Die von der Amerikanerin Mary Baker Eddy 1875 begründete Lehre von der Christlichen Wissenschaft (Christian Science) geh
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German Pages 296 [302] Year 2009
Table of contents :
INHALTSVERZEICHNIS
VORWORT
EINLEITUNG
I. Was ist Christian Science? Zur Genese, kirchlichen
Organisation, Lehre und Praxis der Christlichen Wissenschaft
I.1. Eine „amerikanische Gnosis“? Der
geistesgeschichtliche Hintergrund von Christian Science
I.2. Mary Baker Eddy, die „Entdeckung“ von Christian Science
und die Organisation der Kirche Christi, Wissenschaftler
I.3. „Und die Wahrheit wird Euch frei machen“ –
Zur Lehre und Praxis von Christian Science
II. „The First European Nation“: Die erfolgreiche Etablierung
von Christian Science in Deutschland, 1894–1914
II.1. „Deutsches Wesen und Denken“ in der Lehre Eddys?
Christian Science und die deutsche Geistesgeschichte
II.2. „Wundertaten der Wahrheit“ in einer Zeit der Krise:
Die Gründung der ersten Christian Science
Gemeinden im Deutschen Reich
II.3. „One wrong word may misstate this Science“ –
Der Konflikt um deutschsprachige Publikationen und
Autonomiebestrebungen Christlicher Wissenschaftler
im Deutschen Reich
III. Aufstieg trotz Widerstände: Christian Science
in Deutschland, 1914–1945
III.1. Krieg, Prozesse, Dramen: Die Christliche Wissenschaft
vom Ende des Kaiserreichs bis zur Machtübernahme Hitlers
III.2. Heiliges Wunder oder scheinheiliger Betrug?
Zur wissenschaftlichen und literarischen Auseinandersetzung
mit Christian Science in der Weimarer Republik
III.3. Ein Pakt mit dem Teufel? Loyalitätskonflikte deutscher
Kirchenmitglieder und die Appeasement-Strategie
der Mutterkirche
III.4. „Not Since the Catacombs“: Die Verfolgung
Christlicher Wissenschaftler durch das Nazi-Regime
IV. „Continuing Spirit“ oder „Constitutional Crisis“?
Die Entwicklung von Christian Science in Deutschland seit 1945
IV.1. Das Verhältnis zwischen Regierung bzw. staatlichen
Behörden und Christian Science in der BRD und in der DDR
IV.2. Die Einstellung deutscher Mediziner und der etablierten
Kirchen zur Christlichen Wissenschaft
und deren öffentliche Rezeption
IV.3. Ursachen der abnehmenden Popularität von
Christian Science und der inneren Krisen der Kirche
in den 1980er und 1990er Jahren
IV.4. Größere Offenheit, mehr Toleranz und Konzentration auf
das Wesentliche als Revitalisierungsstrategie der Kirche
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
ANHANG
Anhang A: Glaubenssätze von Christian Science und
Die Wissenschaftliche Erklärung des Seins
Anhang B: Das Gebet des Herrn (Vater Unser)
mit seiner geistigen Auslegung durch Mary Baker Eddy
Anhang C: Christian Science Gemeinden in Deutschland
(Stand: März 2009)
Anhang D: Kirchen und Vereinigungen der Christlichen
Wissenschaft in Deutschland von 1898 bis 2009
Anhang E: Christian Science in deutschen Gerichtsverfahren
Anhang F: Verzeichnis der Komitees für Veröffentlichungen
in Deutschland
Anhang G: Gestapo-Anweisung zum Verbot von Christian Science
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS
1. QUELLEN UND PRIMÄRLITERATUR
2. SEKUNDÄRLITERATUR
3. WEBSEITEN
PERSONENVERZEICHNIS
Britta Waldschmidt-Nelson Christian Science im Lande Luthers
Transatlantische historische studien Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Washington, DC ––––––––––––––––––––––––
Herausgegeben von Hartmut Berghoff, Philipp Gassert, Anke Ortlepp und Corinna R. Unger
Band 37
Britta Waldschmidt-Nelson
Christian Science im Lande Luthers Eine amerikanische Religionsgemeinschaft in Deutschland, 1894–2009
Franz Steiner Verlag Stuttgart 2009
Umschlagabbildung: Postkartenansicht des 1902 eingesegneten ChristlichWissenschaftlichen Zentrums in Hannover, der ersten neugebauten Christian Science Kirche in Europa. Die Aufnahme wurde der Autorin freundlicherweise von der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, zur Verfügung gestellt.
Opinions expressed in this book are those of the author and not necessarily approved or endorsed by The Mary Baker Eddy Collection or The Mary Baker Eddy Library.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. ISBN 978-3-515-09380-4 Jede Verwertung des Werkes außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Übersetzung, Nachdruck, Mikroverfilmung oder vergleichbare Verfahren sowie für die Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. © 2009 Franz Steiner Verlag Stuttgart. Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Printed in Germany
Für Scott, Jennifer, Christina und Melanie
INHALTSVERZEICHNIS Vorwort
.................................................................................................... 9
Einleitung ..................................................................................................13 I.
Was ist Christian Science? Zur Genese, kirchlichen Organisation, Lehre und Praxis der Christlichen Wissenschaft.............33 I.1. Eine „amerikanische Gnosis“? Der geistesgeschichtliche Hintergrund von Christian Science.............33 I.2. Mary Baker Eddy, die „Entdeckung“ von Christian Science und die Organisation der Kirche Christi, Wissenschaftler ............43 I.3. „Und die Wahrheit wird Euch frei machen“ – Zur Lehre und Praxis von Christian Science .................................56
II. „The First European Nation“: Die erfolgreiche Etablierung von Christian Science in Deutschland, 1894–1914 ...............................73 II.1. „Deutsches Wesen und Denken“ in der Lehre Eddys? Christian Science und die deutsche Geistesgeschichte .................73 II.2. „Wundertaten der Wahrheit“ in einer Zeit der Krise: Die Gründung der ersten Christian Science Gemeinden im Deutschen Reich ...................................................85 II.3. „One wrong word may misstate this Science“ – Der Konflikt um deutschsprachige Publikationen und Autonomiebestrebungen Christlicher Wissenschaftler im Deutschen Reich ....................................................................106 III. Aufstieg trotz Widerstände: Christian Science in Deutschland, 1914–1945 .................................................................121 III.1. Krieg, Prozesse, Dramen: Die Christliche Wissenschaft vom Ende des Kaiserreichs bis zur Machtübernahme Hitlers.....122 III.2. Heiliges Wunder oder scheinheiliger Betrug? Zur wissenschaftlichen und literarischen Auseinandersetzung mit Christian Science in der Weimarer Republik ........................137 III.3. Ein Pakt mit dem Teufel? Loyalitätskonflikte deutscher Kirchenmitglieder und die Appeasement-Strategie der Mutterkirche ..........................................................................149 III.4. „Not Since the Catacombs“: Die Verfolgung Christlicher Wissenschaftler durch das Nazi-Regime .................167
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Inhaltsverzeichnis
IV. „Continuing Spirit“ oder „Constitutional Crisis“? Die Entwicklung von Christian Science in Deutschland seit 1945 .....189 IV.1. Das Verhältnis zwischen Regierung bzw. staatlichen Behörden und Christian Science in der BRD und in der DDR ...192 IV.2. Die Einstellung deutscher Mediziner und der etablierten Kirchen zur Christlichen Wissenschaft und deren öffentliche Rezeption..................................................202 IV.3. Ursachen der abnehmenden Popularität von Christian Science und der inneren Krisen der Kirche in den 1980er und 1990er Jahren ................................................211 IV.4. Größere Offenheit, mehr Toleranz und Konzentration auf das Wesentliche als Revitalisierungsstrategie der Kirche ...........220 Zusammenfassung und Ausblick ...............................................................237 Anhang
................................................................................................255
Anhang A: Glaubenssätze von Christian Science und Die Wissenschaftliche Erklärung des Seins............................255 Anhang B: Das Gebet des Herrn (Vater Unser) mit seiner geistigen Auslegung durch Mary Baker Eddy .......256 Anhang C: Christian Science Gemeinden in Deutschland (Stand: März 2009) .................................................................257 Anhang D: Kirchen und Vereinigungen der Christlichen Wissenschaft in Deutschland von 1898 bis 2009 ...................259 Anhang E: Christian Science in deutschen Gerichtsverfahren .................260 Anhang F: Verzeichnis der Komitees für Veröffentlichungen in Deutschland ........................................................................264 Anhang G: Gestapo-Anweisung zum Verbot von Christian Science ........267 Quellen- und Literaturverzeichnis .............................................................269 Personenverzeichnis ...................................................................................292
VORWORT Mein erster Kontakt zu Christian Science (Christliche Wissenschaft) ergab sich bereits 1988 während eines Aufenthaltes als Gaststudentin an der University of California, Davis. Im Rahmen eines Seminars über American Religion sollte damals jeder Teilnehmer eine in Davis vertretene religiöse Gemeinschaft kurz vorstellen. Ich suchte mir die Church of Christ, Scientist aus, weil ich schon öfter an deren Leseraum vorbeigegangen war und gerne herausfinden wollte, was es mit dieser merkwürdigen Gruppe von Leuten auf sich hatte, die „nur beten statt zum Arzt zu gehen“. Es folgten Besuche in deren Leseraum, Gottesdiensten und Zeugnisversammlungen sowie einige Interviews mit Mitgliedern der Christian Science Gemeinde in Davis. Die hierbei gemachten Erfahrungen bewegten mich dazu, mein bis dato bestehendes Vorurteil, dass es sich hier um eine „gefährliche Sekte“ von irrationalen, religiösen Fanatikern handeln musste, deutlich zu revidieren. Denn auch wenn ich die Grundprinzipien der Lehre Mary Baker Eddys damals nicht wirklich verstand und keine Kenntnis von deren Entstehungsgeschichte hatte, so traten mir die Anhänger ihrer Lehre als freundliche, ruhige, durchaus gebildete und keineswegs irrationale Menschen gegenüber. Ihre Entscheidung, auf ärztliche Hilfe zu verzichten, beruhte offenbar nicht auf blindem Gehorsam gegenüber einer dogmatischen Kirchenregel, sondern auf einem individuellen tiefen Vertrauen auf Gott und dessen heilende Allmacht. Mit der Zusammenfassung dieser Eindrücke in einer kurzen Seminararbeit war allerdings meine erste „wissenschaftliche“ Auseinandersetzung mit Christian Science zunächst schon wieder beendet. Erst 16 Jahre später, als Dozentin am Amerika-Institut in München, befasste ich mich im Rahmen eines Seminars über religiöse Sondergemeinschaften in den USA erneut mit dem Thema. Bei dieser Gelegenheit stellte ich fest, dass es auch in der bayerischen Landeshauptstadt zwei christlich-wissenschaftliche Kirchen und zwei Leseräume gab. Als ich jedoch herausfinden wollte, wann und wie die Christliche Wissenschaft ihren Weg nach Bayern bzw. nach Deutschland gefunden hatte, stieß ich auf ein eklatantes Forschungsdefizit. Es gab zwar viele Biographien über Mary Baker Eddy und eine Reihe von Veröffentlichungen über Christian Science in Amerika sowie einige ältere Werke deutscher protestantischer Theologen über die Lehre Eddys, aber zur Etablierung von Christian Science und der Entwicklung sowie der Organisation der Kirche Christi, Wissenschaftler in Deutschland war weder hierzulande noch in Amerika irgendeine Publikation zu finden. Davon angespornt entschloss ich mich, für meine Habilitation dieses Thema zu wählen, d. h. die Geschichte der amerikanischen Religionsgemeinschaft Christian Science in Deutschland von ih-
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Vorwort
ren Anfängen in den 1890er Jahren bis in die heutige Zeit zu untersuchen. Die erfolgreiche Umsetzung dieses Vorhabens wäre freilich ohne die großzügige Unterstützung vieler Personen und Institutionen niemals möglich gewesen. An erster Stelle gilt mein herzlicher Dank den Mitgliedern meines Fachmentorats von der Ludwig-Maximilians-Universität München, Prof. Dr. Berndt Ostendorf, Prof. Dr. Michael Hochgeschwender und Prof. Dr. Martin H. Geyer, deren großes Wohlwollen und konstruktive Kritik maßgeblich zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen haben. Dies gilt insbesondere für die vielen fruchtbaren Gespräche und Diskussionen mit Michael Hochgeschwender, dessen theologische Fachkompetenz sich als unschätzbar wertvoll für mein Verständnis des Spannungsverhältnisses zwischen Christian Science und etabliertem Christentum erwies. Prof. Dr. Ulla Lehmkuhl (Berlin) und Prof. Dr. Manfred Berg (Heidelberg) sei für ihre freundliche Bereitschaft gedankt, diese Schrift als Außengutachter zu beurteilen. Meine Forschung (inklusive Reisen in Deutschland und eines USA-Aufenthalts) wurde u.a. durch ein von der LMU vergebenes Stipendium aus Mitteln des Hochschul- und Wissenschaftsprogrammes (HWP) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unterstützt. Danken möchte ich in diesem Zusammenhang Prof. Dr. Friederike Klippel für den Hinweis auf diese Förderungsmöglichkeit und für ihre ermutigenden Worte. Von zentraler Bedeutung für den Erfolg meines Vorhabens war die Bereitschaft vieler Christlicher Wissenschaftler, sich von mir interviewen zu lassen und mir von ihrem Glauben und den damit verbundenen Erfahrungen zu berichten. Ihnen allen gilt mein herzlicher Dank. Insbesondere Maartje Spitz (München), Michael Pabst (Boston) und Klaus-Hendrik Herr (Berlin) haben meine Arbeit mehrere Jahre lang in intensivem mündlichen und schriftlichen Austausch begleitet, wodurch sich meine Kenntnisse von Christian Science und vom Leben Christlicher Wissenschaftler hier in Deutschland noch wesentlich erweiterten. In seiner Funktion als Christian Science Komitee für Veröffentlichungen (KfV) las Herr auch das fertige Manuskript und trug durch seine Kommentare zu einer weiteren Präzisierung der Darstellung von Mary Baker Eddys Lehre und Kirche im vorliegenden Text bei. Seine Nachfolgerin im Amt des KfV für Deutschland, Inge Hake (Burgdorf), hat meine Arbeit in der Endphase ebenfalls sehr unterstützt und mir wertvolle Hinweise auf neue und geplante Initiativen der Kirche für die Jahre 2008 und 2009 gegeben. Außerdem gebührt ihr großer Dank für ihre Hilfe bei der Lokalisierung des vermutlich einzigen noch existierenden Fotos der Gründerin der ersten Christian Science Kirche in Deutschland, Bertha Günther-Peterson, welches mir der Vorstand der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, zusammen mit einigen historischen Aufnahmen des Kirchengebäudes freundlicherweise für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Weiter möchte ich mich bei Judy Huenneke, der Archivarin der Mary Baker Eddy
Vorwort
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Collection in der Mary Baker Eddy Library, sowie bei ihren Mitarbeitern bedanken, deren Freundlichkeit und Kompetenz meinen Forschungsaufenthalt in Boston ebenso produktiv wie angenehm machten. Gedankt sei zudem Elaine Follis, die mir großzügig ihre unveröffentlichten Forschungsergebnisse über die Christliche Wissenschaft im Dritten Reich zur Verfügung stellte, und William Stillman, der mir sein Vortragsmanuskript zum gleichen Thema zusandte. Nicht nur Christliche Wissenschaftler sondern auch zahlreiche Theologen, Historiker, Juristen, Regierungsbeauftragte, Ärzte und Vertreter der etablierten Kirchen, deren Einschätzung von Christian Science für meine Forschung relevant war, haben diese durch persönliche Gespräche oder schriftliche Beantwortung meiner Fragen unterstützt. Ihnen allen sei hiermit mein aufrichtiger Dank ausgesprochen, insbesondere Harald Baer, Andreas Fincke, Bruce Hall, James Richardson und Axel Seegers sowie Landesbischof Johannes Friedrich. Prof. Dr. Christof Mauch, der die Aufnahme des Buches in die Reihe „Transatlantische Historische Studien“ des Deutschen Historischen Instituts in Washington, D.C. anregte, danke ich herzlich für sein Vertrauen und seine Unterstützung. Den Herausgebern der THS-Reihe, vor allem Dr. Gisela Mettele und Dr. Anke Ortlepp, sei für die umsichtige editorische Betreuung gedankt. Darüber hinaus gilt mein tiefempfundener Dank meinem Bruder Arne Waldschmidt sowie meinen Freunden und Kollegen am Amerika-Institut, die mir während der Entstehungszeit dieser Arbeit wertvollen Beistand geleistet haben, sowohl durch anregende Gespräche, kulinarische Erquickungen und andere Formen des moral support als auch durch praktische Hilfe bei logistischen Problemen, bei den Recherchearbeiten und beim Korrekturlesen des Manuskriptes. Für Letzteres danke ich ganz besonders Claudia Höhn, Thea Diesner, Maartje Spitz, Julia Dougherty, Martin Kalscheuer und Holger Drössler. Den letzten Schliff erhielt die Druckvorlage durch das hervorragende Lektorat von Karen Weilbrenner, deren unbestechliches Adlerauge die Textqualität noch einmal deutlich steigerte. Für dennoch vorhandene Fehler sowie sämtliche Unstimmigkeiten der Arbeit bin selbstverständlich ich allein verantwortlich. Mein Mann Scott Nelson hat dieses Projekt jahrelang mit viel Geduld und Humor begleitet und mir stets vollen Rückhalt gewährt, während unsere Töchter Jennifer, Christina und Melanie mit ihrer überschäumenden Lebensfreude für ein gutes Gegengewicht zum Sog der wissenschaftlichen Arbeit sorgten. Ihnen, meiner wunderbaren Familie, ist dieses Buch in Dankbarkeit und Liebe gewidmet. München, im März 2009
Britta Waldschmidt-Nelson
EINLEITUNG Christian Science (Christliche Wissenschaft) ist die Lehre der Amerikanerin Mary Baker Eddy.1 Ihre auf einem persönlichen Heilungserlebnis im Jahr 1866 basierenden Glaubensprinzipien des geistigen Heilens, die sie selbst als eine „wissenschaftliche Entdeckung“ ansah, veröffentlichte Eddy 1875 in ihrem Lehrbuch Science and Health with Key to the Scriptures (Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift). Vier Jahre später gründete sie zusammen mit ihrer wachsenden Anhängerschar die Church of Christ, Scientist, deren offizielle deutsche Bezeichnung Kirche Christi, Wissenschaftler lautet.2 Die erstaunlichen Heilungserfolge von Christian Science führten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einem derart phänomenalen Wachstum dieser neuen Glaubensgemeinschaft, dass manche zeitgenössischen Beobachter prophezeiten, die neue Religion werde alle anderen protestantischen Formen des Christentums in Amerika bald überflügelt haben.3 Mit der Jahrhundertwende fasste Eddys Lehre auch in Europa Fuß und erreichte insbesondere in Deutschland während der 1920er und 1930er Jahre einen beachtlichen gesellschaftlichen Einfluss. Zwar begann die bis zum Zweiten Welt1
2
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Da die Bezeichnung „Christian Science“ auch in Deutschland üblich ist und in offiziellen deutschen Publikationen der Gemeinschaft, z. B. im Namen der Zeitschrift Der Christian Science Herold, vorkommt, werden die Begriffe „Christian Science“ und „Christliche Wissenschaft“ im Folgenden synonym, ohne Anführungszeichen verwendet und im Fußnotenbereich bzw. bei zusammengesetzten Wörtern (z. B. Christian Science-Lehrer) durch „CS“ (z. B. CS-Lehrer) abgekürzt. Bis zu den 1990er Jahren wurde in Deutschland – wohl in Anlehnung an die Bezeichnung anderer Vereinigungen, z. B. der Burschenschafter – das Wort „Wissenschaftler“ im Kirchennamen ohne „l“ geschrieben, d. h. die deutschen Zweigkirchen hießen „Kirche Christi, Wissenschafter“, und deren Mitglieder nannten sich „Christliche Wissenschafter“. Die Sachverständigen der Mutterkirche (das ist die Hauptkirche in Boston, alle anderen Kirchen werden als Zweigkirchen bezeichnet) betonten dann jedoch, dass die korrekte deutsche Übersetzung des Wortes „Scientist“ nicht „Wissenschafter“, sondern „Wissenschaftler“ laute. Aus diesem Grund wurde zusammen mit der neuen Lehrbuchübersetzung von 1998 der deutsche Kirchenname vom Vorstand der Mutterkirche offiziell in „Kirche Christi, Wissenschaftler“ geändert. Abgesehen von Zitaten historischer Texte wird in dieser Arbeit die neue Schreibweise „Wissenschaftler“ verwendet. Das Gleiche gilt für die Übersetzung der Bezeichnung „CS-Practitioner“ mit „CS-Praktiker“ (statt des früher verwendeten „CS-Ausüber“). Vgl. z. B. Thomassin, Christian Science, 460; Pfülf, Christian Science, 64 und 82; Twain, Christian Science, 59–60; Geiger, Christian Science, 757. Die vollständigen bibliographischen Angaben zu den in dieser Arbeit mit Kurztiteln zitierten Texten finden sich im Literaturverzeichnis.
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Einleitung
krieg kontinuierlich steigende Mitgliederzahl der Kirche Christi, Wissenschaftler in der Mitte des 20. Jahrhunderts zu stagnieren und hat seitdem erheblich nachgelassen, aber die Bedeutung der Lehre und der Kirche Eddys sind auch heute noch bemerkenswert. So wurde Eddys Lehrbuch Science and Health inzwischen über acht Millionen Mal verkauft (davon allein eine Million Mal seit 2000), und die 1908 gegründete Tageszeitung The Christian Science Monitor hat mehr journalistische und literarische Auszeichnungen erhalten als jede andere Zeitung der Welt.4 Auf der anderen Seite stoßen viele der theologischen Grundüberzeugungen und religiösen Praktiken von Christian Science bei den etablierten christlichen Kirchen, bei vielen Medizinern und in der breiten Öffentlichkeit heute genau wie zu Lebzeiten Mary Baker Eddys oft auf Unverständnis und Ablehnung. Besonders umstritten ist Eddys Überzeugung, dass die Sünde bzw. das Böse letztendlich nur eine Illusion sei, die durch die Erkenntnis der wahren Natur Gottes und seiner Schöpfung überwunden werden könne. Entsprechend wird in der Christlichen Wissenschaft jede Form von psychischen oder physischen Krankheiten als eine Projektion fehlgeleiteter Gedanken respektive eines falschen Verständnisses der Wirklichkeit angesehen, das in Wahrheit keine Macht über den Menschen haben kann. Der Schlüssel zur geistigen Heilung liegt laut Eddy darin, dass der Mensch sich selbst als perfektes Abbild des allliebenden und allgegenwärtigen Gottes, d. h. als ein rein spirituelles, heiles Wesen, erkennt. Für Christliche Wissenschaftler ist die Heilung von Krankheiten genau wie die Überwindung von Sünde und Schuld auf rein geistigem Wege ein elementares, in den etablierten Kirchen verlorengegangenes Element des Christentums. Ihr Verständnis von Sünde, ihr Gottes- und Menschenbild unterscheidet sich somit in mehreren Punkten von dem der altkirchlichen Bekenntnisse. Außerdem verlassen sie sich gemäß des Jesus-Zitats „Dein Glaube hat Dich geheilt“ auch in lebensbedrohlichen Krankheitsfällen (z. B. akuter Blinddarmentzündung oder Diabetes) auf die Wirkung von Christian Science und verzichten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – auf jede Form schulmedizinischer, naturheilkundlicher oder anderer physischer Behandlung. Aus diesen Gründen ist die Kirche Christi, Wissenschaftler von Kritikern als nicht-christliche, weltfremde, entgegen allen medizinisch-naturwissen4
Die Christian Science Publishing Society (CSPS) spricht von mehr als zehn Millionen verkauften Exemplaren des Lehrbuchs. Science and Health erscheint heute in 16 Sprachen und in englischer Blindenschrift. Vgl. http://www.marybakereddylibrary.org/marybakereddy/scienceandhealth.jhtml. Kritiker behaupten, die Gesamtverkaufszahl liege ein bis zwei Millionen unter der von der Kirche angegebenen. Vgl. z. B. Fraser, God’s Perfect Child, 526–527. Der CS-Monitor gehört bis heute zu den renommiertesten internationalen Zeitungen der Welt. Er erhielt im April 2002 seinen siebenten Pulitzer Preis, und seine herausragende journalistische Qualität ist auch bei Kritikern von CS unumstritten. Vgl. Hutten, Christliche Wissenschaft, 255; Reimer, Metaphysisches Heilen, 27–28; Obst, Mary Baker Eddy, 334-335; Fraser, God’s Perfect Child, 20.
Einleitung
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schaftlichen Erkenntnissen operierende und darum potenziell lebensgefährliche Sekte bezeichnet und lange Zeit von Vertretern der etablierten Kirchen und der Ärzteschaft sowie von einigen ehemaligen Mitgliedern erbittert bekämpft worden.5 Dass es der Glaubensgemeinschaft trotz dieser oft heftigen Opposition gelungen ist, sich nicht nur in ihrer amerikanischen Heimat, sondern auch in einem religiös wesentlich traditioneller strukturierten Land wie Deutschland über hundert Jahre lang erfolgreich zu behaupten, ist ein beachtenswertes Phänomen. Die Ursachen und Hintergründe dieser Entwicklung zu untersuchen und zu klären, ist das zentrale Anliegen der vorliegenden Arbeit. Zwar existiert eine ganze Reihe von Werken über Christian Science in den USA, aber neben der von der Kirche selbst publizierten Literatur bestehen diese zum größten Teil aus Lebensberichten gegenwärtiger und ehemaliger Mitglieder von Christian Science, die entweder sehr polemisch oder apologetisch sind; Letztere sind vielfach vom kircheneigenen Verlag, der Christian Science Publishing Society (CSPS) selbst herausgegeben worden. Diese extreme Polarisierung trifft auch auf nahezu alle biographischen Werke über Mary Baker Eddy zu, die sie entweder übermäßig glorifizieren (z. B. Adam Dickey, Memoirs of Mary Baker Eddy, Bliss Knapp, The Destiny of the Mother Church, Lyman Powell, Mary Baker Eddy: A Life Size Portrait, und Sybil Wilbur, The Life of Mary Baker Eddy) oder die Kirchengründerin mehr oder weniger schmählich verunglimpfen (z. B. Ernest Bates / John Dittemore, Mary Baker Eddy: The Truth and the Tradition, Edwin Dakin, Mrs. Eddy: The Biography of a Virginal Mind, Willa Cather / Georgine Milmine, The Life of Mary Baker G. Eddy, und Fleta Springer, According to the Flesh: A Biography of Mary Baker Eddy). Wissenschaftlich bedeutsam ist die Biographie-Trilogie des Kirchenmitglieds Robert Peel (Mary Baker Eddy: Years of Discovery, 1972, Years of Trial, 1977, und Years of Authority, 1982), die zwar auch zur Kategorie der apologetischen Schriften zählt, aber gründlich recherchiert und von beeindruckender Detailfülle ist. Erst in jüngerer Zeit sind mit den Biographien von Gillian Gill (Mary Baker Eddy, 1998) und Stephen Gottschalk (Rolling Away the Stone, 2006) zwei ausgewogene, genaue und den aktuellen Forschungsstand berücksichtigende Studien über Eddys Leben erschienen.6 5
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Der zum Teil sehr aggressive Tenor der Kritik zeigt sich oft schon im Titel jener Bücher, die versuchen, die Öffentlichkeit vor dieser „gemeingefährlichen Sekte“ zu warnen, z. B. Linda Kramers The Religion That Kills: Christian Science, Abuse, Neglect and Mind Control oder Caroline Frasers God’s Perfect Child: Living and Dying in the Christian Science Church. Die Gill-Biographie ist bislang das einzige von einer Außenstehenden verfasste und trotzdem von der Kirche akzeptierte Werk über deren Gründerin und bietet einen ausgezeichneten Einblick in das Leben und Werk Eddys. Der 2005 verstorbene Historiker und Christliche Wissenschaftler Gottschalk, den die Religionshistoriker Catherine Albanese und Stephen Stein als einen „intellectual historian par excellence“ bezeichneten
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Einleitung
Zu den wenigen wissenschaftlich fundierten Büchern über die Geschichte von Christian Science zählen die beiden einzigen von Außenstehenden verfassten Monographien: Die erste ist die Studie des amerikanischen Historikers Charles Braden, Christian Science Today: Power, Policy, Practice (1958), die sich mit der Geschichte und Organisation der Kirche in Amerika bis zu den 1950er Jahren auseinandersetzt; die zweite stammt ebenfalls von einem amerikanischen Historiker, Rennie Schoepflin, der mit seinem Christian Science on Trial: Religious Healing in America (2003) das erste umfassende Werk über die juristischen Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit Christian Science in den USA vorlegte.7 Lesenswert ist darüber hinaus noch das von dem ehemaligen Kirchenmitglied Caroline Fraser verfasste Buch God’s Perfect Child: Living and Dying in the Christian Science Church (2000), das – im Gegensatz zu Linda Kramers The Religion That Kills: Christian Science, Abuse, Neglect and Mind Control (1999) – bei aller Polemik einige interessante Einblicke in das tägliche Leben und die Konflikte Christlicher Wissenschaftler bietet und über einen sorgfältig erstellten wissenschaftlichen Apparat verfügt.8 Eine wissenschaftliche Arbeit über die Etablierung und Entwicklung von Christian Science in Deutschland liegt bislang überhaupt nicht vor. Die wenigen deutschen Autoren, die sich seit dem Zweiten Weltkrieg eingehender mit dem Thema befasst und dazu etwas publiziert haben (Kurt Hutten, HansDiether Reimer, Helmut Obst und Andreas Fincke) sind alle evangelische Theologen, die in ihren Werken primär die Unvereinbarkeit der christlichwissenschaftlichen Heilslehre mit der religiösen Doktrin der etablierten christlichen Kirchen herausarbeiten. Seit den 1930er Jahren ist hierzulande mit Ausnahme der von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauung (EZW) mitherausgegebenen Reimer-Studie Metaphysisches Heilen: Eine
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(s. Vorwort zu Gottschalks Rolling Away the Stone, ix), hatte bereits vorher mehrere Schriften über Christian Science verfasst, die allerdings – genau wie die seines Kollegen Robert Peel – immer mit einem gewissen apologetischem Einschlag geschrieben waren. Nach einem Konflikt mit dem Kirchenvorstand trat Gottschalk 1990 aus der Kirche aus und schrieb von nun an mit einer kritischeren Distanz über diese, allerdings blieb er Zeit seines Lebens ein Anhänger von Eddy und ihrer Lehre. Rolling Away the Stone konzentriert sich v.a. auf die letzten zwei Jahrzehnte von Eddys Leben und analysiert besonders die radikale anti-materialistische Herausforderung ihrer Lehre sowie die zeitgenössischen Reaktionen hierauf. Weiter gibt es einige gute Artikel über bestimmte Aspekte des Themas Christian Science in den USA (z. B. Stark, Rise and Fall of Christian Science; Richardson, Christian Science; McDonald, Mary Baker Eddy; Fox, Christian Science Practitioner), aber im Vergleich zu anderen religiösen Sondergemeinschaften fällt doch auf, dass bislang nur sehr wenige größere wissenschaftliche Studien über die Kirche Christi, Wissenschaftler geschrieben wurden. Kurz erwähnt sei auch Martin Gardners Werk The Healing Revelations of Mary Baker Eddy: The Rise and Fall of Christian Science (1993), das jedoch historisch weniger umfassend und nicht so gründlich recherchiert ist wie God’s Perfect Child.
Einleitung
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kritische Darstellung der „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science) von 1966 keine einzige andere Monographie über CS erschienen.9 Die einzige historisch ernstzunehmende Arbeit, die sich zumindest mit einem Teilaspekt der Geschichte der Kirche Christi, Wissenschaftler in Deutschland auseinandersetzt, ist die 1982 publizierte Studie The Nazi State and the New Religions: Five Case Studies in Non-Conformity der Engländerin Christine King. King vergleicht darin die Erfahrungen von Christlichen Wissenschaftlern, Mormonen, Adventisten, Angehörigen der Neuapostolischen Kirche und von Zeugen Jehovas im Dritten Reich, wobei ihr Hauptschwerpunkt auf der letztgenannten Gruppe als der von den Nazis am unerbittlichsten verfolgten liegt. Der Christlichen Wissenschaft ist nur ein relativ kurzes Kapitel gewidmet, aber aufgrund der sorgfältigen Recherche und der guten weiterführenden Literaturhinweise Kings wurde dieser Text zu einer wichtigen Informationsquelle für den entsprechenden Teil dieser Arbeit. Es stellt sich nun die Frage, warum es bislang von deutscher Seite her keine einzige historische oder sozialwissenschaftliche Untersuchung zum Thema Christian Science gibt bzw. warum – abgesehen von der King-Studie – die deutsche Geschichte dieser Religionsgemeinschaft insgesamt von der Forschung ignoriert wurde. Eine Ursache hierfür ist vermutlich die schwierige Quellenlage, denn die wenigen zeitgenössischen Texte, die v.a. von deutschen Geistlichen, Ärzten und Juristen zwischen 1900 und 1938 geschrieben wurden, sind vielfach nur mit größter Mühe aufzuspüren. Außerdem wurde ein Großteil der für jede historische Forschung essenziell wichtigen Primärquellen zu diesem Thema (zum Beispiel die Korrespondenz Eddys mit deutschen Christlichen Wissenschaftlern oder die Berichte deutscher Kirchenangestellter aus der Weimarer Zeit und dem Dritten Reich) bis vor kurzem von der Mutterkirche in Boston fest unter Verschluss gehalten.10 Erst mit der Öffnung des neuen Archivs und des Research Room in der Mary Baker Eddy Library im Februar 2003 wurden diese Quellen der akademischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht und so ein wesentliches bis dahin bestehendes Forschungshindernis ausgeräumt.11 Ohne den Zugang zu diesen von der Mutter9
Hans-Diether Reimer verfasste zahlreiche Artikel über CS und galt bis zu seinem Tod in den 1990er Jahren als der größte Experte für Christian Science in Deutschland. Seine Untersuchungen waren jedoch primär auf Eddys Lehre und nicht auf die sozialhistorischen Entwicklungen konzentriert. 10 Diese Unterlagen im Archiv der Mutterkirche waren nur Mitgliedern der Kirche Christi, Wissenschaftler mit individuell gewährter Erlaubnis des Kirchenvorstandes zugänglich. 11 Die neue Mary Baker Eddy Library for the Betterment of Humanity wurde im Herbst 2002 eröffnet, das Archiv jedoch erst am 13. Februar 2003. Vgl. Einladungsschreiben des Bibliotheksleiters Steven Thorpe vom 6. Februar 2003. Die Kirchenleitung, die rund ein Jahrhundert lang wissenschaftliches Interesse von Außen nach Möglichkeit abgeblockt und potenziell kritischen Augen jede Quelleneinsicht verwehrt hatte, gewährt seither sogar Forschungsstipendien, um die Aufarbeitung ihrer Geschichte voran-
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Einleitung
kirche gesammelten Dokumenten und Unterlagen wäre die hier vorliegende Rekonstruktion der Geschichte (insbesondere der Frühgeschichte) von Christian Science im Kaiserreich, in der Weimarer Republik und im Dritten Reich kaum möglich gewesen.12 Ein wesentlicher Grund, warum amerikanische Historiker und Soziologen bislang kein Werk über die Kirche und Lehre Eddys in Deutschland publiziert haben, liegt vermutlich darin, dass diejenigen, die sich bislang überhaupt für Christian Science interessiert haben, es verständlicherweise bevorzugten, die wesentlich größere Gemeinschaft von Christlichen Wissenschaftlern in den USA in den Mittelpunkt ihrer Forschung zu stellen; außerdem verfügen nur wenige aus dieser Gruppe über ausreichende Deutschkenntnisse für ein solches Projekt.13 In Deutschland könnte eine weitere Ursache für die auffallende Forschungslücke im Bereich Christian Science auch darin liegen, dass die institutionelle Trennung der akademischen Disziplinen hier traditionell stärker ausgeprägt ist als in den USA. Während sich dort schon seit Generationen Historiker und Soziologen auch mit religionsgeschichtlichen Themen befassen, waren diese in Deutschland lange Zeit weitgehend der Theologie und der Volkskunde vorbehalten.14 Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde Religionsgeschichte hierzulande deshalb überwiegend von katholischen oder evangelischen Theologen im Rahmen von Kirchengeschichte (d. h. Geschichte der etablierten staatskirchlichen Institutionen) betrieben, ergänzt durch ethnologische Studien einiger besonders auffallender Phänomene der „Volksreligiosität“. Erst in den 1970er Jahren kam es laut Anthony Steinhoff zu einem „religious turn“ innerhalb der deutschen Geschichtswissenschaft.15 Viele
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zutreiben. Die Gründe für diese veränderte Haltung der Kirchenleitung werden später noch ausführlicher diskutiert. Zu den Inhalten des Archivs, den Forschungsmöglichkeiten und zum Stipendienprogramm der Bibliothek vgl. http://www.marybakereddylibrary.org/collections/collections.jhtml. Dieses Forschungsvorhaben wurde sowohl von den Mitarbeitern des Kirchenarchivs in Boston als auch von zahlreichen Mitgliedern der deutschen Zweigkirchen und ganz besonders vom Christian Science Komitee für Veröffentlichungen in Berlin sehr wohlwollend aufgenommen. Die Verfasserin erhielt von dieser Seite wesentlich mehr Unterstützung, als sie vorher zu hoffen gewagt hätte, insbesondere, da ein Kollege, dem sie 2003 von ihrem Vorhaben erzählt hatte, eindringlich warnte, diese Gemeinschaft sei Außenstehenden gegenüber absolut unzugänglich und sie solle lieber die Finger von dem Projekt lassen. Nach Kenntnis der Verfasserin hat keiner der amerikanischen Wissenschaftler, die bislang etwas über CS geschrieben haben, je etwas auf Deutsch veröffentlicht oder einen deutschen Text in seinem Werk zitiert. Allerdings wird sich dies (hoffentlich) bald ändern. So sind momentan zwei amerikanische Historiker mit Forschungen zu CS in der DDR beschäftigt. Vgl. Korrespondenz der Verfasserin mit Hall und Sandford. Zur Entwicklung der Religionsgeschichte in den USA s. Hochgeschwender, Religion und Nationale Identität, 435–520. Vgl. Steinhoff, Ein zweites konfessionelles Zeitalter?, 549. Wichtig ist in diesem Zu-
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Historiker forderten nun eine neue, offenere Form der Religionsgeschichte, d. h. eine Forschung, die nicht nur von der Analyse kirchlicher Institutionen und den in ihnen artikulierten theologischen Lehren, sondern vom empirisch fassbaren religiösen Bewusstsein der Menschen ausgeht und somit das historische Wesen und die soziale Funktion von Religion im gesellschaftlichen Zivilisationsprozess zu erklären sucht.16 Die beiden sich hierbei konstituierenden verschiedenen Ansätze einer weitgehend sozialhistorischen Religionsgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts und einer mehr kulturhistorischen Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit weisen zwar einige methodische und erkenntnistheoretische Gegensätze auf, befassen sich jedoch inhaltlich mit ähnlichen Themenschwerpunkten.17 Im Mittelpunkt der meisten historischen Studien der letzten Jahrzehnte steht vor allem der Zusammenhang zwischen Aufklärung, Liberalismus und Säkularisierung sowie das Verhältnis zwischen Kirche und Staat bzw. das zwischen Glauben, Politik und Nationalismus.18 Die Erforschung der Geschichte religiöser Sondergemeinschaften, insbesondere die ausländischen Ursprungs, erhielt dagegen relativ wenig Aufmerksamkeit.19 Da die Kirche Christi, Wissenschaftler zudem gerade seit den 1970er Jahren, d. h. seit dem „religious turn“ der deutschen Geschichtswissenschaft, einen kontinuierlichen Mitgliederrückgang und damit auch eine deutliche Verkleinerung der Zweigkirchenanzahl erfahren hat, wurde ihre ge-
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sammenhang auch das von Anselm Doering-Manteuffel und Kurt Nowak 1996 herausgegebene Buch Kirchliche Zeitgeschichte: Urteilsbildung und Methoden, in dem entschieden für eine Öffnung der traditionellen Kirchengeschichte und deren Einbettung in eine sozial informierte Ideengeschichte plädiert wird. Für eine Zusammenfassung der Entwicklungen und Diskussionen innerhalb der deutschen historischen Religionsforschung seit den 1970er Jahren vgl. auch Neugebauer-Wölk, Historische Religionsforschung, 1–34. Vgl. hierzu z. B. Schieder, Religion und Gesellschaft, 292–296; van Dülmen, Religionsgeschichte in der Historischen Sozialforschung, 36–59, auch zit. in Neugebauer-Wölk, Historische Religionsforschung, 3–5. Laut Neugebauer-Wölk hat die Sozialgeschichte trotz allen Wissens um die Problematik des Säkularisierungsparadigmas und der Gleichsetzung von Fortschritt und Moderne weiter an einer „Großen Erzählung“ von Industrialisierung, Modernisierung und Demokratie festgehalten, während die kulturgeschichtlich inspirierte Religionsgeschichte der Frühen Neuzeit sich mittlerweile auf ein Weltbild bezieht, das jede Vorstellung historischen Fortschritts dekonstruiert. Vgl. ebd., 8. Große Bedeutung wurde in diesem Zusammenhang auch den Themen Konfessionalismus und der Ambivalenz bürgerlicher Religiosität unter den Bedingungen der Moderne, vom Kulturprotestantismus zu den sogenannten „Säkularreligionen“ zugemessen. Vgl. ebd., 6–15. Eine Ausnahme hierzu bildet das 1996 publizierte Buch Geisterseher und Wunderwirker: Heilssuche im Industriezeitalter von Ulrich Linse. Nach einer sehr guten Einführung über die Bedeutung des aus Amerika kommenden Spiritismus in Deutschland im späten 19. Jahrhundert ist Linses Studie jedoch fast ausschließlich der „Kirche“ des deutschen Wunderheilers Joseph Weißenberg gewidmet. CS („Eddyismus“) erwähnt er nur einmal ganz kurz auf Seite 15.
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sellschaftliche Bedeutung von manchen Wissenschaftlern vielleicht als zu marginal für eine nähere Beschäftigung mit dem Thema eingeschätzt.20 Es ist also zu vermuten, dass sowohl zeitgeschichtliche Umstände und sprachpraktische Barrieren als auch methodische Entwicklungen innerhalb der historischen Forschung die Absenz jeglicher wissenschaftlicher Studien über die Entwicklung von Christian Science in Deutschland mit verursacht haben. Die vorliegende Arbeit versteht sich als ein erster Schritt zum Ausgleich dieses Defizits. In dieser auf theoretischen Studien und empirischen Forschungen basierenden Analyse der Geschichte von Christian Science sollen darum nicht theologische, sondern sozial- und kulturhistorische Aspekte im Vordergrund stehen.21 Bevor im Folgenden auf den Aufbau der Arbeit eingegangen wird, bedarf es jedoch einer kurzen, kritischen Stellungnahme zu den vorliegenden Quellen: Neben den bereits genannten Werken der Sekundärliteratur dienten die im Literaturverzeichnis angeführten einschlägigen Werke über die deutsche und amerikanische Religionsgeschichte sowie sozialhistorische Untersuchungen zu geistesgeschichtlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen in den USA und in Europa im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert als erste Informationsbasis. Die aus diesen Studien gewonnene Hintergrundinformation wurde durch eine intensive Untersuchung von Primärquellen ergänzt. Hierzu zählten die Schriften Mary Baker Eddys, die Hauptpublikationen der Christian Science Publishing Society sowie Berichte, Stellungnahmen und Informationstexte des deutschen Komitees für Veröffentlichungen (KfV) – darunter u.a. eine eigentlich nur für den internen Zweck bestimmte Broschüre „Gesetzliche Rechte und Pflichten der Christlichen Wissenschafter in der Bundesrepublik Deutschland“ von 1969.22 Für die Etablierung von Christian Science in Deutschland waren die von der Verfasserin im Archiv der Mutterkirche eingesehenen unveröffentlichten Dokumente von größter Bedeutung: 20 Christian Science wurde und wird von vielen Außenstehenden zudem als „Sekte“ wahrgenommen, und das Interesse deutscher Religionswissenschaftler, sich mit solchen „potentiell pathologischen Formen nichtkonventioneller Religiosität“ zu befassen, war in Deutschland traditionell gering. Vgl. Kehrer, Religionssozologie. Die Einzigen, die diesem Gebiet vor 1990 Aufmerksamkeit schenkten, waren Hutten, Obst und Reimer. Auf die Problematik des Begriffs „Sekte“ wird gleich noch genauer eingegangen. 21 Eingehende theologische Auseinandersetzungen mit dem Gottes- und Menschenbild von CS bzw. Bewertungen dieses Glaubens aus der Sicht des deutschen Protestantismus liegen in den Studien von Weiss, Reimer, Hutten und Obst bereits vor. Von katholischer Seite gibt es zwar bislang keine eigenen vergleichbaren Publikationen, mehrere katholische Theologen versicherten der Verfasserin jedoch, dass sich deren Einschätzung von CS kaum von der ihrer protestantischen Kollegen unterscheidet. Beide akzeptieren die Lehre Eddys nicht als christliche Glaubensform. 22 Die Werke Eddys sowie andere von der CSPS und / oder von Christlichen Wissenschaftlern publizierte Werke, in denen es in erster Linie um christlich-wissenschaftliche Glaubensinhalte geht, sind im Literaturverzeichnis unter dem Punkt 1.3. zusammengefasst.
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kircheninterne Berichte, Schriftwechsel und Unterlagen aus der Buchhaltung sowie Teile der Originalkorrespondenz Mary Baker Eddys mit dem Board of Directors, mit Mitarbeitern und Anhängern aus den USA und Europa und vor allem mit den „Pionieren“ ihrer Lehre im Deutschen Reich, Bertha GüntherPeterson, Marie Schön und Frances Seal.23 Auch andere Zeugnisse Christlicher Wissenschaftler erwiesen sich als ergiebige Quellen, so zum Beispiel die aus der Weimarer Zeit stammenden, aber erst 1999 veröffentlichten Briefe der Christlichen Wissenschaftlerin Dorothy von Moltke an ihre Eltern in Südafrika (Ein Leben in Deutschland).24 Relevant waren zudem kritische Schriften ehemaliger Mitglieder von Eddys Kirche sowie die von zeitgenössischen Beobachtern verfassten Artikel und Bücher über Christian Science – von verklärenden Huldigungen über theologische Analysen und polemische Theaterstücke bis hin zu aufwieglerischen Nazi-Schmähschriften.25 Für die Rekonstruktion der Etablierung von Eddys Lehre in Deutschland erwies sich insbesondere das erstmals 1931 von Frances Thurber Seal publizierte autobiographische Werk Wundertaten der Wahrheit: Im Anfang der Christian Science in Deutschland als wertvoll, auch wenn gerade an diesem Text ein zentrales quellenkritisches Problem der Christian Science-Forschung deutlich wird: Das Buch, das Seals Erfahrungen als erste „Botschafterin“ der Christlichen Wissenschaft in Deutschland von 1898 bis 1906 schildert, ist im Grunde eher ein topisches Glaubenszeugnis als eine historisch exakte Tatsachenschilderung. So entsprechen Seals zahlreiche Beschreibungen von wundersamen Heilungen und Bekehrungen sowie von Leid und Verfolgung Christlicher Wissenschaftler durch kaiserliche Schergen oder andere Widersacher genau den für Missionsberichte typischen Topoi. Insofern ist dieser Text gewiss von geringerer historischer Verlässlichkeit als andere zeitgenössische Quellen. Trotzdem bot er wichtige Anhaltspunkte für die Frühgeschichte der Gemeinschaft im Deutschen Reich. Gerade weil Seals Bericht – wie der sorgfältige Vergleich mit anderen Quellen zeigt, beispielsweise das von dem Arzt Albert Moll 1902 publizierte, kritische Büchlein Gesundbeten, Medizin und Okkultismus – den tatsächlichen Sachverhalt streckenweise ungenau oder vielleicht bewusst verfälscht wiedergibt, brachte er die Verfasse23 Eine alphabetische Liste dieser unveröffentlichten Quellentexte und Dokumente findet sich im Literaturverzeichnis unter dem Punkt 1.2. 24 Dorothy von Moltkes Mann, Helmuth von Moltke, leitete von 1928 bis 1933 die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche in Deutschland, und das Ehepaar wirkte maßgeblich an der Lehrbuchübersetzung von 1912 mit. 25 Die meisten dieser Schriften befinden sich unter dem Punkt 1.4. („Andere Primärliteratur“) im Literaturverzeichnis, der nicht nur Texte von Philosophen und Theologen umfasst, deren Werke im Hinblick auf ihre Ähnlichkeit mit denen Eddys untersucht wurden, sondern auch Texte diverser Autoren aus der Zeit vor 1940, die sich mit dem Phänomen CS befassen, aber nicht primär wegen ihres analytischen Wertes, sondern wegen ihrer Funktion als Quellen zur Rezeptionsgeschichte von CS für diese Arbeit von Bedeutung sind.
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rin auf die Spur der gravierenden innerkirchlichen Konflikte dieser Zeit und trug somit indirekt auch zur Aufklärung von deren Hintergründen bei.26 Für die Untersuchung der 1930er und 1940er Jahre erwiesen sich neben der erwähnten King-Studie The Nazi State and the New Religions vor allem drei von Christlichen Wissenschaftlern verfasste Texte als ergiebige Quellen, sowohl in Bezug auf die Situation einzelner Kirchenmitglieder und Gemeinden in Deutschland als auch auf die Haltung der Mutterkirche gegenüber der nationalsozialistischen Regierung. Der erste ist das 1947 von der CSPS herausgegebene Werk The Story of Christian Science Wartime Activities, 1939– 1946. Hierbei handelt es sich um eine chronologische Zusammenstellung der verschiedenen Maßnahmen der Mutterkirche, mit denen die Bostoner Zentrale innerhalb des genannten Zeitrahmens ihre Mitglieder in den amerikanischen Streitkräften und die Zweigkirchen in den vom Krieg betroffenen Ländern zu unterstützen suchte. Im Zentrum der Berichterstattung stehen hier freilich Glaubensstärke, Patriotismus und Opferbereitschaft der Christlichen Wissenschaftler sowie die als wunderbar effektiv dargestellte Wirkung der geschilderten Aktivitäten. Auf die Situation in Deutschland wird nur an einigen Stellen und vergleichsweise knapp eingegangen, allerdings finden sich in den entsprechenden Kapiteln vereinzelt wertvolle Hinweise auf bestimmte Ereignisse, Namen und Daten, insbesondere bezüglich des Wiederaufbaus der Gemeinden in den alliierten Besatzungszonen nach Kriegsende.27 Die zweite nicht unbedeutende Quelle für diese Zeit ist ein 1977 verfasstes, unveröffentlichtes Vortragsmanuskript von William Stillman, einem CS-Chaplain der US-Küstenwache, das dieser der Verfasserin freundlicherweise 2006 zur Verfügung stellte. Der Text mit dem Titel „Christian Science under the Nazi Regime“, bietet zwar keine Belege für seine Aussagen, aber die von Stillman zitierten Dokumente aus Archiven der Mutterkirche, der US-Streitkräfte und der Library of Congress konnten in vielen Fällen zur Überprüfung bzw. Bestätigung der aus anderen Quellen gewonnenen Untersuchungsergebnisse genutzt werden.28 26 Molls Buch enthält u.a. einen direkten Hinweis auf die Arbeit von Seal und die ihrer Konkurrentin Marie Schön in Berlin, s. Moll, Gesundbeten, 10. Kurz erwähnt sei hier auch ein 1934 im Auftrag des Bureau of History and Records der Mutterkirche verfasster fünfseitiger Bericht von Clifford P. Smith mit dem Titel „Early History of Christian Science in Germany“. Dieser im CS-Journal veröffentlichte Text beruht allerdings im Wesentlichen auf Seals Buch und hat kaum historische Signifikanz. 27 Erwähnt sei hierzu das 1956 veröffentlichte Buch The Continuing Spirit des Christlichen Wissenschaftlers Norman Beasley. Diese höchst apologetische Schrift ist bar jeder politischen Analyse oder Reflexion, aber sie enthält einige nützliche Detailinformationen zur Geschichte der CS-Sanatorien während des Zweiten Weltkrieges. 28 Zu diesen Dokumenten zählten z. B. ein Brief des amerikanischen Botschafters in Deutschland über CS, ein sogenannter „Nazi Census“ von 1934 und der Erlass des deutschen Innenministers, durch den am 14. Juli 1941 die „Sekte ‚Christliche Wissenschaft‘ (Christian Science)“ im gesamten Reichsgebiet offiziell verboten wurde. Hingewiesen
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Beim dritten, für diese Untersuchung besonders hilfreichen CS-Quellentext handelt es sich um das Buchmanuskript der CS-Praktikerin Elaine Follis „Christian Science and the Third Reich“. Die ehemalige Theologie-Dozentin der CS-Universität Principia hatte bereits in den 1990er Jahren damit begonnen, in dem ihr zugänglichen Archiv der Mutterkirche Nachforschungen über die Geschichte von Christian Science während der Nazi-Zeit anzustellen. Das im Anschluss daran entstandene, noch unvollendete Manuskript ist eher auf theologische respektive christlich-wissenschaftliche Fragestellungen hin konzipiert und beruht ausschließlich auf kircheninternen Quellen. Es enthält jedoch auch einzigartige Hinweise auf bestimmte Vorfälle im Zusammenhang mit Christian Science im Dritten Reich sowie auf die entsprechenden Quellen im Archiv der Mutterkirche, die sich für diese Arbeit als immens wertvoll und ergiebig erwiesen.29 Allerdings gilt für alle hier hervorgehobenen Quellen sowie für von Christlichen Wissenschaftlern verfasste Texte generell, insbesondere wenn sie durch den offiziellen Kirchenverlag (CSPS) herausgegeben wurden, dass ihnen naturgemäß eine glaubensspezifisch ausgerichtete Subjektivität inhärent ist und sie in der Regel einen apologetischen Charakter, manchmal auch eine bestimmte kirchenpolitische oder missionarische Agenda haben. Außerdem fällt bei den meisten dieser Texte – wie bei vielen anderen klerikalen Quellen auch – ein weitgehender Mangel an politischer Reflexion auf.30 Um dieser Problematik zu begegnen, wurde darum besondere Mühe darauf verwandt, alle für diese Arbeit bedeutenden Informationen aus kircheninternen Primärquellen so weit wie irgend möglich anhand anderer zeitgenössischer Texte zu überprüfen und ihren Wahrheitsgehalt auch durch neuere Forschungsliteratur in den jeweiligen Bereichen zu verifizieren. So trugen neben den bereits genannten Primär- und Sekundärquellen auch offizielle Regierungsdokumente (z. B. Polizeiberichte, Gesetze und Erlasse), Gerichtsakten (z. B. Urteile des Reichsgerichts in Strafsachen oder des Bundessozialgerichtshofes), Berichte von kirchlichen Sektenbeauftragten und diverse Notizen der Tagespresse zur Rekonstruktion von Ereignissen und Entwicklungen bei.
sei in diesem Zusammenhang auch auf die 1971 publizierte Dokumentensammlung von Heinz Boberach, Berichte des SD und der Gestapo über Kirchen und Kirchenvolk in Deutschland 1934–1944, in der viele, wenn auch nicht alle von Stillman und King zitierte Dokumente ebenfalls abgedruckt sind. 29 Follis, die sich inzwischen aus dem akademischen Leben zurückgezogen hat, um sich ganz ihrer Tätigkeit als CS-Praktikerin zu widmen, stellte der Verfasserin großzügigerweise die bereits fertigen Teile ihres Manuskriptes zur Verfügung. Ob sie ihre vor über zehn Jahren begonnene Arbeit noch vollenden und publizieren wird, ist ungewiss. 30 Zur geringen politischen Reflexion kirchlicher Publikationen vgl. z. B. Michael Hochgeschwenders entsprechenden Kommentar zu klerikalen Quellen in Wahrheit, Einheit, Ordnung, 30–32.
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In einigen wenigen Fällen – auf die im Text explizit hingewiesen wird – war eine hundertprozentige Klärung des Sachverhalts aufgrund der schwierigen Quellenlage leider nicht mehr möglich, zum Beispiel bei der Frage, ob es, wie Seal behauptet, Anfang des 20. Jahrhunderts tatsächlich ein kaiserliches Verbot von Christian Science gab oder nicht. Aber insgesamt lässt sich trotzdem festhalten, dass die aus den verschiedenen veröffentlichten sowie den bislang noch unbekannten oder unausgewerteten Primär- und Sekundärquellen extrahierten Informationen es ermöglichten, ein relativ dichtes Bild über die Etablierung und Entwicklung von Christian Science im Deutschen Reich sowie die weitere kirchliche Organisation, die Aktivitäten der Christlichen Wissenschaftler und die öffentliche Wahrnehmung ihrer Gemeinschaft in Deutschland vom Beginn des 20. Jahrhunderts bis in die heutige Zeit zu entwickeln. Eine weitere, nicht textuale Quellenform von zentraler Bedeutung für diese Arbeit, insbesondere bezüglich des heutigen Status von Christian Science in Deutschland, sind Interviews mit Christlichen Wissenschaftlern sowie mit anderen Personen, deren Einschätzung der Lehre und Kirche Eddys gesellschaftlich relevant ist (z. B. Theologen, Historiker, Juristen, Regierungsbeauftragte, Vertreter der etablierten Kirchen und Ärzte). Insgesamt führte die Verfasserin zwischen Mai 2005 und März 2009 mit 49 Personen ca. achtzig Interviews und Gespräche. Ein Teil der Interviews basierte auf einem vorgefertigten Fragenkatalog, in dem es sowohl um die persönlichen Erfahrungen mit Christian Science und der Kirche Christi, Wissenschaftler ging als auch um Antworten auf bestimmte Fragen in Bezug auf die gegenwärtige Situation oder die Zukunftsaussichten von Christian Science. Sie dauerten in der Regel 45 bis 90 Minuten (in einigen Fällen mehr als drei Stunden) und fanden fast immer im Rahmen eines persönlichen Treffens statt. Außerdem wurden informellere Interviews bzw. Gespräche geführt, die in der Regel von kürzerer Dauer waren (ca. 15 bis 30 Minuten), sich auf spezifische Fragestellungen konzentrierten und teilweise telefonisch durchgeführt wurden.31 Selbstverständlich ist bei der Verwendung von Interviewmaterial für historische Forschung (d. h. bei der Methode der Oral History) auf die Subjektivität der jeweiligen Aussagen und deren Abhängigkeit von äußeren Umständen sowie von der Interviewsituation zu achten. Darum wurde bei der Auswertung des Interviewmaterials größtmögliche Sorgfalt angewandt, und alle Angaben zu historischen Sachverhalten wurden so weit wie 31 Oft schlossen sich an die Interviews noch schriftliche Ergänzungsfragen an, die stets beantwortet wurden und in einigen Fällen zu ausgedehnten (z.T. elektronischen) Schriftwechseln mit den Interviewpartnern führten, durch welche weitere wertvolle Informationen zugänglich gemacht wurden. Bei zwei Kirchenmitgliedern und fünf anderen Personen war kein persönliches Interview möglich, aber die Fragen der Verfasserin wurden auf schriftlichem Weg beantwortet. Eine komplette Liste der Interviewpartner und deren Positionen findet sich unter Punkt 1.1. im Literaturverzeichnis.
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möglich mit Hilfe anderer Quellen verifiziert.32 Zwar stellt dieser Teil der vorliegenden Arbeit keine qualitative Sozialforschung im engeren Sinne dar (dafür hätte die Anzahl der Interviewpartner größer, die Auswahl derselben demographisch gezielt und das Frageschema völlig einheitlich sein müssen), aber im Rahmen der Fragestellung trugen die durch die Interviews gewonnenen Perspektiven maßgeblich zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn bei. Im Gegensatz zu allen bislang veröffentlichten wissenschaftlichen Texten zu Christian Science in Deutschland ist es ja gerade ein Anliegen dieser kulturgeschichtlichen Prämissen verpflichteten Arbeit, auch die Binnenperspektive der betroffenen Glaubensgemeinschaft bei der Analyse mit zu berücksichtigen. Die Kombination von zahlreichen Interviews und informelleren Gesprächen bot über die Klärung von Sachfragen hinaus wertvolle Einblicke in die Erfahrungs- und Erlebniswelt der befragten Christlichen Wissenschaftler, in die Bedeutung, die ihr Glaube für sie im täglichen Leben hat, und in ihr Verhältnis zu den deutschen Zweigkirchen und zur amerikanischen Mutterkirche. Ebenso wichtig waren die Gespräche mit Außenstehenden, um die Entwicklung der öffentlichen Perzeption von Christian Science nachvollziehen und die heutige Stellung der Kirche Christi, Wissenschaftler innerhalb der religiösen Landschaft der Bundesrepublik einschätzen zu können.33 Auf die gegenwärtige Situation von Christian Science wird freilich erst am Ende der vorliegenden Arbeit eingegangen. Insgesamt gliedert diese sich in vier große Kapitel mit jeweils drei bis vier Unterkapiteln, in denen der Werdegang und die Rezeption der Lehre und der Kirche Mary Baker Eddys in Deutschland von der Kaiserzeit bis heute verfolgt werden. Im ersten Kapitel „Was ist Christian Science? Zur Genese, kirchlichen Organisation, Lehre und Praxis der Christlichen Wissenschaft“ wird der geistes- und sozialgeschichtliche Hintergrund von Christian Science erläutert. Besondere Aufmerksamkeit erhält hierbei die Frage, welche Elemente dieser neuen Religion als „typisch amerikanisch“ galten bzw. gelten und warum sie im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert so außerordentlich erfolgreich war. Anschließend wird die besondere Rolle Eddys als Religionsstifterin und Kirchengründerin untersucht, vor allem im Hinblick darauf, dass es kaum eine andere Religion gibt, deren Lehre, kirchliche Organisation und Lebensregeln 32 Die zu beachtenden Faktoren beim Durchführen und Auswerten von Interviews wurden an anderer Stelle bereits erläutert, s. Waldschmidt-Nelson, From Protest to Politics, 27– 28. Zu einer ausführlichen Diskussion vgl. auch Millar, Professional Interviewing; Nathan, Critical Choices in Interviews. 33 Ausdrücklich sei an dieser Stelle die große Kooperationsbereitschaft der Christlichen Wissenschaftler betont, mit denen die Verfasserin sprach. In keinem Fall wurden ein Interview oder die Beantwortung von kritischen Fragen verweigert, und eine Reihe von Gesprächspartnern äußerte in diesem Zusammenhang auch offen ihre Vorbehalte gegenüber bestimmten früheren oder gegenwärtigen Praktiken und Regeln der Mutterkirche oder der jeweiligen Zweigkirchen.
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für den Alltag der Gläubigen so stark von einer einzigen Person geprägt worden sind wie die von Christian Science durch Mary Baker Eddy. Eine kurze Erklärung der wichtigsten Grundzüge der christlich-wissenschaftlichen Glaubensprinzipien sowie eine Diskussion der praktischen Anwendung von Eddys Lehre, der Funktion der CS-Praktiker und der spezifischen historischen Rahmenbedingungen, die während des o.g. Zeitraumes zur hohen Heilungsquote von Christian Science beitrugen, runden diesen Teil der Arbeit ab. Das zweite Kapitel „,The First European Nation‘: Die erfolgreiche Etablierung von Christian Science in Deutschland, 1894-1914“ ist der Frage gewidmet, aufgrund welcher gesellschaftlicher Kriterien und in welcher Weise es den Anhängern Eddys gelang, ihre Lehre auch in dem vom Staatskirchentum geprägten Deutschen Kaiserreich erfolgreich anzusiedeln und den Aufbau eigener Gemeindestrukturen trotz kirchlicher und staatlicher Opposition voranzutreiben. Da Christian Science seit Ende des 19. Jahrhunderts in Deutschland populärer gewesen ist als in irgendeinem anderen nicht-englischsprachigen Land, soll hier zunächst untersucht werden, ob dieses Phänomen vielleicht auf besondere Parallelen oder Ähnlichkeiten zwischen der Lehre Eddys mit spezifischen Strömungen der deutschen Geistesgeschichte zurückzuführen ist.34 Im Anschluss folgt eine Analyse der sozialhistorischen Hintergründe und des tatsächlichen Verlaufs der Einführung und Etablierung der Christlichen Wissenschaft im Deutschen Reich, wobei auch die Konflikte innerhalb der Glaubensgemeinschaft – insbesondere im Hinblick auf die Übersetzung des Lehrbuchs – diskutiert werden sollen. In der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, insbesondere während der nationalsozialistischen Herrschaft, sahen sich Christliche Wissenschaftler in Deutschland mit vielerlei Schwierigkeiten konfrontiert. Trotzdem erfuhr die Gemeinschaft in dieser Zeit einen großen Aufschwung und verfügte in den 1920er und 1930er Jahren über ein beachtliches Maß an gesellschaftlichem und politischem Einfluss. Das dritte Kapitel dieser Arbeit „Aufstieg trotz Widerstände: Christian Science in Deutschland, 1914-1945“ untersucht die zentralen Punkte dieser Entwicklung, vor allem im Hinblick auf die Konflikte Christlicher Wissenschaftler mit staatlichen Behörden, auf die öffentliche Wahrnehmung der Gemeinschaft, auf die Strategien der Kirche im Umgang mit dem Nazi-Regime und auf die Erfahrung von Krieg und Verfolgung.
34 Außerhalb Amerikas gibt es nur in Großbritannien mehr Christliche Wissenschaftler als in Deutschland, wofür sprachpraktische Gründe verantwortlich sein dürften. Denn das CSLehrbuch wurde erst 1912 ins Deutsche übersetzt, und gute Kenntnisse der englischen Sprache sind bis heute Voraussetzung für eine vertiefte Auseinandersetzung mit CS. So dürfen laut Eddys Bestimmungen ausschließlich „thorough English scholars“ an der CSLehrerausbildung (Normal Class) teilnehmen. Vgl. Church Manual, Artikel XXIX, Absatz 2.
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Das letzte Kapitel „,Continuing Spirit‘ oder ,Constitutional Crisis‘? Die Entwicklung von Christian Science in Deutschland seit 1945“ befasst sich mit der Frage, warum es in der BRD, in der die Christliche Wissenschaft im Gegensatz zur DDR mit keiner massiven staatlichen Opposition zu kämpfen hatte, zu dem bereits erwähnten kontinuierlichen Rückgang der Mitgliederzahlen kam. Dabei wird das Verhältnis der Gemeinschaft zur deutschen Regierung und Justiz, zu den etablierten Kirchen und zur deutschen Ärzteschaft ebenso untersucht wie allgemeine Gründe für den Popularitätsverlust der Lehre Eddys und spezifische Krisen der Mutterkirche am Ende des 20. Jahrhunderts. Anschließend werden die jüngsten Strategien der Kirche zu einer Revitalisierung von Christian Science sowie deren erste Auswirkungen in den USA und in Deutschland diskutiert. In einem kurzen Schlusskapitel sollen die wichtigsten Untersuchungsergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefasst werden, um darauf aufbauend die historische Rolle, die gegenwärtige Bedeutung und die Zukunftsaussichten von Christian Science als religiöse Gemeinschaft innerhalb Deutschlands einzuschätzen. Abschließend soll hier noch auf einige besondere Begriffe, deren Definition und deren Verwendung bzw. Nicht-Verwendung in dieser Arbeit eingegangen werden. Die meisten Deutschen bezeichnen kleinere religiöse Gruppen, die außerhalb des ihnen bekannten Systems der etablierten Kirchen stehen, als „Sekten“. Die Verwendung dieses Begriffes ist jedoch ausgesprochen problematisch.35 In der Antike wurde er zunächst wertneutral für diejenigen gebraucht, die einem bestimmten Philosophen oder einer Denkschule folgten. In der Geschichte des Christentums ging man jedoch bald dazu über, Gruppen, die nicht kirchlich anerkannten Glaubenslehren oder Praktiken anhingen, als Sekte zu bezeichnen, und im Mittelalter wurde die Zugehörigkeit zu einer solchen Sekte zunehmend kriminalisiert. Mit Einrichtung des Staatskirchentums sah man ihre Mitglieder nicht nur als Häretiker, sondern auch als Verbrecher bzw. Staatsfeinde an, die unter Umständen sogar mit dem Tode bestraft werden konnten.36 Diese Auffassung wurde in den europäischen 35 Das Substantiv secta stammt aus dem Lateinischen (abgeleitet von sequi, folgen) und bedeutet so viel wie Schule, Lehre oder Partei. Die etymologisch inkorrekte Ableitung von secare (trennen, abschneiden) hat jedoch wohl den umgangssprachlichen Gebrauch des Wortes in Deutschland stärker geprägt. Vgl. Begriffsdefinition des Terminus „Sekte“ unter http://www.info.weltanschauungsfragen.de/Sekte/Sektenbegriff.html. 36 Vgl. z. B. den Codex Justinianus aus dem Jahr 528, Buch I, insbesondere Titel I, V und VII, in denen auf die Bestrafungsformen für Häretiker eingegangen wird; die englische Übersetzung des Werkes The Code of Our Lord the Most Sacred Emperor Justinian ist auf der Webseite http://www.constitution.org/sps/sps12.htm zugänglich. Ein guter Überblick über die historische Entwicklung und Problematik des Sektenbegriffs findet sich auch im Endbericht der Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“, 17–22.
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Staaten erst mit der Aufklärung bzw. institutionell durch die Erklärung der Religionsfreiheit überwunden (in den USA schon durch die Verfassung von 1789, in Deutschland erst durch die Weimarer Verfassung von 1919). Das deutsche Grundgesetz kennt nur religiöse Vereine, Religionsgesellschaften und Religionsgemeinschaften, und es gibt keine Staatskirche mehr. Staatsrechtlich sind die etablierten Kirchen und andere religiöse Organisationen somit heute grundsätzlich gleichgestellt, und der Begriff „Kirche“ ist rechtlich nicht geschützt bzw. nicht mehr allein den großen christlichen Kirchen vorbehalten.37 Die etablierten Kirchen verwenden den Sektenbegriff allerdings durchaus noch, wobei dem kirchlichen Verständnis von Sekte ganz bestimmte theologische Kriterien zugrunde liegen, wie zum Beispiel die Anerkennung anderer Offenbarungsschriften als die kanonisierte Bibel oder anderer Offenbarungsformen, die Nicht-Akzeptanz der altkirchlichen Bekenntnisse oder ein anderes Verständnis apostolischer Sukzession. So heißen die in den großen Kirchen für die Auseinandersetzung mit Andersgläubigen und die Beratung von Hilfesuchenden eingesetzten Theologen nach wie vor „Sektenbeauftragte“, auch wenn sie selbst heutzutage die Verwendung dieses Begriffs meist zu vermeiden suchen.38 In der Umgangssprache ist der Sektenbegriff immer noch sehr verbreitet und ausgesprochen negativ konnotiert. Meist werden damit religiöse Gemeinschaften assoziiert, deren Lehre von den anerkannten Glaubensinhalten und -praktiken abweicht, die mit fragwürdigen Mitteln neue Mitglieder „einfangen“, sich durch fanatischen Dogmatismus und Intoleranz auszeichnen, die Entfaltungsmöglichkeiten und die persönliche Freiheit ihrer Mitglieder einschränken, diese manipulieren, entwürdigen, von der Gruppe abhängig 37 Vgl. Grundgesetz, Artikel 140; Enquete-Kommission, Endbericht, 18. Allerdings wird nicht jede Gruppe, die sich selbst so nennt, in Deutschland als Kirche anerkannt. Während z. B. die Church of Jesus Christ of Latter Day Saints (Mormonen) und die Church of Christ, Scientist in mehreren Bundesländern offiziell als legitime Religionsgemeinschaften anerkannt sind und den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, urteilte das Bundesarbeitsgericht im März 1995, dass die Church of Scientology keine Kirche bzw. keine Religionsgemeinschaft (gemäß GG-Artikel 140), sondern ein Wirtschaftsunternehmen sei. 38 So heißt das im Jahr 2000 herausgegebene einschlägige „Sekten“-Handbuch der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) jetzt Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, und das 2005 von den katholischen Sektenbeauftragten Harald Baer und Hans Gasper publizierte Gegenstück hierzu trägt den Titel Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen. Ein Sektenbeauftragter erklärte, er selbst würde den Begriff nicht mehr verwenden, aber da er in der Bevölkerung noch so verbreitet sei, halte die Kirche die Beibehaltung dieser Berufsbezeichnung zur Orientierung der Hilfesuchenden momentan noch für nötig. Vgl. Interview mit Axel Seegers am 4. Juli 2006 sowie die von Seegers eingerichtete Internetseite des Erzbischöflichen Ordinariates München http://www.info.weltanschauungsfragen. de/Sekte/Sektenbegriff.html.
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machen („Gehirnwäsche“) und darüber hinaus oft noch finanziell ausbeuten.39 Studien über die Lebensläufe von Menschen, die sich sogenannten Sekten anschließen oder später wieder aussteigen, haben inzwischen gezeigt, dass bis auf den ersten Punkt der größte Teil der oben genannten Vorurteile in Bezug auf religiöse Sondergemeinschaften unhaltbar ist (auch wenn diese für bestimmte sogenannte „Psycho-“ oder „Lebenshilfegruppen“ durchaus zutreffen mögen).40 Seit den 1990er Jahren ist die psychologische und soziologische Forschung in den USA zwar weitgehend von dem Modell der „Gehirnwäsche“ abgekommen, aber in vielen europäischen Ländern, in denen entsprechende amerikanische Forschungserkenntnisse weitgehend ignoriert werden, bleibt dieses Modell weiterhin populär. In Deutschland ist die extrem negative Sicht von Sekten durch die massive Anti-Scientology-Propaganda der etablierten Kirchen und der Bundesregierung eher noch verstärkt worden. Die gewisse Ähnlichkeit im Klang von „Christian Science“ und „Scientology“ führt übrigens nicht selten zu Verwechslungen und ist deshalb für Christliche Wissenschaftler in Deutschland ein besonderes Problem.41 Dass sich neue religiöse Gemeinschaften in ihren Lehren und Praktiken von denen der altetablierten unterscheiden und Forderungen nach einer bestimmten Lebensführung sowie Wahrheitsansprüche gegenüber konkurrierenden Lehrmeinungen erheben, ist selbstverständlich und trifft auf alle Religionen zu.42 Zwar gibt es bestimmte soziologische Kriterien, die den Idealtypus einer Sekte von dem einer Kirche unterscheiden sollen (z. B. Form der Rekrutierung, Rolle der geistlichen Funktionsträger, Ausformung der Innen- und Außenbeziehungen etc.), aber auch dieses soziologische Verständnis von Sekte stößt bei der praktischen Anwendung schnell an seine Grenzen, 39 Vgl. Enquete-Kommission, Endbericht, 18. In den USA werden die so beschriebenen Gruppen als destructive cults bezeichnet, und vor allem nach dem Massenselbstmord der Anhänger von Jim Jones’ Peoples Temple in Guyana 1978 erreichte das amerikanische Anti-Cult Movement in den 1980er Jahren einen Höhepunkt. Um den observierten Gruppen „Gehirnwäsche“ nachzuweisen, wurden z. B. oft die von dem amerikanischen Soziologen Robert J. Lifton entwickelten acht Kriterien der sogenannten mind control angewendet. Lifton baut jedoch seine diesbezüglichen Erkenntnisse auf Erfahrungen von Kriegsgefangenen in China auf. Vgl. hierzu Introvigne, Gehirnwäsche; Malony, Bewußtseinskontrolle. 40 Vgl. hierzu Melton, Encyclopedia of American Religions; Süss, Religionswechsel; Introvigne, Gehirnwäsche; Enquete-Kommission, Endbericht, 18–19. 41 Vgl. Enquete-Kommission, Endbericht, 18–20. Letzteres wurde der Verfasserin durch alle hierzu befragten Christlichen Wissenschaftler bestätigt. 42 Vgl. Melton, Encyclopedia of American Religions; Hemminger, Was ist eine Sekte?; Süss, Religionswechsel; Süss, Neue Religionen. Nicht umsonst galt bei den Römern das Christentum als eine verdächtige, potentiell gefährliche „Sekte“. Der amerikanische Religionswissenschaftler Edward Linenthal definierte darum beispielsweise das Wort Sekte (cult) folgendermaßen: „A cult is a religion without power“. Vgl. Linenthals Vortrag „Religious Expression in American Culture“ auf Schloss Leopoldskron (Salzburg Seminar) am 11. März 2001.
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da die wenigsten der betroffenen Gruppen sich den Idealtypen klar zuordnen lassen.43 Außerdem wird von einigen Religionswissenschaftlern heute darauf hingewiesen, dass die im öffentlichen Diskurs vorgenommene Pathologisierung nichtkonventioneller Religiosität erheblich zu den auf diesem Gebiet vorhandenen Forschungslücken beigetragen hat. Die latenten Zweifel, ob Gruppen, die keine „anerkannten“ Religionen sind, überhaupt Gegenstand religionswissenschaftlicher Untersuchungen sein sollten, sehen diese Kritiker jedoch als faktische Limitierung der gesellschaftlichen Relevanz der Religionswissenschaft, die es zu überwinden gelte.44 Aus wissenschaftlicher Sicht scheint eine Verwendung des vielschichtigen und oft plakativ verurteilenden Begriffes Sekte somit eher kontraproduktiv. Auch die vom Deutschen Bundestag 1996 eingesetzte Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ kam in ihrem Endbericht von 1998 zu dem Schluss, dass die Bezeichnung Sekte „in hohem Maße kritikwürdig“ sei und zudem zur Klassifizierung solcher Gruppen (z. B. in „konfliktträchtige“ gegenüber „nicht konfliktträchtigen“) oder zur Kennzeichnung konkreter Probleme in keiner Weise beitrage.45 Die Verfasserin schließt sich dieser Argumentation an und verzichtet darum in der vorliegenden Untersuchung auf den Begriff Sekte. Stattdessen werden Religionsgemeinschaften außerhalb bzw. neben den traditionell anerkannten und etablierten Kirchen als religiöse Sondergemeinschaften bezeichnet. Auf die Frage, warum die Christlichen Wissenschaftler sich selbst unbedingt als christliche Gemeinschaft verstehen und warum die meisten Vertreter der etablierten Kirchen ihnen diese Legitimation absprechen, wird später noch eingegangen. Allerdings sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass im Folgenden die Kirche Christi, Wissenschaftler oft nur als „Kirche“ bezeichnet wird, ohne den Begriff in Anführungszeichen zu setzen. Auch Wörter wie „Kirchenmitglied“ oder „kirchenintern“ beziehen sich, soweit nicht anders erklärt, im vorliegenden Text immer auf die Kirche Christi, Wissenschaftler, ohne dass damit eine bestimmte theologische Wertung vorgenommen werden soll.46 Bei den Übersetzungen kircheninterner Begriffe wie zum Beispiel Practitioner, Nurse, Reader, Teacher, Lecturer, Church Service oder Reading 43 Vgl. Kehrer, Religionssoziologie; Enquete-Kommission, Endbericht, 18–19. 44 Vgl. Süss, Religionswechsel; ders., Neue Religionen. 45 Vgl. Enquete Kommission, Endbericht, 18. Die Kommission lehnt darum die Verwendung des Begriffes ab. 46 Der Verfasserin ist bewusst, dass die Katholische Kirche den Kirchenbegriff für sich alleine in Anspruch nimmt, da es aus ihrer Sicht nur die EINE Kirche gibt (una sancta ecclesia). Die protestantischen Denominationen sind dagegen der Ansicht, dass all diejenigen Glaubensgemeinschaften, welche die altkirchlichen Bekenntnisse anerkennen, sich „Kirche“ nennen dürfen. Für Christliche Wissenschaftler ist es dagegen völlig selbstverständlich, ihre seit immerhin über 125 Jahren als Church of Christ, Scientist bestehende Organisation als „die Kirche“ zu bezeichnen.
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Room werden grundsätzlich die offiziell von der Mutterkirche mit der neuen Lehrbuchübersetzung von 1998 festgelegten Termini verwendet, d. h. Praktiker, Pfleger, Leser, Lehrer, Vortragender, Gottesdienst und Leseraum.47 Das Problem hierbei ist allerdings, dass im Gegensatz zu den im Englischen völlig geschlechtsneutralen Ausdrücken in der jeweiligen deutschen Übersetzung ein männliches Geschlecht impliziert wird. Dies ist vor allem angesichts des besonders hohen Stellenwertes der Geschlechtergleichberechtigung innerhalb von Christian Science (auf die später noch eingegangen wird) sowie der Tatsache, dass mehr als zwei Drittel der CS-Praktiker (und alle deutschen CS-Pfleger) Frauen sind, natürlich keine optimale Lösung. Außerdem stellt sich auch bei vielen anderen Termini, beispielsweise Patienten, Anhänger, Besucher, Freunde, Kritiker usw., das gleiche Problem. Man könnte in solchen Fällen entweder immer eine Doppelnennung vornehmen (z. B. Lehrer und Lehrerinnen), das große „I“ verwenden (z. B. PraktikerIn) oder mit Schrägstrich arbeiten (z. B. Anhänger / in). Zugunsten eines angenehmen Leseflusses hat die Verfasserin sich jedoch dafür entschieden, auf diese alternativen Schreibweisen zu verzichten. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass im folgenden Text bei allen derartigen Personengruppenbezeichnungen, so es nicht anders erklärt ist oder aus dem Kontext anders hervorgeht, grundsätzlich immer Frauen und Männer gemeint sind. Vielleicht entspricht diese Vorgehensweise auch am ehesten dem hier untersuchten Forschungsgegenstand, denn in Christian Science ist die Gleichberechtigung bzw. die Mitberücksichtigung des weiblichen Geschlechts sogar dort existent, wo es rein verbal zunächst nicht danach aussehen mag; so bedeutet das Wort „Gott“ bei Eddy immer „Vater-und-Mutter-Gott“. Um dies zu verdeutlichen, und vor allem, um eine solide Ausgangsbasis für die nähere Erforschung des Werdeganges der Christlichen Wissenschaft in Deutschland zu schaffen, ist der nun folgende erste Teil der Arbeit der Entstehungsgeschichte und den wichtigsten Inhalten von Eddys Lehre gewidmet.
47 Vgl. hierzu auch die entsprechenden Kategorien im CS-Herold, in dem jeden Monat ein aktuelles Verzeichnis aller deutschen CS-Gemeinden, Leseräume, Lehrer, Praktiker und Pfleger abgedruckt wird.
I. WAS IST CHRISTIAN SCIENCE? ZUR GENESE, KIRCHLICHEN ORGANISATION, LEHRE UND PRAXIS DER CHRISTLICHEN WISSENSCHAFT Phantastische Sektenbildung auf dem jugendkräftigen Boden Amerikas pflegt man in der alten Welt nicht ernst zu nehmen. […] Allein seit 25 Jahren hat, ausgehend von einer der wichtigsten Zentralen amerikanischen Geisteslebens, eine religiöse Neubildung sich bemerkbar gemacht, welche durch die immer wachsende Ausdehnung, die sie gewinnt, wie durch die weltumspannenden Ansprüche, die sie erhebt, etwas ganz Ungewöhnliches an sich trägt.1
Mit diesen Worten begann Otto Pfülf 1905 in seinem Aufsatz „Die neue amerikanische Gnosis: ,Christian Science‘“ eine der ersten kritischen Auseinandersetzungen mit der Lehre Mary Baker Eddys in Deutschland. Wie schon die Überschrift des Textes verdeutlicht, waren die amerikanischen Wurzeln und das rapide Wachstum der Christlichen Wissenschaft ein Kernpunkt ihrer hiesigen Rezeption. Der folgende Überblick über die Genese der „religiösen Neubildung“, die sich seit Ende des 19. Jahrhunderts im Deutschen Reich zu etablieren begann, diskutiert darum den geistes- und sozialgeschichtlichen Hintergrund von Christian Science auch mit besonderem Augenmerk darauf, welche Elemente dieser neuen Religion als „typisch amerikanisch“ gelten dürfen bzw. so wahrgenommen wurden und warum sie – zumindest in den Jahren bis zum Zweiten Weltkrieg – so bemerkenswert erfolgreich war.2 I.1. EINE „AMERIKANISCHE GNOSIS“? DER GEISTESGESCHICHTLICHE HINTERGRUND VON CHRISTIAN SCIENCE Die Erkenntnis der wahren Natur Gottes und des Menschen als Schlüssel zu Heil und Heilung ist das zentrale Kernelement der Christlichen Wissenschaft. Da „Gnosis“ das griechische Wort für „Erkenntnis“ ist, scheint die Bezeichnung von Christian Science als „neue amerikanische Gnosis“ auf den ersten Blick durchaus zutreffend. Doch hier ist Vorsicht geboten, zumal Otto Pfülf
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Pfülf, Christian Science, 64. Für eine ausführlichere Beschreibung der Gründungsgeschichte von Christian Science vgl. die hierzu angeführten Werke im Literaturverzeichnis, insbesondere Braden, Christian Science Today; Peel, Christian Science; Gill, Mary Baker Eddy; Reimer, Metaphysisches Heilen; Gottschalk, The Emergence of Christian Science; Weiss, Heilslehre der Christian Science; Zweig, Heilung durch den Geist.
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diesen Begriff wahrscheinlich bewusst wählte, um die Lehre Eddys als Häresie zu kennzeichnen.3 Es würde zu weit führen, den Begriff der Gnosis oder deren Bedeutung als religions- und ideengeschichtliches Phänomen, das von der Antike bis ins 21. Jahrhundert reicht und in allen großen Weltreligionen zu finden ist, hier näher erläutern zu wollen.4 Doch kurz erwähnt sei, dass innerhalb der christlichen Kirche schon von Anfang an gnostische Tendenzen vorhanden waren, die sich an orientalische Mysterienreligionen und die antike Philosophie (v.a. Platons) anlehnten. Kennzeichnend für die Gnosis respektive gnostische Bewegungen ist ihr dualistischer Ansatz; denn von der Erlösungsbedürftigkeit des Menschen (für die der „gute Gott“ nicht verantwortlich gemacht werden kann) schließt die Gnosis auf den Teufel bzw. das „böse Prinzip“ als Herrn der materiellen Welt. Der oberste (gute) Gott ist im fernen Jenseits, die Materie dieser Welt wurde dagegen von einem niederen Gott oder Helfer (Demiurg) geschaffen, sie ist gottfeindlich und muss überwunden werden. Damit die gefallene menschliche Seele aus dieser Welt erlöst werden kann, muss sie die aus der jenseitigen Sphäre geschickten Boten der göttlichen Wahrheit (v. a. Christus) erkennen bzw. den Funken dieser Wahrheit, des „göttlichen Lichtes“, in sich selbst entdecken.5 Auch wenn im zweiten Jahrhundert die spiritualisierende Gnosis in der Auseinandersetzung mit einem durch die entstehende Großkirche vertretenen, zunehmend dogmatischen Christentum unterlag und seither ihre Lehren von der etablierten Kirche oft als Häresie verurteilt wurden, lebte sie als religiöse Unterströmung in vielerlei Gestalt fort und hat u.a. die Mystik des Christentums und die Esoterik bis in die heutige Zeit inspiriert.6
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Der Kirchenvater Irenäus prägte im 2. Jahrhundert den Begriff „Gnostiker“ für die Vertreter einer bestimmten religiösen Strömung seiner Zeit, die er als häretisch betrachtete. Pfülfs Artikel spricht CS die Christlichkeit ab und dient v.a. dazu, die Christen in Deutschland vor dem sich seiner Ansicht nach beängstigend schnell ausbreitenden „Irrwahn“ bzw. vor der „von Fanatismus trunkenen Sekte“ zu warnen. Vgl. Pfülf, Christian Science, 64–82. Vgl. hierzu z. B. Brumlik, Die Gnostiker; Jonas, Gnosis; Rudolph, Die Gnosis. Neuere, gut kommentierte Editionen gnostischer Quellentexte sind z. B. die Bände von Layton, Gnostic Scriptures; Schenke u.a., Nag Hammadi Deutsch. Zusammenfassende Überblicke bieten Iwersen, Gnosis; Markschies, Die Gnosis. Vgl. Iwersen, Gnosis, 15–48; Markschies, Die Gnosis, 9–26. Vgl. Iwersen, Gnosis, 7–13; Markschies, Die Gnosis. Seit den 1960er Jahren wird in der Fachwelt häufig zwischen der Gnosis als zeitübergreifendem „Wissen um göttliche Geheimnisse, das einer Elite vorbehalten ist“ und dem Gnostizismus als „einer bestimmten Gruppe von religiösen Systemen des 2. Jahrhunderts nach Christus“ unterschieden. Diese Definitionen werden jedoch heute von einigen Religionswissenschaftlern abgelehnt, da der Begriff „Gnostizismus“ kein antikes Wort ist und die „Erkennenden“ sich selbst als Gnostiker und nicht als „Gnostizisten“ bezeichneten. Manche interpretieren Gnosis als „geheime Unterströmung aller Religions- und Geistesgeschichte“. Zur Ent-
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Wie im Laufe der folgenden Untersuchung noch deutlich werden wird, bestehen durchaus einige Ähnlichkeiten zwischen dem Gedankengut der Gnosis und der Lehre Mary Baker Eddys (vor allem hinsichtlich des Verständnisses von Materie), aber es gibt auch deutliche Unterschiede; so ist beispielsweise der Monismus der Lehre Eddys dem Dualismus der Gnostiker entgegengesetzt.7 Christliche Wissenschaftler lehnen Vergleiche ihrer Lehre zur Gnosis bzw. dem Gnostizismus strikt ab und betonen, dass alle von Außenstehenden diesbezüglich observierten Parallelen auf falscher Interpretation von Christian Science beruhten.8 Dies wird aus orthodox-theologischer Sicht anders gesehen, eine umfassende Studie hierzu liegt allerdings noch nicht vor. In jedem Fall erscheint es aufgrund der vorhandenen Unterschiede zwischen gnostischem und christlich-wissenschaftlichem Weltbild bzw. Erlösungsverständnis unzulässig, die Lehre Eddys insgesamt als Gnosis oder Gnostizismus zu bezeichnen, auch wenn sie gewiss einige gnostisierende Elemente enthält.9 Dass seit der Antike bestimmte metaphysische Fragen, insbesondere die nach dem Zusammenhang zwischen geistiger Wahrnehmung und körperlichem Empfinden, die Menschheit beschäftigt haben, kann zumindest teilweise ebenfalls auf gnostisches Erkenntnisstreben zurückgeführt werden. Im Zusammenhang mit der Entstehung von Christian Science ist jedoch vor allem relevant, dass das seit langem vorhandene Interesse vieler Philosophen, Theologen und Mediziner an den Möglichkeiten des „geistigen Heilens“ und dessen Erforschung im 19. Jahrhundert eine besondere Blütezeit erlebte. Wohl auch als Gegenbewegung zu der während der Aufklärung begonnenen Versachlichung und Verfachlichung der Medizin strebten im Zeitalter der Romantik viele Menschen wieder einer größeren Vereinheitlichung des Körper-
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wicklung der bis heute umstrittenen Begriffsdefinitionen von Gnosis vs. Gnostizismus s. Markschies, Die Gnosis, 7–8 und 21–25. Vgl. hierzu Kapitel I.3. sowie die dort angeführte Literatur zur Heilslehre der Christlichen Wissenschaft. So schrieb das CS-Komitee für Veröffentlichungen in Deutschland: „Gnostizismus ist weit entfernt von jener einfachen Nachfolge Christi, die eine echte moralische und geistige Erneuerung bringt. Der extreme Dualismus der Gnostiker ist nicht vereinbar mit dem Verständnis von der Macht des Christus, den Menschen zu erheben und jeden Bereich des menschlichen Lebens umzuwandeln. Dies jedoch war genau das, was nach Mary Baker Eddys Überzeugung eine wahrhaft gelebte Christian Science ausmachen muss. […] Für Eddy ist Erlösung nicht eine Sache gnostischen Wissens um eine andere Seinsebene, sondern vielmehr eines schrittweisen Überwindens aller Materie und ihrer Form hier und jetzt.“ Herr, Brief an die Verfasserin vom 4. Mai 2006. Pfülf und andere Theologen, die sich mit der Heilslehre Eddys auseinandergesetzt haben, diagnostizieren deren Ähnlichkeit mit dem Gnostizismus meist mit der Absicht, CS als unchristliche Irrlehre zu entlarven. Weiss betont hingegen ausdrücklich die Nähe zu den deutschen Mystikern (s. z. B. Weiss, Heilslehre der Christian Science, 161– 162).
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lichen und des Seelischen zu.10 Im festen Glauben an das Universal-Beseelte der Natur lehnten beispielsweise die Anhänger der sogenannten „romantischen Medizin“ chemische oder operative Eingriffe in den Körper ab, da sie die Heilkraft der Natur bzw. die Selbstheilungskräfte des menschlichen Organismus als die beste und einzig dauerhafte Heilmethode ansahen. So kam es im Laufe des 19. Jahrhunderts auf beiden Seiten des Atlantiks zu einer Hochblüte alternativer Heilmethoden wie zum Beispiel Mesmerismus, Homöopathie, Kneippkuren oder Psychoanalyse.11 In Europa spielte die theologische Dimension dieser alternativen Heilmethoden in der Regel eine relativ untergeordnete Rolle oder blieb meist als Glaube an die Heilung durch Gebet in traditionelle Glaubensstrukturen integriert (z. B. im katholischen Wunderheilungsglauben in Verbindung mit Wallfahrtsorten wie Lourdes oder Fatima).12 In Amerika waren spirituelle Elemente dagegen innerhalb der sogenannten Mental Medicine von zentraler Bedeutung und führten zu einer Reihe von neuen religiösen Lehren, im Fall von Christian Science sogar zur Gründung einer neuen Kirche. Im Gegensatz zu Europa – mit seinem seit Jahrhunderten etablierten Staatskirchentum und seinen gefestigten doktrinären Strukturen – hat die Verwirklichung von religiösem Dissens in Amerika eine bedeutende historische Rolle gespielt. So beruhte schon die erste Besiedlung der Neuen Welt durch Europäer maßgeblich darauf, dass radikale religiöse Außenseiter, die in ihrer Heimat verfolgt wurden (z. B. Puritaner, Quäker, Amish oder Mennoniten), nach Amerika kamen, um hier ihre Überzeugungen frei ausleben zu können. Besonders geprägt wurde das religiöse Bewusstsein der Amerikaner hierbei vom strengen Glauben der Puritaner an den besonderen Bund (Covenant), den Gott mit ihnen geschlossen hatte. Der Glaube, dass Amerika die auserwählte Nation Gottes sei, wurde zum Gründungsmythos der USA und ist bis heute zentraler Bestandteil ihrer nationalen Identität. Gleichzeitig entwickelte sich eine Tradition von anti-autoritärem Individualismus, gekoppelt 10 In älteren Kulturen gab es eine inhärente Verbindung zwischen Heil und Heilung (die bei sogenannten Naturvölkern noch heute existiert). Krankheit wurde als Störung im Verhältnis zum Göttlichen gesehen, die es zu erkennen und zu überwinden galt. Darum waren Medizinmänner auch geistliche Führungsfiguren, Mittler zwischen Mensch und Gott, Behüter von Leib und Seele. Medizin war im Ursprung immer ein religiöser Akt, sie begann als Kult und Ritual. Erst später zerbrach diese Einheit. Die Wissenschaft sah Krankheiten als rein physiologisches Problem, das von einem entsprechend ausgebildeten Arzt zu beheben sei, während Priester sich allein der Seelsorge widmen sollten. Vgl. Schoepflin, Christian Science on Trial; Albanese, Nature Religion; Schmidt, Therapieziel und „Menschenbild“; Wiesendanger, Geistiges Heilen. 11 Vgl. Braden, Spirits in Rebellion; Ellenberger, The Unconscious; Numbers / Amundsen (Hg.), Caring and Curing; Ferngren, History of Science and Religion; Schoepflin, Christian Science on Trial; Gill, Mary Baker Eddy. 12 Zu Lourdes und Fatima vgl. z. B. Adler, Lourdes und Fatima; Dierkes, Wallfahrt nach Lourdes.
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mit einer grundsätzlichen Offenheit für neue Ideen und einer Akzeptanz von religiösem Pluralismus, der sich in dem verfassungsrechtlichen Verbot des Staatskirchentums und der Garantie der freien Religionsausübung (First Amendment) widerspiegelt.13 Diese historische Prädisposition der USA bereitete den Nährboden, auf dem Christian Science überhaupt wachsen und gedeihen konnte. Es ist zu bezweifeln, dass es einer religiösen Dissidentin wie Mary Baker Eddy – noch dazu als Frau – im alten Europa gelungen wäre, ihre Religion zu etablieren und so viele Anhänger zu gewinnen wie in den USA. Insofern ist die erfolgreiche Gründung und das Wachstum der Kirche Christi, Wissenschaftler an sich gewissermaßen schon ein „typisch amerikanisches“ Phänomen.14 Darüber hinaus ist die Entstehungsgeschichte von Christian Science geprägt von den geistigen Strömungen, die zur damaligen Zeit das intellektuelle und religiöse Leben der USA durchdrangen. Neuengland zählte zur Zeit Mary Baker Eddys zu den bedeutendsten Zentren philosophischer Diskussionen, und diese beeinflussten mit Sicherheit auch Eddys Denken – und damit die Genese von Christian Science –, ob sie sich dessen bewusst war oder nicht. Es würde zu weit führen, dies hier im Einzelnen zu erläutern, aber auf die wichtigsten dieser philosophischen Strömungen sei zumindest kurz hingewiesen.15 Als Erstes ist in diesem Zusammenhang die originär amerikanische Philosophie des Transzendentalismus zu nennen. Deren Grundgedanken, dass die physikalische Welt gegenüber der spirituellen Welt nur von sekundärer Bedeutung ist und dass jeder Mensch in einer durch individuelle Intuition erfahrbaren Weise mit der göttlichen Over-Soul (Ralph Waldo Emerson) in Verbindung steht, spiegeln sich deutlich in Eddys Lehre wider.16 13 Vgl. Ahlstrom, Religious History; Berg, Historische Dimension; Levy, Religion and the First Amendment; Moore, Religious Outsiders; Ostendorf, (K)eine säkulare Gesellschaft?. 14 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang eine gewisse Parallele zwischen Eddy und Anne Lee, die in den 1770er Jahren in New York die religiöse Gemeinschaft der „Shaker“ gründete. Beide waren erfolgreiche Religionsstifterinnen, beide wurden von ihren Anhängern „Mother“ genannt, und beide propagierten ein zweigeschlechtliches Gottesbild („Father and Mother in Heaven“). Dass Eddy direkt von Lees Lehre inspiriert wurde (wie Jenkins, Cults and New Religions, 54, impliziert), darf man aufgrund der Quellenlage allerdings für eher unwahrscheinlich halten. 15 Natürlich wurde diese Diskussion auch von europäischen Philosophen (v.a. Vertretern des kritischen bzw. transzendentalen Idealismus) mitgeprägt. Auf die Verbindung von CS mit den Denksystemen bestimmter deutscher Philosophen, z. B. Kant, Hegel, Fichte und Schopenhauer, wird später noch eingegangen werden. 16 Zu Ähnlichkeiten, aber auch Unterschieden zwischen CS und dem Transzendentalismus, insbesondere den Schriften von Emerson, vgl. Peel, Christian Science, 11–44 und 103–131; Weiss, Heilslehre der Christian Science, 162–169; Lippy, American Religious Experience, 1126–1127; Moore, Religious Outsiders, 110–111. Manche Kritiker bezeichneten CS auch als „commercialized Transcendentalism“, Moore, Religious Outsi-
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Auch der im 19. Jahrhundert in den USA extrem populäre Spiritismus ist erwähnenswert. Er ging von der Möglichkeit aus, durch mentale Konzentration eine harmonische Verbindung zur geistig-kosmischen Dimension herzustellen, die zum Beispiel dafür eingesetzt werden konnte, mit Geistern bzw. Gemütern (minds) über die Grenzen von Raum und Zeit zu kommunizieren. Obwohl Eddy sich nach längerer Zeit des regen Interesses an spiritistischen Sitzungen später deutlich vom Spiritismus distanzierte, so ist das Prinzip der geistigen Kontaktaufnahme mit anderen Menschen – und damit auch die Möglichkeit, auf mentale Weise bzw. durch Gebet positiv auf deren Gemüt einzuwirken – ein wichtiger Bestandteil der Lehre und Heilungspraxis von Christian Science.17 Die amerikanische Theosophie hat sicherlich ebenfalls zur Genese von Christian Science beigetragen. Denn in Anknüpfung an die griechischen Neuplatoniker (insbesondere die Lehren des Ammonius Sakkas) und fernöstliche Lehren (vor allem die indische Brahma Vidya) betonte die Gründerin der Theosophie, Helena Blavatsky, sowohl die Selbsterkenntnis des Göttlichen im Menschen als auch die Idee eines allumfassenden Bewusstseins (Brahman, Consciousness oder Universal Mind). Dieses Bewusstsein ist laut Blavatsky die Quelle allen materiellen und spirituellen Seins, es ist als einzig wahre Realität anzusehen. Diese im Kern monistische Weltsicht findet sich auch in der Christlichen Wissenschaft.18 ders, 111. Ein gravierender Unterschied zwischen CS und dem Transzendentalismus liegt laut Herr darin, dass CS (im Gegensatz zum Transzendentalismus und Idealismus) „die Welt vollständig ernst“ nimmt und die Existenz des Universums nicht verleugnete. „Eddy folgte nicht der Theorie, dass die kernmäßige Natur der Wirklichkeit im Bewusstsein oder in der Vernunft liegen könnte. Sie führte alles auf Gott selbst zurück, der der Schöpfer ist und alles zum Ausdruck bringt. Es ging ihr um Gott, nicht um Ideen (im philosophischen Sinne).“ Herr, Brief an die Verfasserin, 31. Mai 2006. 17 Zum Spiritismus und seiner Verbindung zu CS vgl. z. B. Brown, Spiritualism; Brandon, Spiritualists; Braude, Radical Spirits; Gottschalk, Harmonialism; Jenkins, Cults and New Religions; Linse, Geisterseher und Wunderwirker. Die CS betont allerdings, dass ein wesentlicher Unterschied zwischen Eddys Lehre und dem Spiritismus (sowie Quimbyismus) darin beruhe, dass alle Heilung laut Eddy stets von Gott ausgeht und nicht vom Menschen. D. h. ein Praktiker kann seinem Patienten zwar durch Gebet dabei behilflich sein, die göttliche Wahrheit zu erkennen, aber „für eine wahre Umwandlung und Heilung nach Eddy kann allein das göttliche GEMÜT Ursache sein“. Herr, Brief an die Verfasserin vom 31. Mai 2006. 18 Gemeinsam mit Henry Steel Olcott gründete Blavatsky 1875 die Theosophische Gesellschaft. Vgl. Cranston, Helena Blavatsky; Lippy, Popular Religiosity, 141–146; Braden, Christian Science Today, 31–32. Trotz der z.T. gravierenden Unterschiede der beiden Lehren (z. B. der theosophischen Akzeptanz des Reinkarnationsglaubens) assoziierten Zeitgenossen Eddy offenbar häufig mit Madame Blavatsky sowie mit Hinduismus oder Buddhismus. Vgl. Weiss, Heilslehre der Christian Science, 152–159; Thomassin, Christian Science, 744–745; Moore, Religious Outsiders, 108–115. Letzterer weist auch auf gemeinsame „okkulte Elemente“ in der frühen CS-Association und der Theosophischen Gesellschaft hin. Peel dagegen unterstreicht die Originalität von CS und betont darum
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Parallel zu diesen religiös-philosophischen Diskussionen in Neuengland breitete sich zudem ab Mitte des 19. Jahrhunderts eine neue geistige Grundstimmung in ganz Amerika aus. Diese als Harmonialism bekanntgewordene Strömung wurde von Sydney Ahlstrom als Form des Glaubens bzw. der Frömmigkeit definiert „in which spiritual composure, physical health, and even economic well-being are understood to flow from a person’s rapport with the cosmos“.19 Es handelte sich dabei um ein weder institutionell noch dogmatisch klar definiertes harmonisches Sehnsuchtsdenken, das in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zahlreiche religiöse Neubildungen und Lebensreformbewegungen in den USA inspirierte. Manche dieser Bewegungen trugen primär praktische, sozialreformerische Charakterzüge, bei anderen lag der Schwerpunkt auf spirituellen Aspekten, bei vielen vermischten sich auch beide Ansätze.20 Allen gemeinsam war, dass sie zu einer Zeit, in der sich durch die Folgen des Bürgerkrieges sowie durch Industrialisierung und Urbanisierung tiefgreifende gesellschaftliche Veränderungen vollzogen und in der neue wissenschaftliche Erkenntnisse (z. B. Darwins Evolutionstheorie) traditionelle Glaubensdogmen in Frage stellten, den verunsicherten Menschen sowohl eine neue Orientierung und Heilsgewissheit versprachen als auch praktische Methoden anboten, um Gesundheit und spirituelle Lebensenergie zu stärken.21 Diejenigen religiösen Gruppen, die sich vor allem auf die geistige Kontrolle des Körpers konzentrierten, wurden später als „religion of healthymindedness“ (William James) oder „physical religions“ (Catherine Albanese) deren Unterschiede zu Theosophie, Transzendentalismus und anderen zeitgenössischen Lehren. Vgl. Peel, Christian Science, besonders 47–48, 67–70 und 110–111. 19 Ahlstrom, Religious History, 1020, vgl. auch Gottschalk, Harmonialism, 901. 20 Fast alle religiösen Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts hatten auch lebensreformerische Aspekte (z. B. die Mormonen, die Zeugen Jehovas, die Adventisten und die Christlichen Wissenschaftler), und die großen sozialen Lebensreformbewegungen der damaligen Zeit waren ihrerseits auch oft mit religiösen Motiven durchsetzt (z. B. die Temperance-Bewegung, der Vegetarismus und andere neue Ernährungslehren, die Conservation- und letztendlich auch die Frauenrechtsbewegung). Zur Ernährungs- und Bewegungslehre des Adventisten John Harvey Kellog s. Schwarz, Kellogg, zur Anti-Alkohol-Bewegung s. Blocker, Temperance, zum Conservation Movement s. Hays, Conservation, und Fox, John Muir, 198. Zur Rolle der Frauen in religiösen und sozialen Reformbewegungen der Zeit s. Braude, Women and Religion, King, Women and Spirituality; Satter, Each Mind a Kingdom. 21 Die Auswirkungen der Reconstruction Era auf die amerikanische „Volksgesundheit“ werden später noch eingehender diskutiert. Vgl. auch Lippys Kommentar: „What gave particular currency to these claims [of the physical religions] in the later nineteenth century was the way they restored power and access to a superior realm of power to ordinary men and women whose daily lives seemed devoid of power as the impersonality of city and factory replaced the village and farm as the locus of economic life.“ Lippy, Popular Religiosity, 144, s. auch ebd., 140–181. Zum Zusammenhang zwischen gesellschaftlichen Veränderungen in den USA und neuen Formen der Religiosität (inkl. fundamentalistischer und charismatischer Bewegungen) zwischen den 1870er und 1920er Jahren s. auch Lears, Antimodernism.
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bezeichnet.22 Gemeinsamer Grundtenor ihres Glaubens war, dass das Böse im Grunde eine Illusion sei, dass hinter jeder materiellen Wahrnehmung eine spirituelle Wahrheit stehe, und dass der menschliche Geist durch Anwendung der richtig verstandenen jeweiligen Lehre diese Wahrheit erkennen und somit alle unharmonisch-schädlichen Manifestationen der Disharmonie im eigenen Körper oder Geist überwinden könne. Das konkrete Ziel all dieser „physical religions“ (z. B. Christian Science, Theosophie oder die New ThoughtSchule)23 war eine auf spirituellem Wege individuell erzielte Heilung aller mentalen, emotionalen und körperlichen Krankheiten und Probleme.24 Darüber hinaus beschrieben viele den Zugang zur Erkenntnis der göttlichen Wahrheit zugleich als unerschöpfliche Kraftquelle, die sich jeder Mensch nutzbar machen könnte.25 Bemerkenswert ist hierbei, dass drei inhärente Charakteristika diesen Lehren allen gemeinsam waren und von jeher – nicht zu unrecht – als typisch amerikanische Züge perzipiert worden sind: ihr ausgeprägter Individualismus (Heil bzw. Heilung ist nicht an den Rahmen der Gemeinschaft oder Kirche gebunden, sondern vollzieht sich primär durch individuelle Erkenntnis), der große Optimismus (Gott und die kosmischen Kräfte sind gut und alle menschlichen Probleme jetzt und hier lösbar) und die praktische Anwendbarkeit (die geistige Erkenntnis bringt sichtbare körperliche Heilung bzw. materiellen Gewinn).26 Im Zusammenhang mit Christian Science formuliert Caroline Fraser dies folgendermaßen: 22 Vgl. James, Religious Experience; Albanese, Nature Religion; Lippy, Popular Religiosity, 140-141; Gottschalk, Harmonialism, 901. 23 In der New Thought Convention schlossen sich 1890 in Hartford, CT, Gruppen wie z. B. die Divine Science Association, die Unity School of Christianity oder die First Church of Religious Science zusammen, um die International New Thought Alliance (INTA) zu gründen. S. Braden, Spirits in Rebellion; Lippy, Popular Religiosity, 140–161. Für eine detaillierte Differenzierung zwischen CS und anderen Gruppen des New Thought-Movement s. Gottschalk, Harmonialism, 901–916; Braden, Spirits in Rebellion; Jenkins, Cults and New Religions; Juda, Metaphysical Movements; Parker, Mind Cure. 24 Formen des spirituellen Heilens finden sich auch in der Holiness-Bewegung des späten 19. Jahrhunderts (z. B. bei Charles Parham oder William J. Seymour) und den charismatisch-evangelikalen Bewegungen des frühen 20. Jahrhunderts wieder (z. B. bei Aimee Semple McPherson und Kathryn Kuhlman, in Deutschland u.a. bei Bruno Gröning). Allerdings ist hier im Unterschied zur Mind Cure bzw. den „physical religions“ des 19. Jahrhunderts die Heilung eine besondere „Geistesgabe“, die an die Person des Heilers bzw. der Heilerin gebunden ist und meist öffentlich (z. B. im Rahmen großer Erweckungsgottesdienste) vollzogen wird. S. Epstein, Sister Aimee; Eich, Bruno Gröning; Morris, The Preachers, 235–252; Lippy, American Popular Religion, 225–233 und 263–270. 25 Vgl. hierzu z. B. Eddys Aussage: „To live so as to keep human consciousness in constant relation with the divine, the spiritual, and the eternal, is to individualize infinite power; and this is Christian Science.“ Erste Kirche, 160. 26 Fast alle Schriften, die seit der Gründung von Außenstehenden über CS verfasst wurden, verweisen auf diese drei Elemente und nutzen vor allem Letzteres für scharfe Kritik, worauf später noch eingegangen wird.
