher als im griechischen Original durchscheint,143 avanciert 141 Vgl. OLD 1736 s. v. sententia, Nr. 6b für dieses Verständnis von sententia. 142 Vgl. Erler 1994, 80 f. 143 Die Modifikation des Epikur-Zitats an dieser Stelle wird innerdialogisch durch das parenthetische ut opinor angedeutet; anders als Pease 1955, 430 ad loc. (und im Anschluss an ihn auch Dyck 2003, 168 ad loc.) annimmt, soll damit also nicht die Vertrautheit Cottas bzw. Ciceros mit epikureischen Schriften abgemildert werden. Für einen Skeptiker ist nämlich, wie Cicero selbst im Proömium hervorhebt (vgl. Cic. nat. deor. 1,11), die intime Kenntnis aller Philosophenschulen vonnöten, und

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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bei Cotta daher zu einem Erweis für Epikurs Angst vor aktiv in das Weltgeschehen eingreifenden Göttern. Fazit. Die zurückliegenden Überlegungen haben gezeigt, dass Cotta an vielen Stellen seiner Widerlegung Zitate einfügt, die als kondensierte Form einer Velleius-These oder als tatsächliches Epikur-Zitat beurteilt werden können und von Cotta mit verschiedenen Zielsetzungen, unterschiedlichem Genauigkeitsgrad und mit mehr oder minder deutlicher Bezugnahme auf Velleius oder Epikur modelliert worden sind. Trotz dieser formalen, inhaltlichen und rhetorischen Unterschiede eint sie allerdings der Umstand, dass es Cotta durch die Vielzahl der Zitate bzw. vermeintlichen Zitate gelingt, ein dialogisches Moment in seine monologische Widerlegung einzuflechten. Mit dieser dialogischen Überformung von Cottas Widerlegungsmonolog erreicht Cicero mehrere Ziele. Einerseits dient sie ihm dazu, den Rezipienten die Erinnerung an Velleius’ Lehre aufzufrischen, neue Lehraspekte einzubringen und zugleich die starre Form des Monologs aufzulockern, um sich somit auch der Aufmerksamkeit der Rezipienten sicher sein zu können. Andererseits ermöglicht sie es Cotta, durch die geschickte Modellierung der Zitate das Widerlegungsgespräch in die von ihm gewünschte Richtung zu lenken und den Rezipienten dadurch entweder auf besondere Problemstellungen hinzuweisen, auf offene Fragen zu stoßen, alternative Lösungen anzubieten oder ihnen implizit deutlich zu machen, dass die skeptische Gegenrede selbst kein akademisches Lösungsbuch darstellt, sondern ihrerseits mit kritischen Augen gelesen werden sollte. Schließlich stellt Cicero Cotta dadurch partiell auch in eine dezidiert sokratische Tradition, welche jede Widerlegung als ein Gespräch auffasst, bei dem der Gesprächspartner die Grenzen seiner eigenen Ansichten und Überzeugungen erkennen soll. Damit steht die dialogische Überformung der Widerlegungsrede mithilfe der von Cotta modellierten Zitate in einem engen Zusammenhang mit der dialogischen Inszenierung des Beginns von Cottas Widerlegungsrede der stoischen Position. Dort verzichtet Cotta zu Beginn des dritten Buches auf die Monologform und sucht stattdessen das Gespräch mit Balbus über die Schwierigkeiten seines ersten Beweisgangs zur Götterexistenz.144 Die Parallele zur ersten Widerlegungsrede wird zudem dadurch unterstrichen, dass es sich in beiden Fällen nur um ein Scheingespräch handelt; so konnte R. Gorman überzeugend nachweisen, dass im Falle der zweiten Widerlegungsrede von Cotta zwar der Eindruck vermittelt wird, als ob er an einem wirklichen Austausch mit Balbus interessiert sei, diesen tatsächlich jedoch kaum zu Wort kommen lässt und keine echten, sokratischen Fragen stellt, sondern bestenfalls rhetorische Fragen formuliert, die mehr den Charakter eines Vorwurfs oder einer Kritik aufweisen gerade diejenigen Ansichten, die kritisiert und widerlegt werden sollen, müssen erst einmal wahrgenommen werden. Daher scheint hier keine Veranlassung für Cotta oder Cicero zu bestehen, sich von der bloßen Kenntnis des zentralen epikureischen Lehrsatzes zu distanzieren. 144 Vgl. Cic. nat. deor. 3,4–19; vgl. maßgeblich zu dieser Passage Gorman 2005, 134–142.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

als dem tatsächlichen Wunsch nach Austausch entsprechen.145 Hinter dieser scheinbar sokratischen Gesprächsinszenierung steht, so Gorman, nicht nur die Erkenntnis der Inkompatibilität von sokratischer Methode und stoischer Entfaltung, sondern auch eine implizite Kritik an Cottas Umsetzung dieser Art der Gesprächsführung.146 Da Cicero Cotta nur implizit (Velleius-Widerlegung) bzw. nur am Beginn der Widerlegung (Balbus-Widerlegung) auf diese Form der Widerlegung zurückgreifen lässt, nutzt er zwar die sich durch sie ergebenden Vorteile, zeigt jedoch zugleich auch auf, wieso sich diese Art der platonischen Gesprächsführung nicht für seine skeptisch-emanzipatorische Zielsetzung und die Dialoggestaltung im Gesamten eignet. d) Standpunktgebundene oder dogmatisch fundierte Angriffe Als problematisch wurden auch diejenigen Passagen eingestuft, in denen Cotta epikureische Positionen nicht von einer allgemein-rationalen Warte aus angreift, indem er beispielsweise auf systeminhärente oder logische Widersprüche hinweist, sondern sie von einem dezidiert dogmatischen Standpunkt aus attackiert. Besonders wurde auf Passagen gegen Ende von Cottas erster Widerlegungsrede hingewiesen, in denen er häufiger auf Gegenargumente zurückgreift, die auf stoischen147 oder aristotelischen Positionen beruhen. Nun darf es an sich nicht verwundern, dass ein skeptischer Akademiker aus dem Vollen schöpft und entweder unterschiedliche dogmatische Positionen bewusst gegeneinander ausspielt148 oder sich situativ überall dort bedient, wo er passende Gegenargumente oder Einwände findet, ohne darauf Rücksicht nehmen zu müssen, woher sie stammen, und ohne sich damit in die Abhängigkeit von einer bestimmten Schulposition zu begeben.149 Diese skeptische Technik lässt sich unter anderem mit Blick auf 145

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Vgl. Gorman 2005, 137–140. Vgl. darüber hinaus bereits Krumme 1941, 19–24, der auf die fehlende Stringenz von Cottas Widerlegung hingewiesen hat, die er u. a. darin sehen möchte, dass Cotta Balbus’ zentralen „Schluß aus dem Kosmos auf ein mit höchster Vernunft begabtes göttliches Wesen“ (ebd., 19) nicht adäquat berücksichtigt. Vgl. Gorman 2005, 141 f. Vgl. Hirzel 1877, 33 f. für die ältere Forschung, die vor allem auf Stellen wie Cic. nat. deor. 1,100.121 hinweist und sie als „einen unverarbeiteten Rest aus Ciceros Quellenschrift“ (ebd. 33) deutet, die auch mit Blick auf die explizite Erwähnung des Poseidonios als Gewährsmann für eine scharfe Epikur-Kritik (vgl. 1,123) als stoischer Prätext gedeutet worden ist. Noch viel weiter geht Hoyer 1898, 50–53, der jedes Widerlegungsargument, in dem Cotta eine Gegenthese präsentiert, bereits als dogmatisch und als Abkehr von einer skeptischen Zurückhaltung einstuft. Philippson 1940, 39 führt diese Widerlegungstechnik auf Karneades selbst zurück und sieht in ihr deshalb ein dezidiert skeptisches Vorgehen. Auch in Cottas Widerlegungsrede der stoischen Position wird dies daran deutlich, dass er sich bei der Kritik an den Gestirngottheiten durchaus auch epikureischer Argumente bedient, worauf beispielsweise Wisniewski 1990, 99 hinweist. Philippson 1940, 39 verweist hingegen auf andere skeptische Dialoge Ciceros, wo die skeptische Widerlegung sich dezidiert auf epikureische

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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diejenigen Passagen belegen, in denen sich sogar eine explizite Distanzierung Cottas von der dogmatischen Position beobachten lässt, die er sich für seine Gegenargumentation kurzfristig zu eigen gemacht hatte. Bei seiner grundlegenden Kritik des epikureischen Atomismus etwa rekurriert er auf peripatetische Ansichten, mit deren Hilfe er die Theorie des inane und der unteilbaren Körperchen angreift.150 Im Anschluss distanziert er sich von dieser Lehre jedoch sogleich wieder, indem er sie als physicorum oracla diskrediert, ihr jedoch dennoch eine größere Nähe zum probabile zugesteht als dem epikureischen Atomismus.151 Auffallenderweise benennt Cotta den Peripatos nicht als Urheber des von ihm herangezogenen Gegenarguments, sondern zieht sich – ähnlich wie Velleius in seiner Anfangspolemik – auf deren Benennung als physici zurück. In beiden Fällen scheinen die Dialogpartner damit deutlich machen zu wollen, dass sie sich der peripatetischen Ansichten lediglich punktuell bedienen und vor allem aufgrund ihrer naturwissenschaftlichen Expertise auf sie zurückgreifen. Es ist daher zu überlegen, ob es sich bei der Integration physikalischer oder kosmologischer Ansichten tatsächlich um einen Rekurs auf andere dogmatische Ansichten handelt oder ob es sich hierbei nicht vornehmlich um eine Unterfütterung durch naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Beobachtungen handelt. Ein ähnlicher Fall liegt auch dort vor, wo Cotta den proleptischen Gottesbeweis Epikurs mit dem kosmologischen Gottesbeweis der Stoa konfrontiert und anhand dieser Gegenüberstellung auf die problematische Innerlichkeit und damit verbundene Subjektivität der epikureischen Prolepsis hinweist. Indem Cotta die planvolle und vernünftige Einrichtung der Welt, der Gestirne und der Jahreszeiten hervorhebt und vom planvoll eingerichteten Kosmos auf die planende und lenkende Gottheit schließt, stellt er der epikureischen Prolepse ein allgemein beobachtbares und mit logischen Schlussfolgerungen operierendes Konzept gegenüber. Als problematisch erscheint diese Gegenüberstellung allerdings nicht nur deshalb, weil Cotta die epikureische Position in einer überzeichneten Weise wiedergibt, indem er das subjektive Element der Prolepse allzu stark betont und den von Velleius als objektivierendes Kriterium herausgestellten consensus omnium unberücksichtigt lässt. Darüber hinaus scheint es auch so, als ob Cotta sich die stoische Position selbst zu eigen gemacht habe.152 Dieser Eindruck entsteht einerseits durch die Ausführlichkeit, mit der er – vor allem im Vergleich zum proleptischen Gottesbeweis Epikurs  – den stoischen Gottesbeweis beschreibt, andererseits aber auch durch die ausdrücklich positive Bewertung der göttlichen

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Einsichten beruft, um mit deren Hilfe die stoische Position kritisieren zu können (bspw. Cic. ac. 2,79 f.97 f. und Cic. div. 2,40.103). Vgl. Cic. nat. deor. 1,65b; während Coleman 1960 hierin einen Bezug Cottas auf stoische Theorien erkennen möchte, nimmt Gigon 1996, 396 ad loc. eine plausiblere philosophiehistorische Einordnung vor und bestimmt Aristoteles als gedankliche Quelle für Cottas Gegenargumente. Vgl. Cic. nat. deor. 1,66a. Anders Dyck 2003, 183, der zurückhaltender davon spricht, dass Cotta hier zwar ein gewisses Verständnis für die stoische Position zeige, sich ihr dennoch nicht bedingungslos anschließe.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Schöpfung und des göttlichen Schöpfers, die sich in zunächst zwei Adjektivpaaren widerspiegelt.153 Cottas Lob der Schöpfung und des Schöpfers bildet einen Rahmen um eine nachgerade hymnische Beschreibung der einzelnen Schöpfungswerke. Gegliedert durch die anaphorisch eingesetzte Subjunktion cum setzt Cotta mit der Welt ein, bevor sich der Fokus immer weiter verengt und erst deren einzelne Bestandteile benennt und mit den Gestirnen und den Jahreszeiten und Klimazonen schließlich besondere Himmels- und Wetterphänomene in den Blick nimmt, an denen sich die fürsorgliche Einrichtung der Welt durch die Götter am besten erkennen lässt. Die einzelnen Glieder, deren Länge im Verlauf der Aufzählung zunimmt, zeichnen sich durch eine Vielzahl an meist asyndetisch aneinandergereihten Substantiven aus, die den Eindruck großer Fülle evozieren und das Gefühl vermitteln, die Aufzählung problemlos noch fortsetzen zu können. Den Abschluss des kosmologischen Gottesbeweises bildet der Schluss auf die schöpferische Gottheit, die nicht nur im Sinne eines deistischen Uhrmacherprinzips einmal für die Ordnung der Welt gesorgt habe (haec effecisset), sondern immer noch die Ordnung der Welt garantiert. Dass gerade dieser letzte, theistische Aspekt für Cotta von besonderer Bedeutung ist, lässt sich an dem asyndetischen Trikolon moveret, regeret, gubernaret erkennen, welches auf die einfache Bestimmung effecisset folgt. Auch an anderen Passagen gegen Ende des ersten Buches wird deutlich, dass gerade die Idee der göttlichen Einrichtung und Ordnung der Welt sowie der göttlichen Fürsorge Cotta nachhaltig fasziniert. Am Beginn seiner Kritik an der epikureischen Theorie der göttlichen Wohnsitze führt Cotta ausführlich vor, dass den verschiedenen Lebewesen unterschiedliche Elemente und Regionen zugeordnet sind, in denen sie leben können,154 um im Anschluss zu zeigen, dass den epikureischen Göttern keine Region zukommt, die sie als genuinen Lebensbereich beanspruchen können. Auch wenn Cotta hier nicht explizit auf ein konkurrierendes philosophisches Modell verweist und sich auf jedermann zugängliche, empirische Beobachtungen beruft, so ist die Nähe seiner Ausführungen zu einem peripatetisch-stoischen Weltbild doch unverkennbar. Eine deutlichere und ausdrückliche Parteinahme für die Stoa findet sich schließlich am Ende des ersten Buches. Dort spricht Cotta den Stoikern nicht nur für ihre gegenseitige Fürsorge Anerkennung aus,155 sondern schlägt sich abschließend ausdrücklich auf die Seite des Poseidonios, der Epikur eine kryptoatheistische Position unterstellt 153

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,100, wo die göttlichen Werke als magnificus und praeclarus und die Gottheit selbst mit den Adjektiven excellens und praestans charakterisiert wird. Jenseits dieser beiden Adjektivpaare greift Cotta kontrastiv bei der Überleitung zur epikureischen Position nochmals lobend auf die stoische Position zurück, indem er die in der Welt erkennbare Ordnung wiederum als opus […] magnum et egregium beschreibt. Vgl. Cic. nat. deor. 1,103 f. Vgl. Cic. nat. deor. 1,121b; vgl. darüber hinaus auch Dyck 2003, 192 ad loc., der hinter Cottas Freundschaftsbegriff einen peripatetischen Einfluss vermutet. Mit Recht hebt Gigon 1996, 441 ad loc. hervor, dass der hier von Cotta konstruierte Gegensatz zwischen Epikur und der Stoa künst-

2. Tendenziell kritikwürdige Widerlegungsstrategien Cottas

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und ihm vorwirft, die Götter nur aus Angst vor gesellschaftlichen und persönlichen Repressionen in seinem philosophischen System beibehalten zu haben.156 Wie lassen sich Cottas zunehmend offener zutage tretende Sympathie für die Stoa und die daraus resultierenden, dogmatisch fundierten Angriffe beurteilen? Eine erste Antwort lässt sich in der besonderen Art von Ciceros Dialoggestaltung finden. Da in Ciceros Dialogen die einzelnen dogmatischen Redner nämlich nicht unmittelbar miteinander ins Gespräch kommen, sondern stets von einem akademischen Gegenredner kritisiert werden, ermöglicht die partielle und situative Übernahme dogmatischer Positionen durch den skeptischen Gegenredner in nuce eine Auseinandersetzung zwischen den dogmatischen Schulen. Die akademische Gegenrede erfüllt also auch hier die Funktion, die orationes perpetuae durch dialogische Binnenelemente einem echten Gespräch anzunähern. Darüber hinaus liefert das Proömium zu De natura deorum eine Erklärung, wieso es sich bei Cottas Sympathiebekundungen für die Stoa um eine Inszenierungsweise handelt, die Ciceros eigene Position innerdialogisch widerspiegelt. Im Proömium äußert sich Cicero nämlich ähnlich wie Cotta während des Vergleichs von stoischem und epikureischem Gottesbeweis. Bei der proömialen Bewertung der zentralen religionsphilosophischen Unterscheidung zwischen denjenigen Schulen, die von passiven Göttern ausgehen, und denjenigen Philosophen, die mit aktiv in das Weltgeschehen und für die Menschen eingreifenden Göttern rechnen, wertet Cicero letztere dadurch auf, dass er sie – wiederum mithilfe eines Adjektivpaares – als magni atque nobiles apostrophiert.157 Zudem verweist auch Cicero im Proömium in einer längeren Beschreibung auf die Ordnung der Welt, wofür er ebenfalls die Jahreszeiten als Hinweis auf die göttliche Einrichtung der Welt deutet. Sowohl am Beginn des Proömiums als auch innerhalb von Cottas Widerlegungsrede kontrastiert Cicero dieses Lob für den stoischen Kosmologiebeweis jedoch durch einen Hinweis auf epistemologische Probleme, die eng mit ihm verbunden sind.158 Während er im Proömium auf Karneades’ Widerlegung dieser Ansichten verweist, lässt er Cotta den kosmologischen Gottesbeweis in der Widerlegungsrede trotz seines Rekurses auf beobachtbare Phänomene als bloße coniectura bezeichnen, dessen epistemologische Fehlerhaftigkeit in einem Konditionalsatz eingeräumt wird. Einen Hinweis, worin Cicero das epistemologische Hauptproblem dieser Ansicht sieht, liefert wiederum das Proömium. Wenn er dort die anthropozentrische Schlussfolgerung aus den empirischen Beobachtungen kritisiert, stellt er damit nicht die beobachtete Ordnung, sondern den Menschen als ihren Zielpunkt in Frage.

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lich und überzeichnet wirkt, da auch für Epikur die Freundschaft gerade unter Weisen ein zentraler Bestandteil seiner Ethik ist. Vgl. Cic. nat. deor. 1,123. Vgl. Cic. nat. deor. 1,4. Auch Gigon 1996, 427 weist auf einen „ausdrücklichen Vorbehalt“ hin, den er allerdings vor allem mit systematischen Überlegungen füllt, ohne auf den Cicero-Text weiter einzugehen.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Ciceros Kritik richtet sich daher an dieser Stelle gegen die stoische Verengung auf den Menschen als Zielpunkt der göttlichen Ordnung. Auch Cotta wird im dritten Buch von De natura deorum seine Vorbehalte konkretisieren und auf all diejenigen Phänomene eingehen, die gegen eine solche Ordnung zu sprechen scheinen. Darüber hinaus wurde mit Recht darauf hingewiesen, dass Cotta zwar seine Sympathie für die stoische Kosmologie erkennen lässt, sich ihr jedoch nirgends anschließt159 und auch jenseits der epistemologischen Vorbehalte über sie stets als eine Position spricht, die von anderen Philosophen vertreten wird. Daher lässt sich die Sympathie, die Cotta für die stoische Kosmologie erkennen lässt, und seine gleichzeitig geäußerten Vorbehalte gegen sie an dieser Stelle als Exemplifizierung des skeptischen Ansatzes beurteilen, wie Cicero ihn vertritt. Anders als die radikale Skepsis gesteht er sich durchaus die Freiheit zu, eine gewisse Sympathie für dogmatische Positionen äußern zu können, auch wenn diese nicht das verum, sondern höchstens das verisimile abbilden und in vielerlei Hinsicht kritisiert werden müssen. 3. Schonung und Verzicht auf Angriffe? a) Dogmatische Einschübe Gleich mehrfach lassen sich in Cottas Widerlegungsrede Passagen finden, in denen er epikureische Positionen, die sich in Velleius’ Ausgangsrede selbst nicht finden lassen, exkursartig nachträgt. Die innerdialogische Zielsetzung solcher dogmatischen Korreferate lässt sich mit Cottas Absicht erklären, die epikureische Position umfassend zu würdigen und kritisch aufzuarbeiten. So trägt er das, was Velleius selbst in seiner Rede ausgelassen hatte, nach, um es im Anschluss einer skeptischen Würdigung zuführen zu können. Die Beobachtung, dass Cotta gerade diejenigen epikureischen Positionen nachträgt, die in Velleius’ Rede entweder fast vollständig fehlen oder doch nur in Andeutungen vorkamen, lässt sich als starker Hinweis auf Ciceros komplementäre Konzeption der beiden Reden lesen. Dadurch stellt Cicero einerseits sicher, dass die epikureische Lehre in ihrer Gesamtheit nicht nur berücksichtigt, sondern auch kritisch beleuchtet wird. Andererseits lässt sich bereits am Vorkommen dogmatischer Nachträge innerhalb einer skeptischen Gegenrede erkennen, dass Cicero auch hier nicht an einer starren Aufteilung zwischen dogmatischer Ausgangsrede und skeptischer Gegenrede interessiert war. Bereits im Falle von Velleius’ Rede konnte gezeigt werden, dass Cicero sie in weiten Teilen nicht nur als Lehrentfaltungs-, sondern vor allem auch als Widerlegungsrede konzipiert hatte. Die Funktion der Widerlegungspartie innerhalb von Velleius’ Rede konnte nicht nur als geschickte ciceronische Technik zur

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Vgl. auch Dyck 2003, 183 ad loc. für diese Beobachtung.

