Chinesisch-Deutscher Imagereport: Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum aus kultur-, medien- und sprachwissenschaftlicher Perspektive (2000-2013) 9783110544268, 9783110542080

This volume examines ethnic stereotypes of China and the Chinese people in German public media. It focuses on the format

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Chinesisch-Deutscher Imagereport: Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum aus kultur-, medien- und sprachwissenschaftlicher Perspektive (2000-2013)
 9783110544268, 9783110542080

Table of contents :
Inhalt
Vorwort der Herausgeber
Zur Einführung
Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum
Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Überblicksanalysen
China im Spiegel der Printmedien – Zwischen Verdammung und Überhöhung?
Linguistische Imageanalyse Chinas
Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien I – korpuslinguistische Zugänge
„Reich der Mittel“
„China wirkt ja vor allem so bedrohlich und unsympathisch, weil die Chinesen so übermotiviert sind, so ekelehrgeizig.“
Von Hunden, Hürden und Brücken
Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien II – Inhalts- und Diskursanalysen
Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes
Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien
Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen
Die Dynamik von Stereotypen
Das politische Chinabild
Das Bild Chinas in visuellen und audiovisuellen Medien: Werbung, Comics, Film
Das China-Image in der deutschsprachigen Werbung
Graphisches Erzählen über China
Interkulturelle Analyse der kommunikativen Wirkung chinesischer Image-Filme
Anhang
Chinesische Zusammenfassungen der Beiträge – 论文的中文总结
Autorenverzeichnis

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Chinesisch-Deutscher Imagereport

Sprache und Wissen

Herausgegeben von Ekkehard Felder Wissenschaftlicher Beirat Markus Hundt, Wolf-Andreas Liebert, Thomas Spranz-Fogasy, Berbeli Wanning, Ingo H. Warnke und Martin Wengeler

Band 28

Chinesisch-Deutscher Imagereport

Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum aus kultur-, medien- und sprachwissenschaftlicher Perspektive (2000–2013) Herausgegeben von Friedemann Vogel und Jia Wenjian

ISBN 978-3-11-054208-0 e-ISBN [PDF] 978-3-11-054426-8 e-ISBN [EPUB] 978-3-11-054228-8 ISSN 1864-2284 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen ­Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: fidus Publikations-Service GmbH, Nördlingen Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

Inhalt Vorwort der Herausgeber 

 IX

Zur Einführung Friedemann Vogel und Jia Wenjian Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum Ein Forschungsüberblick zu Ethnostereotypen und Vorurteilen über das „Reich der Mitte“ und Perspektiven für die interkulturelle Kommunikation   3

Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Überblicksanalysen Caja Thimm China im Spiegel der Printmedien – Zwischen Verdammung und Überhöhung? Medieninhalte und Expertenperspektiven zur Berichterstattung in Deutschland   29 Friedemann Vogel Linguistische Imageanalyse Chinas Theoretisch-methodische Grundlagen und exemplarische Analyse 

 48

Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien I – korpuslinguistische Zugänge Li Jing „Reich der Mittel“ Linguistische Imageanalyse zu Chinas Wirtschaft (2000–2013) 

 73

VI 

 Inhalt

Elisa Lang „China wirkt ja vor allem so bedrohlich und unsympathisch, weil die Chinesen so übermotiviert sind, so ekelehrgeizig.“ Chinesische Bildung in deutschen Medien   102 Marcus Müller und Maria Becker Von Hunden, Hürden und Brücken Tropen der deutsch-chinesischen Begegnung im kulinarischen Diskurs   119

Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien II – Inhalts- und Diskursanalysen Zhao Jin Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes Analyse von Medienberichten zu Sino-Afrika-Beziehungen 

 139

Zhou Haixia Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien Analysiert am Beispiel von DIE ZEIT und DER SPIEGEL (2000–2010) 

 154

Su Fu Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen Am Beispiel deutscher und chinesischer Enzyklopädien   172 Liang Shanshan Die Dynamik von Stereotypen Analyse der Deutschland-Stereotype im chinesischen Nachrichtenmagazin „Lifeweek“    187

Li Yuan und Ye Xiangmei Das politische Chinabild In der Berichterstattung im Spiegel anlässlich des Nationalen Volkskongresses von 2003 bis 2013   204

Inhalt 

 VII

Das Bild Chinas in visuellen und audiovisuellen Medien: Werbung, Comics, Film Friedemann Vogel und Maximilian Haberer Das China-Image in der deutschsprachigen Werbung Multimodale Formen und Funktionen eines asiatischen Ethnostereotyps in persuasiven Verwendungskontexten   229 Monika Lehner Graphisches Erzählen über China Chinabilder in Comics und Graphic Novels 

 257

Chen Zheng Interkulturelle Analyse der kommunikativen Wirkung chinesischer Image-Filme Vergleich einer chinesischen mit einer deutschen Zielgruppe   282

Anhang Chinesische Zusammenfassungen der Beiträge – 论文的中文总结  Autorenverzeichnis 

 312

 299

Vorwort der Herausgeber Der vorliegende Band dokumentiert das vorläufige Zwischenergebnis eines dreijährigen Forschungsprojektes (2014–2016) unter dem gleichnamigen Titel „Chinesisch-Deutscher Imagereport“ in Kooperation der Beijing Foreign Studies University (China, unter Leitung von Prof. Dr. Jia Wenjian) und der Universität Freiburg (Deutschland, unter Leitung von Prof. Dr. Friedemann Vogel). Ziel des Projektes wie auch dieses Bandes war und ist erstens, einen Überblick über die bisherige Forschung zu Ethnostereotypen über China bzw. Chinesen in der deutschsprachigen Medienöffentlichkeit zu gewinnen. Zweitens geht es um die interdisziplinäre Entwicklung und Durchführung kontrastiver linguistischer Imageanalysen zur computergestützten, semiautomatischen Untersuchung von Ethnostereotypen (insb. Chinas und Deutschlands) auf Basis sehr großer Sprachdatenmengen (Textkorpora), wie sie in diesem Band auch exemplarisch vorgestellt werden. Drittens unternehmen wir hier den Versuch, auf Basis des aktuellen Forschungsstandes vorsichtige Schlussfolgerungen und Empfehlungen für die zukünftige deutsch-chinesische, interkulturelle Kommunikation und Zusammenarbeit zu formulieren. Sollte es uns gelingen, mit diesem Band zu einer weiteren Sensibilisierung für bestehende Stereotype, Vorurteile und ihre medialen, musterhaft erscheinenden Formen und damit letztlich zu einer besseren Kulturverständigung beizutragen, wäre viel gewonnen. Wir bedanken uns an dieser Stelle bei dem Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und dem China Scholarship Council (CSC) für die dreijährige finanzielle Förderung, die uns und zahlreichen NachwuchswissenschaftlerInnen eine gute Basis für die Zusammenarbeit ermöglicht hat; dem National Social Science Fund of China (No. 14@ZH036) danken wir besonders auch für die Finanzierung dieses Bandes. Dank gilt auch dem Reihenherausgeber, Prof. Dr. Ekkehard Felder (Heidelberg), für die Aufnahme des Bandes in die Reihe „Sprache und Wissen“, und Tang Meng (Beijing) für die umsichtige Übersetzung der erweiterten Aufsatzabstracts ins Chinesische. Dank gilt schließlich allen Beteiligten, die zum Gelingen dieses transnationalen und interdisziplinären Projektes beigetragen haben.  

DOI 10.1515/9783110544268-203

März 2017 in Freiburg und Beijing, Friedemann Vogel und Jia Wenjian

Zur Einführung

Friedemann Vogel und Jia Wenjian

Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum Ein Forschungsüberblick zu Ethnostereotypen und Vorurteilen über das „Reich der Mitte“ und Perspektiven für die interkulturelle Kommunikation

1 Einführung Wissen über fremde Länder, Völker und Kulturen fasziniert die Menschen seit jeher. Genauso lange sind die Zugangsmodalitäten für solches Wissen sozial und medial determiniert. Zu einer Zeit, in der Reisemobilität ein wertvolles und kostspieliges Privileg darstellte, speiste sich das Wissen über „das Fremde“ vor allem aus Erfahrungsberichten und Reisedokumenten in der Regel von einer kleinen Gruppe Wohlhabender (vgl. zu China etwa Liu 2001). Der absoluten Mehrheit der Bevölkerung war ein eigenes Bild mangels direkten Zugangs verwehrt. Mit der Technisierung des 19.  Jahrhunderts und der Mediatisierung aller Lebensbereiche (insb. durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und Internet) spätestens ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich das grundlegend. Auch wenn Reisen mit dem Zug oder Flugzeug mittlerweile für die soziale Mittelschicht erschwinglicher wurden, bildeten (und bilden) diese Massenmedien bis heute den zentralen Zugang zum „Anderen“ (Butterwegge 2006; Ernest W. B. HessLüttich 1992; Luhmann 2004). Dies wäre kein Problem, würden von den RezipientInnen zugleich auch die jeweiligen Konstitutionsbedingungen, die interne Arbeitslogik dieser Wissensarchive (im Sinne Foucaults) reflektiert. Tatsächlich werden die Faktoren, nach denen mediale Wahrheit – das heißt weitreichende Annahmen über die Beschaffenheit der Welt als „historisches Apriori“ (Foucault 1974, S. 204) – diskursiv konstituiert wird, meist völlig ausgeblendet.

Anmerkung: Der Beitrag wurde unter anderem unterstützt durch den National Social Science Fund of China (No. 14@ZH036). Vogel, Friedemann, Prof. Dr., Juniorprofessor für Medienlinguistik, Institut für Medienkulturwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland Jia, Wenjian, Prof. Dr., Professor für Interkulturelle Kommunikation, Prorektor für Lehre, Beijing Foreign Studies University (BFSU), China DOI 10.1515/9783110544268-001

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 Friedemann Vogel und Jia Wenjian

Aus einer mitteleuropäischen Perspektive gilt dies insbesondere und in durchaus fataler Weise für die mediale Konzeptualisierung und Stereotypisierung der chinesischen Kultur(en). Während in Deutschland wohl niemand auf den Gedanken käme, Spanier, Deutsche und Norweger in einen habituellen Topf zu stecken, so scheint dies in der Berichterstattung über China und Chinesen weitestgehend Normfall zu sein (sieht man von einzelnen Kommentaren zur Minderheiten-Politik in China ab). Mangelnde Differenzierung aber ist die erste Voraussetzung für Missverstehen und Ablehnung. Umso wichtiger ist es, bestehende Schematisierungen in Medien aufzuspüren, transparent und einer analytischen Kontrolle zugänglich zu machen. Die Beiträge in diesem Band sollen hierzu einen Beitrag leisten. Im Folgenden werden wir zunächst den Begriff des Stereotyps näher konturieren (2) und die bisherige Forschungsliteratur zum China-Bild in deutschsprachigen Medien zusammenfassen (3). Anschließend stellen wir Thesen zu Risiken, aber auch Chancen der medialen Stereotypisierung zur Diskussion (4), ehe wir die Beiträge in diesem Band kurz umreißen (5).

2 Stereotype und Methoden ihrer Untersuchung Stereotyp, Vorurteil, Klischee, Allgemeinplatz, Abklatsch usw. – Solche und bedeutungsähnliche Ausdrücke unserer Gemeinsprache begegnen uns tagtäglich in der zwischenmenschlichen und medial vermittelten Kommunikation. Sie sind in ihrer sprachlichen, äußerlich wahrnehmbaren Form ein Symptom (im Sinne von Bühler [1934] 1999, S. 28) für soziale Klassifizierungsprozesse, die Personen und Personengruppen untereinander sich einschließend oder sich untereinander abgrenzend sortieren und mittels Zeichen als kollektiv bekannt auszeichnen. Dieser Zusammenhang ist in der Stereotypenforschung – vor allem von Psychologie, Soziologie und Ethnographie – hinreichend gut modelliert (vgl. umfassend: Merkens 2000; Nelson 2006; Rösch 2001; Feilke 1989) und kann wie folgt zusammengefasst werden: Stereotype sind (sozial-)kognitive Wissensrahmen (Barsalou 1992; Minsky 1975), die maßgeblich unsere Wahrnehmung der Welt prägen. Als schematisiertes Wissen (zum Schema-Begriff vgl. Rumelhart 1975) sind sie zunächst nur Teil eines hierarchisch und prototypisch organisierten Netzwerks aus Eigenschaftszuschreibungen (X → Y → Z → …). So wissen wir – in industrialisierten Kulturkreisen –, dass es Fahrzeuge zum Transport von Personen oder Sachen gibt. Wir wissen auch, dass Fahrzeuge für diesen Transport, d. h. um sich in Bewegung zu setzen, Energie benötigen. Wir kennen verschiedene Energieformen, von denen



Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum 

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wir wissen, dass sie zum Antreiben von Maschinen genutzt werden können: Menschliche Muskelkraft, Holz und Kohle in Verbindung mit Wasser und Thermodynamik, Benzin oder Diesel, Strom oder einfach nur der Wind. Das Stereotyp von einem Verkehrsfahrzeug zum Transport von Menschen Ende des 19.  Jahrhunderts war jedoch ein „Dampfwagen“, in den 1980er Jahren ein „Benziner“ und heute gibt es mehr und mehr Elektrofahrzeuge. Das Beispiel macht deutlich, dass bestimmte Eigenschaftsketten in der Abhängigkeit von Zeit und Raum ‚stabiler‘ oder ‚typischer‘ sind als andere. Mit anderen Worten: Die Eigenschaften (z. B. Energiequelle), die uns mit Blick auf eine Person oder einen Gegenstand (z. B. Fahrzeug) als erstes einfallen, sind prototypischer als andere, durch aktives, evaluierendes Erinnern zugängliche Eigenschaften. Das Stereotyp einer Person, einer Gruppe oder eines Gegenstands besteht  – heuristisch gesehen  – aus den Eigenschafts-Prototypen der jeweiligen Kategorie. Wir unterscheiden an dieser Stelle zwischen Stereotypen als wertneutralem Oberbegriff für eine bestimmte, prototypisch gewichtete Wissensform und Vorurteilen. Letztere sind solche Stereotype, die sich in einer abwertenden Weise auf eine Person, eine Gruppe oder einen Sachverhalt in der Welt beziehen (Konerding 2006). Sprachliche Realisierungen von Vorurteilen sind etwa Alle Deutschen sind Nazis oder Chinesen essen Würmer. Stereotype sind – soweit wir wissen – weder angeboren, noch folgen sie metaphysischer (göttlicher, übernatürlicher usw.) Eingebung, sondern sie werden wie jedes andere Wissen durch Sozialisierung erlernt. Eine wichtige Rolle für die Aneignung von Stereotypen spielt die regelmäßige, direkte Kommunikation (z. B. im Gespräch face-to-face) mit vertrauten Bezugspersonen (Ingroup, „peergroups“), insbesondere Eltern, Familienmitgliedern, Lehrern, Freunden und engeren Bekannten, also Personen und Gruppen, denen eine kontinuierliche, intensive und auch emotional gefärbte Orientierungsfunktion für die Einordnung und Bewertung unserer (sozialen) Welt zukommt (zur sog. „Kontakthypothese“ vgl. Nelson 2006, S. 262). Dabei lässt sich die Übernahme von Stereotypen  – etwa die elterliche Sicht auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder Sachverhalte – weniger als kontrollierter Lernvorgang verstehen, denn mehr als passive Aneignung. Stereotypes Wissen wird auch ‚auswendig gelernt‘, mehr noch aber durch kontinuierliche, ‚alltägliche‘ Präsentation inkorporiert, zu Eigen gemacht, schlicht deshalb, weil es unsere ‚natürliche‘, ‚vertraute‘ Umgebung bildet und damit als ‚normal‘ angenommen wird (zur diskursiven Herstellung des Normalen vgl. auch grundlegend Link 2013). Eine weitere wichtige, wenn heutzutage nicht sogar die viel wichtigere Quelle für die Aneignung von kulturellen Stereotypen bildet die mediale Berichterstattung. Medien  – Zeitungen, Radios, Fernsehen, Blogs, Wikipedia, Social Media usw. – beliefern die Menschen in industrialisierten Kulturen heute nahezu lücken-

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 Friedemann Vogel und Jia Wenjian

los mit Informationen zu allen erdenklichen Themen weit über den individuellen direkten Wahrnehmungs- und Handlungshorizont hinaus. Der vielzitierte Satz „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien.“ (Luhmann 2004, S. 9) bringt es auf den Punkt: Vor allem diejenigen Sachverhalte, aber auch Gruppen, Völker, Lebensweisen usw., zu denen uns ein direkter Kontakt verwehrt bleibt, kennen wir allein medienvermittelt. Medien tragen damit zu einer grundlegenden Kohärenz in der Wahrnehmung von Kultursemantik und zur Normalisierung von Erwartungen und Handlungsoptionen bei (K. Merten 1994; Krämer 1998; Hans-Bredow-Institut für Medienforschung an der Universität Hamburg 2008; Meyer 2004; Dreesen et al. 2012). Mit anderen Worten: Wer Zugang zu den Produktions- und Distributionswegen von Massenmedien und Mediendiskursen besitzt, hat damit potentiell (nicht automatisch faktisch1) auch weitreichenden Einfluss auf das Denken und Handeln der Bevölkerung. Eine rechtlich garantierte Medienvielfalt und Meinungsäußerung – wie sie etwa in Deutschland existiert – sollte diese Gefahr einer zunehmenden Homogenisierung eigentlich verhindern. Die globale Marktliberalisierung des Mediensektors zeigt jedoch seit einigen Jahrzehnten eine gegenläufige Tendenz, zunächst in Form einer Akkumulation unabhängiger Medien (Zeitungen, Radios usw.) durch Übernahme weniger global agierender Medienkonzerne (wie Springer, Bertelsmann u. a.) sowie durch Aussterben regionaler und lokaler Angebote (dazu ausführlich Prott 1994). Die wenigen verbleibenden Einzelmedien zwingt die Rationalisierung zu einer internen Arbeitslogik, die immer häufiger auf eigenständige Recherche vor Ort, Quellenprüfung und Autorenvielfalt verzichtet und stattdessen Agenturangebote übernimmt. An die Stelle sorgfältiger Themenabwägung und Hintergrundinformationen treten Event- und Gelegenheitsjournalismus (wobei die Events und Gelegenheiten auch noch selbst geschaffen werden, vgl. Knobloch und Vogel 2015). Die Entwicklung des Internets und dort die ressourcengünstige Publikation von unabhängigen, weltweit leicht zugänglichen Homepages oder Blogs und insbesondere das „Web 2.0“ (d. h. jeder Leser ist potentiell auch Autor) boten in den ausgehenden 90er und ersten 2000er Jahren wiederum eine Alternative –, doch im Geflecht aus staatlichen, ökonomischen und militärischen Interessen, sich das Netz anzueignen, schaffen sich nur

1 Medienrezipienten sind Massenmedien nicht einfach passiv ausgeliefert, sie haben durchaus die Möglichkeit, Informationen zurückzuweisen, Nachrichten zu filtern, kritisch zu prüfen usw. Das in manchen Teilen der Kommunikationswissenschaft zu findende Diktum, Medien „wirkten“ auf Menschen, unterstellt häufig ein verkürztes, an die informationstechnische Datenübertragung angelehntes Zeichen- und Kommunikationsmodell, das moderne Grundlagen der Kognitions- und Sprachpsychologie völlig ausblendet.



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wenige Angebote eine nachhaltige Grundlage (Rilling 1998). Vor diesem Hintergrund gewinnt die medienvermittelte Produktion und Verteilung von Stereotypen eine besondere Relevanz und Brisanz. Einmal erworben, erfüllen Stereotype wichtige Funktionen im (sozial-)kognitiven Haushalt ihrer Träger: Als leicht abrufbare Rahmen erleichtern sie die Verarbeitung von Handlungsoptionen und die Lösung von Entscheidungsfindungsprozessen, insofern sie die – prinzipiell unendlich komplexe – Wahrnehmungswirklichkeit schematisch (d. h. auch vereinfachend, pauschalisierend, vom Einzelnen abstrahierend) aufbereiten und damit eine effiziente, erprobte und von anderen Kulturangehörigen antizipierbare Handlungsgrundlage bereitstellen. Auf diese Weise erst ist es möglich, mit beschränkten kognitiven Ressourcen in kurzer Zeit etwa auf einem Gemüsemarkt im dichten Gedränge mit anderen Kunden seinen Bedürfnissen  – nämlich dem Einkauf  – nachzukommen. Diese Vorgänge sind also hochgradig automatisiert, ritualisiert (Goffman 2002 [1967]) und laufen überwiegend unbewusst ab. Die kognitive Entlastung durch Stereotype wird meist nur dann bewusst, wenn sie fehlt: z. B. als Reisender in einem fremden Land, als Gast in ungewohnter Umgebung oder als Milieufremder. Die Rede ist dann etwa von „fehlender Routine“ oder „Überforderung“. Insofern Stereotype die Wahrnehmung vereinfachen, tendieren sie auch dazu, sich selbst zu stabilisieren, sich gegen Veränderung zu immunisieren: wahrnehmbare Aspekte der sozialen Lebenswirklichkeit, die bestehenden Stereotypen widersprechen, werden schlicht ausgeblendet, um eine einfache Entscheidungsstruktur aufrecht zu erhalten. Stereotype sind in ihrer Ausprägung gruppen- (milieu-) und kulturspezifisch. Ein typischer Restaurantbesuch sieht – im Hinblick auf Handlungsabläufe, involvierte Personen, Sitzanordnung, Essenswahl, Bezahlung, Trinkgeld usw.  – für einen in Berlin Aufgewachsenen deutlich anders aus als für einen in Madrid, Beijing oder Kapstadt Sozialisierten. Zahlreiche Probleme der interkulturellen Kommunikation lassen sich auf unkontrollierte, d. h. von den Interaktanten nicht reflektierte kulturspezifische Stereotype zurückführen (vgl. etwa Kotthoff 1993; Günthner 1994; Busch 2007). Sie führen vor allem dann zu Missverständnissen, Unmut und ggf. Konflikten, wenn grundlegende Annahmen über die Erwartbarkeit von (un)angemessenen Verhaltensregeln voneinander abweichen. Die Untersuchung von Stereotypen gestaltet sich – so wie jede Wissensanalyse – insofern schwierig, als dass Wissen nie direkt, sondern immer nur mittelbar auf symptomatischer Ebene beobachtbar ist. Methodologisch finden sich in der Stereotypenforschung im Wesentlichen drei Ansätze: 1. Mit Hilfe von Befragungstechniken (Fragebogen, Interviews) kann der Wissensstand erfragt werden, entweder auf einer Metaebene (‚was glauben die Befragten zu wissen‘) oder indirekt in Form von sachbezogenen Wissensfra-

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 Friedemann Vogel und Jia Wenjian

gen. Die Beiträge von Caja Thimm und Chen Zheng in diesem Band beruhen teilweise auf dieser Methode. Befragungstechniken kämpfen in der Regel mit verschiedenen Herausforderungen, die vor allem aus der Interaktion zwischen Fragenden und Befragten heraus entstehen. Selbsteinschätzungen von Probanden können mangels Reflexionsfähigkeit falsch oder unvollständig sein oder  – noch problematischer  – der Befragte kann sich so äußern, wie er glaubt, dass er aus Höflichkeit, Eitelkeit oder allgemeiner Akzeptanz antworten sollte (Soziale Erwünschtheit, vgl. Edwards 1957). 2. Ethnographische Studien versuchen häufig, von beobachtbaren Verhaltensmustern auf zugrundeliegende stereotypisierte Wissensrahmen rückzuschließen. Beobachtungsstudien erlauben, Selbsteinschätzungen von Befragten zu eigenem Wissen und Verhalten mit deren tatsächlichem Verhalten in der Praxis zu kontrastieren. Bei ihrer Umsetzung – zum Beispiel in Form teilnehmender Beobachtung – stellen sich jedoch ähnliche Schwierigkeiten wie in Befragungssituationen infolge der körperlichen oder technisch vermittelten (Kameras, Mikrofone usw.) Kopräsenz des Analysierenden (vgl. exemplarisch Spranz-Fogasy und Deppermann 2001). 3. Qualitative, (philologisch-)hermeneutische Ansätze versuchen ebenso von äußerlich wahrnehmbaren Zeichen auf zugrundeliegendes Wissen zu schließen, bedienen sich jedoch vor allem medialen Repräsentationen von sozialer Interaktion, d. h. schriftlichen Äußerungen in Texten, Fotographien, Comics, ggf. Filmmaterial. Die theoretischen Fundierungen und praktische Operationalisierung dieses Grundansatzes, der auch den meisten hier versammelten Beiträgen zugrunde liegt, differieren teilweise erheblich. Zu den etablierten und häufigsten Ansätzen zählen die Inhaltsanalyse (vgl. insb. Früh 2011; Mayring 2010; Merten 1995; Krippendorff 2009), die soziologische Wissensanalyse (Keller 2008), die linguistische Diskursanalyse (Felder 2006; Warnke 2007; Warnke und Spitzmüller 2008; Vogel 2009) und die kritische Diskursanalyse (Jäger 2004; Fairclough und Wodak 1997). Eher jüngeren Datums sind computergestützte, respektive korpuslinguistische Ansätze, die qualitativ-hermeneutische Methoden um eine (semi-)automatische Auswertung von großen Massendaten (große Textkorpora) und unter Einsatz von computerlinguistischer Software ergänzen (etwa Baker 2006; Bubenhofer 2008; Vogel 2012 u. a.).



Das Bild Chinas im deutschsprachigen Raum 

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3 Ein kurzer Forschungsüberblick2 Die bisherige Forschung zum Bild Chinas in Medien des deutschsprachigen Raums3 ist sehr heterogen, in sehr unterschiedlichen Disziplinen verortet und basiert auf Grundlage verschiedener Methoden4. Neben wenigen umfassenden Untersuchungen (Richter et al. 2010; Bieber 2011; Bürger et al. 2014; Huawei 2014) finden wir eine Vielzahl an Fokusstudien, die im Mosaik betrachtet relativ klare Konturen zeichnen. Im Folgenden versuchen wir die aktuelle, d. h. die auf das China der zweiten Hälfte5 des 20. Jahrhunderts sowie der 2000er-Jahre6 bezogene Literatur kurz auf ihre gemeinsame Essenz hin zusammenzufassen. Während die frühe Berichterstattung als eher marginal gelten kann, nimmt sie zu China in den deutschsprachigen Printmedien seit den 80er Jahren generell kontinuierlich zu (mitverantwortlich hierfür ist wohl auch der Zusammenbruch der ehemaligen Sowjetunion, vgl. Stone und Xiao 2007). Das Gleiche gilt für die Vielfalt der berücksichtigten Themen, wobei sich der Großteil der Nachrichten bis heute auf die Domänen Politik (v. a. Außenpolitik) und Wirtschaft (v. a. Wirtschaftsboom, Wachstumsraten, Expansion) verteilt. Kulturelle und gesellschaftliche Themen finden dagegen im Verhältnis bis heute weniger oder kaum Beachtung (vgl. Wilke und Achatzi 2011; Willnat und Luo 2011; Bieber 2011; Bürger et al. 2014; Huawei 2014).

2 Für Unterstützung bei der Recherche danken wir Martin Jank und Kai Zwettler. 3 Zur medialen Repräsentation Chinas in anderen Ländern und Kulturen vgl. Assmann et al. 2008; mit Blick auf ‚den Westen‘: Spence 1998; Mackerras 1999; Zhang 2010 bzw. spezieller die USA: Akhavan-Majid und Ramaprasad 2000; Stone und Xiao 2007; Wu 2010. Zum Bild Deutschlands in chinesischen Medien vgl. Tang 1993; Huawei 2014. 4 Inhalts- und Diskursanalyse: Wilke und Achatzi 2011; Bürger et al. 2014; Huawei 2014; Willnat und Luo 2011; Poerner 2009; Richter et al. 2010; Peuckmann 2010; Trampedach 1999; Bieber 2011; Befragungen und Experteninterviews: Bürger et al. 2014; Gerhard und Zubayr 2008; Huawei 2014; Langer 2003; Peuckmann 2010; Historische Aktenanalyse und literaturwissenschaftliche Untersuchungen: Gollwitzer 1962; Franke 1962. 5 Zum Image Chinas während der Weimarer Republik vgl. Mende 1975, zum Image bei den Nationalsozialisten vgl. Leutner 1986; zur Steuerung der Nachrichten über China (und Japan) im dritten Reich vgl. Hübner 2012. 6 Zum Bild Chinas in der Vergangenheit: Umfassend: Franke 1962; Leutner 1986; Liu 2001; Zur habituellen Stigmatisierung von Chinesen als gelbe Schlitzaugen und hinterhältige Lügner vgl. Leutner 1986. China in der deutschen Literatur der Aufklärungszeit (vgl. Schuster 1977, 1988; Berger 1990) und im frühen 20. Jhr. (Harth 1995); zur Wahrnehmung des Konfuzianismus vgl. Lee 2003. Methodisch nicht unproblematisch, aber inspirierend auch die Arbeit von Dawson 1967. Zu den Spuren von China-Stereotypen in der deutschen Sprache früher und heute vgl. Sons 1996; zum Schlagwort der „gelben Gefahr“ (Gollwitzer 1962).

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 Friedemann Vogel und Jia Wenjian

In der Literatur finden sich zwei Hauptthesen oder Beschreibungsfiguren zur bewertenden Perspektive der Medien auf China: Zum einen wird regelmäßig eine Ambivalenz zwischen ablehnender und bewundernder Haltung konstatiert (z. B. bei Hilsmann 1998), die eine Tradition bis in Zeiten des Mittelalters zeige (Pigulla 2003). Vor allem das wirtschaftliche Erstarken Chinas wird sowohl als Potential zur Erweiterung der eigenen Wirtschaftsinteressen gesehen als auch (zugleich) als zu fürchtende Konkurrenz. Zum anderen wird insgesamt eine tendenziell pejorative Perspektive medialer China-Berichterstattung beschrieben und kritisiert, „Bedrohungsszenarien […] [seien] weit verbreitet“ (Huawei 2014, S. 14). Paradigmatisch hierfür steht das Konzept der gelben Gefahr (Leutner 1990) – auch als ein zentrales Schlagwort und Sprachstereotyp der Kolonialzeit (Gollwitzer 1962; Sons 1996) –, das in verschiedenen Variationen bis heute fortdauert. In diesem Sinne gilt China als Gegenmodell, unabhängig von jeglichem politischen Wandlungsprozess. Deutschland und China werden einerseits als Systemkonkurrenten, andererseits als strategische Partner dargestellt. (Huawei 2014) Gegenstand allgemeiner Kritik sind meist wiederkehrende Themen, vor allem der sog. „Tibetkonflikt“ (dessen mediale Bearbeitung auch einen negativen Schatten auf die Olympischen Spiele 2008 in China warf), chinesische Aufrüstung, mangelnde Menschenrechte, fehlende Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit, ein verheerender Umgang mit der Umwelt, Produkt- und Ideenpiraterie sowie eine allgemeine schlechte Produktqualität. (vgl. Trampedach 1993; Becker 2011; Gerhard und Zubayr 2008, S. 501; Huawei 2014) Doch auch die überwiegend kritische Berichterstattung zeige zwei Seiten, wie Zhou (2010, S. 232) exemplarisch zeigt: während die „Glas-Halbleer-Perspektive“ allein auf ‚fortdauernde Probleme‘ fokussiere, konstatiere die „Glas-HalbvollPerspektive“ auch Fortschritte bei der Beseitigung von gesellschaftlichen Problemen. Wilke und Achatzi (2011) sehen gar eine Tendenz zunehmend positiver Berichterstattung in den letzten Jahren7. Die Berichterstattung über China ist oftmals durch medienspezifische Arbeitslogiken beeinflusst. So seien etwa im Fall der Tibet-Berichterstattung nachweislich falsche Informationen von Agenturen übernommen und ungeprüft weiterverbreitet worden (vgl. Becker, 2011; zu einem optimistischeren Schluss bezüglich der Rolle von Agenturen generell kommen Bieber 2011, S. 77; Richter et al. 2010). Am Beispiel der Berichterstattung im Jahre 2008 zeigt Bieber (2011,

7 Auch scheint es – in der Verarbeitung der Berichterstattung – altersbedingte Unterschiede zu geben. China-Vorurteile und Ablehnung seien bei Gymnasiasten etwa eher selten, Antipathie gebe es lediglich zum Kommunismus (vgl. Langer 2003).



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S. 88) ferner eine starke regionale Fokussierung, Krisenzentrierung, Elitenzentrierung und mangelnde Hintergrund-Einbettung (Vernachlässigung von Ereigniskontexten). Nachrichten würden von sehr wenigen Korrespondenten vor Ort geleistet (Bürger et al. 2014), was die Themen- und Perspektivenvarianz insgesamt stark einschränke und zu einem monolithischen, eurozentrischen ChinaBild beitrage (Richter et al. 2010).8 Auch wenn die Regionalexpertise der Korrespondenten durchaus tragfähig sei, bleibe das letztlich medial präsentierte Bild infolge redaktioneller Aushandlungsprozesse eintönig. (ebd.)9 Ein Großteil der Studien sieht in der Aufbereitung Chinas in deutschsprachigen Medien daher eine überwiegend vorurteilsreproduzierende und kaum differenzierende Berichterstattung. Richter et al. konstatieren in ihrer Analyse von insg. 8766 Artikeln im Jahr 2008, „dass etwas mehr als die Hälfte dieser Beiträge sich lediglich in allegorischer und stereotypisierender Form auf China bezieht. Das bedeutet, dass in einer Vielzahl von Medienbeiträgen der Bezug Chinas zur jeweils postulierten Thematik nicht näher beleuchtet wird, sondern bestimmte offensichtlich gesellschaftlich inhärente Vorstellungen und Klischees über das Land unreflektiert kolportiert werden. Dabei prägen normativ abwertende Bilder von China bspw. als ‚Unterstützer von Schurkenstaaten‘, als ‚Klimasünder‘, als ‚Billigproduzent‘ oder als Land mit unbändigem ‚Rohstoffhunger‘ den Diskurs, obwohl insbesondere im Wirtschaftsbereich auch scheinbar positiv besetzte Bilder vom ‚attraktiven Wachstumsmarkt‘ und ‚interessanten Produktionsstandort‘ vorkommen. Insgesamt lässt sich hier aber von einer fortlaufenden Verbreitung existierender Stereotypen durch die Medien sprechen, die sich eher an gesellschaftlich verankerten Symbolen und Floskeln orientieren, statt ihre eigentliche Aufgabe des Hinterfragens dieser Bilder wahrzunehmen.“ (Richter et al. 2010, S. 10)

Zu einem ähnlichen Schluss kommt auch Poerner (2009c), den konkreten Ereignissen vor Ort seien die Medienartikel nicht gerecht geworden. Auch wenn die Schematisierung im Laufe der Olympischen Spiele 2008 nachgelassen habe, bleibt die Berichterstattung überwiegend ablehnend. (Peuckmann 2010; vgl. auch – eher kommentierend denn empirisch: Digel 2008) „[Trotz] der diagnostizierten quantitativen Diversität der Themenfelder herrscht eine auf Konflikte und Gewalt fokussierende Kernagenda in der ChinaBerichterstattung vor.“ (Richter et al. 2010, S. 11)

8 Vgl. auch Frahne 1989 mit einer Fallanalyse zur Berichterstattung des Peking-Korrespondenten Herbert Kremp in den 70er und 80er Jahren; zu einer Kritik an deutschen „China-Experten“ vgl. Näth 1995. 9 Die Bedeutung des interkulturellen Kontaktes für die Entwicklung von Medien zeigt auch Hetze (1989) (exemplarisch für das Bild Chinas).

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Vor diesem Hintergrund verwundert es kaum, dass sich die Vorurteilsbildung und -reproduktion bis in die Knigge- bzw. Ratgeberliteratur findet (Poerner 2009a, 2009b), was mittel- und langfristig natürlich fatale Folgen für die interkulturelle Kommunikation haben kann. Welchen Beitrag WissenschaftlerInnen gegen die Tendenz zur klischeehaften Medialisierung Chinas beitragen können, ist weiterhin offen (vgl. dazu Trampedach 1999). Die Länderimageforschung in China selbst blickt auf Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zurück. Seit Anfang des 21. Jahrhunderts steigt die Aufmerksamkeit für dieses Forschungsfeld deutlich an. Zahlreiche Artikel, Sammelbände und Monographien sind erschienen, deren Forschungsergebnisse sich zwei Hauptrichtungen zuordnen lassen. Auf der Makroebene liegt der Fokus auf Konzeptionen und Strategien zur kommunikativen Konstruktion des Länderimages. Auf der Mikroebene handelt es sich meistens um empirische Forschungsarbeiten über China-Images in den Massenmedien außerhalb Chinas (Liu et al. 2016, S. 18–23). Die Monografie Das China-Bild in der internationalen Kommunikation: Tatsachen und Maßnahmen (Liu / He 2006) und der Sammelband China im Spiegelbild: Das China-Bild in den meinungsführenden Medien der Welt (Liu / He 2007) sind zwei repräsentative Forschungsarbeiten chinesischer Kulturwissenschaft. Die bisherigen Forschungsarbeiten über das China-Bild in Deutschland liegen vor allem in der Form wissenschaftlicher Zeitschriftenartikel vor. Eine Recherche anhand der Schlagwörter China-Bild + Deutschland sowie China-Bild + Deutsch bei der Datenbank China Academic Journal Network Publishing Database am 31. Juli 2016 zeigt diesbezüglich 32 Aufsätze, die im Zeitraum von 2001 bis 2016 veröffentlicht wurden und deren Autoren mehrheitlich dem Fachkreis der Germanistik zuzurechnen sind. Diese Journalartikel lassen sich inhaltlich in drei Gruppen einteilen. In der ersten Gruppe wird die Medienwirklichkeit des China-Bildes untersucht. Forschungsgegenstände sind chinabezogene Berichterstattungen in den Zeitungen und Zeitschriften Spiegel, Zeit, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Welt, Süddeutsche Zeitung, Bild usw. (Mei 2008, Jia 2008, Wang 2009a, Shen 2009, Wang u. a. 2010, Zhou 2010, Zhou / Wang 2011, Gao / Jin 2012, Cai 2014). Von der Lühe (2007) und Zheng / Song (2013) haben das China-Bild in deutschsprachigen Dokumentarfilmen analysiert. Wang (2009b) hat deutschsprachige Reiseführer über China-Reisen behandelt. In der zweiten Gruppe wird das China-Bild in deutschsprachigen literarischen Werken erforscht, wobei die deutschsprachige Literatur des Mittelalters (Tan 2014a), des 17. Jahrhunderts (Huang 2009) sowie des Impressionismus (Li 2012; Zhao / Zhang 2013; Tan 2014b) in Betracht gezogen worden sind. Xie (2012)



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hat sich mit der Verbreitung der neuen chinesischen Literatur in Deutschland und deren Einfluss auf die Entstehung des China-Bildes beschäftigt. Drittens finden sich Studien über Kommunikationsstrategien zur effektiven Gestaltung des China-Images, wobei Deutsche als Zielgruppe anvisiert werden. Wang / Long / Jiang (2012) haben die Wahrnehmung und Akzeptanz der kulturellen Soft Power Chinas in Deutschland quantitativ untersucht. Chen (2013) hat sich mit der Rezeptionspsyche der Deutschen in der interkulturellen Kommunikation auseinandergesetzt und entsprechende Kommunikationsstrategien vorgeschlagen. Wu (2015) hat Methoden bei der Übersetzung chinesischsprachiger Nachrichten ins Deutsche zusammengefasst. Über die obigen Fachaufsätze hinaus sind zwei Forschungsarbeiten zu würdigen. Zhou (2012) hat chinabezogene Berichterstattungen in „Der Spiegel“ (2000–2010) und „Die Zeit“ (2000–2010) erforscht. Diese von der Beijing Foreign Studies University ausgezeichnete Dissertation ist insbesondere durch ihre solide Datenbasis und reichhaltigen Erkenntnisse gekennzeichnet. Wang (2016) hat eine Kombination von quantitativen und qualitativen Methoden angewendet und das China-Bild in der deutschen Gesellschaft von verschiedenen Blickwinkeln betrachtet.

4 Stereotype in der interkulturellen Kommunikation zwischen Deutschen und Chinesen: Chancen und Herausforderungen Das nach wie vor überwiegend klischeehafte Bild, das über China und Chinesen in deutschsprachigen Medien gezeichnet wird, sagt weniger über China und Chinesen als vielmehr über die deutsche Mehrheitskultur in Vergangenheit und Gegenwart aus. Wolfgang Franke schrieb bereits 1962 über die deutsche bzw. mitteleuropäische Wahrnehmung ‚der Chinesen‘: „Im ganzen gesehen war im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Abendlande die Bereitschaft zum Verständnis Chinas noch erheblich geringer als in China die Bereitschaft zum Verständnis des Westens. Gestützt auf die durch bessere Kanonen gewährleistete Vorherrschaft des Weißen Mannes in allen Ländern der Erde, sah dieser in der Regel keine Veranlassung zu einer ernsthaften Beschäftigung mit den lediglich als Objekte kolonialer Ausbeutung gewerteten Völkern Asiens.“ (Franke 1962, S. 120) „Die hochmütige und überlegene Haltung des Abendlandes gegenüber China weicht seit dem letzten Jahrzehnt [= 50er/60er Jahre] mehr und mehr einer weitgehend durch Furcht und Haß charakterisierten Einstellung. Das Klischee vom kommunistischen, und daher

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grundsätzlich bösen und verwerflichen ‚Rot-China‘ beherrscht größtenteils die Vorstellung.“ (Franke 1962, S. 124)

Herablassung und Antikommunismus in dieser gravierenden Form sind heute eher die Ausnahme. Es bleibt aber – nicht nur gegenüber China, sondern auch gegenüber anderen Kulturen – eine eurozentrische Grundtendenz, die die interkulturelle Kommunikation zwischen den Kulturen vor große Herausforderungen stellt. Die schematisierende Presse ist nicht notwendigerweise mit dem Denken der RezipientInnen gleichzusetzen; darauf weisen verschiedene Befragungsstudien (Huawei 2014; Bürger et al. 2014) sowie auch etwa einige Beiträge (z. B. mit Blick auf kulturell-kulinarische Fragen) in diesem Band hin. Gleichwohl bildet die Medienberichterstattung eine öffentliche Folie für die zwischenmenschliche Interaktion nicht nur im privaten Feld, sondern noch stärker auf dem Feld der Wirtschafts- und Politikbeziehungen. Unternehmen und Politiker orientieren sich in zweifacher Hinsicht an medialen Bildern: Zum einen indirekt und passiv als Quelle für Informationen über das jeweils ihnen fremde Gegenüber, zum anderen als zu kalkulierender (ver-)öffentlich(t)er Raum für die aktive Gestaltung der individuellen, gegenüber der eigenen Peergroup zu rechtfertigende Handlungsinteressen. Das Aufbrechen interkultureller Vorurteile und damit die Vermeidung von Missverständnissen bzw. Konflikten sowie der Aufbau eines gegenseitigen Grundvertrauens ist eine mühsame, kräftezehrende Aufgabe. Sie beginnt mit der Reflexion eigener, ungeklärter Vorannahmen über „das Andere“ und mit der Bereitschaft zur Differenzierung. Differenzierung bedeutet vor allem auch das Anerkennen von Widersprüchen, d. h. der Gleichzeitigkeit sich scheinbar gegenseitig ausschließender Attribute. Erst damit entsteht eine neue Grundlage für gegenseitiges Verständnis. Ein solcher kognitiver Prozess, wie er hier nur sehr grobschlächtig skizziert ist, lässt sich jedoch nur durch konkreten Austausch anstoßen. Der direkte, im Idealfall aufgabenbezogene Kontakt zwischen Interaktanten unterschiedlicher Kulturen ermöglicht den Aufbau eines interkulturellen Raumes und den Aufbau gemeinsamer Wissensrahmen. Ein solcher Austausch kann – wie jeder innerkulturelle Kontakt auch  – scheitern, wenn er einseitig koordiniert oder (gar auch noch offensichtlich) strategisch instrumentalisiert wird. Um die interkulturelle Kommunikation zwischen Chinesen und Mitteleuropäern vor allem auch mit Blick auf die mediale Berichterstattung zu verbessern, möchten wir die folgenden Vorschläge zur Diskussion stellen: 1. Einrichtung einer deutsch-chinesischen Journalistenschule: Ein wichtiger Faktor für die Qualität aktueller China-Berichterstattung ist die Qualität



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interkultureller, journalistischer Ausbildung sowie der Mangel an Chinakundigen Auslandskorrespondenten. Ein gemeinsamer institutioneller Raum für den Austausch deutscher und chinesischer JournalistInnen könnte hierzu Abhilfe leisten. Um etwaige Vorverurteilungen gegenüber dem Projekt zu vermeiden, sollten die chinesischen TeilnehmerInnen von einem deutschen Auswahlkomitee, die deutschen TeilnehmerInnen wiederum von einem chinesischen Auswahlkomitee bestimmt werden. 2. Einrichtung oder Ausbau eines chinesisch-deutschen Ko-Stipendienprogramms für JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und UnternehmerInnen, bei dem jeweils immer zwei TeilnehmerInnen der beteiligten Länder die Gelegenheit haben, vor allem in weniger berücksichtigten Teilen des jeweiligen Landes Studien und Recherchen nachzugehen. 3. Nicht zuletzt wären bestehende Programme für internationale, v. a. auch deutsch-chinesische Sommerschulen an Universitäten und Schüleraustausch-Projekte systematisch auszubauen.

5 Die Beiträge des Bandes Der vorliegende Band dokumentiert sowohl qualitative als auch computergestützte Untersuchungen zum zeitgenössischen Bild Chinas in den deutschsprachigen Medien. Die Beiträge werden in vier Abschnitten sortiert. Der erste Teil stellt zunächst die Ergebnisse zweier aktueller Überblicksanalysen vor, die auf Basis eines multiperspektivischen Ansatzes unter Berücksichtigung von Textanalyse und Befragung sowie auf Basis korpuslinguistischer Auswertung von medialen Massendaten die Produktions- und Rezeptionsmuster medialer China-Images herausarbeiten. Im Mittelpunkt des Beitrages von Caja Thimm stehen diejenigen Bilder und Stereotype über China, die in der deutschen Öffentlichkeit in ausgewählten Medien kommuniziert werden und die von Chinakennern auf ihrem persönlichen Erfahrungshintergrund kommentiert werden. Mit Hilfe von zwei methodischen Verfahren wird so das Image, das China in Deutschland zugeschrieben wird, überprüft. Dabei wird zunächst die mediale Repräsentation anhand einer umfangreichen Medienanalyse basierend auf deutschen Leitmedien untersucht, um dann im zweiten Schritt eine spezifische Zielgruppe (Chinaexperten) in einer Einzelbefragung im Hinblick auf ihre Wahrnehmung und Einstellung zu China zu überprüfen. Die erste Phase der inhaltsanalytischen Medienanalyse ergibt eine vielfältige und breit gefächerte Themenselektion und verdeutlicht den Wandel der Einstellung zu China. Die Berichterstattung ist vor allem dort problemorien-

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tiert, wo grundlegende Wertunterschiede zwischen Deutschland und China zum Tragen kommen. Die Expertinnen und Experten ihrerseits sehen aufgrund ihrer Erfahrung die Berichterstattung eher kritisch, zeigen aber auch politische Probleme Chinas auf. Friedemann Vogel stellt den Ansatz sowie Ergebnisse einer kontrastiven linguistischen Imageanalyse vor, die auf Basis von 238.595 Texten (d. h. 155,43 Mio. Token) aus 15 verschiedenen deutschsprachigen Print- und Onlinemedien (CDIKorpus) sowie mit Einsatz computerlinguistischer Verfahren wiederkehrende Sprachstereotype zu China und Chinesen beschreibt. Die Überblicksanalyse zeigt, welche Sachverhalte, Akteure, Objekte, Ereignisse, Haltungen und anderes typischerweise mit China in Verbindung gebracht werden und die Ambivalenz zwischen Stigmatisierung und Bewunderung (insb. hinsichtlich wirtschaftlichem Aufstieg). Ebenso dem Paradigma der linguistischen Imageanalyse folgen die ersten beiden Beiträge des zweiten Teils dieses Bandes. In ihren Fokusstudien widmen sich Li Jing und Elisa Lang  – ebenso mit Rückgriff auf das CDI-Korpus  – der medialen Schematisierung von Wirtschaft und Bildung Chinas. Gerade in diesen beiden Domänen wird deutlich der selektive, eurozentrische Zugriff der Medienakteure sichtbar, mit anderen Worten: Solange deutsche Unternehmer in China günstig produzieren und Geld verdienen können, dominiert die Euphorie über Wirtschaftswachstum und billige Arbeitskräfte. Führt das Erstarken chinesischer Wirtschaft aber zu mehr Export und unternehmerischen Initiativen auf dem europäischen Markt, dann handelt es sich um ›drohende Invasion der gelben Gefahr‹. Ähnliches findet sich auch in der Berichterstattung um Chinas Erziehungs- und (Aus-)Bildungsstil, der überwiegend als ›autoritär und inhuman‹ gerahmt, zugleich aber  – aus der Distanz  – mit Bewunderung für die Leistungsfähigkeit chinesischer (Wunder-)Kinder verbunden wird. Korpuslinguistisch gehen auch Marcus Müller und Maria Becker der medialen Zubereitung des ›kulinarischen Chinas‹ nach. Anhand von Pressetexten, welche die chinesische Küche bzw. die Begegnung von Chinesen mit der deutschen Küche thematisieren, werden sprachliche Mittel der Herstellung von Identität und Alterität herausgearbeitet. Im Fokus stehen dabei Formen und Funktionen von Metaphern und Metonymien als Basisverfahren der sprachlichen Bewältigung des Anderen. Dabei zeigt sich, dass metaphorische Prozesse eher in lokalen Verdichtungen von Annährung oder Abgrenzung wirken, während metonymische Verfahren semantische Figuren konstituieren, die den Diskurs sehr tiefgehend zu strukturieren scheinen. Den korpuslinguistisch operationalisierenden Analysen schließen sich im dritten Teil Fallstudien an, die auf qualitative Inhalts- und Diskursanalysen zurückgreifen.



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Zhao Jin geht der Wechselwirkung der Medienberichterstattung zu SinoAfrika-Beziehungen nach. Die sino-afrikanischen Beziehungen spielen in der chinesischen Außenpolitik eine gewichtige Rolle: Ein Zeichen dafür ist, dass der chinesische Staatspräsident Xi Jinping kurz nach seinem Amtsantritt seine erste Auslandsreise nach Afrika unternahm. Allerdings wird die chinesische Afrikapolitik von den deutschen Medien anders interpretiert, als es sich China selbst vorstellt. Der Beitrag analysiert die deutschen und die chinesischen Medienberichte anlässlich des Staatsbesuches von Xi Jinping in Afrika vom 22. bis zum 30. März 2013 hinsichtlich des immanenten (neo)kolonialistischen Diskurses, um zu diskutieren, was für ein deutsches Chinabild es gibt, wie das Selbstbild und das Fremdbild zueinander in Wechselwirkung stehen und welche historischen Hintergründe zu einem solchen Bild geführt haben können. Zhou Haixia untersucht das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien Die Zeit und Der Spiegel im Zeitraum von 2000 bis 2010 auf Basis einer kritischen Diskursanalyse. Die Ergebnisse zeigen, dass das Bild der Überseechinesen im Großen und Ganzen eher einen negativen Tenor hat und als Gruppe wird in ihnen oft überwiegend ein Sicherheitsrisiko gesehen. In den Berichterstattungen werden immer wieder kriminelle Taten von Überseechinesen bzw. in den Siedlungsgebieten der Überseechinesen thematisiert, wie illegale Einwanderung und Schwarzarbeit sowie die sogenannte chinesische Mafia als kriminelle Organisation usw. Die einzige Ausnahme bildet die Gruppe der im Ausland studierenden chinesischen Studenten (fleißige „kluge Köpfe“). Die bilateralen Beziehungen zwischen China und Deutschland wurden in Folge der Ereignisse in und rund um Tibet in den vergangenen Jahren wiederholt auf die Probe gestellt. Su Fu diskutiert in ihrer Studie, welchen Anteil die mediale Berichterstattung am Selbst- und Fremdbild Chinas im Hinblick auf die TibetProblematik hat und untersucht hierfür die digitale Enzyklopädie „Brockhaus multimedial“ aus Deutschland und „Zhongguo Dabeike Quanshu“ (Chinesische Enzyklopädie). Liang Shanshan widmet sich in ihrem Beitrag der Dynamik von Stereotypen. Stereotype seien einerseits stabil, jedoch änderten und entwickelten sie sich andererseits genau wie andere soziale Phänomene, nur vergleichsweise langsam. Um diese Dynamik von Stereotypen zu untersuchen, analysiert sie Werbeanzeigen des chinesischen Nachrichtenmagazins „Lifeweek“ und die in diesen Anzeigen enthaltenen Deutschland-Stereotype, die im Laufe der Zeit entstanden und wieder verschwunden sind. Li Yuan und Ye Xiangmei untersuchen die Konstruktion des medial konstituierten Nationenbildes Chinas am Beispiel der Berichterstattung über den Nationalen Volkskongress (NVK) und mit Blick auf die Zeitschrift Der Spiegel von

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2003 bis 2013. Theoretisch und methodisch zugrunde liegt eine Rahmenanalyse (Frameanalyse), die mit einer kritischen Diskursanalyse (CDA) kombiniert wird. Im vierten Teil des Bandes werden schließlich drei Studien zum Bild Chinas in visuellen und audiovisuellen Medien dokumentiert. Friedemann Vogel und Maximilian Haberer gehen mittels einer multimodalen Imageanalyse der Schematisierung Chinas in deutschsprachiger Werbung nach. Zu diesem Zweck werten sie rund 220 Werbemittel unterschiedlicher Formate aus (Plakate, Produktverpackungen, TV-Spots, Radiobeiträge). Im Fokus stehen zum einen die formseitigen Muster (z. B. die Farben gelb und rot; Mao-Symbole; Abbildung von Stäbchen; Luftwirbel-Sounds), die von den Werbenden zur „Komponierung“ chinesischer Stereotype herangezogen werden, zum anderen die semantischen Attributfelder, die mittels dieser Formmuster konstituiert und zum Zwecke der Werbung auf das Produkt übertragen werden (z. B. Exotik, traditionelle Gesundheitsmedizin usw.). Im Ergebnis zeigen sich vier wiederkehrende China-Bilder deutschsprachiger Werbung, nämlich das ›traditionelle China‹, das ›moderne China‹, das ›fremd-exotische China‹ und das ›kulinarische China‹. Monika Lehner untersucht graphisches Erzählen über China in Comics und Graphic Novels. Diese kreieren ein breites Spektrum von China-Bildern zwischen dokumentarischem Anspruch und exotischer Skurrilität. Sie verstärken dadurch jeweils dominierende China-Bilder zwischen Exotik und ‚Gelber Gefahr‘, zwischen Verniedlichung und Dämonisierung und nutzen dabei alle Genres graphischen Erzählens. Wenngleich es im Wandel der Zeit unterschiedliche Interpretationen gibt, so bleiben die zur Markierung von China und Chinesischem verwendeten Symbole und Marker weitgehend unverändert. Für den mit der Geschichte Chinas Vertrauten ergibt sich so eine zusätzliche Ebene, die dem breiten Publikum verborgen bleibt. Die deutschsprachigen Comics und Graphic Novels sind überwiegend Übersetzungen, die mit mehr oder weniger großem zeitlichem Abstand zur Erstveröffentlichung erschienen sind, sodass die darin transportierten Chinabilder mit dem aktuell dominierenden Bild nicht immer übereinstimmen. Chen Zheng schließlich widmet sich in einer interkulturellen Analyse der kommunikativen Wirkung chinesischer Image-Filme. Zu diesem Zweck wurde einer deutschen und einer chinesischen Zielgruppe ein (staatlicher) chinesischer Image-Film vorgeführt und im Anschluss narrative Interviews durchgeführt. Auf Grundlage des Feedbacks erfolgte ein interkultureller Vergleich. Das Feedback wird in erster Linie inhaltlich analysiert und zeigt, dass der nationale Charakter, die kulturellen Standards usw. von Chinesen und Deutschen an verschiedenen Stellen bestehen bleiben. Der Autor äußert die Hoffnung, dass aus dem Feedback, welches auf jeweils unterschiedlicher deutscher und chinesischer Perspektive beruht, konstruktive Anregungen für die Verbreitung chinesischer Image-Filme



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und die interkulturelle Kommunikation mit dem (westlichen) Ausland entwickelt werden könnten. Im Anhang finden sich chinesische Zusammenfassungen zu allen Beiträgen in diesem Band; für die umsichtige Übersetzung danken wir Tang Meng (Beijing).

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Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Überblicksanalysen

Caja Thimm

China im Spiegel der Printmedien – Zwischen Verdammung und Überhöhung? Medieninhalte und Expertenperspektiven zur Berichterstattung in Deutschland

1 Einleitung Nicht nur in Deutschland hat das Interesse an China in den letzten Jahren rasant zugenommen – auch aus globaler Perspektive weckt das riesige Reich mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern vielfältige mediale Aufmerksamkeit. Dabei ist die Haltung China gegenüber höchst polarisiert  – während in manchen Ländern China Hoffnungen weckt, schürt es durch seine wirtschaftliche und politische Expansion anderen Ortes Befürchtungen und Ängste. So zeigt eine Studie des renommierten amerikanischen PEW-Instituts, wie stark sich China entweder kritischer oder positiver Wertung in der ganzen Welt ausgesetzt sieht (PEW 2013). Dabei verdeutlicht diese Studie zum „Global Attitudes Project“ einen hoch interessanten Befund. Für einige Länder auf dem südamerikanischen und dem afrikanischen Kontinent ist China Hoffnungsträger, ganz anders dagegen in Europa und den USA – hier ist das Image ausgesprochen ambivalent. Weder traut man den Chinesen in Bezug auf ihre Verlässlichkeit, noch sieht man sie als fairen Partner. Vielmehr herrscht Misstrauen und Sorge vor der als unkalkulierbar empfundenen Supermacht. Diese Einblicke geben wichtige Hinweise auf Einstellungen, Erwartungen und Hoffnungen in Bezug auf andere Länder, diese wiederum können als starke Treiber politischer Prozesse gelten (Kleinstäuber 1991, Wilke 1989). Ausgehend von dieser Annahme erweist sich dann auch die Frage nach der medialen Präsenz Chinas in den deutschen Medien als nicht nur wissenschaftlich-theoretisch interessante Fragestellung, sondern auch als politisch höchst relevant. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Forschung zur Berichterstattung über China Anmerkung: Ich danke der „Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP)“ für die Unterstützung dieses Forschungsprojektes. Thimm, Caja, Prof. Dr., Professorin für Medienwissenschaft und Intermedialität, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Deutschland DOI 10.1515/9783110544268-002

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in deutschen Medien recht spärlich ist. Richter et al. stellen fest, dass „der Forschungsstand zum China-Bild in deutschen Medien noch recht unterentwickelt” (Richter und Gebauer al. 2010, 26) sei. Bisherige Studien beschäftigen sich vornehmlich mit der Betrachtung zeitlich eng umrissener Ereignisse. Dies ist etwa die Rückgabe Hongkongs an China, die Trampedach anhand einer Analyse exemplarischer Texte erforscht hat (Trampedach 2000). Ein Großteil der Analysen sind allerdings „methodisch wenig ausgereift […]“ und reflektieren über das Chinabild „eher anhand einiger kursorisch ausgewählter Beispiele“ (Richter et al. 2010, 27). Einige Jahre nach der umfangreichen Studie der Heinrich Böll-Stiftung steigt aber das Interesse in Wirtschaft und Gesellschaft am Verhältnis Deutschland/ China, zu nennen sind hier bspw. die Umfrage „Das Asienbild deutscher Eliten“ der Körber Stiftung oder die Huawei Studie „Deutschland und China  – Wahrnehmung und Realität“. Dieses Interesse reflektiert die gewachsene Bedeutung Chinas für Deutschland. Allerdings stellt sich umso deutlicher die Frage, wie dieses Verhältnis im öffentlichen Diskurs gestaltet wird. Diese Ausgangsbeobachtungen sind handlungsleitend für die hier dargestellten Studien. Im Mittelpunkt stehen diejenigen Bilder und Stereotype über China, die in der deutschen Öffentlichkeit in ausgewählten Medien kommuniziert werden und die von Chinakennern auf ihrem persönlichen Erfahrungshintergrund kommentiert werden. Die Kombination dieser beiden Perspektiven verdeutlicht, wie komplex sich Erwartungen und Einstellungen gestalten (zur Gesamtstudie s. Thimm/Bürger/Kuhn 2014).

2 Inhaltsanalyse deutscher Printmedien: Themen und Wertungen Für die vorliegende Untersuchung der Chinaberichterstattung in Deutschland wurden Artikel des Jahres 2012 (01.01.  – 31.12.2012) der reichweitenstarken, meinungsbildenden Tageszeitungen und Wochenblätter ausgewählt. Zu den untersuchten Tageszeitungen zählen die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.), die tageszeitung (taz), Süddeutsche Zeitung (SZ) und Die Welt. Als Wochenblätter wurden DER SPIEGEL, FOCUS, Die ZEIT und der STERN ausgewählt. Für die Inhaltsanalyse wurden in diesen Zeitungen/Magazinen insgesamt 5.279 Artikel erfasst. Identifiziert wurden diese, indem in verschiedenen Datenbanken die (digitalen) Zeitungen im Volltext nach den trunkierten Wörtern China oder chinesisch durchsucht wurden. Artikel, die diesen Kriterien entsprachen, wurden anschließend in eine Datenbank aufgenommen und zunächst nach ihrer Bezug-



China im Spiegel der Printmedien – Zwischen Verdammung und Überhöhung? 

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nahme im Hinblick auf die Relevanz codiert. So wurden Artikel ausgeschlossen, die China nur peripher erwähnten. Kern der Auswertung ist eine Inhaltsanalyse nach thematischer Schwerpunktsetzung in den Artikeln sowie ein fünfstufiges Schema der Bewertungsdimensionen innerhalb der Artikel, das zwischen den Polen –2 (klar negativ), –1 (abgeschwächt negativ), 0 (neutral), +1 (abgeschwächt positiv) und +2 (klar positiv) differenziert. Die Intercoder-Reliabilität war mit .86 sehr zufriedenstellend. Diese Form der Analyse erlaubt nicht nur eine Codierung des gesamten Artikels, sondern auch die getrennte Betrachtung von Themen, Akteuren und Bewertungsdimensionen. Um in den Datensatz aufgenommen zu werden, mussten die zu codierenden Artikel einen starken Bezug zu China aufweisen. Somit wurden ausschließlich die Artikel vollständig codiert, die China als tatsächliches Schwerpunktthema behandelten. Ausgeschlossen wurden Artikel, in denen der Referenz auf China keine weitere inhaltliche Vertiefung folgte, wie z. B. in Aufzählungen oder einer Nebensequenz. Von den 5.279 zu Beginn erfassten Artikeln entsprachen insgesamt 1.125 diesem Kriterium, sodass auch nur diese für die vertiefende Analyse verwendet wurden.

2.1 Themendistribution Von den untersuchten Zeitungen berichten insgesamt F.A.Z.1, SZ, Welt und taz am häufigsten über Themen mit dem Schwerpunkt China. Allein aufgrund ihres täglichen Erscheinens liegt der Anteil der China-Berichterstattung in den Tageszeitungen naturgemäß wesentlich höher als bei den wöchentlich erscheinenden untersuchten Medien. Im Vergleich zur Analyse von Richter und Gebauer (2012) lässt sich feststellen, dass die Anzahl der Artikel, die einen starken Bezug zu China aufweisen, in vielen Sachgebieten weit unter dem Prozentsatz von 2008 liegt – es lässt sich also auf den ersten Blick eher eine geringere Berichterstattung im Jahresvergleich konstatieren:

1 Aus forschungsökonomischen Gründen wurde bei der F.A.Z. auf eine systematische Stichprobenziehung zurückgegriffen, denn für das gesamte Jahr wurden allein für die F.A.Z. insgesamt 5.067 Artikel mit Bezug zu China festgestellt. Für den Zeitraum Oktober bis Dezember 2012 wurden alle Artikel der F.A.Z. vollständig codiert. Um die Struktur der Beiträge abzubilden, wurden mittels der Systematik einer künstlichen Woche 131 Artikel ausgewählt und codiert. Bei den übrigen untersuchten Medien wurde jeweils eine Vollerhebung durchgeführt.

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Tab. 1: Beiträge mit starkem und mit schwachem Bezug zu China (Einfachzuweisung)

In Bezug auf die Sachgebiete findet sich eine klare Ausrichtung: Wirtschaft & Finanzen dominieren. Aber auch das Sachgebiet Kultur & Gesellschaft ist stark vertreten. Der Anteil der Artikel, die sich im Schwerpunkt mit einem kulturellen Thema beschäftigen, ist mit 24,7 Prozent, gemessen an der Gesamtzahl aller Beiträge, beachtlich. Deutlich wird bei der genaueren Betrachtung der kommunizierten Inhalte, dass sich im Bereich Wirtschaft häufiger Bedrohungsszenarien in Bezug auf China als Konkurrent finden, während kulturelle Themen eher positiv konnotiert sind. So macht die Solarindustrie „für ihre Misere vor allem die chinesische Konkurrenz verantwortlich“2. Nach der Solarindustrie wird nun auch die Windenergiebranche als bedroht diskutiert: „Billig-Konkurrenz aus China wird stärker: Droht bald ein Absturz wie in der Solarindustrie?“3 Der Bereich Innenpolitik ist ebenfalls von hoher Relevanz. Hier werden häufig westliche Vorstellungen von Demokratie als Vergleichsfläche herangezogen und Krisenszenarien geschildert. So wird in der SZ kritisch über die Zensur und das chinesische Mediensystem berichtet: „Der Kampf gegen die Korruption ist mit diesem System nicht zu gewinnen. Dazu bräuchte es unabhängige Medien und eine unabhängige Justiz. Also nicht weniger als eine neue KP.“4 Mit 162 Artikeln ist das Gebiet Internationales das am drittstärksten im Untersuchungszeitraum vertretene. SZ (40,1 %), taz (23,5 %), Welt und F.A.Z. berichten

2 „Sonnenfinsternis“, Der SPIEGEL, 20.08.2012. 3 „Angriff auf die Windbranche“, Die Welt, 25.04.2012. 4 „Pekings gierige Kader“, SZ, 27.10.2012.



China im Spiegel der Printmedien – Zwischen Verdammung und Überhöhung? 

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aus diesem Themenkomplex am ausführlichsten. Einige wenige Schwerpunkte dominieren dieses Themengebiet. Zum einen der Inselstreit zwischen China und Japan, zum anderen die bilateralen Beziehungen zwischen China und anderen Nationen. Das Sachgebiet Soziales stellt insgesamt 123 Beiträge mit einem starken Bezug (10,9 % aller Artikel). Zentrale Themen sind die Arbeitsbedingungen, Demonstrationen und die Ein-Kind-Politik. Besonders die taz mit insgesamt 36 Artikeln sowie die SZ mit 25 Artikeln widmen sich diesem Thema. Geht es um soziale Aspekte, so erhält vorrangig der Themenkomplex der Arbeitsbedingungen in chinesischen Firmen Beachtung: so war das Thema Foxconn im Beitrag „Neues iPhone, alter Mensch“,5 extreme Arbeitszeiten von bis zu „61 Stunden pro Woche“6, die sozialen Folgen der Arbeit in einem Massenbetrieb, wie „seelische Vereinsamung und Überforderung“,7 Selbstmorde und Massenschlägereien,8 aber auch Kinderarbeit, zum Beispiel bei Samsung, jeweils Thema der Artikel.9 Betont werden aber auch die Versuche der Zivilgesellschaft, Einfluss auf die Regierung zu nehmen, wie bei Baumaßnahmen10 oder Umweltverschmutzung11. Man sieht eine Chance, dass Proteste gegen die unterschiedlichen Bauvorhaben „landesweit Schule machen“12. Der Aufstand auf dem Platz des himmlischen Friedens,13 der Hausarrest14 und die anschließende Ausreise des blinden chinesischen Dissidenten Chen Guangcheng tragen weiter zum Bild von inneren politischen Missständen bei. Einen weiteren Themenkomplex bilden Beiträge rund um die chinesische Familienpolitik. Hierbei werden sowohl die gesellschaftlichen Probleme der Ein-Kind-Politik15 als auch die einer alternden Gesellschaft16 sowie erzwungene Massenabtreibungen17 als negative Kehrseite eines „asiatischen Wirtschaftsbooms“ beschrieben. Die Verstärkung der sozialen Kluft, Wohnungsnot18 und die zu wenig beobachteten Bedürfnisse einer aufstrebenden chinesi-

5 „Neues iPhone, alter Mensch“, taz, 25.09.2012 6 „61 Wochenstunden am Produktionsband“, taz, 31.03.2012. 7 „Verzweifelter Arbeiter“, SZ, 12.01.2012. 8 „Massenschlägerei legt Fabrik lahm“, taz, 25.09.2012. 9 „Kinderarbeit bei Samsung?“, Der SPIEGEL, 30.09.2012. 10 „Volksmassen stürmen Regierungssitz“, taz, 30.07.2012. 11 „Chinesen kippen KP-Beschluss“, taz, 30.07.2012. 12 „Chinas Weg zur Zivilgesellschaft“, taz, 30.07.2012. 13 „Maos blutige Ernte“, Die ZEIT, 19.04.2012. 14 „Ich bin nicht frei“, Der SPIEGEL, 07.05.2012. 15 „Viele Kaiser, wenige Frauen“, taz, 07.07.2012. 16 „Die Einsamkeit der vielen“, Die ZEIT, 08.11.2012. 17 „Der mörderische Makel Frau“, Die ZEIT, 15.03.2012. 18 „Gestrandet in Hongkong“, Die Welt, 03.09.2012.

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schen Mittelschicht bilden einen weiteren Themenbereich in der Berichterstattung. Das Sachgebiet zu Kultur & Gesellschaft liegt mit insgesamt 108 Beiträgen in Bezug auf die Anzahl der Artikel nur knapp hinter dem Gebiet Soziales mit insgesamt 123 Beiträgen. taz (27,8 %), ZEIT (19,4 %) und SZ (30,6 %) veröffentlichten dazu im Untersuchungszeitraum die meisten Artikel. Hier finden sich nicht nur positive Bewertungen chinesischer Künstler, allen voran Ai Weiwei, sondern auch Abschnitte, die sich kritisch mit dem deutschen Chinabild beschäftigen. So in einem Beitrag der taz, der mit der erhöhten Sichtbarkeit chinesischer Kultur die Hoffnung verbindet, dass diese auch in Deutschland eine breitere Rezeption erführe, denn sie sei „bis heute meist auf ein paar Stereotypen reduziert“19. Erstaunlicherweise macht der Bereich Umwelt & Gesundheit nur einen geringen Anteil von 1,6 Prozent der gesamten Berichterstattung mit starkem Bezug aus. Themenschwerpunkte sind Luftverschmutzung, Agrarwirtschaft und Lebensmittel sowie Tierschutz. Berichtet wird beispielsweise über übermäßigen Einsatz von Pestiziden durch chinesische Landwirte20 oder den Import billiger, aber verdorbener Erdbeeren21. Nur wenige Beiträge dagegen thematisieren Tibet: Wurden 200822 noch insgesamt 384 Artikel identifiziert, die sich mit diesem Thema beschäftigen, so schrumpft dieser Anteil in unseren Daten auf gerade einmal 23 Artikel. Insgesamt spielt das Thema Tibet in den Medien in dem ausgewählten Zeitraum eine eher untergeordnete Rolle. Die Themenanalyse verdeutlicht einerseits eine klare Schwerpunktsetzung, andererseits jedoch eine breite Themenpalette. Die inhaltlichen Gewichtungen zeigen dabei eine Präferenz gegenüber kritisch zu beurteilenden Themen auf. Um aber wirklich beurteilen zu können, ob der gerne geäußerte Vorwurf einer einseitigen oder besonders negativen Berichterstattung wirklich zutrifft, wurde mittels des aufwändigen 5-poligen Bewertungsschemas ausgewertet.

2.2 Bewertungsmuster in den Artikeln Bei der genaueren Analyse der Inhalte im Hinblick auf die kommunizierten Bewertungen fällt auf, dass die am häufigsten vergebene Wertung null, also neutral ist:

19 „Besuch im Jahr des Drachen“, taz, 12.05.2012. 20 „Groß gespritzt“, SZ, 08.12.2012. 21 „Brechobst made in China“, taz, 10.10.2012. 22 Richter und Gebauer (2008).



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Abb. 2: Gesamt Wertung bei Artikeln mit starkem China-Bezug

Fast dreiviertel aller Artikel wurden während der Auswertung als neutral gewichtet. Im negativ/kritischen Bereich, also entweder mit -1 oder -2 bewertet, wurden insgesamt nicht ganz 25 Prozent. Dagegen war jedoch die Anzahl der Artikel, die mit einer klar positiven Wertung versehen waren, deutlich geringer. Denn als 1 (positiv) oder 2 (sehr positiv) wurden lediglich 9 Prozent eingestuft. Betrachtet man die Wertungen genauer, so verschiebt sich das Bild jedoch. Je mehr Artikel zu einem Thema vorhanden sind, desto differenzierter fällt die Bewertung letztlich aus. Zu beobachten ist dies in der Kategorie Innenpolitik: Von knapp 230 Artikeln zu diesem Themenblock sind zusammen 78 Artikel mit -1 oder -2 bewertet, 145 neutral und nur sechs im Bereich zwischen 1 und 2. Eine Ausnahme stellt Wirtschaft & Finanzen dar. Obwohl es die Kategorie mit den meisten Artikeln ist, überwiegt die Anzahl neutraler bis positiv wertender Artikel: Von 330 Artikeln fallen 81 Prozent unter die Wertung neutral, elf Prozent in den negativen und sieben Prozent in den positiven Bereich. Es wird an dieser Kategorie deutlich, wie positiv die wirtschaftliche Entwicklung Chinas im Jahr 2012 eingeschätzt wurde. Einige Themenkomplexe, die aus westlicher Sicht weniger kritisch gesehen werden (wie Kunst & Architektur, Reisen & Tourismus und Sport) sind fast ausschließlich neutral bis positiv formuliert. Auch Bildung, Wissenschaft & Technik tendiert eher zu positiven Wertungen und würdigt Chinas Errungenschaften in diesen Sektoren. Gesellschaftspolitisch eher kritisch rezipierte Themen wie Soziales, Militär, Rüstung &Verteidigung und Tibet hingegen befinden sich im Bereich neutral bis negativ. Umwelt & Gesundheit steht ebenfalls häufig in der Kritik. Vergleicht man die Bewertungen der untersuchten Themenkomplexe, dann genießen vor allem Themen aus dem Bereich Wirtschaft & Finanzen einen eher neutral bis positiven Tenor.