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Mary Baker Eddy’s doctrine that man is a perfect manifestation of a perfect God is an extreme amalgam of Calvinist perfectionism, Ben Franklin’s do-it-yourself pragmatism, the Transcendentalists’ rejection of „the illusions of sense“, and Emersonian self-reliance.27
In jedem Fall trug die Kompatibilität dieser Grundeigenschaften der „physical religions“ mit traditionellen amerikanische Idealen – gemeinsam mit der bereits erwähnten Offenheit der USA für neue religiöse Ideen sowie einem vom Harmonialism bestimmten Zeitgeist dazu bei, dass die verschiedenen Formen des „geistigen Heilens“ in Amerika wesentlich mehr Anerkennung und Zulauf erfuhren, als dies zur gleichen Zeit in Europa der Fall war. Hier machte etabliertes Staatskirchentum die Gründung neuer Religionsgemeinschaften deutlich schwieriger als in den USA, weswegen alternative religiöse Energien hauptsächlich in die Unterstützung von Lebensreformbewegungen (z. B. dem vegetarischen Pazifismus, der Freikörperkultur, der Gartenstadt-, der Wandervogel- und der Völkischen Bewegung), spiritistisch-wissenschaftlichen Verbänden (wie dem 1906 gegründeten Deutschen Monistenbund) oder religiös überhöhtem Radikalnationalismus flossen.28 Trotzdem sollte nicht vergessen werden, dass zwei der bedeutendsten geistigen Väter des geistigen Heilens, Swedenborg und Mesmer, Europäer waren. Der schwedische Wissenschaftler und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688 bis 1772), dessen naturwissenschaftliche Schriften in seiner Heimat hoch angesehen waren, fand für seine theologisch-visionären Ideen dort nur wenig Verständnis, dafür jedoch umso mehr auf der anderen Seite des Atlantiks. Seine „Lehre von den Entsprechungen“ besagt, dass alles Sein und Leben, sowohl das Himmlische als auch das Geistige und das Materielle, von Gott ausgehen, dass alle Teile der physischen Welt einen direkten Gegenpart in der spirituellen Welt haben und dass geistige Kräfte mit der materiellen Welt kommunizieren bzw. auf sie einwirken können.29 In den Werken vieler großer amerikanischer Denker des 19. Jahrhunderts finden sich Spuren des Swedenborgianismus (z. B. bei Henry James, Henry David Thoreau und Ralph Waldo Emerson). Vor allem wurden die Ideen Swedenborgs jedoch durch den ehemaligen Methodistenpfarrer Warren Felt Evans popularisiert, der sie mit denen des deutschen Arztes Franz Anton Mesmer (1734 bis 1815) kombinierte.30 27 Fraser, God’s Perfect Child, 17. 28 Vgl. z. B. Linse, Barfüßige Propheten; Linse, Geisterseher und Wunderwirker; Grisko, Freikörperkultur; Simon-Ritz, Die freigeistige Bewegung; Puschner u.a., Völkische Bewegung. Auf die geistesgeschichtliche Entwicklung in Europa bzw. im wilhelminischen Deutschland wird im nächsten Kapitel noch näher eingegangen. 29 Die anthropozentrische Jenseitsvorstellung von Swedenborg findet sich später z. B. in der Theosophie und der Anthroposophie wieder. Vgl. hierzu Noack, Swedenborg und Lorber; Lagercrantz, Leben auf der anderen Seite; van Dusen, Mensch im Kraftfeld. 30 Mit seinen drei Erfolgsbüchern Mental Cure (1869), Mental Medicine (1872) und The Divine Law of Cure (1881) zählt der heute fast völlig in Vergessenheit geratene Evans
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Mesmer glaubte, ein unsichtbares, das ganze All durchströmendes „Fluidum“ entdeckt zu haben, das den Geist bzw. die Seele (anima) aller Menschen in ähnlicher Weise durchdringe und beeinflusse wie der Mineralmagnetismus die materielle Welt. Er nannte dieses Phänomen darum „animalischen Magnetismus“. Wurde der freie Fluss dieser geistig-magnetischen Strömungen im Menschen gestört, so verursachte dies seiner Ansicht nach psychische und physische Erkrankungen. Besonders begabte Personen konnten jedoch, laut Mesmer, das magnetische Fluid in sich aufnehmen und durch mentale Konzentration dessen Strom in anderen Personen beeinflussen bzw. wieder normalisieren. In der Praxis versetzte Mesmer seine Patienten in einen Zustand der (damals noch unbekannten) Hypnose, in dem sie für Suggestion besonders empfänglich waren. Tatsächlich konnte er die Leiden vieler Patienten lindern, vor allem solche psychosomatischer Natur. Nach zunächst großer Popularität (in Paris kam es zu einer regelrechten „Mesmeromanie“) wurde seine Lehre jedoch von der französischen Akademie der Wissenschaft als unwissenschaftlicher Schwindel diskreditiert, und Mesmer verlor sowohl seinen guten Ruf als auch sein Vermögen. In den USA aber wurde seine Methode zu einer der wichtigsten Therapieansätze der Mind Cure-Bewegung, insbesondere auch in der durch Phineas P. Quimby weiterentwickelten Form, auf die später noch eingegangen wird.31 Offenbar zeigte erst die Evansche Interpretation der Lehre Swedenborgs eine Möglichkeit auf, den an sich nicht religiösen Mesmerismus erfolgreich in ein alternatives spirituelles Gedankensystem mit christlichen Wurzeln einzubetten. So wurden zwei ursprünglich voneinander unabhängige europäische Denksysteme in den USA in einer Weise fusioniert, die für die Entwicklung der „physical religions“ und damit auch für Christian Science von entscheidender Bedeutung war.32 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass die Lehre Mary Baker Eddys tief im geistesgeschichtlichen Nährboden Amerikas verwurzelt ist und viele der hier angeführten geistigen Strömungen und Lehren in sich aufgezu den Pionieren der amerikanischen Mind-Cure-Bewegung. Vgl. Gottschalk, Harmonialism, 903–904; Lippy, Popular Religiosity, 81–82 und 141; Schoepflin, Christian Science on Trial, 7–8; Teahan, Warren Evans. 31 Heute sehen viele Mesmers Methode als Vorläufer der Suggestionstherapie. Zu Mesmer und dem Einfluss seiner Lehre in den USA vgl. Fuller, Mesmerism; Teahan, Warren Evans; Hohenester, Mesmer; Wolters, Mesmerismus; Zweig, Heilung durch den Geist, 29–124. Interessanterweise stießen die Schriften des deutschen Arztes und Magnetismusforschers Johann Karl Passavant, der schon in den 1840er und 1850er Jahren eine „christliche Form“ der Magnetismuslehre zu entwickeln suchte, in Europa bei weitem nicht auf eine vergleichbare Resonanz wie die von Evans in den USA. Passavants Schriften wurden erst in den 1920er Jahren von der Christlichen Wissenschaftlerin Marie Schön wiederentdeckt. 32 Vgl. Gottschalk, Harmonialism, 903; Peel, Christian Science, 114; Lippy, Popular Religiosity, 141; Schoepflin, Christian Science on Trial, 7.
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nommen und weitergeführt hat. Als religiöse Neuschöpfung mit wissenschaftlichem Erkenntnisanspruch steht sie im Grunde genau an der Schnittstelle zwischen szientistischem Aufklärungsdenken und romantischem Holismus.33 Insofern ist die Christliche Wissenschaft ein Produkt ihrer Entstehungszeit, war dieser jedoch in mancher Hinsicht – insbesondere in Bezug auf die erfolgreiche Umsetzung eines ganzheitlichen Heilungsansatzes – auch um einiges voraus.34 All diese Eigenschaften trugen ohne Zweifel zur beachtlichen Verbreitung von Eddys Lehre bei, die innerhalb der zahlreichen amerikanischen Mind Cure- und New Thought-Gruppen des 19. Jahrhunderts schon bald als die am schärfsten profilierteste hervortrat. Da sie als einzige dieser Gruppen eine gut strukturierte Kirche mit eigener Dogmatik und international anerkannten Medien hervorgebracht hat (die heute noch in über sechzig Ländern der Welt vertreten ist), ist sie historisch gesehen sicherlich auch die bedeutendste. Dieser Erfolg von Christian Science beruhte allerdings nicht nur auf den Inhalten der Lehre, sondern auch auf spezifischen zeitgeschichtlichen Umständen sowie den außergewöhnlichen Charaktereigenschaften und Fähigkeiten ihrer Gründerin, worauf im Folgenden näher eingegangen werden soll. I.2. MARY BAKER EDDY, DIE „ENTDECKUNG“ VON CHRISTIAN SCIENCE UND DIE ORGANISATION DER KIRCHE CHRISTI, WISSENSCHAFTLER Die Gründerin der Christlichen Wissenschaft, Mary Baker Eddy, zählte zu den einflussreichsten und zugleich kontroversesten Persönlichkeiten Amerikas. Sogar ihr großer Widersacher Mark Twain sagte einmal über sie: „In several ways she [Eddy] is the most interesting woman that ever lived, and the most extraordinary.“35 33 Eddys Lehre verbindet Wissenschaftsgläubigkeit und ganzheitlich-spirituelle Religiosität in besonderer Weise, z. B. die „wissenschaftliche Erkenntnis göttlicher Gesetzmäßigkeiten“ mit einem intuitiv-innigen Verhältnis zu einem als allgegenwärtige Liebe verstandenen Gott (vgl. Kapitel I.3.). Neben Christian Science ist übrigens auch der Spiritismus eine Glaubensform, die in der Zwischenzone von szientistischem und romantischem Denken einzuordnen ist. Hierzu und zum verbreiteten „Grenzgängertum“ vieler Gelehrter zwischen Physik und Metaphysik in dem sowohl von antipositivistischen als auch von modernisierenden Tendenzen geprägten fin de siècle vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker; Simon-Ritz, Die freigeistige Bewegung; Waldrich, Karl Friedrich Zöllner; s. auch Kapitel II.2. 34 Manche Erkenntnisse Eddys erinnern an Thesen der modernen Psychoanalyse, und es gibt in Bezug auf ganzheitliches Heilen manche Parallelen zwischen Christian Science und alternativen Therapieansätzen sowie zur Esoterik des 20. und 21. Jahrhunderts. Hierauf wird im letzten Kapitel noch eingegangen. 35 Twain, Christian Science, 60, auch zit. in Gardner, Mary Baker Eddy, 199; zur zeitge-
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Wohl kaum eine andere Religion ist in Bezug auf ihre Lehre, ihre kirchliche Organisation und das tägliche Leben ihrer Anhänger derartig von einer einzigen Person bestimmt worden wie Christian Science von Mary Baker Eddy. Zwar ist es im Rahmen dieser Untersuchung nicht zwingend notwendig, genauer auf Eddys Biographie einzugehen, aber angesichts ihrer zentralen Bedeutung für die Christliche Wissenschaft soll den nachfolgenden Überlegungen zumindest ein kurzer Überblick über die wichtigsten Stationen von Eddys Leben und ihrer Rolle als Religionsstifterin vorangestellt werden. Mary Baker Eddy wurde am 16. Juli 1821 als sechstes und jüngstes Kind einer relativ wohlhabenden Farmerfamilie in Bow (New Hampshire) geboren. Ihre Eltern, Mark und Abigail Baker, gehörten als fromme Calvinisten einer kongregationalistischen Gemeinde an. Mary war zeitgenössischen Quellen zufolge ein außergewöhnlich sensibles, tiefgläubiges Kind, das oft betete und, in Ablehnung des strengen, zuweilen finsteren Glaubens des Vaters, unter Anleitung der Mutter schon früh ein inniges Verhältnis zur Bibel entwickelte. Ihr intensiver, ernsthafter und immer auf die Heilige Schrift bezogener Glaube an die Liebe Gottes und an Jesus Christus als Erlöser der Menschen blieb ihr Leben lang – auch unter dem Einfluss all der o.g. geistigen Strömungen – das tragende Fundament für Eddys geistige Entwicklung. Aufgrund ihrer zerbrechlichen Gesundheit konnte sie keine öffentliche Schule besuchen, erwarb jedoch autodidaktisch, v.a. mit Hilfe der ihr durch einen älteren Bruder zugänglich gemachten Literatur, ein beachtliches Grundwissen antiker und zeitgenössischer Schriftsteller und Philosophen.36 Mit 22 Jahren heiratete Eddy ihren ersten Mann, George Washington Glover, der jedoch schon sechs Monate später an Gelbfieber starb. Die junge Witwe zog wieder in das Haus ihrer Eltern, wo sie wenige Wochen später, am 11. September 1844, ihren einzigen Sohn zur Welt brachte. Danach war sie jedoch gesundheitlich derart angegriffen, dass ihre Familie das Kind in Pflege gab und es auch später, trotz einiger Versuche seiner Mutter, nie wieder in ihre Obhut kam. Eddy blieb fortan kränklich. Da sie zu schwach war, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, zog sie nach dem Tod ihrer Mutter und der Wiederverheiratung des Vaters 1849 zu ihrer wohlhabenden Schwester Abigail Baker Tilton. 1853 heiratete sie den Zahnarzt Daniel Patterson. Die Ehe war jedoch von Anfang an nicht sehr glücklich, und Eddys chronische Rücken-, Magen- und Darmbeschwerden verschlimmerten sich. Als ihr Mann während des Bürgerkriegs 1862 von den Konföderiertentruppen gefangen genommen wurde, blieb Eddy krank und mittellos zurück. Nachdem ihr weder inständiges Beten noch die ärztliche Kunst der Zeit oder alternössischen Perzeption Eddys s. auch Gill, Mary Baker Eddy, xviii. Zu Twains literarischem Feldzug gegen CS, vgl. sein erstmals 1907 erschienenes Buch Christian Science sowie Gardner, Mary Baker Eddy, 179–200; Gill, Mary Baker Eddy, 450–463; Fraser, God’s Perfect Child, 123–127. 36 Vgl. Gill, Mary Baker Eddy; Peel, Years of Discovery.
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native Heilmethoden wie Homöopathie und Wasserkuren hatten helfen können, gesund zu werden, setzte Eddy nun ihre letzte Hoffnung auf einen bekannten „Wunderheiler“ der Zeit: Phineas Parkhurst Quimby.37 Quimby, ein ehemaliger Uhrmacher mit außergewöhnlicher hypnotischsuggestiver Begabung, war einer der bekanntesten mesmeristischen „Heiler“ der damaligen Zeit. Allerdings hatte er aufgrund seiner eigenen Erfahrungen die Lehre Mesmers um einiges erweitert bzw. verändert. Das innere Selbst des Menschen sei nicht an den Körper gebunden, sondern könne, so Quimby, als geistige Kraft auch jenseits von Zeit und Raum wirken. Entscheidend sei nicht das, was ein Mensch mit seinen Sinnen wahrnehme, sondern das, was ihm wirklich erscheine, und diese Wahrnehmung würde maßgeblich von einem wechselseitigen mentalen Einfluss der Menschen untereinander bestimmt. Um seine Patienten zu heilen, ging Quimby darum in drei Schritten vor: Erstens stellte er eine rein telepathische Diagnose der Beschwerden des Kranken (mental diagnosis), zweitens gab er ihm eine „Erklärung der Wahrheit“, die den Patienten erkennen ließ, dass dessen Gesundheit die Wahrheit, seine Krankheit dagegen ein Irrtum sei (explanation), drittens kommunizierte er direkt mit dem Bewusstsein des Patienten, „übernahm“ dessen Beschwerden und übermittelte ihm seine eigene Gesundheitsgewissheit (silent method). Dabei saß Quimby seinen Patienten gegenüber, hielt zu Beginn der Behandlung ihre Hand und massierte ihnen zuweilen mit angefeuchteten Händen den Kopf. Auch wenn letztere Praxis noch stark an Mesmer erinnerte, so beruhte Quimbys Heilungsansatz im Gegensatz zum reinen Mesmerismus nicht mehr auf einem materialistischen, sondern auf einem idealistischen Wirklichkeitsbegriff. Er ging davon aus, dass der körperliche Zustand des Menschen allein die Widerspiegelung seines Bewusstseinszustandes war.38 Quimbys Methode, die er selbst als „The Science of Life and Happiness“ bezeichnete, ist somit definitiv als ein „geistiges Heilen“ zu bezeichnen und bildete eine wichtige Vorstufe auf dem Weg zur Entstehung der Christlichen Wissenschaft. Im Unterschied zu dieser spielten bei Quimbys Ansatz religiöse Motive jedoch nicht die vorrangige Rolle. Seine Ideen wurzelten zwar in der oben beschriebenen harmonistisch-religiösen Philosophie von der Unbegrenztheit des Geistes und der universalen Liebe Gottes zu den Menschen, aber ein konkreter Bezug auf Gott bzw. auf Jesus Christus als denjenigen, der 37 Gill beschreibt, dass die gesundheitliche sowie finanzielle Not und persönliche Isolation bei Eddy auch eine Glaubenskrise ausgelöst hatte; sie fühlte sich nicht nur von allen Menschen im Stich gelassen, sondern fürchtete auch, von Gott verlassen zu sein. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 3–115; Peel, Years of Discovery. 38 Die umfassendste Veröffentlichung zu Quimby und seinem Werk ist die dreiteilige Edition seiner Schriften durch Ervin Seale, Phineas Parkhurst Quimby: The Complete Writings (1988). Eine gute Analyse der Bedeutung von Quimby innerhalb der Mind-Cureund New-Thought-Bewegung findet sich auch bei Braden, Spirits in Rebellion; Albanese, Nature Religion; Gill, Mary Baker Eddy.
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heilt, war kein fest integrierter Bestandteil des Quimbyschen Heilungskonzeptes.39 Für die inzwischen völlig geschwächte, teilweise sogar gelähmte Eddy war die Begegnung mit Quimby im Herbst 1862 der Wendepunkt ihres Lebens. Nach wenigen Tagen seiner Behandlung fühlte sie sich zum ersten Mal seit vielen Jahren völlig beschwerdefrei, gesund und voll neuen Lebensmuts. Begeistert von seiner Methode, in der sie eine Form des biblischen Heilens zu erkennen glaubte, wurde Eddy zunächst eine engagierte Schülerin, dann Mitarbeiterin und enge Vertraute Quimbys. Sein Tod im Januar 1866 war ein schwerer Schlag für sie.40 Doch der plötzliche Verlust ihres Mentors trieb Eddy dazu, wenn auch zunächst unfreiwillig, sich selbst zu helfen, statt sich auf Quimbys Rat zu verlassen. Dies wiederum öffnete gewissermaßen die Tür zu einer unabhängigen Weiterentwicklung ihrer eigenen Vorstellungen vom geistigen Heilen. Zum Schlüsselerlebnis wurde hierbei zwei Wochen nach dem Tod Quimbys ein Sturz auf einer vereisten Straße in Lynn, Massachusetts. Die Verletzungen, die sich Eddy hierbei zuzog, waren ihrer eigenen späteren Beschreibung zufolge so schwer, dass sie dem Tode nahe war und der herbeigerufene Arzt ihren Fall als hoffnungslos aufgab. Am dritten Tag nach dem Sturz, einem Sonntag, habe sie jedoch ihr Herz ganz Gott zugewandt, die Bibel aufgeschlagen und sich in die Geschichte der Heilung des Gelähmten (Matthäus 9, 2) vertieft. Dabei sei ihr die wahre Bedeutung der Worte Jesu „Stehe auf!“ für sich selbst bewusst geworden, wodurch eine sofortige Genesung eintrat: „As I read, the healing Truth dawned upon my sense; and the result was that I rose, dressed myself, and ever after was in better health than I had before enjoyed.“41
39 Noch zu Lebzeiten Eddys, ausgelöst durch diesbezügliche Publikationen der Dresser Familie, entstand ein erbitterter, z.T. bis heute andauernder Streit zwischen Anhängern Quimbys, die behaupten, Eddy hätte all ihre Ideen nur von diesem abgeschrieben und ihre Lehre sei ein Quimby Plagiat, und Christlichen Wissenschaftlern, die dagegen halten, Eddy sei keine Anhängerin des Quimbyismus gewesen, sondern habe sein System als falsch erkannt und verworfen. Beides stimmt so nicht. Allerdings ist die Frage, ob nicht auch Quimby zuweilen christliche Elemente in seine Heilpraxis einbezog, aufgrund der unklaren Quellenlage wohl kaum eindeutig zu klären. Zu Einzelheiten der Quimby-Eddy Kontroverse vgl. Dresser, History of Mental Science; Dresser, Quimby; Dresser, The New Thought Movement; Dresser, Quimby Manuscripts; Gardner, Mary Baker Eddy; Braden, Spirits in Rebellion; Reimer, Metaphysisches Heilen; Seale, Quimby; Fraser, God’s Perfect Child; Gill, Mary Baker Eddy. 40 Unter dem Titel „On the Death of P.P. Quimby, Who Healed with the Truth that Christ Taught“ veröffentlichte Eddy ein Gedicht im Lynn Advertiser, welches ihrem Schmerz über den Verlust ihres Freundes und Mentors Ausdruck gab. Vgl. Powell, Mary Baker Eddy, 79; Braden, Christian Science Today, 20. 41 Vermischte Schriften, 24; vgl. Braden, Christian Science Today, 20; Gill, Mary Baker Eddy, 162–163; Powell, Mary Baker Eddy, 79 und 95.
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Bei dieser Jahre später verfassten Schilderung von Eddys wundersamer Spontanheilung handelt es sich wohl weniger um einen historischen Tatsachenbericht als um die stilisierte Darstellung eines religiösen Erweckungserlebnisses.42 Neben diesem Wunder, „am dritten Tage (vom Krankenbett) auferstanden zu sein“, konstruierte Eddy später auch noch andere Parallelen zwischen ihrem Leben und dem Leben Jesu. Wahrscheinlich wollte sie damit ihre Autorität als Begründerin einer neuen christlichen Lehre durch besondere „Zeichen“ und „göttliche Offenbarungen“ legitimieren.43 Aber selbst wenn ihre Verletzungen vielleicht nicht lebensbedrohlich waren und ihre vollständige Genesung vermutlich mehrere Wochen dauerte, so ist entscheidend, dass es der seit so langer Zeit kränklichen, leidenden Mary Baker Eddy im Frühjahr 1866 zum ersten Mal gelang, ohne fremde Hilfe, allein durch eigene Erkenntnis und das Vertrauen in die göttliche Heilkraft, ihren Gesundheitszustand dramatisch zu verbessern. Diese Erfahrung bestimmte von nun an ihr Leben, und sie verstand ihre Heilung als Schlüssel zu der ihr durch göttliche Offenbarung zuteil gewordenen Erkenntnis der „Wissenschaft des Christus“, der endgültigen „Offenbarung des absoluten göttlichen PRINZIPS des wissenschaftlichen mentalen Heilens“.44 Geistige Heilung war laut Eddy nicht vom mentalen Einfluss dritter Personen, nicht von besonderer persönlicher Begabung oder anderen unberechenbaren Faktoren abhängig, sondern beruhte allein auf dem Wirken systematischer göttlicher Gesetze bzw. der Fähigkeit, diese Gesetze zu erfassen und anzuwenden. Eddy verstand ihre Entdeckung als eine „metaphysische Wissenschaft“ und zugleich als die Wiederentdeckung des „ursprünglichen Christentums und seines verlorengegangenen Elements des Heilens“, darum gab sie ihr den Namen „Christian Science“.45 Um diese Christliche 42 Mehrere Quellen, darunter auch Briefe aus Eddys eigener Hand, bezeugen, dass ihre Heilung keineswegs so spontan und vollständig war, wie später vorgegeben. So bat sie z. B. zwei Wochen nach dem Sturz einen anderen Schüler Quimbys, Julius Dresser, schriftlich um seine Hilfe und verklagte im Sommer 1866 die Stadt Lynn, als Verantwortliche für den gefährlichen Zustand der Straße, auf Schadensersatz für „schwere und voraussichtlich unheilbare Verletzungen“, die sie sich durch den Sturz im Februar zugezogen habe. Vgl. hierzu Gill, Mary Baker Eddy, 161–166; Braden, Christian Science Today, 20–22; Fraser, God’s Perfect Child, 52–54. 43 Von ihren Gegnern wurde Eddy wegen dieser Stilisierungen heftig angegriffen und ihre Lehre als Produkt einer notorischen Lügnerin diskreditiert. Vgl. z. B. Twain, Christian Science; Dresser, History of Mental Science; Cather / Milmine, Mary Baker Eddy; Gardner, Mary Baker Eddy. Die Rückführung der eigenen Autorität auf eine direkt von Gott legitimierte ist jedoch ein Verhalten, das sich bei fast allen Religionsstiftern beobachten lässt. Für Eddys Erfolg war dies von besonderer Bedeutung, da sie als Frau und gesellschaftliche Außenseiterin noch schwerer als andere um Anerkennung ringen musste, v.a. angesichts der großen Konkurrenz durch andere Mind-Cure-Lehren. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 164–166; Moore, Religious Outsiders, 121–122. 44 Science and Health, 107. 45 Ebd. Wohl um die Wissenschaftlichkeit ihrer Lehre zu betonen, vergleicht Eddy im
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Wissenschaft auch anderen Menschen zugänglich zu machen, widmete sich Eddy in den nächsten Jahren – einer Zeit großer persönlicher und finanzieller Schwierigkeiten – sowohl der Heilpraxis als auch der intensiven Arbeit an einem Lehrbuch.46 Die erste Ausgabe von Science and Health with Key to the Scriptures (im Folgenden S&H abgekürzt) erschien schließlich 1875.47 Dieses Buch, das Eddy bis zu ihrem Lebensende weiter verbesserte, erweiterte und viermal fundamental revidierte, ist das zentrale Hauptwerk der Christlichen Wissenschaft. Für ihre Anhänger hat das in 18 Kapitel eingeteilte 700 Seiten lange Werk Offenbarungscharakter. Jedes Kirchenmitglied besitzt es und studiert es täglich, nur aus ihm darf Christian Science gelehrt werden, und nur sein Text wird neben der Bibel jeden Sonntag im Gottesdienst zitiert. Schon zu Lebzeiten Eddys gewann S&H somit gleichsam kanonische Geltung und ist bis heute das Fundament der Lehre und Praxis von Christian Science.48 1891 erschienenen Rückblick und Einblick ihre „Entdeckung“ von CS auch indirekt mit Newtons Entdeckung der Gravitationslehre: „My immediate recovery […] was the falling apple that led me to the discovery how to be well myself, and how to make others so.“ Zit. in Braden, Christian Science Today, 20; Gill, Mary Baker Eddy, 162–163; s. auch Powell, Mary Baker Eddy, 79 und 95. Vgl. hierzu auch Gill, Mary Baker Eddy, 167–168; Herr, Christliche Wissenschaft, 49–50; John, Lebenseinstellung, 126–171. Zu kritischen Stellungnahmen, denen zufolge CS weder eine Naturwissenschaft noch eine Metaphysik ist, vgl. z. B. Weiss, Heilslehre der Christian Science; Gardner, Mary Baker Eddy. Selbst der CS gegenüber sehr positiv eingestellte Wolf von Metzsch-Schilbach sagt, man könne CS eigentlich keine „Wissenschaft“ nennen, „die Lehre ließe sich treffender als ‚Erkenntniswissen‘ im Sinne von ‚Gnosis‘ oder als ‚Weisheit‘, ‚sophia‘ denn als ‚Wissenschaft‘ im eigentlichen Sinne bezeichnen“. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 134. 46 1866 kam es zur endgültigen Trennung von Daniel Patterson (die Scheidung erfolgte 1873) und zum Bruch mit ihrer Familie, insbesondere mit ihrer Schwester Abigail. Diese verweigerte Eddy wegen ihres neuen „Irrglaubens“ jede weitere finanzielle Unterstützung, so dass diese trotz einiger Heilungserfolge bis Anfang der 1870er Jahre in sehr ärmlichen Verhältnissen leben musste. Ihre Abhängigkeit von der Gunst von Freunden und Anhängern, die ihr Obdach gewährten, hatte auch zahlreiche, oft unfreiwillige Umzüge zur Folge. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 169–187; Peel, Years of Discovery, 201–227; Braden, Christian Science Today, 22–26. 47 Alle im folgenden Text angeführten Zitate aus Science and Health stammen aus der autorisierten englisch-deutschen Lehrbuchausgabe von 1998. 48 Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 209–233; Peel, Christian Science, 47–67; Braden, Christian Science Today; Reimer, Metaphysisches Heilen, 23–25. Kritiker, z. B. Twain, Christian Science, Cather / Milmine, Mary Baker Eddy, Gardner, Mary Baker Eddy, Reimer, Metaphysisches Heilen, und Zweig, Heilung durch den Geist, haben Science and Health als unsystematisch, unverständlich, widersprüchlich und literarisch minderwertig bezeichnet. In der Einleitung seiner Studie nennt Weiss das Buch ein „völlig chaotisches Sammelsurium von Aphorismen“, Weiss, Heilslehre der Christian Science, v. Der Text ist für Außenstehende, die eine systematisch-lineare Darstellung der Lehre Eddys erwarten, tatsächlich nicht leicht zugänglich. Es handelt sich eher um die auf bestimmte Themen konzentrierte, oft thesenhafte Vermittlung von CS als Heilswahrheit. Eddy
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Mit der Veröffentlichung von S&H vollzog Eddy den ersten Schritt zur Institutionalisierung ihrer Lehre. Der zweite war die Gründung einer Gemeinde. Schon seit Ende der 1860er Jahre hatte sie einen langsam wachsenden, informellen Kreis von Schülern um sich geschart und 1870 zusammen mit einem dieser Schüler (Richard Kennedy) in Lynn eine kleine Heilpraxis eröffnet. Aber nachdem es innerhalb der Gruppe eine Reihe von heftigen Auseinandersetzungen – vor allem um die Form der Ausübung von Christian Science – gegeben hatte (in deren Verlauf auch die Partnerschaft mit Kennedy zerbrach), beschloss Eddy, eine neue Glaubensgemeinschaft aufzubauen, in der ihre Führungsautorität unangefochten sein würde. Nur so glaubte sie, die Reinheit ihrer Lehre bewahren zu können.49 1875 begann sie in einem durch Spendengelder erworbenen Haus in Lynn (dem Christian Scientists’ Home), regelmäßige Sonntagsfeiern für ihre Anhänger durchzuführen. Im folgenden Jahr wurde die erste Christian Scientists’ Association gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern dieser Organisation gehörte auch der ehemalige Weber Asa Gilbert Eddy, den Mary Baker 1877 heiratete. Diese dritte Ehe war im Gegensatz zu der vorherigen von großer Harmonie und enger Zusammenarbeit geprägt; sie endete allerdings schon nach fünf Jahren durch den frühzeitigen Tod Asa Eddys.50 1879 gründeten die Mitglieder der Christian Scientists’ Association auf Eddys Anregung hin eine eigene Kirche in Boston, die Church of Christ, Scientist (Kirche Christi, Wissenschaftler). Eddy war sowohl die Präsidentin der Kirche, die deren Glaubenssätze und Statuten verfasste, als auch ihre Pastorin, die regelmäßig sonntags predigte. 1881 erhielt sie darüber hinaus die staatliche Genehmigung zur Einrichtung eines neuen Instituts für mentales
selbst betonte die göttliche Inspiration ihres Lehrbuchs: „No human pen nor tongue taught me the Science contained in this book, Science and Health; and neither tongue nor pen can overthrow it […] the Science and truth therein will forever remain to be discerned and demonstrated.“ Science and Health, 110. Vor den Lesungen wird im CSSonntagsgottesdienst die folgende Erklärung verkündet: „Die kanonischen Schriften (der Bibel) bilden in Verbindung mit dem Worte unseres Lehrbuches eine von der Wahrheit ungetrennte Predigt, die durch keine menschlichen Hypothesen verfälscht und beschränkt wird und göttlich autorisiert ist.“ Zit. in Reimer, Metaphysisches Heilen, 74. 49 Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 188–208; Braden, Christian Science Today, 26–30. 50 Asa Eddy, der ca. zehn Jahre jünger als seine Frau war, starb bereits im Alter von 51 Jahren an Herzversagen. Langjährige Herzbeschwerden waren wohl ursprünglich der Hauptgrund für sein Interesse an CS gewesen, und dieses Leiden konnte offenbar nur vorübergehend gebessert werden. Die Tatsache, dass Mary Baker Eddy seinen Tod nicht durch geistiges Heilen verhindern konnte, ja sogar kurz vorher offenbar voll Verzweiflung noch versucht hatte, ihn durch einen herbeigerufenen Arzt behandeln zu lassen, wurde ein beliebter Angriffspunkt ihrer Kritiker. Eddy selbst sagte später, der negative mentale Einfluss ihrer Gegner („malicious animal magnetism“) habe ihren Mann getötet. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 287–291; Peel, Years of Trial, 110–115; Fraser, God’s Perfect Child, 78–79.
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Heilen: das Massachusetts Metaphysical College.51 1883 begann Eddy dann mit der Herausgabe einer eigenen Monatszeitschrift, dem Christian Science Journal, und gründete drei Jahre später eine erste kleine CS-Verlagsgesellschaft. Außerdem wurde 1886 die National Christian Science Association als Dachverband für die rapide wachsende Anzahl von CS-Gemeinschaften im ganzen Land gegründet.52 Neben all diesen Erfolgen hatte Eddy allerdings auch mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Allein die Tatsache, dass eine Frau ohne theologische Fachausbildung so erfolgreich öffentlich predigen konnte, war vielen Pfarrern ein Dorn im Auge. Doch neben der zu erwartenden Kritik etablierter Bostoner Kirchen, die Eddys Lehre als bloßen Spiritismus, Pantheismus oder Theosophie bezeichneten, kam es auch innerhalb ihrer Gemeinschaft zu Konflikten. Der relativ autokratische Führungsstil Eddys, der Anspruch auf die Unfehlbarkeit ihrer Lehre und auf absoluten Gehorsam ihrer Anhänger weckte oftmals Widerspruch. Einige Schüler sagten sich von ihr los, andere arbeiteten selbstständig, und manche gründeten eigene Gruppen, in denen angeblich Christian Science gelehrt wurde, allerdings nicht allein auf der Basis von S&H. Ende 1888 rebellierte sogar ein Teil ihrer Bostoner Gemeinde ganz offen gegen sie. Die tief getroffene Eddy reagierte darauf mit einer radikalen Maßnahme: Sie löste im folgenden Jahr alle bestehenden CS-Organisationen (inklusive des Colleges) auf und zog sich vorübergehend nach Concord, New Hampshire, ins Privatleben zurück. Dort erarbeitete sie mit Hilfe einiger sachkundiger Berater einen Plan zur fundamentalen Neustrukturierung ihrer Gemeinde in eine juristisch perfekt abgesicherte, wirtschaftlich wohl durchdachte und allein ihrer Autorität unterstehenden Organisation.53 1892 wurde schließlich die First Church of Christ, Scientist (Erste Kirche Christi, Wissenschaftler) in Boston gegründet. Diese auch als „Mutterkirche“ bezeichnete Institution bildet bis heute das Zentrum von Christian Science in der ganzen Welt. Lokale Gemeinden in anderen Orten dürfen sich als „Zweigkirchen“ der Mutterkirche anschließen und sind nach kongregationa51 Der offizielle Titel ihres College lautete „Institut für Pathologie, Ontologie, Therapeutik, Moralwissenschaft und Metaphysik und deren praktische Anwendung auf die Behandlung von Kranken“. Es war zunächst in Lynn, ab 1882 in Boston angesiedelt. Bis auf drei Ausnahmen blieb Eddy allerdings die einzige Dozentin dieses College. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 300–317; Reimer, Metaphysisches Heilen, 23. 52 Von 1879 bis 1890 stieg die Anzahl der Kirchenmitglieder von 26 auf 8.724, vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 189–191. Für eine Schilderung des Aufbaus der Kirche, inkl. der neuen CS-Mutterkirche und der Verlagsgesellschaft, vgl. Gill, Mary Baker Eddy; Braden, Christian Science Today; Peel, Years of Trial. 53 Vgl. Gill, Mary Baker Eddy; Braden, Christian Science Today; Peel, Years of Authority. In Anerkennung der organisatorischen Weitsicht Eddys bemerkte sogar der ihrer Lehre gegenüber sehr kritische Reimer: „Es dürfte in der Kirchengeschichte kein zweites Beispiel einer Kirchengründung geben, die auf eine so perfekte geschäftlich-juristische Weise durchgeführt wurde.“ Reimer, Metaphysisches Heilen, 26.
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listischem Prinzip mit demokratischer Selbstverwaltung organisiert. Sie müssen jedoch von der Mutterkirche offiziell anerkannt und ihre Amtsträger gleichzeitig auch Mitglieder der Mutterkirche sein. Diese allein hat das Recht, Lehrer und Vortragsredner der Christlichen Wissenschaft auszubilden und zu autorisieren. Außerdem unterhält und kontrolliert die Mutterkirche eine Reihe von Einrichtungen, die für die ganze Bewegung von Bedeutung sind, zum Beispiel die 1898 neu organisierte Verlagsgesellschaft: die Christian Science Publishing Society (CSPS), einen zentralen Unterrichtsrat, einen Ausschuss für Vortragsarbeit und eine Koordinationszentrale für die weltweite Öffentlichkeitsarbeit, die von sogenannten „Komitees für Veröffentlichungen“ (KfV) durchgeführt wird. Neben dem zentralen KfV in Boston gibt es lokale KfV in jedem Bundesstaat der USA und in allen Ländern, in denen CS Zweigkirchen hat. Hauptaufgabe der KfV ist es, falsche oder irreführende Darstellungen von CS in der Öffentlichkeit zu korrigieren sowie die Öffentlichkeit über das positive Wirken von Christian Science zu informieren. Jedes KfV besteht aus nur einer Person, die nach Eddys Weisung vorzugsweise ein Mann sein sollte, vermutlich weil sie Männer für geeigneter hielt, sich gegenüber den Vertretern der Presse oder anderen Kritikern durchzusetzen.54 Durch das von Eddy verfasste, bis heute unverändert gültige Kirchenhandbuch (Church Manual) sind das Verhältnis der einzelnen Teilorganisationen zueinander, die Aufgaben der kirchlichen Amtsinhaber sowie Verhaltensregeln für alle Mitglieder genau festgelegt.55 Diese frühe Institutionalisierung ihrer Lehre sowie die Konzentration auf Schriftstudien unterscheiden Eddy deutlich von anderen, primär charismatischen Religionsstiftern.56 Durch juristisch bindende Klauseln wurde zudem die absolute Führungsautorität von Mary Baker Eddy – die nach ihrem Tod auf das fünfköpfige Direktorium (Board of Directors) überging – fest zementiert. Dieses Direktorium ist bis 54 Vgl. ebd.; Herr, Christliche Wissenschaft; Church Manual, Artikel XXXIII. Das für Deutschland zuständige KfV hatte seinen Sitz bis 2007 immer in Berlin. Nach dem Ausscheiden von Klaus-Hendrik Herr, der von 1991 bis 2007 KfV war, trat mit Inge Hake – zum ersten Mal seit 1921 – wieder eine Frau das Amt des KfV für Gesamtdeutschland an. Gleichzeitig wurde, um Kosten zu sparen, der Amtssitz des KfV von Berlin nach Burgdorf, dem Wohnsitz von Frau Hake, verlegt. Vgl. hierzu Anhang F sowie Interview mit Hake vom 5. August 2008. 55 Die von Eddy seit Ende der 1880er Jahre erlassenen zahlreichen Verordnungen für die Organisation ihrer Kirche und das Leben ihrer Gemeinde wurden 1895 im Church Manual kodifiziert. Genau wie Science and Health überarbeitete und erweiterte sie dieses Handbuch noch viele Male. Der letzte Artikel bestimmt aber ausdrücklich, dass der genaue Wortlaut dieses Buches ohne Eddys schriftliche Zustimmung auf keinen Fall in irgendeiner Form verändert werden darf. So sind die vor über 100 Jahren aufgestellten Regeln bis heute unverändert gültig. Vgl. Church Manual, Artikel XXXV; Gill, Mary Baker Eddy, 660. 56 Zum Charismabegriff in der Religionsgeschichte vgl. z. B. Weber, Kapitel 4, Charismatische Herrschaft, in: Wirtschaft und Gesellschaft; Rychterová u.a., Das Charisma; Smith, The Quest for Charisma.
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heute die letzte Entscheidungsinstanz der Kirche, ernennt alle Amtsinhaber der Mutterkirche und wählt im Fall einer Vakanz selbst ein neues Mitglied hinzu (das Amt des Präsidenten der Mutterkirche ist dagegen seit Eddys Tod eine primär repräsentative Position). Sowohl die Lehrsätze aus S&H als auch die im Kirchenhandbuch festgelegten Regeln sind für alle Kirchenmitglieder verbindlich. Sie dürfen weder öffentlich hinterfragt oder diskutiert noch in freien Predigten ausgelegt werden (statt einer Predigt gibt es im CS-Gottesdienst die schon erwähnten Lesungen aus S&H und der Bibel).57 Zwar gab und gibt es innerhalb der Kirche durchaus einen lebendigen Umgang mit den Schriften Eddys – beispielsweise in den Vorträgen, in der Sonntagsschule sowie den zahlreichen Publikationen der Gemeinschaft –, dabei wird jedoch deren göttlich inspirierter Wahrheitsgehalt niemals in Frage gestellt. Aufgrund ihrer Erfahrungen und in Sorge um die Reinerhaltung ihrer Lehre duldete Mary Baker Eddy offenbar keinerlei Dissens unter ihren Anhängern. Deshalb gibt es im Handbuch auch genaue Richtlinien, nach denen Andersdenkende, die trotz Verwarnungen nicht zum Einlenken bereit sind, exkommuniziert und aus der Gemeinschaft ausgeschlossen werden können.58 So entstand trotz basisdemokratischer Elemente – in den Zweigkirchen werden zum Beispiel alle Ämter durch Gemeindewahlen mit Laien besetzt, und es gibt keinen ordinierten Klerus – eine hierarchische, streng zentralisierte Organisation, deren autoritäre Führungsstruktur von Beobachtern oft mit derjenigen der Römisch-Katholischen Kirche verglichen worden ist. Manche Zeitgenossen meinten sogar, als „Alleinherrscherin in ihrer Kirche“ verfüge Eddy über „eine Machtbefugnis, um die sie der Papst beneiden könnte“.59
57 In den ersten Jahren hatte es freie Predigten in CS-Gottesdiensten gegeben (zu den populärsten Predigerinnen zählte z. B. Augusta Stetson, Leiterin der großen CS-Zweigkirche in New York City). Dies wurde jedoch im April 1895 von Eddy verboten, da von nun an nur die Bibel und Science and Health der „Pastor“ der Mutterkirche und aller Zweigkirchen sein sollten. Vgl. Church Manual, Artikel XIV, Absatz 1; Braden, Christian Science Today, 55–56. Zu Stetson, die lange als potentielle Nachfolgerin Eddys galt, sich dann jedoch mit dieser zerstritt und aus der Kirche ausgeschlossen wurde, vgl. Gardner, Mary Baker Eddy, 169–178; Gill, Mary Baker Eddy, 534–542; Fraser, God’s Perfect Child, 146–149. 58 Vgl. das „Disziplin“-Kapitel des Church Manuals, 40–56, v.a. Artikel X und XI. 59 Geiger, Christian Science, 742–743. Der bekannte Sozialkritiker Upton Sinclair urteilte in seinem 1917 erschienenen, 1922 ins Deutsche übersetzten Buch The Profits of Religion: „Was die Führung der [CS] Kirche anbelangt, so ist die katholische Hierarchie der reine Bolschewismus im Vergleich zu ihr.“ Zit. in Weiss, Heilslehre der Christian Science, 12. Vgl. hierzu auch Twain, Christian Science; Zweig, Heilung durch den Geist; Braden, Christian Science Today; Reimer, Metaphysisches Heilen; Gardner, Mary Baker Eddy. Weiss kritisierte die Struktur der Kirche als eine, in der jede „Möglichkeit freier Meinungsäußerung und selbständigen Denkens ausgeschaltet“ sei. Weiss, Heilslehre der Christian Science, 12. Meynig verglich den CS-Zwang zum Gehorsam mit dem des Jesuitenordens. S. Meynig, Christliche Wissenschaft, 18.
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Sicherlich ist die Kirche Christi, Wissenschaftler im Hinblick auf größere Toleranz von abweichenden Meinungen oder unterschiedlichen Interpretationen in Fragen der Anwendung von Christian Science heute in einigen Punkten deutlich liberaler geworden, als sie es früher war (darauf wird später noch eingegangen). In Anbetracht der harschen Kritik an Mary Baker Eddys autoritärem Führungsstil ist es jedoch von Bedeutung, auch zu erkennen, dass gerade die große Klarheit und Strenge in Bezug auf den Reinerhalt ihrer Lehre – eine Strenge, die von manchen Theologen auch als Erbe des amerikanischen Puritanismus gedeutet wurde – ein wichtiges Kriterium für Eddys Erfolg darstellte.60 Denn inmitten der oben beschriebenen Vielfalt von Mind Cure- und New Thought-Gruppen, die zur damaligen Zeit in Amerika in so vielen, oft kurzlebigen Varianten entstanden, gaben die genauen Lehrsätze und strikten Regeln von Christian Science Eddys Anhängern einen festen Halt und eine klare Orientierung, die in anderen Bewegungen nicht in dieser Form vorhanden waren. Außerdem verhinderten sie das Entstehen innerkirchlicher Oppositionsgruppen und Abspaltungen.61 Ein zweites wichtiges Erfolgskriterium der Kirche war die außergewöhnliche Geschäftstüchtigkeit ihrer Gründerin. Kaum ein anderer Aspekt hat für so viel harsche Kritik an Mary Baker Eddy gesorgt wie der große finanzielle Gewinn, der ihr bzw. ihrer Kirche durch ihre Anhänger zuteil wurde. Besonders scharfe Worte fanden hierzu auf amerikanischer Seite Upton Sinclair und Mark Twain; aber auch in zahlreichen anderen kritischen Schriften über Eddy wird sie als geldgierige, den Luxus liebende Geschäftsfrau dargestellt, der es in erster Linie um ihr eigenes materielles Wohl ging. In deutschen Auseinandersetzungen mit Christian Science hat dieses Argument ebenfalls eine bedeutende Rolle gespielt, wobei „Geschäftstüchtigkeit“ und „Gewinnsucht“ hier stets als „typisch amerikanische“ Charakterzüge dargestellt wurden.62 60 Obwohl Eddy seit ihrer Kindheit das puritanische Bild eines strengen Gottes sowie eines inhärent sündigen Menschen ablehnte, war sie sich ihrer „puritanischen Abkunft“ stets bewusst und bezeichnete den Puritanismus einmal als „die unbefleckte Religion“. Nein und Ja, 46, auch zit. in Weiss, Heilslehre der Christian Science, 13. Peel weist zudem darauf hin, dass Eddys Sprachstil und ihre emphatischen Warnungen, sich von Gott abzuwenden, z.T. puritanisch-calvinistische Züge trugen und sie manchmal Jonathan Edwards zitierte. Vgl. Peel, Christian Science, 69–70. Zum „ernsthaften puritanischen Gottesglauben“ von Eddy vgl. auch Holl, Der Szientismus, 473-476. 61 Vgl. Braden, Christian Science Today; Peel, Years of Authority; Gill, Mary Baker Eddy; Fraser, God’s Perfect Child. Selbst nach Eddys Tod, als es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Aufsichtsrat der CSPS und dem Direktorium kam, in dem Ersterer seine Unabhängigkeit von Letzterem gerichtlich erstreiten wollte (eine Krise, die als „The Great Litigation“ in die Annalen der Kirche einging), sorgten die vom Richter bestätigten Regeln des Kirchenhandbuches dafür, dass die alleinige Führungsautorität aller CS-Organisationen, inkl. des Verlags, beim Direktorium blieb. So haben die strengen, unveränderlichen Regeln Eddys die Einheit ihrer Kirche bis heute bewahrt. Vgl. Braden, Christian Science Today, 61–95; Fraser, God’s Perfect Child, 177–186. 62 Vgl. Sinclair, Profits of Religion; Twain, Christian Science; Cather / Milmine, Mary Ba-
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Es steht außer Frage, dass Mary Baker Eddy sowohl über außergewöhnlichen Erfolg in der Anwerbung von Spendengeldern als auch über finanziellen Weitblick verfügte und so ihre Organisation als wirtschaftlich sehr erfolgreiches Unternehmen etablieren konnte. Allerdings sollte man in diesem Zusammenhang auch berücksichtigen, dass es für die lange Zeit völlig mittellose Eddy zu Beginn ihres öffentlichen Wirkens eine praktische Überlebensnotwendigkeit war, mit ihrer Lehre Geld zu verdienen. So finanzierte sie von den Gebühren, die sie ihren Schülern abverlangte (100 Dollar für eine zwölftägige Kurseinheit sowie zehn Prozent vom späteren Praxiseinkommen der Absolventen), zunächst ihren eigenen Lebensunterhalt sowie die Publikation von S&H. Später, auch mit Hilfe der üppiger werdenden Spendeneinnahmen, gönnte sie sich einen etwas luxuriöseren, aber keineswegs exzessiven Lebensstil und investierte den Großteil ihrer Einnahmen in den Aufbau der Kirchenorganisation. So wurde 1906, auch um der immens gestiegenen Mitgliederzahl von Christian Science gerecht zu werden, in Boston eine neue prächtige Kirche mit großem Dom und 5.000 Sitzplätzen errichtet. Dazu gehörte ein riesiger Gebäudekomplex mit Verwaltungsräumen und dem neuen Sitz der Christian Science Publishing Society.63 Neben zahlreichen Buchpublikationen (s. Literaturverzeichnis) gibt dieser Verlag auch heute noch drei von Eddy gegründete Zeitschriften heraus (den Christian Science Sentinel, den Christian Science Herold und das Christian Science Journal) sowie den Christian Science Monitor.64 Die weltweite Arbeit des Verlags hat auch den Ausbau der Kirche zu einer internationalen Institution unterstützt, in der alle Mitglieder (die dazu angehalten sind, den Monitor und die Zeitschriften zu abonnieren) die gleichen wöchentlichen Bi-
ker Eddy; Dakin, Mrs. Eddy; Geiger, Christian Science; Meynig, Christliche Wissenschaft; Thomassin, Christian Science; Weiss, Heilslehre der Christian Science; Langner, Die Heilige aus USA; Toller / Kesten, Wunder in Amerika; Zweig, Heilung durch den Geist. Die deutsche Rezeption von Eddy und ihrer Lehre wird später noch ausführlicher diskutiert. 63 Vgl. Braden, Christian Science Today; Peel, Years of Authority; Gill, Mary Baker Eddy; Hutten, Christliche Wissenschaft. 64 Angewidert von der negativ-sensationalistischen Tagespresse ihrer Zeit, durch deren Berichterstattung sie sich und ihre Kirche oft selbst diffamiert sah, hatte Eddy 1908 die Gründung des Monitors initiiert und diesem das Motto „Niemandem schaden, sondern die ganze Menschheit segnen“ gegeben. Dass die Zeitung für die herausragende Qualität ihres Journalismus bereits sieben Pulitzer Preise erhalten hat, wurde ja bereits erwähnt (s. Fußnote 4). Beachtenswert ist die spezifische Themenauswahl des Monitors. Ohne wichtige Ereignisse zu vernachlässigen, ist die Grundtendenz seiner Berichterstattung eine ungewöhnlich positive, d. h. er bringt weit häufiger Artikel über erfreuliche Ereignisse, über Mitmenschlichkeit und Fortschritt als andere Zeitungen. Für eine ausführlichere Beschreibung der Geschichte des Monitors s. auch Canham, The Monitor; Foell, Understanding Our Century.
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bellektionen und Abschnitte von S&H lesen oder hören können und so in ständigem Kontakt und geistigem Austausch mit der Mutterkirche stehen.65 Als Eddy am 3. Dezember 1910 starb (bzw. „weiterging“)66, zählte sie zu den einflussreichsten Persönlichkeiten Amerikas. Ihre Kirche hatte mehr als 65.000 Mitglieder in über 600 Gemeinden, mehr als 400.000 Exemplare ihres Lehrbuches waren verkauft worden, und sie hinterließ ein Vermögen von rund zweieinhalb Millionen Dollar. Letzteres vermachte sie größtenteils der Kirche Christi, Wissenschaftler, die zu diesem Zeitpunkt so gut organisiert und gefestigt war, dass sie das Abtreten ihrer Gründerin ohne größere Erschütterung überstand.67 Auch in den nächsten drei Dekaden blieben Erfolg und Wachstum von Christian Science ungebrochen und erzeugten viel Aufmerksamkeit sowie Besorgnis unter zeitgenössischen Kritikern. Mark Twain schätzte beispielsweise Eddys Anhängerschar auf über eine Million und prognostizierte, dass sich diese Zahl bald verzehnfachen würde. Otto Pfülf sprach mit Bezug auf Christian Science von einem „epidemischen Umsichgreifen des Irrwahns“, und Elbert Hubbard sagte 1908 voraus, dass die Christliche Wissenschaft in zwanzig Jahren alle anderen Formen des Christentums bis auf die RömischKatholische Kirche verdrängt haben würde.68 Diese Einschätzungen waren natürlich weit übertrieben, aber andererseits ist die Expansion von Christian Science bis zum Zweiten Weltkrieg beachtlich. Obwohl die Kirche keinerlei aktive Mission betreibt (sie unterhält lediglich öffentlich zugängliche Leseräume, die allen Interessierten den Zugang zu Eddys Schriften und Publikationen der CSPS vereinfachen sollen69), stieg allein in den USA die Zahl 65 Zu weiteren Publikationen der CSPS, z. B. dem CS-Quarterly sowie neueren Radiound Fernsehprogrammen, vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 55–56, Fraser, God’s Perfect Child, 342–366, und die entsprechenden Webseiten der Kirche, z. B. http://www. spirituality.com/ oder http://www.tfccs.com/publications/index.jhtml. 66 Da es im Weltbild der Christlichen Wissenschaft keinen körperlichen Leib und darum kein Sterben im herkömmlichen Sinne gibt, bevorzugen Christliche Wissenschaftler hierfür den Ausdruck „Weitergehen“ („to pass on“). 67 Im US-Zensus von 1906 ist die Zahl der offiziellen Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler bereits mit 65.717 angegeben. Die Zahl der Anhänger von Eddys Lehre wurde auf mindestens 200.000 geschätzt. Da die Kirche selbst gemäß einem Verbot Eddys keine Mitgliedszahlen herausgibt, ist deren Ermittlung nicht für alle Jahre möglich, sondern beruht auf Angaben des US-Zensus oder auf Erhebungen wie dem „American National Survey of Religious Identification“. Vgl. Geiger, Christian Science, 734; Reimer, Metaphysisches Heilen, 28; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 191; Fraser, God’s Perfect Child, 123. 68 Bis 1930 rechnete Twain sogar mit über dreißig Millionen Christlichen Wissenschaftlern in den USA und Europa, vgl. Twain, Christian Science, 71 (auch zit. in Pfülf, Christian Science, 65, und in Gardner, Mary Baker Eddy, 198). S. auch Thomassin, Christian Science, 460; Pfülf, Christian Science, 64; Geiger, Christian Science, 757. Hubbards 1908 publizierte Warnung vor Eddys Lehre ist zit. in Gardner, Mary Baker Eddy, 198. 69 Jede Zweigkirche ist dafür verantwortlich, einen solchen Leseraum einzurichten und
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der offiziell eingetragenen Kirchenmitglieder bis 1941 auf über 300.000, und die Zahl der Zweigkirchen erhöhte sich auf 2.284 (dazu kamen mehr als 500 Zweigkirchen im Ausland, vor allem in Europa, aber auch in Afrika, Asien und Australien).70 Da zudem aufgrund der hohen Anforderungen an Kirchenmitglieder viele Gläubige, die regelmäßig die Gottesdienste besuchen und Christian Science in ihrem Leben anwenden, nicht offiziell in die Kirche eintreten, lag und liegt die Zahl der praktizierenden Christlichen Wissenschaftler nach Expertenmeinung ungefähr doppelt so hoch wie die der offiziell eingetragenen Kirchenmitglieder.71 Die Zielstrebigkeit, eiserne Disziplin und organisatorische Weitsicht von Mary Baker Eddy hat maßgeblich zu diesem Erfolg ihrer Glaubensgemeinschaft beigetragen. Sie kann ihn jedoch nur zum Teil erklären. Ein anderer, wesentlicher Grund für die große Popularität von Christian Science, insbesondere in der Zeit zwischen 1890 und 1940, sind die besonderen Elemente ihrer Lehre und deren praktische Anwendbarkeit. I.3. „UND DIE WAHRHEIT WIRD EUCH FREI MACHEN“ – ZUR LEHRE UND PRAXIS VON CHRISTIAN SCIENCE Ihr zentrales Heilungserlebnis nach dem Sturz in Lynn hatte Mary Baker Eddy fest davon überzeugt, dass es jedem Menschen, der die Wahrheit der biblischen Botschaft versteht, möglich ist, in direkter Nachfolge Jesu Christi alles Leid und alle Krankheit sofort und endgültig zu überwinden. Ein entscheidender Unterschied zwischen Christian Science und den meisten zeitgenössischen Mind Cure-Gruppen liegt also darin, dass Eddy nicht dem Menmindestens einmal im Jahr einen öffentlichen Vortrag zum Thema CS zu organisieren. S. Church Manual, Artikel XXI und XXXII. Dies kann man jedoch nicht als Mission im eigentlichen Sinn bezeichnen. Die große Zurückhaltung von Christlichen Wissenschaftlern in dieser Hinsicht (vor allem im Vergleich zu anderen amerikanischen Sondergemeinschaften, z. B. Mormonen oder Zeugen Jehovas) kann die Verfasserin aus eigener Erfahrung bestätigen. Vgl. hierzu auch Stark, Rise and Fall of Christian Science, 200– 201. 70 Laut US-Zensus-Daten hatte Eddys Kirche 1890 8.724, 1906 65.717 und 1936 268.915 Mitglieder, zit. in Stark, Rise and Fall of Christian Science, 191; Braden, Christian Science Today, 270–272. Für die 1940er Jahre liegen keine Zensusdaten vor. Braden schätzt jedoch die weltweite Mitgliedschaft der Kirche 1941 aufgrund der vorhandenen Daten auf ca. 370.000. Auch die Anzahl der im CS-Journal eingetragenen Praktiker (Practitioners) erreichte 1941 mit 11.200 ihren Höchststand, vgl. Stark, „Rise and Fall of Christian Science“, 192. Auf die möglichen Gründe für das nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzende Absinken der Praktiker- und Mitgliederzahlen wird später noch eingegangen. 71 Vgl. Geiger, Christian Science, 734; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 192. Zum Wachstum von CS vgl. auch Jenkins, Cults and New Religions, 46–51 und 54– 56.
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schen selbst die Macht zuschreibt, sich aus eigener mentaler Kraft zu heilen, sondern lehrt, dass alles Heil und jede Heilung allein von Gott kommt, dessen bedingungslose Liebe, die sich in immerwährender Gesetzmäßigkeit manifestiert, der Mensch anzunehmen lernen muss. Es würde zu weit führen, hier das Gottesbild und Menschenbild von Christian Science im Einzelnen zu erläutern, dazu sei auf die entsprechende theologische Fachliteratur verwiesen.72 Aber von zentraler Bedeutung ist, dass Eddy unter direktem Bezug auf die Bibel Gott als die Quelle allen Seins sowie als unendliches Leben, unendliche Wahrheit und Liebe definiert. Gott ist reiner Geist (d. h. unkörperlich), allgegenwärtig, allwissend und allmächtig. Weiter betont Eddy das liebende, fürsorgliche Verhältnis Gottes zu seiner Schöpfung. Sie sieht Gott als Vereinigung des weiblichen und männlichen Prinzips, darum spricht sie auch von „Vater-Mutter Gott“.73 Das erste Kapitel von Genesis bezeichnet das von Gott geschaffene Universum als „sehr gut“ und sagt, dass der Mensch als „Gottes Bild und Gleichnis“ erschaffen wurde. Daraus schließt Eddy, dass der Mensch als Abbild des allgegenwärtigen Gottes von der Natur seines Schöpfers nicht abweichen könne: „So kommt die Christliche Wissenschaft dazu, das Verhältnis zwischen Gott und Mensch wie das zwischen Ursache und Wirkung zu verstehen. Schöpfung und Mensch sind also der ununterbrochene, vollkommene Ausdruck eines vollkommenen Gottes.“74
72 Empfehlenswerte Werke von christlich-wissenschaftlicher Seite hierzu sind neben den Originaltexten Eddys z. B. DeWitt Johns Die Lebenseinstellung des Christlichen Wissenschafters und Edward Kimballs Antworten und Fragen über Christian Science. Vgl. auch Herr, Christliche Wissenschaft; Herr, Das ungeteilte Gewand. Für kritische Auseinandersetzungen vgl. Weiss, Heilslehre der Christian Science; Obst, Die Christliche Wissenschaft; Obst, Mary Baker Eddy; Hutten, Christliche Wissenschaft; Reimer, Metaphysisches Heilen. Einen interessanten Vergleich der Ethik bzw. Theologie und Heilpraxis von CS, Anthroposophie und Schulmedizin bietet Kurt Schmidts Therapieziel und „Menschenbild“. 73 In ihrem Lehrbuch definiert Eddy das Wesen Gottes mit sieben Synonymen, die stets mit Großbuchstaben (bzw. im Englischen mit großem Anfangsbuchstaben) geschrieben werden: „GOTT ist GEMÜT, GEIST, SEELE, PRINZIP, LEBEN, WAHRHEIT, LIEBE, die unkörperlich, göttlich, allerhaben, unendlich sind.“ Science and Health, 465. Die Christliche Wissenschaft stellt Gott auch als „das dreieinige PRINZIP – LEBEN, WAHRHEIT, LIEBE“ dar, das jedoch unteilbar eins ist (d. h. es gibt drei Modi des einen Gottes, nicht drei unterschiedliche Personen). Hierin liegt neben der zweigeschlechtlichen Natur Gottes ein deutlicher Unterschied zwischen Eddys und dem trinitarischen Gottesbild der etablierten christlichen Kirchen. Vgl. hierzu John, Lebenseinstellung, 46–58; Herr, Christliche Wissenschaft, 50–52. Für eine ausführlichere Analyse des Gottesbildes der CS aus lutherisch-protestantischer Sicht vgl. z. B. Weiss, Heilslehre der Christian Science, 17–43; Reimer, Metaphysisches Heilen, 43–48; VELKD, Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, 287–290. 74 Herr, Christliche Wissenschaft, 51.
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Im Verständnis von Christian Science ist der Mensch daher inhärent gut und heil, Gleiches gilt für die gesamte Schöpfung. Da Gott reiner Geist ist, trifft dies auch auf den Menschen zu. Er ist kein materielles, sondern in Wahrheit ein geistiges Wesen. Die Materie und alles Böse (evil) – auch Krankheit, Sünde und Tod – existieren nicht wirklich, sondern sind eine Täuschung bzw. ein Traum, der zwar real erscheinen mag, aber keine eigentliche Substanz besitzt (so wenig wie Dunkelheit Substanz besitzt, sondern nur die Abwesenheit von Licht ist).75 Eddy erklärt das Zustandekommen dieser Täuschung oder Disharmonie durch die Verwirrung bzw. Verirrung des menschlichen Gemüts, wobei sie sich auch auf den Schlaf bezieht, in den Adam fiel (1. Mose 2, 21). In diesem Schlaf Adams entstand der menschliche Irrtum, die Welt sei etwas Selbstständiges, eine von Gott unabhängige, materielle Realität. Erst durch Jesus Christus wird der Mensch Eddy zufolge aus diesem (Alp-)Traum, in dem er unter der scheinbaren Macht von Krankheit, Sünde und Tod leiden muss, befreit bzw. erlöst. Jesus zerriss sozusagen als Erster den Traumnebel der Täuschung und zeigte den Menschen den Weg zur Wahrheit.76 Laut Eddy hat Jesus seinen Jüngern in Worten und Werken (Meereswandeln, Krankenheilungen, Totenerweckungen und Sündenvergebung) die „Wirkung des göttlich-natürlichen Gesetzes, des Gesetzes Gottes“ erklärt und demonstriert. Die von ihm ausgehenden Heilstaten waren somit keine Wunder, sondern Zeichen der wahren Erkenntnis Gottes und seiner Schöpfung.77 Da es sich Eddys Ansicht nach bei diesem von Jesus Christus offenbarten Weg nicht um bloßen „Glauben“ handelt, sondern um die Erkenntnis immerwährender, zuverlässig erfahrbarer Gesetzmäßigkeiten – deren Wahrheit man demonstrieren, d. h. „wissenschaftlich“ beweisen kann –, nannte sie ihn „Christian Science“. Jesus gilt deshalb auch als der erste Christliche Wissenschaftler. Dabei unterscheidet Eddy allerdings zwischen Jesus von Nazareth, dem „menschlichen Menschen, der das Einsseins des Menschen mit dem Va75 Vgl. ebd. sowie Eddys „Wissenschaftliche Erklärung des Seins“ in Anhang A; vgl. auch Herr, Brief an die Verfasserin vom 24. April 2006: „Es geht in CS nicht um eine bloße philosophische Theorie der Unwirklichkeit der Materie […, sondern darum], was die Wirklichkeit ist: die Natur und der Charakter Gottes als GEIST und Seiner Schöpfung als rein geistig. Erst aus dieser Entdeckung folgt, dass das Böse und die Materie nicht wirklich sind und nicht von Gott stammen, denn sie haben nichts gemeinsam.“ 76 Hier zeigen sich Parallelen zum gnostischen Verständnis der materiellen Welt als „gottfern“ sowie zur indischen Brahma Vidya, deren avidyâ (Schleier) wie der „Adamstraum“ der CS das Ursprüngliche bzw. die Wahrheit verhüllt. Zum Adamstraum vgl. Science and Health, 306–307 und 556; Hutten, Christliche Wissenschaft, 260; Reimer, Metaphysisches Heilen, 47; Weiss, Heilslehre der Christian Science, 153–158. Auf das „Aufwecken aus dem Schlaf des Adams“ beziehen Christliche Wissenschaftler auch das Pauluswort „Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden“ (1. Korinther 15, 22), s. Herr, Christliche Wissenschaft, 51. 77 Vgl. Science and Health, 312–314; Herr, Christliche Wissenschaft, 51–52; Kimball, Antworten und Fragen, 11; Hutten, Christliche Wissenschaft, 261–263.
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ter lehrte“, und Christus, der „göttlichen Idee“ oder „idealen WAHRHEIT, die kommt, um Krankheit und Sünde durch Christian Science zu heilen“.78 Der von Jesus Christus aufgezeigte Weg zum Heil liegt somit laut Eddy darin, dass der Mensch zunächst die wahre Allmacht, Allgegenwärtigkeit und unendliche Liebe Gottes erkennt und dann seine eigene unauflösliche Verbundenheit mit Gott als dessen rein geistigem und vollkommen heilen Abbild realisiert. Neben der biblischen Definition „Gott ist Liebe“ (1. Johannes 4, 8) ist darum das Jesuswort „Ihr werdet die Wahrheit erkennen, und die Wahrheit wird Euch frei machen“ (Johannes 8, 32) von zentraler Bedeutung für die Christliche Wissenschaft.79 Das Heil und die Erlösung von allen Übeln der (materiellen) Welt ist nicht erst nach dem Tod erfahrbar (zumal der Tod, genau wie Krankheit und Sünde, nur Teil der Täuschung ist, die es zu überwinden gilt), sondern kann durch die richtige Erkenntnis bzw. Anwendung von Christian Science jedem Menschen sofort, hier und jetzt, zuteil werden.80 Es ist offensichtlich, dass die Christliche Wissenschaft in vielen Punkten ein anderes Verständnis vom Wesen Gottes, von der Bedeutung Jesu Christi und von Erlösung hat als die etablierten christlichen Kirchen. Auch in der Überzeugung, dass die gesamte materielle Welt (inklusive des menschlichen Körpers) sowie Sünde und Leid letztendlich keine Substanz, keine Wirklichkeit vor Gott haben, liegt ein gravierender Unterschied zum Weltbild des katholischen, protestantischen und orthodoxen Christentums. Die etablierten Kirchen haben deshalb Christian Science bzw. der Kirche Christi, Wissenschaftler bis heute ihre Anerkennung als christliche Lehre und christliche Kirche verweigert.81Aber es gibt hierzu auch andere Meinungen. Der Historiker und Theologe Charles Samuel Braden sagte beispielsweise: 78 Science and Health, 18 und 473–474. Vgl. auch John, Lebenseinstellung, 32–69 und 126–171. Christliche Wissenschaftler „sehen in Jesus den Menschen, der in seinem Leben den Christus oder die Gotteskindschaft des Menschen veranschaulichte und den Menschen zeigte, wie sie Erlösung, Heil und Heilung finden können“. Herr, Christliche Wissenschaft, 52. 79 Die beiden Zitate sind in fast allen Kirchenräumen der Christlichen Wissenschaft zu finden. Zum hohen Stellenwert der Liebe als zentralem Wesensmerkmal Gottes auch für andere christliche Kirchen sei die Überschrift der ersten Enzyklika Papst Benedikts XVI. vom Dezember 2005 zitiert: „Deus Caritas Est“. Das Jesuswort zur Wahrheit hat übrigens noch eine andere, weniger karitative Interpretation gefunden: „You will know the truth, and the truth will set you free“ ist das Motto des amerikanischen Geheimdienstes CIA. 80 Vgl. Science and Health, 465–469; John, Lebenseinstellung; Herr, Das ungeteilte Gewand, 273–279. 81 Für die genannten christlichen Kirchen ist die Anerkennung der sogenannten altkirchlichen Bekenntnisse (v.a. das Apostolische und das Nicaeno-Konstantinopolische Glaubensbekenntnis) von essentieller Bedeutung. Hierzu gehören u.a. der Glaube an Jesus Christus als den „fleischgewordenen Sohn Gottes“, der die Menschheit dadurch erlöste, dass er deren Schuld durch seinen Tod am Kreuz stellvertretend auf sich lud, an die Trinität (Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist) und an die eine Person Jesu Christi („Je-
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Was ist Christian Science? Are they Christian? Of course they are. Traced historically, Christian Science is an offshoot of Protestant Christianity. […] To be sure, doctrinally she [Eddy] departs at a number of points from the theological beliefs of orthodox Protestant Christianity […], but that does not make it non-Christian […]. Any group which makes the Bible the basis of its faith and makes Christ so central as Christian Scientists do can hardly be refused the name Christian.82
Die Beantwortung der Frage, ob Christian Science christlich ist oder nicht, hängt also letztlich davon ab, welche Kriterien man für die Definition von Christentum festlegt. Darüber soll an dieser Stelle nicht geurteilt werden.83 Für unsere Untersuchung ist es jedoch wichtig festzuhalten, dass Christliche Wissenschaftler selbst, deren Verbundenheit zu Jesus ja bereits in ihrem Namen ausgedrückt ist, ihre Lehre unbedingt als christlich verstehen. Die Kirche Christi, Wissenschaftler hat auch stets für sich in Anspruch genommen, eine christliche Kirche zu sein. Mary Baker Eddy sah ihre Lehre sogar als Rückbesinnung auf das Urchristentum. So betonte sie 1879, der Zweck ihrer Lehre und Kirche sei es, „die Worte und Werke unseres Meisters in Erinnerung zu bringen und dadurch das ursprüngliche Christentum und sein verlorengegangenes Element des Heilens wieder einzuführen“.84 Weiter ist nicht zu leugnen, dass Christian Science auf der Bibel aufbaut. Eddys Lehrbuch bezieht sich immer wieder auf die Heilige Schrift, auch wenn es deren Bedeutung in unorthodoxer Weise interpretiert (nicht umsonst heißt das Buch Wissenschaft und Gesundheit mit Schlüssel zur Heiligen Schrift). Ihre Anhänger erkennen Jesus Christus als „den Weg, die Wahrheit und das Leben“ an, durch den der Mensch zu Gott kommt, und sie beten das zentrale Grundgebet der Christenheit, das sus“ wird als Name der historischen Person, „Christus“ als deren Ehrentitel, „der Gesalbte“, verstanden). Eine ausführliche Diskussion der Unterschiede zwischen diesen Bekenntnissen und CS findet sich bei Obst, Die Christliche Wissenschaft; Reimer, Metaphysisches Heilen; Weiss, Heilslehre der Christian Science. Eine Zusammenfassung derselben bieten z. B. Hutten, Christliche Wissenschaft, 266–271; Fraser, God’s Perfect Child, 161–164. Vgl. auch John, Lebenseinstellung, 38–42. 82 Braden, Christian Science Today, 9–10. Die Studien des Methodistenpfarrers und Professors der Religionsgeschichte gehören heute noch zu den Standardwerken zum Thema CS und New Thought. Der Nationalsozialist Wilfried Meynig betont in seiner vernichtenden Kritik über CS von 1938 mehrfach, dass diese auf jeden Fall eine tief in der Bibel verankerte, urchristliche Lehre sei und alle gegenteiligen Behauptungen der etablierten Kirchen Letztere als „Scheinchristen“ entlarve. Vgl. Meynig, Christliche Wissenschaft, 8, 28 und 37. Allerdings ist Meynig auch der Ansicht, dass jede Form des Christentums als „Volksverblödung“ zu verurteilen sei. 83 Kurz erwähnt sei allerdings, dass die der Verfasserin vorliegenden theologischen Studien von deutschen Protestanten, z. B. Obst, Reimer und Weiss, alle zu dem Schluss kommen, CS sei mit der christlichen Lehre (d. h. ihrem Verständnis derselben) nicht vereinbar. Das heutige Verhältnis der etablierten Kirchen zu CS ist immer noch ein sehr distanziertes und wird an späterer Stelle noch eingehender diskutiert. 84 Zit. in Herr, Christliche Wissenschaft, 50, vgl. auch Braden, Christian Science Today, 9–10.
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„Vater Unser“, sowohl in ihren sonntäglichen Gottesdiensten als auch bei den Zeugnisversammlungen jeden Mittwoch.85 Und auch wenn die Christliche Wissenschaft keine traditionellen Sakramente und Rituale kennt (Taufe und Kommunion werden als rein spirituelle Akte vollzogen), so sind ihre Gottesdienste – mit fester Ordnung von Gebeten, Bibellesungen, Lesungen aus S&H sowie Hymnengesang und Erteilung des biblischen Segens – von ihrer Struktur her regulären protestantischen Gottesdiensten durchaus ähnlich.86 Trotz der Kritik anderer christlicher Kirchen ist somit nicht bestreitbar, dass Christian Science zumindest in vielen Punkten auf zentralen christlichen Werten und Traditionen basiert. Ohne diese Kontinuität im Hinblick auf ihr (christliches) kulturelles Umfeld wäre Eddys Lehre sicherlich nicht so erfolgreich gewesen.87 Der tiefe Optimismus des Glaubens, dass die Schöpfung des allliebenden, allmächtigen Gottes in Wahrheit nichts Schlechtes oder Böses, keine Krankheit, keine Sünde und keinen Tod beinhaltet (d. h. einer der zentralen Unterschiede zwischen Christian Science und orthodoxem Christentum), war ebenfalls ein Element, das diese neue Religion besonders attraktiv machte. Hierzu bemerkte beispielsweise Mark Twain: Sie [Eddy] gab ihnen eine Religion, die ihr Leben umgestaltete, die Düsterkeit, die auf ihnen lag, verbannte und sie mit Sonnenschein und Freude und Frieden erfüllte und überströmte; eine Religion, die keine Hölle kennt; eine Religion, deren Himmel, von dem sie durch keinen Abgrund getrennt sind, nicht in der Zukunft liegt, sondern hier und jetzt beginnt und in Ewigkeit fortdauert.88
Von deutscher Seite wurde das positive Gottes- und Menschenbild sowie dessen praktische Anwendbarkeit ebenfalls oft als wichtiges Kriterium für den Erfolg von Christian Science genannt – und zwar, wie erwähnt, meist im Zu85 Vgl. hierzu die Glaubensgrundsätze der Kirche „Tenets of the First Church of Christ, Scientist“, Anhang A. Der bekannte Text des „Vater Unser“ wird mittwochs ohne, am Sonntag mit der „geistigen Auslegung von Mary Baker Eddy“ gebetet. S. hierzu Anhang B. 86 Zur genauen Ordnung der regulären und der außergewöhnlichen Gottesdienste (Thanksgiving Day Service und Communion Service) sowie der Mittwochsversammlung vgl. Church Manual, Anhang „Ordnung der Gottesdienste“, 120–127. Hierzu sowie zum „vergeistigten Sakramentsverständnis“ von CS, vgl. Science and Health, Kapitel 2 „Versöhnung und Abendmahl“, 18–55; John, Lebenseinstellung, 70–76; Herr, Christliche Wissenschaft, 54; Hutten, Christliche Wissenschaft, 265; Reimer, Metaphysisches Heilen, 29. 87 Der Soziologe Rodney Stark sagt hierzu: „New religious movements are likely to succeed to the extent that they retain cultural continuity with the conventional faith(s) of the societies in which they seek converts.“ Dadurch, dass CS offensichtlich in der christlichen Kultur verankert blieb, war es Mitgliedern traditioneller christlicher Kirchen möglich, der neuen Religion ohne großen Verlust von „cultural capital“ beizutreten. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 195. 88 Twain, zit. in Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 76– 77, vgl. Twain, Christian Science, 286, auch zit. in Wilbur, Mary Baker Eddy, 184.
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sammenhang damit, dass es sich hierbei um „typisch amerikanische“ Eigenschaften handele.89 Reimer unterstreicht darüber hinaus den befreienden Charakter der Lehre: Die Christian Science ist von einem ungebrochenen amerikanischen Optimismus und Fortschrittsglauben getragen, der an der baldigen Überwindung der Sünde nicht zweifelt […], auf den Scientisten wirkt die Lehre befreiend, nach der die göttliche Kraft des Guten wie eine Naturkraft vorhanden ist und stets angewandt werden kann.90
Eine so positiv-optimistische Glaubensüberzeugung fand im Amerika des späten 19. Jahrhunderts noch mehr Zulauf, als es ohnehin der Fall gewesen wäre, da sich in dieser Ära viele Amerikaner besonderen Belastungen ausgesetzt sahen. Hierzu zählte zum Beispiel die traumatische Erfahrung des amerikanischen Bürgerkrieges, die einer nicht unbeachtlichen Anzahl von Menschen neben physischen auch langwierige psychische Verletzungen zugefügt hatte. Weiter verursachten Urbanisierung und Industrialisierung gravierende Veränderungen im Alltagsleben und in der Arbeitswelt vieler Amerikaner, die von den Betroffenen nicht als Fortschritt, sondern als Belastung empfunden wurden.91 Negative Gefühle wie Machtlosigkeit, soziale Isolation, innere Spannung oder Perspektivlosigkeit führten damals offenbar bei einer großen Zahl von Amerikanern auch zu massiven gesundheitlichen Problemen. So diagnostizierte der Nervenarzt George M. Beard eine derartige Häufung chronischer Nervenleiden und nervöser Erschöpfungszustände (dazu gehörten auch Schlaf- und Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen, Ohrensausen, Gemütsverstimmungen, Verdauungsstörungen oder Rückenschmerzen) in den USA der 1870er bis 1880er Jahre, dass er von einem „national style of sickness“ sprach.92 89 Vgl. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft; Pfülf, Christian Science; Thomassin, Christian Science; Barth, Christian Science; Weiss, Heilslehre der Christian Science. Zweig erklärte: „Mit geradem, herztreffendem Stoß [erreicht] die Christian Science noch die unterste und eigentliche Seelenschicht des amerikanischen Volkes, seinen hellgläubigen, naiven, seinen herrlich leicht zu entflammenden Optimismus.“ Zweig, Heilung durch den Geist, 207. Und Geiger führte aus: „An den unglaublichen Optimismus des Amerikaners knüpft sie [CS] an […]. Das Bewußtsein, sich in wenigen Jahrzehnten einen Kontinent erobert zu haben, gibt ihm ein unzerstörbares Gefühl der Kraft. Auch der armseligste Zeitungsjunge hat das stolze Bewußtsein, alles werden zu können, Präsident der Vereinigten Staaten so gut wie Direktor einer großen Bank. Die Schlußweise der christlichen Wissenschaft trägt dieser optimistischen Grundüberzeugung Rechnung.“ Geiger, Christian Science, 736. 90 Reimer, Metaphysisches Heilen, 49–50. 91 Der Zusammenhang zwischen diesen Veränderungen und der Entstehung neuer sozialbzw. lebensreformerischer und religiöser Bewegungen (insbesondere „physical religions“) wurde ja schon in Kapitel I.1. erläutert. S. auch Lippy, Popular Religiosity, 144– 145; Moore, Religious Outsiders, 115–120. Zu den großen sozialen Umwälzungen dieser Zeit, insbesondere für die Arbeiterklasse, s. Kleinberg, Working-Class Families; Schlereth, Victorian America; Zunz, Changing Face of Inequality. 92 Vgl. Beard, Nervous Exhaustion; Beard, American Nervousness. In seinem Werk beschreibt Beard die Nervosität nicht als Hyperaktivität, sondern als nervösen Erschöp-
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Beard fasste diese nervösen Leiden unter dem Begriff Neurasthenie zusammen und erklärte, dass sie keine organischen Ursachen hätten, sondern funktionelle Störungen seien, d. h. Reaktionen des Körpers auf nervenbelastende Umwelteinflüsse. Seine Theorie, dass „der erste und wesentliche Grund der Nervosität in der modernen Zivilisation und den sie begleitenden Umständen“ liege, d. h. dass die Neurasthenie maßgeblich durch den großen Leistungsdruck, aber auch durch die „Unterdrückung der Emotionen“ in der neuen amerikanischen Industriegesellschaft verursacht würde, sollte die Medizingeschichte revolutionieren. Vorher waren diese Symptome oft nicht ernst genommen oder auf fragwürdige Weise behandelt worden, aber durch Beards Neurasthenie-Lehre galten sie nun als Zeichen einer „echten“ Krankheit.93 Die Theorien des New Yorker Nervenarztes wurden deshalb von vielen Patientinnen und Patienten geradezu als Erlösung empfunden und stießen nicht nur in Amerika, sondern bald auch in Europa, insbesondere in Deutschland, auf großes wissenschaftliches Interesse und auf Anerkennung.94 Besonders betroffen von der von Beard beschriebenen nervösen Nervenschwäche waren amerikanische Frauen. Die im viktorianischen Zeitalter zunehmend scharfe Trennung der gesellschaftlichen Sphären in eine öffentliche, die den Männern vorbehalten war, und eine private, um die sich die Frauen kümmern sollten, beschränkte den Wirkungskreis vieler gut ausgebildeter Amerikanerinnen der Mittelschicht gegen ihren Willen auf das eigene Heim und ihre Rolle als Hausfrau und Mutter. Diese und andere soziale Zwänge und Spannungen führten bei vielen Frauen im Victorian America zu psycho-
fungszustand. Sein großes Werk American Nervousness wurde innerhalb weniger Monate nach seinem Erscheinen (1881) ins Deutsche übersetzt. Vgl. Meyer, Positive Thinkers, 22–23; Steiner, Das nervöse Zeitalter, 33–36; Radkau, Zeitalter der Nervosität, 52–66. 93 Beard, Nervous Exhaustion. Männern, die unter den o.g. Symptomen litten und es zugaben, wurden vorher meist als „schwächliche Typen“ oder als Hypochonder gesehen, Frauen galten dagegen schnell als Hysterikerinnen. Vor Beard reichten traditionelle Behandlungsmethoden für diese Leiden von der Empfehlung, sich „geistiger Betätigung“ zu enthalten, über Bäder und Einläufe bis zu Elektroschocktherapie (auch an Genitalien) und Entfernung der Gebärmutter (da Letztere, griech. hystéra, seit dem Mittelalter als organischer Sitz der Hysterie bei Frauen galt, glaubte man, Hysterie durch eine Hysterektomie heilen zu können; die Eierstöcke entfernte man dabei meist ebenfalls). Vgl. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 130–154. 94 Kaum jemand bezweifelte Beards These, dass die Neurasthenie eine Folge von Amerikas Anpassung an das Industriezeitalter sei bzw. in gewisser Weise ein Nebenprodukt der „turbulenten Ära der Reconstruction“, in der „das alte Amerika schlagartig vernichtet wurde und der Industriekapitalismus in tollster Form über Nacht seinen Einzug hielt“. S. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 52–53. Auf parallele Entwicklungen in Deutschland und den Verlauf der Bedeutung der Neurasthenie im deutschen Kaiserreich wird im nächsten Kapitel noch eingegangen.
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somatischen Leiden, die einige der Betroffenen sogar monatelang ans Bett fesselten.95 In fast allen kritischen Biographien und Stellungnahmen zu Mary Baker Eddys Leben wird übrigens vermutet, dass Eddys langjähriges Leiden ebenfalls psychosomatischer Natur war, zumal ihre Symptome geradezu „klassisch“ für die nervous ailments des 19. Jahrhunderts gewesen seien (Stefan Zweig bezeichnete Eddy in seiner Biographie beispielsweise als „eine von Angstvorstellungen verstörte Neurasthenikerin“).96 Ob diese These der Wahrheit entspricht oder nicht, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen, aber die genaue Ursache ihrer Krankheit ist für die subjektive Heilungserfahrung Eddys irrelevant. Für Eddy, wie für ihre späteren Anhänger, zählte allein, dass Christian Science ihr und anderen helfen konnte, wo alle ärztliche Kunst jahrelang versagt hatte – und dies war besonders oft bei Frauen der Fall. Es ist darum kein Zufall, dass von Anfang an mehr als zwei Drittel der Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler Frauen gewesen sind.97 Die relativ große Hilflosigkeit der herkömmlichen Medizin zu Eddys Zeiten nicht nur gegenüber psychosomatischen Leiden, sondern auch gegenüber ernsthaften organischen Erkrankungen, schweren Verletzungen oder Infekten aller Art, ist im Hinblick auf die Popularität von Christian Science ebenfalls von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Trotz vieler Fortschritte befand sich die moderne Schulmedizin damals noch in ihrem Anfangsstadium. Es gab kein geregeltes medizinisches Fachstudium, und viele der selbsternannten Doktoren bedienten sich fragwürdiger, selbst gemischter Arzneien oder Praktiken (z. B. dem Aderlass), die den Patienten zuweilen mehr schadeten als nutzten. Es gab noch keine effektiven Impfstoffe, keine Antibiotika, und Operationen verliefen aufgrund von Schock, Blutverlust oder postoperativer Infektion oft tödlich. Darum verfügten Ärzte damals auch
95 Vgl. hierzu Moore, Religious Outsiders, 118–120; Lippy, Popular Religiosity, 144–145. Zur Situation der Frauen im Victorian America, v.a. auch zum sogenannten „Cult of True Womanhood“ und dem gesellschaftlichen Druck, dessen vier Kardinalstugenden – Frömmigkeit (piety), Reinheit (purity), Häuslichkeit (domesticity) und Gehorsam (submissiveness) – Genüge zu leisten, vgl. z. B. Cooley, Victorian America; Klages, Victorian America; Plante, Women in Victorian America. 96 Zweig, Heilung durch den Geist, 169–170. Harold Bloom beschrieb Eddy sogar als „a monumental hysteric of classic dimensions, indeed a kind of anthology of nineteenthcentury nervous ailments“. Bloom, American Religion, 133. Vgl. hierzu auch Fraser, God’s Perfect Child, 34–35. Peel hingegen betont den Unterschied zwischen dem „genuine suffering that darkened her life in those years and the romantic melancholy she shared as a literary fashion with the age“. Peel, Years of Discovery, 44–45. 97 Eine umfassende Analyse des Themas „Gender und CS“ steht noch aus, aber gute Erläuterungen von Teilaspekten finden sich bei Gill, Mary Baker Eddy; Fox, Christian Science Practitioner; McDonald, Mary Baker Eddy.
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längst nicht über die Art von kultureller Autorität in Gesundheitsfragen, wie sie den meisten Menschen heute selbstverständlich erscheint.98 Christliche Wissenschaftler betonen zwar immer wieder, dass es in Eddys Lehre nicht in erster Linie um die Heilung von Krankheiten gehe (diese gelten als „nachfolgende Zeichen“), sondern um die Zuwendung des Menschen zur göttlichen Liebe und um die Erkenntnis der wahren Natur Gottes und seiner Schöpfung.99 Der theologische Gehalt von Christian Science ist jedoch untrennbar mit deren praktischer Anwendbarkeit verbunden, und die Mehrzahl von Konvertiten schlossen sich Eddys Lehre nicht in erster Linie wegen theologischer Differenzen mit ihrer vorherigen Kirche an, sondern weil sie durch die Christliche Wissenschaft von einem schweren Leiden geheilt wurden. Mary Baker Eddy wies auch selbst wiederholt auf die zentrale Bedeutung des Heilens für ihre Lehre hin.100 In der Heilpraxis von Christian Science liegt darum vielleicht der wichtigste Schlüssel zu ihrem in der Anfangszeit so phänomenal großen Erfolg. Dass diese Heilpraxis sich für Tausende von Menschen (wenn auch nicht für alle) als effektiv erwiesen hat, bestreiten auch Kritiker von Christian Science in der Regel nicht.101 Selbst wenn man aus rein naturwissenschaftlicher Sicht argumentiert, d. h. das Wirken einer göttlichen Heilkraft ausschließt (einer Kraft, von deren Existenz auch das etablierte Christentum ausgeht), so ist nachvollziehbar, dass die Glaubensüberzeugung der Christian Science bei Patienten, die sie ernst nehmen, sehr große mentale Selbstheilungskräfte mobilisieren kann. Dies lässt sich nur zum Teil mit dem sogenannten PlaceboEffekt erklären (d. h. die Tatsache, dass es Kranken allein schon deshalb besser gehen kann, wenn sie an die Effektivität einer Behandlung glauben), zumal in vielen Fällen Christian Science erst nach einer Reihe anderer gescheiterter Therapien zum Einsatz kommt.102 98 Manchen Studien zufolge hatten Patienten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA sogar eine bessere Chance, gesund zu werden, wenn sie nicht zum Arzt gingen, als umgekehrt. Vgl. Schoepflin, Christian Science on Trial, 2–5; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 197-198. S. Cassedy, Medicine in America; Duffy, From Humors to Medical Science; Numbers / Amundsen (Hg.), Caring and Curing; Warner / Tighe, History of American Medicine. Zum mangelnden Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Schulmedizin des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 179–180. 99 Vgl. Peel, Health and Medicine; John, Lebenseinstellung; Herr, Christliche Wissenschaft; Interview und Schriftwechsel der Verfasserin mit Herr. 100 Vgl. Braden, Christian Science Today, 6; Reimer, Metaphysisches Heilen, 62; Church Manual, Artikel XXX, Absatz 7: „Heilen besser als Lehren – das Heilen der Kranken und Sünder durch die WAHRHEIT demonstriert, was wir in Bezug auf die Christliche Wissenschaft behaupten, und nichts kann diese Demonstration ersetzen.“ 101 Vgl. z. B. Zweig, Heilung durch den Geist, 201–202; Moore, Religious Outsiders, 127; Reimer, Metaphysisches Heilen, 67–69. 102 Die Kirche bzw. ihre Mitglieder haben mehrere Bücher mit Sammlungen von Heilungsberichten publiziert (z. B. Healing Spiritually, A Century of Christian Science Healing,
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Ein weiterer relevanter Faktor ist sicher der „ganzheitliche Ansatz“ von Eddys Lehre. Mit ihrem Prinzip, durch geistige Erkenntnis ein seelisches Gleichgewicht des Patienten anzustreben, das sich wiederum positiv auf das gesamte körperliche Empfinden auswirkt, nahm Christian Science im Grunde moderne tiefenpsychologische Erkenntnisse über das Zusammenspiel des seelischen und des körperlichen Wohls zu einer Zeit vorweg, als die Schulmedizin noch streng an der Trennung von Körper und Geist festhielt. So ist es nicht verwunderlich, dass die christlich-wissenschaftliche Heilmethode – insbesondere im Bereich von Nervenleiden oder psychosomatisch verursachten Funktionsstörungen – bis in die 1930er Jahre hinein oft auch da Heilungserfolge erzielen konnte, wo die herkömmliche Medizin versagt hatte.103 Außerdem hat Christian Science im Vergleich zu anderen alternativen, aber immanenten Heilmethoden und zur Schulmedizin natürlich den großen Vorteil, sich auf göttliche Hilfe berufen zu können. Gerade bei geschwächten, verzweifelten Menschen ist das Bewusstsein, nicht allein auf sich gestellt zu sein, sondern sich auf die Fürsorge und unendliche Liebe Gottes verlassen zu können, eine nicht zu unterschätzende Kraft- und Hoffnungsquelle. (Nicht umsonst heißt es „Der Glaube kann Berge versetzen“.) Gleichzeitig unterscheidet sich Christian Science von anderen Formen des faith healing (Gesundbeten) in einem entscheidenden Punkt: Das Heil bzw. die Heilung wird dem Gläubigen laut Eddy nicht als unvorhersehbare besondere Gnadengabe zuteil, sondern kann gezielt auf der Grundlage der „göttlichen Gesetzmäßigkeiten“ von jedem, der sich darum bemüht, erlangt werden: Spiritual Healing in a Scientific Age), und in den CS-Zeitschriften, vor allem im Sentinel und Herold, sowie in den Radioprogrammen finden sich regelmäßig Berichte über Heilungen. Auch in den Interviews mit Christlichen Wissenschaftlern hier in Deutschland wurde der Verfasserin von zahlreichen Fällen schulmedizinisch nicht zu erklärenden Heilungen gravierender Krankheiten berichtet (darunter z. B. von einem Fall schwerster Kinderlähmung, den die Ärzte bereits aufgegeben hatten). Zur Effektivität von CS vgl. auch Harten-Hoencke, Toleranz, 1026–1027; Schoepflin, Christian Science on Trial, 123–127; Braden, Christian Science Today, 4–6. Kritiker – z. B. Moore, Hutten und Stark – halten diese Berichte allerdings für unglaubwürdig bzw. für Selbsttäuschung, da ihrer Ansicht nach CS schwere organische Leiden nicht heilen kann. Manche halten Eddys Lehre darum für sehr gefährlich (z. B. Gardner, Mary Baker Eddy; Fraser, God’s Perfect Child; Kramer, The Religion That Kills). Das ehemalige CS-Kirchenmitglied Rita Swan, deren zweijähriger Sohn 1977 an einer nicht schulmedizinisch behandelten Meningitis starb, gründete 1983 die Organisation Children’s Healthcare Is a Legal Duty (CHILD), die sich bis heute in den USA vehement gegen die Anwendung religiöser / geistiger Heilmethoden und für schulmedizinische Behandlung bei kranken Kindern einsetzt. Vgl. Schoepflin, Christian Science on Trial, 204–208, und CHILDs Internetseite http://www.childrenshealthcare.org/about.htm. 103 Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 197–198. In jüngster Zeit hat auch in schulmedizinischen Kreisen der sogenannte „ganzheitliche Ansatz“ wieder an Ansehen gewonnen (viele Ärzte versuchen heute, auch psychische und soziale Aspekte bei ihrer Diagnostik und Behandlung mit zu berücksichtigen).
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Christian Science ist keine Wunderheilung […], sondern beruht auf einem sich ständig erweiternden Verständnis von der gegenwärtigen Vollkommenheit von Gottes geistiger Schöpfung […]. Es ist eine auf den Lehren Jesu beruhende metaphysische Methodik, nicht blinder Glaube […]. Gebet im Sinne der Christian Science ist aktive und spezifische Behandlung. Es ist kein passives Abwarten eines nicht erkennbaren Willens Gottes, der hier mal eingreift und dort nicht […], sondern durch Erfahrung gefestigter Verlass auf die göttlichen Gesetze des Lebens.104
So kann Christian Science beides für sich in Anspruch nehmen: christlichen Glauben an die heilende Liebe und Allmacht Gottes und gleichzeitig eine – zumindest ihrer Ansicht nach – wissenschaftliche Methode, die auf immer funktionierenden und von allen Menschen nutzbaren Gesetzmäßigkeiten beruht.105 Der Zugang zu dieser Methode bzw. zur Praxis von Christian Science ist grundsätzlich einfach: Jeder Interessierte kann Christian Science durch intensive Lektüre und das dadurch erzeugte Verständnis von Eddys Lehrbuch praktizieren. Man braucht dazu weder ein Studium noch eine andere Ausbildung, keinen „Vorbeter“ oder eine Gebetsgemeinschaft. Jeder kann allein und für sich Christian Science praktizieren, und die Mehrzahl von Christlichen Wissenschaftlern gibt genau dieses Selbststudium von S&H als auslösenden Faktor für die erfolgte Heilung an bzw. kam hierdurch dazu, der Glaubensgemeinschaft beizutreten. Wie bereits erwähnt, gilt dieser ausgeprägte Individualismus (jedes Individuum kann für sich allein das Heil finden und erfahren, es ist nicht an eine Kirche oder Gemeinschaft gebunden) als eine der ganz typisch amerikanischen Eigenschaften von Christian Science.106 Es gibt im Rahmen der Gottesdienste, der Mittwochszeugnisversammlungen, in denen Mitglieder von ihren Heilungserfahrungen berichten, und durch die Publikationen allerdings auch durchaus Gelegenheit zum gemeinsamen Gebet und Austausch unter den Mitgliedern der Gemeinschaft. Zudem können sich besonders interessierte oder sich dazu berufen fühlende Gläubige durch einen zweiwöchigen Kurs (die sogenannte Primary Class) zum Praktiker (Practitioner) der Christlichen Wissenschaft ausbilden lassen. Die104 Herr, Brief an die Verfasserin vom 24. April 2006. Vgl. hierzu auch Eddys Aussage: „Should we implore a corporeal God to heal the sick out of His personal volition, or should we understand the infinite divine Principle which heals? If we rise no higher than blind faith, the Science of healing is not attained.“ Science and Health, 167. Dieser Punkt ist Christlichen Wissenschaftlern, die oft von Außenstehenden als „Gesundbeter“ bezeichnet werden, ausgesprochen wichtig. Vgl. auch Science and Health, 12–14 und 482–484. Allerdings liegt hier auch ein zentraler Unterschied zum Gnadenverständnis der etablierten Kirchen. 105 Vgl. hierzu Zweigs Kommentar: „Dadurch, daß Mary Baker Eddy mit genialem Blick ihr geistiges Heilmedizinieren auf den Felsen der öffentlich anerkannten Kirche stellte und ihre ,Science‘ mit dem jederzeit in Amerika allmagischen Wort ,Christian‘ bindet, deckt sie sich gewissermaßen den Rücken.“ Zweig, Heilung durch den Geist, 206. 106 Vgl. hierzu Pfülf, Christian Science, 75; Zweig, Heilung durch den Geist, 205–207; Hutten, Christliche Wissenschaft, 265.
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ser Unterricht ist nur ein Teil der notwendigen Qualifikation. Erst wenn die Absolventen eine ausreichende Anzahl eidesstattlich bezeugter Heilungen ernster Krankheiten vollbracht haben, die von dem hierfür zuständigen Kirchenausschuss anerkannt worden sind, werden ihre Namen (mit dem Zusatz „C.S.“ für „Christian Scientist“) in die offizielle Liste der autorisierten Praktiker im Christian Science Journal aufgenommen.107 Da das Handbuch ihnen ausdrücklich jede andere Erwerbstätigkeit untersagt, verdienen sich die meisten Praktiker, die nicht finanziell unabhängig sind, mit ihrer Praxis den Lebensunterhalt. Ihre spirituelle Heiltätigkeit ist somit nicht nur ein Akt christlicher Nächstenliebe, sondern auch ein anerkannter Vollzeitberuf.108 Gleiches gilt übrigens auch für die beiden anderen Hauptberufe innerhalb der Religionsgemeinschaft: die des Lehrers (Teacher) und des Vortragenden (Lecturer). Letztere werden vom Vortragsrat der Kirche ernannt (in der Regel handelt es sich um besonders erfahrene und redebegabte Absolventen der Primary Class) und werden von den Zweigkirchen in aller Welt eingeladen, um öffentliche Vorträge über Christian Science zu halten. Um Lehrer der Christlichen Wissenschaft zu werden, muss man mindestens drei Jahre lang erfolgreicher Praktiker gewesen sein und die nur von der Mutterkirche alle drei Jahre einmal angebotene, einwöchige Normal Class besucht haben. Deren Absolventen werden mit dem Namenszusatz „C.S.B“ (Bachelor of Christian Science) im Journal eingetragen, und ihre Lehrtätigkeit wird vom Unterrichtsrat der Kirche betreut und kontrolliert.109 Da es in der Kirche 107 Um am CS-Klassenunterricht (Primary Class) teilnehmen zu dürfen, muss man vorher Mitglied der Mutterkirche geworden sein. Vgl. Church Manual, Artikel VIII, Absätze 21–23. Für eine ausführliche Schilderung des Akkreditierungsprozesses als Praktiker vgl. Fox, Christian Science Practitioner, 103–106. Allerdings werden nicht alle Absolventen der Primary Class aktive Praktiker. Viele besuchen den Kurs nur um ihres eigenen spirituellen Fortschrittes willen und helfen anderen später auch kostenlos. 108 Bei relativ geringem Zeit- und Geldaufwand für ihre Ausbildung (die Gebühr für Teilnahme an der Primary Class wurde von Eddy im Church Manual auf 100 Dollar festgelegt, d. h. sie ist heute noch genauso hoch wie vor über 100 Jahren) sind die Verdienstmöglichkeiten gut. Praktiker sollen Eddys Anweisung zufolge je nach Fall ein Honorar in ungefähr der gleichen Höhe verlangen, das ein Arzt für die Heilung derselben Krankheit bekommen würde. S. Church Manual, Artikel XXVI und XXVII. In den USA, wo sogar einige Krankenversicherungen die Kosten für CS-Behandlungen übernehmen, werden Praktiker in der Regel entsprechend gut bezahlt (s. Braden, Christian Science Today, 257; Hutten, Christliche Wissenschaft, 256; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 206). In Deutschland ist die Situation für sie schwieriger, aber darauf wird später noch eingegangen. 109 Vgl. Church Manual, Artikel XXVI-XXX; John, Lebenseinstellung, 87–89; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 201; Herr, Brief an die Verfasserin vom 26. April 2006. Die Lehrer der Normal Class sind besonders erfahrene Teacher, die persönlich vom Kirchenvorstand berufen werden. Früher gab es auch den Titel „Doctor of CS“ (C.S.D.), der besonders qualifizierten Schülern verliehen wurde, die von Mary Baker Eddy persönlich unterrichtet worden waren. Vgl. Church Manual, Artikel XXIX, Absatz 1; Pabst, Brief an die Verfasserin vom 27. April 2006.
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Christi, Wissenschaftler keinen ordinierten Klerus gibt, sind die Praktiker, Lehrer und Vortragenden von größter Wichtigkeit für Christian Science, denn sie sind im Grunde die „Seelsorger“ der Gemeinschaft. Bei den Praktikern verbindet sich zudem die seelsorgerische mit einer physisch-heilenden Funktion, und da laut Eddy „Heilen besser als Lehren“ ist, wird den Praktikern besondere Achtung entgegengebracht.110 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die eigentliche „Behandlung“ bei Christian Science trotz ihrer im Idealfall physisch sicht- und spürbaren Wirkung eine rein geistige ist. Durch Gebet im Sinne eines Anerkennens der göttlichen Macht zu heilen, durch Zuspruch und Ermutigung, auf die Liebe Gottes zu vertrauen, helfen die Praktiker ihren Patienten dabei, die oben erläuterte „Wahrheit des Seins“ zu erkennen und zu spüren. Denn in dem Moment, da sie sich ihrer eigenen rein geistigen Natur als Abbild des vollkommenen Gottes ausreichend bewusst werden, erkennen sie, dass ihre Krankheit nur eine Täuschung ohne geistige Substanz ist und keine Wahrheit vor Gott hat. Idealerweise verschwinden alle Krankheitssymptome mit dieser Erkenntnis vollständig (dies kann sofort passieren, ist aber oft auch ein schrittweiser Prozess, parallel zu der notwendigen inneren Umwandlung und Vergeistigung des Denkens).111 Ein langjähriges Kirchenmitglied erklärte dies einmal folgendermaßen: It is as if someone is sitting in a room (his own consciousness) and the windows (his ability to see the Truth) are so dirty that no light can come in. So he is afraid of the darkness (disease, evil), but he is unable to clean the window. The practitioner basically helps to clean the window so the light of Truth can come into the room and there is no more darkness.112
Es ist auffällig, dass von diesen CS-Praktikern von Anfang an rund drei Viertel Frauen gewesen sind. Dazu ist anzumerken, dass Eddys Lehre zu einer Zeit, in denen dem weiblichen Geschlecht der Zugang zu den meisten aner110 Church Manual, Artikel XXX, Absatz 7. Vgl. hierzu auch John, Lebenseinstellung, 78; Fox, Christian Science Practitioner, 100–101. 111 Auch wenn im physischen Bereich hier durchaus eine sichtbare, körperliche Heilung stattfindet, so ist entsprechend der Lehre von CS diese nur ein Zeichen für die eigentlich vollkommene Natur des geistigen Menschen, der keiner Heilung bedarf. So ist auch das Gebet für Christliche Wissenschaftler weniger ein „Bittgebet“, wie es im Krankheitsfall von den meisten anderen Christen gebetet wird, sondern eine Vergegenwärtigung der wahren Natur Gottes und seiner Schöpfung: „Die Furcht schwindet, weil der Betende zu einem Verständnis der bestehenden und unumstößlichen Ordnung und Harmonie vordringt und sich schließlich als die unversehrte und unantastbare Offenbarung der göttlichen Güte und des vollkommenen göttlichen Wesens erlebt. Heilung und Lösung von Problemen sind dann die ‚Zeichen […], die folgen werden‘, um Jesu Worte zu benutzen (Markus 16,17).“ Herr, Christliche Wissenschaft, 52, und Brief an die Verfasserin vom 31. Mai 2006. Vgl. hierzu auch John, Lebenseinstellung, 155–163; Hutten, Christliche Wissenschaft, 264. 112 Interview der Verfasserin mit Nartonis am 17. Oktober 2005.
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kannten Berufen (außer Lehrerin und Krankenschwester) verwehrt war, diesem ein neues Arbeitsfeld schuf, das dem eines Arztes sowohl in Prestige als auch im Gehalt relativ ebenbürtig war. Außerdem konnten Frauen in der Kirche Christi, Wissenschaftler – im Gegensatz zu den etablierten Kirchen – von Anfang an spirituelle Führungspositionen einnehmen. Das für die damalige Zeit außergewöhnlich hohe Maß an Geschlechtergleichberechtigung innerhalb der Kirche Christi, Wissenschaftler ist ohnehin bemerkenswert. Eddy selbst war zwar keine politisch aktive Vorreiterin der Frauenrechtsbewegung, aber sie unterstützte viele derer Anliegen (z. B. das Frauenwahlrecht und Temperance), und ihre Vorbildfunktion als erfolgreiche, unabhängige Kirchengründerin ist nicht zu unterschätzen.113 All diese Aspekte trugen neben der o.g. besonderen Wirksamkeit der christlich-wissenschaftlichen Heilmethode für viele frauenspezifische Leiden zur großen Attraktivität von Christian Science für Frauen bei – und beflügelten somit auch den Erfolg der Kirche insgesamt.114 Frauen spielten auch bei der Internationalisierung der Glaubensgemeinschaft eine Vorreiterrolle. Es gab zwar bestimmte Positionen in ihrer Kirche, die Eddy vorrangig mit Männern besetzt sehen wollte, vor allem die Komitees für Veröffentlichungen. Wenn es aber darum ging, Christian Science in Städten innerhalb der USA oder später auch in anderen Ländern ganz neu zu etablieren, d. h. die Lehre Menschen nahe zu bringen, die davon noch nie gehört hatten, dann wählte sie in der Regel nur Frauen für diese verantwortungsvolle Rolle aus. Und es waren auch fast immer Frauen, die sich in den verschiedenen Ländern, in denen Eddys „Botschafterinnen“ Christian Sci-
113 Fraser gibt zu bedenken, dass Eddy in manchen Punkten den geschlechtsspezifischen Stereotypen ihrer Zeit verhaftet blieb. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 75–76. S. auch Science and Health, 59. Gill und Peel hingegen betonen Eddys aktiven Einsatz für Frauengleichberechtigung sowohl im sozialen und politischen Bereich als auch in der Etablierung eines androgynen Gottesbildes und der auf allen Ebenen vollzogenen Gleichberechtigung der Frau in ihrer Kirche. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 87–94, 228–232 und 414–417; Peel, Christian Science, 19 und 109; Science and Health, 16, 59 und 517. 1995 wurde Eddy in die National Women’s Hall of Fame aufgenommen und 1998 widmete man ihr eine Sonderausstellung im Women’s Rights National Historical Park in Seneca Falls, NY. 114 Im viktorianischen Zeitalter war die Rolle der Hüterin des Glaubens und der Moral durchaus der Frau bzw. der Mutter zugeordnet. Viele Frauen nahmen dies jedoch auch zum Anlass, die Sphärentrennung zu durchbrechen, und sie spielten in fast allen sozialen und spirituellen Reformbewegungen des 19. Jahrhunderts eine große Rolle. Vgl. Braude, Radical Spirits; Braude, Women and Religion; Cott / Pleck (Hg.), Heritage of Her Own; Plante, Women in Victorian America. Zum Zusammenhang zwischen der wirtschaftlichen Unabhängigkeit der CS-Praktikerinnen und der Popularität von Eddys Lehre vgl. auch Fox, Christian Science Practitioner; Stark, Rise and Fall of Christian Science.
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ence bekannt machten, der neuen Lehre gegenüber aufgeschlossen zeigten und die ersten neuen Zweigkirchen aufbauten.115 Auf den beachtlichen Erfolg im Hinblick auf die weltweite Ausdehnung von Christian Science ist ja bereits hingewiesen worden. Besonders große Zuwachsraten gab es natürlich in englischsprachigen Ländern, denn ohne gute Englischkenntnisse konnte man lange Zeit die Christliche Wissenschaft kaum verstehen. Das Lehrbuch wurde erst ab 1912 in andere Sprachen übersetzt, und Eddy schrieb außerdem ausdrücklich vor, dass alle Schüler der Normal Class „gründliche Kenner der englischen Sprache“ sein müssen. So wurden zum Beispiel in England schon zu ihren Lebzeiten 68 Zweigkirchen gegründet (eine Zahl, die sich bis zum Zweiten Weltkrieg auf über 300 erhöhte).116 Aber es gab ein anderes europäisches Land, in dem Eddys Lehre noch zu deren Lebzeiten besonders großes und tiefes Interesse zuteil wurde: Deutschland. Auf welche Weise es dieser amerikanischen Religionsgemeinschaft gelang, sich im Deutschen Reich erfolgreich zu etablieren, und welche äußeren Faktoren und besonderen Herausforderungen hierbei eine Rolle spielten, ist Thema des folgenden Kapitels.
115 Vgl. Kirchenhandbuch Artikel XXXIII, Absatz 4, sowie Fox, Christian Science Practitioner, 100-101. 116 Vgl. Church Manual, Artikel XXIX, Absatz 2; Braden, Christian Science Today, 271.
II. „THE FIRST EUROPEAN NATION“: DIE ERFOLGREICHE ETABLIERUNG VON CHRISTIAN SCIENCE IN DEUTSCHLAND, 1894–1914 Germany will be the first European nation to accept Christian Science. Their love of God, their profound religious character, their deep faith, and strong intellectual qualities make them [the German people] particularly receptive to Christian Science.1
Deutsche Christliche Wissenschaftler haben diesen Kommentar Mary Baker Eddys über die besondere Affinität der Deutschen zu Christian Science stets mit Freude, manchmal auch mit einem gewissen Stolz zur Kenntnis genommen. Zumal es eine nicht zu leugnende Tatsache ist, dass Eddys Lehre vom Ende des 19. Jahrhunderts an bis heute in Deutschland mehr Anhänger gefunden hat als in irgendeinem anderen Land, mit Ausnahme der USA und Großbritanniens.2 Das folgende Kapitel ist den Ursachen dieses Phänomens gewidmet. Darum soll zunächst die Frage nach der von christlich-wissenschaftlicher Seite gerne betonten besonderen Ähnlichkeit der Lehre Eddys mit spezifischen Strömungen der deutschen Geistesgeschichte diskutiert werden. Im Anschluss folgt dann eine Untersuchung der sozialhistorischen Hintergründe und des tatsächlichen Ablaufes der – trotz einiger innerer Konflikte und sprachpraktischer Probleme – erfolgreichen Etablierung von Christian Science im Deutschen Reich. II.1. „DEUTSCHES WESEN UND DENKEN“ IN DER LEHRE EDDYS? CHRISTIAN SCIENCE UND DIE DEUTSCHE GEISTESGESCHICHTE Die amerikanischen Wurzeln und die zu Recht als für die USA typisch geltenden Wesensmerkmale von Christian Science sind im vorigen Kapitel bereits erläutert worden. Es gibt allerdings auch einige Parallelen zwischen den Lehren bestimmter deutscher Philosophen und derjenigen Mary Baker Eddys. Manche deutschen Christlichen Wissenschaftler meinten deshalb sogar 1
2
Eddy zit. in Christian Science Sentinel 2.18 (4. Januar 1900), 283; auch zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2 „Christian Science Comes to Germany“, 1 (die Seitenzahlen des unveröffentlichten Manuskripts von Elaine Follis beziehen sich auf den der Verfasserin vorliegenden Ausdruck). Aufgrund der erwähnten Sprachbarriere war die Verbreitung von Christian Science außerhalb des englischen Sprachraums mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Umso bemerkenswerter ist die Popularität der Lehre in Deutschland, wo es mehr eingetragene CS-Gemeinden gibt als z. B. in Kanada oder Australien.