3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?

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Fesselung des Leserinteresses und zur Präsentation der wichtigsten religionsphilosophischen Ansichten des Hellenismus, sondern auch als Mittel zur Ausbildung einer skeptischen Urteilsfähigkeit der Rezipienten bestimmt werden. So präsentierte Cicero den Rezipienten mit Velleius’ Anfangspolemik einerseits ernstzunehmende Anfragen an schöpfungstheologische Entwürfe, wie sie auch Cotta nicht anders formuliert hätte; andererseits zeigte er in der Mitteldoxographie jedoch auch, dass selbst objektiv anmutende Passagen wie eine Doxographie mit kritischen Augen gelesen werden wollen und epistemologisch problematische Passagen in der Gestalt einer dogmatisch enggeführten, einseitigen Kritik erscheinen können. Somit stellt sich gerade auch vor dem Hintergrund der Velleius-Rede die Frage, wie sich die dogmatischen Korreferate Cottas im Einzelnen erklären lassen, wieso Cicero die entsprechenden dogmatischen Gesichtspunkte nicht Velleius selbst zugeordnet hat und inwiefern sich das Ineinander von dogmatischen und skeptischen Momenten innerhalb einer Rede auch hier als Mittel der skeptischen Leserführung erklären lässt. Exemplarisch soll diese Frage am Beispiel von Cottas Nachträgen zum Atomismus Epikurs diskutiert werden. Die erste und zugleich prominenteste sachliche Ergänzung liefert Cotta nämlich gerade bei der Diskussion der atomistischen Grundlage der epikureischen Religionsphilosophie.160 Velleius selbst hatte dem Atomismus nur eine marginale Rolle innerhalb seiner Abhandlung zugesprochen. In denkbar knapper Form stellte er erst am Ende seiner Lehrentfaltung die basalen atomistischen Grundprinzipien vor,161 zu denen der Gegensatz von Atomen und Leere, die unendliche Ausdehnung des Raums und die Entstehung der Welt durch die zufällige und ungesteuerte Zusammenfügung der einzelnen Atome gehören. Dieser kurze atomistische Einschub hatte für Velleius lediglich die Funktion, ein Gegengewicht zur stoischen Schöpfungstheologie zu bilden, welches unabhängig von der Vorstellung eines Schöpfergottes funktioniert. Vor diesem Einschub erwähnte er lediglich bei der Besprechung der menschlichen Wahrnehmung der Götter unvermittelt und terminologisch unspezifisch deren Abbilder (imagines), die auf eine andere Art und Weise als menschliche imagines wahrgenommen werden.162 Indem Velleius auf eine ausführliche atomistische Grundierung seines religionsphilosophischen Ansatzes verzichtete, präsentierte er einen epikureischen Entwurf, der das eigentliche ethische Anliegen Epikurs, nämlich die Befreiung des Menschen von der Götterfurcht und die Verehrung der Götter als eudaimonistische Vorbilder, in das Zentrum rückt, ohne dessen Geltungsanspruch durch einen stark spekulativen Ansatz zu gefährden.

160 Vgl. dazu auch Dyck 2003, 146 ad loc.: „this is the first of a number of instances in which Cotta is more detailed than the speaker he is refuting.“ Weitere Beispiele für dogmatische Ergänzungen innerhalb der ersten Cotta-Rede finden sich im Umfeld der vermeintlichen Epikur- und VelleiusZitate, wie im Vorausgehenden gezeigt worden ist. 161 Vgl. Cic. nat. deor. 1,54. 162 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Cotta hingegen orientiert sich deutlicher an der traditionellen atomistischen Grundierung der epikureischen (Religions-)Philosophie, sodass er deren Besprechung unmittelbar nach seinen Ausführungen zum esse deos an den Beginn der Diskussion der göttlichen Eigenschaften stellt.163 Dabei geht er unter anderem auf etliche, in der Velleius-Rede nicht erwähnte164 Details des Atomismus ein, zu denen etwa die verschiedenen Atomformen und -gestalten165 und die Theorie des clinamen166 gehören; außerdem werden von ihm atomistische Grundprinzipien, die Velleius nur kurz angesprochen hatte, in systematischerer Form ausgeführt.167 Innerdialogisch dient Cotta diese Beschreibung als Grundlage, um an ihr die Problematik des epikureischen Ansatzes aufzuzeigen. Indem Cotta nämlich die verschiedenen Atomformen mit großer Detailfreude entfaltet, stellt er gerade dadurch die angreifbaren Aspekte des Atomismus heraus. Wenn nämlich bereits allgemeine Aussagen über Atome aufgrund ihrer fehlenden Überprüfbarkeit als epistemologisch fragwürdig erscheinen,168 so muss dies umso mehr für eine detaillierte Beschreibung der Atome gelten. Wenn Cotta im Anschluss daran nicht nur auf die zufällige Zusammensetzung der Atome eingeht, die schließlich zur Erschaffung der Welt führte, sondern auch auf die epikureische Idee des clinamen, die das Zusammenballen der regelmäßig 163 Vgl. Cic. nat. deor. 1,65–75a. 164 Mit Recht weist Dyck 2003, 146 ad loc. darauf hin, dass Cotta mit der Erwähnung Leukipps den von Velleius in der Mitteldoxographie ausgesparten Urvater des Atomismus in seine Darstellung integriert; auch mit Blick auf solche Details lässt sich also der komplementär-ergänzende Charakter dieser Passage plausibilisieren. 165 Vgl. Cic. nat. deor. 1,66: […] esse corpuscula quaedam levia, alia aspera, rotunda alia, partim autem angulata et hamata, curvata quaedam et quasi adunca […]. Eine knappere Beschreibung der einzelnen Atomformen mit wörtlichen Berührungspunkten zu dieser Passage findet sich bereits in Cic. ac. 2,121. Im zweiten Buch von Lukrezens De rerum natura (vgl. vor allem Lucr. 2,333–521) begegnen hingegen nicht nur die meisten der hier verwendeten Adjektive, sondern auch noch eine sensualistische Erklärung dafür, wie sich die Atomformen erkennen lassen und welche Konsequenzen für deren Wahrnehmung sich aus den einzelnen Formen ergeben. Indem Cotta hier auf diese Erklärungen verzichtet, lässt er die Theorie der einzelnen Atomformen als umso problematischer erscheinen. 166 Vgl. Cic. nat. deor. 1,69; dort findet sich der Begriff des clinamen nicht. Stattdessen spricht Cotta periphrastisch von declinare paululum; in Cic. fat. 22 f. greift er diesen Gedanken auf und widmet sich ausführlich dem dort von ihm als declinatio bezeichneten Phänomen unter dem in nat. deor. nur angedeuteten ethischen Blickwinkel und der Frage, wie Epikur mit dessen Hilfe die Theorie des menschlichen freien Willens atomistisch begründete. 167 Vgl. Cic. nat. deor. 1,65 zur Unterscheidung von corpora und inane, auch wenn der Cicero-Text gerade an dieser Stelle verderbt ist und eine wohl größere Lücke aufweist, in der sicherlich das Konzept der kleinsten Teilchen eingeführt und kritisiert worden ist. Vgl. Pease 1955, 362 ad loc. und Coleman 1960 für einen Forschungsüberblick zur Frage, woran man die Lücke erkannt hat und wie sich ihr vermeintlicher Inhalt rekonstruieren lässt. 168 Auf die epistemologische Fragwürdigkeit des Atomismus weist bereits das einleitende Hendiadyoin effingis atque efficis (Cic. nat. deor. 1,65) hin, welches mithilfe des Wortspiels den Atomismus lediglich als Erfindung Epikurs für allerlei Fragestellungen akzentuiert, die er – wie der Fortgang des Arguments zeigt – anders nicht lösen konnte. Auch die Bezeichnung des Atomismus als flagitia unterstreicht diesen Eindruck des Atomismus als Notanker.

3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?

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und stets senkrecht nach unten fallenden und sich daher eigentlich nicht berührenden Atome durch eine spontane Abweichung erklärt, dann erscheint die epikureische Physik als ein System, das nicht nur den intuitiven Vorstellungen entgegenläuft, sondern auch nicht in der Lage ist, einen kohärenten, überprüfbaren und in sich stimmigen Entwurf zu präsentieren. Jenseits der Vorbereitung einer umso schärferen Widerlegung durch Cotta dient der dogmatische Exkurs an dieser Stelle jedoch auch dazu, den Rezipienten einen Alternativentwurf der epikureischen Religionsphilosophie zu präsentieren, der sich enger an deren orthodoxer Ausprägung orientiert.169 Neben einer jüngeren, innovativeren Entwicklungsstufe des Epikureismus, die Velleius vertritt und die auf ein breiteres Publikum abzielt, tritt nun eine frühere, konservativere Lesart der epikureischen Religionsphilosophie, die eine enge Übereinstimmung mit den Grundsätzen Epikurs sucht und eine dogmatischere Ausrichtung der Lehre darstellt. Durch die personale und sachliche Trennung der beiden epikureischen Ansätze wird dem Leser verdeutlicht, dass selbst innerhalb einer Schultradition mit verschiedenen Ausprägungen und mit unterschiedlichen Plausibilitätsgraden zu rechnen ist, welche jeweils gesondert geprüft und bewertet werden müssen. Auch an anderen dogmatischen Einschüben Cottas lässt sich diese Beobachtung bestätigen. Während die meisten der kleineren Einschübe sich thematisch im Großbereich der Religionsphilosophie bewegen und zu einzelnen Teilbereichen ergänzende Informationen liefern, äußert sich Cotta auch über Themen, die nur lose mit der Religionsphilosophie zusammenhängen; dazu zählt etwa die epikureische Argumentationstheorie und der epikureische Glaube an die unbedingte Richtigkeit der Sinneseindrücke,170 die primär zur Demonstration der These angeführt werden, dass Epikur eine ohnehin schon problematische Ansicht des Öfteren mit noch problematischeren Begründungen versieht. Schließlich sei darauf hingewiesen, dass diese Erklärung der dogmatischen Einschübe und Exkurse nicht im Gegensatz zu quellenkritischen Überlegungen stehen muss. So ist sie auch mit Quellenhypothesen vereinbar, die die Textbeobachtungen so auswerten, dass Cicero für die Velleius- und die Cottareden auf verschiedene Prätexte zurückgegriffen hat, die ihrerseits unterschiedliche Schwerpunkte aufgewiesen haben und die epikureische Position in unterschiedlicher Ausführlichkeit und Stoßrichtung behandelt oder kritisiert haben. Dies muss jedoch nicht implizieren, dass Cicero die unterschiedlichen Schwerpunksetzungen seiner vermeintlichen Prätexte notgedrungen und aus Hast oder Unfähigkeit übernommen und sich mit den dogmatischen Exkursen innerhalb der Cotta-Rede für eine kompositorisch besonders leichte Lösung 169 Anders urteilt Schäublin 1990, 97, der hierin einen Hinweis auf die rhetorische Ausgestaltung von Cottas Widerlegungsrede sieht, die auf eine schnelle Abfertigung des Gegners, nicht auf eine ernsthafte Auseinandersetzung abzielt. 170 Vgl. Cic. nat. deor. 1,70.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

eines Nachtrags entschieden hat. Da sich die dogmatischen Einlagen, wie gezeigt werden sollte, als intentionale Darstellungsmittel erklären lassen, scheint es plausibler anzunehmen, dass Cicero vorfindliche Schwerpunkte seiner Prätexte bewusst übernommen hat, derartige Tendenzen weiter ausgebaut und sie für seine skeptisch-emanzipatorische Zielsetzung eingesetzt hat. b) Bewusste Schonung gegnerischer Positionen Während Cotta mancherorts zu besonders scharfen Angriffen ausholt, lässt sich des Öfteren jedoch auch der gegenteilige Fall beobachten. So finden sich innerhalb der Widerlegungsrede gegen die epikureische Position etliche Passagen, in denen Cotta die epikureische Position nachgerade schont und auf schärfere Angriffe oder ernsthaftere Widerlegungsversuche verzichtet. Cottas Schonung von Velleius’ Argumenten für die Götterexistenz. Dies lässt sich sogleich am Beginn der Widerlegungsrede feststellen, wo sich Cotta mit der epikureischen Begründung der Götterexistenz auseinandersetzt.171 Innerhalb der ohnehin knappen Passage setzt die eigentliche Kritik an Velleius’ Argumentation erst nach einer exkursartigen, grundsätzlichen Unterscheidung zwischen dem öffentlich-kultischen und privat-philosophischen Diskursraum ein, zu der sich Cotta anhand des Epikur in den Mund gelegten Zitats difficile est negare berechtigt sieht,172 durch die allerdings der ohnehin knappe Raum, den er der Besprechung des esse deos zugesteht, weiter gekürzt wird. Darüber hinaus wird die Passage von einem Kommentar Cottas umrahmt, mit dessen Hilfe er den Verzicht auf eine ausführliche Auseinandersetzung mit der Frage nach dem esse deos begründet. Dort begründet Cotta die Kürze der Kritik damit, dass er diejenigen Punkte unberücksichtigt lassen möchte, bei denen zwischen den einzelnen Philosophenschulen ein Konsens herrscht, um dafür in höherem Umfang auf die dezidiert epikureischen Argumente eingehen zu können.173 Diese Aussage Cottas lässt sich in mehrfacher Hinsicht erklären. Einerseits gelingt es Cicero dadurch, Cotta gleich zu Beginn der Widerlegungsrede als generös-urbanen Gegenredner einzuführen, der vordergründig auf einen Angriff verzichtet und auch im Folgenden seinem dogmatischen Vorredner bereits widerlegte Punkte zugestehen wird (concedo-Technik), um

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,61b–64. Vgl. Cic. nat. deor. 1,61b; vgl. die vorausgehenden Ausführungen zur geschickten Modellierung dieses vermeintlichen Epikur-Zitats. Vgl. Cic. nat. deor. 1,62.64. Vgl. dazu Pease 1955, 353 ad loc., der mit einem Verweis auf eine ähnliche Formulierung in Cic. fin. 4,24 einen Hinweis darauf liefert, dass es sich bei dieser Begründung für den Verzicht auf eine ausführlichere Widerlegung nicht um ein singuläres Phänomen, sondern um einen Baustein aus Ciceros Methodenrepertoire handelt.

3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?

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im Anschluss daran allerdings doch noch zu einem Angriff auszuholen.174 Andererseits dient dieser offen erklärte Verzicht auf eine ausführliche Widerlegung nicht nur der Charakterisierung Cottas und seiner polemischen Methoden, sondern vor allem auch der dialogischen Umsetzung einer der zentralen Weichenstellungen, die Cicero seinen Rezipienten bereits am Beginn des Proömiums mitgeteilt hat. Als er dort diejenigen Fragen vorstellte, die zum Themenkomplex der Religionsphilosophie gehören, und sie hinsichtlich ihrer Relevanz für seine eigene Abhandlung bewertete, hielt er fest, dass er die grundlegende Frage nach der Götterexistenz deshalb unberücksichtigt lassen wolle, da die meisten Philosophen von der Existenz der Götter ausgingen. Indem Cotta seinen Verzicht auf eine Diskussion dieser Frage auf ähnliche Weise begründet, lässt Cicero ihn nun dasjenige Programm praktisch umsetzen, das er theoretisch im Proömium vorgegeben hat. Wenn Cotta im Mittelteil dieses ersten Gliederungspunktes dann doch zu einer kurzen Kritik an der epikureischen Begründungsweise der Götterexistenz ansetzt, so fällt sie mithilfe zweier Schonungsstrategien reichlich harmlos aus.175 Als erstes Gegenargument gegen eine allgemeine Gotteserkenntnis führt Cotta die Behauptung ins Feld, dass es Völker gibt, die keine Vorstellung von den Göttern besitzen. Bezeichnenderweise nennt er jedoch kein einziges Beispiel für ein solches atheistisches Volk, mit dessen Hilfe er Velleius’ consensus omnium-Argument den entscheidenden Stoß versetzen könnte.176 Ohne ein Gegenbeispiel bleibt seine These eine bloße Behauptung, deren spekulativer Charakter durch die schillernde Wendung equidem arbitror177 eher noch 174

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,62, wo Cotta zwar den Verzicht auf einen Angriff konstatiert (itaque non pugno), aber im unmittelbaren Anschluss dennoch Anfragen an die epikureische Position richtet (rationem tamen eam, quae a te adfertur, non satis firmam puto). Dyck 2003, 143 ad loc. sieht in dieser scheinbaren liberalitas des Gegenredners zu Beginn der refutatio eine Technik der forensischen Rhetorik, auf die auch der Redner Cicero des Öfteren zurückgreift. Vgl. Cic. nat. deor. 1,63; vgl. auch Auvray-Assayas 1991, 61, die bemerkt, dass Cicero Cotta hier und im Folgenden auf eine scharfe Widerlegung des von Velleius entfalteten Prolepsis-Arguments verzichten lässt. Dass der antike Diskurs an sich in der Lage war, derartige Stämme zumindest räumlich genauer zu verorten, zeigt Pease 1955, 354 f. anhand verschiedener Beispiele. Vgl. dazu auch Dyck 2003, 143 ad loc., der das Fehlen eines Beispiels an dieser Stelle ebenfalls bemerkt. Kurioserweise stellt Gigon 1996, 394 f. ad loc. fest, dass für den Erfolg von Cottas Kritik „eine Ausnahme [genügt], um [Velleius’ Argument, erg. C. D.] zu entkräften“; dass genau so ein Beispiel dann allerdings nicht angeführt wird, wird von ihm dann lapidar als Kürzung der Vorlage durch Cicero erklärt, ohne das Fehlen oder den Grund für Ciceros vermeintliche Kürzung an dieser Stelle auszuwerten. Vgl. zur Konnotation TLL 2,415–419 s. v. arbitror, die von sicherem, eigenständig erworbenem und auf Autopsie gründendem Wissen (wie bspw. Cic. Font. 29 es definiert, wobei Cicero dort diesen locus ex definitione zur Diskreditierung seines Zeugens nutzt und die Definition deshalb in ihrer rhetorisch-forensischen Zielsetzung betrachtet werden muss) bis zu einem bloßen Meinen und Vermuten (arbitrari i. S. v. putare, opinari, sentire, mit Blick auf spätere Definitionen wie bei Claudian. Mam. 1,11 sogar i. S. v. dubitare) reicht. Auch wenn der Einsatz des Adverbs equidem Cottas Aussage affirmativ unterstützen soll, wird gerade dadurch ihr subjektiver Charakter hervorgehoben, sodass durch den Einsatz des Adverbs und das Fehlen von Beispielen der epistemologisch unsichere Charakter der equidem arbitror-Aussage unterstrichen wird.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

hervorgehoben als abgeschwächt wird. Als ähnlich problematisch ist Cottas späterer Verweis auf eine schweigende und im Verborgenen lebende Vielzahl an Gotteszweiflern und -leugnern anzusehen, die aus Angst vor Repressionen ihre agnostischen oder atheistischen Ansichten nicht kundtäten. Da Cotta auch hier überzeugende Beispiele schuldig bleibt und mit Protagoras lediglich auf ein länger zurückliegendes Beispiel aus Athen verweisen kann, bei dem agnostische Positionen zu einer persönlichen Gefährdung führten, kann er ausschließlich auf die suggestive Kraft seiner psychologisierenden Schlussfolgerung178 hoffen. Einerseits wird die Stoßkraft von Cottas Widerlegungsargumenten also dadurch geschwächt, dass er gerade dort auf Beispiele zu seinen Thesen verzichtet, wo sie argumentativ zwingend notwendig gewesen wären. Andererseits sind jedoch auch diejenigen Beispiele, die er in diesem ersten Widerlegungsblock anführt, in vielerlei Hinsicht problematisch, da sie Cottas eigentliche These nicht treffsicher untermauern. Wenn er nämlich die drei radikalen Skeptiker Diagoras, Theodorus und Protagoras als mögliche Gegenbeispiele anführt, so handelt es sich dabei um die drei Einzelstimmen, auf die Cicero bereits im Proömium hingewiesen und die er dort als kuriose Ausnahmen angeführt hat, deren Zweifel an der Götterexistenz den allgemeinen consensus seines Erachtens nicht gefährden können.179 Durch diese proömiale Vorwegnahme und Einordnung verliert deren Nennung ihre argumentative Schärfe.180 Auch Cottas abschließender Verweis auf die sacrilegi, impii und periurii181, die mithilfe von Lucilius-Versen durch vier römische Beispiele illustriert werden, erweist sich bei näherem Hinsehen für sein Beweisziel nicht als schlagend. So schließt er aus dem Umstand, dass es Verbrecher gibt, deren Taten im kultischreligiösen Bereich angesiedelt sind, dass solche Verbrecher nicht an Götter glauben können. Wenn sie nämlich, so Cottas Widerspruchsbeweis, an Götter glauben würden, so würden sie wohl nicht als sacrilegi handeln, da sie dann den göttlichen Zorn fürchten müssten. Daher gelten Cotta derartige Verbrecher als Gegenbeispiel gegen den von Velleius vertretenen consensus omnium für die Gotteserkenntnis. Neben dem Umstand, dass es sich allerdings auch hier um eine Randgruppe handelt, die nicht ohne Weiteres als repräsentativ für die Allgemeinheit gelten kann, fällt auf, dass Cotta mit diesem Argument gerade nicht die epikureische Gottesvorstellung und nicht das epikureische consensus omnium-Argument für die Existenz von Göttern trifft. Eine abschreckende Wirkung könnte der Gottesglaube ja nur dann auf Tempelräuber und Eidesbrecher ausüben, wenn sie von aktiv in das Weltgeschehen eingreifenden und stra178

Mit Recht bewertet Gigon 1996, 395 ad loc. diese Argumentationsstrategie Cottas als „[g]eschickt und boshaft“. 179 Vgl. Cic. nat. deor. 1,2. 180 Darüber hinaus würde auch die epikureische Erkenntnistheorie gerade im Feld der Religionsphilosophie einzelne Ausnahmen dadurch in ihr System integrieren können, dass sie sie als Fehlurteile einzelner Menschen erklärt, die trotz einer proleptischen Vorerkenntnis zu fehlerhaften Schlussfolgerungen gekommen sind. 181 Vgl. Cic. nat. deor. 1,63 a. E.