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 Caja Thimm

Das Sachgebiet Kultur & Gesellschaft rangiert weit oben in der Statistik, sowohl in Bezug auf die Artikelmenge als auch auf die Bewertungsstrukturen. Mit insgesamt 108 Beiträgen liegt es nur knapp hinter dem Gebiet Soziales. Die Themenkomplexe in diesem Sachgebiet sind vielfältig und reichen von der Internetzensur durch die Regierung über den Literaturnobelpreis und die Frankfurter Buchmesse bis hin zu Film,- Musik- und Konzertrezensionen. Einen zusammenfassenden Überblick über die Wertung der Sachgebiete gibt die nachstehende Tabelle: Tab. 3: Bewertung der Sachgebiete

Es wird schon allein an der Menge der Artikel ersichtlich, dass das Thema China längst einen festen Platz in der deutschen Medienberichterstattung innehat. Allem voran ist der Themenkomplex rund um die wirtschaftliche Bedeutung Chinas in den untersuchten Medien führend, aber auch die Beziehungen zu anderen Staaten und das politische Personal werden von den Medien aufmerksam beobachtet und kommentiert. Andererseits werden langfristig existente Themen wie der Tibetkonflikt aus den Zeitungen verdrängt und erfahren weniger Aufmerksamkeit. Waren die Olympischen Spiele 2008 noch ein Anlass für die Berichterstattung über soziale Unruhen und Zensur, so spielen diese Themen nun eine deutlich geringere Rolle. Allerdings rückten soziale Themen innerhalb der letzten Jahre auch immer wieder aufgrund von Berichten über die Arbeitsbe-



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dingungen in chinesischen Unternehmen in den Fokus der Berichterstattung; die Ein-Kind-Politik, die Feinstaubbelastung und Themen zum Umgang mit älteren Generationen oder Wohnungsnot erweitern diesen Themenkomplex. Zwar wird die China-Berichterstattung natürlicherweise von besonderen Ereignissen wie dem Parteitag, dem Skandal um Bo Xilai oder dem Inselstreit mit Japan bestimmt, trotzdem lässt sich im breiten Themenspektrum eine hohe Kontinuität feststellen. Dies ist nicht zuletzt einigen versierten Journalisten geschuldet, die für ihre jeweiligen Zeitungen  – zwar mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen  – doch mit einem insgesamt sehr breit gestreuten Themenspektrum die Neugierde der Leserschaft an China bedienen. Die hier untersuchten Medien vermitteln ein facettenreiches China-Bild, das aktuelle wirtschaftliche und politische Themen in den Fokus rückt, andererseits aber auch den nötigen Raum für eine durchaus kritische Berichterstattung zu Themenkomplexen erlaubt, die von hoher gesellschaftlicher und kultureller Relevanz sind und die Rolle und Bedeutung Chinas als einen bedeutsamen Spieler in der internationalen Gemeinschaft reflektieren (s. auch Thimm und Witsch 2015). Um in einem zweiten Schritt eine ergänzende Perspektive einzubinden, die weniger auf die medial vermittelten Bilder in der allgemeinen deutschen Öffentlichkeit fokussiert, sondern Experten und Expertinnen zu Wort kommen lässt, die ihrerseits diese Berichterstattung einschätzen sollten, wurde eine zweite Studie durchgeführt.

3 Die Berichterstattung aus Expertensicht In der nachstehend vorgestellten Untersuchung wurden deutsche China-Expertinnen und Experten um ihre Einschätzungen zum (Medien)Bild Chinas gebeten. Diese Experten stammten aus den Bereichen Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kultur. Die Identifizierung der Expertengruppe richtete sich nach unterschiedlichen Vorgaben. Ein wichtiges Kriterium war eine berufliche Befassung mit dem Thema China. So befinden sich im Experten-Pool zahlreiche China-Referenten, Korrespondentinnen und Korrespondenten, Übersetzer oder Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Institutionen, die sich mit China-Themen beschäftigen. Auch Politiker, Wirtschaftsvertreter und vereinzelt Vertreterinnen und Vertreter anderer Berufsgruppen (z. B. Medizin, Filmproduktion, Pädagogik), die sich zwar nicht zwangsläufig hauptberuflich mit den Thema China beschäftigen, aber dennoch oft genug mit dem Land und seinen Bewohnern in Kontakt kommen, um zu einer gewissen Expertise zu gelangen, nahmen an den Interviews teil. Insgesamt konnten 26 weibliche und 56 männliche Experten für die Befragung rek-

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 Caja Thimm

rutiert werden. Die meisten Teilnehmer befinden sich in der Altersgruppe 31–50 Jahre (47%). Die Zugehörigkeit zu den vier Gruppen war relativ gleichmäßig verteilt: 26 Experten ordneten sich der Interessen-/Beschäftigungsgruppe Politik zu, 27 der Gruppe Wirtschaft. Den Gruppen Kultur und Wissenschaft ordneten sich jeweils 25 Experten zu.

3.1 Assoziationen zu China Besonders aufschlussreich war eine Frage direkt zu Beginn der Interviews, in der die Befragten aufgefordert wurden, spontan Begriffe zu nennen, die ihnen zum Thema ‚China’ einfielen. Dabei zeigte sich, dass China in vielerlei Hinsicht positiv assoziiert wird. So dominierten Begriffe, wie „Kultur“, „Wirtschaft“, „Gastfreundschaft“, „Kunst“ und „Vielfalt“, als absoluter Spitzenreiter wurde allerdings „leckeres Essen“ genannt. Auch bekannte chinesische Symbole oder Personen, wie die „Chinesische Mauer“, „Schriftzeichen“, „Shanghai“, „Peking“, „Konfuzius“, „Mao Zedong“, „Ai Weiwei“ oder allgemein „Kommunismus“ bzw. „Sozialismus“ wurden häufig genannt. Allerdings haben auch negativ konnotierte Begriffe in den Nennungen einen großen Anteil. Hier wurden besonders oft „Umweltverschmutzung“, Chinas „Tibet-Politik“, „Menschenrechtsverletzungen“, „Tiananmen-Massaker“, „Kulturrevolution“, „Korruption“, „autoritäres Regime“ und „Diebstahl geistigen Eigentums“ genannt. An der Verteilung dieser Assoziationen lässt sich gut ablesen, dass China bei den Befragten ein starkes und positives Image hat, was kulturelle Errungenschaften oder Chinas landschaftliche und ethnische Vielfalt angeht. Die negativen Assoziationen setzten sich aus vielen bereits bekannten Bildern zu China zusammen. Dabei dominierten die Ablehnung von Chinas politischem System, sowie die Kritik an den Folgen des ungebremsten Wirtschaftswachstums, die einerseits in einer zerstörten Umwelt, andererseits aber auch in wenig Respekt vor Marken/Patenten bzw. geistigem Eigentum resultieren. Befragt nach den Medien, die die Expertinnen und Experten hauptsächlich nutzen, zeigte sich, dass die Befragten am häufigsten den SPIEGEL (Print und online) (37 Nennungen) lesen, um sich über China zu informieren. Weiterhin wurden die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z.) (29 Nennungen), DIE ZEIT und die Süddeutsche Zeitung (je 21 Nennungen) als Informationsquellen genannt.



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3.2 Rolle der Medien aus Expertensicht Insgesamt wird die Rolle der Medien in Bezug auf das Chinabild in Deutschland als sehr hoch bewertet. In allen vier Gruppen stimmte jeweils die Mehrzahl der Experten und Expertinnen der Aussage „Die Medienberichte beeinflussen unsere Einstellung“ zu. Die größte Zustimmung kam dabei aus den Gruppen der Politiker mit 96% bzw. der Gruppe der Wissenschaftler mit 91,7% Zustimmung. Der Aussage „Die deutschen Medien berichten vielseitig, sodass man sich seine eigene Meinung [in Bezug auf China] bilden kann“ konnten die Befragten nur teilweise bzw. überhaupt nicht zustimmen. Am wenigsten Zustimmung kam hier aus der Gruppe der Politiker, in welcher 40% mit „trifft eher nicht zu“ bzw. „trifft gar nicht zu“ antworteten. Im Gegenzug waren sich die Teilnehmer in allen Gruppen mehrheitlich einig, dass in den Medien besser und ausführlicher über China berichtet werden müsse. Tab. 3: Einschätzung der Wichtigkeit der Medien für das Chinabild durch die Experten Einschätzung

Politik

Wirtschaft

Kultur

Wissenschaft

trifft vollständig zu

48,0%

55,6%

58,3%

62,5%

trifft zu

36,0%

33,3%

29,2%

16,7%

trifft mehr oder weniger zu

16,0%

11,1%

8,3%

16,7%

trifft eher nicht zu

0%

0%

0%

0%

trifft gar nicht zu

0%

0%

4,2%

4,2%

Die Experten äußerten sich in vielen Fällen sogar ausgesprochen kritisch gegenüber der deutschen Berichterstattung zu China. Diese Kritik kam auch in den freien Aussagen explizit zum Ausdruck: „Die Vielseitigkeit in China wird kaum in Deutschland wahrgenommen. Über Themen, wie Wanderarbeiter wird nur schlecht berichtet, nicht differenziert […] Sowas wollen die Deutschen nicht hören, weil die sowieso schon ihre Meinung darüber gebildet haben.“ (Experte Nr. 9)

Auch die konfliktorientierte Kernagenda der Medien wurde an vielen Stellen kritisiert: „Die meisten Touristen sind begeistert von China und kommen in der Regel wieder, aber in den Medien sieht das anders aus, man wartet immer darauf, dass was schief geht. Immer

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wenn was Schlimmes passiert, lese ich aus den Zeitungen so eine gewisse Häme heraus, „Wir haben ja gesagt, dass das nicht gut gehen kann“. Das ist aber kein chinaspezifisches Problem, das ist ein medienspezifisches Problem.“ (Experte Nr. 22)

Besonders wurde dabei von einigen Befragten auf die Häufung von Stereotypen in der Berichterstattung hingewiesen. „Die deutschen Journalisten, die ich in China kenne, die beklagen sich, dass wenn sie positive Geschichten schreiben, es viel schwerer ist. Allgemein ist es so, dass wir schlechte Nachrichten stärker wahrnehmen, als die guten Nachrichten und die Erfolgsstories.“ (Experte Nr. 1)

Kritisiert wird auch die mangelnde Vielfalt in der Berichterstattung: „Die Deutschen tun sich grundsätzlich sehr schwer, was die Berichterstattung über große Länder angeht. China ist mehr als Peking und Shanghai. Vielfalt entgeht der Medienberichterstattung komplett. Stereotypen überwiegen. In China werden unter schlechten Bedingungen Waren hergestellt, die Machthaber interessieren sich nicht für ihr Volk usw. Die ganze positive Dynamik der Menschen, die dort sind, auf allen Ebenen, wird völlig ausgeblendet. Das wird nicht verstanden, das will man auch nicht verstehen, weil es dem Stereotyp nicht entspricht. Der ganze Fortschritt, der sich in den letzten 30 Jahren entwickelt hat, findet sich in den deutschen Medien kaum wieder.“ (Experte Nr. 22)

Neben den persönlichen Interviews wurden auch teilstandardisierte Fragebogenstudien mit den Experten durchgeführt. Die Ergebnisse aus diesen Fragebögen unterstützen diese ambivalente Sichtweise der Experten. Der Aussage „Berichtet wird mit einem neutralen Blick auf das Land“ konnten nur insgesamt zwei Teilnehmer (= weniger als 3%) aller Befragten zustimmen. Über die Hälfte der Befragten antwortete mit „Trifft gar nicht zu“ bzw. „Trifft eher nicht zu“. Der Kontrollaussage „Berichtet wird mit einem westlichen Blick auf das Land“ stimmten dann über zwei Drittel aller Befragten zu, die meisten aus den Bereichen Politik und Wirtschaft. Auch die Frage, ob Medienberichte in China als korrekt recherchiert anzusehen sind, wurde von nur zwei Teilnehmern bejaht. Bei der Beantwortung dieser Frage zeichnete sich allerdings kein klarer Trend ab. Ein knappes Drittel (n=26) beantwortete die Frage mit der Aussage „trifft mehr oder weniger zu“, 21 Befragte antworteten mit „trifft gar nicht zu“. Die Gründe für die Unzulänglichkeit der China-Berichterstattung wurden unterschiedlich eingeschätzt. Ein Befragter sieht das Problem in einer zu geringen Korrespondentenverteilung vor Ort: „In China arbeiten weniger als 15 akkreditierte Journalisten/zeitweise weniger als 10. Alleine in New York sind derzeit über 70 Journalisten für deutsche Medien tätig. Unser China-Medien-Bild wird aus zu wenigen Quellen gespeist.“ (Experte Nr. 12)



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Ein anderer Experte sieht das Problem einerseits in der zu geringen Relevanz, die dem Thema China beigemessen wird, andererseits aber auch in der wenig informativen Berichterstattung der Printmedien: „Ich glaube, Zeitungsleser sagen sich mittlerweile, diesen Kram, den ich aus der Zeitung kriege, den brauch ich eigentlich nicht, das bestätigt mein Bild, wenn ich mehr will, gehe ich sowieso ins Internet. […] China ist eben auch für die meisten Deutschen gar kein Thema, das ist ein Riesending weit weg. Wenn man sich schon kaum über Italien und Frankreich informieren kann, wieso sollte man sich dann über China informieren?“ (Experte Nr. 22)

Im Vergleich zu deutschen Medien heben einige Experten außerdem hervor, in welchen Bereichen internationale Fachmedien Vorteile hätten: „Englischsprachige Medien sind detaillierter, spezialisierter als deutsche, berichten zeitnaher und ausführlicher zur Menschenrechtssituation oder spezifischen Problemen in China. Englische Fachmedien haben keine deutschen Pendants, wenn es um Themen wie Menschenrechte, soziale Entwicklung und Reformen des Rechtssystems geht; US-Medien berichten wahrscheinlich ähnlich wie deutsche“. (Experte Nr. 39)

Häufig wird eine verengte Perspektive kritisiert: „Die deutschen Medien berichten einseitig, sie haben eine sehr begrenzte Auswahl an Themen. China ist groß und hat viele relevante Ereignisse und Trends zu verzeichnen, […] von denen der Großteil nicht berücksichtigt wird. Man hat den Eindruck, dass nur eine negative China-Berichterstattung eine gute China-Berichterstattung ist. Ich hab manchmal den Eindruck, dass größere internationale Medien eine breitere Fächerung an Themen bieten.“ (Experte Nr. 50)

Das eher negative Bild Chinas in der deutschen Presse wird von den Befragten einerseits mit Chinas gestiegenem Einfluss und andererseits mit der allgemeinen Mentalität der Deutschen erklärt: „Es hat auch mit der Politik zu tun. Früher war China noch ein Land, das sich positiv gezeigt hat, es war einfach noch nicht so mächtig. Heute wird China als übermächtig angesehen und deshalb wird es anders bewertet und kritischer beäugt. Die Menschenrechtsverletzungen waren früher vielleicht viel schlimmer als sie es heute sind. […] China wird heute negativer betrachtet, als in den letzten 30 Jahren. Früher hat man den Chinesen allgemein einen Bonus entgegengebracht, z. B. „Die arbeiten hart“, „Die sind fleißig“ usw. Heute ist das quasi umgekehrt, heute heißt das, „Die nehmen unsere Arbeitsplätze weg“, „Die klauen unsere Technologie“, es sind überwiegend negative Stereotype. Wenn ich mit chinesischen Kadern spreche, sind die total entsetzt, wie negativ über China in Deutschland berichtet wird.“ (Experte Nr. 1)

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 Caja Thimm

Allerdings gab es auch einige Experten, die grundsätzlich mit der China-Berichterstattung zufrieden waren: „Das aus den deutschen Medien zu entnehmende Bild Chinas ist in der Regel differenziert, hoch seriös recherchiert und beruht auf sehr guten Kenntnissen der Korrespondenten (Sprache, Kultur) vor Ort. Ein Medienbashing ist nicht angebracht.“ (Experte Nr. 25)

Ähnlich auch andere Stimmen: „Eigentlich sind die deutschen Medien nicht so schlecht. Die deutschen Medien haben natürlich auch immer den Auftrag, ihre Produkte zu verkaufen, die müssen gewisse Stereotype bedienen. Und das führt dazu, dass sie Dinge des Alltages oder Dinge, die im deutschchinesischen Verhältnis eigentlich wichtig wären, ausblenden. Zum Teil liegt das in der Natur der Medien, nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten. […] Der Alltag und das, was in China abläuft, bleiben außen vor. Das kann man den deutschen Medien aber wirklich nur zu einem geringen Teil vorwerfen, das ist einfach in der Logik von Medien verwurzelt.“ (Experte Nr. 23).

Besonders auch einzelne Journalisten werden in Schutz genommen: „Aber: das Niveau ist hoch bei deutschen China-Korrespondenten, der Großteil berichtet sehr differenziert mit hohem Standard. Fehler in der Berichterstattung kommen häufig eher aus den Redaktionen“ (Experte Nr. 39)

Um China besser einschätzen zu können, betont eine Vielzahl von Experten die Wichtigkeit von Erfahrungen aus erster Hand: „Die Diskrepanz zwischen dem, was in Deutschland bekannt ist und dem was in China passiert, ist extrem groß. Meiner Erfahrung nach ändert ein China-Aufenthalt, auch wenn er nur von kurzer Dauer ist, die Perspektive um 180 Grad. Den meisten Leuten fehlt der direkte Kontakt. Und wenn der direkte Kontakt da ist, dann ist die Offenheit viel größer, die Leute sind wesentlich positiver und wesentlich unvoreingenommener.“ (Experte Nr. 50)

Die Mehrzahl der Experten betonte allerdings, dass es allgemein schwierig sei, China auf Grund seiner Vielfalt und Größe richtig einzuschätzen. Dies sei selbst für Ausländer, die dort schon einige Zeit gelebt haben, schwierig. „Man sollte ein stärkeres Bewusstsein dafür entwickeln, dass man China nur in Teilaspekten begreifen kann, niemals als Ganzes. Dafür ist das Land zu groß und zu differenziert. Man sollte Berichte mehr in Relationen setzen und ein Gefühl dafür vermitteln, dass es sich bei dem Land nicht um einen festen Monolithen, sondern um eine Vielzahl völlig unterschiedlicher Provinzen handelt, die ihre spezifischen Eigenheiten haben. Zentrale Vorschriften werden auf lokaler Ebene den Umständen entsprechend interpretiert und umgesetzt. Zum Guten und zum Schlechten. Dieses Gefühl der Komplexität lässt es erst zu, dass



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man Informationen in den richtigen Kontext setzen kann und nicht ein Land mit der Größe eines Kontinents auf einzelne Faktoren reduziert.“ (Experte Nr. 44)

Chinas Soft Power Auch die Bedeutung des Faktors Soft Power spielte in den Meinungen der Befragten eine wichtige Rolle. Dabei wurden vor allem Chinas bisher erfolglosen Versuche, das eigene Image zu verbessern, sowie die mangelnde Souveränität bezüglich westlicher Kritik bemängelt: „Auf jeden Fall beklagen sich die Kader aus der KP Westeuropa über deutsche Medien, besonders den Spiegel. Die bemühen sich auch, Einfluss zu nehmen, aber das machen die nicht clever genug. Also das China-Image nehmen die ernst, wenn man den Brandname China verkaufen will und dann vielleicht denkt, nachher werden unsere Produkte negativ vom Markt auf Grund dieses schlechten allgemeinen China-Images behandelt werden, wäre das mittel- und langfristig furchtbar.“ (Experte Nr. 1)

Wichtig war vielen Experten auch, die Berichterstattung in ihrer Rolle zu relativieren und auf die Vergleichbarkeit mit anderen Länderberichten hinzuweisen: „Die Wirkung von westlichen Medienberichten auf westliche Leser/Zuschauer wird in China stark überschätzt und übersensibel reagiert. Die Berichterstattung über Deutschland selbst / die USA etc. ist genauso kritisch.“ (Experte Nr. 19) „Auf der anderen Seite sollten die Chinesen ein bisschen Gelassenheit entwickeln in Bezug auf Themen, mit denen man sich einfach auseinandersetzen muss. Das geht nicht mehr, dass man sagt, das passt uns nicht und deswegen gibt es das nicht. Die Chinesen haben viel getan, sind aber in der Beziehung unglaublich sensibel.“ (Experte Nr. 32)

Politisch gesehen wird China eher ambivalent eingeschätzt. Der Aussage „China ist eine Großmacht“ stimmte die Mehrzahl der Befragten zu. Am meisten Zustimmung kam dabei aus der Gruppe der Wirtschaft. Die geringste Zustimmung aus der Gruppe der Wissenschaftsvertreter. Ein Experte äußerte sich allerdings sehr euphorisch, was Chinas wirtschaftliches Bild in der Welt angeht: „Die Zeiten sind vorbei, wo China Plagiate hervorbrachte und billig produzierte. China wird die wirtschaftliche Supermacht des 21. Jahrhunderts sein. Die Zeit der „Schande“ ist vorbei, die letzten 400 Jahre werden ein kurzes Intermezzo der Schande sein, das Reich der Mitte kehrt zurück in die Mitte“ (Experte Nr. 61)

Ein etwas schwächeres Bild zeigte sich bei der Aussage „China sieht sich als den USA ebenbürtig“. Auch dieser Aussage stimmte jedoch ein Großteil der Experten grundsätzlich zu. Ein Fünftel aller Befragten aus der Wissenschaftsgruppe

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 Caja Thimm

konnte dieser Aussage allerdings nicht zustimmen, auch eine geringe Anzahl von Experten aus der Wirtschaftsgruppe stimmte dieser Aussage nicht zu. In den geschlossenen Fragen des Fragebogens zeigte sich außerdem besonders, wie die chinesische Kultur wahrgenommen wird. So stimmte die Mehrzahl der Befragten der Aussage „Die Chinesen sind stolz auf ihre Jahrtausende alte Kultur“ vollständig zu. Die größte Zustimmung kam hier aus den Gruppen Wirtschaft und Kultur. Am wenigsten Zustimmung kam aus der Gruppe der Wissenschaft. Tab. 4: Experteneinschätzung zum Thema „Chinesen sind stolz auf ihre Tradition“ (n= 67) Politik

Wirtschaft

Kultur

Wissenschaft

trifft vollständig zu

73,1%

81,5%

76,0%

72,0%

trifft zu

11,5%

7,4%

4,0%

4,0%

trifft mehr oder weniger zu

,0%

,0%

,0%

4,0%

trifft eher nicht zu

,0%

,0%

,0%

,0%

trifft gar nicht zu

,0%

,0%

,0%

4,0%

weiß nicht

,0%

,0%

,0%

,0%

Zwar wird der alten Kultur Chinas und deren Stellenwert unter Chinesen durchaus Anerkennung gezollt, dennoch scheint Chinas aktuelle Kulturszene in Deutschland nur wenig bedeutsam zu sein. Der Aussage im Fragebogen „Aus China kommen viele erfolgreiche Künstler“ konnten die meisten Befragten nur teilweise zustimmen. Am wenigsten Zustimmung kam hier aus der Gruppe der Kulturvertreter. Auch die meisten Befragten aus der Gruppe der Wirtschaftsvertreter konnten dieser Aussage kaum bis gar nicht zustimmen, aus dieser Gruppe wurde auch besonders häufig mit „weiß nicht“ geantwortet. Abgleich mit Stereotypen Aufschlussreich war der Abgleich mit bekannten Stereotypen in Bezug auf China. Der Aussage „Habe Sorge um Spionage/Plagiate“ stimmte fast die Hälfte der Teilnehmer ausdrücklich zu. Besondere Zustimmung kam hier, wenig überraschend, von den Experten aus der Gruppe Wirtschaft (n= 14). Weniger Sorge um Spionage/ Plagiate herrschte in den Gruppen der Wissenschaftler und Kulturvertreter. Hier gab jeweils knapp die Hälfte an, überhaupt keine Angst vor Spionage/Plagiaten zu haben.



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Ein noch klareres Bild zeigte sich bei den Themenbereichen von Ökologie und Menschenrechten. Der Aussage „Chinas Wirtschaftswachstum geht auf Kosten der Umwelt“ stimmte die überwiegende Mehrheit der Experten zu. Allerdings antworteten immerhin knapp 8% der Teilnehmer mit „trifft überhaupt nicht zu“. Auch die Aussage „China missachtet Menschenrechte“ wurde vom Großteil der Teilnehmer unterstützt. Auch hier wurde nur einmal mit „trifft eher nicht zu“ geantwortet. Die größte Zustimmung kam aus den Gruppen Politik und Wirtschaft. Zu der Lage der Menschenrechte in China herrschte allerdings auch Uneinigkeit unter den Experten. So wurde auch Deutschlands Rolle in diesem Konflikt kritisiert: „[…] China ist viel mehr als seine Regierung. Vor der Normalbevölkerung habe ich den allergrößten Respekt. Mich nervt der Hype um Liao Yiwu, Ai Weiwei etc. zur allgemeinen Beruhigung des deutschen schlechten Gewissens und die wissen gar nicht, dass sie instrumentalisiert werden!“ (Experte Nr. 35)

Andere haben zu diesem Punkt eine völlig andere Ansicht: „Dieser Bürgerrechtler ist dort geschunden worden, da geht’s den Menschen schlecht, da werden Wirtschaftsbeziehungen gepflegt, obwohl die Menschenrechte nicht eingehalten werden und dann reist Politiker xy da hin und sagt garantiert, ich hab auch die Menschenrechte angesprochen’. Da werden all die Dinge abgeliefert, die der deutsche Zeitungsleser auch haben will.“ (Experte Nr. 22)

So sei die Lage für den Durchschnittschinesen auch entspannter, als es die westlichen Medien darstellten: „[D]a geht man davon aus, es gibt eine Einparteienherrschaft, überall steht die Geheimpolizei, man kann nichts sagen und das Internet ist zensiert. Da vergisst man einfach, dass die Mehrheit der Chinesen genau wie die Mehrheit der Deutschen nur ins Internet schaut um zu wissen, wie sie von A nach B kommt, wenn sie sich neue Kleider kaufen wollen oder wissen wollen wie das Urlaubswetter wird.“

4 Fazit Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen standen verschiedene Ansätze zur Sichtbarmachung von Images, Einstellungen und Stereotypen über China in der deutschen Medienöffentlichkeit und ausgewählten Bevölkerungsgruppen. Dabei wurden medien- und rezeptionsanalytische Ansätze kombiniert, um eine möglichst facettenreiche Perspektive zu den jeweiligen Konzepten zu erhalten. Dieser

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multiperspektivische Ansatz ermöglicht eine größere Vielfältigkeit der Sichtweisen und erlaubt komplexere Interpretationen. So zeigte sich, dass keine einheitliche Sichtweise entsteht, sondern vor allem eines sehr deutlich wird: ein Bild von China im Wandel. Die Medieninhaltsanalyse der untersuchten Zeitungen konnte zeigen, dass die wirtschaftliche Bedeutung Chinas in den untersuchten Medien nach wie vor als Leitthema gelten kann. Allerdings wird auch die internationale Rolle Chinas zunehmend stärker gewichtet: es lässt sich ein breites Themenspektrum und eine hohe Themendichte feststellen. Dabei ist die journalistische Haltung keinesfalls einseitig negativ – vielmehr wird häufig ein ausgewogenes China-Bild vermittelt, das besonders dort kritisch ist, wo sich Missstände nicht nur aus deutscher Sicht kommentieren lassen. Die Experteninterviews der Perzeptionsstudie durch vier Gesellschaftsgruppen (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kultur) bestätigen zum Teil Ergebnisse der Medienanalysen, allerdings sehen die meisten der beteiligten Experten die deutsche Berichterstattung nach wie vor als zu wenig ausdifferenziert an. Auch von den befragten Experten wurde China vor allem als Land mit starkem Wirtschaftswachstum charakterisiert, nur wenige sahen kulturelle oder wissenschaftliche Errungenschaften als relevant an. Besonders kritisch betrachtet wurden Chinas Umgang mit der Umwelt und die Verletzung von Menschenrechten. Auffallend war hierbei, dass Bereiche, in denen die Befragten eigene Erfahrungen mit China gemacht hatten (etwa durch direkten Kontakt mit der Bevölkerung, kulturelle Erfahrungen und Reisen), durchgehend positiver bewertet wurden als Bereiche, in denen Informationen eher aus den Medien bzw. aus Sekundärquellen gewonnen werden (etwa Politik und Menschenrechte). Dies zeigt, dass der direkte persönliche Austausch mit China positive Effekte für das gegenseitige Verständnis haben kann. An der Berichterstattung selbst kritisierten die Experten vor allem, dass diese vorwiegend aus westlicher Perspektive geschrieben sei und die Ausgewogenheit teilweise fehle. So beanstanden viele Experten, dass China stets negativ dargestellt werde und Stereotype in den Beschreibungen dominieren. Auch wenn die Analysen unserer Studien teils kritische Perspektiven auf China ergeben haben, so zeigte sich ebenfalls, dass auch das moderne Gesicht des Landes zunehmend in die deutsche Medienwelt Einzug erhalten hat. Es wird vielfältig und intensiv berichtet − und dabei keineswegs nur über Wirtschaft oder gesellschaftliche Problemfelder. Die Rolle als „verantwortungsvoller Akteur einer neuen politischen Weltordnung“ (Peuckmann 2010:34) ist jedoch für viele noch nicht klar sichtbar. Hier, so scheint es, müssen auch Anlässe für eine entsprechende Berichterstattung gegeben sein.



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5 Literaturverzeichnis Kleinsteuber, Hans. „Stereotype, Images und Vorurteile – Die Bilder in den Köpfen der Menschen“. Die häßlichen Deutschen: Deutschland im Spiegel der westlichen und östlichen Nachbarn. Hg. Günter Trautmann. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Peuckmann, Lukas. „One world – one dream?“. Das Bild Chinas in der OlympiaBerichterstattung. Berlin: Frank & Timme (Internationale und Interkulturelle Kommunikation, 7), 2010. PEW (2013): PEW Research Center: The global attitudes project: Balance of power, http://www. pewglobal.org/2013/07/18/. Richter, Carola und Gebauer, Sebastian. Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2008. Trampedach, Tim. „Das neue ‚Reich des Bösen‘“? Die Volksrepublik China in den deutschen Medien, 1949 und 1999, in: Berliner China-Hefte, Nr. 18. Münster, S. 3–10, 2000. Thimm, Caja, Bürger, Tobias und Kuhn, Phyllis. China im Spiegel der deutschen Gesellschaft: Images, Einstellungen und Erwartungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur. Schriftenreihe der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik, Bonn, 2014. Thimm, Caja und Witsch, Kathrin. China im Spiegel der Printmedien. Wertende Berichterstattung und ihre Perzeption am Beispiel China. Erscheint in: Deutscher Fachjournalisten-Verband (Hrsg). Journalistische Genres“. UVK Verlag, Konstanz, 2015/i. Dr. Wilke, Jürgen. „Imagebildung durch Massenmedien. In: Bundeszentrale für politische Bildung“. Völker und Nationen im Spiegel der Medien. Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung, 1989. 11–22.

Friedemann Vogel

Linguistische Imageanalyse Chinas Theoretisch-methodische Grundlagen und exemplarische Analyse

1 Stereotype, Klischees, Vorurteile im Muster der Sprache Kontrastive linguistische Imageanalysen (grundlegend entwickelt und erprobt bei Vogel 2010a, 2010b, 2012, 2014) schließen an Paradigmen der Foucault-nahen Diskurslinguistik (Warnke 2007), an vorausgehende Ansätze zur Analyse von Sprachstereotypen (Feilke 1989; Dąbrowska 1999; Bourhis und Maass 2005; Pümpel-Mader 2010) und an Methoden der Korpuslinguistik (McEnery und Wilson 1997; Teubert 2006; Teubert und Cermakova 2007; Lüdeling und Kytö 2009) an. Grundlegend ist dabei die Unterscheidung zwischen Stereotypen als real-kognitive Entitäten1 und „Medienimages“. „Öffentliche Medienimages sind Teil global-diskursiver Ereignisse, die sich in Form typischer, d. h. wiederkehrender, ko(n)textsensitiver Sprachmuster manifestieren und damit ausdrucksseitige Vorlagen für spezifische Standardwerte in Frames bzw. Stereotypen bereitstellen.“ (Vogel 2010a, S. 350)

Der Begriff des Medienimages dient allein heuristischen Zwecken und bezieht sich auf transtextuelle, sich auf ein- und denselben Sachverhalt beziehende, sprachliche Muster in Massendaten als Indizien für diskursiv wirksame Denkschemata. Anders formuliert: Wenn vielfältige Medien (Zeitungen, Zeitschriften, Online-Blogs usw.) in ähnlicher, teilweise identischer Form (Formmuster: bedeutungsverwandte Substantive, Adjektive, Adverbien, Mehrworteinheiten usw.) über einen gewissen Zeitraum und hochfrequent über einen Sachverhalt berichten, entwickelt sich über die Einzeltexte hinweg eine mehr oder weniger

1 Siehe hierzu den einleitenden Beitrag von Jia Wenjian und Friedemann Vogel in diesem Band. Vogel, Friedemann, Prof. Dr., Juniorprofessor für Medienlinguistik, Institut für Medienkulturwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland DOI 10.1515/9783110544268-003



Linguistische Imageanalyse Chinas 

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kohärente Struktur von Attributionen und Prädikationen (Eigenschaftszuschreibungen) hinsichtlich eines Referenzobjektes. Diese Struktur oder – im metaphorischen Sinne  – dieses „Bild“ begleitet MedienrezipientInnen kontinuierlich in ihrem Alltag und konstituiert damit eine als „Normalität“ markierte, konventionalisierte und damit auch erwartbare Zeichenumgebung. Images existieren nicht realiter, sondern nur als heuristisches Konstrukt und als Ergebnis einer empirischen Analyse. Kognitiv-real werden sie erst, wenn sie im kontinuierlichen Rezeptionsprozess bestehende Wissensrahmen schematisieren (sedimentieren) oder zur Bildung neuer Stereotype beitragen. Dieser Zusammenhang lässt sich gut am aktuellen Beispiel des deutschen Flüchtlingsdiskurses illustrieren: Die Berichterstattung über die zunehmende Anzahl an Flüchtlingen, MigrantInnen und Asylsuchenden ist in den letzten Jahren (im Grunde seit den 60er-Jahren) kontinuierlich und hochfrequent mit metaphorischen Ausdrücken wie Masse, Andrang, Ansturm, Welle, Flut u. ä. umschrieben worden (vgl. auch Wengeler 2003). Die  – häufig als wertneutrale Berichte markierten – Texte konstituierten damit ein „Bild“, in dem die Akteure (die Flüchtlinge) im sprachlichen Konzeptualisierungsmuster einer ›Gefahr‹ kontextualisiert wurden. Von diesem analytisch gewonnenen Medienimage lässt sich (vor dem Hintergrund des Luhmannschen Paradigmas) die Hypothese formulieren, dass die deutsche Bevölkerung mehrheitlich und tendenziell ein negatives Stereotyp zu Flüchtlingen entwickelt (hat). Um Hypothesen wie die zuvor Genannte aufstellen zu können, bedarf es jedoch der Auswertung von großen Massendaten im Umfang von (hundert-)tausenden Texten bzw. mehrerer Millionen Wortformen (sehr große Textkorpora). Denn im Unterschied zu klassisch-hermeneutischen Einzeltextanalysen kommt es hier weniger auf den einzelnen, gegebenenfalls vom Autor intendiert gewählten, Ausdruck an, sondern auf hochfrequente Belege, die erst in ihrer Gesamtheit zum Stereotype prägenden medialen Hintergrundrauschen beitragen und das als solches in berechenbaren Mustern sichtbar gemacht werden kann. Eine derart gerichtete Analyse lässt sich nicht mehr allein manuell (händisch), sondern nur mithilfe von Sprachdaten verarbeitenden Algorithmen und Software bewältigen. Eine Linguistische Imageanalyse setzt genau hier an, denn sie „abstrahiert weitestgehend von konkreten Akteuren, insb. von Textproduzenten, […] wendet sich damit zugleich auch ab von dem Paradigma der geschlossenen Texteinheit als Basis für Ganztextanalysen und fokussiert vielmehr auf großkorpusbasierte, textübergreifende rekurrente Sprachmuster […] als Indikatoren für mediale Zuschreibungsmuster, die schließlich […] (vorsichtige) Rückschlüsse zulassen auf mögliche implizite Stereotype (bzw. prototypische Wissens-Standardwerte) in der Bevölkerung.“ (Vogel 2010a, S. 352)

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 Friedemann Vogel

Der analytische Arbeitsprozess verläuft dabei grundsätzlich wie folgt: Zunächst erfolgt die Zusammenstellung eines volldigitalisierten Textkorpus sowie  – je nach Gegenstand  – eine weitere Aufbereitung der Daten durch Filterung und Annotation (Auszeichnung der Texte mit Zusatzinformationen wie etwa Wortart und Lemma). Grundlage für die Texterhebung bildet eine sogenannte Minimalhypothese. Unter einer „Minimalhypothese“ ist eine Sammlung von ausgewählten, geprüften und möglichst wertneutralen Ausdrücken zu verstehen, von denen begründet angenommen werden kann, dass sie mit dem Zielkonzept (zumindest auch) assoziiert werden können. Bei der Untersuchung des China-Images bietet es sich etwa an, Landes- und Städtebezeichnungen (China, Beijing oder Peking usw.) zu verwenden. Gegebenenfalls müssen naheliegende, bedeutungsähnliche Ausdrücke mit Hilfe einer Synonymdatenbank ermittelt werden2. Nach der Zusammenstellung des Untersuchungskorpus werden mit Hilfe korpuslinguistischer Tools auf verschiedenen Ausdrucksebenen Ko(n)textmuster zu Ausdrücken der Minimalhypothese ermittelt. Dabei liegt der Fokus auf solchen Kotext-Ausdrücken und grammatischen Merkmalen, die geeignet sind, Prädikationen  – also Zuschreibungen im Sinne von ›X [Untersuchungsobjekt] ‚ist‘ Y [Eigenschaft]‹ – zu realisieren. Hierzu zählen etwa Komposita und BindestrichKomposita (via Bestimmungswort: Ostchinesen; via Grundwort: China-Markt), Adjektiv-Attribute (die fleißigen Chinesen), Genitivattribute (chinesisches Reich der Raubkopie) und Partizipialattribute (kopierendes Volk), aber auch explizite Prädikationssätze (China ist/war ein Volk von strebsamen Ameisen), Appositionen mit als (China als größter Konkurrent) oder auch Zuschreibungen durch Gegenüberstellung mittels adversativer und konzessiver Konnektoren (Umweltverschmutzung, aber China plant die Energiewende).

2 Besonders eignet sich hierfür die frei zugängliche und empirisch fundierte Kookkurrenzdatenbank am Institut für Deutsche Sprache in Mannheim, entwickelt von Cyril Belica (Belica 2008; Keibel und Belica 2007; http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/, 17.02.2016).



Linguistische Imageanalyse Chinas 

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Abb. 1: Sortierte Konkordanzen („KWICs“) in AntConc (Anthony 2012)

Neben der deduktiven Suche nach solchen Zuschreibungsmustern können mit entsprechenden Tools auch induktiv Kotextmuster berechnet werden, wie z. B. alle wiederkehrenden Dreiwort-Einheiten mit dem Bezugsausdruck chines (sog. Cluster).

Abb. 2: Einwort-Cluster (1grams) zur Ermittlung von Komposita in AntConc

Ein zentrales Verfahren zur induktiven Analyse von Kotext-Ausdrücken bildet schließlich die sog. Kookkurrenzanalyse (vgl. Steyer 2002). Kookurrenzen sind solche Ausdrücke, die im statistischen Sinne überzufällig häufig gemeinsam mit einem Bezugsausdruck vorkommen. Kookkurrenzanalysen können damit als

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 Friedemann Vogel

paradigmatische Operationalisierung des Wittgensteinschen Grundsatzes gelten (die Bedeutung eines Wortes sei sein Gebrauch in der Sprache, Wittgenstein 2003 [1953], § 40).

Abb. 3: Statistische Kookkurrenzanalyse mit dem LDA-Toolkit (Vogel 2012)

Je nach Datengrundlage können darüber hinaus komplementär auch weitere Ausdrucksebenen herangezogen werden, etwa Bilder, Geräusche, Musik und Film (vgl. den Beitrag von Friedemann Vogel und Maximilian Haberer in diesem Band sowie bereits Vogel 2014). Die verschiedenen Sprachmuster werden anschließend induktiv mit Blick auf wiederkehrende Eigenschaftszuschreibungen bzw. textübergreifende semantische Felder (in Anlehnung an Trier 1973; Gloning 2002) qualitativ interpretierend sortiert und gruppiert. Zur Orientierung können abstrakte Frame-Kategorien herangezogen werden, wie sie (als sog. „Matrix-Frames“) bei Konerding (1993) empirisch ermittelt wurden, etwa Akteure (‚Wer‘ wird als chinesisch bezeichnet, was zeichnet ihn/sie aus?), Handlungen (‚Was tun‘ als chinesisch markierte Akteure und warum?), Institutionen und Orte (wie sind chinesische ‚Handlungsräume‘ gestaltet?), Ereignisse (‚was passiert‘?), Sachverhalte, Folgen, Ursachen usw. Das damit eruierte „Image“ bildet in der Gesamtheit dieser Ausdrucks- und Bedeutungsmuster die Grundlage für eine abschließende Paraphrasierung eines durch das Image potentiell insinuierten Stereotyps. Die Formulierung soll dabei den Status dieser Wissensform zum Ausdruck bringen, d. h. insbesondere ihren



Linguistische Imageanalyse Chinas 

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pauschalisierenden, vom Einzelfall absehenden, übertreibenden und zuspitzenden Charakter („Der typische Chinese ist …“).

2 Das CDI-Korpus Dem CDI-Projektteam – und auch der nachfolgenden Überblicksanalyse – liegt ein gemeinsames Kern-Textkorpus zugrunde, bestehend aus insg. 238.595 Texten (d. h. 155,43 Mio. Token) von 15 verschiedenen deutschsprachigen Print- und Onlinemedien (überwiegend aus Deutschland, einzelne aus Österreich und der Schweiz). Bei der Auswahl der Medien wurde darauf geachtet, sowohl domänenübergreifende als auch ausgewählte domänenspezifische (Wirtschaft, Autoindustrie), sowohl überregionale als auch regionale sowie Tages- und Wochenzeitungen zu berücksichtigen. Das zeitliche Intervall umfasst sämtliche Texte, die zwischen dem 01.01.2000 und dem 31.12.2013 erschienen sind und mindestens einmal einen Ausdruck der Minimalhypothese enthalten. Tabelle 1: Medien des CDI-Korpus Medium

Datenbankvorrat

AUTO BILD

Ab 08.01.1999

Berliner Morgenpost

Ab 01.03.1999

Berliner Zeitung

Ab 03.01.2000

Der Spiegel

Ab 04.01.1999

Die Presse

Ab 23.04.2004

Die Welt

Ab 01.03.1999

Die Welt am Sonntag

Ab 05.01.1997

Focus Magazin

Ab 18.01.19933

Focus-Money

Ab 30.03.2000

Frankfurter Rundschau

Ab 03.01.2000

Impulse

Ab 01.01.19984

3 Es fehlen Daten für den September 1995. 4 Daten nur bis 01.03.2013.

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 Friedemann Vogel

Tabelle 1: (fortgesetzt) Medium

Datenbankvorrat

Spiegel Online

Ab 17.08.1998

Stern

Ab 08.01.1998

taz, die tageszeitung

Ab 03.01.1994

Wirtschaftsblatt

Ab 05.01.1996

Die Texte entstammen der Datenbank LexisNexis5 und wurden mithilfe des TreeTaggers (Schmid 1994) sowie dem Tool „Corpustransfer“6 Part-of-Speech annotiert sowie lemmatisiert. Die Wortart-Annotation erlaubt selektive Filterungen, etwa Analysen ausschließlich mit Fokus auf Autosemantika. POS-Output des TreeTaggers: schließlich ADV boomt VVFIN der ART chinesische ADJA Luftverkehr NN – $( und KON auf APPR internationalen ADJA Flügen NN können VMFIN Sprachprobleme NN gefährlich ADJD werden VAINF . $.

schließlich boomen d chinesisch Luftverkehr – und auf international Flug können Sprachproblem gefährlich werden .

Originaler Plaintext: Schließlich boomt der chinesische Luftverkehr – und auf internationalen Flügen können Sprachprobleme gefährlich werden. Lemmatisierter Plaintext: schließlich boomen d chinesisch Luftverkehr – und auf international Flug können Sprachproblem gefährlich werden. Lemmatisierter Text nur aus Autosemantika (VV [keine MV]/NN/ADJ): boomen chinesisch Luftverkehr international Flug Sprachproblem gefährlich

Die Korpuszusammenstellung erfolgte in einem mehrstufigen Filterprozess: Zunächst wurden sämtliche Texte erhoben, die mindestens einmal eine der nachfolgenden Zeichenketten enthielten: China OR chines OR Peking OR Beijing OR Schanghai OR Shanghai. Um falsch-positive Kandidaten auszuschließen, wurde anschließend automatisiert eine Komposita-Liste mit all jenen Ausdrücken erstellt, die die obengenannte Minimalhypothese enthalten. Bei der Prüfung

5 http://w3.nexis.com/sources/; keine Duplikate. 6 Friedemann Vogel, http://friedemann-vogel.de/index.php/software/31-corpustransfer, 17.02.2016.



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sämtlicher Belege stellten sich die folgenden Ausdrücke als problematisch heraus: Chinakohl, Chinarinde, Chinaschilf (botanisch), Machination, Chinagarten (botanisch), Chinaböller, Chinaski (Nachname), Chinapfanne, Gruschina (Nachname), Chinakracher, Chinalokal, Chinarindenbaum, Schinakel (österreich. Mundart für kleines Ruderboot/ausgetretene Schuhe), Chinapapier, Chinampas (Flöße aus Rohrschilfgeflecht, ursprünglich im alten Mexiko), Chinagras (botanisch), Druschina (Leibwache eines mittelalterlichen russ. Fürsten), Chinakrepp, Maschineschreiben, Machines

Die unterstrichenen Ausdrücke haben keinerlei Bezug zum Untersuchungsgegenstand und wurden daher ausgeklammert7; die übrigen Ausdrücke waren in ihrer Frequenz vernachlässigbar und konnten ebenfalls getilgt werden. Die größten Schwierigkeiten bereitete der Ausdruck Maschine in Verbindung mit chinesischen Kontexten (Schwerindustrie). Die Filterarbeiten führten schließlich zu folgender Suchanfrage bzw. Minimalhypothese: ((!China! OR !Peking! OR !Beijing! OR !Schanghai! OR !Shanghai!) AND NOT (!Machination! OR !Chinaski! OR !Gruschina! OR !Schinakel! OR !Chinampas! OR !Druschina!)) OR (!chines! AND NOT (!Maschines! OR !Machines!)) OR ((!China! OR !Peking! OR !Beijing! OR !Schanghai! OR !Shanghai! OR chines!) AND !Maschine!)

Mithilfe eines weiteren projektinternen Tools („Subcorpus“8) wurden schließlich kleinere, thematisch fokussierende Teilkorpora gebildet, wie sie den Beiträgen von Li Jing (Wirtschaft) und Elisa Lang (Bildung) zugrunde liegen. Im Folgenden wird eine globale Überblicksanalyse zum Image Chinas und Chinesen im Gesamtkorpus des CDI-Projektes exemplarisch vorgestellt. Grundlage hierfür bildet die Auswertung von statistischen Kookkurrenzanalysen sowie ausgewählten Suchanfragen zur volltextnahen Einordnung von Prädikationen. Besonderer Dank für ihre sehr gründliche Vorarbeit bei der Sortierung der Daten gilt dabei Julia Kanthak (Freiburg im Breisgau).

7 Das heißt, Texte, die ausschließlich einen falsch-positiven Ausdruck, aber keinen der Ausdrücke der Positiv-Liste enthielten, wurden aus dem Korpus getilgt. 8 Friedemann Vogel, http://friedemann-vogel.de/index.php/software/33-kleine-helfer-fuer-denalltag, 17.02.2016.

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 Friedemann Vogel

3 Das Medienimage Chinas 2000–2013: Ein exemplarischer Überblick zu wiederkehrenden Sprachmustern im CDI-Korpus 3.1 Stereotype, Klischees und Vorurteile zu China Einen ersten Eindruck über die Existenz und Beschaffenheit von stereotypen Schemata zu ›China‹ und ›Chinesen‹ in deutschsprachiger Presse bietet die Auswertung all jener Belege, in denen sich Textautoren metadiskursiv über das Bestehen von Stereotypen, Vorurteilen oder Klischees äußern. Zu diesem Zweck wurden mit der entsprechenden Suchanfrage (formuliert als regulärer Ausdruck) ((China|[Cc]hines).{1,100}([Kk]lischee|[Ss]tereotyp|[Vv]orurteil)) |(([Kk]lischee|[Ss]tereotyp| [Vv]orurteil).{1,100}(China|[Cc]hines))

insgesamt 511 Belege erfasst und nach Domänen bzw. Objekten und den ihnen zugeschriebenen Attributen sortiert. Für die Auswertung ist dabei irrelevant, ob die Existenz eines Vorurteils bejaht oder verneint oder gar widerlegt wird. Die Tatsache, dass ein mögliches Stereotyp angenommen wird, ist entscheidend insbesondere im Kontext eines massenmedialen, adressatenorientierten und damit auch Stereotype reproduzierenden Journalismus. Ein Großteil der Belege konstatiert Stereotype in der Domäne der ›Kultur‹, insbesondere zu ‚chinesischen‘ Nahrungsmitteln und Nahrungsaufnahme, aber auch zu Kunst, Erziehung, typischen Kulturartefakten und Medizin. Die Belege zeugen überwiegend von der Annahme einer distanzierten, befremdeten und ablehnenden Rezipientenhaltung, wenn es um vermeintlich typisch ‚chinesische‘ seltsame Lebensmittel (sehr oft: Hundefleisch, Katzen- und Rattenfleisch, Glutamat, Schwalbennester u. ä.) und Essenskultur (Spucken, Schlürfen) geht. Prototypisch gelten auch Lebensmittel wie Glückskekse, Frühlingsrolle, Ente süßsauer, Chinakohl. Zuweilen scheinen bestimmte Lebensmittel sozial stigmatisiert zu sein, etwa von Superreiche[n], die teure Bordeauxweine angeblich gleich containerweise horten. Vorurteile werden auch konstatiert hinsichtlich überehrgeiziger Erziehungs- und Bildungspraktiken (Drill, Abrichtung, Ganztagesbeschäftigung für Kinder) sowie komplementär chinesischen Wunderkindern (v. a. in Instrumentalbeherrschung), exotischer Kunst (Verklärung der ewigen Schönheit der Natur; der typische chinesische Künstler sei Maler, männlich und aus Peking; chinesisches Feuerwerk als Klischee asiatischer Kultur schlechthin) und einseitiger, auch personalisierter Filmkultur (v. a. Kung-Fu, Jackie Chan). Als typische Gegenstände chinesischer Kultur gelten: Roter Lampion, Stäbchen, Seidenfächer, winkende



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Katze, Drache und Terrakotta-Armee, Dschunke, Gärten, Ornamente und Mauer. Hinsichtlich chinesischer Sprache gelte das Klischee von Sprachfehlern (Aussprache von R als L). Seltener konstatiert werden Vorurteile hinsichtlich einer Ablehnung chinesischer Medizin als Voodoozauber (d. h. im Umkehrschluss  – entsprechend auch der Akzeptanz bei dt. Ärzten und Krankenkassen –, chinesische Medizin gilt als weitestgehend akzeptiert). Ein weiterer Bereich an angenommenen Vorurteilen bei der deutschen Leserschaft bildet ›Aussehen und Verhaltensweisen von Chinesen‹: Diesen Vorurteilen nach ‚sehen Chinesen alle gleich aus‘: Schlitzaugen, gelbe Hautfarbe, klein und drahtig, schlank und schmächtig. ‚Der‘ Chinese werde als besonders höflich, lächelnd, dabei zugleich verschlossen (geheimnisvoll) und zurückhaltend (alternativ: kühl, böse, hinterhältig-mafios), als bescheiden und fleißig betrachtet. Als Konformist und Ameise sei das Individuum in der chinesischen Kultur nichts wert, apolitisch ergebe es sich dem Schicksal; nur das synchron agierende Kollektiv zähle, ein Heer getreuer Mao-Freunde in mittelblau (Parteikonformismus; Kaderathleten; kommunistische Gleichmacherei). Han-Chinesen strebten nach Dominanz über die Minoritäten. Konstatierte Vorurteile hinsichtlich chinesischer ›Lebensumstände‹ (Natur, Städte, Landschaft) betonen superlativisch die Größendimensionen (Mega-Zentren; Ultra-Staus; Superbau; riesenhaft); auf der einen Seite Umweltbelastung und städtische Enge (Klimasünder und Luftverpester; Supersmog; Bild vom verschmutzten Fluß und molochartiger Stadt), auf der anderen Seite weitläufige Reisanbau-Ebenen und Kaiser-Architektur. Hinsichtlich chinesischer ›Wirtschaft‹ kritisieren Presseautoren vor allem und vielfach Vorurteile über mangelnde Qualität und Echtheit (Fälschung; Produktpiraterie, Industriespionage u. ä.) chinesischer Waren, Ausbeutung von Arbeitnehmern (Billiglohnland; Dumping) und Korruption. Zugleich beschäftige die dt. LeserInnen der ›wirtschaftliche und hegemoniale Aufstieg Chinas‹ (permanente gelbe Gefahr; Tigerstaat; fieser Konkurrent u. ä.), der Totalitarismus nach innen wie nach außen (gelenkte Staatspresse; Diktatur; Imperium; Besetzungsmacht). An dieser Stelle sei noch einmal betont: Die oben genannten Eigenschaften werden von einzelnen PresseautorInnen aufgerufen, um sie als Vorurteile oder Klischees in der deutschen Bevölkerung in der Regel abzulehnen. Es handelt sich also um Annahmen (d. h. ihrerseits Stereotype) über das Bestehen von Stereotypen, nicht um geprüfte Faktenrekapitulation (auf Basis von Erhebungen). Viele der von den AutorInnen konstatierten Vorurteile finden sich auch in der Verarbeitung visueller oder auch audiovisueller deutschsprachiger Werbung wieder (vgl. den Beitrag von F. Vogel und M. Haberer in diesem Band.). Nichtsdestotrotz

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 Friedemann Vogel

zeigt die weitere Auswertung sprachstereotyper Attribuierung in den Pressetexten selbst eine Reproduktion der hier vereinzelt abgelehnten Pauschalisierungen.

3.2 Eigenschaftszuschreibungen (Prädikationen): China|Chinesen sind X Prädikationen ermöglichen die expliziteste Form der Eigenschaftszuschreibung. Für deren statistische Auswertung wurden die ersten 1000 hochsignifikanten (t ≥ 2,3)9 Kookkurrenzen im Intervall von bis zu fünf Wörtern rechts des Suchausdrucks [Cc]hina|[Cc]hines sein [= Lemmata] erhoben und durch Prüfung der damit verbundenen Einzel-Kotexte (via Konkordanzen) kategorisiert. Zu unterscheiden sind tendenziell positiv, negativ und wertneutral konnotierende (bzw. auch denotierende) Prädikationen. Tendenziell negativ konnotierende China-Prädikationen – ›Problematisches Sozialverhalten gegenüber Dritten‹: schwierig; empört [bzgl. Umgang mit Dalai Lama]; unzufrieden; streng; falsch [zu Europäern]; aggressiv [Immobiliensuche]; skeptisch; böse; schlecht [Autofahren]; besorgt [muslimische Separatisten; internationales Ansehen]. – ›Schwellenland‹ und ›wirtschaftlicher Konkurrent‹: arm [früher]; abhängig [von erfolgreichen Unternehmern]; Konkurrent; hart [bzgl. Krise und Aktienkurs von 1,30 Euro]; teuer [Autos]; schwach [wirtschaftliche Grundlage]; schuld [Weltmarkt durcheinander, teurer]; Konkurrenz; schlafender Riese. – ›Politischer Gegner, Kontrollpolitik und (tendenziell10) bedrohliche Weltmacht‹: Diktatur; dagegen [bzgl. Bush-Politik]; Gegner [amerikanischjapanischer Pläne]; nervös [bzgl. Taiwan und Ein-Kind-Politik]; Großmacht; Volksrepublik; kommunistisch; kapitalistisch; autoritär; brutal; Feind; Supermacht; Weltmacht; Spitzenreiter [Hinrichtungen]; [Nordkoreas] einziger [politischer Verbündeter]. – ›Umweltverschmutzung‹: giftig [Fluss]; bedrohen [bedroht? Wüste rückt vor].

9 Das heißt, es handelt sich um überzufällig häufige Eigenschaftszuschreibungen. 10 Hier scheint sich ein Wandel abzuzeichnen, zumal sich auch politikbezogene Prädikationen finden wie friedlich oder bereit [mit allen Ländern, einschließlich der USA, den Dialog aufzunehmen].



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Tendenziell positiv konnotierende Prädikationen – ›China als wirtschaftlicher Erfolgs- und globaler Investitionsmarkt, vielversprechender Handelspartner‹: – Adjektive und Adverbien: erfolgreich; bedeutend; wachsend; aufstrebend; ausländisch [Investoren]; zweitwichtig [als Handelspartner für Europa]; global [Macht]; international; wichtig [als Markt]; boomend [Export; Wachstumsmarkt]; attraktiv; führend; bedeutend; billig; stark; voraus [Batterietechnik]; weit [auf dem Weg zum Industriestaat]; bereit [mehr in europäischen Ländern zu investieren]; reich [mittlerweile], willkommen [Investoren; Management in Konzern]; großartig [Handwerker] u. a. – Substantive: Wachstumsmarkt; Zukunftsmarkt; Wachstumstreiber; Partner  / Handelspartner; Importeur; Hersteller; Abnehmer; Kunde; Käufer [einer der wichtigsten von US-Anleihen]; Zukunft [Automarkt]; Herausforderung [für Europa, die USA und Russland]; Wirtschaftspartner; Produktionsstandort [attraktiv]; Handelsnation; Investor; Exporteur/ Exportmarkt; Exportweltmeister; Absatzmarkt; Wirtschaftsmacht; Automarkt; Stahlproduzent; Wachstumsmotor; Wachstumslokomotive; Lokomotive u. a. – ›Freundliches, selbstbewusstes Sozialverhalten gegenüber Dritten‹: sozial; stolz; aktiv; offen; anders [bzgl. Gefühle zeigen/ Bestrafungen]; zufrieden; ernst; traditionell; zurückhaltend; selbstbewußt; bescheiden. – ›Fremde, faszinierende und für Touristen sichere Kultur‹: fremd; beliebt; interessant; bekannt; anders; beeindruckend; Thema [des Sommers 2008, z. B. im Kino]; eigen; interessiert; unglaublich; reif [für eigene Designentwicklungen]; speziell. Tendenziell wertneutrale Prädikationen – ›Physisch-habituelle Eigenschaften‹: klein; schnell; asiatisch; schlau; fleißig. – ›Geographische Dimension‹: groß; riesig; massiv; gigantisch; nah; gewaltig; unglaublich; nahe.

3.3 Sedimentierte Attribut-Kontextualisierung: Kookkurrenzen zu Chinesisch X Um einen globalen statistischen Überblick darüber zu erhalten, welche Domänen und Themen mit China in der deutschsprachigen Presse häufig assoziiert und verhandelt werden, wurde eine Kookkurrenzanalyse zum Ausgangsausdruck [Cc] hines mit einem Wortintervall von bis zu fünf Wörtern rechts vom Suchausdruck

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 Friedemann Vogel

durchgeführt und die ersten 500 hochsignifikanten (t ≥ 10,4) Substantive und Namen herausgefiltert sowie induktiv gruppiert. Tabelle 2: Die 20 ersten hochsignifikanten Kookkurrenzen zu [Cc]hines Nr.

Ausdruck (KKP)

t-score

f / 10.000 Nr.

Ausdruck (KKP)

t-score

f / 10.000

1

Regierung

74,32

0,37

11

Hersteller

39,62

0,10

2

Markt

56,40

0,22

12

Peking

38,80

0,11

3

Provinz

51,82

0,18

13

Wirtschaft

38,63

0,11

4

Unternehmen

49,15

0,17

14

Künstler

37,07

0,09

5

Firma

44,61

0,14

15

Mauer

36,05

0,09

6

Medizin

44,09

0,13

16

Autor

35,24

0,10

7

Behörde

44,01

0,13

17

Hauptstadt

32,56

0,07

8

Meer

43,39

0,12

18

Medium

31,32

0,07

9

Führung

41,52

0,11

19

Partner

31,01

0,07

10

Stadt

40,78

0,12

20

Investor

30,27

0,06

Die Clusterung ergibt folgende Verteilung:

Abb. 4: Relative Verteilung der ersten 500 hochsignifikanten substantivischen Kookkurrenzen zu Chinesisch X, nach Domänen gruppiert



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Die drei wichtigsten Domänen in der Kontextualisierung ›Chinas‹ in deutschsprachiger Presse sind zweifellos Kultur (zusammen mit Bildung und Medien 29%), Wirtschaft (28%) und Politik (zusammen mit politischen Beziehungen und Militär 19%). Sie bestimmen im Wesentlichen die Agenda und die damit verbundenen Sachverhalte der Berichterstattung. Mit einem genaueren Blick auf die einzelnen Domänen lassen sich wiederkehrende, besondere Themenschwerpunkte hinsichtlich Sachverhalten, Orten, Akteuren und Ereignissen differenzieren: – In der Domäne der „Politik“ im weitesten Sinne finden sich insbesondere Akteure der chinesischen Führungsapparate der Vergangenheit und Gegenwart (Kommunistische Partei, Diplomat, Staatspräsident, Xi, Jiechi, Mao usw.), politische Artefakte (etwa mit Blick auf Gesetzesänderungen), Akteure der Verwaltungs-, Justiz- und Überwachungsinstitutionen (Gericht, Behörden, Geheimdienst, Polizei, Gefängnis u. a.) sowie zahlreiche Akteure oder Ereignisse chinesischer regierungskritischer Sozialbewegungen (Dissident, Bürgerrechtler, Blogger, Aktivist, Protest, Ai Weiwei usw.) oder Kriminalität (Mafia, Hacker). – Die politische Subdomäne „Beziehungen“ versammelt Kontexte, die von der Presse wiederkehrend betrachtet wurden, wie politisch-wirtschaftlichkulturelle Verknüpfungen zu anderen Staaten bzw. wichtigen Handlungsorten, allen voran: Deutschland, Berlin (als politische Hauptstadt), Frankfurt (Finanzzentrum), Hamburg (Handelsdrehkreuz), Japan (‚Konfliktpartner‘), USA, Nordkorea (Verbündeter), Belgrad, Europa, Russland u. a. – Die Domäne der „Kultur“ spiegelt auch statistisch zahlreiche Aspekte wieder, die auch in vereinzelten Metaäußerungen über bestehende Vorurteile qualitativ eruiert wurden (vgl. Kap. 2.1): Im Zentrum stehen häufig politisch aktive Künstler (Ai Weiwei), aber auch Regisseure, Schriftsteller (v. a. Liu Xiaobo) und Philosophen. Dominant sind in der dt. Presse bestimmte Kunstfertigkeiten, Kunstartefakte, Symbole und sprachliche Formen wie chinesische(s) Malerei, Porzellan (prototypisch: Vase), Schriftzeichen, Drachen-Ornamentik, Sprichwörter, Architektur, Musik, Gong; als markierendes Nahrungsmittel: Tee (allg. findet chinesisches Essen / chinesische Küche große Zuwendung); weiche Kampfkunst (Chi); als hervorgehobene historische Bezugspunkte Ming- und Zhou-Dynastie sowie Kulturrevolution; besondere chinesisch-kulturelle Orte: Gärten, Restaurant, Küche, Teehaus. – Als kulturelle Tradition gilt nicht zuletzt auch die chinesische Medizin (TCM, Akupunktur). – Bildungs- und wissensbezogene Kookkurrenzen sind Teil der KulturDomäne, spielen in ihrer Häufigkeit aber eine hervorgehobene Rolle. Im Vergleich zu anderen Ländern (wie Ungarn oder Türkei, vgl. Vogel 2010a, 2010b)

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 Friedemann Vogel

wird insb. die chinesische Wissenschaftslandschaft (Akademie, Universität usw.) in der deutschen Presse sehr genau beobachtet. – Die Domäne der „Wirtschaft“ setzt sich nicht beliebig zusammen; vielmehr stehen bestimmte Akteure, Themen und Wirtschaftsbereiche im Fokus der Aufmerksamkeit, insb. (Zentral-)Bankwesen, Automobil-, Mobilfunk- und Energie- und Internet- und Flugbranche. Statistisch auffällig (t ≥ 20,0) ist das Wortfeld Partner, Investor, Konkurrenz, Konkurrent, sowie (mit t ≥ 13,0) Kunde, joint und Zulieferer. Die Ausdrücke verweisen auf die Beziehung zwischen chinesischer und nicht-chinesischer Wirtschaft, mehrheitlich in einer kooperativen Weise. Folgende chinesische Firmen spielen in der Berichterstattung eine besondere Rolle: Geely, Chery und Saic (Fahrzeughersteller), Huawei und ZTE (Mobilfunk-Branche), Cnooc (Energie), Alibaba (Internet/ Handel), Baidu (Internet/Suchmaschine), Byd (Internet), Lenovo (IT); Google spielt eine negative Rolle – als in China ›Ausgeschlossener‹. Auf die Akteure Bauern, Arbeiter, Wanderarbeiter und Schneiderinnen wird ebenso wiederholt (statistisch markiert) referiert; die Ausdrücke stehen vor allem für den Kontext kritisierter ›schlechter Arbeits(schutz)bedingungen‹. – Die Domäne „Sonstiges“ versammelt all jene Kookkurrenzen und diskursiven Kontextsedimente, die eine domänenübergreifende Rolle spielen. Hierzu gehören in erster Linie ›Orte‹, die Hinweise auf wiederkehrende lokale Fokussierungen der Berichterstattung geben, im Einzelnen: – Provinzen und Städte: Peking/Beijing, S[c]hanghai, Hongkong, Tibet, Guangzhou, Shenzhen, Guangdong, Sichuan, Jiang, Xinjiang, Hainan, Nanjing, Taiwan, Henan, Yiwu, Dalian, Yunnan, Chongqing, Shandong, Tianjin, Zhejiang, Hunan, Wuhan, Qingdao, Harbin, Shenyang. – Funktions- und in der Dimension markierte Orte: Reich, Hauptstadt, Metropole, Millionenstadt, Großstadt; Festland, Insel (in der Regel Übernahme der chinesischen Leitsprache hinsichtlich des Taiwan-Status); Meer, Küste, Dorf, Region, Provinz, Stadt – Konfliktorte: Unterscheidung von Festland und Nicht-Festland (Taiwan). Neben Orten rufen zahlreiche Kookkurrenzen bestimmte Akteure auf, die eine domänenübergreifende Rolle spielen: Volk, Bevölkerung und Bürger pauschalisieren bzw. generalisieren akteursbezogene Eigenschaftszuschreibungen. Das Thema chinesische Kinder wird presseseitig in zahlreichen Kontexten als ‚Problemfeld‘ bearbeitet (insb. Ein-Kind-Politik, Erziehungsmethoden), wobei das weibliche Geschlecht (Mädchen  – ‚stigmatisiert, oft abgetrieben‘, Frauen und Mütter  – ‚Emanzipation‘ und ‚Erziehung‘; Männer, Jungen oder Väter spielen statistisch hier keine Rolle!) oft im Fokus steht. Das gleiche gilt generell für den hervorgehobenen gesellschaftlichen Status von Familie und Eltern. Die übrigen



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Akteursbezeichnungen verweisen auf soziale Konfliktfelder, insb. hinsichtlich Einwanderern, einem Piloten (militärischer Zwischenfall 2001), Uiguren (Autonomiekonflikt) und Minderheiten-Rechte. Ebenso domänenübergreifend sind Kookkurrenzen einzuordnen, die die Ausschnitthaftigkeit und Selektion referierter Meinungen im Kontext der China-Berichterstattung metasprachlich markieren. Diese Form der Diskurswiedergabe weist auf ein erhöhtes Bedürfnis der Relativierung von China-bezogenen Informationen hin: (in der) Perspektive (von), (im) Interesse (von), (nach) Angaben (von), (aus) Sicht (von). Vergleicht man die statistische Verteilung der Kookkurrenzen und die damit verbundenen Themen und Sachverhalte in der neuerlichen Presseberichterstattung11 über China mit Analysen zu anderen Ländern – etwa Türkei (Vogel 2010a) oder Ungarn (Vogel 2010b)  – treten die Gemeinsamkeiten und Besonderheiten deutlicher hervor. Ohne hier die Ergebnisse wiederholen zu wollen, so zeigt sich in allen Fällen etwa eine – für Auslandsberichterstattung daher typische – Fokussierung auf Konflikt-assoziierte, wirtschafts- und handelsbezogene sowie kulturell-exotisch-assoziierte Themen. Für die interkulturelle Kommunikation ist jedoch die Kenntnis der jeweils konkreten, landesspezifischen Ausgestaltung des Medienimages und mit ihr potentiell aktivierte Stereotype von entscheidender Bedeutung. So spielen die Themenbereiche ›Musik‹, ›Erziehung‹ oder ›Minderheiten‹ für das deutsche China-Image offenbar eine größere Rolle als etwa für das Ungarn- oder Türkeiimage.

3.4 Erwartungen: China|Chinese muss X Vor dem Hintergrund attributiver und prädikativer Zuschreibungen ist schließlich die Frage interessant, welche Erwartungen mehrheitlich an China bzw. ChinesInnen herangetragen werden. Hierzu eignet sich etwa eine qualitative Kontextanalyse rund um das deontische Modalverb müssen12. Die (lemmatisierte) regex-

11 An dieser Stelle sei dabei noch einmal betont: Die Tatsache, dass bestimmte Kookkurrenzen und Themen hier nicht genannt oder berücksichtigt wurden, heißt nicht, dass sie in der ChinaBerichterstattung nicht existieren oder keine Rolle spielen würden. Sie zählen am Maßstab des gesetzten Signifikanzniveaus aber im statistischen Sinne nicht zu den TOP-Themen. 12 Die Verwendung des Modalverbs müssen erlaubt prinzipiell an dieser Stelle zwei sich ergänzende Lesarten: Zum einen kann der Autor damit eine Erwartungshaltung an China/Chinesen für zukünftige Handlungen formulieren (China muss viel mehr Produkte selbst entwickeln); zum anderen kann eine zurückliegende, China/Chinesen zugeschriebene Handlung autorseitig als

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Abfrage [Cc]hina|[Cc]hines muss X ergibt 893 Belege im gesamten CDI-Korpus, die sich über eine Einzeltext-Sichtung wie folgt kategorisieren lassen: – ›Gesundes wirtschaftliches Wachstum im Einklang mit den Nachhaltigkeitsbedürfnissen von Natur und Mensch‹: Ein großer Teil der Belege legt China nahe, das (bislang) hohe Wirtschaftswachstum zugunsten Umwelt und Natur auf ein nachhaltiges Maß zu reduzieren (zu einem koordinierten und gesunden Wachstum zurückkehren). Die Empfehlungen sind dabei jedoch teilweise widersprüchlich: während mancher Autor das hohe Wirtschaftswachstum als ursächlich für Naturverschmutzung sieht (sich entscheiden: Wachstum oder Umweltschutz), erwarten andere Autoren Maßnahmen zum Umweltschutz und verbesserten Lebensbedingungen (Lohnanhebung), um damit ein hohes Wachstum zu ermöglichen (z. B. gegen Umweltverschmutzung steuern, um rasches Wirtschaftswachstum zu ermöglichen). Mit Forderungen wie diesen geht oft auch die Frage nach ›mehr Innovationen‹ insbesondere in Forschung und Technologie (eigene Anstrengungen in der Forschung verstärken) sowie nach Möglichkeiten zur ›Stärkung des Binnenkonsums und der Sozialstaatlichkeit‹ (z. B. ein nachhaltiges Renten- und Gesundheitssystem entwickeln) und zum ›Abbau von (insb. Land-) Armut‹ einher. – ›Stärkere Einbindung in den bzw. Öffnung und Anpassung des Binnenmarktes für den Weltmarkt, Einhaltung internationaler Finanzmarktregeln‹: Vielfach fordern Autoren, China solle einerseits seine Handelsbeschränkungen für den Zugang ausländischer Investoren und Produkte sowie eigene Exportbeschränkungen (z. B. bei seltenen Erden) lockern (z. B. sich noch viel weiter für ausländische Investitionen öffnen), andererseits sich den Regeln des globalen Marktes unterwerfen und noch mehr tun, um die Weltwirtschaft zu stützen. Anpassungsforderungen richten sich vor allem auch gegen die chinesische Kapitalverkehrs- bzw. Zinspolitik: Abschaffung der Yuan-Aufwertung, Zinssystem liberalisieren; Kapitalverkehr vollständig öffnen; Zugeständnisse bei den Industriezöllen machen. Wirtschafts-, finanz- und handelsbezogene Forderungen machen allein zwei Drittel aller Belege aus. – ›Politische Öffnung, Annäherung, Anpassung an den Westen (Europa, USA, Japan), mehr Distanz zu Nordkorea und Iran‹: Im Hinblick auf die transnationalen politischen Verhältnisse fordern Autoren mehr Kooperationsbereitschaft gegenüber Europa (Brüssel) und eine gemeinsame Welt-

‚notwendig‘ und ,zu erwartend‘, ggf. sogar als ‚alternativlos‘ markiert werden. Beide Lesarten sollen an dieser Stelle erfasst werden.