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Die erfolgreiche Etablierung von Christian Science in Deutschland
behaupten zu können, „lediglich Unwissende“ könnten der Ansicht sein, Christian Science sei „eine amerikanische Sekte“.3 Auch Wolf von MetzschSchilbach, der Autor des bislang einzigen Buchs zum Thema „Deutschland und die Christliche Wissenschaft“, betont in seinem Werk unablässig die Nähe zwischen Christian Science und deutscher Geistesgeschichte: Für uns Deutsche hat es einen eigenen Reiz, im Leben und in der Lehre der Mary Baker Eddy, die in Amerika geboren war, deutsches Wesen und Denken zu finden, denn leicht drängt sich der Gedanke auf, es müsse in den Adern der Künderin der Christlichen Wissenschaft ein gutes Teil deutschen Blutes geflossen sein.4
Diese „innere Verwandtschaft“ beruhte nach Ansicht Metzsch-Schilbachs sowohl auf einem tiefen inneren Zusammenhang zwischen Christian Science und der deutschen Philosophie, vor allem derjenigen Kants und Schopenhauers, sowie auf einem den Gedanken Eddys verwandten „urdeutschen Harmonieempfinden“, das nicht nur in der Philosophie, sondern auch in der deutschen Musik – vom Volkslied bis zu den Werken von Bach, Händel, Haydn, Beethoven und Wagner – klar zu erkennen sei.5 Eine These, die er auch durch den langjährigen Ruf der Deutschen als dem „Volk der Dichter und Denker“ bestätigt sah, der diesen eine besonders hohe Bereitschaft zum abstrakt-kreativen Denken und zur kritischen Diskussion philosophischer Fragen zuschreibt.6 Das „ernste Suchen nach Wahrheit“ und die quasi inhärente Harmoniesehnsucht der Deutschen war laut Metzsch-Schilbach auch dafür verantwortlich, dass die Lehre Eddys mit ihren „bedeutsamen harmonisch-musikalischen Elementen“ hierzulande so schnell Fuß fassen konnte und nicht auf so starke Widerstände stieß wie zu Beginn ihrer Geschichte in Amerika.7 3 4
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Vgl. Alfred Paschkes Vorwort in Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, vii. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 1. Der erste Teil des 1930 erschienenen Werkes ist dem Leben Eddys gewidmet und stützt sich weitgehend auf die Wilbur-Biographie; der zweite Teil untersucht die Lehre von CS bzw. deren Parallelen zur deutschen Philosophie. Vgl. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 119–204. Der Autor war zwar selbst kein Mitglied der Kirche, schätzte aber deren Lehre sehr, so dass sein Buch sicherlich auch darauf abzielte, die weitere Verbreitung von CS in Deutschland zu begünstigen. Dieser Ruf der Deutschen hat sich bis heute gehalten – besonders in Amerika. So sagte erst kürzlich ein amerikanischer Freund der Verfasserin, wenn er die nationale Eigenart der Deutschen in einem Wort zusammenfassen sollte, würde er „Problematisieren“ wählen. In ihrem Manuskript über die Anfänge der Christlichen Wissenschaft nennt Follis die besonders präzisen und logischen Denkfähigkeiten der Deutschen als einen der Hauptgründe für die Leichtigkeit, mit der CS sich im Deutschen Reich etablieren konnte. Vgl. Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 1. Zur Nachdenklichkeit und „permanenten Selbstanalyse“ der Deutschen vgl. auch das Interview mit der amerikanischen Philosophin und Kant-Expertin Susan Neiman in der Süddeutschen Zeitung vom 21. / 22. Januar 2006. Vgl. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 165–172.
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Es würde zu weit führen, das Thema der spirituellen Ausrichtung deutscher Musik hier weiter zu vertiefen (die diesbezüglichen Konstruktionen Metzsch-Schilbachs, der z. B. in Haydns „Schöpfung“ eine Widerspiegelung der Lehre Eddys zu erkennen glaubte, sind musikwissenschaftlich kaum fundiert, bieten jedoch interessante Einblicke in die Selbsteinschätzung der Deutschen im frühen 20. Jahrhundert).8 Auf die vor allem während des Nationalsozialismus von Gegnern der Christlichen Wissenschaft heftig bestrittene Ähnlichkeit bestimmter deutscher philosophischer Erkenntnisse mit der Lehre Eddys soll jedoch kurz eingegangen werden.9 Als Erstes ist hier sicherlich die Transzendentalphilosophie Immanuel Kants zu nennen, die in ihrer Auseinandersetzung mit dem Rationalismus und dem Empirismus einen Höhe- und zugleich Wendepunkt der deutschen Philosophie der Aufklärung bildete.10 Die entscheidende Neuerung in Kants Philosophie lag nämlich darin, dass das Erkennen nicht mehr als durch eine objektive Wirklichkeit bestimmt erschien, sondern die Wirklichkeit als von den Bedingungen des Erkennens abhängig verstanden wurde. Dabei ist laut Kant die Erkenntnis des Menschen auf das Gebiet der Erfahrung begrenzt, die er als Verarbeitung von sinnlich Gegebenem nach den individuell vorgegebenen Erkenntnisformen seines Verstandes (v.a. Raum und Zeit als „ForMetzsch-Schilbachs Fazit hierzu lautet: „Wer nicht wüsste, daß Mary Baker Eddys Lehre in New Hampshire ihre Heimat hatte […], möchte wohl glauben können, ihre Wiege habe irgendwo in deutschen Landen gestanden. So nahe liegt sie deutschem Empfinden.“ (172). In seiner Begeisterung für das „urdeutsche Harmonieempfinden“ (172) übersah der Autor allerdings, dass es im Amerika des 19. Jahrhunderts, z. B. im Transzendentalismus oder im Harmonialism durchaus ähnliche Strömungen gab (vgl. Kapitel I.). 8 Vgl. ebd. Der Arzt Carl Ludwig Schleich sagte hierzu z. B.: „Es kann wohl von niemandem ernstlich bestritten werden, daß wir Deutschen mit dem Charakteristikum unserer verträumten, gefühlsinnigen und grübelnden Seele – vielleicht gerade deshalb – das musikalischste Volk der Erde sind. […] Die Musik ist die unmittelbare Offenbarung der harmonischen Idee des Weltganzen.“ Zit. ebd., 168–169. 9 Zur scharfen Zurückweisung der angeblich falschen Interpretation Kants und Schopenhauers durch Christliche Wissenschaftler und dem Hinweis darauf, dass die Lehren der „wirklich großen“ deutschen Denker, nämlich Ludwig Klage und Friedrich Nietzsche, der Lehre Eddys vollkommen entgegenstehen, vgl. z. B. Findeisen, Christian Science und die Philosophie. 10 Die folgenden Anmerkungen sind notwendigerweise eine auf minimale Teilaspekte der deutschen Philosophiegeschichte verkürzte und sehr punktuelle Analyse bestimmter Fragen, die der Verfasserin im Zusammenhang mit CS besonders wichtig erschienen. Ausführlichere Überblicke zur deutschen Philosophie im 19. Jahrhundert bieten z. B. von Aster, Geschichte der Philosophie; Becher, Deutsche Philosophen; Cassirer, Kants Leben und Lehre; Gramzow, Geschichte der Philosophie; Schnädelbach, Philosophie in Deutschland. Zum Thema Religion und Philosophie, besonders dem Einfluss der Mystik auf die deutsche Philosophie, vgl. Pannenberg, Theologie und Philosophie. Für einen Vergleich des Transzendentalen Idealismus von Kant und Schopenhauer vgl. Stiglitz, Transzendentaler Idealismus.
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men der Anschauung“) begreift. Kant ging also davon aus, dass die Welt, wie wir sie mit unseren fünf Sinnen wahrnehmen, kein für uns fassbares wahres Sein hat bzw. dass ein Gegenstand, den wir zu erkennen glauben, nicht das „Ding an sich“, sondern eine auf unserer Wahrnehmung basierende Vorstellung desselben ist, d. h. eine nur in Beziehung zu unserer Erkenntnis gültige Erfahrung (auch wenn die Vorbedingung hierfür durchaus die noumenale Existenz des „Ding an sich“ ist). Das Bewusstsein des Menschen nimmt also laut Kant nicht nur passiv Sinneseindrücke von außen auf, sondern ist eine kreativ formende Instanz, welche die Auffassung des Menschen von der Welt prägt.11 Diese Erkenntnis Kants, dass der Mensch nur eine von seiner Anschauungsform abhängige Widerspiegelung der „Idee“ bzw. des „wahren Seins“ der Dinge und der Welt erkennt, ist natürlich auch ein zentraler Leitgedanke von Christian Science. Allerdings liegen in anderen Überzeugungen Kants, zum Beispiel in seinem Gottesbild und seiner strengen Moralvorstellung (Pflicht-Ethik) auch deutliche Unterschiede zur Lehre Eddys.12 In ähnlicher Weise reflektiert Christian Science bestimmte Elemente der deutschen Romantik und des deutschen Idealismus (der mit Kant einsetzte), ist diesen jedoch in anderen Punkten klar entgegengesetzt, wie die folgenden Beispiele verdeutlichen. Auf die grundsätzliche Tendenz der Romantik (als Gegenbewegung zu der oft als „kalt“ empfundenen Vernunftphilosophie der Aufklärung), sich auf den Glauben an das Universal-Beseelte der Natur zurückzubesinnen, wurde ja schon im ersten Kapitel kurz eingegangen (auch im Zusammenhang mit dem amerikanischen Transzendentalismus). Deutschland war damals der 11
Diese erstmals in seiner Kritik der reinen Vernunft (1781) vorgestellte These, dass sich nicht nur das Bewusstsein nach den Dingen richtet, sondern die Dinge sich auch nach dem Bewusstsein, bezeichnete Kant selbst als die „kopernikanische Wende“ in der Frage nach der menschlichen Erkenntnis, denn sie erschien ihm ebenso revolutionär wie die Behauptung von Kopernikus, dass die Erde um die Sonne kreise und nicht umgekehrt. Zur näheren Erläuterung der Kant’schen Philosophie s. Cassirer, Kants Leben und Lehre; Deleuze, Kants Philosophie; Höffe, Kant; Jasper, Kant; Stiglitz, Transzendentaler Idealismus. 12 Es wäre wünschenswert, dass über das spannende Thema „Christian Science und die Lehre Kants“ eine eigene philosophische Studie geschrieben würde. Es hier weiter diskutieren zu wollen, ist im Rahmen dieser Untersuchung unmöglich. So seien nur zwei relativ offensichtliche Unterschiede kurz genannt: Zu den a priori Erkenntnisformen zählt Kant neben den „Anschauungsformen“ (Raum und Zeit) auch die „Verstandesbegriffe“ der Kategorien (Quantität, Qualität, Relation, Modalität). Im Unterschied zu diesen haben die „Ideen“ (Gott, Seele, Welt, Freiheit, Unsterblichkeit) laut Kant als „Postulate der praktischen Vernunft“ keine „konstitutive“, sondern nur „regulative“ Bedeutung. Dagegen sah Mary Baker Eddy die Erkenntnis oder Nichterkenntnis der wahren Natur Gottes als absolut konstitutiv für alle menschliche Erfahrung an. Auch Eddys Betonung der Liebe als zentrales Wesenmerkmal Gottes ist sicherlich etwas, das CS von der Kant’schen Philosophie abgrenzt.
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Ausgangspunkt und das Zentrum romantischer Literatur und Philosophie, die den tiefsten Grund des Daseins im sogenannten „Weltgeist“ sah. Besonders bedeutsam für die Entwicklung der romantischen Weltanschauung war die Weiterbildung der Philosophie Kants durch Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Schelling und Georg Wilhelm Friedrich Hegel im sogenannten transzendentalen Idealismus.13 Im Gegensatz zu Materialismus und Realismus geht dieser davon aus, dass alle materiellen Dinge einen geistigen Ursprung haben und dass die gesamte Wirklichkeit aus einem geistigen Prinzip metaphysisch abgeleitet werden kann. Hierin liegt natürlich eine auffallende Ähnlichkeit mit der Lehre Eddys.14 Gegensätze sind jedoch ebenfalls schnell aufzuspüren, so zum Beispiel in Fichtes Lehre von der sittlichen Freiheit des absoluten Ichs als dem schöpferischen Prinzip des Geistes, die in Fichtes Glauben an die absolute Subjektivität und die radikale menschliche Freiheit mündete.15 Schelling sah in der Subjektivität der geistigen Welt und der Objektivität der Natur nur zwei Stufen eines zugrundeliegenden Gleichen bzw. den Ausdruck der einen absoluten Wahrheit. Darum forderte er, die Trennung von „Geist“ und „Materie“ ganz aufzuheben. Die Natur, die ganze physische Wirklichkeit sowie die Seele des Menschen verstand er als Ausdruck des einen Gottes oder „Weltgeistes“.16 Diese eher pantheistische Haltung war zwar ausgesprochen typisch für die Romantik, wurde von Eddy jedoch immer klar abgelehnt.17 Auch Hegel verwendete den Begriff „Weltgeist“, und sein Postulat „das Absolute ist der Geist“ spricht einen zentralen christlich-wissenschaftlichen Grundgedanken an. Aber Hegel fügte dem idealistischen Verständnis des Seins auch die Grundkategorie der Geschichte hinzu, d. h. er fasste die gesamte Wirklichkeit als dialektisch-prozessuale Selbstentwicklung und Selbstbewusstwerdung des absoluten Geistes auf. Hegels Idee der historisch bedingten jeweiligen Perspektivität von Wahrheit und seine Realdialektik können hier nicht näher erläutert werden, doch der Unterschied zu Christian Science dürfte offensichtlich sein.18 13 Vgl. Cassirer, Kants Leben und Lehre; Gramzow, Geschichte der Philosophie; Schnädelbach, Philosophie in Deutschland; Stiglitz, Transzendentaler Idealismus. 14 Vgl. z. B. die folgende These von Harten-Hoencke, der 1913 in einem Artikel in der Christlichen Welt für mehr Toleranz gegenüber CS wirbt: „Ihre Wurzeln sind alle einzeln in deutscher Philosophie zu finden. Jeder einzelne Lehrsatz […] aus dem die Christliche Wissenschaft begründenden Werke Science and Health von Frau Mary Baker Eddy ist in dem Anfangskapitel von Fichtes Anweisung zum seligen Leben enthalten.“ Harten-Hoencke, Toleranz, 1025. 15 Zu Fichtes Lehre, insbesondere seiner Verbindung von Religion und Philosophie, vgl. Asmuth, Fichte; Traub, Fichte; Traub, Fichtes Populärphilosophie. 16 Zur Philosophie Schellings vgl. Gulyga, Schelling; Tilliette, Schelling. 17 Zur Abgrenzung von CS zum Pantheismus vgl. Science and Health, 27, 129, 279–280 und 335; Weiss, Heilslehre der Christian Science, 42–48. 18 Hegels Lehre geht von einer Entwicklung des Geistes vom subjektiven zum objektiven
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Trotzdem bewogen die Ähnlichkeit von Hegel und Eddys transzendentalem Wirklichkeitsverständnis und die Existenz eines angeblich von Francis Lieber 1865 verfassten Vortragsmanuskripts über „The Metaphysical Religion of Hegel“, von dem Eddy Kenntnis genommen haben soll, Kritiker zu der Behauptung, Eddy habe große Teile ihrer Lehre von Hegel bzw. dessen Interpretation durch Lieber übernommen. Besonders vehement wurde diese These durch Walter M. Haushalter vertreten, der 1936 ein Buch mit dem Titel Mrs. Eddy Purloins from Hegel in Boston veröffentlichte. Zwar wurde die Authentizität des Lieber-Manuskriptes inzwischen von anderen Historikern angezweifelt, insbesondere von Conrad H. Moehlman, der 1955 eine Studie publizierte, der zufolge das besagte Manuskript eine Fälschung und zudem inhaltlich nicht mit Christian Science gleichzusetzen sei.19 Aber auch in neueren Beiträgen über Christian Science findet sich die Haushalter These – unter Verweis auf den Lieber Text – immer wieder.20 Unabhängig davon, ob bestimmte Passagen von S&H tatsächlich – wie Haushalter behauptet – ein Plagiat des umstrittenen Lieber-Manuskripts darstellen oder nicht, so ist in jedem Fall beachtlich, dass viele Menschen eine offenbar so enge Verbindung von Christian Science und der Philosophie Hegels sehen, dass sie die Idee einer direkten Abschrift für möglich halten.21 Arthur Schopenhauer, dessen Philosophie den deutschen Idealismus abschloss, war zugleich ein Hauptvertreter des philosophischen Pessimismus. und zum absoluten Geist aus, der über die Stufen von Kunst und Religion als verschiedene Grade des Sichbewusstwerdens Gottes im Menschen schließlich seine höchste Erscheinungsform in der Philosophie findet. Ein solches, auch in Bezug auf Gottes Geist historisch-dynamisches Denken lag Eddy fern. Zu Hegel und seiner Philosophie vgl. z. B. Jäschke, Hegel-Handbuch; Schnädelbach, Hegel; Schnädelbach, Hegels Philosophie. 19 Moehlman, Professor an der Rochester-Colgate Divinity School und aktiver Baptist, veröffentlichte seine Studie unter dem Titel Ordeal By Concordance. An Historical Study of a Recent Literary Invention. Robert Peel widmet diesem Thema einen eigenen Anhang in seiner Eddy Biographie und kommt zum gleichen Schluss wie Moehlman. Vgl. Peel, Years of Discovery, Appendix D. 20 Vgl. z. B. Hutten, Christliche Wissenschaft, 252–253; Gardner, Mary Baker Eddy, 145– 158; Fraser, God’s Perfect Child, 481. 21 Neben den Vorwürfen bezüglich des Lieber-Manuskripts hat es eine Reihe anderer Plagiatsvorwürfe gegen Mary Baker Eddy gegeben. Gardner widmet diesem Thema ein eigenes Kapitel mit einer „Konkordanz“, die zeigt, dass Eddy sich offenbar mehrfach der Ideen anderer Philosophen und Theologen bediente und in einigen Fällen ganze Passagen aus deren Texten fast wortwörtlich übernahm, ohne entsprechende Referenzen anzugeben. Vgl. hierzu Gardner, Mary Baker Eddy, 145–159; Fraser, God’s Perfect Child, 480–481; Hutten, Christliche Wissenschaft, 252–253. Peel weist darauf hin, dass es innerhalb der damaligen literarischen Konventionen sehr viel üblicher als heute gewesen sei, sich Gedanken anderer ohne Referenz „auszuleihen“, und Eddy habe dies kaum, und wenn, dann wohl eher unbewusst getan. Vgl. Peel, Years of Discovery, Appendix D; Fraser hält eine solche apologetische Erklärung jedoch für inakzeptabel, s. Fraser, God’s Perfect Child, 481.
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Auf den Lehren Kants und Schellings aufbauend, kam er im Gegensatz zu Hegel zu dem Schluss, dass die Wirklichkeit nicht durch Vernunft bestimmt sei, sondern durch „Vorstellung“ und durch „Willen“, der blind alles Leben vorantreibe. Auf dieser Irrationalität des menschlichen Willens basierten seine pessimistische Anthropologie und Ethik.22 Metzsch-Schilbach nennt Schopenhauer deshalb einen Vorgänger und zugleich einen Antipoden von Eddy. Beide hatten seiner Ansicht nach die Unwirklichkeit der materiellen Welt erkannt; aber wo Schopenhauer diese als eine brutale, allein vom menschlichen Willen abhängige beschrieb, sah Eddy eine harmonische Gottbestimmte und von dessen Liebe erfüllte Welt.23 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass sich trotz gewisser Ähnlichkeiten bei näherer Betrachtung auch zahlreiche gravierende Unterschiede zwischen Christian Science und dem deutschen Idealismus feststellen lassen. Es sollte an dieser Stelle auch nicht unerwähnt bleiben, dass es auch außerhalb Deutschlands und bereits vor Kant philosophische Lehren gab, die gewisse Parallelen zu derjenigen Eddys aufweisen. Beispielsweise die idealistisch-spiritualistische Weltanschauung (Immaterialismus) des irischen Philosophen Bischof George Berkeley, der die Existenz einer unabhängig von der menschlichen Wahrnehmung und dem „denkenden Geist Gottes“ bestehenden Außenwelt komplett leugnete.24 Eddy selbst hat übrigens stets bestritten, dass Christian Science in irgendeiner Weise durch die o.g. Philosophen beeinflusst worden wäre, und stellte explizit deren Unzulänglichkeiten gegenüber Christian Science heraus. So beschreibt sie in ihrem Buch Rudimental Divine Science, No and Yes von 1887 die Erkenntnisse von Kant, Fichte und Hegel – die sie hier in einem Atemzug und ohne zu differenzieren mit den Rationalisten Leibniz und Descartes, dem Pantheisten Spinoza und dem Idealisten Berkeley nennt – als „falsche metaphysische Lehren“, welche „die Zustände der Sterblichen in sittlicher, geistiger und körperlicher Hinsicht nicht verbessern“ könnten.25 Es ist aufgrund dieser und anderer Aussagen anzunehmen, dass Eddy zwar über
22 Zu Schopenhauers philosophischem Pessimismus vgl. Ackermann, Schopenhauer; Safranski, Schopenhauer. 23 Vgl. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 142–147 und 158–162. 24 Zur Lehre Berkeleys und seinem Einfluss auf die deutsche Philosophie vgl. Beyl, Bischof Berkeley; Berman, George Berkeley; Stäbler, George Berkeley. Zu den Berührungspunkten sowie Unterschieden zwischen Berkeley, dem deutschen Idealismus und CS s. auch Weiss, Heilslehre der Christian Science, 159–171. 25 Im gleichen Zusammenhang verurteilt sie auch die Lehren von Leibniz, Descartes, Spinoza und Berkeley als falsch und minderwertig im Vergleich zu CS. Eddy, Nein und Ja, 22 (auch zit. in Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 146); vgl. auch Eddy, Retrospection, 37 (auch zit. in Weiss, Heilslehre der Christian Science, 162).
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gewisse Grundkenntnisse der Werke dieser Philosophen verfügte, sich jedoch nie systematisch damit auseinandergesetzt hatte. Obwohl einige Grundgedanken des deutschen Idealismus ganz offensichtlich in der Lehre Eddys auftauchen, ist weder eine direkte Abhängigkeit der Christlichen Wissenschaft von den Lehren deutscher Philosophen noch eine weitreichende inhaltliche Übereinstimmung derselben nachweisbar.26 Dies ändert jedoch nichts daran, dass deutsche Christliche Wissenschaftler an die „innere Verwandtschaft“ und „große Nähe“ zwischen deutschem Denken und Christian Science glaubten bzw. in ihren Publikationen eine solche konstruierten.27 Zum einen konnte man mit dieser These auch nach außen hin die besondere Popularität der Lehre in Deutschland positiv erklären. Zum anderen bot sie eine hervorragende Verteidigungsmöglichkeit gegenüber Kritikern, die – besonders zu Beginn des 20. Jahrhunderts sowie in den 1920er und 1930er Jahren – Christian Science oft als „undeutschen Glauben“ oder „amerikanische Sekte“ verurteilten. So findet sich zum Beispiel in einer Erwiderung der Kirche auf einen Artikel, der 1936 in der NS-Wochenschrift Durchbruch erschien und behauptete, Eddys Lehre sei sowohl „Volksverblödung als auch eine Gefährdung der Volksgesundheit“, folgender Hinweis auf Kant und Schopenhauer: Er [Kant] sagt in seiner „Kritik der reinen Vernunft“, daß alle Gegenstände einer uns möglichen Erfahrung nichts als Erscheinungen, d.i. bloße Vorstellungen sind, die […] „außer in unseren Gedanken keine an sich gegründete Existenz haben“. Ähnlich sagte Schopenhauer, daß „alles, was wir kennen, innerhalb des Bewusstseins liegt“. Mit anderen Worten: Kant erkannte, daß alles, was wir räumlich und zeitlich wahrnehmen, dadurch wahrgenommen wird, daß es gedacht wird, und daß alles, was außerhalb dieser Wahrnehmung existiert, vom Verstande nicht erkannt und nicht begriffen werden kann, weil es über die Möglichkeit des Wahrnehmungsvermögens herausgeht. […] und nun kommen wir schon auf den einen Kernpunkt, der verstanden werden muß, wenn wir verstehen wollen, wie die Heilungen in der Christian Science vor sich gehen.28
Beachtenswert ist darüber hinaus, dass manche deutschen Autoren Christian Science auch in einem größeren, spezifisch deutschen heilsgeschichtlichen Zusammenhang darstellten. Metzsch-Schilbach zum Beispiel sah nicht nur die Philosophien Kants und Schopenhauers als wichtige metaphysische „Vorstufen“ von Christian Science, auf die Eddy dann mit ihrem neuen Ansatz der „Erkenntnisweise durch das göttliche Gemüt“ aufbauen konnte, sondern er wies auch auf die seiner Ansicht nach höchst bedeutenden Parallelen zwischen Eddy und Martin Luther hin. Seiner Ansicht nach ist Luthers Wirken
26 Vgl. hierzu auch Weiss, Heilslehre der Christian Science, 169–172. 27 S. z. B. Harten-Hoencke, Toleranz; Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft; Follis, Christian Science and the Third Reich. 28 Der Artikel „Ein gefährlicher Zauberglaube der Jetztzeit, genannt Christian Science“ sowie die Replik der CS-Kirche erschienen im Durchbruch 8 (1936), zit. in Findeisen, Christian Science und die Philosophie, 764–765.
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quasi als gottgewollte Vorbereitung auf die Ankunft von Christian Science zu verstehen: Nach Gottes Fügung und weiser Führung mußte zuerst ein Luther kommen, die Bahn frei zu machen. Es galt zuvor alle Barrikaden wegzuräumen, die Rom zwischen Gott und der Menschheit errichtet hatte. Erst mußte reiner Tisch gemacht werden mit dieser Fegefeuerirrlehre, diesem Heiligenkult, dieser Reliquienanbetung, diesem Ablasskram […]. Es galt überhaupt erst das Recht zu erkämpfen, die Bibel lesen zu dürfen […]. Ohne diesen Reinigungsprozeß, der Luft und Licht brachte und das Blickfeld freigab, war Mary Baker Eddys Lehre nicht denkbar, und wäre sie gedacht worden, sie hätte sich nimmermehr behaupten können.29
Auch einige amerikanische Christliche Wissenschaftler stimmten dieser These zu; beispielsweise schrieb William Stillman über die internationale Ausbreitung von Christian Science: Germany was a logical country for Mrs. Eddy to send a missionary, for it was the heart and soul of Protestant thought. It was here that the spiritual elements of reformation led Martin Luther to rebel against the materialistic, dogmatic structures of the Catholic Church […]. By the 20th century, Germany was ready and eager for Christian Science.30
Metzsch-Schilbach hob in diesem Zusammenhang auch die Bedeutung der Lutherischen Bibelübersetzung als Grundlage aller wissenschaftlichen Bibelforschung hervor. Luther und seinen Nachfolgern sei es schließlich, genau wie Eddy, immer darum gegangen, „auf die reine urchristliche Lehre“ zurückzugehen. Darum habe, so der Autor, die deutsche kritische Bibelforschung immer eine lobenswerte und führende Rolle als „Wegbereiterin“ der Kirche Christi, Wissenschafter gespielt.31 Es ist anzunehmen, dass derartige Behauptungen damals bei den der Lehre Eddys ohnehin weitgehend ablehnend gegenüberstehenden deutschen Theologen und Exegeten entsprechende Ressentiments nur verstärkt haben. Allerdings stießen sie in den Kreisen der deutschen Anhänger von Eddys Lehre und wohl auch bei einigen Außenstehenden auch auf positiven Widerhall.32 Neben den bislang angeführten gibt es allerdings auch noch zwei andere (von Metzsch-Schilbach nicht angesprochene) Punkte innerhalb der deutschen Religions- bzw. Geistesgeschichte, die im Zusammenhang mit Christian Science kurz erwähnt werden sollten. Der erste ist der deutsche Pietismus, der zumindest in einigen Punkten gewisse Ähnlichkeit mit den Vorstellungen Eddys hat. Diese ursprünglich 29 Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 127–128. Zum Vergleich zwischen Luther und Eddy s. auch 124–129. 30 Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 5–6. 31 Vgl. Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 197–198. 32 Vgl. hierzu Barth, Christian Science; Harten-Hoencke, Toleranz; Thomassin, Christian Science.
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aus England und den Niederlanden kommende, protestantische Frömmigkeitsbewegung war eine Gegenströmung zum erstarrten Dogmatismus der lutherischen Orthodoxie und konzentrierte sich besonders auf das subjektivpersönliche Verhältnis des Menschen zu Gott. Ihre Blütezeit reichte vom Ende des 17. bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts. Durch Verinnerlichung und Empfindungsreichtum (auch in Verbindung mit mystischen Motiven) wollte der Pietismus an die Stelle der erstarrten alten kirchlichen Formen eine neue „Liebesgemeinschaft der ernsthaft gläubigen Christen“ setzen. Hierin liegt sicherlich eine gewisse Parallele zur Lehre Mary Baker Eddys.33 Der deutsche Pietismus, zu dessen Zentrum die Universität Halle an der Saale wurde, entwickelte jedoch keine eigene Theologie und blieb meist als Erneuerungsbewegung innerhalb der etablierten Kirchen. Zwar gab es auch einen stärker von Mystik und Spiritualismus getragenen radikalen Pietismus, dessen Anhänger eigene Lebensgemeinschaften gründeten, um die „urchristliche Brüderlichkeit“ besser verwirklichen zu können (z. B. die Brüdergemeinde, die auch Brüderunität, Herrnhuter oder Evangelische Brüderkirche genannt wird); aber auch diese haben sich immer als Teil der lutherischen Kirche verstanden und – im Gegensatz zur Kirche Christi, Wissenschaftler – die altkirchlichen Bekenntnisse voll akzeptiert.34 Der zweite Punkt sind gewisse Formen von Geistheilung oder „physical religion“, die in Deutschland zwar im Gegensatz zu Amerika nicht zur Gründung einer eigenen Religion führten, aber offenbar im 19. Jahrhundert einen lebhaften Diskurs unter deutschen Medizinern und Theologen hervorbrachten. Aus diesem entstanden auch einige für diese Untersuchung interessante Publikationen, die bislang in der Forschungsliteratur zur Christian Science weitgehend unbeachtet geblieben sind.35
33 Auch Follis meint, dass die „German Pietist tradition“ ein Grund für die Offenheit der Deutschen gegenüber CS gewesen sei, „a religion which emphasized individual prayer and practice instead of ritualism and ceremony“. Vgl. Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 1. 34 Die 1722 auf dem böhmischen Gut Berthelsdorf gegründete Kolonie der Herrnhuter waren die einzigen Pietisten, denen es gelang, eine dauerhafte Gemeinschaft hervorzubringen. Viele von ihnen wanderten im 19. Jahrhundert in die USA und nach Kanada aus. In Deutschland gibt es heute rund 25 Gemeinden, und seit 1948 ist die Evangelische Brüderkirche offiziell der Evangelischen Kirche in Deutschland angeschlossen. Weit über pietistische Kreise hinaus sind die seit 1731 verbreiteten Losungen zur täglichen Besinnung der Brüdergemeinde bekannt, in denen man auch eine gewisse Ähnlichkeit zu den täglichen Bibellektionen von CS sehen könnte. Zum Pietismus s. Brecht, Pietismus; Gleixner, Pietismus und Bürgertum; Hermann / Priem (Hg.), Konfession als Lebenskonflikt. Zur frühen Verbindung von Pietismus und alternativer Medizin vgl. z. B. Toellner, Sanfte Medizin; Geyer-Kordesch, Pietismus, Medizin und Aufklärung. 35 Einzig in Huttens Text findet sich ein kurzer Hinweis auf die Schriften Passavants (s.u.), aber ohne nähere inhaltliche Erläuterung. Vgl. Hutten, Christliche Wissenschaft, 273– 274.
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Eine zentrale Figur dieser Bewegung war der Frankfurter Arzt und Schriftsteller Johann Karl Passavant (1790 bis 1857). Passavant, der eigentlich Geistlicher werden wollte und auf Wunsch des Vaters Medizin studiert hatte, pflegte intensive Freundschaften und geistigen Austausch mit zahlreichen bedeutenden Theologen (z. B. Sailer und von Diepenbrock) und Philosophen (z. B. Schelling und Schleiermacher) seiner Zeit.36 Gleichzeitig widmete er sich intensiv der Erforschung bestimmter physiologisch-psychologischer Phänomene und der Wirkung alternativer Heilmethoden, darunter auch dem durch Mesmer bekannt gewordenen „animalischen Magnetismus“ und der Homöopathie. Aufgrund seiner naturwissenschaftlichen, philosophischen und theologischen Betrachtungen kam Passavant zu dem Schluss, dass Vernunft und Offenbarung aus einer Quelle stammen müssten und sich daher nicht widersprechen könnten. Deshalb forderte er: „Alle Philosophie muß zur Theosophie, alle Wissenschaft zur Mystik geläutert und verklärt werden.“37 Seine Lehre vom „Lebensmagnetismus“ (in der sich, wie bei Evans, Gedanken von Mesmer und Swedenborg widerspiegeln, s. Kapitel 1), soll hier nicht im Einzelnen erläutert werden. Wichtige Punkte sind jedoch vor allem Passavants Glaube, im geistigen Leben herrschten analoge Gesetze zu denen des materiellen Lebens und das Verständnis der Naturkräfte führe zum Verständnis der höheren Kräfte. Diesen Verständnisprozess gliederte er in drei Schritte: 1. den „thierischen Instinkt“ („niedere Ahnen“); 2. das Hellsehen („magische[s] Schauen“); und 3. die „gottbegeisterte Seherkraft, bei der der menschliche Geist freies Organ des Absoluten wird“.38 Im letzten Schritt sah Passavant „das Hereinleuchten einer höheren Weltordnung“ bzw. die direkte Teilnahme des Menschen „an der göttlichen Natur“. Letzteres Ziel war seiner Ansicht nach jedoch erst im Jenseits ganz erreichbar.39 In dieser Einschränkung sowie in Passavants Festhalten an der Realität gewisser organischer, d. h. materieller Kräfte liegen deutliche Unterschiede zur Lehre Eddys. Andererseits gibt es auch Ähnlichkeiten im Denkansatz, zumal Passavant, wie Eddy, fest davon überzeugt war, dass in der Erkenntnis 36 Obwohl Passavant Protestant war, pflegte er mit dem katholischen Theologieprofessor und späteren Bischof Johann Michael Sailer und dessen Assistenten und späteren Kardinal Melchior von Diepenbrock Zeit seines Lebens eine herzliche und intensive Freundschaft. Nicht zuletzt deswegen war ihm die Versöhnung zwischen Katholiken und Protestanten immer ein großes Anliegen. Vgl. Dechent, Passavant. 37 Passavant zit. in Dechent, Passavant, 204. 38 Ebd., 205–206, s. auch Passavants Schriften, hg. von Hoffmann und von Riemeck. Passavant ging auch von drei Stufen der „lebensmagnetischen Erscheinungen“ aus: 1. eine rein organische Tätigkeit, die bei allen Lebewesen zu beobachten ist; 2. eine geistige, bei der das „organische Prinzip“ vom menschlichen Willen gesteuert wird; 3. eine höhere geistige, bei der der menschliche Geist dem „absoluten Geist“ als Leiter dient und so die Schranken seiner jetzigen Natur überwinden kann. 39 Dechent, Passavant, 205–206.
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des Göttlichen bzw. in der Annäherung an die „gottbegeisterte Seherkraft“ der Schlüssel zur wahren Heilung von Krankheiten läge. In zahlreichen Schriften und öffentlichen Vorträgen versuchte Passavant, eine Verbindung seiner naturwissenschaftlichen Lehren mit seiner christlichen Überzeugung herzustellen. Auf diese Weise trugen seine Ideen u.a. zur Gründung einer Zeitschrift bei, die von 1850 bis 1861 einmal jährlich unter folgendem Titel erschien: Deutsche Zeitschrift für Christliche Wissenschaft und Christliches Leben.40 Diese Zeitschrift – sowohl deren Titel als auch deren Inhalt – sollte ein halbes Jahrhundert später dazu führen, dass Marie Schön, eine deutsche Dissidentin der Kirche Christi, Wissenschaftler (auf deren Rolle später noch eingegangen wird), Mary Baker Eddy das Urheberrecht an dem Begriff „Christliche Wissenschaft“ absprach. Sie stellte sich dabei – auch vor Gericht – erfolgreich auf den Standpunkt, die Bezeichnung Christliche Wissenschaft hätte „hier in Deutschland ihre Geburtsstätte und ihre Heimatrechte“.41 Außerdem glaubte Schön, in Passavants Schriften bereits entscheidende Grundlagen für ihr Verständnis von Christian Science zu erkennen.42 In diesem Zusammenhang sei auch erwähnt, dass sich in der Schweiz unter Berufung auf Passavants Schriften seit 1907 verschiedene Kreise von der Mutterkirche unabhängiger Christlicher Wissenschaftler etablierten, die sich 1933 zum „Schweizerischen Landesverband freier Christlicher Wissenschafter“ zusammenschlossen.43 Insgesamt gesehen erscheint es somit doch glaubhaft, dass die bemerkenswerte Popularität von Christian Science in Deutschland (und der Schweiz) in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts zumindest teilweise darauf zurückzuführen ist, dass es in der deutschen Geistesgeschichte tatsächlich gewisse Strömungen gab, die hier eine besondere Offenheit gegenüber den 40 Die von den Doktoren Julius Müller, August Neander und Karl Nitzsch gegründete Zeitschrift zielte darauf ab, „der Beantwortung der Lebensfragen dieser Zeit“ zu dienen, und sah einen Hauptzweck der Christlichen Wissenschaft darin, die Medizin wieder vom materiellen in den spirituellen Bereich zurückzuführen: „Die Medizin muß aus der Erstorbenheit, in welche sie durch den Unglauben gottloser Zeiten, durch den Aberglauben an die tote Materie versunken war, wieder erweckt werden.“ Vgl. hierzu das „Programm“ des Herausgebers der Zeitschrift, K. F. Th. Schneider, in der ersten Ausgabe, sowie den Kommentar Marie Schöns in Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft 23.7 / 9 (1924), 108–111. Die Existenz dieser Zeitschrift wurde bislang in der CS-Forschung offensichtlich übersehen. Dass sie absichtlich unerwähnt blieb, ist weniger wahrscheinlich, da die „kirchentreuen“ Autoren sich kaum näher mit der Geschichte von CS in Deutschland befasst haben und die anderen (z. B. Meynig, Weiss, Hutten, Obst und Reimer) keinen Grund für so eine Auslassung gehabt hätten. 41 Schön, „Aus dem Leserkreise“, in: Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft 23.7 / 9 (1924), 108. 42 Schöns Buch Das Unbedingte geht direkt auf Passavants Schriften zurück. S. auch Hutten, Christliche Wissenschaft, 273. 43 Vgl. hierzu Hutten, Christliche Wissenschaft, 274.
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Grundideen der Christlichen Wissenschaft schufen. Insofern ist – trotz seiner teilweise maßlos überzogenen Interpretationen – Metzsch-Schilbachs These, dass die Lehre Eddys „im deutschen Fühlen und Denken, Forschen und Empfinden einen gut vorbereiteten Boden“ fand, nicht ganz von der Hand zu weisen.44 Natürlich gab es auch eine Reihe anderer Faktoren, die dazu beitrugen, dass sich Christian Science so erfolgreich in Deutschland etablieren konnte. Dazu gehörten sowohl bestimmte historische Umstände als auch das außergewöhnliche Engagement einiger Individuen. Beides soll im Folgenden erörtert werden. II.2. „WUNDERTATEN DER WAHRHEIT“ IN EINER ZEIT DER KRISE: DIE GRÜNDUNG DER ERSTEN CHRISTIAN SCIENCE GEMEINDEN IM DEUTSCHEN REICH Wie anfangs schon erwähnt, existiert bislang keine historische Studie zur Entwicklung von Christian Science und der Kirche Christi, Wissenschaftler in Deutschland. Zwar verfasste Clifford P. Smith 1934 im Auftrag des Bureau of History and Records der Mutterkirche 1934 einen Bericht mit dem Titel „Early History of Christian Science in Germany“, aber dieser Überblick ist nur fünf Seiten lang und geriet offenbar schnell in Vergessenheit.45 Mehr Aufmerksamkeit erhielt das einzige zu diesem Thema geschriebene und 1931 von der Amerikanerin Frances Thurber Seal publizierte autobiographische Werk Wundertaten der Wahrheit: Im Anfang der Christian Science in Deutschland.46 Das Buch, in dem Seal schildert, wie es ihr im Auftrag der Mutterkirche und „mit Gottes wunderbarer Hilfe“ gelang, Christian Science in Deutschland einzuführen, ist allerdings in weiten Teilen eher ein emphatisches Glaubenszeugnis als eine historisch verlässliche Tatsachenschilderung. Trotzdem hatte es – wohl auch wegen des Mangels an alternativen Texten – erheblichen 44 Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 202. Am Ende seiner Studie prognostiziert der Autor, dass, sobald sich die politische Lage in Deutschland erst wieder beruhigt habe und sich die Bevölkerung neben der Sorge ums tägliche Brot auch wieder geistigen Dingen zuwenden könne, Christian Science ein „noch herrlicherer Aufstieg“ beschieden sei, „ nirgends mehr wie bei uns“. Ebd., 203–204. 45 Smith, ein ehemaliger Richter, leitete damals das o.g. Büro und war noch von Eddy selbst unterrichtet worden. Er war offenbar sehr interessiert an Deutschland und vertrat 1935 die Kirche Christi, Wissenschaftler offiziell bei Verhandlungen mit Vertretern des Dritten Reichs. Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 3. Der o.g. Bericht wurde 1934 auch im CS-Journal veröffentlicht, vgl. Smith, Early History, 309-313. 46 Der Originaltitel lautete Christian Science in Germany. Das Buch wurde 1960 von Seals Schülerin Magdalena Strub-Gass ins Deutsche übersetzt, bei G. Tschan in der Schweiz gedruckt und ist seither in mindestens drei Auflagen erschienen.
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Einfluss auf das Geschichtsbild der Christlichen Wissenschaft in Deutschland. Noch heute glauben die meisten Kirchenmitglieder, dass erst durch Seal, d. h. erst Ende der 1890er Jahre, Christian Science überhaupt in Deutschland bekannt wurde.47 Die Geschichte von Christian Science in Deutschland begann jedoch deutlich früher. Dem Bericht von Smith zufolge war der erste deutsche Christliche Wissenschaftler Hans Eckert aus Cannstatt (bei Stuttgart). Dieser hatte 1889 bei einem längeren USA-Aufenthalt Christian Science kennen gelernt. Anfang der 1890er Jahre nahm er an der Primary Class teil und wurde 1893 offiziell Mitglied der Mutterkirche in Boston. 1894 kehrte Eckert nach Cannstatt zurück und brachte ein Exemplar von S&H mit nach Hause, mit dessen Hilfe er im Laufe der nächsten Dekade Eddys Lehre im Stuttgarter Raum bekannt machen konnte.48 Aber 1891, d. h. drei Jahre vor Eckerts Rückkehr, war in Berlin bereits eine Broschüre mit dem Titel „Was lehrt man in der Kirche Christi, des Scientisten?“ im Umlauf.49 Und der erste nachweisliche Kontakt der Deutschen mit Mary Baker Eddys Lehrbuch fand sogar noch eine Dekade früher statt. Wie aus unveröffentlichten Buchhaltungsunterlagen der Kirche hervorgeht, bestellte der renommierte deutsche Physiker Karl Friedrich Zöllner, Ordinarius der Universität Leipzig und Mitbegründer der Astrophysik, bereits im August 1881 zwei Kopien von S&H bei der (erst 1879 gegründeten) Church of Christ, Scientist in Boston.50 47 Vgl. hierzu z. B. Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 5; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 1. Auch die Verfasserin stieß erst nach längerer Recherche auf den o.g. Smith-Artikel und fand im Archiv der Mutterkirche in Boston weitere diesbezügliche Quellentexte, insbesondere in der Korrespondenz Eddys. 48 Vgl. Smith, Early History, 309; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2. Offenbar begann Eckert kurz nach seiner Rückkehr, regelmäßige Sonntagsgottesdienste zu halten; die erste Christian Science Society in Stuttgart wurde allerdings erst 1904 gegründet, und die First Church of Christ, Scientist, Stuttgart erst 1913. Hierzu sei angemerkt, dass, laut Handbuch zur Gründung einer CS-Zweigkirche, mindestens 16 Christliche Wissenschaftler nötig sind, von denen vier eingetragene Mitglieder der Mutterkirche sein müssen), vgl. Church Manual, Artikel XXIII, Absatz 7. Außerdem müssen alle Zweigkirchen einen öffentlichen Leseraum unterhalten. Vgl. ebd., Artikel XXI, Absatz 1. 49 In seinem Artikel „Kritische Urteile über Christian Science“ von 1901 erwähnt Charles Thomassin diesen Text eines unbekannten Verfassers, den man damals offensichtlich in Berlin bei dem Verlag Schwetschke und Sohn für fünfzig Pfennige erwerben konnte. Vgl. Christian Science, 740. Bei dieser Broschüre, die, soweit die Verfasserin feststellen konnte, leider nicht mehr erhältlich ist, handelt es sich wahrscheinlich um den ersten in Deutschland publizierten Text über die Christliche Wissenschaft. 50 Bei Nachforschungen der Verfasserin im Archiv der Mutterkirche in Boston entdeckte sie die Bestätigung dieser Bestellung Zöllners (mit Datum vom 19. August 1881) in alten sales records der Kirche. Die Authentizität dieser bislang unbekannt gebliebenen Information wurde später noch einmal schriftlich von Judy Huenneke, der zuständigen
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Zöllner interessierte sich neben seinem Spezialgebiet der Photometrie auch für metaphysische Erkenntnistheorien und spiritistische Phänomene. Sein 1872 erschienenes Werk Über die Natur der Kometen, Beiträge zur Geschichte und Theorie der Erkenntnis enthielt beispielsweise nicht nur eine physikalische Theorie der Kometen, sondern auch eine an Kant und Schopenhauer angelehnte kritisch-philosophische Darstellung der Naturerkenntnis.51 Offensichtlich führte ihn dieses Interesse auch zu Mary Baker Eddys Lehre und zur Bestellung des Buches. Da Zöllner wenige Monate später, im April 1882, (erst 48-jährig) starb, haben wir keine Zeugnisse über seine Einschätzung von Christian Science. Aber die Tatsache, dass ein angesehener Leipziger Professor sich bereits zu Beginn der 1880er Jahre Eddys Hauptwerk aus Boston schicken ließ, sowie die Existenz der erwähnten Broschüre über Christian Science von 1891 zeigen, dass der erste deutsche Kontakt mit bzw. das erste Interesse an der neuen amerikanischen Lehre Christian Science deutlich früher datiert werden muss, als bislang angenommen wurde.52 Das große Interesse Zöllners an wissenschaftlichen Erklärungen für spiritistische Erscheinungen und paranormale Phänomene, seine Theorie über die Existenz einer vierten Dimension oder transzendentalen Daseinsebene und der Versuch, Physik und Metaphysik in Einklang miteinander zu bringen, waren damals keineswegs untypisch. Viele deutsche Wissenschaftler zählten sich zu den „Grenzgängern“ zwischen Naturwissenschaft und Theologie bzw. Metaphysik, und es gab offenbar innerhalb der gesellschaftlichen Elite im wilhelminischen Deutschland ein weit verbreitetes Bedürfnis nach neuen Glaubensmodellen jenseits der kulturell akzeptierten christlichen Religiosität.53 Bibliothekshistorikerin, bestätigt, s. Brief von Huenneke an die Verfasserin vom 9. Februar 2006. 51 Zöllner war seit 1869 Mitglied der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften. Er erfand einen neuen Astrophotometer (Zöllnerscher Photometer), entdeckte die „Zöllnersche Täuschung“ (eine optische Illusion, die Parallelen konvergent erscheinen lässt) u.v.m. Aufgrund seiner Leistungen in der Astrophysik wurde der „ZöllnerKrater“ des Mondes nach ihm benannt. U.a. vertrat Zöllner die Theorie des vierdimensionalen Raumes und führte in den 1870er Jahren eine Reihe von Versuchen mit dem amerikanischen Medium Henry Slade durch, aufgrund derer er seine Theorien über die metaphysischen Hintergründe der Materie bestätigt sah. Zu Zöllners Leben und Werk vgl. Koerber, Karl Friedrich Zöllner; Hermann, Karl Friedrich Zöllner; Meinel, Karl Friedrich Zöllner; Waldrich, Karl Friedrich Zöllner. Ein komplettes Verzeichnis der zahlreichen Schriften Zöllners bietet Hamel, Bibliographie. 52 Durch wen oder durch welche Schriften Zöllner auf Eddys Lehre aufmerksam wurde, ist nicht mehr klar nachweisbar, es ist jedoch zu vermuten, dass der Kontakt über in Amerika lebende Deutsche oder durch wissenschaftliche Kontakte Zöllners in die USA zustande kam. 53 So interessierte sich eine Reihe anderer Physiker sehr für Zöllners spiritistische Experimente mit dem Amerikaner Slade. Seine beiden Kollegen Gustav Theodor Fechner (Begründer der Psychophysik) und Wilhelm Weber (Erfinder des elektromagnetischen Te-
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Dies spiegelte sich im Aufkommen neuer naturwissenschaftlich-monistischer Weltanschauungen, beispielsweise Ernst Haeckels religiösem Biologismus (den er selbst als die „monistische Naturreligion der Zukunft“ beschrieb)54, sowie in der Begeisterung zahlreicher deutscher Bürger und Wissenschaftler für okkulte Lehren und Phänomene, insbesondere Spiritismus und Theosophie. Die Spiritisten sahen ihre Methode zum Beispiel als den besten Weg, die als unbegrenzt verstandenen Möglichkeiten der experimentellen Naturwissenschaften in den Dienst der Erforschung des Übersinnlichen zu stellen.55 Sowohl Monismus als auch Spiritismus, und auf ihre Weise auch die Theosophie, zielten somit darauf ab, das religiöse Bewusstsein des Menschen auf eine wissenschaftliche Grundlage zu stellen.56 Da Christian Science, wie der Name schon sagt, ebenfalls für sich in Anspruch nahm, Religion und Wissenschaft miteinander zu verbinden, konnte legraphen) nahmen sogar aktiv daran teil. Vgl. Koerber, Karl Friedrich Zöllner; Waldrich, Karl Friedrich Zöllner. Der berühmte Neurologe Paul Julius Möbius (Entdecker der modernen Nervosität und Begründer der Lehre von hereditiven Nervenkrankheiten), der zur gleichen Zeit wie Zöllner an der Universität Leipzig lehrte und sowohl Philosophie und Theologie als auch Medizin studiert hatte, veröffentlichte 1906 ein Werk mit dem Titel Im Grenzlande: Aufsätze über Sachen des Glaubens. 54 Haeckel, Schöpfungs-Geschichte 795, auch zit. in Neugebauer-Wölk, Historische Religionsforschung, 23. Zu einer ausführlichen Analyse der Erhebung des von Darwin übernommenen evolutionistischen Paradigmas zu einer ersatzreligiösen Weltanschauung durch Haeckel und andere Mitglieder der „Freigeistigen Bewegung“ des Kaiserreichs, vgl. Simon-Ritz, Die freigeistige Bewegung. Der Monismus als Versuch deutscher Naturwissenschaften, eine einheitliche Weltanschauung auszubilden, mündete in der Gründung des „Deutschen Monistenbunds“ 1906, dessen Vorsitz 1909 der Nobelpreisträger Wilhelm Ostwald übernahm. Vgl. ebd., 14; Neugebauer-Wölk, Historische Religionsforschung, 22. 55 Carl du Prel sagte z. B. 1893: „Der Okkultismus ist nur unbekannte Naturwissenschaft. Er wird bewiesen werden durch die Naturwissenschaft der Zukunft.“ Zit. in Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 16. Ulrich Linse bietet einen sehr guten Überblick zur Entwicklung des Spiritismus in Deutschland und betont mehrfach, diese Bewegung habe „nicht die Vernunft abgelehnt, sondern gerade den Bereich rationaler empirischer Forschung auf bisher als übernatürlich geltende Erscheinungen ausdehnen wollen“. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 10. 56 Vgl. ebd.; Simon-Ritz, Die freigeistige Bewegung; Neugebauer-Wölk, Historische Religionsforschung, 24. In seiner Untersuchung des Zusammenhangs zwischen sozialdarwinistischen Rassentheorien und dem „okkulten Untergrund des Kaiserreichs“ weist Helmut Zander darauf hin, dass Helena Blavatsky sich in einem ständigen Schlagabtausch mit den empirischen Wissenschaften befand, da sich theosophische Lösungen für ungelöste wissenschaftliche Probleme anboten. Ihr Ziel sei es gewesen, „auf der Höhe des wissenschaftlichen Diskurses und im Einklang mit den Spitzen der Forschung eine theosophische Weltanschauung zu begründen“. Auch die 1923 von Rudolf Steiner entwickelte Lehre der Anthroposophie (die 1923 gegründete Anthroposophische Gesellschaft war eine Abspaltung der Theosophischen Gesellschaft) war laut Zander im Grunde eine Form des „spirituellen Monismus“ und hatte zahlreiche Ideen aus Haeckels religiösem Biologismus übernommen. Vgl. Zander, Rassentheorien, 231–240.
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sie sich nahtlos in diese geistigen Strömungen des wilhelminischen Deutschlands einfügen, bzw. es ist zu vermuten, dass diese Strömungen zu einer besonderen Offenheit der Deutschen gegenüber Mary Baker Eddys Lehre führten, die einige Jahrzehnte vorher nicht vorhanden gewesen wäre. Ein weiterer Grund für den „fruchtbaren Boden“, den die neue Lehre im Deutschen Reich vorfand, lag in dem ausgeprägten Krisenbewusstsein und einer inneren Unsicherheit oder Unruhe, die zahlreiche Deutsche in der damaligen Zeit verspürten. Der Zusammenhang zwischen den durch gesellschaftliche Veränderungen hervorgerufenen psychischen Belastungen der Amerikaner in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und der Häufung psychosomatischer Beschwerden und Nervenleiden auf der einen Seite, und der dort zu beobachtenden besonderen Attraktivität neuer Lehren, die sowohl physische Heilung als auch geistiges Heil versprachen, ist ja bereits erläutert worden (s. Kapitel I.3.). Sicher ist auch, dass Amerika in dieser Beziehung eine Vorreiterrolle hatte.57 Der Neurasthenie-Diskurs spielte jedoch bald auch in Europa eine große Rolle, wo die Nervosität im ausgehenden 19. Jahrhundert in den Oberschichten mancher Länder zu einer sozialen Modeerscheinung wurde. Dies lässt sich anhand literarischer und medizinischer Quellen auch für England, Frankreich und Russland belegen, besonders jedoch für das 1871 neu gegründete Deutsche Reich. Hier gediehen die diversen Formen von krankhafter Reizbarkeit und eine zwischen Angst und Aggressivität pulsierende Nervosität schließlich zu einem in der ganzen Gesellschaft weitverbreiteten kulturellen Phänomen.58 Ursachen hierfür gab es mehrere. Die Folgen der Industrialisierung und Urbanisierung waren in Europa sicher ähnlich wie die bereits besprochenen in den USA. Dies galt auch für den besonderen Druck, unter dem Frauen zu dieser Zeit standen (nicht umsonst erlebte die frauenspezifische Hysterieforschung in Europa in den 1880er und 1890er Jahren, insbesondere in Frankreich unter Jean-Martin Charcot, ihren Höhepunkt).59 Im Deutschen Reich folgten zudem auf den Boom und die allgemeine Euphorie der Gründerjahre sowohl wirtschaftliche Schwierigkeiten als auch große innenpolitische Krisen und Spannungen. Die politische Führung sah sowohl die Katholische Kirche (insbesondere die Ultramontanen) als auch die Sozialisten als „Reichsfeinde“, die es zu bekämpfen galt. Gleichzeitig versuchte man, die deutsche Industrie und Landwirtschaft durch Schutzzölle zu kräftigen, welche im Ausland auf Ablehnung stießen. Die ehrgeizige Au57 Vgl. Meyer, Positive Thinkers, 21–30; Radkau, Zeitalter der Nervosität, 9. 58 Vgl. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 52–67. 59 Charcot war der berühmteste Neurologe seiner Zeit, und seine auf Versuche mit „hysterischen“ Patientinnen der Salpetrièrie beruhenden „Vorlesungen über die Nervenkrankheiten“ wurden zum Schlüsselerlebnis für Sigmund Freud, den Vater der Psychoanalyse. Vgl. Didi-Hubeman, Erfindung der Hysterie. Zu Charcots Interesse an Beards Neurasthenie-Lehre vgl. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 60.
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ßenpolitik Wilhelms II., der es als Mangel empfand, dass Deutschland keine Kolonialmacht wie Frankreich und England war, und deshalb eine intensive Aufrüstung (vor allem im Flottenbereich) betrieb, machte Deutschland bei seinen Nachbarn ebenfalls unbeliebt.60 Neben den starken Spannungen zwischen den beiden großen Konfessionen im Deutschen Reich stellte zudem die neue Lehre des Darwinismus – wie auch die deutsche historisch-kritische Bibelforschung – althergebrachte Glaubensgrundsätze in Frage, und die Kirchen in Deutschland klagten über eine zunehmende „Religionslosigkeit“ der Bevölkerung.61 Dazu kam eine nicht zu unterschätzende latente Angst des Bürgertums, das sich durch die Arbeiterbewegung und die Forderungen des neu entstandenen Industrieproletariats in seiner Existenz bedroht fühlte.62 All dies trug zu einer innerdeutschen Krisenstimmung bei, die trotz der insgesamt durchaus wachsenden wirtschaftlichen und politischen Stärke des Reiches von den 1870er Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges andauerte. Schon damals betonten viele Wissenschaftler und Schriftsteller die Verbindung zwischen diesen Entwicklungen und der auffälligen Häufung psychosomatischer Beschwerden bei deutschen Frauen und Männern.63 So glaubte der Mediziner und Psychologe Willy Hugo Hellpach, die Hauptursache für das „epidemiehafte Auftreten“ der nervösen Nervenschwäche läge in der „großen Wende“ des Deutschen Reiches in jener Zeit, die er in der Abkehr von Freihandel und Liberalismus, im Ende des Kulturkampfes, den Sozialistengesetzen und dem „ersten Wetterleuchten des Antisemitismus“ sah.64 60 Bekannt ist noch heute Wilhelms Forderung, das Reich brauche einen „Platz an der Sonne“, womit er vor allem die britische Führung gegen sich aufbrachte. Vgl. Ullrich, Die Nervöse Großmacht; Radkau, Zeitalter der Nervosität; Steiner, Das nervöse Zeitalter. 61 Vgl. Blaschke / Kuhlemann (Hg.), Religion im Kaiserreich; Schäfer, Kirchlichkeit im 19. Jahrhundert; Kaiser, Sozialdemokratie und Religionskritik; Murrmann-Kahl, Die entzauberte Heilsgeschichte; Simon-Ritz, Die freigeistige Bewegung; Hübinger, Kulturprotestantismus und Politik. Um sich den anti-religiösen Strömungen entgegenzustellen, reagierte die Katholische Kirche u.a. mit dem Vatikanischen Konzil von 1869 / 70, das die Macht des Pontifex und des Klerus bedeutend vergrößerte, aber auch Gegenreaktionen des Staates hervorrief (Kulturkampf). Außerdem führte das neue Dogma von der Unfehlbarkeit des Papstes zur Abspaltung der Altkatholiken. 62 Vgl. hierzu Ullrich, Die Nervöse Großmacht; Radkau, Zeitalter der Nervosität; Fricke, Arbeiterbewegung; Ritter, Arbeiterbewegung in Deutschland. 63 Vgl. Radkau, Zeitalter der Nervosität; Steiner, Das nervöse Zeitalter. Der Historiker Hans Rosenberg sagte hierzu, die Jahre 1873–1896 seien „ein zu Wahnvorstellungen neigendes Zeitalter der Neurose“ gewesen, in dem „die menschlichen Nerven überfordert wurden“. Zit. in Radkau, Zeitalter der Nervosität, 63. Steiner weist darauf hin, dass von 1880 bis 1914 die Nervosität im Deutschen Reich eine regelrechte „Zivilisationskrankheit“ war, weswegen schon Zeitgenossen ihre Epoche „Das nervöse Zeitalter“ getauft hätten. Vgl. Steiner, Das nervöse Zeitalter, 7 und 113–120. 64 Hellpach zit. ebd., 63. Als engagierter Lutheraner hielt Hellpach jedes Nachgeben der
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Sigmund Freud sagte 1887, die Neurasthenie sei „die allerhäufigste Erkrankung in unserer Gesellschaft“, und Thomas Mann beschrieb das wilhelminische Deutschland als „eine von quälender Spannung genervte Nation“.65 Der Schweizer Gelehrte Carl Hilty kommentierte schließlich, dass in Deutschland zwar das Bismarck-Wort „Wir Deutsche fürchten Gott, aber sonst nichts auf der Welt“ sehr populär sei, in Wahrheit jedoch viele Deutsche Gott gerade nicht fürchten würden, dafür aber vieles andere, worin – laut Hilty – die Hauptursache für ihre Neurasthenie läge.66 Zeitgenössische Historiker wie Karl Lamprecht sahen diese deutsche Nervosität auch als positiven Motor des Fortschritts bzw. als „Grundlage aller kulturellen Erscheinungen der Gegenwart“. Spätere Beobachter, zum Beispiel Joachim Radkau, argumentieren dagegen, dass die kultivierte „Nervosität“ deutscher Führungspersönlichkeiten gemeinsam mit der allgemeinen Atmosphäre wachsender Reizbarkeit und Ungeduld, diffuser Ängste und Minderwertigkeitsgefühle, die man durch Aggression zu kompensieren suchte, ein kollektives psychosomatisches Krisenbewusstsein im Reich erzeugt hätten („politische Neurasthenie“), das maßgeblich zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges beitrug.67 Diese These ist zwar nicht ganz unumstritten, aber fest steht, dass im Deutschen Reich während dieses „nervösen Zeitalters“ (1880 bis 1914) besonders viele Menschen unter psychischen und physischen Beschwerden litten oder eine starke seelische Haltlosigkeit verspürten. Dies wiederum führte – wie in den USA (s. Kapitel I.) – neben der bereits erwähnten Popularität des Spiritismus und der Theosophie zu einem Aufblühen von Lebensreformbewegungen mit religiösen Untertönen, wie beispielsweise dem vegetarischen Pazifismus, dem Antialkoholismus, der Freikörperkultur, der Gartenstadt-, der Wandervogel- oder der Völkischen Bewegung, wobei vor allem in Letzterer oft ein religiös überhöhter Radikalnationalismus zu spüren war.68
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Reichsführung gegenüber den Katholiken für einen Fehler. Vgl. ebd., 63 und 283. Zum Zusammenhang von Nervosität, Degenerationslehre und frühen Formen von Rassentheorie und Antisemitismus im Deutschen Reich vgl. auch Steiner, Das nervöse Zeitalter, 79–86. Freud zit. in Radkau, Zeitalter der Nervosität, 57; Manns Bemerkung stammt aus Betrachtungen eines Unpolitischen (1918), zit. ebd., 293. Auch große Teile von Manns berühmtem Patientenroman Der Zauberberg (1924) sind diesem Thema gewidmet, Gleiches gilt für Werke von Theodor Fontane, Paul Heyse, Hermann Hesse, Heinz Tovote u.a. zeitgenössischen Autoren. Vgl. Steiner, Das nervöse Zeitalter, 20–22. Hilty zit. in Radkau, Zeitalter der Nervosität, 20. Berichten zufolge waren sowohl Bismarck als auch Wilhelm II. ausgeprägte Neurastheniker, deren diesbezügliche Befindlichkeit Thema der öffentlichen Diskussion war. Vgl. hierzu Radkau, Zeitalter der Nervosität, 63–67 und 292–332. Radkau, Zeitalter der Nervosität, 283–292 und 387–509; vgl. auch Steiner, Das nervöse Zeitalter, 23–32. Vgl. Heyll, Naturheilkunde in Deutschland; Grisko, Freikörperkultur; Puschner u.a., Völkische Bewegung; Linse, Geisterseher und Wunderwirker; Nipperdey, Religion im
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Die Ankunft von Christian Science im Deutschen Reich am Ende des 19. Jahrhunderts fiel also in einen Zeitraum, in dem die Aufnahmebereitschaft der Gesellschaft für alternative „Wege zum Heil“ besonders hoch war. Da die Lehre Mary Baker Eddys sich zudem als „Wissenschaft“ präsentierte, gewisse Parallelen zum deutschen Idealismus aufweisen konnte und sowohl die Heilung von physischen Leiden als auch ewige Heilsgewissheit versprach, erschien sie den Deutschen, die sie kennen lernten, sicherlich besonders attraktiv. Als letzter, aber nicht geringster Grund für die „Fruchtbarkeit des deutschen Bodens“ gegenüber der Lehre Eddys sei die religiöse Struktur, besonders die konfessionelle Spaltung des Deutschen Reiches erwähnt. Grundsätzlich ist zu beobachten, dass Christian Science sich in protestantischen Ländern eher ausbreitet als in katholischen. So gab es beispielsweise 2005 in England 122 CS-Gemeinden, in Deutschland 71, in der Schweiz 23, in Frankreich elf, in Holland fünf, in Spanien und Italien je vier, in Irland und Österreich je zwei und in Polen nur eine.69 Auch innerhalb Deutschlands ist klar erkennbar, dass es in traditionell protestantischen Gegenden deutlich mehr christlich-wissenschaftliche Gemeinden gibt als in den katholischen.70 Das mag daran liegen, dass die Glaubensgemeinschaft von einer Protestantin gegründet wurde und in ihrer Lehre und Glaubenspraxis (Konzentration auf die Schrift, schlichte Kirchenräume, weitgehender Verzicht auf Rituale und Sakramente) – bei allen Unterschieden – dem Protestantismus sicherlich näher steht als dem Katholizismus.71
Umbruch, 124–153. Der religiös überhöhte Nationalismus trug maßgeblich zur deutschen Kriegseuphorie von 1914 bei und bereitete den Boden für die von den Nationalsozialisten kultivierte Sakralisierung von „Volk und Vaterland“, die direkt in den Zweiten Weltkrieg führte. 69 Vgl. CS-Journal, Januar 2005, 89–118. 70 Dies ist heute noch so; vgl. hierzu Anhang C. Die insgesamt sehr geringe Anzahl von CS-Gemeinden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR erklärt sich durch die allgemeine Religionsfeindlichkeit des kommunistischen Regimes (noch heute sind wesentlich weniger Menschen dort Mitglied einer christlichen Kirche (25 Prozent) als im ehemaligen Westdeutschland (75 Prozent). Außerdem war die Lehre Eddys bis 1989 in der DDR offiziell verboten. Vgl. Seek, Vision and Courage; REMID, Religionen in Deutschland: Mitgliederzahlen, http://www.remid.de/remid_info_zahlen.htm; Daiber, Religion in Deutschland. 71 In ihren Interviews mit Christlichen Wissenschaftlern erhielt die Verfasserin von allen Befragten die Antwort, dass auch in heutiger Zeit Protestanten grundsätzlich der Lehre Eddys gegenüber aufgeschlossener seien als Katholiken und dass nur ein ganz kleiner Teil derjenigen Katholiken, die sich für CS interessieren, bereit dazu sind, ihre Kirche offiziell zu verlassen und CS-Kirchenmitglieder zu werden. Diese Hemmschwelle ist für Protestanten geringer, wie auch religionssoziologische Daten belegen. Z. B. liegt laut einer Studie von 1998 die sogenannte retention rate (d. h. die Rate derjenigen, die in der Konfession bleiben, in der sie aufgewachsen sind) für die Römisch-Katholische
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Zudem ist es aufgrund der Jahrtausende alten kulturellen Tradition und den festen, hierarchischen Strukturen der Römisch-Katholischen Kirche für neue Glaubenslehren gewiss schwerer, sich in katholischen Ländern (wie Spanien, Italien oder Polen) anzusiedeln als in protestantischen (wie England, die Niederlande oder die Schweiz).72 Auch wenn es in Letzteren durchaus Staatskirchen gab und gibt (z. B. in England), so sind diese Länder doch selten von einer einzigen protestantischen Lehre dominiert und so vielleicht eher dazu bereit, einen gewissen religiösen Pluralismus zuzulassen, zumal protestantische Kirchen (im Gegensatz zur Römisch-Katholischen) ohnehin nicht den Anspruch stellen, die „einzig wahre, allumfassende“ Kirche zu sein.73 Auch die Protestanten im Deutschen Reich, die ca. zwei Drittel der Bevölkerung ausmachten, gehörten mehr als einer Denomination an. Zudem gab es durch den historisch bedingten Partikularismus auch eine konfessionelle Zersplitterung Deutschlands, dem – im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Ländern – eine national einheitliche Kirchenstruktur fehlte. Auch dieser Umstand trug sicherlich dazu bei, die Ansiedlung neuer religiöser Gemeinschaften etwas zu erleichtern.74 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass neben den geistesgeschichtlichen auch die sozial-historischen Entwicklungen im Deutschen Reich zu Rahmenbedingungen führten, welche die Etablierung der Lehre Mary Baker Eddys in besonderer Weise begünstigten. Ebenfalls relevant war hierfür jedoch auch der Einsatz einiger höchst engagierter Individuen. Eine besondere Rolle spielten in diesem Zusammenhang – d. h. in der Frühphase von Christian Science in Deutschland (1894 bis 1914) – drei Frauen: Bertha
Kirche bei 81 Prozent, für die großen protestantischen Denominationen dagegen jeweils nur bei fünfzig bis sechzig Prozent. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 209. 72 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang vielleicht auch der von manchen Forschern angenommene Zusammenhang zwischen calvinistischer Arbeitsethik, kapitalistischem Leistungsdruck und nervöser Nervenschwäche (s. Max Weber, George Beard oder Ronald Takaki). Beard meinte z. B. „Kein katholisches Land ist sehr nervös“, darum komme die Neurasthenie auch in den Ländern, in denen das „protestantische Sektenwesen“ vorherrsche, häufiger vor als anderswo. Zit. in Radkau, Zeitalter der Nervosität, 56. 73 Die Strenge, mit der die Katholische Kirche lange Zeit gegen „häretische Lehren“ vorgegangen ist, mag hier auch eine Rolle gespielt haben. Das Lehrbuch Eddys stand z. B. bis zum zweiten Vatikanischen Konzil auf dem (dann abgeschafften) katholischen „Index“ der verbotenen Schriften. Vgl. hierzu auch Interview der Verfasserin mit Harald Baer vom 19. Juli 2005. 74 Neben Lutheranern und Calvinisten gab es z. B. auch die preußische „Unierte Kirche“. Ein Drittel der Bevölkerung war katholisch, der Anteil der jüdischen Bevölkerung lag bei ein bis zwei Prozent. Zur konfessionellen Spaltung und Kirchenkultur in Deutschland vgl. Blaschke, Konfessionen im Konflikt; Blaschke / Kuhlemann (Hg.), Religion im Kaiserreich; Scribner, Religion und Kultur in Deutschland; Nipperdey, Religion im Umbruch.
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Günther-Peterson, Marie Schön und die bereits erwähnte Frances Thurber Seal.75 Bertha Günther-Peterson stammte aus einer tief religiösen, gebildeten Familie. Sie ging zuerst ihrem Vater, später ihrem Ehemann, die beide Ärzte waren, oft bei deren Arbeit zur Hand. So hatte sie schon seit ihrer Jugend ein Interesse an Medizin entwickelt und verfügte über ein beachtliches Wissen verschiedener Behandlungsmethoden und Heilverfahren, weswegen sie auch selbst oft als „Frau Doktor“ bezeichnet wurde.76 Von Christian Science erfuhr Günther-Peterson erstmals durch eine ihrer besten Freundinnen, der Lehrerin Marie Schön, die 1892 nach Amerika gezogen war, um dort in Minneapolis als Deutschlehrerin zu arbeiten. Hier war Schön so schwer an Unterleibstyphus erkrankt, dass ein Arzt ihren Fall als hoffnungslos aufgegeben hatte. Wenig später, 1894 wurde sie jedoch durch Christian Science wieder vollständig gesund und berichtete Günther-Peterson von der erstaunlichen Heilung.77 Diese bestellte sich daraufhin sofort ein Exemplar von S&H nach Hannover und begann, die Lehre Eddys ernsthaft zu studieren (offenbar verfügte sie über sehr gute Englischkenntnisse). Zwei Jahre später reiste sie in die USA und nahm im November 1896 in New York bei Laura Lathrop (einer Schülerin Eddys) am Klassenunterricht (d. h. an der Primary Class) teil. Danach verbrachte Günther-Peterson mehrere Monate bei Schön in Minneapolis und 75 Aufgrund der spärlichen Quellenlage lassen sich manche Teile dieser Frühphase nur schwer rekonstruieren. Der folgende Versuch, dies so weit wie möglich zu tun, stützt sich neben dem Smith-Bericht und dem Follis-Manuskript vor allem auf die unveröffentlichte Korrespondenz zwischen Eddy, Günther-Peterson, Schön und anderen Kirchenmitgliedern, die die Verfasserin im Archiv der Mutterkirche in der Mary Baker Eddy Library einsehen konnte. Dieses und anderes unveröffentlichtes Material aus dem genannten Archiv ist im Folgenden mit dem Kürzel „UKD“ (für „unveröffentlichtes Kirchendokument“ bzw. „unveröffentlichte Kirchendokumente“) gekennzeichnet. 76 Follis weist darauf hin, dass dies anfangs vielleicht teilweise wegen der damals üblichen Konvention geschah, nach der Frauen auch mit dem Titel ihres Mannes angesprochen wurden, später aber eindeutig wegen Günther-Petersons außerordentlichen „healing skills“. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 2; Smith, Early History, 309. Günther-Peterson benutzte übrigens auch selber in ihrer Korrespondenz beim Unterzeichnen manchmal einen Doktortitel, so zum Beispiel in ihren Briefen an Eddy vom 24. August und vom 2. Dezember 1907 (UKD, Chestnut Hill File). 77 Vgl. Smith, Early History; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, “Christian Science Comes to Germany”. Follis berichtet, dass Günther-Peterson nach dem Tode ihres Mannes nach Hannover gezogen war, um ihre Töchter dort zur Schule zu schicken und um nahe bei ihrer „lieben Freundin“ Marie Schön sein zu können, dieser sei jedoch kurz darauf die Stelle in Minneapolis angeboten worden. Als Quelle dient Follis hierbei ein unveröffentlichter Bericht über das Leben von Günther-Peterson, den deren Schülerin Frieda Hartwich verfasst hat. Über den Familienhintergrund von Schön gibt es keine Quellen. Es ist jedoch zu vermuten, dass „Fräulein Schön“ im Gegensatz zu ihrer Freundin Bertha unverheiratet und kinderlos war (dies entspräche auch den damaligen Konventionen für Lehrerinnen).
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wurde im Frühling 1897 Mitglied der Mutterkirche. Gemeinsam mit Schön kehrte sie schließlich im Juni des gleichen Jahres nach Hannover zurück und war fest dazu entschlossen, ihr Leben der Einführung von Christian Science in Deutschland zu widmen.78 Bereits im Oktober 1897 findet sich der Name von Bertha Günther-Peterson im CS-Journal als CS-Praktikerin in Hannover (d. h. sie war deutlich vor Seals Ankunft bereits offiziell als Christliche Wissenschaftlerin in Deutschland tätig). In ihrer Heilpraxis war Günther-Peterson zudem derart erfolgreich, dass ihr Ruf schon bald über die Grenzen von Hannover hinaus ging und Patienten aus dem ganzen Reich zu ihr reisten.79 Im Sommer 1897 begann sie damit, CS-Gottesdienste und Zeugnisversammlungen abzuhalten. Zunächst tat sie das in ihrer Wohnung, die Zahl der Teilnehmer erhöhte sich jedoch innerhalb von zwei Jahren so stark, dass sie zuerst einen extra Raum und dann eine Halle in Hannover als neuen Versammlungsort anmietete. Da der für eine Mitgliedschaft in der Kirche Christi, Wissenschaftler notwendige Austritt aus anderen Kirchen (in diesem Fall der Evangelischen Landeskirche) allerdings mit vielen gesellschaftlichen und zum Teil auch gravierenden beruflichen Nachteilen verbunden war, gab es unter den 300 bis 400 aktiven Christlichen Wissenschaftlern in Hannover nur ein Dutzend eingetragene CS-Kirchenmitglieder.80 Im März 1898 gründeten diese zwölf Christlichen Wissenschaftler in Hannover die erste CS-Kirche im Deutschen Reich.81 Sie nannte sich „Erste 78 Vgl. Smith, Early History, 309–310; Follis ebd. Es wird hier nicht erwähnt, ob auch Schön die Primary Class absolvierte und wann diese Mitglied der Mutterkirche wurde, aber beides tat sie vermutlich vor oder spätestens im gleichen Jahr wie Günther-Peterson. 79 Vgl. Smith, Early History; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 2–3. Zeugenberichten zufolge heilte Günther-Peterson u.a. mehrere Frauen von als „sehr gefährlich“ geltenden Krankheiten, die nach damaliger ärztlicher Ansicht nur durch größere Operationen kuriert werden konnten. Angesichts der damals üblichen Praxis, Frauen mit psychosomatischen Leiden (v.a. solchen, die als „Hysterikerinnen“ diagnostiziert wurden) die Gebärmutter und die Eierstöcke zu entfernen (s. Kapitel I.3.), klingen diese Berichte über Günther-Petersons Wirken durchaus glaubwürdig. 80 Vgl. Smith, Early History, 310; Follis, ebd., 3. Artikel IV, Absatz 2 des Church Manuals schreibt vor, dass man vor einem Beitritt zur Kirche Christi, Wissenschaftler jede andere Kirchenmitgliedschaft aufgelöst haben muss. Trotz des im Rahmen des Kulturkampfes 1873 erlassenen Reichskirchenaustrittsgesetzes, das theoretisch jedem Reichsbürger den Austritt aus der Kirche freistellte, gab es in der Praxis erhebliche Diskriminierung gegen diejenigen, die das taten. In Preußen bekamen z. B. nur Mitglieder der Evangelischen Landeskirche Zugang zu einer höheren Beamten- oder Offizierslaufbahn. Laut Seal durften Deutsche, die aus der Staatskirche ausgetreten waren, in Berlin auch keine rechtsgültigen Verträge mehr unterschreiben. Vgl. Seal, Wundertaten, 58. 81 Wie erwähnt, waren zur Gründung einer neuen Zweigkirche eigentlich 16 aktive Kirchemitglieder vorgeschrieben, aber offenbar wusste Eddy von den diesbezüglichen Schwierigkeiten in Deutschland und hatte Günther-Peterson im Juni 1897 in einem Brief eine Art Dispenz erteilt: „You do the best you can! Of course, you cannot be
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Christian Science Kirche in Deutschland“ und wurde unter diesem Namen 1899 auch offiziell von den deutschen Behörden als „Religionsgemeinschaft“ anerkannt, als erste derartige Organisation, d. h. eine „Kirche“ außerhalb der altkirchlichen Bekenntnisse, der eine solche Anerkennung zuteil wurde.82 Im gleichen Jahr wurde die Hannoveraner Gemeinde auch von der Mutterkirche offiziell als Zweigkirche anerkannt, im CS-Journal allerdings unter dem Namen „Erste Kirche Christi des Scientisten, Hannover“ aufgeführt.83 Im Dezember 1899 reiste Günther-Peterson (vermutlich zusammen mit Marie Schön) nach Boston, um dort an Eddys Metaphysical College die Normal Class zu absolvieren. Dieser Kurs wurde zwar kurzfristig abgesagt, aber gemeinsam mit Schön wurde Günther-Peterson die Ehre eines persönlichen Treffens mit Mary Baker Eddy zuteil, um dieser über den Stand der Entwicklung von Christian Science in Deutschland zu berichten.84 Das Gespräch verlief den Berichten Günther-Petersons zufolge ausgesprochen positiv und harmonisch. Sie zeigte sich zutiefst beeindruckt von der Persönlichkeit Eddys, die sie mit größtem Wohlwollen behandelte, und Eddy zeigte sich ihrerseits hocherfreut über das große Interesse vieler Deutscher (inkl. einer Reihe adliger Würdenträger) an ihrer Lehre.85 Sie erteilte deshalb Günther-Peterson eine Sondererlaubnis, Christian Science auch ohne vorherigen Besuch der (in diesem Jahr ausgefallenen) Normal Class zu unterrichten, und sicherte ihr für
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bound to the laws as we are in our country.“ Zit. aus dem Hartwich-Bericht, in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 2. Auch die Berliner CS-Kirche hatte bei ihrer Gründung nur ein Dutzend Mitglieder. Vgl. Smith, Early History, 312. Vgl. Follis, ebd. sowie den von Günther-Peterson und Schön gemeinsam verfassten Artikel „Church Charter at Hannover, Germany“ im CS-Sentinel vom 14. September 1899. Vgl. Follis, ebd. Die Kirchenleitung in Boston verlangte von der Hannoveraner Gemeinde, sich umgehend umzubenennen – und dies auch den deutschen Behörden mitzuteilen. Diese Forderung stieß in Hannover auf einigen Widerstand, da Günther-Peterson und andere Mitglieder dort sich als „Keimzelle“ der Christlichen Wissenschaft in ganz Deutschland, nicht nur in Hannover, fühlten. Der Konflikt führte sogar dazu, dass die Hannoveraner Kirche von 1902 bis 1907 (als die entsprechende Änderung vollzogen wurde) ihr „journal-listing“ verlor. Vgl. Follis, ebd. Günther-Peterson hatte sich schon vorher zweimal (im Mai 1897 und im Mai 1899) um ein Treffen mit Eddy bemüht, dieses war jedoch abgelehnt worden. Offenbar hatten jedoch sowohl sie als auch Marie Schön in der Zwischenzeit Eddy regelmäßig Bericht über die Fortschritte von Christian Science in Hannover erstattet. Vgl. z. B. Brief von Eddy an Günther-Peterson vom 24. Mai 1897 sowie ein Telegramm vom 21. Dezember 1899, Brief von Schön an Eddy vom 17. April 1898, Briefe von GüntherPeterson an Eddy vom 22. April 1899, vom 23. Mai 1899 und vom 23. September 1898 (UKD, Chestnut Hill File). Vgl. Smith, Early History, 310; Follis ebd., 3–4. Angelehnt an den Hartwich-Bericht bezeichnet Follis das Treffen als „watershed experience“ für Günther-Peterson und zitiert deren Begeisterung über Eddys Zuwendung: „Mrs. Eddy verabschiedete sich in einer unendlich liebevollen Weise, nahm mich in ihre Arme, küsste mich auf die Stirne und segnete mich und meine Arbeit.“
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die Arbeit in Deutschland ihre persönliche Unterstützung zu.86 „I look upon the German nation as one of the chief supporters of Christian Science“, versicherte Eddy und schickte drei Monate später eine Spende von 1.000 Dollar für den Bau einer eigenen Kirche an die CS-Gemeinde in Hannover (dieses Gebäude wurde im Oktober 1902 eingesegnet und war die erste neugebaute CS-Kirche in ganz Europa).87 Günther-Peterson war in den nächsten zwanzig Jahren die zentrale Führungspersönlichkeit von Christian Science in Hannover und im norddeutschen Raum. Bis kurz vor ihrem Tode, 1938, war sie unermüdlich als CSPraktikerin und CS-Lehrerin tätig (ihr letzter Kurs fand im Sommer 1937 statt), und viele ihrer Schülerinnen und Schüler zählten später ebenfalls zu den Hauptpersonen der CS-Bewegung in Deutschland, so zum Beispiel Helmuth Graf von Moltke, seine Frau Dorothy von Moltke und Ulla Oldenbourg (geb. Schultz). Trotz einiger Konflikte mit der Mutterkirche (auf die gleich noch eingegangen wird), hatte Günther-Peterson zu Eddy immer ein herzliches Verhältnis und blieb Zeit ihres Lebens ein eingetragenes Kirchenmitglied, dessen Leistungen auch in den Annalen der Kirche entsprechend gewürdigt werden.88 Wie aus der zwischen Boston und Hannover hin- und hergehenden Korrespondenz dieser Jahre hervorgeht, war neben Bertha Günther-Peterson jedoch auch Marie Schön maßgeblich am Aufbau und an der Leitung der Gemeinde in Hannover beteiligt. So fungierte Günther-Peterson jahrelang als „First Reader“ und Marie Schön als „Second Reader“. Beide Frauen schickten sowohl einzeln als auch zusammen zahlreiche Briefe (sowie Postkarten und Telegramme) an „Our beloved Leader and Mother“ (Eddy), und deren Antwortschreiben waren oft an beide „Beloved students“ gerichtet.89 Aufgrund eines Schreibens von Eddy lässt sich zudem vermuten, dass sie Marie
86 S. Brief Eddys an William P. McKenzie vom 14. September 1900 (UKD, Computerarchiv, Zugangscode L07222), in dem sie erklärt, warum sie Günther-Peterson diese Sondererlaubnis erteilt habe, und außerdem McKenzie mitteilt, sie wolle Günther-Petersons Kursgebühren für die Normal Class übernehmen, die diese baldmöglichst absolvieren würde. Dies geschah allerdings erst sieben Jahre später. Günther-Peterson erhielt ihre offizielle Ernennungsurkunde als „Teacher of Christian Science“ im August 1907; vgl. ihr Dankschreiben an Eddy vom 24. August 1907 (UKD, Chestnut Hill File). 87 Eddy zit. in Smith, Early History, 313. Smith datiert die Spende Eddys bereits auf Februar 1900; Eddys diesbezügliches Schreiben an Günther-Peterson wurde jedoch erst am 27. März diktiert. S. Brief von Eddy an Peterson vom 27. März 1900 (UKD, Chestnut Hill File). 88 Vgl. Smith, Early History, 309–313; Follis Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 2–6. 89 S. entsprechende Korrespondenz zwischen Eddy, Günther-Peterson und Schön aus den Jahren 1898–1907 (UKD, Chestnut Hill File).
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Schön ebenfalls eine Sondererlaubnis erteilt hatte, Christian Science in Deutschland nicht nur zu praktizieren, sondern auch zu unterrichten.90 In jedem Fall scheint Schön sich dieser Aufgabe genauso engagiert gewidmet zu haben wie Günther-Peterson. Dies geht auch aus ihren an Eddy geschickten Berichten über die Fortschritte der Gemeinde in Hannover hervor, in denen Schön auch ihre aktive publizistische Tätigkeit für Eddys Lehre in überregionalen deutschen Zeitschriften erwähnt.91 Da es Günther-Peterson und Schön ein wichtiges Anliegen war, Christian Science auch dem nichtenglischsprachigen Teil der deutschen Bevölkerung nahezubringen, gaben die beiden Frauen ab Oktober 1900 mehrere Jahre lang gemeinsam eine deutsche Monatszeitschrift für Christliche Wissenschaftler heraus. Diese Aktivität führte zwar später zu Konflikten mit der Mutterkirche (worauf im nächsten Kapitel ausführlicher eingegangen wird), aber selbst angesichts dieser Schwierigkeiten würdigt Eddy in einem Brief an den Aufsichtsrat der Christian Science Publishing Society die großartige Arbeit und den geduldigen Einsatz von Günther-Peterson und Schön ausdrücklich.92 Wenig später lud sie Marie Schön auch persönlich dazu ein, nach Boston zu kommen, um bei der Redaktion einer neuen, deutschsprachigen Publikation der Mutterkirche für Deutschland mitzuhelfen.93 Trotz dieser offiziellen Anerkennung Eddys findet sich der Name von Marie Schön kein einziges Mal in dem von Smith 1934 verfassten offiziellen Bericht über die „Early History of Christian Science in Germany“ oder in ir-
90 Vgl. hierzu ein Schreiben Eddys an Günther-Peterson vom 29. April 1900, in dem sie diese Sondererlaubnis bestätigt, allerdings mit dem Hinweis, dass sie ihr eine offizielle Lehrer-Urkunde erst nach Besuch der Normal Class ausstellen kann, und darum bittet, diese Nachricht an Marie Schön weiterzuleiten: „Please say the same to Fräulein Schön. Give my love to her, and to your dear church. […] With tender love, mother, Mary Baker G. Eddy“ (UKD, Chestnut Hill File). 91 Vgl. z. B. Brief von Schön an Eddy vom 17. April 1898 (UKD, Chestnut Hill File), in dem sie auf einen Artikel hinweist, den sie für „the Scientific Monthly of the University of Berlin“ (offenbar eine der meistgelesenen deutschen Wissenschaftszeitungen der damaligen Zeit) schrieb, und diesen Eddy zur Ansicht mitschickt. 92 Vgl. Eddys Brief an McKenzie vom 28. September 1900 (UKD, Chestnut Hill File), der im folgenden Kapitel noch ausführlicher zitiert wird. Eine Kopie dieses Schreibens wurde auf Eddys Wunsch an Günther-Peterson und Schön mit einem Begleitbrief nach Hannover geschickt, in dem Calvin Frye seinen „Dear Sisters in C.S.“ versichert, „Mrs. Eddy sends tender love to each of you“. Vgl. Brief von Frye an Günther-Peterson und Schön vom 28. September 1900 (UKD, Chestnut Hill File). 93 Vgl. Brief von Eddy an Schön vom 17. Oktober 1900 (UKD, Chestnut Hill File). Es sei auch angemerkt, dass der herzliche Ton des Briefverkehrs zwischen Eddy und Schön in diesen Jahren auf eine enge und positive Beziehung schließen lässt. So unterzeichnete Eddy den besagten Brief mit „With love thine“, und Schön begann ihr Antwortschreiben mit „Beloved Mother and Leader“. S. Brief von Schön an Eddy vom 4. November 1900. (UKD, Chestnut Hill File).
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gendeiner anderen der Verfasserin bekannten Publikation der Kirche.94 Da Schön, wie später noch erläutert werden wird, 15 Jahre später als Dissidentin aus der Mutterkirche ausgeschlossen wurde, ist eine gewisse Zurückhaltung gegenüber ihrer Person bzw. eine Kritik an ihrem späteren Verhalten sicherlich verständlich. Aber die Art und Weise, wie ihr Name und ihre doch bedeutende Rolle für die Verbreitung von Eddys Lehre im Deutschen Reich sozusagen vollkommen aus den Annalen der Kirche gelöscht wurden, hat beinahe Orwell’sche Züge.95 Auch in dem einzigen anderen publizierten Bericht über die Frühphase von Christian Science in Deutschland, Frances Thurber Seals Buch Wundertaten der Wahrheit, findet sich der Name von Marie Schön kein einziges Mal. Allerdings gilt dies hier auch für Günther-Peterson, deren Arbeit in Hannover in Wundertaten ebenfalls vollständig verschwiegen wird, obwohl die Autorin Günther-Peterson seit Jahren kannte und früher sogar gut mit dieser befreundet gewesen war.96 In ihrem Bestreben, sich selbst als die erste und wichtigste „Überbringerin der Wahrheit“ darzustellen, die „allein mit Gottes Hilfe“ und allen Schwierigkeiten zum Trotz die Lehre Eddys in Deutschland etablieren konnte, nimmt es Seal auch an zahlreichen anderen Stellen ihres Berichtes mit historischen Fakten nicht so genau. Dafür gibt sie umso mehr Zeugnisse für wundersame Heilungen und andere „Wundertaten“. So schildert sie zum Beispiel, dass sie bei der Überfahrt nach Hamburg einen schlimmen Sturm allein durch ihr Vertrauen in Gott zum „Verstummen“ brachte, dass sie, obwohl sie nur Englisch sprach, mit deutschen, russischen, italienischen und norwegischen Patienten problemlos kommunizieren konnte und es ihr sogar gelang, selbst schwerste Fälle von Krebs in wenigen Tagen zu heilen.97 Zumindest stellenweise liegt somit eine auffallende Ähnlichkeit zwischen Seals Wundertaten der Wahrheit und traditionellen früh-christlichen 94 Smiths einzige indirekte Referenz zu Schön lautet: „She [Günther-Peterson] heard of Christian Science from a friend of German descent at Minneapolis, Minnesota, who had been healed by this Science after a physician had given her up to die.“ Smith, Early History, 309. In ihrem Manuskript, das offenbar noch nicht von der Kirchenleitung eingesehen wurde, erwähnt Follis den Namen Schöns ein paar Mal und betont, GüntherPeterson habe sich von Schöns „extremism“ und „renegade activities“ distanziert, ohne diese näher zu erläutern. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 5. 95 In George Orwells berühmtem Werk 1984 lautet das Motto derartig selektiver bzw. ahistorischer Geschichtsschreibung: „Who controls the present controls the past, and who controls the past controls the future.“ 96 Privaten Briefen Seals zufolge, hatten beide sich in New York kennengelernt, waren durch Laura Lathrop in CS unterrichtet worden und damals „close friends“ gewesen. Vgl. Seal zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 6. 97 Vgl. Seal, Wundertaten, v.a. 14-–62; Follis ebd., 7–10. Follis weist ebenfalls darauf hin, dass Seals Bericht „less a recollection of objective events and more a testimony to a spiritual pilgrimage“ sei, und betont, dass wohl aufgrund der offensichtlichen Übertreibungen in Wundertaten (auch in Bezug auf den angeblichen Verlauf eines Treffens von Seal und Eddy) die CSPS Seals Buch nicht publizierte. Ebd., 9–12.
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Heiligenlegenden bzw. den paulinischen Missionsberichten vor. Primäre Zielsetzung solcher topisch überhöhten Texte ist die theologische Deutung eines historischen Geschehens, nicht die korrekte Weitergabe von Daten und Fakten. Insofern müssen Seals Aussagen – soweit sie sich nicht durch andere zeitgenössische Quellen verifizieren lassen, mit entsprechender Vorsicht gedeutet werden. Trotz dieser Einschränkung bietet Seals Bericht (sowie ihre gezielte Auslassung bestimmter Tatsachen) wertvolle Einblicke in ihre Tätigkeit in Deutschland und in die Situation der ersten Christlichen Wissenschaftler in Dresden und Berlin. Zunächst ist festzuhalten, dass Seals Leistung als erste amerikanische „Missionarin“ der Mutterkirche in Europa durchaus beachtenswert war. Nachdem die aus einer frommen Quäkerfamilie stammende Seal 1896 in New York durch Christian Science von einem schlimmen Augen- und Magenleiden geheilt worden war, nahm sie an der Primary Class teil, wurde CSKirchenmitglied, Praktikerin und übernahm die Abendaufsicht des örtlichen Leseraums. Im Sommer 1897 informierte Mary Beecher Longyear, eine aus Michigan stammende Christliche Wissenschaftlerin, die gerade ein halbes Jahr in Dresden verbracht hatte, Seals Lehrerin Laura Lathrop darüber, dass es dort ein „wonderful awakening“ für Christian Science gäbe, und regte an, die weitere Pflege dieses Phänomens durch die Entsendung einer CS-Praktikerin zu unterstützen. Lathrop übertrug diese Aufgabe der ihrer Ansicht nach besonders tüchtigen Seal. Nach kurzem Zögern akzeptierte Seal, obwohl sie kein Wort Deutsch sprach und Amerika noch nie verlassen hatte. Nachdem Mary Longyear ihre Fahrkosten übernommen hatte, machte sie sich im Dezember 1897 auf den Weg nach Deutschland.98 Im Januar 1898 hielt sie die ersten englischsprachigen CS-Gottesdienste in Dresden ab, war ab Februar offiziell als Praktikerin für Dresden im CSJournal aufgeführt und eröffnete wenig später im Wohnzimmer der Pension, in der sie lebte, einen CS-Leseraum. Mit Hilfe einiger deutscher Schülerinnen konnte Seal ab September 1898 (also ein gutes Jahr später als Günther-Peterson und Schön in Hannover) deutsche Gottesdienste in Dresden anbieten. Aufgrund von Seals großen Heilungserfolgen kamen bald nicht nur Patienten aus anderen Teilen Deutschlands, sondern auch aus dem Ausland zu ihr, und die Anzahl der Anhänger von Eddys Lehre in der Stadt wuchs stetig (wenn auch offenbar nicht so rasant wie in Hannover).99 Die Erste Kirche Christi, 98 Vgl. Smith, Early History, 311; Seal, Wundertaten, 5–17. Seal erwähnt übrigens in Wundertaten den Namen Mary Longyears nicht ein einziges Mal, obwohl – oder vielleicht gerade weil – diese schon ein Jahr vor Seal Heilungen in Dresden bewirkt hatte und Seals Arbeit dort jahrelang finanziell unterstützte. 99 Seal berichtet, dass einer ihrer ersten Patienten der Rektor der Anglikanischen Kirche in Dresden war, den sie innerhalb von 14 Tagen von einer schweren, potentiell tödlichen Nierenentzündung heilte, dem allerdings später der Mut fehlte, sich öffentlich zu dieser Heilung und zur Christlichen Wissenschaft zu bekennen. Vgl. Seal, Wundertaten, 22–
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Wissenschaftler in Dresden wurde am 18. Februar 1900 gegründet (d. h. rund zwei Jahre nach der Hannoverschen CS-Kirchengründung). Zu diesem Zeitpunkt hatte Seal allerdings die Leitung der Dresdener Gemeinde bereits ihrer aus England stammenden Schülerin Emily Cotton übertragen.100 Sie selbst war im Oktober 1898 nach New York zurückgekehrt, um dort – auf Anregung Laura Lathrops – an der Normal Class teilzunehmen. Kurz vorher hatte Eddy allerdings eine neue Regel erlassen, nach der ein Besuch dieses Kurses nur nach mindestens dreijähriger vorheriger Praxis von Christian Science möglich war. Als Lathrop dies erfuhr, forderte sie Seal dazu auf, ihre Anmeldung zurückzunehmen, da sie erst zwei Jahre zur Kirche gehöre. Diese weigerte sich jedoch, und als Eddy von der Situation erfuhr, erteilte sie Seal eine Ausnahmegenehmigung. So konnte Seal im Frühling 1899 als „Teacher of Christian Science“ nach Deutschland zurückkehren.101 Sie unterrichtete ihren ersten Kurs in Dresden (an dem u.a. Emily Cotton teilnahm) und zog dann auf Wunsch der Mutterkirche im Sommer 1899 nach Berlin, um auch hier Christian Science zu etablieren.102 In enger Zusammenarbeit mit der deutschen Christlichen Wissenschaftlerin Johanna Bruno gelang es Seal, in Berlin eine schnell wachsende CS-Gemeinde aufzubauen, deren erste Gottesdienste im Oktober 1899 stattfanden.103 Um die Jahrhundertwende fanden die gutbesuchten CS-Gottesdienste im Kaiserin-Augusta-Viktoria-Saal statt, und Seal hatte oft mehr als dreißig Patienten am Tag.104 Besondere Aufmerksamkeit erregte, laut Seal, die spek-
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26, s. auch Smith, Early History, 311. Diese Schilderung erinnert allerdings auch an den sogenannten „Nikodemus-Topos, d. h. die Geschichte des Anhängers, dem noch der Mut fehlt, sich offen zum Glauben zu bekennen, der jedoch im Geheimen praktiziert. Aufzeichnungen des Rektors hierzu gibt es leider nicht. Vgl. Smith, Early History, 311. Cotton war Seals erste Vermieterin in Dresden gewesen und ist im CS-Journal ab November 1899 als CS-Praktikerin aufgeführt. Vgl. Seal, Wundertaten, 33–37; Smith, Early History, 311. Offensichtlich verärgerte diese Bevorzugung Seals Günther-Peterson, die zudem enttäuscht darüber war, dass Lathrop Seal, aber nicht sie selbst zur Teilnahme an dieser Normal Class aufgefordert hatte („sending for the American student but not the German one“). Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 7–10. Vgl. ebd.; Smith, Early History, 311. Seal bezeichnet Bruno als „my first German student in Berlin“, allerdings hatte Bruno bereits 1899 in England bei Julia Field-King die Primary Class besucht, war im Juni 1899 Mitglied der Mutterkirche geworden und arbeitete ab Sommer 1900 als „journallisted“ Praktikerin in Berlin. Vgl. Seal, Wundertaten, 42; Smith, Early History, 312; Follis ebd., 7. Zur Popularität von Christian Science in Berlin um die Jahrhundertwende s. Moll, Gesundbeten. Moll, ein zeitgenössischer Arzt und Kritiker von CS, gibt darin einige Beispiele für die Heilpraxis von Seal und von Marie Schön, die offenbar 1902 ebenfalls schon in der Hauptstadt tätig war. Er beschreibt CS-Behandlungsformen und gibt Informationen über deren Preise, z. B. kostete laut Moll eine CS-Behandlung damals in Berlin drei Mark („gleichviel, wie lange sie dauert“), in Hannover („mit Rücksicht auf die gesamten dortigen Verhältnisse“) nur zwei Mark. Vgl. Moll, Gesundbeten, 10–18.
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takuläre Heilung einer Konzertsängerin, die „ein Liebling der Kaiserin Augusta“ war und von Seal in kurzer Zeit von einem jahrelangen schweren Lungen- und Rückenleiden befreit wurde.105 Dies habe Christian Science auch das Interesse vieler Adliger eingebracht und zur großen Beliebtheit der Lehre Eddys bei Hofe geführt, wie Seal beschreibt: Eine deutsche Gräfin, die Gesellschafterin der Kaiserin war, teilte mir mit, daß die Bälle im Kaiserpalast wahre Christlich-Wissenschaftliche Zeugnisabende geworden seien. Während die jüngeren Paare tanzten, stünden die Hofbeamten und die Begleiterinnen der jungen Damen zusammen und erzählten von Heilungen unter ihren Freunden und Bekannten. Sie sprachen vom Lehrbuch von Mrs. Eddy sowie von den Wundertaten, die an diejenigen Heilungen grenzten, die Jesus an den Ufern des Galiläischen Meeres vollbrachte.106
Allerdings erzeugte die steigende Popularität der neuen Lehre in Berlin zunehmende Besorgnis bei Geistlichen und bei Ärzten, die versuchten, den Kaiser zu einem Verbot dieser neuen, ihrer Ansicht nach ketzerischen und gesundheitsgefährdenden amerikanischen Religion zu bewegen. In den Wundertaten wird berichtet, dass Wilhelm II. sich zunächst nicht mit dem Thema befassen wollte. Dann aber hätten, so Seal, zwei Gräfinnen gegen ihren Willen (und im Gegensatz zu den Grundsätzen Mary Baker Eddys) damit begonnen, Christian Science mit Spiritismus zu verbinden. Diese beiden führten dann in einer Villa in Potsdam große Seancen mit einem spiritistischen Medium durch, bei denen gleichzeitig aus S&H vorgelesen wurde. Als man bei Hof davon erfuhr, zeigte sich die Kaiserin, Seal zufolge, entsetzt, und der Kaiser gab nun den Befehl, jegliche Art spiritistischer Seancen sowie Versammlungen und andere Aktivitäten der Christlichen Wissenschaft sofort zu unterbinden.107 105 Seal behauptet, die Frau sei erblindet gewesen, hätte an schwerer rheumatischer Gicht gelitten und sei seit Jahren mit Morphium behandelt worden. Nach der Heilung durch Christian Science hätte sie – zum Erstaunen der Berliner Öffentlichkeit – wieder ungehindert sehen, gehen und singen können. Vgl. Seal, Wundertaten, 39–41; Smith, Early History, 312. 106 Seal, Wundertaten, 47. Weder in den Memoiren einer Hofdame der Kaiserin Augusta noch in anderen, der Verfasserin bekannten Quellen sind diese angebliche Heilung der Sängerin oder Gespräche über Christian Science am Hof belegt. Da es bei späteren Gerichtsverfahren gegen CS (auf die später noch eingegangen wird) u.a. um verstorbene Patientinnen ging, die entweder selbst adlig waren oder am Hofleben teilnahmen, und die Baronin Olga von Beschwitz zu den Schülerinnen Seals zählte, lässt sich vermuten, dass die Lehre Eddys in diesen Kreisen tatsächlich eine Reihe von Anhängern hatte. Das Kaiserehepaar selbst war allerdings streng lutheranisch, und Wilhelm II., der von Geburt an einen verkrüppelten Arm hatte, tiefe Angst vor Krankheiten zeigte und größten Wert auf Hygiene sowie fachärztliche Betreuung legte, hatte gewiss keinen Kontakt zu CS-Praktikern. Vgl. Buchner, Wilhelm II; Chamier, Wilhelm II; Clark, Wilhelm II; Mombauer / Deist (Hg.), Wilhelm II; Müller, Wilhelm II; Rall, Wilhelm II; Fischer, Berliner Hof. 107 Laut Seal hatte der Kaiser sich von seiner Frau sowie geistlichen Beratern überzeugen lassen, dass die falschen Lehren von CS und Spiritismus eine echte Gefahr für Christen
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Wann dieses Verbot genau erfolgte, darüber machen weder Seal noch Smith genaue Angaben. Ihrer Chronologie zufolge müsste dies vermutlich kurz nach der Jahrhundertwende der Fall gewesen sein. Zwar konnte die Verfasserin keine anderen Belege für ein offizielles, gesetzliches Verbot der Christlichen Wissenschaft finden, bei der bekannten Intoleranz Wilhelms II. gegenüber Andersgläubigen und seiner Abneigung gegenüber dem Spiritismus liegt eine solche Reaktion des Kaisers (sofortiges, umfassendes Verbot einer ausländischen „Sekte“, die im Verdacht stand, Verbindung zum Spiritismus zu haben) jedoch durchaus im Bereich des Wahrscheinlichen. Vielleicht handelte es sich nicht um ein Reichsgesetz, sondern um eine an die Berliner Polizei gerichtete kaiserliche Anordnung.108 In jedem Fall begann nach diesem Vorfall in Potsdam eine Phase gravierender Schwierigkeiten für die Christliche Wissenschaft in Berlin. Seal wurde polizeilich überwacht, konnte nur mit größter Vorsicht auf dem Land und in Privatwohnungen kleine Gottesdienste abhalten und kaum Patienten behandeln. Außerdem musste sie bei Freunden übernachten, da ihr Vermieter sie nach Bekanntwerden des Verbots sofort des Hauses verwiesen hatte.109 Auch in Stuttgart, Hannover und Dresden gab es zu dieser Zeit offensichtlich Schwierigkeiten für Christliche Wissenschaftler, aber die Einschränkungen bzw. die „Verfolgungen“ waren in Berlin wohl größer als in anderen Städten.110 im Reich darstellten, und die Frau, die bei den Potsdamer Seancen als Medium fungiert hatte, wurde als Betrügerin zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Vgl. Seal, Wundertaten, 48–49. 108 Auch in Nipperdeys Studie über Religionen im Kaiserreich findet sich kein Hinweis auf dieses Verbot. Allerdings erwähnt er Christian Science überhaupt nicht. Zur Strenggläubigkeit bzw. religiösen Intoleranz des Kaisers vgl. Buchner, Wilhelm II; Chamier, Wilhelm II; Clark, Wilhelm II; Rall, Wilhelm II. Buchner gibt mehrere Beispiele der z.T. extremen religiösen Intoleranz des Kaisers. Als z. B. eine Tante Wilhelms, die Landgräfin Anna von Hessen, ihm 1901 ihren Entschluss mitteilte, zum Katholizismus zu konvertieren, schickte der Kaiser ihr sofort ein Telegramm und warnte sie, dass dieser Schritt zu ihrem Ausschluss aus dem Hohenzollernhause führen würde, und alle Angehörigen würden „sofort und auf immer“ den Verkehr mit ihr abbrechen. Da die Tante trotzdem konvertierte, machte er die Drohung wahr und „verzieh“ ihr erst kurz vor ihrem Tod 1914. Vgl. Buchner, Wilhelm II, 39–40 und 49–50. 109 Vgl. ebd., 49–51. „Leid und Verfolgung“ sind wie erwähnt ein bekannter Topos von Missionsberichten. Da jedoch Seals Angaben durch Briefe anderer Christlicher Wissenschaftler bestätigt wurden, kann man davon ausgehen, dass sie weitgehend auf Tatsachen beruhen. S. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3 „Warning Signs“ , 1–2. 110 Vgl. Brief von Seal an Mary G. Ewing vom 1. Mai 1902, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1. Seal berichtet, dass sie trotz der schwierigen Situation zusammen mit 17 anderen Berliner Christlichen Wissenschaftlern im Februar 1900 als Gast am ersten Gottesdienst der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler in Dresden teilnahm und dass diese „historische Feier“ aus ihrer Sicht „der erste Schritt sei zum Ziel der Befreiung des deutschen Volkes von einer autokratischen persönlichen Regierung, die die religiöse Freiheit einschränkte“. Seal, Wundertaten, 57.