3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?

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fenden Göttern ausgehen. Für Verbrecher, die zwar an die Götterexistenz, nicht jedoch an deren strafendes Eingreifen glauben, wäre Cottas Gegenargument nicht relevant. Daher kann Cottas abschließendes Beispiel lediglich als schlagendes Gegenbeispiel zu der These aufgefasst werden, dass alle Menschen an ebensolche Götter glauben, nicht jedoch als Gegenbeispiel zu Velleius’ dezidiert epikureischer Entfaltung des esse deos. Zwischenfazit. Mithilfe des Verzichts auf argumentativ eigentlich notwendige Beispiele oder den Einsatz von an dieser Stelle wenig passenden Beispielen, die das eigentliche Beweisziel nicht treffsicher untermauern, gelingt es Cicero, Cottas erstem Widerlegungsabschnitt die Schärfe zu nehmen, ihn nicht zu einer ernsthaften Bedrohung der epikureischen Beweisführung zu machen und dadurch seine proömiale Schwerpunktsetzung innerdialogisch umzusetzen. Während Velleius’ Anfangspolemik mit einem rhetorischen Feuerwerk begann, welches gewichtige Anfragen an das Konzept einer göttlichen Weltschöpfung stellte, setzt Cottas Widerlegungsrede mit merklich stilleren Tönen ein. Inhaltlich lässt sich an der besonderen Art und Weise der Argumentation zudem auch ein enger kompositorischer Bezug der einzelnen Teile des Werkes zeigen. Einerseits lässt sich ein enger Bezug zwischen dogmatischer Lehrentfaltung und skeptischer Gegenrede nachweisen, wenn ausgerechnet dasjenige Argument, das in der dogmatischen Ausgangsrede auffallend stark und epistemologisch valide gestaltet worden ist, in der Widerlegungsrede nicht in den Fokus des Angriffs rückt, sondern schonend behandelt wird. Neben diesem komplementären Verhältnis von dogmatischer Rede und skeptischer Gegenrede lassen sich beide Teile als Umsetzung des proömialen Programms Ciceros erkennen. Eine starke dogmatische Entfaltung des esse deos und dessen zurückhaltende skeptische Widerlegung setzen innerdialogisch auf komplementäre Weise Ciceros proömiale Festlegung um, sich diesem Themengebiet nicht als eigentlichem Streitpunkt zuwenden zu müssen bzw. zu wollen. Cottas Kritik an Balbus’ Beweis der Götterexistenz. Dass die knappe Abhandlung des esse deos im ersten Buch nicht nur kompositorisch damit erklärt werden kann, dass Cicero mit Blick auf das zweite und dritte Buch unnötige Doppelungen vermeiden wollte,182 lässt sich an der dortigen Entfaltung und Widerlegung des Arguments erkennen. In dem stoisch-skeptischen Redepaar lässt sich nämlich ebenfalls die Tendenz beobachten, die These des esse deos stark und valide zu entfalten (Balbus) und bei der Widerlegung mit großer Vorsicht und Schonung (Cotta) zu behandeln. So leitet zunächst Balbus in großer Ausführlichkeit und mithilfe verschiedener argumentativer Strategien die Existenz der Götter her183 und sucht dabei nicht nur den Schulterschluss mit Argumentationsweisen, die schon von Velleius eingeführt worden sind, sondern rekurriert auch auf die römische Geschichte sowie unterschiedliche stoische Stimmen, um dadurch möglichst viele Gewährsmänner zur Unterstützung seiner These

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So Gigon 1996, 395 ad loc. Vgl. Cic. nat. deor. 2,4–44; vgl. dazu die vorausgehenden Überlegungen zur Balbus-Rede.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

zu gewinnen. Wenn sich Cotta zu Beginn des dritten Buches den dezidiert stoischen Begründungslinien widmet,184 dann lassen sich auch hier zwei Darstellungsstrategien festhalten, mit denen das Argument des esse deos geschont wird. Einerseits ist der knappe Raum zu beobachten, der der Widerlegung zugestanden wird. Da Cotta nämlich darauf hinweist, dass etliche der Argumente, die Balbus zum Erweis der Götterexistenz zusammengebracht hat, besser zu anderen Teilgebieten passen, widmet er sich hier nur denjenigen Argumenten, die Balbus an den Beginn seines ersten Hauptpunktes gestellt hatte.185 Andererseits lässt sich zeigen, dass er die verbleibenden Argumente mit großer Schonung behandelt. Ähnlich wie bei der Widerlegung von Velleius’ consensus-Argument verzichtet Cotta auch hier darauf, seine These, dass es einen solchen consensus nicht gibt, durch belastbare Gegenbeispiele zu konkretisieren.186 Wenn er scherzhaft lediglich Velleius in die Zahl derer rechnet, die nicht an dei animantes glauben, so ist dies eher Cottas Polemik zuzurechnen als einem ernsthaften Gegenargument, da Velleius selbst sich nie dieser Gruppe zurechnen würde.187 Darüber hinaus spricht sich Cotta vielerorts nicht inhaltlich gegen die von Balbus aufgestellten Thesen aus, sondern bezweifelt lediglich ihre Gültigkeit innerhalb von Balbus’ Argumentation. Im Falle der römischen exempla spricht er sich etwa nicht gegen die Richtigkeit der von Balbus zusammengestellten Ausführungen aus, sondern bezweifelt den Wert und Geltungsanspruch dieser historischen exempla innerhalb des philosophischen Diskurses.188 Und wenn er sich mit Kleanthes’ zweitem Argument auseinandersetzt, demzufolge Menschen aufgrund von Unwettern und anderen Naturkatastrophen an die Macht der Götter glauben, so weist er mit Recht nach, dass diese Beobachtung lediglich untermauert, dass Menschen an die Existenz von Göttern glauben, nicht jedoch, dass sie realiter existieren.189 Das dritte Kleanthes-Argument lässt Cotta sogar gänzlich unberücksichtigt, was durch den lockereren Dialogcharakter der Passage

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Vgl. Cic. nat. deor. 3,10–38. Vgl. Cic. nat. deor. 3,17 f. Vgl. Cic. nat. deor. 3,10b–11a. Dazu zählt auch Cottas polemische Spitze gegen Balbus, die sich unmittelbar an die Velleius-Kritik anschließt. Wenn Cotta ihm nahelegt, dass er als Stoiker, der nicht davon ausgeht, dass tatsächlich jemand den Status des stoischen Weisen erreichen könne, nicht mit dem consensus-Argument arbeiten dürfe, da ja alle Menschen Toren seien, so handelt es sich um eine polemische Verengung und eine Vermischung ethischer und epistemologischer Konzepte. Vgl. Cic. nat. deor. 3,11b–13a; die Problematik, inwiefern sich solche historischen exempla in einen philosophischen Diskurs einfügen, wird viel später von G. E. Lessing in einer dem Kern nach ähnlichen Weise besprochen; vgl. dazu Lessings berühmten Satz „Zufällige Geschichtswahrheiten können der Beweis von notwendigen Vernunftswahrheiten nie werden“ (Lessing 1777, abgedruckt in Barner et al. 1989, 437–446). Gerade an dieser Stelle entwickelt Cotta eine starke Widerlegung, als er gegen die Göttlichkeit der Dioskuren argumentiert (mit Recht so Gigon 1996, 537 ad loc.); allerdings handelt es sich hierbei lediglich um einen Einzelfall, der das stoische Theoriemodell nicht ernsthaft gefährdet. Vgl. Cic. nat. deor. 3,17; ähnlich argumentiert Cotta bei der Kritik an Balbus’ Beweis der Götterexistenz mithilfe der Vorahnung (vgl. 3,13–15).

3. Schonung und Verzicht auf Angriffe?

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weniger ins Gewicht fällt. Wenn also L. Krumme kritisiert, dass Cottas Widerlegung von Balbus’ erstem Gliederungspunkt an vielen Stellen die nötige Stringenz fehle und Balbus’ eigentliche Argumente mancherorts gar nicht treffe,190 so kann auch hierin eine Schonung des esse deos gesehen werden, auf die Cicero seine Leser schon im Proömium vorbereitet hatte. Weitere Beispiele. Auch andernorts lässt sich zeigen, dass Cotta gerade diejenigen epikureischen Argumente schont, die von Velleius auf solide, allgemein-rationale Weise entfaltet worden sind. Besonders eindrücklich lässt sich dies an Cottas Replik191 auf Velleius’ Kettenschluss192 belegen, mit dessen Hilfe Velleius das menschliche Aussehen der Götter, genauer gesagt die These, dass sich Intellekt und Vernunft nur in menschlicher Gestalt manifestieren könne, belegen wollte. So weist Cotta zu Beginn seiner Widerlegung ausdrücklich auf den Umstand hin, dass Velleius seine These nach der Art der Dialektiker (more dialecticorum) entfaltet hat. Durch Cottas polemische Abgrenzung der dialektischen Argumentationsweise von der ansonsten bei Epikureern üblichen Argumentationsweise erscheint dies als lobender, innerdialogischer Hinweis auf Velleius’ allgemein-rationale Modellierung eines Arguments, durch die er sich als ein Epikureer auszeichnet, der sich in größerem Umfang als ältere Vertreter des Epikureismus um eine allgemeinverständliche Darstellung der Lehre und um die Teilhabe am philosophischen Diskurs bemüht.193 Darüber hinaus würdigt Cotta die einzelnen Schlüsse, die Velleius der Reihe nach gezogen hatte, und beurteilt sie mehrfach als logisch korrekte und legitime Schlussfolgerungen. Lediglich den letzten Schluss von der ratio zur hominis figura ist er nicht bereit mitzugehen. Cottas Begründung für diese Ablehnung fällt allerdings an dieser Stelle knapp und wenig schlagkräftig aus, da er einerseits mithilfe einer rhetorischen Frage zwar darauf hinweist, dass diese letzte Schlussfolgerung seines Erachtens nicht überzeugend ist, ohne jedoch zu begründen, warum sie nicht möglich ist und worin Velleius’ Deduktionsfehler liegt. Andererseits scheint er Velleius’ Argumentationsziel nicht ausreichend zu würdigen, welches darin besteht, seine erst noch zu beweisende These mithilfe von einzelnen Prämissen, die sowohl auf breitere Zustimmung stoßen als auch mit der epikureischen Religionsphilosophie vereinbar sind, zu unterfüttern. Wenn Cotta ihm nämlich vorwirft, dass der Kettenschluss als solcher gar nicht nötig gewesen wäre und er seine letzte Schlussfolgerung von Beginn an als seine eigentliche These hätte konstatieren können, so sieht er nicht, dass Velleius gerade durch eine schrittweise Entfaltung die erst noch zu beweisende Plausibilität seiner These grundieren wollte. Indem er über die Glückseligkeit der Götter deren virtus, über die virtus deren Rationalität und über die Rationali190 191 192 193

Vgl. Krumme 1941, 19–24. Vgl. Cic. nat. deor. 1,89. Vgl. Cic. nat. deor. 1,48. Mit Recht bringt daher Pease 1955, 438 ad loc. die von Cicero derart modellierte Figur des Velleius in die Nähe zu anderen Jungepikureern wie Philodem.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

tät deren menschliches Aussehen erschlossen hatte, erschien seine These als logische Verkettung allgemein akzeptierter Prämissen, die – so Velleius’ Intention – fast schon notwendigerweise zur Annahme einer hominis figura der Götter führe. Bezeichnenderweise führt Cotta erst etliche Paragraphen später194 einen erklärenden Nachtrag an, mit dessen Hilfe er seine vorausgehenden Andeutungen ergänzt und erklärt, wieso er Velleius’ letzte Schlussfolgerung als zu weit ausgreifend beurteilt195 und worin er genau Velleius’ argumentative Schwachstelle sieht. Ein zentraler Kritikpunkt Cottas liegt darin, dass er Velleius’ letzter Schlussfolgerung eine gewisse epistemologische Beliebigkeit bei der Assoziation der Vernunft gerade mit dem menschlichen Aussehen unterstellt. Wenn Velleius also feststellt, dass sich die Vernunft nur im Menschen manifestiert, dann stellt dies in Cottas Augen eine unangemessene Verengung dar,196 da Velleius ausschließlich das menschliche Aussehen als entscheidenden Faktor festmacht, der die Verbindung von Vernunft und Mensch197 sicherstelle. Indem Cotta alternative Konkretisierungen benennt, zeigt er auf, dass man mit Leichtigkeit auch die Einheit des Körpers mit einer Seele oder die materiale Substanz des Körpers als entscheidendes Kriterium benennen könnte, welches die Verbindung zwischen Vernunft und Mensch bedinge. Durch die Frage, wieso Velleius sich gerade auf das menschliche Aussehen beschränkt, möchte Cotta aufzeigen, dass die enge Verbindung zwischen ratio und hominis figura, die Velleius behauptet, nicht so zwingend und naheliegend erscheint, wie es der epikureische Vorredner behauptet hat. Daher muss sich Velleius den Vorwurf gefallen lassen, alle negativen Aspekte der Körperlichkeit vernachlässigt und sich lediglich auf einen einzigen Aspekt konzentriert zu haben, um dadurch alle negativen Folgewirkungen, d. h. die Verbindung der Gottheit mit etwas Sterblichem, ausblenden zu können. Daneben macht Cotta deutlich, dass Velleius’ Gleichsetzung der Vernunft mit dem menschlichen Aussehen mit Leichtigkeit auch derart weitergeführt werden kann, dass aus dem menschlichen Aussehen auch andere, mit der Körperlichkeit verbundene Attribute geschlossen werden können, die gerade aus epikureischer Sicht mit dem Begriff des Göttlichen nicht vereinbar scheinen.198 An

194 Vgl. Cic. nat. deor. 1,98b. 195 Vgl. Cic. nat. deor. 1,89 a. E. für das Wortspiel von praecipitare und descendere, auf das auch Dyck 2003, 172 ad loc. hinweist: Während Cotta mit descendere auf eine berechtigte, logisch geordnete Schlussfolgerung hinweist, bezeichnet er mit praecipitare ein voreiliges, illegitimes Schließen. 196 Vgl. dazu auch Dyck 2003, 182 ad loc., der ebenfalls auf die willkürliche Zuschreibung einer menschlichen Eigenschaft abhebt, ohne allerdings zu sehen, dass sich Cotta zunächst allgemein dem Verhältnis von Vernunft und Mensch widmet und erst in einem zweiten Schritt die Frage nach den Göttern einbezieht. 197 Gigon 1996, 426 ad loc. übersieht, dass es hier zunächst um das Verhältnis von Vernunft und Mensch geht und der menschliche Körper nur ein Verbindungsglied darstellt, nicht jedoch den eigentlichen Oberpunkt bildet. 198 Wenn er die von Velleius unbeabsichtigten Folgewirkungen metaphorisch mit dem Verb serpere (vgl. 1,98b) beschreibt, dann drückt Cotta damit aus, dass sich das Argument von selbst in eine Richtung „weiterschlängelt“, die nicht in Velleius’ Sinn gewesen sein kann. Die hier verwendete

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das Ende dieser Aufzählung, die sich ihrerseits des Kettenschlusses bedient und Velleius sozusagen mit seinen eigenen Waffen schlagen möchte, stellt Cotta klimaktisch die Sterblichkeit, die sich als letzte und missliebigste Folge ergeben könnte.199 Bezeichnenderweise liefert Cotta jedoch nicht nur eine Kritik an der fehlenden epikureischen Begründung, die gerade einen Bezug zwischen ratio und hominis figura erklärt, sondern  – wie O. Gigon richtig bemerkt  – auch schon implizit eine Lösung, wie dies innerhalb des epikureischen Systems vertreten werden könnte.200 Indem er eine solche Gottheit, die menschlich aussieht, ansonsten jedoch auf alle anderen menschlich-körperlichen Implikationen verzichtet, als zweidimensionale liniamenta beschreibt und damit sehr viel konkreter wird, als Velleius dies getan hat, bietet Cotta selbst ein Erklärungsmodell an, mit dem sich von epikureischer Seite aus die Unsterblichkeit der Götter trotz ihres menschlichen Aussehens erklären ließe. Indem Cotta die Besprechung des Kettenschlusses auf zwei voneinander getrennt stehende Passagen aufteilt, gelingt es ihm, Velleius’ allgemein-rationale Argumentation auf der einen Seite zu würdigen und ihm dabei ein satisfaktionsfähiges Methodenbewusstsein zu attestieren, auf der anderen Seite dennoch inhaltliche Kritik an einem Unterpunkt anzuführen, von einer nicht-dogmatischen Warte aus eine epistemologische Schwachstelle innerhalb von Velleius’ Darstellung anzubringen und sogar einen möglichen Lösungsweg für die angesprochene Problemstellung anzudeuten, ohne dass Lob und sachliche Kritik einander widersprechen müssen. Fazit. Anhand der beiden Beispiele konnte gezeigt werden, dass Cotta gerade dort auf scharfe Angriffe verzichtet und die epikureische Position bzw. Velleius’ Argumentationsweise schont,201 wo er sich mit denjenigen Argumenten auseinandersetzt, die von Velleius im Vorfeld mithilfe von starken Begründungen und allgemein-rationalen Argumenten dargestellt worden sind. Aus diesem Umstand lässt sich schließen, dass

Metaphorik führt dabei das zuvor entfaltete Bild des abrupten Abstürzens (praecipitare, vgl. 1,89) fort und wird ihrerseits am Ende des Paragraphen durch die sortiri-Metaphorik abgelöst. Allen drei Bildern ist dabei gemein, dass sie die epikureische Setzung „die ratio bedarf der hominis figura“ als vorschnelle und hinsichtlich ihrer Konsequenzen unüberlegte These klassifizieren. 199 Vgl. zur Auseinandersetzung Cottas mit Velleius’ Begründungsmustern auch Auvray-Assayas 1991, 55, die plausibilisiert, dass Cicero hier eine Denkfigur ausbaut, die sich auch in Philodems De signis findet und die auf die Schwächen der Argumentationsfigur mithilfe des Erweises von Ähnlichkeiten abzielt, sowie Essler 2011a für weitere Bezüge zwischen Cottas Widerlegungsrede und Philodems De signis. 200 Vgl. Gigon 1996, 426 ad loc.; Dyck 2003, 182 ad loc. erkennt diese Dimension des Arguments nicht und weist lediglich darauf hin, dass sich bei Velleius selbst solche Gedanken nicht finden. 201 Anders Wierzcholowski 2019, 329–346, der die Schonung des Velleius durch Cotta vor allem als polemische Strategie begreift, um deutlichere Kritik an der epikureischen Lehre, nicht jedoch an deren römischem Vertreter zu äußern. Durch die Abgrenzung des Velleius von Epikur und anderen Epikureern solle dem Rezipienten „suggeriert“ werden, dass der Römer Velleius eigentlich gar nicht zum Kepos passe. Cottas Lob des Velleius und dessen Schonung wird im vorliegenden Ansatz hingegen anders erklärt, nämlich als eine leserlenkende Strategie, mit der die Velleius-Rede auch ex post als ernstzunehmender Beitrag markiert wird.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

sich auch an solchen Passagen ein enger kompositorischer und inhaltlicher Konnex zwischen der dogmatischen Ausgangsrede und der skeptischen Widerlegungsrede nachweisen lässt, der sich als subtile Form der ciceronischen Leserführung erklären lässt. 4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium Die zurückliegenden Ausführungen haben sich vor allem denjenigen Passagen gewidmet, in denen sich Cotta einerseits in einer (zumindest auf den ersten Blick) polemisch wie rhetorisch bedenklichen Weise mit den epikureischen Positionen auseinandersetzt, andererseits jedoch auch auf Angriffe verzichtet und bestimmte Positionen nachgerade schont. Mithilfe von ausgewählten Beispielen aus den Cotta-Reden wurden diese Widerlegungstechniken als Inszenierungsweisen gedeutet, die trotz ihrer auf den ersten Blick kritikwürdigen Form teilweise dennoch auf unterschiedliche Art und Weise innerdialogisch Ciceros skeptische Zielsetzung umsetzen, teilweise aber auch auf die Standpunktgebundenheit jeder Kritik hinweisen und demonstrieren sollen, dass auch ein einzelner Skeptiker nicht ein für alle Mal das probabile herausfiltern kann. Im Folgenden soll untersucht werden, inwiefern sich dieser Befund auch anhand von denjenigen Widerlegungspassagen nachweisen lässt, die die beiden zentralen Leseaufforderungen des Proömiums behandeln, indem sie entweder direkt auf epistemologische Schwachstellen der dogmatischen Reden hinweisen oder nach deren Vereinbarkeit mit dem römischen Kult und der römischen Gesellschaft fragen. a) Hinweis auf epistemologische Schwachstellen (1) Grundsätzliche Kritik an der epistemologischen Ausrichtung der Epikureer An manchen Passagen, in denen Cotta epistemologisch besonders problematische Thesen kritisiert, fügt er Bemerkungen ein, die Ciceros Leseanweisungen aus dem Proömium signalwortartig widerspiegeln. Als Cotta etwa zu Beginn seiner ersten Widerlegungsrede den epikureischen Atomismus kritisiert und die Theorie der unterschiedlichen Atomformen aufgrund der fehlenden Überprüfbarkeit dieser Ansicht als besonders fragwürdig beurteilt, erklärt er das epikureische Festhalten an dieser Theorie mit der Neigung der Epikureer, Lehrsätzen aufgrund der auctoritas Epikurs zu folgen.202 Wenn Cotta dabei hervorhebt, dass die Epikureer sich primär dafür ent-