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politik (international mehr Verantwortung übernehmen). Dies schließt auch Erwartungen ein hinsichtlich einer Annäherung und Akzeptanz gegenüber Japan (und Tibet: eine friedliche Antwort im Tibetkonflikt finden) sowie eine stärkere politische Distanzierung gegenüber Nordkorea (mehr Druck auf Nordkorea ausüben) und Iran (China müsse verstehen, dass der Iran eine Gefahr darstellt)13. ›Demokratisierung‹: Nicht nur von Bürgerrechtlern vorgetragen finden sich Forderungen nach einer Öffnung der Ein-Parteien-Politik, Demokratisierung der Gesellschaft und mehr Transparenz (etwa hinsichtlich Anzahl der Todesurteile, Organtransplantationen usw.); China müsse sich politisch liberalisieren. China solle die Menschenrechte einhalten, aktiv gegen Menschenrechtsverletzungen vorgehen, Pressefreiheit, unabhängige Justiz und Eigentumsrechte (v. a. Urheberrecht) gewährleisten. Man solle lernen, mit [v. a. westlicher] Kritik umzugehen. ›Anerkennung internationaler Umweltschutz-Verträge und Reduzierung der CO2-Emmissionen‹: In zahlreichen Belegen wird China eine besondere Verantwortung bei der Begegnung klimatischer Veränderungen infolge zunehmender Umweltverschmutzung zugewiesen. Gefordert wird die Ratifizierung internationaler Vereinbarungen zur Reduktion von CO2Ausstößen (insb. das Kyoto-Protokoll), der Abbau von Kohlekraftwerken und die Investition in regenerative Energien. China solle die Energiebasis seiner Wirtschaft beschleunigen und auf nicht-fossile Energie umstellen. Auch der kontinuierliche Ausbau chinesischer Atomkraftwerke infolge zunehmenden Energiebedarfs wird mit Sorge betrachtet; wiederholt fordern Autoren, China solle freiwillig eine Kontrolle der internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) akzeptieren. ›Krankheitsvorsorge‹: Im Kontext von Aids- (in Afrika) und SARS-Bekämpfung (Vogelgrippe) sowie allgemein finden sich wiederholt Belege, die mehr Engagement bei der Krankheitsbekämpfung und staatlichen Gesundheitsvorsorge anmahnen: man müsse wieder ein landesweites System für öffentliche Gesundheit aufbauen. ›Kulturpolitische Korrekturen‹: Schließlich wird vereinzelt eine korrigierte kulturpolitische Haltung gefordert, etwa bei der Vorbereitung und Ausrichtung kultureller- bzw. sportbezogener Ereignisse (etwa bei WM und Buchmesse), aber auch beim fehlerfreien Druck deutschsprachiger Produkte oder

13 Den Kontext von Forderungen gegenüber mehr Distanz zum Iran bilden vor allem wirtschaftliche Investitionen und Fördermaßnahmen Chinas (etwa auf dem Feld der Atomenergie).

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bei der ‚wahrheitsgetreuen‘ Gestaltung von Lehrbüchern (in denen etwa die chinesische Mauer größer gemacht werde als sie in Wirklichkeit sei).

4 Zusammenfassung: Das China-Image in dt.sprachiger Presse 2000–2013 aus globaler Perspektive Der vorliegende Text führt kurz in die Methode der kontrastiven linguistischen Imageanalyse (Vogel 2010a, 2010b, 2012, 2014) ein und stellt die Datengrundlage des CDI-Korpus sowie eine exemplarische Überblicksanalyse zum Image Chinas in deutschsprachigen Medien vor. Diese Analyse ist mitnichten ausgeschöpft, kann aber die statistisch besonders auffälligen und damit potentiell stereotypwirksamen Aspekte des China-Images herausarbeiten und einen Einblick vermitteln sowohl in die landesübergreifenden als auch landesspezifischen thematischen Selektionen und Fokussierungen hinsichtlich Domänen, Akteuren, Orten, Ereignissen und Konfliktfeldern. Zwei hieran anschließende Detailstudien, die sich mit der deutschsprachigen Berichterstattung zu chinesischer Wirtschaft und Erziehung auf Basis des CDI-Korpus beschäftigen, finden sich in den anschließenden Beiträgen von Li Jing und Elisa Lang. Versucht man abschließend auf Basis der hier vorgestellten exemplarischen Überblicksanalyse eine Hypothese über ein durch die medialen Zuschreibungsmuster potentiell insinuiertes, deutsch-mitteleuropäisches China-Stereotyp für den Zeitraum 2000–2013 zu formulieren, so lautete diese wie folgt: ›Das ‚typische‘ China ist groß und anders (exotisch-fremd). China ist das Land der Superlative: Menschenmassen, überdimensionale Regionen und Megastädte, gigantisches ökonomisches Wachstum, attraktivstes Produktions- und Niedriglohnland, schnellster Fortschritt und Aufbau. Es führt eine problematische Innenpolitik, die Menschen immerfort in Wissen und Handeln kontrollierend, jegliche Kritik im Keim erdrückend, kurz: totalitär, kommunistisch, unwestlich. Der chinesische Staat und seine reicher werdenden Eliten sind korrupt; sie unterwerfen Umwelt, Mensch, Natur und fremdes Gedankengut (Ideen) dem Primat des eigenen Wachstums. China ist der größte Umweltverschmutzer der Welt, unbelehrbar. Zugleich wandelt sich China in den letzten Jahren, ist kapitalistisches Schwellenland, hält sich aber (noch) nicht an internationale Spielregeln hinsichtlich Handelsbeschränkungen und Geldpolitik. Es ist zunehmend wichtiger Handelspartner (für Deutschland und Europa), Investitionsmarkt der Zukunft. China giert ökonomisch und politisch nach Weltmacht, ist Konkurrent gegenüber USA und Europa; man muss es sorgfältig im Auge behalten. Seine Waren sind mangelnder Qualität; China entwickelt aber zunehmend eigene, innovative Technologien (insb. im IT-, Automobil- und Energiesektor). China verfügt als altes Reich



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über eine lange Geschichte, Kultur und Medizin. Zur Kultur Chinas zählen spezifische Artefakte [die hier nicht erneut aufgezählt werden, vgl. 2.3].‹ ›Der ‚typische‘ Chinese ist klein, sprachlich [aus deutscher Perspektive] sprachgehandicapt, gelbhäutig und schlitzäugig. Er pflegt eine seltsame Essenskultur (ungewöhnliche Nahrungsmittel – außer Ente süß-sauer, Chinanudeln und Glückskekse – und Essensgewohnheiten) und äußerst strenge, nicht kindgerechte Erziehungsmethoden. Er ist sehr höflich und zurückhaltend, bescheiden und dem Kollektiv schicksalhaft ergeben, nicht durchschaubar (geheimnisvoll oder verschlagen, schlitzäugig), stolz. Er verfügt über besondere, tradierte Kenntnisse im Bereich der Kampfkunst und der Medizin, er trinkt viel Tee. Chinesen haben nur ein Kind und am liebsten Jungen. Sie haben außergewöhnlich hohen Respekt gegenüber den Eltern und der Familie.‹

Es sei an dieser Stelle noch einmal betont: Das oben formulierte Stereotyp ist eine Paraphrase eines als idealtypisch existierend angenommenen Weltwissens des  – seinerseits eine pauschalisierende Chimäre  – ‚Durchschnitts-Deutschen‘ oder ‚Durchschnitts-Europäers‘ der sozialen Mittelschicht (analog zur gewählten Datengrundlage). Als ein solches folgt es keiner sachlichen Logik, es kann auch widersprüchliche Anteile umfassen. Die Pauschalisierung in jeder Hinsicht zeichnet schematisiertes Denken aus. Wollte man gruppenspezifischere Hypothesen formulieren, bedürfte es allerdings spezialisierter Korpora und insb. auch die Berücksichtigung anderer Medien (von Boulevardpresse wie der Bildzeitung bis hin zu Privatfernsehen und Social Media). Die Gründe für dieses sowohl negative (mehr) als auch positive (weniger) Anteile beinhaltende Stereotyp sind schließlich vielseitig und können hier nicht im Einzelnen diskutiert werden (vgl. hierzu auch den Beitrag von Caja Thimm in diesem Band). Es seien nur zwei wichtige Gründe herausgegriffen, die zugleich auch mögliche Ansätze zu ihrer Korrektur bieten (ausführlicher im Beitrag von Jia Wenjian und Friedemann Vogel in diesem Band): 1. Stereotype und Vorurteile speisen sich umso mehr aus dem medialen Hintergrundrauschen, je weniger persönlicher Kontakt und Austausch zwischen den involvierten Personengruppen besteht. Im direkten Kontakt werden Chinesen in Deutschland (aber wohl auch andernorts) vor allem als Touristen wahrgenommen, sie bleiben damit anonym und können keinen Ersatz für eine interpersonale, d. h. auch interkulturelle Auseinandersetzung bieten. Man kann es daher nicht oft genug betonen: Nur durch eine entsprechende starke – deutlich verstärkte! – Politik zur Förderung des interkulturellen Austausches auf allen Ebenen (Schule, Universitäten, Gemeindepartnerschaften usw.) lässt sich das China-Stereotyp bzw. China-bezogene Vorurteile ersetzen durch differenzierte, gesprächs- und lernoffene Wissensschemata. Wandel durch Dialog, der gegenseitiges Vertrauen und Verständnis schafft.

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2. Ein zweiter Grund liegt in der Logik medialer Praxis, insb. der Auslandsberichterstattung: Auch wenn China aufgrund seiner ökonomischen und politischen Rolle in der Welt heute fest in der Auslandsberichterstattung verankert ist, so bleibt es vom globalen Wandel der Medienbranche – v. a. Aussterben von Lokalredaktionen und Akkumulation der Medien in wenigen, global agierenden Medienkonzernen  – nicht unberührt. In der Folge schrumpft die Anzahl kundiger journalistischer Auslandskorrespondenten weiter und fokussiert sich lediglich auf die großen Metropolen. Entsprechend homogen verarmt die Berichterstattung zum jeweiligen Ausland. In Anbetracht der Größe Chinas sind die Folgen dieser Entwicklung nicht zu unterschätzen.

5 Literaturverzeichnis Anthony, Laurence (2012): AntConc (3.2.4w) [Computer Software]. Waseda University. Tokyo. Online verfügbar unter http://www.antlab.sci.waseda.ac.jp/, zuletzt geprüft am 22.05.2013. Belica, Cyril (2008): Semantische Nähe als Ähnlichkeit von Kookkurrenzprofilen. Online verfügbar unter http://corpora.ids-mannheim.de/SemProx.pdf, zuletzt geprüft am 23.10.2012. Bourhis, Richard Y.; Maass, Anne (2005): Linguistic Prejudice and Stereotypes. In: Ulrich Ammon, Norbert Dittmar, Klaus J. Mattheier und Peter Trudgill (Hg.): Sociolinguistics. An international handbook of the science of language and society = Soziolinguistik. 2. Aufl. Berlin: De Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 2), S. 1587–1601. Dąbrowska, Jarochna (1999): Stereotype und ihr sprachlicher Ausdruck im Polenbild der deutschen Presse. Eine textlinguistische Untersuchung. Tübingen: Narr. Feilke, Helmuth (1989): Funktionen verbaler Stereotype für die alltagssprachliche Wissensorganisation. In: Clemens Knobloch (Hg.): Kognition und Kommunikation. Beiträge zur Psychologie der Zeichenverwendung. Münster: Nodus-Publ, S. 71–84. Gloning, Thomas (2002): Ausprägungen der Wortfeldtheorie. In: David A. Cruse, Franz Hundsnurscher, Michael Job und Peter Rolf Lutzeier (Hg.): Lexikologie. Ein internationales Handbuch zur Natur und Struktur von Wörtern und Wortschätzen = Lexicology. Berlin: De Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, 21), S. 728–737. Keibel, Holger; Belica, Cyril (2007): CCDB: A Corpus-Linguistic Research and Development Workbench. In: Proceedings of the 4th Corpus Linguistics conference. Birmingham. Konerding, Klaus-Peter (1993): Frames und lexikalisches Bedeutungswissen. Untersuchungen zur linguistischen Grundlegung einer Frametheorie und zu ihrer Anwendung in der Lexikographie. Tübingen: Niemeyer. Lüdeling, Anke; Kytö, Merja (Hg.) (2009): Corpus linguistics. An international handbook. ebrary, Inc. 2 Bände. Berlin: Walter De Gruyter (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft, Bd. 29.2). McEnery, Tony; Wilson, Andrew (1997): Corpus Linguistics. An introduction. Repr. Edinburgh: Edinburgh Univ. Press (Edinburgh textbooks in empirical linguistics).



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Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien I – korpuslinguistische Zugänge

Li Jing

„Reich der Mittel“ Linguistische Imageanalyse zu Chinas Wirtschaft (2000–2013)

1 Einleitung Die vorliegende Untersuchung ist eine linguistische Imageanalyse, die sich als Teilstudie aus dem CDI-Projekt1 ergibt und sich der Domäne Wirtschaft widmet. Sie schließt sich den gedanklichen und methodischen Ansätzen der linguistischen Imageanalyse an (Vogel 2010a, 2010b, 2014), wie sie im Beitrag von Friedemann Vogel in diesem Band eingeführt werden, und versucht auf der Basis eines sorgfältig aus dem gesamten CDI-Korpus generierten Wirtschafts-Kernkorpus einen Einblick in die verschiedenen Fassetten des wirtschaftsbezogenen ChinaBildes zu vermitteln. Bei der Untersuchung geht es zugespitzt formuliert vor allem um folgendes: Was sind die Gegenstände und in welcher Form wird wie häufig berichtet, wenn in deutschsprachigen Printmedien von Chinas Wirtschaft die Rede ist. Damit setzt sie sich das Ziel, auf Basis von korpuslinguistischen Verfahren2 die relevantesten Themen und Zuschreibungen herauszuarbeiten und sie in einem strukturierten und verständlichen Zusammenhang transparent zu beschreiben. In diesem Beitrag wird zunächst skizziert, wie man durch einen mehrstufigen Filterprozess das für die Untersuchung bereitzustellende Wirtschafts-Kernkorpus generiert. Im Anschluss daran werden die Ergebnisse aus drei unterschiedlich fokussierenden Datenauswertungsprozessen (einer Überblicksstudie und zwei Fokusstudien) dargestellt und diskutiert, die aus unterschiedlichem Blickwinkel interessanten Aufschluss über das medienbasierte Image chinesischer Wirtschaft

1 Ausführlicher dazu im Beitrag von Friedemann Vogel und Jia Wenjian in diesem Band. 2 Überblick bei Lemnitzer/Zinsmeister 2006, Scherer 2006; zur diskurslinguistischen Anwendung vgl. ferner Vogel 2010a, 2010b, 2014, Baker 2006, Bubenhofer 2008. Anmerkung: Die vorliegende Untersuchung wird finanziert durch die National Social Science Foundation of China (No. 14@ZH036) und China Scholarship Council 留金欧 [2014] 6013/[2016] 6041. Li, Jing, Dr., Rechts- und Medienlinguistik, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Beijing Foreign Studies University (BFSU), China DOI 10.1515/9783110544268-004

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 Li Jing

geben sollen. Dieses wird zum Schluss mittels einer zusammenfassenden Hypothese beleuchtet.

2 Erstellung des Wirtschafts-Kernkorpus Der Untersuchung wird ein auf Wirtschaft spezialisiertes Subkorpus zugrunde gelegt. Die dazu gehörigen Texte fokussieren vor allem auf wirtschaftliche Themen. Als Ausgangskorpus, aus dem das entsprechende Subkorpus gefiltert wird, gilt das gemeinsame Kern-Textkorpus des CDI-Projektteams mit insgesamt 238.595 Texten aus 15 verschiedenen deutschsprachigen Print- und Onlinemedien mit dem zeitlichen Intervall vom 01.01.2000 bis 31.12.2013.3 Der Filterprozess wird mit Hilfe des projektinternen Tools Subcorpus4 durchgeführt. Es arbeitet mit drei Suchstrings5 und erlaubt eine Berechnung der Frequenz angegebener Suchausdrücke sowie eine Extrahierung bestimmter Textteilmengen aufgrund dieser Frequenzberechnung. Für die vorliegende Untersuchung werden diejenigen Texte aus dem Ausgangskorpus herausgefiltert und als Subkorpus gespeichert, die eine bestimmte Anzahl an wirtschaftsrelevanten Suchausdrücken enthalten.

3 Ausführliche Informationen zu dem gesamten CDI-Korpus finden sich in der Überblicksanalyse von Friedemann Vogel in diesem Band. 4 http://friedemann-vogel.de/index.php/software/33-kleine-helfer-fuer-den-alltag, 17.02.2016. 5 Der Suchstring 1 enthält die eigentlichen Suchausdrücke zur positiven Suche (Positivliste). Der Suchstring 2 beinhaltet die Ausschlusskriterien (Negativliste). Alle Texte, die diesen Suchstring enthalten, werden ausgeschlossen. Der Suchstring 3 hat keinen Einfluss auf die Textauswahl und stellt lediglich einen weiteren statistischen Hinweis über entsprechende Suchausdrücke dar. Dieser wird häufig genutzt als Kontextindikator. Die Suchanfragen können entweder in Form regulärer Ausdrücke (regular expressions, kurz: regex) oder einfacher Wörter formuliert werden.



„Reich der Mittel“ 

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Abb. 1: Generierung des Wirtschafts-Kernkorpus mit dem projektinternen Tool Subcorpus

Der gesamte Prozess besteht aus 4 Schritten: Schritt 1: Zunächst wurde eine Liste mit Wörtern erarbeitet, die sich als wirtschaftlich relevant erweisen und die als Suchbegriffe zur Abrufung von entsprechenden Texten genutzt werden können. Die Ermittlung dieser Wörter erfolgte hauptsächlich über die Kookkurrenzdatenbank CCDB6 des IDS (eine empirische Datenbank gebrauchsverwandter Wörter), und zwar ausgehend vom Kookkurrenzprofil des Ausgangslexems Wirtschaft. Bei der Auswahl wurden vor allem diejenigen Wörter bevorzugt, die einerseits einen bestimmten Abstraktionsgrad aufweisen (z. B. Markt statt Automobilmarkt) und andererseits weitestgehend wertneutral bleiben (z. B. Produkt statt Qualitätsprodukt, Ware statt Ramschware). Ausgewählte Wörter (wie Finanz, Markt) wurden wiederum zur weiteren Kookkurrenzprofilberechnung des Ausgangslexems genutzt. Zum Schluss wurde die Liste noch über Lektüre vorhandener Literatur (Zhou 2012; Zhou/Wang 2011; Wang 2009; Jia 2008) überprüft und um wichtige chinaspezifische Wirtschaftswörter (z. B. Wanderarbeiter) ergänzt. Die fertiggestellte Liste bestand aus folgenden Ausdrücken:

6 http://corpora.ids-mannheim.de/ccdb/. Ausführlicher zu CCDB siehe Keibel/Belica 2007.

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Absatz / Absatzmarkt / Aktie / Aktionär / Anbieter / Angebot / Arbeitsmarkt / Arbeitsplatz / Ausfuhr / Bank / Bankwesen / Bau / Beschäftigung / Betrieb / Börse / Branche / Devise / Devisenreserven  / Dienstleistung  / Einfuhr  / Einkäufer  / Export  / Exportmarkt  / Fabrik  / Finanz / Firma / Geld / Geschäft / Geschäftsklima / Geschäftswelt / Gewerbe / Gewerbemarkt  / gewerblich  / Handel  / herstellen  / Holding  / Import  / Industrie  / Infrastruktur  / investieren / Investition / Investment / Investor / Kapital / kaufen / Konjunktur / Konzern / Kosten / Kosum / Kredit / Kunde / Lieferung / Markenpiraten / Marketing / Markt / Mittelstand / Nachfrage / Niederlassung / Ökonomie / Ostmarkt / Patent / Preis / Produktion / produzieren / Produzent / Raubkopie / Reichtum / Ressort / Ressourcen / Schwellenland / Sektor  / Stagnation  / stagnieren  / Standort  / Standortwettbewerb  / Steuer  / Syndikus  / Tochtergesellschaft / Tochterunternehmen / Umsatz / Unternehmen / Unternehmer / Vertrieb / Währung / Wanderarbeiter / Ware / Warenaustausch / Weltfabrik / Wertpapier / Wirtschaft / Zoll / Zulieferer

Schritt 2: Die obigen „natürlichen“ Wörter wurden dann in reguläre Ausdrücke umgewandelt, da mit dieser Form der Suchstrings im Tool Subcorpus gezielter gesucht werden kann. Schon bei diesem Schritt wurden kleinere Testverfahren eingesetzt, um zu ermitteln, welche Zeichenfolgen (einfache Wörter, Komposita, Ableitungen usw.) die regulären Ausdrücke mit sich bringen würden, so dass die ersten „falschen Positive“ durch differenziertere Regex-Formulierung ausgeschlossen werden konnten (z. B. Unternehmen oder -unternehmen, aber nicht das Verb unternehmen; insofern differenziertere Regex-Formulierung: \bUnternehmen|\Sunternehmen\b). Schritt 3: Die aus dem Schritt 2 erarbeitete Anfangssuchanfrage wurde mittels eines Pilotkorpus gründlich und sorgfältig auf „falsche Positive“ überprüft und modifiziert. Das Pilotkorpus bestand aus 8000 Texten und ergab sich aus einer Zufallsstichprobe aus dem gesamten CDI-Korpus. Mit AntConc (Pilotkorpus, Anfangssuchfrage in Form regulärer Ausdrücke, Funktion Cluster, Cluster Größe 1) wurden die verschiedensten Zeichenfolgen, die durch die Suchanfrage abgerufen werden konnten,7 ermittelt und auf das Potential der „falschen Positive“ und deren Einfluss auf die Suchqualität bzw. -effizienz überprüft. Hierbei konnte man zwischen zwei Möglichkeiten differenzieren: – Der reguläre Ausdruck führt zu Wörtern (Zeichenfolgen), die sich im Pilotkorpus als hoch frequentiert erweisen, aber mit dem Thema Wirtschaft wenig zu tun haben: z. B. [Hh]erstell führt auch zu sicherstellen. In diesem Fall handelt es sich um die „offensichtlich“ falschen Treffer. – Der reguläre Ausdruck führt zu Wörtern (Zeichenfolgen), die an sich mehrdeutig sind und sowohl wirtschaftsbezogene als auch nicht wirtschaftsbe-

7 Der reguläre Ausdruck [Aa]bsatz in der Suchanfrage kann z. B. die Zeichenfolgen Absatz, Absatzmarkt, Absatzmenge, Autoabsatz usw. abrufen.



„Reich der Mittel“ 

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zogene Bedeutungsvarianten/Teilbedeutungen enthalten (z. B. Absatz im Sinne von Verkauf, Schuhsohle oder Textabschnitt). In diesem Fall wurden die einzelnen Belege – komplett oder stichprobenartig (etwa 200 Belege) – ausgewertet, um das grobe Mengenverhältnis zwischen den erwünschten und nicht erwünschten Treffern herauszubekommen und auf dieser Basis zu überlegen, ob und wie man die nicht erwünschten Treffer ausschließen kann. Die aus der Überprüfung resultierte Modifizierung konnte entweder durch die Umformulierung der regulären Ausdrücke in der Anfangssuchanfrage (für Suchstring 1 im Subcorpus) oder durch die Erstellung einer Negativliste (für Suchstring 2 im Subcorpus) realisiert werden. Im Folgenden findet man die Liste mit überarbeiteten regulären Ausdrücken: \bAbsatz\S|[Aa]ktie[^r]|[Aa]rbeitsplatz|[Aa]usfuhr|[Bb]ank\b|[Bb]eschäftigte|\bBörse|\ Sbranche|[Dd]evisen|[Dd]ienstleistung|[Ee]infuhr|k[aä]uf|[Ee]xport|\bFabrik\b|[Ff ] inanz|[Ff]irma\b|[Ff]irmen|\bGeld[^o]|\bGeschäft\b|[Gg]ewerb[^u]|[Hh]andel\b|[Hh] andels.[^l]|[Hh]ersteller|[Ii]mport[^a]|[Ii]ndustri|[Ii]nvest. [^g]|[Kk]apital[^i]|[Kk]onjunktur| [Kk]onzern|[^\s|\||r]kosten|\bKonsum[^e|i]|\bKredit|\Skredit\b|\bKunde|[Mm]arkt. [^n|r]|nachfrage\b|[Öö]konomie\b|\bPatent[^l|r]|[Pp]rodukt.[^v]|\Ssektor|[Uu]msatz|\bUnternehmen|\Sunternehmen\b|[Uu]nternehmer|[Vv]ertriebs|[Ww]anderarbeiter|\bWare\ b|[Ww]irtschaft[^\/].[^l]|[Zz]oll\b

Darüber hinaus wurden noch die chinabezogenen Kontextindikatoren in RegexForm übertragen und zur obigen Liste hinzugefügt: {0,500}([Cc]hina|[Cc]hines|Peking|Beijing|Schanghai|Shanghai)

Somit entstand die endgültige Suchanfrage in Form der drei Suchstrings, die im Subcorpus eingesetzt wurden: – Suchstring 1 (Positivliste) ((\bAbsatz\S|[Aa]ktie[^r]|[Aa]rbeitsplatz|[Aa]usfuhr|[Bb]ank\b|[Bb]eschäftigte|\ bBörse|\Sbranche|[Dd]evisen|[Dd]ienstleistung|[Ee]infuhr|k[aä]uf|[Ee]xport|\bFabrik\ b|[Ff]inanz|[Ff]irma\b|[Ff]irmen|\bGeld [^o]|\bGeschäft\b|[Gg]ewerb[^u]|[Hh]andel\ b|[Hh]andels.[^l]|[Hh]ersteller|[Ii]mport[^a]|[Ii]ndustri|[Ii]nvest.[^g]|[Kk]apital[^i]|[Kk] onjunktur|[Kk]onzern|[^\s|\||r]kosten|\bKonsum[^e|i]|\bKredit|\Skredit\b|\bKunde|[Mm] arkt.[^n|r]|nachfrage\b|[Öö]konomie\b|\bPatent[^l|r]|[Pp]rodukt.[^v]|\Ssektor|[Uu] msatz|\b Unternehmen|\Sunternehmen\b|[Uu]nternehmer|[Vv]ertriebs|[Ww]anderarbeiter|\bWare\b|[Ww]irtschaft [^\/]. [^l]|[Zz]oll\b).{0,500}([Cc]hina|[Cc]hines|Peking|Be ijing|Schanghai|Shanghai))|(([Cc]hina| [Cc]hines|Peking|Beijing|Schanghai|Shanghai). {0,500}(\bAbsatz\S|[Aa]ktie[^r]|[Aa]rbeitsplatz|[Aa]usfuhr|[Bb]ank\b|[Bb]eschäftigte|\ bBörse|\Sbranche|[Dd]evisen|[Dd]ienstleistung|[Ee]infuhr|k[aä]uf|[Ee]xport|\bFabrik\ b|[Ff]inanz|[Ff]irma\b|[Ff]irmen|\bGeld[^o]|\bGeschäft\b|[Gg]ewerb[^u]|[Hh]andel\

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b|[Hh]andels.[^l]|[Hh]ersteller|[Ii]mport[^a]|[Ii]ndustri|[Ii]nvest.[^g]|[Kk]apital[^i]|[Kk] onjunktur|[Kk]onzern|[^\s|\||r]kosten|\bKonsum[^e|i]|\bKredit|\Skredit\b|\bKunde|[Mm] arkt.[^n|r]|nachfrage\b|[Öö]konomie\b|\bPatent[^l|r]|[Pp]rodukt.[^v]|\Ssektor|[Uu]msatz|\ bUnternehmen|\Sunternehmen\b|[Uu]nternehmer|[Vv]ertriebs|[Ww]anderarbeiter|\bWare\ b|[Ww]irtschaft[^\/].[^l]|[Zz]oll\b))

– Suchstring 2 (Negativliste) [Dd]atenbank|[Gg]enbank

– Suchstring 3 (Kontextindikatoren) [Cc]hina|[Cc]hines|Peking|Beijing|Schanghai|Shanghai

Schritt 4: Mit der modifizierten Suchanfrage aus Schritt 3 wurde das für die vorliegende Untersuchung bereitzustellende Wirtschafts-Kernkorpus aus dem Ausgangskorpus gefiltert und abgespeichert. Aufgenommen wurden diejenigen Texte, bei denen sowohl eine bestimmte Anzahl an wirtschaftsrelevanten Wörtern (Suchstring 1, f ≥10) als auch eine bestimmte Anzahl an chinabezogenen Kontextindikatoren (Suchstring 3, fB ≥ 20) vorhanden waren:

Abb. 2: Eingrenzung der Textauswahl mittels Suchstring 1 (f) und Suchstring 3 (fB)

Zum Schluss wurden noch über manuelle Überprüfung die vereinzelten problematischen Texttreffer (Inhaltsverzeichnis als Text; englischsprachiger Text) ausgefiltert. Das dadurch entstandene endgültige Wirtschafts-Kernkorpus enthält 1234 Texte mit insgesamt 1.920.401 Tokens.



„Reich der Mittel“ 

 79

3 Das Medienimage chinesischer Wirtschaft 3.1 Überblicksstudie mit Schlüsselwörtern In der vorliegenden Untersuchung lässt sich auf Basis von einer umfassenden Keyword-Analyse ein Überblick zum Medienimage chinesischer Wirtschaft erarbeiten. Zunächst wurden mit Hilfe von AntConc statistisch relevante Schlüsselwörter für das Wirtschafts-Kernkorpus generiert (AntConc, Funktion Keyword List, Referenzkorpus Pilotkorpus mit 8000 Texten) und aus diesen die ersten 100 Schlüsselwörter herausgenommen und zur weiteren Kookkurrenzanalyse und KWIC-Analyse bereitgestellt. Bei jedem dieser 100 Schlüsselwörter wurden die wichtigsten Kookkurrenzpartner ermittelt (AntConc, Funktion Collocates, Kontext China oder chinesisch, t ≥ 2,3). Zu den gewonnenen Kookkurrenzpartnern wurden mit Fokus auf Autosemantika KWIC-Analysen durchgeführt. Die jeweils abgerufenen KWIC-Belege wurden induktiv gruppiert, um wiederkehrende Themenkategorien und Zuschreibungsmuster in Bezug auf das entsprechende Schlüsselwort herauszuarbeiten. Die dadurch entstandenen Ergebnisse vonseiten jedes Schlüsselwortes wurden wiederum zusammengelegt und zu größeren schlüsselwortübergreifenden Themenfeldern gruppiert. 1

China

26 Million

51 Kredit

76 steigen

2

chinesisch

27 Regierung

52 Wen

77 Indien

3

|

28 Wachstum

53 BYD

78 Ware

4

Chinese

29 Pekinger

54 VW

79 Aufstieg

5

Peking

30 Mitte

55 Quelle

80 wirtschaftlich

6

Shanghai

31 Wirtschaft

56 Geschäft

81 Bank

7

Yuan

32 Export

57 Aufwertung

82 umgerechnet

8

Volksrepublik

33 Währung

58 Bauer

83 Börse

9

Prozent

34 West|Westen

59 Wirtschaftswachstum

84 Xiaoping

10 Dollar

35 Mao

60 kommunistisch

85 Import

11 Reich

36 Renminbi

61 Hersteller

86 SAIC

12 Hongkong

37 Wang

62 billig

87 Wohlstand

13 westlich

38 kaufen

63 Unternehmer

88 Fernost

14 Land

39 KP

64 Auto

89 Investor

15 Firma

40 d

65 Asien

90 lokal

80 

 Li Jing

16 Milliarde

41 staatlich

66 Produkt

91 mehr

17 Fabrik

42 Konzern

67 produzieren

92 MONEY

18 in

43 wachsen

68 Geld

93 Devisenreserve

19 Unternehmen

44 Jahr

69 Investition

94 ISIN

20 Arbeiter

45 Wanderarbeiter

70 Xi

95 BIP

21 Markt

46 investieren

71 Joint

96 Schanghai

22 ausländisch

47 Stadt

72 Hu

97 Alibaba

23 Shenzhen

48 Zhang

73 bauen

98 Werkbank

24 Li

49 groß

74 Volkswirtschaft

99 Know

25 Provinz

50 Deng

75 Shanghaier

100 Bruttoinlandsprodukt

3.1.1 Grammatisch-kategoriale Vorsortierung der Schlüsselwörter Einen ersten Überblick liefert vorerst die folgende grammatisch-kategoriale Vorsortierung der obigen Schlüsselwörter. Dabei wird – mit Modifikation – von den abstrakten Frame-Kategorien von Konerding (1993) Gebrauch gemacht: Akteure, Handlungen, Institutionen und Orte, Ereignisse, Sachverhalte, Folgen, Ursachen usw.8 a) Substantive Die meisten Schlüsselwörter sind Substantive. Diese lassen sich in mehrere Kategorien untergliedern. Die erste Kategorie der Substantive bilden ORTE. Zu ORTEN gehören zunächst die verschiedensten Bezeichnungen, mit denen auf China verwiesen wird: China, Volksrepublik, Land, Reich, Mitte (Reich der Mitte). Ferner handelt es sich um Wörter, die geographische Befindlichkeit (Fernost, Asien) oder die politische Struktureinheit Chinas im Allgemeinen (Provinz, Stadt, Land)  – als relevante wirtschaftliche Handlungsräume – darstellen. In vielen Kontexten wird mit den beiden  – eigentlich breit konzipierten  – geographischen Lagen Fernost und Asien überwiegend auf China verwiesen, was dessen besonderen wirtschaftlichen Status in der Region markiert:

8 Ausführlicher dazu vgl. auch die Überblicksanalyse von Friedemann Vogel in diesem Band.



„Reich der Mittel“ 

 81

Afrikas Staaten profitieren von der Wirtschaftsförderung aus Fernost  / auch die deutsche Wirtschaft profitiert vom Boom in Fernost / Beschäftigung wird gänzlich nach Asien verlagert. China ist dann die neue Weltmacht Nummer eins.

Darüber hinaus zählen Peking, Shanghai/Schanghai, Hongkong und Shenzhen zu konkreten Städten, die wegen ihrer herausragenden Bedeutung im Wirtschaftsleben Chinas immer wieder erwähnt werden: Peking als Hauptstadt Chinas mit großem Einfluss auf wirtschaftliche Entscheidungen, vielfach im thematischen Zusammenhang mit der Aufwertung der chinesischen Währung; Shanghai/ Schanghai als Wirtschafts- und Finanzzentrum Chinas, auch in Bezug auf Börse und Auto (Kooperation mit VW); Shenzhen vielfach im Zusammenhang mit Börse und als Sonderwirtschaftszone der Reform- und Öffnungspolitik (zentraler Produktionsstandort); Hongkong häufig wegen Börse und historisch bedingter Sonderstellung im wirtschaftlichen Austausch zwischen Außenwelt und Festlandchina. Nicht zuletzt gehören zu dieser Kategorie noch internationale ORTE, sowohl konkrete Einzelstaaten wie Indien, das wegen vergleichbarer wirtschaftlicher Situation zu China häufig in Aufzählung (BRICS-Staaten / Schwellenland) mit erwähnt wird, als auch das abstraktere Staatenkollektiv wie Westen, das in unterschiedlichen Wirtschaftsverhältnissen (z. B. Investition, Marktbelegung, Produktionsverlagerung) als holistisches Pendant gegenüber China geprägt und gesetzt wird. Die zweite Kategorie bilden INSTITUTIONEN9, die auf unterschiedlichen hierarchischen Ebenen anzusiedeln sind. Dazu gehören zunächst Regierung und KP, die eher politische Instanzen als wirtschaftliche Figuren darstellen. Dennoch haben sie sich wegen der (in China besonders) engen Verflochtenheit zwischen beiden Domänen (Politik und Wirtschaft) als aktive Akteure im Wirtschaftsleben etabliert. Die Beteiligung der Regierung realisiert sich in verschiedenen Formen. Zu den am häufigsten berichteten Formen gehören vielfältige Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung (gigantisches Konjunkturpaket  / Staatsfonds / Kreditvergabe), Entgegenwirken gegen wirtschaftliche Überhitzung (verhindern / bremsen / gegensteuern, z. B. bei Inflation, bei möglichen Blasen im Aktien- und Immobilienmarkt), Währungspolitik (Aufwertung der Währung Renminbi  / Internationalisierung ihrer Währung). Es wird vielfach beobachtet, dass die KP – anders als Regierung – in tendenziell negativen Wirtschaftszusammenhängen verwendet wird (manipulieren  / Korruption). Aus der Kookkurrenzana-

9 In der vorliegenden Untersuchung wird mit INSTITUTIONEN eine Übergangskategorie angenommen, und zwar mit fließenden Grenzen zu der vorstehenden Kategorie ORTE (mehr als Handlungsräume) und der nachstehenden Kategorie AKTEURE (mehr als handelnde Subjekte).

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lyse zu KP ergibt sich eine besondere – gegenüber Führer/Funktionär/Mitglied/ Kader eher weniger zu erwartende – Personengruppe: Kinder (Kinder hoher KPFunktionäre). Diese wird häufig als privilegiert charakterisiert (gute Beziehungen und gute Aussichten / gut bezahlte Jobs und gute Aussichten / sahnen Milliarden ab), was die Schattenseite der engen Verflochtenheit zwischen Politik und Wirtschaft markiert. Eine weitere wichtige INSTITUTION bildet die Bank. Meistens wird von den staatlichen Banken berichtet. Sie unterstützen mit billigen Krediten die Regierung bei ihrer Wirtschaftsförderungspolitik im Inland und bei ihrer wirtschaftlichen Expansion ins Ausland. Das am meisten thematisierte Problem ist die Anhäufung von faulen Krediten (bis zu 40 Prozent faule Kredite / ein Berg fauler Kredite / eine Reihe fauler Kredite / faule Kredite von insgesamt 2 Billionen Yuan). Darüber hinaus gehören zu INSTITUTIONEN noch Unternehmen, Firma, Konzern, Fabrik und Joint-Venture10. Sie fungieren entweder als aktive wirtschaftsbetreibende Figuren in Bezug auf Investition, Produktion, Marktbelegung, Export-/Import-Geschäft oder geben konkrete Lokalitäten dieser Wirtschaftspraxis an. Besonders erwähnenswert ist: Unternehmen/Firma/Konzern werden sowohl mit chinesisch als auch mit ausländisch/westlich attribuiert; dementgegen handelt es sich bei Fabrik vor allem um Fabriken in China oder China als Fabrik der Welt. Joint-Venture wird nicht nur als übliche Form der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen China und Ausland charakterisiert, sondern auch zum Teil mit Kritiken zur Zwangsläufigkeit der Joint-Venture-Gründung (ZwangsJoint-Venture) und des Technologietransfers verbunden. Die dritte Kategorie der Substantive bilden die AKTEURE, welche sich wiederum in zwei Subkategorien PERSONEN und PERSONENGRUPPEN untergliedern lassen. Die Schlüsselwörter Hu, Xi, Wen, Deng, Mao, Li, Xiaoping, Wang, Zhang sind zum größten Teil (bis auf Xiaoping) Familiennamen und verweisen auf Einzelpersonen, vor allem politische Persönlichkeiten: z. B. der große Reformer Deng Xiaoping, der die für den heutigen chinesischen Wirtschaftserfolg entscheidende Reform- und Öffnungspolitik eingeleitet hat; ehemalige bzw. aktuelle Staatschefs (Xi Jinping, Hu Jintao, Wen Jiabao), die durch Staatsbesuche wirtschaftliche Beziehungen zu anderen Ländern anknüpfen und ankurbeln. In der Kategorie PERSONENGRUPPEN befinden sich neben thematisch bedingtem Chinese einerseits Investor, Unternehmer bzw. Hersteller und andererseits Arbeiter, Wanderarbeiter bzw. Bauer. Wie bei Unternehmen/Firma/Konzern gibt es auch bei Investor/Unternehmer/Hersteller eine Differenzierung zwischen chinesischen Investoren/Unternehmern/Herstellern vs. ausländischen Investoren/Unternehmern/Herstellern. Bei Arbeiter/Wanderarbeiter/Bauer handelt es sich lediglich

10 In den ersten 100 Schlüsselwörtern kommt lediglich die Wortform „Joint“ vor.



„Reich der Mittel“ 

 83

um chinainterne Bevölkerungsgruppen, die sich in schwächeren wirtschaftlichen und sozialen Zuständen befinden. Die vierte Kategorie umfasst SACHVERHALTE und EREIGNISSE. Die betreffenden einzelnen Schlüsselwörter verweisen auf relevante Themen in chinabezogenen Wirtschaftsdiskursen und verbinden sich  – auch mit anderen Schlüsselwörtern aus anderen Kategorien (auch grammatischen Kategorien wie Verben, Adjektiven) – zu größeren schlüsselwort-übergreifenden Themenfeldern, die im nächsten Abschnitt ausführlich erläutert werden. Dazu gehören ›chinesische Wirtschaft im Allgemeinen‹ (Wirtschaft, Volkswirtschaft), ›Wirtschaftswachstum‹ (Wachstum, Wirtschaftswachstum, BIP, Bruttoinlandsprodukt, Aufstieg), ›wirtschaftliche Stärke‹ (Geld, Wohlstand, Devisenreserve), ›Investition‹ (Investition, Börse, ISIN, Kredit), ›Außenhandel‹ (Export, Import, Geschäft, Alibaba), Markt und Konsum (Markt), ›Produktion in China‹ (Produkt, Ware, Werkbank), ›Auto‹ (Auto, BYD, VW, SAIC), ›Währung‹ (Aufwertung, Yuan, Währung, Renminbi), ›Technologietransfer‹ (Know-how11). Die letzte Kategorie umfasst Schlüsselwörter, mit denen wirtschaftlich relevante Größen (z. B. Wachstum, Investitions-, Absatz-, Umsatzvolumen, Devisenreserve) gemessen und quantifiziert werden können: Prozent, Million, Milliarde, Dollar, Jahr (als temporale Vergleichsbasis).12 b) Verben Die 6 Verben unter den ersten 100 Schlüsselwörtern lassen sich in zwei große Kategorien einteilen. Die eine Kategorie (kaufen, investieren, produzieren, bauen) bezieht sich auf HANDLUNGEN, die von bestimmten personellen bzw. institutionellen Akteuren (chinesischen/ausländischen Unternehmen/Firmen/ Konzernen/Herstellern/Investoren/Banken usw.) im Rahmen bestimmter Handlungsräume (China, Provinz, Stadt; Ausland, Westen, Afrika; Werk, Fabrik usw.) in Bezug auf bestimmte Objekte (Geld investieren, Auto/Ware/Staatsanleihe/ Rohstoff kaufen, Auto produzieren/bauen usw.) durchgeführt werden. Die andere Kategorie (wachsen, steigen) bezeichnet eine nach oben gerichtete Entwicklungstendenz von verschiedenen SACHVERHALTEN bzw. EREIGNISSEN (mit tendenziell positiven Folgen: Wirtschaft, BIP/Bruttoinlandsprodukt, Wohlstand, Markt, Export, Import; mit tendenziell problematischen bis negativen Folgen: Inflationsrate, Preis, Lohn, Energieverbrauch).

11 In den ersten 100 Schlüsselwörtern kommt lediglich die Wortform „Know“ vor. 12 Ähnlich verhält sich das Schlüsselwort umgerechnet. Es dient hauptsächlich zur veranschaulichenden Darstellung einer Geldsumme anhand einer für die Adressaten nachvollziehbaren Währung: 1940 Yuan im Monat (umgerechnet 230 Euro).

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 Li Jing

c) Adjektive Die 12 Adjektive unter den ersten 100 Schlüsselwörtern fungieren meistens als Attribute zu relevanten AKTEUREN bzw. INSTITUTIONEN: chinesische/westliche/ausländische Unternehmen/Firmen/Konzerne/Hersteller/Investoren/Unternehmer, staatliche Banken, lokale Partner/Firmen in Bezug auf Joint-VentureGründungen, kommunistische Partei/Führung, Pekinger Regierung/Führung, Shanghaier Börse/Aktienbörse) oder dienen zur Prädikation von SACHVERHALTEN bzw. EREIGNISSEN (billiger/e/es Yuan/Werkbank/Ware/Produkt, wirtschaftliche/er Öffnung/Aufstieg/Aufschwung/Erfolg/Entwicklung/Stärke, große/ er/es Wirtschaft/Volkswirtschaft/Markt/ Automarkt/Absatzmarkt/Produzent/ Hersteller/Autobauer/Exporteur/Problem/Herausforderung/Risiko, ausländische Investition/Direktinvestition, verkaufen/ exportieren/importieren mehr Autos/ Wagen/Fahrzeuge). Das Schlüsselwort mehr tritt im vorliegenden Textkorpus sowohl als Adjektiv als auch als Adverb auf. Die beiden statistisch relevantesten Syntagmen mit mehr (als Adverb) sind nicht mehr und immer mehr. Nicht mehr markiert eine Wende von einem bestimmten Zustand (vor allem Werkbank / billiger Produktionsstandort) zu einem anderen und postuliert eine Pluralisierung der wirtschaftlichen Rollen, die China in der gesamten Wirtschaftswelt einnimmt. Immer mehr verweist ähnlich wie wachsen und steigen auf eine ansteigende Tendenz in Bezug auf verschiedene SACHVERHALTE bzw. EREIGNISSE oder HANDLUNGEN (z. B. Investition). Beide Syntagmen unterstreichen die dynamische Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. d) Sonstiges Diese Kategorie umfasst zum einen Funktionswörter (in: Präposition zur lokalen bzw. temporalen Angabe; d: Artikelwort) und zum anderen textsorten- bzw. zeitschriftenspezifische Zeichen (|, Quelle, MONEY). Diese Gruppe spielt keine große Rolle bei der Herausbildung von wirtschaftlich relevanten Themenfeldern.

3.1.2 Größere schlüsselwort-übergreifende Themenfelder Die in diesem Abschnitt vorgestellten Themenfelder ergeben sich aus dem Zusammenschluss der wiederkehrenden Themenkategorien und Zuschreibungen, die



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 85

man aus der Untersuchung einzelner Schlüsselwörter gewonnen hat, und sollen wichtigen Aufschluss über das Medienimage der chinesischen Wirtschaft geben.13 Um die Darstellung zu strukturieren, wird ein Beschreibungsraster zugrunde gelegt, das basierend auf der Analyse von drei „Kern-Schlüsselwörtern“ (Wirtschaft  / Volkswirtschaft  / wirtschaftlich14) entwickelt wurde. Es umfasst vier zentrale Aspekte: – Zustand der chinesischen Wirtschaft – Hauptstützen der chinesischen Wirtschaft – Probleme der chinesischen Wirtschaft – Chinesische Wirtschaft im globalen Wirtschaftskontext a) Zustand der chinesischen Wirtschaft – Themenfeld ›Wirtschaftswachstum‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter15: Wachstum, Wirtschaftswachstum, wachsen, BIP, Bruttoinlandsprodukt, steigen, Aufstieg Auf verschiedene Art und Weise (konkrete Zahlen, pauschalisierende Behauptungen, Vergleich mit anderen Volkswirtschaften) wird wiederholt berichtet, dass die chinesische Wirtschaft schnell und anhaltend wachse: das Wachstum der chinesischen Wirtschaft war im letzten Quartal 2009 mit 10,7 Prozent wieder zweistellig / von 1991 bis 2003 stieg das chinesische Bruttosozialprodukt um durchschnittlich 9,7 Prozent pro Jahr / Chinas Wirtschaft wächst in großen Schritten / die chinesische Wirtschaft wächst und wächst und wächst / das rasante Wirtschaftswachstum, das seit Jahren alle anderen Volkswirtschaften weit in den Schatten stellt / nirgends ist das Wachstum so stark wie in China.

Die genau bezifferte jährliche Wachstumsrate des BIP/Bruttoinlandsprodukts (um X Prozent) wird häufig als Parameter herangezogen. Beim Vergleich mit anderen Volkswirtschaften treten üblicherweise als wirtschaftlich stark angesehene Einzelstaaten (wie USA / Japan / Deutschland) ebenso wie Staatenkollektive verschiedener Bezugsgröße (von westlichen Industrienationen / westlicher Ökonomie bis alle anderen Volkswirtschaften) als Vergleichspendant auf. Damit wird die (abso-

13 Es muss angemerkt werden, dass die einzelnen Themenfelder aus heuristischen Zwecken erarbeitet werden und nicht immer scharf voneinander abzutrennen sind. 14 Die drei Wörter erweisen sich wegen ihrer Semantik als zentral für die Thematik „Chinas Wirtschaft“. 15 Hier werden nur die Schlüsselwörter aufgelistet, mit denen hauptsächlich das Themenfeld generiert wird.

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lute) Überlegenheit Chinas in Bezug auf das Wachstumstempo unterstrichen und das starke Wachstum als charakteristisches Merkmal der chinesischen Wirtschaft im Mediendiskurs hervorgehoben. In Medienberichten vor allem nach 2008 wird vereinzelt auch von einer Abschwächung des Wachstums (immerhin Wachstum, allerdings etwas langsamer) berichtet. – Themenfeld ›wirtschaftliche Stärke‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Volkswirtschaft, BIP, Bruttoinlandsprodukt, Aufstieg, Devisenreserve, Geld, Wohlstand Neben dem Wirtschaftswachstum wird viel über die wirtschaftliche Stärke, die China inzwischen erreicht hat, berichtet. Insgesamt hat sich das Bild einer florierenden/boomenden Wirtschaft etabliert. Der Wirtschaftserfolg wird häufig mit der Phrase die X-größte Volkswirtschaft der Welt (gemessen am BIP/Bruttoinlandsprodukt) spezifiziert. Im vorliegenden Korpus mit einem zeitlichen Intervall von 14 Jahren (2000 bis 2013) lässt sich ablesen, dass China immer einen der vorderen Plätze im internationalen Vergleich belegt: von der sechstgrößten Volkswirtschaft in der Anfangsphase über die viertgrößte Volkswirtschaft in der Mittelphase bis zur zweitgrößten Volkswirtschaft in der Endphase.16 Hinzu kommt noch die wiederkehrende positive Prognose, dass China in der Zukunft die größte Volkswirtschaft der Welt werde. Auch bei der mehrfach vorkommenden Mehrwortverbindung Chinas Aufstieg zu X kommt der Verweis auf die wirtschaftliche Stärke am häufigsten vor (Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht Nummer 1 / Chinas Aufstieg zur wirtschaftlichen Supermacht / Chinas Aufstieg zur reichen Weltmacht). Darüber hinaus wird immer wieder thematisiert, dass China die größte Devisenreserve auf der ganzen Welt besitze (die weltweit größte Devisenreserve / die größte Devisenreserve der Welt / die größte Devisenreserve / die größte Devisenreserve der Erde). Besonders herausragend sind die Ad-hoc-Bildung Reich des Geldes (aus Reich der Mitte) und die interessanten Metaphern China ertrinkt im Geld / China schwimmt gerade im Geld. Sie bestärken den Eindruck, dass China insgesamt über sehr viel Geld verfügt. Es wird auch wiederholt von zunehmendem/steigendem/wachsendem Wohlstand berichtet. Die oben dargestellte, eher das gesamte Wirtschaftsvolumen fokussierende Perspektive erweist sich als eine dominante Betrachtungsperspektive in Bezug auf den wirtschaftlichen Zustand Chinas. Dementgegen erscheint das noch ganz bescheidene Pro-Kopf-Wirtschaftsvolumen (vor allem via Bruttoinlandsprodukt pro Kopf) weniger pointiert in den Berichten.

16 Die Phaseneinteilung bezieht sich auf das zeitliche Korpusintervall.



„Reich der Mittel“ 

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Dieses Themenfeld ist besonders anschlussfähig und verflechtet sich mit vielen anderen Themenfeldern: z. B. ›Investition‹ (viel Geld, mehr investieren können oder umgekehrt), ›Markt und Konsum‹ (mehr Wohlstand, mehr Konsum), ›Überhitzung‹ (zu viel Geld, Gefahr vor Inflation und Blasen). b) Hauptstützen der chinesischen Wirtschaft In der Analyse zeigen sich Export und Investition (Investition vom Ausland und durch die chinesische Regierung) als Hauptstütze (Treiber/Motor) für die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft. In Belegen aus der zweiten Hälfte des zeitlichen Korpusintervalls wird zunehmend auch Konsum (vor allem Binnenkonsum/Binnennachfrage/inländischer Konsum) eine immer wichtigere Rolle zugeschrieben. Vor diesem Hintergrund werden alle Themenfelder, die – unmittelbar und mittelbar  – mit Export, Investition und Konsum zusammenhängen, unter dem breit angelegten Aspekt „Hauptstütze der chinesischen Wirtschaft“ zusammengefasst. – Themenfeld ›Investition‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Investition, investieren, Investor, Geld, Devisenreserve, Kredit, Regierung, Bank, Unternehmen, Firma, Konzern, kaufen, billig (Kredit), staatlich (Bank) In Bezug auf Investitionen konzentrieren sich die Belege auf drei Themenkategorien: ausländische Investitionen in China; chinesische Investitionen im Ausland; chinesische Investitionen im Inland. China wird in erster Linie als ein Land dargestellt, das wegen Markt17, billiger Arbeitskraft18, billiger Währung19 Investition/Geld von verschiedenen Ländern und Regionen (vielfach Europa, Deutschland, Japan) in großer bzw. zunehmender Menge anzieht. Die interessante Strom-Metaphorik (immer mehr ausländisches Geld strömt ins Land / [es] fließt derzeit viel Geld nach China) unterstreicht in besonderem Ausmaße die Menge und Bewegungsdynamik der Investitionen. Wichtige Akteure bei dieser Art Investitionstätigkeit sind ausländische Unternehmen/Firmen/Konzerne/Investoren. Nicht wenig wird auch über die negativen Einfluss-Faktoren berichtet, die ausländische Investoren unsicher machten. Dazu gehören a) unfreiwillige und unerwünschte Kooperation und Technologietransfer, die eventuell zu späteren Konkurrenzverhältnissen auf dem globalen Markt

17 Ausführlicher dazu bei Themenfeld ›Markt und Konsum‹. 18 Ausführlicher dazu bei Themenfeld ›Produktion in China‹. 19 Ausführlicher dazu bei Themenfeld ›Währung‹.

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führten; b) ungünstige Rechts- und Marktsituation (z. B. ohne ausreichende Rechtsstaatlichkeit / mangelnde Markttransparenz). In der zweiten Hälfte des zeitlichen Korpusintervalls lässt sich in den Belegen mehr und mehr lesen, dass China zunehmend ins Ausland investiere. Es etabliert sich langsam das neue Image – das große Devisenreserve besitzende China auf weltweiter Einkaufstour. Diese veränderte Rolle zeigt besonders deutlich der folgende kontrastierende Beleg: Während die vergangenen Dekaden von ausländischen Investoren in China geprägt waren, rollt nun eine Welle chinesischer Investitionen auf den Rest der Welt zu.

Als aktive Akteure in diesem Kontext gelten neben wirtschaftlichen Institutionen wie Unternehmen/Firmen/Konzerne auch Instanzen wie die Regierung und die (staatlichen) Banken mit billigen Krediten. Die Zielländer dieser Investition lassen sich pauschal in zwei Gruppen einteilen: a) relativ unterentwickelte (vor allem afrikanische, auch asiatische) Länder, und zwar mit der Primärzielsetzung der Aneignung von Rohstoffen/Energie und Märkten; b) entwickelte Länder (z. B. Europa, Deutschland, Japan, USA). Außer Rohstoffen/Energie werden der Investitionstätigkeit Chinas auch häufig zwei weitere Zielsetzungen zugeschrieben: a) Aneignung von Wissen und Technik (bzw. Marken); b) zunehmender Einfluss im internationalen Umfeld. Es wird weiterhin mehrfach darüber berichtet, dass die chinesische Regierung stark ins Inland investiere und dadurch die Wirtschaftsentwicklung ankurble. Die Hauptakteure dabei sind die Regierung und die staatlichen Banken, die Konjunkturpakete/Konjunkturprogramme/Konjunkturspritzen und billige Kredite anbieten. Die Branchen der neuen Energie (Sonnen-, Wind-, Wasserenergie), die High-Tech-Branchen und nicht zuletzt die Infrastruktur werden als häufige Zielbranchen genannt. – Themenfeld ›Außenhandel‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Export, Import, Geschäft, steigen, kaufen China wird stark als internationale Export-Großmacht (Export-Weltmeister  / weltweiter Champion) geprägt. Es wird wiederholt über das zunehmende Exportgeschäft Chinas berichtet. Export gilt als Hauptstütze für die chinesische Wirtschaft. Teilweise wird auch die wirtschaftliche Wende von Export zu Konsum/Binnenkonsum thematisiert. Ein wiederholt aufgegriffener kritischer Aspekt in Bezug auf Chinas Exportgeschäft ist die sog. künstlich billig/niedrig gehaltene Währung (Yuan/Renminbi), durch welche die chinesische Regierung – in manchen Branchen eventuell noch in Ergänzung mit Subventionen – Wettbewerbsvorteile auf-



„Reich der Mittel“ 

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grund niedriger Preise schaffe. In diesem Zusammenhang wird auch häufig von den abwehrenden Reaktionen (Strafzoll) anderer Länder berichtet. In Bezug auf Chinas Importgeschäft stehen im Mittelpunkt aller gesichteten Belege Rohstoffe und Energie (vor allem aus Afrika). Die diesbezüglich wiederkehrende bzw. übertreibende Phrase Markt/Weltmarkt leer kaufen und die negativ konnotierten Metaphern Riesenstaubsauger/Rohstoff-Hunger verstärken das Rohstoffe und Energie begehrende Image Chinas. Neben Afrika hebt sich auch Deutschland als relevanter Handelspartner aus den Belegen heraus. Es wird vielfach über den steigenden Export von Deutschland nach China berichtet (vor allem von Autos).20 Dieses Themenfeld verschmilzt im Grunde mit zwei weiteren Themenfeldern: ›Produktion in China‹, ›Markt und Konsum‹. Diese verdienen allerdings wegen thematischer Relevanz als eigenständige Kategorien aufgeführt zu werden. – Themenfeld ›Produktion in China‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: produzieren, bauen, Produkt, Ware, Werkbank, Fabrik, Markt, Unternehmen, Firma, Konzern, Joint-Venture, Hersteller, Arbeiter, billig Diesbezügliche Belege haben sich grob gesehen zu zwei unterschiedlichen Bildern vereinigt: China als billige Werkbank/Fabrik der Welt vs. China nicht mehr als billige Werkbank/Fabrik der Welt. Es wird wiederholt darüber berichtet, dass ausländische Unternehmen/ Firmen/Konzerne wegen billiger Arbeitskraft und Nähe zum riesigen lokalen Absatzmarkt in China produzieren lassen.21 China wird als verlängerte Werkbank der Welt/Fabrik der Welt betrachtet. Es fällt auf, dass bei dieser Zuschreibung meistens Verben/Prädikate mit hohem Faktizitätsanspruch (z. B. sein, gelten, bleiben) verwendet werden. Manchmal wird diese Zuschreibung als Attribut beim Referieren auf China hinzugefügt: das Verhältnis der Werkbank China in der westlichen Konsumgesellschaft / zudem liefert China als Werkbank der Welt viele Produkte nach Amerika. Es finden sich sogar Belege, in denen allein mit dieser Zuschreibung auf China Bezug genommen wird: die Werkbank der Welt und Wirtschaftssupermacht hat für den Absatz ihrer Massenware auch Indiens kaufkräftige Mittelschicht im Visier. All das trägt dazu bei und spricht auch dafür, dass sich dieses Image im Mediendiskurs dominant durchgesetzt hat. Ähnlich wie beim Thema Investition konzentrieren sich die negativen Szenarien vor allem auf:

20 Vgl. auch die Themenfelder ›Markt und Konsum‹ und ›Auto‹. 21 Diese wiederkehrende (kausale) Verknüpfung (billige Arbeitskraft, Marktpräsenz) findet man auch bei dem Themenfeld ›Investition‹.

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a) unfreiwillige Kooperation: denn wer in China produzieren will, darf das nur in einem „ Zwangs-JointVenture“ mit ansässigen Firmen tun / ausländische Firma dürfen in China nur gemeinsam mit chinesischen Staatsunternehmen Autos produzieren / wie ein mächtiger Platzwart wies sie ausländischen Firmen lokale Partner zu b) Probleme bzw. Ärger in Bezug auf Technologietransfer (Industriespionage / Kopieren von High-Tech-Geräten / billige Klone). Eine weitere Komponente des Medienimages Chinas als Werkbank/Fabrik der Welt besteht darin, dass China die ganze Welt mit Produkten/Waren beliefere, und zwar in großer Menge (X Prozent aller XY / mehr als die Hälfte aller X / die meisten X; in diesem Kontext auch die tendenziell negativ konnotierte Strom-Metaphorik in verschiedenen Formulierungsvarianten: China überschwemmt die Welt mit seinen Waren / Flut chinesischer Waren) und in breiter Palette (Bekleidung / Schuhe / Spielzeug / Fotokameras / Mobiltelefone / Fernseher / Autos / Stahl usw.). Die prototypischen Etikettierungen zu Produkten/Waren aus China umfassen: a) billig (oft im Diskurszusammenhang mit der billigen chinesischen Währung und Sanktionsmaßnahmen anderer Länder wie Strafzoll  / Anti-Dumping-Klage); b) Kopie und Fälschung (fälschen / nachbauen / kopieren / abkupfern / nachahmen; hemmungslos / skrupellos; Ideenklau / Nachbildung / Raubkopierer / Markenfälscher  / Kopieranstalt); c) mangelnde Qualität (Ramsch  / Ramschware  / SchrottProdukte / Skandal um Qualitätsmangel). Vor allem in dem letzten Drittel des zeitlichen Korpusintervalls zeichnet sich eine Wandlungstendenz des Images ab: von billiger Werkbank der Welt zu nicht mehr billiger Werkbank der Welt. Während bei der Verankerung des ursprünglichen Images eher Verben wie sein/gelten/bleiben zum Einsatz kommen, werden bei dem neuen Image vor allem Modalverben wie wollen/sollen herangezogen. Das unterstreicht den unterschiedlichen Grad des Geltungsanspruchs der beiden Images. Dasjenige, zu dem sich China – weg von billiger Werkbank – entwickeln wolle/solle (mehrfach in der Phrase von der Werkbank der Welt zu X), ist vor allem: a) High-Tech-Standort (High-Tech-Macht / Innovationsfabrik / Hightech-Labor / Technologiegesellschaft); b) Qualitätsprodukt unter eigener Marke (hochpreisige Markenprodukte  / erstklassige High-Tech-Produkte / mit eigenen Marken expandieren / hochwertige Industrieprodukte selbst herstellen / eigene Produkte und Lösungen); c) Gesellschaft mit mehr Binnenkonsum (einheimischer Konsum / Binnenmarkt / aus Arbeitern und Bauern sollen fröhliche Verbraucher werden). – Themenfeld ›Markt und Konsum‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Markt, Produkt, Ware, Wohlstand, kaufen, Export, steigen, wachsen, Wachstum, Auto, Unternehmen, Firma, Konzern, Hersteller, groß



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Zahlreiche Belege verweisen auf die Wichtigkeit des chinesischen Marktes für verschiedene Länder, Unternehmen/Firmen/Konzerne/Hersteller und ihre Produkte. Die Autobranche gilt als die am meisten thematisierte Branche im Zusammenhang mit Markt und Konsum. Neben der enormen Größe (Riesenmarkt / riesiger Binnenmarkt  / gewaltiger Markt  / riesiger Absatzmarkt) wird auch der dynamische Zuwachs des Marktes und des Konsumpotentials immer wieder betont, der vor allem mit dem steigenden Wohlstand in China in diskursiven Zusammenhang gebracht wird. Die vielfach verwendete Militär-Metaphorik zum Beispiel in Phrasen wie chinesischen Markt erobern, die wiederkehrende Attribuierung mit Superlativ-Formen (der größte Markt / der wettbewerbsintensivste Markt / der dynamischste Markt der Welt) und nicht zuletzt einzelne wortspielerische Formulierungen wie wer den größten Markt der Welt verliert, der verliert den Weltmarkt, all das unterstreicht die strategische Bedeutung des chinesischen Marktes im globalen Wirtschaftskontext aus Sicht der Berichterstatter. – Themenfeld ›Auto‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Auto, VW, SAIC, BYD, bauen, produzieren, kaufen, Markt, mehr Die Autobranche gilt als die einzige konkrete Industriebranche, deren Bedeutsamkeit durch 4 branchenspezifische Schlüsselwörter (Auto, VW, SAIC, BYD) gekennzeichnet ist. Auf der einen Seite wird China als ein riesiger Autoabsatzmarkt dargestellt. Besonders bemerkenswert ist, dass in diesem Zusammenhang häufig mit dem Schüsselwort mehr Vergleiche formuliert werden, bei denen entweder traumhaftes Absatzwachstum (z. B. 130 Prozent mehr Autos als im Vorjahr) oder Überlegenheit des Absatzvolumens auf dem chinesischen Markt gegenüber anderen Märkten (z. B. Marktführer Volkswagen verkauft in China sogar bereits mehr Autos als auf seinem Heimatmarkt) thematisiert wird. Auf der anderen Seite gilt China als weltweit relevanter Autoproduktionsstandort, und zwar sowohl in Zusammenarbeit mit ausländischen Autofirmen (z. B. mit VW) als auch  – mittlerweile – in eigenständiger Entwicklung unter eigenen Marken (z. B. BYD). Die wiederkehrende Kritik konzentriert sich vor allem auf a) die als nicht fair qualifizierte Kooperationsform (z. B. Zwangs-Joint-Venture / Konkubinenwirtschaft22) und b) Plagiate (Copy-Shop / Plagiat / kaufen und kopieren / fälschen). – Themenfeld ›Währung‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Währung, Yuan, Renminbi, Dollar, billig, Regierung, Peking

22 „Konkubinenwirtschaft“ nennt sich diese Art der Zusammenarbeit. So wie sich chinesische Kaiser einst ihre (Teilzeit-)Gefährtinnen aussuchten, wählt die heutige Führung Chinas ausländische Unternehmen aus, die gemeinsam mit einem einheimisch Partner im Land produzieren dürfen. Die Volksrepublik nötigt die Hersteller zu diesen Kooperationen.

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Wenn von chinesischer Währung die Rede ist, handelt es sich vor allem um zwei Aspekte: a) die künstlich niedrig gehaltene Währung und b) die Aufwertung der Währung. Es wird vielfach behauptet, dass die chinesische Regierung (Staat als Akteur; auch Peking als stellvertretender Referenzausdruck) die chinesische Währung künstlich niedrig halte (billiger Yuan  / „substantiell“ unterbewertet  / am stärksten unterbewertete Währung weltweit). Dies wird wiederholt explizit durch finale Konnektoren (um …zu / damit) mit der Förderung von Chinas Exportgeschäft verknüpft. Dadurch wird ein starkes Mittel-Zweck-Verhältnis geprägt. Während die Unterbewertung der Währung aus exportantreibendem Motiv eher als Faktizität diskursiv dargestellt wird, handelt es sich bei dem zweiten Aspekt – Aufwertung der Währung – überwiegend um Inhalt/Proposition von direktiven Sprechakten (wollen / verlangen / fordern / drängen / appellieren) anderer Staatenakteure (USA als in diesem Zusammenhang besonders herausragender Einzelstaat; sonst nur Staatenkollektive wie westliche Industrieländer / Westen / alle Welt). Dieses Themenfeld hängt eng mit den beiden Themenfeldern ›Außenhandel‹ und ›Produktion in China‹ zusammen. c) Probleme der chinesischen Wirtschaft – Themenfeld ›Überhitzung‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Wirtschaft, Volkswirtschaft, Kredit, Börse, wachsen, Wachstum, Wirtschaftswachstum, steigen, Aufwertung, Regierung In den gesichteten Belegen wird die Überhitzung (Blase / Kollaps / Inflation / die Preise steigen drastisch/kräftig) als ein großes Problem der chinesischen Wirtschaft benannt. Die viel angesprochenen Blasen-Branchen sind Immobilien und Börse. Als Ursache werden schnelles/hohes Wachstum, von der Regierung in Form von Krediten in die Wirtschaft gepumptes Geld, nationales bzw. internationales Spekulationsgeld geltend gemacht. Es wird auch mehrfach von der Bemühung der Regierung berichtet, solcher Überhitzung entgegenzuwirken (bremsen / drosseln / verhindern / eindämmen / verlangsamen / gegensteuern). – Themenfeld ›Verbrauch von Energie/Rohstoff‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Wirtschaft, Volkswirtschaft, Investition, kaufen, Import, steigen, wachsen, Wachstum, Wirtschaftswachstum Ein weiteres viel thematisiertes Problem ist die steigende Inanspruchnahme Chinas von Energie und Rohstoffen. Es wird häufig berichtet, dass China – mit der Wirtschaftsentwicklung einhergehend – eine ‚Unmenge‘ von Energie/Rohstoffen (Öl, Kohle usw.) aus aller Welt einkaufe (verschlingen / leer kaufen / leer räumen /



„Reich der Mittel“ 

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aufkaufen), vielfach aus unterentwickelten Ländern im Austausch gegen chinesische Investitionen  / billige Kredite (vgl. die Themenfelder ›Außenhandel‹ und ›Investition‹). Besonders häufig werden in diesem Zusammenhang der hohe (und ineffiziente) Verbrauch und die dadurch entstandene Umweltbelastung kritisiert: der Vergleich mit den USA liefert den Beweis: China verbraucht für einen Dollar des BIP jährlich drei- bis viermal mehr Energie / Mit den Abfällen ihrer boomenden Wirtschaft vergiften die Chinesen sich selbst und den Rest den Welt / die Zerstörung der Natur ist der Preis für Chinas Wachstum  / drei Jahrzehnte ungestümes Wirtschaftswachstum haben Luft, Wasser und Erde verdreckt.

d) Chinesische Wirtschaft im globalen Wirtschaftskontext – Themenfeld ›chinesische Wirtschaft im globalen Wirtschaftskontext‹, Schwerpunkt-Schlüsselwörter: Wirtschaft, Volkswirtschaft, wachsen, Wachstum, Wirtschaftswachstum, Aufstieg Es lohnt sich, unter einem eigenständigen Themenfeld zusammenzufassen, wie explizit (!) über den Einfluss der chinesischen Wirtschaft auf die Weltwirtschaft und über das Empfinden anderer Länder/Volkswirtschaften gegenüber China berichtet wird. In vielen Belegen wird China als ein Land konstituiert, dessen Wirtschaftsentwicklung substanziellen Einfluss auf die Weltkonjunktur ausübt. Besonders auffällig sind die wiederkehrenden Metaphern, die die antreibende Funktion des chinesischen Wirtschaftswachstums für die globale Konjunktur unterstreichen: globaler Wachstumsmotor / der asiatische Wachstumsmotor / die weltweite Konjunkturlokomotive / Motor der globalen Konjunktur / Motor der Weltkonjunktur / Schmieröl für die Weltwirtschaft / die Lokomotive. Andererseits wird auch über einzelne negative Folgen im Zusammenhang mit Chinas Wachstum und Aufstieg berichtet: z. B. Wettbewerb um Rohstoffe, Verlust von Arbeitsplätzen, Konkurrenz auf dem Weltmarkt. In Bezug auf das explizit (!) thematisierte Empfinden anderer Volkswirtschaften gegenüber Chinas Wachstum und Aufstieg treten zum überwiegenden Teil negative Emotionen wie Bedrohung/Risiko/ gefährlich, Angst/fürchten, Misstrauen, Sorge/Besorgnis, verhindern/behindern/ bremsen/eindämmen, Neid/neidisch auf. Im Gegensatz zu der Verschiedenartigkeit der negativen Emotionskomplexe konzentriert sich das tendenziell positiv geprägte Empfinden vor allem auf Nützlichkeitsüberlegungen: profitieren / gewaltige Chance. Als Akteure, die diese gemischten (vor allem negativen) Gefühle zeigen, gelten in erster Linie holistisch geprägte, eher anonym bleibende Staatenkollektive wie Westen  / westliche Ökonomie  / die kapitalistische Welt  / viele Staaten in der Region / Länder Asiens / die asiatischen Nachbarn.

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Bei der Analyse der Schlüsselwörter ist aufgefallen, dass sich bei bilateralen Wirtschaftsverhältnissen zwischen China und anderen Volkswirtschaften  – abhängig von dem betreffenden „Interaktionspartner“  – ein unterschiedlicher diskursiver Fokus herausbildet. Trotz einzelner Diskussionen bei den Kategorien und Themenfeldern werden an dieser Stelle nochmal die sich aus den Belegen heraushebenden bilateralen Wirtschaftsverhältnisse (Indien, Deutschland, Afrika, USA) zusammenfassend und zugespitzt aufgegriffen: – China vs. Indien: China und Indien befinden sich überwiegend in einem kopulativ verknüpfenden (und, auch, Komma) syntaktischen Kontext. Sie teilen wegen ähnlicher wirtschaftsbezogener Konstellationen Gruppenetikettierungen wie Schwellenländer / Schwellenstaaten / BRIC-Staaten23 / Boomländer  / Aufsteigerländer  / Aufsteigernationen. Hervorgehoben wird dabei ihre wachsende und florierende Volkswirtschaft. – China vs. Deutschland: Das deutsch-chinesische Wirtschaftsverhältnis ist durch regen Handelsaustausch und enge Verknüpfung im Hinblick auf Investition und Produktion gekennzeichnet. Die Autobranche gilt dabei als die am meisten fokussierte Branche quer durch alle oben genannten Tätigkeitsbereiche. – China vs. Afrika: Das afrikanisch-chinesische Wirtschaftsverhältnis ist ebenfalls durch enge Wirtschaftskooperation gekennzeichnet. Anders als bei Deutschland handelt es sich bei Afrika überwiegend um massenhafte Lieferung von Energie bzw. Rohstoffen nach China, und zwar oft im Austausch gegen Investitionen in Form von billigen Krediten aus China. – China vs. USA: Die zwei auffälligsten Kontexte, in denen China und die USA gemeinsam thematisiert werden, bilden die Diskussionen über Chinas riesige Devisenreserve und Chinas billige Währung. Zum Unterstreichen seiner riesigen Devisenreserve wird wiederholt der Status Chinas als der größte Gläubiger der USA hervorgehoben. Im Kontext der Währungskontroverse treten die USA als am meisten fokussierter Einzelstaat-Akteur auf, der Druck auf die chinesische Regierung (Peking) in Bezug auf die Aufwertung chinesischer Währung ausübe.