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Seal berichtet, dass es ihr erst nach Wochen gelang, eine neue Wohnung bei einem amerikanischen Hausbesitzer in Berlin zu bekommen, in der sie kleine Gottesdienste abhielt und einen Leseraum einrichtete. In einer alten italienischen Tanzschule am Rande von Berlin, deren Besitzer als italienischer Staatsbürger keine Angst vor der deutschen Polizei hatte, fand die Gemeinde schließlich (vermutlich erst im Sommer oder Herbst 1900) einen neuen Versammlungssaal.111 Angesichts immer neuer Schmähschriften gegen die Christliche Wissenschaft und fortgesetzter Schikanen gegen ihre Mitglieder entschloss sich Seal dann jedoch, in die Offensive zu gehen. Gemeinsam mit einer von ihr geheilten Freundin, der Baronin Olga von Beschwitz, wandte sie sich direkt an den Polizeipräsidenten von Berlin, der auch Mitglied im kaiserlichen Ministerrat war. Ablauf und Erfolg dieser Aktion werden in Wundertaten der Wahrheit detailliert geschildert. Seal habe – ausgerüstet mit einem Empfehlungsschreiben des amerikanischen Generalkonsuls und unterstützt durch das positive Zeugnis der Baronin von Beschwitz – in einem intensiven persönlichen Gespräch dem Polizeipräsidenten erklärt, dass die Christlichen Wissenschaftler gesetzestreue Bürger seien, die lediglich nach Jesu Gebot das Evangelium predigten und Kranke heilten. Schließlich habe sie ihn gefragt, ob dies denn wirklich gegen ein deutsches Gesetz verstieße. Der Polizeipräsident habe daraufhin sichtlich erregt ein Buch ergriffen und es ihr mit den Worten entgegengehalten: „Dies ist das deutsche Kriminalgesetzbuch, und darin steht kein Wort, daß es irgend jemanden verboten ist, Gott auf seine Weise anzubeten.“112 Ob es nun wirklich daran lag, dass es Seal gelang, den Polizeipräsidenten von der Ungefährlichkeit der Christlichen Wissenschaft und deren Verschiedenheit zum Spiritismus zu überzeugen (so dieses Gespräch überhaupt in dieser Form stattgefunden hat), oder ob der Einfluss des amerikanischen Generalkonsuls ausschlaggebend dafür war, dass das kaiserliche Verbot wenig später offenbar gelockert bzw. aufgehoben wurde, lässt sich nicht mehr mit Sicherheit feststellen.113 Aber in jedem Fall verbesserte sich die Situation Christlicher Wissenschaftler nach diesem Gespräch spürbar, sie wurden nicht 111 Über den Eigentümer ihrer Wohnung sagte Seal, er habe sie besonders großzügig behandelt, weil er „von unserer Verfolgung wusste, weshalb er uns seine Sympathie entgegenbrachte […]. Da er als Amerikaner an die Religionsfreiheit glaubte, bewunderte er unseren Mut und unser Gottvertrauen.“ Seal, Wundertaten, 52. Vgl. hierzu auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 9. 112 Seal, Wundertaten, 54; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 2, 7. Auch diese Textstelle erinnert sehr an den „Verhör der Unschuldigen“- bzw. „wunderbare Überzeugung der Mächtigen“-Topos (vgl. z. B. das Verhör Jesu durch Pilatus). 113 In jedem Fall sollte klar gestellt werden, dass ein preußischer Polizeipräsident, der ja kaiserlicher Beamter war, sicherlich nicht gegen ein offizielles kaiserliches Verbot verstoßen oder Ausnahmen davon zugelassen hätte, wenn dies nicht von höherer Stelle her autorisiert worden wäre. Insofern stärkt dies die These der Verfasserin, dass es sich bei dem damaligen Verbot der Christlichen Wissenschaft eher um einen temporären Erlass
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mehr von der Polizei überwacht und durften wieder Gottesdienste feiern.114 Bis zur Gründung der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler in Berlin am 20. Oktober 1900 hatte sich das Verhältnis weitgehend entspannt. Die Polizei habe, so Seal, die neue Gemeinde sogar „mit größter Zuvorkommenheit“ behandelt und lediglich eine Abschrift des CS-Glaubensbekenntnisses (d. h. die Glaubenssätze der Mutterkirche) verlangt, die dann von der Stadtverwaltung archiviert wurde.115 So konnte sich offenbar auch angesichts weiterer Opposition der Staatskirche und von Ärzten das Gemeindeleben der CS-Kirche in Berlin in den folgenden Jahren sehr gut entwickeln.116 Seal arbeitete unermüdlich, heilte, lehrte, bildete neue CS-Praktiker aus, und die Mitgliederzahlen der Kirche stiegen. Bald bot sie insgesamt vier wöchentliche Gottesdienste und Zeugnisversammlungen sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch an und eröffnete eine Sonntagsschule.117 In einem nächsten Schritt begannen Seals Schülerinnen und Schüler, auch außerhalb von Berlin und Dresden Christian Science zu praktizieren und neue Gemeinden zu etablieren. Ende 1906 entschloss
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als um ein offizielles Gesetz gehandelt hat. Zur hierarchischen Struktur und kaiserlichen Autorität innerhalb der preußischen Verwaltung s. Lerman, The Kaiser’s elite, 63–90. Die Schmähschriften verstummten allerdings nicht. So schrieb Seal 1902: „No fewer than six new pamphlets against Christian Science have appeared in the bookstores within the past three weeks. These are generally written by clergymen and M.D.’s […]. The press is muzzled by its own ignorance and ‘moral suasion’ from Church and State.“ Brief von Seal an Mary G. Ewing vom 1. Mai 1902, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 2. Vgl. Seal, Wundertaten, 57. Smith nennt als Datum der Kirchengründung den 20. September 1900 und sagt, es seien zwölf, nicht wie Seal angibt elf Gründungsmitglieder gewesen, aber er gibt hierfür keine Quelle an. Smith, Early History, 312. Laut Seal machte es die Staatskirche ihren Mitgliedern weiterhin schwer auszutreten, und ein neues Gesetz verpflichtete zudem alle Arbeitnehmer, die wegen Krankheit nicht zur Arbeit kommen konnten, ein ärztliches Attest abzugeben. Vgl. Seal, Wundertaten, 58. In Dresden habe es außerdem weiterhin z.T. massive Schwierigkeiten mit der Polizei gegeben, die den Christlichen Wissenschaftlern verbot, Kollekten durchzuführen oder Bücher zu verkaufen. 1902 wurde im Dresdener Abgeordnetenhaus darüber diskutiert, wie man CS am besten unterdrücken könnte, und laut Seal war es „an open secret that the State Church is back of all these measures“. Brief von Seal an Mary G. Ewing vom 1. Mai 1902, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1. Vgl. Seal, Wundertaten, 57–59. In Wundertaten wurden die Teilnehmerzahlen der englischen Gottesdienste für 1900 mit ca. fünfzig, die der deutschen mit 125–150 angegeben. Die Sonntagsschule hätten damals acht Kinder besucht, inzwischen, d. h. gegen Ende der 1920er Jahre, sei diese Zahl auf mehrere Hundert gestiegen. Vgl. Seal, Wundertaten, 57. Bei einem Treffen mit Eddy im Juni 1902 lobte diese Seals Arbeit sehr und dankte ihr für ihre „Tapferkeit und Treue“. Vgl. Smith, Early History, 313, und s. Seal, Wundertaten, 64–65: „Die Anerkennung unserer Arbeit durch unsere geliebte Führerin und ihre zärtlichen Segensworte begleiteten mich mit unaussprechlicher Freude wieder in mein deutsches Arbeitsfeld zurück.“
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sich Seal dann zur Rückkehr nach Amerika, da sie ihre Mission als erfolgreich beendet ansah: Ich war nach Deutschland gegangen, um die Christliche Wissenschaft einzuführen, und diese war nun gut bekannt und die Kirchen fest gegründet […]. Meine Schüler verwalteten das ihnen anvertraute Pfund getreulich, und das Werk ging immerzu voran.118
Auch in dieser Aussage liegt unverkennbar eine gewisse Selbstbeweihräucherung Seals, zumal sie wieder die Leistungen von Bertha Günther-Peterson und Marie Schön ignoriert, die deutlich vor ihr Christliche Wissenschaft in Deutschland praktiziert und eine CS-Kirche gegründet hatten. Seals eigenes Geltungsbedürfnis war jedoch nur einer der Gründe für ihre einseitige Darstellung. Sie vermied es damit auch, über einen großen Konflikt zu sprechen, der letztendlich dazu geführt hatte, dass es zwischen den beiden Hannoveraner Frauen und Seal – denen im Grunde gemeinsam der Ruf gebührt, die wichtigsten Pioniere bzw. Botschafterinnen der Lehre Eddys in Deutschland zu sein – keinerlei konstruktive Zusammenarbeit gab.119 Die Hintergründe dieser und anderer zum Teil gravierender Spannungen und Konflikte innerhalb der Frühgeschichte von Christian Science im Deutschen Reich sollen nun näher erläutert werden. II.3. „ONE WRONG WORD MAY MISSTATE THIS SCIENCE“120 – DER KONFLIKT UM DEUTSCHSPRACHIGE PUBLIKATIONEN UND AUTONOMIEBESTREBUNGEN CHRISTLICHER WISSENSCHAFTLER IM DEUTSCHEN REICH Der Wunsch, Eddys Schriften ins Deutsche übersetzen zu lassen, ist schon seit den 1880er Jahren schriftlich bezeugt. So zum Beispiel in einem Brief eines ihrer Schüler, der in Winona, Minnesota, Christian Science unterrichtete und nur deutsche Patienten hatte, weswegen er Eddy im Februar 1889 explizit um die Publikation deutscher Texte bat.121 Eddy ging zwar nicht direkt auf seinen Vorschlag ein, aber noch im gleichen Jahr veröffentlichte die Christian Science Publishing Society einige kürzere Texte und dann drei längere Traktate Eddys, die ins Deutsche übertragen worden waren: „Der Weg, um mit Christian Science zu beginnen“ (1890), „Es gibt Ruhe und Frieden 118 Seal, Wundertaten, 66. Zum Zeitpunkt von Seals Rückkehr in die USA gab es in Deutschland drei Zweigkirchen (Hannover, Berlin und Dresden) und zwei CS-Vereinigungen (Stuttgart und Frankfurt). 119 Eckert trug zwar wie erwähnt ebenfalls zur Einführung von CS im Stuttgarter Raum bei, aber er war nie eingetragener Praktiker, und verglichen mit den drei Frauen war sein Einsatz wohl eher zurückhaltend. 120 Zitat aus Mary Baker Eddys Brief an Marie Schön vom 11. Mai 1898 (UKD, Computerarchiv, Zugangscode V03361). 121 Vgl. Brief von John Linscott an Eddy vom 10. Februar 1889, zit. in Timeline (UKD).
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auf Erden“ (1892) und „Freiheit“ (1893).122 Während der 1890er Jahre wurde zudem immer wieder die dringende Bitte an Eddy herangetragen, ihr Lehrbuch S&H ins Deutsche (und auch ins Französische) zu übersetzen.123 Großes Interesse hieran zeigten auch schon früh Bertha Günther-Peterson und Marie Schön. Noch während ihres ersten Besuches bei Schön in Minneapolis schrieb Günther-Peterson im April 1897 zum Beispiel einen Brief an Eddy, in dem sie inständig um deren Erlaubnis bat, das Lehrbuch übersetzen zu dürfen.124 Eddy lehnte mit der Begründung ab, das Risiko, ihre wahren Ideen könnten hierbei fehlerhaft oder unvollständig übertragen werden, sei einfach zu hoch. Sie schloss zwar nicht aus, sich die Angelegenheit in Zukunft noch genauer durch den Kopf gehen zu lassen, untersagte Günther-Peterson jedoch, sich weiter mit diesem Thema zu befassen.125 Ein Jahr später, im April 1898 schloss Marie Schön ihren Bericht an Eddy über das gute Gedeihen der neuen CS-Gemeinde in Hannover erneut mit dem dringenden Appell an diese, wenn schon nicht das Lehrbuch, dann wenigstens einige ihrer anderen Bücher ins Deutsche übersetzen zu lassen: We beg of you to permit the translation of at least your smaller works, since our patients (by far the greater part of which, of course, have never studied any foreign languages at all) and especially those healed and living not in this city, tell us and write us again and again, that they are absolutely hungry and thirsty for your words as their daily food. […] Knowing that your heart shelters all your children, we hope that you will also provide for the needs of those here over the ocean.126
122 Vgl. Timeline. 123 Das erste Angebot hierfür, das sie von einer Schülerin aus England erreichte, kommentierte Eddy im Juni 1896 mit den Worten, sie wünsche eine „strictly correct translation of the textbook“, die sie offenbar zu diesem Zeitpunkt noch nicht für möglich hielt. Brief Eddys an Julia Field-King vom 8. Juni 1896 (UKD, zit. in Timeline). 124 Es ist zu vermuten, dass Günther-Petersons Lehrerin, Laura Lathrop, ihr Anliegen unterstützte. Lathrop hatte offenbar auch eine ihrer französischen Schülerinnen, Alice Tournier, dazu ermutigt, das Lehrbuch in ihre Muttersprache zu übersetzen. Ein Vorhaben, dessen sofortige Einstellung Eddy durch zwei Briefe im Mai 1897 anordnete. Vgl. Timeline. 125 Vgl. Brief von Günther-Peterson an Eddy vom 22. April 1897 (UKD, zit. in Timeline) und Eddys Antwortschreiben vom 24. Mai 1897 (UKD, Computerarchiv, Zugangscode V01525). Ende April erhielt Eddy auch eine ohne ihre Erlaubnis angefertigte Übersetzung des Lehrbuchs von der in Chicago lebenden Deutschen Eliza Roth (die in der Timeline als „mental scientist with ties to theosophy“ bezeichnet wird). Der Text wurde von der CSPS überprüft und als unzureichend zurückgewiesen. Vgl. Briefwechsel zwischen Eliza Roth und William McKenzie von April und Mai 1897, zit. in Timeline (UKD). 126 Brief von Schön an Eddy vom 17. April 1898 (UKD, Chestnut Hill File). Als Beispiele für eine solche Übersetzung kürzerer Werke schlug Schön Rudimental Divine Science, No and Yes und Unity of God vor. Schöns Bemerkung lässt vermuten, dass gute Englischkenntnisse auch bei Mitgliedern der Bildungsschicht im wilhelminischen Deutschland offenbar noch relativ selten waren.
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Eddys Antwort auf dieses Schreiben fiel noch deutlicher aus als ihre vorherige Absage an Günther-Peterson. Eine korrekte Übersetzung ihrer Werke stellte sie nicht nur als „undurchführbar“, sondern im Hinblick auf Gottes größeren heilsgeschichtlichen Plan (dessen Verständnis hier deutlich Eddys puritanisches Erbe anklingen lässt) auch als überflüssig dar: A correct translation of my writings cannot be given […]. Linguists agree with me that no other language [except English] contains the precise words which absolutely state Christian Science. And one wrong word may misstate this Science […] and prevent its principle and rule being understood and demonstrated. Hence my decision to leave this question […] to the providence of God. My hope and expectation are sanguine that one day all peoples shall speak in one tongue […]. The English language will no doubt become universal and the Anglo Saxon Israel will be restored according to His promise.127
Sowohl Günther-Peterson als auch Schön waren sehr enttäuscht über die unnachgiebige Haltung Eddys in der Frage der Textübersetzungen, die sie als eine dringende Voraussetzung für die weitere Verbreitung von Christian Science in Deutschland ansahen. Günther-Peterson, die einige von ihr ins Deutsche übertragene Artikel aus dem CS-Sentinel und dem CS-Journal an die CSPS mit der Bitte geschickt hatte, zumindest diese zu publizieren, wurde im Juni 1898 von deren Aufsichtsrat informiert, sie würden ihre Literatur in keine anderen Sprachen übersetzen.128 Trotz dieser abschlägigen Bescheide fuhren Günther-Peterson und Schön fort, Artikel aus den CS-Zeitschriften und kleinere Schriften Eddys für deren Anhänger in Deutschland zu übersetzen. Zum offenen Konflikt kam es allerdings hierbei erst, als sie, wie bereits erwähnt, im Oktober mit der Herausgabe einer eigenen deutschen Zeitschrift begannen, die unter dem Titel Deutsches Monatsheft der Christlich-wissenschaftlichen oder Metaphysischen Heilmethode (deren Entdeckerin und Begründerin Mrs. Mary Baker Eddy ist) erschien.129 Bereits im Juni 1900 hatten Günther-Peterson und Schön ihre Pläne zu dieser Publikation öffentlich angekündigt und damit in Boston vor allem bei der Leitung der Christian Science Publishing Society großen Unwillen erregt, denn laut Kirchenhandbuch hatte allein die Mutterkirche das Recht, christlich-wissenschaftliche Schriften
127 Brief Eddys an Marie Schön vom 11. Mai 1898 (UKD, Computerarchiv, Zugangscode V03361, urheberrechtlich geschütztes Dokument des Archivs der Mary Baker Eddy Library, veröffentlicht mit Genehmigung der Mary Baker Eddy Collection). Es ist verständlich, dass eine solche Antwort (insbesondere der letzte Satz) bei der nicht unpatriotischen Deutschen Marie Schön auf besonderen Unwillen stoßen musste. 128 Vgl. Schreiben William McKenzies an Günther-Peterson vom 27. Juni 1898 (UKD, zit. in Timeline). 129 Vgl. Timeline; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 5. Die Zeitschrift erschien unter diesem Namen von 1900 bis 1906, von 1907 bis 1939 unter dem Namen Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft. Vgl. deutscher Zeitschriftenindex.
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zu publizieren.130 Auf entsprechende Schreiben der CSPS reagierten Günther-Peterson und Schön Ende September mit einem langen Brief an Eddy, in dem sie den Sinn und Zweck ihrer Publikation darlegten und Eddy ihre Loyalität zusicherten.131 Zur gleichen Zeit war Eddy bereits um einen Ausgleich der Interessen bemüht und ordnete darum eine revolutionäre Neuerung an: Der CS-Sentinel und das CS-Journal sollten in Zukunft zweisprachig (in Englisch und in Deutsch) erscheinen. In ihrem Schreiben an William McKenzie (einen der CSPS-Aufsichtsräte) vom 28. September 1900, das in Kopie auch an Günther-Peterson und Schön nach Hannover geschickt wurde, betonte sie auch nachdrücklich ihre Anerkennung für die bisherige Arbeit der beiden Frauen und ihr Verständnis für deren Lage: I have travailed in Soul for the dear students in Germany and have built up a theory for their relief. […] That grand nation should certainly have the means for obtaining a knowledge of Christian Science. And this way of providing it [bilingual publication] will save breaking the international law on copyright and dearer far to my heart it will help Frau Gunther-Peterson and Fraulin Schoen [sic] to accomplish a great work which they have nobly and patiently inaugurated for the good of their people and the spread of Christian Science.132
Es ist nicht bekannt, wann genau dieser Brief in Hannover eintraf und warum Eddy ein weiteres Schreiben Günther-Petersons nicht beantwortete, in dem diese betonte, auf ein direkt von Eddy geäußertes Verbot für ihr Vorhaben sofort reagieren zu wollen.133 Da ein solches Verbot offensichtlich nicht erteilt wurde, erschien die erste Nummer der Monatshefte schließlich im Okto130 Vgl. Brief von Joseph Armstrong, CSPS-Manager, an Günther-Peterson vom 19. September 1900, in dem er ihr Vorhaben scharf kritisiert, sie zu dessen sofortiger Aufgabe auffordert und sie daran erinnert, dass es die Pflicht der Mutterkirche sei, die Lehre von Christian Science vor gefährlichen Verfälschungen durch nicht autorisierte Personen zu schützen (UKD, Chestnut Hill File); auch zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 4. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch ein Schreiben von Eddys persönlichem Sekretär, Calvin A. Frye, an einen der Direktoren, Edward A. Kimball, vom 17. Oktober 1900, in dem Frye darauf hinweist, dass die Herausgabe des deutschen „CS-Magazine“ durch „Frau Peterson und Frau Schoen“ eine Copyright-Verletzung darstelle. (UKD, Chestnut Hill File). 131 Vgl. Brief an Eddy vom 27. / 28. September 1900 (UKD, zit. in Timeline). Dieses Schreiben erreichte Eddy erst im Oktober. 132 Brief Eddys an McKenzie vom 28. September 1900 (UKD, urheberrechtlich geschütztes Dokument des Archivs der Mary Baker Eddy Library, veröffentlicht mit Genehmigung der Mary Baker Eddy Collection). Das freundliche Begleitschreiben von Calvin Frye zur Kopie für Günther-Peterson und Schön endet mit den Worten: „Mrs. Eddy sends tender love to each of you.“ Vgl. Brief von Frye an Günther-Peterson und Schön vom 28. September 1900 (UKD, Chestnut Hill File). 133 Laut Follis hatte Günther-Peterson eine Druckvorlage der ersten Ausgabe ihrer Zeitschrift an Eddy geschickt und sie gebeten, sollte diese ihr missfallen, nur das Wort „Stop“ nach Hannover zu telegraphieren, dann würde sie deren Verteilung unterlassen. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 5.
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ber 1900.134 Am Ende des Monats sandte Schön – offenbar in Absprache mit Günther-Peterson – einen Brief an Eddy, in dem sie dieser zwar herzlich für die angekündigten deutschsprachigen Publikationen der Mutterkirche dankte, jedoch betonte, diese könnten kein Ersatz für ein „genuine German organ for our Church and Association“ sein, das nicht nur als Verbindungsstück zwischen den CS-Praktikern und den andernorts wohnenden Patienten dringend benötigt würde, sondern auch als „a means of defense against attacks from pulpit and press, which of course cannot be met by us via America“.135 Diese Argumentation war zwar – vor allem angesichts der langen Postwege der damaligen Zeit – logisch gut nachvollziehbar, aber der Druck der Monatshefte stellte einen direkten Akt der Insubordination gegenüber der Mutterkirche dar. Der Aufsichtsrat der CSPS verlangte daraufhin härtere Konsequenzen, aber aus einem Schreiben von Eddys persönlichem Sekretär, Calvin Frye, an McKenzie geht hervor, dass für diese die Fortsetzung ihrer „harmonious relations with the workers overseas“ höchste Priorität hatte und Eddy deshalb eine Verschärfung des Konfliktes verhindern wollte: „She emphatically refuses to endorse anything that will tend to make a break between the Christian Scientist Churches in Germany and herself.“136 Stattdessen lud Eddy, wie erwähnt, Marie Schön dazu ein, nach Boston zu kommen, um hier innerhalb der CSPS als Herausgeberin einer deutschen Version des CS-Journal zu arbeiten und somit „the whole German field“ zu bereichern.137 Nach reiflicher Überlegung lehnte Schön jedoch ab, da sie ihre Mitarbeit bei der Herausgabe der deutschen Monatshefte aus den o.g. Gründen für wichtiger hielt, und bat, die Mutterkirche solle doch ihre und Günther-Petersons besondere Expertise als Deutsche in dieser Angelegenheit akzeptieren, dann sei eine weitere Zusammenarbeit sicher möglich: If only you would give us credit enough for being best able to judge what is the best and most conscientious form in which we can reach our people here and prepare for them their Christian Science food. I do not doubt but that it would not be difficult to find a
134 Neben Übersetzungen von Texten Eddys (inkl. Auszügen von S&H) sowie von Artikeln aus dem CS-Journal und CS-Sentinel enthielt die Zeitschrift auch Bibelzitate und Artikel sowie Berichte über Heilungen von deutschen Christlichen Wissenschaftlern. Sie erschien bis 1939 (bis zum Ersten Weltkrieg monatlich, danach vierteljährlich). 135 Brief von Schön an Eddy vom 29. Oktober 1900 (UKD, zit. in Timeline). 136 Brief Fryes an McKenzie vom 21. Oktober 1900 (UKD, zit. in Timeline). Über die konkreten Vorschläge des Aufsichtsrates ist nichts bekannt, aber wahrscheinlich forderten damals schon einige Mitglieder den Ausschluss Schöns aus der Kirche oder wollten sie – und Günther-Peterson – zumindest offiziell verwarnen. 137 Brief von Eddy an Schön vom 17. Oktober 1900 (UKD, Chestnut Hill File); vgl. hierzu auch diesbezügliche Korrespondenz zwischen Eddy und dem Aufsichtsrat der CSPS, der Schön auch ein offizielles Angebot schickte, zu o.g. Zweck als Angestellte der CSPS zu arbeiten; zit. in Timeline und im Antwortschreiben Schöns vom 4. November 1900 (UKD, Chestnut Hill File).
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way by which we could work together without making it necessary for me to leave my duties here.138
Aus Schöns Briefen geht deutlich hervor, dass es bei diesem Konflikt nicht nur um sprachliche Probleme ging, sondern dass Schön für sich und GüntherPeterson in Anspruch nahm, die Situation in Deutschland besser einschätzen und auf Konflikte mit Behörden und anderen Gegnern schneller reagieren zu können als die Mutterkirche in Boston, und dass sie und Günther-Peterson aufgrund ihres besseren Verständnisses der deutschen Kultur ohnehin eine allen Amerikanern überlegene Fähigkeit hätten, den Deutschen die Lehre Eddys zu vermitteln. Diese Ansicht und die darin implizierte Forderung nach mehr Unabhängigkeit bzw. Entscheidungsautorität stand – vor allem hinsichtlich der Publikationsfrage – natürlich in klarem Widerspruch zu den im Kirchenhandbuch festgelegten Regeln und forderte die Hierarchie der Mutterkirche weiter heraus. Ohne das persönliche Wohlwollen Eddys wäre Schöns Kirchenmitgliedschaft vielleicht schon damals suspendiert worden, zumal sie – im Gegensatz zu Günther-Peterson – kaum Kompromissbereitschaft zeigte. So verzögerte sich dieser Schritt noch um einige Jahre.139 Der schwelende Konflikt wurde auch dadurch verschärft, dass Schön und Günther-Peterson sich weigerten, Frances Seals Tätigkeit in Dresden und Berlin anzuerkennen oder zu unterstützen, obwohl diese sich offenbar einige Male um eine Zusammenarbeit oder zumindest um einen Informationsaustausch mit den Hannoveranerinnen bemüht hatte.140 Deren Abneigung ge138 Brief von Schön an Joseph Armstrong vom 4. November 1900 (UKD, Chestnut Hill File). Am Ende dieses Schreibens versichert Schön noch einmal: „I do not find words enough to assure you of the absolute sincerity of my devotion to our highly beloved and deeply revered Leader and her grand revelation.“ Eine Kopie dieses Briefes sandte sie auch direkt an ihre „Beloved Mother and Leader“ und bat inständig um deren Verständnis und Glauben an ihre Treue. Vgl. Brief von Schön an Eddy vom 4. November 1900 (UKD, Chestnut Hill File). 139 Trotz Schöns Insubordination blieb der Ton des weiteren Schriftwechsels zwischen Eddy und der Hannoveraner Kirche sehr herzlich. Dies ist vermutlich auf Günther-Petersons Bemühungen zurückzuführen, die Eddy regelmäßig über die Fortschritte der Hannoveraner Gemeinde berichtete und ihr zuweilen auch kleine Geschenke und Fotos schickte. Vgl. Korrespondenz zwischen Günther-Peterson und Eddy zwischen Januar 1901 und Juni 1907 (UKD, Chestnut Hill File). Vgl. z. B. auch den Text eines Telegramms von Günther-Peterson und Schön an Eddy vom 15. Oktober 1904: „CS Associations Hannover and Berlin send their dearly beloved and revered leader infinite love and thanks“; das Antworttelegramm lautete: „Thanks, congratulations, and deep love from M.B. Eddy“ (UKD, Chestnut Hill File). 140 In mehreren Briefen an die Kirchenleitung in Boston beschwerte sich Seal über die mangelnde Kooperationsbereitschaft von Schön und Peterson. Vgl. Briefe Seals an Edward A. Kimball und dessen Antwort vom 9. Januar 1906 (UKD, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 10–11). Moll zufolge hatte Seal sich nach ihrer Ankunft in Berlin gleich an Schön gewandt und um Hilfe gebeten, diese habe jedoch von Anfang an ablehnend auf sie reagiert. Vgl. Moll, Gesundbeten, 10.
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genüber Seal basierte sicher zum Teil auf der Überzeugung, dass Deutsche eine „natürliche Kompetenz“ für die Etablierung der Lehre Eddys in Deutschland besaßen, weswegen sie die Entsendung einer Amerikanerin für diese Aufgabe als überflüssig oder vielleicht sogar als Herausforderung ansahen. Da Schön ihren Wirkungskreis inzwischen von Hannover auch nach Berlin ausgedehnt hatte, gab es auch in der Heilpraxis ein direktes Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden.141 Das Auftreten Seals, die sich trotz ihrer mangelnden Deutschkenntnisse offenbar für die „wichtigste Botschafterin“ von Christian Science im Reich hielt, trug ebenso zu diesen Spannungen bei wie die Vermutung Günther-Petersons, dass die Mutterkirche (bzw. ihre eigene Lehrerin Laura Lathrop) Seal besondere Privilegien einräumte. Dass Seal sich gegen eine Übersetzung des Lehrbuches ins Deutsche ausgesprochen hatte und ihre Kurse weiterhin auf Englisch anbot, verhärtete die Fronten schließlich noch weiter.142 Dieser Konflikt innerhalb der Deutschen Christian Science Gemeinschaft und seine Ursachen waren nicht zuletzt aufgrund der zahlreichen Beschwerdebriefe Seals der Kirchenleitung wohl bekannt. Manche sahen die Schuld hierfür hauptsächlich bei den beiden Hannoveranerinnen. Laura Lathrop schrieb zum Beispiel im Oktober 1900 an Eddy: „The trouble in Germany is founded upon a belief on Frau Peterson’s part that none but the Germans should or can give the Science to Germans.“143 Es ist unklar, ob Eddy diese Ansicht teilte oder nicht. 1902 bemühte sich McKenzie vergeblich um eine Vermittlung zwischen Hannover und Berlin bzw. Dresden.144 Darüber hinaus sah die Mutterkirche jedoch offensichtlich von einer Einmischung ab, ergriff nicht öffentlich Partei für Seal und bevorzugte auch später deren Schüler nicht vor denen von Günther-Peterson.145 Innerhalb der deutschen Christli141 Offenbar hatte Schön kurz vor Seals Eintreffen in Berlin hier bereits eine Heilpraxis eröffnet. Vgl. Hellwig, Gesundbeten, 1. Moll zufolge riet sie Seal dazu, sich nur auf die amerikanischen Patienten in der Stadt zu beschränken. „Fräulein Schön steht auf dem nationalen Standpunkt: Die Deutschen für die Deutschen, die Amerikaner für die Amerikaner.“ Moll, Gesundbeten, 10. 142 Schön und Günther-Peterson kritisierten Seals schlechte Deutschkenntnisse und beschuldigten sie angeblich auch in einem direkten Brief, Deutschland „anglikanisieren“ zu wollen. Vgl. Brief Seals an Septimus J. Hanna, den First Reader der Mutterkirche, vom 30. April 1900, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 13; s. auch Moll, Gesundbeten, 10. 143 Brief Lathrops an Eddy vom 28. Oktober 1900 (UKD, zit. in Timeline). 144 Vgl. hierzu sein Schreiben an Eddy vom 23. Juli 1902, in dem er vorschlägt, man solle Marie Schön und Seals Freundin Johanna Bruno zu einer Aussprache bewegen, „to promote a unification of the two movements in Germany“. (UKD, Chestnut Hill File) Eddys Antwort auf dieses Schreiben ist nicht bekannt, der Plan scheiterte wohl an der Unversöhnlichkeit der Kontrahentinnen. Vgl. hierzu auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 10–11. 145 Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 10–11. Zwar wurde im Juli 1907 mit Emma J. Leplow eine Schülerin Seals als erstes Komitee für Veröffent-
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chen Wissenschaft blieb jedoch eine gewisse Spannung zwischen zwei Positionen bis zum Zweiten Weltkrieg spürbar: zum einen eine eher „deutsch-patriotische“, die auf die deutsche Sprache setzte und möglichst unabhängig von Boston agieren wollte, und eine, die eine engere Anlehnung an die Mutterkirche bevorzugte und eine Überwindung nationalistischer Gedanken anstrebte.146 Die extremen Vertreter der ersten Position, allen voran Marie Schön, sagten sich schließlich ganz von der Mutterkirche los. Schön war seit der Jahrhundertwende offenbar immer mehr zu der Überzeugung gelangt, dass es im Grunde gar keiner kirchlichen Organisation bedürfe, um die Christliche Wissenschaft auszuüben, ja dass diese eher hinderlich sei. Diese Haltung führte schließlich zum Zerwürfnis mit Günther-Peterson.147 Schön zog 1904 ganz nach Berlin und übernahm schließlich die alleinige Redaktion der gemeinsamen Zeitschrift, die ab 1907 unter dem neuen Namen Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft erschien. Im gleichen Jahr gründete sie die „Deutsche Vereinigung Christlicher Wissenschafter“.148 Diese anfangs noch recht lose, informelle Organisation gewann allmählich ein schärferes, in zunehmendem Gegensatz zur Kirche Christi, Wissenschaftler stehendes Profil und wurde 1916 als behördlich anerkannter Verein in Berlin eingetragen.149 Erst kurz vorher (1915) war Schöns Name endgültig aus der Mitgliedsliste
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lichungen (KfV) für Deutschland ernannt (sie übte das Amt bis 1913 aus), aber dafür wurden wenig später drei Schüler Günther-Petersons mit der Übersetzung des Lehrbuchs beauftragt, von denen einer, Helmuth von Moltke, später ebenfalls zum KfV ernannt wurde. Es gab auch zahlreiche deutsche Christliche Wissenschaftler, die zwischen diesen Positionen standen, insbesondere während des Ersten Weltkrieges und der Nazizeit, aber darauf wird später noch eingegangen. Günther-Peterson blieb ein treues Mitglied der Mutterkirche und richtete nach dem Bruch mit Schön sogar gemeinsam mit ihrer Schülerin Frieda Hartwich einen kostenlosen Englischkurs für Kirchenmitglieder in Hannover ein. Vgl. Brief von Günther-Peterson an Eddy vom 5. Juli 1907 (UKD, Chestnut Hill File) sowie ihre folgende Anmerkung: „Our little church has gone through earnest conflicts during the last two years and some of our members left it: but now, though few in numbers, it is stronger than ever before.“ Brief an Eddy vom 24. August 1907 (UKD, Chestnut Hill File). Vgl. Timeline; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 5; Hutten, Christliche Wissenschaft, 273; Schön, „Vier Fragen“, in: Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft 17.7 (1917), 259–263, 17.8 (1917), 293–296, 17.9 (1917), 335–338, und „Aus dem Leserkreise“, in: Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft 23.7 / 9 (1924), 102–107. Zwar erwähnt Hutten Marie Schön und ihre Vereinigung kurz in seinem Kapitel über „Weitere Vereinigungen für geistige Heilung“, schreibt aber nichts über die Gründungsgeschichte von Christian Science in Deutschland. Weder in der Timeline noch in Follis’ Text findet sich ein Hinweis auf diese Vereinsgründung Schöns. Obwohl Schöns Gründe für den Bruch mit der Mutterkirche in den o.g. Ausgaben der Monatshefte ausführlich erläutert werden, stellt Follis fest: „The reason for Fraulein Schoen’s separation from the church is not clear“, Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 12.
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der Mutterkirche gestrichen worden, wohl auch deshalb, weil sie bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges ihre Loyalität zu Eddy betont und sich mit öffentlicher Kritik an der Mutterkirche zurückgehalten hatte.150 Es würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausführen, die Bedeutung der Deutschen Vereinigung Christlicher Wissenschafter hier weiter zu diskutieren.151 Kurz erwähnt sei nur, dass Schöns „Vereinigung“ jede Form der Kontrolle und Verfälschung der „wahren Lehre“ der Christlichen Wissenschaft durch feste Organisationen oder kirchliche Hierarchien ablehnte, sich als freie „deutsche Alternative“ zur streng kontrollierten anglo-amerikanischen CS-Kirche verstand und schließlich sogar – wie bereits erwähnt – die Ansicht vertrat, die Christliche Wissenschaft gehe nicht auf Eddy, sondern auf den deutschen Arzt Johann Passavant zurück.152 Abgesehen von der Gründung einer deutschen christlich-wissenschaftlichen Dissidentenbewegung ist jedoch vor allem beachtenswert, dass Schön – unterstützt von Günther-Peterson – durch ihr hartnäckiges Verlangen danach, christliche wissenschaftliche Schriften für eine deutsche Leserschaft zugänglich zu machen, letztendlich eine entscheidende Änderung in der diesbezüglichen Haltung Eddys bewirkte.
150 So ist Schön z. B. in dem von ihr 1909 publizierten Werk noch voll des Lobes für Eddy und deren Lehre als „Wegweiser in das Himmelreich auf Erden“ (ebd., III.). Auch fällt auf, dass bis zum Zweiten Weltkrieg die zweite Seite der Monatshefte immer den Zusatz enthält: „Wir betonen, daß sich der Inhalt unserer Zeitschrift in jeder Beziehung an die von Frau Mary Baker G. Eddy, der Wiederentdeckerin des göttlich-metaphysischen Heilens der Wissenschaft Christi und Begründerin der Christlichen Wissenschaft, gelehrten Grundsätze und Anschauungen anlehnt und dieselben vertritt.“ Dieser Zusatz fehlt in späteren Ausgaben. 151 Nach Schöns Tod 1941 wurde ihre Vereinigung ab 1945 von Frieda und Bruno Falkenberg unter dem Namen „Christlich-wissenschaftliche Bewegung deutschen Zweigs“ noch bis in die 1980er Jahre weitergeführt. Eine genauere Analyse dieser Dissidentenbewegung (auch im Hinblick auf die Kooperation mit anderen unabhängigen Vereinigungen Christlicher Wissenschaftler, z. B. in der Schweiz) wäre sicher ein lohnendes neues Forschungsprojekt. 152 Vgl. hierzu die „Satzung“ der Vereinigung vom September 1916, in welcher der Zweck derselben u.a. angegeben wird, die Lehre der Christlichen Wissenschaft von allen „willkürlichen Eingriffen“ der Bostoner Mutterkirche zu säubern, die „von Jesus Christus angestrebte sittlich-religiöse Menschengemeinschaft ohne weltlich organisiertes Kirchentum“ zu verwirklichen, der von der Mutterkirche angestrebten „Verdrängung der deutschen Sprache durch die englische“ entgegenzuarbeiten und vor der Gefahr zu warnen, dass durch die „Einverleibung“ deutscher Christlicher Wissenschaftler in die Mutterkirche „einer Veranglo-Amerikanisierung in den deutsch-sprachlichen Ländern Tür und Tor geöffnet“ werde. Schön, „Vier Fragen“ (1917), 293–295, vgl. auch Schön, „Aus dem Leserkreise“ (1924), 102–114. Auf die Verbindung zu Passavant und die in Bezug auf die Authentizität des Begriffes „Christliche Wissenschaft“ geführten gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Schön und der Mutterkirche, bei denen das deutsche Gericht zugunsten Schöns entschied, wurde ja bereits hingewiesen.
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Wie erwähnt, hatte der Druck Schöns und Günther-Petersons bereits im Herbst 1900 Eddy zu dem Plan motiviert, den CS-Sentinel und das CS-Journal zweisprachig erscheinen zu lassen. Nachdem Schön ihre Kooperation für dieses Projekt verweigert hatte, wurde es aufgegeben. Eddy jedoch blieb weiter dabei, es sei sinnvoll, eine Publikation der Mutterkirche für die deutsche Leserschaft in deren Muttersprache ins Leben zu rufen. Mit der tatkräftigen Unterstützung von William McKenzie wurde so schließlich die Idee für den Christian Science Herold geboren und nach einigen organisatorischen Schwierigkeiten in die Tat umgesetzt. Im April 1903 erschien die erste Ausgabe dieser von der CSPS mit Hilfe deutscher Mitarbeiter und komplett in deutscher Sprache verfassten Zeitschrift, die bis heute erscheint und inzwischen in 72 Ländern der Welt in der jeweiligen Landesprache erhältlich ist.153 Der Name des Herolds veränderte sich zwar mehrfach leicht (so hieß er bis 1912 Der Herold der Christian Science, danach Der Herold der Christian Science (Christliche Wissenschaft), von 1998 bis 2007 Der Christian Science Herold und seither Der Herold der Christliche Wissenschaft), aber der Inhalt ist im Wesentlichen gleich geblieben und besteht sowohl aus original deutschen Texten, die z.T. auch auf die besondere gesellschaftliche Situation in Deutschland eingehen bzw. dazu Stellung nehmen (im Herold vom Mai 2006 gibt es beispielsweise einen Artikel, der aktuelle Vorschläge für einen neuen „Einbürgerungstest“ in Deutschland kommentiert), als auch aus Artikeln, Gedichten, Kommentaren und Zeugnisberichten, die aus dem Englischen übersetzt wurden. Im Unterschied zu seinem damaligen „Konkurrenzblatt“, den Deutschen Monatsheften, beinhaltete der Herold außerdem von Anfang an eine Liste aller Namen von deutschsprachigen Praktikern und Lehrern der Christlichen Wissenschaft in der ganzen Welt.154 Das große Verlangen von Schön und Günther-Peterson, die Texte Eddys, insbesondere Stellen aus S&H (zur Not auch ohne Erlaubnis) ins Deutsche zu 153 Die erste französische Ausgabe der Zeitschrift erschien 1918, seit dem Zweiten Weltkrieg kamen viele weitere Ausgaben dazu. Heute erscheint der Herold monatlich auf Deutsch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch, vierteljährlich auf Schwedisch, Norwegisch, Dänisch, Holländisch, Italienisch, Griechisch, Japanisch, Indonesisch. Außerdem gibt es noch Sonderausgaben auf Finnisch, Russisch und Türkisch. Vgl. Überblick zur Geschichte des Herolds in der Jubiläumsausgabe vom April 2003; Pabst, Brief an die Verfasserin vom 29. Mai 2006; Herold-Ausgaben der jeweiligen Jahre. 154 Vgl. Timeline; Der Christian Science Herold, Mai 2006. Eddy betonte mehrfach die große Bedeutung des Herolds, vgl. z. B. ihren Kommentar: „I have given the name to all the Christian Science periodicals. The first was The Christian Science Journal, designed to put on record the divine Science of Truth; the second I entitled Sentinel, intended to hold guard over Truth, Life, and Love; the third, Der Herold der Christian Science, to proclaim the universal activity and availability of Truth; the next I named Monitor, to spread undivided the Science that operates unspent.“ Eddy, „Something in a Name“ in Christian Science Monitor 1 (25. November 1908), zit. in Timeline und in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1–2.
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übersetzen, sowie das unermüdliche Drängen vieler ihrer Schüler, Eddy solle eine solche Übersetzung doch bitte endlich zulassen, führten außerdem dazu, dass Mary Baker Eddy ihre einstmals völlige Ablehnung eines solchen Vorhabens wohl doch zu überdenken begann. Dabei spielten vor allem drei Mitglieder der Familie von Moltke (Gräfin Fanny, deren Cousin Graf Helmuth und dessen Frau Dorothy von Moltke) sowie Ulla Oldenbourg (geb. Schultz) und Renata King (geb. Hermes) eine bedeutende Rolle.155 Schon im Januar 1904 hatte Gräfin Fanny von Moltke, die vermutlich durch ihren Cousin Helmuth mit Christian Science vertraut gemacht wurde und zwischen 1904 und 1909 in einem sehr regen und herzlichen Briefwechsel mit Mary Baker Eddy stand, diese inständig darum gebeten, ihr Lehrbuch ins Deutsche übersetzen zu lassen. Sie tat dies auch trotz der bekannten Bedenken Eddys immer wieder und machte auch konkrete, detaillierte Vorschläge für die Übersetzung bestimmter Begriffe (so z. B. der Übersetzung von „Mind“ mit „Gemüt“, die Fanny von Moltke u.a. aus den Schriften Grimms, Kants, Schlegels und Luthers herleitete).156 Ab 1907 wandte sich auch Graf Helmuth von Moltke, der 1899 durch Günther-Peterson zur Christlichen Wissenschaft gekommen war und als CSKomitee für Veröffentlichungen zwischen 1928 und 1933 eine wichtige Rolle spielen sollte, mit derselben Bitte an Eddy. In den folgenden zwei Jahren schrieb er mehrere immer dringlicher werdende Briefe (sowohl auf Deutsch als auch auf Englisch), in denen er Eddy beschwor, die essentielle Wichtigkeit einer deutschen Ausgabe von S&H zu erkennen, und anbot, ggf. selbst eine Übersetzung anzufertigen oder am besten gleich nach Boston zu kommen, um persönlich mit Eddy über diese Angelegenheit zu sprechen.157 155 Es ist bemerkenswert, dass mindestens drei dieser fünf Personen Schülerinnen von Günther-Peterson waren. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 3. Dorothy von Moltke, Tochter des Obersten Richters (Chief Justice) der Südafrikanischen Union, Sir James Rose Innes, dessen Vorfahren aus Schottland kamen, hatte Helmuth von Moltke bei einer Deutschlandreise kennen gelernt und ihn 1905 geheiratet. Sie wurde durch ihren Mann mit Christian Science vertraut und nahm später gemeinsam mit diesem bei Günther-Peterson an der Primary Class teil. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1. Frau von Moltkes Hingabe an den neuen Glauben, ihr Familienleben in Kreisau (besonders auch ihr inniges Verhältnis zum ältesten Sohn, Helmuth James, der später im Widerstand gegen die Nazis sein Leben verlor) sowie ihre Einschätzung der Verhältnisse in Deutschland von der Kaiserzeit bis ins Dritte Reich sind in ihren zahlreichen Briefen an die Eltern in Afrika eindrucksvoll geschildert. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland. Zur Bedeutung der Familie von Moltke in dieser Zeit s. auch Friedrich, From Bismarck to Hitler. 156 Vgl. Briefe der Gräfin an Eddy vom 14. Januar 1904, vom 6. März 1908 und vom 17. Juni 1909. (UKD, von Moltke File). Trotz der Freundschaft der Gräfin Fanny von Moltke zu Eddy und Fannys Einsatz für eine Übersetzung des Lehrbuchs wird diese weder in der Timeline noch in Follis oder in den Briefen Dorothy von Moltkes erwähnt. 157 Vgl. z. B. Briefe des Grafen an Eddy vom 24. Mai 1907, 20. September 1908 und 30.
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Auch Ulla Schultz, die Christian Science 1899 bei einem Besuch auf dem Land durch Freunde kennen gelernt und vermutlich den Grafen Helmuth von Moltke mit Günther-Peterson bekannt gemacht hatte, war die Übersetzung des Lehrbuchs ein großes Anliegen. Sie hatte, wie die von Moltkes, CS-Klassenunterricht von Günther-Peterson erhalten, war seit 1908 in Berlin und Kreisau als Praktikerin tätig und hatte seit Jahren nach neuen Argumenten gesucht, um eine Übersetzungserlaubnis für S&H zu erlangen.158 Als entscheidend erwies sich schließlich ein Hinweis ihres Vaters, eines evangelischen Theologen. Dieser meinte, man könnte die Übersetzung des Lehrbuchs doch genauso angehen, wie es bei der griechisch-deutschen Ausgabe des Neuen Testaments gemacht worden war, wo auf gegenüberliegenden Seiten der Text im griechischen Original und in der deutschen Übersetzung abgedruckt ist. Schultz leitete diesen Vorschlag sofort nach Boston weiter, und dieser wurde nicht nur vom Aufsichtsrat der CSPS gut geheißen, sondern stieß offenbar auch auf Eddys Zustimmung.159 So rang sich – nach über einer Dekade des intensiven Drängens und Bittens durch zahlreiche ihrer Anhänger, insbesondere der o.g. Deutschen – Mary Baker Eddy knapp neun Monate vor ihrem Tod noch zu einer revolutionären Entscheidung durch: Mit folgendem Schreiben an den Aufsichtsrat der CSPS vom 31. März 1910 autorisierte sie schließlich die langersehnte Übersetzung ihres Lehrbuchs: Please take immediate steps to have Science and Health translated into the German language. This new edition shall be printed with alternate pages of English and German, on one side to contain the divinely inspired English version which shall be the standard, the other to contain the German text which shall be a translation. This work must be done
März 1910 (UKD, von Moltke File) sowie Telegramme der Kirchenleitung an von Moltke vom 5. Oktober 1908 (UKD, Chestnut Hill File). Helmuth von Moltke, ein Großneffe des berühmten Feldherren, war 1899 von Günther-Peterson von einem langen schweren Nervenleiden geheilt worden und hatte einige Jahre später, zusammen mit seiner Frau Dorothy, bei Günther-Peterson CS-Klassenunterricht erhalten. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1. 158 Ulla Schultz war ursprünglich die Gouvernante der Kinder von Helmuth und Dorothy von Moltke gewesen und wurde dann zu einer engen Freundin der Familie. In Kreisau stand „Schultzchen“, wie sie dort liebevoll genannt wurde, auch Dorothy von Moltke bei deren Geburten bei, die offenbar fast völlig schmerzlos verliefen. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland, 12–14. Nach Besuch der Normal Class in Boston wurde Ulla Schultz (die inzwischen den Münchner Kunsthistoriker Rudolf Oldenbourg geheiratet hatte, der jedoch wenig später starb) ab 1914 eine der erfolgreichsten CS-Lehrerinnen in Deutschland. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6 „Witness to History“, 4; Oldenbourg, Account of the Translation (UKD), 1–2. 159 So berichtet Ulla Oldenbourg über ein diesbezügliches Gespräch mit Archibald McLellan, dem Herausgeber des CS-Monitors: „Mr. McLellan told me that in a talk about the translation our Leader after having been presented with a copy of such a Greek-German New Testament, said: that is the way.“ Oldenbourg, Account of the Translation, 1.
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Gemäß den Vorgaben Eddys wurden im Sommer 1910 schließlich vom Aufsichtsrat der CSPS drei Deutsche für das Projekt ausgewählt: Ulla Schultz, Graf Helmuth von Moltke und Renata Hermes.161 Diese drei fertigten jeder für sich zunächst eine vollständige Übersetzung des Lehrbuches an. Dann trafen sie sich im April 1911 in Boston, wo sie gemeinsam mit Dorothy von Moltke, als Englischexpertin, Adam H. Dickey, dem langjährigen Sekretär und Vertrauten Eddys, und Theodore Stanger, dem Herausgeber des Herolds, das Komitee für die Übersetzung des Lehrbuches bildeten.162 In monatelangen intensiven Sitzungen wurden die drei Versionen zusammengeführt, von Dorothy von Moltke rückübersetzt, erneut überprüft und mit Hilfe zahlreicher Wörterbücher unter der Oberaufsicht Dickeys und Stangers wieder ins Deutsche übertragen und schrittweise optimiert. Im März 1912 lag der vollständige Text vor, wurde vom Aufsichtsrat der CSPS für gut befunden und nach einem letzten Korrekturdurchgang durch Hermes, Schultz und Stanger im Juli 1912 gedruckt.163 Die autorisierte Übertragung des Lehrbuchs ins Deutsche – und später auch anderer Schriften von Eddy – bildete auch den Auftakt für weitere Übersetzungsprojekte, welche später zur weltweiten Verbreitung von Christian Science beitrugen.164 Wie erwähnt erscheint der CS-Herold heute in einer 160 Brief von Eddy an Allison V. Stewart vom 31. März 1910, zit. in Dickey, Begleitschreiben und Preface (UKD, urheberrechtlich geschütztes Dokument des Archivs der Mary Baker Eddy Library, veröffentlicht mit Genehmigung der Mary Baker Eddy Collection). Vgl. auch Oldenbourg, Account of the Translation; Timeline. 161 Der Auswahl ging ein intensiver Interviewprozess sowohl in Boston als auch in Berlin voraus, bei dem William McKenzie und Archibald McLellan die Qualifikationen der Kandidaten eingehend überprüften. Vgl. Oldenbourg, Account of the Translation, 1–3. Hermes war offensichtlich eine sehr engagierte Christliche Wissenschaftlerin mit hervorragenden Englischkenntnissen. Aus den vorliegenden Quellen geht jedoch nicht klar hervor, ob sie ebenfalls eine Schülerin von Günther-Peterson war und ob sie die anderen Mitglieder des Übersetzungskomitees schon vorher kannte oder nicht. 162 Vgl. Dickey, Begleitschreiben und Preface; Oldenbourg, Account of the Translation, 2–5. Dass dieses Projekt von höchster Wichtigkeit für alle Beteiligten war, zeigt sich auch daran, dass Dorothy von Moltke (ebenso wie ihr Mann) dazu bereit war, für eine so lange Zeit ihre drei innig geliebten kleinen Kinder zu verlassen (die drei damals ein, drei und fünf Jahre alten Buben blieben bei der Schwiegermutter in Kreisau, ihre beiden jüngsten Kinder kamen erst 1913 und 1915 zur Welt). Vgl. hierzu Moltke, Leben in Deutschland, 31–33. 163 Vgl. Dickey, Begleitschreiben und Preface; Oldenbourg, Account of the Translation, 2–5. 164 Deutsch ist die einzige Sprache, in die bis heute alle Bücher von Eddy übersetzt wurden. Eine ähnliche Breite von Übersetzungen liegt nur im Französischen und im Spanischen vor (in beiden Sprachen fehlen allerdings die Werke Kanzel und Presse und
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Vielzahl von Sprachen in über siebzig Ländern der Erde, und S&H gibt es bis dato in 17 Übersetzungen. Dass die deutsche Version in diesem Prozess der Internationalisierung jeweils mit Abstand die erste der Übersetzungen war, könnte als weiteres Zeichen der besonderen Verbindung zwischen den Deutschen und der Christlichen Wissenschaft gedeutet werden.165 In jedem Fall wurde schließlich im August 1912 – 15 Jahre nach der ersten diesbezüglichen Bitte Günther-Petersons – in der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, in Berlin im Sonntagsgottesdienst der „Lesson-Sermon“ zum ersten Mal aus der autorisierten zweisprachigen Edition von S&H auf Deutsch vorgelesen – zur großen Freude der deutschen Anhänger Eddys.166 Weniger begeistert zeigte sich Marie Schön, die sich weder durch die Veröffentlichung des CS-Herold noch durch die (früher ja auch von ihr inständig erbetene) offizielle Übersetzung des Lehrbuchs zu einer Aussöhnung mit der Mutterkirche bewegen ließ. Dieser Tatbestand deutet allerdings darauf hin, dass bei ihr (und ihren Anhängern) das Sprachargument im Grunde nur noch ein zweitrangiges war und es der Deutschen Vereinigung Christlicher Wissenschafter primär um Unabhängigkeit von Boston und Freiheit von allen kirchlichen Strukturen ging.167 Für Günther-Peterson und viele andere Christliche Wissenschaftler in Deutschland, die in erster Linie wirklich nur das Recht auf einen Zugang zur Lehre Eddys und zu Austauschmöglichkeiten über dieselbe in ihrer eigenen Sprache angestrebt hatten, stellten der Herold und die nun vorliegende deutsche Ausgabe von S&H dagegen ein fundamentales Zugeständnis an ihre Wünsche dar und wurden als langersehnter Fortschritt empfunden. Es ist anzunehmen, dass dadurch eine Reihe von Kritikern wieder in den Schoß der Mutterkirche zurückgeholt wurde.168
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Erste Kirche). Vgl. „Translation of Writings of Mary Baker Eddy“, Computerausdruck einer aktuellen Tabelle aus dem Archiv der Mary Baker Eddy Library. Mit Ausnahme der französischen Übersetzung des Lehrbuchs (1917) folgten alle anderen (von Spanisch und Schwedisch, über Russisch und Griechisch bis zu Indonesisch und Japanisch) erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Die bislang jüngste Übersetzung ist die Finnische von 1987. Vgl. hierzu „Translation of Writings of Mary Baker Eddy“. Vgl. hierzu Oldenbourg, Account of the Translation, 5. Oldenbourg würdigt auch ausdrücklich die große Leistung von Dickey für das Übersetzungsprojekt: „The German Christian Scientists’ gratitude to our Leader for her precious gift of the translation is inseparably bound up with unceasing gratitude to Adam H. Dickey for the stupendous work he did during all those months of the translation.“ Dies zeigt sich auch daran, dass es nur in zwei der fünf Punkte von Schöns 1916 verfassten Vereinssatzung um Sprache geht, die anderen drei richten sich direkt gegen Formen der kirchlichen Kontrolle. Vgl. Schöns Auflistung der fünf Punkte in „Vier Fragen“ (1917), 293–295. Es gibt hierfür zwar keine Quellen, aber die Tatsache, dass die Entfremdung zwischen Günther-Peterson und Schön offenbar kurz nach Publikationsbeginn des Herolds einsetzte, steht wahrscheinlich mit diesem Zugeständnis der Mutterkirche in Zusammenhang.
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Dass es ohne diesen Schritt zu einer gravierenden Spaltung der Christlichen Wissenschaft gekommen wäre und Marie Schöns Bewegung wesentlich mehr Zulauf bekommen hätte, ist wahrscheinlich. So aber sorgte nach einer Zeit der inneren Krisen und Spannungen die von Eddy autorisierte Übersetzung des Lehrbuchs am Ende der Wilhelminischen Ära noch für einen neuen Aufwind der Bewegung in Deutschland und festigte die innere Bindung zwischen den hiesigen Zweigkirchen und der Bostoner Mutterkirche. Beides sollte angesichts der bevorstehenden Krisenzeit, die durch den Ersten Weltkrieg einen Auftakt und im Terrorregime der Nationalsozialisten ihren Höhepunkt fand, von elementarer Bedeutung sein.
Bild 1: Mary Baker Eddy, die „Entdeckerin“ der Lehre von der Christlichen Wissenschaft (Christian Science) und Gründerin der Kirche Christi, Wissenschaftler, im Jahr 1886.
Bild 2: Bertha Günther-Peterson, die Gründerin der ersten Christian Science Gemeinde in Deutschland, in Hannover, um 1900.
Bild 3: Postkartenansicht des 1902 eingesegneten Christlich-Wissenschaftlichen Zentrums in Hannover, der ersten neugebauten Christian Science Kirche in Europa.
Bild 4: Postkartenansicht des Hauptsaals im Christlich-Wissenschaftlichen Zentrum in Hannover.
Bild 5: Der Kirchenraum der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, zu Beginn der 1930er Jahre.
Bild 6: Der Leseraum der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, um 1930.
Bild 7: Der Weg zum Eingang der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, zu Beginn der 1930er Jahre.
Bildnachweis: Das Bild von Mary Baker Eddy stammt aus der Granger Collection, New York – ullstein bild; die anderen Aufnahmen wurden der Autorin freundlicherweise von der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Hannover, zur Verfügung gestellt.
III. AUFSTIEG TROTZ WIDERSTÄNDE: CHRISTIAN SCIENCE IN DEUTSCHLAND, 1914–1945 You are the needed and inevitable sponsors for the twentieth century, reaching deep down into the universal and rising above theorems into the transcendental and infinite […]. No fatal circumstance of idolatry can fold or falter your wings. No fetishism with a symbol can fetter your flight.1
Mit diesen an die Mitglieder ihres Vortragsrates (Board of Lectureship) gerichteten Worten beschrieb Mary Baker Eddy zur Jahrhundertwende die große Bedeutung, welche sie diesen Vortragenden für das neue Jahrhundert zumaß. Die darin implizierte Aufforderung, sich auch angesichts großer, potentiell tödlicher Gefahren nicht entmutigen zu lassen und als „Boten der Wahrheit“ Christian Science durch Vorträge und „Demonstrationen“ weiter in die Welt zu tragen, könnte man im Hinblick auf die historischen Entwicklungen in Deutschland beinahe prophetisch nennen. Denn in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg sollte die Christliche Wissenschaft hier tatsächlich viele Schwierigkeiten und – vor allem während der Ära des Nationalsozialismus – existenzielle Bedrohungen erfahren. Die Kirche Christi, Wissenschaftler überlebte diese Herausforderungen nicht nur, sondern erfuhr während dieser Zeit sogar einen beachtlichen Anstieg in den Zahlen ihrer deutschen Mitglieder und Organisationen. Einige zentrale Punkte dieser Entwicklung – vor allem die Auswirkungen des Ersten Weltkrieges, die relative Freiheit der Weimarer Zeit, Konflikte mit dem Gesetz, die öffentliche Wahrnehmung der Gemeinschaft und die Strategien der Kirche im Umgang mit den nationalsozialistischen Machthabern – sollen in diesem Kapitel untersucht werden.
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Eddy zit. in Erste Kirche, 248; vgl. auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 3.
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III.1. KRIEG, PROZESSE, DRAMEN: DIE CHRISTLICHE WISSENSCHAFT VOM ENDE DES KAISERREICHS BIS ZUR MACHTÜBERNAHME HITLERS In den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg, in denen sich die außenpolitische Lage immer mehr zuspitzte und die von Thomas Mann festgestellte „quälende Spannung“ innerhalb des Deutschen Reiches immer größer wurde, hatte sich – insbesondere seit Mary Baker Eddys Erlaubnis, das Lehrbuch ins Deutsche übersetzen zu lassen – die Situation der Christlichen Wissenschaftler insgesamt positiv entwickelt. Zwar gab es immer noch Fälle von Diskriminierung (zumal nach wie vor der Austritt aus der Staatskirche negative berufliche Konsequenzen mit sich bringen konnte), aber über größere Zwischenfälle mit der Polizei, Kirchenschließungen oder Verhaftungen von Christlichen Wissenschaftlern liegen für diese Zeit keine Zeugnisse vor.2 Die ablehnende Haltung des Kaisers gegenüber Christian Science hielt eine Reihe von Adligen, wie zum Beispiel die genannten Mitglieder der von Moltke Familie, nicht davon ab, sich öffentlich zu Christian Science zu bekennen und sich aktiv für die Kirche einzusetzen.3 Außerdem wurde das Seal zufolge zu Anfang des Jahrhunderts vom Kaiser ausgesprochene Verbot der Christlichen Wissenschaft (so es überhaupt noch offizielle Geltung hatte) von den Behörden in den folgenden Jahren offensichtlich nicht konsequent durchgesetzt. So stieg die Zahl derjenigen Deutschen, die sich für Christian Science interessierten oder sogar bereit waren, Mitglieder der Kirche zu werden, in den Vorkriegsjahren kontinuierlich an, und neben den schon bestehenden Organisationen in Hannover, Dresden, Berlin, Stuttgart und Frankfurt konn-
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Briefe von Mitgliedern an die Mutterkirche berichten während dieser Zeit gelegentlich davon, dass ihnen behördlich verboten worden war, CS-Literatur zu verkaufen oder im Gottesdienst Geld einzusammeln, oder dass seitens der etablierten Kirche Druck auf Christliche Wissenschaftler ausgeübt wurde, der „Irrlehre“ abzuschwören (in einem Fall wurde ein CS-Mitglied direkt von einem Pfarrer gewarnt, dass er andernfalls bald seine Stellung verlieren würde). Vgl. Harten-Hoencke, Toleranz, 1024; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 1–2. Es wurden allerdings in etablierten christlichen Zeitschriften auch Proteste gegen derartige Intoleranz abgedruckt, s. die Beiträge von Barth und Harten-Hoencke in Die Christliche Welt. Auf die wichtige Rolle der von Moltkes für die Übersetzung des Lehrbuches wurde ja bereits hingewiesen. Interessant ist, dass Helmuth von Moltke, obwohl er schon seit Anfang des Jahrhunderts aktiver Christlicher Wissenschaftler war, erst 1923 offizielles Mitglied der Mutterkirche in Boston wurde; vermutlich, weil es für ihn aufgrund seines Standes besonders schwierig war, die Staatskirche zu verlassen, und die Familie von Moltkes seit Generationen eng mit der lutherischen Kirche Schlesiens verbunden war. So wurden alle fünf Kinder des Grafen getauft und ließen sich später evangelisch konfirmieren. Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 2; Moltke, Leben in Deutschland, 7–10, 29 und 33–34.
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ten zwischen 1910 und 1914 auch in Braunschweig, Breslau und Schwerin neue CS-Vereinigungen bzw. Zweigkirchen organisiert werden.4 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass sich 1909, d. h. drei Jahre nach Seals Rückkehr in die USA, die Zweigkirche in Dresden von der Mutterkirche lossagte und sich als selbstständige „Kirche der Christlichen Wissenschaft zu Dresden“ neu konstituierte.5 Daraufhin organisierten diejenigen Mitglieder, die mit diesem Schritt nicht einverstanden waren, eine neue, Boston gegenüber loyale Zweigkirche in Dresden-Neustadt. So gab es ab 1911 eigentlich sogar zwei CS-Gemeinden in Dresden (in den o.g. und allen folgenden Zahlenangaben sind jedoch nur die offiziell von der Mutterkirche anerkannten Zweigkirchen und Vereinigungen enthalten).6 Während des Ersten Weltkrieges sahen sich Christliche Wissenschaftler in Deutschland gleich mehreren Schwierigkeiten gegenüber. Zum einen waren das die gleichen Herausforderungen wie die anderer Glaubensgemeinschaften in Kriegszeiten: zum Beispiel Mitgliedern dabei zu helfen, trotz gravierender materieller Not und schlimmer persönlicher Verluste ihren Glauben an den allmächtigen, allliebenden und allgegenwärtigen Gott nicht zu verlieren, und neben der Sorge um das eigene Überleben (bzw. das Wohl der eigenen Familie) auch das Überleben der Gemeinde zu sichern.7 Zum anderen aber brachten der Krieg und die mit ihm einhergehende Welle deutschnationaler Erregung die Anhänger einer aus Amerika stam4
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Vgl. die Liste der CS-Journals aus den entsprechenden Jahren, s. auch eine Zusammenfassung der Daten in Anhang D. Neben den bestehenden Kirchen in Dresden, Berlin und Hannover wurde die 1906 gegründete Frankfurter CS-Vereinigung 1911 als Kirche anerkannt, das Gleiche geschah 1913 mit der 1904 gegründeten Stuttgarter CS-Vereinigung. Der im letzten Kapitel beschriebene Konflikt wegen der Verwendung der deutschen Sprache und der Wunsch der Dresdner Gemeinde nach mehr Unabhängigkeit von Boston waren die Hauptursachen für dieses „Ausbrechen“. Die Kirche der Christlichen Wissenschaft zu Dresden unterschied sich in ihrer Organisation und Lehre kaum von ihrer früheren Form als CS-Zweigkirche, allerdings betonte ihr neugegründeter Kirchenrat die Verwendung der deutschen Sprache und veröffentlichte ein eigenes Kirchenblatt mit dem Titel „Zeitschrift der Christlichen Wissenschaft“. Die Gemeinde hielt offenbar weiter an traditionellen Formen kirchlicher Organisation fest und schloss sich deshalb trotz mancher gemeinsamer Interessen nicht Schöns anti-kirchlicher „Deutsche Vereinigung Christlicher Wissenschafter“ an. Vgl. hierzu Schön, „Vier Fragen“, in: Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft, 17.7 (1917), 262–263. Das „journal-listing“, d. h. die Aufnahme in die entsprechenden Namenslisten des von der CSPS seit 1883 herausgegebenen CS-Journal, ist ein verlässliches Indiz dafür, dass die hier angeführten Einzelpersonen (Praktiker, Lehrer und Pfleger) oder die Vereinigung bzw. Kirche von der Mutterkirche offiziell anerkannt sind. Die neue Gemeinde in Dresden-Neustadt wurde ab 1911 als Vereinigung, ab 1919 als Kirche in der CS-Journal-Liste geführt. Vgl. Berichte aus dem CS-Herold und dem CS-Journal während der Kriegsjahre. Vgl. hierzu auch Schön, „Schickt Gott den Krieg – Läßt er ihn zu?“, Deutsches Monatsheft der Christlichen Wissenschaft 16.1 (1915), 2–8.
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menden und von vielen Deutschen als ausländische, potentiell gefährlich angesehenen Religionsgemeinschaft in eine komplizierte Lage. Hatten deutsche Kritiker, vor allem seitens der etablierten Kirche und der Medizin, die „amerikanische Sekte“ Christian Science (die auch als „Szientismus“ oder „Eddyismus“ bezeichnet wurde) schon seit Anfang des Jahrhunderts in einer Reihe von Aufsätzen kritisch untersucht, so wurde in den Jahren vor und während des Ersten Weltkrieges in zunehmend scharfen Worten vor einer weiteren Ausbreitung dieser „amerikanischen Gnosis“ bzw. der „phänomenal um sich greifenden, vom Fanatismus trunkenen Sekte“ aus den USA gewarnt.8 Seit Kriegsausbruch sahen sich Christliche Wissenschaftler in Deutschland zudem dem latenten Verdacht ausgesetzt, keine wahren Patrioten zu sein. Denn obwohl sie im Allgemeinen als loyale und gesetzestreue Bürger galten – dies zu sein hatte Mary Baker Eddy ihren Anhängern klar vorgegeben9 –, waren sie doch Mitglieder einer „ausländischen Kirche“, deren Heimatland mit den Kriegsgegnern Deutschlands sympathisierte, 1917 auf deren Seite in den Krieg eintrat und schließlich entscheidend zur Niederlage des Reiches 8
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Vgl. Pfülf, Christian Science; Geiger, Christian Science; Thomassin, Christian Science; Stoecker / Schwabedissen, Christliche Wissenschaft; Moll, Gesundbeten; Hellwig, Gesundbeten; Barth, Christian Science; Ruegg, Christian Science; Kleuker, Lehre und Heilverfahren. 1901 hatte man noch zuversichtlich verkündet, dass hierzulande kein so rapides Anwachsen der CS zu befürchten sei wie in den USA: „In Deutschland steht man denn doch im Allgemeinen Allem, was aus Amerika auf religiösem Gebiete importiert wird, noch – Gott sei Dank – zu skeptisch gegenüber, als daß die Illusionen einer Religionsstifterin, die die Vorherrschaft des Geistes predigen will, ohne selbst Geist zu besitzen, in weiteren Kreisen Unheil anrichten könnten.“ Thomassin, Christian Science, 748. 1905 sprach man dann schon von einem „epidemischen Umsichgreifen des Irrwahnes“, der auch „in Deutschland bereits festen Fuß“ gefasst habe. Vgl. Pfülf, Christian Science, 64–65 und 82. 1909 wurde ein „ernsthaftes Problem“ in dieser amerikanischen „Sekte der ‚Gesundbeter‘“ und deren Erfolg im Deutschen Reich diagnostiziert. Vgl. Geiger, Christian Science, 733 und 757. Selbst die mit einigen Christlichen Wissenschaftlern bekannte Theologin Barth warnte 1915 vor dem „gefährlichen Kurpfuschertum“ der „seltsamen amerikanischen Sekte“. Vgl. Barth, Scientistenprozeß, 946-947. Vgl. King, Women and Spirituality, 30–31. Hier stand Eddy ganz in der Tradition des etablierten, insbesondere des protestantischen Christentums, das unter Berufung auf Römer 13, 1–7 die Gläubigen stets dazu aufgefordert hat, den Staat zu achten und die Gesetze zu befolgen. Vgl. darüber hinaus Eddys Aussage: „Christian Science cannot annul nor make void the laws of the land, since Christ, the great demonstrator of Christian Science, said, ,Think not that I am come to destroy the law, or the prophets: I am not come to destroy, but to fulfill. […] I believe in obeying the laws of the land. I practice and teach this obedience.“ Erste Kirche, 219–220; sowie: „Echte Christliche Wissenschafter sind die systematischsten und gesetzestreuesten Menschen auf Erden oder sollten es sein, weil ihre Religion zu ihrer ordnungsgemäßen Demonstration unbedingten Gehorsam gegen feststehende Regeln verlangt.“ Rückblick und Einblick, 87. Hinweise zum Einhalten der jeweiligen Landesgesetze finden sich auch im Church Manual, vgl. Artikel VIII, Absätze 20 und 26.
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beitrug. Erschwerend kam hinzu, dass der in ganz Europa verbreitete und angesehene Christian Science Monitor in seinen Leitartikeln schon seit 1914 deutlich gegen das wilhelminische Deutschland und für Großbritannien Position bezogen hatte. Der damalige Chefredakteur Frederick Dixon ließ sich auch nach mehreren Protesten deutscher Christlicher Wissenschaftler nicht von dieser Linie abbringen, sondern betonte: „This is not a war between the British and the Germans. It is a question of right and wrong. We are for the right.“10 Ein Kommentar, der deutlich macht, dass die Kirche Christi, Wissenschaftler sich innerhalb der ideologischen Auseinandersetzungen des 20. Jahrhunderts zu diesem Zeitpunkt bereits klar auf Seiten der anglo-amerikanisch geprägten, westlichen Ordnung positioniert hatte. Deren universalistische, auf den Idealen der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit) beruhenden demokratisch-freiheitlichen Werte standen natürlich in scharfem Gegensatz zu den konservativ-monarchischen, nationalen Idealen des wilhelminischen Deutschlands.11 Angesichts dieses Spannungsverhältnisses sahen sich deutsche Christliche Wissenschaftler nicht selten zu einer Gratwanderung zwischen der Loyalität zur Mutterkirche und dem Vaterland gezwungen (eine Situation, die sich knapp eine Generation später in wesentlich schärferer Form wiederholen sollte, s. Kapitel III.3. und III.4.). Die meisten von ihnen, die aus dem politisch eher konservativen Bildungsbürgertum oder Adel stammten, waren allerdings sehr überzeugte deutsche Patrioten, die ihre Unterstützung für Kaiser und Reich öffentlich bekannten und sich aktiv für dessen Sieg bzw. „das Überleben Deutschlands“ einsetzten.12 So verfasste zum Beispiel Bertha Günther-Peterson im Dezember 1914 einen öffentlichen Aufruf mit dem Titel Mit Gott für Kaiser und Reich, in dem sie den deutschen Soldaten Mut zu10 Zit. in Canham, The Monitor, 157. „It [the Monitor] had never hesitated to pin the chief responsibility for aggression on Hohenzollern expansionism […]. The Germans reasonably enough felt that all the blame was not on one side, but that the faults of one side alone were being exposed and excoriated. The Monitor was not altogether free from wartime hysteria and susceptibility to propaganda when feelings and events were at their most intense.“ Canham, The Monitor, 287–288. Zu Einzelheiten der Berichterstattung des Monitors in der Zeit von 1914–1918, inkl. eines sehr kritischen Portraits des Hauses Hohenzollern vgl. auch Canham, The Monitor, 154–161 und 171–172. 11 Zur Unvereinbarkeit des wilhelminischen Deutschtums, v.a. der sogenannten „Ideen von 1914“ und dem liberalen westlichen Universalismus vgl. Winkler, Der lange Weg nach Westen, 310–336; Mommsen, Der autoritäre Nationalstaat, 358–406; Hildebrand, Das vergangene Reich, 236–248. 12 Im Gegensatz zu radikal pazifistischen Gruppen, wie z. B. den Quäkern oder den Zeugen Jehovas, lehnt die Kirche Christi, Wissenschaftler (genau wie die etablierten Kirchen) eine Beteiligung am Wehrdienst nicht prinzipiell ab und überlässt die Entscheidung hierüber dem Einzelnen. Soweit aus den Quellen erkennbar ist, gab es im Ersten und Zweiten Weltkrieg unter den Kirchenmitgliedern kaum Kriegsdienstverweigerer. Vgl. King, Women and Spirituality, 29–31; CSPS, Wartime Activities, 1–4.
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sprach und sie als „unüberwindlich“ bezeichnete, da ihre Sache respektive die Sache Deutschlands gut und gerecht sei und somit unter dem Schutz des Allmächtigen stünde.13 Auch aus den zahlreichen Briefen Dorothy von Moltkes an ihre Eltern in Südafrika geht hervor, dass ihre ganze Familie sowie all ihre deutschen Freunde den Krieg enthusiastisch unterstützten.14 Wohl nicht zuletzt aufgrund solcher Beweise ihrer unbedingten Vaterlandstreue blieben Christliche Wissenschaftler im Reich während der Zeit von 1914 bis 1918 weitgehend von staatlicher Verfolgung verschont. Allerdings wurde ihr Kontakt zur Mutterkirche vor allem in den letzten beiden Kriegsjahren deutlich eingeschränkt, denn die Korrespondenz mit Angehörigen der „feindlichen Mächte“ war genauso verboten wie der Empfang oder die Verbreitung fremdsprachlicher Literatur aus dem Ausland. Auch das Einsammeln von Spendengeldern in den CS-Gemeinden und die Überweisung der Mitgliedsbeiträge deutscher Zweigkirchen an die Mutterkirche kamen während dieser Zeit teilweise oder ganz zum Erliegen.15 In der Endphase des Krieges muss der Kontakt zwischen einigen deutschen Gemeinden und Boston ganz abgebrochen sein. Manche mögen sich auch aufgrund der äußeren Umstände vorübergehend selbst aufgelöst haben oder vollkommen inaktiv gewesen sein, denn bei Kriegsende wurden nur noch vier der acht o.g. Kir-
13 Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4 „Paper Chase“, 3–4, sowie folgenden Auszug aus Günther-Petersons Text: „Ihr deutschen Krieger, die Ihr gewohnt seid, Treue zu halten, seid dem höchsten Guten treu, habt freudiges Vertrauen zu der allmächtigen Geisteskraft, die sich in Euch lebendig offenbart. Wisset, daß Ihr unüberwindlich seid, weil Ihr mit Gott--dem Guten, der Gerechtigkeit seid!“ Zit. in Follis, ebd., 8–9 (Auszug des Originaltexts Petersons sowie eine englische Übersetzung, mit der Quellenangabe „Church History Document BD 6, A-49068, marked Hannover, December 1914“). 14 Obwohl Dorothy von Moltke als Ausländerin die Situation in Deutschland nicht unkritisch beobachtete und vorher in ihren Briefen immer wieder betont hatte, wie sehr sie hoffe, es käme nicht zum Krieg, ließ auch sie sich von der Welle der Kriegsbegeisterung mit forttragen. So bezeichnete sie die Situation als „Wiedergeburt“ des Reiches: „Das ganze Volk ist Eins, jeder persönliche Vorteil oder Streit ist vergessen, alle leben nur für das eine – Deutschlands Sieg, was gleichbedeutend ist mit D.’s [sic] Existenz. […] Nie bin ich so begeistert für Deutschland wie jetzt.“ Moltke, Leben in Deutschland, 43–44. Zum aktiven Kriegseinsatz Helmuth von Moltkes und anderer Verwandter, die als Offiziere des Kaisers dienten, vgl. ebd., 44–56. 15 1914 war offenbar zunächst alle private Korrespondenz mit dem Ausland verboten worden und später bis zum Friedensschluss nur in deutscher Sprache (damit ein Zensor sie lesen konnte) möglich. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland, 42 und 58. Beachtenswert ist, dass zwar das CS-Journal und alle anderen englischen Publikationen der Mutterkirche im Reich während des Kriegs verboten waren, Marie Schöns Deutsche Monatshefte der Christlichen Wissenschaft jedoch ausdrücklich erlaubt blieben und ihre Organisation im Frühling 1917 offiziell von den Behörden anerkannt wurde. Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 4, sowie Schöns Deutsche Monatshefte 23.7, 102–107.
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chen im Journal aufgeführt.16 Aber schon wenig später erschienen die Namen aller deutschen Zweigkirchen, die es 1914 gegeben hatte, wieder im Journal, und eine neue CS-Zweigkirche wurde in Hamburg gegründet, so dass es bis zur Verabschiedung der Weimarer Verfassung von 1919 bereits neun offiziell anerkannte CS-Organisation in der neuen Republik gab.17 Somit lässt sich festhalten, dass es den deutschen Mitgliedern der Kirche Christi, Wissenschaftler allen Schwierigkeiten zum Trotz gelang, den Ersten Weltkrieg und den Untergang des deutschen Kaiserreiches relativ unbeschadet zu überstehen und ihr Gemeindeleben nach dem Krieg in erstaunlich kurzer Zeit zu reorganisieren. Mit dem Friedensschluss war auch der oben beschriebene Loyalitätskonflikt beendet, denn die Leitung der Mutterkirche zeigte sich der neuen Weimarer Republik gegenüber wohlgesonnen. So unterstützten die Leitartikel des CS-Monitors – im Einklang mit Präsident Wilsons 14-Punkte-Plan – einen großzügigen Frieden für das geschlagene Deutschland, und das Scheitern des Präsidenten, insbesondere bezüglich des Nichteintritts der USA in den Völkerbund, wurde im Monitor sehr bedauert.18 Diese Sympathie für einen demokratischen Internationalismus Wilson’scher Prägung ist auch als Reflektion des kosmopolitischen Selbstverständnisses der Christlichen Wissenschaft zu sehen. Deren Mitglieder sollen sich gemäß der Lehren Mary Baker Eddys als Weltbürger verstehen, die im gemeinsamen Glauben nationale oder ethnische Gegensätze und Spannungen (welche als negative Manifestationen des „sterblichen Gemüts“ gesehen wurden) überwinden und so zum Weltfrieden beitragen können. Mit ihrer somit traditionell internationalistisch geprägten Haltung zur Außenpolitik der USA, die in der Berichterstattung des Monitors bis heute evident ist, stand und steht die Kirche oft im Gegensatz zu nationalistischen, isolationistischen und unilateralistischen Strömungen in den USA und in anderen Ländern.19 Im besiegten Deutschland wurde jedenfalls mit Wohlwollen vermerkt, dass der Monitor auch in den 1920er Jahren wiederholt für eine Änderung des Versailler Vertrages eintrat und deutliche Kritik an dessen harten Bedingungen übte, zumal deren erdrückende wirtschaftliche Forderungen als große Gefahr für die Stabilität der Weimarer Republik gesehen wurden.20
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Vgl. CS-Journal vom November 1918 und Anhang D. Vgl. CS-Journal vom Januar 1919 und Anhang D. Vgl. King, Women and Spirituality, 32; Canham, The Monitor, 235. Während diese Haltung die Akzeptanz der Lehre Eddys in den Jahren nach dem Ersten Weltkrieg in Deutschland förderte, wurde der Kosmopolitismus der Kirche während der Nazi-Zeit einer der Hauptkritikpunkte ihrer deutschen Gegner. Hierauf wird in Kapitel III.4. noch näher eingegangen. 20 Vgl. hierzu Canham, The Monitor, 235: „The paper saw in the early 1920s that economic revision of the Versailles Treaty was essential. It urged the scaling down of reparation schedules and war debt payment.“
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Die bei der Gründung der Weimarer Republik erfolgte Abschaffung des Staatskirchentums stellte eine weitere wichtige Veränderung für die Christlichen Wissenschaftler im Lande Luthers dar. Die neue Verfassung gewährte allen Bürgerinnen und Bürgern die individuelle Religionsfreiheit und bot allen religiösen Gemeinschaften, die „durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten“ die Möglichkeit, sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts eintragen zu lassen.21 Zwar ist aufgrund der Quellenlage zu vermuten, dass die Kirche Christi, Wissenschaftler in Weimar diesen Status noch nicht erhielt, aber allein die Tatsache, dass es keine Staatskirche und keine (zumindest offizielle) Benachteiligung der religiösen Sondergemeinschaften bzw. keine Diskriminierung ihrer Mitglieder mehr gab, stellte für das Leben der Christlichen Wissenschaftler (und anderer Angehöriger religiöser Sondergemeinschaften) in Deutschland eine spürbare Erleichterung dar.22 Außerdem sehnten sich nach der Enttäuschung der Kriegsniederlage und angesichts der Instabilität der von großen inneren Spannungen, Wirtschaftskrisen und Inflation geprägten Weimarer Republik viele Deutsche in den 1920er Jahren nach einem spirituellen Neubeginn bzw. religiösem Halt. Schon Zeitgenossen stellten fest, dass nach dem Ersten Weltkrieg eine „religiöse Bedürftigkeit“ oder „Sehnsucht nach Glaube“ zutage getreten sei. Dies sei besonders bei den Mitgliedern des „durch Krieg und Inflation geschröpften Mittelstandes“ der Fall, die deshalb eher dazu bereit wären, sich alternativen religiösen Heilsgruppen oder extremen politischen Organisationen (wie Kommunisten oder Nationalsozialisten) anzuschließen.23 Neben anderen Gruppen, wie zum Beispiel der Neuapostolischen Gemeinde oder der sogenannten Weißenberg-Kirche, deren Anführer sich – wenn auch in völlig ande21 Vgl. Verfassung der Weimarer Republik, Artikel 137, Absatz 5. Dieser Status, der sowohl mehrere rechtliche Vorteile beinhaltete (z. B. besonders in Bezug auf das Besteuerungsrecht, die Dienstherreneigenschaft und den Schutz des Eigentums), war vorher nur der lutherischen, der reformierten und der katholischen Kirche gewährt worden. Einen Überblick über die Geschichte des Körperschaftsrechts der Kirchen in Deutschland bieten z. B. Bohl, Körperschaftsstatus; Neumann, Kirche und Körperschaftsstatus. 22 Weder in den Bänden des Reichsgesetzblattes (RGBL) noch in der o.g. Literatur zum Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften in Deutschland findet sich ein Hinweis auf die Zuteilung dieses Status für CS. Außerdem lag die Anzahl der Kirchenmitglieder in der Weimarer Zeit insgesamt nie über 30.000 und damit unter der in der Regel für den Körperschaftsstatus notwendigen Mindesthöhe von einem Prozent der Gesamtbevölkerung. Vgl. Béhnke, Gespräch mit Verfasserin vom 9. Juni 2006. Allerdings wurde der Kirche nach dem Zweiten Weltkrieg in mehreren Bundesländern der Körperschaftsstatus zugesprochen. S. Kapitel IV. 23 Vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 218–219, sowie den dort zitierten Aufsatz „Neue Religiösität“ von Fritz Klatt, der 1924 in Jena erschien. Vgl. hierzu auch Radkau, Zeitalter der Nervosität, 481–493; Nipperdey, Religion im Umbruch, 124–153. Zu den Krisen der Weimarer Republik vgl. Lambsdorff, Die Weimarer Republik; Peukert, Weimarer Republik; Laqueur, Weimar; Mönch, Weimar; Willett, Weimarer Jahre.
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rer Form als die Christlichen Wissenschaftler – als „Wunderheiler“ betätigten, profitierte sicherlich auch die Christliche Wissenschaft von dieser besonderen „Glaubens- und Heilssehnsucht“ der Deutschen in der Weimarer Zeit. In jedem Fall konnten alle drei Gruppen in den 1920er Jahren einen beachtlichen Mitgliederzuwachs verzeichnen.24 Die bereits erwähnte Gegnerschaft der etablierten Kirchen und der Schulmediziner gegen Christian Science und andere Gruppen, die alternative Heilmethoden anboten, nahm allerdings mit deren größer werdenden Popularität ebenfalls zu. Den Ärzten ging es hierbei natürlich auch darum, ein durch die Professionalisierung ihrer Tätigkeit geschütztes Berufsmonopol zu erreichen, aus dem Anbieter alternativer Heilmethoden ausgeschlossen werden sollten.25 Die Christlichen Wissenschaftler waren den Ärzten hierbei ein besonderer Dorn im Auge, da diese – im Gegensatz zu den meisten anderen Laienbehandlern (z. B. den in der Volksmedizin verwurzelten Heilpraktikern) – selbst auf elementarste anatomische oder andere heilkundliche Kenntnisse verzichteten und ihre Heilungen auf rein geistigem Wege vollzogen. Darüber hinaus lehnten Christliche Wissenschaftler (gemäß des von Mary Baker Eddy empfohlenen Prinzips der Radical Reliance) auch bei schwerwiegenden organischen Erkrankungen die Einnahme bewährter Medikamente oder andere Formen der ärztlichen Hilfe grundsätzlich ab. Dies war aus Sicht der Schulmedizin ein völlig irrationales, potentiell lebensgefährliches Verhalten, das es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt.26 An dieser Stelle erscheint eine kurze Erklärung des Prinzips der Radical Reliance sinnvoll, zumal es sicherlich zu den kontroversesten Bestandteilen der Lehre Eddys zählt und zu vielen inner- und außerkirchlichen Auseinandersetzungen geführt hat. 24 Zur Neuapostolischen Kirche und den „Wunderheilungen“ der Apostel, insbesondere des berühmten Stammapostels Fritz Krebs, die eher charismatischer Natur waren, s. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 42–54, vgl. auch King, Women and Spirituality, 245–246. Zur Person und zum Wirken von Joseph Weißenberg, dessen Behandlungen eine Mischung aus Naturheilkunde und „Heilmagnetismus“ darstellten, s. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 89–211. 25 So ist die Abqualifizierung der Vertreter der Volksheilkunde zu „Kurpfuschern“ als Teil der Strategie der Ärzte zur Professionalisierung ihres Berufsstandes im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu sehen. Zu diesem Zweck wurden in den einzelnen Ländern des deutschen Reiches auch mehrere Gesetze verabschiedet, welche die medizinische Praxis von Laienbehandlern massiv einschränkten. Zu der von Ärzten in Berlin gegründeten „Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung des Kurpfuschertums“ und deren in diversen Zeitschriften während der 1920er Jahre publizierten Agitation gegen die „Kurpfuscherei nichtapprobierter Heilpersonen“, s. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 112–113 und 179–181. Zum langen Kampf der in der American Medical Association (AMA) organisierten amerikanischen Ärzteschaft gegen Christian Science vgl. Schoepflin, Christian Science on Trial. 26 Vgl. Schoepflin, Christian Science on Trial, 192–193 und 204–207; Gardner, Mary Baker Eddy, 61–65.
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Der Grundsatz „Radical Reliance on Truth“ („Radikales Vertrauen auf die WAHRHEIT“) ruft alle Christlichen Wissenschaftler dazu auf, sich ausschließlich auf geistiges Heilen zu verlassen und dieses nicht mit physischen Heilmethoden zu vermischen. Denn um die Wirkung von „Jesu System des Heilens“ im Leben erfahren zu können, muss sich der Mensch nach Mary Baker Eddys Vorstellung vollständig auf Gott verlassen.27 Allerdings hatte Eddy selbst in einigen Fällen Ausnahmen von dieser Regel zugelassen, zum Beispiel bei Knochenbrüchen, Zahnproblemen und Geburten, da, wie sie erklärte, momentan die meisten Menschen noch nicht in der Lage wären, die zur Behandlung solcher Probleme höchste Stufe der Erkenntnis von Christian Science zu erreichen: Until the advancing age admits the efficacy and supremacy of Mind it is better for Christian Scientists to leave surgery and the adjustment of broken bones and dislocations to the fingers of a surgeon, while the mental healer confines himself chiefly to mental reconstruction and to the prevention of inflammation. Christian Science is always the most skilful surgeon, but surgery is the branch of its healing which will be last acknowledged.28
Auch das Tragen von Brillen oder Hörgeräten war Christlichen Wissenschaftlern nie verboten und gehört seit langem für viele Kirchenmitglieder zur Normalität.29 Im absoluten Notfall gestand Eddy unter bestimmten Umständen auch die kurzfristige Verwendung sogenannter „temporary means“ (z. B. Schmerzmittel) zu, auch wenn sie all dies als eine Abweichung vom wahren Weg der Christlichen Wissenschaft kennzeichnete.30 Weiter empfahl Eddy, dass Praktiker, deren Patienten trotz aller geistigen Heilungsbemühungen
27 Science and Health, 132 und 167: „The flesh and Spirit can no more unite in action, than good can coincide with evil. It is not wise to take a halting and half-way position or to expect to work equally with Spirit and matter, Truth and error. There is but one way – namely God and His idea […]. It is impossible to gain control over the body in any other way. On this fundamental point, timid conservatism is absolutely inadmissible. Only through radical reliance on Truth can scientific healing power be realized.“ 28 Science and Health, 401–402. Vgl. hierzu auch Peel, Spiritual Healing, 108–114. 29 Herr betonte in diesem Zusammenhang, „dass viele sich nicht mit dem Mangel an Sehkraft oder Hörvermögen zufrieden geben und den Anspruch auf Verlust von Fähigkeiten mit Gebet herausfordern, weil sie letztlich an Heilung glauben“. Brief an Verfasserin vom 8. Juli 2007. Die meisten der hierzu befragten CS-Brillenträger sagten ebenfalls, sie „seien zwar jetzt noch nicht soweit“, gingen aber davon aus, eines Tages mit Hilfe von CS ihre volle Sehfähigkeit wiederzugewinnen. 30 „If Christian Scientists ever fail to receive aid from other Scientists – their brethren upon whom they may call – God will still guide them into the right use of temporary and eternal means.“ Science and Health, 444. Vgl. hierzu Peel, Spiritual Healing, 108– 114. Auch Eddy selbst war z. B. mehrfach in zahnärztlicher Behandlung und ließ sich bei großen Schmerzen (v.a. am Ende ihres Lebens) Morphiumspritzen geben. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 545–546; Fraser, God’s Perfect Child, 237.
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keine Besserung erfuhren und glaubten, ein Arzt könne ihnen besser helfen, sich von solchen Fällen zurückziehen sollten.31 Es gab und gibt somit keine kirchliche Bestimmung, die einem Christlichen Wissenschaftler einen Arztbesuch generell verbietet. Allerdings bleibt die Grundregel die, dass so etwas nur in den o.g. Ausnahmefällen zulässig ist und jede längerfristige Einnahme von Medikamenten (z. B. von Insulin oder Blutverdünnern) - genau wie Drogen- oder Alkoholkonsum – als kontraproduktiv gesehen wird.32 Christliche Wissenschaftler, die öffentlich wirken (z. B. als Praktiker, Vortragende, Leser oder Sonntagsschullehrer) und sich in medizinische Behandlung begeben, sind darum auch heute noch dazu angehalten, während dieser Zeit ihre kirchlichen Ämter ruhen zu lassen.33 Seit Eddys Tod wurde das Prinzip der Radical Reliance von der Kirchenleitung unterschiedlich streng ausgelegt. In Kriegszeiten, vor allem während des Zweiten Weltkrieges, wurden wesentlich mehr Ausnahmen hiervon gebilligt als sonst üblich34. Die Handhabung unterlag zudem je nach staatlicher Gesetzesgrundlage auch regionalen Unterschieden, denn dort, wo der Staat Impfungen und die ärztliche Versorgung von kranken Kindern vorschreibt, sind Kirchenmitglieder angehalten, das Gesetz zu achten.35 Das ist auch der 31 „If patients fail to experience the healing power of Christian Science, and think they can be benefited by certain ordinary physical methods of medical treatment, then the Mindphysician should give up such cases, and leave invalids free to resort to whatever other systems they fancy will afford relief.“ Science and Health, 443. 32 Zur Handhabung des Radical Reliance Prinzips in heutigen CS-Gemeinden vgl. John, Lebenseinstellung, 161–162; Herr, Brief an Verfasserin vom 8. Juli 2005. Herr und John weisen darauf hin, dass es jedem Christlichen Wissenschaftler frei stehe, seine eigene Wahl zu treffen, und dass grundsätzlich niemand, der sich dafür entscheidet, Medikamente zu nehmen oder zum Arzt zu gehen, deshalb in der Kirche diskriminiert oder gar exkommuniziert würde. Allerdings müsse bei allen Ausnahmen immer klar bleiben, „daß medizinische Methoden mit der Christlichen Wissenschaft unvereinbar sind“. John, Lebenseinstellung, 162; Eine fast wortgleiche Aussage findet sich in Herrs Brief. 33 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 131; Brenneman, Faith Healing, 45. Herr bestreitet, dass es eine „zentrale Aufsicht“ oder „kirchendoktrinäre Gewalt“ gibt, die CS-Amtsträgern vorschreibt, ihre Tätigkeit nicht auszuüben, wenn sie sich in medizinische Behandlung begeben. Dies sei immer deren eigene Entscheidung, die allerdings auf dem Grundverständnis beruhe, dass man nur für das öffentlich eintreten bzw. sprechen möchte, was man auch im Leben beweisen könne. Vgl. Herr, ebd. Kritischen Quellen zufolge hat es aber in der Vergangenheit zumindest in den USA mehrere Fälle gegeben, in denen CS-Lehrern und Praktikern wegen Konflikten im Zusammenhang mit Radical Reliance gegen ihren Willen von der Mutterkirche ihr Journal-listing entzogen wurde. Vgl. hierzu Fraser, God’s Perfect Child; Brenneman, Faith Healing; Braden, Christian Science Today, 214–223 und 390–399. 34 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 201–203. 35 Fraser, die früher selbst Christliche Wissenschaftlerin war, sagt, dass die Kirchenleitung das Gebot oft strenger auslegt hat, als dies wohl in Eddys Absicht lag. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 128–132 und 201–203. Eddy selbst hatte z. B. zum Thema Impfen gesagt: „Rather than quarrel over vaccinations, I recommend, if the law demand, that an
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Grund, warum amerikanische Kinderschutzorganisationen, die für eine schulmedizinische Versorgung kranker Kinder eintreten, so vehement entsprechende Gesetze fordern. Dies vor allem, seit in den 1970er und 1980er Jahren in mehreren Fällen in den USA Kinder von Christlichen Wissenschaftlern an schulmedizinisch relativ leicht behandelbaren Krankheiten (wie Diabetes oder Blinddarmentzündung) starben, nachdem die sie behandelnden Praktiker und Eltern nicht dazu bereit waren, vom Prinzip der Radical Reliance (so wie sie es verstanden) abzuweichen. So ist es nicht verwunderlich, dass es wegen Radical Reliance immer wieder zu großen Diskussionen kam, dies zu einem Hauptangriffspunkt der Kritiker von Christian Science wurde und auch mehrfach zu gravierendem innerkirchlichen Dissens führte.36 Insgesamt lässt sich in den letzten Jahren – sowohl in den USA als auch in Deutschland – eine gewisse Liberalisierung in der Haltung vieler Christlicher Wissenschaftler dieser Frage gegenüber beobachten. Auch die Mutterkirche hat ihre Linie hierzu verändert. So veröffentlichte sie zum Beispiel im Januar 2000 eine offizielle Erklärung, nach der niemand ein Mitglied der Kirche verurteilen oder kritisieren solle, das sich dazu entschlossen hat, medizinische Hilfe in Anspruch zu nehmen.37 Doch in der Zeit vor den 1990er Jahren hat das für Außenstehende nur schwer nachvollziehbare Prinzip der Radical Reliance (bzw. das starre Festhalten mancher Mitglieder daran selbst angesichts längeren Ausbleibens sichtbarer Heilungserfolge) die Christliche Wissenschaft immer wieder in Konflikt mit dem Gesetz gebracht, insbesondere dann, wenn ein Patient dabei individual submit to this process, that he obey the law, and then appeal to the gospel to save him from bad physical results.“ Erste Kirche, 219. 36 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 128–132 und 277–318; Schoepflin, Christian Science on Trial, 192–193, 201–210 und 272; Gardner, Mary Baker Eddy, 61–65. Zu den internen CS-Kritikern der Radical Reliance, die – wenn auch nicht nur deshalb – aus der Kirche ausgeschlossen wurden, gehörte zum Beispiel Arthur Corey. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 236–237. 37 Noch im Dezember 1999 wurde im CS-Journal ein Text abgedruckt, der eine strenge Auslegung des Radical Reliance-Prinzips befürwortete. Einige Wochen später entschuldigten sich die Herausgeber hierfür und sandten eine Neuausgabe (replacement issue) der Dezembernummer an alle Abonnenten mit einer offiziellen Stellungnahme der Kirchenleitung, welche u.a. besagte: „Free moral agency in the understanding and application of Christian Science is an inherent right […]. The blessings of Christian Science healing need not be administered by policy […]. Each student of the Bible and of Mary Baker Eddy’s writings on healing is on his or her own journey. No one can walk in another’s path. No one can judge how slow or swift, little or long, the strides should be.“ Zusätzlich waren in diesem Heft sogar erstmals Heilungszeugnisse von Kirchenmitgliedern abgedruckt, die ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatten. Zit. in Fraser, God’s Perfect Child, 454–455, vgl. hierzu auch Peel, Spiritual Healing, 101–114 sowie diverse Interviews der Verfasserin mit Kirchenmitgliedern von 2005 bis 2008, insbesondere mit Inge Hake, die 2007 als neues KfV ernannt wurde, vom 28. Juli 2008.
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den Tod fand. In den USA war dies schon in den 1880er Jahren der Fall, in Deutschland erst deutlich später.38 Aber seit dem Ersten Weltkrieg gab es auch im Reich bzw. in der Weimarer Republik einige Gerichtsprozesse gegen Christliche Wissenschaftler, die nationale Aufmerksamkeit erregten und deren Urteile von Vertretern der Schulmedizin und der Kirchen lebhaft kommentiert oder zum Anlass genommen wurden, neue Schriften über Christian Science zu publizieren.39 Zumindest einer dieser Fälle sei hier kurz beispielhaft erläutert, da er für die deutsche Perzeption der Lehre Eddys in der Zeit zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg von großer Bedeutung war.40 Dieser noch während des Ersten Weltkrieges stattfindende sogenannte „Szientistenprozeß zu Berlin“ erregte von 1914 bis 1916 in ganz Deutschland öffentliche Aufmerksamkeit.41 In dem auch als „Gesundbeterprozeß“ bezeichneten Verfahren ging es um zwei Fälle. Der erste betraf die Hofschauspielerin Nuscha Butze, die seit 1906 an Diabetes litt und auf Anraten der im Prozess angeklagten CS-Praktikerin Elisabeth Hüsgen ab November 1913 ihre bislang eingehaltenen Diätvorschriften außer Acht gelassen hatte, da es nach den Grundsätzen von 38 In den USA wurde als erste CS-Praktikerin 1888 Abby H. Corner wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, jedoch freigesprochen. In den folgenden Jahren gab es zahlreiche ähnliche Prozesse, aber erst 1901 kam es erstmals zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung. Zu einer Auflistung und schematischen Erklärung der CS-Prozesse in den USA, s. Schoepflin, Christian Science on Trial, 212–217. In Deutschland gab es 1903 und 1904 zwei Verfahren gegen „Gesundbeter“, die vermutlich Christliche Wissenschaftler waren. Der erste Prozess, in dem es zu einer Verurteilung einer CS-Praktikerin kam (wegen Verstoßes gegen die Gewerbeordnung), fand 1910 statt. S. Anhang E. Laut Albert Hellwig, der leider hier keine Daten nennt, wurde auch Bertha Günther-Peterson mehrfach wegen Betruges angeklagt, aber die Verfahren wurden eingestellt. Vgl. Hellwig, Gesundbeten, 12–13. 39 S. z. B. Arnold, Christliche Wissenschaft; Barth, Christian Science; Efferoth, Sektenseuche; Holl, Der Szientismus; Kaweran, Christian Science und Glaubensheilen; Kaweran, Christian Science: Richtlinien; Klieneberger, Christliche Wissenschaft; Ruegg, Christian Science; Kleuker, Lehre und Heilverfahren; Weiss, Heilslehre der Christian Science. 40 Eine detaillierte Analyse aller einschlägigen Gerichtsverhandlungen zur Christlichen Wissenschaft in Deutschland (etwa nach dem Vorbild der Schoepflin’schen Studie zu den USA) ist als interessantes, allerdings aufgrund der schwierigen Quellenlage sicherlich aufwändiges Forschungsprojekt für die Zukunft zu benennen. Die Informationen zu den hier angeführten Fällen beruhen auf Hinweisen, die die Verfasserin in verschiedenen Texten fand, in diversen Meldungen der zeitgenössischen Tagespresse und in den daraufhin recherchierten Urteilsverkündungen in der Reihe Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (RGSt). 41 Der ursprüngliche Prozess zog sich von 1914 bis 1915, zur Urteilsverkündung im Revisionsprozess kam es im April 1916. Vgl. „Scientisten“ unter der Anklage der fahrlässigen Tötung; Die „Christliche Wissenschaft“ vor dem Reichsgericht – Zur Verwerfung der Revision im Gesundbeterprozeß; Barth, Scientistenprozeß, 945; Holl, Der Szientismus, 473; Schön, Die Christliche Wissenschaft und ihre Kritiker.
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Christian Science keine Speiseverbote gibt. Ihr Zustand verschlechterte sich daraufhin dramatisch, und sie starb am 13. Dezember 1913. Im zweiten Fall dieses Doppelprozesses ging es um die von der CS-Praktikerin Elisabeth Ahrens seit Oktober 1913 wegen einer bösartigen Hautkrankheit behandelte Hofschauspielerin Alice von Arnauld. Auch deren Zustand hatte sich nach dem Wegfallen der vorherigen Wundversorgung (z. B. Desinfektionen und Salbenverbände) rapide verschlechtert. Zwei Monate später gelang es Arnaulds Verwandten zwar, diese angesichts der immer größer werdenden eitrigen Geschwüre dazu zu überreden, sich in ein Krankenhaus bringen zu lassen, aber zu diesem Zeitpunkt war laut Auskunft der Ärzte ihr Zustand bereits hoffnungslos, und sie starb am 14. Februar 1914.42 Der frühzeitige Tod dieser beiden sehr populären Schauspielerinnen, die laut ärztlichen Gutachten bei richtiger Behandlung noch fünf bis zehn Jahre gelebt hätten, empörte die Öffentlichkeit, und die beiden Praktikerinnen wurden wegen fahrlässiger Tötung angeklagt. Nach sorgfältiger Prüfung der Sachlage kam das Gericht zu dem Schluss, dass sowohl Hüsgen als auch Ahrens grundsätzlich unverantwortlich handelten, als sie die Behandlung zweier so schwerer Krankheiten übernahmen, ohne über das notwendige medizinische Fachwissen zu verfügen. Ausschlaggebend für das Urteil war jedoch die Tatsache, dass die Praktikerinnen in beiden Fällen trotz einer sich über Wochen abzeichnenden Verschlechterung des Zustandes ihrer Patientinnen weiter auf ihrer Behandlungsmethode beharrten, statt sich zurückzuziehen und angesichts des offensichtlichen Scheiterns ihrer Methode ärztliche Hilfe zuzulassen. Das Gericht sprach die beiden Angeklagten schließlich am 13. November 1915 schuldig im Sinne der Anklage, würdigte allerdings die nicht unlauteren Beweggründe und bisherige Unbescholtenheit von Hüsgen und Ahrens. Das Urteil lautete in beiden Fällen auf sechs Monate Gefängnis und wurde nach einem Revisionsverfahren am 14. April 1916 vom Reichsgericht bestätigt.43 Während die meisten Beobachter das Urteil lobten, beklagten es andere als zu milde. In jedem Fall sorgte der Prozess dafür, dass Eddys Lehre wie noch nie zuvor in das Rampenlicht der öffentlichen Aufmerksamkeit geriet und in den folgenden Jahren eine Fülle kleinerer Publikationen über Christian Science in Deutschland erschien. Neben polemischen Schmähschriften von Ärzten oder Pfarrern, die kein gutes Haar an Christian Science ließen, gab es hierbei auch durchaus differenzierte Stellungnahmen.44 So meinte zum 42 Eine detaillierte Beschreibung der beiden Fälle findet sich in der Urteilsbegründung des Revisionsprozesses durch das Landgericht III Berlin vom 14. April 1916, abgedruckt in RGSt 50, 37–46. S. auch Anhang E. 43 Vgl. ebd.; Die „Christliche Wissenschaft“ vor dem Reichsgericht – Zur Verwerfung der Revision im Gesundbeterprozeß; Barth, Scientistenprozeß, 945; Holl, Der Szientismus, 473. 44 Überwiegend negativ sind z. B. die Artikel von Arnold, Christliche Wissenschaft;
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Beispiel die Theologin Carola Barth in der Christlichen Welt, dass man der Lehre Eddys bei aller Kritik einige „große Wahrheiten“ in Bezug auf die Herrschaft des Geistes über den Körper zugestehen müsse. Ihrer Ansicht nach trugen die Kirche und die „ärztliche Wissenschaft“ an der rapiden Ausbreitung der Christian Science-Bewegung selbst eine gewisse Mitschuld, da die zu materialistisch denkenden Ärzte es vernachlässigten, sich auch mit dem seelischen Zustand ihrer Patienten zu befassen, und die Pfarrer sich zu sehr auf die Bekämpfung von Atheismus und Sozialismus konzentrierten statt darauf, ihren eigenen Gläubigen „die Verheißung eines ungeheuren, unmittelbar in Kraft tretenden Segens“ nahe zu bringen.45 So schloss Barth, dass nur eine Umkehr dieser Haltung von Kirche und Medizin das „unheimlich schnelle Anwachsen“ der „amerikanischen Sekte“ verhindern könnte. Deren Lehren weiterhin nur an den Pranger zu stellen und lächerlich zu machen, sei dagegen genauso effektiv, „als wenn man Kieselsteine in die See würfe, um das Steigen der Flut zu verhindern“.46 Auch der Kirchenhistoriker Professor Karl Holl nahm den Berliner Szientistenprozess zum Anlass, 1916 eine längere Studie über die Lehrinhalte der Christlichen Wissenschaft zu verfassen, da er die „erste gerichtliche Verurteilung des Szientismus innerhalb Deutschlands“ als ein Ereignis von großer allgemeiner Bedeutung einschätzte.47 Seine wissenschaftlich vorbildliche Analyse von Christian Science bot einen ausgewogenen Überblick über Eddys Leben und ihre „monistische Weltanschauung“. Er wies zwar explizit auf einige seiner Ansicht nach unüberbrückbare doktrinäre Unterschiede zwischen Christian Science und dem etablierten (v.a. evangelischen) Christentum hin, gestand ihr jedoch durchaus wahre religiöse Erkenntnisse (z. B. dass „Gott die Wirklichkeit“ und darum „die Welt nur ein Schein“ sei) sowie einen hohen sittlichen Wert zu.48 Holl teilte die Meinung des Gerichts, dass alle Heiler, insbesondere, wenn sie sich für ihre Gebete bezahlen ließen, eine
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Efferoth, Sektenseuche; Kaweran, Christian Science und Glaubensheilen; Kaweran, Christian Science: Richtlinien; Klieneberger, Christliche Wissenschaft; Ruegg, Christian Science. Zumindest teilweise positiv und in jedem Fall sachlich sind dagegen z. B. die Schriften von Barth, Christian Science; Holl, Der Szientismus; Weiss, Heilslehre der Christian Science. Vgl. hierzu auch Reimer, Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245; Schön, Die Christliche Wissenschaft und ihre Kritiker, 443–447. Barth, Scientistenprozeß, 946–948. Ebd., 948. Holl, Der Szientismus, 473. Vgl. ebd., 473–495. Holls Artikel basiert sowohl auf den wichtigsten Schriften Eddys als auch auf der Lektüre der bis dahin erschienenen Sekundärliteratur (die er selbst größtenteils als „wertlos“ bzw. „oberflächlich“ bezeichnet) und blieb elf Jahre lang (bis zur Studie von Weiss, Heilslehre der Christian Science) die einzige wissenschaftlich ernstzunehmende Untersuchung von CS in Deutschland. Vgl. hierzu den relativ positiven Kommentar Marie Schöns zu Holls Beitrag, Schön, Die Christliche Wissenschaft und ihre Kritiker, 446.
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Pflicht hätten, anerkannte Vorsichtsmaßregeln bei der Behandlung anzuwenden und sich ihrer eigenen Grenzen bewusst zu bleiben.49 Allerdings warnte er die Richter, sich in Zukunft weiter auf religiöse Auseinandersetzungen mit der Christlichen Wissenschaft einzulassen; denn dies sei keine juristische Angelegenheit, und Prozesse wie der soeben geführte würden wohl kaum die weitere Verbreitung der Lehre Eddys in Deutschland verhindern: Im Gegenteil. Die Sache hat nun Märtyrer erhalten, die Zeugen hatten Gelegenheit, ihre Lehre vor der breitesten Öffentlichkeit vorzutragen, und der Eindruck ihrer Persönlichkeit war eher geeignet, für die Richtung zu werben, als von ihr abzuschrecken.50
Diese Beobachtung Holls sollte auch für die meisten der nachfolgenden Prozesse gegen Christliche Wissenschaftler zur Weimarer Zeit und in den 1930er Jahren zutreffen, denn das ruhige, freundliche und von tiefer Religiosität geprägte Auftreten der Angeklagten (die zudem in der Regel aus dem gehobenen Bildungsbürgertum stammten) trug kaum dazu bei, das von ihren Gegnern gezeichnete Bild einer von Fanatismus und Geldgier beherrschten irrationalen Sekte zu bestätigen. Dazu kam, dass aufgrund der schwierigen Rechtslage (die sowohl Fragen der Religionsfreiheit als auch des Selbstbestimmungsrechts von Patienten hinsichtlich der Wahl ihrer Behandlungsmethode berührte) und dem grundsätzlichen Fehlen niederer Motive längst nicht alle Prozesse gegen Christliche Wissenschaftler mit einem Schuldspruch endeten. So kam es beispielsweise bei zwei Aufsehen erregenden Fällen der 1920er Jahre, in denen Kinder im Laufe einer christlich-wissenschaftlichen Behandlung starben, beim ersten (dem sogenannten Lübecker Fall von 1924 / 25) zu einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung, im zweiten Prozess (dem „Werdener Fall“ von 1926 / 27) dagegen zu einem Freispruch. Insgesamt lag die Verurteilungsrate von CS-Praktikern, die wegen des Todes eines Patienten vor Gericht standen bei etwa vierzig Prozent.51 49 Vgl. Holl, Der Szientismus, 494–495. 50 Ebd., 473; vgl. auch 474 und 495. 51 Von insgesamt 18 für diese Arbeit untersuchten deutschen Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit CS von 1903 bis 1964 endeten neun mit einem Schuldspruch (bei den acht Fällen wegen fahrlässiger Tötung allerdings nur drei) Vgl. Anhang E. Die Verurteilungsrate in Deutschland lag bis zum Zweiten Weltkrieg deutlich höher als in den USA. Laut der von Schoepflin erstellten Übersicht kam es in nur zwei der von ihm für den Zeitraum 1899 bis 1945 untersuchten 37 Prozessen gegen amerikanische Christliche Wissenschaftler zu endgültigen (d. h. nicht von der Revision verworfenen) Schuldsprüchen. Vgl. Schoepflin, Anhang „Court Cases Involving Christian Science Practice“, Christian Science on Trial, 212–220. Dieser Unterschied beruht v.a. auf dem besonderen Schutz der individuellen Freiheitsrechte in den USA, wo der Erste Verfassungszusatz (First Amendment) das Recht des Einzelnen auf die freie Ausübung auch noch so unkonventioneller religiöser Überzeugungen garantiert. So befreien auch heute noch in mehr als 40 Bundesstaaten der USA sogenannte „religious exemption laws“ die Angehörigen von religiösen Minderheiten, die geistiges Heilen praktizieren, davon, schulmedizinische Behandlungen (inkl. der für die Allgemeinheit vorgeschriebenen Impfungen)
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Trotz – oder vielleicht auch infolge – dieser in den Medien ausführlich besprochenen Gerichtsverhandlungen steigerte sich das allgemeine, das wissenschaftliche und das literarische Interesse an Mary Baker Eddy und Christian Science in Deutschland während der zwanziger Jahre noch einmal deutlich. Dies zeigen sowohl die kontinuierlich wachsenden Mitgliedszahlen der Kirche, als auch einige bemerkenswerte Publikationen der Weimarer Zeit, die im Folgenden diskutiert werden sollen. III.2. HEILIGES WUNDER ODER SCHEINHEILIGER BETRUG? ZUR WISSENSCHAFTLICHEN UND LITERARISCHEN AUSEINANDERSETZUNG MIT CHRISTIAN SCIENCE IN DER WEIMARER REPUBLIK Im Bereich der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit der Lehre Eddys sind vor allem die beiden Bücher von Victor Weiss und Wolf von MetzschSchilbach erwähnenswert.52 Weiss war ein evangelischer Theologe, dem es, wie er in seiner Einleitung betont, nicht darum ging, die Christliche Wissenschaft zu verteufeln, sondern im Gegensatz zu den bislang erschienenen „kleineren Schriften mit ausgesprochen polemischer Absicht“ endlich eine „sachliche Darstellung und Kritik der Eddylehre“ zur Verfügung zu stellen.53 Tatsächlich ist nicht zu leugnen, dass das 1927 erschienene Werk Die Heilslehre der Christian Science (Christliche Wissenschaft): Darstellung und Kritik in ausgesprochen sachlicher, theologisch und philosophisch gut fundierter Weise und in einer bis dato noch nicht dagewesenen Gründlichkeit die geistesgeschichtlichen Wurzeln von Christian Science, ihr Gottes-, Welt- und Menschenbild sowie ihre Ethik anhand der Originalschriften Eddys analysiert. Am Ende seiner Untersuchung kommt Weiss gemäß seiner eigenen lutherischen Glaubensüberzeugungen jedoch zu dem Schluss, dass sich die Christliche Wissenschaft „zu Unrecht als Christentum ausgibt“. Seiner Ansicht nach deckten „scientistisches und biblisches Denken sich gerade im
an sich oder ihren Kindern vornehmen lassen zu müssen, selbst wenn es dadurch zu Todesfällen kommen sollte. Diese Ausnahmegesetze sind allerdings nicht unumstritten und werden vor allem seit den 1980er Jahren von amerikanischen Kinderschutzorganisationen (u.a. CHILD) vehement bekämpft. Drei Bundesstaaten haben in den 1990er Jahren ihre „religious exemption laws“ widerrufen. Vgl. hierzu z. B. Schoepflin, Christian Science on Trial, 202–209. Auf die Rechtslage der Christlichen Wissenschaftler in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg wird später noch kurz eingegangen. 52 Diese beiden Werke waren die ersten deutschen Monographien zum Thema Christian Science und blieben bis 1966 auch die einzigen. 53 Weiss, Heilslehre der Christian Science, VI. Das Buch wurde 1926 vollendet und 1927 gedruckt.