202 Vgl. Cic. nat. deor. 1,66b–67a.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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schieden haben, Epikur zu folgen, und erst im Anschluss daran die epikureische Lehre in ihren Details kennengelernt haben, dann ist dies vor allem als eine Kritik an der übermäßigen Bedeutung der Person Epikurs innerhalb des Epikureismus zu lesen. Besondere Emphase erhält die Passage durch die direkte Ansprache an Velleius, der hier zum einzigen Mal mit seinen beiden Namen angesprochen wird.203 In der Kritik an der Übernahme von Lehrsätzen, die als Sätze Epikurs eine solche Geltung für sich beanspruchen, kann man einen deutlichen Rekurs auf die neuralgische Bedeutung einer opinio praeiudicata sehen, die Cicero im Proömium am Beispiel des Pythagoras und seiner Anhänger als epistemologisches Negativbeispiel genannt hatte.204 Die vorschnelle Wahl des Epikureismus als die Wahl eines Lebensmodells, dessen Betonung der vita beata die intellektuelle Durchdringung der Lehransichten als zweitrangig erscheinen lässt, lässt sich darüber hinaus als Aktualisierung einer skeptischen Kritik sehen, die Cicero ausführlich im Proömium der Academica formuliert hatte.205 Dort spricht er sich gegen die vorschnelle Wahl einer philosophischen Schule aus, da die meisten Anhänger durch ihr junges Lebensalter, durch den Eindruck einer charismatischen Rede oder durch die fehlende Kenntnis anderer Philosophenschulen noch gar nicht in der Lage sind, sich für die überzeugendste philosophische Schule zu entscheiden, und eine einmal getroffene Entscheidung für eine Philosophenschule gewisse Adhäsionskräfte entfaltet, die ein späteres Überdenken fast unmöglich machen.206 Stattdessen neigen solche Anhänger dazu, die einmal gewählte Philosophenschule samt ihren einzelnen Ansichten unreflektiert zu verteidigen und sie im Folgenden nicht mehr zu hinterfragen. Auch bei seiner Kritik an Velleius’ quasi corpus-Formulierung sucht Cotta eine Erklärung für Velleius’ offen eingestandenen Verzicht, die hinter dieser Formulierung stehende Vorstellung differenziert auszudrücken und seinen nicht-epikureischen Gesprächspartnern zu erklären, in einer allgemeinen epikureischen Geisteshaltung. Deshalb verweist er hier ausdrücklich auf die epikureische Praxis, Lehrsätze des Meisters zu memorieren und im schlimmsten Fall sogar unverstanden wiederzugeben.207 Dadurch exemplifiziert Cotta Velleius’ problematische quasi corpus-Formulierung auch 203 Vgl. für diese Beobachtung Dyck 2003, 147 ad loc. 204 Vgl. Cic. nat. deor. 1,10. 205 Vgl. Cic. ac. 2,8 f., worauf auch Pease 1955, 366 ad loc. verweist, jedoch ohne diese Parallele weiter auszuwerten; dass Cicero die Lektüre der Academica voraussetzt bzw. sie seinen Rezipienten zumindest anempfiehlt, lässt sich unter anderem an dem Verweis auf das Werk innerhalb des De natura deorum-Proömiums (vgl. Cic. nat. deor. 1,12) erkennen. 206 Überzeugend spricht sich Fuhrer 2012, 241 f. dafür aus, die in den Academica und auch andernorts beschriebene Szenerie als authentische Beschreibung der Bildungspraxis junger Römer ernstzunehmen, die sich auf einer Bildungsreise mit den philosophischen Inhalten einer hellenistischen Philosophenschule auseinandersetzten. Dass in der römischen Republik tatsächlich mehrere Philosophenschulen eine gewisse Attraktivität auf junge Römer ausübten, zeigt Griffin 1989, 5–11. 207 Vgl. Cic. nat. deor. 1,72a; vgl. Pease 1955, 380 ad loc. für die Belegstellen (u. a. bei Diogenes Laertios), an denen sich diese epikureische Praxis erkennen lässt.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

hier als ein Beispiel für eine Haltung, die von Cicero im Proömium am Beispiel des pythagoreischen ipse dixit208 als besonders problematisch charakterisiert worden war. Der Blick auf diese und andere209 Beispiele macht also deutlich, dass Cicero Cotta an wenigen und ausgewählten Stellen seine jeweilige Sachkritik durch Bemerkungen unterfüttern lässt, welche die Rezipienten an Ciceros epistemologische Leseanweisung des Proömiums erinnern und die Sachkritik dadurch als dialogische Umsetzung der epistemologischen Leseaufforderung markieren. (2) Rückgriff auf bereits von Velleius eingeführte Widerlegungstechniken Besonders stark ist Cottas Widerlegung überall dort, wo er explizit auf Velleius’ Lehrentfaltung eingeht, sich ausführlich mit dessen Argumenten beschäftigt und ihn mit den eigenen Waffen schlägt, indem er selbst diejenigen Widerlegungstechniken und -argumente heranzieht, die bereits Velleius angewendet hatte, und sie seinerseits nun dazu nutzt, um bestimmte epikureische Thesen zu kritisieren. Widerspruch zwischen einzelnen Thesen. Gleich zu Beginn seiner Widerlegung weist Cotta darauf hin, dass die epikureische Vorstellung von Göttern, die aus Atomen bestehen, nicht nur impliziere, dass die Götter auch aus Atomen entstanden sein müssten, sondern dass aus dem Gedanken, die Götter seien einmal entstanden, resultiere, dass sie notwendigerweise auch wieder vergehen müssen. Cotta zielt also auf den Nachweis ab, dass das zentrale epikureische Dogma der Unsterblichkeit der Götter nicht mit der These ihrer atomistischen Beschaffenheit vereinbar sei.210 Dafür greift er eine Widerlegungsstrategie auf, die Velleius bereits in der Anfangspolemik etabliert hatte. Dort kritisierte Velleius die platonische Vorstellung einer zwar göttlich erschaffenen, aber dennoch ewigen Welt mit dem zwar epikureisch ausdeutbaren, bei Velleius aber mit der allgemeinen Alltagserfahrung begründeten Argument, dass alles Gewordene zwangsweise der Vergänglichkeit anheimgegeben sei und nichts, von dessen Entstehung man weiß, Unvergänglichkeit für sich beanspruchen darf.211 Indem Cotta

208 Vgl. Cic. nat. deor. 1,10. 209 Vgl. bspw. auch Cic. nat. deor. 1,91b–92a, wo die Frage, ob wirklich alle anderen Ansichten fehlerhaft sein können, auf das proömiale consensus-Motiv und die Frage nach der Beurteilung der stark divergierenden Ansichten zwischen den einzelnen Philosophen anspielt, und in weniger ausgeprägter Deutlichkeit 1,81–84a, wo auf Velleius’ allzu großes Vertrauen in die eigene Erkenntnisfähigkeit angespielt wird, die ihn den Einfluss einer kulturellen Prägung und Gewöhnung übersehen lässt. 210 Vgl. Cic. nat. deor. 1,68; auffallend an der Stelle ist Cottas nachgerade penible Entfaltung des Arguments. Mithilfe dreier Konditionalsätze stellt er nacheinander seine Prämissen vor und zeichnet die Schlussfolgerung auf die daraus resultierende Sterblichkeit der epikureischen Götter ausführlich nach. 211 Vgl. Cic. nat. deor. 1,20.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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ausdrücklich auf Velleius’ Prämisse rekurriert212 und sie aus dem Bereich der Schöpfungstheologie auf die Frage nach der Unsterblichkeit der Götter überträgt, zeigt er eine systemimmanente Spannung zwischen zwei inkompatiblen Prinzipien innerhalb der epikureischen Religionsphilosophie auf,213 um Velleius dadurch mit dessen eigenen Waffen zu schlagen214 und um gleich zu Beginn ein gewichtiges Gegenargument zu präsentieren.215 Auch im dritten Buch greift Cotta auf diese Widerlegungstechnik zurück. Dass er sie gerade auch dort einsetzt, wo er auf Widersprüche zwischen einzelnen stoischen Aussagen verweisen kann, hat P. Couissin ausführlich in seiner Studie zum Einsatz des Sorites-Schlusses bei Cicero und Sextus Empiricus nachgewiesen.216 Hinweis auf die Subjektivität einer These. Ähnlich verfährt Cotta bei der Kritik an der epikureischen These der menschlichen Gestalt der Götter, genauer gesagt bei der Kritik an Velleius’ Begründung, die die menschliche Gestalt als die an sich schönste Gestalt bestimmt und sie deshalb den Göttern zuspricht.217 Wenn Cotta Velleius’ Begründung unterstellt, dass es sich bei ihr lediglich um ein subjektives Werturteil handelt, das keine objektive Geltung für sich beanspruchen kann,218 dann greift er wiederum auf eine Widerlegungstechnik zurück, die Velleius bereits in der Anfangspolemik angewendet hat. Als sich Velleius dort mit der Kugelgestalt der Götter auseinandersetzte, kritisierte er Platons These, dass es sich bei der Kugel um die schönste aller Formen handele, ebenfalls als ein rein subjektives Werturteil; indem er dafür die Kugelgestalt anderen geometrischen Figuren gegenüberstellte, wies er auf die Relativität jedes Schönheitsempfindens hin.219 Anders als bei dem Rekurs auf den Gedankengang von Entstehen

Vgl. Cic. nat. deor. 1,68: ut tu paulo ante de Platonis mundo disputabas. Mit Recht kommt Gigon 1996, 398 ad loc. daher zu dem Ergebnis, dass Cottas Argument „in der Tat den gefährlichsten Einwand gegen Epikurs Theologie [berührt]“. 214 Vgl. darüber hinaus auch Cic. nat. deor. 1,77b, wo Cotta Velleius in ironischer Manier als physice anspricht, was Velleius selbst in der Anfangspolemik (vgl. Cic. nat. deor. 1,20 zur physiologia) ganz ähnlich verwendet hat. Pease 1955, 397 führt darüber hinaus noch 1,83 und 2,48 an, wo ebenfalls unter Rekurs auf die physici polemische Spitzen formuliert werden. Vgl. zudem 1,90b–91a für eine ähnliche Widerlegungstechnik; dort weist Cotta auf die Unvereinbarkeit von Atomismus und einem ähnlichen Aussehen von Göttern und Menschen hin. Wenn nämlich, so Cottas Argumentation, die Welt und mit ihr die Menschen und Götter unabhängig voneinander durch das zufällige Zusammenballen unterschiedlicher Atome entstanden seien, so müsste man von einem sehr großen Zufall ausgehen, wenn sich die Atome im Falle der Menschen und der Götter zufällig und ohne Lenkung zu einem ähnlichen Aussehen zusammengeballt hätten. Auch am Beispiel von Cic. ac. 2,13–15 lässt sich erkennen, dass die physici dort im Gegensatz zur Skepsis stehen. 215 Der Einwand von Gigon 1996, 398 f. ad loc. (ähnlich, jedoch sehr viel kürzer auch von Dyck 2003, 148 ad loc.), der Cicero vorwirft, nicht ausreichend auf die epikureischen Lösungsmöglichkeiten dieses Dilemmas eingegangen zu sein, kann nicht überzeugen. Auch wenn die epikureische Theorie vom ständigen Zustrom neuer Götteratome versucht, die göttliche Unsterblichkeit zu plausibilisieren, so besteht der von Cotta angesprochene Widerspruch zweier Prinzipien doch fort. 216 Vgl. Couissin 1941. 217 Vgl. Cic. nat. deor. 1,77b–80. 218 Gigon 1996, 408 f. spricht hier vom Aufzeigen eines „psychologische[n] Problem[s]“. 219 Vgl. Cic. nat. deor. 1,24. 212 213

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

und Vergehen setzt Cotta die von Velleius übernommene Widerlegungsstrategie genau bei dem gleichen Themengebiet ein, in dem auch Velleius auf sie zurückgegriffen hat. Diese Themengleichheit dürfte auch der Grund dafür sein, wieso Cicero Cotta hier nicht wieder explizit auf Velleius’ vorherige Ausführungen verweisen lässt, da die Themengleichheit bereits als ausreichende Markierung der Bezugnahme gelten kann. Während Cottas Innovation beim Beispiel von Entstehen und Vergehen in der Übertragung der Widerlegungsstrategie auf ein anderes Themenfeld zu sehen ist, kann sie hier im Ausbau der Begründung gesehen werden. Während nämlich Velleius die Relativität des Schönheitsempfindens nur mithilfe der knappen Präsentation anderer, seines Erachtens ästhetisch gleichwertiger geometrischer Formen demonstriert hat, holt Cotta weiter aus und begründet die Relativität des Schönheitsempfindens ausführlich in einem mehrstufigen Begründungsgang. Nachdem er das Schönheitsempfinden an ausgewählten Tierbeispielen220 zunächst seiner Genese nach als fortpflanzungsbedingte, natürliche Neigung jedes Lebewesens zu Mitgliedern der eigenen Art erklärt und es dadurch eher als reflexartigen Trieb denn als ernstzunehmendes Urteil akzentuiert hat,221 entwickelt er die These von der Relativität des Schönheitsempfindens anhand von Beispielen, die das arationale Moment des Schönheitsempfindens in den Mittelpunkt rücken. Auf eine Relativierung der These, dass gerade und ausschließlich die menschliche Gestalt die schönste sei, wofür Cotta wiederum auf den Tierbereich zurückgreift,222 entfaltet die Beobachtung, dass selbst scheinbare Makel und Verstöße gegen ein allgemeines Schönheitsideal von einzelnen Personen als ästhetische Auszeichnung empfunden werden können, eine große Wirkung.223 Dadurch zielt Cotta darauf ab, zugunsten einer individualistischen Ästhetik die Grenzen eines allgemeinen Schönheitsideals aufzuzeigen und Velleius’ Theorie eines konsensualistischen Schönheitsempfindens abzuschwächen. Der Kettenschluss. Neben diesen auffälligeren Übereinstimmungen, in denen die überbietende Aufnahme von Velleius’ Widerlegungsstrategien durch Cotta entweder durch einen expliziten Verweis auf Velleius oder durch Themengleichheit markiert wird, lassen sich auch im Kleineren Übereinstimmungen zwischen den jeweiligen Argumentationsstrategien nachweisen. So verwendet auch Cotta des Öfteren einen Kettenschluss, der durch eine geschickte Verknüpfung einzelner Prämissen schrittweise zur gewünschten Schlussfolgerung führt. Während Velleius ihn an prominenter Stelle innerhalb des Lehrteils seiner Rede einsetzt, um mit dessen Hilfe von der Glückseligkeit der Götter auf ihr menschliches Aussehen zu schließen,224 setzt Cotta ihn bei 220 Vgl. Gigon 1996, 409 ad loc., der darauf hinweist, dass die Tierbeispiele kunstvoll geordnet jeweils repräsentative Tiere aus unterschiedlichen Lebensbereichen präsentieren. Auch Pease 1955, 399 ad loc. wertet die Beispielreihe als Versuch aus, die Universalität dieses Prinzips zu verdeutlichen. 221 Vgl. Cic. nat. deor. 1,77b. 222 Vgl. Cic. nat. deor. 1,78. 223 Vgl. Cic. nat. deor. 1,79 f. 224 Vgl. Cic. nat. deor. 1,49.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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einem inhaltsnahen Gliederungspunkt ein, um mit dessen Hilfe die fehlende Glückseligkeit der epikureischen Götter zu erweisen.225 Dafür verknüpft er zwar wie Velleius226 die beatitudo mit der virtus, definiert dabei jedoch – anders als Velleius – die virtus in einem nächsten Schritt notwendigerweise als eine virtus actuosa. Da eine derart verstandene virtus der epikureischen Gottheit nicht zukommen kann, kann sie, so Cottas Schlussfolgerung, auch keine beatitudo für sich beanspruchen.227 Konsequentes Weiterführen eines Gedankens oder eines Bildes. Die erste Widerlegungstechnik, die Velleius zu Beginn der Anfangspolemik am Beispiel der göttlichen Erschaffung der Welt eingeführt und auch im Laufe der Mitteldoxographie gelegentlich verwendet hat, war die konsequente Weiterführung einer Metapher, um dadurch die bedenklichen Konsequenzen oder inhärenten Prämissen aufzuzeigen, die ein Ernstbzw. Wörtlichnehmen dieser Begrifflichkeiten oder Gedanken mit sich bringen würde. Auch Cotta verwendet diese Widerlegungstechnik mehrfach, um dadurch in ganz ähnlicher Weise auf die epistemologischen Schwachstellen von Metaphern und Vorstellungen hinzuweisen, deren Bezug auf die Götter durch ihre Nähe zur menschlichen Vorstellungswelt allzu problematisch erscheint. Am ausführlichsten lässt sich ihr Einsatz durch Cotta bei der Frage nach der menschlichen Gestalt der Götter nachweisen. Nachdem Cotta grundlegende Kritik an Velleius’ quasi corpus-Begrifflichkeit und der dahinter stehenden Vorstellung geübt hat,228 widmet er sich den drei Begründungsmodellen, die Velleius selbst als Argumente für die forma humana der Götter angeführt hat.229 Nach einer straffen Kritik an der Prolepsis als Erkenntnisquelle der göttlichen forma humana230 und an der epikureischen Gleichsetzung der forma humana mit der forma pulcherrima231 widmet sich Cotta der dritten Begründungslinie des Velleius, die festhält, dass sich ausschließlich in der menschlichen Gestalt Intellekt und Geist manifestieren könne.232 Während Cotta in den ersten beiden Gliederungspunkten passgenau auf Velleius’ Argumentation eingegangen war und sich recht eng an dessen Ausführungen orientiert hatte, fällt beim dritten Gliederungspunkt ein anderes Darstellungsschema ins Auge. So setzt sich Cotta nach einer Art maskiertem Einstieg

225 Vgl. Cic. nat. deor. 1,48 für den inhaltlichen Ausgangspunkt von Cottas Widerlegung. 226 Auf die Übereinstimmung zwischen Velleius und Cotta in diesem Punkt weist Dyck 2003, 192 ad loc. mit Nachdruck hin, ohne jedoch zu sehen, dass sich die sich anschließende Unterscheidung umso deutlicher herauskristallisiert. 227 Vgl. Cic. nat. deor. 1,110 a. E. 228 Vgl. Cic. nat. deor. 1,68–75a. 229 Vgl. Cic. nat. deor. 1,76 für eine Rekapitulation der drei von Velleius in genau der gleichen Reihenfolge präsentierten Argumente, die zugleich als eine Art divisio für die folgende refutatio durch Cotta dient. 230 Vgl. Cic. nat. deor. 1,77b.81–84a. 231 Vgl. Cic. nat. deor. 1,77c–80; vgl. dazu auch Kleve 1978, der anhand von Velleius’ Argumentation und Cottas Entgegnung den philosophiehistorischen Ort des epikureischen Schönheitsarguments näher bestimmt. 232 Vgl. Cic. nat. deor. 1,84b–102.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

in das Thema233 zunächst in engerem Rekurs auf Velleius’ Ausführungen mit der epikureischen These auseinander,234 um im Anschluss daran auf grundsätzliche Probleme einzugehen, die zum Abschluss grundlegende Zweifel an der von Velleius geforderten forma humana der Götter ansprechen, ohne sich dafür eng an Velleius’ Ausführungen anzuschließen und ohne sich auf Aspekte zu beschränken, die lediglich die Verbindung von menschlicher Gestalt und Intellekt thematisierten.235 Dieser offenere zweite Teil der Diskussion erlaubt es Cotta, den Begriff der göttlichen forma humana in seiner grundsätzlichen Problematik zu beleuchten und sich weder inhaltlich noch formal auf eine bestimmte Art der Kritik festzulegen. Besonders auffallend ist, dass Cotta den corpus-Begriff in seine einzelnen Bestandteile aufgliedert und diese exemplarisch auf die Götter überträgt.236 Durch die konkretisierende Übertragung der einzelnen Körperteile auf die Götter wird auf eine unmittelbare Weise verständlich, wieso die Vorstellung von Göttern mit menschlichem Aussehen in vielerlei Hinsicht problematisch ist. Dabei beschränkt sich Cotta auf diejenigen Körperteile, die für ein dezidiert menschliches oder gar animalisches Verhalten besonders repräsentativ sind. Bei Cottas konkretisierenden Beispielen handelt es sich deshalb vor allem um Körperteile, die sich einem der drei Bereiche der äußeren Extremitäten, des Mund- und Rachenraums sowie der Fortpflanzungsorgane zuordnen lassen. Wenn er diese Körperteile in einem ersten Schritt explizit auf die Götter bezieht, macht er deren fehlenden Nutzen daran deutlich, dass die Götter diejenigen Tätigkeiten, die mit diesen Körperteilen einhergehen, nicht ausführen wollen oder können.237 Indem er dabei das mitunter groteske Bild von marschierenden, essenden238 oder kopulierenden Göttern evoziert, zeigt Cotta die Fragwürdigkeit von solcherart vermenschlichten Göttern auf. In einem zweiten Argumentationsgang geht er einen Schritt weiter und demonstriert an mehreren Bei-