3.2 Fokusstudie: Technologietransfer Um dem besonderen Erkenntnisinteresse gerecht zu werden, wird auf Basis vom vorliegenden Korpus eine Fokusstudie dem Thema Technologietransfer gewid-

23 Brasilien, Russland, Indien und China



„Reich der Mittel“ 

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met. Sie beruht auf einer gründlichen KWIC-Analyse des Schlüsselwortes Know(how) mit Hilfe der folgenden fokussierenden Regex-Abfrage: (Know.{0,100}([Cc]hina|[Cc]hines|Peking|Beijing|Schanghai|Shanghai))|(([Cc]hina|[Cc]hine s|Peking|Beijing|Schanghai|Shanghai).{0,100}Know)

Aus der Suche ergaben sich insgesamt 148 Belege. Sie wurden auf das berichtete Verhältnis zwischen China und Know-how überprüft. Die Ergebnisse lassen sich in folgenden Großkategorien zusammenfassen:

Abb. 3: Relative Verteilung der 148 Belege in Bezug auf das postulierte Verhältnis zwischen China und Know-how in Großkategorien

– In Bezug auf Know-how wird ein asymmetrischer Entwicklungsstand (Knowhow-Gefälle) zwischen China und anderen (westlichen) Ländern konstatiert. Die Komposita wie Know-how-Vorsprung  / Know-how-Spender bringen die dominante Position westlicher Nationen deutlich zum Ausdruck. Dementgegen wird China als ein Land dargestellt, dem es an Know-how fehlt (fehlen / Mangel / mangeln / wenig), das bei seiner Wirtschaftsentwicklung westliches Know-how benötigt (brauchen / Bedarf / interessieren / Interesse / wollen / erhoffen / setzen auf …) und benutzt (mit Know-how / nutzen / profitieren). – Es werden unterschiedliche Handlungstypen postuliert, wie sich China das erwünschte Know-how aneignet. Insgesamt lassen sich drei Subgruppen differenzieren. Die erste Subgruppe bilden die explizit (d. h. semantisch) negativ markierten Handlungen, die gegen rechtliche, wirtschaftsethische, moralische Maßstäbe verstoßen: stehlen (Know-how-Diebstahl / Know-howKlau  / klauen  / gestohlen  / kapern), kopieren (kopieren  / kopiertes Knowhow / abkupfern), erzwingen (Zwang zur Know-how-Preisgabe / erzwungene

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Offenlegung von Know-how  / unerwünschter Know-how-Transfer  / muss in China produzieren und sein Know-how mitbringen). Als kritischer Hintergrund dafür gilt die unfreiwillige und unerwünschte Wirtschaftskooperation (z. B. in Form von Joint-Ventures). In diesem Zusammenhang wird auch von der Furcht westlicher Länder vor Know-how-Verlust (Angst vor Know-how-Verlust  / die Furcht, dass deutsches Know-how unkontrolliert abwandert) und Präventionsmaßnahmen (wir achten darauf, dass wir kein Know-how preisgeben / Sie haben verhindert, dass Know-how abfließt) berichtet. Zu der zweiten Subgruppe gehören die relativ wertneutralen Handlungstypen bezüglich des Prozesses des Technologietransfers. Es wird zum großen Teil aus der Perspektive berichtet, dass China als Agens der jeweiligen Handlungen gilt: erwerben / Erwerb / Zugang zu … erhalten / an … kommen / Zugriff auf … / bekommen. Darüber hinaus gibt es auch Belege aus zwei weiteren Perspektiven mit entweder westlichen Ländern (weitergeben  / schicken  / liefern  / bringen  / Bereitstellung) oder Know-how selbst (fließen / kommen) als Agens. Die dritte Subgruppe betrifft eine spezifische Handlungsform in Bezug auf den Technologie-Erwerb: kaufen. Hierbei wird sowohl aus der Kauf-Perspektive Chinas (kaufen / einkaufen / erkauft / zusammenkaufen / aufkaufen / Kauf / Firmenshopping) als auch aus der Verkauf-Perspektive westlicher Länder (verkaufen / Ausverkauf / hoher Kaufpreis / gegen lukrative Bezahlung weitergeben) berichtet. Durch die Sonderstellung dieser auf finanzielle Mittel gegründeten Erwerbsart wird die wachsende wirtschaftliche Stärke Chinas ersichtlich. – Im Gegensatz zu den obigen zwei breit angelegten Kategorien wird am Rand auch von Chinas Know-how-Entwicklung berichtet, sowohl von dem Willen (wollen / versuchen) als auch von der erzielten Leistung (Know-how … wachsen  / steigendes technisches Know-how  / rasant wachsendes Knowhow / Know-how-Rivale). Das entspricht dem sich wandelnden Medienimage Chinas von billiger Werkbank zu High-Tech-Standort. Die folgende Graphik zeigt nochmal zusammenfassend die genaue Verteilung der 148 Belege, und zwar eingeteilt in den oben skizzierten Subkategorien:



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Abb. 4: Genaue Verteilung der 148 Belege in Bezug auf das postulierte Verhältnis zwischen China und Know-how

Die Ergebnisse dieser Fokusstudie betreffen Kategorien und Zuschreibungen, die sich auch aus der Überblicksstudie ergeben. Sie fungieren als Bestätigung, Spezifizierung bzw. Erweiterung aus einem besonderen Blickwinkel.

3.3 Fokusstudie: zugespitzte Zuschreibungen anhand ausgewählter Sprachmuster Bei der Analyse der Schlüsselwörter sind manche wiederkehrenden sprachlichen Formulierungen besonders aufgefallen wegen ihres semantischen bzw. syntaktischen Potentials, schematisierend-pauschalisierende Zuschreibungen zu akzentuieren. In dieser Fokusstudie wird anhand von drei ausgewählten Sprachmustern zusammenfassend dargelegt, welche zugespitzten stereotypen Zuschreibungen sich in Bezug auf China im wirtschaftlichen Kontext ermitteln lassen. Die drei ausgewählten Sprachmuster umfassen: Reich der/des X; China als X; Land (kaum ein anderes Land, als jedes andere Land, als in jedem Land, (in) kein(em) anderes(anderen) Land). Reich der/des X (z. B. Reich der Mittel / Reich des Geldes) geht auf Reich der Mitte (die übliche Bezeichnungsvariante Chinas) zurück. Sie ist eine auf die syntaktische Parallelität gegründete Ad-hoc-Bildung und kann damit den angesprochenen Aspekt Chinas besonders pointieren. China als X (z. B. China als großer Zukunftsmarkt  / China als künftiger Konkurrent) stellt eine klassische Zuschreibungssyntax dar. Mit kaum ein anderes Land, als jedes andere Land, als in jedem Land, (in) kein(em) anderes(anderen) Land wird auf die sich heraushebenden Eigenschaften/Merkmale Chinas im Gegensatz zu anderen Ländern verwiesen. Die ermittelten Zuschreibungen können wie folgt (mit ausgewählten exemplarischen Belegen) zusammengefasst werden:

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– schnelles Wachstum, boomende Wirtschaft: Reich der Superlative / China als einzige große Volkswirtschaft nicht von einer Rezession bedroht / kaum ein anderes Land weltweit entpuppt sich derzeit als ein vergleichbarer konjunktureller Tempomacher. – Reichtum: Reich der Mittel / Reich der üppigen Mittel / Reich des Geldes / China ist außerdem reich wie kaum ein anderes Land  / über eine Billion an Währungsreserven, das meiste davon in Dollar, hat China angehäuft, so viel wie kein anderes Land der Welt. – sehr begehrter Standort für ausländische Investitionen: Reich der Rendite  / Volksrepublik zieht seit 2002 mit jährlich mehr als 50 Milliarden Dollar mehr Direktinvestitionen an als jedes andere Land der Welt  / kein anderes Land zieht so viele ausländische Investitionen an wie China  / kein anderes Land der Erde lockte 2002 mehr Direktinvestitionen an als China. – großzügige Investition im Inland (Schwerpunkt: neue Energie): Reich der Winde / mit rund sieben Prozent des BIP schnürte kein anderes Land ein derart großes Konjunkturpaket / China gab 2009 für alternative Energien mehr aus als jedes andere Land  / Chinas Wirtschaftsstrategen sehen aber in der grünen Wirtschaft die Zukunft und investieren so viel wie kein anderes Land. – relevanter Produktionsstandort; Patentproblem; Qualitätsmangel: Reich der Arbeit / Reich des Stahls / Reich der Weber / Reich der Produktpiraten / Reich der Pfuscher / mit 220 Million Tonnen produzierte das Reich der Mitte 2003 mehr als jedes andere Land. – riesiger wachsender Markt (Schwerpunkt: Autos): Reich des Konsums  / China als Absatzmarkt / China als großer Zukunftsmarkt / China als Markt der Hoffnung / China als weltweit größter Wachstumsmarkt / in keinem anderen Land wächst die Zahl der Autobesitzer so rasant wie in China / denn in keinem anderen Land haben die Autokäufer die globale Krise derart konsequent ignoriert wie in China. – Manipulation der Währung: Reich des billigen Yuan / China als „Währungsmanipulator“ / China als manipulativer Handelspartner. – Verbrauch von Energie und Rohstoff; Umweltproblem: Reich des Röchelns / China als größter Kohleverbraucher des Planeten / China als Land der tausend schwefelspuckenden Schornsteine  / China braucht Energie. Wie kaum ein anderes Land / schon jetzt bläst kein anderes Land so viel des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2) in die Atmosphäre wie China. – Motor der Weltkonjunktur: China als globaler Wachstumsmotor / China als internationales Zugpferd der Wirtschaft / China als Wachstumslokomotive. – Konkurrent, Rivale, Bedrohung: China als künftiger Konkurrent / China als Rivale auf dem Weltmarkt / China als die bedrohliche Weltmacht.



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– enge Wirtschaftsbeziehung mit Deutschland: kaum ein Land ist für Deutschlands Industrie so wichtig wie China  / kaum ein Land profitiere von Chinas Aufstieg so stark wie Deutschland  / In diesem Jahr werden die deutschen Unternehmen laut einer Studie des deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK) in keinem anderen Land so viel investieren wie in China. Die herausgearbeiteten Zuschreibungsmuster überschneiden sich zum größten Teil mit den Themenfeldern aus der Überblicksstudie und können als schlüssiges und pointiertes Resümee zur gesamten Untersuchung angesehen werden.

4 Fazit und Ausblick Auf der Basis der vorgestellten Überblicksstudie und Fokusstudien kann eine Hypothese über das grundlegende Medienimage zu Chinas Wirtschaft wie folgt formuliert werden: ›Chinas Wirtschaft ist durch schnelles anhaltendes Wirtschaftswachstum und großen, zu mehr Wohlstand und Reichtum führenden Wirtschaftserfolg gekennzeichnet. China gilt einerseits wegen seines riesigen zuwachsenden Marktes als attraktiver Investitionsstandort, der aus aller Welt Investitionen in großer Menge anzieht. Andererseits agiert China als global tätiger Investor, der – mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Zielsetzungen  – großzügig sowohl im Ausland als auch im Inland investiert. China ist wegen billiger Währung und Arbeitskraft zum relevanten Produktionsstandort bzw. zur Export-Großmacht geworden und beliefert die ganze Welt mit Produkten und Waren. Mittlerweile nimmt der Umwandlungsprozess der chinesischen Wirtschaft Gestalt an, und zwar mit der Zielsetzung zu mehr Technologie, Qualität und Binnenkonsum. Wirtschaftliche Überhitzung, Verbrauch von Energie und Rohstoffen sowie damit verbundene Umweltbelastung gehören zu den schwerwiegendsten Problemen der chinesischen Wirtschaft. Im globalen Wirtschaftskontext wird China wegen seiner weltkonjunkturellen Bedeutsamkeit sowohl als Chance als auch als Konkurrent von anderen Volkswirtschaften wahrgenommen: Zunächst kann man in China gutes Geld verdienen, denn den Arbeitern muss man nicht soviel Lohn zahlen und die Chinesen kaufen alles, was nach westlichem Know-how aussieht; später erdreisten sich die Chinesen, selbst im Ausland Geld verdienen zu wollen, indem sie ihre Produkte billiger und zunehmend mit konkurrenzfähiger Qualität auf dem Weltmarkt anbieten und dabei unlautere Methoden anwenden (unfaire Wirtschaftskooperationen erzwingen, westliches Know-how klauen, Währung manipulieren, sich in Afrika einkaufen usw.).

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Zu den wichtigsten diskursiv etablierten Akteuren im Rahmen der chinesischen Wirtschaft gehören auf der höchsten Strukturebene Einzelstaaten wie China/Regierung, Deutschland, Indien, USA und Staatenkollektive wie Westen, Afrika, auf der mittleren Strukturebene Institutionen wie Banken, Unternehmen, Firmen, Konzerne, Fabriken, Joint-Ventures und Personengruppen wie Investoren, Unternehmer, Hersteller (Arbeitgeber) und Bauern, Arbeiter, Wanderarbeiter (Arbeitnehmer), auf der unteren Strukturebene einzelne politisch-wirtschaftlich relevante Persönlichkeiten.‹ Die vorliegende Untersuchung konzentriert sich auf die Erhellung der sprach- und diskursbasierten Prägung von dominanten Medienkonzepten auf Basis von korpuslinguistischen Analyseverfahren. Die herausgearbeiteten Konzepte lassen sich in anknüpfenden Studien vertieft unter mediengeschichtlichen und kulturwissenschaftlichen Gesichtspunkten reflektieren und diskutieren. Aus der Analyse ergeben sich einzelne sprachlich hochinteressante Muster (z. B. die Einsetzung unterschiedlicher Metaphern zur Prägung bestimmter diskursiver Image-Konzepte), die ebenfalls in weiterführenden Studien aufgegriffen werden können.

5 Literaturverzeichnis Baker, Paul (2006): Using corpora in discourse analysis. London/New York: continuum. Bubenhofer, Noah (2008): Diskurse berechnen? Wege zu einer korpuslinguistischen Diskursanalyse. In: Warnke, Ingo/Spitzmüller, Jürgen (Hg.): Methoden der Diskurslinguistik. Sprachwissenschaftliche Zugänge zur transtextuellen Ebene. Berlin [u. a.]: De Gruyter, S. 407–434. Jia, Wenjian (2008): 贾文键, 2008. “德国›明镜‹周刊 (2006–2007年)中的中国形象”. 载于: ⟪国 际论坛⟫, 2008年7月, 第10卷第4期, 62–67页. Keibel, Holger/Belica, Cyril (2007): CCDB: A Corpus-Linguistic Research and Development Workbench. In: Proceedings of the 4th Corpus Linguistics conference. Birmingham. Konerding, Klaus-Peter (1993): Frames und lexikalisches Bedeutungswissen. Untersuchungen zur linguistischen Grundlegung einer Frametheorie und zu ihrer Anwendung in der Lexikographie. Tübingen: Niemeyer. Lemnitzer, Lothar/Zinsmeister Heike (2006): Korpuslinguistik. Eine Einführung. Tübingen: Gunter Narr Verlag. Scherer, Carmen (2006): Korpuslinguistik. Heidelberg: Winter. Vogel, Friedemann (2010a): Linguistische Imageanalyse (LIma). Grundlegende Überlegungen und exemplifizierende Studie zum Öffentlichen Image von Türken und Türkei in deutschsprachigen Medien. In: Deutsche Sprache (4), S. 345–377. Vogel, Friedemann (2010b): Ungarn – das Tor zum Westen. Das Bild Ungarns in deutschsprachigen Medien 1999 – 2009. Eine linguistische Imageanalyse. In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik, S. 87–124.



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Vogel, Friedemann (2014): „Die Zukunft im Visier“. Zur medialen Selbstinszenierung der Bundeswehr gegenüber Jugendlichen. In: Medien & Kommunikationswissenschaft 62 (2), S. 190–215. Wang, Zhiqiang (2009): 王志强, 2009. “德国›时代‹周报视角下的经济中国形象 (2004—2009)”. 载于: ⟪德国研究⟫, 2009年第4期, 第24卷总第92期, 63–68页. Zhou, Haixia/Wang, Jianbin (2011): 周海霞/王建斌, 2011. “经济危机时期德国媒体中的动态中国 经济形象——以德国主流媒体›明镜‹周刊和›时代‹周报2009–2010年涉华报道为例”. 载于: ⟪德国研究⟫, 2011年第1期, 第26卷总第97期, 39–47页. Zhou, Haixia (2012): 周海霞, 2012. ⟪德国媒体中的中国形象建构——›明镜‹周刊 (2000–2010年) 和›时代‹周报 (2000–2010年)的涉华报道分析⟫. 北京外国语大学优秀博士论文.

Elisa Lang

„China wirkt ja vor allem so bedrohlich und unsympathisch, weil die Chinesen so übermotiviert sind, so ekelehrgeizig.“ Chinesische Bildung in deutschen Medien

1 Gegenstand der Untersuchung und Stand der Forschung Bildungskonzepte in China waren und sind Gegenstand wissenschaftlicher Beschäftigung. Die Bereiche Schulsystem, Unterricht, Erziehung, Hochschule, Lehrerbildung und Bildungstransfer haben Fu-sheng Franke und Müller (2003) ausführlich dargestellt. Auswirkungen der wirtschaftlichen Reformen in China auf die chinesische Bildungspolitik und Lehrplanreformen sind bei Guo und Guo (2016) dokumentiert. Lee (2000) legt in seiner diachronen Betrachtung den Schwerpunkt auf Bildungsideale, -themen, -institutionen und -akteure im traditionellen China. Bailey (2007) lenkt den Fokus auf Gender und Bildung in China. Osten (2008) geht insbesondere auf die Entwicklungen im chinesischen Bildungssektor ein als „intellektuelle Renaissance“ (Osten 2008: 150) und beschreibt in seinem Beitrag das „umfassend[e] und gezielt[e] Bildungsreform-Programm“ (ebd.: 153) Chinas. Deutschland als Bildungsexportland (insbesondere auch Bildungsexport nach China) thematisiert Adick (2014). Miao (2015) analysiert chinesisch-deutsche Kooperationen im Hochschulwesen und beschreibt Chinas Bildungsinternationalisierung. Bislang nur peripher untersucht ist aber die Wahrnehmung bzw. Präsentation chinesischer Bildung in deutschsprachigen Medien. Thimm, Bürger und Kuhn (2014) untersuchen in ihrer Studie Bilder und Stereotype über die chinesische Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur, die in deutschen Medien kommuniziert werden, und stellen lediglich fest, dass Themen aus dem Bereich Bildung, Wissenschaft und Technologie im Vergleich zu Themen aus dem Bereich Wirtschaft und Finanzen nur am Rande vertreten seien (ebd.: 23). Waldow (2016) weist zwar auf „die Existenz eines stabilen, von deutlich negativen Wertungen Lang, Elisa, MA, Medienkulturwissenschaft, Studiengangkoordinatorin, Institut für Medienkulturwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland DOI 10.1515/9783110544268-005



Chinesische Bildung in deutschen Medien 

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geprägten Heterostereotyps zu den ‚asiatischen‘ Bildungssystemen“ (ebd.: 408) hin, geht jedoch nicht weiter auf die Wahrnehmung chinesischer Bildung in deutschsprachigen Medien ein. Die Huawei-Studie „Deutschland und China  – Wahrnehmung und Realität“ von 2012 kombiniert methodisch Interviews und Medienanalyse und geht nur in einem Unterkapitel auf die Wahrnehmung der Deutschen von „Bildung und Leistungsorientierung“ in China ein (ebd.: 65ff). Seibt (2010) untersucht in ihrer Medienanalyse von 1993 bis 2007 die Themen Wirtschaft und Politik, das Thema Bildung bleibt hierbei jedoch unbeachtet. Kuang erforscht am Beispiel der China-Berichterstattung des ZDF, welche Chinabilder deutschen Zuschauern vermittelt werden. In seinem Unterkapitel „Charaktere der chinesischen Bevölkerung“ werden Stereotype zum Bildungs- und Erziehungsbereich allerdings lediglich angeschnitten. Der vorliegende Text soll der Frage nachgehen, welche sprachlichen Bilder von chinesischer Bildung auf welche Weise in den deutschen Medien konstruiert und vermittelt werden. Ziel ist dabei zu ermitteln, welche verschiedenen Attribute chinesischer Bildung in der deutschen Berichterstattung signifikant häufig zugeschrieben werden. Dabei sollen sowohl offensichtliche als auch latente Bedeutungsebenen erfasst werden, die für die Konstruktion eines „Public Images“ eine entscheidende Rolle spielen. Folgende Fragestellungen leiten die vorliegende Analyse: – Mit welchen sprachlichen Mitteln wird auf Chinas Bildungswesen (Themen, Gegenstände, Personen, Gruppen usw.) referiert und welche Wertungsperspektive ist diesen Äußerungen immanent? – Inwiefern lassen die damit verbundenen Muster rückschließen auf potentielle Stereotype bei den Medienrezipienten?

2 Methodischer Ansatz und Korpusgrundlage Die vorliegende Untersuchung ist Teil des CDI-Projektes1 und folgt dem methodischen Ansatz der linguistischen Imageanalyse (Vogel 2010a, 2010b, 2014), wie er im Beitrag von Friedemann Vogel in diesem Band eingeführt wird und auch in der Untersuchung von Li Jing zum Image chinesischer Wirtschaft in diesem Band operationalisiert wurde. Aus diesem Grund beschränke ich mich an dieser Stelle auf die Explikation der Untersuchungsgrundlage, also der Erstellung und

1 Ausführlicher dazu im Beitrag von Friedemann Vogel und Jia Wenjian in diesem Band.

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Nutzung eines CDI-Subkorpus, das zum Thema ›Bildung‹ relevante Texte enthält, sowie einen kurzen Überblick des analytischen Vorgehens. Am Anfang der Subkorpuserstellung stand die kontrollierte Bildung einer Minimalhypothese, das heißt einer Liste an wertneutralen Ausdrücken, die erst mutmaßlich, dann geprüfter Maßen mit dem Zielkonzept ›Bildung‹ assoziiert werden. Zu diesem Zweck wurden mithilfe der Kookkurrenzdatenbank (CCDB) am Institut für Deutsche Sprache in mehreren Durchgängen wertneutrale, gebrauchsverwandte Ausdrücke zum Ausgangswort Bildung ermittelt.

Abb. 1: SOM-Ähnlichkeitsprofil des Ausdrucks Bildung (CCDB, http://corpora.ids-mannheim.de/ ccdb/)



Chinesische Bildung in deutschen Medien 

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Das Ergebnis dieser Wortfeldanalyse ist eine Liste mit folgenden  – bereits als regular expression formulierten – Ausdrücken: (A) [Bb]ildung|bilde|[Ss]chul|[Ll]ehr|[Aa]bsolvent|[Aa]usbildung|[Uu]nterricht|[Ss] chüler|[Ww]issensvermittlung|[Uu]niversitä|[Dd]idakti|[Pp]ädagog|[Ss]tudi|[Pp]rofess|[Dd] ozent|[Aa]kademie

Mithilfe dieser Liste wurden über eine Zufallsstichprobe 1000 Texte aus dem CDIKernkorpus (mit insg. 238.595 Texten; vgl. den Beitrag von Friedemann Vogel, Kap. 2) erhoben, die jeweils mindestens einen dieser Ausdrücke (mindestens einmal) enthalten. Über eine Kompositawortliste wurden für dieses Stichprobenkorpus anschließend alle Ausdrücke erhoben, die ganz oder teilweise einen der obigen Listenausdrücke enthielten (insb. Komposita), und via Konkordanz- und Volltextansicht auf ihre thematische Einschlägigkeit geprüft. Auf diese Weise konnten missverständliche bzw. falsch positive Treffer aussortiert werden. Für die Auswahl der Subkorpus-Texte wurde damit neben einer Positiv-Liste (A) zugleich eine Negativ- bzw. „Stop“-Liste (B) zugrunde gelegt, so dass nur jene Texte prinzipiell aufgenommen wurden, die mindestens einen der Ausdrücke aus (A) und zugleich keinen der Ausdrücke aus (B) enthielten. (B) studio\b|\bStudio.{4,10}\b|[Ss]chulz|[Ss]kilehrer|[Ss]chuld|[Pp]rofession|[Ss] chulte|[Ss]chultz|[Bb] ilder| [Ss]tudienreise|[Uu]mbildung|[Aa]bbildung|[Ss] chultrig|[Ff]ahrschul|[Dd]esign(studio|studie)| [Hh]erausbildung|[Ss]chult|[Ff] ahr|[Ff]ahrschüler|[Uu]niversitätsklinik|[Ll]ehrter|[Ss]chulkino|[Ss]chulmedizin| [Ss] chulesse|[Bb]aumschulenweg|[Rr]egierungsbildung|[Gg]artenakademie|[Nn]achbil dung|[Bb]aumschule|[Ss]tudies|[Kk]onzeptstudie|[Ll]ehrke|[Mm]achbarkeitsstudie|[Mm] ißbildung|[Ww]üstenbildung| [Hh]armonielehre|[Ss]enatsbildungsverwaltung|[Bb] odenbildung|[Ee]inbildung| [Ee]rnährungslehre|[Ff]allstudie|[Ff]ruchtbildung|[Ll] angzeitstudie|[Rr]ückenschule|[Ss]tudienautor|[Uu]niversitätskrankenhaus |[Kk] ommandozentrale|[Kk]leinwagen|[Vv]iertürer|[Ss]traßenbild|[Hh] unde|[Ff]lug|[Uu] nbelehrbar|[Ff]eldstudie|[Gg]ehörbildung|[Jj]ugendbildungsverein|[Kk]lima|[Kk] och|[Ll] ehrmeinung|[Ll]ehrpfad|Lehr-te|[Ll]eserakademie|\bStudie.{0,1}\b|[Mm]aschulik|[Mm]ein ungsbild|[nN]eubild|Neueinstudierung|[Pp]reisbildung|[Rr]udelbildung|[Ss]chulenburg|\ bSchulp\b| [Tt]auchschule|Tauchlehrer|[Ee]volution|[Ff]arb|[Ff]ehl|Jantschulowa|[Gg] artenbau|[Kk]undendienst|Lehrmann|[Mm]arken|[Mm]itarbeiter.{0,15}(schul|bild)|Patsc huli|Mengenlehre|[Rr]ückbildung|\bStudio\b|\bSchuler\b|\bBlasenbildung\b|\bLehr\b|\ bStudiVZ\b|\bstudied\b|\bEstudiantes\b|\bVermög ensbildungsfonds\b|\bMatschull\b|\ bMattschull\b|\bSchulke\b|\bLehrian\b|\bSchuller\b|\bStudigroo ve\b|\bStudioscheinwerfer\b|\bLehrl\b|\bTonstudios\b|\bTropfenbil-dung\b|\bTümpelgartenschule\b| \bBlasenbildungen\b|\bLehrs\b|\bPigmentbildung\b|\bPädagogs\b|\bSchulien\b|\bStudivz\b|\ bWuestenbildung\b|\bLochbildung\b|\bprofess\b|\bprofesses\b|\bRealismusStudio\b |\ bSchauspielstudios\b| \bstudiously\b|\bstudiVZ\b

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 Elisa Lang

Auf diese Weise wurden all jene Texte erfasst, die zumindest an einer Stelle das Konzept ›Bildung‹ sprachlich zum Ausdruck brachten. Um nun zugleich darunter wiederum nur jene Texte auszuwählen, die sich überwiegend oder ausschließlich (und nicht nur am Rande) mit China beschäftigen, musste ein Text neben der Erfüllung der oben genannten Bedingungen jeweils auch mindestens sieben Mal einen der nachfolgenden Ausdrücke enthalten: (C) [cC]hina|[pP]eking|[bB]eijing|[sS]changhai|[sS]hanghai|[Cc]hines

Das Ergebnis ist ein Subkorpus (SK1) mit 135 Texten, die sich maßgeblich mit Bildungsaspekten der VR China beschäftigen und die qualitativ untersucht wurden. Für eine korrespondierende quantifizierende, korpuslinguistische Auswertung wurde ferner ein Subkorpus (SK2) gebildet, dessen insgesamt 10.600 Texte mindestens fünf Mal einen der Ausdrücke der Liste (C) enthielten. Die Auswertung der beiden Korpora erfolge im Einzelnen analog zum Verfahren, wie es im Beitrag von Friedemann Vogel und Li Jing beschrieben wird. Zunächst wurde auf Basis des Subkorpus SK2 eine statistische Kookkurrenzanalyse zu den Ausdrücken der Liste (A) durchgeführt, das heißt all jene Wörter ermittelt, die überzufällig häufig im Kotext-Intervall von [+8/-8] Wörtern gemeinsam mit einem der Ausgangswörter vorkommen. Die ersten 150 hochsignifikanten, autosemantischen Kookkurrenzen (Substantive, Verben, Adjektive) wurden mithilfe von Konkordanzen und Volltextanalyse genauer betrachtet und die damit verbundenen Belege im Paradigma der Pragmasemiotik hermeneutisch-induktiv nach thematisch-konzeptuellen Clustern (Ereignisse, Orte, Akteure, Handlungen usw. ›chinesischer Bildung‹ usw.) und rekurrenten Eigenschaftszuschreibungen gruppiert. In einem weiteren Schritt wurde auch das Subkorpus SK1 rein qualitativ auf wiederkehrende Sachverhalte und Referenzobjekte untersucht und die Ergebnisse mit der korpuslinguistischen Analyse kontrastierend zusammengeführt.

3 Ergebnisse Im Folgenden stelle ich die Ergebnisse der Untersuchung vor, zunächst mit Blick auf angrenzende Themenfelder, die in der deutschsprachigen Berichterstattung wiederholt mit dem Fokusthema ›chinesische Bildung‹ verknüpft werden (3.1). Im Anschluss wird der Kern der medialen Berichterstattung und Prädikationen zu ›chinesischer Bildung‹ dokumentiert.



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3.1 An den Rändern ›chinesischer Bildung‹: Diskursverknüpfungen Ein Teil der Belege bezieht sich nicht im engeren Sinne auf das Bild chinesischer Bildung in den Medien, sondern auf angrenzende Themenfelder. Die Analyse dieser Belege zeigt textübergreifende semantische Felder, die sich aus den wiederkehrenden Sprachmustern ableiten lassen. Es wurden fünf Kategorien oder Oberbegriffe ermittelt, denen die in den Beiträgen behandelten Sachverhalte zugeordnet werden können. Im Zusammenhang mit dem Bildungskontext spielt in zahlreichen Belegen ›China als Wirtschafts- und Wissenschaftsnation‹ diskursiv eine große Rolle. Zahlreiche Belege konstatieren in diesem Kontext die wachsende Bedeutung des Zukunftsmarktes China für die Aus- und Weiterbildung innerhalb Deutschlands: China und Zukunft, diese Begriffe gehören jetzt zusammen; in 20 Jahren wird die asiatische Welt auf dem Globus eine ganz andere Bedeutung haben als heute.

Vor diesem Hintergrund spielt die Vermittlung der chinesischen Sprache und Kultur an deutschen Bildungseinrichtungen eine zunehmend wichtige Rolle: Von der vorschulischen Ausbildung (Eröffnung der ersten deutsch-chinesisch bilingualen Kita) über die wachsende Attraktivität von Schulaustauschpartnerschaften zwischen deutschen und chinesischen Schulen und dem Trend, Chinesischunterricht an deutschen Schulen anzubieten (mit Englisch und Chinesisch kommt man überall klar) bis hin zum Aufbau neuer Studiengänge mit China-Schwerpunkt (diverse Studiengänge und Weiterbildungen bereiten gezielt auf den Zukunftsmarkt China vor; Chinesischkenntnisse als Zusatzqualifikation). Die ›deutsch-chinesischen Kooperationen‹ stellen die zweite Kategorie dar. Bildungs- und Wissenschaftsfragen sowie globalisierungsbedingte, bildungspolitische Herausforderungen für Deutschland und für China werden in zahlreichen Belegen angesprochen (auch Bildung wird global). Studierende werden dabei von den Textautoren dargestellt als mobiles wirtschaftliches Potential (kulturelles Kapital im Sinne Bourdieus), das zu zunehmender Konkurrenz auf dem Welt(arbeits-)markt führen werde. Die dritte Kategorie umfasst Belege, die sich mit der ›prekären Ausbildungsstruktur in den ländlichen Gebieten‹ Chinas beschäftigen und einen kausalen Zusammenhang zu Urbanisierung und letztlich Bildungs(un)gerechtigkeit konstatieren: als Folge der Urbanisierung sind rund die Hälfte der Grundschulen durch Schließung oder Zusammenschluss weggefallen; immer länger werdender Schulweg und schlechte Erziehungs-

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angebote produzieren immer mehr Schulabbrecher, psychische Defekte einer ganzen Generation von Kindern, die von ihren Eltern meist alleingelassen werden.

Eine vierte Kategorie bildet der ›bildungspolitische Einfluss, welchen Zentralchina auf Hongkong ausüben‹ wolle. Dabei wird von den Autoren eine deutlich ablehnende Haltung eingenommen (Patriotismusstunden, Pekinger Gehirnwäsche; Kinder werden mit kommunistischer Propaganda und Halbwahrheiten infiltriert). Die fünfte Kategorie von Beiträgen umfasst schließlich allgemein Meldungen zu ›Unglücken oder (Natur-) Katastrophen‹ sowie deren ›Folgen für Orte oder Sachverhalte chinesischer Bildungskontexte‹. Blutiges Massaker in einem Kindergarten; Sprengsatz explodiert an zwei Universitäten; aus Angst vor Ansteckung mit SARS bleiben die chinesischen Schulen in Peking vorerst für zwei weitere Woche geschlossen, um eine Ausbreitung von SARS unter den 1,37 Millionen Schülern zu verhindern; mehr als 5000 Schüler nach Erdbeben tot.

3.2 Oberthemen der Berichterstattung: Facetten ›chinesischer Bildung‹ im Spiegel der Medien Im Folgenden werden zentrale Oberthemen vorgestellt, die das deutschsprachige Medienimage chinesischer Bildung prägen. Hierzu zählt die ›Bildungspolitik Chinas als Ganzes‹ (3.2.1), besonders hervorgehobene ›Leitideen und Methoden‹, die chinesische (Aus-)Bildung auszeichne (3.2.2), wiederkehrende ›Bildungsorte‹ (3.2.3), die attributive Besetzung von ›Bildungsakteuren‹ (3.2.4) sowie zugeschriebene ›Motive‹ für Aus- und Fortbildung (3.2.5).

3.2.1 Bildungspolitik Chinas aus globaler Perspektive Der Begriff Bildung steht vorrangig im Zusammenhang mit Reform- und Transformationsprozessen der chinesischen Bildung. Dabei werden die steigenden Investitionen für Bildung in China häufig thematisiert (chinesische Regierung steckt viel Geld in die Ausbildung eigener Experten; Bildungswesen ist unterfinanziert). Aufbruchstimmung und neue Möglichkeiten werden betont (Ausgaben stark erhöhen; Wohlstand soll alle erreichen; jeder soll von der Frucht der Entwicklung etwas abbekommen). Ähnlich häufig finden in Beiträgen verschiedene Konferenzen zur Verbesserung der deutsch-chinesischen Kooperation in Bildungs- und Wissenschaftsfragen Erwähnung (Zusammenarbeit optimieren). Durchgängig



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wird in diesem Zusammenhang die Attraktivität der deutschen (Hochschul-)Ausbildung sowie deutscher (Bildungs-)Abschlüsse betont: es zieht chinesische Schüler und Studenten nach Deutschland; deutsche Abschlüsse können das Einkommen in China um das Drei- bis Vierfache steigern; in Deutschland ausgebildeter Stardirigent Yu Long.

Impliziert werden hierbei nicht nur bildungspolitische, sondern an vorderster Stelle wirtschaftspolitische Ziele: Die Stärkung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China bzw. auf kleinerer Ebene zwischen einzelnen deutschen und chinesischen Städten. In diesem Zusammenhang wird mehrfach die Gründung staatlicher chinesischer Schulen in Deutschland als weicher Standortfaktor hinsichtlich attraktiver Arbeitsbedingungen für deutsche Städte wie z. B. Hamburg aufgeführt. Die zunehmend ›wichtige Rolle Chinas im globalen Wettbewerb‹ wird im Zusammenhang mit der vielfach erwähnten Förderung von chinesischem Fremdsprachenunterricht an deutschen sowie amerikanischen Schulen deutlich: im globalen Wettbewerb, so die Erkenntnis vor allem bei der Wirtschaftselite, geht kein Weg an China vorbei. Deutschland nehme auf wirtschaftlicher Ebene als Partner Chinas eine ›wichtige Position‹ ein, was sich auch in der Nachfrage an Deutschunterricht (riesig) zeige. Europa nehme eine politisch belehrende Rolle gegenüber dem zunehmend selbstsicheren China ein. Konkrete Äußerungen auf europäischer Ebene zur chinesischen Bildungspolitik ließen sich jedoch nicht finden. Im Kontext mit bildungspolitischen Herausforderungen Chinas steht wiederholt das Verb stärken: Die chinesische Bildungspolitik müsse daran arbeiten, dass die chinesischen Absolventen für den globalen Arbeitsmarkt gestärkt werden. Das bildungspolitische ›Ziel Chinas, Schülern bzw. Studierenden eine optimale Vorbereitung auf die berufliche Zukunft zu ermöglichen‹, werde dadurch deutlich. Einige Belege weisen auf die ›verpflichtende Teilnahme chinesischer Studierender an politischem Unterricht‹ in chinesischen Hochschulen hin und insinuieren damit eine politische Kaderschule: Chinas Studenten müssen regelmäßig am politischen Unterricht teilnehmen, wo sie die leeren Marxismustheorien des KP-Führers auswendig lernen.

Hierbei werden von den deutschen Autoren auch ein ›mangelhafter Forschungsbetrieb und schlechte Ausbildung‹ an chinesischen Hochschulen kritisiert.

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Im Zusammenhang mit der Prädikation staatlich steht ferner häufig der ›Ausschluss einzelner Bevölkerungsgruppen‹ vom staatlichen Schulsystem (Landbevölkerung, „überzählige“ Kinder). Die staatlichen Akademien in China finden Erwähnung in Zusammenhang mit Bestrebungen der chinesischen Regierung, politische Propaganda und kapitalistische Technik einzuführen. Eine ›tendenziöse, verfälschende historische Ausbildung‹ Chinas wird schließlich im vielfach erwähnten Schulbuchkonflikt zwischen China und Japan konstatiert. Fragen der Selbst- und Fremdwahrnehmung und damit zusammenhängende Vorwürfe Chinas an Japan werden dabei vorgetragen (nationalistische Schulbücher; beschönigen die Kriegsverbrechen).

3.2.2 Leitideen und Methoden chinesischer Bildung Ein Großteil der Belege lässt Stereotype erkennen, die unter dem Oberbegriff ›Leitideen und Methoden chinesischer Bildung‹ zusammengefasst werden können. Die Belege weisen überwiegend auf eine ablehnende Rezipientenhaltung hin, was chinesische Erziehungs- und Bildungsmethoden und -leitideen betrifft. ›Inhumane Prüfungskultur‹: Belege zur Hochschulaufnahmeprüfung „Gao Kao“ spielen in ihrer Häufigkeit eine hervorgehobene Rolle. Der „Gao Kao“ wird als Spiegelbild der chinesischen Tradition der Prüfungskultur dargestellt (Mutter aller chinesischen Prüfungen; Ausläufer eines uralten Auswahlsystems; härtester Test in der chinesischen Schullaufbahn). Er diene der ›traditionellen Elitenrekrutierung‹ und ›ermögliche den Weg zum sozialen Aufstieg‹: bietet den Besten des Landes die Chance, ohne Ansehen von Herkunft oder Person in die Beamtenschar aufzusteigen; entscheidet über die künftige Universität und meist auch über den weiteren Werdegang

Indessen wird der „Gao Kao“ auch als erstarrte Tradition bezeichnet, der aus Sicht von Eltern und Reformpädagogen einer grundlegenden Reform unterzogen werden müsse. Die Hochschulaufnahmeprüfung wird als ›dramatisches Ereignis für alle Beteiligten‹ dargestellt: Ambulanz steht bereit; Schüler und Eltern brechen zusammen; bewaffnete Polizei bringt Prüfungsbögen in gepanzerten Geldtransportern; Schüler müssen Mobiltelefon abgeben)

Die chinesische Hochschulaufnahmeprüfung steht in häufigem Gebrauchszusammenhang mit der tendenziell negativ konnotierenden Eigenschaftszuschreibung hart (Abschlusstests gelten als die härtesten der chinesischen Schullaufbahn)



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und verweist damit auf ›große Konkurrenz und unmenschlichen Druck‹, unter dem chinesische Schüler stünden. Auch im Sportkontext wird dies deutlich (harte Ausbildung; hartes Training). ›Konfuzius als Erzieher der Nation‹: Als wichtiger Funktionsträger und als Leitfigur im Bildungszusammenhang wird von den Textautoren wiederholt der chinesische Philosoph Konfuzius als Erzieher der Nation stilisiert. Im Gegensatz zur deutschen Lehrer-Schüler-Beziehung werde bei der konfuzianischen Tradition die ›lebenslange, wechselseitige Verantwortungsbeziehung zwischen Schülern und Lehrern‹ betont. Konfuzius findet im Kontext mit traditionellen Lerninhalten in der Schule und dem tendenziell negativ umrahmten „Nachahmungslernen“ häufig Gebrauch (viel nachahmen, wenig diskutieren). ›Strenge Methoden chinesischer Bildung‹: Traditionelle2 Erziehungsmethoden (Respekt ist ein höheres Bildungsziel als analytisches Denken und die Fähigkeit, Kritik zu üben), strenge Lernmethoden und -inhalte (auswendig lernen; von Konfuzius lernen; Kunst des geduldigen Schlangestehens lernen; mehr lernen und weniger spielen) und ›überfordernde, auf Gehorsam disziplinierende Leistungsanforderungen‹ (für viele Lehrer und Familien gibt es nur noch einen Maßstab: gute Noten) bildeten die wesentlichen Pfeiler chinesischer Erziehung. Das Konzept ›Erziehung durch Einschränkung‹ zeigt sich in zahlreichen Kookkurrenzen, etwa auch in den deontisch gebrauchten Verben dürfen und verbieten, die auf ›übertriebene elterliche Ge- und Verbote‹ verweisen (keinen Freund haben dürfen) oder auf ›unmenschliche Sanktionen‹ (drastische Gegenmittel; Elektroschock wird inzwischen verboten). Unter den Bereich ›Produktion von Bildungseliten‹ fällt das in der Presse vieldiskutierte Thema Schul- und Leistungssport. Dabei wird in der Regel eine ›unerbittliche Zurichtung‹ von jungen Sportlern mit ›ungewöhnlichen Methoden‹ konstatiert: brutale Trainingsmethode; Drill; zu Fabelzeit getrieben; dank Schildkrötenblut zu Fabel-Weltrekorden; Training gleicht einer Tortur; hartes Programm, das die Schüler regelmäßig an ihre physische und psychische Grenze bringt.

Ausdrücke aus dem Militärjargon und der Perspektive vom ›leidenden Opfer‹ bestimmten die Rahmen zahlreicher bildungsbezogener Beiträge, vorneweg die auch statistisch hochsignifikanten Schlagwörter Drill und Tortur. Die stereotype, wiederkehrende Darstellung disziplinierender Erziehungsmaßnahmen mit mili-

2 Traditionell wird tendenziell als positiv konnotierende Eigenschaftszuschreibung oft mit Gelehrsamkeit und Bildung, chinesischer Medizin und Körperentspannungsmethoden verbunden.

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tärischen Begriffen erweckt den Eindruck, dass diese feste Bestandteile chinesischer Bildung seien. Eine vergleichsweise untergeordnete und dennoch statistisch signifikante Rolle spielt der Unterricht in China, der vor allem mit ›ideologischen Kontrollen an (Hoch-)Schulen‹ in Verbindung gebracht wird (KP organisiert allerorten Polit-Schulungen; den fortschrittlichen Charakter der KP festigen; Unterricht gegen Korruption). Die Texte tragen dabei oft einen ironisch-distanzierenden Unterton (Jintao versucht derzeit mit allerlei Methoden, den Einfluß der Partei zu stärken; vom Westen kommen alle Übel).

3.2.3 Orte der Ausbildung Einige Kookkurrenzen rufen bestimmte Orte der Ausbildung auf, welche auf wiederkehrende bildungsrelevante Institutionen und Regionen hinweisen: Die chinesische Schule wird vor allem kontrastiv zu deutschen Schulen beschrieben, meist mit Blick auf ›die Dimension und Disziplinierung‹ (ganz anders; riesengroß und voll; strikt organisiert; streng). Dabei wird das Bild eines ›anonymen und anonymisierenden Ortes‹ erzeugt, an dem eine ›große, uniforme Masse‹ an Schülern „durchgeschleust“ werde. Sportschulen werden auf der einen Seite in ihrer herausragenden Qualität beschrieben (insbesondere Turnen und Artistik: Artisten-Lehrgänge in der chinesischen Schule gehören zu den besten der Welt), auf der anderen Seite in Zusammenhang mit extremem Leistungs- und Erfolgsdruck. Die tendenziell positiv konnotierte Eigenschaftszuschreibung renommiert wird häufig verbunden mit dem ›schweren Zugang zu den besten Universitäten‹ in China und damit auch mit einer ›unsicheren Zukunftsperspektive‹ für junge Chinesen. Spöttisch berichtet wird in diesem Zusammenhang auch davon, dass Zeugnisse renommierter Universitäten gekauft werden könnten (vortäuschen; dick auftragen wollen). Ausführlich wird mehrfach über verschiedene Fälle von Festnahmen chinesischer, regierungskritischer Intellektueller berichtet, welche an renommierten chinesischen Universitäten studiert haben. Das Konfuzius-Institut wird in einigen Belegen als Ausbildungsort und wichtige Institution der Kultur- und Fremdsprachenvermittlung genannt (vermittelt chinesische Kultur und Sprache). Die Sonderverwaltungszone Hongkong, der eine Schlüsselrolle bei der Wirtschaftsreform zugeschrieben wird, steht in häufigem Gebrauchszusammenhang mit der tendenziell positiv konnotierenden Prädikation modern. Dabei wird Hongkong im Gegensatz zu Festland-China auch in der Bildung als besonders fortschrittlich dargestellt (hochspezialisiert; lebendig; fit).



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3.2.4 Akteure: Kinder, Schüler, Studierende, Eltern, Lehrende Zahlreiche Kookkurrenzen nehmen Bezug auf bestimmte im Bildungskontext relevante Akteure: Dabei werden die Verhaltensweisen von chinesischen Schülern stereotyp dargestellt; Umgangsformen und Benehmen von Schülern werden insgesamt sehr kritisch betrachtet. Es wird das Bild eines ›rücksichtsund manierlosen‹ chinesischen Schülers vermittelt, auch vor dem Hintergrund der Einführung von Benimmkursen für Schüler als Erziehungskampagne des Bildungsministeriums: Tischmanieren und der Respekt alten Menschen gegenüber; Konversationsregeln; Kunst des geduldigen Schlangestehens. Auch wird ein ›asiatischer Typ eines Lernenden‹ beschrieben, der in erster Linie auswendig lerne, wenig kritische Reflexionsfähigkeit besitze und den Aushandlungskonflikt meide (sie sagen nicht, was sie denken, sie streiten nicht, schon gar nicht mit den Eltern). Eine ›starke Leistungsorientierung‹ (Druck aushalten; kaum Zeit für sich selbst; mehr lernen und weniger spielen) sowie ›ausdauerndes Aneignen‹ neuen Wissens (bis spät in die Nacht und auch an den Wochenenden büffeln) seien Zeugnis für die Andersartigkeit des chinesischen Lernverhaltens. Kinder, Jugendliche, Schüler bzw. Studierende treten als Akteure beim Lernen, Studieren oder Trainieren auf. Fleiß, Disziplin, Leistung und Erfolg chinesischer Kinder/Jugendlicher/Schüler/Studierender werden durchgängig als Resultat des Erwartungsdrucks der Eltern und der starken kompetitiven Situation mit anderen Schülern sowie der schwierigen Arbeitsmarktaussichten konstituiert. Damit wird das Bild eines ›ehrgeizigen und rücksichtslosen, jedoch äußerst duld- und gehorsamen‹ chinesischen Schülers vermittelt. Das Bild des auf Leistung und Erfolg ›abgerichteten‹ Schülers manifestiert sich auch im Diskurs über eine ›exzessive Internetnutzung‹ von chinesischen Jugendlichen ›aufgrund von Überforderung und Zukunftsangst‹. Zahlreiche Belege beschreiben Kliniken gegen Internetsucht von Jugendlichen als quasimilitaristische Orte (Trainingscamp; Entzugslager) mit drastischen Mitteln (Drill; Dauerlauf; Elektroschock). Die Jugendlichen seien letztlich ›Opfer eines inhumanen Systems‹: Web-Junkies; Druck von Eltern und Schule lässt keine Luft und treibt sie in die Parallelwelt des Webs; brechen vor Erschöpfung zusammen.

Grundlegende Unterschiede zur Eltern-Schüler-Beziehung in China im Vergleich zu Deutschland stehen auch im Fokus bei der Beschreibung von Eltern, die maßgeblich zur ›Erschöpfung ihrer Kinder‹ beitrügen:

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treiben Schüler an; üben Druck aus; verlangen Gehorsam; haben hohen Anspruch; ambitionierte chinesische Eltern; bestrafen.

Eltern erwarteten ›Bestleistungen und Bestnoten‹ von ihren Kindern, Lernerfolg werde auf die Position in Rankings reduziert: wissen ganz genau, was sie von ihrem Kind erwarten: hervorragende Leistung; für viele Lehrer und Familien gibt es nur noch einen Maßstab: gute Note = gutes Kind.

Kurzum: Chinesische Eltern werden tendenziell als ›emotionslose, bildungsversessene Akteure‹ dargestellt, denen allein das (erfolgreiche) Ergebnis wichtig sei. Dieses Bild überambitionierter Eltern, die um jeglichen Preis den Erfolg ihres Sprösslings erzwingen wollten (ein Wunderkind für nur 100.000 Yuan, rund 12.500 Euro), zeigt sich auch in dem wiederkehrenden Diskurs um sogenannte Wundercamps: Sie schickten ihre Kinder in ›fragwürdige elitäre Schulungszentren‹, die aus Kindern kleine Helden machen und in denen Schülern Hellsehen und Schnelllesen beigebracht werde. Chinesische Eltern zeigen in der Berichterstattung daher eine gewisse habituelle Ambivalenz: Einerseits wird ihnen ›überzogene Strenge und Gehorsamserwartung‹ zugeschrieben (traditionell chinesische Erziehung; Kontrolle; absolute Autorität), andererseits erscheinen sie als ›Zurückstehende, sich Aufopfernde‹ im Ringen für eine gute oder bessere Zukunft ihrer Kinder: sie bezahlen  – nach Möglichkeit  – Eliteschulen mit hohem Schulgeld; besonders für die Bildung des Nachwuchses sind die Eltern bereit, enorme Ausgaben zu tätigen und die eigenen Bedürfnisse auf ein Minimum zurückschrauben; sind besorgt, selbstlos

Interessanterweise stehen Frauen  – im Vergleich zu Männern  – überzufällig häufig im Fokus der Berichterstattung. Neben der Tochter als ›fleißige Bildungsakteurin‹ (die möglichst im Ausland studierte, jedoch immer unter der ›strengen Aufsicht der autoritären Eltern‹) ist es auch die Mutter: Im Gegensatz zum Vater, der im Grunde keine Rolle spielt, stehe die Mutter für Perfektion und für das Optimum, für ausgeübten Druck und gesteigertes Trainingspensum. Einen besonderen Anlass zur (herablassenden) Auseinandersetzung mit ›chinesischen Erziehungsleitideen‹ in der deutschsprachigen sowie internationalen Presse bot das Erscheinen eines Buches der chinesisch-amerikanischen Autorin Amy Chua („Die Mutter des Erfolgs: Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte“). Das Buch und die darin geschilderten ›Disziplinierungsmethoden‹ wurden Gegenstand von vernichtenden Kommentaren. Die Autorin wurde – pars pro toto für chinesische Mütter – als Muttermonster, Brutalo-Pädagogin, als chi-



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nesische Kampfmutter, als Frau mit Engelsgesicht, das zur Monster-Mom mutiert, zum ›Dämon chinesischer Pädagogik‹ erklärt. Ein häufig genannter Akteur, der sich identifizieren lässt, sei nicht zuletzt die chinesische Regierung und ihr ›politisch restringierender, leistungsfordernder Einfluss auf die Universitäten‹ (Druck erhöhen; Internet-Diskussionsforen schließen; politische Propaganda verschärfen). Die Regierung sorge aber auch für Investitionen in Bildung und die Verbesserung der Ausbildung sowie der Berufschancen für Akademiker durch erschwerte Zugangsmöglichkeiten an chinesischen Hochschulen. Im Zusammenhang mit der Olympiade in Peking erscheint die Regierung als ›Erzieherin ihrer Bürger‹: westliches Benehmen beibringen; Schlange stehen üben; nicht mehr öffentlich spucken. Weitere Akteure weisen auf soziale Konfliktfelder wie die Landbevölkerung und das starke Wohlstandsgefälle zwischen Land (viele Familien sind zu arm, um die Schulgebühr zu bezahlen) und Stadt (wo die Elite des Landes lebt) hin.

3.2.5 Bildungsmotivation Die Kategorie ›Bildungsmotivation‹ versammelt Kookkurrenzen, die auf einen ›generell hohen Stellenwert von Bildung‹ in China verweisen: Bildung als ein ›Gut, das mit sozialem Aufstieg verbunden ist‹ und daher hoch geschätzt wird. Bildung sei in der chinesischen Erziehung generell sehr wichtig; mit ihrem Einkommen können [die Eltern] sich eine eigene Wohnung leisten und eine gute Schule für den Sohn oder die Tochter finanzieren; für die Bildung des Nachwuchses sind die Eltern bereit, enorme Ausgaben zu tätigen und die eigenen Bedürfnisse auf ein Minimum zurückzuschrauben. Man muss sich den Erfolg erarbeiten; harte Arbeit und Fleiß seien die Gründe für Erfolg; die für Eltern entscheidende Frage sei: was muss ich tun, damit mein Kind erfolgreich wird; der Erfolg des Kindes bestimmt dann auch das Ansehen der Familie.

In diesem Zusammenhang verweisen zahlreiche Belege auf die Problemfelder ›hohe Arbeitslosigkeit von Hochschulabsolventen‹ (Akademiker stehen Schlange; Uni-Abgänger haben ernstes Problem bei der Jobsuche), ›stagnierende Lohnkosten‹ und ›extreme Reaktionen der Jugendlichen auf Leistungsdruck und Zukunftsangst‹ (Schulschwänzer; Sucht nach Computerspiel). Statistisch hochsignifikant ist das Thema ›Elitenausbildung in China‹. Dabei wird thematisiert, dass es Ziel chinesischer Universitäten sei, soziale Eliteabsolventen auszubilden, um diesen eine Chance auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierzu zähle auch – im Kontrast zur herrschenden Ideologie – die ›Vermitt-

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lung von elitären Sozialskills‹ wie Golf-Spielen: Golfspielen nützt für zukünftige Karriere; Sozialismus war gestern, heute ist Golf. Der Wettbewerb um Arbeitsplätze zeigt sich auch auf deutscher Seite als relevantes Thema: deutsche Kinder sollten die Chance nicht verpassen und Chinesisch in der Schule wählen, um auf dem Arbeitsmarkt künftig beste Möglichkeiten zu haben (Eltern glauben, dass Chinesisch einmal so viel Bedeutung wie Englisch haben wird). Im Konkurrenzkampf der Wissenschaftsnationen werden Deutschland sehr gute Chancen attestiert, in diesem Zusammenhang wird auch häufig erwähnt, dass Chinesen gerne in Deutschland studieren und dankbar sind für die kostenlose Ausbildung.

4 Fazit Die Untersuchung des Images chinesischer Bildung in den deutschsprachigen Medien wurde auf zwei Ebenen vorgenommen: Zur Untersuchung einzelner Textsequenzen im Rahmen von Diskursen wurde in der vorliegenden Untersuchung zum einen eine quantitative Inhaltsanalyse vorgenommen, zum anderen konnten qualitative Inhaltsanalysen von Medientexten dazu beitragen, sprachliche Muster herauszuarbeiten, die auf Chinas Bildungswesen (Themen, Gegenstände, Personen, Gruppen usw.) referieren. Auf Grundlage der hier vorgestellten Imageanalyse kann abschließend eine zusammenfassende, pauschalisierend-zuspitzende (vgl. Vogel 2010a: 3) Hypothese zu einem potentiell wirksamen Stereotyp ›chinesischer Bildung‹ bei deutschsprachigen MedienrezipientInnen formuliert werden: ›Chinesische Ausbildung und Erziehung ist leistungsorientiert, autoritär und inhuman. Zuhause und in den Bildungseinrichtungen dominieren äußerste Strenge, Druck und Disziplin, Militär-gleiche Abrichtung (Drill) und die Forderung unbegrenzter Leidensfähigkeit (Tortur). Unnachgiebige Lehrer bedienen sich traditioneller, erstarrter Unterrichtsmethoden wie Auswendiglernen und Nachahmen. Chinesische Schüler werden von ihren unnachgiebigen Eltern angetrieben, sind zugleich ehrgeizig, diszipliniert und duldsam (d. h. die Autorität passiv hinnehmend). Es herrscht unbarmherzige Konkurrenz, Bildung ist harter Wettbewerb. Staatliche Aufnahmeprüfungen (wie der „Gao Kao“) dienen der Elitenauslese, sie sind darum bei Eltern und Schülern der Schlüssel zum Erfolg. Die herausgehobene Bedeutung von Bildung in der chinesischen Gesellschaft ist innerstaatlich schätzenswert, denn sie ermöglich dem Einzelnen sozialen Aufstieg und Erfolg. Bildung gilt in China als wichtige Ressource für wirtschaftlichen Erfolg und Modernisierung, was sich auch in den Anstrengungen beim Fremdsprachenerwerb zeigt.



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Doch die hohe Disziplin(ierung) chinesischer Schüler und der Erfolg chinesischer Hochschulabsolventen ist außerstaatlich auch eine Gefahr, die den Westen flutähnlich zu überschwemmen droht und Arbeitsplätze für deutsche Absolventen gefährdet.‹ Auf mögliche Gründe für das überwiegend negativ geprägte, deutsch-mitteleuropäische China-Stereotyp auch auf der Domäne der ›Bildung‹ für den Zeitraum 2000–2013 weisen bereits die Beiträge von Vogel und Thimm in diesem Band hin. Hier sei darum nur ein Aspekt hervorgehoben: In den hier untersuchten Texten zeigt sich immer wieder der diskurstrategische Versuch, über die pauschalisierende Abwertung ›chinesischer Bildungskonzepte‹ als ›asiatisch-autokratisch‹ den eigenen, in diesem Kontext ebenso als ›mitteleuropäischen‚ partnerschaftlich-sozialintegrativ‹ pauschalisierten Erziehungsstil abzugrenzen und aufzuwerten.3 Das stigmatisierende „mediale Hintergrundrauschen“ lässt sich wohl nicht (allein) durch eine konkurrierende Berichterstattung, sondern mittel- und langfristig nur durch einen verstärkten interkulturellen Austausch lösen.

5 Literatur Adick, Christel (2014): „Deutschland als Bildungsexportland“, In: Zeitschrift für Pädagogik (05/2014), S. 744–763. Anthony, Laurence (2012): AntConc (3.2.4w) [Computer Software]. Waseda University. Tokyo. Online verfügbar unter http://www.antlab.sci.waseda.ac.jp/, zuletzt geprüft am 22.05.2013. Bailey, Paul J. (2007): Gender and Education in China. Gender discourses and women’s schooling in the early twentieth century. Routhledge, London / New York. Fu-sheng Franke, Renata / Müller, Wolfgang (eds.) (2003): Das Bildungswesen in China. Reform und Transformation. Böhlau-Verlag, Köln. Guo, Shibao / Guo, Yan (Eds.) (2016): Spotlight on China. Changes in Education under China’s Market Economy. Sense Publishers, Rotterdam. Huawei/TNS Infratest (2012): Deutschland und China – Wahrnehmung und Realität. Huawei Technologies Deutschland GmbH, Berlin. Kreft, Heinrich (2010): „Chinas Aufstieg – eine Herausforderung für den ‚Westen‘“. In: Aus Politik und Zeitgeschichte, 39/2010; 27.09.2010, S. 35–40. Kuang, Peng (2014): Das Chinabild im deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehen: eine Inhaltsanalyse am Beispiel der China-Berichterstattung des ZDF im Jahr 2008. Tectum-Verlag, Marburg. Lee, Thomas H. C. (2000): Education in traditional China: a history. In: Altenmüller, H. et al. (Eds.), Handbuch der Orientalistik, Abt. 4, China; Bd. 13, Brill, Leiden / Boston / Köln.

3 Zu den unterschiedlichen Erziehungsstilen siehe Tausch und Tausch (1973).

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 Elisa Lang

Miao, Xu (2015): Chinas Bildungsinternationalisierung: Eine Analyse chinesisch-deutscher Kooperationen im Hochschulwesen. Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg. Osten, Manfred (2008): „China – das Europa des Ostens?“. In: Tröger, Jochen (Ed.): Streit der Kulturen, Universitätsverlag Winter, Heidelberg, S. 149 – 158. Ruble, Racheal A. / Zhang, Yan Bing (2013): „Stereotypes of Chinese international students held by Americans“, In: International Journal of Intercultural Relations 37 (2013), S. 202– 211. Seibt, Alexandra (Ed.) (2010): „Von der Idealisierung bis zur Verteufelung. Das Bild Chinas im Wandel?: Eine Medienanalyse der Kommentare zu China in der deutschen überregionalen Presse.“, In: AIPA – Arbeitspapiere zur Internationalen Politik und Außenpolitik 3/2010. URN: Tausch, Reinhard / Tausch, Anne-Marie (1973): Erziehungspsychologie: Psychologische Prozesse in Erziehung und Unterricht, Göttingen: Hogrefe. Thimm, Caja / Bürger, Tobias / Kuhn, Phyllis (2014): China im Spiegel der deutschen Gesellschaft: Images, Einstellungen und Erwartungen in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Kultur. Schriftenreihe der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik, Bonn. Vogel, Friedemann (2010a): „Linguistische Imageanalyse (LIma). Grundlegende Überlegungen und exemplifizierende Studie zum Öffentlichen Image von Türken und Türkei in deutschsprachigen Medien“. In: Deutsche Sprache (DS). Zeitschrift für Theorie, Praxis, Dokumentation (04/2010), S. 345–377. Vogel, Friedemann (2010b): „‘Ungarn – das Tor zum Westen‘. Das Bild Ungarns in deutschsprachigen Medien 1999 – 2009. Eine linguistische Imageanalyse“. In: Jahrbuch der ungarischen Germanistik. Hrsg. von András Masát und Ellen Tichy, S. 87–124. Bonn/ Budapest: DAAD. Vogel, Friedemann (2012): „Das LDA-Toolkit. Korpuslinguistisches Analyseinstrument für kontrastive Diskurs- und Imageanalysen in Forschung und Lehre“. In: Zeitschrift für Angewandte Linguistik (ZfAL), 2012/3, S. 129–165. Waldow, Florian (2016): „Das Ausland als Gegenargument: Fünf Thesen zur Bedeutung nationaler Stereotype und negativer Referenzgesellschaften“, In: Zeitschrift für Pädagogik (03/2010), S. 403–412.

Marcus Müller und Maria Becker

Von Hunden, Hürden und Brücken Tropen der deutsch-chinesischen Begegnung im kulinarischen Diskurs

1 Einleitung In diesem Beitrag möchten wir Textpassagen betrachten, in denen Begegnungen zwischen dem deutschen und dem chinesischen Kulturraum mittels sprachlicher Verfahren der Übertragung wie der Metapher und der Metonymie geschildert werden, und zwar beim Essen. Uns scheint der kulinarische Diskurs aus zwei Gründen besonders geeignet, um kulturelle Selbst- und Fremdzuschreibungen in der Sprache zu untersuchen: Erstens materialisiert sich beim Essen Kultur – in dem wörtlichen Sinne, dass die Zubereitung von Lebensmitteln in hohem Maße kulturell kodiert und in semiotische Verweissysteme verwoben ist. Das Essen ist demnach der Vorgang, in dem kulturelle Semiose in Körperlichkeit mündet und Leiber über biochemische Stimulierung zu Kontextualisierungshinweisen modelliert (zur semiotischen Dimension der Kulinaristik vgl. Posner/Wilk 2008). Auf der anderen Seite sind nationale, regionale und lokale Küchen ein Schulbeispiel für die transkulturelle Perspektive, die Kulturen als Verwirbelungen semiotischer Ströme in lokalen Identitätsspielen auffasst (Mittler 2013) – man denke nur an die globale Erfolgsgeschichte der Nudel als Stifterin kollektiver Identität (Neidhart 2007). Insofern ist die semiotische Herstellung von Identität und Alterität ganz besonders erfolgreich am kulinarischen Diskurs zu untersuchen. Zweitens spricht für den kulinarischen Diskurs auch noch das aus der Kunstwissenschaft bekannte Morelli-Prinzip, das besagt, dass Zuschreibungen von Bildern an Künstler besonders effektiv an solchen Details vorgenommen werden können, die nicht im Fokus des Bildes stehen, sondern ganz nebensächlich erscheinen (vgl. dazu Ginzburg 2002: 8139). Da nämlich griffen die routinisierten Bewältigungspraktiken viel stärker, während man bei den zentralen Bildelementen ggf. versuche, einen bestimmten Stil oder eine Schule zu imitieren. Gleichermaßen kann man annehmen, dass Autorinnen und Autoren beim Reden über die Küche Müller, Marcus, Prof. Dr., Professor für digitale Linguistik, Universität Darmstadt, Deutschland Becker, Maria, M. A., Germanistische Linguistik, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Zentrale Forschung, Institut für Deutsche Sprache Mannheim, Deutschland DOI 10.1515/9783110544268-006

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ihre Vorstellungen von kollektiver Identität und Völkerbegegnung weniger kontrollieren als z. B. beim Schreiben über Politik. Dementsprechend untersuchen wir im folgenden Beitrag an einem Korpus aus deutschen Pressetexten, welche die chinesische Küche bzw. die Begegnung von Chinesen mit der deutschen Küche thematisieren, sprachliche Mittel der Herstellung von Identität und Alterität. Wir konzentrieren uns dabei exemplarisch auf Formen und Funktionen von Tropen, nämlich Metaphern und Metonymien, als Basisverfahren der sprachlichen Bewältigung von Neuem. Konkret behandeln wir Beispiele wie die folgenden: „Viele kochende, rollende, hackende, schwenkende Hände“ – „[…] in Deutschland regieren Messer und Gabel. Diese Hürde meistern alle.“ – „Lautes Schlürfen kühlt die heiße Flüssigkeit ab, schmatzendes Einsaugen, tief über die Schale gebeugt, bringt die Nudeln leichter in den Mund“ – „Und später undefinierbares Fleisch auf meinem Teller, das zu mir zu sagen scheint: I was no chicken.“ An diesen Beispielen, die willkürlich, aber nicht grundlos gewählt wurden, kann man schon erkennen, dass sprachliche Verfahren der Verschiebung hier dazu dienen können, solche Elemente kulinarischer Prozeduren zu fokalisieren, die als Indikatoren für kulturelle Differenzen konzeptualisiert werden – bei gleichzeitiger Vermeidung gesichtsverletzender Äußerungen. Der deutsch-chinesische Kulturkontakt wiederum eignet sich für diese Untersuchung hervorragend, da China – und insbesondere die chinesische Küche – in Deutschland einerseits die ambivalente Position des vertrauten Fremden einnimmt. Damit ist gemeint, dass es eine lange Tradition gibt, das Exotische und Exotistische im deutschen Diskurs gerade am Chinesischen zu thematisieren (Mittler 2013). Andererseits nehmen praktische Kulturkontakte von Menschen aus China und Deutschland in den letzten Jahren durch die zunehmende Mobilität in Tourismus, Wirtschaft und Wissenschaft immer mehr zu.1 Damit wird das vertraute Bild des Fremden durch das fremde Bild des Vertrauten herausgefordert und muss sprachlich bewältigt werden. Ein Brennpunkt solcher sprachlicher Bewältigungspraktiken im interkulturellen Diskurs ist aber seit jeher das Sprechen und Schreiben über das Essen (Hijiya-Kirschnereit 2008). Nachdem wir im Folgenden in der gebotenen Kürze erstens an diejenige Tradition zur Explikation von ‚Kultur‘ erinnern, die uns hier angemessen scheint, und zweitens unsere Arbeitsbegriffe von ‚Metapher‘ und ‚Metonymie‘ einführen,

1 Diesem Umstand verdankt sich auch das hier zugrunde gelegte Korpus: Marcus Müller war im Jahr 2014 Gastdozent an der Beijing Foreign Studies University (BFSU) und leitet, gemeinsam mit dem Bandherausgeber Jia Wenjian, das deutsch-chinesische Graduiertennetzwerk ‚Fachkulturen – Sprachkulturen‘. Das hier analysierte Korpus entstand ursprünglich für eine Lehrveranstaltung an der BFSU.



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geben wir eine Systematik der Konzeptualisierung kulinarischer deutsch-chinesischer Begegnungen in sprachlichen Tropen.2

2 Kultur und das Kulinarische An der unüberschaubaren Diskussion rund um den Begriff ‚Kultur‘ (Überblick in Jäger 2004) interessiert uns hier vor allem, dass Kultur ein „Totalitätsbegriff“ (Hermanns 1999) ist, der auf soziale Gruppen angewendet wird, um damit eine oder mehrere spezifische Praktiken, die einigen oder allen Mitgliedern dieser Gruppen zugeschrieben werden, auf angenommene Wesenseigenschaften der ganzen Gruppe zu beziehen. Gleichzeitig setzt sich derjenige, der mit dem Ausdruck Kultur operiert, in ein spezifisches Verhältnis zu der entsprechenden Gruppe, weil ‚Kultur‘ die Merkmale des mutmaßlich Fremden als Differenzeffekte des mutmaßlich Eigenen konzeptualisiert (oder umgekehrt). ‚Kultur‘ entsteht also im Sprachgebrauch und immer dann, wenn es um Entwürfe von Identität und Alterität in der – erlebten oder imaginierten – Begegnung mit dem Anderen geht. In diesem Rahmen gibt es aber nun – mit einem Höchstmaß an Vereinfachung gesagt  – erstens solche Gebrauchssituationen, in denen Kultur sozusagen als Abstandshalter dient, mit dem man sich das Andere präventiv vom Leib hält, ohne damit tatsächlich konfrontiert zu sein. Zweitens gebraucht man Kultur dann, wenn man sich in Situationen beschreibt, in denen sich die Gebiete des gewohnten Eigenen und des gewohnten Fremden überlappen. Um solche Situationen handelt es sich, wenn man das Essen, ein hoch routinisierter Vorgang, der mit der Erlebensgeschichte des Eigenen so eng verknüpft ist wie wenige andere Praktiken (Hijiya-Kirschnereit 2008), im Kontext ungewohnter Routinen und angesichts ungewohnter Speisen praktiziert. Für solche kulturellen Hybridsituationen hat der Kulturwissenschaftler Homi Bhabha (2000) den Begriff des „Dritten Raums“ etabliert. Diesen versteht er – mit Anleihen an der Philosophie Jacques Derridas  – als ein Prinzip sich selbst perpetuierender Differenzeffekte zwischen Fremdem und Eigenem, in denen Selbstzuschreibungen weder auf das eine noch das andere rekurrieren können, sondern in beständiger Neuformation aus der Differenz beider entstehen. Wir geben hier die Synthese der Literaturwissenschaftlerin Vanessa Geuen (2014: 180 f.) zu Bhabhas Kulturtheorie:

2 Wir danken Johanna Meyer für ihre wertvolle Unterstützung bei der Korpusrecherche für diesen Beitrag.

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Bhabha etabliert den Begriff des Thirdspace, des Dritten Raums, den er als Differenzprinzip versteht, „aus dem heraus dieser unabschließbare Aushandlungsprozess stattfinden muss“. […] Bhabha wendet sich gegen die Vorstellung, dass kulturelle Bedeutungssysteme auf ein ‚ihnen Eigenes‘ reduziert und damit von allen anderen getrennt betrachtet werden können. Er schreibt: „Der interpretatorische Pakt besteht nie einfach in einem Akt der Kommunikation zwischen dem in der Aussage festgelegten Ich und Du. Um Bedeutung zu produzieren, ist es erforderlich, daß diese beiden Orte in eine Bewegung versetzt werden, bei der sie einen Dritten Raum durchlaufen. Der Dritte Raum ist auf verschiedenen Ebenen in erster Linie ein Äußerungsraum. Gleichzeitig ist er ein Begegnungsraum. Ein Ich und ein Du sind nicht singulär zu verstehen.“ Die Interaktion zwischen Ich und Du generiert Bedeutung. Sie ist ein Diskurs, den Bhabha räumlich denkt. Bedeutung kristallisiert sich in einem Zwischenraum heraus, bleibt dabei stets beweglich und wandelbar. Sie ist das Dazwischen, und der Dritte Raum konstituiert sich aus Differenzen.

Der kulturelle dritte Raum, um den es im Folgenden geht, formiert sich als sprachlicher Reflex auf die „Schwellensituation“ (Parr 2011) der kulinarischen Begegnung mit dem Fremden. Unsere nochmalige thematische Verengung auf Metaphern und Metonymien zielt damit auf eine Zuspitzung eben dieses Hybridcharakters sprachlicher Kulturentwürfe im kulinarischen Diskurs, und zwar auf je unterschiedliche Weise: Metaphern sind Paradefälle von dritten Räumen im hier eingeführten Sinn. Am deutlichsten wird das im Modell der Blending Theorie (Fauconier/Turner 2002, s. u.), wo ihre Wirkung damit beschrieben wird, dass auf eine kontextsensitive und dynamische Weise zwei Wissensbereiche überblendet werden. Metonymien wiederum werden als Tropus der Verschiebung oft eingesetzt, um kognitive Fokussierungen vorzunehmen. Um in dem Bild der Optik zu bleiben: Metonymien fungieren als Ringblenden, mit denen zentrale Motive einer Situation hervorgehoben werden, so wie im bereits oben zitierten Fall: „Lautes Schlürfen kühlt die heiße Flüssigkeit ab, schmatzendes Einsaugen, tief über die Schale gebeugt, bringt die Nudeln leichter in den Mund“.