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Zentrum nicht“, sondern standen „prinzipiell auf ganz verschiedener Grundlage“.54 Die hohe Akzeptanz von Weiss’ Untersuchung seitens der etablierten Kirchen zeigt sich u.a. darin, dass vier Dekaden lang kein anderer deutscher Theologe sich noch einmal an diesem Thema versuchte. Zudem unterscheiden sich die wenigen seit den 1960er Jahren neu verfassten deutschen Beiträge über Christian Science (von denen nur einer Buchlänge hat) weder in der Argumentationsweise noch in den Schlussfolgerungen maßgeblich von seinem Werk. Insofern stellt es auch heute noch ein Standardwerk der deutschen Auseinandersetzung mit der Lehre Eddys dar.55 Für die Anhänger der Christlichen Wissenschaft war das Buch dagegen trotz einer gewissen Freude über das intensive Interesse und die Sachlichkeit Weiss’ wegen des sie als unchristlich beurteilenden Fazits natürlich ein Ärgernis. Umso begrüßenswerter musste den Kirchenmitgliedern das 1930 publizierte Werk von Wolf von Metzsch-Schilbach Deutschland und die Christliche Wissenschaft erscheinen, zumal der Autor (der zwar kein Kirchenmitglied, aber doch deutlicher Sympathisant der Lehre Eddys war) die WeissStudie als „ein fleißiges, aber abwegiges Buch“ abqualifizierte.56 Auf den Inhalt dieses, die Christliche Wissenschaft in den höchsten Tönen preisenden, Textes soll hier nicht noch einmal näher eingegangen werden, denn die Metzsch-Schilbach’sche Konstruktion einer inhärenten Verbindung bzw. Verwandtschaft zwischen der Lehre Eddys und „Deutschem Wesen und Denken“ wurde bereits erläutert (s. Kapitel II.1.). Die eigentliche Bedeutung dieses Buches liegt jedoch nicht so sehr in seiner wissenschaftlichen Qualität (die hinter der Weiss-Studie weit zurücksteht), sondern darin, dass es einen sehr guten Einblick in das Selbstverständnis der Deutschen in der damaligen Zeit erlaubt. Denn Metzsch-Schilbachs Interpretation der deutschen Geistesgeschichte – d. h. deutscher Philosophie, Literatur, Musik und Kunst – als Ausdruck eines ganz besonderen harmonisch-universalen deutschen Idealismus, der national überhöhte Züge trug, war durchaus typisch für große Teile des deutschen Bildungsbürgertums der Wilhelminischen Ära und 54 Weiss, Heilslehre der Christian Science, 191–192. 55 S. Reimers 1966 erschienene Monographie Metaphysisches Heilen: Eine kritische Darstellung der „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science) sowie seine, Huttens und Obsts im Literaturverzeichnis angeführten Aufsätze bzw. Buchkapitel. Offensichtlich ist es katholischen Theologen kein so dringendes Bedürfnis wie ihren protestantischen Kollegen, sich gegen Christian Science (oder ähnliche Religionsgemeinschaften) abzusetzen, denn es gibt bislang kein einziges von einem Katholiken verfasstes Werk zu diesem Thema. Selbst der kurze Beitrag über CS in dem zumindest zum Teil von katholischen Herausgebern publizierten und beim (katholischen) Herder Verlag erschienenen Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen stammt aus der Feder des Protestanten Andreas Fincke, der für die Evangelische Zentralstelle für Weltanschauungsfragen (EZW) in Berlin arbeitet. 56 Metzsch-Schilbach, Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 123.
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der Weimarer Zeit (vielleicht als Antipode zur damals ebenfalls weit verbreiteten neurasthenischen Unruhe und Unsicherheit).57 Auffallend ist übrigens, dass trotz der erwähnten Aufsehen erregenden Gerichtsverfahren gegen CS-Praktiker, deren Patienten gestorben waren, weder Weiss noch Metzsch-Schilbach sich mit der Frage der Effektivität der CS-Heilmethode befassten.58 Gerade diese Frage sowie die nach den Ursachen für den phänomenalen Aufstieg von Mary Baker Eddy und ihrer Kirche wurden jedoch zum Kernpunkt von drei literarischen Werken über Christian Science, die am Ende der Weimarer Zeit von Stefan Zweig, Ernst Toller und Hermann Kesten sowie Ilse Langner verfasst wurden. Zweigs fast 400 Seiten umfassendes Opus Die Heilung durch den Geist erschien im Frühjahr 1931. Es handelt sich um eine Art „biographische Trilologie“, die anhand der Beispiele des Lebens und Werks von Franz Anton Mesmer, Mary Baker Eddy und Sigmund Freud die historische Entwicklung der geistig-seelischen Heilmethoden vom 18. zum 20. Jahrhundert nachzeichnet. Als Hauptquellen für die Untersuchung von Christian Science dienten dem Autor hierbei die apologetische, von der Kirchenleitung autorisierte Eddy-Biographie von Sybil Wilbur – von Zweig als „Erztypus einer byzantinischen Schönfärberei“ bezeichnet – und die polemisch-kritische, von der Kirche verfemte Biographie von Willa Cather und Georgine Milmine. Letzterer maß Zweig ein höheres Maß an historischer Verlässlichkeit zu, auch wenn ihm bewusst war, dass diese Darstellung „so pechschwarz wie die andere rosenrot“ gefärbt sei.59 57 Zur diesbezüglichen Selbstein- bzw. -überschätzung der deutschen Gelehrten und des deutschen Bildungsbürgertums, v.a. zwischen 1890 und 1933, vgl. Ringer, Die Gelehrten. Zur Nervosität des Bildungsbürgertums im gleichen Zeitraum, s. Radkau, Zeitalter der Nervosität. 58 Weiss verzichtete bewusst darauf, sich als Theologe mit den praktischen Heilerfolgen der CS zu befassen und sagt, „Unstreitbar sind solche vorhanden, doch soll ihr Zustandekommen und ihre Erklärung der medizinischen Fachwissenschaft überlassen werden.“ Weiss, Heilslehre der Christian Science, VI. Metzsch-Schilbach hielt es offenbar für überflüssig, auf dieses Thema einzugehen, da er von der Wahrheit der Eddy’schen Erkenntnisse selbst vollkommen überzeugt war. Vgl. Deutschland und die Christliche Wissenschaft, 202–204. 59 Zweig, Heilung durch den Geist, 130–132. Die 1908 erschienene Wilbur’sche Biographie war noch von Eddy selbst gutgeheißen worden und hatte deshalb innerhalb der Kirche lange Zeit geradezu kanonische Geltung. Das zweite, im Stil des Enthüllungsjournalismus geschriebene Werk, war aus einer Serie von Artikeln des McClure’s Magazine in den Jahren 1907 und 1908 entstanden. Es wurde 1909 unter dem Namen der Reporterin Georgine Milmine publiziert, welche die notwendigen Dokumente und das Interviewmaterial besorgt hatte. Der Text selbst war allerdings von der Redakteurin Willa Cather geschrieben worden, die später als Romanautorin berühmt wurde. Wohl um nicht mit dem sensationsträchtigen, nicht-fiktionalen Stoff assoziiert zu werden, hielt Cather ihre Mitwirkung an dem Buch geheim. Erst seit einer Neuauflage von 1993 ist ihre Autorschaft offiziell belegt. Vgl. Gill, Mary Baker Eddy, 563-568; Fraser, God’s
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In Zweigs Erzählung steht die historische Bedeutung Eddys für die Entwicklung der Bewegung des geistigen Heilens im Vordergrund, und der Autor würdigt ihre große persönliche Leistung, v.a. den Aufstieg aus völliger Armut und Obskurität zur Religionsstifterin sowie zu einer der bekanntesten und wohlhabendsten Frauen Amerikas. Trotzdem herrscht insgesamt ein sehr kritischer, oft ironisch-bissiger Grundtenor gegenüber Eddy vor, der sich in den Mesmer und Freud gewidmeten Teilen von Heilung durch den Geist nicht in vergleichbarer Schärfe findet.60 So kommt im Text zwar oft eine gewisse Bewunderung für Eddys große Zielstrebigkeit, ihre Energie und Kühnheit, ihre leidenschaftliche Entschlossenheit, ihren hervorragenden Geschäfts- und Organisationssinn sowie für ihren „psychologischen Scharfblick“ zum Ausdruck, aber insgesamt kennzeichnet er die Gründerin der Christlichen Wissenschaft als eine übernervöse, egozentrische, geldgierige, berechnende und machtsüchtige Despotin, die von maßlosem Ehrgeiz getrieben ohne Rücksicht auf Verluste ihren Weg ging und ihre Anhänger mit eiserner Hand beherrschte.61 Den Aufstieg ihrer intellektuell seiner Ansicht nach eher minderwertigen („geistig so verschrobenen, logisch dermaßen dünnen und dilettantischen“) Lehre erklärt Zweig mit Eddys „außerordentlichem psychologischen Genie“ sowie mit dem optimalen Nährboden, den Christian Science in den USA fand, da aufgrund des „hellgläubigen, naiven, herrlich leicht zu entflammenden Optimismus“ der Amerikaner diesen „kein Zukunftsglaube zu abstrus“ sei.62 Ein ebenso relevanter Grund für die „geradezu unfassbare Lawinenwirkung des Erfolges“ ihrer Lehre lag jedoch laut Zweig darin, dass „trotz seiner logischen Defekte der religiöse Suggestionsapparat Mary Baker-Eddys bis heute von keiner späteren Glaubenslehre an Weite der Wirkung übertroffen“ worden sei und Hunderttausende von kranken oder lebensmüden Menschen durch Christian Science die Hilfe bekommen hätten, die sie bei diplomierten Ärzten vergeblich suchten.63 Für ihre Mitglieder habe die neue Religion deshalb wohl insgesamt „mehr Hilfe als Schädigung“ gebracht, und auch die
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Perfect Child, 137–140. Eine dritte, von Edwin Franden Dakin 1929 publizierte, ebenfalls nicht sehr schmeichelhafte Biographie, erwähnt Zweig kurz, hatte aber offenbar keine Gelegenheit mehr dazu, sie vor Fertigstellung seines eigenen Textes zu lesen. Vgl. Zweig, Heilung durch den Geist, 131. Zweigs Darstellung der gescheiterten Karriere Mesmers (29–124) ist im Ton eher mitleidig, und die Darstellung Freuds, der mit Zweig gut befreundet war, ist trotz kleinerer Kritikpunkte gegenüber der von diesem entwickelten Psychoanalyse stets sachlich und positiv formuliert. Vgl. Zweig, Heilung durch den Geist, 29–124 und 257–380. Vgl. Zweig, Heilung durch den Geist, 133–268. Zuweilen mischen sich Bewunderung und Abscheu in Zweigs Beschreibung, s. z. B. Formulierungen wie „die ungeheuerlichen, die dämonischen Kräfte dieser rätselhaften Frau“ (142), die „großartig absurd“ (227) und „prachtvoll despotisch[...]“ (237) war, eine „erprobte Kriegerin“ mit „taktischer Genialität“ (243), eine „Königin durch ihren Willen“ (253). Ebd., 203–207 und 241. Ebd., 201–203.
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Wissenschaft könnte Zweig zufolge noch einiges von Eddy über das Phänomen der Massensuggestion lernen.64 Da es aber für den Autor ganz klar war, dass Heilungen durch Christian Science nicht etwa auf göttlicher Hilfe oder Metaphysik, sondern nur auf der Kraft menschlicher Konzentration bzw. Einbildung (Suggestion) beruhten, waren dieser Methode natürlich immer Grenzen gesetzt. So erklärt sich für Zweig, warum Eddy sich selbst nicht helfen konnte, und er schildert, wie die gealterte Kirchengründerin krampfhaft versuchte, ihr von Paranoia, Schmerzen und Morphiumspritzen geprägtes Siechtum vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten, um am Ende – gemäß dem „tragischen Schicksal aller despotischen Naturen“ – nur umgeben von gefügigen Untergebenen („Sklaven“) in großer innerer Einsamkeit zu sterben.65 Christliche Wissenschaftler waren verständlicherweise entsetzt darüber, dass die erste deutschsprachige Biographie Eddys ein so negatives, ihrer Ansicht nach brutal verzerrtes Bild ihrer verehrten Kirchengründerin und der Lehre von Christian Science vermittelte.66 Dessen ungeachtet erfreute sich das Buch schon bald im gesamten deutschen Sprachraum größter Beliebtheit. Allein im ersten Jahr wurde es 25.000 Mal verkauft und danach mehrfach neu aufgelegt.67 Die Kirche konnte dies nicht verhindern. Allerdings gelang es dem CS-Komitee für Veröffentlichungen (KfV) schließlich, bei einer Neuauflage (allerdings erst 1998) den Abdruck einer eigenen Stellungnahme innerhalb der „Nachbemerkung des Herausgebers“ zu erwirken, in der ausgeführt wird, dass Zweigs Darstellung von Eddy eine typologische Überformung und weit von der historischen Wirklichkeit entfernt sei.68
64 Ebd., 203. 65 Ebd., 247–267. 66 Vielen Zeitgenossen, vor allem Pfarrern und Ärzten, war die Darstellung Zweigs allerdings noch zu positiv. Auch Sigmund Freud schrieb diesem hierüber: „Das Verrückte und Frevelhafte der Begebenheit mit Mary Baker Eddy kommt in Ihrer Darstellung nicht genug zur Geltung, auch nicht das unsäglich Betrübliche des amerikanischen Hintergrundes.“ Brief an Zweig vom 7. Februar 1931, zit. ebd., 394–395. 67 Die Originalausgabe war im Inselverlag erschienen und schnell vergriffen, weitere Auflagen folgten, aber ab 1933 waren Zweigs Werke in Deutschland verboten. Nach dem Krieg erschienen mehrere Neuauflagen durch den Fischerverlag, und bislang wurden ca. 80.000 Exemplare von Heilung durch den Geist verkauft. Vgl. hierzu „Nachbemerkungen des Herausgebers“, ebd., 386–391. 68 Vgl. den Kommentar des KfV, Klaus Hendrik Herr, der als Beleg dafür, dass Zweigs Hauptquelle, die Milmine Biographie, inzwischen auch von Außenstehenden als historisch unglaubwürdig eingestuft würde, eine Erklärung des gegenwärtigen Verlegers dieser Biographie (University of Nebraska Press) zur neuen Ausgabe des Buches zitiert. In dieser heißt es: „New materials have come to light which suggest that Ms. Eddy’s enemies have played a significant role in organizing the materials for the ,Milmine‘ biography. New information about Georgine Milmine, moreover, suggest that she would have welcomed biased opinion for its sensational and commercial value.“ Ebd., 391–394.
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Noch stärker als mit Heilung durch den Geist wurden ein halbes Jahr nach deren Erscheinen Mary Baker Eddy und ihre Lehre durch zwei deutsche Theaterstücke in Verruf gebracht, die zumindest teilweise durch die Zweig’sche Darstellung inspiriert worden waren: Ernst Tollers und Hermann Kestens gemeinsam verfasstes Schauspiel Wunder in Amerika, das am 17. Oktober 1931 in Mannheim uraufgeführt wurde, und Ilse Langners Drama Die Heilige aus USA, das am 5. November 1931 in Berlin zur Uraufführung kam.69 Diese beiden Werke, die nicht zufällig den Namen Amerikas im Titel tragen, bauten in der vorgebrachten Kritik an Eddy und Christian Science in allen Punkten – von Geld- und Machtgier, über Jugendwahn, Materialismus und übersteigerte Sexualität – weitaus mehr noch als Zweig auf die zur damaligen Zeit in Deutschland populären anti-amerikanischen Klischees auf und steigerten diese ins Extreme.70 Beide Stücke stellen in klassischer Fünf-Akt-Struktur den Aufstieg von Mary Baker Eddy und die Errichtung ihres Kirchenimperiums bis zu ihrem Tod dar. Wunder in Amerika beginnt mit der Heilung der scheinbar gelähmten Eddy durch „Doktor Quimby“, den sie – gegen den Willen des naturwissenschaftlich denkenden Doktors – voller Begeisterung als einen neuen Heiland und sich selbst als seine Botschafterin inszeniert.71 Die Heilige aus USA setzt etwas früher ein: Hier wird zunächst geschildert, wie Eddy, eine tyrannische Hysterikerin, die im Haus ihrer armen Schwester Abigail wohnt, deren Ehefrieden zerstört. Nachdem sie bereits Abigails ganze Ersparnisse für di69 Vgl. Heilborn, Die Heilige, 222; Reimer, Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245. Einige Stellen von Wunder in Amerika basieren aufgrund der offensichtlichen Ähnlichkeit auf jeden Fall auf der Erzählung Zweigs. Auch bei Langner, Die Heilige aus USA, gibt es Parallelen zu Heilung durch den Geist, allerdings sind diese weniger stark ausgeprägt. Es ist unklar, ob und wenn ja welche anderen Quellen Langner, Toller und Kesten neben Zweig und deutschen Zeitungsartikeln der Weimarer Zeit zu ihrer Information benutzten, aber aufgrund einiger gravierender historischer Fehler (insbesondere bei Langners Chronologie der Ereignisse) ist zu vermuten, dass sie sich kaum intensiv mit den o.g. amerikanischen Biographien befasst hatten. 70 Wie schon im 19. Jahrhundert so war auch im frühen 20. Jahrhundert die Rezeption Amerikas in Deutschland äußerst zwiespältig. Einerseits bewunderten viele die USA als Land der Freiheit, Demokratie, Moderne, des Fortschritts und Optimismus. Andererseits kritisierte man z. B. die amerikanische Geldgier, Kulturlosigkeit, Naivität, den Massenkonsum und Jugendwahn. In Weimar fürchteten nicht nur konservativ-nationale Kräfte eine Amerikanisierung Deutschlands, sondern auch liberale Intellektuelle wie Egon Kisch, Stefan Zweig oder Kurt Tucholsky verbreiteten in ihren Schriften antiamerikanische Stereotypen. Dies betraf beispielsweise besonders das Bild amerikanischer Frauen, die in Texten der Weimarer Zeit häufig als herrschsüchtig, übersexualisiert und aggressiv dargestellt wurden. Vgl. hierzu z. B. Greiner, Tucholskys Amerikabild; Trommler, Amerika und die Deutschen; Bauschinger, Amerika in der deutschen Literatur; Ritter, Deutschlands literarisches Amerikabild; Schmidt, Der Amerika-Diskurs. 71 Vgl. Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 11–13.
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verse „Kuren“ aufgebraucht hat, nimmt sie dieser am Ende auch noch ihr letztes Schmuckstück weg, um damit ihre Reise zu Quimby zu finanzieren.72 In den folgenden Bildern der beiden Dramen werden die wichtigsten Stationen von Eddys Leben nachgezeichnet, wobei die Schwerpunktsetzung in beiden Fällen maßgeblich an der von Zweig orientiert ist.73 Die letzte Szene ist in beiden Stücken dem völligen körperlichen und geistigen Verfall Eddys gewidmet und geht hierbei deutlich über Zweigs Darstellung hinaus: Bei Langner verliert Eddy kurz vor ihrem Tod als kreischende, tobende und halluzinierende Greisin auch noch den letzten Bezug zur Wirklichkeit; bei Toller und Kesten wird sie als inkohärente, mit Morphium und anderen Drogen vollgepumpte Marionette ihrer Betreuer dargestellt, welche sie nur noch benutzen, um ihre eigene Machtstellung bzw. die Macht der Kirche zu sichern.74 Auch insgesamt lässt sich im Vergleich zu Heilung durch den Geist bei beiden Dramen eine Steigerung der Negativdarstellung zum totalen Verriss des Lebenswerkes Eddys feststellen. So werden alle schon von Zweig kritisch erwähnten Charakterzüge der Kirchengründerin hier in noch wesentlich drastischerer Form gezeichnet, insbesondere Macht- und Geldgier, Despotismus und ein zur Selbstvergöttlichung gesteigerter Größenwahn.75 Die bei 72 Vgl. Langner, Die Heilige aus USA, 147–152. Hier wie an mehreren anderen Stellen geht Langners Abweichung von historischen Tatsachen deutlich über die von Zweig sowie Toller und Kesten hinaus. Eddy lebte zwar tatsächlich einige Zeit bei ihrer Schwester Abigail, diese war jedoch durch ihre Heirat sehr wohlhabend geworden, ließ sich von ihrer jüngeren Schwester nichts vorschreiben (so hatte Abigail z. B. gegen Marys Willen durchgesetzt, dass deren Sohn vor ihrem Einzug bei ihr in eine Pflegefamilie kam), und als Mary sich weigerte, Abigails Forderung nachzukommen, ihren neuentdeckten „Irrglauben“ aufzugeben, kam es zum Bruch zwischen den Schwestern. Vgl. z. B. Peel, Years of Discovery; Gill, Mary Baker Eddy. Vgl. auch die Darstellung Langners, Eddy habe sich von Kennedy getrennt, weil dieser mit ihrer gemeinsamen Vermieterin Augusta Stetson ein Verhältnis gehabt hätte. Stetson war nie Eddys Vermieterin und lernte diese erst eine Dekade nach ihrem Bruch mit Kennedy kennen. Auch starb Asa Eddy bereits nach fünf, nicht nach zehn Jahren Ehe (wie Langner angibt). 73 Langner widmet z. B. dem Abstieg Eddys zum Status einer herumstreunenden Bettlerin eine eigene Szene (2. Akt, 1. Szene). Bei Toller und Kesten gibt es dafür eine ausführlichere Darstellung der großunternehmerischen Verwaltungsbürokratie des Kirchenimperiums (4. Akt, 1. Szene). Größere inhaltliche Unterschiede in Bezug auf die Themenauswahl innerhalb von Eddys Biographie gibt es kaum. 74 Vgl. Langner, Die Heilige aus USA, 225–228; Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 83– 89. Diese Art von polemischer Demontage geistlicher Führungspersönlichkeiten ist ein bekannter Topos der religionskritischen Aufklärungsliteratur. 75 Hinweise auf die Macht- und Geldgier Eddys finden sich fast in jeder Szene. Ihre Herrschsucht und ihr tyrannisches Verhalten gegenüber ihren Anhängern und Mitarbeitern stehen vor allem in den letzten drei Akten im Vordergrund. Zur Selbstvergöttlichung Eddys vgl. z. B. Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 27–28 und 75–77; Langner, Die Heilige aus USA, 190–193 und 205–207. Vgl. hierzu auch Langners erklärte Absicht, „der exzentrischen Selbstvergottung Mary Baker-Eddys den Bühneneffekt“ zu
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Zweig bei aller Kritik mitschwingende Bewunderung für die persönliche Leistung Eddys und ihre Bedeutung im Rahmen der Geschichte der historischen Entwicklung des geistigen Heilens fehlt bei Toller, Kesten und Langner völlig. In Wunder in Amerika wird Eddy zudem unterstellt, ihre sexuellen Gelüste nicht unter Kontrolle gehabt zu haben und jüngere Mitarbeiter, die nicht zur Erfüllung derselben bereit waren, aus der Kirche verstoßen zu haben.76 Darüber hinaus präsentieren beide Dramen die Gründerin der Christlichen Wissenschaft als eine Heuchlerin, die selbst nicht konsequent an ihre eigene Lehre glaubte bzw. sich der Ineffektivität ihrer Methoden bewusst war und der es in erster Linie nur um Geschäftemacherei und Macht ging.77 Gleichzeitig wird – ebenfalls im Unterschied zu Heilung durch den Geist – festgestellt, dass die Christliche Wissenschaft keine wirksame Heilmethode sei, da die angeblich gewirkten Wunder entweder von vorneherein inszeniert oder nur auf vorübergehender Selbsttäuschung beruhende Phänomene wären. Beide Stücke zielen somit darauf ab, die Heilige aus den USA als Scheinheilige und ihre Lehre als ausbeuterisches, manipulatives Betrugssystem zu entlarven.78 Wenn man das hohe Maß an persönlicher Verehrung berücksichtigt, das Mary Baker Eddy, wie alle Religionsstifter, bei ihren Anhängern genoss, so kann man sich ausmalen, welche Entrüstung diese polemische, historisch fehlerhafte Darstellung innerhalb der Kirche auslösen musste. Viele Christliche Wissenschaftler waren völlig schockiert. Das allgemeine Theaterpublikum hingegen zeigte sich begeistert von den beiden Dramen. Insbesondere das Langner-Stück erntete stürmischen Beifall.79 Dies lag auch an der her-
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geben, den diese ihrer Ansicht nach verdiente. Langner, Mein Echo, 14, auch zit. in Marhoff, Abwehr und Anpassung, 46. Vgl. Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 18–23 und 72–74. Auch bei Langner spielt Eddys Eifersucht auf jüngere Frauen eine Rolle (so ist auch bei ihr das Verschmähen ihrer körperlichen Liebe der eigentliche Grund für den Bruch mit Richard Kennedy), aber im Gegensatz zu Toller / Kesten führt sie nicht aus, wie Eddy über Kennedy herfällt und diesen gegen seinen Willen küsst. Vgl. Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 26–27 und 49–51; Langner, Die Heilige aus USA, 192–193 und 198–203. Bezeichnenderweise wird in Wunder in Amerika nicht die Heilung durch Christian Science als solches bezeichnet, sondern die Tatsache, dass es Mary Baker Eddy gelang, ihre Gläubigen dazu zu bringen, in kürzester Zeit die unglaubliche Summe von zwei Millionen Dollar für den Bau einer gigantischen Kirche aufzubringen. Vgl. Toller / Kesten, Wunder in Amerika, 70, s. auch 26–27 und 49–51; vgl. auch Langner, Die Heilige aus USA, 198–200. Vgl. Marhoff, Abwehr und Anpassung, 46; Heilborn, Die Heilige, 222. Das Toller-Stück war ebenfalls ein großer Publikumserfolg, wurde allerdings nach der Machtübernahme Hitlers nicht mehr gespielt, und das Textbuch galt nach der Verbrennung von Tollers Büchern durch die Nazis über vierzig Jahre lang als verschollen. Vgl. Reimer, Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245; Interview der Verfasserin mit Friedrich Schirmer vom 20. Juni 2006.
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vorragenden Inszenierung in Max Reinhardts Kurfürstendamm-Theater sowie an einer Reihe von innovativen Elementen des Dramas. Erwähnenswert ist zum Beispiel dessen ungewöhnlicher Revuecharakter, der die als typisch amerikanisch empfundene Mischung aus Kommerzialisierung, religiösen Lehren und Jahrmarktseffekten aufzeigen sollte, die nach Ansicht der Autorin eine erfolgreiche Massenwirkung von „Irrlehren“ wie dem „Eddyismus“ überhaupt erst ermöglichte.80 Als Erwiderung auf die Proteste deutscher Christlicher Wissenschaftler gegen das Stück wurde im Theater schließlich eine öffentliche Podiumsdiskussion veranstaltet, an der neben der Autorin ein Rechtsanwalt, ein Pfarrer, der Regisseur Berger, Heinrich Mann und Bertolt Brecht teilnahmen.81 Dadurch erhöhte sich die Publikumswirksamkeit des Dramas jedoch nur noch mehr. Die Heilige aus USA wurde zu Langners bis dahin größtem Bühnenerfolg, 1984 zusammen mit anderen Dramen Langners neu aufgelegt und ist bis heute nicht in Vergessenheit geraten.82 Der verlorengeglaubte Text des Toller / Kesten-Stücks wurde 1978 durch den Intendanten des Deutschen Schauspielhauses, Friedrich Schirmer, im Archiv des Reiß-Museums des Mannheimer Nationaltheaters wiederentdeckt. Schirmer war von dem Drama so begeistert, dass er beschloss, es selbst neu zu inszenieren. So kam es trotz intensiver Proteste des KfV in den 1980er Jahren zu einer Reihe von höchst erfolgreichen Neuaufführungen von Wunder in Amerika und 1987 sogar zu einer öffentlich-rechtlichen Fernsehproduktion.83 80 Bekannte Theatergrößen der Weimarer Zeit wie die Schauspielerinnen Agnes Straub und Brigitte Horney sowie der Regisseur Ludwig Berger und der Jazz-Komponist Ernst Toch trugen zum Erfolg der Berliner Inszenierung bei. Vgl. Marhoff, Abwehr und Anpassung, 46–47. Zu den literarisch innovativen Elementen gehörte z. B. die Tatsache, dass Langner historische Persönlichkeiten, die ebenfalls über Eddy geschrieben hatten, im Drama auftreten ließ, z. B. Mark Twain und Sybil Wilbur. Auch könnte ihre zynischbissige Darstellung des großen Propagandaapparates von Eddy sowie deren z.T. militaristische Wortwahl („Fürchtest Du meinen Endsieg?“, Langner, Die Heilige aus USA, 192) und der paramilitärischen Paraden ihrer Anhänger („Voran, voran! […] Auf in den Kampf mit Wahrheit und Gebet! […] Schwingt die Fahne, singt das Lied: Wir marschieren, wir marschieren in Reih’ und Glied. Wir marschieren gegen den Tod! Wir marschieren mit Gott!“, ebd., 207–208) als Militarismus- bzw. Faschismuskritik gedeutet werden. 81 Vgl. Marhoff, Abwehr und Anpassung, 46–47. Laut Marhoff hatte das deutsche KfV wegen Blasphemie geklagt, woraufhin Langner erklärte: „Blasphemie wurde nicht von mir, sondern von den Gründern der Christian Science ausgeübt. Ich habe den Dollarkapitalismus dieser Heilslehre nicht verteidigt, sondern durch Reportage angeklagt.“ Langner, Mein Echo, 17, zit. in Marhoff, Abwehr und Anpassung, 47. 82 Die Neuauflage wurde von Eberhard G. Schulz herausgegeben und erschien im Bergstadtverlag Korn. Im Dezember 2001 wurde Die Heilige aus USA z. B. bei einer Rundfunkreportage über deutsche Schriftstellerinnen besprochen. Vgl. „Schreiben für eine bessere Welt: Die Schriftstellerin Ilse Langner“ Sendung: 6. Dezember 2001, Südwestrundfunk, SWR 2 – Wissen, Archiv-Nr. 051-5165. 83 Vgl. z. B. Protestbrief des KfV, Dieter Förster, an die Städtischen Bühnen Dortmund
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Als Zeitzeugnisse der späten Weimarer Republik machen diese drei literarischen Werke, mit all der Kritik und Empörung gegenüber Mary Baker Eddy und deren Lehre, vor allem auch darauf aufmerksam, dass Christian Science damals offensichtlich nicht nur das Interesse von Theologen und Ärzten erregt hatte, sondern auch für die breite Öffentlichkeit sowie in den Kreisen linker Intellektueller ein bekanntes Thema war, und dass das deutliche Erstarken dieser amerikanischen Religionsgemeinschaft in Deutschland viele Menschen berührte.84 Allein die Tatsache, dass gleich mehrere bedeutende Schriftsteller der Weimarer Zeit Texte über Christian Science verfassten, weist auf deren besondere gesellschaftliche Bedeutung hin, denn obwohl andere religiöse Sondergemeinschaften (z. B. die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche) damals in Deutschland mehr eingetragene Mitglieder hatten, erhielt keine von diesen in Weimar einen ähnlichen Grad literarischer Aufmerksamkeit.85 vom 10. November 1982; Reimer, Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245– 246. Schirmer war damals Intendant des Dortmunder Theaters und hatte ursprünglich geplant, das Stück hier aufzuführen. Es war sogar schon angekündigt, scheiterte dann jedoch, laut Schirmer, an internen Problemen des Theaters, nicht an den Protesten der Kirche. Als Schirmer zwei Jahre später als Chefdramaturg an die Württembergische Landesbühne in Esslingen wechselte, brachte er das Stück hier in der Saison 1985 / 86 zur ersten Aufführung seit dem Krieg. Es war ein Riesenerfolg und wurde allein in Esslingen über vierzig Mal gespielt. Vgl. Interview der Verfasserin mit Schirmer vom 20. Juni 2001. Immerhin erreichte die Kirche jedoch bei dieser Neuaufführung den Abdruck einer Stellungnahme des KfV im Programmheft der Aufführung, vgl. Programmheft zur Aufführung von Wunder in Amerika an der Württembergischen Landesbühne, Saison 1985 / 86, 26–29. Vgl. auch Herr, Gespräch mit Verfasserin vom 12. Juni 2006. Auch die EZW veröffentlichte 1986 eine Stellungnahme, welche die Wiederaufnahme des Stückes als unzeitgemäß und als grobe Beleidigung Christlicher Wissenschaftler kritisierte, vgl. Reimer, Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245–246. 84 Einem Bericht des KfV an die Mutterkirche in Boston zufolge, gab es über zwanzig Tageszeitungen in Deutschland, die regelmäßig Auszüge der CS-Bibellektionen abdruckten, und 18 Tageszeitungen berichteten im Sommer 1933 ausführlich über das Jahrestreffen der Mutterkirche in Boston. Vgl. Schreiben des KfV, Helmuth Graf von Moltke, an die Mutterkirche (UKD), zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 2. 85 Vgl. King, Women and Spirituality, 29, 225–226. Da die CS-Kirche keine offiziellen Mitgliederzahlen bekannt gibt, sind genaue Aussagen hierzu nicht möglich, aber King zitiert eine Studie, nach der es 1927 in Berlin 4.000 Christliche Wissenschaftler gab. Vgl. King, Women and Spirituality, 226. Da es im gleichen Jahr in Berlin fünf CS-Kirchen und eine CS-Vereinigung gab, könnte man daraus auf eine durchschnittliche Gemeindegröße von gut 600 Mitgliedern schließen. Allerdings werden davon wohl weniger als die Hälfte eingetragene Kirchenmitglieder gewesen sein, denn die durchschnittliche Gemeindegröße in den USA lag um diese Zeit in etwa bei 120 eingetragenen Mitgliedern. Vgl. Braden, Christian Science Today, 271. Selbst wenn man diese Zahl für Deutschland auf 200 erhöht, so ergibt die Berechnung der Verfasserin, dass 1933 bei 66 offiziell anerkannten CS-Kirchen und Vereinigungen im gesamten Reich die Zahl der CS-Mitglieder nur bei rund 13.000 gelegen hätte. Im gleichen Jahr war laut offiziellen
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Zudem sei noch einmal betont, dass der Einfluss der Christlichen Wissenschaft in Deutschland aufgrund des relativ hohen sozialen Status der Mehrheit ihrer Mitglieder dem vergleichbarer religiöser Gruppen keineswegs nachgestellt, sondern – trotz geringerer Mitgliederzahl – vermutlich überlegen war.86 Damals wie heute stammten bzw. stammen die meisten Mitglieder von Christian Science aus sozial gut gestellten Bevölkerungsschichten, und Studien zufolge liegen ihr Bildungsniveau und Einkommen deutlich über dem nationalen Durchschnitt (sowohl in den USA als auch in Deutschland).87 Dies liegt vielleicht auch darin begründet, dass man als Christlicher Wissenschaftler sowohl die Fähigkeit zum abstrakten Denken als auch wissenschaftliches Interesse, Selbstdisziplin und die Bereitschaft zur täglichen, intensiven (oft mehrstündigen) Textlektüre mitbringen sollte. Ein gewisses Maß an Bildung ist deshalb zwar nicht zwingende Voraussetzung für das Verständnis von Christian Science, diesem jedoch sicherlich besonders zuträglich.88 In jedem Fall war innerhalb des deutschen (sowie des europäischen) Bildungsbürgertums und des Adels das Interesse an Christian Science von Anfang an auffallend hoch.89 Auch in Künstlerkreisen gab es nicht nur negative Einstellungen zur Lehre (auch wenn diese bei den Literaten vorzuherrschen
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Zensusdaten in Deutschland (bei einer Gesamtbevölkerung von 65 Millionen) die Mitgliederzahl der Neuapostolischen Kirche 250.000, die der Adventisten 36.000, die der Zeugen Jehovas 20.000 und die der Mormonen 16.500. Vgl. King, Women and Spirituality, 225–226. Stillman gibt allerdings unter der Berufung auf einen „Nazi census“ von 1934 an, es habe in Deutschland 1934 50.000 Christliche Wissenschaftler gegeben. Vgl. Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 6. Wenn diese Zahl stimmt, bezieht sie sich jedoch wohl nicht auf eingetragene Kirchenmitglieder. King zufolge lag der soziale Status (v.a. das Bildungsniveau und die politischen Verbindungen) der Christlichen Wissenschaftler deutlich über dem der anderen von ihr besprochenen Religionsgemeinschaften im nationalsozialistischen Deutschland. Vgl. King, Women and Spirituality, 29–30. Insbesondere die Mormonen und die Zeugen Jehovas sprachen im Gegensatz zu CS wohl eher Mitglieder der Arbeiterschicht an. Auch die Nationalsozialisten Otto Dupow und Wilfried Meynig betonten z. B. in ihren Schriften gegen CS, dass deren Mitglieder zur „gehobenen Schicht“ gehörten bzw. sich vorwiegend aus den „Angehörigen der besseren Kreise“ rekrutierten und über „beträchtliche Geldmittel“ verfügten. Dupow, Christliche Wissenschaft, 3; Meynig, Christliche Wissenschaft, 9. So haben über sechzig Prozent studiert und über vierzig Prozent einen qualifizierten Hochschulabschluss erworben. Hierzu und zu Zahlen des weit über dem Durchschnitt liegenden Haushaltseinkommens amerikanischer Christlicher Wissenschaftler vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 203. Auch die in Deutschland befragten Christlichen Wissenschaftler bestätigten, dass es in ihren Reihen überdurchschnittlich viele Akademiker gibt. Allerdings betonten sie, dass bei den Gemeindemitgliedern hier fast alle Berufe – auch Handwerker – vertreten sind und dass Christian Science grundsätzlich für alle interessierten Menschen offen und zugänglich ist. Vgl. Interviews der Verfasserin mit Christlichen Wissenschaftlern in München von 2005 und 2006. In England gehörten z. B. Lord und Lady Astor sowie Lord Lothian und Lord Halifax zu
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schienen). So war zum Beispiel die bekannte Schauspielerin Elisabeth Bergner, eine gute Freundin Albert Einsteins, ein sehr engagiertes Kirchenmitglied, ebenso die Bildhauerin Klara Westhoff, und den renommierten Architekten Carl Krayl inspirierte Christian Science zu einer Reihe von außergewöhnlichen Kirchenentwürfen und Graphiken.90 So lässt sich abschließend feststellen, dass trotz Kriegs, Gerichtsverfahren und zahlreichen polemischen Schriften gegen sie, die Kirche Christi, Wissenschaftler in den Jahren der Weimarer Republik einen deutlichen Aufschwung erlebte. Ihre Mitgliedszahlen stiegen beständig, und die Zahl der offiziell von der Mutterkirche anerkannten deutschen Zweigkirchen und Vereinigungen erhöhte sich von neun auf 66. Kircheninternen Quellen zufolge warteten 1933 sogar noch 166 weitere Gemeinden deutscher Anhänger Eddys auf die offizielle Anerkennung aus Boston, und im Unterschied zum Beginn der 1920er Jahre gab es eine Dekade später bereits in allen Teilen der Republik, d. h. auch im katholischen Bayern, aktive christlich-wissenschaftliche Kirchen.91 Zudem wurde im Sommer 1928 Helmuth Graf von Moltke zum Komitee für Veröffentlichungen für Deutschland ernannt, so dass die Kirche hier von einem bekannten und angesehenen Mitglied des deutschen Adels repräsentiert wurde.92 führenden Kirchenmitgliedern. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland; Fraser, God’s Perfect Child; Canham, The Monitor. 90 Bergner berichtet in ihrer Autobiographie über mehrere Heilungen, die sie und ihr Mann durch CS erlebten, außerdem sagte sie, Einstein habe Eddys Lehrbuch sehr geschätzt. Vgl. Bergner, Erinnerungen, 242–243 und 250–251. Letzteres galt wohl auch für Westhoffs Ehemann Rainer-Maria Rilke. Vgl. hierzu Interview mit Trapp vom 25. Juli 2006. Krayl wurde zwar im Gegensatz zu seiner Frau kein aktives Kirchenmitglied, stand der Lehre Eddys jedoch trotzdem sehr nahe. Einer seiner Dom-Entwürfe von 1921 nannte er „Kathedrale-Christian Science“ und hatte für deren Glockenstuhl das biblische Motto der CS „Heal the sick. Raise the dead. Cleanse the lepers. Cast out demons“ vorgesehen. Vgl. Maasberg, Idee einer Farbigen Stadt, 48–51. 91 Vgl. Anhang D sowie King, Women and Spirituality, 30. Ulla Oldenbourg hatte nach ihrem heiratsbedingten Umzug von Kreisau nach München die Christliche Wissenschaft in Bayern bekannt gemacht. In München gab es seit 1912 CS-Gemeinden, 1923 wurde die Erste, 1927 die Zweite Kirche Christi, Wissenschaftler von der Mutterkirche anerkannt. Vgl. Huber, Zweite Kirche Christi, Wissenschafter, München; Interview der Verfasserin mit Finkenstaedt vom 1. August 2005. 92 Es sei noch einmal kurz daran erinnert, dass die CS-KfV immer nur aus einer Person bestehen, auch wenn diese von Assistenten unterstützt wird. Das KfV ist sowohl Leiter der Öffentlichkeitsarbeit, Berater der Zweigkirchen als auch offizieller Repräsentant der Kirche gegenüber staatlichen Behörden. Zu Moltkes Ernennung und Arbeit als KfV vgl. z. B. Moltke, Leben in Deutschland, 124–196, 208 und 251–257. Zum Wachstum der Kirche während der Weimarer Jahre s. auch King, Women and Spirituality, 30; Canham, The Monitor, 287. Allein in Berlin gab es 1933 acht CS-Zweigkirchen, dazu kamen noch diejenigen Christlichen Wissenschaftler, die sich entschieden hatten, Marie Schöns „Deutscher Vereinigung Christlicher Wissenschafter“ beizutreten. Über deren Mitgliedszahl gibt es keine Angaben, aber aufgrund der vielen in Schöns Monatsheften an-
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Am Ende der Weimarer Republik schienen darum alle Zeichen für eine positive Weiterentwicklung von Christian Science in Deutschland ausgesprochen günstig zu stehen. Aber dann kam die Machtübernahme Hitlers, und obwohl die deutschen Zweigkirchen mit Unterstützung der Mutterkirche alles versuchten, dieser Herausforderung positiv zu begegnen, stürzten sie in den folgenden Jahren – wie auch viele andere religiöse Gemeinschaften – in die größte Krise ihrer Geschichte. III.3. EIN PAKT MIT DEM TEUFEL? LOYALITÄTSKONFLIKTE DEUTSCHER KIRCHENMITGLIEDER UND DIE APPEASEMENT-STRATEGIE DER MUTTERKIRCHE Die nationalsozialistische Machtübernahme im Frühjahr 1933 wurde von Christlichen Wissenschaftlern in Deutschland mit gemischten Gefühlen aufgenommen.93 Viele von ihnen verkannten – genau wie der Großteil der deutschen Bevölkerung, der für die NSDAP gestimmt hatte – die menschenverachtende Dimension des Nationalsozialismus und den sich bereits abzeichnenden Größenwahn Hitlers. Statt dessen sahen sie den „Führer“ als das „geringere Übel“ oder als „Retter in der Not“, der die Republik vor einer Machtübernahme der Kommunisten schützen würde. Manche hielten ihn auch für eine Gott-gesandte Lichtgestalt, die nach der als ungerecht empfundenen „Schmach und Schande“ des Versailler Vertrags, nach Wirtschaftskrise und Inflation Deutschland nun endlich wieder zu Unabhängigkeit, Respekt und Wohlstand führen würde.94 In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich bewusst zu machen, dass ein Großteil der Punkte, welche die Nazis in ihren Reden und Parteiprogrammen verkündeten (z. B. „traditionelle Werte“ im Bereich Familie und Kultur, gekündigten Veranstaltungen lässt sich vermuten, dass die Zahl ihrer Anhänger zumindest in Berlin nicht unbeträchtlich war. 93 Am 30. Januar 1933 war Hitler Reichskanzler geworden. Nach dem Reichstagsbrand vom 27. Februar wurde am 24. März 1933 durch das Ermächtigungsgesetz die Gewaltenteilung der Weimarer Republik aufgehoben und so der Weg zur nationalsozialistischen Diktatur und zur unumschränkten Herrschaft des „Führers“ geöffnet. 94 Vgl. Canham, The Monitor, 288–289; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 3–5; King, Women and Spirituality, 30–32; Interview der Verfasserin mit Finkenstaedt vom 1. August 2005. Dies wurde auch von manchen ausländischen Beobachtern so gesehen. Vgl. hierzu z. B. den Kommentar von Richard J. Davis, Mitglied des Vortragsrates, der im April und Mai 1933 durch Deutschland reiste. Er meinte in Bezug auf Kritik an den Nazis: „Nazi teaching thinks only in terms of Germany. As I study it, I believe this whole movement has developed because the rest of the world has by its attitude made Germany feel she was set apart, alone, a kind of mistreated stepchild of the family of nations.“ Davis, Brief an die Mutterkirche vom 12. April 1933 (UKD), zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 4.
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Durchsetzung von „Zucht und Ordnung“, Revision des Versailler Vertrags, Kampf gegen den Sozialismus, Wiederbewaffnung, Nationalismus und völkisches Bewusstsein), am Ende der Weimarer Zeit durchaus dem Denken und den Wünschen weiter Teile der deutschen Bevölkerung entsprach.95 Besonders innerhalb des Bürgertums und des Großkapitals erhielten derartige Positionen aktive Unterstützung, nicht zuletzt, da die Industrie sich durch Hitlers Pläne große Gewinne versprach. Den meisten Deutschen wurde erst viel zu spät (wenn überhaupt) bewusst, in welch perfider Weise die Nationalsozialisten traditionelle deutsche Werte bzw. das deutsche Selbstverständnis pervertiert hatten.96 Auch die Kirchen standen dem neuen Regime in Deutschland keineswegs konsequent ablehnend gegenüber. Selbst der offene Judenhass der Nazis schien die meisten Christen in Deutschland lange Zeit kaum zu stören, zumal ein gewisser Antisemitismus innerhalb des Christentums vor dem Zweiten Weltkrieg keineswegs unüblich war.97 Ein Teil der protestantischen Kirchen, die deutsch-national eingestellt waren, begrüßten den Plan der Nazis, alle evangelischen Denominationen im Land zu vereinigen, und schlossen sich als „Deutsche Christen“ unter der Leitung des von Hitler eingesetzten Reichsbischofs Ludwig Müller zu einer 95 Dem christlichen Bürgertum sagte z. B. zu, dass die Nazis sich für den besonderen Schutz von Ehe und Familie aussprachen, Homosexualität, Verhütung und Abtreibung (zumindest für arische Paare) verboten und die Größe des deutschen Volkes sowie seine besondere Bedeutung für die menschliche Heilsgeschichte betonten. Vgl. King, Women and Spirituality, 4–6; Canham, The Monitor, 288. 96 Canham meinte, 1933 seien die Deutschen aufgrund der vorherigen Entwicklung „reif für den Führer“ gewesen: „With this background of defeat and national humiliation the Germans went into the frustrating decade of the 1920s. Among the Christian Scientists there, who were predominantly of the solid and respectable middle class, many suffered […] very severe economic difficulties, Bolshevism was in fact beating at their doors […]. In their view, Jews in Germany had benefited greatly during the years of inflation, and other Jews had been moving steadily into Germany from Eastern Europe. They had a passionate longing to see their national pride and discipline restored. Many of these aspirations were honorable and noble.“ Canham, The Monitor, 288. Zu einer genaueren Analyse der Situation vgl. die letzten Kapitel von Lambsdorff, Die Weimarer Republik; Mönch, Weimar; Peukert, Weimarer Republik; Bucheim u.a., Zwischenkriegszeit; Fest, Hitler; Neebe, Großindustrie, Staat und NSDAP; Pool, Hitlers Wegbereiter; Turner, Hitlers Weg zur Macht. 97 Der Antisemitismus der etablierten Kirchen, insbesondere derjenige der Katholischen Kirche, richtete sich allerdings im Unterschied zu dem der Nationalsozialisten in eher abstrakter Weise gegen das jüdische Volk insgesamt (als das Volk der „Verräter und Mörder Christi“), d. h. nicht gegen individuelle Juden. Christlicher Antisemitismus zielte somit nicht auf eine tatsächliche Bestrafung oder gar Vernichtung der jüdischen Mitbürger hin. Allerdings gab es, von individuellen Ausnahmen abgesehen, auch lange Zeit kaum Proteste der etablierten Kirchen gegen die Judenverfolgung im Dritten Reich. Vgl. hierzu Hochgeschwender, Katholizismus und Antisemitismus; Smid, Protestantismus und Judentum.
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neuen „Reichskirche“ zusammen. Zwar gab es innerhalb des deutschen Protestantismus auch Gegenpositionen (zum Beispiel den „Pfarrernotbund“ oder später die „Bekennende Kirche“) und einzelne Theologen, die sich mutig der menschenverachtenden Ideologie des Nationalsozialismus entgegenstellten (z. B. Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer), aber diese hatten keine Mehrheit der evangelischen Christen hinter sich.98 Auch der Katholischen Kirche lag nach der negativen Erfahrung des Kulturkampfes mit Bismarck viel daran, eine friedliche Koexistenz mit den neuen Machthabern zu erreichen, die sich zumindest anfangs ebenfalls um gute Beziehungen zum Vatikan bemühten.99 So kam es am 20. Juli 1933 zum Abschluss des Reichskonkordats zwischen Hitlerdeutschland und dem Heiligen Stuhl.100 Hitler hielt sich zwar später oft nicht an dessen Bestimmungen, aber selbst angesichts der zunehmenden Verfolgung katholischer Priester im Dritten Reich (die den Papst 1937 zu der Enzyklika „Mit brennender Sorge“ bewegte) kam es nie zu einem offenen Widerstand der Katholischen Kirche gegen das Regime, auch
98 Der im September 1933 gegründete Pfarrernotbund war ein Zusammenschluss deutscher evangelischer Theologen, Pastoren und kirchlicher Amtsträger, die vergeblich versuchten, die Durchsetzung des Arierparagraphen in der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) zu verhindern. Aus ihm ging 1934 die von den Nazis verbotene Bekennende Kirche hervor. Sie setzte den Kampf gegen Reichsbischof Müller und die Deutschen Christen fort, die seit April 1933 versuchten, die evangelischen Kirchen in eine von der nationalsozialistischen Ideologie beherrschte „Reichskirche“ ohne Christen jüdischer Herkunft umzuformen. Hierzu und auch zur Rolle Niemöllers und Bonhoeffers vgl. Smid, Protestantismus und Judentum; Prolingheuer, Kirchengeschichte; Niemöller, Pfarrernotbund; Ackermann, Schopenhauer; Bethge, Bonhoeffer; Schreiber, Niemöller. 99 Hitler wollte sowohl die protestantische als auch die katholische Kirche nur vorübergehend benutzen und sie nach dem „Endsieg“ dauerhaft entmachten oder ggf. vernichten. Allerdings traten er selbst und Goebbels – im Gegensatz zu Himmler – nie offiziell aus der Katholischen Kirche aus. Vgl. King, Women and Spirituality, 7–8. Zu Hitlers Avancen gegenüber der Katholischen Kirche s. auch die von der NSDAP 1933 publizierte Broschüre Pircheneggers, „Hitler und die Katholische Kirche“. Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die Deutsche Bischofskonferenz ihren 1932 verabschiedeten „Unvereinbarkeitsbeschluss“, welcher Katholiken verbot, in die NSDAP einzutreten, unmittelbar nach der Machtergreifung Hitlers für „überholt“ erklärte, d. h. ihn außer Kraft setzte. 100 Dieser seit Jahren vorbereitete Vertrag zwischen der deutschen Regierung und dem Heiligen Stuhl regelte die diplomatischen Beziehungen der beiden, gewährte Katholiken Religionsfreiheit und garantierte den Bestand ihrer Organisationen im Reich. Außerdem sicherte er der Katholischen Kirche eine Reihe von Privilegien (z. B. Erhebung von Kirchensteuern, Religionsunterricht an Schulen und Anspruch auf eigene Lehrstühle an Universitäten). Auf der anderen Seite verbot das Konkordat Priestern jede Einmischung in die Politik und trug somit zum Niedergang der Zentrumspartei bei. Gemäß einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts von 1957 besitzt das Konkordat von 1933 heute noch Rechtsgültigkeit. Vgl. Volk, Das Reichskonkordat; Gruber, Katholische Kirche und Nationalsozialismus.
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wenn es – wie bei den Protestanten – einige couragierte Einzelkämpfer gab (z. B. Bernhard Lichtenberg und Clemens August Kardinal von Galen).101 Trotz zunehmender Konflikte gab es also keinen offiziellen Bruch zwischen den großen christlichen Kirchen und der deutschen Regierung zwischen 1933 und 1945. Mit Ausnahme der Zeugen Jehovas stellte sich auch keine der bekannten religiösen Sondergemeinschaften des Dritten Reiches von Anfang an gegen das Regime. Im Gegenteil, im Interesse des eigenen Überlebens versuchten die meisten von ihnen, sich mit den Nationalsozialisten im Guten zu arrangieren. Manche, zum Beispiel die Neuapostolische Kirche, schlossen sich sogar voller Enthusiasmus der nationalsozialistischen Bewegung an.102 Vor diesem Hintergrund ist die ambivalente und anfangs sehr kooperationsbereite Haltung der Kirche Christi, Wissenschaftler zu verstehen, die diese gegenüber der Hitler-Regierung einnahm. Dabei unterschieden sich die Grundwerte von Christian Science von denen des Nationalsozialismus in mancher Hinsicht noch deutlicher als die der anderen genannten Religionsgemeinschaften. Denn abgesehen von allgemein christlichen Werten, vor allem dem Gebot der Nächstenliebe, finden sich in der Lehre Mary Baker Eddys die klare Verurteilung jeder Art von Rassismus, ein ausgeprägter Pazifismus und der Wunsch nach einer alle Grenzen überschreitenden Weltgemeinschaft der Gläubigen.103 Das nationalsozialistische Gedankengut, vor allem dessen rassisch-völkischer, sakral überhöhter Nationalismus, Judenhass und die aggressive Expansionspolitik standen darum in diametralem Gegensatz zu Christian Science. Zudem ließ sich die anti-materialistische, anti-kultische und nach „Vergeistigung“ strebende Haltung der Christlichen Wissenschaftler kaum mit dem betonten Materialismus, den ritualisierenden Formen des Führerkults und der inhärent anti-intellektuellen Ausrichtung des Nationalsozialismus vereinbaren.104 101 Zur Katholischen Kirche und den Katholiken im Dritten Reich sowie zur Haltung von Papst Pius XII. vgl. Gruber, Katholische Kirche und Nationalsozialismus; Senniger, Katholische Kirche und Nationalsozialismus; Kapitel II, „NS-Diktatur und Zweiter Weltkrieg“ in Hummel, Katholizismusforschung, 57–111. Zu Kardinal von Galen und Lichtenberg vgl. z. B. Rahner, Kardinal von Galen; Feldmann, Bernhard Lichtenberg. 102 Vgl. das Kapitel „Sharing the Nazi Triumph: The New Apostolic Church“ in King, Women and Spirituality, 121–145. Auch die Mormonen betonten die „parallel goals“ zwischen ihrer Religion und der Ideologie des Nationalsozialismus. Vgl. King, Women and Spirituality, 59–87. Kings Studie bietet eine übersichtliche Gesamtanalyse der Situation religiöser Sondergemeinschaften im Dritten Reich. 103 Vgl. z. B. Science and Health; John, Lebenseinstellung; Reimer, Metaphysisches Heilen. Andere Glaubensgemeinschaften, z. B. die Neuapostolen, aber auch die Mormonen, fanden dagegen einige Verbindungen zwischen ihren Lehren und denen des Nationalsozialismus. Vgl. hierzu King, Women and Spirituality, 95–87 und 121–145. 104 Zur diesbezüglichen Kritik von Nationalsozialisten an CS, insbesondere an deren Pazifismus, der Befürwortung einer „Weltgemeinschaft“ und deren angeblicher Freund-
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Auf der anderen Seite waren Christliche Wissenschaftler ja durch Mary Baker Eddy dazu angehalten, stets die Gesetze ihres Landes zu befolgen, und da die Machtübernahme Hitler in den Augen der meisten durchaus legitim erfolgt war, fühlten sie sich dazu verpflichtet, die Anordnungen seiner Regierung zu akzeptieren. Außerdem hofften viele – durch ihren Glauben angeregt, grundsätzlich immer das Gute zu sehen und dafür zu beten –, dass sich das neue Regime als gar nicht so übel herausstellen würde, bzw. verließen sich darauf, dass letztendlich ohnehin nur Gottes Wahrheit bestehen würde.105 Angesichts der schwierigen Situation ihres Vaterlandes (vor allem der Angst vor dem Kommunismus) begrüßte zudem ein großer Teil der deutschen Christlichen Wissenschaftler trotz der Gegensätze zwischen Christian Science und der Ideologie des Nationalsozialismus Hitlers Machtübernahme als positives Ereignis. So schrieb ein hochangesehener deutscher Praktiker und Lehrer der Christlichen Wissenschaft am 18. März 1933 in einem Brief an das Direktorium der Mutterkirche: What we have been going through these last weeks was a revolution. It was so splendidly organized that it was a bloodless revolution. Let us hope, that it will bring a new era of cleanliness, order, God-fearing, and work for the workless. What would have become of Europe, if Germany had come under Bolshevism? It needed a strong hand to prevent this catastrophe. And Hitler seemed to have it.106
Es gab auch Kirchenmitglieder, die sich als überzeugte Nazis entpuppten und die rassistische, deutsch-nationale Ideologie der NSDAP konsequent mittrugen.107 So zum Beispiel Carl Wilhelm Seitz, der in seinem Buch Offenbarung der Gotteskraft: Wunder Uralter Überlieferung behauptete, sowohl Jesus als auch Mary Baker Eddy seien Musterbeispiele arischer Führungsnaturen gewesen und Christian Science wäre aus einem alt-arischen religiösen Erbe gewachsen, welches „arisches Denken“ mit „nordischer Wissenschaft“ verbinde und gewiss keinerlei Gemeinsamkeiten mit dem Judentum habe.108
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schaft zu den Juden vgl. z. B. Dupow, Christliche Wissenschaft; Hasselbacher, Christian Science; Meynig, Christliche Wissenschaft, 19–26. So schrieb der deutsche Christliche Wissenschaftler Edgar A. Welti kurz nach der Machtübernahme Hitlers an die Direktoren in Boston: „Christian Science and National Socialism are two ideologies which are diametrically opposed to each other. A Christian Scientist can live and work under any form of government, and he can obey the laws of the country he is in. Moreover, he can prove the fact that there is actually only one government, that of God, good.“ Welti, „Present Possibilities of Healing the German Situation“ (UKD), zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 1. Zu positiven Reaktionen von Christlichen Wissenschaftlern in Amerika zur Machtübernahme Hitlers s. ebd., Kapitel 7 „The Jewish Connection“, 5–6. Zit. in Canham, The Monitor, 286. Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 1–2, sowie Kapitel 7, 5. Auch Dorothy von Moltke wies in ihren Briefen darauf hin, dass eine ganze Reihe Christlicher Wissenschaftler überzeugte Nazis waren. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland, 255–257. Seitz, Offenbarung der Gotteskraft, zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich,
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Hingewiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf Alfred Bode, der seit 1922 Mitglied der Mutterkirche war und von 1932 bis 1935 als Sonderbeauftragter der Christian Science Publishing Society in Deutschland arbeitete. Bodes Hauptaufgabe lag im Vertrieb der CS-Zeitschriften und anderer Literatur der CSPS sowie in der finanziellen Abwicklung dieser Transaktionen.109 Da die Nazis den religiösen Sondergemeinschaften das Einsammeln von Spendengeldern, den Verkauf von Literatur und die Überweisungen von Geldern ins Ausland schon kurz nach ihrer Machtübernahme weitgehend verboten hatten, brachte dies Bode in einen Loyalitätskonflikt. Während andere Mitarbeiter der CSPS in Deutschland Wege um das Verbot herum fanden und zumindest die zum Unterhalt der Gemeinden notwendigen Gelder an die jeweiligen Kirchen respektive an das KfV transferierten, weigerte Bode sich strikt, gegen Reichsgesetze zu verstoßen. Er drohte sogar damit, seine Kollegen bei der Gestapo anzuzeigen.110 Im August 1935, nachdem er selbst von der Gestapo verhört worden war, schrieb Bode einen Brief an die Mutterkirche, in der er diese beschuldigte, deutsche Bürger zum Gesetzesbruch anzuhalten. Ob er dies in Absprache mit der Gestapo tat, ist unklar, aber auf jeden Fall hatte er nun offen Position gegen die Kirchenleitung bezogen und wurde im Herbst von der CSPS seines Amtes enthoben.111 Im Dezember verfasste Bode daraufhin einen öffentlichen Rundbrief an alle Zweigkirchen in Deutschland, in dem er die oben genannten Vorwürfe wiederholte und zudem behauptete, zahlreiche führende Mitarbeiter der Mutterkirche seien entweder Juden oder Freimaurer. Im gleichen Tenor, aber noch polemischer, folgte ein Artikel, den Bode im Februar 1936 unter der Überschrift „Wer sitzt in der Bostoner Leitung der Christlichen Wissenschaft?“ in der Zeitschrift Der Judenkenner publizierte. Hier behauptete er, die von Juden und Freimaurern dominierte Mutterkirche versuche, durch den CS-Monitor die Welt gegen den Nationalsozialismus und gegen Deutschland aufzuKapitel 7, 3. Laut Follis kritisierte Eddy zwar einige Male das Judentum dafür, dass es Christus nicht akzeptiert habe, zollte jedoch den jüdischen Schriften des Alten Testaments (dessen Verwendung im Dritten Reich geächtet war) große Hochachtung und kritisierte Formen des Rassismus in ihren Schriften so eindeutig, dass es völlig irrational sei zu versuchen, eine Nähe von ihrer Lehre zum Nationalsozialismus zu konstruieren. Trotzdem gab es nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA eine Reihe von Christlichen Wissenschaftlern, die dies taten. Vgl. ebd., 1–6. 109 Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 1–2. 110 In mindestens einem Fall blieb es nicht bei der Drohung. Kirchendokumenten zufolge zeigte Bode z. B. später Herrn Ohlendorf, ein Mitglied der Braunschweiger Kirche, bei der Gestapo an. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 5. Zu den Verboten und anderen Einschränkungen, mit denen die Kirche zwischen 1933 und 1941 im Dritten Reich fertig werden musste, s. King, Women and Spirituality, 34–35; Beasley, Continuing Spirit, 237–239; CSPS, Wartime Activities, 6. 111 Vgl. Brief Bodes an das Direktorium der Mutterkirche vom 15. August 1935 (UKD, Bode File), zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 5, sowie ebd., 2–4.
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hetzen. Die Bostoner CS-Zentrale müsse darum endlich entlarvt werden als das, was sie sei, nämlich eine „Tarnorganisation“ der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung (eine These, die auch von anderen nationalsozialistischen Gegnern der Kirche Christi, Wissenschaftler mit Vorliebe propagiert wurde).112 Wenig später versandte er einen Rundbrief an alle Zweigkirchen in Deutschland mit der Aufforderung, sich von Boston loszusagen und sofort Delegierte für ein gemeinsames Treffen im Januar 1936 auszuwählen, um eine neue, rein arische, deutsch-nationale Christlich-wissenschaftliche Kirche zu gründen.113 Auch wenn es Bode letztendlich nicht gelang, dieses Vorhaben erfolgreich umzusetzen, so fügte seine ständige Agitation gegen die Mutterkirche und die aktive Zusammenarbeit mit den Nazis dieser doch einigen Schaden zu.114 So extreme Fälle des ideologischen Seitenwechsels wie bei Alfred Bode blieben innerhalb der Kirche die Ausnahme, allerdings traf dies auch für den 112 Vgl. Bode, „Weihnachtsbrief 1935“, zit. in Hasselbacher, Christian Science, 3; Bode, Bostoner Leitung, 5. Mary Baker Eddys erster Ehemann war ein Freimaurer gewesen, und sie hatte nach dessen frühem Tod gute Erfahrungen mit der Hilfsbereitschaft der Freimaurer gemacht. Vermutlich war es deshalb Christlichen Wissenschaftlern in der alten Fassung des Church Manuals erlaubt gewesen, Mitglied einer Loge zu sein, auch wenn ihnen sonst die Mitgliedschaft in „organizations which exclude either sex“ verboten war. Vgl. Church Manual of the First Church of Christ, Scientist, 1895, Artikel VIII, Absatz 15. In der neuen, heute noch gültigen Ausgabe des Church Manuals von 1910 entfiel jedoch diese Privilegierung der Freimaurer, und obwohl es damals tatsächlich eine Reihe von (ehemaligen) Juden und Freimaurern innerhalb der Kirche gab, so dominierten sie diese gewiss nicht. Wie alle guten Verschwörungstheorien enthielt die Theorie Bodes jedoch somit ein Körnchen Wahrheit, das vermutlich zu ihrem großen Erfolg unter den Nazis beitrug. Darauf wird später noch genauer eingegangen. 113 In seinem Brief spezifizierte Bode, dass an der Versammlung im Januar jeweils ein Repräsentant jeder deutschen Zweigkirche teilnehmen sollte. Dabei müsse selbstverständlich sein, „that the delegates in question are purely Aryan Germans, that they without reservation subscribe to the idea of the National Socialist government, and that in their attitude within the Christian Science movement they are independent of Boston.“ Undatiertes Schreiben von Bode (UKD, Bode File) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 4. 114 Neben der Rufschädigung versuchte Bode auch, der Kirche finanziell zu schaden: So hielt er z. B. bei einem Treffen der Braunschweiger Zweigkirche eine flammende Rede über die „Unchristlichkeit“ der Bostoner Direktoren und bewegte die offensichtlich von ihm eingeschüchterten Mitglieder dazu, ihre Beitragszahlungen an die Mutterkirche und an das KfV in Berlin einzustellen. Vgl. Brief von Anny Husch und Hedwig Rose vom 11. Juli 1936 an die Mutterkirche (UKD, Bode file) zit. in Follis, ebd., 5. Er selbst brüstete sich zudem damit, schon immer ein überzeugter Anhänger Hitlers gewesen zu sein: „The fact is that I have always openly espoused the cause of National Socialism, even before January 1933, and that I was and remain irreproachable in my loyalty to my people and Fatherland.“ Bode, zit. ebd. Aufgrund dieser Aussage spekuliert Follis, dass Bode vielleicht sogar von Anfang an ein Spion der Nazis gewesen sei; dies erscheint aufgrund der Faktenlage allerdings unwahrscheinlich.
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offenen Widerstand gegen das Naziregime zu, der – zumindest in der Vorkriegszeit – kaum existierte. Die Mehrzahl der Christlichen Wissenschaftler versuchte, sich so unpolitisch wie möglich zu verhalten, um potentielle Loyalitätskonflikte zwischen Mutterkirche und Vaterland von vorneherein zu vermeiden.115 Selbst diejenigen, die früh die Gefahr des Nationalsozialismus sowie dessen inhärenten Gegensatz zu ihrer eigenen Glaubensüberzeugung erkannt hatten und sich weder durch Druck noch durch Versprechungen von der Partei vereinnahmen ließen, hielten sich in der Öffentlichkeit mit kritischen Bemerkungen gegenüber dem neuen Regime zurück. Der langjährige Herausgeber des CS-Monitors Erwin Canham kommentierte in seinem Buch über die Geschichte der Zeitung diese Haltung folgendermaßen: There were other German Christian Scientists, of course, who saw clearly and with a heavy heart what was happening in their beloved country. They tried hard to avoid the impending tragedy. However, they were not political conspirators […]. They strove to maintain objectivity and detachment toward the political scene and to persuade their fellow Christian Scientists not to denounce „Boston“.116
Helmuth von Moltke und seine Frau Dorothy, beides wichtige Führungspersönlichkeiten der Kirche in Deutschland, zählten zu den entschiedenen Gegnern des Hitler-Regimes. Im Gegensatz zu vielen anderen war der Graf, der seit 1928 die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche in Deutschland leitete, allerdings nicht immer dazu bereit, seinen Widerwillen gegenüber dem Nationalsozialismus zu verbergen.117 So hatte er zum Beispiel bei einem Gottesdienst 115 Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3 und 4; King, Women and Spirituality, 30–38; Interview der Verfasserin mit Finkenstaedt vom 1. August 2005. 116 Canham, The Monitor, 289. Diese Zurückhaltung entsprach der offiziellen Linie der Mutterkirche, beruhte z.T. aber wohl auch auf Furcht vor dem einschüchternden Überwachungs- und Terrorsystem der Nazis. So schrieb Dorothy von Moltke beispielsweise bereits am 22. Juli 1933 in einem Brief an ihre Eltern in Südafrika: „Es gibt im Vaterland ein Gebet für ganz kleine Kinder, das lautet: ‚Lieber Gott, mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm‘. Die neueste Form für Erwachsene ist: ‚Lieber Gott, mach mich stumm, daß ich nicht ins Lager kumm‘.“ Moltke, Leben in Deutschland, 245. 117 Dorothy von Moltke war der Nationalsozialismus (v.a. dessen Judenhetze) zuwider, aber sie zeigte sich vor 1933 von Hitler als Person zuweilen durchaus fasziniert, z. B. von dessen Leidenschaft, seiner Zielstrebigkeit und seiner asketischen Lebensweise (Hitler trank keinen Alkohol und war Vegetarier). Vgl. Moltke, Leben in Deutschland, 222–223 und 255. In den folgenden Jahren erkannte sie ihn allerdings als gefährlichen Demagogen und warnte davor, dass er das Land in den Krieg führen würde. Vgl. ebd., XIII, 245–292. Die Kinder der von Moltkes hatten interessanterweise sehr verschiedene Einstellungen zum Hitler-Regime: Der Älteste, Helmuth James, verzichtete auf eine Karriere als Richter, da er nicht dazu bereit war, in die NSDAP einzutreten, und verlor später im aktiven Widerstand (Kreisauer Kreis) sein Leben. Der zweitälteste, Joachim Wolfgang, war der Politik gegenüber relativ indifferent, entschied sich aber zum Leidwesen seiner Eltern, der Karriere wegen in die SA einzutreten. Der drittälteste, Wilhelm Viggo, teilte die Abneigung seiner Eltern, wohingegen der jüngste, Carl Bernd, ein glühender Anhänger des „Führers“ war. Vgl. ebd., 184–187, 207–208, 218–231 und 258.
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einen Nazi dazu aufgefordert, sein Parteiabzeichen in der Kirche abzulegen, und eine offizielle Einladung der Partei, im Rahmen einer NSDAP-Veranstaltung zum Erntedankfest eine Rede zu halten, mit der Begründung abgelehnt, „die Landwirtschaft habe keine Ursache, der Regierung des Dritten Reiches dankbar zu sein.“118 Doch diese kritische Haltung von Moltkes führte ihn in den Konflikt mit anderen führenden Christlichen Wissenschaftlern in Deutschland und war wohl der Hauptgrund dafür, dass er Mitte Oktober 1933 plötzlich aus dem Amt des Komitees für Veröffentlichungen entlassen wurde. Für ihn und seine Familie kam diese Entscheidung völlig unerwartet und stellte eine gravierende Kränkung dar, zumal man von Moltke kurz vorher in Boston noch das Angebot gemacht hatte, ihn für weitere zehn Jahre im Amt zu bestätigen. Dagegen hatte jedoch die den Nazis sehr nahestehende Leitung der einflussreichen Hamburger Zweigkirche interveniert (bzw., laut Dorothy von Moltke, „intrigiert“). Unterstützt wurden die Hamburger hierbei offenbar von zwei Mitgliedern des CS-Vortragsrates, die 1933 durch Deutschland reisten. Beide, Richard J. Davis und Hermann Hering, teilten Boston mit, es sei dringend erforderlich, in Deutschland jemanden als KfV zu ernennen, der „mehr Fühlung zur Regierung“ hätte.119 Da die Kirchenleitung in Boston unbedingt der Ansicht war, man sollte so weit wie irgend möglich versuchen, mit der neuen nationalsozialistischen Regierung zusammen zu arbeiten, entschied sie aufgrund dieser Berichte, ihre vorherige Zusage an Moltke zu widerrufen und diesen durch jemanden zu ersetzen, der ihnen geeigneter schien, durch diplomatisches Verhandeln und Kooperation mit den Nazis, die Interessen der Kirche zu fördern. So wurde General a.D. August Kündinger zum neuen KfV für Deutschland ernannt.120 118 Zit. in Hasselbacher, Christian Science, 2. Vgl. hierzu auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 3. 119 In einem Brief an die Mutterkirche bezeichnete Davis z. B. von Moltke bereits als „utterly incompetent and incapable of handling such a vital situation“. Allerdings führt er hier nicht nur dessen Widerwillen gegenüber, sondern auch dessen angebliche Angst vor den Nazis als Argument ins Feld. Auch wurde von Moltke mangelnde Kommunikationsbereitschaft mit Vertretern der Mutterkirche vorgeworfen. Davis, Brief an die Mutterkirche vom 14. April 1933 (UKD) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 3–4. Zur Darstellung der Ereignisse s. auch ebd., 2–5; Dorothy von Moltkes Briefe an ihre Eltern vom 30. Oktober und 5. November 1933, Moltke, Leben in Deutschland, XIV, 255–257. Da Dorothy von Moltke schon im Juni 1935 (vermutlich an einem Hirntumor) und Helmuth von Moltke im März 1939 starb, weiß man nicht, ob die beiden sich – wie ihr ältester Sohn – während des Zweiten Weltkrieges dem aktiven Widerstand gegen Hitler angeschlossen hätten. In jedem Fall aber blieben sie Zeit ihres Lebens erbitterte Gegner des Nationalsozialismus. Vgl. Moltke, Leben in Deutschland; Friedrich, From Bismarck to Hitler. 120 Kündinger, ein Schüler von Ulla Oldenbourg, war im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger weder Praktiker noch Lehrer der Christlichen Wissenschaft, dafür verfügte er
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Das vorsichtig taktierende Verhalten der Mutterkirche gegenüber dem deutschen Regime beruhte nicht etwa auf Sympathie für Hitler oder verständnisvoller Toleranz seiner nationalsozialistischen Zukunftsvisionen (die es bei einigen anderen religiösen Sondergemeinschaften in Deutschland, zum Beispiel der Neuapostolischen Kirche oder den Mormonen, durchaus gab), sondern auf dem pragmatischen Ansatz, soweit wie irgend möglich deutschen Christlichen Wissenschaftlern zu helfen und den Fortbestand der Zweigkirchen im Dritten Reich zu sichern.121 Dass Hitler ein potentiell gefährlicher Faschist war, der eine Diktatur nach dem Vorbild Mussolinis anstrebte, hatte zumindest ein Teil der Kirchenleitung schon in den frühen zwanziger Jahren erkannt. So publizierte der CS-Monitor bereits am 3. Oktober 1923, d. h. eine Woche vor Hitlers Putsch in München, eins der ersten öffentlichen Interviews mit dem „Austrian paperhanger“, samt einem Kommentar, in welchem der „brutal character of his political ideas“, die Parallelen derselben zum italienischen Faschismus und die von vielen unterschätzte „potential armed strength“ seiner Anhänger kritisch dargestellt wurden.122 Den Direktoren, die sich mit den Inhalten von Hitlers Ideologie auseinandergesetzt hatten, dürfte der unüberbrückbare Widerspruch zu den Lehren Mary Baker Eddys zweifellos klar gewesen sein. Trotzdem fühlten auch sie sich an das Gebot der Gesetzestreue gebunden, und dies bedeutete aus ihrer Sicht zunächst einmal, dass Christliche Wissenschaftler sowohl in Boston als auch in Europa die neue deutsche Regierung anerkennen und deren Entscheidungen akzeptieren mussten. Diese ambivalente Haltung der Bostoner Zentrale gegenüber den Nationalsozialisten entsprach nicht zuletzt auch der offiziellen amerikanischen Regierungspolitik der 1930er Jahre. Die Aufmerksamkeit der Roosevelt-Administration galt in dieser Zeit vor allem der Durchsetzung des New Deals zur Überwindung der Depression. Aus europäischen Konflikten wollte man sich heraushalten, und gerade zwischen 1933 und 1938 dominierten isolationistische und pazifistische Strömungen das gesellschaftliche Meinungsbild. Bis 1937 verabschiedete der amerikanische Kongress vier Neutralitätsgesetze, und Präsident Roosevelt gratulierte dem englischen Premier Chamberlain nach dem Münchner Abkommen von 1938 sogar ausdrücklich zu dessen auf den Erhalt des Friedens abzielenden Appeasement-Politik gegenüber Hitler.
jedoch über einen hohen militärischen Rang und politische Neutralität. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5. 121 Zu der zumindest teilweise Nazi-freundlichen Haltung der Neuapostolen und Weißenbergs vgl. King, Women and Spirituality, 59–87 und 121–145. Auch Weißenberg, dessen Kirche von den Nazis verboten wurde, versuchte zumindest eine Zeitlang, sich bei Hitler anzubiedern, und bezeichnete sich selbst als „guten Nationalsozialisten“. Vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 169. 122 Canham, The Monitor, 228–229 und 291.
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Erst nach dem Fall der Tschechoslowakei und Albaniens sollte sich ab Ende 1939 diese Haltung langsam ändern.123 Darüber hinaus wurde die anfängliche Kooperationsbereitschaft der Bostoner Kirchenleitung gegenüber der Hitler-Regierung durch die Bedenken der Direktoren bestimmt, dass ihre deutschen Zweigkirchen den allem Ausländischen gegenüber extrem misstrauischen Nazis besonders suspekt sein würden. Deshalb hielten sie es für ratsam, der Gefahr eines gesetzlichen Verbotes durch das Hitler-Regime von Anfang an aktiv entgegen zu steuern.124 Auch wenn es hierzu keinen offiziellen Beschluss des Direktoriums gab (jedenfalls liegen darüber keine Quellen vor), so lässt sich die Vorgehensweise der Mutterkirche gegenüber Nazi-Deutschland von 1933 bis 1940, die zum Ziel hatte, ihre eigenen und die Interessen ihrer Mitglieder im Dritten Reich zu schützen, vielleicht am besten als eine Art „Dreifachstrategie des Appeasement“ beschreiben. Der erste Teil dieser Strategie lag, wie bereits erläutert, darin, Kirchenmitglieder in Deutschland, insbesondere solche, die offizielle Funktionen bei den Zweigkirchen oder der CSPS hatten, zu einer „unpolitischen“ und grundsätzlich kooperationsbereiten Haltung gegenüber dem Hitler-Regime zu bewegen. Selbst kleine Gesten der Opposition wurden als nicht zulässige Fehler betrachtet, und um diese zu vermeiden, schickte die Mutterkirche Mitglieder des Vortragsrates nach Deutschland, die autorisiert waren, ggf. „unvernünftige“ Mitglieder oder Zweigkirchen zur Ordnung zu rufen. So berichtete Richard Davis den Direktoren von seiner Reise im Mai 1933: Although there are many Scientists who are adherents of Hitler, the church is regarded with great suspicion by the new government. The Scientists in some places have made 123 Bei einer Umfrage des Gallup-Instituts von 1937 gaben siebzig Prozent der Amerikaner an, der Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg sei ein Fehler gewesen, und 94 Prozent waren der Ansicht, die Politik der Regierung sollte darauf abzielen, die USA aus jedem Krieg herauszuhalten. Eine große Friedensbewegung der American Student Union warb mit dem slogan „scholarship not battleships“, und während die meisten Amerikaner zwar nicht begeistert von den anti-demokratischen Maßnahmen der Nazi-Regierung waren, schätzen sie diese jedoch als Bollwerk gegen den Kommunismus. Selbst nach Hitlers Überfall auf Polen lehnten im September 1939 noch 84 Prozent der US-Bürger einen Einsatz amerikanischer Streitkräfte gegen Deutschland ab. Vgl. Heideking / Mauch, Geschichte der USA, 264–271; Junker, Die USA und das Dritte Reich; Dallek, Franklin D. Roosevelt and American Foreign Policy; Dubofsky / Burwood, American Foreign Policy in the 1930s. 124 Vgl. King, Women and Spirituality, 31–36; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3 und 4. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass eine Mitarbeiterin von Marie Schön, Catharina Schroeder, kurz nach Hitlers Machtergreifung einen Brief an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung schickte, um diesem den großen Unterschied zwischen der von Boston geleiteten (und darum potentiell subversiven) Kirche Christi, Wissenschaftler und der von Schön gegründeten loyalen „Deutschen Vereinigung Christlicher Wissenschafter“ zu erläutern. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 4.
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Christian Science in Deutschland, 1914–1945 some serious blunders which I tried to correct as quickly as possible. Some churches were refusing to let members of the Nazi party join the church […], [others] made little children take off Nazi buttons or flags which they were wearing to church or Sunday School.125
Auch die Entlassung Helmuth von Moltkes als KfV ist als Maßnahme im Rahmen dieser Appeasement-Strategie zu verstehen. Sein Nachfolger Kündinger war zwar selbst kein Nationalsozialist, bemühte sich aber doch wesentlich engagierter als Moltke um eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem NS-Regime.126 Der zweite Teil dieser Strategie lag in der relativ verhaltenen Berichterstattung des CS-Monitors über die Situation in Deutschland und den dort herrschenden Nazi-Terror während der 1930er Jahre.127 In seiner Darstellung der Monitor-Geschichte versucht dessen ehemaliger Herausgeber Canham verständlicherweise, ein gegenteiliges Bild zu zeichnen. So betont er mehrfach, dass der Monitor trotz einer Flut von Briefen Christlicher Wissenschaftler aus Deutschland sowie aus anderen Ländern, die sie beschworen, keine Kritik an Hitler zu üben, niemals derartigen Forderungen gefolgt sei. Zwar habe man diese nazi-freundlichen Kommentare als Leserbriefe abgedruckt und natürlich versucht, jede unnötige Provokation in der Berichterstattung zu vermeiden, aber insgesamt habe die Zeitung immer eine klare, ausgesprochen kritische Position gegenüber den Nationalsozialisten vertreten.128 Diese Behauptung trifft jedoch insbesondere für die ersten Jahre der Nazi-Diktatur kaum zu. Lange Zeit wurde die Brutalität des Nazi-Terrors gegenüber Minderheiten, insbesondere den Juden, im Monitor kaum erwähnt oder heruntergespielt. In einem Leitartikel vom 4. April 1933, in dem über 125 Davis, Brief an die Mutterkirche vom 15. Mai 1933 (UKD) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 4, vgl. auch ebd., 4–5. 126 Zu Kündingers Tätigkeit als KfV s. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5–8. Kurz erwähnt sei an dieser Stelle, dass die Kirche Hitler ein Exemplar von Eddys Lehrbuch Science and Health für seine persönliche Bibliothek schenkte. Vgl. ebd., 6. 127 Zwar sind der hohe journalistische Standard des Monitors und dessen parteipolitische Unabhängigkeit beachtlich, doch dessen Herausgeber sind dem Vorstand der Christian Science Publishing Society und diese wiederum dem Direktorium der Mutterkirche unterstellt. Somit spiegeln die Leitartikel des Monitors auch immer zu einem gewissen Grad die offizielle Haltung der Mutterkirche zu bestimmten Fragen wider. 128 „That the paper was able to maintain a clear vision and a real independence from the earliest impact of this flood of appeals to the last is a noteworthy achievement. The paper continuously saw National Socialism as dictatorship with heavy overtones of racial and religious hatred and nationalistic aggression.“ Canham, The Monitor, 289, vgl. auch 289–293. Konkrete Beispiele für die „outspoken fortitude“ des Monitors gegenüber den Nazis gibt Canham allerdings nicht. In Nazizeitschriften finden sich zwar ab Herbst 1935 ebenfalls Vorwürfe, der Monitor äußere Kritik an den Deutschen, aber auch diese bleiben unspezifisch. Vgl. z. B. Bode, Bostoner Leitung; Dupow, Christliche Wissenschaft; Hasselbacher, Christian Science.
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Diskriminierung von Juden und den Boykott jüdischer Geschäfte berichtet wird, impliziert der Autor beispielsweise, dass die Juden durch ihre Geldgier und den wirtschaftlichen Druck, den die internationale jüdische Gemeinschaft auf Deutschland ausübte, im Grunde selbst an ihrem Unglück Schuld wären.129 Diese These sowie weitere, zumindest leicht antisemitische, Kommentare finden sich auch in anderen Beiträgen des Monitors in dieser Zeit, obwohl die Zeitung selbst einige ehemals jüdische Mitarbeiter hatte, darunter auch den Berlin-Korrespondenten Charles Gratke.130 Als dieser bei einer Nazi-Versammlung im März 1933 als „Rassejude“ erkannt und wegen seines angeblich „flegelhaften und provokatorischen“ Verhaltens von den Nazis brutal zusammengeschlagen wurde, fanden sich zwar hämische Berichte hierüber in der Nazi-Presse, der Monitor erwähnte den Vorfall jedoch mit keinem Wort.131 Stattdessen berichtete die Zeitung ausführlich – und offenbar häufiger als andere amerikanische Blätter – über den wirtschaftlichen und technischen Fortschritt Deutschlands. Noch 1936 beschrieb eine mehrteilige Serie des Monitors über das „Leben in Deutschland“ dieses keineswegs als negativ, sondern als „normal and serene“, und wenig später sprach die Zeitung sich explizit gegen eine Erhöhung der amerikanischen Quoten für jüdische Flüchtlinge aus Deutschland aus.132 Erst gegen Ende der 1930er Jahre veränderte sich die Haltung des Monitors hin zu einer offeneren Kritik an Hitler, die sich allerdings zunächst nur auf dessen aggressiven Expansionismus konzentrierte (beispielsweise kritisierte die Zeitung das Münchner Abkommen von 1938 als Fehler und sagte voraus, dass dieses Hitlers Imperialismus keinen Einhalt gebieten würde).133 Diese Haltung wurde mit dem Kriegsausbruch 1939 noch deutlicher. 1940 129 Vgl. die Analyse dieses Artikels in Lipstadt, The American Press and the Holocaust, 44–45; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5 „A Monitor of World Events“, 3. 130 Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 1–3 und 6; Lipstadt, The American Press and the Holocaust, 35–46. 131 Vgl. Hasselbacher, Christian Science, 2; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 1. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass die Mutterkirche offenbar stets bemüht war, den Nazi-Vorwurf zu entkräften, dass ihre Leitung von Juden und Freimaurern dominiert sei. So fühlte sie sich genötigt, im Januar 1936 in einem offenen, vom KfV in ganz Deutschland verbreiteten Brief zwei Dinge klar zu stellen: Erstens gäbe es zwar in ihren Reihen tatsächlich einige Freimaurer, aber diese gehörten amerikanischen Logen an, und im Gegensatz zum europäischen Freimaurertum sei das amerikanische gänzlich unpolitisch. Zweitens sei die Kirche keineswegs von Juden dominiert: „Unter den mehr als 1400 Angestellten der Mutterkirche und der ihr angeschlossenen Einrichtungen befindet sich nur ein einziger Jude“. Schreiben der Mutterkirche vom 17. Januar 1936, zit. in Hasselbacher, Christian Science, 3–4. 132 Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 1 und 4–5; Lipstadt, The American Press and the Holocaust, 35. 133 Vgl. Canham, The Monitor, 293; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 5.
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gehörte der Monitor zu den entschiedensten Befürwortern des Kriegseintritts der USA, und während der 1940er Jahre zählte die Zeitung zu den ersten, die Berichte über die sogenannte „Endlösung“ der Judenfrage brachten. Jetzt zögerten Monitor-Journalisten auch nicht mehr, den Rassismus und andere Verbrechen der Nazis auf das Schärfste zu verurteilen.134 Trotzdem ist kaum zu leugnen, dass der Monitor sich bis zum Ende der 1930er Jahre in auffallender Weise mit direkter Kritik gegenüber der deutschen Regierung zurückhielt. Sicherlich war die hinter dieser Zurückhaltung stehende Intention der Mutterkirche, die gefährdeten Zweigkirchen in Deutschland und deren Mitglieder zu schützen. Heute zweifeln allerdings manche Christlichen Wissenschaftler, ob die damalige Haltung der Mutterkirche gerechtfertigt war. So meint Elaine Follis am Ende ihrer Überlegungen zur Monitor-Berichterstattung: In sum, was the silence of Christian Scientists – who could have spoken to the world with a loud voice, both early and later in the history of the Nazi regime, but did not do so – tantamount, not to private advocacy of good, but public acquiescence with evil?135
Die Beantwortung dieser Frage fällt allerdings heute sicherlich leichter als zu Beginn der 1930er Jahre; denn damals waren der zerstörerische Größenwahn Hitlers und die unmenschlichen Gräueltaten seines Regimes noch keine historischen Tatsachen. Wie so viele andere Beobachter der damaligen Zeit unterschätzte die Leitung der Mutterkirche offensichtlich jahrelang das Ausmaß der „braunen Gefahr“ und glaubte, man könnte durch Verhandlungen mit dem Regime am ehesten positiv auf die Situation einwirken. Immer wieder ließen sich die Abgesandten der Mutterkirche von den kultivierten Manieren und der Freundlichkeit der mit ihnen verhandelnden Nationalsozialisten davon überzeugen, dass es doch auch „anständige Nazis“ gäbe, mit denen sich eine konstruktive Zusammenarbeit lohnen würde.136 Den Monitor hierbei indirekt als Druckmittel einzusetzen, war eine Strategie, die zumindest bis Ende der 1930er Jahre einen gewissen Erfolg zu haben schien. Jedenfalls gibt es Belege dafür, dass einige deutsche Regierungsmitglieder, insbesondere Außenminister Joachim von Ribbentrop, viel Wert auf eine positive oder zumindest neutrale Berichterstattung über Deutschland im Monitor legten und sich darum für Toleranz des Regimes gegenüber den Christlichen Wissenschaftlern einsetzten.137 134 Vgl. Canham, The Monitor, 295; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 5–6. 135 Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 6. 136 Vgl. hierzu z. B. die Beschreibung eines Treffens zwischen dem Judge Clifford P. Smith, dem Sonderbeauftragten der Mutterkirche, und William Breymann, dem europäischen Repräsentanten der CSPS, mit verschiedenen nationalsozialistischen Regierungsmitgliedern im September 1935 in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 5–6. 137 Vgl. King, Women and Spirituality, 37–43. Follis meint hierzu: „Joachim von Ribben-
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An dieser Stelle, nämlich an dem bis zum Ende der 1930er Jahre klaren Interesse des Nazi-Regimes, sich im Ausland, insbesondere in England und den USA, nicht zu unbeliebt zu machen, setzte auch der dritte Teil der Christian Science Appeasement-Strategie an. Diese bestand darin, dass die Kirche in Krisenzeiten ganz bewusst ihre einflussreichen internationalen Kontakte einsetzte, um die Interessen der deutschen Zweigkirchen zu fördern und deren Mitglieder zu schützen. Als beispielsweise Mitte September 1933 in Thüringen die nationalsozialistischen Behörden ein Verbot der Christlichen Wissenschaft erließen, die Kirchen geschlossen und deren Eigentum konfisziert wurde, bat die Mutterkirche Lord Waldorf Astor, ein einflussreiches Mitglied des britischen Oberhauses, um Hilfe.138 Astor gehörte, wie seine Frau, Lady Nancy Astor, und sein enger Freund Philip Kerr, Marquess of Lothian, zu den engagiertesten Mitgliedern der Kirche Christi, Wissenschaftler in England. Außerdem war er dafür bekannt, dass er – zumindest bis zur Mitte der 1930er Jahre – eine Entspannungspolitik gegenüber Deutschland befürwortete.139 Lord Astor reiste daraufhin sofort persönlich nach Berlin, wo er zunächst gemeinsam mit John S. Braithwaite, dem Vorsitzenden der CSPS in Europa, und Charles Tennant, dem Koordinator der britischen und irischen Committees on Publication, mit dem amerikanischen Generalkonsul George S. Messersmith und dem amerikanischen Botschafter William Dodd zusammentraf, trop viewed the influence of the Christian Science Monitor on world opinion as one reason to appease, at least for a time, the desire of German Christian Scientists to conduct services, sponsor public lectures, and obtain literature published in the United States“. Christian Science and the Third Reich, Kapitel 5, 1. Ribbentrop, der lange in England und Kanada gelebt hatte und fließend Englisch sprach, trug durch seine diplomatischen Kontakte maßgeblich zu Hitlers Erfolg bei. Vor seiner Ernennung zum Außenminister (1938) fungierte er als „Außerordentlicher und Bevollmächtigter Botschafter des Deutschen Reiches“ und war von 1936 bis 1938 deutscher Botschafter in Großbritannien. Vgl. Browning, The Final Solution; Döscher, SS und Auswärtiges Amt. 138 Sofort nach Bekanntwerden des Verbots setzte sich auch Helmuth von Moltke mit dem amerikanischen Botschafter und anderen Regierungsstellen in Kontakt. Er reagierte offenbar auch leicht indigniert darüber, dass die Mutterkirche zusätzliche Hilfe von auswärts für nötig hielt. Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 5–6. 139 Lord Lothian schrieb regelmäßig Artikel für den CS-Monitor. An den informellen politischen Treffen auf Astors Landsitz Cliveden nahmen oft hohe Regierungsmitglieder und ausländische Gesandte teil. Kritiker unterstellten Astor und dem sogenannten „Cliveden Set“, die Appeasement-Politik gegenüber Hitler befürwortet zu haben. Dies traf jedoch zumindest gegen Ende der 1930er Jahre nicht mehr zu, als Astor Hitlers Judenpolitik öffentlich angriff und die Wahl Churchills unterstützte. Vgl. Cape, Exclusive Fraternity; Canham, The Monitor, 291–294. Der ehemalige CS-Monitor-Herausgeber Canham sagte hierzu: „Speaking as one who was in touch with both these men over a considerable period of years, I can affirm that neither Lord Astor nor Lord Lothian was ever bemused by pro-Nazi sentiments or false appeasements.“ Canham, The Monitor, 293.
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um diesen die Situation zu erklären und ihre Unterstützung für die Kirche zu sichern. Danach folgten intensive Verhandlungen mit dem damaligen Reichsinnenminister Wilhelm Frick und schließlich ein persönliches 45-minütiges Gespräch zwischen Astor und Hitler.140 Hierbei versicherte Astor sowohl Frick als auch Hitler, dass die Christliche Wissenschaft eine gänzlich unpolitische Religionsgemeinschaft sei und keinesfalls marxistische Propaganda betreiben würde. Im Gegenzug widerrief das Reichsinnenministerium am 6. Oktober 1933 offiziell die Entscheidung der Thüringer Behörden, ordnete die sofortige Wiedereröffnung der christlich-wissenschaftlichen Kirchen an und garantierte deren Mitgliedern die freie Ausübung ihrer Religion, solange sie sich weiterhin aller reichsfeindlichen politischen Aktivitäten enthalten würden.141 Auch in den nächsten Jahren intervenierten Lord Astor und Lord Lothian noch einige Male, um gegen geplante oder von regionalen Behörden angeordnete Einschränkungen von Christian Science im Deutschen Reich zu protestieren.142 Am 4. Mai 1937 traf sich zum Beispiel Lord Lothian, der 1939 zum britischen Botschafter für Amerika ernannt wurde, zu einem persönlichen Gespräch mit Hitler, um gegen zunehmende Repressalien gegen die Kirche (insbesondere in Bayern) zu protestieren. Er erinnerte den Führer daran, dass solche Maßnahmen gegen das im Oktober 1933 geschlossene Abkommen der Kirche mit der nationalsozialistischen Regierung verstießen, und versicherte ihm erneut, dass die Mutterkirche – allen gegenteiligen Gerüchten zum Trotz – eine rein religiöse, unpolitische Organisation sei und in keiner Weise gegen die Nationalsozialisten intrigiere.143 Kurz darauf fand ein 140 Vgl. King, Women and Spirituality, 33–35; Canham, The Monitor, 291; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 6. 141 Vgl. King, Women and Spirituality, 33–34; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 6. S. auch den folgenden Auszug aus einem Schreiben von Astor, Braithwaite und Tennant an Innenminister Frick vom 28. September 1933: „We also wish to thank your Excellency for the guarantee given regarding the future independence of the Christian Science movement throughout the Reich, namely that‚ so long as Christian Science churches remain within their religious framework there are no grounds for interference on the part of the state.‘ In other words that so long as they do not indulge in marxist propaganda such organizations will be allowed to continue in the free practice of their religious tenets.“ (UKD) zit. in Follis ebd.; vgl. auch Canham, The Monitor, 291. Canham betont hier übrigens, dass in dem Abkommen zwischen Astor und Frick keine Absprachen hinsichtlich der Monitor Berichterstattung getroffen wurden: „There was no mention of the Monitor, the absolute freedom of which could not be compromised.“ Da es keine Protokolle der Gespräche gibt, kann diese Behauptung allerdings weder belegt noch widerlegt werden. 142 Vgl. hierzu Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 6; King, Women and Spirituality, 42. In Bayern und einigen anderen Gebieten wurden CS-Praktiker z. B. seit 1935 polizeilich überwacht, und 1937 war die Ausübung von CS von einigen Gauleitern ganz verboten worden. Hierauf wird gleich noch näher eingegangen. 143 Vgl. Lothian, Brief an Kündinger vom 5. Mai 1937 (UKD) zit. in Follis, Christian Sci-
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weiteres Gespräch Lord Astors mit Hitler statt, und Lothian traf sich mit Göring. Daraufhin zeigte sich Hitler offenbar zum Einlenken bereit, versprach, für ein Ende der Repressalien zu sorgen, und ließ ein entsprechendes Schreiben an den Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, Hanns Kerrl, senden.144 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Hitlers Außenminister Joachim von Ribbentrop, der vorher deutscher Botschafter in London gewesen war, Lord Astor und Lord Lothian sowie andere hochrangige Christliche Wissenschaftler in England (auch einige aus den USA) persönlich kannte und deren politischen Einfluss als zu hoch einschätzte, als dass sich die Nazis eine Brüskierung der Kirche hätten leisten können. Da es bis zum Ende der 1930er Jahre sein vorrangiges Bestreben war, dem Dritten Reich die Unterstützung Großbritanniens (gegen Frankreich) und die Neutralität der USA zu sichern, bemühte er sich, solche Brüskierungen zu vermeiden, und sprach sich wiederholt gegen ein Verbot der Christlichen Wissenschaft aus.145 Trotz Bestrebungen anderer Regierungsmitglieder, insbesondere die des SS-Führers Heinrich Himmler, auf die gleich noch eingegangen wird, gelang es Ribbentrop offensichtlich, Hitler und Frick bis zum Kriegsbeginn davon zu überzeugen, dass es vorteilhaft für das Reich wäre, die Existenz der Christlichen Wissenschaft weiter zu tolerieren. So weist auch ein Schreiben von ence and the Third Reich, Kapitel 6, 6. Vgl. auch King, Women and Spirituality, 36 und 258, Fußnote 25. 144 Vgl. Lothian, Brief an Kündinger vom 5. Mai 1937 (UKD), zit in Follis ebd. Einem Bericht der ehemaligen Seal-Schülerin Emma Leplow zufolge (die von 1907 bis 1913 KfV gewesen war), verkündete Reichskirchenminister Kerrl wenig später bei einer öffentlichen Veranstaltung, dass die Reichsregierung die Christliche Wissenschaft „als eine Religion der Liebe“ ansehe und sie „hoch respektiere“. Leplow zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 6. Ein offensichtlich sehr erleichterter Kündinger kommentierte diese erfolgreichen Verhandlungen mit den Nazis mit folgenden Worten: „I can see in the unfoldment of this affair the finger of God, and have experienced anew that ‚all things work together for good to them that love God‘.“ Brief Kündingers an August Norwood, Manager der KfVs in Boston, vom Mai 1937 (UKD) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 6. 145 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang, dass auch die englische Königinmutter („Queen Mum“) die Lehre Eddys offenbar schätzte und mehrfach CS-Gottesdienste in London besuchte. Vgl. hierzu Interview mit Trapp vom 25. Juli 2006. Nach der Schließung von CS-Kirchen in Thüringen und dem Gespräch Astors mit Hitler schickte Ribbentrop im Oktober 1933 einen Brief an die Mutterkirche in Boston und an das Außenministerium in Washington, D.C., in dem sich die Reichsführung offiziell für das vorschnelle Vorgehen der Thüringischen Behörden entschuldigte. Vgl. Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 13; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 7: „Ribbentrop continued to restrain Himmler’s repressive tendencies, reasoning that maintaining the freedom of the Christian Science Movement in Germany was one of the key elements in winning the support of Great Britain and not antagonizing the United States.“ Zur Außenpolitik Ribbentrops s. auch Browning, The Final Solution; Döscher, SS und Auswärtiges Amt.
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Himmlers Protegé Reinhardt Heydrich (seit 1939 Leiter des Reichssicherheitshauptamtes) an alle Reichsleiter und Gauleiter im August 1941 darauf hin, dass ein Verbot dieser „Sekte“ schon früher von der Partei beabsichtigt gewesen war, aber aufgrund außenpolitischer Prioritäten erst jetzt erfolgen konnte: Die Außenpolitik hat bislang ein Verbot der Christlichen Wissenschaft verhindert. Zu einer Zeit, als es dem Reich wichtig war, freundliche außenpolitische Beziehungen mit England zu pflegen, mußte diese Angelegenheit aufgeschoben werden, da führende politische Persönlichkeiten dieser Sekte angehörten; Lord Halifax, Lord Lothian und die Astors, die Besitzer von Times und Observer.146
Auch in den kommenden Jahren gelang es der Kirche immer wieder, durch die aktive Nutzung ihrer einflussreichen internationalen Verbindungen die Situation für Christliche Wissenschaftler positiv zu beeinflussen.147 Abschließend lässt sich somit festhalten, dass die Appeasement-Strategie der Mutterkirche acht Jahre lang relativ erfolgreich war, auch wenn die moralische Anfechtbarkeit dieser Haltung bis heute innerhalb der Kirche diskutiert wird.148 Bis zum Sommer 1941 gelang es der Kirche, die Freiheit der Christlichen Wissenschaftler und die Ausübung von Christian Science im Dritten Reich weitgehend zu schützen.149 Es mag nahe liegen, ein solches Verhalten 146 Schreiben Heydrichs vom 11. August 1941, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichsstatthalter 619, zit. in King, Women and Spirituality, 42. Vgl. hierzu auch King, Women and Spirituality, 41–43; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 3, 7. 147 Als 1935 ein Verbot gegen den Verkauf englischsprachiger Literatur und gegen Auslandsüberweisungen erging, gelang es z. B. dem Sondergesandten der Kirche, Judge Clifford Smith, durch Verhandlungen mit dem Reichsinnenministerium einige Ausnahmeregeln für Christliche Wissenschaftler zu erwirken. So durften Publikationen, die „als Geschenk“ aus Boston kamen, von deutschen Zweigkirchen zu ihrem eigenen Unterhalt verkauft werden, Mitgliedsbeiträge für die Mutterkirche konnten auf ein hierfür eingerichtetes Konto bei der Deutschen Bank und Diskonto-Gesellschaft in Berlin eingezahlt werden, die alle drei Monate einen Teil des Geldes nach Boston weitertransferierte. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 5–6; King, Women and Spirituality, 33–36. 148 Vgl. hierzu Follis’ Kommentar: „Was the effort worth it? Were these […] efforts to gain concessions from government policies and officials of the Third Reich really in accordance with a theology which demands unswerving and complete reliance on Truth? Does trust in God allow for manipulation of the political process, or does it instill the importance of transcending reliance on any merely human means of redress? Clues are to be found in biblical tradition. Not by negotiation or concession to Pharaoh did Moses free the Children of Israel from bondage in Egypt. No skilled rhetorical advocacy or friends in the court spared Christ Jesus the ,exalting ordeal‘ of crucifixion through which he arrived at the triumphal morn of Eastern Day. This issue, particularly poignant for Christian Scientists, has relevance then and now for all persons of conscience and faith.“ Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 8. 149 Der CS-Kirchenhistoriker William Stillman sagte hierzu, „In 1939 Christian Science was the only foreign religion, or for that matter the only foreign organization, that was operating freely in Germany“. Zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich,
Die Verfolgung Christlicher Wissenschaftler durch das Nazi-Regime
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als „Pakt mit dem Teufel“ zu bezeichnen. Doch nach Ansicht der Verfasserin wäre dieser Vorwurf nicht ganz gerechtfertigt, zumal es im Gegensatz zu manchen anderen Gruppen (wie beispielsweise der Neuapostolischen Kirche oder den Mormonen) nie zu einer inhaltlichen oder praktischen „Anpassung“ von Christian Science an die nationalsozialistische Ideologie kam.150 In dem Maße, in dem die Mutterkirche das „teuflische“ Ausmaß des Nazi-Terrors erkannte, distanzierte sie sich vom deutschen Regime. Dieses schleichende Ende der Appeasement-Strategie spiegelt sich auch in der Berichterstattung des CS-Monitors, der ab 1938 immer offenere und schärfere Kritik an Hitler übte.151 In jedem Fall brachen die letzten Versuche zur Kooperation mit Ausbruch des Krieges ab, und mit dem Ende diplomatischer Rücksichtnahmen der Nationalsozialisten zerbrach wenig später auch dieses „Schutzschild“ der Christlichen Wissenschaftler in Deutschland. Es folgten fünf Jahre des Verbots und der Verfolgung. III.4. „NOT SINCE THE CATACOMBS“: DIE VERFOLGUNG CHRISTLICHER WISSENSCHAFTLER DURCH DAS NAZI-REGIME Books were burned by the Nazis, and books were buried for safekeeping as Christian Scientists in Europe tasted the kind of persecution long ago loosed against […] their undying fellow Christians. Not since followers of Christ Jesus went underground in the catacombs of ancient Rome had so corrosive an attack struck at the heart of Christianity. Nazi philosophers correctly judged that Christian Science in its reinstatement of primi-
Kapitel 3, 7. Andere ausländische religiöse Sondergemeinschaften, z. B. die Zeugen Jehovas oder die Adventisten, wurden wesentlich früher und härter verfolgt als die Christlichen Wissenschaftler. Es gab allerdings eine Ausnahme: Die Mormonen wurden im Dritten Reich noch weniger belästigt als die Anhänger von CS. Dies lag jedoch an deren Bereitschaft zur ideologischen Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten. So betonten Kirchenführer der Mormonen in Deutschland die enge Verbindung ihrer Lehre zum Nationalsozialismus, verbannten das Alte Testament aus ihren Gottesdiensten und schlossen schon früh Mitglieder jüdischer Abstammung aus ihren Gemeinden aus. Vgl. hierzu Kings Kapitel über die Church of Jesus Christ of the Latter-Day Saints: „A Conjunction of World Views“, 59–87. 150 Sowohl die großen etablierten Kirchen als auch die kleineren religiösen Sondergemeinschaften in Deutschland hatten alle – mit Ausnahme der Zeugen Jehovas – zumindest in der ersten Hälfte der 1930er Jahre mit dem Nazi-Regime kooperiert (man denke nur an das Konkordat oder an Reichsbischof Müller). Vgl. hierzu auch King, Women and Spirituality, insbesondere 147–179 und 193–206. Wie das Follis-Manuskript und Gespräche mit Christlichen Wissenschaftlern zeigen, besteht innerhalb der Kirche heute durchaus die Bereitschaft zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der eigenen Vergangenheit im Dritten Reich. Allerdings wurde bislang noch keine offizielle Stellungnahme hierzu publiziert. 151 Vgl. King, Women and Spirituality, 50–51.
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Christian Science in Deutschland, 1914–1945 tive Christianity stood spiritually at the polar opposite of Naziism, with its gross materiality. Hence the unsuccessful effort to crush Christian Science in Germany and occupied territories.152
Mit diesen emphatischen Worten beginnt das 15. Kapitel „Europe: Not Since the Catacombs“ des von der Mutterkirche 1947 publizierten Berichtes über den Einsatz und die Erfahrungen Christlicher Wissenschaftler während des Zweiten Weltkrieges. Die über 400 Seiten lange Story of Christian Science Wartime Activities ist allerdings – genau wie Seals Wundertaten der Wahrheit – eher als ein Glaubenszeugnis als ein exakter historischer Tatsachenbericht zu verstehen. So erklären sich auch topische Überhöhungen wie der zweifellos stark übertriebene Vergleich der Verfolgung der eigenen Mitglieder im Dritten Reich mit der Christenverfolgung im römischen Reich.153 Zwar war die Zahl der „modern Christian martyrs“, die während des Nazi-Terrors für Christian Science ihr Leben opferten, wohl kaum so hoch, wie dieser Text impliziert.154 Aber auf der anderen Seite kann kein Zweifel darüber bestehen, dass alle Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler im Dritten Reich ab Mitte der 1930er Jahre unter zunehmenden Druck gerieten und sich nach dem Verbot ihrer Gemeinschaft 1941 der Verfolgung durch Polizei und Gestapo ausgesetzt sahen.155 Es war allerdings angesichts des großen Argwohns, den die Nationalsozialisten der Christian Science Gemeinschaft entgegenbrachten, ohnehin erstaunlich – und vermutlich vor allem der oben genannten Appeasement-Strategie sowie der internationalen Vernetzung der Kirche zu verdanken –, dass 152 CSPS, Wartime Activities, 249. 153 Ein Vergleich, der nicht nur wesentlich blutigere Christenverfolgungen früherer Jahrhunderte außer acht lässt, sondern auch die Tatsache, dass es im Dritten Reich eine Reihe anderer christlicher (bzw. sich selbst als christlich sehende) Sondergemeinschaften gab, die von der Gestapo wesentlich früher und gnadenloser verfolgt wurden als die international gut vernetzte Christliche Wissenschaft, z. B. die Quäker, die Zeugen Jehovas, die adventistische „Kirche des Reiches Gottes“ und die Anhänger der „Weißenberg-Kirche“. Vgl. hierzu King, Women and Spirituality, 147–179, 215–223 und 231–237. 154 „The Nazis sought to destroy the [CS] movement, root and branch […]. Some refused to bend, and became modern Christian martyrs.“ CSPS, Wartime Activities, 251. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass trotz der dramatischen Überschrift von Kapitel 15 weniger als zehn von insgesamt 426 Seiten dieses Berichtes der tatsächlichen Verfolgung Christlicher Wissenschaftler im Dritten Reich gewidmet sind, vgl. ebd., 249–257 (der Rest von Kapitel 15 befasst sich mit den meist vergeblichen Versuchen der Nazis, CS auch in den eroberten Gebieten zu unterdrücken, vgl. ebd., 257– 280). Dies könnte man als Indiz dafür sehen, dass es vielleicht doch nur relativ wenig Zeugnisse über Fälle von aktivem „CS-Märtyrertum“ in Deutschland gab (so nimmt z. B. die Beschreibung der erfolgreichen Inbetriebnahme einer mobilen CS-Kantine in England während des Krieges mehr Raum in Anspruch. Vgl. Kapitel 6 „Chusetts: Comfort on Wheels“, ebd., 74–84). 155 Vgl. ebd, 249–257; King, Women and Spirituality, 36- 49.
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Christliche Wissenschaftler bis zum Kriegsbeginn weitgehend von Terror und Verfolgung verschont geblieben waren. Denn neben der grundsätzlich negativen Einstellung der meisten Nazis – allen voran Hitler, Goebbels, Himmler und Bormann – gegenüber christlichen Kirchen bzw. Organisationen, deren Glauben sie – zu Recht – als nicht-konform mit der Ideologie des Nationalsozialismus ansahen, gab es im Fall der Kirche Christi, Wissenschaftler noch drei andere Gründe, warum den Nazis diese Gemeinschaft besonders zuwider war bzw. gefährlich erschien.156 Der erste, schon aus der Wilhelminischen Zeit bekannte Grund war die Tatsache, dass es sich bei Christian Science um eine „amerikanische Sekte“ handelte, die von Boston aus zentralistisch kontrolliert wurde. Insofern standen die deutschen Mitglieder immer unter dem latenten Verdacht, ihre Loyalität zu dieser „ausländischen“ Kirche könnte im Konfliktfall doch größer sein als die zum deutschen Vaterland. Dazu kam, dass die Mutterkirche ihre immer zahlreicher werdenden deutschen Zweigkirchen jeden Monat mit größtenteils englischsprachiger Literatur belieferte, regelmäßig Vortragende ins Reich sandte und von ihren Anhängern jährliche Mitgliedsbeiträge einnahm. Auf diese Weise konnten, aus Sicht der Nazis, unerwünschte Informationen ins Reich eingeschleust werden, und zudem floss deutsches Geld in die USA. Beiden Punkten maß die Hitler-Regierung offenbar große Bedeutung zu; denn als 1935 der Reichssicherheitsdienst (SD) in einem Bericht auf „subversive Tendenzen“ innerhalb der Kirche aufmerksam machte, reagierte sie als Erstes mit einem generellen Verbot des Verkaufs von fremdsprachiger Literatur, des Einsammelns von Spendengeldern und der Überweisung von Zahlungen für religiöse Vorträge oder von Kirchenmitgliedsbeiträgen ins Ausland.157 Auch der zweite Grund für die Aversion der Nazis gegen Eddys Kirche war kein neuer, sondern die seit Jahren bekannte These, dass die christlichwissenschaftliche Heilmethode nur auf Suggestion beruhe, d. h. bei „wirklichen“ organischen Krankheiten völlig unwirksam und deshalb potentiell lebensgefährlich sei. Wie in der Weimarer Republik, so hatte es auch seit 156 Zur Einstellung Hitlers und anderer Nazi-Größen gegenüber der christlichen Religion und ihren Versuchen, die Kirchen im Reich „gleichzuschalten“ bzw. deren Einfluss zu minimieren und Widerständler zu vernichten, vgl. King, Women and Spirituality, 7–27. Goebbels sagte z. B. über die Einstellung Hitlers gegenüber der Katholischen Kirche, momentan müsse man diese zwar noch tolerieren, aber nach dem Krieg bzw. dem Endsieg würde der Führer mit den Katholiken abrechnen. Zit. ebd., 15. 157 Vgl. King, Women and Spirituality, 34–36; Boberach, Berichte des SD, 78; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 4, 3. Nur nach zähen Verhandlungen gelang es der Kirche schließlich, einige Ausnahmeregelungen von diesem Verbot zu erwirken. Im folgenden Jahr wurde auch die bis dahin erlaubte Lektüre von CS-Texten in Gefängnissen verboten. Vgl. Erlass des Reichsjustizministers vom 5. November 1936, Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Dokumente des Reichsjustizministeriums, 4561 / 111 s1 1072 zit. in King, Women and Spirituality, 35.