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Vgl. Cic. nat. deor. 1,84b–86. Vgl. Cic. nat. deor. 1,87–91a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,91b–102. Gigon 1996, 419 f.424 ad loc. übt heftige Kritik an dieser Vorgehensweise, indem er die Auffächerung des corpus-Begriffs als eine Reduktion des Arguments „auf [eine] spöttische Bemerkung“ mit „den absurdesten Konsequenzen“ verklärt und Cicero unterstellt, Cotta hier eine grob vereinfachende und sachlich unangemessene Argumentationsweise in den Mund gelegt zu haben, welche Velleius’ quasi corpus-Differenzierung außer Acht lässt. Gegen diese scharfe Kritik ist anzumerken, dass Velleius’ Ausführungen Cottas Nachfragen durchaus begründen. Während Velleius nicht weiter ausführt, inwiefern man seine quasi corpus-Differenzierung verstehen könne, legt seine Betonung der göttlichen forma humana die Frage durchaus nahe, inwiefern und bis zu welchem Grad sich das menschliche Aussehen der Götter behaupten lässt. Lediglich für den Bereich der inneren Organe, den Cotta am Ende von 1,92 anführt, lässt sich anmerken, dass er von Velleius’ Formulierung nicht nahegelegt wird. 237 Vgl. Cic. nat. deor. 1,92b.94b; vgl. vor allem Paterson 1929 zur Frage der Textgestaltung von Cic. nat. deor. 1,92 und der Lesart des umstrittenen itaque bei itaque nulla ars […]. 238 Neben dem Verzicht der Götter auf das Essen wird von Cotta auch unterstellt, dass epikureische Götter nicht miteinander sprächen. Vgl. zur Einordnung dieser These Pease 1955, 447 f. ad loc. und mit deutlicherem Bezug auf Philodem auch Dyck 2003, 174 ad loc.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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spielen, dass überflüssige Körperteile nicht nur keinen Nutzen bringen, sondern sogar störend (molestum) sind.239 Wenn er abschließend primitivere Religionsformen in scharfer Ironie dafür lobt, dass sie den einzelnen Körperteilen ihrer Götter immerhin eine Funktion zugestehen können und darin dann sogar die epikureische Theologie übertreffen,240 lässt sich wiederum beobachten, dass Cotta am Ende des Arguments seine argumentativ gewonnenen Einsichten nicht mehr für eine rationale Widerlegung, sondern vielmehr für einen polemischen Abschluss des Gedankengangs nutzt. Die Aufgliederung des corpus-Begriffs und die dadurch ermöglichte genaue Prüfung der Ansicht der göttlichen Körperlichkeit nutzt Cotta jedoch nicht nur für den allgemein-rationalen Nachweis von deren epistemologischer Fragwürdigkeit. Bezeichnenderweise dient sie ihm auch als Grundlage für den Nachweis, dass eine derartige Vorstellung auch mit epikureischen Prämissen unvereinbar ist. Wenn Cotta am Ende der ersten Beispielkette konstatiert, dass die Götter mit Körperteilen ausgestattet sind, die für sie keinen Nutzen entfalten können, dann schlussfolgert er unter direkter Ansprache an Velleius, dass die Götter in diesem Fall auch nach epikureischen Maßstäben keine Schönheit für sich beanspruchen können, da Schönheit und Nutzen bei Fragen der Körperästhetik, wie Velleius selbst behauptet hatte,241 einen engen Konnex bilden.242 Die Aufgliederung des corpus-Begriffs bildet somit die Grundlage dafür, dass Cotta Velleius hier wiederum mit dessen eigenen Waffen schlagen kann. Darüber hinaus stellt Cotta infrage, dass die Vorstellung eines menschlichen Körpers für die beiden zentralen epikureischen Paradigmata der Glückseligkeit und Unsterblichkeit der Götter überhaupt notwendig ist. Indem er aufzeigt, dass die einzelnen Extremitäten weder zur Glückseligkeit243 noch zur Unsterblichkeit244 der Götter beitragen, kommt er zu dem Ergebnis, dass sie für Epikur nicht systemrelevant sind und man auf sie verzichten könnte, ohne den eigentlichen Kern der epikureischen Religionsphilosophie zu gefährden. Weitere Beispiele.245 Auch an anderen Stellen lässt Cicero Cotta in kleinerem Umfang auf diese Widerlegungstechnik zurückgreifen, um durch Konkretisierung und Ausdif-

239 Vgl. Cic. nat. deor. 1,99. Indem Cotta hier nicht nur auf den menschlichen, sondern auch auf den pflanzlichen Körper rekurriert, sichert er seine Beobachtung durch eine breitere empirische Basis ab. Auch hier konzentriert sich Gigon 1996, 427 ad loc. mit seiner Kritik ausschließlich auf die von Cotta nur en passant angeführten inneren Organe der Götter, ohne die berechtigte Kritik am Beispiel der Extremitäten wahrzunehmen. Auch Pease 1955, 465 ad loc. kommt zu dem Schluss, dass die inneren Organe gerade in 1,99 nur eine untergeordnete Rolle spielen. 240 Vgl. Cic. nat. deor. 1,101. 241 Vgl. Cic. nat. deor. 1,47. 242 Vgl. Cic. nat. deor. 1,92b. 243 Vgl. Cic. nat. deor. 1,95a. 244 Vgl. Cic. nat. deor. 1,99. 245 Auch für seine Widerlegung der stoischen Position greift Cotta auf diese Argumentationsweise zurück. Wenn er etwa Balbus’ Mythenallegorese kritisiert, so führt er das von Balbus etablierte Modell konsequent weiter und stellt durch diese Art der Veranschaulichung „die uneingeschränk-

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

ferenzierung eines abstrakten Gedankens dessen problematische Dimension aufzuzeigen. So diskutiert Cotta etwa die Frage, inwiefern sich der Gedanke der Schönheit überhaupt auf die Götter übertragen lässt.246 Nachdem er am Beispiel des menschlichen Schönheitsempfindens aufgezeigt hat, dass gerade auch körperliche Ausprägungen, die objektiv als makelhaft angesehen werden, ein ästhetisches Vergnügen bereiten können,247 überträgt er diesen Gedanken auf die Götter und zählt mehrere Beispiele für körperlich beeinträchtigte Götter auf, deren Aussehen aus einer objektiven Warte heraus als unvollkommen gelten müsste.248 Wenn er im Anschluss daran die alternative Vorstellung von Götterkörpern entfaltet, die sich durch äußerliche Perfektion auszeichnet, so erweist er auch diesen Vorschlag als kritikwürdig, indem er den Gedanken der äußeren Vollkommenheit konsequent zu Ende denkt. Indem er nämlich darlegt, dass äußere Vollkommenheit nicht weiter ausdifferenzierbar ist und jede Abweichung von diesem Status äußerer Vollkommenheit sofort als Minderung beurteilt werden müsste, zeigt er, dass sich eine solche Vorstellung nur schwerlich mit einer pluralistischen Gottesvorstellung vereinen lässt. Das bereits an sich wirkungsvolle Bild identisch aussehender Götter wird von Cotta abschließend dadurch in seiner problematischen Dimension herausgestellt, dass er das daraus resultierende Nichterkennen unter den Göttern in humorvoll-ironischer Brechung249 als Verwirklichung eines radikal-skeptischen Prinzips apostrophiert und den epikureischen Götterhimmel mit der Versammlung skeptischer Philosophen gleichsetzt.250 Auch hier ist es das von Cotta durch die Weiterführung des Gedankens evozierte Bild von exakt gleichaussehenden Göttern, welches die Grenzen dieses Schönheitsbegriffs aufzeigt. Durch die zweifache Entfaltung des abstrakten Gedankens der Schönheit am Beispiel der Götter macht Cotta das Problem deutlich, welches sich aus der Übertragung allzu menschlicher Vorstellungen auf die Götterwelt ergibt.

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te Vervielfältigung der Götter (qui a te … innumerabiles explicati sunt, 3,93)“ (Rüpke 2014, 198) ins Zentrum seiner Kritik, die zu einer „mythologische[n] Inflation der Anzahl der Götter“ (Rüpke 2014, 198) führen würde. Vgl. Cic. nat. deor. 1,80. Vgl. Cic. nat. deor. 1,79. Vgl. Cic. nat. deor. 1,80; vgl. Gigon 1996, 411, der bei der Diskussion des Schönheitsbegriffs am Beispiel der Götter mit Recht von der Entfaltung „einer systematischen Alternative“ spricht. Vgl. Auvray-Assayas 1991, 56, die ebenfalls im humorvoll-ironischen Abschluss des Arguments einen ernsthaften Kritikpunkt Cottas verhandelt sieht. Hoyer 1898, 51 geht sogar so weit, danach zu fragen, ob sich hier nicht auch ein ernsthafter Seitenhieb gegen die radikale Spielart der älteren Skepsis erkennen lässt, die noch nicht nach dem probabile fragt, sondern vor allem eine Kritik an der menschlichen Erkenntnisfähigkeit übt. Wenn Pease 1955, 411 ad loc. danach fragt, ob die himmlische Akademie ein Gegenbild zum desolaten Zustand der skeptischen Akademie auf Erden darstellen soll, dann scheint er dem Bild eine allzu grundsätzliche Dimension zuzugestehen. Vielmehr geht es doch Cotta hier punktuell darum, Velleius und die epikureische Religionsphilosophie gerade durch die humorvolle Übertragung skeptischer Prinzipien in den epikureischen Götterhimmel zu treffen.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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Daneben setzt Cotta diese Darstellungstechnik auch zur Kritik an der atomistischen Erkenntnis ein. So verdeutlicht er deren schwere Vorstellbarkeit, indem er sich Problembereichen wie der Erkenntnis vergangener oder fiktiver Persönlichkeiten zuwendet.251 Die von Cotta eingesetzten Beispielreihen erfüllen dabei die gleiche Funktion wie die exemplifizierende Aufsplitterung eines abstrakten Begriffes. In beiden Fällen geht es ihm darum, die schwierige Vorstellbarkeit einer These mithilfe von konkretisierenden Beispielen augenfällig zu demonstrieren. Auch bei der Diskussion der göttlichen Glückseligkeit gelingt es Cotta, mithilfe dieser Widerlegungstechnik eine Schwachstelle innerhalb der epikureischen Lehre aufzuzeigen. Wenn er die Vorstellung aufgreift, die davon ausgeht, dass die Erkenntnis der ewigen Glückseligkeit den Göttern ihrerseits größte und ewige voluptas bereitet, führt er diesen Gedanken ad absurdum, indem er ihn konkretisiert und personalisiert.252 Die explizit253 von Cotta evozierte Vorstellung einer Gottheit, die nichts anderes tut, als für alle Ewigkeit über die eigene Glückseligkeit nachzudenken und sich solch triviale Sätze wie mihi pulchre est oder ego beatus sum vorzusprechen, verdeutlicht, dass das epikureische voluptas-Konzept, das das Freisein von Tätigkeiten und Lasten aller Art als Grundvoraussetzung der voluptas akzentuiert, nicht ohne Weiteres auf die Götter übertragen werden kann, da die Vorstellung einer derartig in die Ewigkeit verlängerten voluptas dem allgemein menschlichen Empfinden nicht als erstrebenswert gelten kann. Fazit. Indem Cicero Cotta dieselben Widerlegungstechniken anwenden lässt, die die Rezipienten bereits bei Velleius als Mittel kennenlernen konnten, um ernstzunehmende Anfragen an konkurrierende Positionen zu formulieren, erleichtert er den Rezipienten das Entdecken solcher Passagen, in denen der akademische Skeptiker gewichtige Zweifel an epikureischen Positionen formuliert. Dadurch, dass Velleius und Cotta gleichermaßen auf diese skeptischen Widerlegungstechniken zurückgreifen, wird den Rezipienten zugleich verdeutlicht, dass keiner der Gesprächspartner einen singulären Anspruch auf einzelne Widerlegungstechniken anmelden kann, sondern dass sich die skeptischen Widerlegungstechniken auch gegen denjenigen wenden können, der sie zuvor noch selbstbewusst verwendet hat. Darüber hinaus lässt sich mancherorts auch der Rekurs auf Widerlegungstechniken feststellen, die nicht ausschließlich als literarische Umsetzung von Ciceros skeptischem Ansatz angesehen werden können. So findet sich am Ende von Cottas Widerlegungsrede gegen die epikureische Position eine kurze, thematisch gebundene Doxographie,254 die als Gegenstück zu Velleius’ ausführlicherer Mitteldoxographie angesehen werden kann. Während Velleius die Philo251 Vgl. Cic. nat. deor. 1,106 f. 252 Vgl. Cic. nat. deor. 1,114b. 253 Vgl. Cic. nat. deor. 1,114 für die explizite Doppelaufforderung conprehende igitur animo et propone ante oculos deum […]. 254 Vgl. Cic. nat. deor. 1,117b–121a (bzw. bis 122, wenn die Behandlung Epikurs als Teil und eigentlicher Kern der Doxographie angesehen wird). Vgl. Winiarczyk 1976 für einen Vergleich dieses Textes mit einem ähnlichen Katalog bei Sextus Empiricus.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

sophiegeschichte als eine Geschichte des epistemologischen Scheiterns dargestellt hatte, konzentriert sich Cotta auf die Philosophiegeschichte der Gottesleugner, in die er schließlich auch Epikur einordnet.255 Auch wenn sich die beiden Doxographien hinsichtlich ihrer Länge, ihrer thematischen Schwerpunkte und ihrer innerdialogischen Zielsetzung stark voneinander unterscheiden, finden sich an beiden Stellen nicht nur sprachliche und kompositorische256 Parallelen, sondern auch eine Mischung von plausiblen und standortgebundenen Argumentationstechniken. b) Hinweis auf die Auswirkungen philosophischer Positionen auf den Staatskult Wenn Cotta die Auswirkungen der epikureischen Philosophie auf den römischen Kult und in der Folge auch auf die Integrität des römischen Staatswesens untersucht, greift er einerseits auf Aussagen zurück, die Cicero im Proömium bei der Besprechung derjenigen Philosophenschulen getätigt hat, die nicht an ein Eingreifen der Götter in die Geschicke des Menschen und der Welt glauben;257 andererseits setzt er sich auch explizit mit Velleius’ und Balbus’ Ausführungen zu einer dezidiert epikureischen bzw. stoischen Frömmigkeit auseinander. Rekurs auf die proömialen Warnungen. Während Cicero im Proömium nur allgemein von der potentiell kult- und staatszersetzenden Wirkung derjenigen philosophischen Ansichten gesprochen hatte, die von passiven Göttern ausgehen, kennt Cotta eine derartige Zurückhaltung nicht und überträgt die proömialen Ausführungen unmittelbar auf den Epikureismus. So unterstellt er der Religionsphilosophie Epikurs mehrfach eine kultzersetzende Wirkung,258 die die römische Religion von Grund auf259 gefährden könnte. Ähnlich wie im Proömium lässt Cicero Cotta dies damit begründen, dass

255 So auch Dyck 2003, 197 ad loc. 256 Zu den Parallelen gehört, dass in beiden Doxographien Demokrit durch den Nachweis von Inkonsistenzen innerhalb seiner Lehre kritisiert wird (vgl. dazu Dyck 2003, 198 ad loc. für die parallele Argumentationstechnik sowie Pease 1955, 524 ad loc. mit dem Nachweis etlicher sprachlich-stilistischer Parallelen zwischen den beiden Besprechungen), und dass es zwischen Cottas Kritik an der euhemeristischen Position und Velleius’ Kritik an der stoischen Divinisierung herausragender Menschen Parallelen gibt (vgl. dazu Pease 1955, 515 f. ad loc. sowie Gigon 1996, 439 ad loc.). 257 Vgl. Cic. nat. deor. 1,3–4a; auch Dyck 2003, 195 deutet an, dass Cicero Cotta hier auf Äußerungen zurückgreifen lässt, die die Rezipienten bereits aus dem Proömium kennen, ohne jedoch weiter auf deren Funktion einzugehen. 258 Vgl. Cic. nat. deor. 1,115 und 1,121b. 259 Dass die epikureische Religionsphilosophie den römischen Kult in einer grundlegenden Weise bedroht, wird an beiden Passagen durch die Adverbien funditus (1,115) bzw. radicitus (1,121b) ausgedrückt. Auch das Hyperbaton omnem funditus religionem (1,115) betont diesen Aspekt; die Verben tollere (1,115) bzw. extrahere (1,121b), mit denen der Gefährdungsprozess beschrieben wird, verleihen der Gefährdung dabei eine hyperbolische Bedrohlichkeit.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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passive Götter kultisch nicht verehrt werden können260 und dass kein kommunikatives Austauschsystem zwischen Menschen und Göttern denkbar ist, wenn die Götter ihrerseits an diesem Austausch nicht teilhaben wollen und können.261 Auch Cotta orientiert sich an dem traditionellen do ut des-Modell der römischen Religion, welches kultisches Handeln immer mit dem Ziel verbindet, durch das eigene Handeln auch die Götter zum Eingreifen zu bewegen bzw. auf ihr vorausgehendes Handeln angemessen zu reagieren.262 Auffallend ist jedoch, dass Cicero Cotta zwar die kultgefährdende Dimension der epikureischen Frömmigkeit betonen lässt, ihn jedoch nicht den Vorwurf der Staatsgefährdung wiederholen lässt, den Cicero im Proömium als letzte Folgewirkung derartiger religionsphilosophischer Ansichten apostrophiert hat. Die einzige von Cotta erwähnte Folgewirkung auf das ethische Verhalten der Menschen besteht in der Übertragung der Trägheit der epikureischen Götter auf die Menschen.263 Auch im Falle der Kritik an der stoischen Position hebt Cotta das kultzersetzende Moment hervor. So konnte etwa J.-L. Girard zeigen,264 dass Cottas Kritik an Balbus’ zweitem Redeteil, der mithilfe der stoischen Mythenallegorese eine Vermittlung zwischen Mythos, Kult und Philosophie herstellen wollte,265 als Verteidigung des römischen Kultes verstanden werden kann. Indem Cotta nämlich die Mythenallegorese ablehnt, wehrt er sich gegen eine inadäquate Vermischung der göttlichen und menschlichen Sphäre, die nicht zu einer Stärkung der Religion, sondern zu deren Schwächung führen könnte, indem das Göttliche lediglich als eine besondere Form des Menschlichen erscheint. Balbus’ Vermittlung von dezidiert römischen Kultvorstellungen und philosophischen Gedankengängen muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, zugunsten einer allzu schnellen Parallelisierung auf echte Vermittlungsarbeit verzichtet zu haben und nicht deutlich genug gemacht zu haben, wo genau die Gemeinsamkeiten und Unterschiede liegen.266 Cicero zeigt der stoischen Position durch Cottas Kritik hier also eine argumentative Leerstelle auf, die zu schließen sich ein stoischer Rezipient ermutigt fühlen sollte. 260 Vgl. Cic. nat. deor. 1,115. 261 Vgl. Cic. nat. deor. 1,116. 262 Große Kritik an dieser Vorstellung übt Gigon 1996, 437 ad loc., da er das Ineinander von traditionellen römischen Vorstellungen und hellenistischer Philosophie als unangemessen beurteilt: „Mit einer erstaunlichen Unbekümmertheit wird hier das Prinzip des do ut des verfochten. Die Religion wird zum Geschäftsverkehr.“ 263 Vgl. Cic. nat. deor. 1,102; vgl. dazu auch Gigon 1996, 429 ad loc., der auf die Vorbildfunktion der epikureischen Götter für die epikureischen Weisen hinweist. 264 Vgl. Girard 1983. 265 Vgl. v. a. Cic. nat. deor. 2,60–72 für Balbus’ Darstellung sowie Cic. nat. deor. 3,42.53–60 für Cottas Widerlegung. 266 Vgl. bereits Süss 1952, 433 für diese Kritik und weiterführend Weische 1961, 39 f., der die Unvereinbarkeit von stoischer Religionsphilosophie und dem Volksglauben damit begründet, dass es sich bei der stoischen Anschauung eigentlich um ein System von auffallend „innere[r] Geschlossenheit“ (ebd., 39) handelt, welches durch die oberflächliche Integration volkstümlicher Ansichten nachgerade gesprengt wird.