3 Metaphern und Metonymien als dritte Räume Dass Metaphern und Metonymien grundlegende Gestaltungsprinzipien der Sprache sind, ist keine neue Erkenntnis, hat als Thema der Linguistik in den letzten Jahren aber wieder eine beachtliche Renaissance erfahren.3 Einen großen Anteil daran hat insbesondere die kognitive Linguistik. Dem Metaphernbuch von

3 Als neuere Beispiele der germanistischen Forschung seien die Bände von Lefèvre (2014) und Spieß/Köpcke (2015) genannt.



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Lakoff/Johnson (1980) ist es zu verdanken, dass Metaphorik nicht mehr als singuläres Phänomen gedacht wird, das an einzelnen Ausdrücken festzumachen ist, sondern vielmehr als ein Grundprinzip der kognitiven Erschließung der Welt, dessen Spuren sich allerorts in der Sprache finden. Metaphern sind nach der Bestimmung Lakoffs und Johnsons zweidimensionale konzeptuelle Bereiche, die entstehen, wenn zwei Konzepte aufeinander bezogen werden – ein ‚Ausgangsbereich‘ und ein ‚Zielbereich‘ der Metapher werden demnach in einem metaphorical concept übereinander projiziert. Es entstünde eine Vorstellung als ein Drittes. Der metaphorische Prozess fände also nicht zwischen zwei Ausdrücken statt, sondern vielmehr zwischen zwei mentalen Bereichen. In dem einflussreichen kognitiven Metaphernmodell Fauconniers und Turners (2002) wird von vier Dimensionen des metaphorischen Prozesses ausgegangen: Aus Quellbereich („Input I“) und Zielbereich („Input II“) fließen auf der Basis gemeinsamer Grundlagen („Generic Space“) Eigenschaften in einen Überblendungsbereich ein („Blend“). Hier ist nun wichtig, dass metaphorische Verfahren zur kognitiven Erschließung der Welt einerseits ubiquitär sind, also die gesamte Sprache durchziehen, andererseits aber immer auch in Verdichtungen greifbar werden. Wir können also zwischen transparenten und salienten metaphorischen Verfahren unterscheiden. Im Folgenden interessieren wir uns für Spuren salienter Blendingprozesse als Praktiken der Konstitution dritter Räume im kulinarischen Diskurs. Metonymien spielen eine ebenso elementare Rolle in Sprachwandel, Spracherwerb und Sprachgebrauch. Allerdings werden Metonymien in der Forschung nicht ganz so prominent behandelt, oft als eine Art Anhängsel in Metaphern-Analysen. Zudem ist der linguistische Begriff von Metonymie äußerst unscharf. Hier meinen wir damit einen Prozess der kognitiven Verschiebung von Sachverhalt A auf Sachverhalt B innerhalb einer Wissensdomäne auf der Basis von Kontiguitätsbeziehungen (vgl. Croft/Cruse 2004: 216). Diese können logisch, ontologisch oder kulturell bestimmt sein (Brinker 2010). Die häufigsten Typen von Metonymien führen Croft/Cruse (2004: 2017) auf: (a) Part-whole Part for a whole: I noticed several new faces tonight. Whole for part: Do you need to use the bathroom? (b) Individual-class Individual for a class: He’s no Heifetz. Class for individual: Postman, this letter is covered in mud! (c) Entity-attribute Entity for attribute: Shares took a tumble yesterday. Attribute for entity: He’s a size ten. (d) Different values on same scale Hyberbole: It’s practically absolute zero in here – shut the window! Understatement: I’m feeling a bit puckish – I haven’t eaten for three days.

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(e) Opposites Irony: Now let’s move on to the small matter of the £300,000 you owe us.

Metaphern und Metonymien interessieren uns hier also als Verfahren der sprachlichen Verdichtung der kulturell aufgeladenen kulinarischen Begegnung. Allerdings sind metonymische Prozesse ausweislich unseres Korpus diskursstrukturell wesentlich bedeutender als metaphorische.

4 Tropen der deutsch-chinesischen Begegnung im kulinarischen Diskurs 4.1 Korpus und Methode Das Korpus, das dieser Studie zu Grunde liegt, besteht aus deutschen Presseartikeln zur chinesischen Küche. Es ist mittels der Mediendatenbank LexisNexis zusammengestellt worden. Der Zugriff darauf erfolgte am 12.09.2013 mit folgender Suchanfrage: ([china ODER chine! ODER Peking] I50 [Küche ODER kulinar! ODER ess! ODER gegessen]) Die Erhebung erfolgte für den Zeitraum von 2012 und 2013. Es wurden also alle Dokumente gesucht, die im Radius von höchstens 50 Wörtern erstens entweder den Ausdruck “China”, ein Adjektiv oder Substantiv mit dem Wortbestandteil “chine” oder “Peking” aufwiesen und zweitens den Ausdruck “Küche”, ein Wort mit dem Bestandteil “kulinar” oder eine verbale oder substantivische Flexionsform des Lemmas “essen” enthielten. Das Risiko von Fehltreffern (false positives) wurde mit dem breiten Radius bewusst in Kauf genommen, um auch solche Dokumente zu erheben, in denen das Thema ‘Essen’ nur am Rand eine Rolle spielt. Als Quelle wurde “Deutsche Zeitungen” eingegeben, die Duplikatsanalyse wurde mit der Einstellung “identisch” durchgeführt, das heißt, das vollkommen identische Duplikate von Artikeln von der Erhebung ausgeschlossen wurden. Artikel, die anderen lediglich ähnlich oder passagenweise identisch sind, wurden aber erhoben. Auf diese Weise entstand ein Korpus mit 834 Dokumenten und 556.698 laufenden Wörtern (Tokens). Das Korpus wurde in die Analyseumgebung CQPweb (Hardie 2012) auf der Analyse-Plattform Discourse Lab (http://discourselab.de/) importiert. Durch den Abgleich mit einem Referenzkorpus wurde anschließend zunächst eine Keywordliste erstellt. Bei dem Referenzkorpus handelt es sich um ein Pressetextkorpus zur aktuellen Asyldebatte, das mithilfe von LexisNexis anhand des Wortstamms -Asyl- erstellt wurde und aus 5110 Texten mit insgesamt 1.205.652 Tokens



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besteht. Die auf diese Weise erstellte Keywordliste enthält insgesamt 16 Ausdrücke aus dem semantischen Feld Essen, dies sind die im Folgenden aufgeführten Lemmata: Essen, essen, Fisch, Fleisch, Food, Gemüse, Geschmack, Koch, kochen, Küche, kulinarisch, Lebensmittel, Nudel, Restaurant, Speisen und Teller. Anschließend wurden die Kotexte der Schlüsselwörter gesichtet und manuell auf metonymische und metaphorische Praktiken hin untersucht. Die auf diese Weise eruierten relevanten Textpassagen wurden anschließend kategorisiert und mittels der Methodik der hermeneutischen Textarbeit (vgl. Felder/Müller/Vogel 2012) als Verfahren der Herstellung von kultureller Identität und Alterität analysiert. Im Folgenden stellen wir Analysen metaphorischer und metonymischer Praktiken vor, um exemplarisch daran diejenigen Prozesskategorien aufzuzeigen, die uns im oben beschriebenen Verfahren als bedeutsamste aufgefallen sind. Wir unternehmen aber keinen quantifizierenden, sondern einen qualitativ kategorisierenden Zugriff auf unsere Daten.

4.2 Metaphorische Verfahren Metaphorische Verfahren verweisen in den Korpusbelegen oft entweder auf den Versuch, über Ähnlichkeitsbeziehungen das Fremde mit dem Bekannten zu begreifen, oder aber, das Fremde vom Eigenen abzugrenzen und diesem entgegenzusetzen. Sie erscheinen – im Gegensatz zu den metonymischen Verfahren – als oberflächennahe, lokale Phänomene. Im Folgenden geben wir jeweils exemplarische Analysen für die beiden wichtigsten metaphorischen Prozesse, deren Spuren wir im Korpus gefunden haben. Die Prozesskategorien benennen wir nach dem bekannten Muster aus Lakoff/Johnson (1980) mit Seinsprädikationen des Typs x ist y.

4.2.1 Essen ist Kämpfen – Metaphern der Abgrenzung Der erste Beleg steht für metaphorische Verfahren als Zeichen kultureller Abgrenzung: Es geht um eine Rezension des Dokumentarfilms „Brenz Band goes China“, der die Geschichte einer Konzerttour einer Ludwigsburger Musikgruppe erzählt. Dort heißt es: [Textbeleg 1] Aber der 50-minütige Film hat nicht nur diese nachdenklichen Momente. Er ist auch saukomisch und lässt die Zuschauer laut rausprusten. Dann nämlich, wenn die europäischen Musiker mit dem chinesischen Essen kämpfen. Vor Stäbchen, Reis oder glitschigen Nudeln

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sind alle gleich. Und alle nehmen es sehr gelassen in dem sehr beschwingten Film. (Stuttgarter Zeitung, 03.12.2012)

Die Andersartigkeit der chinesischen und deutschen Kultur wird hier durch die metaphorische Beschreibung der Tätigkeit des Essens als Kampf dargestellt. Stäbchen, Reis und glitschige Nudeln als prototypische Vertreter des semantischen Feldes Chinesisches Essen erscheinen so als Gegner, die es zu besiegen gilt. Auf diese Weise wird zum einen auf die für viele Europäer ungewohnte und schwierig erscheinende Essenspraxis der Chinesen hingewiesen, zugleich wird aber auch die Fremdheit der chinesischen Kultur für die deutsche Musikgruppe verdeutlicht. Es sei darauf hingewiesen, dass in dem Satz „Vor Stäbchen, Reis oder glitschigen Nudeln sind alle gleich“ mit alle nicht  – wie ein Blick auf den weiteren Kotext verrät – Deutsche und Chinesen gleichermaßen gemeint sind, sondern lediglich die verschiedenen Mitglieder der zwölfköpfigen Band, von denen ein großer Teil eine geistige Behinderung hat. Das chinesische Essen bzw. die Fähigkeit, nach chinesischer Tradition mit Stäbchen zu essen, wird so zum Abgrenzungsmerkmal zwischen den deutschen Musikern und deren chinesischen Gastgebern.

4.2.2 Asien ist Europa – Metaphern der Annäherung Der folgende Beleg steht exemplarisch für ein metaphorisches Verfahren der Annährung kultureller Räume, und zwar mit der hegemonialen Praktik (Müller/ Becker im Druck, s. u.), die als fremd konzeptualisierten Nahrungsmittel mit den vertrauten europäischen Wahrnehmungsgestalten zu überblenden. In dem folgenden Textbeispiel, das aus einer Restaurantkritik eines Stuttgarter Lokals stammt, bedient sich der Autor also einer kulinarischen Metaphorik, um auf die Kompatibilität der deutschen und der chinesischen Küche – und Kultur – zu verweisen: [Textbeleg 2] Serviert werden im Dim Sum Dishes neben chinesischen Maultaschen asiatische Tapas in ungewöhnlichen Kombinationen, neudeutsch Fusion Food genannt. Das klingt urban und entsprechend ist auch die Einrichtung des Lokals. (Stuttgarter Zeitung, 17.05.2013)

Die Rede ist hier von Fusion Food, worunter die Kombination unterschiedlicher, zumeist internationaler Küchen und Kochkünste zu verstehen ist. Hierauf hat sich auch das beschriebene Restaurant Dim Sum Dishes spezialisiert, das asiatische Tapas und chinesische Maultaschen anbietet. Indem die Maultasche, eine Spezialität der schwäbischen Küche, hier mit dem Attribut „chinesisch“ verknüpft wird,



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wird die Kombinierbarkeit, die Kompatibilität der chinesischen und der schwäbischen Küche, die traditionellerweise als gegensätzlich, ja geradezu unvereinbar erscheinen mögen, in den Fokus gerückt. Ebenso wie mit der Maultasche eines der regelmäßig als typisch deutschen Speisen gelisteten Gerichte angeführt wird, werden auch die Tapas als prominente Vertreter der spanischen Küche genannt und durch die Verknüpfung mit dem Attribut „asiatisch“ als Fusion Food ausgewiesen. Hier werden also jeweils prototypische Repräsentanten verschiedener Landesküchen angeführt und durch attributive Verknüpfungen mit der chinesischen bzw. asiatischen Küche verbunden. Dass derartige Kombinationen im sich anschließenden Nebensatz als „ungewöhnlich“ bezeichnet werden, verweist auf die oben bereits erwähnte Gegensätzlichkeit der entsprechenden Küchen. Die asiatischen Tapas werden somit gemeinsam mit der chinesischen Maultasche nicht nur zum Zeichen für kulinarische Kombinierbarkeit, sondern lassen sich zugleich im metaphorischen, bedeutungsübertragenden Sinne, als sprachliche Bewältigung, als Auflösung von ursprünglicher Fremdheit und somit zugleich als Symbol der kulturellen Annäherung im kulinarischen Diskurs interpretieren.

4.3 Metonymische Verfahren Metonymische Verfahren lassen sich im untersuchten kulinarischen Diskurs als Versuche interpretieren, etwa über beispielhaft verwendete Teil-Ganzes- oder Ursache-Wirkung-Beziehungen Prinzipien der anderen Kultur zu erschließen. Sie setzen oft wesentlich tiefer an und strukturieren ganze Diskurspositionen relativ zu Teilthemen.

4.3.1 Teil-Ganzes A: Essen ist Kultur Der in unserem Zusammenhang bedeutendste metonymische Prozess ist eine tiefensemantische Figur der Verschiebung vom Teil zum Ganzen. Oft werden, wie wir im Folgenden zeigen möchten, am Essen exemplarisch die Nähe und Distanz von Kulturen thematisiert, welche dann als Totalitäten konzeptualisiert werden. Hierzu geben wir zuerst ein eher schlichtes Beispiel der kulinarischen Metonymie als Mittel der stereotypen Herstellung von Alterität, bevor wir an einer längeren Textpassage komplexere Figuren der Modellierung des Kulturkontakts als hybridem Raum besprechen.

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4.3.1.1 Tee und Instantnudeln Ein schlichter, aber häufiger Umgang mit interkulturellem Kontakt wird in dem folgenden Textbeleg aus der Südwestpresse veranschaulicht, der die Begegnung von Deutschen und Chinesen im touristischen Rahmen thematisiert: [Textbeleg 3] Für ein sicheres und angenehmes Reisegefühl erwarteten Chinesen im Ausland beispielsweise, ein „Stück Heimat als Rückzugsort vorzufinden“. Dazu gehörten chinesisches Essen, Zugang zu chinesischen Medien oder „ein Wasserkocher im Hotelzimmer, um jederzeit Tee oder Instantnudeln“ zubereiten zu können. (Südwestpresse, 05.01.2013)

Chinesisches Essen wird hier ebenso wie Tee oder Instantnudeln durch die Deklaration als „ein Stück Heimat“ zum pars pro toto für chinesische Kultur. Tee und Nudeln als typische Bestandteile chinesischer Kultur werden als „Rückzugsort“ für chinesische Touristen in Deutschland thematisiert. Durch chinesisches Essen und Trinken, das hier als Kernstück chinesischer Identität dargestellt wird, wird so das Bekannte in die fremde Kultur transportiert, ohne dabei jedoch selbst Teil dieser zu werden. 4.3.1.2 Maultaschen und Stäbchen Um zu zeigen, wie mittels solcher metonymischer Figuren komplexere kulturelle Begegnungen konzeptualisiert werden, geben wir eine Reihe zusammenhängender Belege: [Textbeleg 4a] Ist es möglich, Maultaschen mit Stäbchen zu essen? Diese Frage können sich chinesische Urlaubsgäste bei praktischen Übungen selbst beantworten. Denn sie werden neben Messer und Gabel immer öfter auch Stäbchen vorfinden. Die Zahl der chinesischen und indischen Urlauber im Schwarzwald steigt stark. Zwischen Januar und Mai 2013 gab es bei Gästen aus Asien und aus Israel jeweils zwischen zehn und 20 Prozent Plus. (Südwestpresse, 22.07.2013)

Dass der Bericht der Südwestpresse über die steigende Anzahl von Touristen aus Asien und die damit einhergehenden Veränderungen und Anpassungen in der Tourismusbranche mit der Frage eingeleitet wird, ob es möglich sei, Maultaschen mit Stäbchen zu essen, verweist zunächst auf die Frage der ‚Kombinierbarkeit‘ verschiedener kultureller Kontexte. Dass eine solche Kombination möglich und insbesondere auch praktizierbar ist, erfährt der Leser hier am Beispiel von Gastronomiebetrieben im Schwarzwald, die ihren Gästen einerseits Gerichte der deutschen Küche servieren, bei der Wahl des Bestecks jedoch auch auf die Herkunftsländer der Gäste bedacht sind. Gleichzeitig wird der Kulturkontrast durch die



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doppelt metonymische Konstruktion Maultaschen mit Stäbchen essen kulinarisch auf den Punkt gebracht und verdichtet. Die Notwendigkeit der ‚Anpassung‘ an Gäste aus anderen Ländern, hier am Beispiel der Darreichung von Stäbchen, wird mit deren wachsender Anzahl und somit zugleich mit den damit einhergehenden wachsenden Verdienstmöglichkeiten für die Tourismusbranche begründet. Eine kulturelle Annäherung scheint hier also in erster Linie hinsichtlich finanzieller Aspekte attraktiv zu sein. Diesbezüglich heißt es weiter im Text: [Textbeleg 4b] Nicht nur in China, auch in Brasilien und Russland sei eine „reisefreudige und kaufkräftige Mittelschicht“ entstanden, die hohe Anforderungen an die Gastgeber stelle, berichtet die Tourismus-Gesellschaft. Sie appelliert an Gastgeber, Gastronomen und Hoteliers, sich auf diese Gäste und deren Kultur einzulassen ohne sich und das eigene Brauchtum zu verbiegen. Authentisch bleiben, heißt die Devise. (Südwestpresse, 22.07.2013)

Als Motiv für die kulturelle Annäherung – ja Anpassung („sich auf diese Gäste und deren Kultur einzulassen“)  – fungiert hier die Beschreibung der ausländischen Gäste als „reisefreudige und kaufkräftige Mittelschicht“. Gleichzeitig wird jedoch die Wichtigkeit betont, eigene Traditionen zu repräsentieren und hervorzuheben  – wobei zunächst nicht näher darauf eingegangen wird, worin die Brauchtümer genau bestehen  –, das Schlüsselwort ist hier Authentizität. Dieses setzt sich aus den griechischen Wörtern „autos“ („selbst“) und „ontos“ („seiend“) zusammen. Authentisch zu sein bedeutet demgemäß seinem wahren Selbst entsprechend zu handeln (Harter 2002) und scheint daher zunächst nur schwerlich in Verbindung zu bringen zu sein mit dem Konzept kultureller Annäherung. Gerade die Balance zwischen der Wahrung von Authentizität und des Sich-Einlassens auf eine der eigenen fremde Kultur stellt also eine große Herausforderung dar. Hier ist gut zu besichtigen, wie sprachliche Identitätsarbeit im von Bhabha beschriebenen dritten Raum funktioniert: Die Versicherung des Eigenen scheint als Möglichkeit erst in der Thematisierung des Fremden als Möglichkeit des Eigenen auf. Das „Brauchtum“ wird hier ja gerade als Modus der Positionierung im Angesicht der „Gäste“ konzeptualisiert. Der Beleg geht weiter: [Textbeleg 4c] Genau das könnte zu Konflikten führen. Denn echte Schwarzwälder nehmen, wenn sie authentisch sind, kein Blatt vor den Mund und kaum Rücksicht auf die Bedürfnisse zartbesaiteter Gäste. Deshalb könnte schon ein kleines „Nein“ zu Irritationen führen. Chinesen könnten sich in ihrem Harmonie-Empfinden gestört fühlen […]. (Südwestpresse, 22.07.2013)

Hier wird nun auf die zuvor noch offen gebliebene Frage nach der genauen Beschaffenheit der Brauchtümer, die in der Begegnung mit anderen Kulturen

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nicht verbogen werden dürften, eingegangen und beschrieben, wodurch sich authentisches Handeln im Fall der Schwarzwälder Gastgeber genau auszeichne: So werden „echte Schwarzwälder“ als direkt und rücksichtlos stereotypisiert („nehmen […] kein Blatt vor den Mund und kaum Rücksicht auf die Bedürfnisse zartbesaiteter Gäste“) und in diesen Eigenschaften mit den als harmoniebedürftig beschriebenen chinesischen Touristen kontrastiert. Als Ursache einer konfliktreichen Begegnung der deutschen und chinesischen Kultur wird hier zum einen genannt, was als (stereo-) typisch gehalten wird für deren jeweilige Mitglieder, zum anderen aber auch, was diese demnach am meisten voneinander unterscheidet. Stereotype wie der rücksichtslose und direkte Schwarzwälder (bzw. Deutsche) oder der empfindliche und zurückhaltende Chinese, der sich bereits von einem „kleine[n] Nein“ beirren lasse, dienen, wie sich hier zeigt, nicht nur der vereinfachenden und generalisierenden Charakterisierung einer Gruppe oder Person (vgl. Quasthoff 1998: 48), sondern fungieren zugleich in ihrer karikierenden Art und Weise als Abgrenzung zu Mitgliedern anderer Gruppen. Eben auf diese Art und Weise kristallisiert sich die Abgrenzung der deutschen und der chinesischen Kultur auch hier gerade in der stereotypen Darstellung deren Verhaltens- und Umgangsformen heraus. Es wird aber deutlich, dass gerade die Thematisierung des interkulturellen dritten Raums die stereotypen Selbst- und Fremdattribuierungen begünstigt. Dass es schlussendlich doch wieder die zu Beginn des Artikels thematisierten Stäbchen sind, mit der metonymisch die kulturelle Annäherung fokussiert wird, zeigt indes der sich anschließende Textbeleg: [Textbeleg 4d] Wenn sich der Schwarzwald für asiatische Gäste öffnen möchte, sollten die Gastgeber mit den zahlungskräftigen und konsumfreudigen Urlaubern umgehen können. […] Und sie sind bereit, für guten Service gut zu bezahlen. Chinesen erwarten deshalb, dass neben dem Teller Stäbchen liegen. Wenn diese dann auch noch aus echt Schwarzwälder Tannenholz geschnitzt wären, wäre die Begeisterung perfekt. (Südwestpresse, 22.07.2013)

Die zuvor bereits thematisierte Eigenschaft der chinesischen Touristen, wohlhabend zu sein, wird auch hier wiederum zum Motiv, ja zum Beweggrund kulturellen Entgegenkommens. Indem hier die Rede ist von „aus echt Schwarzwälder Tannenholz geschnitzten [Stäbchen]“, fungieren diese in einem noch höheren Maß als bei ihrer anfänglichen Thematisierung als Metonymie des hybriden Raums kultureller Annäherung: Denn während zuvor die Begegnung zwischen den chinesischen Touristen und deren Schwarzwälder Gastgebern als problematisch und konfliktbehaftet dargestellt wurde, scheinen sie nun eben in der kulinarischen Domäne, bei der Wahl des Essbestecks, in Einklang zu bringen zu sein. Auf diese Weise zeigt sich hier in besonderer Art und Weise, dass Vorstellungen



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von kollektiver Identität und Alterität ganz besonders erfolgreich am kulinarischen Diskurs untersucht werden können: Denn beim Schreiben über das Kulinarische – dies zeigen in besonderer Deutlichkeit die stereotypen Beschreibungen der Deutschen und der Chinesen – kontrollieren die Autorinnen und Autoren ihre Vorstellungen von kollektiver Identität und Völkerbegegnung offensichtlich in einem weit geringerem Maße als dies etwa beim Schreiben über politische Themen zu erwarten wäre.

4.3.2 Teil-Ganzes B: Nahrungsmittel sind Kulturprodukte 4.3.2.1 Die chinesische Tiefkühlerdbeere Zu dem metonymischen Verfahren, Essen als Kultur zu deuten, lassen sich nun Subkategorien finden, die sich wiederum metonymisch dazu verhalten. Die wichtigste dieser Subkategorien beschreibt Nahrungsmittel als Kulturprodukt. Dabei geht es meist um Praktiken der Abgrenzung, mit denen die Fremdheit des Nahrungsmittels aus der anderen Kultur thematisiert wird und auf übergeordnete Fremdheitskonzepte übertragen wird: Als Beispiel dient der Diskursstrang zur „chinesischen Tiefkühlerdbeere“, die in unserem kleinen Korpus immerhin in insgesamt 13 Belegen aus unterschiedlichen Zeiten über einen längeren Zeitraum hinweg stellvertretend für die schlechte Qualität von Nahrungsmitteln thematisiert wird. Das möchten wir zunächst anhand des folgenden Textbelegs aus der Stuttgarter Zeitung veranschaulichen, in welchem Tiefkühlobst aus China zum Index für mangelnde hygienische Standards von Mahlzeiten in Kindertagesstätten wird: [Textbeleg 5] Lust auf chinesische Erdbeeren, das hat im Gemeinderat keiner. Und diese Früchte sollten auch den Kindern in der noch zu bauenden Kindertagesstätte in Stetten nicht serviert werden. Darin waren sich die Stadträte von L.-E. am Dienstagabend in der Zehntscheuer einig. […] SPD-Stadtrat Erich Klauser machte klar: ‚Niemand hat Lust auf chinesische Erdbeeren.‘ (Stuttgarter Zeitung, 11.10.2012)

Die Tiefkühlerdbeeren aus China, die, wie im weiteren Verlauf des Artikels deutlich wird, Auslöser einer Brechdurchfallerkrankung von über 11.000 Menschen, vorwiegend Kindern und Jugendlichen, waren, fungieren hier als pars pro toto für schlechte Qualität und mangelnde Frische des Essens in Schulen und anderen Einrichtungen. Dabei fällt auf, dass das Attribut „chinesisch“, das zuvor noch in Verbindungen wie „chinesische Maultasche“ (siehe Textbeleg 2) auf die Kompatibilität der deutschen und der chinesischen Küche und Kultur verwies, hier nun vielmehr als Abgrenzungsmarker fungiert: Lebensmittel aus China werden

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anhand des Beispiels der Tiefkühlerdbeere, deren Herkunft in diesem kurzen Ausschnitt gleich mehrfach thematisiert wird, dargestellt als minderwertig, ja sogar schädlich und somit als nicht akzeptable Zutat in Küchen deutscher Kindertagesstätten: „Niemand hat Lust auf chinesische Erdbeeren.“ Interessant ist zudem, dass die Kollokation „chinesische (Tiefkühl-)erdbeere“ keinesfalls einen Einzelfall im Diskurs darstellt, sondern sich vielmehr zu einer usuellen Wortverbindung zu verfestigen scheint, wie etwa folgende Belege veranschaulichen mögen: [Textbeleg 6 und 7] Es war die chinesische Tiefkühlerdbeere, die im Herbst eine Brechdurchfall-Epidemie auslöste. Allein in Berlin ging es 3.000 Kindern schlecht. Sie hatten ein mit Noroviren verseuchtes Dessert gegessen, das ein Caterer an Kitas und Schulen in Ostdeutschland geliefert hatte. (taz, 09.02.2013) Wir leben in einer schnelllebigen Zeit. Und deshalb ist fast schon in Vergessenheit geraten, dass im Herbst 2012 mehr als 11 000 Schüler an schwerem Brechdurchfall erkrankten, nachdem sie chinesische Tiefkühl-Erdbeeren gegessen hatten. (Stuttgarter Zeitung, 16.02.2013)

Wir sehen, dass die ausdrucksseitige Stereotypisierung der Wortverbindung „chinesische Tiefkühlerdbeere“ hier anlässlich der Thematisierung eines Vorfalles geschieht, der zum Produktionszeitpunkt der letzten beiden Belege bereits einige Monate in der Vergangenheit liegt. In den Belegen wird mit dem Rückblick jeweils eine Sachverhaltsverknüpfung (Felder 2009) zu anderen Lebensmittelskandalen vorbereitet. In der Verfestigung auf der Ausdrucksseite formiert sich damit die Spur einer Metonymisierung des Konzeptes ‚chinesische Tiefkühlerdbeere’. In dieser themensensitiven Stereotypisierung zeigt sich ein weiteres Beispiel für die diskursstrukturierende Potenz der Metonymie. 4.3.2.2 Der Hund auf dem Speiseplan Ein metonymischer Dauerbrenner der deutsch-chinesischen Begegnung im kulinarischen Diskurs ist der Hund als ein Nahrungsmittel. Auch in unserem Korpus ist diese Figur prominent vertreten. Hier geht es jeweils um die Thematisierung des Anderen beim Essen, entweder als lineare Praktik des kulturellen Ausschlusses oder – wesentlich häufiger belegt – als Einleitungsfigur kulturpädagogischer Passagen, in denen gerade das Gemeinsame, die Überblendung von Eigen- und Fremdbild, dadurch erreicht werden soll, indem die Rede vom Hund als alltäglichem Nahrungsmittel in China widerlegt wird, wie im folgenden Textbeleg. Im Anschluss an eine kurze Einleitung wird dort ein Interview zwischen einem Journalisten der Stuttgarter Nachrichten und einer Lehrerin, die als Betreuerin eines Austauschprogramms in China unterwegs war, wiedergegeben:



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[Textbeleg 8] Im Mai sind 15 Zehntklässler des Marbacher Friedrich-Schiller-Gymnasiums (FSG) nach China gereist. Rund drei Wochen lang haben sie das Land erkundet und Partnerstädte und -schulen besucht. Die Chinesischlehrerin Marion Rath war dabei und berichtet im Gespräch von ihren Erlebnissen. Gab es auf Ihrer Reise Hund zu essen? (lacht): Nein, auf dem alltäglichen chinesischen Speiseplan steht der auch eigentlich nicht. Die Chinesen essen  – wie wir auch  – viel Schwein und Rind. (Stuttgarter Nachrichten, 07.06.2013)

Der entscheidende Punkt ist hier die erste Frage des Journalisten, in welcher durch das Stereotyp vom Hund als prototypischer chinesischer Speise gleich zu Beginn des Interviews die Unterschiede zwischen der chinesischen und der deutschen Küche in den Fokus gerückt werden, was allerdings von der interviewten Lehrerin als nicht zutreffend zurückgewiesen wird. Zur Beschreibung der chinesischen Kultur wird hier, wie bereits in Textbeleg 4c, herangezogen, was als typisch gilt, wobei die Typik sich vor allem als Differenzeffekt zur deutschen Kultur konstituiert  – auch hier zeigt sich der dritte Raum Bhabas. Auch im Hinblick auf weitere Texte erweist sich der Hund als debattenbeherrschendes Lebensmittel des deutsch-chinesischen kulinarischen Diskurses. Dass sich gerade diesbezüglich kulinarische und zugleich kulturelle Inkompatibilitäten herauskristallisieren, unterstreicht auch folgender Beleg aus der Onlineausgabe des Spiegels, in welchem ein Besucher des jährlichen „Hundefleisch-Festivals“ im chinesischen Yulin folgendermaßen zitiert wird: [Textbeleg 9] „Wenn ihr aufhört Rind zu essen, hören wir auch auf, Hund zu essen“, sagt ein FestivalTeilnehmer. „Es schmeckt gut und ist nahrhaft“, behaupten andere. Hundefleisch zu essen, bringt Glück, so der weitverbreitete Irrglaube. (Spiegel Online, 22.06.2015)

Durch das Nebeneinander von Hund und Rind als Nahrungsmittel wird hier metonymisch eine Parallele zwischen der deutschen und chinesischen Kultur gezogen, die jedoch vielmehr deren Differenzen als Gemeinsamkeiten hervorhebt. Denn während die Frage, ob sie in China Hund gegessen habe, von der Lehrerin in Textbeleg 8 noch verneint und mit einem Hinweis auf Gemeinsamkeiten in der Wahl von Lebensmitteln abgewiegelt wurde („Die Chinesen essen  – wie wir auch  – viel Schwein und Rind“), wird Hundefleisch hier von dem Festivalbesucher als wohlschmeckend und nahrhaft beschrieben. In dem sich anschließenden Verweis auf einen „weitverbreitete[n] Irrglaube[n]“, demzufolge es Glück bringe, Hundefleisch zu essen, lässt sich eine Entindividualisierung des Fremden

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 Marcus Müller und Maria Becker

als Verfahren der Bewältigung interkulturellen Kontakts beobachten: So wird hier nun nicht länger die Meinung des Festivalbesuchers als Individuum zitiert, sondern die Überzeugung einer anonymen, nicht näher beschriebenen Masse, die gerade durch diese Überzeugung als befremdlich, ja als nicht den Normen der Kultur, aus deren Blickwinkel heraus sie hier betrachtet wird, entsprechend dargestellt wird.

5 Fazit In unseren Daten hat sich auf vielfältige Weise gezeigt, wie sich in der Analyse des kulinarischen Diskurses Vorstellungen von kollektiver Identität und kultureller Begegnung widerspiegeln und in diesem Sinne Aufschluss geben über Bewältigungsverfahren der Begegnung mit demjenigen, was jeweils als das Andere erfahren wird. Wir haben den Fokus unserer Analyse dabei auf metaphorische und metonymische Prozesse der Bedeutungskonstitution gelegt, die wir als Basisverfahren der sprachlichen Bewältigung des Anderen beschrieben haben. Dabei hat die Korpusanalyse gezeigt, dass metaphorische Prozesse eher in lokalen Verdichtungen von Annährung oder Abgrenzung wirken, während metonymische Verfahren die diskursstrukturell äußerst bedeutsamen tiefensemantischen Figuren konstituieren. Dabei kristallisieren sich zweierlei, sich wechselseitig beeinflussende Verfahren heraus, nämlich die semiotische Herstellung von Identität und Alterität (vgl. Müller/Becker im Druck). In der durch den Tropus erreichten konzeptuellen Verdichtung konstituiert sich ein hybrider Raum, in dem das Eigene durch das Fremde als Eigenes aufscheint und dadurch erst als kognitive Bewältigungsgestalt des als fremd Wahrgenommenen fungieren kann. Dadurch haben die in unseren Korpusbelegen analysierten Konzepte die Form von „dritten Räumen“ im Sinne Bhabhas (2000). Dass das Reden und Schreiben über das Essen eng verwoben ist mit einer Manifestation von Kultur, hat sich in den Belegen verschiedentlich gezeigt, etwa in der Thematisierung der aus Schwarzwälder Holz geschnitzten Essstäbchen als Symbol kultureller Annäherung und Anpassung oder anhand des Stereotypen vom Hund als chinesischem Nahrungsmittel, das als Sinnbild der Fremdheit der chinesischen Kultur aus deutscher Perspektive fungiert. Die Tropen sind hierbei ein Katalysator der Dialektik der Begegnung im dritten Raum: Die metaphorischen und metonymischen Markierungen des Fremden sind als Markierung oft eben nicht fremd, sondern vertraute Bestandteile des interkulturellen Diskurses, z. B. der Tee, der Hund als vermeintliches Grundnahrungsmittel oder die Stäbchen als Essbesteck. Wenn nun neue „Schwellensituationen“ (Parr 2011) entstehen, etwa



Von Hunden, Hürden und Brücken. 

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durch den Tourismus, in denen vertraute Stereotype durch neue Erfahrungen herausgefordert werden, dann dienen die vertrauten Fremdheitsmarkierungen dazu, das Neue zu thematisieren und kognitiv zu bearbeiten – das Neue liegt aber nicht selten darin, dass im vermeintlich Fremden das Eigene entdeckt wird oder aber das immer schon Fremde nach und nach zum Eigenen wird. Im kulinarischen Diskurs als kulturpolitischem Nebengleis lassen sich solche Prozesse wesentlich besser und prägnanter beobachten als in weltpolitischen Diskursen, die durch Deutungsrahmen wie Demokratie und Diktatur oder das Links-Rechts Schema überlagert sind. Insofern meinen wir Anzeichen dafür gefunden zu haben, dass gerade die Analyse tropischer Verdichtungen beim Reden über das Essen ein Gradmesser für die Festigkeit oder Dynamik kultureller Kontexte sein kann.

6 Literaturverzeichnis Bhabha, Homi (2000): Die Verortung der Kultur. (Aus dem Englischen übersetzt von: M. Schiffmann und J. Freudl). Tübingen: Stauffenburg. Brinker, Klaus (2010): Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden. Herausgegeben von Sandra Ausborn-Brinker. Berlin: Schmidt. Croft, William und D. Alan Cruse (2005): Cognitive Linguistics. Cambridge: Cambridge University Press. Fauconnier, Gilles und Mark Turner (2002): The way we think. Conceptual Blending and the Mind’s Hidden Complexities. New York: Basic Books. Felder, Ekkehard (2009): Sprache – das Tor zur Welt!? Perspektiven und Tendenzen in sprachlichen Äußerungen. In: Felder, Ekkehard (Hg.): Sprache. Im Auftrag der Universitätsgesellschaft Heidelberg. Berlin u. a.: Springer Verlag, 13–57 (Heidelberger Jahrbücher Band 53). Felder, Ekkehard, Marcus Müller und Friedemann Vogel (Hrsg.) (2012): Korpuspragmatik. Thematische Korpora als Basis diskurslinguistischer Analysen. Berlin/New York: De Gruyter. Geuen, Vanessa (2014): Tino Hanekamps So was von da – ein literarischer Musikclub als ambivalenter Heimatraum zwischen Figuration und Thirdspace. In: Bauer, Jenny, Claudia Gremler und Niels Penke (Hrsg.): Heimat – Räume. Komparatistische Perspektiven auf Herkunftsnarrative. Essen: Bachmann, 181–191. Ginzburg, Carlo (2002): Spurensicherung. Die Wissenschaft auf der Suche nach sich selbst. Berlin: Wagenbach. Hardie, Andrew (2012): CQPweb – combining power, flexibility and usability in a corpus analysis tool. In: International Journal of Corpus Linguistics 17:3, 380–409. Online abrufbar unter http://www.lancaster.ac.uk/staff/hardiea/cqpweb-paper.pdf [zuletzt am 05.02.2016). Harter, Susan (2002): Authenticity. In: Charles R. Snyder und Shane J. Lopez (Hrsg.): Handbook of positive psychology. Oxford, UK: Oxford University Press, 382–394.

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 Marcus Müller und Maria Becker

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Das Bild Chinas in der deutschsprachigen Presse: Fokusstudien II – Inhalts- und Diskursanalysen

Zhao Jin

Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes Analyse von Medienberichten zu Sino-Afrika-Beziehungen

1 Einleitung Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und der immer wichtigeren Rolle Chinas in der Weltpolitik nehmen in Deutschland auch die Berichterstattungen über China zu, so dass auf der wissenschaftlichen Ebene zahlreiche Forschungsarbeiten zu deutschen Medienberichten über China bzw. zum deutschen Chinabild in den letzten Jahren zustande gekommen sind. Neben themenübergreifenden Forschungen (z. B. Jia 2008, Ritta/Gebrauer 2010, Bieber 2011, Braun 2011) sind insbesondere Untersuchungen zu einem bestimmten Ereignis auffällig, wie zum Beispiel über die Olympischen Spiele 2008 in Beijing (Pfeifer 2009, Shen 2009, Peuckmann 2010, Zhao 2010), über die Weltausstellung Expo 2010 in Shanghai (Gu 2011), über die „Tibet-Frage“ (Wang 2010), über das Diaoyu Dao1-Ereignis (Li 2014) usw., aber auch das wirtschaftsbezogene Chinabild wird schwerpunktmäßig erforscht (Wang 2009, Zhao 2010, Zhou/Wang 2011). Dabei betrifft ein wichtiger Aspekt die (Wirtschafts-)Beziehungen zwischen China und Afrika. Denn in der von Carola Richter und Sebastian Gebauer durchgeführten Studie Die ChinaBerichterstattung in den deutschen Medien (2010), die die Berichte in sechs Zeitungen und Zeitschriften sowie zwei Fernsehsendungen über China im Jahr 2008 untersucht hat, wurde herausgefunden, dass 1,2% aller untersuchten Beiträge sich dem Thema chinesisch-afrikanische Beziehungen widmen (vgl. S. 151). Insgesamt ruft das chinesische Engagement in Afrika heftige Kritik bzw. Vorwürfe aus dem Westen hervor (vgl. Zhao 2010: 417 f.) und wird als Neokolonialismus

1 Diaoyu Dao oder die Senkaku-Inseln sind eine unbewohnte Inselgruppe auf dem Festlandsockel im Ostchinesischen Meer. Es besteht Streit zwischen der Volksrepublik China sowie Taiwan und Japan bezüglich des territorialen Anspruches auf diese Inselgruppe. Zhao, Jin, Prof. Dr., Professorin für germanistische Linguistik, Deutsche Fakultät, Tongji-Universität, China DOI 10.1515/9783110544268-007

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bezeichnet (vgl. Wang 2009: 65, Richter/Gebauer 2010: 158), aber „ohne dieses Bild näher zu hinterfragen“ (Richter/Gebauer 2010:151). In der Tat spielen die sino-afrikanischen Beziehungen in der chinesischen Außenpolitik eine wichtige Rolle. Beispielsweise hat der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die erste Auslandsreise kurz nach seinem Amtsantritt nach Afrika unternommen. Hinsichtlich dieser außenpolitischen Präsenz Chinas in Afrika finden sich sowohl in deutschen als auch in chinesischen Medien zahlreiche Berichte bzw. Kommentare über die sino-afrikanischen Beziehungen. Der vorliegende Beitrag wird insofern versuchen, die neokolonialistische Diskursentfaltung deutscher Medienberichte in Kontrast zu den Gegenargumenten der chinesischen zu analysieren und die möglichen Gründe für die Unterschiede des deutschen Chinabildes und des chinesischen Selbstbildes diesbezüglich zu untersuchen. Insgesamt sind sechs Beiträge von der F.A.Z., fünf von der Welt, ein Beitrag im Spiegel2 sowie 29 Beiträge der Wenhui Zeitung und 67 der Volkszeitung im Zeitraum vom 16. bis zum 31. März 2013 über die sino-afrikanischen Beziehungen anlässlich des Besuchs Xi Jinpings in Afrika vorgekommen. Darunter haben sich drei deutsche Beiträge jeweils aus der Welt, der F.A.Z. und dem Spiegel sowie drei chinesische Beträge aus der Wenhui Zeitung mit dem neokolonialistischen Diskurs auseinandergesetzt, diese werden in der vorliegenden Arbeit als Korpustexte dienen. Methodisch basiert die Analyse auf dem diskurslinguistischen Analysemodell (vgl. Spitzmüller/Warnke 2011), d. h., die Korpustexte werden auf der intratextuellen Ebene hinsichtlich der Wortwahl, der Satzstruktur sowie des Textaufbaus untersucht, um die Diskursstränge herauszuarbeiten. Auf der transtextuellen Ebene gilt zu fragen, welche relationalen Informationen mit dem Kernsachverhalt in Texte einbezogen werden, welche strukturellen sowie inhaltlichen Funktionen solche Kombinationen aufweisen; ob es durch Wiederholungen entstandene Stereotypen von dem Referenzierten gibt, die die Wahrnehmung der Rezipienten beeinflussen können; ob die eigene Perspektive als Maßstab bei der Betrachtung und Bewertung des Fremden angelegt wird; ob die Aussagen von dem eigenen Interesse ausgegangen sind und welche Ideologie als Stütze bei der Argumentation dient.

2 Der Spiegel-Text ist zwar vom 18. Nov. 2013, aber bezieht sich ebenfalls auf den Staatsbesuch von Xi Jinping in Afrika, insofern wird er auch in das Korpus aufgenommen.



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2 Untersuchungsergebnisse 2.1 In den deutschen Medien In den untersuchten drei deutschen Beiträgen wird zum einen China der Neokolonialismus direkt zugesprochen: Beispiel 1: „[Sanusi sagte,] China trage mit einer neuen Form des Imperialismus3zur Unterentwicklung des Kontinents bei.“ („Vom losen Bündnis zur festen Ehe“) Beispiel 2: „Die südafrikanische Mitgliedschaft nutzt alleine China, dessen Unternehmen sich mit rasanter Geschwindigkeit in Afrika ausbreiten. Und damit dieses Streben nach Hegemonie nicht allzu rüde wirkt, verkleidet Peking es geschickt als Solidarpakt der ehedem Unterdrückten.“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 3: „China kopiert ungeniert das Geschäftsmodell der alten Kolonialmächte, nennt es aber ‚Handel unter Gleichen‘.“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 4: „[Chef der Zentralbank von Nigeria, Lamido Sanusi findet,] China betreibt eine neue Form der Kolonisierung.“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 5: „Lamido Sanusi, Gouverneur der Zentralbank Nigerias, verspürt schon einen ,Hauch von Kolonialismus’.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 6: „In den Townships werden die neuen Einwanderer ,yellow masters’ geschimpft, gelbe Kolonialherren. Die Chinesen seien gierig, rücksichtslos und oft auch rassistisch.“ („Der Drache und der Strauß“)

An den obigen Beispielen ist zu erkennen, dass die chinesischen Aktivitäten in Afrika direkt mit „Kolonialismus“ etikettiert werden, entweder als direkte Bewertung durch den Autor des Berichtes („Kopie der alten Kolonialmächte“ im Beispiel 3) oder mit den Worten von afrikanischen Einheimischen, um der kolonialistischen Beschuldigung Ausdruck zu verleihen („eine neue Form der Kolonisierung“ im Beispiel 4, „Hauch von Kolonialismus“ im Beispiel 5, „yellow

3 Alle Hervorhebungen durch Fettdruck stammen von der Autorin.

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masters“ im Beispiel 6). Mit ideologischen Begriffen wie „Imperialismus“ im Beispiel 1 und „Hegemonie“ im Beispiel 2 wird der kolonialistische Hintersinn aber auch indirekt zum Ausdruck gebracht. „Kolonialismus“ wird als Mittel zum „Imperialismus“ betrachtet und die beiden Begriffe stehen in engem Zusammenhang. Denn der Imperialismus bedeutet das Streben einer Großmacht nach Ausweitung ihres politischen oder wirtschaftlichen Machtbereichs und erfuhr seine große Verbreitung mit der kolonialen Expansionspolitik der europäischen Staaten. Auch nach der Entkolonialisierung werden die ehemaligen Kolonien als billige und profitträchtige Rohstoffquellen ausgenutzt, so dass eine wirtschaftliche Abhängigkeit der formal selbstständigen Staaten von den Industriegesellschaften besteht (vgl. Hillmann 52007: 361). Dagegen ist unter „Hegemonie“ ein „bestimmtes polit[isches] oder soziales Verhältnis der Über- und Unterordnung [zu verstehen], bei dem unter Beibehaltung formaler Gleichheit der Beteiligten einer von ihnen tatsächlich oder rechtl[ich] eine höhere Stellung einnimmt“ (Hillmann 52007: 332), was auch als Motivation des Kolonialismus angesehen werden kann. Darüber hinaus werden den Chinesen die Merkmale der Kolonialherren zugeschrieben. Sie seien nämlich „gierig, rücksichtslos und oft auch rassistisch“ (Beispiel 6), und außerdem auch sehr trickreich und verdeckten ihre Hegemonieabsicht unter einem „Solidarpakt“ (Beispiel 2). Zum anderen werden bei dem Vorwurf des kolonialistischen Anstrebens Chinas in Afrika viele Kontraste gezogen: Beispiel 7: „Bagamoyo war einmal die Hauptstadt der Kolonie Deutsch-Ostafrikas von 1888 bis 1891, dann wurde der Verwaltungssitz nach Daresssalam verlegt, weil das Gestade für einen richtigen Seehafen zu flach war. Seither scheint hier die Zeit stehen geblieben. ,Aber bald wird in Bagamoyo nichts mehr so sein wie es immer war’, sagt Marie Schaba. ,Denn jetzt kommen die neuen Herrscher der Welt, die Chinesen.’“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 8: „,Die Geschichte wiederholt sich’, sagt Marie Schaba, die Kulturaktivistin. ,Früher wurden über Bagamoyo Elfenbein und Sklaven exportiert, heute sind es Bodenschätze.’“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 9 „Das Reich der Mitte stieg zum wichtigsten Wirtschaftspartner Afrikas auf, es hat die alten Großmächte – Großbritannien, Frankreich und die USA. – überholt.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 10: „,West is best’– das war einmal. Enttäuscht von Europa und Amerika[…] schauten die Afrikaner in den Fernen Osten. Dort fanden sie einen starken Verbündeten – einen, der vor



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allem Big Business machen möchte und sich nicht in ihre inneren Angelegenheiten einmischt.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 11: „In autoritären Staaten wie Äthiopien, Uganda oder Ruanda ist das Leitbild der chinesischen Entwicklungsdiktatur längst eine willkommene Alternative zur liberalen Demokratie, mehr Wachstum, weniger Freiheit.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 12: „Afrika wurde gerade zum zweiten Mal aufgeteilt, wie damals, 1885, auf der Berliner Konferenz der europäischen Kolonialmächte, sagt Shaba.“ („Der Drache und der Strauß“)

Aus den obigen Beispielen sind zwei Kontrastmuster herauszulesen, nämlich das diachronische und das synchronische. Zeitlich wird das heutige China mit den Kolonialmächten in der Geschichte verglichen – zum Beispiel mit dem Bild der Chinesen als neue Herrscher der Welt in der Hauptstadt der ehemaligen deutschen Kolonie (Beispiel 7), dem Vergleich des afrikanischen „Exports“ von Elfenbein und Sklaven an die Kolonialmächte in der Geschichte mit dem Export der Bodenschätze nach China von heute (Beispiel 9), und dem Vergleich der Aufteilung Afrikas auf der Berliner Konferenz der europäischen Kolonialmächte in der Geschichte mit der erneuten Aufteilung Afrikas vor allem durch China von heute (Beispiel 12). Durch diese Kontrastierung wird China den alten Kolonialmächten vergleichbar gemacht. In dem synchronischen Muster wird China in Gegensatz zu dem Westen gebracht, wie zum Beispiel das Reich der Mitte als wichtigster Wirtschaftspartner Afrikas vs. die alten Großmächte mit reduziertem wirtschaftlichen Einfluss in Afrika (Beispiel 9), Europa und Amerika mit politischen Konditionen bei der Entwicklungshilfe vs. chinesisches Wirtschaftsinteresse ungeachtet der politischen Verantwortung (Beispiel 10), chinesische Entwicklungsdiktatur vs. westliche liberale Demokraten (Beispiel 11). Durch diese Kontraste wird China einerseits als Nachahmer oder Nachfolger der alten Großmächte betrachtet und andererseits aufgrund seines Verhaltens im Unterschied zum heutigen Westen moralisch wie politisch in ein negatives Licht gerückt. Zum dritten wird das chinesische neokolonialistische Bild indirekt konstruiert, und zwar aus verschiedenen Perspektiven: 1. Wirtschaftlich zielten die chinesischen Aktivitäten in Afrika darauf ab, – Rohstoffe auszubeuten und Absatzmärkte zu erschließen bzw. auszubauen:

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Beispiel 13: „[Nigerias Zentralbankchef Lamido Sanusi sagte,] das Land kaufe preiswert Rohstoffe und exportiere seine daraus produzierten Produkte dann wieder nach Afrika.“ („Vom losen Bündnis zur festen Ehe“) Beispiel 14: „Dass China afrikanische Rohstoffe mit Infrastruktur bezahlt, ist noch der beste Teil der inzwischen sehr einseitigen Handelsbeziehungen. Dass Peking aber gleichzeitig Afrika mit seinen Billigprodukten überschwemmt und damit jede heimische Produktion abwürgt, ist der weniger schöne Teil“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 15: „Dass der Schwerpunkt der Unterstützung auf den Aufbau einer industriellen Infrastruktur in Afrika gelegt wird, glaubt zuerst jedenfalls niemand. Es wird wohl daher auf die Finanzierung chinesischer Exporte hinauslaufen.“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 16: „China, die Wirtschaftsgroßmacht aus Asien, ist hungrig nach Bodenschätzen, Energie, Nahrungsmitteln und Absatzmärkten.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 17: „Sie erließen Schulden, gewährten Milliardenkredite, besiegelten Rüstungsgeschäfte, verteilten großzügige Entwicklungsgeschenke. Vor allem aber sicherten sie sich den Zugriff auf Afrikas Rohstoffe.“ („Der Drache und der Strauß“) Beispiel 18: „Sie würden Afrika nur ausbeuten, seine Märkte mit Billigprodukten überschwemmen und die ohnehin schwache heimische Industrie ruinieren.“ („Der Drache und der Strauß“)

Diese Beispiele beschreiben die Absicht der chinesischen Aktivitäten in Afrika. Denn in Form von Entwicklungshilfe strebe China nur „hungrig“ nach „Bodenschätzen, Energie, Nahrungsmitteln und Absatzmärkten“, nämlich Afrikas „Rohstoffen“ (Beispiel 13, 14, 16, 17). Außerdem wolle China seine Exportmöglichkeiten erweitern und somit Afrika als seinen Absatzmarkt sichern (Beispiel 13, 15), allerdings mit den katastrophalen Folgen, dass Afrika ausgebeutet werde, seine heimische Produktion abgewürgt und heimische Industrie ruiniert (Beispiel 14, 18). – statt solidarische Hilfe zu leisten, das eigene Wirtschaftsinteresse zu betreiben: Beispiel 19: „[…] dann entpuppt sich Brics vor allem als ein Vehikel für chinesische Wirtschaftsinteressen. […] Handel wohlgemerkt, nicht Investitionen. Aus dieser Sicht ist Brics nichts



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anderes als eine mautbefreite Autobahn für ihre Containerschiffe.“ („Kolonialismus 2.0“) Beispiel 20: „Von langfristigen Investitionen etwa in Produktionsstätten, die helfen würden, die Arbeitslosigkeit zu senken, ist dabei kaum die Rede.“ („Kolonialismus 2.0“)

Auch die Brics-Gruppe (Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika) wird als Mittel des einseitigen chinesischen Wirtschaftsinteresses interpretiert. Dabei gehe es nicht um egalitäre Zusammenarbeit, auch nicht darum, Südafrika wirtschaftlich zu unterstützen (Beispiel 19), sondern nur um die Eigennützigkeit Chinas, die anderen Mitgliedsländer auszunutzen und seine Wirtschaftsinteressen durchzusetzen. 2. Politisch unterstütze China die einheimischen Herrschaftsgruppen und sichere indirekt ihre Macht: Beispiel 21: „China knüpft keinerlei politische Konditionen an die wirtschaftliche Zusammenarbeit, im Gegensatz zum Westen. Deswegen schätzen auch Despoten wie Simbabwes Präsident Robert Mugabe die Genossen aus China so: Die Kooperation füllt die leeren Haushaltskassen und sichert ihre Macht. Und Afrikas Diktatoren werden nicht geschurigelt, wenn sie ihre Völker unterdrücken und ausplündern.“ („Der Drache und der Strauß“)

An diesem Beispiel ist abzulesen, dass die chinesischen Aktivitäten in Afrika stark moralisiert und politisiert werden. Denn aus wirtschaftlichem Interesse unterstütze China direkt oder indirekt „Despoten“ oder „Diktatoren“ Afrikas und sichere ihre Macht, so dass sie skrupellos „ihre Völker unterdrücken und ausplündern“ können. China hat sich anders verhalten als der Westen, der bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit „politische Konditionen“ verlange. Dadurch wird China als politisch verantwortungslos und moralisch unanständig skizziert. Der Grund wird auch angedeutet, denn chinesische Regierungspolitiker seien die „Genossen“ von „Despoten“, motiviert von ähnlichen politischen Systemen. 3. Kulturell breitet China seinen Einfluss aus: Beispiel 22: „Chinas staatliche Nachrichtenagentur Xinhua unterhält mittlerweile 28 Büros in Afrika, mehr als jeder westliche Konkurrent. Das Staatsfernsehen CCTV, das im Vorjahr eine neue Propagandazentrale in Nairobi eingerichtet hat, zählt immer mehr Zuschauer. Denn statt der üblichen Katastrophenberichte verbreitet der Sender überwiegend „good news“ aus Afrika und präsentiert China als „wahren Freund.“ („Der Drache und der Strauß“)

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Auch kulturell habe China westliche Konkurrenten hinter sich gelassen und seinen Einfluss in Afrika schnell ausgebreitet, indem es zahlreiche Büros von der staatlichen Nachrichtenagentur einrichte und immer mehr Zuschauer zum CCTV anziehe. Die Methode dazu sei „Propaganda“ durch die Verbreitung von „good news“ und durch Selbstinszenierung als „wahren Freund“. 4. Chinas wirtschaftliche Aktivitäten assoziieren militärische Aktivitäten: Beispiel 23: – „Chinesische Unternehmen erobern den schwarzen Kontinent […].“ – „Chinas ökonomische Offensive in Afrika begann vor der Jahrtausendwende.“ – „Der ,Einfall’ Chinas […]“ – „[…] er warnt vor einer zweiten Welle der Eroberung.“ – „Im derzeitigen Boom, der vor allem durch Chinas Offensive beflügelt wird, [ …]“ („Der Drache und der Strauß“)

Zwar gibt es keine militärische Aktivität von China in Afrika, aber seine wirtschaftlichen Aktivitäten werden in eine militärische Metaphorik gekleidet. Denn „erobern“, „Eroberung“, „Offensive“ und „Einfall“ stammen ausnahmslos aus dem Bereich des Militärs. Aus der obigen Analyse ist ersichtlich, dass China entweder dem (Neo)Kolonialismus direkt zugeschrieben oder eine Analogie zwischen China und den alten Kolonialmächten gezogen wird. Indirekt wird China aus den wirtschaftlichen, politischen, kulturellen und militärischen Perspektiven auch als (neo)kolonialistisch profiliert, was den Charakteristika des (Neo)Kolonialismus-Begriffs entspricht. Denn Kolonialismus macht „Kolonien[…] [des] ,Mutterland[es]’politisch, wirtschaftlich und kulturell abhängig“, um v. a. beim „[a]us Ethnozentrismus resultierende[n] kulturelle[n] Überlegenheitsgefühl […] ,primitive’ Völker [zu modernisieren]“, „(billig[e]) Rohstoff[e] und (günstig[e]) Absatzmärkt[e] für die heimische Wirtschaft [zu sichern]“ sowie „ein[e] profitabl[e] Kapitalverwertung (Investition) und ein[en] hohen Lebensstandard[…] für die inländische Bevölkerung [zu sichern]“ (Hillmann 52007: 434 f.). Dagegen wird Neokolonialismus betrieben, um „die gesellschaftlichen Strukturen und die politischen und wirtschaftlichen Abhängigkeitsverhältnisse der ehemaligen Kolonialgebiete nach ihrer politischen staatlichen Souveränität aufrechtzuerhalten“, was oft „in offenen oder gedeckten militärischen Interventionen zum Schutz traditioneller und von den Industrieländern gestützter und abhängiger einheimischer Herrschaftsgruppen ebenso wie in einer Entwicklungs- und Kapitalhilfe“ gehandhabt wird (Hillmann 52007:614 f.). Die chinesisch-afrikanischen Aktivitäten werden in ihrer wirtschaftlichen Rohstoffausbeutung und Absatzmarkterschließung mittels der Entwicklungs- und Kapitalhilfe, dem indirekten politischen Schutz der einheimischen Herrschaftsgruppen, der kulturellen



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Einflussausübung, der militärartigen Wirtschaftsinvasion sowie rassistisch mit Ethnozentrismus gerade (neo)kolonialistisch abgebildet und dies medial an die deutsche Öffentlichkeit vermittelt.

2.2 In den chinesischen Medien In den chinesischen Medien sind drei Beiträge zu finden, die sich mit dem neokolonialistischen Vorwurf auseinandersetzen. Die Gegenargumente richten sich v. a. an die Ansicht Lamido Sanusis, dass China Afrika ausbeute und kolonisiere, und werden im Zeitungsartikel „Das chinesische Wirtschaftswachstum wird bestimmt dem Wohl Afrikas dienen“ wie folgt dargestellt: Gegenargument 1: Die afrikanische und chinesische Wirtschaft weisen Komplementarität auf. China hat neben dem Import von Energie und Rohstoffen aus Afrika auch zahlreiche Geldmittel und Technik angeboten, was Afrika nicht nur geholfen hat, das Potenzial seiner Naturressourcen auszulasten, sondern auch die afrikanische Wirtschaft direkt vorangetrieben hat. (非洲和中国经济存在互补性。…… 中国在进口非洲的能源和原材料的同时, 也为 非洲提供了大量资金和技术, 这不但帮助非洲发展了资源优势, 而且直接推动了非洲的经 济发展。) Gegenargument 2: [Kolonialismus] entstand nach dem Vorkommen des Kapitalismus, wobei die westlichen Großmächte mit Gewalt als Rückhalt die wirtschaftlich zurückgebliebenen Länder und Gebiete politisch, wirtschaftlich und militärisch erobert und eine Kolonialherrschaft eingerichtet haben. Der Ausgangspunkt sowie das endgültige Ziel der Kolonialherrschaft ist die Maximierung des Interesses der Kolonialisierung. Deswegen wird als Folge der Kolonialherrschaft das Interesse des Koloniallandes gänzlich geopfert und dagegen haben die westlichen Großmächte den größten Profit daraus gewonnen. […] Hinzu kommt, dass die afrikanischen Länder in ihrer Geschichte die Kolonialherrschaft lange Zeit erlebt haben und deswegen ein besseres Verständnis vom Kolonialismus haben. Insofern entbehrt es jeder Grundlage, die chinesisch-afrikanische Beziehung analog dazu zu betrachten. ([殖民 主义是指], 资本主义因素出现后, 西方列强以暴力为后盾, 采用政治、经济和军事手段占领 经济落后地区和国家, 建立殖民统治, 而殖民统治的出发点和最终目标, 就是追求殖民利益 最大化。因此殖民统治的后果, 是殖民地利益被彻底牺牲, 而西方列强却获得了最大化的 利益。…… 况且非洲国家在历史上曾长期遭受殖民统治, 对于殖民主义的认识更加深切。 因此, 若以此对照中非关系, 实在是风牛马不相及。) Gegenargument 3: Afrikanische Regierungsleiter sowie Intellektuelle sind der Meinung, dass Afrika hofft, sich mittels des chinesischen Wirtschaftsaufschwungs aus der Armut und Rückständigkeit zu lösen. (非洲的领导人和学者认为, 非洲期盼借力中国经济腾飞, 改变自 身贫穷落后面貌。)

Gegenargument 1 bezieht sich auf den Vorwurf der chinesischen Ausbeutung in Afrika und weist darauf hin, dass aufgrund der Komplementarität der chinesi-

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schen und der afrikanischen Wirtschaft China nicht einseitig Nutzen aus der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehung gezogen habe, sondern Afrika auch viel davon profitiert habe. Gegenargument 2 bezieht sich auf die kolonialistische Kritik an China und versucht, aus der Definition von Kolonialismus heraus zu begründen, dass die Kolonialherrschaft der westlichen Großmächte in der Geschichte sowohl in der Ursache, der Zielsetzung als auch in der Folge mit den heutigen chinesischen Aktivitäten in Afrika nichts zu tun habe. Darüber hinaus wird auch angedeutet, dass die entkolonialisierten afrikanischen Länder aufgrund ihrer Kolonialgeschichte Kolonialismus besser kannten, aber selber keine kolonialistische Kritik an China geübt hätten. Gegenargument 3 hat mit dem Zitat von Ọbasanjọ, dem ehemaligen Präsidenten von Nigeria sowie einem nigerianischen Experten der chinesisch-afrikanischen Beziehung von dem afrikanischen Standpunkt her ausgesagt, dass die afrikanischen Einheimischen die chinesischen Wirtschaftsaktivitäten in Afrika wünschen und auch schätzen. Ähnliche Meinungen haben auch Sassou, der Präsident von Kongo („Das große Kooperationsprojekt zwischen China und Kongo möglichst schnell in Angriff zu nehmen wird angestrebt“), sowie Kikwete, der Präsident von Tansania, geäußert („Wünscht, dass der große chinesische Traum in Erfüllung geht“). Dies hat die Zurückweisung des kolonialistischen Vorwurfs gegen China weiterhin verstärkt. Darüber hinaus gibt es noch weitere Argumente aus den drei Beiträgen, um China als Partner von Afrika darzustellen und indirekt der Beschuldigung der Kolonialisierung zu widersprechen: Argument 1: China und afrikanische Staaten sind Entwicklungsländer und haben ähnliche historische Erfahrungen und gleiche Kampfziele. (中非双方都是发展中国家, 具有相似的历 史遭遇和相同的奋斗目标。) („Das chinesische Wirtschaftswachstum wird bestimmt dem Wohl Afrikas dienen“) Argument 2: Die chinesisch-afrikanische Beziehung basiert nach wie vor auf der Gleichberechtigung und Freundschaft. (中非关系始终建立在平等友好的基础上。) („Das große Kooperationsprojekt zwischen China und Kongo möglichst schnell in Angriff zu nehmen wird angestrebt“) („Wünscht, dass der große chinesische Traum in Erfüllung geht“) Argument 3: Alte Freunde sind wie echtes Gold, dessen Farbe durch hundertfache Läuterung auch nicht verändert wird. (故交如真金, 百炼不变色。) („Das chinesische Wirtschaftswachstum wird bestimmt dem Wohl Afrikas dienen“)

Argument 1 geht auf einen ähnlichen wirtschaftlichen Entwicklungsstand sowie ähnliche geschichtliche Erlebnisse zurück und besagt, dass China und afrikanische Staaten beide Entwicklungsländer sind und in der Geschichte beide von



Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes 

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westlichen Großmächten kolonisiert oder halbkolonisiert wurden. Das heißt, China und Afrika seien in demselben Lager und China könne Afrika nicht kolonisieren. Argument 2 setzt Akzent auf die Gleichberechtigung und die Freundschaft zwischen China und Afrika. In der Tat werden Wörter wie „Respekt“ (尊重), „Zusammenarbeit“ (合作), „helfen“ (帮助), „in die innere Angelegenheit der afrikanischen Länder nicht einmischen“ (不干涉非洲国家内政), „verstehen“ (理解) usw. in den drei Beiträgen häufig benutzt, was eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen China und Afrika ausmalt. Außerdem werden „Freundschaft“ (友 谊), „Freunde“ (朋友), „Solidarität“ (团结), „Vertrautheit“ (亲密) usw. zur Bekräftigung der freundschaftlichen Beziehung zwischen China und Afrika verwendet. Dies besagt indirekt, dass bei einer freundschaftlich verbundenen Partnerschaft von Kolonialismus keine Rede sein kann. Das Argument 3 ist das Zitat aus einem Tang-Gedicht durch den ehemaligen chinesischen Premierminister Wen Jiabao („Das chinesische Wirtschaftswachstum wird bestimmt dem Wohl Afrikas dienen“) und verweist auf die lange Geschichte der Freundschaft zwischen China und Afrika. Formulierungen wie 1. „traditionell tief verwurzelte Freundschaft“ (深厚的传统友谊) („Das große Kooperationsprojekt zwischen China und Kongo möglichst schnell in Angriff zu nehmen wird angestrebt“), 2. „Der Freundschaftsbaum hat bereits die zeitliche wie räumliche Einschränkung überschritten, je länger die Zeit desto lebendiger ist er, so dass er tiefe Wurzeln und üppig wuchernde Blätter aufweist.“ (友谊之树早已超越了时间 和空间的限制, 历久弥新, 根深叶茂)(„Wünscht, dass der große chinesische Traum in Erfüllung geht“) oder 3. „die Freundschaftsbeziehung, die von der älteren Generation der führenden Persönlichkeiten beider Länder eigenhändig geschaffen und herangezogen worden ist“ (坦中两国老一辈领导人亲手缔造和培育的坦中友好关系) („Wünscht, dass der große chinesische Traum in Erfüllung geht“) betonen alle ohne weiteres die lange Geschichte der chinesisch-afrikanischen Freundschaft, die weit in die Vergangenheit zurück reicht. Das kann darauf hindeuten, dass China Afrika nicht neu entdeckt hat sowie China Afrika in der Geschichte nicht kolonisiert hat und heute auch nicht kolonisieren wird. An diesen Argumenten gegen die westliche kolonialistische Kritik ist nicht schwer zu erkennen, dass China sich selbst als Partner und Freund von Afrika ansieht, der in einer Win-Win-Beziehung zu Afrika steht.

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3 Erklärungsversuche Die Analyse der deutschen und der chinesischen Medienberichte über sino-afrikanische Beziehungen führt zu weit voneinander entfernten deutschen Chinaund chinesischen Selbstbildern: Ersteres zeichnet das Bild einer wirtschaftlich motivierten kolonialistischen Invasion Chinas in Afrika mit allen Merkmalen des Kolonialismus während letzteres eine freundschaftlich gebundene Partnerschaft Chinas zu Afrika darstellt. Um nach der Ursache dieser großen Diskrepanz zu suchen, soll ein Blick auf die Geschichte geworfen werden, denn ein (Nationen)Bild ist „eine Mischung aus erzählter Historie, Erinnerungen an vergangene Ereignisse, Geschichten und Gesprächen [sic] usw. plus einer großen Menge gewöhnlich schlecht verarbeiteter und oberflächlich gesammelter aktueller Informationen.“ (Boulding 1969:424, zitiert nach Peuckmann 2010:22). Die geschichtlichen Ereignisse spielen zur Bildung des Fremdbildes und des Selbstbildes insofern eine wichtige Rolle. Wie bei der Konstruktion des kolonialistischen Chinabildes China häufig im Vergleich zu den alten Kolonialmächten betrachtet wird, schwingt in dem ganzen chinabezogenen neokolonialistischen Diskurs eine historische Erinnerung an die Kolonialgeschichte Europas mit. Ende des 19. Jahrhunderts wurde der afrikanische Raum aufgeteilt und zum größten Teil in europäische Kolonialreiche eingegliedert (vgl. Seitkamp 2005:13). Dabei verfügte Deutschland mit dem geographischen Schwerpunkt in Afrika nach Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden über das viertgrößte europäische Kolonialreich (vgl. Conrad 2008: 22, 28). Nach Conrad (2008:18) „stand [der deutsche Kolonialismus] im Zusammenhang der weltwirtschaftlichen Konkurrenz und der Suche nach Rohstoff- und Absatzmärkten für die jungen Industrien, der weltpolitischen Konflikte zwischen den europäischen Großmächten und der Ideologie des Evolutionismus und Sozialdarwinismus, die zunehmend von Begriffen der ‚rassischen‘ Differenz überlagert wurden.“ Möglicherweise haben die deutschen Medien diesen globalgeschichtlichen Rahmen von damals in den heutigen chinesischen Engagements in Afrika wieder abgesteckt gefunden. Denn China mit seinem schnellen Wirtschaftswachstum wird zunehmend als Konkurrent der westlichen Länder angesehen, „als Globalisierungsweltmeister […] zur größten Herausforderung unseres sozialen, wirtschaftlichen und damit politischen Systems.“ (Seinitz 2006:1), der „eine Konkurrenzsituation (China – „Westen“) schafft“ (Heberer 2010:284). Sein Engagement in Afrika wird deswegen „in Europa und den USA vielfach als Bedrohungsfaktor für westliche Interessen interpretiert und als Teil einer chinesischen Strategie zur Ausplünderung afrikanischer Rohstoffquellen“ (Heberer 2010: 281), eine „Furcht, dass der Westen den Wettlauf mit China um Wohlstand und Werte verlieren könnte“ (Sandschneider 2007: 2 f.). Dabei haben das politische System



Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes 

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und die Ideologie Chinas im Unterschied zum Westen eine entscheidende Rolle gespielt und China wird somit als das Andere oder das Fremde in Gegensatz zum westlichen Selbstverständnis gesetzt. Auch das chinesische Selbstbild als afrikanischer Partner ist geschichtlich motiviert und steht im Kontrast zu dem chinesischen Fremdbild des Westens hinsichtlich Afrikas. China sieht sich selbst im selben Lager wie Afrika, beide Seiten haben sich ähnlich von der westlichen Kolonisierung bzw. Halbkolonisierung befreit, gehörten gemeinsam der Dritten Welt an und zählen zu den Entwicklungsländern (vgl. Zhang 2012: 40). Die brüderliche Freundschaft wurde bereits nach der Gründung der Volksrepublik China entwickelt, wobei schon in den 1950er und 1960er Jahren zahlreiche afrikanische Staaten diplomatische Beziehung mit China hergestellt haben (vgl. Zhang 2012: 31). Die Grundlage der wirtschaftlichen und technischen Entwicklungshilfe bzw. Zusammenarbeit mit Afrika wurde bereits in den 1960er Jahren anlässlich des Besuches des ersten Premierministers der Volksrepublik China, Zhou Enlai, zwischen dem 14. Dezember 1963 und dem 4. Februar 1964 geschaffen und der Kern der Prinzipien sei „Gleichberechtigung und gegenseitiger Nutzen“ sowie „Akzeptanz der Souveränität anderer Staaten und Nichteinmischung in innere Angelegenheiten“ (vgl. Zhang 2012:41 f.). Insofern hat im chinesischen Verständnis die partnerschaftliche Beziehung zwischen China und Afrika eine lange Geschichte und wurde bereits auf die Probe gestellt. Dagegen sieht China den Kolonialismus als das europäische Projekt im ausgehenden 19. Jahrhundert an, in dem die westlichen Großmächte durch Besatzung der afrikanischen Länder und durch den Sklavenhandel die afrikanische Gesellschaftsstruktur ruiniert, seinen Zivilisationsprozess zerstört und die Rassendiskriminierung herbeigeführt haben, insofern waren die Beziehung zwischen dem Westen und Afrika die zwischen Souveränstaaten und Kolonien (vgl. Zhang 2012:42 f.). Auch die Beziehung zwischen dem Westen und Afrika selbst nach der nationalen Unabhängigkeit der afrikanischen Länder wird von China als hierarchisch betrachtet, denn der Westen verlange immer politische Konditionen und versuche, den Afrikanern mittels der Entwicklungshilfe die westliche Kultur und eigene politische Werte aufzuzwingen, was gegen die Gleichberechtigung verstoße (vgl. Zhang 2012:44–50). Die obige Analyse gibt zu erkennen, dass die Fremdeinschätzung in Wechselwirkung mit der Eigeneinschätzung steht, und umgekehrt. Denn „bei Definition des Fremden [kommen] nicht tatsächliche oder ,objektive’ Kriterien zur Geltung, sondern dass letztlich unsere Beziehung zu diesem Anderen darüber entscheidet, wie ,fern’ oder fremd es für uns ist. […] Wir definieren uns immer im Verhältnis zu anderen – und umgekehrt.“ (Bolten 2001:53). Oder im Sinne von Hegel: „Im Fremden das Eigene zu erkennen, in ihm heimisch zu werden, ist die Grundbe-

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wegung des Geistes, dessen Sein nur Rückkehr zu sich selbst aus dem Anderssein ist.“ (Gadamer 72010: 19 f.)