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Machtübernahme der Nazis einige Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit Christian Science gegeben. Besonders der Fall von Helene Schminke, die am 24. September 1935 von der Großen Strafkammer des Reichsgerichts in Rostock wegen fahrlässiger Tötung der 17-jährigen Diabetikerin Hilda Roloff zu neun Monaten Gefängnis verurteilt wurde, erregte große Aufmerksamkeit.158 So wurde während der zweiten Hälfte der 1930er Jahre in nationalsozialistischen Zeitschriften unter Verweis auf solche Todesfälle immer häufiger davor gewarnt, dass die Christliche Wissenschaft eine schlimme Gefahr für die „Volksgesundheit“ sei, und es wurden entsprechende Gegenmaßnahmen gefordert. Einige Gauleiter ließen daraufhin CS-Praktiker polizeilich überwachen (in Bayern war das schon ab 1935 der Fall).159 Ihr Misstrauen sahen sie durch einen offiziellen Bericht der Reichsärztekammer vom März 1937 verstärkt, welcher Christian Science als potentielle Ursache einer Seuchenausbreitung anprangerte, die das ganze deutsche Volk vernichten könnte. Die Ärztekammer behauptete, Christliche Wissenschaftler würden auch gefährliche, hochansteckende Krankheiten nicht den Behörden melden (eine unzutreffende Unterstellung, denn dies hätte einen Verstoß gegen deutsche Gesetze bedeutet). Insgesamt kam die Kammer zu dem Schluss, dass die Kirche Christi, Wissenschaftler als eine gefährliche, gut organisierte und nur am eigenen Profit interessierte Verschwörung gegen die Volksgesundheit anzusehen sei. Auch sie forderte darum ein sofortiges Verbot der „Sekte“.160 Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die Nationalsozialisten durchaus bestimmte Formen der alternativen Heilmethoden, insbesondere die „naturgemäße, völkische Heilkunst“ akzeptierten und diese sogar als Ergänzung zur „wissenschaftlichen Medizin“ für förderungswürdig hielten (worüber die Reichsärztekammer keineswegs erfreut war). Gleichzeitig lehnten sie eine rein-geistige Heilmethode wie Christian Science, die sich zudem nicht etwa auf die Stärke des menschlichen Willens (das wäre vielleicht noch akzeptabel gewesen), sondern allein auf Jesus Christus bzw. auf die allmächtige Kraft Gottes berief, entschieden ab.161 158 Vgl. Anhang E; Aus den Rostocker Gerichtssälen: Fahrlässige Tötung. Zur Öffentlichkeitswirksamkeit des Schminke-Falles vgl. auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5 und Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 18. 159 Vgl. z. B. Dupow, Christliche Wissenschaft; Hasselbacher, Christian Science; King, Women and Spirituality, 36. 160 Bericht der Reichsärztekammer vom März 1937 (UKD) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5. Zum erbitterten Kampf der Reichsärztekammer auch gegen andere Gemeinschaften, die alternative Heilmethoden anwandten (z. B. die Weißenberg-Kirche), wobei es den Schulmedizinern offenbar nicht nur um die „Volksgesundheit“, sondern auch um ihre eigenen finanziellen Interessen ging, vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 112–113. 161 Linse weist explizit darauf hin, dass es unter dem Nationalsozialismus zu einer gewissen Aufwertung der sogenannten „natürlichen“ Heilmethoden kam. So wurde schon im
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Dies kommt besonders eindrucksvoll in Wilfried Meynigs 1938 publiziertem Buch Christliche Wissenschaft zum Ausdruck, in welchem der Autor, offensichtlich ein glühender Nazi, kein gutes Haar an der Lehre Mary Baker Eddys lässt.162 So schildert er in seinem Kapitel „Die Praxis: ‚Gesundbeten‘ mit Todesfolge“ mit genüsslicher Abscheu die „entsetzlichen ‚Erfolge‘“ von Christian Science anhand von mehreren Beispielen von CS-Patienten, die einen langsamen, qualvollen Tod starben. Um die Glaubwürdigkeit seiner Aussagen zu stärken, fügt er in einem Anhang sogar zwei Gerichtsurteile gegen Kirchenmitglieder bei, die wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden.163 Meynigs Fazit lautete, dass diese amerikanische Irrlehre „eine Volksgefahr und Lebensgefahr für den Einzelnen“ darstelle, deren umgehendes Verbot darum nur befürwortet werden könne.164 Die Gefahr für das Volk sah Meynig allerdings nicht unter gesundheitlichen Aspekten, sondern auch unter ideologischen, womit der dritte und wohl wichtigste Grund für die Aversion der Nazis gegen die Kirche Christi, Wissenschaftler angesprochen wäre. Die inhärente Unvereinbarkeit der Lehre Mary Baker Eddys mit der Ideologie des Nationalsozialismus ist bereits erwähnt worden. In der Regel führten die Nazis diese Differenzen allerdings nicht auf die christlichen Elemente von Christian Science zurück (die einzige Ausnahme hierzu bildet der extrem religionsfeindliche Meynig),165 sondern auf deren angeblich jüdische, freimaurerische bzw. kommunistische Prägung. Viele NSDAP-Mitglieder – darunter auch führende Nazis wie Bormann, Himmler und Heydrich – waren offenbar fest davon überzeugt oder hielten es zumindest für wahrscheinlich, dass die Kirche Christi, Wissenschaftler Teil einer internationalen, von Juden und Freimaurern gesteuerten Verschwörung gegen das Dritte Reich sei. In
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Sommer 1933 der neue „Heilpraktikerbund Deutschland“ als die von der Reichsregierung offiziell anerkannte Einheitsorganisation der „Naturheiler“ gegründet. Vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 180. Beachtenswert ist hier auch das Selbstverständnis einiger Naturheiler. So hatte der Kneipparzt Wilhelm Spengler 1936 die „Neue deutsche Heilkunde“ als „Wächterin über Blut und Boden“ charakterisiert, sie sei „deutsch, herb, heldisch, billig und wirksam, Religion und Kunst zugleich“. Zur Rolle Spenglers u.a. Naturheiler in der NS-Zeit, vgl. Kapitel 9 „Neue Deutsche Heilkunde“ in Heyll, Naturheilkunde in Deutschland; Krabbe, Lebensform-Bewegung, 431–461. Vgl. Meynig, Christliche Wissenschaft. Wie bereits erwähnt (s. Kapitel 1) gesteht Meynig zwar CS zu, eine christliche Lehre zu sein, aber aus seiner Sicht sind alle Religionen nur „finsterer Aberglaube“ bzw. eine „schädliche, die wissenschaftliche Erkenntnis hemmende Volksverdummung“. Er bezeichnet das Christentum sogar als „Haupthemmnis der menschlichen Weiterentwicklung“. Meynig, Christliche Wissenschaft, 5–8. Vgl. Meynig, Christliche Wissenschaft, 30–36 und 38–50. Warum Meynig hierbei auf Prozesse aus der Zeit von 1915 / 16 und 1925 / 26 (den Berliner Szientistenprozess und den Lübecker Fall) zurückgreift, statt neuere Gerichtsurteile zu zitieren (z. B. die Verurteilung von Helene Schminke), ist unklar. Vielleicht war der öffentliche Zugang zu derartigen Gerichtsunterlagen seit der Machtergreifung Hitlers eingeschränkt. Meynig, Christliche Wissenschaft, 37. Vgl. Meynig, Christliche Wissenschaft, 5–8 und 37.
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jedem Fall häuften sich derartige Vorwürfe gegen Christian Science, seit der erste größere Artikel zu diesem Thema im September 1935 in der populären Nazi-Zeitschrift Der Judenkenner erschienen war.166 Mit größter Eindringlichkeit hatte der Autor dieser Schmähschrift, Otto Dupow, vor dem heimlich verbreiteten „jüdischen Gedankengut“ der Christlichen Wissenschaft gewarnt, das den deutschen Geist „verseuche“ und die Deutschen unfähig mache, „den Kampf des Führers gegen die Weltmacht Juda“ zu unterstützen.167 Hierbei berief Dupow sich auf vier von ihm untersuchte Ausgaben des CS-Herold, die seiner Ansicht nach eindeutige Belege für die jüdisch-freimaurerische, anti-deutsche Haltung der Kirche lieferten. Nicht nur äußere man sich im Herold häufig lobend über Juden (z. B. Moses) oder zitiere diese sogar (z. B. Heinrich Heine), sondern man trete offen für „eine Bruderkette zwischen allen Völkern der Erde“ ein, sehe die Konzepte von Rasse und Nation als Produkte des „sterblichen Gemütes“, die es zu überwinden gelte, äußere sich skeptisch gegenüber dem Patriotismus und betone immer wieder, dass die „Bande der Bruderschaft, welche die Christlichen Wissenschaftler zu Weltbürgern“ mache und ihnen „das ganze Erdenrund zur Heimat“ gebe, sie auch dazu verpflichte, durch Christian Science zum Weltfrieden beizutragen.168 Solch „widerliches“, „egalitäres“, „kosmopolitisches und pazifistisches“ Gedankengut stand, wie Dupow richtig erkannte, im diametralen Gegensatz zur nationalsozialistischen Ideologie und deren Verständnis von „Blut und Ehre“.169 166 Vgl. z. B. Dupow, Christliche Wissenschaft; Bode, Bostoner Leitung; Hasselbacher, Christian Science; Meynig, Christliche Wissenschaft; Boberach, Berichte des SD, 261– 278; King, Women and Spirituality, 36–42, v.a. die hier zit. Artikel aus dem Völkischen Beobachter von 1938 sowie das Schreiben Heydrichs „An alle Reichsleiter und Gauleiter“ vom 11. August 1941 (Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Reichsstatthalter 619). 167 Dupow, Christliche Wissenschaft, 3. Dupow gibt hier diverse aus dem Kontext gegriffene Zitate aus dem CS-Herold Nr. 4 von 1908, Nr. 5 von 1914, Nr. 7 von 1914 und Nr. 8 von 1914 an, ohne Seitenzahlen zu nennen. 168 Besonderen Anstoß nimmt Dupow z. B. an dem im CS-Herold von 1908 abgedruckten Heine-Zitat „Alle Menschen gleichgeboren sind ein adelig Geschlecht“, da dies in direktem Gegensatz zu dem von den Nazis propagierten „Herrenmenschendenken“ steht. Dass Dupow ausschließlich Ausgaben des CS-Herold aus der Zeit unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg wählt und den hier zum Ausdruck gebrachten Pazifismus der Kirche angreift, ist insofern interessant, als in den frühen 1930er Jahren offenbar keine vergleichbar dezidiert pazifistischen Äußerungen im CS-Herold oder CS-Journal zu finden waren. 169 Dupow, Christliche Wissenschaft, 3. An dieser Stelle sei angemerkt, dass Mary Baker Eddy den Krieg als solchen mehrfach als etwas Böses, Barbarisches und Teuflisches verurteilt hat, es jedoch unklar ist, ob sie auch im Hinblick auf die Konfrontation mit dem Nationalsozialismus eine pazifistische Haltung beibehalten hätte. In jedem Fall tat die Kirchenleitung nach Eddys Tod dies weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg. Vgl. hierzu Fraser, God’s Perfect Child, 198–199. Die Entscheidung zur aktiven Teilnahme am Kriegsdienst ist CS-Mitgliedern stets freigestellt gewesen, und wie erwähnt
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Dass Begriffe wie „egalitär“, „pazifistisch“ und „kosmopolitisch“ in der nationalsozialistischen Sprachpolitik als Schimpfwörter verwendet wurden, zeigt deren Anknüpfen an die bereits erwähnten anti-liberalen und anti-universalistischen deutsch-nationalen Traditionen, die ihren ersten Höhepunkt im wilhelminischen Obrigkeitsstaat, v.a. in den Ideen von 1914, erlebt hatten. Auch wenn damals das Konzept einer überlegenen deutschen Kultur und Volksgemeinschaft noch nicht von völkisch-rassischen und antisemitischen Kriterien bestimmt war, so diente es den Nationalsozialisten als Ausgangsbasis für die Entwicklung ihrer Ideale von Führerkult und Volksgemeinschaft, deren Selbstverständnis als überlegene „Herrenrasse“ sich nicht zuletzt durch die Ausgrenzung, Verfolgung und Unterwerfung aller „minderwertigen Anderen“ zu bestätigen suchte.170 So wurde die Kirche Christi, Wissenschaftler von den Nazis nicht nur wegen ihrer Verortung in dem von ihnen verabscheuten egalitär-liberalen westlichen Wertekanon verurteilt, sondern auch wegen ihrer angeblichen Zugehörigkeit zur jüdischen Weltverschwörung. Für Kritiker wie Dupow war klar, dass Christian Science seit Jahren gezielt auf eine „Zersetzung des deutschen Nationalstolzes und eine Schwächung des deutschen Kampfgeistes“ hinwirkte: Die Christliche Wissenschaft ist ein getarntes Glied der Judäomaurerei. Sie macht Deutsche zu Weltbürgern und durch die Ausschaltung des Verstandes (Gesundbeterei, Suggestion) zu denkunfähigen Hörigen des Weltjudentums. Da die Christlichen Wissenschaftler allein in Hamburg Tausende zählen, bildet diese Lehre eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Volksgemeinschaft […]. [Christliche Wissenschaft] ist unvereinbar mit den volks- und rassegebundenen Grundsätzen der NSDAP. Zum Schutz von Volk und Staat […] ist ein sofortiges Verbot zu befürworten.171
Dass ein langjähriges Kirchenmitglied wie Alfred Bode, wie erläutert, die These von den „jüdisch-freimaurerischen Hintermännern“ von Christian Science ebenfalls bestätigte, war Wasser auf den Mühlen der Nationalsozialisten. Allerdings griff Bode im Gegensatz zu Dupow die Christliche Wissenschaft selbst nicht direkt an, sondern erklärte, die „jüdisch-freimaurerischen Machthaber“ der Mutterkirche hätten die Lehre Mary Baker Eddys absichtgab es unter ihnen bislang kaum Kriegsdienstverweigerer; s. auch Braden, Christian Science Today, 289. 170 Vgl. hierzu z. B. Mommsen, Der autoritäre Nationalstaat; Hildebrand, Das vergangene Reich; Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. 171 Dupow, Christliche Wissenschaft. Die Gemeinschaft der Freimaurer, die wegen ihrer internationalen Verbindung und relativ hohen Anzahl jüdischer Mitglieder den Nazis schon immer zuwider gewesen war, wurde im Deutschen Reich bereits im Februar 1934 verboten. Am 27. April 1936 erging außerdem der Befehl an die Gestapo, alle noch in Deutschland lebenden Freimaurer umgehend zu inhaftieren, und viele dieser Verhafteten verloren ihr Leben in Konzentrationslagern. Vgl. King, Women and Spirituality, 233. Zu einer ausführlicheren Beschreibung s. Neuberger, Winkelmaß und Hakenkreuz.
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lich verfälscht und würden so die unwissenden Kirchenmitglieder (v.a. in Deutschland) heimtückisch betrügen.172 Einen besonderen Höhepunkt fand diese ideologische Hetze gegen Christian Science – neben dem bereits zitierten Werk von Meynig (der auch noch die Jesuiten in seine Version der jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung einbaute)173 – in einem langen, von bösartiger Ironie nur so triefenden Artikel von Friedrich Hasselbacher, der am 16. Mai 1937 in Der Blitz: Kampfblatt für Deutsche Aktion erschien.174 Unter der Überschrift „Christian Science: Eine freimaurerische Vorhofgemeinde“ präsentiert Hasselbacher hier noch einmal alle bislang gemachten Vorwürfe gegen Christian Science in pseudowissenschaftlicher und auf die äußerste Spitze getriebener Weise. Dabei lässt er keine Gelegenheit aus, deutsche Repräsentanten der Kirche zu diffamieren, so zum Beispiel den Monitor-Chefredakteur und ehemaligen Berlin-Korrespondenten Gratke als „lümmelhaften Rassejuden“ oder Helmuth von Moltke als „pazifistischen Volksverräter“.175 Hasselbacher klagt die Christliche Wissenschaft an, nicht nur unwirksame Quacksalberei und somit eine Gefahr für die Volksgesundheit zu sein, sondern auch als gefährliche Quelle eines „das Vaterland und die Rasse verneinenden Kosmopolitismus“ zu fungieren, der dem Deutschen Reich großen Schaden zufügen könne. Seine Analyse, so der Autor, habe eindeutig bewiesen, dass die Bostoner Zentrale der Kirche fest in der Hand von Juden und Freimaurern sei und von Moskau aus gesteuert würde.176 172 Vgl. Bode, Bostoner Leitung, 5. 173 Laut Meynig ist völlig klar, dass „die christliche Gesundbeterei nichts anderes als eine Zentrale der Überstaatlichen ist. Sie ist nichts weiter als ein Produkt okkult-freimaurerischen und vor allem jesuitischen Einfluß’. Sie ist ein Werkzeug der ‚alten Mächte‘ Juda, Rom und herrschsüchtiger Priester.“ Meynig, Christliche Wissenschaft, 29. Zur besonderen Rolle der Jesuiten hierbei s. auch 14–19. 174 Hasselbachers 19 Spalten langer Artikel, der in sieben Unterkapitel gegliedert und mit Fußnoten versehen ist, wird auch von King in ihrer Studie erwähnt, vgl. King, Women and Spirituality, 36–37. Allerdings gibt sie dessen Erscheinungsdatum fälschlicherweise mit Mitte Juni 1937 an. 175 Im Rahmen seiner Hetze gegen „freimaurerisch-jüdisches Weltbürgertum und Pazifismus“ wirft Hasselbacher von Moltke einen Mangel an Patriotismus vor, weil dieser einmal gesagt habe, er sei dankbar dafür, dass er im Ersten Weltkrieg niemanden habe töten müssen. „Diese Bemerkung des Grafen Moltke verdient unsere stärkste Beachtung, denn sie zeigt uns, daß hinter der Parole ,Liebet Eure Feinde‘ nicht die Liebe zum Volk, sondern der Pazifismus steht […], eine Handlungsweise und Geisteshaltung, für die ich an anderer Stelle den juristischen Begriff ,intellektueller Volksverrat‘ prägte.“ Hasselbacher, Christian Science, 2. In Anbetracht des aktiven Einsatzes von Helmuth von Moltke im Ersten Weltkrieg war dieser Vorwurf besonders unverschämt. 176 Vgl. Hasselbacher, Christian Science, 1–5. Der letzte Vorwurf ist sicherlich genauso abwegig wie die von Meynig implizierte Jesuiten-Verbindung von CS, da Mary Baker Eddy die Katholische Kirche mit großem Argwohn betrachtet und jede Form von Sozialismus stets abgelehnt hat. Zwar war der Antikatholizismus innerhalb der Mutterkirche in den 1930er Jahren wohl weniger virulent als zu Eddys Lebzeiten, aber die Kirche
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Beachtenswert ist hierbei, dass Hasselbacher zwar die Lehre und die Kirche Mary Baker Eddys verteufelt und ihr sofortiges Verbot fordert, dass er aber die deutschen Mitglieder der Glaubensgemeinschaft nicht als Feinde, sondern als von Boston hinterlistig getäuschte Opfer darstellt, denen man helfen sollte. So lobt er explizit Bodes Verhalten und dessen Versuch, die deutsche Christliche Wissenschaft von der jüdisch-freimaurerischen Herrschaft zu befreien.177 Am Ende ruft er in religiös-nationalistischer Emphase alle deutschen Kirchenmitglieder dazu auf, doch endlich das „frevelhafte Spiel“ der Mutterkirche zu durchschauen und sich sofort von Boston zu lösen: Heraus aus dem Bann der Organisation und der Lehre dieser freimaurerischen Vorhofgemeinde, die sich ‚Christliche Wissenschaft‘ nennt! Löst Euch von allem Internationalismus, zerreißt die Bande jedweder Allmenschheitslehre. Hört! […] Dann werdet Ihr, Volksgenossen in der ‚Christian Science‘, alle Fesseln abstreifen, alle artfremden Ideen ablegen und […] Euch zu der herrlichen und stolzen Erkenntnis wahrhaft göttlicher Wissenschaft durchringen können: Unser heiliges Land heißt Deutschland!178
Die in Hasselbachers Artikel ausgedrückte Überzeugung, dass Christian Science zwar an sich eine Irrlehre und die Kirche Christi, Wissenschaftler eine potentiell reichsfeindliche Organisation sei, die sobald wie möglich verboten werden sollte, wohingegen die deutschen Mitglieder dieser Religionsgemeinschaft nicht als inhärent schlechte, minderwertige Menschen, sondern als fehlgeleitete, vielleicht noch reformierbare Volksgenossen angesehen wurden, war innerhalb der nationalsozialistischen Führung sehr verbreitet. Dies mag zum Teil an dem gehobenen sozialen Hintergrund vieler Christlicher Wissenschaftler gelegen haben, zum Teil an deren bereits erwähnter meist eher konservativen und oft durchaus deutsch-nationalen Einstellung.179 In jedem Fall wurde der Judenhass der Nazis, der in ihren Argumenten gegen die Leitung der Mutterkirche in Boston so deutlich spürbar ist, nie konkret auf die deutschen Anhänger Eddys übertragen. Ihre Lehre galt zwar als „Volksgefahr“, aber sie selbst wurden nie als „Volksschädlinge“ bezeichstand dem Katholizismus nie besonders nah und hat immer eine konservativ-kapitalistische, klar anti-bolschewistische Haltung vertreten. 177 Vgl. Hasselbacher, Christian Science, Abschnitt 5 „Antifreimaurer-Revolution in der ‚Christian Science‘ in Deutschland“, 3–4. Es fällt auf, dass Hasselbacher in diesem Zusammenhang mit keinem Wort die ja schon längst von Boston „befreite“ „Deutsche Vereinigung Christlicher Wissenschafter“ erwähnt, obwohl diese im Dritten Reich durchaus eine Reihe aktiver Anhänger hatte. Auch diese Tatsache zeigt die mangelnde Sachkompetenz des Autors im Hinblick auf Christian Science in Deutschland. 178 Hasselbacher, Christian Science, 5. Vgl. auch King, Women and Spirituality, 37. Zu dem im Dritten Reich besonders weitreichenden Phänomen der Sakralisierung der Nation, von der Hasselbachers Artikel ein gutes Zeugnis gibt, vgl. auch Nipperdey, Religion im Umbruch, 127–143. 179 Vgl. hierzu King, Women and Spirituality, 37–39; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6 und Kapitel 7.
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net und deshalb auch nicht mit der gleichen Grausamkeit verfolgt und umgebracht wie Juden, Sinti und Roma, Kommunisten, Freimaurer, Homosexuelle oder andere Gruppen, die das Hitler-Regime als „Ungeziefer“ ansah und vollständig vernichten wollte.180 Wie erwähnt trugen die Appeasement-Strategie der Mutterkirche und der Respekt, den ein Teil der Nazi-Führung vor den mächtigen politischen Freunden der Kirche in England und den USA sowie vor dem Einfluss des CS-Monitors hatte, ebenfalls – zumindest bis zum Kriegsausbruch – zum Schutz der deutschen Kirchenmitglieder vor derartigem Terror bei. Allerdings wurden nach dem Schminke-Prozess vom Herbst 1936 und den immer häufiger veröffentlichten Schmähschriften gegen Christian Science sowie einigen kritischen internen Berichten des SD die Stimmen innerhalb der Parteispitze, die ein Verbot der Kirche Christi, Wissenschaftler forderten, immer lauter.181 1937 kam es schließlich in mehreren Reichsgebieten zu Versammlungs- und Vortragsverboten für Christliche Wissenschaftler, und vielerorts wurde die Ausübung von Christian Science als Heilmethode unter Strafe gestellt.182 Auch wenn hierbei für die Nationalsozialisten die ideologischen Differenzen, insbesondere der Verdacht, die Kirche sei Teil der jüdisch-freimaurerischen Verschwörung gegen das Reich, im Vordergrund standen, so wurden diese Verbote von Christian Science fast immer mit dem angeblich „die Volksgesundheit schädigenden“ Charakter derselben begründet bzw. damit, dass die Tätigkeit der CS-Praktiker ein Verstoß gegen die neue Reichsärzteordnung sei, nach der ausschließlich approbierte Ärzte (und staatlich anerkannte Heilpraktiker) Kranke behandeln durften.183 180 Es ist hier nicht möglich, das Thema Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit auch nur ansatzweise zu vertiefen. Gute zusammenfassende Einblicke geben z. B. Pohl, Verfolgung und Massenmord in der NS-Zeit, und Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde. Zur Verfolgung religiöser Sondergemeinschaften s. King, Women and Spirituality, zur Verfolgung der Freimaurer s. Neuberger, Winkelmaß und Hakenkreuz. 181 Neben den genannten großen Schmähschriften von Dupow, Christliche Wissenschaft, Bode, Bostoner Leitung, Hasselbacher, Christian Science, Meynig, Christliche Wissenschaft, und dem Bericht der Reichsärztekammer von 1937 (s. auch Findeisens Artikel in Hippokrates) erschienen noch zahlreiche andere, kleinere Artikel gegen CS, z. B. im Völkischen Beobachter. Vgl. King, Women and Spirituality, 38. Spätestens 1935 begann die Überwachung der Kirche durch den Reichssicherheitsdienst, denn schon in diesem Jahr berichtete der SD erstmals über „Hinweise auf subversive Tätigkeiten“ Christlicher Wissenschaftler. Im Laufe der nächsten Jahre wurde der Tenor dieser Berichte immer schärfer. So heißt es in einem SD-Schreiben von 1939: „Die internationalen Verbindungen und die pazifistische Haltung von Christlichen Wissenschaftlern macht sie zu Hilfstruppen für die inneren Feinde des Deutschen Reichs.“ Zit. in King, Women and Spirituality, 38. Vgl. ebd., 35–38, sowie Boberach, Berichte des SD, 78, 278 und 361. 182 Vgl. King, Women and Spirituality, 36–38; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5–7. 183 Vgl. King, Women and Spirituality, 36–38 sowie zwei unveröffentlichte Berichte der
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Zwar gelang es der Mutterkirche durch die hervorragende internationale Vernetzung der Bostoner Zentrale, insbesondere durch die oben geschilderte Intervention hochrangiger britischer Diplomaten, den Bestrebungen ihrer Gegner zur Illegalisierung der Christlichen Wissenschaft im Dritten Reich noch einmal Einhalt zu gebieten, aber dieser Erfolg sollte nicht von Dauer sein.184 Als der CS-Monitor 1938 scharfe Kritik am Münchner Abkommen äußerte – und das obwohl die Roosevelt-Regierung dieses als notwendige Maßnahme zur Friedenssicherung ausdrücklich billigte –, setzte Martin Bormann, enger Vertrauter und späterer „Sekretär des Führers“, einen Parteibeschluss durch, der es allen Mitgliedern der NSDAP verbot, Mitglied der Kirche Christi, Wissenschaftler zu sein oder deren Veranstaltungen zu besuchen.185 Zwar gab es bereits einen Absatz des Kirchenhandbuchs, der den Mitgliedern der Mutterkirche eigentlich untersagte, Vereinen oder Organisationen beizutreten, die nicht im Handbuch spezifiziert werden, doch diese Regel war offenbar immer sehr weit ausgelegt worden.186 So war eine nicht geringe Anzahl Christlicher Wissenschaftler in Deutschland entweder aus Überzeugung oder um beruflicher Diskriminierung zu entgehen in die NSDAP eingetreten. Der Bormann-Beschluss stellte somit einen empfindlichen Schlag gegen die Kirche dar und hatte einen spürbaren Rückgang der Besucher von CS-Gottesdiensten und Zeugnisversammlungen zufolge, auch wenn diese noch regelmäßig weiter stattfanden.187
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Gestapo über CS vom Mai und Juli 1937 (Schumacher Sammlung in Berlin, B. nr. 49791 / 37, II i B / b, 19. Mai 1937 und B. nr. 50572 / 37, II i B / b, 1. Juli 1937), zit. in King, Women and Spirituality, 258. Die Reichsärzteordnung war im Dezember 1935 verabschiedet worden und wurde im Februar 1939 durch ein zusätzliches Heilpraktikergesetz ergänzt. Vgl. Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 175. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 5–7; King, Women and Spirituality, 36–38. Vgl. „SS-Befehlsblatt“ vom 25. März 1938 sowie eine Anordnung zur Durchsetzung dieses Verbots an die lokalen Behörden vom 6. März 1939 („Anordnung 51 / 39, Reichsstatthalter“), Bayerisches Hauptstaatsarchiv, zit. in King, Women and Spirituality, 38; s. auch Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8 „1939 and Beyond“, 1. S. Church Manual, Artikel VIII, Absatz 16: „It shall be the duty of the members of The Mother Church and of its branches to promote peace on earth and good will toward men; but members of The Mother Church shall not hereafter become members of other societies except those specified in The Mother Church Manual.“ Das Verbot wurde schon zu Eddys Zeiten offenbar nicht auf politische Parteien, Sport- und Musikvereine angewandt, sondern richtete sich eher gegen Mitgliedschaften in anderen Kirchen, religiösen Gesellschaften oder Debatierclubs. Vgl. Herrs Brief an Verfasserin vom 8. Juli 2006. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 1; auch Mitglieder und Freunde der von Moltke Familie waren Parteimitglieder, s. Moltke, Leben in Deutschland, 254–255.
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Im Februar 1939 wurde – mit direkter Unterstützung Himmlers – das erwähnte Heilpraktikergesetz verabschiedet, welches für CS-Praktiker (und andere, nicht „staatlich zugelassene Heilpraktiker“) ein sofortiges Berufsverbot bedeutete. Alle Versuche des KfV, General Kündingers, durch Protestschreiben und persönliche Besuche im Reichsinnenministerium dieses Gesetz zu verhindern, waren gescheitert.188 Ob diese Enttäuschung und die Frustration über die immer zäher und unerfreulicher werdenden Verhandlungen mit den Nazi-Behörden Kündinger dazu bewegten, um seine Entlassung aus dem Amt des KfV zu ersuchen, oder ob die Mutterkirche ihn darum bat zurückzutreten, ist unklar. In jedem Fall wurde im Oktober 1939 Albert Telschow als neues KfV für Deutschland ernannt.189 Die Aufgabe Telschows, die Kirche in Deutschland zu vertreten und ihre Interessen so weit wie möglich zu schützen, wurde bald extrem schwierig. Die Mutterkirche hatte sich seit 1938 zunehmend kritisch über die Beschränkungen von Bürger- und Menschenrechten im Dritten Reich geäußert, und seit dem deutschen Überfall auf Polen im September 1939 unterstützten die Leitartikel des CS-Monitors klar die Gegner des Hitler-Regimes.190 So konnte auch Ribbentrop kaum noch diplomatische Rücksichtnahme für die Kirche geltend machen, und es kam schrittweise zu immer gravierenderen Repressalien.191 Als Erstes begann die Gestapo im Herbst 1939 mit der Verfolgung jüdisch-stämmiger Christlicher Wissenschaftler. In diesem Zusammenhang ist kritisch anzumerken, dass die meisten Zweigkirchen offenbar widerstandslos der Gestapo-Anordnung folgten, alle „Rassejuden“ von der Mitgliedschaft auszuschließen. Manche Zweigkirchenleiter schrieben sogar Briefe an die Nazi-Behörden, um sich explizit gegen deren Verdacht zu verwahren, ihre Organisation würde Juden beschützen oder verstecken.192 188 Vgl. King, Women and Spirituality, 38; Follis, ebd., sowie Kapitel 6, Witness to History, 7–8; Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 175. 189 Follis berichtet, dass einige Kritiker Kündingers offenbar gegenüber der Mutterkirche die Ansicht äußerten, seine Kooperation mit der Regierung des Dritten Reiches ginge zu weit bzw. er würde dieser gegenüber zu nachgiebig sein und zu viele Informationen über die Kirche preisgeben. Andere behaupteten offenbar, Kündinger sei gegenüber den Nazis nicht kooperativ genug und deshalb ineffektiv gewesen. Vgl. Follis, ebd. Angesichts der seit Hitlers Überfall auf Polen deutlich distanzierteren Haltung der Mutterkirche gegenüber dem Regime erscheint die erste Erklärung für das Ausscheiden Kündingers wahrscheinlicher. 190 Seit Ende 1939 begann Präsident Roosevelt, die USA immer gezielter auf einen Kriegseintritt hinzusteuern, aber die Mehrheit der Amerikaner war noch bis Herbst 1941 – selbst nach dem Fall Frankreichs und den deutschen Angriffen auf England und die Sowjetunion – gegen einen Eintritt ihres Landes in diesen Krieg. Vgl. Heideking / Mauch, Geschichte der USA, 264–271. 191 Vgl. King, Women and Spirituality, 4; Beasley, Continuing Spirit, 234–235. 192 Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 1. So wurden 1939 drei jüdischstämmige Mitglieder aus der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, Berlin von
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1940 kam es zu den ersten Enteignungen von Kircheneigentum durch lokale Behörden. So konfiszierte der Bürgermeister von Wilmersdorf das Sonntagsschulgebäude der ersten Kirche, um es als Rationierungsbüro zu nutzen, und in Lodz (Polen) wurde der Kirchenraum der Christlichen Wissenschaftler von den deutschen Besatzungstruppen als Mensa benutzt.193 Christian Science wurde in öffentlichen Sitzungen von Regierungsmitgliedern als „gemeingefährlich und staatsfeindlich“ bezeichnet, Lehrer und andere Beamte, die Kirchenmitglieder waren, wurden fristlos aus dem Dienst entlassen, und englische Gottesdienste oder Zeugnisversammlungen wurden verboten. Weiter beschlagnahmte die Gestapo alle englischsprachige Literatur der CS-Leseräume, und deren Besitz oder Vertrieb wurde unter Strafe gestellt. Im Gegensatz zu vorher kam es bei Verstößen gegen die Verbote auch immer öfter zu Verhaftungen von Christlichen Wissenschaftlern.194 Im Laufe des zweiten Kriegsjahres wurde trotz der offiziell noch geltenden amerikanischen Neutralität die Sympathie und indirekte Unterstützung der USA für den Kampf der Alliierten gegen Hitler immer offensichtlicher.195 Viele Nationalsozialisten sahen den Kriegseintritt Amerikas als unvermeidbar an, auch wenn einige, z. B. Ribbentrop, bis zum Schluss versuchten, diesen zu verhindern.196 Im CS-Monitor fanden sich zudem neben Berichten über den Krieg auch immer öfter Artikel voll scharfer Kritik an der Terrorherrschaft der Nazis sowohl im eigenen Reich als auch in den besetzten Ge-
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der Mitgliedschaft ausgeschlossen. Vgl. ebd. Zur scharfen Kritik Follis’ an diesem Verhalten vgl. auch Kapitel 7, 5–6. S. auch King, Women and Spirituality, 52. Der NaziVerdacht, dass die Kirche ein „Schutzhafen“ für Juden sei, wurde laut Follis auch durch einen in deutschen Zeitungen vielfach abgedruckten Artikel des Londoner Investigator vom März 1939 bestärkt, in dem fälschlich behauptet wurde, in den letzten Jahren wären in New York 70.000 Juden zur Christlichen Wissenschaft konvertiert. Vgl. King, Women and Spirituality, 39; Follis, ebd.; CSPS, Wartime Activities, 250. Vgl. King, Women and Spirituality, 38–39; Beasley, Continuing Spirit, 241; Follis, ebd., 1–2; Interview der Verfasserin mit Finkenstaedt vom 1. August 2005. So hatte der US-Kongress auf Drängen Roosevelts hin schon im November 1939 das Waffenembargo der USA zugunsten der Alliierten abgeändert (Cash and Carry Act). Anfang 1941 hatten amerikanische zusammen mit englischen Truppen Island besetzt, und im März 1941 genehmigte der Kongress sieben Milliarden Dollar Rüstungshilfe für Großbritannien (Lend-and-Lease Act). Durch den amerikanischen Konvoischutz für bewaffnete Frachtschiffe kam es bereits im Herbst 1941 zu Schusswechseln zwischen deutschen und amerikanischen U-Booten und Kriegsschiffen. Trotzdem war es weder Roosevelts Drängen noch das Agitieren von Zeitungen wie dem CS-Monitor gegen Hitlers immer brutaleres Vorgehen in Europa, sondern erst der japanische Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941, der die öffentliche Meinung in den USA auf Kriegskurs umschwenken ließ. Vgl. hierzu Heideking / Mauch, Geschichte der USA, 266–271; Junker, Die USA und das Dritte Reich; Dallek, Franklin D. Roosevelt and American Foreign Policy; Dubofsky / Burwood, American Foreign Policy in the 1930s. Zur Diplomatie Ribbentrops und den Diskussionen im Auswärtigen Amt vgl. Döscher, SS und Auswärtiges Amt; zur Perzeption amerikanischer Politik in Deutschland vgl. Gassert, Amerika im Dritten Reich.
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bieten.197 Angesichts dieser Tatsachen gelang es den Gegnern der Christlichen Wissenschaft innerhalb des Nazi-Regimes schließlich, am 4. Juni 1941 ein völliges Verbot der Gemeinschaft durchzusetzen. Dieses erging zunächst (zusammen mit einem Verbot anderer als „reichsfeindlicher Okkultismus“ bezeichneter Gruppen wie Spiritismus, Theosophie, Anthroposophie und Astrologie) als Parteibeschluss und wurde am 14. Juli 1941 durch ein offizielles Edikt des Reichsinnenministeriums bestätigt.198 Manche Historiker haben übrigens darüber spekuliert, ob der Zeitpunkt dieses Verbots mit dem Flug von Rudolf Heß nach Großbritannien im Mai 1941 in Verbindung zu bringen ist, denn der „Stellvertreter des Führers“ hatte ein Interesse an Astrologie und Gebetsheilungen, seine Eltern gehörten der anthroposophischen Christengemeinschaft an, und angeblich gab es in der Familie auch Verbindung zur Christlichen Wissenschaft. Doch es gibt keinen nachweisbaren Beleg für einen direkten Zusammenhang der beiden Ereignisse.199 Im Hinblick auf Umstände, die zum Verbot von Christian Science führten, sollte jedoch hier noch einmal darauf hingewiesen werden, dass trotz der Schwierigkeiten, denen die Kirche seit der Machtübernahme Hitlers in Deutschland ausgesetzt gewesen war, sich die Anzahl ihrer Mitglieder und aktiver CS-Praktiker bis zum Kriegsausbruch nicht etwa verringert, sondern weiter erhöht hatte. Die Zahl der offiziell von Boston anerkannten Zweigkirchen und Vereinigungen war zwischen 1933 und 1939 von 66 auf 84 gestiegen, und allein in Berlin gab es zum Zeitpunkt des Verbotes neun Christian Science Kirchen. Dieser kontinuierliche Erfolg von Christian Science, den die bis dahin erfolgten repressiven Maßnahmen der Nazis nicht hatten verhindern können, trug vielleicht ebenfalls dazu bei, das Regime von der Notwendigkeit eines totalen Verbotes zu überzeugen.200 In dem Text des Verbots war nicht nur die sofortige Auflösung und das Verbot der „Sekte ‚Christliche Wissenschaft‘“ für das gesamte Reichsgebiet angeordnet, sondern auch jeder „Versuch einer Fortführung oder Neugründung“ dieser „volks- und staatsfeindlichen Organisation“ unter Strafe gestellt worden.201 Diesmal sorgte Heydrich persönlich für eine schnelle und gründliche Reaktion der Behörden. Nur wenige Tage nach dem Parteibeschluss – 197 Zur Berichterstattung des Monitors zu dieser Zeit vgl. Canham, The Monitor, 286–297; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 1–2. 198 S. Anhang G, Edikt des Reichsinnenministeriums vom 14. Juli 1941, zit. in CSPS, Wartime Activities, 255, vgl. auch King, Women and Spirituality, 39; Follis, ebd., 2–3. 199 Vgl. King, Women and Spirituality, 34; Follis, ebd. 2. Die genauen Motive von Heß sind bis heute unklar, aber die meisten Historiker vermuten, dass sein Flug nicht von Hitler autorisiert war. 200 Vgl. Anhang D. Geht man von einer durchschnittlichen Gemeindemitgliedszahl von 150–200 aus, so gab es vermutlich bei Kriegsbeginn zwischen 12.000 und 16.000 Christliche Wissenschaftler. 201 Vgl. Anhang G.
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und über einen Monat vor dem offiziellen Regierungsverbot – organisierte die Gestapo eine großangelegte Aktion gegen die Kirche.202 Am 9. Juni 1941 wurden in ganz Deutschland, in Österreich und in den von deutschen Truppen besetzten Gebieten alle Kirchengebäude und Leseräume der Christlichen Wissenschaft geschlossen, versiegelt und bewacht, ihr Vermögen konfisziert und alle Bücher, Zeitschriften sowie Verwaltungsunterlagen beschlagnahmt. Gleichzeitig wurden alle CS-Lehrer und CS-Praktiker (über deren Wohnsitze die Polizei anhand der im CS-Herold abgedruckten Listen bestens informiert war) ebenso verhaftet wie die bekannten Führungspersönlichkeiten der Kirche (zum Beispiel Ulla Oldenbourg, General Kündinger, Albert Telschow und dessen Assistent Friedrich Preller). Außerdem mussten sich alle Mitglieder polizeilichen Verhören unterziehen.203 Solange sie dazu bereit waren, alle Fragen – auch nach Namen weiterer Kirchenangehöriger oder Patienten – zu beantworten, und schriftlich versicherten, ab sofort keine Christliche Wissenschaft mehr zu praktizieren, konnten die meisten „einfachen“ Mitglieder wieder nach Hause gehen. Hauptberufliche CS-Lehrer und CS-Praktiker blieben dagegen in der Regel vier bis sechs Wochen inhaftiert und wurden nur unter der Auflage entlassen, keinerlei Versuche zu unternehmen, ihren bisherigen Beruf weiter auszuüben. Manchen wurde auch direkt nach der Entlassung aus dem Gefängnis eine neue Arbeit durch den Reichsarbeitsdienst zugewiesen.204 Christliche Wissenschaftler, die sich weigerten, der Gestapo die gewünschten Angaben zu machen, bzw. trotz des Verbots weiterhin Gottesdienste abhielten oder Christian Science praktizierten, wurden zu mehrmonatigen Gefängnisstrafen verurteilt.205 Einige Praktiker, die nach dem 14. Juli 202 Vgl. Schreiben Heydrichs vom 6. Juni 1941 zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 2–3, vgl. auch King, Women and Spirituality, 41–42. 203 Vgl. King, Women and Spirituality, 39–43; Canham, The Monitor, 291; Beasley, Continuing Spirit, 242; Follis, ebd., 3–4 sowie Kapitel 6, 8; CSPS, Wartime Activities, 252– 253. Eine andere bedeutende CS-Führungspersönlichkeit, Emma Leplow, starb offenbar kurz vor ihrer Verhaftung. Dazu schreibt Follis: „Some say that she learned, shortly before June [9] of 1941, that she would be arrested the very next day; she set her affairs in order, dictated a letter to her students, then died before morning when the Gestapo came for her.“ Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 6, 9, Fußnote 17. 204 „S.D. Report vom 4.6.1941“, zit. in King, Women and Spirituality, 40–41, Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 3–4, und CSPS, Wartime Activities, 252– 253. Follis weist hier auch darauf hin, dass in den meisten Fällen CS-Praktikerinnen zwei bis drei Wochen kürzer als ihre männlichen Kollegen inhaftiert waren. Sie gibt allerdings keinen Grund für diese unterschiedliche Behandlung an. Vielleicht hielten die Nazis generell Frauen für „ungefährlicher“ als Männer. Friedrich Preller, der Assistent des KfV, wurde zum Beispiel nach sechs Wochen Einzelhaft und zahlreichen Verhören durch die Gestapo entlassen, nachdem er unterschrieben hatte, keine CS mehr zu praktizieren. 205 Vgl. hierzu Anhang E; King, Women and Spirituality, 46–47; CSPS, Wartime Activities, 253–256. Der damals 17-jährige Münchner Michael Finkenstaedt, der Mitglied der
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Patienten behandelt hatten, sowie eine Mitarbeiterin des CS-Monitors, die Werbung von Juden akzeptiert hatte, wurden ohne jede Gerichtsverhandlung in Konzentrationslager gebracht und blieben zum Teil jahrelang dort. Da über siebzig Prozent der CS-Praktiker weiblich waren, kamen die meisten der Verhafteten in das Frauenlager in Ravensbrück, einige wurden auch nach Auschwitz geschickt.206 Eine polnische Christliche Wissenschaftlerin, die jahrelang CS-Literatur in ihre Muttersprache übersetzt hatte, wurde von Lodz in das KZ Bergen-Belsen gebracht und starb völlig ausgemergelt und unterernährt kurz nach ihrer Befreiung durch alliierte Truppen im April 1945.207 Sie war nicht das einzige Kirchenmitglied, das durch den Nazi-Terror sein Leben verlor. Ein weiteres Opfer war zum Bespiel Albert Telschow, der als KfV zu den ersten im Juni 1941 verhafteten Christlichen Wissenschaftlern zählte. Nach ein paar Wochen in Einzelhaft im Gestapogefängnis in Berlin wurde Telschow zunächst entlassen und kehrte nach Hause zurück. Wenig später wurde er jedoch wieder inhaftiert – diesmal unter noch schärferen, entwürdigenden Bedingungen – und musste sich weiteren brutalen Verhören unterziehen.208 Über die Einzelheiten seiner Behandlung durch die Gestapo oder den Verlauf einer letzten Anhörung, bei der er sich offenbar weigerte, der Christlichen Wissenschaft abzuschwören, gibt es keine genauen Quellen. Fest steht jedoch, dass Telschow noch einmal aus der Haft entlassen wurde und mit letzter Kraft zu seiner Familie zurückkehrte, dort jedoch kurz nach seiner Ankunft an den Folgen des ihm Widerfahrenen starb.209 Ob außer Telschow und der polnischen Übersetzerin noch andere Christliche Wissenschaftler als „Märtyrer“ starben, d. h. wegen ihres Glau-
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Hitler Jugend war, kam 1942 wegen eines Streits mit seinem Ortsgruppenleiter, in dem es darum ging, ob auch HJ-Mitgliedern sonntags Zeit zum Gottesdienstbesuch eingeräumt werden sollte, für acht Tage in das Gestapo-Gefängnis in der Briennerstraße. Als diese herausfand, dass er Christlicher Wissenschaftler war, drohte man, ihn nach Dachau zu schicken. Stattdessen wurde er dann jedoch „nur“ aus der HJ ausgeschlossen und als Soldat an die Front geschickt. Vgl. Interview der Verfasserin mit Finkenstaedt vom 1. August 2005. Vgl. King, Women and Spirituality, 47; CSPS, Wartime Activities, 253–256; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 4. Von einer CS-Praktikerin in Auschwitz wird z. B. berichtet, dass sie sich besonders liebevoll um ein jüdisches Mädchen kümmerte. Vgl. King, Women and Spirituality, 47. Vgl. Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 4–5. Vgl. King, Women and Spirituality, 45–46; CSPS, Wartime Activities, 253. In einem auf den Aussagen von Telschows Frau beruhenden Bericht der Mutterkirche heißt es hierzu: „He was able to make his way home, when death overtook him. While his physical condition did not show violence and he spoke very little, he was so changed both in appearance and mind that his family could hardly recognize him.“ (UKD) zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 3–5. The Story of Christian Science Wartime Activities betont Telschows Märtyrerstatus: „No one knows what he faced in the way of physical inflictions for his steadfastness. The body could be broken, but the man, never.“ Ebd., 253. S. hierzu auch King, Women and Spirituality.
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bens ihr Leben verloren, ist unklar bzw. historisch nicht eindeutig zu belegen. Allerdings berichtet der französische Widerstandskämpfer und Autor Jacques Lusseyran in seiner Autobiographie, dass einer seiner Mithäftlinge in Buchenwald ein Christlicher Wissenschaftler war, dessen tiefe Spiritualität und unerschütterlich positive Lebenseinstellung die anderen Lagerinsassen inspirierte: Jeremy did not speak of the concentration camps either, even when he was there. He did not have his gaze nailed to the smoke from the crematorium, nor on the twelve hundred terrified prisoners of Block 57. He was looking through. […] Each time he appeared, the air became breathable: I got a breath of life smack in the face. […] In my memory I can follow distinctly the path of light and clarity which he made through the crowd. […] Jeremy was an example: He found joy in the midst of Block 57. He found it during moments of the day where we found only fear. And he found it in such great abundance that when he was present we felt it rise in us. Inexplicable sensation, incredible even, there where we were: joy was going to fill us […] The joy of discovering that joy exists, that it is in us just exactly as life is, without conditions and which no condition, even the worst, can kill.210
Im Gegensatz zu Lusseyran überlebte Jeremy Regard Buchenwald nicht. Aber in der Kirche gilt seine durch Lusseyran immortalisierte Geschichte heute noch als „one of the most compelling testimonies to the power of Christian Science that has ever been recorded“.211 Viele Christliche Wissenschaftler empfanden damals ihren Glauben an die allgegenwärtige Liebe Gottes und die Unwirklichkeit des Bösen, gerade angesichts des Nazi-Terrors, als Quelle großer innerer Kraft und Hoffnung. So gibt es zahlreiche Berichte von Kirchenangehörigen, die in „wundersamer Weise“ von Nazi-Verfolgung verschont blieben oder von Gestapo Offizieren, die sie verhörten, plötzlich freigelassen wurden, denen in prekären Situationen auf einmal unerwartet Hilfe zuteil wurde oder die als Soldaten von Verwundungen verschont blieben bzw. großartige Heilungen erlebten.212 Auch wenn manche dieser Berichte für Außenstehende leicht übertrieben oder topisch überhöht klingen mögen, so erscheint durchaus glaubhaft, dass ihre religiöse Überzeugung vielen Kirchenmitgliedern während des 210 Lusseyran, Le Monde, 23–27, zit in der englische Übersetzung durch Noelle Oxenhandler (zuerst erschienen in Parabola, XI.2 (1986), 22) in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 9 „Behold, Light“, 11–13. Jeremy Regard war das von Lusseyran benutzte Pseudonym für diesen Christlichen Wissenschaftler, der offenbar aus dem Jura stammte, von Beruf Schweißer war und zusammen mit Lusseyran und 2.000 anderen Franzosen nach Buchenwald gebracht wurde. Sein wirklicher Name und der Grund für seine Inhaftierung sind bis heute unbekannt. 211 Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 9, 12. 212 Es würde zu weit führen, hier einzelne Beispiele dieser Berichte anzuführen. Diese finden sich z. B. bei Beasley, Continuing Spirit; Follis, Christian Science and the Third Reich (besonders in Kapitel 9); CSPS, Wartime Activities (besonders 256–271). Auch Michael Finkenstaedt, der im Krieg mehrmals schwer verwundet wurde, ist der Überzeugung, er verdanke seine Rettung allein CS. Vgl. Interview vom 1. August 2005.
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Krieges dabei half, keine oder zumindest nur sehr wenig Furcht vor den Nationalsozialisten zu empfinden. Diese Konzentration auf das Positive, die innere Ruhe und Gelassenheit mögen sich im Umgang mit der Gestapo in einigen Fällen tatsächlich positiv ausgewirkt haben. Außerdem trugen sie offensichtlich bei denen, die trotzdem verhaftet wurden, in vielen Fällen zu einer Steigerung der Lebensqualität bei – selbst im Konzentrationslager.213 Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Mutterkirche während des Krieges ihren deutschen Mitgliedern immer selbst die Entscheidung überließ, ob und inwieweit sie sich den Nazi-Gesetzen (d. h. auch dem Verbot ihrer Religion) beugen wollten. Es gab im Gegensatz zu anderen religiösen Gruppen (z. B. den Zeugen Jehovas) keine Direktive aus Boston, die deutsche Christliche Wissenschaftler dazu angehalten hätte, ihren Glauben auch gegen das Nazi-Verbot zu praktizieren und ihre Loyalität zur Kirche offen zu bekennen.214 Somit konnten Kirchenmitglieder, die es aus persönlichen Gründen nicht für ratsam hielten, eine Verhaftung zu riskieren, getrost ihre CSBücher bei der Polizei abliefern, auf Gottesdienste und Zeugnisversammlungen verzichten und ihren Glauben nur privat, d. h. im engsten Familienund Freundeskreis leben, ohne von der Kirche bzw. anderen Mitgliedern als „Abtrünnige“ oder „Versager“ gesehen oder gar geächtet zu werden.215 Insgesamt lässt sich festhalten, dass trotz einer Reihe mutiger individueller Widerstandsaktivitäten – vom CS-Literaturschmuggel zu heimlichen Gottesdiensten und Heilbehandlungen oder dem Verstecken jüdischer Flüchtlinge – die große Mehrzahl der deutschen Christlichen Wissenschaftler während der verbleibenden Kriegsjahre die Konfrontation mit den Nazis ver213 Vgl. z. B. Lusseyran, Le Monde, 23–27; King, Women and Spirituality, 47, und den Bericht von Marcel Silver, einem zu CS konvertierten Juden, der als KfV für Frankreich von Paris aus während der deutschen Besatzung CS-Literatur in Frankreich verteilte und auch dabei half, diese nach Deutschland zu schmuggeln. Trotz mehrerer Verhöre durch die Gestapo, bei denen Silver offenbar ganz entspannt auftrat, gelang es ihm, der Verhaftung immer wieder zu entgehen. Vgl. Follis Christian Science and the Third Reich, Kapitel 9, 1–2. Vgl. hierzu auch King, Women and Spirituality, 44. 214 Statt dessen ermutigten die Direktoren der Mutterkirche sie in einer im CS-Journal abgedruckten Nachricht, sich nicht vom Terror einschüchtern zu lassen: „Through the ages tyrants have endeavored to govern and control men by engendering fear, but Mrs. Eddy says in Miscellany (p. 191) of the cruelty of those who have elected themselves to be controllers of mankind, ‚Persecution is the weakness of tyrants engendered by their fear, and Love will cast it out‘.“ CS-Journal, Juli 1942, 192, auch zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 7. 215 Vgl. King, Women and Spirituality, 44–46, 48 und 194–195. King betont in dieser Hinsicht den großen Unterschied von CS und den Zeugen Jehovas: „A Christian Scientist, unlike a Jehova’s Witness, could hold on to his or her religious world view without professing it in public and in this fact lay the key to survival.“ Ebd., 54. Zum Widerstand und der gnadenlosen Verfolgung der Zeugen Jehovas durch das NS-Regime, s. King, Women and Spirituality, 150–179. Vgl. auch Peukert, Volksgenossen und Gemeinschaftsfremde.
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mied.216 Es gab nach Wissen der Verfasserin kein Mitglied einer deutschen Zweigkirche, das aktiv an einer politischen Untergrundbewegung gegen das Hitler-Regime beteiligt war oder öffentlich zum Widerstand gegen dasselbe aufgerufen hätte.217 Ob ein solches Verhalten wirklich dem Geist der Lehre von Christian Science entsprach, ist fraglich. Zwar befürwortet die Lehre grundsätzlich ein friedvolles Miteinander aller Menschen in der Welt und verurteilt jede Form des Rassismus oder der nationalen Aggression, auch sprach Mary Baker Eddy sich mehrfach dezidiert gegen den Krieg als Mittel der Problemlösung aus.218 Andererseits ruft ihr Lehrbuch die Kirchenmitglieder klar dazu auf, sich dem Bösen stets mutig entgegenzustellen und gegebenenfalls den Weg des Martyriums zu wählen: To suppose that persecution for righteousness’ sake belongs to the past […] is to mistake the very nature of religion. […] There is too much animal courage in society and not enough moral courage. Christians must take up arms against error at home and abroad. They must grapple with sin in themselves and in others, and continue this warfare until they have finished their course. If they keep the faith, they will have the crown of rejoicing […]. Great is the reward of self-sacrifice, though we may never receive it in this world.219
Elaine Follis, Theologin, CS-Praktikerin und ehemalige Professorin des CSCollege Principia meint, dass Christliche Wissenschaftler – insgesamt gesehen – im Dritten Reich den Prinzipien ihres Glaubens nicht ganz gerecht wurden bzw. an der Herausforderung scheiterten, gemäß den von Eddy vorgegebenen Idealen zu leben.220 216 Zum CS-Literaturschmuggel und heimlicher CS-Praxis vgl. CSPS, Wartime Activities, 256–271, und Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 9. In seinem Bericht über die Zeit der Verfolgung erzählt z. B. Siegmund Weltlinger, Mitvorsitzender der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit, dass er und seine Frau von 1943 bis 1945 von einer christlich-wissenschaftlichen Familie in deren kleiner Zweizimmerwohnung in Berlin vor den Nazis versteckt worden waren. Vgl. Weltlinger, Erlebnisbericht, 26–27. 217 Vgl. hierzu auch King, Women and Spirituality, 48–50, 56–57 und 194–195, sowie Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 9, 6–8. Einer der Anführer der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“, Helmuth James von Moltke, war zwar von seinen Eltern im Geiste von Christian Science erzogen worden, wurde jedoch später Mitglied der regulären evangelischen Landeskirche. 218 So sagte sie zum Beispiel während des Spanisch-Amerikanischen Krieges dem Boston Herold: „Killing men is not consonant with the higher law whereby wrong and injustice are righted and exterminated.“ 1904 schrieb sie im Boston Globe über den RussischJapanischen Krieg: „Nothing is gained by fighting, but much is lost […]. War is in itself an evil, barbarous, devilish. Victory in error is defeat in Truth.“ Eddy, Erste Kirche, 277–278. 219 Science and Health, 28–29. Einen Teil dieser Passage zitiert auch Follis in Christian Science and the Third Reich, Kapitel 10 „Proscribing a World View“, 1. 220 „The question, then, is: Did Christian Scientists who lived during the period of the Third Reich heed this charge and respond to it as honestly and as directly as their Lea-
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Christian Science in Deutschland, 1914–1945 Persons whose theology denies the reality of evil are obligated to confront, challenge, and destroy the claims of evil under whatever guise presented. They cannot fulfill this duty so long as they seek to negotiate or make deals with evil, so long as their behavior in practical terms ignores rather than denies evil […], or so long as they remain silent when in a position to issue a warning against evil.221
Dieser Beobachtung ist sicherlich zuzustimmen. Allerdings wäre es angesichts der Tatsache, dass es auch eine Reihe deutscher Christlicher Wissenschaftler gab, die dazu bereit waren, ihre Freiheit für ihren Glauben zu riskieren, sowie einige, die deshalb ihr Leben verloren, nach Ansicht der Verfasserin falsch, die Mitglieder der Kirche pauschal für ihr Verhalten während der Nazi-Zeit zu verurteilen. Im Grunde entsprach dieses Verhalten dem der meisten anderen Mitglieder der vom Hitler-Regime verfolgten Gruppen, die es für ihre erste Pflicht hielten, sich um das eigene Überleben (bzw. das ihrer Familie) zu sorgen und im Übrigen darauf hofften, dass dieser Krieg – und der Nazi-Terror – bald vorüber gehen würden.222 Vier Jahre nach dem Verbot von Christian Science sollte sich diese Hoffnung endlich erfüllen. Bis dahin war allerdings ein Großteil der CS-Kirchengebäude (v.a. in Berlin, Dresden und Hamburg) durch die alliierten Fliegerangriffe zerstört worden und, wie andere Deutsche auch, hatten viele Christliche Wissenschaftler am Ende des Krieges ihre Häuser oder Wohnungen, manche auch ihr gesamtes Eigentum verloren.223 Außerdem kehrten sicherlich nicht alle christlich-wissenschaftlichen Soldaten unversehrt zu ihren Familien zurück, auch wenn für diese Art von Verlusten keine Quellenangaben vorliegen.224
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der, Mary Baker Eddy, intended? Clearly, the answer is no.“ Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 10, 1. Ebd. In ihrer bislang unveröffentlicht gebliebenen Studie fordert Follis eine Aufarbeitung dieses Fehlverhaltens auch im Hinblick auf den zukünftigen Weg der Kirche. Dies ist als erster großer Schritt hinsichtlich einer bislang nicht erfolgten kritischen Auseinandersetzung der Kirche mit ihrer Vergangenheit während des Dritten Reichs zu bewerten, dem hoffentlich weitere Schritte folgen werden. So schrieb eine Praktikerin später: „Indeed we had to go through the Red Sea and through the fiery furnace, but the Christ-consciousness was everpresent and we listened to the still small voice, saying: ‚Be still and know that I am God: I will be exalted among the heathens, I will be exalted in the earth.‘“ (UKD), zit. in Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 8. Vgl. ebd., 6–8. Follis berichtet, dass das Gebäude der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler in Berlin während des Krieges von der SS als Kino und Lounge benutzt wurde und bereits 1943 durch mehrere Bombeneinschläge sowie ein anschließendes Feuer vollständig zerstört wurde. Zur Zerstörung weiterer CS-Kirchen vgl. CSPS, Wartime Activities, 276–278. Kircheninterne Berichte (z. B. die der CSPS) konzentrieren sich fast ausschließlich auf die positiven Aspekte, d. h. in diesem Fall Familienzusammenführungen oder wunderbare Rettungen. Weder hier noch bei Follis, Beasley oder in anderen Quellen findet man konkrete Angaben über vermisste oder im Krieg gefallene Christliche Wissenschaftler.
Die Verfolgung Christlicher Wissenschaftler durch das Nazi-Regime
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Im Unterschied zur restlichen deutschen Bevölkerung stellte der Einmarsch der Alliierten für Christliche Wissenschaftler und andere von den Nazis verbotenen und verfolgten Gruppen jedoch keine Niederlage, sondern eine Befreiung dar. Die Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler wurden von den Besatzungstruppen in der Regel auch nicht als „Täter“ angesehen und oft sehr freundlich behandelt, zumal sich unter den Besatzern, v.a. unter den hochrangigen britischen Offizieren, selbst einige Christliche Wissenschaftler befanden.225 Zudem begann die Mutterkirche unmittelbar nach Ende des Krieges, Hilfe in Form von Personal, Literatur und anderen, von amerikanischen Mitgliedern gespendeten Sachleistungen nach Deutschland zu liefern. Der Wiederaufbau der zerschlagenen Kirchenstrukturen von Christian Science machte darum schnell Fortschritte.226 So gelang es mit britischer Hilfe, bereits im Juli 1945 in Hamburg einen großen neuen CS-Leseraum zu eröffnen, der sowohl von den hier stationierten britischen Soldaten als auch von deutschen Zivilisten genutzt wurde. In München, wo der erste Nachkriegsgottesdienst in einem Privathaus schon am 6. Mai stattgefunden hatte, richtete ein CS-Kaplan der US-Armee im August 1945 ein Service-Center für Kirchenmitglieder ein, und von hier aus wurden Münchner Gottesdienste bald per Radio in alle anderen Besatzungszonen übertragen. Überall in Deutschland (und den ehemals von den Nazis besetzten Gebieten) bemühten sich die verbliebenen oder zurückkehrenden Christlichen Wissenschaftler erfolgreich um die Reaktivierung ihres Gemeindelebens.227 Ein Jahr später gab es in den vier Besatzungszonen insgesamt schon mindestens 37 von Boston anerkannte CS-Zweigkirchen und Vereinigungen sowie über achtzig informelle (d. h. noch nicht fest etablierte) Gruppen. Auf den Untergang des Hitler-Regimes und das Ende des Zweiten Weltkrieges folgte somit ein beeindruckender Neuanfang von Christian Science – und alle Weichen für eine vielversprechende Zukunft der Gemeinschaft in Deutschland schienen richtig gestellt zu sein.228 Inwieweit die hierin gesetzten Hoffnungen
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Aber es wäre unrealistisch anzunehmen, dass es keine derartigen Fälle gab. Vgl. hierzu auch Braden, Christian Science Today, 293. Vgl. z. B. den Bericht über die Zusammenarbeit des britischen Generals Hollond und seines Freundes General Montgomery, dem Oberkommandeur der britischen Truppen, in der Einrichtung von CS-„Rest-Centers“ in den zurückeroberten Gebieten in CSPS, Wartime Activities, 269–270. Vgl. ebd., 270–276. Vgl. ebd., 271–279. 37 der Gemeinden sind im CS-Herold von 1947 angeführt. In Wartime Activities wird die Zahl der etablierten Gemeinden allerdings mit 71 angegeben. Hier heißt es, im amerikanischen Sektor habe es im Juli 1946 21 Kirchen und Vereinigungen sowie 14 informelle Gruppen gegeben, im britischen Sektor 22 Kirchen und Vereinigungen sowie 35 informelle Gruppen, und im russischen Sektor 28 Kirchen und Vereinigungen sowie vierzig informelle Gruppen. Vgl. ebd., 278–280 sowie 416–426.
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erfüllt oder enttäuscht worden sind, soll im folgenden Überblick über die Entwicklung der Christlichen Wissenschaft seit dem Zweiten Weltkrieg diskutiert werden.
IV. „CONTINUING SPIRIT“ ODER „CONSTITUTIONAL CRISIS“?1 DIE ENTWICKLUNG VON CHRISTIAN SCIENCE IN DEUTSCHLAND SEIT 1945 Die szientistische Glaubenslehre ist gewiß inkonsequent und widersprüchlich, aber eines hat sie für sich: sie ist aufgebaut aus Elementen echter, ursprünglicher Erfahrung und sie wird immer wieder lebendig durch das Erlebnis heilender Macht.2 Mrs. Eddy selbst und die Verkünder ihrer Lehre erhofften einmal den Beginn eines neuen „geistigen“ Zeitalters. Heute ist Christian Science ein Kardinalbeispiel dafür, wie geistige oder religiöse Impulse von einer Organisation gefangengesetzt werden können, die sich weitgehend als unfruchtbar erweist, – selbst dort, wo die Zeit zu neuen Aufbrüchen reif ist.3
Diese beiden Zitate des evangelischen Theologen Hans-Diether Reimer, der selbst als Kind „im Geist der Christlichen Wissenschaft“ erzogen, später jedoch zum Kritiker der Lehre und der Kirche Eddys wurde, spiegeln einige wesentliche Elemente der deutschen Rezeption von Christian Science in der Nachkriegszeit wider: die Ablehnung gegenüber einer Lehre, welche die Unwirklichkeit der materiellen Welt behauptet, ein Gefühl der Faszination oder Bewunderung angesichts der nicht zu leugnenden Heilungserfolge der Christlichen Wissenschaft und Kritik an einer Form der kirchlichen Organisation, die zu formalistisch und autoritär erscheint.4 1
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The Continuing Spirit heißt ein 1956 erschienenes Buch des glühenden Eddy-Verehrers Norman Beasley. Auf Stephen Gottschalks Kritik am Vorstand der Mutterkirche, der seiner Ansicht nach die Kirche seit Mitte der 1980er Jahre in eine „constitutional crisis“ geführt habe, wird später noch eingegangen. S. Gottschalk, Christian Science Polity, 244. Reimer, Anfänge, 14. Vgl. auch: „Das Phänomen der szientistischen Heilungen ist für den naiv naturwissenschaftlich Denkenden so ärgerlich, für einen eng konfessionell ausgerichteten Christen so skandalös-fremdartig und für unsere an Heilkräften überaus arme Zeit so verheißungsvoll, dass man es nicht einfach ignorieren kann.“ Reimer, Die Jünger, 14. Reimer, Gefangene Freiheit, 11. Der 1993 verstorbene Reimer, der zahlreiche Artikel über den „Szientismus“ schrieb und dessen von der EZW herausgegebene Studie Metaphysisches Heilen: Eine kritische Darstellung der „Christlichen Wissenschaft“ (Christian Science) von 1966 bislang die einzige deutsche Monographie zum Thema CS der Nachkriegszeit ist, sprach sich immer für einen fairen Dialog mit der Christlichen Wissenschaft aus. Trotz seiner Einwände gegen die Lehre Eddys, die er für zu einseitig und letztlich für nicht wirklich christlich hielt, wandte er sich immer gegen unfaire Polemik oder uninformierte Kritik. Vgl. z. B. Reimer, Anfänge, 14; Metaphysisches Heilen, 68–70; Christian Science, 62– 64; Fragwürdiges Comeback eines Bühnenstücks, 245–456. S. auch Brief von Ingrid Reimer an Verfasserin vom 22. März 2005.
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Noch beim hundertjährigen Jubiläum der Religionsgemeinschaft 1966 hatte Reimer geäußert, man könne die Wahl des bekannten ehemaligen Chefherausgebers des CS-Monitors, Erwin Canham, zum Präsidenten der Mutterkirche als Beginn einer neuen Ära von Christian Science sehen, „einer Epoche, die stärker bestimmt ist von einer neuen, jüngeren Generation, die eine Öffnung aus der orthodoxen Enge, eine allmähliche Befreiung zum selbständigen Denken bedeutet.“5 Knapp eine Dekade später sah Reimer diese Chance als vertan an und meinte enttäuscht: „Der Geist der Orthodoxie herrscht vor. […] Man behauptet Wissenschaftlichkeit, aber man verleugnet das für jede wahre Wissenschaft notwendige Lebenselement: Die Freiheit.“6 Nicht nur Reimer, sondern auch viele amerikanische Beobachter sahen bzw. sehen in der formalistischen Erstarrung (insbesondere in der absoluten Unveränderbarkeit des von Eddy verfassten Kirchenhandbuchs) einen von mehreren Gründen für das langsame Schwinden des einst so beeindruckenden Erfolges von Christian Science. So häufen sich in neueren Publikationen über die Christliche Wissenschaft Prognosen über deren Niedergang – es ist von „struggle“, „division“, „decline“, „fall“, „breakdown“ oder sogar „death“ der Kirche und Lehre Mary Baker Eddys die Rede.7 Manche dieser Einschätzungen mögen überzogen sein, aber tatsächlich hat Christian Science – in Deutschland und weltweit – seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts zunehmend mit einem der Kirche vorher unbekannten Problem zu kämpfen: dem des massiven Mitgliederschwunds.8 5
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Reimer, Die Jünger, 14. Der Präsident der Mutterkirche wird vom Vorstand (Board of Directors) ernannt, und seine Aufgabe ist es, die Kirche, deren innere Angelegenheiten vom Vorstand geregelt werden, nach außen hin zu repräsentieren. Die Amtszeit dauert allerdings nur ein Jahr, und der Inhaber darf frühestens nach drei Jahren wiedergewählt werden. Vgl. Church Manual, Artikel I, Absatz 2. Zur Zeit, d. h. im März 2009, wird dieses Amt von Barbara M. Vining ausgeübt. Reimer, Gefangene Freiheit, 11. Vgl. Gardners Kapitel „The Decline of Christian Science“, 201–220, und die dort zitierten Artikel aus dem Boston Globe, Time Magazine, der Chicago Tribune und New York Times; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 191–213; Fraser, God’s Perfect Child, 383–395; Lindsay, Growth Amid Struggles. Hierzu sei angemerkt, dass seit den 1960er Jahren viele der etablierten Kirchen ebenfalls unter zurückgehenden Mitgliedszahlen leiden. In den USA erfuhren traditionelle Denominationen wie die Methodisten oder Presbyterianer seither z. B. Rückgangsraten von bis zu 25 Prozent, während neuere evangelikale Kirchen, z. B. die Assemblies of God, Zuwachsraten von über 300 Prozent hatten. Auch bei der Evangelischen Kirche Deutschlands (EKD) und der Katholischen Kirche sind die Mitgliedszahlen seit den 1960er Jahren rückläufig, und die Rate der aktiven Kirchenmitglieder, die wöchentlich zum Gottesdienst gehen, sank in diesem Zeitraum bei den Katholiken von über fünfzig auf rund 15 und bei den Protestanten von rund 25 auf weniger als vier Prozent. Allerdings gibt es in Deutschland zur Zeit immer noch über 26 Millionen offiziell registrierte Katholiken und 52,8 Millionen EKD-Mitglieder, insofern sind diese Verluste im Vergleich zu denen der Christlichen Wissenschaft weniger dramatisch und nicht existenzgefährdend. Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Katholiken und Gottes-
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Während andere amerikanische Religionsgemeinschaften, die vor dem Zweiten Weltkrieg hinsichtlich ihrer Größe und ihres Einflusses durchaus mit Christian Science vergleichbar waren, seither ein deutliches Wachstum vorweisen können, ist bei den Anhängern Eddys das Gegenteil der Fall. So liegt zum Beispiel die Anzahl der Siebenten-Tags-Adventisten in Deutschland inzwischen bei rund 36.000 (weltweit sind es etwa 15 Millionen), die der Anhänger der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage bei 39.000 (weltweit ca. zwölf Millionen) und die der Zeugen Jehovas bei 165.000 (weltweit über sechs Millionen).9 Dagegen ist die Zahl der eingetragenen Mitglieder der Christlichen Wissenschaft in Deutschland seit dem Krieg von über 12.000 auf weniger als 3.000 gesunken (die weltweite Mitgliederzahl der Kirche wird heute auf 100.000 bis 120.000 geschätzt). Zwar war aufgrund zahlreicher Neugründungen die Gesamtzahl christlich-wissenschaftlicher Kirchen und Vereinigungen in den 1950er Jahren allein in Westdeutschland auf 116 gestiegen, sie fiel danach jedoch mehr oder weniger kontinuierlich ab und liegt zur Zeit (d. h. im Frühjahr 2009) im gesamten Bundesgebiet nur noch bei 62 (37 Kirchen und 25 Vereinigungen).10 Selbst wenn man berücksichtigt, dass es aufgrund der strengen Aufnahmekriterien sowie gewissen Vorbehalten gegenüber der Rolle der Mutterkirche eine relativ große Anzahl von Anhängern der Lehre Eddys gibt, die Christian Science praktizieren und auch regelmäßig an Gottesdiensten teilnehmen, ohne offiziell Mitglied zu werden (die Kirche selbst schätzt deren Zahl weltweit auf über eine Million, dienstteilnehmer; EKD, Referat Statistik, Kirchenmitgliederzahlen und Mitgliederentwicklung. Zur Entwicklung der Religiosität in Deutschland im Vergleich zu den USA s. auch Waldschmidt-Nelson, Looking Beyond Stereotypes; dies., Die Fragwürdigkeit der These von der religiösen Spaltung. 9 Vgl. Amerika Dienst Archiv, Religionsfreiheit, sowie die einschlägigen Artikel zur „Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage“, „Siebenten-Tags-Adventisten“ und „Zeugen Jehovas“ in Bowkers Oxford Dictionary of World Religions. 10 Vgl. CS-Herold vom März 2009 sowie Anhang D. Auch die Mitgliedszahlen der Gemeinden sind seit den 1950er Jahren massiv zurückgegangen. Aufgrund ihrer Besuche bei CS-Gottesdiensten sowie inoffiziellen Angaben ihrer Interviewpartner schätzt die Verfasserin die durchschnittliche Mitgliedszahl der Vereinigungen auf ca. zwölf und die der Zweigkirchen auf rund fünfzig. Daraus ergäbe sich heute eine Gesamtzahl von rund 2.200 offiziellen deutschen Kirchenmitgliedern. Zur weltweiten Mitgliedszahl sei angemerkt, dass die Mutterkirche im Rahmen der Zuteilung von CS-Geistlichen für die Soldaten der US-Streitkräfte den zuständigen US-Behörden 1941 ausnahmsweise Einblick in ihr Mitgliederverzeichnis gewährte. Die Zahl der eingetragenen amerikanischen Kirchenmitglieder lag damals bei 268.915. Mit Hilfe dieser Angabe und der Anzahl der anerkannten Kirchen und Vereinigungen im CS-Journal errechnete Charles Braden daraufhin eine Gesamtmitgliedszahl von rund 370.000. Vgl. Braden, Christian Science Today, 270–273. Die heutigen Zahlenangaben beruhen auf ähnlichen Hochrechnungen, denen z. B. der „American National Survey of Religious Identification“ zu Grunde liegt. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 191–192; Fraser, God’s Perfect Child, 399–400; Fichtner, Mrs. Eddy’s Church; Lindsay, Growth Amid Struggles.
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außenstehende Beobachter auf ca. 400.000), so lässt sich nicht leugnen, dass diese Entwicklung einen gravierenden Verlust darstellt.11 Wie konnte es zu einem solchen Niedergang kommen? Für den östlichen Teil Deutschlands liegt die logische Erklärung für dieses Phänomen sicherlich in dem 1951 erlassenen völligen Verbot von Christian Science in der DDR, auf das gleich noch eingegangen wird.12 Aber warum konnte eine Gemeinschaft, die es geschafft hatte, trotz gravierender Probleme mit Behörden und Justiz während des Kaiserreichs und der Weimarer Republik sowie zunehmender Repressalien und Verfolgung im Dritten Reich die Anzahl ihrer Mitglieder kontinuierlich zu erhöhen, keinen ähnlichen Erfolg in dem wesentlich entgegenkommenderen sozialen und kulturellen Umfeld der Bundesrepublik erzielen? Hierfür gibt es mehrere Ursachen, und die Frage, welche davon letzendlich ausschlaggebend waren und inwieweit auch die Kirchenleitung für den Mitgliederschwund verantwortlich zu machen ist, bleibt bis heute umstritten.13 Eine kurze Analyse der wichtigsten sozial-historischen und kircheninternen Entwicklungen soll im Folgenden zur Klärung der Zusammenhänge beitragen. IV.1. DAS VERHÄLTNIS ZWISCHEN REGIERUNG BZW. STAATLICHEN BEHÖRDEN UND CHRISTIAN SCIENCE IN DER BRD UND IN DER DDR Zunächst sei noch einmal daran erinnert, dass die Entwicklung nach dem Krieg durchaus positiv begann. In allen vier Besatzungszonen kam es – nicht zuletzt durch die massive Hilfe der Mutterkirche und die Spendenbereitschaft amerikanischer Christlicher Wissenschaftler – zu einem erfolgreichen Wiederaufbau der bis 1941 bestehenden Gemeindestrukturen. Darüber hinaus wurde eine ganze Reihe neuer CS-Zweigkirchen und CS-Vereinigungen gegründet, so dass sich deren offiziell von Boston anerkannte Gesamtzahl in Deutschland zwischen 1946 und 1950 von 71 auf 116 erhöhte.14 In fast allen größeren Städten gab es CS-Leseräume, und die Christliche Wissenschaft – 11
So treten zum Beispiel manche Raucher oder Leute, die gelegentlich gerne ein Glas Wein trinken oder denen andere Richtlinien der Kirche nicht akzeptabel erscheinen, nicht offiziell in die Kirche ein, obwohl sie Anhänger der Lehre Eddys sind. Andere meinen, dass CS ohnehin eigentlich keine Kirche braucht bzw. teilen die Auffassung von Marie Schön, dass kirchliche Strukturen dem wahren Verständnis von Eddys Lehre eher im Wege stehen. 12 Vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 50; Seek, Vision and Courage, 7–9. 13 Vgl. z. B. Lindsay, Growth Amid Struggles; Stark, Rise and Fall of Christian Science; Fincke, Christliche Wissenschaft; Gardner, Mary Baker Eddy; Fraser, God’s Perfect Child. 14 Vgl. CSPS, Wartime Activities, 279; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 7–8; Anhang D.
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deren Verfolgung im Dritten Reich wohl bekannt war – wurde von den Besatzungsbehörden, und später auch von den Behörden der neuen deutschen Regierung, fair und entgegenkommend behandelt.15 Eine bedeutende Rolle spielte in diesem Zusammenhang Howard Siepen, der von 1933 bis 1939 in Berlin als Korrespondent für den CS-Monitor gearbeitet hatte und während des Krieges für den Reuters Nachrichtendienst tätig war. Siepen übernahm von 1946 bis 1950 das Amt des KfV für die Russische Zone (inklusive Berlins) und zählte zu einer der effektivsten Führungspersönlichkeiten der Christlichen Wissenschaft im Nachkriegsdeutschland. Als Kontaktperson und geschickter Verhandlungsführer der Kirche den russischen Besatzern, aber auch den drei anderen Besatzungsmächten gegenüber trug er wesentlich zum Erfolg des Wiederaufbaus der CS-Gemeinden bei, insbesondere im zerstörten Berlin. Nach Auflösung der Zonen und der Teilung des Landes in West- und Ostdeutschland fungierte Siepen fünf Jahre lang als Sonderbeauftragter der Mutterkirche für die Verteilung von Hilfsgütern und Literatur, bevor er 1955 für 15 Jahre das Amt des KfV für die Bundesrepublik und Berlin übernahm.16 Siepen setzte sich u.a. maßgeblich dafür ein, dass die Christliche Wissenschaft erstmals in ihrer Geschichte in Deutschland den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erhielt. Das am 23. Mai 1949 verkündete Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland hatte nach dem Vorbild der Weimarer Reichsverfassung die individuelle Religionsfreiheit wieder hergestellt und ermöglichte allen religiösen Gemeinschaften, die durch ihre Satzung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer gaben, sich als Körperschaft des öffentlichen Rechts eintragen zu lassen.17 Auf ihren Antrag hin erhielt die 15 Dass die Behörden und Gerichte die Kirche respektierten bzw. dazu beitrugen, ihre Interessen zu wahren, zeigt sich z. B. auch daran, dass 1947 in der amerikanischen Besatzungszone das Ehepaar Liselotte und Hans Zeh wegen mehrerer Fälle von Betrug angeklagt wurde, wovon einer darin bestand, sich fälschlich als Mitglied der CS-Mutterkirche bzw. sogar als offiziell von Boston autorisierter „Direktor“ ausgegeben zu haben. Frau Zeh erhielt Amnestie, aber ihr Mann wurde von der Strafkammer des Landgerichts Marburg zu 15 Monaten Haft verurteilt. S. Anhang E. 16 Siepen und seine Frau Thea gehörten zu den ersten Deutschen, denen nach Kriegsende die Einreise in die USA genehmigt wurde. Sie lebten für vier Monate in Boston und nahmen dort am CS-Klassenunterricht teil. Obwohl ihnen angeboten wurde, in den USA zu bleiben, kehrten die beiden nach Deutschland zurück, um hier beim Wiederaufbau der Kirche zu helfen. Als Siepen 1970 in den Ruhestand ging, übernahm K. Dieter Förster das Amt des KfV. Vgl. King, Women and Spirituality, 258; Follis, Christian Science and the Third Reich, Kapitel 8, 7-8; Anhang F. 17 Vgl. Grundgesetz, Artikel 136 und 140 (in Verbindung mit Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung). Wie schon kurz erwähnt, verleiht der Körperschaftsstatus u.a. das Recht, von Mitgliedern Steuern zu erheben, Stiftungen zu gründen, Dienstverhältnisse öffentlich-rechtlicher Natur zu begründen und die Anerkennung als freier Träger nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz und im Sozialhilferecht zu bekommen. Hinzu kommen Befreiungen und Vergünstigungen im Kosten- und Gebührenrecht sowie bei der
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Christliche Wissenschaft in Bayern bereits im Juli 1949, in Niedersachsen im Oktober 1950, in Hamburg im März 1952 und in Berlin im Dezember 1954 den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.18 In anderen Bundesländern gab es allerdings Probleme – insbesondere seit die Kultusministerkonferenz der Länder im März 1954 neue Richtlinien zur „Verleihung der öffentlichen Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ verabschiedet hatte, die von Antragstellern verlangten, neben Kopien ihrer Satzungen verbindliche Angaben über ihre Geschichte, Finanzierung und aktuelle Mitgliederzahl vorzulegen. Hierbei wurde als Mindest-Mitgliederzahl für die Anerkennung ein Promille der Gesamtbevölkerungszahl des jeweiligen Bundeslandes empfohlen.19 Obwohl angesichts ihrer langen Geschichte in Deutschland bei der Christlichen Wissenschaft die „Gewähr der Dauer“ sicherlich gegeben war, lehnte daraufhin das Land Hessen den Antrag der Kirche auf Körperschaftsstatus im Januar 1956 ab. Ein erneuter Vorstoß der Kirche scheiterte 1985 ebenfalls daran, dass sie – gemäß den Bestimmungen ihres Handbuchs – dem Hessischen Kultusministerium keine genauen Angaben über ihre Mitgliedszahlen machen konnte.20 Auch in anderen Bundesländern, in denen es relativ viele Christliche Wissenschaftler gibt, z. B. in Nordrhein-Westfalen oder Baden-Württemberg, gelang es der Christian Science seither nicht, Körperschaftsstatus zu erlangen.21
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Steuerpflicht und u.U. ein Anspruch auf Sendezeit in öffentlich-rechtlichen Medien bzw. eine Mitwirkung in Rundfunk- und Medienrat. Vgl. hierzu z. B. Bohl, Körperschaftsstatus; Neumann, Kirche und Körperschaftsstatus; Otto, Brief an die Verfasserin vom 16. August 2005. Das Bayerische Kultusministerium verlieh der „Christian Science in Bayern“ den Körperschaftsstatus mit Beschluss Nr. I 46990 vom 22. Juli 1949. Vgl. Bestätigungsschreiben an das KfV vom 12. November 1976. Der Niedersächsische Kultusminister erteilte CS diesen Status durch Beschluss Nr. A 6419 / 50 vom 31. Oktober 1950. Vgl. Bestätigungsschreiben an das KfV vom 27. November 1950. Der Senat der Hansestadt Hamburg tat dies am 12. März 1952 durch ein eigenes Gesetz (Nr. 12), vgl. Bestätigungsschreiben vom 26. März 1952, und der Berliner Senat verlieh allen elf CS-Zweigkirchen Berlins durch Beschluss Nr. 5506 vom 13. Dezember 1954 den Körperschaftsstatus, der durch Senatsbeschluss Nr. 1284 / 81 vom 17. Februar 1981 auch dem neugegründeten Gesamtverband der „Christian Science in Berlin“ zugesprochen wurde. Vgl. Senatsbeschluss vom 13. Dezember 1954 und Bestätigungsschreiben an das KfV vom 19. Februar 1981. Vgl. Anerkennungskriterien für die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgemeinschaften, Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 12. März 1954; Hessisches Kultusministerium, i.A. Jürgen Otto, Brief an die Verfasserin vom 16. August 2005. Vgl. Church Manual, Artikel VIII, Absatz 28: „Christian Scientists shall not report for publication the number of the members of The Mother Church, nor that of the branch churches. According to the Scripture they shall turn away from personality and numbering the people.“ Vgl. Anhang D; Hessisches Kultusministerium, i.A. Ulrike Naumann und Jürgen Otto,
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Es sei jedoch ausdrücklich betont, dass die Ursache für diese Verweigerungen des Körperschaftsrechtes in formalen Kriterien lag bzw. liegt (d. h. vor allem an nicht zur Verfügung gestellten Mitgliedszahlen, die zudem in den meisten Fällen die Ein-Promille-Hürde nicht überschreiten würden) und nicht an grundsätzlichen Vorbehalten der Bundesregierung oder der Regierungen der einzelnen Länder bzw. der jeweiligen Behörden gegen Christian Science (im Gegensatz zu anderen Fällen, zum Beispiel dem der Zeugen Jehovas oder der Scientology-Gemeinschaft).22 Man könnte im Gegenteil das Verhalten der staatlichen Autoritäten der Bundesrepublik gegenüber Christian Science insgesamt eher als wohlwollend bezeichnen. So wurde zum Beispiel dem Chefherausgeber des CS-Monitors, Erwin D. Canham, 1960 das Große Bundesverdienstkreuz verliehen, und als er 1966 als Präsident der Mutterkirche im Rahmen einer Reise zum hundertjährigen Jubiläum nach Deutschland kam, ehrte man ihn respektive die Kirche mit einer öffentlichen Festveranstaltung im Schauspielhaus von Frankfurt, an der über 1.000 geladene Gäste teilnahmen.23 Außerdem schickte Bundespräsident Heinrich Lübke 1966 folgendes Glückwunschtelegramm an die Zentrale der Kirche in Boston: Im Namen des deutschen Volkes und im eigenen Namen spreche ich der Christlichen Wissenschaft zu ihrem hundertjährigen Bestehen aufrichtige Glückwünsche aus. In vie-
Briefe an die Verfasserin vom 9. August 2005 und 16. August 2005; Herr, Christliche Wissenschaft, 50, und Interview vom 25. Juli 2005. 22 Während anderen amerikanischen religiösen Sondergemeinschaften, z. B. den Mormonen oder auch den Adventisten, der Körperschaftsstatus in den meisten Bundesländern verliehen wurde, gibt es bei den zuständigen Gremien der Bundesregierung und der Länder große Vorbehalte gegen Scientology und die Zeugen Jehovas, dass diese z. B. die Freiheitsrechte ihrer Mitglieder beschneiden und diese finanziell ausbeuten, dass sie die Verfassung der Bundesrepublik nicht anerkennen oder sogar staatsfeindliche Zwecke verfolgen. Die Zeugen Jehovas lehnen z. B. jede Form der weltlichen Regierung ab und nehmen deshalb auch nicht an Wahlen teil. Erst nach zwölfjährigem Kampf gelang es ihnen am 24. März 2005 durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes von Berlin, den Körperschaftsstatus für Berlin zu erhalten, da das Gericht den Vorwurf der mangelnden Rechtstreue als nicht bewiesen ansah. Die erst 1954 von Ron Hubbard in den USA gegründete Church of Scientology gilt in Deutschland als gefährliche „Sekte“, der, wie das Bundesarbeitsgericht am 22. März 1995 urteilte (Aktenzeichen: 5 AZB 21 / 94), der Status einer Religionsgemeinschaft nicht zukommt. In mehreren Bundesländern wird Scientology vom Verfassungsschutz observiert. In Bayern wird die Öffentlichkeit vom Kultusministerium regelmäßig vor Scientology gewarnt (z. B. durch Aufklärungsbroschüren oder in Elternzeitschriften), und Angehörige dieser Gemeinschaft dürfen nicht in den Staatsdienst aufgenommen werden. Von Scientology, aber auch von offizieller amerikanischer Seite her, wird dies als unzulässige Diskriminierung und Verletzung der Religionsfreiheit verurteilt. Vgl. hierzu Enquete-Kommission, Endbericht; Amerika Dienst Archiv, Religionsfreiheit. 23 Vgl. Reimer Die Jünger, 14.
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Christian Science in Deutschland seit 1945 len Ländern der Erde hat sich Ihre Glaubensgemeinschaft als eine moralische Kraft bewährt, der auch viele Deutsche Dank schulden.24
Ein weiteres Indiz staatlichen Wohlwollens zeigt sich darin, dass die Kirche Christi, Wissenschaftler in der Bundesrepublik keine Probleme damit hat, öffentliche Räume für ihre Veranstaltungen zu mieten. So wurden in der Nachkriegszeit bis zur Fertigstellung eigener Kirchengebäude viele Gottesdienste und Zeugnisversammlungen Christlicher Wissenschaftler in städtischen Räumlichkeiten (darunter Hörsäle von Universitäten) gehalten. Bis heute finden CS-Vorträge, zu deren Veranstaltung jede Zweigkirche laut Handbuch mindestens einmal im Jahr verpflichtet ist, meist in öffentlichen Kulturzentren, Stadtsälen, Galerien, Kurhäusern oder Kongresszentren statt.25 Darüber hinaus erhält die Kirche regelmäßig Sendezeit im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und trotz des sporadisch geäußerten Misstrauens kirchlicher Sektenbeauftragter, worauf später noch eingegangen wird, scheinen staatliche Stellen in der BRD seit den 1940er Jahren keine Vorurteile gegenüber Christian Science gehegt und keine repressiven Maßnahmen gegen die Kirche ergriffen zu haben.26 Diese neutrale bis wohlwollende Haltung der öffentlichen Hand änderte sich auch nicht durch die Diskussionen oder Arbeitsergebnisse der 1996 vom Deutschen Bundestag einberufenen Enquete-Kommission „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“. In deren über 500 Seiten langem Abschlussbericht von 1998 wird Christian Science kein einziges Mal erwähnt.27 Auf Fragen nach dem Grund für diese Auslassung antworteten mehrere Mitglieder der Kommission, dass Christian Science von ihnen nicht als gefährliche „Sekte“, sondern als eine religiöse Sondergemeinschaft angesehen wird, die sich zwar vom orthodoxen Christentum deutlich unterscheidet, die aber aufgrund ihres „nicht-konfliktträchtigen“ Verhaltens und ihrer relativ geringen Größe weder
24 Lübke zit. in KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 1. 25 In München feierten z. B. die Mitglieder der zweiten Kirche nach dem Krieg ihre Gottesdienste bis 1959 in den Hörsälen des Zoologischen Instituts der Universität in der Luisenstraße und danach im Sophiensaal am Alten Botanischen Garten, bis 1981 ihre eigene Kirche in der Unteren Feldbergstraße 1 eingeweiht werden konnte. Vorträge finden u.a. im Kulturzentrum am Gasteig statt. Vgl. Huber, Zweite Kirche Christi, Wissenschafter, München, 4. Zu Informationen über die in Deutschland gehaltenen CS-Vorträge und Veranstaltungen (von 2004 bis heute, inkl. Titel und Veranstaltungsort) vgl. die Webseiten http://www.christian-science.de und http://www.christian-sciencedeutschland.de/1–4.htm. 26 Vgl. Interview der Verfasserin mit Herr vom 25. Juli 2005; Abel, Gespräch mit Verfasserin vom 21. Juni 2005. Zu einer Übersicht über Radiosendungen z. B. im Bayerischen Rundfunk (Bayern 2), im Deutschlandradio Kultur und auf Kurzwelle vgl. das monatliche Radioprogramm im CS-Herold sowie die entsprechenden Hinweise des KfV auf der Website http://www.christian-science.de. 27 Vgl. Enquete-Kommission, Endbericht.
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als Bedrohung individueller Bürger- und Menschenrechte noch als Gefährdung der staatlichen Sicherheit eingeschätzt wird.28 Interessant ist in diesem Zusammenhang ebenfalls, dass infolge der offiziellen Anerkennung der Kirche Christi, Wissenschaftler als Religionsgemeinschaft die praktische Ausübung von Christian Science vom deutschen Gesetzgeber als reine Seelsorge und nicht als heilkundliche oder heilpraktische Tätigkeit angesehen wird. Dies bedeutet, dass die Anwendung und auch das berufliche Praktizieren von Christian Science nicht unter die Bestimmungen des Heilpraktikergesetzes fallen.29 Der große Vorteil dieser Einschätzung für die Kirche liegt auf der Hand: CS-Praktiker müssen keine medizinischen oder anatomischen Kenntnisse erwerben und keine staatlich kontrollierten Qualifikationsanforderungen erbringen, um ihren Beruf in Deutschland ausüben zu können.30 Der Nachteil ist allerdings der, dass es für hiesige Krankenkassen (im Unterschied zu amerikanischen) keine Möglichkeiten gibt, Kostenerstattungspläne für christlich-wissenschaftliche Heilbehandlungen anzubieten. So zahlen die meisten Christlichen Wissenschaftler in Deutschland jeden Monat ihre Pflichtbeiträge für eine Krankenversicherung, die sie nie oder kaum in Anspruch nehmen, und müssen zusätzlich ihre CS-Heilbehandlungen selbst bezahlen.31 28 Vgl. Enquete-Kommission, Endbericht; Gespräche der Verfasserin mit Abel (am 21. Juni 2005) und Gasper (am 15. Juli 2005); Schreiben Seiwerts vom 19. Februar 2006. Als in dieser Hinsicht mit CS vergleichbare Gruppe nannten Abel und Gasper auch die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen). 29 Vgl. hierzu folgenden Auszug aus dem Brief des Bundesministers des Inneren an das CS-KfV in Frankfurt vom 7. Mai 1957: „Ich bestätige Ihnen hiermit […], daß eine rein seelsorgerische Tätigkeit, die durch Vertreter einer Religionsgemeinschaft ausgeübt wird, auch dann nicht Ausübung der Heilkunde ist, wenn eine solche seelsorgerische Tätigkeit zur Linderung oder Heilung von Leiden führt.“ Zit. in KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 28. 30 In einem konkreten Fall führte genau die zitierte Anerkennung des Bundesinnenministeriums zum Freispruch einer CS-Praktikerin, die 1964 wegen Verletzung des Heilpraktikergesetzes angeklagt war. In der Urteilsbegründung des Amtsgerichts Düsseldorf vom 21. September 1964 (Aktenzeichen 55 Ds 156 / 66) wurde bestätigt, dass die Tätigkeit eines CS-Praktikers „keine Heilbehandlung im Sinne des Heilpraktikergesetzes“ sei, sondern „religiös-seelsorgerischer Natur“. Die Funktion des Praktikers käme darum eher der eines Geistlichen, nicht der eines Arztes gleich. Vgl. KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 32–33; Anhang E. 31 Zwar übernehmen auch öffentliche Krankenkassen in Deutschland in den letzten Jahren zunehmend Kosten für sogenannte alternative Heilmethoden (z. B. Akupunktur oder Homöopathie), bei CS ist jedoch keine Kostenerstattung möglich. In der Schweiz gab es eine Zeitlang eine Krankenversicherung für CS, die auch deutsche Kirchenmitglieder aufnahm, dies ist jedoch offenbar seit Anfang der 1990er Jahre nicht mehr der Fall. Vgl. Pflegedienst für Christliche Wissenschafter, Fragen und Antworten, 10. Vgl. hierzu auch die Interviews der Verfasserin mit Herr, Huber, Pabst und Spitz. In den USA gibt es eine Reihe von Krankenversicherungen, die seit den 1950er Jahren CS als „alternative health care“ akzeptieren und entsprechende Versicherungsleistungen anbieten. Für
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Vielen erscheint es unfair, dass andere alternative Heilmethoden, zum Beispiel Homöopathie und Akupunktur, deren Wirksamkeit naturwissenschaftlich genauso schwer nachzuweisen ist wie die von Christian Science, in Deutschland versicherbar sind, CS-Heilbehandlungen dagegen nicht. Aber da die Kirche selbst die Praxis von Christian Science explizit als religiöse Tätigkeit, d. h. als eine Form der Seelsorge versteht (die physische Heilung gilt als „nachfolgendes Zeichen“) und CS-Praktiker – im Gegensatz zu Akupunkteuren und Homöopathen – keine auch noch so minimal staatlich anerkannte Ausbildung absolvieren, sind es letztendlich die Glaubensprinzipien des geistigen Heilens selbst, welche der Christlichen Wissenschaft den Zugang zu einem auf materialistischen Prinzipien aufgebauten staatlichen Versicherungssystem verwehren.32 Beachtenswert ist in diesem Zusammenhang, dass die staatliche Bewertung der christlich-wissenschaftlichen Pflege kranker oder alter Menschen durch CS-Pfleger (CS-Nurses) bis Ende der 1990er Jahre in den einzelnen Bundesländern recht unterschiedlich ausfiel.33 So erfreute sich das mit einer Kapazität von dreißig Betten größte deutsche CS-Pflegeheim „Haus Lindenfels“ in Hessen seit vielen Jahren staatlicher Anerkennung und erhielt nach Einrichtung der Pflegeversicherung 1995 für seine stationären Patienten auch entsprechende Mittel.34 Ähnliche, aber kleinere CS-Pflegeeinrichtungen in die Unternehmen ist dies durchaus lukrativ, denn erstens werden Christliche Wissenschaftler in der Regel seltener krank als Durchschnittsbürger, zweitens nehmen sie keine Medikamente ein, drittens sind christlich-wissenschaftliche Behandlungen meist um ein vielfaches preisgünstiger als schulmedizinische Maßnahmen und viertens, sollten Kirchenmitglieder wirklich an einer schlimmen, unheilbaren Krankheit leiden, sterben sie zu Hause oder in einem Hospiz, ohne vorher monatelang die extrem kostenaufwändige Intensivmedizin der Krankenhäuser in Anspruch genommen zu haben. Vgl. hierzu o.g. Interviews sowie Fraser, God’s Perfect Child, 275–279. 32 Auf die Frage hin, ob es denn nicht für CS-Praktiker oder CS-Pflegekräfte möglich wäre, aus rein pragmatischen Gründen eine Zusatzausbildung als Krankenschwester oder Heilpraktikerin zu machen, wurde geantwortet, eine solche Ausbildung sei mit dem Prinzip des geistigen Heilens nicht vereinbar. Vgl. Interview mit Huber und Gespräch mit Lapp. 33 CS-Pflegekräfte sind nicht staatlich akkreditiert, sondern müssen die Primary-Class sowie einen speziellen Trainingskurs in „CS-Nursing“ absolviert haben. Ihre Namen stehen genau wie die der Praktiker im CS-Journal. Vgl. hierzu Artikel VIII, Absatz 31 des Church Manuals: „A member of the Mother Church who represents himself or herself as a Christian Science nurse shall be one who has a demonstrable knowledge of Christian Science practice, who thoroughly understands the practical wisdom necessary in a sick room, and who can take proper care of the sick.“ In ganz Deutschland gibt es zur Zeit allerdings nur 17 offiziell eingetragene vollberufliche CS-Nurses, im Vergleich zu immerhin 66 eingetragenen CS-Praktikern. Vgl. CS-Herold, April 2008, 36–38. 34 Der Träger des 1988 eröffneten „Haus Lindenfels“ ist der Verein „Christian Science Pflegewerk“, der Mitglied im Paritätischen Wohlfahrtsverband ist. Obwohl sich in Lindenfels immer nur ausschließlich CS-Pflegekräfte um die Patienten gekümmert haben (unter denen sich übrigens auch einige ehemalige Krankenschwestern befanden), lau-
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Baden-Württemberg und Bayern kämpften jahrelang vergeblich um die gleichen Rechte. Schließlich zogen die Christlichen Wissenschaftler vor Gericht. Zu ihrer Enttäuschung kam im August 1998 das Bundessozialgericht zu dem Urteil, dass CS-Pflegeeinrichtungen, in denen keine staatlich anerkannten Fachkräfte arbeiten, nicht den staatlichen Rahmenbedingungen für den Betrieb eines Pflegeheims entsprechen und darum keinen Anspruch auf staatliche Leistungen haben.35 Folglich scheiterten nicht nur die neuen Anträge, sondern aufgrund der bundesweiten Rechtsbindung der Entscheidungen des Bundessozialgerichts erhält „Haus Lindenfels“ seither ebenfalls keine Gelder aus der Pflegeversicherung mehr.36 Dass der Ausgang dieses Prozesses von den betroffenen Kirchenmitgliedern sehr bedauert wurde, ist verständlich.37 Trotzdem lässt sich aus dieser Verweigerung von staatlichen Versicherungsleistungen weder im Fall der Kranken- noch im Fall der Pflegeversicherung eine grundsätzliche Negativeinstellung der zuständigen Behörden oder des Gesetzgebers gegenüber der Christlichen Wissenschaft konstruieren, denn es handelt sich um allgemein gültige versicherungsrechtliche Fragen. Zudem betraf das Urteil des Bundessozialgerichts auch eine Reihe nicht christlich-wissenschaftlicher Einrichtungen (z. B. private Hospize). Das Kernproblem von Christian Science in diesem Punkt liegt neben der prinzipiellen Ablehnung des Erwerbs staatlichtete damals das Urteil der hessischen Verbände der Pflegekasse, dass die Einrichtung „sowohl unter baulichen als auch unter pflegerischen und anderen Aspekten alle gesetzlichen Kriterien“ für den Erhalt von staatlichem Pflegegeld erfülle. Vgl. Riedel, Pflegeheim in Lindenfels, 20; Gespräch der Lindenfels-Leiterin Helga Lapp mit der Verfasserin vom 5. Juli 2006. S. auch die Homepage des Heims: http://www.hauslindenfels. de/4790.html. 35 Vgl. Urteil des Bundessozialgerichts in Kassel vom 6. August 1998 (B3P 8 / 97 R), zit. in N.N., Pflegeheim darf nicht nur auf Gebet vertrauen, 14, s. auch Riedel, Pflegeheim in Lindenfels, 20. Die Richter gaben bei der Urteilsverkündung gegenüber den Vertretern der Kirche zu, sie bedauerten, diese Entscheidung fällen zu müssen, aber der Text des Pflegeversicherungsgesetzes verlange ausdrücklich die Einstellung medizinisch geschulten und staatlich zugelassenen Fachpersonals für den Betrieb eines Pflegeheims. Lapp sagte, auch die bei dem Prozess anwesenden Vertreter der Krankenkassen hätten die Entscheidung bedauert, da die stationäre Pflege in CS-Einrichtungen sehr viel preiswerter ist als in regulären Pflegeheimen. Vgl. Gespräch der Verfasserin mit Lapp sowie Brief Herrs an die Verfasserin vom 25. Juli 2006. 36 Vgl. Riedel, Pflegeheim in Lindenfels, 20; Lapp, Gespräch mit Verfasserin. Haus Lindenfels finanziert sich heute aus privaten Spenden und den Beiträgen derjenigen, die sich hier pflegen lassen. Für bedürftige Christliche Wissenschaftler gibt es auch die Möglichkeit, bei einem hauseigenen Fond bzw. einem speziell hierfür eingerichteten Hilfsfond der Mutterkirche finanzielle Unterstützung zu beantragen. 37 Auch hier gilt, wie bei der Krankenversicherung, dass alle Christlichen Wissenschaftler in Deutschland in die Pflegeversicherung einbezahlen, aber die von ihnen erwünschte Pflege selbst bezahlen müssen. Viele pflegebedürftige Christliche Wissenschaftler erhalten allerdings auch ehrenamtliche Hilfe von CS-Praktikern und anderen Gemeindemitgliedern. Vgl. Interview mit Huber vom 27. Juli 2005.
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geprüfter Qualifikationen sicherlich auch darin, dass Christliche Wissenschaftler im Gegensatz zu den Anhängern anderer alternativer Heilmethoden (zum Beispiel Homöopathie oder Akupunktur) über keine organisierte Interessenvertretung verfügen, die sich im deutschen Gesundheitswesen für eine sie begünstigende Liberalisierung der geltenden Bestimmungen einsetzt.38 Trotz der Tatsache, dass öffentliche Versicherungsleistungen nicht gewährt werden, lässt sich somit zusammenfassend festhalten, dass die Regierung bzw. die staatlichen Behörden der Bundesrepublik Deutschland von der Nachkriegszeit bis heute fast durchweg eine neutrale bis wohlwollend kooperative Haltung gegenüber der Christlichen Wissenschaft gezeigt haben. Genau das Gegenteil war allerdings im Osten des von 1949 bis 1990 zweigeteilten Deutschlands der Fall. Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik, deren kommunistische Weltanschauung Religion generell als „Opium fürs Volk“ (Karl Marx) verurteilte, hätte am liebsten das Christentum, das sie (nicht zu Unrecht, wie sich später zeigen sollte) als potentiell gefährliche Gegenkraft zu ihrem atheistischen totalitären Regime erkannte, sowie alle anderen Religionsgemeinschaften ganz aus der „sozialistischen Volksgemeinschaft“ ausgemerzt. So begann man schon bald nach der Gründung der DDR, durch verschiedene Maßnahmen (v.a. Diskriminierung bei Ausbildungsmöglichkeiten oder Berufswahl) der Bevölkerung die Mitgliedschaft in einer Kirche so unattraktiv wie möglich zu machen.39 Gleichzeitig wurden einige kleine religiöse Gemeinschaften 1951 komplett verboten. Neben den Zeugen Jehovas fiel auch die Kirche Christi, Wissenschaftler, die bis dahin 42 Gemeinden auf dem Gebiet der DDR wieder aufgebaut oder neu etabliert hatte, unter dieses Verbot.40 Angesichts der Zuspitzung des Kalten Krieges zu dieser Zeit (Berlin Blockade 1948 bis 1949, Korea-Krieg 1950 bis 1953) lag der Grund für dieses 38 Diese Ansicht teilten auch zahlreiche der hierzu von der Verfasserin befragten Kirchenmitglieder. 39 Eine Strategie, die durchaus Erfolg hatte, wenn man bedenkt, dass 1946 über neunzig Prozent der Deutschen in der Sowjetischen Besatzungszone Kirchenmitglieder waren und diese Zahl bis 1989 auf knapp 25 Prozent sank. Zur Geschichte der Verfolgung und Diskriminierung von Christen in der DDR vgl. Fischer, Christen in der DDR; Henkys, Gottes Volk im Sozialismus; Kaiser / Frie (Hg.), Christen in der DDR; Dähn / Heise (Hg.), Staat und Kirchen in der DDR; Hall, Minority Churches in the GDR. Gute weiterführende Literaturhinweise bietet auch Kaiser / Kuhnke (Hg.), Christen, Staat und Gesellschaft in der DDR. 40 Vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 50. Bei den Zeugen Jehovas war in der DDR wie schon im Dritten Reich deren absolute Gefolgschaftsverweigerung ausschlaggebend für die besondere Aversion und Brutalität des Regimes ihnen gegenüber. Vgl. Hacke, Zeugen Jehovas. Andere amerikanische Religionsgemeinschaften in der DDR hatten zwar auch Probleme mit dem Regime (z. B. die Adventisten und die Mormonen), wurden jedoch nicht verboten. Zu deren Erfahrungen in der DDR gibt es bislang kaum wissenschaftliche Untersuchungen. Eine empfehlenswerte Studie zu diesem Thema ist die noch unveröffentlichte Dissertation des amerikanischen Historikers Bruce Hall.
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Verbot neben dem amerikanischen Ursprung der Gemeinschaft und deren Unterstützung demokratisch-kapitalistischer Strukturen (die u.a. in der Berichterstattung des CS-Monitors klar erkennbar waren) in der intensiven Verbindung der Zweigkirchen mit der Mutterkirche in Boston. Ein derartig enger organisatorischer Kontakt mit den USA musste der DDR-Regierung inhärent subversiv und gefährlich erscheinen. Offiziell wurde das Verbot gegen die Kirche allerdings damit begründet, dass die Ausübung von Christian Science gegen das Heilpraktikergesetz verstoße.41 Es ist an dieser Stelle nicht möglich, auf die Erfahrungen Christlicher Wissenschaftler in Ostdeutschland und auf die einzelnen Maßnahmen der DDR-Regierung zur Unterdrückung von Christian Science ausführlicher einzugehen.42 Kurz erwähnt sei jedoch, dass die Kirchenmitglieder sich in der DDR, angesichts der Bespitzelung und Verfolgung durch den Staatssicherheitsdienst (Stasi) ganz ähnlich verhielten, wie sie dies in den letzten Jahren der Nazi-Herrschaft getan hatten. Nach der erzwungenen Auflösung der Zweigkirchen akzeptierte die Mehrzahl der Christlichen Wissenschaftler das Verbot und praktizierte Christian Science, wenn überhaupt, nur privat bzw. heimlich im Familien- und engen Freundeskreis. Manche bewiesen allerdings großen Einfallsreichtum und Geschicklichkeit im Umgehen der staatlichen Repressionsmaßnahmen. So gab es zum Beispiel einen regen Schmuggel mit der in der DDR streng verbotenen christlich-wissenschaftlichen Literatur von West- nach Ost-Berlin, an dem sich sowohl Kinder als auch Großmütter beteiligten.43 Aber einen offenen Widerstand gegen das Regime oder eine großflächig organisierte Untergrundbewegung gab es nicht. Vielleicht trug diese „gute Führung“ dazu bei, dass das Regime allmählich den Druck etwas lockerte. Allerdings geschah dies sehr langsam. So konnte man zum Beispiel in der DDR erst ab Mitte der 1980er Jahre wieder auf legalem Wege CS-Literatur beziehen.44 Sechs Tage vor dem Fall der Mauer, am 3. November 1989, wurde das Verbot schließlich aufgehoben und die Christliche Wissenschaft in 41 Vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 50; Gespräch mit Obst vom 12. Juli 2005; Zander, Mein Weg, 1. 42 Der Christliche Wissenschaftler, Historiker und ehemalige amerikanische Vizekonsul von München, Gregory Sandford, arbeitet zurzeit an einer Monographie mit dem Arbeitstitel The Church that Came in from the Cold: Christian Science in the GDR, 1945– 1989, die voraussichtlich 2010 erscheinen wird. S. Korrespondenz mit Sandford vom Juni 2006 und Mai 2008. 43 Vgl. hierzu die Schilderungen von Michael Seek, dem heutigen Mitherausgeber des CSHerold, der schon als zwölfjähriger Junge, inspiriert durch das Vorbild seiner Großmutter, regelmäßig CS-Zeitschriften und Exemplare von S&H unter seinem Pullover versteckt über die Grenze brachte. Seek, Vision and Courage, 7–9. 44 Inge Zander berichtet, dass dies auf Druck einiger einflussreicher West-Berliner Kirchenanhänger geschah. Allerdings musste man sich für den Empfang der Literatur persönlich bei den Behörden anmelden und wurde spätestens dann von der Stasi observiert. Vgl. Zander, Mein Weg, 1–2.