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

Auseinandersetzung mit Velleius’ Frömmigkeitskonzept. Da Cotta vor dem Hintergrund eines konservativ-römischen Kultmodells argumentiert, kann es nicht verwundern, dass er die von Velleius vorgeschlagene Umdeutung des Beziehungsmodells zwischen Menschen und Göttern nicht befürwortet. So wird der epikureische Vorschlag, die Götter nicht mit der Absicht zu verehren, sie zu einem für die Menschen gewinnbringenden Handeln zu veranlassen, sondern sie ohne Hintergedanken alleine wegen ihres vollkommenen Wesens anzubeten,267 abgelehnt.268 Cotta begründet diese Ablehnung damit, dass epikureische Götter aufgrund ihrer Lustfokussierung und ihrer Passivität keine praestans natura besitzen, weshalb sie für den Weisen keine Vorbildfunktion erfüllen und somit auch nicht als vollkommene Wesen verehrt werden können.269 Der Beginn270 von Cottas Bewertung der kultischen Dimension der epikureischen Religionsphilosophie lässt sich daher als eine knappe Kritik beschreiben, die vor dem Hintergrund eines traditionellen römischen Kultverständnisses die Inkompatibilität des epikureischen pietas-Modells mit altrömischen Kultvorstellungen und dem dortigen pietas-Modell aufzeigt. Als berechtigt kann Cottas Kritik denjenigen Rezipienten erscheinen, die von der Gültigkeit des altrömischen pietas-Modells überzeugt sind und die dadurch jede Abweichung als eine Bedrohung einstufen. Cottas Selbstverständnis in der Auseinandersetzung mit Balbus. Ähnlich argumentiert Cotta am Beginn des dritten Buches.271 Dort wehrt er sich gegen den vorausgegangenen Versuch des Balbus, ihn für die stoische Position einzunehmen. Zuvor hatte Balbus nämlich seine Zuversicht darüber ausgedrückt, dass Cotta in seiner Funktion als pontifex der stoischen Theologie zweifelsohne zustimmen werde, da beide Seiten, Stoa wie römischer Kult, von einem ähnlichen Götterbild ausgingen.272 Diesem Begründungsmodell folgt Cotta nicht, sondern zieht stattdessen eine deutliche Trennung zwischen seiner privaten Rolle als skeptischer Philosoph und seiner öffentlichen Rolle als Staatsmann und kultisch agierender Priester.273 Eindrucksvoll demonstriert Cotta, dass die ratio für ihn im Falle der Religion keine Rolle spielt, solange er öffentlich als pontifex agiert. Gehe es aber um die im Privaten geführte philosophische Diskussion, setzt er ausschließlich auf sie und will keine durch Kult oder Geschichte gesetzten Vorannahmen gelten lassen. Am Beispiel Cottas dokumentiert Cicero eindrücklich, dass in Rom und innerhalb der römischen Oberschicht unterschiedliche Diskursräume und Diskurstechniken unverbunden nebeneinander existieren. An Cotta lässt sich dabei der nachgerade verzweifelte Versuch einer sauberen Trennung zwischen öffentlichem Kult und privater Philosophie beobachten, die nicht mehr herzustellen ist. Trotz 267 268 269 270 271 272 273

Vgl. dazu Cic. nat. deor. 1,56. Vgl. Cic. nat. deor. 1,116. Vgl. Cic. nat. deor. 1,117a. Vgl. Cic. nat. deor. 1,115–117a. Vgl. auch Heilmann 1994 zu Cottas Position im dritten Buch. Vgl. Cic. nat. deor. 2,168. Cic. nat. deor. 3,5 f.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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aller Betonung der auctoritas maiorum kann dem Römer gerade angesichts der desolaten Situation des römischen Kult- und Staatswesens und der zunehmenden Diffusion hellenistischer Vorstellungen in das römische Bildungsgut ein blindes Pochen auf die Tradition, ein Ignorieren einmal gedachter Gedanken nicht mehr gelingen. Cotta erscheint hierbei eher als Symptom eines größeren Problems, nicht als dessen Lösung.274 Denn bei dem unvermittelten Nebeneinander der beiden Bereiche scheint es sich nicht um ein Problem zu handeln, das ausschließlich De natura deorum betrifft, sondern das symptomatisch für weite Teile der römischen Oberschicht des 2. und 1. Jahrhunderts vor Christus ist. Der gebildete Römer der Oberschicht sah sich nämlich mit der Situation konfrontiert, beide Systeme verinnerlicht zu haben, ohne dass es in ihm zu einer Beziehung zwischen ihnen kommen konnte.275 Einerseits richtete er sich in seiner öffentlichen Rolle als kultisch Handelnder nach der auctoritas maiorum; andererseits lernte er durch die zunehmend hellenisierte Bildung jedoch ein ganz anderes Begründungs- und Denksystem kennen. In der Philosophie kam es nämlich nicht auf die strenge Observanz der mores maiorum an, sondern auf die rationale Durchdringung ethischer, logischer und physikalischer Fragen. Wenn Cotta beide dogmatischen Versuche, auf der Grundlage ihrer jeweiligen philosophischen Prämissen eine intellektuelle Begründung für den römischen Kult zu etablieren, ablehnt und die mores maiorum als einzig legitime Quelle gelten lässt,276 scheint es mit Blick auf das Proömium schwer möglich zu sein, Cotta in dieser Hinsicht als Sprachrohr Ciceros anzusehen. Dort nämlich stellt Cicero die nachgerade gegenteilige Position heraus und geht von einer engen Beziehung der beiden Bereiche aus. Für ihn ist die Religionsphilosophie nicht nur eine anspruchsvolle und epistemologisch reizvolle (ad cognitionem animi pulcherrima), sondern auch für kultische Fragen relevante (ad moderandam religionem necessaria) Fragestellung.277 Nimmt man hingegen an, dass es Cicero wie Cotta letztlich darum gegangen sei, aufzuzeigen, dass die Tradition durch die Anfragen der hellenistischen Philosophie nicht in Frage gestellt werden könne und die Rezipienten vornehmlich diese beruhigende Versicherung aus der Lektüre der Schrift hätten ziehen sollen, so hätte er seinem Anliegen wohl einen Bärendienst erwiesen. Denn dadurch, dass er, wie W. Heilmann formuliert, „die ratio sich doch frei entfalten [ließ]“, mach-

274 Vgl. Wierzcholowski 2019, 346–354 für eine positive Deutung dieser Rollenproblematik. Dass Balbus am Ende des dritten Buchs seine Kritik nicht mehr aufrechterhalte und stattdessen auf Cottas Seite sehe, legt wohl zu großes Gewicht auf Balbus’ abschließendes Schweigen. 275 Vgl. Gehrke 1994, 596 f., der von der „Gräzisierung von Erziehung und Bildung gerade der führenden Schicht“ ab Ende des 3. Jahrhunderts v. Chr. ausgeht, sowie Bringmann 2003, 152 f., der das 2. Jahrhundert v. Chr. als maßgeblichen Beginn des Prozesses bestimmt, mit dem die griechische Philosophie Teil des in Rom verbindlich gewordenen hellenistischen Bildungskanons geworden ist. Weitere Indizien für diese Zeitbestimmung finden sich auch bei Gotter 2003, 178 f. 276 So auch Heilmann 1994, 26. 277 Vgl. Cic. nat. deor. 1,1.

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te er „damit die Bedrohung, der er sich eigentlich entziehen wollte, gerade sichtbar“278. Da sich Cottas auf eine Trennung der beiden Bereiche abzielende Position nicht mit den Ausführungen des Proömiums in Deckung bringen lässt, scheint es sich hierbei nicht so sehr um Ciceros eigene Stimme zu handeln, sondern darum, die traditionelle Antwort eines Römers auf die Anfragen der hellenistischen Religionsphilosophie als nicht mehr angemessene Antwort auf die zeitgenössischen Anforderungen zu charakterisieren und zu kritisieren. Der problematische Abschluss der Cotta-Rede im ersten Buch. Als problematisch erweisen sich auch die abschließenden Widerlegungsversuche Cottas im ersten Buch von De natura deorum. Cotta rekurriert dort auf Epikurs Anspruch, durch das epikureische pietas-Konzept die Menschen von einer übermäßigen superstitio zu befreien. Anstelle einer sachlichen Auseinandersetzung gesteht Cotta der epikureischen Position zunächst eine solche Wirkung zu. Die ironische Dimension dieses Zugeständnisses wird allerdings mit Blick auf die Begründung ersichtlich, die Cotta im Folgenden anführt. So sei es nicht schwer, durch eine Leugnung der göttlichen Macht insgesamt sozusagen als Nebenprodukt auch die Angst vor dem göttlichen Eingreifen beseitigt zu haben.279 Kompositorisch dient diese ironische Bemerkung, bei der sich Cotta nicht lange aufhält, lediglich als Überleitung zu einer knappen doxographischen Übersicht über diejenigen Philosophen, die die Existenz bzw. ein Eingreifen der Götter bezweifelten oder leugneten.280 Auch wenn der Verzicht auf eine sachliche Auseinandersetzung an dieser Stelle damit erklärt werden kann, dass Cotta bereits in einem der biographischen Exkurse eine ad personam-Kritik an Epikurs Kampf gegen die superstitio und die damit verbundene Angst der Menschen vor den Göttern formuliert hat281 und Cicero eine Doppelung aus dialogökonomischen Gründen vermeiden wollte, lassen sich spätestens bei der dezidierten Kritik am Schulgründer Epikur, auf den Cottas doxographischer Überblick hinausläuft, etliche Schwierigkeiten bemerken. Zum einen entfaltet Cotta dort ein Verständnis der Götter und des Kultes,282 das mit dem traditionellen do ut des-Prinzip vom Beginn seiner Frömmigkeitskritik nur schwer vereinbar scheint. Wenn er anfangs seine These, dass der epikureischen Gottheit keine praestans natura zukomme, dahingehend bestimmt, dass den epikureischen Göttern keine gratia, bonitas oder beneficentia zukomme und ihnen deshalb zentrale Kriterien eines vorbildhaften Wesens fehlten, dann erläutert er den epikureischen Gott als ein von den Menschen und den anderen Göttern abgesondertes Wesen, welches nur an

278 Heilmann 1994, 28. 279 Vgl. Cic. nat. deor. 1,117b; Gigon 1996, 438 ad loc. spricht hier von einer „bösartige[n] Erklärung“ Cottas. 280 Vgl. Cic. nat. deor. 1,117c–121a. 281 Vgl. Cic. nat. deor. 1,86 f. 282 Vgl. Cic. nat. deor. 1,121b–122.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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sich denkt.283 Wenn Cotta die stoischen Weisen als positives Gegenbeispiel anführt, die sich als Freunde verstehen, auch wenn sie sich persönlich nicht kennen, dann bereitet er durch dieses Beispiel eines nicht-hierarchischen Beziehungsmodells auf ausschließlich zwischenmenschlicher Ebene den folgenden Beweisgang vor. Dort stellt er die These auf, dass Epikureer im zwischenmenschlichen Bereich die Haltung der gratificatio und benivolentia als menschliche Schwäche auffassen. Mithilfe etlicher Beispiele verteidigt Cotta hingegen die gegenteilige Auffassung und akzentuiert die natürliche Zuneigung zueinander (caritas naturalis) als eine um ihrer selbst willen zu erstrebende Haltung, die jenseits des Gedankens von Nutzen und Austausch von Gefälligkeiten funktionieren soll. In einem a minore ad maius-Schluss fragt er sodann, ob das, was für den zwischenmenschlichen Bereich gilt, nicht umso mehr für den göttlichen Bereich gelten müsse. Dabei beschreibt er die Götter aufgrund ihrer Bedürfnislosigkeit als Wesen, die in der Lage sind, sich ohne Hintergedanken und ohne Interesse an einer Bedürfnisbefriedigung in liebevoller Zuneigung füreinander und für die Menschen zu sorgen. Abschließend bestimmt er in einer rhetorischen Frage diese Ausführungen als notwendige Bedingung für das kultische Handeln der Menschen. Gerade diese Abschlussfrage zeigt jedoch, dass das Verhältnis zwischen dem so charakterisierten Wesen der Götter und dem kultischen Handeln der Menschen offenbleibt. Wenn die Götter tatsächlich keiner Sache bedürfen und sich von sich aus (gratuito) anderen Göttern und Menschen zuwenden, welche Funktion erfüllen dann die einzelnen, von Cotta nochmals gewissenhaft aufgezählten kultischen Handlungen? Wieso sollen die Menschen die Götter verehren, wenn diese nichts benötigen und sich nicht aufgrund ihrer Überzeugung von der Richtigkeit helfenden Handelns um die Menschen aus einer intrinsischen Motivation heraus kümmern? Durch die Übertragung des stoischen Freundschaftsideals auf die Götter hat sich Cotta mit dieser Argumentation weit von dem anfangs entfalteten, traditionellen do ut des-Austauschmodell entfernt, welches die Handlungen der Kultteilnehmer als reziprok und aufeinander bezogen beschrieben hat, nicht jedoch als bedingungslose und von einer festen Überzeugung getragene Handlungen. Zum anderen beruft sich Cotta am Ende seiner Rede auf Poseidonios als Gewährsmann für die These, dass Epikur die Götter nur aus Angst vor gesellschaftlichen Repressionen in sein System aufgenommen hat, de facto jedoch durch eine allzu unglaubwürdige Gottesvorstellung den Glauben an die Götter abgeschafft hat.284 Auffällig hieran ist nicht nur die erneut offenkundige Sympathiebekundung für eine 283 Mit Recht weist Philippson 1940, 38 f. darauf hin, dass Cotta hier wiederum eine ältere und konservativere Lehrstufe des Epikureismus angreift, da es sich mit Blick auf Philodem und sogar Cic. fin. 1,69 (ipsi amici propter se ipsos amentur) zeigen lässt, dass jungepikureische Strömungen tatsächlich auch die Ansicht vertreten, dass es Freundschaften geben könne, in denen der Freund einfach nur um seiner selbst willen geliebt werde und der Aspekt der Nützlichkeit zurücktritt. 284 Vgl. Cic. nat. deor. 1,123b–124; auch in 3,3 äußert sich Cotta in ähnlicher Weise und unterstellt Epikur, die Götter nur aus Angst vor Repressionen nicht gänzlich aus seinem System gestrichen zu haben, sodass man dies wohl als Cottas bleibende Auffassung beurteilen muss und die Verteidigung

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VI. Zu den Widerlegungsstrategien in Cottas skeptischen Gegenreden

stoische Ansicht,285 sondern vor allem der eklatante Widerspruch zu Cottas anfangs geäußerter Ablehnung eben dieser These286 zugunsten einer Kritik an der übertriebenen Frömmigkeit Epikurs. Wie lassen sich diese beiden inhaltlichen Brüche erklären? Aufgrund der an beiden Stellen zu beobachtenden Parteinahme Cottas für die Stoa, die am Beginn seiner Widerlegungsrede noch nicht zu erkennen war, rechnete die ältere Forschung damit, dass sich hier Ciceros Rückgriff auf eine stoische Quelle erkennen lässt, die er als Grundlage des hinteren Teils von Cottas Widerlegungsrede gegen Velleius herangezogen hat, ohne dabei die sich daraus ergebenden inhaltlichen Brüche zu beseitigen.287 Da dieser Erklärungsansatz den beiden dargestellten Brüchen lediglich den Charakter eines unfreiwilligen Versehens zugesteht, soll im Folgenden ein anderer Erklärungsansatz vorgeschlagen werden. Der erste inhaltliche Bruch lässt sich dabei am ehesten als das Nebeneinander zweier unterschiedlicher Bezugssysteme erklären, aus denen heraus Cotta die epikureische Position kritisiert. Cicero scheint hier gezielt den Vorteil zu nutzen, dass Cotta selbst als akademischer Skeptiker nicht standpunktgebunden ist und eine dogmatische Ansicht aus verschiedenen Perspektiven kritisieren kann. Wenn Cotta die epikureische Frömmigkeit zunächst aus dem Blinkwinkel der traditionellen römischen Kultvorstellung kritisiert, kommt er mit Recht zu dem Ergebnis, dass sich die epikureische Vorstellung einer bedingungslosen Verehrung einer als vorbildlich empfundenen Gottheit nicht mit dem kontraktualistisch-reziproken Religionsverständnis der traditionellen römischen Religion vereinbaren lässt. Wenn Cotta hingegen Vorstellungen der stoischen Freundschaftsethik auf die Frage nach den Göttern überträgt, so entwirft er ein philosophisch unterkellertes Gottesbild, das von einem ethisch motivierten, nicht durch menschliches Handeln beeinflussten Götterhandeln ausgeht. Die Götter sorgen sich in dieser Lesart um andere Götter und um die Menschen, weil dieses Verhalten am ehesten ihrer natura praestans entspricht. Dadurch ergibt sich überraschenderweise eine deutliche Parallele zum epikureischen Gottesbild, wie Velleius es zuvor vorgestellt hatte. Beide Ansichten gehen nämlich davon aus, dass die Götter ein ideales Verhalten porträtieren und dass die Menschen sich ihnen kultisch nicht aus Berechnung und Kalkül nähern müssen. Durch diese Parallele rücken die epikureische und die stoisch aufgeladene Kritik deutlich näher zueinander.

Epikurs vor diesem Vorwurf in Cic. nat. deor. 1,85–87a als bloße rhetorische Strategie anzusehen hat, mit deren Hilfe sich Epikurs eigene superstitio demonstrieren ließ. 285 Vgl. Cic. nat. deor. 1,123b, wo Poseidonios sogar als familiaris omnium nostrum bezeichnet wird. Hoyer 1898, 52 geht sogar so weit, in dieser Bezugnahme auf Poseidonios Ciceros leises Schlussvotum für einen Skeptizismus antiochenischer Prägung zu sehen; damit allerdings scheint er der Stelle zu großes Gewicht beizumessen und Cottas skeptische Freiheit, sich bei allen Schulen bedienen zu dürfen und einzelnen Schulvertretern Sympathie oder Antipathie zu bekunden, zu wenig zu berücksichtigen. 286 Vgl. Cic. nat. deor. 1,86 f. 287 Vgl. Pease 1955, 44 für einen Überblick über die einzelnen Untersuchungen.

4. Cottas Widerlegungsstrategien und die Leseanweisungen aus dem Proömium

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Gleichzeitig wird der zentrale Unterschied jedoch auch offensichtlicher, der in der divergierenden Vorstellung vom göttlichen Eingreifen liegt.288 Durch das Nebeneinander dieser beiden Kritiken macht Cotta deutlich, dass die epikureische Theologie nur bei einem dezidiert philosophischen Kultverständnis auf eine gewisse Akzeptanz stoßen kann. Darüber hinaus lässt sich das Nebeneinander von Cottas anfänglicher Verteidigung von Epikurs Glauben an die Götter und seiner abschließenden Unterstellung von Epikurs Atheismus mit Blick auf die jeweilige Funktion im Text erklären.289 Während Cotta die Verteidigung der epikureischen Frömmigkeit dazu nutzte, um auf Epikurs tiefen Aberglauben zu schließen und ihm zu unterstellen, dass er selbst unter denjenigen Phänomenen litt, von denen er die Menschen befreien wollte, akzentuiert Cotta seine finale Unterstellung des epikureischen Atheismus als das Ergebnis seiner Rede.290 Durch die finale Rekapitulation und die Zusammenschau gerade derjenigen Ansichten Epikurs, an denen Cotta in besonderer Weise Anstoß genommen hat, erscheint Cottas Urteil als Fazit aus seinen Überlegungen. Mit Blick auf all diejenigen Unwahrscheinlichkeiten, die Cotta in seiner nunmehr zurückliegenden Rede analysiert hat, kann Cotta zu gar keinem anderen Ergebnis kommen, als Epikur den Glauben an die Götter abzusprechen. Diese finale Spitzenaussage dient also nicht so sehr dazu, eine Aussage über die Frömmigkeit der historischen Figur Epikur zu tätigen, sondern um dessen Religionsphilosophie im Gesamten als eine für Cotta wenig plausible Lehre zu charakterisieren.291

288 Dialogökonomisch lässt sich Cottas stoisch geprägte Abschlusskritik auch damit erklären, dass dadurch zumindest in nuce ein dogmatisches Streitgespräch zwischen dem Epikureismus und der Stoa angedeutet werden soll, das mit Blick auf die starren Wechselreden nicht anders realisiert werden könnte. Süss 1952, 430 spricht mit Recht von der „akademische[n] Disputiermethode, die Gegner gegeneinander auszuspielen“ und davon, dass Cotta „hier einmal in der Maske des Stoikers gesprochen hat“. 289 Anders Philippson 1940, 42, der diesen Widerspruch darauf zurückführt, dass Cicero für das Ende der Cotta-Rede auf Poseidonios zurückgegriffen habe, ohne dabei zu merken, dass diese in Spannung zu seiner Hauptquelle steht. Vgl. darüber hinaus grundsätzlich Obbink 1989 zur religionsgeschichtlichen Einordnung des Atheismus-Vorwurfs gegenüber Epikur. 290 Vgl. Dyck 2003, 195 ad loc., der den Abschluss der Cotta-Rede (Cic. nat. deor. 1,115–124) mit Recht als peroratio bezeichnet und als den inhaltlichen Höhepunkt der Widerlegungsrede bestimmt. Auch Schäublin 1990, 96 verweist auf die amplificatio-Funktion des Redeabschlusses, während Weische 1961, 37 den klimaktischen Gesamtaufbau der Rede herausstellt. 291 Auch Wierzcholowski 2019, 320–326 sieht in dieser Passage den Höhepunkt der Cotta-Rede. Er stellt heraus, dass das Schlussargument von Cotta rhetorisch geschickt vorbereitet worden ist und dazu dient, die Unvereinbarkeit von Epikurs Person (Glaube an die Götter bzw. nachgerade Angst vor den Göttern) und Epikurs Lehre (fehlender systemischer Nutzen des Götterglaubens und damit eigentlich ein struktureller Atheismus) als finales Argument gegen Epikur zu entfalten. Dass Cottas Argumente gegen die strukturelle Inkompatibilität zwischen Epikurs Lehre und dem Götterglauben allerdings an vielen Stellen nicht überzeugen und ihrerseits auf neuralgischen Prämissen beruhen, wird hierbei m. E. zu wenig beachtet.

VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift Die vorliegende Untersuchung ging von der Beobachtung aus, dass Cicero seinen Rezipienten im Proömium zwei zentrale Verstehenshilfen mitteilt, mit deren Hilfe die einzelnen Reden der Schrift gelesen werden sollen. So ermutigt Cicero seine Rezipienten nicht nur dazu, die einzelnen Positionen vorurteilsfrei auf ihre Stringenz und Plausibilität hin zu prüfen und dabei nach dem probabile zu suchen, sondern stets auch nach den Folgewirkungen zu fragen, die der jeweilige religionsphilosophische Ansatz unmittelbar auf das Verständnis und die Praxis des römischen Kultes und mittelbar dadurch auch auf den Zusammenhalt des gesamten Staates ausüben könnte. Um die einzelnen Positionen auf diese zwei Fragestellungen hin prüfen zu können, teilt Cicero seinen Rezipienten nicht nur im Proömium die beiden Leseaufforderungen mit, sondern überträgt sie auch in die dialogische Rahmen- und Binnenpartien, die oftmals zentrale Aspekte anstehender oder gerade gehaltener Reden reflektieren und dadurch ein Verstehen im Sinne des ciceronischen Proömiums anbahnen. Auch die einzelnen Reden selbst sollen durch eine behutsame didaktische Überzeichnung1 den Lesern Hilfestellungen geben, diese doppelte Prüfung zu vollziehen. Dass eine solche Vorgehensweise überhaupt gerechtfertigt ist, sollte anhand einer vorausgehenden, ausführlichen Rekonstruktion der ciceronischen Produktionsbedin-

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Ähnlich wie die bisherigen rhetorischen Analysen von De natura deorum gehe auch ich also davon aus, dass Cicero die einzelnen philosophischen Argumentationsgänge nicht genau so gestaltet, wie es ein dogmatischer (oder skeptischer) Philosoph selbst tun würde, und daher keinen primär dokumentarisch-mimetischen Ansatz verfolgt. Vielmehr gehe ich davon aus, dass Cicero die einzelnen Positionen und Ansätze bewusst modelliert. Anders als die Rhetorikforschung rechne ich allerdings nicht damit, dass sich aus dieser Modellierung ein Widerspruch zu Ciceros philosophischem Anspruch ergibt und er insgeheim einer Position zum Sieg verhelfen möchte, sondern dass er seine Modellierungen dazu nutzt, um seinen Rezipienten dabei zu helfen, Stärken und Schwächen der einzelnen Ansätze leichter zu erkennen. Was Cicero dabei als „Stärke“ oder „Schwäche“ eines Ansatzes beurteilt, mag im Einzelnen natürlich diskussionswürdig sein. Scharf zu kritisieren wäre diese eigenständige Gewichtung allerdings nur dann, wenn es sich nicht vordergründig um den Versuch handeln würde, mit De natura deorum einen dezidiert hellenistischen Diskurs in eine andere kulturelle Sphäre zu übertragen und dadurch überhaupt erst zur Entwicklung eines eigenständigen römischen Religionsdiskurses beizutragen.

VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift

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gungen gezeigt werden, die sich vor allem als eine Korrektur der Prämissen der älteren Quellenforschung und der modernen Rhetorikforschung verstand. Dabei sollte weder die Tatsache geleugnet werden, dass Cicero in größerem Umfang auf verschiedene Prätexte zurückgegriffen hat, noch bestritten werden, dass Cicero die philosophischen Reden seiner Dialogfiguren an vielen Stellen rhetorisch auffallend gestaltet hat. Vielmehr sollte gezeigt werden, dass Cicero seine Prätexte bewusst auswählt, modifiziert, mit einer bestimmten Zielsetzung in seine Schriften integriert und dabei einen kohärenten philosophischen Text erschafft. Die rhetorische Inszenierung gilt dabei als didaktisches Hilfsmittel, mit dessen Hilfe Cicero einzelne Argumentationsgänge sowohl als epistemologisch valide kennzeichnet als auch deren problematisch-subjektive Dimension herausarbeitet. Welches Ergebnis kann eine derart verstandene Lektüre der Schrift den römischen Rezipienten nun liefern? Erstaunlich erscheint in diesem Zusammenhang das Urteil der älteren Forschung, die in den meisten Fällen zu dem Ergebnis kommt, dass es Cicero in De natura deorum nicht gelungen ist, das Spannungsverhältnis zwischen römischer Tradition und hellenistischer Philosophie, zwischen der historisch und kulturell begründeten auctoritas und der lediglich dem eigenen Intellekt verpflichteten ratio aufzuheben oder zumindest konstruktiv mit ihm umzugehen.2 Stattdessen gehe es Cicero darum zu zeigen, dass die römische Religion von den Anfragen der griechischen Philosophie nicht ernsthaft gefährdet werden könne3 und kein philosophisches Argument und kein skeptischer Widerlegungsaspekt die auf den mores maiorum basierende und aufgrund ihrer offensichtlichen Wirkung erfolgreiche religio intellektuell unterfüttern oder gefährden könne.4 De natura deorum erscheint in dieser Lesart als eine konservative und philosophiekritische Schrift, die gleichermaßen den fehlenden 2

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Vgl. für dieses Urteil bspw. Gawlick 1956, III (Ziel der Etablierung eines labilen Gleichgewichts zwischen Stoa und Skepsis, praktischer und theoretischer Philosophie, Philosophie und Rhetorik), Burkert 1965, Gigon 1973, Schäublin 1990 (vgl. ebd. 91 f.: „Spannung zwischen Skepsis und einer fast unerschütterlichen Überzeugung“) und Heilmann 1994. Vgl. dazu vor allem Mora 2003, der auf diesen Umschwung in Ciceros religiösem Denken hinweist und ihn unter anderem als Reaktion auf Varros Antiquitates rerum divinarum deutet; Cicero erscheint ihm als der große Verteidiger der römischen Religion vor den gefährlichen Anfragen der griechischen Philosophie. Vgl. Guglielmino 1934, der Cottas agnostische Haltung als Ciceros Absage an die Möglichkeit einer philosophischen Fundierung der römischen religio beurteilt. Anders DeFilippo 2000, der Ciceros Sympathie eher aufseiten des Balbus sieht, der sich zumindest um eine Vermittlung der beiden Bereiche kümmert. Auch Rüpke 2014, 199 nimmt Ciceros Schlussvotum am Ende von De natura deorum in dem Sinne ernst, dass er es als das Votum für „die beste unter den gegebenen Möglichkeiten“ (ebd.) deutet, die eine Trennung von öffentlicher und privater Rolle vermeiden könnte. Vgl. darüber hinaus auch Drozdek 2005, der sich dem Spannungsverhältnis von skeptischer Philosophie und Religion und Kult innerhalb der hellenistischen Philosophie widmet und ebenfalls zu dem Ergebnis kommt, dass die skeptische Prüfung von Argumenten und religiösen Ansichten im Gesamten eher eine stabilisierende Funktion erfüllt. Vgl. zudem Knuuttilla/ Sihvola 2000 für einen Überblick über das Verhältnis von Skeptizismus und Religionsphilosophie in der Antike.

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VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift

Nutzen und die nicht bestehende Gefahr der hellenistischen Philosophie aufzeigen und Ciceros römische Rezipienten in ihren dezidiert römisch-konservativen Begründungsmodellen der religio bestärken möchte. Eine solche Lesart der Schrift gelingt allerdings nur dann, wenn man Ciceros im Proömium vorgestellte philosophisch-skeptische Haltung ausblendet und Cotta als Idealbild eines Römers sieht, der beide Diskursbereiche getrennt voneinander in sich trägt und die auctoritas maiorum stets über die eigene ratio stellt. Zudem ist die Frage zu stellen, ob man von Cicero überhaupt eine Auflösung dieses Spannungsverhältnisses erwarten sollte. Trägt man nämlich die Erwartung an Cicero heran, dass er dieses Spannungsverhältnis am Ende des Dialogs selbst auflösen und eine allgemeingültige Vermittlung der beiden Bereiche durchführen müsse, dann scheint man Ciceros philosophischem Konzept zu wenig Rechnung zu tragen. Wenn Cicero selbst mehrfach ausdrückt, dass es nicht um eine allgemeingültige Vermittlung der Wahrheit gehen kann, sondern um die Ermöglichung, selbsttätig nach einer tragfähigen Lösung zu suchen, dann gilt es, diesen Anspruch ernst zu nehmen und die hohen und wohl auch ernüchternden Anforderungen, die dies an die Rezipienten stellt, auszuhalten. Mithilfe des skeptischen Dialogs zielt Cicero darauf ab, in einer krisenhaften Zeit5 einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs über dieses Spannungsfeld anzuregen und nicht bereits dessen Ergebnis vorwegzunehmen. Die Dialogform spiegelt dabei einerseits dieses Ringen wider, indem Cicero politische und kultische Funktionsträger Roms als miteinander sprechende und philosophische und gesellschaftliche Positionen abwägende Dialogpartner inszeniert, die in idealisierter Weise ein Beispiel dafür abliefern, wie ein solcher Diskurs ablaufen könnte.6 Andererseits drückt dieses Ringen nicht nur die Grenzen der Erkenntnis aus, sondern zeigt zugleich die Möglichkeiten partiellen Erkennens auf. Mit Recht bewertet daher Cl. Auvray-Assayas in ihrem Cicero-Buch die Funktion der Dialogform als zentrale hermeneutische Kategorie des Werkes: [L]e concept [eines solchen Dialoges, erg. C. D.] permet de rappeler à la fois les limites humaines de la recherche et la possibilité, au sein de ces limites, de construire une réflexion qui prenne appui sur des éléments passés au crible du jugement exercé collectivement, dans un espace civique précis.7

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Vgl. Momigliano 1984, der Ciceros De natura deorum neben Varros Antiquitates rerum divinarum und andere über die Religion nachdenkende Römer wie Nigidius Figulus stellt und eine enge Verbindung zwischen der Krisenzeit der ausgehenden römischen Republik und dem Bestreben, gerade auf dem Feld der Religionsphilosophie Klarheit zu erlangen, sieht. Vgl. vor allem Müller 2015, der die Gesprächsinszenierung der ciceronischen Dialoge fin., de orat. und Tusc. als Demonstration eines „ideale[n] Milieu[s]“ vorschlägt, welches eine Vorbildfunktion für die „diskursive Praxis“ (ebd. 275) liefern könnte. Schon Rawson 1975, 236 hebt hervor, dass sich Ciceros akademisch-skeptische Haltung hervorragend mit seiner „educational mission“ verbindet. Auvray-Assayas 2006, 46.

VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift

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Gerade Ciceros Positionierung zwischen philosophischer Theorie und römischer Tradition erscheint als eine Inszenierungsweise, durch die die individuelle Entscheidung der Rezipienten stark gemacht werden soll.8 Im Falle des hier vertretenen Verständnisses von De natura deorum gelingt es Cicero, seine Rezipienten durch eine kontrapunktische Inszenierung der einzelnen Dialogfiguren und ihrer Positionen zur Ausbildung einer eigenen Urteilskraft anzuregen. Auch wenn die stoische Position innerdialogisch in mancher Hinsicht als die im Gesamten gerade etwas überzeugendere Position erscheint, so würde man die Intention der Schrift missverstehen, wenn man Cicero ein solch dualistisches Konzept unterstellen würde. Die vorliegende Analyse hat vielmehr gezeigt, dass die entscheidende Trennlinie nicht zwischen den einzelnen Positionen und Reden verläuft, sondern innerhalb der einzelnen Reden. Mit den Reden des Velleius und des Balbus präsentiert Cicero zwei gegensätzliche philosophische Entwürfe, die nicht als objektive, philosophiehistorische Überblicksdarstellungen zur epikureischen und stoischen Religionsphilosophie verstanden werden wollen. Vielmehr verkörpern beide Reden zentrale Zielsetzungen und Schwerpunkte ihrer Philosophenschulen. Während Velleius durch die Kürze seiner Darstellung und die Abgrenzung von allen anderen Erklärungsansätzen die Prägnanz der eigenen Position demonstriert, die den befreienden Charakter ihrer Lehre über die intellektuelle Durchdringung der religionsphilosophischen Feinheiten stellt, besticht Balbus’ Darstellung komplementär durch ihre Länge und den Versuch, unterschiedliche philosophische wie nicht-philosophische Erklärungsansätze zu einer großen Gesamttheorie zu vereinigen, deren Hochpunkt in der Bewunderung der kosmischen Ordnung liegt. Beiden dogmatischen Rednern gelingt es dabei, Positionen epistemologisch valide und nachvollziehbar zu gestalten, wobei sie teilweise jedoch auch auf problematische Argumentationsstrategien zurückgreifen, die entweder durch den Verzicht auf eine eigenständige Begründung (Velleius) oder durch die Überschätzung der eigenen Erkenntnisfähigkeit (Balbus) Leseanweisungen des Proömiums aufgreifen und die Grenzen des jeweiligen Ansatzes aufzeigen. Auch in kultischer Hinsicht bieten die beiden dogmatischen Reden komplementäre Entwürfe an. Während Velleius eine Umdeutung des römischen pietas-Modells vorschlägt, welches eine erstarrte Ritualität durch innere Bewunderung und Nachahmung der Götter ersetzen möchte, versucht Balbus mit der unmittelbaren Gleichsetzung von römischem Mythos und stoischer Theologie einen anderen Ansatz zu etablieren. Auch Cottas Widerlegungsreden sollten auf ähnliche Weise gelesen werden. So weisen sie tatsächlich mancherorts auf kritikwürdige Aspekte hin, die sich in der jeweils vorausgehenden dogmatischen Rede finden, sodass sie partiell tatsächlich als – sit venia verbo – skeptisches Lösungsbuch verstanden werden können. Darüber hinaus konfrontieren sie die zum Teil ambitionierten dogmatischen Entwürfe mit anderen, von Velleius und Balbus nicht breiter dargestellten oder

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Vgl. dazu Woolf 2015, 17.

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VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift

bewusst ausgeblendeten Aspekten ihrer Lehre und stellen durch das Nachtragen und Ergänzen anderer dogmatischer Gesichtspunkte sicher, dass den Rezipienten die ganze Bandbreite der jeweiligen dogmatischen Position vor Augen gestellt wird. Gerade der variantenreiche Einsatz verschiedener Widerlegungstechniken sowie die bewusste Schonung bestimmter dogmatischer Argumente und das Andeuten alternativer Formulierungs- und Verständnisweisen lässt am Beispiel der Widerlegungsrede gegen Velleius erkennen, dass es Ciceros Cotta keinesfalls darum geht, die epikureische Position so weit zu kritisieren, dass – wie Chr. Schäublin es vertritt – „auch nicht der kleinste Rest bestehen bleiben [darf]“9. Ganz im Gegenteil trägt Cotta entweder selbst Lösungsvorschläge für die von ihm aufgezeigten dogmatischen Problemstellungen nach oder markiert zumindest dogmatische Leerstellen deutlich. Idealiter regt Cicero durch das Kenntlichmachen solcher Leerstellen seine Rezipienten, die selbst der entsprechenden Schultradition zugeneigt sind, dazu an, sich um deren Schließung zu bemühen und ihrerseits eine tragfähige Lösung für manche problematischen Lehrentwicklungen zu finden. Mancherorts erweist sich jedoch auch Cotta als bedenklicher Gesprächspartner, der trotz der biographischen Parallelen nicht als Ciceros Sprachrohr verstanden werden sollte.10 Nicht nur einige tendenziöse Widerlegungstechniken erscheinen dabei in einem kritischen Licht, sondern vor allem Cottas Pochen auf eine radikale Trennung von auctoritas maiorum und ratio, die deutlich im Gegensatz zu Ciceros proömialem Ansatz steht und symptomatisch auf ein Problem verweist, das typisch für die römische Oberschicht des 1. Jahrhunderts vor Christus gewesen zu sein scheint und für welches der Dialog eine Lösungsstrategie anbietet. Indem Cicero seinen Rezipienten also nicht nur direkte und indirekte Lesehinweise vermittelt, sondern sie darüber hinaus mit geeignetem und didaktisch aufbereitetem Übungsmaterial versorgt, regt er diejenigen Rezipienten, die sich bereits für eine philosophische Schule entschieden haben, an, sich über die epistemologischen Grundlagen und Zielsetzungen ihrer Lehre Gedanken zu machen und die einzelnen dogmatischen Positionen kritisch zu hinterfragen. All denjenigen jungen Lesern, die sich bislang noch nicht für eine philosophische Schule entschieden haben, präsentiert er vertiefte Einblicke in die Positionen und Eigenarten der jeweiligen Lehren und ermutigt sie dadurch zu einer genauen Prüfung einer Lehre, die in jedem Fall der Entscheidung für die Stoa oder den Epikureismus vorausgehen sollte. Beide potentiellen Rezipientenkreise sollen dabei in die Lage versetzt werden, eine philosophische Position nicht nur auf ihre epistemologische Plausibilität hin zu prüfen, sondern auch dahingehend, inwiefern sie mit dem traditionellen römischen Kult und dessen gesellschaftlicher Verwurzelung übereinstimmen und welche Gefahren, aber auch welche Chancen und 9 10

Schäublin 1990, 93. Auch vor diesem Hintergrund behält das Urteil von Süss 1952, 431 seine Geltung, der von Cotta als einer „hochinteressanten Figur, zweifellos der merkwürdigsten, die Cicero geschaffen hat“, spricht.

VII. Schlussüberlegungen zur emanzipatorischen Dimension der Schrift

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Möglichkeiten eine stärkere Verzahnung der beiden Diskursebenen mit sich bringen könnte.11 Auch wenn es Cicero mit Blick auf den desolaten Zustand der römischen Republik und die weit vorangeschrittene Transformation der alten res publica hin zu einem monarchischen System nicht mehr gelungen ist, diesen langwierigen Vermittlungsprozess tatsächlich einzuleiten, so ist es doch gerade diese emanzipatorische Dimension der Schrift, die ihr in Ciceros dezidiert skeptischen Dialogen eine besondere Stellung sichert und bei der Cicero wie nirgends sonst12 die performativen Möglichkeiten nutzt, die ihm die Gattung des Dialogs bietet.13 Wie in keiner anderen Schrift erscheint Cicero hier als ein Autor, der eine Vermittlung divergierender Sprach-, Denkund Kulträume anbahnen wollte und seine Rezipienten auf unterschiedliche Weise dabei unterstützen wollte, ein eigenständiges Urteilsvermögen auszubilden.

11 12

13

Vgl. Vielberg 2019, 68 f., der anhand von De divinatione zu dem Urteil kommt, dass Cicero darauf abziele, „seinen römischen Rezipienten […] die freie Entscheidung für oder gegen verschiedene philosophische Schulen und deren Standpunkte zu überlassen.“ Freilich nutzt Cicero auch andernorts diese Möglichkeiten aus, wenn auch nicht in so umfassender Weise. Für De divinatione hat etwa Vielberg 2019 nachgewiesen, dass es Cicero auch in diesem dezidiert skeptischen Dialog darum geht, „seine Leser […] als ebenbürtige Partner in das Gespräch und den Denkprozess der Dialoge ein[zubeziehen]“ und „das jeweils Wahrscheinliche zur Geltung zu bringen, über das sich der Hörer dann selbst ein Urteil bilden muss“ (ebd., 69). Dass es sich hierbei nicht um ein anachronistisches Verständnis handelt, welches moderne Vorstellungen des Dialogs inadäquat auf die antike Praxis überträgt, wird mit Blick auf vergleichbare antike Werke deutlich. Hierbei ist vor allem an Platons skeptisch-aporetische Dialoge zu denken, deren Ziel nicht im Dialogtext selbst liegt, sondern die ihrerseits eine performative Zielsetzung aufweisen. So soll der Leser durch die Lektüre des Dialogs dazu angeregt werden, die im Dialog angebahnten Erkenntniswege selbsttätig zu beschreiten und mit deren Hilfe zu einem eigenständigen Urteil zu gelangen. Indem Cicero dieses innere platonische Dialogmoment mit der äußeren Form der exoterischen Aristoteles-Dialoge verband, erschuf er eine Dialogform, der es gleichermaßen gelang, dem skeptischen Erkenntnisinteresse und einem dezidiert römischen Milieu gerecht zu werden. Eine sokratische Gesprächsführung zwischen Vertretern der römischen Oberschicht wäre (wie es etwa auch am Beginn des dritten Buches von De natura deorum deutlich wird) nur schwer vorstellbar gewesen. Vielberg 2019, 69 weist auf die begrenzte Vergleichbarkeit mit den Platon-Dialogen hin und geht vielmehr davon aus, dass Cicero mit seinen skeptischen Dialogen ein philosophisches Œuvre sui generis geschaffen habe, für das „es in der antiken Philosophie vor Cicero wohl […] keine Vorbilder gibt“.