4 Literaturverzeichnis Bieber, Linny: China in der deutschen Berichterstattung 2008: Eine multiperspektivische Inhaltsanalyse. Wiesbaden: VS College, 2011 Bolten, Jürgen: Interkulturelle Kompetenz. Thüringen: Landeszentrale für politische Bildung, 2001 Boulding, Kenneth E: National Images and International Systems. In: Rosenau, James N. : International Politics and Foreign Policy. New York: Free Press, 1969. S. 422–431 Braun, Johanna: Das Nationen-Bild Chinas im Nachrichtenmagazin „Der SPIEGEL“ : eine vergleichende Bildanalyse der Jahrgänge 2004 und 2009. Saarbrücken: VDM, 2011 Conrad, Sebastian: Deutsche Kolonialgeschichte. München: Beck, 2012 Gadamer, Hans-Georg: Hermeneutik I: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. Tübingen: Mohr Siebeck, 72010 Gu, Su: Chinabild in deutschen und chinesischen Medienberichten über die Shanghaier Expo 2010: Analyse der Selbst- und Fremdbilder aus der medienpolitischen und interkulturellen Perspektive. Masterarbeit der Nanjing Universität (maschi. vervielfältigt) Heberer, Thomas: Chinabild und deutsche Medienberichterstattung aus politikwissenschaftlicher Perspektive. In: Richter, Carola/Sebastian Gebauer: Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2010. S. 259–288 Hillmann, Karl-Heinz: Wörterbuch der Soziologie. Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 52007. Jia, Wenjian: Das Chinabild in Spiegel (2006–2007). In: Guoji Luntan 4/2008, S. 62–67, 81 Li, Danna: Analyse der Berichte über das Diaoyudao-Ereignis in den deutschen Medien – aus der Perspektive der Rahmentheorie. In: Journal des Verwaltungsinstituts der Provinz Hunan, 3/2014, S. 125–128 Peuckmann, Lukas: ,,One world – one dream“?: das Bild Chinas in der OlympiaBerichterstattung. Berlin: Frank & Timme, 2010 Pfeifer, Susanne: Das Image Chinas in den deutschen Medien: eine Inhaltsanalyse ausgewählter überregionaler deutscher Tageszeitungen im Kontext der Vorbereitung und Austragung der Olympischen Spiele 2008. Saarbrücken: VDM Verl. Müller, 2009 Richter, Carola/Sebastian Gebauer: Die China-Berichterstattung in den deutschen Medien. Berlin: Heinrich-Böll-Stiftung, 2010. Sandschneider, Eberhard: Globale Rivalen. München: Carl Hanser, 2007 Seinitz, Kurt: Vorsicht China!: Wie das Reich der Mitte unser Leben verändert. Salzburg: ecowin Verlag, 2006 Shen, Yan: Das Chinabild in den deutschen Medien – Analyse der Berichte über China in der Bild-Zeitung zu der Zeit der Olympischen Spiele in Beijing. In: Southeast 1/2009, S. 48–50 Speitkamp, Winfried: Deutsche Kolonialgeschichte. Stuttgart: Reclam, 2005 Wang, Yihong: Die rekonstruierte „tibetische Frage“ in den deutschen Leitmedien – Inhaltsanalyse der tibetbezogenen Berichte in deutschen Medien. In: Journalism & Communication 2/2010, S. 31–40, 109



Die Wechselwirkung des Selbstbildes und des Fremdbildes 

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Spitzmüller, Jürgen/Ingo H. Warnke: Diskurslinguistik. Eine Einführung in Theorien und Methoden der transtextuellen Sprachanalyse. Berlin/Bosten: de Gruyter, 2011 Wang, Zhiqiang: Das chinesische Wirtschaftsbild aus der Perspektive der Zeit (2004–2009). In: Deutschlandstudie 4/2009, S. 63–68, 87–88 Zhang, Yongpeng: International Development Cooperation and Afrika – A Comparative Study on Chinese and Western Aid to Africa. Beijing: Social Sciences Academic Press, 2012 Zhao, Jin: Chinabild in Deutschland – Analyse der wirtschaftsbezogenen China-Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung des Jahres 2006. In: Literaturstraße. Band 11. 2010. S. 405–422 Zhao, Jin: Zwei Stile, zwei Selbstoffenbarungen – Stilistische Analyse der deutschen und chinesischen Live-Kommentare zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele 2008 in Beijing. In: Muttersprache Jahrgang 120, 3(2010). S. 179–193 Zhou, Haixia/Wang Jianbing: Das dynamische chinesische Wirtschaftsbild in deutschen Medien in der Zeit der Wirtschaftskrise – mit Beispielen der chinabezogenen Berichte aus den deutschen Leitmedien Spiegel und Zeit 2009–2010. Deutschlandstudie 1/2011. S. 39–47, 80

5 Anhang In den deutschen Medien: „Vom losen Bündnis zur festen Ehe“, geschrieben von Christia Putsch. Die Welt (27. Mär. 2013) „Kolonialismus 2.0“, geschrieben von Thomas Scheen. Frankfurter Allgemeine Zeitung (27. Mär. 2013) „Der Drache und der Strauß“. Der Spiegel 47 (18. Nov. 2013) In den chinesischen Medien: “中国经济增长定会为非洲带来福祉” (舒运国)(„Das chinesische Wirtschaftswachstum wird bestimmt dem Wohl Afrikas dienen“, geschrieben von Shu Yunguo) Wenhui Zeitung (17. März 2013) “争取早日上马中刚大型合作项目” (钱彤、韩冰)。(„Das große Kooperationsprojekt zwischen China und Kongo möglichst schnell in Angriff zu nehmen wird angestrebt“, geschrieben von Qian Tong und Han Bing) Wenhui Zeitung (20. März 2013) “祝伟大的‘中国梦’梦想成真” (卢山、张晓春)。 („Wünscht, dass der große chinesische Traum in Erfüllung geht“, geschrieben von Lu Shan und Zhang Xiaochun) Wenhui Zeitung (25. März 2013)

Zhou Haixia

Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien Analysiert am Beispiel von DIE ZEIT und DER SPIEGEL (2000–2010)

1 Forschungsmotiv und -design Vor dem Hintergrund, dass die moderne Gesellschaft heutzutage bereits zu einer Mediengesellschaft geworden ist, geht die vorliegende Arbeit davon aus, dass das Bild von Überseechinesen in den Medien eines Landes von repräsentativer Bedeutung ist, da dies ungefähr zeigen kann, wie das Publikum in diesem Land die Überseechinesen betrachtet. Und das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien spiegelt nicht nur in gewissem Sinne wider, wie das deutsche Publikum die Überseechinesen betrachtet, sondern teilweise auch, wie die Medien in anderen westlichen Ländern die Überseechinesen sehen. Aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Menschen chinesischer Herkunft heutzutage ins Ausland fahren oder außerhalb von China leben, ist es von größerer Bedeutung, ihre Präsenz sowie deren Kommunikation mit den Einheimischen im Ausland zu erforschen. Auf diese Weise sollte die Erforschung des Bildes der Überseechinesen in den ausländischen Medien einen Beitrag dazu leisten können, den betroffenen Menschen dabei zu helfen, das eigene Bild in den Augen der Einheimischen, d. h. das im Ausland wahrgenommene Fremdbild über sich selbst, besser zu kennen, was prinzipiell deren interkulturelle Kommunikation im Ausland positiv beeinflussen dürfte und die Unverständnisse bzw. Missverständnisse zwischen unterschiedlichen kulturellen Gruppen abbauen helfen könnte.

Anmerkung: Die der vorliegenden Arbeit zugrunde liegenden Forschungen werden im Rahmen des Projektes „Chinesisch-deutscher Imagereport (2000–2013)“ von CSC (No. 14@ZH036) und DAAD kofinanziert, und auch im Rahmen des Projektes „Das Chinabild in den Augen der deutschen Medien und des deutschen Publikums“ aus der Projektreihe “Qingnian Yingcai Jihua” von dem Bildungsausschuss der Stadt Peking finanziert (Nr. YETP 0828). Zhou, Haixia, Prof. Dr., Associate Professorin für Germanistik, Department of German, Beijing Foreign Studies University (BFSU), China DOI 10.1515/9783110544268-008



Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien 

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Das der vorliegenden Arbeit zugrunde liegende Korpus beruht auf den Berichterstattungen über Überseechinesen in den deutschsprachigen Leitmeiden DER SPIEGEL und DIE ZEIT während des Zeitraums von 2000 bis 2010. Mithilfe der im Internet heruntergeladenen digitalisierten Volltexte der einzelnen Ausgaben der beiden Printmedien ist zuerst eine eigene Datenbank erstellt worden. Die Texte, die mindestens einmal den Ausdruck „Chinese“ bzw. „Chinesin“ oder die Zeichenfolge „chines“ enthalten, bilden zusammen erst die Vorversion des Korpus. Anschließend wurde manuell jeder Text durchgelesen, und alle Texte, die inhaltlich gar nichts mit dem Thema Überseechinesen zu tun haben oder Chinesen lediglich kurz erwähnen, ohne sie konkret zu beschreiben, wurden ausgenommen. Die übrigen Berichterstattungen, die Überseechinesen als Hauptthema oder eines der Unterthemen haben, bilden auf diese Weise das endgültige Korpus der Arbeit. Zu betonen ist, dass wegen beschränkter Zeit- und Personalaufwände im Rahmen des Forschungsprojektes nicht alle Berichterstattungen zum Thema Überseechinesen während des obengenannten Zeitraums als Forschungsmaterialien ins Korpus aufgenommen wurden, sondern nur die in jeder vierten Ausgabe der Zeitschrift bzw. Zeitung enthaltenen Artikel, nämlich jeweils in der Ausgabe 2, 6, 10, 14, … Nach diesen Kriterien wurden letztlich insgesamt 33 Texte gewonnen, die zusammen das Korpus der vorliegenden Arbeit bilden. Als theoretische Grundlage dienen hier die Kenntnisse aus dem Bereich der Medienkommunikationswissenschaft, wie Selektivität und Perspektivität der Medien. Die von der Medienpraxis immer wieder und bis heute immer noch behauptete Objektivität existiert eigentlich nicht. Nach den Forschungsergebnissen herrscht dort die sogenannte Objektivität nur als „strategisches Ritual“ (vgl. Schmidt und Weischenberg 1994, 227). Die Berichterstattungen sind eben keine einfache Widerspiegelung der Wahrheit in der Gesellschaft, sondern Produkte eines nach medieninternen und -externen Prinzipien vollzogenen Auswahlprozesses, der durch Selektivität und Perspektivität des Mediensystems gekennzeichnet ist (vgl. Schmidt 1993, 116). Da es hier um das Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien geht, werden außerdem Begriffe aus dem Bereich der interkulturellen Kommunikation eingeführt, wie Eigenbild, Fremdbild, Ethnozentrismus usw. Methodisch wird hauptsächlich die kritische Diskursanalyse von dem Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung (DISS) herangezogen.1 Wie oben genannt, enthält das Korpus alle den Auswahlkriterien entsprechenden Diskursfragmente zum Thema Überseechinesen. Diese Diskursfragmente lassen sich dann je nach Unterthema wiederum innerhalb des gesamten Diskurses zu

1 Zu den eingeführten Begriffen wie Diskursfragment, -ereignis, -strang usw. im Rahmen der KDA siehe Jäger und Jäger 2007.

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unterschiedlichen Diskurssträngen bündeln, wobei dem jeweiligen Diskursereignis besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird. Durch die Analyse des jeweiligen Diskursstrangs wird versucht, die Teilbilder der Überseechinesen zu gewinnen. Durch das Vergleichen und Zusammenfassen dieser Teilbilder ist schließlich das gesamte Bild der Überseechinesen zu erlangen. Erforscht werden im Rahmen der Kritischen Diskursanalyse nicht nur das Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien an sich, sondern auch die hinter der Konstruktion solch eines Bildes steckenden Gründe.

2 Darstellung der empirischen Forschungsergebnisse Der Kritischen Diskursanalyse des Korpus zufolge ist festzustellen, dass das Bild von Überseechinesen in den deutschen Medien hauptsächlich von einer Tendenz zu negativer Berichterstattung geprägt ist. Bis auf die Subgruppe „chinesische Studierende im Ausland“ kommen in den Berichterstattungen über andere Subgruppen von Chinesen, die langzeitig im Ausland leben, oft kriminelle Taten vor, wie z. B. Menschenschmuggel und illegale Zuwanderung, Schwarzarbeit, Geldwäscherei, organisierte Kriminalität der sogenannten chinesischen Mafia usw. Ein typisches, klischeehaftes mediales Bild und Betrachtungsmuster (Frame) liefern diesbezüglich die Berichterstattungen über China-Restaurants und Händler chinesischer Herkunft im Ausland. Anhand der Berichterstattungen ist im Großen und Ganzen festzustellen, dass die Gruppe der Überseechinesen in den deutschen Medien hauptsächlich als Sicherheitsrisiko konstruiert werden. In den deutschen Medien wird sogar vermutet, dass die Überseechinesen als Gruppe gewisse staatsinteressenbezogene Aufgaben Chinas im Ausland erfüllen sollten. Diese Behauptung hat in den letzten Jahren dazu beigetragen, dass die These der „Gelben Gefahr“ in Bezug auf Chinesen wieder ins Leben gerufen worden ist. Die Subgruppe „chinesische Touristen“, die nur kurzfristig ins Ausland reisen, wird medial ebenfalls negativ dargestellt. Sie werden zwar nicht als Bedrohung angesehen, aber werden in den deutschen Medien auch nicht als herzlich willkommene Gäste gezeichnet, sondern nur als von der Wirtschaft begehrte Konsumenten.



Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien 

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2.1 Illegal Zugewanderte und Menschenschmuggel Eine der vielen Facetten des gesamten Überseechinesen-Bildes bildet das Wort „Menschenschmuggel“. Insbesondere das Ereignis, dass 58 Chinesen auf dem Weg nach Dover qualvoll starben (vgl. Falksohn et al. 2000), ist innerhalb des Diskursstrangs zum Diskursereignis dieses Unterthemas entwickelt worden. Das häufige Thematisieren dieses Ereignisses in den deutschen Medien vermittelt einerseits den deutschen Rezipienten den Eindruck, dass es eine große Menge von Chinesen gebe, die illegal ins Ausland einwandern würden, andererseits wird das Stereotyp bzw. Vorurteil bezüglich der Überseechinesen verstärkt, dass sich unter den Überseechinesen im Westen sehr viele illegale Einwanderer verstecken. DER SPIEGEL meint z. B., dass die chinesische Provinz Fujian wegen ihrer geographischen Lage an der Küste eine jahrhundertelange Tradition des Schmuggels habe (vgl. Falksohn et al. 2000). Was die Hauptursache des Phänomens angeht, vertreten sowohl DER SPIEGEL als auch DIE ZEIT die Ansicht, dass dies daran liege, dass Chinesen, insbesondere die chinesische Landbevölkerung, in Not und Armut leben (vgl. o.V. 2000b) und sich daher nach dem Wohlstand in westlichen Ländern sehnen (vgl. Falksohn et al. 2000). Deswegen sei es laut den beiden Printmedien „kein Wunder, dass die Geschäfte der Schlepper blühen“ (o.V. 2000b). Den Berichterstattungen nach haben die USA und die europäischen Länder Maßnahmen gegen illegale Zuwanderung ergriffen. Laut derer setzte Washington im Kampf gegen illegale Einwanderer aus der Volksrepublik China auf psychologische Kriegsführung (vgl. o.V. 2000a). Die Amerikaner sollten durch die bedrückenden Filmmaterialien der gescheiterten Flucht versuchen, potentiellen chinesischen Flüchtlingen Angst und Schrecken einzujagen und ihnen die Botschaft zu vermitteln: Auf Flüchtlinge warten Tod oder Deportation (vgl. o.V. 2000a). Im Anschluss daran appellieren die deutschen Medien auch, dass der gemeinsame europäische Kampf gegen die hoch professionellen Fluchthelfer verbessert werden sollte (vgl. Falksohn et al. 2000). Dem in den deutschen Medien konstruierten Überseechinesen-bezogenen Stereotyp bzw. Vorurteil entsprechend, dass zahlreiche Chinesen illegal in westliche Länder zugewandert wären und illegal dort lebten, setzen DER SPIEGEL und DIE ZEIT beide in Zweifel, dass die Zahl der offiziell angemeldeten Einwohner der Siedlungsgebiete von Überseechinesen sich seit Jahren nicht ändere oder dass eine genaue Zahl der Einwohner solcher Siedlungsgebiete im statistischen Sinne überhaupt nicht existiere (vgl. Schmidt-Häuer 2000; Smoltczyk 2007). In einem Artikel aus dem Jahr 2000 in DIE ZEIT steht:

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„Niemand weiß genau, wie viele Chinesen in Budapest leben. […] die Leichen der Menschen sind unauffindbar. Seit einem Jahrzehnt. […] Wer stirbt, verschwindet. Bisher spurlos. Nur sein Pass kommt einem neuen chinesischen Einwanderer zugute.“ (Schmidt-Häuer 2000)

Dieser Artikel behauptet, dass Budapest Chinas europäischer Brückenkopf für den Schmuggel mit Billigwaren und Menschen sei (vgl. Schmidt-Häuer 2000). Ähnliche Aussagen gibt es auch in DER SPIEGEL, aber diesmal nicht über die Überseechinesen in Budapest, sondern über die in Rom lebenden Chinesen, über „unsterbliches China“ (Smoltczyk 2007): „Sicher ist, dass die Zahl der Aufenthaltsgenehmigungen lange Jahre vollkommen konstant war. Keiner kam, keiner ging, keiner starb. Jetzt kommen sie wieder. Aber gestorben wird immer noch nicht.“ (Smoltczyk 2007)

Laut des Artikels sollte die römische Polizei eine Sonderkommission auf das Mysterium der toten Chinesen angesetzt haben, weil in Italien verschiedene Gerüchte und Vermutungen bezüglich dessen verbreitet seien, und viele davon seien alles andere als harmlos, wie z. B. [dass die Chinesen dort] „die Toten in die Suppe schneiden“ (Smoltczyk 2007). Den mystisch wirkenden Überseechinesen wird offenbar alles zugetraut, nicht nur in Budapest und in Rom, sondern auch in den deutschen Medien. Die Zweifel der deutschen Medien an der tatsächlichen Zahl der Einwohner im Siedlungsgebiet der Überseechinesen implizieren die Einstellung, dass es sehr üblich wäre, illegale Einwanderer unter den Überseechinesen zu finden, was wiederum an das Thema Menschenschmuggel erinnern sollte. Gleichzeitig spricht das sogenannte „Mysterium der toten Chinesen“ (Smoltczyk 2007) auch dafür, dass Überseechinesen in den Augen der westlichen Gesellschaft rätselhaft und mystisch wirken. Sie zeigen sich als illegal ins Ausland eingewanderte Menschengruppen und sollen nach den Medien dort ein in sich geschlossenes Gruppenleben führen. Hier ist zu betonen, dass eines der Attribute des Unterthemas „illegale Zuwanderung“ sich darauf bezieht, dass die Siedlungsgebiete der Überseechinesen, wo die illegalen Einwanderer aus China normalerweise gelandet sind, als Unsicherheitsfaktoren im Gesellschaftsleben des jeweiligen Landes dargestellt werden. In den Berichterstattungen steht z. B., die neu gelandeten Einwanderer chinesischer Herkunft könnten keinen Job finden, und „manche versuchen sich auf den Straßen als Masseure für Touristen, andere sinken in die Kriminalität ab, wobei die Opfer meistens ebenfalls Chinesen sind.“ (Falksohn et al. 2000) Die Polizei aus Budapest solle eine Regel der Kriminalität im Siedlungsgebiet der Überseechinesen feststellen können, laut der



Das Bild von Überseechinesen in den deutschen Leitmedien 

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„sich Erpressungen, Entführungen und Morde jeweils zwischen Januar und März häuften. […und] dieser regelmäßige Anstieg der Kriminalität mit dem Mondneujahr zusammenhing – da muss man die Schulden begleichen.“ (Falksohn et al. 2000)

Im engen Zusammenhang zum Stereotyp bezüglich der Überseechinesen als Sicherheitsrisiko gibt es noch andere Vorurteile bzw. Stereotype über die Siedlungsgebiete dieser Gruppe sowie über die von Überseechinesen betriebenen Läden oder China-Restaurants usw. So heißt es, dass chinesische Mafia über die Siedlungsgebiete der Überseechinesen herrsche und dass China-Restaurants sowie Läden oder Casinos im Besitz von Chinesen oft mit Geldwäscherei zu tun hätten. Diese Vorurteile bzw. Stereotype unterstützen in gewissem Sinne das Gesamturteil der Medien über illegal zugewanderte Chinesen als Unsicherheitsfaktoren im Ausland, weil es die Rezipienten assoziieren lässt, dass die allgemeine Lebensumgebung der Überseechinesen eben schon von illegalen Geschäften und Kriminalität geprägt ist. Wie oben erwähnt, behaupten die deutschen Medien außerdem, dass die Überseechinesen staatsinteressenbezogene Aufgaben im Ausland zu erfüllen hätten. Vermutet wird z. B., dass Budapest zur heimlichen Hauptstadt der Chinesen in Europa geworden sei und aus der ungarischen Metropole heute alle chinesischen Gemeinschaften in Europa gelenkt würden (vgl. Schmidt-Häuer 2000). In den Medien steht sogar, dass die chinesische Regierung oder der chinesische Geheimdienst dahinterstecken würde (vgl. Schmidt-Häuer 2000). Solche Vermutungen sind dem Vorwurf gegenüber Überseechinesen in Deutschland beispielsweise in der Titelgeschichte „Prinzip Sandkorn“ in DER SPIEGEL sehr ähnlich, dass sie in Deutschland das Knowhow für China spionieren würden: „Mit einem Spitzel-Heer gehen Chinas Geheimdienste auf die Jagd nach dem wichtigsten Rohstoff von Exportweltmeister Deutschland: Know-how.“(Dahlkamp et al. 2007) In diesem Sinne ergibt sich aus der Analyse, dass Überseechinesen nicht nur als Unsicherheitsfaktor für das gesellschaftliche Leben vor Ort betrachtet werden, sondern auch als Bedrohung der Staatsinteressen Deutschlands bzw. westlicher Länder. Das in den deutschen Medien konstruierte Teilbild von Überseechinesen entspricht nicht nur dem negativen Chinabild in den deutschen Medien heute oder der These „chinesische Bedrohung“, die im Westen weit verbreitet ist, sondern hat seine Wurzel schon in der Geschichte: Das Chinabild in Europa hat schon immer zwischen Verteufelung und Idealisierung gependelt.(vgl. Zhou 2010, 12)

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2.2 China-Restaurants und Illegalität China-Restaurants sind heutzutage weit verbreitet im Westen mit ihrem guten kulinarischen Ruf. Im Gegensatz dazu scheint das konstruierte Bild von ChinaRestaurants in den deutschen Medien nicht besonders attraktiv zu sein. Stattdessen treten China-Restaurants in den Berichterstattungen häufig im Kontext unterschiedlicher Formen von Illegalität und Kriminalität auf. Der siebenfache Mord im China-Restaurant Lin Yue im niederländischen Sittensen nahe Hamburg ist innerhalb des Diskursstrangs zum Unterthema „China-Restaurants“ so wichtig, dass dieses Ereignis sich zum Diskursereignis entwickelt hat und somit einen hohen Stellenwert einnimmt und Einfluß auf die Qualität des Diskursstrangs ausüben kann. Das mehrfache und intensive Berichten über dieses Ereignis und die große Aufmerksamkeit, die ihm die deutschen Medien geschenkt haben, aktivieren die Vermutungen bzw. Gerüchte bezüglich China-Restaurants, die ohnehin schon lange unter dem deutschen Publikum verbreitet waren, dass hinter China-Restaurants oft organisierte Kriminalität stecken würde, wie Geldwäscherei, Mafia, Schwarzarbeit usw. Dem entsprechend steht z. B. in einem Artikel: „Auch das BKA bestätigte, dass China-Restaurants ‚oftmals Kristallisationspunkt chinesischer organisierter Gewalt‘ sind.“ (Pfaff 2007) Dass die Mafia hinter China-Restaurants stecke, ist und bleibt ein hartnäckiges Stereotyp bzw. Vorurteil in den deutschen Medien und wird daher in den Berichterstattungen in Bezug auf China-Restaurants immer wieder thematisiert. Beispielsweise wird in den Medien noch in Bezug auf die Explosion in einem anderen China-Restaurant die Vermutung geäußert, dass der Vorfall mutmaßlich auf die chinesischen Familienverbände und die blutige Rache zurückzuführen sei. (vgl. Schmidt-Häuer 2000) Zu lesen ist in den deutschen Medien z. B. auch, dass chinesische Köche in deutschen Asia-Restaurants meist ausgebeutet, rechtlos und miserabel bezahlt und Opfer systematischen Menschenhandels seien (vgl. Ulrich 2009), oder dass deutsche China-Restaurants mit einem weitverzweigten System von Schutzgelderpressungen (vgl. Ulrich 2009) in Verbindung stünden. Neben den Verbindungen zur Mafia werden China-Restaurants in den deutschen Medien auch mit konkreten illegalen Tätigkeiten in Verbindung gebracht, wobei Geldwäscherei (vgl. Smoltczyk 2007) und Schwarzarbeit (vgl. Schmidt 2004) die typischsten und meistgenannten sind. Die deutschen Medien stellen in diesem Zusammenhang „eine Art Sklavenhandel des 21. Jahrhunderts“ (Ulrich 2009) in deutschen China-Restaurants fest. Die chinesischen Köche seien durch die als Vermittlungsagenturen getarnten Schleuserorganisationen nach Deutschland bzw. in den Westen gelockt worden und würden dort als Sklaven am Wok „schuften“. (Ulrich 2009)



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„Fast allen Köchen wurde gleich nach ihrer Ankunft der Pass abgenommen. Nach Welkes Erkenntnissen wurden die Pässe teilweise von anderen Personen dafür benutzt, Spielkasinos zu besuchen oder Gelder nach China zu transferieren. Die Ermittler halten es auch für möglich, dass mit diesen Pässen Chinesen illegal in die EU geschleust werden.“ (Ulrich 2009)

Dass das mit Illegalität eng zusammenhängende China-Restaurant-bezogene Stereotyp bzw. Vorurteil in den deutschen Medien immer wieder in den Berichterstattungen zu dem entsprechenden Thema angesprochen und auf diese Weise bestätigt wird, wirkt sich selbstverständlich negativ auf das Bild der Überseechinesen als Gruppe aus, und zwar sowohl auf deren mediales Bild, als auch auf das Bild von ihnen in den Augen des deutschen Publikums.

2.3 Überseechinesen als Händler in ausländischen Grenzstädten an der Grenze zu China Neben den in den entwickelten mitteleuropäischen Ländern lebenden Überseechinesen ziehen auch die Chinesen in ausländischen Grenzstädten an der Grenze zu China die Aufmerksamkeit der deutschen Medien auf sich, z. B. die in den an China grenzenden russischen Städten lebenden Händler chinesischer Herkunft. Das in den deutschen Medien konstruierte Bild von Überseechinesen in den Grenzstädten Russlands ist dem von den in den entwickelten europäischen Ländern lebenden Überseechinesen in vielerlei Hinsicht sehr ähnlich. Es geht hier genauso um die illegale Zuwanderung der Überseechinesen und um die Not und Armut der Landbevölkerung in China. Der Berichterstattung zufolge seien die fleißigen Händler zumeist arme Bauern aus Nordchina. (vgl. Voswinkel 2004) Darüber hinaus handelt es sich in Bezug auf das Bild der in den russischen Grenzstädten lebenden Überseechinesen ebenso um das Stereotyp, dass unter Überseechinesen oft Kriminalität herrscht: „Geldwäsche übernehmen mit Vorliebe auch große und kleine Spielclubs, die offen oder über Strohmänner Chinesen gehören […] Rubel-Milliarden fließen schwarz an der Staatskasse vorbei – direkt nach China oder in das Netz halb legaler chinesischer Unternehmen im Gastland.“ (Mettke 2002)

Die Überseechinesen in den russischen Grenzstädten, in denen die Wirtschaft unterentwickelt ist, werden in den deutschen Medien ebenfalls als Sicherheitsrisiko für die einheimische Gesellschaft dargestellt. Laut den Medien seien die Überseechinesen für viele Russen „der Inbegriff der ‚gelben Gefahr‘“ (Voswinkel 2004). Sie seien in den Augen der Russen wie eine gefährlich anschwellende

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gelbe Flut (vgl. Mettke 2002). So wie in dem Siedlungsgebiet von Überseechinesen in Budapest „das Labor für Pekings Interessen“ (Schmidt-Häuer 2000) gesehen wird, steht hier in den Berichterstattungen auch ähnliches: „Wiktor Ischajew, Gouverneur von Chabarowsk, hält die ‚einigen hunderttausend illegal in Fernost wohnenden Chinesen‘ nicht nur für ein Sicherheitsrisiko. Er glaubt, dass Peking ein geheimes Programm zur Aneignung russischer Erde ausgeheckt habe, ein besonders raffiniertes.“ (Mettke 2002)

Nach den deutschen Medien „glauben mehr als 70 Prozent der Russen der Primorje-Hauptstadt weiterhin an einen chinesischen Generalplan zur Eroberung des Fernen Ostens“ (Voswinkel 2004). Wegen der großen Anzahl der dort lebenden Überseechinesen meinen die deutschen Medien, dass Chinesen die an China grenzenden Städte erobert hätten (vgl. Voswinkel 2004), und deren Siedlungsgebiete werden entsprechend als „eine illegale Kolonie Chinas“ (Mettke 2002) bezeichnet. Aber anders als das von den deutschen Medien konstruierte Bild der Überseechinesen in den entwickelten mitteleuropäischen Ländern ist das Bild der Überseechinesen in den russischen Grenzstädten nicht nur einseitig negativ geprägt, sondern zeigt auch gewisse positive Facetten. Die deutschen Medien erkennen hier noch einen gewissen Beitrag der Überseechinesen für diese Grenzstädte an. Laut den Berichterstattungen hätten die Überseechinesen mit ihren Waren die einheimischen Einwohner „vor dem Waren-Hungertod gerettet“ und billig „von Kopf bis Fuß eingekleidet“ (Mettke 2002). Die chinesischen Waren hätten den von Moskau vergessenen Fernen Osten ernährt und gekleidet. (vgl. Voswinkel 2004) Ferner ist zu erwähnen, dass sonst oft in Bezug auf Chinesen genannte Stereotype wie „Fleiß“ oder „Herstellung und Verkauf billiger Waren“ im Kontext der in den russischen Grenzstädten lebenden Chinesen auch thematisiert werden, so wie in den Berichterstattungen über Überseechinesen in den entwickelten europäischen Ländern. Ein anderer Artikel im Korpus handelt davon, dass Überseechinesen in den an China grenzenden Städten Laos Geschäfte und Handel betreiben. Der Untertitel des Artikels lautet: „Weitgehend unbemerkt verschiebt China seine Grenzen nach Süden. Investoren aus dem Riesenreich pachten ganze Ortschaften und lassen die Einwohner vertreiben.“ (Thielke 2012) Dem Artikel nach sei das eine „moderne Form des Kolonialismus“ (Thielke 2012), denn in diesen Gebieten werde ausschließlich Mandarin gesprochen, die Schriftzeichen an den Geschäften seien chinesisch, die Währung sei der Yuan, und die Uhren zeigen die Zeit von Peking an und nicht die von Vientiane, der laotischen Hauptstadt. (vgl. Thielke 2012) Der Artikel weist darauf hin, dass Überseechinesen sich große Ackerflä-



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chen, etwa in Sambia, Uganda oder im Kongo sichern würden, und ordnet auch dies der sogenannten modernen Form des Kolonialismus zu. Das entspricht den Berichterstattungen in den deutschen Medien über Chinas Präsenz in Afrika, in denen China immer wieder als „neue Kolonialherren“ (vgl. Lorenz und Thielke 2007; Grill 2006) gebrandmarkt wird. Als Sicherheitsrisiko werden die Überseechinesen auch hier betrachtet. Dem Artikel nach hätten die Überseechinesen den Ort zu einer „chinesischen Stadt“ gemacht, indem sie die Wirtschaft dort völlig unter Kontrolle hätten. Die meisten Laoten, die einst dort lebten, wären zum Umziehen gezwungen worden. „Und weil in Boten vornehmlich das Laster lockt, trauen sich Laoten nicht mehr in diesen Teil ihres Heimatlandes. Sowohl Glücksspiel als auch Prostitution sind den Laoten untersagt. Und die wenigen Laoten, die hier noch leben, halten Abstand zu den Eroberern aus dem Nachbarland.“ (Thielke 2012)

Zusammenfassend ergibt sich aus der Analyse, dass die Siedlungsgebiete von Überseechinesen im Ausland, egal ob sie sich in Europa oder in den Grenzstädten der Nachbarländer Chinas befinden, von den deutschen Medien meistens als eine Art Bedrohung dargestellt werden. Wenn diese sich in den wirtschaftlich entwickelten Ländern befinden, werden die Überseechinesen eher als Sicherheitsrisiko aus armen Ländern betrachtet und deren Bild ist eher von Illegalität und Kriminalität geprägt, während die in den wirtschaftlich unterentwickelten ausländischen Grenzstädten lebenden Überseechinesen eher für „Kolonialherren“ gehalten werden, die sich aggressiv zeigen und die betreffenden Gebiete im Ausland erobern würden oder erobert hätten. Aber sowohl in dem ersten Bild der Überseechinesen als auch in dem zweiten ist die These der „Gelben Gefahr“ und die sogenannte „chinesische Bedrohung“ zu spüren.

2.4 Chinesische Studierende in Deutschland bzw. im Ausland Anders als die anderen Subgruppen von Überseechinesen ist das von den deutschen Medien konstruierte Bild der in Deutschland bzw. im Ausland studierenden Chinesen wesentlich positiver. Nicht nur die chinesischen Studierenden in Deutschland, sondern auch chinesische Studierende im Ausland allgemein werden in den deutschen Medien neutral bis positiv betrachtet. Ein markantes Merkmal der Gruppe chinesischer Studierender ist laut den Berichterstattungen „Fleiß“ und „Studierwille“: „Der eiserne Studierwille ist weltweit zum Markenzeichen chinesischer Studenten geworden.“ (Blume 2002) Ferner sind die chinesischen Studierenden in den Augen der deutschen Medien durch hohe fachliche

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Qualifikation gekennzeichnet, deswegen würden sie im Ausland trotz riesiger Absolventenzahlen umworben (vgl. Schramm 2010). In den Berichterstattungen werden die chinesischen Studierenden mit Ausdrücken wie „chinesische Elitenstudenten“ oder „Elite“ oder „Chinas kluge Köpfe“ (Blume 2005) usw. bezeichnet. In dieser Wortwahl spiegelt sich das positive Bild der chinesischen Studierenden wider. Angesichts der hohen Anerkennung und des guten Images der chinesischen Studierenden in der Welt meinen die deutschen Medien, dass die deutschen Universitäten dabei einen Nachteil gegenüber denen in den USA hätten, weil für die meisten chinesischen Studierenden die USA die erste Wahl und „das Gelobte Land“ als Studienort im Ausland seien (vgl. Fischermann 2002). Daher appellieren die deutschen Medien, dass die deutschen Universitäten sich bemühen sollen, mehr chinesische Studierende anzuwerben. (vgl. Fischermann 2002) Nicht nur der fachlichen Qualifikation der chinesischen Studierenden im Ausland wird Aufmerksamkeit in den deutschen Medien geschenkt, sondern auch dem großen Umfang dieser Guppe sowie dem dahinter steckenden gesellschaftlichen und kulturellen Grund, aus dem so viele Chinesen gern ein Auslandsstudium absolvieren. DIE ZEIT meint z. B., dass die Zahl der im Ausland studierenden Chinesen sich in den letzten Jahren immer wieder erhöht habe, denn der Glaube, dass ein Auslandsstudium der goldene Weg zu Bildung, Reichtum und Ansehen sei, trage Züge einer Volksreligion. (vgl. Blume 2002) Wie oben erwähnt, sind die deutschen Medien aufgrund der hohen fachlichen Qualifikation der chinesischen Studierenden der Meinung, dass deutsche Universitäten die Chance nicht verpassen dürften, chinesische Studierende anzuwerben. Insbesondere seitdem die Einreisebedingungen in den USA nach dem 11. September 2001 strenger geworden sind, sehen die deutschen Medien eine gute Chance für die deutschen Universitäten. Laut den Medien sei Deutschland vor diesem Hintergrund zur zweiten Wahl für die Chinesen als Studienort im Ausland geworden und es ziehe lerneifrige Chinesen zu Zehntausenden nach Deutschland. (vgl. Blume 2002) Laut den Angaben der Medien habe sich die Zahl der chinesischen Studenten von 2001 bis 2006 deutschlandweit verdoppelt. (vgl. Wiarda 2006). Und der Trend bleibt auch danach unverändert und unter ausländischen Studierenden in Deutschland sollen die Studenten aus China seit Jahren oft den größten Anteil ausmachen. (vgl. Hoffinger 2010) Zu erwähnen ist, dass das Bild der im Ausland studierenden Chinesen jedoch nicht nur positive Seiten zeigt. Es enthält auch teilweise negative Punkte, die sich zwar vergleichsweise wenig auf das gesamte Bild auswirken, aber nicht übersehen werden dürfen. Es geht dabei darum,



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„dass private chinesische Vermittlungsagenturen […] mit dubiosen deutschen Partnern zu Tausenden junge Chinesen mit gefälschten Universitätszeugnissen nach Deutschland einschleusten, um für das Arrangement einer im Prinzip kostenlosen Universitätszulassung fünfstellige Euro-Summen zu kassieren.“ (Blume 2002)

Von vielen auf diese Weise in Deutschland gelandeten chinesischen Studenten, denen es an elementaren Fähigkeiten fehle, seien deutsche Universitäten enttäuscht. (vgl. Blume 2002) Das ist auch der Hintergrund der Einrichtung einer Akademischen Prüfungsstelle (APS) in der deutschen Botschaft in Peking gewesen, deren Aufgabe darin liegen solle, die Studienanträge der chinesischen Studierenden zu prüfen. (vgl. Wiarda 2006) Die deutschen Medien können die diesbezüglichen Sorgen einiger deutscher Universitäten zwar gut verstehen, aber aufgrund des guten Images der meisten chinesischen Studierenden halten sie nicht viel von der bürokratischen Bildung der APS, weil es ein Hindernis für mehr Elitestudenten aus China nach Deutschland sei, und damit hätten die deutschen Universitäten eben auch die beste Chance verpasst, möglichst viele kluge Köpfe aus China zu gewinnen. (vgl. Blume 2002) Einen anderen Trend bezüglich der im Ausland studierenden Chinesen betonen die deutschen Medien in den letzten Jahren besonders stark: Immer mehr Absolventen chinesischer Herkunft kehren nämlich nach dem Abschluss des Auslandsstudiums nach China zurück. Die hohe mediale Aufmerksamkeit auf diesen Trend hängt einerseits mit dem positiven Bild der chinesischen Studierenden zusammen und ist andererseits auf den Kontext des Wirtschaftsaufschwungs Chinas sowie auf die damit eng verbundene These der chinesischen Bedrohung zurückzuführen. Das Positive an den chinesischen Studierenden im Ausland wendet sich dann ins Gegenteil, wenn es aus einer anderen Perspektive betrachtet wird. Die zunehmende Rückkehr der chinesischen Studenten nach China wird von den deutschen Medien in gewissem Sinne im Kontext des chinesischen Machtzuwachses interpretiert und dabei als potentielle Bedrohung wahrgenommen: „Im Westen wurden Chinas kluge Köpfe zur Elite ausgebildet. Jetzt rüsten sie die Volksrepublik zur technologischen Supermacht des 21. Jahrhunderts auf.“ (Blume 2005)

Entsprechend werden in den Berichterstattungen zum Thema chinesischer Technologie sowie deren Entwicklung immer wieder die nach ihrem Auslandsstudium nach China zurückkehrenden Chinesen als wichtige Humanressourcen erwähnt. Oft wird parallel dazu auch Chinas Politik thematisiert, die Rückkehr der Absolventen chinesischer Herkunft auf Staatsebene zu fördern: Das Land „startete eine Kampagne, um erfolgreiche Auswanderer wieder nach China zu locken, Gratisflüge für die ganze Familie inbegriffen.“ (Fischermann 2002)

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In dem Kontext, dass chinesische Studierende im Ausland zunehmend nach China zurückkehren, werden deren eiserner Studierwille und hohe Fachqualifikation nicht mehr hoch gelobt, sondern im Kontext des Wirtschaftsaufschwungs Chinas eher als harte Konkurrenz und sogar Bedrohung in Bezug auf den Wettbewerb der technischen Entwicklung zwischen westlichen Ländern und China betrachtet. Dieser Gegensatz liegt an dem Perspektivenwechsel und spiegelt die Diskursdisposition der deutschen Medien wider, die sich an den Interessen Deutschlands orientieren.

2.5 Chinesische Touristen in Deutschland Eine andere Gruppe von Chinesen in Deutschland bzw. in Europa, denen in den deutschen Medien Aufmerksamkeit geschenkt wird, bilden die chinesischen Touristen. Anders als die anderen Subgruppen leben sie nicht langzeitig im Ausland, sondern bleiben nur kurz als Reisende dort. Daher ist das Bild der Gruppe „chinesischer Touristen“ in den deutschen Medien auch ganz anders geprägt als das der anderen Subgruppen, die langzeitig im Ausland leben. Der Schwerpunkt liegt nämlich nicht mehr darauf, wie sie dort ihr Leben führen, sondern wie sie sich im Ausland benehmen, d. h. es geht hier eher um kulturelle Unterschiede zwischen China und Deutschland wie Sitten und Gewohnheiten. In DER SPIEGEL steht z. B.: „Chinesen entdecken Europa als Urlaubsziel. Hotels und Gaststätten stellen sich auf den Ansturm aus Fernost ein, tun sich aber noch schwer mit manchen Gebräuchen.” (Jung 2006)

Durch diese als Untertitel dienenden Sätze ist zu erschließen, dass die chinesischen Touristen einerseits wegen ihrer großen Menge rein wirtschaftlich profitorientiert als Kunden bzw. Konsumenten willkommen sind, aber andererseits wegen kultureller Unterschiede nicht gerade beliebte Gäste in Deutschland sind. Zu dem Trend, dass immer mehr Chinesen nach Deutschland bzw. Europa reisen, vertreten die deutschen Medien die Ansicht, dass sich dies auf die Wirtschaftsentwicklung Chinas zurückführen lasse. Nach den Berichterstattungen sollen Chinesen nach jahrelangem „Schuften“ und Sparen sich etwas gönnen wollen, zumindest jene drei Prozent der Gesellschaft, die es sich leisten könnten. (vgl. Jung 2006) Die deutschen Medien betrachten es als eine von der Mittelschicht und den Neureichen Chinas neu entdeckte Freizeitmöglichkeit, ins Ausland zu reisen. Daher zeigen sich die in Deutschland bzw. in Europa reisenden Chinesen in den deutschen Medien hauptsächlich als wohlhabend und konsumfreudig und -fähig, oder sogar -gierig. Den Berichterstattungen zufolge würden unter chi-



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nesischen Touristen Kaufhäuser mindestens als genauso sehenswert wie Kirchen gelten. (Jung 2006) Dabei betonen die deutschen Medien oft, dass die chinesischen Touristen inzwischen weltweit zu den größten Gruppen gehören würden, die viel Geld für zollfreie Waren (vgl. o.V. 2006) bzw. Luxusartikel ausgeben (vgl. Ingenhoven 2008). Davon profitiert natürlich auch Deutschland als eines der Reisezielorte der chinesischen Touristen. Das nehmen die deutschen Medien zur Kenntnis und sie weisen darauf hin, dass deutsche Markenwaren bei Chinesen einen hervorragenden Ruf hätten (vgl. Blume 2002). Abgesehen von den wirtschaftlichen Vorteilen für den Einzelhandel in Deutschland werden chinesische Touristen in den deutschen Medien eigentlich nicht als willkommene Gäste wahrgenommen. Ein wichtiges Merkmal der Touristen aus China sieht laut den Berichterstattungen so aus: „Chinesen möchten in kürzester Zeit möglichst viel sehen.“ (Röpke 2003) Chinesische Touristen werden in den deutschen Medien gern mit Touristen aus Japan verglichen. Den Berichterstattungen nach bestehe der Ehrgeiz chinesischer Touristen darin, so viele Länder wie möglich mitzunehmen  – wie früher die Japaner. (vgl. Blume 2002) Zur Begründung des Phänomens wird der Tourismusprofessor Wolfgang Georg Arlt aus Stralsund zitiert. Er meint, Chinesen reisten nicht zum Spaß nach Deutschland bzw. Europa, wie Deutsche sich Urlaub vorstellen, sondern Chinesen wollten damit zu Hause angeben können, wo man überall gewesen sei. Das sollte den Status heben helfen. (vgl. Jung 2006) Die Art und Weise, wie Chinesen im Ausland ihre Reise gestalten, entspräche nämlich den Vorstellungen von Deutschen über Reisen und Urlaub nicht und werde daher gern von den deutschen Medien als merkwürdige Eigenschaft chinesischer Touristen thematisiert. Darüber hinaus sollen deutsche Hoteliers und Gastwirte sich mit manchen chinesischen Gebräuchen schwer tun. (vgl. Blume 2002) Diesbezüglich wird z. B. Folgendes in den Berichterstattungen genannt: „Etwa wenn der Rezeptionist den Schlüssel nicht zuerst dem Ranghöchsten in der Gruppe aushändigt. Da fühlten sich die anderen peinlich berührt.“ (Blume 2002) Hinter den in den Augen der deutschen Medien befremdlich wirkenden chinesischen Gebräuchen dieser Art stecken eigentlich kulturelle Unterschiede zwischen China und Deutschland. Aber die in den entsprechenden Berichterstattungen implizierte Einstellung gegenüber chinesischen Touristen ist eben auf den Mangel der Toleranz bzw. Empathie der deutschen Medien gegenüber andersartigen Kulturen zurückzuführen, was oft dazu führen kann, dass Menschen aus anderen Kulturen, auch Outgroup genannt, einfach wegen ihrer Andersartigkeit im Verhalten oder im Denken abwertend beurteilt werden. Neben impliziten Beschwerden sind in den Berichterstattungen auch Vorwürfe gegen chinesische Touristen im Klartext zu lesen: „Regelmäßig kommen Reiseleitern Beschwerden zu Ohren über Touristen, die auf den Boden spucken oder am Büfett schmatzen und rülpsen.“ (Blume 2002)

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Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Bild der chinesischen Touristen in Deutschland bzw. Europa aus zwei Perspektiven zu betrachten ist. Auf der einen Seite sind sie wegen ihrer Konsumfähigkeit und der dadurch entstandenen Vorteile für die deutsche Tourismusindustrie willkommen, auf der anderen Seite sind sie aber als Gäste aus Fernost mit unterschiedlichen Kulturprägungen bei Deutschen nicht gerade beliebt. Das Bild der chinesischen Touristen in den deutschen Medien tendiert eher zum Negativen. Durch die getroffene Wortwahl „Ansturm [aus Fernost]“ (Blume 2002), womit die gestiegene Zahl an Touristen aus China gemeint sind, ist in gewissem Sinne der Unterton der negativen Tendenz zu erschließen.

3 Resümee und Schlusswort Aufgrund der medialen Teilbilder der Überseechinesen kann man zusammenfassend zu dem Ergebnis kommen, dass das konstruierte Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien überwiegend negativ ist. Bis auf die Subgruppe der chinesischen Studierenden werden die Überseechinesen eher negativ wahrgenommen, egal ob sie langzeitig im Ausland leben oder arbeiten, oder nur kurzfristig dorthin reisen. Im ersten Fall werden sie oft als Sicherheitsrisiko und Bedrohung betrachtet, während die chinesischen Touristen in Deutschland bzw. Europa oft wegen ihrer aus deutscher Perspektive unangemessenen Verhaltensweisen, aber oft auch nur wegen ihrer Andersartigkeit im Verhalten und Denken, negativ beurteilt werden. Im Vergleich dazu genießen die chinesischen Studierenden wegen des Fleißes und der hohen Fachqualifikation in den deutschen Medien hauptsächlich ein gutes Image. Gleichzeitig werden die immer öfter nach China zurückkehrenden Absolventen chinesischer Herkunft wegen ihrer hohen Fachqualifikation wiederum als gewisse Konkurrenz für westliche Länder im Bereich der Technologie betrachtet und im Kontext des chinesischen Machtzuwachses in der Welt sogar als eine Art Bedrohung wahrgenommen. In den Diskursfragmenten zum Thema Überseechinesen kommt das Wort „Fernost“ hochfrequent vor, das bereits ein gewisses Stereotyp bezüglich der Chinesen bzw. Chinas darstellt. Der häufige Gebrauch des Wortes spiegelt an sich schon die Andersartigkeit der chinesischen Kultur in den Augen der deutschen Medien wider und erinnert daher die Rezipienten immer wieder daran, dass diese Menschen aus einem weit entfernten und hochwahrscheinlich völlig anderen Land stammen. Ein anderer markanter Fall des Wortgebrauchs bezieht sich auf die vorurteilsgeprägte und abwertende Einstellung „Gelbe Gefahr“ sowie auf jene daraus abgeleiteten Ausdrücke wie „Gelbe Flut“ oder „Gelbe Hoffnung“ (Voswin-



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kel 2004). Der Wortgebrauch dieser Art hat seine tiefen Wurzeln in dem historisch entwickelten kollektiven Gedächtnis Deutschlands über China und Chinesen. Dabei war das deutsche kollektive Gedächtnis über die sog. „Gelbe Gefahr“ für lange Zeit nicht mehr aktiv, ist aber in dem Kontext der Überseechinesen in den deutschen Medien wieder ins Leben gerufen worden. Das besagt einerseits, wie hartnäckig die in der Geschichte entstandenen Vorurteile bzw. Stereotype über eine andere Menschengruppe aus fremden Kulturen sein können, die zwar mit der Entwicklung der Zeit in Vergessenheit geraten, aber sofort reaktiviert werden können, wenn ähnliche oder vergleichbare Kontexte wieder da sind, wo sie einst entstanden waren oder existiert hatten. Andererseits ist durch die Reaktivierung des Begriffs „Gelbe Gefahr“ wiederum zu spüren, wie negativ das Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien ist. Wie oben bereits erwähnt, betrifft es hier hauptsächlich die für längere Zeit im Ausland lebenden Überseechinesen bzw. die Siedlungsgebiete der Überseechinesen im Ausland. Sie gelten in den Augen der Einheimischen bzw. aus der Perspektive der deutschen Medien als Outgroup und sogar als Bedrohung gegenüber der Ingroup. Außerdem ist zu betonen, dass es auf die etwa in den letzten 25 Jahren in Deutschland bzw. im Westen wahrgenommene Bedrohung durch den Wirtschaftsaufschwung Chinas sowie den damit einhergehenden weltweiten Machtzuwachs Chinas zurückzuführen ist, dass die These der „Gelben Gefahr“ oder andere Varianten dieses Ausdrucks in Bezug auf Chinesen reaktiviert worden sind. Was die chinesischen Touristen angeht, die nur kurzfristig nach Deutschland bzw. Europa reisen, fokussieren die deutschen Medien ihre Aufmerksamkeit eher auf die andersartigen Verhaltensweisen dieser Gruppe und interpretieren sie ethnozentristisch mit der eigenen Kultur als Maßstab. Als Bedrohung werden die chinesischen Touristen nicht betrachtet, sondern eher als konsumfähige und gewinnbringende Kunden, die nur aufgrund ihrer Andersartigkeit nicht gerade beliebt sind. Dieser Unterschied der Einstellungen lässt sich auch auf der Ebene der Wortwahl beobachten: In Bezug auf die Touristen aus China wird das befremdlich wirkende Wort „Fernost“ zwar auch gebraucht, aber der Ausdruck „Gelbe Gefahr“ und seine Varianten kommen jedenfalls nicht mehr in den entsprechenden Berichterstattungen vor. Das überwiegend negative Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien entspricht nicht nur dem zum Negativen tendierenden Chinabild in den deutschen Medien der letzten Jahre als Ganzem, sondern auch den Ergebnissen der Meinungsumfragen über das Chinabild in den Augen der deutschen Bevölkerung durch bestimmte Forschungsinstitute im Westen. Laut den entsprechenden Ergebnissen von 2007 bis 2015 ist das Chinabild in Deutschland fast immer überwiegend negativ, und zwar oft mit Abstand negativer als das Chinabild in den meisten westlichen Ländern: Dem PEW Research Center zufolge beträgt bei-

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spielsweise der Anteil der befragten Deutschen, die China nicht mögen, vom Jahr 2007 bis 2015 jeweils 54%, 68%, 63%, 61%, 59%, 67%, 64%, 64% und 60%. (vgl. PEWResearchCenter 2015) Vor diesem Hintergrund ist es nicht schwer zu verstehen, dass das gesamte Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien nicht gerade positiv gestaltet wird. Nicht schwer zu verstehen ist es auch, dass das alte Vorurteil der „Gelben Gefahr“ reaktiviert worden ist. Wie sich durch die Analyse bereits gezeigt hat, existiert die sogenannte Objektivität im Sinne des Realismus in der medialen Praxis eigentlich nicht. Jede von den Medien vollzogene Beobachtung eines Objektes ist beobachterabhängig und keinesfalls die objektive Widerspiegelung der Wahrheit. Das gilt für das konstruierte Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien, das insofern eindeutig von deren eigenen Perspektiven sowie deren Standpunkt geprägt ist – so wie man im Fall des Berichtens über eine andere Kulturgruppe typischerweise oft die eigene Kultur und die Interessen des eigenen Landes als Ausgangspunkt und Maßstab nimmt. In diesem Sinne spiegelt sich in dem Bild der Überseechinesen in den deutschen Medien als Fremdbild eben deren Eigenbild wider: WIR sind anders als IHR, WIR sind besser als IHR, und WIR haben manchmal auch Angst vor EUCH Fremden.

4 Literaturverzeichnis Jäger, Margarete und Jäger, Siegfried. Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007. PEWReserchCenter. Opinion of China. Do you have a favorable or unfavorable view of China? http://www.pewglobal.org/database/indicator/24/survey/17/response/Unfavorable/. 2015 (25. Juli 2015). Schmidt, Siegfried J. „Kommunikation – Kognition – Wirklichkeit“. Theorien öffentlicher Kommunikation. Problemfelder, Positionen, Perspektiven. Hg. Bentele, Günter und Rühl, Manfred. München: DGPuK, 1993. 105–117. Schmidt, Siegfried J. Und Weischenberg, Siegfried. „Mediengattungen, Berichterstattungsmuster, Darstellungsformen“. Die Wirklichkeit der Medien. Eine Einführung in die Kommunikationswissenschaft. Hg. Merten, Klaus und Schmidt, Siegfried J. und Weischenberg, Siegfried. Opladen:Westdeutscher Verlag, 1994. 212–236. Zhou, Ning. „Vorwort zur Bücherreihe CHINABILDER IN DER WELT“[shi jie de zhong guo xing xiang cong shu zong xu]. Chinabilder im Westen [xi ou de zhong guo xing xiang]. Li, Yong. Beijing:Renmin Verlag, 2010. 1–32.



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5 Quellen Blume, Georg. „Die zweite Wahl“. Die Zeit 52 (2002). Blume, Georg. „An die Spitze“. Die Zeit 25 (2005). Dahlkamp, Jürgen und Rosenbach, Marcel und Schmitt, Jörg und Stark, Holger und Wagner, Wieland. „Prinzip Sandkorn“. Der Spiegel 35 (2007). Falksohn, Rüdiger und Malzahn, Claus Christian und Schreiber, Sylvia und Sontheimer, Michael und Thielke, Thilo. „Seidenstraße des Todes“. Der Spiegel 26 (2000). Fischermann, Thomas. „Sündenböcke im Gelobten Land“. Die Zeit 52 (2002). Grill, Bartholomäus. „Die neuen Kolonialherren“. Die Zeit 38 (2006). Hoffinger, Isa. „Bedingt willkommen“. Die Zeit 09 (2010). Ingenhoven, Christoph. „Ich baue nicht in China“. Der Spiegel 01 (2008). Jung, Alexander. „Zwei Nächte in Deutschland“. Der Spiegel 33 (2006). Lorenz, Andreas und Thielke, Thilo. „Im Zeitalter des Drachen“. Der Spiegel 18 (2007). Mascolo, Georg. „Hochzeit undercover“. Der Spiegel 38 (2005). Mettke, Jörg R. „‚Einfach hingehen und dort leben‘“. Der Spiegel 14 (2002). o.V. „Schutz durch Schock“. Der Spiegel 51 (2000a). o.V. „Verzweiflung“. Die Zeit 26 (2000b). o.V. „Drang in die Ferne“. Der Spiegel 22 (2006). Pfaff, Jan. „‚Ich traute es ihnen nicht zu‘“. Die Zeit 38 (2007). Röpke, Thomas. „Was der Chinese will“. Die Zeit 24 (2003). Schmidt, Caroline. „Hoheitlicher Akt“. Der Spiegel 14 (2004). Schmidt-Häuer, Christian. „Geheime Stadt an der Donau“. Die Zeit 37 (2000). Schramm, Stefanie. „Kaffeepause – gute Idee“. Die Zeit 29 (2010). Smoltczyk, Alexander. „Unsterbliches China“. Der Spiegel 14 (2007). Thielke, Thilo. „Zocken beim Nachbarn“. Der Spiegel 02 (2012). Ulrich, Andreas. „Sklaven am Wok“. Der Spiegel 34 (2009). Voswinkel, Johannes. „Wasserfälle mit Stromschaltern“. Die Zeit 26 (2004). Wagner,Wieland. „Die rote Prinzessin“. Der Spiegel 22 (2006). Wiarda, Jan-Martin. „Von Kanton nach Clausthal“. Die Zeit 35 (2006).

Su Fu

Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen Am Beispiel deutscher und chinesischer Enzyklopädien

1 Einleitung Im Zeitalter der sogenannten Informationsgesellschaft stellt Medienkommunikation ein weit verbreitetes und bedeutsames Phänomen dar. Medien „bieten das Material für unser Weltverstehen, unser Weltbild“1 und ermöglichen den Aufbau von Wissen, das zugleich dazu beiträgt, eine Medienrealität zu konstruieren, die nicht zwangsläufig die wahre Widerspiegelung der Außenwelt ist. Dabei besteht die Gefahr, dass aus dem selben Tatbestand je nach verschiedenen Bezugsrahmen unterschiedliche Medienrealitäten abgeleitet werden könnten. Hinsichtlich der Tibetdiskurse haben sich auch in China und Deutschland zwei verschiedene Medienrealitäten herausgebildet, die in den vergangenen Jahren eine nicht übersehbare Rolle bei der Verstimmung der Beziehungen zwischen beiden Ländern gespielt haben. Aus diesem Grund wird in der vorliegenden Arbeit versucht, die verschiedenen Mediendiskurse über Tibet in China und in Deutschland gegenüberzustellen, einen Überblick zu vermitteln und Gründe zu analysieren.

2 Tibetdiskurse in China und in Deutschland 2.1 Zur Geschichte in Tibet Der Grund, warum sich Tibet zu einem Fokuspunkt entwickelt hat, hängt eng zusammen mit dessen Geschichte.

1 Funiok 2007, 13. Su, Fu, Prof. Dr., Professorin für Interkulturelle Kommunikation, Capital Normal University (CNU), China DOI 10.1515/9783110544268-009



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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Die Geschichte bzw. Geschichtsschreibung wird meistens unüberlegt als Wissen aufgenommen, das wiederum als fester Bestandteil des Weltwissens eines Individuums tief eingeprägt ist und eine Orientierungsfunktion für das Denken und Verhalten ausübt. In der Tat wird Geschichte von den Erzählern in Form eines Diskurses niedergeschrieben, dessen Produktion bewusst oder unbewusst „kontrolliert, selektiert, organisiert und kanalisiert wird“2. In diesem Sinne ist der Prozess der Niederschreibung zugleich ein Prozess der Subjektivierung. Geschichte kann keine reale und objektive Rekonstruktion sein, sondern eher eine Rekonstruktion, die verschmolzen ist mit Neuorganisation, Selektion, Interpretation etc. In der Tat erzählt jeder Geschichtsschreiber seine eigene Geschichte, was sich auch in den unterschiedlichen Erzählungen über Tibet in China und in Deutschland widerspiegelt. Betrachtet man die Tibetdiskurse in China und in Deutschland, so ist festzustellen, dass in dem jeweiligen Kontext eine hohe Konformität in Bezug auf die Geschichtserzählung über Tibet herrscht. Für die vorliegende Arbeit werden jeweils die deutsche Version zu Tibet aus dem Brockhaus Multimedial und die chinesische aus der Enzyklopädie Chinas ausgewählt. Um einen Überblick über die beiden Diskurse zu verschaffen, werden die Inhalte wie folgt zusammengefasst. Periode

Brockhaus Multimedial

Enzyklopädie Chinas

das siebte Jh.

Vereinigung der nomadischen Hochlandstämme von Tibet

das neunte Jh. Zerfall des Reiches in kleinere Fürstentümer das dreizehnte Zeitweilige Vorherrschaft der Jh. Mongolen

2 Foucault 2003, 11.

Unterwerfung unter Mongolen; seitdem Verwaltungsgebiet der Yuan-Dynastie und Aufnahme ins Territorium Chinas

174  Periode

 Su Fu

Brockhaus Multimedial

Enzyklopädie Chinas

das vierzehnte Beanspruchung der Oberhoheit über Unterordnungsbeziehung zwischen Jh. – Anfang des Tibet durch die chinesischen Dynastien Tibet und der Zentralregierung in der zwangzigsten der Ming und Mandschu Qing- und Ming-Dynastie Jhs. Eroberung durch die Dsungaren, die Vertreibung der Dsungaren durch die von den Chinesen vertrieben wurden; Qing-Dynastie, Wiederherstellung des daraufhin wurde Tibet als Protektorat Friedens und der Ordnung in Tibet Chinas behandelt. Errichtung des Protektorat-Modells für Offizielle Errichtung des Amts für eine die tibetisch-chinesischen Beziehun- Verwaltung Tibtes unter der Leitung gen eines Tibet-Ministers Blutige Unterdrückung tibetischer Aufstände durch die Chinesen

Niederschlagung der Revolten

Gewaltsames Vordringen der Briten Anerkennung der chinesischen Ober- Machtexpansion Großbritanniens in hoheit über Tibet durch Großbritannien Tibet unter Ausnutzung von Privilegien und Russland in ungleichen Verträgen mit der QingDynastie, die Großbritannien erzwungen hat 1911

Vertreibung der chinesischen Truppen Vertreibung der Truppen und des Tibetund Behörden in den Wirren der chine- Ministers der Qing-Dynastie durch sischen Revolution von 1911 probritsche Kräfte Tibets in den Wirren; blutige Ermordung der Patrioten unter den Adligen und in der religiösen Führungsschicht

1914

Zuspruch der Teile von Osttibet an China auf der Konferenz von Simla; Unabhängigkeit des größten Teils von Tibet de facto; Nichtanerkennung Chinas

1927

1940

Teilung Tibets ins „äußere“ und „innere“ Tibet mit Jinsha-Fluss als Grenze auf der Konferenz von Simla, die von Großbriannien initiiert wurde; Nichtanerkennung der Teilung durch die Delegierten aus China Klarstellung der staatlichen Zugehörigkeit Tibets durch Gesetzlegung von der Zentralregierung der Republik China

Feierliche Einführung des 14. DalaiLama, an dessen Hof sich ab 1946 H. Harrer aufhielt.

Feierliche Einführung des 14. Dalai-Lama unter der Leitung von Reting-Lama und Wu Zhongxin, dem Sondergesandten für mongolische und tibetische Angelegenheiten der Zentralregierung der Republik China



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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Periode

Brockhaus Multimedial

Enzyklopädie Chinas

1949

Erneuerter Anspruch Chinas auf Tibet Forderung nach der Befreiung Tibets unter Ausnutzung der Rivalität zwiund Vereinigung des Vaterlands v. a. schen Dalai-Lama und Pantschen-Lama von dem 10. Pantschen-Lama

1950 – 1951

Eindringen und Besetzung durch Unterzeichnung des „17-PunkteEinheiten der chinesischen »Volksbe- Abkommens“ zur friedlichen Befreiung freiungsarmee« in Tibet Tibets; Stationierung der Volksbefreiungsarmee in Tibet

Diese Tabelle zeichnet jeweils zwei parallel laufende Geschichten, die den Rezipienten eindeutig unterschiedliche Informationen weitergeben. Der Hauptunterschied findet sich in den Beziehungen zwischen Tibet und der Zentralregierung.  – Abgesehen davon, dass Großbritannien die Oberhoheit Chinas über Tibet anerkannte, als es Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts in Tibet eindrang, wird im Brockhaus kaum etwas über die Zugehörigkeit Tibets geäußert, die aber von der chinesischen Erzählung hervorgehoben wird, was sich durch folgende Beschreibungen bestätigen lässt. a) Zur Zugehörigkeit Tibets im dreizehnten Jahrhundert: Im Brockhaus wird lediglich erwähnt, dass Tibet sich der Mongolei unterworfen habe. Nicht erwähnt wird, dass im dreizehnten Jahrhundert die Mongolei über das ganze China regierte und das Kaiserhaus den Namen Yuan trug. In der chinesischen Erzählung wird dieser Zeitpunkt als ein Meilenstein in den Beziehungen betrachtet. b) Über die Beziehungen zwischen Tibet und der Zentralregierung in der Mingund Qing-Dynastie: Das Wort „beanspruchen“ betont den einseitigen Wunsch und die einseitige Forderung seitens der Ming- und Qing-Dynastie. Dagegen weist die chinesische Enzyklopädie auf die Fortsetzung der Beziehung seit der Yuan-Dynastie hin. Hierdurch wird zum Ausdruck gebracht, dass es ein Tatbestand ist, dass Tibet in der Ming- und Qing-Dynastie zu China gehörte, nicht bloß ein Wunsch. c) Über die Besatzung von den Dsungaren: Obwohl die Vertreibung von Dsungaren als ein wichtiges Ereignis in beiden Büchern erzählt wird, ist doch die Beschreibung über das Ergebnis differenziert  – im Brockhaus sei Tibet Protektorat Chinas geworden, in der chinesischen Erzählung dagegen seien Ruhe und Ordnung in Tibet wiederhergestellt. d) Über die Verwaltung durch die Qing-Dynastie: der Brockhaus betont das Modell eines Protektorats, während in der chinesischen Erzählung der TibetMinister eine umfassende Verwaltungsarbeit ausführte.

176 

 Su Fu

e) Über Tibet in der Zeit der Republik China: Laut Brockhaus habe sich der große Teil von Tibet zu jener Zeit in Unabhängigkeit befunden, im Gegensatz bringt die Enzyklopädie Chinas die Fortsetzung des Hoheitsrechts gegenüber Tibet zum Ausdruck. f) Über die Zeremonie der Reinkarnation: im Brockhaus wird hier die Passivform verwendet und dabei derjenige, der diese Zeremonie geleitet hat, weggelassen. Die chinesische Enzyklopädie weist dagegen eindeutig darauf hin, dass Vertreter der Zentralregierung diese Zeremonie geleitet haben. g) Über Tibet nach 1949: Bezüglich der Zugehörigkeit Tibets wird im Brockhaus die Phrase „Anspruch auf etw. erneuern“ verwendet und dabei der einseitige Wunsch Chinas hervorgehoben, während in der chinesischen Erzählung betont wird, dass die Befreiung Tibets dem Wunsch des tibetischen Volkes entsprochen habe. h) Über Tibet in der Periode zwischen 1950–1951: dem Ausdruck „Einseitigkeit“ entsprechend werden bei der Beschreibung der Volksbefreiungsarmee Verben wie „eindringen“ und „besetzen“ gebraucht, dagegen wird „stationieren“ von der chinesischen Seite verwendet. Neben den unterschiedlichen Perspektiven zur Zugehörigkeit Tibets beschreiben beide Werke auch die Beziehungen zwischen Han-Chinesen und der tibetischen Minderheit unterschiedlich: a) Über die Unruhen in Tibet: Dem Brockhaus zufolge habe es in der QingDynastie einige Aufstände gegeben, die von der Regierung blutig unterdrückt worden seien. Hierbei ist die Zugehörigkeit Tibets nicht schwer zu schlussfolgern. Wahrzunehmen ist hier außerdem das klare Signal, das an die Rezipienten weitergegeben wird: Grausamkeit der Herrscher Chinas und Unzufriedenheit des tibetischen Volks gegenüber den chinesischen Besatzern. Es ist darauf hinzuweisen, dass im Brockhaus kein genauer Zeitpunkt und kein Hintergrund angegeben sind, weswegen ein Vergleich der Informationen von beiden Seiten nicht möglich ist. b) Über die Vertreibung der Beamten und Truppen der Qing-Dynastie während der Revolution 1911: im Langenscheidts Großwörterbuch wird das Wort „gelingen“ wie folgt erklärt: „etw. verläuft so, wie es jd. gewollt od. geplant hat, hat ein positives Ereignis“ 3. Das bedeutet, dass die Beamten und Truppen der Qing-Dynastie unwillkommene Gäste waren und es eine Selbstverständlichkeit darstellte, sie aus Tibet zu vertreiben. Von der chinesischen Seite hat

3 Ye 2000, 684.



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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eine probritische Minderheit unter dem tibetischen Volk die Vertreibung provoziert, also war Großbritannien der Urheber der Vertreibung. Außerdem ist zwar unbestritten, dass Großbritannien Anfang des neunzehnten Jahrhunderts mit Gewalt in Tibet eingedrungen ist, die Rolle Großbritanniens in der Geschichte von Tibet bleibt aber umstritten: a) Über die Aktivitäten in der Anfangsphase, in der Großbritannien in Tibet eingedrungen ist: Im Brockhaus wird lediglich erwähnt, dass Großbritannien die Vorherrschaft der Qing-Dynastie anerkannt habe, unerwähnt bleibt aber, was Großbritannien überhaupt in Tibet getan hat. Die chinesische Enzyklopädie betont die ungleichen Verträge, die Großbritannien erzwungen und mit deren Hilfe es seine Macht in Tibet erweitert hat. b) Über die Simla-Konferenz: Durch die vielfache Verwendung der Passivform werden im Brockhaus der Akteur dieser Konferenz und entsprechende Informationen zur Teilung von Ost- und Westtibet weggelassen. Offensichtlich werden diese Informationen als so banal angesehen, dass sie vernachlässigt werden können. Im Vergleich zur flüchtigen Beschreibung über den Verlauf dieser Konferenz legt der Brockhaus mehr Augenmerk auf das Ergebnis und hebt die Unabhängigkeit im großen Gebiet Tibets hervor. Einen klaren Gegensatz dazu stellt die Beschreibung in der chinesischen Enzyklopädie dar: Großbritannien sei der Veranstalter dieser Konferenz gewesen und auch Urheber der Teilung Tibets ins „äußere“ und „innere“ Tibet. Trotz dieser Differenzen über die Geschichte Tibets deckt sich die chronologische Beschreibung auf beiden Seiten im Großen und Ganzen. Die wichtigen geschichtlichen Ereignisse werden trotz der unterschiedlichen Gewichtung von beiden Seiten erwähnt. Dadurch, dass Geschichte nicht einfach niedergeschrieben, sondern auch umgeschrieben und interpretiert wird, wird Geschichte umhüllt mit einem halbdurchsichtigen Seidentuch und ist nicht mehr transparent und eindeutig – Brockhaus und chinesische Enzyklopädie haben mit ihren jeweiligen Erzählungsweisen, geschichtlichen Perspektiven, ihrer Rhetorik und Grammatik zwei Bilder gezeichnet, die sich teils überschneiden und teils unterscheiden: dem Brockhaus zufolge behaupte China zwar stets die Hoheit über Tibet, in der Tat herrsche es auch zeitweilig über das Land, sei aber immer ein unwillkommener Fremder. Laut der chinesischen Enzyklopädie aber sei Tibet seit der Yuan-Dynastie ein Teil Chinas und werde von der Zentralregierung verwaltet. Diese Beziehung werde auch vom tibetischen Volk anerkannt. Tibet gerate erst seit der Einmischung der britischen Kolonialmacht in Spaltungsgefahr.