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der DDR wieder als Religionsgemeinschaft anerkannt. In Leipzig und anderen Städten fanden wenige Tage später große Dank- und Festveranstaltungen der Kirche statt, teilweise sogar mit eigens angereisten Vertretern der Mutterkirche aus Boston, und schon bald konnte sich zumindest ein Teil der früheren Gemeinden wieder als Zweigkirchen konstituieren.45 Die Legalisierung von Christian Science in Ostdeutschland und die wenig später folgende Wiedervereinigung führte somit zu einer deutlichen Erhöhung der Anzahl an offiziell anerkannten CS-Gemeinden in der Bundesrepublik während der 1990er Jahre. Diese Zahl war von 1980 bis 1990 von 108 auf 72 gefallen, stieg jedoch nach der Wiedervereinigung noch einmal auf 96 an. Inzwischen macht sich allerdings auch in den neuen Bundesländern das oben genannte Problem des Mitgliederschwundes deutlich bemerkbar. Im Frühjahr 2008 gab es hier nur noch eine Zweigkirche (in Dresden) sowie fünf CS-Vereinigungen (im östlichen Stadtteil von Berlin, in Chemnitz, Leipzig, Magdeburg und Zwickau), und im gesamten Bundesgebiet sank die Zahl der eingetragenen CS-Gemeinden seit Beginn der 1990er Jahre um ein Drittel (von 96 auf 62).46 So stellt sich erneut die Frage, warum es angesichts des relativ konfliktfreien staatlichen Umfeldes in Westdeutschland und nach der Wiedervereinigung im gesamten Deutschland zu einem solch gravierenden Absinken der Mitgliedszahlen kommen konnte. Im Folgenden soll untersucht werden, ob dies vielleicht auf die Opposition der etablierten Kirchen, der deutschen Ärzteschaft oder anderer öffentlicher Interessengruppen zurückzuführen ist. IV.2. DIE EINSTELLUNG DEUTSCHER MEDIZINER UND DER ETABLIERTEN KIRCHEN ZUR CHRISTLICHEN WISSENSCHAFT UND DEREN ÖFFENTLICHE REZEPTION Das Interesse sowie die Kritik der deutschen Ärzteschaft an Christian Science scheinen nach dem Zweiten Weltkrieg rapide nachgelassen zu haben. Jedenfalls konnte die Verfasserin – im Gegensatz zu den zur Weimarer Zeit und im Dritten Reich zahlreichen medizinischen Schmähschriften gegen die Kirche Christi, Wissenschaftler und dem diesbezüglich sehr destruktiven Einfluss der Reichsärztekammer – keinen einzigen negativen Artikel und keine gezielt gegen die Christliche Wissenschaft gerichtete Maßnahmen deutscher Mediziner aus der Zeit nach 1945 entdecken. Die hierzu befragten Ärzte bestätigten ebenfalls, dass Christian Science für sie kein relevantes Thema
45 Vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 50. Zu den Feierlichkeiten in Leipzig und zur Gründung der dortigen CS-Vereinigung am 24. Februar 1990 vgl. Zander, Mein Weg, 2–5. 46 Vgl. Anhang C und Anhang D sowie CS-Herold, März 2009.
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mehr sei und dass man in Fachkreisen seit Jahrzehnten hier weder Diskussions- noch Handlungsbedarf sähe.47 Dadurch, dass heute auch in der Schulmedizin unbestritten ist, dass der geistig-seelische Zustand eines Patienten entscheidenden Einfluss auf seine Heilungschancen hat (insbesondere bei malignen Tumorerkrankungen), wurde ein wesentlicher inhaltlicher Konfliktstoff zwischen Christian Science und der Schulmedizin aufgeweicht. Einige Mediziner warnen allerdings davor, dass durch eine Überbetonung des „mind-over-matter“-Ansatzes Schuldgefühle bei Patienten ausgelöst werden könnten bzw. das Gefühl, sie hätten in der Auseinandersetzung mit der Krankheit „versagt“. Von der Verfasserin auf diesen wichtigen Einwand hin angesprochene Christliche Wissenschaftler betonten stets, ihr Ansatz sei ja gerade nicht „human mind-over-matter“, sondern „divine Mind-over-matter“, d. h. es sei immer Gott, der heile, und diese Heilung sei keine Eigenleistung, sondern eine Gnade, darum müsse sich niemand schuldig fühlen, wenn er keine Heilung erlebe.48 Diese Erklärung steht jedoch nach Ansicht der Verfasserin in einem gewissen Widerspruch zu der ebenfalls in Christian Science postulierten Idee, dass die heilende Kraft der Liebe Gottes eben kein unberechenbarer (Gnaden)Akt sei, sondern ein immer funktionierendes „wissenschaftliches“ Prinzip, das bei richtiger Erkenntnis jedem Menschen Heilung schenken kann. Es ist also wohl kaum auszuschließen, dass sich manche Christliche Wissenschaftler vielleicht doch zuweilen „unfähig“ fühlen, wenn ihnen diese Erkenntnis nicht gelingen will. Trotz solcher nach wie vor bestehenden Spannungsfelder, sind insgesamt gesehen die Grenzen zwischen traditionellen und alternativen Heilmethoden im Gesundheitswesen heute wesentlich fließender als früher. So ist es für viele Fachärzte jetzt selbstverständlich, in ihrer Praxis auch Homöopathie und Akupunktur anzuwenden.49 In den USA hat es seit den 1990er Jahren einige Versuche der Annäherung zwischen Schulmedizinern und Christlichen Wissenschaftlern gegeben, inkl. gelegentlicher gemeinsamer Veranstaltungen.50 In Deutschland kam es bislang noch nicht zu derartigen Kooperati47 Vgl. hierzu Gespräche der Verfasserin mit Haas, Sanden, Toussaint und Wenz. Die meisten Mediziner scheinen zwar schon einmal von CS gehört zu haben oder sind an einem Leseraum vorbeigekommen, wissen aber nichts Näheres über die Lehre Eddys. Der Begriff gilt oft als leicht negativ konnotiert („Sekte“, „rigide Strukturen“, „Geldmacherei“), dies beruht allerdings z.T. auf Missverständnissen, v.a. auf einer Verwechslung mit Scientology. 48 Vgl. ebd. sowie Interviews mit Herr, Pabst und Spitz. 49 Vgl. Gespräch mit Toussaint und anderen Ärzten sowie eigene Erfahrungen bei Praxisbesuchen. 50 So pflegt Virginia Harris seit Beginn der 1990er Jahre guten Kontakt zu Herbert Benson, einem Kardiologen der Harvard Medical School, und hielt während ihrer Zeit als Vorstandsvorsitzende der Mutterkirche regelmäßig in dessen Vortragsreihe zum Thema „Spirituality and Healing“ Vorträge über CS. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 411– 413.
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onen. Da die Anzahl der deutschen Christlichen Wissenschaftler im Vergleich zu den Anhängern anderer alternativer Heilmethoden hier geradezu verschwindend gering ist, gibt es seitens der deutschen Ärzte kaum Interesse an einem Erfahrungsaustausch.51 In jedem Fall lässt sich festhalten, dass die deutsche Ärzteschaft seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts Christian Science offensichtlich nicht mehr als gefährliche Konkurrenz oder als „Bedrohung der Volksgesundheit“ sieht. Von einer organisierten, politisch wirksamen Opposition der Mediziner zur Kirche Christi, Wissenschaftler in der Bundesrepublik kann also nicht die Rede sein.52 Die Haltung der großen christlichen Kirchen gegenüber Christian Science hat sich dagegen in den letzten hundert Jahren inhaltlich kaum verändert. Allerdings ist der Ton der Kritik seit Mitte des 20. Jahrhunderts deutlich ruhiger und sachlicher geworden als früher. Bei denjenigen deutschen Theologen, die sich seit dem Krieg eingehender mit dem Thema befasst haben (Hans-Diether Reimer, Kurt Hutten, Helmut Obst und Andreas Fincke), finden sich, wie erwähnt, im Wesentlichen die gleichen Argumente, die schon Victor Weiss in seiner Studie aus der Weimarer Zeit aufstellte. Sie alle sind sich einig, dass Christian Science nicht als christliche Glaubensgemeinschaft bezeichnet werden könne, da es sowohl im Gottes- als auch im Menschenbild sowie in der gesamten Beziehung zur Schöpfung fundamentale Unterschiede zwischen der Lehre Mary Baker Eddys und dem Glauben der traditionellen christlichen Kirchen gibt.53 Die Kernpunkte der Differenz manifestieren sich nach Ansicht dieser Theologen zum Beispiel darin, dass die Christliche Wissenschaft die Bibel und das Vaterunser gemäß Eddys „geistigen Auslegungen“ uminterpretiert und dass sie weder die altkirchlichen Bekenntnisse noch die zentralen christlichen Sakramente (insbesondere Taufe und Kommunion) anerkennt.54
51 Vgl. Gespräche mit Haas, Sanden und Toussaint. Es gibt mittlerweile in deutschen CSGemeinden einige Praktiker, die CS gerne vor einem medizinischen Fachpublikum vorstellen würden und versuchen, entsprechende Kontakte zu knüpfen, bislang jedoch offenbar ohne größeren Erfolg. Vgl. Interviews und Gespräche mit Herr und Huber. 52 Vgl. Interviews und Gespräche mit Haas, Toussaint, Sanden, Wenz und Herr. 53 Diese Ansicht wird auch in allen geschriebenen Handbuchartikeln über CS vertreten, mit der einzigen Ausnahme des von Wolfgang Grünberg vom Seminar für Praktische Theologie der Universität Hamburg 1995 herausgegebenen Lexikons der Hamburger Religionsgemeinschaften: Religionsvielfalt in der Stadt von A bis Z. Hier heißt es trotz der ebenfalls erläuterten Unterschiede zu den etablierten Kirchen: „Die als christlich zu bezeichnende Kirche betont den besonderen Wert des Heilens als ‚mitfolgendem Zeichen‘ eines praktischen Christentums. Sie vertritt einen christlichen Glauben auf der Basis der Bibel.“ Ebd., 82. 54 Vgl. Reimer, Metaphysisches Heilen; Hutten, Christliche Wissenschaft; Obst, Die Christliche Wissenschaft; Fincke, Christliche Wissenschaft.
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Katholische Theologen teilen diese Ansicht.55 Es fällt jedoch auf, dass bei aller Sachlichkeit die Kritik bei den Protestanten meistens ein wenig schärfer formuliert ist als bei den Katholiken. So wird in dem von der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD) herausgegebenen Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen nicht nur darauf hingewiesen, dass Christian Science zu Unrecht behaupte, „ihre Grundlage sei der christliche Glaube“, sondern auch, dass evangelisch-lutherische Christen den Kontakt mit Anhängern dieser Gemeinschaft so weit wie möglich vermeiden sollten. Vom Besuch von CS-Gottesdiensten oder gar einer Behandlung durch einen CS-Praktiker wird dringend abgeraten. Weiter steht hier, dass Christliche Wissenschaftler kein Patenamt in der evangelischlutherischen Kirche übernehmen dürfen, dass eine kirchliche Trauung zwischen evangelisch-lutherischen Christen und Christlichen Wissenschaftlern nicht möglich ist und dass Letzteren keine VELKD-eigenen Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden dürfen.56 In dem von Harald Baer, Hans Gasper u.a. herausgegebenen „katholischen“ Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen wird zwar auch betont, dass die Lehre Eddys „im Widerspruch zum traditionellen christlichen Verständnis“ stehe und darum eine „nachchristliche, geistig-meditative Methode“ sei, die „christliche Elemente aufgreife“. Am Schluss heißt es aber relativ versöhnlich: „Dennoch muss man anerkennen, dass die Bemühungen vieler Anhänger der Christian Science um Heiligung des Lebens und um ein anderes Verständnis von Heil und Heilung Respekt und Achtung verdienen.“57 Bei den meisten deutschen Geistlichen – vom einfachen Pfarrer bis zum Bischof – scheint Christian Science heute kaum bekannt zu sein, wie sich bei spontanen Anfragen zeigte. Wenn sich einzelne Würdenträger (in Vorberei55 Es fällt allerdings auf, dass es von katholischer Seite bis heute keine selbstgeschriebene Publikation zum Thema CS gibt. Wie erwähnt, ist der CS-Beitrag im katholischen Handbuch Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen von dem EZW-Mitarbeiter Andreas Fincke verfasst worden. Allerdings versicherten die beiden Hauptherausgeber des Buches, Harald Baer und Hans Gasper, gegenüber der Verfasserin, dass es keine wesentlichen Unterschiede zwischen der katholischen und der protestantischen Rezeption von CS gäbe. Interviews mit Baer und Gasper. 56 Vgl. VELKD, Handbuch Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen, 295–296. 57 Baer u.a., Lexikon neureligiöser Gruppen, 219–220. Von katholischer Seite wurde der Verfasserin mehrfach gesagt, dass der Grund für die schärfere Kritik der Protestanten an CS (und anderen sogenannten „Sekten“) vermutlich darin liege, dass diese generell eher apologetisch argumentierten, denn angesichts der Fülle von protestantischen Bekenntnissen komme der Verteidigung bzw. genauen Abgrenzung des eigenen Glaubens im Protestantismus historisch ein anderer Stellenwert zu als im Katholizismus. Im Einzelfall gibt es allerdings offenbar Ausnahmen von dieser Regel. So berichtete eine CSPraktikerin, sie habe sich einmal aktiv um den Kontakt zu einer evangelischen und einer katholischen Gemeinde in München bemüht. Dabei habe sich der evangelische Pastor wesentlich aufgeschlossener gezeigt als der katholische Pfarrer. Vgl. Interview mit Huber.
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tung des Gesprächs mit der Verfasserin) über die Lehre und Kirche Eddys informierten, so geschah dies in der Regel mit Hilfe von Handbüchern (vor allem dem der VELKD), deren Bewertung von Christian Science man sich dann weitgehend anschloss.58 Die hierzu befragten Sektenbeauftragten der etablierten Kirchen hatten zwar berufsbedingt bessere Vorkenntnisse über die Christliche Wissenschaft (zumal einige von ihnen zu den Autoren oder Herausgebern der Handbücher über religiöse Sondergemeinschaften zählen), aber ihr Wissen stammte ebenfalls nur aus der Sekundärliteratur. Keiner der Theologen hatte je selbst das Gespräch mit Christlichen Wissenschaftlern gesucht, an einem ihrer Gottesdienste bzw. einer Zeugnisversammlung teilgenommen oder sich näher mit den zentralen Texten Eddys (S&H, Kirchenhandbuch) auseinandergesetzt.59 Insofern erscheint der von christlich-wissenschaftlicher Seite vorgebrachte Einwand, die von ihnen durchaus gesuchte ökumenische Kooperation scheitere vor allem an den Vorbehalten der etablierten Kirchen, nachvollziehbar. Der Sektenbeauftragte der Katholischen Kirche, Harald Baer, äußerte dagegen die Ansicht, Christian Science lehne „ökumenische Kontakte mit den traditionellen Kirchen als unwissenschaftlich“ ab und sei darum in eine „theologische und alltagspraktische Selbstisolation“ geraten. Eine Begründung oder Beispiele für diese Einschätzung nannte er allerdings nicht.60
58 Der evangelische Landesbischof Bayerns, Johannes Friedrich, sagte zum Beispiel, weder für ihn noch für seine Mitarbeiter sei Christian Science vor dem Gespräch je ein Thema gewesen. Er vertrat (der Argumentation des VELKD-Handbuchs deutlich folgend) die Ansicht, dass CS definitiv nicht christlich sei. Aufgrund des „falschen Sündenverständnisses“ und des einseitigen Vertrauens auf „den menschlichen Willen allein“, insbesondere bei der Heilung von Krankheiten, sah er CS als potentiell gefährlich an (wobei anzumerken ist, dass diese Beurteilung der Lehre von CS nicht ganz gerecht wird, der zufolge Heilung ja nicht durch die Kraft des menschlichen Willens, sondern allein durch die liebende Allmacht Gottes geschieht). Der Bischof schloss damit, er würde allen Christen davon abraten, sich CS zuzuwenden, und sah auch für die Zukunft keine Möglichkeit der Zusammenarbeit mit der Christlichen Wissenschaft seitens der evangelischen Kirche. Vgl. hierzu das Gespräch mit dem Landesbischof sowie die Gespräche mit Pfarrer Heiß und Pastorin Franke. 59 Sie schätzen CS z. B. als „nach-christliche“, „neu-offenbarerische“ oder „szientistische“ Neureligion des 19. Jahrhunderts ein. Vgl. Gespräche und Interviews mit Gasper, Baer, Seegers, Fincke und Schäfer. Im Grunde, so wurde der Verfasserin gesagt, habe sich seit Reimer, Hutten und Obst kaum jemand intensiv mit CS beschäftigt. D. h. seit geraumer Zeit werden neue Handbuchtexte über CS mehr oder weniger aus älteren Fassungen bzw. den Texten der o.g. Autoren generiert. Dies zeigt sich auch an Kleinigkeiten: So ist z. B. im Handbuch Lexikon neureligiöser Gruppen, Szenen und Weltanschauungen von 2005 der Titel des CS-Herold in einer seit 1998 veralteten Form angegeben. 60 Vgl. hierzu Interviews mit Herr, Huber, Manger und Baer sowie Baer, Brief an Verfasserin vom 5. Juli 2006. Dass Christliche Wissenschaftler aktiv ökumenische Kontakte suchen, zeigt auch ihre Mitgliedschaft in der Berliner „Arbeitsgemeinschaft der Kirchen und Religionsgesellschaften“ (AKR), der u.a. auch die Altkatholiken angehören.
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In jedem Fall lässt sich davon ausgehen, dass der relativ geringe Zeitaufwand, den die Sektenbeauftragten der Erforschung von Christian Science widmen, darin begründet liegt, dass trotz der weiter bestehenden theologischen Vorbehalte der etablierten Kirchen gegenüber der Lehre Eddys diese heute nicht mehr als ernstzunehmende Bedrohung der Christenheit angesehen wird. So heißt es zum Beispiel sowohl von evangelischer als auch von katholischer Seite, dass das ernsthafte Streben der Christlichen Wissenschaftler nach einem besseren Verständnis Gottes und seiner heilenden Kraft durchaus zu respektieren sei und dass man viele Aktivitäten der Anhänger Eddys (nicht zuletzt den CS-Monitor) als gesellschaftlich wertvoll anerkenne.61 Außerdem, und dies ist sicherlich ein entscheidender Punkt, wird das Verhalten der Christlichen Wissenschaft von den Sektenbeauftragten als „nicht konfliktträchtig“ eingeschätzt. Deswegen, so die Experten, gäbe es extrem wenig Anfragen zu dieser Gruppe, die insgesamt „ein marginales Phänomen innerhalb der Weltanschauungsszene“ darstelle. Somit besteht aus Sicht der etablierten Kirchen im Fall von Christian Science – im Gegensatz zu Gruppen wie Scientology, den Zeugen Jehovas oder neuen pseudowissenschaftlichen alternativen Lebenshilfen – kaum Grund zur Sorge und darum auch kein weiterer Handlungsbedarf.62 Im Hinblick auf das sogenannte „nicht konfliktträchtige“ Verhalten der Christlichen Wissenschaft in Deutschland lässt sich feststellen, dass die Gemeinschaft schon seit Jahrzehnten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – kaum noch öffentlich aufzufallen scheint (weder positiv noch negativ).63 Die meisten Deutschen kennen den Namen der Gruppe, wenn überhaupt, nur durch 61 Vgl. Gespräche und Korrespondenz mit Baer, Gasper, Seegers und Fincke. Zum sozialen und karitativen Engagement der Kirche, z. B. durch Hilfsfonds für Opfer von Naturkatastrophen, Kriegen oder Terroranschlägen, vgl. die Webseite: „Giving to the Mother Church“, http://www.tfccs.com/gift. Viele Kirchenmitglieder, mit denen die Verfasserin sprach, versuchen nicht nur durch Gebet, sondern auch durch Taten, anderen Menschen zu helfen (z. B. durch Obdachlosenhilfe, Jugendarbeit, Gefängnisbesuche oder Umweltschutz). Manche engagieren sich auch in der Politik, z. B. ist laut Information des KfV ein Grüner Bundestagsabgeordneter Mitglied der Kirche. 62 Vgl. Interviews mit den „Sektenbeauftragten“. Axel Seegers sagte z. B., dass weniger als ein Prozent der Anfragen an sein Büro CS beträfen, und Harald Baer betonte, dass er in seiner fast 23-jährigen Dienstzeit kein einziges Beratungsgespräch führte, das CS zum Thema gehabt hätte. S. auch Brief an Verfasserin vom 5. Juli 2006. 63 Von vereinzelten kleinen Zeitungsmeldungen abgesehen, in denen positiv zu den Aktivitäten der Kirche Stellung genommen wird (z. B. zum hundertjährigen Bestehen von Zweigkirchen), bestimmte Fakten kundgetan werden (z. B. der Verkauf von CS-Gebäuden) oder, allerdings relativ selten, die CS-Heilpraxis als unverantwortlich kritisiert wird (meist im Zusammenhang mit Berichten über Prozesse gegen Christliche Wissenschaftler in den USA), war das einzige Ereignis, bei dem der Christlichen Wissenschaft in den letzten Jahrzehnten in Deutschland ein höheres Maß öffentlicher Aufmerksamkeit zuteil wurde, die Jahreshauptversammlung der Mutterkirche von 2003. Diese fand ausnahmsweise in Berlin statt, worauf später noch kurz eingegangen wird. Aber selbst
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ihre Leseräume, die ein unaufdringliches Angebot für die Allgemeinheit darstellen, sich über Mary Baker Eddys Lehre zu informieren.64 Wie erwähnt, betreibt die Kirche Christi, Wissenschaftler, im Gegensatz zu vielen anderen religiösen Sondergemeinschaften (v.a. den Mormonen oder den Zeugen Jehovas), keine aktive Mission. Darin liegt zwar auch ein Grund für ihre problematische Nachwuchssituation, aber aus Sicht der Sektenbeauftragten und anderer Außenstehender fällt eine solche Zurückhaltung eher positiv auf.65 Darüber hinaus hat es seit den 1960er Jahren keine öffentlich bekannt gewordene Auseinandersetzung Christlicher Wissenschaftler mit deutschen Behörden bzw. dem Gesetz gegeben. In den USA kam es in den 1980er und 1990er Jahren zu einer ganzen Reihe spektakulärer Gerichtsverhandlungen gegen Christliche Wissenschaftler, deren Kinder an Krankheiten gestorben waren, die nach Ansicht der Richter mit schulmedizinischen Mitteln problemlos behandelbar gewesen wären (z. B. Meningitis oder Diabetes). Diese Prozesse, die in fast der Hälfte der Fälle in Schuldsprüchen gegen die Eltern endeten, schadeten dem Ansehen der Kirche in den USA enorm.66 Zwar wurde in den deutschen Medien über diese Fälle berichtet, sie erregten hier jedoch kaum größere Aufmerksamkeit und riefen im Gegensatz zu Amerika auch keine organisierte Opposition deutscher Kinder- und Jugendschutzorganisationen gegen Christian Science hervor.67 Dies wäre sicher anders gewe-
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hier beschränkte sich das Medienecho hauptsächlich auf Berlin und dauerte nur wenige Tage. Die Leseräume scheinen das einzige von größeren Kreisen wahrgenommene „Aushängeschild“ der Gemeinschaft zu sein. Allerdings bleibt es in den meisten Fällen beim „Vorübergehen“. Vgl. Interviews mit den genannten Ärzten sowie mit Landesbischof Friedrich, Pfarrer Heiß und Pastorin Franke. Vgl. hierzu Gespräche und Interviews mit Baer, Seegers und Franke; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 202–203. Mary Baker Eddy ging immer davon aus, dass das „Prinzip der göttlichen Wahrheit“ von den Menschen selbst erkannt werden sollte und erkannt werden würde, da die Logik von CS so klar wie eine mathematische Formel sei. Deren universelle Gültigkeit und Anwendbarkeit würde durch die CS-Heilerfolge völlig ausreichend demonstriert. Der Glaube an die „Wissenschaftlichkeit“ von CS ist somit ein maßgeblicher Grund für den Verzicht auf aktives Missionieren. Vgl. Interviews mit Herr, Huber, Spitz, Pabst und Manger. Vgl. hierzu Schoepflin, Christian Science on Trial, 199–219; Fraser, God’s Perfect Child, 128–132 und 277–318; Richardson, Christian Science, 549–561. In den USA führt, wie erwähnt, seit diesen Prozessen eine Reihe solcher Organisationen, z. B. CHILD (Children’s Healthcare Is a Legal Duty, Inc.), zusammen mit der American Academy of Pediatrics, der American Medical Association und der National District Attorneys Association einen gezielten Kampf gegen Christian Science und andere Formen des faith healing bei Kindern. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child; Schoepflin, Christian Science on Trial. In deutschen Zeitungen gab es zwischen 1989 und 1996 eine Reihe kleinerer Meldungen hierzu in zahlreichen Tageszeitungen (z.T. mit einem Kommentar des deutschen KfV), aber stets auf den hinteren Seiten. Die Verfasserin konnte keinen einzigen Leitartikel oder eine längere kritische Stellungnahme entdecken (weder im Berliner Tagesspiegel noch in der FR, FAZ oder SZ).
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sen, wenn es auch hier ein oder mehrere ähnliche Verfahren gegeben hätte. Aber es scheint in der gesamten Geschichte der Bundesrepublik keinen einzigen Prozess wegen fahrlässiger Tötung oder unterlassener Hilfeleistung gegen Christliche Wissenschaftler gegeben zu haben. Zumindest konnte die Verfasserin trotz intensiver Suche sowie vielen Gesprächen mit Rechtsexperten und Sektenbeauftragten keinen Hinweis auf einen solchen Fall finden.68 Man darf vermuten, dass dies zumindest teilweise auf die deutsche Rechtslage bzw. die bereits beschriebene Verpflichtung Christlicher Wissenschaftler zur Gesetzestreue zurückzuführen ist. Da es in der BRD im Unterschied zu den USA keine „religious exemption laws“ gibt, sind alle Kirchenangehörigen hier dazu angehalten, bei der Anwendung von Christian Science, insbesondere, wenn es sich um Kinder handelt, die auf Krankheitsfälle zutreffenden Gesetze genau zu befolgen. In einer internen vom KfV 1969 herausgegebenen Broschüre „Gesetzliche Rechte und Pflichten der Christlichen Wissenschafter in der BRD“ wird zum Beispiel explizit darauf hingewiesen, dass laut (damaligem) Bundesseuchengesetz bestimmte ansteckende Krankheiten (Diphtherie, Malaria, Pocken, Ruhr, Tuberkulose und Scharlach) innerhalb von 24 Stunden dem Gesundheitsamt zu melden wären, dass Geschlechtskrankheiten nur von einem Arzt behandelt werden dürften und dass Kinder die gesetzlich vorgeschriebenen Impfungen erhalten sollten.69 Weiter wird in der Broschüre genau erklärt, welches Verhalten laut Strafgesetzbuch § 330 bei Unglücksfällen den Tatbestand der „Unterlassenen Hilfeleistung“ konstituiert, und es wird darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber zwar schwere Krankheiten an sich nicht als „Unglücksfall“ klassifiziert, dass jedoch der Bundesgerichtshof entschieden habe, es sei auch dann ein Unglücksfall anzunehmen, „wenn ein in der Person des Betroffenen ohne sein Zutun aufgetretener Zustand (z. B. Krankheit) wider Erwarten eine sich rasch verschlimmernde Wendung nimmt.“70 D. h. die Broschüre legt nahe, dass in Fällen, in denen trotz der Heilungsbemühungen eines CS-Praktikers der Zustand 68 Neben dem o.g. Prozess wegen des Pflegegeldes für CS-Pflegeheime und dem Verfahren gegen eine wegen Verletzung des Heilpraktikergesetzes angeklagte CS-Praktikerin (die 1964 freigesprochen wurde), ist der Verfasserin nur von einem Sorgerechtsfall aus den 1990er Jahren berichtet worden, in dem ein Vater die Kirchenmitgliedschaft seiner ehemaligen Frau dazu nutzen wollte, um dieser das Sorgerecht für das gemeinsame Kind aberkennen zu lassen. Das Gericht entschied jedoch zugunsten der Frau (genauer Name, Ort und Zeitpunkt des Verfahrens konnten aus Datenschutzgründen nicht bekannt gegeben werden). Vgl. Brief von Herr an Verfasserin vom 25. Juli 2006. 69 Bis 1977 war in der BRD die Pockenimpfung für Kinder Pflicht, und bis Ende der 1980er Jahre wurden Mädchen in der Schule gegen Röteln geimpft. Damals hatte jeder CS-Praktiker eine aktuelle Liste der meldepflichtigen Krankheiten, die auch beim KfV erhältlich war. Vgl. KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 22. 70 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (BGHSt), Bd. 6, 152 zit. in KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 13. Vgl. hierzu auch „Entscheidungen in Krankheitsfällen“, ebd., 12–15 sowie 22–23.
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des Patienten sich plötzlich verschlechtert – insbesondere bei Kindern oder Bewusstlosen –, es empfehlenswert sein könnte, einen Arzt hinzuzuziehen, da man sich sonst strafbar machen könnte.71 Ob es nun daran liegt, dass deutsche Christliche Wissenschaftler diese Empfehlung des KfV sehr gewissenhaft befolgt haben, oder daran, dass viele von ihnen im Umgang mit der Radical Reliance-Doktrin schon vor 1990 (als die Mutterkirche ihre Haltung hierzu änderte, s. Kapitel III.1.) etwas liberaler waren als amerikanische Kirchenmitglieder, oder ob es noch andere Gründe dafür gab, dass in der BRD noch nie ein Christlicher Wissenschaftler wegen fahrlässiger Tötung oder unterlassener Hilfeleistung angeklagt war, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Durch die geringere Anzahl von Christlichen Wissenschaftlern ist hierzulande natürlich auch die statistische Wahrscheinlichkeit eines solchen Falles wesentlich kleiner als in den USA.72 Die im Vergleich zu Amerika eindeutigere Rechtslage in Deutschland könnte jedoch dazu beigetragen haben, dass es nicht zu so dramatischen Gerichtsfällen kam wie im Heimatland Eddys und dass Christian Science somit hier selbst bei Kritikern in dem Ruf steht, eine eher harmlose, „nicht konfliktträchtige“ Gemeinschaft zu sein.73 In jedem Fall lässt sich feststellen, dass weder ein gravierender Konflikt mit den Behörden bzw. Gesetzen der Bundesrepublik noch massive Opposition seitens der Ärzte oder der etablierten Kirchen oder anderer öffentlicher Organisationen für den Rückgang der Mitgliedszahlen der Kirche Christi, Wissenschaftler in Deutschland verantwortlich gemacht werden können. Die Ursache hierfür liegt also offensichtlich in allgemeinen Entwicklungen und kircheninternen Problemen, die Christian Science insgesamt oder besonders die Mutterkirche in Boston betreffen. Im Folgenden sollen darum die wichtigsten Gründe für diese Entwicklung erläutert werden.74 71 Vgl. ebd., 12–15 und 23–26. 72 Es sei an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass fehlende Prozesse nicht bedeuten, dass es gar keine Fälle in der BRD gab, bei denen CS-Behandlungen versagt hätten. Eine ehemalige Christliche Wissenschaftlerin, die darum bat, ihren Namen nicht zu nennen, erzählte z. B., dass in Berlin in den 1970er Jahren ein Kind während einer CS-Behandlung gestorben sei. Sie konnte jedoch keine konkreteren Informationen zu diesem Fall liefern und es waren keine Zeitungsberichte darüber zu finden. 73 Das KfV gab hierzu keinen direkten Kommentar. Herr betonte allerdings, dass die Entscheidung, ob und wann man zum Arzt gehen sollte, wenn eine CS-Behandlung keinen Erfolg zu haben scheint, ausschließlich in der Eigenverantwortung der einzelnen Christlichen Wissenschaftler liege. Die meisten Praktiker, mit denen die Verfasserin sprach, sagten, sie würden in kritischen Fällen, insbesondere bei Kindern, den Eltern niemals ab-, sondern eher zuraten, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine Praktikerin teilte zudem mit, sie habe sich selbst erst vor kurzer Zeit eine Schnittverletzung von einem Arzt nähen lassen. Vgl. Interviews mit Herr, Pabst, Huber, Spitz und Manger. 74 Auch wenn sich in den letzten Jahren auf dem afrikanischen Kontinent neuerwachtes Interesse an Christian Science zu zeigen scheint und hier einige neue Gemeinden gegründet werden konnten, so ist weltweit die Anzahl der Kirchen seit dem Zweiten Welt-
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IV.3. URSACHEN DER ABNEHMENDEN POPULARITÄT VON CHRISTIAN SCIENCE UND DER INNEREN KRISEN DER KIRCHE IN DEN 1980ER UND 1990ER JAHREN Als erster Grund für die sinkende Popularität von Christian Science in den letzten Jahrzehnten ist der revolutionäre Fortschritt der modernen Medizin ab Ende der 1930er Jahre zu nennen. Wie im ersten Kapitel beschrieben, waren die Möglichkeiten der Ärzte zu Lebzeiten Mary Baker Eddys noch ausgesprochen begrenzt, und die damals zur Verfügung stehenden medizinischen Maßnahmen und Medikamente blieben oft wirkungslos, insbesondere bei psychosomatischen und organischen Erkrankungen oder bei Infektionen; manchmal verschlimmerten sie den Zustand des Patienten sogar. Gerade deshalb erregten die vergleichsweise großen Heilerfolge von Christian Science so viel Aufmerksamkeit und führten zum beeindruckenden Erfolg der Lehre Eddys. Mit der Entdeckung wirksamer Antibiotika und Impfstoffe sowie neuer erfolgreicher Operationsmethoden, von denen viele erstmals während des Zweiten Weltkrieges zum Einsatz kamen, erreichte die moderne Medizin eine Steigerung ihrer Effektivität, von der man früher kaum zu träumen gewagt hätte.75 Krankheiten wie Pocken, Masern, Diphtherie, Keuchhusten, Typhus, Gelbfieber oder Tuberkulose, die seit Anfang der Geschichte zu den Geißeln der Menschheit gehört hatten, verloren seit den 1940er Jahren weitgehend ihren Schrecken – zumindest für die Menschen mit Zugang zu moderner medizinischer Versorgung. Die weltweite Sterblichkeitsrate an Infektionskrankheiten, die 1910 noch bei 35 Prozent lag, sank bis zum Ende des 20. Jahrhunderts auf unter vier Prozent.76 Es ist darum sicherlich kein Zufall, dass die krieg von rund 3.000 auf weniger als 1.600 zurückgegangen, und in den USA sank die Zahl der offiziell eingetragenen CS-Praktiker von über 11.000 auf weniger als 2.000. Ausführlichere Beschreibungen der Entwicklung von CS in den USA seit dem Zweiten Weltkrieg und der Krisen der Mutterkirche in den 1980er und 1990er Jahren finden sich bei Gardner, Mary Baker Eddy; Fraser, God’s Perfect Child; Stark, Rise and Fall of Christian Science; Schoepflin, Christian Science on Trial. In Deutschland sank die Zahl der CS-Praktiker seit dem Krieg von 234 auf 65; vgl. Praktiker-Listen im CS-Journal vom Dezember 1939 und vom Januar 2009. 75 Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 211–212. Für eine ausführlichere Beschreibung des immensen medizinischen Fortschritts dieser Zeit s. z. B. Cassedy, Medicine in America; Duffy, From Humors to Medical Science. 76 Vgl. Cassedy, Medicine in America; Duffy, From Humors to Medical Science. Wenn den Ärzten zur Zeit der sogenannten Spanischen Grippe (einer weltweiten Pandemie, an der von 1918 bis 1920 fast ein Drittel der Weltbevölkerung erkrankte und deren Auswirkungen mit denen der Pest von 1348 vergleichbar sind) bereits ein Grippeimpfstoff oder das seit 1944 als Medikament produzierte Penicillin zur Verfügung gestanden hätte, wäre die Mehrzahl der über 25 Millionen Todesopfer vermutlich zu retten gewesen.
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Zahl der CS-Praktiker, die zwischen 1911 und 1941 von 4.732 (davon 3.280 in den USA) kontinuierlich auf knapp über 13.000 (davon 11.200 in den USA) gestiegen war, genau zeitgleich mit den großen wissenschaftlich-medizinischen Durchbrüchen der 1940er Jahre erstmalig zu fallen begann. Zwischen 1941 und 1952 war ein Rückgang von rund 14 Prozent zu verzeichnen, 1972 betrug er bereits fünfzig Prozent. 1981 lag die Zahl der Praktiker dann mit rund 4.000 wieder auf dem Niveau von 1911, und heute beträgt sie weniger als 1.600.77 Daraus lässt sich auf ein gleichzeitiges Absinken der Kirchenmitgliedszahlen schließen, selbst wenn aufgrund der in den 1950er Jahren noch relativ guten finanziellen Situation der Mutterkirche die Zahl der CS-Zweigkirchen und Vereinigungen erst ab Ende der 1960er Jahren spürbar kleiner wurde.78 Neben den medizinisch-technischen Fortschritten hat sich zudem durch größere Offenheit vieler Mediziner gegenüber alternativen Heilmethoden sowie die Hinwendung der modernen Schulmedizin zu einem ganzheitlicheren Ansatz, der auch den geistig-seelischen Zustand des Patienten berücksichtigt, nicht nur die ärztliche Behandlung an sich, sondern auch das Vertrauensverhältnis zwischen Ärzten und Patienten weiter verbessert. Aufgrund dieser Entwicklungen ist die Zahl derjenigen Menschen, die sich frustriert von der Schulmedizin abwenden und andere Wege zur Heilung ihrer Krankheiten suchen, seit der Mitte des 20. Jahrhunderts wesentlich geringer geworden als vorher. Freilich gibt es nach wie vor Interesse an alternativen Heilverfahren, die ganz außerhalb der von Medizinern angewandten Methoden liegen, zum Beispiel Handauflegen, Beschwörungen, Anwendung von Edelsteinen, Pendeln oder kosmischer Strahlung etc. Diese basieren jedoch in der Regel auf Lebensanschauungen oder Weltvorstellungen, die nur schwer mit einem Glauben an die Allmacht Jesu Christi vereinbar sind.79 So ist die Christliche Vgl. Johnson, Global Mortality, 105–115. In den Publikation der CSPS ließen sich keinerlei Kommentare zur Spanischen Grippe finden. Es liegt nahe zu vermuten, dass bei dieser furchtbaren Pandemie auch zahlreiche Christliche Wissenschaftler ihr Leben verloren. Die CS-kritische American Medical Association publizierte in ihrem Journal damals mehrere Artikel über die ihrer Ansicht nach vollkommen ineffektiven Heilungsversuche von CS, z. B. „Attitude of Christian Scientists in the Present Epidemic of Influenca.“ JAMA 71 (1918), 1337, 1603, 1766, und „Christian Science and Sloppy Thinking.“ JAMA 74 (1920), 1460–1461. 77 Vgl. Listen der Praktiker im CS-Journal 1911–2008; Braden, Christian Science Today, 271; Stark, Rise and Fall of Christian Science, 192 und 211–212. 78 Stark betont, dass die relativ großen finanziellen Ressourcen der Christlichen Wissenschaftler es ihnen ermöglichten, während der 1950er und 1960er Jahre auch bei insgesamt sinkenden Mitgliedszahlen in den Gebieten, wo es kleinere neue CS-Gemeinden gab (z. B. in den Vorstädten), neue Zweigkirchen aufzubauen, ohne die alten, kleiner werdenden schließen zu müssen. Vgl. ebd., 192–194, und Anhang D. 79 Aus historischer Sicht fällt hierzu auf, dass sich in den deutschen Traditionen von Lebensreform und Alternativmedizin vielfach germanisch-heidnische, esoterische und andere nicht-christliche Elemente fanden. Dass deren Vertreter die Christliche Wissen-
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Wissenschaft im Laufe der letzten Jahrzehnte gewissermaßen in eine doppelte Randlage geraten – sowohl gegenüber der immer erfolgreicheren Schulmedizin als auch gegenüber esoterischen und anderen alternativen Heilmethoden. Dies ist nach Ansicht der Verfasserin der Hauptgrund für den deutlichen Rückgang im allgemeinen Interesse an Christian Science.80 Ein weiterer Grund hierfür liegt in der Veränderung gesellschaftlicher Strukturen, insbesondere in einem höheren Maß der Frauengleichberechtigung. Wie erläutert, trugen die traditionellen Strukturen, beispielsweise die repressiven kulturellen Normen des Cult of True Womanhood, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu einer hohen Rate neurasthenischer Erkrankungen beim sogenannten „schwachen Geschlecht“ bei, die sich durch Christian Science besonders gut behandeln ließen. Außerdem bot die Kirche Christi, Wissenschaftler Frauen die damals außergewöhnliche Möglichkeit, geistliche Führungspositionen einzunehmen, und der Beruf einer CS-Praktikerin stellte für die vom qualifizierten Arbeitsmarkt noch weitgehend ausgeschlossenen Frauen eine attraktive Tätigkeit mit hohem sozialen Status und guten Einkommensmöglichkeiten dar.81 Diese Situation hat sich seit dem Zweiten Weltkrieg grundlegend gewandelt. Heute haben Frauen wesentlich mehr gesellschaftliches Mitspracherecht als früher, und ihnen steht der Weg in alle hochqualifizierten Berufe und Positionen offen. Auch wenn es im Berufsleben noch keine völlige Gleichberechtigung gibt, so ist die Anzahl hochqualifizierter weiblicher Führungskräfte in fast allen Wirtschaftszweigen und im öffentlichen Sektor kontinuierlich gestiegen. Fast alle etablierten Kirchen (mit Ausnahme der katholischen und der orthodoxen) nehmen heute Frauen in ihren Klerus auf, und die Frauenquote innerhalb der Ärzteschaft beträgt mittlerweile über dreißig Prozent mit steigender Tendenz.82 Infolge dieser Veränderungen hat sich die Zahl der nervösen Nervenleiden bei Frauen im Vergleich zu früher spürbar schaft oft als unwillkommene Konkurrenz sahen, die man wenn möglich nach Kräften bekämpfen sollte, zeigt sich u.a. in dem besonders vehementen Einsatz des EsoterikAnhängers Heinrich Himmler für ein Verbot von Christian Science (s. Kapitel III.4.). 80 Vgl. hierzu auch Gespräche mit Toussaint, Haas, Sanden und Wenz. 81 Laut Zensusdaten von 1880 waren zu dieser Zeit rund 15 Prozent der Arbeitskräfte in den USA weiblich. Aber mit Ausnahme der Lehrerinnen war die große Mehrheit von ihnen in niederen Positionen, z. B. als Dienstboten, Putzfrauen, Wäscherinnen oder Näherinnen, tätig. In höher qualifizierten Berufen war die Frauenquote verschwindend gering. Bei den Juristen betrug sie 0,1 Prozent, bei den Geistlichen 0,3 Prozent und bei den Ärzten 2,8 Prozent. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 212–213. 82 Sowohl in den USA als auch in Deutschland sind über fünfzig Prozent der Studierenden im Fachbereich Medizin weiblich. In vielen anderen Berufen, die einen Hochschulabschluss voraussetzen, liegt der Anteil von Frauen heute bei über vierzig Prozent. Trotz dieser beachtlichen Fortschritte liegen die beruflichen Aufstiegschancen für Frauen allerdings immer noch deutlich hinter denen der Männer zurück, d. h. auf diesem Gebiet besteht weiterhin Handlungsbedarf. Vgl. ebd. sowie den aktuellen Bericht des Statistischen Bundesamtes „Im Blickpunkt: Frauen in Deutschland“, der als PDF-Datei unter
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vermindert. Vor allem aber verlor Christian Science seinen Sonderstatus als eine von ganz wenigen anerkannten und attraktiven Berufsmöglichkeiten für Frauen. Da diese seit Gründung der Kirche immer über siebzig Prozent der CS-Praktiker gestellt haben, ist anzunehmen, dass die frauenfreundlicheren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ebenfalls zum Rückgang der Anzahl praktizierender Christlicher Wissenschaftler beigetragen haben.83 Neben dem allgemeinen medizinischen Fortschritt und der höheren Frauengleichberechtigung gibt es eine Reihe kircheninterner Charakteristika und Praktiken, die von außenstehenden Beobachtern und auch von einigen Kirchenmitgliedern als Mitverursacher für die heutige Krise von Christian Science gesehen werden. Dazu gehört neben dem bereits erwähnten Verzicht auf aktives Missionieren die Schwierigkeit der Kirche, junge Leute anzuziehen. Da jüngere Menschen tendenziell gesünder und zugleich in der Regel noch mehr an Formen des materiellen Lebensgenusses interessiert sind als die meisten älteren, gab es schon zur Zeit Eddys eine gewisse Tendenz von Christian Science, Gläubige in eher fortgeschrittenem Alter anzuziehen.84 In der Kirche sind zudem Frauen stark überrepräsentiert, von denen viele erst nach ihrem vierzigsten Lebensjahr in die Kirche eintreten. Diese Tatsachen in Kombination mit einer Lehre, welche Formen der körperlichen Leidenschaft und damit auch der Sexualität nicht gerade enthusiastisch gegenübersteht, haben sicherlich dazu beigetragen, dass die Geburtenrate innerhalb der Kirche deutlich unter dem der Durchschnittsbevölkerung liegt.85 Dies hat zu einem zunehmenden Problem der Überalterung vieler Gemeinden und zu einem akuten Mangel an eigenem Nachwuchs unter den Mitgliedern geführt. Als Gegenbeispiel zur Kirche Christi, Wissenschaftler könnte man in diesem Zusammenhang die Mormonen anführen, die einem „gesunden Eheleben“ sowie einer möglichst zahlreichen Kinderschar große Bedeutung zumessen der Adresse https://www-ec.destatis.de/csp/shop/sfg/vollanzeige.csp?ID=1018095 verfügbar ist. 83 Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 212–213. 84 So berichtete eine ehemalige Christliche Wissenschaftlerin, sie sei während ihrer Studienzeit aus der Kirche ausgetreten, obwohl sie die Grundideen von CS immer noch schätze, da die strengen Regeln der Kirche ihr Bedürfnis, das Leben (auch das materielle) so frei zu genießen, wie sie es gerne zusammen mit anderen jungen Leuten tun wollte, zu sehr eingeschränkt hätten. Interview mit Andrea Abadie vom 29. Juni 2006. 85 Vgl. hierzu Stark, Rise and Fall of Christian Science, 203–206. Eddy selbst empfahl ihren Anhängern, wenn möglich, zölibatär zu leben und Geschlechtsverkehr primär nur zur Fortpflanzung zu praktizieren. Sie widmet zwar dem Thema „Marriage“ ein Kapitel von Science and Health, aber wenn Christliche Wissenschaftler kirchlich heiraten wollen, müssen sie dies in einer anderen Kirche tun, da die Kirche Christi, Wissenschaftler keine Trauungen vornimmt. Der relativ geringe bzw. eher negative Stellenwert, der Sexualität und Körperlichkeit an sich in CS zukommt, da diese „Dinge“ von der gewünschten Fokussierung auf geistige Wahrheiten ablenken, wurde der Verfasserin von Kirchenmitgliedern bestätigt, auch wenn jüngere Mitglieder dies zum Teil heute anders sehen; vgl. z. B. Interviews mit Herr, Huber, Pabst, Finkenstaedt und Spitz.
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und deren extrem hohe Geburtenrate wesentlich zum immensen Wachstum und Erfolg der Gemeinschaft beigetragen hat.86 In den letzen Dekaden haben außerdem viele der jüngeren Christlichen Wissenschaftler ihre Kirche verlassen, weil sie die strikte Einhaltung der über 100 Jahre alten Regeln des Kirchenhandbuchs als einen Anachronismus empfinden, der ihrer Ansicht nach zur Erstarrung der Gemeinschaft beigetragen hat.87 Nur rund ein Drittel derjenigen, die als Christliche Wissenschaftler aufwachsen, bleiben später in der Kirche. Mit 33 Prozent liegt die sogenannte retention rate von Christian Science somit weit unter derjenigen anderer amerikanischer Religionsgemeinschaften, die sich meist zwischen fünfzig und achtzig Prozent bewegt.88 Manche Beobachter sind der Meinung, eine zu große „Verweichlichung“ der einstmals in deutlichem Gegensatz zum sozialkulturellen Umfeld stehenden Lehre Eddys bzw. deren Anpassung an allgemeine (christliche) Vorstellungen sei die Ursache für diese niedrige retention rate. Sie sehen beispielsweise den Verzicht Eddys darauf, bei ihren Anhängern als weibliche Inkarnation Christi zu gelten bzw. sich als „göttlich“ verehren zu lassen (beides hatte sie in den Anfangsjahren der Bewegung zwar stillschweigend geduldet, später jedoch verboten), sowie die von Eddy erlaubten Ausnahmen vom Prinzip der Radical Reliance als Zeichen für einen letztendlich kontraproduktiven „Mangel an Strenge“, den sie für einen Hauptgrund des Niedergangs von Christian Science halten.89 Andere, darunter auch ehemalige Mitglieder der Kirche, glauben genau das Gegenteil. Ihrer Ansicht 86 Der Soziologe Stark hält die „inadequate fertility“ für eine der wichtigsten Ursachen des Niedergangs von CS. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 203–205. 87 Vgl. Interviews mit Fincke vom 3. Mai 2005 und Abadie vom 29. Juni 2006. Auch Reimer kritisierte das starre Festhalten an den Doktrinen Eddys: „Bis ins einzelne sind sie [Christliche Wissenschaftler] an unabänderliche Vorschriften gebunden! […] Es ist fast tragisch zu nennen: Man lehrt den Geist, aber man traut ihm nicht zu, daß er sich selbst erweise […], man verleugnet das für jede wahre Wissenschaft notwendige Lebenselement: die Freiheit.“ Reimer, Gefangene Freiheit, 11. 88 Laut Stark hat CS die niedrigste retention rate aller Religionsgemeinschaften, für die es solche Daten gibt. Die Rate der Adventisten beträgt z. B. sechzig Prozent, die der Methodisten 66 Prozent, die der Zeugen Jehovas 67 Prozent, die der Mormonen achtzig Prozent, die der Southern Baptists ebenfalls achtzig Prozent, die der Katholiken 81 Prozent und die der Juden sogar 85 Prozent. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 208–209. 89 Stark vertritt z. B. die These: „Religious movements will continue to grow only to the extent that they maintain sufficient tension with their environment – sufficiently strict.“ Seiner Ansicht nach versagt CS hier deutlich im Vergleich zu anderen Gruppen. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 209–211. Seine Schlussfolgerung lautet darum: „Why did Christian Science fail? […] Compared with the Jehovah’s Witnesses, the Mormons or other high tension groups, Christian Science asked little of its members, and in the end that is exactly what it got from them.“ Ebd., 213. Auch mehrere Kirchenmitglieder sind der Ansicht, die Kirche sei „zu liberal“ geworden. So beschuldigte z. B. Mary Frances Cassell die Kirchenführung, Eddys Lehre in fataler Weise zu verfälschen, „trying to broaden its appeal by diluting its principles. The worst example
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nach stellen vor allem die hohen Ansprüche von Christian Science an alle, welche die Lehre ernst nehmen, einen wesentlichen Grund für die Schwierigkeit dar, junge Menschen für diesen Glauben zu begeistern bzw. sie in der Kirche zu halten.90 Der Untersuchung der Verfasserin zufolge scheint im heutigen Deutschland der zweite Grund der ausschlaggebendere zu sein, zumal diejenigen Mitglieder, denen die Kirche „nicht streng genug“ ist, offensichtlich wesentlich seltener austreten als diejenigen, denen sie „zu streng“ ist.91 Zusätzlich zu diesen schon lange existierenden, kircheninternen Problemen wurde die Mutterkirche in den 1980er und frühen 1990er Jahren von einer Reihe gravierender Krisen erschüttert, welche sich nicht nur für die amerikanische, sondern auch für die weltweite Anhängerschar von Christian Science negativ auswirkten. Als erste dieser Krisen könnte man die bereits erwähnte Serie spektakulärer Prozesse gegen amerikanische Christliche Wissenschaftler bezeichnen. Diese hatten einen empfindlichen Ansehensverlust der Kirche in den USA zur Folge, forderten den Einsatz großer personeller und finanzieller Mittel, um noch größeren Schaden abzuwenden, und führten in vier Staaten zur Abschaffung der für die Kirche wichtigen „religious exemption laws“.92 Auch wenn diese Prozesse in anderen Ländern längst nicht so viel Medienaufmerksamkeit erhielten wie in Amerika, so erschütterten sie doch viele Christliche Wissenschaftler in der ganzen Welt. Schließlich wurden hier eindeutig dokumentierte Fälle publik gemacht, in denen trotz aller Anstrengungen und dem in der Tat „radikalen“, d. h. völlig rückhaltlosen, Vertrauen der Eltern und der behandelnden Praktiker in die Wirksamkeit von
is the church’s increasing acceptance of members who routinely turn to medical care.“ Zit. in Lindsay, Growth Amid Struggles, 3. 90 Aufgrund zahlreicher Gespräche mit jetzigen und mit einem ehemaligen Kirchenmitglied nimmt die Verfasserin an, dass insbesondere jüngere Leute die Anforderungen von CS eher für „too strict“ als für „not strict enough“ halten. Denn im Vergleich zu traditionellen christlichen Kirchen erwartet die Christliche Wissenschaft doch recht viel von ihren Anhängern, z. B. den – zumindest angestrebten – völligen Verzicht auf Medikamente, Arztbesuche, Alkohol, Tabak und jede andere Droge (strenggenommen auch Kaffee und schwarzen Tee) sowie die Bereitschaft, sich jeden Tag ausreichend Zeit (ca. ein bis zwei Stunden) für die Lektüre der Bibel und der Texte Mary Baker Eddys sowie der CSPS-Publikationen zu nehmen, jeden Mittwochabend zur Zeugnisversammlung und jeden Sonntag zum Gottesdienst zu gehen. 91 Vgl. Interviews mit Abadie, Spitz, Huber, Herr und Pabst. Das Gefühl, dass die Regeln der Christlichen Wissenschaft die eigene persönliche Freiheit zu sehr einschränken, ist offenbar einer der meistgenannten Gründe für den Austritt aus der Kirche. 92 Die Staaten waren Massachusetts, Maryland, Hawaii und Oregon. Zu einer ausführlichen Beschreibung der einzelnen Fälle und den Anstrengungen der Mutterkirche, den jeweiligen Schaden durch den Einsatz von erstklassigen Anwälten und Medienberatern in Grenzen zu halten, vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 269–339, und Schoepflin, Christian Science on Trial, 199–219.
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Christian Science der Tod mehrerer Kinder nicht hatte verhindert werden können.93 1989 und 1991 trugen zudem zwei großangelegte komparative Studien von William F. Simpson über die Lebenserwartung von Christlichen Wissenschaftlern zu weiterer Kritik an Christian Science bei. Der Mathematikprofessor der Emporia State University in Kansas verglich in beiden Studien die Lebenserwartung von Absolventen der CS-Universität Principia mit denen anderer amerikanischer Hochschulabsolventen. Er kam zu dem Schluss, dass die Lebenserwartung der Vergleichsgruppen deutlich über derjenigen der Christlichen Wissenschaftler lag, obwohl diese weder rauchen noch Alkohol trinken oder Drogen nehmen, d. h. eigentlich einem gesünderen Lebensstil folgen.94 Die Kirche protestierte zwar sofort gegen die ihrer Ansicht nach ungenaue wissenschaftliche Methodik der Studien und wies darauf hin, dass Versicherungsdaten amerikanischer Lebensversicherungen das Gegenteil bewiesen, aber sie konnte nicht verhindern, dass die Medien in den USA und in Europa die Ergebnisse der Simpson-Studien als „wissenschaftlichen Beweis für die Ineffektivität von Christian Science“ weiterverbreiteten.95
93 Vgl. hierzu Fraser, God’s Perfect Child, 337 sowie die o.g. Interviews der Verfasserin. 94 In der ersten, im September 1989 publizierten Studie untersuchte Simpson, der selbst früher ein Student an der CS-Universität gewesen war, die Sterbedaten ehemaliger Studenten von Principia und von der University of Kansas zwischen 1934 und 1983. Seinen im Journal of the American Medical Association (JAMA) publizierten Daten zufolge waren 1983 24 Prozent der männlichen und 15 Prozent der weiblichen Principia Absolventen, die 1934 ihr Studium begonnen hatten, tot. Die Vergleichszahlen für die University of Kansas Absolventen lagen mit 19 Prozent für die Männer und zehn Prozent für die Frauen deutlich niedriger. Die zweite Studie hatte als Vergleichsinstitution zu Principia die Seventh-Day Adventists Loma Linda University in Kalifornien. Hier war der Unterschied noch größer als bei der ersten Gruppe, da Adventisten wie Christliche Wissenschaftler auf Alkohol und Tabak verzichten, aber keine Vorbehalte gegenüber ärztlicher Versorgung haben, so dass ihre Sterblichkeitsrate geringer als die durchschnittlicher Hochschulabsolventen ist. Diese Studie erschien im August 1991 im Morbidity and Mortality Weekly Report. Vgl. Simpson, Comparative Longevity; Simpson, Comparative Mortality. 95 Ein Hauptkritikpunkt gegenüber Simpson war der, dass seine Studie davon ausging, die Sterblichkeitsrate derjenigen Graduierten, die den Kontakt zu ihrer alma mater verloren hatten, sei genauso hoch wie die derjenigen, die in Kontakt mit dieser standen. Die Kirche merkte zu Recht an, dass Tod normalerweise einer der Hauptgründe für derartige Kontaktverluste sei und die Anzahl dieser Verluste am Principia College weit unter derjenigen der Vergleichsinstitute läge. Simpson korrigierte seine Ergebnisse daraufhin noch einmal. Er beharrte allerdings auf seiner These und wies seinerseits darauf hin, dass die höhere Lebenserwartung Christlicher Wissenschaftler in den Statistiken der Lebensversicherungen auf deren höheren sozialen Status zurückzuführen sei. Laut Simpson ist seine Studie verlässlicher, da er nur Hochschulabgänger, d. h. Gruppen von ähnlichem Bildungsniveau und sozialem Hintergrund untersuche. Vgl. hierzu das Leserbriefforum in JAMA 12 (1990), 1634–1635; Fraser, God’s Perfect Child, 433–435.
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Noch schlimmer als diese negativen Schlagzeilen wirkten sich jedoch finanzielle, planerische und personalpolitische Fehlentscheidungen des Vorstandes innerhalb der Kirche aus. Es würde zu weit führen, diese hier ausführlicher zu beschreiben, aber zumindest ein Beispiel sei erwähnt: Der mit dem Ankauf einer Bostoner Fernsehstation 1986 begonnene Versuch der Kirche, ihre Medienpräsenz massiv zu erweitern, entwickelte sich zu einem derartigen finanziellen Desaster, dass nach Verlusten von über 36 Millionen Dollar 1992 der neue Monitor Channel und 1993 das erst fünf Jahre zuvor gegründete Fernsehmagazin World Monitor eingestellt werden mussten.96 Im Zusammenhang mit diesen Schwierigkeiten und vor allem wegen Kompetenzstreitigkeiten innerhalb der CSPS verlor auch der CS-Monitor viele hervorragenden Mitarbeiter – manche gingen selber, anderen wurde gekündigt. Die Auflage dieser bekanntesten aller CS-Publikationen sank in der Dekade nach 1988 von über 100.000 auf rund 70.000, und der Finanzzeitschrift Forbes zufolge verursachten die hohen Herstellungs- und Vertriebskosten des Monitors der Kirche allein 1997 einen Verlust von über elf Millionen Dollar.97 Zwar hat die Kirche Christi, Wissenschaftler lange Zeit über enorme finanzielle Ressourcen verfügt und gehörte in den ersten beiden Dritteln des 20. Jahrhunderts mit Sicherheit zu den – in Relation zu ihren Mitgliedszahlen – wohlhabendsten Institutionen Amerikas, aber angesichts sinkender Mitgliederzahlen und steigender Ausgaben waren diese Mittel irgendwann doch erschöpft. Der Vorstand sah sich deshalb Anfang der 1990er Jahre dazu gezwungen, zwanzig Millionen Dollar aus dem kircheneigenen Pensionsfond und noch einmal die gleiche Summe aus dem Stiftungsvermögen des Monitors aufzunehmen.98 In Deutschland berichtete sogar Der Spiegel über die Simpson Studie, vgl. N.N., Glaube statt Medizin, 305. 96 Für eine ausführliche Beschreibung dieser Thematik, insbesondere der im Zusammenhang hiermit stehenden personalpolitischen Konflikte und finanziellen Verluste der Kirche, vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 343–403, s. auch Gardner, Mary Baker Eddy, 217–219. 97 Vgl. Smith, Science Fiction, 14, auch zit. in Fraser, God’s Perfect Child, 402. Laut Fraser war 1956 das letzte Jahr, in dem der Monitor einen Gewinn machte, seither verursachte die Zeitung der Kirche insgesamt über 300 Millionen Dollar Verlust. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 348–351 und 399–403. Gardner schätzt den jährlichen Verlust durch den Monitor sogar auf 13 Millionen Dollar, s. Gardner, Mary Baker Eddy, 218. 98 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 377–379 und 399–403. Wie schon erläutert, stammen die meisten Mitglieder der Kirche aus höheren sozialen Schichten, und es befinden sich überproportional viele Akademiker darunter. So wurde das Vermögen, das Mary Baker Eddy der Kirche hinterlassen hatte, lange Zeit durch die großzügigen Spenden der Mitglieder weiter gemehrt. Dem American Religious Census zufolge lag 1926 das Jahresbudget der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen) bei fünf Dollar pro Mitglied, das der Römisch-Katholischen Kirche bei 13 Dollar pro Mitglied und das der Kirche Christi, Wissenschaftler bei 100 Dollar pro Mitglied. Vgl. Stark, Rise and Fall of Christian Science, 211.
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Die akute Finanzkrise führte den Vorstand zudem zu einer Entscheidung, die sein Ansehen und das Vertrauen in seine Kompetenz bei vielen Mitgliedern zutiefst erschüttern sollte. Hierbei ging es um das Erbe des Kirchenmitglieds Bliss Knapp und dessen umstrittenes Buch The Destiny of the Mother Church. In diesem 1947 im Eigendruck erschienenen Werk wurde behauptet, Mary Baker Eddy sei, wie Jesus, eine Inkarnation des Göttlichen gewesen. Solche Vergleiche hatte Eddy selbst klar abgelehnt, und das Buch war deswegen von der Kirche als Häresie scharf verurteilt worden.99 Nach dem Tod Knapps (1958) und seiner Witwe (1974) bestimmte deren Testament, die Mutterkirche würde ihr ganzes Vermögen unter der Bedingung erben, dass sie bis zum Jahr 1993 das umstrittene Werk publizieren und in allen CS-Leseräumen auslegen würde. Andernfalls würde das Geld – immerhin rund neunzig Millionen Dollar – an die Stanford University und das Los Angeles County Museum of Art gehen.100 17 Jahre lang hatte der Kirchenvorstand der Versuchung widerstanden, aber angesichts der eskalierenden finanziellen Schwierigkeiten und dem Herannahen des „Verfallsdatums“ von Knapps Vermächtnis gingen die Direktoren schließlich doch auf diesen „faustischen Handel“ ein und publizierten das Buch.101 Dadurch entspannte sich die monetäre Situation der Kirche zwar zumindest vorübergehend, aber ein Großteil der Mitglieder war entsetzt über diesen „Verrat“ an den Prinzipien Eddys.102 Viele angesehene CS-Praktiker und Vortragende äußerten öffentlich Kritik an der Entscheidung, und nicht wenige treue Anhänger Eddys traten deshalb sogar aus der Kirche aus. So sagte der Historiker und CS-Experte Stephen Gottschalk, der ebenfalls wegen Differenzen mit dem Vorstand aus der Kirche ausgeschieden war, die Entscheidung der Kirchenleitung, das Knapp-Buch herauszugeben, sei ein Zeichen für deren Bereitschaft gewesen, „to deliberately flout the Church 99 Als Knapp den Vorstand der Mutterkirche 1948 bat, sein Buch durch die CSPS veröffentlichen zu lassen, lehnte dieser nicht nur ab, sondern befahl ihm, alle vorhandenen Exemplare des Werkes und die Druckplatten zu zerstören. Knapp war empört und bewies einigen Einfallsreichtum bei der Entwicklung eines Plans, mit dem er noch posthum der Kirche diese Zurückweisung heimzahlen bzw. sie dazu nötigen konnte, ihre Entscheidung zu revidieren. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 369. 100 Vgl. ebd., 369–371. 101 Da viele Leseräume trotz des Drucks der Mutterkirche sich weigerten, das Buch auszulegen, waren die Bedingungen von Knapps Vermächtnis 1993 nicht ganz erfüllt. Nach einem fast zweijährigen Rechtsstreit kam es schließlich 1994 zu einer Einigung zwischen der Mutterkirche, der Stanford Universität und dem L.A. Museum of Art, wonach die Kirche 53 Prozent, die beiden anderen Parteien jeweils 23,5 Prozent des Erbes erhielten. Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 386. 102 Die bekannte Journalistin Joan Vennochi kommentierte die Entscheidung am 18. September 1991 im Boston Globe folgendermaßen: „Judas sold out for just 30 pieces of silver. Today leaders of the cash-strapped Christian Science Church could be betraying their founder for a much bigger payoff […] by publishing a book whose teachings the church has long considered unacceptable.“ Zit. in Fraser, God’s Perfect Child, 372.
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Manual“. Laut Gottschalk stellt die sogenannte Bliss-Knapp-Affäre darum die zentrale Ursache für die „constitutional crisis“ der Kirche am Ende des 20. Jahrhunderts dar.103
IV.4. GRÖSSERE OFFENHEIT, MEHR TOLERANZ UND KONZENTRATION AUF DAS WESENTLICHE ALS REVITALISIERUNGSSTRATEGIE DER KIRCHE Aufgrund der geschilderten Umstände befand sich die Kirche Christi, Wissenschaftler in den 1990er Jahre zweifellos in einer existenziellen Krise. Die Bliss-Knapp-Affäre und die anderen internen und externen Schwierigkeiten, mit denen die Mutterkirche seit Mitte der 1980er Jahre zu kämpfen hatte, führten auch in Deutschland zu einer großen Vertrauenskrise bei vielen Kirchenmitgliedern und zu zahlreichen Kirchenaustritten. So verringerte sich die Zahl der CS-Gemeinden in Deutschland trotz der Zugewinne durch die Wiedervereinigung zwischen Mitte der 1980er und Ende der 1990er Jahre von über 100 auf 85,104 und die Zahl der CS-Praktiker, die allein in der BRD 1980 noch bei 163 gelegen hatte, verringerte sich bis 1999 um insgesamt fünfzig Prozent.105 Aber sowohl in der Mutterkirche in den USA als auch in den deutschen Gemeinden führte diese Krise offenbar zu einer gewissen Erneuerung und zur Auseinandersetzung mit kritischen Fragen, denen man vorher lange Zeit ausgewichen war. Der aus zahlreichen Interviews und Gesprächen mit Mitgliedern der Kirche gewonnene Eindruck der Verfasserin ist jedenfalls der, dass die Erschütterungen der 1980er und 1990er Jahre manche, vorher relativ unbewegliche, Teile der Kirche „wachgerüttelt“ haben und dass in der innerkirchlichen Auseinandersetzung die Progressiven, d. h. diejenigen, die für eine Öffnung von Christian Science und für mehr Toleranz und Pragmatik 103 Gottschalk, Christian Science Polity, 244. Vgl. auch Schoepflin, Christian Science on Trial, 209–210; Fraser, God’s Perfect Child, 371–386; Gardner, Mary Baker Eddy, 209– 13. Interessanterweise misst der Soziologe Rodney Stark in seiner Studie „The Rise and Fall of Christian Science“ den hier genannten kircheninternen Krisen offenbar keinerlei Bedeutung bei und erwähnt sie nicht einmal. 104 Vgl. Anhang D sowie Interviews mit deutschen Kirchenmitgliedern. 1990 war die Zahl der Gemeinden in Westdeutschland bereits auf 72 gesunken. Nach der Wiedervereinigung stieg sie durch die neuzugelassenen ostdeutschen Gemeinden noch einmal auf 96, sank dann jedoch wieder kontinuierlich ab. 105 Ihren absoluten Höchststand erreicht die Zahl der von der Mutterkirche offiziell anerkannten Praktiker in Deutschland 1939 mit 234. Nach dem Krieg wurden erstmals im September 1947 wieder 14 deutsche Praktiker im Journal und im Herold angeführt. Ein Jahr später gab es bereits 51, und 1950 waren es 183 Praktiker. 1960 lag die Zahl bei 173, 1980 bei 163, 1990 bei 111 und im Jahr 2000 bei 80. Vgl. CS-Herold und CS-Journal der entsprechenden Jahre.
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eintreten, zum ersten Mal mehr Gehör fanden als die Traditionalisten.106 Es gab gewiss keine Revolution innerhalb der Kirche, aber vielleicht könnte man sagen, dass kurz nach der Bliss-Knapp-Affäre, nicht zuletzt auch durch die Wahl von Virginia Harris zur Vorstandsvorsitzenden 1992, eine Art „neue Ära“ begann. Zumindest scheinen sich seither sowohl die Mutterkirche als auch Zweigkirchen in der ganzen Welt aktiver als zuvor darum zu bemühen, die Kirche zu revitalisieren und Christian Science wieder mehr ins öffentliche Leben zu tragen. Harris ergriff hierbei schon früh die Initiative und setzte in den zwölf Jahren ihrer Amtszeit einige beachtliche Veränderungen durch. So brachte die Kirche 1992 eine ganz neue, attraktiv gestaltete Ausgabe von S&H heraus, die zum ersten Mal seit Eddys Tod einige auffallende Neuerungen enthielt, beispielsweise ein Geleitwort der Herausgeber und einen ausführlichen Index am Ende des Buches.107 Außerdem begann die Kirche in wesentlich größerem Umfang als zuvor, für das Buch und die Lehre Eddys zu werben. Harris selbst trat in zahlreichen Medien als Botschafterin ihres Glaubens auf: So druckten die New York Times sowie zahlreiche andere große Zeitungen Interviews mit ihr ab, und sie wurde vom Nachrichtensender CNN zu der bekannten Fernsehshow „Larry King Live“ eingeladen. Sie beteiligte sich an einer Vorlesungsreihe der Harvard Medical School, und sie suchte das Gespräch mit Außenstehenden, auch mit Kritikern von Christian Science. Dabei betonte Harris immer wieder, es sei das Interesse der Kirche, die „Mauern“, die um Mary Baker Eddys Ideale im Laufe der Zeit gewachsen seien, einzureißen und Eddys Ideen der Menschheit wieder näher zu bringen.108 Wohl um zu zeigen, dass der Abbau von Barrieren nicht nur im geistigen, sondern auch im materiellen Bereich stattfinden sollte, beschloss der Vorstand Ende der 1990er Jahre sogar, die noch unter Eddy als Schutz vor auf106 Vgl. die Interviews der Verfasserin mit den Mitgliedern. Viele Mitglieder betonten, dass es in der Christlichen Wissenschaft, wie in jeder anderen Kirche auch, „Liberale“ und „Fundamentalisten“ gäbe. Interessanterweise äußerten sich alle Befragten in einer Weise, die sie klar als Vertreter der „fortschrittlichen“ Gesinnung identifizierte. Sie wiesen allerdings auch darauf hin, dass viele, besonders ältere Gemeindemitglieder traditionalistischere Haltungen verträten. Dies scheint jedoch nicht allein eine Frage des Alters zu sein, denn ein 81-jähriger, sehr engagierter Zweigkirchenvorstand aus München berichtete, er habe gerade im Hinblick auf Toleranz gegenüber Andersdenkenden oftmals Auseinandersetzungen mit jüngeren, konservativeren Vorstandskollegen geführt. 107 „Harris took the startling step of introducing new material into the book: a selective word index, referring readers to topics such as ,Drink(s), intoxication‘ and ,Drug(s)‘, as well as a ,Publisher’s Note‘.“ Fraser, God’s Perfect Child, 404. 108 So sagte sie zu Larry King, „We’re taking the walls down around her [Eddy’s] ideas and letting these ideas find their way out into circulation.“ zit. in CNN, Virginia Harris. Vgl. auch die Mitteilung des Christian Science Vorstandes zur Verabschiedung von Harris, in der besonders die Neuausgabe von Science and Health als Teil von Harris’ „Vision, in der Welt ein breiteres Verständnis von Mrs. Eddy zu fördern“, gelobt wird. CS-Herold, Januar 2005, 28; s. auch Fraser, God’s Perfect Child, 406–408.
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dringlichen Reportern errichtete hohe Steinmauer, die einen Großteil des CSGebäudekomplexes in Boston fast ein Jahrhundert lang umgeben hatte, ganz abreißen zu lassen.109 Offenbar wirkten sich die liberaler erscheinende Haltung der Kirche sowie ihre stärkere Öffentlichkeitsarbeit in den 1990er Jahren positiv auf das allgemeine Ansehen der Gemeinschaft aus und begünstigten zudem die Rezeption Eddys als eine der großen historischen Frauengestalten Amerikas. So wählte 1992 die Women’s National Book Association S&H als eins der „75 Books by Women Whose Words Have Changed the World“, und 1995 wurde Mary Baker Eddy in die National Women’s Hall of Fame aufgenommen. Im Sommer 1998 widmete ihr der National Park Service in Seneca Falls (dem Ort, an dem 1849 die erste große Frauenrechtsversammlung in den USA stattfand) sogar eine eigene Ausstellung, und im September 2002 verabschiedeten beide Häuser des US-Kongresses eine „Concurrent Resolution“, in der Mary Baker Eddy als eine der bedeutendsten Frauen der amerikanischen Geschichte gewürdigt wurde.110 1998 feierte die Kirche das hundertjährige Jubiläum der Erstausgabe des CS-Sentinel. Zu diesem Anlass erhielt die Zeitschrift ein neues, farbenfroheres und moderneres Design, woraufhin sich die in den Jahren zuvor stark gesunkene Auflage innerhalb eines Jahres um rund 15 Prozent erhöhte.111 Im gleichen Jahr erschien zum ersten Mal seit 1912 eine neue, von der Mutterkirche autorisierte deutsche Übersetzung des Lehrbuchs. Diese hatte sowohl das Ziel, eine Reihe von Ungenauigkeiten, die im Laufe der Jahrzehnte in der ersten Übersetzung entdeckt worden waren, auszubessern als auch den Text insgesamt durch eine Annäherung an den heutigen Sprachduktus besser zugänglich zu machen.112 Eine weitere nicht unbedeutende Maßname, welche 109 Dieser Schritt wurde nicht nur von den meisten Kirchenmitgliedern sehr begrüßt, sondern auch von Bostons Bürgermeister in einer öffentlichen Rede gelobt. Vgl. Gespräch mit Spitz vom 16. Juli 2006. 110 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 405; U.S. Congress, 107th Congress, 2nd Session, S. Con. Res. 145, Recognizing and Commending Mary Baker Eddy’s Achievements. Auf die Bedeutung des Lebenswerks Eddys im Rahmen der Frauengleichberechtigung wird auch in der Biographie von Gillian Gill detailliert eingegangen. Dieses 1998 erschienene Werk ist bislang das einzige von einem Nicht-Kirchenmitglied verfasste Buch über Eddy, das in den CS-Leseräumen ausliegt. 111 Vgl. Fraser, God’s Perfect Child, 400. 112 Diese Übersetzung wurde zwar von einigen konservativen deutschen Kirchenmitgliedern scharf kritisiert, denen die ihnen in vielen Jahren ans Herz gewachsene alte Übersetzung authentischer und sprachlich schöner erschien, aber der Mehrzahl, insbesondere den jüngeren Mitgliedern, gefällt die neue Übersetzung besser als die alte. In jedem Fall sind alle Zweigkirchen dazu angehalten, bei den Gottesdiensten nur noch die neue Übersetzung zu verwenden. Vgl. z. B. Interviews mit Spitz, Huber, Finkenstaedt, Sperling und Herr. Mit der neuen Übersetzung wurde, wie in der Einleitung bereits erwähnt, von der Mutterkirche auch das „l“ in den offiziellen deutschen Namen der „Kirche Christi, Wissenschaftler“ eingeführt. Allerdings hat bislang nur ein Teil der deutschen
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die Mutterkirche unter Harris’ Führung am Ende des 20. Jahrhunderts ergriff, war, dass sie die Aufnahmekriterien für neue Mitglieder – die zwischenzeitlich um eine Reihe von Bedingungen erweitert worden waren (z. B. dass die Aspiranten schon zur Zeit der Aufnahme frei von jeder Form des Alkohol-, Tabak-, Drogen- und Medikamentengebrauches zu sein hatten) – wieder auf die im Kirchenhandbuch von Mary Baker Eddy festgelegten drei Kriterien beschränkte (Glaube an Christian Science, keine andere Kirchenmitgliedschaft und ein Mindestalter von zwölf Jahren) und den Zweigkirchen empfahl, das Gleiche zu tun.113 Diesen Schritt kann man im Zusammenhang mit der bereits erläuterten Wende in der Haltung der Mutterkirche zur Frage der Radical Reliance am Anfang des 21. Jahrhunderts durchaus als Indiz für eine tolerantere Haltung des Direktoriums gegenüber dem progressiven Flügel der internen Kritiker werten.114 Von einigen konservativen Kirchenmitgliedern in den USA wurde diese als übertriebene Liberalisierung angesehene neue Linie zwar scharf kritisiert, aber die Mehrheit der Mitglieder, insbesondere hier in Deutschland, scheint diesen Schritt zu befürworten.Viele halten ihn im Hinblick auf eine Revitalisierung der Kirche sogar für dringend notwendig.115 Das größte und wohl bedeutendste neue Projekt der Kirche zu Beginn des 21. Jahrhunderts, das die neue Öffnungsbereitschaft auch institutionell ausdrücken soll, ist die „Mary Baker Eddy Library for the Betterment of Humanity“, die als neuer Teil des Gebäudekomplexes der Christian Science Zweigkirchen dies übernommen. Die beiden Münchner Gemeinden blieben z. B. bei „Erste bzw. Zweite Kirche Christi, Wissenschafter“. 113 Vgl. Church Manual, Artikel IV, Absätze 1–3. Nicht alle deutschen Zweigkirchen haben diese Änderungen bereits vollzogen, aber alle von der Verfasserin hierzu befragten Mitglieder befürworteten diesen Schritt. Viele sagten, es sei ja gerade das Ziel von CS, dabei zu helfen, die Menschen von diesen Abhängigkeiten zu befreien, und Aufgabe der Kirche sei es, sie dabei zu unterstützen, anstatt die perfekte Befolgung dieser Gebote schon gleich am Anfang zu erwarten. Vgl. z. B. Interviews mit Herr, Pabst, Huber, Spitz und Finkenstaedt. 114 Wie in Kapitel III. diskutiert, druckte der Kirchenvorstand in einer eigens angefertigten replacement issue des CS-Journals im Januar 2000 eine offizielle Mitteilung zur „free moral agency in the understanding and application of Christian Science“ ab, die betonte, niemand dürfe ein Kirchenmitglied kritisieren, wenn er oder sie sich in bestimmten Fällen für die Inanspruchnahme ärztlicher Hilfe entschied. 115 Vgl. hierzu Interviews der Verfasserin mit Kirchenmitgliedern. Die Amerikanerin Mary Cassell, die sich selbst als Teil des „remnant of true Christian Scientist“ sieht, kritisierte z. B. den Kirchenvorstand dafür, dass er die Kirche nun in den Ruin treibe und Eddys Prinzipien in unerträglicher Weise verwässere: „The worst example is the church’s increasing acceptance of members who routinely turn to medical care.“ Cassel zufolge war der plötzliche Tod des neugewählten Präsidenten David Reed bei der Jahresversammlung im Juni 2006 „a divine message that the church had strayed“, zit. in Lindsay, Growth Amid Struggles, 1–2. Allerdings widerspricht eine derartige Aussage bzw. dieses eher alttestamentarische Bild eines zürnenden, strafenden Gottes dem Gottesverständnis von CS so massiv, dass sie Cassells Glaubwürdigkeit als „true Christian Scientist“ sicherlich in Frage stellt.
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Publishing Society (neben der Mutterkirche) entstand und 2002 feierlich eröffnet wurde. Die 58 Millionen Dollar teure, nach modernsten architektonischen Standards gebaute Anlage enthält neben einer großen Bibliothek (die neben Werken zu Christian Science auch solche zur allgemeinen Religionsgeschichte und zu sozialwissenschaftlichen Themen beinhaltet) ein Café, Ausstellungsräume (in denen wechselnde Ausstellungen mit original Artefakten das Leben Eddys und ihre Zeit dokumentieren), das sogenannte Mapparium, einen Souvenirladen und ein, zumindest teilweise, öffentlich zugängliches Archiv.116 Darin befinden sich die vorher nur auserwählten Kirchenmitgliedern zugänglichen Originaldokumente Eddys und andere historisch signifikante Materialien. Neben der privaten Korrespondenz Eddys zum Beispiel auch interne Berichte der Komitees für Veröffentlichungen, Korrespondenz der Kirchenleitung mit Angestellten der Kirche, Vortragenden und Praktikern, Geschäftsberichte des Kirchenvorstandes sowie Sammlungen von Artikeln und Berichten über Christian Science aus aller Welt.117 Dass seither auch Außenstehende für Forschungszwecke diese einmalige Quellensammlung benutzen dürfen, ist aus historischer Sicht eine geradezu revolutionäre Veränderung der vorher primär auf Geheimhaltung bedachten kirchlichen Archivpolitik. Wahrscheinlich war ein Aspekt, der diesen Schritt mit motiviert haben mag, dass in den nächsten Jahren das copyright vieler bis jetzt geschützter Texte Eddys abläuft. Darum hatte die Kirche die Wahl, diese Materialien entweder öffentlich zugänglich aufzubewahren oder sie der Library of Congress zur Verfügung zu stellen. Offensichtlich war die Mehrheit des Vorstandes für erstere Option. Dass dies jedoch in einem so großzügigen Rahmen geschah und für das Archiv sogar ein Forschungsstipendiumsprogramm eingerichtet wurde, war eine bewusste Entscheidung der Kirchenleitung, die ebenfalls auf deren verstärkte Öffnungsbereitschaft gegenüber der Außenwelt hinweist. Die Mary Baker Eddy Library war innerhalb der Gemeinschaft nicht unumstritten, zum einen wegen ihrer immens hohen Kosten, zum anderen, weil manche konservativen Kirchenmitglieder, wie erwähnt, diese Form von „Weltoffenheit“ als eine Ablenkung von den wahren Idealen von Chris116 Vgl. Lindsay, Growth Amid Struggles, Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, sowie die unten angeführte Webseite der Bibliothek. Bei dem 1935 konstruierten Mapparium handelt es sich um einen begehbaren Globus (dreißig Fuß Durchmesser), der eine maßstabgetreue Projektion der politischen Weltkarte von 1935 darstellt. Die von außen beleuchteten Wände sind aus gefärbtem Glas, und ein Laufsteg führt mitten durch den Globus hindurch. Schon in den 1930er Jahren war das Mapparium, das zusammen mit dem neuen Gebäude der CSPS entstand, eine der größten Touristenattraktionen Bostons, und seither haben, offiziellen Kirchenangaben zufolge, über zehn Millionen Menschen diesen Globus durchschritten. Vgl. hierzu die Webseite http://www.marybakereddylibrary.org/ exhibits/mapparium.jhtml. 117 Mehr Informationen zum Inhalt des Archivs und zu seinen Nutzungsmöglichkeiten finden sich unter der Webseite http://www.marybakereddylibrary.org/collections/archivesholdings.jhtml.
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tian Science sehen.118 Ob sich das bislang recht gut besuchte und von der Öffentlichkeit positiv bewertete Bibliotheksgebäude letztendlich als erfolgreiches und finanziell tragbares Projekt bewähren wird, bleibt abzuwarten.119 Bislang scheint jedenfalls die von Harris eingeschlagene neue Linie auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand im Dezember 2004 von der Kirchenleitung fortgesetzt zu werden.120 So sagte ihre Nachfolgerin als Vorstandsvorsitzende, Mary Trammell, in einem Interview im Dezember 2005: I think Mrs. Eddy probably wouldn’t be too surprised to see what’s going on. I think she’d want us to wake up, though. I think we did become […] more ingrown than we needed to. A lot more. Maybe we were talking to ourselves in a language that only Christian Scientists fully understood. I think we needed to get beyond, I don’t know whether you’d call it a bunker mentality, but to get out of ourselves […]. I think those of us who’ve been around longer have just needed to learn to be more open. Not that we need to be aggressively evangelical but to just open the doors a little wider.121
Um diesem Ziel einer erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit besser nachkommen zu können, beschloss der Vorstand, seit langem notwendige finanzielle Konsolidierungsmaßnahmen durchzuführen, auch wenn diese schmerzhaft waren bzw. sind. Dazu gehören gravierende Einsparungen im Personalwesen und die Aufgabe einiger alter Traditionen sowie Besitzstände der Kirche. So wurden von 2003 bis 2006 zahlreiche kleinere Programme und Angebote eingestellt und insgesamt 300 Mitarbeiter (rund 35 Prozent des Personals) der Mutterkirche entlassen.122 Der CS-Sentinel begann im Januar 2006 erstmals in sei118 Zu kritischen Stimmen gegen die Bibliothek vgl. z. B. die Aussagen der zwei amerikanischen Kirchenmitglieder Mary Cassell und Denis Glover in Lindsay, Growth Amid Struggles, 1–3. 119 Schon aufgrund ihrer architektonischen Konzeption gehört diese Bibliothek gewiss zu den sehenswertesten neuen Gebäuden Bostons, und das Archiv ist für die wissenschaftliche Forschung zu Christian Science eine große Bereicherung. Sollten sich die Mitgliedszahlen in absehbarer Zeit jedoch nicht stabilisieren, könnte der Unterhalt der Anlage für die Mutterkirche ein ernsthaftes Problem darstellen. 120 Die vier verbliebenen Mitglieder Walter Jones, Nathan Talbot, Mary Trammell und Victor Westberg wählten Thomas Black zu ihrem Nachfolger. Außerdem wurde entschieden, dass der Vorsitz, den Harris zwölf Jahre lang innehatte, von 2005 an in jährlichem Wechsel von einem der Vorstandsmitglieder ausgeübt werden soll. Vgl. hierzu „Mitteilung des Christian Science Vorstandes“, CS-Herold, Januar 2005, 28. Trammell war die erste, die nach dieser neuen Regel den Vorsitz für das Jahr 2005 übernahm, seither wechseln sich die fünf o.g. Direktoren regelmäßig ab. 121 Trammell zit. in Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 1–2. Trammell begrüßte auch ausdrücklich die Teilnahme von Nicht-Kirchenmitgliedern am CS-Klassenunterricht und sagte, dass diese in den letzten Jahren stark gestiegen sei. „In a way I think this is a return to Mrs. Eddy’s vision. There’s very much a sense that each person follows his or her own spiritual path. We just can’t be proscriptive of what that path is going to be. The important thing is that they keep following it.“ Zit. in Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 9. 122 Vgl. Lindsay, Growth Amid Struggles, 2; Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 1–2. Den Sparmaßnahmen fiel u.a. auch das deutsche CS-Herold Radioprogramm zum Opfer, dessen
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ner über hundertjährigen Geschichte, Werbung für nicht-kircheneigene Produkte in seinen Seiten abzudrucken, und auf der Website des CS-Monitors wurde ein Spendenaufruf an die Leser eingerichtet, die Zeitschrift nach Möglichkeit finanziell stärker zu unterstützen.123 Ein Teil der Büroräume des 26stöckigen „Christian Science Office Tower“ in Boston wird inzwischen an andere Nutzer vermietet.124 Um die immens hohen Gebäudeunterhaltskosten der Mutterkirche zu senken, die vorher rund 25 Prozent des Jahresbudgets von derzeit ca. 110 Millionen Dollar verschlangen, rang sich der Vorstand sogar zu der Entscheidung durch, die historischen Häuser von Mary Baker Eddy in Lynn und in Chestnut Hill zu verkaufen.125 Manche Mitglieder waren schockiert über diesen Schritt, aber viele sahen dessen Notwendigkeit ein und äußerten die Vermutung, dass die pragmatische Mary Baker Eddy dem Vorstand angesichts der gegenwärtigen Situation wohl zugestimmt hätte.126 Es ist noch zu früh, um beurteilen zu können, ob diese neue Linie des Vorstandes sich langfristig als erfolgreich erweisen und zu einer Revitalisierung der Kirche und einer Umkehr der abnehmenden Mitgliedszahlen führen
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Archiv aufgelöst und stückweise an private Interessenten verkauft wurde. Vgl. „Mitteilung der Redaktion“, CS-Herold, Juli 2006, 4; Gespräch mit Spitz am 14. Juni 2006. Vgl. „Notice to Readers“, CS-Sentinel, Januar 2006, 30. Hier wird erklärt, dass die finanzielle Notsituation des Sentinel dieses „outside advertisement“ notwendig mache und dass natürlich nur Produkte aufgenommen würden, die mit CS in irgendeiner positiven Verbindung stünden. In dieser Sentinel-Ausgabe waren das z. B. die Kopfhörer der Firma Bose, welche schon seit Jahren im CS-Monitor inseriert. Vgl. hierzu auch Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 2. Vgl. Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 2; Lindsay, Growth Amid Struggles, 1–2; Spitz, Brief an Verfasserin vom 17. September 2007. Trammell und andere Vorstandsmitglieder betonten, dass es bei dieser Verkaufsentscheidung nicht nur um Geld gegangen sei, sondern auch um „spirituelle Befreiung“, denn die teure Aufgabe des Gebäudemanagements hätte die Kirche letztendlich von ihrer eigentlichen Aufgabe, der „healing mission“ abgelenkt. Vgl. Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 2. Im CS-Sentinel vom 15. Mai 2006 veröffentlichte der Vorstand eine offizielle Erklärung hierzu: „The Majesty of Christian Science and its Imperatives for Our Time“, ebd., 14–15. Darüber hinaus besuchen in diesem Jahr zum ersten Mal in der Geschichte der Kirche alle fünf Vorstände (Directors) gemeinsam verschiedene Zweigkirchen in aller Welt, um sich den Fragen der Mitglieder zu stellen und mit ihnen über die o.g. Maßnahmen zu sprechen. Im September 2006 besuchten Sie z. B. die Zweigkirchen in Berlin und in München. Vgl. Gespräche der Verfasserin mit den Kirchenmitgliedern. Letztere Vermutung ist nicht unwahrscheinlich, zumal Eddy, die zeitweilig die sie huldigenden Verehrungsbezeugungen ihrer Anhänger wohlwollend entgegengenommen hatte, gegen Ende ihres Lebens entschieden gegen einen Kult um ihre Person eintrat und betonte, nicht sie selbst, sondern die Wahrheit von Christian Science und deren Verbreitung in der Welt müssten im Zentrum ihrer Kirche stehen. Darum ließ sie auch den ihr gewidmeten „Mother’s Room“ in der neugebauten Mutterkirche schließen, und noch zwei Monate vor ihrem Tod ordnete sie an, ab sofort keine Fotos oder Bilder mehr von ihr auf den Büchern der CSPS abzudrucken. Vgl. hierzu Gottschalk, Rolling Away the Stone, 426.
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wird. Aber zumindest eines der dringendsten Anliegen, nämlich die Überwindung der Finanzkrise, scheint laut eigener Berichte des Vorstands bereits weitgehend gelungen. So sagte der Schatzmeister der Mutterkirche, Ned Odegaard, in einem in USA Today abgedruckten Interview vom Juni 2006, dass die Kirche wieder schuldenfrei sei und die finanzielle Situation mit einem Überschuss von über sechzig Millionen Dollar im „General Fund“ als durchaus „stabil“ bezeichnet werden könne.127 Bei den Publikationen zeichnete sich zu Beginn des neuen Jahrtausends nach jahrelangen Einbußen auch eine gewisse Stabilisierung der Verkaufssituation ab, und der CS-Monitor erhielt 2002 seinen siebenten Pulitzer Preis. Da die Produktion des Monitors der Kirche trotzdem weiterhin jährlich Verluste in Millionenhöhe verusachte, beschloss der Vorstand der CSPS kurz vor der Feier des einhundertjährigen Bestehens der Tageszeitung im November 2008, den Monitor ab April 2009 nur noch als Online-Edition herauszugeben.128 Diese soll den Abonnenten täglich per e-mail zugehen, ergänzt durch eine gedruckte Wochenendausgabe, und die CS-Monitor Website wird zukünftig an sieben Tagen in der Woche laufend aktualisiert. Vorstandsmitglied und Chefherausgeberin der CSPS Mary Trammell sagte hierzu, dass diese neue Erscheinungsform der Zeitung nicht nur eine Kostensenkung ermögliche, sondern auch dazu beitragen werde, die Bedeutung und den Einfluss des CS-Monitors im zweiten Jahrhundert seines Bestehens zu sichern und zu vergrößern.129 Von den deutschen Kirchenmitgliedern, mit denen die Verfasserin sprach, wurden die Maßnahmen der Mutterkirche zur Revitalisierung von Christian Science insgesamt positiv bewertet, zumal die Zweigkirchen in Deutschland von den gleichen Problemen betroffen sind wie die Mutterkirche und aufgrund ihrer kleineren personellen und finanziellen Ressourcen noch mehr un127 Odegaard, zit. in Lindsay, Growth Amid Struggles, 1. Eine Leistung, die sicherlich beachtlich ist, wenn man sich das Ausmaß der vorherigen Krise vor Augen hält, die dazu führte, dass in den 1990er Jahren viele Experten den finanziellen Ruin, insbesondere die nahezu unvermeidbar erscheinende Insolvenz des CS-Monitors vorhersagten. Vgl. z. B. Fraser, God’s Perfect Child, 400–402; Gardner, Mary Baker Eddy, 217–219. 128 Im April 2002 erhielt der Monitor-Mitarbeiter Clay Bennet den Pulitzer Preis für „best editorial cartooning“, und die Monitor-Website rangierte laut einer umfassenden Artikel-Relevanz-Studie, die im April 2004 von Google News durchgeführt wurde, an achter Stelle der weltweit bedeutendsten Nachrichten-Sites im Internet. Vgl. Campbell, A Job Well Drawn, 1; Church of Christ, Scientist, News Archive, Monitor Website. Laut KfV sind die Auflagenzahlen des CS-Journals in den letzten Jahren relativ stabil geblieben, und die Auflage des CS-Monitors erhöhte sich zwischen 1999 und 2007 von 70.000 auf 83.000. Anderen Quellen zufolge betrug die Auflage 2008 allerdings lediglich 56.000. Die Anzahl der Leser der Online-Ausgabe des Monitors wird allgemein auf über eine Million geschätzt. Vgl. Gespräch mit Herr vom Juli 2008; Audit Bureau of Circulations, US Newspapers: Circulation Average: 9 / 30 / 2008, http://abcas3.accessabc.com/ecirc/newstitlesearchus.asp. 129 Trammel zit. in Cook, Monitor shifts from print to Web-based strategy. Vgl. auch Schuler, Abschied vom Papier, 23.
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ter Druck stehen als diese. So waren einige deutsche CS-Gemeinden angesichts der zurückgehenden Mitgliederzahlen in den letzten Jahren dazu gezwungen, Grundbesitz und Immobilien zu verkaufen, und nicht wenige mussten ihre Pforten ganz schließen. So wurden seit 2005 wegen Mitgliedermangels neun CS-Vereinigungen aufgelöst (in Berlin, Bremerhaven, Cuxhaven, Erfurt, Friedrichshafen, Göppingen, Göttingen, Lüneburg und Mönchengladbach). Nur in Hamburg kam es 2006 zu einer Neugründung, so dass die Zahl der Vereinigungen insgesamt zwischen 2005 und 2009 von 34 auf 25 sank. Die Zahl der CS-Kirchen blieb mit 37 zwar stabil, aber viele Gemeinden sind kleiner geworden, und die Gesamtzahl der CS-Kirchen und Vereinigungen in Deutschland ging seit Beginn des Jahrhunderts von 85 auf 62 zurück.130 Angesichts dieser existenziellen Bedrohung scheinen sich die meisten deutschen Christlichen Wissenschaftler darüber einig zu sein, dass unbedingt etwas geschehen muss, wenn man die Kirche auch hier zu Lande vor einem langsamen Aussterben retten möchte. Von einigen Mitgliedern wurde zwar auch betont, es gäbe keinerlei Grund zur Panik, denn Christian Science an sich, d. h. die wahre Wissenschaft des Seins und die unendliche Heilkraft der göttlichen Liebe, werde nie vergehen – die Kirche sei dagegen nur ein Gefäß, auf das notfalls verzichtet werden könnte.131 Aber die Mehrheit hält es offenbar durchaus für wünschenswert, die CS-Gemeindestruktur in Deutschland zu erhalten oder nach Möglichkeit wieder zu vergrößern. Viele deutsche Zweigkirchen sind darum dem Beispiel der Mutterkirche gefolgt, zumindest in manchen Punkten größere Offenheit und Toleranz zu üben als in der Vergangenheit. So haben einige der deutschen Zweigkirchen ihre Aufnahmekriterien liberalisiert und bemühen sich deutlich aktiver als früher, in der Öffentlichkeit auf die Lehre Eddys aufmerksam zu machen.132 Neben der Veranstaltung von öffentlichen Vorträgen (jede Zweigkirche ist laut Kirchenhandbuch dazu verpflichtet, mindestens einmal im Jahr einen solchen Vortrag auszurichten, viele deutsche Kirchen tun dies öfter) gibt es in vielen Leseräumen 130 S. Anhang D. Zum Verkauf von Kirchengebäuden vgl. z. B. N.N., Penthouse auf Kirchendach. Die CS-Vereinigung in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) wurde im Herbst 2006 geschlossen, konnte jedoch offenbar im Sommer 2008 neu eröffnet werden und steht seit August 2008 wieder im CS-Herold. Der Verlust Erfurts ist aus Sicht der Kirche dagegen wohl besonders zu bedauern, da dies die letzte CS-Gemeinde in Thüringen war. Jetzt sind die einzigen „Neuen Länder“, in denen es noch eine aktive Präsenz von CS gibt, Sachsen und Sachsen-Anhalt. 131 Vgl. Interviews und Gespräche der Verfasserin mit Kirchenmitgliedern. Mehrere Interviewpartner brachten in diesem Zusammenhang auch zur Sprache, dass Eddy selbst ursprünglich gar nicht vorhatte, eine Kirche zu gründen, sondern nur das verlorengegangene Element des Heilens wieder in den christlichen Glauben integrieren wollte. 132 Vgl. hierzu Interviews und Gespräche mit den Kirchenmitgliedern, Informationen des KfV und eigene Beobachtungen der Verfasserin bzgl. der von der Kirche organisierten Veranstaltungen.
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offene Gesprächskreise, an denen auch interessierte Außenstehende unverbindlich und kostenlos teilnehmen können.133 In diesen informellen Gruppen, deren Anzahl in den letzten Jahren laut Angaben der Interviewpartner spürbar gestiegen ist, sowie nach den CS-Vorträgen sind heute kritische Fragen und Diskussionen durchaus erlaubt, ja sogar erwünscht. Das früher so streng angewandte „Debattierverbot“, das Reimer zu Recht als gedanklichen Freiheitsentzug kritisierte, wird inzwischen offenbar wesentlich liberaler gehandhabt als früher. Manche Gemeinden ändern neuerdings während der Mittwochsversammlung sogar die Sitzordnung in der Kirche, so dass die Teilnehmer im Kreis sitzen können, um mehr Dialog und Austausch zu fördern.134 Außerdem gibt es seit einigen Jahren das Internetforum „Blickpunkt-Forum: Die Kommunikations-Plattform für Christliche Wissenschaftler und alle, die an Christian Science interessiert sind“, welches neben verschiedenen Informationen, virtuellen Gebetskreisen und der Möglichkeit, Gedanken über die CSWochenlektionen auszutauschen, ein offenes Diskussionsforum anbietet.135 Einen besonderen Motivationsschub erhielten viele deutsche Anhänger von Eddys Lehre im Sommer 2003, als anlässlich der 100-Jahrfeier des CSHerold zum ersten Mal in der Geschichte der Mutterkirche deren Jahreshauptversammlung im Juni nicht in Boston, sondern außerhalb der USA, nämlich in Berlin, stattfand. Über 3.000 hochmotivierte Christliche Wissenschaftler – aus der Bundesrepublik, den USA und vielen anderen Ländern der Welt – kamen zu diesem Anlass in die deutsche Hauptstadt, um an der auf großen Videoleinwänden live nach Boston und im Internet übertragenen Veranstaltung teilzunehmen.136 Dass im Rahmen dieser Feier die Wahl des deut133 Allerdings bleiben aus Beobachtung der Verfasserin wegen der geringen Werbung die meisten dieser Gesprächskreise eher „Insider“-Veranstaltungen. 134 Wie der CS-Praktiker und Vortragende Michael Pabst erklärte, wird das im Church Manual festgelegte „Debattierverbot“ (s. Church Manual, Artikel X) jetzt in erster Linie als Wunsch Eddys gesehen, CS nicht zum Thema der zu ihrer Zeit sehr populären öffentlichen Debattierclubs werden zu lassen. Ein freier Meinungsaustausch und offene Diskussion unter Interessierten gelten heute dagegen als förderlich für ein besseres Verständnis von CS. Vgl. Interview und Gespräche mit Pabst; Brief Herrs an die Verfasserin vom 25. Juli 2005; Interview mit Stofer vom 5. August 2008. Marietta Stofer, CSPraktikerin aus Neu-Ulm würde z. B. gerne auch im Sonntagsgottesdienst ihrer Gemeinde eine kreisförmige Sitzordnung einführen. Vgl. auch eigene Erfahrungen der Verfasserin beim Besuch von CS-Versammlungen und Vorträgen. 135 Im „Blickpunkt-Forum“ gibt es auch ein „Gesprächsrunden-Archiv“, in dem man sich über vergangene Diskussionen informieren kann, und es wird auch als Informationsbörse und Organisationshilfe für die alljährlichen Pfingsttreffen benutzt. Vgl. die Forum-Website: http://www.blickpunkt-forum.de/. 136 Da im Juni 2003 auch der Deutsche Evangelische Kirchentag in Berlin stattfand, behauptete der landeskirchliche Sektenbeauftragte Thomas Gandow, die Christlichen Wissenschaftler hätten diesen Termin mit Absicht gewählt, um sich quasi als Teil des Kirchentages zu tarnen und so „nichtsahnende Christen zu sich zu locken.“ Vgl. Gandow zit. in Lassiwe, Verwechslungsgefahr, 2. Da jedoch die Jahresversammlung der
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schen CS-Lehrers Hans-Joachim Trapp zum Präsidenten der Mutterkirche bekannt gemacht wurde, stellte für viele deutsche Christliche Wissenschaftler einen weiteren Grund zur Begeisterung dar.137 Inzwischen gibt es in fast allen Gemeinden einige besonders engagierte Mitglieder (meist Praktikerinnen), die auf Gesundheits- und Esoterikmessen in ganz Deutschland Informationsstände über Christian Science organisieren und hier Eddys Lehrbuch sowie weitere CS-Literatur und Gespräche für Interessierte anbieten.138 Einige konservativere Kirchenmitglieder kritisieren diese Messestände und sehen den Besuch von Esoterikveranstaltungen als „unnötigen Aktionismus“ an. Die Befürworter weisen jedoch darauf hin, dass man hier eine gute Chance habe, auf „Suchende“ zu treffen, d. h. auf Menschen, die neue Wege und neue Antworten auf existenzielle Lebensfragen zu finden hoffen, die nicht auf materielle Dinge fixiert sind und neuen Ideen grundsätzlich relativ aufgeschlossen gegenüber stehen. Das Weltbild überzeugter Esoteriker ist zwar mit einer christlichen Weltanschauung prinzipiell unvereinbar, aber da ja nicht nur überzeugte Esoteriker solche Messen besuchen, stellen diese Menschen vielleicht tatsächlich einen besseren „Rekrutierungspool“ dar als das allgemeine Publikum, das an den Leseräumen vorbeiläuft. Zumindest berichteten die Organisatorinnen der CS-Messestände, dass sich dort oft Chancen dazu bieten würden, in Gesprächen gängige Vorurteile gegen die Lehre Eddys abzubauen. Wegen der etwas ähnlich klingenden Namen wird Christian Science beispielsweise von Außenstehenden nicht selten mit Scientology verwechselt. Diesen Irrtum aufzuklären, liegt vor allem angesichts des extrem negativen Rufs von Scientology in Deutschland den Christlichen Wissenschaftlern besonders am Herzen. Sie betonten, dass nicht wenige ihrer Gesprächspartner anschließend Eddys Lehrbuch kaufen würden, einige kämen später sogar zum Gottesdienstbesuch.139 Es gibt zwar keine Möglichkeit, den quantitativen Erfolg dieser Form von CS-ÖffentlichMutterkirche immer in der ersten Juniwoche stattfindet und der Ort Berlin anlässlich des Herold-Jubiläums gewählt wurde, verärgerte diese Beschuldigung zahlreiche Christliche Wissenschaftler erheblich. Vgl. Interviews mit Huber, Trapp, Spitz und Herr. 137 Trapp war der zweite deutsche Präsident der Mutterkirche. Der erste war Dieter Förster Mitte der 1990er Jahre. Zum großen Erfolg der Berliner Versammlung vgl. Interview mit Trapp und anderen Kirchenmitgliedern, insbesondere Spitz und Huber. Offenbar wurde eine Reihe von deutschen Kirchenmitgliedern, die sich wegen der World-Monitor- und der Bliss-Knapp-Affäre von Boston distanziert hatten, u.a. durch diese in Berlin stattfindende Jahresversammlung dazu angeregt, sich wieder mit der Mutterkirche auszusöhnen. 138 Zur Koordination und Vorbereitung dieser Stände in Nord- und in Süddeutschland haben sich zwei eigene Netzwerke („Forum-Nord“ und „Forum-Süd“) gegründet, die sich regelmäßig treffen. Vgl. Interviews mit Huber, Manger, Sperling und Stofer. Vgl. auch Brief Herrs an die Verfasserin vom 25. Juli 2006. 139 Vgl. Interviews mit Spitz, Sperling, Huber, Manger und Stofer.
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keitsarbeit auf Messen genau nachzuweisen, aber für eine Gemeinschaft, die generell keine Form der Mission betreibt, ist dies doch ein beachtenswerter Versuch, ihre Lehre stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. Besonders dringend erschien allen von der Verfasserin hierzu befragten Christlichen Wissenschaftlern die Notwendigkeit, wieder mehr junge Leute für Christian Science und für die Kirche zu begeistern. Dies war aus den bereits genannten Gründen schon immer schwierig, aber in Deutschland ist der Rückgang der Mitglieder unter dreißig Jahren in den letzten Jahren besonders eklatant gewesen. So gab es zum Beispiel Anfang der 1990er Jahre noch sechs Hochschulvereinigungen in Deutschland, heute gibt es nur noch eine einzige in Berlin.140 Außerdem kommen in vielen Zweigkirchen kaum Jugendliche und junge Erwachsene zu den Gottesdiensten. Angesichts dieser Nachwuchsprobleme bemühen sich die Kirchenmitglieder in den letzten Jahren besonders intensiv darum, attraktivere Jugendprogramme auf die Beine zu stellen. So organisieren sie zum Bespiel jedes Jahr ein „Pfingsttreffen“, bei dem sich junge Christliche Wissenschaftler aus ganz Deutschland für mehrer Tage zu Diskussionen über Christian Science, zum Erfahrungsaustausch und fröhlichen Beisammensein treffen. Viele fördern auch entweder finanziell oder als Betreuer den bereits 1979 gegründeten Verein „Prisma e.V.“ (Verein zur gemeinsamen Ferien- und Freizeitgestaltung auf der Basis der Christlichen Wissenschaft), der Ferienlager für Kinder und Jugendliche im Alter von acht bis 17 Jahren mit Angeboten wie Wandern, Kanufahren, Segeln oder Reiten innerhalb eines christlich-wissenschaftlichen Rahmenprogramms anbietet. Laut eigener Angaben hat sich in den letzten Jahren die Teilnehmerzahl dieser Ferienlager spürbar erhöht.141 Einzelne Zweigkirchen unternehmen offenbar ebenfalls aktive Versuche, mehr für Kinder und Jugendliche zu tun als früher, so zum Beispiel gemeinsame Wanderungen, Zoobesuche, Spiel- oder Grillabende.142 Von der Mutterkirche werden alle derartigen Maßnahmen mit großem Wohlwollen gesehen und unterstützt. Der Kirchenvorstand richtete 2006 in der Bostoner Zentrale zudem eine eigene Abteilung für 140 Bis März 2007 gab es noch zwei CS-Hochschulgemeinschaften, aber dann musste die Hamburger aufgegeben werden. Vgl. Herr, Christliche Wissenschaft, 50; CS-Herold, März 2007 und März 2009. 141 Vgl. hierzu Schreiben des Prisma-Schriftführers Mooshammer vom 28. September 2005, Programme und Broschüren des Vereins sowie Gespräche der Verfasserin mit Mooshammer vom 18. Juli 2006, mit Spitz vom 23. Juli 2008 und mit Stofer vom 5. August 2008. Mooshammer zufolge ist neben der Teilnehmerzahl auch die Bereitschaft von erwachsenen Christlichen Wissenschaftlern, sich für Prisma zu engagieren (z. B. als Betreuer im Ferienlager), in den letzten Jahren ebenfalls gestiegen. 142 Vgl. Interview mit Hake vom 28. Juli 2008. Vgl. auch Interviews und Gespräche mit Spitz, Mooshammer und Sperling. Allerdings wurde auch kritisiert, dass es einige wenige konservative Zweigkirchen in Deutschland gäbe, welche besondere Aktivitäten für Kinder und Jugendliche für überflüssig hielten und ihre Sonntagsschüler nicht immer ausreichend über Prisma-Programme oder Pfingsttreffen informierten.
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die Jugendarbeit und die gezielte Ansprache junger Erwachsener ein. Deren Mitarbeiter eröffneten im Juni 2007 mit der CS-Website tmc-youth.com ein internationales und multilinguales Internetforum, das junge Christliche Wissenschaftler nicht nur über Angebote und Veranstaltungen informiert, die sie interessieren könnten, sondern ihnen auch eine Auswahl von Artikeln zu Christian Science und anderen Themen, kircheninterne Ressourcen, Diskussionsforen, Blogs, Videos und Podcasts zur Verfügung stellt. In Planung ist außerdem ein neues Online-Sonntagsschulprogramm, das sich allerdings noch in der Testphase befindet.143 Ein weiteres neues Angebot für die CS-Jugend sind die sogenannten Christian Science Youth Summits. Wo immer sich zwei oder mehr Zweigkirchen zur Organisation eines solchen Jugendtages bereit erklären, können diese mit finanzieller und logistischer Hilfe der Mutterkirche realisiert werden. Der erste fand im April 2008 mit großer internationaler Beteiligung in London statt, der zweite im August 2008 in Nigeria, weitere sind in Planung. Der erste deutsche Youth Summit soll im Herbst 2009 in München stattfinden.144 Ob all dies langfristig zu einer höheren retention rate bei jungen Christlichen Wissenschaftlern führen wird, lässt sich noch nicht feststellen. Der Eindruck der Verfasserin vom Besuch einiger Gottesdienste, Zeugnisversammlungen und Vorträge in den letzten vier Jahren ist der, dass die Mehrzahl der Anwesenden bislang wohl ein Durchschnittsalter von über fünfzig Jahren hat. Es gibt zwar eine Reihe von jüngeren Teilnehmern, aber die Zahl der unter Vierzigjährigen liegt nur bei etwa zwanzig bis 25 Prozent (ohne Kinder, denn die gehen zur Sonntagsschule). Auffallend ist weiter, dass sich in dieser Gruppe relativ viele junge Mütter befinden, aber vergleichsweise wenig Studenten und junge Berufstätige. Dieser subjektive Eindruck wurde in verschiedenen Interviews und Gesprächen von den Mitgliedern selbst bestätigt, auch wenn es aufgrund fehlender Mitgliederstatistiken von Christian Science hierzu keine offiziellen Zahlen gibt. Der starke Rückgang des Interesses an der Lehre Eddys unter den Studierenden wird zwar von den Zweigkirchen und vom KfV mit offensichtlichem Bedauern zur Kenntnis genommen, konkrete deutschlandweite Pläne für eine Revitalisierung der Hochschulgemeinden gibt es jedoch offenbar noch nicht.145 143 Vgl. http://www.tmcyouth.com. Die Website erfreut sich in den USA inzwischen bereits sehr großer Popularität. Dagegen hält sich die aktive Teilnahme der deutschen Nutzer offenbar noch etwas in Grenzen, auch wenn alle Christlichen Wissenschaftler, die hierzu befragt wurden, von der neuen Website begeistert sind. Vgl. z. B. Interviews mit Spitz, Stofer, Mennel und Hake. Die Zweite Kirche in München nimmt an der Erprobung der Online-Sonntagsschule teil, es ist jedoch laut Aussage der Lehrerin noch zu früh, um ein Urteil über deren Qualität abzugeben. Vgl. Interview mit Spitz vom 22. Juli 2008. 144 Vgl. http://www.tmcyouth.com/blogs/events/ sowie Gespräche mit Spitz, Hake und Stofer. 145 Vgl. hierzu Interviews und Gespräche mit Spitz, Mooshammer, Huber, Pabst, Herr, Stofer und Hake.