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2,79 f.: 325 2,80 f.: 130 2,86b–87: 121 2,94: 93 2,97 f.: 325 2,102b–105a: 121 2,104: 121 2,116–128: 118 2,118: 216 2,121: 330 2,122: 118 2,147: 77, 160 2,148: 145 ad Q.fr. 3,1,23: 62 3,4,5: 42 Att. 1,4,3: 42 1,7: 42 1,10,4: 43 1,11,3: 42 1,20,7: 42 2,1,11: 78 4,4a: 42 4,5,4: 42 4,10,1: 43 7,16,1: 62 8,5,1: 62 12,1,1: 63 12,2,2: 50 12,5,3: 99 12,13,2: 51 f. 12,18,1: 51 12,19,1: 50

12,32,2: 99 12,34,2: 50 12,37,2: 51 12,38,2: 51 12,40: 51 12,41,3: 51 12,42: 51 12,43: 51 12,44,4: 52 f. 12,47,1 f.: 51 12,50: 50 12,51,2: 51 12,51,3: 50 12,52: 45, 49–57, 64 12,53: 51 13,8: 73, 99–102 13,12,3: 93 13,13,1: 93 13,14,2: 93 13,16: 93, 135 13,19: 15 f., 73, 93, 135, 137, 147 13,21a: 93 f. 13,21,3: 93 13,22: 93 13,23,2: 94 13,26,2: 51, 53 13,32,3: 106 13,38,1: 73, 99, 102–104 13,39,2: 73, 99, 102–104, 113 13,40: 102 13,44,2: 62 13,45,2: 73, 102 13,47: 73 13,51: 102 14,16,4: 51 14,17,6: 51

402 14,18,3: 51 14,22,1: 63 14,23,3: 62 15,1a,1: 63 16,2,6: 65 16,3,1: 64 f., 93 16,6,4: 57–67 16,11,4: 44 16,13,3: 50 16,14,4: 45 16,15,5: 51 Brut. 76: 82 154: 131 183: 132 202: 16 202–210: 132 297: 132 313 f.: 16 317: 132 318: 144 de orat. 1,24: 145 1,25: 132 1,26: 15 1,29: 15 1,69: 282 1,96–98: 136 2,98: 132 2,107: 217 2,109: 98 2,137: 98 2,146 f.: 217 2,314: 62 2,315: 65 2,318 f.: 65 2,325: 65 3,11: 16 3,31: 132 3,77: 136 3,78: 131, 136 3,80: 13 3,110: 136 3,145: 136

Stellenregister

div. 1,1–7: 106, 108 1,8: 132 1,79: 269 1,132: 244 2,1–4: 84 2,1a: 107 2,1b–4a: 108 2,2: 74, 141 2,3: 15, 74, 151 2,4a: 108 2,4b–5: 108 2,6 f.: 107 2,14: 78 2,40: 325 2,103 f.: 262 2,103: 325 2,150: 160 fam. 4,9,1: 229 7,28,2: 43 9,4: 43 9,26,1: 63 13,1,2: 68, 113 13,1,5: 68 fat. 1: 13 22 f.: 330 fin. 1,1: 36 f. 1,2 f.: 36, 107 1,4–10: 108 1,4: 37 1,6: 36–42, 45 1,7: 38 1,10: 39 1,11b–12: 106, 108 1,12: 38 1,16: 68, 113 1,17 f.: 286 1,30 f.: 253 1,63: 242 1,69: 355 2,3: 273

2,15: 83 2,67: 172 2,119: 160 3,1–3a: 106, 108 3,3b–5a: 107 f. 3,6: 108 3,64: 125 4,42: 118, 332 4,80: 160 5,7: 139 5,8: 139 5,9–74: 140 5,10: 13 5,36: 140 5,75–86: 140 5,75: 139 5,77–86: 140 5,86–95: 141 5,95 f.: 141 Font. 29: 333 in Pis. 62: 143 inv. 1,13: 111 1,20: 110 1,22: 113 1,23: 112 1,26: 65 1,57–76: 191, 199 1,57: 191 leg. 1,23: 125 1,36 f.: 120 1,42 f.: 125 Mil. 83 f.: 79 nat. deor. 1,1–5b: 106, 108 f. 1,1: 111, 115, 117 f., 122, 141, 302, 304, 353

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1,2: 111 f., 249, 269, 274, 291, 308, 334 1,3–5: 112, 138 1,3: 111 f., 123, 174, 350 1,4: 111 f., 121, 174, 274, 307, 327, 350 1,5c–12: 108, 110 1,5: 118, 141, 304 1,6 f.: 114 1,6: 68, 107, 144 1,7–9: 114 1,7 f.: 127 1,7: 75, 107 1,8(f.): 72, 108 1,9: 107, 118, 279 1,10–12: 107, 114 1,10: 16, 121, 147, 158, 174, 238, 256, 301, 341 f. 1,11 f.: 13, 134 1,11: 108, 322 1,12: 116 f., 119, 305, 341 1,13 f.: 106, 108 f. 1,13: 24 1,14: 111, 118, 125 1,15–17: 13, 129 1,15: 14, 130–134, 144 f. 1,16: 133 f., 138, 143, 187 1,17: 130, 134 1,18(b)–43a: 164 1,18(b)–24: 164, 167, 193 1,18: 86, 174, 177, 182–185, 236 f., 263, 307 1,19–23a: 180 1,19 f.: 180, 236 1,19: 179, 181–186, 194, 196, 201, 206 1,20: 181, 184, 202–206, 237, 342 f. 1,21–22a: 180, 200 1,21: 185, 187, 200, 205, 237 1,22b–23a: 180, 196 1,22: 185–187, 200, 206 1,23: 181, 186, 204, 206, 312 1,24: 181, 187, 198 f., 201, 206, 223, 236, 284, 312, 315, 343 1,25–43a: 166 1,25–41: 164, 174

1,25: 187 f., 209, 213 f., 233 1,26: 189, 209 f., 215–217 1,27 f.: 209 f., 220–224 1,27: 209, 210, 216 f., 219, 221, 312 1,28: 189, 209 f. 1,29: 188, 209, 211, 224 1,30: 165, 188, 208 f., 211, 224–233, 236, 312 1,31: 189, 209, 211, 232 1,32: 188 f., 209, 211, 218 f. 1,33: 189, 209, 211 1,34: 189, 209–211, 213 1,35: 188 f., 208 f., 211 1,36: 165, 188, 209–211, 233–238 1,37: 189, 209, 211, 218 f. 1,38: 189, 210 1,39–41: 189, 210 f. 1,39: 188 f. 1,41: 189 f., 210 1,42–43a: 164, 189 1,42: 177, 189, 319 1,43b–56a: 164 1,43: 240–242, 245, 247, 262, 269, 276, 316 1,44b–45a: 242, 250, 259 1,44: 246 f., 251, 269, 316 1,45: 242 f., 247, 251 f., 260, 315–317, 322 1,46–50: 242 1,46: 242, 253 1,47 f.: 254 1,47: 284, 347 1,48: 312, 337, 345 1,49 f.: 255, 320, 344 1,49: 256–258, 271, 317, 320 f., 329 1,50: 257 1,51–54a: 242 1,51: 126, 242, 260, 317 1,52 f.: 242, 312 1,52: 165 1,53: 165, 261 f. 1,54b–56a: 243 1,54 f.: 165 1,54: 243, 249, 261, 329

403 1,55: 244, 261 1,56: 243 f., 317, 352 1,57–61(a): 133, 310 1,57–59: 160, 264 1,57: 158, 306 1,58: 131, 296 1,59: 113, 296 1,60: 158, 306 1,61–120: 197 1,61(b)–64: 289, 291, 332 1,61(b): 296, 306, 310, 332 1,62: 332 f. 1,63: 333 f. 1,64: 332 1,65–75(a): 291, 300, 330 1,65 f.: 286 1,65: 289, 291, 307, 325, 330 1,66b–67a: 340 1,66: 325, 330 1,67: 315 1,68–75(a): 300, 345 1,68: 318, 342 f. 1,69 f.: 318 1,69: 318, 330 1,70: 331 1,71: 309, 318 f. 1,72 f.: 295, 298, 318 1,72(a): 295, 298, 301, 341 1,73a: 295 1,74: 297, 318 1,75: 319 1,76–102: 291, 300 1,76: 345 1,77(b)–80: 343, 345 1,77: 343–345 1,78: 344 1,79: 131, 344, 348 1,80: 344, 348 1,81–84a: 342, 345 1,82: 131 1,83: 343 1,84b–102: 300, 345 1,84(b): 289, 312 1,85–87a: 295, 298, 356 1,85 f.: 288 f., 295 1,85: 295, 321 f. 1,86: 295, 299, 303, 354, 356

404 1,87–91a: 346 1,87: 289, 297, 312, 354, 356 1,89: 337 f. 1,90–115: 291 1,91b–102: 346 1,92: 346 f. 1,93–94a: 295, 299 f. 1,93: 113 f., 295, 299 1,94(a): 297, 304 f., 346 1,95(b)–97(a): 289, 314 1,95: 347 1,96: 289, 314 1,97: 313 1,98(b): 338 1,99: 347 1,100: 288, 316, 324, 326, 345 1,101: 347 1,102: 289, 321, 351 1,103–110a: 291 1,103 f.: 307 f., 326 1,103: 307 1,104: 307 1,105: 320 1,106 f.: 349 1,108: 319 f. 1,109: 319 f. 1,110b–114: 308 1,111 f.: 295 1,111(b): 321 1,114: 317, 349 1,115–124: 292, 357 1,115: 309, 350–352 1,116: 123, 289, 317, 351 f. 1,117b–121a: 349, 354 1,117: 352, 354 1,121: 288 f., 324, 326, 350, 354 1,122: 309, 354 1,123 f.: 309, 311, 355 1,123: 289, 324, 327, 356 2,2 f.: 158 2,2: 132 2,3: 88, 268, 272 2,4–44: 268, 335 2,4 f.: 271, 269 2,4: 97, 272 2,5: 249, 269

Stellenregister

2,6–12: 269, 271 2,6: 269 f. 2,7–12: 269 2,7 f.: 269 2,8: 100 2,11: 131 2,12: 249, 269, 276 2,13–22: 270 f. 2,13–15: 293 2,13: 270 2,15: 271 2,16–22: 271 2,16: 271, 293 2,18–20: 270 2,20–22: 91, 293 2,20: 97, 271–273 2,21 f.: 271 2,23–44: 271, 293 2,23: 272 2,24: 271 2,29–44: 91 2,30: 91, 319 2,32: 238 2,38: 91 2,44: 91 2,45–72: 268, 274 2,45–49a: 283 2,45: 88 2,46: 283 2,47: 284 2,48: 343 2,49b–60a: 274 2,59: 283 2,60(b)–72: 274, 278, 351 2,60(b): 278 2,61–62a: 278 2,62(b): 278 2,63–72: 274 2,63–69: 278 2,70: 278 2,71 f.: 276, 278 2,71: 278 2,73–153: 100, 268, 275 2,73 f.: 96, 283 f. 2,73: 86, 150, 179 2,76–80: 275

2,76: 283 2,81–90: 275 2,90b–153: 281 2,90(b): 281 2,91–119: 275, 281 2,93 f.: 284 2,93: 286 2,94: 286 2,98: 281 2,104(b)–114: 78, 85, 281 2,104: 27, 78, 81 2,106: 27 2,115: 281 f. 2,118: 100 f. 2,120–132: 275, 281 2,133–153: 275, 281 2,133(a): 281 2,153(b): 123, 281 2,154–167: 268, 275 2,154: 125 2,163: 272, 278 2,164–167: 276, 317 2,167: 277 2,168: 132, 153, 352 3,2: 150 3,3 f.: 24 3,3: 355 3,4–19: 323 3,4: 24, 279 3,5 f.: 28, 132, 154, 352 3,6: 268, 293 3,7: 293 3,8–11: 97 3,8: 273 3,9–10(a): 273 3,9: 273 3,10–38: 336 3,10b–11a: 336 3,10: 293 3,11b–13a: 336 3,13–15: 336 3,16–19a: 91 3,17 f.: 91, 293, 336 3,17: 336 3,18: 86, 91, 150 3,20–28: 294

405

Stellenregister

3,20: 293 3,35–37: 294 3,42: 351 3,43–60: 85 3,53–60: 351 3,65–93(a): 293, 317 3,65: 293 3,94–95(a): 14, 86, 129, 160 3,94: 14, 130 3,95: 16, 147–162 off. 1,6 f.: 39, 44 1,20–23: 123 2,7: 117 2,8: 117 2,16: 44 2,59: 132 2,60: 44 3,7(–13): 44 3,8: 44, 47 3,33 f.: 44 orat. 106: 132 132: 132 148: 61 part. 29: 112 30: 111 Phil. 5,13: 113 rep. 1,13: 15, 148 1,14: 145 1,15–22: 77 1,15: 257 1,22: 282 2,26 f.: 79 S. Rosc. 38: 229

Tim. 1: 80, 83 2: 60, 80 f., 83 f. 3: 60, 80 f., 84 6: 227 Top. 31: 246 Tusc. 1,6 f.: 39 1,8: 13 1,29: 253 1,42: 100 1,48: 244 1,79: 100 1,81: 100 2,5–9: 39 2,7: 37 2,9: 13, 122 3,38: 113 3,45: 171 3,76: 62 4,4: 100 5,107: 100 Verr. 2,5,184–189: 79 Claudianus Mamertus 1,11: 333 Dion. Hal. ant. 6,95,3: 146 Is. 11,4: 55 Epikur fr. 82–87 Usener: 194 600 f. Usener: 223 Her. 72 f.: 205

Men. 123,2 f.: 192, 225 123,2: 192, 245 123,4: 192, 245 123,5: 192 123,6: 245 124,1: 192 132,2: 225 sent. 1: 321 Lukrez 1,71–79: 242 1,196–198: 284 1,422: 192 1,817–829: 284 1,907–914: 284 2,184–215: 206 2,209: 206 2,333–521: 330 2,688–699: 284 2,1007–1022: 284 3,1–30: 171 3,800–805: 193 3,1042–1044: 242 5,8: 241 5,110–234: 193 5,168–175: 205 5,174: 205 5,1161–1185: 192 5,1169–1174: 254 Philodem PHerc. 1005, col. 100: 55 Platon leg. 7,821a: 228 f. 7,821c–d: 229 Tim. 27d10: 60 27d–47b: 80 28b: 228 28c: 227

406 Plinius nat. praef. 22: 41 35,125: 55 Plutarch Brut. 4: 99 Pseudo–Plutarch plac. phil. 1,7,4–10: 193

Stellenregister

Seneca dial. 12,20,2: 118 nat. 1 praef. 1: 118 Sextus Empiricus adv. math. 3,9–12: 194 9,45 f.: 250

Strabon 5,3,2: 143 Symmachus epist. 2,12: 55

pa l i ng e n e s i a Schriftenreihe für Klassische Altertumswissenschaft

Begründet von Rudolf Stark, herausgegeben von Christoph Schubert.

Franz Steiner Verlag

ISSN 0552–9638

94. Adam Drozdek In the beginning was the apeiron Infinity in Greek philosophy 2008. 176 S. mit 11 Abb., geb. ISBN 978-3-515-09258-6 95. Eckart Schütrumpf Praxis und Lexis Ausgewählte Schriften zur Philosophie von Handeln und Reden in der klassischen Antike 2009. 368 S., geb. ISBN 978-3-515-09147-3 96. Theokritos Kouremenos Heavenly Stuff The constitution of the celestial objects and the theory of homocentric spheres in Aristotle’s cosmology 2010. 150 S., geb. ISBN 978-3-515-09733-8 97. Bruno Vancamp Untersuchungen zur hand­ schriftlichen Überlieferung von Platons „Menon“ 2010. 115 S., geb. ISBN 978-3-515-09811-3 98. Marietta Horster / Christiane Reitz (Hg.) Condensing texts – condensed texts 2010. 776 S., geb. ISBN 978-3-515-09395-8 99. Severin Koster Ciceros Rosciana Amerina Im Prosarhythmus rekonstruiert 2011. 178 S., geb. ISBN 978-3-515-09868-7 100. Theokritos Kouremenos Aristotle’s de Caelo Γ Introduction, Translation and Commentary 2013. 121 S., geb. ISBN 978-3-515-10336-7 101. Hendrik Obsieger Plutarch: De E apud Delphos / Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi Einführung, Ausgabe und Kommentar 2013. 417 S., geb. ISBN 978-3-515-10606-1

102. Theokritos Kouremenos The Unity of Mathematics in Plato’s Republic 2015. 141 S. mit 8 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11076-1 103. Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Von Zeitenwenden und Zeitenenden Reflexion und Konstruktion von Endzeiten und Epochenwenden im Spannungsfeld von Antike und Christentum 2015. 219 S., geb. ISBN 978-3-515-11174-4 104. Sonja Nadolny Die severischen Kaiserfrauen 2016. 257 S. mit 10 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11311-3 105. Michael Müller Tod und Auferstehung Jesu Christi bei Iuvencus (IV 570–812) Untersuchungen zu Dichtkunst, Theologie und Zweck der Evangeliorum Libri Quattuor 2016. 413 S., geb. ISBN 978-3-515-11340-3 106. Hedwig Schmalzgruber Studien zum Bibelepos des sogenannten Cyprianus Gallus Mit einem Kommentar zu gen. 1–362 2016. 601 S. mit 1 Abb. und 8 Tab., geb. ISBN 978-3-515-11596-4 107. Stefan Weise (Hg.) HELLENISTI! Altgriechisch als Literatursprache im neuzeitlichen Europa 2017. 389 S. mit 5 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11622-0 108. Armin Eich / Stefan Freund / Meike Rühl / Christoph Schubert (Hg.) Das dritte Jahrhundert Kontinuitäten, Brüche, Übergänge 2017. 286 S. mit 30 Abb., geb. ISBN 978-3-515-11841-5 109. Antje Junghanß Zur Bedeutung von Wohltaten für das Gedeihen von Gemeinschaft

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Cicero, Seneca und Laktanz über beneficia 2017. 277 S., geb. ISBN 978-3-515-11857-6 Georgios P. Tsomis Quintus Smyrnaeus Kommentar zum siebten Buch der Posthomerica 2018. 456 S., geb. ISBN 978-3-515-11882-8 Silvio Bär Herakles im griechischen Epos Studien zur Narrativität und Poetizität eines Helden 2018. 184 S., geb. ISBN 978-3-515-12206-1 Christian Rivoletti / Stefan Seeber (Hg.) Heliodorus redivivus Vernetzung und interkultureller Kontext in der europäischen Aithiopika-Rezeption 2018. 229 S., geb. ISBN 978-3-515-12222-1 Friedrich Meins Paradigmatische Geschichte Wahrheit, Theorie und Methode in den Antiquitates Romanae des Dionysios von Halikarnassos 2019. 169 S., geb. ISBN 978-3-515-12250-4 Katharina Pohl Dracontius: De raptu Helenae Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar 2019. 571 S. mit 14 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12216-0 Gregor Bitto / Anna Ginestí Rosell (Hg.) Philologie auf zweiter Stufe Literarische Rezeptionen und Inszenierungen hellenistischer Gelehrsamkeit 2019. 280 S. mit 2 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12357-0 Antje Junghanß / Bernhard Kaiser / Dennis Pausch (Hg.) Zeitmontagen Formen und Funktionen gezielter Anachronismen 2019. 235 S. mit 3 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12366-2 Stefan Weise Der Arion des Lorenz Rhodoman Ein altgriechisches Epyllion der Renaissance 2019. 321 S., geb. ISBN 978-3-515-12412-6

118. Katharina Pohl Dichtung zwischen Römern und Vandalen Tradition, Transformation und Innovation in den Werken des Dracontius 2019. 302 S., geb. ISBN 978-3-515-12089-0 119. Bernd Bader Josephus Latinus: De Bello Iudaico Buch 1 Edition und Kommentar 2019. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12430-0 120. Marco Palone Le Etiopiche di Eliodoro Approcci narratologici e nuove prospettive 2020. 240 S., geb. ISBN 978-3-515-12612-0 121. Klaus Meister Studien zur griechischen Geschichtsschreibung Von der Klassik bis zur Spätantike 2020. 346 S., geb. ISBN 978-3-515-12591-8 122. Anne-Elisabeth Beron / Stefan Weise (Hg.) Hyblaea avena Theokrit in römischer Kaiserzeit und Früher Neuzeit 2020. 216 S., geb. ISBN 978-3-515-12708-0 123. Donato De Gianni Iuvencus: Evangeliorum Liber Quartus Introduzione, testo criticamente riveduto, traduzione e commento 2020. 509 S., geb. ISBN 978-3-515-12844-5 124. in Vorbereitung 125. Bernhard Kaiser Streit und Kampf Die verbalen Angriffe gegen Sokrates in Platons Gorgias 2021. 256 S., geb. ISBN 978-3-515-12859-9 126. Gernot Michael Müller (Hg.) Figurengestaltung und Gesprächs­ interaktion im antiken Dialog 2021. 315 S., geb. ISBN 978-3-515-12906-0 127. Wolfgang Hübner Disiecti membra poetae Neue Spuren des astrologischen Lehrdichters Dorotheos von Sidon 2021. 115 S. mit 15 Abb., geb. ISBN 978-3-515-12924-4

Wollte Cicero mit seinen philosophischen Dialogen seiner römischen Leserschaft lediglich einen Überblick über die antike Philosophiegeschichte verschaffen – oder verfolgte er eine eigenständige philosophische Zielsetzung? Dass Ciceros Philosophica mehr sein wollen als eine bloße Übersetzung der griechischen Originale, weist Christopher Diez am Beispiel von Ciceros religionsphilosophischem Hauptwerk De natura deorum nach. Gerade an De natura deorum lässt sich zeigen, dass der Skeptiker Cicero seine Leserschaft zu einer selbstständigen Untersuchung der einzelnen philosophi-

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schen Positionen anleiten wollte. Die Gattung des Dialogs stellt für Cicero die geeignete literarische Form für sein philosophisches Programm dar. Mithilfe von direkter und indirekter Leserführung befähigt Cicero seine Rezipienten dazu, die einzelnen, komplementär modellierten Redebeiträge kritisch auf ihre epistemologische und kultische Tragfähigkeit zu prüfen. Cicero erscheint hier als ein Autor, der eine Vermittlung divergierender Sprach-, Denk- und Kulträume anbahnen und seine Rezipienten dabei unterstützen wollte, ein eigenständiges Urteilsvermögen auszubilden.

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