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2.2 Tibet seit 1949 Über den aktuellen Zustand in Tibet seit der Gründung der Volksrepublik China sprechen die beiden kulturellen Gruppen in China und Deutschland tatsächlich unterschiedliche Sprachen, was auf verschiedene Faktoren wie z. B. das unterschiedliche Wissen zurückzuführen ist. Im Brockhaus wird der Zustand Tibets in drei Phasen eingeteilt. Die erste Phase dauert von 1951 bis zur Kulturrevolution: Die VR China begründete ihre Legitimation mit historischen (»seit der Tangzeit«), politischen (»Befreiung des tibetischen Volkes vom Feudalismus«) und wirtschaftlichen Argumenten (»Modernisierung«). Mit dem Bau strategisch wichtiger Fernstraßen zu den benachbarten chinesischen Regionen und Provinzen, für den viele Tibeter unter unmenschlichen Bedingungen zwangsverpflichtet wurden, sowie durch die Anlage von Flugplätzen konnte sie die Abgeschlossenheit Tibets durch eine immer stärkere Bindung an die VR China ersetzen. Am 9. September 1965 wurde dem etwa um die Hälfte seines Territoriums reduzierten Tibet offiziell der Status einer Autonomen Region der VR China eingeräumt; große Gebiete gliederte man administrativ den chinesischen Nachbarprovinzen Yunnan, Sichuan und Qinghai an.4

Aus der obigen Erzählung ist zu schlussfolgern, dass die chinesische Regierung in dieser Phase auf folgende Art und Weise versuchte, die Herrschaft über Tibet zu verstärken: a. Begründung der Legitimation der Herrschaft; b. Straßenbau und Bau des Flughafens; c. Gliederung großer Gebiete in Nachbarprovinzen. In der Erzählung zu den oben genannten drei Punkten hat der Brockhaus zwei grundverschiedene Diskursstrategien verwendet: Bezüglich der Hoheit Tibets hat der Brockhaus durch das Verb „begründen“ seine Neutralität zum Ausdruck gebracht.  – Nur die chinesische Seite versuche, sich zu rechtfertigen, die Legitimität zu behaupten, aber der Brockhaus habe keinen Standpunkt dazu geäußert. Ein deutlicher Unterschied dazu stellt die Strategie im zweiten und dritten Punkt dar. Hierbei verliert der Brockhaus offensichtlich die Neutralität und ist zur Rolle eines Kritikers übergegangen: Es ist allgemein bekannt, dass der Bau und die Pflege der Infrastruktur für alle Länder sowohl von politischer als auch wirtschaftlicher Bedeutung ist. Doch im Brockhaus wird nur die politische Seite hervorgehoben, die wirtschaftsfördernde Bedeutung verschweigt man. Daraus

4 Brockhaus Multimedial 2007.



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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ist offensichtlich eine Präsupposition zum Motiv der chinesischen Regierung zu schlussfolgern. Außerdem wird durch die Äußerung, die chinesische Regierung habe große Teile Tibets in Nachbarprovinzen gegliedert, unterstellt, dass die chinesische Regierung beabsichtigt, Tibet zu schwächen. Ein anderer Punkt ist ebenfalls bemerkenswert: Die Äußerung über die Gliederung Tibets stammt vom 14. Dalai Lama, was von chinesischer Seite bestritten wird. Die chinesische Seite behauptet: „Die administrative Gliederung Tibets ist erhalten geblieben seit der Yuan-Dynastie. Die Grenze hat sich nur in geringem Maße verändert.“ 5 Die Tatsache, dass man die Behauptung der einen Seite für wahr hält und die der Gegenposition für falsch, offenbart bereits den Standpunkt dieser Enzyklopädie, der darin deutlich wird, dass der Vorwurf, die chinesische Regierung habe für den Bau des Flughafens und der Straße „viele Tibeter unter unmenschlichen Bedingungen zwangsverpflichtet“, sehr emotional geprägt ist. Die zweite Phase dreht sich um die Kulturrevolution und betont die Unterdrückung der tibetischen Minderheit und die Zerstörung der tibetischen Kultur: Nachdem bis 1966 bereits viele buddhistische Klöster und Tempel zerstört worden waren, kam es in den Wirren der chinesischen Kulturrevolution zur Verwüstung fast aller noch verbliebenen (mit Ausnahme von 13). Die Bauern und auch die Nomaden wurden zum Leben in Volkskommunen gezwungen; Tausende Tibeter starben in Arbeitslagern, durch Verfolgung oder Hungersnöte.6

Zu dieser Periode wird in der chinesischen Enzyklopädie etwas erwähnt, was im Brockhaus ungesagt bleibt: Die Kulturrevolution sei eine Katastrophe, die das ganze Land betreffe, nicht nur das Gebiet Tibet. Gleichzeitig sind auch die Daten von beiden Seiten widersprüchlich: Laut der Enzyklopädie Chinas seien in Tibet nach der demokratischen Reform 1959 über 530 Tempel erhalten geblieben.7 In der chinesischen Quelle wird jedoch auch nicht geleugnet, dass viele Tempel während der Kulturrevolution in unterschiedlichem Maße beschädigt worden seien. In der dritten Phase wird die Tibet-Politik nach der Einführung der Reformund Öffnungspolitik beschrieben: Unter Deng Xiaoping ließ die kommunistische Führung Chinas seit 1979 eine vorsichtige Öffnung Tibets zu, förderte die Entwicklung der Wirtschaft, die aber mit einer rücksichtslosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen verbunden wurde, und duldete unter strenger Aufsicht eine begrenzte Wiederbelebung der einheimischen religiösen und kulturellen

5 Zhang 2006, 174. 6 Brockhaus Multimedial 2007. 7 Wu 2001.

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Traditionen (Wiederaufbau einiger Tempel und Klöster). Gleichzeitig betrieb die VR China eine strikte Sinisierungspolitik (Ansiedlung besonders von Han-Chinesen, die bereits in allen größeren Städten die Bevölkerungsmehrheit bilden; Geburtenkontrolle unter der tibetischen Bevölkerung, Zerstörung der alten Städte durch Abriss ganzer historischer Viertel und Neubau chinesischer Siedlungen) und sicherte ihre Macht durch starke Militärpräsenz (Stationierung hunderttausender Soldaten).8

Obwohl hier zum ersten Mal einige positive, die Wirtschaftsentwicklung fördernde Maßnahmen erwähnt werden, ist die positive diskursive Wirkung darin durch die Verwendung von Konnektoren wie „zwar …aber“ oder Redemittel wie „vorsichtig“ auf der einen Seite und „strikt“, „streng“ auf der anderen Seite in großem Maße abgeschwächt. Genau wie die Diskursposition in der ersten und zweiten Phase ist die Hauptmelodie hier die Beschreibung der Maßnahmen und Politik der chinesischen Regierung zur Zerstörung der Kultur in Tibet. Darunter wird die drastische Zunahme der Zahl der Han-Chinesen in Tibet als eindeutiger Beweis dafür angeführt, dass die chinesische Regierung das tibetische Volk auszurotten versucht habe. In diesem Punkt sind die statistischen Daten im Brockhaus, dass Han-Chinesen die Mehrheit in Tibet ausmachen, weit entfernt von den Daten Chinas. Die Daten der 5. Volkszählung aus dem Jahr 2000 sehen wie folgt aus: Gebiet

Lhasa

Qamdo

Gesamtbevölkerung

474433 586152 318106 634962 366710 77253

158647 2616323

Zahl der HanChinesen

80584

23792

19673

Sannan Xigaze

10968

12500

Nagqu

7510

Ali

3543

Nyingchi

Gesamtzahl

158570

Im Buch „Über die interethnischen Beziehungen in Tibet“ hat der Autor Su Faxiang die Zahl der Han-Chinesen in Tibet in den Jahren 1982, 1990, 2000 in der „Tibet-Jahresstatistik 2001“ mit der Volkszählung in der gleichen Periode verglichen:9

8 Brockhaus Multimedial 2007. 9 Su 2006, 60.



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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Periode

Han-Chinesen im Jahr Han-Chinesen im Jahr Han-Chinesen im Jahr 1982 1990 2000

Tibet-Jahresstatistik 2001

91720

67407

72122

Ergebnisse der Volkszählung

91720

80837

158570

Es ist darauf hinzuweisen, dass es deswegen eine große Diskrepanz zwischen der Jahresstatistik und Volkszählung gibt, weil unterschiedliche Kriterien erhoben worden sind. Die Daten in der Jahresstatistik schließen diejenigen nicht ein, die nicht polizeilich angemeldet sind, dagegen deckt die Volkszählung alle Menschen ab, die an einem Ort länger als fünf Monate gelebt haben. Daraus kann man schlussfolgern, dass mehr als die Hälfte der Han-Chinesen in Tibet kein Familienbuch hat. Diese Gruppe von nicht Ortsansässigen ist vor dem Hintergrund des mit der Durchführung der neuen Politik seit der Reform- und Öffnungspolitik einhergehenden Florierens der Privatwirtschaft in Tibet entstanden, und schließt Privatladenbesitzer, Händler, Leute in der Diensleistungsbranche, Gastronomie, Handwerker etc. ein. Es handelt sich dabei um ein weit verbreitetes Phänomen, nicht um ein speziell tibetisches, da es in China seit der Reform- und Öffnungspolitik eine generelle Tendenz zu zunehmender Mobilität der Bevölkerung gibt. Auch in diesem Fall macht die Zahl der Han-Chinesen in Tibet laut der Statistik aus China eine Minderheit aus. Darüber hinaus ist die Familienpolitik eine leitende Staatspolitik, die landesweit umgesetzt wird. Und diese Politik „differenziert je nach Regionen und Ethnien. In Tibet z. B. wird keine Familienplanungspolitik durchgeführt“10, was unter dem chinesischen Volk allgemein bekannt ist und eine unbestrittene Tatsache darstellt. Weil im Brockhaus dieser Punkt unerwähnt bleibt und weil dem Wort „Geburtenkontrolle“ das präpositionale Attribut „unter der tibetischen Bevölkerung“ folgt, wird die Behauptung verstärkt bestätigt, dass die chinesische Regierung eine strikte Sinisierungspolitik durchführe. Wenn man sagt, dass in der Geschichte Tibets die Erzählungen von der chinesischen und deutschen Seite jeweils parallel verlaufen, so kann behauptet werden, dass die Erzählungen über den Stand Tibets seit der Gründung der Volksrepublik China zwei eindeutig entgegengesetzte Richtungen darstellen: In dem Diskurs Deutschlands ist das, was die chinesische Regierung in Tibet gemacht

10 Die Enzyklopädie Chinas 2002, 663.

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hat, unmenschlich und grausam. Alle Maßnahmen und die Politik zielen darauf ab, die Religion, Kultur und das Volk in Tibet zu vernichten. Die chinesische Erzählung dagegen zeichnet das Bild eines florierendes Tibet.

2.3 Zusammenfassung der unterschiedlichen Diskurse Betrachtet man die Erzählungen über die Geschichte, den Zustand im deutschen und chinesischen Diskurs, so kann festgestellt werden, dass sich die Widersprüche und Gegensätze auf folgende Punkte konzentrieren: a. Zugehörigkeit Tibets: Die Frage, ob Tibet in der Geschichte zu China gehörte, wird im Brockhaus nur sehr vage angedeutet. Dagegen ist die Äußerung, dass Tibet in der Neuzeit de facto unabhängig sei, klar und eindeutig. Dass Tibet seit der Yuan-Dynastie ein fester Bestandteil Chinas ist, bildet ein wichtiges diskursives Ereignis in der chinesischen Erzählung. In der Enzyklopädie Chinas ist an diesem Punkt nicht zu zweifeln. b. Die Verwaltung der Kommunistischen Partei Chinas: Der Brockhaus zeigt den Rezipienten eine grausame Regierung, die hohen Druck auf Tibet ausübt und die Kultur und Religion Tibets zu unterdrücken versucht. Im Weißbuch „Die Zugehörigkeit und Menschenrechte in Tibet“ wird die positive Entwicklung in Tibet in Sachen Menschenrechten (einschließlich Religion, Kultur, Bildung etc.) und Wirtschaft seit der Gründung der VR China gezeigt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Erzählung im Brockhaus die legitime Basis für Chinas Hoheit und Verwaltung Tibets in Frage stellt. Insofern ist es auch nicht erstaunlich, wenn die Beschreibung über die Brutalität der Kommunistischen Partei Chinas bei den Rezipienten Ressentiments gegen China und Sympahie für die Exiltibeter hervorruft. Obwohl der Brockhaus in seiner Weite und Breite das Bedürfnis der Fachleute und Forscher nicht decken kann, erreicht er eine breite Leserschaft, die Antwort auf Fragen und Unklarheiten sucht, und wird als Nachschlagwerk von den Massen als eine Autorität und eine Wissensquelle betrachtet. So wird generell an dessen Informationsangebot und Seriosität, Wahrheitsgehalt, Neutralität sowie Objektivität kein Zweifel gehegt. Das gilt selbstverständlich auch für die Vorstellung über Tibet. Aber nach einer vertieften Analyse sind im Brockhaus eine emotional geprägte Erzählungsweise in Bezug auf Tibet sowie die Verwendung von zum Teil nicht überzeugendem Material festzustellen. Dieses Phänomen spiegelt sich nicht nur in der Rhetorik wider, sondern auch in den folgenden zwei Punkten:



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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a. Selektivität der Quellen – Obwohl in den Veröffentlichungen auf der chinesischen Seite viele Materialien aus der ersten Hand stammen, wie Dokumente oder Briefe, widersprechen diesen die „Tatsachen“ in dem Diskurs im Brockhaus, die aber eine hohe Konformität mit den Informationen aus dem Kreis der Exiltibeter unter der Führung vom Dalai Lama aufweisen,11 was nahelegt, dass der Tibetdiskurs Chinas in Deutschland überhaupt nicht oder kaum wahrgenommen wird. b. Im Brockhaus sind unscharfe Ausdrücke festzustellen, die einer sachlichen Darstellung des Wissens über Tibet dienen sollen und dem Image der Deutschen mit ihrer „Genauigkeit“ gar nicht entspricht. Beispielhaft ist folgende Äußerung: „Die Tibeter, sowohl im Exil wie auch in China, sehen in ihrer überwiegenden Mehrheit den Dalai-Lama nach wie vor auch als ihr politisches Oberhaupt an.“12 Der Ausdruck „überwiegende Mehrheit“ lässt sich nicht bestätigen und kann eher als ein subjektives Urteil als eine sachliche Aussage gelten.

2.4 Wissensaufbau in Bezug auf Tibet Der Grund dafür, dass zwei verschiedene Tibetbilder im Nachschlagwerk Chinas und Deutschlands vermittelt werden, liegt m. E. vor allem in dem Wissen der Textproduzenten. Das enzyklopädische Wissen bildet die wichtigste Grundlage in der Kette des ganzen Wissenssystems eines Menschen, wobei darauf aufmerksam gemacht werden soll, dass das enzyklopädische Wissen urteilsgeladen ist. Wenn der Produzent versucht, ein Ereignis mit diskursiven Mitteln zu rekonstruieren, wirken sich auch seine vorhandenen Wertvorstellungen, die im enzyklopädischen Wissen enthalten sind, auf die Wahrnehmung und Selektion der neuen Informationen aus. Das findet Unterstützung in der Theorie von Festingers „kognitiver Dissonanz“: Solange die neuen Informationen mit dem ursprünglichen Wissen, das im Kopf des Produzenten gespeichert ist, nicht übereinstimmen, müssen diese neuen Informationen sich oft an das alte Wissenssystem anpassen. D. h., bei der Aufnahme von Informationen werden die Informationen bevorzugt, die mit den vorhandenen in Einklang sind. Dagegen werden Informationen, die sich mit dem gespeicherten Wissen nicht vereinen können, oft unbewusst ignoriert, was dazu führen kann, dass die aufgenommenen neuen Informationen

11 Die Konformität lässt sich daran erkennen, dass Informationen aus dem Brockhaus sich mit denen aus der Autobiographie vom 14. Dalai Lama decken. 12 Brockhaus Multimedial 2007.

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ihre Objektivität und Wahrhaftigkeit verlieren. Diese Verarbeitung realisiert sich durch das selektive Wahrnehmen und diese Selektion wird in Konfliktsituationen verstärkt vorgenommen, vor allem durch die Evaluation der Informationsquelle, schließlich liegt das Besondere an Informationen in Konfliktsituationen in den widersprüchlichen Informationsquellen. Das gilt auch für die Tibetproblematik. In diesem Fall sind unterschiedliche Wertschätzungen bezüglich des 14. Dalai Lama festzustellen, was den Ton für die Erzählungen bestimmt. Alles in allem bilden das Wissen eines Textproduzenten und die Einstellungen, die in dem Wissen enthalten sind, die Grundlage für die Produktion eines Textes. Um einen umfassenden Blick auf den Gesamtdiskurs über Tibet in Deutschland zu gewinnen, wird folgende Analyse durchgeführt: a. Die Recherche auf Online-Shops für Bücher zum Thema Tibet in Deutschland ergibt, dass Tibet mehr Augenmerk auf sich zieht als andere Provinzen und autonome Gebiete Chinas. Auf der Webseite des bekannten Online-Shops „Amazon“ (www.amazon.de)13 tauchen 1406 Suchergebnisse auf, wenn man das Wort „Tibet“ eingibt (verschiedene Auflagen von demselben Buch sind mit eingerechnet). Diese Zahl ist viel höher als regierungsunmittelbare Städte wie Beijing (410), Shanghai (290), Tianjin (7) und Chongqing (3) sowie andere autonome Gebiete wie Xinjiang (23), die Innere Mongolei (10), Ningxia (4) und Guangxi (1). Die Publikationen über Tibet haben sogar einen anderen Fokuspunkt, Taiwan (377), weitaus überschritten. b. Im Vergleich dazu wird in China nicht so viel Aufmerksamkeit auf Tibet gerichtet. Nach der Recherche auf der Webseite von „Dangdang“, einer der größten Online-Shops in China, steht Shanghai mit 58145 an erster Stelle, danach folgen Beijing mit 57315, Taiwan mit 15698, Tianjin mit 14293, Guangxi mit 9271, Chongqing mit 8368 und Xinjiang mit 4895. Tibet steht mit 4339 vor Ningxia (2488) und der Inneren Mongolei (582). c. Es ist allgemein bekannt, dass die Publikation eines Buches in großem Maße vom Interesse der Leser abhängt. Aus der großen Zahl von Publikationen ist zu erkennen, dass Tibet ein heißes Thema in der ganzen Gesellschaft Deutschlands geworden ist. d. Flüchtiges Lesen zur Vorstellung von und zum Kommentar über diese Publikationen. Diese Publikationen erscheinen in vielfältiger Form wie Buch, CD, Video, Kassette, Kalender etc. und decken verschiedene Themenbereiche wie Buddhismus, Sitten und Gebräuche, Tourismus, Politik, Geschichte und Medizin usw. ab. Die Diskursposition, die die meisten davon vertreten, deckt sich mit der des Brockhauses: Tibet, mitsamt seiner Kultur, Religion und

13 Letzter Zugriff am 15.10.2007.



Kontrastive Untersuchung zu den medial konstruierten Tibetdiskursen 

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Landschaft sei ein heiliges und reines Shangri-La. Seit langer Zeit aber werde das Volk unterdrückt. Dagegen versuche sich das tibetische Volk zu wehren. Vereinzelt gibt es auch Gegendiskurse, die sich inhaltlich auf die Offenlegung der Schattenseite in den Klöstern konzentrieren. Bisher werden noch keine Publikationen gefunden, die sich in Bezug auf den aktuellen Zustand Tibets gegen den herrschenden Diskurs ausgesprochen haben. e. Kategoriesierung der Autoren. Den angegebenen Informationen zufolge können die Autoren der Publikationen in zwei Gruppen eingeteilt werden: die eine Gruppe umfasst Autoren aus den westlichen Ländern, die andere umfasst überwiegend Exiltibeter einschließlich des 14. Dalai Lama. Von den über 1000 Werken sind es 392, die den 14. Dalai Lama betreffen, davon haben 52 Publikationen den 14. Dalai Lama als Hauptthema und 111 wurden von dem 14. Dalai Lama verfasst (die verschiedenen Auflagen desselben Werks nicht eingeschlossen). f. Zusammenfassung der Werke des 14. Dalai Lamas. In den 111 Publikationen gibt es nur 10 Werke, die Politik als Thema haben. 25 Publikationen erzählen über Buddhismus. Im Rest der Werke wurde Lebensphilosophie als Hauptthema behandelt. Das bedeutet aber auf keinen Fall, dass es keine inhaltliche Überschneidung zwischen diesen Werken gibt. Ganz im Gegenteil, in vielen Publikationen über Buddhismus und Lebensphilosophie wird über die Lage in Tibet berichtet, und in Publikationen über Politik wird auch buddhistische Lehre interpretiert. Darüber hinaus sind Titel in solchen Publikationen charakterisiert durch Wörter wie „Frieden“, „Freiheit“, „Weisheit“, „Ehrlichkeit“, „Warmherzigkeit“, „Sympathie“, „Liebe“. Auffallend ist überdies die breite Anerkennung, die die Publikationen gewonnen haben, was sich daran erkennen lässt, dass viele dieser Werke hohe Auflagen haben. Allein die Autobiographie, die der 14. Dalai Lama nach dem Erhalten des Friedensnobelpreises veröffentlicht hat, wurden in den 16 Jahren von 1992 bis 2008 17 mal gedruckt. Die obige Untersuchung zeigt, dass die Bedeutung des Begriffs „Tibet“ im Diskurs Deutschlands weitaus die von anderen Gegenden in China überragt. Längst hat es die Grenze eines rein geographischen Begriffs überschritten und trägt die symbolische Bedeutung, die Geheimnis, Frieden und Warmherzigkeit in sich vereint hat. Bedauerlicherweise fehlt unter den vielen Publikationen nur der Diskurs aus China, was bewirkt hat, dass die Exilgruppe unter der Führung des Dalai Lama eine Monopolstellung bezüglich Tibets innehat. Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass, egal welche Tätigkeiten der 14. Dalai Lama in der Tat ausübt, seine Worte keine politische Figur, sondern viel mehr ein Image als einen spirituellen Führer und wegweisenden Lehrer aufgebaut haben. Genau das spricht

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diejenigen gut an, die versuchen, vor dem Missstand in der modernen Gesellschaft zu fliehen und nach Zuflucht für die Seele suchen. Der 14. Dalai Lama hat, dank seines Heiligenscheins, im großen Maß von dem so genannten Halo-Effekt profitiert: Alle weltlichen Übel wie Betrug, Gewalt und Machtbesessenheit sind unmöglich in einem spirituellen Führer zu finden.

3 Schlusswort Aus der obigen Untersuchung ist zu schlussfolgern, dass zwei unterschiedliche Tibetbilder im chinesischen und deutschen Diskurs dargestellt werden. In der Darstellung und von den Publikationen über Tibet in China und in Deutschland wird außerdem ersichtlich, dass der Diskurs in Deutschland sehr stark von der Zuneigung nicht nur zu Tibet, sondern auch zum 14. Dalai Lama geprägt ist. Die Komplexität der Lage kann auf verschiedene Faktoren zurückgeführt werden. Ein unübersehbarer und wichtiger Faktor davon ist, dass sie u. a. in einem engen Zusammenhang mit dem jeweiligen Wissen steht, das in großem Maße auf den unterschiedlichen Wissensquellen aufgebaut worden ist. Jede Seite behauptet die Authentizität der eigenen Quellen. Die Selektivität beim Prozess der Kognition ist zwar schwer zu überwinden, dennoch könnte sie durch einen effektiven Austausch gemindert werden, an dem es zur Zeit offensichtlich fehlt.

4 Literaturverzeichnis Brockhaus Multimedial, 2007. Enzyklopädie Chinas. Beijing: Encyclopedia of China Publishing House, 2002. Foucault, Michel. Die Ordnung des Diskurses. Frankfurt am Main: Fischer Wissenschaft (Deutsche Übersetzung von Seitter, Walter). 9. Auflage, 1972/2003. Funiok, Rüdiger. Medienethik. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer, 2007. Su, Faxiang. Interethnische Beziehungen in Tibet. Beijing: Verlag der Minzu University of China, 2006. Wu, Yunceng. Tatsache über die Forderung des 14. Dalai Lama nach autonomer Verwaltung Tibets. http://info.tibet.cn/info/economy/t20051123_73257.htm (23. Mai. 2008). Ye, Bendu (Hg.). Langenscheidts Großwörterbuch (Deutsch – Chinesisch). Beijing: Foreign Language Teaching and Research Press, 2000. Zhang, Yun. Geschichtsforschung Tibets. Beijing: Verlag für Tibetforschung, 2006.

Liang Shanshan

Die Dynamik von Stereotypen Analyse der Deutschland-Stereotype im chinesischen Nachrichtenmagazin „Lifeweek“

1 Einleitung Stereotype sind stabil und änderungsresistent. Das ist wohl eines der bekanntesten Charakteristika der Stereotype. Allerdings bedeutet dieses Charakteristikum der Stabilität nicht, dass Stereotype sich im Laufe der Zeit nicht ändern sowie entwickeln, sondern die Dynamik des Stereotyps wird aufgrund seiner relativen Stabilität oft übersehen. Besonders im heutigen Zeitalter mit dem schnellen Informationsaustausch sowie großen Einflüssen durch Medien wird der Entwicklungsprozess der Stereotype beschleunigt und die Dynamik der Stereotype ist immer deutlicher zu erkennen. Dieses Charakteristikum der Dynamik analysiert der vorliegende Artikel am Beispiel von Deutschland-Stereotypen in Anzeigen des chinesischen Nachrichtenmagazins „Lifeweek“. „Lifeweek“ zeigt seit langem traditionelle Stereotype in Bezug auf Deutschland wie „Deutschland als Land mit fortschrittlicher Technologie und technischen Anlagen“, „Made in Germany als Bezeichnung für hohe Qualität“, usw. Über diese traditionellen Stereotype hinaus erleben deutsche Stereotype in Anzeigen auch Änderungen, wenn man sie diachronisch beobachtet: Manche Stereotype tauchen in den letzten Jahren auf, werden allmählich akzeptiert und verbreiten sich im Laufe der Zeit, während andere Stereotype verschwinden.

Anmerkung: Die vorliegende Untersuchung wurde unterstützt durch die National Social Science Foundation of China (No. 14@ZH036). Liang, Shanshan, Associate Professorin Dr., Deutschabteilung, Beijing Institute of Technology (BIT), China DOI 10.1515/9783110544268-010

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2 Das Stereotyp 2.1 Der Begriff des Stereotyps Der Begriff des Stereotyps setzt sich aus „den zwei griechischen Wörtern stereos (starr, hart, fest) und typos (Entwurf, feste Norm, charakteristisches Gepräge)“ zusammen. Ursprünglich wurde dieser Begriff von dem Franzosen Firmin Didot Ende des 18. Jahrhunderts zur „Bezeichnung eines Vorganges in der Drucktechnik“ gewählt. 1922 wurde der Begriff des Stereotyps durch den amerikanischen Journalisten Walter Lippmann in seinem Buch „Public Opinion“ in die Sozialwissenschaften eingeführt. Lippmanns These war, „dass wir Menschen häufig nicht als Individuen, sondern als Teil einer Gruppe sehen und Personen entsprechend der vorgefassten Meinung über diese Gruppe – ganz ähnlich dem drucktechnischen Verfahren – einen Stempel aufdrücken“ (vgl. Petersen et al. 2008, 21).

Darauf geht die heute noch allgemein gebräuchliche Verwendung des Begriffs „Stereotyp“, d. h. des Stereotyps „als Bezeichnung für stark vereinfachende, ja verzerrende Schematisierung sozialer Formationen (Gruppen, Ethnien, Berufe, Institutionen u. ä.)“ (Klein 1998, 26) zurück. An diese Begriffsbestimmung angelehnt wird Stereotyp in diesem Artikel folgendermaßen definiert: Stereotype sind allgemein akzeptierte kognitive Konzepte sowie Vorstellungen über alle Mitglieder eigener sowie fremder Gruppen, die unmittelbar von einer Generation zur anderen weitergegeben werden und vereinfachend auf verbalisierte Weise die Realität widerspiegeln. Im Vergleich zu Vorurteilen, die eindeutig negativ und einseitig sind, enthalten Stereotype eher neutrale Aussagen und können sowohl richtig als auch falsch sein. Stereotype sind ziemlich änderungsresistent und werden benutzt, um alle Gruppenmitglieder zu beschreiben. An diesen Punkten unterscheiden sie sich von Images, die über Nacht aufgebaut oder zerstört werden und sich sowohl auf ein einzelnes Individuum als auch auf Gruppen beziehen können. Stereotype werden nach Prokop in „nationale und soziale Stereotype“ spezifiziert. Bei nationalen Stereotypen handelt es sich darum, „wenn sich Fremd- oder Selbstbilder an der Nationalität oder Ethnie einer Gruppe festmachen lassen und sie beruhen auf Verallgemeinerungen positiver und negativer Erfahrungen mit unterschiedlichen Völkern und Staaten“.

Soziale Stereotype bezeichnen „die Selbst- und Fremdbilder, die über die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe definiert werden“ (vgl. Prokop 1995, 192–200).



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Soziale Gruppen können Angehörige verschiedener Berufe, Geschlechter, Altersgruppen usw. umfassen. Der vorliegende Artikel beschäftigt sich mit nationalen Stereotypen.

2.2 Charakterisierung des Stereotyps 2.2.1 Allgemeine Charakteristika des Stereotyps An dem oben definierten Begriff erkennt man die wichtigsten Eigenschaften des Stereotyps, nämlich Generalität, Vereinfachung, Indirektheit und Stabilität. Diese Eigenschaften werden häufig in der Stereotypforschung angeführt. Die Generalität des Stereotyps beschreibt seine allgemeine kognitive Eigenschaft, weil fast alle Mitglieder einer Gruppe dadurch beschrieben werden und Stereotype häufig auf „die gesammelten und letztendlich generalisierten Erfahrungen einer Nation“ zurückgehen (vgl. Klooth 2005, 28). Die Vereinfachung der Stereotype erleichtert die „Sammlung sowie Zuordnung unzähliger Informationen und Daten und deren bessere sowie schnellere Verbreitung“, so dass die Komplexität der Außenwelt verringert und der Umgang mit ihr einfacher wird (Roth 1998, 33). Die Indirektheit der Stereotype liegt darin, dass sie in der Gesellschaft entstanden sind und „nicht durch persönliche Erlebnisse sowie Erfahrungen, sondern während der Sozialisation in der Familie, Schule, unter Freunden sowie von den immer wichtiger werdenden Medien erworben worden sind“ (Weis 2009, 34). Medien spielen beim Sozialisationsprozess in der heutigen Informationsgesellschaft eine entscheidende Rolle. Durch Presse, Fernsehen, Internet usw. bekommt man mehr Gelegenheiten als je zuvor, die Außenwelt kennen zu lernen. Die Stabilität der Stereotype manifestiert sich darin, dass sie im Vergleich zu anderen sozialen Phänomen von Dauer sind (vgl. Yu Xiaoxia 2004, 42). Sie werden immer allgemein akzeptiert und können lange erhalten bleiben. Auch durch Kritik sind Stereotype kaum zu korrigieren. Ihre Stabilität gründet darauf, „dass Stereotype nicht durch persönliche Erfahrungen erworben werden, sondern auf dem kollektiven Gedächtnis einer Gruppe basieren“ (vgl. Tiittula 1994, 204). Sie besitzen starke Durchsetzungskraft und werden „vererbt“ und gehören zu einer Gruppe von allgemein geteilten Kenntnissen sowie Informationen (Wu Jiarong 2004, 111).

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2.2.2 Die Dynamik des Stereotyps Die Stabilität sowie die Änderungsresistenz sind typische Charakteristika des Stereotyps. Allerdings heißt das nicht, dass Stereotype nicht dynamisch sind und sich nicht ändern, sondern sie entwickeln sich im Vergleich zu anderen sozialen Phänomenen nur mit einem sehr langsamen Tempo. Die Dynamik des Stereotyps wird aufgrund seiner relativen Stabilität oft übersehen. Mit der gesellschaftlichen Entwicklung wandeln Stereotype sich ebenfalls: Neue Stereotype bilden sich heraus, bestehende Stereotype ändern sich bzw. verschwinden. Nur im Vergleich zu anderen sozialen Phänomenen geschieht dieser dynamische Entwicklungsprozess sehr langsam (Weis 2009, 29–32). Mit anderen Worten kann man sagen: Stereotype sind historisch bedingt, oder haben eine begrenzte Lebensdauer (Ye Xumin et al. 2004, 160). Das Charakteristikum der Dynamik zeigt sich auch daran, dass einige Stereotype durch den Einfluss einer bestimmten historischen Phase entstehen und mit dem geschichtlichen Wandel allmählich außer Gebrauch kommen können, eventuell ihre Dynamik sowie Akzeptanz verlieren oder durch neue Stereotype ersetzt werden. In einem besonderen historischen Kontext können allerdings diese schon lange nicht mehr benutzten oder längst vergessenen Stereotype wieder aktiviert und verbreitet werden, wie z. B. „Yellow Peril“ (Jiang Zhiqin 2007, 20), ein Ausdruck, der im neunzehnten Jahrhundert entstanden ist und schon lange beim Publikum nicht mehr benutzt wird, aber jetzt wieder im Hintergrund von Chinabedrohungstheorien in den westlichen Medien vorkommt. Das zeigt, dass das Charakteristikum der Dynamik mit dem historischen sowie gesellschaftlichen Hintergrund in engem Zusammenhang steht. Der geschichtliche und gesellschaftliche Kontext kann Stereotype beeinflussen und veranlasst ihre Entwicklung sowie Veränderung. Insbesondere in der heutigen Gesellschaft, in der Medien immer wichtiger werden und das Leben tiefer beeinflussen, zeigt sich das Charakteristikum der Dynamik der Stereotype deutlicher. Die Indirektheit der Stereotype bedingt nämlich, dass Stereotype nicht durch persönliche Erlebnisse und Erfahrungen, sondern während der Sozialisation lediglich übernommen werden. Im Gegensatz zu anderen traditionellen Formen der Sozialisation spielen Medien wie Fernsehen und Internet beim Erwerb der Stereotype durch ihre jetzige explosionsartige Entwicklung eine noch bedeutendere Rolle. Durch Medien lernen Menschen andere Kulturen im Vergleich mit der Vergangenheit viel schneller und in viel mehr Facetten kennen, was zur rapiden Informationsaktualisierung führt. Damit wird der Entwicklungsprozess der Stereotype beschleunigt und dessen Dynamik verstärkt. Daher wird in der jetzigen Gesellschaft, in der die Informationsmenge



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förmlich explodiert, das Charakteristikum der Dynamik wie noch nie zuvor deutlich. Von diesem theoretischen Ausgangspunkt ausgehend wird unten das Charakteristikum der Dynamik der Stereotype am Beispiel der Analyse von Stereotypen in Bezug auf Deutschland in der chinesischen Zeitschrift „Lifeweek“ erläutert.

3 Analyse der Dynamik der Stereotype in Anzeigen 3.1 Über das Korpus „Lifeweek“ Das chinesische Nachrichtenmagazin „Lifeweek“ wurde in den 1920er Jahren zum ersten Mal veröffentlicht und stellte mit 155.000 Exemplaren den Auflagenrekord im damaligen China auf (Song 2000, 170). Nach den 20er Jahren wurde die Veröffentlichung aus finanziellen Gründen eingestellt und erst 1995 erschien „Lifeweek“ wieder. Momentan ist „Lifeweek“ mit ca. 180 Seiten die dickste wöchentliche Zeitschrift in China und das führende Nachrichtenmagazin mit großem Einfluss auf das chinesische Publikum. Der Slogan des Magazins „Ein Magazin und das von ihm geförderte Leben“ (一本杂志和他倡导的生活) steht oben auf der Titelseite jeder Ausgabe von „Lifeweek“. Damit wird die Zielsetzung des Magazins erkennbar, nämlich, eine neue Zeit, neue Meinungen und neue Strömungen in der Gesellschaft widerzuspiegeln und mit seinem eigenen Charakter neue Themen, moderne Menschen und neue Lebensentwürfe zu kommentieren.

3.2 Analyse der Dynamik der Stereotype in Bezug auf Deutschland in „Lifeweek“ Stereotype sind dynamisch und diese Dynamik zeigt sich einerseits durch das Auftreten neuer Stereotype und andererseits durch Änderungen bzw. das Verschwinden bestehender Stereotype. Im Folgenden wird das Charakteristikum der Dynamik am Beispiel von Anzeigen mit Stereotypen in Bezug auf Deutschland erläutert.

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3.2.1 Neu entstandene Stereotype Über traditionelle deutsche Stereotype wie „hohe Qualität“ hinaus tauchen in den letzten Jahren neue Stereotype über Deutschland in Anzeigen der „Lifeweek“ auf: die Betonung des deutschen Umweltschutzes, der Mitmenschlichkeit sowie des fortschrittlichen Industriedesigns, die anschließend analysiert werden. – Umweltschutz

Abb. 1: Anzeige von VW (Quelle: Lifeweek 2010/31)

Bei der Anzeige von VW (2010/31) kann man sich inhaltlich auf die Schlagzeile „Fokus auf den Umweltschutz und diese Gelegenheit“ konzentrieren. Hier spielt der Umweltschutz in dieser Anzeige die bedeutendste Rolle. Im Fließtext „Nur mit langsichtigem Denken kann man die Entwicklungstendenz des Umweltschutzes genau erkennen. Der PASSAT von VW Shanghai führt die Aktion „Wunsch Blau“ durch und lädt Sie dazu ein, die Zukunft zu sichern und den großartigen „blauen“ Plan zu entwerfen“ wird Umweltschutz in den Mittelpunkt gerückt. Solche Inhalte von Anzeigen der VW-Autos passen genau zu der Entwicklung des Umweltschutzbewusstseins in Deutschland. Der Satz



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„Neue Besitzer von PASSAT werden die Gelegenheit erhalten, zur deutschen Halle der Expo zu kommen, die menschliche Technologie-Fabrik von VW zu besichtigen und bei Meisterfotografen zu lernen“

zeigt den Zusammenhang zwischen dem Umweltschutzgedanken und Deutschland. Im Hintergrund ist der Preis bei dieser Aktion zu sehen, nämlich eine über der See schwebende Digitalkamera umgeben von Löwenzähen und durch die Kameralinse sieht man die berühmte Sehenswürdigkeit von Shanghai, den Bund und den Fernsehturm. Das Logo von VW und der deutschen Halle der Expo verdeutlichen die deutsche Herkunft dieses Produkts. Dieses Bild passt inhaltlich zu dem Anzeigentext. Auf der formalen Ebene werden der Himmel und die See als Hintergrund gewählt, sodass die Hintergrundfarbe selbstverständlich blau ist, was zu der „Wunsch Blau“  – Aktion passt, die zur von VW organisierten Veranstaltung „think blue“ gehört, die darauf abzielt, Emissionsreduzierung, Energiesparen, Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung zu verwirklichen. Die weiße Schrift der Schlagzeile „Fokus auf den Umweltschutz“ fällt vor dem blauen Hintergrund auf und betont den Sale Point. Der Ausdruck „Ji Bu Ke Shi“(机不可失) ist eigentlich ein Sprichwort und bedeutet: Diese Gelegenheit darf nicht verpasst werden. Hier wird das Schriftzeichen „Ji“ mit dem Anführungszeichen angedeutet und dadurch wird eine Äquivokation benutzt, denn das Schriftzeichen „Ji“ hat in diesem Kontext zwei Bedeutungen: einerseits die Abkürzung von „Gelegenheit“ und andererseits „Kamera“. Daher bedeutet „Ji Bu Ke Shi“: Die Gelegenheit bzw. die Chance auf die Kamera als Preis dieser Aktion soll man nicht verpassen. Entsprechend dem Fließtext erinnern das Logo der deutschen Halle der Expo sowie die schwarz-rot-goldene deutsche Flagge an die deutsche Herkunft. Durch diese Kombination von Bild und Text wird das Stereotyp über den deutschen Umweltschutz, dass sich VW zuschreiben möchte, deutlich. Nicht nur diese Auto-Anzeige von PASSAT, sondern auch die Polo-Anzeige im Jahr 2003 thematisiert Umweltschutz: Die deutsche Regierung hat dem Polo den Preis für umweltfreundliche Autos verliehen. Über diese Auto-Anzeigen hinaus wird auch in der Anzeige für Siemens-Waschmaschinen (2005/1, 2005/13) durch Ausdrücke wie „Design fürs Energiesparen“, „hocheffizienter Umweltschutz“, „Werte für Kunden Schaffen“; bei Vaillant-Heizgeräten „genießen Sie die weltweiten Vaillant-Umweltschutzideen“ (2006/9), „Durch die Benutzung von energiesparenden sowie Energieeffizienz erhöhenden Technologien werden allgemeine Bedürfnisse in verschiedenen Wohnverhältnissen nach Wärme und gemütlichem, energiesparendem, preiswertem sowie umweltfreundlichem Warmwasser erfüllt“ (2007/39–48) das Stereotyp vom deutschen Umweltschutz deutlich.

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– Mitmenschlichkeit

Abb. 2: Anzeige von VW-Bora (Quelle: Lifeweek 2009/21)

In dieser Anzeige des neuen VW-Bora aus dem Jahr 2009 wird mit dem Titel des Fließtextes „solide Fürsorge, Fünf-Sterne-Zuverlässigkeit“ zuerst auf den Sale Point, nämlich „Mitmenschlichkeit“ sowie „Zuverlässigkeit“ hingewiesen. Der Fließtext „Das fortschrittliche Sicherheitssystem des neuen VW-Bora schafft durch mehrfache elektronische Technologien mehr Sicherheit. Fußgängern wird ein Schutz nach dem europäischen Standard geboten. Der neue VW-Bora hat beim C-NCAP Fünf-Sterne-Sicherheitssystem gewonnen“

zeigt nochmals die Betonung der Fürsorge für Fußgänger. Diese Betonung der Sicherheit und der darüber hinaus gehenden Fürsorge ist vorher in Anzeigen zu Autos aus anderen Ländern in „Lifeweek“ fast nie zu sehen. Im bildlichen Hintergrund steht ein neuer VW-Bora. Im Vordergrund links befindet sich ein Vater mit einem Baby im Arm, das lächelnd nach links blickt. Das ganze Bild versucht, menschliche Liebe in den Vordergrund zu stellen. In der Mitte stehen noch fünf Sterne mit der Erklärung „Zuverlässigkeit“. Unten steht eine Serie von Fotos des VW-Bora. Diese Anzeige von VW-Bora drückt nicht nur durch den Text Mitmenschlichkeit aus, sondern es wird mit der Vater-Baby-Szene eine Atmosphäre von Liebe und Wärme geschaffen. Im Unterschied zu anderen Autoanzeigen wird die Sicherheitseigenschaft des Autos durch neue Inhalte dargestellt.



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Auf der formalen Ebene wird der Titel des Fließtextes, gleichzeitig der wichtigste Sale Point, mit einer größeren Schrift fett gedruckt. Im Fließtext wird nochmals auf diesen Sale Point hingewiesen. Durch die Formulierungen „die menschliche Fürsorge“ sowie „Mehr Fürsorge für Fußgänger“ werden die Sorgen um die Mitmenschen mehrmals betont. Der Vater-Baby-Hintergrund, der eigentlich wenig mit der Autoanzeige zu tun hat, ruft indirekt bei Lesern durch die Darstellung der natürlichen Zuneigung des Vaters zum Kind die Assoziation der menschlichen Liebe sowie Fürsorge hervor, die mit dem Thema dieser Autoanzeige im Zusammenhang steht. Die Atmosphäre der Liebe wird in der Anzeige eindeutig durch den Text sowie das Bild geschaffen. Die Mitmenschlichkeit wird auch in der Anzeige des VW-Polo von 2005 dargestellt. Darin steht „Polo mit der von VW geerbten Wertschätzung der Menschen“. Im Vergleich zu anderen Autoanzeigen, wo bildlich ausschließlich Autos und Technologien gezeigt werden, tauchen seit 2008 immer mehr Familienszenen in VW-Autoanzeigen auf, wie z. B. beim VW-Bora (2008, 2010/4), beim Turan (2011) und einigen anderen. Ein Vater füttert Kinder, die ganze Familie umarmt sich oder blickt einander an, solche Szenen brechen die traditionellen technischen Darstellungen der Autoanzeigen auf und schaffen im Gegensatz dazu eine neue menschliche Atmosphäre. Dadurch können diese Autoanzeigen einerseits die Erwartungen der Konsumenten über einige bestimmte Wagen mit der Zielgruppe Familie in Bezug auf bestimmte Wagen erfüllen, andererseits nähert sich das Auto dem realen Leben und schafft durch die Darstellung von Menschen statt nur von Technologien bei Konsumenten neue Wahrnehmungen. Außerdem sieht man das Stereotyp der Mitmenschlichkeit auch in anderen Werbetexten, wie denen von Vaillant-Heizgeräten (2007/12) mit „mitmenschliche Technologien“, von SiemensWaschmaschinen mit „computergesteuertes Programm voller Mitmenschlichkeit (2005/13)“ usw. – Fortschrittliches Industriedesign Die erste Anzeige, in der der deutsche Preis „Red Dot Design Award for Design Concepts“ auftauchte, erschien im Jahr 2009 für das Produkt Haier-Warmwasserboiler. Danach liest man oft über „den deutschen Preis Red Dot“ in Anzeigen von „Lifeweek“. Die Erwähnung dieses deutschen Preises zeigt einerseits die Autorität und die Anerkennung dieses Preises im Industriedesignbereich und führt andererseits allmählich zur Entstehung eines neuen Stereotyps in Bezug auf Deutschland. Unten wird dieses neu entstandene Stereotyp über fortschrittliches deutsches Industriedesign am Beispiel von VW-CC erklärt.

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Abb. 3: Anzeige von VW-CC (Quelle: Lifeweek 2010/7)

In dieser VW-CC-Anzeige aus dem Jahr 2010 weist inhaltlich gesehen der Titel des Fließtextes („geschicktes Design von CC fügt dem eleganten Leben Vitalität hinzu“) auf den Sale Point hin. Der Fließtext „Geschickt entworfene Kurven, weil nur die Rückansicht meistens gesehen wird. Vom eleganten Rücken aus wird jede Kurve mit Herzen entworfen.“

stellt die Gestalt von CC sowie ihre Kurvenentwürfe dar. Am Ende des Fließtextes wird erwähnt, dass „VW-CC bei dem deutschen Preis Red Dot 2009 die hervorragende Bezeichnung „beste Qualität sowie Geschmack“ („Best oft the Best“) gewonnen hat“.

In dem Schaubild wird ein fahrender VW-CC gezeigt, was im Vergleich zu anderen Anzeigen mit einem stehenden Auto anders ist. Der zum Teil verschwommene Hintergrund veranschaulicht genau das schnell fahrende Auto und entspricht der Beschreibung „Rückansicht“ im Fließtext. Formal gesehen tauchen im Werbetext Ausdrücke wie „geschicktes Design“, „Kurve mit dem Herzen entworfen“ usw. auf, was den besonderen Entwurf von VW-CC besonders hervorhebt. Basierend auf diesen Inhalten ist der Gewinn des deutschen Preises „Red Dot“ nicht verwunderlich. Vor der Bezeichnung „beste Qualität sowie Geschmack („Best of the Best“)“ wird noch das Adjektiv „hervorragend“ zum Ausdruck des hohen Ansehens des Preises benutzt, was seine Stellung im Industriedesign nochmals betont. Die Verwendung der englischen Formulierung „Best of the Best“ in einem chinesischen Kontext versucht, über die chinesische Sprache hinaus durch eine einfache englische Formulierung, die zweimal den Superlativ enthält, den Preis sowie das Designniveau zu unterstrei-



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chen. Das Auto wird nicht von hinten gezeigt, sondern eher leicht von der Seite, damit die Leser eine optimale Perspektive haben, aus der sie das durch den Preis ausgezeichnete Design des Autos sowie die im Fließtext beschriebene Kurve des Autos erkennen können. Dieser durch den deutschen Industriedesignpreis ausgezeichnete Entwurf wurde von VW-CC als Sale Point für sein Produkt benutzt und etabliert indirekt auch das neue Stereotyp, dass Deutschland im Industriedesign weltweit bekannt und anerkannt ist. Über diese Werbung hinaus wird im Jahr 2011 in der Audi-Anzeige dieser deutsche Industriedesignpreis erwähnt und ausführlich vorgestellt. Im Werbetext wird dieser Preis als Oscar-Preis im Designbereich bezeichnet. In der Anzeige von Peugeot aus dem Jahr 2011, von Haier-Warmwasserboilern sowie der Klimaanlage aus den Jahren 2009, 2010, 2011, der Delongh-Kaffeemaschine aus dem Jahr 2010 usw. tauchen ähnliche Ausdrücke auf: „Der langfristige Entwurf gewinnt den deutschen Red Dot Preis“ (Lifeweek 2010/8) und „aufgrund von perfekter Kunstdekoration wird der deutsche Red Dot Preis verliehen“ (Lifeweek 2011/17). In der Anzeige des Hisense-Kühlschranks aus dem Jahr 2012 manifestiert sich dieses neue Stereotyp in Bezug auf Deutschland im Werbetext „Herkunft von deutschen Top-Entwurfsideen“ (Lifeweek 2012/37) noch deutlicher.

3.2.2 Verschwundene Stereotype Die Dynamik besteht nicht nur im Auftreten neuer Stereotype, sondern auch im Verschwinden alter Stereotype. Im Gegensatz zu den oben analysierten Stereotypen in Anzeigen, die in den letzten Jahren neu entstanden sind, offenbart sich das Stereotyp, dass Deutschland bzw. deutsche Herkunft für exklusiven Status stehen, nur eine Weile in Anzeigen der „Lifeweek“. Hier wird eine Anzeige über Immobilien mit diesem Stereotyp aus dem Jahr 2004 als Beispiel ausgewählt.

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Abb. 4: Anzeige von Shimaobinjiang-Immobilien (Quelle: Lifeweek 2004/39)

In dieser Anzeige über Shimaobinjiang-Immobilien fasst inhaltlich gesehen ein Untertitel des Fließtextes „Ruhiger See mit stillem Wasser  – westeuropäische Gemütlichkeit und Gartenanlage – grüner Schwanensee in deutschem Stil“ eine der Sale Points dieser Immobilien zusammen. Anschließend folgt in dem nachfolgenden Fließtext die detaillierte Beschreibung: „Die Seefläche mit 20.000 m2 ist der größte See innerhalb der Shimaobinjiang-Immobilien. Der See ist weit ausgedehnt, ruhig und frisch […] Die Gestaltung dieser Seelandschaft lehnt sich an den Aufbau der europäischen Höfe und Gartenlandschaften an. Aus dem deutschen Adelsleben stammen die grüne Fläche und die Kombination von Wasser und Himmel, vielfältige biologische Landschaften, klassische europäische Plätze, große Springbrunnen und schöne Skulpturen.“ Dem Fließtext entsprechend steht eine große Schwanen-Skulptur im Hintergrund eines westlichen Paars am See. Auf der formalen Ebene besitzt diese Anzeige zwei Seiten und mehr als die Hälfte davon zeigt den großen deutschen Schwanensee, der im Fließtext erwähnt wird. Im Text werden die Adjektive „alt“ und „klassisch“ zur Beschreibung des europäischen Hofes und der Umgebung, die zum „Leben des deutschen Adels“ gehörte, benutzt, um den exklusiven Status der Shimaobinjiang-Immobilien hervorzuheben. In diesem Sinne wird Deutschland mit dem europäischen Adel und seinem Lebensstil in Zusammenhang gebracht. An diesem Stereotyp in Bezug auf



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Deutschland lässt sich die Vorstellung eines höheren und exklusiveren Status erkennen und es wird suggeriert, dass man auch seinen eigenen Status erhöhen könne, wenn man diese Immobilien kaufe. 2004 veröffentlichte Shimaobinjiang noch zwei andere ähnliche ImmobilienAnzeigen mit diesem Stereotyp in „Lifeweek“. Nach diesen drei ImmobilienAnzeigen kam das Deutschland-Stereotyp von exklusivem Status nicht mehr vor.

3.2.3 Analyse der Dynamik der Stereotype in „Lifeweek“ Im Vergleich zu stabilen Stereotypen über Deutschland wie „Land mit fortschrittlichen Technologien und technischen Anlagen“ usw. erleben die dynamischen Stereotype wie deutscher Umweltschutz, Mitmenschlichkeit, fortschrittliches Industriedesign sowie exklusiver Status einen Entwicklungsprozess. Während die ersten drei Stereotype neu entstanden sind und ihre Inhalte davon immer vielfältiger werden und allmählich auch dazu tendieren, stabil zu werden, erschien das letzte Stereotyp nach seinem kurzen Erscheinen nicht mehr. Diese dynamische Entwicklung der Stereotype ist direkt sowie indirekt auf unterschiedliche Hintergründe sowie gesellschaftliche Entwicklung zurückzuführen und wird im Folgenden jeweils analysiert. – Direkte Widerspiegelung Wie oben erwähnt, gehören Stereotype zur Wahrnehmung von fremden Kulturen. Sie spiegeln vereinfachend die Realität wider und geben Aufschluss über die gesellschaftliche Entwicklung. Das Stereotyp über deutschen Umweltschutz stellt genau diese neue gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland unmittelbar dar. Mit der raschen Industrie- sowie Wirtschaftsentwicklung zählt „der Schutz von Umwelt und Klima zu den globalen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und genießt weltweit, besonders aber in der deutschen Politik, in Publizistik und in der Zivilgesellschaft einen hohen Stellenwert“. Deutschland gilt international als eine der Vorreiternationen beim Klimaschutz und als Pionier beim Ausbau erneuerbarer Energien. „Schon seit Jahren verfolgt Deutschland einen Weg, der Klima- und Umweltschutz im Sinne nachhaltigen Wirtschaftens zusammenführt. Als bedeutendes Rückgrat der deutschen Industrie investiert die Autoherstellungsbranche viel in umweltfreundliche Motoren, um sich besser auf einen zukünftig nachhaltigen umweltfreundlichen Weg vorzubereiten“1. Dazu gehört

1 http://www.tatsachen-ueber-deutschland.de/de/umwelt-klima-energie/startseite-klima/wege-zu-einer-mode rnen-klima-und-energiepolitik.html

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auch die „Think Blue“-Aktion von VW zur Verbreitung von Umweltschutz und Energieeffizienz als Ideen zur Realisierung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung. Passend zu dieser umweltfreundlichen Entwicklungstendenz tauchen allmählich Inhalte über Umweltschutz in Anzeigen der deutschen Produkte in „Lifeweek“ auf. Deutsche Haushaltsgeräte- sowie Automobilhersteller benutzen gerne „umweltfreundlich“, „energiesparend“, „Technik mit hoher Energieeffizienz“ und andere ähnliche Ausdrücke sowie entsprechende Bilder bzw. Fotos z. B. vom Fahrradfahren in ihren Anzeigen. Dafür setzt VW ferner die „Think Blue“ Werbekampagne mit entsprechenden Anzeigen für Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung ein. Durch diese im Laufe der Zeit immer mehr werdenden Anzeigen ist das Deutschland-Stereotyp des Umweltschutzes entstanden und stabilisiert sich. Auf eine andere Art und Weise zeigt das Stereotyp „exklusiver Status“ direkt den Einfluss der historischen sowie gesellschaftlichen Situation. Das Stereotyp „Deutschland steht für exklusiven Status“ erschien nur in Anzeigen der Shimaobinjiang-Immobilien. Als Shimaobinjiang-Immobilien keine Anzeigen mehr veröffentlichte, verschwand dieses Stereotyp auch aus „Lifeweek“. Die Herkunft dieses Stereotyps in Bezug auf Deutschland ist schwer zu ermitteln und zu erklären. Es fehlt ein historischer sowie gesellschaftlicher Hintergrund, auf den das Stereotyp zurückzuführen ist. Beschreibungen wie „grüner Schwanensee im deutschen Stil“, „Aus dem deutschen Adelsleben stammen die grüne Fläche und das Zusammenspiel von Wasser und Himmel“ kann wohl nur im Kontext mit „englischer Landschaft auf dem Land“ sowie „französischem Garten“ (Quelle: Lifeweek 2004/39) erläutert werden. Denn diese Anzeige zielt nur darauf ab, den Status der Shimaobinjiang-Immobilien auf das europäische Niveau zu erhöhen, das im Vergleich zum damaligen China ein eleganteres sowie wohlhabenderes Leben symbolisierte. Daher versucht die Anzeige der Shimaobinjiang-Immobilien ihre Produkte im Zusammenhang mit Europa, insbesondere mit den drei bekanntesten europäischen Staaten England, Frankreich sowie Deutschland, zu setzen. Aus der chinesischen Kognition sind die englische ländliche Landschaft und der französische Königshof – besonders der von Louis XIV sowie dessen Hofleben – sehr bekannt. Daher liest man im Fließtext über entsprechende Inhalte wie „faszinierende englische ländliche Landschaft“ sowie „französischer Hofgarten“. Im Gegensatz dazu kannte man wenig von Deutschland außer dessen Technik und deswegen musste man etwas Elegantes Europäisches extra für Deutschland erfinden, was die Tatsache ignoriert, dass Adlige aus Deutschland den Chinesen kaum bekannt sind. Dieser Zusammenhang zwischen Deutschland und dem exklusiven Status ist vermutlich gezielt von den Werbestrategen geschaffen worden. Wegen fehlender wahrer historischer sowie gesellschaftlicher Hintergründe konnte dieses erfundene Stereotyp in Bezug auf Deutschland als Symbol für exklusiven



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Status, nicht vom Publikum übernommen werden und daher nicht lange existieren. Das zeigt vermutlich den Einfluss des gesellschaftlichen Hintergrundes auf die Entstehung sowie die Entwicklung der Stereotype. Ohne tatsächliche historische Grundlagen, die den Rezipienten der Werbung bekannt sind, können erfundene Stereotype nicht lange bestehen. – Indirekte Widerspiegelung Im Gegensatz zum Deutschland-Stereotyp Umweltschutz, das direkt die gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland widerspiegelt, veranschaulichen die Stereotype „Mitmenschlichkeit“ sowie „fortschrittliches Industriedesign“ indirekt einen solchen Wandel. Wenn man auf die Produkte der Anzeigen mit letzteren Stereotypen zurückgeht, bemerkt man, dass unter den beworbenen Produkten Haushaltsgeräte und Autos sind, die früher eigentlich in „Lifeweek“ sehr oft mit traditionellen Stereotypen wie gute deutsche Qualität und ausgezeichnete Technik beworben wurden. Allerdings verschärft sich mit dem Auftritt der gleichen Art von Produkten anderer Länder auf dem chinesischen Markt die Konkurrenz und wenn deutsche Produkte in dieser neuen Situation die Aufmerksamkeit der chinesischen Kunden immer noch auf sich ziehen wollen, müssen sie neue Sale Points entdecken. Daher kommen in diesen Produktanzeigen neue Werbeinhalte vor, wie „menschliche technische Grundlage“, „hervorragende intelligente deutsche Technik integriert die Mitmenschlichkeit“, „als Oscar im Industriedesignbereich bezeichneter deutscher Red Dot Preis“, „fantastisches Design gewinnt den hochkarätigen deutschen Industriedesignpreis“ usw. Diese „neuen“ Deutschland-Stereotype „Mitmenschlichkeit“ sowie „fortschrittliches Industriedesign“, die eigentlich schon seit langem existieren und keine neuen Phänomene sind, versuchen deutsche Produkte beim chinesischen Publikum gewissermaßen einzupflanzen, damit sie auf dem chinesischen Markt immer noch attraktiv bleiben und durch diese neu eingeführten Sale Points chinesische Kunden gewinnen können. Im Vergleich zum Deutschland-Stereotyp „Umweltschutz“ verdeutlichen die deutschen Stereotype „Mitmenschlichkeit“ sowie „fortschrittliches Industriedesign“ zwar nicht unmittelbar den gesellschaftlichen Wandel, aber durch das Auftreten dieser Stereotype kann die Entwicklung der chinesischen Wirtschaft indirekt beobachtet werden: Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft und der immer größere sowie attraktivere Markt führen zur verschärften Konkurrenz auf dem chinesischen Markt, worauf deutsche Hersteller mit neuen Ideen wie Einführung neuer Stereotype in der Werbung reagieren.

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4 Schlusswort Durch die oben geführte Untersuchung über Stereotype in Bezug auf Deutschland in Anzeigen der Zeitschrift „Lifeweek“ kann beobachtet werden, dass außer einigen traditionellen stabilen Stereotypen andere Stereotype auch Änderungen erleben. Entsprechend aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen können neue Stereotype entstehen, während andere Stereotype wegen fehlender historischer Grundlage nur für kurze Zeit existieren. Diese in Verbindung zu einem bestimmten gesellschaftlichen Hintergrund entstandenen Stereotype tendieren nach der Entstehung dazu, weiterhin wieder stabil zu bestehen. Aus dieser Untersuchung kann die Schlussfolgerung gezogen werden, dass Stereotype trotz des grundsätzlichen Kennzeichens der Stabilität auch eine Dynamik besitzen. Infolge des jetzigen umfangreichen weltweiten Informationsaustausches wird der Entwicklungsprozess der Stereotype immer schneller und ihre Dynamik wird sich dadurch deutlicher als zuvor zeigen.

5 Literaturverzeichnis Petersen, Lars-Eric und Six, Bernd. „Vorwort“. Stereotype, Vorurteile und soziale Diskriminierung: Hg. Lars-Eric Petersen und Bernd Six. Weinheim: Beltz, 2008. 20–21. Klein, Josef. „Linguistische Stereotypbegriffe. Sozialpsychologischer vs. semantiktheoretischer Traditionsstrang und einige frametheoretische Überlegungen“. Sprachliche und soziale Stereotype: Hg. Margot Heinemann. Frankfurt am Main/Berlin/New York/Paris: Peter Lang, 1998. 25–46. Prokop, Izabela. „Stereotype, Fremdbilder und Vorurteile“. Nationale Selbst- und Fremdbilder im Gespräch: Hg. Marek Czyzewski. Opladen: Verlag für Sozialwissenschaften, 1995. 180–202. Klooth, Astrid. „Auto“- Stereotypen? Deutsche, britische und französische Fahrzeugwerbung im Vergleich. Duisburg-Essen: Universität Duisburg-Essen, 2005. Roth, Klaus. „Bilder in den Köpfen: Stereotypen, Mythen und Identitäten aus ethnologischer Sicht“. Das Bild vom Anderen. Hg. Valeria Heuberger, Arnold Suppan und Elisabeth Vyslonzil. Frankfurt am Main: Peter Lang, 1999. 21–43. Weis, Martina. Stereotyp, et alors? Das Frankreichbild bayerischer Schüler im Kontext von Lehrplan, Schulbuch und individueller Frankreicherfahrung. Tönning/Lübeck/Marburg: Der Andere Verlag, 2009. Yu, Xiaoxia. „Jiaoji Zhong de Wenhuadingshi [Stereotype in der Kommunikation]“. Journal of Zhejiang International Studies University. 2(2004): 41–45. Tiittula, Liisa. „Stereotype in der internationalen Geschäftskommunikation“. Sprache und Kultur in der interkulturellen Marketingkommunikation. Hg. Theo Bungarten. Tostedt: Attikon-Verlag, 1994. 203–214. Wu, Jiarong. Bijiao Wenxue Xinbian [Neue Version der Komparatistik]. Anhui: Anhui Education Verlag, 2004.



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Li Yuan und Ye Xiangmei

Das politische Chinabild In der Berichterstattung im Spiegel anlässlich des Nationalen Volkskongresses von 2003 bis 2013

1 Einleitung Die Chinabild-Forschung kann in China auf die 1990er Jahre zurückgeführt werden (vgl. Liu/Zhou/Duan2002, 270). Nach dem von Li Xiguang und Liu Kang publizierten „Hinter der Dämonisierung von China“ (1996) haben die Veröffentlichungen zur Chinabild-Forschung drastisch zugenommen. Während 1999 nur 25 Artikel in wissenschaftlichen Zeitschriften zu finden waren, belief sich die Zahl 2013 auf 228, fast zehnmal so hoch. Allerdings wird das politische Chinabild in deutschen Medien seltener als Forschungsgegenstand betrachtet. China erfährt in der Auslandsberichterstattung deutscher Medien zunehmend Beachtung. Als eines der wichtigsten politischen Ereignisse zieht der Nationale Volkskongress (NVK), das Parlament der Volksrepublik China, große Aufmerksamkeit von Seiten der deutschen Medien auf sich. Da die Leitmedien beim Agenda Setting bzw. der Konstruktion des Nationenbildes eine bedeutende Rolle spielen, wendet sich die vorliegende Arbeit der Berichterstattung über Chinas NVK im Spiegel zu. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel wird nämlich aufgrund seines Einflusses auf die öffentliche Meinungsbildung als ein Leitmedium in Deutschland bezeichnet. Ziel der vorliegenden Arbeit1 ist es, durch die Analyse der Berichte über Chinas NVK das politische Chinabild im Spiegel zu ermitteln, es in gewissen sozialen, politischen und kulturellen Kontexten offenzulegen und kritisch zu beleuchten. Konkreter wird dabei auf folgende Fragen eingegangen: 1) Was für ein politisches Chinabild wird anlässlich des NVK konstruiert?

1 Teilergebnis des Forschungsprojekts der Zhejiang Provinz (17NDJC202YB)浙江省社科规划课 题 (17NDJC202YB)成果. Li, Yuan, Prof. Dr., Professorin für German Studies, Institut für German Studies, Zhejiang Universität, China Ye, Xiangmei, Institut für German Studies, Zhejiang Universität, China DOI 10.1515/9783110544268-011



Das politische Chinabild 

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2) Wie wird das politische Chinabild konstruiert? 3) Welche soziokulturellen Faktoren könnten darauf Einfluss nehmen? Untersucht werden alle Berichte von 2003 bis 2013 im Spiegel2, die während des NVKs veröffentlicht wurden und den NVK als Hauptthema behandelten. Die theoretische Grundlage bilden die Rahmenanalyse (Framing) sowie die Kritische Diskursanalyse (CDA), welche gleichzeitig als Untersuchungsmethoden dienen.

2 Theoretische Grundlage und Forschungsmethode Scheufele (1999, 106) zufolge wirken die Media Frames (Rahmen) als „working routines for journalists“, aufgrund derer die Journalisten schnell die für ihr Publikum geeigneten Nachrichten auswählen. In Bezug auf den Prozess der Rahmensetzung hat Entman (1993, 52) konkrete Konzepte entwickelt: „select“ und „salient“. Ihm zufolge ist die Entwicklung der Rahmen ein Prozess voller absichtsvoller Selektionen, Betonung und Ausgrenzung. Außerdem sollen Faktoren wie „die Ideologie“, „die Haltungen und Ansichten der Eliten“, „die organisatorischen Belastungen“, die in der Ausgangsphase eine wichtige Rolle spielen, berücksichtigt werden. Die Rahmenanalyse hilft durch eine Quantifizierung von inhaltlichen Merkmalen, größere Datenmengen zu erfassen und verallgemeinerbare Muster zu identifizieren. Die quantifizierten Forschungsergebnisse der Rahmenanalyse werden als Basis für die Kritische Diskursanalyse mit Faircloughs Dreidimensionenmodell angewandt. Die Kritische Diskursanalyse setzt sich „die Aufgabe, einerseits den Zusammenhang zwischen sprachlichen Mitteln und konkreten diskursiven Handlungen und andererseits die Wechselwirkung zwischen diskursiver Praxis und politischer, sozialer und institutioneller Wirklichkeit aus einer kritischen Perspektive darzulegen“ (Bluhm/Deissler et al. 2000, 4). Die vorliegende Arbeit wendet sich dem dreidimensionalen Modell von Fairclough zu. Jedes diskursive Ereignis wird gleichzeitig als ein Text, eine Instanz der diskursiven Praxis („an instance of dis-

2 Die Berichte sind aus dem Spiegel und Spiegel Online ausgewählt. Obwohl die Berichte in beiden nicht immer identisch sind und sich ihr Stil auch manchmal unterscheidet, gehören beide zur Spiegel-Gruppe und verfügen über viele Gemeinsamkeiten. Aus ökonomischen Gründen wird in der vorliegenden Arbeit „Der Spiegel“ als Sammelbegriff für beide angewendet.

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cursive practice“) und eine Instanz der sozialen Praxis („an instance of social practice“) angesehen (Fairclough 1992, 4). Fragen der Macht und Ideologie stehen hier im Mittelpunkt.

3 Rahmenanalyse: Anzahl, Inhalt und Haltung der Themenbereiche Der Forschungszeitraum beschränkt sich auf die Amtszeit von Staatspräsident Hu Jintao, also von 2003 bis 2013. Das für die Untersuchung wichtige Zugriffskriterium des einzelnen Berichts ist die Behandlung des Nationalen Volkskongresses als Hauptthema während des NVK. Insgesamt wurden 50 Berichte unter www. spiegel.de gefunden und in der vorliegenden Arbeit nach dem Erscheinungsdatum nummeriert (s. Anhang).

3.1 Anzahl und Inhalt der Themenbereiche Zunächst lässt sich ein deutlicher Anstieg der Anzahl der Berichte erkennen, von einem im Jahr 2003 bis fünf im Jahr 2007 und schließlich 11 im Jahr 2013 (Abbildung 1). Daraus könnte geschlussfolgert werden, dass Der Spiegel an Chinas NVK stetig Interesse hat und diesem seit den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird.

Abb. 1: Anzahl der Chinaberichterstattungen des Spiegel von 2003 bis 2013



Das politische Chinabild 

 207

Was die Themenbereiche betrifft, sind die Berichte ihrer Hauptthemen gemäß in drei Kategorien einzuordnen: Wirtschaft, Politik und Menschenrechte. Demnach gehören 13 Artikel zur Wirtschaft, neun zu Menschenrechten und 28 zur Politik. Alle 50 Berichte dienen als Untersuchungsmaterialien der vorliegenden Arbeit, der Schwerpunkt liegt jedoch auf 37 Berichten, die der Kategorie „Politik“ und „Menschenrechte“ zugeordnet sind, weil hier das politische Chinabild zu ermitteln ist. Hauptthemen

Anzahl der Berichte

Anteil (%)

Generationswechsel

10

27

Menschenrechte

9

24

Militär

2

5,5

Taiwan und Tibet

3

8

Delegierte

2

5,5

Innenpolitik

11

30

Summe

37

100

Abb. 2: Themenkomplexe

Diese 37 Berichte beziehen sich auf folgende sechs Themen: Generationswechsel, Menschenrechte, Militär, Taiwan und Tibet, Delegierte und Innenpolitik. In Abbildung 2 wird deutlich, dass Innenpolitik, Generationswechsel und Menschenrechte hierbei die meist behandelten Themen sind. Als wichtigster Themenbereich macht „Innenpolitik“ 30% der gesamten Berichterstattung aus. Den zweiten Rang nimmt eindeutig der Bereich „Generationswechsel“ ein. Im Bereich Generationswechsel lenkt Der Spiegel die Aufmerksamkeit der Leser auf die Wahl des Staatschefs und des Regierungschefs. Da die Wahl des Staatspräsidenten und die Ernennung des Ministerpräsidenten alle fünf Jahre stattfinden, erschienen die Berichte über den Generationswechsel nur in den Jahren 2003, 2008 und 2013. An dritter Stelle steht das Thema Menschenrechte. Die Rubrik „Menschenrechte“ umfasst Beiträge, die über Informationsfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und auch Menschenrechte berichten (die Berichte im Anhang mit *). Nach einer genauen Analyse des Veröffentlichungsdatums dieser Berichte wird klar, dass es in fast jedem Jahr mindestens einen Bericht über Menschenrechte in China gibt. Dadurch wird die große Aufmerksamkeit des Spiegel auf Chinas Menschenrechte deutlich. Die relevanten Berichte konzentrieren sich zum einen auf die Internet-Zensur (Bericht Nr. 3, 10, 11, 26). Zum anderen wird

208 

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die Rolle der Sicherheitskräfte thematisiert. In den Berichten Nr. 18, 30, 33 und 37 werden z. B. die Aufrüstung der Polizei sowie der Streitkräfte und deren harte Maßnahmen gegen „Regimekritiker und ausländische Korrespondenten“ hervorgehoben. Als beliebtes Thema im Spiegel gelten der „Kritiker der Regierung“ Ai Weiwei und „Bürgerrechtler“ wie Hu Jia und Teng Biao. Zur Rubrik „Taiwan und Tibet“ gehören drei Berichte. Die zwei Berichte über die Taiwan-Frage beziehen mehrere Aspekte ein, einschließlich der Beziehung zwischen Taiwan und dem Festland China sowie des Kriegsgesetzes bzw. des Anti-Sezessionsgesetzes Chinas gegen Taiwan, falls sich Taipei für unabhängig erklären sollte. Beide Berichte erschienen im Jahr 2005, wo eine neue Krise zwischen China und Taiwan entstand und im März 2005 ein Anti-Abspaltungsgesetz vom NVK verabschiedet wurde (Bericht Nr. 5, Nr. 7). In Bezug auf Tibet wird der Schwerpunkt auf den Umgang mit dem Dalai Lama, den Unruhen, dem Chaos und der Selbstverbrennung gelegt. Beispielsweise wurde der Dalai Lama von chinesischer Regierung für die Selbstverbrennung im Jahr 2012 beschuldigt (Bericht Nr. 38). Die Taiwan- und Tibet-Frage habe problematische Konsequenzen für die internationalen Beziehungen, beispielsweise die Beziehung zu den USA. Die USA haben mit Waffenverkäufen an Taiwan und mit dem Empfang des Dalai Lama beim Präsidenten „die chinesische Souveränität“ verletzt, wodurch es auch zu „ernsthafte(n) Störungen“ der Beziehungen zwischen China und den USA gekommen sei (Bericht Nr. 29). Die Berichte zum Thema „Militär“ stellen die Aufrüstung Chinas dar (Nr. 39 und Nr. 43) und in den Berichten Nr. 35 und 44 rücken die Delegierten ins Zentrum.

3.2 Tendenz der Themenbereiche Die Tendenz bezieht sich anscheinend zunächst nicht auf die Haltung des Magazins Spiegel zu China, sondern hängt von den Themen der Berichte ab. Wenn die Berichte ein negatives Thema zum Gegenstand haben, z. B. „Das Internet: Chinas Staatsfeind“ (Bericht Nr. 3), „Volkskongress: Chinas Führung legt Kriegsgesetz gegen Taiwan vor“ (Bericht Nr. 5), „Nervöse Führung: China setzt erneut ausländische Journalisten fest“ (Bericht Nr. 30), dann werden sie in die Kategorie „negatives Thema“ eingeordnet. Und wenn es um positive Ereignisse geht, z. B. den Erfolg der olympischen Spiele in Peking, dann ist die Tendenz überwiegend positiv. Wenn die Berichte den Volkskongress z. B. nur darstellen, dann sind sie neutral.



Das politische Chinabild 

 209

Jahre

03 04 05 06 07 08 09 10 11 12 13 Summe

Gesamtzahl

1

1

4

3

3

4

1

4

2

5

9

37

Neutrales Thema

0

0

2

0

2

2

0

0

0

1

7

14

Negatives Thema

1

1

2

3

1

2

1

4

2

4

2

23

Anteil mit negativen Themen (%) 100 100 50 100 33,3 50 100 100 100 80 22,2 62,2 Abb. 3: Anzahl und Proportion der neutralen und negativen Themen im Bereich Politik

In Abbildung 3 ist auffällig, dass es keine positive Berichterstattung bei den ausgewählten Materialien gibt. Mehr als die Hälfte (62,2%) der Gesamtberichte im Bereich Politik behandeln negative Themen. Außerdem ist deutlich, dass sich alle Berichte in den Jahren 2003, 2004, 2006, 2009, 2010 und 2011 auf negative Themen beziehen. Daraus kann geschlussfolgert werden, dass Der Spiegel dazu neigt, negative Themen über den Volkskongress auszuwählen und davon zu berichten.

Abb. 4: Anteil der neutralen und negativen Themen in verschiedenen Themenbereichen

In Abbildung 4 wird der Anteil der neutralen und negativen Themen in einzelnen Themenbereichen der Politik dargestellt. Am auffälligsten ist, dass die auf „Menschenrechte“ und „Taiwan und Tibet“ bezogenen Berichte eine ausschließlich negative Tendenz aufweisen. In den Themenbereichen „Generationswechsel“ und „Militär“ zeigen fast alle eine neutrale Tendenz. In Bezug auf „Generationswechsel“ gibt es nur einen negativen Bericht, der von der schwierigen Aufgabe der neuen Generation erzählt (Bericht Nr. 42). Die übrigen berichten hauptsächlich neutral über das Vorgehen der Wahl des Staatspräsidenten usw. In Bezug auf

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„Militär“ sind die zwei Berichte über die Aufrüstung des Militärs auch neutral gehalten. Darüber hinaus sind die Themenbereiche „Delegierte“ und „Innenpolitik“ sowohl als neutrales Thema als auch als negatives Thema zu lesen. Bei eingehender Analyse lässt sich schließlich herausarbeiten, dass die Tendenz der Themenbereiche des Spiegel in erster Linie nicht von den Themen der Berichte abhängt, sondern die politische oder weltanschauliche Orientierung des Spiegel ausdrückt. Ob ein positives oder negatives Chinabild vermittelt wird, hängt von der Wahl der Themen ab. Die Auswahl bestimmter Themen ist nichts anderes als die Wahl, eher negative Ereignisse oder positive Dinge an die Leserschaft heranzutragen. Dazu kommt, dass Begriffe wie „Menschenrechte“ und „Demokratie“ nicht die gleiche Bedeutung, Geschichte und Konnotation in beiden Ländern haben, aber immer davon ausgegangen wird.