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Erwähnenswert im Hinblick auf Versuche der deutschen Zweigkirchen, mehr junge Leute anzusprechen und die Offenheit ihrer Gemeinschaft zu demonstrieren, ist abschließend noch der Umzug der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler in München. Diese hatte bereits 2006 nach über zwanzig Jahren ihren Leseraum in der Sonnenstraße geschlossen (der in einer Passage lag, wo meist nur Geschäftsleute und Anwohner vorbei kamen) und einen neuen Leseraum an der Adalbertstraße, d. h. mitten im Universitätsviertel, mit dem Ziel eröffnet, stärker als bisher auf jüngere Menschen, insbesondere Studenten, zuzugehen.146 Nur ein Jahr später, im Sommer 2007, beschloss die Gemeinde dann, auch ihr altes, ruhig liegendes Kirchengebäude in der Clemensstraße aufzugeben und beide Einrichtungen, Kirchenraum und Leseraum, in einem neuen Gebäudekomplex in der Ungererstraße anzusiedeln. Die Vorderfront dieses Gebäudes ist ganz aus Glas und öffnet sich in einen Vorhof, auf dem bei gutem Wetter die Sonntagsschule im Freien stattfindet. Laut Aussage des Kirchenvorstands Volker Mennel war neben wirtschaftlichen Gründen und der attraktiven Lage im populären Stadtteil Schwabing vor allem die ansprechende Modernität, Helligkeit und Offenheit dieser Räumlichkeiten ausschlaggebend für die Wahl. Das Gebäude soll gewissermaßen die Aufgeschlossenheit und Dialogbereitschaft der Gemeinde symbolisieren und somit auch Außenstehende zum Besuch einladen. Die freundliche Atmosphäre, so Mennel, öffne vor allem jüngeren Menschen den Zugang zur Kirche und habe im letzten Jahr schon zu einem kleinen, aber spürbaren Mitgliederzuwachs der Gemeinde geführt, besonders bei den unter Vierzigjährigen. Zwar haben zwei konservativere ältere Mitglieder, denen diese Veränderung nicht zusagte, ihre Mitgliedschaft in der Ersten Kirche gekündigt und besuchen jetzt die Gottesdienste der Zweiten Kirche in München, dies wird jedoch vom Vorstand nicht als Problem gesehen. Insgesamt schätzt dieser die Zukunftsaussichten der Gemeinde in ihrem neuen Heim als durchaus positiv ein.147 146 Vgl. Interview mit Manger vom 7. Juni 2006. Die Erste und Dritte Kirche, Hamburg haben ebenfalls in den letzten Jahren neue Leseräume in sehr „lebendigen Gegenden“ eröffnet, und ähnliche Bestrebungen gibt es dem KfV zufolge auch bei einer Reihe von anderen Gemeinden in Deutschland. Vgl. Brief Herrs an die Verfasserin vom 25. Juli 2006. Auch das neue KfV, Inge Hake, begrüßt ausdrücklich jede Anstrengung von Zweigkirchen, stärker auf die Öffentlichkeit zuzugehen. Vgl. Interview mit Hake vom 28. Juli 2008. 147 Vgl. Interview mit Volker Mennel, dem Vorstand der Ersten Kirche Christi, Wissenschaftler, München vom 6. August 2008. Der ehemalige Hochschuldozent und Betriebswirt Mennel ist nicht nur CS-Praktiker, sondern seit 2006 auch der erste CS-Lehrer in München. Vgl. hierzu auch Gespräche mit Spitz vom 22. Juli 2008 und mit Schlüter vom 6. August 2008. Die beiden Münchner CS-Gemeinden legten übrigens 2006 die in den Jahren zuvor diskutierten Pläne, angesichts der gesunkenen Mitgliedszahlen die beiden Kirchen ggf. zu vereinigen oder zumindest nur noch einen gemeinsamen Leseraum zu betreiben, ad acta. Auch diese Entscheidung könnte man als Zeichen des Opti-
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Ob diese neuen Modalitäten der Gemeinderäumlichkeiten und Gottesdienstformen dazu beitragen werden, das allgemeine öffentliche Interesse und besonders das Interesse jüngerer Menschen an Christian Science in Deutschland nachhaltig zu erhöhen, muss sich noch zeigen. Aber es lässt sich in jedem Fall festhalten, dass die hiesigen Zweigkirchen heute wesentlich intensiver und aktiver als früher darum bemüht sind, Christian Science in Deutschland mehr ins Licht der öffentlichen Aufmerksamkeit zu tragen. Dies ist nach eigenen Aussagen auch ein Hauptanliegen des neuen KfV, Inge Hake.148 Zwar lässt sich bislang noch keine Umkehr bezüglich der abnehmenden CS-Gemeindezahlen feststellen, aber es gibt einige Entwicklungen, die man vielleicht als positive Signale deuten könnte. So gelang es den Kirchenmitgliedern 2007 durch eine gezielte Werbekampagne die zuvor stark gesunkene Abonnentenzahl des CS-Herolds wieder so weit zu erhöhen, dass die von der Christian Science Publishing Society bereits angedrohte Einstellung der Zeitschrift verhindert wurde.149 Es gibt nach wie vor in fast allen großen Städten des Landes CS-Kirchen oder Vereinigungen (in manchen zwei, so in Bremen, Hannover und München, in Berlin vier, in Hamburg sechs), und die regelmäßig stattfindenden CS-Vorträge sind relativ gut frequentiert, nicht nur von Kirchenmitgliedern. Erwähnt sei auch, dass es seit einigen Monaten einen von engagierten Mitgliedern gegründeten neuen Förderkreis für Christian Science in Deutschland gibt, der seit Dezember 2008 eine eigene Website hat und dort u.a. Informationen zu allen deutschen CSGemeinden und CS-Veranstaltungen sowie Verzeichnisse der hierzulande tätigen Lehrer, Praktiker und Pfleger anbietet.150 Auch der bis vor wenigen Jahren dramatische Rückgang in der Anzahl der CS-Praktiker in Deutschland (zwischen 1990 und 2002 sank deren Zahl von 111 auf 66) scheint sich deutlich verlangsamt zu haben; deren Zahl stieg zwischenzeitlich sogar vorübergehend wieder leicht an und lag im Frühjahr 2009 bei 65.151 So bleibt es eine offene Frage, ob die Christliche Wissenschaft hier in Deutschland die Talsohle bereits erreicht oder schon hinter sich gelassen hat. Ebenso wenig lässt sich sagen, ob die Kirche insgesamt ihre „Constitutional Crisis“ erfolgreich überwinden konnte. Dies wird sich wohl erst in einigen Jahren zeigen. Aber die Anhänger von Eddys Lehre in Deutschland gehen mit
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mismus hinsichtlich der zukünftigen Mitgliederzahlenentwicklung deuten. Vgl. Interviews mit Mitgliedern beider Gemeinden. Vgl. Interviews und Gespräche mit Hake. Vgl. hierzu Interviews und Gespräche mit Spitz, Sperling und Pabst. Vgl. Anhang C; Gespräche mit Hake und Spitz vom März 2009; http://www.christianscience-deutschland.de/. Die Zuhörerzahl bei CS-Vorträgen, die die Verfasserin in München besuchte, lag ungefähr zwischen siebzig und 200 Zuhörern. Das ist angesichts der großen Veranstaltungsfülle dieser Stadt eine relativ gute Besucherquote, wobei ca. dreißig bis vierzig Prozent der Zuhörer keine Kirchenmitglieder sind. Zwischen 2003 und 2006 erhöhte sich die Zahl der CS-Praktiker in der BRD von 66 auf 69; vgl. CS-Herold, Dezember 2002, Juli 2006 sowie Januar 2009.
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unerschütterlichem Optimismus davon aus, dass der „Spirit of Christian Science“ hier auf jeden Fall fortbestehen wird. Das große Engagement der Christlichen Wissenschaftler auf allen Ebenen – vom Vorstand der Mutterkirche bis zu den einzelnen Mitgliedern der Zweigkirchen – und die genannten Entwicklungen der jüngsten Zeit lassen vermuten, dass die Zukunftsaussichten von Christian Science in den USA und in Deutschland wohl doch nicht so hoffnungslos sind, wie es viele Kritiker in den letzten Jahren vorausgesagt haben. Um mit den Worten einer Münchner Praktikerin zu schließen: „Die Lage ist sicherlich nicht ganz einfach, aber ich spüre einen neuen Aufwind.“152
152 Interview der Verfasserin mit Manger vom 7. Juni 2006. Vgl. auch Interviews mit den anderen Kirchenmitgliedern. Selbst diejenigen, die eine weitere Verkleinerung der Gemeinden in Deutschland als unvermeidlich ansehen, engagieren sich weiterhin aktiv in der Öffentlichkeitsarbeit und betonen, dass die Lehre Eddys nie aufhören werde, Menschen zu helfen und diese zu heilen.
ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK Im Jahr 1881, nur 15 Jahre nach Mary Baker Eddys Sturz auf einer vereisten Straße in Lynn, Massachusetts, und ihrer anschließenden „Entdeckung“ von Christian Science, wurde ihr Lehrbuch Science and Health with Key to the Scriptures bereits auf Bestellung nach Leipzig geliefert. Seit über einem Jahrhundert gibt es in fast allen Teilen Deutschlands Zweigkirchen der Kirche Christi, Wissenschaftler, und das Interesse an Eddys Lehre ist hierzulande stets höher gewesen als in jedem anderen nicht-englischsprachigen Land der Welt. Diesem Phänomen auf den Grund zu gehen und die bislang unerforschte Geschichte der Christlichen Wissenschaft in Deutschland nachzuzeichnen, war das zentrale Anliegen dieser Arbeit. Die Ergebnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen: Christian Science ist eine synkretistische Neureligion des 19. Jahrhunderts, die aufgrund ihres wissenschaftlichen Erkenntnisanspruches religionstypologisch zwischen szientistischem Aufklärungsdenken und romantischem Holismus zu verorten ist. Als Produkt der amerikanischen Geistesgeschichte, das auf protestantisch-christliche Werte aufbaut, spiegelt Eddys Lehre auch Elemente des Transzendentalismus, Spiritismus und der Theosophie wider. Besonders geprägt wurde sie durch den sogenannten Harmonialism, demzufolge sich das gesamte Universum in Wahrheit in perfekter Harmonie befindet und alle Probleme sowie Krankheiten somit auf spirituellem Wege lösbar bzw. heilbar sind. Ähnliche geistige Strömungen in Europa (Swedenborg, Passavant) entwickelten sich aufgrund von Tradition und Staatskirchentum nicht zu eigenständigen Religionen. Religionsfreiheit und religiöser Pluralismus in den USA waren somit essentielle Voraussetzungen für die erfolgreiche Etablierung von Christian Science. Diese wiederum zeichnet sich durch drei „typisch amerikanische“ Charakteristika aus: Individualismus, Optimismus und praktische Anwendbarkeit. Aufgrund gravierender gesellschaftlicher Spannungen und Belastungen litten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert viele Amerikaner unter gesundheitlichen, vor allem psychosomatischen Problemen. Lebensreformbewegungen und alternative Heilmethoden erlebten darum einen großen Aufschwung, von dem auch die Christliche Wissenschaft profitierte, die als einzige vieler ähnlicher Gruppen eine dauerhafte Kirchenstruktur und international anerkannte Medien hervorbrachte. Ihre Gründerin, Mary Baker Eddy (1821 bis 1910) hatte die Praxis des geistigen Heilens durch Phineas P. Quimby in den 1860er Jahren kennen gelernt, dessen Lehre jedoch durch einen konkreten Bezug auf Gott bzw. auf Jesus Christus als denjenigen, der heilt, erweitert. Da sie ihre Erkenntnis als metaphysische Wissenschaft und
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Wiederentdeckung des ursprünglichen Christentums verstand, gab sie ihr den Namen Christian Science. 1875 veröffentlichte Eddy ihr Lehrbuch S&H, das bis heute die Lehre und Praxis von Christian Science bestimmt. Die Lehre der Christlichen Wissenschaft besagt, dass die Schöpfung eines guten, vollkommenen Gottes von der Natur ihres Schöpfers nicht abweichen kann, weswegen der Mensch als ein in Wahrheit geistiges, heiles und vollkommenes Wesen gesehen wird. Alles Unvollkommene bzw. Böse wie Krankheit, Sünde und Tod sowie die Materie an sich haben somit keine Wirklichkeit vor Gott. Laut Christian Science kann deshalb jeder Mensch, der sich vom Irrtum der Materie und des Bösen befreit, indem er deren „Unwirklichkeit“ und seine eigene wahre Natur als „perfect child of God“ erkennt, vollkommenes Heil und Heilung im gegenwärtigen Leben erfahren. Diese Auffassung steht im Gegensatz zu Kernpunkten des traditionellen christlichen Menschenbildes und Sündenverständnisses, baut jedoch auf einige zentrale biblische Aussagen auf. Christliche Wissenschaftler halten ihren Glauben darum unbedingt für christlich, während Vertreter der etablierten Kirchen dieser Auffassung widersprechen. Neben ihrem positiven Gottes- und Menschenbild liegt die Attraktivität von Christian Science für ihre Anhänger auch in den beeindruckenden Heilungserfolgen durch die praktische Anwendung ihres Glaubens. Vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden Tausende von Patienten, denen die damals vielfach ineffektive Schulmedizin nicht hatte helfen können, durch Christian Science von ihren Leiden geheilt und so zu Anhängern von Eddys Lehre. Wegen der zentralen Bedeutung des Heilens haben die CS-Praktiker eine besonders angesehene Funktion innerhalb der Bewegung, zumal sie in der Laienkirche die wichtigsten Träger der Seelsorge sind. Neben den Praktikern und den von den Zweigkirchen für die Gottesdienste bestimmten Lesern gibt es noch drei andere offizielle Kirchenämter: die für die Öffentlichkeitsarbeit zuständigen Komitees für Veröffentlichungen (KfV), CS-Lehrer und CS-Vortragende. All diese Ämter erfordern gute Englischkenntnisse; bei den Lehrern ist dies explizit vorgeschrieben. Aufgrund der nach wie vor zentralen Bedeutung der englischen Sprache für ein tieferes Verständnis von Christian Science bzw. die Übernahme gehobener Positionen innerhalb der Kirche findet sich die größte Anzahl von Christlichen Wissenschaftlern außerhalb der USA in England. Die zweitgrößte existiert allerdings nicht in einem englischsprachigen Land, sondern in Deutschland. Dass es Eddys Lehre trotz Sprachbarriere, Staatskirchentum und anderer Widrigkeiten gelang, sich im deutschen Kaiserreich erfolgreich zu etablieren, hat folgende Ursachen: Erstens gibt es in der deutschen Geistesgeschichte gewisse Parallelen zu Erkenntnissen von Eddy, zum Beispiel in der Transzendentalphilosophie Kants und im romantischen Idealismus von Fichte, Schelling und Hegel. Darüber hinaus finden sich im Gedankengut des deutschen Pietismus sowie in
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Passavants Lebensmagnetismus-Theorie ebenfalls Ähnlichkeiten zum Denkansatz und Gottesbild der Christlichen Wissenschaft. Zwar ist die These einiger deutscher Christlicher Wissenschaftler, Martin Luther sei der „gottgesandte Wegbereiter Eddys“ gewesen, zweifellos überzogen, aber die Berufung auf die lutherisch geprägte geistige Tradition seitens der Anhänger von Christian Science dürfte erheblich zur Popularität von Eddys Lehre im Deutschland des frühen 20. Jahrhundert beigetragen haben. Zweitens förderte im späten 19. Jahrhundert das große Interesse deutscher Wissenschaftler daran, eine Verbindung von Physik und Metaphysik herzustellen und paranormale Phänomene wissenschaftlich zu erklären, die Beschäftigung mit Glaubensmodellen jenseits der traditionellen christlichen Lehren. Drittens bereiteten das ausgeprägte Krisenbewusstsein und die innere Unsicherheit vieler Deutscher während der Wilhelminischen Ära alternativen Heilslehren wie Christian Science einen fruchtbaren Boden. Viertens erleichterte das im Partikularismus und der konfessionellen Zersplitterung des Reichs begründete Fehlen einer national einheitlichen Kirchenstruktur ebenfalls die Ansiedlung neuer religiöser Gemeinschaften in Deutschland. Neben der geistesgeschichtlichen schuf somit die sozial-historische Entwicklung im Deutschen Reich besonders günstige Rahmenbedingungen für den Aufbau christlich-wissenschaftlicher Gemeindestrukturen. Zwei deutsche Frauen und eine Amerikanerin waren maßgeblich für diesen Erfolg verantwortlich. Marie Schön und Bertha Günther-Peterson lernten Christian Science Mitte der 1890er Jahre kennen, wurden Praktikerinnen und gründeten 1898 in Hannover die erste deutsche CS-Zweigkirche. GüntherPeterson ließ sich später als CS-Lehrerin ausbilden, und beide Frauen trugen in den folgenden Jahren zur Verbreitung der Lehre im ganzen deutschen Reich bei, die besonders viele Anhänger im gehobenen Bildungsbürgertum und in Adelskreisen fand. Ebenfalls 1898 begann die amerikanische Christliche Wissenschaftlerin Frances Seal mit dem Aufbau einer CS-Gemeinde in Dresden, die 1900 als Zweigkirche anerkannt wurde. Danach engagierte sie sich in Berlin und es gelang ihr auch hier, trotz des in der Hauptstadt offenbar besonders heftigen Widerstands der etablierten Kirchen und staatlichen Behörden gegen Christian Science, mit Hilfe adliger Freunde und Schüler eine neue Zweigkirche zu etablieren. Allerdings kam es aufgrund des persönlichen Geltungsbedürfnisses der drei Frauen zu keiner Zusammenarbeit oder einem konstruktiven Erfahrungsaustausch zwischen ihnen. Während Seal sich für die wichtigste „Botschafterin“ der Lehre Eddys in Deutschland hielt, sahen Günther-Peterson und Schön die Anwesenheit einer Amerikanerin zu diesem Zweck, noch dazu einer, die kein Deutsch sprach, als vollkommen überflüssig an. Dieser Konflikt spiegelte auch die innerhalb der Kirche schon längere Zeit stattfindenden sprachpraktischen Auseinandersetzungen wider. Trotz vieler Bitten nach einer Übersetzung von CS-Literatur ins Deutsche lehnte Mary Baker Eddy lange Zeit eine
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Übersetzung von S&H kategorisch ab, da sie die Gefahr einer inhaltlichen Verfälschung für zu groß hielt und zudem davon ausging, dass eines Tages Englisch ohnehin die allgemein gültige Weltsprache sein würde. Im Gegensatz zu Seal hielten Günther-Peterson und Schön eine deutsche Übersetzung des Lehrbuchs für die essentielle Voraussetzung größerer Fortschritte von Christian Science in Deutschland. Angesichts der unkooperativen Haltung Eddys publizierten die beiden Frauen ab Oktober 1900 eine eigene deutsche CS-Monatszeitschrift. Schön ging es hierbei nicht nur um die Sprache, sondern auch um das Bedürfnis nach mehr Unabhängigkeit von der Mutterkirche. Ihre Ablehnung von Eddys Angebot, bei der Herausgabe einer neuen deutschsprachigen CS-Publikation in Boston helfen zu dürfen, führte zum völligen Bruch mit der Mutterkirche. Günther-Peterson dagegen würdigte die Herausgabe des seit 1903 erscheinenden Christian Science Herold als akzeptables Zugeständnis der Kirchenleitung und distanzierte sich von Schön. Dieser Konflikt sowie das fortgesetzte Drängen prominenter deutscher Christlicher Wissenschaftler bewegten Eddy wenige Monate vor ihrem Tod doch noch dazu, eine deutsche Übersetzung für eine englisch-deutsche Version des Lehrbuchs zu autorisieren. Diese zweisprachige Ausgabe von 1912 war die erste und lange Zeit einzige Übersetzung von S&H und weist somit ebenfalls auf die besondere Verbindung zwischen den Deutschen und der Lehre Eddys hin. Gleichzeitig stärkte dieser Schritt die Einheit der deutschen Kirchenmitglieder und trug dazu bei, die Verbreitung von Christian Science in Deutschland in den kommenden Jahren weiter zu fördern. Mit zunehmender Popularität kam es allerdings vermehrt zu Kritik an der „amerikanischen Sekte“, insbesondere seitens deutscher Geistlicher und Ärzte. Während des Ersten Weltkrieges wurden Christliche Wissenschaftler zudem wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer ausländischen Kirche oft verdächtigt, unpatriotisch zu sein. Doch obwohl die Mutterkirche auf Seiten der Kriegsgegner Deutschlands stand, unterstützte die große Mehrheit der politisch konservativen deutschen Kirchenmitglieder entschieden ihren Kaiser, und viele dienten innerhalb der deutschen Streitkräfte. Angesichts ihrer offenkundigen Vaterlandstreue blieben die Christlichen Wissenschaftler während des Krieges von Verfolgungen verschont, und ihre Gemeinden überstanden den Untergang des Deutschen Kaiserreichs relativ unbeschadet. Die in der Weimarer Republik gewährte Religionsfreiheit wirkte sich positiv auf die weitere Entwicklung der Kirche aus, ebenso wie die Tatsache, dass viele Deutsche angesichts der krisengeschüttelten, sorgenvollen Zeit nach einem spirituellen Neubeginn suchten. Zwar gab es auch einige spektakuläre Gerichtsverfahren, in denen CS-Praktiker wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wurden, aber diese Prozesse hatten keine negative Wirkung auf die Verbreitung der Lehre. Der Erfolg von Christian Science in Deutschland spiegelt sich auch in einem erhöhten Maß wissenschaftlicher und literarischer Aufmerksamkeit wider, die ihr zuteil wurde. So zum Beispiel in Die Heilslehre der Christian
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Science (Christliche Wissenschaft): Darstellung und Kritik, in welcher der Theologe Victor Weiss 1927 die Lehre Eddys aus lutherischer Sicht untersuchte. Seine Argumentation, dass diese Lehre nicht als christlich anzuerkennen sei, hat bis heute nahezu unveränderte Gültigkeit innerhalb der etablierten Kirchen. Das 1930 von Wolf von Metzsch-Schilbach veröffentlichte Buch Deutschland und die Christliche Wissenschaft lobt die Lehre Eddys dagegen in den höchsten Tönen und spricht ihr eine „innige Verwandtschaft“ zum „deutschen Fühlen und Denken“ zu. Interessant sind zudem drei literarische Werke über Christian Science, die alle 1931 erschienen. Im ersten, Stefan Zweigs Die Heilung durch den Geist, werden die historische Bedeutung Eddys für die Entwicklung des geistigen Heilens und ihre beachtliche persönliche Leistung als Religionsstifterin gewürdigt. Zweig hält die Effektivität ihrer Lehre allerdings für das Ergebnis eines wirkungsvollen „religiösen Suggestionsapparats“ und stellt Eddy als berechnende, geldgierige und machtsüchtige Despotin dar. Die Theaterstücke Wunder in Amerika von Ernst Toller und Hermann Kesten sowie Die Heilige aus USA von Ilse Langner gehen in ihrer Kritik an Eddy noch weiter als die Erzählung Zweigs. Eddy wird als skrupellose Heuchlerin gezeichnet, die sich der Ineffektivität ihrer Heilmethode völlig bewusst war, und ihre Lehre erscheint hier als ausbeuterisches, manipulatives Betrugssystem. Alle drei Werke lösten innerhalb der CS-Gemeinschaft großen Unwillen und Protestkundgebungen aus, erfreuten sich jedoch beim allgemeinen deutschen Publikum größter Beliebtheit und wurden vielfach neu aufgelegt bzw. wieder aufgeführt. Die in diesen Texten reflektierte gesellschaftliche Beachtung, die Christian Science damals erregte, lässt auf einen bemerkenswerten kulturellen Einfluss der Lehre während der Weimarer Zeit schließen, der durch die große Steigerung der Mitgliedszahlen in jener Zeit ebenfalls bestätigt wird (die Anzahl der deutschen CS-Gemeinden stieg von 1919 bis 1933 von neun auf 66). Dieser für die Kirche positiven Entwicklung setzte die Machtübernahme Hitlers ein Ende, obwohl das Verhältnis der Christlichen Wissenschaftler zur nationalsozialistischen Regierung in den 1930er Jahren ein durchaus ambivalentes war (ebenso wie das der etablierten Kirchen und der meisten anderen Religionsgemeinschaften in Deutschland zur damaligen Zeit). Trotz der eigentlich der Nazi-Ideologie vollkommen entgegengesetzten Grundwerte von Christian Science begrüßten die meisten Christlichen Wissenschaftler (wie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung) angesichts wirtschaftlicher Not und innenpolitischer Krisen Hitler als einen „starken Mann“, der Deutschland wieder bergauf führen könnte. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, die sich entweder als glühende Nationalsozialisten oder entschiedene Gegner des Hitler-Regimes erwiesen, versuchten sie darum, sich so unpolitisch wie möglich zu verhalten, um Loyalitätskonflikte zwischen Mutterkirche und Vaterland zu vermeiden. Eine organisierte Opposition zu den Nazis gab es innerhalb der Christlichen Wissenschaft nicht.
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Um den Fortbestand der deutschen Zweigkirchen zu sichern und das Leben ihrer Mitglieder zu schützen, verhielt sich auch die Mutterkirche gegenüber der neuen deutschen Regierung weitgehend kooperationsbereit. Diese durchaus als taktisches Appeasement zu bewertende Vorgehensweise kombinierte drei Strategien. Erstens wurde allen Kirchenmitgliedern und Zweigkirchen in Deutschland empfohlen, sich grundsätzlich neutral oder entgegenkommend gegenüber dem Nazi-Regime zu verhalten und Konfrontationen zu vermeiden. Zweitens hielt sich der CS-Monitor in seiner Berichterstattung bis 1938 fast vollständig mit Kritik an der Hitler-Regierung zurück. Drittens setzte die Mutterkirche in besonderen Krisensituationen ihre internationalen Kontakte ein, um ihre deutschen Zweigkirchen zu schützen. So führten zum Beispiel die britischen Oberhausmitglieder Lord Astor und Lord Lothian mehrfach persönliche Gespräche mit Hitler und anderen deutschen Politikern, um gegen lokale Verbote oder Einschränkungen von Christian Science in Deutschland zu intervenieren. Da Hitler und den meisten seiner Berater (v.a. Außenminister Ribbentrop) der Einfluss der Kirche und des international geachteten CS-Monitors bewusst war und ihnen bis zum Kriegsausbruch sehr daran lag, sich die Unterstützung Englands und die Neutralität der USA zu sichern, waren sie in solchen Fällen letztendlich immer dazu bereit, Zugeständnisse zu machen, um eine Brüskierung der Kirche zu vermeiden. So erwies sich – ungeachtet ihrer moralischen Zweischneidigkeit – die Appeasement-Strategie der Mutterkirche acht Jahre lang als relativ erfolgreich. Bis zum Kriegseintritt der USA war allen deutschen Christlichen Wissenschaftlern eine relativ freie, uneingeschränkte Ausübung ihres Glaubens möglich. Dabei gab es eine ganze Reihe von Gründen, weswegen Christian Science dem Nazi-Regime suspekt bzw. gefährlich erschien. Zum einen, dass es sich um eine „amerikanische Sekte“ handelte, die von Boston aus kontrolliert wurde, regelmäßig englische Literatur (d. h. potentiell feindliche Propaganda) erhielt und durch Zahlungen an die Mutterkirche deutsche Devisen ins Ausland beförderte; zum anderen, dass Christian Science – v.a. nach einem vernichtenden Bericht der Reichsärztekammer von 1937 – beschuldigt wurde, eine ernstzunehmende Gefahr für die Volksgesundheit und damit auch für die Wehrfähigkeit des deutschen Volkes zu sein. Außerdem sahen die Nazis in der Lehre der Kirche Christi, Wissenschaftler – vor allem in deren Pazifismus und der auf der Ablehnung völkisch-rassischer Konzepte gegründeten Idee einer „brüderlichen Weltgemeinschaft“ – klare Beweise einer subversiven, anti-deutschen Haltung. Einige Nationalsozialisten propagierten die These, dass die gesamte Kirche eine Tarnorganisation der „jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung“ sei, die (mit kommunistischer Unterstützung) die Vernichtung des Deutschen Reiches und die Übernahme der Weltherrschaft anstrebe. Sie forderten daher ein sofortiges Verbot der Kirche. Die Befürworter dieser Forderung konnten sich zwar zunächst nicht gegen Außenminister Ribbentrop durchsetzen, der auf das unpolitische Verhal-
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ten deutscher Kirchenmitglieder hinwies und aus o.g. Gründen eine Konfrontation mit der Kirche vermeiden wollte, doch mit Kriegsbeginn fand diese Rücksichtnahme schnell ein Ende. Schon 1938, als der Monitor deutliche Kritik am Münchner Abkommen übte, verbot ein Parteibeschluss die Doppelmitgliedschaft in der NSDAP und der Kirche Christi, Wissenschaftler. Das 1939 folgende Heilpraktikergesetz bedeutete ein praktisches Berufsverbot für CS-Praktiker (und andere staatlich nicht-zugelassene Heilpraktiker). Wenig später wurden Kirchenmitglieder, die im Staatsdienst tätig waren, fristlos entlassen, die Gestapo verhaftete jüdisch-stämmige Christliche Wissenschaftler, und lokale Behörden begannen mit der Enteignung von Kircheneigentum. Schließlich folgte durch einen Parteibeschluss vom 4. Juni 1941 und einen Erlass des Innenministeriums vom 14. Juli 1941 das völlige Verbot von Christian Science. Die Kirchengebäude und Leseräume im Reich wurden von der Gestapo geschlossen, Literatur, Unterlagen und Guthaben der Kirche konfisziert und alle CS-Praktiker sowie andere bekannte Christliche Wissenschaftler verhaftet. Die meisten wurden zwar bald wieder entlassen, aber einige kamen in Konzentrationslager, und mindestens zwei Christliche Wissenschaftler starben an den Folgen der Haft. Dem CS-Gebot der Gesetzestreue und ihrer individuellen Einschätzung der Lage folgend akzeptierte die Mehrzahl der Christlichen Wissenschaftler das Kirchenverbot und versuchte während der verbleibenden Kriegsjahre, der Konfrontation mit den Nazis so weit wie möglich auszuweichen, auch wenn es vereinzelte, individuelle Widerstandsaktivitäten gab (z. B. heimliche Gottesdienste und Heilbehandlungen, Literaturschmuggel oder das Verstecken jüdischer Flüchtlinge). Eine aktive Beteiligung Christlicher Wissenschaftler an politischen Untergrundbewegungen gegen Hitler lässt sich nicht nachweisen. Zu diesem Punkt ist anzumerken, dass aus Sicht heutiger Christlicher Wissenschaftler das Verhalten ihrer Kirche während des Dritten Reichs nicht unbedingt dem Geist von Christian Science entsprach. Sie betonen, dass ihre Lehre zwar grundsätzlich Gewalt als Mittel der Problemlösung ablehne, aber Mary Baker Eddy habe ihre Anhänger auch dezidiert dazu aufgerufen, sich dem Bösen immer entgegen zu stellen, selbst wenn dies den Weg ins Martyrium bedeuten würde. Nach dem Ende des Krieges machte der Wiederaufbau der zerschlagenen Gemeindestrukturen dank massiver Hilfe der Mutterkirche schnelle Fortschritte. Ende der 1940er Jahre gab es bereits mehr offiziell anerkannte CSZweigkirchen und CS-Vereinigungen in Deutschland als vor dem Krieg. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts hat die Kirche jedoch in Deutschland und weltweit einen starken, kontinuierlichen Rückgang ihrer Mitgliedszahlen hinnehmen müssen. In der DDR lag dies an dem vollständigen Verbot, das die sozialistische Regierung 1951 gegen die Christliche Wissenschaft sowohl aufgrund der anti-materiellen und anti-sozialistischen Haltung der Kirche als auch wegen ihrer engen Verbindung zum „kapitalistischen Feindesland“ ver-
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hängte. Die Auswirkungen dieses Verbots und der Umgang der in der DDR lebenden Christlichen Wissenschaftler damit sind mit denen während der Zeit von 1941 bis 1945 vergleichbar. Erst am 3. November 1989 wurde das Verbot aufgehoben, woraufhin sich zumindest ein Teil der früheren Gemeinden im Osten Deutschlands wieder als Zweigkirchen konstituieren konnte. In Westdeutschland gab es keine nennenswerte staatliche Opposition gegen Christian Science. Stattdessen bewiesen die Regierung der Bundesrepublik sowie andere staatliche und lokale Behörden insgesamt eine eher wohlwollende oder zumindest neutrale Haltung gegenüber der Kirche Christi, Wissenschaftler. Beispielsweise erhielt die Kirche in vier Bundesländern den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts, der Herausgeber des CSMonitors wurde 1960 mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt, und der Bundespräsident gratulierte der Kirche 1966 persönlich zu ihrem hundertjährigen Bestehen. Darüber hinaus wurde die Tätigkeit der CS-Praktiker und CS-Pfleger offiziell als eine Form der Seelsorge anerkannt, wodurch diese nicht dem staatlichen Heilpraktikergesetz unterliegen, und es gibt keine Probleme für Christliche Wissenschaftler in der BRD, öffentliche Räume für ihre Veranstaltungen zu buchen. Der im Bundesgebiet spürbare Rückgang in den CSGemeindezahlen ist folglich nicht durch den Staat verursacht worden. Eine organisierte Opposition der deutschen Ärzteschaft zur Christlichen Wissenschaft lässt sich seit dem Krieg ebenfalls nicht feststellen. Viele Schulmediziner sind heutzutage gegenüber alternativen Heilmethoden wesentlich aufgeschlossener als früher und empfinden aufgrund der mittlerweile vergleichsweise geringen Anzahl Christlicher Wissenschaftler hierzulande diese offensichtlich nicht als Problem oder als „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“. Die Haltung der etablierten Kirchen gegenüber Christian Science hat sich zwar in der Theorie nicht verändert, d. h. sie erkennen auch heute die Lehre Eddys nicht als eine christliche Religion an, aber der Ton ist deutlich konzilianter geworden als früher. Da Christliche Wissenschaftler keine aggressive Mission betreiben, die Freiheit ihrer Mitglieder nicht beeinträchtigen, gesetzestreue Bürger sind und sich häufig sozial engagieren, wird ihre Gemeinschaft von den offiziellen Sektenbeauftragten als „nicht-konfliktträchtig“ eingeschätzt, und man schenkt ihr relativ wenig Beachtung. Die entscheidenden Gründe für den Rückgang der Kirchenmitgliedszahlen und den Popularitätsverlust von Christian Science sind somit in allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen zu suchen. Dazu zählt nach Ansicht der Verfasserin insbesondere der große Fortschritt der Schulmedizin, die durch die Entdeckung von Antibiotika, Impfungen und neuen Operationsmethoden ihre Heilungsquote seit den 1930er Jahren um ein Vielfaches verbessern konnte. Auch die heute von vielen Ärzten praktizierte Kombination von traditionellen und alternativen Therapien (z. B. Homöopathie oder Akupunktur) und die Hinwendung zu einer mehr ganzheitlichen Medizin haben dazu geführt, dass sich der klassische „Rekrutierungspool“ der Kirche, d. h.
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die Zahl derjenigen Menschen, die sich frustriert von der Schulmedizin abwenden und andere Wege zur Heilung ihrer Krankheiten suchen, in den letzten Jahrzehnten deutlich verkleinert hat. Ein zweiter Faktor ist die wesentlich größere Gleichberechtigung der Frau auf dem Arbeitsmarkt, denn dadurch hat die professionelle Ausübung der Christlichen Wissenschaft ihren Sonderstatus als eine von ganz wenigen anerkannten Berufsmöglichkeiten für Frauen verloren. Bestimmte kircheninterne Praktiken bzw. Probleme haben ebenfalls zum Rückgang der Gemeindezahlen beigetragen. So zum Beispiel die Tatsache, dass die Kirche keine aktive Mission betreibt und es ihr durch die radikal anti-materialistische Haltung oft schwer fällt, jüngere Leute für Christian Science zu begeistern. Viele Gemeinden haben darum ein akutes Überalterungsproblem. Kritiker sehen auch in der strikten Einhaltung der über 100 Jahre alten Regeln des Kirchenhandbuchs einen unzeitgemäßen Anachronismus, der zur „Erstarrung“ der Kirche beigetragen hat. Außerdem schädigten während der 1980er und frühen 1990er Jahre einige spektakuläre Gerichtsverfahren gegen amerikanische Christliche Wissenschaftler, deren Kinder während CS-Behandlungen gestorben waren, das öffentliche Ansehen der Kirche, ebenso wie die Veröffentlichung einer amerikanischen Studie, der zufolge die Lebenserwartung von Christlichen Wissenschaftlern unter derjenigen der Durchschnittsbürger liegen soll. Darüber hinaus wurde die Kirche von internen Krisen erschüttert. Diese nahmen ihren Anfang in einer Reihe planerischer und personalpolitischer Fehlentscheidungen des Kirchenvorstands, dessen Versuch, die Medienpräsenz der Organisation im großen Stil zu erweitern, zu einem dramatischen Verlustgeschäft wurde. Als Reaktion auf die existenzielle Finanzkrise entschloss sich der Vorstand 1991 zur Annahme einer sehr lukrativen Erbschaft, die jedoch an die Bedingung geknüpft war, ein jahrzehntelang von der Kirche als häretisch abgelehntes Buch durch die Christian Science Publishing Society zu veröffentlichen. Viele Kirchenmitglieder empfanden dies als Verrat an den Prinzipien der Christian Science bzw. als „constitutional crisis“, und es kam deswegen zu zahlreichen Kirchenaustritten. Die Krise und der dramatische Mitgliederschwund führten jedoch auch zu einer Revitalisierungsbewegung innerhalb der Kirche. Die 1992 neu gewählte Vorstandsvorsitzende Virginia Harris initiierte eine Reihe von Neuerungen (z. B. eine neue Ausgabe des Lehrbuchs sowie eine neue deutsche Übersetzung desselben, eine Neugestaltung des CS-Sentinel und eine OnlineAusgabe des CS-Monitors), und es folgten einige beachtenswerte Änderungen in der Haltung der Mutterkirche. Diese drückten sich sowohl in einer Liberalisierung im Umgang mit bestimmten Regeln aus (z. B. in Bezug auf radical reliance) als auch in Hinblick auf eine ganz bewusste Öffnung der Kirche nach außen, beispielsweise durch den Bau der neuen Mary Baker Eddy Library sowie die Öffnung des Kirchenarchivs. Die Nachfolger von Harris ha-
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ben diese neue Linie weitergeführt. Um die finanzielle Situation der Kirche zu stabilisieren und sich wieder mehr auf die Kernaufgabe des Heilens zu konzentrieren, beschloss der Vorstand zudem 2005, die Mitarbeiterzahlen der Mutterkirche erheblich zu reduzieren und sich von einigem Grundbesitz zu trennen. Im Sommer 2006 war der Haushalt der Kirche nach Jahrzehnten erstmals wieder ausgeglichen. Die Modernisierungs-, Konsolidierungs- und Revitalisierungsmaßnahmen der Kirchenleitung wurden von der großen Mehrheit deutscher Christlicher Wissenschaftler begrüßt und unterstützt. Ein wichtiger Impuls hierbei war sicherlich die erste nicht in Boston stattfindende Jahresversammlung der Mutterkirche in Berlin 2003. Auch in Deutschland, wo die Zahl der CS-Gemeinden seit 1950 um mehr als ein Drittel zurückgegangen ist, bemühen sich die Kirchenmitglieder jetzt aktiver als zuvor, Christian Science stärker ins öffentliche Bewusstsein zu tragen und mehr Jugendliche für die Lehre zu begeistern. Zwar hat sich die Gesamtzahl der CS-Vereinigungen trotzdem in den letzten Jahren weiter vermindert (zwischen 2005 und 2009 sank sie von 34 auf 25), aber immerhin gab es auch eine Neugründung (in Hamburg 2007) sowie eine Wiedereröffnung (in Halberstadt 2008), und die Zahl der CS-Kirchen ist mit 37 stabil geblieben. Die Zahl der deutschen CS-Praktiker ist seit 2002 ebenfalls relativ stabil geblieben und lag Anfang 2009 bei 65. Den Aussagen der Interviewpartner zufolge haben sich außerdem die Besucherzahlen in einigen Zweigkirchen ebenso wie die Zahl der informellen CS-Gruppen und Gesprächskreise in den letzten Jahren leicht erhöht. Die meisten Christlichen Wissenschaftler sehen deshalb der Zukunft ihrer Gemeinschaft in Deutschland – wie auch weltweit – allen Schwierigkeiten zum Trotz mit Optimismus entgegen.1 Ob dieser Optimismus gerechtfertigt ist und die neue Öffnung der Kirche den seit einem halben Jahrhundert andauernden Rückgang der Mitgliedszahlen aufhalten oder vielleicht sogar umkehren kann, muss sich in den nächsten Jahren noch erweisen. Angesichts des Fortbestehens bestimmter Faktoren, die seit den 1950er Jahren zum Popularitätsverlust von Christian Science beigetragen haben (v.a. die hohe Heilungsquote der Schulmedizin), ist sicher nicht damit zu rechnen, dass die Lehre Mary Baker Eddys jemals wieder einen so großen Aufschwung erleben wird wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts.2 Ebenso wenig ist jedoch mit einem völligen Niedergang der 1
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Vgl. Anhang C und Anhang D sowie die Interviews mit den deutschen Christlichen Wissenschaftlern, insbesondere mit Gisela Manger, Helga Huber, Maartje Spitz, Klaus Hendrik Herr, Marietta Stofer und Inge Hake. So steht die Tatsache, dass Christian Science sowie pfingstlerisch-charismatische Kirchen, die faith-healing betreiben, in den letzten Jahren in Afrika besonders erfolgreich gewesen sind und wachsende Mitgliedszahlen verbuchen können, sicherlich auch damit im Zusammenhang, dass vielen Afrikanern aus infrastrukturellen oder finanziellen Gründen der Zugang zur modernen Schulmedizin bzw. zu Medikamenten verwehrt ist.
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kirchlichen Strukturen oder des Glaubens an Eddys Lehre als solcher zu rechnen. Dies liegt zum einen an den Revitalisierungsmaßnahmen der Kirche, durch welche es, unter anderem, Außenstehenden erleichtert wird, die Lehre Eddys und die CS-Gemeinschaft kennen zu lernen, ohne gleich Mitglied werden zu müssen.3 Zweitens wirken die leichte Liberalisierung im Umgang mit bestimmten Regeln und die Bemühungen der Kirche, mehr für Jugendliche zu tun und das CS-Gemeindeleben für jüngere Menschen attraktiver zu gestalten, ebenfalls dem Trend des Mitgliederschwundes entgegen.4 Als bedeutend für die Zukunftsperspektiven der Gemeinschaft könnten sich zudem bestimmte gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Entwicklungen erweisen. Sowohl in den USA als auch in Deutschland lässt sich zum Beispiel in den letzten Jahren eine neue Form des allgemeinen Krisenbewusstseins feststellen. In Eddys Heimatland ist dies vor allem seit dem 11. September 2001 auf eine allgegenwärtige latente Furcht vor Terroranschlägen und das seit dem Irakkrieg wachsende Misstrauen vieler Bürger gegenüber der Kompetenz der eigenen Regierung zurückzuführen. Seit 2008 hat zudem die schwere internationale Finanz- und Wirtschaftskrise zu zahlreichen Firmeninsolvenzen und Entlassungswellen geführt. Die Krise trägt auch in Deutschland zu einer allgemeinen Unsicherheit der Bevölkerung und zur Verschärfung sozialer Spannungen bei. Viele Menschen leiden deshalb derzeit unter Zukunftsängsten und einer nervös-depressiven Grundstimmung. Wie bereits erläutert, sind in solchen Krisenzeiten die Menschen besonders empfänglich für spirituelle Heilsangebote, gerade für solche, die seelische und physische Hilfe zugleich versprechen. Dass in Deutschland, wie auch in anderen europäischen Ländern, seit einigen Jahren ohnehin ein Trend zu mehr Religiosität besteht, ist inzwischen allgemein bekannt.5 Und dass sich viele Menschen auch außerhalb der etablierten Kirchen nach spirituellen Alterna3
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Neben der neuen Mary Baker Eddy Library und den offenen Gesprächsrunden, die viele Zweigkirchen jetzt anbieten, wird auch das Angebot, am Klassenunterricht (d. h. an der Primary Class) teilzunehmen, ohne Kirchenmitglied zu sein, in den letzten Jahren von einer steigenden Zahl von Interessenten wahrgenommen. Vgl. hierzu Fichtner, Mrs. Eddy’s Church, 4–5; Interview mit Trapp vom 25. Juli 2006. Etwas dünn scheint allerdings noch das Angebot für junge Erwachsene. Insbesondere im Bereich „Wiederbelebung der Hochschulorganisationen” gibt es bislang kaum koordinierte Aktivitäten der deutschen Zweigkirchen. Vgl. hierzu Interviews und Gespräche mit Mooshammer, Spitz und Hake. Vgl. hierzu z. B. Drobinski, Gott in den Köpfen; Graf, Wiederkehr der Götter; Hilpert, Wiederkehr des Religiösen; Köcher, Anziehungskraft der Religion; Waldschmidt-Nelson, Die Fragwürdigkeit der These von der religiösen Spaltung; neue Umfragewerte zur Religiosität der Deutschen finden sich z. B. im Religionsmonitor 2009 der Bertelsmann Stiftung unter http://www.religionsmonitor.com/. Die überzeugte Atheistin Sonja Zekri klagte deswegen zum Beispiel: „Es sind ja nicht nur die Konservativen. Es ist das spirituelle Erwachen bislang ganz unverdächtiger Mitbürger […]. In Bibelkreisen werden die Stühle knapp […]. Es wird wieder geglaubt in Deutschland, und wo das nicht der Fall ist, wird es als Defizit begriffen (West) oder als historischer Defekt (Ost) […]. Spä-
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tiven umsehen, zeigt sich an den wachsenden Besucherzahlen der Esoterikmessen und der Anzahl entsprechender Buchläden und Internetangebote.6 Es bleibt abzuwarten, ob die Kirche Christi, Wissenschaftler wie in der Vergangenheit von derartigen Entwicklungen profitieren kann bzw. ob die Krisenstimmung und die Suche zahlreicher Deutscher nach neuen Wegen zu positiven Zukunftsperspektiven und innerem Frieden hier wieder zu einem gewissen Aufschwung von Christian Science führen wird. Viele Kirchenmitglieder, mit denen die Verfasserin sprach, insbesondere diejenigen, die CSInformationsstände auf Esoterikmessen anbieten, hoffen dies zumindest.7 Ein weiterer Aspekt, der vielleicht zu einem vermehrten Interesse an der Lehre Eddys beitragen könnte, ist der, dass die Schulmedizin in letzter Zeit verstärkt in die Kritik geraten ist. Zum einen, weil bekannt wurde, dass im ganz normalen medizinischen Alltag viele aufwendige Behandlungen, darunter zahlreiche Operationen (insbesondere im orthopädischen Bereich) – teilweise wegen ungenauer Diagnostik, teilweise aus ärztlicher Profitsucht – unnötig durchgeführt werden, d. h. den Patienten nicht helfen, ja diesen zum Teil sogar bleibende Schäden verursachen.8 Zum anderen, weil gerade in den letzten Jahren mehrere Fälle gravierender medizinischer Kunstfehler aufgedeckt wurden, es zu tragischen Zwischenfällen bei Medikamententests kam und Tausende von Patienten durch (z.T. von den Herstellern verheimlichte) Nebenwirkungen von Medikamenten schwer geschädigt wurden oder gar daran starben.9 Da gleichzeitig, wie erläutert, die Wissenschaft – auch die
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testens seit der Massenverzückung beim letzten Papstwechsel fühlt man sich deshalb als Atheist wie auf einer Eisscholle im Golfstrom.“ Zekri, Gottlosigkeit, 1. Vgl. Religionsmonitor 2008; Graf, Wiederkehr der Götter; Hilpert, Wiederkehr des Religiösen; Linse, Geisterseher und Wunderwirker, 215–217. Man könnte den neue Trend zum Tragen von Magnetschmuck als therapeutischem Heilmittel (mit dem japanische Hersteller Milliardengewinne machen) auch als eine Art Wiederbelebung des Mesmerischen Magnetismus sehen. Vgl. hierzu Fraser, God’s Perfect Child, 437–439. Vgl. Interviews und Gespräche mit Huber, Manger, Pabst, Sperling, Spitz und Hake. Über dieses Problem berichteten die Medien (auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die anstehende Gesundheitsreform) während der letzten beiden Jahre besonders intensiv. Dabei kommen auch kritische Stimmen zu Wort: So sagte z. B. bei einem ZDF-Gesundheitsforum im Juli 2006 der Chefarzt einer Klinik, mehr als siebzig Prozent aller vorgenommenen Bandscheibenoperationen seien eigentlich unnötig, da die Patienten durch Physiotherapie, Muskelaufbau und Korrektur ihrer Haltungsschäden die gleichen oder bessere Heilungschancen hätten. Vgl. hierzu auch Bartens, Schweigen der Ärzte. Vgl. ebd.; Baier, Schreckliches Erwachen; Viciano, Schock. Einer im März 2006 veröffentlichten Studie des Kölner Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen zufolge hat das in Deutschland im Jahr 2000 zugelassene Schmerzmittel Vioxx innerhalb von vier Jahren bei über 7.000 Patienten Herzinfarkte, Thrombosen und Schlaganfälle verursacht, die in vielen Fällen tödlich verliefen. 2004 nahm der Hersteller dann das Medikament vom Markt. Zu tödlichen Nebenwirkungen von Medikamenten, insbesondere in der Testphase, vgl. auch Bartens, Die Angst ist immer dabei.
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Schulmedizin – die immense Bedeutung von seelisch-psychischen Prozessen für Krankheits- bzw. Heilungsverläufe zunehmend anerkennt, sind die Menschen zu Beginn des 21. Jahrhunderts vielleicht gegenüber alternativen, ganzheitlichen Heilungsansätzen und damit auch der Christian Science Methode des geistigen Heilens wieder aufgeschlossener, als dies in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts der Fall war.10 Die Wirksamkeit der physisch sichtbaren Heilkraft von Christian Science ist bis heute noch in keiner naturwissenschaftlich anerkannten Studie nachgewiesen worden. Die vielen in den CS-Publikationen regelmäßig veröffentlichten Heilungsberichte sind zwar beeindruckende Glaubenszeugnisse der Kirchenmitglieder, für Außenstehende jedoch als Beweise für die faktisch stattgefundene Überwindung physischer Krankheiten kaum überzeugend. Allerdings ist die Unwirksamkeit von Christian Science ebenfalls nicht wissenschaftlich einwandfrei bewiesen worden. Denn wenn man die korrigierten Daten der Simpson Studie und die der amerikanischen Lebensversicherungen zusammenführt, so ergibt sich, dass die Lebenserwartung Christlicher Wissenschaftler in etwa derjenigen von Personengruppen entspricht, die regelmäßig medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, oder nur minimal unter dieser liegt.11 Natürlich profitieren die Kirchenmitglieder auch von der Grundimmunisierung der Restbevölkerung gegen gefährliche Infektionskrankheiten und in Notsituationen, d. h. wenn sie glauben, sich selbst nicht helfen zu können, ist es ihnen jederzeit freigestellt, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Aber Letzteres kommt offenbar vergleichsweise selten vor.12 Dass Christliche Wissenschaftler ohne Medikamente, regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen und weitgehend ohne ärztliche Hilfe nicht wesentlich öfter krank sind und 10 Vgl. Casser, Schmerztherapie; Rüegg, Psychosomatik und Psychotherapie. Bei der Behandlung von chronischen Schmerzen setzt die Medizin heute deshalb verstärkt Psychotherapien ein. Neuen neurologischen Studien zufolge kann inzwischen auch wissenschaftlich belegt werden, dass durch geistige bzw. geistliche Konzentration wie Gebete oder Meditation Bereiche des Gehirns aktiviert werden können, die üblicherweise inaktiv sind. Auch Homöopathie und Akupunktur erfreuen sich bei deutschen Patienten seit einigen Jahren großer Beliebtheit, weswegen eine zunehmende Zahl von Schulmedizinern diese Therapien ebenfalls anbietet. Vgl. Bachmann, Akupunktur; Faltin, Homöopathie; Frank, Homöopathie und Ayurveda. 11 Vgl. hierzu Simpson, Nartonis u.a. im Leserbriefforum, JAMA 12 (1990), 1634–1635. 12 Ausdrücklich sei an dieser Stelle noch einmal betont, dass es bis zu den 1990er Jahren immer wieder Fälle gab, in denen Christliche Wissenschaftler aus falsch verstandenem Glaubenseifer ihre Kinder nicht zum Arzt brachten, obwohl sich deren Zustand trotz CS-Behandlung verschlechterte. Dass auf diese Weise in den USA (und vor dem Zweiten Weltkrieg auch in Deutschland) mehrere Kinder starben, die vermutlich sonst zu retten gewesen wären, ist unbedingt zu verurteilen. Nicht zuletzt deshalb hat wohl auch die Kirchenleitung Ende 1999 ihre Empfehlung zur Doktrin der radical reliance grundlegend geändert. Allerdings sei auch daran erinnert, dass es in der Schulmedizin durch Behandlungsfehler gelegentlich ebenfalls zu vermeidbaren Todesfällen kommt, ohne dass deshalb die gesamte Institution in Frage gestellt wird.
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auch nicht deutlich früher sterben als die Restbevölkerung, ist eine Tatsache, die Außenstehende nicht ganz ohne Verwunderung zur Kenntnis nehmen dürften.13 Die Interviewpartner der Verfasserin berichteten in glaubwürdiger Weise von vielen erstaunlichen Heilungen, die sie selbst erlebt haben, darunter völlig schmerzfreie Geburten, Heilungen von Geschwüren, Hautkrankheiten, Brandwunden, Leistenbrüchen, Verletzungen und Infektionskrankheiten.14 Im Idealfall müssten solche Berichte, vor allem von Fällen, die vorher von Ärzten als hoffnungslos aufgegeben worden waren, nun durch Einsichten in bzw. Vergleiche mit den entsprechenden medizinischen Befunden verifiziert werden. Dies war im Rahmen der vorliegenden Untersuchung leider nicht möglich. Es bleibt jedoch die Beobachtung, dass die Kirchenmitglieder selbst den jeweiligen Geschehnisablauf als wunderbare Heilung erlebt haben und sich seither gesund und beschwerdefrei fühlen. Selbst in den Fällen, in denen keine vollständige Genesung erfolgte, gab es positive Erlebnisse. Beispielsweise erlangte ein unfallbedingt erblindeter Mann seine Sehfähigkeit nicht zurück, aber sein allgemeiner Gesundheits- und Gemütszustand verbesserte sich durch die Hinwendung zur Christlichen Wissenschaft sehr stark.15 Übereinstimmend versicherten alle Befragten, dass sie über eine ausgesprochen stabile Gesundheit verfügten und fast immer in der Lage seien, die wenigen Krankheiten und physischen Probleme, die sich ihnen (oder ihren Kindern) stellen würden, allein durch die Anwendung von Christian Science in wenigen Tagen zu überwinden.16 Zwar könnte es sein – und dies ist von Kritikern vielfach behauptet worden –, dass Christliche Wissenschaftler über ein hohes 13 Es sei hierzu kurz angemerkt, dass wenn auch nur ein Viertel der deutschen Bevölkerung mit ähnlich geringer Inanspruchnahme medizinischer Leistungen auskäme wie die Christlichen Wissenschaftler, es kaum noch Probleme wegen der Kostenexplosion im Gesundheitswesen gäbe. 14 Ein Fall sei hier als Beispiel kurz ausgeführt: Eine 39-jährige Münchnerin berichtete, sie habe jahrelang unter schlimmen Rückenschmerzen gelitten, hätte mehrere vom Orthopäden diagnostizierte Bandscheibenvorfälle gehabt und sei schließlich kurz nach der Geburt ihres Kindes 1996 im Klinikum Großhadern am Rücken notoperiert worden. Nach der Operation sagten ihr die Ärzte jedoch, ein Teil der Schäden sei irreparabel, sie würde vermutlich nie wieder normal gehen können, müsse sich auf fortgesetzte langwierige Behandlungen einstellen und sich äußerst vorsichtig bewegen (z. B. auf keinen Fall ihr Kind hochheben). Wenig später habe sie sich Christian Science zugewandt, ihr Rücken sei innerhalb weniger Wochen geheilt worden, und seither lebe sie ein völlig normales, aktives Leben und habe nie wieder Rückenprobleme gehabt. Vgl. Interview der Verfasserin mit Stepanian vom 12. Juli 2006 sowie Interviews und Gespräche mit Bode, Finkenstaedt, Herr, Huber, Pabst, Spitz und Voggesser. Zu dem offenbar relativ häufig vorkommenden Phänomen der mit Hilfe von CS als schmerzfrei empfundenen Geburten vgl. auch die entsprechenden Berichte Dorothy von Moltkes, Leben in Deutschland, 13 und 28–29. 15 Interview mit Voggesser vom 11. Juli 2006. 16 In mehreren Fällen sprach die Verfasserin mit Christlichen Wissenschaftlern, die jahr-
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Maß an Selbsttäuschungskraft bzw. eine durch Suggestion hervorgerufene außergewöhnliche Schmerztoleranz verfügen und sich somit nur „einbilden“ gesund zu sein, wenn sie tatsächlich krank sind. Selbst dann ist jedoch anzunehmen, dass Menschen, die sich nicht in eine Krankheit hineinsteigern, sondern sich gedanklich darauf konzentrieren, dass es ihnen gut geht, wohl tatsächlich schneller gesund werden als andere.17 So ist die Lebensqualität kranker Menschen bekanntlich sehr stark von ihrem Gemütszustand bzw. ihrer Fähigkeit abhängig, trotz physischer Beschwerden den Lebensmut nicht zu verlieren. Der Eindruck der Verfasserin ist in jedem Fall, dass die Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler in Bezug auf ihr subjektives körperliches Wohlbefinden dem deutschen Durchschnittsbürger deutlich überlegen sind und darüber hinaus über ein hohes Maß an geistiger Vitalität, Lebensfreude und Zukunftsoptimismus verfügen. Auffallend ist auch der ausgesprochen gelassene Umgang Christlicher Wissenschaftler mit dem Tod. Da für sie der materielle Körper kaum Bedeutung hat, verspüren sie relativ wenig Angst vor dem sogenannten „Weitergehen“ und sind im Vergleich zu anderen Menschen beim Tod eines geliebten Menschen deutlich weniger niedergeschlagen oder verzweifelt.18 Sicherlich wäre es spannend, dieses Thema genauer zu analysieren, zum Beispiel durch einen wissenschaftlich fundierten quantitativen Vergleich der physischen und psychischen Lebensqualität Christlicher Wissenschaftler im Verhältnis zu der anderer Gruppen in Deutschland (z. B. Katholiken, Mormonen, Adventisten oder Atheisten), aber dies müsste Gegenstand einer eigenen Studie sein.19 Es gibt noch zahlreiche andere Aspekte, die im Zusammenhang zehntelang nicht bei einem Arzt gewesen waren und all ihre Kinder ohne Arztbesuche und Medikamente aufgezogen hatten. 17 Dass das menschliche Schmerzempfinden psychisch beeinflusst werden kann, ist heute eine wissenschaftlich erwiesene Tatsache, vgl. Rüegg, Psychosomatik und Psychotherapie. Suggestion ist somit sicherlich nicht das schlechteste Mittel zur Schmerzbekämpfung, v.a. angesichts der gravierenden Nebenwirkungen mancher Schmerzmedikamente. 18 Dieser Eindruck beruht vor allem auf Gesprächen und Begegnungen der Verfasserin mit zahlreichen Christlichen Wissenschaftlern, dem Besuch von CS-Gottesdiensten, Zeugnisversammlungen und Vorträgen sowie auf der kritischen Lektüre einschlägiger CSPublikationen (z. B. CS-Journal, CS-Sentinel und CS-Herold). Nicht selten wird die Ruhe Christlicher Wissenschaftler bei Todesfällen von Gegnern, die ihre Haltung nicht verstehen, als „Kaltherzigkeit“ oder „Gefühllosigkeit“ kritisiert. Vgl. hierzu z. B. die Aussagen Helga Hubers über ihre Erfahrungen nach dem Tod ihres Mannes; Interview vom 27. Juli 2005. 19 In den USA wurden bereits einige, allerdings nicht unumstrittene Studien durchgeführt (u.a. von der Harvard Medical School), die den Gesundheitszustand religiöser Menschen mit denen nicht-religiöser verglichen. Den Untersuchungsergebnissen zufolge hat Religiosität bzw. aktiv gelebter Glaube spürbar positive Auswirkungen auf den allgemeinen Gesundheitszustand der untersuchten Personen. Zu den Ergebnissen dieser Studien vgl. z. B. Blanton-Peale Institute, Journal of Religion and Health; Koenig, Is Reli-
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mit der Entwicklung von Christian Science in Deutschland untersucht werden könnten, so zum Beispiel die spezifische Rolle des deutschen Komitees für Veröffentlichungen, v.a. in Bezug auf den Funktionswandel, den dieses Amt seit den 1950er Jahren durchlaufen hat.20 Lohnend im Hinblick auf die internationalen Verbindungen der Kirche und ihren Einfluss auf die nationalsozialistische Regierung wäre sicherlich eine genauere Durchsicht der einschlägigen Akten des Auswärtigen Amtes. Die deutschlandspezifische Berichterstattung des CS-Monitors sowie dessen hiesige Rezeption wäre ebenfalls ein spannendes Thema, genauso wie eine vergleichende Studie über die Christliche Wissenschaft in verschiedenen Ländern Europas. Darüber hinaus verdient auch die Geschichte der deutschen „Dissenters“, d. h. der ehemaligen Kirchenmitglieder, die von Boston unabhängige Gemeinschaften schufen und ihre eigenen Versionen von Christian Science praktizierten bzw. dies noch tun (von Marie Schön bis zu Eva von den Steinen) gesonderte Aufmerksamkeit21. Die Liste ließe sich noch um einige Themen ergänzen, deren eingehendere Diskussion im Rahmen der hier vorliegenden Untersuchung nicht möglich war. Allerdings können die hier vorliegenden Forschungsergebnisse vielleicht dazu beitragen, neues Interesse für das Thema Christliche Wissenschaft in Deutschland zu wecken und die Auseinandersetzung mit den o.g. Themenbereichen anzuregen.22 gion Good for Your Health? Zur scharfen Kritik an der Methodik einiger Studien vgl. z. B. Butler, Is Prayer Good for Your Health?. 20 Besonders während des Dritten Reichs, als das KfV zwischen den Erwartungen der Mutterkirche, den Wünschen der deutschen Zweigkirchen und den nationalsozialistischen Machthabern vermitteln musste, wäre eine detaillierte Analyse der diesbezüglichen Korrespondenz gewiss lohnend. Bis zu den 1960er Jahren nahmen die politische Arbeit (vor allem das „legislative lobbying“ in den USA) und die rechtliche Beratung von Mitgliedern in Konfliktfällen mit Behörden bzw. der Justiz einen Großteil der Zeit des KfV in Anspruch. Vgl. Braden, Christian Science Today, 265–266. In einer internen Broschüre von 1969 wurden die deutschen Kirchenmitglieder z. B. dazu aufgefordert, sich im Fall einer polizeilichen oder gerichtlichen Vorladung sofort mit dem KfV in Verbindung zu setzen. Vgl. KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 15–16. Auch wenn der Schutz der rechtlichen Sicherheit der freien Ausübung von CS sowie konstruktive Zusammenarbeit mit Behörden und politischen Amtsträgern weiterhin zu den Aufgaben des KfV gehört, so liegt laut eigener Aussage der Hauptschwerpunkt der deutschen KfV-Arbeit heute primär in der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit. Vgl. Brief Herrs an die Verfasserin vom 25. Juli 2006 und vom 26. Juli 2008 sowie Interview mit Hake vom 5. August 2008. 21 Von den Steinen ist die langjährige Vorsitzende des Stiftungsrates des sogenannten Kappeler Instituts. Das nach dem bekannten ehemaligen schweizer Kirchenmitglied und Kritiker Dr. Max Kappeler benannte Institut ist eine Dachorganisation vieler deutschsprachiger Christlicher Wissenschaftler, die sich von der Mutterkirche in Boston losgesagt haben und ihren Glauben in unabhängiger Form leben. Es hat seine Hauptgeschäftsstellen in Zürich und Berlin. 22 Im Sommer 2008 teilte Florian Jeserich, ein junger Religionswissenschaftler aus Heidelberg, der Verfasserin mit, dass er in seiner Dissertation die religiösen Symbolsys-
Zusammenfassung und Ausblick
253
Die Entwicklung von Christian Science im Lande Luthers während der letzten 120 Jahre stellt sich in jedem Fall als eine von vielen Herausforderungen geprägte, spannende und abwechslungsreiche Geschichte dar. Wie deren Zukunft sich gestalten wird, ist ungewiss. Die größere Offenheit und Dialogbereitschaft der Kirche wird es Außenstehenden (auch Wissenschaftlern) jedoch sicher leichter machen, Kontakte zu Zweigkirchen und deren Mitgliedern aufzubauen, um Eddys Lehre sowie die Struktur und Lebensweise ihrer Gemeinschaft weiter zu erforschen. Unabhängig davon, ob und inwieweit es der Kirche Christi, Wissenschaftler gelingen wird, sich im Verlauf des 21. Jahrhunderts als gesellschaftlich bedeutende Institution zu behaupten, sind die Christlichen Wissenschaftler, mit denen die Verfasserin hierüber sprach, fest davon überzeugt, dass Eddys Lehre in Deutschland und in der ganzen Welt immer verfügbar bleiben wird. Die „befreiende Wahrheit von Christian Science“, so wurde versichert, könne niemals verloren gehen, sondern werde sich am Ende immer durchsetzen, da sie auf der allgegenwärtigen, unendlichen Liebe Gottes beruhe.23 Zwar ist nicht bestreitbar, dass zentrale Punkte der Lehre Eddys den orthodoxen christlichen Glaubenslehren widersprechen, und die Radikalität von Eddys Antimaterialismus ist wohl in ihrer letzten Konsequenz für die meisten in unserem Kulturkreis sozialisierten Menschen kaum nachvollziehbar. Andererseits ist – über die physischen Heilungserfolge von Christian Science hinaus – das vollkommene Vertrauen der Christlichen Wissenschaftler in die Liebe Gottes und ihre unerschütterliche Heilsgewissheit ein bemerkenswertes und zumindest aus christlicher Sicht auch bewundernswertes Element dieses Glaubens. So sei zum Abschluss ein Kommentar Stephen Gottschalks zitiert, der die besondere Herausforderung und den verheißungsvollen Optimismus der Lehre Mary Baker Eddys folgendermaßen ausdrückt: Eddy’s challenge to materialism continues to confront the emerging picture of the human spirit as largely reducible to biological, chemical, and electrical components. To her, there was an ultimate battle to be waged between Christianity understood as science – as a demonstrable understanding of spiritual power at work in human affairs – and a rigid scientism claiming that we must accept finitude as the basic condition of our experience, eking out what meaning we can from a fragile, temporary, and ultimately hopeless existence. This battle, she believed, would be costly. But it would eventually be won.24
teme und subjektiven Gesundheitsmodelle der Christlichen Wissenschaft mit denen der Huna (einer schamanistisch geprägten Naturreligion Hawaiis) vergleichen will. Wann diese sicher interessante Arbeit fertiggestellt und publiziert sein wird, ist bei Abschluss dieses Manuskripts im März 2009 jedoch noch nicht bekannt. 23 Vgl. hierzu die Interviews und Gespräche mit Herr, Huber, Manger, Pabst, Sperling, Spitz und Trapp. 24 Gottschalk, Rolling Away the Stone, 420.
ANHANG ANHANG A GLAUBENSSÄTZE VON CHRISTIAN SCIENCE1 1. Als Anhänger der WAHRHEIT nehmen wir das inspirierte Wort der Bibel als unseren ausreichenden Führer zum ewigen LEBEN. 2. Wir bekennen und verehren einen allerhabenen und unendlichen GOTT. Wir bekennen uns zu Seinem Sohn, einem Christus; zum Heiligen Geist oder göttlichen Tröster; und zum Menschen als GOTTES Bild und Gleichnis. 3. Wir bekennen uns zu GOTTES Vergebung der Sünde in der Zerstörung der Sünde und in dem geistigen Verständnis, das das Böse als unwirklich austreibt. Doch der Glaube an Sünde wird so lange bestraft, wie der Glaube besteht. 4. Wir bekennen uns zu Jesu Versöhnung als Beweis der göttlichen, wirksamen LIEBE, die die Einheit des Menschen mit GOTT durch Christus Jesus, den Wegweiser, entfaltet; und wir bekennen, dass der Mensch durch Christus, durch WAHRHEIT, LEBEN und LIEBE, erlöst wird, wie es der galiläische Prophet im Heilen der Kranken und im Überwinden von Sünde und Tod demonstrierte. 5. Wir bekennen, dass die Kreuzigung Jesu und seine Auferstehung dazu dienten, den Glauben zum Verständnis des ewigen LEBENS zu erheben, zur Allheit der SEELE, des GEISTES, und zum Nichtsein der Materie. 6. Und wir geloben feierlich zu wachen und zu beten, dass das GEMÜT in uns sei, das auch in Christus Jesus war; anderen zu tun, wie wir wollen, dass sie uns tun sollen; und barmherzig, gerecht und rein zu sein. DIE WISSENSCHAFTLICHE ERKLÄRUNG DES SEINS2 Es ist kein Leben, keine Wahrheit, keine Intelligenz und keine Substanz in der Materie. Alles ist unendliches GEMÜT und seine unendliche Manifestation, denn GOTT ist Alles-in-allem. GEIST ist unsterbliche WAHRHEIT; Materie ist sterblicher Irrtum. GEIST ist das Wirkliche und Ewige; Materie ist das Unwirkliche und Zeitliche. GEIST ist GOTT und der Mensch ist Sein Bild und Gleichnis. Folglich ist der Mensch nicht materiell; er ist geistig. 1 2
Science and Health, 497; Church Manual, 15–16. Science and Health, 468.
256
Anhang
ANHANG B DAS GEBET DES HERRN (VATER UNSER) MIT SEINER GEISTIGEN AUSLEGUNG DURCH MARY BAKER EDDY3 Unser Vater im Himmel. Unser Vater-Mutter GOTT, all-harmonisch. Dein Name werde geheiligt. Der eine Anbetungswürdige. Dein Reich komme. Dein Reich ist gekommen; Du bist immer-gegenwärtig. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. Befähige uns zu wissen, dass GOTT – wie im Himmel, so auch auf Erden – allmächtig, allerhaben ist. Unser tägliches Brot gib uns heute. Gib uns Gnade für heute; stärke die hungernden Neigungen.4 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. Und LIEBE spiegelt sich in Liebe wider. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Und GOTT führt uns nicht in Versuchung, sondern erlöst uns von Sünde, Krankheit und Tod. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Denn GOTT ist unendlich, die Allmacht, alles LEBEN, alle WAHRHEIT, alle LIEBE, über allem und Alles.
3 4
Science and Health, 16–17. Diese in der autorisierten Übersetzung von 1912 etwas eigenartig klingende Zeile lautet im Original: „Give us grace for to-day; feed the famished affections.“ Es gab inoffiziell offenbar auch andere Versionen dieser Zeile, so zum Beispiel „Gib uns Gnade für heute; speise die darbende Liebe“. Aber auch in der Neuübersetzung des Lehrbuchs von 1998 blieb die Zeile unverändert in der Form von 1912 erhalten. Vgl. Reimer, Metaphysisches Heilen, 72; Brief von Herr an die Verfasserin vom 26. Juni 2008.
257
Anhang
ANHANG C CHRISTIAN SCIENCE GEMEINDEN IN DEUTSCHLAND (STAND: MÄRZ 2009)5
Baden-Württemberg (15): Albstadt – V
Berlin (4): Berlin – 4 x K
Eberbach – K Esslingen – K
Brandenburg (0):
Freiburg (Breisgau) – K Heilbronn – V Karlsruhe – K
Bremen (1): Bremen – K
Konstanz – V Mannheim – K Pforzheim – K
Hamburg (6): Hamburg – 4 x K + 2 V
Reutlingen – V Schondorf – K
Hessen (3):
Singen – V
Darmstadt – K
Stuttgart – K
Frankfurt (Main) – K
Ulm-Donau – K
Wiesbaden – K
Villingen – V Mecklenburg-Vorpommern (0): Bayern (7): Augsburg – K
Niedersachsen (5):
Lindau (Bodensee) – V
Braunschweig – K
München – 2 x K
Goslar – V
Nürnberg – K
Hannover – 2 x K
Rosenheim – K
Oldenburg – V
Wunsiedel – V 5
Anerkannte Christian Science Kirchen (K) und Vereinigungen (V) sind in jeder Ausgabe des CS-Journals aufgelistet; die deutschen finden sich zudem im CS-Herold. Im März 2009 gab es insgesamt 37 CS-Kirchen und 25 CS-Vereinigungen in der BRD.
258
Anhang
Nordrhein-Westfalen (11):
Saarland (0):
Bielefeld – K Bonn – K
Sachsen (4):
Duisburg – V
Chemnitz – V
Düsseldorf – V
Dresden – K
Essen – K
Leipzig – V
Hamm – V
Zwickau – V
Köln – K Krefeld – K
Sachsen-Anhalt (2):
Minden – V
Halberstadt – V
Moers – V
Magdeburg – V
Wuppertal – K Schleswig-Holstein (3): Rheinland-Pfalz (1): Kaiserslautern – V
Kiel – K Lübeck – K Rendsburg – V Thüringen (0):
259
Anhang
ANHANG D KIRCHEN UND VEREINIGUNGEN DER CHRISTLICHEN WISSENSCHAFT IN DEUTSCHLAND VON 1898 BIS 20096
1898 1900 1904 1906 1910 1912 1914 1918 1919 1927 1933 1939 1947 1950 1960 1970 1980 1990 1991 2000 2005 2006 2007 2008 2009
6
Kirchen 1 3 3 3 4 5 3 1 6 19 33 38 21 48 38 50 49 42 47 43 37 37 37 37 37
Vereinigungen 0 0 1 2 1 0 5 3 3 14 33 46 16 68 63 64 59 30 49 42 34 31 27 26 25
GESAMT 1 3 4 5 5 5 8 4 9 33 66 84 37 116 101 114 108 72 96 85 71 68 64 63 62
Nach dem Krieg wurden erst ab September 1947 wieder deutsche CS-Gemeinden im CS-Journal angeführt. Aufgrund des von 1951 bis 1989 geltenden Verbots von CS in der DDR gelten die Zahlen von 1960 bis 1990 nur für die BRD. Ab 1991 finden sich im CS-Journal sowie im CS-Herold auch die CS-Gemeinden der neuen Bundesländer; deren Anzahl ist in den o.g. Angaben ab 1991 mit enthalten.
260
Anhang
ANHANG E CHRISTIAN SCIENCE IN DEUTSCHEN GERICHTSVERFAHREN 5. Februar 1903
Hans P., ein Buchdruckereibesitzer (und vermutlich CS-Praktiker), hat im Jahre 1902 in Stettin eine „Gebetsheilanstalt“ eingerichtet. Er wird wegen Betrugs und Vergehens gegen die Gewerbeordnung (Ausübung eines Krankenhausbetriebes ohne Genehmigung) angeklagt, aber das Schöffengericht Stettin spricht ihn frei.7
1. Dezember 1904
Friederike Butzke (vermutlich eine CS-Praktikerin) wird wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, nachdem eine ihrer Patientinnen an Gebärmutterkrebs gestorben ist. Das Urteil des Landgerichts Berlin lautet auf Freispruch, da ein fahrlässiges Verhalten nicht nachgewiesen werden kann.8
14. Juli 1910
Frau Reinke aus Berlin übt „Heilbehandlungen im Sinne der Christian Science“ aus und wird dafür in Berlin angeklagt. Aufgrund eines Ministerialerlasses vom 28. Juni 1902 zur Bekämpfung der Kurpfuschereien, sowie eines polizeilichen Verbots der Ausübung von Heilkunde ohne staatliche Approbation vom 21. August 1903 spricht das Schöffengericht in Berlin die Angeklagte für schuldig. Eine Revision hat keinen Erfolg. Das genaue Strafmaß ist nicht überliefert.9
April 1913
In Braunschweig wird eine Christliche Wissenschaftlerin angeklagt, durch die Nicht-Hinzuziehung eines Arztes, den Tod ihrer achtjährigen, an Diphtherie erkrankten Tochter verursacht zu haben. Das Verfahren
7
8 9
Vgl. Hellwig, Gesundbeten, 14. Hellwigs Buch handelt in erster Linie von Christian Science, das er auch als „Gesundbeten“ bezeichnet (in den ersten beiden hier genannten Fällen benutzt er nur die letztere Bezeichnung, bei späteren oft beide. Hellwig erwähnt auch, dass Bertha Günther-Peterson (die Gründerin der Hannoveraner CS-Kirche) mehrfach vergeblich wegen Betruges angeklagt wurde, gibt jedoch leider hier keine genaueren Umstände oder Zeitangaben an. Vgl. ebd., 12–13. Vgl. ebd., 18–19. Vgl. ebd., 44–48.
Anhang
261
wird jedoch eingestellt, da eine strafbare Handlung nicht nachgewiesen werden kann.10 13. November 1915
Die CS-Praktikerinnen Elisabeth Hüsgen und Elisabeth Ahrens werden wegen fahrlässiger Tötung an ihren jeweiligen Patientinnen (der Hofschauspielerin Nuscha Butze, die an Diabetes litt, und Alice von Arnauld, die wegen einer krebsartigen Hauterkrankung behandelt wurde) vom Landgericht Berlin zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt und müssen zudem die Kosten des Verfahrens tragen. Diese Verhandlung sorgt als „Gesundbeterprozess“ im gesamten Deutschen Reich für Schlagzeilen. Im Revisionsverfahren durch das Reichsgericht wird das Urteil am 14. April 1916 bestätigt.11
28. November 1924
Die CS-Praktikerin Frau Koch-Gädeke wird wegen fahrlässiger Tötung und Übertretung der Verordnung gegen Ausübung der Heilbehandlung durch nicht approbierte Personen angeklagt, nachdem ein wegen Blutvergiftung von ihr behandelter 14-jähriger Junge starb. Das Schöffengericht Lübeck verurteilt die Angeklagte zu einem Jahr Gefängnis.12
März 1926
Die CS-Praktikerin Bertha Ziegel muss sich vor einem Gericht wegen „Ausübung der Gesundbeterei“ verantworten. Der Staatsanwalt beantragt ein Jahr Gefängnis und 3.000 Mark Geldstrafe. Das in Schwerin gesprochene Urteil bleibt bei einer Geldstrafe von 500 Mark.13
Januar 1928
Fritz Paul, ein Obersteuerinspektor, wird in Potsdam angeklagt, durch Ausübung der Gesundbeterei und die späte Hinzuziehung eines Arztes, den Tod seiner beiden an Diphtherie erkrankten Kinder verursacht zu haben. Als Zeuge sagt auch der behandelnde CS-Praktiker Arthur Liszt aus. Das Verfahren wird jedoch we-
10 11
Vgl. ebd., 13–14. Vgl. ebd., 6–11; N.N., „Scientisten“ unter der Anklage der fahrlässigen Tötung; Mitglieder des Gerichtshofes, Fahrlässige Tötung bei Ausübung des Heilverfahrens, 37–46. 12 Vgl. N.N., Die Heilslehre der Christlichen Wissenschaft; N.N., Etwas vom „Gesundbeten“; N.N., Eine Fanatikerin der Christlichen Wissenschaft vor Gericht. 13 Vgl. N.N., Gesundbeterkomik vor Gericht.
262
Anhang
nig später eingestellt, nachdem Pauls Frau, die vermutlich von einem Arzt behandelt wurde, ebenfalls an Diphtherie starb.14 Oktober 1932
Die CS-Praktikerin Emma Kühn wird vom Landgericht Berlin wegen fahrlässiger Tötung zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt, nachdem ein an Lungentuberkulose erkrankter Mann starb, dem sie vorher davon abgeraten hatte, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Ein Revisionsverfahren hebt das Urteil allerdings auf, da der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nicht einwandfrei geklärt wurde.15
April 1934
Anna Fisch, eine Bahnhofswirtin (und vermutlich CSPraktikerin), wird in Osterode wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, nachdem ihre an Lungen- und Kehlkopftuberkulose erkrankte Schwiegertochter im Laufe einer CS-Behandlung starb. Das Urteil lautet auf Freispruch, da nicht nachgewiesen werden kann, dass die Angeklagte der Verstorbenen das Hinzuziehen eines Arztes verboten hatte.16
24. September 1935
Helen Schminke, CS-Praktikerin seit 1927, wird wegen fahrlässiger Tötung an einem 17-jährigen an Diabetes erkrankten Mädchen angeklagt. Sie wird in Rostock zu neun Monaten Gefängnis verurteilt und muss die Kosten des Verfahrens tragen.17
Juli 1937
Anna Alrutz, eine CS-Praktikerin aus Göttingen, wird wegen Betrugs angeklagt, jedoch freigesprochen.18
Oktober 1937
Klara L. und Helene S. sollen gegen ein den Christlichen Wissenschaftlern auferlegtes Sammelverbot verstoßen haben. Gegen beide Frauen wird ein Strafbefehl
14 Vgl. N.N., Einstellung eines Verfahrens. 15 Vgl. N.N., Fahrlässige Tötung durch Gesundbeterei; N.N., Gemeingefährlichkeit rein geistiger Behandlung. 16 Vgl. N.N., Christliche Wissenschaft; N.N., Die Christliche Wissenschaft, keine Gesundbeter. 17 Vgl. N.N., Gefängnis für eine Helferin der „Christlichen Wissenschaft“; Stillman, Christian Science under the Nazi Regime, 18. 18 Vgl. N.N., Der Kampf gegen die Gesundbeterei.
Anhang
263
über 30 Mark ausgesprochen. Beide legen Einspruch ein und werden vom Gericht in Jena freigesprochen.19 August 1939
Eine CS-Praktikerin versucht, ihren 14-jährigen Sohn von einem schweren Geschlechtsleiden zu heilen. Aufgrund des Vergehens gegen das Gesetz zur Bekämpfung von Geschlechtskrankheiten und das Heilpraktikergesetz von 1939 wird sie von einem Schöffengericht in Pforzheim zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.20
März 1940
Wilhelm und Frieda Donath, zwei CS-Praktiker, werden wegen des Hortens von Essen und Kleidung („Geldhamsterei“), welches ein Vergehen gegen das Kriegswirtschaftsgesetz darstellt, vom Amtsgericht in Frankfurt (Oder) zu je sechs Monaten Gefängnis verurteilt.21
November 1940
Die CS-Praktikerin Anna Fricke wird wegen des Verstoßes gegen das Heilpraktikergesetz von der Strafkammer Stralsund (Rügen) zu drei Monaten Gefängnis verurteilt.22
August 1947
Liselotte und Hans Zeh geben sich fälschlich als Adelige und als CS-Praktiker aus. Das Landgericht Marburg gewährt Frau Zeh eine Amnestie; Herr Zeh wird jedoch wegen Betrug, Nötigung und Vergehen gegen das Heilpraktikergesetz zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt.23
21. September 1964
Eine CS-Praktikerin wird vom Amtsgericht Düsseldorf von der Anklage wegen Verletzung des Heilpraktikergesetzes freigesprochen. In der Urteilsbegründung wird betont, dass Christian Science nicht als Heilbehandlung im Sinne des Heilpraktikergesetzes, sondern als seelsorgerische Maßnahme anzusehen ist.24
19 20 21 22 23
Vgl. N.N., Noch ein Freispruch. Vgl. N.N., Gesundbeten eine Utopie. Vgl. N.N., Wegen Geldhamsterei verurteilt. Vgl. N.N., Gesundbeten gegen Bezahlung; N.N., „Gesundbeterin“ verurteilt. Vgl. N.N., Ein eigenartiger Wunderdoktor; N.N., Wunderdoktor erhielt 15 Monate Gefängnis. Es sei betont, dass Christian Science zwar in diesem Prozess eine Rolle spielte, beide Angeklagte jedoch nicht Mitglieder der Kirche Christi, Wissenschaftler waren. 24 Vgl. KfV, Gesetzliche Rechte und Pflichten, 28–33.
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ANHANG F VERZEICHNIS DER KOMITEES FÜR VERÖFFENTLICHUNGEN IN DEUTSCHLAND25 Deutschland: 1907–1933 Emma J. Leplow 8. Juli 1907 – 9. Juli 1913 Paul Müller 19. Juli 1913 – 1. Januar 1914 Dr. Curt Gentsch 1. Januar 1914 – 1. Oktober 1915 Max Stresow 1. Oktober 1915 (Stresow trat am 26. November 1915 zurück) Kate Weber 16. Dezember 1915 – 1. Oktober 1920 (sowie 4. Juli 1921 – 17. August 1921)26 Dr. Johannes Klaudius 1. Oktober 1920 – 1. Oktober 1923 (exklusiv 4. Juli 1921 – 17. August 1921) Paul Gassner 1. Oktober 1923 – 1. Oktober 192827 Graf Helmuth von Moltke 1. Oktober 1928 – 20. Oktober 1933
25 Die zur Erstellung dieser Liste notwendigen Informationen wurden der Verfasserin vom KfV für Deutschland zur Verfügung gestellt. Die Wahl des aus nur einer Person bestehenden KfV erfolgt jährlich, immer abwechselnd durch die Leser der drei größten Zweigkirchen eines Landes. Der Vorstand der Mutterkirche in Boston sollte der Ernennung jedoch zustimmen und kann ggf. Änderungen durchsetzen. Die Amtszeit eines erfolgreichen KfV kann beliebig verlängert werden. Vgl. Church Manual, Artikel XXXIII. 26 Die Leser der Ersten Kirche Hannover waren offenbar nicht sehr zufrieden mit Dr. Klaudius und hatten deshalb noch einmal Kate Weber als KfV gewählt. Dagegen erhob der Vorstand der Mutterkirche Einspruch, und so wurde Dr. Klaudius wieder ins Amt eingesetzt. 27 Im Herbst 1924 wollten die Zweigkirchen Paul Gassner durch Dr. Curt Gentsch ersetzen, aber auf die nachdrückliche „Bitte“ des Vorstands in Boston hin nahm man dessen Ernennung zurück und verlängerte die Amtszeit von Gassner weiter.
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Frankfurt: 1908 – 191828 Miss Bentinck-Beach 30. Januar 1908 – 11. Januar 1915 Paul Marczinski 11. Januar 1915 – 1. April 1916 Poldine Baroness Senfft von Pilsach 1. April 1916 – 1. Januar 1918 Deutschland: 1933–1941 General August Kündinger 1. Oktober 1933 – 25. Januar 1935 William Breymann 25. Januar 1935 – 20. Mai 193629 General August Kündinger 20. Mai 1936 – 1. Oktober 1939 Albert Telschow 1. Oktober 1939 – 9. Juni 1941
28 In der Zeit von 1908 bis 1918 gab es neben dem für ganz Deutschland zuständigen KfV noch ein zusätzliches in Frankfurt. 29 Breymann, der auch als Repräsentant der CSPS in Europa arbeitete, war bereits im Herbst 1934 gewählt worden, konnte das Amt jedoch aus nicht bekannten Gründen erst am 25. Januar 1935 antreten. Ebenso unklar ist die Ursache für seinen Rücktritt im Frühling 1936. Es könnte an Breymanns Schwierigkeiten mit der deutschen Regierung gelegen haben, dass der Vorstand entschied, Kündinger wieder mit der Aufgabe zu betrauen.
266
Anhang
Deutschland: 1945–195530 Amerikanische Zone
Britische Zone
Franz Bury 1946–1955
Elisabeth von Kracht31 1947–1955
Französische Zone
Russische Zone (inkl. Berlin)
Otto Beetz 1946–1955
Howard Siepen 1946–1950 Helmuth Findert 1950–1965
Bundesrepublik Deutschland: 1955 bis heute Howard Siepen 1. Oktober 1955 – 31. Dezember 1970 Dr. Dieter Förster 1. Januar 1971 – 30. Juni 1991 Klaus-Hendrik Herr 1. Juli 1991 – 31. Mai 2007 Inge Hake Seit 1. Juni 2007
30 Zwischen 1941 und 1945 war CS in Deutschland verboten, zudem sind wegen des Krieges keine Aufzeichnungen über möglicherweise stattgefundene KfV-Ernennungen während dieser Zeit erhalten. Nach dem Krieg wurde durch das Managerbüro in Boston jeweils ein KfV für jede der vier deutschen Besatzungszonen ernannt. Die drei westlichen wurden 1955 durch ein KfV für die BRD ersetzt, das von Boston beauftragte KfV für die Russische Zone gab es trotz des Verbots von CS in der DDR noch bis 1965. 31 Da das Amt des KfV auf Eddys Wunsch hin möglichst von einem Mann ausgeübt werden sollte (vermutlich weil sie diesen mehr Standfestigkeit im Umgang mit „feindlichen“ Medien zutraute), wurde die 1946 für das Amt vorgeschlagene Olga-Marie Breymann vom Vorstand abgelehnt. Als sich jedoch auch nach längerer Suche in der Britischen Zone kein geeigneter Mann für das Amt fand, stimmte Boston schließlich 1947 der Ernennung von Elisabeth von Kracht zu. Auch Inge Hakes Ernennung 2007 ging offenbar eine erfolglose Suche nach einem männlichen Kandidaten für das Amt voraus.
Anhang
ANHANG G GESTAPO-ANWEISUNG ZUM VERBOT VON CHRISTIAN SCIENCE IM JULI 194132
32 Abdruck des Briefes in CSPS, Wartime Activities, 255.
267
QUELLEN- UND LITERATURVERZEICHNIS 1. QUELLEN UND PRIMÄRLITERATUR 1.1. Interviews 1.1.1. Interviews, Gespräche und Korrespondenz der Verfasserin mit aktiven Mitgliedern der Kirche Christi, Wissenschaftler Bode, Katja, Christliche Wissenschaftlerin, Berlin, Mitarbeiterin des KfV, Gespräch am 14. Juli 2005. Finkenstaedt, Michael, Christlicher Wissenschaftler, München, Interview am 1. August 2005. Follis, Elaine, ehemalige Professorin für Theologie am Principia College, CS-Praktikerin, Boston, MA, Korrespondenz von September 2005 bis Mai 2006. Hake, Inge, CS-Komitee für Veröffentlichungen (KfV) seit 2007, Burgdorf, Interviews am 28. Juli 2008 und am 5. August 2008, Korrespondenz und Gespräche von Juli 2008 bis März 2009. Herr, Klaus-Hendrik, CS-Komitee für Veröffentlichungen (KfV) 1991–2007, Berlin, Interview am 25. Juli 2005, Korrespondenz und zahlreiche Gespräche von Mai 2005 bis Juli 2008. Huber, Helga, CS-Praktikerin, München, Interview am 27. Juli 2005, Gespräch am 12. Juni 2006. Huenneke, Judy, Historikerin und leitende Sachverständige im Archiv der Mary Baker Eddy Library, Boston, MA, Interview am 17. Oktober 2005, Korrespondenz von Oktober 2005 bis Mai 2006. Lapp, Helga, Leiterin des Christian Science Pflegewerks e.V., Lindenfels, Gespräch am 5. Juli 2006. Licht, Claudia, Christliche Wissenschaftlerin, Mitarbeiterin des KfV, Berlin, Korrespondenz und Gespräche von März 2005 bis Juli 2006. Manger, Gisela, CS-Praktikerin, München, Interview am 7. Juni 2006. Mennel, Volker, CS-Praktiker und CS-Lehrer, München, Interview am 6. August 2008. Mooshammer, Kai, Schriftenführer des CS-Vereins „Prisma“, Karlsruhe, Brief an Verfasserin vom 28. September 2005, Gespräch am 18. Juli 2006. Nartonis, David, ehemaliger stellvertretender Leiter der Koordinationszentrale der KfV der Mutterkirche, Boston, MA, Interview am 17. Oktober 2005. Pabst, Michael, CS-Praktiker und CS-Vortragender, ehemaliger Produzent des CS-HeroldRadio, Boston und Maine, MA, Interview am 12. Oktober 2005, Korrespondenz und mehrere Gespräche von September 2005 bis August 2008. Sandford, Gregory W., Professor für Geschichte, Principia College, St. Louis, MO, ehemaliger stellvertretender Generalkonsul in München (1995–1998), Briefe an Verfasserin vom 31. Mai und 13. Juni 2006 sowie vom 5. Mai 2008. Schlüter, Dietmar, Christlicher Wissenschaftler, München, Gespräch am 6. August 2006. Sperling, Hans-Günther, Christlicher Wissenschaftler, München, Gespräch am 13. Juni 2006.
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Quellen- und Literaturverzeichnis
Spitz, Maartje, Christliche Wissenschaftlerin, München, ehemalige Mitproduzentin des CSHerold-Radios, Interview am 3. August 2005, Korrespondenz und zahlreiche Gespräche von August 2005 bis März 2009. Stepanian, Susan, Christliche Wissenschaftlerin, München, Gespräch am 12. Juli 2006. Stillman, William, Christian Science Chaplain der US-Küstenwache, Brief an Verfasserin vom 13. Juli 2006. Stofer, Marietta, CS-Praktikerin, Neu-Ulm, Interview am 5. August 2008. Trapp, Hans-Joachim, CS-Lehrer und ehemaliger Präsident der Mutterkirche, Berlin, Interview am 25. Juli 2006. Voggesser, Lydia, Christliche Wissenschaftlerin, München, Interview am 11. Juli 2006. Wondollek, Frank, CS-Vortragender, Gespräch nach Vortrag in München am 19. Februar 2006.
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PERSONENVERZEICHNIS Ahlstrom, Sydney 39 Ahrens, Elisabeth 134, 261 Albanese, Catherine 39 Alrutz, Anna 262 Armstrong, Joseph 109 Fn 130, 111 Fn 138 Arnauld, Alice von 134, 261 Astor, Nancy (Lady Astor) 147 Fn 89, 163 Astor, Waldorf (Lord Astor) 147 Fn 89, 163–166, 242 Augusta Viktoria von Schleswig-Holstein, Kaiserin von Deutschland 102 Baer, Harald 11, 28 Fn 38, 205–206, 207 Fn 62 Baker, Abigail 44 Baker, Mark 44 Baker Tilton, Abigail 48 Fn 46, 142, 143 Fn 72 Bates, Ernest 15 Beard, George M. 62, 63, 93 Fn72 Beasley, Norman 22 Fn 27, 186 Fn 224, 189 Fn 1 Beetz, Otto 266 Bennet, Clay 227 Fn 128 Benson, Herbert 203 Fn 50 Berger, Ludwig 145 Bergner, Elisabeth 148 Berkeley, George 79 Beschwitz, Olga Baronin von 102 Fn 106, 104 Bismarck, Otto von 91, 151 Black, Thomas 225 Fn 120 Blavatsky, Helena 38, 88 Fn 56 Bloom, Harold 64 Fn 96 Boberach, Heinz 23 Fn 28 Bode, Alfred 154, 155, 173, 175 Bonhoeffer, Dietrich 151 Bormann, Martin 169, 171, 177 Braden, Charles Samuel 16, 56 Fn 70, 59, 191 Fn 10
Braithwaite, John S. 163, 164 Fn 141 Brecht, Bertolt 145 Breymann, William 162 Fn 136, 265 Bruno, Johanna 101, 112 Fn 144 Bury, Franz 266 Butze, Nuscha 133, 261 Butzke, Friederike 260 Canham, Erwin D. 150 Fn 96, 156, 160, 163 Fn 139, 164 Fn 141, 190, 195 Cather, Willa 15, 139 Chamberlain, Arthur Neville 158 Charcot, Jean-Martin 89 Christus (CS-Verständnis) 34, 35 Fn 8, 47, 59, 154 Fn 108, 237, 255 Churchill, Winston 163, Fn 139 Corey, Arthur 132 Fn 36 Corner, Abby H. 133, Fn 38 Cotton, Emily 101 Dakin, Edwin Franden 15, 140 Fn 59 Darwin, Charles 39, 88 Fn 54 Davis, Richard J. 149, Fn 94, 157, 159 Descartes, René 79 Dickey, Adam H. 15, 118, 119 Fn 166 Diepenbrock, Melchior von 83 Dittemore, John 15 Dixon, Frederick 125 Dodd, William 163 Donath, Frieda 263 Donath, Wilhelm 263 Dresser, Julius 46 Fn 39, 47 Fn 42 Dupow, Otto 147 Fn 86, 172–173, 176 Fn 181 Du Prel, Carl 88 Fn 55 Eckert, Hans 86, 106 Fn 119 Eddy, Asa Gilbert 49, 143 Fn 72 Eddy, Mary Baker 15, 31, 33, 35, 37, 38, 40 Fn 25, 41–61, 64–66, 67 Fn 104–105,
Personenverzeichnis
293
68 Fn 108–109, 69–71, 73–81, 83–87, 89, 92–93, 94 Fn 75, 95 Fn 81, 96–98, 99 Fn 97, 101–102, 105 Fn 117, 106– 112, 114–122, 124, 127, 129–131, 132 Fn 37, 135, 137, 139–144, 145 Fn 80, 146, 148, 152–153, 154 Fn 108, 155 Fn 112, 158, 171–175 184 Fn 214, 185, 186 Fn 220, 189, 190, 204, 208, 211, 214 Fn 85, 215, 216 Fn 90, 218 Fn 98, 219, 221–226, 228 Fn 131, 229 Fn 134, 237–241, 243, 245–246, 253, 256, 266 Fn 31 Einstein, Albert 148 Emerson, Ralph Waldo 37, 41 Evans, Warren Felt 41–42, 83
Gasper, Hans 28 Fn 38, 197 Fn 28, 205 Gassner, Paul 265 Gentsch, Curt 264 Gill, Gillian 15, 45 Fn 37, 70 Fn 113, 222 Fn 110 Glover, George Washington 44 Goebbels, Joseph 151 Fn 99, 169 Göring, Hermann Wilhelm 165 Gottschalk, Stephen 15, 16 Fn 6, 189 Fn 1, 219, 220, 253 Gratke, Charles 161, 174 Gröning, Bruno 40 Fn 24 Günther-Peterson, Bertha 10, 21, 94–101, 106–119, 125, 126 Fn 13, 133 Fn 38, 239, 240, 260 Fn 7
Falkenberg, Bruno 114 Fn 151 Falkenberg, Frieda 114 Fn 151 Fechner, Gustav Theodor 87 Fn 53 Fichte, Johann Gottlieb 37 Fn 15, 77, 79, 238 Field-King, Julia 101 Fn 103, 107 Fn 123 Fincke, Andreas 11, 16, 138 Fn 55, 204, 205 Fn 55 Findert, Helmuth 266 Finkenstaedt, Michael 181 Fn 205, 183 Fn 212 Fisch, Anna 262 Förster, K. Dieter 193 Fn 16, 230 Fn 137, 266 Follis, Elaine 11, 23, 74 Fn 6, 82 Fn 33, 94 Fn 76–77, 96 Fn 85, 99 Fn 94–97, 113 Fn 149, 155 Fn 114, 162, 179 Fn 192, 181 Fn 203–204, 185, 186 Fn 221–223 Fontane, Theodor 91 Fn 65 Franklin, Ben 41 Fraser, Caroline 16, 40, 70 Fn 113, 78 Fn 21, 132 Fn 37, 218 Fn 97 Freud, Sigmund 89 Fn 59, 91, 139, 140, 141 Fn 66 Frick, Wilhelm 164–165 Fricke, Anna 263 Friedrich, Johannes 11, 206 Fn 58 Frye, Calvin A. 98 Fn 92, 109 Fn 130–132, 110
Haeckel, Ernst 88 Hake, Inge 51 Fn 54, 132 Fn 37, 233 Fn 146, 234, 266 Harris, Virginia 203 Fn 50, 221, 223, 225, 245 Hartwich, Frieda 94 Fn 77, 96 Fn 85, 113 Fn 147 Hasselbacher, Friedrich 174–175 Haushalter, Walter M. 78 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 37 Fn 15, 77–78, 238 Heine, Heinrich 172 Hellpach, Willy Hugo 90 Hering, Hermann 157 Hermes, Renata → s. King Herr, Klaus-Hendrik 38 Fn 16, 51 Fn 54, 131 Fn 32–33, 141 Fn 68, 210 Fn 73, 266 Heß, Rudolf 180 Hesse, Hermann 91 Fn 65 Heydrich, Reinhardt 166, 171, 180 Heyse, Paul 91 Fn 65 Hilty, Carl 91 Himmler, Heinrich 151 Fn 99, 165–166, 169, 171, 178, 213 Fn 79 Hitler, Adolf 149, 150, 151 Fn 99, 153, 157 Fn 119, 158–162, 164–165, 167, 169, 179, 180, 241–243 Holl, Karl 135–136 Hollond, Spencer Edmund 187 Fn 225 Horney, Brigitte 145 Fn 80
Galen, Clemens August, Kardinal von 152
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Personenverzeichnis
Hubbard, Elbert 55 Hubbard, Ron 195 Fn 22 Hüsgen, Elisabeth 133–134, 261 Hutten, Kurt 82 Fn 35, 113 Fn 148, 204, 206 Fn 59 Innes, James Rose 116 Fn 155 Irenäus von Lyon 34 Fn 3 James, Henry 41 James, William 39 Jesus von Nazareth (Jesus Christus) 44–47, 56, 58–60, 67, 102, 104, 114 Fn 152, 130, 153, 154 Fn 108, 166 Fn 148, 167, 170, 212, 219, 237, 255 Jones, James (Jim) 29 Fn 39 Jones, Walter 225 Fn 120 Kant, Immanuel 37 Fn 15, 74–77, 79–80, 87, 116, 238 Kappeler, Max 252 Fn 21 Kellog, John Harvey 39, Fn 20 Kennedy, Richard 49, 143 Fn 72, 144 Fn 76 Kerr, Philip Henry (Marquess of Lothian) 147 Fn 89, 163–166, 242 Kerrl, Hanns 165 Kesten, Hermann 139, 142–144, 241 Kimball, Edward A. 57 Fn 72, 109 Fn 130 King, Christine 17, 22 King, Larry 221 King, Renata (geb. Hermes) 116, 118 Kisch, Egon 142 Fn 70 Klage, Ludwig 75 Fn 9 Klaudius, Johannes 264 Knapp, Bliss 15, 219–221, 230 Fn 137 Kracht, Elisabeth von 266 Kramer, Linda 16 Krayl, Carl 148 Krebs, Fritz 129 Fn 24 Kuhlman, Kathryn 40 Fn 24 Kühn, Emma 262 Kündinger, August 157, 160, 165 Fn 144, 178, 181, 265 Lamprecht, Karl 91 Langner, Ilse 139, 142–145, 241
Lapp, Helga 199 Fn 35 Lathrop, Laura 94, 99 Fn 96, 100–101, 107 Fn 124, 112 Lee, Anne 37 Fn 14 Leibniz, Gottfried 79 Leplow, Emma J. 112 Fn 145, 165 Fn 144, 181 Fn 203, 264 Lichtenberg, Bernhard 152 Lieber, Francis 78 Lifton, Robert J. 29 Fn 39 Linenthal, Edward 29 Fn 42 Linse, Ulrich 88 Fn 55 Lippy, Charles 39 Fn 21 Longyear, Mary Beecher 100 Lord Halifax → s. Wood Lord Lothian → s. Kerr Lübke, Heinrich 195 Lusseyran, Jacques 183 Luther, Martin 80–81, 116, 128, 239, 253 Mann, Heinrich 145 Mann, Thomas 91, 122 Marczinski, Paul 265 McKenzie, William P. 97 Fn 86, 109–110, 112, 115, 118 Fn 161 McLellan, Archibald 117 Fn 159, 118 Fn 161 McPherson, Aimee Semple 40 Fn 24 Mennel, Volker 233 Mesmer, Franz Anton 41–42, 45, 83, 139– 140 Messersmith, George S. 163 Metzsch-Schilbach, Wolf von 48 Fn 45, 74– 75, 79–81, 85, 137–139, 241 Meynig, Wilfried 52 Fn 59, 60 Fn 82, 84 Fn 40, 147 Fn 86, 171, 174, 176 Fn 181 Milmine, Georgine 15, 139, 141 Fn 68 Möbius, Paul Julius 88 Fm 53 Moehlman, Conrad H. 78 Moll, Albert 21, 22 Fn 26, 101 Fn 104, 111 Fn 140, 112 Fn 141 Moltke, Carl Bernd, Graf von 156 Fn 117 Moltke, Dorothy, Gräfin von 21, 97, 116, 117 Fn 157–158, 118, 126, 153 Fn 107, 156–157 Moltke, Fanny von 116
Personenverzeichnis Moltke, Helmuth, Graf von 21 Fn 24, 97, 113 Fn 145, 116–18, 122 Fn 3, 126 Fn 14, 148, 156–157, 160, 163 Fn 138, 174, 264 Moltke, Helmuth James von 156 Fn 117, 185 Fn 217 Moltke, Joachim Wolfgang von 156 Fn 117 Moltke, Wilhelm Viggo von 156 Fn 117 Montgomery, Bernard 187 Fn 225 Mooshammer, Kai 231 Fn 141 Müller, Julius 84 Fn 40 Müller, Ludwig 150, 151 Fn 98, 167 Fn 150 Müller, Paul 264 Mussolini, Benito 158 Neander, August 84 Fn 40 Niemöller, Wilhelm 151 Nietzsche, Friedrich 75 Fn 9 Nitzsch, Karl 75 Fn 40 Obst, Helmut 16, 20 Fn 20–21, 60 Fn 81– 83, 84 Fn 40, 204, 206 Fn 59 Odegaard, Ned 227 Olcott, Henry Steel 38 Fn 18 Oldenbourg, Ulla (geb. Schultz) 97, 116– 118, 119 Fn 166, 148 Fn 91, 157 Fn 120, 181 Ostwald, Wilhelm 88 Fn 54 Pabst, Michael 10, 229 Fn 134 Parham, Charles 40 Fn 24 Passavant, Johann, Karl 42 Fn 31, 82 Fn 35, 83, 84, 114, 237, 239 Patterson, Daniel 44, 48 Fn 46 Paul, Fritz 261 Peel, Robert 15, 16 Fn 6, 38 Fn 18, 53 Fn 60, 64 Fn 96, 70 Fn 113, 78 Fn 19–21 Pfülf, Otto 33, 34 Fn 3, 35 Fn 9, 55 Pius XII, Papst 152 Fn 101 Powell, Lyman 15 Preller, Friedrich 181 Quimby, Phineas Parkhurst 42, 45–46, 47 Fn 42, 142, 143, 237 Reed, David 223 Fn 115 Regard, Jeremy 183
295
Reimer, Hans-Diether 16, 20 Fn 21–22, 50 Fn 53, 60 Fn 83, 62, 84 Fn 40, 189– 190, 204, 206 Fn 59, 215 Fn 87, 229 Reinhardt, Max 145 Ribbentrop, Joachim von 162, 163 Fn 137, 165, 178–179, 242 Rilke, Rainer-Maria 148 Fn 90 Roloff, Hilda 170 Roosevelt, Franklin, D. 158, 177, 178 Fn 190, 179 Fn 195 Sailer, Johann Michael 83 Sakka, Ammonius 38 Sandford, Gregory W. 201 Fn 42 Schelling, Friedrich Wilhelm 77, 79, 83, 238 Schirmer, Friedrich 145, 146 Fn 83 Schlegel, Friedrich 116 Schleich, Carl Ludwig 75 Fn 8 Schleiermacher, Friedrich 83 Schmidt, Kurt 57 Fn 72 Schminke, Helene 170, 171 Fn 163, 176, 262 Schön, Marie 42 Fn 31, 84, 94–100, 101 Fn 104, 106–115, 119–120, 123 Fn 51, 148 Fn 92, 159 Fn 124, 192 Fn 11, 239–240, 252 Schoepflin, Rennie 16, 133 Fn 40, 136 Fn 51 Schopenhauer, Arthur 37 Fn 15, 74, 78–80, 87 Schroeder, Catharina 159 Fn 124 Schultz, Ulla → s. Oldenbourg Seal, Frances Thurber 21, 22 Fn 26, 85–86, 94–95, 99–106, 111–112, 122–123, 165 Fn 144, 168, 239–240 Seale, Ervin 45 Fn 38 Seegers, Axel 207 Fn 62 Seek, Michael 201 Fn 43 Seitz, Carl Wilhelm 153 Senfft, Poldine, Baroness von Pilsach 265 Seymour, William J. 40 Fn 24 Siepen, Howard 196, 266 Silver, Marcel 184 Fn 213 Simpson, William F. 217, 218 Fn 95, 249 Sinclair, Upton 52 Fn 59, 53 Slade, Henry 87 Fn 51–53
296
Personenverzeichnis
Smith, Clifford P. 85–86, 97 Fn 87, 98, 103, 105 Fn 115, 162 Fn 136, 166 Fn 147 Spengler, Wilhelm 171 Fn 161 Spinoza, Baruch 79 Stanger, Theodore 118 Steinen, Eva von den 252 Steiner, Rudolf 88 Fn 56, 90 Fn 63 Stender, Friedrich 267 Stetson, Augusta 52 Fn 57, 143 Fn 72 Stillman, William 22, 81, 147 Fn 85, 166 Fn 149 Straub, Agnes 145 Fn 80 Stresow, Max 264 Strub-Gass, Magdalena 85 Fn 46 Swedenborg, Emanuel 41–42, 93, 237 Talbot, Nathan 225 Fn 120 Telschow, Albert 178, 181–182, 265 Tennant, Charles 163, 164 Fn 141 Thoreau, Henry David 41 Toch, Ernst 145 Fn 80 Toller, Ernst 139,142–145, 241 Tournier, Alice 107 Fn 124 Trammell, Mary 225, 227 Trapp, Hans-Joachim 230 Tucholsky, Kurt 142 Fn 70
Twain, Mark 43, 44 Fn 35, 53, 55, 61, 145 Fn 80 Vining, Barbara M. 190 Fn 5 Weber, Katie 264 Weber, Wilhelm 87 Fn 53 Weiss, Victor 20 Fm 21, 35 Fn 9, 48 Fn 48, 52 Fn 59 Weißenberg, Joseph 19 Fn 19, 158 Fn 121 Westberg, Victor 225 Fn 120 Westhoff, Klara 148 Wilbur, Sybil 15, 74 Fn 4, 139, 145 Fn 80 Wilhelm II, Kaiser von Deutschland 90, 91 Fn 66, 102–103 Wilson, Woodrow 127 Wood, Edward Frederick Lindley (Earl of Halifax) 148 Fn 89, 166 Zander, Inge 201 Fn 44 Zeh, Hans 193 Fn 15, 263 Zeh, Liselotte 193 Fn 15, 263 Ziegl, Bertha 261 Zöllner, Karl Friedrich 86–87, 88 Fn 53 Zweig, Stefan 48 Fn 48, 62 Fn 89, 64, 67 Fn 105, 139–144, 241