4 Kritische Diskursanalyse der Berichterstattung Im Folgenden wird die Berichterstattung, basierend auf dem dreidimensionalen Modell von Norman Fairclough, kritisch analysiert, und zwar auf der textanalytischen, diskursiven und soziokulturellen Ebene. Ziel ist es, herauszufinden, wie Der Spiegel über die verschiedenen Themen berichtet und das politische Chinabild gestaltet.

4.1 Textanalytische Praxis Zur Analyse der textanalytischen Praxis gehören die Analyse des Titels, der lexikalischen Auswahl und der Überlexikalisierung.

4.2 Titel Der Titel des Berichts hat eine semantische Funktion, indem über den „inhaltlichen Kern“ des Textes informiert wird (Harweg 1984, 78). In Bezug auf pragmatische Funktionen kündigt der Titel an, was in dem Bericht zu erwarten ist. Außerdem hat Brandt (1991, 238) bei seiner Untersuchung der Überschriften von Zeitungstexten festgestellt, dass der Titel die Funktion des „Informierens“ und des „Appellierens“ übernehmen kann. Dieser Teil beschäftigt sich mit den Titeln der Berichterstattungen. Als Beispiele werden nun die Titel in Bezug auf die Menschenrechte (im Anhang mit *)



Das politische Chinabild 

 211

analysiert. Allein an den Titeln ist bereits eine kritische Einstellung des Spiegel gegenüber den Menschenrechten Chinas zu erkennen. Als „Staatsfeind“ wird das Internet bezeichnet, das in China nicht willkommen ist. Mit dem Titel „die Partei greift durch“ wird die Partei indirekt für ihre Eingriffe in die Meinungsfreiheit und Redefreiheit durch Internet-Zensur und Internetcafé-Verbot kritisiert. Mit dem Titel „Menschenrechte: Chinesischer Bürgerrechtsanwalt spurlos verschwunden“ weist der Journalist nicht nur auf das Verschwinden des Bürgerrechtsanwalts hin, sondern auch auf das der Menschenrechte. „Gespielte Pressefreiheit“ weist direkt darauf hin, dass es in China keine reale Pressefreiheit gibt und dass der Umgang mit der Pressefreiheit in China zu kritisieren ist. Als Beweis sind beispielsweise „die erneute Festnahme der ausländischen Journalisten“ und „willkürliche Vollmacht“ für Chinas Polizei wegen der Nervosität der chinesischen Regierungen genannt. Anhand der Beispiele wird klar, dass die Titel die Einstellung der Medien gegenüber dem Sachverhalt offenlegen. Hier kann man sehen, dass Der Spiegel die Situation der Menschenrechte in China kritisch und überwiegend negativ beurteilt.

4.2.1 Lexikalische Wahl Die Entscheidung für eine bestimmte Lexik wird nicht per Zufall getroffen. Die lexikalische Wahl verrät wichtige Informationen zur Einstellung der Autoren (Simpson 1993, 141). Jede Äußerung lässt sich „mit dem vergleichen, was nicht gesagt worden ist, aber was auch hätte gesagt werden können“ (Pollak, 35). „Lexica choice is an element aspect of discourse in which hidden opinions or ideologies may surface“ (Van Dijk 1988, 177). Die lexikalische Wahl beeinflusst die ideologische Struktur. Daher ist es sinnvoll, die ausgewählten Berichte zuerst auf der lexikalischen Ebene zu analysieren. Wörter

Erscheinungsfrequenz Erscheinungsorte (Bericht Nr. )

der Machthaber 4

(11), (46), (48)

das Regime

9

(3), (33), (37)

die Führung/ der Führer

72

(1), (2), (4), (5), (12), (14), (16), (17), (27), (30), (33), (34), (35), (36), (38), (39), (40), (41), (42), (43), (45), (47), (48), (49)

die Obrigkeit

5

(33), (35)

Abb. 5: Bezeichnungen für die chinesische Regierung

212 

 Li Yuan und Ye Xiangmei

In Abbildung 5 ist zu erkennen, dass „die Führung“ am häufigsten benutzt wird. Dann folgt „das Regime“, das in drei Berichten erscheint. Die Wörter „der Machthaber“ und „die Obrigkeit“ werden ebenfalls oft als Synonyme für die chinesische Regierung eingesetzt. Statt ,,die chinesische Regierung” benutzen die Journalisten sehr oft ,,die Führung“, z. B. ,,Chinas Führung” (Bericht Nr. 1), ,,Pekings Führung“ (Bericht Nr. 5), „neue kommunistische Führung“ (Bericht Nr. 45) „die KP-Führung“ (Bericht Nr. 27), „der Führungszirkel“ (Bericht Nr. 12, 49), „die Staatsführung“ (Bericht Nr. 12), „die Führung der KP“ (Bericht Nr. 4), „die Führung der Partei“ (Bericht Nr. 5), „Führungswechsel“ (Bericht 42), „Chinas Führer“ (Bericht Nr. 42), „Ein Parteiführer“ (Bericht Nr. 38) usw. Im kollektiven Gedächtnis der Deutschen mag das Wort „Führung“ an sich negativ konnotiert sein.Wenn man heute von einem „Führer“ spricht, denkt man sofort an die nationalsozialistische Vergangenheit.3 Beispielsweise werden Führungsseminare für Wirtschaftswissenschaftler, Juristen oder Ingenieure selten oder gar nicht angeboten, und wenn, dann werden sie mit „Leadership-Seminar“ oder ähnlichem betitelt.4 Dieses Wort wird im deutschen Alltag vermieden, weil die Deutschen etwas Negatives damit verbinden. Das Wort „Regime“ findet im allgemeinen Sprachgebrauch mit abwertender Konnotation vor allem für „solche Regierungen, die nicht demokratisch sind“ Anwendung (Langenscheidt 2007, 894), wie etwa „Diktaturen oder Putschregierungen“5. Ein „Machthaber“ ist „ein Mensch“, der in einem Staat „viel Macht hat“ und diese „missbraucht“ (Langenscheidt 2007, 1111). „Häufig sind Machthaber durch einen Staatsstreich oder einen Militärputsch an die Macht gekommen oder halten sich mit militärischer Gewalt oder manipulierten Wahlen an der Macht.“6 Wenn es um einen „Obrigkeitsstaat“ geht, dann bezieht sich dies auf „einen autoritären Staat, in dem die Bürger über keine demokratischen Rechte verfügen“ (Langenscheidt 2007, 1250). Aus dem wiederholten Einsatz von zahlreichen negativ konnotierten Wörtern wird die kritische Einstellung des Spiegel zur chinesischen Regierung ersichtlich. China sei kein Rechtsstaat, sondern ein autoritäres Land, das von einer kleinen Gruppe von Personen bestimmt wird. Die chinesische Regierung wird im Zusammenhang mit einer Diktatur verstanden. Diese Kritik wird durch die zusätzliche Verwendung von bestimmten Adjektiven, Verben und Redewendungen verstärkt.

3 Vgl. http://www.christoph-blepp.de/Beratung/?page_id=74. Zugriff am 04.11.2013. 4 Vgl. http://www.christoph-blepp.de/Beratung/?page_id=74. Zugriff am 04.11.2013. 5 http://de.wik ipedia.org/wiki/Regime. Zugriff am 04.11.2013. 6 http://de.wikipedia.org/wiki/Machthaber. Zugriff am 04.11.2013.



Das politische Chinabild 

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4.2.2 Die Überlexikalisierung Unter Überlexikalisierung wird die häufige Wiederholung vielfacher synonymer Termini verstanden. „Overwording shows preoccupation with some aspect of reality  – which may indicate that it is a focus of ideological struggle“ (Halliday 1978, 165 f.). Die „ideologische Signifikanz“ eines Bedeutungsbereichs wird durch deren „Variation“ und „wiederholte Verwendung“ erzeugt. (Salamun 2005, 69). Wörter

Erscheinungsfrequenz

Erscheinungsorte (Bericht Nr. )

Scheinparlament

3

(3), (14), (33)

Pseudoparlament

6

(12), (17), (18), (25), (35), (41)

Abb. 6: Überlexikalisierung für den Nationalen Volkskongress

In Abbildung 6 werden die Bezeichnungen für den NVK aufgelistet. NVK ist das höchste politische Organ Chinas. Der Spiegel beschreibt den NVK wiederholt als „Scheinparlament“, „Pseudoparlament“ und „Abnickparlament“. Dabei wird „Pseudoparlament“ am häufigsten benutzt. Wenn ein Deutscher das Wort sieht, dürfte er sich wohl an die Geschichte des Scheinparlamentarismus des NS-Regimes erinnern, wo in der Einparteiendiktatur Parlamentswahlen abgehalten wurden. „Pseudo-“ wird in der Regel abwertend verwendet, drückt aus, „dass jemand/etwas in Wirklichkeit nicht das ist, was sie zu sein vorgibt oder zu sein scheint.“ (Langenscheidt 2007, 871). Den NVK mit einem „Pseudoparlament“ gleichzusetzen, wird bei den Lesern den Eindruck erwecken, dass der NVK kein Parlament im realen Sinne ist. Der Spiegel bezeichnet den NVK außerdem oft als „das sogenannte Parlament“, „Pekings zahnloses Parlament“, „dem nicht frei gewählten Parlament“. Mit den Attributen „zahnlos“, „nicht frei gewählt“ und „sogenannt“ wird ein kritisches und problematisches Bild des NVK gestaltet. Durch eine Anzahl „von wiederkehrenden Vorstellungen, Formulierungen und Symbolen“ werden Stereotype aufgebaut (Seibt 2010, 22). Mittels der Überlexikalisierung von Wörtern wie „das Scheinparlament“ verweisen die Berichte auf ein Bild des NVK, nach dem es in China keinen realen Volkskongress und daher keine reale Demokratie gibt, was als Stereotyp verfestigt wird. Aus der obigen textanalytischen Praxis wird klar ersichtlich, dass Sprache kein neutrales Medium ist. Sowohl der Einsatz eines bestimmten Titels als auch die Auswahl und Wiederholung der Lexik drücken eine bestimmte Absicht aus, die mit der politischen und weltanschaulichen Einstellung verbunden ist.

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 Li Yuan und Ye Xiangmei

4.3 Diskursive Praxis Die diskursive Praxis verbindet die Textebene und die Ebene der sozialen Praxis. Im Unterschied zur textanalytischen Praxis, bei der sprachliche Komponenten im Vordergrund stehen, wird hier auf die internen Beziehung zwischen dem Text und der Gesellschaft eingegangen. Konkret heißt dies, zu analysieren, wo der Text herkommt und wie er entstanden ist. Da jeder Text „Fragmente von anderen Texten in sich“ beinhaltet (Fairclough 2003, 36) und „ein Flickenteppich von Zitaten“ ist (Kristeva1986, 37), kann ein Text ohne die intertextuellen Verbindungen zu anderen Texten nicht existieren. In der diskursiven Praxis gelten folglich Informationsquelle, Handlungsträger und Zitate sowie Intertextualität als Gegenstand der Analyse.

4.3.1 Informationsquelle Bei der Erhebung der Informationsquelle sind in den Untersuchungsmaterialien drei verschiedene Quellen zu unterscheiden: ausländische Nachrichtenagenturen, Spiegel-Korrespondenten und nicht angegebene Quellen. Zu den ausländischen Nachrichtenagenturen gehören beispielsweise die Dienste der Nachrichtenagenturen AFP, AP, DPA, Reuters usw.

Abb. 7: Proportion verschiedener Informationsquellen

Gemäß Abbildung 7 bilden die ausländischen Nachrichtenagenturen wie dpa, AFP und Reuters den größten Teil der Informationsquellen. Es lässt sich feststellen, dass die Quellen des Spiegel relativ einseitig sind und die chinesischen Nachrichtenagenturen gar nicht einbezogen werden. Auffällig ist, dass mehr als 70% der Spiegel-Berichte von Andreas Lorenz geschrieben sind. Als Dauerbeobachter der Angelegenheiten in China übt Lorenz auf den Sachverhalt und auch auf die Leser großen Einfluss aus. Er zog im Jahr 1988 zum ersten Mal nach Peking



Das politische Chinabild 

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und erlebte dort unter anderem die Protestbewegung von 1989. Seit 1999 lebt er wieder in China, von wo aus er bis Ende 2010 für den Spiegel schrieb.7

4.3.2 Zitate und Handlungsträger Als ein wichtiger Teil des Diskurses drücken auch Zitate die Haltung und Standpunkte von Autoren aus. Aber Zitate, sowohl die direkte als auch die indirekte Rede, tragen dazu bei, den Eindruck bei Lesern zu erwecken, dass die Nachrichten keine persönlichen Ansichten des Autors vertreten. Die Objektivität und die Überzeugungskraft einer Berichterstattung hängen also zum großen Teil von Zitaten ab. Handlungsträger sind „Personen oder Gruppen, die im Beitrag als Sprecher in Erscheinung treten oder wesentlichen Raum als Beschriebene bekommen.“ (Richter und Gebauer 2010, 20) Die Untersuchung der Handlungsträger dient dazu, die Herkunft der Zitate zu analysieren und zu bewerten, ob die Zitate sachlich sind. In dieser Arbeit sind die Handlungsträger in Anlehnung an Richter und Gebauer (2010) in zehn Kategorien unterteilt (Abbildung 8). Auffällig ist, dass die meisten betroffenen Handlungsträger chinesische Repräsentanten des Staats sind. Trotz des starken Bezugs der chinesischen Handlungsträger lässt sich aber andererseits beobachten, dass die Handlungsträger meistens ohne genaue Hinweise auf Name, Beruf, Status usw. angeführt werden, z. B. „Augenzeugen berichten, Beamte des Staatssicherheitsdienstes hätten ihn entführt.“ (Bericht Nr. 18) Hier wurden die Handlungsträger nur als „Augenzeugen“ benannt, aber konkrete Informationen darüber, wer sie sind, wurden nicht angegeben. Mittels dieser Strategie wird die Tatsache anscheinend objektiv bewiesen, aber nach genauerer Analyse ist die Glaubwürdigkeit der Informationen fraglich.

7 http://www.koerber-stiftung.de/edition-koerber-stiftung/autoren/details/autor/andreas-lorenz.html. Zugriff am 04.11.2013.

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 Li Yuan und Ye Xiangmei

Abb. 8: Anteil der direkten Rede und indirekten Rede bei verschiedenen Handlungsträgern

Obwohl die Berichte Informationen aus China zitieren, muss berücksichtigt werden, dass die Rede meist indirekt wiedergegeben wird. In Untersuchungsmaterialien tauchen direkte Reden 53-mal auf, während indirekte Reden 173-mal erscheinen. Besonders auffällig ist, dass ausländische offizielle Staatsvertreter, ausländische Beteiligte, chinesische Medien und ausländische Medien überhaupt nicht direkt zitiert werden. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Journalisten dazu neigen, indirekte Rede und Handlungsträger ohne konkrete Angaben zu benutzen. Die Ursache liegt wohl darin, dass durch diese Strategien zum einen der Eindruck der Echtheit und Objektivität der Sachverhalte verstärkt wird. Zum anderen könnte auf diese Weise die Ideologie und Einstellung der Medien versteckt zum Ausdruck gebracht werden.

4.3.3 Intertextualität Der Diskurs, der immer einen anderen Diskurs „absorbiert“ und „transformiert“ (Kristeva 1986, 37) verfügt über die Eigenschaft von „Intertextualität“. „Die intertextuelle, beziehungsweise interdiskursive Analyse fragt, wie Texte diese sozialen und historischen Grundlagen kombinieren oder verändern und wie sich Diskurse und Genres vermischen.“ (Kristeva 1986, 37). Die folgenden Sätze sind typische Beispiele der Intertextualität. a) „Nach Einschätzung der amerikanischen Regierung sind die tatsächlichen Militärausgaben Chinas zwei- bis dreimal höher als offiziell bekannt, weil viele Aufwendungen in anderen Haushaltsposten enthalten sind.“ (Bericht Nr. 39)



Das politische Chinabild 

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b) „Nach Einschätzung der US-Regierung dürften die tatsächlichen Militärausgaben Chinas zwei- bis dreimal höher liegen, weil viele Aufwendungen in anderen Haushaltsposten enthalten sind.“ (Bericht Nr. 43)

Satz a) erschien 2012 und Satz b) stammt von 2013. Offensichtlich sind der Inhalt und die Struktur der beiden Sätze fast identisch. Daher könnte man vermuten, dass die Information im Jahr 2013 nicht durch aktuelle Recherche vermittelt wird. Trotz der Gemeinsamkeit darf man die Unterschiede auf keinen Fall vernachlässigen. Durch die Verwendung des Verbs „sind“ wirkt die Einschätzung im Satz a) hundertprozentig sicher, während der Konjunktiv „dürften“ in Satz b) die Überzeugungskraft der Einschätzung stark verringert. Die Leser würden wohl vermuten, dass China sehr viel für Militär ausgibt, was zwangsläufig zur Angst der Deutschen vor dem Aufstieg Chinas führen könnte. Außerdem werden „die UdSSR und die arabischen Diktaturen“ auch in die Berichte miteinbezogen, um China mit ihnen zu vergleichen und den Begriff Diktatur zu unterstreichen (Bericht Nr. 42). „Die ehemalige UdSSR und die arabischen Diktaturen“ geben nur ein ausschließlich negatives Bild der sozialistischen Gesellschaftsordnung wieder. Im Folgenden finden sich weitere Beispiele: a) „Auf erstaunlich entlarvende Weise bezieht die Parteiführung das Schicksal der vertriebenen arabischen Autokraten auf sich selbst.“ (Bericht Nr. 33) b) „Die Nazis köpften Hörer von BBC-Rundfunksendungen, Europas kommunistische Regime wurden vom Westfernsehen zersetzt. Allabendlich, beschwerte sich damals ein Sowjetpropagandist nach einer DDR-Reise, sitzt in Ostdeutschland „der Klassenfeind mit am Kamin“. Das einzige noch völlig unabhängige Nachrichtenmittel in Wladimir Putins Russland sind die russischen Online-Dienste.“ (Bericht Nr. 3) c) „Eines hat China der UdSSR und den arabischen Diktaturen voraus: wirtschaftlichen Erfolg und, bei allen Ungleichgewichten, eine beeindruckende Bilanz in der Armutsbekämpfung. Etwas anderes aber teilt das Land mit diesen Verblichenen der Weltgeschichte: China ist keine Demokratie, sein Volk kann die Entscheidungen der Partei und des Volkskongresses höchstens im Internet kommentieren, mitzubestimmen hat es nichts.“ (Bericht Nr. 42)

In Satz a) wird die Kommunistische Partei mit den arabischen Autokraten in Beziehung gesetzt, wenn es um die Überwachung des Volkes durch die chinesische Partei geht. Das Beispiel taucht in dem Bericht über die Internet-Zensur in China auf. In Satz b) werden einige Beispiele zur Wirkung des Internets auf Diktaturen genannt, z. B. „die Nazis, Europas kommunistische Regime, Sowjetpropagandist“ (Bericht Nr. 3). Durch diese Beispiele verweisen die Journalisten direkt auf die Dringlichkeit, alle Medien zu kontrollieren, weil die „Informationstechnologie jegliche Diktatur“ gefährdet (Bericht Nr. 33). Die Kommentare in Satz c) sind direkte Vorwürfe gegen die Demokratie Chinas, ohne eine Quelle der

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Kommentare zu nennen. Es handelt sich hier um einen oberflächlichen Vergleich zwischen Phänomenen in China, der ehemaligen DDR sowie UdSSR und arabischen Ländern. Diese Länder werden ohne Differenzierung miteinander in Bezug gesetzt, gleichgestellt und hinsichtlich der Demokratie pauschal kritisiert. Die angegebenen Beispiele sind anscheinend nur eine neutrale Darstellung der historischen Ereignisse, aber in der Tat ist es eine Strategie der Journalisten, China als ein diktatorisches Land zu vermitteln und Kritik an der Demokratie in China zu üben. Das entsprechende Stereotyp wird dadurch verstärkt bzw. gefestigt. In China herrscht eigentlich ein anderes Verständnis von Demokratie und der Volkskongress gilt gerade als ein Weg zur Ausübung des demokratischen Rechts, der von der chinesischen Bevölkerung seit Jahren anerkannt, praktiziert und auch ständig verbessert wird.

4.4 Soziale Praxis Jeder Diskurs ist eine „Form der sozialen Praxis“, die die sozialen Verhältnisse nicht nur reflektiert, sondern zugleich konstituiert und organisiert (vgl. Fairclough/Wodak 1997, 265). Im Anschluss an die Analyse auf der textuellen und diskursiven Ebene folgt die Analyse der sozialen Praxis. Hier wird dem Einfluss der sozialen Kontexte der kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Praxis auf die Auswahl der Diskurse besondere Aufmerksamkeit geschenkt, um erklären zu können, warum China anlässlich des NVK in den Berichterstattungen so dargestellt wird. Welche soziokulturellen Faktoren könnten darauf Einfluss nehmen?

4.4.1 Kulturelle Praxis In der Sozialwissenschaft werden oft „emisch“ und „etisch“ verwendet, um alternative Herangehensweisen sowie unterschiedliche Arten von Daten zu beschreiben. „Etisch“ bedeutet, dass ein Beobachter von außen auf eine Kultur schaut und „emisch“ bedeutet dagegen die Beobachtung einer Kultur mit den Augen des Insiders (vgl. Zhou 2009, 47). Unserer Analyse zufolge betrachten die deutschen Medien China häufig aus der Außenperspektive und diese Außenperspektive lässt sich auf die verschiedenen kulturellen Unterschiede zurückführen. Die deutschen Medien gehen von ihrer eigenen Kultur aus und können deshalb die chinesischen Phänomene nur aus eurozentrischer Sicht bewerten, was leicht zu der Gefahr führen kann, die Sachverhalte misszuverstehen und das Chinabild zu verfälschen.



Das politische Chinabild 

 219

Seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert ist die westliche Kultur die führende Kultur der Welt geworden und es bis heute geblieben. Die Europäer betrachten sich als überlegen und sehen die anderen Kulturen als fremd und primitiv an. Außerdem wird die europäische Kultur als „Bewertungsmaßstab für andere Kulturen“ dargestellt (Haller und Shore 2005, 17). Die westlichen entwickelten Länder neigen dazu, mit ihrer eigenen Kultur in andere Länder einzudringen und die dort vorhandene umzugestalten oder sogar zu ersetzen. Außerdem sind die Medien ein wichtiges Mittel für die Europäer, ihre eigenen Vorstellungen und ihre Interessen durchzusetzen. Als erstarkter und weiter aufsteigender Staat ist China auch zu einer Großmacht auf der Weltbühne und gleichzeitig zu einem großen Konkurrenten für andere Länder geworden. Wegen ihres Eurozentrismus und der Angst und Furcht vor China neigen die Deutschen stetig dazu, die eigene Kultur als Schablone zu nehmen und das Phänomen China aus ihrer Perspektive und nach ihren Standards zu beurteilen und zu kritisieren.

4.4.2 Wirtschaftliche Praxis Die wirtschaftliche Entwicklung Chinas leistet einen großen Beitrag zur Stabilität und Entwicklung der Weltwirtschaft. 84 Prozent der Bundesbürger halten die Wirtschaftsbeziehungen zum Reich der Mitte für ebenso wichtig wie die zu den USA. Knapp die Hälfte der Deutschen (49 Prozent) haben jedoch Angst vor der wirtschaftlichen Stärke Chinas, 86 Prozent sehen China vor allem als Standort für Massenproduktion8. Und diese Stimmung reflektiert oft die Berichterstattung. In der heutigen Welt spielt China vor allem nach der Weltwirtschaftskrise im Jahr 2008 eine wichtige Rolle auf der Weltbühne. China hat 2007 Deutschland im Export eingeholt, ist seit 2010 vor Japan die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und ist derzeit auf dem Weg, die USA als größte Handelsnation abzulösen. Zudem hält China die weltweit höchsten Devisenreserven (rund 3,5 Bill. USD).9 Dagegen wurde Deutschland durch die Weltwirtschaftskrise stark beeinträchtigt. Deutschland ist seit mehr als 30 Jahren Chinas größter Handelspartner in Europa. „Im Jahr 2002 gelang es China sogar, zum ersten Mal Japan zu übertref-

8 http://www.welt.de/wirtschaft/article124977430/Deutsche-haben-Angst-vor-Chinas-Wirtschaftsmacht.html 18.02.2014. Zugriff am 20.03.2016. 9 Vgl. http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/China/Wirtschaft_node.html. Zugriff am 14.12. 2013.

220 

 Li Yuan und Ye Xiangmei

fen und der größte Handelspartner Deutschlands in Asien zu sein.“10 Trotz der engen Handelsbeziehungen wird China aufgrund der aktuellen Entwicklung eher als Konkurrent und weniger als Partner betrachtet. Deutschland fühlt sich durch China bedroht. Obwohl die „Gelbe Gefahr” kein neues Argument ist, löst diese Bedrohung eine echte Panik aus, nachdem China relativ schnell die Weltwirtschaftskrise überstanden hatte. (Zhou und Wang 2011, 39–47).

4.4.3 Politische Praxis In Bezug auf die politische Praxis sollten zuerst die Unterschiede des politischen Systems der beiden Länder erkannt werden. Das politische System Chinas ist anders als das in Deutschland. Chinas Beibehaltung des Kommunismus führt zu einer Feindschaft Deutschlands gegenüber dem politischen System in China. Kommunismus wird nach der Oktoberrevolution und der Errichtung der UdSSR mit brutalem Terror, der asiatischen Bedrohung Europas durch Bestialität und der Umwertung aller Werte gleichgesetzt.11 Wenn die Berichterstattungen „den kommunistischen Staatscharakter“ (Bericht Nr. 3) Chinas beschreiben und die chinesische Regierung als „Chinas kommunistische Machthaber“ (Bericht Nr. 11) und als „die Kommunistische Führung in China“ (Bericht Nr. 43) betrachten oder China sogar als „immer noch kommunistisch geprägtes China“ (Bericht Nr. 44) ansehen, dann dürfte wohl das kollektive Gedächtnis der DDR-Geschichte hervorgerufen werden, was zu einem Chinabild voller Stereotypen und Vorurteile führt. Außerdem werden die Schätzungen der amerikanischen Regierung (Beispiel a und b in 4.3.3.) beim Thema der Militärausgaben miteinbezogen. China ist ein großer Konkurrent der USA und die Glaubwürdigkeit der Einschätzung der USRegierung wirkt deshalb fragwürdig, weil sich das Interesse des Landes und der regierenden Partei hinter jedem Wort einer Regierung verbirgt. Hinter der Einschätzung der US-Regierung versteckt sich die Ideologie der USA. Zweitens wird keine genauere Quelle angegeben als „amerikanische[n] Regierung“ und „US-Regierung“. Deshalb könnte die Glaubwürdigkeit der Einschätzung problematisch sein. Aber die Einschätzung der USA könnte einen Einfluss auf die Leser ausüben und sie dazu bringen, nicht an die Angaben der Militärausgaben seitens

10 Vgl. http://german.china.org.cn/politics/archive/chn-ger/txt/2006-05/19/content_2238388. htm. Zugriff am 16.12.2013. 11 Vgl. https://gegen-kapital-und-nation.org/de/gespensterjagd-zur-ideengeschichte-des-antikommunismus. Zugriff am 04.11.2013.



Das politische Chinabild 

 221

der chinesischen Behörden zu glauben. Dadurch wird die Transparenz der chinesischen Regierung wiederum angezweifelt. Die deutschen Medien, die sich als „vierte Gewalt“ bezeichnen, sehen sich als unabhängige Informationsdienstleister, die die Verletzung der Bürgerrechte verhindern sollen. Deshalb ist Der Spiegel generell kritisch und würde auch „über die USA oder die deutsche Bundesregierung ähnlich kritisch berichten“ (Hansen 2008, 1). Aber wie oben erwähnt, sind deutsche Medien unweigerlich durch deutsche Ideologie und andere Faktoren beeinflusst. Deshalb bleibt die Haltung des Spiegel gegenüber China in der Regel kritisch.

5 Zusammenfassung Die vorliegende Arbeit hat sich das Ziel gesetzt, das vom Spiegel vermittelte politische Bild Chinas im Zeitraum von 2003 bis 2013 anlässlich des NVK zu erforschen. Wie zu Beginn ausgeführt, zielt die Arbeit darauf, sich kritisch damit auseinandersetzen, was das politische Chinabild ist und wie und warum es so dargestellt wird. Als Untersuchungsmaterialien dienten hierbei die Berichterstattungen, die während der Veranstaltung des NVK von 2003 bis 2013 vom deutschen Leitmedium Spiegel (Print und online) veröffentlicht wurden und den NVK als Hauptthema behandeln. Als Untersuchungsmethoden wurden die Rahmenanalyse und die CDA eingesetzt. An einem deutlichen Anstieg der Anzahl der Berichte lässt sich erkennen, dass dem NVK immer mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird. Die meist behandelten Themen sind Innenpolitik, Generationswechsel und Menschenrechte. Der Spiegel neigt dazu, negative Themen über den Volkskongress auszuwählen und darüber zu berichten. Außerdem legt Der Spiegel einen besonderen Schwerpunkt auf das Thema „Menschenrechte“: die Berichte hierzu wurden in Hinsicht auf die Titel, die lexikalische Auswahl und die Überlexikalisierung untersucht. In Bezug auf Menschenrechte tauchen überwiegend negativ konnotierte Wörter und Formulierungen auf, die bewusst selektiert und wiederholt werden, oft nicht nur in den Texten, sondern bereits in Titeln, durch die ein kritisches Gefühl gegenüber Chinas Menschenrechten hervorgerufen wird. Durch die Wahl dieser Wörter dürfte der Spiegel suggerieren, dass die chinesische Regierung aus Angst vor der Informationsverbreitung durch das Internet willkürlich Macht ausübe, um Dissidenten zu unterdrücken und Webseiten zu blockieren. Die Verstärkung der Medienkontrolle und der Internet-Zensur könnten zu Anspannungen, harscher Kritik, Unzufrie-

222 

 Li Yuan und Ye Xiangmei

denheit, sogar zu Folter und Misshandlungen führen. Zusammenfassend wird China im Spiegel kritisch als ein Staat ohne Rede- und Pressefreiheit, ohne Informationsfreiheit und ohne Menschenrechte beurteilt. Außerdem wirden das Bild der chinesischen Regierung und das Bild des NVK hauptsächlich durch lexikalische Auswahl und Überlexikalisierung negativ dargestellt. Die Regierung und der NVK wirden auch wegen mangelnder Transparenz kritisiert, indem negative Wörter wie „der Machthaber“, „die Führung“, „das Regime“ und „die Obrigkeit“ zur Beschreibung der Regierung verwendet werden. Durch die Wiederholung von Wörtern wie „Schein-, Pseudo- und Abknickparlament“ und Formulierungen wie „das sogenannte Parlament“, „Pekings zahnloses Parlament“ wird der NVK abwertend dargestellt. Durch die Formulierung „das nicht frei gewählte chinesische Parlament“ wirde auf das Problem der Demokratie in China hingewiesen, wodurch China als ein Land ohne Demokratie dargestellt wird. Die obigen Forschungsergebnisse weisen darauf hin, dass China in diesen Berichten als ein diktatorisches Land ohne Redefreiheit und Rechtsstaatlichkeit dargestellt wird. Durch bestimmte Strategien auf der textuellen Ebene, wie z. B. Titel, lexikalische Wahl, Überlexikalisierung und Strategien auf der diskursiven Ebene, wie z. B. Zitate, Handlungsträger und Intertextualität wird dieses Bild dargestellt und stereotypisiert. Die Berichterstattungen basieren auf einem bestimmten sozialen Hintergrund und reflektieren gleichzeitig die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Faktoren. Bei der diskursiven Konstitution geht es nicht lediglich um China, sondern vielmehr um die Darstellung der deutschen Wertvorstellungen und Ideologien. Bilder des Fremden seien „Konstrukte“, so Eduard Said, „die mehr über die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse und Wertvorstellungen des eigenen Landes als über die Fremdkultur selber aussagen“ (Wang 1999, 64).

6 Literaturverzeichnis Bluhm, Claudia, und Dirk Deissler, und Joachim Scharloth, und Anja Stukenbrock. „Linguistische Diskursanalyse: Überblick, Probleme, Perspektiven“. Sprache und Literatur in Wissenschaft und Unterricht 88 (2000): 3–19. Brandt, Wolfgang. „Zeitungssprache heute: Überschriften. Eine Stichprobe“. Aspekte der Textlinguistik. Germanistische Linguistik. Hg. Klaus Brinker. Hildesheim, Zürich u. New York: Olms, 1991. 213–244. Entman, Robert M.. Framing: „Toward Clarification of a Fractured Paradigm“. Journal of Communication 43. 4 (1993): 51–58. Fairclough, Norman. Discourse and Social Change. Cambridge: Polity Press, 1992.



Das politische Chinabild 

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 Li Yuan und Ye Xiangmei

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7 Anhang: Verzeichnis der Chinaberichterstattungen vom Spiegel anlässlich des Nationalen Volkskongresses von 2003 bis 2013 Bericht Veröffentlichungs- Titel Nr. datum 1 2

15.03.2003 05.03.2004

China: Neuer Präsident mit 99 Prozent der Stimmen Fernöstliche Dynamik: Chinas Industrie wächst um 16,5 Prozent

3* 4

24.03.2004 05.03.2005

Das Internet: Chinas Staatsfeind Chinas Volkskongress: Herr Wen liebt es lau

5

08. 03.2005

6*

14.03.2005

Volkskongress: Chinas Führung legt Kriegsgesetz gegen Taiwan vor Nationaler Volkskongress: Chinas gespielte Pressefreiheit

7 8

14.03.2005 05.03.2006

Anti-Sezessionsgesetz: China verstärkt Druck auf Taiwan Volkskongress in Peking: Tausendfaches Rascheln

9 10*

13.03.2006 14.03.2006

China: Zurück in die Armut Volkskongress: China verteidigt Internet-Zensur

11* 12

20.03.2006 04.03.2007

China: Die Partei greift durch Volkskongress: China will ein bisschen mehr Westen probieren

13

05.03.2007

14

05.03.2007

Ungezügelter Wirtschaftsboom: China will Wachstum auf acht Prozent begrenzen Chinesen setzen auf Öko

15 16

08.03.2007 16.03.2007

Schritt zum Kapitalismus: China will Privateigentum schützen Volkskongress: China schützt Privateigentum

17 18*

03.03.2008 07.03.2008

China: Wen wird Wen wählen? Menschenrechte: Chinesischer Bürgerrechtsanwalt spurlos verschwunden



Das politische Chinabild 

 225

Bericht Veröffentlichungs- Titel Nr. datum 19

15.03.2008

Fast Hundert Prozent: Volkskongress bestätigt Chinas Staatschef Hu China: Volkskongress bestätigt Regierungschef Wen Jiabao

20

16.03.2008

21

05.03.2009

22

06.03.2009

23 24

10.03.2009 13.03.2009

Chinas Volkskongress: „Wir brauchen mehr Informationen“ Neues Konjunkturprogramm: Aktienkurse in Asien schießen in die Höhe

25 26*

01.03.2010 04.03.2010

Transparentes Kanton China: Hacker rächen sich wegen Forderung nach InternetcaféVerbot

27 28

05.03.2010 05.03.2010

Nationaler Volkskongress: China inszeniert seine neue Demut Volkskongress: China plant Rekordverschuldung gegen die Krise

29 30*

14.03.2010 06.03.2011

Volkskongress: China lässt Kritik des Westens abperlen Nervöse Führung: China setzt erneut ausländische Journalisten fest

31 32

14.03.2011 14.03.2011

Fünfjahresplan: Chinas Volkskongress billigt wirtschaftliche Umstrukturierung Trotz Nuklearkatastrophe: China will Dutzende neue AKW bauen

33* 34

14.03.2011 02.03.2012

China: Prinzip Härte Skandal um Polizeichef: Chinas KP weist Spekulationen um Machtkampf zurück

35 36

04.03.2012 05.03.2012

Volkskongress in China: Versammlung der Ohnmächtigen Schwächelnde Weltwirtschaft: China dämpft die Wachstumserwartungen

37* 38

14.03.2012 07.03.2012

Gesetz gegen Regimekritiker: Willkür-Vollmacht für Chinas Polizei Proteste in Tibet: China beschuldigt Dalai Lama wegen Selbstverbrennungen

39 40

04.03.2012 04.03.2013

Höherer Militär-Etat: China rüstet kräftig auf China: Das Kohlenmonster

41 42

05.03.2013 05.03.2013

Chinas neuer Premier: Herr Li aus der Provinz Volkskongress in Peking: Chinas Führer misstrauen ihrem Erfolg

43 44

05.03.2013 08.03.2013

Aufrüstung in Fernost: China schraubt Militär-Angaben hoch Superreiche Politiker: In Chinas Volkskongress sitzen 31 Milliardäre

Wirtschaftskrise: China verkündet Wachstumsziel von acht Prozent Folgen der Weltwirtschaftskrise: China fürchtet Lebensmittelknappheit

226 

 Li Yuan und Ye Xiangmei

Bericht Veröffentlichungs- Titel Nr. datum 45

10.03.2013

46

13.03.2013

Effizienz-Offensive: China löst umstrittenes Eisenbahnministerium auf Große Wirtschaftsreform: Chinas Machthaber müssen loslassen

47 48

14.03.2013 14.03.2013

Chinas neuer Präsident: Die Xi-Doktrin Volkskongress: Xi Jinping ist neuer Präsident Chinas

49 50

15.03.2013 17.03.2013

Regierungswechsel in China: Volkskongress kürt Li Keqiang zum Ministerpräsidenten Volkskongress in Peking: Parteichef Xi beschwört „chinesischen Traum“

Das Bild Chinas in visuellen und audiovisuellen Medien: Werbung, Comics, Film

Friedemann Vogel und Maximilian Haberer

Das China-Image in der deutschsprachigen Werbung Multimodale Formen und Funktionen eines asiatischen Ethnostereotyps in persuasiven Verwendungskontexten

1 Einleitung und Fragestellung: Stereotype, Ethnostereotype und Werbung Werbung zielt kurz- oder langfristig auf eine Meinungs- bzw. Einstellungsänderung ihrer Rezipienten im Hinblick auf das umworbene Objekt. In der Regel geht es um den Aufbau einer positiven oder zumindest verbesserten rezipientenseitigen Bewertung eines Akteurs (z. B. eines Unternehmens oder eines Politikers), eines Sachverhalts (z. B. Lebensumstände, vgl. Kampagnen vom Schlage „Du bist Deutschland“, Holly 2009) oder eines gewerblichen oder nichtgewerblichen Objektes bzw. Produktes (von Schampoo bis Spenden). (Huth und Pflaum 1996, S. 18 f.; Behrens 1976, S. 12) Der ‚Kontakt‘ zwischen Werbung und Rezipienten ist dabei angewiesen auf die Verwendung (Produktion) und Verarbeitung (Rezeption) von Zeichen in Sprache, Bild, Ton oder multimodalen Zeichenkomplexen (Film, Internetplattformen usw.). In Zeiten medialer Reizüberflutung bleibt für den ‚Kontaktaufbau‘, also die bewusste oder auch unbewusste Zuwendung und Aufmerksamkeit des Rezipienten von Werbung, in der Regel nur wenig Zeit. Meist geht es um Sekunden, in denen Passanten an einem Werbeplakat vorübergehen, über eine Zeitungsanzeige blättern oder während des Kochens einem Radiospot lauschen. Aufmerksamkeit ist daher ein wertvolles Gut und die Zeit, in der ein Aufmerksamkeitsfokus auf werbenden Zeichen liegt, will gut genutzt sein (Peters 1975, S. 19). Vor diesem Hintergrund verwundert nicht, dass sich Werbung vor allem an kulturell etablierte, rezipientenseitig präsupponierte Stereotype anzuschließen versucht. Unter einem „Stereotyp“ verstehen wir ein erwartbares, pauschalisieVogel, Friedemann, Prof. Dr., Juniorprofessor für Medienlinguistik, Institut für Medienkulturwissenschaft, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Deutschland Haberer, Maximilian, MA, Wiss. Mitarbeiter, Institut für Medien- und Kulturwissenschaft, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Deutschland DOI 10.1515/9783110544268-012

230 

 Friedemann Vogel und Maximilian Haberer

rendes Zuschreibungswissen über eine Gruppe von Personen, Sachverhalten oder Objekten, unabhängig davon, ob diese Zuschreibungen tatsächlich stimmen oder nicht (Putnam 1990; vgl. Nelson 2006; Merkens 2000, S. 11; Aronson et al. 2012, S. 425 ff.). Ein solches Wissen orientiert effektiv das Handeln in der Gesellschaft (schematische Komplexitätsreduktion anstelle von allgegenwärtiger rationaler Abwägung), prägt unsere Wahrnehmung zugunsten von Stereotyp-konformen Ereignissen und immunisiert sich damit gegen potentielle Veränderungen (Nelson 2006, S. 4). Stereotype in diesem Sinne sind wertneutral; explizit Objektabwertende Stereotype bezeichnen wir als Vorurteile. Stereotype bzw. Vorurteile sind allgegenwärtig und machen einen Großteil unserer kulturellen Wissensbestände aus. Lippman schrieb bereits 1964, das meiste Wissen über die „Welt außerhalb unserer Reichweite“ beruhe „nicht auf unmittelbarem und sicherem Wissen […], sondern auf Bildern, die [man] sich selbst geschaffen oder die man ihm gegeben hat.“ (Lippmann 1990 [1964], S. 25 f.; vgl. auch Luhmann 2004) Die Schematisierung (Bartlett 1932; Rumelhart 1975) und Pauschalisierung von stereotypem Zuschreibungswissen schlägt sich auch auf der materiellen Formseite als wiederkehrende Formmuster nieder. Sprache ist gewissermaßen der Transmissionsriemen bei der kulturellen Verbreitung und Stabilisierung von Stereotypen (Bourhis und Maass 2001, S. 1592). Als „Sprachstereotype“ bezeichnet man in der Linguistik formelhaftes Sprechen, das den Sprecher qua seiner Musterhaftigkeit als Träger damit assoziierten Kulturwissens markiert (vgl. Konerding 2001; Feilke 1989; Pümpel-Mader 2010). Wiederkehrende Formmuster können auf unterschiedlichen Form-Ebenen Hinweise auf Stereotype geben: Neben formelhaftem Sprechen  – z. B. in Form von Redewendungen (Aug um Aug), feststehenden Wortverbindungen (Zähne putzen vs. Ohren waschen) oder schlagwortartig gebrauchten Phrasen (vgl. Wir sind das Volk!)  – können Formmuster auch in komplexeren rekurrenten Ko(n)text-Mustern auftreten, wie sie etwa in Kookkurrenz-Netzwerken sichtbar gemacht werden können. Den semantisch interpretierten Gesamtkomplex aller thematisch rekurrenter Formmuster bezeichnen wir als „Image“. Ein Image – zum Beispiel einer Personengruppe – ist eine heuristische Größe und postuliert am Ende der Analyse ein datenorientiertes bzw. datengestütztes semantisches Zuschreibungsfeld auf transtextueller Ebene (z. B. Image der Chinesen in deutschen Zeitungen). Von Images zu unterscheiden sind real-kognitive Stereotype, die einer direkten Analyse nicht zugänglich sind (wir können den Menschen nicht in die Köpfe schauen). Stereotype sind daher nur indirekt über Imageanalysen erschließbar unter der Prämisse, dass sich das stereotype Wissen des Einzelnen an den formseitigen Zuschreibungsangeboten (Images) orientiert. Dies gilt insbesondere für Sachverhalte, Gegenstände oder Akteure, die uns ausschließlich oder zumindest überwiegend nur medial vermittelt begegnen (zur Imageanalyse ausführlich: Vogel 2010a, 2010b, 2012, 2014).



Das China-Image in der deutschsprachigen Werbung 

 231

Werbung greift vielfältig auf Stereotype und insb. auch Ethnostreotype zurück, um mit geringem semiotischem und damit eben auch kognitivem Aufwand die Aufmerksamkeit des Betrachters auf den beworbenen Sachverhalt oder Gegenstand zu richten (Hoffmann 2001, S. 109 ff.). In der Regel werden dabei nur affirmative Stereotype adressiert, um kognitive Dissonanzen zu vermeiden. Ethnostereotype haben zudem den Vorteil, dass sie Gegenstände leicht in fremde, und damit der rationalen Überprüfung sich häufig entziehende Kontextumgebungen verlagern können. Ein einfacher, aromatisierter Tee aus der maschinellen Massenproduktion wird dann zur ›exotischen Auslese glücklicher, chinesischer Teeblattpflücker‹. Nicht selten simulieren werbefunktional eingesetzte Ethnostereotype tradierte Reminiszenzen des harmonischen Zusammenlebens vorzivilisatorischer Kulturen, mythologisieren so die umworbene Ware und bedienen letztlich Sehnsüchte nach einem in der globalisierten, Konsum-orientierten Welt verlorengegangenen „Fremden“ (Spieß 1995). Der Konsument, so die Verheißung, wird Teil des fiktiven Fremden, des Exotischen. Trotz dieser offenkundigen Relevanz von Ethnostereotypen für Werbung existieren vergleichsweise wenig seriöse Studien zu Länderimages in Werbung1. Gegenstand der vorliegenden medienlinguistischen Untersuchung bzw. Imageanalyse sind daher Ethnostereotype in deutschsprachiger Werbung am Beispiel Chinas. Genauer geht es um die Frage, wie ‚China‘ und ‚Chinesen‘ in deutschsprachiger Werbung dargestellt, mit welchen Attributen sie schematisierend versehen und wie diese Schematisierungen formseitig in sprachlichen, auditiven und visuellen Zeichen konstituiert werden. Im Folgenden werden wir zunächst die Quellen sowie methodischen Zugänge skizzieren (2) und anschließend die Ergebnisse der Studie vorstellen (3–4). Ein Fazit zu den vier Images Chinas in deutschsprachiger Werbung sowie zu weiteren Forschungsdesiderata beschließt diesen Beitrag (5).

1 Lediglich Mosbach 1999 widmet sich umfassend „Bildermenschen – Menschenbilder“ in der neueren deutschen Printwerbung, am Rande auch asiatischstämmigen Menschen und Chinesen. Allein, die Studie liegt bereits 15 Jahre zurück, das zugrunde gelegte Korpus scheint relativ klein und die Kriterien der Datenauswahl sind nicht nachvollziehbar (keine Angaben über Rechercheverlauf und -hintergrund).

232 

 Friedemann Vogel und Maximilian Haberer

2 Quellen und methodischer Zugang Das der Untersuchung zugrundeliegende Korpus wurde 2014 kontrolliert aufgebaut und umfasst insgesamt 220 Funde deutschsprachiger (Text-,) Print-, Audio-, Video- und Internetwerbung (Internetseiten und -spiele) aus dem Zeitraum 1910 bis 2014. Um ein möglichst breites Spektrum vorhandener China-Images zu erfassen und eine Ergebniseinschränkung durch quellenbedingte Vorselektion zu vermeiden, erfolgte der Korpusaufbau explorativ und berücksichtigte folglich sowohl Funde systematischer Datenbankrecherchen als auch „Zufallsfunde“. Zudem konnten auf diese Weise auch implizite, nicht textlich markierte, Bezüge auf China in das Korpus mit aufgenommen werden. Der Begriff „Werbung“ wurde möglichst weit verstanden und lediglich im Hinblick auf ihre direktive Funktion hin eingeschränkt: Aufgenommen wurden Belege, wenn sie erkennbar von einem Auftraggeber motiviert persuasiv für einen Sachverhalt, Gegenstand, eine juristische oder private Person(engruppe) warben, das heißt zu einer in der Regel mit Geldleistungen verbundenen Rezipientenhandlung zugunsten des Werbenden aufforderten. Neben klassischen Zeitschriftanzeigen großer Pharmaunternehmen und Werbespots für Instantnudeln finden sich somit auch Produktverpackungen und Werbemaßnahmen politischer Kampagnen wieder. Abgesehen von kostenpflichtigen (AdZyklopaedie und Coloribus) und kostenlosen (Publispot, AdsandBrands, Slogans.de und das Regensburger Archiv für Werbeforschung) Werbedatenbanken wurden Plakatarchive (Filmposter-Archiv, Plakatsammlungen des Bundesarchivs, des Albertina Museums Wien, der Bibliothek für Zeitgeschichte und des Deutschen Historischen Museums), Jahrbücher der Werbung (Jeske et al. 1987–1991; Schalk und Thoma 1992–2012), Reisekataloge (Tchibo Reisen, TUI Deutschland, Thomas Cook), Internetseiten auf Chinareisen spezialisierter Anbieter (China Reisen) und das Videoportal Youtube nach folgenden Suchausdrücken bzw. Verschlagwortungen systematisch gesichtet: China, Chinese, Chinesin, Chinesisch, Chinesischen, Asien, Asiatisch, Asia, Asiat, Asiatin, Asiatischen, Peking, Shanghai, Hongkong, Hong Kong, Beijing, Shaolin, Konfuzius, ni hao, Mao, Kung Fu, Gongfu, Qigong, Tai-Chi, Wushu, Meditation, Meditieren

Auf Grundlage der Bemerkung Mosbachs, chinesische Stereotype in der Werbung verwiesen größtenteils auf allgemein Asiatisches und vice versa (Mosbach 1999, S. 254 ff.), wurden auch mit Asien verbundene Suchausdrücke verwendet und, sofern diese sich kontextuell nicht explizit auf ein anderes asiatisches Land bezogen, entsprechende Belege in das Korpus aufgenommen. Die übrigen Such-



Das China-Image in der deutschsprachigen Werbung 

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ausdrücke sind entweder bekannte Metropolen der Region oder während der Recherche vermehrt aufgetretene, kontextverwandte Begriffe.2 Schließlich wurden auch Belege vor Ort in Filialen erhoben. Im Zeitraum Mai bis Juli 2014 wurden hierfür in Supermärkten und Drogerien der Stadt Freiburg im Breisgau Produktverpackungen fotografiert, die entweder der Beschreibung nach Produkte aus China beinhalteten, eines der Schlagworte (siehe oben) verwendeten oder über visuelle Merkmale verfügten, die der restlichen Datenerhebung zufolge auf den ostasiatischen Bereich verwiesen (vgl. 3.3). Die Auswertung der Belege erfolgte in drei Schritten: Im ersten Schritt wurden sämtliche Korpusbelege im Hinblick auf wiederkehrende Darstellungen auf der Formseite erhoben und als Formmuster systematisiert (vgl. das nachfolgende Kapitel). Dabei wurden folgende Formebenen berücksichtigt: Ebene der Sprache, auditive Ebene (Musik, Soundeffekte, prosodische und Artikulationsbesonderheiten usw.) und visuelle Ebene (von Farbgebung über Typoghraphie bis zu Figur-Grund-Konstellationen). Im zweiten Schritt erfolgte eine ähnliche Systematisierung auf der Ebene der semantischen Zuschreibungsmuster. Hierfür wurde jeder einzelne Beleg ausgezeichnet nach folgenden Kategorien: a) beworbenes Produkt, b) präsupponierte China-Attribute und assoziierende Formen sowie c) semantische Funktion der Attribute im Hinblick auf das beworbene Produkt. Beispiel: Olbas 2014 Beworbenes Objekt: Tropfen Attribute: ‚Traditionelle chinesische Heilmedizin‘ Semantische Funktion: Affirmativ – Produkt steht in der Tradition jahrtausendalter, bewährter Heilkunst Erläuterung: Chinesische Schriftzeichen und Kraut-Skizze als Kontextualisierungshinweise zu Ausdrücken medizinischer Domäne (Tropfen, bei Erkältung, Kopfschmerzen) Beispiel: Obi [Erscheinungsdatum unbekannt] Beworbenes Objekt: Akteur (Baumarkt) Attribute: ‚Unverständlichkeit‘, ‚Überforderung‘, ‚Fremde‘ Semantische Funktion: Kontrastiv  – Umworbenes Produkt klar und verständlich im Gegensatz zur chinesischen Sprache Erläuterung: Person in Anzug steht vor Regal mit Sanitärmöbeln, äußert sich fragend an einen Vorbeigehenden in grauem Kittel: ah guten TAG ich möchte eine DUSCHkabine […] Der Angesprochene sowie zwei weitere Hinzukommende fallen ins Wort, kurzsilbig und konsonantenreich, Chinesisch immitierend. Off-Sprecher: wenn sie keine lust auf fachchinesisch haben […]

2 Eine genaue Dokumentation des Korpusaufbaus, sowie damit verbundene Schwierigkeiten und Entscheidungen finden sich bei Haberer 2014.

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Nach belegspezifischer Auswertung wurden induktiv Cluster wiederkehrender Zuschreibungen gebildet (siehe Kapitel 4). Im dritten Schritt wurden schließlich die Ergebnisse verdichtet zu transtextuellen bzw. transmedialen Korrelaten aus Form- und Prädikationsmustern (die vier Images Chinas, vgl. Kapitel 5).

3 Sprachliche, auditive und visuelle Formen des China-Stereotyps in deutschsprachiger Werbung Die Auswertung von Werbeanzeigen, die – sei es im Fokus oder als Kontextvariablen – ‚China‘ oder ‚Chinesen‘ zum Gegenstand haben, zeigen unterschiedliche, doch wiederkehrende Muster an der materiell wahrnehmbaren Ausdrucksseite. Wir unterscheiden dabei induktiv erstens sprachliche, auditive und visuelle Formmuster, andererseits Primär- und Sekundärzeichen. Mit Primärzeichen bezeichnen wir solche Formmuster, bei denen wir nach Datenlage plausibel machen zu können glauben, dass sie ohne weitere formseitige Kontextualisierungshinweise (im Sinne Gumperz 1982, S. 131) rezipientenseitig ein abstraktes China-Ethnostereotyp aktivieren. Ein Beispiel hierfür wäre etwa die – meist ironisch überzeichnete  – Imitation von chinesischen Sprachmerkmalen, etwa die chinesische Kurzsilbigkeit (vgl. das Wortspiel Sching schang schong) sowie der Tausch von r- durch l-Laute, oder auch pentatonische Imitationen asiatischer Klänge auf entsprechenden Instrumenten (vgl. unten). Sekundärzeichen sind dagegen solche Zeichen, die nach unserer Einschätzung nur im ko(n)textuellen Verbund mit weiteren formseitigen Hinweisreizen stereotypisierend rezipiert werden. Zu Sekundärzeichen in diesem Sinne zählen in unserem Korpus etwa zahlreiche Soundelemente (z. B. der Gong, bestimmte Küchen- oder Luftzuggeräusche), einzelne Farben und Farbkombinationen (rot, gelb) oder Abbildungen von Tieren und Gegenständen (Pandabär, Bambus, Seide usw.). Dabei möchten wir betonen, dass sich diese beiden Kategorien heuristisch nicht auf die Ebene der Formtoken (einzelne Belege), sondern auf die Ebene der Formmuster, also auf die Ebene der Types oder Prototypen beziehen. Einzelbelege können dann nicht exakt, sondern nur mehr oder weniger einem bestimmten Prototypen eines Primär- oder Sekundärzeichens entsprechen (Prototypen sind Idealtypen im Sinne Max Webers). Der Großteil chinesischer Attributformen rekurriert nicht auf den Gegenstand der jeweiligen Werbung. Sie sind meist nur ornamentales Beiwerk der Stereotypisierung.



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Im Folgenden stellen wir die wichtigsten Musterelemente des formseitigen Repertoires dar, das in deutscher Werbung zur Konstruktion von China-Stereotypen eingesetzt wird.

3.1 Sprachliche Formen und Sprachspiele Die überzeichnete Imitation von markanten Merkmalen chinesischer Sprache ist ein sehr dominantes, wenn nicht das wichtigste Formmuster zur Aktivierung von China-Stereotypen. Sie lassen sich differenzieren in a) Wortspiele, b) Mehrworteinheiten, c) Komposita mit dem Determinandum -chinesisch sowie d) als bekannt präsupponierte chinesische Wörter und Namen. (a) Wortspiele evozieren ‚das‘ Chinesische und/oder Asiatische meist durch Zerlegung deutscher Wörter in einzelne Silben, das heißt durch Imitation oder Simulation von chinesischsprachiger Kurzsilbigkeit. Hinzu kommt bei Belegen mündlicher Äußerungen die Imitation chinesischsprachiger Morphem-Homophonie oder die Vermischung von deutschen und chinesischen Wörtern bzw. Silben und Lauten. 1. Leer Ling (Bier leer und Chinese als Lehrling deutscher Braukunst; Karlsberg Urpils), Beef Lang Zu (McDonalds 2008), Un Ter Steu Ern (sei ein Fremdwort bei Audi) 2. Namensspiele: Im Muster einer Essensbestellung: Also ich nehm Düjing (Düsseldorf-Peking Flugstrecke) – neben der Auswahl Nasi Goreng oder Chop Suey (Airport Düsseldorf) 3. Der Singapure Wahnsinn (Lufthansa 2014), Neues aus Fernkost (McDonalds 1998), Bankoch (Schenker 2004) (b) Unter Mehrworteinheiten finden sich vereinzelt (Kinder-)Lieder wie (häufig) Drei Chinesen mit dem Kontrabass (Film 2000) oder Variationen in Anlehnung an das Muster Weck den X in Dir mit X = Tiger oder Drache (Motto des ZDF 2009 zur Olympiade in China) oder In China essen sie X mit X = als Nahrungsmittel qualifizierte Objekte oder Tiere (distanzierend). (c) Wird mittels Determinatrum chinesisch explizit auf die Sprache des Chinesischen rekurriert, dann geht es meist um die Markierung von ‚Unverständlichkeit‘ und ‚Fremde‘ des Fachchinesischen oder auch Versicherungschinesischen. (d) Bestimmte chinesische Wörter oder Wendungen sowie Bezeichnungen (Onomastik) für Städte, Personen oder Sachen werden von den Werbenden offenbar als bekannt vorausgesetzt, denn sie werden nicht näher erläutert oder lassen sich situativ aus dem dargestellten Geschehen einordnen. Besonders häufig finden sich formuliert Ni hao (‚Guten Tag‘), Xie xie (Danke) sowie Yin und Yang.  – Chinesische Ausdrücke werden grafisch ausschließlich in der chinesi-

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schen Umlautschrift (Pinyin) und ohne Tonmarkierung oder ihrer deutschsprachigen Adaption wiedergegeben. Das Gleiche gilt für Städtebezeichnungen (vor allem Peking/Beijing, Hongkong und Shanghai) und Personennamen (Konfuzius, Mao). Lotus(blüte) oder Seidenstraße dagegen sind deutsche Bezeichnungen für bekannte chinesische Sachverhalte.

3.2 Auditive Formen Als auditive Formmuster kategorisieren wir akustisch wahrnehmbare Formen. Zu ihnen zählen a) die chinesische Stimme (in der Werbung), b) wiederkehrende Geräusche und Sounds sowie c) Musik bzw. musische Klänge. (a) Wenn sich in der Werbung Chinesen oder als ‚chinesisch‘ markierte Personen äußern, geschieht dies in der Regel mit einer Übertreibung bestimmter stimmlicher Merkmale. Äußern sich die als Chinesen inszenierten, in der Regel männlichen Akteure auf Deutsch, sprechen sie mit starkem Akzent, in hoher, heller Stimmlage und vertauschen die Konsonanten r und l (vgl. in Lemon Gold oder McDonalds). Äußern sich Stimmen auf Chinesisch, werden diese ebenso überzeichnet (laut, Konsonanten-betont, untypisch stark Satz-intonierend3), um semantisch ‚Fremde‘ und/oder ‚Härte‘ und ‚Kälte‘ bei deutschen RezipientInnen zu aktivieren. Ein typisches Beispiel für Letzteres ist etwa die Radiowerbung von Human Rights Watch, die eine Folterszene inszeniert (brüllender Folterer und offenbar geknebeltes, von Taser-Stromstößen geplagtes Opfer), und anschließend kommentiert: sie müssen nicht viel verstehen, um zu verstehen, WIE SEHR wir ihre hilfe brauchen. Das Vorspielen der chinesischsprachigen Szene vor einem Kolloquium chinesischer DoktorandInnen löste Lachen aus, da sie komisch (im Sinne von ironisch) wirkte. (b) Bestimmte Rahmengeräusche und Sounds tragen  – genauso wie manche musischen Klänge (s. u.) – vor allem als Sekundärzeichen zur stereotypen Kollorierung der Werbung bei. Auffällig ist das sonorige, tibetische MönchKutten begleitende Summen (Omm), Naturgeräusche (Tiere, sprudelndes Wasser, exotische Vogelschreie, Grillenzirpen, Windgeräusche), Restaurant- und Küchengeräusche (Messer-Wetzen, Hacken, Eingießen einer Flüssigkeit, meist Tee), Luftzuggeräusche (vor allem typisch für Kampfsport-insinuierende Werbung), Großstadt- und Baustellen-Lärm oder Foto-Klick-Geräuche (Anspielung auf chinesische Touristen).

3 Das Chinesische verfügt über keine dem Deutschen vergleichbare Satzprosodie.



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(c) Ein letzter Typus auditiver Formmuster sind asiatische bzw. chinesische Musik und Klänge. Diese werden vor allem durch die Verwendung pentatonischer Skalen (Levis 1963) und traditionell chinesischer Instrumente (Jin 2011) kenntlich. Entsprechend lässt sich im Korpus diverse Musik identifizieren, die auf einen der fünf traditionell chinesischen pentatonischen Modi (kung, shang, chiao, chih oder yü) basiert und sich dadurch melodisch von der dem Rezipienten vertrauten westeuropäischen Musik deutlich abgrenzt. Zudem zeichnet sich die beispielsweise von einer Xiao (chinesische Flöte), einer Erhu (chinesisches zweisaitiges Streichinstrument), einer Yangqin (chinesisches Zupfinstrument), einer Guan (chinesisches Holzblasinstrument) oder auch einer Guzheng (chinesische Zither) gespielte Musik aufgrund der von europäischen Instrumenten unterscheidenden Bauweise und Materialien durch eine ebenso differierende Klangfarbe aus.4 Durch diese offenbare Abweichung von europäischen Hörgewohnheiten entsteht der Vermutung nach beim Rezipienten vorerst eine schnelle Assoziation mit ›Fremde‹ und in der Folge, durch das womögliche Erkennen genuin chinesischer Melodie- und Klangcharakteristika, eine Verknüpfung mit dem asiatischen Kulturraum und eine entsprechende Interpretation des Gesamtkontextes. Empirisch zu prüfen wäre auch die Vermutung, dass durch die Verwendung traditionell chinesischer Musik beim Rezipienten eine Verbindung des Produktes nicht nur mit dem asiatischen Kulturraum aktiviert wird, sondern auch eine Verbindung des Produktes mit ›Natur‹ (Pentatonik), ›Präzivilisatorischem‹ bzw. Zivilisationen in einer sehr frühen Ausführung/Ancient Cultures und ›Exotischem‹ (Klangfarbe). Durch das Abspielen dieser Art von Musik trägt die Werbung somit effektiv zur wissensseitigen Rahmung des beworbenen Produktes mit Teilen des China-Stereotyps bei.

3.3 Visuelle Formen Unter visuellen Formen verstehen wir sämtliche Wahrnehmungsreize, die mit den Augen erfasst werden. Hierzu zählen a) die Darstellung von Personen, Tieren sowie damit verbundene Handlungen und Routinen, b) die Darstellung von Objekten sowie c) der Umgang mit Typographie, Farben und besonderen Symbolen.

4 Für eine genauere Beschreibung der Klangfarben siehe Jin 2011.

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(a) Als ‚chinesisch‘ (oder zumindest ‚asiatisch‘) eingeführte oder von den Werbemachern präsupponierte Personen tragen  – in Abhängigkeit von der ihnen zugedachten Rolle – alle sehr ähnliche physiognomische Merkmale. Rollenübergreifend zeigen sie alle tendenziell eine runde Gesichtsform, mandelförmige Augen, markante Wangen- und Kieferknochen, schwarze Haare (wenn nicht, dann weiße Haare oder Glatze), kleine Nasen und Lidfalte. Darüber hinaus lassen sich – in Kombination mit weiteren visuellen Kontexthinweisen (vgl. dazu b und c) – fünf wiederkehrende, hier idealtypisch skizzierte Rollen differenzieren5: – ‚(Feld-)Arbeiter‘: trägt idealtypisch farbiges Gewand und einen flach-kegelförmigen Sonnenhut aus Bambus (Dou Li, 斗笠); oft auch lange Haare, meist weibliche Personen; sofern die Mimik erkennbar ist, zeigt sie Lächeln oder Lachen; – ‚Mao-Anhänger‘: meist grauer oder grüner Kittel und Mao-Schildkappe (Hong Jun Mao, 红军帽, Hut der Roten Armee); – ‚chinesischer Weiser‘: langer weißer Kinnbart und Schnurrbart (Fu Manchu); dunkle oder weiße Kutte; runde Nickelbrille und eine schildlose Kappe (地主 帽, Hut der Landbesitzer); – ‚Mönch‘: Personen mit Glatze; Kutte; die Augen geschlossen und in ruhender Haltung (meditierend); ähnlich auch ‚Buddha‘: kräftiger, halbnackter, haarloser Mann mit Tuch in sitzend-meditierender Haltung; – ‚Kämpfer‘: jüngerer Mann mit traditioneller Kutte; Haar-Dutt und in kämpferischer Haltung.

5 Für Hinweise zu den Originalbezeichnungen der Kopfbedeckungen danken wir Dr. Haixia Zhou (Beijing Foreign Studies University).



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EADS

McDonalds

John Player

Thomas Cook China

Ricola

Handelsblatt

McDonalds

China-Tourism Jean Pascal

Ching (Film)

China Story (Film)

Maggi Terrine

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Auch bestimmte Tiere finden sich wiederkehrend abgebildet, allen voran Ente (meist als Peking Ente mitteleuropäischer Fassung, d. h. als frittierte halbe Entenbrust), Pandabär (bekannt auch als WWF-Symbol), Schlange (meist symbolisch für Verrat) sowie – als Fabelwesen – der Drache, vor allem auch vertreten in zahlreicher (künstlicher) Ornamentik. Als china-typische Handlungen und Rituale werden wiederholt abgebildet: – aus der Domäne der chinesischen Medizin: Akupunktur und fiktive Formen traditioneller Heilkunst (z. B. Zubereitung von Ricola-Kräuter-Bonbons); – aus der Domäne des Sports: Kampf und Kampfkunst; – aus der Domäne der Kultur: historisches Schattentheater, Kalligraphie, Tanz, Karaoke, Nahrungsmittelzubereitung und -servierung (insb. Teezubereitung). (b) Abgebildete Objekte oder Sachverhalte lassen sich ihrerseits differenzieren in Elemente der ‚Mode‘ (im weitesten Sinne), besondere Orte oder räumliche Formen, Elemente der (Natur-)Umgebung sowie verschiedene sonstige Artefakte. Zu häufig abgebildeten Elementen der Mode zählen: – asiatische Haarnadeln (meist mit Dutt) und typische Kopfbedeckungen (Sonnenhut, Armeehut, Hut der Landbesitzer vgl. o.); – ‚traditioneller‘ Schmuck, z. B. lange Ohrringe mit exotischer Ornamentik oder anderer Kopfschmuck; – asiatische Sonnenschirme und Fächer; – Kommunistische Armeekutte, Seidenstoffe und traditionelle Frauentrachten und -gewänder (v. a. farben- und ornamentreiche Trachten der chinesischen Minderheiten werden häufig zur Illustration des Exotisch-Fremden abgebildet).

Roter Ginseng

Peking Action Blues (Film)

Thomas Cook



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Ebenfalls zur persuasiven Ornamentik zählen wiederkehrende Orte und räumliche Formen. Hierzu zählt zunächst die Abbildung traditioneller chinesisch-asiatischer Architektur mit Betonung der horizontalen, geschwungenen Dachsparren, überkragend, und reicher Ornamentik in überwiegend Rot-Gold-Farbtönen. Das Werbeplakat RAG (2009) etwa verknüpft sprachliche Hinweise mit der Montage von Dächern im Stil des chinesischen Kaiserreiches (vgl. Verbotene Stadt u. ä.). Das ‚Konsum-Moderne‘ assoziierende Pendant bilden Panorama-Abbildungen von Großstädten, Reklame-stakenden Hochhausschluchten und Wimmelbilder.

RAG 2009

Hochhäuser, Reklame, Wimmelbilder

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Die häufigsten, benennbaren (und häufig auch im Kontext benannten) Orte sind Shanghai (Panorama), der Platz des Himmlischen Friedens (Peking) sowie unbenannte Baustellen. Sofern in visuelle oder audiovisuelle Werbung Elemente der Naturumgebung eingebunden werden, sind es vor allem Berge, Bambus, Seen und Reisfelder, Teeplantagen, Blütenbäume sowie Blumen fast ausschließlich in den Farben weiß und rot. Gelegentlich wird auch Smog, meist als gräulicher Dunst vor Großstadt-Skyline, wiedergegeben. Schließlich finden sich weitere, sehr verschiedene und thematisch nicht immer motivierte Gegenstände oder räumliche Formen im China-stereotypisierenden Repertoire deutschsprachiger Werbung. – Häufig: Schiffe, Rikschas, Mobiliar (asiatische Lampen und Lampenschirme), exotische Instrumente, Nahrungsmittel und Gegenstände der Nahrungsmittelherstellung bzw. -aufnahme (Stäbchen, Wok, Teekanne mit Teeschälchen, gebratene Nudeln, Nudelsuppe, Glückskeks, Peking-Ente, Pilze, Reis, Soja, Tofu, Suppe, Tee, Frühlingsrollen, Bambus-Geschirr, Porzellan u. a.). – Vereinzelt: Reklameschilder, (Rotes) Parteibuch, Terrakottaarmee, Tusche, Mingvase, Manekineko. (c) Typoskripte, Farben und Symbole bilden den letzten und mit Blick auf ihr semantisches Schematisierungspotential auch wichtigsten Teil visueller Formen. Besonders hervorzuheben ist der Einsatz (Abbildung chinesischer Schriftzeichen) oder die Adaption von chinesischer Kalligraphie. Letzteres meint die Übertragung des für Kalligraphie typischen Pinselstrich-Musters auf lateinische Buchstaben:

Kalligraphische Typographie lateinischer Buchstaben



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Gelegentlich werden auch Zeichen bzw. Striche kombiniert, die wohl die TonFormalisierung des Pinyin (Umlautsprache des Chinesischen) imitieren sollen.

Audi

Herbata (vgl. Pinyin: chá)

Neben der Kalligraphie werden folgende Ikone und Symbole (im Sinne Pierce‘) häufig eingesetzt: Yin-Yang-Symbol, Flaggen, der Stern sowie Zeichnungen von Drachen. Unter den eingesetzten Farben dominieren Rot und Gelb (als Teil der Nationalfarben).

4 Semantische Felder des China-Stereotyps: Attribute und Prädikationen Die oben beschriebenen Formmuster werden in der Werbung maßgeblich zur Konstitution von China- und/oder Asien-Stereotypen eingesetzt. In diesem Kapitel stellen wir die typischen semantischen Werbe-Attribute vor, die in unserem Korpus formseitig realisiert werden. ›Natur‹, ›Erholung‹ und ›verwöhnende Gesundheitsförderung‹ (17,7 %6): Ein zentrales Attribut der in unserem Korpus befindlichen touristischen Werbung perspektiviert China als ein ›Land der unangetasteten, präzivilisatorischen Natur‹ und als ein Ort der ›Erholung‹. Diese Attribute dienen der Umwerbung unterschiedlichster Werbeobjekte, von Reisen bis hin zu Sportartikeln oder einem Baumarkt.

6 Die relativen Angaben ergeben sich aus der Zählung einzelner Belege, wobei ein Werbe-Beleg mehrere Attribute enthalten kann.

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Besonders oft wird dabei auf eine bzw. „die“ ›chinesische Teekultur‹ referiert. Das Attribut, das sowohl alleine als auch als Nebenattribut auftritt, suggeriert, die chinesische Bevölkerung verfüge hinsichtlich Teezubereitung, -konsum und -genuss über ein besonderes Expertenwissen. Besonders deutlich illustriert die Funktion dieses Attributs ein Werbespot von Nestlé Special T (2012). In diesem werden diverse Teekapseln sowie eine Kapselmaschine beworben und der Zuschauer insinuiert, im Universum von „Special T“ werde jeder Tee zu einer außergewöhnlichen Reise. Unter diesen besten Tees der Welt befindet sich auch ‚Tee aus China‘, attribuiert durch die Darstellung idyllischer Natur und Pandabären, sowie roter Lampions, Haarnadeln, traditioneller Gewänder und einem roten Sonnenschirm. Das Attribut der Teekultur wird vor allem durch den Produktkontext und den ›zeremoniellen‹ Konsum der mit weiteren chinesischen bzw. asiatischen Ausdrucksformen ausgestatteten Darstellerin konturiert. Es dient dabei auch der Produktauthentifizierung: Der hier beworbene Tee komme aus China und trage, so die Message, die chinesische, naturverbundene Tee- und Genusskultur in kleinen (Plastik-!) Kapseln in westliche Wohnzimmer.

Nestlé Special T (2012): Standbild bei 1:16 und 1:46

Zahlreiche Produkte aus dem Nahrungsmittelbereich werden mit dem Attribut ›chinesisch-traditionelle (s. u.) Gesundheitsförderung‹ markiert. Es schreibt Chinesen vor allem die Kompetenz zu, besonders gesund zu leben und über besonders tradiertes Wissen natürlicher Kräuter- und Heilkunde zu verfügen. Den umworbenen Produkten soll damit eine gesundheitsfördernde Wirkung zugeschrieben werden. So wirbt beispielsweise die Gintec Europe GmbH (vgl. oben) für ihr Produkt „Roter Ginseng“ mit dem Slogan Das königliche Heilmittel der chinesischen Kaiser und bildet auf der roten Produktverpackung neben chinesischen Schriftzeichen und asiatisch wirkender Typografie einen „chinesischen Weisen“ (vgl. oben 3.3) ab. Doch auch einfachen Nahrungsmitteln wird eine heilende oder zumindest wohltuende ›chinesische‹ Wirkung nachgesagt. So etwa der von Albert von Zoonen BV vertriebenen Vollkornrolle >Tofu